^eakncyflopäbic
für proteftcmtifcfye
Ökologie unb Ktrcfye
Begrüntet form X X *%>tx\vs.
3n dritter üerbefferter unfc permefyrter Auflage
unter Xnitunrfung
tuefer Cfyeologen un& cmöerer (Seienden
herausgegeben
DOTt
D. %lbttt lau*
Ptofeffor in Seipaig
^wan^Ut Scmb
3- C Jjtnrtdjs'fcfye Bucfyfyanöluna.
$08
2JIfe Hedjtc, tnsbefcmbere bas ber Überfetjung für jeben
ein3elnen 2trtifcl rorbetjalten.
S?. 33. ®o.f= unb Untüerfttät§sS8ucPrucIerei bon Sunge & Softtt in Erlangen.
Dortport
S3ei 33eenbigung beg 20. 33anbeg ber brüten Stuftage ber proteftantifd^en
SReatencrjflocä'bie glauben mir ben Stbnet)mern beg SSerfeg Stugfunft über bk ©rünbe
beg, bem urfprünglict)en ^Stane gegenüber, erweiterten UmfangS erteilen gu foUen.
3n ber 23orrebe §um erften 23anbe ift bie Hoffnung ausgebrochen, bafj e§
gelingen »erbe, bie garjt öon 18 83änben, b. i. ben Umfang ber Reiten Stuftage,
nid)t §u überfcrjreiten. ©ctjon bamalg aber mürbe tjerüorgefjoben, bafe eine nidjt
unbeträcf)tttct)e Srmeiterung beg SBerfeS noimenbig fei, ba e§ fidfj in mancher ^unficfit
atg lüctenfjaft ertoiefen fyabt. ®en nötigen 9\aum hofften mir burdj engeren SDrucf
unb burctj SSerlürjung einzelner Strittet ju gemmnen. SeibeS tuurbe^ burctjgefütjrt.
Um nur eineg ju ermähnen, fo ftnb bie biograpt)ifcb,ett StrtiM über Geologen beg
19. 3tot)rr)unbert§ faft augnatjmgtog bebeutenb fnatober getjatten als in ber jmeiten
Stuftage. Stber e§ ermieg fict) fetjr batb, bafj bie unumgängliche Gsrgänjung einen
größeren Umfang ermatten mufjte, atg anfängttct) an^unetjmen mar. S)ie ©rünbe
tagen fomotjt in ber ©ntmicfetung ber ttjeotogtfcfjen SSiffenfdjaft mie im ©ang beg
!irdgtid§en Sebeng. Stuf bem miffenfclmftlicrjen ©ebiete traten neue Sßrobteme in
ben SSorbergrunb; mir mußten bem 9?ecfjnung tragen, inbem mir neue Strtitet —
§. 95. über bie urfürüngtictje S3erfaffung ber djriftttdtjen Stircfje, über ben beutfctjen
SbeatigmuS, über bie engtifcßen Sftoratiften u. a. — einfcboben unb inbem mir
anberen — §. 23. über bie Pfarreien — metjr 9faum gemätjrten atg frütjer. 2Bag
baS fircfylictje Seben anlangt, fo forberte befonberg bie ununterbrochen macrjfenbe
Strbeit ber inneren unb Stufjeren ÜDttffion eine biet roeitergetjenbe 93erüc£ftct)ttgung
atg in ber gtoeiten Stuftage, ©agu fam, bafj im Saufe ber testen 3at)räerjnte bag
Sntereffe für bie fircrjticrjett 23ert)ättmffe aufjerljatb ©eutfcbtanbg immer reger ge=
morben ift. @g erfdfcjien bem gegenüber un§utäfftg, bie ©efctjidjte ber eüangetifcr)en
^:irct)e in ben bereinigten Staaten §u ignorieren, ©benfo mujjte bie reiche nieber»
tänbifcbe Xtjeotogie, bie eigenartige ©ntmictetung ber fdjroebtfcfjen Stirere u. a. beffer
berüctficl)tigt raerben.
2)a§ ftrtb bie SSertjdttntffe, bie ba% 2Inf<^roeEert be§ UmfangS Ü6er ba§ im
öarjre 1896 in§ $luge gefaxte äftajj l)inau§ notroenbig matten. 2öir glaubten
irrten Stecljnung tragen gu muffen. £>enn bte Ablefjnung biefer Srgänjungen mürbe
eine ©cljäbtgung be§ 2öerfe§ herbeigeführt fjaben. £)ie (Sintjaltung ber aud) bon
«nS gemünfcljten ©renje märe nur burcr) eine Beeinträchtigung be§ 28erte§ <$u er=
laufen gemefen. £>a§ SBerf mürbe baZ ntct)t metjr geleiftet tjaben, ma§ e§ leiften
mitt unb foH: treue, miffenfcijaftlicf) jutierläffige 2lu3lunft über baZ Seben ber ^ird^e
in Bergangenljeit unb ©egenmart §u gemätiren unb in bie fragen einzuführen,
bie Sttjeologic unb ®irclje bemegen.
®afe baZ 2Ser! mit bem 21. Banbe gum Slbfcljlufj fommt, fönnen mir mit
aller «Sicfjerljeit auSfprectjen. £>a§ Sftanuflript liegt gum großen Xeile fctjon tmr.
®a§ ©efamtregifter ift nicfjt nur im Sftanuffribt bötlig auf bem Saufenben,
fonbern eZ finb aucf) bie ©rucfproben bereits erlebigt. ©ie geben bie ©emifjtjeit,
baf} auch, biefer £eil tro£ fparfamfter (Einrichtung errjeblict) ü6erftc^tlic£>er unb 6raucfj*
barer ausfallen mirb, al§ baZ SRegifter ber ^metten Auflage. StrtcE) glauben mir, ba%
ben Ferren Abonnenten, trenn audE) eine Bereinigung be§ 9ffegifter§ mit bem
21. Banbe an fiel) möglief) gemefen märe, bod) bie Trennung in §mei felbftänbige
Heinere SSänbe ermünfdjter fein mirb.
Seidig, im Sanuar 1908.
©er §erau§geber £)te 95udjl)anb(ung
Soorettenbcrgett, So^an ^uftu§ ban, geft. 1903. — £. 93. 93affmijen »an ben
33vtnf, Levensbericht van Johan Justus van Toorenenbergen (in ben Levensberichten der
afgestorvene medeleden van de Maatschappij der Nederl. Letterkunde te Leiden, Seiben
1906 blz. 133—159.
33on bier trübem ban toorenenbergen, bie äße in @I)ren ber Rieberlänbifd)en 5
Reformierten Äird)e al§ ^rebiger gebient |>aben, ift $ob,an ^uftuö ber beitemtefte, nid)t
allein, Weil er feine brei 23rüber lang überlebt l)at, fonbern in erfter Sinie burd) feine
Wiffenfd)aftlid)en 23erbienfte, befonber<B auf bem ©ebiet ber Rieberlänbifcfjen ®ird)engefdjid}te.
Gr Würbe ben 12. gebruar 1822 ju Utrecht geboren, Wo fein 3Sater 3>uftuS b. %. ^ßro=
furator am ©erid)t War. Racljbem er ben Unterricht an ber 33oIfSfd)ule unb ber £atein= io
fctjule feiner SSaterftabt befucbt I)atte, Würbe er 1839 an ber Utrecf)ter Umberfität aU
©tubent ber Geologie eingefcf/rieben. @r bollenbete bort unter ben Sßrofefforen §. 3.
Robaarbg, §. @. 3Sinle unb §. Souman feine ©tubien unb würbe 1844 jum geiftlid)en
2Imte in ber Rieberlänbifd)en Ref. $ird)e jugelaffen unb nod) in bemfelben $al)re al3
^ßrebiger nad) @l£beet berufen unb am 17. Robember bort orbiniert. $m Riat 1848 15
ftebelte er nad) auffingen über, Wo er fed)get)n Qab^re tl)ätig blieb unb feine §irtenarbeit
burd) feine ©emeinbe b,od)gefd)ä^t rourbe. Qm %afyxe 1855 I)atte er eine Berufung gum
^ßrofeffor an bie %f)eologifd)e ©d)ule ju ©tellenbofd) abgelehnt, bte bamal§ grabe für bie
Rieberbeutfd)e Reformierte Strebe in ©übafrifa errietet Worben war. 3Son 1864—1869
War er ©ireftor ber Utred)tfd)en Riiffton§gefellfd)aft unb gab al§ fo!d)er ben fünftigen 20
RZifftonaren biefer ©efeßfd)aft aucb, Unterricht, u. a. in ber ^Dogmatil ®en 10. Januar
1869 würbe er Wieber ^rebiger an ber Rieberb. Ref. ©emeinbe ju Rotterbam, unb blieb
bier, bi§ er am 26. Januar 1880 bie ^rofeffur in ^tr^engefcfytcljte alö Rad)folger bon
20. 3RolI an ber ©emeinbeuniberfität gu 2lmfterbam mit einer Slntrittöborlefung über „Het
wetenschappelijk karakter der geschiedenis van het Christendom" (Slmfterb. 1880) 25
antrat. ^njWifcfyen War er Wegen feiner Wiffenfd)aftlid)en 3Serbienfte bon bem ©enat ber
Reid)<ouniberfität ju Utred)t am 7. gebruar 1878 §um Doctor Theol. honoris causa
bromobiert toorben. gm S^^re 1892 mufjie er nad) bem in ben Rieberlanben giltigen
©efets Wegen jurücfgelegter 70jäl)riger Sebjeit fein 2lmt als ^3rofeffor nieberlegen. @r
ful)r jebod) fort feine RuB,egeit bem ©tubium ju Wibmen, bi§ er am 12. ©egember 1903 30
aU beinahe 82jäf)riger SJcann berfcbieb, big ^ule|t für bie Süiffenfcljaft, bie er liebte,
Wirffam.
2Sa§ feinen tf)eologifd)en ©tanbbunlt angebt, fo d)ara!terifierte er ib,n felbft a\§
@bangelifd)=^onfeffioneU (ftefye feine 33rofd)üre: Waartoe Evangelisch-Confessioneel?
Utrecht 1864). 3lm ®ogma Wollte er bor allem bie fittlid)e ©eite betont Wiffen. Racb, 35
biefer £jinftd)t War er bem bon tl)m bod)gefd)äi$ten SBinet geifteSberWanbt. ©ie Se=
fenntnilfccjriften b,ielt er al§ biftorifd^e ©ebenfgeidtjen Wert, aber er £)ielt fid; nur foWeit
für an fie gebunben, al§ fie mit bem ©bangelium übereinftimmten. £a§ 2Befen aber
unb bie $aubtfacr/e beg ©bangeliumg fieb,t er „in ber £eb,re bon bem, totö unmittelbar
mit unferer ©rrettung in SSerbinbung fteb,t ; bie ©rlenntniö beä Ramend be§ 33aterg, 40
beö ©of)neä unb be§ % ©eifteS, auf ben Wir getauft finb, unb beö SBege§ unferer ©r=
rettung burd) baö Dbfer bon 6I)rifti Seib unb bie SBefbrengung mit feinem Slut burd}
feinen Sob unb fein 2luferftel)en, bie Wir beim Slbenbmabl berlünbigen." ©ein "3er=
t)ättnt§ gu ben 33efenntni§fcb,riften fe^te er beutlid) in ber (Einleitung feiner belangreichen
©djrift au^einanber „Eene bladzijde uit de geschiedenis der Nederlandsche 45
Geloofsbelijdenis" (§aag 1862), in Welcher er bie urfbrünglict/e 3lu§gabe biefe^ 93c=
fenntniffeä beröffentlid)te. %n 315erbinbung bamit ftel)t feine Slu^gabe bon „De sym-
bolische Schriften der Nederlandsche Hervomde Kerk in zuiveren kritisch
bewerkten tekst haar aangeboden tot wettig gebruik" (Utred)t 1869, 2. äluflage
1895). ©urd; baö belannte SBerl beg 2cibenfd)en ^rof. 3. £. ©polten (f. b. vJl.) über so
«Rra(>(SncU(Iot)äbic für Xbeoloflic unb ßtr*f. 3. 91. XX. [
2 £oorettenbergcn
bie £el)re ber TOcberl. $Ref. ®ird)e beranlaf$t, gab b. Soorenenbergen fein 1852 begonnene
unb im ^al^re 1865 bollenbete ©cb,rift „Bijdragen tot de verklaring, toetsing en ont-
wikkeling van de Leer der Hervormde Kerk. Theologische Stellingen met
toelichtingen, naar aanleiding van de Nederlandsche Geloofsbelijdenis" b/er=
5 auS, ein fßerf, baS einen ©cf>a$ bon bogmatifdjien unb luftorifcfyen üenntniffen in ftd)
birgt. 2lm boüftänbigfien lernt man feinen bogmatifcfyen ©tanbbunft !ennen auS einer
©djrift, bie als $rud)t feines bogmatifdjen Unterrichts an bte Zöglinge ber Utrecfyter
9ftiffionSgefelIfcr)aft entftanb unb ben Sttel trägt „De Christelijke Geloofsleer, hand-
boek voor Middelbaar Onderwijs en eigen onderzoek" (Culemborg 1876, 2. ber=
10 mehrte 2luflage 1893). Unter ben beutfd)en Geologen füllte ban Soorenenbergen ftdj
befonberS angezogen bon 6. $. 9ft|fcf> unb bem Tübinger Vrof. 3- £• Vect. 2lu§ bzZ
[enteren „Sbjiftücfye Sieben" überfe^te er mehrere ins ^oHänbifdje, bie bann in jtoei
Sänbdjen unter bem Sitel „Wekstemmen" (2Imfterbam 1880, 1884) erfdnenen. SöaS
er bon Setf'S „Sieben" fagt, bajs fie „eine reine SBibellebre unb eine fräftige ©eelenfbeife"
15 barböten, unb fidj bureb, „Siefe unb SHarl>ett, 3Bab,rf»eit unb @rnft, Urfbrünglicfyfett otjne
föünftelei" fennjeidmeten, baS gilt aud) bon bau SoorenenbergenS eigenen $rebigten.
$Der @rnfi unb baS kernige feiner Vrebigten tritt u. a. in ein Vaar Sänbcfyen 2ebr=
reben, bie er beröff entließt bat, gu Sage (Twaalftal Kerkredenen, Slotterbam 1881;
Laatste Kerkredenen, auffingen 1902). — (Gegenüber ber ^ritif am 2flten unb sJceuen
20 Seftament nafjm er einen mdjx fonferbatiben ©tanbbunft ein, unb füllte er fid) befonberS
bon $ranj &eli£fd) angezogen. ©djriften bon biefem unb bon $ameS Stobertfon würben
unter feiner 3tuffia)t ins §oUänbifd)e übertragen unb mit einer Vorrebe bon feiner §anb
b/erauSgegeben. @r felbft fetmeb eine 2lbf)anblung über „Het oorspronkelijk Mozaische
in 'den Pentateuch" (Theol. Studien 1882).
25 Sie größten Verbienfte jebod) bon ban Soorenenbergen liegen auf bem ©ebiet ber
l)iftorifdjien gorfdwng. 3m %ai)rt 1870 mürbe bureb, @. ©roen ban Vrinfterer (f. b. 21.
VII, 174) als ©fyrenborfüjenben, 20. ©. Vrill, Vernarb ter £aar, beibe Vrofefforen ju Utrecht,
31. itur/ber, £>• 3- ban Soorenenbergen unb 21. -SS. ban Veecf ßaltoen, ben legten als
©efretär, bie Marnix-Vereeniging aufgerichtet, bie bon 1870—1885 eine Stetb/e belang=
30 reifer SBerle beröffentlid)te (Utrecht, Serie I dl. 1—4; Serie II dl. 1 en 2; Serie III
dl. 1—6), bie bebeutfame Urtunben aus ber ©efcf/icfyte ber 9cieb. 3ief. Äircfje enthalten.
2ln biefen Veröffentlichungen b,at ban Soorenenbergen einen gewichtigen, gemifj ben bebeut=
famften 2lnteil genommen, lyn ber 1. ©erie gab er als 2. Seil „Stukken betreffende
de Diaconie der vreemdelingen te Emden" (1876) fyerauS. SDtefer Seil enthält
35 1. baS Vrototoll ber „Diaconie der Vreemdelingen", bie (Einleitung, Worin bie 2Cnf=
rict>tung unb baS urfbrünglidje giel biefer (Einrichtung ergä^It Wirb, unb bie gifte ber
®ia!onen bis jum Qafyre 1626; 2. bie 2luSgaben über bie@inlünfte ber ®ia!onie Wäfyrenb
ber ^ab/re 1560—1572; 3. bie giften ber Unterfaßten bon 1569—1576; 4. einige Vei=
lagen aus ben 2lften ber 9tef. ©emeinbe über bie SDiafonie unb bie Söatergeujen unb
40 aus ber @nglifd)en Hircfyenorbnung. — S)er 3. Seil ber 1. ©erie Iburbe (1881) burd)
i&n unb §. Q. ^anffen, ber Wäfjrenb ber Vorbereitung ftarb, bem aber ban Soorenen=
bergen bie* @t)re suiuteS, „ber ^aubtbearbeiter biefeS SanbeS ju fein", beforgt. @S ent=
bielt bie „Handelingen van den kerkeraad der Nederlandsche Gemeente te
Keulen 1571—1591." — Von ber 2. ©erie gab ban Soorenenbergen ben 1. Seil (1872)
45 f)erauS „Acten van colloquia der Nederlandsche gemeenten in Engeland 1575 — 1609.
2de stuk 1612—1624", mit einem 2tnb,ang, ber einen 2luSjug auS ben Sitten bis 1706
enthielt. 2lud) ber 2. Seil ber 2. ©erie tnurbe (1882) bureb, ifm, aber unter ber 3Jtittoirfung
bon §. D. Qanffen herausgegeben : „Acten van Classicale en Synodale Vergaderingen
der verstrooide gemeenten in het land van Cleef, Sticht van Keulen en Aken,
so 1571—1589" — 23on ber 3. ©erie gab er ben 1. Seil b/erauS (1873): „Gheschiede-
nissen ende handelingen die voornemelick aengaen de nederduytsche natie
ende gemeynten, woonende in Engelant ende int bysonder tot Londen, ver-
gadert door Symeon Ruytinck, Caesar Calandrinus ende Aemilius van Culem-
borgh, Dienaren des Godlicken Woords" Süefer Seil enthält toicb,tige 9JJit=
55 teilungen betreffenb bie ^rrlefjren, beren ber bekannte 6orn. 2lbr. ban §aemftebe befcf) ulbigt
mürbe. $n biefer 3. ©erie ersten ferner ber 2. unb 4. Seil burd) if)n unb §. Q.
^anffen, unb ber 5. unb 6. Seil burdj ib,n allein beforgt: „Brieven uit onderscheidene
kerkelijke Archieven", entfialtenb Vriefe auS bem 2lrd)ib beS ^ircb,enratS ju ©mben,
fomeit biefelben ntebt in @b. 3JceinerS' „Oostvrieschlandts Kerkelyke Geschiedenisse"
6Q mitgeteilt maren, unb aus ben lircfyenarctnben bon ®elft unb ®öln. — Sei (Gelegenheit
Soorcimtbergcu £oaffnht 3
beg :)f.)Ojäf)rtgen ©ebcnftagcg ber (Smtbener ©tmobc f)tclt ban Xoorenenbergen am 4. Df=
tober 1871 in einer SDanffeier gu ©rnben eine Siebe, bie in feinen „Vaderlandsche
Herinneringen 1566—1572 (Sfotterbam 1872) abgebrudt i(t.
23efonberg alg auggejeiefmeter Kenner ber ^erfon unb ber Söerle bon $fy. Dan SÖJamir.
bat ban Xoorenenbergen fid) einen tarnen ertoorben. Qm %afyxe 1871 begann er r,
mit ber Stuggabe f eineg großen 2öer!eg „Philips van Marnix Godsdienstige en
Kerkelijke Geschritten, voor het eerst in herdruk uitgegeven met historische
inleiding en taalkundige opheldering" ('sGravenhage 1871). ©er 2. Xit erfebjen
1873, ber 3. 1878, toäb/renb 1891 noeb, eine bebeutfame ©ammlung bon „Varia" unb
enblid) in feinem Xobegjafyr nod) eine 9iad)lefe „Marnixiana Anonyma, nieuwe ver- 10
scheidenheden uit en over zijne nalatenschap" ('sGravenhage 1903) erfd)ien.
®iefe Stuggabe bon DJiarnir/ ©Triften, bie Dan Xoorenenbergen befd)eiben einen üfteubrud
nannte, mar bod) mefyr als bag, ba barin berfd)iebene big bal)in nod) nicfyt gebrückte
Briefe unb Fragmente aufgenommen finb. ©ein flarer Serftanb unb ©d)arffinn, bie
ftd) in allem, mag er auf f)iftorifd)em ©ebiet fd)rieb, geigt, lommt aud) beutlitt) in ber 15
SSeife ju Xage, auf roeld)e er in feiner Einleitung bie fritifd)en fragen befbrtdjt, bie
fyinficfytlid) einiger ©dnüften bon SKarnir. burd) 5)3rof. 91 $ruin aufgeworfen tuorben roaren.
©ein ^ntereffe an allem, mag SJkrnir. betraf, geigte er aud) burd) feinen Slrtifel in ben
Theol. Studien (1884) über „De Psalmberijming van Philips van Marnix
enz." 5n feinen oben genannten Marnixiana Anonyma nab,m er aud) Partei 20
für SRarnir. als ben £>id)ter bon „2öul)elmug ban SJaffauen", mäl)renb er in ben Theol.
Studien (1896) eine fdjarfe Äritil gegen ©. Xjalma beröffentlid)te, ber in feiner X4ffer=
tation „^t/ilibg »an -JJiarmr." biefem ben 33ormurf mad)te, I)ie unb ba bon ber 33ab,n
beg ©laubeng gemid)en gu fein.
Über bie t)öd)ft belangreiche Stuggabe, bie biefer feine 33üd)erfenner im ^afyxe 1882 25
beranftaltete, unter bem Xitel: „Het oudste Nederlandsche verboden boek 1523.
Oeconomica Christiana. Summa der Godliker Schrifturen" (Seiben 1882), brauche
id) nad) meinem SlrtiW über bie Summa in biefer ^Si1®3 (33b XIX ©. 162, 8) I)ier nid)t
näl)er gu fbred)en. — 2lud) auf bem ©ebiet ber 3Jtiffion I)at er u. a. in ber Neder-
landsch Zendingstijdschrift unb in DeGids berfd)tebene intereffante Strtifel berbffentlid)t. 30
Über bag, roag er fonft nod) gefd)rieben I)at, lann man ben obenermäljmten Sebengberict/t
bon SBaftmigen ban ben 83rin! einfeuert, ^d) enbige l)ier mit ben ©djlufjtoorten beg=
felben, bie ung bie $erfbnlid)feit bon ban Xorenenbergen geiefmen: „©ein ©ebäd)tnig
bleibt in Efyren unter allen, bie ib,n gefannt unb fein 2ßer! gefeiert I)aben, alg bag
eineg (Sbjiften, auf ben fein eigeneg Söort über g- X S3ecf bafst : „(Sr roar ^ieffimift, aber 35
nid)t im ©inne ber mobernen ^^ilofobbte : er füllte unb ernannte flar, roie grof? bie
©ünbe unb bag baraug entfbringenbe @lenb ber 9Jienfd)I)eit ift; er War Dbtimift, meil
er bie ®laubengb,offnung nid)t finfen liefe, bie ilm aufmärtg flauen liefe" ; alg bag eineg
©elefyrten, ber jebe Aufgabe, gu ber er fid) berufen füllte, mit großer ©enauigfeit, an=
bauernbem glei§ unb ftrengem ©eixnffengernft löfte." ©. 2) \>an SSeen. 40
2;orgauer Slrtifci f. b. 31. Sluggb. Selenntnig Sb II ©.243, 12.
Sorgauer S5u^ f. b. 2t. ßonforbienformel Sb X ©. 741, *>.
Souffotn (^offanug), Daniel b.^., geft. 1602, reform. Geologe. — Quellen:
9t. SRüffer, 3)anteIXof|anu§, Seben unb SKirfett, Flensburg 1884, 4°; ßuno, San. ^offauu§,
Slmfterbam 1898, 2 SSbe ; ^otm Stenot, Histoire de k Eeformo u Montbeliard, 'DJumtb. ^
1900; Bulletin de la Soc. d'hist. du Prot, francais, passim.
©aniel X, ©obn ^3eter Xouffaing, mürbe gu SJiontbeliarb am 15. ^uli 1541 ge=
boren, ©r begann feine ©tubien in feiner 33aterftabt, fe|te fie feit 1555 in Safel fort,
mo er gmei ^atire blieb, unb boHenbete fie in Xübingen. S'Jad^bem er b,ier ben 9)tagifter=
grab erroorben blatte, lehrte er gu feinem 33ater nad; SJlontbeliarb gurüd" unb übte fid) so
liier fed)g 9JJonate lang in franjöfifcb^cr unb beutftt)cr ^ßrebigt. ©a er bag grangöfifcb.e
nid)t bbßig bef>errfd)te, begab er fid) im ^uni 1^59 auf Steifen, um fid) in granfreid)
in aßen feinen ©tubien nod) gu berbollfommnen. 5JJad) einem 2lufentl)alt bon einigen
Monaten in ^arig ging er im 5Rai 15(ii) nad) Qrlcang, mo er einige 3eit lang alg
Seiner beg .(oebräifcb/en tfyätig mar. ^ier mürbe er orbiniert unb fogleid alg 'iprebiger 55
ber reformierten $ird;e biefer bamalg bollrcid)cn unb blül;enbcn ©tabt angefteUt (1561).
3lm 19. "3Jtär^ 1565 bcrb,eiratcte er fid; mitplane Gouet, ber Xod)ter eineg ^sarla=
1*
4 Souffatn
mentgabbofaten in Varig. Von ben Unruhen unb Verfolgungen, bie bamalg granfreicb,
erregten, fyatte er Diel ju leiben, ^n jener $eit nafym er aueb, jur Vorfielt bag Vfeubontym
5UJ. be Veaumont an.
9lm 15. ©ebtember 1568 jtnang ein heftiger 2tufrur)r ifyn unb bie anberen ^3re=
5 biger Don Orleans fiel) ju Verbergen. 916er am 26. begf. 2Jtonatg mürbe er mit 9Jiatr/ieu
Veroalbe entbetft unb big gum 15. Dftober gefangen gehalten. Run flob, er mit feiner
grau unb feinen Äinbern nacb, 9Jcontargig, mo er einige $eit unter bem ©dm|e ber£er=
jogin bon gerrara, einer Stod^ter Submigg XII., berroeilte. llg aber ber franjofifc^e $önig
feiner £ante befahl, alle Hugenotten, bie fid) nacb, 9Jcontargig geflutet Ratten, ju ber=
10 treiben, flob, %. weiter nad? ©ancerre ; E>ter blieb er ein %afyv. ®ann roanbte er
fia) mieber nacb, SRontbeliarb, mo er aueb, mit grau unb üinbern mieber jufammentraf.
@in %af)t lang erlaubten ü;m bie fran^öftfef/en SBirren nicfyr, nacb, granlreid) ^uvM^
feb,ren; biefe geit benutzte er, um feinem alten Vater in feinem 2lmte §u Reifen.
Seiber belam er balb ©treit mit einigen Vrebigern, bie il)m bag ^rebigen unter ber
15 Slnfdmlbigung unterfagen rooßten, er entmeifye bie äircf)e bon 9JcontbeIiarb burd) falbim=
fiifcfye unb gminglianiftifdjie ^rrleb^ren, bie er t>on granlreicb, mitgebracht fyätte. 6r recb>
fertigte fieb, in einer ©d)rtft, in ber fieb, alg treuen Slnt/änger ber Stuggburgifcfyen $on=
feffion be!annte.
Ract/bem bie Rufye in granfreieb, mieber I)ergeftellt mar, rief bie ©emeinbe bon Dr=
20 leang %. gurüd, ber 9Jcontbeliarb am 17. ©ebtember 1571 berliefs. £>ie 2lu3übung beg
Vrebigtamteg mürbe in Drleang felbft nid)t mel)r geftattet, fonbern ber ©ortegbienft mufjte
in bem jtoet ©tunben bon ber ©tabt entfernten ©d)(offe ^gle abgehalten merben, bag
bem Vaißi bon Drleang, Qeröme ©roglot, gehörte. SDortlnn gingen bie Reformierten alle
©onntage, um ifyren ©ottegbienft ju feiern.
25 2lber biefe $eit oer 9xul)e mährte nur einige SRonate, unb aueb, %. felbft fat) fid)
jur gett ber Vartfmlomäugnacfyt (1572) nod) größeren ©efafyren auggefetjt, alg er fd)on
beftanben b,atte. ®ie $unbe bon ben ©reigniffen in Varig unb bon ber ©rmorbung ©rog=
lotg, ber fieb, gerabc bort befanb, traf %. im ©d)Ioffe Qgte. ©ogleicb, entfcfylofj fid) ein
fatr/olifcfyer (Sbelmann, bie Jöitme ©roglotg unb %. mit feinen lünbern in ein ir)m ge=
30 fyb'renbeg §aug bei 3Jfontargig in ©idjerb/eit ju bringen. @g mar aueb, b^o^e B^1» ^enn
f<f)on am folgenben SEage griffen bie ^atfyolifen Drleang' bag ©djlo^ an, töteten bie
gurüd'gebliebene ®ienerfd)aft unb raubten alleg big auf ben ^augrat unb bie Sibliot^e! %.§.
tiefer b,ielt feinen erften guflucfytgort ^x jU menig fidler unb flob, bon neuem nacb,
SUontargig ju ber „guten §erjogin", bie ifm in einen Slurm ifyreg ©d}Ioffeg aufnahm
35 unb mit Sebengmitteln fjeimlid) berforgen liej?. £>ier mürbe am 27. ©ebtember 1572 ^Saul
%. geboren, ber fbäter bie Siogra^ie feineg 9]ater fet/reiben follte.
2{lg fid) bie sDJorbtout in granlreicb, gelegt blatte, !ef>rte %. ju feinem 3Sater nacb,
SJiontbeliarb jurüc! (3. 9Zob. 1572). 2lber bureb, bie ^ntoleranj ber lutr/erifcfyen %i)(0-
logen tourbe er fcfyon nao) einigen S!öocb,en roieber bertrieben. @r folgte nun einem Rufe
40 ber franjöftfcfjen Flüchtlinge nacb, S3afcl.
%i). be 93e§e bemirfte balb feine ^Berufung nad; §eibelberg an ben §of beg ^ßfalg=
grafen grtebrieb, III., ber ifm ju feinem §ofbrebiger ernannte (3Jcärj 1573). 2)amit
maren enblicb, rubtge Xage für ben geboten ^rebiger gekommen, ber §kt eine feb,r be=
träcb,tlicb,e ^ätigleit entfaltete. 3Sier %at)tz nacb, feiner 2lnfunft, am 26. Dftober 1576,
45 miberful;r if)m aber ber ©cfymerj, ben gürften ju berlieren, ber ib)m b,ob,e 2lcb,tung gesollt
unb grofteg Vertrauen gefcb,enft b,atte. griebrieb, III. mar (Salbinift gemefert, fein ©ofm
unb 9to(|folger, Submig IV., mar Sutberaner. @r lie^ fieb, berleiten, bie ^5rebiger unb
Vrofefforen, bie fieb, feinem ©lauben nid)t anfcb,Ioffen, aug §eibelberg ju bertreiben. %.
mar einer bon biefen, ib,m mürbe bag $rebigen unterfagt. 2lber ber 33ruber beg neuen
50 Vfaljgrafen, ^ob,ann £afimir, ber ben calbtmftifdjen 2lnfcb,auungen feineg SSaterg treu
geblieben mar, 30g bie bon §eibelberg bertriebenen Vrofefforen unb ^ßrebiger nacb, 9Jeu=
ftabt. %. mürbe b,ier mit ber ^nfbeltion ber ^ircb,en beauftragt unb arbeitete an ber
©rünbung ber bortigen 2Ilabemie, an ber er aud) felbft Ieb,rte. Racb, bem £obe bon
3- Urfinug (6. SJiärj 1583) berfab, er bag Slmt eineg ^rebigerg in ber bon fremben
55 Flüchtlingen gebilbeten ©t. Sambertigemeinbe, beteiligte fieb rntt 3ancbiug unb Urfinug
an ber §erauggabe berfeb^iebener 2Ber!e unb führte ben Vorfiij in mehreren ©^noben.
Vfal^graf Submig IV- ftarb 1583. ©ein 33ruber ^ob,ann ^afimir mürbe ^um Vor=
munbe feineg b,intcrlaffenen Neffen griebrid; IV befteUt. ©eine erfte ©orge mar, %. in
feinen Rat ju berufen. 3ufammen befebjoffen fie, bie lutb, erifd) en Vrofefforen unb ^rebiger
so ^u entfernen unb mieber burc^t calbiniftifcb,e ^u erfe^en. ®a ^alob ©rtjnäug, Vrofeffor
Souffnin 5
ber Geologie in £eibclbcrg, nad) SBafel Berufen mürbe, ituirbe %. gu feinem v)iad;foIgcr
getoäfylt. Sm ©ejember 1586 ertoarb er ben tljeologifcfyen ©oftorgrab.
2lm 28. 9Jläti 1587 berlor %. feine grau naefe, 22jäfyriger @f)e. 18 Monate barauf,
am 7. Robember 1588, berfyeiratete er fid; ^um jmeitenmal. 1592 ftarb ^ofjann &afimir,
aber ba er feinen Neffen in calbiniftifdjen ©runbfätjen I)atte ergießen laffen, änberte fein 6
Xob nichts an ben religiöfen SJerbältniffen ber $fal§graffd)aft. 1594 mürbe X 9ie!tor
ber Uniberfität unb geigte fid) ben 2lnforberungen biefeS ^ßoftenS boß geit>ad)fen. 1596
bertrieb bie $eft bie meiften ^rofefforen unb ©tubenten, bie fid; aufjerfyalb £>eibe!bergS
in ©idjerbeit §u bringen fugten, %. blieb auf feinem Soften unb liefe nidjt ab p brebigen
unb jur Sufje ju ermahnen, infolge feinet 2lIterS münfcfyte %. 1601 bon feiner 2ebr= in
tf>ätigfeit entbunben %u werben. Wlan tonnte fid; aber nid)t entfcfjltefjen, ib,m biefen
SBunfd) %u erfüßen, geftattete u)m jebod) aße Sequemlid)feiten, beren er bebürfe. %. ftarb
am 10. Januar 1602, 61 Qafyre alt, unb mürbe in ber UniberfitätSfabeße beigefe|t.
X i)at biet gefcfyrieben. Riceron (Memoires) jäfylt 33 Söerfe auf. @r ftanb in
SBerbinbung mit aßen großen Männern ber franjöfifcben Deformation, befonberS mit Xb. 15
be 33eje, grangoiS £>otmann u. a. ßuno l^at il)m eine bortreffltcbe 9ftonograbI)ie gemibmet
(f. oben ©. 3,4t), in ber man aße nötigen bibliograbr)ifd)en |>inmeife finbet. 3mme^=
bin finb einige Briefe bon %. (teils in $ariS teils in 83efangon befinbltd;) nodj nid)t
herausgegeben. 34« Sßienot.
£ouffailt (XoffanuS), ^eter, geft. 1573. — 3of)ii SStenot, Histoire de kEeforme20
dans le pays de Montbeliard, WontbeX 1900, 2 33be.
$eter %., ber Reformator ber ©raffd)aft SRömbelgart, mar einer ber bebeutenbften
SRänner auS bem erften geitraum ber ReformatiortSgefd;td;te in granlreid). ©eboren
mürbe er im ^ßfyre 1519 ju ©t. Saurent bei SRarbiße. @r ftubierte in 5fte£, 23afel,
$öln, ^ßariS unb Dom. 3m Sa^re 1515 erhielt er ein Manonilat in 9JJe£. £ier b,örte 25
%. gum erften "¥lak bon ben Sebren SutI)erS. @r geriet in 23erbad;t, ifynert anhängen,
unb flüchtete be^alb mit einigen greunben nad; Safel, mo er mit garel, Dfolambab unb
(SraSmuS jufammentraf. ©er leitete embfafyl iEjrt, als er ben @ntfd;IuJ3 fafjte, fid} nad;
$ariS ju begeben, an ©. 33ube(1525). SSorfyer batie %. meiere 3Me berfud)t, nad;9J?e£
jurüdjufefyren, um bort bie neue Sef)re ju brebigen. %la<i) fur^em 2lufentba(t in $aris 30
machte er einen neuen 23erfud); aber bon ben ©tiftSberm ausgeliefert, mürbe er %u $ont
äSRouffon in §aft genommen (1526). 2lm 11. SJfärj 1526 mürbe er, feiner ^ßfrünben
entfe^t, auSgemiefen ; feine 93üct)er b,atte man berbrannt. @r ging nun bon neuem nad;
^3ariS; SJJargaretba bon Dabarra, ber il)n feine Safeler greunbe embfob.Ien f/atten, nabm
fid) feiner an unb gemährte ibm eine ©teßung unter if;ren ällmofenierS. 2lber 1531 35
mufjte er mieber aus granfreid) metd)en ; nun fu3;te er in ßimd; ^wingli, in ©ranbfon
garel, in SSafel ©uljer auf. 2)ann begab er fieb,, um bie beutfd)en Reformatoren lennen
ju lernen, nad) SBittenberg. 2luf bem Rüdmege burd) baS 3Bürttembergifd}e mirb er bon
feinen greunben Slaurer unb ©ri^näuS gurüdg ehalten, bie ifym eine ©teßung als Seftor
ober ^3rofeffor in ben Softem ©t. ©eorg, SllbirSbad; unb Slaubeuren gemährten. @r 40
befanb fid; in Tübingen, als tE>n §erjog Ulrid) gur Arbeit in 9JibmbeIgart berief,
um bort baS bon ©at)Iing unb garel begonnene ReformationSmer! mieber aufju=
nehmen (1535). 3SJIU bem größten ©ifer mibmete er fid) biefem Söerle unb eS gelang
if)tn aud;, ben anfangs gurüdfyaltenben ©rafen ©eorg, ÜIrid;S 33ruber, ber (Statthalter
bon StRömbelgqrt mar, mit fieb, fortjureifeen. gaft 4 $ab,re Ian0 arbeitete er, um bie 45
ebangelifd)en Überzeugungen ben ©emütern ein^ubflanjen. ®er ^iberfbrud) beS Iatbo=
Iifd)en Klerus, bie SBefdjmerben ber Stltgläubigen, bie Sefeb.le unb ©rolwngen beS @r5=
bifd)ofS bonSefangon blieben of)ne ©rfolg: am 5. SRärj 1539 mürbe bie 9JJeffe enbgiltig
abgefdiafft. 3ur ©emaltanmenbung gegen ^erfonen fam eS nirgenbS; ben Äanonifern
bon SRömbelgart mürben Dubegelber gemäbjt unb bie meiften bon ibnen jogen fieb barauf bo
nad) SBefangon gurüd. ^eterX. trat an bie©bi|e beS neuen Hird;enmefenS. ©eine§aubt=
forge mibmete er ber (Erneuerung beS ^ßfarrftanbeS, ber ©rünbung unb Unterbaltung bon
©cbulen. Sabei fanben er unb feine 3Ritarbeiter anfangs mannigfadien Süiberfbrud;, ben
fic aber burd; ©ebulb unb burd) über^eugenbeS 3u«kn ju überminben mußten. 3tß=
gemaeb fielen bie S3emobner ber ©raffebaft ber neuen Seb,re ju ; bie ©emeinben gaben 55
fid) eine Drganifation nad) bem $öorbi!b ber febmei^er unb ber franjbfifcben ^ird)en. ®ie
©raffdjaft ^Jömbelgart ftanb unter mürttembergifd>er §ob,cit, aber lag im franjöfifcben
©braebgebiet. ®ie borten berufenen „^räbifanten" maren bemgemäfe fämtlid; bon fran=
jöfifeber ober fd)meijerifd)er älbfunft. S)ic meiften bon ib,nen berftanben nid)t beutfef). Xa
6 Jouffaht
fie fieb, in £dp unb ©otie3bienftform fireng an ba<§ Sorbilb tE>rcr beimifd;en $ird)en
gelten unb bie bort üblidjen ©inricfytungen, bie fieb, bon ben beutfdjen bielfad) unter=
fdneben, in 9JZbmbelgart tjerrfdjenb machten, fo fam e§ jWifdjen iljmen unb ben beutfd)cn
Fabianen be3 ©rafen gfyriftobf) bon SBürttemberg, al§ biefer im ^afyre 1542 feinen ©v§
5 in -JRompelgart naljm, gu langen unb ernften Streitigkeiten.
%., ber bie ©emeinben unter bem §erjoge Ulrich unb bem ©rafen ©eorg mit faft
bbKiger greifet organifiert unb ben fird)ltd)en ©ebeten eine ©eftalt gegeben fyatte, bie
cbangelifa) War, aber Weber eine ftoegififd) luifjerifebe noeb, calbinifcfye gärbung trug, fab,
fieb, einem ifyeologifdjen gürften, bem ©rafen ßfyriftobb, unb feinem §ofbrebiger 3tnge=
10 lanber (©ngelmann) gegenüber, bie e§ unternahmen, in 5ftömbelgart ©ebräud)c Wieber
einzuführen, Welche er als» fcfyriftWibrig betrachtete, lym Unmut barüber jog er ficf> nacb,
Bafel jurücf (1545) unb bat um feine (Sntlaffung. (Sijiriftobb, genehmigte fie nidjt. 9Jacf)
unb nacb, beruhigten fieb, bie ©egenfäije unb %. natmi am 1. Januar 1546 fein Slmt in
9Jiömbelgart Wieber auf.
15 ®ie (Einführung bes> Interim*? unter §erjog Ulricb, (1548) führte baju, bafs an=
gcficb,t§ ber gemeinfamen ©efal)r bie getrennten ©emüter fieb, einanber näherten. SRan
mufjte fieb, in bie Umftänbe fügen unb ben ©türm über ftcb, ergeben laffen. %. blieb in
feiner (Stellung, ebenfo ber ©eiftticfye bon 23Iamont. 2U(e übrigen ©eiftlid^en aber würben
entlaffen, boeb, balb unter bem tarnen „$atecr/eten" Wieber eingefe|t. ®a§ Rebeneinanber
20 beö ©ottegbienfteS bauerte big jum 30. ^uni 1552 ; bamate erfdnen ein GMafs bes §er=
jogg lllricf), betreffenb 2lbfd)affung ber SJJeffe unb 2öiebereinfübjung ber ebangelifcfyen
Religion in 5RömbeIgart. 9hm trat X Wieber an bie ©bt|e ber ©etftlicfycn mit bem
SEttel ©uberintenbent. 2U§ ßbjiftobb, feinem 33ater, bem ^erjoge Ulrid), in ber Regierung
2Bürttemberg§ nachfolgte, überliefe er 9J}bmbeIgart bon neuem feinem DI)eim, bem ©rafen
25 ©eorg (1553). ©iefer, ein fyumaner unb befonnener 3)tann, Blatte ba§ größte Vertrauen
ju %., beffen (Sifer unb ßfyarafter überbieg ba§ gänje Sanb zu Würbigen mufete. ®ic
SinWofmer Don SJcömbelgart gaben ib,m einen 23eWei3 t&rer 2Id)tung, inbem fie ifrnt am
21. $uni 1551) abgabenfrei baS Bürgerrecht berlieb/en.
%. fyatte fieb, 20 Igafyre borfyer mit ^o^anna üErmquatte, ber SEocbter eines 2öunb=
30 arjteg, Verheiratet. 2lu€ ber ©b,e entftammten fünf üinber, u.a.: ©aniel (f. b. borfyergefyenben
Strtüel); ©amuel, ber ©eiftlicb^er in 53anboncourt Würbe; ^eter, ber 1567 ©teuerem»
neinner bon Selcfyamr/ Würbe, unb 1573 ermorbet Worben ift.
©raf ©eorg ftarb 1558. ®ie fürftlicb.en ^ormünber feine§ jungen ©ob.nes griebrid)
(ßf)rifto^b, bon Württemberg, Sßolfgang bon ,3toeibrüc!en, ^ßb,ili^ bon §anau) befd;Ioffen,
35 bie lutfyerifcfye Seb.re in 3JJömbcIgart ein^ufübren. ^eologifd^e ^ommiffare, ®o!tor
CS". S3ibenbad) unb ber ©eiftlid)c ^onrab g-Iingbad;, Würben ju biefem ^Wecfe nad; 9Jiöm»el=
gart gefd)id't. (Sine ib,rer SSJJafercgeln War bie (Sinfüb,rung ber württembergifdj>en ^ird;en=
orbnung bom Qabrc 155!); fie Würbe 1560 in3 granjöfifc^e überfe|t. ®er SSiberftanb
%.$ unb ber ©eiftlid)!eit nötigte bie fürftlidjcn Sormünber, ^ngeftänbniffe gu mad)en, be=
40 fonbcr§ ben ©ebraud) ber X.fcfycn Liturgie borläuftg ^u geftatten. 2lber biefe SeWiüigungen
Waren eben nur borläuftge. ©d;on 1568 Würbe bereite bie ing granjöfifd;e überfetjte
2Bürttembcrg. Äircfjenorbnung gebrudt, aEe ^rebiger erbieltcn ben 33efeb,I, i^re 33orfd;riftcn
ebenfo binfidjtlicl; ber £ef)re Wie ber !ird;licl)en .Staublungen ju befolgen. ®ie ^rebiger,
bie fidj) Weigerten, fid; ber Kird)cnorbnung ju unterwerfen, Würben abgefegt. 3m 5a^rc
45 1571 lam $. Slnbreae im Stuftrag ber Württcmbergifcben Regierung nad) 9)lömbelgart.
$Die ©etftltdien Würben geprüft ; ®aniel^., ber©obn beg Reformators, Würbe be<§£anbes>
berWiefcn, fein 3>ater Würbe penfioniert unb burd} ben £utf)eraner §einrid; (Sfferb^en erfe^t.
®er ^ambf bauerte in biefer 2Ikife mehrere ^aljre. Sitte ©eifilicbjen, Weld;e bie calbini=
ftifd^e ober bie jWinglianifcbe Sefyre teilten, Würben nad; unb nadb, au^geWtefen. ®ie rein
50 biblifcfye unb cbangeüfcfje Slnfcb.auung, bie %. in sDiömpeIgart bertrat, Würbe bon bem
®ogma ber Tübinger Geologen befiegt. ®em alten ©uberintenbenten blieb nur ber^ob.
(Sr ftarb am 5. Dftober 1573 im Sllter bon faft 75 Qabjen.
%. War in 9JtömbeIgart bag SlJcufter eine§ ^ßaftorg unb ein berborragenber Organi=
fator. geft unb beftänbig, ju ftolg, fid} bureb, unrechte 9lad;giebtg!eit bie ©unft feinet
55 dürften ju erlaufen, oljme Stnftofe ju fud;en, feftgegrünbet in feinen Überzeugungen, gereift
burd) bie ©rfabrung be§ Sebeng, flug in bem, "ma$ er unternahm, im ©treite gemäßigt
unb ftreng in ben ©itten — fo War ber 3Jcann, beffen Rufym bie Reformation ber iürcfye
in ber ©raffdjaft 3KömbeIgart ift. @r fdiieb fid; bon garet Wegen ber ©djärfe feiner
©brad)e unb bon Salbin, feinem greunbe, in ber ©aef/e ©erbetg, fein Sßunbcv, bafe fein
60 ^ob allgemeinem Bebauern f)erborrief.
Sonffaht SradjuntttS 7
33on XS L ordre qu'on tient en l'eglise de Montbeliard en instruisant les
enfans, et administrant les saints sacremens avec la forme du mariage et
des prieres, fd)eint fid) nur ein eingigeg @j;emtotor erhalten ju fyaben.
Soljn Stönot.
£rad)otutt8. — ßitteratur: 3- ©• Sßejjftein, fReifeberidjt über $aurcm unb bie £ra= 5
djouen 1860; Le Bas et Waddington, Inscriptions grecqncs et latines III, 1870, n. 2524;
<3. «cemll, East of the Jordan (1881), ©. 10 ff.; Dr. 31. <3tü6el§ Seife ncuf, ber Diret et-
Tulrd und Haurän 1882, t)erau§geg. Hon §• ®utf)e in 3b$S3 XII (1889), ©. 225—302;
,v>. §übesfjeimer, Seiträge jur ©eograpfiie $aläfttna§ (1886), @. 55—57; 9)1. üon Oppen=
lieim, SSom Sltttelmeer jum perfifdjen ©olf I (1889), @. 87 ff.; ©. 3?mbfletfd), ®te ßanbfdjaft i0
Haurän in römifdjer geit it. in b. ©egenimrt in 3b$S3 XXI (1898), @. 1—46; IS. Sdjürer,
©efrfjidtfe beS jübifdjen SSoII§ im Zeitalter ^efu Gfjrifti 3I, <B. 425 ff.
2rad)omtiS Wirb Sc 3, 1 neben ^turäa (f. b. 2lrt. 33b IX ©. 543 f.) als ©ebict
beS „33ierfürften" $I)ilibbuS, eines ©obneS aerobes' beS ©r., begeic^net für baS 15. $ar/r
beS KaiferS SliberiuS, b. i. 28/29 nad) Gl)r. 2Bir finben teils btefen tarnen ber 2anb= 15
fd)aft, teils bie fürjere %oxm 6 Tgdxcov tmufig in ben ©d)riften beS $ofebtmS. ©iefe
Wirb aud) beitreten burd) baS n.-dto ober -p^ü ber ^argume unb anberer jübifd)er
©d)riften ber fbäteren ßeit, bie bamit 3. %. baS bibltfd)e älrgob ®t 3, 4. 13 f.; 1 %
4, 13 Wiebergeben (bgl. jebod) 33b II ©. 425, 35—41). ©er Same ift gried)ifct) unb be=
beutet (bgl. rgaxvg) „raur/e, felfige ©egenb" ©er ©eograbb, ©irabo erWäfmt II, 2 20
(©. 755,'56) jWei ©rbebungen jenfettS bon ©amaStuS, bie tQax&veg genannt Würben.
©enauereS über bie Sage erfahren Wir teils burd) 3DWug/ burd) ^rrfc^rtftert unb burd)
(SufebiuS, teils burd) bie neueren $orfd)ungen in jener ©egenb. JyofeblmS nennt Wieber=
fyolt bie %. neben äluranitiS (= haurän) unb Satanea (= 33afan 33b II ©.422 ff.).
@r befd)reibt fie Antiq. XV, 10, 1 § 346 f. als eine bon Räubern beWobnte £anbfd)aft 25
oI)ne ©täbte unb Slcfer, reid) an unterirbifd)en ©d)lubfwinfeln unb §öl)Ien, in benen fid)
9Senfd)en unb SSieb, jugleid) aufhielten. ©ie Zugänge 3U ^nen haaren fel)r eng, ber
Saum in ib,nen grofc unb ausgebest, mit ftinftlidjen Söafferbeden unb Vorräten gut
berfef>en. ©ie ganje Umgebung beftanb aus hartem Reifen unb mar otme einen güfjrer
nid)t ju betreten, ba bie $fabe in unjäb,Iigen Krümmungen Verliefen. $Da ^ofebljuS 30
a. a. D. 10, 3 § 360 bie ©egenb jmifd)en ber %. unb ©aiiläa als ba§ (Bebtet beS
^enoboruS (f. unten) bejeicfynet unb Satanea fomie 3luranitiS bon ber %. unterfd)eibet,
fo fie^t man fid; in baS an Safan öftlid; unb nörböftlid) angren^enbe ©ebiet öermiefen.
©aju toajjt bortxefflid), baf^ au\ einer in el-mismije, 40—45 km fübüd) iton DamaSfuS,
gefunbenen Qnfd)rift biefer Ort, baS alte ^ßfyaena, als jurjrQoxcojuia tov Tgaicbvog ge= 35
nannt wirb ; er liegt an bem nbrblidjen Sfanbe ber ledschäh (f. u.), bie 33b II ©. 423 als
Dftgren^e 93afanS unb ber heutigen nukra angegeben würbe. (SufebiuS fagt im Ono-
masticon ed. be Sagarbe 298 (155), bafj bie %. jenfeitS bon 33oftra in ber Söüfte füb-
tüärts bon ©amaSfuS liege; är)nltc6 268 (135) unb 269 (109). poIemäuS V, 15 fefct
bie Araber ber %. ebenfalls in ben Dften bon 93atanäa. 40
5Rad)bem ©ee^en (1805) unb S3urdb,arbt (1810) biefe ©egenb flüchtig berührt bitten,
ermarb fid) 3. ©. SBejjftem, bamalS breuf3ifd)er ÄonfuI in S)amaSf"uS, baS 33erbienft, auf
einer Seife im $rübjal)r 1858 bie beiben %rad)one genauer ju erforfd)en. £>er eine liegt
etma 40 km füböftlid) Don SDamaSluS; er jerfäßt in mehrere SEeile, bon benen ber be=
!anntefte es-safäh genannt wirb. £)od) ^at biefer öftltdje %xafyon mit ber biblifd)en 45
©efd)id)te nichts ju tf>un. @S lommt für fie nur ber fübUd) bon ©amaSluS unb Weftlid)
bon bem erfteren gelegene in 33etrad)t. @r bat beute ben Samen el-ledschah, b. t).
3uf(ud)tSort. 3118 folget ift er befannt geworben in ben Kämbfen ^brabtm $afd)aS
gegen bie SLürlei, ber 1838 bei bem 33erfud)e, bieS bon 6000 ©rufen berteibigte ©ebiet
ju erobern, nid>t nur 20000 9Jtann berlor, fonbern aud) feine 2lbfid)t enbgiltig aufgeben 50
mufete, ebenfo Wie fbäter 1850 ber tür!ifd)e ©eneral -Su^ameb MibriSlv ^5afd)a. ®aS
ledschäh ift ein gewaltiges Sabablateau, baS fid) im ©üboften an baS ^aurangebirgc
anlehnt unb fid) bon ba norbWeftlid) über eine gläd)e bon 45:32 km auSbeb,nt. ®ie
Sabamaffen finb nad) ben Beobachtungen Dr. ©tübelS b,aubtfäd)Ud) aus bem SSuIfan
gharärat el-kibllje, Wob,I aud) auS bem Krater beS teil schlhän gefloffen. ©aneben 65
faben innerhalb beS ledschäh felbft ©rubtionen ftattgefunben. 2)ie Dberfläd)e, beren
äußerer, ftarf geglieberter Sanb (arab. lohf) fid) burd)fd)nittlid) um 10 m über bie Um=
gebung ergebt, ift eine ftarf gewellte ßbenc, einem aufgeregten unb blbijlid) erftaaten
Ülecre bergleidjbar, beren 93oben aus bultanifd)em ©eftein befteb,t unb mit Raufen bon
33afaltblöden bebedt ift. ®ie jaefige Sababecfe ift burd) jablreid)e @inbrud)SfeffeI (arab. so
8 $rud)i>Htti§ Srabittou
käc) gerrtffen, bie fid^> nur mit großer 3Ri% burcfyfdtreiten laffen. SDer fruchtbare $umug
btefer ©teilen fyat menfcbjicfye ÜJlieberlaffungen unb ben Slnbau ermöglicht, ©inige ©treden
eignen ftd^> jur SOBetbe. ©ie tointerltdjen 9tegentoaffer toerben in unterirbijcfyen 33eden, bie
leicht unftdjtbar gemacht merben fonnen, gefammelt. 9Zadj Sage unb 33efd;affenr;eit ent=
5 fbridjt biefeg ©ebiet ber ©dnlberung, bie Qofebljug fon bem SEradjon a. a. D. gegeben
fyal 2Bafyrfcr)einIicf; ift au<fy ber grtedjifcfye Slugbrud tq<xx(dv nichts anbereg alg 2Bieber=
gäbe bei arabifd)en Söorteg wacr, bas eine fteinige, fdjtoer zugängliche ©egenb be^eicr/net
unb fomofyl für bag safäh im Dften alg auef) für bag ledschäh im SSeften gebraucht toirb.
genoborug Ijatte nad? bem Sobe beg Äönigg Stifantag bon %tuxäa 36 b. @t;r. (bgl.
io 33b IX ©. 543 f.) fübltcfye Seile feinet ©ebietg bon ber Cleopatra gebaef/iet unb mar
nacb, ifyrem SEobe 30 b. Gb/r. toa^rfct)einIicr) tributpflichtiger §errfd)er barüber geblieben.
©ie lagen nacb; JJofebfyug Antiq. XV, 10,3 § 360 zmifcfyen ber %. unb ©aliläa unb
umfaßten Matfya (f. 93b XIV ©. 574, e) fomie ^aniag (f. 33b VI ©. 381,28) unb
beren Umgebung. Um feine ©infünfte $u bermefyren, lief? er burd) bie 33emolmer ber %.
15 Raubzüge befonberg gegen bie SDamagcener unternehmen, morüber fief) bie betroffenen
bei bem (Statthalter 93arro unb bei 2luguftug befdjtoerten. ®te Slnttoort beg letzteren mar
ber 93efel)l, ben Räubereien ein @nbe ju machen unb bag Sanb ju bem gmed £erobeg
bem ©rofjen ju Überreifen, b. t). bie %., bie heutige ledschäh, mit ifyrem offenen 93or=
lanb im 2Beften, 33atanea, unb ber füblid) angrenjenben Sturanitig, bem hügeligen 93or=
20 lanbe bei £aurangebtrgeg (23 b. GI)r.). 211g genoborug ftar&/ fd>enfte 2luguftug 20 b. 6b,r.
aufy beffen ©ebiet bem £erobeg föofebb/ug Antiq. XV, 10, 3, § 360). ©eine 33e=
mülmngen, bie 93emoI)tter jum fefjfyaften Seben unb jum 2lderbau ju bringen, fanben bei
ben bigfyerigen JJomaben begreiflidjermeife mefjr 2Biberftanb alg 23eifaE; beSBalb fiebelte
er 10/9 b. 6f>r. 3000 3>buwäer bort an, bie toie eine 33efat5ung bie 33emoIjmer in Drb=
25 nung galten füllten (Antiq. XVI, 9, 2 f. § 285. 292). SDemfelben gmede biente bie einige
Safyre fbäter erfolgenbe 2tnftebelung bon 600 ^uben aug 33abr/Ionien unter ber güfyrung
beg gamarig, leiten §erobeg bie geftung 33artb/ fyra (93atl)r/ra ; bleute bieHeidjt bet eri im
®fd;ölän, f. 33b VI ©. 382, 19) erbauen liefe Antiq. XVII, 2, 1 ff. § 23. 25 f. Wad)
bem SEobe beg $erobeg 4 b. Gfyr. beftimmte 2luguftug, baf$ fein ©ofyn ^fiilibbug (f. 93b XV
30 ©. 337) 93atanea mit ber %. unb Sluranitil fomie einen Seil ber £errfd)aft be<§ 3eno=
boru§ erhalten füllte Antiq. XVII, 11, 4 § 319; Bell. jud. II, 6, 3 § 95. ©afür
fagt ^ofelp^uS Antiq. XVIII, 5, 4 § 137 lürjer „SEetrard) über 2."; ä^nlid; nennt
Stgribba bei Sß^ilo, Legat, ad. Cajum § 41 baö (Sebiet ^P^ilibbö lur^meg bie fog. %.,
unb Sc 3, 1 ermähnt nur ^turäa neben ber X 9?arf) bem Sobe ^3f)ilibb§ 34 n. ßfyr.
35 fiel fein ©ebiet an bie ^robinj ©r/rien, mürbe aber bon bem ^aifer Galigula 37 n. 6bjr.
bem „$ömg" Slgribba, einem @n!el be§ §erobe§ (f. 33b I ©. 255) übermiefen, ber el
big ju feinem Sobe 44 n. Gljr. beb,errfc|te (Sofebb.ug Bell. jud. II, 11, 5 § 215).
®ann lam eg unter bie 93ermaltung römifc^er ^roluratoren, bil ber ®aifer ßlaubiul
53 n. 6b,r. e§ bem ©oljne bei genannten 2lgribba, bem „Könige" Stgribba II. (f. 33b I
40 ©. 256), fcfyenJte, ber e3 mafyrfcfyeinlicr/ big gu feinem Sobe 100 n. ßfjr. behielt. ®ie
%. fotoie bie angrenjenben Sanbfcf)aften gelangten unter ber §errfd;aft ber Körner ju
großer 33Iüte, bie bermutlicb, burd) bie graufamen ^üge ber fkrfer um 615 bernidjtet
tburbe. ©ut^e.
Statins, ©rmeiterung bei ©rabuale, f. b. 21. 33b VII ©. 57, buref) eine Sln^I
45 ©cb,rift=, jumeift ^falmenberfe, üblicr) bon ©ebtuagefimä big Dftern in ben ©onntagg=
unb geftmeffen, bon aifdjermittmocr) an aud; in ben SReffen am Montag, 9)Iittmod; unb
greitag, aufeerbem in ben ©eelenmeffen. (Bafye unb 9Jame ift ma^rfdjeinlid; altf ireb, lieb, ;
bie frühmittelalterlichen SEb;eoIogen fyatten beibeg nur gu erklären. Sag gefcfüefyt 3. 93. bon
$feubo=2Ucuin de div. offic. 9 MSL101, ©.1186: Necnon — bene congruit diei
50 Septuagesimae — tractus: De profundis. Nam in istis diebus propter humi-
litatem non cantamus hymnum angelicum, sc. Gloria in excelsis Deo, neque
Alleluia, quod est canticum laetitiae et exsultationis; sed pro Alleluia cantamus
humilem cantum, sc. tractum qui a trahendo dicitur eo quod tractim cantetur
et significat gemitum s. matris ecclesiae. ©ie Stbleitung ber 93egeicf)nung bon ber
55 Strt beg 33ortragg ift bermutlid) richtig. ©cb,on in ber flaffifcb^en Satinität bezeichnet
tractus orationis ben gehaltenen, gehobenen ©til. ^autf.
2;rabttiom — Sitteratur: 38. 9Rünfdjer, ^anbBiic^ ber cfiriftlictjen ®ogmengefcf)icf|te
I. m (3. 2t.) 1817, ©. 328 ff.; berf., Se^rb. ber diriftl. Sogmengefd). (3. S(.) II, 1 (1834),'
£rabittou 9
3. 98 ff. ; ©acf, ÜücFe unb IS. 3. Wifcfd), lieber bn§ 9tnfet)cn ber t)f. ©djrift unb ifjr Sxr=
tjöttnid sur ©laubenSreget, Sonn 1827; g. S. ^acobi, SDie firdjl. ßetjre 0. b. Srabitiott unb
1)1. @d)rift in iljrer (£iitnnctetuug bargefteHt, 1. 216t., 33ertin 1847; §oljjmann, Kanon unb
Srabition, SubiotqSburg 1859;* ©dnuarä, Seffing a(3 Geologe 1854, ©". 161 ff. ; (£. £afe,
^ofcmif, 3. 9t. (1871), '©. 64—94; $. 9«|5fd), ©runbrijj ber cbriftl. $ogmengefd)td)te, I. teil, 5
1S70, ©. 243—268; £t)omafiu§, ®ogmengefd)td)te, I. 33anb (1874), ©. 29—43 u.2. 9luft.;
9t. «ectnber, (Sbriftl. 2)ogmengefd|id)te, tjerauägeg. ü. g. £. Sacobi, 2 Seite, 1857 (I, @.75ff.,
@. 286—293, II, ®. 69, 196 ff. u. a. ©t.); ^ermann Deuter, ©efdjidite ber religiösen 9(uf=
ftärung im Mittelalter I (1875), II (1877); ^agenbaci), Setjr&. ber ®ugmengefd)id)te (5. 91.)
1867; Uflmcmtt, Reformatoren Bor ber Reformation II, @. 430 ff.; Dealer, Setjrbud) ber 10
©ljmbotif, 1S76; $aul STfdiadert, ßuangelifdie ^ßolemif gegen bie römifdje ,ftird)e (1885)
©. 91 ff.; 9lb. £>arnacf, Set)rbud) ber $ogmengefd)id)te, 3 3333. 1886—90, 3. 9(., 1894—97-
9t. ©eeberg, ßetjrb. b. ®ogmengefd)., 2 3333. 1895. 1898; ft. Soofg, Seitfaben 3. ©tubium ber
Sogmenfctj., 4. Stuft. £atie 1906 (eigentlich ein Setirbud) ber S@., 1002 ©. ftarf); 3. Äro=
Batfcbed, ®a§ ©djrtftprinjip ber lutt). fiirdje I, Seidig 1904. 15
$on römifdi=fat£)olifd)er ©eite ift ju »gl.: ©peil, ®ie Setiren ber fatrjot. f irdie gegenüber
ber prot. Sßoteinif, 1865; 3. 33. §etnridj ($rof. am bifdjöflidjen ©eminar ju SKainj)', 3)og=
matifdje Geologie II (1876) (burd) biefeS unb filjnlicrje t^eologifctie ©rjfieme, bie auf beut
SBaticanum ruben, ift 9ttot)Ier3 ©fimboüf, 6. Stuft-, 1843, antiquiert); SJenjinger, Enchiridion
symbolorum, 6. 9t. u. ö. ; 3Sincentiu§ SerinenftS, Commomtorium ed. 9(ug§burg (1843) 1867 20
(uon einem SHerifer ber SBürjburger SJiöjefe, ©cbmibfcbe 33ud)l)anbt.), beutfct) Bon ttlridj 111} f,
Kempten (33ibl. b. ßtrcrjenüäter) 1870 ; S. Ban (£&, Gbjnfoftomuä ober ©timmen ber Sird)en=
üäter über ba§ nüjjlidje unb erbaulidje 33ibe(Iefen, 1824. ^a^u bie fatt). $)ogmengefdnd}ten
B. .£>. Sfee (Sefjrb., 2 3333. 1837—38) ; & ©ditoane (2)ogmengefd)., 4 3333., 1862—90) unb
3. 33ad) (®ogmengefct). beS 9Jc91., 2 3333. 1873—75). 26
2Benn Wir Vroteftanten bleute bon SErabition fbrecfyen, fo berftefyen Wir barunter ge=
Wöfynlicr; bie münblicfye Überlieferung im Unterfd)iebe bort ber fettigen ©djrtft. 3lCCetn
biefe Vefttmmung ift feineSWegg bie urfbrünglid)e. Unter Überlieferung berftanb man ur=
fbrünglid) bie gan§e aboftolifcfye £interlaffenfcf/aft, bie aboftolifctje Verlünbigung in ihrem
toeitefien Umfange, bie ^rebigt unb bie ©cbriften ber 2tbofieI. ^nfyalt ber Überlieferung 30
aber mar ber bon ben St^ofteln berfünbigte ©laube, toelc^en bie Urlird^e toon il)nen über=
lommen ^atte unb ben fie in ber öffentlichen SSerfünbtgung rote im ^atecb.umenenunter:
richte bon ©eneratton gu ©eneration $u immer neuer Aneignung weitergab, fo baf$ gegen
@nbe be§ 2. 2>ar;rlmnbert§ ^renäu§ fc^reiben fonnte „hac ordinatione et successione
quae est ab apostolis in ecclesia veritatis traditio pervenit usque ad nos" 35
(adv haer. III, 3) unb „biete 33ölfer au$ ben Sarbaren, bie an St/riftum gläubig ge=
roorben finb, tragen o^ne ^abter unb Xinte bie tyeüfame £ebreburc|) ben ^eiligen ©eift
in i^rem §erjen gefcb,rieben unb fyaben nur bie alte münblic^e Überlieferung, bie fie treu
bemar/ren" 2ln biefe Überlieferung müfjte man fid) galten, menn bie 2lboftel nid&tS ©cb,rift=
Iicf)e§ ^interlaffen Ratten (Adv. haer. III, 4, 1. 2; %r/omafiu§, ©ogmengefcb,. 1,37 ff.). 40
©rroägen mir, bafs nad) bem SEobe ber 2lboftel if)te ©Triften bod) nid)t mit einem
©d)Iage in ber ^irclje berbreitet werben tonnten, fo Werben Wir e§ burcfiaug begreiflid)
finben, ba^ man in ben ©emeinben ben £aubtinr/alt il;rer münblid)en 33erfünbigung ficfi,
fo gut e§ eben ging, gegenwärtig b,ielt unb münblicfe, fortbftan^te; nur mag man fiel)
biefe gortbflanjung nxäft at§ med)anifd)e§ Sßeitergeben, fonbern all freiere 3tebrobu!tion 45
borfteßen.
Um ben 3>nr/att berfelben nä^er ju bestimmen, laffen fieb, jWar nur Vermutungen
aufftellen, aber bod) jiemlict) War/rfcfyeinlidite: e§ Wirb bie Summe ber fyeilägefcfyicfytiicfyen
©runbtl)atfad)en unb ©runbWa^r^eiten geWefen fein, Weld)e in ber SEaufformel, im ^auf=
betenntniö (Symbolum apostolicum) unb in ben ©Triften ber fog. aboftolifcfyen Väter so
al<§ aboftolifdjei Vermächtnis feftgebalten Würben, furj unb bünbig ,v V. bei Ignatius
ad Philadelphenos c. 8. ^Irjoovg Xgioxbg . . 6 otavgdg avxov xal 6 d'dvarog
xal i] ävdoxaatg avzov xal r] nioxtg f\ dt avxov' (;Eb/omafiu3 a. a. 0. 38). Qin
^ntereffe be§ fircf)Iict;en Unterrichte (Wie Wir auf folgen 3. V. aug ^uftinö Slbol. I, c. (il
über bie 2aufe unb c. 66 über ba§ 2lbenbmab,l fd£)Iiefeen bürfen, ^omafiu§ a. a. 0. 40) 55
Wirb biefe münblid)e Überlieferung fd;on frü^eitig eine geWiffe fefte gorm empfangen
t;aben. ®ie§ Würbe bringenb nötig, als fiel) bie ©noftiler auf aboftolifdje ©ef)eimtrabi=
tionen beriefen (Tertull. de praescr. haer, c. 17). £$f)nen gegenüber madite ^Ier=
tullian geltenb, bafe ber ^n^alt ber eckten apofto!ifct;en Slrabition boeb, nur in ben bon
ben 2lbofteIn felbft geftifteten ©emeinben (ecclesiae matrices) erfabren Werben fönne; eo
\va* man bort lebte, fei eebte aboftolifcbe |)interlaffenfd;aft. ®af3 er fieb, bierbei niebt
geirrt, jeigt bie incriwürbige fadt>Iic^e Übereinftimmung ber Xrabition, Wie fie un^3 faft
10 Srabttton
glcicbjeitig bei ^renäuS, bei Sertullian unb bei DrigeneS begegnet, ^u ifyrer 3eit„ 3a£)
eS alfo in ganj berfefnebenen (Mieten ber $irc£;e eine fadjlicb, etnb, eitlid^e münblicfie Ubcr=
lieferung, bie ©laubenSregel (bgl. b. 2lrt. V, 182), Welche als „furjer fummarifcfyer S"=
begriff beS fircljlicfyen ©emeinglaubens" gu bejetc^nen ift C£f)omafiuS a. a. D. I, 38). 2)a
5 QrenäuS im legten Viertel beS 2. ^afyrljmnbertS biefe Überlieferung als eine in ber
ganzen Äirctje borfwnbene unb allgemein anerfannte anfielt (adv. haer. I, 10, 2; III,
3, 1 : traditio apostolorum in toto mundo manifestata in omni ecclesia est
(jidgeoTi) respicere omnibus qui velint videre): fo fann fie auf feinen %aü erft im
©egenfa| jum ©noftictSmuS entftanben fein, fonbern fie mufs ibren $ern ba fyaben, Wo
10 ib,n ^renäuS mit Stecht fud^t, im apofiolifct>en Zeitalter. 2>n Übereinftimmung mit 9Jct
28, 18 ift ib,r $ern baS 33efenntniS ju 33ater, ©olm unb ©eift, baS SEaufbefenniniS, in
welchem bie gange ct;riftlict;e £>etlSbfonomte befcljloffen liegt; baS fog. „Symbolum
apostolieum" in feiner einfachen ©eftalt Wirb ber bon ben SC^Dfielrt £>er überlieferte
SSJcittelbunft ber firctjltcijen irabition getoefen fein. ÜIBirflicb, ift aud) ein foIcfyeS ^auf*
15 befenntniS, meines» bie Täuflinge bor ©mbfang ber ^aufe ablegten unb baS noeb,
gu §ieronr;muS ^ett münblicl) überliefert Würbe („symbolum fidei non scribitur
in charta et atramento, sed in tabulis cordis") fcfyon bor bem ©noftictSmuS
in ber alten $ird)e nachweisbar; benn bie alte $orm, in welcher eS in ber romi=
fcfyen Slirclje gebraust mürbe, enthält übertäubt noeb, feine Sejugnal>me auf ^ärefien.
20 @S lautete: Credo in Deum omnipotentem. Et in Christum Jesum unicum
Filium ejus, Dominum nostrum, qui natus est de Spiritu saneto ex Maria
virgine, crueifixus sub Pontio Pilato et sepultus, tertia die resurrexit a mor-
tuis, ascendit in coelos, sedet ad dexteram patris : inde venturus est judicare
vivos et mortuos. Et in spiritum sanetum, sanetam ecclesiam, remissionem
25 peccatorum, carnis resurrectionem" (abgebrueft bei §alm, SMbliotfyef ber ©laubenS=
fr/mbole, 2.21., 1877, ©. 12 f.). £)a fiel; im %l% noeb, leine ©bur eineS fo auSgeftalteten
SefenntniffeS finbet, fo liegt feine Slbfaffung jWifctjen ber ber neuteftamentlidjen ©driften
unb bem Sluftreten beS ©nofticiSmuS. ©o mögen im 2. cfyriftlicfyen igabjfmnbert %au^
befenntniS (Symbolum apostolieum) unb ©laubenSregel (Regula fidei) nebeneinanber
30 befannt unb gelehrt Worben fein, jenes bie ©ubftanj bon biefer, biefe bie (Erweiterung
bon jenem, beibe aber ber §auptmf)alt ber um baS %afyx 200 noeb, lebenbig fliefeenben
münblidjien Überlieferung. 2lucf) jwifeljen münblidjer unb fcf;riftlicf)er Überlieferung gab
es im 3. $at;rfmnbert noef) feinen fad^Iid^en Untcrfdf^ieb. ®ie 1)1. ©cfyrift ift (nad; Stybrian
ep. 74) „traditionis caput et origo"; bie naqddoaig aygacpog Wirb nicfyt aufgefaßt
es als eine neben ber fct;rifilict)en Überlieferung borfyanbene ©rbfje, fonbern „als 33eglaubi=
gung beffen, Was man im S&% unb in ben Wal)rl)aft apoftolifcfjen «Schriften fanb" (SoofS,
SD© 4. 21. 1906, § 19, 2).
Slber felbft $trcf)enbäter, meiere gcrabe für bie "irabition eingetreten Waren, erhoben
if)re ©timmen gegen bie Überfettung berfelben. „Dominus noster veritatem se,
40 non consuetudinem cognominavit", fdjrieb ^ertuHian (de virg. vel. c. 1); unb
in feinem ©eifte ßbbrian (ep. 71): „baS §erfommen ol;ne bie 2I*af)rbeit ift nur baS
2lltertum beS 3j*rtum3" (Consuetudo sine veritate vetustas erroris est). 2lnberer=
feitS erfennen töircfyenbäter, toelclte fiel; im ganjen gern bon ber Xrabition leiten laffen,
bie 3ulänglict;feit ber ^eiligen ©cb,rift an; fo 2ltl)anafiuS (Orat. adv. gentes T. I,
45 part. I) „bie b,eiligen unb moirierten ©Triften finb l;inreicl)enb, um bie 2öaf)rb,eit ju
berfünbigen" (avräQxeig juev doiv al ayiai xal r&s6jivsvorai ygacpal tiqoq ttjv zfjg
älrj&eiag änayyeXiav). ©benfo 2luguftinuS (de doctr. ehr. II, 9): „in iis, quae
aperte in Scriptura posita sunt, inveniuntur illa omnia, quae continent fidem
moresque vivendi, spem scilicet et charitatem"
50 3nbeS mar eS berfelbe 2luguftinuS, ber ben ©a£ Oracl;: „Ego vero evangelio
non crederem, nisi ecclesiae catholicae me ammoveret auetoritas" (Contra
Epistolam Manichaei cap. 5). £>ie fatb,olifcb,e Äird^e l;at bie t;eUigen ©cljriften beS
9?^S beglaubigt, meinte er (SoofS a. a. D. § 49, 1). 2öie fam er ju biefer 2krl)äItmS=
beftimmung? sJJact; ber Xrabition blatte man ben5?anon beS %l%$ beftimmt; ba bie %xa-
55 bition, jumal in ilirer 3ufamm«nfaffung als ©laubenSregel, für apoftolifcfe galt, fo toar
fie baS 9ticl;tmafe für bie 2tyofioItcität unb babureb, auet) für bie 5?anonicität ber neu=
teftamentlicb,en ©cb,riften geworben; biefer Umftanb führte gu einer Überfcliä^ung beS
3BerteS ber Xrabition. ©ie Würbe nämlicf), im ©egenfa^ gegen bie erften beiben Qab,r=
l)unberte, als (SrfenntniSquelle ber dt)rtftltc^ett 2öat)rt)ett neben ber 1)1. ©cfi,rift angefe^en.
60 2luS ber Xrabition bewies man ©ä|e, Welche man in ber Sibel entWeber gar nic^t ober
Srnbitio« 11
nur unbeutlid; borgetragen fanb. (Sb,rbfoftomug cm^fic^It für glaubWürbig ju galten, Wag
bie 2lboftcI „aygdqaK naQaöldooav" , neben ifyrcn Briefen (In ep. II ad Thessal.
Hom. IV, Opp. t. XII, p. 385 bei 3Rünfd&er, £anbbuc&, III, 137). £at ein £f)co=
löge bon anerkannter ©eifiegfreibeit fo urteilen tonnen, bann Wirb man fid) nid;t Wun=
bem, bajj bor ifym ber ortboboje (Sbibfjaniug augbrüdlid; ein ^rabitiongbrinjib neben 5
bcni eebriftbringib lel)rt : dsT xal TtagaöSoei xexQrjoßai, ov ydg ndvxa ano xfjg flelag
yQa<pi]s dvraxai Xajußdvso'&ai ' öiö xd juev iv yQacpalg, xd de iv nagadooeaiv
jiagedwxav oi äyioi djioaxoXoi, &g cpi]aiv 6 äyiog dnöoxoXog „cog JiaQsöaoxa
u/uTv" xal äXXoxe „ovrcog Siddaxat, xal ovxiog Jiagsdayxa iv xolg ixxXfjoiaig"
(haer. 61, 6). 35ag ift £eb,rc ber griednfcfyen <^ircr/e geworben, Wie 3o§anne€ ®ama<8= 10
cenug geigt (De fide orthod. IV, e. 12: äyqaqjog de ioxiv fj nagddooig avxrj xcöv
äxooxöXcov JioXXd ydg dygäcpcog f]fxiv TiaQEÖooav; cf. c. 16 unb III, c. 11. 33gl.
£oofg a. a. 0. § 44). gür biefelbe Slnficfyt ift in ber abenblänbifdjen ®ird;e Sluguftin
(f. oben) ber bollgiltige 3euge. ®D$ toar ^ gerabe ein bogmatifdjer ©egner bon ilmi,
Wcldjer, um bie auguftinifd)e $räbeftinaitongIebrc al§ Neuerung ablehnen ju fönnen, 15
ben Segriff ber faifyoltfdj=fircr)Iicr;ett Ambition feierte, 23incentiug bon Serinum. $War
ift bon feiner um bag %af)v 434 (bgl. c. 42) berfafjten ©ct/rift „Commonitorium" nur
ber erfte leil borbanben; aber fcfyon aug biefem läfjt ftcb, feb, liefen, baf? ib,r 23erfaffer fie
gegen SluguftiwB $räbeftinationgIeb,re gerietet b^at. (@r berWirft bort in c. 37 alg b,äre=
tifcb, bie Sefyre, bafs eg „eine fbejielle unb gang berfbnlidje ©nabe ©otteg gäbe in ber 20
2lrt, baf? alle jene, Weldje gu il)rer [b. i. biefer §äretiter] Qaty gehören, ob,ne irgenb eine
Slnftrengung, . ob,ne irgenb eine ©elbfttbätigfeit, boeb, fo bon ©Ott [mit ©nabcj
berfeben Werben, baf? fie niemals jum 33bfen berfüfyrt Werben tonnen"). Obgleicb,
nacb, ber Stnficbt beg 33incentiug ber ©dmftranon „boßlommen (perfectus) ift unb für
fid) altein gu allem genug unb übergenug Ijrinreicr/t („ad omnia sufficiat") (c. 2), fo 25
braucht man bod) gegenüber ber fe|erifd)en 33erbrefmng beg ©d;riftfinne§ bie ftrd)licr;e
Xrabition al§ 3Jia|ftab für bie richtige Stu^Iegung ber 23ibel („necesse est, ut
propheticae et apostolicae interpretationis linea seeundum ecclesiastici et ca-
tholici sensus normam dirigatur" c. 2). Qu biefem ßtoede befiniert er al$ 3>nfyalt
ber lird)Iid}en Irabition (c. 3) „quod ubique, quod semper, quod ab omnibus 30
creditum est, hoc est . vere proprieque catholicum" ®ie !ircb,Iid}C Xrabition
t>at banadE) brei 5)lerfmale: bie SIEgemeintjeit (universitas), ha§ Altertum (antiquitas),
bie Übereinftimmung (consensio omnium vel certe paene omnium sacerdotum
pariter et magistrorum, c. 3) ober, menn eine Sebre für fatb,olifd)=fird)Ud) gehalten
werben foll, fo mufe nacfjgennefen werben, bafe fie in ber gefamten £ircb,e befannt wirb, 35
baf? bereite bie 35orfab,ren unb Später ib,r b, ulbigten unb baf$ fie bei ib,nen allen anerfannt
War. ®er 3n^a^ ber fird)Iid)en £eb,re roar alfo im 2lnfang ber ^ird)e fertig nieber=
gelegt, ©iebt e^ auf biefem ©tanbbuntte übertäubt nod) einen gortfcfyritt (profectus)
beö d;riftlid;en ©eifteä in ber Sftrdje? @r antwortet (im 32.$ab.): „bie Iird;e, bie 2öäcb=
terin ber bei ib,r niebergelegten ©lauben§lel)ren, änbert an biefen niemals etwa§, tbut 40
ntcbtö ^inWeg, fügt nid}t§ |inju ., fonbern ift mit allem gleite auf bieg ©ine bebaut,
ba^ fie ba§ 3llte . . genauer beftimme unb feiner unterfd)eibe ; \va$ fcfyon gehörig
auigebrüdt unb entWidelt ift, ficb,cre unb Iräftige; totö fdwn befeftigt unb feftgefteltt
ift, beWabre (ut vetera oecuret et poliat; si qua jam expressa et
enucleata, consolidet, firmet; si qua jam confirmata et definita custodiat"). 10
Slu^gefc^Ioffen ift bamit jebe SSeränberung" (permutatio) ber ©lauben^Ie^ren, Wie er
felbft fagt (c. 32); au<?gefcb>ffen ift bamit aber au<^ jebe tritifcb,e 9tebifion berfelbcn,
fügen Wir bingu. — ©urd) ba§ ganje Mittelalter gab man fiel) bann mit böltig un-
gefdnd)tlid)em ©inne b,armIo§ ber Meinung bjn, ba^ 33ibel unb 2rabition bie betben
©tröme feien, in Welchen fieb, bie göttliche Offenbarung ergiefse ; nur fab,en fid; in ber so
lateinifdjen 5?ircbe bie ©cfyolaftifer beranlafet, ben Umfang ber Offenbarung im SScrbältniS
jur rein rationalen @r!enntni§ näb,er gu beftimmen. 211^ nämlicb, unter bem iSinflujj
beg bon ben muf^ammebanifdien ©eleb,rten überlommenen 2lriftotele§ bie ßuberfidit jur
iird)Iid>en ©lauben^leb,rc bei btelen ©entern in<§ Tanten geriet, lehrte Xb, omaä bon 2lquino,
bafe in ber fat^olifdjen ©laubenöteb,re allerbingg ein 3etl burdb, bie natürlidie Vernunft 55
felbft erreid)t Werben fonnc, g. 33. bie ©rjftenj unb bie (Sinbcit ©otteö (baö lag man ja
aueb aug bem d)riftlid) tnterbretierten 2lrtftotcleg b,eraus), baf; hingegen anbere 93eftanb=
teile ber ©laubemilefyre alle menfd)lid)e Vernunft überfebjetten, g. 33. bie ©vctfaltigfett
©otteg foejiftent mit feiner (iinb,cit. Sic Offenbarung ift alfo eine übernatürlich (Sr=
gänjung ber rationalen ©ottegerfenntnig. (Est in his quae de deo cont'itemur, tu
12 £rrtbttion
duplex veritatis modus. Quaedam namque vera sunt de deo, quae omnem
facultatem humanae rationis excedunt, ut deum esse trinum et unum. Quae-
dam vero sunt, ad quae etiam ratio naturalis pertingere potest, sicut est
deum esse, deum esse unum, et alia hujusmodi, quae etiam philosophi de-
6 monstrative de deo probaverunt, ducti naturalis lumine rationis" Thomas
Aqu. Summa catholica fidei contra .gentiles. Opp. Antverp. T. IX. f. L. I. c. 3.
Münfdjer, Sefyrb. II, 1, ©. 100). $n ber griednfcfyen Sürdje trat ba£ Übergewicht ber
münblid)en SErabition über baS %l% fett ^ollwnneS ®ama§cenu§ immer entfdnebener
fjeröor ("AyQcupog de eoxlv f\ Tzagddooig avrrj tcöv ajioaxöXwv [e£ I)anbelt ficb, um
10 ia§ TiQooxvvEiv Xqiotov] TiolXä ydq äygdcpcog fjfxiv Jiagedooav (de fide orthod.
IV, 42) unb ou öe xal tiIeXoto. ol anooxoXoi aygdcptag TiagaÖEdwxaoi, ygd<psi
IlavXog (nacb, 2 ST^ 2, 15; 1 Äo 11, 2, a. a. D. c. 16). Über ba§ «Behältnis ber %xa=
bition $ur 1)1. ©cfyrift i)at alfo bie ganje ^irdiie be§ Mittelalters leine neue ©rfenntniS
probugiert. üftur in einzelnen, Dom offijieüen ^ircfyentum abWeicfyenben ©eiftern regt ftdt)
15 fner unb ba, allerbingS aus gan-$ berfcfyiebenen SeWeggrünben, ein ©egenfa| gegen bie
33orf)errfd)aft ber Irabition. 2tbälarb fd^eut ftcb, nicfyt, in feinem berühmten 23ud)e „Sic
et Non" Qa unb Dein) in 157 Dubrifen 2luSfbrüd>e ber ^ircfyenbäter gufammen^ufteden,
um ju beWetfen, bajj fie fiel) in mannen fünften Wiberfbrocfyen I)aben (@b. §enfe unb
£inbenfob,l, 1851). @r fudjte alfo bie $ßufion einer einheitlichen tatfyolifcfyen £el)rtrabi=
20 tion ju jerfiören ; aber eS traf U)n bie Sßerbammung. Docfy fcfylimmer erging eS ben
Söalbenfern, als fie baS Sefen ber 33tbel in ber SSolfSfbracfye beförberten unb fidj ba=
bureb, mittelbar bon ber ^rabition befreiten. SDie Sibelberbote, toeldje bon ben ^on^ilien
ju Souloufe 1229 unb bon larracon 1234 ausgebrochen Würben, bilbeten jugleicb,
ein ftarfeS 23oßWerf tu ©unfien ber 'ürabüion. C£erte bei Münfdjer, Sefyrbucb, II, 1,
25 ©. 109). @rft in ben Greifen ber fog. SSorreformatoren taucht baS ©cfyriftbringib auf, bureb,
Welches bie arabition il)r 2lnfef>en als jWeite ©rfenntmsquelle ber d)riftltcf)en 2öab,rb,eit
einbüßen mufjte. Söenn eS fyunbert ^Bäbfte gäbe, fd)reibi SBtcItf, unb ade Möncfye in $ar=
binäle berWanbelt Werben fotlten, fo bürfte man if>rer Meinung in ©laubenSfacfyen ntrf>t
anberS einen 28ert beilegen, als fofern fie auf bie ©cfyrift gegrünbet ift (Trial. IV, c. 7,
30 p. 199; SoofS § 72,5). 2lber erft in ber Sieformation ift mit ber 2lnWenbung beS
©cfyriftbrin^ibS burcfygängig ©rnft gemacht Werben.
©ie Deformation ift allerbingS nid)t mit einem tfyeoretifcfyen ©cb,riftbrinjib in bie
©efcfyictrte eingetreten; burd) bag Stec^tfertigunggbrinjib mürbe bielmeb,r bie ebangelifcf):
broteftantifcfie ©eifteSbemegung eingeleitet; aber je mef)r fid) Sut^er bie Sragtoeite feine§
35 StedjtfertigunggerlebniffeS Har machte, befto mefyr fab, er fieb, beranla^t, über alle firc^Iic^e
^rabition l)inlt)eg lebiglid) auf bag getriebene Söort ©otte§ fid; ^u besiegen. Stuf bem
Steicb/ötage ju 3BormS 1521, al§ er ertlärte, ba^ fein ©ehnffen in ©otteö Söort gefangen
fei, fyatte er ben 33rucb, mit ber bäbftlid)en £ebrtrabition fo ficfyer bolljogen, mie im ®e=
^ember 1520 ben 33rud} mit bem bäbftlidien 3ied)te, als er eS bor bem (Slftert^ore ju
40 Sßittenberg berbrannte. ©id;ereä 3eu9n^ oer •'oeilöoffenbarung befi^en mir nur in ber
b, eiligen ©cfyrift; bag wirb ©runblebre ber Deformation; obglcicf) bie lutfyerifcfyen Se=
!enntni§fd)riften eigentliche 2trti!el „de scriptura sacra" ntcf>t enthalten, fo liegt biefe
£eb,re boefy allen Slrtifeln ju ©runbe. (Sgl. ©timb. 93üd;er ber lutb,. Äircfye bon 3- 2^-
gjcüßer 74, 9; 303, 13—15; 517, 1; 568, 1; 569 ff. unb ^omafiuS, ©ogmengefd?. II,
45 197.) ©a aber ber ürcbjidje ^roteftanti^muS bie ©tetigleit ber SBirifamieit beö ^eiligen
©eifteS in ber Äircb,e glaubt, fo bermirft er nid)t ofjne weiteres jebe Sefyrtrabition ber
borreformatorifcb.en ^irdje; fonbern maS immer an ber borreformatorifdjen ^ireb, entehre
aus ber b,l. ©d)rift folgerecht abgeleitet ift, baS nehmen mir an unb freuen uns banfbar
ber früheren Sfrbeit beS fird)licb,en ©eifteS. ©o galten mir ben Se^räufammen^ang mit
so ber alten $ird;e aufrecht, inbem mir ib,re brei ©laubensbelenntniffe annehmen, um
„ntd£)t neue unb gottlofe £cf)rfä|e in unfere Kirchen einreiben ju laffen" (Conf. Aug.
1. 3; Apol. 1. 3; ©d)malf. 2Irt. SCetI I; Form. Conc. Einleitung, bgl. ©t;mb. Sucher
bon 3- X Müller 517, 3 unb 569, 4. — ferner Confessio Gallicana 5 bei 9?ie=
mefyer, Collectio Conf. p. 330, 2tbbrobation ber brei altfircb,licb,en ©tmibole, quod sint
55 verbo Dei scripto consentanea etc., bgl. $. Stfdjadert, ^olemil, 1885, ©. 3 unb 96).
SJJilber urteilte bie lutfyerifcfye Deformation über bie HuItuStrabitionen : ma§ auf bem
Weiten ©ebiete tircfyüdjer ©itte ber ^eiligen ©cfyrift ntd)t toiberfbrid;t, Würbe beibehalten
(Conf. Aug. 15; Apol. bei ^. X. Müller ©. 208. 209. 214). Söir lönnen b,eut, natt>
bem bie Deformation ^abrb^unberte lang geWirlt b,at, fogar noeb, Weiter ^in^ufügen : aueb,
eo innerhalb beS firc^Iic^en $5roteftanttSmuS giebt eS eine eigentümliche Xrabition; fie bejiefü
£rai>tttott Staunte bei ben £ebtäetn 13
ftcb, auf bie 2Crt bie 33ibcl aufgufaffen unb anguroenben; ba§ burcb, ba§ 9ted)tfertigung§=
erlcbniö gewonnene ©efamtberftänbnig bei 6$riftentum§ ift unfere Ambition; allein
biefe t^ut lein 3Bort gur 33ibel bingu, fonbem füfyrt nur in tfyr ÜBerftänbniS ein
0ß. Sfd&acfert, Sßolemtf [1885] 6. 97 ff.). — £>te römifcfye ®trcf;e bat bagegen gu Orient
in ber feierten ©iijung belretiert, baft bie göttliche Söabrbeit au3 gmei Quellen belogen 5
werben muffe, au3 ber 1)1. ©d)rift, unb au<§ ber SErabition, unb groar füllte bie leitete
mit berfelben 33erel)rung beb)anbelt Serben tüte bte bl. ©d)rtft (pari pietatis affectu ac
reverentia, Conc. Trid. Sess. 4). 3lus> SRüdEfid^t auf ben 5{koteftanü§mu3 f)at man
bie SErabition an gtuetter ©teile aufgeführt; tbatfäcpd) ift fie bie erfte Duelle; benn nad)
ibj mufj bie S3ibel erllärt toerben (Ib. „ut nemo contra eum sensum, quem tenuit 10
et tenet sancta mater ecclesia aut etiam contra unanimem consensum
patrum ipsam scripturam sacram interpretari audeat") (£oof3 § 74, 2). SDer
©runb biefer römtfd)en Sebre ift leidet gu erraten: eine Steige bon römifd)en Dogmen
unb Einrichtungen ift burcfy lein 33ibelroort gu beweisen; ba mufj bie aufeerbiblifcfye Xra=
bition bie 33eroeife liefern. $ür ba3 SJkfjobfer unb feine Eeremonien (Conc. Trid. Sess. 15
22, doctrina de sacrif. missae c. 2. 9), für bie $ßriefterroeiI)e (Sess. 23, doctr. c. 1.
3) unb bie ^rieftertonfur (Conc. Trid. bei £)ang p. 166. 167), baS Efyefalrament
(Sang 179), bie leiste Ölung (Sessio 14, doctr. de sacr. extr. unct. cap. 1) unb
für ba§ Fegefeuer (Sang p. 209) roufjten bie SErienter nur SErabitionäberoeife beigubringen.
gür bie beiben neueften römtfd)en ^Dogmen aber, für ba3 bon bem fünblofen Eintritt 20
tiftariag in bie 9Kenfd)f)eit unb ba£ bon bem Uniberfalebiflobat be3 SßajpfteS, ift bollenbg
auf eine gefd)id)tlid)e SErabition übertäubt nicbt gu berioeifen. ®ie Einführung biefer
beiben ^Dogmen geigt, baf$ bie römifd)e 3Infct)auung bon ber SErabitiou ben ©tanbbunlt
bcö 33incentiu3 2erinenfi§ berlaffen bat. ®a man nacb. beffen SErabttiongferingib (quod
ubique et semper et ab omnibus creditum est . catholicum est) bie Unfer/l= 25
barfeit be§ 5ßabfte3 nie l)ätte als fattjolifcr/es* ®ogma brollamieren lonnen, fo erfanb bie
iefuttifd)e SEfyeoIogte bie neue ^Definition: ^rabition ift, toag in ber römifd)en Strebe al<§
2:rabition gelehrt wirb. Söer ift aber römtfcfye Strebe V ©er $abft, Vüelcber bie Ambition
im ©d)reine feiner 33ruft (in scrinio pectoris sui) beft|t. „La tradizion son io"
bat ^ßiuö IX. gefbrocfyen ; „bie SErabition bin icb/' ©djon bie blofje "Jfyatfacfye ber Se= 30
finition eine§ SDogma§ buret) ben ^ßabft ift ber burcb, fid) felbft binretebenbe, gang ftebexe
unb allen ©laubigen genügenbe 33erüeis>, bafj e§ in ©djmft unb ^rabition begrünbet
ift, fdjrieb puS IX. 1870 am 28. DI tober an ben Ergbifcfyof bon Mn (SEe^t bei
$. STfcbadert, ^olemil, 1885, ©. 407, 3lnm. 16). „E3 genügt alfo eine bäbftlidje
$atl)ebralentfd)eibung gum büßen 33eroeife ber Iau)oIifd)en SErabition" ®amit ift 23incen= 35
tiuö bon Serinum abgetan. ®ie ErlenntniSquellen ber religiöfen unb ftttlict/en 2Bab)r=
beit finb nunmehr in ber römifcfyen £ird;e bie 33ibel unb ber $abft ober, ba biefer bie
Sluölegung be§ göttlichen äkcfyeS in ber §anb b,at, ber $abft unb bie 33ibel; in ben
ebangeüfcfyen ^iregen bagegen lennt man nur eine religiöfe Erlenntni^quelle, bie Sibel.
$. Sfrfjntfert. 40
Traditores f. b. 31. Sabfi 33b XI ©. 285,48.
$rabuciam§muS f. b. 3131. 2:ertullian 33b XIX ©. 549, 11; ©ünbe 33b XIX
S. 139,4; «ßelagiu§ 33b XV ©. 751,45.
Stimme Bei ben Hebräern. — Sttterotur: $t)ilo fd)rteb eine ©cfjrtft jtsqI tov
deo^i^inrov-; sivcu rovg övsipovg in 5 SSucfjertt, üon benen nur ba% 2. unb 3. erhalten finb; 45
fie Befpredien mit weitläufigen Slbfdjmeifungen bte 5Eräume So^bS unb Sofepp Opp. ed.
Mangey I, 620sqq. SSgt. fonft Sno6el, <ßro^ett§mu§ ber §e6räer I (.1837), (5.174 ff.; %m\s
S)eli|fd), @t)ftem ber biblifcfjen ^fl)d)otogie 1855, ©.233 ff.; ®. gr. De£)(er, Ideologie bee
9l£§, 3.auft. 1891, ©.224. 763; §erm. ©diutfc, 9tltteftamentltd)e ^öeologte, 5. 9Utfl. l«Ki,
£. 177. 193; g. S. Sonig, 3)er Offenbarungäbegrtff be§ SlIS (1882), II, 9 ff. 63 ff.; ». Oiclfi, 50
Xte altteft. SBet§fagnng üon ber SSoüenbüng beS ©otte§retd)§ (1882), ©. 17 f.; 33. (Stabe,
SBtbt. Stjeol. be§ 9(2:ä 1905, ©.101. 130. ferner bte Slrtitet Jraum ober Sväume in 3Smer§
3tealroi3rter6-, ©djenfelS 33t6eIIejtton (uon .s)ul^mann), 9tie^m§ Jpanbtoörterb. (öon S?leinert)
unb in 9(uf(. 1 ber 3}ea(enc. (oon tieftet).
SEräumc afö 5Rittel ber Offenbarung finben fid) überall in ben Religionen beg 3llter= 55
tum§. SDie bem ^Jtenfcben berrounberlid^en, oft frembartigen, aber babei nicbt feiten über=
au§ lebhaften i^orftellungen, meld)e ba^ Traumleben in einer bom Riffen unb Genien
fd>einbar gang unabhängigen 23erlnüpfung ber ©eele borfüt/rt, tourben aU ein 33orfbicl
14 träume bei ben ^etiräcrn
lünftigen ©eftf>eE>eng aufgefaßt, toelcfjeS eine ©ottfyeit bem ©djläfer offenbare, 9Jcan
richtete mancherorts fogar eigentliche ^Eraumoratel ein, legte fieb, an bebeutfamen (Stätten
febjafen ober nafym tranmerjeugenbe Mittel ein, um ju brobfyetifclien träumen §u gelangen.
Söir finben, abgefeljen bon ben Mturlofen SSöHern, in beren ©emütfleben unb Religion
6 ber %xaum fcfyon eine grofte 3toHe fbielt, brobfyetifcfye SSertung be§ Traumes bei ben
alten tgitotem (@ber§, % unb bie SS. 9Jcofe<3, I, 321 f.), Sabtylontern unb äfforern
(Senormant, 9Jcagie ber 6b,albäer ©. 492 ff.; Dretlt, 2lllgem. 9Migion3gef$. 1899,©. 203),
Werfern (£erob. 7, 15. 18 ; bgl. über JfröfuS ebenba 1, 34), 6£>tnefen (b. Strauß ©cb>
®ing ©. 11), ©rieben (§omer ^1. 1, 63 ; 2, 22. 56 u. ö.), Römern (bgl. bef. ßteero,
10 De divin. 1, 29; 9Jtafrob., Somn. Scip. 1, 3), ©ermanen unb bielen anberen Söllern.
©a bie Sraumbilber oft unburc^fi^tig toaren, beburfte e§ in folgen gälten befonberer
Deutung, über beren Serfabjen fieb, mancherorts eine förmliche ^ed^ntl auSbilbete. greilieb,
fam fdjon ben Sllten baS SLrüglidje biefer Dffenbarunggquelle bielfacb, gum Setoufjtfein,
tote benn £>omer bie STräume in folcfye einteilt, bie au§ bem elfenbeinernen Sfyore fommen
15 unb ben SJienfcfjen nur tauften (bisweilen auf göttliche Seranlaffung Inn) unb folcfye,
bie au§ bem hörnernen Sfyore Verborgenen unb guüerläffig finb (Dbt>ff. 19, 560 ff.). 3)en=
noeb, bebaubtete ftdb, ber an bie träume ftcb, fyängenbe Aberglaube aueb, in ber griecbjfd)
gebilbeten Söelt mit einer erftaunlic^en gälngfeit. 3Irtemiboro§ au§ ©bfyefuS (2. Qafyrb,.
n. Qijx.) b,at bie gemalten Erfahrungen gefammelt unb ju einer Slraumfunbe (Dneiro=
20 frttifa) berarbeitet, toorin er anleitet, bie bon ben ©öitem gefanbten unb bie bureb, Ieib=
lielje ober feelifdje guftänbe erzeugten träume ju unterfcfyeiben.
Stuc^i bie Sibel toeifj bon träumen, bureb, toelc^e ©ott gu ben SKenfcEjen fbrtcfyt, fie
bor ©efatyr toarnt, tb,r ©etoiffen toeeft, ilmen 3tat erteilt, ilmen künftiges anbeutet ober
berlünbet. Sgl. ©en 20, 3 ff.; 28, 12 ff.; 31, 11 ff. 24; 37, 5 ff.; 40, 8 ff.; 41, 15 ff.;
25 9iul2, 6; 9K7, 13f.; 1 ©a 28, 6; 1 üg 3, 5; §i 33, 15; 35a 2,1 ff.; 4,1 ff.; 3Ht
1, 20; 2, 12. 13. 19. 22; 27, 19. ©olcfje bäbagogifcfye ober brobibentielle träume b,at
e§ ju allen Reiten gegeben, tote e§ fie fyeute noeb, giebt Sfßarum feilte ©ott, bem
mancherlei 2öege jjum 3Jienf^enb,erjen jur Serfügung fielen, nicfyt aueb, biefen toäfylen,
toenn e<§ ber ?toecfbienlicb,fte, bieÜeicf/t ber einige ift, um in ba§£eben ber©eele toirffam
so einzugreifen? ^m £raum toirb ba3 ©emütSleben oft toeit ftärfer bureb, ba§ fubje!tib
Erlebte affigiert, aU eS bureb, blojje lebhafte 3)arfteflung gefeiten fönnte. 3)a3 ©e=
toiffen toirb leichter toadj, too ber BJtenfcb, nicfyt bom berftanbe§mäf$igen ©enfen beb,errfcb,t
toirb, toelcb,e§ Ieid)t ^u feiner Slbftumbfung mif$brauc£)t toerben !ann. 3)a§ Slljnung^:
bermögen enblicb, lann ftcb, in jenem ©cb,Iafjuftanb, too bie Slcflejton jurücftritt, ungeftörtcr
35 entfalten. 3)er Serbacfyt aber ber ^äufc^ung bureb, blofeen 3ufflö toar in biefen biblijcfyen
gäÜen au§gefcb,loffen nia)t blo^ ettoa bureb, bie (»eilige ©tätte, too ber Xraum begegnete,
bie freilief) in gäHen toie 1 % 3, 5 bon ©influj? toar, fonbern bor allem buret; bie
au^erorbentlicf;e, göttliche StRacb^t ber ©inbrüde unb ti>rc Setoäfyrung am ©etoiffen. 3)a=
gegen ber £raum an fieb, toirb oft al§ ettoaö 9Jicb,tigeS, sBcf cnlofeö genannt (^f 73, 20 ;
40 öi 20, 8; ^ef 29, 7 f.), toorauf man ja nicb,t bauen foll, toenn ettoa bie ©itelfeit unb
©elbftliebe baju berfucf;en fönnten, ©i 31, 1 ff. (bejto. 34, 1 ff.)- Sl&er aueb, bebeutfame
fi;mboIifcf)e träume lennt bie Stbel, toie benn foldje bem bcfd;aulicb,en, an ©innbilber
getoöt;nten SDtorgenlänber nal)e lagen. 3U ^rer 2lu§legung ift aber feine Äunft ber
Söelttoeifen tauglid), fonbern fie ift eine ®abc beSfelben ©otteS, ber bie Iräume gefanbt
45 unb geftaltet fyat. 3)tefe (S>abc befafe ein ^ofebl), ein 3)aniel. 3)ie erftc ©etoäb;r, ba^ fie
ben richtigen ©cf)lüffel ju ben üraumbilbern befafeen, lag in ber einleud;tenben ©bibenj
if)rer 3)eutungen, bie fc|lie^licb,e freilieb, in bem Eintreffen ber bon il)nen gegebenen Ent=
jifferung. Sgl. aueb, ba§ Serfab,ren beg Königs 3)a 2, 6.
2lllein fo offenfunbig be§ toab,ren ©otteö (Eingreifen bureb, träume aus mannen
so Seifbielen ift, unb fo getoife nur bei ib,m unb ben bon il)m befonberS begabten bie 2tuS=
legung fteb,t (©en 40, 8; 3)a 2, 28), fo ergiebt fieb, gerabe fct)on auf ben obigen Sei*
fbielen, bafj für bie ©emeinbe ©otte§ unb bie SJJänner ©otte§ ber Iraum nicb,t bie
Öaubtquelle, aueb, ntcb,t einmal eine §aubtqueEe göttlicher Offenbarung getoefen ift. @f
fällt bon bornfyerem auf, toie' biele biefer iräume folgen ju teil tourben, bie nicb,t ju
55 ©otteä Sunbeöbolf gehörten, ©er Sraum ift eine SSBeife, toie ©ott auefy ben ib,m ferne
©teb,enben beilommt. 2lu|erbem b,at er namentlich in ben batriard;alifcb,en Anfängen
ber ©efdjidjte feine ©teile, jtoar nicb,t bei 2lbrab,am (benn aueb, ©en 15 ift lein blofjer
^raum), aber bei bem mit ©ott toeniger bertrauten ^afob. 3)agegen ift ba§ eigentliche
SunbeSbolI an b,öb,ere Mittel ber ©elbftmitteilung ©otte§ getoiefen, bor allem an baf
60 2Bort ber Srobb,eten, unb biefe berufen fieb, nirgenb§ auf blofce träume als Quelle ib,rcr
Srftumc bei öen Hebräern £rajan, .Tinifer 15
Offenbarungen; oiclmefyr empfangen fie biefe in Wacfyem, »oll ttnb Hat beWufjtem $iu
ftanbe. @ine 3lrt ^Jiittelftufe nehmen bie ^raumgeficfyte ein, bon Welchen bie Sßeifen im
Sßud) vuob üu ergäben Wiffen (4,13—21; 33, 15 f.). 2tuc^ 1 % 3, 5 ff. ben Xraum
be3 jungen ©alomo, ber fid) übrigeng mit bem 3>afob§ ju Setzei »ergleid;t, tonnte man
bafnn rennen. ©anielg 9lad;tgeft<|t 7, 1 f>eif?t ebenfalls 'jEraum; allein berfelbe nimmt -,
überhaupt unter ben ^ropfyeten in Sejug auf bie Söeife feiner Qnfpiration unb ben %n--
fyalt feiner ©efiebte eine befonbere ©teltung ein. dagegen bie eigentlichen $robl)eten
reben nie bon „träumen", bie fie empfangen Ratten, unb felbft bie Straber unterfefmben
fefyr beftimmt jWifcfyen propl)etifcf)em ©eficfyt unb bem toiel tiefer ftel)enben, finnlidien
bräunt. Sgl. gleifd)er§ 33emerlungen bei SDeli^fd), 33ibltfd;e ^ßffydwlogie ©. 282. ©a= 10
diarjaS -ftacfytgeftcbie 1, 8 ff. finb leine träume, fonbern in magern guftanbe geflaut.
Baa) 4, 1 wirb gerabe ber (Eintritt be3 probljettfcfyen ©d;auen<§ als eine 3lrt (SrWacfyen
befdjrteben, ba bas> 2BaIj)rnef)mung§t>ermögen im SSergletcfy %um gewöhnlichen guftanbe
babei eine (Steigerung erfährt. S)ie einige, in ifyrer Deutung obenbrein ftreitige ©teile
3er 31, 26 lann nicfyt alz ©tü£e ber 23el)auptung bienen, bie ^robfjeten Ratten ibre 15
©eftcfyte in ber Siegel im leiblichen «Schlafe gefd)aut. ©erabe Qeremia t>erWaI)rt fieb,
23, 25 ff. auSbrüdlicb, bagegen, bafj blofje träume alö göttlicb, eingegebene 2Sei3fagungen
untergefcfyoben werben, Welcher SRiPraucb, ju feiner geit allerbing§ bei ber $ropI)eten=
fcfyaft im ©cfyWange getoefen fein muf$. 3iia)t alz ob er bie SJcöglidjfeit beftritte, bafj
aueb, Xräume unter Umftänben göttliche Offenbarungen enthalten tonnen, wie benn 20
btefeS SJcittel göttlicher 2Beifung an ©emeinbeglieber unb ^ropb, eten in 9?u 12, 6 ; 2)t
13, 2 ff.; 1 ©a 28, 6. 15; $oel 3, 1 alz ein ©ott ju ©ebote ftef>enbe3 borau3gefe|t ift.
2lber 3eremifl rc^ beibes>, 9Bei3fagung unb ^raurn fäuberlid) auSeinanber gehalten
Wiffen (»gl. 23, 28), ba blofee träume feinerlei ©eWäfyr für bie guoerläfftgfeit ifyreS
3nf?alt<§ bieten unb tfyatfäcfylicr; oft bem §erjen baZ borftoiegeln, \vaZ eZ Wünfcfyt. 3er 25
27,9; 29,8, unb ®önig, DffenbarungSbegr. II, 10 ff. £)a<§ ®euteronomium Ijatte
13, 2 ff. aueb, für bie ^Beurteilung propfyetifcfyer träume ein inneres* Kriterium angegeben.
Söie bei ben toon ©otte§ ©eift erfüllten ^ropljeten erfolgt aueb, bei 3«f" «nb ben Sfyofieln
bie Offenbarung nirgenbs auf bem Söege be<§ XraumeS. ®ie fpäteren ^n^w merften
fonft jiemltcf; forgfältig auf ifjre träume. ©iefye IgofepI)u§ Antt. 17, 6, 4; Bell. Jud. 30
2, 7, 4 ; 3, 8, 3. SJiit SEraumbeuten fcfyeinen fid) befonberS bie ©ffäer abgegeben ju I)aben
3ofepf)u§ Antt. 17, 13, 3. ». öreöi.
Trojan, ^aifer 98—117 — £>. granefe, $ur ©efdjkfjte £rajan§ u. feiner geitgenoffen,
Seidig 1840 (in^altretd)) ; 3o^. ©ierauer, SSeitrfige ju einer fritifdjeu ©efcl)tcl)te SrojanS
(Unterfuc^ungen jur röni. ^atfergefdjict)te, ^ergg. Hon Sübinger I, Setpätg 1868); §. ©djitter, 35
©ejcf)icf)te ber röm. Satfersett I, 2 ©ot{)a 1883 ; 21. §au§ratf), «Reuteft. ßeitgefd). 2. 2t. III,
^eibelberg 1875 ; g\ Düerbecf, (Stubten jur ©efebiebte ber alten Strdje I, ©d)Iof; ß^emnif
1875 ; S^eobov f eim, 3?om unb ba§ E^riftentum, SSerltn 1881 ; %. 21rnoIb, ©tubien jur ®e=
fdjidjte ber $Hniantfd)en ßtjrtftennerfolgung, König§6erg 1887; S. 3. Weltmann, ®er rl3mtfd)e
Staat unb bie attgememe Sirdie bi§ auf ®iofIettcm I, Setpstg 1890; ß. ». SRaanen, De brief- 40
wisseling van Plinius en Trajan 1899 (mir unbetannt) ; -Öl. dt. 9tamfal), The church in the
Roman empire before 170, Sonbon 1893; ©. ©. §arbti, Christianity and the Roman go-
vornement, Sonbon 1894.
5R. ÜlpiuS ^ErajanuS, geb. 53 in ^talica in ber,, fpanifc^cn ^robinj Sätica alz ber
©ob^n eine§ bureb; militärtfcb^e Slücbttgfeit ju Ijoben Ämtern aufgeftiegenen ^ßrobingtalen 45
lateinifcf)er .vScrfunft, ging anfangt bie militärifdt)e Saufbaljn feine§ 95ater§ unb gehörte
längere $eit an »erfcl)tebenen Orten im Orient unb im Slbenblanbe ber 2trmee an. 3m
Safere 91 erlangte er ba§ ^onfulat. %n bie öffentliche 33eacb,tung trat er erft, aU ib^n
ber Äaifer 5Jceroa 97 mit bem befonbere oerantroortunggbollen Äommanbo in Ober=
germanien betraute unb noef) in bemfelben $af)re unter bem ®rude fd)it>ieriger innerer bo
unb äußerer 3Serf)äItniffe aboptierte. sJJad) bem lurj barauf erfolgten ^obe 5cerba^
nabm er am 27. Januar 98 alz ber erftc ^ßrobinjiale unangefochten ben ßaifertfyron ein.
Solbat bureb, unb burd), ertoieS er fid? ben friegerifdjen 3SertoideIungen unb ©efaf)rcn
getoacbjen unb rtd)tete feine ganje Umfielt unb ©nergie barauf, ba§ Steicr) mit fixerem
militärifcb^en ©cb,u^e ju umjieb,en. 9iücb,terneö Urteil unb tootjlertoogeneg §anbeln 55
jetct;neten ib^n au§. @r nab,m bie 3Dcerxfct;en unb bie ®inge, roie fie waren, ofme ^ttufion.
S3al ftarfe Setoujjtfetn ber faiferlidjen ©ouberänität öerftanb er mit bem ©cfyeine ber
grcifyeit p toerbüllcn. ®ic fefte @ntfd>Ioffcnbett feinet 2Billenö liefe Staum genug für
perfönlid)e Seutfeligfeit unb bie prattifd>e 33etbätigung ber jeitgenöffifd;en Humanität;
biefe le^tere tritt befonberö in ber bon ib,m in weitem Umfange burdjgefüfrtcn ftaat= eo
16 Trojan, ®atfer
liefen gürforge für berWaifte £inber fyerbor (Ublfyorn, ©efcbjcbte ber cfyriftl. Siebe3tf>ätig=
fett I, ©. 16 ff.), ©eine Vilbung fyatte baS ©urcfyfdmittSmafc, bod) legte er 2Bert auf
SSerle^r mit ©intern unb ©elefyrten unb War ein eifriger Vaufyerr. ©te 2öof)Ifafyrt bei
9teid)e<S in ©eredjrtigfeit unb Drbnung War baS felbftlofe 3tel feiner flauen ^oltttl. 8"
5 biefer großen Aufgabe traten bie fittltdjen SRangel feiner 5ßerfon — ©itelfett unb ©inn=
li^lett — jurücf. £um legten 2RaIe erfdjetnt unter ü)m bei grtecbjfd;=römtfcb^ SBeltreid;
in ber ganzen güHe feiner ftaatlicfyen ©röfje.
®ie religiöfen Slnfcfyauungen ^rajanS fielen in boßem ©inilang mit ber bolf3tüm=
lidjen grömmigfeit. ©od; b,ielt fid; bei if)tn aud) bie 3Migiofität in ber Vefd)ränfung,
10 in Welcher fiel; bie Verfönlidjfeit bei $aifer§ übertäubt fafete, unb nicfyt in ifyr, fonbern
in ftaatSredjtlidjer ©rwägung Wurzelte bie ©ntfcfyeibung, meiere ben tarnen SrajanS
unmittelbar mit ber ©efcbjcfyte ber djriftlidjen $ird;e berfnübft.
Trojan fyatte bie bis bafyin fenatorifdje, burefy SJttfsnrirtfdjaft beruntergebradjte unb
burd; Varteiwefen ^mittete Vrobinj S3tt^nia=$ontu§ in unmittelbare faiferlicbe Verwaltung
15 genommen unb ben il)m bureb, betounbernbe Ergebenheit unb greunbfdjaft berbunbenen
jüngeren ^SlintuS als Segaten mit bem befttmmten auftrage borten entfanbt, in bie
Verfahrenen Verb,äTtniffe Drbnung ju bringen. 6. $ItniuS ßäciliuS ©ecunbuS, Sitterat,
©djöngeift unb Staatsmann in einer Verfon, bod) in feinem grofj, aber §ut*erläffig unb
gutmütig, berührt Wie fein faiferlidjer §err bon ben Rumänen $been ber gett, jebod) in
20 weit fyb'fjerem ©rabe Don ©itelfeit beb,errfd)t (SB. S£euffel, ©efdjidjte b. rbm. Sitteratur,
5. 3lufl., Seidig 1890, § 340; ba^u bie 6£;arafteriftif bei £auSratb, ©. 381 ff.), begann
balb nad) feiner Stnfunft im ©ebtember 111 bie Vrobtnj in ber Sftid^turtg bon Söeften
nad; Dften ju burcfyreifen unb fd;rieb im Verlauf biefer Steife bis jum Veginne bei
3af)reS 113 an S£rajan 60 Briefe, in benen er feine ^Beobachtungen mitteilt unb über
55 äße möglichen tfym entgegentretenden fragen, oft Meinlicbjten ^nfyalteS, fid; 3nftru^on
erbittet. ©iefe Vrtefe liegen jufammen mit ben antworten ^rajanS cfyronologifcb, ge=
orbnet uns bor (befte 2luSgabe mit Erläuterungen bon §arbfy, Sonbon 1889).
©ie 5ßrobinj fyatte fd;on bon rebublifanifd)er geit |er eine ftarfe jübifdEje Vebölfe*
rung (Gicero, Pro Flacco, 28 ; @. ©cfmrer, ©efd)id;te b. jübifdjen Volles III3, Seidig
30 1898, ©. 17). ©er Slboftel VauIuS beabficfyttgte bort ju miffionieren, bod; ber ©eift
Web,rte ib,m (21© 16,7 f.); aber unter ben Stbreffaten bei erften ^ßetruSbriefeS befinben fid;
aud; ßfmfien in VontuS unb Vitftynia (1, 1). ^n ben erften Qa^ren ber £orrefbonbenj
be3 Segaten mit bem ^aifer ift bom Efyriftentum nid)t bie Siebe. (Srft in ben öftlid)en
©iftriften, bieHeidjt in 3lmifu§, trat ilmi bie 6b,riftenfrage entgegen unb jboar gleid; in
35 ganger 2öud;t unb forberte feine @ntfd;eibung. ©iefe ©ituation fdiilbert ber berühmte
96. SSrtef (bei §arbi? ©. 210ff. mit trefflichem Kommentar). Seinen bebeutfamen ^nb,alt
im einzelnen ioieberjugeben, ift tjter nid;t ber Drt; in biefem 3ufammen^attÖe fommt &
lebiglid; auf ba§ ftaat§red;tlid;e, reIigion§boIitifd;e SRoment an. 3Sorauägefd;tdt fei, bafj
Trajan bie burd; Julius ßäfar eingeleitete Übertüad;ung be§ Sßerein3ft>efen§ in fdjärffter
40 gorm aufnahm unb befonberä in unruhigen unb bolitifd) berbäd)tigen ©ebteten auf
ftrengfte ©urcfyfülirung beS Verbot? ber CoEegia ^ielt. ^n biefem ©inne erging aueb,
an ben Segaten ein ftrifter 33efeb,l f)infid)tnd; ber ib,m anbertrauten ^robin^ (Ep. 96, 7 ;
jum ©anjen 31s. Siebenam, gm ©efd)id;te u. Drganifatiort be§ rb'mifd)en SßereinStoejeng,
Seidig 1890).
45 $liniu§ fieb,t fidi bor bie beunrufyigenbe SE^atjac^e einer iüeiten Verbreitung be§
ß^riftentumg in ©tabt unb Sanb geftellt. S3eibe ©efcb,led)ter, jebe§ Sllter unb alle ©tänbe
finb baran beteiligt, infolge babon ift ber ©btterfultu§ beröbet ober berfümmert. ©er
Segat, ber ficE> mit Siecht aucl; für bie 2lufred}terb,altung ber ©taatöreligion berantmortlicb,
füblt, greift fraft feinet 2lmte§ ein. 2lllerbing§ b,at er bis bab^in ©briftenbro^effen nie
so beigewohnt, ift fieb, aber über ba§ in folgen gälten anjuioenbenbe 3Serfabren burd;au§
flar: bie fcfyärffte ©träfe, bie 'SobeSftrafe Wirb auf ba§ ©eftänbni§ lj>in fofort an ben
jum Sßerfybr gebrauten unb fc^ulbig befunbenen ^erfonen bolljogen; nur bie römifd;en
Bürger Werben jum ^ranäbort nad; ber §aubtftabt notiert. ^nbe§ im Verlaufe bei
Verfahrens berWirrt fid; bie Sage im Urteile bei ©tattfyalterS, Weil fieb, einzelne gälle
55 bifferenjieren, ©enungianten fid; einbrängen unb in feinem ©mbfinben bag ^Ritleib er=
Wad;t. @S ergeben fieb, in ib^m ^^eifel an ber 9ted}tmä^igfeit ober ©erecfjtigfeit ber
Stebreffionen : entleibet bie 3ugeb,örigfeit ^um Sfyrtfientum als fold;e über bie ©djulb=
frage ober finb für bie Segrünbung berfelben nod; beftimmte, bamit in 3ufantmenf)ang
fte^enbe ftrafred;tlid»e Vergeben erforberlid; (an nomen ipsum, si flagitiis
60 careat, an flagitia cohaerentia nomini puniantur)? ©eine 9lad;forfd}ungen, inS=
%va\axi, ^oifcr 17
befonbere ein bctnlicbeS 3>ert)ör jroeier SDtaloniffen, baben nur baS 33orI)anbenfein einer
superstitio prava, immodica feftftellen lönnen. 2Ingeftcbt3 biefer ©djroiertgleiten, au<§
benen fyrauZ pintuS ben 2Beg nicfyt finbet, wirb bie latferlicfje ©ntfebeibung angerufen.
©a)on biefer 33rief läfct feinen groeifel barüber, bafj bie ©enoffenfdjaft ber 6fyriftu3=
gläubigen für Piniu3 nicfyt aU collegium in 33etracbt tarn, ©tnem folgen gegenüber 6
beftanb für il)n eine Kare, bureb. bie $raj;i§ bereite erprobte Slicbtfcbnur feines irjanbelnS,
bie ü)n einer anfrage an ben ^aifer überbob. ^n biefem galle Ratten aua) bie formen
be§ ^rojeffeS innegehalten »erben muffen, toag bier nw&t gefcbefyen tft, bielmel)r erfolgt
bie Verurteilung fofort auf ba3 33elenntnis> beS nomen christianum. 9iur bie näcb>
lieben 23erfammlungen erinnern il)n an bie unter Verbot gefteßten §etärien, im übrigen 10
bleibt biefer ©efid)tSbunlt ganj aufjer $rage. 9itcbt minber in ber Stntroort beSÄaiferS.
3tucfy blatte biefer ftdjerlicb. nicfyt bie gleich ju erroäbnenben 9Mberungen in bem 33er=
fahren auSgefbrocfyen, wenn er bie ßfmftengemeinbe als eines ber bon tl)m mit rücfftcl)tS=
lofer ©cbärfe verfolgten ©ollegta aufgefaßt bätte.
©ie laiferlicfje Stnttoort (Ep. 97) erlennt ba§ bon ^Sltrttug befolgte 33erfal)ren 15
grunbfäpcfy als richtig an, mit anbern SSorten, baS cfjriftltcbe 33elenntntS tft an fiel)
aueb. für Trajan ein tobeSroürbigeS 93erbrecben (actum, quem debuisti, mi Secunde,
in excutiendis causis eorum, qui Christiani ad te delati fuerant, secutus es).
£>ie Verfügung beftimmter formen für bie 33el)anblung ber einzelnen @rfcf/einungS=
formen roirb abgelehnt mit ber 93egrünbung auS ber Unmöglicfyleit fyerauS (neque enim 20
in Universum aliquid, quod quasi certam formam habeat, constitui potest).
SJur bie planmäßige Sluffbürung (conquirendi non sunt) unb bie Slnfybrung anonymer
Denunziationen (sine auetore vero propositi libelli in nullo crimine locum
habere debent) muffen auSgefcbloffen bleiben, letztere, weit fie ein fcblecbteS 23eifbiel
giebt unb bem ©eifte ber geit roiberftreitet (nam et pessimi exempli nee nostri 25
saeculi est), ©rtblicb, biejenigen, roeldje bureb baS ©ötterobfer ifyre $ugel)örtgfeit jum
gfyrtftentume roiberlegt fyaben, mögen frei ausgeben. 2Bo aber biefe gugefyörigleit feft=
geftellt ift, tritt bie Äabitalftrafe unnacfyftajtig ein (si deferantur et arguantur, pu-
niendi sunt).
©in SDopbelteS ift an biefem 3tefiript c^arattertfttfcb : bie bon bornfyerein als felbft* :;u
berftänblicf/ genommene ©trafroürbiglett beS nomen Christianum unb bie baneben
laufenben 5Rilberungen. ©ort lommt ber gufammenbang mit einem in langer Übung
bereits feftgerourjelten Verfahren in Sßerbinbung mit bem ftarfen ©efübl bolitifcfyer 23er=
antroortlicfyleit jum 3tuSbrucl, bier berfdEjafft ftcf; baS bumane ©mbfmben beS MfcrS©eI=
tung. $n feiner Söeife fyat XertuKian (Apol. c. 2) biefen tfyatfäcblicfy borfyanbenen 35
inneren Söiberfbrucb, leibenfcbaftlia), aber nicfyt ganj unriefetig fo beurteilt: 0 sententiam
necessitate confusam ! Negat inquirendos ut innocentes et mandat puniendos
ut nocentes Si damnas, cur non et inquiris? Si non inquiris, cur
non et absolvis?
Über ©tnn unb Xragroeite biefeS SfaflribteS gingen bie Meinungen lange ^eit auS= 40
einanber. Sbeobor ''JftommfenS grunblegenbe Unterfucbung : „®er SeligionSfrebel nad^i
römtfeben SRed^t" (§3 1890) bat nunmehr ben Soben bereitet, auf roelcf/em allein bie
ri^tige Beurteilung ju gewinnen ift, unb 20. 9i. S^amfat) (a. a. D.) fyat bon bier au€ bie
beiben ©cbriftftücfe bortrefflict) ju bollern äkrftänbniS gebracht. Um eg !urj ju fagen,
baö ganje SSerfabren beruht auf ber fog. coercitio, ber an leine beftimmten ^ßroje|= 45
formen gebunbenen magiftratlictjen ^Rebreffion, welche bie 33ermaltung€be^örbe naa) freiem
©rmeffen jur S)urcbfüb,rung ber öffentlichen Drbnung berfügte (f. b. 3t. GI)riftenberfoI=
gungen 35b III ©. 824 ff.). Qb,re ftänbige 3fticf;tung na^m biefe 9tebreffton u. a. gegen
bie Räuber, aber frübjeitig au$ fcb,on gegen bie ßljriften. ^n ber neronifcfyen Verfolgung
Wirb bie§ juerft beutlicb (§arb^), Christianity and the Roman governement ©. 38 ff.). 50
SDie grage ber ©ebtbeit be<3 ^liniuöbriefeg bebarf leiner ©rörterung; bie SBeftreitung
berfelben gebort ju ben ellatanteften Seifpielen ungefcbicb,tlicb!er ^ritil.
Die 3iegierung^eit ^Erajang jäblt al§ be*borragenbe SRärtbrer ben SBtfd^of ^gnatiuS
bon 2lntiod)ien (über bie 6bronb^gte 31- §arnacf, ®te ©Pönologie ber altcf)rift=
liefen 2itteratur big (gufebiuS I, ©. 381 ff.) unb ben Sßifcfyof ©imeon bon ^erufalem. 55
gablreicfye weitere -Kamen ^at bie Segenbe angefcbloffen. ^m allgemeinen mar bie
Sage für bie (Sbriften eine günftige. Dbmo^l bie Unterftellung unter bie Soercitio,
roelcb,e Xertullian richtig mit ben 2isorten non licet esse vos umfcb,reibt, einen 3U-
ftanb bölliger 9tea)tlofigleit fcb,uf unb auc£> an anberen Drten ^ebreffionen ftattgefunöen
f)aben, rote febon aUein au3 bem ©cbu^ebilt §abrianö (f. b. 21. 33b VII ©. 3 16 ff.) ut eo
SReot=erct)f(Dpäble für S^eoloflie unb Sl'lrcfte. 3. Sil. XX. 2
18 £rajatt, Staifer SraitartantStnuä
entnehmen ift, fo barf man bod) rttd^t Don einer gbriftentoerfolgung unter %tqcm
reben, roie ältere ÄirdjenfcbriftfteÜ'er (u. a. @ufebiu<§, ^ieronr/tnug, DrofiuS) tbun. 9Rur
baS ift zugeben, bafe biefe ^nftmltion, bie burd) bie $eröffentlid)ung ber Äorrefponbenj
notorifd) rourbe, »ießcicbt aud) nad) anberen Drten fyin ergangen ift, bte Soercttto in ibrer
5 2tnroenbung auf bte Stiften feierüd) unb autorttätSboH betätigte, atlerbingS mit ifyren
geroidjtigen SRilberungen.
Qn einen blutigen üonflift geriet Srajan mit ben ^uben, bie 115 in 2lgr#ten unb
Jvtyrene in einem toilben 21ufrubr ftcr) erhoben, ber balb aud) nad) Gtypern übergriff,
roäbrenb ^aläftina toer&ältmSmäfetg rufyig blieb. ®er ßatfer, gerabe in 9Jtefopotamien
10 burcb, friegerifdje Unternehmungen feftgebalten, cermocbte erft nad) hartem fingen, bei
bem Ungegarte ba§ Seben cerloren, burcb, feinen gelbberrn 5ftarcu§ %uxbo ber Situation
£>err gu werben (117). ®ie 2lu<3läufer ber furchtbaren kämpfe reichen nod) in bie
Sftegierung^ett £abrian<§ hinein (@. ©c&ürer a. a. D. I3, ©. 661 ff. ; ©rä£, ©efd)icbte ber
^uben IV, Seidig 1866, ©. 123 ff.). — Srajan ftarb auf bem 3tü<fjuge aus bem partb>
15 fdjen gelbjuge im 2tuguft. 117 SJictor ©i^uUje.
£raftartant§mu§. — Sitteratur: ?Ibbet) unb Oüerton, The English Church in the
Eighteenth Cent, Sonbon 1878; 3. .&. Döerton, The Church in England, Sonb. 1906 93b II
©, 315 ff.; berf., The Engl. Church in the Nineteenth Cent. (1800 — 1833), Sonb. 1894;
©. ©. $errl), A Hist, of the Engl. Church, Sonb. 1861 (unb ttiefe Stuft.); 9Kc Gartfffl,
20 A Hist. of our Own Times, Sonb. 1879 ; SEuttod), Movements of Religious Thought in
Britain, Sonb. 1869; berf., Edinb. Review 1870, Ott. — 3. Stuart 5DM, Discussions & Disser-
tations, vol. I ©. 430 ff.; 8f. SKojtel), Reminisc, chiefly of Oriel Coli. & the Oxford Move-
ment, Sonb. 1882, 2 23be; ©. 23. Goj, Reminisc. of Oxford; 31.23. Gfjurd), The Oxf. Move-
ment, Sonb. 1891; 23afff), The Secret Hist. of the Oxf. Mov., Sonb. 1899 (5. Stuft.); 3. §.
25 Duerton, The Anglican Revival, Sonb. 1897; 2Süfeman, Hist. of the Engl. Church, Sonb.
1897; 9h)e, Story of the Oxf. Mov., Sonb. 1899; Utjben, ®ie Buftänbe in ber angltfan.
Stirtfje, Seipj. 1843; $fteiberer, Gnttttidelung ber proteft. SC^eoI. in ®eutftf)Ianb unb ©rofs=
23rit, greibuvg 1891, @. 386 ff. Contemporary Review 1883, May (The Oxf. Mov. »ort
28. Saliner) ; Quarterly Rev. 1906, July (Origin'& Hist. Basis of the Oxf. Mov.) ; New Quart.
30 Magaz. 1879, July, ©. 186 ff. — & 1. Gotertbge, A Memoir of J. Keble, Sonb. 1868; SB. Sod,
J. Keble, Sonb. 1893; ©. ^ßreuoft, Autobiography of J. Williams ; "iß.Sibbon, Life of Pusey,
Sonb. 1893, 4 23be; 23. SSarb, W G. Ward & the Oxf. Mov., Sonb. 1860; 3. £. Hemmern,
Apologia pro vita sua, being a Hist. of his Rel. Opinions, Sonb. 1864 (»orfid]tig ju he-
rtu&eri); Edinb. Rev. 1S38, July (eine SBürbigung 9Jeroman§); 3t. 23ubbenfieg, 3- ©• 9Jew=
36 man (in 9(ug§6. 9lttg. 3tg. 1880 Seit. 260—262); berf., 3. Sp. 9?eioman unb fein Slnteil
an ber Drjovber 23eiuequug (in 3®® V,); ineitere Sitteratur über 9tel»man f. oor bem 9tv=
titei 9?. von Sattcnbufcf, 93b XIV, 1. — Tracts for the Times, Sonb. 1838—42, 6 23be;
3t. £>. 3-roube, Remains (fjerauäg. t». 3ame^ sJRojlet)) 1838; British Critic uom 3- 1838 an;
23. ^Saliner, Narrati ve of Events connected with the Publication of the Tracts for the
40 Times, Sonb. 1843; 9?eubruci 1883; 91. iß. <ßerce»at, Collection of Papers relat. to the Theo!.
Movern. of 1833; ftr. Cafetet), Hist. Notes on the Tract. Movem., Sonb. 1865; SKtpon
(23ifd)of Hon), Thouirhts on Christian Reunion ; 23. ©. SBarb, Ideal of a Christian Church,
Drj. 1844; 3. ft. Wewman, Essays Hist. & Crit. 1S71, 2 S3be; berf., Prophet. Office of
the Church, Sonb. 1837; berf., Anglican Difficulties 1850; berf., Grammar of Assent (ugl.
45 Edinburgh Rev. 1870, Od.); Good Words 1880, Jan. (Reminisc. of the High Church Revi-
val uon 3- 9l.g-voube); The Catechism of Theology, Sonb. 1873; 9Jfabge, Lectures on Cert.
High-Church Priuciplcs, Sonb. 1873; 9titct)ie, Rel. Life of London, Sonb. 1874; 3t.23ubben=
fieg, The Church Urisis from a German Point of View (in Brit. & Foreign Evang. Rev.
1880, Oct.). — Contemp. Rev. 1874, Oct. (Ritual & Ritualism); ^. 9Jiartin, Anglican Ritual,
50 Sonb. 1881; Ritualism as it is in Month 1898 @. 321; «ß. ©attolimi), Twelve Lectures on
Ritualism, Sonb. 1879 (röm.=fat(|.) ; «ßreuB- Sa^rb. 1883, 9foo. (Srattar., $ufel)i§m. unb
SRittial. »on 3v. «ubbenfieg) ; Edinb. Rev. 1872, April.; 9lßg. g». Sutt). $3 1883 ■£. 769 ff.
794 ff. (bie röin. Sircije in Sngtanb »on 3J. 23ubbenfieg); 9(. Sapecelatro, Newman e la
Religione Catholica in Inghilterra, 1859, 23b I ; Abbe de Madaune, Histoire de la Renais-
55 sance du Cathol. en Angleterre, *ßari§ 1896.
ißtan be§ 9(itffa|eö: etjaratteviftit beS SraftarianiSmug @. 19. ®ie gefcbicfrtl. Sage
©.19. 1. ®ie engt, ßiretje im 18. Safjrl)., 2. 28e§lel) unb bte Goanget., 3. ®ie beutfdje *ßf;iio=
foptjie, 4. ®ie fränj. 3te»ot., 5. 3)ie engt. Ütomanttf: 28orb§mort6, Scott, Gotevibge, 6. S)er
pot. unb tirdjt. Siberali§mu§ ; a) %bee, b) 5ßrarj§. I. ®er SLraftariant§ntu§ @. 22.
60 1. Oriel College, groube, Siebte unb fein Christian Year, 2. S)te §abteigfj=lionferenj ©. 24,
Sie greunbe ber itixdqt unb trjre Strbeit, 3. Sie SEraftate ©. 25, a) 9?einman, b) S)ie Via
media, c) S)er ^ampbenftrett, d) 5ßufet)§ Gintritt, e) Sr. 90, f) ©eine folgen, g) 9tb(et)nung
beS „TOittetroegg" II. SDer 5ßufel)iSmu§ @. 31. 1. ®er 1. Gi'obuS, 2. S)er Äampf um
bie Sefjre, a) §ampben, b) ©ortjnm, 3. ®er 2. Gj-obuS, 4. ®ie englifdj-römifctje .^ierar^ie,
£rafrarinm§nm§ 19
5. Der Denifonftreit. III. Dev 9Jituofi§ mu§ <&. 34. 1. Der Satupf um bie Sultfurmen,
a) SibbeH, b) SBrljon Sing, c) (Sburd) Union unb =9lffociatton, d) TOacfonodjie, e) Sßurcrjas,
f) Düle, g) (Snragfjt unb' ©reen, 2. Die SBenbungS. 38, a) Dci§ bei feite ftetjenbe Äircfjentum,
b) Ecclesiastical Court Regulation Bill, c) Lincoln and Lambeth Judgment, d) Report of the
Royal Commission 1906. IV Die fivdjlidje Arbeit be§ Sfitualtä mu§ <3. 41. 1. Die 5
praftifdie Df)eologie, a) ©eelfurge, b) äkreinäbilbungen, 2. Die tüiffenfdjaftltdje Geologie 2.42,
3. Die tvaftar. i*et)re S. 43, aj Siel, (Srfenntmäfmnjip, b) Die ftird)e, c) Sie apoftol. @uc=
ceffion, d) Der ^riefierbegriff, e) Die ©nframente, a) Saufe, ß) 9(benbma£)I, y) S3eid)te,
f) 5dih:f3iu1eif. V Die 3-rüd)te ber 33emegung ©.51, 1. SSertiefung be§ Itrdjl. ©eifte§,
2. Die foäiafe Arbeit, 3. Die f ultuSveform, 4. Sie ftrcrjt. Sauf un fr, 5. Die firdjl. Malerei, io
6. Die fird)l. «ölufif. Da§ t£nberge6ni§ 6. 53.
2Rit Straf tarianiämuS wirb gemeinhin bie im % 1833 bon Drjorb auSgefyenbe, in
^5ra£tg unb 2eb,re ber englifd)en 9?ationalfird)e tief eingreifenbe firct;Iicf)=tbeologifd)e 33e=
toegung bejetcfyitet, bie ben um bie 2Benbe beS 18. ^afyrfyunbertg eingetretenen Dttebergang
ber ftaat§fird)Iid)en grömmigfeit burd) gurüdgeben, nid)t auf auS ben liefen gefd)öbfte§ 15
Sigengut, fonbern auf ältere fird)Iicr)e ©ebanfen: Ümfetjung beS befenntnismäfjigcn
©laubemS in anbetenbe 9Jtr/fttf unb innere 2lnnät)erung an fatboIifd)e ©ätje ju über=
rainben gcfud)t bat.
$n ben brei gönnen be<§ Str., ^ufer)iSmu§ unb 9tituali§mu§ »erlauf enb, richtete ftdj
bie neue Seroegung auf ben Sinien ber altang(i!anifd)en Geologie gegen bie bon bem 20
SiberaliSmus ber .ßeit unternommene Entleerung unb 33erflud)tigung meriboller religiöfer
©üter unb gegen bie Eingriffe be3 ©taat§ in ba3 fird)lid)e 9ted)t. Sluf tbeoIogifd)em
unb braftifd)em ©ebtete. ©er tbeologifd)e SluSgangSbunft mar ber Skrfud) einer 2lnt=
toort auf bie grofje ©runbfrage nad) ber 2>bee ber ^ird)e: mag ift fie? eine Siealität
ober eine Sfabeform? morauf beruht iljre §8etf)ätigung, unb weld)e3 finb bie -JJierftnale 25
ibrer irbifd)enErfd)etnung? ©er braftifd)e mar ba§93emüf)en um mürbige 2luSgeftaltung be3
d)riftlid)en SebemS unb um Erhebung be§ ©otte§bienfte§ in bie ©tobäre ber Anbetung. —
©in Serfud) alfo, bie Äircfye ben berflad)enben Einflüffen ber 3eitlage 3U entstehen unb
bem fo ftoljen h)ie roanfenben ©erüfte ber religiöfen Kultur in Englanb ©eele unb
iJiüdgrat ju geben. 30
©ie gefd)id)t liebe Sage, gmei Strömungen bes> religiöfen £ebens> münben in
bie Djforber Semegung ein, eine atlgemeinfird)lid)e unb eine boütifcbe.
©ie grofje Söenbung im 16. Jgabrrmnbert unter ,§einrid) VIII. b\§ Elifabetf) mar
feine religiöfe, fonbern eine barIamentarifcb=bolitifd)e %fyat: fie befeitigte 9Jtif$bräud)e, fd)uf
eine neue 3Serfaffung in roefentlid) alten b,ierard)ifd)en formen unb öffnete bie Sabnen für bie 35
§erau§arbeitung be§ ^ird)enbegriff§ burd) bie großen 2lngli!aner ber jtoei folgenben ^abr=
b,unberte. ©ie ging t>om ^l)ron au§, nab,m alfo nicb,t toie bei uns ibje 9iid)tung Don
unten nad) oben, fonbern umgelegt, leine religiöfe ©emiffenStbat, fonbern ein barla=
mentarifche<§ ©efd)äft. ©iefen Qua, bat fie jinei ^a^rbunberte lang betoabrt. !Jbre ®e'
fd)id)te ift bie ©efd)id)te be§ ^ird)entumg, nid)t ber $ircbe, nid)t Vertieften 3""^»- *®
lebend, fonbern liturgifcb/er, bogmatifd)er unb organifatorifcb,er fragen. @rft ba§ 18.^ab,rb,unbert
fd)uf eine innerreligiöfe Erneuerung, ©er 9Jtetl)obigmug b,interlie^ il)r jmar ba§ Erbe
einer berfönlicr/en, fittlid) formierten grömmigleit, unb bie ©rünbungen ber religiöfen ©e=
fellfcfmften (Society for Promoting Christian Knowledge unb for the Propagation
of the Gospel in foreign Parts), ber 2lrmenfcbulen, ber Straftat;, ber ilircblicfyen a:,
3Uiffionö= unb ber Sritifc|en unb 2luglänbifd)en Sibelgefellfd)aft nahmen ben ^am»f
gegen ben Sann ber fird}lid;en Formel fräftig auf, aber ityre Gräfte toirften al§ ein
©auerteig nur in fleine Greife, ©ie Äird;e felbft mürbe eine bolitifebe 3Jlafd)ine, ein geiftlid)c3
33erforgbauS für bie ©öbne bornebmer gamilien. ©ie Pflege ber tbeologifeben Söiffenfcbaft
mid;, bis auf iuenige 2lu§nabmen, aug ben ^Pfarrbäufern, unb bie ©timme ber Äirdie 50
liefe fid) in ben großen fragen be§ £eben§ nid)t mef;r bernebmen. 2ßeber ©elebrfam=
feit nod) grömmigfeit, fagte ber geiftbolle Dr. Qobnfon, bringen beute tt;rert sDtann auf
bie Sifd^ofsbanf ; bie einzige 2luäfid)t auf geiftlid;e§ Sßormärt^fommen bietet bie 33cr=
binbung mit irgenb einer barlamentarifd)en ©röfee. — ©er religiöfe ©ebanfe ift im
■ftiebergang. SSor bem überreud)ernben §ierard)iämug ift ber ©eift einfältiger grömmig= 55
feit genügen. Äirdjlid) unb religiös gebrochen, fied)t ber ©ciSmuS an feiner ©ebunben=
beit unter bie gormel, an feiner rationaliftifd)en ©lauben§= unb Xbatenlofigfeit babin.
©ie berüchtigten ^3rebigten Slairö, bie ba§ le^te ©tabium beS religiöfen JBerfallS bar=
[teilen (SeSlie ©te^benS, Hist. of Engl. Thought II, 346), finb ba<§ religiöfe §auSbud;,
in £ ber= unb SJlittelftanb burd) baS ganjc £anb berbreitet ; IjauSbad'ene unb troefene 60
^foralfäfec ftatt ber biblifdjen Hraftfüdc ber alten biberben ^arfonS, f)of;le§ s^atboS für
20 $raftartant§nm8
bie bolfötümlidie griffe, „für ©albung, 2Bortmact)erei — ba3 ift t£>r 3nf>alt, be respec-
table ifyrer 2Bei§l)eit lefcter ©cfylufe"
©iefem breiten 2lnftrom religiöfer ©rnücr/terung, bte bert ©ott ber Vibel unb
feine Offenbarung beiftifcb, ber ÜberWeltltcr;feit gutotei, ben ftarfen «ßulgfd^lag tieferen
s ©mbfinbeng nidjt bernafym ober al§ mr/ftifd)e ©djWärmerei berfyöfynte, toa§ gefunbe
$römmigfeit War, festen ftd) in jener 3eit SSe^ler; unb bie @bangeltfct)en entgegen.
2öeller,s £et)re unb £eben Waren ber laute Vroteft gegen ben rationaliftifcb/en 3eitirrtum.
Von ber lirc^e au§geb,enb unb bon tyr unter bem §olme ber ©atten auSgefct/ieben,
unterliefe er einem £eile ifyrer ©lieber bal @rbe bertiefter berfönlidjer $römmigfeit unb
10 ebangelifcfyen 2eben§; fein 2Iu§fc6etbert bebeutete bie Verurteilung ber „IUrd)e ber llfteicfyen,
totgeborenen unb Serberbten" ^nbem er ba§ religiöfe ©eWiffen gegen bal bon ben biblifdjien
Qbealen Io§gelöfte high and dry &ird)entum, ba§ mit feinem berftanbesmäfeigen $or=
maligmuS bem Vebürfnig be§ ©emüt§ in ben Volf3fd)icr;ten aHe<§ fdmlbig blieb, gront
machen liefe unb tym burd) bie 9ccubelebung be3 ©ünben= unb ©nabenbeWufetfeing Ve=
15 friebigung berfdmffte, fanb er um bie 3sal)rl)unbertwenbe in feinem Kampfe gegen gormel unb
Unglauben innerhalb ber ^ircfye einen ftarfen Reifer in ber Don il)m angeregten @ban=
gelifdjen VeWegung. %n $x lxat kie Kraft berfönücfyer grömmigfeit bem ©og=
mati§mu§, ber in ber Siebe ib,ätige ©laube einer tfyatenlofen Drtfyoborje gegenüber.
SUber \i)x 9)tangel mar, bafe bie innere ©rWedung unb bie Äraft ifjrer 2öerfe bie Ver=
20 binbungSfäben jum benfenben VeWufetfein ber geit unb ^ur gelehrten $orfd)ung löfte
unb in ifyrer @infeitig!eit unb @ngb,er;$igfeit ob;ne bie erhoffte (SinWirfung auf bie Itrcb=
ItdEje Geologie blieb (bgl. Gfmrd) 13; Oberton, Angl. Revival 12 ff.). @3 beburfte
Weiter= unb tiefergreifenber Gräfte, um bie ^errfcb.aft ber gormel ju brechen unb ben
UmfdjWung be<§ firct)Itd)en ©enfen§ unb £eben3 in bie SBege ju leiten. —
25 ©ie Unterftrömung in bem nun einfe^enben 2öanbel ber $been ging in 6ng=
lanb Wie in ©eutfdjlanb bon bem bfülofobb, ifd; = etl)ifcr) en ^be ali^muS $ant<§,
gicfyteS, 6oIeribge§ unb ßarlbjeä unb in grantreidj bon ber Stebolution aus.
$m 18. ^jafyrfyunbert fyatte für bie füfirenben Nationen ber eurobäifcfyen Völferfamilie
ein Umbilbunggbroäefe be3 geiftigen ©afeing eingefefct, auS bem aEe§, \va§ man moberne§
30 ©eifteSteben, bie Freiheiten be£ ©eWiffenS, ber SBiffenfdjaft, ber 3BeItanfd)auung unb be§
Qcb/iS nannte, emborftieg. ©dmnbar eine Vernietung ber alten ftrd;Iidjen Unfreiheit, ber
lutberifd^ert unb fatfyolifdjen Formel, unb in weiterer Folge burcb, ba£ al§ moberne 9cot=
Wenbigfeit auftretende Verlangen nad) Trennung bon Itircfye unb ©taat eine Vebrolmng
beg beftefyenben fircbjicfyen ©tanbe§ übertäubt, traten über biefe Vf)afe hinaus, eben in
35 ben füfjrenben Greifen bieefeit§ mie jenfeitä i>e§ Äanafö, auf bem Voben ber Stomantif
@rfd}einungen ju 2age, bie fid; fyelfenb ben bebrob,ten Äirdiien jur ©eite ftellten. ©urd)
ganj ©uroba I;in mieberb,o!te fid; immer unb immer Wieber berfelbe Vorgang: ber junger
nad) greib.eit, bie ben ©injelnen ganj auf fid) felbft ju ftellen berfbrad), fcb,lug um in
Zweifel, Verjagen unb SBeltfcb/merä unb auö biefem b,erau§ „bei bieten jur Vergung ber
40 eignen Verfönlicfyfeit in bem ftär!ft=gebunbenen ©eiftesleben, ba§ nocb, eriftierte: in ber
fatb,oIifd)en Iird)e" ©er junger nad) greib,eit Würbe Autorität. Unb als %xu<fyt biefer
brängenben SebeneWir!Iid)feiten erftob fid), am früt)cften bieüeid)t in granfreid), banad;
unter ber 9iot ber greit)eit§friege in ©eutfd)Ianb, jule|t in ©nglanb bie neue fircbiict/e
Frömmigkeit ber ©ebilbeten. äßäfyrenb Stouffeauö Üambfruf: ßurüd jur 9?atur unb
45 jum natürlid;en ©mbftnben bon ben beutfd)en ©türmern unb ©rängern, beren ^erolbe
^tobftod, Berber, ©oetb^e Würben, über ben toten 9Jied)am3mu3 ber äufeeren "5Ratur
fnnweg ben 2Seg in bie gottafynenben Riefen ber füb,lenben ©eele fanb, füllten biefe
^fabfinbcr „in it)rem unbeWufeten 2lb,nen bas gegenwärtige Söirtm ber ©ottb,eit"
unb ber 3JJenfd}en gottberWanbte %latux. ©a§ tieffinnige ?iaturgefüb,l Söorb^ Wortt)§
50 Wanbelte ficb, in fromme §ingabc an ©Ott, unb ©fyetleb, flaute im SSalten
ber 9Jatur nid;t meb,r nad) ber ^erbrochenen fenfualiftifcb,en ©cb,ab[one „bie ent=
götterte ^afc^ine, fonbern ber ©ottfyeit Iebenbige§ üleib". — Unb alz ber blutige
Taumel beä judjtlofen ^nbibibualigmu§, ber in granlreid; ben Vau ber alten ©efell=
fd)aftöorbnung gebrochen, auf ben 5RaboIeonifd)en ©d)lad)tfelbem berraufd;t War unb
55 ber erWadjenbe nationale ©eift bie Völler jur ©elbftbefinnung, auf Volfgart, Volförecfyt
unb Volfejiele jurüdrief, rife SB alter ©cott ben ©cfyleier bon ben 3e'te". bie ber ber=
ftänbni^lofe 5Rationaliämu§ al§ ginfterni§ unb Varbarei gefcb,mäf)t ^atte, führte in ber
Verllärung ber ©icb,tung fein Volf in bie frommen unb ftarfen Reiten feines jugenblicb,en
Söerbenl jurüd unb getchnete auf bem bunflen ©runbe ber nüchternen, gottfremben
60 ©egenWart bie ^beale ber mittelalterlichen §elbenjeit, tt)re Iinblicb,e 9?aibetät, ifyren 2;b,aten=
JraftoriautSmuS 21
brang, if)rc grömmigfeit unb il)ren fircbjicfjen ©ntfyuftasmus in fyerjerquicf'enben Silbern,
"ficben it)m<B. $. Soleribge, ber, nacb, fcfjWeren Sebenserfafyrungen an beuifdjem Denfen
unb Sßefen Wiebererftarft, mefyr Sinter als ftrenger Denier, auf bfytlofobfyifcfyem 2ßege bie
ÜBerfbfmung mit bem fircfylicfyen ©tauben jWar Wiebergefunben, aber anberfehs t£>n
nicf/t als Sßirfung göttlicher Slutorität, fonbem als Sollenbung menfd)Iid)en Denfens 5
ju begreifen unb nacb^uWeifen berfucfyte. 3n '$m> ^m S^omantiler mit bem bobbelten
©eftcbt, 33erteibtger emerfeits bes Äircfyenglaubens gegen feine rattonaliftifdje Entleerung,
anberfeits Bortambfer für bie freiere Begrünbung ber überlieferten Xbeologie, vub,en nocb,
geeint bie beiben Siicfytungen bes ftrdE)Itd£)ert Denfens, bie im erften Drittel bes 19. ^ab,r=
bunberts bie englifcfye X^eologie bebenden. Vertreten bon 2BI)atelfy=2lmolb einer=, bon 10
3. ,s>. DleWman^eble anberfeits, I)aben biefe ©ebanfengänge eine Steige tüchtiger Sftänner,
bie bom neuen ©eifte berührt Waren, an bem Ojforber Umbilbung^rojefe beteiligt, aber
bie in bem gleiten Uniberfitr/=6olIege burcb, f^reurtbfd^aft Berbunbenen im Verlauf
bes Äambfes einanber entfrembet unb in entgegengefe^te Sager geführt.
Diefe Strömungen unb Söanblungen bes englifdjien SoWsgeiftes führten naturgemäß 15
ju einer 9?euWertung bes in ©laube unb ©Ute ber 33äter Überlieferten. Sie @ban=
gelifcben, in ßambribge gefammelt unb infolge jafylreidjier Stnfyängerfcfjaft im Satentume
im Segriff, bie fyerrfcfyenbe Partei ju werben, gießen unter bem panier bes in ber Siebe
tätigen ©laubens alle Wißfommen, benen es um biefen ©lauben ernft mar. Die
©cfyranfen jWtfcr/en ©taatsftrct/e unb Diffent loderten fiel), Bekenntnis* unb $erfaffungs= 20
fragen traten ^urücf hinter bem berfönlicfyen ©lauben, unb bie ^ßrebigt fam auf Soften
bes ©aframents §u altem Stnfefyen unb ©egen. 2Bar aber bie im Befenntnis feftgelegte
Sef>re etwas UnWefentlicfyes, bie Berfaffung ein 2lbiabf)oron, fo mußte bie grage auf=
geworfen Werben, ob bie S&rrfje biefer Sel)re unb Serfaffung übertäubt nod) ein ÜRecfjt
auf Eigenart, auf Stbfonberung bon anbern ^ircfyengememfcfyaften, auf ©rjftenj I)abe. 25
9Jlit bem Beginn bes 3. ^afyrjer/ntes Wulfen biefe Befürchtungen um fo mebj,
al§ im ©efolge ber franjöfifcfyen Steboluttonsibeen, bie mit ifyrem felbftifcfjen 3>nbibibualis=
mus in ©taat, ©efeflfcf/aft unb ^irdje biele alte Binbungen löften, in ©nglanb bie (Sbodje
ber Reform einfette unb ber fircb,ltcr; = boIitifcf;e Siberalismus bie $orberungen
ber greifyeit unb ©leicfyf/eU buref^ufeijen begann. Borfämbfer ber gegen bie gefcbJcfytlicfSen 30
Sterte ber ©taats!ird)e gerichteten barlamentarifcb,en 9Kaßna!)men War bas 9J?imfterium
So_b,n gtuffefl, bas mit ber Sluffyebung ber ^eftalte (1828) ben ©runbfa| ber @eWiffens=
freifyeit bertrat. Denn biefe ^SreiSgabe bebeutete nicf)t nur ben Eintritt ber ftaatsfircf/=
liefen ©egner, ber Sfonconformtften, tnä Parlament, fonbern auefe, beren 2lnteilnab,me an
firdjlicfyen 5)teßnab,men unb Reformen. Damit r/örte bie nationale Eirene auf, ©taat§= 35
firtt)e ju fein.
^m folgenben ^ab,re braute ©ir Robert ^ßeel, um ba§ reboltierenbe ^tfanb Su
beruhigen, bie fatb,olifc|e 9teliefbitl gegen ben SBiberfbrud) ber §oc§fircb,licb,en ein. 2Baren
bie bon ber SLeftafte befeitigten Seftimmungen feit langer 3^t lebiglic^ toter Suc^ftabe
geWefen, fo embfanb nun bie ®ircf)e bie ©ct;ärfe be§ Singriffs, aus bem ber neue ©etft ber 40
3eit fie anwehte, als eine fdjWere ®rob,ung. ®ie 3age bes ©ftabltf£>ment, fo trium=
beerten i§re geinbe, Waren gejault; bie SlußenWerle Waren genommen, unb bie ßitabefle
b,atte ben Singriff ju gewärtigen. 3eoermann erwartete, baß ber Reform bes ©taats
als natürliche golge bie Reform ber ßircfye b. % ib,re Sefeitigung als ©taats!ird;e jur
©eite treten Werbe. — Sie Sage berfcr/Iimmerte fidj, als infolge ber franjöfifcl)en ^uli= 45
rebolution bie ffib^igs bie Regierung übernahmen, bie bon ber Nation ftürmifrf; geforbertc
^Parlamentsreform gegen bie Sorbs unb Sifcfjöfe bes Oberlaufes burebfe^ten unb in
Weiterer $olge auf Sorb Srougb^ams Eintrag bie Berufungen in geiftlicf/en Slngelegcnb, eiten,
bie bis bafiin einem bom Könige ernannten ©eift!icf)en=2)elegatenb,of überWiefen Waren, einem
Stusfdmß bes ©ef)eimen 9lates übertrugen, bei bem bie ©ntfcfjeibungen in ben ^»änben so
bon Saien, ber Dberricf/ter ber Weltlichen ©ericfyte, rut)ten. Damit War bie ©timme ber
Sifd^öfe, feit meb^r als 100 ^ab,ren (feit 1714) in ber nicb,t mebr berufenen ^onbofation
jum ©Zweigen gebracht, aueb, im Parlament unb in ber Dberinftanj bes ©eb,eimen 5{ats
felbft in grunbfä|licb,en ^ircj)enfragen befeitigt.
Der 9Ieformgebanfe, in ber ^oliti! ju glän^enber 9Bir!ung gelangt, griff auf 55
bas fird^)Ud)e ©ebiet über. Der Premier, @arl ©re^, burc^ feine bolitifdjcn Erfolge
trunfen gemacht, fagte ben Prälaten bes Oberlaufes ins ©eficf)t, es fei für fie
#ett, il)r §aus ju beftellen (Oberton 308), unb % |jume freute fic| nicb,t, im llnter=
baufc ju er!lären, bas ganje Sanb berbamme bie ©taatsürc^e als eine $örber=
fd)aft, beren 9tect;te eben im Segriff Wären, bon ber Slutorität, bie fie berlieb/en, befeitigt 60
22 SraftortauiSmuS
ju werben, aU einen bcrflucfyten Sau, ber in ber Meinung beg Sanbe* nicfyt nur tooflig
nu£lo<§, fonbern abfolut fd;äblid> fei. ©ie SKaffe aber, burdj ben jä^en äBiberftanb, ben
2lbel unb Sifcböfe auc^ ben berechtigten geitforberungen entgegenfe^ten, erbittert, rottete
fid), wenn ein Sifdjof auf ber ©träfe erfc|ien, jufammen, bebrot/te ben $rima£ in feiner
5 Jtatfyebrale mit rof>er ©emalttf>at, rifj ben Sifd)of bon Sicfyfielb nacb, einer ^3rebigt in
Sonbon au§ feinem Söagen, berbrannte anbere Prälaten in effigie, unb in Srtftol
jerftörten tobenbe SoIfSmaffen ben ^Jalaft be3 SifcH<§ bi§ auf ben ©runb.
®ie IbWenbung bon ber Hircfye ging burd) ba<§ ganje Sanb. ©ie 9ieformbiII
fyaite bie ©eWalt in bie §anb gerabe berjenigen gelegt, bie ifyr am feinblicbjten, bem
10 ©iffent am günftigften gefinnt waren. Söar e£ ju berWunbern, baf? überaß, bei ben
greunben nid)t Weniger als bei ben geinben ber $irct>e ba§ ©efüt>l Pa$ griff, baf$ ber
Soben unter tfyrengüfjen manle? ©ie ^irct)e bon ©nglanb legte ifyre ©emänber an, in
Söürbe mi fterben (3JcoäIeb, Rem. I, 273). StlS boürnbä ba§ Parlament bon 1833 bie
Qrifcfye «ird;engutSa!te, bie bie §älfte (10) ber irifd>en Si<§tümer gegen ben üerüalen @in=
15 fbruct; aufhob, „al<§ einen 2llt ber ©ered;tigleit gegen ba3 irifdje Soll" annahm, fc^ien
ben greunben ber $trd)e ba<§ StRajs boll unb bie geit gelommen, toas an geiftlicfyer
Äraft nodj borr)anben War, um bie Rrcljlidjen ÜRedjte unb @f>ren gu fammeln unb bem
liberalen Serberben einen ©amm entgegengehen.
I. ©er £raftanani§mu3. ©iefe ©egenbeWegung ging bon 9JfttgIiebern ber
20 Uniberfität Drjorb au§. §ter regten fid), im ©egenfais &x Gambribge, ber bamaligen
§od)burg ber (Sbangelifcfjen, nod; b^cr;fird)Iicr)e Überlieferungen, ©ie Erinnerungen an
Saub unb feine ©d;ule, bie l)ier geblüht, Waren nod) toacb,, unb bie ürcfylicfyen Serbtenfte
ber großen Slnglüaner (©anberfon, Sarroh), Sancroft, $en, Qer. SEablor, §oofer, SBilfon,
Surnet, ©trr/be, Sutler, SoWit) unb £>or§Iet)) ftanben in ®|ren. £$et$t mar bie ©tunbe
25 ba, bie Gräfte ber Vergangenheit gegen bie SerWüftungen ber ftrcr/enfeinblicfyen ©egen=
Wart in§ gelb ju führen.
©er Stuf jur ©ammlung !am aus> bem Oriel College. $n biefem fjatte in ben
groanjiger ^ab^ren eine freiere tfyeologtfdje 9Ud)tung, unter ber güfyrung bon Süd). Sßfyatelb,
fbäterem ©rjbifcfjof bon ©ublin, eine 3Irt§aJ)I fyerborragenber junger Scanner (SEf). 3lrnoIb,
30 ©• §ambben, $. §. 9Jetoman, 9t. §. groube, g. Äeble unb @. S. 5]3ufeb) angezogen
unb bie Oriel Noetics ju einer 2trt geiftiger güfyrer an ber 2l!abemie gemacht, infolge
ber Angriffe, bie 2öb,atelt) auf bie fircfylicfye ©rtoä^Iung^ unb StecfytfertigungSlefyre, auf
^nfbtration unb ©onntaggfeier geriet» tet, fetjte inbe§ ein ^erbröd'elunggbrojefe ein; unb al§
ber geiftbolle %i). 2lrnoIb in feiner £b,efe bon ber nationalen Äircb,e al§ ber ©efamt=
35 b,eit be<B englifdjen SSolI§ , ^trct)e unb ©iffent , in ber ber tinterfdneb ^wifer/en
kkxu§ unb Saien aufgehoben fei, jugleicf) ©ogma, MttuS unb 3Scrfaffung al§ ^eben^
fachen bezeichnete (in feiner Church Reform 1831), trat boltenbS bie ©baltung ein;
eine redete ©rubbe (Siebte, groube, 9^emman unb ^>ufei;) fdtfofj fid) jur Verteibigung,
b. b,. ju einer hinter bag 16. ^abjfyunbert äurüdgetjenben Reform ber ^irdje unb jur
40 Rettung ber bon SIrnoIb breügegebenen ©üter jufammen. —
Um biefe ^eit lam ^ob,n §enrt» Dlemman (bgt. Sb. XIV, 3 ff.) bon einer sJteife,
bie er mit feinem greunbe Slic^arb §urrell groube (geft. 1836), bem Sruber beg
berannten §iftori!erg, nad) bem 2RitteIIänbifd)en 3JJeer, 9tom unb ^Sarig unternommen
b,atte, bon entfdjeibenben ©inbrüden boß, nacb, Djforb jurüd. (Sin anbrer, afö er ge=
45 gangen. _ @g gärte in i^m. sJlad;bem er mit SBfjatelb, gebrochen unb and) bon bem
locfyürcfylid; gerichteten Dr. §amling, bem er bie £eb,re bon ber SEauftoiebergeburt unb ber
aboftolifcfyen ©ucceffion berbanfte, fid) loägefagt, trat er al€ ein neuer 9Jknn in ben nun
fongenialeren Sfreig beg Oriel College Mirüd. ^n june^menber Erbitterung gegen feine
alten greunbe tjatte er ein Sanb nacb, bem anbern, ba3 if>n an bie @bangelifd)en, feine
so erfte Siebe, banb, burcfyfdmitten unb mar jum erftenmal J^onbertit gemorben.
Seburfte e§ baju nod; eineg au^er i^m felbft liegenben @influffe§, fo mar e3 bie bertraute
greunbfcb,aft, bie dm (feit 1826) an groube, ben fanatifdien Sor!ämbfer ber neuen ^0$=
Iird;Ud)en ©ebanfen, banb. ©iefer mar ber begabtefte be§ Djforber Greifes (Apol. 84
unb 85); ein leibenfcfyaftlicfyer ßtjaralter, boll glüb,enben Verlangend nacb, 2Bab^rf)eit unb
55 bon a3fetifd)er ©ittenreinb,eit; „oft einfeitig in ber Äonfequen^ feiner ©ebanten, bi3 pim
ganatilmug leicht erregbar unb, ben ^-efyler reid; begabter Naturen teilenb, megmerfenb
unb ungerecht im Urteil über 2lnber§ben!enbe" : ein ©igenmenfa) bon innerem 2Bud)3,
ber gegen ben weitläufigen ^3rei§ ber mobernen ^bzm milb lo^bracb,, bem $ambf Suft
unb Seben unb ber ©a|: Siegen ober Srecb,en SebemSregel mar. ©eine erften Iibcrali=
60 fierenben Anfänge bauerten nia)t. ©ein fc^arffinniger Jlobf ^atte früb, ba§ Unbermögen
£raftarinm3mu8 213
ber menfcfylicfyen Vernunft, bie 2Bal)rf)eit felbftftänbig ju finben, ernannt, ©o Würbe er
an bie Kircfye gewiefen als an bie Vefttjerin unb §üterin ber 2Saf)rb,eit; bie Weitere
grage: Welche ®ird)e? Wie3 iljm an bie fyeimatlicfye. Dacfy beren ©runblagen fudjenb,
liefe er bie getäufd)te Hoffnung au3 ber ©egenWart in bie Vergangenheit fliegen, Wo er bie
©loriole reiner Sefyre unb frommer Anbetung um ba§ £>aubt ber Vraut G>l)rifti gewoben 5
fanb. Von ber Deformation beö 16. ^afyrf)unbert§ wegen be<§ ©ubjeftibiSmuS if>rer Vor=
fämbfcr abgeftofeen, würbe er ju beren fanaiifcfyem geinbe unb liefe fid) ju ben
mafelofeften 2lu3fäflen gegen bie „©otte^männer" fjnnreifeen; cor allem in feinen
Remains (gebr. 1838), bie naef) feinem frühen SEobe für bie Drjorber Bewegung be=
beutfam geworben finb, entjünbete er bie ©luien feiner fiebernben £eibenfd)aft am io
Deformatorenbaffe. SDie Deformation ift ifym ein fcb,Ied)t eingerichteter Veinbrud;; ba3
Sein mufe Wieber gebrochen Werben, bamit man e3 beffer einrichte. ©0 lam er ju Saub,
bon bem er fid) inbe§ nad) einetn fur^em Daufd;e ber VeWunberung ernüchtert abWanbte,
um bie VerWirfliclmng feiner fircfylicfyen $beale nunmehr in ber mittelalterlichen Vabft=
lird)e ?u finben: in ibjer bollfommnen £eb,reinb,eit fei fie DJafeftab unb Vorbilb jeber 15
anbern Äirdje ; in tfyr fei ba§ Quod semper, ubique et ab omnibus bargeftellt. 9JUt
biefen 50cafeen gemeffen berfanf bor il>m bie t)eimatlid)e Kird;e, in ber er „ein Übermafe bon
Subjeftibität", „gutoiel Söilliur in ber 3tnberung ber alten 2et)re unb firdjlicfyen ©e=
bräuebe" fanb. ©0 Würbe er „täglicb, ein Weniger treuer ©oljm ber Deformation", unb
feine Vetounberung ber Kircfye bon Dom Wud)§. $n ©nglanb fei eine fatfwlifcfye Deftau= 211
ration nötig, mit ben formen ber mittelalterlichen grömmigleit, haften, Sßerfbienft,
3BeItfIucf)t, Göltbat, 9Dartenanbetung u. ä. $Die Deformationöfircfye muffe „entbroteftanti=
fiert" Werben, unb im ßufammenfyang mit biefen ©ebanfen forberte er bie Trennung ber
ßirdje bom ©taate. —
Docb, ju Anfang ber breifeiger ^afyre ^e^ er batum eine Vereinigung mit 25
Dom für möglid) unb erftreben3Wert ; aber abo er fie auf feiner Deife bureb, Italien
in ibjer wirflidjen ©rfcfyeinung lennen gelernt fyatte, Wieg feine Ernüchterung ba§
$l)antom ab, unb nun gefyen feine giele einen anbern 2öeg: auä) bie Vabftfircfye,
Wie fie beftefyt, ift abgewichen unb mufe in ba§ Urbilb ber Stirere jurüdgeformt
Werben. — 30
©eWife, ein Wann, ber, Wie anbere leibenfcfyaftlicfye Daturen, Ijeute bie ©ötter
berbrennt, bie er geftern angebetet, ber, Wie er felbft jagte, ben VroteftantiSmuS f)afete
unb Dom befämbfte, ein Katbolil oljme Vabft unb ein englifdjer Kircfyenmann ofyne
$rotefianti3mu3 War (Edinb.' Rev 1838, Jan. 19 unb July 530); aber baä ift ber
brobfyetifdje $ug in iljm, bafe in feinem ©eifte ba§ ganje ©Aftern be3 SEraftariani<Smu§ 35
borgebilbet ift unb bafe fid) bei tl)m bie Slnfätje ju aH bem finben, toa§ bie VeWegung
nacb^er ©djlimmeS unb ©ute§ braute (bgl. über ifm SBb XIV, 4). — 2ftit ber glüb,en=
ben ©brache ber Vegeifterung unb bem unentrinnbaren gfrmnge ^mx ©iaieftif berftanb
eg biefer geuerbranb ber Partei Wie lein anbrer, bie ib,m Dafyefte^enben Wie bureb, 3a"ber=
geWalt unter ben Sann feiner Qbeen ju bringen. Dur bie§ eine mifelang if)m, bie greunbe 4u
ju Teilnehmern feinet 2tntireformati§mu^ ju machen; um fo leidjter jWang er ib,nen
fein Iatbolifierenbe§ ü'irdjenbrinjib auf, ba§, Wie er unb fie glaubten, allein bie Iibera=
liftifdjen ©efab^ren unb Döte ber gett ju überWinben bermöge. —
Vom ©üben ^urüdgefefyrt, fanben groube unb DeWman bie afebemifc^en Greife bon
Dsforb in tieffter VeWegung. S°^n ^eble, bamate Witglieb be§ Oriel College, ein 45
ÜJcann o^ne gefd)id)tlid>e unb bb,tIofobl)ifcl)e ©d;ulung, aber eine tief innerliche Datur,
bon Warmherziger J3erfönlid;er grömmigfeit unb aHen raupen £eben§formen ab^olb, b,atte
Wiber feinen ©tuen unb ber Tragweite feinet £fyun3 unbeWufet bie üugel in<§ Dollen
gebraut (14. ^uli 33). DeWman felbft nennt ifm ben eigentlichen Anfänger ber Ve=
Wegung (the true and primary author, Apol. 75). 3m 3- l827 ^attc er u- ^- ~ 60
The Christian Year eine ©ammlung geiftlidjer Sieber beröffentlid^t, bie au§ ber !ircf)=
lidjen geftjeit, ber Datur, bem 2öed)'fel ber £age3= unb 3ab,regjeiten 3Biber!länge ber
anbäd)tigen ©eele bernel)men, Steber ber Xiefe unb ©tiße, bon melobtfdjer gülle unb
^raft, nicb,t ein SBerf, ba§ (SwigfeitöWert b,at, ob,ne bie 3J{ad;t ber Seibenfcf)aft, bie bie
§erjen lobernb entflammt unb in mächtigen 3llforben au^Ilingt, aber Klänge auS bem 55
©runbe be§ 2Renfc£)enl)crjeng, bie ^eitinftinJt berraten, unb Weil fie bon Sebenbtgem unb
^enfeitigem Kunbe gaben, bem Verlangen Weiter Greife entfbrac£)en. ©0 Würben fie un=
gewollt £crolbrufe jur Eingabe an bie in bie gerne gerüdten firc^lidjen ^Dtak ber $t\t.
3luf DeWman bor allem Wirften fie bebeutfam infoWeit, ab? er fieb, um biefe ^dt bon
bem freifinnigen 2Bb,atelty cnbgiltig fd;ieb. eo
24 £r<i!tariant£mu§
2tm ©onntag, nacfybem 9ieWman jurütfgeleEjrt War, brebtgte ßeble bor ber 1M=
berfttät ben fog. Assize Sermon, ben er nacbjer unter bem Stiel „Über ben nationalen
2tbfaH" brucfen liefe, ©iefe Brebigt Würbe ber 2llarmruf jur ©ammlung ber ©enoffen,
ber ©otteSbienft bie ©eburtftunbe ber Drjorber Bewegung (Apol. 100). Dirne
6 bie Straft flammenber 2Borte, in ruhiger, alle «Seiten ber Sage abwägenber ©bracfye, burcb,
bie freiließ je unb bann ein Unterton bitterer Mage unb Unruhe gittert, Wirb ber 9Rad)=
Weis üerfu^t, bafe bie neuen Senfer beS SanbeS unter bem Beifall ber 9Jcaffen bie
9ted§te ber lUrctje anzugreifen, Berfaffung unb Verbriefte SDohtmente ju brechen ftdj be=
mü£)en. %üx berartige Übergriffe in bie geiftlicfye ©eWalt fei Ibfall lein gu ftarieS äBort.
10 28enige Sage fbäter lub, Wie eS fcfyeint, aus eignem Slntrieb, ber Pfarrer Don §ab=
leigb, (©uffolt), §ugt; QameS 3tofe, brei feiner $reunbe, SßiEiam Balmer, 21. ^3. ^ßerce=
bal unb 9t. §. groube, ju einer ^onferenj in feiner Pfarre (25. — 29. $uli), um fieb,
mit ilmen über bie notwenbigen „SRafenafymen gegen bie brofyenbe Siberalifierung ber
^irrige" gu beraten, föeble unb -fteWman, gleichfalls gelaben, Waren nid^t antoefenb,
15 blieben aber mit ben greunben buret) tägliche ©riefe in engfter gül)lung. — ^almer ent=
Warf im auftrage ber „Bereinigung ber ^irdgenfreunbe" (Association of the Friends
of the Church), bie baS Ergebnis ber ^onferenj War, ein fur^eS Programm, mit bem
bie 2IItion eingeleitet werben foöte: 1. jeber Neuerung, bie bie Berleugmmg ober Unter*
brüdung ber Sefyre, beS JMtuS unb ber SDiS^iblin bebeutet, jeber nachweisbaren 2tb=
20 Weicljung bon ber urtümlichen BrarjS SBiberftanb %u leiften unb 2. ein gemeinfct/aftlicfyeS
Borgern beS Klerus auf biefer Sinie in bie Söege ju leiten (bgl. BalmerS Suggestion
for the Formation of an Assoc. of the Friends of the Church, Contemp. Rev. 1883,
650—51, BalmerS Bertdjt). 2Iber gegen bieg ^almerfcfye Programm, baS im toefentltdjen bie
Bilbung fircfyücfyer Vereine anftrebte, erhoben 9?eWman unb groube ©infbrud;. SebenSfräftige
25 Bewegungen, fd)rieb 31. an Balmer (bgl. ben 33rtef in BalinerS Collection, aud) Apol. 110),
geb,en niö^t auS bon SluSfct/üffen, unb grofee ©ebanfen fommen nicfyt burd) bie Boft unb
baS feeujbanb. Sutl;er War ein ^nbtütbuum. ©rabe bie sIftängel beS ^nbibibuumS er=
regen bie Stufmerlfamleit: ber 3ERann berltert, aber bie ©act)e gewinnt. 2öir f orbern bie
SSBa^r^ett burcb, berfönlicfye Dbfer.
30 9?unmeb,r Würbe ber ^ableigfyfcfyc Aufruf ju Bereinigungen fallen gelaffen, Balmer
aber beauftragt, $Wei 2lbreffen an ben BrimaS ber $ircr;e, Dr. §oWlet), gu entwerfen
(überreicht gebr. 1834), bon benen bie eine in Wenigen SBocfjen bon 7000 ©eiftliö^en (meljir
al§ ber §älfte beS SanbeS), bie anbere (bon^oflma SBatfon entworfen) bon 230000 §auS=
borftänben unterzeichnet Würbe. 2lucb, ber f^ottifcb.e unb amerifanifdje ©biffobat fanbte
35 feine guftmimung; ber erfte forberte fogar bon §oWleb, bie er^bifc^öflic^e ©anltion, tnbeS
o§ne (Srfolg. ©o Ratten bie ^ircb.enfreunbe anftatt ber fünftlic^en eine natürliche 3lffogiation.
2Ba§ fie ntdti ju hoffen gewagt, bie geforberte $Rücfleb,r jum Sllten fam, Wie bie Unter=
fünften beWiefen, einem breiten nationaMirdHicfyen Bebürfniffe entgegen unb bertrat fefyr
Wefentlic^e SBaljr^eitgmomente. ®ie Äird£>e War blb^Itcf) erWacf)t unb fanb, Wie ju if)rem
40 eignen ©taunen, bafe fie bei bielen ber ©egenftanb Warmer Siebe unb Berefyrung War
(Narrat. 49 u. 51). — 5Rur über einen Bunft Waren bie greunbe niöpt jur (ginigung
gefommen: über bie Srennung ber ^ird£)e bom ©taate. $eble unb ^oube berlangten
fie berembtorifet), 3ReWman fcb.Wanfte: fo liefe man um be§ griebenS Willen biefen Bunlt
bei feite.
45 $eble entwarf nunmehr anfangs ©ebtember eine Siei^e bon ©ätjen, bie baS Bro=
gramm ber neuen Bewegung barftedten. @S finb biefe: 1. ber einige SBeg ju unferer
©eligleit ift ber ©enufe beS SeibeS unb BluteS ßfyrifti; 2. baS berorbnete Mittel ift bie
fyl. @ucb,ariftie; 3. bie ©eWäb,r für bie rechte BerWaltung beS ©aframentS ift ber ben
Bifc^öfen unb Brieftern erteilte atooftolifcfye Sluftrag; 4. um bem ber JUrcfye brob,enben
50 3lbfaU bor^ubeugen, berbfticb.ten fiel) ib,re greunbe, alles j" tb, un , um baS unfehlbare
Borred^t ber ©emeinfe^aft mit bem §errn bura) bie 9iac|foIger ber Slboftel einjufd^ärfen
unb eS mit allen Mitteln ben ^adtfornmen ju erhalten, täglichen ©otteSbienft unb
SlbenbmafylSfeier in ben ©emeinben anjuftreben, enblicb, jebe ätnberung ber Siturgie beS
C.Pr.B. gu befämbfen. — ©leicb^eitig erfcb,ien, bon bem fonferbatiben glügel ber Bartei bureb^
55 Bercebal, iRofe unb Bafmer bertreten, fbäter aueb, bon groube gebilligt (ßlmrct) 125) eine
3lrt JftrcfyenfatecfyiSmuS (unter bem Stiel The Churchman's Manual), ben fein Urheber
Bercebal als baS BelenntniS ber Djforber ber Äirc^e unb ib,ren ©ienern aufjubrängen
berfucb.te: nüchtern unb ob,ne ©lanj ber ©brache, WaS freilief) in ber ^catur ber ©aelje
lag, legte ber ©ntWurf bie tfjeologifd^en ©runblinien ber grofeen Slnglilaner unb baS Ber=
eo IjältniS ber ©taatSürdE)e, in ber alle ton^eic^en ber Wahren ^ircf)e gefunben Werben, jur
£ranartam8mn§ 25
römifdjen unb jum ©iffent bar. Sine 2Inja!^I fyerborragenber ©eiftlicfyer unb Säten
(Dr. 2ßorb3tt>ortb, Dr. SRouty, Qubge 21. «pari, 3. 2Batfon, ©ife3=©uilSborougb, unb
ßfmrton=Grabie), aud) fcfyottifcfye unb amertfanifcfje SBtfdjöfe Billigten baS SBucf); fo mürbe
eS bem $rima3 borgelegt (jur ßorreftur, Unterbrücfung ober ^Billigung). ®ie 2(ntmort
lautete, mie ju ermarten mar: ©inmenbungen feien nicfyt gu ergeben, aber bie amtliche b
(Genehmigung mürbe abgelehnt, ^ercebal, ber an feinem &inbe ein eigenwilliges ©efaHen
fanb unb e§ mit unmillfommenen Slccenten in bie Öffentlichkeit marf, fudjte nochmals bem
Sucfje eine Sebeutung ju geben, bie e£ ntcfyt l)atte unb nic^t fjaben tonnte, unb bean=
fbrucfyte für fid) bie llr^eberfc^aft ber balb barauf folgenben SLraftferie, — eine ©clbft=
täufctmng, an ber feine eigene ©djroädje fdjmlb mar. 10
9JUt ben nunmebr bon 9Zemman unternommenen Traftaten tritt bie 33emegung
in eine neue $b,afe. ©ie fübren über beren taftenbe SInfänge b,inau§ auf ben bielberufenen
9Beg ber „©ntmicfelungen" unb fyaben ifyren tarnen gegeben. — ^n ben Traftaten
finben ©runbgebanfen unb 3^e ^er djforber Iräftigen, menn aucb, je unb bann nocb,
unficfyern 2luSbrucf. $Da§ Skrbienft, fie geblant unb burcfygefe^t ju fjaben, gebührt 3. §. 15
giemman (f. b. 21. 33b XIV, 1 ff.). SBon Vereinen unb 2lu3fcf;üffett erwartete er nichts. 2öar
ein 9Jlittelbunft ber 2lrbeit notmenbig, Sonbon burfte eS nic^t fein, $n unferm Sanbe,
fagte er, finb bie Uniberfitäten bie Sentren ber Söiffenfcfyaft unb ber Religion. 2?on Drjorb
alfo mußten bie neuen ©ebanfen im§ Sanb gelten. @3 fonnten nur glugfcfyriften fein.
$n ©nglanb maren bon jefyer Traftate bie mirffamfte gorm ber religiöfen ^ßrobaganba 20
gemefen; bort Ratten Taufenbe bon 5Rännern unb grauen e<§ je unb bann aU ib,re 2luf=
gäbe angefefyen, bie SBirfung neuer ©ebanlen burcb, berfönlid?en 2lnteil an ib,rer 3Ser=
breitung burcb, Srief, ^reujbanb unb ©trafjenberteilung ju erl)bt)en. ®ie einige ©d)mterig=
feit mar bie um ben Sftann, ber fid) am beften auf baS 2tbfaffen ber furzen tb,eo=
bgifd)en 2luffä|e berftanb. 2ßie bie golgeaett lehrte, mar ber einige, ber baS 25
fonnte, bielleicfyt toeil er ber genialfte Traftatfd) reiber mar, üetotnon felbft.
©0 trat ber hochbegabte SRann, feit jefm ^al)ren mit ben Drielmännern in faft täg=
lieber 3Serbinbung unb mit tfyren fielen mot;I bertraut, hinter $eble unb 9tofe jmar
nocb, jurücfftefyenb, aber bon bem glüfyenben Verlangen erfüllt, ba§ Heiligtum ber
$ird)e aus ber unl)eiligen Umarmung beS SiberalismuS ju befreien, in bie gront. 30
SBä^renb bie anbern im Oriel College über baS 35orgeb,en in Sonbon, ©obentrb unb
Sßincfjefter nod) berljanbelten, braefj er au§ ben ditifym feiner greunbe au§ unb bruc!te
auf eigne £>anb Straft I, bem in ben nädjften ^at)ren 89 meitere folgten, unter bem
Jitel: Tracts put forth to meet the exigencies of the Times. „@in ^riefter au§
euren 9talj>en, mufe id) ju eud) reben; benn bie Reiten finb übel. Unb feiner rebet. 35
Sffiir fefyen einer auf ben anbern, aber niemanb greift bie ©ad)e an. £>ie R\xd)t fteb,t in
©efal;ren, unb jeber fi^t ftiH in feiner ©tubierftube. gort mit unfrer faulen 33el)aglicf)=
feit ! Safjt ung ©egenmart unb ^ufunft unferer ^eiligen 3Jiutter braftifd) betrauten, aber
unfere 3«t nid)t fd;lec£;t nennen, ofjne einen ginger ju rühren, fie ^u beffern." ©0 Reifet
e§ im ©ingang be§ 1. SEraftatg. 2öie biefer erörtern bie näd)ftfo!genben — faft aÖe 40
nur 8—10 ©eiten umfaffenb — im mefentlid)en ©ä^e au§ bem ©ebiete ber 3Serfaffung,
ber ©i^iblin unb be§ Hultu§; ferner bie Sefyre bom SBefen ber ®irdje, ib,rem aSerb,ältni§
%üx )3rimitiben, bon it)rer 2lutorität unb Serfaffung, bie gefdjtdjtlidjm ©inmänbe gegen bie
^ribilegien, bie Dogmen unb ben.^ultuö ber englifcfyen, bie 2lrt ber ©ebete, ben 33e=
gräbniSbienft, bie borgefd^lagenen Inberungen ber Siturgie, bie laje Mrdjcngudjt, enblid) 45
bie -JJiängel ber einzelnen d)riftlid;en ^irdjen; bie rbmifcfye grage tritt nod? nicfyt auf.
Sm §erbft unb Sßinter 1833/34 famen bie %xai täte in rafcfyer golge ^erau«. güb,rer
unb §aubtarbeiter blieb bon 2lnfang big @nbe DZemman (%x. 1, 2, 6—8, 10, 11, 19—21,
34, 38, 41, 45, 47, 71, 73, 75, 82, 83, 85, 88, 90); neben tym finb Äeble, bann $ufeb.
(1r. 18 über ba<B gaften; 40 urtb 67—69 bon ber Saufe) al§ 3Serfaffer ju nennen ; bie anbern 50
treten jurücf, aud; groube, ber nur einen (63.) beitrug (erft nad) feinem SEobe gebrueft).
2lm 9. ©ebtember 1833 erfd)ien ber 1. (jugleicf; mit bem 2., unb 3.), big @nbe Dftober 1835
maren eg bereits 70, bie in 2 S3änbe gebunben in bie Öffentlic^feit gingen; bie fämt=
liefen 90, bon 1833—1841 gefdjrieben, liegen in 6 Sänben gebrueft bor. —
^bn«n jur ©eite trat (feit 1833) unter bem Titel Records of the Church eine bon 55
ben übrigen greunben bearbeitete Sleifye bon 2lu§jügen au£ ben Äircbenbätern QgnatiuS,
^uftin, ^renaeuS u. a., unb bon 1838 (ber umfangreiche brogrammatifcb,e ^profbeft murbc
fdjon 1836 auggefdueft) an, nad;bem ^3ufefc? fiel) 1834 angefcbloffen, bie bon biefem in
Serbinbung mit Äeble, ^emman unb gfyarl. Marriott beranftaltete Überfe^ung ber fämt=
lieben ^trct)enbäter, bie als Library of the Fathers of the Holy Catholic Church 60
26 $raftartant§mu§
anterior to the Division of the East and West bom ^afyre 1846—1885 in 48 Sänbcn
gebrudt mürbe. 2tße bret traten als Äambffdmften gebaut. $ftx 2Ibjeb,en ging nun
über bte ©ebanten Don föeble unb 9Jofe fytnauS; fie forberten nicr/t nur religiöfe, fonbern
neben btefer ftrcbjidje unb Iird^eTti>oItti[d^e Reform, bie 9?üdbübung ber ©egenmartilf'ircr/e
5 in bie primitive ber erften 3 Qar/rtwnberte, bie an ben römifctjen SSerberbungen, 2ln=
rufung ber Silber, @ngel unb ^eiligen, gegefeuer, SEranSfubftantiation, ^riefterfelcb,,
Dbjenbeicfyte, %bla% Unfebjbarfeit be§ $abfte§ unb feinem Slnfbrucb, auf 23orb,errfd)aft, nod)
nidit teil J^atte. 3n ben "Eraftaten, ber programmatifdjien ©runbfc^rift ber jungen gartet
(the watch word & the symbol, gfyurcb, 109), ber fie ben tarnen (Tractites,
10 Tractists, gule^t Tractarians) berbanfen, toerben bie Folgerungen au3 ben Stufen bon
^ableigb, gebogen unb begrünbet. Qn b,aarfcf/arfer ©ebanfenfüfyrung geb/t Scetrmtan bem £ibe=
raliSmuS, worunter er nid)t lebiglicb, bie politifctje 2lusbrägung beS ?ßrinji^§, fonbern bie
allgemeine ©eifteSridjtung ber geit, 2tntibogmati3mu§ unb 2tufflärung, ÜJiebolution unb
(Smanstyaiion berftanb, fe|i iljmi fein bogmatifdieS ^trd^enprtngi^ entgegen, in bem er ben
15 ©ct/utj be§ 33eftef)enben in ßirdje unb ©efeßfdjaft ju finben meinte. @§ ift bie £el)re bon ber
fühlbaren Slird)e ab3 ber Quelle aller geiftlicfyen ©aben unb bem ®anal aller ©nabe,
toie fie in £eb,rfa| unb SBraucb, ber alianglitanifcf/en ^irdje ftcb, barfteHe. —
2lu§ btefem nationalen $uge feinet £jbealbilbe<§ erllärt e§ ficb,, bajj bie ^raltate ficb,
anfangs bon ben fird)lid)en ©eitert beg roärmften 33etfaH§ erfreuten. ®ie erften ent=
20 breiten nict;ts>, ba§ gegen bie fircfylidjie Drbnung in ber Siturgie, ben ^atedjnSmuS unb bie
SJubrifen ober gegen bie 39 2trtifel berfiiefj. ®ie3 junge Drjorb bot ben Sßifdjöfen, bie
ifyren ©tut)! burcb, bie 9ieformftürtne unb bie feinbfelige Gattung ber 33oIf3maffen bebrob/t
fallen, in ber ftarf betonten Sebre »on ber aboftolifcfyen ©ucceffion, bie ifyr 2tmi auf ben
$?l§ göttlichen ditd)t§ fiellte, eine 2Bef>r gegen ba3 fircfyenfeinblicr/e Parlament unb ben
25 ^n>d^Iirc^Iic^en eine SBaffe gegen bie @bartgelifct)ert unb £)iffenter<8 , benen beiben fie mit
bem gleiten §affe gegenüberftanben unb gegen bie nun aud) bie Jambflufitge $b/alanr.
ber Djforber als brittes ©lieb mobil mact/te. SBäfyrenb nun bie erften SEraftate ben
gtnger auf ba£ bon ben großen 2lnglifanern be<§ 16. unb 17 Q ab, rfyunb er t£ bertretene
©r/ftem legten unb beffen 2Steberb/erfteiO(ung forberten, ging ber Singriff balb über biefcn
30 gefcfytcr/tltcfycn SfJafymen fyinauä unb näherte ficb, mit feiner rabuliftifdjen SegriffSfbteleret
unb feinen berbecften Untergebanfen in fyöcbjt bebenf(id)er SBeife ben römifc^en Sinien.
2Hs bie ^raftate ex professo um bie ©etoalt ber ©cbjüffel nad) rein römifcfyem 33er=
ftänbniS §u fämbfen ftd) anfdndten ; als fie bie Sel)aubtung auffteßten, baf$ „bte Saien nicfyt
felbftftänbig benfen unb urteilen, fonbern ba§ Sßort be£ s$riefter§ ah aufgemachte SBa^r:
35 b,eit ^inne^men unb im SIEgemeinen ©ebetbudje nic^t eine 9JJenfcf)en=, fonbern ©otte3=
ftimme bernef)men foßen" ; al§ bie ©ä^e ($ercebal§) al§ ©runblagen ber erftrebten !ircb,=
liefen Neuerung formuliert mürben, „be§ Triften $eil beruhe auf ber objeüiben Iraft
ber ©aframente, biefe auf ber ©benbung burd) ^riefter, beren SSottmact/t auf bie abo=
ftolifcfye ©ucceffion gurücfgcfüEjrt tcurbe ;' ben 33ifd;öfen lomme, in Üraft ber apofto!ifd)en
40 9Rad)foIge, a(§ ben Grben ber ®abt beg t)I. ©eifteö bie t)öd)fte, auet) bom ©taat unab=
gängige Autorität in ©aef/en be§ ©laubenS unb be<8 2ebeng gu; al§ enbltct) $ufeb. (On
Baptism 1835), unter Slbleb^nung ber ebangelifcb.en 2cb,re bon ber Sßtebergeburt bura)
ben ©tauben, mit ber objeftiben 3SotIjieb,ung beg ^aufaftö bem römifcb.en opus ope-
ratum bag T:f;or öffnete, bie ©atiSfactio für bie nad; ber ^aufe begangenen ©ünben
45 al§ in ber 33uf$e (mit agfetifdien Sufjübungen) geleiftet unb bie fird;Iid}e ©ifS-ublin al§ ba§
Heilmittel gegen bte ©ünbe forberte; als er in ber @ud)artftte Seib unb SlutSbrifti jmarob,ne
SBanblung, aber realiter in mt>fttfct;er Söeife gegenwärtig lehrte unb fie als sacrifieium,
nicb,t blof] al§ sacramentum bezeichnete, roobei „6b,riftuS unb bie &ird)e gugleidE) <Bub-
je!t unb Dbjeft be§ DbfernS" feien : — nat;m ba§ Organ ber @bangelifcf)en (Christian
60 Observer) in flarer ©rtenntniS ber ©abläge ben Üambf auf, ber in bem ungeahnten
Umfange unb ber ©d)ärfe, bie er annahm, berriet, baf$ t)ier tiefgeb^enbe firc^Iidte ©runb^
fäi^e um bie Dberb,anb ftritten. ®er march of mind ber Dr/forber geriet auf gefäb^r=
Iid}e Sahnen, ^n ber eigentümlichen 50(ifdmng römifcfyer Steigungen unb älbneigungen
übertoog ba§ Siebäugeln mit bem alten gehtbe in 9tom, unb burd; ben berechtigten ^ambf
55 gegen bie matte unb blatte lageöreligion ber SJcaffen ging ein böfer Unterton : biefe
^raftate mit if)rer ^erfferrtidiung ber altangUtanifcr/en unb Sribentiner Geologie (in
einem Siralt mar gejagt roorben, ba§ Stribentinum fei nidit babtftifcb,er aU bie SEraftate)
füb,ren unmerlüdj hinüber nad? SfJom. 2)er alte SoItSruf be§ 18. SctfyrfyunbertS: No
Popery rourbe in ber treffe unb auf ber ©traf$e mieber laut, ©ie Djforber, feb^rieb bie
60 Edinb Rev 1841, Apr. 273, bertreten ©ä|e, bie ben Slrtifeln ber englifdjen ^ircb,e,
£raftariani£mng >7
bcrcn Wiener fic finb, Wibcrfbrecfjen, mögen ifyre 2lnficb,ten rtet/tig fein unb mit ber ge=
offenbarten Religion übereinftimmen, jebenfaߧ finb e£ nicfyt bie fielen ber nationalen
Hircfye. So barmlo§ el)rlict> bie Orjorber ©eftänbniffe ber ^ßabifterei borgetragen werben,
bie greunbe ber Äirdje muffen fie tief beitagen.
©egen btefe Slnttagen trat ReWman, fett 1834 ber unbeftrittene $übjer ber Dp 6
forber, im 38. unb 41. Sraftat in bie ©cfyranten mit ber nunmehr in ben SSorbergrunb
gerücften !ybee ber Via media. (*<§ ift ber Rul)m ber engltfcfyen ^irdje, fagt er, baf?
fie ben -Mittelweg ^toifcfycn ben fog. Reformatoren unb Rom gefyt. 33on bem ©lauben
beä 16. 3a^"ttbert<S, öon ben Rubrifen be§ 2t. ©. 33., bie man fyeute freilief) babiftifcb,
nennt, finb ntdjt Wir, fonbern bie gegenwärtige $ircb,e abgetütet) en ; fie beraef/tet bie gor= w
mularien unb SlnWeifungen be3 ^raberboolö, t>ernact)Iäffigt bie ©atramente unb giebt bie
Äirtt^enjuctjt breiö. ©laubenSreget finb nicfyt bie 39 2Irt., fonbern bie bon ben Slbofteln
unb ber alten ^ircfye berfünbigte Sefyre. ^ene finb nur ber eine ber geiftlidjien ©cf)äi$c
bcvÄircfye; nietjt ein corpus divinitatis, fonbern tebiglict) ^Srotefte gegen bie in ben 3^=
fmnberten eingefct;tict;enen groben Irrtümer ; bie £eb,re ber 2fyoftel in il)rer Integrität ift in 15
ber Siturgic niebergelegt. 3)arum ift eine neue Reformation nötig ; benn wie ber römifef/e,
fo ift ber ©enfer £ef;rir/bu3 frembtänbtfct)e§ ©eWädjg (foreign interference). £>at bie
erfte bie altfirdjlicfyen ©ätje feftgefyalten unb nur bie ungefunben Sicherungen unb 216=
lagerungen befeitigt, fo Wirb bie neue an bie ©laubcn§fä£e ber erften ebenfo Wenig
rühren; aber fie Wirb ftet) mit „(Ergänzungen", „gufätjen", ,,©cf)lüffen" gegen bie boben= 20
ftänbig geworbenen Errungen ber ßeittfyeologie toenben, bie 39 2lrt. alfo nidjt änbern,
aber interpretieren unb ^ßroteft ergeben gegen bie Serquictung ber ^ircfye mit bem ©taat
unb gegen ben £atttubinari3mu<§ be§ 5Tage<§ ; bofitib aber ba§ übertommene Sefyrgut „ergänzen"
burdj bie SBiebererWecfung, Reubelebung unb „SöeitercntWictelung" ber ©runbgebanfen bes
21. ©. 33. ®iefer SRittelWeg jWifcfyen ben fog. Reformatoren unb bem römifcfyen (Ebriftentum 25
War nichts anbere§ al3 bie alte Römerftrafje. 3#m Wiberfbradjen zubem bie ifyatfactjen
ber Vergangenheit unb ©egenwart; unb ReWman, ber feine SRöglicfyleit (in ber 3. Stuft.
be§ Proph. Office, XXIII) für bie ©egenWart meinte beWiefen z" fyaben, mufjte
enttäufct)t anerfennen, bafj felbfi bie alte Sürcfye tt)rt nur in ben 4>riftoIogifct;en ^ärefien
aufWeife (bgl. Twelfth Lecture on Angl. Difficulties unb Fortnightly Rev. 1879, 30
July 13) unb ber 2tnglitani§mu§ in unerWünfc^te parallele mit bem 3RonobI)r;fiti§=
mu§ gerate (Söafeman 473).
SDie ©runbgebanten unb bie ätusläufer biefer Via media ernüchterten benn nicfjt
nur bie guWartenben, fonbern auet) bie anfangs» begeifterten greunbe. ©ie Wiberfbracben
bem religiöfen (Embfinben ber Ration, unb ber erft fctjücbterne Söiberfbruct; machte ftc£> 35
bon ba laut bemebmbar.
Rocf> in bemfelben 2>af>« (@nbe 1834) führte Dr. §ambben ben erften ©cfylag. ^n
feinen Observations on Religious Dissent with reference to the Use of Religious
Tests in the University berlangte er bie 33efeitigung ber Unterfdmft unter bie 39 2trt.
für bie Sftitglieber ber Uniberfität mit ber 33egrünbung, bafj bie tirct/licfyen 33efenntniffe 40
Meinungen barfteftten, für bie anbere rttct)t berantWortltd) gemacht Werben fönnten. ReW=
man, ben Weniger bie gorberung al<§ tbre RJotibierung in heftige (Erregung brachte,
erfyob fict), übrigeng bon ben ^ocbjftrdjlidjen ber alten ©dmte unb ben @bangelifc|en unter=
ftüttf, gegen ben Stngriff auf feine innerften Überzeugungen, unb ^ambben Würbe mit
feinem Stntrag bon ber Uniberfität abgeWiefen. 2tte er tro^bem groei %ai)xz fbäter bom 45
$rime=?[Rinifter Sorb Melbourne jum RegiuS ^rofeffor ber SLfeeotogte ernannt Würbe,
brachen bie ^raftarianer abermals gegen il)n (o§, übergaben ber Uniberfität eine @rtlärung,
§ambben bertrete freibenterifd)e ©runbfä^e, unb berlangten, bafe ben tf>eoIogifcr)en ©tubenten
bon ben S3tfcf)öfen ber 33efud) ber ^.fc^cn 33orlefungen berboten Werbe. Unter großer
(Erregung Würbe bie ©acfye an ber Uniberfität berf;anbelt; bon ben ^ollegienborftänben bo
Würbe §ambten ein 3Jlifetrauenöbotum erteilt, aber bie beiben ^ßroturatoren ber Uniberfität
annullierten bie 93efd)lüffe öer §eabg, unb ber trattarianifcb,e SSorftof?, ber feine Gräfte
überfebä^t b,atte, blieb Wirfung^log.
©Ietcf)zettig fcotte Dr. 2trnolb, ber güfyrer ber freieren Geologie in Drforb, jum
©cgenftofe au3 unb braute bie 93ebrol>ung ber ©eWiffen§freib,eit buret) bie STrattariancr bor 55
bie £ ff entlicfyfeit. %n einem fambfluftigen 2tuffa| ber ©binburgb, Reb. (The Oxford
Malignants and Dr. Hampden, 2tbr. 1836) ftetlte er fieb, an bie ©eite feineö greunbeö
unb ©efinnungggenoffen unb beleuchtete mit grellen ©cblaglic^tern bie legten, noeb im
Verborgenen gehaltenen 3'clc bcx Reuerer, mit benen er fict; fur^ borber (in f. Prin-
ciples of Church Reform) grunbfä^ltd) au^einanbergefetst i)atk. ä«ar bter feine 60
28 £raftariani§mu3
gorberung auf eine Öffnung ber ftaatsfircbjicfyen %hoxe für bie ©eften unb auf Beteiligung
aller betoufet cfmftlicrjen (Elemente am fircf)Iid>en Seben gegangen, fo erb,ob ber neue 2luf=
fafc bie Slnflage auf bie nicfyt immer getoal>rte bona fides ber Malignants (tote unter
bem ßommontoealtb, bie fyocfyfircfylicbe robaliftifcf/e Partei fbotttoeife genannt tourbe) unb
5 Oxford Conspirators. ^|r Borgern, Reifet eS, fei nicfyt in ^rrtum, fonbern in fitt=
lieber äkrtoorfenfyeit begrünbet (not of error, but of raoral wickedness, ©. 238).
älrnolb hatte eS bamit jutoege gebraut, bie öffentliche, nicfytflerifale 2lufmerffam=
feit, gunäcfyft ber ©ebübeten, auf bie Drjorber Vorgänge ju sieben, ^n Flugblättern unb
Leitungen fam eS ju erregten 2tuSeinanberfe|ungen , bie bie teuerer gum StageSgefbräcb,
10 machten.
2Baren fie eben im §ambbenftreit unterlegen, fo erhoben fie ftdj nun ^u neuen
Vorftöfeen um fo fraftboller, als eben Dr. ^ßufer; (f. b. 31. Sb XVI, 349), einer ber an=
gefebenfien ^rofefforen ber Slfabemie, enbgiltig (@nbe 1834) ftcb, if)nen anjdjlofj. %üx bie
Partei, bie faft nur aus jungen Männern beftanb, bie ftatt tarnen unb Vergangenheit
15 nur bie Hoffnungen ber 3"^""^ in bie SSagfcfyale ber Partei gu toerfen Ratten, be=
beutete bamals fein Seitritt eine ungeheure, faum abfcfyätjbare ©tärfung, ein Ereignis,
baS nochmals bon großem unb cntfcfyeibenbem ßinflujj auf ben 6b,arafter unb bie ©efdncfe
ber Setoegung tourbe (Gfyurcf; 132). Dr. ^ßufer/, ftfyrieb 9Jetoman, gab uns fofort eine
(Stellung unb einen tarnen. 6r toar Ganon bon Gfyrift ©fmrer), lam alfo aus ber
20 geiftigen ätriftofraiie ju uns herüber, berfügte als SlegiuS Vrofeffor an ber Untoerfität
unb als namhafter ©elebrter über toeitretcfyenben afabemtfdjien (Sinfluft unb als 2lbfömm=
ling eine§ abeligen §aufeS über grofee gamilienberbinbungen; ein Sftann, ber nad) @igen=
art, ÜBerbienften unb ©teüung §um Parteiführer berufen toar unb ber ber Vetoegung bor
ber 2Mt eine 2lngriffSfront bot (bgl. oben Sb XVI, 349 ff.), ^ubem toarf bie toiffen=
25 fcfyaftlicfye ©loriole, bie ben berborragenben §orfcf)er umgab, einen SRebenglan^ auf bie
„bebeutungSlofen" 5SJcänner, gu benen er fyinübertrat, unb fetjte beren £>afein unb Slbftct/t
in ein getoiffeS ?Red)t. 2luS bem 3Jiob machte er eine georbnete Körberfdjaft (toie 9?eto=
man eingeftefyt) unb als @rfa| für ben toettabtoofmenben Keble baS Unternehmen ju
einer im toef entließen Djf orber Setoegung, beren Slnfyänger bon ba ab als Vufer/iten be=
so getc^net ju toerben begannen.
©ein ©influfj trat fofort ju Sage. Von ben ©ebanlen ber beutfd)en Geologie
tief berührt, ber greunb unb Korreftoonbent bon ©cfyleiermacfyer, Sfjolucf, ©toalb unb
©aef, berlangte er für bie toiffenfcfjafilicfje £>arftettung an ©teile ber in ben erften %xat=
taten &u Sage getretenen Übertreibungen unb Verfct)toommenI)citen gehaltenen (Srnft,
35 2öürbe unb Jcucbternljeit. llnb er geigte felbft, toie er baS meinte. (Snbe 1835 gab er
„an ©teile ber bisherigen unboHftänbigen 2luffä|e" Sraft 67, 68 unb 69, bie brei Seile
einer Unterfucfmng „über bie Saufe" fyerauS, ein Sud? bon mefyr als 300 ©eiten (2. 2tufl.
über 400), baS noeb, fyeute als eine ber berborragenbftcn 9Dionogratob,ien über ben ©egen=
ftanb gilt. @S folgten in Sr. 71, 76, 78, 81 bie Catenae Patrum, bie für bie neuen
40 ©ä|e bie gefd)id)tiicf;e Kontinuität unb altlird^liclje Stutorität na^utoeifen berfud;en
(aboftoIifcl)e ©ucceffion, Xauftoiebergeburt, fat^olifdieS Kird)enbrinji^) unb ©uefjariftie) ;
im $. 1836 ber ^rofbelt unb bon 1838 an bie Verausgabe ber Oxford Library of
the Fathers (bgl. oben ©. 25, 57). ©eine 2lbfi<|t ging auf ben bobbelten ^Rac^toeiS,
einerfeitS, bajj bie römifcb.e Strebe jtoar in ib,rem ^ierarcfjifcben ^errfc^aftSgelüfte, ibrer
45 33eräuf$erlicr)ung, tbrer iserläfterung beS ©bangeliumS ßfjrifti, baS fie in ein ©efe£ ber
Kirche, ob,ne befreienbe unb lebenbig macb,enbe ©eifteSmac^t, berfteinert fyahe, abjule^nen fei,
ntebt aber bie fatbolifcfye Kirdje als foldje, toeil if)re Sebre fd(iriftgemäfe fei unb ben 39 SlrtiMn
nict/t toiberfbred)e. SlnberfeitS auf 3lner!ennung unb Sefeftigung beS angli!anifcl)en 2et)x- unb
ÄultuSfr/fiemS auS bem 16. unb 17. ^afyrfmnbert, mit bem ^acfytoeiS, ba^ eS fieb, jefet
50 ntebt um StomaniSmuS, aueb, ntebt um ^euformulierungen, fonbern lebiglicb, um baS fRcd^t
beS SlnglilaniSmuS, beS bobenftänbigen 9^ationalglaubenS, in feiner urfbrünglid)en 9tein=
l)eit l>anble.
3n berfelben Stiftung tiatten injtoifc^en bie Sraltate it)ren Fortgang genommen.
§atte $ufer/ in ber Oxford Library (SSorrebe) „baS Sllte unb %l% als bie Queue ber
55 £et)re, bie fatfyoliftfjen 3Säter aber als ben Kanal, bureb, toelcb,en jene ju uns berabflie^t",
bejeid)nct, fo liefe ber 1838 in ben Kambf ber Meinungen getoorfene SRacbla^ groubeS
feinen 3^eifel an ber reformationSfemblicfyen ©runbricljtung ber Partei. @in boEblütiger
Raffer ber toeltbefreienben %hat beS 16. ^ab, rbunberts toieS groube barin bieDjforber als
Katf)olifen ob,ne ^abfttum unb als Slnglifaner ol^ne ^roteftantiSmuS naef) unb fiel mit robufter
60 ©robfyeit über £utb er unb feine greunbe ber (bgl. oben ©. 23, e), in ber 23efct;önigung
SruftariamSimiS 29
bon Sburcb, (262), ein Warm, ber mit garten SB orten ber SSelt ben bollen Umfang unb
bie lefete liefe ber Überzeugungen offenbarte, bie ben Slnlafj zur Bewegung boten. —
Sie gata 9ftorgana beS bon ReWman als gangbar gepriefenen Mittelwegs serftofs
bamit tote ein ©cremen; unb bie bon ba an erfcfyeinenben SLraftate Wiefen mit junebmen=
ber ©cfyärfe bie Ricbtung, in ber ber march of mind fid) bewegte. %n feinem Xauf=
traftat hatte $ufeto, unter Stblefymmg ber SBiebergeburt aus bem ©tauben, gelehrt, baf? 5
bie ©rneuerung beS ©inneS burd) ben STaufaft allein geWäfyrleiftet werbe, unb fid) bamit
jum römifcfyen opus operatum begannt; ber 75. embfafyl baS römifcfye SBreöter als @r=
bauungSbud); ber bon Qfaaf SSilliamS berfafjte 80. (fortgefetjt im 87.) „Über bie 3urüd=
Haltung (reserve) bei Mitteilung religiöfer SBafyrbeiten" berfucfite ntd)tS anbereS, als bie
©efyeimbiSziblin ber alten Äircfye rDiebert)erguftelTen. 23olt Warmherziger grömmigteit unb 10
tiefer ©inblide in baS berborgene Seben ber ©eele mit ©Ott, auö) burd; ©cfybnfyett ber
©prad)e ausgezeichnet, Wirfie ber Sluffaij Wie eine ejblobierenbe SRine unb legte bie legten
Stele ber Partei bor aller SBelt blofe (British Critic 1839, ältoril). Über bie {»ettigften
Singe bor jebermann unb ju jeber $eit z" reben, War gefagt, fei rob, unb uneb, rerbietig ;
ßbriftuS unb bie Stboftel fyätten biefe Referbe Beobachtet ; bie rüdfyaltlofe preisgäbe aller 15
©laubenSWabjfyeiten bor ©letcfygütigen unb Ungläubigen, baS ungebührliche betonen ber
Rechtfertigung unb im Sufatnmenlwng bamit baS unbefonnene SSerteilen bon 33ibeln unb
Iraftaten fei berWerfltcb, unb Wiberfbredjie ber ct)rifttict)en ©foterü. Rur bem ©cfyorfam
beS ©laubenS, ber anbetenben Frömmigkeit erfcfyliefse fieb, bie religiöfe SBaljrfyeit, nicfyt ber
fbefulatiben gorfcfmng; burd) firdjlicfye $uä)t, ntct)t bureb, ^rebigt, ©tubium unb20
frommes Seben Werbe ber religiöfe ßtjaratter gebilbet. Sllfo unebangeltfdje ©Reibung
Ztoifcben @fo= unb ©joterü, gurüdftcllung ber Rechtfertigung hinter bie ©ebetmlefyre, bie
fird)licf)e Qutyt als 5ßrtn§t^> ber Heiligung: alles ©ä|e, bie jum minbeften ben beftefyen=
ben römifdjen S3erbad;t ins Redjt festen (ßfyurcb, 265). o.
21IS nun $eble im 89. %x. (Über bie mfyftifcfye ©rllärungSWeife ber ^irebenbäter) "°
für bie Wunberlidjften (StnfäUe ber batrifiifcfyen Sltlegoril biefetbe Qnfbiration rote für bie
^ßrobfyeten unb Slpoftel in Stnfbrudb, nabm (they proeeeded in interpreting Scripture
on the surest ground: the Warrant of Scripture in analogous cases [Wozu
bgl. Gbinb. Reb. 1844, Dct. 343]) unb ifyre offenbaren Irrtümer nid)t nur berteibigte,
fonbern lobenb befürwortete, War bie t)oct)grabige ©bannung auf beiben ©eiten einer
weiteren Steigerung nict>t fällig. Riemanb, fagten bie einen, ber ©lieb ber nationalen
®ird)e unb bureb, Unterfcbjift an bie 39 2lrt. gebunben ift, fann berartige 2lnfidt)tert ber=
treten; unb bie bon leiner Rüdfid)t mefyr ©ebunbenen warfen bie bei folcfyer Sage ber
Singe natürliche $rage auf: Warum ntdbj bie le^te „©ntWidelung" boEjieb^en? ReWman
felbft zwar, immer noeb, in ber ©elbfttäufcbung befangen, baft fein in ber Via media
bertretener 2Inglofatr)oIiciSmuS bem lirdjlicfyen SefenntniS nichts bergebe, baf$ bielmefyr
gegen bie ^rctümer ber geit nur 3ufät$e nötig feien (bgl. oben ©. 27, 23), fudjte noct) ben
RomaniSmuS als folgen gu leugnen, aber bie gleidjerWeife bon Rom Wie bon ©enf erfolgten
Ginflüffe in baS anglüanifd) e Seb^rgut Wies er ab ; bie 9lational!ircf)e muffe U)rem eignen
©eniuS folgen.
SaS §inbernis für bie 33erWirllicb,ung biefer 2lbjtd)t Waren bie ju Red;t befteb,en=
ben 39 2lrti!el. Um beren Sefeitigung bemüht fiel) nun ber bielberufene 9 0.%xai--
tat, ber (am 25. Januar 1841) unter bem %\td Remarks on certain passages in
the 39 Articles erfd;ien, juerft anonbm, aber auf erfolgten (Sinfbrud; bon 9i. fofort 45
anerlannt. Surd) unb burd; juriftifdb, gebaut (construed as by a purely legal
court [ßb,urd; 286]) berfud)en fie bureb, je unb bann Wtllfürlicbe, juni ^eil fo^tfttfd;e
Auslegung, mit ber b^aarfbaltcnben, auf gallftride fid; berfteb,enben, auS ber mittelalterlichen
2d)oIafti! berübergefjolten ©bi^finbigfeit eines Slbbofaten, ber auS einem Ricb,tS ein @tWaS
ju madlien berftef)t, ben RadjWeiS, ba§ römifdje Überzeugungen unb bie Unterschrift unter 50
bie 3lrtt!el fieb, nid)t auSfd)lte^en, befeitigen alfo baS Unterfcb,eibenbe beS anglilanifd)en 93e=
fenntniffeS gegen Rom. Siegrage ift nid)t, WaS bie Slrtüel tfyatfädjlid; lebren, fonbern
rvaä fie nict)t berWerfen, unb Wie fie fidt) breb,en unb breffen laffen im „anglo=
fat^olifcfeen" ©inne. SieS ift bem 2lnglifaner freigelaffen. 2BaS bie SSerfaffer ber =
fönlicf) im ©inne gehabt b,aben, ift gleid;giltig; an unb für fiel; finb fiesö
leine 21 utorität. Sie Slrtüel werben alfo nicfyt wiberlegt unb niefet be!ämbft, audb.
Wirb if)re 3Serbinblicb,lcit niefet geleugnet, aber it)r SeiWerl Wirb fubtil umgebeutet, unb
auS bem, WaS fie nid)t fagen, Werben fie ergänzt, unb bureb, bie 3ufcv£e/ bie fieb, be=
müb,en, fie als lebiglicb, gegen bie Sefyrfaff ung , ixtest gegen baS eigentliche 2eb,rgut ge=
richtet nacb^uweifen, roirb in ^raft biefer Seutungen bie Unterfertig freigegeben. eo
30 $raftart(int§tmt§
aiuf einige ber „Q3emerfungen" meife id>, um ber 2Sid>tigfeit ber ©ad)e geregt ju
merben, furg fyin. SIrtifel 6 ber Conf. Anglic. benimmt bie f>I. ©djrift in ©lauben«=
fachen al« regula fidei, al« alleinige ©Iauben«norm. R. bemerlt baju: „311« Siegel
be« ©lauben« fefyen mir bie ©djrtft nur fomeit an, al« mir anbere ^nftan^en (Slboftoltfum,
5 Siturgie, Srabition unb batrifttfd;e« Schrifttum) gleichfalls annehmen, in bem ©inne, bafj e«
triebt fieser ift, ofme Rüdfid)tnafyme auf biefe nacb, ber ©eftrift allem ju urteilen. „3n
bem je|t gemöfynlicb. berftanbenen ©inne ift bie ©cfyrift nacb, anglifanifd)en ©runb =
fäfcen niebj alleinige ®Iauben«regeI" — SIrtifel 11 ber Conf. behauptet ba«
sola fide. 9flit ©lauben, fagt SR., ift nur ba« einige innere 2öer!§eug gemeint, nicfyt
10 jebe« Söerf^eug übertäubt; neben inneren giebt e« äußere (j. 93. bie Saufe al« Mittel
ber Rechtfertigung); ba aber ein innere« 2öerf§eug nicfyt mit einem äußeren ftreitet, fo
f d^I ie ist bie Sebre bon ber inftrumentalen traft be« ©lauben« feine«roeg«
bie Söerfe, bie aud) ein üJtittel finb, au«; nur toenn gejagt märe, bie Söerfe
rechtfertigen in bemfelben ©inne mie ber ©laube, fo märe ba« ein 2Biberftorucr) in ben
15 3lu«brüden. „®er ©laube rechtfertigt bielmefyr in bem einen ©inne, bie
Söerfe in einem anbern, unb ba« ift alle«, ma« fyier behauptet wirb". —
SIrtifel 22 bermirft, wirb gefagt, nicfyt ba« gegefeuer al« folct/e«, fonbern nur, ba| e«
93erbammte feiig madje; nid)t ben Slblafs an fief), fonbern nur bie Qbee einer bätoftlict)en
©ünbenbergebung für ©elb, mcr)t 33ilber unb Reliquien an ftet), fonbern nur tfyre göt$en=
20 bienerifcfye Anbetung u. f. m. — Strtifel 25 Iet)nt bie Siebenmal)! ber ©aframente ab ; man
muf$, fagt R. bagegen, zmifcfyen ©aframent im engeren unb weiteren ©inne unterfdjeiben. —
atrttfel 28 leugne, b,ei|t e§ meiter, nicf>t jebe SSanblung beim 319R, fonbern nur bie
Sßanblung in ben irbifdjen, natürlichen Seib Gbrifii. — SIrtifel 31 beraubte nur bie 33er=
fd;iebenf)eit be« 9Ref$obfer« bon ßbrifti $reuje«obfer ; al« (SrinnerungSotofer an SLote unb
25 Sebenbige fei e« berechtigt. — Rur ein Strtifel (38) bon ber 33erroerfung ber bäbftlicfyen
Dbergeroalt mirb bebingung«Io« zugegeben. — SDann Reifet e« am ©d)luffe: SDiefe ©rllärung
ber Strtifel ift feine antibroteftantifcfye ; benn ,,e« ift unfere ^flicb, t, bie reformierten Strtifel
in möglicbjt fatfyolifdjiem ©inne ju faffen. ©egen ib,re 93erfaffer b,aben mir feine 93er=
binblidjfeiten. ®ie SIrtifel finb im bud>ftäblid;en unb grammatifd;en ©inne,
3onicb,t nacb, Meinung unb Slbfid)t t^r er 23erfaffer, fonbern im ©inne ber
fatfyolifdjen Äirctje au«julegen" (bgl 9c.« 93riefe an Dr. $elf unb 3^r- 33omben
bom 15. SRärj 1841: I have asserted a great principle, that the Articles are
to be interpreted not aecording to the meaning of the writers, but aecording
to the sense of the Catholic Church).
35 Die« alfo fear für iljm bie 33ebeutung bon Ix. 90: ber innere 23rud) mit feiner
alten &\x<fye. ©eine roeitere ©ntmtdclung ift feine freie mehr; in Rr. 90 fyat fie ifyre
feft borgejet/riebenen 33ab,nen gemonnen. (§« maren ©ä^e, bie mit bem nationalen ^irdjen=
turne nichts meb,r gemein Ratten. ®er fie au«fbracfj, |atte betou^t bie trennenbe Sinie
überfefiritten. ^m grüb,jat)r 1839 mar meine ©tetfung in ber englifcfyen ^irefce auf
40 it)rer §öfye, fc^rieb er fbäter (Apol. 180), unb in feinem SIrtifel Über ben ©tanb ber reli=
giöfen ^arteien (Brit. Critic 1839, Slbril) „b,atte er feine legten 2Borte al« Slnglifaner
^u Slnglifanern gefbrocfyen. @« mar ber 3lbfcl;ieb«gru| an meine greunbe" ®ie inner=
lictie 2o«Iöfung blatte fief; fdmn bamat« bolljogen, aber er „mu^te e« noeb, niebt; alle«
ging mie im SRebel feinen 2öeg" (bgl. oben 33b XIV, 6—7). ©bjlicfyermeife fann id;, fcf)rieb
45 er an 9Jianmng (25. Di tober 1843), feit biefem ©ommer bor 4 Salden ber englifdjen
®ircf;e mc6t mef)r angehören. ®arau« erhellt, bafe er 1841 toujjte, ma« er tb,at: ber
^raft ift au« bemufjt römifd;en Überzeugungen b, erau« gejcb,rieben. —
©anj Dgforb, bie greunbe unb geinbe ber 23emegung, gerieten in 33emegung ; bie
einen in ber S3efrtebigung barüber, bafe man aud; mit römifdjen Stnfid;ten in ber ©taat«=
öofirdje bleiben fönne; bie anbern bor dntrüftung, ba§ bie 39 SIrtifel, ba« §aubtboßtoerf
be« engltfdjen $roteftanti«mu« gegen ben römifcf;en ^rrtum, jerbroc^en maren. 93on
ber Uniberfität ging „ber bleiche ©djreden" (bgl. SOlojle^« 93rief bom 13. SJcärj 1841)
mie ein ©turmminb in ba« Sanb hinein. 3UDe^e ^ag iun9« D^forb über bie aufgetb^ane
Pforte unb bulbeten bie Sauen anfang« noeb, bie rabuliftifcb,en ©biegelfeditereien, fo er=
55 b,oben bie ©egner mit unangejmeif eitern 9ted)te bie alte Slnflage Dr. SIrnoIb« gegen bie
Oxford Malignants (bgl. oben ©. 28, 6), bie Singriffe beruften nietjt auf Qrrtum, fonbern
auf fittlidier 93ermorfenb,eit. Remman« „©ntmidelungen", ba« mürbe je^t mit einem ©cbjage
flar, lagen betou^te unb beftimmte Sibfiditen ju ©runbe, unb „bie fo au«fid)t«lofen Sln=
fange unb fo zufälligen ©ebanfenreit)en" maren im 33erlauf ber ftext beabficfytigte
60 unb gemoltte gemorben, bi« fie mit Ration unb tirdje in bem 3Jca^e in J^onflift
£raftartam£tnuS 31
gerieten, bafj biefc ib/m unb feinem ©tiftem Don ba ab ben VIa£ an ber Sonne
Weigerten.
Von allen ©eiten Würbe auf ©ntfet/eibung gebrängt. 9ieWman§ Vifdwf unb bie
Unibcrfität§bef)örben liefen SBocben in ratlofem ©cbWeigen »ergeben, ©nbltcf/ erfolgte
(iliitte SRärj) feiten* ber UniberfitätiSbertretung (Sßigefangler, ^ollegienborftänbe unb 5
^5roftoren) ber (Sinfbrucb,: bie Xraitate feien ju mißbilligen, bie Stillegung bes> 90. Hr.
Weiche bem ©inne ber 39 Slrt. eb/er au§, al§ fie ibn erftäre. 2tuct; Dr. Vagoi, Vifdwf
bon Drjorb, big bar/in ben Hraftarianern Wob/lgeneigt, febrieb an SR., nadjbem biefer bie
alleinige VerantWortlicbJeit für 5Rr. 90 übernommen, ber Hraftat fei anftöftig unb gefäl)rbe
ben ^rieben ber $ircf)e; bie Hraftate feien bes>f)alb nicfyt fortjufeijen. 10
SDiefer Verurteilung, ber Dberbofjeit be£ 33ifcb,of§, mcr)t ber Uniberfttätsbertretung
unterwarf fiel; 9L @§ War für ifyn ber Slnfang t>om @nbe. $m ©ommer tunbigte er
bem British Critic feine Mitarbeit, unb bie Hraitate Würben nief/t Weiter gebrückt. SDie
meiften Vifcfyöfe unb fet/r bielc ©einliefe Verurteilten Ix. 90 ; ba§ War eine jineite 2lb=
[ebnung. „Unfere 2lrbeit ift borüber ; ber ©runb, auf bem mir fteb/en, ift unter un§ 15
weggenommen." ®ie $übjer füllten, ba<§ öffentliche Vertrauen War bafnn, ifjre Stellung
unhaltbar. sJJun blieb ifmen nichts mefyr übrig, als tb/re ©cfyule ju fd)lief$en unb aufs Sanb
ju get/en, e<§ fei, baf$ fie aufhörten %u fein, toaä fie Waren, ober — Wie 9leWman be=
jeidmcnb ^insufügt (bgl. Apol. 172—173 u. Angl. Diffic. I, 134), ba| fie nacb, 2öaf>r=
hext unb grieben Wo anberg fugten. 9Jtit nücbternem Vlicfe ernannte er bieSage. 20
iMe ©cbjaef/t War gefcfylagen, für feine giele berloren. Qui trop embrasse, mal etreint.
£)ie ^arteiberbältniffe Härten fid). S)ie (Einheit ber Drjorber ©cf/ule ^erbracr; an ben
garten Äonfequenjen bon 9ir. 90, unb ber immer fo bittere Vrotefi beS ju fbät gekommenen
SegreifenS berfjallte mirfungSloS. SfeWman febieb (©ommer 1841) au<?, gog fieb, naef)
Sittlemore jurücf unb Wartete feinem Verhängnis entgegen, £)ie ^erufalemer ViStumSfacbe 25
brachte bem Kampfe in ifym baS @nbe. ©eit @nbe 1841 War er als Slnglüaner „auf
bem Totenbette" @S War inbeS ein langfameS ©terben ; erft bier ^afyre fbäter, am
8. Dftober 1845, nacljbcm biele feiner greunbe unb SRittämbfer in 9tom ^rieben gefucf)t,
ging aueb, er hinüber unb embfing aus ber §anb beS VafftoniftenbaterS ©ominif bie
@ua)ariftie unter einer ©eftalt. 30
©amit fbradj er felbft feiner 2lrbeit im ©taatSfircfyentum baS Urteil. £>ie Via
media War eine ©elbfitäufcfmng, ein §infen auf beiben ©eiten geWefen. %m Kampfe ber
©eifter, jumal um religiöfe ©üter, entfebeiben tlare, an$ Äobf unb ©eWiffen geWacbfene
©runbfä|e, nieb^t bie Vermittelungen. 2)ie Ie|ten Söfungen lagen Ijter in bem römifeb^en
©ebanlengut. ®aä War ber fatb^olifcb.en §ierard)ie früher alg ben Djforber SCfabemifem 35
!lar geworben. Dr. Söifeman (nacb,mal§ @rjbifc§of bon Söeftminfter) t>atte ba§ Unb^alt=
bare ber traftarianifcl)en ^beengänge erlannt unb in feiner ©cf/rift On Anglican Claims
nadjgeWiefen ; Wäb^renb er noc| juWartenb bei feite ftanb, foll ©regor XVI. bon ben
Sraftarianern gejagt b/aben : Sono papisti senza papa, catholici senza unita,
protestanti senza liberta. — 40
II. ©er $ufet)i§mu§. 1. ©ct;on 1840 Waren einzelne übergetreten; ber eigent=
Itd^e @£obu§ begann inbe^ erft 1842, unb 9bm machte ben redituris feine Vforten Weit
auf. 2)ie ©emä^igteren jogen fiel) jurüc!, anbere mobifi^ierten it)re 2lnfcf)auungen buref)
Slbftimmung be§ römifetten 2on^ ober 2lu3fcf)eibung ber romanifierenben ^been, bie britten
fugten im gerub,famen Seben einer börflicfyen Pfarrei ben ^rieben bureb bie 2trbeit an 45
ben ©emeinben. 2lucf) innerhalb ber Parteiführung lam eg gu einer Klärung. Ttacbbem
^JeWman au^gefct;ieben, trat SBarb, „ber ganatifer be§ Vribaturteife", ber (in feinem
Ideal of a Christian Chureh 100 ; 595) bie 39 Slrtifel „nieb^t im näc£)ftliegenben ©inne
ober im ©inne ber Verfaffer, fonbern in bem ©inne, ber bem Unterzeichner am
baffenbften erfeb/eine", ertlärt Wiffen Wollte, ja unter Slblefmung be§ natürlichen ben 50
non-natural sense berteibigte, alg güf)rer an bie äufjerfte l3iiä)k, b\§ er für feine l?er=
augforbernbe 2lbotf;eofe ber §eucr)elet bon ber Uniberfität abgefegt Würbe unb naef; 9lom
übertrat (1815), Wäfyrenb lieble unb 2Billiamä ba3 rechte (Zentrum (mit ftarfrömifcb;en
Neigungen) bilbeten unb ^ßercebal nact) linf<3 f;irt bie Verbinbung mit ber ^ationalfircb/c
aufregt ju erhalten fud)te. — 55
®ie §üb,rerfcl)aft ber ©efamtbartei aber fiel bon 1841 an, %um %dl infolge ber
9JotWenbigfeit, bie au^ bem Verluft ber @inf>eit fiel) ergebenbe ©d)Wäcf>c burrf) Wiffen=
fcr>aftltd>eö herausarbeiten unb gcfd)icbtlicf)e Segrünbung ber Dj;forber ^been aul^ugleidien,
Wie eine Sclbftberftänblict;leit bem gelehrten @. Souberie ^ufe^) (bgl. oben 33b XVI 349)
Sit; bamit fctjlie^t bie cigentlid) trattarianifd>e f^tft ber Bewegung. co
32 £rattnriamSmu§
2. ®ie nunmehr einfe^enbe jtoette Wirb bemgemäß in ben Setben erften ^a^e^nten (big
etwa 1860) bon ber Wiffenfcfyaftlicfyen Segrünbung be§ ©r/ftemS (befonberS burrf) '-ßufeb^
arbeiten), im brüten bon bem Sambfe um ba3 Necfyt ber anglofatfyolifcben Sefyren unb
Suitformen im ©taatälircfyentum in 2lnfbrucb genommen. Unter ber £>anb beä bor=
5 listigeren unb bomefymeren Vufet), ber ü)r fcfyon mit feinem (Eintritt einen afabemifdjen
Nimbus berliefjen unb nun ben tarnen gab, nafym bie Bewegung gemäßigtere formen
an, bie, allmcu;lic&, ba§ bogmatifcfye ©ebiet berlaffenb, ftct; mit ©ifer auf bie 2lu£torägung
älterer, ben römtfdjen nab, berWanbter Ritualien Warf unb bamit Probleme aufnahm, Die
mit Geologie nur wenig gemein Ratten (3fütuali§mu3), unb in benen biele, mit ßarltyle
io etWa§ übertreibenb, „ba§ ©fymbtom balbiger Stuflöfung ber angeworbenen ©taatsftrcbe"
erblickten.
®ie Verurteilung be3 2öarbfd)en ©runbfa£e£ bon ber nicfc>natürlicr;ett ^nter=
bretation fetteng ber Uniberfität bebeutete eine entfcfyeibenbe Nieberlage ber ^raftartaner
unb blatte eine ©Reibung ber ©etfter jur golge; biele greunbe gogen fiep jurüc!,
15 anbere traten gu ben früheren ©egnern über unb bargen fieb, unter ben gittigen
oeS bobenftänbigen §ocbJ;ircfyentum§. Um fo energifcfyer behauten bie furc^tlofen
engeren Greife auf ber eingefdjlagenen Vafyn. Nad) SSarb unb NeWman traten bon
1845—1846 etwa 150 ©eiftlict/e unb angefel)ene Saien ber Partei über; unter iljmen
greb. Daließ fgl. Fabian in 2BI)itef)aII unb Pfarrer an 2111 ©aini'3, 9)krgaretftr., Sonbon;
20 ferner (Sollr/nS, ^auptbaftor an ©t. SRarto, Sftagbaleu Djforb, %. 2B. $aber, Neftor bon
(Elton, ©bencer Nortfycote, $. 33. 9florri3, ^ufe^ ©elnlfe bei ber Library, SDubleb,
Silber (mit $rau, ©cfyWefter unb fünf Sinbern), 6. SDatgairng, @. §. ^omfon unb
$. ©orbon, jmei Sonboner Pfarrer u. a.
21I§ ju biefer bebenllicfyen äöenbung energifcfye Verfudje traten, aueb, im Nitual bie
25 rbmifcfyen Äonfeqenjen ju gießen, ben fyöljewen Stbenbmafybotifcf) buref; einen fteinernen gu
erfe^en, Srujifije, 2lltarlicr)ter, bie piscina u. a. gegen ben ©etft, Wenn audj nicfyt ben
23uc|ftaben be§ 2l.©.33. einzuführen, unb biefe Neuerungen bon ben oberen gefmtaufenb
oftentatib begünftigt würben, auef) bon ben anglolatfyolifcben gür/rem nid)t§ gefd^ab,, um bie
bebrob, ten dauern ber Strcfje gu f$ü|en, ba erb, ob fiefi. Wie einft ju Königin Slnnas* Reiten
30 ber Voller uf: NoPopery bon neuem. Stuf feiten ber englifcb^römifcfyen §ierarcbje lauter
Beifall unb freubige (Erwartung, auf broteftantifcfyer neben groHenbem Unmut bie bangften
Befürchtungen. Befragten auef; biele ber in ber $ird)e berbliebenen ^raftarianer ben ber=
fyängnisbollen ©cfyritt ifyrer greunbe, tbo War bie ©ernähr, baß im Saufe ber @niWicfe=
lungen rttd^t aud) fie au§ bem berWirrenben Sambfe ber Parteien ifyre 3uflucr;t „brüben"
35 fucfyen Würben? —
2SäI)renb nun bie Sage ber SDinge auf broteftantifdjer ©eite bie ebangelifcb, ©efinnten
ju engerem 3"f«wmenf(f)luß trieb, in (Snglanb bie Bewegung, nun rtic^t mef)r an bie
Uniberfität gebunben, in bie entlegenften ©emeinben h\$ naä) Sßale^ unb 3)orlfb,ire über=
fbrang unb in ©cb^ottlanb bie an bie StuSfct/reitungen be§ ^atronatgtoab^lrec^teS fiefy an=
40 fcb^Iießenben Sämbfe ben Seftanb auc^ ber nörblicb^en Sircfye in grage ftedten (1843—45),
getoann e§ ben 2lnfcb,ein, al^ ob bie gerfe|enben Gräfte ber Drjorber aueb, in ber dt\6)-
tung einer ßerbröcfelung oeg ©taatSlircb^entumg erfolgreich, arbeiteten. ®ie ^ßufe^iten
Verräter (rascals and traitors) ber 1)1. Sirene ^u freiten, §eucf)ler, bie im §erjen
römifcb, feien, aber baö 33rot ber Sirene äßen, fyalf über bie ©cf)toierigfeiten nieb^t I)intbeg.
45©iegrage, bie jur Söfung brängte, lag tiefer: m§ ift bie Sirene, bie ijl latfyolif^e Sirene 'i
meiere Sejieb^ungen b^at fie jum ©taat'C ift im Credo unb &atect)i<§mu§ bie fiebere bon ber
Sircf/e in einer ben Vebürfniffen ber ^eit entfbreeb^enben 2Beife feftgelegt?
3Me Seb^rlämbfe, bie mit bem 3<#e 1847 einfe^en, finb bie Slntmort auf biefe
fragen, bie, ir>ie im rbmifcr;en ©Aftern, ben ^ßufer/iten bon centraler Sebeutung waren;
so au§ biefem ©runbe gefye icl) fur^ auf fie ein. —
Sm SDejember 1847 berief ber ^rime=SCRinifter, Sorb ^n Buffett ben oben
(©.27,37) ertoäf)nten $rof. Dr. §ambben jum Sifcb^of bon ^ereforb. ©agegen erhoben
beffen alte ©egner ßinfbruet; an ben 3Jtinifter Wegen ungefunber £ef)re; ba§ gleite
traten 13 Sifcfyöfe; ber 3)ean unb Äanon be§ ©omfabitelö ftimmten gegen §ambben,
55 unb bereint brachten fie bie ©acfye bor ba§ fgl. Dberbofgericb^t (Court of Queen's
Bench); aber b^ier unterlagen fie.
3lod) Wäb;renb biefe ©acb^e fcfjtoebte, feilte ber Wichtigere, an ©orljamg Namen
ftd? Inübfenbe Saufftreit ein. Neb. ©. S. ©orb^am, fc^on 36 Sab^re jubor bei feiner
Drbination Wegen feiner 2lnfict)ten bon ber ^aufwiebergeburt bom 33ifcb.of bon ©Ib.
60 angefochten, Würbe 1847 in baä Sronbatronat 33ramforb=©befe berufen, bon bem tral=
£raltariitm8mu3 33
tartanifcb, gefinrttcrt 23ifd;of Dr. ^bjlbottg inbe§ abgelehnt. @r Imtte, im S©iber=
fbrueb, ju ben 39 2trttiel geleugnet, bafs bie getftlidje SBiebergeburt bureb, bie £aufe
gewirkt ober mitgeteilt Werbe; bog erjbifd)öflic|Se ©erid;t (Court of Arches) billigte
bie bifcfybflicfye @ntf Reibung, aber bom Court of Appeal, einem Unter=2lugfcr;uf$ beg
$gl. ©ei)eimen 3tateg, alfo ber fyöd;ften Weltlichen SerufungSinftanj in firct)lid)en 5
Sachen, an bie ©orljam Berufung eingelegt, Würbe bag Urteil ^bjlbottg aufgehoben
unb ©orfwm in fein 2lmt eingefe^t. Sie $rage nadj ben Sebengbebingungen ber
Kirche war bamit aufgerollt ; aber ber (Streit ging biel Weniger alg um bie infriminierte
Sebjfragc um ba§ ^rinjib : bei Welcher ^nftans wfy bk lefcte @ntfcf)eibung in fircr)Iid;en
fragen, beim ©efyeimen 9kt beg^önigg ober beim (grjbifdjof, b. f>. bei©taat ober Äir^e'^ 10
Stile ÜBemüfyungen ^fnlbottg, ber nunmehr bei jmei Untergericfyten (Queen's Bench u. Court
of Common Pleas) bie guftänbiglfett bei ©eljeimen Siateg für ben borliegenbengall beftritt,
beg 33ifcr/of§ Slomfielb Don Sonbon, enbltcfy einer traftarianifcfyen 9]erfammlung bon über
1500 angefefyenen ©eiftlicfyen unb Saien, blieben otme Erfolg, ©orfyam gelangte nacb,
einigen formalen Söiberfiänben tijatfäcbjicb, in fein 2lmt. Sem Privy=Council mar bag 15
entfdjeibenbe 2Bort berblieben, b.'fy. ber nationalen $irdje mar — gegen SBIomfielbg mafe=
bellen S3ermitteIunggborfd)Iag — bag "3tzd)t abgesprochen Würben, §err im eignen £aufe
ju fein unb felbft ju entfcfyeiben, mag in il)r an Sefyrgut redjtteng fei.
tiefer ©tanb ber Segiglatibe braute bie ©eifter um fo meb,r in ©türm, alg jener
ÜJlugfcfyuf?, bag Judicial Committee, ein Saiengeridjt mar, bem in gciftltdjen Singen bie $om= 20
betenj fehlte unb bag für feine ©ntfcfyeibungen nicfyt einmal bag gef d)id) titele Stecht fjatte. Ser
Srucb, mit ^om im ^ab,re 1534 blatte ftatt beg 'jßabfteg ben dortig jur legten Serufungginftanj
gemalt, ber feine iJtecfyte bureb. einen Court of Delegates (i. b. $. bon geiftlicfyen SDtttgliebern)
beitreten liefj. Surd) ^arlamentgafte Waren 1832 ob,ne 3u[timmung ber $onbofation, bie
bamalg rufyte, bie Äombetenjen ber Selegateg bem ©efyeimen SRat beg Hönigg (Privy 25
Council), im folgenben Qa^re toie bureb, einen gufaß 0>ßl- 3- 2B. 30l?ce/ Tne Civil
Power in relation to the Church, 16) einem Unteraugfcfyujj beg ©eb,eimen Siatg,
bem Judicial Committee übertragen werben, einem rein Weltlichen ©crtd)tgf)ofe, beffen
3Jlitglieber nict)t nottoenbig geiftlicfyen ©tanbeg fein mußten (Dberton, 355). ©0 mürbe
ber 2tugtrag beg ©orfyamftreitg für bieOrjorber gu einem nafyeju berntdjtenben ©cbjage. Ser so
fyödjfte englifcfye ©erict)tgf)of fyatte fie ing Unrecht gefegt, blatte, bag Sefenntnig alg 9iorm
ber ^ecfytgläubigfett ableb,nenb mit feiner ©ntfe^eibung einer ©laubensfrage bie inner=
fircbjidjen Qntereffen unb Steckte berieft, unb an biefer ®ntfd)eibung, gegen bie eine 33e=
rufung nic^t angängig toar, Waren (im Judicial Committee) £aien beteiligt, bon benen
einige nief) t einmal ber ^ationalfircfye angehörten, ^ßufet), buret) biefe Vorgänge tief erregt, 35
trat nunmehr auf ben ^lan; er brol)te mit ber Trennung ber ^tre^e bom ©taatc,
unb gleichzeitig gaben feine ©efolggleute bureb, bie geräufd)bolle ©intoeib.ung einer ^ircfye
(©t. Sarnabag'), namentlich burd) Entfaltung eineg burc^aug römifc^en ©ebrängeg, an
bem bie SBifcfjöfe bon Drjorb, Sonbon unb ©aligbur^), Dr. ^ßufer/, SRanning unb keble
fieb, beteiligten, ibjem geregten Untoißen über bie 3SerIe^ung ber einfac^ften ürc^licb.en 10
©runbfät$e bemonftratiben Slugbrud'.
3)urc^ bag gan§e 2anb b^in bilbeten fieb, Vereine jum ©cb,u|e ber Äirdje, bie nun aufy
aug gut firctjlicfyen, abfeitgbon ben Di'forbern fteb,enben «reifen lebhafte Unterftü|ung fanben.
©g folgte eine zweite giutWelle nad) ^iom ; 3Kanning, 5R. %. SBilberforce, Dr. älllieg,
§. ©obtoortb,, ^3ufet)g Reifer, 3JcagleH unb 60 ©emeinbeglieber einer Sonboner ftircfye traten 45
über. 3Son 1833—1876 Ratten 385 ©eiftlicljc (nacb, ^e 143!) fonbertiert, ber fanatifd;e
3Barb [teilte in ber Church Union ben Slntrag auf Slnerlennung ber Slutorität 9fom§,
unb metjr alg 600 ^5ufet)iten aug jum ^eil feb,r angefeb,enen gamilien manberten @nbe
Sluguft nacb Sfteufeelanb aug, um bort in bem Canterbury Settlement, alg Wady-
folge ber ^ßilgerbäter beg 17. ^abjfmnbertg, ib,reg ©laubeng ju leben unb ifyr ^irdjenibeal 50
ju berwirflicfyen.
Xag ©taatg!irct;entum fcb,ien ing 2öan!en ju fommen, unb melier ©eite ber
Söroenanteil ber Dsforber Seute zufallen Werbe, bag jeigten unmtfsberftänblicb, bie
Scbaren ber Überläufer, ©ine tiefe Bewegung ergriff bie ©eele beg 33olfg, bange
2lbnungen ein«^ f'ommenben 3?er^ängniffeg, einer Umgeftaltung beg religiöfen unb fitt= 55
liefen £ebeng[tanbeg, jitternb in gurd)t unb Hoffnung in ben §erjen ber Serü^rten. Sa
fam 9JJitte DItober 1850, bon niemanb geabnt ober erwartet, bie yiadjxxfyt ing Sanb,
$iug IX. i)ah( in einem geheimen ^onfiftorium ben aboftolifcb.en &ifar Dr. SBifeman
Sum ^arbinal unb jugletdb, jum @r^bifd)of bon 3Beftminfter ernannt unb, ben sJcötcn beg
für 9tom reifen Sanbeg cntfbred)enb, ©nglanb mit einer römifd^en $icrard)ie '»>
S«ea[=®nc^tIot)äbie für X^eotoflie unb Uixä)t. 3. a. xx. -i
34 £raft<mant§mu§
(12 Mi}. ©brcngeln) bcfd)enft. ©eit ben Sagen ber Deformation fyatte ber Sßabft leinen
äfynlidjen ba§ ^roteftantifd^e ©eroiffen auf^ettfc^enben ©cbiag gemagt, bem übrigen^ aucb,
baä ©lorbionengift nidjt fehlte, weil SBeftminfter, bon bem ber neue ^rirnaS feinen Sitel
nalmt, burcb, 2lltcr unb ©efd)id)te geheiligt, ba§ £er§ (Snglanb3, ber ©i£ be§ $önig§ unb
6 be§ Parlament! War. ®a3 £anb tönte Wieber bon aufreijenben ^rebigten, bon $roteft=
berfammlungen unb Sobalitätgabreffen, bie einmütig baä ©infcbjeiten ber Regierung ber=
langten, in bem SCftafje, bajj nicfyt nur bie Sraftarianer öffentlich ftd) gegen bie römifd;e
•gierardjie erllären mußten, fonbem aucb, £orb Düffel!, ber je£t bie äöieberfyerfteltung ber
römifcb/en §ierarcbje al§ eine tonfequenj feiner jWfyolitenemanzibation anfeilen mufjte,
io ben babalen 2lnmafsungen im gebruar 1851 mit ber Ecclesiastical Title Bill entgegen
trat, bie, al3 eine ©onquijoterie gegen leere Stiel, freiließ Weber ba3 ©efd;el)ne Wte=
ber gut machen, nod) gufünftigeS abWenben tonnte. 3n *>er golge Wiefen eine Steige
bufetoittfdjier 23ifd>öfe bie römifdje 2Inmaf$ung in fdjarfer SSBeife jurüd, unb ^ßufeto. felbft
lenfte ein, inbem er ftd) in einer ©djrift in unmtf$berftänblicr/er SBeife für ba<§ Dber=
15 aufftdjtgredrt ber Regierung au§fbrad), ba§ DeWman unb bie tl)m nafye ©tefyenben bon Anfang
ber Bewegung an grunbfäpd; abgelehnt Ratten, ©ein Verlangen nad; 2ßteberfyerftellung
ber SÜonbofation berfagte fidj zwar bie Regierung. Slber im gebruar 1852, al3 ber
©türm fid} in etWa§ gelegt unb darl SDerbb ba§ 2Slj>igminifterium geftürjt t/atte, ging
ber im 33orjaI)re abgelehnte Slntrag gegen ben SBiberfbrucb, ber ©bangeltfdjSen im $arla=
20 ment unb 3Kinifterium infotoeit burd;, al§ ber alten tonbofatton toenigftens» bie Beratung
einer Slbreffe geftattet unb bamit ber erfte ©cfyritt zur Sßieberbelebung ber ©tmobe getfyan
mürbe : nach, ferneren Dieberlagen ein erfter ©ieg ber Djforber, ber nact/mals» infolge ber
reinlichen ©Reibung ber beiben ©emalten bon fegenSreidjen folgen ebenfofe^r für ben
©taat Wie bie $ird;e fid) erWtefen b,at. —
25 %m ©enifonfd^en 2tbenbmafylftrette fiel ib,nen, Wenigften3 formell, ein
weiterer ©rfolg ju. £)er 2lrd;beacon ©enifon in Saunton, bon bem ©orfyamftreit fjer
afö entfdriebener Drjorber belannt, r/atte (1851) in einer 33rofdj>üre über bie ©alramente
2lnfid}ten über ba§ 2lbenbma^l bertreten, bie bon ber $trd;enlel)re abmieten. SSon feinem
Dacb^argetftlicfyen SDitcfyer angegriffen, bafs er eine burd) bie Äonfelration zuwege gebrachte
30 ©egenWart be3 £etbe3 unb 23lute<S ßl)rifti Ieb,re, lehnte er bie gurüdnafjme biefer ©ä|e
ah unb mürbe 1851 bei feinem 33ifd)ofe (Dr. Sagot) berllagt; aU biefer, naef) bergeo=
liefen S3emül)ungen, bie ©acfye beizulegen, balb ftarb unb fein 9iad)folger Sorb Slullanb
mit bem untoillfommnen amtlidien (Srbe ficr) nid^t befaffen mollte, brachte £>itd)er ben
©treit bor ben ©rjbifcfyof ©umner, ber bie bon SDitdjer berlangte ^ommiffion jbar einfette,
35 aber jebe§ roeitere Sorgeb^en ablehnte. Dun ging ®itd;er an bie Queen's Bench (Steril
1856), bie ben ©rjbifcfyof ^ur 2öieberaufna£>me ber <&ad)? jroang. ©in bon biefem berufener
3lu§fcb,ufj entfdjieb gegen SDenifon ; ba er nid; t wiberruf en rooHte, mürbe er abgefegt, aber
ba§ Judieial Committee ftiefj bieg (geiftlid;e) Urteil megen eines> gormfeb,Ier§ um. —
©o blieb SDenifon ©ieger na<| einem Mampfe, ber toter Qafyre gebauert unb ungeheure
40 ©ummen berfd^Iungen I)atte — nid)t au§ bem Decfyt feiner <Sa<fyz, ein gormfefjler rettete
i^n. gür bie ftreitenben Parteien ftellte ba§ Urteil jener erjbifd)öflid}en Kommiffion ba§
eigentlidie ©rträgniö be£ 3Serfab,renö bar: ©enifons Sefjre roibcrfbrecfye bem Selenntnte;
bei Se^rftreitigleiten iomme entfd^eibenb beffen 2öortIaut, nid;t aber bie ©djrift ober bie
altanglifanifcfye Auslegung in Setrad;t. 2öar im ©orfwmftreite ein möglid)ft toeiter
45 ©bielraum für bie Slu^legung ber 3lrtit'el bem 33eflagten ^gebilligt roorben, b,ier tourben
bie Sraltarianer an ben SBortlaut gebunben, ba§ Decb,t, ^mifdien ben feilen ju lefen unb
auf bie 23äter ber cnglifcfyen Mircb,e fid; ju berufen, berroeigert unb bamit ib,re §aubtabfid)t,
bie brimitibe £eb,re in bie 39 2lrti!el hineinzutragen, gerietet (bgl. ©cf)öll ^5D@2, 754). ^u=
bem mar im Sßerlaufe be€ 3Serfab,ren§ bie traitar. gorberung, bie Mird;e entfd;eibet suo
so iure, toa§ red)tenö in ib,r ift, zweimal bureb, enbgiltige^ ©ingreifen beg weltlichen ©erid}t§
(Queen's Bench unb Privy Council) abgelehnt toorben. 2llfo eine Dieberlage ber Srafta=
rianer gerabe an ber ©teile, bie ib,nen al§ ^erjbunlt unb Mrone be3 ©#em§, alg ^eiliges
©rbe ber SSäter galt; unb bogmatifd) ein Dadenfcbjag, bon bem fie, trotj aller ©rfolge
auf lultifdtem ©ebiete in ber golgejeit, fieb, ntd)t erfjolt l^aben. —
55 III. £)er Dituali§mu§. S)ie 93erfucb,e alfo, bie Djforber Sb,eologie gegen bie
ürdjlid;e burd)jufe^en, toaren feb,Igefd}Iagen. ^m Sauf= unb im 3lbenbmab,I§ftreit Ratten bie
Sraftarianer ib,re traft, bie fpefulaiibe unb roiffenfcb,aftlid}e, erfcfi,öbft. 35om ^ab^re 1860
an roerben bon ib,nen bie tonfequenjen ib^rer fyocltfircfylidjen 2lnfd}auungen für Kultus unb
d)riftlid)e§ Seben gebogen unb in einem langen Mleinlambfe bon „gälten", ber alle
60 Seibenfdiaft an ein grofce3 $\d fe|te unb fid> bon 9Jcenfd)lid)em, 2lll5umenfd)Iid)em nid;t
SrnftnriamgmitS 35
frei fytelt, bor ben 3ttcf)ter gefcfylebbt. 2lu§ bcm $ufer/i<omu§ btlbet ftd), bie bt^t>ertgert
$arteinamen aHmäfylicb, berbrängenb, ber 9tituali§mu§ f>erauS. Söarert im ®ort)am=
fcfyen unb ©emfonfcben £anbel bie ÜBerfucfye, bte traftarianifcr/e 2eb,re in ba§ Sefenntniö
hineinzutragen, abgelehnt unb ber gefcb^tlicr^grammatifcf/e $nf?alt ber SlrtiW, alfo bte
@innir>erte nacb, ber ätbficfyt ber SSerfafjer, ab§ fortan majjgebenb in ber nationalen $ircb,e 5
feftgefteHt roorben, fo manbten nun bie Unterlegenen, o|ne Serlangen nacb, bogmatifcfyen
kränzen, ben neuen ©runbfa£ auf bie Nubrifen ber 2l.©Jß. an unb festen bie berbliebenc
Äraft in bie 2lu§beutung bon beren Sßortlaut, be3 33ud)ftaben3, ber ifynen al§ unmtll=
{ommener ©tege3brei£ in ben ©cfyoj? gefallen war. ©ie fyaben, tote ber Erfolg bemeift,
ben Üftijjerfolg au§genu|t unb e3 meifterfyaft berftanben, il)n in fein ©egenteil um= 10
jufe^en.
Um bie Sttttte ber 50er %afyxe fa)on r)atte bie ©d;toenlung begonnen, ^n ©t. 23ar=
nabai', pmltco, einer S£od)terrircr;e ber fel>r forigefcr)rittenen ritualiftifcf/en ©t. ^aulSftrcfye,
ßnigljtSbribge, blatte ber Pfarrer Sibbell ba§ Slltarfrujifo 3lltarleud)ter unb älltarbecfe
eingeführt ; jur Verantwortung gebogen, legte er bom erzbtfcfyöflicfyen Court of Arches, 15
ber bie Entfernung be§ ftrittigen ©djmucfö berlangt r)atte, an ben SluSfcfyufe be§ Privy
Council Berufung ein, ber ber Vorinftanz beipflichtete, jebocf) ba§ ßreuz (nicfyt ba£
^rujifiö unb ba3 Weijjletnene (nicfyt geftic!te) 2JCltattucr) al§ Drnament zuliefe (bgl. Verrr/,
Stud. Engl. Church Hist. III, 31—721); aud) bte Verfuge, bte Dfyrenbeicf,te, bie
in traftarianifdjen Mofterfdjulen (§urftbierboint, ©tore^am) in Übung war, in bie $ira) en 20
einzuführen, fcbjugen nocb, fefyl.
$u Würbelofen ©Janbalfcenen aber, bie bie öffentliche Meinung in Wilbe 2öut
gegen bie 9tömlinge I)et$ten, führte ba3 Vorgehen be<§ ritualiftifct)en 3teb. 33rr/an $ing,ber
feit 1858 in ber^irc^e St. George's-in-the East ba§ anftöfeige 9UtuaI eingeführt fyatte.
®te©emeinbe, bamit nicf)t etnberftanben, Wählte nun gegen Um ben nieb, tritualiftifa)en ©. Stilen 25
jum §ilf<§brebtger, beffen ©otte3btenfte, ba $ing fie nicfyt berfnnbem fonnte, in ber em=
börenbften Söeife bureb, bie Parteigänger be§ Vfarrerg geftört Würben. SUlfonntäglicf)
Zogen au3 aßen Steilen 2onbon§ ©cfyaren bon ©tanbalmacfyern unb Neugierigen in bie
lirdje, ©trafjenjungen, Männer unb grauen au§ ber §efe be§ Solfö brängten mit
$obJen unb pfeifen in bie ©itje, intonierten fcr)mu£ige ©affenfyauer unb warfen mit 30
Kniefcfyemeln unb übelriecb,enben ©ubftangen nacb) bem anftöfeigen Slltarfcfymucf unb bem
^ßrebtger auf ber Äanjel. ®ie Ätrdje War gule|t immer in ber ©eWalt beä 9flob§. ©er
Unfug lam bi§ in<§ Unterb,au§, unb Sorb Sroug^am erlangte bon biefem 100 ^olijiften
jur §erfteßung ber Drbnung. ©ennoeb^ erneute fid) ber Unfug unb erreichte am
26. gebruar 1860 feine §öb,e. S)a§ gange ftrtt^Iicb, geftnnte Sonbon toar in 2lufrub,r, bon ben 35
fortgefcfyrittenften Netten big tief in bie 9ieü)en ber liberalen. ®ean Stanley bon 9Beft=
minfter (bgl. Sb XVIII, 762—3) bermittelte nunmehr unb betoog, im @inberftänbni§ mit
bem @räbifcb,of Haxt unb %fy. §ugl;e§, feinen greunben, ben Pfarrer ^ing, auf ein %afyx
Urlaub ju nehmen unb ju tuenden. (Sr ging: ein SRärtbrer feiner Überzeugungen gegen
bie tobenbe, zudjtlofe ©eltialt, aber unter bem laftenben S)rucfe einer ©ü)ulb, bafj er buref) 40
fein Serb, alten feinen ©egnern junt ©iege ber^olfen.
©eine greunbe inbe§ festen aUei baran, nun erft recfyt in bem Kampfe um?
Ritual burc^su^alten. Nod) in bemfelben Qab,re tourbe bon 20 ,,2lnglilanern" jur „5Ber=
teibigung unb Slufredjterljaltung ber Set)re, ©i^iblin, Sefenntniffe unb ©alramente ber
fatb,olifd)en ^ireb^e bon dnglaub gegen ©raftianismuä, t^eologtfcb.en greiftnn unb ^uri= 45
tanertum" ein herein, The English Church Union (juerft The Church of England
Protection Society genannt) gegrünbet, mit berSlufgabe, ben $ambf gegen ba3 offizielle
Äircb,entum unb bie Regierung aufzunehmen, bie rein !ircb,licb,e ©erid)töbar!eit, Reform
ber ©^nobe, 2lufb,ebung be£ ^ßfrünbenberfauf§ berembtorifcb, Z" forbern, Stbweicfmngen bon
ben $raberboo!=9^ubri!en, bte fultifd) e greigebung be§ 2ltbanafianum§, 3Bteberberl;eiratung w
©efc^iebener u. ä. z" belämbfen unb für alle roegen ber 2eb,re unb be§ 9tttualg bon ben
©ersten Verfolgten (mit perfönlic^en Dbfem) einzutreten. Sie Stntwort auf btefen
3Sorftofi mar bie ©rünbung ber Church Association (1865 bon Dr. Slacfener/, JReftor
bon ßlaugbton in§ 2zUn gerufen), mit bem Programm, „bei Stufrecb.ter^altung ber Sclpn
unb Drbnungen ber bereinigten Slircfjen bon ©nglanb unb ^rlanb, allen gegenmärtigen 55
3?erfucb,en, bie 2eb,re in tt)efentlicf)en ©tüc!en be3 ©laubenS zu beriefen unb bie ©otte3=
bienfte zu romanifieren, entgegen^ unb für bie gorberung einer geiftlicfjen Religion ein=
Zutreten" ©iefe beiben Programme finb in ber Folgezeit bag ©cfjibbolctf) geloorben,
unter bem bie greunbe ber Slffociation alö Slngreifer, bie Unioniftett aU Serteibigcr ben
Äambf um ba§ Ritual geführt f>abcn. w
36 $rnft<mant§mu§
©anj ätocifellog gab bie (SntWicfelung ber SMtformen, bie in ben näcfyften %at)wn
in bieten Äircfyen eingeführt Würben, ber 2lnnaf>me Maum, bie 9iitualiften brängten, tro§
aller anglifanifcr;en Verwahrungen, nad) 9fom ober juxten bocf; eine toeitgefyenbe 2ln=
gleicfjung an bag rönufd^e Ritual, ©a^u beftärtte bie Stebuliftif ber 2luglegungen, bie
5 bon ben Sftttualiften angeWanbt Würbe, ben gtoeifel an beren bona fides.
3Xuf bie ©injelfmten biefer burcfy 30 ^a^re fic^> frinjiefyenben, immer mit l;etfjer
Seibenfi^aft geführten kämpfe einjugeljen, ift fner nicfyt ber Ort. 6l?araftertftifcf) für
bie ©runbfä|e unb bie 2Irt, Wie biefe plle auggefodjten würben, finb bie burcfy bie
tarnen SDfocfonodjie, *ßurct)ag, ©ale unb ©nragfyt bezeichneten; ify beute fie be§t>aI6
10 furj an.
©er ©treit ging — in ben 60er unb 70er ^jafyren — um bag $reuj, genauer
bag ÄlrugiftE, ben Slltar, bie farbige unb gefttcfte 2tltarbefteibung unb bie Sinter. 9Jctt
größter gätngfeit, Vorgetragenem ^ailjiog unb einem 2tufwanb bialeftifcfyer Hunft unb
!>aarftoaltenben ©cfyarffinng, bie einer beffern ©actje Würbig geWefen wären, felbft um ben
15 5ßreig bon SSertounbungen unb $ird)enfcr;änbungen, würben biefe ©inge berteibigt, immer
unter Berufung auf bie 9lubrifen beg ^ßrafyer 23oofg, aug benen nac| bem Sorbilb beg
90. 5£raftatg, Wag nict)t auäbrücflitf) berboten War ober Wag aug arglofen SBenbungen fid?
fyeraugflauben liefj, in ben $irct>enbienft fyerübergenommen Würbe, to exalt the service
by its gorgeousness, Wie bamalg bag ©cfylagWort lautete. 2t. §. 9Jlacfonoc£)ie unb €1). %.
20 SoWber gelten bon 1865 ab ganj Sonbon, foWeit eg fircfyliclj) intereffiert War, in 2ltem.
SBeibe Waren 33rr/an $ingg £ilfgbrebtger im Dftenb unb bort in felbftlofer Eingabe um bie
leibliche unb geiftlicfye Pflege ber Slrmen unb Verlornen bemüht geWefen. 2llg fie, SoWber
an ©t. ^eter'g, Sonbon ©ocfg, unb 9JJac!ono^ie an ©t. 2Uban'g, §oIbom, berfe|t Waren,
nahmen fie bag extreme Ritual bon ©t. ©eorge'g mit borten unb gerieten in §änbel.
25 SRacf onocfyie, ein 3Jcann bon glänjenber Serebfamleit, berteibigte bie bon ifym eingeführten
römifdjen 5DtefegeWänber unb 2lltarlicbler. 3Sor bie (Beriete gebogen, Würbe er berurteilt,
bieSicfyter §u befeitigen. 2tm folgenben ©onntag — id) ioar fetbft 3euÖ^ ber Vorgänge—
erfüllte eine atemlog laufcfyenbe 3Jienge bie $ircl>e big in bie f ernften SBinf el ; auf bem 2lltar,
feiner auf ben aEer 2lugen gingen, ftanben bie Sinter — auf einem bünnen Unterfa^. $n
so ^rebigt über 21© 5, 39 erklärte SJcacfonocfHe : ©o ftefyen fie nicfyt auf bem 2Utar. 2lber
biefe ©ob^iftil fanb bor bem ©erid)t feine ©nabe. Qx Würbe fufbenbiert. 2lm näcfyften
©onntag biefelbe ©cene; SEaufenbe bön erregten 9Jtenfct)en in ben ^irct)ftübten, ©ängen
unb Tiebenräumen, unb bie Sinter, Wie Wir eg fallen, auf bem 2tltare, biegmal bon in
bie Wintere 2IItarWanb eingelaffenen ^ramben fnabp über ber oberen 2lltarfläd)e gebalten.
35 ©iefe unb ä^nltcbe $abuliftereien traben bamalg ben -Kitualiften bei allen efyrlict)
©enfenben gefcfmbet, audf) Wenn SRadronoc^ie für feine SBerb, öf)nung be§ ©efe|e§ fiel) barauf be=
rief, ba^ er ba3 Urteil einer Weltlicfien Sefybrbe (beg Privy Council) in geiftlid^en ©ac^en
nid)t anerlenne. 33ü jum ^al)re 1882 (alfo faft 17 %ab,ve) beliarrte er, immer Wieber ber=
Ilagt unb bor ber legten Qnftanj meift unterliegenb (bgl. Dberton II, 374), im Sßiberftanb,
40 big ber friebfertige ©rjbifcfyof ^ait auf feinem Totenbette il;n bat, um beg griebeng
Willen bie ©inge rubren gu laffen unb fein Stmt freiwillig nieberjulegen. @r Willfahrte,
unb fo fam ber berüchtigte ^rojefe 9)krtin v. SJJacf'onocble, ber bie ©emüter in ber=
bitterter ©rregung gehalten unb bie ©eWiffen berWirrt blatte, ju @nbe.
®ie ©ac^e lag nun in ber breiteften Dffentlicbleit unb forberte, awfy über bie be=
45 teiligten Ureife b^inaug, eine ©ntfcfyeibung für ober Wiber. Unb ber ritualiftifdje 2ln^ang
Wuc|)g nicfyt aEein mit bem ^ntereffe an feinem öffentlichen ©eba^ren; bie 2luggeftaltung
feiner ©ottegbienfte, ^rojeffion, gaf)ne, golbftro§enbe ©eWänber, 2öeif)raucl), bie braufenbe
Drgel übten auf bie oberen S£aufenb, befonberg bie bornefymen ©amen, eine fageinierenbe
©eWalt, Wäf)renb in ben unterften ©ebbten, Wo bie 5titualiften bie ©eelforge in energifc^e
50 §änbe nahmen unb fie jum Sleil in gang neue Sahnen lenlten, iljmen biele greunbe
gewonnen Würben.
^njWifdjen blatte ber %aü ^urc^ag ben umftrittenen fragen eine in etWag ber=
änberte SRiditung gegeben, ©egenftanb ber Ulage (erft bor bem Arches Court, in 33e=
rufungginftanj bor bem 2lugfcVufe beg Privy Council) Waren bie alten SDfe^geWänber,
55 bie öftlicfye ©tetlung beg ©eiftlidjen bei ber Slonfefration unb bie §oftie, beren SerWen=
bung bie Dberinftanj alg ungefe^Itcb berbot, Weil „bie 3tubrifen im Prayer Book biefe
©inge nieb^t auöbrüdlicb erwähnten", Wäb^renb bie 9tituliften umgelelirt alleg nidE)t
Wörtlich Verbotene alg erlaubt angefef)en Wiffen Wollten, ©ag Urteil, bon ib^nen mit
berbiffenen ^ngrimm Eingenommen, fcf)ürte bie (Srregung um fo mef)r, al§ bie bro=
60 jeffualen Unterfuc^iungen unb (Sntf Reibungen im ©runbe berfagt blatten, ©o entfc^Io^
SraftnviamSntuS 37
fid), auf eine Anregung beS VifcfyofS Söilberforce bon 2ßinct)efter (Vrief an ben VrimaS
bom 9. 50Järj 1871), Satt jur (Sinbrmgung einer 33iII, bie u. b. %. Public Worship
Regulation Act (2Iuguft 1874) Dom DberfyauS angenommen Würbe, ©ie fyatte bie 2tuf=
gäbe, baS gerichtliche Vorgehen gegen ungefepdjeS Ritual ju erleichtern, unb War bon
ben betben ©rjbifcfyöfen unb bon betben Käufern ber Konbofation befürwortet unb Dom ö
DberfyauS angenommen Worben. (Strittige fragen, bon WenigftenS brei ©emeinbegliebem
,^ur Enftage gebraut, füllten Dom Vifcfyof abgeurteilt Werben, bie Berufung aber an ben
(Sr^bifc^of erfolgen, ber bie©ad)e gegebenenfalls bem ©efyeimen State ju übergeben blatte.
2(ber bieS Verfahren, baS bie ©ntfcfyeibungen Wefentlid; in bie geiftlicfye §anb legte, beWirfte
baS ©egenteil bon feinen 2lbftd;ten unb braute bie SDinge in IwffnungSlofe Verwirrung. 10
£ie Vifdjöfe, bie bie klagen gütlich ausgleichen fottten, famen in bie beinlicbjte Sage:
bie unterliegenben Parteien nahmen il)ren ©prud) unwillig auf, unb unter bem ir>in= unb
.nerabbellieren trieben fie ifyren Unfug ibeiter — fo 2!Jiadonod)=£onbon unb $ibsbale=
g-olfeftone, bie trotj it/rer Verurteilung weiter amtierten. Offene Verfyöfynung beS ©efe^eS unb
^erauSforberung ber fircb.Iio^en unb ftaatlid)en ©eWalten. SDie ©taatSfirdje gltd) einem 15
ßriegSlager: fjoc^mütige StRifeacfytung ber SegiSlatibe unb beharrlicher Söiberftanb auf ber
einen, 2Inflagen um $leinIict;eS, Verurteilungen unb Berufungen bis an bie legten $n=
ftan^en auf ber anbern ©eite; bie unteren Volff dndjten in ©rregung gehalten burdj
SWaffenmeetmgS unb auf bie Volffeele berechnete ©cfylagWorte, burd) 2lbreffen an ben
$rimaS unb bie Vifcfyöfe, an baS Parlament unb bie Konbofation, an 9Jctnifier unb 20
Königin unb nicf)t ju minbeften burd) matitjersige .galtung ber angerufenen Qnftanjen,
benen bie feft jugreifenbe §anb fehlte : fo ober fo mußten bie Verurteilten — burd) Ur=
laub, Verjirf;tleiftung, Verfettung, in ben feltenften fällen burd) 2lbfe^ung — bem
2lrm beS ©efe|eS fieb, ju entjieb,en. SDie ftaatUdK^ombetenj in fird)Iid;en fragen
ift in ben Ieibenfd)aftlid)en Kämpfen biefer $al)re immer ber auSfdjlaggebenbe ©efid)tS= 25
bunlt: bem ©taate fielen in ber Kircfye leine Sftedjte $u. 2)a Weber SLraltarianer nod)
$ufet)iten nod) Stitualiften ein eigene? VefenntniS befafjen, fo War fein Vifd)of im
ftanbe, fie als folcfye Wegen 2efyrabweid)ungen in 2lnfbrucb, ju nehmen; Wie an anberen
©teilen übernahm für inbibibueKe Slufjerungen bie Partei leine VerantWortltcr/feit. ©cb.ulb
unb ©träfe fiel auf ben einzelnen SRann ; faum Warnte fie, unb niemal? fyinberte fie bie 30
2IuSfdjreitungen ber Treiber. Unb in faft feinem galle finb biefe ^omanifierungSberfudje
bon ben güfyrem beSabouiert Worben; man gab t)öd)ftenS ^u (tbie Sibbon in feinem
©treite gegen SJtonfignore ßabel), baf? man fie atlerbingS „nidjt berteibigen fönne"
©0 belaßte aueb, ber %ux 3)cäftgung mafynenbe SRuf beö eb/rWürbigen Vufefy an
ben jungen 9?adj)Wud>S, bie Stitualfrage auf Soften ber ©eelforge unb ber roiffenfcb,aft= 35
liefen 2lrbeit nicfyt ungebührlich in ben Vorbergrunb ^u brängen, faft ungel)ört. ®enn
in bem rein firdjlictjen $rinji!p rur/te bie Äraft ber Partei, Weil ber ©atj: bie ^ird^e
fann nkfyt bom Parlament regiert Werben, fie rietet fieb, felbft, ib/r Stecht War, freilieb,
nur burcbjufetjen bureb, eine Verfaffung^änberung, in beren §intergrunbe eben ba? ©efbenft
be3 ©i§eftablifl)ment lauerte. 3lu§ biefem ©efidjtSbunfte in erfter Sinie muffen bie leiben= 40
fcb,aftlicljen ^ämbfe biefer ^afyre betrachtet Werben. —
®er gall^Dale bietet in biefer Vejiel^ung bie tb,bifcl;en 3üge. Von ©emeinbe=
gliebern Wegen einiger Neuerungen in ber Sonboner ©t. Vebaft=Äirc£)e (grübjabj 1880)
angeflagt, Würbe SD. bom orbnung§mäf$igen ©ericb,t feine§ 2lmte§ enthoben unb ^Reb. 3(c=
lanb bom Vifcliof bon Sonbon als fein Vertreter Berufen. 2113 biefer am 21. SJJärj mit 45
bem bifct/bflicfyen ©efretär in ber überfüllten Äircfye erfc^ien, trat ®ale ifym entgegen unb
erflärte, bafe er fiel) Weber ber ©u^benfion fügen, nod; ben bom Vifc^of berufenen ©tell=
bertreter klaffen Werbe, Worauf lelanb bie J^irctje berliefe unb ber retf;t3fraftig entfette
2)ale feine? 3lmteS mit allem ritualiftifeljen ©ebränge Waltete. QmDftober afjnbete £orb
s$enjance, ber fieb, jahrelang bem Dbium biefer Sßrojeffe unterzog, ©ale§ „Veradjtung beS 50
©ericb^tS^ofS" im erjbifcb,öflicb,en Court of Arches mit beffen Verurteilung 31t ©efäng=
ni§f)aft, unb jWei^age fbäter Würbe ber Verurteilte, ofme ba^ jemanb an bie 9Köglict)feit
ber Vollftrectung beS Haftbefehls glaubte, ins §olloWa^=©efängniS abgeführt.
ßinige 2Bod)en barauf gefeEte Ven^ance bie unbeugfamen 9tebb. ©nragb, t=Vor=
beSlet) unb ©reen=9)cileS ^latting gleichfalls Wegen ©eb^orfamSberWeigerung bem greifen 55
£ale als ©enoffen ju. 3tun blatte bie 1)1. 5?irc|e ifyre SRärt^rer. Gine ungebänbigte
Gntrüftung über bie Vergewaltigung flog burd) bie ritualiftifdje ©efolgfd;aft unb banb
fie mit eiferner Klammer jum ©ur<|l)alten in ber 9lot äufammen. ©ir (SfyarleS ^oob,
ber langjährige Seiter ber Church Union, auS bem -Korben fofort nad) Sonbon geeilt,
Welt in ©t. ^ameS'S £>all tägliche (SntrüftungSberfammlungen ah, in benen er riet, ben 60
38 JJraftanuittSmuä
gom ber ©ericbte burct) Beibehaltung ber berbotenen ©eWänber fyerauSsuforbem, unb
jum offenen SBiberftanb gegen bie Staatsgewalt aufregte, ©etbft ber greife Bufet) geriet
in SBaßung; mit ber 2lbfi<|t, eine neue Unterfu^ung berSalefcfyen ©ad?e ju ergingen,
richtete er an bie £imeS einen Brief, in bem er ben Ungefyorfam gegen baS ©efe|
s gerabeju empfahl. ®ie SRttualiften Warfen aße Gräfte in bie Sinie, organifierten im
Dftenb, Wo fie mit breitem guße ftanben, bie ju Unfug unb ©eWatttfyat immer bereiten
Waffen unb brauten eS bafyin, baß ber Bifa>f bon ^ocb^efter für ein paar toarnenbe
2öorte gegen rttualiftifcfye Beßeitäten beim Bertaffen ber Jftrcfje ber ©eWalt beS Bor=
ftabtmobs berfiel. ^njmifa^en Ratten ®ateS greunbe bie ©acfye bon ©erid)t ju ©erid)t
10 big jum Sorb Oberster gefd)Ie$)t unb auf ©runb eines gefältigen gormfef)lerS erreicht,
baß SDate unb ©nragfyt (15. Qan. 1881) in greifet gefegt mürben; in ber ©acfye, 2tb=
tefynung ber ftaatltd;en ^ompetens in 3titualfragen, waren fie inbeS unterlegen.
2lber bie 9fteberlage bebeutete ben Stnfang berSöenbung. 2öä^renb bie @ban=
getifd;en baran erinnerten, baß bie bifc^öfli^e &irdb,e eine ©taatSfircfye fei, beren Settung
15 unb $ult burd; BarlamentSafte reguliert Werbe, unb baß bem, ber bon ©eWtffenSWegen
ntd^t gefyord;en fönne, ber 2luStritt aus if)r freiftetje, liefen bie gemäßigten £iberaten
(Broad Church) burd; ßanon garrar gegen bie ^ompetenj ber ©ericfyte in fird;lid;ett
©ad;en ©infprud; ergeben ; bie 3ftituatiften aber riefen an iljrem %6k „bie ©eWalttfyaten
eine§ SlaipIjmS, £amtaS unb 6t)riß unb bie flammen ber ^ttfluifition unb eines eng=
20 brüftigen (SalbiniSmuS ins fcfyaubernbe ©ebäcfytniS gurüct" unb bornierten auf ben bieten
^an^eln, über bie fie nun berfügten, gegen bie cäfareo^apifiifcfyen (Snttoei^ungen ber
b, I. $ird)e ; unter ben fnttföpfigen Treibern Würben fogar ©timmen taut, bie bie Bilbung
einer gteittrcfye forberten. —
©er ©etotnn aber aus ben gefcfyilberten Borgängen War bie auf aßen ©eiten ge=
25 Wonnene Überzeugung, baß ber ©ang ju ben ©ericr/ten ein fiumpfeS ©cfyWert fei, baS
ben knoten ni^t töfte, fonbern baS ©egenteil, StectjtSunficfyerfycit unb Berbitterung fdjmf.
2luf aßen ©eiten nahmen füljrenbe Männer baS Söort unb forberten SDutbung. Biete
bem SfttualiSmuS abfyotbe Prälaten traten für bie Reform ber ©erid)tSb,öfe ein, mit bem
unWißigen £>mWeiS barauf, baß, Wie bie SDinge tagen, $uben, $att)olifen unb Streiften
30 bie ©ntfdjeibung über bie Angelegenheiten ber $ird)e Ratten.
(Snblid; trat aud; @rjbifd}of S£ait aus feiner jutoartenben ©teßung fyerauS unb bezeichnete
als bie erfte Slufgabe ber bemnädjft einjuberufenben ^onbolation eine grünbtid)e llnterfucfyung
ber ritualiftifcfyen ©treitfrage. ©einer Stufforberung, baß bie Söünfctje bon ben Beteiligten
fetbft formuliert Würben, entfyradjen gWei gegnertfcfye Stbreffen, an benen fid) feb,r
35 jat)treid)e firdjlid; gerichtete Saien beteiligten : bie 9tiiuatiften forberten föerfteßung ber
alten, bejto. Reform ber beftefyenben ©erict^fybfe unb ©utbung itjrer ^rartifen, Wäfyrenb
bie Stffociation, bie als bie Bertreterin eines aufregten, raffigen 5ßroteftantiSmuS baS
ßifen bis jule^t im geuer gehalten b,atte, in ber anbern für 5SRaßnab,men gegen bie
ritualiftifcfye Berromung ber ^ircb,e eintrat, ©ie mußte fid) freitid) belehren laffen, baß
40 fie bie 3^d)«n btv ^\t nid}t mel>r berftanb, unb fab, ib,re Hoffnungen ber 3"^^ an
ber müben ©egenWart jerbrec^en : Wäb,renb SDean S^urcb, bem BrimaS bie Unterfcb,riften
bon über 3000 ©eiftlid)_en borlegen fonnte, Wies bie antiritualiftifdje B/tition nur 900
geiftlictje tarnen auf, ein Beweis, baß bie Suft am ©treit unb baS Bertrauen auf bie
ftaattio^e ^ubtfatur bab,in War. —
45 SBaS an ftanl in ben folgenben ^afyren noc^ ausgetragen Würbe, War im Wefent=
ticken nur ©eplän!et um bie ®edung ber SlußenWerfe. ^Racfybem fie burd) lange ^ab,re
am Boben gelegen, traten bie teuerer, bom Kampfe aufatmenb unb nocb, erregt, ^ur
©eite unb Witten ficb, ben ©cb,Weiß bon ber ©tirn; aud) ib,re ©egner fanben, baß
am (Erreichbaren fid; genügen ju laffen befferer ©eWinn fei als ber in ber £>i|e beS
so ©treitS aus tobenben SRaffenberfammlungen b,erauSgepeitfcb,te 2tugenblidSerfoIg. — SSJtan
foß aud; nid)t meinen, baß biefe §änbet um ben „ge£en Xufy" baS ganje ilird;en=
bot! bewegen. Bis in bie 90er %ai)n Waren eS im Wefenttid;en ^arteifämpfe, an benen
fid; Weber bie gemäßigten §od)!ird)lid;en, noc| bie freier gerichteten Broad Churchmen
beteiligten. @S muß bei ber Betrachtung biefer©inge immer im 2tuge behalten Werben,
55 baß bie auf ib,re Sßeitb^erjigJeit (comprehensiveness) ftotje ©taatSürd;e biete 3!Jlit=
gtieber jäb,tt, bie in ber £et)re bom §eit auf cjtrem met^obiftifc^en, in ber 2tbenbmat)lS=
lettre auf ejtrem calbiniftifct>em ©tanbpunft fteb,en; aßeS Seute, bie am fdjnßernben ©e=
Wanbe ber üird;enmeinungen il^re greube b^aben. Qn ben 70er %at)tm t)aht id; feb^r oft
ben großen fird)Iict)en Berfammtungen, bie im sIRai in Sonbon abgehalten Werben, bei»
60 geWotmt, ob^ne bon irgenb einer eingef>enben Bejugnattme auf bie rituatiftifd)e grage etWaS
SmftnrinmSutnö !}!)
ju bcrncf;mcn. Tdd)t nur ber weitaus größte X'ctl beS ftaat^Itrd;ttd;cn Klerus fyält fid; fern, —
nad; bem Tourist's Guide mürben 1901 bon 14242 ®ird;en in ©nglanb unb SßaleS nur
in 10°/0 (1526) brteftcrlidjic ©eroänber, in 393 2BeiI;raucf; gebraust, unb ber „Report
of the Royal Commission" bon 1906 [teilt äufammenfaffnb feft, bajj „in ber großen
llicfyrjaf;! ber ^garod^ten bie fird;Iid;c Arbeit bon Sftännern ausgerichtet Wirb, bie boflftänbig auf 5
ben ©runbfätjen ber Deformation, rote fie im 2l.©.B. borlicgen, ftefyen" 2tudt) ber gefamte
energifd;=broteftantifcf;e©iffent ftefjt abfeits unb fiefyt lädjelnb bem rttualiftifd;en §umbug ober
mit juroartenben Hoffnungen bem fdt;Ictd)enben ©elbfiauflöfungSbrojefs ber ©raatsfird;c ju. —
Sie groeifel, ob biefe ritualen fragen bor bem weltlichen Dieter ju einem
gefunben 2luStrag gebracht Werben fönnten, ja, ob fie übertäubt bor baS ÄönigSgeridjt 10
gehörten, fjatten nie aufgehört; je^t macfiten fie fid) in ben befonnenen Greifen mit
3iacf)brud geltenb. ^m 2lnfang ber 1880er Qafjre roanbte fid) eine Deil)e angefer/ener unb
toeitblicfenber 3Jtänner an bie Öffentlichkeit mit ^roteften gegen bie biSb, erige buref; SRifjerfofge
gerichtete, rigorofe ^ßrarjs in ber Bef;anblung ber ^ultfragen. Parlament unb ©ertcf;ts=
f;of Ratten berfagt. ^^r I)abt, r)atte (5. 2£. ©fabftone ben Äirdjenleuten zugerufen, ju 15
toäblen jrotfdjen bem Smfengericfyt ber ©taatSgelber unb bem ©rftgeburtSrecfjt ber Braut
(5r/rifti, unb aus ben bon ber SKffoctatton rege gehaltenen rbmifcfyen Befürchtungen
rang fid; jeitf bomefmiltd; bie §rage f;erauS, reo ein rein barlamentarifd;er ©erid;tSI;of
wie baS Privy Council baS Ded;t I)erl;abe, in ©acfyen beS ©laubenS unb beS ^ultuf bie
©croiffen ju binben. $ünf ©eiftlidje Waren ins ©efängnis gefetst roorben Wegen Über= 20
tretung beS ©efe^cö unb Illoyalität (adding lawlessness to disloyalty): War ber
llngef/orfam gegen eine nid;t berfaffungsmäfjige ©ntfdjeibung Übertretung? War biefe $1=
lor/alität? roar bie frmftttuttonetfe $retl)eit ber $ircf;e eine minber b, eilige ©acfye alä bie
fonftitutioneHe greifet beS Staatsbürgers? 2öte barf ber ©taat ©eiftltcfje feftfe^en ba=
für, baf? fie feiner ^ßrarjS, in ©laubenSfacfyen unfircf/lidje Dornten aufzwingen, bie 2ln= 25
erlennung Weigern? ©0 fingen bie Bifdjöfe jeijt einer nad; bem anbern, unter bem
Setfall ber öffentlichen Meinung, an, ben ©ang jum ©erid;t ab^ulefynen. 2>m Februar l88*
legte ber ^prtmaS bie Streitfrage (ber ftaatlicb,en ^ombetenj) ber ^onbofation bon Ganterburb,
in Dber= unb Unterhaus bor, unb nad; cingefyenben Beratungen beantragten betbe §äufcr
bei bem ^rtmaS, bafs er bie Regierung um bie Bilbung eines SluSfdmffeS erfudje, ber 30
„(Einrichtungen unb £ombetenjen ber ftaatlid;en ©erid;tSf;öfe einer Ünterfucr)ung unter=
jier/en unb gegebenenfalls eine Deform r/erbetfüf;ren" folle, Worauf im 2Iuguft ßarl
Beaudjamb in ber Ecclesiastical Court Regulation Bill biefe Söünfcfje ber $onbo=
!ation bor baS Parlament brachte mit bem Slntrag, baf$ eine Igl. ^ommiffion eingefe^t
unb jeber roegen 3Serad;tung ber ©erief/te berurteilte ©eiftlid;e nid;t länger als fed)S 35
9Jfonate in §aft gehalten roerbe. SllS inbeS ein Slmenbement ftatt biefer milberen Be=
ftimmung für mieberl;olte Sßerad;tung beS ©efe^eS 2lmtSentfetang forberte, fiel bei
ber ©cfylufsabftimmung bie Bill; nur ber 3luSfd;u| rourbe auS bem Untergang gerettet,
mit bem Auftrag, bie Deform in bie Söege ju leiten, roäb,renb ben Bifdjöfen baS bislang
je unb bann in Slntoenbung gebraute Beto gegen bie ^rojeffuale Verfolgung ber geiftlid;en io
Selifte nunmehr enbgiltig eingeräumt rourbe.
©0 roar bie barlamentarifd;e Slltion bod; in baS l;od;?trd;lid;e ©elcife ber Dsforbcr
eingemünbet: alle breiähtträge lagen auf ber Sinie ib^rer gorberungen, unb bie $olgc^eit
lehrte, ba^ 3Bunfd; unb Söifle fie immer roieber über tfyr SlugenblidS^iel hinaustrugen.
3)ie §aubtfd;lad;t mar gefd;lagen. ®er ^rojefe beS Bifd>ofS Äingbonfiincoln, in 15
bem ber $rimaS Benfon (21. Dob. 1890), baS Privy Council (1892) ben gcmifd;tcn
Md), bie Slbfohttion, bie öftlid;e Stellung beS ßelebranten, baS Agnus Dei am
<3d)luf5 unb ben ©ebraud; brennenber Steter als in ber englifd;en J?ird;e erlaubt, ba=
gegen baS Bredien beS Brots angefid;ts ber ©emetnbe rote baS Hreujfd;lagen bei 2lbfo=
lution unb ©egen als unftattl;a'ft aburteilte, bebeutetc int roefentlid;en Ded;tfertigung 50
alten ritualiftifd;en ©treitgutS, bie burd; baS Lambeth Judgment Quli 1899 bis
9Jcat 1900), in Berbinbung mit ber @ntf Reibung beS Privy Council freilief) in einigen
nidit roefentlid;en fünften, ju ungunften ber Ditualiften mobifijicrt roorben ift. —
©eitbem finb ^5rojeffe um bie JMtfrage nid;t mcf;r geführt roorben. Rufest f)at
bie fcfjarfe 5)Memif beS @r^bifd;ofS ^emble (^an. 1899) gegen bie bon ben Ditualiftett 55
bertretene rpferibee biefen bon neuem ben 5Rut geftärft unb fie -m biclbeflagten Düdftd;tS=
lofigfeiten beranlafst: in ber ^arroocfje 1899 überboten fie fid; förmltd; in ber .\>erübp
naf;me unberfälfcf)ter römifd;er formen (5Re^feier, Df;rcnbeid;tc, ^projeffion unb s.li>etb=
raud). 3lber if»r §af? gegen ben ^ßabft (Primat, Unfef)lbarfctt), ber, nacf;bem i'eo XIII.
am 13. ©ebtember 1896 auf ©runb feiner leb,ramtlid)cn Unfel;Ibarfcit bie angltfanifd;en w
40 £ra!taiiaui§niuö
2Betfyen als tnfyaltlofe, nichtige 2lfte befiniert unb bamit ben £ocb,ftrcf)Iicf;en an bte ©eele
gegriffen blatte, auS ben enttäufdjiten Hoffnungen fräftiger als je aufgeftiegen ift unb in
ohnmächtigen ©djmtäljmngen über dtom ficb, ergießt, fyat weitere torobaganbiftifcfye @r=
folge beS UltramontaniSmuS fo gut mie bernicf)tet. Samit aber ift bie ©efafyr befeitigt,
5 bie bor 50 ^afyren baS broteftantifdje §erj ©nglanbS fyeifser fcf) lagen liefe unb bie Sßrücfen
aller fircfrticb, en Stiftungen, ber b, ocf)=, breii= unb nieberfirdjlicfyen ju ben Drjorbem abbract).
^e^t b,aben bie ©öfute bie fircf;Iicf>e güfnamg, bie bie SSäter beS High Church Revival
für fiel; in 2lnfbrud? nahmen, auS ber §anb geben muffen, unb infofern finb fie gegen
bie 23ifcf)öfe im ßambf um £raft. 90 unb gegen ben SßrimaS (%axt) im 2lbenbmab,I=
10 ftreit unterlegen. 21IS gefcf) loffene © emetnfcfyaft erjftteren fie ntdjt meb,r; feit 1900
finb fie im luef entließen in ber § od) fircl) lieben Partei aufgegangen; unb
aueb, bie Church Union, in ber fie früher ifyre organifierte $raft fammelten, ift toie ib)re
©egnerin, bie Church Association im TOebergang. 3el^ toäfyrenb ber SCngletctjungSbrojefe
noef im ©ange ift, Rängen ©icf)er£)eit unb triebe bon bem 9Jlafee beS 33emüb,enS um
15 gegenteiliges SSerftänbniS ab bei Scannern, bie fid) 50 ^ab^re lang mifeberftanben fjaben.
®en neueften, jugleicf; bebeutfamften 33erfucr), btefe Ungleichung ^u raege ju bringen,
bejeicb.net ber Skript, ben bie ebengenannte %I. ^ommiffion unter 93orfit$ beS Sorb 2Ilbtor/n
(Report of the Royal Commission on Ecclesiastical Discipline, 1906) erftattet fyat,
mit bem 2fbfeljm, einerfeitS eine Klärung ber Meinungen über baS lircfylicl) ©rlaubte an=
20 jubafmen, anberfeitS einen gangbaren 2Beg $u gemeinfamer lircf)Iicf;er Slrbeit gu roeifen.
In praxi, mirb gefagt, ift ber Vorwurf römifcfyen IgmbortS für eine grofee Strtjar)! firct)=
lieber ©ebräua;e nieb, t aufregt $u erhalten ; bieleS, maS bor 50 Sauren als römifcf;e 2Seife
berbammt mürbe, ift ot)ne ungünftige folgen §u allgemeiner Slnna^me gelangt, unb eS
befielt bie §offnung, bafe bieleS, toaS jur $eit nod) unter bem ©tigma ftel)t, in einigen
25 Qa^ren ob,ne 2lnftofe in ber $irct/e geübt wirb. SDer gegenwärtige ©tanb ber ®iref;e
Weift jtoar eine SCnja^I fultifcfier formen auf, bie über bie ©renjlinie IjnnauS auf ber
römifdjen ©eite liegen; bod) fyerrfdjen fie im ftrengen ©inne beS SSortS nicf)t cor (not
accurately to be described as prevalent), anbere in größerer Qaty (more widely
prevalent) fcfyliefeen implicite römifcfje fiebere mit ein, Wäfyrenb anbere, infolge »on
30 Unterlaffung unb Untergattung, einen bon bem 2L©.$8. abWeict)enben %t)buS ber grömmig=
feit barftellen: ein beflagenSWerter guftanb, rueil er ben Mangel fircf;Iicf;er ©infyeit offen=
bart, aber ein 3uftanb, ber ju VeforgniS unb überfyafteten 9Jiaferegeln leinen 2Mafe
giebt. — Sßor bem ©efe| unb ben ©erict/ten ift ber 9lituaIiSmuS unterlegen ; beibe finb
gegen ifm. $ut Überminbung ber ©cb.mierigleiten finb jtoei 2öege möglief): Sefeitigung
35 beS 9fttuaIiSmuS burcl; baS ©efe^ ober SRobifilation beS ©efe|eS bureb, ben 3f{itualiS=
muS. @mbfof)Ien mirb ber jroeite 3Beg, alfobieJlorreltur beS ©efetjeS an ben Überjeugungen
ober bem ©tarrfinn einer unterlegenen Minorität, maS in ber ©aette ben Teufel buref;
Seeljebub austreiben b,ei^t: victrix causa deis placuit, sed victä Catoni. 3?or=
gefcbjEagen mirb bie 2lufnal;me einer neuen 9iubri! ober ein neuer geiftlict)er ©ericb,ts=
40 |of unter @r^bifcf)of unb beiben Käufern ber ®onbofation, mit ber ^ombetenj „in allen
fragen ber Sefjre unb ^rarjs ber k'ixfyc bon ©nglanb" ®er triebe ift nur möglief)
buref) bie ©elbftüberminbung ber beiben Parteien: in feinem ^ntereffe „l)aben beibe
ib^re Vorurteile unb SieblingSibeen aufzugeben" — ^n biefer SRafmung, in bie ber
Sericf)t auSflingt, liegt feine Sebeutung unb fein ©egenmartSrcert. 3Son 9tom b,at bie
45 Äircfte bon ©nglanb nichts ju fürchten ; aber in ber ÜBerfcfmrfung ber ©egenfä^e liegt
bie @efaf)r eines fommenben SrucljS, ber @ntftaatlicf;ung ber ^ircb,e, an beren 3Ser=
i»irflicf;ung in ben au|erfircf/licf)en Greifen (®iffent) nicf;t beräcf)tlicb,e 3CRäd)te arbeiten. —
3)er ftarfe, gefcf)Ioffene ©influ^, ber ib,nen im lauten Hambfe ber 5Dceinungen eine
Seit lang ^gefallen mar, ift ben §änben ber 3titualiften entglitten, ©o tiefe SSirfungen
50 fie auf bie$ircf,e ausgeübt b^aben(bgl. ©. 41 f. u. 51 f.), \i)x%üq ift, feitbem fie bureb, if;re
§inmenbung jum §ocf)fircf;entum itjrer früheren (Einheit unb ^raft berluftig gegangen
finb, bafyin. ©rabe ber ©tanb ber ©inge, toie er fiel) auS ben @rb,ebungen ber Royal
Commission ergiebt, §mingt ilmen bie (Srmägung auf, ba^, toenn Autorität unb %üfy
rung einmal berloren finb, eS ber jelbftberleugnenben ©ebulb, ber 2öeite beS SlicfS, gülle
55 beS Innenlebens, bfyct/ologifcfy fcb,öbferifcl)er ©eftaltungSfraft unb ber ®unft beS 2fbmartenS
bebarf, um roieber in bie erfte Steige ju fommen. — 2öaS bie ^ufunft aber an ©cf;mierig=
feiten unb tämbfen noef; bringen mag, baS eine fjaben bie D^forber erreicht, bafe fie ah
gefeb^en bona fircf;licf;=braftifcr;en auf bogmatijcf;em ©ebiet ben Seb,ren ber Siealbräfenj unb
beS ©ucfwriftieobferS einen legitimen ^la| in ben Geologie, ber grömmigfeit unb bem
eo JMtuS ber $ircf;e bon ©nglanb erfämbft b,aben. —
SraftartnmStnng 41
IV $ic fircttlicfyc 21 rbctt ber Drjorber. ©o lange bic Dri/orbcr ben ©runb=
fa|, ber i^nen 9iecf;t unb Äraft gegeben, bie Vefämbfung be<§ Siberati3mu3 , ber
mit unb/eiliger £anb in ba3 Stecht ber $trcr)e, iE>re Angelegenheiten felbft ,^u
orbnen, eingriff, in feiner urfbrünglidjen sJ?einfyeit bertraten, Waren fie im Saufe
ber $eit eine iSlafyt in ber 5RationaI!ird;e geworben, gn ben 1830er $ar)ren fodjt 5
ber firepef/e ©eift einen gefunben $ambf au3 unb feierte feine fcfjönften Siege,
©ann Würbe bte fbujfinbige SMaleftif 9ieWman3 für gefunbe 2SeitereniWicfelung jum SSer=
fyängni3; bie Vufetnten, bie ^War ber römifcfyenSochmg Wiberftanben, ftegien ftcb, ju Xobe
im ohnmächtigen Kampfe gegen eine Staatsgewalt, auf beren SJlitarbeit unb llnterftütjung
fie eine 300jäf)rige glorreiche ©efctncfyte Wieg, bte Stitualiften enblid) berfcl)Wenbeten if)re w
Mraft an ben bunten glitter. ©o tief bte Bewegung bte englifdje $ircb,e erregt r)at, bte
tfyeologifcfye J^ffenfcfyaft berbanft i£>r fo gut Wie nicfyt»; in tfyren gefd^idjtltdEjert, bog=
matifdjien unb ejegetifc^en ^tggi^Imen ift fie peinlich unfruchtbar geblieben. ^fyrer bib;
lifcfjen Geologie febjt Siefe unb $reil)eit ber ©ebanfen, ber ©jegefe Vertrautheit mit
ben tritifdjen unb jetrgefcr/icfytlicfyen Problemen; ber grofee 5Retoman b/at j$um tieferen 35 er = 15
ftänbnte ber 1)1. ©cfyrift in feinen 37 Vänben laum einen Beitrag geliefert; ben batri=
ftifcfyen ©tubien aber I)at fie, noeb, ofyne Vertrautheit mit ber neu auflommenben gefc^)tc^tg=
toiffenfcfyaftlictjen ^ed^nil, bie Söege geebnet; bte SInfätje baju ftnb Vufetyg Library of
the Fathers unb bie etWa§ fbätere Library of Angloeatholik Theology, bie bie
Schriften bon 56 großen Slnglüanern (ber Saubfcfyen) ©cEmle enthält; aber al3 Wiffen= 20
idjaftlict/e Seiftungen fönnen beibe nicfyt angefefyen werben, weil fie SEenbenäfdmften ftnb.
Unanfechtbare ©rfolge aber fielen bem 3IngloIatlboIicigmu§ auf bem ©ebiete ber
brafttfcfyen SLI)eoIogie jur ©eite. 9Sas> 100 Qaljire bor ifjmt bie erfte Djforber Ve=
toegung unter 2öe§Ieb. unb Söfyitefielb in bie §anb nafym, bie erftarrte $irc|e ju einer
£eben3mad)t ber Nation ju machen, ift ber ^Weiten im Wefentlicfyen gelungen. S)en 25
9JJetfyobt3mu§ fttefj bie ^trcfye au§, bie 2lnglilaner l)at fie nicfyt Io§ Werben lönnen. ®af$
im ©ftablif^ment eine tiefe Siebe jur fatfwlifcb/en ^ircfye ber Väter erwacht ift, eine Siebe,
bie reid) an 9Ber!en ber Siebe ift, ber Jynnern unb 2tuf$ern 9ftiffton, auf fokalem unb
Jircfylicf/em ©ebiet, in ber §eimat rote in ber grembe, fyat fie jum großen Steile ben £)xy
forbern ju banlen. 30
$n erfter Sinte ift bie SBiebererWecfung be§ fircfylicfyen ©etfteg im ©ftablifb/ment
ifyr Verbtenfiunb 9?ul)m. ©ie baben burefy eine 50jäl^rtge Slrbeit bor allem in ber © e e I f 0 r g e
eine neue (Sbocfye uraufgeführt, ©erabe unter ben ber Ätrcfye entfrembeten f)öf>eren
©tänben ift tlt)re Arbeit am Wirffamften geworben; in biefen Greifen fjaben fie bie meiften
unb begeiftertften 2Xnl)änger, unb ber nidjt immer gefunbe ^ult, ben bte ©amen ber 35
englifdt)en 2trifto!ratie mit ben ritualen SSetc^tüätem unb ^irc^en treiben, ift nicb.t lebiglicb,
al§ 5CRobefac^e anjufe^en. Söeil jene ©rnft matten mit ber ©leidjberecfytigung bon ,§ocb]
unb fiebrig unb ber Slrmen, 23erlaffenen unb Uranien in felbftlofen Siebe^roerlen fief»
annahmen, l>aben aueb, bie toon ber ^trcfye ftief mütterlich beb, anbelten unteren 9Mf;
fdtjtd^ten bie Butter toieber lieben gelernt, ©ie r)aben l^ran!en=, 2öaifen=, 3fJiiffiong= unb 40
ßrjiefmngsbäufer im großen ©tile gebaut; bureb, bie Slufroenbungen ber Stircl)engemeinben
finb neun neue 23i<otümer (^JJancb, efter, Süüon, ^erocaftle, Siberbool, ©out^roeü, ©t. 3llban§,
2ruro, 9Ba!efieIb unb 33riftol) gegrünbet unb au§geftattet werben; bie galjl ber au§=
bärtigen Si^tümer unter bem Primat bon ßanterburt), im 3- 1877 im ganzen 23, ift
(—1900) auf 170 geftiegen. ^n 25 %cd)xva errichteten fie in einem ber öerroorfenften Viertel 45
be§ Dfteng (St. George's in the East) eine neue ^ircb,e, SEage§= unb ©onntagfcb^ulen,
Sibliotfjelen, ©bar= unb Vorfcb.u^faffen unb ftellten ©ilben= unb ©d^Wefterbereine an bie
Arbeit, !urj aHe§, toa$ jur ©efunbung unb @rl)oIung nacb, menfc£)li4em (Srmeffen getb^an
werben lonnte. 2In ^{aefonoc^teg Itircb^e ©t. ^Otargaret'g glieberten ftc§ in jebn §af)ren
eine Steige Wol)lt^ätiger Sßerfe, baju Vruber= unb ©c^Wefterfcb,aften , unb überall im 50
Sanbe, aueb, über bie eigene Varodne f)inau§, Waren fie an ber ©rünbung bon iKnftalten
für ÜBaifen, ©enefenbe, ©efallene, §albftnnige u. ä. tl;ätig. ©ie fbtelcn eine ftt)led;tc
9tolle, biefe Mtualiften, Wenn man fie bor ©ericfyt um 6afula unb Sßkifyraucfyfafs, 33eicf)t=
ftuf)l unb Ärujifij ftreiten fief)t; aber man feb^e fie in ibjer ©emetnbe, unb ba3 Urteil
Wirb ein anbere§. 65
3lllc biefe lebenfdjaffenben inneren unb äußeren 3Ber!e fiitb ba§ (Ergebnis einer
Crganifation, bie, berjenigen ber rbmifet/en ^trdt)e in Verfeinerung nacfygebilbet, felbft
in bem bon braftifeb/en ©efic^töbunlten bef>errfcf;ten ©emeinfcfiaftsleben (Snglanbö faum
tf>re§gleid)en fjat.
Sie (SentralgeWalt biefer ©rofebritannien unb bic Kolonien umfaffenben Drganifation 60
42 £raltartani§mu8
ruf)t bei bcr nur au§ ^ricftern gcbtlbeien Society of the Holy Cross, beven @rjftenj
(feit 1853), bis babln öor ber Öffentlichkeit geheim gehalten, 1873 bttrcfy eine 9cotij im
Eock begannt tourbe. ©ie fyat in ifyrer §anb bie Oberleitung ber mannigfaltigen arbeiten
ber inneren unb tufjeren 9Jliffton, ber IMtfragen, £raftat= unb ^nbact;t€büd)erberteilung,
5 bes" 2kicf;ttoefem§, ber öffentlichen Serfammlungen, enblid) ber ©üben unb Vereine, ©tferer
toie 3flac!onocr;ie, ßarter, 9ftb3bale, STooü) unb Sotober fyaben ir/r offenftbe Senben^en ju
geben berfucfyt; inbe§ toirb bie StrBett im geheimen gehalten unb ift, toeil fie bcn S£ag
fcr)eut, bielen (römifcfyen) Sßerbäcfyiigungen au3gefe$t getoefen; bie Cowley 35äter, (Soc.
of St. John the Evangelist in Cowley), in beren §änben bie nad) römifcfyem 33or=
10 bilb arbeitenben SRiffionen unter ben ©efäfyrbeten unb ben „^ßroteftanten" finb, fdjeinen
jener angegliebert ju fein ; fie binbet ü)re 9Jiitglieber burd; bie brei 9J?öncr;3geIübbe, gu benen
bie gorberung ber (tägticfjen?) D^renbeict)te tritt. — @inen toeiteren S?rei§— in ben 1890er
Jabjen über 12000 nad? Sifcfyöfen, ^riejtern, 33ruber= unb ©cf/toeftergilben unb $om=
munilanten georbnete 9JtttgIiebcr bon ©eiftlid)en unb Saien jäl)lenb — bilbet bie 1862
15 gegrünbete Confraternity of the Blessed Sacrament, mit gegen 250 $toeigen in ben
Kolonien, bie für bie rituale 2Iu3fd)müd:ung ber ©otteSbienfte unb Strien, für ba§
haften, ©ebete für bie SLoten, bie (Erhebung ber ©ucfyariftie $um §öb^e^un!t ber freier,
enblict; für bie tägliche Seilte unb SJJeffe im Morning Prayer eintritt, gerner bie
Association for Promoting the Unity of Christendom, beren 3Ritgliebewamen
20 nid)t beröff entließt werben; fie betreibt bie Bereinigung ber anglitanifdjen, romifc^en unb
griednfd)en $ird;e; bie ©efyeimgefeUfcfyaft bes> Order of Corporate Reunion, bie ftaat§=
fircf/licfye ßlerifer neu orbiniert unb ben römifcfyen 5ßabft als ben erften 93ifd)of ber
&ircb> unb beren ftcr)t&are§ §aubt anerfennt (fo in ber geitung be§ DrbenS, bem
Reunion Magazine vol. I, 242) ; enblid; bie Guild of All Souls, ber Alcuin Club,
25 qua) bie Church Extension Association gehören fyierfyer. — Sie Slftion in ber
Dffentlicbleit tyat bie oben (©. 35, 52) genannte, 1859 gegrünbete English Church Union,
bie 1884 aß gJlitglieber 2675 ©eiftli^e (barunter 50 SBtfdjöfe, b. fy. 45°/0 ber ©efamt^I)
unb 18600 tommumranten (SRänner unb grauen) in 200 3toeig= unb 50 S)iftrift§=
bereinen §är)len foH; bie il)r angeglieberten bejto. unterftü^ten Rettungen Church Union
30 Gazette, Church Times unb Church Review baben jur Slufgabe bie öffentliche 3Ser=
teibigung ber gartet unb ben fird)lid;en 2Iu3bau be3 ©tyftemg, ba§ fie mit Straft unb
rücfficfytSlofem greimut Vertreten.
2)te Kleinarbeit aber toirb bon ben gafylreicfyen ©üben, Drben, ©cfttoefier=
unb 23ruberfd)aften getfwn, bie tote ein SRefc engerer unb toeiterer Serbinbungen
35 bie ganje ©taatöl trcr)e , aud) in ben Kolonien übergießen. Sefonber§ berbient um fie ift
ber in ben 1870er Qabjen bielgenannte gaiber $gnatiu§, ber in SBaleS ein 9JJännerflofter
mit ftrenger Siegel (braune lutte mit Seibfirid, ©anbalen u. f. to.) jur StuSbilbung bon
ajfiffionäbrebigern gegrünbet blatte, gerner gehört E>terlt)er The English Order of
St. Augustin, ber feine für bie Drbination fid) borbereitenben geiftlidjen 33rüber gleid)=
40 faE§ in ftrenger Slbgefcfyloffenfyeit unb Siegel r/ält. £)ie ©ditoefterfcfyaften, bie im eng=
lifef/en SSoIMeben breiten SRaum einnehmen unb bem grofjftäbtifcfyen ©trafjenbilbe einen
marfanten ßug geben, — bie erfte tourbe bon ^3ufet> unter SJiij? ©eüon§ Seitung in§
Seben gerufen — toibmen fiel; ber ^ranfenpflege unb ßaben fyeute faft aUe großen
§öf^)itäler £onbon§ in ißrer Dbf>ut ; ju ißnen fielen in Koferer Serbinbung Xaufenbe bon
45 ©amen ber borneßmen unb mittleren ©tänbe, bie burd) ©elb ober freiere perfönlidje 93e=
teiligung ba§ 2tnftaltgtoer! unterftü^en unb fio) berf)flicb;ten, tägliche gürbitte für ba§
9Jiuttert)au§ unb feine Pfleglinge gu tßun. Unb äße bieje Drganifationen, bon benen
baS gro^e §ilfgtoerf getragen toirb, galten fteß, toie bie öffentliche £iebe§arbeit ber ©eift=
Iid;en, im toefentlidien in parod^ialen gormen. Qmmer fteb,t am anfange ein tßatenfroßer
50 ©eiftlidjer, ber bem §elfergeban!en in feiner ©emeinbe jur Bertoirllidjung fnlft, grauen,
Jungfrauen unb junge Männer an bie 2trbeit ftellt unb biefe, toenn fie Ieben§fräftig ge=
toorben, in bie toeiteren bertoanbten Greife füßrt.
©0 bebeutfam alfo bie @intoirfungen ber Djforber auf ha§ Itrdjlidje unb fojiale
Seben ber ©emeinben finb, auf bem ©ebiete bertt>eoIogifd>en23iffenfcf/aft ßaben fie,
55 toie id) oben furj anbeutete, toenig ober nid)t§ geleiftet. Jfjre ©ogmatif ift ber Sierjtd^t
auf ptnlofopr/ifcfye ©Refutation unb frommet ^ad)benfen unb toenig anbereS als bie begriff
ließe Bertoertung beä in einer jabjfyunbertelangen (Snttoidelung getoonnenen %oIogifd)en
©ute§, Erneuerung bergangener SSerte: ber 2lngIitani<8mu<S be§ 16. Jaßrttunbertg in
mobernem 2lufRu^. JbreSefyre ift ©efc&icßte. Jn ben tßeologifcßen (Srörterungen ber
60 1860er, 70er unb 80er Jafyre gefyt ber ©treit toeber um neue ©cbanfen, nod) neue %l)aU
SraftartamSmuS 43
fachen, nocb, neue ©efetje; in tcd)mfd)em ©inne fyat in aßen „gällcn" bie äkrgangenbcit,
bie ©efdjidjte ba3 Ic£te unb entfdjetbenbe 2Bort behalten. $)er %x. fyat ben bogmatifdjen
fiefyrfomblei; be§ 16. unb 17 3>afyrr)unbert3 in fräftiger 3ftetembft)cf)ofe ju neuem £ebcn
ertoedt unb in ben 5Rtng ber Djforber ©ebanfenreifyen eingefcfyaltet.
©eine SBerfenfung in ba$ ftrd^Iid^e 3lltertum tourbe gtüeifelloö einerfeitg burd) ba€ 5
Srtoacfyen be§ b,tftorifd)en ©eifte§ in ©nglanb bebingt, ba§ jeitlicb. mit ber traftariamfd;=
ritualiftifcfyen SBetoegung jufammenfäittt. SDem 2luffommen ber gefcbidit3totffenfcr;aft(icr)en @r=
fenntniStfyeorte unb ber @rl>ebung ber englifd)en §iftoriI gur 3öiffenfd)aft (burd) greeman,
©tubbä, groube, ©reen) berbanlt fie einen toefentltdjiett %til ifyrer Uraft, i|re gefdnd;tltd;e
©elbftbefmnung unb ibje Erfolge beim Semüfyen um bie SBieberertoedung »ergangener 10
ftrcpcfyer SBerte.
Slnberfeit» weift feine Sßieberbelebung be§ lircfyltdjen SlltertumS ben römantifd)en
$ug auf (bgl. oben ©. 20), ben Söalter (Scott, Sennfyfon u. a. bem litterarifcfyen @m=
bftnben Gsnglanbg aufprägten, ©eine gorberung Vertiefter 2lnbad)t, mtyfttfdjer (Erhebung
ber ©eele, ber 9feali<amu3 feiner ©aframeniglebje unb fein Verlangen nad; bem inneren 15
ßrlebnB lag auf ber romantiferjen £ime. — (Inblicr; forberte aucr) bie bon ib,m in ben
$orbergrunb gefteüte £efyre bon ber aboftolifdjen ©ucceffion bie 3Serfenlung in ba§ Itrcr/=
lid)e Altertum, in bem er bie Söaffen für feinen $ambf fud)te unb fanb.
Sie ®arfteüung feiner £er)re unterliegt infofern ©cfytoierigfeiten, al<3 er ein
anerfannteg 33e!enntni§ ober £efyrfd)riften, bie feine ©igenart jum 2Iu3brud brächten, nidjt 20
aufeutoeifen Ijat. ©ein ßrebo ift ba§jenige ber ©taatSfircfye, bie 39 2trtifel unb ba§ allgemeine
©ebetbud). ©0 ift feine 70jäb,rigeSlrbeit niemals» auf bie S3efeittgung ober 2tbänberung einer
bem ftaatSfircfylidjen ^ßroteftantiSmuä eigentümlichen £eb,rmeinung gegangen, fonbern, toie
oben nacb^utoeifen berfucfyt toorben ift, um ba3 Stecht fird?Iicr)er ©elbftbeftimmung unb um
getoiffe auf ben ©redimiert Itegenbe Mtifcfye Seftimmungen , bie mit ber bogmatifcfyen 25
©runbftimmung iriel, mit ber ©injellefyre fo gut toie nid;t§ ju tfmn b,aben. — 2Bir fyaben
bafyer bie bribate traftarianifdje Sitteratur, bie toie bie bietiftifd)e bortotegenb ber 2t§fetif fieb.
jugetoanbt b,at — id) nenne Dr. £ee§ Directorium Anglicanum, ßarterS Treasury of
Devotion, ©re§Ier/§ Ordinance of Confession, £ittlebales> The People's Hymnal
unb eine ftattlidje 9teib,e bon Breviaries, Manuals, Ordinances — in SBetradjt ju 30
gießen, bie freilief) nur mit Sßorfitfyt toegen ir)rer fubjeltiben, imbulfiben unb bielfad) un=
gefunben ©ebanfenfüfyrung gebraust toerben barf. Um ben 9tttuali§mu3 gu begreifen unb
richtig einjufd;ä|en, barf man ifyn nict)t aU ein tf)eologifcr)e§ ©Aftern f äff en ; er ift, toa3
©. Sre^ta9 öom $iett3mu§ fagt, eine borübergef>enbe Silbung ; bie ©intoirfungen aber,
bie er auf Religion, Kultur unb ©itte ausgeübt l^at, finb nod; fyeute erlennbar. ©injelneg 35
babon ift (Srtoerb ber Nation getoorben.
2ln biefer ©teße alfo toirb e<§ geboten fein, in bem Silbe ber traftartanifcfyen ^unb=
gebungen biejenigen ©runbjüge feftjufteHen, bie einerfeit? bon ber in ben 392lrti!eln bertretenen
ilnfd^auung abtoeidjen, anoerfeit§ ben ltonfen§ ber Drj orber ©cb,ule barfteßen: bie ©ätje
bon ben reltgiöfen ©rfenntnigquelten, ben ©nabenmitteln, ber ^ircb,e, ber aboftolijct/en ©uc= 40
ceffion, ber Siealbräfenj unb bie au^ biefen Zentren abgeleiteten Se^rmeinungen.
gür fein religiöfeg @r!enntni§brinjib ge^t ber 2;raftarianigmu§ bon bem ©a£e
aug, bie abfolutc SSafyrfyeit ift objeftib gegeben, 9{ed)t unb Aufgabe beö ben!enben ©eifte§
ift nidjt, fie auf t^re fbelulatibe ©rfaffung unb aßertoir!lid}ung ju unterfud^en, fonbern
bie gegebene bem ©eifte gu bermitteln. Credo ut intelligam. ©egeben ift fie nad; 15
gorm unb ^n^alt im Sefyrtombler. ber brimitiben Hird;e; biefer ift %nf)aU bei ©Iauben§;
al§ allgemeine £eb,re ber Siird;e ertoiefen, bebarf er toeber gelehrter Unterfud;ung, nod)
ber Prüfung an ber b,I. ©d;rift; bie 2lu§fagen ber SSäter fteb,en, toenn mct)t über ber
©djrift, fo ib,r bod; gleid} unb toerben aU fo!d;e berebjt unb al§ inbi^Iutabel ^»in=
genommen. 50
$)ie b,I. ©d;rift lann ©lauben^regel nid)t fein. 5Radjbem groube in bem ©a^c:
quod semper, ubique et ab omnibus bie fatfyolifcfye ^Rorm für Iird)lid)e £el)re unb
$rajiä gefunben, b,aben ©bä'tere eine ©rgänjung ber ©d)rift burd) „baö 3eu9n^ ^er a^=
gemeinen (unter ^intoeis auf 1 %x 3,15) ^irefee", toie e§ in ben ©Triften ber isätcr, ber
fatI}olifcb,en 83ifcb,öfe unb ber ö!umenijd}en Üonjilien niebergelegt ift, geforbert. 2öirb bie 55
©d)rift aU regula fidei im allgemeinen anerlannt, fo bebarf fie bod) toegen ber 3Siel=
beutigfeit ib,rer 2lullegung, toegen ibjer UnboEftänbigleit ber ©rgänjung. gür bie vi3e=
ftimmung ber rechten Sebre ift fie toertboll; inbe3 über bie !ird;licb,e ©iö^iblin, $rar.i<§
(Geremonien) unb Regiment bietet fie „faft nid)tä" ®ic ©d)rift ift bemgemäji ju er=
flären nacb, ber Tvabition; benn biefe toar bor ber ©d)rift unb b,at ben Jknon gemacht; 60
44 SraftartamSutuS
Wenn aud? nid)t nad) ber Autorität irgenb eines einzelnen SatcrS, ber befonbere An=
fcfyauungen Vertreten mag, fo bod) „nad) ber übereinftimmenben, einbeitlidien £el)re ber
faif>oIifd)en Sifcfjöfe unb Säter" ©Eem^Iiftgiert Wirb babei auf baS ^äm^e Äonjtl,
baS bie Irimtät als ©djriftlefyre für bie $ird)e enbgiltig fefigeftellt f>at, Weil fie im
5 3?icänum „baS geugniS ber ganzen S!ird)e bat, baf$ eS fo ift", mag man bte ©ä£e »er=
fielen ober md)t. ©ementfpred)enb b,at ^ufer) ben ©runbfa| formuliert in ber £f>efe:
„2)aS 21 unb baS 31% finb bie Quelle ber £ebre, bie latfyolifdjen Säter ber $anal, burd)
ben biefe ju uns herabfliegt" (»gl. SorWort gum 1. Sbe ber Libr. of the Fathers).
©er ©d)Iuf3fa| alfo lautet: bie fyl. ©d)rift ift ©laubenSregel nid)t an fid), fon=
10 bern nad) Sftafjgabe' ber ^atrtfttfcr)ert SLrabitton, ober: bie ^irdie als bie alleinige, »on
©Ott eingefettfe Autorität ift AuSlegerin ber ©d)rift, Wobei ju beachten ift, bafj in biefer
Ieb,ramtlid;en ©igenfdjaft ber Segriff ber $ird)e in alle 2üege nic^t erfd)ö:pft ift; bie
anbere, ungleid) i)öl>ere SBürbe beanft>rud)t fie, Wie oben angebeutet, als Sermittlerin ber
©alramentSgnabe. ©ie ift nid)t foWofjl £eb,r= als ©alramentSanftalt. AIS Wor)l=
15 geglieberter Organismus lommt fie jur @rfd)einung nad) brei ©eiten: als AuSlegerin ber
©dmft, in ber Vermittlung beS ©alramentS unb in ber Totalität ifyrer inftitutionetlen
Ausprägungen, b. b,. fie ift nicf/t nur Quelle unb 9corm ber Iird)lid)en £eb)re,
fonbern aud) beS Iird)Iid)en|janbeInS, in föultuS, Serfaffung, 3)iSjiJ)lin, unb bie
SDarfteßung ifyrer 3;bee nad} biefen ©eiten ift wie ©otteS Söort unb ©airament ©egen=
20 ftanb ^eiliger ©d)eu; benn biefeS frübefte ©ebilb beS dmfilicfyen ©eifteS fteHt äugleid)
baS Urbilb unb SSorbtlb, ein IjwfyereS ätrd)entum als alle fpäteren Ausprägungen bar,
bie Äircfye als baS abfolute ^unbament aller 9Baf)rb,eit, aud) in bem ©efyetmniSüollen
unb 9Rid}tberftanbenen (ber ArlanbiSjipIin) ber StRtyftil unb bem ©r/tnboIiSmuS ber AuS=
legung u. ä., bie beibe bte gurüdljaltung in ber 5RittetIung geWiffer ©tüde beS ©laubenS
25 bebingen unb in Weiterer golge (menigfienS nad) ber Meinung ber gortgefd)rittenen)
$Wifd)en efo= unb e£oterifd)er 2öar)rl)eit fdjeiben.
%la<fy ©lauben unb ^ßrarjS alfo ift bie $ird)e in tferer jeitlict/en @rfd)einung an
bie apoftoIifd)e als baS Urbilb unb QuetltiauS ber in ©lauben unb üffianbel fid) bar=
ftellenben religiöfen £ebenSmäd)te geWiefen. AuS it)r fliegt ber ©trom ber ©nabe auf
30 aUe gehen. Vermittelt Wirb bie ©nabe b. |. baS §eil allein burd) bie objeltibe
Äraft ber ©aframente. „£>er einzige 2Seg gur ©eligleit", fo Wirb biefer 1. grunb=
legenbe ©a| formuliert, „ift ber©enufs beSSeibeS unb SluteS beS geopferten
(SrlöferS im b,I. ©airament ber @ud)ariftie." ®ie Söirfung aber beS
©alramentS, fo lautet ber 2. gunbamentalfatj, beruht auf ber©penbung burd)
35 ben ^rtefter in A'raft feiner apoftolifd)en 95ollmad)t; „bie ©ernähr für gort=
beftanb unb redjte Austeilung beS ©alramentS ift ber apofto!ifd)e Auftrag ber Sifd)5fe
unb, burd) biefe, ber fpenbenben ^riefter". Df)ne eine fo!d)e 25oUmad)t aufjumeifen, mirb
gefagt, „lönnen mir nid)t fid)er fein, baf? mir baS ©airament mirllid) austeilen, ©te
^ird)c ©nglanbs Ijat bermittelft ber apoftolifd)en ©ucceffion biefe 3Sollmad)t über=
40 lommen unb ift bie einige in biejem sJteid)e, bie bie ©emif5b,eit £)at, beS §errn £eib
feinem ÜMIe ^u geben", b. f). fie ift bie einzig berechtigte ©penberin beS bie ©eliglett
»ermittelnben ©alramentS, Weil fie »ermöge ber ©ucceffion Qnfyaberin unb ^eugin ber
Söafyrfyeit ift.
©iefe Sefjre fte^t breit unb rid)tunggebenb an ber ©d)WeIIe ber Bewegung; fie
45 burd)jufe|en finb bie 2;raltate ins Seben gerufen Worben. 9?eWman nimmt fie gleid) im
1. auf (Thoughts on the Ministerial Commission) unb $. üeble begrünbet fie im 4.
(Adherence to the Apostolical Succession the safest course); beibe glügel ber
Partei, ber Ionfer»ati»e mit 5Rofe, ^almer unb $erce»al unb ber fortfd)rittlid)e unter
$roube unb 5Rei»man finb eins in bem ©a|e unb »ertreten tyn mit 9iad)brud als ben
50 ©runbpfeiler beS priefterlid)en Amts. 9Benn, fo Wirb er begrünbet, Wie eS ben Anfd)ein
b,at, ber ©taat bie J?ird)e ju befeitigen Wünfdjt, Worauf b,at ber ^riefter feinen Anfprud)
auf Autorität unb Ad)tung in ber ©emeinbe ju grünben? ®ie priefterlid)e Magna
Charta ift ber Auftrag <5|rifti. @r „gab ben Jüngern feinen ©eift, biefe legten bie
§anb auf t£>re 9fJad)folger, biefe auf Weitere, unb fo ift bie b,eilige (Babt auf bie Sifd)öfe
55 ber ©egenwart gelommen, bie uns §u ib,ren ©eb,ilfen unb geWiffermafjen ©telloertretern
befteat l^aben" (%x. 1). @s ift ein altanglilanifd)er ©a|, ber im DrbinationSformular bem
©inne nad) auSgefprod)en ift; je|t Würbe er unter bem Semüben um eine unangreifbare
SafiS gegen bie ftaatltdjen Übergriffe »on ben Sraltarianern in ben Sorbergrunb gerüdt.
,,©te (Bahz beruht auf ber §anbauflegung, nid)t auf irgenb einer gormel, bie ben Alt
eo begleitet"; fie ift nid)t notbenbig mit bem ©pislopat als bem Amt ber Auffeljer »er=
£r(iftartam§jmt§ 45
bunbcn; bic Aboftel fyabcn fie aud) TOcf/tbifcfyöfen, ^jßrieftem imb SDiafonen erteilt. £a
ittbeS in Konfequeng biefeS ©a$e§ aud) mc^t=btfd^ofUc^e Hirnen fie befitjen fönnen, toirb
bie gefährliche Honftruftion ber 2^atfadje berfucfyt, baft bon bcr Apoftel ßeiten bis
auf bte Deformation unb bann in alten rcafyren Hirnen bie Drbination burcb, bte
33ifd)öfe erteilt roorben fei. ©ie ift nacb, Heble (Primitive Tradition) ntdjt blof? bic 5
9iad)foIge im Dienft am Söort, in ber Serroaltung ber ©aframente unb ber ©d)lüffel=
getoalt, fonbern bor allem eine beilige ($abe; biefe aber ift in bcr geit einzig burd)
bie aboftolifcfje ©ucceffion erhalten Sorben (groube, Remains II) unb beren roefentlicfjer
3nf)alt. ©ie befähigt jur regten Amtsführung, bcfonberS jur ©aframentSfbenbung unb
„jum mr/fteribfen tüacljen beS Setbeö unb 33IuteS (E^rifti" 2öer rtid^t ein ©lieb an 10
biefer aboftolifd)en Hette ift, l)at fein 9ted)t jum Amt unb jur ©aframentSauSteilung.
©a weiter ber Auftrag ßbjifti allein eS ift, ber ^ßrebigt unb ©aframent
toirffam macfyt §ur ©eltgleit (%x. 35), fo toäd)ft aus ber aboftoltfdjen ©ucceffion (gegen
baS 1 $t 2, 9 gelehrte allgemeine 9ßrieftertum ber ©laubigen) bie römifdje Öer)re bon
bem einzigen unb nottoenbigen SKittleramte beS ^ßriefierS §iütfct)en ©t)rtftuö unb ir,
bem ©laubigen unb ber ©Reibung ber ©eiftlicfjen unb Saien. —
Qm §inblicf auf bte SBebeutung ber ©ad)e ift bon bcn Djforbern aucb, bie fytftorifcfye
Segrünbung öerfud^t Worben, baft bie Hette ber ftaatSfirdjlicfyen ©ucceffion Wirflieb, bis
ju ben Abofieln reiche, ©er ^KadEjlceiä im einzelnen gatle Wirb freilict) als unmöglidj
preisgegeben, aber fyiftorifd) erfeijt burct; ben ,,2Bal)rfd)einlicr/feitSbeWeiS, bie ©eWipeit bcr 20
ununterbrochenen ©ucceffion fei wie 8000 :1"(!), unb bogmattftifcfy burcf) bie (fbäter bon
■fteWman in feinem Grammar of Assent aufgehellte) religiöfe ©rfenntniStljcorie, bafe
„religiöfe Überzeugung ntd^t auf intelleftuetten ©rünben beruhe, fonbern auf emotionellen (!),
inbem bie tfyeoretifcb, nic^t jureicfyenbe Sßafyrfcfyemlict/feit burd) bie bertrauenSbolle An=
nafyme jur ©etoifsfyeit würbe" ©iefer an fid) richtige ©aij, bem in feiner Überfbannung 25
ftt}on bon $. Suttod) (Mov. 103) entgegengehalten Werben ift, bajj ein ©eWifsb/eitSbrinjib, baS
toeber in ber Vernunft, nod) in tr/atfäcfylicfyen SBeWeifen ber ©efd)icr)te unb (Erfahrung begrünbet
ift, fonbern blojj in ber Hraft beS2BillenS, ettoaS für Waf)r ju galten, feinen 2öert f>at, Weil auf
bem ©runbe einer berartigen 2öillenS= ober ©efüjjrtSerjeugung ebenfogut ber Aberglaube Wie
ber ©laube rut/en fann, macfyt in reltgiöfen Singen, Wie 9teWman §ugiebt, guletjt „baS 30
Argument bon ber 2öat;rjcf)einlicf)feit ju einem Argument bon ber 5ßerfönlid;feit, b. f). ju
einer $orm beS Arguments bon ber Autorität" (bgl. baju ^Pfleiberer 449) ; fie bebarf,
ba fie auf fidt) felbft nidEjt berufen fann, ju tibrer ©icfyerfyeit ber Anlehnung an anbere,
b. fy. eben ber Autorität, bie Jcetoman auS bem jioieits (1 Ho 11, 24/25) heraus ju fon=
ftruteren berfucfyt, mit bem ©t)rtftu§ ben Jüngern als ^ßrieftern eine Äonfefration^gabe 35
berleibe; unb au§ ber Sefteßung be§ 2Ütug unb 2;imot^eu§ ju 33tfcb,öfen toie au§ bem
©biffobat ber Urfirc^e ibirb bon Stetoman bie abfolute Dotmenbigfeit ber bifcfjöflicfyen
Konfefration abgeleitet, b. i). auf bie Autorität ber ^ircfje zurückgegangen, Jbo bie ©cfjrift
nicf;t angreift. —
®er Ar. toeift alfo nact) bem Vorgang ber SfteformationSfirdjen auf bem kontinent 40
jtoei gunbamentalfä|e auf, einen materialen bon ber burct; bie ©aframente
bebingten §eil§bermittlung unb einen formalen bon ber alleinigen
Autorität ber Hirdje. @r erfe^t ba<3 gläubige ©ubjeft, baä bie ©nabe empfängt,
burcr) bie Hircf;e al§ objefttbe ^nftanj, bie nad; beiben ©eiten, al§ ©benberin be§ ©afra=
ment§ unb al§ autoritattbe ^nfyaberin ber 3öaJ>r^ext, baö §eil bermittelt. ©a aber bic 40
©aframente ber fonftitutibe gaftor ber ©nabe, ba§ eigentliche §eil§gut finb unb bie
Äirdje nur jur bekräftigen ©benbung unb SBirfung bereift, fo ift erftc^tlicf), ba% ia§
Saframent§brinzi^ bem f ircf;licf;en übergeorbnet ift; biefeä ift baS blo^e
Korrelat be<3 erfteren, b. f). 3JtitteIbunft be§ ©bftemg: gunbamentalfa^ ift bie
alletnfeligmacfjenbe Hraft ber ©aframente. Sßon biefem ©a£e ift bie Setoegung 50
ausgegangen. ©d)on in ber 33orrebe jum 1. S3be ber SEraftate tbirb gefagt, bie ©afra=
mente, nicf;t SBort unb SSerfyeifsung ©otteS (^ßrebigt) finb bie Duellen ber göttlichen
©nabe, unb 91 Söilberforce nennt ba§ SRittleramt S^rtfti bie ©runbt^atfac^e beS gött=
liefen §eit§blan§, bie ©aframente aber bie StRittel, ibelcf;e baö §eil aneignen, ©ic finb
baS erfte. ®er %x. ift bie Hircfye be§ ©aframente. — bö
SDie Hircf)e nun als bie Übermittlerin beS ©cf)a^eS, ben jene bergen, an bic
übeiftert ift bie bon Gf)riftu3 unb ben Abofteln gegrünbetc unb btircb bie aboftoüfcfye
©ucceffion in 9leinb,eit erhaltene §eil§anftalt , alleinige ©benberin ber ©nabenmittcl,
alleinige 3eugm ber 2Bab,rb,eit unb le^tc Autorität in fragen beS ©laubenS, ber 2cb,re
unb Se6en§. 3)iefc begriffliche Raffung ber ^bec wirb bon ben ^raftarianern auf Höften bcr eo
46 £ralt(mam§ttm§
in ben 39 Slrtileln (3trt. 19, 20, 34) Vertretenen Sluffaffung ber „tircfye als ber ©emein=
fcfyaft ber ©laubigen, in ber bag reine Sßort ©otteg gebrebtgt unb bie ©alramente in
allen wefentlid)en ©tüäen rite verwaltet Werben", alg bag ©Aftern bef)errfcr)enb vorangefteHt.
©egen bie reformatorifcfye gaffung beg SBegrip, nad) ber fie bie ©emeinfd)aft ber ju allen
5 Reiten unb unter aßen Söllern Wirlfam berufenen ift, bag geiftlicfye Sinti inbeg nur bie
33ebeutung einer ber Drbnung bienenben ©inricfytung r/ai, nic^t aber de iure divino
ift, fefcen bie Sraltarianer bie anbere Don ber $ira)e alg ber Von 6f>rifto gegrünbeten realen unb
fict)tbaren §eüganftalt. SBte ßfyriftug burc^> fein ©rlöfunggtoerl ber 2JcittIer gtoifc^en ©ott
unb SJcenfcfen geworben, fo ift ber 23ifd?of (unb Vriefter) Mittler jtoifc^en (Sr)rtftu§ unb
io ber ©emeinbe unb Ijiöcfyfte Stutorität für bie Saien. — £)ie unficfytbare Sürcfye Wirb ge=
bilbet lebiglid) au§ ben lebenbigen ©liebern ber fühlbaren, an bie burcfy ben 33efv| beg
allein fyeilglräfttgen ©alramentg ba§ £eil gebunben ift. ©ie ©d)rift, b,ei|t eg im
11. Sraltai, macfyt bie fidjtbare Utrc^e gur Vebingung ber unfic^tbaren. @g giebt eine
göttlicb, eingefe^te ftcfytbare $irct)e, unb biefe ift eine unb biefelbe geWefen burdp bie fuc=
15 ceffibe (Singlieberung iljirer 3RitgIteber. Slllein bie fic^tbare geWär/rleiftet bie
Sftitgliebfdjiaft ber unf icfytbaren, b. i). ofme bie ficfytbare Ätrcfye nulla salus. —
©ag ^ennjcicfyen aber ber Wahren $ird)e ift abermals bie aboftolifd)e ©ucceffion ber
23ifcf)öfe, in ber bie anberen affectiones, Stvoftolicität, ^atfyolicität unb Stutonomie
befcbjoffen finb. Qene ift ba§ ^ennj eichen, bag Signum signans ber Wahren &trd)e,
20 bie bifcfyöflid)=anglilamfct)e bemgemöfs Von aUen anbern (aucb, ben bifdjöflicfyen) auf ©rben
bie VoMommenfte; bie übrigen eViflobal Verfaßten (infonberljieit bie römifcfye) finb „un=
gefunbe", „erirantte", bie nid^tbifcfwflicfyen (bie ©iffenter= unb Vroteftantifcfyen kontinental*
Itrd)en) „abgefdjnittene gWetge" ber einen allgemeinen: ©elten, in benen eg §eilgmittel
nid)t giebt, eben Weil ifmen bie apoftolifcfye ©ucceffion fefylt; mögen fie in ber avoftolifcfyen
25 Seb,re geblieben fein ober ntct)t, fie l)aben lein apoftoltfdjeg Stmt. ©ie römifdjte $ird)e ift
leine ©elte, — alg foldje begeicf)nen fie nur einzelne 2xaltartaner — fie ift in ber
Sttooftelgemeinfcf/aft, aber (mit iljren ©ä|en bon ber VaVftgeWalt unb Unfebjbarlett) nicfyt
in ber aVoftolifc£;en Sefyre geblieben; bie ©rtecfyifc^e t)at ©emeinfd^aft unb £er)re reiner
bewahrt, unb bie übrigen (bifcfyöflicfyen) ^ird^en, bie fcfyottifcfye, amerilanifcfje, bänifcr)e unb
30 fcf)webifct)e finb gefunbe 3^^9^/ hnetoor)! über bie ©d^eit ber beiben legten nicfyt alle
gWeifel behoben finb. Slllein bie Ätrcfye bon ©nglanb, bie Oft unb SSeft
bereinigt unb tfyre ,3roet9e nac§ ^en bier @nben ber 2BeIt ausbreitet, ift eine Slrt
S£r/Vug ber einen latb,oItfd)en $irct)e" (Vufefy).
©ie ©alram entall efyre beg Ix., anlnü^fenb an bie in ber Conl Angl.
35 niebergelegte gaffung, berfucfjt eine 2öeiterbilbung unb Vertiefung beS SöefenS unb ber
Söirlung auf römifd^=latf)oIifd)en Sinien burd) ftarle Betonung beS Segrip SBiebergeburt.
5fiadj Conf. Angl. (Slrt. XXV) unb bem üatecb,igmu§ finb bie ©alramente „geroiffe
^eugniffe unb tüirlfame 3eid)en ber ©nabe©otte§; fie finb bonß^rifto eingefe^t, nic|t bajj
fie begafft unb herumgetragen, fonbern bafe fie gebraust werben. ®em, ber fie murbig
40 (im ©lauben) empfängt, Vermitteln fie eine §eil§mirlung, bem Unroürbigen ba§ ©ericfyt"
©ie finb baö äu^erlid) ficfytbare gtxfym einer geiftlid^en ©nabe, ein Unterpfanb, ben
©laubigen ber ©nabe gu bergetoiffern (Church Catechism). SDiefer calbinifc^en ©efi=
nition mirb ber ©a£ entgegengefe|t: ®ie ©alramente finb bie Kanäle, bie bie göttliche
©nabe in bie ©eele leiten; ber Unglaube toerfcb, lie^t , ber ©laube öffnet fie. 23eibe
45 ©alramente finb mej entließ ein<§; burd^ bie SEaufe mirb ber natürliche SJienfd) mieber=
geboren, unb bieg neue £eben^-rin^ roirb burd) ba§ %. 3Ji. entmidelt (®enifon, Real
Presence 29), unb ^ufe^ (On Baptism) jiefyt bie ^onfequenj : ©ie finb bie einzigen
rec^tfertigenben Sitten ober Mittel, um bie SSerfö^nung mitzuteilen";
ebenfo 3Remman im 90. Sraftat. ^^ren ©egnern, bie bag neue geiftlicr)e Seben nid)t
50 ber (3aW ©otte§ im ©alrament, fonbern ber ©laubenSt^at auftreiben, galten fie bie
objeltitoe Realität ber ©nabe im ©alrament, bie ber gläubige (Empfänger (reeeptib) er=
langt, entgegen. — 2lber an biefem ^unlte, über bag 5ßerb,ältni§ bon £>eifögabe, ©laube
unb ©alramentggenufe ift bie ©pracfye fcf)toebenb, unb bie eigentliche Meinung fommt
(aug ben Vorbehalten) nidjt llar b, eräug, ©ie 2Biebergeburt, mirb gefagt, ift an ben objel=
55 ttoen ©enufe ber ©alramente gebunben, bie jene Vermitteln, olme Butb^un beg gläubigen
©mbfängerg, b. b, . fie toirlen ex opere operato ; auc§ ber reumütige, liebenbe unb ernfte
©laube, ber rechtfertigt, ift eine ©ottegwirlung im ©ubjelt, bag ob,ne bie gubor*
lommenbe unb mittoirlenbe ©nabe ©otteg Iraftlog ift. — SBerben bemnaa) bie ©alra=
mente alg „bie einigen rec^tfertigenben 9titen" beraubtet, fo ift bag broteftantifcb,e
so sola fide befeitigt. „©er ©laube", fagt Vufety, „rechtfertigt nic§t an unb für fid), fon=
£raftartaniSnm§ 47
bem bringt un3 ju ©ott, bcr uns au£ Siebe rechtfertigt", b. I). bie ©ercdjtigfeit nirfjt
nur „imputiert, fonbern aud; imbartiert" SBir roerben gerechtfertigt bor ben Söerfen,
aber potentiell ift ber fünftige neue ©efyorfam burd; ©otte§ ©nabe in bem rechtfertigen^
ben©lauben enthalten. — ^n biefer gefdjloffenen Sßerbinbung nun mit bem red)tfertigenben
©tauben Werben bie SBerfe Don entfcfyeibenber Vebeuiung für bie ©eligfeit. ©ott giebt 5
jebem ba§ ewige Seben nad? feinen SBerfen, nid)t alg freie ®abt nad) feinem 3öo^I=
gefallen, fonbern benen, bie in guten SBerfen nacb, bem ewigen Seben trachten. Sic
SBerfe fteben in einer geWiffen Vejiefyung ju bem ©nabenlofyn. $m Wefent=
liefen nur barin, baß bie Sraftartaner bie 2öerfe als äußere berbienftlofe SeWäfyrung beö
inneren ©laubeng anfefyen, meinen fie bon ber römtfcfyen Seigre ab. ©er ©laube bleibt 10
au§ bem ^eüsplan au3gefc£)teben; an feine ©teile Wirb bie reale 9KbJttf ber faframentalen
Äraft gefe|t.
®en Segriff ber Saufe beftimmt bie Conf. Angl. (XXVII) bab,in, baß fie
nid)t nur ein 3eid)en be§ 33cfenntniffe3 (Unterfd)eibung ber Stiften bon ^idjtdjriften),
fonbern aueb, ein gelegen *>er Söiebergeburt (sign of Regeneration or New Birth) 15
fei, whereby, as by an instrument, they that reeeive Baptism rightly, are
grafted into theChuroh; genauer begeic^net ber Äatec^iämu^ bie innere geiftlicfye ©nabe
ber Saufe al§ a death unto sin and a new birth unto righteousness whereby the
children of sin are made children of grace, unb ba§ Saufformular nennt in allen ben
2lft begleitenben ©ebeten al§ ®abi. ber Saufe bie SBiebergeburt. ®ie ftaat§fircl)licr;c 20
Rheologie l)at inbe§ an biefer Raffung nid^t f eftger)alten ; bureb, bie üffieftminfter ßonfeffion,
bie bie objeftibe SBirfung ber ©aframentgfyanblung ablehnt (grace and salvation are
not so inseparably annexed into this ordinance as that no person can be
regenerated without it, or that all that are baptized are undoubtedly regene-
rated, unter Berufung auf 21© 8, 13 unb 23; 3tö 4, 11; 21© 10, 2, 4, 22, 47; 25
togl. Confession of Faith Chap. XXVIII, I unb V), beeinflußt, Kraben fyerborragenbe
ftaat§fird)licr;e Sfyeologen bie geiftlicfye Saufgabe befcfyräntt auf bie ©rWäfylten, benen bie
neue ©eburt ntd)t in ßraft be<§ faframentalen 2lft§, fonbern be§ decretum absolutum
mitgeteilt tüirb, Wäfyrenb bie 9cid)terWär/lten lebiglid) bie Vefbrengung mit SBaffer em=
^fangen. 2tn biefer ©ntleerung be3 33egrip, bie 2öaffer= unb ©eifteätaufe au3einanber= 30
reißt unb an bie ©teile be£ bie ©nabe objeftib bermittelnben ©aframentS ben §eil3=
ratfcbjuß ©ottei, bie unmittelbare, an bie Saufe rttct)t gebunbene Söirfung beä fy. ©eifteö
fejjt, l)atte fia) f. $. ber ©orfyamftrett (bgl. oben ©. 33, 1) entjünbet. 5Da§ Judicial Com-
mittee be<§ ©efyeimen 9kte§ batte biefe Verflüchtigung ber fiebere für ^uläffig erflärt gegen
ben ©infbrueb, ber Sraftarianer. sßufer;, an beffen Söorten in biefem ©tuet e ba3 ©d)WergeWtcf)t 35
ber bgtriftifd)en 2lutorität unb ber fircr/ltdjen SSefenntniffe Inng, trat inbeg in feinem Sraf=
täte „Über bie Sauf e" ber 9Zeufaffung entgegen, biegmal mit bem ©cbjifibeWeiS als entfeb, eibenber
SQBaffe. ^n ber 1)1. ©d)rift, beißt e<§ bei if>m, ift bie Söiebergeburt mit ber Saufe berfnübft,
nirgenbg bon ir)r getrennt; berSSJtenfcb, Wirb (nacb, So 3,5 ; Sit 3, 5) au§ Sffiaffer unb ©eift, (nacb,
1 3o 3, 9) au$ ©ott, (nacb, 1 p 1, 23) au§ unbergänglicf)em ©amen burd) ba§ @ban= 40
gelium tbiebergeboren, nid)t burd) ©laube, Siebe, ©ebet, 23uße, 9teue, ©inneMnberung,
tote bie @bangelifcf)e gartet in Unterfctjä^ung ber eigentlichen SBiebergeburtginomente
lehrte. @ö miberfbrieb^t, fagt er, ber ©ct)rift, ben 2lnfang be§ neuen SebenS nad) bcr
2:aufe, übertäubt in irgenb einen anberen 9Jcoment als ben Saufaft ju fe^en, fo wenig
al§ ba§ leibliche Seben erft nacb, unfrer ©eburt anfängt. SDie Sauftbiebergeburt ift 45
©otteä 2öerf, ba§ nur infotoeit bebingt ift, alö ber 3Jienfdj> bureb, Unglauben unb ©ünbe
ib,m Söiberftanb entgegenfe^en fann. ®urd) bie Saufe Werben wir tr/atfäcbjicb, feiig ge=
macb,t, eben im Saufafte, unb finb bon ba ab im status salvationis, e<§ fei benn, baß
toir au§ ber ©nabe fallen.
Olme grage betoegt fieb, ber Sr., ber für feine Seb)re auf bie älteren b,ocb,fircb,= so
liefen Slieologen Wie §oofer, 33ancroft u. a. fid) berufen fonnte, mit biefer Raffung auf
ben Sinien be§ fircf)Iicb,en ßrebo€, beffen Verflüchtigung jur jtoinglifdien ®oftrin er
gegen bie @bangelifcb,en bertrat, freiließ nicb,t, ob^ne baß in ben b,od)gefbannten @rörte=
rungen um ba§ 9lecb,t tbrer ©ad)e einige @ntfd)iebene (u. a. -Ketoman, Söarb unb harter)
fieb, in 2lnfcb,auungen berloren, bie bon ben rbmifcfjen fid^ faum noch, unterfcf>eiben laffen, 55
inbem fie jWar bie ^mbutation beg ©rlöfung^merfö bureb, bie Saufe gelten laffen, aber
ba3 §aubtgewicb,t auf bie ^nfufion ber Äraft be§ b,I. ©eifte§ legen. —
^n ber £er/re bom 2lbcnbmab,I beftimmt bie Conf. Angl. (2lrt. XXVIII), unter
Slbleb^nung ber römifcb,en Söanblung unb in 2lnnäfyerung an bie lutb,erifcb,e Raffung bon
ber auf 1 Äo 10, 16 gegrünbeten ©emeinfcb,aft bon 33rot unb SKein mit bem Setbc unb go
48 Sraftartamämuö
Slute G&rifrt, ba£ beg §errn Waty nid&t nur ein Seidjen ber Siebe ber Gfmften
untereinanber, fonbern ein ©aframent unferer SSerfölmung mit ©ott burcr; ßfmfti SLob
fei; ber Seib beg §errn Wirb im 2tbenbmal>l in einer lummlif d;en unb geiftlicfyen äßeife
(heavenly and spiritual manner) mitgeteilt unb burd) ben ©lauben genoffen;
5 2trt. XXIX, ber im Prayer Book ©buarbg VI. unb in ber lateinifcr)en 9tebaftton ber
Slrtifel bon 1563 fefylt unb bielleidjt erft 1571 für bie Conf. Angl. formuliert Worben ift,
fügt fnn^u, bafj „bie Ungläubigen . in leiner SSeife teil fyaben an (Sfyriftug, fonbern
bag geidjen ober ©aframent ju tfyrer 33erbammm§ effen unb trinfen". ®ie 2lrti!el ftellen
alfo nur bieg feft, bafs burd; bag ÜSJtebium beg ©laubeng Seib unb Slut ßfyriftt in einer
10 „bjmmlifcr/en unb geiftlid;en SBeife" empfangen werben; ber ®ated)igmug bagegen fc|eibet
3Wifd)en bem Signum, SBrot unb Söein, unb ber res signata, Seib unb 33lut 6r/rtfti,
which are verily and indeed taken and received by the faithful in the Lord s
Supper, jene alfo ber 2Iuffaffung ßalbing, biefer Sutfyer ficb, näfyemb. SSeibe 3lnfd)au=
ungen, bie eine ben objeftib=realen, bie anbere ben fubieftib=fr/mbolifd;en ©aframentgbegriff
15 bertretenb, finb immer in ber englifdjen ^irdje nebeneinanber feftgeb/alten Worben ; bie
äWinglifdje, bie bag 2lbcnbmar/I Wefentlid; alg berbflicr)tenbeg @rinnerunggmar;l fafjt, ju=
le^t am entfcfyiebenften bon ben ©bangelifdjen (bgl. ©cfyötf 767).
®iefen 2lnfd)auungen gegenüber fud>en bie iraftarianer bem ©aframent einen reicheren
^nfyalt ju geben, inbem fte ben gebenben Gb/arafter ber ©ucfyariftie ftarf betonen. Über bie
20 calbinifdje Raffung ber ©lemente alg ^Pfanbeg unb ©iegelg fyinauggebenb, grünben fie (tb,re
§au^tbertreter finb, neben JReble, ^ktfet), 9ieWman, bor aßen £>enif on, 9t. SBilberforce, Senett,
%. Garter) il)re euct/ariftifdjen 2tnfd)auungen auf bie batriftif d>en unb älteren anglif anifdjen £eb,r=
bilbungen. SSon 2tnbreWg unb 33ramf)ail, fagte ^ßufer;, i)ahe id> gelernt, bie 2Sorte xovxo iaxiv
im budjftäbltcfyen ©inne ju f äffen, ©emgemäfs lehren bie ^raftarianer : in ber Gudjariftie finb
25 bie f onfefrierten Glemente Wafyrfyaftig, aber in mbjtifd) er 3ßetfe Seib unb
33 tut Gfyrifti getoorben ; ber realiter gegenwärtige Gbrifiug teilt fid; ben ©laubigen \vx
©eügieit, ben Ungläubigen §um ©ertd)t mit. — ©teg ift bie in ber engltfdjen Geologie
btel erörterte Sebre bon ber Wirfltdjen ©egenWart Gfyrifti im 2tbenbmabl (Real Presence),
bie als ba§ 2Bef entließe beg ©aframentg bejetdmet Wirb, ©ie ift traftariamfcfyeg ©emeingut;
30 aug bem SBiberfbiel ber Meinungen über bag 2öie unb Söoburd; fbringt inbeg Weber
Klarheit nod) Übereinftimmung berbor. ©a§ §alfd;e in ber Sefyre 9tomg, fagt ^ercebal,
ift nicfyt bie i)lealbräfenj, fonbern bag Semüben, bie 2trt ber ©egenWart §u erklären.
2ötr nehmen bie Stealbräfenj alg eine faframentale, getftlicbe unb mk)ftifcr)e, 3tom al3
fubftantielle, !örberlid;e, Wunberbare. ®urd; bie Sßorte ber ^onfefeation, fteCCt ber Clerical
35 Protest (unter Berufung auf ben 2lnglilaner ßofin) feft, finb Seib unb 23lut real unb
fubftantieß gegenwärtig unb Werben allen ©mbfängern nid;t in einer bbr/fifd;en unb finn=
liefen, fonbern fnmmlifdjen unb unbegreiflidien ffljeife gegeben. 9iob! Söilberforce aber
bringt ba§ ©ef)eimnis mit ber Intonation 6b,rifti in 3Serbinbung: bie ©ud^ariftie ift bie
3?oEenbung be§ in ber 9Jknfd)Werbung ß^rifti begonnenen §eilf§werlö; Wie biefe ift bie
40 ©udjariftie eine objeftibe 2;l)atfad)e, bon unferer Sflitwirtung ober ^uftimmung in alle
Sffiege unabhängig, ^n ben (£infe|ung§Worten bejeid;net (ba§ ©a|fubjeft) xovzo ba3
Signum, owjua unb aljua (ba<g ^räbilat) ben Wab,rb,aft gegenwärtigen ©ottmenfdjen
(bie res signata) ; ioxlv (bie 5lof)ula) bringt bie faframentale ^bentität gum SluSbrud.
^Wingli Wirö borgeWorfen, er berflüd;tige bie res sacramenti, inbem er bie ©egen=
45 Wart nur f^mbolifd; beraubte; ßalbin, er trenne bie res sacramenti (©b,rifti Seib) bom
sacramentum unb mad)e bieg nur ju einem äu^erlicben ©iegel, Woburdj ©ott ben
^ro^ef? bezeuge, ber in ber ©eele be<§ ©mbfängerg ficb, bollgiefye; enblid; Sutf)er, er be=
l^au^te ^War bie Wirflidie ©egenWart, leugne aber ifyre SBirlung, Weil er bie Rechtfertigung
nidit burd) bag objeltibe ©alrament, fonbern burd) ben ©lauben beg ©ubjeltg bermtttelt faffen.
so — 2luf Weitere 3^gen unb lugbeutungen mu^ id? an biefer ©teile beg 9taumeg Wegen ber=
gtd)ten. Siele traltarianifdie ^lieologen f)aben in ben erften 20 $af)ren um bie begriffliche
gaffung fid; bemüht, ol)ne bem 2lnfbrud; geWadjfen gu fein; cum res ad triarios
venit, trat ^ufety bor bie ©lieber unb Warf bag ©eWicfyt feineg 9cameng in bie 2öag=
fdjale; id; berWeife barum aße, bie ber &a$i nad^juge^en Wünfdjen, auf feine Unter*
55 fuermngen in The Doctrine of the Real Presence, as contained in the Fathers
(1855), ferner auf feinen 2luffa| The Real Presence — the Doctrine of the English
Church, (1857), enblict; auf feinen 3luffa£ On the Presence of Christ in the Holy
Eucharist, (1853). @r felbft fafjt feine Meinung in ben furjen <5a% gufammen : ®ie!onfelrierten
(Elemente Werben fraft ber fonfelrierenben Sßorte ßljrifü (ntd)t beg ^riefterg) Wab,rb^aftig
60 unb Wirllid), jebod; in einer geiftlitt)en unb unaugff)red)Iid;en SOBeife ©ein Seib unb
£rnftariant8mu8 49
Slut, fyält aber über bag GkfyeimniS be£ 2öte feine eignen ©ebanfen jurücf, tüte er
benn aucf; für feine 3Jteinung bie allgemeine guftimmung feiner greunbc nict)t buxä)=
gefegt fyat.
^nbeS erfüllt aus feiner Styefe bie alle anberen Momente überragenbe Sebeutung
ber ^onfelration. ©ie ift ben bon 6b>iftu3 auSbrüdlicr; baju bebollmäct/tigten r,
^erfonen anbertraut buref; bie aboftolifcb/e ^ommiffion ber Sifcfjöfe unb unter ifynen
ber ^ßriefter. Erfolgt fie nicfyt buret) bie £>anb eine§ regten ^riefterS, fo ifi fie leine
lonfefration. ®ie Sutb/eraner unb Reformierten fyaben lein ©aframent. %m Slnfdjlufj
an groubeä ©a$: „®aS Sttacfjen be3 £etbe§ unb SIute<§ Efyrifti ift ben Nachfolgern ber
2lbofteI anbertraut", fagt SDenifon : „®er 2lft ber Honfefration macfyt bie reale @egen= 10
Wart Er/rifti", unb 5t Söilberforce : „®ie Eonfefration ift ba§ £aubtftücf in ber
Eu<i)ariftie unb fann nur gefd)el)en buref) bie auSbrücflicl; baju SeboUmäcf)tigten" ES
ift ber fatr/olifdjie Segriff unb ba§ ©aframent ein opus operatum. — Über bie
iKeife biefe§ 9J?acf;en<5 unb Söerbemg be<§ Seibei ßfyrifti fyerrfctjt feine Übereinftimmung ;
bie meiften fbrect/en unter 2lblelmung ber römifcfyen Söanblung bon einer „Äserbinbung 15
ber (Elemente mit EI)rifti Seib unb Slut buret) bie Äonfefration" (coniunetio sacramen-
talis), fo ba| „beibe ©ubftanjen in eine einige jufammenge^en", alfo bon einer $onfub=
ftantiation, nicfyt Wie bie Sutb/eraner (auf ©runb ber mit ben Söittenbergern 1536 ber=
einbarten unb in bie §omi!ien aufgenommenen „^re^efm Slrtifel ) bon einer buret) ben
©enufj bebingten coniunetio realis, fonbern bon einer objeftiben, burd) Eyrifti SBort 20
bebingten ^onfubftantiation. Unb ba al§ ein §aubtartifel bes> ©laubenä übereinftimmenb bie
res sacramenti, bie reale (Gegenwart be<§ Seibeg unb Sluteä Eijirifti in ben fonfefrierten
Elementen feftgeb/alten Wirb, fo fann jene folgerichtig nur al§ 5Eran§fubftantiation (Wie
■fteWman miß), „Wenn auef; in feinerer, geiftiger Söeife" gefafjt Werben (bgl. ©. 48
^ufetyg 3^cfc). 25
Stuct; an biefem fünfte fbringt bie au§ innerer NotWenbigfeit Wacfyfenbe gortent=
WicMung ber traftarianifct;en gu römifcfycn ©ä|en in bie 2lugen. Sie §rage *>er
3Banblung ift $af)re lang ber ©egenftanb ber Erörterung geWefen. ®en £>öfyebunft
erreichte fie in bem bielberufenen ©treite, in ben fiel) ßanon Sibbon, bamalg ber glän=
jenbfte ^anjelrebner Sonbong, mit bem weniger berebten, aber gelehrteren 9Tionfignore Gabel 30
einliefe (SDej. 1874). ®ie ^ramgfubftanttation leugnen, Wie Sibbon e3 im ^ntereffe
feiner greunbe tfyar, ger)t nicf)t an, erWiberte ifmi Eabel; bie gan§e ritualiftifd)e Sitteratur
bezeugt fie. ©0 mufete ber Eanon bor ber überibältigenben, au§ Breviaries unb Manuals
gegolten Sejeugung ber ©acf;e bie ©egel ftreidjen unb feinem ©egner (12. SRärj 1875,
Srief a. b. STimeS) zugeben, bafe „manche SDinge träten, bie fieb^ nur auf bem ©tanb= 35
bunfte Storni! berteibigen liefen" ; eine fernere SBunbe, bie Sibbon berfönlic^) unb feine ©acf)e
traf, ob^ne bafs er fie berbient. @r berbanfte fie ben unbefonnenen prangern unb i§ren
römifcl;en Übergebanfen. Sei ben SSorten: ®ie§ ift mein Seib, Reifet e§ im Little
Prayerbook, müfet xi)x glauben, bafe Srot unb SBein roirflicb^ Seib unb Slut
6f>rifti to erben. Seugt eure §erjen unb^niee in tieffter Anbetung, roenn ber ^ßriefter 40
biefe fcfjauerboHen 9Borte fbricf;t; benn mirflicl; unb ma^rb^aftig ift euer^eilanb auf bem
Slltare gegenwärtig. Unb: 2öir muffen glauben, bafj ber Seib 6f)rifti, ber geboren ift
unb am Ureuje litt, mirfliel), toal)rb; aftig, fubftantiell unb ortlicf) (really,
truly, substantially and locally present) in ben Elementen gegenwärtig
ift; wenn hinzugefügt Wirb: „ofyne bafe bie Elemente berWanbelt finb", fo ift ba^ na= 4,3
iürliclj, fo lange 3Borte ©inn b/aben, eben nur ein ©biel mit entleerten SBorten. Seim
2tbenbmal>l Würbe unb Wirb in ben Sftrcfyen ber entfcl)iebenen Tonart gefungen: ,,^n fein
gleifcf) ift Srot berWanbelt, Qn fein foftbar Slut ber 2öein"; unb im Riss of Peace
Wirb aller Serfcl)leierung ein Enbe gemacht mit bem ©a£e, bafe ber 1)1. ©eift bureb^ bie
Äonfefration be§ ^ßriefterö eine SSerWanblung ber ©ubftanj (conversion of the whole 50
substance) be§ Sroteö in bie ©ubftanj be^ Seibe§ Sl)rifti beWirle. S"oc§ mufe S^^S1
Werben, bafe ba3 Überfcf)Wenglicf)!eiten einzelner finb, bie bie güfyrer nicl}t billigen.
©ine Weitere römifcfye Senbenj f>aftet ber mafegebenben ©teHung, bie ber Stcalbräfenj
im 2tbenbmar/I jugeWiefen Wirb, infofern an, al<§ biefe in ber @ud)ariftie jum Dbfcr =
begriff weitergeführt b^at. ©cfyon groube unb ?ßercebal Ratten bas> xovxo noieixs (1 Äo 65
11,23—26) gegen ben ©bracfjgebraucf) al<S sacrificite gebeutet; NeWman (unb mit if)tn
biele anbere) faffen bie Eucf/ariftie „alg fommemoratibeö Dbfer für bie Sebenben unb
3;oten p: Vergebung ber ©ünben"; „al§ ba<§ clEjriftltc^e Dbfer ift fie bie Ärone bes
©otte§bienfteö, ber befonbere 2l!t, in Slraft beffen bie Wirffame Jvürfbracb,e be6 §aubtca
ber Slirdje im §immel f)inabreicb^t in bie untere ©bb/äre unfere^ ©otteSbienftefg" 3lller- uo
8leaI=(SncetIo|)äbie für Xfceologle unb Sit^c. 3. SH. XX. 4
50 SraltartamSmuS
bingS feine Sßieberfyolung be§ Dbfer3 am 5treuj, benn @r)rtftu3 ift nur einmal für alle
Reiten geopfert, aber bie Vergebung ber ©ünbe, bie Rechtfertigung unb 2tnnat;me be3
©ünberS bei ©Ott, burcr) ba3 Dbfer am Sfreug jutoege gebracht, Wirb burct) ba<§ Dbfer
am Slltar abb^iert. Sie £f>efe ^^ begrünbet bur<$ ben §tntoetS barauf, baf$ gunäd^ft
5 zwar nur @f)rtftus> al<§ res sacramenti geopfert werbe, bie Äirdje aber als ber mtjfttfc^ie
Seib ßbjifti mitbeteiligt fei. ©o Wirb bie @ud£)ariftte jutn Dbfer ber fotleftiben ^irdje,
aber aud; jum Dbfer ßbrifti, ber obfembe Sr/rtftuS unb zugleich fein mtojttfd&er Seib
bie Äirctje.
©nblid; ift au§ bem begriff ber Realbräfenj einerfeitä auf bie objeftib reale
io2öirfung beS ©aframentg gefolgert Worben. Radjbem im Anfang ber ©ntwicfelung
bie reformierte fiebere (2lrt. XXIX) accebtiert War, aud> bon $ufer/, r/ercfdjt jefct im
Wefenilid;en Übereinftimmung, bafj Sßürbige unb llnWürbige im Stbenbmat/I ba3 ©leidje
empfangen, mcr)t nur ba§ (Element, fonbern aucf; ben gegenwärtigen ß^rtftuö, biefe jum
©ericfyt, jene jum ©egen. — 2lnbererfeii§ tyat bie 9teal^täfen§, in ber ^rarjg WenigfteniS,
15 jur Slnbetung ber Elemente geführt, toenngleid) bie Stfyeorie nur bie Slnbetung be§ im
2lbenbmar)I gegenwärtigen Sr/riftuS forbert. SBenn gefaßt toirb: Anbetung gebührt bem
Seib unb 33Iut 6£>rifti, bie Wirflid; unb Wal)rl)afiig in ber ©eftalt bon Sßrot unb 2Sein
gegentoärtig finb, bie (Elemente aber, burd) bie Seib unb 33Iut empfangen Werben, bürfen
nid)t angebetet Werben ($Denifon), ober: ber gegenwärtige (El)riftu§, nidjt ba§ ©aframent
20 ift anzubeten ($ufer/), fo ift bag ein für bie $rarj3 Wertlofer £)oftrinari<omus>, ber in ber
firdjlicben Übung, fo lange SRenfdjen bie 2tnbetenben finb, an fid) bebeutunglloS ift,
Wofyl aber bie ©efalir be<§ ©ö|enbienfte§ in greifbare 3^ä^e rücft.
®te Seicfjte ftetlt bie englifdje $ird)e im Unterfcfyieb bon ber römifcf;en in bie
greit)ett be§ (Einzelnen unb fyält bamit bie tfyatfädjlidje 23erflüd)tigung ber Übung unb bie
25 Abirrung ins gormentum fern. — Jgnbeg, Wenn bie ^raltarianer Setzte unb Slbfolution jum
Rang eine§ ©aframentS ergeben, inbem fie betben bie SBieberr/erfteffung ber burd) bie ©ünbe
berluftig gegangenen Staufwiebergeburt unb bie 33oßenbung be<§ geiftlicf/en SebenS ju=
fdjretben, fo machen fie für ben im ©lauben ftefjenben ©giften beibe jur notWenbigen
unb unentbehrlichen §eil§f)ilfe. ©o tritt in biefem Sefyrftüd" bor anbern baS ©Aftern ber
30 briefterlidjen 2lIIgeWalt gu %age; bie Ritualiften f äffen bie 2lbfolution nicfyt als beflara=
torifdjen, fonbern als jubijieHen 2lft, als Urteil, nicfyt als ©acfye ©otteS, fonbern beS
^ßriefterS. „®er einige 2ßeg gur Vergebung ber nacf; ber ^aufe begangenen ©ünben
— icb; toieberf)o!e e§, e<§ giebt feinen anbern — ift faframentale Seichte, bie 33eicf)te bor
bem ^riefter" (Piain Words on Confession, 6), unb ber erfte Traet for the Days
35 berfteigt fid) ju bem ungeheuerlichen ©a^e : ber 3JIann, ber ©ott beiztet, may be for-
given, ber einem ^ßriefter beichtet, must be forgiven. §ier fommt ber forcierte s$riefter=
begriff ju feinem brägnanteften 2lu§brucf, Wenn bie Sorficfytigen berartige Übergebanfen
auc^ abjubämbfen berfucfyten. S3ebarf nun ber ^riefter, bamit er lo3fbred)e, über ba§33e=
fenntnis ber allgemeinen ©ünbb^aftig!eit b^inauö ba<§ 33e!enntni§ ber einzelnen ©ünben,
40 fo ift bie Dbjenbeicr/te gcforbert, bie, bon ber offiziellen Uircfye nid^t angeorbnet, bon ben
9?itualiften in praxi eifrig gebflegt Wirb unb eine reiche a§!etifcl)e Sitteratur gur golge
gehabt f)at (bgl. u. a. harter, The Doctrine of Confession, 1869 unb The Free-
dom of Confession, 1877 ; ©regier;, Ordinance of Confession, unb ba§ berüchtigte,
hinter ben fcblimmften Seiftungen ber römifd)en Sujjbi^iblin ntc^t jurücfbleibenbe §anb=
45 bud) The Priest in Absolution, beffen erfter %i\l 1866 anonym erfaßten, toä|renb
II nur afö 2Begtoeifer für ben S^Ieruö 1886 gebrucft tourbe). —
2lu§ biefem auf bie toefentlict/en ©runb^üge befcfjränften Sefyrumrtfj treten al§ ah
fd)lie^enbeg (Ergebnis biefe jtoei ©ä^e f)erau§: gef djiicr; ttidt) betrachtet bebeutet ber ^r.
ben $roteft gegen ben ^roteftanuSmuS beä 16. %ab,xb,§. 5Kacbbem in ber ßircfye @Iifabetl)g
so bas ©ebetbucl) ©buarbg VI. gegen ben fontmentalen ^mbort fiel) fiegreid? berteibigt, blatte
mit^oofer, Sancr oft unb ben Canons bon 1604 ber ©egenftofs eingefe^t, beffen SBirfungen
burd; bie „großen 2lnglifaner" 2lnbretoe§, Herbert, ®onne, Saub, ^er. %av)lox, ©bleiben,
6ofin, aBilfon, Sancroft unb Rm bertieft Würben ; aber fie ganj burd^ufe^en, in Seb;re, ^ult
unb 23erfaffung3fragen (aSert) ältniä %um ©taate) War feinem gelungen. SDie ^raftarianer
55 festen ein, Wo ^en unb Sancroft aufgehört, unb gaben ber anglifanifcf;en ^bee jWar
nid;t ii)t enbgiltigeS unb le|te§ ©ebräge, immerhin aber führten fie ^u einer ÜberWinbung
ber fircfjlicfien 3Röte, unter benen nacb^ tt)rer 3Jieinung bie englifcf;e Kirche burcl; bie SSer=
getoaltigungen ber Deformation gelitten. Ql>re Slufgabe War bie Sefeitigung be3 afatb;o=
Iifd;en ^rembgute§, baS im 16. ^afyrfyunbert bie freie gafyrt ber englifc^en Deformation
so ju befd)Weren unb il>re Richtlinien umzubiegen berfud;t ^atte, b. i). bie 2öieberl>erftellung
£raftariani8mu§ 51
ber 9?ationallircbe auf ben Sintert Ebuarbg VI. ®te Bewegung ftrebt bie (Säuberung ber
Kircfye EnglanbS bon ben religibfen Säuberungen, bte fie in ben fielen unb ©bftemen
3winglt§, SutberS unb Ealbin3 fanb, an unb ergebt ben Slnfbrucb auf Infiorifdje, bog=
matifcfye unb organifatorifcbe Kontinuität mit ber brimittben Kircbe, auf ben tarnen einer
reformierten Kirche jWar, Weil fie mittelalterliche Sftißbräucbe befeitigt, bte SBibel bem 5
Volte Wiebergegeben unb bie ©eWalt beS ^3a^fte§ jerbroc^en fyat, gugleic^ aber „in ber
gütte ifyre§ gefdjicbtlidjen Stetig unb ber WiebergeWonnenen freien $rar,t<§ auf ben Tanten
einer fatfyolifdben Kirche" (Söaleman, 493).
©ogmatifct) angefer)en bebeutet er anberfeitö bie Umwertung ber ibealen gebend
guter be£ gläubigen ©ubjeftS in objeftifcfafjbare l^atfacfyen. SDa3 innere Erlebnis ber= 10
objeftibiert fid; ., i&m in äußere SDarftelJung be§ religibfen EmbfinbenS, ber ©taube in
ba3 Söerf, bie Übung. ©0 wirb ifim, Wäfyrenb al§ feine ©runbierung bie ftarfe 9lad)-
brüdlicibfeit erfcfyeint, bie er auf bie Erhebung be3 VrtefterS ju einer 2lrt Übermenfdjentum
legt, eine Kird)e ber äöir!lid)letten jum 3*el. ©er %x., aud) in ber gorm beS SJütualtSmug
bungert nad) Realitäten. t)a§ ergiebt ficb au§ feinem Segriff ber Kirche als einer ficb> 15
baren, realen, in ber äße 2öab,r|ett objeftib gegeben ift, ber Rechtfertigung als realer,
burd) bie ©aJramentSgabe bermittelten SebenSmitteilung, ber burcb, bte aboftoltfcfye ©uc=
ceffion realiter mitgeteilten SlmtSgabe unb au$ ber realen ©egenWart Ebjtfti in ber
Eucbariftie, in abgeleiteter SOikife aus feiner Stellung jum KuttuS, beffen gönnen bie
faßbare 2tuSbrägung religiöfer SöirflicfyfeitSWerte finb. £)ie gorm ift il)m fein 2lbia= 20
pfyoron, fie mu| bem $nl)alt, ber ^bee entfbrecben; baf)er feine Vorliebe für bte reiche
2luSgeftaItung unb Vracfyt (gorgeousness) ber ©otteSbienfte, bie er auS formlofer 3lüd)-
ternt)eit in bte ©bfyäre ber Anbetung (more worship) erhoben b,at. Enblicb, bat er e£
unternommen, biefen Söirfticbjeit^ug bem djriftlicfyen Seben ju geben. ®ie Kircbe, als
Seib 61)rifti ein Organismus in feftgefügter ©efcbjoffenb, eit fircfylicljer ©runbfä^e unb Vor= 25
fdr)riften, fott burcb, baS gan^e Reicr; bin baS Seben regeln in §auS, Kirche, ©cbule, in
ben rx>trtfdr)aftltdr)en unb toolittfcben Betätigungen, 2jb,re Wabten ©lieber werben bieg nicf)t
burd) bie innere Erfahrung ber ©nabe (Belehrung), fonbern burd) baS ©aframent ber
Xaufe, bebürfen aber jur Ert/altung beS ©nabenftanbeS beS VriefterS als geiftlidjen Be=
raterS; unb biefer brtefterlicfyen 3l!tton foß eine reiche aSfetifdje Sitteratur jur SluSWirfung 30
in ber ©eftaltung ber geiftigcn Kultur berbelfen. —
V. j)ie SBirfungen ber Bewegung. SBtr fefyen eS, auf fel)r bielen ©ebieten,
unb ntcbt nur beS fircbjicben SebenS, fyat ber Xx. tiefgebenbe SBanbtungen jur golge ge=
b^abt. ©ein unbeftreitbareg 33erbienft ift in erfter Sinie bie Erneuerung unb Vertiefung
bes lird)ttcben ©eifte3. @r i)at bie nationale $irct)e au§ ober Xt)atenIofig!eit, geift= 35
lofer %lad)i]i\t, fjinträumenbem Sebagen am 2eben§genuf$, bon ber unfreien Erfüllung
formaler $flict)ten unb bem33anne ber ^ßf/rafe unb formet, mit bem ber Kern be3£eben§
bittet umbängt mar, befreit, fie erfüllt mit briefterlicfjem ©eifte unb angefbornt ju ben
grofjen, befreienben ^Tbaten, bie ber Stftenfcbfy eit au§ ber SLiefe be3 ©emüt§ geboren roerben
unb fie auf bie §öb,en führen, wo ©Wigfeitgluft Wel)t. ^n mannen Begebungen fd)o^ 40
er überg $id f)inau§, in anbern tabbtc er blinb auf ben $rrWeg. ©oWeit el ficb, um feine
legten 3iele b^anbelte, ift er in -JJlifserfoIge geraten; er bergafe, baf? „§immel unb SBelt
fic| nur berühren unb unboMommen finb, Weil fie e§ mit 3)?enfcben ju t^un" f>aben.
Stber er ift aufgeftiegen au<3 eblen unb fruchtbaren 3JJotiben. ®ie äöal>rl)eit unb baS ©ute,
bag er gewollt unb mit bem er begann, liat jule^t al§ fruebtbringenber ©ame in ber 45
ganjen Kirche nacfygeWirft, alö Bobenfa| finb nur bie ejtremen romanifierenben Elemente
gurücfgeblieben, unb biefe finb im Saufe ber Entwicklungen nicfjt meb,r bie Berfübrer
geblieben, al§ bie fie anfangs ba<§ odium be§ ganzen KircfyenboUs» ju tragen Ratten,
^n feiner gemäßigten gorm ^at er alfo ber b^eimifd;en Kirche fef)r mefentlicfye ©ienfte
geleiftet. w
Unbeftreitbare unb unbeftrittene Erfolge Weift er auf bem ©ebiete ber fo =
gialen 2lrbeit auf. SDer ©eelforge b/at er ganj neue 2öege geWiefen. ©eine ©eift=
lieben berjef)ren in ber Strbeit an ben Waffen i|re Kraft bi§ jur Erfcfybbfung, foWeit ba§
Kuratentum in grage lommt, bei meift unau§fömmlicl)em ©efyalt. SnDeni er m^ ^er
©leid)berecbtigung bon Slrm unb sJteicb, in ber Ktrcbe Ernft machte, l;at er bie iu'tfun!enen 55
unb Verirrten auf ben rechten 2ßeg gebracht unb ben Elenben burd) ein9ie£ großartiger
Siebe§Wer!e ju einem Anteil an ftitlem SebenSglüd berb^olfen.
©eine SBürbigung ber Kunft fyat eine ftrd;lid)e 2lftb,etil gefdjaffen, in fraft
berer er biele au§ ben ber Kird^c entfrembeten oberen ©efcllfcb,aftfd)id)tcn biefer Wiebcr
gewonnen fyat. ®urd; ^erübernabme ber Vrojeffion, l^ircbenfabnc, 3Bcif)raucb, ©breng= co
■1*
52 SraftemantSmuS
roaffer, Slltarfreuj unb 4ia)t, ^Dcefjgeroanb unb ölumenf^mud (namentlich im Söinter)
unb anbete auf ba3 ©efüfyl roirfenbe ©inge £)at er fidj namentlich unter ber grauen=
toelt eine begeisterte unb opferwillige ©efolgfcfyaft gefcfyaffen. ©eit ben 70er lyabjen l>at
biefer üuItuS be3 Schönen bie $ir$gemeinben roeit über bie ©renje be§ in ber „re=
5 formierten" ftircfye ©nglanbä Statthaften in Slnfbrudi) genommen. Sie frühere @tnfacfy=
l)eit unb fyerbe ßraft ber ©otteSbtenfte fyat ber %x. berlaffen unb einer §r/bertrotofyie
be£ fulttfd&en Sluäbrucfig bie 2öege gebahnt, bie einen 3ug narfotifcfyer ©innlicr/feit trägt,
©in fcb>üler, meiner Son, ber in 33erbinbung mit bem burcr; farbige genfter ge=
fct/affenen §alblicb,te bie mbjiifcfyen Gräfte ber ©eele auSlöft unb ber auf bie bon ifym
10 gefugte ©rregung unb Vertiefung ber 2tnbacf)t betäubenb Wirft, ift bie ©ignatur ber
©otieäbienfte (befonberS in ben ©täbten). Söenn au§ ben in ben SBöIbungen ber=
bämmernben klängen be§ geiftlicfyen SSoIIöltebeä — einen Choral b)at bie englifcfye $irct)e nicfyt
— loeic^e 2lnbad^>t in bie jitternbe ©eele fiel) taftet, Wenn in ber ©ucfjariftie bei benSöorten:
Take and eat this body bie ^jol^^one ©eroalt be§ bollen Sßerfg majeftättfcf; einher:
15 brauft ober beim ßrebo ein SDteer bon SLönen auf raufcfyenben gütigen burct; bie fallen
flutet, roäljmt ber £>örer ficf) in einen fatl)olifcf;en ©om berfeijt. — 2lber bie ©efafr ber
40er unb 50er 3>a|re, ba$ ber %t. auct; burcfy biefe 3)inge jum 33afynbrecr;er für 9iom
werbe, befter/t rticr)t mefyr. SDie Übertritte fyaben aufgehört, unb ba§ $irct)enbolf fier)t in=
tereffiert, aber ungeängftet auf ben girlefan^ ber ©etoänber; eine mefyr als 50jäfyrige
20 (Erfahrung I)at gelehrt, bafj er ben nacb mfyftifcfyer (Erregung berlangenben ©emütern
bielfacb, gerabe ba^jenige bietet, roa§ fie ofyne if>n in bie römifcfyen 2frme treiben Würbe,
^nfotoeit f/at er ben (Erfolgen ber $robaganba Stoma fogar 2Ibbrud) getfyan. §at ber
%x. in ben ßeiten r)ocf)grabiger ©toannung biele ©eiftlid)e unb Saien fyinübergetrieben,
ber 9fttuali§mu§, aus ©cr)Vt>ä^e unb Unterbrücfung r)erau<SgeWad)fen unb auf allen ©e=
25 bieten be§ fircbjicfjen £eben§ gu (Einflujj gelangt, b,at mit feiner früheren @mE>eitItd^=
Jett unb ©efcf)loffenl)eit bie ettoa ©ct)Wanfenben in fefter Ülaminer gehalten; aucb, feine
33erbinbung mit bem §ocf)fircr)entum, an ba§ er feit ber $ar)rIJMnbertWenbe feine Gräfte
abzugeben begonnen r)at, f>at ifyn meb,r unb meb^r bor ben alten Irrwegen beroafjrt, unb
in ben formen be§ Kultus unb ber ©eelforge, bie jenes bon il)m al<§ (Erbe überfommen
30 b,at, ftefyt er mit breitem $ufje im firtf)Iic£)en Seben; bon ben runb 1000 Sonboner
©taatgftrdjen füllen ttWa bie §älfte meb^r ober toeniger bie ritual^ocpiräplicfje Söeife
Pflegen.
©ein au§ ber Siebe ju ber lat^olifc^en SSorgeit geborene^ Äunftintereffe t)at itid^t
minber auf bie ftrcfylicfye 33 au fünft , 2trd)iteftur, Malerei unb Tlu\\i geibirft. 3lu3 ber toürbe=
35 lofen 33ernad)Iäffigung, unter ber bie unbergleid^Iid^ fcfybnen englifd^en ®ome, faft alle
©enlmale au§ ber Slütejeit ber mittelalterlichen ^unft, im 17. unb 18. Qa^unbert
litten, al§ bie lircb.lid^e 2lrcb,iteltur eine bergeffene Hunft geworben roar, finb fie ^ur
alten ©infacfyfyeü unb ©c^önb,eit roieber emborgeftiegen, biele neue ^irc^en finb nacfy ben
beften alten duftem gebaut, unb bie befteb,enben bon gefcfmiadlofen ©inbauten unb fonftigen
40 aßerfc^Iimmbefferungen befreit toorben. ^b,re Qnnentoirfung ift burcfy Farbenreichtum an
©äule unb genfter bertieft, bem ©anjen eine eble Skifye gegeben unb burcb, ftilboße
Silbtoerle an Mangel, Saufftein, Settner unb SSänben bie in ber „©bocb.e ber iünd^e"
untergegangenen intimen 3Jeije ju neuer ^aäenber 2öirllid;feit getoeört toorben. 3)ie 9fr
tualiften nehmen biefen 2luffcf)roung ber ftrcbiicfyen ^unft für fi^ gern in Slnftoruct), ntd^t
45 ganj mit Stecht, ©en ©ebanlen einer äftfyetifcljen Sieform b,at bor ifynen bie Church
Building Society bertreten, bie fcfyon in ben^afjren 1818—33 burcb, 2tuftoenbung bon
6 Millionen ^fb. ©t. für Neubau unb 28ieberf)erftellung bon ^ircf)en jenen ein nadj>=
ab,menötoerte§ Vorbilb gegeben. — 2tucf> bie lirc§licb,e Äleinlunft (an £reuj, ^ru^ifij,
£eucb,ter, ^ßatene unb Mfy) berbanlt iljnen biel Anregungen, unb felbft auf bie ©egen=
so feite, too ib,re Reformen anfangt ben 2lrgtool)n toecften, b,at ib^re üunftübung, nicb^t nur
auf bem rein !ultifc§en ©ebiete, bielfacfy borbilblicb, getoirh. —
. Slucfy auf bem ©ebiet ber religiöfen SKalerei finb fie baf>nbrecb,enb getoorben.
®§ ift !ein bloßer ßufall, ba| bie ^räraffaeliten (@bto. Surne&SoneS, WliüaiZ, 2B. §.
§unt, Dbfetti unb SEß. Sranc) t^r !ünftIertfcf;eS Qbeal in ber ßeit be§ bom %x. beein=
55 flufjtm Itrc^Iic^en 2luffcb,toungg gegen ftarfe Sßiberftänbe bura;fe|ten. Seibe trieb ber
gleiche ©eift, 3Sergangen^eit§mäcb,te. ©ie machten §alt bor ber mobern=!laffifcb^en ^unft
be§ (Cinquecento, bie bie 2öal)r^eit unb (Einfalt ber mittelalterlichen Malerei berlaffen
b,atte, unb fanben i£>r Qbeal jurücfgeroenbet ju ben Reiten, in benen alles Äußere 6b^riftum
befannte unb bie ®unft, eine 3Dtagb ber $ircf)e, guerft bie 2öat;rr)eit, banact) bie ©cbbn=
60 f>eit fucftfe.
£raftariatttS!iiu§ XroftatgefcUfctjaften 53
(rnbticb, tiaben bic Xraltarianer and) bic ÜRuf tl in ben £>ienft berSlircfye geftettt unb
burcb, 9tücfgang auf bie alte klafft! (16. unb 17 Safyrfyunbert) unb burcb, Sluöbilbung
guter $ircr)encr)öre bein ßlenb beä in ©ngtanb ftcfy wie nirgenbS breitmadjenben ^Dilettanten^
tumS bietfact; ein @nbe bereitet. Man fann in ben Sonboner Äircfyen im Söinter bie
Vaffioncn $. ©. %$ad)% unb bie Steffen ValeftrinaS in botlenbeten, oft Wieberf>otten 2luf= 5
füfyrungen unentgeltlich) geniefsen. Unb aud) t)ier finb ir)re borbtIblicr)en iiRücftoirfungen
auf bie ifmen nicr)t ungehörigen ürcr;Iid)en Greife unberfemtbar. —
©nbergebnis. Stact) aKebem ift ber %t.r Wie ©d)ötl treffenb gefagt fyat, ein ger=
ment geworben, ba3 in bag faulenbe §oct)fircr/etttum neue§ £eben brachte; aber fein
letjteS 3tel, bie englifcfye ©taat§fircr)e in bte brimitibe jurücfjubilben, felbft auf bem Üm= io
Wege über Stoin, b/at er rttd^t erreicht. Stuf allen fünften, Wo er ba3 brimitibe Softem
grunbfä|licf) burcb^ufeljen berfucfyte, ift er auf gefetjlicfje §inberniffe unb auf ben 28iber=
]pxud) au£ ber eignen Mitte (au§ bem ©orefet/en Greife) geflogen unb an bem broteftan=
tifcfyen ©inne be§ englifdjen VolfeS gefcfjeitert. Stur bieg bat er bermocr)t: er ^at biete
Söege ju ber ©eete be£ 3Sol!§ gurücfgefunben unb bie treibenben $eime, bie aus» bem 15
firef/licr; gefinnten Mittelalter Wie bie Stfmungen eines triebfräftigen 9?euen, ÜberWinbung
ber ©egenWarrSnöte unb Vertiefung be§ ftrc|ticr/en ©mbfinbenS, in jitternbem §offen in
ben engtifeb/en bergen Wirkten, ju kräftigem Stntrteb gebraut. ©aS 2öar)re unb ©ute,
mit bem er begann, fyat er naefy heftigem, oft leibenfcfyaftltcljem ©ireite jum Seben gc=
bracht. Slber fein Mangel an Vefonnenb/ett unb fbelulatiber Straft unb feine Uebertreibungen 20
Waren fein Unrecht unb feine ©cf)Wäcr)e. 'JJubolf Subbenfteg.
£raftatgefeUfd)aftett. — Sitteratur: gliegenbe Vlätter au§ bem «Raulen £aufe uoit
1844 an; 28id)ern, Sie gmtere SJiiffion ber beutfcfyen euang. Sirene. 35enffd^rift 1849, £am=
bürg 3. Stuft. 1889, @. 62 ff.; ßotoe, ®rittfcbe SJJufferung ber Sraftate beutfd>ebangeliftf)ev
©efetlfctjaften, Hamburg 1852; ©cbaubad), gur ßfjarafteriftif ber heutigen SSotfSliteratur, 25
Hamburg 1863; Vobemann, Sie Verbreitung diriftltcber ©Triften, ©ott)a 1868; ©täbeltn,
Sa§ £raftattoefen, 2. Stuft. Vafet 1873; Döpfner, Vrattifdjer SBegroeifer buret) bie diriftl.
VoIBlitteratur, Sonn 1873; öobeef, Sie Sorge für ba§ Vot£§fd)riftemriefen, Setpjig 1877;
Sdjäfer, ÜKonat§fcf)rift f. 3nn. SCftiffiort, Hamburg 1878/79 (©erlacb,); berf., $3t(S\ Vb XV:
Srattatgefellfcbaften; (Schneit, Sie 50 erften ^aljxe be8 Vereins jur Verbreitung c^riftlidjer 30
©djrtften, S3afet 1884; ^al}fer, Sie SSerforgung ber ©emeinbe mit ben ©rjeugniffen ber d)rtftt.
treffe (26. Songrefe f. Snn. SKiffion Nürnberg 1890); ©cfjöner, Sie cb,rifti. 8Sotf§literatur
unb tljre Verbreitung, ©ot£)a 1891; Füller, Sie 9Jotmenbtgfeit ber Verbreitung djriftltdjer
58o(t§fcf)riften, Verlin 1891; berf., Sie Pflichten ber 3nn. ÜRiffion gegenüber bem üolf§=
»erberblicben ©ebrifteumefen, Verttn 1891 ; @d)äfer, SRonatSfctirtft f. 3nn. 5Kif fton, ©ütergtob^ 35
1893 (Srome); berf., ebb. 1893 (SReicbe) (Vranbenburg. $robtnäiatou§fct)u6) ; gentrat=?lu§frf)ufe
f. 3nn. IRiffion, ©tattftif, SSertin 1899, ©. 305—352 ; ©d)fifer, SKonatSfcbrift f. ^nn. «lifion
1900 (3Hau); berf., guanget. VoItSlej;ifon, Vietefetb 1900. Vreffe, cbriftfidje unb uttdtjrtftltctje
(dütte); berf., ebb.: (Srjriftlictje VoIt§fd]rtftfteaer (Vadimann); berf., ebb.: ®rbauung§bücf)er
ößetran); eentrat=9tu§fd)uf3 f. 3nn. «Kiffion, SabjeSbericrjte, bef. 1901 ff. Sie Sa^reäbertd^te io
ber bauptfädilicbften beutfd)en eoangel. Xra!tatgefeltfcb,aften (f. Sejt).
©er ÜReformation entflammt ba§ Seftreben, neben ber 3lu§breitung be§ 2Sorte§
©otteg felbft (f. b. 31. SBibetgefellfcr/aften 33b II ©.691 ff.) bie Serfünbigung be§ ®tiam
geliumä in feiner 2lnmenbung auf befonbere ^eitfragen unb £eben§Iagen burc^ gemein=
berftänblicb,e anregenbe ©Triften bon geringem Umfange (SLraltate) in weitere Greife ju 45
tragen, als bie burdj bie ^ßrebigt erreicht toerben, unb bamit ber 2lu3breitung glaubeni=
armer ober glauben<§feinblicr/er 2tnfcb,auungen unb ©runbfä^e im SBoIMeben toirlfam ent=
gegen px treten. SutfyerS 95^ejen bom^at)re 1517, tn3 SDeutfct/e übertragen unb mie buref;
ber ßnget Sotenbienft in fur^er 3eit faft bie gange (Sb,riftenb,ett burcb,Iaufenb, matten
ben 3lnfang. 3ab,lreicf)e glugfc^riften liefe ber Reformator felbft nachfolgen, bon beneit 50
er fagte : „2öiemor/l id; ib^rer biete roeife unb täglict) b^öre, bie meine Strmut gering achten
unb fbrecb,en, idt) machte nur Heine ©esternlein unb beutfet/e ^jBrebigten für bie ungelernten
Saien, lafe \d) mieb, nicr)t beilegen; wollte ©ott, icb, Ijätte einem Saien mein Seben lang
mit attem meinem Vermögen ju ber Vefferung gebienet!" (3B2B 621 XX, 194) (bgt.
baS cf>ronoIog. aSer§etct>niS feiner ©Triften in ^öftlinS Sutb,erII, 72;)ff.). ©eine beutfct)ert 55
Mitarbeiter foWie if)m nacb, ebangelifierenbe ©c^roeijer unb granjofen (Verquin V-^'@
III. 3lufl. 33b II ©. 643 ff. unb garet, V3t@ III. Stuft. Sb V ©. 762 ff.) fcbloffen
fieb, eifrig an, beSgteicfien ber unbelannte Verfaffer be§ italienifcb,en £rattat§ „Von ber
9Bof)Itbat Gbrifti"
©bäter nahmen befonberS in tt)rer Söeife englifebe Puritaner (Vagter, 33unban) unb 60
Metbobiften (Üßeöleb geft. 1791, über Xrunffudjt, ©rjief^ung u. f. \v. unb §letd;er) unb
54 £raftatgcfellfrf)aften
beutfd&e qßtetiften (31. £. grande) biefe Slrbett auf ($randc: SPfennißarttfel. Äurjer Unter=
ric§t, tote man bie fyl ©djrift lefen foH), befonber§ auf ^erfönlid;e Vefefyrung unb §ei=
ligung bringenb. Sie Vrübergemeinbe fufyr bartn treulich fort.
$u neuem 2luffd;touttg führte bie tfyatfräftige Anregung be§ Sluglburger ©eniorS
6 Dr. %ofy. Urteberger unb ber englifcfyen ©d)riftftellerin §anna 3Jlore gegen Snbe be§
18. ^afyrfyunbertö. ©rfterer begrünbete 1782 bie „©eutft|e Sfjriftcntum'Sgefeü'fdiaft" in
Vafel (f. 33b III ©.821 ff.), bie gegenüber ber rationaliftifcb,en Verbbung ber ebangelifdjen
$ircb,en ©eutfcfylanbS unb ber ©ctjWeiä bie bibelgläubigen ©lieber ju lebenbigem $u=
fammenWirfen %u berbmben unternahm burcb, „«Sammlungen für Sieb^aber d>rifilic|er
10 2öaE>r^ett unb ©ottfeligfeit" unb ber 3Rutterfd)of$ jafylreidjer Slnftalten unb Vereine ber
inneren unb äußeren SJiiffton Würbe. 3#r ©elretär ©teinfobf bilbete nad; feiner Ve=
rufung an bie beutfd)e fötrdje in Sonbon bag berfönlicfye Vinbeglieb ^Wifdjen ber beutfd)en
unb ber englifdjen 9fliffion§arbeit, bon letzterer ber erfteren neuen Slnfborn jufüfyrenb. —
§anna 2Rore (t^r Sebenibilb nad) 9tobert§ unb £|>ombfon herausgegeben in Stuttgart
15 1 847) befämbfte bie bon granfretd) beretnbrecfyenbe greigeifterei juerft allein unb bann
bon greunben unterftü|t burd) eigene fyerborragenb Wirtfame, in 2 SRtHionen @r.emblaren
berbreitete STraltate unb fanb für it»r Vorgehen eifrige Nachfolge burd) bie 1796 begrün=
bete „(Sbinburgfyer S£raltatgefeÜfd}aft" unb burd; bie 1799 auf bem Voben ber Sonboner
5Dtiffion§gefettfd;aft entftanbene „Religious Tract Society", beren borbilblid; geworbene
20 ©runbfätje lauten: „'Jraltate muffen bie reine 2Bar/rI)ett enthalten, Weldje ©ott in ber
b,l. ©cfyrtft niebergelegt fyat unb Welche alte lebenbigen ©lieber ber Äircfyen ber 9tefor=
mation bon ^erjen annehmen; it)re ©brache mufj Ilar fein, bamit aud; £eute, bie nid)t
an Nadjbenfen geWöfmt finb, fie berftefyen. $eber ^tattat mufe, toa% aud) immer ber
©egenftanb ift, ben er befyanbelt, bem ©ünber bie Söafyrfyeit borfyalten, bafj er nur
25 burd) ben ©lauben an ^efum Sfmftum geredet Werben lann unb bafj er burd; ben
^eiligen ©eift bon neuem geboren Werben muf$. SEraliate füllen bem S^etd^e ©otteg unb
nid)t einer einzelnen beftimmten $trd)e bienen; frei bon allem, toa§ an bas> ©dnbboletb,
einer ©elte erinnert, follen fie nur bie großen SSafyrfyeiten berlünben, Welche ju allen
$eiten mächtig geWefen finb bor ©ott, ©eelen ju erweden, ju belehren, ju (»eiligen unb
30 ju tröften, unb Weide einen Sftenfcfyen befähigen, bem §errn $u leben unb ju fterben."
5Rad> bem SRufter unb ^um Xeil aud) mit ber Veiljiilfe ber Rel. Tract. Soc. bil=
beten ftdE> balb fyin unb ber Vereine, Welche bie §erftetlung unb Verbreitung bon %xcä=
taten tetl§ auSfdjltefelid; teils jufammen mit berWanbten Veftrebungen ber inneren 5Riffion
fid) jur Slufgabe machten. $n SBedfetoirlung mit ber ©rWedungsgeit in ber erften §älfte
35 be3 19. ^ai)rb,unbertS lam ?§ auf biefem ©ebtete ju immer reicherer Entfaltung, beren
fegen§reid)e 33ebeutung %. §. 2öid}ern in feiner ®en!fd)rift 1849 über „bie innere Sfliffion
ber beutfden ebangelifden ütrd^e" Warm unb anfeuernb befugte (3. 2lufl. Hamburg
1889, ©. 62 ff.), inbem er jugleid; malmte, ben ©cliriften ein meb;r beutfcb.^ebangelifd^eS
©ebräge ju geben unb bie tüdjtigften gebern Wahrer ürdilidier 33oI!^männer bafür in
40 ^Bewegung §u fe|en, um „biejenigen Waffen innerhalb ber Slird}«, bie ib,r fern getreten
finb unb in ©efabr fteb,n, bon ib,r ganj gefd;ieben 311 Werben, für 33uf?e unb ©lauben
Wieber jugänglid) ju mad)en unb für ben §errn aufe neue ju gewinnen".
©ie nam^afteften XraftatgefeKfd^aften auf beutfd^em Soben finb: ©er „d)riftlid>e
Verein im nörblicb,en ©eutfd>Ianb", erleben 1811. ©ie „2ßubbertb,aler 2:ra!tatgefellfd;aft/;,
45 gegrünbet 1814 auf Anregung bon Dr. Vinüerton aug Sonbon. ©er „^aubtberetn für
d)riftlid;e ©rbauungöfdiriften in ben toreuf$ifd)en ©taaten", Berlin 1814. ©ie „9tieber=
fäd?fifd)e ©efellfdiaft jur Verbreitung c^riftlic^er @rbauung§fd)riften", Hamburg 1820.
©ie „@bangelifd)e ©efeüfc^aft" in ©tuttgart 1832. ©ie „©bangelifdie Vüdierftiftung
in ©tuttgart" h^W. ber „Saltoer Verlag^berein" 1833. ©ie „Sbangelifcfye ©efettfd&aft
50 in ©trafeburg", 1834. ©er „Verein jur Verbreitung driftlid)er ©Triften", Vafel 1834.
©ie „Slgentur beö 3f{aub,en feaufä", Hamburg 1842. ©er „Sbangelifd}e Vüdierberein"
in Verlin 1845. ®te „Sbangelifde ©efeUfdjaft für ©eutfdlanb", SIberfelb 1848. ©er
„Sbangelifdie Verein für bie broteftantifdie üpfalj", 1848. ©er „Nürnberger ebang. Verein
für innere SWiffton", 1850. ©ie ,,©d)riftenabtetlung ber ©efeUfdiaft für innere 3Jiijfwn
55 im ©inne ber lut^ertfc^en tird^e", 1850. ©er „Sfmftlidie Holbortageberein in Vaben",
1867. ©er „Naffauifdte tolbortageberein", §erborn 1873. ©ic „©eutfd)e ebangelifd)e
2:raltatgefeafd;aft", Verlin 1879. ©er „Sfcipcr/e 3eitfd}riftenberein", Verlin 1880.
VerWanbt ift bie Verbrettung bon Vfenntgbrebigten, bon ber Verliner ©tabtmiffion 1881
angefangen, ber „Verein für djrtftlidje Volföbilbung für Sib^etnlanb unb Söeftfalen", ^oln
60 1882, bie3)ienge ber d)riftlid)en ©onntag^blätter, gamilten=3ettfd)riften unb Volfgfalenber,
SraftatgcfcUfdjnftcu £ian§fnt>ftanttation 55
bie bon Vereinen für innere 9Jciffion gepflegte Sejirlgfolbortage unb bon ben jüngften
Unternehmungen in Weiterem Storni en: bie äkrforgung ber SEagegbreffe burd) Slrtdel unb
ßorrefbonbenjen fetteng beg 3entralaugfcb,uffeg fur D*e innere STuffion ber beutfcfyen eban=
gclifdjcn $ird>e unb berbunbener ^Sre^toeretne feit 1892, bie „SDeutfdje .ßentralftette jur
gorberung ber 3SoIfö= unb ^ugenbleftüre", Hamburg 1905. £>ie bolfgtümlicb,=Wiffenfd)aft= 5
liefen 21bbanblungen „Sefyr unb 2öeb,r fürg beutfc|e Soll", Hamburg, Sftaufycg %au$
feit 1904.
SBeld^e fegengreicfye Skbeutung im ©eifte beg ©bangeliumg Wirtenbe ^ra!tatgefett=
fdjaften bei jWedmäfjiger SlrbeitgWeife I)aben, bebarf um fo weniger eineg 9tod)Weifeg, je
Ijanbgreiflicr)er in unferer geit bag fwdjgefteigerte Sefebebürfnig bureb. ©Triften in blan= io
mäßigem, jebeg 9Jcittel ber Kultur benutjenbem Sertriebe befriebigt Wirb, Welche ©lauben,
Ireue, gamilienfinn, ^ßtetät, djiriftlictje ©Ute unb ©itilicPeit im SSolfe untergraben unb
oielfacb, burd) toiffenfcf;afilid)=i'ünftlerifcr;en girnifj blenben ober fogar mit fbannenb ge=
jeid^neten elenben gerrbilbem beg Sebeng (MoIboriage=©cr;auerromane) felbft in moralifdjer
$ofe ben nieberften trieben augfül)rlicr)en Stnfdjauunggunterridjt in Saftern unb 3Ser= 15
brechen erteilen, dagegen fönnen Heine d;rtftlid)e 33olfgfd)riften allgemein erWedlicf/en ober
fbe^iett belefyrenben ober erjäb,tenben S'i'Mtg treffliche ©ienfte t|un, unb aueb, bofitib
lebenjeugenb roirlen, Wenn fie ecfyteg biblifd)eg (Mb in ©cb,eibemünje für ben 2IHtagg=
gebraueb, umfeijen, Weber langweilig nod) gefcfyraubt tenbenjiög, fonbern burd} 2ßab,rb/aftig=
feit unb 3SoIfötümltct)fett feffelnb gefcfyrieben finb (Wie ©cb/aitbergerg „©enbfcfyreiben", 20
% SBagtetg „Von ber ÜRufye ber ^eiligen" aug älterer $eit, lettfereg befonberg frucb>
bringenb beWäfyrt in ber 33efel)rung eineg SBilberforce, beg ©llaben= unb eineg ßfyalmerg,
beä großen Strmenfreunbeg ; ober aug neuerer ^,dt eine Slnjal)! „©dnfttnggbüdjer" beg
Staunen §aufeg bon $. §. Söicfyern, %. DIbenberg u. a., «JUndg „@in bekannter 2öofyI=
tfwter", Sö^eö „Von bem göttlichen Söort alg bem Sieb,!, Weldjeg jum ^rieben füfyrt", 20
manche 9Jcäf5igfeitg= unb ©ittlicbjeitgfcfyriften, manche Heinere ©r^äbiungen bon grieg,
Ü\ grommel, £>. gunde u. a., gietfyeg „^alm^Weige", ©Triften beg Staunen §aufeg
„$ür gefte unb ^reunbe ber inneren 9Jciffion", „®ird)enlteberbtcl)ter" u. bgl.) — wie SoWe
(ßrittfcfye Sftufterung ber 'Jraftate) fagt: „2)er Xraftat foH ein Vfeil fein, rafd) beflügelt,
fd;arf jugefbi^t, bie ©buje bon gebiegenem, reinem 3JcetaUy/ 30
Hauptaufgaben für bie ©egenWart finb einerfeit§ bie gemeinberftänblid;e Scjeugung
ber ©runbgebanfen beg ©bangeliumg für ba§ fittlid;=wirtfd)aftlid)e unb gefellfd;aftlid;e
Seben gegenüber bem bie Waffen berüdenben falfcb,en ?ßrob^etentum ber ©ojialbemofratie
(Worin labffg „®e§ 2lrbeiter§ Söürbe unb Sürbe", Stuttgart 1874, Xl;ombfong „©er
Arbeiter unb feine greunbe", Berlin 1881, ©räbenteicr;3 „@b. 2lrbeiterfate(f)igmug", 2R.= 35
©labbad) 1898 bemerlenäWerte Vorgänge bilben, unb bie fokale „®enffd;rift be§ 3entraI=
2lu§fcr,uffe3 für innere 9Jliffion", Berlin 1884 mit 9?ad)Wort 1889, «Prof. Dr. bon Wa*
tbufiu§ „Sie Mitarbeit ber ^irdje an ber Söfung ber foj. %xaa,e", Seibjig 1897, $aft.
em. Äöb, ler „©o^ialiftifd^e ^rrle^ren", Seibjig 1899 u. a. alg Wiffenfdjaftlicfye 9iüftlammern
%u berWerten finb) — unb anbererfeit§ bie gemeinberftänblicfje Sejeugung ber biblifd)en 40
SBafjr^eit unb cfyrifilicb, en Söeltanfdiauung gegenüber alter unb neuer rationaliftifcfyer Slritif
unb ebolutioniftifd)=moniftifd)er ^^bot^efe (Wofür 3Jlem^of§ ,,©dm^ unb 'Jru^büdjlein",
Seibjig 1903 al§ dufter bienen mag, unb reiches Material aug Sutfjarbtg „Slbologetifcb.en
Vorträgen", Seibjig 4 S3be bon 1864 big 1883, unb u. a. au§ Sö^mer^robatjdjedg
„33iblifd}en 3eit= unb Streitfragen", ©r.=£id)terfelbe 1905 ff. %u fcfybbfen ift) — beiberfeitg 45
aber Weniger jufammenfaffenb al§ einzeln beleudjtenb, Weniger leb,r^aft alg bra!tifd) um=
faffenb ju be^anbeln.
®ie Verbreitung ber 2!ra!tate gefd}ieb,t meift mittelft gWeignieberlage unb Jlolbor=
tage, am beften ni<f>t burd) blanlofeg 3tu3ftreuen, fonbern bon ^erfon ju $erfon auf
©runb gegebener 58elanntfd)aft unb unter forgfältiger SlugWab,! beg im befonberen galle 50
©eeigneten. #• aio^tenbetf.
Jranfo^jfcr f. b. 21. Dbferlultug S3b XIV ©. 390, eo.
SranSfubftantttttton. — Die Sitteratur ift mefentlict) btejenige, bie bei ben "'Irtifelu
„5l6enbmaf)i. II. Strct)ettle{)re", 93b I <5. 38, 8—29 unb „lUeffe, bogmengefd)icf|tttct)", 93b X
S. 6(35,14—57 uerjetdinet ift. 3)a§ SBerf üon 3. 93ad), S)te Dogmengefcl). be§ Wtttelnlterc- 55
Dom diriftolog. Stanbpunfte, 2 93be 1873 unb 75 (nid)t fertig geworben), bietet niancfje* gute
Material für' bie (Sntroicfehmg nun ^afctjafiuä biö gegen bie geit t)in, roo ber Sluäbruä trans-
substantiatio fixiert mürbe (für ben ^Inäbrucl felbft bietet eä uid)tö). 3)ev „Seitfaben jum iStubium
56 SraitgfubftaHttatton
ber ®ogmengefd)id)te" öon SoofS ift jefct in inerter, üöKig umgearbeiteter Auflage erfdjienen
(1907) unb aud) für bie ©peäialgefdjicfjte ber Sran§fubftantiation§ibee von err)öt)ter 28id)tigfett
geworben. ^nftruftiü ift bie Erörterung öon 9t. ©eeberg, Sie Geologie beä S>un§ ©cotu§,
1900 (©tubien j. ®efd). b. Sfjeol. k., öon S3onWetfd) unb ©eeberg, 5. 33b), @. 378 ff. ©ieb,e
5 ferner 5ß. SSatiffoI, Etudes d'histoire et de theologie positive, 2^™« S(srie : L'eucharistie, la
pre"sence reelle et la transsubstantiation, 3&me &jit. 1906; Jp. ®eniffe 0. P., Sutljet unb
Sutfjertum in ber erften ©ntwicMung, zweite, burcbgearbettete Stuft., 1. S3b ©djtufsabteilung,
^erau§gegeben öon 91. 90t. SBeift O. P., 1906, ©. 612 ff.: „Stwmaä öon Slqutno nact) Suttjer
auct) Gsrfmber be§ 2Borte§ unb 83egriffe§ Transsubstantiatio" — gür bie gried)ifd)e Strdje
10 ogl. föegiell ®ie§ling, Historia concertationis Graecorum Latinorumque de transsubstantia-
tione in sacrae eucharistiae sacramento, 1754; ©. ©.©teil}, 3Me 2Ibenbmarjl§Ieljre ber gried).
Strebe in ü)rer gefd)id)t(. (Sntwtcfehmg, ©djhtfe, § 47-57, 3bSt) XIII, 1868, ©. 649—700;
90t. 3ugie, Le mot transsubstantiation chez les Grecs (1. 9lrtiM): avant 1629, (2. 2trtifel):
apres 1629, Echos d;Orient, X, 1907, @. 5 ff. unb 65 ff. — %m »eiteren ift berjenige Seit
15 beS öon ©teits für bie erfte Sluftage öerfafsten, öon £>aud für bie jwette überarbeiteten SlrttfetS
im wefentlidjen erhalten geblieben, ber ber eigenttid) fdjolafiifdjen Setjre galt. S)enn ©tetg b,at
ba fo öiel gntereffe unb fongenialeS SSerftänbniS für ben ©d)arffinn ber mittetaltertidien
Sljeologen bewährt, bajj mir feine Strbeit ber (Srfjattung wert fdjten, jumal id) feine gleid)=
eingetjenbe unb itmftdjtige 2)arfteflung biefer ÜJtaterie ju nennen wüftte. Sie elegante ©d)rift
20 öon SBatiffot bricht ba ab, reo bie „iybee", ber ber Sluebruc! transsubstantiatio entföredjen
foH, reif geworben, of)ne auf bie fd)olaftifd)en SSegrtpflttterungen überljauüt nod) einjugetjen.
2flte§, wag ber $eit öor bem 25erengarfd)en ©treite in ©teitj' 9trtilet gegolten tjat, ift öon
mir geftridjen, mand)e§ anbere burd) neue Sarfiellung erfegt worben. (£§ erfebten al§ über=
ftüffig, bie Sarftettung ber (Entwicfelung ber „realiftifd)en" ^bie über bie (Sudjariftte in ber
25 älteren $eit nodjmalS, etwa mit Dteüifion im einzelnen, abjubruefen, ba ber Slrtifel „2lbenb=
maf)t II" öon Soof§ öottfommen au§reid)enb barüber inftruiert. Saf; id) jum Seil mit £oof§
nid)t ganj übereinftimme, tjabe id) fdion gelegentlid) (im 2trt. „SJteffe", aud) „©aframent")
bemerlt; e§ tft ja felbfiöerftänbiid), bafj fid) bie Sontroöerfen über bie SSorftellungen ber alt=
Iird)üdien Geologen fortfeisen werben. 2iIfo Seil I, fßejieH ber Slbfdjnttt 1 unb ber Eingang
30 öon Wbfdjnttt 2, bann Wteber Seit IV, ift öoHftiinbig öon mir, ba§ anbere ift in ber ^auütfadje
noeb öon ©tei|. «Senn id) im 2lrt. „90teffe" (SSb X ©. 679, 44) einmal auf ben Strt- „SranS=
fubftantiation" üerwiefen Ijabe, wie roenn ba über ben „©tymbofemuS ober DteatiämuS" be=
ftintmter Sb,eologen ber alten ^irdje nätjer berichtet raerbeu werbe, fo Ijatte id) ben 2trt. öon
©teife öor Slugen unb war felbft nod) gar nid)t öor bie grage gefteüt, ob id) tiefen 9lrt- neu
35 bearbeiten wolle. £5$ b"6e mir erft jeljt flar gemadjt, bafj e§ bodi nid)t wirfltd) @ad)e biefeS
2lrtifel§ fein tonne, auf fotdje 3-ragen jurüiiäugreifen. — 3ur Etgänjung ogl. aud) 2trt.
„Ubiquität"
I. 'sDaS 2luffommen b e§ @eban!en§ ber 'Jrartgfubftanttation. @§ ^at
faft 400 ^afyre gebauert, e^e ber ^Sroje^, in toelcfiem biefer ©ebanfe fid) f)erauöbilbete,
40 jum 2l6fd)(uffe tarn. @r ift rtid)t in jeber Segief)urtg böllig aufjuflären. 1. 'sDogma=
tifd;e gijierung unb ältefte nad)tt)ei§Iid;e Vertreter ber Sefyre. Segriff unb
Slu^brud ber transsubstantiatio, in Slntoenbung auf bie Umfetjung be§ SSroteö unb
2Beine§ ber @ud)ariftie in ben toir!lid)en, efyebem ^iftorifd)en, je^t ^immlifd)en Seib (unb
SSIut) Sf)rifti, ift in ber römifeben ^ird)e bogmatifiert toorben burd) ba<§ unter ^nno=
45 cen^ III. abgehaltene bierte Sateranlonäil, 1215 (11.— 30. ÜRotoember), unb jtear in bem
©laubengbefenntniö, tüeld)e<§ biefe§ ^tonjil erliefe. — ©a§ Sefenntnig (eine Überarbeitung
beg SfyoftolifumsO bilbet bag cap. 1 ber decreta, bie ba§ Äonjil gegen alle §äretiler ber
^eit richtete ; e§ b, at jum 2eil ben ^itel be§ „quartum symbolum" (bgl. 31. „(Symbole,
©Emboli!", 33b XIX ©. 200, 22—31) erhalten unb gehört jebenfallg bogmatifd) ^u ben
60 £el)rquellen erften 9tange§ be§ Äatl)Dlici§muö ; bgl. Enchiridion symbolorum etc. ed.
§. ©en^tnger, 9. Slufl. bon % ©tal>I, 1900, § 357 (aud) Stirbt, Queüen jur ©efd). b.
$abfttum§ je., 2. 2lufl. 1901, 3lx. 221). §ier Reifet e§: una vero est fidelium uni-
versalis ecclesia, extra quam nullus omnino salvatur, in qua idem ipse
sacerdos est sacrificium Jesus Christus, cujus corpus et sanguis in sacra-
55 mento altaris sub speciebus panis et vini veraciter continentur, transsub-
stantiatis pane in corpus, et vino in sanguinem potestate divina: ut ad
perficiendum mysterium unitatis aeeipiamus ipsi de suo, quod aeeepit ipse de
nostro . ©er SluSbrucf roar fd)on längere 3«ü bei ben Geologen im 33raud) ge=
toefen, ber Segriff ber ©ad)e nad) fieser nod) erb^eblicb, länger. £ut|er ^at alfo ebne
60 ^toeifel geirrt, toenn er meinte, ben 2lu§brucf unb nid)t nur ib,n, fonbern au<^ ben ©e=
banlen, für tr;omiftifd) galten ju follen. SDenifle b,at bem Reformator feine „^gnoran^'
mit ber Urbanität feiner ©d)reibroeife aufgerücft (f. oben 3. 6—9; ©. 620 giebt er eine
©rllärung, toie Sutb,er ju feinem Qrrtum ge!ommen fein möge; er roirb ba tsob,! richtig
fombinieren: „mögen bie broteftantifd)en Geologen iljren Sut^er retten", fd)Iiefet er — id)
£ran§fubft(inttatton 57
meine, bafs es beffen unter uns nid)t bebarf, SutfyerS ©elefyrfamfcit fönnen Wir rul)ig prctg=
geben, b;aben aud; längft geWufjt, bafs 2utf)er f^egieß Iner fet>r irrte). l-enifle felbft begebt
übrigen^ in biefem gufammenfyang felE>f± einen Qrrtum, inbem er (©. 614) bemerft, baf?
bas 2Bort transsubstantiatio fcfyon „mefjr als ein ^abrlmnbert bor bem feierten 2ateran=
lonjil nachweisbar fei" 3)enn tt>enn er Ejier §Ubebert bon Sabarbin (= bon SJcans ober 5
bon aours, geb. 1059, al3 ©d;riftftelfer alfo bielleicfyt fcfyon um 1100 tfyättg — er ftarb
am 18. ®e^ember 1133, nicfyt 1134, Wie 3)entfle meint: f. ben 21. bon §. 23bfymer in
33b VIII ©. 67) nennt, fo gilt §ilbebert ja fdjon lange als berjenige, ber ben 2Iusbrud
juerft geige unb toot)! in biefem gufammenfyang auefy gebrägt I)abe (fo aud) bei ©tei|, aud;
nod) Wieber bei SBattffoI, ©. 372), aber mit Unrecht, ©eit |)aureauS gorfdmng über bie 10
bem ^ilbebert jugefcfyriebenen ©ermone bürfte feftftefyen (id) felbft fann nur referieren),
baf} bie SRebrjal;! unecht ift, f. bie £ifte mit ber Verteilung auf anbere 2Iutoren bei
JUifymer ©. 69, 45— ro. ©tei| berief ftet) feiner 3eti (1862) für ben 2lusbrucf bei §ilbe=
bert auf „serm. VI"; bas ift nad) älterer Sejeicb.nung ber gleite, Wie ber, auf ben
fid; ©enifle (aud) 211. ©cbmtb in bem 2trt. bes RR22 XI, 1987), als auf „serm. 93" 15
bejielit (MSL CLXXI, 776). tiefer ©ermon gehört nad; £>aureau jebod) bem Petrus
ßomeftor ößrofeffor in $ßari<§, geft. 1179, „nad; anberen" 1198", RR22 IX, 1903)
(23öfmier ©. 69, 58 notiert ausbrücflid; ben üblichen Irrtum in £nnfid;t bes öilbebert,
rebet aber bon bem „belannten sermo 73, in bem ber Sterminus» transsubstantiatio
toorfommt" unb ben £aureau gang fbejieß unb umftänbltcbft beleuchtet, bttfv. bem 6ome= 20
ftor binbi^tert fyabz: id; Will Ejter nur feftlegen, baf$ Sommer einen 3)rudfebler I)at
paffieren laffen, es fyanbelt fid; in 2Birflid;feit um serm. 93, MSL a. a. D. 776 A ; fo
genau unb richtig bei 2oof§, 35ogmengefd;id;te4, ©. 504, 2lnm. 7; serm. 73 gebort
übrigens aud) bem ßomeftor).
3ft £ilbebert nicr)t mefyr als ber erfte 3eu9e für ben 2tu§brud ju benennen, fo 25
fönnte junädjft in $rage fommen, ob ntebt fcfyon ^etrus 3)amtam (geft. 1072) il)n biete.
Schabe, bafj 3)enifle ba§ nid)t bemerlt bat! @r mürbe ber ©bur getoifs nachgegangen
fein. 6b,. ©ore, The body of Christ, An enquiry into the institution and doc-
trine of holy communion, 1901, ©. 116 Slnm. 2 fyat auf ©amiani als ben ber=
toiefen, ber „appears to have been the first to use the term"; er berief fid; auf 30
beffen Expositio cänonis missae, MSL CXLV, 883 (f. fner D, § 7: „Hoc est
corpus meum" Quäeritur quid demonstret sacerdos per hoc pronomen „hoc"
Si panem, pani nunquam congruit esse corpus Christi, sed demonstrat
corpus Christi; sed quando prof er tur ipsum pronomen, nondum est trans-
substantiatio . .). Seiber tft btefe Expositio feineSWegs berbürgt als ein Söerf 35
3)amianis (f. ben 21. bon Sffttrbt, 23b IV ©. 438, 50—52 unb bie bort angebogene ©d)rift
bon % ©ebrtt^er. 2(ber bon wem mag fie fein?). 3Sorerft Werben Wir Wol>I nod; ftet)en
bleiben muffen bei ©tebban bon 2lutun, bon bem 35enifle ben traetat. de sacram.
altaris, c. 13 (f. MSLCLXXII, 1291 C, bagu aud) c. 14, p. 1293 C) citiert (bas ©tat
toenigftens bon c. 13, and) fd)on bei ©il)r, SDie bl. ©aframente b. fatlfc). Äircbe2, 1897, 1, 40
2. 439, 21. 2); al§ Verfaffer be§ genannten Sra!tat§ gilt feit 3JJabißon ber erfte ber
Stoei Sifd^öfe bon 2lutun, bie im 12. $abrf). ben tarnen Sßetrus1 tragen, alfo ber, Welker
1139 ober 40 geftorben ift; f. M2- XI, 766). ®eg Weiteren begeidmet ©enifle ate
l:b,eologen, bie ben 2lu§brucf fd;on im Saufe be<S 12. ^ab.rb.unbertS gebrauten, ben $eter
bon ^oitierg (geft. 1205; £>emfle citiert au§ bem 2öerle Sententiarum libri V mehrere 45
©teCen, f. aus bem 5. §8ud>e cap. 5, 11 u. 12, MSL CCXI, 1232 B, 1243 A, 1247 B
- bas 2öerl ift nad) bem 21. bon ©eutfeb 23b XV ©. 227,29, „fbäteftens 1175 boH=
enbet Worben"), ferner ben föarbinal ^3eter bon ^5abia („bor bem legten 3at)rjef»nt" be§
12. 3ab,rfyunbert<§; 35. citiert Epist. 3; f. MSL CXCIX, 1122 A), 5ßeter bon (Seile
(um 115D 2lbt bon 2a Seile, fbäter bon (^artre§, geft. 1183 [1187?] ARS3 IX, 1897; so
3). citiert serm. 8, de coena Domini, MSL CCII, 770 D; % ©d)mib in f. 2lrt.
über ben 5Rann 23b XV ©. 221 notiert abs bie ©teile, Wo er „bas" getowrt transsub-
stantiare braudjt", ben serm. 41 : bas ift nur bie neuere gcifylimS/ bie man bei 3)cigne
trifft), ^Seter bon 23Iois (geb. um 1130, geft. „ntdbt bor 1204", f. ben 21. bon 3)eutfd;
Sb XV, ©. 218. 3). unb borfyer aud) ©il)r citieren Epist. 140, f. MSL CCVII, 55
420 D), 2llanus bon Sitle (ab Insulis; geft. 1203; 3). citiert Contra haeret. c. 57
= Summa quadripartita adv. hujus temporis haereticos [bap 3)eutfd), 23b I,
©.284,41—285,9] I, c. 57; f. MSL CCX, 359 A; bas 2Berf Reifst fyier einfad;
de fide catholica), aud) ben ^räbofitinus (^reboftin, 5Rad)folger bes ^etrus bon
^oitiers als Ranker bon ^saris; 3). citiert au3 beffen ungebrudter Summa, be^u. 60
58 SranSfubftanttation
aug ber barin fid) finbenben Disputatio corporis et sanguinis Christi, eine ©teile
naty einer £anbfd)rift in $ari§ unb im 33atifan: er gebrauche „forttoäfyrenb" bie 2lu<3=
brüde transsubstantiatio unb transsubstantiare, „e§ Wäre ermübenb au3 feiner
Summ« 33elege bafür ju bringen"). „®en SluSbrucf lannte man in ber ^Weiten
6 #älfte be§ 12. ^abrfyunbertS aud) in ben Softem" (25. eitiert: „Exordium magnum
Cisterc, dist. 2, c. 6, MSL CLXXXV, 419, f. ibid. aueb, 785" : e3 fyanbelt fid) um
eine ©rjäfylung im Lib. VII ber fog. ,,vita prima S. Bernhardi", bie ein @r.certot
au§ bem genannten Exordium ift, f. bier cap. 6: nad) bem 21. bon §crolb 33b II
©. 624, 8 ift e3 faum glücflid), bafs 35. fid) auf ben bort berichteten Vorgang beruft ; ber
10 33erWet3 auf „©. 785" wirb ein 25rudfebler fein, benn ma§ man bei SRigne I)ier finbet,
I)at mit ber ©acf)e nicbtS §u ibun); „felbft bie 1)1. £ilbegarb Wenbet il)n an" (Ep. 47
ad prael. Mogunt, MSL CXCVIL 224 C; £ilbegarb ftarb 1178; ber citierte 33rief
foü nad; ben AS 1. c. 63 D, 9Rr. 163 au§ ber aEerle|ten geit ber §. ftammen. Sie
©teile, bie ©enifle nid)t jum Stbbrucfe bringt, lautet : oblatio panis cum vino et aqua
15 in carnem et sanguinem salvatoris transsubstantialiter „quemad-
modum lignum in ardentem carbonem per ardorem ignis mutatur": ber
Sergleid; geigt, bafj §ilbegarb ben eigentlichen 33egriff€toert be§ transsubstantialiter
nicfyt begriffen I)at; um fo tpaferfc^etnlidper, baf$ fie einen 2Iu3bru<f aufgreift, ber fd)on
umlief).
20 @§ ift nad; 2)emfle3 9^act)it>ei§ flar, bafj ber 2lu<§brucf ein gang geläufiger mar, al§
baS^ongil bon 1215 ilm, man mufc boeb Wob,I fagen: abftcbtlicfy fanftionierte ; benn Wenn
aud) mit feinem SBorte angebeutet wirb, bafj ein anberer terminus technicus für
bie „Söanbelung" gemieben Werben foHe, fo ift e3 boeb, nacb, ber SSorgefcfyicbte geWifc niebt
gufäßig unb obne fpegteUe (Erwägung gefcbel)en, bafj ber Sluöbrucf transsubstantiare oI)ne
25 Slnbeutung bon ©tmonr/men gewählt Worben ift. Qnnoceng I)at il)n felbft in feinem 2Berfe
de sacramenti altaris mysterio 11. VI Wieberfyolt gebraust (freiltd) oI)ne il)n fbegiell
ober antitl)etifd) ju urgieren, bielmel)r ibn Wie einen gegebenen braud)enb, lib. IV, c. 17 ff.,
MSLCOXVII, 868 ss.). 2tucr/ berTractatus contra Amaurianos („@in Straftat gegen
bie Slmatricianer" b,erau3geg. bon Gl. 33äumfer, 1893, ©. 63) bietet ben SluSbrucf (35enifle
30 eitiert biefen ^raftat ; bie decreta be§ $ongü3 gelten aud} ben SImalricianem ; bie oben
berührte ©teile au§ 2llanu§ bon Sitte geigt nod? befonberS, bafj ber 2lu3brucf im ©treite
mit ben $atl)arern ober SUbigenfern, benen fbegiett ba§ cap. 1 ber decreta ent=
gegengefetjt ift, eine Stoße gezielt Bat. Stlanu^ febreibt : Dicunt etiam praefati haere-
tici panem non transsubstantiari in corpus Christi per sacra verba). ^n
35 ber $eit nad) 1215 fann man aud?, Wie mir febetnt, fofort bemerfen, bafs ber 2lu§brucf
„offiziell" ift unb anfängt, bie Geologen fbegiftfd) gu befebäfttgen. ®enifle notiert©. 614
2lnm. 1, bafj 253ilbelm bon 2lurme (^rofeffor in $ari3, geft. um 1230), in feiner
Summa, fbegiett in bem tr. de eucharistia qu. 2 (f. gu bem Scanne unb bemSöerfe
meine 9cotig in bem 2Irt. „©afrainent" 33b XVII ©.363,45—49) eigene titelmäfjig ,,de
40 transsubstantiatione" I)anbele. 2)a^ bann 3)tänner Wie 2Bi(b,eIm bon Sßarig (ober
Oon äluoergne, geft. 1249; HS2, XII, 1586), Slleranber toon §aleg, Sllbertug 3R. ben
£erminu§ berWerten unb jum 'XetI Weitläufig erörtern (Wie SDenifle b.erbortjebt, um Sutb, er
in aller Sßeife al§ Ignoranten barjutl)un), ift faft felbftberftänblid). '
2. ®ie tb^eologif^c 93orbereitung feit ^afdj>afiu§ labbert. @ö ift
45 immerhin intereffant, ba^ ber Sombarbe in feinem bogmatifd)en ©ammeiwerfe, Wo er
facbjicf; feine anbere 3tnfid)t bon ber ©u^ariftie bertritt atö bie fdjlecb. tbtn realiftifd)e, bod;
ben 33egriff ber transsubstantiatio md>t barbietet. ©a§ fein^ feiner ßitate if?n enthält,
ift nad; Sage ber „batriftifdjen" Seb^re felbftberftänblid;, aber er felbft tonnte ib,n fd^on
bieten. Stucb, Stolanb bietet ben £erminu§ nidjt (2)ie ©entenjen Stolanbg, nacb, mal§ ^abft
so Sllejanber III., b^erauggeg. bon ©ietl, 1891, ©. 223 ff.). Db Weitere ©bitionen ber
£efyrbüdf>er, ju benen ate Haffe bie ©entenjen beS Sombarben gehören (f. barüber
1. „©aframent" 33b XVII ©. 359, 35— ;,■>), if)n fjerbortreten laffen Werben, mufj fic^ geigen ;
(bte ©teilen, bie ©ietl ©. 223 2Inm. auS Dmnebene u. a. mitgeteilt, enthalten ben 2tu§=
bruef nicb,t). ©o Weit Wir bie Sitteratur überfein, ift ber StuSbrucf bielleicb,t unbermerft
55 in 33raud) gefommen. @r mag fdjon bor bem 12. ^ab^r^unbert, Wo Wir ifyn biöb^er erft=
malg fonftatieren, mel)r ober Weniger berbreitet getoefen fein, ©enn Wir treffen fogar
fdwn bei §aimo bon £>alberftabt (geft. 853, falls er J)ier in 33etrad;t fommt unb nicht
bteüeidit, Wie §aucf fonjigiert b,at [unb toa$ mir gar nid£)t übel erfc^eint], §aimo bon
£trfd)au [Slbt bafelbft fett 1091]; f. ben St. bon ©eutfd), 33b VII ©. 348), an einer
eo ©teile, bie SDenifle ©.615 (er bod> nicht juerft; f. 33acb, ©ogmengefeb. beö Mittelalters
£rnn3ful>ft<inttatiim 59
I, lSo 3Inm. 1 — »Denn Ü3cid) bie ©teile ein „(Sjjerpt" aus ,§aimoS .ttommentar jum
1. ftorintfyerbrtef nennt, fo irrt er übrigeng) notiert, Söenbungen, bie eS geigen, bafj ber
2luSbrud:, Wie man Wopl ju jagt pflegt, „in ber £uft gelegen" i)at, efye er bielletct)t f)aI6
jufäHig fcf;liepct) Wirllict) geprägt Würbe. §aimo fcfyreibt (in bem Sßrucfjftücf eines %xah
tatS de corp. et sang, domini, ben b'Slcfyerto, U)m btnbigierte; f. MSL CXVIII, 815 5
bis 816): Credimus itaque.. quod substantia illa, panis scilicet et vini .,
idest natura panis et vini, substantialiter convertantur in aliam
substantiam, idest in carnem et sanguinem; eS I)anbele fieb, in bem ©afra=
mente um ein ,,mutare naturas" Commutat invisibilis saeerdos
suas visibiles creaturas in substantiam suae carnis et sanguinis etc. w
@ine ernftlid)e Überlegung, ob, betfv. eine Rechtfertigung, baft ber S£erminuS transsub-
stantiatio für bie ©acfje am $pia§ fei, finbet fid) an ben oben citierten ©teilen auS
Tutoren beS 12. 5;af>rfmnberiS auc|, fotoeit icr; gefe&en l)abe, nur bei ^ßeter bon ?ßoitterS
(f. o,©. 57,44 -48), cap. 12. $eter fcpefjt fieb, jum %t\l fefyreng an ben Sombarben an
urtb eS ift nicfyt ofme Wiffenfdjaftlicfyen 2Bert ju feiert, tüte er bie Sefyre bon ber @uct;a= 15
riftie auf biefem fünfte geftaltet. 2öie beim £ombarben fiefyt bei ifym ber ^ro^efs, ber
fi<f> bura) bie $onfefratton boEjtef)t, unter bem allgemeinen %\Ul ber „conversio". ®er
Sombarbe fyanbelt de modis conversionis beS SroteS unb SöeineS im 4. 93ucbe in
Dict. XI. (Sr fragt junäcbjt, qualis sit illa conversio, an formalis, an sub-
stantialis, vel alterius generis. ©anj bergrage geWacfyfen ju fein, leugnet er bon 20
fiel). gWar ^e erf*e 2lrt beftreitet er auSbrücHtcf;, „quia species rerum quae ante
fuerant remanent et sapor et pondus" 316er für bie conversio substantialis,
toeld)e beWir!e, ,,ut haec essentialiter fiat illa", macfyt er bann nur geltenb, bafj bie
Dörfer genannten „Autoritäten" U)r jujuftimmen „fcfyienen". @r berührt bann (Sinroänbe
gegen biefe SBorftellung, bie „ab aliis" gemacht feien, dx glaubt biefe Wiberlegen ju 25
fbnnen. ©0 nimmt er auefy leinen Stnfiof} baran, bafj man fage, sacerdotes „con-
ficere" corpus Christi et sanguinem, bejro. bafj bureb, beren ministerium bie „sub-
stantia" beS 33robeS „fit caro" etc. Slber rote baS pofttib §ugebe, rennet er gu ben
fragen, bon benen gelte : mysterium credi salubriter potest, investigari salubriter
non potest. @r berührt aber immerhin noeb, berfcfytebene ©ebanfen, bie über baS 5RbJie= 30
rium emittierten, fo gunäd^ft a) ben, bafj eS bodj eben ntcfyt bie „substantia" panis fei,
bie jur caro Christi Werbe: eS gebe Seute, bie anerlennten, eS „entftefye" in bem ©a=
Iramente „caro" Christi auS bem 23rote, aber nur Wie panis auS farina, ober Söein
auS 2Baffer: man !önne ba fagen: farina „facta est" panis, aber nid)t „est" panis.
2lnbere b) legten ©eWtcfyt barauf gu fagen, quod „erat" panis vel vinum, baS „fei" 35
Ijernacb, corpus etc., unb jWar fo, bafj baS 33rot nun nicfyt mef>r substantia unb alfo
aua) nid)t meb,r „Srot" fei. ©ine britteHIaffe fage c) bie conversio fei als SeWirfung
bafrin ju berftefyen, ut „sub illis aeeidentibus", sub quibus erat prius substantia
panis et vini, post consecrationem „sit" substantia corporis et sanguinis.
ßnblicf) gebe eS eine bterte Steige bon Seuten, bie meinten, d) substantiam panis et 40
vini „remanere", aber „ibidem" fei nad) ber ^onfelration corpus et sanguis Christi;
man muffe fagen : „ubi" est haec substantia, „et" est illa. ®er ^ombarbe entfa^etbet
fieb, für feine biefer bier S^eorien. @§ ift Har, bafe bie lefcte biejentge ift, bie fc^Iiefeltcr)
Sutfter aeeeptierte, nämlic^ bie £eb,re bon ber „ ^ on f üb ft an tiation" ®ie erfte ift
eine in ber griecb,ijcb,en Kirche feb^r geläufig geworbene, bie bort, als ber „Realismus" 45
fiegreieb, rourbe, roie nunmehr eigentlicl) bie felbftberftänblic^e galt; fte repräfentiert bie
fog. Transformation Sieb, re. S)te jtoeite, bie laum gu berfelbftftänbtgen ift gegen bie
brüte, ftellt in Äiombinatton mit btefer lederen (ber fog. Sinnt t)tIatio nStfyeorte), unber=
lennbar in ber ^-acb^e bie fieb, eben je|t bureftfetjenbe SEranSfubftantiattonSlef)re bar.
Ob^ne ^tabel bleibt beim Sombarben nur bie §weite %fywxkf bie alfo roefentücb, baS auS= 00
brücfen roirb, roaS er „salubriter" jroar nid^t eigentlicl; „behaupten", aber hoä) aner=
lennen ju bürfen meint. (£s ift nicfyt ju erfennen, ob ber Sombarbe etroa roegen feiner
2d)eu baS 2Rpfterium allju genau ju iHuftrieren, ben 2luSbrud transsubstantiatio metbet,
ober ob letzterer it)m noef) nict)t in folgern gufammenb^ang begegnet war, bafj er ib,n in
ber Äürje f)ätte in Srauct) nehmen mögen, um bie relatib bon ib,m gebilligte „Tbeorie" 55
ju bejeid)nen. ^seter bon ^ottierS bezeugt auSbrücflicb, bie 3 roedmäfeigfeit beS 2luS=
brucfS für ben Vorgang im©alrament. (Ir unterfd;ctbet a. a. D. ©. 1246 im allgemeinen
tria genera conversionis ober mutationis, eines, roelcf)cS Wir als „©ntmidelung"
bejeieb^nen mürben (er braucht baS Seifpiel bom @i, welches „potestate animal" fei,
quia inde fit operatio naturae), eines, roeldjcS eine „transformatio" begrünbet m
60 SrattöfubftaHtiattott
(biefen tedjmifcfyen 2!usbrucf bringt er nodj> rttd^t bei ber ©cfyilberung, aber fyvcnadj), unb
fcbjiepd) bal, „quod hie (b. b. im ©aframent) tantum invenitur", nämlicb, bal,
Wobei eine ©ubftan^ „transit", in eine anbere, „manentibus tarnen omnibus pro-
prietatibus" : er fann biefeS genus mutationis nur an ber (Suc^ariftie ittuftrieren, e§
5 fommt fonft mcfyt bor. gür ben ©ebanfen fe£t er ben 2Iu3brucf transsubstan-
tiatio ein, „quia nulluni verbum adeo proprie hie ponitur". „Cum vero dici-
tur: panis transformabitur in corpus Christi, non est satis expressum (my-
sterium), quia non transit forma in formam"
®afe biejenige tfyeologifdje SeftrentWicfelung, bie mit ber ©ogmatifierung ber trans-
10 substantiatio $ur fircb^icfj=erHufiben 2frterferamng gelangte, b. fc. jur „orifyoborm" ge=
ftembelt Würbe, im 9. ^afyrfyunbert begonnen fyat, brauet nidjt erft genauer ausgeführt
ju Werben, ^ßafc&aftug labbert (f. ben 21. bon ©tei£=£aucf 23b XVI ©. 394) gilt mit
gutem Iföecfyt al§ ebocfyebegrünbenb in ber 2Ibenbmab/b3let)re. $War er felbft Batte fein 23eWufjt=
fein barum, bafj er eine neue Sefyre über ba§ 2lbenbmaf)l biete, unb er t)at aud) fyöcbjieng
15 im relatiben ©inne ettt>a3 anbereS gelehrt, al3 fcr>on früher borgefommen. @r I)at nur
ernftli<f>er unb abficr)tIidE)er bie ^bentität be§ gefct)td^tli<f)ert £eibe§ ßtyrifti unb bes> 2tbenb=
mar/ISletbeg beraubtet, al§ biejenigen älteren SLbeologen, bie man al§ feine SSorgänger
bejeiebnen mufe (befonber§ „2lmbroftu3" de sacramentis) ; Wenn er felbft überäeugt ge=
Wefen ift, fbejieK mit Stuguftin in Übereinftimmung ju fein, fo mar ba3 ein Irrtum
20 (WteWofyl man über ba§ 9Jcaf$ biefe§ Irrtums* ftreiten fann). @s> ift ntdjrt eigentlich ein
„©treit" über ba3 2lbenbmabJ, ben er beraufbefebtooren (bgl. aueb, ben 21. „5Ratramnu§"
bon ©teit$=§aucf, 33b XVI ©. 463), aber er b/at bureb, fein Sßerf de corpore et san-
guine domini (MSL CXXI, 125 ss.) ben 2Inftof5 geboten ^ur eigentlich tr)eologtfct)ert
Ünfaffung be€ 2lbenbmab, bSbroblemg. ©ein 2Berf ift im 2lbenblanbe bie erfte „miffenfc^aft=
25 lieby 9Jconogratobie über bie ©uebartftie geWefen. (2oof<34 ©. 472, 21. 7 ftettt baneben
al§ erfte 9JionograbI)ie be§ 3JJorgenIanb§ bie bes> „(Mogiol" [SDrucffefyler, I. ©utt;ct)tog ;
fo rieb, tig 2oof3 felbft in bem 21. 23b I ©. 56] Don Üonftantinobel [2. £>älfte be§ 6. ^ab,r=
f)unberts>], bie de paschate et eucharistia betitelt unb bon ©teitj juerft eingeb^enb ge=
Würbigt ift. Qm SIbenblanb bat e3 aueb, bor s^afcb,afiu§ gelegentlich einmal eine tb,ema=
30 iifcb, abftdjtlicf) barauf gerichtete „^rebigt", jebDcb feine eigentliche gelehrte 2lrbeit über
bie ©ucfyariftie gegeben : *f. bie u. a. [unb biefleicfyt mit Stecht] bem $auftu§ bon SReji ju=
gefettriebene §omilie de corpore et sanguine Christi [MSL XXX. 271 ss.; fyier ab3
Epist. XXXVIII unter ben SSerfen be<S ^ieronbmug] ; baju §arnacf III3, ©. 288 A,
Gagbari, 23riefe, 2tbfy anbiungen x. 1890, ©. 41 8 ff. „§aimo" benutzt anfcfyeinenb bie
35 §omilie !) @§ ift im ©runbe ba3 d?riftoIogifd;=ft>terioIogifcr/e Problem, bas> fieb, l&ter fort=
fettf be§tt>. in eine ber anberS (nicf)t etma größer) geworbenen Qdt mel)r angemeffenen
gorm umfe^t. ©a§ giebt ber nun anfe|enben bogmengefcfjicbtlic^en 93eroegung ein f^mbto=
matifcl)e§ ^ntereffe über ba§ ber bloßen 23egriff^au§flügelung I)inau<§ (§arnacf bat
SDogmengefd). III3, ©. 284 ff. biefen ©ebanfen geroürbigt. ^n intereffanter Sföeife ^at
40 ifyn ©eeberg in bem oben ©. 56,3 genannten 23uct)e ©. 375 bei £)un<§ ©cotuö fonfta=
tiert : icb, glaube, ba^ er übertäubt biel mirffamer ift, al§ bt^ber berauSgeftetlt morben, boeb
fann ba3 natütlicb rtiebt f)ier weiter berfolgt werben).
©er erfte roirfliebe „2lbcnbmafyb§ftreit" (meift aEerbingS, unter Überfcb,ä|ung ber
^ontroberfe be§ 9. ^afyrr/unbertä, ber „groette 2lbenbmab/Ii§ftreit" genannt) im 2lbenb=
45 lanbe ift berjenige geloefen, ben 23erengar bon %our§ b,eraufbefc§mor (bgl. ben 21. bon
3afobi=§aucf 23b II ©. 607, ba^u bie über bie anbern in 23etracb,t fommenben %i)to=
logen). @r mu^ t)ier genauer jur ©brache fommen, nämlicb, nicfjt in ^tnfidjt beffen,
roaö 23erengar bertrat, fonbern wa<S feine ©egner, bie Männer, bie facb^Iicb, bie Segrünber
ber 2:ran§fubftantiation§teb,re getoefen finb, ftrieber ib,n auffteßten.
50 ©egen 23erengar finb toä|renb feinet SebenS bier litterarifcfye 23eftreiter aufgetreten:
§ugo, 23ifdjof bon SangreS (Tractatus de corp. et sang. Chr., etwa 1048; MSL
CXLII, 1325ss., f. 21. „23erengar" ©. 608, 27-31), ©uranbu§, 2lbt bon ^roarn (Liber
de corp. et sang. Chr., „wafyrfcfjeinlia) 1058", MSL CXLIX, 1375 ss., f. 21. bon
§aucf 23b V ©. 104), Sanfranc (De corp. et sang, domini, 1069 ober 1070, f. 21.
55 bon _23ör/mer 23b XI ©. 254, eo— 255, 12, MSL CL, 407 ss.) unb ©uitmunb, fbäter
@rjbifa)of bon 2tberfa (Libri III de corporis et sanguinis domini veritate in
eucharistia, MSL CXLIX, 1427 ss., „grotfeben 1073 unb 1078", f. 21. bon 23ötmier,
23b VII ©. 234,47—235,41). Über bie ntebt aCju Wichtigen ©djriften beg §ugo unb
©uranbu§ brauet niebt berichtet ^u werben. Sanfranc tyat, Wa§ aüerbingg jur Realität
eo ber boltsogenen 23rotberWanbIung Wefentlid) gehört, jum erften ^ale ben (Smbfang be§
SranSfufcftottttatton 61
SeibeS ßljirifti aud? burd) bie Untoürbigen au3gefbrod;en (c. 20). @r i(t ba bod; nod;
jtemlid; unfid;er: im ©aframente, fagt er, werbe ia§ gleifd; @b,rifti täglid) geopfert, geteilt,
gegeben, unb fein 33Iut bon ben ©laubigen mittelfi be<§ 9Jcunbe<§ getrunfen, obgleich man
nad; einer anberen Siebetoeife aud; fage unb glaube, ber gange (EfjriftuS werbe gegeben
(manducari), nämlid; roenn er als ba3 eroige Seben mit geiftltcfjem Verlangen begehrt 5
toerbe. 23eibe 2lrten ber Kommunion, bie münblicfye ober leibliche unb bie geiftlid;e,
feien gum £eile nottoenbig, bie letztere lönne nid}t ofyne bie erftere fein (c. 15, bgl. c. 17).
2lm toicfytigften ift bie ©cfyrtft be<§ ©uitmunb bon 2lberfa. 2öa§ barin au3gefül)rt
ift, tourbe bon2tnfelm bon Ganterburt; (geft. 1109) burd) eine wichtige Folgerung ergänzt,
bon Stlger bon Süttid) (geft. 1132) in feinen libri III de sacramentis corp. et sang. 10
dominici gufammengefafjt unb weiter fortgebilbet (MSL CLXXX, 7-13 ss.; teer b,ier
p. 760 ben ©a| lieft: in sacramento, mutata substantia, non forma, panis
et vinum non fit nova caro et novus sanguis, sed existens substantia et
panis et sanguinis mutatur in coexistentem substanti am corporis Christi,
fielet, bajj e§ roobd ^ufall ift, bafj ber 2tu3brud transsubstantiatio fid; bei Sllger nod) 15
nic|t finbet ; toenn man bon ©uitmunb berfommt, f)at man ben ©inbrud, bafj Sllger eine
fcfyärfere Terminologie füljire). §ugo bon ©t. SSiftor (geft. 1141), Robert ^ullefyn
(geft. c. 1150) unb ^ßeter ber Sombarbe (geft. 1064? 1060?) fyaben ©uitmunbS ©e=
banfen bann borläufig fbjtematifiert.
©uitmunb fteHt ben ©a£ auf: Ita tota hostia est corpus Christi, ut nihilo- 20
minus unaquaeque particula separata sit totum corpus Christi (a. a. C
1434 B, es> I)anbelt fid; um bie bret ^ßartifeln, in roefd)e in ber 2Jceffe bie§ofiie gebrochen
toirb). Sn ^iefer cmSfübrlid) begrünbeten Seftimmung, mit ber ©uitmunb bie Sel)re fo=
toofyl be§ $afd)afiu3 ab§ aud; nod; Sanfrancg bereicherte, finb bier ©ä^e enthalten, bie
bon ben fbäteren Geologen aiä 2Irjome feftgel)alten tourben: 1. nicbt ein „%til" be§ 2.0
„SeibeS ßfyrifii" (etroa blofs ba§ „gleifd;"), fonbern ber „gange Seib", ber gange ßbriftu3
ift in $raft ber SSerroanblung im 2lbenbmable gegenroärtig ; 2. ber gange Seife, ber
gange 6b,riftu€ ift aud) nid)t blojs in ber „ganzen §ofiie", fonbern ntc§t minber in
„jebem ^etle" ber gebrochenen „gang" enthalten (totus in toto unb totus in qualibet
parte) ; 3. ebenfo ift er, toenn taufenb Neffen gugletd) an berfcfnebenen Drten gefeiert Werben, so
in jeber einzelnen unb gang in allen gegenroärtig ; 4. burd; ba§ öredjen ber §oftie unb ba<S
3ermalmen berfelben mit ben gähnen roirb ber in fid; einige unb folglid; unteilbare Seib
Gfyrifti nid;t geteilt.
9Jcan barf nur bie (Erörterungen be<o §ugo bon ©t. SSiftor (de sacr. christ. fidei
[berfafet um 1140] lib. II, p. VIII, cap. 9—12, MSL CLXXVI, 468 ss.) nad)Iefen, um 35
\xi) gu überzeugen, toie bböig bie neue S^eorie in bie SEl)eologie überging. ©0 roie ©uit=
munb fie formulierte, beburfte fie immerbin nod; einer (Ergänzung. !yft nämlid; ber gange
@l)riftu3 in ber §oftie gegenroärtig, fo toirb er e§ nidjt blofs feinem Seibe, fonbern aud)
feiner ©eele, nid;t blofj feiner aftenfd^eit, fonbern aud) feiner ©ott^eit nad; fein, benn baö
atte§ gehört toefentlid; ju feiner ^ßerfon. ^ft ferner in aHen getrennten $arti!eln ber einen 40
§oftie ber eine ßbriftu§ ganj unb ungeteilt gegenroärtig, fo mufj er aud; folgerichtig unter
jeber ©besieg, unter bem Srote unb unter bem Sßeine fein ; obgleid; biefe nid;t gtoei,
fonbern nur ein ©aürament bilben, roirb bod; unter jeber ber gange SbjiftuS empfangen.
3um erften 9)cale giebt biefe Folgerung ^nfelm bon Ganterburb, (in bem 2luffa|e de
corp. et sang. Domini, Epist. lib. IV, Nr. 107, MSL CLIX, 255). @r Ieb,nt bie 2ln= 45
nab,me ah, bafe mir in bem ©mbfange be^ Sluteg nur bie ©eele, nicb,t aud; ben Seib,
ober in bem ©mbfange be§ Seibeg nur ben Seib, nid)t aud) bie ©eele in un3 aufnähmen,
unb beraubtet, in bem @mbfange be§ 23lute§ embfangen toir ben gangen ßfyriftuS, ©ott
unb 5Jlenfd;en, unb im ©mbfange be§ Seibe^ ntdjt minber ben gangen, unb obgleid; toir
für ftd; (separatim) ben Seib unb für fid; ba§ S3Iut embfangen, embfangen mir bod; 50
niöjit groeimal, fonbern nur einmal ben unsterblichen unb leiben^lofen 6I;riftu§, a^er iene
Sitte, jebcä für fid; gu embfangen, flammt in ber üircfye bab,er, bafe €fyrtftu§ im 2lbenb=
malile feinen Jüngern jebe ©begieß eingeln (separatim) gab, bamit fie erlennen möchten,
bafj fie fid) an ©eele unb Seib il)m lonformieren füllten. SSon je|t an blieb e§ fteb,enbe
Formel: quod totus Christus sub utraque specie sit et sumatur, unb obgleid; 55
bie ©bätcren bie (Sucbartftte au§fd)liefelicl) alö ©eelenfbeife auffaßten unb if)re SBirfung
auf ben Seib .nur al§ eine mittelbare anfal;en (bgl. %f)oma$, Summ. Theol. III, q. 79,
art. 1, ad. 3 m), rourbe bod; nod) immer ba<3 alte Slrgument be§ Stnfelm roieberb,olt
(ibid. qu. 74, art. 1).
2lucf) eine fcb.ärfere Seftimmung be§ „^ßorgangg", ber baS ©alrament lonftituicrt, 60
62 SrattSfubftanttatton
fyat ©uttmunb bargeboten. @r brälubiert ben Ausführungen, bie wir bei bem Som=
barben uttb Veter bon VoitierS getroffen fyaben, inbem er ben Vro^efs im Abenb=
mat>Ie unter ben ©attungSbegrtff ber „mutatio" ftellt. 2ln biefer unterfcf)etbet er toter
Arten (Lib. I, I.e. 1443 Css.): 1. Übergang bon bem 9iicf/t§ jum ©ein (Schöpfung),
5 2. Übergang Don bem ©ein jum 9cid)tS (Vernichtung, Annihilation), 3. Übergang einer
bereit» feienben ©ubftanj in eine noef; ntc|t borfyanbene auf bem 2Bege beS üftaturbro^effeS
(Wenn ber Kern jum Saum, ©beife unb Srani gu $leifd? unb Vlut Wirb) ober burd)
ein 2öunber (wenn ein ©tab in eine ©dränge berWanbelt Wirb); bie 4. gehört auS=
fcfyliefjlid) bem ©aframente an unb befielt barin, bafc baS, WaS ift, ju einem Anberen
10 Wirb, WaS aud) fdjon ift, Wie baS AbenbmafylSbrot gu bem fdjion im §immel erjftierenben
Serbe ßbjifti. — Sie näcf/fte $rage, bie fid; baran anfcfylofc, bar: Wie Wirb ber im
§immel erjftterenbe Seib im Abenbmaf)le gegenwärtig? Alger bon Sütttd;, ber fie erft=
malS auftoirft, fyat ben ©ebanfen abgeWiefen, bafj bieg mittelft einer loralen VeWegung
bom |jimmel burd) ben Söeltraum nad; ber @rbe gefcfyefye; bielmefyr mufj bie menfd>lid)e
15 sJcatur Iraft ber fdjranfenlofen Allmacht, bie ib/r burd) bie @rb,öb,ung über alle Kreatur
gegeben ift, bie gäfngfett l>aben, ganj, ungeteilt unb fubftantiell, ba, Wo fie ift, bleiben
unb bennoer; an jebem anberen Drte, Wo fie miß, erjftieren ju fonnen (de sacr. lib.
I, c. 14, 1. c. 780 ss.). liefen ©a| fyat bie ©dwlaftil; bollftänbig abobtiert.
(SS ift ferner beachtenswert, bafs ©uitmunb aud; bereits bie Iogifd)en Kategorien bon
20 ©ubftanä unb AccibenS auf baS AbenbmablSbogma anWanbte, fofern er bie jurüdbleibenben
finnlidjen Qualitäten (qualitates sensuales) ber berWanbelten ©ubftanj als Acctbenticn
bejeicb.net (lib. II, 1430). Alger fbridjt barum ben als unbermeiblicfye Konfequenj fid;
ergebenben ©ebanien aus, ©Ott mad)e, bafj bie accibentiellen Qualitäten (accidentales
qualitates), WaS fonft fd)Iecb;tl)in unmöglich fei, in feinem ©aframente für fid) (per se)
25 allein (alfo olme ©ubjert) fortbeftünben (de sacr., lib. II, c. 1).
©uitmunb (lib. II, 1445 — 1453) unb Alger (lib. II, c. 1) benien bie Verbinbung, in
bie ber Seib Sl)rifti gu ben Accibentien beS VroteS tritt, in ber Art WirfungSboß, ba| fie
beraubten, Wenn baS AbenbmafylSbrot berfdnmmele, bon SRäufen benagt mürbe u. bgl.,
fo bleibe nic&t nur ber Seib 6I)rifti unberührt, fonbern aud; an ben Accibentien gefd)el)e
30 baS alles nur jum ©d)ein, ba baS fubftantiette Sßefen beS VroteS ja nict/t mel)r bor=
fwnben fei. Atiein biefe Vorftellung fonnte bod) ntd)t befriebigen, Weil eS (bgl. §ugo
bon ©t. Victor, Summ. Sentent! Tract. VI, c. 8, MSL CLXXVI, 144; Robert
Vuttel?n, Sent. lib. VIII, c. 5, MSL CLXXXVI, 965; 3#oma8, Summ. Theol.
P. III, qu. 77, art. 7 Resp.) ber 2öab^rb,aftigfeit beS ©alramentS ju toiberfbred)en
35 festen, Vorgänge, meiere bie ©inne an ben 3lccibentien unleugbar mab.rnef)men, für eine
©inneStäufcfwng ju erllären. 3öian naf)m bafyer an, mie man es bereits rücffidjtltd) beS
VredjenS unb Teilens ber §oftie getb;an blatte, baft an ben 2tccibentien manches gefd)el)e,
maS ben in ib^nen enthaltenen Seib ßb^rifti nicl)t berühre; er Werbe, Wie Slnfelm fagt,
nidjt Wie bie ©bejieS räumlict) umfcb^Ioffen, bon ben SJcäufen jernagt, in ben Saud) auf=
40 genommen (a. a. D.). 2luf gleite SBeife erllärten fieb; §ugo (a. a. D. unb de sacram.
lib. II, p. VIII, c. 12) unb Robert Vuttei^n (a. a. D.). greiltd; Waren bamit bie 3lcci=
bentien beSSroteSunb ber SeibGfyrifti in eine burd;auS lofe Vejicfjung jueinanber gefegt;
er ift unter ifmen jwar enthalten, unb bod) liegen beibe böllig auSeinanber, — aber eben
bamit mar nur gum erften 9Jcale ein ©ebanre auSgefbrocf)en, ber fortan integrierenbeS
4.-j 3)ioment beS römifdten ©ogma blieb.
©d;on Vafd;afiuS labbert blatte baS Vrot unb ben Söein Silber beS SeibeS unb
SluteS 6f)rifti genannt, in Welche fie „berWanbelt" Werben, aber ben Seib Sb^rifti bod)
nur als ©egenftanb eines geifilicb/en ©enuffeS bejeidinet, an Welchem ber ünwürbige unb
Ungläubige leinen Anteil nimmt. SDarin lag ein Söiberfbrucb; : bie Realität ber VerWanb=
50 lung f)at ju if)rer Äonfequens, ba^ aUe Hommunilanten, ganj abgefeiert bon if)rer reli=
giöfen ober fittlicb;en Qualität, ben Seib Gr/rifti als realen ^nb/alt beS ©alramenteS
empfangen ; bafc aber bie UnWürbigen bon bem ©egen auSgefcfyloffen bleiben, ©iefer ©e=
banle, ben fd)on Sanfranc (c. 20) ausgebrochen, forberte eine erweiterte 2lnfcb,auung bon
bem Verb, ältniffe ^Wifcljen Vilb unb <Ba<S)i. ©uttmunb fyat aua) bartn eine neue Valm ge=
55 brodjen; ber im 2tbenbmaf)le gegenwärtige Seib g^rifti ift il)m felbft Wieber ein Vilb, ein
geilen, ba§ bie ©laubigen auS bem ©c^ofee ber jungfräulichen SRutter, ber Kirche, Wieber=
geboren Werben, ein ßeidjen alfo ber Kircf)e felbft, ber ©emeinfdjaft beS £aubteS unb ber
©lieber, beS mbftifd;en SeibeS, unb burd; ben eudjarifttfcfyen ©enu^ bezeugen bie ©lieber
fid; als geiftlirf; ©eborene, als foId)e, bie mit (Eb^rtftuS geftorben, begraben unb auferftanben
eofinb (lib. II, pag. 1457—1460). 2luf biefer ©runblage War ber ©a§ beS Sanfranc
JratiöfBbftonttotton 63
erft Wirflieb, burcb^ufüfyren. Sine ©ubftruftion War um fo notmenbiger, als ber neue ©e=
banfe felbft ben grcunben ber 2öanblung<8lel)re nocb, bielfacb, Wibcrftrebte. ©uitmunb macfyt
geltenb, bajj atlerbingi bie UnWürbigen nur leiblich, nicfyt geiftlidb, genießen unb barum
ben fbeaififcben ^nfyalt ber geiftlicfyen SRiefcung, baS Bleiben in 6f)rifto unb ba3 Bleiben
ßljrtftt in ifynen, nict)t empfangen, aber nid)t3beftoWeniger baSfelbe gleifcb, unb baSfelbe 5
SBlut (grifft' wie bie SBürbigen genießen (lib. III, 1491—1493). .gier greift §ugo bon
©t. Bieter ein. @r fbricbj feinen Wefentlicfy neuen ©ebanfen au<§, aber er fafjt fämtlicbe
©ebanfen ©uitmunb§ feft jufammen unb giebt itmen bie gefcbjoffene gorm, in ber fie
fortan in ber ©cfyolafiif unb in ber ^ircfyenlebje fortleben, ^fym finb 1. bie ©befiel
blofjeS Bilb, nicfyt ©acfye (sacraraentum tantum, non res), ein blofjeä BUb be§ md)a- 10
riftifcfyen Seibe3; 2. ber eutfwriftifcfye Seib ift Bilb unb ©acfye gugleirf) (sacramentum
et res), nämlicf) bie burcf; bie ©bewies bilblid) bargeftellte ©act)e, iljr bilbltcb, fignifi^ierter
Snfyalt, unb bocf; augleid) felbft Wieber SBtlb eines ©ritten ; 3. biefeS ©ritte, Weites1 nur
©acfye unb nicfjt Wteber Bilb ift (res tantum et non sacramentum) unb fomit ben
legten $Wecf beö eucfyariftifcfmt ©enuffeS augmacfyt, ift ber ©egen be<§ ©aframenteS, baS 15
geiftltd^e $letf$ Gbjifti im ©inne be3 £iieronr;mus> (ipsa efficientia sacramenti, quae spiri-
tualis caro Christi äppellatur), ber mbjiifcfye Seib, bie (Sinfyeit be3 §aubte3 unb ber
©lieber, roeld^e altein burcf) ben ©lauben an ben Seib unb ba<§ Blut be§ §erm be*=
mittelt wirb (quam efficit fides corporis et sanguinis Domini) unb barum fbejifi=
fdjer ©egen unb ^ntmlt ber geiftlicfyen Sfttefjung bleibt (Summ. Sent. Tract. VI, c. 3). 20
dagegen werben nidEjt bloft bie ©bejteg, fonbern aud) ber bon ber Jungfrau geborene
Seib, Welker ba£ Bilb jener mbjtifcfyen ©inbeit ift, bon Söürbigen unb UnWürbigen
gleicjmiäjjig empfangen, aber bon biefen nur quantum ad essentiam, sed non idem
quantum ad efficientiam (Summ. Sent. I, 1. c. cap. 7; de Sacram. lib. II,
p. VIII, c. 5). 25
^n ber $eit 2llger3 unb be3 großen BiftorinerS (ja felbft borfyer) mag ber Stu^brud'
transsubstantiatio fd;on bon anbern gebraust Werben fein ; aföbalb nad)Ij)er fönnen Wir
ifm jebenfattö fonftatieren. 2lfö er erft bogmatifiert Worben, begann er bon fidt) au$ ber
Seftre „Probleme" ju ftellen. %\t er offenbar aufgefommen, Weil er in ber $ürje ber
treffenbfte festen für bie fad)Iid) gewonnene unb gefiebert erfcfjemenbe 31nfcb,auung bom 30
Satrament (f. oben bei ^eter bon ^oitierS, ©. 59, 55), fo berfelbftftänbigt er fiel; auf
©runb ber „©elretierung" burdb, ba3 kontfl bon 1215, Will nun feinerfeit» „burcfygebacfjt"
toerben unb fdjafft baburef) Weitere fragen für bie StI)eoIogie.
II. ®ie fd^olaftifc^e 2lu§fü^rung ber ^ranlfubftantiationSlefyre. Sie
©djolafti! fyat burcf; tljre Beftimmungen ber Seb,re bie Slbrunbung gegeben, in ber fie ber 35
römifdje $atecfn3mu<§ (II, c.4) unbBetlarmin (Disp. t.III, de euch. 1. III) barbieten. 3)ie
„ÜÜJiatert" bei ©aframente§, an ber bie 33erWanb(ung botljogen Wirb, ift ungefäuertel
Söeijenbrot unb 2Bein, bem etwas SBaffer beigemifd;t Wirb. 3)ie $orm bei ©alramentel,
tnobureb, bie SBerWanblung ju ftanbe fommt, finb bie SBorte: Hoc est corpus meum, hie
est sanguis meus (bie borb/ergel) enben SBorte edite u. f. W. gehören nid)t jur gorm). ©ureb, 40
fie Wirb im ariftote!ifcb,en ©inne bie 3Jtaterte ba§ ^eue, Woju fie bie 9)töglid)feit in firf;
trägt. ®ie gorm Wirft in göttlicher Äraft, allein Wie über bie SBirffamfeit ber ©afra=
mente felbft bie ©c^olaftif nacb, gWei ©eiten auleinanber geb,t, infofem bie ßtnen bie
toirfenbe ^raft ben ©aframenten immanent, bie Slnberen nur f onfomitierenb backten (f. 21.
„©aframent" 33b XVII ©. 362, 30— 363, ie), fo jeigt fiel) biefelbe ^erfcl)iebenf>ett Wieber 45
in ber Beurteilung ber eudjariftifcr/en gorm. Stlbert ber ©rojse (in libr. 4, dist. 10,
art. 7) unb %f)oma$ behaupten eine in ben ^onfefration^Worten liegenbe gefcfyaffene Slraft,
burclj Welche fie bie ÜBeränberung berSJtaterte b,erborbringen (P III, qu. 78, art. 4. Resp.,
bgl. Sllejanber bon §ale§ S. th. IV, qu. 34, 1, 1), bagegen führen anbere, Wie 33ona=
öentura (in Sent. libr. IV, dist. 10, pars II, art. 1, qu. 3 concl.) unb ©abriet 50
Siel (expos. can. miss. lect. 47 T. unb in libr. IV, dist. 10, qu. unica Lit. O.
in fine) biefe 33eränberung auf eine ben J^onfefrationlWorten bermöge ber ©infe^ung
gefiederte blofje Slffiftenj ber göttlichen 3lllmacb,t jurücf.
®ie 2lnwenbung ber gorm an ber Materie gefcf)ier/t bureb, bie briefterlicb,e i^onfefra-
tion unb it)r unmittelbarer ©ffeft ift bie ^rangfubftantiation. @§ ift flar, ba^ ba§ 2I^ort 55
transsubstantiatio mit feinem plnlofobfyifcfyen ©runbgetoräge in geWtffer Söetfe allen
i^eologen unmittelbar ba§ gleiche fagte; immerhin blieb in beftimmten Begebungen
mancher ©djmlftreit möglid).
1. 2llger bon Sütticb, (de sacr. lib. I, cap. 7) bertritt bie 3lnfcbauung, bafe bie ©ub=
ftanj be3 BroteS infolge ber SSertoanblung ju fein aufhöre. @i b,attc bie B11^1"^ fur m
64 SranSfttbftanttation
ftct), aber nidjt feine geitgenoffen. 9cad) irrten J)ört tue ©ubftang be3 93rote§ unb 9öeine§
burd; bie Äonfetration nur auf, ba§ ju fein, toaS fie bi§t)er getoefen, unb toirb ettoag,
toaS fie bi§I)er nid)t getoefen toar. 2lu3 biefem ©runbe erflärt fid) fd)on £ugo Don ©t.
SStftor (de sacr. II, p. VIII, cap. 9) gegen ben ©ebanfen, bafc bie früheren ©ub=
5 ftangen bermcfytet toürben. ©benfo Robert $uller/n (Sent. lib. VIII, c. 5) unb ber Som=
barbe(IV, dist. XI D, f. bagu o. ©. 59, 48— 51). ÜJiocfc, %f)oma§ erflärt fid; äufjerft fd;toan=
fenb unb unbeftimmt über bie Statut ber Sertoanbtung, fcfyeint fid) aber bocb, bereits auf
bie anbere ©cite ju neigen (1. c. qu. 75). ^larf)eit bringt erft ®un3 ©cotuS in ben
Segriff. %xo% mancher Sebenfen geftattet er bennocf), bie £ran§fubftanttation unter ben
10 ©attungSbegriff ber Mutation ju ftellen; nad) 2triftotele3 nimmt er brei Mutationen an,
toäfyrenb bie eine Übergang bon einem negativen (a non subjecto) gu einem bofttiben
Termin, gu einer ©ubftanj (©cf)öbfung), bie anbere bon einem bofttiben gu einem nega=
üben Termin ift (Slnnifytlation), forbert bie SEranSfubftantiation bie bofitibe 9latur beiber
Termini, fotoot)l bei a quo al§ be§ ad quem : fie ift im atigemeinen Übergang bon
15 ©ubjelt gu ©ubjeft, bon ©ubftang ju ©ubftanj (in lib. IV, dist. XI, qu. 1. in fine).
®iefer Übergang läftt fid; auf gtoiefacfye 2öeife benf en, einmal fo, bafj bie ©ubftang, toeld;e
ben terminus ad quem bilbet, baburd) erft gu fein anfängt; bann aber aud; fo, bafj
fie nur Bier, alfo an einem neuen Drte, ju fein anfängt, jene Sertoanbtung nennt er
productiva sui termini ad quem, biefe adductiva; jene i)at bie ©ntität if)re§ %zx-
20 minuS, biefe feine Sräfentialität an irgenb einem Drte (praesentialitas eius alicubi)
gum giele. $n ber eud;ariftifd;en £ran§fubftantiation, toelcfje ber gtoeiten 2lrt entfbridjt,
fuccebiert bemnacr) ber Seib ßfyrifti nid)t nad) bem einfachen ©ein, fonbern nur nad; bem
$ierfein bem bräerjftierenben Srote, folglid; toirb ba§ Srot in ben Seib SI)rifti bertoan=
belt nur nad; bem esse hie praesens pani praeexistenti (ib. qu. 3). 63 ift ber
25 grofße gortfdmtt biefer Darlegung, bafj fd;on in bem Segriffe ber eudjariftifcfyen %xan&
fubftantiation ba§ Moment mit Sefttmmtfyeit nad;getoiefen toirb, auf toeld;e§ ber gange
SiIbung3brogef$ be§ ®ogma bon Anfang an mit unberfennbarer 2lbftd;t angelegt ift,
nämüd) bie Sräfeng bes> bräerjftierenben Seibe3 6B,rifti im 2lbenbmat;l, bie man nur burd;
bie ^ranSfubftantiation für ben ©lauben boßftänbig getoal)rt glaubte, unb bafj ba§ 2öefen
30 be§ ganzen Vorganges näb, er unter ben Segriff ber ©ucceffion ber beiben SEermine geftellt
toirb. ®un§ ©cotuS geigt bann toeiter: ba ber Seib Sfyrifti bie neue ©egentoart (ba§
neue lofale ©ein) of)ne Serluft ber alten empfange, fo fei bie mutatio, bie er babei er=
fafyre, eine acquifitibe otme eine beberbitibe, toätjrenb umgefebjt ba§ Srot nur bie be=
berbitibe ofme bie acquifitibe Mutation erleibe; e<§ fyanble fid; bemnacb, junäd^ft nur
35 um eine tranolatibe Konberfion, um ein §ierfein unb um ein TOd)t=§ierfein; ba nun
barau§ folge, bafe ba§ Srot burd) bie Sertoanbtung nicb,t fein fubfiantießeS (fonbern nur
fein IoIa(e§) ©ein berliere, fo muffe man fd)Iiefjen, baf? ei burd) biefelbe aud) nid;t an=
nit)iliert ober bielmeb,r beftruiert toerbe; toenn aber boeb, ba^Srot in feinem fubftantießen
©ein nid)t berbleibe unb bennod), toie gefagt, burd) biefe Sertoanbtung nicfyt beftruiert
40 toerbe, fo muffe ei auf eine anbere 2ßeife (alia desitione) ju fein aufhören; biefe anbere
SSeife fei nun ber Übergang bom einfad)en ©ein jum ^id^tfein, fotglid) fei biefe 'sDefition,
für fid) betrachtet, aüerbingg 3lnnit)iIation, aber nid)t bürfe man biefe 2lu§fage auf bie
gange (beibe Termini umfaffenbe) Sertoanbtung aus>beb,rten (fonbern eben nur auf bas>,
toai an bem terminus a quo, bem Srote borgest, ibid. qu. 4 in fine). Man barf
45 nur bie Erörterungen bon Dccam (in Sent. lib. IV, qu. 6. C), unb bon ©abriet Siel
(in lib. IV, dist. 11, qu. 1) über biefen ©egenftanb lefen, um fia) ju überzeugen, toie
il>re SegriffSbeftimmungen lebiglid} auf ®un§ ©cotug gurüd'getjen. 3)ie burd) bie 9tomi=
naliften fortgebilbete 2lnfid;t be§ ©un§ ©cotuS bon bem Söefen ber 2;ran§fubftantiation ift
bom römifdien Äated;i§mui angebeutet (qu. 25, al. 22) in ben 2öorten, bafi panis et vini
50 substantia in ipsum Domini corpus ita mutantur, ut panis et vini substan-
tia omnino esse desinat; SeHarmin l^at fie (1. c, de euch. lib. III, c. 18) afö bie
sententia ecclesiae nia)t nur boUftänbig abobtiert, fonbern aueb, felbft fcr)ärfer ^rägifiert.
^acb, if) m b,at ber Segriff ber toab,ren Sertoanbtung bier SorauSfe|ungen : a) ba^ @ttoa§
ju fein aufhöre (desitio), b) baf$ ©ttoag an bie ©teile bei 2lufb,örenben trete (successio),
55 c) baf? bie ©efition unb ©ucceffion untereinanber in einem teleologifcfy en ^aufalnepS
ftef)en, b. b,. ftet) fo aufeinanber begießen, baf3 ba§ ©ine aufhöre, bamit bag 2tnbere feine
©teile einnehme unb bureb, bie ©efition bie ©ucceffion eintrete, d) bafj fotoo^I ber ter-
minus a quo als ber terminus ad quem bofitiber 9catur feien. ®iefe toa^r^afte Ser=
toanblung ift toeber productiva nod; conservativa, ber Seib 6b,rifti toirb burd; fie
60 toeber t)erborgebrad;t nod) erhalten, fonbern adductiva, er erhält neben feiner ©egentoart
SrattSfitüfianttatioit 65
im Aimmel nod) eine neue ^ßväfcn§ im ©aframent, unb erletbet fomit eine neue Seränbe=
rung, bie tEjrer Statur nad) nid)t deperditiva, fonbern nur acquisitiva ift. Srotjbem
rul)t bie iianSfubftantiation ntd^t auf einer zweifachen, fonbern nur auf einer einigen
göttlichen 2lftion, auf bemfelben einen göttlichen SSiUenSaft (volitio), fraft beffen er baS
Srot nid)t fonferbteren, fonbern aufhören laffen Will, bamit ber Seib ßfyriftt feine ©teile 5
unter ben Slccibentien einnehme.
2. ©er eine (Sffeft ber ll'onfefration ift, tüte Wir fallen, baf$ Seib unb Slut ßfyriftt
„in" ben ©aframenten gu fein anfangen, mittun if?re reale ©egenWart unter ben 2lcct=
bentien beS SroteS unb beS SSeineS (bgl. ©abriet Siel in üb. IV, dist. XI, qu. 1,
Lit. H.). %fyoma$ begnügt ftcb, mit bem ©a£e, bafs ber Wal)re Seib unb baS Wafyre 10
Slut be§ §errn im ©aframente fei — eine S£f)atfacf/e, bie Weber mit ben ©innen noch,
mit ber Sermmft, fonbern nur mit bem auf bie göttliche Autorität geftütjten ©lauben
erfaßt werben fönne (qu. 75 art. 1), bod) bleibt er fid) infofern ntd)t ganj gleid), als
er öfter ben Seib ßfmfti, Wie er im §immel erjftiert, im Ünterf dnebe bon feiner fafra=
mentlidjen ©rjftenj in ber £>oftie ben „Wab/ren" Seib nennt (^. S. qu. 76, art. 3, ad 2m), 15
ein SeWetS, wie bie angeftrebte ^bentität beiber unWillfürlict) unb unbewußt Wieber auS=
cinanber bricht, dagegen Ijebt Siel nad) DccamS Vorgang Wieber ungleich fd)ärfer bie
abfolute $bentität beS SeibeS (grifft im §immel unb im 2lbenbmaI)Ie fyerbor, bie ^ßafd)a=
fiuS unb bie ältere ©d)ule fo nact/brüdlid) behauptet Ratten (Expos, can. miss. lect. 39,
Lit. C). 2luS ibr folgt unabweisbar, bafj ber Seib 61)rifii fo im 3lbenbmaf)le gegen= 20
Wärtig ift, Wie er jur 9ted)ten beS SaterS thront, b. I). als ein lebenbiger, mit ber ©ott=
b,eit berbunbener, unfterblicfyer, berflärter (gloriosum) Seib mit allen ü)m im §immel
inb.ärierenben Qualitäten unb 2lccibentien (Siel in libr. IV, dist. XI, qu. 1, Lit. D)
©enn bie ©d)olaftif legt bem »erklärten Seibe 6b,rifti im ganzen biefelbe natürliche Se=
feb, affenb, eit bei, bie er im irbifcb, en Seben I) atte ; baS ©innige, WaS er burd) bie Serflärung 2.-.
borauS trnt, ift bie SeibenSlofigfeit unb Unfterblidjfeit. ©arauS ergiebt ftd) eine Steige
un§ bereits feit 2lnfelm (f. 0.©. 61, 44—54) befannter Weiterer Seftimmungen, Weld)e SEfyomaS
burd) bie Sefyre bon ber „realen ^onlomitanj" ju begrünben berfucfyt fyat. $raft ber fafra=
mentalen SerWanblung (ex vi sacramenti) nämlid) ift in bem Stbenbmafyle ttidjt blofj
bie ©runbfubftang beS SeibeS 6f)rifti, fein gleifcfy, fonbern fein ganzer Seib. ©a aber ber 30
Seib Gfyrifti im £>tmmel als ein lebenbiger, nur ein befeelter fein fann unb überbieS mit
ber©ottl)eit unzertrennlich berbunben ift, fo mufc er aueb, gleidjerart in bem ©aframente
fein, aber beibe, ©eele unb ©ottfyeit (Sfyrifti, finb nief/t !raft ber faframentaten SerWanblung
(vi sacramenti), fonbern nur traft ber natürlichen ^onlomitanj in bem ©aframente.
©a ferner ber lebenbige Seib nid)t otme baS Slut, baS Slut nid)t ofyne ben Seib fein 35
fann, fo I)at bie reale ^onfomitanj $u ibrer Weiteren ^onfequenj, bafe baS Slut aueb
unter ber §oftie unb ber Seib auet; unter ber ©bejieS beS SBeineS, ba| fomit ber ganje
Sb,riftuS unter jeber ber beiben ©eftalten ift (qu. 76, art. 1 unb 2 ; bgl. Catech. Rom.
qu. 34, al. 28). ®ie fbätere ©d;olaftif Bat biefe Xb^eorie feftgeb,alten unb Siel b,at fie,
im 2lnfct)luffe an %xan% 3)fat)ron (granj be 9Jtar;roniS, ber Magister abstraetionum, 40
War einer ber b,erborragenbften ©ctmler beS ®unS in ^ßariS, geft. 1327; f. MS2,
Sb VIII ©. 1117) mit nod) größerer ^3rä§ifion gegliebert (lect. 42).
3. ©amit ber Seib ßb,riftt unter ber ©be§ieS ber §oftie bräfent Werben lönne, mup
bie ©ubftanj beS SroteS aufhören unter ib,r ju fein; nur bie Slccibentien beS SroteS
bleiben jurüc!. @S ift bieS bie anbere ©eite an ber SBirlung ber ^onfefration. ®ie ©cb^o= 45
laftif tonnte bab;er bie grage nicb,t umgeben, ob biefe 2lccibentien für fiel) allein ofme ib,r
©ubjeft foribeftefyen fönnen. ^omaS bejahte biefelbe unbebenflieb, mit Serufung auf bie
göttliche 3lllmacl)t, bie als causa prima ben ©ffelt ber causa seeunda aueb, nacb, beren
3lufb,ebung erhalten lönne (qu. 77, art. 1); er Wufjte aber aueb, für baS fef)lenbe ©ub=
fe!t ein ©urrogat auS^umitteln, er nab,m an, bafj bie Slccibentien beS SroteS nad) bem 50
2luff)ören ber Srotfubftan^ in ber noeb, borb^anbenen bimenfiben Quantität beS SroteS
sicut in subjeeto jurüdblieben ; bafc biefe fomit geWifferma^en baS ©ubjeft fei, Welches
ben übrigen Slccibentien bie 9Jcöglid)feit beS felbftftänbigen SefteI)enS aud) ob^ne eigene
©ubftanj fixere (qu. 77, art. 2). ©emgemäfj b^aben bie faframentalen ©i)ejieS, obgleid)
fubftanjloS, unberänbert i§r felbftftänbigeS ©ein, fie fönnen Wie borf)er bie leiblichen 55
©inge au^er fid) affigieren unb an ib^nen Seränberungen (»erborrufen, benn bie bimenfibe
Quantität beS SroteS, Welche an ifynen bie ©teile ber 9Jlaterie bertritt, leiftet alles, waS
ber SJcaterie als folcfjer gufommt, fie ift, wie biefe primum subjeetum subsequentium
formarum (art. 5 resp. in fine). ©d)on ©unS ©cotuS erflärte fid) gegen biefe „rea=
liftifd)e" 2luffaffung ber Quantität als beS QuafifubjeftcS ber jurüdbleibenben wefenlofen G0
SReol=®nc9Hopäble für St^eologte unb SEtrd&e. 3. 2t. xx. 5
66 SranSfubfiannattott
Slccibentien. Dfocb mebj mußten e§ bie 91ominaliften Dccam unb Siel nad) ber $on=
fequenj tf>re<§ ©tanbbunfteg tlmn, ber feinen realen Unterfcfyieb gVotfc^en Quantität unb
bem Quantum felbft (ber res quanta, b. f). ber ©ubftanj ober ber Qualität) juliefj.
@ben barum aber tonnte e§ aucf) für fie md)t biefelbe ©cfywierigfeit baben, anjune^men,
5 bafs bie Slccibentien be§ SroteS, bie ja nur Qualitäten finb, fortbefteben, ofjne einer ©ub=
ftanj ober einem ©ubjett ju infyärieren ; gegen %i)oma§ machen fie geltenb, bafs bie bimen=
fibe Quantität, in Welker fie nad) ber SerWanblung befielen, nidjt bie ber früheren
Srotfubftanj, fonbern ifyre, ber Slccibentten, eigene Quantität fei (bgl. Siel, dist. 12,
qu. 1, Lit. A).
io yiafy gefd)efyener Äonfefration toirb ber Seib ßbrtftt in biefen fubftanjlofen 3lcciben=
tien bräfent; ba biefe aber aud) für fid) allein oljme ©ubjelt felbftftänbig beftefyen fbmten,
fo ift tfyre Serbinbung mit bem unter iljmen enthaltenen Serbe bod^ eine ungemein lofe;
e§ ift eigentlich nur bie Äoerjftenj jtoeier einanber innerlich frember SDmge in bemfelben
Staunte, ©ie Slccibentten be3 SroteS inb^ärieren barum bem Seibe ßfyrifti nid)t, fie affi=
15 gieren tfyn nid)t, fie informieren ilm nicf)t; e3 fönnen fid) aud) an ilmen Vorgänge bol!=
gießen, meldte ben Seib Gfyrifti nid)i berühren. ®ie§ tritt jeBr ficfytlid) in bem %aüe berbor,
bafe bie §oftie gebrochen wirb, benn bie gange ©cfyolaftil blieb einftimmig bei ber @r=
flärung ©uitmunbS ftefjen, ba£ ber Srud) nur ba£ ßeicfyen, n^x ben Seib ßfyrifti treffe,
Weil biefer nict)t blofj totum in toto, fonbern gugleid) totum in qualibet parte fort=
20 ejiftiere (Thom. qu. 77, art. 7; Siel, dist. 12, qu. 1. J).
4. Son großer SßicijitigJett mar bie §rage: tote lange 6I)rifti Seib unter ber §oftie
gegenwärtig bleibe. Sie ältere ©cfmlafitf fyaite e§ nicfyt getoagt, barauf eine abfd)Iiefenbe
Slntroort gu geben. ®em §ugo bon ©t. SStctor liegt nur baran, bie ©egenwart Sfyrifti
im ©aframent für ben DJcoment be3@enuffeS fieser ju fteHen (de Sacr.lib. IL P. VIII,
25 cap. 13). Dbjenioer Würbe bie grage bon ber fbäteren ©cb^olafti! befyanbelt. 9kd) %$oma§
bleibt ber Seib 6£>rifti fo lange unter ben ©besieg gegenwärtig, al§ biefe nicr)t eine folcfye
Seränberung erfahren, buref) meiere bie ©ubftanj beö SroteS unb 2Beine§, Wenn biefelbe
nod) »orb^anben märe, alteriert mürbe. ©ine fo!d)e Seränberung erfolgt entWeber bureb,
mecfyanifcfye gerftörung (j. S. ^ßulberifierung) ber §oftie ober burd) bie UmWanblung
30 aller Qualitäten, b. I). burd) cfyemifcben ^roje|, mie bie Serfcfyimmelung ober Serbauung.
9Jtit bem ©tntritt einer berartigen ^orrubtion r)ört in beiben gäHen ber Seib unb baS
S3Iut ßfyrtfti auf, in bem ©aframente ju fein (qu. 77, art. 4). ©abriel Siel mieberb^olt
biefe (Sntfcfjeibung unb ergänzt fie burc§ bie neue Seftimmung DccamS, ba^ toenn ber
Seib 6I)rifti unter ber §oftie aufbore, eine anbere ©ubftanj an feine ©teile trete, fei eö,
35 bafj bie alte Srotfubftanj mieberfebre, ober bafe eine gang neue ©ubftanj barin gegen=
märtig toerbe (Dist. XI, qu. 1 G. H.). SDarauf blatte bereits Cccam bai ^arabojon
gegrünbet: quod ex non substantiis (nämlicb, ben fubftanjlofen Slccibentien) potest
fieri substantia (1. c. concl. 39). Somit mar nun auf fixerer Safig bie alte^ragc:
ob bie Slccibentten $raft bätten, ju ernähren, leicht ju entfebetbetf: ba nämlic^ ber 3Ser=
40 bauunggproje| bie ©ubftan^ be§ SroteS alteriert, fo bort mit feinem beginn bie ©egen=
toart be§ SeibeS ßl>rifti unter ben Slccibentten auf, unb folglich. Wirb ü)m bureb! einen
abfoluten Slft @otte§ unter benfelben eine anbere ©ubftanj furrogiert, Welche bie $raft
b^at, ju ernäbren, bie ben Slccibentten al§ folgen abgebt. ®amit War bie ©iS!uffion be§
„ftercoraniftifeb^en" ©treiteS für immer abgetan.
45 5. @§ fragt fid) nod}, Wie bie formalen Sßorte: hoc est corpus meum, er.egetifd)
gefaxt Würben, ©abriel Siel bat biefer grage in feiner ©rllärung bef 9Jlefefanon einen
eigenen Slbfcfmitt gemibmet unb ib^re »erfebiebenen Beantwortungen im SRittelalter barin
(lect. 48) jufammengeftellt. ®ie Serengarianer erllärten Wie gwingli etnfad) : ba§,
nämlicb ba§ Srot, ift, b. b. bebeutet meinen Seib. ®ie Stnfyänger ber SLranäfubftantia=
50 ttongbr;^otbefe lonnten fiel» babei natürlich ntebt beruhigen, ba biefe SSorte, beftimmt bie
Serwanblung ^erborjubringen, fie auef) auSffcrecfyen mußten, ^icb^arb bon ©t. 93ictor fyält
ba§ ^räfenj für irrelebant unb fubftituiert ib;m ba§ futurum: bieg — nämltd). ba§Srot
— Wirb mein Seib fein. ^b,m fommt am näd)ften Sonabentura, ber hoc gleichfalls auf
bie unter ber ©bewies entbaltene Srotfubftanj begießt, bagegen bureb! bie Sobula est ntdjt
55 ben Segriff beS ibentifeb^en ©eini, fonbern ben ber Ummanblung auSgebrüdt glaubt; er
umfcbjeibt : bieg, b. b, . bie Srotfubfianj, Welcbe unter biefen ©besieg je^t noeb! gegenwärtig
ift, Wirb in meinen Seib tranSfubftantiiert. ©inen neuen äöeg fdjlägt Slleranber bon §ale§
ein; er nimmt bie 2öorte fignifilatib unb oberatib jugleid); hoc aber bertritt ifym ntebt
ben Segriff beS 3e^en^r fonbern beS Sejeic^neten (signatum), gebt alfo bem ©inne
60 nacb auf ben Seib (5b]rifti felbft, er umf^retbt: ba§, m§ bura; ba§ ^eieb^en begetebnet ift,
SrattSfubftanttatton 67
tft mein Seib. ^bomaS bat im ©runbe nur btefe 2Inftd;t bollenbet; hoc bertritt il)m
ganj allgemein ben Segriff ber qualitativ unbeftimmt gelaffenen ©ubftang, meiere unter
ben 2lcctbentien bräfent gebaut unb burd) bas> ^Sräbifat bann näber al§ ber Seib (5f)rifti
beftimmt mirb. $)er ©inn ber SSorte tft bemnad;: ba3 unter ben ©begieß @ntl)altene tft
mein Seib (qu. 75, art. 8 Resp. in fine, unb befonber§ qu. 78, art. 5 Resp.). tiefer 5
©rflitrung fcbjiefjen fid; im mefentltcben aud) SSiel (lect. 41 H.) unb SeEarmtn (III,
c. 19) an. ®en ^Beweis bafür, bafj e§ fid) mtrflid; um £ran3fubftanttation banbele,
entnimmt Stomas au§ bem „hoc": bliebe bie ©ubftanj be§ S3rote§, fo I)ätte St)riftu§
jagen muffen: „hie" (panis) est corpus meum (qu. 75, art. 2, Resp. in fine).
6. ®ie tntereffantefte bejm. fcfjmierigfte grage, meld)e bie ©dmlaftif unter bem ©e= 10
fid)r»bunft, mie ber Seib 6f)rifit Vermöge ber 5£ran§fubftantiation im 2Ibenbmal)le gegen=
märtig fei, berl)anbelte, betraf bie Quantität be§ eud)ariftifd)en SetbeS unb fein räum=
li(f>cö &erf;ältnt3 ju ber £>oftie, unter melier er enthalten tft.
©er ^bentität beä eud>ariftifd)en SeibeS mit bem Seibe 6I)rifti im £>immel, welche
burd; bie Xran§fubftantiation3lei)re ermiefen merben foEte, mufjte ein ftarle§ Sebenfen 15
in ber finnlid)en 2öal)rnel;mung entgegentreten. ®er Seib ß^rifti im §tmmel mürbe
nämlid;, abgeben bon ben $räbifaten ber $mtoafft6tlität unb Unfterblid;feit, bie man
il)m beilegte, in berfelben 2öeife erjftierenb gebaut, mie er einft auf (Srben getoanbelt
war; er mu| nacb biefer Sluffaffung alfo aud) fitjenb jur 5Red)ten ©otteä in quantt=
tatiber üffieife epftieren, mithin einen beftimmten, feiner 2lu§bel)nung entfbred)enben 9faum 20
erfüEen, fo bafj ba§ ©anje be§ Seibe3 biefen ganzen sJtaum unb jeber einzelne %nl be3
Seibeä mieber feinen befonberen, mit feinem anberen geteilten %eil biefes 9taume§ ein=
nimmt. $Dtefe 2Irt be§ quantitatiben ©ein3 nannte man esse dimensive ober circum-
scriptive (bgl. Sonabentura 1. IV, dist. 10. P. 1, qu. 4). ©0 fann er aber augem
fdjeinlid) nidjt unter ber £oftie enthalten fein, ©iefem @tnmurfe tonnte man nur mit 25
bem ©a^e begegnen, bafj ber Seib im ©aframente, obgleid; ein unb berfelbe mit bem im
§immel, bodb, im ©alramente eine anbere ©jtftenjmeife l)abe, al§ im §immel, er erjftiere
im ©alramente in quantität^Iofer 2Beife, fo bafj ber Seib 6l)rifti ganj in ber ganjen
§oftie unb mieberum ganj in feiern %e\k berfelben fei (bgl. Sonabentura a. a. D. qu. 5
Concl.). ®er leitete ©a£ erhielt burd; bie ©d)olaftif eine centrale ©teEung in ber 30
2lbenbmaI)I<§lel)re; er beantwortete bie §rage nad) ber eigentümlichen 2trt, mie ber Seib
ßl)rifti im 2lbenbmal)le gegenroärtig fei. ®ie faframentale ©ein§meife be§ SeibeS erhielt
im Unterfd)iebe bon bem esse circumscriptive feit Dccam (Quodlib. I, qu. 4) ben tarnen
esse diffinitive ober definitive. 5Die mefentlid;e grage, auf bie b,ier aEe§ anlam unb
um bie fid; ber ©egenfatj ber ©fyfteme in biefem fünfte betoegte, mar nun bie, ob ber 35
Seib @I)rifti, bem atte bie gleite ©Eiften^toeife im 2lbenbmal)le beilegten, mie fte burdj
ba§ totum in toto et totum in qualibet parte beftimmt mar, im ©aframente auf=
bore, an fid) ein quantum ober extensum ju fein, ober ob er an fid) ein foldjeS aEer=
bing§ aud; im ©aframent fei, aber tro^bem in bemfelben nur in quantitätlofer Söeife,
alfo olme modus quantitativus, in ber §oftte e^ifttere ? 40
a) ©ie ältere realiftifd;e ©d)olaftif legte befanntlid) ber Quantität, mie ben
übrigen abfoluten Slccibentien, eine felbftftänbige, bon ber ©ubftanj mie bon ben Quali=
täten unterfd;iebene reale (Sjiftenj bei, fte betrachtete fie als ein in ber BJeitte ;$mifd)en
ber an fid; unquantitatiben ©ubftang unb ben an fid; ntebt quantitatiben Qualitäten
fteftenbeä reale§ Sing, burd; beffen 3Serbinbung mit ber ©ubftanj ober einer Qualität 45
biefe erft ju res quantae mürben, erft eine 2tu§bel)nung erhielten, erft einen beftimmten
Raum einnähmen (bgl. Siete Äritif bei realiftifd;en Quantität§begriffe§, Expos, can.
miss. lect. 43. Lit. E.). ®a ber ^eali^mug fomit bie Quantität md)t al§ eine ben
materieEen SDtngen an fid; gufommenbe unberäufjerlidje S3eftimmtb,eit , fonbern al§ eine
frembe, ifmen nur bon aufeen erft gleid)fam jugefommene 33eftimmung al§ ein Super- 50
additum anfab, fo tonnte er einräumen, baf? biefelbe aud; bon ifynen abgelöft merben
fönne, ob,ne ba^ fte baburd) in i^rem mefentlid;en ©ein irgenbwie alteriert mürben. Tcm=
nad; mu|te eö bem 9?ealiömu§ am näd)ften liegen, anjunel)men, ba^ ber Seib 6f;rifti
niefet al§ quantum unb folglid) aud; ob,ne modus quantitativus in ber £>oftie gegen=
bärtig unb bod; berfelbe toie im §immel fei. ^n ber £f)at bat eö niebt an foleben 55
gefehlt, meld;e, biefer luffaffung folgenb, be^aubteten, ba^ ba§ 3lcciben§ ber Quantität
nur bem Seibe Gbrifti im §immel jufomme, aber nid)t bem Seibe ßb.rifti im ©aframent,
bter t)ahc er feine mirfltcbe „2lulbeb,nung". gragt man, mie ba§ ju benfen fei, fo ant=
toorteten fie: ©ott fann einen ^eil beg Seibe§ in ben anberen, unb in biefen mieber
einen anberen gleid)fam fjineintreten laffen (subintrare), fo ba^ jule|t fein Xeit mebr so
68 Sranäfubftimtiatiim
unter unb neben bem anbeten, fonbern jeber nur in bem anbeten erjfticrt unb bag ©ange
bie benlbar lleinfte natürliche Quantität l>at. ©afj bamit aucb, bie ©eftalt (figura) beg
Seibeg aufgehoben fei, beirrt btefe Slnfcfyauung nicfyt; ifyr genügt eg, bafj nur bie Realität
ber Materie unb gorm, bie Realität bet ©ubftang alg folget, geWabrt bleibe. 38er bie
5 aSettteter biefer ,,©ubintrationgit)eorie" Waren, toiffen Wir nicf>t, wir lernen nur
ben %ni)aü berfelben burcb, bag b^ftorifcr,e Referat Silberig beg ©rofeen (IV dist. 13,
art. 10), beg ©ung ©cotug (IV dist. 10, qu. 1) unb ©abriet Siel (1. c. Lit. F.)
fennen. ©er 2lnftof$, ben man an t^r nal)m, beruhte rttd^t barin, bafj fie bie Quantität
al§ etwas bon ber ©ubftang 2lblögbareg betrachtete, — bieg giebt im (Gegenteile 33ona=
io bentura auSbrücflicb, gu (1. c. qu. 2) — , fonbern bafe ber Setb Sbrifti, Wenn er alg non
quäntum im 2lbenbmaf/le gegenwärtig märe, aucb, weber ein lebenbiger, nocb, ein orga=
nifc^er unb folglich nic^t mit bem tnmmlifdjen ein unb berfelbe fein lönne (Sonabentura
1. c), ober, mag befonberg Sllbert ber ©rojje (dist. 13, art. 10) unb ©ung ©cotug
(dist. 10, qu. 1) gu bebenden geben, bafs unter biefer 23oraugfe|ung ber eucfyariftifcfye
15 Seib nicfyt einen Steil neben bem anberen, folglich leine „©eftalt" (figura) fyaben unb bem=
gemäfj aucb, lein befeelter Seib fein fonne.
©o fab, man ficb, genötigt, bie Söfung beg ^3robIemg auf anberem Söege gu ber=
fucfyen ; eg galt nichts geringereg, alg ben Satiptoeig gu liefern, baf$ Quantität borb, anben
fein lönne, obne im „Saume" alg folc^e gur ©rjcbeinung gu lommen, ober bajj ber begriff
20 eineg 2tuSgebeI)nten oI)ne räumliche 2lugbel)nung leinen SSiberfbrucb, in fiel; fcbjiefje. ©o
formuliert ^Bonaventura ber ©cf)oIafttl tfyre 2lufgabe in ben 2Borten (1. c. qu. 4
Conclus.): Corpus Christi vere existens in hostia consecrata, licet habeat ibi
propriam dimensionem, non tarnen est ibi dimensive [sive circumscriptive].
b) ©er erfte, ber btefe S£fyefe bialeltifcb, burcfjgufüfyren toerfuebte, ift %fyoma§ bon
25 2lquino. @r legte feiner Söfung bie Segriffe ber SBerWanblung unb ber ^onlomitang
gu ©runbe. ©ie SSerWanblung fyat gu ifyren Terminen niebt bie ©imenfionen, fonbern bie
©ubftangen; ba nämlicb, bie ©imenfionen beg Sroteg Wie bie übrigen 3lccibentien aucb,
nact; ber Itonfelration bleiben, fo Werben fie niebt in bie ©imenfionen beS erbeten Seibeg
6l)rifti, fonbern nut bie ©ubftang beg Sroteg Wirb in bie ©ubftang biefeg Seibeg ber=
30 Wanbelt (qu. 76, art. 1 ad 3 m). ^raft ber SerWanblung (ex vi huius sacramenti)
ift bafyer aucb, nur bie ©ubftang bes Seibeg Sfyrifti auf bem Slltare; ba aber ber Seib
Sfyriftt in bem ©alramente fo gegenwärtig ift, Wie er in bem §immel erjftiert, fo barf
aucb, feine bimenfibe Quantität niebt fehlen; ba biefe aber nur concomitanter unb ge=
Wiffermafjen per aeeidens im ©alramente ift (ärt. 4 ad Im), fo ift fie battn aucb,
35 nic^t auf ibre eigene SSetfe (seeundum proprium modum), fonbern nur nacb, ber
SBeife ber ©ubftang (per modum substantiae, art. 4 Resp.); näfyer: ber Seib ßfyriftt
ift im ©alramente nicfyt fo gegenwärtig, Wie feine bimenfibe Quantität unter ber bimen=
ftben Quantität beg Saumeg, fonbern Wie feine ©ubftang unter ifyren eigenen ®imen=
fionen befielt (art. 3). @g ift alfo ein gWeifadjer modus gu unterfdjeiben, ber modus
40 quantitatis ober dimensionum unb ber modus substantiae. ©iefer ift bag $räge=
beng, jener bag ^onfequeng. ©ie ©tgentümlicbjeit beg erfteren befielt barin, bafj nacb,
ib,m ber gange Höt^er ben gangen 9laum unb jeber einzelne ieil beg ^örberg barin
feinen befonberen 9teumteil einnimmt (totum in toto unb pars in parte); bie beg
anberen ftoricfyt fieb, umgelegt barin aug, baf$ bie 5Ratur ber ©ubftanj (natura sub-
45 stantiae) gang im gangen Staum unb gang in jebem Steile beffen enthalten ift (tota in
toto et tota in qualibet parte), Wie man bieg an ber Suft unb bem Srote fiel?:, beren
Statur niebt blofs in bem ©angen, fonbern auc^ in jebem Seile nacb, ibrer Totalität ent=
galten Ift. ©benfo ift bet gange ©briftug in jebem SEeile ber £ofüe, rtiebt blofe bet_ge=
btocfjenen, fonbern aucb, ber ungebrochenen botb, anben (art. 3 unb 4). 9Jacb, biefer
50 Soraugfe^ung lann eg SEb,omag nur berneinen, bafj ber Seib ßb^rifti im ©alramente
räumlicb, (sicut in loco) fei; auf ben Einwurf, ba§ boeb, ber diaum ber ©begieg nicb,t
leer gebaut Werben lönne (benn nacb, 2lriftoteIeS giebt eg leinen leeren Saum), antwortet
er, biefer Saum fei allerbingg erfüllt, aber niebt bon ber unräumlicb, barin erjftierenben
©ubftang beg Seibeg, fonbern nur bon ben ©begieg beg Sroteg, bie nacb, ber SerWanb=
55 lung ibrer früheren ©ubftang noeb, immer ibre alten ©imenfionen beibehalten (art. 5
Resp. unb ad 2 m). ©er betmittelnbe ©ebanle biefer SEbeorie liegt bemnaa) barin, bafj
bag, Wag Iraft ber SerWanblung im ©alramente ift, alfo ber birelte Sterminigmug ber=
felben, aucb, mit SotWenbigleit ba ift, Wag bagegen feine ©egenWart blofc ber Äonlomi=
tang berbanlt, batin aua; nur eine gufällige ©rjfteng b,aben lann unb mithin jenem,
eo wenn eg bie Satur beg ©alramenteg forbert, feine ©igentümlicbleit obfern mu|. ^n
SrauSfubftanttatton 69
btcfem Sßer^ältntffe nun ftefycn gueinanber bie ©ubftanj beS SeibeS Gfmftt unb [eine
bimenftbe Quantität; bie ledere fyat barum als baS rein 2lccibentteße ifyren eigentüm=
liefen modus essendi bem ÜDcobuS ber ©ubftanj unter^uorbnen ; fie ift nur naify bent
lederen im ©aframente gegenwärtig, ©afj SbomaS fein angeftrebteS gtel, ben 9Zad)=
weis, bafj ber gange Seib (grifft in jebem Seile ber ^oftie enthalten fei, nidjt erreicht, 5
leuchtet ein. S)er bialeftifdjie gefyler liegt barin, bafj er ber Statur ber ©ubftanj (b. fy.
ber qualitativen Sefd)affenfyett berfelben) im Fortgänge ber SeWeiSfüfyrung bie ©ubftanj
felbft fubftituiert, ofyne gu bebenden, bafj beibeS bodj gWet nidjit gu berWecfyfelnbe Segriffe
finb. 2Sie fotlen Wir unS ferner bie Sefcb,affenl)eit beS eud)arifttfd;en SetbeS nacb, ben
näheren Sefttmmungen benfen, unter Welche er ib,n ftettt, b. b,. als quantum obne im 10
9kum erfcfyetnenbe Quantität? @r fagt auSbrüdlid; (art. 3 ad 2 m): bie ©iftang ber
Teile, Welche ber organifcfye Körper geige unb Welcb, e bem wahren (sie !) Seibe, bem Seibe
im §immel, eigne, fei nicfyt in bem ©aframente, Woraus ftd) bann als unabweisbare
lonfequenj Weiter ergiebt, bafj im ©aframente ber Setb 6b,rifti Weber eine ©eftalt b,at,
noa) — WaS ^Bonaventura mit 5Red^)t forbert — ein organifdjer, ein Wahrer Seib ift, 15
unb bafj fomit aueb, ber eudjarifiifdje Selb mit bem bjmmlifcfyen nidjt ein unb berfelbe
fein lann. Übertäubt ift, Was ben 9kum, in Welchem eS gegenwärtig ift, nid;t erfüllt
— wie bieS SI)omaS Vom eucb,ariftifcb,en Seibe annimmt — fein Selb, benn eS fehlen bie
brei ©imenfionen , fonbern nur ein matfyematifcfyer ^jßunft. ©0 fommt SfyomaS ber
©adj e naa) im Wefentlidjen auf bie ©ubintrattonStfyeorie gurüd : er gerftört Wie biefe mit 20
ber Quantität beS SeibeS, bie er ju retten meint, aueb, feine Seiblidjfeit. Sroij biefer in
bie lugen fbringenben Mängel ift bie Sfyomifttfd;e Sfyeorte, beren Sonfequenj felbft
Seilarmin nidjt boltftänbig erfannt b,at (er meint, SfyomaS fyabt bem eucfyariftifcfyen
Seibe ©eftalt beigelegt, 1. c. eap. 5), in ben römifcfyett $ated;iSmuS übergegangen
(qu. 43, al. 36). 25
@S trifft bemnad) bie Setjre beS SljiomaS berfelbe ©inWanb, ben ©cotuS mit 2llbert
bem ©rofjen gegen bie ©ubintrationStfyeorie erI)ob, nämlicb, bafj fie mit ber distantia
partium aueb, bie ©Iteberung unb bie figura beS SeibeS aufgebe, ©egen Sl)omaS macfyt
©cotuS nod? bie weitere 3>nftani5 geltenb, WaS in bem ©aframente gegenwärtig fei, möge
eS als erfter ober ^Weiter SermmuS, möge eS fraft ber SerWanblung btreft ober tnbireft 30
gegenwärtig fein, baS muffe, fo geWifj eS übertäubt ©egenWart Ijiabe, aud) eben fo geWifj
alle bie @igentümltd)feiten, bie ifym feinem Segriffe nac| notWenbig jufämen, in feinem
faframentlid)en ©egenWärtigfein bewahren. @§ fam nun barauf an, biefe ©runbfä^e in
einer neuen SDoftrin burd^jufü^ren unb bamit bie ungenügenbe tfyomtftifcfye ju über=
toinben.
c) SDun§ ©cotu§ unterfcfyeibet in bem quantitattoen ©ein eine§ ®inge§ jWei ^3ofi= 35
tionen : bie erfte brücft ben Segriff ber Quantität an fiefy, bie jWeite ba3 Serb, ältni§ be§
Quantums jum 3taume au§. $DaS 2öefen ber erften ^ofition be^eicb,net er al§ diffe-
rentia quantitatis, beren ^rtbalt er näb,er al§ ordo partium ad totum angiebt, b. ^.
aU SerbältniS ber SLeile jum ©anjen ; Vermöge ber differentia quantitatis bifferenjieren i0
fidj bie einzelnen Seile be§ HörberS, fie treten au^einanber, fo ba^ pars extra partem, pars
juxta partem §u liegen fommt, unb fc^Iielen ftcb, wieber jum ©anjen jufammen. 2lber
biefer ordo partium ad totum ift eine rein innerliche ^ofttion (positio intrinseca),
er fommt bem Quantum ju, fofern e§ in feinem Serb,alten ju fi<^> felbft, abfolut gefaxt
Wirb, obne alle Sejieijmng ju einem anberen aufjer il>m unb neben i§m erjftferenben 45
Quantum (sine respectu extrinsecus adveniente). @ine folc^e Sejieb^ung nad; aufeen
embfängt bag Quantum erft baburef;, bafe eg in ben 9iaum eintritt unb ju if>m ein Ser=
bältnig gewinnt. ®ie§ ift bie äußere ^Sofition (positio extrinseca); biefe fvejifijiert
fieb, wieber in gWei ^ßofitionen, bie erfte l)at ib,re nähere Sefttmmung in bem ordo locati
ad loeum, fraft beffen ba§ Quantum al§ ©anjeS im 3f{aumc überb,autot ftefyenb gebaut 50
Wirb; bie jWeite in bem ordo commensurativus partis locati ad certam partem
loci, fraft beffen jeber einzelne Seil be3 Quantums ju einem einzelnen \i)m aßein ju=
fommenben Seile beS Raumes in eine beftimmte fommenfuratibe Sejiel>ung tritt. 3}er
ordo locati ad locum beftimmt fieb, näl^er als ^oejiftenj jWeier Quanta, abgefeiert bon
ber HoeEtenftort ifyrer Seile (coexistentia quanti ad aliud quantum sine tarnen 55
coextensione partium); ber ordo partis ad partem, ben ©cotuS aud; positio situs
nennt, fügt ju ber föoerjftenft ber Quanta aud) bie Sloer.tenfion ber Seile binj«- &$
liegt am Sage, ba^ biefe Unterf Cetebe rein Iogifcb,er 3Ratur finb; ©cotuS aber giebt ibnen
ob,ne Weiteres eine metabltofifcb, e Sebeutung ; Weil Von biefen brei ^5oftttonen bie erfte
fid) obne bie betben le^tcren unb bie beibett erften Wieberum ofme bie le|te benfen taffen, eo
70 SranSfubftanttattou
fo I önnen fie aucb, fo befielen : ©otte? 2lßmad;t lann ein ®ing aufeertjatb be? 3[taume?
fteflen unb bann fyctt nur ber ordo partium ad totum, bie rein innere ^ofition für
fieb, altein 2Sirtlid)teit, er lann e? aber aucb, ebenfo gut in bem Flaume fo belaffen, bafe
e? jWar al? Quantum mit bem 5taum al? einem anberen Quantum loerjftiert, aber otme
5 bie britte Sßofition, b. t;. oijme bajj feine Seile ^u ben Seilen be? Raumes in ba? fommen=
furatibc Serfyältni? ber Hoejtenfion treten, olme baf? ba? ©anje ben ganzen 3kum, ben
e? einnimmt, unb jeber feiner Seile ben ifym allein jutommenben 9taumteil au?füllt.
©iefe Äoerjftenj ofyne ^oejtenfion nun lommt burcb, einen abfoluten 9BitIen?a!t ©otte?,
burcb, ein SBunber, in ber 2lrt unb 2öeife jur SerWirtlidmng , Wie ber £eib ß^rifti in
10 bem 2lbenbmat;Ie, obgletdb, felbft al? Quantum unter ber ©bejie? ejiftierenb, bennocb,
ofyne esse circumscriptive, otme modus quantitativus, in bem 9iaume ber ©bejie?
gegenwärtig ift: ba nämlid) feine Seile fieb, nid)t lommenfuratib ju ben einzelnen Seilen
ber £>oftie behalten, unter ber er bocb, enthalten ift, fo lann er totum in toto unb
totum in qualibet parte hostiae gegenwärtig fein (in lib. IV Sent, dist. 10,
15 qu. 1 ; bgl. Siel, Expos, can. miss. lect. 43. Lit. G). 2Ba? biefe Sfyeorie bor ber
tfyomiftifdjen borau? l)at, ift, Wie aucb, Siel anerlennt (Lit. H), bafs in ifyr ber Quanti=
tät?begriff nid)t Verflüchtigt, fonbern in bem ordo partium ad totum Wirllicb, feft=
gehalten wirb unb baJ3 in ber positio intrinseca al? positio partis extra partem
aucb, bie Wtrllictje ©eftalt be? £eibe? Sfyrifti in ber £>oftie gewahrt bleibt; ber bialeltifdje
20 gefyter beg ©cotu? aber tritt nicfyt minber llar $u Sage; er liegt in ber reatiftifcfjen
Sluffaffung be? Sfaume? al? eine? Quantums? ; benn Wenn ber Segriff be§ 9taume? un?
boct) erft baran jum SeWufjtfein lommt, bafj ein £>ing neben unb aufjer bem anberen
erjftiert, fo bafj bon bem einen jum anberen eine SeWegung möglieb, ift, fo ift aucb, mit
ber differentia quantitatis, mit bem habere partem extra partem, bereite ber Se=
25 griff be? 9taume? unb folglich bie Sejietmng be? Quantums jum 9kume mit allem,
toa? fie in ftd^ fdjlieftt, aucb, mit ber coextensio commensurativa partium locati ad
partes loci gefegt, unb feinet biefer begrifflichen Momente läfet fid^ in ber 2öirtlid)tett
bon bem anberen trennen. Ungeachtet biefe? ebibenten SRangel? fyat Setiarmin, ber fieb,
in biefem fünfte bon Stomas nicfyt befriebigt füllte, bie fiebere be? ©cotu? nacb, ifyrer
30 totcfytigften Seftimmung aufgenommen. (Sr be^eidmet (c. 5) al? erfte? SRerlmat ber
©röfje ober Quantität ba? extensum esse et partem habere extra partem ac
proinde situm quendam intrinsecum et ordinem ac dispositionem partium ;
bermöge biefe? ©ffentiale, fagt er, laffe fieb, lein Äörber otme bie bret SDimenfionen benfen.
©abon ju unterfcfyeiben fei al? jWeiteS SRoment ba? coextendi loco seu commensurari
35 loco et habere situm extrinsecum in ordine ad locum, unb flueb, al? britte? ba?
extrudere aliud corpus ex loco seu non pati secum aliam magnitudinem in
loco sibi adaequato. ©a aber jebe? biefer beiben legten SRerlmate (Iogifc|) erft au? bem
bort)ergeb,enben folge unb lein borf>erget)enbe? bureb, ba? nacb^folgenbe bebingt fei, fo lönne
©otte? SlUmacfyt ba? jWeite unb britte bon bem erften trennen unb biefem abfolute
40 2Birllicb,leit geben. Sie gemeinfame 2lnficl)t ber Rafy olilen fei bafyer , ba| bie gange
©röfje be? Seibe? ßlmfti in bem 31benbmab^le gegenwärtig fei, aber nur mit bem erften
il^r Wefentlicb, julommenben 3)ZerlmaIe, nict)t mit ben beiben anberen, Welche auf ber Se=
jie^ung ber Quantität jum 9{aume berufen.
d) ^n eine neue $I)afe ifyrer (SntWidelung trat biefe £eb,re mit bem 5Rominali?=
45 mu?. Dccam? JMtil rietet fieb, junäd)ft gegen bie realtftifcfye Sluffaffung be? Quanti=
tät?begriffe?. @r beftreitet, ba^ ber ordo partium in toto otme ordo partium in
loco fein tonne; Wo ein ordo inter partes distantes bortjanben fei, ba fei eine tolate
SeWegung bon einem jum anberen Seite möglief), ba fei mithin ber Segriff be? ÜRaume?
bereit? gefegt, ba muffe auefy jeber Seit be? Äör^er? einem befonberen Seile be? 9faume?
50 lorrefbonbieren (in Sent. lib. IV, qu. 4 Lit. E). ©o gerftört er unerbittlid) bie fco=
tiftifdje giltion einer ^oerjftenj jWeier Quanta ob^ne räumlicfje £oej;tenfion. Nun aber
lam e? barauf an, ben überWunbenen realiftifcf)en Quantität?begriff buref; einen neuen
ju erfe|en. Dccam Wiberfbrid;t ber bi? bab,m gang unb gäbe geWefenen 2tnnab,me, ba^
bie Quantität ober ©jtenfion ein jWif_cf;en ©ubftanj unb Qualität in ber Sftitie fteb,enbe?
55 unb bon beiben berfdnebene? reale? ®ing für fieb, fei; fie ift it;m bielmeb,r mit ber ©ub=
ftanj unb mit ber Qualität, an ber fie fiel; at? Stcciben? finbet, realiter ein unb ba?=
felbe, fie be^eiefmet ba? Sing felbft, infofern e? ein Quantum ift, infofern e? partem
•extra partem, partem distantem situ ab alia b,at unb muf? bab,er aud; im 9taume
jur ©rfdjeinung lommen; fie ift res circumscriptive existens in loco, ba? im Sfaume
60 jirlumflribtib ejiftierenbe SDing felbft, mag e? näb,er ©ubftan^ ober Qualität fein (Tract.
SranSfitliftanttation 71
de sacr. altar., (Einleitung, 23og. D). ©iefe ^Definition brüöft fo I)aarfcf;arf bal SKkfcn
unb ben Umfang bei Quantitätlbegriffel aul, bafj fie ftd) auef; umbiegen läfjt. (Sr fagt
bafyer: Wenn eine ©ubftanj ober Dualität fo mit bem 9taume foerjftiert, bafj bal ©anje
bem ©anjen unb jeber SEeil einem befonberen SEeile foerjfient ift, bann Reifet biefe ©ub=
ftanj ober Qualität Quantität. SDaraul ergiebt ficr) fofort bie Folgerung: äiknn fie aber 5
fo mit bem Siaume foerjftiert, bal bal ©anje bem ©anjen unb bal ©anje jebem ein=
jelnen üeile foerjftiert, bann Reifst fie nidjit Quantität ober res quanta, bann erleibet
bor ÜRame unb ber »on ben quantis abftratnerte an fid? Wefenlofe ^Begriff ber Quantität
auf fie feine 2lntoenbung, er fann niebj »on ib> toräbijiert werben, fie ift ein non quan-
tum, ein non extensum (in libr. IV, qu. 4 Lit. G). Qene ©Eiften^Weife nennt er, Wie 10
btlber, esse circumscriptive, biefe bagegen be§etct)net er im 2Biberfbrucf;e mit ber bil=
ber üblichen 23ebeutung bei Söortel all esse diffinitive. (&$ Würbe baraul junäcF/ft
folgen, bafe, Wie bal esse circumscriptive ben materiellen unb mithin teilbaren ©ingen
jufommt, Welche Quanta finb, fo auet; bal esse diffinitive nur ben immateriellen, förber=
lofen unb mithin unteilbaren ^Dingen jugefef/rieben Werben fann, bie all res non quan- 15
tae, non extensae angefefyen Werben muffen. Slber Dccam behauptet fofort, bafj el
feinen 2Biberfprud) in fid) fd^Iie^e, Wenn aufy für teilbare SDinge biefelbe SRöglicfyfeit in
SCnf^rud; genommen Werbe; ja in Sejiefyung auf ben Seib Sb^rifti im ©aframente muffe
biel unbebingt all 2Birflicfjfeit behauptet Werben, er fyabe barin esse diffinitive, er
erjftiere barin nic^t blof?, Wie bie grüneren behauptet Ijiaben, in quantitätlofer Söeife, 20
fonbern an fid) all non quantum, all non extensum. 3Jian Wirb fragen, Wie er
fid) biel gebaut I)abe? @r »erWetft auf ben 9?aturbrogeJ5 ber 33erbict/tung, Welcher gur
golge fjat, bajj eine ©ubftanj, bie früher eine größere Slulbelmung l^atte, nun ju einer
geringeren äufammenfcfjrumbft ; fcbjiefjt biel feinen SBiberfbruct) in fid), fo ift auef) nicfyt
toiberftorecfyenb, bafj biefelbe ©ubftanj fo fonbenfiert Wirb , bafj fie otme Stulbeljmung 25
ejiftiert; benn bal jWeite ift ber göttlichen aiKmact)t ebenfofeb^r möglich, all bal erfte; fo
nun behält el fieb, mit bem Seibe ßfyrifti, wie er un ©aframente ift, in ber %h,at (Lit. H,
»gl. ©abriel $8iel, Expos, lect. 43, Lit. O). Sßal alfo bie ©ubmtrationltfyeorie buref;
bal ©ubintrieren einel SEeilel bei Setbel in ben anberen erflärt, »ermittelt Dccam bura)
bie ;££)eorie ber „^onbenf ation"; bal 9?efultat ift balfelbe, ber Seib ßtjrifii ift otme 30
alle ©rjenfton im ©aframente; er erjftiert barin nur all unteilbarer matfyematifdjer
$unft, all 2ltom of)ne ©imenfionen, Wobei freilief; ber ^cacfyWetl febjt, mit Welkem
9ied)t einem SDing, bal feine SDimenfton I)at, noct) bal ^ßräbifat bei ^örtoerl unb bei
Seibel beigelegt Werben fann. 2ll! foldjiel fann er benn aueb begretflicfjerWeife feine ©e=
ftalt Ijaben, er ift überfyaubt im ©aframente ntct)t all organifdjier Seib, biel Wirb Wieber 35
auf ©ottel fc^ranfenlofe 2IHmacf;t gurücf geführt, ber nicf;tl unmöglief; ift. ©0 enbet bie
nommaliftifcfye ©ctjolaftif mit bemfelben Stefultat, mit Welchem bie realiftifc^e begonnen
blatte: mit ber 33et;au^tung, ba^ ber Seib ßfyrifti all non quantum unb mithin geftalt=
lol im 2lbenbmal;le gegenwärtig fei. ©ie Ijat einen Kreislauf burc^laufen , um auf 'ii)x
urfbrünglicfjel ©rgebnil Wieber jurücfjufommen ; nur ®unl ©cotul fyat einen obgletcf) 40
Vergeblichen, bod) immerhin fc^arffmnigen 33erfucfj gemalt, ber »on 33ona»entura auf=
geftellten %t)t\z wirflicf; geredet gu Werben, unb Wir begreifen barum, Warum ber fein=
blicfenbe Sellarmin biefen fct)Wacf;en Stettunglanfer für bal fatf;oIifcf;e ®ogma ergriffen
f)at: el War ein Slft ber 33er-;Weiflung.
7 3lucfj in ber SBIütejeit ber „fircfjlic^en" ©cf;oIaftif erhielt fiel; ein ftillel Faunen, 45
bafe el mit bem 9iecb> ber ^ranlfubftantiationllef;re feine »bllig jWeifellofe SeWanbnil
fyabe. ©ie ©ogmatifierung fonnte immerhin all nid^t »öEig fcerfefte erfd;einen; toa§ ba§
Defret »on 1215 feftftellte, War tl>etifcf; beutlid; bem Xerminul nadj, bot aber feine
„2lntit£)efen". ©0 famen biefenigen älteren Leonen, bie bie „Realität" ber ©egenWart
§f)rifti im ©aframent fo feft behaupteten, all bie £ranlfubftantiation!ler/re, neben biefer w
nid)t ganj um i^ren guten -Jcamen.
@l ift nidjit flar, toelct/e SEf;eorien ein ©uitmunb unb fbäter 2llger unter bem 2itel
ber „impanatio" befämbfen. Sei 2llger mag man an Rupert »on ®eu| (geft. 1135,
f. über feine Slbenbmabjltfyeorie ben 3lrt. »on gtoc^oH, 93b XVII, fbe^iea ©. 239, st ff.)
ju benfen ijabm, unb biefer f et) eint bie „Jlonfubftantiationlle^re" gehegt ju fjaben. 66
Slul ber 3«ü ber fanftionierten 'Xranlfubftantiationllefjre barf el genügen, bie »on
©tei^ berührten J^ritifer namhaft ju machen unb aud) feine ©arftctlung feftgul^alten.
@r erwähnt juerft ben ^o^"" »on ^aril; »gl. beffen SOBerf Determinatio de
modo existendi corpus Christi in sacramento altaris alio quam sit ille quem
tenet ecclesia (Sonbon 1G8G — §arnacf Wibmct i^m III, 517 eine beacf)ten!Werte 60
TZ £ransfut>ftnutiatio«
Slnmerfung). 2Bie ©teifc eS ausführt, lehrte biefer $)ominifaner („um 1309"), baß bie
©ubftanz beS SroteS nacf; ber $onfefration unter it;ren 2kcibentien foribeftefye, aber nicfyt
in if;rem eigenen ©ubtoofitum (©ubjeft), toeil in biefem %aüz leine Communicatio
idiomatum gtutfc^en bem Seib ßb/rifti unb bem Skote ftattfinbe unb folglich 6^rtftu§
5 nicfyt gefagt t;aben fönne : mein $Ieifd; ift eine toa^re ©peife, fonbern bie ©ubftanz bes"
33roteS mürbe %u bem ©ein unb bem ©ubtoofitum ßt;rifti hinübergezogen, fo baß eS ein
©ubtoofitum in zwei Naturen fei. (©enaueres in bem Slrt. „^mbanation" bei $$S2 VI,
621—622).
^Beachtenswert aber ift bie ©tellung, Welche bie ftoätere ©djolaftif zu ber £ranS=
io fubftantiation einnimmt. 9?od; ®unS ©cotuS f)at bie ^ranSfubftantiattonSl)r;botI;efe acceb=
tiert; er fiet;t in if;r bie t>on bem ©tauben geforberte reale ©egenWart ßljriftt im
©a!ramente oollftänbig geroät)rIeiftet. £)oct; tritt fd)on bei ib,m eine merflicf;e Söenbung
ein, ja man fann it;n ben Vorläufer aller berer nennen, bie bie Hirdjenletwe nur nocf;
au§ äußerlichen ©rünben unb mit einer geWtffen ©Ieicf;giltigfeit feftfytelten. @r fagt
15 nämlicf; (IV, dist. 11, qu. 2), ©Ott r)abe beftrirfen „lönnen", baß in bem ©afra=
mente ber Seib ßtmfii gugletct) mit bem 33rote gegenwärtig bleibe, unb Wenn er bieg
getfyan „Ijäite", mürbe baS sJRt)fterium leichter ju faffen geWefen fein; eS beftefye feine fo
auSbrücflicfye ©cfyriftftelle, baß aus it)r bie 'granSfubftantiation ofme bie ^Defloration ber
^irdje mit jtoingenber üftottoenbigfeit abgeleitet toerben tonne; ba jebocb, auf bem bierten
20 Sateranfonjil bie fatt;oIifc{)e ^ircfye bie ©cftrift in biefem ©inne erflärt habi, fo toerbe
burd) bie fo erflärte ©cfyrift bie ^ranSfubftantiation allerbingS betoiefen, benn eS fei ber=
felbe fyeüige ©eift, ber bie ©d)rift ben Sfyofteln unb ^ro^eten biftiert unb fie auf jenem
Äonjile buref; bie £ird;e erflärt fyahe, barum tonne ber ©inn, in welchem baS Sediere
gefct;el;en fei, nur ber ursprüngliche ©c^riftfinn unb mithin ber fd;lecf;tt;in toat;re fein
25 (f. bagu SBeÜarmin de euch. III, cap. 23).
®er Vorgang bei ©cotuS blieb maßgebenb für bie folgenben ©djiolaftifer. Dccam
nimmt r>erfcr)iebene Strien an, Wie ber Vorgang in ber @uct;ariftie an fiel; gebaut merben
Iönne. SDie erfte fei bie einfache ®oerjftenz beS SetbeS ßfyrifti unb ber unberänberten
Srotfubftanz, in ber er feine ©ctjmierigf eit finbet, Weil eS fein ÜÜBiberfbrucf) fei anzunehmen,
30 baß eine ©ubftanz einer anberen in bemfelben Flaume foerjftiere. ©in mefentUctjer 33or=
jug biefer 2lnfict;t fei, baß fie bie Umgebung ber grage ermögliche, ob ein 2IcctbenS olme
©ubjeft für fiel; befielen fönne. 9cur barüber fönne man zweifelhaft fein, ob biefe &o=
erjftenz buref; Bereinigung, bejm. burcb, Slffumtion Vermittelt unb fomit bie eine ÜJcatur
al§ baS bie anbere tragenbe ©ubbofitum ober ©ubjeft »orgeftetlt Werben fönne, bod; t)ält
35 er aud; bieS für möglict; (in lib. IV, qu. 6, Lit. D). $n ber ©cfmft fei nur auSbrücf=
lief; überliefert, baß ber Seib Sbjifti unter ber ©bezieS beS S3rotel ben ©laubigen ge=
reicht toerbe, aber baß bie ©ubftanj be§ Sroteö in bie ©ubftanz bei 2eibe§ umgetoanbelt
merbe, fei nict)t in ber ©djrift augbrücflicf; gelehrt, fonbern man glaube, baß bieg ben
^eiligen Tätern bon ©Ott offenbart morben fei ober ben firc£)Iicl;en Slutoritäten nao; ge=
40 miffenf)after ©rforfctmng ber ©ebrift fief; emtofof;Ien f;abe (de sacr. altar. c. 3). ©ennoeb,
l;at bie ^rangfubftantiation für'ib^n eine größere „^robabilität", toeil bie 2lEmacf;t ©otte§
in tE>r fcl;ranfenIofer erfeljeine, al§ in ber 2lnnal;me ber bloßen üonfubftantiation. 2lucl;
©abriel Siel finbet bie SBafyrbeit ber formalen SBorte: hoc est corpus meum buref; bie
leitete 2lnnal;me ebenfo gefiebert, als buref; bie ^ranSfubftantiation ; für biefe fbridjt
45 it)m nur bie Determination ber Hircf;e unb ber 2lutorität ber SSäter ; benn in bem unter
^nnocenz III. Don bem bierten Sateranfonzile erlaffenen ©fymbolum fei bie 2öal;rl;eit
einiger ©laubenSartifel toeit genauer enttoicfelt, all in bem nicänifcf;en unb att;anafianifcr;en
©^mbolum; toaS bal;er bort als ©laubenSobjeft befiniert fei, muffe als zur ©ubftanz
bes ©laubeng gehörig um fo mel;r nact; jener feierlichen Decifion feftgebalten Werben,
so ba in U)r berfelbe ©eift fiel; ausgebrochen l;abe, ber in ber ©cl;rift rebe (Expos, can.
miss. lect. 41 J.).
3Son befonberer 2Bicb,tigfeit muß un§ ber larbinal oon Sambrai, ^Seter b'Slitti,
fem, toeil 2utl>er felbft in bem Südjlein über bie babblonifcfye ©efangenfeb^aft befennt, baß
btefer ibn guerft auf ben ©ebanfen gebraut l;abe, bie üonfubftantiation l;abe eine größere
55 2Bal)rfct)einlicf;feit für fief; als bie SranSfubftantiation, unb toeil 9JMancl>tt;on berficf;ert,
baß £utl;er feine 2lusf:prücf>e au§ bem ©ebäct;tniffe rezitieren fonnte. $eter b'2liai ftel;t
auf bem Soben DccamS, er meint (Quaest. sup. libr. sentent. lib. IV, qu. 6, E.), bie
2lnnaf)me, baß bie ©ubftanz oe^ SroteS nacl; ber tonfefration bleibe unb nur in bem ©inne
in bie ©ubftanz btä SeibeS 6f)rifti übergebe, baß too jene fei, aueb, biefe gugletrfj zu fein
so anfange, fei buref/aus möglieb,, toeil bie Jberjftenz ztoeier ©ubftan§en ebenfo benfbar fei
SranSfubfianttatioit 73
als bte ^ocjriftcnj jtocicr Qualitäten; aud; fei eS nid;t fd;toicriger anjunef)inen, bafe jtcei
förderliche ©ubftan^en in bemfelben dlaum foeriftierten, als bie 2tnnal)me einer folgen
Äoerjftenj bon einer ©ubftanjj unb einer Quantität (Qualität?), ©elbft ber Btoeifel,
bafj ber Seib ßfmfti ber Skotfubftanj burd) Union foeriftiere, fei nicf;t unlösbar, benn
toenn, tote manche behaupteten, eine Kreatur bon einer anberen fuftentiert toerben fönne, 5
wogegen ftdj'm ber %fyat fein ebibenter ©runb anführen laffe, fo fei eS aud; möglief;,
baf? ber Seib ßfyrifti bie ©ubftanj beS SroteS per unionem affumiere. ©omit ftreite
biefe Sfuffaffung toeber mit ber Vernunft nod; mit ber ©cfjrift; fie fei im ©egenteil ber=
ftänblicf/er unb Vernünftiger, als jebe anbere, toeil fie nict)t bie 2lccibentien oI)ne ©ubjeft
fetje, fonbern umgefefyrt fei$e, bafj bie ©ubftanj beS 33roteS unb nicfyt bie ©ubftanj beS 10
SeibeS bie fid;tbaren 2tcctbentien trage (deferat). @S läge barum feine ^nfonbenienj
in il)r, toenn fie nur mit ber Determination ber $ird;e fidf) bereinigen liefje. ©er toefent=
lidie gortfcfjritt beS 5ßeter Don 2lilli überDccam befielt nid)t blofj in ber größeren ®lar=
beit feiner dnttoidelung, fonbern namentlich aud) barin, baft ir)m baS entfdjeibenbe 2fterf=
mal für bie 2SaI)rI)eit ber ©acf;e nief/t meljr ibje SBunberbarfeit, toir möchten fagen if)re 15
2lbfurbttät, fonbern tl)re 3Sernünftigfeit unb t^re fdjriftmäfjige Segrünbung ift. 2öie
bünn toar bod; ber gaben getoorben, toelcfyer ber ^ranSfubftantiationSlefyre nod) tt)ren
§alt in bem Setoufjtfein ber geit gab : fie toirb als bie abfurbere unb burd; bie ©d;rift
in feiner Sßeife begünftigtere Söfung beS Problems betrachtet. 9cur bie 2Iutorität ber
$ircf;e fonnte fie gegen bie ber SBiffenfdjaft nod) fd)ü|en. Unb biefe I)at fie freilief; ge= 20
fctmijt. ©aS SEribentinum (sess. XIII, cap. 4; f. ©enjinger, Enchiridion 3, 3Rr. 758)
ftetlt feft, baf$ bie $ird)e ben Vorgang im ©aframent „convenienter et proprie" als
transsubstantiatio be^eicf;net. ©. aud} ^ßiuS' VI. Äonftitution „Auctorem fidei",
1794, -Jk 29 (©enjinger, 9<Jr. 1392). kein römifcfjer Geolog toirb eS toagen, fie
ferner ju frittfieren. 25
III. ©ie feraftifd)en Äonfequenjen ber ©ogmattfterung. 1. ^Rac^bem
ber ©ebanfe ber Söanbelung in ber ftoejififcf; tounberbaren gorm, bie baS ©ogma bon
1215 fixiert I)at, einmal begonnen blatte, baS33o!f unb bie Geologen gleid) fel)r geiftig ju
beschäftigen, fcfyien eS immer flarer ju toerben, baf$ bie @ud)ariftie ein ©aframent fei, baS
bod) eine ganj anbere 2trt f)abe, als jebeS fonft. ©alten alle übrigen nur in tl)rer 30
„2IuSfbenbung", fo fein; bafj in toacr)fenber 23eftimmtt)eit (f. b. 2t. „©aframent" 33b XVII
S. 368, 4—47, baju bie 21. über bie einzelnen ©aframente) il)re „gorm" in nichts an=
beren als ben SBorten il)rer 2lbblifatton burd) ben $riefter (nur baS ©aframent ber @t;e
batte I)ier aud; eine 33efonberb,eit) ftatuiert tourbe, fo berl)ält eS fief; mit ber (Sudjariftie
umgefel)rt. §ier tritt fcf;on bei ber „^onfefration" bie faframentlid;e |>anblung ein, ja bie 35
lonfefration als fold)e ift biefe §anblung; if;r toefentlid;er 3^ed ift nicf;t ber ©enufj,
ber ettoaS rein 2lccibentielleS bleibt, fonbern bie SlranSfubftantiation beS ©toffeS, bie
§ercorbringung ber ©egentoart 6l;rifti unb feines SeibeS. Stomas jprtct)t bieS ganj un=
umtounben auS in ben SBorten: Sacramentum eucharistiae perficitur in ipsa con-
secratione materiae, alia vero sacramenta perficiuntur in applicatione materiae 40
ad hominem sanetificandum (qu. 73, art. 1, ad 3 m.). @r fagt fogar: usus materiae
consecratae non est de necessitate hujus sacramenti, — tarnen ad quandam
perfectionem sacramenti pertinet (qu. 88, ärt. 1, ad 2 m.). 9?ur in Sejiefyung
auf biefe quaedam perfectio ijaht Sl;riftuS bie Söorte: effet! trinfet! gebraucht. %xv%-
bem toirb als ber Qtotä beS ©aframenteS bie geiftlicfje ©rnäfjrung (spirituale alimen- 45
tum) Begetcfcnet, toelcf;e bod; of;ne ben usus nicr)t benfbar ift (qu. 73, art. 1, Resp.).
(i'S ift nur eine ^onfequenj biefer 2luffaffung, toenn baS 'Iribentinum bie proteftanttfebe
2lnfcf;auung, bafe 6f)riftu§ im ©aframente nur in usu fidelium gegenwärtig fei,, mit bem
2lnatf>ema belegt bat.
Segt aber bie römifd;e Äir<J;e ben toefentlid;en 3SolIjug ber faframentlidjen §anb= so
lung fd;on in bte J^onfefration, fo ift e§ flar, ba| ber eigentliche 3toed berfelben in
ettoaS grünerem gefud;t toerben ttiuf!, als in bem eucBartfttfcfeert ©enu^; biefeS ift baS
Opfer, baS ^un beS ^riefterS, niefet ber ©emeinbe, toeld;eS man in ben äöorten: bieS
tfmt p meinem ©ebäd)tniS! geboten glaubte. Seijtere golge trat ja nid)t fofort f;erbor.
©ie ;£ranSfubftantiationSlet;re toar anfangs, toie man bieS Don $afd)afiuS labbert bis 55
auf .vjmgo bon ©t. 3Sictor unb Stöbert ^Julletm berfolgen fann, barauf angelegt, bie
©laubigen ber realen ©egentoart beS SeibeS @l;rifti im ©aframent für ben eud)arifttfd)en
©enufj ^u berfidevn; allein inbem man bie ^erfeftion beS ©aframenteS in bie S\on=
fefration legte, fafy man fiel; ^u einem anberen ©ebanfen unaufbaltfam fortgebrängt:
man tourbe unbermetblid; baf;ingctricben, aus ber Realität biefer ©egentoart auf bie &>
74 SranSfutiftoniiation
reale ^bcntität be3 SDZefeo^ferg mit bem üreu^obfer ju fdjliefeen. 9iocf; ©uitmunb ift
babon Weit entfernt. 23erengar§ ©inWurf, bafj ber bilblicf;e 6t;arafter roefentltd^ jum
©aframente gebore unb bafj bie Realität ber SSerWanbfung btefen jerftöre, bereitet ifym
ficf;tlid; Verlegenheit; er Weift ba^er bem ©aframente bie Realität unb bem Dtofer bie
6 ©^mbolif ju unb fagt : bie geier ift nicf;t bie ^ßaffion be§ §errn felbft, fonbern bie figm=
ftfattbe Verfünbigung feiner beibrachten ^ßaffton (Dominicae passionis jam peractae
significativa commemoratio). ©ie ift, Wie äluguftin fagt, ein Vilb (figura), ba§ un§
gebietet an feiner $affion (in ©ebanfen) teil ju nehmen unb un§ b,eilfam ju erinnern,
bajj fein gleifct) für un<§ gefreu^igt unb berWunbet ift (lib. II, 1455—1458). SDiefe
10 SÜufcerungen r)aben nur bann einen ©inn, Wenn bie Sluffaffung be<§ Dbfer3 ju feiner
3eit übertäubt nocb, eine bilblidje War. ©elbft £t;oma3 ftetit ba3 Verhältnis be§ 3JJefs=
obfer<8 jum ^reu^obfer unter ben ©eficf;t§bunft bon Vilb unb ©acf;e; aber er nimmt
bereits eine entfdinebene Söenbung nacb, ber anberen ©eite, benn nicfyt blofj legt er ber
bilblicfyen 9kcf;feier bie realen Söirfungen ber urfbrünglidjen Verfö^nungSt^at bei, fonbern
15 er beantwortet aucb, bie grage, Warum in ber @ucb,ariftie ber Wal)re Seib ßfyrifii fei, bor
alten anberen ©rünben mit bem, bamit ba§ bon ßfyrifto geftiftete Dbfer bes neuen ©e=
fe£e§ etWag bor ben frauenhaften Dbfern be3 alten borau§ fye&z, bamit e3 Sfyriftum,
ber für un§ gelitten b]at, nicfyt blofs ber Vebeutung unb bem Silbe nacf/, fonbern auef;
in realer 3öirflicf;tot (in rei veritate) enthalte, unb weil biefe§ ©aframent realiter
20 6f;riftum enthält, barum liegt in if>m bie Vollenbung (perfectivum est) aller anberen
©alramente, in benen nur bie föraft 6f)rifti mitgeteilt Wirb (qu. 75, art. 1, Resp.). ©o
mufete benn notWenbig bie @ucf;ariftie jur realen 2Bieberf)oIung bes> Dbfer§ (5f;rifti Werben
(bgl. b. 31. „3Mfe" »b XII ©. 688 ff.).
2. $ft @r/riftu3 bereits ante usum im ©aframente gegenwärtig, Weil ba§ ©afra=
25 ment fcf;on ante usum burcf; bie Äonfelration in ber 2ran§fubftantiation feine 33otf=
enbung f;at, ift er barm fraft ber ^onlomitanj nidjt blofe nacb, feinem Selbe, fonbern
auef; nacf; feiner ©eele, nicfyt b!of3 nacf) feiner ganzen SDtenfct)^ eit, fonbern auef; nacf; feiner
mit ber 3JZertfc6&ett unauflöslich berbunbenen ©ottfyeit gegenwärtig, fo gebührt if;m auef;,
Wie er in ber §oftie ift, Anbetung; ja, %b,oma§ f>ebt ausftrücfücf; fyerbor, baf3 fctjon
30 aus> bem ©runbe bie ©ubftanj be§ 23rote3 nict)t in bem ©alramente bleiben bürfe, ba=
mit nichts ©efcr)affene§ nacf; ber Äonfefration mefjr ba fei, tva§ bie Anbetung f;inbere
(qu. 75, art. 2).
©ie Slboration bat ju tbrer 23orau3fet$ung bie 9teferbation ber £)oftie. 3Jcan
bat biel barüber geftritten, ob biefe ba3 3eugni3 be§ Jircbltcben Altertum^ für fief) f;abe.
35 ©eWifj ift e£, ba| in ber alten ilirct/e rttcbt blofe ben $ranfen bie geweiften Elemente
burd) bie ®ia!onen in baö §au§ gebracht Würben, fonbern aucl; ba| manage fiel; bon
bem lonfelrterten Srote etWag mitnahmen, um entWeber für fiel) bamit ju lommuni^ieren
ober auä) es> ju abergläubifcfjen ßtoeefen ju berWenben (bgl. iertullian, de orat. 14; ad
ux. II, 5 ; Slugufiin, Opus imperf. III, § 164). ©o bürfen Wir un§ benn aueb, nia)t
40 Wunbern, baf^ 6^)brian bereit? ein 93e6ältniö — er nennt e£ arca — erwähnt, Worin
eine grau ba3 Heiligtum be§ §errn aufbewahrt batte (de lapsis cap. 26). @§ ift ferner
belannt, ba^ man ben ^önitenten, Wenn fie bon blö^licljer £obe3gefabr überrafd;t Würben,
baö geweifte 33rot als viaticum reichte, unb für folebe gälte muffte man Wob,l immer
eine Quantität be^felben in ben ^iro)en bereit galten unb folglidj aueb, Woft,l einen Drt
45 b,aben, Wo e§ ficfyer bewahrt Werben fonnte. ®enn bie alte Strebe betrachtete folcfje
$ribat!ommunionen lebiglia) all einen bureb, Drt unb $eit bon ber ©emeinbefornmunion
nur sufällig abgelöften, ber %bw nacf; aber it;r integrierenben 2lft. ®arum Würbe benn
auef; bie Honfefration triebt in ben Käufern bofl^ogen, fonbern nur bal in ber ^irebe
fonfefrierte Vrot jur §au§fommunion gebraucht. Qin 6. ^abjfmrtbert bezeichnete man biefe
so §oftiengefäf$e mit bem tarnen turris (©regor bon ^ourl, de glor. mart. 1, 86). ®§
ift baf)er auef; gang unberfänglicf;, Wenn fief; bei bem SBormfer Surcfjarb bie SSerorbnung
finbet, jeber Vre§bt;ter folle eine SBücbfe ober ein ©efäf? fief; galten, um bie in ba<§ Vlut
6b,rifti getauchte unb für bie Hommunion ber ©terbenben beftimmte Dbfation, bor
Käufen unb febteebten 50cenfcf;en gefebü^t, in berftänbiger Steife aufjubeWafiren (magnum
55 decretorum volumen 1. V, cap. 9), benn biefe Aufbewahrung gefebab nur jum ^Wecfe
beg ©enuffeg bon feiten ber Ibmmumfanten. Slber infolge ber Sranäfubfiantiation^
leb,re entftanb bie $rarj§, bie fonfelrierten §oftien ju einem ganj anberen ^Wecf ju
referbieren, nämlicb, um fie ber ©emeinbe jur 2lboration augjufteKen, unb baju Würbe
nun ein eigene^ ©efäfe auSgefonnen, nämlicf; bie SRonftrans (bgl. b. 21. „gjtonftranj"
eo 35b XIII ©. 414). £>a§ rbmifcf)e Rituale fe^t feft, bafc ftetl einige fonfefrierte Vartifeln
SrattSfubftonttatiojt 75
juni 93e^uf ber Äran!en= unb ber toon bem 9Jiefeobfer abgelöften Kommunion anberer
©laubiger in einer gut berfcfyloffenen Sücfyfe in bem Sabernafulum entWeber auf bem
^odjaltar ober auf einem anberen 2lltar aufbewahrt »erben fotlen, Welcher für bie Ser=
efyrung unb ben itult eines fo b,oI)ert ©aframente§ geeignet unb Würbig Wäre.
Tie Slboration Würbe guerft bon bem toäbftlicfyen Segaten Harbinal ©utbo ju $öln b
1203 bei ber ©lebation ber §oftie in ber 2Jleffe, bie baburd) eine beränberte Sebeutung
erhielt, unb für ben galt, bafe bie £oftie über bie ©trafee ut ben ®ranfen getragen wirb,
angeorbnet; 1217 mürbe bie ©lebation ber 3Konftranj tirctjengefellict). Salb naef^er
cntftanb in ber $ircfye ba3, üoIIenb§ feit bem ftribentium befonberS fyodjgefmltene, glanj=
boHe geft jur Serefyrung ber £>oftie unb ^ur Serf;errlicfwng bes £rangfubftantiation3= 10
tounberä, ba§ „gronleicf) namifeft" (f. b. 31. Sb VI ©.298). Sie ©cfiolaftifer
fyaben ben Segriff ber adoratio näl)er beftimmt. @r ^erfaßt in bie species ber Sulia,
.wberbulia unb Satria. Sie Satria gebührt ©ott allein unb 6I)riftu§, fofern er ©ott
unb iUenfi) ift; bie §ijberbulia ber SRaria, bie Sulta nid)t blofe ben ©ngeln, ben §ei=
(igen, beren Silbern unb Reliquien, fonbern in einem anberen ©inne auef; ben ^ßäbften 15
unb Königen. 3^ac^ ©abriet Siel fyat im engeren ©inn allerbingS nur bie ©oitI)eit be3
SoIjmeS, im Weiteren auef? bie mit ber ©ottfyeit geeinigte SJlenfcfyfyeit ßtjriftt Slnfbruct; auf
i'atria, alfo auf Anbetung; ba er bie faframentaten Slccibentien, unter benen 6l)riftuS
im ©aframente gegenwärtig ift, unter benfelben ©efid)t3bunft, Wie bie ÜJJenfcb.^eit Sfyriftt
ftetlt, fo Wirb er biefelben babon nt<f>t auggefcfyloffen gebaut fyaben; fein 9tefuttat fbricf)t 20
er au§ in ben Sßorten: Debet igitur in sacramento totus Christus adorari latria
proprie dieta (Expos, can. miss. lect. 50. Lit. L. bgl. G u. H). Sie Satria,
loeI(|e ßfyrifto im ©aframente jufommt, beftimmt er näl)er al<§ eine innere (magna
mentis devotio, quietum cor etc.) unb al§ äußere ((Sntblöfeung be§ £>aubte§, $nie=
beugung, ^änbefaltung, ©plagen ber Sruft, tiefer ©rnft ber SRienen Lit. L u. M). 25
Sa» £ribentinum War Weniger ffrubulös>, ab§ Siel; es> fteHt e§ al§ jWeifello^ t)in, bafe
alle ©laubige berbflictitet feien, narf) bem in ber ^ircfye ftetS übliefj geWefenen ©ebraucfye
biefem b,eiligften ©aframente ben $ult ber Satrie, Welker bem Wahren ©otte gebühre,
§u erWeifen (latriae eultum, qui vero Deo debetur, huic sanetissimo sacramento
in veneratione exhibeant), unbefcfyabet beffen, bafe es1 ßt)riftu§ jum ©enuffe (ut su- 30
matur) eingefetjt I)abe (Sess. XIII, de eucharistiä c. 5).
3. ©ine Weitere ^onfequeng be§ Xran^fubftantiation§bogma§ ift bie Steigerung ber
Sfrubulofität, Womit bie Überrefte ber Kommunion befyanbelt Werben. Sie Stngftli<|feit
in biefer Segiefmng reicht freilieb, bi§ in eine frül)e ßeit hinauf, ©cfjon SEertuttian
bezeugt, bafe bie (Stiften beintid) barauf arteten, bafe nichts bon bem fonfefrierten Srote 35
jur @rbe falle (de cor. milit. c. 3) ; ba§ blatte geWife nid)t blofe in liturgifcb^em 2tn=
ftanb§gefüf)l feinen ©runb. Slllerbingg fnelt man e§ ortlid; berfcf)ieben. 3n Ä'onftan=
tinopel überliefe man ben fTeinen ©c^ullnaben bie unbenu^ten ^ßartüeln be§ geweiften
Sroteö jum ©ffen (Evagr. Hist. eccl. 1. IV, c. 35), toa% noeb, gu TOce^^oruS 6aUiftu§
(Hist. 1. XVII, c. 25) 3«* üblich War ; ein äl)nlicf)er ©ebraueb. Wirb für ©atlien bur^ 40
bie ©imobe bon SD^äcon im ^al)re 585 (can. 6) bezeugt, erhielt aber t)ier bie gorm einer
ßinberfommunion. 3Son anberen Drten Wirb bagegen bie ©itte bezeugt, toa§ bon bem
lonfelrierten Srote rtict)t toerWenbet Werben War, ju Verbrennen, Weil man ba§ geuer für
ein reinem ©lement b^ielt. Sa§ rbmifetje 5Riffale giebt in bem Kapitel de defectibus in
celebratione missarum oecurrentibus 3Rr. 10 eine 9tetl)e bon 3Sorfct)rtften für ben 45
gall, bafe ein "^robfen au§ bem lonfelrierten ^eld)e falle; fällt berfelbe auf §olj ober
Stein, fo foll ib^n ber ^riefter auflegen unb bie bene^te ©teile rabiert ober abgeWafcfyen
toerben; fällt er auf bie Slltarbecfe ober ba§ SlJefegeWanb, fo ftnb btefe forgfältig au§ju=
iuafdjen. Sie augrabierten ©blitter follen, Wie ba§ Söaffer, Womit man bie bene|te
Stelle Wufcfy, im ©afrarium aufgehoben Werben, big fie auf natürlichem Söege »er= so
berben. Ser galt ift and) oorgefetfen unb beftimmt geregelt, bafj ber ^3riefter „evomat
eucharistiam", (©tei^ nennt bie SBorfct)riften hierüber bie „Wibrigften", iä) meine, mit
Unrecbt).
Safe ba§ ©aframent be§ Slltare nur bon bem Sßriefter berWaltet Werben fönne, ift
eine alte 'DJJarime, bie feit Gfybrian unerfd;ütterlic& feftgeb^alten Würbe. 2luct) ba§ Wütd-- bb
alter ift über biefe au§fcbjiefelicf)e Sered)tigung be£ ^5riefterg einberftanben. 3^m fommt
barum bie i^onfetration allein ju. ©dion bie alte ^ird;e b^at bafür ben 2lu§brucf corpus
Domini conficere gebraucht, ber mit consecrare ibentifcf) ift unb fetbft bon ©tombo=
Ufern unberfänglid) in bem ©inne gebraucht Werben fonnte, bafe bie (Elemente bureb bie
2öet^e eine Sebeutung unb eine Signität für ben ©lauben embfangen, bie fie borf;er &>
76 SranSfuBflotitiotion
nicfyt Ratten. %?fy erhielt bie gormel einen ganj anberen 3nfyfllt; f*e i>^ät bie ganj
fbeztfifcfie 23eränberung aus, Welche nadji ber %ranSfubftantiatton3let)re ber $riefter
mit bem fonfefrierenben 9Jtad)tWorte unb beffen göttlicher Äraft an ber ^ßerfon (Efyrifti
boUjie^t: er trangfufeftangüert ba§ Srot in ben Seib (Efyrifti, er macfyt im eigentlichen
5 ©inne ben Seib be§ §errn, er iauftert bie ©egenWart, in welcher ber ©ottmenfd) im
SJtyfterium feiner ©emeinbe gegenwärtig ift, fid) täglich für fie opfert, bon il>r angebetet
Wirb unb iljren ©ebeten auf bem ©runbe feinet DbferS bie SSofylgefätligMt unb (Er=
Körung fiebert, unb bon ben ©laubigen leiblich mit bem SDtunbe empfangen Wirb, bamit
aud) ifyre ©eelen mit feiner unfidjtbaren ©nabe, ber (Einheit be§ .gaubteS unb ber ©lieber,
10 gereift unb genährt werben. SDtefe $raft, ba3 Srot in ben Seib (Efyrifti ju bertoanbeln,
berbunben mit ber anberen, bie ©ünbe ju bergeben unb ju behalten, bilbet barum ben
fubftantieEen gnfjalt be3 ©ebanfen§ beS ©acerbotiumS unb wirb in ber bifcfybflicfyen
Drbination bem Drbinanben feierlich übertragen, ja al§ ein feiner Werfen unau3löfd)Iid)
anb^aftenber (EIwrafter eingebrägt. ©o mufjte baS SlranSfubftaniiationSbogma Wefentlic|
15 baju beitragen, ben Unterfcbleb zWifcfyen ^rtefter unb Saien ju fcfyärfen unb ben ^riefter
tro£ aller il)m anflebenben menfcblidjien ©cfyWäctje unb aller gugeftanbenen UnbolIIommen=
fyett als ein SRittelWefen gWifcfyen ©ott unb ben SRenfdjen emborjufyeben unb mit einem
©lanje p umgeben, bor Welchem ber Saie geblenbet fein Sluge nieberfdjilägt.
4. 5Zad» ber Sel)re bon ber realen Äonlomitanj ift im Slbenbmafyle ber Seib ntd^t
20 oljme baS SBIut unb baS 33lut nicfyt olme ben Seib, benn beibe finb im 2lbenbmaI)Ie fo,
Wie fie im §immel finb, mcf)t getrennt, fonbern ju organifd;em Seben berbunben. ©iefe
Seigre b^at geholfen, bie ©itte ju rechtfertigen, ba| bie Saien fid) bon bem $eld)e bielfaa)
auSfd^Ioffen. Über bie (Entwicklung biefer ©itte, bie ja fcbliefjltcfy ju einer fird)en=
rechtlichen SSerfagung beS 5?eld^e§ für bie Saien geführt I?at, f. b. 31. „SEReffe, liturgifefy"
25 9?r. VI (33b XII ©. 721—722, bon SDretoS). ®ie $ur$t, etwas bon bem ^ntyalte beS
McfyeS ju berfd)ütten, I)at fdjon früfye manche ^ommunifanten beranlafjt, ftd) beSfelben
ganj ju enthalten. 9Rtc^ t blofc Mrdjienleljrer, fonbern auefy römifdje Sifcfyöfe, Wie©elafiu3I.
(Gratiani Decr., de consecr. dist. II, c. 12, auefy MSL LIX, 141 0), eiferten gegen
biefe (Enthaltung. Man fucfyte bafier auf anberem Söege, Wie burd; ben ©ebraua) ber
30 fistula eucharistica ber gefürdjteten ©efafyr borgubeugen. ©eitbem eS aber Slnfelm
bon (Eanterburb. juerft auSgefbrocfyen, bafj ber eudmriftifcfye Seib nicfyt olme ba§ SBIut fei,
blatte bie früher berbotene ©itte eine neue bogmatifc^e ©runblage erhalten. ©d)on
Söilb^elm bon Sb^ambeauj, ein jüngerer ,3eÜ0mDffe Slnfelmö, erllärt bie 33el)aubtung,
bafe bie Kommunion unter beiben ©eftalten notWenbig fei, für §ärefie. 2>er gleichzeitige
35 Slbt $RuboIf bon ©t. SLronb im Sütticfyfcfyen embfieb^lt bie (Entziehung be§ Saienfelrf)^ afe
geeignete 33or!ef>rung in folgen gälten, Wo entWeber bie ©efabj beö SSerfd^üttertS nab^e
liege ober ju beforgen fei, bafe ber (Einfältige bie ©egenWart (Eb^rifti unter beiben ©e=
ftalten bezweifle. Robert ^5ullet)n Will bie (Entfct)eibung, ob in bem einzelnen gaße ben
Saien ber $eld) entzogen Werben foHe, bem freien Urteile ber $irct)e anb^eimgefteüt Wiffen,
40 bie berechtigt fei, bei großem ©ebränge unb bei ben Äranfen!ommunionen ben eudjarifti=
fernen ©enufe auf eine ©eftalt ju befc^ränfen (Sent. lib. VIII, c. 3). SEro^bem reben
nod) im 12. ^ab^rb^unbert faft fämtltdje Äircl)enleb,rer, Wie SBernb^arb, £)ugo, ^3eter ber
Sombarbe, ^eter bon 33Ioi3, bon bem ©enuffe unter beiben ©eftalten, al§ ber eigentlich
ju „$Recb^t" befteb^enben gorm. ^Daneben berlangt Stlejanber bon §ale§, bafj e§ bem
45 Saien frei ftel)e, nur ba§ fonfefoierte 23rot %u nehmen, „sicut fere ubique fit a laicis
in ecclesia", Summ. Th. p. IV. qu. 53. membr. 1. 3)ie ©tmobert bon SDurb^am
(1229) unb (Erder (1287) fe|en in if>ren 23efct)lüffen ben Saien!elc| noeb^ borauä. ©a=
gegen befeb^ränft ba§ ©eneral!abitel ber (Eiftercienfer 1261 ben Äelcb^ auf bie $riefter=
lommunion unb ba<§ ^ongil ju Sambetb; 1281 orbnet bereits für bie Saienlommunion
so ben ©büüeld) an. greilict) mufjte barau§ ber Geologie eine ©djwierigteit erWad)fen ;
benn Wenn mit bem Seibe (Efyrifü ba§ SSIut bereite genoffen Wirb, Woju blatte bann Sb^riftug
ben ^eld) eingefe|t? ©ottte biefer etwas rein SururierenbeS fein? dagegen mufete boeb^
ba§ fromme SeWu^tfein fid) fträuben. ällejanber bon §ale§ legte ber Kommunion unter
beiben ©eftalten eine größere 33oEIommenb^eit unb Söirlfamleit bei, al§ ber unter einer
55 ©eftalt (1. c). Sllbert ber ©rofee erllärte gleichfalls bie le|tere in 9iücffid;t auf bie geier
unb Straft für unbolllommen, Weil ba§ 93Iut in bem Seibe rtic&t Iraft be§ ©alramenteS,
fonbern nur Iraft ber natürlichen Bereinigung fei (ex unione naturali; bgl. de corp.
Christi et sacram. altaris). ^omaS, ber bie 3SorfteHung be§ Sllbert bon ber unio
naturalis jur Seb^re bon ber ^onlomitanj ausbilbet, b^ält jWar ben ^eld) im Slbenbmafyle
60 nic^t für Überfluß, Weil baburef) in bebeutungöboller ©bmbolif ba§ in ber Bergiefeung
SranSfitliftanttatton 77
bes 33lute<§ befteb)enbe Seiben Csfyrifti, ba§ SBebürfniö be<§ geiftlidjen ^ranfeei neben bem
ber geiftlid;en ©peife unb enblid; bic erlöfenbe $raft be§ SluteS ßb/riftt für bie ©eele
neben ber be§ £eibe§ 6b,rt(tt für ben menfcfyltcfyen Setb angebeutet Werbe (qu. 76, art. 2,
ad 2 m) ; aber er erachtet bod; nur für ben ^riefter ben ©enuft be<§ Äeld)e§ für abfolut
notWenbig, bie @ntgiel;ung beS Satenfetct)e§ aber au§ 3*üe^rnäfei9SeitäQritnbert für ftatt= 5
fiaft; ben (Einwurf ber ^m^erfeltion einer folgen Kommunion leimt er mit ber Steplif
ab, bafj bie $erfeftion biefe3 ©aframente§ eben nict/t in bem ©enuffe ber ©laubigen,
fonbern lebigltd; in ber priefterlicfyen ^onfefration befiele (qu. 80, art. 12 Resp. u.
ad 2 m). 3n äfmlid;er Söeife entfcfyeibei fid; ^Bonaventura (in Sent. lib. IV, dist. 11,
P. 2, Art. 1, qu. 2) bafür, bafj bie communio sub una ü)rer Sßirffamfeit nad; ber in
sub utraque ooHfornmen gleid; fei unb nur an 23oIlftänbigfeit ber ©r/mbolif fcinter t^r
jurüdftebe; biefer SRangel Werbe burd; bie Äommunion be3 $riefter§, ber bie Slirdje
repräfentiere, tootlftänbig gebedt. ©ett biefer geit erklärten fid) Domtnifaner unb grangi§=
faner für ba§ ßeffteren be§ Saienfeld;e<ö. Da3 Äongil gu $onftang beftätigte bie ©nrgielmng
am 15. ^uni 1415. Die ^ribentiner ©rmobe billigte gleichfalls (Sess. XXI. Decret. 15
de commun. sub utraque specie c. 2 u. 3) biefen 5Befd)Iuf$ auf ©runb ber ber ®ird;e
juftebenben ©eWalt bie gur ©aframent3bi<§penfation notWenbigen SRafjregeln gu beftimmen,
unb Weil burd; bie communio sub una, in ber ber gange 6b,riftu<o gegenwärtig fei,
ber Saie feiner Wefentlicfyen ©naben= unb §eil§mirfung beraubt »erbe. SBenn bie 3Ser=
fammlung babei einräumt, bafe im Anfang ber ©enujj beiber ©pegie<§ „nicfyt ungewöf;n= 20
lid)" (non infrequens) geWefen fei, fo geigt biefe Slugfage beutlid), bafs man bod) ein
Sßetoufjtfem b/atte, einen Srud; mit bem fird)Iid)en Stltertum gu legalifieren. 3SgI.
übrigen^ bie 9Ronogra£f)ie toon $ul. ©menb, $elct;r>erfagung unb Md)ft>enbung im 2lbenb=
lanbe, 1898.
IV. Sie ^ranSfubftantiationgle^re bei ben ©rieben. Der griect)tfct)e 25
2lu§brud, ber bem lateinifd)en transsubstantiatio enifpricfyt, ift genau jusrovolcooig.
6r gilt ben heutigen ©rieben ebenfo fid;er als ber forrefte für ba§ „ortf;obor,e" 33er=
ftänbniS ber ©ucbariftie, Wie ben Sateinern ber irrige. Die älteren 2lu§brüde bei ben
©rieben Waren /ueraßoArj, [lEranoirjoig, gu Weilen aud) jueraQv§juiaig. Dajj biefe
(lat. transformatio, mutatio, conversio, transfiguratio) eine anbere ^bee int>ol= 30
öieren, ift längft erfannt. Der Übergang ber Geologen t>on einer br/ttamiftifd;en gur
cigentlid; realiftifcfyen Deutung ber burd) bie $onfefration begrünbeten 93e§iebung gWifcfyen
ben trbtfcBert (Elementen unb 6E;rtftu<§ ober t>ielmer/r feinem erf)öt)ten Serbe üoßgog fid;
mit §ilfe be3 Segrip ber jueiaßolri, fpegieH feit ©regor t>on 9tyffa an ber natürlichen
SSertoanblung be£ S3rote§ in „gletfd;" (burd) bie 3Serbauung) einen 23ergleid; (fo SoofS 35
33b I ©. 54) ober (rt>a§ mir immer nod; mit ©teu) ma^rfdjeinlid) ift) eine 9teal^aratlele
bafür aufgewiefen ^atte, roie ber 2ogo<§ ficb, gerabe be§ Srote§ gu bebienen toiffe. ®a§
jebenfaHä QofyanneS t»on 5Dama§fug eine eigentliche 9tealt>erh)anblung beö Srote§ unb
3Beineg angenommen Ijat unb ba^ burd; biefen „^ormalbogmatifer" biefe 3SorfteCung
©emeingut ber gried}ifd)en ^irdje getoorben, fteb,t für alle ©ogmenbifiorifer feft. 3lber 40
bie 2eb;re ber ©rieben ber älteren ^eit fe^t borau§, bafj bie „©ubfianj" beö SBrotel
bleibt unb „nur" ib,re „^orm" fiel; änbert (toiemofyl ib,r „2tuöfel)en" fid; erhält).
Sn ber Stran§fubftantiatiDn§lef)re b/anbelt eg fiel; barum, bafe ba§ 93rot burd; ben
Setb Gf;rtftt „erfe^t" toirb. Qn fteigenbem 5Ra|e würbe e§ ben Sateinern feit Serengar
flar, ba^ ber begriff bloß ber mutatio, conversio, transitio etc. irgenbmo ber= 45
fage für bie 2lnfd;auung, bie man auobrüden Wüßte, könnte man geigen, bafc bie
Seflejion auf ba$ „D^fer" in bem ©treite mit Serengar ben j)raftifd;en 2lccent im
Unterfcbiebe bon berjenigen auf bie „l;I. ©^eife" trage, fo Würbe man e§ leichter ber=
fteben, ba^ ber Slerminug transsubstantiatio fd)Iiefelid; Wie ber „eigentlid;" forrefte,
getoiffermafjen ber eingig „rettenbe" erfd;ien. Umgelegt ift beutlid;, bafe ber Sluobrud 60
Hezovaiü)oig bei ben ©rieben nie fo febarf al§ „Problem" empfunben Werben ift, Weil
bei if;nen bie ^ommunionibee bod; bie prattifd; oberfte bei ber $8egel)ung ber „Siturgie"
geblieben ift. @r ift bei ben ©riechen nie gum eigentlichen Differenggebanfen Wiber ben
ber fieiaßokij geworben. Süarum ben ©egnern be<§ Serengar ber ©ebanfe ber ,,^on =
iubftantiation" (meift) unerträglich febien, mufe nod) einmal genauer unterfucb,t Werben, -.5
alö bisher gefebeben ift. Den ©rieben ift biefer ©ebanfe überhaupt nie al§ ernftttebe
ibeorie nä^er getreten. ^b,nen lag baran, ba^ mit bem Srote etWaö borgeb,e, Woburd;
e§ b,eil§fräftig Werbe; ba| an bem Srote felbft, feiner vlrj, feiner ovoia etWaö »ergebe,
toar tbrert „9tealiften" ber nädjfte unb mel)r ober Weniger felbftr>erftänblid;e ©ebanfe ; ob
aber bie 2öanblung ficb, aU fxexaßoh) ober juerovalcoais t>ollgief)e, fonnte il;ncn relatib 60
78 SranSfubftantiatüm
gleicfcgiltig erfreuten, ©cbjen legerer begriff nocb. mebr ©arantie ju enthalten, als
erfterer, fo formten fte ibn immerhin öorgte^en. SBebeutfame Vertreter aucb nocf) beg
fbäteren ©riect)entum§ tyaben fic^> it)n m<$t angeeignet, »eil fie offenbar nicfyt einfallen,
bafj er ibnen beffere SDtenfte t&ue, ate ber ber juszaßoXi]. £>ocf; ift er mieberr/olt bon
5 ben fircb4icfyen 2tutoritäten ber Orteten fanftioniert roorben unb ift gtoeifeltog „offiziell"
9cur bafs er met)r äujjerlicb. als innerlich ben ©ebanfen bei 2tbenbmabl!§munber§ für fie
repräsentiert.
©3 ift nicfyt a%i beribunberlidj), baf? bie älteren ©rieben, bie fid&, für bie ^bee ber
/biETovolcoois (man trifft ben ©ebanfen aucb. mit bem Slusbrucf jusraaroixsicooig, eigent*
io lief; = transelementatio) erroärmten, meift behauptet baben, bafj if>re ®ir<be ben 93e=
griff unb 2lu§bmd: gefef/affen blatte, bafj bie Sateiner it)n mit Unrecht im Urfbrung für
fief; reklamierten. £)er ©tolj ber ©riechen ertrug e3 !aum, trgenbmo ben Sateinern bie
33orfyanb ju gewähren. 2Ba3 ^ugie in bem oben ©. 56, 13 notierten 2luffa| mit einigem
Strger beibringt, um bie ©rieben jur Söefcfyeibenr/eit ju mahnen, rnirb heutiges %aa,§ bei
15 miffenfcfyaftlidjen Scannern unter i|nen boeb, ©et)ßr finben.
©d)on ©tei£ fyat in bem ©. 56, n bezeichneten Slrtifel bie ältefte ©teile, mo bei
ben ©rieben bon ber juEzovoicooig bie 9tebe ift, nacfjgetoiefen. ©3 ift in bem Briefe bejro.
bem ©laubenSbefenntnig ber galt, ba§ Äaifer SJUcfyael ^MäoIogoS bem Raufte ©regor X.
1274 überfanbte: rbmifdjeS SDtftat liegt gum ©runbe. ©ine ©r/nobe ju ifonftantinobel,
20 1277, unter 3ol;anne§ 23effo§, rebetierte ba§ 93efenntni§ mit bem ©tief/Worte. ©3 fyanbelt
fieb, um ben bekannten erften (an fieb, bolitifcf; bebingten) Uttionlberfucb, nact) bem Briefe
unter SDticbael $ärulario§. Sie ©elel)rfamfeit ®enifle3 (©. 615) bat eine ©teile au§=
gegraben, mo fcfyon bunbert ^afyxt früher, ein ©rieef/e tfoax nief/t bon ber juszovolcooig,
aber fiEzaozoi%Eiiöoig rebet, nämlia) 9cifoIao3 bon 3ftetbone (f. ben 21. bon Sontoetfct),
25 33b XIV ©. 81) in bem jmeiten feiner 1865 bon ©emetrafopuIoS ebierten Xoyoi, um
1156, (©.51: äqzov xzX. fXEzaozoi%£iov fxevcov ivegyela zov navzovqyov tivev-
fxaiog elg zö navdyiov avzov aeö/xa etc.). 9Jifolao§ giebt bem 3lu§bru(fe feinen
©bejialnact)brucf, fonbern bermenbet it)n einfad) als fr/nonr/tn mit juszaßdXXsoß-ai, jue-
zcmoiEio'&cu etc., mie ©teilen bemeifen, bie ©enifle felbft an anberem Drte (©. 618)
30 beibringt.
©in roirflicfjeg Stetoufjtfein um ben ©onberinfyalt bei 23egrip ber SEran§fubftantia=
tion berrät 2ftanuel J?alefa§ (um 1360; er mar ein folcfjer 3Jerel)rer be§ %i)omaS, bafj
er felbft fcfiliefjltrf) ©ominifaner geworben fein foß). Slber er oberiert mit einer Über=
fe^ung bon substantia nid)t burc§ ovoia, fonbern vjioxeijuevov, unb fommt babureb,
35 anfcb,einenb nicb,t auf ben Terminus jusrovolwoig (ber alfo jebenfall§ nod) nicfjt irgenb=
mie geläufig getoorben mar).
©o bebeutfame Männer mie 5Rifolao3 £abafila§ (^eitgenoffe be§ MefaS; f. b. 21.
„3Keffe" Sb XII ©. 685, 53) unb ©f/tneon bon ^effalonid? (geft. um 1429, f. b. 21.
bon $b,. gjie^er, 93b XIX ©. 210; baneben auet) 21. „gjtyftagogifdje Geologie" bon mir,
40 33b XIII ©. 620, r,y) bebienen fiel) be§ 2tulbru(f§ nicf)t ; ifmen genügt burcb,aug justa-
ßoXiq etc. Daf3 ber 2lusbrud: /uETovoicootg boeb biö auf ©eorgiol ©cf;olarios> = ^atriareb,
©ennabioä bon ^onftantinobel, ben man bor ©tet| übertäubt für ben „©cfjbbfer" beSfelben
b,ielt, nicfjt blof? mit bem 93riefe bei 30licb,ael ^aläologol in ben „2lrct}iben be§23atifan§
fcfjlummerte" (©tei^), macb,t ^ugie glaubhaft. @r bürfte in ber SLbat auf bem Äongil
45 bon glorenj 1438 unb 39 eine 9Me geftoielt b,aben. ©oeb ift er bei 9Jtarfo§ ©ugenifol
nirgenb§ ju erlceifen. ^Roct) im 15. 3ab,rbunbert lieft man bei ^obannel ^ßlufiabenol in
feiner ©eftrift jur SSerteibigung bei ^onjil§ bon gloreng eine Erörterung, roonacb, e§
richtig fei, eine jusmßoX^ ef ovaiag sig ovoiav ju tebren. ©tei^ bebt ba§ felbft l)erbor,
mit Stecht jebotf) auet/, ba| ba§ ©ticb,roort all folct)ei§ bier nicb,t auftritt. Qeremial II. in
50 feinen Briefen an bie Tübinger (1576—81) bebient fieb, beweiben ebenfomenig, fo nabe
er ibm fact)licb, fommt. dagegen balb nacb^er bei 3Jlännern toie ©abriet ©eberoö (in
33cnebig), SKeletiog $iga§ (^atriareb, bon 2lle£anbria 1584—1603), 3Jkrgunio§, ^obanne§
^atl;anael (in ^onftantinopel), tritt er ^um Xeil mit 5Racbbrucf auf. ^3igag mar nia)t
Unionefreunb, fo ift e§ um fo bemerfenöwerter, bafs er in ber Sebje bon ber ©uebariftie
55 burcfyaug „latinifiert" ; er fennt unb bertritt auct> bie Seb,re bon ber 5!onfomitanj („f;
ETiaxoXov&rjoig").
SDie _SBirren, metcb,e ^ritloä Sufariä feit 1629 b,erborrief, b,aben ba^u gefübrt, baf?
ber Xerminul /xEtovatcooig eine feierliche firc^licf^e ©anftion fanb. Db man fagen barf,
baf? er bogmatifiert toorben, t)ängt babon ab, mie boeb, man bie 2tutorität ber ©t^noben,
60 bie bamalS 1638 in ^onftantinobel, 1642 in ^ctffo, 1672 inSerufalem, 1691 mieber in
SrattSfubftattttaltott £raW>tften 79
Äonftantinobel tagten, einfd)ä|t. Stuf btefen ©imoben (tljre SCttert finb am Beften ebtert
bon SRefoloraS, JEv/ußofaxi] rfjg öq&oö. avax. ExxXrjoiag, JiaQaQTrjjua, 1893, f. aud)
Fimmel, Monumenta 1850) Würbe in geWifjer 2Seife bie ganje Äircfyenlefyre rebibiert
unb neu fonftituiert, befonberS aber bte Set/re bon ben ©alramenten. 3Son il)nen finb
bie ©ofumente ausgegangen, bte bte ©riechen ib/re ßißXla av/ußoXixä ju nennen pflegen. 5
Sie 33efttmmungen biefer ©bnobe ftefyen bod) ntct/t gan$ auf ber bogmatifd)en §öt/e be§
einen, einjigen ovfxßokov, baS bie alte $ird)e gefdjaffen. (23gl. 3t. „©fymbole, ©r)tn=
boltf", 93b XIX ©. 199, 36—52). 2öer bon folgen Seftimmungen ber ©tmoben beS
17. ^a^r^unbert§ abtt>etd)t, bie nidjt mitgefd)ü|t finb burd) C, ba§ ©r/mbol fcr;led)tt)in,
Wirb fid) in Dielen gätten als rechtgläubig beraubten !önnen ; eS Wirb ftd) barum b, anbeln, 10
wie bie religiöfe SBolfSembftnbung bie etwa angetaftete gormel braltifd) fd)ät5t. @3 fteb/t,
Wie mir fcfyeint, beutlid) fo, bajj aud) b/eute nod) ber ©ebanfe ber jusrovolcooig abgelehnt
werben barf, Wenn nur ber ber jusmßoX^ b. t). bie büße unb unbebingte Realität
ber ©egenWart beS SeibeS unb 23lute§ ßbjrifti in ben lonfefrierten eucfyartftifcfyen (Elementen
feftgefyalten Wirb. $ein Btoeifel, bafy bie ©fynoben beS 17. ^afyrfyunbertS bie juezaßoX^ 15
unb juezanolijoig roiber ben „GalbiniSmuS" beS £ufari3 (f. über ifyn b. 2t. bon $ßr). 9Jter/er
in 33b XI) abfolut berteibigt Wiffen Wollten. Äein 3^^ aud), ba$ bie meiften ben
aerminuS juerovolcooig als ben beften äluSbrucf embfeljilen Wollten (bie bon 1691 fyat
iljn jebod) offenbar mit 2lbfid)t nictjt wieberb/olt, f. ©tei| a. a. D. ©. 698). 2tber ber
(entere SluSbrucf foll ben erfteren, alten StuSbrucf nid)t berbrängen unb bebeutet leinen 20
©inngegcnfa| gegen it)n; man barf ben SluSbrucf /usTovoiaioig berfte^en nad) 9JJaf}=
gäbe bon jueraßol^, man barf eS aud) umgeteb/rt machen — bie 33ifferenj fällt in baS
©ebiet ber ©belulation, triebt beS „©laubenS"
25ie Confessio orthodoxa beS 9J£ogila3 bietet in ib)rem jetzigen griedüfcfyen 9Bort=
laut, ben SMetioS ©fyrtgoS, toelc^er teineSWegS unionifttfd) gefinnt, aber ein befonberS 25
lebhafter 33erfed)ter ber jueTovoicooig war, fyergefteßt i)at, in I Qu. 107 ben letzteren
2luSbrucl, rote Wenn er ber felbftberftänblid)e für bie ©ad)e fei. ©er Urtejt ber Con-
fessio War, Wie man jefct Wetfj (f. bei uns ^uerft SoofS, 3)ie Urfbracfye ber C. O.,
3#©tß 1898, ©. 165ff.) latetnifc^; ©r,rigoS f)at ifm nid)t blofj überfe^t, fonbern „be=
arbeitet" : e§ fte^t baljin, ob 9JfogilaS unb bie ©^nobe bon $ieb 1640 jc^on bon „trans- 30
substantiatio" gefbrocb,en b,aben. £>ie einzelnen ätutoren unb ?3üd)er gu nennen, bie
in jener gett bie „jusrovaicooig" berfocb,ten b,aben, l)at leinen fttoeä. ©. ben Stuffaij
bon ^ugie (oben ©. 56, 13). ©in befonberS notabler 33erfed)ter beSfelben ift 2)ofi4eoS
bon ^erufalem (1641—1707). ©. über ib,n je|t fbejiell Xq. A. IlaTiaööjiovXog,
Aoal'&Eog, naxQi6.Qyr\g cIsqoooXv/ucov (guerft in Nea 2i<x>v, xojx. s '.), febarat 1907. 35
Qugte berWeift ©.76 noefe, auf eine ©^nobalerllärung, bie 1727 bon Äonftantinobel auS
erging unb bie (in unberlennbarer SSeife fid) beS Wortlauts ber £>ecifion bon Orient,
bejro. aueb, ber Professio fidei Trident. bebienenb) ben SCerminuS juejovoiayoig fogar
„borfc^reibt" ; bogmatifcb,e 53ebeutung t)at biefe (Srllärung jebod) in feiner Söeife er=
langt. (&. @. ©tei^ f) %■ Satten6ufcf|. *o
^rap^tftett. — . Sitteratur: I. Stograbfiien be§ ©ttfter§: Pierre le Nain de
TillemoDt, beutfrf) ?(ug§burg 1751; 9DJ. be ^arfolter, ^5art§ 1702, 2 vol.; SKaupeau, $artö
1702, 2 vol.; Stbefung, Se't^tg 1787; ©ödtngf, SSerltn 1820, 2 58b; b'^auotaej, $art§
1842; eijateaubriartb, $ari§ 1844; beutfet) Ulm 1844; l'abbe Dubois, Histoire de labbe de
Raacö et de sa Reforme composee avec ses ecrits, ses lettres, ses reglements, ^artä 45
1867, 2 vol.; 28. (scljmibt, KegenSburg 1897; berf., ftronffurter äeitgemäBe S3rofd)ürert,
»5 XIX, 12; g. SSüttgenbad), 9(ad)en 1897; m. S. ©errant, l'abbö de Eancö et Bossuet,
^art§ 1903.
II. ©e|'c^td)te be§ Orben§: $elt)ot, Histoire des ordres monastiques religieux et
militaires et des congregatious seculieres de l'un et de l'autre sexe qui ont 6t6 etablies 50
jusqu'ä present (1714), VI, 1 ff., $ari§ 1714—1719; Urfbrung unb <5cf,icffafe beä Orbenö
be la Srappe, SBien 1VJS; L. D. B., Histoire civile, religieuse et littgraire de l'abbaye d.
1- T. et des autres monasteres de la meine observance, <ßari§ 1824; ©aiffarbtn, Les Trappistes
ou l'ordre de Citeaux au XIX. siecle, $art§ 1844, 2 vol.; SRitfert, ®er Drben ber %.,
Sarmftabt 1833; Station, Notice sur les monasteres de l'ordre d. 1. T., $ariö 1855; ®er 55
Jrabbift, SBien 1863; La Trappe, Rome 1864; beutfdj ^aberbovn 1865; gr. ^fartnenfdjmtbt,
Süuftrterte ©efd)icf)te ber St., $aber6orn 1874; La Trappe, origine, esprit, Organisation ac-
tuelle, par um Trappiste de Sept-Fons, «J5ciri§ 1870; 5ß. 2Rarte Strüpt)ime in Analccta I,
Pont. XXVI, 897 ss.; ft'. «Ruff, Sie Strappiftenabtet Öteberg unb ber reformierte Stfter--
cienferorben, ^reiburg 1898; eine Apologie be§ DrbeitS in bljgienifcber Se^ieljung bietet ©>
Dr. ©udjier, Ser Drben ber St. unb bie begetarifd)e Seben^loeife, 2. ?luff. aKündjett 1906;
80 SrnWtfien
£emt6ud)er, ®te Ovben unb Kongregationen ber fat^olifcften Strdje, 2. Slufl. ^abevborn 1907;
Slrt. „Srappiften" in SBelter unb 3GSe$e, tird)enie,nfon XI, 1996 ff.
III. 3ur Orbenäregel: Constitutions de l'abbaye d. I. T., $cm§ 1671; Reglements
genöraux de l'abbaye d. LT., <JSctri§ 1701, 2 vol.; ^Reglement Don I. £., beutfdj üon $• ®om
5 SBonaüentura, ©rag 1887.
£rabbiften ober reformierte (Siftercienfer (f. b. 21. Siftercienfer 23b IV ©. 126, 4 ff.)
fyeifjen bie ©lieber eines in ber römifd)ert Eirene beftel)enben DrbenS, Weld)er, aus einer
Dom ©rafen 9totrou be $erd)e um 1140 gegrünbeten ßiftercienferabtei in ber Rormanbie
hervorgegangen, burd) bie big pxx ©d)Wärmerei gesteigerte §ärie feiner Siegel, feine bie
io Segriffe eines Rumänen SebenS tief berle^enben @inrid)tungen, unb befonberS feine ftrenge
23erbönung beS 23erIefyrS mit ber 2öiffenfd)aft berüchtigt geworben ift. ^ene Slbtet, beren
(Stiftung bon anberen ins $al)r 1122 gefetjt Wirb, führte ben tarnen Notre-Dame de
la Maison-Dieu. ©ie liegt fnnier einem großen Söalbe in einem feud)ten, ungefunben
£I)aIe, nur ein enger, burd) geifert ftd) I)mburd)Wmbenber, l)öd)ft befd)WerIid)er SBeg füfcrt
15 ju il)r, unb eben babon erhielt fte ben tarnen la trappe, b. i. bie gettttüre. ®ie $e=
Wolmer ber 2lbtei Ratten ftd), unter ber Seitung guter SSorfte^er, bis gegen baS 15. 3jab,r=
fmnbert burd) rü£)mltd^en ©ifer in äluSübung ber sJRönd)Stugenben ausgezeichnet; aber mit
bem reid)en 33efi|e, ben fte erhielten, griff aud) 3ud)tIofigfett bti ü)nen um ftd;. 3aÖ.b=
Vergnügen mit ^rinfgelagen, 9SoIluft berbunben mit 2ftäbd)enraub unb anberen grebeln,
20 brachten bie 5Rönd)e bergeftalt in 3Serruf, bajj fie fogar ben -Kamen ,,33anbiten bon la
%xaippe" erhielten, ©iefer ßuftanb bauerte bis um 2Ritte beS 17. %at)xl) unbertS ; bie
2Ibtei jäl)lte nur nod) fteben 3Jtönd)e unb mar bem Verfalle nal)e. ®a lam fte (1636)
al§ ^Pfrünbe in bie §änbe beS faum 10jäl)rigen Knaben Dominique Strmanb %ean Ie
23outl)ilIier be Rance, ber tl)r Reformator »erben follte. ©ein SSater, £)eniS Ie Soutf/illter
25 be Stance, war ©efretär ber Königin 5Raria bon SRebiciS, orbentlid)er ©taatSrat unb
befafj ein bebeutenbeS Vermögen, ©er junge Stence, geb. am 9. Januar 1626 ju $ariS,
erlernte bie alten ©brad)en unb geigte bebeutenbeS Patient; er foHte nad) bem 2BiHen
feines 33aterS 2RaItI)efer Werben, Würbe aber fd)on früt) mit ftnnlidjen ©enüffen befannt
unb bewies grofje @mbfänglid)feit für biefelben. 2tlS jebod) fein älterer Sruber ftarb,
30 ber fd)on bebeutenbe ^frünben befaft, trat Slrmanb auf ÜBeranlaffung feines 3SaterS in
ben geiftlid)en ©tanb, um baburd) @rbe jener ^frünben p Werben, ©o Würbe er, laum
11 ^afyre alt, SI)orl)err an ber Kircbe 9iotre=3)ame ju ^ßariS, 2tbt bon la %rabpe unb
^ßrior einiger anberer Stiftungen, fo bajj er bereits als Knabe ftd) im Sefi^e anfeb|nlid)er
geifilid)er (Sintunfte fal). 2In Wiffenfd)aftlid)er 33efd)äftigung fd)ien er nod) ©efallen ju
35 ftnben ; er War laum 13 %at)xe alt, als er fd)on ben ätnafreon mit Stnmerfungen Verausgab
(^ßariS 1639), bewies aber freilid) eben hiermit, ba^ in i^m nod) feine Neigung ju Ilöfter=
liefert Übungen ober ©ntbaltfamfeit bor^anben War. @r Wibmete fid) bem ©tubium ber
^b^ilofobb,ie unb Geologie, Würbe tro^ fetner loderen ©itten unb 2tuSfd)Weifungen bod)
1651 jum ^ßriefter geweift, ja 1654 gum 3)oltor ber SE^eologie bromobiert unb erlangte
40 als ^anjelrebner nid)t unbebeutenben 3iuf. gür bie 2Irt, Wie er um biefe 3eit mit
äu^erlid; legaler 33erfel)ung feiner getftltdjen 2ImtSbfIid)ten ein übbigeS ©cnufeleben ju
berbinben tou^te, ift d)arafteriftifd) bie 2Inelbote, Wonad; er auf bie frühmorgens bon
einem Selannten an it)n geria)tete grage, Was er ben^ag über ju tr/un gebenle, Iad;enb
geantwortet ^ahc Ce matin precher comme un ange, et ee soir — chasser
« comme un diable! — ©eine feit 1660 auf jiemlid) blö|lid)e 2Beife erfolgte Sefefyrung
ju büfterer aS!etifd)er ©trenge unb S03eltberad;tung foll burd; ben i^m geworbenen 2tn=
blid beS (bielletd^t jum Sebfuf anatomifd^er ßWede) abgefd;nittenen ÄobfeS eines fnu>
berftorbenen ©efäb^rten, beS Mx. be Sliontbajon, bewirft Worben fein, ©inen ferneren
SmbulS jur gänjlid)en 2tbleb,r bom ffiöeltleben fotl er etwas fbäter (1662, 1. Robember)
60 babureb, embfangen b,aben, bafs bie blö^Iid) einftürjenbe 3i^merbede feines ©emad)S im
berWab,rloften 2Ibteigebäube la Krabbe i^n nafteju erfd)Iagen l)ätte, — Worauf er mit bem
Klageruf: Voilä ce que c'est que la vie! in bie ^Iofterfird)e geflogen Wäre unb b,ier
ben ib,n erfd)ütternben aber aud) tröftenben ©efang beS ^3falmS: Qui confidunt in
Domino bernommen ^aW. ©id)er ift, ba| er feit 1664 fein Seben jur fyerbften aSletifd^en
55 ©trenge reformierte unb in gleichem ©inne alSbalb auf bie ©itten unb (Einrichtungen
ber 3Jiöncb,e bon la Krabbe etnjuWirfen begann. 5Racb,bem er aUe feine übrigen ^frünben
beräu^ert ober §u llnterftü^ungen unb Wob,ltI)ätigen Qtoeäen berWenbet l)atte, gog er ftd)
in jene ©inöbe jurüd, lief^ bie Stbteigebäube Wieberfjerftetlen unb begann mit (Erneuerung
ber alten üloftergud)t unter bem flehten Stefte i^rer mönd)ifd)en ^nfaffen. "^ro^ beS f)ef=
60 tigen 2ßiberfbrud)S, ben er fanb, gelang eS if)tn bod), mehrere Senebiftiner bon ber
SroWiftett 81
ftrengen Cbferbanj unter bcm Abte Barbarin einzuführen. @r felbft trat am 13. ^unt
11)63 als Smutje in baS Älofter ^ierfeigne, legte am 26. Quni lti<J4 ^rofeß ab, mürbe
nun regulierter Abt bon la irabpe, unb »erfolgte als folcfyer mit fcfyroärmerifcfyem @ifer
feine $läne jur (Einführung ber Älofterregel in ifyrer ganzen urfprünglicfyen ©trenge,
mäfjrenb er felbft einer auSgefucfyten ©elbftquälerei ftcfy Eingab. Zweimal mußte er bel)ufs 5
Grlangung ber nötigen bäbftlirfjen Jlongeffionen nacfy Rom reifen (1664 unb 65); mäf)=
renb ber Aufenthalte bafelbft foH er nur bon Sßrot unb Söaffer gelebt fyaben. 9fur mit
großer sDiübe erlangte er bie für fein 33orl)aben erforberlicfye (Genehmigung. ©ur<$ 3mto=
cenj XI. (am 23. 3Rai 1678, beftätigt burcb, SlemenS XI. am 19. ©ebt. 1705). lim
jebe })JiIbeumg feiner Siegel für immer ju bereuten, liefe er im ^afyre 1675 bteDrbenS= 10
glieber bie ©elübbe erneuern mit bem Qufa|e, alle 33eftimmungen unb (Einrichtungen big
an tf?r SebenSenbe unberbrücfylicb, aufregt ju erhalten.
Über ben burcb, büftere Monotonie cfyarafterifierten ©til ber ÜRancöfcfyen ^lofterregel
bemerlt Gfiateaubrtanb : berfelbe erinnere an bie römifcfyen gtoölftafelgefetje 0ber aucb, an
ben 2Bacf)tbefebl eines ber iSraclitifctjen Heerlager roäfyrenb ber 42 Stationen in ber 2öüfte. 15
Sie Segel (Constitutions et Reglements de la Trappe, 2 vols., ^ßariS 1701 —
bei t\)olfteniuS=23rocEie, Cod. reg. t. VI, p. 602 sq.) legt ben ^rabbiften bie 'jßflicfyt auf,
früh um 2 ll^r baS auS einem ©trofyfacfe unb einem ©trofyfobffiffen befteljienbe 3Rad^t=
lager ju berlaffen; jene ©egenftänbe liegen auf einem Brette. (Sin Sletobitf; bient als
Tccfc. Säglicf) toerben 11 ©tunben auf ©ebetSübungen unb3Keffen bermenbet, bie übrige 20
3eit ift ju harter Arbeit beftimmt, bie balb in, balb außer bem Softer auf bem Jyelbe
in beftänbigem ©tiHf^meigen Eingebracht wirb. Qebe toiffenfct)aftlicl)e ^Befestigung ift
unterfagt, benn bie ©ebanJen foEen nur auf bie SBuße unb ben SLob gerietet fein ; bab, er
ift aucb, ftrengfteS ©tillfd)it>eigen unerläßliche ^flicfyt, unb außer ben ©ebeten unb ©e=
fangen unb bem gegenfeitigcn ©ruße „Memento mori" barf ber %rabbift fein 2öort 25
fbrecfyen; Söünfcfye unb Sebürfniffe muß er burcb, 3e^en 3U kennen geben. ®ie Rab/
rung beftefyt jur Mittagszeit in ben ärmlicbjten gaftenfbeifen, nämlich, inSöurjeln, $räu=
tern, Dbft, ©emüfen, 33rot (aber ofyne ^Butter unb Dl) unb 2öaffer. Rur Uranien lönnen
in befonberen gälten §leifcfy= unb ©ierfbeifen geftattet »erben; berSEifcb, ift oljne ^ifct)tuct).
9iadj ber Abenbmaf)ljeit, an bie ficb, junäcbjt erft toieber eine religibfe ^Betrachtung unb liebung 30
fcfjließt, begiebt fid? ber SErabbift jur Rul)e, im ©ommer um 8, im SBinter um 7 Ub,r.
£er Drben teilt ficb, in Saien, ^rofeffen unb Freres donnes, b. I). folcfye, bie nur eine
$eit lang jur 23ußübung ifym angehören, ©ie DrbenSfleibung befielt in einer langen
lutte mit meiten Armein bon grober, graumeißer äöolle, in einer fcljtoargtoollenen ^abu^e
mit jtoei fußbreiten, bis an bie Änie b,erabl)ängenben ©treifen, einem breiten, fd)toar3= 35
lebernen ©ürtel, an bem ein Stofenlranj unb ein 9Jteffer (bie ©tjmbole ber Anbackt unb
Arbeit) Rängen, unb in ^oljfcfyufyen. ^m S^ore ift bie Reibung ein meiter bunlelbrauner
fiantel mit Ärmeln unb eine gleichfarbige ^abuje. ®ie Saien tragen graue Butten. —
Übrigens übte baS Sancefcfye Älofter, ®anl ben reichen SRitteln beS 33orfteb,erS, eine
brofufe 2öob,Itl)ätig!eit unb ©aftfreunbjc^aft. 9cad) einem Briefe 9tanceS an ben Abbe 40
■fticaife (bgl. 3)iontalembert, Les moines d'Occident etc. I, p. CV) tourben mäb,=
renb eines £mngerjal)reS bon Sa Krabbe aus über 1500 Arme boütfiänbig gefbeift,
beSgleic^en faft alle umtboljmenben gamilien mit 3RonatSgel)alten unterftü^t. SDie gafyl
ber regelmäßig jahraus jahrein in ber Abtei berbflegten ©äfte foll über 4000 betragen
fyabcn u. f. f. 45
93ei ber übermäßigen ©trenge, meiere 9?ance einführte, ftarben in lurjem biele
9Jibnd)e, unb ber Reformator mußte beSfyalb heftige Angriffe erleiben. Aud) feine Ab=
neigung gegen baS ©tubium ber 2Biffenfdjiaften, mie er fie in bem Traite de la sain-
tete et des devoirs de la vie monastique 1683 barlegte, mürbe als eine unfinnige
unb gefährliche Übertreibung genügt. SJJabillon feb^rieb bagegen 1685 fein „Eclaircisse- 50
ment du livre des devoirs", fohne fbäter (1691) feinen berühmten Traite des etudes
monastiques. 2)ie fo entbrannte litterarifelje ^eb^be, an ber fidt) ÜHuinart, sDcaffuet,
3)eniS be Ste. 3)cartb,e als S^ambfgenoffen ?[RabitlonS, bagegen ber Gluniacenferabt ßlaube
be SBert, foteie ber berühmte Qanfenift ©ebaftian le 9ton be 'lißemont (beffen Sruber
$eter felbft SErabbift mürbe) als SSerteibiger ber 9tancefcf)en gorberung einer (»eiligen Un= 55
gelebjtljeit ber 5Rönc^e beteiligten, mährte bis gegen baS 2. Viertel beS 18. 3;af?rImnbertS
Sgl. noeb, beS SenebütinerS Vincent 'Jbuittier (f 1736) Histoire des contestations
sur les etudes monastiques (bor feiner Ausgabe ber Ouvrages posthumes de
Mabill. et de Ruinart, Par 1724), fotuie bie toiber i§n gerichtete Apologie deRance
bon Arm. gr. ©erbais, bcm 9Jaa)folger Dances als Abt bon la Krabbe. Sance legte eo
8ieol=®nc5ltopäbie für X^eologie unb Stird&e. 3. Sl. XX. g
82 Srawtfictt
feine (Stellung al<§ 2lbt 5 Qafyre bor feinem Xobc (1695) nieber. @ine namhafte 2lu3=
brettung feiner Reform erfolgte erft naty feinem Xobe (12. Dftober 1700), aber im
aSerl^ältntffe gu anberen Drben boct; nur in geringem @rabe. ^m 18. ^afyrfmnbert ent=
ftanben nur jtoei Klöfter: 1705 Suon ©ola^o bei glorenj, 1717 ©afamari im Kird;en=
5 ftaat. ©ie grofje 9ieboIution in granfreict; bertrieb bie Xrabbiften au<S bem Sanbe. ©ie
fanben junäc^ft Slufna^me in ber ©cfytoeij im Kanton greiburg, too ber Xrabbift
Sluguftin be Seftrange (1791), ber übertäubt für bie ©Haltung unb Serbrettung be§
DrbemS eine grofje Xfyätigfeit enttoidelie, %u Salfatnie ein Softer grünbete. 2öäl)renb
fia) bie Xrabbtften in ^3obIat in Katalonien, bei SInttoerben, im SiStume fünfter unb
10 im ©ebiete bon ^ßiemont anfiebelten, tourbe Sklfainte (1794) burd) ^abft ^ßiu§ VI. jur
Stbtei erhoben, aber 1798 bon ben granjofen jerftört. ®en 33emüb,ungen SeftrangeS gelang
e£, bafj Kaifer $aul I. bon ffiufjlanb ben Xrabbiften eine neue SBoIjnftätte gab. $u=
näcb, ft liefe ficb, nun ber Drben in ^polen, namentlich in SSarfdjau unb Krafau nieber, fanb
bann 1799 auch, in 23rje3c fotoie gu Sud in Sitauen neue 2SoIjnfv|e, tourbe aber 1800
15 aud) bon ba toieber aulgetoiefen. 9Run toanberten bie Xrabbiften über SDanjig nadj
2tItona, too fid) ein Teil bon ifynen bi§ gum $rübja§re 1801 auffielt, bann über ^ßaber=
born unb ^Driburg (too mehrere jurücfb(ieben) nad) gretburg unb ©itten im Kanton
2öaßi3. ©ie grünbeten bei SSalfatnte eine neue sJfieberIaffung unb getoannen ju 9ftebbrab,
unb ju 9iabafio bei ©enua neue §äufer. 1804 grünbete Seftrange ein Klofter bei Stom,
20 ba§ aber bei ber frangöfifdjien ^nfafion toieber unterging. ^m 3al^re 1805 befugte er
ein bei ©aragoffa befinblidjeS Drbensflofter, aber feine Semüfyungen, ben Drben in
granlreidj toieber einzuführen, blieben erfolglos, ja er fal) fid? felbft ernftlic^en 35erfol=
gungen auSgefetjt unb mufete über ©nglanb nad) Martinique, bann nacfy SRorbamerüa
flüchten, too er bereits einige DrbenSglieber fanb, bie fiel) niebergelaffen Ratten, ©o toenig
25 tote in granfretd) fonnten ficb, bie Xrabbiften in ®eutfd)Ianb galten; 1802 tourben fie
aus bem ©ebiete bon ^aberborn, 1811 au§ ^retburg, 1812 au3 2)arfelb bei fünfter
auSgetoiefen. @rft nacb, ber 9ieftauration ber SourbonS (1817) jogen fie in ^ranlreid;
toieber ein unb festen ficb, toieber in ben 33eft£ ifyreä ©tammfIofter<§ la Krabbe. Seftrange
enttoidelie bon neuem eine bebeutenbe Xljätigfeit für bie Verbreitung ber DrbenSglieber
30 im Sanbe, unb in ber XI)at gelang e<§ ifmt, eine 2lngat;I neuer ©u)e für biefelben ju
grünben. Sei feinem Xobe (1827) jäfylte man in granfreid) ettoa 700 Xrabbiften. —
(Sine neue ©efafyr bebrofyte ben Drben 1829, als Iraft einer toniglidjen Drbonnan^ alle
iljm angefyörigen Klöfter toieber gefdjloffen toerben foßten; bod) beftanben beim 2Iu3brud?e
ber ^ulirebolution nod) 9 Klöfter, bon toeldjen, aufjer ta Xrabbe, bie bebeutenbften ju
35 Sabal, SReißera^e, ©arb, 2ligue§b,eltes unb ©t. 2lttbin toaren. 2HIerbing<o tourben babon
einige im Qaf)r 1830 gefc^Ioffen, boef; getoann ber Drben fbäter einen neuen 3luffd;toung,
alg ein bäbftlia)e§ ©efret im ^afyxz 1834 bie Xrabbiften aßer Sänber jur Congregation
des religieux Cisterciens de N. D. de la Trappe bereinigte, ©eit 1836 meierten fie
fid) toieber befonberä in ber ©rjbibcefe Se Wanä. 1844 lonnten fie in Stlgier eine3Rieber=
40 laffung grünben, unb 1848 toanberte eine 2lnjaf)I ber Xrabbiften bon 9J?eißerafye nad;
9?orbameri!a au§, um fjier neue 3Bo()nfi|e ju getoinnen. ©ine befonbere Stbjtoeigung be§
DrbenS bilben bie 1851 im Siltume ©ehä burd)50?uarb entftanbenen Xrab^piftenbrebiger,
toeld;e im Klofter ^ierrequi=Sire bei 2IbaIIon ifyren 2Bot)nfi| fanben, bie Siegel ber Xrab-
biften befolgen unb beren DrbenStracfyt führen, jeboeb, mit @rlaubni§ be§ ©uberiorS ba§
45 ©c()toeigen brcdien bürfen unb ber römifcfydircttfidjen SRiffion burdj it>re ^ßrebigt bienen
(toob^er \i)t Diame). — 9loa) 1870 tourbe bie gafyl ber Xrabbiftenflöfter auf ungefähr 18
gefd;ä^t, toobon bie meiften auf granfreid) lamen; aber im lyafyre 1880 tourben 1450
3Jtöna)e be§ Drben§ au$ gran!reid) au^getoiefen. 1>od) lehrten fie balb toieber gurüd.
®urd) ba§ 5Berein§gefe| bom 1. ^uli 1901 fafjen fie fid) toieber genötigt, toenigftenS einen
so Xei( ifjrer Meberlaffungen tn§ 2lu3lanb ju berlegen.
§eute befi|t ber Drben im gangen 56 Klöfter (37 Abteien unb 19 ^Sriorate) mit
3700 SRitgliebern. %)a%u fommen auf ©uroba 44Klöfter mit 2500 3Jcitgliebern. Dbenan
ftefyt granfreid; mit 20 Klaftern unb 1400 Mönchen, 6 Klöfter befinben fid; in Belgien,
5 in ben 9JieberIanben, 3 in ©nglanb unb S^Ianb, 2 in ©banien ; Dfterreid; beherbergt
55 2 Abteien unb 1 ^riorat, Italien ebenfadg 2 Abteien, ^n 3tom b^at ber ©eneralabt
feinen ©iti. Qm ©ebiet beg ©eutfcfyen Meidjeö befinben fid; bie Slbtei Ölenberg bei
Sutterbacb, im Dberelfafj mit 180 SRöndjen, baö ^riorat Mariatoalb bei ^eirnbad; in
ber (Stfel (1861 gegrünbet, 1875 aufgehoben, 1887 toieber eröffnet) unb ba3 ^Sriorat
9J{aria=aSeen (gegrünbet 1888) mit älrbeitert'olonie unb Xrinlerb^eilanftalt. 33on befonberer
go Sebeutung für bie neuere Drben§gefcr)idj)te ift bie 1869 bon P $f anner in SBoSnien ge=
$raM>tffen Srnuergebroudjc bei ben Hebräern 83
grünbetc ^iebertafjung 'SKariaftern. 93on ba auS würbe bie Kaffcmmiffton in 9iatal mit
bem Mittelpunkt in 9ftarianIJHu' unternommen, bie beute auf 23 £auptftattonen unb 50
Stufeenpoften mit 50 ^3atre3 unb 270 Saienbrübern arbeitet, 10 Kird)en unb Kapellen
befifct unb 13 000 Katbolifen unb 3000 Kated;umenen ^äblt. Inbere aujjereuropäifdie
9?ieberlaffungen ber %. finben mir in Kleinaften, ^aläftina, ßfyina, $apan, Algerien (1904 5
aufgehoben), Kongoftaat, S)eut[cfcDftafrtIa (3 ^atre§, 10 Saienbrüber, 11 ©d)roeftem),
in ben bereinigten ©taaten bon ^orbamerifa (3), Kanaba (3) unb Srafilien. 9Jlit ber
sJRiffion3arbett berbinben fie überall bie (Einrichtung lanbwirtfcf/aftüc&er 9DZufterbetriebe.
Sinen weiblichen $Weig Deg Orbeng grünbete bie ^3rm§effirt Souife bon Sonbe in
bem Softer £e§ ßlairetS bei 6bartre<3; 1689 erhielt er bon be 9fance feine Konftitutton. 10
Tic Tonnen unterfefteiben fid? in SebenSWeife unbSEracbt nic^t Wefentlid) bon ben 9Jiönd)en ;
ftatt ber Kapuze tragen fie ben ©dreier. 1796 grünbete Sluguftin be Seftrange ba^ 5Ronnen=
ilofter La sainte volonte de Dieu bei Süebra in ber ©d)Wei^. ällä bie ©d)Weftern
hier auSgeWiefm mürben, begaben fie ftd) teilö nad} (Snglanb (1800 ©tope^iß) teils
nad) Tarfelb in Söeftfalen. S5on Napoleon I. bertrieben, fuebten fie 1811 in Köln eine 15
3ufluct)t, festen 1815 nach , ©arfelb jurüd, um 1826 mteber auSgeWiefen gu Werben.
9?un toanbten fie fid) nad) Ölenberg. 1896 berlegten fie if)ren©i§ nad; @rger3beim im
(Slfafe. §ier befinbet fidj) beute ba3 einige SLrapptftinnenflofter auf beutfd)em 33oben
(80 ©cf)Weftern). ^n granfreicr; baben fie 9, in ©panien, Italien, ^Belgien je eine 9Rieber=
laffung, in ^apan ein ^priorat mit 9 ScfoWeftew. ®ie ©efamt^abl ber ©cfyWeftem mirb 20
auf 900 angegeben.
©inen herein bon SEertiarierinnen für SJltffion^Wede I)at 1881 3lbt granj ^fanner
unter bem SEitel ber „SfttffiongfcfoWeftem bom foftbaren 331ut" gegrünbet; er ^är/lt in
9?atal, ®eutfd)=Dftafrifa unb $elgifd;=Kongo etma 400 9JcitgIieber.
©ie Drganifation be<§ Drben3 ift erft in ben legten ^a^ren gu einem befriebi= 25
genben 2lbfcr/lufs gekommen. ®ie im %at)x 1834 angeorbnete ©inigung ber %. alter Sänber
jur Congregation des religieux Cisterciens de N. D. de la Trappe ging febon 1847
roieber in bie 23rüd)e. ©0 beftanben h'\§ auf bie neuere 3eit 5 Kongregationen, jebe mit
einem eigenen ©eneralbilar, ber feinerfeitS Wieber unter bem ©eneral be3 Siftercienfer=
orbenS ftanb. ©eit 1892 finb alle Kongregationen bereinigt ju einem gemeinsamen Drben, 30
ber burd) einen bom ©ftercienferg eneral unabhängigen ©eneralabt mit bem ©itj in sMm
geleitet Wirb. 21m 25. Sluguft 1894 bat Seo XIII. biefe neue Konftitution beftätigt unb
ba§ Klofter Eiteauj, ba§ bie %. im ^abr 1898 erwarben, burd) ©efret bom 30. $uli
1902 aU SJiutterllofter bes> ordo Cisterciensiurn reformatorum seu strictioris ob-
servantiae erllärt. ©»igen £acf)enmantt. 35
Iraner unb £rauergrf>räud)e 6et ben Hebräer«. — 9Utere Sitteratur: SBia>
manntjaufen, De lacerat. vest. ap. Hebr. inUgolino Thesaurus XXXIII, p. 1101 ff.; beif.,
De corpore scissuris figurisque non cruentando ; 3- ®- sKicf)aeIiä, De incisur. propt. mor-
tuos in Observ. sacr. 1742, I, 131 ff.; g. ©. §eibenu§, De sciss. vestium Ebraeis etc. usi-
tata, ^ena 1663; %ot). ©. ßavpjo«, De cinerum apud Hebr. usu, moeroris atque luctus 40
rsnaijoio), iRoftocf 1739; Wt. §. Seinftavb, De saeco et cinere, Ugol. Thes. XXXIII,
p. 1067 ff. ; §iHiger, De tibicin. in funer. adhib., Viteb. 1717; 2Jt. ®eier, De funer. et
luctu Hebr., Ugol. Thes. XXXIII, p. 63 ff.; Spencer, Ritus funebr. et sepulcr. Ugol.
Thes. ib. p. 252 ff. ; 3. Nicolai, De sepulcr. Hebr. ib. p. 304 ff.; Buenftebt, Tract. de se-
pult. ib. p. 617 ff.; ©armann, De pane lugentium ib. p. 1083 ff.; 6. ^ten, De fun. sepult. 45
luctu, ib. p. 1131 ff. ; llgotino, De vet. Hebr. et rel. gent. fun. etc. ib. p. 1140 ff.
teuere ßitteratur: Äamp^aufen bei [Rietint II, 1684 (2. ?luft. gleicrjlautenb); ©tobe,
©efcfjitfite be§ 58olfeS Säraet2 II, 453. 483 u. ö.; berj., SSt&lifcIie Geologie be§ alten Jefta-
ment§, 186ff. 132. 138. 179. 281; ©menb, ?Utteftamentüd)e 3teItgiLin§=©efd)icl)te2, 151 ff.;
9Jicol in §afting§ Dictionary III, 453 ff. ; gr. ©crjroaKt), ®a§ Sebeu nad) bem £obe, ©iefjen 50
1802; 3. g-ret), 'Sie alti§r. STotentrauer, ®orpat 1894; berf., Xob, ©eelenglaube unb <5eelen=
fult im alten ^ärael, Seipjig 1898; S. ©rünetfen, Sev Stlmentultug unb bie Itvreiigton
3'3TQe(Ä, feilte 1000; SaftvoU), Dust, earth and ashes as Symbols of mourning among the
ancient Hebrews Journ. of Amer. Or. Soc. 1899, XX, 130—150; *üd)ter, (JntbUifjung ber
od)uiter unb be§ Strnig ab? 3etd)en ber Trauer, 8atS3 XXI, 81—92; ^aftroltt, Baring of 55
the Arm and Scoulder as a Sign of Mourning, gcitSB XXII, 117—120 (littmograplufdje
^araüelen jum ßerreifeen ber tleibev!); SSiicfjler, ®ie ©runbbebeutung bei r)ebr. unb neufiebr.
Stamme§ C?p WZKM XVII, 165—181 (Dbp ba§ Stampfen bei ber Sotenflage); Sto&,
Äranfenbefud) unb Srauerbraud) nad) S3tbel unb 5Ta(mub, grantf. 1901 (mir un^ugäinilid)).
Tyerner 91. 3eremta§, 3)ie bab.=aff. SSorftelhtngen üom Huftaubc nad) b. Stöbe, Seipj. 1887; 60
5- Tjcremiao in ßf)antepie be (a ©auffnneS 3fe(.=©efd). I, 3329ff. Xie 9lrd)iio(ogien vrnn
6*
84 Srauergebrändje bei ben JpctiTÖcrn
SSenftinger unb SßoiuadE; dtob. @mtt£)=©tnbe, Sie 9Migion ber ©etniten; Seflfjaufen, 9tefte
arab. £eibentumg5, Berlin 1897 ; ©. 3. Surtifj, Urfemittfctje Religion im SSoIfsIeben beS b,eut.
Orients, Seipgifl 1903; 3. ©olb^er, Le sacrifice de la chevelure 1881; berf-, 9Jcubamme=
banifdje ©tubien, §aHe 1889. 1890; Sagrange, Etudes sur les rel. semitiques1, 1903; 3(. 3ere=
5 miag, Sag alte Stefr. im Siebte beg alt. Dr.2, Seipj. 1907; berf., §öße unb SJJnrabteS bei ben
83abt)loniern (Ser alte Orient I, 3)2, Seipj. 1903; gimmern in mi%\ 603 f. — lieber ba$,
fpätere ^«bentum gf. 3- ©runb, Sie 5£rauergebräuct)e ber Hebräer, Seipj. 1868; Diabbinotutc^,
Ser SEotenE«itu§ bei ben $uben. — $ur SKetbobif ber Itnterfudjung: |). SStnctler, 9?eIigton§=
gefcbtdjtler imb gefcfjtdjtlicber Orient, Seidig 1906; 83. SBaentfd), SUtorientalifdjer unb t§raeli=
10 tifeber Wonotbeigmug, Tübingen 1906. — ©in 7 ©eiten füdenbeg $8er$etdmi§ ber einfcblägigen
Sttteratur bi§ 1900 bei ©rüneifen ©. IX— XV SSgl. auefj bie Sitteratur ju betn ?Xrt. 83e=
gräbniS oben 33b II ©. 530.
I. SDag ©efül)I ber Trauer mit ben bietertet 23räud)en, burd) roeldje man in Israel
ber Trauer älugbrud gab, tonnte burd) bie berfd)iebenartigften Vorgänge getoedt roerben.
15 ®er betrübte, mit @iferfud;t berbunbene Unmille ber finberlofen ÜRat;eI ©en 30, 1 ; bie
Übergabe ber Sefiegten in bie §anb beg ©iegerg 1% 20, 31 f.; bag 2luft)ören aller
greube bei großem, altgemeinen @lenb Qei-' 16, 5 ff.; bag §ereinbred)en bes göttlichen
SorneS 21m 8, 8; aEerlet «Rot Qef 61, 3; @ftf> 4, 3; erlebtet Ungemad; jpt 14, 22; böfe
33otfd)aft SRu 14, 39; «Rieberlage %vc 49, 3; bag ©efüb/l ber Sufse 1 % 21, 27; „1 ©a 7, 6;
20 «Ri 20, 26; — Serartige unb äfmücfye Vorgänge pflegten bie .ßeidjen unb «Äußerungen
ber Trauer t/erborgurufen. SSgl. hierzu nod) «JRi 1, 8; Qer 6, 26;i,^of 7, 6; §0 10, 5;
$on 3, 7; ©en 23, 2; 27, 41. 21m beutticf)ften tritt «Kkfen unb «Üufjetung ber Trauer
gegenüber bem Sobe in ©rfdjeinung. 3Son ben fctjroeren «Problemen, meiere bie Sräud)e
ber Sotentrauer barbieten, fei im gmeiten 2tbfd;mtt bie «Rebe. §ier fyanbelt e§ fieb, ju=
25 näd)ft um eine 2lufgät;Iung ber bielen unfoilttürlid;en, allgemein menfdjlidjen unb fonben=
tionell geworbenen, ffymbolifdjen Srauerbräud)e, roelcfye bie biblifctjen ©cfyriften erroälmen.
2llteg Ungemad) berfe|t ben 9Renfd;en in fernere «Betrübnig «£f 6, 7 f.; 31, 10; 102, 4.
©otd)e Trauer beugt ben «JRenfctjen unb beraubt ihn alter greube unb Sebengtufi; er
roirb gebeugt toon ©d)merg, bafj er bag §aupt gefenlt trägt §i 10, 15, ja bafj er fid;
30 big in ben ©runb niebergebrüd't fühlt §i 16, 15, fo bafe ^ah,üe allein ifm aufrichten
lann «ßf 44, 26; 145, 14; 146, 8, 147, 6; in feinem ganzen @int;erget)en geigt fid) bie
Srauer 1 % 21, 27 (Xert unfid)er! bgl. Hloftermann, l^omm. gur ©teile) ; %i)x 2, 10.
2)er ©c^mersgebeugte mirft fid) auf bie @rbe 2 ©a 12, 20; 13, 31 ober fi|t am 33oben
3ef 3, 26 im ©taube ^«f 47, 1 (bgl. £>eli|fd), Homm. ju «Pf 35, 14). ^n fo!d;er ©tim=
35 mung berbüllt ber SLrauernbe ba$ 2tngefid;t 2 ©a 19, 5, toor)l um bon allem gurd)tbaren
mct)t§ met>r ju feiert bgl. 1 % 19, 13; ©ftb, 6, 12. ©0 finben mir bieg 33erf)üllen beg
2tngefic^tg, bei SJiännern ba§ i5erbeden bon linn unb ©ct/nurrbart @?24, 17, als aH=
gemeine 'Jrauergebärbe 3er 14, 3; 3Jic 14, 65 (2c 22, 64 gehört fclbftberftänblid) nid)t
^ierb^er; ebenfo ift bie Sebeutung beg ÜBerr;ülleng @s 12/ 6 eine anbere bgl. Ärae|fd)mar,
40 ilomm. ©. 125); 2 ©a 15, 30. ®em SErauernben fef)It bie Suft am Seben, barum forgt
er auch ntd)t mie fonft für fid); alle Pflege, bie er fonft feinem Seibe angebei^en lä'jjt,
unterbleibt 2 ©a 12, 20 ff. ; Da 10, 3 ; er falbt fid; nid)t 2 ©a 14. 2; ©alböl unb Stauer
ftnb©egenfä£e3ef61,3; ber fonft beliebte 2öcd)fel ber Mleibung unterbleibt 2 ©a 12,20
bgl. ba^u ©en 41, 14; 1 ©a 28, 8; ungemafcfyenc Kleiber, ungeir>afd)ene, bon ben ©an=
45 balen entblößte gü|e 2 ©a 15,30; $ef 20, 2, berroilberter, ungepflegter Sart finb3eid)en
ber Srauer bgl. 2 ©a 19, 24; autf; 2 ©a 14, 2 nacb rabbintfdjer Sluslegung. ©er 93e=
trübte fud)t bie (Sinfamfeit, entineber ben ©öller beg ftaufeö 2 ©a 19, 1, ober bag
ftaa)e <£>ad) ^ef 15, 3; ^er 48, 38, bie2Biti»e bag fülle 2Bitroenftübd)en ^ub 8, 5. ©rofee
gemeinfame Srauer flirrt bie Älagenben aud) mob.1 auf bem 3J?arft jufammen ^ef 15, 2 f.
60 u. ö. ober berfammelt bie Seibtragenben im Srauerl^aufe Wd 9, 23. ^on 3, 7 foß fogar
bag Sßte^ mittrauern. — £)h bie Srauernben fid) bag ©efid)t burd; 33efd;mieren berun=
ftaltet (Äampf)aufen), ift aug ber Sibel ntd)t ju erfef)en. dagegen mar bag ©d;eren
einer ©la^e gebrauchtet), ^er 48, 37 §i 1, 20. ©t 14, 1 berbietet bie ©la|e am 33orber=
topf al« b/eibnifd); ^ef 15, 2 feieren fid; bie SKoabiter in biefer 2lrt. ^Jcod; t)eute ift eg
55 ©itte ber arabifd;en 9lomaben, ben 5?opf big auf einen ©cfyopf fahl ju feieren, bgt. Qer
9,26 (f. 33b V ©. 277, 20 ff. geringer). 3lud; grauen fa)nitten i^r §aar ab, bgl. ^er
7, 29. ©en Sart fc^nitt man mot)I nidjt gan§ ab, fonbern befd;or nur bie Sftänber, bgl.
bag Verbot beg Sefd;ereng für bie ^riefter 2e 21, 5; bagu 3JK 1, 16; ^ef 15, 2 ; Qer
41,5; 48,37. 5Rod; impulfiber h>ar alg ©d;merjäu|erung bag Slugraufen beg §aareg
60 @gr 9, 3 aug §aar unb 33art ; bag gergaufte §aar tiefe man ungeorbnet herunterhängen
2e 21, 10 bgl. bie 2luöfä|igen in £e 13, 45. S)em gangen ober teiltueifen 93erl)ütlen beg
Sraucrgcbrtiudjc bei beu ^»ebvöcrn 85
öaubtcS ftebt gegenüber bie ©ntblöfsung beweiben burd) ablegen bc$ Xurban§ ober ber
lotofbinbe, ©j 24, 17 23 (bgl. SBenjinger, 2Ird). 521, 9). 9Jtan fluttet (Srbe unb ©taub
auf ba§ entblößte ober gefrorene |>aupt, Wäfyrenb man felbft im ©taube ftfct. %üx ba3
sBeftreuen mit @rbe fommen in33etrad)t 1 ©a 4, 12; 2 ©a 1, 2 ; 15, 32; 5M) 9, 1 ; mit
©taub 3of 7, 6 (Xcjt unficf,er!); $t 2, 12; @j 27, 30; T%x 2, 10; «Mi 1, 10 (XerU); 5
1 g»af 3, 47; 4, 39; 11, 71 ; 2 9M 10, 26; 14, 15; Styl 18, 19. Sie einige ©teCe, an
Welcher (natürlich Sutfyerg Überfettung aitggefd£)Ioffen !) ba§ 33eftreuen mit Slfctyc ermähnt
ift, 2 Sa 13, 19, ift bon 9ftorri§ ^aftroir* genauer unterfingt unb al§ Xertoerberbnig ober
s))iif5berftänbni<§ ber 5ßun!tatoren erliefen, ^n 2Ifd)e fi^en, ftd^> in ber 2lfdb,e Wälzen ^er
6, 26 ift als Xrauerbraucb, öfter ermähnt bgl. §i 2, 8; $on 3, 6 (bgl. *$. %. Garb^ob, De 10
cinerum ap. Hebr. usu, 5tofiod 1739; 9JI §. ;Keinf)arb, De saeco et cinere in
l'golin. Thes. XXXIII, 1067 ff.), 2 ©a 13, 19 aber ift ftatt ien r>ielmer,r ^ gu
lefen: Ifyamar nafym bie „Hobfbinbe" ab b. b,. fie begann ju trauern. SöiH man Wegen
LXX "en ftel)en laffen, fo ift ^ (babtylonifd; aparu) ju bofalifieren, Wie fcfyon ber
ältere lyaftroto gelefen fyatte. ®er ©inn bleibt berfelbe: fie nab,m ben „^aubtfer/mud" 15
ab. TaS Äobfbeftreuen mit 2lfcb,e ift alfo lein Xotentrauerbraud;. SSgt. fyier^u auSfür/rlicf)
^afiroto, Dust, earth and ashes as Symbols of mourning in Journ. of Amer.
Or. Soc. XX, 1899, p. 133 ff. 9?ad>bem %i)amax fid) be§ Hobfyufce€ entlebigt, legt
fie bie §anb auf ba§ £jaubt. ©iefer 33raud) ift Ijäufig. ®anad) erklärt Hautjfcr; aueb.
xVr2, 37 £b biefe ©itie auf ©teilen toie @r. 9, 3; 1 ©a 7, 13, Wo bom fct)tt>eren 20
aufliegen ber §anb ^al)be§ bie 3xebe ift, gurürfgefüfjrt werben barf, ift boeb, zweifelhaft,
fie ift ©emeingut be§ alten JDrtentsi. SDaf? ber HIagenbe bie §änbe ringt nacb, Xroft, ift
aEgemein menfcbjicf;, bgl. aud) Xf)r 1, 17. 3ur Gleichen klaffe ber Xrauerlunbgebungen
gehört ba§ 2Beinen, ba§ bis ^um lauten ©freien unb §eulen (Sutfyer: lören) ausarten
fann §of 7, 14 (Xejt?); 9Jci 1, 8; SDcc 5, 38. greilief) finben oft tieffter ©d&merj unb 25
jäfyeS ©ntfetjen leine HIagetöne @j 24, 16. 24 (bgl. Hraetjfdjmar zur ©teile), ba berfyüHt
man baS ©eficfyt unb „frifjt" ben Jammer in fid) hinein, fo Wofyl $f 35, 13 (äb,nlicb,
^eli^fcb jur ©teile). gum Söeinen unb ©freien treten oft noef) Setcegungen, beren
manage ju bem ©d^merj ber ©eele bem Körper ©d^merjen berurfacb,en. ©0 ba§ ©cb,lagen
ber Sruft befonberS bei ben grauen 3Rab, 2, 8; $ef 32, 12 (Xejt?); aud) Sc 8, 52 ; 18, 13 ; 30
-" ift ba§ lateinifcfie plangere, "?P" bab,er ber Slu^bruc! für Slotentrauer ©a 12, 12,
bgl. @efeniu3=23ub,I s. v. ®a§u tritt bag ©dalagen ber Senben unb §interbaö:en nad;
ben §üften ^u ^er 31, 19; @j 21, 17; Qef. 32, 12. ®a§ ^änbellatfc^en % 6, 11 gehört
nidit bterfjer, fonbern ift 2tu§brucf fjö^nifclter greube. SDaö ^ufammenf erlagen ber §änbe,
plangere, fcb,eint aber gIeicb,too§I eine Xrauergebärbe beg offiziellen ^lageperfonalg (f. u.) 35
getoefen ^u fein. ®irefte ©elbft^einigung "^'2, ~^~^ au3 Hummer, mie fie bei ben
Reiben üblid} (cgi. ^5. 9JMd)aeIig De incis. propter mortuos in Obs. sacr. 2lrnb,eim
1752), 1 Hg 18, 28; £er 47, 5, ift in S^wel berboten (Se 19, 28; 21, 5; £>t 14, 1. ©ie
gefebab aber tro^bem ^er 16, 6; 41, 5. — 2öie überall fyricl)t fieb, bie Xrauer aucf> in
Israel au§ burd; 2L<eränberungen in ber Hleibung. 2)er Xrauernbe entfagt allen 33e= 40
quemlidjfeiten, er tbut feinen ©cb,mud ab, nid)t nur ben Ho|?ffd)mud, fonbern aud} anbern
Sdimud (gj: 33, 4, ptoeilen gebt er barfufe 2 ©a 15, 30; 3ef 20, 2; roobl aud) 1 Hg
21, 27 (ögl. Hittel, Homm. ©. 159), immer aber greifet ber Xrauernbe fein Cberlleib
(ntebt bie kuttoneth, bgl Senjinger oben 33b X ©. 525, u ff.), ^ur ber ^ofyepriefter
burfte ba§ ntebt Se 21, 10. ®ie§ ^errei^en be§ Cberlleibe§ mar fein $atym beweiben, 15
toie mir au§ fpäterert 9Rad}rid}ten entnehmen bürfen (ögl. Dougtaei analecta I, 118;
StrrieuE, %la<fyx. III, 282; £>ebenuS, De scissione vestium, gena 1663; 2Bicb,manng=
Raufen, De lacerat. vestium, Vitebg. 1716; Ugol. Thes. XXXIII, 1101 ff.; am ge=
naueften ©runbt ©. 59), fonbern ein l;anbbreiter ©inrifc, über beffen ^erftellung bie
Stabbinen genaue äsorfcb,riften gaben, 3. 33. foll bie gerreifjung nacb, 2 ©a 13, 18 im ©teb,en 50
borgenommen werben, bei Trauer um bie ©Item foll fie öffentlich auf ber redeten ©eite
be§ ©emanbe^ erfolgen u. a. m., f. aud} oben 33b X ©. 525,65 ff. fotoie bie ©teilen bort
unb ba^u noct) Se in, 6; ^iu 14, (i; ^of 7, 6. 2Iud) beim 2Inb,ören einer ©otteöläfterung
jerrife ber jpätere ^ube fein ©etoanb, 3Jct 26, 65; 21© 14, 14. ®er Wegen be3 Xobe^
ber ©Item gemachte einriß burfte ntebt Wieber genäht Werben, jeber anbere 9?ife nacb, 55
30 Xagen (Dtljon., Lex. rabb. 360). — SDa§ eigentlicbe Traucrllcib War ber P'^. Cb
berfelbe auö fd)War^em 3iegenl»aar gefertigt War, rann auf ©runb bon 9?u 31, 20 ädern
nicfyt erwiefen Werben, aud) Äamelgf)aar tonnte nad) 5Rt 3, 1 in 33etrad;t lommen. tör
föar meift bon grobem, buntelgefärbtem ^eug bgl. ^ef 50, 3 ; 2lto! 6, 12 ; bgl. ~~ ber
Iraucrnbe <|Jf 35, 14; ■)», 7; 12, 10; rr:-^. \n fd;Wav^er Trauer Dial. 3, 14. SÖclc^c 60
86 £remergct>räud)c liet ben Hebräern
©eftalt ber ©aq fyatte, ftel)t noeb, immer nicfyt feft, bie 2tnficfyten barüber Rängen ah bon
ber gefamten Beurteilung ber "iErauergebräucfye (f. unten unter II). §t 16, 5 in Ver=
binbung mit Slbbilbungen auf altbabr/Ionifcb,en ©enfmälern (j. 23. bie ©eierftele) ftfjeinen
barauf ju führen, baf? ber <Saq mirfltctj nur ein härener ©cfyurg um bie Senben mar,
6 ben man unter ber Reibung trug, 2 % 6, 30, unb aucfy be§ 9tacf)t§ nicb/t ablegte, bgl.
1 S?g 21, 27; $on 1/ 13; Mottberg S«f 32, 11. (Vielleicht mar ber ©aq aueb, zugteicb,
burc| feine raufye Vefcfyaffenfyeit ^ilfSmtttel, bem Srauemben ba§ übliche 2öacf)bleiben in
ber «Rac&t gu ermöglichen, »gl. §i 3, 26; 7, 3; Vf 77, 5; 102, 8). 9?acb, (tobt ©. 53
trugen bie fbäteren ^uben ben ©aq aueb, beim gaften, »gl. fctjon 1 9JZai 3, 47 @r fonnte
io in Verbinbung mit einem ©trief um§ $aubt 1 Sg 20, 30 f. aueb, als" geilen ber Unter=
merfung bienen. Ob aber ber ©aq immer bie ©eftalt eines1 boeb, nur Meinen Senben=
fc^)ur^e§ gehabt t;abe, fcfjeint mir jmeifelfyaft. ©djon $oel 1, 8, bann aber in ben fbäteren
©Triften %ub 4, 8 ; (Sftb, 4, 3 ff. ift auf ein größeres JHeibunggftücf ju fctjliefjen, baft $ur
3f?ad>t§ett als ®ecfe bienen fonnte; 2 ©a 21, 10; 1 % 21, 27; führen gu bemfelben
i5©ctylufs; bor altem bgl. Qef 20, 2, mo ber Vrobfyet ben <Baq über bem £etbrocf trägt.
5Riebu|r berietet, bajj noeb, b,eute im Crient ein ©eireibefaef aus\ 3^Öen= DDer @fel£fyacir
afö ^rauerfleib biene (bagegen greb ^otentrauer, ©. 7). 1)er mit bem <Baq Vefletbete
galt jmar ntd^t ofme metteres1 als1 unrein mie bei ben Werfern ©ftb, 4, 2, aber trauern
unb fdjmmtjig fein fommt auf baSfelbe bjnaus>. ®er 'jErauernbe fetU ftcfc, in Btaub unb
20 Slfcfye unb beftreut fein Raufet mit @rbe. §atte er ben SLoten berührt, ettoa mie eS nacb,
©en 50, 1 ba<s fbätere S^ntum jur Vflicfyt machte, ifm geluvt, fo mar er unrein, Se
21,1; 9ht 19, 11. 9cu 6,9: ber 9lafträer, ber einen : äoten berührt, mirb unrein,
^otengebein berunreinigt ben ^embet ©g 9, 7; 43, 7. Über bie Reinigung bon biefer
Unreimgfeit fte&e Äönig oben 93b XVI ©.576, 37 ff.; 577, 46 f.; über fbätjübifcfye ©Uten
25 ebenba 579, loff. 2lucb, für irgenbmelcfye ©enüffe bot bie SErauerjeit feine ©elegenfyeit.
©in SBeib gu berühren mar berboten, bgl. SDa 6, 19; 2 ©a 12, 24 (hierauf grünben fieb,
bie rabbinifcfjen Vorfcfjriften). 2tu§ 3)a 10, 3 fcfrtiejU man, baf? Die STrauerjeit eine teil=
meife gaftenjeit mar; auef) bei ©aul§ SEobe ift bon einem 7tägigen gafien bie Siebe
1 ©a 31, 13. Scacb, Baba bathra 16a toaren bei ben fbäteren Qubcn Sinfen ein für
30 biefe 3eit erlaubte«? ©ericfyt ; angeficbtS ber Seicb, e ju effen, ba§ ©efe£ ju ftubieren ober
ba§ ©d)ma ju beten, mar ftrenge berboten Mischn. Berach. 3, 1. 35gl. 'Sabibg frei=
miEigeg gaften 2 ©a 3, 35 (bgl. 1, 12). ®aju fietje Sub,l oben Sb'V ©. 768, 46 ff.;
SSeHljaujen, Sfofte2, 182; ^ambb,aufen bei 9Riel)m 425. SDafc e§ altgemeine ©Ute mar,
bafj bie ^aef^barn bem 2;rauernben ©beife brachten, geb,t auä ber bafür angeführten ©teile
35 2 ©a 12, 16 f. fo menig fio)er fierbor mie bie ftänbige Verteilung bon ©beife beim
Begräbnis an 2trme au§ ^er 14, 7; @j 24, 17; §of 9, 4 gefcfjloffen merben barf. ®ie
fbätern ^uben erft galten eä für berbienftlicb,, bem ^rauernben ©beife anzubieten. 2)arau§
ermucf)§ ber Sraucf), baft aueb, bie SErauernben ben teilnafytnäbolten greunben ©beife bor=
festen. ®ie§ artete bann gu übbigen ©elagen aue\ ®a§ "Jrauerbrot felbft, baä bielteidjt
40 au§ geringerem 2Ret;I gebaefen mar, gilt al3 unrein unb berunreintgt §of 9, 4; ©t 26, 14.
Vielleicht mar ba§ Vrec^en unb @ffen be§ SErauerbrotes eine fr/mbolifcfje §anbtung ber
SRittrauernben, um ibre ©olibarität mit bem betroffenen funb ^u t^un, bgl. ^er 16, 7
(ftel)e bie eingeb,enbe Erörterung biefer ferneren ©teile bei gre^t, £ob Je. ©. 90 ff.). 2lucb,
mit bem bort ermähnten Sroftbecfyer mochte eg fieb, ä^nlicb, behalten (f. u. unter II).
45 Seileib fetteng ber greunbe unb üJcacfybam mar ja eine mofyltlmenb embfunbene ^tunb=
gebung Vreb 7, 3; 3Jit 27, 61 ; ^o 11, 19. ©ie mirb ol8 löbliel) ^ingefteat §t 29, 25;
©i 7, 38 bgl. 9tö 12, 15. Vor bem Übermaß ber Trauer marnt ©i 22, 11; 30, 25;
38, 16 ff. Vujtorf, Synag. 701 meint, bie Vefannten fommen aueb, be^f)alb, um bem
Soten, ben man fieb, fyörenb unb febenb borfteüte, alle§ angetane Unrecht abzubitten. —
60 @in ^aubtteil ber äotentrauer mar bie 2:otenf(age, bie freilieb, ntdc)t immer in fo er=
Ijebenber unb benfmürbiger gorm fieb, boEjog mie ©abib<3 ^lage um 3onatb,an 2 ©a 1,
17 ff. ober 3eremia§ SHagelieb um ^ofia 2 ßb,r 35, 25; bgl. noeb, 2 ©a 3, 33 f. ; 1 SJcaf
9, 21 ; ^er 22, 18; 34, 5; 1 % 13, 20; 2 ®g 2, 12; 13, 14. Ugolino bietet im The-
saurus XXXIII, 1300 ff. eine gan^e ©ammlung rabbinifef/er riirp, bgl. Vubbe in^atSS
55 1882, 1 ff., 1892, 31 ff. Um bie ^otenflage ftilgerecb,t %u boCjie^en, gab eg geübtes
mageberfonal ^er 9, 16 f.; 2lm 5, 16; fo mob,l auet) 3Jcc 5, 38; bie 2ßeb,flagen beä ganjen
£etcb,enzuge§ 2 ©a 3, 31 mürben fbäter bon elegifcb,er SSJcufif unterftü^t Wt 9, 23. Mischn.
Kelim 16, 7 ermähnt bei ber 3;otenflage ben ©ebraueb, ber 3lbuffen (qn §anbbaufe,
^ambourin). ©ie eigentliche STotenflagegett bauerte 7 2age 1 ©a 31, 13, alfo folange
eo mie bie £ett ber Unreinheit (bgl.Äönig oben 33b XVI ©. 567,r,eff.; 571, sf.), in tgtjbten
Srcwergebvnttdje bei bat Hebräern 87
711 läge (nacb; §erobot 2, 85 : 72 Sage) einfcr/liepcf; ber 40 Sage ber SRumifijierung
Gkrt 50, 3 f. 35ie Sotenf läge um2taron unb9Jlofe bauert 30 Sage, 9iu 20, 20; 35t 34, 8.
35ic btelen febr bermicfelten Srauerriten ber jäteten ^uben bgl. bei ©runbt. ©o nal)m
man j. 33. aus ©br 20, 27 2tnla§ gum Sfagünben ber Sotenlambe. 35ie 2Bteberfef)r be3
2obe3tage3 mar in ^Srael ein ernfter Sag SRt 11, 40. Seim Sobe ber näcfyften 33er= ö
tuanbten, befonberS bon SSater unb 9J?utter bauerte bie Trauer noef) über bie 7 ftrengen
Sage fyinauä, ja in milberer gorm bi<§ $u ber erften SBieberfefyr be§ Sobe§tage3. 33i§
babin barf ber um bie Eltern Srauernbe fein ©elage mitfeiern, mäbjenb fiel; bie§ in ben
erften 7 'Sagen für alle Srauemben bon felbft berftanb. 35ie Trauer um SRiffetfyäter,
Selbftmörber, ©ebannte, abtrünnige mar »erboten, ja über ben Sob ber leiteten fott 10
man fiel) bielmefyr freuen (Sefyrer). gur Trauer ber ^riefter fielje ^öberle oben 33b XVI
2. 44, 55 ff. — Über bie ÜBitmentrauer im befonbern miffen mir nicfit fefyr biel, bgl. 2 ©a
11, 26; ©cn 38, 14. 3luc£) bie 9Bttme trug ben <&aq unter bem SJUmenHeibe Qub 8, 5
(bgl. $anibf)aufen bei 9tie^m 1321). Über bie SBitmenfleiber niÄ« -y<z üqL ©en. 38,
14. 19, monacl) bieSöitme feinen ©dtleier trägt. 35ie Reibung mar unfcfyön unb fc^mucfloS 15
3ub 10, 2 ; 16, 9. 35ie bermitmete grau gog fiel; mobl bon ber Sßelt jurücf $ub 8, 5,
oft genug mobl fc^on um ber miftlicfyen Sage mißen, in ber fie oft auf ba§ SJtttleib anberer
angetoiefen mar (bgl. Senjinger oben 33b V ©. 745, n ff.). 35ie finberlofe Söitme fefyrte
meift m§ @lternl)auö jurücE, falls ib/re (Sltern noef) am Seben maren, unb nafym biefelbe
Steßung ein mie bor ifyrer @f)e. ©0 burfte 3. 33. bie bermittoete finberlofe Ißrieftertodjter 20
mit bon ber gemeinten ©beife effen Se 22, 13 ; ©en 38, 11. (Sine bom (Seemann ent=
laffene grau, bie audj) in jmeiter ©f>e entlaffen ober Söttme roirb, gilt für ben erften
ßbemann als unrein 35t 24, 4. §örte bie SBitme ju trauern auf, fo befefmitt fie bie
■ftägel 35t 21,12; bieg ift alfo nicfjt mit 33ertfyoIet als Srauerbraud) anjufeb^en, fonbern
mit bem arabifct)en ^Brauet) (Skiläufen 9?efte*, ©. 156) jufammenjuftellen; fo St'önig unb 25
befonberS 35riber. -Jcacr) rabbinifef/er 23orfcr;rift barf bie Söitroe erft naef) bem 3. t)ob^en
gefte, baS auf ben Sob be<§ 9Jianne3 folgt, mieber heiraten; fyat fie einen ©äugling, fo
fteigt biefe SBartegett auf 2 $af)re. 35er 9J£ann barf um feiner ^inber millen fcfyon nact)
30 Sagen mieber ein SBeib nehmen. 2Rancf;e 2öitme behielt zeitlebens bie Srauerfleiber
bei (boct) mof)l ofjme ben Baq ?) unb entfagte allem ©cfymucf unb aßer greube in ftüler 30
^urücfge^ogenb^eit.
IL 35ie moberne religionSgefcfncfytlicfye 33etraci)tungs>meife fe|t fonftruierenb einen ani=
miftifdji gefärbten 5?aturfult an ben SXnfang ber religiöfen ©ntmicfelung. 33on biefer
Ibeorie auö f)at man für ba§ bormofatfcf)e Israel eine ftarf animiftifcf; burd^fe^te ?Ratur=
religion gemutmafst. 2im flarften ift biefe 2lnfid)t entmicfelt bon ©tabe in feinem legten 35
Sßerf, ba§ gegen feine ©efcfjicl;te be§ 23. ^5. feinen gortfcb^rttt geigt unb äße gegen ba<§
Stiftern erhobenen @inmänbe abtaut, obne auf fie einjuge|en. 35ie anbere Stiftung ber
at. gorfcf)ung erfennt bie bon ber fritifcf)en ©cb,u(e aufgefteßte Dueßentb^eorie infomeit an,
als fie auf liiterarifdje 33efunbe, nieb^t auf tfyeoretifd^ugeftutjte Sejte aufgebaut ift, fyält
aber an ben bon ber 33ibel berichteten Sliatfad^en als folgen feft, bor aßem baran, bafs w
am Slnfang ber i^raeliiifcfyen Religion eine ©otteöoffenbarung fteb^t. Srotj bauernb mert=
boßer unb eingefyenber Darlegungen fyat biefe moberne bofttibe ©cb^ule e§ nicf;t bermocfjt,
bie 9teIigion§gefcf;icI)tler bon i|rer S^eorie abzubringen. 35iefe %i)at ift bon anberer ©ette
boßbracfyt morben, menigftenö in ifyren Slnfängen unb mit unleugbarem ©lücf. 33on ben
Vertretern ber fritifcfyen ©d^ule ift eg befonberö %. ©cl;maß^ gemefen, ber in feinem 45
SBerfe „35aS Seben nacl) bem %oW 1892 au$ ben Srauer= unb Sotenbräucb^en auf eine
animiftifcfye 33orftufe ber ^afybereligion gefcb^loffen f>at, ja biele biefer 33räuc^e aU ani=
mifttfd^e 9!ubimente angefbrocfjen ^at. ©la^efdjeren, 2lbf(|neiben be§ 33arte§ foßen §aar=
opfer, @inritw.ngen unb @infcf)nitte 33lutobfer für (an) bie Soten fein. 35er ©aq fei ba3
urjbrünglicfje ©flabengemanb gemefen, fein anlegen bebeute bemütige 23erel>rung be§ Soten= 50
geifteS, fyabz bod; ber Sote noeb^ fobiel SebenSfraft in fiel;, ba^ er ben Sebenben fcf)aben ober
nützen fönne. @r fei be§b]alb buret; Dbfer günftig ju ftimmen. 35afyer ifst man mit (!) if)tn
ba§ Srauerbrot, trinft mit (!) ib^m ben Srauerbecljer. ©i 30, 18 berfbotte berartige Soten=
obfer. 35ie ©cb^ä^e in ben ^önigggräbern, bon benen ^ofebb^uS erjagt, feien folcb/e 2oten=
obfergaben gemefen. 2tucb^ ba§ gaften gelte bem Soten, um feine ©unft bamit ju er= 55
toerben. Tmx ber SDJann fonnte biefen ÄuIiuS ausüben, nur au^ ib^m fei bie Slnfcljauung
bon ber Solibarität ber gamilie erflärbar. ©aul nenne bieSLoten bireft elohim „©eifter"
Sa^toaßto, gegenüber machte 3ob\ gret; (in „35ie alti§r. Sotentrauer", 35orbat 1898 unb
„Sob, ©eelenglaube unb ©eelenfult im alten &v."r Scibjig 1898) geltenb, bafe bie i^rae=
litifd)en Sjorfteßungen bon bem 2öefcn unb ben ©ein^bebingungen ber ©cele naef) bem 60
88 £rauergebräucf)c bei ben Hebräern
Xobe toobl ©eelen glaube feien, aber auf ©eelenfult nitfjt ju fdjliefcen erlauben. 9Jtit
bem 9<iacfyWeiS, bafe bie Ursprünge ber iSraelitifcfyen Religion mit SlnimtSmuS nichts ju
fct)affen fyaben, faßt auef; bie @rf'lärung ber "Jrauerbräucfye als 5Refte einfügen ^otenlultS.
§ier ift u. @. ^rer; im Stecht gegen ©djWallr/. 2tucb, Sagrange (Etudes sur les rel.
5 sem.1, ©.270 ff.) argumentiert äfynlid). 9JUt Stecht Wenbet ftcfy $reö aueb, gegen bte=
jenigen, meldte bie SErauerriten rein öftycb/ologifcb; beuten Wollen, alfo im gerreifjen ha
Kleiber bie Setbenfcfyaftlicfyfeit beS 2tffeftS (Server in $3fJ@2) ober gar baS 2lbbilb beS
^erriffenen §erjenS ($amöb/aufen bei Sftefym) fefyen Wollen, greö, fudjt nun fämtlictje
SLrauerriten auf ben einen ©ebanfen ^urücf^ufüb/ren, bafj fie alte bie tieffte Demütigung
io öor 3;ar;öe jum SluSbrud; bringen foHen, ber buref; ben £ob beS betrauerten ben SErauernben
feine 9JäI)e I)abe füllen laffen. ©ab/er ber <&aq als bie religiöfe 23oBStracb;t ber De=
mütigung, er bofumentiere relatiöe ÜNacftljeit (in Slrabien gelten ^rauernbe jutoeilen ganj
naclt). DaS 33erb/üHen beS £auöieS ober baS teilWetfe Verbüßen bis über ben ©dmurr=
bart, aueb; baS Söebecfen beS floöfeS mit ben £änben fei ntd^t geilen ber älbfonberung,
io beS fief/ gurücfjieb/enS Don ber Umgebung, fonbern Wieberum getef/en ber ^eiligen ©cfyeu
öor ^afyöe. @S ftefyt auf einer Sinie mit @r. 3, 6; 1 % 19, 13. Desgleichen gefcfyiefyt
baS ablegen ber ©anbalen Wie @r. 3, 5; 2>of 5, 15 aus dfyrfurc^t öor ber b/eiligen Jläfye
$aI)öeS. Die gange armfelige SErauertradjt fotte ©otteS ©nabe unb Sffiilbe Wadjrufen,
töte fie bie 2lrmen nötig b]aben, meldte biefe alte 33oIfStracfi)t noeb, lange trugen. Die
20 SEotenflage entftanb aus bem Stufen nad) bem $erfcb;iebenen. 9cur baS fernere ©efd)i(f
betrauerte man, baS ben %oten getroffen, ©o fyaU Dabib ntdjt getrauert beim SEobe öon
33atr)febaio Äinbe, benn bamit b,aht ©ott ilm felber ftrafenb getroffen. DaS gaften füllte
©ott günftig ftimmen. ^rauerbrot unb SEroftbecfyer feien leine ©öenben an ben SEoten,
fie feien nad) ber Seftattung im SErauerb/aufe genoffen, Wäb/renb man bei Sltjnenbienft baS
25 ©rab al§ $ultftätte erwarten bürfte. [9Benn man bem Soten etwas mitgiebt, fo tft baS
u. @. fein $ult, fonbern einfad) gürforge. Der Sote lebt in ber Unterwelt Weiter, aber
ein elenbeS ©cfjattenbafein; bieg Will man ib,m bureb, Mitgäbe öon ©aben erleichtern.
2lud) bie Araber finb, Wie 2öeHt;aufen berietet, ber SReinung, bafj ein ^oter ofyne feine
irbifd)en ©ebraucf/Sgegenftänbe beS SerufeS in ber Unterwelt gar nidjt aU er felbft gilt.]
30 ®ie §aarfd)ur bejWedlt nad) %vfy (SntfteCung ber ^erfönlicftfeit, alfo Verunzierung unb
©elbftbemütigung. §aaroöfer Würbe ba§ Darbringen be3 abgefeb/nittenen |>aare§ fein,
boeb, baöon ift nie bie 9tebe, fonbern ftetS nur öon ber ©la|e unb bem öerungierten 93art.
@rft baS Döfern be§ §aarg auf bem ©rabe ift wirllicf;e§ Sotenoöfer (©olb^ib,er, 2Ru=
b,ameb. ©tubien I, ©. 248 f.). 9?ur bem ^ßriefter ift aEeö, \va§ nad) Trauer au§fieb;t,
35öerboten; in älterer Qät blatte er ha§ $aax lang unb Wofylfriftert ^u tragen, föäter bei
©jedjiel e§ nict)t lürjer ju fcb,neiben al§ ftdjg gehört. Sefonberg bie ©la^e über ben 2lugen
Wirb als 9?ad)abmung b^ibnifcb.er ©itte öerboten. ^ternad) fd;eint alfo $ret) ben ^3riefter
al§ einen ©ottgeWeif/ten anjufeb,en, ber fid£> nicfyt Wie ber gewöhnliche 35oßSgenoffe ju
einem ©llaöen ©otteS im Stureren* erniebrigen barf. 2lucf) bei ben ©infdmitten auS
40 21nlafe ber Trauer öermi^t %xfy ben Döfergebanlen. [Seim blutigen Döfer ift nad)
6urti| baS ^eröorbrecb.en, baS 2lu3föri£en beS SluteS bie §auötfad)e, bie beim Stilen
unb and) bei bem öon Arabern geübten 23Iutigfra£en beS ©efid)tS fef^It. 3lud) baS bei
heutigen Sebuinen geübte Sefcfymieren beS ©efid)t§ mit Slut, b. b,. mit Slut eines ge=
oöferten ^iereS, ßurtife ©. 285, ift etWaS ganj anbereS.] 9JMt ^Rec^t betont er aud) ben
45 ftarf ft)n!retiftifd)en Sb/aralter beS i§raelitifä;en Kultus §ur $i\t öon SlmoS, §ofea unb
^erobeam II. 9ttan übertrug ja £)eibnifd)e JMte birelt auf %afytie, ögl. 3er 41, 5; bie
^roöfyeten nehmen berartigeS fdjeinbar gleid^giltig b,in. Slber bjer wirb ber©eban!e ma^=
gebenb fein, baf$ bie ©träfe für ben 2lbfaU aueb, biefe Sitten mit l)inWegner/men Wirb. SDie
föätere ©efe|gebung eifert benn aueb, n\d)t gegen bie £rauerbräucb,e als fold)e, fonbern
so nur gegen bie bireft fyeibnifc£)en Entlehnungen in benfelben. ®af$ bie §aarfd;ur rttc^t
als teilWeifer @rfa£ urförünglicb,er SRenfcltenoöfer anjuförerf;en ift, fonbern lebiglid) ben
^rauernben entftellen foll, jeigt ber ägöötifct;e Sraucf), Wo bie ©Ia|e bie reguläre %radj)t,
baS 2Öad)fenlaffen ber §aare aber baS ^raueräeic^en ift. @rfi in gang föäter gt'ü, als
man ben £ob nid^t mefjr als 3Serf)ängniS ©otteS fonbern als ben regulären Sauf beS
55 gZaturgefcfiefyenS Wertete, mögen folcfye 3eicb,en ber ©rniebrigung ju Äultäu^erungen ge=
Worben fein, ©ämtlicfje ^rauerbräuc|e tiaben für gre^ bie SBebeutung ber Demütigung
unter ben ©enber fo großen ©lenbS ober ber ©orge um 3tufrecb,terb,altung irgenbWeldjer
S3ejiel)ung ju ber in folcf)eS trübe ©cb/aitenbafein gelommenen ©eele. §ier fe^t nun bie
Unterfucfyung ©rüneifenS ein (Der 2Ib,nenlultuS, §aEe 1900), Welcher nic^t nur Wiegre^
60 ^amöb/aufenS Deutung als ber "3;äufcb,ung auSgefe^t, fonbern aueb, ©cf)WaKr/S @rflärung als
2raiicrgcl>riiud)C bei ben Hebräern 89
jelbft in ©bmbolif ftedfert geblieben bejeiefmet. Stber auef; Jyretyg Söfung ift tlmt eine ju
einseitige. SDem wirb man juftimmen muffen, ©rüneifen gefyt bom ©ebraud; bag &aq
bei ben ©efangenen aug unb finbet, baf$ er auf bem herem beruht: um beg S3anneg
mißen, meil ber ©ottfyeit »erfaßten, Serben fo oft bie ©efangenen getötet. 2öer gefangen
iüirb ober fid) ergiebt, lommt in fcfyrecflicfye 33ejieb,ung gur ©ottfyeit, er ift ifyr Verfallen, 5
ift in Scbenggefafyr. ©0 finb ^rauerriten öfter ba angewenbet, Wo eg fid) aud) nur barum
Fianbett, bafe ber ÜJtenfdj in Be^ielrnng jur ©ottfyeit tritt. 5(uf biefe Slrt gewinnt ©rün=
eifen eine ©rubbe bon gäßen, Wo ©efangenfdjaft unb 2rauerbräud)e gemeinfam bie 3Be=
jiebung jur ©ottfyeit augbrüd'en. Slufeer bei Trauer fommen aber biefe Sräuct/e bor,
menn ein SRenfd) im $uftanbe ber Unreinheit in 33egug jur ©ottb,eit tritt. ©0 finb 10
ÄSetligfett unb Unreinheit in ifyrer SBirtung auf ben SJcenfdjen urfbrünglid) ibentifd). Stuf
biefe äöeife abobtiert ©rüneifen bie bon gramer guerft auggefbrocfyene Slnfidjt : ber -SRenfcfo,
miß fieb, burd) bie ^rauerriten unfenntlid) madjen, um fidj) bor ber broltjenben 9cäfye ber
©ottfyeit ^u fdtmijen. 2öie bag Stuftreten ber fid) ergebenben Ärieger ben 3orn beg burd)
ben ©ieger repräsentierten ©otteg befänftigen miß, fo miß ber 'Jrauernbe burd) ©elbft= 15
entfteßung fieb, einer ifmi broljenben ©efafyr entjiefycn, ber ©efafyr nämlid), ir>elcf/e nadj
©rüneifen ber unheimliche %oü bejto. feine umfycrirrenbe ©eele barfteßt. 93or ber 2oten=
fecle miß man fieb, fdw|en, man fjatte eine ängfttid)e ©d)eu bor ben lotengeiftem. '•Jiicb/t
übermenfcfylicfye unb barum futtifcb, ju efyrenbe 2öefen fab, man ib,n ifmen, fonbern unter*
menfdjlidtje Söefen bon fbulfiafter, unheimlicher 2lrt. $)ie ©ntfteßung beg Sorben? foß 20
unfenntlicb, machen, bag toüfte $Iagegefd)rei foß fie »erjagen. ®er Bebuine berb,üße ja
nod> fyeute SRunb unb 9cafe ober fyalte fie ju, roenn er an oben ©tätten borbeifommt,
too ©efbenfter ber Serftorbenen Raufen. 2tm fcfyneßften entfteßt ßerretfjen ber Kleiber,
greitid» gefiel? t ©rüneifen bejüglicr/ ber SErauerbräudie einen unbeutbaren Sfoft ju. Sielfad)
berühren fic£> mit ©rüneifeng ©rgebniffen bie bon Sagrange (bie 2. Auflage ift mir leiber 25
nid)t jur §anb). @r betont bor aßem, bafj boeb, in bieten ber 2rauerbraucr)e gar feine
©bur bon ©efyeimnigfrämerei ju fucfyen fei. ©0 finb ib,m SBeinen, ©freien, ©euf^en,
Äüffen be§ %otm einfad) 3«'d)en natürlicher Trauer. (Sr f>ätte nod} ben gebeugten ©ang,
bas trofttofe 2tm=33oben=b,oden, bie 5ßernad)Iäffigung ber eigenen ^ßerfon getroft fyin^ufügen
bürfen. Sagrange giebt aud; bie erfte btaufible ©rftärung beg in 2Ifdjefii5en§ unb be^ so
SBätjenS in ber 2lfd)e: Sin ben (Eingängen ber Drtfd;aften fammetten fief; gro|e 2tfd)en=
unb ©dmttb,aufen an. ®ie 2lfcb,e entflammte ben Sadöfen unb nab,m jute|t ftaubartige
^onfifteng an. Söenn eine ©tabt erobert, ^erftört, berbrannt ift, finb biefe §üget bie
3uftud)t ber 33ewor/ner. ©a fi|t man im ©taub, £s'ef 47, 1, ober in ber Stfdje 3Dn ?>> 6/
iüäfjt fieb, in 2lfd)e &v 6, 26, ftreut fic^ ben ©taub auf<§ §aubt 2Ri 1, 10 ober tfmt bieg 35
aße§ gugleicb, @5 27, 30. ©ab,er rüb,rt biefer Srauerbraudj), in ben man ©rabafd;e, Seid;en=
branbafcfye u. a. {»ineinge^eimnift b,at. Iyl)n ausbeuten genügt eg, @rbe auf3 §aubt ju
ftreuen. 3n aßen biefen gäßen b,anbett e§ fieb, nicfyt um %ob eine§ gamitiengtiebeä.
Siefe Beobachtung bon Sagrange beftätigt bie Berechtigung, in ber 'iEfyamarebifobe mit
^aftroto '-ns ju tefen (f. oben). 40
5>n aß biefen ©rflärungsberfudjen, beren güße fidt) bequem burd» Berüd'ficbjigung
ber gelegentlichen itufjerungen ju einem eigenen 33ud}e ^ufammenfteßen tiefee, bermiffen
toir bie ©mbeitlidtfeit eines größeren aßgemeinen ®efid}t§bunltg. ®en 2öeg ju einer
lünftigen geminnbrtngenberen Beb^anblung foleber fragen |at Baenifdj befdiritten in feiner
brogrammatifeb^en ©cfyrift „2lttorientatifcb,er unb igraetitifdier SJconotb^eigmug", Tübingen 45
1906. ©ie enthält eine Stbfage an bie retigionggefcb^ic^tlid^e ©dmle, auf beren linfen
glügel Baentfct; fetbft lange geftanben. Baentfd) ift ju biefer Slbfage gelungen burdi bie
2Jcad)t ber ^b,atfad)en, wetdjer Söindter ung burd) feine 3Bicberauffd)Iiefeung ber attorien=
tauften 2öe(tanfd)auung gegenübergefteßt fyat. SDie ganje @ntmtdetung6b,t)botf)efe be^ügtid;
be§ ilraelitifd)en SDconottjei'gmug ift für ib,n b^infäßig, bamit ift atfo aud) ber bon ©d)tt>aßr/ 50
bertretene ©tanbbun!t nieb^t meF>r berechtigt. 2öag Baentfcb, unter bem (Sinflufe ber neuen
ßinblide in ba<§ Sffiefen attorientatifct)en Denfenö über ^graclg Religion fagt, nähert fieb,
fo auffaßenb ben 3tefuttaten ber mobernen bofitiben 33eb,anbtung be§ 212, bafj in 3U=
fünft biefe mit Vertrauen angenommen unb ju einem Steubau unter einem größeren ©e=
fid)tgbunfte ob,ne meitereg bermenbet merben bürfen. ©0 reichen fid; biejenigen, welct/e 55
bom aItorientatifd)en ©efamtteben (;er bie ®inge betrad;ten, mit benen bie Aanb, meldten
bag 2(X fd)on immer alg bertrauengtrmrbige Urlunbc beg mirftid)en igraetitifd;en SebcnS
galt auc^ ob,ne borauggegangene tenben^iöfe Xejtreinigung. ^iir bie 3:rauergebräud;e
liegt freilid) bie Aufgabe, fie einzureiben in bag grofee ©an^e altorientalifeber il>clt=
betrad)tung befonberg fcb,mer unb ^loar megen ber ©b'ärlicb,feit ber ")iad)rid)ten. Stber fd;on eo
90 $r<uiergel>röii(f|c bei ben Hebräern $regelle§
jeijt tritt bie Xr)atfad)e Mar fyerbor, baß aßen femtttfd^ert 93ölferrt, 33abr/Ioniem, älrabcrn,
«Syrern, ^anaanäem bte gemeinfame 2lnfd)auung bon ber umberfebweifenben ©eele be3
loten unb ibjem ©cbattenbafein urfbrünglicb, eigen War. %oh War Ünglüd bon ber ©ott=
I)ett fyer. SRan fud^t ilm bureb, fultifdie §anblungen abjuWenben. Stritt er boeb, ein, fo
5 ift be§ Xoien ©eele ju einem lyammerbafein eingegangen; fte irrt umber unb fuefyt ben
2Beg jum Xotenreicb,. ©ie§ S£r/ema Wirb auf berfebiebene Söeife bariiert. (ginige 23ölfer
meinen bie ©eele fyeraufbefcfywören ju lonnen; anbere laffen fte rufye!o§ umherirren, Wenn
bem Xoten ntebt fein ^ecf/t Wirb. SJJan muß fieb, bor btefer ©eele irgenbWie fernen unb
muß forgen, baß fte jur 9iur/e lommt. tiefer ©eelenglaube ift alles anbere als? ani=
10 miftifcfyer SLIotenluIt. Anläufe §u folgern liegen freilid) manchmal nal>e, Wie bte ©amm=
hingen bon 9tob. ©mitb, 2BeUl)aufen unb ßurtiß erlennen laffen. 93on btefer alten orien=
talifeben ©runbanfebauung finb flare ©buren bei allen ©emiten, auefy in ^Srael ju finben.
®te aftralen Sejier/ungen unb bamit bie enbgiltige ^Deutung ber ©trtgelgüge bes> 23ilbe§
finb Wegen ber Südenfjaftigfeit beS SftateriabS nod) fef>r bunfel. ^eranjujieljen märe Wofyl
15 ber Xammu^uItuS, Weldier aud) nod) anber<§ gewertet Werben fann al<§ bon 33aubifftn
in Sb XIX ©. 328 ff. Slucb, b, ter Wirb fünftige gorfdjmng ju beftätigen fyaben, baß ba3
irbifcfye ©tnjelleben fein Srototr/b im 9JiafrofoSmu<§ bat unb baß Slnfcfyauung bon ber
©eele unb SEotenbräudie auS aftralmfytfnfcben ©ebanfen fyerauSgeWacbfen finb (bgl. $. 33.
ba§ 33erfcbwinben ber ©eelen im Söeften analog bem SerfcfyWinben ber ©onne). 9iur
20 feb,r Weniges tritt bisher auS ber Ungewißheit fyerauS. Söir roiffen aber bon anbern ©e=
bieten b,er, baß btefe altorientalifcbe SBeltanfcbauung aud) in ^§rael tief eingewurzelt War.
©er QaljibiSmuS War if)r ©egenfa| unb fcb,limmfter ©egner. Seiber aber mar er barauf
angeWtefen, ftcb, als SluSbrudSmittel ber bon uralten, tief eingewurzelten aftralen Silbern
unb SSorfteKungen burebtränften ©brad;Weife ju bebienen, Welcbe bem 33olfe allein ber=
25 ftänblid) roar. ©o famen groei Umftänbe ber (Erhaltung unb bem ^euembringen alt=
ortentaltfcber Sräudje ju©ute: bie jä^e ©nergie, mit ber bie innerfte SSolfSfeele am alten
aftralen Stberglauben feftf)ielt, unb ber Umftanb, baß ber b,öf)erftel)enbe ^a^bi^mu^ ftd)
erft feine eigene religiöfe Terminologie ju fdjaffen r)atte unb burd) 3Serroenbung borl)an=
bener ©bradj= unb Segripelemente bem SRißberftebjen be§ 3SolIeg %ox unb %üx öffnete.
30 ©o geroinnen mir bie bon DrelU mit ©lücf eingeführten ^Begriffe ber religiöfen Ober=
unb Unterftrömung. ©ie größte 3ar)I ber Xrauerbräuct)e tourjelt in biefer Unterftrömung ;
barum r;ielt ba§ Soll fo gä^e an ilmen feft.- ©tlicf)e btefer Sräud)e toürben fid) ja bireft
aus ben ©ebanlen be§ ^ab,bi§mu§ herleiten laffen, rote ^reb, bie§ getl)an fyat, roenn nia)t
femttifd)e parallelen if)r ^ö^ereä Sllter beroiefen. tiefer Umftanb mag if)re §erübernab,me
35 in fimfretrftifcfyen fttitm unb i^r ©icfyeinfügen in ben 3a^t>t§mu§ erilären. @<§ roürbe
freilid) ber!e^rt fein, mit üffiincfrer nunmehr annehmen ju Wollen, baß ber $al)btemu§
nicb,t§ Weiter geWefen fei, als ba§ ©treben, bem Solfe o^ne boIt)tb^eiftifä)e ©infletbung ju
geben, toaä längft ©emeingut ber monot^eifterenb benlenben Kenner ber altorienta!ifd)en
©ef)eimlef)re War. SDer Qar/biSmug ift ein Wefentlid) anberer SJtonotfyeiSmuö als bie ju
40 llnredjt mit biefem tarnen benannten foSmotfyeiftifcfyen anlaufe ber alten ©eb^etmle^re.
2luf biefen^>unlt fyat Saentfd) mit banfen§Werter ®eutlid)leit b^ingeWiefen. ©a^ fa)ließt
nun freilief) nid)t ans, baß ber 2jar/bi<8muS nid}t auf allen Sebenggebieten burd)greifenb
eingeWirft t)at. SinS biefer ©ebiete, Wo ^^raelö Religion fiel) ntd)t allju^od) über ba§
9Zibeau ber altorientalifdjen 2lnfcf)auungen ergebt, ift alle3 toaS mit Xob, ©rab, ©eele,
45 Trauer unb ©d)eol jufammenb.ängt. Dh eS übertäubt je gelingen Wirb, alte @rfd)einungen
biefeS ©ebteteö nad) il)rem Urfbrung im altorientalifcf/en ©Aftern ju beuten, ift fef)r ungewiß.
@injelne biefer @rf Meinungen b,aben im ^ab,bi§mu§ tr)re SBanblungen burd)gemad)t.
©iefe flargelegt ju r)aben, bleibt ba§ bauernb Söertbolte an ben arbeiten bon ©cfjWaßt),
%xfy unb ©rüneifen. — (®te SerWeifung in SbVI ©. 370, iß erlebigt ftdj bereit? burd)
so bte ausführliche ©arfteßung in 93b II ©. 531, is ff.) Dr. SRuboIf 3c(mpfunt>.
2:rttuung f. b. 3t. @f)erecb,t 33b V ©. 200, 43 ff.
Sraberfart 3lmbrogio f. Slmbrofiuä (SamalbulenftS 33b I ©. 443.
£regelk§, ©amuel Srtbeauj, geft. 1875. — Sitteratur: ^m 9lbbot, The
late Dr. Tregelles, in ber 3eitfc^rift Independent 1875, Quni 1; A memorial notice of
55 Sam. Prid Tregelles, reprinted from the „Western daily Mercury" of Mai 3, 1875 ; Ply-
mouth 1875, 18 ©. 12°; ©ertoener, A piain introduetion to the criticism of the N. T.,
(31883) p. 485 ff.; 4(1894 non ©ertöener unb SKtüer) vol. II, p. 238 ff.; ^fjilip @d)aff,
Jrcgcücö 91
\ coinpanion to the grcck Testament and the english Version, 2. Ed., 9t'clu -VJin'f 188:),
p. 202 ff.; ß. 9t. (»regort), Sertfritil; be§ 9K£, 93b IT, Seidig 1902, @. 980 f. — Eefonberä
roidjtig finb XregeKeS' eigene Angaben über feine tertfritifctjen arbeiten; »gl. befonberS in:
An Account of the printed text u. f. f. @. 151 — 174.
©amuel ^ribeaur. ^regelleS, einer ber bebeutenbften SEegtfrttifer be3 31%$ in 6ng= 5
lanb, mürbe am 30. Januar 1813 ju 2öobefyoufe *ßlace bei galmoutb, geboren unb ftarb
am 24. Slprtt 1875 in Pr/moutf). ©eine ©Itern baten Quäler; er felbft berliefj fd)on
im jugenblicr/en 2Ilter biefe ©emeinfcbaft unb bielt fid) bann ju ben $lr/moutb, 33retbren
(©arbiften). @§ läfjt ficf> begreifen, bafe er aucb, unter biefen feine Sefriebigung fanb,
jumal er gerabe für biejenigen ©tubien, benen er fein Seben roibmete, unter i|nen laum 10
ein rechtes 33erftänbniS gefunben baben fann; er »erliefe be3l)alb aucb, fie mieber unb ber=
brachte bie legten ftafyxe feinet SebenS als einfaches Saienmitglieb („as a humble lay
member") in ber englifcben ©taatSfircbe. 23on 1825—1828 befugte er the classical
grammar school in galmoutb. @g fcbeint, als* roenn er bann burd) bie Ungunft ber
Ikrbaltniffe baran gefnnbert roarb, auf bem gehJö&nlicfeen Sßege feine gelehrte 2luSbilbung 15
,ut botfenben, bielmebr feit 1828 felbft für feine ©giftertg forgen mu|te. gunäcbft toar
er big 1834 in ben ©ifenmerlen ju ^eatb; 2Ibber/ in ©lamorganfbire angeftellt (als
Sekret?); im $. 1835 lebte er eine furje $eit als ijauSlebrer in 93ortSmoutr/. Dbfd)on
er niemals eine Unitoerfität befugt bat, erfei}te er biefen SRangel böfiig burd) raftlofe unb
eingebenbe ^ßribatftubien. $on feiner frübeften 3>U8mb an boß bon (Sifer für bie (Sr= 20
forfcbung ber beiligen ©cbrift wanbie er auf baS ©tubium ber Urfbracben berfelben unb
aufjerbem beS ©fyrifcben ben angeftrengteften f^Iet^ ; unb t>on feinem 25. Qab,re an mar
er, fotoeit bie äufjeren 23erf)ältniffe eS ibm irgenb geblatteten, unauSgefetjt unb in feinen
fbäteren $af)ren bann immer mefyr auSfcbliefsiicb, mit tertfrtttfd)en Arbeiten für baS 3i%
befdjäftigt. 25
©aS erfte, toaS bon if)m im ®rucf erfcbien unb in Weiteren Greifen belannt roarb,
ift, fo biel mir miffen, eine „©efcbicbte ber engltfcben Überfettungen ber bl. ©d)rift";
biefelbe biente einer Ausgabe ber fect)S micf/tigften Überfeijungen beS 31%$ ins ©nglifcbe
(bon SBicltf 1380 an bis jur autorifterten Überfettung bon 1611), tüelcfee unter bem
iitel „The English Hexapla" im £5. 1841 im Verlage ber Sagfter (fbäter: ©amuel 30
Sagfter unb ©ölme) in Sonbon erfcbien, als Einleitung; ber 9came ib/reS SSerfafferS ift
nicbt genannt; — in fbäteren Ausgaben ber §erabla würbe biefe nad) bem Urteile
bon ©acbberftänbigen wie Sßeftcott unb Abbot b/öcbjt roertboße Slrbeit abfeiten ber 33er=
leger burd} eine anbere, lürjere Einleitung berbrängt. !£>as ©tubium ber b,ebräifd)en
©brad)e fudjte 2:regeUe§ burcb bier SSerfe ju forbern; im ^- 1845 erfd)ienen feine 35
„Hebrew Reading Lessons", bann feit 1847 in mehreren Auflagen „Gesenius's
Hebrew and Chaldee Lexicon", feit 1852: „Heads of Hebrew Grammar" unb
aud) im 3- 1852: „The interlineary Hebrew and English Psalter" 3.ßäb,renb
er in ben übrigen ber eben genannten 3Ber!e fein 2lbfeb,en fyaubtfäcbüd) barauf ge=
richtet bat, ba3 ©rlernen beg §ebräifcb,en §u erleichtern, b,ält er eS bei ber Überfettung 40
be§ ^ebräifd)en SertfonS bon ©efeniuS für nötig, in Slnmerlungen berfebrte rattonaltfttfdje
Auflegungen ju befämbfen. S£regeHe§ war aufeerbem beteiligt bei ber in ben 3a^^n
1843 unb 1844 erfolgten Verausgabe jmeier 33ibeIroerfe: „The Englishman's Hebrew
and Chaldee Concordance of the Old Testament" unb „The Englishman's
Greek Concordance of the New Testament" ; e§ enthalten biefe 2Berle „an attempt 45
at a verbal connection between the original and the english translation"
(SagfterS SkrlagSfatalog 1875, ©. 34 unb 37), finb alfo ganj etwas anbereS, als roaS
wir eine Äonforban^ nennen mürben. 2tuf ba§ %,% begießen ucb, nod} jtbei ©d)riften
bon StegelteS über ben ^robb,eten ©aniel, „Remarks on the prophetic visions of
the book of Daniel" 1847 unb „A defence of the authencity of the book of 60
Daniel" 1852, bie letztere ein befonberS bcrauSgegebener 'Seil ber erfteren. — Qm biS=
berigen finb biejenigen felbftftänbigen SBerle bon XregeHeS, meldte eS rticbt mit bem 9t i
Su tbun baben, mabrfcbeinlicb, bollftänbig aufgeführt. Slucf) bie Strtilel, raeldje er für
tpiffenfd)aftlid)e 3eitfd;riften unb biblifd)e Söörterbücber (©nctjtlobäbien) lieferte, begießen
fid) meiftenS auf baö 31% unb fbejieU bie SLertfritü beSfelben; mir miffen nur bon einem 65
fird)enbiftorifd)en, über bie Scmfwüftat , ber aucb in befonberem Slbbruci erfd}ien; bod)
bleibt möglieb, bafe bon anbern anonbm erfcf)ienenen nur niebt befannt geworben ift, bafe
fie ibn jum Serfaffer baben.
XregelXeö' te£tSrttifcf>e totubien ^um 31% nahmen mie bie ^ifd)enborfS ib,ren Sluögang
bon ber ©cbolsfdjen 2luögabe beS 91%$; bei einer genauen Prüfung berfelben mevftc er, 60
92 Sreaelleä
bafj bie bon ©d)o!g alg aler.anbrtnifd) bertoorfenen Segarten oft gerabe biejenigen toaren,
welche fid) in ben älteften ^anbfdjriften fanben. Sine 33ergleid)ung mit ©riegbad) geigte
il)m bann, bafj bie Angaben über bie Segarten ber $anbfd)riften unb gerabe aud) oft
ber befferen nid)t mtteinanber überetnfitmmten ; gegen ©riegbad) I)atte er femer befonberg
5 etngutoenben, bafs fein £ert nod) biel gu fel)r bom fog. textus reeeptus abhängig fei,
ftatt fid) burd)toeg unter bößiger 33eifeitefe|ung beg textus reeeptus auf bie beften
Autoritäten gu grünben. ©o bilbete er fid) einen eigenen ^3Ian für eine Auggabe beg
N. T. gr., ber im toefentlid)en mit ben if)m bamalg noefy unbekannten ^3ringibien Sad)=
manng übereinftimmte, unb arbeitete nad) bemfelben im Augufi 1838 einen frittfd)en
10 %($ beg Koloffcrbriefeg atö ©Regimen einer folgen neuen Auggabe aug (bgl. 93b II,
©. 764, 55). ©iefeg ©Regimen ift nid)t gebrueft toorben. Sregefleg glaubte bamalg, er
ftel)e mit ber bölligen Sßertoerfung beg textus reeeptus nod) gänglid) allein; alg er bann
Sad)manng (f leine) Auggabe bom $. 1831 lennen lernte, herleitete ir)n Sad)manng Äufje=
rung, editorem consuetudinem antiquissimarum Orientis ecclesiarum secutum
15 esse (©. 461 im furgen ©bilogug), angunefymen, berfelbe befolge ©d)olg' $Pringibten, eine
3tnftcr)t, bie bamalg in ©ngtanb bon Dielen geteilt toarb. Sadjmanng beutfef/en Auffaij
in ben £f)©tK 1830 !onnte 'Sregelleg bamalg, weil er bie ©brad)e nod) nicfyt berftanb,
nid)t lefen ; unb ber fleinen Auggabe felbft fehlen befanntlicb, aufeer jener furgen Angabe
im ©bilog alle tertfritifd)en Erörterungen, toie audp ber 93etoeig für ben %act aug ben
20 Autoritäten ; bie größere Auggabe Sadjmanng erfcf)ien in if>rer erften §älfte erft im
3- 1842. (33gl. über biefe falfdje Beurteilung, bie Sad)mann bamalg fanb, Xregelleg in
feinem Ijemadj gu ertoätmenben Account of the printed text, ©. 98 f., 153 f.). ©a=
malg bätte ^regelleg eg gern gefer)en, Wenn ein anberer, ber namentlich aud) met)r alg
er 3«tt unb Straft auf eine fold)e Auggabe beg N, T. gr., tote fie il)m borfdjtoebte, ber=
25 toenben lönnte, fie unternommen r)ätte ; aber er fanb niemanben bagu bereit; unb fo
fud)te er fid) felbft gunäcr)ft immer grünblid)er auf bie Augfül)rung biefeg Sßerfeg bor=
gubereiten. @r fing nun aud) an, bie alten Überfettungen gu burd)forfd)en unb toar
erftaunt, toie fie, toie g. 33. ber cod. Amiatinus fogar in #ledg ungenügenber Auggabe,
feine fritifdjen Anfielen beftätigten. 9(acf) mancherlei §inberniffen, bie tool)I f)aubtfäd)=
30 lid) barin begrünbet toaren, bafj eg il)m an Mitteln fehlte, fid) bie nötige 5Ruf?e gu ber=
fd)affen, arbeitete er (@nbe 1841 unb 1842) einen fritifcfyen £eri ber Offenbarung au§,
eineg 33ud)eg, bag fid) in biefer £jinfid)t in einem befonberg böfen guftanbe befanb; im
3>uni 1844 gab er ben grted)ifct)en iert bcrfelben mit einer neuen englifd)en Überfettung
I)eraug, toobei er feine fritifd)en ©runbfä|e barlegte unb fcfyon feine Abfid)t in gleicher
35 2öeife ein N. T. gr. berauggugeben, artbeutete, ©ie günftige Aufnahme , toelcfye bie
„Offenbarung" fanb, befiimmte itm, fid) nun tbunlicbjt ununterbrochen an bie Auggabe
beg gangen 31% gu machen, ^rren toir md)t, fo bat um biefe ßeit feine Verheiratung
if)m mögliel) gemacht, fid; ganj biefent 2öer! ju toibmen. Um bie Irrtümer früherer
Kollationen ju bermeiben, toollte er gunäd)ft, fo toeit eg tfjunlicb, toar, bie llncialfyanbs
40 fdiriften neu bergleicfien. 3un«cf)ft berglid) er in (Sambribge F2 (Sb II, ©. 744, 36) unb
bann bereifte er in ben ^afyren 1845 unb 1846 bag ^eftlanb unb berglicb, in Storn,
gloreng, SRobena, Senebig, ^Dcüncb.en unb Safel bie toicfyiigften ^anbfe^riften. Qn feinem
Account of the printed text b,at er, toie über feine ie£t!ritifd)en ©tubien, fo aufy
über biefe (©. 155—159) unb feine gtoeite Greife genauen Bericht gegeben. 3n ^om
45 befam er ben Cod. Vaticanus jtoar gu feb,en, aber er burfte feine ©eite genau anfefyen
unb fid) aud} feine Zotigen über Segarten machen; nur gang Wenige toidjtigere
Segarten fonnte er babei toafymefymen unb fid) fyernad) auffd)reiben ; ber feaupU
gtoed feiner 3^eife nad} ^om toar böllig Vereitelt, ^m % 1847 bergltct) er auf
bem britifef/en Scufeum G1 (Sb II, ©. 744, 56, Account ©. 159). Alg er barauf
so im $. 1848 feine Überfettung ber Offenbarung ofyne ben griecb,ifd)en ;Eer.t, aber in
genauerem Anfd)Iu| an bie älteften §anbfd)riften alg früher neu fjerauggab, ber=
öffentlid^te er fd>on alg gugabe einen ^rofyeft über bie fritifc^e Auggabe beg 31%, bie
er in Arbeit blatte; biefer ^]rof!peft Warb aud) eingeln auggegeben. 35on befonberer
2Sid)tigfeit toar für "SregeHeg, ba^ er um biefe geit (anfangg 1849) bie toid)ügen grag=
55 mente ber fr/rifd)en Überfefeung ber (Sbangelien im britifd}en StRufeum fennen lernte, auf
toeldje Sureton guerft aufmerffam machte. ^m $*tä)\afa 1849 unternahm er fobann
eine gtoeite 9xeife nad) bem Kontinent; fie führte it)n gunäcfjft nad; ^Jarig, too er bor
aHem D2 (33b II, ©. 743, 56) genau berglid) , aufserbem aud) bie 35artoloccifd)e 93er=
gleid;ung bon B (93b II, ©. 741, 32) ; alg er fobann aud) K1 (33b II, ©. 746, e) gu bergleid;en
60 begann, befam er einen heftigen ß^oleraanfall unb mufete, fobalb er bagu fäb,ig toar,
Xrcgclleö 93
nad> (Snglanb zurüdlefyrcn. @r erholte ficb fo langfam, baß er crft im älbril 1850
toicber naä) ^jjaris gefyen unb bie Berglekf/ung bon K1 bollenben tonnte, hieben
anberen arbeiten unternahm er eS nun aud), ben Cod. Colbert., eine ber mid)tigften
sJ)}inuSfeIn für baS 31% (Evg. 33 u. f. f., 33b II, ©. 752, 30), nach (£id)fyorn „bie Königin
unter ben furfib gefcbjtebenen £anbfcfyriften", §u entziffern; bie toocfyenlange 33efcf/äftigung 5
mit biefer f)öd)ft bertoabjloften unb befdjäbigten unb größtenteils laum nod) lesbaren
ymnbfdu-ift griff feine älugen aufs äußerfie an, unb mehrfach; befürchtete er, baß er fie
berlieren Würbe (Account ©. 161 f., Memorial notice ©. 8). ®tefe britte Steife führte
ihn bann bon $ariS Weiter nach; Hamburg, Berlin, Seidig, Bresben, 2MfenbütteI unb
Ütrcd}t. SMfyrenb tf>rt an biefen Drten im übrigen bie boxt befindlichen §anbfd)riften io
bcfd)äftigten, Würbe if>m in Berlin SacbmannS unb in Seidig XifdjenborfS berfönlicbe
Setanntfcfyaft bon größter 33ebeutung für feine ©tubien ; namentlich War für it/n Wichtig,
baß er bei Xifcbenborf beffen Skrgleidjmngen einiger §anbfd)riften mit feinen eigenen ber=
gleichen tonnte, „for our mutual benefit", wie er fagt (Account ©. 164, bgl. 33b II,
©.765,22). §ernacb, fyat XregelleS Wot)l nod; zweimal, 1857 unb 1862, einzelne 33iblio= ir,
treten auf bem kontinent befuebt C).
IregeHeS bat niebt Wie Xifcfyenborf ben fritifdjen Slbbarat für baS 31% burd) @nt=
bedung neuer |>anbfcb,riften bereichert; aud) ntebt Wie jener eine große 2lngabl öanb=
fer/riften einzeln herausgegeben, — nur einen Kober. gab er heraus, ben Cod. Zacynthius
(=", 33b II, ©. 750,38, Sonbon bei 33agfter unb ©öfmen 1861), — aber er bat faft alle 20
bamals bekannten ttncialen unb eine SRett)e ber bebeutenberen 9JcinuSfeln (bgl. Account
£. 172 unb 93b II, ©. 765, 11) fo forgfam berglid)en, baß feine Angaben über tbre
^Sorten fid) burd) große ©icfyerfyeit auszeichnen. @r berglid) babei feine Kollationen, Wo
immer eS tbunlicb, War, mit früheren, älteren unb neueren, unb fud)te bann fid; über
SeSarten foleber ©teilen, in benen feine Notizen toon ben Angaben früherer abmieten, 25
burd) abermalige 23ergleid)ung ber £)anbfd)rift böHige ©id)erl)ett %u berfebaffen. 9cament=
lieb, ift auch bie größere guberläffigleit fetner Stngaben über SeSarten im Bergleid; mit
abtoeid)enben bon Sifcfyenborf (bgl. im 21. %ifd)enborf 93b XIX, ©. 795, 8 ff. u. 47) bielfad) barin
begrünbet, baß er bie betreffenbe £janbfd)rift fpäter als Xifcfyenborf berglid) unb bon biefem
angegebene SeSarten fcf/on Wieber auf ifyre iJücf/tigieit iprüfen tonnte. 2lucb bie (Sttate 30
beS 9clS bei ben älteren Kird)enbätern bis auf (SufebiuS unterfudjte er neu. (Sbenfo bie
älteren 93erfionen; bie armenifcfye unb bie äifnobifdje, Welche er felbft ntebt zu gebrauchen
im ftanbe mar, Würben gu feinem ©ebraud) bon zwei 93eamten beS brittfeben 9)iufeumS,
@I)arteS ÜRieu unb S. 31. ^roboft, neu berglid)en (Account ©. 171).
©0 roar er in jeber §inficr)t Wohl borbereitet, nun aud) bie ätufgabe Z" löfen, bie 35
er fid) geftetlt batte, nad) ben beften älteften Duellen für ben Stejt eine tritifdje Xer>
ausgäbe beS 3i%§ zu beranftalten. @fye aber biefe SluSgabe zu erfdjeinen begann, ließ er
gleicbjam als eine Vorbereitung auf biefelbe zwei anbere SBerfe als ßeugniffe bon biefen
feinen ©tubien erfcfyeinen. SDaS eine ift baS fd)on mehrfach, ermähnte: An aecount of
the printed text of the greek New Testament with remarks on its revision 40
upon critical principles, together with a collation of the critical texts of Gries-
bach, Scholz, Lachmann and Tischendorf with that in common use, London,
Samuel Bagster and Sons, 1854 (bie „Collation" erfebten aud} für fid) f auflief)),
ein 3ßert, in Welchem namentlich, bie ©efd)id)te ber lt>id>tigften ätuSgaben beS 31%$ nod)
beute bon 93ebeutung ift unb roeld}eS befonberS in ©nglanb unb älmerita zur 2Bedung 40
beS 3SerftänbniffeS für tegtfritifd;e ©tubien bon entfdjeibenbem ©influß geWefen ift. ©aS
anbere ift STregelleS' Bearbeitung beS bierten neuteftamentlid)en XeileS bon 3;b,omas
Öartmell |>orneS biblifctjer (Einleitung. 2)aS 2ßerf erfebten in einem ftarfen 93anbe,
Sonbon, Songman u. f. f. 1856, unb batte aud) ben befonberen "Xitel: An introduetion
to the textual criticism of the New Testament ; with analysis etc. of the 0 >
respective books and a bibliographical list of editions of the scriptures in the
original texts and the ancient versions. 9Bie fd)on ber Xitel angiebt, zufiel eS in
brei Teile, bon benen ber erfte unb toiebtigfte ungefähr bie §älfte beS 93ud)eS auSfüßt.
3\>äbrenb XregelleS im zweiten Xeile, ber bie Einleitung in bie einzelnen neuteftament=
lidjen 33ucber enthält, bie §ornefcb,e Bearbeitung roefentlicf; unberänbert ließ unb nur s>
bureb^ Slngabe bon 9tefultaten neuerer gorfdmngen ergänzte, Weil er auf biefem ©ebicte
nid)t in gleicher Sße'tfe fclbftftänbig gearbeitet hatte, l)at er ben erften teitfrtttfeben Xeil
bollftänbig umgearbeitet, fo baß er ein ganz neueS SBert rourbe. §ier finben Wir über
bie ©efd)id)te beS Xcrtcö, über bie §anbfd>riften unb bie 33erfionen cinge()enbc Unter=
iucf)ungen. Ter zweiten Auflage, bie fd;on im 3. 1860 erfebten, fügte er S. 751 bis '-o
94 £regellc£
784 ^ufätje f)tngu, in Welchen er u. a. über Sifc^enborfS septima, feine eigene im @r=
fcfyeinen begriffene StuSgabe, unb in einem Vofiftribt Dom 1. 9cobember 1860 über bte
Sifdjenborffdje Notitia editionis codicis Sinaitici, alfo auct) über ben cod. Sin., 5Rit=
teilungen macr)t. ©ie brüte Auflage erfct)ien 1862.
5 Von ber SluSgabe beS 9cSS erfcfyien nun im $. 1857 nacb, langer Vorbereitung
baS erfte §eft, Welches bie beiben erften ©bangelien enthielt. ®aS §eft umfaßte 216 ©eilen
in Duart unb auf ad)t ©eiten eine als „introductory notice" bezeichnete furze 3tn=
gäbe über ben bei ber SluSgabe Verfolgten $ßlan, bie befolgten ©runbfä^e unb bie in
biefem §efte benu|ten Quellen, ^ebe ©eite enthält in ü)rem oberen Seil in frönen,
io giemlic^ großen Settern ben griedjifcfjen Sejt, red^tg t>on ifym (Dom Sefer aus geregnet)
in Heinen Settern unb biel formaleren Kolonnen ben Sejt beS Cod. Amiatinus, beffen
neuteftamentlicfyen Seil SregeÜeS in f5IoreriS felBft neu berglicfyen fyaite. SinfS bom
griecb,ifcf;en Ser.t befinbet ftct) ein 9knb, auf welkem ftcb aufjer Varallelftellen unb ben
•RanoneS beS ©ufebiuS Angaben über 2lnfang ober @nbe ber berglicfyenen £>anbfcf)riften
io (Welcfje für bie betreffenben beiben offenen ©eiten oben an biefem 9knbe jebeSmal beut=
Heb, bezeichnet finb) unb aufeerbem folcfye SeSarten abgebrueft finben, bie nacb, SregeßeS'
Meinung neben ben in bem Ser.t aufgenommenen, wenn audj> in geringerem ©rabe, S3e=
acfytung berbienen. Stufcerbem Wanbte SregelleS nod) eefige klammern an, um bie Woa.--
licfyfeit, bafc etloaS ein festerer 3ufa! \^> hu bezeichnen. Unter bem Ser.t befinbet fieb,
20 ber Iritifcfye SIbbarat, fefyr überfic^tlicb, in brei ©palten gebrueft; reä)tS am unteren @nbe
ber legten ©palte finb bie 2lbWeid)ungen ber clementinifc^en Vulgata bom 2ImiatinuS an=
gegeben. ®ie Verausgabe erfolgte gunäd^ft nur für bie ©ubffribenten, woraus ftdj erllärt,
baf; bie Verbreitung namentlich anfänglich nur eine geringe War, Wie SregelleS felbft
fagt (unb nid) t bie Soften beette) ; aber eS entfbract) fo bem ernften unb befcfyeibenen ©inn
25 beS Herausgebers, ber fein Söerf nur in ben Rauben folctjer fefyen Wollte, bie aus bollern
^ntereffe an ber ©acfye eS ju erhalten toünfcfyten. S>aS groette §eft fonnte erft Diel
fbäter erfreuten, als SregelleS beabftcfjtigt t/atte, nämlicb, im $. 1861; eS umfaßte bie
beiben legten ©bangelien; für baS leiste Kapitel beS 3°^anne^ Mte SregelleS jum
erften Sftale ben cod. Sin. gebrauten iönnen (bgl. ©. XXX). ®ie gortfe^ung beS
30 SöerfeS festen fcfyon unmöglich, als SregelleS im Q. 1863 (?) einen ©cf)laganfaH fyatte
unb längere $eit ntdt)t arbeiten fonnte; aber er erholte fia) Wieber, unb am @nbe beS
$5. 1865 erfdjien baS britte §eft, bie Sfyoftelgefdjiicfjte unb bie fatfyoltfcfyen Briefe ent=
fyaltenb. Söäbjenb ber Slrbeit an bem folgenben §efte fat> SregelleS fid) Veranlagt, baS
gaffimile t>om Canon Muratorius, Welches er fct>on im ^5. 1857 in 9JcaiIanb genommen
35 blatte, mit einer ©rflärung beä ^ejteö beöfelben u. f. f. ju Veröffentlichen, Drjorb 1867
(Sonbon, SDJacmillan 1868); er fyat baburcl» ber Unterfucb,ung beSfclben erft bie notWenbige
fixere ©runblage berfc^afft (bgl. 33b IX, ©. 796,36). ^m Slnfang be§ 3. 1869 erften
ber bierte Seil feines 9iX3, bie Vaulinen bis jum ^Weiten S^effalonic^erbriefe entb,altenb,
unb er War Wieber, trotj mancher Vefcb.Werben, fo rüftig an ber 2lrbeit, ba§ er Hoffnung
io fyatte, mit ben noeb, übrigen Sudlern unb ben Vrolegomenen baS 2Berf im Q- 1870
boHenbet z" fet)en. ®a traf ilm am beginne beS Q. 1870 ein zweiter, feb,r ftarfer
©ct/laganfall, als er gerabe an ben legten Äabiteln ber Offenbarung arbeitete, ©ein
©eift blieb zwar llar, aber feine Äraft War gebrochen, ©eine greunbe liefen nun um
9Jcicr;aeli3 1870 zunäa^ft als fünften Seil ben §ebräerbrief mit bem ^efte ber Vaulinen
15 erfd)einen, unb biefe fünf Seile lamen nun aud) als ein ©anzeS in ben ^anbel (Sonbon,
©amuel Sagfter unb ©öb^ne). S)ie Offenbarung Würbe bann aus SregelleS' ^abieren
in berfelben SBeife bollenbet unb erfefnen im §erbft 1872 als fecbJteS §eft. @rft einige
^afyre nacb, SregeUeS' Sobe (1875) erfet/ienen als fiebenteS §eft 1879 Vrolegomena, fo=
Wie Slbbenba unb ßorrigenba, herausgegeben bon %. 3- 21- £ort unb 21. Sß. ©treane.
50 2Bäb,renb §ort auS SregellcS' früheren beiben -ffierfen (Account unb Introduction) baS
Wicl)tigfte zufammenftellte, WaS SregetleS' Iritifc^e 2lnficb,ten mit feinen eigenen Söorten
Wieberjugeben unb fo als eine Einleitung in fein 9TS zu dienen geeignet War, f)at
©treane auf 52 tterauSzufcfilagenben blättern Verbefferungen unb Ergänzungen zum
fritifcb,en Slbbarat zufammengeftellt. 2öürbe SregelleS aueb,, Wenn er B genügenb unb n
55 bon Slnfang an gefannt f)ätte, über manche SeSart fieb, anberS entfeb^ieben fyaben, fo be=
b,ält feine fct)öne SluSgabe beS 91SS boeb, bleibenben Söert, unb zwar nic^t nur, Weil fie
näd)fi ber Sifc^enborffcfjen oetava bie bollftänbigfte in Sezug auf ben fritifcb,en Slbbarat
unb bon aufserorbentlicfter ^u^erläffigfeit in U)ren Slngaben ift, fonbern auc|, Weil baS
Urteil if)reS gelehrten unb mit genauerer ©orgfalt arbeitenben Herausgebers an fid)
60 immer bon 2Bert bleibt.
Srcgeüeä SrcmeHiuS 95
:Iregettei fyat bon SInfang an au$ Siebe jum SBorie ©ottcS unb aui bem 33er=
langen, foroeit eS ttmnlid/, baS neuteftamentlicfye ©otteSmort feinem urfbrünglidjen, ecfyteften
Söortlaut nad; ju ergrünben, fidj an biefe Arbeit gemacht unb in i^r immer einen if>m
geftatteien ©otteSbienft gefefyen. £>tefer fromme ©inn lenngetd^net fein ganzes SBirlen
unb finbet fid; am ©cfyluffe feiner 23orit>orte oft ernft unb ergreif enb ausgebrochen. 2)a= 5
bei t)at er ein einfaches unb ^urüdgejogeneS Seben geführt; in feiner Umgebung fannte
man ifm als einen Söobltfyäter ber Strmen; in anberen Greifen aud) ali einen SDidjiter
geiftlid)er Sieber. $n cett ^ten Safyren fe'neg SebenS erhielt er bon ber Königin eine
^afyreSrente bon 200 £. 3ln ben arbeiten ber StebifionSfommtffion für bie englifd/e
Ueberfe^ung bei 9123, ber er als SRitglieb beitreten foHte, lonnte er ficb, roegen feiner 10
ßranffyeit nict)t mein- beteiligen, ©eine grau roar bie innigfte ©enoffvn feiner greuben
unb Seiben , ba fie feine $mber Ratten, fonnte fie fi<f) and), als er beren beburfte, feiner
Pflege bötlig roibmen; fie überlebte iljm nur einige ^afyre. 6avl SBertljea«.
£remclHit§, Immanuel, geft. 1580. — 3. SSutterS, (£manuel SremeHtug, gmeü
brücfen lSüfl; 9Ji. Söecfer, Igimnamtel StretneHtuS, S3re§Iau 1887. £ter ftnb bie übrigen älteren 15
Quellen «oüftnnbig öerjeidjnet. 51. Neubauer, 3- SremelliuS al§ Jteftor ju fiornbad) unb feine
©ntlaffung („3Befipfälätfct)e ©e|d)id)täblötter" 1902, Stfr. 9 ff.).
%m ^afyre 1510 in gerrara bon jübtfdjen ©Item geboren, erhielt StremelliuS bie
geroöbnlid)e ©r^ieb^ung gebilbeter Israeliten unb eignete fid) namentltd) eine grünblicfyc
Äenntnii ber b^bräifdien ©brad)e an. ©eit 1530 fam er mefyrfad) mit ©Triften in 93e= 20
rüfyrung. 2tud) ben fbäteren Sßatoft SHeranber garnefe (ernte er lennen unb rourbe bon
u)m gaftlid) aufgenommen. Um 1540 mürbe er in bem §aufe bei bamalS bem (Sban=
gelium nod) freunblid) gefinntcn $arbinals ERegtrtalb ^Me getauft unb ftanb mit biefem
toie mit 9)?arc. 2lnt. glaminio in freunblidjem 23erfet)r. 33on feinen ©tammeS=
genoffen toegen feiner ^onberfion, bon römifdjer ©eite roegen feiner ebangelifcfyen ©e= 25
finnung angefeinbet, folgte er gerne einem Stufe an bie im ©ommer 1541 bon betrug
9Jcartt)r Sermigli neu eingerichtete JHofterfdmle in Succa unb roirfte fjter als Sefyrer beS
£>ebräifcb)en in bemfelben reform atorifd)en ©eifte roie bie übrigen Scl)rer ber Slnftalt. Sßon
bler auS gab er feine erfte roiffenfd)aftlid)e 3lrbeit heraus, bie unter bem SLitel: Medita-
menta 1541 in SSiitenberg gebrudt rourbe. 21IS Sßabft $aul III. burd) bie Suite bom 30
21. $uli 1542 bie Qnquifition einführte, entfdjlofj fidt) aud) %x. jur glucfyt unb erhielt
fct)on 6nbe 1542 ein fd)öneS neues 2lrbeitSfeIb als fyebräifcf/er Sefyrer an ber bon ^ahh
©türm geleiteten blüfyenben f)öb,eren ©d;ule ju Strasburg, an ber lurj bort/er aud) fein
greunb SSermtgli ate Seb,rer angenommen roorben toar. (Eine ib,m übertragene ^ßräbenbe
bei ©tifti jum alten ©. ^ßeter gemeierte ib,m ben nötigen Unterhalt. $n Strasburg 35
berbeiratete er ficb, im D!toberl544 mit einer ber bortigen franjöfifd^en ©emeinbe ange=
Ijörenben Sßitroe ©ItfaBett), bie i^m eine Softer in bie @^> e brachte unb eine ^toeite, fomie
einen ©ob^n fct)enfte. 9cad; bem unglüdlictjen Sluigang bei fdjmalfalbifdb,en Äriegei fud}te
Str. junädjft im 9cobember 1547 eine ©teHung in ber ©d;ineij ^u erhalten, aber, obwohl
Galbin unb garet feine Semüfyungen unterftü^ten, ob^ne ©rfolg. 6r nafym nun eine -to
©inlabung bei @r^bifd)ofi (Eranmer nad) (Snglanb an unb befdjäftigte fid) f)ier junäcbft
mit ejegetifd;en ©tubien, befonberi über ben ^ßrotofyeten §ofea, roirlte aud) bei ber 2lb=
faffung bei Common prayer-book mit. 1549 erhielt %x. ben Set>rftuf)t ber f)ebräifcb.en
©braa)e ju ßambribge unb erwarb fid) b, ier bie fjfreunbfdjaft bon 3Rattf)äui parier. ®urd}
ibn trat %x. aud) in Sejieb^ungen ju ber fbäteren Königin ©lifabetb, , beren groetter @rjief)er 45
älnton Gfyebalier feine (Stieftochter heiratete. 3lli 1553 9Jlaria SCubor ben englifdjen
ibron beftieg, mu^te er unter giträdtaffung feinei §auirati mit feiner gamilie aui
Gnglanb fliegen unb roenbete fid) mieber nad; ©trafeburg. ©a aber t)ier injmifd)en
burd) ÜJJarbad) ein anberer ©eift jur §errfct/aft gekommen roar, gelang ei ibm bieimal
nid)t, ein öffentliches Sefyramt ju erhalten. Slucb, in Sern, root)in er, bon (Salbin aufs 50
befte empfohlen, im Quni 1554 ging unb roo er eine SReit)e bon öffentlichen tI)eoIogifd;en
SSorlefungen b^ielt, unb in Saufanne, roo er im ©ebtember 1554 roeilte, bermod;te er
feine bauernbe Stellung ju erlangen. Xx. reifte nun jum Sefud)e ßalbinS nad; ©enf
unb rourbe bon ifym mit feiner gamilie liebebotl aufgenommen.
^n ©enf traf Xx. ein 9tuf bei §er^og Söolfgang bon ipfal^roeibrüden, ber t^m 55
auf (Smbfefylung feines trefflidjen 3tatS Ulrtdj ©Ringer bie ©teile eineS ©rjtc^eri feiner
brei im 2l(ter bon bier bis adjt ^ab^ren ftebenben ^inber antrug, ©erne nafjm Tr. biefe
(Sinlabung an unb febrte im 9cobember 1554 über Saufanne nad) ©cutfcfylanb prüd.
25er 1547 geborene ^rinj ^t>ilibb Subroig, auf beffen Unterroeifung bai §aubtgeroid)t
96 $remeuui§
gelegt Würbe, formte bctmctfö nod; faum buc^ftabieren. 21n einem feften 2el)rblane fehlte
e§ anfänglich ganj. ©ine fd)Were ©rfranfung, bie %x. im ©^ät^erbfte 1555 befiel, bie
SBafferfudit, feffelte it)n jubem in Slmberg, Wo SBolfgang bamalä ab! (Statthalter ber
Dberbfalj refibterte, fed^S Monate lang art<§ Sett. %ro| biefer ^tnbermffe fonnte er in
5 einem ^Briefe bom 15. ©ejember 1557, in bem er feinem greunbe J^onrab §ubert ein=
gefyenb feine SebjWeife barlegte, bie fdjönen gortfcfyritte feines ßögltngg rühmen. SSoIte
ÜBefriebigung gewährte eine berartige Sfyättgfett freiließ bem bisherigen afabcmifcfyen
£el>rer nid)t. 2tl§ ßalbin 1558 bei bem ©enfer 9tat bie ©rünbung einer tfj>eoIogifd)en
§ocf;fd;ule burd)fe£te unb für bie, fbäter ßfyebalier übertragene, altteftamentlictye ^rofeffur
io %x. ju gewinnen fudEjte, fyätte biefer bem 9tuf be§t)alb gern golge geleiftet. 2tber bie
23erl>anblungen fct)eiterten an ber Steigerung bes ^erjogg, tfyn ju entlaffen, ba er iljm
nid>t entbehren fönne (CR, opp. Calv. XIV, 53 f. ; XVII, 24. 300f. 477f. ; XX,
462 f.). lim biefe $eit t)atte Söolfgang nämlicf), beranlafjt burd; bie ©rgebniffe einer im
©ommer 1558 abgehaltenen großen Äircfyenbifitation, eine Jieuorganifation be§ gefamten
15 ©a)ulwefen§ im Herzogtum befdjrtoffen. 08gl. ba3 „SBebenfen SBon ben ©cfyulen Wie bie im
gatrftentfyumb gwaienbruden aufäurtet/ten feien, 1558 bei tyfy. Leiber, 92eue urfunbl. ^Beiträge
gur ©efdüdüe be§ gelehrten ©d)ulWefens> im Herzogtum gWeibruden, 1, 44 ff. $Weibrüden 1892).
Qn bem alten Softer §ombacb, füllte banaef) eine nad; bem SSorbilb be§ ©trafjburger ©r;m=
nafiuimo einjuric^tenbe f)ör)ere ©ct)ule gegrünbet Werben, gu beren erften 9teltor %x. befteHt
20 Würbe. Stadlern fd;on im ^ult unb 2luguft mit ib,m be^alb 33erfyanblungen ge=
pflogen Worben Waren, fam %x. am 1. Sejember 1558 nacb, £>ombad) unb erhielt fyier
am 24. ©ejember feine auf ben 1. 2tuguft jurüdbatterte Seftaßung. 2tm 16. (ntct)t 1.)
Januar 1559 Würbe bie ©dmle eröffnet, älber aueb, in biefer neuen ©teßung füllte fid;
%x. wenig befriebigt. %n ber SCnftalt Waren nod) leine Zöglinge, meiere bie nötigen
25 Sorfenntmffe befafjen, um feinem Unterricht in ber fyebräifdjen ©brad)e folgen gu lönnen.
!gn bem if>m gugleicb, übertragenen Slmte eme<§ 3Jcitglieb<S be£ $onfiftorium<3 bermocfyte
%x. fdwn Wegen feiner mangelhaften Kenntnis ber beutfe^en ©brache Wenig ju Wirfen.
£>a aucr) feine Sefolbung bie bon il)m erwartete unb ifyrrt in 2luöfict)t gefteHte §öl)e niebj
erreichte, lam %x. ein um biefe ,3^* an ifm gelangter 3Ruf ber italienifcfjen et>angelifcr)en
30 ©emeinbe in ©enf, bie iljm alg ^>rebiger begehrte, roob,l nicf)t unroiEfornmen. 3tucf; bie
sjroeibrücfer b,erjoglid)en 3^äte fbracl)en fieb, am 11. ^uni 1559 bafür auö, baf? ber^erjog
bie Gelegenheit benü^e unb %x. gießen laffe, unb fteUten fiel;, aU %x. balb barauf feine
©teile förmlich, iunbigte, in Weiteren ©utaefyten bom 10. 2luguft unb 23. ©ebtember
auf benfelben ©tanbtounft. 3lua) SSolfgang erüärte fid; nun in einem ©einreiben au^
35 ^euburg bom 7. 3Robember bereit, %x. naef) ©enf ju beurlauben, Wenn er bieg Wünfd>e,
gab aber §ugleicb, ber ©rWartung 2lu§brucE, ba| er, Wenn man il;n nac^ einem ober
jWei $ar)ren Wieber alg t;ebräifcb,en Server bebürfe, fiel) bor anberen baju gebrauchen
laffen Werbe. %x., beffen gleifj im ©e^ember bei einer SSifitation ber ©c^ule befonberö
anerlannt Würbe, fcfyeint junäctjft auf feiner ©ntaffung nidjt beftanben ju b,aben, bat aber
40 balb Wieber um 2lufbefferung feinet ©et)altg unb wieberl;oIte am 27. ^uni 1560 bei
einer Sifitation bie Älage über feine ju niebrige S3efolbung. 2113 biefe grage aueb, je^t
nia)t ju feiner 3"fr^benf)eit geregelt Würbe, gab %x. am 5. Stobember 1560 förmlia) um
feine ©ntlaffung ein, erbot fid; jebod), noeb, fec|g Monate gu bleiben, bi§ fiel) ein
S'Jadjfolger für ilm gefunben b,abe. Tum Würbe fein ©efueb, aueb, angenommen unb %x.
45 berliefe feine ©tellung in §orabad) am 7. SRärj 1561 (9t. Suttmann, bie ajJatrüel be§
§ornbad;er ©t)mnaftum§ 1559—1630, ßWeibrüden 1904, ©. 3). §iernacb, ift bie, aud;
bon mir in ber ^Weiten Stuflage biefer 2Ber!e§ nacl) Sutterg, Seder unb anberen ge=
braute 9?ad;ricb,t irrig, bafe %x. bon 3Bolfgang Wegen feinet Salbini§mu§ abgefegt unb
fogar einige Monate gefangen gehalten Werben fei. Neubauer Weift bieg a. a. D. urfunb=
50 lict; nacb, unb geigt, bafj jene 9Zac^rid;t bon JButter^ b,errül)rt, ber eine bon $onrab
^iariu§, ber "Xx. in bem 3lmte aiS (grgier)er ber fyerjogltdjen ^rinjen folgte, f)anbelnbe
©teile in GroHg Commentarius de cancellar. Bipont. p. 102 mi^berftanb unb auf
%x. bejog. ^faljgraf Söolfgang, ber noeb, am 16. ©ebtember 1560 %x. mit ber Über=
fe|ung feiner Hircb,enorbnung in§ 2ateinifcb.e, grangöfifc^e, ^talienifd;e unb @nglifcb,e be=
55 auftragte, naf)m geWi^ big bab, in an beffen Salbinigmu§ leinen 2lnftof? unb ift Wof)l aueb,
im ^rieben bon i§m gefd)ieben.
3Sor feinem 2Beggang bon §ornbad) b,atte %x. nod; ©elegenb,eit, feinen ©lauben§=
genoffen in 3Jie^, ber §eimat feiner grau, einen Wichtigen SDienft §u leiften. 311^ ®ömg
§ranj II. am 5. DItober 1559 ben @bangeliftt)en ben Slufentb,alt in 3Ke| berbot, flüchteten
60 bie Hugenotten 61. Slnt. be ßlerbant unb ^ierre be Gologne nad; ^Weibrüden, Wo 1.x.
SrcmcüiuS 97
fie fcnnert lernte. 9cacb, bem lobe beS Königs granj (5. ®ej. 1560) fanbten bie 2Re£er
gbangelifcfyen eine Imputation an ben föniglicfyen §of nad) Orleans, um roieber freie
3MigionSübung ju erlangen. 2lud) Sr., ber bemnad? um biefe $ät ntdjt im ©efängniS
lag, nafym an ber ©efanbtfcfyaft *&> bie am 8. Januar 1561 bon 9)te$ abging unb
tocnigftenS erreichte, bafj bie 3Cfte£er Hugenotten ein VetfwuS aufjerfyalb ber ©tabt be= ö
ninjen burften.
Salb nad) feiner ?RMttr)x fanb %x. enblicb, einen bauernberen, feinen gäbjgretten
angemeffenen, SSirtungSfreiS. 2US ftd) Hurfürft griebridj III. bon ber VJalg bem refor=
mierten Sefenntniffe gumanbte, berief er %x. am 4. 9ttärg 1561 an bie §od)fd)ule in
yeibelberg. ©oeb, bereits im Steril, bebor er fein neues SImt übernahm, mürbe Sr. 10
bürdet griebridj bon neuem nadj granfreid) gefanbt, um bem $önig 2tnton bon ÜRabana
eine $ufd)rift Det: borfyer in Naumburg berfammelten toroteftanitfcfyen dürften mit ber
üDtalmung ju treuem gehalten am ©bangelium $u überreifen. %x. erhielt rotrllicb,
bon Slnton ben Auftrag, ben beutfcfyen ebangeltfcfyen dürften ein VünbniS mit $rantreid),
ßnglanb unb ©djottlanb borjufdjlagen (^nftrultion für Xx. bom 26. 3Kai 1561). 2tber 15
feine SRiffion fdjeiterte an ber Sßeigerung ber in Vetracfyt fommenben beutfd)en dürften.
(Sgl. befonberS Ä. «Wendel, SBoIfgang bon Sroeibrücfen, 9Mncf)en 1893, ©. 284 ff.) 3m
^uni 1561 lam %x. mieber nad) §eibelberg, rourbe bort am 23. ^uni immatriiuliert
unb, nadjbem er SagS jubor gum Dr. theol. bromobiert morben mar, am 9. 3>ult in
ben ©enat ber Uniberfttät aufgenommen. §ier, mo er in (Stnem ©eifte mit Voquin, 20
Dlebian, UrfinuS unb anberen eine erfolgreiche afabemifd) e %i) ätigleit entfaltete unb aud)
jtoeimal baS Steftorat führte, fanb %x. juerft Sttufte gu größeren Iitterarifd)en arbeiten.
3unäd)ft beröffentlicfyte er Vorlefungen VutjerS, bie er feiner geit in ©nglanb naa)ge=
fd)rieben l)atte (Libellus vere aureus D. M. Buceri de vi et usu sacri ministerii
etc., Basil. 1562, 8° unb Praelectiones doctiss. in epist. D. Pauli ad Ephes. 25
eximii D. M. Buceri, habitae Cantabrigiae anno 1551. Ex ore praelegentis
editae diligentia J. Tremellii, th. Dris. Basil. 1562, Fol.). Veibe Söerfe toibmete
er borneb, men ©nglänbern, mit benen er begannt gemorben mar. 1563 gab er in ©enf
einen Kommentar ju bem Vrobfyeten §ofea (enarrationes in Hoseam) I)erauS unb
toibmete il)n bem ^urfürften griebrtd) unb bem Slnbenlen (SranmerS, unter beffen 30
2lufbijien er bie Vorarbeiten ju bem Vucfye gemacht blatte, ©obann erfebjen feine eben=
falls griebrieb, zugeeignete lateinifcfye Überfettung bon IJonatfyanS d)albäifd)er Umfcfyreibung
ber ätoölf Heinen Vrobfyeten (Jonathanis filii Uzzia Chaldaica paraphrasis in XII
prophetas minores. Latine per Imm. Tr. Heidelb. 1567, 8°). Vorder blatte %x.,
als 1565 bie Uniberfität megen 2tuSbrud)S ber $eft eine 3ei* ^anS gefc^Ioffen mürbe, 35
toieber eine Steife naefy (Snglanb unternommen. Von feinem mittlermeile auf ben erj=
biftt)öflid)en ©tul)l bon ßanterburb erhobenen greunbe parier aufs befte aufgenommen
unb auef; bon Königin ©lifabetl) gnäbig empfangen, lehnte er boa) baS 2lnerbieten einer
^rofeffur in ©nglanb banfenb ah unb fef)rte nad; einem falben ^ab,re nad) §eibelberg
äurüd), mo er feiner greunbfcb.aft mit parier in ber Vorrebe gu feiner 1569 bei §. ©te= 40
^anuS in 2bon erfd)ienenen d)albäifd)en unb f^rifeb^en ©rammatif ein efyrenbeS S)enf=
mal fe|te. $301 Slnfartg biefeS 3^^^ ging 5£r. mieberum in einer biblomatifd^en 9Jtiffion
naa) ©nglanb, um im auftrage beS ^urfürften griebrid} bie Königin (Slifabetl) ju ge=
memfamem SBiberftanb gegen bie ben ©bangelifcfyen brob^enben ©efal)ren aufzurufen, (ix
fanb aud; ©lifabetb, nidjt abgeneigt, mit beutftt)en broteftantifd)cn dürften ein 35erftänbniS 45
einjugefyen. Über ben näheren Verlauf biefer Ver^anblungen finb mir inbeffen niebt
unterrichtet, ba bie bon %x. erftatteten Verid;te uns ntebt erhalten finb. 3U einem P°fc
üben (Ergebnis führten biefelben jeboef) fidler niebt. (Vgl. Rlndfy ob, n, Vriefe griebrid}S beS
frommen II, 211 ff. 218 u. 234.) 9cad) feiner SücKefyr mibmete %x. ber Königin
©lifabetf) fein 1569 bei £>. ©teb^anuS unter bem Stiel: Interpretatio Syr. novi test. so
Hebr. typis descripta, erfebjenene SluSgabe ber alten fbrifcfyen Überfe|ung beS 9ceuen
leftamentS, ber er eine lateinifcfyc Überfe^ung, fomie bie ermähnte cbalbätfcbe unb fbrifdje
©rammatif beigab. sJKit Verausgabe biefer ©djrift münfdjte er, mie früher mit einer
fyebräifdjen Überfe^ung bon SalbinS ^ated)iSmuS (Catech. Hebr. et Graecus, Paris.
1551, 8° unb Catech. Hebr. 1554, 8°) jugleid] feinen jübifdben ©tammeSgenoffen 55
einen ©ienft ju tfjun. Valb barauf begann er mit tlnterftü^ung beS Hurfürften griebrieb,
fein bebeutenbfteS 2Berf, bie lateinifdbe Überfettung beS Sllten SeftamentS. @r berbanb
fieb. ju biefem ßmede mit feinem fbäteren ©d)miegerfob,n %xan^ ^uniuS (f. b. 1. Vb IX
© 606), melier @nbe 1573, um ilm Jräftiger unterftü^cn ju fönnen, bon ©cf)önau nad;
§eibelberg überfiebelte. ©ocl) fiel ber micbjigfte Seil ber 3lrbeit Sr. 311. 2)aS 2Serf co
8dea[=(Sncötlopäbie für Iljeoloflte unb Ätr4e 8. 81. xx 7
98 SremeMuS Sribur
Würbe juerft 1575 — 1579 in fünf 23änben ju granffurt a. SR. herausgegeben unb
fanb allgemeinen Woblberbienten Seifall. (--ftäfyereS f. in bem 2lrt. 33ibelüberfe|ungen, \a-
teinifebe, 33b III ©. 54.)
@S war bem alternben %t. nid/t bergönnt, in §eibelberg fein Seben gu befcbliefeen.
5 3111 Äutfürft SubWig VI. nacb, griebrid)S III. Sob baS Sutfyertum in ber ßurbfalj
Wieberb/erftellie, Würbe aui) er burdj (Srlafj bom 5. ©ejember 1577 entlaffen unb mufete
abermals in bie Verbannung Wanbern. @r ging ^unäcf/ft nacb, SRetj, Würbe aber balb
nadj)b,er bureb, ^einrieb, be la Sour b'Slubergne als Vrofeffor ber fyebrciiftfjen ©brache an
bie neu errichtete älfabemte in ©eban berufen. §ier Wibmete er feine legten Kräfte ber
io franjöfifcften lyugenb mit bemfelben @ifer, mit bem er ber italienifcfyen, beutfdjen unb
englifdjen gebient I)atte. ^n feinem, Dom 31. JyuK 1580 batterten, Seftament giebt er
nochmals feinem ©ante bafür StuSbrud, bafe fid) if)tn ©ott in 6f)rifto geoffenbart Ijiabe,
unb fcfylofe, nafyeju 70 ^^re aW, am 9. Df tober 1580 fein bielbeWegteS Seben. %xo§
feiner aller Volenti! abreiben ©efinnung l)atte er um feines ©laubenS mitten mancherlei
15 Verfolgung leiben muffen. Slber in allen 2öed/felfätlen bewahrte er ben gottergebenen
©inn, in Welchem er in einer ßeit fernerer §etmfudmng am 8. ©ebtember 1554 an
Satbin fcf/rieb: Scio, id mihi utilissimum et honestissimum esse, quod de me
benignissimus pater statuit. Dfme $rage War er einer ber gele^rteften Kenner ber
orientalifdjen ©brauen ju feiner 3eit. gtet).
20 £rtl>ur. — Sie 9lften ber SEriburer (Bbnobe b. g. 895 finb in mehreren, nad) gorm
unb teilroetfe aud) nad) Sinfjaft üon einanber abmetetjenben SKebaftionen erhalten, lüoriiber
au3reid)enbe 93elet)rung bietet f raufe im 9?2t b. ©ef. f. ältere beutfcfje ©efdj. 14, 49—82 unb
281—326; 15, 411—427 unb ©eefet ebb. 18, 365— 409 unb 20, 289—352. Sie bon Traufe
besorgte 9tu§gabe in Mon. Germ. Capitularia 2, 196—249 ift abfd)iiefjenb. Stusfütjrlict) t)anbett
25 uon ber ©ttnobe £>efele, ©onsiltengefc&ictjte (2. 91.) 4, 552—561 unb Summier, ©efd). be§
Dftfränf. 3Reid]§ (2. 21.) 3, 395—404.
gn ben erften Sagen beS 9JlonatS 9M im ^al/re 895 rourbe ju Srtbur in 2tn=
Wefen|eit beS Königs Slrnulf eine bon brei @r^bifcb,öfen — benen bon $öln, SRainj unb
Srier — unb bon 26 ober 27 Vifctjöfen befugte ©tmobe gehalten, bie r)au^tfäct)Itd;
30 barum unfere Slufmerffamfeit auf fiel) jiebt, Weil fie eine engere Verbinbung beS Königs
Slrnulf mit bem l)ol)en ^leruS begrünbete. £mtte nämlid) ber letztere bisfjer bie ©rbebung
SlmulfS als eine boüenbete Sfjatfacbe fttUfcfyWeigenb Eingenommen, fo War eS nunmebr
für baS Königtum wie für ben ©biffobat ein gemeinfameS ^Ttterefje getborben, gegenüber
ben Weltlichen ©rofcen, bon melden bie föniglicfje unb bie bif<^>öflidt)e ©eWalt gleicfe, feb/r
35 bebrob/t War, in feftem Slnfct/Iuffe aneinanber fieb, gegenfettig ju ftärfen. ©in großer
Seil ber Vefcfylüffe betraf bie Söieberaufricf/tung ber berfallenen ^ird;enjudb,t, Vefcb/lüffe,
mit Welchen meift nur bie Stusfbrüdje früherer ©tniobcn aufgenommen Würben. Sann
aber folgte eine SReibe Wichtiger JlanoneS, Welche bie berfammeltcn Väter aufteilten; in=
bem fie ber Äönig annahm, machte er bem fyoben ÄleruS bie bebeutenbften Äonjeffionen
40 unb fam if)m in umfaffenber 2Beife entgegen, ©o lautet tanon 9 : ffienn ein S3ifcb,of
in lanonifeijer 2Beife bie 2lbt;altung einer Verfammlung befct)Ioffen unb Wenn ber ©raf
an bemfelben Sag, mag er nun um bie bom 23ifd)of anberaumte Verfammlung Wiffen
ober nicf)t, feine Verfammlung feftgefe^t bat, fo geb,t bie Verfammlung beS Vifcb,ofS bor,
auf if>r follen ber ©raf unb baS Volf fcf)leunigft etfebeinen. — 2ln ©onn= unb gcft=
45 tagen ober in ber gaftenjeit barf lein ©raf, übertäubt fein SBeltlicfyer, eine Verfammlung
abmatten; aueb, barf feiner, ber fird}licb,c Vujje ju leiften bat, bom ©rafen jum (Sr=
fcfjeinen auf einer Verfammlung gezwungen Werben (Äan. 35)'. 2llle ©rafen beS SffeieljeS
Werben angeWiefen, biejenigen feftneb^men unb bor ben ßbnig fübren ju laffen, Welche,
bon ben 33ifc£)öfen ejfommuniäiert, bie fircfjlidjen Vufeen nid}t auf fieb, nehmen Wollen,
50 auf baf$ biejenigen, Welche bor bem göttlichen ©ericb,t fiel; nicf)t fdjeuen, bem menfct)Iicl)en
Sticfiterfbrucb; berfallen (üan. 3). ®iefe Unterftü^ung ber geiftUc^en ©ericf)tSbarfeit burcl)
bie Drgane ber Weltlichen ©eWalt finbet fiel) auef) im ®.an. 20 : 2ßcr einen ©eWeib, ten
berWunbet ober fonft ein Unrecbt ib,m ^gefügt b,at, ben foH ber Vifcf>of bor ftcb, laben
unb ben ©rafen jum ©ericb,t beigte^ert, ber Vifc|of beftimmt bie bem mipanbelten Ilerifer
65 ju leiftenbe ©enugtb,uung, ber ©raf forbert bon bem Übeltäter bie 93ejab,lung beS ÄönigS=
banneS. Slucb, barüber I)at ber ©raf ju Wachen, ba^ ^ircljenräuber ben gefe|Iict»en ©^aben^
erfa^ leiften (Han. 7).
%üv baS Vabfttum War bie ©rmobe bon roefentltcber 33ebeutung, fofern fie feine
rid;terlid;e Slutorität ftärfte. ©er 30. $anon fagt, man f>abe bem aboftolifcb,en ©tub,Ie
Stibuv Srientcr ton^l 99
in boller Untertoürfigleit unb £)emut ju begegnen unb ein bon ii)in aufgelegtes ^ocb,
wenn e§ aucfy faum erträglich fcfyeme, bocb; in frommer Ergebung ju tragen. „2Benn
aber bon einem $re§btoier ober SDiafon, ber barauf au§gel)t, 3Sertoirrungen anzurichten
unb gegen unfer 2Imt ju intriguieren, erroiefen mirb, baft er ein unterfcbobene<8 ©cfyreiben
ober fonft etma3 Unred;te§ bom Sßatofte beigebracht r)at, bann l;at ber 33tfd)of bie 23otl= 6
mad)t, jenen gälfct)cr \n§ ©efängniä ober in einen anberen ©eroabrfam fo lange ju
legen, bi§ er, ber 33ifd)of, fcfyriftlid) ober burcf) ©efanbte mit bem ^abft ficb, in<3 @in=
bcrnefmien gefegt fyat, bamit nun biefer burct) feine 2lbgeorbnete entfcfyeibe, \m§ baS
römifd)e ©efe§ in einem folgen gaUe anorbne" (ßan. 30). — $)afj bie ©imobe bie
^ietro^olitanrec^te MnS über ben ©tul;l bon 33remen anerfannt r/abe, melbet Slbam bon io
Bremen (MG SS 7, 301).
Bii)m mir f)ier ben froren ®leru§ im Sunbe mit bem Königtum ben meltlicfyen
©rofjen gegenüber, fo finben mir, bafj faft 200 ^ab/re fbäter auf einer SSerfammlung ju
Iribur (im Cftober 1076) bie weltlichen dürften mit einem grofjen Steile ber geiftlidjen
uno mit ber &urie (f. 23b VII, 104) gegen ben üönig gufammengefyen, ^einrieb, IV. bem 15
Mcf/terfbrucf; ©regorg VII. unterwerfen, ba§ beutfd)e Königtum gleich fefjr bon 9tom
ioie bon ben beutfcfyen gürften abhängig machen. 3)er &önig mufcte berfbred)en, am
2. gebruar beS näct/ften pafyreS (1077) auf einem Steicb^tage ju lugäburg p erfreuten,
auf meinem ber $abft über ifm ba§ Urteil fbreeb/en werbe; er folle ficb, bie Söfung bom
Sänne auSroirfen, gelinge ib/m bieg ntd^t binnen 3;alj>re§frift, bom 'Sage ber @rfommuni= 20
fation an gerechnet, fo berliere er untoiberruflicf) ba<§ 9}eid). 2Bie man toeifj folgte
Ganoffa. Serler f-
Emitter Stott^tl. — Quelle n: SDte |muptquellenfammhmg, bon ber in gufunft bie
urfunblid)e ©efd)id)te beS Srienter Sonjilg abhängen wirb, ift bie bon ber ®örre§gefefljd.)aft
1901 begonnene Sbition Concilium Tridentinum ; diariorum, actorum, epistularum, traeta- 25
tuum Nova Collectio I, Diariorum, P. I, Frib. 1901 unb IV, Actorum, P. I, Frib. 1904.
Ta aber biefe monumentale (Sammlung erft fpät wirb abgefdiloffen werben tonnen, fo finb
mir oorläufig nod) auf bie bielfadjen älteren Urfunben=$ubIifationen angemiefen; Acta ge
nuina s. oecumen. concilii Tridentini nunc primum integra edita ab Aug. Theiner,
2 Bbe, gol., Bagabv. ]874 (entölten nur bie offizielle, Hon bem SJonjilSfetretär SRafarelii so
jured)tgemad)te ^Relation über bie öffent(ict)en Vorgänge p Srient). — Ungebrudte Berid)te
unb £agebüc£)er *ur ©efdncbte beS tonjilS Don Orient, IjerauSgeg. Hon £5. bon SMinaer,
9Jörblingen 1876 ff.; Se fjsiat, Monumenta ad historiam conc. Trid. (Lovan. 1781); ©ictel,
Rur ©eftfjicbte beö ^onplS öon Orient, 3 Abteilungen, SBien 1870-72; 9t. n. Sruffel unb
S. Sranbi (5 §efte = I. 83b 1899), Monumenta Tridentina; Lettres et memoires de Fran- 35
jois de Vargas etc. . avec de remarques par M. Mich, le Vassor., 9(mfterbam 1699 ;
G. J. Planckii, Anecdota ad hist Concilii Trid. pertinentia, 26 ©öttinger ^eftprogramme,
1791 — 1818;" Generoso Calenzio, Documenti inediti e nuovi lavori letterarii sul concilio di
Trento (Roma. Spithoever) 1874, 680©.; Lämmer, v Meletematum Rom. Mantissa, 1875;
Sannatbi, Annales T. XXI, ad annum 1545 sqq. ; 3. Sufta, ®ie 3ti3mifcbe Surie unb baS 40
Sonäil 0. Orient unter <ßiu§ IV., 5Bien 1904 (ogl. 5B. grteben§burg§ SRecenfion in ©g© 1906
[3an.j 9h\ I). — Sitteratur: Paolo Sarpi, Istoria del concilio Tridentino, Lond. 1619
(franjöfifcf) unb mit 9lnm. uon le ®oural)er 1736; beutfdj Bon Stambact) 1761 ff. unb üon
fflinterer, 2. 31. 1844, 4 Sbe). ©arpi fdjrieb liberal partetifd), ooü ^afe gegen baZ «ßapfttum ;
bennoa^ ift er btS beute unentbebrlid), weil er llrtunben benugt unb ercerpiert i>at, weld)e für 45
immer «erloren finb (f. b. 91. (Sarpi). ^m ©egenfatj ju it)m febrieb jefuitifcf) partetifd) Sforja
i;aüa«icini, Istoria del concilio di Trento, 1656 (tat. 91ntwerp. 1670; beutfd) oon ftli£fd)e
1838); 33rifd)ar, Rur Beurteilung ber Sontrooerfen swifcljen ©arpi unb ^attaüicini (1844,
2 leite, uerteibigt ißaHabicini); M. Sljemni^, Examen Concilii Tridentini, Francofurti
150."! sq. ^at uorwiegenb bogmengefdjicbtlidien Snbalt; beutfd) bearb. «on SR. Benebiren, 1884 50
(mit erbeblidien ffurjungen); Saug, ^iftorie beS Sribentinifdien Sonsilä (§aüe 1741—45);
SBeffenberg, ®ie grofjen tirdjenoerfanimlungeu be§ 15. unb 16. Sa^rljunbertS (1844); 3. 501.
CMBfdjl, ©efdiid)te be§ tonyt§ ju Sribent, IRegenSburg 1840; Bungener, ©efcbtdjte be§ Srib.
•ftonäi(§ (1861); 5)ie ©efd)äft§orbnung beä ftonjil§ oon Orient, au§ einer §anbfd)rift be->
Sat. 9lrct)iD§, Söien 1871; «Reimann in ©öbelä %. Reitfdjr. XXX, 1873, ©. 24; fi. u. Manie, 55
Sie römifctjen ^äpfte . im 16. unb 17. Sabril. I. Bb; berf., 'Eetitfdie ®efd)id)te im 3eit=
alter ber ^Reformation (3.91. 1852) V, 71 ff.; 2Rannier, Etüde historique sur le concile de
Trente, ^arig 1874 (795 8.) ; S. ^aftor, S)ie tird)lid)en 9ieuniongbeftrebunaen wäbrenb ber
Regierung ffiarlö V., 1879; W. ^dilippfon, Les origines du catholicisme moderne : la contre-
revolution religieuse au XVI« siecle (*ßart§, ^eüj; 9llcau. 1884); 5. "Dittridi, Beitr. j. Wefd). 60
b. fnt(). Deformation im erften drittel beä 16. 3at)fb. I unb II (§3© V u. VII, 1884 u. 86);
■H. Seeberg, Beiträge jur entftet)ung§gefd)id)te ber 'Seljrbefrete beö Äonjil-o bon Xvient I unb
II (3f38ß 1889); ©. Mein, ^aolo Sarpi it. b. ^roteftanten, .&etfingfor§ 1904; S. SRerfle,
^tö Sonjil b. Sr. unb bie llnioerfitäten, SBürjb. 1905.
100 Srtcnter Sonjtl
®ie auttjenlifdjc 9lu§gabe ber Srienter SDefrete ift bie auf SSefetjl imb mit ^rhnlegium
$iug' IV. 1564 in SRom burcfj SRanutiuS beforcjte unb nod) in bemfelben ^a^re oon 9Kafa=
reffi reütbierte 91u§gabe. 9t«§ neuerer $eit finb ferner bie 91u§gaben in ben uerfdjiebenen
Sammlungen ber fumbolifdjen 33üd)er ber iöm.=Iatr). Sirene ju nennen, bie oon ©treittootf
6 unb wiener (©öttingen 1835—38) unb bie oon ®anj (SBeimar 1836) oeranfralteten; bann bie
9lu§gabe Don Stifter (Seidig 1853) unb bie £aud)nitifd)e £>anbau§gabe 1866. 1883 erfdnen
ju $ari§ eine neue 91u§go6e ber Can. et decr. Coric. Trid. — 2tn beutfdjen Ueberfe^ungen
ber Srienter ®efrete finb ju erwähnen bie Hon 3- @gK (Supern 1825) unb oon SS. ©djiEing
(1845).
10 ®ogmatifd)e §ilf§mitte( (aufjer bem genannten 6£)emni$) finb bie 3)ogmengefd)id)ten
oon SCrjomafiuS, Slbolf £arnact, 9?etnt)olb ©eeberg, befonber§ aber SoofS (4. Sluflage 1906
§ 74); ferner 3Rarr)eimcfe, ©uftem be§ £atf)oItci§mu§, I. 33anb; Zöllner, ©ümbolit ber
römifdj=rartJoIifcr)en S?irct)e, Hamburg 1844; Dealer, Serjrbudj ber ©ümboIif (1876), befon=
ber§ Bon ©. 73 an. — gerner ift ju oergteief/en £$f. §. Seufd), ®er Snbei. ber oerbotenen
ib S3üd)er, I (1883). — 9(u§ ber grofjen Qafyl ber 3)etuü=91rbeiten feien errofitmt: $. @auben=
tiu8, Beiträge jur Sirdiengefdjictjte I (Sojen, 2Bof)Igemutb, 1880, 590 @.) enthält eine $nr=
fteflung ber Xtjättgfeit be§ granji§tanerorben§ auf bem Xribenter Sonjil; 33. SDtardjefe, La
riforma del clero secondo il concilio di Trento: richerche storico-critiche. Torino (tip. Can-
daletti) 1883; ©. SDurut), Le cardinal Carlo Carafa: etude sur le pontificat de Paul IV
20 (cf. Archivio storico italiano 1884, 2, p. 251 — 275) ; §. ©rifar (gefuit), ®ie grage °e§ \>&P\t-
lidjen $rimate§ unb be§ Urfprung? ber bifdjöflidien ©eroalt auf bem Stibentinum (3t£b,
VIII, 1884); berf., Qafob Satnej unb bie grage be§ 2aienfeld)e§ auf bem Son^U oon Strient,
Uugebrudte Sonjügrebe (3fSf) V unb VI, 1881, 1882); 3. 33ieberfacf, ®ie ©etoobnlieiten
gegen bie ®t§jtplinorbefrete be§ Srienter Son^lS (8E££) VI, 1882); ©ranberatb, ®te Sontro=
25 öerfe über bie grormafurfadie ber ©otte§ftnbfdr)aft unb baZ Stribentinum (■$%$ V, 1881,
©. 283 ff.); ©djeeben, Sie Sontrouerfe über bie gormalurfacfje ber ©otte§!inbfd)aft in ben
©erediten unb ba§ Sribentinum (in ber 3eitfd)rift „®er $atf)o!if", 1883, ©. 142 ff.) ; 93. u.
2)embin§ft, ®te S8efd)icfung beS jribentiuumä burd) $olen unb bie grage Born 9JaiionaIfonsiI
I (33re§Iau 1883); ©., Sofale Mitteilungen über baZ Sonsit Hon Srient (3f2f) IV, 1880,2);
30 sJ)cartinetti, Le pape Paul IV. etc. avec des documents in^dits (Rivista Europea 16. Oct.
1877); ^readnng, At the Council of Trent (church Quarterly Eeview, Apr. 1878, p. 163
bi§ 184).
S)aju fommt, allgemein orientierenb: S)ejob, De l'influence du concile de Trente sur
la littörature et les beaux arts chez les peuples catholiques ($ari§ 1885).
35 3)er er)emal§ in 9lu§fidjt gefreute II. 33anb oon SB. 90taurenbrecr)er§ ,,©efd)id)te ber fatt)o=
tifcfjen ^Reformation" (I. 33anb 1880) foHte roa^rfdjeinlid) aueb ba§ Sribentinum bebanbeln.
— 3um ganzen 9lrtifel ügl. ©iefeler, 8eb,rb. ber firdjengefd). III, 2(1853), 505—569; (S.S.
St). §ente, teuere tirdiengefdiidite, fjerauSgeg. üon ©afj, 33b 2 (1878), ©. 21 ff.; Ä- 9t. £afe,
Sird]engefdiid)te (10. 91 uff. 1877) § 346.
40 ®er 3Juf nad) einer Deformation ber .Utrcfje an §aupt unb ©liebem roar feit ben
grofjen Deformlonätlien tro^ if)rer Siifjerfolge nid)t öerftummt. 3toar Mte ^ü^ JI-
(1458—64) bie SlftyelTation öom ^ßa^fte an ein aEa,emeine§ ^onjil Verboten, ba ber ^Bapft
über bemfelben fter)e; allein unter ben ©treitigleiten beö ^ßa^fttumg mit ben h)eltlid)en
9JJäd)ten gegen (Snbe bc§ Mittelalter^ mar an eine genaue ©urdjfüfynmg biefer ^aj)a=
45 liftifd)en 'Xljeorie bod) nid)t 31t benfen ; ber franpfifd)e $bnig Subtoig XII. a^ellierte
auf§ neue an ein Honjil im anfange be§ 16. 3a^uni,ertgf un^ a^ foüertbS erft
Sut^er 1520 baSfelbe get£)an fjatte, r;aben bie beutfd)en Dcid)§tage fett 1522 mieber^olt
auf bie Einberufung eineö Äonjilg gebrungen, Dort meld)em nid)t blofj bie bae 9teid) auf=
regenben 9teUgtonsftrcitigfeiten gefd^lidjtet, fonbern aud) alle bie fd)reienben Übelftänbe ab=
50 gefteßt roerben foHten, über meldte man fid) mit Dedit beflagte. Sern Äaifer Äarl V.
lag aujjerbem aus ^olitifd)en ©rünben Diel an ber Serul/tgung ®eutfd)Ianb§ unb bamtt
an ber Berufung be§ ^onjil§. 2lUein bie 5?urie fürchtete, baft ein allgemeine§ ßonäil
% nad) bem auftreten £utb,erg nod) gefährlicher toerben lönne, als l^unbert $ab,re bor=
^er, unb ber SJlebiceer Siemens VII. gravitierte in feiner Sßolitif toiel gu fe^r nad) granf=
55 reid), al§ bafj er juv görberung ber ^ntereffen RaxlS ein Äongil ^ätte berufen fotten.
^n ©eutfd)lanb b,atte man groar fo feft auf ein fo!d)eg geregnet, bafe ber Nürnberger
gieligion^friebe nur h\S jur @ntfd)eibung be^felben einen f3robiforifd)en 9ied)töjuftanb
fd)affen foHte. Slttetn fo lange GlemenS VII. lebte, backte in Dom niemanb im @rnft
an bie Erfüllung biefe§ laiferlid)en 2öunfd)e§. 2lud) fein Dad)folger, ber meltHuge
60 Sßaul III., melier nad) 40jäb,rtger X^ätigfeit als 5?arbinal mit ber Salti! ber ßurie
t)oH bertraut roar, fd)ob bie Berufung be§ Äonjilg fjinauö, bi§ er e§ nid)t meb,r umgeben
lonnte. 3»ar I)atte er fid) balb nad) feiner ©tublbefteigung äu^erlid) ba^u willig gezeigt,
aud) ein ^on^il auf ben 9M 1537 nad) 9Rantua einberufen, tooburd) bie ^)roteftanttfd)en
Geologen auf ib,rem ^onbente bon ©d)mal!alben jur Slnerlennung bon Sut^erö ,,©d}inal=
£rienter ^on^l 101
falbifcfyen 2lrtifeln" beranlafjt mürben; allein baä Äonjil lam bocb, rtid^t p (tanbe. @rft
trat kaiU britter 5trteg mit grartj I. bon granfreicfr; aU miüfommeneg §inberni§ in
ben 2Beg; bann folgte bie merfmürbige ©bodje, mo fid) bie $urie an bem faiferlidjen
^eligionSgefbräd; ju ÜRegenSburg 1541 burcf; Jlarbmal ßontarini beteiligte, fo bafe man
bielleicfyt auf biefem 2öege hoffte, einem Äonjile aus bem SBege gelten gu tonnen; erft al§ 6
ber Äaifer ficb, anfdjndte, bie religiöfen Söirren in 3)eutfcf;lanb entmeber mittelft eine!
^on^US ober auf einem 9teicr;gtage auf eigene §anb ju fdjltcfyten, ba fam ibm $aul III.
notgebrungen jubor unb fc^rieb ba§ ^onjil für ba§ ^afyv 1542 nad) Orient au3. ßu=
näc^ft trat aud; jetjt mieber ein bolitifd;e3 £jinbemi3 feiner ©röffnung entgegen; e» mar
ber bierte Ärieg Sparte mit $ranj I. @rft 1545, al§ bie 9ttadjt $arl3 V- auf bie für 10
SRom gefährliche §öb,e geftiegen mar, bafj er hoffen burfte, felbftftänbig ben $roteftanti§=
mu3 burd) 2Saffengemalt nieberjufdjlagen unb baburd) fein eigene! Übergemidjt über
granfreid) unb ba<S ^ßabfitum fidler ju fteßen, erft bann mürbe ba! $ongil mirflid) er=
öffnet, unb jmar ju STrient, ber §aubtftabt be§ italterttfct)en Sfyrofö, in ber bifcfyöfltcfyen
©tabt, in mekfyer ber ttalienifdje ^arbinal unb SBifcfyof Sftabru^e regierte unb mofyin ber 15
^atoft bon 9tom aus> jeberjeit feinen ©tnflufj geltenb machen lonnte. ©in freie! beutfd)e3
ßonjil, nacb, meinem man in proteftantifcfyen Greifen Verlangt t)atte, mar ba<§ alfo nid^t;
bcnn Orient mar unb ift nocb, I)eut eine italtentfd^e ©tabt (Srento). ©in örumenifcfyeg
Äonjil, mie e3 ftcfc, nannte unb mie e£ nocb, fyeute Dom gangen römifdjen $atl)olici3mu3
aufgefaßt mirb, ift e! auct) nid;t gemefen ; benn e§ finb nie äße djriftlidjen Völler, nicf;t 20
einmal bie be§ d>riftlicr;en 2lbenblanbe3 ba bertreten gemefen (au3 ®eutfcf;lanb nahmen
in ben beiben erften gerieben nur acfyt 33ifd)öfe teil, fbäter nod; meniger, bie ^ranjofen
fehlten in ber jmeiten $ertobe gänjlid;; in ben midjtigfien ©jungen, mo über ^eilige
©a)rift unb ^Rechtfertigung befrettert mürbe, maren nur etma 60 Prälaten auf bem ßonjil,
barunter lein einiger beutfcfyer (bgl. feiner, Acta genuina I, 89 sqq.). ®ag 'ütrienter 25
ßonjil gilt aber boer) mit 3tect)t al§ Siegeneration bes> rbmifdjen $atr;olicts>mu§ ; ber
römifcfye £>ierarcf;i€mu3 unb bie römifdje 28erff)eiligleit rafften ftd; p einer entfdjiebenen
2lbtoebr be! $ßroteftanti3mu<§ auf unb gaben in SBerfaffung unb SDogma ber römifdjen
$ircf;e ba§ ©ebräge, melcf;e§ fie feitbem unberänbert behalten b,at, fo ba| bie fc>atifanifcr)e
©^nobe im ^ja^re 1870 auf ben 'jErienter 3Serfaffung§bau nur ba§ Irönenbe ^ad) p 30
fe|en brauste; baä SErienter^on^il fdjeibet bie römifef/e unb bie broteftantifd)e 2Belt no<^
freute; barauf (nid;t auf bem gleichzeitigen ©biel ber eurobäifd;en ^Solitif, ba§ mir ^ier
nid)t berfolgen lönnen) beruht feine Söidjtigleit.
2)a§ ^on^il, meld;e§ bon 1545—1563 mit Unterbrechungen tagte, berlief in brei
$erioben, bie felbft miber burd; bie allgemeinen Söettberr/ältniffe bebingt maren: bie erfte 35
unter $abft ^5aul III. bon 1545—1547 in gelm ©jungen, bie jmeite unter ^uliu§ III.
bon 1551—1552 mit ber 11.— 16. ©i^ung unb bie britte unter $iu§IV. bon 1562—1563
mit ber 17.— 25. ©i^ung.
Sie Seitung be<§ Konnte übertrug ^aul III. (am 22. gebruar 1545) ben brei
Äarbinälen ©ei 3J?onte, 9JiarceIlu§ (Serbini unb 3teginalb $ole. 2lm 13. 9Kärj jogen 40
bie beiben erftgenannten in Orient ein, aber nod) am ©onntage Sätare mar aufjer ben
Legaten nur ein Sifdmf, ber bon geltre, antoefenb, fo bafe bie ©röpung be<§ Äonjil€
(„ob hanc et quasdam praeterea causas ex voluntate summi pontificis") ber=
|a)oben mürbe (feiner, Acta genuina I, p. 20). SDie Segaten mußten faft 10 9Jlonate
in Orient märten, bi§ fid; etma 30 „Patres" pfammenfanben, fo ba^ man enblid^ ba§ 45
Äon^il eröffnen fonnte (Jftatynalb, Annales 1545, 34). S)ieä gefcfyar; feierlicb, am
13. Sejember 1545. 2tber nod; ein baar 9Jconate lang mußten bie Säter nitf;t§ 9?edb,teg
anzufangen; bie brei erften ©jungen berliefen fo gut mie inhaltlos ; erft in ber bierten
Sitmng trat baö ^on^il mit feiner ftrdjertgefcf;id)tlicr; i) odibebeutenben Arbeit fjerbor, inbem
ef f^ftematifeb, hm gefamten $roteftanti3mu<§ ju berurteilen begann. Sie 23erl)anblungen 50
Hg jur bierten ©i|ung Ratten ^aubtfä^Iicb, ber geftfteöung einer ©efd)äftSorbnung ge=
gölten, üflit richtigem SSIicfe ermartete ber Haifer kaxl bie 3lbfteEung ber fdjreienben
tira^licfjen SOti^ftänbe, um baburd) bie 2Ret)r3aI>I ber ^roteftanten jufrieben ju fteCen unb
ben ^rieben im 9teid;e ju erlangen; bie bogmatifdjen Differenzen blieben für biefen
biblomatifcfyen 9led)ner ftetg 3Rebenfad;e. Umgeiefyrt lauteten bie 2lbfid;ten ber Äurie ; 65
jtrar fträubte man fieb, nid)t gegen eine innertirdjlicfye Reform, borau^gefe^t, ba| niemanb
am Seftanbe ber lird)lid)en §ierard;ie rüttele; aber baö ^aubtintereffe richtete fid; fyter
auf bie bogmatifd)e Slbleb^nung alle! ^SroteftantigmuS, um eben ben Seftanb ber römifd)en
Äircb,e fidler ju erbalten. Unter folgen Umftänben mar bie geftfteßung ber @efd;äft§=
orbnung bon größter 2öid)tigfeit. ®an! ber Älugb, eit ber bäbftlid)en Segaten , meiere 60
102 Srtentcr gonjtl
fdmn im SejemBer 1545 an arme 33ifd)öfe 2000 ©olbfiüde bertcilt Ratten (©arbt, beutjdEj
bort SBinterer I, 243, auS einem ©cfyreiBen ber Segaten an ben ^äa^ft), gelang eS, bie
©efdjäftSorbnung gur 3ufr;ebenl>ett beS ^ßabfteS burcbjufeijen, bie Abftimmung foHte nacb,
köpfen, nict/t na<| Nationen gefd;eb,en; baS Stimmrecht foHte nur ben in $erfon an=
5 toefenben SBifdjiöfen unb ben DrbenSoberen auflegen (bafe Ie£tere im bätoftlidien ^ntereffe
ftimmen mürben, mar im allgemeinen ju erwarten); bie Segaten erhielten baS Stecht, bie
©egenftänbe ber 33ert)anblung feftjuftellm unb bie Äommiffionen ober Kongregationen für
bie Beratung berfelben ju mahlen, gür atle fct)toierigen gälte foEle bie bäbfilidje @nt=
Reibung eingeholt toerben. (©d)on im SDe^ember 1545 Ratten bie Segaten an ben ^ßabft
io baS ©efud) gerichtet, „bafe bon Orient Bis 9tom immer (Siltoferbe Bereit ftünben, um an
jebem SEage, ja ju jeber ©tunbe, toenn eS bie Umftänbe erforberten, in rafd;er SSerBinbung
ju ftefyen". ©arbi, beutfeb, bon Söinterer I, 243). 3)af>er ift fbäter bie ©bottrebe ent=
ftanben, „bafj ftd^> ber ^eilige ©eift bon 9tom aus juroeiten berjögere, toenn bie glüffe
austräten unb baS ^ßaefet jurüdlnelten" (AIS Sonmot beS franjöfifc^en ©efanbten,
15 allerbingS erft auS bem gafyre 1562 befannt, bei SRartin, Hist. de France t. IX, 170;
§en!e, teuere ®ird)engefcf)., fyerauSgeg. b. ©af$, 33b II, ©. 25). ^n ber fcfytoierigen
grage bollenbS, oB guerft über bie Reform ober aber üBer baS ©ogma berfyanbelt toerben
foKte, einigte man fid) baf)in, bafs jjtoar über beibeS jugleic^ berfyanbelt, baft aber immer
erft bie bogmatifcfyen Angelegenheiten erlebigt toerben füllten. Aucb, fo mar ber ©ieg beS
20 spatofttumS über ftaifer unb Äonjil fd)on im Anfang entfdjieben.
®ie 3Serb,anbIungen mürben bemnacB, juerft in ben Kommifftonen ober „®ongre=
gationen" geführt; blatte man fid) in benfelben über einen 33efc£)luf$ geeinigt, fo tourbe er
in einer feierlichen ,,©i|ung" berfünbigt, nacfybem B,ier bie berfammelten 3Sätcr mit
„Placet" geftimmt Ratten. (®ie 3Serfammlungen fanben unter ^3aul III. unb Julius? II.
25 im ®om, fbäter in ber ^?farrlircb,e ©. 9Jiaria SJtaggiore ftatt; feierlid) brollamiert mürben
bie SDefrete aber immer im £>om. Über, baS Sofal bgl. §eiber, bon @itelberger unb
£iefer, SRittelalterlidje Saubenfmale bon Öfterreid) I, Stuttgart 1856—1858, ©. 155,
bgl. £enfe, teuere $ird)engefcf/id)te II, 1878, ©. 26.) Sie 33efd)lüffe verfallen in
Decreta unb Canones; jene Betreffen teils ben ©lauBen (de fide), teils bie Reform
bo (de reformatione ober diseiplina) unb geben bie römifcb^ftrcblicfye Sefyre in bofitiber,
aber fefyr oft biblomatifd) berfmllter gorm; bie Canones bagegen enthalten in furjen
©ä£en bie entgegenftefyenben fieberen unb belegen fie mit bem Anatfyem. SDa buref) bie
Decreta de fide ber ^ßroteftantiSmuS abgelehnt mürbe, fo nehmen fie fyaubtfäcblicb, unfer
Qntereffe in Anfbrucb,. ©ie enthalten feine auS bem römifcfyen Sürcfyenbrinaib abgeleitete
35 ft)ftematifcfye Ausführung ber römifdj=fircf)licf)en Sefyre , fonbern nur bie bogmatifdje Ab=
lefynung ber brei ©runbgebanfen beS fird)lid)en ^roteftantiSmuS. §atte biefer 1. burdj
bie 9tecf)tfertigungS= unb bie @rmäb,lungSleB,re bie freie ©nabe ©otteS mit 3luSfcb^lu^
aller menfd;lid)en 2?erbienfte gelehrt, fo mufete je£t bie 2Berfgered^tiglett mieber b,ergeftellt
merben; blatte 2. ber ftrd>Iid^e $roteftantiömu<3 gleichzeitig bie Rechtfertigung unb bie
40 ©rmäfylung in ber Communio sanetorum realifiert gefunben, fo bafj bie Kirche als
„baS {»eilige d^riftlic^e Soll" befiniert mürbe, bem bie SRittel ber ^rebigt beS göttlichen
SBorteS unb ber 33ermaltung ber ©aframente ju BleiBenber Übung anbertraut finb, fo
follte im ©egenfa^ baju bie Kirche mieber als fyierardjnfcf/e ©aframentSanftalt über ben
©laubigen aufgerichtet merben; blatte enblicf) 3. ber ^ßroteftantiSmuS feine @r!enntniS
45 lebiglid) auS ber ^eiligen ©c£)rift abgeleitet, fo mu^te ber SErienter Kat^ottciSmuS baS
SErabitionS^rinji)) erneuern, um äße biejenigen fieberen unb Übungen §u berteibigen, meld)e
fieb^ nict)t auS ber 33ibel ableiten liefjen. ®a bie ißäter ^u Orient mit ©cf)langenflug^eit
gu 2öerle gingen (fie Ratten bon Anfang an unter ben ju $Rate gezogenen 2:B,eologen
bie bom ^ßa^fte ifmen ^ugefcfiicften ^efuiten ©almeron unb Sainej), fo berfub,ren fie plan=
so mäfjig in ber Drbnung, ba^ fie naef) SSerlefung beS nicänifcljen ©laubenSbelenntniffeS
in ber britten ©i|ung (moburef) ber ßuf^mmenljang beS tribentinifcb,en mit bem alten
Sktf)oIictSmuS bemiefen toerben fotlte) erftenS in ber 4. ©i|ung baS römifeb^e ^ErabitionS=
pün^p, jtoeitenS in ber 5. unb 6. ©i|ung bie römifcb,e 2Berfgerc$tig!;eitSlet)re (mit
ib^rer 3SorauSfe^ung, ber Sefyre bon ber 2BiHenSfreib^eit aueb^ im fünbigen SRenfcfyen) unb
55 brittenS bon ber 7. bis jur legten ©i|ung bie römifd;e ©alramentslebje jur Sefeftigung
beS (als felbftberftänblicb, borauSgefe^ten) ^ierarcb^ifc^=fafeamentaIenKircf)enbegriffSfeftfteilten.
ßuerft alfo foHte bem ^roteftantiSmuS ber fefte ©runb feines ©cfyriftbrm^S ent=
jogen toerben. ßu biefem 3^^d'e belretierten bie SSäter in ber 4. ©ifcung am 8. Slfcril
1546, ba^ bie atooftolifdjen Srabitionen „mit gleicher 33ereln*ung" (pari pietatis affectu
60 ac reverentia) aufgenommen toerben füllten, toie bie fyeüige ©cb,rift.
Erteilter ®o»3Ü 103
(iin 23tfd>of, ber Don Gbjo^a, erflärte btefert 2lu3brudf ^mar für „gottlog (impium)",
mufetc aber roiberrufen. C^^einer, Acta genuina I, 85a).
yiifyt blof? bieg: "äu<$) bie ^eilige ©cfyrtft felbft würbe in einem für bie ^ßroteftanten
unannehmbaren Umfange fanftioniert, nämlid) mit ben fanonifc^en Supern beg 2lig
aui) bie abofrfybfyen, obgleich, biefe aug bem aleranbrmifcf/en ^ukttfum ftammen ; jroifdjen 5
DJJofe unb bem 58ud)e 3U^^/ stoifdjen Qefaia unb bem SBucfye ©per finbet ferner fein
2Bertuntcrfd)ieb ftatt; unb mit falfdjer Soreiligfeit traf man $eftfe£ungen über bie bib=
Uferen Tutoren unb bie gar/l if)rer Sucher, Woburd) alle freie SBibelforfdjmng abgefdmitten
lourbe. ©tatt auf ben fyebräijcr/en unb ben grieeb/ifdjen ©runbteri berroieg man bie S£^eo=
logen unb ©eiftlicf/en auf bie alte latetnifd^e 2Mgata, obgletd) man felbft lein 5Ruftcr= 10
ejemblar berfelben jur §anb b^atte ober überhaupt lannte. ©ie follte „für aut^enttfer)
gehalten roerben (pro authentica habeatur)", lautet bag biblomatifcb, berechnete
fembfeljlunggurteil. ©d)on burd) biefeg ©etret blatten fieb; bie Slrienter SSäter gegenüber
ben ©cfyriftbetoeifen ber ^roteftanten freie Saljm gefcfiaffen. 2öo bie ©cf)riftargumente
nidit ausreichten, beriefen fie fid) auf bie unfontrollterbare ^rabitton; Wie oft fie bieg 15
im Verlauf beg ganzen ^onjilg getr)an fiaben, ift in bem Slrtilel „^rabition" nacf/=
geroiefen. ®ag ®e!ret ber 4. ©i|ung blatte ben 3Sätern ben 2öeg gebahnt, auf welchem
fie nunmehr ben SRittelbunft ber broteftantifef/en fiebere angreifen lonnten. SDag rtäct)fte
Öaubttljema mürbe bag Redjtfertigunggbogma, für melcf/eg bag bon ber ©ünbe in ber
5. ©i£ung am 17. 3"™ nur bit 93orausfe^ung bilbet. §atten bie Reformatoren, um 20
ben ©ünber ju bemütigen unb bie ©nabe ©otteg ju erb/öfyen, bem fünbigen SRenfdjen
alle ©ereef/tigfeit im geiftticfyen ©inne (justitia spiritualis) abgefbrocfyen, fo gog fieb bie
Srtenter ©imobe jeijt, bie ©treitigleiten in if)rer eigenen Sftitte flug übergefyenb, auf bie
übliche fcfyolaftifcf/e 2eb,rform jurüct, bie man brauchte, um bie 3üerbtenftUct)5eit ber guten
Söerte behaupten gu fönnen. £)ie urfbrünglid)e ©eredjtigfeit r)at ber SRenfcfc, jtoar burd> 25
ben ©ünbenfaH berloren, aber feine natürliche 2BtHengfretl)eü ift nidjt bemidjtet, fonbern
nur gef ct)rDäct)t ; bie Streitfrage ber ©ominifaner unb ber granjiglaner über bie fünblofe
(Imbfängnig ber Jungfrau 9Jcaria mürbe mit 2tbftd)t umgangen, inbem fiefj bie SSäter
auf ben ©tanbbunft ©ijtug IV [teilten. (3)anj, p. 26). 2luf bem ©runbe ber 5. ©i|ung
baute fid) bann bag SDogma ber fecbjten auf, bie aber wegen beg fdjmalialbifdjen $riegeg 30
erft am 13. Januar 1547 gu ftanbe !am. Stuf bie Raffung beg 9xed)tfertigunggbogmag
fam alleg an. ©aber toaren bie S3orberf)anbIungen fdSwierig unb »erliefen oft ftürmifcb,;
einmal tourben bie 3Säter b/anbgemein (bie urf unblict/e ©cfyilberung bei feiner 1. c. p. 194a).
ßg fehlte nicfyt an ebangelifdjen ©r/inbatbien (feiner 1. c. I, 161a), alg beren §aubt=
jeuge ber ©eneral beg 3luguftinerorbeng ©ertbanbo auftrat, ber äfynlicf) tote ßontarini 35
ju ^iegengburg auf ben ©lauben an bag 3Serbienft ßfmfti ben Racfybrucf legte unb fo
bie Rechtfertigung felbft aug ©laube unb Siebe Verborgenen lief;. 2Illein im ©r/ftem beg
ganzen römifcfyen ^iret/entumg brauet/te man bie SSerbienftlidjfett ber guten Sßerfe fo feb/r,
bafe man fie gerabe Iner ntct)t entbehren lonnte. ®ie Justificatio, welche in Orient
belannt tourbe, ift burcfyaug antibroteftantifcb, gebaut: eg ift bie ©erecfytmacfyung, ju 40
welcber ber getaufte fatfyolifct/e ßb,rift bureb, eigene üraft unb bureb, göttliche ©nabenb,ilfe
gelangt, fo ba% er ftdt> frf;lie|licb alg Sob^n feiner 5£ugenbmül;en bag eroige Seben ber=
bient. (-Danj 1. c. p. 82 sqq.). ©amit mar ber Sßerffyeiligleit mieber ^bür unb %t)ox
geöffnet ; unb menn man aud) mct)t gerabe ben Wlut blatte, bie £eb,re bon ben SSerbienften
in ber roben gorm ber fbäteren ©cfjolafti! ju fanltionieren (in Sess. VI, decretum de 45
justificatione, cap. 5, umging man j. 83. ben 2tugbruc! meritum de congruo, trug
aber bie ©acb,e im Slnfcb^lufe an 33iet bor, bgl. 9R. 6b,emni|, Examen concilii Trid.
ed. ^reufe p. 178): bie 2Bat?rb;eU beg broteftantifdjen §eilgbrin^i)3g mar geleugnet, alle
§eilggemif$eit aug bem gläubigen 6t)riftenmenfd;en in bie briefterlicfye ©aframentganftalt
Verlegt, ^nbem aber bie S?irdbe eg ift, roeldje bie für bie SSerbienfte unumgänglid; nötige bo
göttlicbe ©nabe mittetft ber ©alramente in bag ^d) überleitet, fo füb^rt biefe WtfyU
fertigungglef)re bon felbft jur ©aframentgleb,re. ®ie ©alramente finb bie für bie ©erecb>
ntad)ung notmenbigen SRittel („per quae omnis vera justitia vel ineipit vel coepta
augetur vel amissa reparatur", Sess. VII, decr. de sacramentis, prooemium
Danz p. 55). .statten bie ^rienter Sßäter bie römif^^atbolif^e Seb/re objeftib fi;ftematifd} 65
borgetragen, fo blatten fie alfo erft bon &ircf)e unb ©alramenten, bann bon bem burd>
bie lird^Iid^e ©aframentganftalt bermittelten §eile fbreeben muffen, ©tatt beffen ftellten
fte_ nur im antibroteftantifeben braftifdien ^ntereffe biejenigen Scbren auf, meldte jur s5c--
feftigung ber römifd)=fird)lid)en ©aframentganftalt unbebingt notmenbig ioaren. :^a,
toäbrenb fie b,ier junäcbft bie römifd)=fatf)olifd)e Sebre bon ber ^ircf)c unb erft im .311= uo
104 Xtienkt ^on^il
fammen^ange bamit bie bon ben ftrcf)licben ©aframenten blatten auffteflen fotlen, frf)h)iegen
fie über bie Äircfje übertäubt, obgleicf; fie taufenb üßeranlaffungen jum reben blatten, unb
in Se^ug auf bie ©aframente entfetten fie ftcf; jeber £r)eorte über bal Söefen imb bie innere
DotWenbigfeit berfelben, beibeS um unliebfamen (Erörterungen au§ bem Söege $u gelten;
5 man begnügte fid), ben ©aframentSmecfjanismiuio in feinen einzelnen teilen $u befcfyreiben
unb al§ notwenbig fnnjuftelten. ©ie ^iroteftartttfd^e fiebere bon ber ^irdje als ber ©e=
meinbe ber 6£>riftu§gläubigen, Welche jWar bie ^rebigt be§ göttlichen 2öorte§ unb bie
©benbung bon Saufe unb 2lbenbma^I als göttliche ©nabenmittel b,at unb übt, aber im
geifilitfjen Sltnte bocfj nur eine fircf>enorbnungSmäf3ige ©inrieb, tung, fein ©nabenmittel fielet
10 — biefe fiebere War auef) fo berWorfen. SDaS Srienter ^onjil fteHte bie Siebenmal)! ber
©aframente feft unb Wibmete ben Dogmen über bie einzelnen ©aframente alle ©jungen
bon ber fiebenten (3. SJlärg 1547) an bis jur bierunbjtbanjigften (11. Dobember 1563);
boefj erWecfen biefe alle in bogmattfdjer §infid)t ntdjt baS ^ntereffe ber 4.-6. ©i£ung.
$aum blatte man inbeS bie 33erl)anblung über bie ©aframente begonnen, als ber $aifer
15 bem ^jßabfte übermächtig ju werben festen , fo bafc biefer unter bem 93orWanbe einer in
•vlrient aufgebrochenen ©pibemie (SDanj, p. 68) baS ^onjil aus ber ©binäre beS faifer=
liefen ©influffeS naefy ^Bologna berlegte. 3Rtt ber infyaltslofen 8. ©ttjung am 11. Wär%
1547 „fcfylofj baS Srienter $onjil feine erfte $eriobe.
Überbauen mir ben 3nb>It ber in berfelben $eit beretnbarten Deformbefrete, um
20 un<3 ein Urteil $u berfcfyaffen über baS, roa§ man fief) bamalS in Dom als „Deformation"
etwa gebaute gefallen ju laffen. ©aS ^onjil be!retierte bie 2InfteHung bon tfyeologtfdjen
Seftoren an ben ^atljebralftrcfjen (Sanj, p. 27), ermahnte bie 33ifdjöfe pr $rebigt beS
©bangeliumS (Sessio V) unb berbflidjtete fie ^ur Defibenj (Sessio VI) „boct) nur fo
weit, bafj immer noer) ju ©unften römifct)er Geboten 2fuSnal)men möglief) blieben" (£>enfe
25 a. a. D. ©. 29); eS unterwarf audj bie ©omfabitel ber Slufftcfyt ber 33ifcf)öfe (®anj,
p. 50 sqq.) unb berfcfyärfte bie Sebingungen %uv ©rfangung firtfjlicfyer älmter (Sessio VII,
®anj, p. 60 sqq.). (Sine foldje „Deformation", Welcf/e bie ©djäben ber $irct)e nicfyt bei
ber Sßurjel angriff, fonnte felbft bem Äaifer rttct)t genügen, um burefy fie bie ^ßroteftanten
jum Söieberanfcf/Iufc an bie römifcf)e ^ircfje ju gewinnen; unb ba bie bogmatifdjen ©efrete
30 bollenbS feine ^ßläne bureb^freujen mufstejj, fo berbinberte er gunäcfyft if)re Sßeröffentlictjung,
um ben ^roteftanten ben SBeg jum ßonjtl offen ju galten; bie 9Jkcf/t batte er }a je|t,
biefe im DotfaE mit ©etoaft jum 2lnfcf)Iu§ an ba3 ^onjif ^u jmingen. ©a fdjmitt ifjm
ber ^liabft bie -JRöglidjfeit ba^u ah, tnbem er ba§ Äonjil in feine eigene Däfye naf;m; ber
^Proteftanti§mug in ©eutfcfylanb aber war tro| feiner boIitifd)en Dieberlage — gerettet.
35 ©o lange ^aul III. lebte, war an eine Dücf f ül)rung be§ ^ongifg naef) Orient niebi gu benfen.
3u Bologna fam t§ ju feinen öffentlichen i&erfyanblungen, ba fict; bie SSäter nict)t
in genügenber Qafy jufammenfanben. £>ie f)ier abgehaltenen ©jungen, bie neunte unb
bie jetynte (bom 21. 2lbril unb 2. ^uni 1547) berliefen refuItatloS (®anj, p. 68—71,
boefj bgl. feiner, Acta genuina, praef. p. XIII [patres] „haud otiosi erant").
40 @rft al§ ber ßarbinal bei SRonte, Welcher bem 5lonjiI in feiner erften p3eriobe aU
erfter Segat bräfibiert blatte, im ^al;re 1549 al3 Julius III. auf ben bäbftlicfyen ©tub^l
erhoben War, Würbe auf ©runb feiner Sülle Cum ad tollenda (Romae, 18. Kai. Dec.
1550, ©anj p. 71) ba3 Äonjil p Orient fortgefe^t. ©<§ tagte in fecf)§ ©i^ungen, bon
ber 11. bi§ jur 16. (am 1. 3Jiai, 1. ©ebtember, 11. Dftober, 25. Dobember 1551, baju
45 am 25. Januar unb 28. Slbril 1552). 2luf bem bogmatifeljen ©ebiete fe^te man bie
©aframentsslefyre fort. Dacfjbem in ber 7- ©itjung fcfjon über SEaufe unb girmung ge=
fyanbelt War, entfct)teb ba§ ^ongtl in ber 13. ©itjung über ba§ fy. 3lbenbmal)l unter
SiUigung ber SranSfubftarttiation mit allen it)ren 33orauSfe|ungen unb Folgerungen
(2)ang, p. 75 sqq.), in ber 14. ©i|ung über baS ^ßönitensfaframent mit ber ^Dreiteilung
so bon contritio cordis, confessio oris unb satisf actio operis (SDanj, p. 91 sqq.); bie
fiebere bon ben „^nbulgenjen" aber berfd)ob man, Wie bie bon bem ©enuffe be§ 3tbenb=
mafjtö unter einer ©eftalt unb bon ber SJteffe (bgl. SDanj, p. 89), Weil bie ^ßroteftanten,
beren Slnfunft man erwartete, mcfjt bura) biefe fyeiflen SLl;emata gereift Werben füllten
(bgl. SDang, p. 89). (ErtblidE) t)anbelte man no<f; über ba§ ©aframent ber legten Delung
55 (®anj, p. 102 sqq.). ©iefe befreie beWeifen, baf bie ©bnobe in ftarrer ^onfequenj
Weiter arbeitete unb gar nicfyt baran bacfjte, bem $roteftantiSmu§ bogmatifc^e 3«0eftänb=
niffe ju machen. 2)ie beiben gleichzeitigen Deformbefrete, Welche in ber 13. unb 14. ©üjung
(©anj, p. 84 sqq. unb 109 sqq.) angenommen Würben unb bie größere ©icfyerfteflung ber
3Racf)t ber §8ifcb;öfe in iljren ©iöcefen betrafen, erreichen nicfyt im entfernteften bie 9Bicf;tig=
60 feit ber bogmatifapen geftfe^ungen.
Srtenter ^ottjtl 105
^n fircfylicfe^bolittfcber Sqieljmrtg ift bagegen bie ämeite Veriobc beS $onjilS ungleich
intereffanter als bie erfte, meit bei $aifer Staxl mirfücfy bie gulaffung ber Vroteftanten
ju ben Verbanblungen, fogar bis ^ur ©iSbutatton mit $onäilSbebutierten (aber nicfyt jur
23efd)lufjfaffung !) bürdete; jtoeimal ftellte baS ^onjil ben Vroteftanten einen ©eleits=
brief („Salvus conductus") auS, erft einen mifjberftänblicfyen (®anj, p. 90), bann einen 5
Vertrauen ermecfenben (16, 118 sqq.); „omni fraude et dolo exclusis", ib. p. 121).
6d;on maren bie mürttembergtfcben unb bie fäcfyfifcfyen ©efanbten bolitifdjen ©tanbeS ein=
getroffen, unb bie mürttembergifcfyen Ratten bor ber 15. ©iijmng, bie am 25. Januar 1552
ftattfanb, in einer Vribatfongregation am borljergeljenben SLage eine Don Srenj auS=
gearbeitete Vef enntniSfcfyrift übergeben ; bon $urfad)fen mar gleicbjeitig sDMand)tbon mit 10
einer Confessio Saxonica unterwegs unb fdjon bis Nürnberg gefommen, als ßurfürft
Woxty burcfy eine jroeite Untreue ben beutfdjen VroteftantiSmuS rettete unb burdj feinen
füb,nen ,ßug nadj ©übbeutfdljlanb ben $aifer auS %xm$bv\\ä unb bie ^ongtlöbäter aus
Orient ju fliegen beranlafete. ©aS Äon^ü fyatte ficfy in feiner 16. ©itjung am 28. 2lbril
1552 eiligft „fuSbenbiert" (®anj, p. 122). 15
©er ©ang ber fircr)Iicr;=bolitifc|)en @reigniffe führte bann in SDeutfcfylanb jum 3lugS=
burger ÜMigionSfrieben bom $af)re 1555; ftaatSredjtlicfy anerfannt, brausten fidE) bie
broteftantifdjen ©tänbe um baS ^on^il nicfyt meiter ju fümmem; aber jettf maren eS
bie fatfyolifdjen dürften, meldte auf Reformen beftanben: gerbinanb, ber römifc^e ®aifer,
Verlangte ben Saienfeld) unb bie ^rieftere^e, ^lofterreform unb beutfdje ^ultuSfbracljie; 20
nicfyt biel geringer maren bie Eroberungen granfreicfyS, mo man nocb) im grübjafej 1563
bie Reformierten gu befd^mid)ttgen fud)te; ©banien trat für bie ©elbftftänbigfeit ber
33ifd)öfe ein. ©er Huge Vabft ^ßiug IV., roelcr/er nacfy bem ^infdjeiben beS fanatifcfyen
$aul IV feit 1559 regierte unb gerabe im ^ntereffe ber römifd^en ^£trd^e jebe Veleibigung
ber fatfjolifcfyen SJtäcfyte %u bermeiben fud)te, lief* mefentlid), um fie aufrieben %u [teilen, 25
baS ^onjil am 18. Januar 1562 mit ber 17. ©i£ung mieber eröffnen. ®ie Verlj)anb=
fangen beS IgafyreS 1562 bon ber 17. bis jur 22. ©itjung (17. ©ebtember) fielen aber
nid^t nad) Söunfcfy ber fatfyoltfcr/en 3Rädf)te auS: in ber 18. (am 26. gebruar 1562)
tourbe eine ^ommiffion mit ber Slbfaffung eine§ Index librorum prohibitorum beauf=
tragt; bie 19. (am 14. 9Jiai) unb bie 20. (am 4. $uni) berliefen refultatloS; in ber 21. 30
entfa)ieb man über bie jurüöfgeftellte $rage beS SaienMdEjeS, ber nidjt für notmenbig er=
Hart unb bamit tl)atfäd)lid} (menn aud) mögt ausnahmslos) abgelehnt mürbe mie aucb,
bie ßinberfommunion (®anj, p. 134sqq.), in ber 22. ©itjung (17 ©ebtember) befretierte
baS Sonjil im engften 3tnf<|luf5 an bie irienter 2lbenbma!)lSleIj)re unb bie barin bor=
getragene ^ranSfubftantiation baS ©ogma bon bem SJiefjobfer, baS als unblutige 35
„Rebräfentation" beS blutigen ^reujobferS, aber als „mab^r^afteS ©ü^nobfer" („vere
propitiatorium") (unb baburd^ bod) als gortfetjung beS ©üb^nobferS 6b,rifti ober als
Erneuerung beSfelben) aufgefaßt mürbe (SDanj, p. 144 sqq.). Sie gteicb^eitigen Reform:
betrete befferten ©inigeS in 33egug auf ©rteilung ber Drbination, auf ©infommen unb
Sebensmanbel ber ©eiftlicfyen, Sefe^ung ber ^abitel, in Setreff ber frommen Stiftungen 40
u. bgl. (®anj 1. c. p. 138sqq., 152 sqq.). (Über baS 2krl)äTtmS beS ÄonjilS gu ben
Uniberfitäten f. 9)ier!Ie.) 2lber biefe Verfügungen beftätigten nur baS 3Ilte mit geringer
©rleicb.terung ober Sefferung ; fie befriebigten nid)t, unb ber eingetretene Srud) bergrö^erte
fid) ju 3lnfang 1563 bergeftalt, bafe fedpS Monate bergtngen, eb,e nur mieber eine ©i|ung
gehalten merben lonnte. @rft als im 9ftai 1563 ber ^arbinal SRorone bie 2eitung beS 45
^onjilS übernahm, gelang eS biefem biplomatifdt) gemanbten Vertreter beS VabfttumS,
bie beiben obbofitioneßen ^Jäd^te, bie dürften einerfeitS, bie Vifcfyöfe anbererfeitS, fo gegen*
einanber ju rieten, ba§ jeber Steil nur burd^ baS Vabfttum feine Redete am beften
hoffte aufredet erhalten ju !önnen. Vor aUem mufite eS aber ber ®urie barauf anfommen,
baS unbequeme Äon^il möglid)ft balb ju beenbigen. Unter biefen für bie $urie je|t 60
günftigen Verb,ältniffen gelang eS, bie nocb, unerlebigten beiben ©aframente, meldte tief
in bie braftifcfyen Verfiäitniffe ber tircb,e unb ber ©efeftfcfyaft eingriffen, bie Vriefterroeibe
unb bie @b«, Jtemlicb, glatt ju bearbeiten; jene mürbe in ber 23. ©i|ung (am 15. 3"K)
im auSgebrägt ^»ierarc^ifc^en ©inne (Vrieftertum mit „unjerftörbarem 6b,araIter/;) bog=
matifiert; in ber 24. ©i|ung (am 11. Robember) mürbe ber faframentale (Sb^arafter ber 55
@be, ifp Vebingungen unb if>re §inberniffe, ba^u tt)re Unbereinbar!eit mit ber Vriefter=
toetbe in einer ^erfon, alfo ber Vrieftercölibat, feftgefteßt. ®ie 25. ©itpng (3. unb
i. ©ejember 1563) befd;äftigte fid) bann (bei ®anj, p. 209 sqq.) nocb, in fürjefter gorm
mit benjenigen bogmattfdjen Vunften, toeld^e ben ^ßroteftanten in ber .^cilSerlangung
befonberS 21nfto^ erregt fyaüen, gegfeuer, 3tnrufung ber ^eiligen, S3Uber= unb 9ieliquien= 60
106 £rtentcr SlonjU £rter, ©rjbiMum
berel/rung, 2Rönd)tum unb 2lbläffe — lauter fünfte, Welche im unmittelbaren 3ufammen=
fyange mit ber fubjeftiben ©eite ber §eiISerIangung, alfo in ber SuftiftiationSlefyre Ratten
gur ©^rac^e lommcn muffen. Mein mit Sebatfjt t/atte man fie zurücfgefteflt, big man
— leine Düdftd)t mebj auf bie ^roteftanten %u nehmen brauchte. 2luS S^tugbeit aber
5 befretierte man aucr) Bier nur, WaS für baS römtfef/e ©ijftem unbebingt notWenbig War.
Über bie 2lbläffe 3. 23. fe$te bie ©bnobe nur feft, baf? bie ßird)e baS ERedE)t fyabt, 2lb=
läffe ju erteilen unb ba| biefelben, wenn mit Sßetäbeii gef^enbet , nü^Iicb feien, ©ie
DotWenbigfeit würbe ntd)t bebautet; ebenfo Würbe bie Anrufung ber ^eiligen blofj für
„bonum atque utile" erflärt. Sie legten Deformbefrete brachten jum SEeil tDübltbättge
10 Söeftimmungen über ©eelforge, ^pfltdbten ber 33tfcböfe bei ber Drbination ber niedrer,
(Einrichtung bon ^lertfalfeminarten (©an^, p. 173), über bie gder ber lireb, liefen @be=
fcblte^ung (Sang, p. 181 sqq.), über bie fyaty ber 93ifcbofe unb ftarbmäle (ib. p. 187sqq.),
über $ßrobin;$iaI= unb ©iöcefanffynoben (ib. p. 189 sqq.), über bifcböfiicfye Sifitationen
(ib. p. 190 sqq.), borftcfytige 2InWenbung bon ©rjornmumfationen (ib. 228) unb eine
15 ganje 3let^e anberer SDtSji^Imarfacfien. Stber baS ganje DeformWerf ber ^rtenter SSäter,
unter ben berfdE)iebenften biftortfeben SSerbältniffen mit biplomatifcber $lugr/eit ju ftanbe
gebracht, mar bod) nur eine „Deftauration mit wenig Deformation" (§en!e ©. 39).
Sie ©rurtbgebanfen beS ^roieftantiSmuS waren alle abgelehnt unb bamit in ber §o!ge=
gett niemanb über ben ©eborfam beS 2irienter ®on$ilS gegen ben $abft im unflaren
20 fei, befcfyloffen bie 255 3Säter (fo lt>ocb belief fic^y tbre gaty §um ©cfyluf}), bafj für alle
tbre 33efcblüffe ju tbrer ©eltung erft bie Seftätigung bei ^3abfteS eingeholt werben folle
(„ut et omnium et singulorum, quae in ea [Synodo] decreta et definita
sunt , confirmatio a beatissimo Romano Pontifice petatur" , ©anj,
p. 248). ®ie Seftätigung erfolgte am 26. Januar 1564, ®anj, p. 253 sqq.; aueb,
25 behielt fieb, ber ^ßabfi baS Decfyt ber Auslegung ber ^rtenter ©efrete bor , Wofür er
fieb, einer Congregatio cardinalium pro interpretatione et executione saerosaneti
concilii Tridentini bebient. 2luf biefen Sefcbjüffen rufyt ber ganje moberne J?atl)oU=
ciSmuS; fie gelten tfyatfäcf/ltd) in ber ganzen römifd)=fatb,oIifcben 2Selt, aueb, Wo fie nid)t
forrneü berfünbigt finb; bon ber Srienter ©r/nobe bis jur batifanifcfyett im $al)re 1870
sogest eine grablinige Bewegung; WaS ju Orient beb,utfam umgangen, aber bod) bureb,
@inb,oIung ber bäbftlicfyen „Seftätigung" ber 33efd)lüffe fcf/on tfyatfäcfylidj) angenommen
War, bie £>errfd)aft bei ^abfteS über bie ^ircfye, Würbe ju Dom 1870 in fonfequenter
gortbilbung bei 'iXrtbentinumS hinzugefügt. Qu Orient begann 1545 bie 33erjefuitifierung
ber rbmifeben ßiref/e, ju Dom Würbe fie 1870 bollenbet, bie Äonjentration ber gefamten
35 Jatbolifcben 2Mt unter ben autonomen Söißen beS jeweiligen ^ßabfteS als Präger ber
^ird^enembeit.
@S giebt jWeterlei ©tanbbunfte, baS ^ribentinum ju beurteilen: 1. einen rüdWärtS*
geWanbten, Wenn man bie SErienter Deformation mit bem erbärmlichen 3u^an^e ^er
Äircfyc am 2tuSgange beS Mittelalters bergletcbt — bann Wirb man gern bie SSorgüge
40 beS nadjtribentimfd^en Matr/oIiciSmuS bor bem bortribenttmfef/en anerlennen; ober aber
2. man nimmt einen borWärtSgeWanbten ©tanbtounft ein, inbem man unter ftetiger 33e=
rücffic^tigung ber ©efdncfyte bei Qefuitilmug bie bogmatifebe ©eite be§ 2:rienter ^onjill
für bie £)aubifacr>e bält unb bann bon ib,m aul biejenige ^eriobe be§ ^atb,oüci§mu§
batiert, bie im 3Satifanum gipfelt. Dac£) bem ^afyxz 1870 ift ber jWeite ©tanbbunlt ber
45 richtige unb Wichtige.
Stuf bie bäbftlicf/e ^3ubIiIation ber Decreta et Canones Concilii Tridentini,
Dom 1564, erfolgte noeb, in bemfelben ^afyre ebenfalls auf SSefebl $ßiu§ IV. bie §erau§=
gäbe bei Index librorum prohibitorum, Welcher bis in bie Deu^eit, jule^t bon Seo XIII.,
mit 3"fä|en neu herausgegeben Würbe. 2)aran fcblofe fid) gleichfalls 1564 bie Professio
50 fidei Tridentinae, auf Welche alle ©eiftlict)en innerhalb ber römtfcb,en ^irebe berbflief/tet
Werben, 1566 bureb, ^JiuS V ber Catechismus Romanus, 1568 baS Breviarium
Romanum (bgl. barüber bett 2tbfcE>nitt bei ^. ^fc^aefert, ^olemil, 1885, ©. 228 ff.)
unb 1570 baS Missale Romanum. ^3abfttum unb römifcfye ^irebe Waren neu befeftigt.
% Xfäadttt.
55 2;tter, ©rjMStum. — Codex diplomat. Rheno-Mosellanus, ed. \V. Günther, 5 S3be,
tobtens 1822—1826; Uvfunbenbud) jur ©efc^idite ber .. SRittelrljeimfcfjen Serritorten bearb.
non ^. SSeljer, S. gltefter, 91. ©örj, 3 S3be, Koblenz 1860—1874; »gl. aud) MG DD I, §an =
noüer 1872; Dipl. Karol. I jponn. 1906; Dipl. reg. et imp. Germ. 3 S3be §ann. 1879— 1903;
3-. X. grau§, ®ie c£»r. ^njd)r. ber 3t£)einfanbe, 2 Seile, greiburg 1890, "Jtr. 75—255. Gesta
Srier, @räbi§tum 2;rtglanb 107
Trevirorum in MG SS VIII u. XXIV; Sories ae. Trcv. SS XIII. 9t. ©ih'ä, !Kegefteu bev
ISS>}. pon Strier, 2 SBbe, SCrier 1859 — 61; 9f. 31. b. ^onttjetm, Prodromus histor. Trevir., 2 Söbe,
?luq*6. 1757; berf., Hist. Trevir. diplom. 3 S8be, 2(ug§6. 1750; Gallia christiana in prov.
ccc'l. distrib,, IB. 93b, <J3ari§ 1874; S-SHarj:, ©efd). b. e'rjftiftS Sriev, 5 S3be, Strter 1858—01;
fi. Sdjortt, Eiflia sacra, 2 Sßbe, 33onn 1887 f.; $t). be Sorenji, Beiträge 5. ©efd). b. Pfarreien 6
ber 5). Srier, 2 93be, Erier 1887; ügt. aud) bie ft@© ®eutfcfjicuib§ Don [Rettberg, griebvid)
unb £aurf; t)ier aucf) bie ©pestallitteratur.
Unter bert beutfd)ert ViSiümem ift Srier tyabrfdjeinlicb, baS ältefte. Sie ©tabt
irier mar in ber römifcben ^aiferjeit febr bebeutenb, feit ®ioIletian mar fic £aubtfiabt
Bon ©aUien; man fd)ä£t ibre @intoo|>nerjafyI auf 50—60000 «Seelen. ®s barf als m
ficber angenommen roerben, bafc ba§ 6b,riftentum fcbon im 2. ^afyrfwnbert bort gufj fafjte.
Jim Saufe be<§ 3. bermebrte fid? bie $at)l ber ©laubigen langfam; erft feit Äonftantin
fdbrooH fie rafd) an. 2Bir miffen au§ einer 9?otij be<§ 2Itbanafiu<§ (Apol. ad Const.
imp. 15), bafj man 336, roäbrenb 3ltf)anafiu§ al§ Verbannter an ber Sftofel roeilte,
an einer neuen $ird)e baute, meil bie alte nid)t mefyr ausreichte, ^m näcbjien £,abr= 10
bunbert rourbe bie um 370 gebaute ©ericbtsbaHe in eine ßirdje umgemanbelt; fie ift im
beutigen ©om erhalten. Qu einer rein ober faft rein cbrtftlidjen ©tabt roirb £rier erft in
ben legten Sauren ber 9ibmerberrfd)aft geroorben fein. SDiefe naf>m in ber gmeiten Hälfte
beS 5. ^jatyrirnnbertS ein @nbe ; burd} bie frcmlifd)e Eroberung mürbe girier für immer
ju einer beutfeben ©tabt. ®ie (Eroberer maren Reiben; aber fie binberten ben gortbeftanb 20
ber ßbriftengemeinbe nid)t unb ber Übertritt ©blobmigg führte alSbalb aud) bie gran!en
an ber 2Rofel jum 2tnfd)Iuf3 an bie cfyriftlidjie $ird)e.
Ser Urfbrung beg ©biffobatS in "Jrier berliert fid) im SDunfel. £)enn bie angeb=
Heben 2fyoftelfd)üler (SucbariuS, ValeriuS unb SftaternuS finb ©efdjöbfe ber Segenbe.
Sieber nacfymeiSlid) ift erft S3ifct)of 2Igröciu£, einer ber SLeilnebmer ber ©tmobe bon 25
ätrleg 314 ; eine bebeutenbe Stellung nahmen feine 5Rad)foIger SUagiminug unbVaulinuS
ein, bie ©efinnungSgenoffen unb 9Jcitfämpfer beS 2ItI)anaftu3 im arianifd)en Streite. Tod}
Iä'fjt fid; bie grage, ob fie bereits als SJietroboliten ber erften belgifcfyen ^irobing ju be^
trad)ten finb, nid)t fid)er beantworten. SDer bo!itifd)e 3iang ber Stabt macf)t eine be=
jabenbe Stntwort toab,rfd)emlicb, ; aber bie langfame ®urd)füb,rung ber 2RetroboIitan= 30
berfaffung im Stbenblanb erregt gegen fie Vebenfen. £>ie fränüfdje Eroberung bat bie
Irierer SBifdjofSretbe nic^t unterbrochen; gerabe aus ber $eit ber Mmbfe ift ber 3Rame
beö 33ifd}of§ SambKd&ug erhalten (MG EE III, 9Jr. 23 v. 79) ; feine ^acbfolger TOce=
tiu§, SRagnericb, u. a. erfd)einen tb,atfäd)Iicb ai§ SJtetroboliten (f. ^@ ®eutfd)Ianbg I3,
S. 128). 3tDar 9^nS in ber Verwirrung ber auggeb,enben SJJeromingerjeit biefe SBürbe 35
toieber berloren. 2lber feit ib,rer Erneuerung burd) $arl b. ©r. bor 811 (f. Ä© ®J
IP, S. 208) l)at ^rier fie bi§ jum Seginn beS borigen S^^r^unbertS behauptet.
^ur "^iöcefe girier gehörte ba§ Sanb auf beiben Seiten ber3)iofeI bon ber je^igen
breufeifcb^lot^ringifcben ©renje biä jum (Einfluß ber SOZofel in ben 3FtE>etn unb bielfeitö
beö Strom§ ein Iteinerer Sanbftreid) auf beiben Ufern ber £al)n bis oberhalb 2öe|Iar. 40
©uffraganbistümer maren 2Re^, %o\d unb Verbun.
S5if^of8lifte: 2Tgröciug 314, SKaEtminuS 343, Vaulinuä 353, 3amblid;u§ um
475, SlbruncuIuS um 530, 9ticetiu§ geft. 566, 9JJagnericb, geft. nad; 585, ©abaubuö614,
3tnaftafiu§ 626 ober 627, 9ftoboalb um 630, 9Zumerianu§ um 660, Vafinug unb £iut=
foinuS, D^cUo 717 — 757 (? 753), SBeomab geft. 791, 3f{id}bob geft. 804, SBajo, 21malar 45
geft. 814—816, §ettt geft. 847, Xb,ietgaut 863 abgefegt, SBcttulf 869—883, 9tatbob
883—915, 9tuotger geft. 931, 3luotbert 931— 956, ^einrieb 1. 956— 964,®ietrid}965— 977,
Gfbert 977-993, Siubolf 994—1008, 5S)cegingoj 1008—1015, Vobbo 1016-1047,
Öberbarb 1047— 1066, Äonrab 1066, Uoto 1066—1078, ©gilbert 1079— 1101, 33run
1101—1124, ©ottfrieb 1124—1127, SDleginba: 1127— 1130, 2IbaIbero 1131— 1152, öittin bo
1152—1169, 2Irnolbll69— 1183, golmar 1183— 1189, gjo&annl. 1189— 1212, ©ietrid;
b. 2Bieb 1212—1242, ärnolb b. Sfenburg 1242—1259, §einrid) II. b. Vinftingen
1260—1286, Voemunb b. 2Barnegberg 1289—1299, ©ieter b. 9?affau 1300— 1:!07,
Salbemin b. Susemburg 1308—1354, Soemunb b. ©aarbrüden 1354—1:562, .Sümo
b. galfenftetn 1362—1388, äBerner b. Äöniggftein 1388—1418, Duo b. ^iegenbain bö
U18— 1430, %xahan b. §elmftabt 1430—1439, ^alob b. Sir! 1439—1456, ^obann
b. ©aben 1456—1500, ^atob b. Saben 1500—1511, 5Rid;arb b. ©reiffenflau 1511 bis
1531. fraud.
Jrtglanb, ^acobuS, geft. 1654. — ^nlj. Soccejuv, Oratio funebris (aufgeiiomuien
in Opera omnia .loh. Coccoji, tom. IV, ji. 48 seq.); .£). silv tcr fraax, Jacobus Triglard 611
108 Srtglanb
(aFab. Stffertation), s'Gravenhage 1891 ; Opuscula Jacobi Triglandi, 3 tom. fol. Amster-
dam 1640.
gur $eit be§ 9temonfirantifd)en ©treite§ in ben Meberlanben nafym ^acobug S£rig=
lanb unter ben Kontrarem onftranten eine fybd)ft Wichtige ©tellung ein. Dbgleid) er ju
5 ben jüngeren. ©liebem ber Partei gehörte unb barum beim Beginn ber ©treitigfeiten
nid)t in ben 2>orbergrunb trat, Warb er fel)r balb einer ber bomel)mften SBortfüfyrer im
©treit. @r belämbfte unermüblid) mit 2öort unb ©d)rift bie 9temonfiranten unb ber=
teibigte mit grofjer Kraft bie Sel)re ber reformierten Kircfye. 2ll<3 SJiann au§ einem
©uffe, ber ftet§ grabc§Weg§ auf fein giel los> ging unb Don leinem Kompromiß wiffen
10 Wollte, ber fid) burd) grofte ©elel)rtl)eit unb unermüblid)en ©ifer auszeichnete, t)at er auf
feine geitgenoffen großen ©influfj ausgeübt, Wäbjenb aud; baS 9Rad)gefd)Ied)t il)m nod;
immer banlbar fein mag für feine „Kerckelijke Geschiedenissen", ein SBerl, baS,
Weld)e begrünbete ©inWänbe aud) immer bagegen erhoben werben lönnen, ftets feinen
großen 2Bert als eine ber Wid)tigften Quellen für bie Kenntnis ber ©efd)id;te ber 9iieber=
15 länbifcfyen Reformierten Kird)e bis jur $Dorbred)ter ©bnobe bon 1618/19 behalten Wirb.
©ein 23ater ßomelis ^riglanb entftammte einem alten ^ßatrijiergefd;Ied)t ju ©ouba,
Wo er eine geit lang an ber Sateinfdmle unterrichtete. @r jog jebod;, bielleicfyt wegen
feiner 2tnl)änglid)feit an bie römtfd)=!at^oIifd}e Kird)e nad) SSianen, Wo er Bierbrauer
Würbe. §ier Würbe IgacobuS 'Jriglanb (ber !Jftame Sriglanb ift eine Übertragung Don
20 Dreijeykele = brei ©id)eln) am 22. !guli 1583 geboren. @r Würbe nid)t bei feinen
©Item, fonbern bei BerWanbten in ©ouba erlogen, bie ben 2Bunfd) Regten, er möd)te
©eiftlidjer Werben, unb il)n beSl)alb bie bortige Sateinfdmle befugen liefen, an ber ba=
malS 2Rag. ^auIuS graubeniuS Reftor War. 3>m $al;re 1597 ifyat man tl)n ju einigen
^3rieftern nad) Slmfterbam, bamit er bort bie Dogmatil feiner Kird)e fennen lerne. (Snbe
25 1598 fiebelte er nad; SöWen über, Wo er fid), ba einem Verbote ber ©eneratftaaten ju=
folge fein -Kieberlänber bort ftubieren burfte, unter bem tarnen bon I^acobuS 5£ribal=
leniuS ober SriblanbiuS aus ©ouba einfd)reiben Itefs. $n Soften begann ber innerliche
Kambf, ber il)n f^jäter jum Brud) mit ber rbmifcfjen Ktrcfje führen follte. ®te Sftetfyobe,
bie man bort bei ber Söiberlegung le£erifd;er 2lnfid;ten befolgte, Wobei mel)r auf menfd)=
30 Iid)e geugmffe, oenn auf baS 2Bort ©otteS ©eWicfyt gelegt Würbe, befriebigte il)n nicr)t.
®ie Seitüre ber SBerfe BellarminS beunruhigte ifm nod) mel)r. BefonberS bie Seb,re bon
ber Berbienftlid)feit ber guten Söerle, bie er als eine %xud)t menfd;lid)en §od;mutS unb
für unberträglid; mit ber d)riftlid;en ©emut I)ielt, Wecfte 3roeifel bei tym- 2ßa^rfd)etnltd)
um il)n für eine geit lang in eine anbere Umgebung 311 bringen, Würbe u)m Dom Seiter
35 beS Collegium Pontificium eine SRiffion nad) §aarlem aufgetragen. @r »erliefe SöWen,
um nid)t mel)r bortbin jurüc!juleb,ren. ©inige 2öod>en fnelt er \\<fy bei feinen latb,olifd)en
3SerWanbten ju ©ouba auf, aber in biefem ftreng fircf) liefen Kreife fanb er feine 9tub,e.
®er M3Weifel Würbe ftetö (tarier in feiner ©eele, big er enblid) nad) langem Kampf ju
ber Überzeugung lam, bafe für ©ünber fein anber §eil benn au$ ©nabe in 6^riftu§ fei
40 unb bafj bie guten 2öerle grüßte ber ©anlbarleit fein müfjten. „©0 War er bereits
reformiert, bebor er bie reformierte Kird)e lannte" (SoccejuS, 1. 1.). 2öäl)renb feine SSer=
Wanbten, bei benen er erlogen War, il)m nun ib,r |iauS berfd)Ioffen, fanb er eine §eimat
bei feinen nid)t fo ftreng Eat&oltfc^en @ltem. @r ftubierte nun bie reformierte Sel)re
unb fud)te mittlerWetl naefy Mitteln, feinen Unterhalt ju »erbienen. ^m 3al^re l602 m
45 2Ilter bon 19 ^ab,ren Würbe er gum 3teftor ber ©dmle ju Dianen ernannt. ©aS
©tubium ber 33ibel, bie ^3rebigten be§ gelehrten bortigen ^ßrebtgerS Dr. 2llb. ©elcartiuS,
bie er b,örte, bie Seitüre ber ib,m bon biefem geliehenen Conl'essio bon Seja, GalbinS
Institutiones unb 33uUinger§ Decades brad)te ib.n jur Überzeugung, bafe bie reformierte
Kirdie „bie Wahrhaftige Kird)e 6l;rtfti" fei unb im ^afyre 1603 trat er „hilari animo"
50 nad) abgelegtem ©IaubenSbelenntni§ il>r bei.
2luf Slnraten bon ©elcartiu§ bereitete er fid) jWifd)enburcf) auf baS ^rebigtamt bor
unb nad) beftanbenem ©ramen Würbe er im ^a|re 1607 ju ©tolwijl jum ^rebiger
orbmiert. ©eine ^rebigten machten einen fel>r günftigen ©inbrucl, unb bem bor allem
fyatte er e§ ju banlen, bafe er fd)on 1610 nad; SCmfterbam berufen Würbe, Wo er am
55 24. S^ember in fein 2lmt eingeführt Würbe. aSäf>renb ber erften ^afyre feines Ser=
bleibe bortfelbft mad)te er Wenig bon fid; reben, aber im 3ab,re 1614 begann feine
^fyäügleit auf lir^Iicf)=boIitifc^em ©ebtet, über bie Wir nad;b,er näfyer fbrec^en muffen unb
bie erft mit feinem SLobe i^r @nbe fanb. ^m Qab,re 1617 Würbe er an bie reformierte
©emeinbe im |>aag für eine ^eWang beurlaubt, Worum ber bortige „boleerenbe" Kird)en=
60 rat mit Unterftü^ung beS ^rin^en Wori| mehrmals erfud;t batte. ^m ^ab^re 1618 ent=
Srtglanb 109
fanbte iH?n bic ^ßrobtngialftjnobe bort Rorb^oflanb als gebutterten nacb, ber großen
9tationalfr/nobe bort 1)orbred)t. SBeldjen Anteil er an ben Beratungen genommen fyat,
gef;t auS ben Sllten biefer ©imobe nicfjt fyerbor. SBo^I toiffen wir auS feinen „Kerke-
lijcke Geschiedenissen", bafe er einen Beweis bon SRäfu'gfeit burd) feinen Stabel über
bic 2Seife, in ber Bogerman bie Remonftranten Wegfdncfte, gab. $n bie Äommtfffon, 5
hjeldjer bie ©rmobe ben Auftrag gab, bie Canones Dordracenae aufstellen unb babei
bie reformierte 2er)re aufs neue ju formulieren, Würbe aufy er gewählt. Sllö ^rebiger
ut Amfterbam r)at er in bem (Streit gegen bie Remonftranten, in Welkem er a%it im
Borbertreffen ftanb, biele Unannefymlicb, leiten aucb, bon feiten ber Dbrigfeit ju erbulben
gehabt, ©ein Amt als ©celf orger t)at er beSWegen jebocb, nicb, t bernactjläfftgt unb als ^ßrebiger 10
rourbe er iro£ beS ftrengen Dogmatismus feiner ^ßrebigten fet)r gerühmt. Aucb, an ber
Bertoaltung ber ^ircfye in ben Brobinzialftynoben fyat er toieberfyolt tätigen Anteil nehmen
muffen. $m 3a^re 1634 berliefj er Antfterbam, um eine tljeologifcfye $rofeffur ju Seiben
anzunehmen als -Jcacibjolger bon Anbr. -Wibet (f. XVII, 46). Borger fyatte tljmt ber afabemifcf/e
©enat ben Dr. theol. berliefyen. JJn feinen Borlefungen befyanbelte er bie ©jregefe beS 15
2123 unb bon 1639—1650 aud> bic Loci Communes, fbäter aud) „conscientiae casus",
roäf/renb er bei ben ®iSbutationen, bie unter feinem Borfi| ftattfanben, über berfd)ieben
tfyeologifcfye ©egenfiänbe fbrad) „graviter, cordate, libere, solide, accurateque"
(ßoccejuS 1. 1.). Bon 1637—1645 War er ^ugleicb, angefteHter Brebiger ber ref. ©e=
mcinbe ju Seiben. $n ben legten $al)ren feines SebenS warb U)m feine ©cfjWerr;örig= 20
fett fefyr läftig, aud) blatte er infolge eines ©teinlctbenS biel ©cfymerjen auslüfteten. Am
5. Abril 1654 ftarb er. Auf feinen eigenen üffiunfd) roar fct)on im Auguft 1653 ber
Utrecfyter Brofeffor ^ob,. §oornbee! als §tlfe ifym zur ©eite gefteCt Würben, tiefer
rourbe benn aud) fein Rad) folger. ©einer 1604 in Bianen gefcfyloffenen @I)e mit
@l)riftina ©toof, bie 1643 geftorben roar, entflammten elf $inber, bon benen fiebcn it)n 25
überlebten, barunter brei ©ölme: SorneliS, ber Brebiger im §aag rourbe, SEI)eoboruS,
fbäter Brofeffor ber Red;tStoiffenfd)aft, unb gacobuS, ber juletjt Brebiger ju Amfterbam
geroefen ift. 3)eS legieren ©ofm, ebenfalls mit bem Vornamen $acobuS, ift bon 1686
bis 1705 Wie fein ©rofjbater Brofeffor ber S£t)eoIogie unb ber f)ebräifd)en Archäologie
ju Seiben geroefen (f. über u)n: ©lafiuS, Godgeleerd Nederland, III, 446,447). 30
AuS ben ©Triften SLriglanbS, bie auSfcf>lief$IicF; auS ©treitfd^riften beftel)en, lernen
roir ib,n als einen SRann fennen, ber in allen ©tücfen bon ber 2BabrI)eit ber reformierten
2eb,re überzeugt mar, unb für ü)re Berteibigung feine 9Jcül>e unb feinen ©treit freute.
6r ift ein begabter ®ogmatifer unb ein fcfyarfer Bolemifer. $n allem, roaS er fcfyreibt,
geigt er ficb, als ein SRann, ber nict)t gering gefcfyätjt Werben barf. @r befitjt eine grofje 35
©ele^rtf^eit, eine grünblict;e Kenntnis ber Bibel unb ber Söerfe ber Reformatoren. Sei
feiner SeroetSfüfyrung mei^ er fd^arf ju unterfcf/eiben, Iogifd^> ^u begrünben, unb bringt er
ftets bis gum SBefen ber ©actje ^inburd). ©ein ©til ift fefyr öerftänbltct), aber nicb,t ge=
fäßig, fein 2on in ber Regel feb,r ^eftig. ©oroob,l bei ber SBiebergabe ber Überzeugungen
feiner ©egner, als in ber Angabe feiner Quellen, beroeift er ficb, als efyrlicb, unb roiffen= 40
fdjaftlicb,. SDie ®ahit AnberSbenfenbe gu fcb,ä^en, fc^eint ib,m jebocr) burd^auS gefehlt ju
i)aben. SDcan b,at, rote eS bei hartem ^3arteiftreit ju geb,en bflegt, Xriglanb heftig an=
gegriffen, (gr t)atte einen jäbjornigen unb Ieibenfd}aftlid)en 6f)arafter unb roar nicb,t
burdjauS frei bon £>ocf;mut. ©abura) machte er fid) biele geinbe, bie jeitroeilig feine
@b,rlid}feit in 3Serbacb,t brachten. ©0 fcb,reibt Bern. SDroinglo (Grouwel der ver- 45
woesting, blz. 67) bon feiner „bermeffenen Unberfcf/ämtfyeit, — gemobn^eitSmäfeen
2ügen, äferleumbungen — Betrügereien jc." 2ln bem guten ©lauben SEriglanbS brauet
iebod) ntct)t gejroeifelt ju roerben. ©eine rote ©eficfytSfarbe gab bem ®icb,ter Bonbel 2ln=
lafe, ib,n als einen „Mfuttifcfyen $ab,n" ju berfbotten unb ib,m SErunffudjt borjuroerfen,
reeller Borrourf jeboeb, bure Säfterung ift. SEriglanb mar ein friegSfertiger 9Jcann, aber 50
ferne bartnädftge Beftreitung ber Remonftranten entfbrang triebt ber Suft am ©treit,
fonbern ber feften Überzeugung, ba| ib,re Seb,re berberblid) unb barum in ber ref. Äircfye
nicb,t ju bulben fei. Sebrbifferenjen fonnte er nicb,t ertragen. 2lm beutlicf;ften b,at er bieS
in feinem ©cb,riftcb,en „Den Rechtghematichden Christen" (Amft. 1615) auSgefbrod^en,
baS aud) in ruhigem unb würbigem 2on gehalten ift. (Sr rechtfertigte f)ier feine Haltung 55
unbjefcte feinen ©tanbbunft beutlicb. auSeinanber. Bon Bebeutung ift aud) feine „Ver-
dedigingh van de Leere end' Eere der Ghereformeerde Kerken ende Leeraren,
teghen verscheijden lasteringhen enz" (2lmft. 1616), in ber bie Berteibigung ber
reformierten ©ogmatif im Borbergrunbe fte^t. 2)aS Red)t ber Dbrigfeit in fireblicben
fingen befämbft er fraftbott in feiner „Antwoordt op drij Vraghen, dienende tot 60
110 Sriglanb
advys in de huydendagsche Kerkelijke swarigheden" (2lmft. 1615) unb in
feiner „Christelijcke ende Nootwendighe verclaringhe" (2lmft. 1615). Stud^t nad)
ber großen ©imobe bon ©orbrect)t im ^afyn 1618/19, mo bie ref. £et)re feftgefe^t
mürbe, fufyr SLrtglanb fort in it)rer Verteibigung gegen bie fcfyarfen Angriffe ber ÜRemon=
5 ftranten. ©eine toid)tig(ten ©cfyriften nact) 1619 finb: „Christelijcke, ende Vrien-
delijcke Vermaninge aen alle af-ghedwaalde Remonstrants-Ghezinde" (2tmft.
1623), „Tweede Christelijcke ende Vriendelijcke Vermaninghe aende af-ghe-
dwaalde Remonstrants-Ghezinde" (Slmft. 1623), „De Kracht der Godtsaligheydt,
Dat is de Leere der Waarheyt die nae de Godtsaligheydt is" (2lmft. 1631), unb
10 in ber über biefe lef te ©cf/rtft fiel) entfbinnenben bolemifctjen ^Debatte folgenbe brei
©Triften 1. „Trina Dei Gratia, nimirnm, electionis, sanctificationis, conser-
vationis applicata, confirmata et indicata" (Slmft. 1636); 2. „Disputatio Theo-
logica de civili et ecclesiastica potestate et utriusque ad se invicem tum Sub-
ordinatione, tum Coordinatione" (SImft. 1642); 3. „Antapologia, sive examen
15 atque refutatio totius Apologiae Remonstrantium. Opus posthumum" (§arber=
mici 1664).
3llg Seftreiter ber 9temonftranten tft "Jrigtanb allgemein belannt, meniger aber al§
5ßoIemtfer gegen bie römifct;e $irct/e. $Dodb, I)at er auct) auf biefem ©ebiet fiel) bäufig
betätigt. 2lfe ehemaliger 3ögling *>er Seiten f)eSte er SeÖen bxtfe eine befonbere W>-
20 neigung. ©eine 23elefenl)eit in ben $ircf>enbätern unb ben firct)lict)ett ©Treibern unb
feine 33eranntfct)aft mit ben guftänben unb 9Jiif3bräuct)en ber römifct)en $irct)e matten
it)n iv. einem furchtbaren ©egner. 3>n feinem „Valschen Roem des Pausdoms"
(2lmft. 1631) beftritt er bie £et)re Don ber atoofioUfc|en ©ucceffion bon ^etru§ unb bem
it)m bon 6b,riftu§ aufgetragenen Primat in ber Hircfye. Sluäfüfjrltd^er tt)at er ba§ noa)
25 in feinem „Los Gebouw des Pausdoms, dat is klare Verthooninghe, hoe dat de
kerckelijcke Monarchie ende Hierarchie des Pausdoms, op een los, ja versiert
Fundament gebouwt staet" (1633). %n feinem „Bodemlooze Pausdom, dat is,
klaere aanwijsinghe, hoe dat het Pausdom nerghens gront ofte vastigheydt
en heeft" (1638) b/anbelte er über bie 2lutorttät ber $trct)e unb bie 2lutorität ber ©cbjift.
30 ^rtglanb fab, in ber röm. ^£trct)e ba§ JReict) bes> ©atan§ unb münfdjte burdb, feine
©Triften an bem ©turj begfelben mitzuhelfen.
2tm meiften berannt gemorben ifi Sfriglanb burct) feine grofje Slrbeit, betitelt
„Kerkelijcke Geschiedenissen, begrijpende de swaere ende bekommerlijcke
geschillen in de Vereenigde Nederlanden voorgevallen, met derselver beslis-
35 singe; ende aenmerckinge op de Kerckelijcke Historie van Johannes Wten-
bogaert" (Serben 1650). $n biefem umfangreichen goltobanb l>at er in nact) bielen
©eiten bortrefflict)er äBeife bie ©efcfyicr/te ber Deformation in ben 9iieberlanben barge=
fteKt unb ein 9Berl geliefert, ba3 nod) immer ju 9iate gebogen merben mu|, roenn aud)
mit einiger Vorfielt. ©ct)on lange fyatte bie ref. $irct)e nact; folcb, einem 9Ber!e berlangt.
40 £>er Honbent bon SBefel (1568) blatte bie ^ufammenfteHung eine<S foIct)en fct)on an9)?amir,
(f. XII, 347) aufgetragen, ©bäter mürben anbere Verfonen barum erfuct)t, juletit noeb,
§eftu§ £ommtu<S (f. V. g. Söijminga, geft. §ommiu<§, Setben 1899, blz. 374—377), aber
aueb, btefer mufjte 1632 feine Vorarbeiten aufgeben. @g feinen fo ein folcf)e<3 2Serf nitt)t
ju ftanbe lommen ju folTcn. SDa erfcfjien im %afyxt 1646 bie „Kerkelijcke Historie"
45 bon $ot). 2Sienbogaert ob,ne ben tarnen bon Verfaffer unb ©ruefer. ®ie3 2ßer!
mar eine 3lbologie be3 Slemonftrantigmus. Xriglanb machte fiel) fofort am§ Söerf,
um biefe ©arftellung ju mieberlegen unb erhielt babei alle nur mögliche llnterftü^ung
bon fetten ber ®irct)e, bie über 2ötenbogaert3 SBuct) febr entrüftet mar. 3m %afyn 1650
maren Sriglanbä „Kerkelijcke Geschiedenissen" fertig unb erfdjnenen noeb, in bem=
50 felben ^af)re im ®ruct. Sie $tra)e mar il>m fet>r banlbar bafür unb bie ©rmobe bon
©üb=£olIanb bezeugte ib,m fdc)riftlict> unb münbücb, biefen ©anf. ®ie Regierung mar
ineniger babon eingenommen. ®ie Staaten bon §otlanb metgerten bie SStbmung babon
anjunelnnen unb in it)rer SSerfammlung marnte ber Slmfterbamer Slbgeorbnete S3ic!er ba=
bor mit ber (Srflärung, bafe nict)t nur biele gebier, fonbern aua) berfebiebene mutwillige
65 Sügen barin bortamen. ®er Slmfterbamer 3Kagiftrat, gegen ben SEriglanb in ben ^afyxm
1626—1630 mit fo biel 3flut unb Iraft bag 9tecb,t ber Hircb,e bertetbigt Ejatte, räcbte fieb,
je|t an if>m buret; ba^ Verbot ber 2lu§gabe feineö SOgerfg.
2;riglanb§ gmeef bei ber 3tulgabe feiner „Kerckelijcke Geschiedenissen" mar,
ba§ gute 9tecb, t ber ref. Strebe gegenüber ben 3temonftranten ang Sieb, t ju fteHen unb anju=
60 geigen, ba| 3Btenbogaertg ©arftellung bäufig im ©treit mit ber 2Saf)rbeit mar. ©r folgte
112 tvinitat
Offenbarung für bte cfyriftlicbe ©otteSerfenntniS jum jufammenfaffenben 2luSbrud\ ©ie
befagt, bafs ber ©ott ber Stiften nicfyt nur bte 5ftad)t über bte SBelt ift, bte in jeber
Religion geahnt unb mit mefyr ober Weniger SDeutIid)fett unb .guberficbt erfaßt Wirb,
fonbern ber Setter 3efu Slmfti, ber fid) in tf>m boßfommen offenbart, unb ber Urheber
o eines bie S'iatur umgeftaltenben ^eiligen unb feiigen £ebenS, baS in ber ©emeinbe fid)
berWir!licbt. ^n tf>r 5prägt fo bte cfyriftltcbe Äircfye ben 2lnfbrud) auS, Trägerin ber ah
fd)Iief$enben Offenbarung unb beS botlfommenen §eilS ju fein, einer Offenbarung, bie
nichts ©eringereS ift als bie Wefenfyafte ©elbftbarfletlung ©otteS in einem menfd)lid)en
^erfonleben, unb eines §eilS, baS in ©otteS Wefenfyafter ©elbftmitteilung an bie ©Iäu=
10 bigen befielt. ®emgemäf$ gilt bie Sebre bon ber göttlichen ©reieinigfeit als baS unter=
fcfyeibenbe SRerfmal beS cbriftlicfyen ©laubenS gegenüber jeber anberen religiöfen ©emein=
fdjaft, fpejiell gegenüber bem ^ubentum unb §etbentum. ©ie ift bieg aber bod) nur in
bem ©inne einer aus ben grunblegenben Überzeugungen beschriften bon bem £>eiISWert
Sfyrifti unb bem §eilsbefi| ber ©emeinbe gefolgerten tb,eoIogifd)en ^onfequenj. $DieS
15 iKuftriert fd)on bie ^b,atfaa)e, bafj fie im ©efolge ber ßfyriftologte allmäfylid) auSgebilbet
Worben ift unb bafc an il)rer 2luSbrägung neben bem treibenben 9ftotib ber religiöfen
§eüSerfenntniS aud) bie jeitgefcbldjtlicb, bebingte tI)eoIogifd;e SegriffSbilbung ifyren 2tn=
teil b,at.
^rinität ift bemnacb bie 5Robifi!ation beS cbjtftlicfyen 2JionotI)eiSmuS, bte auS ber
20 religibfen SSertung unb begrifflichen Deutung ber DffenbarungSgefdjicbte entftoringt. 3)a=
bei fann baS religiöfe ©enfen eniWeber bei ber llnterfcbeibung bloßer DffenbarungSWeifen
©otteS fteb,en bleiben (öfonomifdje SErinttät) ober jur 3lnnab,me breier göttlicher ©einS=
weifen fortgeben (ontologifcfye ober immanente ^rinität). ©eitbem bte Äircfye biefen
Fortgang bon ber öfonomifeben jur immanenten ^rinität gefctüdjtlid) belogen b,at, läfjt
25 fie nur baS SefenntniS jur legieren als ben bollen cbjiftlidien ©lauben gelten.
®te ältere ©ogmatif War ber 2lnfid)t, ein fo grunblegenbeS ©tücf ber magren @r=
lenntniS ©otteS Wie bte Sefjre bon feiner SDreieinigfett fömte ben frommen beS 2llten
SunbeS nid)t unbekannt geblieben fein. 21IS ©. (Ealijrt behauptete, baS SDogma bon ber
Strinität fei im %% nid;t explicite, fonbern nur implioite enthalten, erfuhr er lebhaften
30 2Biberfbrucfy. §eute Wirb fein Geologe, ber fid) ben ©tufenunterfebieb ber alt= unb
neuteftamentlicben Offenbarung llar gemacht bat, mefjr im 213; SetoeiSfteHen für bie
SLrinität fud)en Wollen, ©o getotfs Sebenbigleit unb Sßerfönlicbjeit ©runbjüge beS alt=
teftam entließen ©otteSbegrtffS finb, fo Wenig Wirb bod) auf eine trinitarifdje Entfaltung
beS göttlichen SebenS refleftiert. 2BaS man für ©teuren folcfyer ©ebanlengänge auS=
35 gegeben fyat : bie ^ßluralform beS ©otteSnamenS ©lofyim, bte bluralifdje 2Beife, in ber
©ott ©en 1, 26 bon feinem 2BiHenSentfd)lufe fbrid)t, ober breigliebrigc liturgifdje gormein
Wie ber aaromtifcfye ©egen 9tu 6,21—26 ober baS IriSfyagion ^ef 6,3, lann nur buro)
unmetfyobijcfye (Sjegefe, bie näfycrliegenbe GrllärungSgrünbe überfielt, mit ber ^rinität in
Serbinbung gebraut Werben, ©agegen b^aben allerbingS geWiffe altteftamentlicb,e 2tuS=
40 fagen, in benen bon ftel)enben formen unb 9Jlebien ber göttlichen Offenbarung bie Siebe
ift (SBort ©otteS ©en 1 ; «ßf :!3, 6; ^ef 55, 11; SGBet 16, 12; 18, llf. ; ©i 43, 25 —
2BeiSb,eit ^r 8, 22 ff. — @ngcl ^ab,beS ©en 22, llf. 15; @j 3, 2. 4. 6; 9)?a 3, 1), auf
bie StuSbtlbung junädjft ber Sb,riftologie unb Weiterbin ber ^rinitätSlefyre etngeWir!t. SDaS
eigentliche ^ntereffe, baS ib,nen ju ©runbe liegt, ift aber bem ber SrinitätSlefyre ntct;t
45 ob,ne Weiteres gleichartig. 2öäl)renb für btefe ber Slccent auf bie 3ufammenfaffung
Gljrtfti unb beS ©eifteS mit bem 3]ater fällt, bienen jene altteftamentlict)en Sorftellungen
meb,r ber Unterfd;eibung ber Offenbarung bon ©otteS Sßefen als ber innigen 33er=
Inübfung beiber.
2lucb; im %l% Wirb bie Xrinität nicb,t als 2eb,re borgetragen; fie ergiebt fieb, erft
so bann als Äonfequenj aus ben neuteftamentlid)en SluSfagen, wenn man biefe jufammen=
fajst unb in t^re 3BorauSfe|ungen jurüclberfolgt. SBaS junäc^ft bie ^erfon Sb^rifti be=
trifft, fo foH Ijner nur an bie Widjtigften ©tü£en, bie baS 3R2: ber trinitarifdjen l^on=
ftruftion barbietet, erinnert Werben, im übrigen aber auf ben 2lrt. Sfjriftologie (33b IV
©. 4 ff.) berWiefen fein. ®aS gemeinfame urcfyriftltcbe SefenntniS ^ur SReffiamtät 3efu
55 enthält bte 3SorauSfe|ung, ba^ er als baS Organ ^ur JßerWirflicbung ber 1\) eo!ratie ©ott
nab,e fteb. t unb ib,m in irgenb einem ©inne jugebört. ©cb,cn bie jübifcb,e Geologie
läfjt ben SJleffiaS ibeeH bräejiftieren ober aud) in realiftifcberer Söenbung mit ben
buref) if)n bermittelten ©ütern ber ©nb^eit bis ju beren Eintritt im §immel auf=
bewahrt fein, ob,ne boeb feinen ßfyarafter als ©efa)öbf in grage ju fteßen. Sie tyvxp
so lidb,e ©emeinbe ben!t bie ©enbung Gbjifti gleichfalls als §erauSfenbung einer übcr=
Snnttät 113
irbifdjen (grfcfyeinung aus ber ^immelSWelt ©a 4, 4. ©er mefftanifd)c Titel ©ofm
©otteö vertieft ftd) ifyr — gemäf Qefu ©elbftgeugnig 3)tt 11, 27 — ju ber 2lnfd)auung
etneö 33erf>ältmffeS Vertrauter ©emcinfcfyaft unb Siebe gWifdjen Sßater unb©o!m, baS auf
erben erfcr)eint ($o 10, 30), aber in einem borWeltlidjen ©ein begrünbet ift dlb 8, 32 ;
2 Mo 8, 9; $f)i2, 5ff. ßfyriftuS ift beSfyalb befähigt, im 5Ramen ©otteS ju fyanbeln, 5
toeil in tym ©otteS SebenSfüüe Wotynt Hol 2, 9, Weil er ©otteS ©benbtlb 2 Ho 4, 4, ber
9l6glan§ feiner £>errlic!bjeit unb 2Ibbrud feines 2öefenS ift £br 1, 3. ©er feften SBerfnübfung
Gfjriftt mit ©ott bient bei 2;ol)anneS ber SogoSbegrtff ; er befagt, bafj in $efuS ber ur=
anfängliche Präger ber göttlichen ©elbftoffenbarung auf @rben erfcfyetnt, ber felbft d&k,
b. b,. göttlichen SöefenS ift $0 1, 1. 14. 18. Sn einigen neuteftamerttlicfyen ©teilen wirb 10
ber luferftanbene unb @rb,öb,te gerabeju &eog genannt %o 20, 28; 1 $0 5, 20; ob baS=
felbe aueb, 9fö 9, 5 unb SEit 2, 13 ber $aß ift, ift er.egetifd; umftritten. Woä) häufiger
wirb baS©ebet ju bem erbeten §erm als SJlerfmal beS Triften bejeidmet 21© 9, 14, 9tö
10, 12 ff.; 1 Ho 1,2. ©aS bamtY auSgefagte $erfyältniS (Sbrifti ju@ott läßt ftd; begripd)
ferner, jebenfallS nicfyt mit einem 2Bort umfcfyreiben. ^raftifd; Wirb GbjiftuS mit ©Ott 15
bis jur ^bentiftlation jufammengefa^t, fo bafj fein £>anbeln ©otteS %f)\m, feine 2ln=
betung ©otteS Slnbetung ift. 2öo er aber bon ©ott berfönlicfy unterfdneben wirb, ba
bleibt er u)m als Mittler untergeorbnet 1 Mo 15,28; 11,3. 3ln ein Moment beS
immanenten göttlichen SebenSbrojeffeS ift aud; beim jol>anneifd;ett SogoS nid)t gebadet.
@r ift Mittler, für ©otteS Offenbarung an bie Sßelt. ©aS 9)lotib aller biefer.©ebanlen= 20
gänge ift bie Überzeugung, in ©tjrtftug bie bolle, it>efenE>afte Offenbarung ©otteS unb
bamit baS „Seben" im f)öd)ften ©inne ju fyaben $o 1, 4; 3, 16; 20, 31. ©ie 6f>riftuS
im 2krl)äItniS gu ©ott ^ugefeb^riebene Stbbilblicbjeit unb SßefenSberWanbtfcfyaft ift baju
beftimmt, fein irbifcfyeS Seben unb §etlSWerf naef) ifyrer uniberfellen SSebeutung für bie
9RenfdjI)eit gu beleuchten, Wäfyrenb fie über bie immanenten 33erl)ältniffe beS gottb^eitlidien 25
SebenS leinen atuffcfylufs giebt unb geben miß. Stbgefefyen Don ber offenbarenben Se=
tfyätigung ©otteS gegenüber ber äöelt ift bon reinem SogoS unb abgefefyen bon ber
gefdn'djtlidjen §eilSftiftung bon feinem ©ofyn als StRoment beS göttlichen ©elbftlebenS bie
Siebe. 2lucf; !ann ©ott in feinem 23ert)ältniS ju ßfyrifiuS ebenfogut als &sog %o 17, :] ;
20, 17 Wie al§ TiaxrjQ 1 £0 8, 6 bejeidjmet Werben. 30
33om bj. ©eift fagt baS ^i%, baft er je unb je burd; bie ^robfyeten gerebet bat
2 $t 1, 21, bafj er bann im SSoKmaf auf Qefu rubele unb il»n ju feinem meffianifcf)en
SBirfen auörüftete Mc 1, 10 ; ^50 3, 34. £>er feb^eibenbe ©rlöfer bereifet feinen Jüngern
bie ©enbung be§ ©eifte« al§ beö äUog jiagdx^Tog, ber feine ©teile bertreten foll ^50
14, 16 f. 2)urcb, i§n Wirb bie ©emeinfdjaft ber jünger mit ib^rem Sfteifter aufrecht erhalten, 35
ja erft rect/t bollenbet 14,26; 16, 13 f. ©benfo eng ift bei ^auluö ber ,3ufammenl)ang
be§ ©eifteS, ben bie ©laubigen empfangen unb ber fie ifyrer ©otte§tmbfcr)aft gemi§ macf)t
9Jö 8, 16; ©a 4, 6, mit ßfyriftu§. @r f>ei^t ebenfotool)! ber ©eift ßb^riftt wie ber ©eift
©otte3 5Rö 8, 9 f. ®urd? biefe ^ufammenfaffung mit ßfyrifti 5]3erfon Wirb ber ©eift ju
einer ©rö^e bon feft umfeb/riebenem ^nb^alt unb beftimmt gerichteter 2Birlfamfeit 1 Ho 40
12, 3 ; ^a 2. Ho 3, 17 fcf)eint ber erb,öl;te gljriftuä mit bem ©eift gerabeju tbentiftgtert
?u toerben, Wa§ aber nid)t bon fubftantieller ^bentität, fonbern bon infjaltlid^er ©Ieid)=
6eftimmtb,eit unb b^il3gefcf>id)ilid)er ^ufammengefiörigfeit gu berftel)en ift. ©er Urfbrung
be§ ©eifteS au§ ©ott unb fein Wefentlidjer ^ufammenb^ang mit it)tn Wirb 1 Ho 2, 10
ausgebrochen, ©er ©eift ift f>ier eine junäc^ft innergöttlicl)e ^oienj, baS ©elbftbemu|t= 45
fein, traft beffen ©ott ftd; felbft erlennt; barum bermag er aud; ben 9Kenfd)en, bie tbn
embfangen, bie liefen ber ©ottt)eit aufgufd)liefeen. ©iefe liefen finb aber nieb^t fbetu=
latibe ©rlenntniffe, fonbern toie 33. 12 unb 3iö 5, 5 jeigt, bie Söunber ber göttlichen
Siebe (bgl. 9ieifd}Ie, 3%ffi 1891, 322). ©er ©eift berinnerlid)t fomit bie in Gb^rtftuS
gcfd^er)ene ©elbftoffenbarung ©otteS; er mac§t fie jum berfönliciien Sefi| be§ ©laubigen so
unb teilt ifym fo baS neue Seben ber ©otteSgemeinfc|aft mit, ba§ fiel) in fittlicb^en g-riiebtett
auswirft ©a 5, 22 f. ©ie aßur^el biefer Seb^re bom ©eift ift in ber cb.riftlidjcn mit--
«fab^rung ju fucf)en. ©ieS liegt befonberS in ben baulinifcfyen SluSfagen am läge, ©er
©eift als bie fort unb fort bon ©ott burd) ßbjiftuS auSgeljenbe SBirfung auf baS
^erfonleben trägt bie ©emeinfdmft mit ©ott unb bebingt bie ©otteSerlenntniS; barum 55
gilt er bem 6f>riften als baS im 9JJenfd;enf)erjen erfc|loffene ewige ©eibftbcWufetfetn
©otteS. ©ie SBirfungen beS ©eifteS finb babei als berfönlid>e 2Birfungen gcbad;t 9tö
8,16; ©a4, 6 unb ber ©eift felbft Wirb als ^ßerjon angefdjaut, bie burd) fünbtgeS
Sßiberftreben betrübt Wirb @bl? 4, 30. ©aSfelbe liegt in ben iofyanncifcfyen 3(usfageit bom
didäoxeiv, lUyxeiv, avayyillEiv beS aud) formell als ^evfon benannten 7innny.h]roz 00
8teaI=®nc^HopäMe für Ideologie unb Jfitdie. 3. 21. xx. g
Srtglanb Xv'mhät 111
besWcgen feinem ©egncr ©cfyritt für ©cbritt unb teilte fein 2Ber! genau auf biefelbe
2Beife ein, Wie Sötenbogaert bas feine. sHcan b,at itmt Uneljrlicbjeit, Unmiffenfcfyaftlicbjeit
unb Parteinahme borgeworfen, ^n ben Wörtlichen ßitaten aus Sötenbogaerts ©d)rift
jebod) unb aueb, in ber Mitteilung ber £r/atfad)en ift er offenbar boßfommen erlief) z" ffierle
gegangen, Was aud) Don SRänner Wie £. 6. 9iogge unb ter §aar burcfyaus anerfannt 5
wirb, bie keineswegs ju feinen ©eiftesberWanbten gehören. 2So er Sötenbogaert Ungc=
nauig!eiten nacfyWeift, f>at er immer recfjt. SSon ben ürd)lid)en 2lrd)iben, bie z" feiner
Verfügung gefteßt Waren, fyat er eifrig ©ebrauef) gemalt. (fr nennt ftets feine Quellen,
Wenn er bon ber ®arfießung ber ©inge, Wie anbere fie gaben, abweidet; Worüber bie
Üueßen feinen Sluffcf/Iuf? gaben, bas überging er mit ©iillfdjWeigcn. geilten il)m 10
offizielle Duellen, fo beruft er fieb, Wob/l aud) auf ^ribaigeftoräcfye. ^n biefer §inficb,t
bat er wiffenfdjaftlicb, gearbeitet. 2luf$erbem zeugt fein SBerf bon großer @eleb,rtb^eit.
(Eine Sßefcfywerbe lann aßerbings mit einigem Stecht gegen bie SöiffenfcfyaftltcbJ'eit
feines? 2ßerfe§ erhoben werben, bafj er nämlicb, nic^t immer genügenb ^ritif an
feinen Duellen übte, Wenn fie bon ber ©eite feiner ©eftnnungsgenoffen ftammten. 15
Tas f)ängt natürlich mit ber £f)atfad)e jufammen, baf? SCriglanb bei Slbfaffung feines
2Berfes nict/t ganz unbarteitfd) ben ©efcfyelmiffen gegenüber ftanb, bie er befdjrieb.
ISr b,at fclbft leibenfcb.aftlicb, am ©treit teil genommen, ©egen bie 3Remonftranten
fyegte er fernere Vorurteile, ©ine ©djätjung berfelben rannte er nicfyt. üßks er
lieble«? über fie b/örte, mar er immer anzunehmen bereit. 2ln Sötenbogaerts guten 20
Sßtßen glaubte er nict/t. 3ln feinem eigenem guten ©lauben brauet babei nid)t ge=
zweifelt z" »erben, aber bie boße 3ut>erläffigfeit feinet 2Berfcs ^)at barunter leiber nicfyt
Wenig gelitten. Von einem 2lkrf mit fo beutlicb, ausgekrochener polemifdjer Slbjroecfung,
Wie bie „Kerkelijcke Geschiedenissen", ift aud; faum etwas anberes zu erwarten.
Tic ©isbofttion feines Söerfes, in ber er SBtenbogaert ©d)ritt für ©cfyritt folgt, jeboeb, 25
babei ju aßerfyanb Vefonbcrfyeitcn abfcfytoeift, ift bie Urfacfye babon, baft SEriglanb nicfyt
eine fortlaufenbe b/iftorifd)e SDarfteßung geliefert b/at. @in litterartfdjes ^unftWerf ift es
nid)t. ©er ©til ift einfad), bie Beweisführung ftreng logifcfy, aßes Vatlws fefyli, an=
fd)aulia)e Silber !ommcn nietjt bor. @s ift ein 2ßerl, bas burcfygearbeitet, unb nic£)t
Wegen ber 2tnfcb/aulicb/!eit gelefen fein Wiß. 30
©ennoeb, berbient ^riglanb VeWunberung für bie gufammenfteßung tiefes 9tiefen=
toerfes, bas er im 2tlter bon 63 2Sctb,Kn begann unb in gut brei S^en ooßenbete. @s
jeugt bon eifriger Unterfucb,ung, grünblidiem ©tubium, großer ©elef)rfam!ett unb au^er=
gewöftniidjer 2lrbeits!raft. @s enthält eine Sln^ab,! toon (Einzelheiten aus Iircl)Iid;en
2lra)iben, bie anbersWo ntd}t z« finben finb, Wäbjenb biete ©tüc!e in extenso mitgeteilt 35
finb. 9iec£met man bie unb ba mit bes ©Treibers Parteinahme, fo ift es Wegen ber
reichlichen unb eb/rlicfyen SerWenbung bon offizießen Sericbten im allgemeinen gefdjtcfytlicf)
juberläffig, fo bafj es immer noeb, großen 28ert für bie Kenntnis ber ©efcbjdjte ber S^e^
formation in ben 9tieberlanben b,at.
^m %at)Tt 1640 erfdjienen z" Slmfterbam in brei goliobänben cb,ronologifcb, ge= 40
orbnet äße Söerfe bon ^Eriglanb, bie bis bal)m erfcb,ienen Waren, unter bem SEitel
„Opuscula Jacobi Triglandi" mit einem guten ^orträt bon il)m als ®reiunbfünfgig=
jäfjrtgem. @ine Sifte aller feiner ©cf)rifteu unb bon einigen anonymen ^ampt)leten,
bie "Iriglanb gugefdjrteben Würben, ift bei §. 90. ter §aar (t. a. p. blz. 177—181)
w finben. © <£. 0011 Seen. 45
Srtnitttt. — g. ß^. SScutr, ®ie djr. Se^re ü. b. ®reteinig!ett u. SKenfdjwerbung ©otte§
in itjrer gefd)id)tlid)en (Sntwicflung, 1841—42; 3. ?t. ®ovnev, ßntwtdlung§gefdn'ct)te ber
Üeljre ö.b.^erfon e&rifti, 2.91. 1845—56; ©. 9(. gjjeier, ®ie ßeftre bon ber £rinität in itjrer
f)i)t. (Sntwicllung, 1844; ©. Ärüger, S)a§ ®ogma bon ber 2)reiemigfett unb ©ottmenfd)^eit,
1905: ®d)Ietermad)ev, Ile6er ben ©egenfa^ §tt)ifd)eit ber fabeüianifdjen unb ber at^anafianifdjen so
Sorfteüung bon ber Srtnttcit, 25-K I. 916t., 2. 33b ; 3-r. Siide, fragen u. SSebenten über bie
immanente SSefenätrinitcit, Xt)@tS 1840; B- 3- SJitifd), lieber bie wejentlidje 3)reieinigfeit
öottes, e6b. 1841 ; ßfj. ^. s2Betf|e, gut' SSertetbigung be§ iiegriffä ber immanenten SKefenätrinitfit,
e6b. ; 6. S3raun, 3)er SSegriff „^erfon" in feiner '9lnmenbung auf bie £et)re bon ber Svinität
unb Sntarnation, 1876; ' 3. ^utrtgl, 28iffenfd)aftlid)e Sedjtfertigung ber djr. £rinit8t3lebje, 65
1S46; .Sj. Sdiults, Dk Üef)re bon ber ©otttjett (£E)rifti, 1881; 5R. 9tod)ofl, ®er d)r. ©otteSbegriff,
1900; bie bogmatifdien SSerfe uon Jtoeften, Jiiebner, SbomaftuS, ®orner, Maftan unb bie
bogmengefd)iditltd)en 5)arfteüungen uon ^arnadE, Soofä, ©eeberg, fowie g. Sattenbufd), 3?aö
Qpoftolifdje ©ötnbol II, 1 !)<)<).
1. T)ic Seb,re bon ber göttlid)cn Trinität bringt ben (Ertrag ber gefd)id)tlid)cn belli-- 60
114 tvinität
$0 14, 26; 16, 8. 13. Wtan toürbe aber auS biefen SBorten ju totel folgern, toenn man
fie bafyin auflegen toollte, baf? ber ©eift als eine oon ©ott unb ©tmftuS, beren ©eift er
Ijetfjt, unterfcbjebene ^}erfon gebaut fei. £5" kiefer Sc^te^ung malmt uns fdjon ber
Umftanb gur 33orfid)t, bafj fia) bie fyr/tooftatifd)e ©elbftftänbigteit beS ©eifteS neben bem
5 33ater unb ©ofm nur fefyr langfam in ber ftrdj>licr)en Geologie burcfygefe^t I?at.
gu ben befbrocfjenen SluSfagen über ©olm unb ©eift fommen noti) bie eigentlich
irimtarifcfyen ©teilen. Scacb, bem apoftolifdjeit ©egenSgrufj 2 $o 13, 13 geljt baS §eils=
leben beS Stiften auf eine bretfacfye ßaufalität gurüä: bie Siebe beS SßaterS, bie ©nabe
^efu ©fjrifti unb bie ©emeinfdjaft beS b,I. ©eifteS. 3>n biefer breifacfyen Jfaufalität toirb
10 aber ^ugleicb, bie ©infyeit beS göttlichen §eitStoiHenS angefct/aut, ber ficb, in ber ©enbung
beS ©ofyneS unb ber Mitteilung beS ©eifteS gefcr)idjtlicl) bertoirfltcfyt Ijiat (togl. ©a 4, 4. 6).
ätfynlicb, füb,rt 1 $o 12, 4—6 bie 2luSrüftung ber ©emeinbe mit ©Zarismen, Ämtern unb
Gräften auf ben ©inen ©eift, ben ©inen §errn unb ben ©inen ©ott jurüd. ©anj be=
fonberS aber bejeicfmet ber Saufbefefyl SSJlt 28, 19 ben ©ott ber Stiften, unter beffen
15 ©egen unb in beffen ®ienft jebe§ ßfyriftenleben fteb,t, als ben breifacfy, als SSater, ©ob,n
unb ©eift offenbaren. SDamit toirb ofyne 3toe^ ^er ©otteSglaube ber cfyriftlicfyen ©e=
meinbe mit einer alle SSerfennung auSfcfyliefsenben SDeutlidjfeit be^eicfynet. 9cur too ber
Sine ©ott als ber SSater befannt toirb, ber im ©ofm ficb, offenbart unb im ©eift ficb,
mitteilt, ba ift dE>rift!td^e ©otteSertenntniS. SDiefe fürjefte ßufawMenfaffung bei d^rtft=
20 liefen ©laubenS ift benn aud) für baS fbätere SaufbelenntniS unb weiterhin für ga^>l=
reiche erbauliche unb tfyeologifcfye SDarfteHungen ©runblage unb SSorbtlb getoorben. ©ie§
barf freiließ nicfyt baju berieten, bon ber fbäteren bogmatifcfyen SrinitätStefyre atljubiel
fcfyon in biefer ifyrer bomefymften bib(ifd)en Quelle finben ju tooßen. Über eine $u=
fammenfteKung ber in ber £>eilSoffenbarung enthaltenen unb für ben ^eilSglauben cr)araf=
25 teriftifd)en Momente ge!)t bie erfennbare Slbficfyt ber ©teile ntcfyt fyinauS. ®a| baS in
ber ßinjab,! fteBenbe övo/ua baS jenfeitS ber Offenbarung liegenbe einheitliche göttliche
2Befen unb bie S^ebeneinanberfteHung bon 33ater, ©ofyn unb ©eift ifjre botlfommene
^oorbination bebeute, ift unjuläffige bogmatifdje SluSbeutung. ©agt boefy felbft baS naefy
bem SDtufter beS SaufbefefylS geftaltete ausführlichere SaufbefenntniS nod) nichts bon
30 biefer ©tn^eit unb ^oorbination. Söir fteb,en barum aueb, bter auf bem 33oben ber fog.
DffenbarungStrinität, über bie ba§ 31% überb,au^)t nic^t &inaugget)t (33. SBeij?, ®ie SRel.
be§ 31% 199). 2)er toefentlicb,e 2lccent foß in biefer ,3uf<minienfaffung auf bie 9Jtittler=
fteHung be§ ©ob,neS fallen. ®aS ergiebt ficb, auä) au§ bem Umftanb, bafe bie 2l^oftel=
gefcfyicfyte toie bie ^auüntfcbert Briefe bie Xaufe auf (Ebriftug als toeitl)in ftenfcbenbe ©itte
35 erlennen laffen 21© 2, 38; 8, 16; 10, 48; 19, 5; 1 Äo 1, 13; Stö 6, 3 ; ©a 3, 27.
2Bir toerben barum aud> bie trinitarifc6,e Saufformel fo interpretieren muffen, bafj fie
ben ©ob^n unb ©eift al§ bie Offenbarung beS 3Sater§ unb ben 2Beg ju if)m be=
jeid)nen toill.
Slu^ercfiriftlic^e bejto. au^erbiblifcb^e Quellen ober 33orbilber ber SrinitätSleb^re an^u=
40 nehmen befielt lein 2lnlaf[. ^m 18. ^af)rb,unbert bat man folcfye bei ^ßlato gefugt
(Sinalpp, ®ogm. I, 233 ff.), fpäter im |inbuiSmuS (§egel, 9iel.=^§il. II, 199 f.: %xu
murti; bgl. bkvgu (Sbantepie be la ©auffar/e, 3tel.=©efcb,. II3, 142 unb r>. Drelli, 9tel.=
©efcl). 501) unb ^arftSmuS (bgl. %x. Vtyfö, ®ogm. 411), neuerbingS in einer baty--
lonifct)en %x\a§ (§. gtmmern, ^ater, ©o|n unb gürfpreeb^er in ber babr;Iontfcbert ©otteS=
45 borfteüung 1896). Son all bem tonnte felbft bann rttebt emftltcb bie Siebe fein, toenn
bie Slfmlitftfeit biel größer toäre, als fie toirflid) ift. 'sDer ^3roje|, ber §ur SBilbung ber
cbrtftlicben SrinitätSlefyre geführt b, at, liegt ntebt in einer grauen, unbefannten SSorgett ; er
bat fiel) im sollen Sicfjt ber ©efclncfyte abgezielt, feine Sitten liegen in großer 3SoUftänbigfeit
bor uns unb feine SDtotioe finb teinestoegS unbefannt. ©ie gehören faft auSf^Iie|licb,
so ber cr/riftologifcfyen 9leflejion an unb ertlären burcr)auS genügenb, toaS ju ertlären ift.
©S ift barum gar ntebt einjufef>en, too biefe ©inflüffe eingegriffen fyaben füllten unb toelc^e
Söirtungen oon ib^nen unb nur toon ib^nen ausgegangen toären.
2. 1)ie ©nttoictelung ber Itrdblicberi SrinitätSleb^re faßt ju einem großen Seil mit
berjenigen ber gbjiftologie (93b IV ©. 16 ff.) jufammen. @S genügt barum, bie toefent=
55 lieben Momente unb ©tabien biefer ©nttoictelung ju be^eicb,nen. ®er SilbungSpro^B
beS SDogmaS ift bureb. baS ^ntereffe beberrfebt, bie 2lbfoIutb,eit ber cfyriftlicb, en Offenbarung
feft^ufteCen. 35ieS erforberte bie engfte Sertnütofung ber gefcfricbilicfyen ^erfon (Ebrtfti
mit bem Seben unb SBefen ©otteS. 5)abei ertrug aber ber cbjtftlicfye ©laube toeber eine
©efäb,rbung beS SRonotljeiSmuS noeb, bie SSerflücb, tigung ber ^ßerfon beS ©rlöferS ju einer
eo blofsen gunftion ober borübergeb^enben ©rfcfjeinung ber ©ottfeit. 33ei ben aboftolifcfyen
Xvimt'ät 115
Tätern tt>irb baS 33erfyältniS bon 23ater unb ©ofyn nodj nicf)t als Problem embfunben,
ba ber ©olm entmeber als blojjeS Söertjeug beS 33aterg gebaut ober mit btefem unb
bem ©eift unbebenfticfy ibenttfigiert wirb, ^nbem bie Ibologeten bem 33erftänbniS ber
^erfon 3efu om Sogoöbegriff ju ©runbe legen, erreichen fie eS ^War, biefer ofyne 35er=
letmng beS 9ftonotfyeiSmuS in bem Stammen ber offenbareren S^ätigfeit ©otteS eine 5
©teile anjumeifen, nicEjt aber ebenfo bie Konzentration ber Offenbarung in ßbjiftuS unb
fein fbeziftfcfyeS 33erl)ältmS zum Sater ju ftcfyem. 2lucb, bie llnterfcfyeibung eines imma=
nenten unb eines bon biefem abhängigen fleifcfygetborbenen SogoS fteßt ben letzteren bocl)
nur in ein mittelbares 33erIj)ältmS $u ©Ott. Äüfyner unb bie fbätere ©nttoiäelung biel=
facfy borauSnef>menb lä|t SertuHian, ber aucfy juerft ben Segriff trinitas geprägt f>at, 10
ber Offenbarung an bie 2Belt eine ©elbfterfdjtliefjung ©otteS in ©olm unb ©eift für
ben Stoed ber Offenbarung borauSgefyen. OrigeneS bringt biefe ^ßfjafe ber ©nttoiclelung
311m Stbfcfylufj, inbem er ben SogoS in ewiger ©elbftftänbtgfeit bei ©ott beult, ©ie
Beugung beS ©ofmeS ift ein etotger Slft — wobei man nidjt bergeffen barf, bafc
aucfy bie ©cfyöbfung ber SBelt bei OrigeneS ein folcfyer ift — unb macfyt biefen gleiten 15
SBefenS mit bem 33ater teilhaftig, dagegen ift baS 2öefen beS ©eifteS für OrigeneS
eine nod) ni$t geflärte §rage; bocb, benlt er fiel) bie 2BirlungSfbl)ären bei üßaterS,
SofyneS unb ©eifteS als fonjentrifc^e Greife: ber 33ater maltet über bem SIE, ber
©oljn in ben bemünftigen Kreaturen, ber ©eift in ben ^eiligen, ^nbeffen b,atte
ber 2JionarcbjamSmuS in feiner mobaliftifd^en ©eftalt eine nod) engere 3ufammen= 20
faffung beS ©ofyneS mit bem 3Sater zu erreichen gefugt, inbem er beibe berfönlid)
ibentifa; badete, ©abelliuS fielet in 23ater, ©ob,n unb ©eift einanber ablöfenbe Dffen=
barungSformen, ngogcana ber ©ottfyeit, benen brei gerieben beS 2BeltlaufS, ©cfi)öb=
fung unb ©efe£, (Möfung, ©emeinbe entfbrecfyen. ®iefe Äonftruftion, bie in ßfyriftuS
nur eine borübergefyenbe 2luSftral)Iung ber ©ottfyeit fafy, mürbe als eine unerträgliche 20
3Serfürgung bei Wefentlidjften ©laubenSintereffeS, ber bleibenben 9Jcittlerfcfyaft ßtmfti,
embfunben unb fyalf ben ©ieg ber l)r/boftatifcf)en ©fyriftologie entfcfyeiben. ^nbeffen ber=
blieb bem SRobaliSmuS ein unberfennbarer 3Sor^ug bor ber SogoSfbefulatton ; er bermocfyte
eS, ben ©oljm tunftcbjlicb, ber ©ottb,eit bem 9]ater bottfommen gleichstellen, $m 3Ser=
gleich bamit mufjte bie auefy bon OrigeneS noeb, feftgefyaltene ©uborbination be§ ©olmeS so
(unb ©eifteS) al§ ein entfcfnebeneS 9Jlinu§ erfc^einen. Unb in ber ©ntmicfelung bei
2)ogma§ fiegte immer bie religiös reifere SSorfteßung über bie bürftigere ungeachtet ber
barauS entfpringenben ®en!fc^mierigfeiten. 2lt§ barum 2lriu§ ben Ünterfc^ieb bon 3Sater
unb ©ofyn jum ©egenfa| be§ ©djöbferS unb be§ ©efcb^öpfS oerfc^ärfte unb bie ©migleit
beS ©ob,ne§ beftritt, galt e<§, mit ber etoigen perfönlid^en ©elbftftänbigleit be§ ©ol)neS bie ;jö
SBe^aubtung feiner boEen ©ottfyeit im ©tnne ber 5ffiefen§ibentität (§omoufie) ^u ber=
binben. ©en fircfylicfyen 2lu§bruöv biefer SBenbung b,aben mir im9ücänum, %e gebanlen=
mäßige 2lu3brägung in ber Geologie be§ StifjanafiuS bor uns. ©a§ leitenbe gntereffe
ber le|teren ift ein foteriologifc^e§, bie ©ic^erfteßung be§ al§ Mitteilung göttlichen SebenS,
fbe^ieE ber Unfterblicbjeit gebauten §eil§ bureb, bie mefenfyafte ©ottb,eit be§ §eil§mittler§. 40
3)a| bie nunmehr erreichte Slnfc^auung im SogoSbegriff nid)t meb,r ben jureieb, enben 2tu3=
bruef finbet, iHuftriert ber Umftanb, ba| biefer nun meb,r unb meljr b, tnter bem ©ob,neSnamen
für ben ^ßräejiftenten gurücftritt. ©ine unbebingte ©leicb,ftellung bon isater unb ©ofm
boE^ie^t aber aueb, 2ltbanafiu<§ nic^t; ber SSater bleibt ib,m bie /Aia ä^h h>äb,renb ber
©obn ben ©runb feines 2öefenS nic^t in ficb, felbft fyat. Slucr) feb,lt ibm noeb, ein tedf>= 45
nifc^er SluSbrucf für bie ^erfonen ber Xrinität. dagegen b,at er auc§ bie Sefjre bon
ber ^omoufie beS ©eifteS borbereitet, mobei gleichfalls bie £>eilslebre ma^gebenb ift. Ser
©eift, melcfyer uns bie ©emeinfe^aft mit ber göttlichen 5Jcatur bermittelt, mu§ felbft biefer
Ulatur teilhaftig fein. SDiefe ergänjenben Slufftellungen über ben ©eift lagen fo feb,r in
ber Äonfequenj ber cb,riftoIogifd^en ©ntfcb;eibung, bafe eS nur eines äußeren älnftofseS, beS 50
©egenfa^eS ber fog. ^neumatomac^en, beburfte, um fie als bie fircbjicfye Überzeugung
auSjufprec^en (©imobe bon Äonftantinobel 381). ®ie ^abbabo^ier fetjufen bureb bie
Unterfa;eibung bon ovoia unb vnoaxaoig, bie ficb, mie xoivov unb tdiov jueinanber
behalten, baS SluSbrutfSmittel, um bie ®reil)eit ber 5ßerfonen jur ©infyeit beS SSefenö
ins SSerb^ältniS ju fe^en. SllS bie ©igentümlicb^feiten ber brei #r/boftafen bezeichnet 55
©regor bon 9?ajianz äyevvrjoia, yevvrjoig unb exjioqevois. Sluct) für biefe Geologen
bleibt aber toie für ältl>anafiuS ber 3Sater bie göttliche XtrberfönlicfyJeit, mjyi] {^eÖT^rog.
Jaburc^) erleichterte man eS fiel), bie@infyeü zugleich in ber Slnfcfyauung feftjub^alten. ^m
^ntereffe biefer @inf>eit fügt ber abfcfyliefjenbe ©ogmatifer ber morgenlänbifcb^en iUrc|ic,
3of>anneS bon ©amaSluS, bie Scftimmung ber TiEQixwQrjoK, ber realen ®urd)bringung 60
116 Xtimtnt
unb gegertfettigen ^mmanenj ber brei $t)boftafen tnnju. 2tucb, er fyält aber an ber
©utoeriorität ber erften ^erfon feft unb läfjt ben ©eift Dom Später burct) ben ©olm
ausgeben.
Slnbers Sluguftin. 6r toitl ben begriff ber ©ott^ett bon bornlf)erein trinitarifcb,
5 gefaxt toiffen: trinitas est unus deus (de trin. V, 9). 2)ie ©tntjett barf ebenfo*
wenig im 33ater gefugt toerben, tote im ©olm ober ©etft; fie liegt im göttlichen Söefen
als folgern, an bem bie brei ^erfonen in bößig gleicher Söeife teil Ijaben. ©er Sater
ift in feiner ©jiftenj ebenfo burd) ben ©oI)n unb ben ©eift bebingt tote biefe burcb,
jenen, 3eDe ^erfon ift bie ungeteilte ©ottl>ett unb bie brei Sßerfonen finb in il)rer
io ©efamtfyeit bas Sine göttliche 2Befen. ®as läfjt ficb, freiließ nur benfen, toenn man
ben ^krfonbegriff in einer 2öeife fublimiert, bie ifm bem eines Moments, einer Delation
ber ©ottfyeit gu ficb, felbft nähert. 35er Unterfcbieb ber ^ßerfonen beftel)t nur relative
ad invicem (de trin. VIII, init.). ®artn erfcfyeint ber neubtatonifd)e gug bes
auguftinifcfyen ©enfens, ber il)m bie @infacf)I)eit bes göttlichen Sßefens wichtig macfyt.
is SDie UnguIängItd)Jeit bes ju ftarten ^erfonbegriffs für bie 'ülrinitätslefyrc I)at Stugufün
befanntlicb, aueb, felbft ausgebrochen: dictum est tres personae, non ut illud di-
ceretur sed ne taceretur (de trin. V, 9). ÜBom alten SJcobaltsmus unterfdjeibet ftd)
biefe Stnfd)auung babureb,, baf$ nicb,t an ©ucceffion, fonbern an etoige ^oerjftenj unb gegen*
feitige Qmmanenj biefer 9Jcobi gebaut ift. ©iefelbe Slnfdjauung prägt fidb, aueb, in ben
20 Sinologien aus, burcb, toeld)e Slugufttn bie innere @inb,eit unb toeebjelfeitige 33ebingtt)eit
ber brei ,,^3erfonen" iltuftriert. @r bertoenbet ntc^t mel)r bie alten realiftifd)en Silber,
bie man früher gebraust I)aite: Quelle, SBacb, unb ©trom; SBurgel, ©cfyöfsltng unb
grudjt; ©onne, ©trab,! unb glamme; nur Momente, bie in ungetrennter unb untrenn*
barer ©leicbjeitigfett loejiftieren, lönnen fner ausreißen, ©olcfye finbet Sluguftin auf
25 bftyd;oIogifd)em ©ebiet: memoria, intelligentia, voluntas (de trin. X, 11. 12), too*
bei memoria ben unmittelbaren $nf)alt bes Betoufjtfeins, intelligentia ben Iogifd)en
Slft, in bem er gebaut toirb, voluntas bie afttbe SBe^elnmg beiber aufeinanber bebeutet. %n
ifjrer ©intieit lonftituieren bie brei ÜJlomente bas ©elbftbetoufjtfein. @ine anbere 2lna=
logie bietet bie braftifd)e ©eite bes menf cfylicb, en ©eifteslebens ; bie Siebe bottjiefyt fiel) burcb,
30 bie brei SRomente: amans, quod amatur, amor (de trin. IX, 2; XV, 6). $Dabei
toirb ber Unterfd)ieb nur fd)einbar fiärfer betont; ba bon ©ottes Siebe ju ftd) felbft bie
9?ebe ift, gef)t aud) biefe ®ifferen$ bon SRomenten in bie @inl)eit eines immanenten
toffycfnfcf)en Stfis jurücf. ©ine Kombination beiber Honftrultionen ift enblid) bie gufammen*
orbnung: mens, notitia, amor (de trin. IX, 4) ober anbers benannt: memoria,
35 intelligentia, dilectio (XIV, 8; XV, 7), toobei ©elbftbetoufjtfein unb ©elbftltebe als
bie ©runbbejielmngen ©ottes ju fid; felbft erfd)einen, bie jugletcb, unter fid; in ^Un-
tität fteb,en.
^n ber Äonfequenj biefer 2lnfcb,auung bon ber gegenfeitigen Sebingtb,eit ber trini=
tarifcfyen ^erfonen liegt e§, ba^ nunmehr aueb, ber ©eift ebenfo bom ©oljm toie bom
40 Sater au§geb^enb ju benfen ift (De trin. V, 14). ®ie§ toar im fyeibsgefctncfytlicfyen ©inne
auf ©runb be§ WS. fcb,on bon Seriulltan gefagt toorben; burcb, Sluguftin toirb e§ nun
aueb, auf bie etoigen SSerl^ältniffe beg innergöttlicb,en Seben§ übertragen unb unter ber
9Rad)toirIung ber auguftinifd;en 2b,eologie jum cb,ara!teriftifcb,en ©onberbe!enntni§ ber
abenblänbifa)en ^ircb,e. ©rft je|t toerben aueb, gormein toie bie be§ fog. ati)ana=
45 fiantfeben ©^mbofö möglic^. %n ib,m toirb bie @inb,eit ©otte§ ob,ne 3Sermifcb,ung ber
^erfonen unb bie ©reibet ber ^]erfonen ob,ne Teilung beg 2Sefen§ unb ob,ne Slbftufung
b^inficb,tlicb, ib,rer ©ottb,eit, 2Bürbe unb SJcajeftät befannt, fotoie ber 2lu3gang beö ©eifte§
bom SSater unb bom ©ob,n au§gefbrocb,en. ®ie immanente %rinität, bie bei 2ltb,anafiu§
noeb. in engfter 33ejieb,ung jur §eil§lebre ftanb, ift je|t erft böllig felbftftänbig getoorben.
50 ©ott müfjte felbft bann trinttartfdb; gebaut toerben, toenn un§ nid;t aus ber §eilsoffen=
barung bie Nötigung entftünbe, für ben gefcb,icb,tlid)en ©rlöfer unb ben ©eift 2lnlnübfungs=
bunfte im göttlichen SBefen ^u fucb,en. Wlan lann fieb, barum aud) unter Slbfeb,en bon
ber gefcf)id)tlid)en Offenbarung in bie Betrachtung ber immanenten ©elbftentfaltung ber
göttlichen Sebensfülle berfenlen. 3)as 9Jtyfterium ber immanenten ^rinttät labet jur
55 pflege einer mt)fttfd)ert, lontemblatiben grömmigleit ein. ^amentlicb, aber gilt es ferner*
b^in als unerläpcl), ^ man erft einen 33licf in biefes etoige ©eb,eimnis getan I)at, eb,e
man an bie gläubige Aneignung ber Offenbarung herantritt. Söas im 9iüdgang bes
SDenlens bon ber Offenbarung auf tb,ren ©runb eine Ie|te Folgerung toar, toirb nun jum
^ßrtus für bas SSerftänbnis ber Offenbarung felbft.
eo ©as Mittelalter b,at jum tnb,altlicb,en Seftanb bes ©ogmas nichts 9teues b,inju=
Zvinität 117
gefügt. Hcan benutze bie auguftmifdjcn gormein als Slnlajj 31t nü;ftifct;er Serjenfung
ober als ©toff für ben bialefttfdjen ©djarfftnn. ©aß babei balb über ^ritfyeiSmuS
geflagt Würbe, Wenn baS göttliche 2Befen als bloß Iogifcf;c ©inf;ett gefaxt War (RoScelin),
balb über ©abellianiSmuS, Wenn bie Sßerfonen ju bloßen ©igenfdjaftSbegriffen berflücfytigt
fcfyienen (2lbälarb), lag in ber Statur beS ererbten Problems, baS ein fdjwer ju erf/alten= 6
beS @leid;getoid;t bon ©infyett unb Unterfdjieb forberte. ©ine 2ßeiterfüf)rung ber augufti=
nifd;en ©bcfulatton f>at Ricfyarb bon ©t. Victor berfucf)t. ©r folgert bie Rottoenbigfeit
einer göttlichen ©elbftunterfd;eibung auS bem Segriff ber Siebe. $ur Sotlfommenfyeit
beS araor gehört, baß er als Caritas ficb, einem anbern juWenbet. SDiefeS anbere fann
für ©ott nicf;t bie SSelt fein ; benn Siebe jur SSBelt wäre ungeorbnete Siebe. £>aS Objeft 10
ber fyöcbjten Siebe fann nur eine ^ßerfon fein, bie ©Ott gleicf; ift an ©wigfeit, -Dcacfrt
unb 2öeiSf;ett. ®a eS aber nicfyt $Wei göttliche ©ubftanjen geben fann, muffen bie beiben
göttlichen ^erfonen eine unb biefelbe ©ubftanj bilben. SDte befte Siebe fann ficb, aber
aucb, nirf)t auf biefe ^Wei 5ßerfonen befcfyränfen; fie muß gur condilectio werben burd;
ben SBunfcb,, baß ein ©ritter ebenfo geliebt wirb, wie fie ficb, gegenfeitig lieben. ©0 15
fübrt bie boftfommen gebaute Siebe notWenbig jur SDreieinigfeit unb ba ©ott gugteid)
abfolute 3Radj)t ift, bermag er aucb, biefer gorberung beS SegriffS boftfommen ju ent=
ftored;en (Säur II, 527—531). ©S bebarf feinet SeWeifeS, baß biefe finnige $onftruf=
tion ben auguftinifcf;en ^erfonbegriff berläßt, inbem fie bie ©retfyeit als eine ^tmmltfcf)e
jyamilic benft unb überbieS Weber ben ©tillftanb ber göttlichen ©elbftmitteilung bei ber 20
Sreijafyl begrünbet nod; ju ©otteS SiebeSoffenbarung an bie 2Sclt Weiterführt. XfyomaS
bon Slquino fucfjt ficb, auf ben Sahnen SluguftinS %u galten; er friert bie geugung ^
SobneS auf ben immanenten $ro|eß beS göttlichen ®enfenS, ben SfuSgang beS ©eifteS
auf ben 9BiHen ber Siebe jurüd, olme freilief; reale berförtlicfye Unterfcfnebe ju gewinnen.
$unS ©cotuS ift umgefefyrt an ben lederen intereffiert, Wagt aber feiner ^enbenj boct) 25
nur einen fefyr jurücff;altenben 2fuSbrud ju geben (©eeberg, ®unS ©eotuS 207).
3. ®ie Reformatoren Wußten fiel; im ©lauben an bie göttliche SErinität auf bem
Soben ber allgemeinen $ircf;e (Conf. Aug. 1 ; Art. Smalc. P I) unb Sutfyer i)at eS
berftanben, tt)ten religiöfen ©inn auszulegen, Wobei er freilief; bie 2fuSfagen über ©otteS
trinitarifd)eS 2öefen ftets an feinem offenbareren §anbeln orientiert. 2öenn 9JleIanct)tt)on 30
in ben Loci bon 1521 bie mysteria divinitatis bon ber ©rörterung ausliefet, fo
liegt baS Wof;I nicf)t nur an ber braftifcf^religiöfen Haltung biefer ©cf;rift, fonbern aud)
an ber Abneigung beS ^umaniften gegen bie fd;oIaftifd)en ©ubtilitäten, bie babei in
grage famen. ©bäter fyat tfm baS Sluftreten antitrinitarifdjer Richtungen, gegen beren
Anfänge ficb, auef; bie 2fug§b. ^onfeffion Wenbet, jur 2fuSfüllung biefer Sücfe beranlafjt. 35
Seine fbefulatibe Äonftrultion ber Srmttät (CR XV, 1274; XXIII, 235; XXV,
19) ift wefentlicf; auguftinifcf;, feine ©rflärung be§ $erfonbegriff§ in Conf. Aug. 1:
quod proprie subsistit borfief/tiger als in ben fbä'teren Loci. SSenn fner (CR
XXI, 1076) ^erfon aU substantia individua, intelligens, incommunicabilis, non
sustentata in ajia natura befinirt Wirb, fo nähert ficb, bie§ — aucb, abgefeb,en bon 40
ber ungefcb,icften Überfe^ung bon vjiöoTaais buref; substantia, bie fcf;on Sfuguftin ge=
tabelt f;at (de trin. V, 9) — biel gu febr bem mobernen ^erfönlicfjfeitSbegriff, um nicf;t
bie @inf;eit ©otte§ ju berbunfeln.
®ie broteftantifcb,e Äirdb,enlef;re ftefft ber ©ntwicfelung ber ^Erinität regelmäßig ba§
58efenntni§ jum 3Jconotb,eiSmuS boran. @S ift nur @in göttlicb,e§ Söefen, una essentia 45
divina ; aber an ib,m b, aben brei ©ubjefte, Sater, ©ob,n unb ©eift in gleicher Söeife teil.
@S giebt fo tres habentes Deitatem, aber nur ©inen ©ott. 3ur Sejeid;nung ber brei
Subfiften^Weifen bcS ©inen ©otteS bient ber Segriff „Serfon". ©iefer Wirb meift in
engem 2lnfd;tuf$ an 2JteIancb,tb,onS oben mitgeteilte formet befiniert; etwas abWeicf;enb
fagt ©erb,arb: subsistens Individuum intelligens, incommunicabile, non susten- 50
tatum ab alio. ®ie trinitarifd;en Serfonen füllen Weber als reale Xeile ber ©ottfyeit
noef; als ^nbibibuen einer ©attung aufgefaßt Werben, ^n jeber ^Jerfon ift baS gött=
Iirfje 3Befen bielmeb,r ganj unb ungeteilt. ®arum finb auef; bon jeber berfelben alle
göttlichen ©igenfcb,aften auS^ufagen. Reben ber in allen gleichen ©ottb,eit eignet aber
jeber ber brei ^erfonen eine befonbere löiotrjg, ein unterfcb,eibenber Sb,arafter, character 0;.
hypostaticus. ®iefe Sefonberb,eit ift bon bobbelter 2frt; fie begießt ficb, teils auf baS
innergöttlidje Seben, ben rgonog vndQ^Ewg, teils auf bie Offenbarung an bie Söelt, ben
tqotioq rbioxah"<ij>eo)g. ®ie innergöttlicf/en tlnterfcf;iebe berufen auf einem immanenten
£anbeln ber ©ottbeit, ben fog. opera ad intra. Son ib,nen gilt, baß fie nidit ein
gemeinfamcS >>anbeln ber ©ottb,eit, fonbern ein unterfcb,iebeneS Xb,un ber einzelnen s^er= 60
118 Srtnttöt
fönen finb. (S§ finb bieg bie generatio be§ ©o^neö burd) ben SSater unb bie spiratio
bes> ©etfteg burcfy SSater unb ©oljm. ®ie erfiere Wirb befmiert al§ aeterna filii ex
substantia patris productio. ©ie unterbleibet ficb, bon ber ©cfyöbfung ber 9Mt
baburcf), bafj btefe ein bom ©cfyöbfer Wcfentlicb, berfct;iebene§ ©ein begründet, Wäfyrenb bie
5 generatio einer bem SSater Wefens>gleicr)en Sßerfon gilt. ©ie spiratio be§ ©eifteg ift
analog aeterna Spiritus sancti ex substantia patris et filii productio. @nt=
f^rec^enb biefen opera ad intra eignen ben brei göttlichen Sjßerfonen beftimmte proprie-
tates personales, bem SSater bie paternitas, bem ©ofjm bie filiatio, bem ©eift bie
processio. ©araus fcr)eint ein S3orrang be§ SSaterS bor ben beiben anberen ^ßerfonen
10 ju folgen. 21I§ 33ater behauptet er bie Priorität bor bem ©ofm unb mit biefem bie
Priorität bor bem burcb, beibe bebingten ©eift. Stilein bieg foß nicfyt im ©inne ber
Unterorbnung ober 2lbl)ängtgleit ber britten ^Serfon gegenüber ber ^Weiten unb beiber
gegenüber ber erften berftanben werben. 2SieImeI)r fte&ert fid; bie brei ^Serfonen bermöge
ber ^bentität be§ göttlichen 2Befen§ böHig gleicb, unb bebingen ficb, gegenfeitig. ©ie
15 Priorität be§ 3Sater§ begießt ficb, nur auf ben ordo subsistendi, nicfyt auf bal 2Sefen;
fie l)at nur logifdje, tttd^t reale 33ebeutung. Slucb, ber SSater Wäre nicfyt SSater ofyne ben
©ofyn unb beibe Wären ntdjt bie eitrigen ^rinjibien be3 ©eifte§ unb SebenS oI)ne ben
Ausgang be3 ©eifte§. Paternitas unb filiatio, spiratio activa unb processio fe|en
für; alfo gegenfeitig borau§. ©iefe ©egenfeitigleit brüdt ber begriff ber 7i£Qi%d>Qr}ois
20 auä ; SSater, ©otm unb ©eift fielen im 33er|ältni3 Wecfyfelfeitiger ^mmanenj. ©ofern
bie brei §t)boftafen bocb, jugleicb, real unterfct)ieben unb für ficb, befie^enb gebaut Werben,
ift ba§ innergöttlidje Seben al§ ein fteiiger Hreiälauf ju beulen, ber bom SSater au§=
gefyenb burcb, ben ©ob,n unb ©eift Wieber gum SSater gurüdfEet)rt. S3on ben proprie-
tates personales unterf Reibet bie logifdje Slfribie einiger ©ogmatifer nocb, notiones
25 personales, bie ben ^erfonen rtid)t in Delation jueinanber, fonbern fcr)Iecr;t|in für ftcb,
julontmen. Unter iljmen befinbet ficb, ba§ alte Sßräbifat ber äyewrjoia für bie erfte
^ßerfon. ©ie S3ejieb,ung jur Dffenbarung§gefd)icr;te lommt aber erft jur Slnfdjauung im
xQÖJiog änoxalvipecag ber S^rimtät. §ier eignen ben brei ^Serfonen fbe^ififcf/e opera
ad extra: bem SSater bie ©cr)öbfung nebft @rl)altung unb Regierung, bem ©ob,n bie
so ©rlöfung, bem ©eift bie Heiligung. 3m Unterfcfyteb bon ben opera ad intra gilt
bon biefen ^Betätigungen nacb, aufen, bafj fie ungeteilte SBirfungen ber ©ottfyeit unb
barum ben brei ^erfonen gemeinfam finb. Opera ad extra indivisa servato ordine
et discrimine personarum (©erfjarb). ©treibt man biefe SSerle bemtocb, ben einzelnen
^Serfonen ber ^rinität in befonberer Söeife ju, fo gefdriefyt bieg per appropriationem
35 b. I). fie Werben ben anberen ^erfonen barum md)t abgefbrccfyen, nur ^um character
hypostaticus einer ^erfon in ein befonbereö S3erf)ältm§ gefe|t. IJn biefem ©inn fann
man aucb, fagen, baft unbefdiabet ber ©emeinfamfeit aller ©igenfcfyaften bocb, für ben
SSater bie SJiadjt, für ben ©ob,n bie Siebe, für ben ©eift bie SBeiSb^eit befonberS d;arafte=
riftifd» ift. ©cbjiepct; WiH nocb, beamtet fein, bafj bie Iircb,Iid}e ©ogmatif biefe S3e=
40 ftimmungen md)t für eine rationale (Srfenntnig ber ©acb^e auögiebt, fie begeicr;net biel=
mef>r bie SLrinität aU ein ^fterium. ®ie aufgeftellten ©ä^e foHen barum aud) mer)r
bie negatibe S3ebeutung I)aben, untt)rifilicb,e 33orfteßungen abjuWe^ren aU bie bofitibe, bie
<Bad)i felbft begreiflid; ju machen.
S3lid't man bon biefen Urcfylidjen gormeln auf bie biblifcfyen ©runblagen jurücl, fo
45 laffen fio) Wefentlicfje ©ifferenjen nid}t berfeunen. 1. ®ag Ti% _fbrid}t bon ber Wefent=
liefen ©tn^eit be3 ©of)nei mit bem SSater unb fief)t im ©eift bie ©inWolmung ©otteg
im ©laubigen, ©ie £ird)enlel>re erfe|t biefen reltgiöfen ©ebanfen ber ©egentoart ©otteö
im ©ob^n unb ©eift buret) ben metabb,t)fifcf)en SBegriff t^rer 2öefen§gleid)b,eit mit bem
SSater. ©iefer S3egriff enthält aber ein Wef entließ neue§ SRoment; er fa|t ©ob,n unb
60 ©eift nid)t blofe mit ©ott jufammen, er fteHt fie aucb, als etoig unterfcl)iebene ©ubjefte
ib,m gegenüber. Offenbar ^aben Wir aber an biefem Unterfajieb nid}t ba^felbe religiöfe
^ntereffe Wie an jener ©infyeit. ©ie religiöfe Qnterbretation be§ ©ogma§ b^at barum
aucb, immer ben llnterfd)ieb binter bie @inb,eit jurücftreten laffen (3luguftin, £utb,er,
©cb,leiermacb,er). 2. ©a§ 9J5E enthält leine unbebingte Soorbinatton be§ ©ob^neg mit
55 bem SSater. 9Zacb Paulus unb ^ob,anne§ ift ber ©ob,n Wenigfteng in feinem b,eil§gefcb,icb,t=
liefen SBirlen bom SSater abhängig unb tym gefo,orfam 1 Ho 15, 28; Qo 14, 28. SBenn
ficb, äb,nlicb,e Sluöfagen bom ©eift nicb,t finben, fo liegt bieg baran, bafj er al§ ba§ SDtebium
ber SSirlfamleit ©otte§ in ber SBelt, rttebt als für ficb, beftebenbe ^ßerfon gebad;t Wirb.
$anbelt eg ficb, aber ntebt um ©leic()b,eit, fonbern um Wefenb,afte @inb,eit, fo liegt in ber
eo Stblmngigfeit beö ©ob,ne§ bom SSater aucb, nichts S3efremblid;eg, Wäb,renb fidj freilieb.
£rinttäi 119
©kid^eit unb Unterorbnung nidjt bertragen. 3. ®te ^ird^enle^re bertoenbet jur Äon=
ftruftion beS innergöttlicr/en SebenS Segriffe, bte nact; biblifcfyem ©bract/gebraucf) auf bie
CffenbarungSgefcbjc|te geben. Ylög fieov ift ber Dame beS gefd^td;tlid^en 6b)riftuS,
mäfyrenb ber bräerjftente DffenbarungSmittler, too er als folcfyer auSbrücflicb, djaraferiftert
werben foll, SogoS fyeifjt. ©arum tft audj) ber ©ebanfe ber emigen geugung al§ beS 5
©runbS für baS ©afein beS ^räerjftenten ofyrte biblifcfyen atnt)alt. ®er luSbrucf fiovo-
yevij; ^0 1, 14; 3, 16 cr)ara!terifiert baS bertraute SerfyältniS bon SSater unb ©ob/n
nad£) feinem Seftanb, nicr)t nacb, feinem llrfbrung unb jigcoröroxog 7iäot]s xrioeco? $oI
1, 15 fbridü t>om Vorrang beS §eilSmittlerS bor ber ©cfyöbfung, olpe über feine @nt=
ftefyung 2luSfunft geben $a motten. ^nSbefonbere aber ift bon einem 2luSger/en beg 10
©eifteS nie im ©inn feines innergöttltdjien llrfbrungS, fonbern immer nur im ©inne
fetner ©enbung in bie SBelt bie Debe. 4. JJnbem bie ^irct/enlefyre baS etoige 93er=
bältniS beS ©ofmeS unb beS ©eifteS jum 23ater md)t als ein überzeitliches, fonbern als
ein boräeitlicr/eS fafjt, bermag fie nicr)tS anbereS barüber auSjufagen, als faaS in ber
OffenbarungSgefct/id/te toieberfebjt. ©ie macr)t aus bem Kreislauf beS gefcf/icfytlict/en 15
§eilSlebenS, baS bom eroigen SiebeStoillen beS SSaterö ausgebt, burcb, ben ©olm ber=
mittelt tbirb unb unter ber Seitung beS ©eifteS bie erlöfte Sftenfcb^eit jum 33ater jurücf=
füf>rt, baS blaffe ©egenbilb einer innergöttlicf/en Seroegung, beren ©inn ganj unberftänblicf;
bleibt, wenn man fie nia)t auf if)r gefcr/icf/tlicfyeS Urbilb jurücfbejie^t. ®enn foaS bie
ftrct/licr/e ^Dogmatil über baS SBefen btefeS innergöttlicf/en ^3rogeffeS feftjuftetten bermocr/te : 20
paternitas, generatio, filiatio, spiratio, processio ift lebiglicb, berbaler Datur ; eS
beftefyt nur in einer Umfcfyreibung ber tarnen SSater, ©ob/n unb ©eift. ©arm liegt
boct/ toofyl ein 2öinf, baft mir uns bamit begnügen muffen, ©otteS SBefen in feiner
Offenbarung anjufdjauen, ftatt eS hinter berfelben in abftraften gormein ju lonftruieren.
4. Dact/bem fcfyon im geitalter ber Deformation bereingelte ©timmen bie firct/Iict/e 25
irinitätSlefyre bermorfen Ratten (©ent, §ae|er, GambanuS, ©erbet), belämbfte ber
©ocinianiSmuS baS ürcr/lict/e ©ogma al§ fcb,rift= unb bernunftmibrig bon bem ©tanbbunlt
eine§ abftraft unitarifcb^en ©otte§begriff§ unb einer moraliftifcb,en ^uffaffung ber Religion.
©er 2lrminiani§mu§ berührt fidp mit ü)m nur infotoeit, ah er bie ^oorbination ber trini=
tarifcb,en ^erfonen für unjuläffig erllärt. ®er DationaliämuS erneuert, tbenn aud) unter 30
mannigfacher 2lnbaffung an bie lircb.licb.en Söenbungen bie focinianifd)e 33eftreitung, ber
SubranaturalilmuS bie arminianifc^e SCbfd^toäc^ung be§ £>ogma3. Seibnij unb Seffing
maren für ben fbelulatiben ©eb,alt ber SLrinitätHefyre nicb,t unembfänglid^ , mäb,renb bie
burct) ben ^ßieti§mu§ neu ertoec!te grömmigleit an it}ren lel^r^aften Seftimmungen ent=
meber mit acb, tunglboüem ©d^toeigen borbeiging ober fie aucb, Iritifd? rebujierte. gür 35
erftereg lann ©bangenberg (Idea fidei fratrum § 89) als S3eifbiet bienen, für Ie|terel
3- 31. Urlfberger, ber nur eine Dffenbarung§tria§ in ber ©cfyrift finbet (^urjgef. ©Aftern
etneä Vortrags bon ©otteS ©reieinig!eit 1777). @3 festen barum, als foßte bie S£rini=
tät§leb,re bor bem gorum ber bfjilofob^ifd^en ©befulation meb,r 2lnerlennung finben als
bor bem beS religiöfen SDenlenS. ©0 f>at auf fbelulierenbe 2:b,eoIogen unb ^P^ilofob^en 40
^afob 53öb,me§ t^eofobb^ifc^e ©otte§leb,re na^altig eingemir!t. @r läfst ben göttlichen
„Ungrunb" in einem emigen „©egenmurf" ^ur SBeftimmtbeit unb @r!enntni§ feiner felbft
fommen, trennt fid^i aber freilieb, babureb, bon ber ^ircfyenlefyre, ba| ib,m für bie £eben§=
fülle ber ©ottb^eit eine trinitarifcfye ©ntfaltung mcb,t genügt, ^nbem er eine ©iebenja^l
fd?öbfertfc§er Gräfte als „9iatur in ©Ott" ftatuiert, Iäf$t er erlennen, ba^ eS bei feiner 45
Äonftru!tion nia)t auf ben Unterbau ber §etfc§lefyre, fonbern auf bie ©rflärung ber
Scböbfung abgefe^en ift. Dicb.t mefentlicb^ anber§ behalt e§ ftd; mit bem Qntereffe, ba§
ScbeÜing unb §egel ber trimtarifdjen ©befulation jumenben. 93ermöge ber alten ©leia)=
fe|ung beS SogoS mit bem xoa/uog vorjxög wirb ber ©ob/n jum ^5rinjib ber Söelt, ber
©eift jum ^ßrinjib beS {»öderen SebenS, ba§ ftdb, in religiöfer unb bb,ilofojpb^ifcb,er @rlennt= 60
nis jum Urquell be§ ©ein§ jurücftoenbet. ®amit mirb aber bie 'SrimtäfcSlefyre ib^rem
urfbrünglicben ©inn entfrembet unb aU ©cbjüffel für baS foSmoIogifcfje Problem ge=
braucht. 2Bo man auf ben religiöfen 2lu§gangSbunlt beS ®ogmaS ^urüdrging, fanb man
fidE) hoä) bielfacb; geljnnbert, ^u ben lird^Iid^en gormeln über bie immanente 'Srimtät fort=
äugten. ©df)leiermad^er bat in ber 2lbf/anblung über ben ©egenfa^ jtoifcb,en ber fabel= 55
lianifd^en unb atfyanafianifcr/en 33orfteEung bon ber ^rtnität eine Debifion ber lircb,IidE)en
@ntfd)eibungen ju ©unften ber fabettianifeb^en Slnfid^t unb ib,rer Vorläufer geforbert.
Sein „<Si)x. ©laube" bringt fct)on burd^ bie ©teßung, bie er ber SErinitätSlefjrc antoeift,
jum iuSbruöf, bafe fie ifym ^mar als ber „©cf/lufjftetn", aber ntd>t als, bie ,,©runbleb,re"
beS cb,riftlicb,en ©laubenS gilt. 2HS ibre 3Bab,rb^eit be^cieb^net er bie Überjeugung, „bafe 60
120 Srinitüt
mcfyt efmaS ©eringereS aU ba§ göttliche 2Sefen in ©briftuS War unb ber ctmftlicfyen ©e=
meinbe als ifyr ©emeingetft eintoob,nt" (§ 170, 1). ©ie gormein, in benen biefe ©etoifc
b,ett ausgeprägt toorben ift, finbet er nad) t£>rer etegettfcljen Segrünbung anfechtbar,
jWifd)en entgegengefei5ten Sorfteüungen l)in= unb fyerfcfyWanfenb unb einer gortbilbung
5 um fo mebj bebürftig, als bie ebangelifct/e Äirct/e eine -Jieubtlbung ber Seigre unterlagen
^abe. QnSbefonbere beanftanbet er baS 3lecr;t, jur 2lnnab,me einer urfbrünglicfyen unb
ewigen ©onberung im göttlichen 2Befen felbft fortzugeben, ©en bon ©cfyleiermacfyer ein=
genommenen ©tanbbunft fyat Sücfe in feinem ©enbfc|reiben an -Jtilfcb, ejegetifcb, ju re_cb>
fertigen unternommen, toäfyrenb biefer in fetner 2Inttoort bie immanente SöefenStrmität
10 al§ bie Sebingung bezeichnet, unter ber allein ©ott lebenbig unb bon ber 2Belt unab=
gängig gebaut Werben tonne. (2$©tÄ 1840/41.)
@S bürfte fcfywer fein, bie bon ©cfyleiermacf/er geforberte 5fteubtlbung beS trinitarifcfyen
©ogmaS bei irgenb einer Stiftung ber heutigen Geologie als toirfltcr; gelöfte Aufgabe
aufjuWeifen. 3um ©egenftanb bogmatifcfyer ©bejialarbeit ift unfer Seljrftücf in ben
15 legten Sab^efynten äufjerft feiten gemacht Worben unb wo eS im ,3ufammenb,ang beg
Sefyrganjen bargefteßt Worben ift, gefcfyab, bieg meift in Söieberaufnafyme früherer ^ßofitionen.
Überblicken Wir bie fyaubtfäcfylicbften ©tanbbunite, fo ift borauSjufct/icfen, bafj ber blofj
ncgierenbe UnitariSmuS, tr>te er in ©nglanb als ^iad^^ügler beS ©etSmuS fi<^> finbet unb
bon bort aucb, nacb, Slmerüa berbflanjt toorben ift, in ber beutfcf)en toiffenfcfyaftlicfyen
20 Geologie fo gut hrie gar nidjt bertreten ift. Sie ©laubenSmfyftif ber lutb,erifcf)en 9tefor=
matten unb ber fbefulatibe ©eift ber beuifcfyen ^Pfyilofobfne ftanben einer fo abftralt ber=
ftanbeSmäfetgen Sefyanblung ber ©otteSlef)re entgegen. ©te §aubttr/ben ber fyeute ber=
tretenen Slnfcfwuungen bürften fidj ettoa in folgenber 2öeife orbnen laffen. 1. ©ie
33efcb,ränfung auf bie DffenbarungStrinitäi als bie allein toefentlicfye ©laubenSauSfage
25 bertreten 21. ©djtoeijer, §afe, SibftuS, Wäb,renb D. ^fleiberer einen ontologifcfyen £>tnter=
grunb ber DffenbarungStriaS forbert unb biefen in ben göttlichen ©igenfcfyaftsbegriffen :
SJcacfyt, SöeiSfyett, Siebe finbet (©runbrijj ber djr. ©IaubenS= unb Sittenlehre, 4. 2lufl.
§ 77). 2. 2öo man ben Stücfgang auf eine immanente SSefenStrinität für geboten fyält,
|at man fidj meift mct)t bamit begnügt, biefe aus ber Offenbarung ober §eilSerfal;rung
30 ju erfdjliefsen , fonbern in 2Bieberaufnaf)me älterer ©ebanlengänge eine trinitarifcfye ©nt=
faltung beä ctmftlidjen ©otteSbegriffS fbelulatib ju fonftruieren berfucfyt. SJcan ging ba=
bei enttoeber a) bom göttlichen ©elbftbetoufjtfein aus unb forberte ju feinem Vollzug bie
©elbftunterfcfyetbung be§ benfenben ©ubjeftS unb be3 gebauten Dbjelt§ unb ib,re 2Bieber=
auf Hebung in bie @tnb,eit (Sfoeften, ©ogm. II, 1, <B. 204). SDamit bertoanbt ift bie
35 Stnfcfyauung bon granl, ber au§ bem Segriff ber 5ßerfönlic^!eit bie Momente ber ©e|ung,
©efe^tlieit unb ^neinSfciffMig gewinnt (©Aftern ber cfyr. aBa^r^eit I, § 15), bie in ©Ott
ftyboftatifer/ ju benfen feien, unb biefe Äonftruftion baburef) unterbaut, ba^ er in bem
cfyriftlicben §eil§ftanb bie @rfab,rung einer breifacfyen unb boct) einheitlichen göttlichen
^aufalität aufzeigt, nämlicb^ bie ©rfafyrung ©otteg, fofern er ha§ ©dmlbbetbufjtfein be=
40 bingt (33ater), bie ©cr)ulbfreil)eit bebingt (©of)n), bie 23erfe£ung in ben ©tanb ber ©cfyulfc
frei|eit Wirlt (©eift). Ober man fcfylofj b) au§ ©otteg 2öefenSbefiimmtl)eit al§ Siebe auf
ein ©ubjeft ber Siebe, ein eitriges, bon ber Sßelt berfcb,iebenes, ©ott mefen§gleicf)e3 Db=
jelt berfelben unb lief? bie ©egenfeitigleit biefeg SiebeSberfiältniffeg in einem ©ritten jur
Stufte fommen. ©o ©artoriug, ©d)öberlein, ^. 9JtüHer, Wäljrenb Siebner bie %$cn
45 a unb b fombiniert, $. 21. ©orner im Segriff ber Siebe bie Momente ber 5Rottoenbig=
feit unb greiljeit erft unierfcfyeibet, bann ein§ Werben lä^t, &>. Set)fcf)lag bie Siebe burcl;
bie brei Momente ber ©e!bftbeWaf;rung, ©elbftberleugnung unb ©elbftmitteilung b,inburcb,=
geb,enb benft. ©iefe fbe!ulatiben 'Sljeorien gewähren aber ber ftrdjlicfyen STrinität einen
feb,r unficb,eren §alt, ba Weber bie Sbentität bei göttlichen ©ubje!t§ unb DbjeftS noeb,
50 bie ©egenfeitigfeit be§ Siebe§berf»ältniffe§ ein britteg felbftftänbigeS Moment ergiebt, ba§
al§ £r;boftafe gebaut toerben lönnte. ©in älmlicr/e3 Sebenlen läfst aueb, %xanU an fid)
berbienftltcber Sßerfuc^, bie immanente Srinität an bie cr)rtftltc^e ^eil^erfa^rung anju!nübfen,
^urücf. ©a man bie (Srfabrung ©ottes aU be§ bie ©cfmlbfreifyeit bebingenben nur in
unb mit ber ©rfafyrung ber SSerfe^ung in bie ©cflulbfreiljeit l;aben fann, ift aueb, fytx bie
55 Trennung be§ 2. unb 3. DJcomentg in ber göttlichen §eil§faufalität unficb,er unb mebr
ber tbeologifcb,en 3{efIejton als ber unmittelbaren ©rfafyrung angel)örig. 3. ©inen biel
ausgeprägteren ©inn gewinnt bie ©elbftunterfcfyeibung ©otte§, Wenn man al§ ba§
„2lnbere", bon bem fieb ©ott unterfcr)eibet, ntcb,t ein i|m toefenSgleiclieS Dbjeft, fonbern
bie 2öelt benft. ©iefen SBeg baben nacb §egeIS Vorgang ©b- §• Söeiffe unb 33ieber=
eo mann befcb.ritten. 2lüein e§ ift llar, ba^ bie §ereinnabme ber 3BeIt in ben ©elbft=
SrinttSt 121
entfattung^prosef? ©ottei ben biblifdjen begriff ber göttlichen £eüigfett unb bie cfyriftlicfye
Beurteilung ber ©ünbe bebrofyt unb fo gerabe mit ber cfyriftlicfyen £>eililel)re, aui ber bai
trinitartfcfye Dogma erroacbjen ift, in SBiberfyrud) tritt. 4. 2Inbere Wollten bureb, bie
$ücßef)r ju fuborbinatianifcfyen ©ebanfen ber irimtätilefyre eine mefyr bibltfct/e ©eftalt
geben unb äugleicb, Slnftö^e für ba£ Denfen b,eben. ©o ^abmii, ber ben ©ofm unb ©eift 5
aU ,,©ott in bei Söortei feuern unb brittem ©inn" bejeicfynet (Sutfy. Dogm. III, 206)
unb in borstigerer Söeife ^fwmafiui. Sttletn biefe 2Ibfcf)mäcr;ung bei Dogmai giebt
niefrt etmai ^ebenfäcfylicfyei breü, fonbern bie Überzeugung, bie bon ferner feinen sJJerb
auimacfyte, bafj ber cfyriftltdje ©laube in bem gefcfyidjtiicr/en ©rlöfer unb im ©eift mit
©ott in bei SBortei böcbjtem ©inn ©emeinfetjaft b,at. 5. 2lin näcfyften ift einer mirf= 10
liefen sJJeubiIbung bei Dogmai bielleicfyt 9?. Sfotfye ge!ommen. Diei weniger baburd),
bafj feine fbefulatibe ©otteilefyre ©ott ali abfolutei Söefen, abfolute geiftige SRatur unb
abfolute Verfönlicbjeit unterfdjeibet, ein Verfucf), ben er felbft nicfyt ali eine ^onftruftion
ber ^rinität im überlieferten ©inn eingefcfyätjt miffen miß (%t). (Stfytf I, § 37, bgl.
Dogm. I, § 15—22). Söobl aber enthält feine 2luffaffung Dorn |>aubt ber gefcfyaffenen 15
©eiftertoelt unb Dom ©eift ali ber (Sinfyeit bon ©ebanfe unb Dafein bie ©lemente einei
SBegriffifr/ftemi, ba^ bie Vebingungen bei reltgiög=fittltc^en Sebeni mit bem ewigen Seben
©ottei berfnübft. Überbiei bietet fein 21uiblicf auf bie Vluralität ber SSkltfbfyären bie
SKöglicPeit, ber eroigen Beugung De3 ©ofmei unb bem ewigen 2Iuigang bei ©eiftei
ben gebamlenmäfjigen ^nfyalt 3" geben, ber ber fircfylicfyen 2lnfdjauung mit ber Verurteilung 20
ber origeniftifdjen ©belulation berloren gegangen mar. freilief) enthält feine ^on^e^tion
fo Diel inbibibuelle ©befulation, bafe fie in ber broteftantifer/en Stfyeologie jiemlitf} un=
gehört »erfaßt ift (bgl. noeb, £f). @tfy. I3, § 51; III2, § 540). 6. (Sine befonbere Ve=
acfytung barf aud) für bie ©efeb/ief/te beg ^rinitätibogmai 3- Gb/r. ü. ^ofmann bean=
fbrucb,en. Gr b,at mit befonberem ^acfjbrud; nid^t foWof)l bie Vefcfyränfung ber bog= 25
mausen Sluifage auf bie Dffenbarungitriai, fonbern bie Qneinifetjung ber öfonomtfcfyen
unb immanenten Srinität geforbert. Dai Verl)ältnü bon Vater unb ©obm ift ib,m ein
innergötilicfyei; aber ei ift für uni auf ©runb ber ©ebrift nur in feiner gefdncfytlicfyen
©elbftermeifung erfaßbar (©cbjiftberoeü I2, 202). Qnbem er barum jeben Verfucb, ah
le^nt, in ba§ bormeltlicfye Seben ber ©ottb^eit einzubringen, rotE er bai gefdjic^tlic^e 3?er= 30
fyältnig ©otte§ jur SJlenfcb.t/eit in feiner £>eiI§offenbarung unmittelbar jugleicb, sub specie
aeternitatis betrautet miffen. SDamit marfjt er ber Unllarb,eit ein @nbe, mit ber man
in ber älteren Geologie bon emigen Verr/ältniffen ^u reben pflegte, wäbjenb man fie
boeb, ber gefrier; tücfyen Offenbarung in ber &ü öorau§geb,en lie^, ftatt fie als bie auf$er=
Seitlirfie ©runblage ber gefcr/icfytüdjen §eiteoffenbarung ju ben!en. ^n berfelben Sinie be= 35
toegen ftd) aueb; bie 2lu§fagen W. Ml)kvS (Sßiffenfc^aft ber dt;r. Seb,re 3. 21. § 368-375).
$nbem er au<§ ber SDretfalttgJett be§ göttlichen 2ötrlen§ auf eine entf^recb;enbe ontologifcfje
Seftimmtb^eit be§ göttlichen Sebeng jurücffdji liefet, marnt er babor, fie jur fSonftruftion
innergöttlicb.er 3Serb,äItniffe ju benutzen. Sie immanente SLrinttät foH nur baju bienen,
ben Sleic^tum, bie 2lIIgenugfamfeit unb bie Vemeglicb,leit be§ göttlichen 2eben§ ein= 4ü
umrägen. ^nfofern bilbe bie immanente ^rinität einen ©renjbegriff. SC^nltd^e ©ebanlen
finben mir aueb, bei anberen neueren SEb/eoIogen toieber. SSä^renb 21. Siitfc^l felbft fieb,
bamit begnügt (of)ne Nennung bee 2öorte§ ^rinität), 6b,riftug unb bie ©emeinbe als
etoige 3nb,alte beö göttlichen ®en!en§ unb £iebe<3rotllen§ ju bejeicb,nen (3lec§tf. u. Verf. III,
$ 49 unb Unterricht in ber dt)r. Religion 2. 2t. § 46), ift £>. ©cb,ul| baju fortgegangen, 45
ber gefc^ic^tltcb.en ©inmo^nung ©otte§ in ©^rtftug unb ber ©emeinbe bie eroige @nt=
faltung feineö SKefeni in Söort unb ©etft ju ©runbe Itegenb ju ben!en (£ef)re oon ber
©ott^eit g^rifti, XXVIII. Step.). Loftan enb(tdt) betont nactjbrücflicb, , bafe bie trint-
tarifcfien 2tu3fagen nur infofern ©laubeniaugfagen feien, als fie auf ben gefdc>tdE)tIidc>en
GfyriftuS unb bie gefc^icb.tlicb^e Mitteilung bei ©eiftei belogen Werben. @r folgert aber so
baraui — mit Stecht — ntd^t, bafe mir bei ber blofj öfonomifc^en Srtnität ftefjen bleiben
müßten, fieb,t »ielmef)r in biefer unb ber immanenten nur ber gorm nacb, berfet/iebene, im
3nl»alt fongruente 33etracf)tungen beifelben SEb.atbeftanbei. 2öa§ uni bort in ber gorm
ber jeitlicb,en ©ucceffion gegeben ift, ba§ flauen mir liier in jeitlofer 33etracf)tung in ©Ott
felbft fnnein (SDogm. 3. unb 4. 21. § 21). "Damit fd^eint mir bie ^icf)tung belieb, net, 55
in ber bie £rimtät<8lef)re oon ber Dogmatif beb,anbelt fein Will.
5. ©ef)ört (S sum Sßefen bei ©laubeni, im Sßkltltcfyen ein Übermeltlidjiei, im ©cfcf)icb>
liefen ba§ ©mige ju erfaffen (»gl. 33b VI, ©. 680. 682), fo fann fieb, bai religiöfe Verftänbnis
ber §eilggefcf)ic1)te nur fo »olbjiefyen, bafe mir in ber ^erfon bei ©rlöferö unb bem ©eifte-J=
befi| ber ©emeinbe bie emige ©elbftoffenbarung unb ©elbftmitteilung ©ottei feiten, ^ebe 6u
122 Xrinifät
2lnfd)auung, bie unter biefer Sinic ^urücfbleibt, ermangelt ber religiösen guberftcfyt u"k
Klarheit, ©erfelbe El)riftus, ber als ©tifter eines neuen religiösen ©efamtlebens ber
9Jienfd)i)eit unb ifyrer ©efclucfyte angebört, gehört sugleicb, bem etoigen Sebcn ©ottes an,
beffen boEe, nid)t ju überbietenbe Offenbarung er ift. ©er ©eift, in bem toir ©ott als
5 3Sater anrufen unb burd) ben toir in EI)rifii SStlb umgeftaltet toerben, gefjört ebenfo ber
geitlidjen Entfaltung unferes '-ßerfonlebens an, toie er gugletd^ bie ©elbftentfaltung ©ottes
ift, ber feine berfönlicfyen ©efdjöbfe mit feiner ©egentoart erfüllen toill. ^nbem mir aber
in ber gefd)icr;tlicl)en §eilsoffenbarung eine eroige göttliche SBirfung erfennen, entfielt uns
aud) bie Aufgabe, alle anbere ©elbftoffenbarung ©ottes mit bem gefd)tcf;tlid)en Erlöfer unb alle
10 anbere ©elbftmitteilung ©ottes mit bem 1)1. ©eift jufammenjuorbnen. ^n allen gefd;id)t=
liefen güb,rungen ber Menfd)I)eit, bie bas £>eil borbereiten, feiert roir bie offenbarere
Xfyätigfeit ©ottes, bie fid) in Efyriftus fon^entriert unb bollenbet. 2lucf) bie ©cfyöbfung
unferer 2ßelt gehört in biefen ?ßroje^ ber Offenbarung ©ottes mit hinein, fofern fie
©arftellung feiner 2SeisI)eit unb Siebe für bas menfcfylicfye Setoufjtfein ift. ®ies fann
15 man nur beftreiten, toenn man ber JReinung ift, bafj bie Söelt ©Ott mel)r berbirgt als
lunb macr)t. ©er biblifd)e Storne für biefe als Einheit gebaute Offenbarung ift Sogos,
„bas 2Sort", in bem toir nur nid)t eine Erflärung ber Offenbarung, fonbern eine 2lus=
fage bei in iln* gefcf)el)enben göttlichen §anbelns fef>en muffen. 2lHe bie 9Jcenfct;I)eit für
©ott bereitenbe religiöfe $robI)etie ift eine Sßirfung besfelben ©eiftes, ber in feiner güUe
20 ber d)riftlid)en ©emeinbe innetoofynt. Söir bürfen aber aud) nad) bem Vorgang 9totl)es
nodb, roeiter gel)en unb bie 2Birlfam!eit besfelben Söorts unb besfelben ©eiftes aud) in
anberen ©d)öbfungsfreifen borausfetsen als in bem, toeld)em roir jelbft angehören. ©as
r)at anfd)einenb mit ber braftifcfyen grömmigfeit unmittelbar gar nid)ts ju tl)un; aber
mittelbar ftel)t es bod) mit il)r in gufamment/ang. ggjr brücten bamit ben unbedingten
25 2öert au$, ben toir biefen ©elbftertoeifungen ©ottes auftreiben, unb befennen , bafj roir
ofme fie !ein geiftiges ©afein als bollenbet benfen lönnen. 2lud) erreichen roir bamit
nicr)t blofj ben ©ebanfen toieber, ben Origenes mit ber eroigen geugung bes ©ofynes
berbunben I)at, Jonbern machen aud) bie für unfer Sßeltbilb facfygemäfje Slntoenbung ber
bon ^aulus $ol 1, 15 ff. ausgekrochenen %bzz.
30 2Bas fid) aber fo für bie 2Belt in einen jeitnd)en ^rojefs auseinanberlegt, in beffen
Verlauf bas re[tgtö§=fittlic^e ^erfonleben fid) geftaltet, bas ift als ©ottes Stfyat betrachtet
nid)t ein Sterben, fonbern eroige ©egentoart, ber 2lusbrucf feinet unberänberlid)en Söefens.
Qn biefem ©tun feiert toir ©ofm unb ©eift al<3 etoig in ©ott feienb. ©amit ift ba§
£e|te gefagt, toa§ für unfer SDenlen erreichbar ift. SDaö 2öie ber immanenten 'jErinität
35 bleibt uns nottoenbig ©elb,eimnig, toeil feine Kategorien unferes" geitlicfyen ®en!en§ ba^
©toige al3 foldjes erfaffen fönnen unb feine Slnalogicn unferer Erfahrung in bie §öb,e
beö göttlichen ©eins emborreicfyen. ©ott als etoiges ©ubjeft ber Offenbarung ift uns
barum bie @ine, alle güHe ber Offenbarung unb aßen Skicfyium fid; felbft mitteilenber
r/eiliger £iebe in fid) befaffenbe abfolute ^3erfönlid)feit. Stile SBerfucfye, refleftierenb ober
40 fbefulierenb roeiter borjubringen führen entroebcr ju ben blofj berbalen 93efttmmungen,
bie roir aus ber ©efdncfyte bes ©ogmas fennen, ober ju ^Begriffen, bie fid) im ,3ufammen=
fjang bes bogmatifd)en ©t)ftems als roiberfbrucfjßboll erroeifen. hieben toir bon brei $er=
fönen ber @inen ©ottb,eit, fo gebrauchen toir ein unjulänglicljcs S3ilb. 2Bir fagen bamit
l;eute biel mel)r als bie alte £trd)e unter tf>ren §t)boftafen berftanb. ©ie bad)te bie=
45 felben fo elaftifcf), ba^ fie aucb, toteber fäb,ig toaren, fid; ju Einer ^erfönlicfcjeit, Einem
göttlichen ©elbftbetou^tfein unb SöiHen jufammenjufcfiliefeen. Unfer moberner $erfon=
begriff ift biel fc^ärfer gebrägt; er bejeicb,net eine burcb, unübertragbare Slfte bes ©elbft=
betoufetfeins unb ber ©elbftbeftimmung in fidb, abgefd)loffene bf^d)ifd)e £ebensetnb,eit.
©rei ^erfonen in biefem ©inn ergeben nid)t eine numerifcfje Einheit, toie fie bie Kircf;en=
so Ief>re forbert, fonbern nur bie folleftibe Einheit, bie fie bertoirft. Überbies bertoicfelt uns
biefer moberne ^ßerfonbegriff in feiner 2lntoenbung auf bie E^riftologie in bie ©d;toierig=
feit, ba^ toir in Sbjiftus enttoeber bas menfd>lid)e ©elbftbetou^tfein ausgelöfcb,t benfen
ober eine ©obbelberfönlicfjfeit in ifjm ftatuieren muffen, toas beibes ebenfo bem gefd)icb>
liefen Silb bes Erlöfers toie ben Sebürfniffen bes ©laubens toiberftrebt. Ef;er läfet fid;
55 barum bon brei Momenten, einer breifad)en etoigen S3efttmmtl)eit bes göttlichen Söefens
reben. ®as b,at bie tf;eologifd)e ©befulation feit Stuguftin mit mel)r ober toeniger Klar=
b,eit unb Äonfequenj immer angeftrebt. 3CReift ift man bann auf Eigenfcftaftsbegriffe
l)öc£)ften 3f{angs geführt toorben: 9J£ad)t, Söeisfyeit, Siebe ober beffer 3iamacf)t, ©nabe,
§etligfeit. 9tur barf über einer folcfjen ©eutung ber SLrinität bie ^erfönlidjfeit bes er=
60 t)öb,ten El;riftus, an ber bas Qntereffe ber d)rtftlict)en grömmigfeit toefentlid) fyaftet, nicb,t
SriiiUftt Srittitaricrorbeu 123
berfd;minben. Qn il)m, bem 9Jienfd)getoorbenen unb @rb,öl)ten geminnt ©ottes ©nabc
berfönlid;e ©eftalt in ber ©efdricbte unb er Bleibt, mit bem 33ater geeint, baS §aubt
feiner ©emeinbe. Unb mie ©otteS ©nabe in %tfu§ ßbriftuS, fo getoinnt feine baS
Igrbifcbe berflärenbe §eiligfeit ifyre gefcbid}tlid;e ©eftalt in ber ©emeinbe ber (Srlöfung,
bie im ©eift burd? 6b,riftuS mit ©ott berbunben, am emigen Seben teil f>at. 5
SBelcben biefer Söege mir aber im einzelnen geb,en mögen, in feinem gall bürfen
tctr bie immanente SErinität bon ber geoffenbarten trennen unb ib,r als einen felbft=
ftänbigcn ©laubenSbefi| gegenüber ftellen. ©onft fe^en mir an bie ©teile anfcbaulid)er
Segriffe inhaltsleere (Schemata unb lenfen bie religiöfe Betrachtung bon ber lebenbigen
unb lebenfdjaffenben Söirflicfyfett auf bie bürren ©tepben mr/ftifcber Kontemplation ab. 10
©er religiöfe 2Bert ber £rtnitätSlet;re befielt einzig unb allein barin, bie DffenbarungS=
gefd)id)te als bie ©elbfterfdjltefjung be§ emigen ©otteS auszulegen. Qnbem fie bieS tlmt,
geigt fie uns ©ott als ben etoig Sebenbigen, ben abfolut $erfönlicben unb fcbledjtfyin
^eiligen, ber unberfoorren mit bem Seben ber Söelt über il>r ftefyt, aber nichts befto
weniger erlöfenb in ib^r mirft unb feine berfönlidjen Kreaturen fjeiligenb unb befeligenb 15
ju ficfc jieb,t. ©ine ©cfyu^mefyr gegen falfcfje, beifttfdje Sorftellungen bon ©otteS £ranS=
fcenbeng ift unfere SeJjre nur bann, toenn man feine 2BeiSl)ett unb Siebe md)t in einer
jenfeitigen, immanenten ©elbftentfaltung, fonbern in ber innermeltlicben erlöfenben Dffen=
barung anfcbaut. Unb gegen ben ^antfyeiSmuS giebt eS ofmelnn feine anbere mirffame
©c&uijmefyr, als bie ftreng toerfönlidje unb fonfequent ftttltd)e gaffung beS emigen SiebeS= 20
toiEenS, bie uns ber Sßlicf auf bie gefdncfytttclje Offenbarung gur 9iotmenbigfeit madit.
2BaS 9ii$fcb, bon ben 3Sorjügen ber immanenten SBefenStrinität fagt (bgl. oben 2lbfd)n. 4),
baS gilt in Söirf liebfett nur bon einer 2Infd)auung, bie öfonomifdje unb immanente
Irinität in eins fafct.
9tufyt bemnad) bie djriftlicbe SErimtätSleljire ganj unb gar auf ber Offenbarung unb 25
begießt fid; ib,r religiöfeS s-8erftänbniS immer auf biefe gurüd, fo fann man bie immanente
^rinität mit Stecht als ©renjbegriff bezeichnen. 933tr- fönnen bem offenbareren ^Ijmn
©otteS nacbbltden unb eS mit feinem emigen Söefen berfnübfen, aber mir fönnen eS ntdjt
auS biefem als einen benfnotmenbigen ^rojefj a priori fonftruieren. Unfer 2öeg gef)t
barum immer nur bon ber DffenbarungStriaS jur ©infyeit, mäfyrenb mir nicf/t umgefe^rt 30
bie ®reibeit burcb, logifdje ober metabfyr/fifdje ober moralifdie Konfequenj auS ber ©inbeit
enttoicfeln fönnen. Unb mir tlmn gut baran, uns bor foldjer fbefulatiben Slnmafjung
ju fmten; fie bient meber ber d)rtftltd)en grömmigfeit nod; ben mirf liefen Slufgaben unb
^ntereffen ber tfyeologtfdjen Sötffenfdjaft. ^ft aueb, Sfteland^tfyonS Sßort über bie SErinität
in ber erften 2luSgabe feiner Loci ju refigniert , fof ern eS audj bie Off enbarungStrinität 35
unferm ©enfen gu entjieljen fdjeint; für bie immanente SLrinität als folcr/e behält eS
boa; fein Stecht: Mysteria divinitatis rectius adoraverimus quam investigaverimus.
D. mxn.
Srinitorierorbcn (Ordo ss. Trinitatis redemptionis captivorum). — Sie imcb=
tigften Urfunben finbet man im Bullar. Eoman., citiert ift natf) ber Muriner StuSgabe 1857 ff. 40
Sie beiben SRearfn fteben auef) bei £oIfiemug=58roclte, Cod. reg. II ©. 3 ff. SSgl. Gallia
ehr. VIII g.1731 ff.; Joh. a S. Feiice, Triumphus misericordiae i. e. s. ord. SSS. Trinitatis
institutum redemptio captivorum, Viennae 1704; Florian, a S. Josepho, Chronicon discal-
ceati ordinis S. Trinit. de red. captivorum, $rctg 1726; §e!t)ot, Hist. des ordres monasti-
ques II, 310 sq., beutfetje UeBerf- ©. 366 ff.; g-. |>urter, ©efet). ^nnoc. III. '11. f. Seitgen. IV, 45
213 ff.; ©melin, Sie ßitteratur %m ©efd). be§ örbenS St. Trinitatis unb Mar. de Mercede
redemptionis captiv., ßarlSrufie 1870 (au§ ©erapeum, 33. XXXI ©.81 ff.); ©. H£)lbürn, 2>ie
c^r. Siebe§tf)ätigteit im ^tttelaitev, Stuttgart 1884, ©. 285 ff. 496 ff. ; £>etmbucE)er, 3^ 0rben
unb Kongregationen ber Jatt). ®trcf)e I, ^aberborn 1896 ©. 427 f.; König im Ä2. XII'2;
$. S)e§lanbreS, L'ordre des trinitaires, 5üouIoufe 1903, 2 S3be. 50
©er SErmitarierorben, Drben bon ber ©nabe, aud) Drben ber ©felSbrüber (Ordo
asinorum, meil bie DrbenSglieber anfangs nur auf ©fein reiten burften), fomie fbejieU
in granfreid; SJJaturiner (naef) ber i§nen gel)örenben Kabelle ©t. SRaturin ober ©t. sJDtatb, elin
in $aris) genannt, mürbe im ^afyre 1198 bon ^of)ann be SDktfya unb gelij bon 35aloiS
geftiftet. Sie legenbarifdse DrbenStrabition meifs über ^D^nn oe 9Jiatr;a, bafc er um 65
1160 als ber ©olm bornebmer ©Itern -m gaueon in ber ©raffd)aft TO^a geboren mürbe;
er mibmete fid) bem geiftücben ©tanbe, ftubierte in Slir. unb in ^]ariS, erlangte 119:1 bie
tbeologtfd;e ©oftortoürbe unb mürbe bei ber erften 3Reffe, bie er als ^]riefter fnelt, mit
einer 3Sifion beglüdt. ©in meif? gcfleibeter ©ngel mit einem roten unb blauen Wreuje,
an jeber ©eite bon einem mit Ketten gefeffelten ©f laben begleitet, foll ib,m erfd)ienen fein; 60
Sodann be 9Jcatl)a foll in biefer @rfd)einung bie 3lufforbertmg ©otteS erfannt fjaben, ber
124 Srtnitartcrovben
Sosfaufung bort ©efangenen aus ben £>änben ber Ungläubigen ftcb, ju Wibmen. $ur
Weiteren @rforfcf;ung beS göttlichen SBtHenS 30g er ftcb, in bie ©inöbe eines SöalbeS bei
gerfroib (cervus frigidus) in ber ©iöcefe SReaur. jurücf; b,ier fanb er ben ©infiebler
gelir. bon SaloiS, bem er ftcb, anfcf)Iof$. ©ie Segenbe berichtet Don einer Reiten 3Stfion :
5 ©ie beiben ©enoffen, in fromme Betrachtungen berfunlen, erblicfen einen Weifeen §irfcb,
mit einem üreuje jWifcfjen ben ©langen beS ©eWeifyeS; baS $reuj mar ganj fo, Wie eS
be yjlatfya bei ber SJlefjfeier an bem (Sngel bereits gefeiten fyatte. ©ie glaubten, bafe fo
jene Slufforberung ©ottes bon neuem ftcb, ifynen funb gebe. Slun gingen fie nacb, Siom
unb festen ben lurj jubor (8. Januar 1198) auf ben bäbftlicfyen ©tuf)l gelangten
10 ^nnocenj III. bon ifyren SSifionen in Kenntnis, fowie bon ifyrer 2tbfid)t, ftcb, ber £oS=
faufung gefangener ßbjiften auS ben §änben ber Ungläubigen ^u Wibmen. $mtocenj
beschäftigte fid), Wie bie Segenbe weiter berichtet, im ©ebete mit ber ©acfye, unb f;atte bei
einer Sftefjfeier bie gleiche @rfct;emung, mie be Sftatfya. ©araufljm geftattete er bie ©tif=
tung eine§ DrbenS, beffen ©lieber ben oben bezeichneten Manien führen füllten. ©0 bie
15 Segenbe. ©ie urlunblidjen Stacfyricfyten über bie ©ntfte^ung beS DrbenS Wtberfbredjen il>r
jeboct). ©ie ältefie Urlunbe ift ein ^ribilegium ^nnocenj' III. bom 16. SJtai 1198
Oßottfy. 189). SRact) bemfelben beftätigt ber ^3abft bem Sruber ^ofyann unb ben übrigen
Srübern beS Kaufes ber ©reieinigfeit in ©erfrotb ibjen Sefi|, befonberS baS angeführte
§auS, baS bie ©räfin SJlargareta bon Surgunb beljufS Befreiung ber ©laubigen, bie in
20 ©efangenfcfyaft ber Ungläubigen geraten waren, ber Sruberfctjaft gefcfyenft batte, fomie
anbere ju bem gleiten .gWecf ib,r übergebene 33efüjungen. @r beftimmt jugleicb,, baf; bie
gegenwärtigen unb fünftigen §äufer ber 93ruberfcfyaft ifyrem gtoeefe nicfyt entfrembet
Werben bürfen (a statu illo in quo eas deliberatione provida ordinastis, videli-
cet ad redemptionem captivorum vel ad observantiam vestri ordinis et in-
25 stitutionis nullius praesumptione temeraria valeant immutari). ^ternacb, geljii bie
©ntftefmng ber Srubcrfctjaft ber 9tomreife IJofyannS einige 3e^t borauS unb mufs eS un=
entfcfyieben bleiben, ob ber ©ebanfe, für bie ^Befreiung cfyriftlidjier ©efangener ju arbeiten,
^ofjann be Sftatfya ober ber ©räfin bon SBurgunb gehört. Skcb, ben SOßorten ber Urlunbe
ift baS legiere Wafyrfdjeinlictter als baS erftere. ©anj in ber Suft ftefyen UE;If;omS 23er=
30 mutungen, ber ben Urfbrung beS DrbenS auS bem ©inbruet" beS $atls bon ^erufatem
1187 unb ber in ©t. Victor bei ^ßariS fyerrfcfyenben ©timmung ableitet, ©. 286 f. ©ine
2. Urlunbe ^nnocen^' III. bom 17 ©ejember 1198, $otty. 483, geigt, baf$ baS $ribi=
legium bom 16. SJiai nur als borläufig betrachtet Werben foEte. ©enn nun b,ören Wir,
ba^ Qnnocenj ^ob,ann nacb^ granlretd) jurücfgefanbt batte, um (Smbfe^Iungen bon bem
35 Sifdjof bon ^ßariö unb bem Slbte bon ©t. SSictor ju erholen. 3JJit bcnfelben unb mit
einer Slbfdjrift ber Stege! bes> Kaufes ber ©reieinigleit lehrte er naef) sJ?om jurücf unb
nun erteilte ber $abft bie auSbrüdlicb,e Seftätigung ber Siegel, bie er aber borb,er in
einzelnen ^unlten abänberte.
©ie Siegel forbert, baf} bie Srüber in ©ef)orfam gegen ben „minister" be§ §aufe§,
40 in l£eufcfyl)eit unb ob,ne ©igentum leben. ®ie einzelnen §äufer follen bon je brei Hlerifern
unb brei Saien unter einem minister beWofynt Werben, ©er le^tere raufe ^riefter fein
unb Wirb bon ben Srübern gewählt ; er b,at jeben ©onntag ein üabitel mit ben Srübern
feines §aufeS ju galten. Sin ber ©bi|e beS ganzen DrbenS fte^t ber minister maior,
ber baS jä^rlic|e ©eneralfabitel an ber ^Pfingftoftabe ^u galten bat. Slufeerbem lommt
45 il)m bie ©iSjiblin über bie ministri minores ju. ©er ©rreicfyung beS DrbenSjWecfeS
bient bie Seftimmung, bafe bon allen ©tnlünften — foWof)l ©efefeenfen als bem ©rtrag
beS ©runbbefi^eS — ber britte Xeil jur Befreiung ber ©efangenen jurüdgelegt Werben foß.
Slu^erbem entbält bie Siegel Seftimmungen über bie 2ebenSb,altung in ben Käufern, bie
DrbenStracb,t, bie gaften, bie Stufnalmte neuer 3Jätglieber u. bgl. ©aS §orengebet u. a.
50 foll naef; ben ©eWobnlteiten bon ©t. SSictor beobachtet Werben. @in neues ©cfyut5bribi=
legium erteilte ^nnocenj bem Drben am 18. ^uni 1209, $oitfy. 3744.
21IS erfter minister maior fungierte 3°^ann ^ 3Katb,a. ©c^on ^m^^cenj III.
gewährte bem Drben Stufnalmie in Slom; er übertrug ib,m bie Strebe unb baS ©bital
©. ^ommafo in gormiS auf bem (SäliuS (f. Reg. d'Urbain IV Sb I Sir. 27
55 ©. 8 bom 25. Dltober 1261). ©in Weiblicher 3toeiS bi$ DrbenS entftanb Wenige ^ab^re
nacb, ber ©rünbung in ©banien; boeb, Würbe er erft 1236 befinitib lonftituiert ; bie
erfte ©uberiorin ber Sionnen War bie 3nfantin (Sonftantia, eine ^oefeter beS Königs
«ßeter II. bon Slragon (§elt)0t ©. 396 ff.).
©er ^rinitarierorben gelangte rafcb, ju feftem Seftanb; eS embfab,Ien tbrt bie großen
60 ©rfolge ber ©efangenenbefreiung. 1199 gingen bie erften ©enblinge naef) SuniS; eS
£rimt(merorbcu SrtSljagion 125
gelang ibnen eine 2lnjat)I ßfyriftenfiTaben lo«jufaufen, 186 Würben int 33riumbl) nad;
Gerfroib geleitet. 3- be 9Jtatf)a fiarb 17. ®ej. 121:5 in SRom; im Safyre Dörfer War
gelir, bon 23aIot« in *J$ari« geftorben.
23on §onoriu« III. Würbe ber Drben, ber ftd; bomefmtlid; in ben romanifcfyen
Säubern, aber aud; in ©nglanb, ©dwitlanb unb $rlanb unb im Dften ausbreitete, bon s
neuem beftätigt (Bull. Rom. III ©. 315 Dorn 9. gcbruar 1217). Giemen« IV liefe
bie Siegel rebibieren, Wobei fie in einigen fünften gemilbert Würbe (III, ©. 786 bom
7. ©ejember 1267). Giemen« VII. gemährte bem Drben ba« Siecht, für feine .groeefe
ailmofen ju fyeifdjen (VI, ©. 65 ff. bom 17 2lbril 1524).
©o Wenig al« irgenbein anberer Drben fnelt ber ber Slrinitaricr an ber urfbrüng= 10
liefen ©trenge feft (bgl. fd;on Reg. d'Urb. IV 23b 1 5Rr. 22 ©. 10 bom 13. SRobember 1261);
ber 23erfaH führte ju mancherlei 9teformberfud;en unb biefe rote geWöfmlid; gur ©baltung
be« Drben« in berfd;tebene ^toeige. 2lm Wicfyttgften ift bie @ntfiel;ung ber Kongregation
ber unbefdjubten ^rinitarier (Congr. Discalceatorum ordinis ss. Trinitatis). 3f>re
Heimat ift ©banien; fie Würbe 1599 bon Giemen« VIII. al« eigene Kongregation an= 15
erfannt (Bull. Rom. X ©. 529 bom 20. Sluguft 1599), unb gewann aud; in %xani-
reieb. unb Italien 2tu«breitung. $aul V ertlärte fie 1609 für einen 23ettelorben unb
gewährte ifyr alle ^ßribilegien ber SJienbifanten (XI, ©. 608 bom 15. sDejember 1609,
bgl. aud; feine Grlaffe bom 24. ©ejember 1609, 10. gebruar 1610 unb 14. 2tuguft 1613
2. 612 ff.). 23i« 1636 ftanb bie neue Kongregation tro£ aller 23erfct)tebenf)eUen unter 20
bem ©eneral ber fratres calceati. Tantal« erft erjmiertc fie Urban VIII. bon beffen
3uri«btftion (XIV, ©. 518 bom 28. gebruar 1636).
Über bie §aubtfad;en, bie $al;I ber Konbente unb bie Grfolge be« Drben« in ber
©efangenenbefreiung, roaren Wir big auf SDeSlanbre« fcfylccbt unterrichtet. SC. König nimmt an,
bafj ber Drben in ber $eit feiner fyöcbjten 23Iüte, bem 15. ^abjfyunbert, ungefähr 880 §äufer 25
gejagt fyabe (KKS XII2 ©. 89), |>elr,ot giebt für feine £eit (1. |jälfte be« 18. 3af;rl)unbert«)
ungefähr 250 in ben 6 franjöfif5;en, 3 fbanifdjen, ber italienifcfyen unb ber bortugififdjen
^robinj an (©. 374), 23raun«berger (©timmen au§ 9Jiaria Saacf), ©rgänjungeljeft 9ir. 79,
1901) teilt mit, bafe bon 87 fbanifd;en "jErinitarierflöftern 1835 47 aufgehoben rourben
(£. 15) unb bafj 1782—90 bie 6 öfterreicl;ifcl;en Konbente ber 2tuflöfung bcrfielen (©.25). so
2Itte biefe Qafykn, mit 2tu«nabme ber bon 23raun«berger, finb ju grofs; £)e«Ianbre« toeift
für granfreieb, unb bie 3RieberIanbe 102 Konbente nad;, bon benen am Gnbe be« 18. ^ai)x=
Inmbert« 93 nod) beftanben, in Gnglanb gab e« 11, in ^rlanb 1, in ©dwitlanb 7 Konbente.
2Ba« bie ©egenWart anlangt, fo ift nad; 23raunsberger ©. 54 ber Drben ber unbefdjmr/ten
irinitarier 1894 au«geftorben, wogegen fid; bie befdmfyten ju neuer S^ättgfett __ auf= 35
rafften unb um 1898 roteber 22 Klöfter befajjen, 1900 ilp SBieberb/erftellung in Dfter=
reidt) erlebten, ©agegen läfst 21. König bie befdmfyten ^rinitarier au«geftorben fein unb
bie unbefd>ub,ten nod; fortbestehen. ®ie le^tere Stngabe ift im 3ted)te. Wafy ^ß. W. 33aum=
garten, Kird;!. ©tatiftil, 2Sbri3t)ofen 1905 ©. 182 b,aben bie unbefd;ub,ten SLrinitarier
in 9tom gegenwärtig 4 3Rieberlaffungen unb finb bie beiben ^3farr!id;en ©. ©rifogono 40
unb S. ^Diaria beßa gornaci in tt)ren §änben. 2)er toeiblidje 3roet9 be$ Drben« fdjeint
nie großen Fortgang gehabt gu fyaben; er jäl;lte fdjon gegen @nbe be« 18. ^alirfjunbert«
in ©banien, feinem §aubtfi£, nur 10 Klöfter (21. König ©. 89). 2Sa3 bie Seiftungen
ber £rinitarier anlangt, fo |at ^5. ®an, Hist. de Barberie, ^ari« 1649 ©. 451 ff. bie
■3<u;I ber bon 1198—1640 aufgeführten 3tebembtionen, b. i. ber im Stuf trag be« Drben« 45
unternommenen 93efreiung«reifen, auf 363 berechnet, bie gafyl ber babei befreiten ßfyriften
auf 30 720. 21. König folgt einer anberen 33eredmung, bie auf 900000 befreite 6f;riften
fommt, unb rechnet Weiter, bafe ber Drben bterfür 5400 000 000 %x. auggegeben b,abe. ©a«
ift natürlid; ein ©ebäube au« Suft. 3JJan Wirb nur ©melin juftimmen !önnen, ber eine fixere
33ered)nung ber $aty ber befreiten für unmöglid; b,ält; ®an« ftafyhn erflärt er für biel ju 50
niebrig, bie 900 000 natürlid; für übertrieben; bgl. ©e«lanbre«I ©. 436. (Wcubetfct f) §™ä-
2:rimtatiöfeft f. b. 2121 gefte 33b VI ©. 55, 66 unb Kird;enjal;r 23b X ©.398,i.
2;ri»I)09tonr liturgifd;. — Sttteratur: ^Irt. (Sudjariftie 23b V ©.:")('.."), 2n ff. ; 3o().
Jamngcenu§, Epistola ad Jordanem Archimandritam scripta de hymno Trisagio. opera
ed. Lequien, Venet. 1748, I, p. 480 ff.; ©uicer, Thesaurus ecel.. Amstelaed. 11182. s. v. 65
Tijimytov, p. i:U0; ^eter 9lHir, De Trisagii origine, Rothom. 1074; @. .3. SSattmgorten,
Disput, de historia Trisagii, Halae 1741 ; iötngt)ant=©rifd)üliiu§, Origines sive Antiquitates
eccles. VI, Halae 17'28, p. :i7ff. unb p. :-U5 ff.; 9}euaubot, Liturgiarum Orient, collectio,
Francof. ad JMoeu. 1847, 1, p. 207 ff.; II, p. 69. 591 ; ££)alf)ofev, £cmblmd) ber fatt). öiturqit II,
greibuvg i. S5. 1890, @. 183 ff.; »fietfdjet, i»et)rbucl) ber Siturqif I, Söertin 1900, S. 379 ff.; 60
126 £rt§J|agiott
SBaumftarf, 5)ie SJJeffe im Worgenlanb (Sammlung ®öfel), Kempten unb Sftündjen 1906,
<S. 133 ff. unb 170 ff.
Wti bem 2Iu§brucf SlriSfyagion begeidmet man in ber Siturgtf jWei bcrjd^tebene
gormein, nämlicb, einmal ben au3 ^ef 6, 3 fiammenben ©efc tg beg ©retmalfyeilig ; er
5 Wirb aud) mit folgenben 9?amen begeidmet : Sanctus (fo am b, äufigften) ober Tersanc-
tus, cantus ober hymnus seraphicus ober cherubicus, hymnus gloriae; im
©riedjif d)en : xqioayiog vfxvog ober au$ v/uvog imvixiog. ©obann trägt tiefen 9iamen
aucb, bie gormel: ,"Ayiog 6 fieos, äyiog io%voog, äyiog ä&ävaxog, ilerjoov fjfjiäg"
@<8 Wirb alfo im golgenben bon Reiben gormein bie Siebe fein muffen. 2Bir beginnen
10 mit ber erften.
1. ©er Sobgefang au§ Qef 6, 3 fiefyt, in mel)r ober weniger beränberter gorm unb
mit mefyr ober weniger berfcbjebenen gufä^en, in allen Siturgien be§ Dfteng unb beS
SJÖeftenS, unb gWar ber Siegel nad) in ber ^räfation ber 9fteffe, unb fyier meift nad) bem
<Sct)ö^fung§pretä ©otte§ unb bor bem $)anf für bie ©rlbfung. £)ie LXX überfeinen
15 3>^f 6? 3: "Ayiog, äyiog, äyiog xvoiog aaßa<x>&, 7ikqor)g näoa fj yfj xrjg döirjg av-
xov. 33ergleicb,t man bamit bie gorm beS ^riSfyagion in ben öftli^en Siturgien, fo ift
gunädjift bemerkenswert, bafj alle Siturgien in ber ^Weiten geile neben bie @rbe ben
£>immel, begVü. bie £>tmmel gefegt b,aben, Wäfirenb fie ba§ „gang" (näoa) bei @rbe ge=
tilgt l)ahm. Stufjerbem aber ergeben fid) beutlicb, brei berfdnebene ©rubben in ben
20 Siturgien. Sie erfte b,äli ftcb, infofern an ben ©runbteri, bejto. bie LXX, aU fie in
ber erften geile xvgiog unb in ber ^Weiten avxov beibehält; bafyin gehört bie fog.
flement. Siturgie im VIII. Sud) ber aboftol. Äonftitutionen (c. 12; bei Skigfytm.
p. 18, 32 f.; bei gunf, Didascalia et Const. apost. I, p. 506), bie bemnad) ba§ SLri§=
|agion in folgenber gorm bietet: "Ayiog, äyiog, äyiog xvqiog oaßacb'&, nlfjQrjg 6
25 ovgavbg Kai fj yfj rrjg do^rjg avrov. gerner gehört ju biefer ©rubbe, wenn man bie
erfte geile ergänzt, bie antiocfyenifcfye Siturgie, Wie fie um§ ßfyrbfoftomusj jeigt (bei 33rigr/tm.
p. 474, 14 f.), unb enbticb, bie ältere ägbpttfcfye (Srigb,tm. p. 505) unb bie ätfnobifdje
Siturgie (bei 3ienaubot, Lit. Orient, collectio I, p. 489). ®ie gWeite ©rubpe r)ält
gWar in ber erften geile ben 9?ominatib xvgiog feft, erfe|t aber in ber ^Weiten ba§
so avxov burd) oov : fie ge^jt alfo fcfyon gur Stnrebe an ©ott über, ©o ift es> ber gaH in
bem eudjariftifcfyen ®?Ut be§ ©erabion ("ZU, %i% II, §eft 3b p. 5; bei gunf a. a. D.,
II, ©. 174), in ber SRarfuöItturgie unb in ber Siturgie ber fobtiftfjen ^afobiten (bei
Srigfitm. p. 132, 8f. unb p. 176, 2 f.), wo aKerbingg bie jWeite Qdk aufjerbem nod?
einen 3uial enthält: jikrjQrjg 6 ovoavbg xai fj yrj rrjg äyiag oov öög'rjg (bgl. aua)
35 ®enjinger, Ritus orient. I, p. 206), unb enblicb, gehören b,ierb,er aud^i bie !Ieinafiatifcb,=
b^antintfc^en Siturgien (bei 53rigt)tm. p. 323, 29 f.; 385, 9 f.); bgl. aud^ aboftolifd^e
^onft. VII, 35. 3)ie britte ©rubbe b,at ba§ game 2;ri§b,agion in bie gorm ber 3ln=
rebe umgegoffen, toa§ offenbar bem ©ebetgcfyarafter entfbricbt, ber an biefer ©teile
ja audj ber fyerrjcfyenbe ift. ©a§ xvgiog ift alfo in bie Slnrebe xvqie berWanbelt. ©o
40 geigt ftcfr/S in ber f^rifd^en unb gried^ifd^en ^afobuöliturgie (9tenaubot II, p. 31 unb
Srigbtm. p. 50, 32 f.) unb in ber armenifc^en Siturgie (Srigfytm. p. 436, 13f.). 2lu|er=
bem b,at ficb in ber ftyrifcfjen ^afobu^Iiturgie unb in ber armenifcfyen ju bem „§err" noa)
ein ,,©ott" b,inpgefellt. (Sie in 2tbf 4, 8 gebotene gorm be§ ^riö^agion finbet fidj allein
Wieber in bem gragmcnt beö tobtifcfyen Dftralon, ed. ßrum: Coptic Ostraca, Sonbon
45 1902, p. 2). ©in Weiterer bead^ten^Werter Unterfd^ieb jtoifcfyen ben liturgifc^en formen
be§ Xriäfyagion ift ber, ba^ in einer 3ieil)e bon Siturgien an baSfelbe fi^ bie ©teile
^Sf 118, 26 in ber gorm bon 9Jit 21, 9 (cboavvd reo vlw Aaßid' evloyrjjuevog 6
ipxo/usvog iv övojuaTi xvglov, djoavvä iv xolg vxpioxoig), ba§ fog. SenebiftuS, an=
fd)lie§t, Wäb,renb anbere Siturgien ba§ nid^t fyabm. 9täf>ereg barüber fiefye in bem Slrtilel
so „Süurgifcf/e gormein" 4. §ofanna 33b XI, ©. 551 ff.
£)ie römifer/e Siturgie — um jum 3Seften überzugeben — f>at im Sacramentarium
Gelasianum folgenbe gorm be§ ©anftu§: „Sanctus, sanctus, sanctus, Dominus
Deus Sabaoth. Pleni sunt caeli et terra gloria tua. Osanna in excelsis.
Benedictus qui venit in nomine Domini. Osanna in excelsis" (Sacr. Gel. ed.
55 Wilson p. 235). ®iefe gormel geigt beutlid^ bie SerWanbtfd^aft mit ber ber fr/rifdfp
^afobu^liturgie („Sanctus, sanctus, sanctus es Domine Deus Sabaoth. Pleni enim
sunt coeli et terra gloria, honore et majestate tua Domine. Hosanna in ex-
celsis. Benedictus qui venit et qui venturus est in nomine Domini. Hosanna
in excelsis", 9f{enaubot II, 31), nur bafj b,ier fieb, einige Bufä^e finben. 33efonber§
60 Widrig aber ift fner Wie bort bie ecb,t femittfcfye gormel Dominus Deus (bgl. a'ueb.
SrtSljagtoit 127
2lbt 4, 8), ferner ba3 „tua" im jtoetten ©lieb, enblicb, bte bbUig berroanbte ©trultur
ber gormel auö sDct 21, 9. 2tucb, an biefer ©teile berrät fid) roteber ber Don mir aud)
fonft Behauptete ©irtflujg ber ffyrifd;en Siturgie auf bte römifd)e. 3lad) bem über
pontific. fyat ©tr.tu3 I. (119—128?) ba§ ©an!tu§ in bte Steffen eingeführt, unb jroar
aU gemeinfamen ©efang be3 ganzen $ßolfe§ unb ber ^riefter. ®ocb, fannte bte römifcfye 5
Siturgie (bgl. unten) ba3 ©anftuS fcfyon jur 3eit bes SBtfd^ofö 6Iemen§ (I. Clem. 34, 6).
— 25te fonftigen meftltcfyen Siturgien jeigen an biefer ©teße, fomeit ftd) ba€ übcr=
bautot beobachten läfjt, fcf/on ben römifc|en ©influfj. Qn *>er mo^arabifc^en Siturgie
finbet ftcb, jebod) in ber gormel: „Pleni sunt coeli et terra gloria majestatis tuae"
(MSL 85, 116) unb in bem (p. 484) griect)ifd) erhaltenen Anfang ber gormel eine noch. 10
ftärfere 33ermanbtfd)aft mit ber fbrifd)en Siturgie, als mir fie fd)on bei ber römifd)en
feftftellen fonnten.
äöäfyrenb im Dften ba3 ©anftuS ebenfo mie ba<§ §8enebiiiu§ ber ©emetnbe ber=
blieb, bat SRom biefen ©efang fdjon frülb ben ©ubbiafonen in ben 3JJunb gelegt (t>gl.
Ordo I, n. 16 unb II, n. 10 bei SKabiKon, Iter italicum II, p. 12 ttnb p. 47); 15
feit bem 12. Qab/rfmnbert fingen itm, unb fo ift e§ nod) b,eute überall in ber rbmifd)en
$ird)e, bie ßfyorfänger. 3m früheren SRittelalier fang aufjerfyalb 9iom€ Ejter aud; noeb,
bie ©emeinbe mit.
•Dian toirb toon bomfyerein annehmen tonnen, bafj biejentge §orm be3 SCriäbagion,
bie fid) am meiften nod) an ben ©runbtejt Don $ef 6, 3 b, alt, bie ältere ift. 2öenn biefe gormel, 20
roie ia) ftdber glaube, au§ ber jiibifdbert Siturgie in bie cfyriftltdie gekommen ift, fo bat fid)
bod) feb,r ir>al)rfd)etnlicb, bie jübtfcfje Siturgie mbglidjft nab,e an ben Urtejt gehalten. ®aj$
aber ber liturgifcfye ©ebraueb, biefeS SrtSfyagion in bie älteften djriftlidjen fetten fyinauf reicht,
ift aufjer gmetfel. ®a§ bemeift bas> 23orfommen biefer ©teile in I. Clem. 34, 6, roo fie,
ganj toie in ber Siturgie, auf§ engfte mit SDa 7, 10, unb ^mar in ber (Einführung, berfrtütoft ift 25
(»gl. ©remS, Untersuchungen über bie fog. dement. Siturgie u. f. m. I. Sie dement.
Siturgie in Sföom. Tübingen 1906, ©. 21 f.). SDajj 6lemen§ f>ier au$ ber Siturgie unb
nid)t au§ bem biblifd)en STejt citiert, gel)t aud) barauS I)erbor, bafj er für yrj ben weiteren
Segriff xnaig b,at, ber fid) offenbar ftoäter, bielleicfyt au3 -äftljettfc|=rfyr)tl)mtfcr)en ©rünben,
in 6 ovQavög xal fj yrj gerlegt I)at. 2lucb 2ty! 4, 8 erfcfyeint ba£ SriSfyagton, unb ^tt>ar 30
toieber in einem gufammenfyang, ber auf bie Siturgie binbeutet. gerner finbet fid) in
ber Passio Perpetuae et Felicitatis (3tuinart, Acta mart. p. 98) bei ber ©djilberung
einer ÜBifion ber ^erbetua, in ber fie bie @ucf/artftie embfängt, bie ©teile: et introivimus
et audivimus vocemi unicam: Agios, Agios sine cessatione. 2Iu3 gleicher, bejm.
fbäterer geit bezeugt ba§ %x\üj agion SEertußian (de orat. 3), SSictor SSitenfiS (de persecut. 35
Vand. III, 23 MSL 58, 234), 3Mgiliu§ Don 2b,abfu§ (de trinit. 12 MSL 62, 324).
6lemen§ 2lleranbrinu§ fbielt auf biefen §t)mnu§ an, menn er Strom. VII, 7 fagt, bafj
bor unb bei ber @ud)ariftie ahoi, ev%ai, evrsv^sig x&v yqacpwv, xpaXfiol xal v/uvoi
unb ein honoieiv reo §eico %oqöj ftattfinben. SSgL and) Stmbrofiug, Expos, evang.
LucaeVII, 120 CSEL XXXII, 4, p. 333; Apol. proph. David V, 20 CSEL XXXII, 40
2,_ p. 311 u. a. SDafj bie älteften (Ebriftert bei ber euebartftifeben geier biefen ©ngelggefang
toieberb, ölten, beruht auf ber 2lnfd)auung, ba| bei ibjem ©otteöbienft ber §immel offen
ift unb bie (Sngel gegenmärtig finb: Sie irbifcfye unb bie ^immlifdie ©emeinbe feiert
gleichzeitig ©otteöbienft (bgl. i. 21. barüber %fy. §arnad, ®er c^riftlid^e ©emeinbegotte§=
bienft, (Srlangcn 1854, ©. 398 ff.). SDtefe SorfteHung murmelt aber gänglicb im jübifebert 4ü
ßngelglauben. ©enn and) bei ben jübtfct)en ©abbatb,mal)l3eiten finb bie @ngel gegen=
toärtig (». b. ©ol§, 5Eifd)gebete unb 2lbenbmab,I§gebete, Seidig 1905, ©. 7, %\X 5Rg
8b XIV, §eft 2b), unb ^auluö fe£t bie ©egentoart ber @ngel im ©otteäbienft ber ©e=
meinbe einfacb, alö eine allgemeine 33orftellung boraug (1 ^0 11, 10). 9Jun b^aben aber
bte ^uben aud) felbft fcb,on bag jefaianifc^e Srüb/agion fultifdb, bermenbet. ©0 mürbe e3, bo
^öcfift ma^rfcb.einltcb, fdjon jur 3ett ^efu, in bem erften ©egenSfbrud) bor bem ©cb, ma am
borgen gebetet ©iebig, Seraa)otb, Tübingen 1906, ©. 32 ; bgl. aud) 3tenaubot, lit. or.
coli. I, 208). sJcacb, 9Jtaimonibeä ferner mürbe bei ber brüten ©anffagung be3
3d9mone=6öre baö Sanctus, Sanctus, Sanctus remitiert (Vitringa, de synagoga
vetere 1070 f.). 55
_ 2Ba§ aber bie 3Serbinbung be§ Srt^agion mit 3Jct 21, 9 (- ^f 118, 26 f.) be=
trifft, fo bermeife id; auf ba3 bon mir im 3lrt. Siturgtfd)e gormein, 33b XI, 551,3ßff.
©efagte. SDajj man ben 9{uf sDtt 21, 9, auf ba§ kommen ^efu im Elbenbmab,! be^og,
fe|t ftt^on biel ^eflerjon borau§. Serftanb man tbn aber fo, fo batte biefe ©teile il)ren
ßegebenen ^ßla^ rttebt beim Xri^^agion, fonbern bor bem wtrEIicfyen ©enu^, unb ^ter er= eo
128 SriSfiagiott
fcfyeint fie bann aucf) in ber clementimfcfjen Siturgie (33rig£>tm. p. 24, 27 ff.)- ®^ gor=
mein alfo, in benen Qef 6, 3 unb sIRt 21, 9 miteinanber berbunben finb, bürften auf fein
aü%u fyofytä 2llter 2tnf^ruc| machen fönnen. —
2lu? ber römifcfyen -Ifteffe fam ba? £ri?f?agion aucb, in ben Iutb,er. 2tbenbmal)l?=
5 gotte?bienft. Sutfyer ftellte c? in ber Formula missae (1523) hinter bie @infet$ung?=
toorte (@2l opp. var. arg. 7, p. 9 unb 2Ö21 12, p. 212); 1526 aber, in ber „beutfctjen
SJJeffe", erfetjte er e? burd) bie beutfcf/e Sichtung: „S^ia bem $robl)eten ba? gefcljab/'
(@2I 22, ©. 242 ; 2S2I 19, ©. 100), Wobei aber ba? Senebiftu? Wegblieb. ®ie 2Jcelobte
$u biefem „beutfctjen ©anftu?" §at Sutfyer felbft gefegt ($öftlin=$aWerau, SJcartin £utl)er
io 5. SCufl. II, ©. 15 unb 20). Sutfjer? Vorgang Würbe natürlich, bielfactj für bie ib/m folgenben
^ircb^engebiete mafsgebenb: balb fcblof$ man fid) ber Formula missae, balb ber „beutfdjen
3Jceffe" an (bgl. barüber 9Mf)ere? bei SRtetfc^el, Siturgif I, 432).
®ie neueren lutfyerifcfjen 2lgenben l)aben faft au?nafym?lo? ba? ©anftu? mit bem
§ofanna unb 93enebiftu§ berbunben unb an ba? >ßräfation?gebet angefügt. n ®a?
15 „beutfcfye ©anftu?" Sutfyer? aber: „^efcua bem ^robfyeten" ift nirgenb? mefyr in Übung
(3ftietfcr,el a. a. D., ©. 542). —
©ie beutfdjen ebangelifdjen ^Jlefjorbnungen bor Sutljer? „©eutfdjer SCReffe" b)aben
ba? ©anftu? fämtlicf; beibehalten; fo bie Drbnung bon Dfolambab 1523 (©menb,
©ie ebangel. beutfcfyen Neffen, ©öttingen 1896, ©. 54), bon ßan| 1522 (ebenba ©. 75),
20 bon 3Jlün£er 1523—1526 (ebenba ©. 104), bon Nürnberg 1525 (ebenba ©. 167).
2lucb, bie älteften ©trafjburgcr Drbnungen b^aben ba? ©anftu? (ebenba ©. 131 ; §ubert,
©trafjburger liturg. Drbnungen, ©öttingen 1900, ©. 65. 80. 85); aber fett bem $aljre
1526 fd>Winbet e? Ijier. SDa nun nad; @rtct)fon§ üftadjWei? (£)ie calbinifcfye unb bie alt=
ftraPurgifctje ©otte?bienftorbmmg, Strasburg 1894) bie fbätere ftrafjburgifcfye Drbnung
25 bie ©enfer unter (Salbin bößig beftimmt fyat, fo fefylt aucf) in ber ©enfer 2tbenbmal)l?=
feier ba? ©anftu? (bgl. @rid)fon a. a. D., ©. 14). Unb ba enblid) auct; gwingli, ^er
in ber ©cfyrift De canone missae epiehiresis 1523 ba? ©anftu? noct; beibehalten
blatte, e? in ber „2tftion ober 23rud) be? ÜJcacfytmal?" (1525) getilgt blatte (übrigen? fehlte
e? aucf; in ben Safeler 2lbenbmabJ?orbnungen bon 1525 unb 1526; ©menb a. a. D.,
30©. 213 ff.), fo wirb e? begreiflich, bafs e? bie reformierten 2IbenbmaI)I?orbnungen nidjt
lennen.
2. ®a? eigentliche ^riäfyagion — Wenigften? roirb e? in ben öftlicf/en Siturgien felbft
fo bejeidmet — ift, Wie oben gefagt, jener Heine §r/mnu?: ,"Ayiog 6 &s6g, äyiog ta-
%vq6s, äyiog äftävaTog, eUrjoor fjjLiüg", ber aöerbing? aucfy allerlei 3ufcv|e erfahren
35 b,at. 2llter unb §ertunft biefer eigentümlicljen gormel liegt im ©unfein, gwar fennt
bie Überlieferung eine Segenbe über il)re ©ntftefjmng. Unter bem Matriarchat be§ ^roflu?
(434—446) fei, al§ bie @inn)ol)nerfcb,aft bon ^onftantinobel bier 3JJonate lang burcb, @rb=
beben beunruhigt »orben roar unb bei ©elegenf)eit eine? folgen @rbfto^e§ alle? 3Solf
ba3 „ß^rieeleifon" gerufen blatte, ein Jüngling bor aller Stugen in bie Süfte erhoben
40 morben unb fyahc bort bon einer göttlichen ©timme ben Auftrag erhalten, bem S3ifa)ofe
unb bem Solfe ju fagen, bafe fie bie Sitanei mit ben SBorten galten füllten: "Ayiog
6 fteog k. ©arauf i)abc bas ©rbbeben aufgehört, ©o berieten 2:f)eobb,ane§ (Chronogr.
A. M. 5930, MSG 109, 245), 9cicebb/oru§ (Sallift. (eccl. hist. 18, c. 51. MSG 147, p. 433),
©eorgiuS 6ebrenu§ (hist. Compend. anno 28 Theodosii, MSG 121, 651), Qol)annc§
45 ©ama^cenu? (de fide orthodoxa 1. 3, c. 10 ed. Sequien I, p. 219) u. a. 3Sielleicf;t
milt biefe ©efdjictjte erflären, wie ber §t>mnug m feie Siturgte ^onftantinobel? ge=
fommen ift. 5ßielleicb,t fbiegelt fiel; barin ami) bie SOBertfcf)ä^ung, bie man biefem §r/mnu3
ju teil roerben Iic|. ©eine ©ntfteb^ung ift bamit natürlich mct)t erflärt. @r mirb älter
al§ ba§ 5. ^ab,rf)unbert fein; aber jebenfaH§ fommt if)m fein l)ot)e§ Sllter ju. (2lnber3
50 Sdtner, ©otteöbienftlict)er Solflgefang im jübifcfyen unb d)riftlicb,en Slltertum, greiburg i. 33.
1906, ©. 148). ^übifcf;en Urfbrung? ift er fict)erlid) nicf)t. ®enn mag i|m auet) ba§
®reimall)eilig in ^ef 6, 3 ju ©runbe liegen, fo ift bie gormel felbft boefy erft auf cb,rift=
Ud;=f)ettentfd)em Soben gebrägt toorben. ©enn ©ott ä&dvarog ju nennen, ift nid^t
jübifcf), fonbern griecf;ifcf). ^n ben LXX mirb biefe? ^ßräbifat ©Ott niemal? beigelegt.
55 ©oetj mufe e? bon b,elleniftifc§en ^uben unb bon ben Stiften gebraucht toorben fein (bgl.
©ibblt V, 277 bei ®au|fd?, ^feubebigrabl)en II, 211 unb 1 £im. 6, 16). dagegen
ift ba? ^räbifat loxvgog für ©ott ben LXX fel>r bertraut (bgl. 3. S. ©t 10, 17;
9cef). 9, 31. 32; auefy $f 41, 3 nact) einigen §anbfc§riften). 2öarum man aber gerabe
bie ^ufammenftellung biefer ^räbifate: loxvgog unb äddvaxog geibä^It, Warum man
60 biefer gormel Slufnafymc in bie 3Jccffe gegönnt l)at, ift nid;t ju fagen. ©ine Antwort auf
$rtgf)agtott £rttljeifttfcf)er ©trctt 129
biefe fragen toiffen freiließ bie grieclnfdj=ortl)obor.ett Äird)enfcl)riftfteller gu geben. 2(ber
fie ift fcfyWerlicfy fiic£)I)alttg. üftacfy ifynen fei ber DtymnuS nid)t nur auS Qef 6, 3, fonbern
bor allem au§ ^ßf 41 (42), 3 gebübet. Siefer ^falm feire ©ott al<§ ben „ftarfen,
lebenbigen". Senn in SSer§ 3 lefen einige Ijanbf driften: xbv debv xbv ioxvqöv töv tä>vxa.
gür baS le|te SSort I)abe man d^dvarov eingefeijt unb fo fei bie gormel entftanben. 5
©o nafy bem Kommentar bes" Wl'ön<$)t§ %oh (6. ^afyrfy. ; bgl. §ergenrötb, er, Sßb, otius" III,
©. 23. 46), ber biefe ßrtlärung einem jübifcfyen ^ßrofeltyten berbanft, $b,ottug (Biblio-
theca, Cod. 222 MSG 103, 772) unb banad) gabafüas" (expos. litur. c. 2o MSG
150, 411). ©iefe ©rflärung geigt nur, baß man nad) ber Söfung eines 9tätfel<§
fucfyte. io
SiefeS Sri^agton ift in alten bftlidfjen Siturgien anzutreffen. 2öenn e§ in ber
dement. Siturgie be3 VIII. 33ucb;e§ ber a^>oft. Konft. fel)lt, fo erklärt ftd) ba§ enttoeber att§
bem 2llter biefer Siturgie ober bielleid)t aud) barau§, baß bie SReffe fyier an bie
Sifdjtofgorbtnation fic^> anfcfyließt, alfo ben Stnfang ntctjt gang bollftänbig Wiebergtebt.
tiefer £r/mnug ftanb in fyofyem 2lnfeb,en unb er ift fo bolfetümlid; geworben, baß er 15
auefe, in ben täglichen Offizien gefungen Wirb, ©eine regelmäßige ©teile in ber sIReffe
ift am 2lnfang bor benSefungen; nur bie Siturgie ber lobtifcfyen unb abeffimifcfyen $aio=
biten Ijat ib,n in bie Sefungen, unb jWar bor bie Sefung be3 ©bangeliums- gefegt 08rigt)tm.
p. 155, 11 unb p. 218, 2 ; bgl. Stenaubot I, 208), Wäfyrenb bie fr;rifd)en ^alobiten ifm
jhrifd)en ber alt= unb neuteftamentlicfyert Sefung fingen (SBrigl)tm. p. 77, 23 ff.), ©efungen 20
Wirb er meift bom ©ängerd^or.
©aß an biefem Keinen liturgifc^en ©tücf ein fo lebhaftes1 ^nteref^e b, ing, erflärt fid)
mit barau§, baß e<5 jum ©egenftanb eine§ bogmatifdjen ©treues" geworben ift. Sie
gormel mar bon ©ort gemeint. 2ll§ ib/r ^]etru§ ^uHo, ^atrtard) bon älntiocfyien (bgl.
ben 2lrtilel 9)ionobb^fiten §8b XIII ©. 318, 39 ff.), (um 470) ben ©a£ eingefügt Ijatte 25
— unb jroar bor bem ©cbjußruf ilerjoov fj/jiäg — : 6 oravQco&elg öi rj/j,äg, erb, ob
fid} bes^alb ein bogmatifdfyer ©treit; benn geWtffen Greifen fdpiert biefe Formel Weber mit
ber ortfyoborm trinitartfcfyen noeb, mit ber ortfyoborm d)riftologifd)en ätnfcfyauung bereinbar.
(^ere§ f. in bem 2lrt. £l)eotoafcr;ttett 93b XIX ©. 658, «ff.). Sa3 Concilium quini-
sextum bon 692, c. 81 berWarf ben ©ebraueb, biefer gormel im SEri3b,agion (Saud)ert, 30
ÄanoneS ©. 132). $n ben monotofyr/fitifcfyen Siturgien I)ielt fiefy aber biefer 3ufa| un^
er Würbe fogar noefy bariiert (bgl. j. 33. bie fobtifc^monobb^fttifcfje Siturgie bei Srigfjtm.
p. 155, 10 ff.). -
3Som Dften lam biefe gorm be§ SDreimalb^eilig aueb, naa; bem 2Beften. §ier ftanb
e§ in ber gatliianifcfyen 9JJeffe (®ermanu§ bon ^ßari§, epist. I, MSL 72, 89 unter: 35
De Aius), unb in ber mojarabifcfyen Siturgie wirb e§ nod) bleute gefungen. S)aß 3fiom
eg ebenfalls aufgenommen b,atte, beroeift fio) burd^ ben noeb, bleute üblichen Sraucf), bie»
2riäb,agion in ber adoratio crucis am Karfreitag ju fingen, unb jWar als 2Becf)feI=
gefang ^mifd^en jWei, Stören, beren erfter bie griec|if(|e ^orm fingt, Worauf ber jWeite
mit ber Iateinifd)en Überfe|ung antwortet. 2>ren»§. 40
$rttf)eifttf<fjer «Streit (6. Sa^^-)- — Quellen: 1. ®ie SBerfe be§ So^anneS ^fnlo=
ponu§ (f. ben Slrt); üor allem bie 9lu§äüge au§ feinen SSerfen Bei 3ol)anne§ üon ®ainasfu3
(f. u.) unb Bei ^fjottuS üon ^ünftanttnopel (f. it.); 2. 9(u§äitg auä ©iäputationcniften (xpax-
Ttxa im jiaQovoiii. 'hoavvov eiiioxöjiov KcDvazavTivovjiolsmg [b. f). ^O^nneä' III. ©dlolaftifu§,
unter ^uftin II.j) bei *p{)otiuS biblioth. 24 (MSG 103, 60: tjier biäputieren <j$t)iloponii3' &
Sreunbe Äonon unb ©ugeniue mit feinen ©egnern 5ßaulu§ unb ©tepfjanuä); 3. S'ontiuS uon
%anj (f. ben Slrt.) de'sectis, actio 5 (MSG 86, 1, 1232 D — 1233 B); 4. Stmot^euS (^vev=
bt)ter unb ©feuop^laj in Äonftantinopel, 9tnfang beä 7. ga^r^unbertS) x?qI jwv .-roooroyji-
nh-oiv r/7 äyiu ixxlrjoia (MSG 86, 1, 44 ff.); 5. ©opIjroniuS üon Sevufatem (MSG S<);
6. OeorgiuS g5iftbe§ (MSG 92, ein gettgenoffe be§ ©o^rontuä) ; 7. 3o(janne§ üon ®ama«fu§, bo
de haeresibus 83 (MSG 94, 744 ff.); 8. ^fjotiu§ biblioth. 24 (f.D.), 55 (Ü6er So^annec-
HS^iloponUä, xaxä rfjg äyias xal olxoii/iEvixfjg TEzaQTtjg avvödov), 75 (Ü6ei" 3j°()anne§ ^5t)iJü =
pOttUS, -toos tov 'Icodvrrjv äoxiEJiioxojiov KmvoxavxLVOvnöXscog [genauer gegetl befien y.axi}-
Y^xiy.ög köyoq] ne.in rtjg äyiag y.ul 6/Ltoovoiov xgiädog): MSG 103, 60. 97. 440; !>. 9?ice|3^orU§
hist. eccl. 18, 47." 49 (MSG 147, 424 ff.); 10. Stbulfarabfd) («ffemam, Bibl. Orient, 2). 55
S>arfteUungen, bie ben heutigen ?(nforberungen genügen, fehlen meincä 3Biffen§ ganj.
Unter ^ritb^eiömuS berfteb^t man bie tfyeologifdfje Seb^re, bie bie ©reib^eit in ber ®rei=
einigfeit fo ftarf betont, baß bie ©inbeit (ber 9JionotI)ei§mu!§) barüber ganj berloren geb,t.
Sie ©efd)id^te biefeS ^ritb^eiömug in ber Sb^riftenb^eit b^ängt eng jufammen mit ber ®e=
fd)icb,te beS Slriftoteliömuo in ber Kircb,e, alfo auef) mit ber ©efd)id;te ber ©d)olaftif. go
8leoI«(Snc^»opäble für Ideologie unb Stirere. 3. 91. XX. 9
130 £ritf)etfttf«f)er (Streit
©ie erfien, bie ftcb, miffenfd)aftlicb, mit ber Seljre bon ber ©reieinigfeit (ober menig=
ften§ Don bem $erl!>ältni§ jmifcfyen 33ater unb ©ofm) befdjiäftigten, maren bte d)riftlid)en
Apologeten be§ 2. Qab, rlnmbertg. greilicfy: fie fallen bort nocfy leine Probleme, h>o
fbätere $eiien bor lauter Stätfeln ftanben. 8uftiR ber SDtärtt;rer fagt unbebenflid), ber
5 ©olm fei äQt&jucö ezegog -&e6g; unb bocb, legt $uftin großen 2öert barauf, ein 9J£ono=
ifyeift ju fein. Si>er innere Sßiberfbrucb, ertlärt ftc|> einmal barauS, baß biefe 2lnfä'nge
ber cfyrtfilicfyen 2öiffenfd)aft, tote überl^au^t alle Anfänge be§ $Denlen§, unter bem Sänne
einer gemiffen 5Raibetät ftanben. Zweitens finbet ber SBtberf^ruc^ feine Söfung barin,
baß bie Sfyologeten im mefentlid)en auf ber ftoifcfyen %^\\l unb bem ^latonigmu»
io fußten: ba§ waren jtoei fbefulatibe ©fyfteme, bie e§ mit ber ftrengen Sogil nidjt att^u
genau nahmen. ©aß ba§ SBerfyältnte be3 ©Iauben§ an einen ©Ott $u bem ©lauben
an bie ©reieinigfeit ein fcb>ere§ tfyeologifd^ Problem bilbete, erlannten juerft bie
SRonarcfyianer: bie mobaliftifcfyen äftonardjtaner, bie bon ber ftoifcfyen Sogir, unb bie
bimamiftifcijen 2Ronard)ianer, bie bon ber ariftotelifcfyen ©ialeftif ausgingen (bgl. über bie
15 lederen bor allem Eus. hist. eccl. 5, 28, 14 [«pibbolfyt?]). ®ie 5Ronarcb,ianer fab,en
bie Hauptaufgabe i^rer Geologie barin, in ber cfyriftlicfyen ©otteölefyre ben 5Ronotf)ei<omu3
fieser ju fteHen. ©ie traten ba§ aßerbingg auf Soften ber £eb,re bon ber ©reieinigfett.
©e^alb lehnte bie Äird^e ben SOtonarcf)ianigmu§ ab.
$n ber golgejeit trat ba§ Problem, aJionotljetemuS unb ^rinitätölefyre ju berföfjmen,
20 einigermaßen jurüä, toie id) glaube, au§ jtoei ©rünben. @rften£ gemöljmte man ftcb, ba=
ran, bie ärinität^Iefyre als» ein SRbjterium §u betrauten: man bereite ba§ 9Jtyfterium;
aber man backte rttd^t gern tiefer über ba3 Sftfyfterium naefy, aU man unbebingt nacb/=
benfen mußte, b. b,. als» man bureb, ben ^ambf mit ben £e£em genötigt marb: „fd)tbei=
genb foEC ba3 ©eb,eimni3 berefyrt toerben." gtoeitenio toarb, au3 ©rünben, bie id) niöpt
25 anzugeben bermag (bielleidjt roeil aHmäpcb, getoiffe b,eibnifd)e 33orfteßungen ©ingang in
ber ä\rä)t fanben), im Saufe beS 4. ^aljrtyunberts bag ^ntereffe ber Äircfye am 9Jtono=
tfyeiSmuS geringer. SRänner ibie 2ltf)anaftu§ unb 5Bafiliu§ ber ©roße fbrad)en ungefcfyeut
ben <Ba§ au§ : bie cb,riftlicf)e £eb,re bon ber Sreieinigfeit fei bie redete SDtitte gtoifcfyen bem
9Jionotb,et<omu3 ber ^uben (unb ber ©abeHianer) unb bem ^oltytljetämuS ber Reiben. S3et
30 biefer SÄuffaffung mar natürlicb, bie Dfottoenbigleit nicb,t aHju bringenb , ÜJionotfyeiSmuS
unb ^rinitätöle^re miteinanber ju berföfmen. ©o er!lärt eö fiep, baß im 4. Scb,^
^unbert nid)t einmal bie mutmaßlichen 9^ad)folger ber bt/namiftifdjen 5Ronareb,ianer, bie
Slrianer (bie übrigen^ aueb, 33ere|rer be§ Slrtftoteleö toaren), am ftrengen 3Jionotf)ei§mu§
feftfyielten. ^efu§ mar nad^ arianifdjer 2lnfd)auung ein jum ©otte erhobener 3Renfcb,, ein
35 §ero§, alf o ein Untergott : bief e Sluffaffung erinnerte unmittelbar an bie bolfytb, eiftifd) e
^tb,ologie be§ griecb.ifc^en £>eibentum§.
®aä m^ftifc^e ©unlel, ba§ über ber Sebje bon ber SDreieinigteit lag, tbarb erft ge=
listet, al? im 6. Qa^r^unbert bie nüchterne, flare Sogi! beg 2lrifiotele3 toeitere Greife
bon Geologen erfaßte. ©amal3 mirften bie fcVtb,ifcb,en SRöncfye, bor allem SeontiuS bon
40 93t)gang, bie mit §ilfe ber ariftotelifcften ^fjilofopfjie ba§ alejanbrinifc^e 3Serftänbni§ be§
ß^alcebonenfe mit bem abenblänbifcfyen gu berföb,nen fugten unb bamit bem ^aifer
^uftinian I. einen großen ©ienft leifteten. S)amafö führte aud) bie ariftotelifd^e 5p^Uo=
fobfyie ju einem ©treite über bie £ef)re bon ber ©reieinigleit, bem tritfmftifdjen ©treite
(biefer fbielte ftcb, im mefentlicfjen unter ^uftinian I. 527—565 unb Suftni IL 565—578
45 ab). Ttan barf bie bamal^ entftanbene griec^ifcfj^riftotelifd^e Geologie mobl al§ grieögifcb.e
©djolaftif bejeicb,nen.
Sffienn man bie ftrenge ariftotelifcfye Sogif auf bie Se^re bon ber ®reieinigleit an=
manbte, fo tonnte man, je naa) ben fubjeftiben Sßorau^fe|ungen, ju einem bobbelten @r=
gebniffe gelangen: enttoeber gum SJfonard^ianigmuS, ober ju einer Slnna^me breier ©ötter,
50 b. f). jum 2:ritl)ei§mu§. @§ ift be^eidmenb für bie &{t ^uftinian§, baß fie, fotoeit fie
bon ben alten, ortfyoborm gormein übertäubt abroid), bie jtoeite 9J?ögIid)!eit, ben %x\ti)t\&
mu€ beborjugte.
®ie Urfbrünge be§ ^rit^et§mu§ liegen leiber ganj im ©unfel. Slbulfarabfcb, be=
jeicb,net afö ben erften ^rtt^etften ben Qofyanneä 2l§luänage§, ben SSorfteb^er einer $b,ilo=
55 fobl)enfcb,uIe in Honftantinobel. 3Son biefem Slglu^nageg toeiß aber leine unferer griett)ifd)en
Quellen, ©ie be^eid)nen bielmef)r aU ben §ärefiarcb,en beö ^rit^eiämu§ ben alepnbri=
ntfcJjert ^ilofobljen ^oj^anne^, ber ben Seinamen ^ßlnlobonuS führte (feine ©egner
fc^mäb.ten ifm alg 9)iataiobono§). 2ßie biefer 2öiberfbrucf) ju löfen ift, miffen mir nict)t.
©id^er ift nur, baß ber 2ritl)ei§mu§ innerhalb be§ gjtonobltofiüSmug entftanb unb baß
60 aud) feine fbätere ©ntmicfelung im mefentlicfyen in ben SRonob^^fitiömuä fiel. ©<§ b,at
Sritljetfttfdjer Streit 131
fogar ben 2Infcb>in, aU tyäite man bie tritfyeiftifcfye Geologie au<3gebilbet, um mit if>r ben
25toobIjbfiti3mu<§ $u befämbfen.
^obanneS Slj)ilobonu§ legte feine SCrittitätSler/re nieber bor allem in feinem hai-
t?/t//s rj negl evcöoewg (10 Kapitel; roicfytige SLejte bei ^ofyanneä Don ®ama3fu3). @r
geftanb felbft mit bürren 2Sorten, ba§ er bon ber beribatetifd^en Sb/ilofobfüe ausging (er 5
tbentifijierte 3. S. vnöoxaoig au^brücflicr; mit bem beribatetifcfyen äxojuov). Stuct) feine
©egner beamteten ba<§; SeontiuS fagt 3. 33.: eXeye de xavxa Xaßoov xyjv dcpogjurjv
cuiö rrbv 'AgioxoxeXixcov' 6 ydg'AgioxoxeXrjg <pr]olv oxi elol xcöv axopcov xal juegt-
y.al ovoiai xal juia xoivr\' ovxcog ovv xal 6 <&iX6jiovog k'Xeyev oxi elol xgeig /uegi-
xal ovoiai im xfjg dyiag xgiädog xai eoxi ma xoiviq. Stnlobonuä beranfd)aultct)te 10
feine SrmitätSleljre mit einem fefyr blaftifcb>n Silbe. @§ giebt fefyr biete Sttenfdjen
xaxä xbv ägi&iuov, lauter ^nbibibuen, bon benen jebe§ feine eigene ovoia t>at. Slber
xcö xoivcö ei'dei 01 noXXol äv&gcojioi eig xvyydvovoi: fie fyaben alle ber 2lrt nad)
biefelbe ovoia. ©benfo, rote ba§ Serfmltntg ber einzelnen SRenfc^en untereinanber, badete
ftcf> Sl)ilobonu§ baS SerfyältniS ber bret Serfonen ber ^rinität. @§ ift Har: biefe 2ln= 15
fd)auung roar in ber ^ircfyengefcfyicfyte eine bollfommen neue; nur mit Unrecht berief fiel)
^InlobonuS auf ©regor bon ÜRa^ianj, Safiliu§ ben ©rofeen, SltfyanafiuS unb 6r/rul bon
Jtlejanbria. ®en tarnen eines Sritfyetten berbiente er, moef/te er e§ jugeben ober nidbt
(toie man fielet, ibentifigierte Sfyüobonu§ bi§ ju geroiffem ©rabe ovoia [cpvoig] unb
vnöoxaoig: er nab/tn an, jebe vnöoxaoig muffe aud) eine yvoig für ftcf/ I)aben, unb 20
umgelegt; bon I)ier au3 fudjite er bann ben ®t)obl)r/fiti3mu<§ ad absurdum ju führen:
toenn ^efuS jroei cpvoeig fyabe, rniiffe er aufy jroei vnooxdoeig f)aben).
Qnnerfyalb be3 £rttfyei§mu§ fam eg fel)r balb %u ©baltungen, bor altem begfyalb,
toeil $f/üobonu!§ in feinen Sudlern gegen bie Reiben eine eigentümliche Sefyre bon ber
2(uferftefyung niebergelegt blatte (biefe Seb/re rufyte it>of)I audj auf artftotelifcfyer ^ilofobb». 25
^ßbilolponuö lehrte nämlicf;: xb ocbpia o vvv Ijopcev ovx iyslgsxai äcp&agxov' all'
exegov dvr' avxov Xa/xßdvopLsv. ®ie Partei ber Xritb^eiten, bie ftd^ gegen biefe £ef>re
erflärte, ftanb unter bem 23if$of ^onon bon ^arfu§. ®ie betben ©egner befeb^beten fielt)
auf§ Ijefiigfte; fie befd£)imbften fid^ al§ ©abbueäer, Reiben, Salentinianer, '5Rantd)äer u. f. tt>.
3Jler!toürbigertt)eife beriefen fid) beibe auf DrigeneS. 3lud§ in ©acfyen ber Sürinität^le^re, 30
fotoie in ^ßerfonalfragen b^at e§ unter ben ^Eritfyeiten berfd^iebene ^arteiungen gegeben;
toir toiffen aber barüber fo gut toie nichts ©enauere§.
©ie ©egner ber ^rtt^eiten gaben ilmen an 3^iff«n^it nid^tg nad§. 5Da gab e§ : j. 93.
1. Tlsxgiavoi; fie lehrten, unter vnöoxaoig feien bie Idiojjuaxa %<x>glg ovoiag ;ju ber=
fteb^en; 2. Kovdoßavdlxai (fie berfammelten \\d) h xotg Xeyo/uivoig Kovöoßavöov in 35
Äonftantinobel); 3. 'Ayvotxai; 4. IlavXiavioxai ; 5. AyyeXixai (berfammelten fi$ im
'AyyeXiov in Slleranbria) xal Aajuiavixai; fie lebrten äXXov fxhv ehai xbv naxega
xal äXXov xbv vlbv xal äXXov xbv nagdxXrjxov xb 7ivev[xa xb äyioV /xtj elvai de
xovxcov exaoxov xad~' iavzbv i%bv (pvosi, äXX' e%eiv xoivbv ■d'ebv ijyovv fteöxiyia
Ivvnagxxov xal xavxtjg [xsxE%ovxa döiaigexcog slvai ftebv Exaoxov' xaXovoi öh xbv 40
[iev naxega xal xbv vlbv xal xb dyiov Tivevjua vjiooxdoeig, xb de xoivbv avxcöv
debv ovoiav xal <pvoiv; biefe ®amianiten erfnelten, metl fie fo^ufagen noef) ein bierteS
göttliches Sföefen annahmen, ben Äe|ernamen Texgadhai; 6. Nioßixai; fie behaupteten,
in ber ^erfon ^efu gebe es> nad§ ber evwoig ber Naturen feine diaepogd xcöv cpvoeoov
mel)r. S3ie fid§ all biefe Parteien in ber XrinitätSle^re unterfdjteben, ob fie fidf) ba über= 45
fyaubt unterf Rieben, roiffen toir nict/t fid§er.
Seiber finb toir and) barüber nidfyt unterrichtet , rote ber tritfyeiftifcfye (Streit ju
©itbe ging. 3Ran roirb lüot)I annehmen muffen, ba| t^m bureb^ ba§ Sorbringen ber
Werfer, bann ber 2lraber ein 3i«l gefegt tourbe, 33eibe brauen ja gerabe in 2(g^)bten fe^r
balb ein, alfo in bem Sanbe, baä allem 2lnfct)ein nacb^ ber getftige SJcittefyuntt beS 60
Iritb^ei§mu§ roar.
2luc9 im 2lbenblanbe führte ba§ Sorbringen ber beribatetifef/en Sl)ifofob^ie unb bie
ßntftefmng ber ©dpolafti! ju einem tritfy eiftifd^en ©treite, ber fiel; allerbingS in biet engeren
©renken b^ielt. @in 5Rominalift, 5RoäceEtn, ^anonilug bon Sombiegne, fteCCte ben ©a£
auf: entroeber feien Sater, ©oljm unb ©etft tres res; ober Sater unb ©eift feien mit 5:,
bem ©ofme -ücenfet; geroorben; 3togceHin entfepieb fidt) für bie erftere SOcöglicf)fett. 2lbcr
bie abenblänbifcf;e ^trct)e entlebigte fid^> biefeS 'SrittwiomuS fet)v rafdp. 1092 roarb 9io§=
ceßin bon einer ©i^nobe ^u ©oiffonö berbammt; er mufete totberrufen. 211S er fbäter
nodgmalä als Sritfyeift auftrat, ioiberlegte it)n Slnfelm bon ßanterburt; in feiner ©d)rtft De
fide trinitatis et de incarnatione verbi contra blasphemias Rucelini. co
!)',T
132 $rttl)etftifef|er ©treu SrttJjemiuS
$n neuerer $eit ift e<§ bor allem bie ${)ilofopbie beS ®e3carte§ geWefen, bie einzelne
Geologen ju tritfyetftifcben Sluffteßungen geführt t)at (Söilltam ©fyerlod in Sonbon, geft.
1707, unb Perre gat)bit in tyatiz, geft. 1709). 2lud) ^einrieb Nicolai in ®an$ig
(geft. 1660; itm bekämpfte ßalob), Stnton Öfymb3 (geft. 1809), ein 3tattonalift, unb ber
5 bekannte t'atf)oIifd)e Geolog Slnton ©untrer (geft. 1863) jogen fid) ben Vorwurf be§
£ritr)ei3mug ju. 3. Seipolbt.
£ritf)emttt§, $o bannet, geft. 1516. — Sie tbeologifcben (Schriften be§ Xrttbemiu§
ftnben ficf) gefammelt gebrucft in: Jo. Trithemii Opera spiritualia quotquot reperiri potuerunt
ed. Jo. Busaeus. Mogunt. 1604 Fol. unb in: Jo. Busaei Paralipomena Opusculorum
10 Petri Blesensis, Jo. Trithemii et HiDcmari. Mogunt. 1605. 8°. Sie Ijtjtortfcf)en ©obriften
be§ £ritbemui§ finb gefammeft unb unter bem SEttet: Jo. Trithemii Opera historica, curante
Marq. Frehero, Tom. I. et II, Francof. 1601 in Folio, berau§gegeben; bie §irfauer 91nnnlen
berauggegeben Bon 3- ©. ©cblegel 1690. SSerjetc^niffe ber fämtlidjen ©Triften £r.§ bei
©übernagei @. 136 unb @dmeegan§ ©. 287. ©eine SSriefe finb unter bem Xitel: Jo. Tri-
15 themii Abb. Sponhem. Epistolarum familiarium libri II, ad diversos Germaniae Prin-
cipes, Episcopos ac eruditione praestantes viros. Hagan. ex offic. Pet. Brubachii, 1536 in
4° erfä)ienen. — 3K. gtegetbaur, Hist. rei litt. Ord. Bened. III, ©. 221 ff.; Fabricü,
Bibl. Lat. med. et inf. aetat. IV, ©.154; 8. Sßadjler, ®efcb. ber hiftor. gorfcijung unb fünft,
m 1, ©. 236; (£r^orb, ©efcf,. beS Sßieberaufbtfibeng miffenfdjaftl Silbung, üomebmlicb in
20 Seutfd)(anb bi§ pm anfange ber Deformation (SKagbeburg 1832), SSb 3, @. 379 ff.; 28oIff
in b. ffiürtt. 3SS. f. ©tatiftif 1863 ©. 229 ; $aul, De fontib. a Trithemio in prima parte
ehr. Hirs. adhibitis, &a£(e 1867; ©übernagel, ^ob. £ritbemiu§, Sanb§b- 1868; SKüHer,
Guellen, metobe ber SIbt Sritbetm im erften Xeü ber ©irfauer 9lnnalen benutzt bat, Seipg. 1871,
£>aHe 1879; §etm§börffer, gorfcf). jur ©efeb. 28ilbelm§ ü. §irfcbau, ©öttingen 1874; @d)nee=
25 gan§, 2lbt 3- 2ritbemiu§ unb Slofter ©ponbeim, treupadj 1882; ©tamminger im S$£VF
©. 1770 ff.; SBegeie in 91593 23b 38, 1894 ©. 626 ff.; berf., ©efebiebte ber beutf<i)en §ifiorto=
graübie, SMncben 1885 ©. 67 ff.; ©tub. u. Mt au§ b. S3eneb. D. III, 2 ©.332; TOenfc, 3ft
e§ bewiefen, bafj Str. ein gälfdjer mar? Qena 1892.
Soft. SEritbemiuS Würbe ben 1. gebruar 1462 in bem unfern %xkx an ber SRofel
30 gelegenen ®orfe 2;rittenbeim geboren, nad) Weld)em er fid) fpäter, ber ©Ute ber geit
folgenb, benannte. 35on feinen ^ugenbjabren ift nur wenig belannt. ©ein 33ater,
^o|ann föeibenberg ftarb bereits 1463; ber reiebbegabte ®nabe erbielt einen barten ©tief=
bater, Welcber ibn ju länblicben arbeiten jWang unb ba§ frür) erWacbte Verlangen be3=
felben nad) geifttger 2tu3bilbung ju unterbrücfen fud)te. ®od) fein raftloS aufftrebenber
35 ©eift Wujjte fid; burd) alle §inberniffe 33abn ju brechen. @r benutzte nid)t nur am £age
bie furje ^eit, Welcbe er erübrigen fonnte, eifrig baju, lefen unb fd)reiben ju lernen, fon=
bem er lernte aud) beS 9iad)t§ fjeimlid) bei einem 3Rad)bar, fo gut ei geben Wollte, bie
erften 2lnfang3grünbe ber lateinifeben ©pracbe. günfjefiniä^rig entfd)(o^ er fid), ba<* elter=
Iid)c §au§ beimlicb, ^u berlaffen; er ging nacb SErier, too er eine 3«t lan& bon m^=
40 tb,ätigen 9Jienfcben unterftü^t, bie Iateinifd)e ©d)ule befuebte. ®ann toanbte er fid) nad)
ben 5Rieberlanben, fdjliefelicb lam er nad) |>etbelberg, roo ib, m feine gäbjgfeiten balb mob,l=
tooEenbe ©önner unb burd) biefelben bie ertnünfebte llnterftü^ung ber(d}afften, toeld)e i^n
in ben ©tanb fe^te, auf biefer bamalS emporbIüf)enben §od;fd;uIe neben ben tbeologifcben
Söiffenfcbaften alle biejenigen ^enntniffe fid) anzueignen, nad) benen er fid) fo lange ge=
45 febnt batte. 33efonber§ mar eS Stubolf 2lgricoIa, ber ibn in ba§ ©tubium ber ©efd)id)te
einführte unb mit ben febönen 3iUffenfd}aften belannt mad)te. 2ßäb,renb er unter fo
günftigen äkrtmltniffen, mie er fie laum ju boffen gewagt I)atte, ber Erweiterung feiner
Äenntniffe ben größten glei^ toibmete, erWacbte in i|m ba§ Verlangen, feine SerWanbten
in ber §eimat ju befueben, unb er trat 1482 bie Steife babin mit einem greunbe ju gu^
50 an. ©d>on Waren fie bi§ jum Senebütinerllofter ©^onbeim bei ^reujnaa) getommen, in
Wettern fie gaftfreunblicbe 2lufnar)me fanben. 31I§ fie ib^re 2öanberung fortfe^ten,
nötigte fie ein Unwetter nad) bem Softer jurüdjulebren. ©tefeS ©reignii, WelcbeS
2;ritb,emiu§ nad) ben 2tnfid)ten feiner Qeit alg einen 2öin! ber göttlicben Sorfe^ung
betrachtete, gab feinem Seben eine entfebeibenbe äSenbung. @r entfd)lofe fid) im Älofter
55 ju bleiben, ©eine Sitte um 2lufnab,me Warb ib. m gern geWäb/rt, unb balb I)atte er fid;
burd; feine grömmigleit unb ©eleb,rfamleit Wie burd) bie geWiffenf)afte ^Ereue, mit Welcher
er alte il)m übertragene ©efebäfte berrid)tete, bie Siebe unb 2ld)tung ber ^lofterbrüber fo
fet)r erworben, baf fie ibn, obgleid) er erft 21 %afyxt alt War, am 29. ^uli 1483 gu
ib,rem 2lbte Wählten. 3^un lonnte £ritl)emiu§ feinen ^umaniftifd)en Neigungen leben.
60 ©eine ^)auptfäd)Iid)fte ©orgfalt Wanbte er ber Älofterbibtiotfjef ju ; er traf fie im traurigften
£uftanbe, nid)t einmal 50 Sänbe entfjaltenb, unb brachte fie nad) unb nad) auf mebj als
£ritf|enuiiS 133
2000 33änbe, teils STCanuffribte, teils gebrückte 33üd)er. ©ie galt balb als eine ber be=
beutenbften SBücfyerfammlungen ©eutfcfylanbS. Qf)r liebenSWürbiger, bielbelefener ©rünber
war eine angefefyene sßerfönlicr^eit im Greife ber £>umaniften: 9Ränner Wie 2;of>. b. ©al=
berg, 9ieud)lin, ßelteS, 2Simbr/eIing, $trdl;eimer, ^ßeutinger u. a. Wedjfelten Briefe mit
tbm ober fugten irm im SHofter auf. ©ie 2lnWefenl)eit bon GelteS unb 9teud)Iin gab 6
bem Stbte ©elegenfyett ©riedjifd) unb etwas #ebrätfd) ju lernen. 3lud) bie fürftlidjen
©önner ber Wiffenfd)aftlicr)en Seftrebungen biefer 3«tt Wanbten tljm ifyre ©unft ju. @S
War ganj im ©inne beS älteren §umaniSmuS, baft SEritfyemiuS bie religiöfe ©eite feines
ÜBerufS md)t aufter ad)t lieft, er fuct)te bie tiefgefunlene Jtlofterjudrt ju fyeben, rjtelt ben
SRöndjen erbaulidje 2lnfbracr/en, bor allem fudjte er fie mit ber Überzeugung ju erfüllen, io
baft wer jum Sefyrer anberer berufen fei, juerft fid) felbft 2BeiSf)eit unb ^enntniffe er=
Werben muffe, unb baft nur berjenige bie ^eiligen ©Triften richtig berfteb/en unb erklären
fonne, Welker bie allgemeinen ^enntniffe ber Weltlid)en 2öiffenfd)aften beftije. Sfödjt minber
forgte er für bie Wirtfcr)aftltcr)e §ebung beS MofterS; burd) Umbau unb ^liuhau fdmf er
freunblidjere 2öofmräume, für ben 2tbt junädjft, aber aud? für bie Srüber. ®em Drben 15
übertäubt biente er burd; häufige SBornafyme bon 3Sifitationen in 33enebiftiner!Iöftern.
@S Waren für 'SritfyemiuS glüdlid;e %afyxe, Welche er als 2lbt im Softer ©bonI)eim
Icljrenb unb lernenb zugleich, berlebte. StUem jur Seitung be§ $IofterS mar ber bielfeitig
gebilbete 9Jtann fdjlieftlicb, bod) nicfyt geeignet; eS fehlte ib/m ber fd)arfe 23Iid für bie 33e=
urteilung ber ^ßerfonen unb Sßerr/ältniffe, fo baft er einen SJtiftgriff um ben anbern in 20
ber 2£afjl feiner frieren tfyat; md)t minber mangelte ifym ^eftigleit unb ®raft bei ber
®urcr/füb,rung feiner SJJaftregeln; er fd)Wan!te, Wo er fyätte feftbleiben foflen, unb lieft
manches gefd^et;en, WaS er miftbiHigte. ®em SBtberfbrud) gegenüber aber gebracb, eS ib)m
boHig an 9Jiut. ©er 9Serfet)r mit feinen fürftlidjen ©ömtem Inelt if>n meb)r als gut mar
bon bem Sllofter entfernt. ®aS b/atte auf feine ©teEung in bemfelben ben übclften @in= 25
fluft, bie $ügel glitten ifym auS ben §änben, olme baft er eS merfte. SllS nun bie
Cbbofition feiner 3Jlönd)e offen b/erbortrat, fo berlor er baS ©Ietd)geWid)t; er fucfyte ju=
crft fie p überWinben, inbem er feine moralifdjie Slutorität in bie 2Bagfd)ale toarf; aber
er muftte erfahren, baft er leine mel)r befaft, unb nun jog er eS bor, auf bie 2lbtei ju
beraten, ftatt um feine ©teHung ^u tambfen. ®ie glänjenben Anträge beS ßaiferS 30
SOJajimilian unb beS ^urfürften ^oacfyim bon Sranbenburg, bon benen jeber ib,n an feinen
§of sieben Wollte, lehnte er ab unb folgte ber ©inlabung be§ eblen unb Wiffenfct/aftlid;
gebilbeten Sorenj bon Sibra, 33ifd;ofS bon 3Bür^burg, auf beffen ©mbfe^lung er im
3- 1506 bie jWar !leine, aber feinen SMnfd&en entfbred;enbe 2lbtei beS ©cb,ottenflofterS
©t. %cäob in SBür^burg erhielt. 3n bitfex füllen gurüdgejogenfyeit lebte er anfbrudjsloS 35
unb aufrieben, auSfdjlieftücb, mit ben 2Siffenfcr;aften, befonberS mit b^füalifd^en ©tubien
beföäfttgt unb baneben einen lebhaften 5BriefWecb,fel mit feinen greunben unter^altenb.
(Sr ftarb, 54 ^afyre alt, ben 13. ©ejember 1516.
3Son ben gar)Ireict)en ©d)riften be§ ^ritb,emiuS finb berb^ältniSmäftig Wenige bei feinem
Seben unb burd} tt)n felbft herausgegeben, ©ie Begießen fid) teils auf bie Geologie mit 40
befonberer Sftüdfidjt auf baS !löfterlicb,e Seben, teils auf bie ©efd)icf>te, teils enblicb, auf
allerlei @eb,eimWiffenfd;aften, auf Welche Xrit^emiuS ben gröftten 2Bert legte, Woburd; er
in ben Stuf eines gaubererS fam. §ierb,er gehören: bie Steganographia, sive de
ratione occulte scribendi, berf. 1500 (Francof. 1606, 4°) unb Polygraphiae libri VI,
ad Maximilianum Caes. cum clave seu enucleatorio, in quibus plures scribendi i&
modos aperit, berf. 1507 (Oppenheim impr. Jo. Hasselberg 1518, Fol.). Unter
feinen tlj>eologifcr)en ©Triften nehmen bie Sermones et Exhortationes ad Monachos,
berf. 1486 (Argent. per Jo. Knoblouch, 1516, Fol.) bie erfte ©teile ein. 2Bie er in
benfelben als einbringlid)er unb geiftreid)er Sfobner bie 3}fönd)e ©bonl>eimS in ben iser=
fammlungen beS flöfterlidjen ÄabitelS mit allem ^ac^brude ^um gieifte in ben 2Biffen= 50
fa^aften, jur grömmigfeit unb ju einem tugenbb,aften Söanbel ermahnte, fo fucr)te er aud;
bie Reform beS SenebiltinerorbenS übertäubt ^u förbern burcb, feine ©Triften De regi-
mine claustralium, einen Kommentar jur Senebdtinerregel, berf. 1486; De visitatione
monachorum, eine Anleitung jur SSifitation ber Senebiftinerflöfter, berf. 1490; De
modo et forma celebrandi capitulum provinciale patrum ordinis S. Benedicti 55
Mogunt. provinc, berf. 1190; Enchiridion s. epitome statutorum capitularium
Ord. S. Bened. per prov. Magunt. et dioec. Bamberg, berf. 1491, unb bie meb,r
erbaulief) gehaltenen 33üd)er De Religiosorum sive Claustralium tentationibus, berf.
1487; De statu et ruina Monastici ordinis, berf. 149:»; De triplici regione Clau-
stralium et spirituali exercitio Monachorum, berf. 1497 ; bie ©d;riften De vanitate 60
134 SritljemtiiS £riumplju§
et miseria vitae humanae, berf. 1485, unb Institutio vitae sacerdotalis, berf. 1486,
enblttf) faKten bet ©rtoecfung unb Verbreitung ber ©ottfeligtett audj in einem Weiteren
Greife bienen. Did)t olme SSert für bte Kenntnis ber Deligiofität im Zeitalter unmittel=
bar bor ber Deformation finb bte ©d)riften Cursus s. officium quotidianum, Rosa-
5 rium et oratio supplicatoria de s. Anna, berf. 1499 ; De miraeulis b. Mariae vir-
ginis in Dittelbach, öerf. 1511; De miraeulis ad invocationem b. virg. Mariae
in Urticeto extra Helbronnam, berf. 1516; Liber octo quaestionum ad Maxi-
milianum Caesarem, berf. 1508. §ier mögen aud) bie Briefe be§ £ritb,emtu3 genannt
tuerben. SBeitaug ben größten Dufym ermarb er fiel) al<§ §iftorifer; aber biefer Duljm
io mar unberbient. £ritb,emiu<§ fdjrieb nid)t al§ ©efd^tcfytfcfyreiber, fonbern er berfafjte aU
Patriot unb al§ SRöncb, Senbengfdjriften put Verherrlichung SDeutfdjlanbg unb feines
Drbeng. @r benutze nict/t nur bte eckten Quellen fyödjft leichtfertig, fonbern er trug aud),
mo es if)m an Duellen fehlte, fein Vebenfen, Quellen ju erbieten: ©eine ©rfinbung ift
ber ©efcfytdjtfcfyreiber £mnibalb, beffen 1. XVIII historiarum er als Quelle für bte
15 fxänftfcb^e Urgett bon 440 bi§ auf ßbjobomecb, benü|t I)aben miü; ebenfo ber fulbifdje
ßfyronift SJiegtnfrib, bem er angeblich feine Dacfyrtdjten über bie erfte ^ßeriobe be§ Älofterö
£irfd)au (830—1050) entnahm, ©o bleibt il)m gmar ba3 Verbienft in ©eutfcbjanb ben
erften ©runb jur allgemeinen ©elel>rten= unb t^eologifc^en £itterargefct)id)te gelegt ju
l)aben, aber ab§ ©efd;id)t3quellen finb feine ©djrifien, fo mett er nidjt bon feiner eigenen
20 ^eit fbritfjt, unbrauchbar. (Chronicon Sponheimense 1502, fortgebt 1509; Annales
Hirsaugienses 1514; Comp, fundat. mon. S. Jacobi 1509; Vita Rabani 1515;
Vita s. Maximi ep. Mog. 1515; Oratio in laudem Ruperti, Tuit. abb. 1492;
De origine, progressu et laudibus ordin. Carmelit. 1492 ; Comp. prim. vol. ann.
de orig. Franc. 1514; Comp, de orig. gent. Franc. 1514; Catalogus illustrium
25 virorum Germaniam suis ingeniis et lucubrationibus omnifariam exornantium
1495; De scriptoribus ecclesiasticis 1487 — 1492, 2. Bearbeitung 1494; De viris
ill. ord. s. Bened., 1493. (05. £. ®üpt>ti f) £<mif.
£riuitt}jI)U&, 2luguftinu§ 1243—1328. — ©Triften: Summa de potestate eccle-
siastica, Slugsburg 1473 je, ple^t 3?om 1584 «gl. Sjjottljafl unb §arjn; 3 Iirct)enpoIittfct)e
so Sraftate bei @ct)oIj; fömtlicrje SSerFe banbfcfiriftlid) in ber bat. 83:61. — Sitteratur: g. S.
Eurtiu§, Virorum ex Ordine Erem. August, elogia, Stnüoerpen 1636; ©anbo!fu§, Disser-
tatio bist, de 200 Augustinianis scriptoribus, SRont 1704; ©ctjulte, ®efc^. ber Quellen unb
Sitt. b. tanon. 3ftect)t§ II, <&. 193; griebberg, ®ie tnittelalterlidtjen Sefjren über ba§ 33er=
tjältniä bon Sircfje unb (Staat, 3®9t 1869 (gießt ausführliche 3nfjaitSü6erfict|t ber summa);
35 (Bctjols, 5ßubltäifttf pr $eit $t)ilibb§ be§ ©djönen, in firdjenredjtl. 9I6l)anbIungen bon <StuJ$,
£eft 6-8, 1903; £>afler, ^abfttmn unb Ätrtfienreform, 1903, 33b I, @. 82.
SDie BiograblSie be<§ SErionfo beruht auf ben banegr/rtfet) gehaltenen Vertaten be§
6urtiu§ unb ©anbolfuä. ©anad) ift er in Slnfona au§ altbatrijtfdjer gamilie 1243
geboren. 3JJit lSQafyren trat er in ben Slugufiinerorben, mürbe megen feiner glänjenben
40 ©aben pm ©tubium nad) $ari<3 gefd)idt, mo er Stomas b. Slqutno unb Bonabentura
Böttc. 33alb mürbe er SDagifter unb liielt felbft Vorlefungen. 1274 mürbe er bom $abft
©regor X. auf ba§ ^on^il bon Sijon berufen, 1277 nad) Vabua al§ ^rebiger an ben
§of be§ dürften granj ßarrara. ©bäter ift er mieber in Slnfona unb mirb bon bort
bon Mönig Äarl II nad; 9ceabel berufen, mo er al§ Vrinjenergiel^er, bertrauter Ratgeber
45 unb ©efanbter be§ Königs eine grof?e bolitifdje Dolle fbielte, aber aud) für bie 2lu§=
breitung unb görberung feinet DrbenS auf§ befte forgte. @r ftarb 85 ^a^te alt in Deabel
am 2. 3lbril 1328. Über feine ^ablretcbert ©Triften fiefye ba§ 3Serjeid;niö be§ 6urtiu§,
abgebrud't bei©d)olä ©.173. Ix., fein geben lang ein eifriger Slnfyänger ber bäbftlicfyen
2lHeinr)errfd)aft, berbanft feinen Damen befonberS ben firci)enbolitifc|ien ©d)riften. 1308
50 tritt er mit einem bon ©enifle, ginfe unb ©d)olj ib^m jugefcb.riebenen 'Sraftat Contra
articulos inventos ad diffamandum sanetissimum patrem d. Bonifacium papam
als Verteibiger be§ älnbenfenö biefe§ ^ßa^fteS auf. ®er nationale ©egenfa| tritt ftarf
b, erbor : bie SSab, l be3 granjofen 6lemeng V bat ©ott jur ©träfe ber ^ttefte jugelaffen ;
bennoc^ barf man ib,m ben ©eb.orfam nid)t bertoeigern, man mufj nur aHe§ baran feiert,
55 ba§ bie 5?urie mieber nacb, Dom jurücffornrnt. Weitere ©Triften au§ biefer Qzxt finb:
Super facto Templariorum, De potestate collegii mortuo papa. £jn bem erften
febreibt er bem ^Sabft ba§ alleinige Ded;t ju, über $e|er ju urteilen, alfo gegen ba§ 3Sor=
ge^en beg ^onigg in ber Semblerfadje, in ber jmeiten berteibigt er bie ^ä^ftltdje 9Jtacb>
bollfommen^eit gegen bie oltgarcbtfcben ©elüfte beö 5!arbinaIgfoßegiumg, ebenfo in ber
60 ©d)rift Contra divinatores et somniatores gegen bie Singriffe ber ©biritualen. ©ie
SrijtntyljttS Xtondfin, 2. 135
gufammenfaffung feiner ©ebanfen giebt er in ber Summa de potestate eecle-
siastica, getrieben ca. 1322 unb $abft So^nn XXII. geWibmet. Sie unmittelbare
23eranlaffung baju War ber erneute $amtof bes ^ßabftes mit ben 23arfüf$er=Dbferbanten
unb mit ßaifer SubWig (bgl. §aEer ©. 83 f.). SDie Xbeorie ber bäbftlidjen SWmacbt ift
in ber Summa fo botlfommen ausgebildet, Wie nur benfbar, befonbers gegenüber bem 5
Äaifer unb ben dürften. SMn ©efe£ eines weltlichen ^jerrfcfyers ift berbinblicfy aufjer fo=
weit es bom ^}abfte beftätigt ift. ©er $abft fann bas ^aifertum beliebig übertragen, ben
Äatfer ernennen unb abfegen, alle dürften muffen ib)m ben S£reueib fcfywören, finb alfo
einfach feine Untertanen, aud) in 93ejie^ung auf bie weltlichen ©üter, über bie bem
$abfte eigentlich bie Verfügung gufieEjt, aucf; Wenn er fie nicr/t bireft ausübt. ©er *Pabft 10
bat b,öb,ere 2öürbe als @ngel unb ^eilige, barum gebührt ifym dulia, thurficatio, genu-
flexio (quaest. 9). Über bie berfönlict/en Dualitäten bes ^abftes: quod si contingit
aliquos assumi ad summum pontificatum qui non sunt boni homines, sunt
tarnen boni praelati (quaest. 1 art. 5). 2Iucf) Wenn ber ?ßa^ft ber ©imome ober offen=
barer SSerbrecb, en fcfyulbig ift, bleibt er bas §aubt ber Strebe, Wenn aud) ein franfes. ©ie 15
3Sorfcbriften bes bofittben Stents binben ifm nic§t, ba er bie Quelle aller 9ted)te ift, unb
für bie üßerle^ung bes natürlicben $ecf;tes ift er ©ott allein ^Rec^enfc^aft fdjmlbig. $ein
Sflenfd) barf ib,n rieten, ober il)m Wegen feiner Untaten ben©eborfam berWetgem. 3luv
eine Sücfe ift nocb : ber ^ßabft fann Wegen §ärefte abgefe|t Werben ; gleichwie ein toter SRenfct)
fein 2Jcenfc&, mel)r ift, fo ift ein feijerifct/er t$abft fein $abft meb,r. 9Jitt all bem t)at X. nur 20
basfelbe gejagt, Was t>or unb nacb, ib/m biele $äbfte unb Geologen. @s ift bie flafftfd)e
mittelalterliche ©oftritt, unb bon ber ^rarjs gerabe eines Sonifag VIII. ober ^ob, ann XXII.
nicfyt allzuweit entfernt. $ein SBunber, ba| $or)ann bon bem Söerfe bocb, entjücft War,
unb baft es ^^rljunberte lang eine gunbgrube ber ^urialiften unb ein ©egenftanb ber
^olemif ib,rer ©egner Würbe. ©ie neuere fatt;. ©efcfyictjtfcbreibung le^rtt feine 2lnfid)ten 25
ab unb bejicfettgt ib,n gefcfymacflofer Übertreibung (^3aftor, ginfe), Was bie ©efcbmacfIofig=
feit betrifft mit Stecht: er ift „ein ttwifcfyer Vertreter ber fyerabgefommenen, banbWerfs=
mäßigen ©cfjolaftif" (§aller). 9t. ©d)mib.
£rottd)ttt, %1) eobor, geft. 1657. — Sitterotur: ©efer. £>aag, La France protestante
1. 91ufl. 33b IX; g. Stdjtenberger, Encyclopedie des Sciences religieuses 33b XII, @. 234; 30
S3orgecmb, L'Academie de Calvin, Geneve 1900.
Sfyeobor %., nicf/t %u berWect/feln mit feinem Urenfel unb üftamensbetter Xbeobor X,
bem berühmten 2lrjt bon Voltaire (geft. 1781), Würbe 1587 ju ©enf geboren unb ftarb
bafelbft 1657, befannt als Drientalift, Sfyeolog unb ^ßolemtfer. ©ein SSater 9temt, aus
ber ßfyambagne gebürtig, War ein ausgezeichneter ^riegsmann in ber fvangöfifcben Slrmee, 35
flüchtete aber, nacb bem ©. Sartbolomäusblutbab, nafy ©enf. ©ort Würbe er freunblicb,
bon X^eobor be Se^e embfangen, Welker 5patb,e feines erftgebornen ©ob,nes Würbe unb
fbäter i^m feine Pflegetochter als ©attin gab. Xfyeobor erbte bon feinem 33ater einen
mutigen ßbarafter unb bon feinem ^5aten eine ftrenge Sln^änglic^feit gur ßalbinifd^en
Glaubenslehre. 1606 Würbe er angeftellt als ^rofeffor ber orientalifd)en ©brachen an *o
ber ©enfer Sffabemie, 1608 als Pfarrer in ber©tabt, 1618 ^rofeffor ber %i) eologie unb
bojierte bis an feinem £ob. Qn bemfelben ^a^re Würbe er, mit feinem Kollegen ^obcinn
2)iobati, ju ber ®orbred)ter ©tjnobe, als Slbgeorbneter ber Venerable Compagnie ber
©enfer ^rebiger gefanbt unb berteibigte ßalbins ftrenge JPräbeftinationslefjre gegen bie
Slrminianer. ®ie beiben ©enfer ^eologen gingen fo Weit, bie, bon ©taatsWegen aus= 45
gefbrocfjenen, ©trafen gegen bie befiegte Partei gutjub, elften. 1632 Würbe %. als §elb=
brebiger bei bem $erjog ^einrieb, b. 9tot;an, Wäb,renb feines legten gelb^uges in ber
SSalteEina, angeftellt. 1653 unterhielt er einen 33riefWecb,fel mit bem ©Rotten 3- ®";
raus über bie 3JiitteI, £utb,eraner unb ßalbiniften ju bereinigen. Sei biefer ©elegen=
beit fcfjrieb er eine Harmonia Confessionum, Welche nocb, ungebrueft in bem ©enfer 50
3lrcfjib liegt.
SBerfe : Cotton plagiaire ou la verite de Dieu et la fidelite de Geneve, main-
tenues contre les aecusations du P. Cotton, jesuite, contre la Bible de Geneve,
6. 1620; De bonis operibus, G. 1628; Oratio funebris de Henrico duce Rohani,
G. 1638; De peccato originali, G. 1658. ©. Sottet^-Hautt). 55
£rondjin, SubWig, geft. 1705. — Sttteratur: ®tefelbe wie für ben St^eobor, baju:
3- ©oberel, Histoire de l'Eglise de Geneve, G. 1862, 3. S3b.
Souis %., geb. 1629, geft. 1705 ju ©enf, ©ob^n bes borb, ergenannten, ftubierte auf
ber ©enfer unb fbäter auf ber broteftantifcfyen Slfabemie bon ©aumur, Wo er ben isor=
136 £rond)in, £. Srufcer
lefungen be§ Sfto'ife 2lmbraut beiwohnte, beffert „llniberfaliämug" burd) ^eobor^. heftig
angegriffen getoefen toaren. 1655, nacfybem er ein (gramen bor ben reformierten ^arifer
^3rebigern ju 6t)arenton glüdlid; burdjgemacr)!, würbe er aU Pfarrer in ber £t/oner ©e=
meinbe berufen; unb brei %afyxz f^äter Wie3 er einen Duf afö $rof eff or an bie 2tfabemie
5 bon ©aumur ab. 1661 Würbe £. %. jum ^rofeffor ber Geologie gu ©enf erWäfylt unb
!am in feine §eimat jurüd. 3Son nun an erroie§ er fid) al§ ein Vertreter ber freifinnigen
Did)tung unb ber ©ulbfamleit. 1669 burd) feinen Kollegen SDieftrejat unterftü^t, ber=
langte £. %. bie 2lbfd)affung be§ @ibe3, welker aüen Äanbibaten auferlegt Würbe, leine
Neuerungen in ber ßaltomifdjien Sefyre, 3. 33. bie UniberfaUtät ber ©nabe u. f. W. borju=
10 nehmen. £. %. unterhielt einen au§geber)nten 58riefWed)feI mit fremben (Metrien au§ bem
ganzen ©uroba, b/at aber wenige 33üd^er »erfaßt.
9SerIe: Disputatio de Providentia Dei, G. 1670; De auctoritate Scripturae
Sacrae, 1677 @. aSottet=3Raurt).
Araber, $rtmu§, geft. 1586, unb bie Deformation in $rain. — Sitteratur:
15 $r. £ruber§ «riefe, gef. u. erläutert 0. %f). ©l^e (93tbl. b. litt. 23eretn§ in Stuttgart, 215. 33b,
£üb. 1898; %al 2Inbreö, Seid)prebigt fr. 2ruber§, %v&. 1586; SßalDafor, Sie ®$re $rain§,
1689; SSernt). Dtaupadj, ©tiang.Oefterreidj, §amb. 1732—46; Srjr. grb. ©dmurrer, ©laüifcfjer
SSücftexbrucE in SBürttemberg im 16. %cA)X%, %ül. 1799; SobrotoStö, ©lairin, SBrag 1806,
2. StuSg. u. §anfa, $rag 1831; Sopitar, ©rammatif ber flau, ©pradje in Srain, Saibad)
20 1808; Mitteilungen be§ Ijtftor. 33erein§ in train, ßai&ad), feit 1846; §. ©. 28. ©Wem,
«BrimuS Sruber, Erlangen 1861 ; %. ü. 9tabic§, §erbarb ». StuerSperg, Sßten 1862 ; 2lj. ©Ige,
Sie ©uperintenbenten ber euang. Äird)e in Srain tt>äl)renb be§ 16. Satjrlj., SSien 1863; $. 3.
©afarif, ©efdjtdjte ber fiibftattiijdjen Sitteratur, tjerauSgeg. Don 3. Sirecef, 1. SSb, ^ßrag 1864;
2lug. Simi|, ©efdjidtfe ®rain§, Saibad) 1874—76; 3. Softrencic, ltrfunbltd)e Beiträge jur
25 ©efdjiclite ber prot. Sitteratur ber ©abflauen Don 1559—65, SSien 1874; %$. glje, Sie ltni=
Derfität Tübingen unb bie ©tubenten au§ Shain, %ub. 1877; galjrbud) ber ©efeUfdjaft für
bie ©efditcfjte be§ $roteftanti§mu§ in Oefterretd), SBien u. Seipjig, feit 1880. Sarau§ befon=
ber§ abgebrucft: %%. ©Ige, $aul Sßiener, SSten unb Seipä- 1882; %%. @Ije, Sie floDen. »rot.
©efangbüdjer be§ 16. 3al)rf)., SSien unb Seidig 1884; berf., Sie ff. prot. ®ated)i§men; Sie
30 ft. pr. «BoftiHen; a. a. D. 1893; berf., Sie fl. pr. ©ebetbiidjer ; Sie ff. pr. 3ftitual=, ©trete,
Sefir= unb SSefenntni§=©d)riften, a. a. 0. 1894; berf., Sie ft. pr. 33ibelbütf)er be§ 16. 3aW-,
a. a. D. 1895; 3- Sofertl). Sie Deformation unb ©egenreformatton in ben inneröfterreid).
Säubern, ©tuttg. 1898; berf., Elften u. Sorrefp. 5. ©efd). ber ©egenreformatton in 3tmer=
öfterretd) unter ®§. ®arl, SSten 1898, unter gerbinanb II., SSten 1906.
35 2)ie !ird)Iid)en unb religiöfen 3"fiänbe ^rain§ waren ju Slnfang be§ 16. ^afa
t)unbert§ nidit fcb.Iec^ter unb nidjt beffer al§ anbertoärtg. Deligiöfe Unwiffenfyeit beö SSolfeg,
fittlicije SSerfunJenr)ett im £leru3, ItvcE>Itd^e gönnen o^ne innere^ £eben gingen mit meit=
berbreitetem Aberglauben unb ©ittenlofigleit §anb in §anb. ©0 fanben bie £eb,ren ber
Deformation auc^ t)ter bei ernfteren ©emütern balb (gingang (1525). ©cr)on 1527 ber=
40 fammelte fid) ein Ärei§ ebangelifcb, gefinnter SRänner in £aibad), ber §aufctftabt be§
£anbe§, um SUtatt^iaS ^lombner, ber ftoäter berfcfiiebene Ianbe§fürftlid)e unb lanbftänbifcfye
Ämter belleibete. ®ab,er liefe Äönig gerbinanb I. bie ftrengen fog. Dfener ©eneralien bom
30. Sluguft 1527 unb manche anbere Serbote ber et>angelifd)en £eb,re aucb, in ^rain
bubltjieren, hod) olme bielen (Srfolg.
45 ®a begann im %a$xt 1530 ein junger lrainifct)er ©eiftlid)er, ^rimuä SEruber, in
Unterlrain unb Unterfteier gegen aftifebräucfye in ber fat^olifc^en ^ird)e, in^befonbere gegen
bie ©inroirlungen ber angeblichen 3Sifionen einiger übelberüdjtigten Söeiber in jener ©egenb
öffentlid) ju brebigen unb ba§ SSolf jur redeten Sufee unb ^ur @rlenntni§ be3 alteinigen
§eilanbe^ ^efu 6|rifti mit beutlicfyen 3«u0nifj«n ber ^eiligen ©cfyrift unb nacb, Slnleitung
50 be3 cb,riftlid;en tated)i§mu§ l^injuroeifen. ^rimu§ trüber war 1508 ju Dafdjija bei
2tuer§berg, 3 SReilen bon £aibad) geboren, ein ©ob^n beg gimmermamv» unb Äird)en=
borftet)er§ 5Ricb,aeI Xruber bafelbft, ein Untertan unb @rbb,o!b ber greit)erren (fbäter
©rafen unb dürften) bon 2luer§berg. ^m 2IIter bon 13 ^a^ren (1521) befugte er bie
©d)ule in giume, fbäter bie ^u ©aljburg unb gu Sßien, roar aber fo arm, bafe er, roie
55 £utr/er, Suttinger, SDiat^efiuS, Silber u. a. al<§ „^artelen^engft" ftdt) fein 33rot bielfad^
erfingen unb erbetteln mufete. Dtine eigentlich auf einer Uniberfität ftubiert unb fid) bie
$enntm3 ber grtedt)tfdc)ert unb fyebräifct/en ©brad)e angeeignet ju b,aben, feb/rte er (nod)
bor 1526) in feine §eimat jurüc!. ^n bem trefflichen, bem bfterretct)ifcr)ert §umaniftenlreife
anger/örigen, eine ebangelifcb,e Deformation innerhalb ber römifcfyen Äircb.e anftrebenben S3ifd)of
60 $eter S3onomo bon trieft fanb ber junge, nicfyt ungebilbete 9JZann einen root)lmoHenben
Sruber 137
23efd)ü|er unb 2lsobdtl)äter, tüeldjier tfyn gunäc^ft in feine Kantorei aufnahm, ifm unter
feiner Seitung jutn ^riefter augbilben liefe, ifcm bann bie Äablanei Sei ©t. SRarjmiltan
ju ßilli (bor 1530), fbäter (1540 u. 1541) aucfy bie Pfarreien ju Sad frei Ratfcfyad; unb
ju SLüffer berfcljaffte. £ier an ben Ufern ber ©abe trat er mit ben ermähnten $re=
bigten auf. ©iefe führten ifm (1531) nadj Saibad;, mo er ^uerft im £>om, bann aber, 5
ba ifym bjer ber 33ifd;of fein gegen bie ©fyeloftgfeit ber ©eiftlidjen unb bie StuSteilung
be3 SKbenbmafylS unter ©iner ©eftalt, fotrie für bie Rechtfertigung allein burcb, ben ©tauben
abgelegtes geugntS f erbot, in ber ftäbtifcfyen ©bitalSfircfye ber bl. ©lifabetb brebigie. ©eine
in Trieft entroid'elte ebangelifdje Richtung marb um biefe geit geftärft unb erweitert burd)
bie ib,m jugelommenen itommentarien ^ßetlifanS unb 33ullinger§ (1532), bie if>m als 10
Unterlage unb Ricfytfcfynur feiner ^rebigten bienten. Salb (1536) fci/Iofj ficb, ifym bier als
^rebiger beS ©bangeliumS ber Saibadjer ®omb,err $aul Söiener an, ber fbäter ber erfte
ebangeltfcfye SBifcfyof Siebenbürgens warb (geft. 16. Sluguft 1554). T. mufjte ficb. jtoar
1540 bon Saibacl) auf bie ib,m berliefyene Pfarrei Sad gurüdgiefyen unb berweilte biel in
Trieft bei 33ifdjof 33onomo, warb jebocb, 1542 jum ®omb,errn in Saibacb, ernannt, 1544 15
ncbft $aul 2öiener Dom SBifdmf mit ben beuifdjen unb toinbifd)en ^prebigten im 2)om
betraut, unb 1546 mit ber bem Saibacfyer ©omfabitel gehörigen Pfarrei ©t. 23artf)oIo=
mäenfelb in Unterlrain beliehen, $m 2luguft 1547 benutze jebocb, ber Saibacfyer 23ifd}of
Urban Terror, Der als §ofbrebiger, 33etct)tbater unb Stlmofenier beS Königs meift in
©ien lebte, unb ein greunb beS $gnatiuS bon Sofyola unb beS ßlaubiuS %a\uä mar, 20
bie günftige Gelegenheit ber fiegreic^en SBeenbigung beS fcf)malfalbifd;en Krieges unb ber
Stbreife Äbnig gerbinanbS jum Reichstag nacfy 2fugSburg, um gegen bie §äubter beS
ebangelifcfyen ÜBefemttniffeS einen bernidjtenben ©d)Iag *u führen. SDer ©eneratbilar ©eorg
^ragolu) unb ber ©omfjerr 5ßaul Söiener mürben gefänglich eingebogen. T., gerabe in
feiner Pfarrei ©t. 2krtf)oIomäenfelb abwefenb unb rechtzeitig getoamt, entging biefem 20
©cbjdfal burdj> %lud)t an fixere Drte; feine 2öob,nung in Saibacfy Warb jebocf) erbrochen,
feine Süd^erfammlung Weggenommen, er felbft aller feiner ^ßfrünben beraubt. 23ermutlid;
war er jetjt (menn nicfyt fcfyon 1540) eine geit lang Winbifcfyer ^3rebiger in Trieft. $m
folgenben %ab,xt (1548) burfte er gtoar in feine §eimat gurüc!!eb,ren, mufjte jebod) alSbalb
aufs neue flüchten. SBtS an bie ©ren^e Tirols berfolgt, gelangte er bod) glüdlid) nacb. 30
Nürnberg, ^u bem belannten reformatorifcfyett ^?rebiger 35eit ©ietrid). Stuf beffen @mbfeb,=
lung toarb %. aföbalb (1548) grüb,brebiger in Rothenburg an ber Zauber. §ier begriuu
bete er ficb, ein Familienleben unb befcb.äftigte ficb, aucb, bamit, feinen Sanb^leuten ba§
©bangelium, ba§ er i^nen nicf)t mel)r ^rebigen fonnte, in ib,rer minbifcfyen (flobenifc^en),
bi^Ejer nie in ©cfmft fixierten ©))racb,e jugänglicb, ju machen. Rac§ mancherlei 9Jiüf>en 35
gelang il)m biefe^, unb 1550 erfd)ienen bon ib,m (unter bem ^3feubom)m Philopatridus
Illyricus) bie erften Sucher in biefer ©brache: 1. ßatecbjfmug, 2. Stbecebarium bnb ber
Hein 6atecb,ifmu§, beibe in Tübingen mit beutfcfyen Settern gebrucft. Qm Sa^re 1^52
toarb T. Pfarrer in Kempten, lie^ aber feine litterarifc^e Tl)ätigfeit rub,en, jumal beren
Soften feine SRittel überfliegen. ®a trat $. ^ß. SSergeriuö, ber fic^ gern in aüe§ mifcf)te, 40
mit il)m in SSerle^r unb litterarifdjie SSerbinbung (1555—57). 2lug biefer gingen
1555 jmei Heine ©Triften be§ 33ergeriu§ unb brei arbeiten TruberS b,erbor, nämlic^:
3. Ta Ev. S. Mateusha, 4. Abecedarium, 5. Catchismus (in 16°), fämtlidj
1555 in Tübingen mit lateinifcfyen Settern (bon ba ah für bie flobenifc^e Sitteratur
bleibenb) gebrucft. Rad) Söfung biefer sßerbinbung beröffentlicb,te T.: 6. 1557 Nov. 45
Test. I (bie 4 ©bangelien unb bie 2IbofteIgefcb,id)te), 7. 1558 En Eegishter OßofMe),
8. 1560 Nov. Test. II, a (Römer), 9. 1561 Nov. Test. II, b (1 unb 2 Äorintf;er;
©alater), 10. 1562 Articoli oli deili etc. (eine 3ufcmunenaitf!un0 oer 2lug§burgifc^en,
SBirtenbergifcfyen unb ©äcb,fifc^)en Honfeffion), 11. 1564 Ordninga cerkovna (^irc£)en=
orbnung), äße ebenfalls in Tübingen gebrucft, jum Teil in gefcfyäftlicfyer ^Berbinbung mit 50
bem in Uratf; angefiebelten grei^errn %an§ Ungnab. ©effen Tob (27. SDej. 1564) b,emmte
iebocf; T. in ber gortfetjung feiner litterarifcben Tb,ätigfeit nicfyt. @§ erfcljienen: 12. 1566
Ta celi Psalter; 13. 1567 Nov. Test. II, c ((Sbbefer, ^ilitotoer, Moffer, 1 unb 2
ifieffalonicfier, 1 unb 2 Timotf>eu§, Titug, ^b,iIemon); 14. 1567 Ta celi Catechis-
mus etc. (^ircb,engefangbucf)) ; 15. 1570 (?) Ta celi Catehismus etc. (2. 3lufl.); 55
16. 1571 Ta celi Catehismus (3. 2lufl.); 17. 1575 Try duhouske peisni (3 geift=
licfye Sieber, ^ufammen mit ©eorg SDalmatin unb ^ob^nn ©d^tuetger); 18. 1575 Cate-
hismus sdveima islagama; 19. 1577 Nov- Test. II, d (Hebräer, ^afobuö, 1 unb 2
betrug, 1, 2 u. 3 Sofyanneg, ^uba§, Offenbarung; in 8°); 20'. 1579 Ta pervi Psalm;
21. 1579 Ta celi Catehismus (4. Slufl, Satbad)); 22. 1581 Formula Concordiae; eo
138 XvnUv
23. 1582 Nov. Test. (2. 2luSg.); 24. 1582 Ta Slovenski Kolendar (SMenber). —
Wafy %.3 %obe erfdnen nod) bie bon ilnn fyinterlaffene Überfe^ung bon Sutl>erS Voftitle:
25. 1595 Hishna Postilla etc. (gol., herausgegeben burd) fSfeüjtan trüber). 2tHe biefe
33üd)er würben, mit StuSnafyme bon 9fr. 21, in Tübingen gebrückt, unb aufjer ifmen
b fyaben Wir bon %. nur nod; eine Heine ©d)rift in beutfcfyer ©bradje.
hingegen Würben biele biefer 23üd)er, namentlich baS 5Reue SEeftament, faft gleidj=
geitig (1560—65) in bie Irobatifcfye (tHr/rifdje) ©brad)e übertragen, Weldje $. notbürftig
lefen, aber nicfyt fd)reiben lonnte. ©tebfyan ßonful, ein frobatifd->er Vriefter, geboren 1521
gu ^inguente in ^ftrtert, 1549 Wegen ebangelifcfyer ©efinnung aus $rain bertrieben,
10 fyatte 1552—53 in %.§ §aufe $u Stotljenburg unb ^ernbten als franler ©aft gelebt unb
War bann auf beffen ©mbfefylung Sefyrer in 6b, am (Dberbfalj) unb (1553) Kantor unb
Äollaborator an ber bamalS berühmten „^ßoetenfdtule" (Si^eum) in 9frgenSburg geworben.
|rier begann er eines ber flobenifcfyen 33üd)er %.§ ins $robatifd)e gu übertragen unb gab
biefem natürlich babon Kenntnis, Wäfyrenb er jugleid) fid) bemühte, frobatifc^e b. i. gla=
15 golifd)e Settern jum ©rucf feiner SCrbeit ju befommen. %. fe^te SonfuI mit bem grei=
|errn §anS Ungnab in SSerbinbung, melier benfelben nad) Urad) berief unb mit ifym
b^ier feine belannte frobatifdje (nid)t flobenifcfye) Überfe£ungS= unb £)rucfanftalt begrün=
bete, beren Seitung er jebod} %. übertrug. Slufjer ©tebljian ßonful arbeiteten für biefelbe
unb an berfelben : Slnton ab SlleEanbro gen. ®almata, ©eorg ^uritfdjntfdj), ©eorg gWe^itfdj,
20 £>err Seonfyarb 9Jfrrd;eritfcr;, SJiattljnaS ^ßoboWitfd), §anS SMefct/ebaj u. a. 2tuS iljr
gingen 31 2öer!e in frobattfcfyer ©brache fyerbor, teils mit gIagoIifc|en, teils mit cbritli=
fd)en unb teils mit lateinifcfyen Settern gebrückt, aufjerbem nocb. 6 2öerfe in iialienifd>er
©brache.
^njmifd;en toar in Ärain bie ebangelifdje ^Bewegung immer weiter borgefcfyritten unb
25 baS 3Ser^aIten beS faifyolifcfyen Uterus gegen biefelbe immer unleiblidjer geworben. S5ieS
beWog 1560 bie Irainifd)en Sanbftänbe, beren Weltliche SDfrtglieber nun fd)on faft fämtlicb.
ber ebangelifd)en Äircfye angehörten, gur Crbnung unb Seitung berfelben %. als Sanb=
fd)aftSbrebiger nacfy^ram jurüdäuberufen. 9Jur fdjiwer trennte fid) biefer bon feiner Iitte=
rarifd^en ^ätigfeit unb ©teHung in ^embten unb Uracfy, bod) traf er enblid) am 26. $um
30 1561 in Saibad) ein, bon feinen greunben unb 2lnfyängem feftlicr; eingeholt unb bor
feiner üKSoIjmung bon ber ©tabtmufi! mit biertelftünbigem Olafen beS „De Teum lau-
damus" begrübt. ®odj lehrte er nad; einigen Monaten nod; einmal nad; Urad) jur
2tbtoidelung feiner bortigen ©efdjäfte jurücf unb überfiebelte erft im $uni 1562 mit
feiner ^"lilie gänglid) nad) Saibad). 2luf Setreiben beS bortigen 33ifd)ofS ^ßeter bon
35 ©eebad) trafen jebod) balb faiferlid)e Sefeb^Ie bom 12. Stuguft 1562 ein, %. nebft anberen
ebangelifd)en ^ßrebigern (^uritfd^itfd), ?Öiatfd)t!, 2ulfd;a!, Stotabej, ©trabiot) unb Sdatt^iaS
0ombnern gefänglich einjujieb^en. infolge ioirffamer 23erWenbung ber Sanbftänbe Warb
biefer SefebJ bafnn abgeänbert, ba^ ST. bom SBtfdjof betört Werben fottte. ®ieS gefd)ab,
am 6. unb 20. SDejember 1562, Wobei natürlid) bie grage bie §aubtfad^e bilbete, ob er
40 SlugSburgifcber ^onfeffion fei. ©leicbjeitig mit bem 33erid)te beS SBifcfyofS über bieS Ser^ör
ging jebod; ein anberer ber Sanbftänbe (bom 27 ®ej. 1562) über ben 33ifd;of unb feine
unb anberer SDomgeiftlicfyen Unfittlid)leit an ben Äaifer. Qnfolge b^ierbon Warb bie Unter=
fud;ung gegen %. eingefteüt, unb bagegen eine anbere gegen ben 3Mfd)of eingeleitet, ber
jebod) bie Weiteren folgen berfelben abjuWenben Wufete.
45 Ungeb^inbert fuf)r %. nun in feinen organifatorifdjen arbeiten fort. SDie ©emeinben
Würben georbnet, neue ©eiftlid)e, 5. 33. ©ebaftian kxtl (1563) Würben angefteßt unb
ein ebangelifd^eS Sanbfc^aftSgbmnafium unter ber Seitung Seonb^arb 33ubinaS in Saibao)
errichtet (1563). Natürlid? fteKte fidj fofort baS SebürfniS einer flobenifd)en Slirdjenorb*
nung b^erauS, Welche %. aus ber Württembergifd)en, nürnbergifd)en unb mecflenburgifcfyert
so sufammenftellte unb bem ©ruc! übergab (f. oben 9Zr. 11). SDiefeS Unterneltmen §og i^m
aber ntdjt allein in Württemberg burd? ben übereifrigen ^an^Ier %al Slnbreä eine 3Ser=
bäcb^tigung feiner Iutb,erifd)en Sledjtgläubtglett ju, bie er nur mit SfJiü^e befeitigte, fonbern
eS Warb aucb. bie Seranlaffung feiner gänjltcr/en Verbannung aus ^rain.
Stuf Slnorbnung Äaifer gerbinanbs liatte !urj bor beffen ^obe fein ©oljm ©r^erjog
55 J^arl bie Regierung ber inneröfterreid)ifd}en Sänber übernommen. 2lm 28. Slbril 1564
liefe berfelbe fidj in Saibad; b^ulbigen. 2tlS er am ©onntag in ben £)om ^ur SKeffe ging,
begleiteten if)n bie ©tänbe jWar bis jur Äird)e, gingen bann aber gur 5ßrebigt %.§ in
bie nahegelegene @Iifabetb,!ird)e, unb lehrten hierauf jum 5Dom jurüd, bon Wo fie bann
ben SanbeSfürften wieber l)eimgeleiteten. 3nft>tse berartiger Vorgänge Warb eS %.$
60 2Biberfad;ern leicht, bem @rgt)ergog bie beabfidjtigte ©infübrung einer neuen 5!ird)enorbnung
Zmbtv 139
als einen ©tngrtff in feine £obeitSrecfyte bar^ufteßen unb Um $u bewegen, nicfyt allein
biefe ^ircfyenorbnung ju berbieten, fonbern aucb, %. als beren Urheber für immer auS
Ärain ju berbamten. W\t ©nbe gult 1565 berliefj biefer feine §eimat abermals unb
fab, btefelbe nur nocb, einmal bei einem ganj lurjen 33efu$e 1567 Wieber. @r r)interlief}
fcfyeibenb feine Sücfyerfammlung feinem üßaterlanbe, Woburcb, er bie erfte öffentliche 23iblio= 5
tbef (mit 3lu§Ietf>en ber Sucher gegen fd&riftlicfye Seftätigung u. f. W.) in ®rain grünbete,
unb toanbte ficb, nact) Söürttemberg, Wo er juerft (1565) $farrer in Saufen am SJecfar
unb bann (1566) in SDerenbingen bei Tübingen warb. -Jcacfybem er als ©eelforger unb
©d)riftfteller (f. oben Rr. 12—24) nocb, manches ©ute mit Rat unb %$at bollbracfjt
batte, ftarb fttx im @rjte ber Reformator Drains unb ©rünber ber flobemfcfyen Sitteratur 10
am 29. ^unt 1586.
I.S -Jcacbjotger in Saibacb, all ©uberintenbent ber ebangelifcfyen Sltrcfye in ^rain War
©ebaft. $rel, gebürtig bon 28ibbacfy, ein ©cfyüler be§ glaciuS QU^ttcuö in $ena unb
^HegenSburg. @r War ein frommer ftiHer SJcann, Welker (aufjer einer beutfcfyen ©ct)rtft
ju ©unften feinet SeljrerS) in flobemfct/er ©brache einen lleinen ^atedjnSmuS für ben 15
©cfmlgebraucb, berfafjte, einige Jlircbenlieber bietete, unb ben üffiinterteü bon ©bangen=
bergS $oftiüe ins ©lobemfdje überfeine (gebrudt ju RegenSburg 1567), aber fc£)on ju
2öeifma$ten 1567 an ber ©cf)Winbfuc|t ftarb. 2Bäbrenb feiner 2lmtSfüfyrung Warb (1566)
ber fbäter als erfter flobenifcber ©rammatifer berühmt geworbene 2Ibam 33ocf)oritfcb an
©teile beä benfionierten Seonljarb Subina als Reftor ber SanbfcfyaftSfcf/ule in SaiBact) 20
angeftellt.
Stuf ßrel folgte (1569) ßfyriftobb ©binbler (geb. 1546 &u ©öbbingen in 2i>ürttem=
berg) als ©uberintenbent ber ebangelifcfyen £irct)e Drains. SDiefe Ijatte bamalS (2lnfangS
1570) bereite eine folcfye 2luSbebnung gewonnen, bafj 24 beutfdje unb Winbtfcfye ^rebiger
im Sanbe angeftellt Waren unb bie reformatorifcfye Bewegung bon I)ier auS ju ben Kroaten 25
unb anberen fübflabifcben ©tämmen gu bringen begann, <Ero$ äußerer Unruhen, 33auern=
aufftänben unb SLürlenfämbfen Wenbete ficb ©binblerS %fy ätigleit unauSgefe^t bem inneren
2luSbau, ber §ebung ber ebangelifcfyen ©eiftlicfyJeit, ber Drbnung ber älrmenbflege, ber
Drganifation beS ©dmltoefenS ju. ©emeinfam mit 2tb. S3oc£)orttfc^ rief er eine Reu=
geftaltung ber SanbfcfyaftSfcbuIe ins Seben (1575). ©leicbjeitig aber begann ©rjberjog 30
Üarl unter bem ©influffe feiner baierifcben ©emafylin unb feiner jefuitifcben Umgebung,
gegen bie frainifcfyen ^roteftanten einjufc^reiten. %voi$ feiner beftimmten, ben Sanbtagen
mebjfacb, erteilten guficfyerungett, niemanb um feines ©Iauben§befenntniffe§ Willen ber=
treiben, nocb, unge^ört berurteilen ju Woßen, lie^ er bennocb, (feit 1569) auf feinen
^ammergütern in ^rain ftrenge SJJa^regeln gegen bie ^roteftanten ergreifen unb beren 35
^rebiger berjagen. Slucb, beranlafjte er in§get)eim bie 93ifcb,öfe bon 23rirm, greifing
unb ^ßaren^o ju gleichem 23orgeb,en auf i|ren 33efi|ungen in Ärain unb bem baju
gehörigen ^ftrien. ®ie§ führte bie Sanbftänbe bon ©teier, Kärnten, ®rain unb ber ©raf=
fcfjaft ©örj auf bem ©enerallanbtage in 23rucf an ber 5Rur 1578 ju einem gemeinfcbaft=
liefen ©dritte beim ©rjb, erjoge, infolge beffen biefer bie @r!lärung ab^ab, bie broteftan= 40
tifcb,en ©tänbe, aueb, bie Sauern, in ibjem ©eWiffen niebt befcfyWeren, nocb, if)nen Wegen
ber Religion ba3 geringfte Seib jufügen ju Wollen, ficb, jeboc^) bie ReltgionSbiSbofition in
ben (Ianbe§fürftlicf)en) ©täbten unb SRärlten borjub ehalten, jeboc§ bie ebangelifcfyen ^]re=
biger unb Sefjrer aus ©raj, Saibacb,, Älagenfurt unb Qubenburg niebt bertreiben ju
toollen. Übrigens Weigerte ficb bzx @rjf>erjog biefe ©rllärung, bie fog. „Srutfer 9Migion3= 45
baeififation" (bom 9. gebruar 1578), Welche überbieS einer auSbrücflidjen 33erbflic|tung
für bie Racbfolger entbehrte, fcbriftlic^ gu geben. ®ie berfammelten Sanbftänbe, Welche
mit 2luSnabme beS geiftlicben ©tanbeS unb 2—3 einzelner SJJitglieber ficb, fämtlicb, gur
SlugSburgifcben ^onfeffion be!annten, fdjloffen bab,er nocb e'ne Übereinkunft ju gemein=
famer Sßerteibigung unb ©ntwicfelung ib^reS &ircben= unb ©cb,ulWefenS unb einigten ficb, 50
iur Verausgabe einer flobenifcb, en Sibelüberfe^ung für bie Winbifcb, e 33ebölferung in ^rain,
Kärnten unb ©teiermarf.
%ro$ ber bom (Sr^erjog fortgefe^ten llnterbrücfung beS broteftantifcb, en SefenntniffeS
in ben IanbeSfürftlicb,en ©täbten unb SJcärlten fcb,ritt bie @ntwic!elung ber ebangelifci)en
Sirene in Ärain immer Weiter fort. %üv baS neuerWacb,te geiftige Seben beS SanbeS batte 55
ber Saibacber Sürger §anS ?Öiannel febon 1575 eine 33ucbbrud"erei in Saibacb erriebtet,
auS Welcher Wäb,renb ibreS lurjen fünfjährigen ^eftebenS 29 'Drucffcfjriften (14 beutfeb^e,
9 flabifdb,e, 6 lateinifebe) berborgingen, barunter (©. S)almatin) Jesus Sirah 1575; ein
Catehismus (1578; Juritschitsch, Postilla Spangenberg (3. leite; ber erfte ift ein
SBieberabbrud: ber Ärelfcben Überfettung bon 1567, f. ob.); Ant. Vramecz, Kronika 60
140 Xvnbev
vezda 1578; J. Tullzhak, Kerfzhanske leipe molitve (£>abermann) 1579, unb
mehrere Werfe ©eorg ®almatins.
©eorg ©almatin (fo, nid)t ©almata, fyeifet fein Familienname) mar um 1546 31t
©urffelb in Untergrabt in ärmlichen Serfyältmffen geboren unb bis in fein 18. JJafyr in
5 2lb. 23od)orttfd)' Sribatfdmle bafelbft unterrichtet toorben. ©urcf) SE.s gürforge unb gürfbracfye
fam er nad) Württemberg in bie ebangelifd)e Mofterfd)uIe ju Sebenfyaufen bei Tübingen
(1565—66), bann in bas %iffemum ju Tübingen (1566 — 72). 9Rad)bem er fidE) fd)on
1569 fyier ben 2Ragtftergrab erworben fyatte unb 1572 in Stuttgart examiniert unb orbi=
niert toorben mar, toarb er (1572) Srebiger in Saibad), toobei er jugleic^ (1574—85)
10 bie ebangelifd)e ^ircfye %a 33igaun in Dberlrain, unb bann (1585—89) bie Pfarrei ju
©t. ßanjian bei 2tuerstoerg ju beforgen batte. Seiber ftarb er im beften 2llter am
31. 3luguft 1589 gu Satbad). Wie burcfy Socljoritfcf) fbracbjttd), fo burcb, %. litterarifcfy
fyerangebilbet unb in bie Öffentltdjfeit eingeführt (f. oben bei %. ittx. 17), ift er auf bem
©ebiete ber flobenifcfyen Sitteratur beffen größter Dfacfyfolger im 16. 2saf)rl)unbert unb
15 barüber Innaus getoorben. 2Iufeer fIobemfd)en föircfyenliebem in %.§ ©efangbud) (feit
1574) gab er feinem Solle: 1. Passion (brof. unb poet. bearbeitet) 1576; 2. Biblia I
Oßentateud)) 1578; 3. Salomonove pripvvisti (©brücke ©alomos) 1580, — fämtlid)
in Saibad) gebrucft, unb 1584 bal §aubttoerl feines Sebens: 4. bie Überfettung ber
ganzen BJL ©ct>rift, unb ^ugleicb, 5. eine neue (5.) Stuflage bes Mrd)engefangbud)e2>, unb
206. ein Setbücfytem toinbifd) (nad) 2tnbr. 9JcuscuIus; 2. 2Ius>g. burcfy geli^ian %., Tübingen
1595), leitete brei 1584 in Wittenberg gebrucft. ©almatins flobenifcfye Sibelüberfcimng
toar übrigeng fcfyon im ^afyre 1580 boUenbet, unb ber Sucfybrucfer §. SRannel fyatte im
felben $ja|re bereits ein ^robeblatt berfelben für bie frainifd) en, I ärnttfd)en unb fteirifd)en
Sanbftänbe gebrucft, ba berbot ©r^erjog $arl biefen SDrucf, liefe -Kännels Sucfybrucferei
25 ftoerren, unb Verbannte biefen felbft aus $rain unb allen feinen Sänbern. ®ie genannten
Sanbftänbe, toeld)e ja fd)on 1578 gu Srucf a. b. SRur bie Verausgabe ber flobenifcfyen
Sibelüberfeijung befcfyloffen Ratten, liefen beffenungeadjtet im folgenben I^afyre (bom
28. 2luguft bis 22. Dft. 1581) eine Konferenz Don Geologen unb Biologen aus ü)ren
Sänbern jur 9rebifion berfelben in Saibacb, ^ufammentreten. ®a3 toicfytigfte 3Jiitglieb
30 biefer Serfammlung näd)ft bem Überfeiner felbft toar ber berühmte flabifcfje Slnlolog
Slbam Socfyoritfd), ber einige ©djmlmann neben ben übrigen ©eiftlictjen. Sodjorttfc!) toar
als Untertan bes greifyerrn §ans llngnab in llnterfteier (Stann'O geboren unb fyatte
1546 bie Uniberfität Wittenberg befugt, too er namentlich SMancfytfyons ©d)üler toar.
§eimge!ebrt blatte er 1551 in feinem eigenen §aufe ju ©urffelb an ber ©abe in Unter=
35 frain eine ©dml= unb @rjieb,ungganftalt gegrünbet, aus toeld)er eben aud) ©. ©almatin,
fein berüfymtefter ©cfyüler b, erborgegangen toar. IJm Qafyre 1566 toar er als 9teftor bes
Sanbfc^afts^^mnafiums nad) Satbacf) berufen toorben, too er für bie gtoetfe biefer 2lnftalt
fegensretcb, toirfte, aud) 1578 ein Elementale Labacense unb einen Donat brücken
liefe. %üx bie 9tebifion ber 33ibelüberfe|ung ©almatinä erhielt er 1581 ben Auftrag, bie
40 Stegein für bie richtige ©djreibtoeifc ber flobenifdjen ©^rad;e in lateinifdjen 33ud)ftaben
ju enttoerfen, unb 1583 toarb er mit ©. SDalmatin bon ber Irainifcfjen Sanbfd^aft nacb,
SBittenberg gefd)idt, um gcmetnfd;aftlicb mit bemfelben bort ben ©ruc? biefer 33ibel ju
leiten unb ju übertoad)en, ber jum 3teujab,r 1584 beenbigt tourbe. Sei biefer ©elegenf)eit
beröffentlid^te er feine berühmte flobenifcfye ©rammatif: Arcticae horulae succisivae
45 de Latino-Carniolana literatura, Wittenberg 1584, toeldje nebft ©almatins Sibel bis
jur ©egentoart bie f!obenifcb,e ©bracfje unb Sitteratur beeinflufet ^at. 2Son 2öitten=
berg jurüdfgefel^rt, toarb Socfioritfd) SDtitglieb bes ebangelifd)en ©d;ulrats in $rain, aU
toelcljer er nod) 1598 lebte, ©ein 2!obesjab,r ift unbelannt.
Siocb, im 3ab,re 1580 Ratten 20 ©eiftlid)e unb 10 ©djulbiener in ^rain bie ßon=
50 forbienformel unterzeichnet. SDod; fehlte es an 3Racb,touc^§, befonbers an flobenifd)en Sre=
bigern. ©ie frainifcfye Sanbfd)aft berief baljer im felben Qafyre (1580) geUjian trüber,
Srimu§ 1.§ jüngeren ©ob,n, al§ Srebiger nacb, Saibacb,, ftiftete 1582 brei ©tibenbien
für 2:f)eoIogie=©tubierenbe in Tübingen, too aud; ber §erjog bon Württemberg jtoei
©teilen im ^iffemum für Irainifcfje Sanbe§!inber referbiert blatte, unb berief besgleic^en
55 1582 jur toeiteren (Enttoicfelung bes Sanbfd)afts=@t)mnafutm3 ben belannten §umaniften
9|i!obemus grifcfylin al§ dititox an bes alternben 33od)oritfcf) ©teile. §ier berfafete biefer
feine Strigilis unb feine Quaestiones grammaticae, toeld)e er gegen feine 2lmtsber=
bflid}tung of)ne ©ene^migung feiner Sorgefe^ten 1583 in Senebig bei ©elegenfyeü einer
übermäfeig berlängerten Serienreife jum ®rud' brachte. Übertäubt mod)te fid) grifd;Iin
so feinen Sorgefettfen (unter benen fid; aucf) fein faft gleicfmlteriger Sanbsmann, ber ©uper=
Sniticr 141
intcnbcnt Gfmft. ©binbler, Vodtoritfct; unb ©almatin befanben) nicf/t gern unterorbnen,
unb berliefj bafyer fdwn 1584 Satbacr) toieber. SBäfyrenb feines Aufenthaltes in Urain
warb f)ier (SBeifynacfjten 1583), mit geringerer ©cfytoierigfeit als anbertoärtS, ber neuber=
befferte Äalenber eingeführt.
Letten biefem regen inneren Seben ber ebangeltfdjen ^ircfje in $ram ging aber aud) 5
fort unb fort bie Verfolgung ib/rer Vrebtger unb Anhänger b,er. ©o in ©brj, 2Bibbact;,
Ärainburg, SiabmannSborf, SBifd^ofladE, ^atfdjacfr,, SJietlmg, SRitterburg (^ftrten), ©eno=
fetfd), S3elbeS unb Vigaun. ©inline ©eiftlicfye entgingen nur mit $ot bem fcf)toerften
3cf)icffale; in Selbes fam eS ju bewaffnetem ©infcfyreiten ; bie SanbeSredjte unb SanbeS*
freifyeiten Würben toielfacr) berieft; bie auswärtigen in Ä'rain begüterten Vtfcl)öfe endogen 10
ficb, mit §ilfe beS SanbeSfürften bem natürlichen 9?ecf/tSgang ; bie althergebrachte, r/eilig
befcfytoorenc Verfaffung beS ^»erjogtumS $rain Würbe mannigfacfj gebrochen unb gelodert.
2Bäb,renb biefer traurigen Vorgänge ftarb ©r^erjog $arl am 10. ^uli 1590. Unter ber
Regierung ber Vormünber unb ©ubernatoren feines mtnberjäfyrigen ©ofmeS, ©r^erjog
^erbinanbS (fbäteren föaifer $erbinanb II.), trat eine 3eit größere 9tub,e unb Erleichterung 15
ber ebangelifcfyen Äirtfje in ®rain ein, Wenn fcf^on bie Vebrücfung nicfjt ganj aufhörte.
211S aber ©r^er^og gerbinanb, ber gögling i>« ^sefuiten in ^ngolftabt, im %afyxe 1596
bottjär)rig geworben mar, unb bie SanbeSregierung übernahm, begann baS unbulbfame
unb gewalttbatige Vorgehen gegen bie Vroteftanten aufs neue. Unter Vegünftigung beS
SanbeSfürften festen ficb, 1596 bie 3>efuiten ju Saibad) feft; ber ®ombec§ant StfyomaS 20
ilreen (6f>rbn), ©ob,n beS geWefenen VürgermeifterS unb sJtatSljerm Seonb/arb Streen,
eines Vroteftanten, ein Übergetretener boß $enegateneiferS, Warb am 18. Dftober 1597
äum Vifcljof bon Saibacf; ernannt, unb 1598 ber gefügige Jlatfyolif ^ofebf) bon Stabatta aus
©örj als SanbeSbicebom nad) Rxam gefdneft. ©0 Waren bie Vorbereitungen getroffen,
um ben bon ben $efuiten befcf)Ioffenen, bon ©r^erjog gerbinanb in Soreto gelobten $lan 25
ber Ausrottung beS VroteftantiSmuS in ^rain auszuführen. 2)er Abel beS SanbeS,
ebenfo eifrig ebangelifcfr, als lotjal unb treu gegen feinen dürften, burcfyblicfte biefe 9tänfe
nicfyt. 3ioc| (Snbe beS %a§x?$ 1594 fyatte bie £anbfd£>aft ben ^rebiger geligian trüber
jum ebangelifcfyen SanbeSfuberintenbenten gemalt, unb 1595 burd) ibm feines VaterS
|interlaffeneÜberfe|ung bon Sutl)erS Vofiille bruefen laffen; im %af)xt 1597 blatte fie 30
ein neues §auS für ir)re SanbfcfjaftSfcfiule gefauft; gegen einzelne ©eWaltfyanblungen Wie
bie Vertreibung beS ^rebigerS M. $ol). ©noilfcfyif im %ul\ 1598 befcfywerte fie fiel)
beim SanbeSfürften, natürlich erfolglos. Vlieben bod) bie broteftantifcfjen ©tänbe faft bis
äum ©cfyluffe beS traurigen ®ramaS in ber naiben Hoffnung, burdj VefcfyWerben unb
klagen, buref) Vitien unb gießen ein Vorgehen aufhalten ju fönnen, Welct/eS nur ber 35
AuSflufj beS bom SanbeSfürften unb feinen jefuitifcfyen Ratgebern im Verborgenen ge=
faxten Vefd)luffeS mar, ber ebangelifcfyen £trd)e in £rain unb ben anberen inneröfterreic|i=
fcfyen Sänbern um jeben VreiS ein @nbe §u machen. %xo§ ber im ©ebtember 1598 er=
folgten Unterbrücfung ber ebangelifcb.en ^irc^e in ©teiermarf traf eS bal)er bie ^äubter
berfelben in ^rain bennoeb, mie ein betäubenber ©onnerfc^lag, als r/ier im Dftober beS= 40
felben ^jafyreS baS ©leiere erfolgte. 2tm 22. Dftober 1598 erlief? ©r^erjog gerbinanb
ben Sefeb,!, ba| alle berjeit in Saibacl; antoefenben Vrebiger unb ©cfjulbiener, meiere ber
2lugSb. ^onfeffion ^ugetljan feien, angeficfyts biefeS Vefef)IS fieb, aßeS weiteren VrebigenS,
gungierenS unb ©c|ulf;altenS in feiner ib,m gehörigen §auj)tftabt Saibacb, gänjlicf; ent=
galten, bor Sonnenuntergang bie ©tabt unb beren Vurgfrieben, unb innerhalb breter 45
2age alle feine Sänber bei Verluft SeibeS unb SebenS bertaffen foUten. 2tm 29. Dftober
1598 traf ber Vefefyl beim SanbeSb,aubtmann ©eorg greib,errn bon Senfomitfd), einem
bobbelbeutigen Äat^olifen, in Saibad) ein; am 1. sJcobember 1598 begab fid) ber Vifc^of
Stb^om Äreen in feierlicher Vrojeffion in bie brot. ©lifabetpircf^e, gerri^ bie b,ier befinb=
liefen ebangelifcf;en Vüc^er, serfcb,lug ben Saufftein unb las 3Jteffe bafelbft. 2lnftatt beS 50
gefc^Ioffenen broteftantifcfyen Sanbfcb,aftSgt)mnafiumS eröffneten bie 3^"'^n ifyre neue la=
teintfcE)e ©cf;ule ju Saibacb,. ©ie bertriebenen Vrebiger: ©uberintenbent M. gclijian
Iruber, M. «Nif. SBuritfcf;, M. ®an. S^lanber, 3Dcarf. ^umbrec^t unb M. ©eorg ßlement
berbargen fief; flüchtig eine 3«i lang in ben ©cf;löffern ber broteftantifcljen ©belleute in
^rain ober in Kroatien. ®a aber tl)re Verfolgung unter 2lnbrol;ung ungeheurer ©elb= 55
ftrafen gegen ifjre Vefdjütjer unb felbft unter Aufbietung bewaffneter ©ewalt fortgefe^t
tourbe, ba auef) beren grauen berbannt, broteftantifef^e Veerbigungen beftraft, ein etn=
gefangener, fieb^igjä^riger Vrebiger, 6b,rift. ©Ube^, gebunben auf baS ©ctjlojj Saibad; ins
©efängnis gebraut, unb übertäubt bie ©egenreformationSma^regeln immer mef)r ber=
fdjärft tourben, toäfyrenb bie dürfen brennenb, raubenb unb morbenb baS Sanb, felbft no
142 Srufier
bt§ in bie -föäfye ber §aubtftabt, burc^ftreiften unb baju in Saibacb, unb anberroärtS bie
Sßeft auSbracb, — : ba erft begriffen bie broteftantifcfyen ©tänbe ben ©rnft ber Sage unb
entließen, tote bie Sefyrer, fo aucb, (im grübjafyr 1600) ib,re bis bafyin nocb, immer befolbeten
^ßrebiger. geligian trüber ging nacb, SEBürttemberg, mo er Pfarrer in ©rüntfyal mürbe.
5 ©o enbete unter geli^ian SEruber (1598) bie ebangelifdjie $ira;e in ®rain, bie unter feinem
Vater VrtmuS trüber (1561) ifyren Sittfang genommen I)atte; beibe, Vater unb ©ofyn,
ftarben im @rjl.
Quv Velefyrung ober Vertreibung ber Vroteftanten unb Sertilgung aller ©buren beS
VroteflantiSmuS in $rain ernannte ©r^erjog gerbinanb im %afyxt 1600 eine fog. 9Mi=
10 gtonSsReformattonSfommiffton unter bem SSorft^ beS VifdmfS 2b, omaS $reen, melier
er eine HKacfytbollrommenljieit übertrug, bie er recfytlicfy felbft nid^t befafj. ©tefelbe inaugu=
rierte tl)re ^ättgleit am 29. SDe^ember 1600 mit einem großen Slutobafe bon mefyr als
2000 broteftantifcr/en Supern auf bem SDiarftblaije in Saibad), unb feiste biefelbe Ijter
unb im gangen Sanbe mehrere ^ab,re Ijnnburcr/ fort. £>ie ebangeüfdjen ®ird)en mürben
15 teils mit Vulber jerfbrengt, teils berbrannt, teils bem lat^olifd^en SRttuS gemeint ; bie
griebfyöfe mürben mit gcuer bermüftet, bie ©räber fyerborragenber Vroteftanten unb ber
^rebiger in ben $ird)en aufgeriffen, bermüftet unb bie borfinblicfyen ©ebeine ins SBaffer
geworfen. Vefcfymerben barüber blieben fo frucf/tloS als früher bie Sitten. ®ie lebenben
2lnt)änger beS ©bangeliumS mürben borgelaben, ©elb= unb ©efängniSftrafen »errängt,
20 ©igentum unb Vefi| fonfiSjiert, ober beren Vefi|er berbannt unb ber 10. Pfennig bon
ifyrem Vermögen, ©rmerbe unb @rbe erhoben. Von ben ©trafgelbern unb bem 10. Pfennig
mürben bie Soften ber Äommiffion beftritten, unb mit bem Reft marb baS ^efuiten=
fottegium in Saibad) unterftü|t, bem bafyer bon 1601—1620 mefyr als 16 000 ©ulben
juftoffen. 5Reb,rere lanbeSfürftlicfye SDefrete (1600—1602) Verboten in ©teiermarl, Kärnten
25 unb $rain jebe SluSübung ber ebangelifdjen Sefyre in Äirdjen, ©cfyulen, ©djlöffem unb
Vrtbatmofymmgen ; alle Vrebiger, Sefyrer, Vräjebtoren, ©Treiber unb ©cfmlmetfter, meiere
nid)t ber fatfyoltfd^rö^ifcfyen Religion anhängig, mürben als Stufrüfyrer binnen 8 S£agen
bei Verluft i^rer fcobt unb ©üter, U)reS SetbeS unb SebenS aus aßen Sänbern beS @r^=
fyer^ogS berbannt; ben nobilitierten Verfonen, ben ebangeltfdjen Pflegern unb ©Treibern,
30 bürgern unb Sauern ber ©belleute marb befohlen, latb, oüfti) ju merben ober mit §inter=
laffung beS 10. VfemtigS auSgutoanbern ; ber Ianbftänbifd)e Slbel follte binnen 6 Monaten
feine ebangelifcfyen Veamten buret) raifjolifcfye erfetjen, in bie 3Jiagiftrate unb ju SanbeS=
berorbneten füllten nur $atl)oIifen gemäht, bie 2lufnab,me eines Verbannten foßte an
Setb unb ©ut geftraft merben; ber MeruS marb mit ber (Sbiben^altung ber Veirijtenben
35 unb Slnjetge ber Unge^orfamen unb Renitenten an bie ©erttijtSfyerren beauftragt, meiere
bann ü)rerfeits bei b,ob,er ©elbftrafe gegen bie ätngejetgten mit §aft unb ©ütereinjie^ung
borge^en foUten. Rob^e unb gemalttb,ätige 2luSfiu)rung biefer SRaferegeln bura> Unter=
• lommiffäre führte in einzelnen gälten namentlich in Ärainburg, bis ju SanbfriebenSbrua),
beffen Verllagung beim §ofred)t ber @rjf)erjog jeboeb, berbot. ©egen foIa)e Singriffe auf
40 il)re alten berfaffungSmäfeigen gretfjeiten richteten 33 Stbelige beS SanbeS, barunter
SluerSberg, @gl, ©aK, ^a^taner, Samberg, SRoSfon, ^arabeifer, RaSto, Rauber, ©a)et>er,
©dmiienbaum, ©emenitfc^), ©igerSborf, ^fjurn, Söaagen, Söemeä u. a., im ©ebtember
1609 eine Sorftettung an ben SanbeSb^errn, natürlich o^ne ©rfolg. @ine ©efanbtfdjaft
ber broteftantifajen Sanbftänbe ©teiermarlS, Kärntens unb Drains an ben ^aifer marb
45 bom ©r^erjog aus SBten jurüelberufen unb mit feb, arfen Sefc^ulbigungen unb Slnbrob, ungen
in ü)re §eimat bermiefen.
SDa mit aßebem bie ^atfyolifierung ÄrainS boeb, nur langfam bormärtS ging, begann
bie ReformationS=$ommiffton tE>r SSerf mit neuem @ifer 1614—18. 2;ro|bem mürben
1615 nur 7 Verfonen jur römifcb.en ^iro^e hdtf) rt. Ramentlid) bie grauen aller ©tänbe
50 seiclmeten fic^) bureb, ©laubenStreue unb ©tanbb,aftigfeit auS; unerfdjmttert ertrugen manche
bon ifmen fogar möglic^ft berfcb,ärfteS ©efängnis, efye fie berbannt mürben. ®aS machte
felbft auf bie Verfolger ©inbruef, fo bafe ber ©r^erjog imgebruar 1617 ben ebangelif^en
grauen, beren 3Jiänner latfjolifcb, maren, im Sanbe ju bleiben geftattete. Rocb, 1621 mar
ber VroteftantiSmuS in ben Sllbentälern DberlrainS nicb,t ausgerottet, aber natürUa) fiegte
55 boeb, mit ber 3e^ ^ ©egenreformation immer meb,r, ba bie Vroteftanten nicb,t blofe
jebeS äußeren ©cfyutjeS, fonbern aueb, jeber geiftigen Rafyrung burd; Vrebiger oberVüa^er
in ifyrer flobeniftt^en ©brache entbehrten. Slber ber Stbel beS SanbeS ^ielt noa) feft am
©bangelium; bis 1626 b,atte Vifü)of treen nur erft 12 9flitglieber beSfelben für bie
römtfa)e Äircb,e miebergeminnen lönnen. ®a erfolgte ber le^te ©d)Iag. ©r^erjog gerbi=
eonanb, feit 28.2luguft 1619 Äaifer gerbinanb II., erliefe am 31. Sluguft 1628 ein ©eneral=
Xvnbev SntUamfdje ©tyuobcn 143
manbat für feine (Srblänber, in toelcbem er aßen unfatbolifcben Ferren unb Sanbleuten,
aucf) anberen abeligen 9J}ann3= unb 2Beib3berfonen befahl, binnen eine§ %at)xe§ fatbolifd)
ju werben ober baS Sanb ju räumen. ®a jogen btele -iÖJitglieber ber gamilien 2ti$el=
Berg, 2lbfaltrer, @gl, ©all, Samberg, 2Jiorbaj;, 9Jto<Sfon, '»ßarabeifer, ^etfcbobitfcb, ©$er;er,
©cbtoab, £fcbemembl, 2öaj u. a. au§ ifyrer irjeimat in§ @rjl, meift nad) Nürnberg unb 6
9iegen£burg ; anbere tourben au§ toeltlict/en 9iüdffid^ten ober au§ gurcfyt bor ©träfe Iat£)o=
(ifcb. ©iefe tourben burd) 9lang unb Söürben belohnt, für jene tarn naty unb nact) ein
neuer Slbel ins Sanb. Unb trotj aßebem fanb e§ bie nocfy befteb, enbe 9Teligiott<o=9reforma=
tionSfornmiffion nocb im 3M 1642 nötig, ebangelifcbe ©belfrauen unb Kräutern aus ben
gamilien 2ti>faltrer, SBarbo, ©au, §afiber, ^ßel^ofer, üftaumbfcbüffel, ©cbtoab, 2öerne<f u. a. 10
bor u)r Xribunal ju laben, um fie %u befebjen ober ju berbannen. (Sinjelne ebangelifcbe
^erfonen gab e3 im frainifcfyen 9lbel nocb in ber ^weiten §älfte be§ 17 ^abr^unberts,
unb 3jobann 3ßetfJ?arb §reif)err bon 33aIbafor läfjt in feiner 1689 erfcfyienenen berühmten
(S^rontf „SDie @bre ^rainl" bei allem 33emüben al<§ guter ^atbolii ju erfct)einen eine
geroiffe Vorliebe für bie ebangelifcbe ^irdje nict/t berfennen, ber feine Sorfafyren feit mel;r 15
aU bunbert 3abren angehört Ratten. Dr. e^e -\.
Xwfopttt, SDtärt^rer unb ©rünber eine3 berühmten ®Iofter§ im 33rei§ =
gau um 6 0 0. — SSgl. 9tett6erg, KiräKngefd). 2)eutfd)Ianb3 2, 48—50; griebrid), $ird)en=
ge(cl)id)te ®eutfd)fanb§ 2, 1,607—613; §aucr, tird)engefd)id)te $eutfd)[cmb§, 3. 9lufl. 1, 340 f.
feen 9Serfutf(, 607 als, JobeSjaljr ju ertoeifen, machten SBaur im gretb. ^iö^.Mxd). 11, 247 f. 20
unb lieber in ber geitfdjrift ber ©efettfcljaft für SSeförb. ber @efd)id)te oon g-reiburg k.
13, 79 f.
Unter Subtoig bem frommen tourben im ^afyre 816 bie Reliquien %.§ erhoben, unb
ein ÜJieubau ber 33afilifa an ber ©tätte, mit ber fein üftame in 3Serbinbung gebraut toar,
aufgeführt. ©ie§ ift bie ältefte, unb toobl bie einzig fixere ^iacbrkbt, bie man über it)n 25
bat. 5teuerbing§ toirb ba§ %at)x 607 al3 fein ©terbejafyr angenommen — unter Berufung
auf eine fbätere Queße. ®afs er ein Araber be3 23aiem=2lboftel§ Hubert getoefen, baf$
er nacb, Italien gepilgert, unb bafj er ju ben Slbnen ber Habsburger gebore, toirb bon
ber Segenbe berietet, bon ber $ritif aber bertoorfen; feine §er!unft au§ ^rlanb toirb
nitt)t gerabe geleugnet. 3113 fein %obe§tag würbe ber 26. Slbril feftgefteHt. — ®ie Iegen= 30
bariftt)e Seben3befct;reibung beg 30tärtr;rerg liegt in brei gaffungen bor: 1. toobl au£
3tnla| ber obenertoäbnten ©r^ebung ber Reliquien, alfo im Slnfang be§ 9. ^ab,rbunbert^
entftanben, gebrudt in SOJone, Queßenfammlung ber babifdjen £anbe§gefc^icbte 1, 19—21
unb MG Scr. rer. Merov. IV ©. 352 ff.; 2. berfafjt bon 3lbt @rcr;enbalb im 2lnfang
beg 10. SabrfmnbertS, SJlone ©. 22—26; bie britte 1179 (1280) gefc^rieben, gebrudt in 35
AS 2lbril III, 424 ff. Werter t-
Sntötttttft^c ©Jjttobcw, 680. 692. — Mansi XI @. 189 ff. unb 921 ff. «ßgt. 5- SBalcf),
ßntourf einer ooltft. §ift. ber ßtrc^en«erfammtungen, Setpsig 1759, <S. 432 ff. 441 ff.; berf., @nt=
tnurf einer uoHft. §ift. ber te^ereien, IX, Seipjig 1780 <S. 317 ff., 387 ff., 443 ff.; ©c^röcEtj,
m IX, 474, 508 ff.; Slugufti, SDenfinürbtgfetten au§ ber dir. 2trd)äot.III, 124 ff.; 31. sßidjler, ©efd). 40
ber fird)I. Trennung gtntfcEien Orient unb Dccibent (9Jtünd]en 1864), I, 87 ff.; |>ergenröt£)er,
^otiu§, sßatr. üon Äonftantinopel (3tegen§burg 1867), I, 210 ff., 216 ff.; §efele, (£(S III2 1877
8. 200 ff.
StruHanifcbe ©^noben b^feen ^toei ^ircbenberfammlungen be§ 7. '^afyxfyun'txxW, toeld^e
im ©efretarium be§ faiferlicben ^ßatafteö ju ^onftantinobel gebalten toorben finb. SDiefeg 45
Sefretarium — ein großer ©aal (basilica), toorin ber ©enat bie ©jungen ^>ielt unb
manche befonbere $eierlidj>leiten ftattfanben — führte nacb bem e§ bebedfenben obalen
Subbelgetoölbe ben tarnen xqovXXoq (tqovMo), b. i. ^ubbel; baber bie Benennung
jmer ©t)noben. $Die erfte berfelben, bie 6. aßgemeine ©l;nobe, tourbe im 3- 680 bom
ßaifer SonftantinuS ^5ogonatuä berufen, ©ie bebanbelte in 18 ©jungen bie Beilegung 50
ber bon ben ÜJlonott)eIetert angeregten ©treitigteiten , bgl. über fie b. 21. SJtonotbeleten
Sb XIII ©. 409, 12 ff.
2)ie 6. allgemeine ©fynobe Ejatte ficb, auSfcbliepcb mit ber bogmatifcben Streitfrage
befcf,äftigt. 3um Sebuf ber Reform beS lircblicben 2ebeng berief ^uftinian II. i. 3. 692
eine neue ©imobe, bie toieber im Slrußu§ ju Itonftantinobel tagte. ®er ^aifer toolltc 65
fte^al§ ©rgänjung be3 bor 13 ^abren gebaltenen f elften fotoie be§ unter 3"fttnian I-
ü-j3 ftattgebabten 5. ö!umenifcb,en ^onjilö betraebtet baben. ©ie foßte mit U)nen beiben
144 Statflatufdje Sttnoben
gletct)fam nur ein ^ortgtl bilben; baljer ber üftame ovvodog Tzev&Exrr], Concilium
quinisextum. ©ie ©tjnobe ftellte -jutn angegebenen gwecle 102 KanoneS auf, bie
meift fcfyon beftefyenbe Seftimmungen nunmehr für gefe|lidje Kircfyenorbnungen erflärten,
gum ieil aud) ältere Kanone^ nur roieberbolten. 33on biefen Kanone^ erregte eine 2ln=
5 ga^I 2lnftofj in 9fom. ©abei fommen befonbers folgenbe in 33etrad)t: 1. Kanon 2, ber
85 aboftolifdje KanoneS fanltionierte, toä^renb bie rbmifcf/e Kircfye nur bie 50 anerkannte,
bie ©ionr/ftu? ©rjguus inä £ateinifd)e überfe^t unb in feine ©ammlung aufgenommen
r/atte (f. 33b I ©. 738, 54 ff.). 2luf$erbem fanftionierte bie ©tynobe bie Kanones ber
Kird)enberfammlungen bon 9iicäa, Slncfyra, 9ceucäfarea, ©angra, Shttiodjrien, Saobicea,
10 Konftantinobel (bon 381 unb 394), @br/efu§, Gfyaleebon, ©arbica unb ßartljago, ferner
bie Kanone3 ber Kircfyenler/rer ©ionr/s' unb $etru§ bon Sllejanbrien, ©regoriu§ ^auma=
turgu§, 2ltr/anafiu», aSafiliug be§ ©rofjen, ©regor bon ^ffa unb ^iajianj, 2lm^tIod^iu§
Don ^conium, %imotI)eus', ^eotofyilnS unb 6r;rillu<§ bon 2tleranbrien, ©ennabiuS bon
Konftantinobel, Sfybrian fomie be§ bon biefem gehaltenen Konzils, ©ie abenblänbifcf/en
iB ©fynoben faft fämtlid) unb alle SSerorbmmgen ber römifd)en Sifc^öfe mürben bemnacb,
ignoriert. 2. Kanon 13, ber mit SejieEmng auf 9Jtt 19, 6 ; 1 Ko 7, 27 unb §br 13, 4
unb can. ap. 6 unter au3brücHid)er 2tbleb,nung ber rbmifctyen ©eroolmfyeit bie ?ßrtefter=
ef)e geftattet; nur bie Umgebung einer groeitert @I)e unb bie @b,e mit einer Söitroe (nad)
Kanon 3), bie Verheiratung nacb, ber Drbination (Kanon 6) unb bie gortfetjung be§
20 efyelicfyen Sebeng bon 33ifcf;öfen (Kanon 12) bleiben berboten. 3. .Kanon 36, ber bem
Patriarchen bon Konftantinobel ben 9fang jwar nad) bem ^abfte anroeift, it>n aber an
iSRafyt unb $üße ber ^ßribilegien biefem gleichstellt, meil Konftantinobel bie gtoeite §aubt=
ftabt ber 2Belt fei. ©ie ©r/nobe beruft fid) für biefe ©leidjfteßung auf frühere 33efd)lüffe
öfumenifdjer ©rmoben, namentlich auf Kanon 3 bes Konftantinobolitanum bom £$. 381
25 foroie auf Kanon 28 bes ßfwlcebonenfe. 4. Kanon 55, ber bas> bon jefyer in ber morgen*
länbifc^en Kirche berbotene, in ^tom aber übliche gaften an ben ©amstagen ber Quabra=
gefima nad) can. ap. 66 bon neuem unterfagt. 5. Kanon 67, ber ben ©enujj bon
ÜBIut unb ©rfticftem unter jeber Sebingung berbietet; benn ba§ SBIut fei bie ©eele, unb
roer es genieße, berjefyre bie ©eele. 6. Kanon 82, ber ben ©ebraud) gelbiffer £amms=
30 bilber bon ßbjifto unterfagt, befonber§ ber ©arftellungen bes> Sammes mit bem auf ba§=
felbe ^injeigenben ^ofyaiweS i>em Käufer {a/xvbg damvlcp xov jiqoöqojuov deixvv-
/nevog.
®ie Segaten be§ ^$abfte§ ©ergiu§ I. erflärten fidj ^roar buro) Unterfc^rift für bie
2tnnab,me ber aufgefteßten Kanone^ (Lib. pont. V. Serg. ©.211: In quo et legati
35 sedis apostolicae convenerant et decepti subscripserant — e<§ b,anbelt fid) alfo
nid)t um bie ftänbigen bäbftlic^en 3lbofrifiarier, §efele ©. 344, fonbern um eigene ^ur
©imobe abgefanbte Segaten). 2lKein ©ergiu§ felbft fab, ficb^ burcb, bie angeführten Se=
ftimmungen tief berieft. @§ entging ib,m nic^t, bafe burcb, biefelben bie Slutorität 5Romi,
roelcf/e in ber erften ^ruEanifcb.en ©tynobe einen bebeutenben Sriumbb, gefeiert fyatte,
40 toieber geminbert unb baralfyfiert tberben foEte. 31I§ 3",^"^" ^ü Unterfc^rift ber 33e=
fcb,lüffe bon ifym forberte, lehnte er fie ah unb berroarf biebne^r bie Kanone§ ber Konft.
©tjnobe mit aller ©ntfdjiebentjett unb geftig!ett. ©er Kaifer beftanb auf feinem 3Ser=
langen unb ioar im Segriffe, bie Stnnafyme mittelft getoaltfamer Überführung nad) Kon=
ftantinobel ju ergingen, al§ eine ©mbörung in Sftom au§braa), roelcbe bie 3luöfüb,rung
45be3 fcb,on erteilten 33cfe^I§ unmöglicb, macf/te. (Vit. Serg. ©.211 ff.) Unter ^ofjann VII.
705—707 erneuerten fidi bie SSer^anblungen. 9tun fcl)ic!te gwf^ian jtoei ^etroboliten
nad) Diom mit ber Slufforberung, ber ^ßabft foKe auf einer römtfct/en ©^nobe, mal er
billige, anerkennen, toaö er ablehne, für nichtig erüären. 2lber ^o^nn roagte nid)t, bon
biefer bebenflic^en grei^eit ©ebraud) ju machen: er fanbte bie S3efa)lüffe unrebibiert nad)
50 Konftantinobel jurücl (V Joh. ©. 220).
2lucb, fbäter lam es meber ju einer Ilaren 2lbleb,nung nocb, ju einer borbe^a!t=
lofen 2tnnab,me ber truEantfcben Kanones. §abrian I. fbrad) 785, als billigte er fie (23f.
an 2;arafiu§ MSL 96 ©. 1235); aber ^ofann VIII. 872—882 gog fid; ibieber auf
bie borfid}tige ©rflärung jurüc!, er ner/me bon ben truHamfcf/en Kanone§ biejenigen
55 nidbt an, quae prioribus canonibus vel decretis sanctorum sedis huius ponti-
ficum aut certe bonis moribus inveniuntur adversae (Mansi XII ©. 982). Qm
einzelnen genannt b,at aucb; er bie ab^ule^nenben 33efcb,Iüffe ntcbt.
©ie ©rieben b,aben fie ftets als giltige Sefc^lüffe einer allgemeinen ©bnobe be=
trautet, ©er 1. Kanon ber 2. niccmifdjen ©tjnobe bon 787 ift bierfür bemeifenb (Mansi XIII
60 ©. 748). ftcubetfer f (^ourf).
£rljgo))l)oruS 145
£ttjgoj)fnmt§ (£>cfcntreger), $o£)anne<§, Walbcdifd;er Reformator, geft.
1542. — diellen: ®ie biogvapbjfdjen Mitteilungen in ben Denfnmvbigfeiten feine* Got)ne§
gcmaÄ ({janbfctmftltdj in ber 93ibIiou)ef be§ ©efc£)id)t§Oerein§ für SBalbecf unb Sßln'ntont in
troffen) unb feine nteift ungebrurften Schriften, beren SSorfjanbenfein id) in bem anäufiu)reu=
ben 53ud)e nadjgetuiefen fyabz. Ein Seil ber Ittterarifcfjen £)tnterlaffenfd)aft ift üerloren ge= 5
iiangen. — 8- «gl- 3>tctor ©djulfce, 28albecftfdje D?eformatton§gefd)td)te, Seidig 1903; baut
3.W® 1907, @. 60 ff.
©cbon früf) erreichten bie ©ebanfen SutfyerS bie ©raffdjaft Söalbedt, fei eS auf
Ittterarifd^em üffiege, fei e§ burd) mittelbare ober unmittelbare ©inWirfung ber reforma=
torifd)ert ^Bewegungen in ben Racfybarlänbern Reffen unb Söeftfalen. ©c|on bor 1520 io
treten einzelne ©etftlicbe alä Präger ber neuen religiöf en Qbeen, Wenn aua) nocl) nid)t in
boller 2lu§brägung, fyerbor. $nbe3 erft burd; ba<§ Eingreifen ber Sanbe^tjerren erhielt
bie ßntmicielung eine beftimmte Richtung unb einen fdmetleren ©ang. 25er jugenblidje,
aber Weitfidjitige unb tfyatfräftige ©raf ^ßbjlibb IV., ber in ben füblicfyen £anbe»teilen
berrfcbte, fefyrte Dom Reicr)§tage ju SÜBorms» al<5 entfcfytoffener Slnfyänger 2utl)er3 jurücf. 15
tytylxpp III., bem ba<§ nörblic|e ©ebiet eigen mar, fcbeint bor altem burd) ben ©tnflufj
fetner ^Wetten ©emabiin Stnna b. ©lebe, einer ©cf)Wefter ber Kurfürftin ©ibtytle bon
©atftfen, in ber lutfjerifcfeen 2et>re geförbert ^u fein. 3)urd> ba§ ganje £anb tnnburd)
erfolgten, junäct)ft nocb mit einer gewiffen ©cfyonung, 2Jcafjregeln im ©inne ber Refor=
mation. ©ocb, es> beburfte, um ba§ letjte ftid, bie böllige (Einführung ber ©raffcbaft in bie 20
Reformation, ju erreid)en, eines Geologen, ber mit flarer ©rfenntniä unb feftem 9BtHen
bie (Babi ber Örganifation berbanb. SDiefer Rcann fanb ftd) in ^o^anneö Xrr/gobf)oru3.
$of)ann £>efentreger (gräjifiert Xrtygopfy oru§) ift 1497 in ber am 2tu§gange ber ©ber
au§ Walbedifcfyem ©ebiete gelegenen, gefcbjcbtlicl) mit S3onifatiu§ berlnübften ©tabt grujlar
geboren. 3)ie frommen (Eltern beftimmten it>n bem geiftlicfyen ©tanbe, Wie aud) jWei 25
©cbWeftem in ein Senebiftinerinnenllofter eintraten. Qm 3<*I)r 1516 begog er bie Üni=
berfität ©rfurt unb erwarb f)ier 1517 ba3 bb, tlofobb,ifd;e Saccalaureat. Qm ^alire 1521 jum
^riefter geweift, Wirb er 33eid)tiger ber Sluguftinerinnen in feiner äkterftabt. §ier erfaßt
il)n bie auct) nac& gritjlar borgebrungene neue JBertünbigung. ©r erlennt ben Saturn,
in bem er bt§t)er getoanbelt, unb bem 9Rafje ber Eingabe an ba§ ©bangelium ent= 30
fbrecbenb wirb ber „bäbftlicbe Xrug" für ifyn ein ©egenftanb be§ £affeso. Pontificias
fraudes non tarn novisse quam odisse coepit, berichtet fein ©otm. Run brebigt
er ba3 (gbangelium unb nimmt Wie Sutfyer eine Rönne aU @l)eWeib. ®ie golge ift,
bafe er bie ©tabt berlaffen mufc. Räubern er eine 3«'t ^"3 mit Sßeib unb Minb um=
fyergeirrt, berufen it>n bie beiben ©rafen burd) einen gemetnfamen 2Ht auf Anregung 35
$b,ilibb^ IV als> Pfarrer be§ ©täbtd;enä Sßalbed. @s> War eine Heine ©emeinbe unb
ein abgefdüebener Drt. ©ein fd)öbferifd)er ©rang tritt fd)on fjter fyerbor. ^n 2Balbed
entftanb 1529 eine ^onfirmation§orbnung, jeitlid) bie erfte unter ben btefyer befannten, in
toeld)er tiefe religiöfe @rfenntni§ unb ernfte Seben^auffaffung ben fd)önften EuSbrud ge=
funben ^aben (nad) ber eigenfwnbigen Rieberfd;rift §efentreger§ bon mir beroff entliefe, 1 40
unb getoertet in ber Rf£ 1900, ©. 233 ff.; baju 3lcbelig ebenbaf. ©. 423 ff. mit anberer
Beurteilung unb meine ©rtoiberung ©. 586 ff.).
Sie Berufung nad) SSilbungen 1531, ber geiftig angeregteften ©tabt be^o £anbe§
unb Refibenj ^b,ilibb§ IV., füb,rt ib,n auf bie |)öb,e. %tyt beginnt feine bebeutfame
S^ätigfett al§ Drganifator ber malbedifcben Reformation§lird)e. ©ie tird)licben Rcafe= 45
nahmen ber Sanbest/erren Wurzeln bireft ober inbire!t in feiner ^nitiatibe. Sin ben 3Sifi=
tationen ift er afö ftänbige^ SJUtglieb unb al§ ber eigentliche güf;rer beteiligt. Sluf ib^n
gelten bie Söilbunger ©ä^e bom 25. Stuguft 1539 jurüd, tueldje beftimmt. Waren, bor=
läufig eine Äirdjenorbnung ^u erfe^en. daneben t)at er eine, in feiner Rieberfcfyrift nod)
bor^anbene Äultu^orbnung aufgearbeitet (meine Walb. Ref.=©efd>. ©. 195 f.), ber eine 0»
bortrefflidje UnterWeifung im ^ated)i§mugunterricbt angegliebert ift (©. 278 ff.). ®ie
^irdienorbnung bom Salre 1556 W einen grofeen SEeil beö 3nb,alte§ übernommen.
2lua) im Hird;cnliebe bat fid; £efcntreger berfuebt (©. 286). (Sr berfafjte ferner für ben
©ebraud; im ©otteöbienfte ein Slntib^onar (bgl. (5. ßur|e, ©efd)id)te beg ebangelifcb.en
Äircbengefangeö unb ber ebangelifd)en ©efangbücfeer in bem gürftentum SBalbed, Slrolfen 65
1853, ©. 18 ff.), ©eine „§au#tafel" ^eigt i^n aU Tlann braltifa)er ©rfaljrung unb
religiöfen @rnfte§. ©in bon 6. 6ur|e unter bem Xitel „®er ältefte Walbedifd)e ®ated;i3=
ntu§ bon ^ob,anneö 2rl;gobb,orug" beröffentlid>teg ©d)riftftüd (Seiträge jur ©efa)icbte ber
gürftentümer SBalbed unb «pbrmont 1861, ©. 308—316) ift bielmef)r, Wie ßnofe
(§alte ft>a$ bu fyaft 1900, ©. 215 ff.) nadigeWiefen t)at, ein Konglomerat berfa)iebener, m
illeal=*ncQClopäbte für £f)eotogte unb fttrebt. 3. 81. XX. ] (I
146 £rt)rjopljoruS Sud)
innerlich nid^t zufammengebörenber ©tüde. freilief) finb bamit äffe SHätfcl biefe? nicb,t
untbid)tigen 2:er,te? noeb. nid)t gelöft.
©d>on barau? gefyt fyerbor, baf? £efentreger? eigentliche Begabung unb Neigung auf
bie Drganifation ging, ©arauf fam e? aber aud) bamal? in erfter Sinie an. ®enn al?
5 religiöfe unb ifyeotogifdje Autorität erfannte man näcf/ft ber bj. ©d)rift Sutfyer unb
Wldanü)tf)on an. 33on Einfang E>er I?at bie junge roalbedifcfye Sanbesfirc^e lutfyerifcben
%\)pü§ unb fyielt biefen aud) in ber golge feft. £ier gab e? fein ©cfyroanfen ; calbinifttfd;e
Regungen rourben fcfyroff abgeliefert.
§efentreger befaß ein befonber? feine? Iiturgifd)e§ ©mbfmben. ©eine liturgifdjen
10 ©ebete gehören in Beziehung auf S£iefe, Qnnigfett unb ©brad)e ju ben beften ifyrer 2lrt
im 3fteformation?jar/rb,unbert (einige groben roalb. 9tef.=©efc^. ©. 449 ff.). 2llle? griff
er mit großem (Srnfte an. ©ab/inter ftanb ein ftarfer, oft leibenfdjiaftlidjer Söiße. &ie=
felbe innere ©ntfcbjoffenfyeit, mit melier er ba? ©bangeltum ftd) ju eigen gemacht blatte
unb gegen ^abiften unb ©eftierer al? einen f oftbaren ©et) a£ b/ütete, fyielt ifm, aud) unter
15 barten förderlichen Sefdiiberbcn, aufredet in ben mannigfachen Hemmungen unb ^on=
fliften, bie in einer fo bebeutfamen Umtoäljung naturgemäß ftd) cinftellen. 2tu? feinem,
in ben 3<%en 1537—1542 niebergefet/riebenen ^Eefiament leuchtet ba? Bilb be? außer=
geibör/nlidjen, mit ber gangen ©lut feiner ©eele bem ©bangelium jugettjanen unb
bon ber ganzen §errlid}feit feine? IJnfyaltc? erfüllten SRanne? eigenartig unb einbrud?=
20 boll fjerbor (nacb, ber 9iicberfd)rift feine? ©ofme? mitgeteilt bon mir in ber SRfg 1899,
©. 658 ff.).
(Srfi 45 ^ab,re alt, ftarb er am 3. ^uni 1542, umgeben bon ben ©einen, beren einer,
fein ©obn Qona? un? bie ergreifenben Slugenblide feine? ©terben? aufgezeichnet fyat
(roalb. sJtef.=©efcb,. ©. 130 f.). ©ein ©rab in ber ©tabtfird;c ift gcgenlbärtig ntct)t mebj
25 nacbjuroeifen. 2Bob/I aber ift nod) eine E>öl^evrte ©ebäcf/tni?tafcl mit einer Ignfd)rift bor=
r/anben, bie auf feinen Tiact/folger 3°^ ^bd jurüd'geb,t (bgl. bie Befcbreibung bureb,
21. Sudeler, in ben ,,©efcf;id)t?blättera für 2Mbed u. $r,rmont" 3. S3b, 1903, ©.73 ff.).
©raf Söolrab IL gu Söalbed, ber ©olm be? oben genannten ^3f)ilibb? III., ber §efen=
treger berfönlid) fannte unb al? Berater unb Reifer in f ird)Iicb, en Stngelegenb, eiten gebrauchte,
30 urteilte balb nad) feinem %obe über iljn in einem Briefe: „®a? muß jeber jugeben, baß
er ber einzige geloefen ift, ber in biefer ©raffdjaft ben ©cb,mui3 be? bäbftlidjen ^ultu?
Zu befeitigen gemagt f;at, inbem er an ben ®rolmngcn unb bem £ot)n gottlofcr £eute
mit taubm Dfyrcn borüberzog roie Dbt/ffeu? an ben ©irenen. ©id; ftüljenb auf ba? f>etl=
bringenbe 2öort ©otte? allein al? ben fefteften §alt, § bat er biefe $ird;en faft bon bem
35 ganzen Unrat be? ©ö^enbienfte? unb menfcfylicfyer Überlieferungen gereinigt" SDiefe
SBorte greifen etwa? fyod;, treffen aber im ©runbe ben ilern.
Stn £anbe?teile üföolrab? b,at bernad) ber ©ol;n £cfentreger?, ^ona?, mit "Sicd)t eine
einflußreiche ©tellung innegehabt. (Sr War ein SRann bon feinem firdjlic^en SScrftänbni?
unb braftifebem ©inn, boeb festen if>m ber roeite 33lid unb bie burd)grcifenbe 2lrt be?
4o35ater? (tealb. 3"ief.=©efd). ©. 322 ff.). Victor St^ulljc.
S:fd)cd)cn, Übertritt §nnt Gljriflciitum f. bie Slrt. 2Ben^eI b. §. unb Slbalbert
bon ^rag 33b I ©. 153 f.
Xud), griebrid), geft. 1867. — 9h)fiel in bev ßt^BS 1S8U, @. 169 ff.; ©iegfrieb in
b. ?lb83 38. m, ©.754 ff.
45 gr. %ud) rourbe am 17. SDe^cmber 1806 in Öueblinburg geboren, befugte ba? ba=
mal? unter ÜMtor Slraft? Seitung fteb,enbc ©timnafium ju 9forbf)aufen unb be^og 1825
bie Uniberfität §allc, um fyier tbeologifd)en unb orientaIifd;en ©tubien obzuliegen, ju
benen if)rt ©efeniu?, ber Dleubegrünber ber b,ebräifcb,en ©rammatif unb Sejifograbl)ie,
anregte. ®ocf) trat er aueb, ju §. ©roalb in nähere, für tr)rt bon tief eingreifenbem @in=
50 fluffe geroorbene Beziehungen ; befonber? fyat er fidt) aud) nod) fbäter in feinen 5ßorlefungen
über l>ebräifcbe ©rammatif eng an ©roalb angefd)Ioffen. ^m ^ab,re 1829 %u §aße zum
3)oftor ber ^bi^fof fyie bromobiert, habilitierte er fid) 1830 bafelbft in ber bbilofobbjfdjen
gafultät bureb eine fritifd^e §erau?gabe be? arabifcb,en ^e^te? ber einen %t\l ber ©eo=
grabble Slbulfeba? bilbenben „Sefcbreibung 9)iefobotamien? z»ifd)en ©ubbrat unb Sigri?",
55 zu reeller trjm (Sroalb nacb, feinen ©geerbten au§ bem ©öttinger Roüoc jene? 2ikrfc?
be? berühmten arabifcb,en ©eograbften unb §iftorifer? Beiträge lieferte, ©eine 33or=
lefungen erftredten fieb, z11"0^^ ü^cr ba? §ebräifcb,c unb bie berroanbten femitifd)en
©brachen, fbäter aud) über alle auf ba? 2KL bezüglichen ©i?ziölinen. 1838 crfd)ien fein
§aubtroerf, ber Kommentar über bie ©enefi?, eine in mcbrfad;er ^infidit babnbrcd;cnbc
Xud) 147
3lrbcit. sJ?acr;bcm er bon ber Uniberfität güricb, jum Sijentiatcn ber Geologie ernannt
loorben mar unb fobann in §alle eine aufserorbentlicfye ^rofeffur erhalten I)atte, folgte er
1841 einem 3lufe an bie Seidiger Uniberfität. gtoei ^afyre fbäier, 1843, rücfte er in eine
orbentlidje s;profeffur ein, nacfybem ifym lurj jubor bie tEjeoIogifc^c $aiuliät ber Uniberfität
Tübingen bie tf)eologifd)e ®oftorioürbe berliefyen b/atte. Unter feinen SBorlefungen, bie 5
fieb, eines grofjen gufbrucb/S erfreuten, toaren, entfbrecfyenb ben miffenfcb^ftlicfjen Neigungen
1ucf/S, befonberS bie über ©eograbfyie ^aläftmaS, über fyebräifcfye ©rammatif unb über
baS Sucb, ftiob beliebt. @in TOeifter ber $orm unb in feltencm Stftafce mit ber ®abe
lebhafter Mitteilung auSgerüftet, ioufste er feine gubbrer nid)t nur momentan ;ju feffeln,
fonbern aueb, bauernb anzuregen unb für ein eingefyenbereS ©tubium beS 21SS ju be= io
geiftern, mie biele banfbare (Schüler SucfyS bem Unterzeichneten bezeugt §aben. ©eine
ü8erbienfte um bie tr/eologtfcfye Söiffenfcfyaft unb um bie ®ircf;e ©adjfenS mürben bon
ber Regierung burd) bie Skrleifyung beS Titels eines !gl. fäcfyfifdjen ^ircljenräiS an=
erfannt. 2luc| b/atte er bereits 1853 mit ber britten $rofeffur baS ^anonifat im ©tiftc
3eifc erlangt unb mar einige Qafnx fbäter in bie erfte ^rofeffur eingerückt. @r ftarb naef) ig
längerem Seiben am 12. Slbril 1867
3Me Heineren 2lbl)anblungen, meiere Sud) aufjer feinem ©enefiSfommentare, jumeift
als Seidiger UniberfitätSbrogramme, Veröffentlicht fyat, verfallen in folcfye fbracfylicb/en unb
geograbbifeben ^nfyalteS. 3U om erfteren gehört baS ^ftngftbrogramm Dom $ar)rel854:
De Aethiopicae linguae sonorum proprietatibus quibusdam Commentatio (4° 20
22 2.), meld/eS über bie u^altigen $eb/l= unb ©aumenlaute ber ätb/iobifeb/en ©bracb/e
banbelt, unb ein anbereS Programm aus bemfelben ^afyre über ein älmltcb/eS, im Sitel
bejeicfyneteS ib/ma: De Aethiopicae linguae sonorum sibilantium natura et usu
Commentatio (4° 12 ©.); ferner baS SieformationSfeftprogramm Don 1849, melcb/eS bie
fr/rifd)c $entateud/b/anbfd)rift ber Seidiger UmberfitätSbibliotb/ei' (Codex Tischendorfianus 25
XIII, nicf)t jünger als aus bem 10. ^afyrr/unbert), bie baS ©tüd ©en 50, 7 big @r. 18, 9
(erjl. @r. 8, 22—10, 19) enthält, jutn ©egenftanbe b,at. ®em (Gebiete ber femitifd)en
©bigrabb/il; jugefyörenb unb megen ber ©igenart ber bef/anbelien ^nfc^riften auf bem
©renjgebiete 3mifcb/en ©bract/forfeb/ung unb ©eograbb/te fieb, betoegenb ift ber 2Iuffai$ über
„ßinunbjtoanjig ftnaitifeb/e £mfcb/rtften. 33erfucb/ einer ©rflärung" (juerft in ber ßbm© 30
33b III ©. 129—215; aud? febarat erfeb/ienen, Seidig 1849, 8° 87 ©.), in welchem %u<fy
ben ^iacr/toeiS ju führen fueb/te, bafj ber £)ialelt jener ^nfetyriften ein rein arabifcfyer fei,
meSfyalb i^re $ßerfaffer 2lngeb/örige ber atabtfdjen ©tämme fein müßten, bie, auf ber
§albtnfel emr/etmtfcr), btelleicf)t amaleiitifcb/en UrfbrungeS unb 2lnb/änger eines fabäifdjen
MtuS toaren unb beren Pilgerfahrten ben bortSlamifcfyen Heiligtümern ber ©inaib^atb= 35
infel unb if/ren alt^eibnifdtjen heften galten, wogegen fieb, neuerbingS b,erauSgefteflt b,at,
bafj bie ©)3racbe ber ^nfdjrtftert mit 2lu§nabme ber arabifc()en ©igennamen ein aramäifcb.er
Sialelt ift, beffen fid) jeboeb, bie arabifd)en ©tämme ber feit bem 2. ^afyrfyunbert t>. ßb.r.
bis jur ^eit ^aifer ^rajanS über baS Dftjorbanlanb Dorn §auran bis jum älanitifcfien
2Jceerbufen b,errfcb,enben |eibnifd)en 5Jcabatäer bebienten. 40
■£en größten unb roicb.tigften 'Seil ber lichteren ©d^riften S£uct;S nehmen geogra^fiif^e
Unterfucf)ungen ein. §ierb,er gehören au^er ber bereits ermähnten §abilitationSfd>rift :
Abulfedanae descriptionis Mesopotamiae speeimen (§alle 1830, 4° 29 ©.) folgenbc
SBerfe, meldte auf eine eingef/enbere unb richtigere Kenntnis bc§ SanbeS unb ber ©e=
jcfijdjte beS SolfeS ^Srael unb anberer Sölferfdjaften SorberafienS abmieten unb baburd) 4:,
bem Serftänbniffe ber fyl. ©d;riften bienen mollen : jjunäcbji bie ©c(;rift : De Nino urbe
animadversiones tres (1845, 8° 67 ©. ; als Pärticula I. üon niebt roeiter erfd;ienenen
Commentationes geographicae begeiebrtet), in roeldjer %ud) gegenüber ber bamalS t>iel=
fad) 2tn!lang finbenben Se^au^tung MannertS (©eogra^bte ber ©rieben unb Körner,
Sb V ©. 444 ff.), bafi TOnibe in ber 9cäb, e öon Sab^Ion gelegen ^abe, enbgiltig nad}= 50
toetft, bafj bie etnftige §autotftabt ber Slffyrer nur am öftlic^en Ufer beS Tigris gelegen
baben lönne, maS nebft'ber ^bentifijierung bon ßaladb, mit Sariffa unb bon Jlujunbfcb,i!
mit 2Jiefbila burd; bie @ntbec!ungen eines Sotta, Sa^arb u. a. in 2luffeb,en erregenber
Sßeife beftätigt mürbe; bie groei Programme: „9veife beS ©fyeifb, ^bräb/im el=^l)ijäri el=
SJiebeni burd) einen Seil ^aläftinaS" (^fingftbrogramm bon 1850, 4° 19©.) unb 55
„2lntoninuS SJcarti^r, feine 3eit unb feine Pilgerfahrt nacb, bem SJiorgenlanbe" (^ßfingft=
Programm bon 1864, 4° 39 ©.), Welche bie öertef/te gmeier ^aläftinareifenbcn, eines
1672 n. Gfyr. ©eburt geftorbenen sDlubammebanerS unb eines cf)riftlid;en 2lbenblänberS,
bes im legten Viertel beS (i. ^afyrfyunberts lebenben ^ilgerS aus ^ßiacen^a, bebanbeln
unb burd) bie sIRenge ber barin nicbergelegten intcreffanten unb Wcrtbotlen Seobad)tungcn «1
io*
148 £ud) Sübütger ©djule, ältere
bte Kenntnis bc§ bl. 2anbes> förbern motten; fotüte ba<S Programm über „ÜJlafaba, bie
fyerobianifcfye gelfenfefte, naefy %l Qofetoljmg unb neueren ^Beobachtern" (SieformationSfeft
1863, 4° 39 ©.), in meinem %uty bte Qbentttät jener faft unzugänglichen gelfenfltybe
am meftlicb>n Ufer be§ %otm 3Jleere§, an beren altertümliche 9tefte bon Sefeftigungen
5 unb Söaulicfyleiten ficb~ blutige (Erinnerungen fnübfen, mit bem SErümmerfyügel Bebbeb, jur
@i)ibenj ergebt. — gerner eine Dlet^e bon 2lbf>anblungen, toeldje fcfjibierige ©teilen ber
bl. ©cfyrift unb be§ ^ofepM, i» °«nen geograbf)ifdj)e äkrfwltniffe in einer für unfer
äkrftänbnig nicfyt unmittelbar audreicfyenben SBeife geftfjilbert werben, erläutern foßen:
ber 2tuffa$ „Semerlungen ju @eneft§ $ab. 14" (guerft in ber 3bm© 33b I, 1846,
io©. 161 — 194; toteberabgebrufft in ber 2. luflage be3 ©enefi§fommentar§ ©.257—283),
eine SDtufterleiftung, in melier %u<fy burefy ben genauen 9Jad)h)ei§ ber einzelnen ^ßfyafen
be§ gugS oeg feinblidjen §eere§ ber oberafiatifc|en §errfcfyer nadj ber Sanbfcfyaft beS
£oten 9J?eere§, fotoie feiner Sßetoeggrünbe ^ugleicr; ben fiftorifdjen G^arafter jene<§ uralten
S3erid^)te§ feftfteEte; bte Heine ©cfyrift über „bie Himmelfahrt ^efu, eine tobograbfyifcfye
15 grage" (Uniberfitätlfcfyrift, Seidig 1857, 8° 10 ©.), in meiner er nadjroeift, baf$ naa)
ber 1)1. ©cfyrift SBetljamen als ber Drt bezeugt ift, wo ber fcfyeibenbe ©rlöfer, bor ben
2lugen feiner jünger emporgehoben, ju feiner fnmmlifcfyen Söofmftätte einging unb bafj
bie jünger über ben DIberg, unb jtoar auf bem SBege über ben mittleren unb I)bcfyften
©ibfel bes> ÖlbergerS, naefy ^erufalem ^urüiffe^rten ; fotoie bie „Quaestio de Flavii
20 Josephi loco B. J. IV, 8, 2" (^fingftbrogramm 1860, [4° 17 ©.), in toeldjer er bie
©cfytlberung ber Sage toon gericfyo in ber „großen @bene" jmtfdjen bem ©ee ©enejaretfy
unb bem £oten Speere in jener fcb>ierigen ©teile bei $ofei>fyu<§ erläutert. — Inerju
fommen nod) einzelne 2lbf)anblungen, in benen fd)toierige Seriellen in ber SSibel unb
bei $ofeb!jm3 berbeffert merben : Commentatio de MaioaXaid iv "AgßrjXoig 1 2Ttctf 9, 2
25 (9faformation3feftbrogramm 1853, 4° 21 ©.) unb Quaestiones de Flavii Josephi libris
historicis (^eformationgbrogramm 1859, 4° 22 ©.).
3lUe biefe einzelnen 2lbl)anblungen finb burefy bor^üglic^e SJletfyobe ber gorfcfyung
unb ©arfteßung ausgezeichnet. SDaäfelbe gilt aud) bon bem §aubtmerfe %\\&)Z, feinem
„Kommentar über bie ©enefi3" (£alle 1838, 2. 2lufl. 1871, beforgt bon ^rofeffor Dr.
so 21. Slrnolb, nebft einem «Jcacfymort bon 21. 3Jcer£, grofe 8° CXXII, 506 ©.). ©erfelbe
toar bamal§ in mel)rfac§er §inficf)t eine balmbrectjenbe llrbeit : in formeller §tnfidj>t toegen
ber mefyr rebrobuittben gorm ber ©rllärung, bie ba3 ©an^e ftet§ im 2luge behält, unb
toegen feiner Haren unb fliejsenben SDiftion, in 33ejief)ung auf bie ©jegefe felber bureb^
feine grammatiferje 2llribie unb befonber§ burdj fein reicfjeö unb gebiegene§ SRaterial jur
35 ©rläuterung ber tobograbI)ifcI)en ä5erb^ältniffe, ber ^atur unb 35obenbefcIj)affenI)eii, ber
gauna unb $loxa, fowie ber ©itten ber Semobner be£ £anbe§ 5paläftina, rüclficb^tlic^ ber
2luffaffung be§ ^nf)alts megen ber buref) feine ^Darlegungen über ,,©age unb 5Rr;tl)u§"
begrünbeten 2lnerlennung beö fnftorifcfyen fernes ber igraelitifcb^en 33orgefcl)ic§te unb feiner
Betonung be§ reineren, erhabneren ©otteöbeit)u^tfcin§, fomie enblid; auf bem ©ebiete ber
40 ^ombofition^!ritif wegen ber fcfjarffinmgen ©ureb^füb^rung ber bon SIeel juerft aufgeftetlten
@rgän^ungäf)t)bot^efe, bie freiließ balb nacb^ljer bureb, bie neuere Ur!unben£)^botf)efe ein für
allemal abgelöft tourbe. 2lnbererfeit§ fjat^udi in bem Seftreben, bor allem bie lnftorifd)e
©eite ber i§raelitifcb^en Sieligionlborftellungen ju erfaffen unb if)ren ^iftorifeb^en Söert
bureb^ eine 35ergleicl)ung mit ben 33orfteHungen bermanbter femitifeb^er Voller feftjufteÖen,
45 bi^tbeilen unter bem ©influffe be§ §egeliani^mug bie tiefere biblifcb^tfyeologifcl) e Sebeutung
einzelner Gegebenheiten unb 2lu3fbrüc|e, ib^ren Söert für ba§ religion§gcfcf)icl)tlicb^ ererben
innerhalb ber i§raelitifcf)en Religion unb if)ren ©influ^ auf bie bogmatifcfye 2{nfc^)auung
aufy ber d)riftlicf)en Religion nieb^t b^inreic^enb tief erfaßt. — ©iefe fcf)riftlic| borliegenben
©eifteöbrobulte %u<fy$ laffen eine bureb^ unb burefy borneb^me toiffenfc^aftlid;e Statur unb
50 2trt erlennen; aüe§ ift toofyl ertoogen unb bureb^bac^t, unb e£ fommt aueb^ aüe€ in einer
burcf)au§ gemähten unb babei bod) ungejtoungenen gorm ^um 2lu§brucf. %wfy$ bleiben^
beg SBerbienft befielt aber bartn, ba^ er fein befonbere3 Sfiartema für bie ©rforfdjung
unb 2lufb^eUung feb^mieriger tobograbf)ifcb^er unb geograblnfcfyer gragen in ben £)ienft ber
33ibelforfcl)ung gefteHt unb treu ju ©unften biefer genügt fjat; feine geograbb^iftt)en
55 Unterfuc|)ungen finb noefy bleute bon unbeftrittenem SBerte unb §ugleid? burcbl bie fbrad>
licb;e 2lfribie, bie fad^lid^e $larl)eit unb bie trefflicfte SRetb^obe ber toiffenfcfyaftlicfyen 2lrbeit
für aUe Reiten muftergiltig. *ß. dtjffel f.
Sülrittger ©c^ule, ältere. — Körner, SBürttemb. ^ircr)engefct)icE)ie 2. 91ufl., 8. 515 ff. ;
3ul. §artmnnn u. 6£>r. tolb in SSürttemb. ^trerjengefef). beTnu§3- t>oui Saliner 58erlag§nereiu
Sütmigev ©djulc, ältere 149
S. 449 ff. unb 56t) ff. ; <y. e&r. Säur, Äirdjenqefaudite beä 19. 3a£)rf). ö. 98, Sorlefungen
Ü6ev $ugmengefd)td)te III, 303 ff.; ftranf, @efd)td)te ber p roteftantifd)en SEjeologte III, 383 ff.;
Turner, ©efd). ber prot. Sfjeuf. 692 ff.; ©afe, ©efd). ber prot. ®ogmntif IV, 141. 503 ff.;
Snnberer, Sceuefte Sogmengefd). S. 156 ff. ; 6. SSei^fäcfer, Sefirer unb Unterricht an ber eü.-
töeol. gaf. b. Uni». Tübingen 1877, <3. 131 ff., fotoie bie ©djriften über bie ©efd). b. Unb. £ü= 5
tungen »on 93öf, ©ifenbad), ®lüpfel=33aur.
Sie ©ntfteljmng ber älteren Slübinger t^eologifc^ert ©cr)ule, Welche buret) ifyren
„biblifdjen ©upranaturaliSmuS" in bie ©efd)icr/te ber prot. Geologie be<§ 18. unb 19. 8af;r=
bunbertS eingreift, fnüpft fic^> an ben tarnen ©ottlob Gfyriftian ©torrS, $rofeffor§ ber
Ideologie in Tübingen, geb. ben 10. September 1746 in Stuttgart, geft. ebenbafelbft 10
ben 17. Januar 1805. — ©ein SSater, Sofyann 6b,rtftian ©torr, ^rälat unb $onfiftorial=
rat (geb. 3. $uni 1712 in §eilbronn, geft. 1773 in Stuttgart), gehörte nod) ber $. 21-
33enge(fcb,en ©d)ule an, War ein inniger üßerefyrer 2lwbt§ unb ©penerS unb taufte als
^rebiger unb @rbauungs>fcf)riftfteller im ©egen (g. 33. burd) fein awfy je^t nod) in 2Bürttem=
berg bielgebraudjtes* „ct;riftlid()e3 .gauSbud)" 1756 u. o., fein :öeicb> unb Äommunionbucf; 15
1735 x., f. über ifm 9Jc*ofer§ Sßürttemb. ©efetyrtenfertfon I, 73; 9Jceufeb3 Serjfon XII,
434; ©bring, ©ei. gelogen IV, 402; Körner, äötirtt. m 475). — ®er ©ofur, ©.G&r.
©torr, erhielt feine 33ilbung erft auf bem ©pmnafium gu Stuttgart, bann 1763 — 1768
auf ber Uniberfität Tübingen unb in bem bortigen tfyeologifcfyen ©tipenbium. ©eine
tfycol. Sefyrer Waren $ob,. %x. ßotta (ber gelehrte ^irdjenfriftorifer, begannt buref; feine 20
erweiterte Ausgabe ber ©erf)arbfcf;en loci theol., geft. 1779), Sf)r. %x. ©artorius (geft.
1782), §. 2a>. ßlemm (geft. 1775), befonberS aber ber bamalige Rangier ber llniberfität,
ber fromme unb gelehrte Sengelianer ^er. %x. Sieufß, ben ©torr felbft feinen eigentlichen
2eb,rer nennt (bgl. über iljm unb feine Pflegen bie ©efefy. b. Unit). Tübingen bon 23ö%
ßifenbad}, ^lüpfel, SBeigfäcfer, foWie ©bring, Körner a. a. D.). 2tl<§ @igentümlid)feit Don 25
©torrS bamaligem ^ribatftubium I)ebt fein ©cfyüler ©üSfinb (f. u.) namentlich, fjerbor,
bajj er beim Stnfang feinet tt)eoIogtfdt)en ©tubiumS längere geit augfcfyliejjlidj) mit ber
Seftüre ba§ 3t%S fiel; befdjäftigte. @r befct)Iof$ fein afabemifd)e<§ ©tubium 1768 mit
einer latetnifdjen 2lbl)anblung über Qef 52 unb 53, bie bon feiner ^ebräifd)en ©prad)=
fenntnis wie bon feinem tfyeologifcfyen SSiffen ein rülmilicf)e§ geugmS a&Iegt. %la<fy Wob,I= 30
beftanbenem ^onfiftorialejamen unterftü|te er eine Qtit lang feinen SSater in Iirdt)Itdt)en
©efd)äften unb machte fobann 1769—1771 gu fetner Weiteren 2lu3bilbung eine Wiffen=
fa)aftiid)e Steife buref) ©eutfcfylanb, §oflanb, ©nglanb unb $ranfreid), auf Welker er neben
33cnü|ung ber S8ibliotf)efen gu Seiben, Djforb unb tyav'xS bie fyebräifcfyen unb arabtfcf;en
Sorlefungen bon £5. %. ©d)ulteng unb bie gried}ifcb,en bon 2. §t. SaHenaer fyörte unb 35
baraug für feine pfnlologifdje 21u§bilbung ©eWinn gog. 3tt§ litterar ifcfje ^rucfjt biefer
Steife gab ©torr nact) fetner StücHeb.r in§ SSaterlanb ate Tübinger Repetent feine für bie
Senntni«) ber ftjrifdjen 93ibelüberfe|ungen Wichtigen Observationes super NTi versi-
onibus Syriacis 1772 b,erau§, foWie bie Diss. de evangeliis arabicis 1775, mit ber
er fein Slmt aU ao. ^rofeffor ber ^3I)ilofopI)ie in Tübingen antrat, ^acfybem er in bem= 40
felben ^afyre mit ber SEod)ter feines Seb.rerS 3- %x- 3^eufe M »erheiratet r)atte, ging er
1777 al§ ao. ^rofeffor in bie tfyeol. gafultät über unb erhielt balb barauf beim ^ubt=
läum ber Unitierfität bie t^eologtfc^e ©oltorWürbe. 1780 Würbe er bierter ^ßrof effor ber %feo'-
Iogie, Spegialfuperintenbent unb ©tabtpfarrer, 1786 rücfte er afö prof. Ordinarius in bie
^afultät ein unb Würbe gugleid) ^Weiter ©uperattenbent be§ tr)eoI. ©eminar§ unb britter 45
y)-rüb,prebtger. %n biefer ©teltung blieb er, bi§ er 1797 bon §ergog griebrid) als
Äonfiftorialrat unb Dberb.ofprebiger naefj Stuttgart berufen Würbe, Wo er ben 17. Januar
1805, noeb, nicfjt 59 Qafyre alt, ftarb. DbWob,! er aud) in biefem praftifd)en Sftrdjenamt
unter fd)wierigen 33er^ältniffen, bei garter ©efunbfjeit, aber unermüblicf;er SerufStreue,
eine anerfennen3Werte unb gefegnete 2Bir!famfeit entfaltete: fo bilbete boeb, fein SJBirfen eo
als afabemifd}er £eb,rer unb feine fd)riftftellerifcb,e Xb^ätigfeit ben §öl)epunft feinet SebenS
unb gab ib,m feine in ber ©efd}icb,te ber Geologie epod)emacb,enbe Sebeutung. ®aju
befähigten ib,n bor allem ein ungewöhnlicher Scljarffinn unb b,erborragenbe ^ombi=
nationSgabe, Wogegen eS ib^m freilief) an lebenbiger ^5b,antafie unb fpefulatibem Talent
fehlte, ^nbem fidj mit biefen ©aben ein raftlofer glei^ unb regeS Wtffenfcf)aftIicf;eS 55
^ntereffe berbanb, gewann er eine bielfeitige Silbung unb grünblid;e ©eleb,rfamfeit. ©eine
afabemifcfjen SSorlefungen (über ©ogmatif, sJJ?ora'l, ©jegefe be§ %t%S, eb. ©efd^tdjtc,
$anonägefcf;td)te 2c.) jeidineten fid) nad) bem Urteil ber geitgenoffen burd; ©rünblicfyfeit,
^larfjeit unb logtfdbe Drbnung au§ unb fammelten ftetS eine grofje $al)l bon ^u^brern
um tbn. 2lu^erbem übte er eine fruchtbare fd)riftftellertfd;e 2l)ätigfeit, Welche if;in aud; 60
150 Sütmtgcr ©djulc, ältere
in weiteren Greifen Stitfcfjcn unb (Einfluß bcrfcfyaffic. ®icfc§ Sohlen mar aber mefentlid)
unterfiü^t unb getragen buref; feine ganje ^erfönlicljfeit, beren fyerborragenbe 3u9e z™
aufrichtige grömmigfeit, ad)tunggebietenber fittlid)er @rnft, gehaart mit geminnenber
SJcilbe unb Humanität, maren. ©ie§ bezeugt nid)t nur fein ©cf/üter ©üifinb, ber ifyn
5 „einen ber ebelften üftenfcfyen unb boflenbetften ©fyaraftere nennt, bie man in ber 2ßelt
finbet" ; aua? folcfye, bie auf einem gang entgegengefettfen tfyeologifcfjen ©tanbbunft ftanben,
mie ber 9totionaIift ^Saulu3, fyaben nur mit ber größten Sichtung bon ©torr gerebet.
äBollen mir gemerftefyenben bem begeifterten £ob, ia§ bie Umgebung feiner ganzen
$erfönlid)feit joKte, aueb, nichts abbrechen, fo fönnen mir un§ bodb, nief/t berbergen, baf$
10 feine dmftlicfje grömmigfeit nid)t fomofjl auf grofjer SLiefe unb ^m^Ö-föt ^ religiöfen
©efüfyl<§ beruhte, als auf ftreng bflicfytmäfjiger unb gemiffenljafter ©efinnung unb ba3
Unmittelbare, Kernwaffe, £eben3marme bermiffen läfct. 2öie fid) bieg burd) ben ßfyarafter
feinet tfyeologifdjen ©r/ftem§ beftätigt, fo auefy burd? feine nacfygelaffenen ^rebigten (b,er=
au<3g. bon ©ülfinb unb glatt, Stuttgart 1806—1810, 3 33be). 3ft in biefen auef; ber
i5 grofje fittlid)e @rnft unb eine geibiffe geinfinnigfeit in Kombination unb Stnmenbung
biblifcfyer 3lu3fbrüd)e anjuerfennen, fo müfjte bod? bie muftbifdje ^ufammenfe|ung ber
^rebigten au§ faft lauter Sibelfbrüd)en unb ber trockene, fcfymunglofe SEon ber 5Be=
lefyrung unb ©rmafmung ben Seifati, ben ©torr aud? afe ^rebiger gefunben b,at, faft
unbegreiflich erfcr)einen laffen, menn mir nicfyt bebauten, mie feine ^ßrebigten im 2Siber=
20 fcfyein feiner el)rmürbigen, ernftmilben $erfßnlid)feit biefe grofje Sebeutung im 2tuge ber
gufyörer gemimten fonnten.
„@<S toar nidjt ofme Sebeutung (fagt S3aur in feinem Slbrtfs ber ©efdjidjte ber
ifyeol. gaMtät in Tübingen a. a. D. ©. 216), bafj in bemfelben %ai)xe, in meinem ©torr
fein tb,eo!ogifcbeg £eb,ramt antrat, bie tlniberfität ifyr brütet Qubelfeft feierte; benn ber
25 Stntritt feinet ttyeologifdjen 2eb,ramte§ mar eine neue ©bocfje ber Tübinger Geologie"
$n Tübingen b,atte bie bon @. ©cfmebff, ^of). Srenj unb ^alob Slnbreä begrünbete Iutb,e=
rifcfye Drt^obojie 2Sürttemberg§ feit bem @nbe be3 16. bureb, ba3 ganje 17. Qafyrlmnbert
b,erab in ungebrochener §errfd;aft ftd? beraubtet; aber bon 2tnfang an Ijiatte aueb, bie
eb. Kirche 2Bürttemberg§ ben befonberS bon S3renj ib,r aufgeprägten Sfyarafter faft auS=
30 nafytm3lo<§ treu bemaljirt, nämlicf) 1. il)re bibüfcfye 3fiicf>tung, 2. ib,re mefentlicb, irenifcb,e
Haltung, unb 3. ba§ ©treben nacb, inniger 33erbinbung bon ^fyeorie unb ^?rajte, bon
tfyeologifcfyer SBiffenfcb.aft unb Pflege be§ ürcfylic^en SebenS. ^n ^m t^eologifcfjen ©treit=
fünften bei 16. unb 17 Qc^rfyunberiiB treten bie Tübinger Geologen £>eerbranb, ©erlarf),
©igmart, §afenreffer, 2tnbrea§ unb £ufa§ Dfianber, SE^eobor ^E^umm, 5ReIcb,ior Nicolai k.
35 al§ rüftige ©treiter unb eifrige üßorfambfer ber buref) bie Formula Concordiae nor=
mierten lut^erifcb.en 9tecb,tgläubig!eit b,erbor. Slber aueb, bei if)nen berliert fiel) feine^megg
(mie ^olud meint, 2IIab. Seben II, 133) jener bibüfcb^braltifcfje ©tanbbunft, melden
bie Srenjfcfje Confessio Würtembergica fo au§brüdüc§ betont unb aud) bie Slnbreäfcb^e
Konforbienformel nicfyt berleugnet blatte, ©eit ber SJtitte bei 17. Sa^f'nnbertS maren e3
40 ^mar feine b^erborragenben tfyeologifcfyen (5elcbritäten, bie auf ben Tübinger £eb;rftüb,Ien
fafeen; aber neben fyanbfeften ^olemilern mie Tobias SBagner, $. 21. Dfianber :c. finbet
fic| aud) eine gan^e Steige bon Scannern ernften, frommen ©inne§ unb Vertreter einer
biblifcft^raftifc^en sJiicf)tung, mit ©bener befreunbet ober bon il)m angeregt, j. 58. Slaitb,,
9teud)Iin, .v3od)ftetter, .s^ofmann u. a. (Sine neue Söenbung bejeieb^net bann ju Stnfang
45 be§ 18. 3af)rfmnberi3 ber gelehrte Kanter Q. SSoIfgang ^äger (1702— 1720), ber bie
Neuerung magte, eine lebenbigere £eb,rtoeife ju fucljen unb für biefen grneef an bie
<5occejantfct;e 9Jfetf)obe fidb, anjufcf)Iie^en, in feinem Compendium theologiae positivae
1702 u. ß. 5Rocf> meb,r Ratten fieb, bann ber Üanjler 6b,r. Tiatti). «ßfaff (f. Sb XV,
233 ff.) unb Gljr. CSberl). SSeilmann (1721— -1747) bon ber ortfy obojen ©cb,ul= unb ©trete
50 Ideologie Io§gemacf)t unb ba§ tb,eoIogifd)e ©tubium ju bereinfacfjen unb ju beleben ber=
fud)t, ^3faff meb^r im ©eifte ßalijtg, 2öei§mann im ©eifte ©benerä unb Q- 21- Senget
(f. über ü> Körner, 2ß. m ©. 416 ff.; ßlübfel, ©efc§. ber Unib. %üh. ©. 150 f.). ®ie
£eibnu>2Mffd)e ^pt)iIofobf)ie, meiere anbermärt§ mit ber ftjftematifc^en ^fjeologie jur
SSerbefferung i|rer 3)Jet{)obe in 3Serbinbung gefegt mürbe, mar jmar in Tübingen burtf)
55 ©. 33ernf)arb Silfinger (geft. 1730) unb ^Sr. ©ottl. 6anj (geft. 1733) in tüchtiger 3öeife
bertreten, £>at aber |ier auf Umgeftaltung ber 'iCbeoIogte feinen mefentltd)en @influ§ ge=
übt. ®in anbere§ b,ätte man bon ber £;. 31. 33engelfc^en ©cfiule ermarten fotten, fofern
biefe, ebenfo bon ber ortlmborm ©c£)o(aftif mie bon ber neo!ogifd)en Stufftärung fi(f; ah-
menbenb, burd) Vertiefung in ben bolten ©ebalt ber ©cf;rift als einei ©anjen lebend
60 boßer üffialjrfyeit für ben ganzen 9)Ienfcf)en eine Erneuerung ber c§riftlid)en (SrfcnntniS
ÜiUiiiijjcr ©djttlc, ältere 151
unb^rarig anftrebte. Stbcr fie fyat fotoobl in iEjrer einfachen biblijd;=braftifd)en Sticf/tung
bei Sengel felbft, bei Surf, 3toog, ©teinfmfer, Stieger unb anberen, alg in ber biblifd)=
nü;fitfd)cn ober tbeofobfnfctjen, toie fie faatyi, $rider, Detinger unb feine ©djmler bem
abftraften ©biritualigmug unb lallen 3tationaligmug ber geüblntofobfne entgegenftellten,
jtoar fruchtbare föeime tl)eoIogtfd;er ©rfenntnig auggeftreut, aber feine mm $b,afe tr)eo= 5
logifcfyer 2Biffenfd>aft gefdjaffen, toirfte bielmefyr junäcfyft mefyr im ©tillen alg mob>
tfiätigeg ©alj pr ©rfrifdmng beg religtöfen Sebeng (bgl. Hon ber ©olts, $• 31. Senget
unb feine ©dnilc in SbXfc 1861, ©.460 ff.; SUtberlen, ®ie göttl. Offenbarung 6.284 ff.).
Unterbcffen batte feit ber jtoeiten §älfte beg 18. $ar/rlmnbertg bie tfyeologifcfje Slufflärung
mit bem ortfioborm Sefyrfbjtem bag bofitibe ßfyriftentum überfyaubt $u befänden be= 10
gönnen, ©iefer 3eitbetoegung gegenüber galt eg, ftcb, neu ju orientieren unb einen
Stanbbunft p gemimten, ber bag Unberäu^erlid;e ber alten 2öab,rb,eit feftfnelt, inbem er
fie jugleid) in eine neue ben S3ilbunggelementen ber $eit entfbrecfyenbe gorm ffeibete.
®ieg mar eg, toag ©torr mollte unb fudjte. 2Bäb,renb er fieb, ber Sebjform ber alten
Ideologie entzog, toufjte er ftcb, ^u ber ®enfart ber Geologie in inhaltlichem ©egenfa|, 15
freilief; nid}t fo, bafc er nicfyt boct) in toefentlicfyen fünften bon beiben abhängiger geblieben
toäre, alg ihm felbft jum Betoufjtfein fam.
2Ba3 juerft bie Sefjrform betrifft, fo glaubte ©torr nacb, ^ßretägabe ber ortfyoborm
Subftruftion ein ficfjereg unb unumftöpcfyeg gunbament ber Geologie bef. ber®ogmatif
als ber ©runbtoiffenfcfyaft, bamit gu getoinnen, bafe er fid) einzig unb allein auf bie 20
Autorität ber göttlichen Offenbarung, fo mie fie in ben bibltfcfyen Urfunben enthalten ift,
ftellte unb aug biefen Urfunben, alg ber fyiftorifd) fidleren unb göttlicb, beglaubigten Quelle
ber a)riftlicb,en 9Sal)rb,eit, biefe bureb, grammatifcb.^iftorifc^e ©jegefe unb bie Operationen
beg logifcfjen Skrftanbeg ableitete. SDemgemäfj fud;t ©torr bor allem bie Slutfyentie unb
Integrität ber neuteftamentlidjen ©Triften burdj t)ifiorifd;e geugniffe $u begrünben unb 25
bie ©laubmürbigfeit tt)rer SSerfaffer aug ibrem 23err/ältnig ju ben berichteten (Sreigniffen,
ihrer in ben ©driften felbft erfennbaren ©efinnung unb ber unaugbleiblicfjen Kontrolle
bttref) ©laubenggenoffen unb ©egner ju ertoetfen. ,,©ie fonnten, mollten, mußten bie
SBabrfteit fagen" ©inb il)re ©Triften bemnad) für glaubtoürbig ju galten, fo ergiebt
fid} aug biefen toeiter, bafs <5r)rtftuS für fid) bie Autorität eineg göttlichen ©efanbten im 30
f)öd}ften ©inn beg 2öorteg in Slnfbrud; nafym, mag burd} feine ganje ftttlicf; bollfommene
£cnf= unb §anblunggtoeife beftätigt, borjüglicr; aber burd) bie in feinen Söunbern liegenbe
göttliche Beglaubigung betoiefen mirb. Slug biefer Stutorität ^efu folgt toeiter bie 2öabrfyeit
feiner fiebere, bie Slutorität ber bon ib,m ermahnten 3lbofteI unb bie aBafyrfyeU tt)rer Seb^re,
bie £b,eo:pneuftie ber aboftolifdjen ©cb,riften, enbtict) ba§ göttliche 3lnfeb,en unb bie SLb,eo= 35
bneuftie ber altteftamentlidjen ©driften, fofern fie bon göttlid; beglaubigten Männern ge=
billigt finb. 2)arau3 ergiebt fid), bafe mir bie ©djriften beä 2t unb $1% inggefamt alg
3torm beö ©laubeng anjuneb,men unb anjuerfennen b,aben. 33on bem ortl)oboj;en ©Aftern
unterfcb,eibet ftdt) biefe abologetifdje ©runblegung ©torr§ baburd), ba| er an bie ©teile
ber ^nfbiratton ber biblifdien ©driften bie bürgenbe Slutorität ^u unb feiner Slboftel 40
fefet, ba<3 SSort ©otteg jur augfd;liefelid}en Quelle, ja jum ©efefebud} ber cbjiftlidjien Sef;re
erbebt unb au§ bem empirifd)=l)iftorifd;en Setoeigberfaf^ren nid;t nur bie fides humana,
fonbern mittelbar aueb, bie fides divina herleitet, toäfyrenb er Sebenfen trägt bemtesti-
monium spiritus saneti entfd;eibenbe Setoeigfraft jupfcrjreiben. ©ein Vertrauen jur
berftanbesmäfeigen ®emonftration ber cb,riftlid)en SBat)rt;eit berrät einen intelleftualiftifdjen 45
^eligionö= unb Dffenbarung^begriff, ber in biefer gorm nid)t fotoob,l ein @rbe ber
Crtbobojie al§ ein ©r^eugnig beg geitgeifteS ift. 2Ba§ ©torr freilief) bon ber 3luf=
flärung toieber fdjarf unterjd}eibet, ift bie Slrt, mie er bie Inftorifcfye unb logifdje 33etoeiä=
fübrung in ben 2)ienft beg Sfutoritätgbrinjibg fteflt. ?Jad;bem bie Slutorität ßfjrifti unb
lt)eiterb,in bie ber Sibel gerechtfertigt ift, bebarf eg einer inneren Segrünbung ber cb,rift= 50
licfien SBalirlieit au<§ Vernunft ober @rfaf;rung fc^lecfitfjin ntd)t meb,r. ©0 b,ei^t tS
Doctrinae ehr. pars theoret. §15: „S)ie ©laubtoürbigfeit beffen, toag in ber bJ.Scfyrift
gelehrt toirb, f)ängt bon bem Slnfcfyen i£;re§ ^eugniffeg ah. . @g ift feinegtoegg not=
toenbig, bafe jebe 2ei)re bttrd) nottoenbige 23ernunftgefe|e unb ©rünbe aug ber 9?atur
ber <5ad)t beftätigt toerbe. Slucb, beim 9JJangeI foldjcr ©rünbc b,anbeln toir bod; ber= 65
nünftig, toenn toir biefe ober jene £ef)re blofe auf bie Slutorität ber ©cbjift bin an=
nehmen, unb jtoar ebenfo bernünftig tote jeber, ber auf Slugfagen bollgiltiger 3eu0cn
bag 'annimmt, mag er aug anberen ©rünben nid)t ertoetfen fann." ©amit befennt fid)
Storr jum lebiglid) formalen Slutoritätgbrinjib, jur Überbernünftigfeit ber d;riftlid;en
SBabrbeit unb entfd)cibet fid; für einen blof, inftrumentalen 3>ernunftgebraud;. 60
152 Tübinger ©rfjitlc, ältere
^n bemerfenSWerter 9Setfe b,at er bicfeS SSerfafyren gegen Kants bf)i!ofobI)ifcf;c 9ic=
IigionSleI)re berteibigt (Annotationes theologicae ad philosophicam Kantii de
religione doctrinam 1793, aueb, beutfc^) 1794, eine ©cfyrift, bie Kant im 33orWort gur
2. 2luSgabe ber Religion innerhalb tc. mit Sichtung ermähnt, aber nicfyt meljr beantwortet
5 fyat). 33on Kants gugeftänbmS auSgefyenb, baß bte tfjeoretifd)e Vernunft überftnnlicfye
Sßafyrfyeiten Weber ju bejahen noeb, ju Verneinen berechtigt fei unb nur ein notWenbigeS
praftifcfjeä ^ntereffe ber reinen Vernunft baS Urteil über fte beftimmen bürfe, fudjt er pi
jeigen, baß Don fyter aus eine anbere ©ießung ju ben Inftorifcfyen Elementen beS ©fyrtften*
iumS möglich, ja geforbert fei, als Kant eingenommen l>atte. 2Ber fieb, Weigere, folgen
io Autoritäten ju glauben, bte ben SSorgug Ratten, befonbere (Erfahrungen ju machen, nur
Weil ifyre Sefyren auS ben ^ßrin§ibien ber fid) felbft überlaffenen SSernunft nicfyt ab=
gleiten feien, ber berlaffe burefj folcfyeS bogmattfdje Slbfbrecfyen ben ecfyt frttifcfyen ©tanb=
bunft. (SS Werbe btelmebj gerabeju ^flicfjt, fiefy mit folgen geugniffen ernftlict; ju be=
fcfyäftigen, fobalb ifyre moralifcfye SBirffamfeit feftftefye. %n letzterer §inficb,t übertreffe
15 aber ber d)riftlid)e ©efct)id)tSglaube ofme grage ben blaffen ünb inhaltsleeren reinen
SBernunftglauben. ©cfylteßlict) benu^t ©torr auef) Kants ^oftulat einer notWenbigen
Harmonie bon Xugenb unb ©lücffeligfeit, um barauS baS ÜRecfyt ber neutefiamenilidSen
Skrfnübfung bon Religion unb ©ittlidjfeit barjutfmn. $n aß bem erWeift er fid^ als
grünblicfyen Kenner unb fcf)arffinnigen Beurteiler ber fritifdjen ^fytlofobljiie unb benütjt
20 gefebieft bte 2lnfnübfungSbunfte, meldte fte für bie Sertetbtgung unb Söürbigung ber
d)riftlic§en Offenbarung barbietet, $n ber abologetifdjen 2lnleb,nung an Kant ftnb it>m
benn aud) feine ©cfyüler regelmäßig gefolgt, ja fte ftnb barin weit über tyn bjnauS=
gefcfyrttten.
3Son einem materialen (Einfluß irgenb melier $I)iIofobf)te auf ben lynfyalt ber
25 cfyriftltcfyen Sefyre fann für ©torr felbft feine 9tebe fein. SDie ©laubenS= unb Sittenlehre
fyat nacb, il)m lebiglicf; bie fftefultate ber ©segefe jufammen^uf äffen unb ju berfnübfen.
daraus entftefyt freiließ, Wie 33aur fagt, eine weniger fünftlerifcfye als fünftltcfje 5Rofaif=
arbeit, bei ber einzelne ©teilen auS aßen teilen beS alt= unb neuteftamentlicfjen Kanons
jufammengefe^t werben olme 9iücfficf)t auf bie genetifcfje (Entfaltung ber biblifcfyen 2öal>r=
30 |eit unb bie berfcfytebenen ©tufen unb formen, in benen fte fiel) boßjieI)t. (ES gtebt für
ifyn nicfyt ©Triften be§ Kanons, fonbern nur ©teßen ber ©cfyrift, Don toeldjen jebe bie=
felbe Seit) eintraft §at. ®teS fyängt bamtt ^ufammen, baß ber bogmatifd^e ©toff nur
bureb, bie formale SCutorität beS ©cb.riftmortS, nidgt aber bureb, eine ©runbanfcb,auung
jufammengeb,alten Wirb, bie als organifterenbeS fjßrmgt^ bem einzelnen feinen §alt unb
35 feine Sebeutung gäbe. 2öaS fein ©cfmter ©üSfinb als bie ©runbibee ber ©iorrfcfyen
©ogmatif bejeicb.net, ber ©ebanfe beS ererbten moralifd)en S5erfaßS unb ber Steftitution
beS SRenfcb.engefa^IedjtS bureb, Sb,riftuS, baS fließt fo unmittelbar auS bem biblifa)en
©toff felbft, baß eS nicfyt als befonbereS 2Rer!mal feiner 2tuffaffung gelten fann. 3JJan
!ann aber aueb, fcfjWerlicb, fagen, baß ©torr ben ©egenfa| bon ©ünbe unb ©nabe in
40 feiner ganzen ^iefe gewürbigt l)ätte. ©eine Slrbeit ift bielmefyr gerabe t)ier eine
femipelagianifcb.e ©im^lifi^terung unb 5[Roberierung beS ©ogmaS, bie an ben bor=
fantifeljen tfyeologtfcljen „SJioberantiSmuS" eines SDöberlein, ^ÖloruS u. a. erinnert unb
cbenfotoenig ein tieferes religiöfeS Wie baS Wiffenfcfyaftlicfye ^ntereffe befriebtgt. SDtefe
2lbftumf)fung beS ©ogmaS geigt fic§ namentlicb, barin, baß ber ©laube gWar Vertrauen
45 auf bie ©nabe ©otteS fein foß, als foldjeS aber ganj in bte eigene Kraft beS 9Jienfdj)en
gefteßt Wirb, unb baß biefem ©lauben, fofern er bie äußerlicb, berfünbigte Vergebung ber
©ünben anerlennt, unmittelbar „ber Wofyltfyäüge ©influß pgefcb.rieben Wirb, unfer §erj
unb Seben ju beffern" („bie juberfidjtlicfye (Erwartung einer fo großen ©eligleit bureb,
6b,riftuS muß bem ©eifte einen folcfyen flogen ©inn einflößen, baß er eS unter ber Sßürbe
so beS (Stiften achtet, ein ©Habe ber ©ünbe ju fein unb nur ein eifriges Seftreben nao)
§eilig!eit mit biefer erhabenen 33eftimmung bereinbar finbet"), baß enblicb, bie ©naben=
Wirfungen beS i)l ©etfteS, bie aßerbingS bon ©torr noeb, als etwas SefonbereS bon ber
moralifa^en SBtrfung ber £eb,re unterfcf)ieben Werben, nur gleidjfam tjintennao; als unter=
ftü|enbeS Moment ba§u fommen. 2öaS ift noeb, bom ©eifte beS ortfyoborm ©tjftemS,
55 WaS noeb, bom eigentlichen ©inne ber ©cb,riftleb,re übrig, Wenn ber ©laube aus einer
göttlicb, ^bereiteten @mbfänglict)fett für bie Wiebergebärenbe ©nabe gerabe^u in ein felbft=
tb,ättgeS, fittlicf;eS 3Serb,aIten berWanbelt unb ber bl. ©eift auS bem befyerrfdjienben ßentrum
ber gangen §etISaneignung auf bte ^3eribb,erie InnauSgebrängt Wirb, als ein baS eigene,
menfcfylkfye Xb,un nur unterftü^enber unb boßenbenber gaftor? @S Würbe juWeit führen,
60 Wenn Wir auef) noeb, an anberen ©ogmen biefe ^Jtetfyobe ber 2lbftumbfung unb .gurecb,t=
Xübtttger ©djulc, filtere 153
madjung nad)meifen Wollten ; c§ fei bal)er nur noeb, erinnert an bie fyöcbjt d;ara£teriftifd;c
2Iuffaffung ber £el)re bom BerfötmungSroerle unb ber ^3erfon 6t»rifti. ®ie ©torrfcfyc
Ibeorie ber Berföb/nung roeid)t Don ber orif)obor.en Bofition baburd) ab, baß fie,, ben
(Straferlaß auf ben baffiben ©er/orfam (Sfyrifti allein begrünbet, bie formale 2tqui=
balenj ber Seiben ßl)rifti mit ber ©träfe ber Sftenfcb^eit babjngeftellt läßt unb bon 5
bem aftiben ©efyorfam, ju bem Gr)riftu3 aud) für fid) felbft berbflicfytet mar, nur bie
bofitiben folgen feiner Berb,errlid)ung unb ber Befeligung feiner Brüber ableitet. ®a=
burd) nähert fid) ©torr aUerbingS Slnfelm unb §ugo ©rotiu§, aber aud) bem refor=
mierten Sbtoui. (Bgl. Säur, Set)re bon ber Berföfynung ©. 537 ff. unb bie mefentlitf)
anbere Beurteilung StitfölS, SRedEjtf. u. Berf. I3, ©. 426 ff.), ©benfo cfyarafteriftifcb, 10
jeigt fid) ber rein biblifd)e unb berftänbige ©ubranaturaliämug ©torr<8 in feiner Be=
banblung be§ ©ogmas" bon ber Berfon (Sfyriftt (bgl. SDorner, ßi)riftologie II, 968;
Baur, ©© III, 518 f.). @r miß ^mar äße roef entließen Beftimmungen ber $ir<f)enler)re
über bie ©ottfyeit 6f)riftt feftfyalten, fofern er fie auet) für bibltfcb, begrünbet §011 (con-
junetio cum Deo talis ac tanta, ut qui Deus est idem homo sit, et qui homo 15
est idem sit Deus). £$nbem er aber ber communicatio idiomatum ganj aus" bem
SSegc gel)t, tritt bie 3bee einer matten 5Renfd)rcerbung be3 £ogo§ unb einer perfönlid)en
(iinr/eit be3 bräejiftenten £ogo£ mit bem SRenfcfjen QefuS gar nid)t mel)r b,eraus\ Biel=
mefir mad)t bie ©arfießung ben ©inbruef, baß ber £ogo§ ober bie excelsior natura
niebt berfbnlid) eins" mit ^efuä mar, fonbern nur bas" bon außen b/er u)n beftimmenbe 20
unb fuftentierenbe Brin^ib, momit ©torr, ob,ne es> ju motten, einer famofatenifcf)en ober
focimamfcfyen 2lnfd)auung bon ber Berfon 6f)rifii ftd) annähert, mie fie bamals" aud)
fonft borfyanben mar.
£a3 bogmatifd)e ©Aftern ©torrs" ift niebergelegt inSbefonbere in feiner legten §aubt=
fd)rift: Doctrinae christianae pars theoretica e sacris litteris repetita 1793, ed. 25
em. 1807, beutfd) überfe|t unb mit 3ufä|en au3 ©torrs" übrigen ©cfriften unb benen
anberer Ideologen berfefyen bon feinem ©d)üler Äarl (5f)rtftian glatt, 1803; in ^weiter
2(u3gabe ift nur nod) ber erfte Banb erfd)ienen 1813. 25iefe<§ Söerf ift in Sßürttemberg
burd) Ianbe§t)errltct)e Berorbmmg als" £efyrbud) ber £anbe§bogmati! förmlid) eingeführt,
ben göglingen bes" ebangelifd^en ©eminars" in bie §anb gegeben, unb bei ib/ren mtffen= 30
fcfyaftlicfyen Uebungen mie bei ben jäl)rlid)en ®iöcefanbt§butationen ber ©eiftlid)feit lange
ßeit §u ©runbe gelegt morben. Söetter finb für bie Kenntnis be§ bogmatifdjen ©t^ftemg
tüitt^tig bie beiben ®iffertationen de spiritus saneti in mentibus nostris efficacia,
1777, bie 2lbb,anblung über bie ©nabenmirfungen, 1779, ber jmeite 2;eil feiner @r=
läuterung be§ S3riefe§ an bie Hebräer, 1789, 2. 2lu3g. 1809, ber eine 3lbb,anblung über 35
ben groeef be§ £obe§ 3efu enthält, fid; aber aud) über bie metften anberen $aubtle£>ren
bei (Eb,riftentumg ausbreitet ; meiier entbält bie ©d)rift über ben fttoeä beä ©bangeliumg
unb ber Briefe ^ob,anni§, 1786, eine Berteibigung ber ©ott^eit ß^rtfti; enblicb, begießen
fid) mehrere 2lbf)anblungen im glattfdjen SJlagagin unb einige befonberö erfdjienene SDiffer=
tationen auf ba§ ©ebiet ber ^Dogmatif. Qn btx @r.egefe befämbft ©torr bie bon ©emier, 40
3t. netter u. a. angetoanbte SltlommobationS^t/botfjefe (Dissert. de sensu historico
1778). gretlid) befaß er bei aller Beljierrfctmng ber gelehrten §ilf§mittel boeb, roeber
gefcb,id)tlid)en ©inn nod) bogmatifd)e Unbefangenheit genug, um bie attmäblidje @nt=
toidelung ber ©cfyriftroafyrr/eit ^u er!ennen unb bie Slbmege !ünftlid)er §armonifierung ju
bermeiben. 33on feinen ejegetifd}=!ritifd)en ©djriften finb bie hndjtigften : bie neue 2lbo= 45
logie ber Offenbarung ^otjannig, 1783, über ben groeef ber ebangelifeben ©efd)id)te unb
ber Briefe ^or)anni§, 1786, unb bie Erläuterung bei Briefes an bie Hebräer, 178'.».
Xte erfte ©d)rift ift eine für il)re geit feb,r grünblid)e unb unbefangene Berteibigung
ber ßa)tf)eit ber Slbofal^bfe. Qn ber ©d)rift über ben .ßroeef ber ebangelifd)en ©efd)id)tc
unb Briefe be§ 3°f'anneg fafet ©torr ba§ Problem ber @bangelien!ritif mit ebenfo biet 50
fritifd)em ©d)arffinn als Umfid)t an, um burd) Bergleiclmng mit ben anberen ©bangelien
Stellung unb 3tbecf beg ^D^annegetoangeltumg au^umitteln. Slucb, Baur fagt: mie man
aud) über ben materiellen SBert feiner Stefultate urteilen möge, anerfannt muß boeb,
toerben, baß ba§ Iritifdje BerftänbniS be§ iob.anneifcb.en iStoangelmmS bureb bie ©torrfcb.c
cdjrift einen großen gortfcfjritt gemacht bat, befonberg barum, meil er ernannte, baß 55
man bon ber @inl)eit unb burd)grcifenben @igentümlid)feit be§ ©an^en ausgeben muffe,
um ba§ einzelne \n§ reebte £td)t ju ftellen. Söenn man au§ biefer ©ct)rift ben (Sinbrucf
Befommen möd)te, baß ©torrl Birtuofität bod) eigentlid) mel)r bie ^iftorifeb^ritifefte, als
bie bogmatifebe ift, fo toirb biefe günftige SfJleinung mefentltcb b,erabgeftimint burd) bie
britte ber genannten eEcgetifd;=frittfd)cn ©driften, feine ©rläuterung beö .s^ebräerbriefs. «>
154 Sülmtgcr ©dnile, ältere
So febr jcigt fieb, ©ton- f)icr gebunben bon ber ©trenne feines Slutoritätsbrinjibs, fo un=
fäfng bie inneren Unterfcbtebe im Kanon in tfyrer bollen Sebeutung anperfennen, ba$
er es als einer ber legten unternimmt, bureb, bie fünftUcbftert Kombinationen bem ^aulus
bie UrBe&erfcbaft ju retten; bagegen ift bie (Sjegefe, menn aud) nid)t febr ttefgebenb unb
5 im einzelnen totelfacb anfechtbar, boeb, bert/ältnismäßig einfaef). SCnberc Seiträge ^ur
©cfyriftauslegung finb in feinen Opuscula academica, 3 S3be, 1796—1803, gefammelt.
©cfyltefjltcr) ift aud) ju ermähnen fein Settrag jur bebräife&en ©rammatif in benObservationes
ad analogiam et syntaxin hebraicam pertinentes, Tübingen 1779 (bgl. Dealer in
©djmibs ^äbag. ©ncbfl. 33b III, ©. 368 unb ©ieftel, ©efd). bes 3l£s, ©. 565). Über
10 bie ©Triften ©torrs bgl. bas SSer^etcbniö im Reiten Sanb feiner nadjgelaffmen ^ßrebigten
(Tübingen 1806/8), benen aud) ein Sebert^abrife unb eine bon ©üsfinb unb glatt ber=
faßte GI)arafteriftif ©torrs beigegeben ift (»gl £>. ®öring, ©eutfd)e Kanjelrebner bes 18.
unb 19. Safyrfyunberts 6. 489 ff.; ^eitgenoffen II, 2; ©. 191 ff.; ©üsfinb im intelligent
blatt ber §all. £itt.=3tg. 1805, «Rr. 43, ©. 345 ff.; Teufel, ©et. ©eutfcbjanb VII. X.
15 XI. XII. XV. XX).
©ie ©dmle ©torrs, ju ber mir meiter gefyen, mirb im engeren ©inne gebilbet Don
$of). griebrtcb, glatt, griebrid) ©ottlieb ©üsfinb, Karl Sbrifttan glatt, meiere äße un=
mittelbare ©ctmler ©torrs unb feine 9Rad)folger, ieilmeife noer) Kollegen in ber tbeo!ogt=
fdjen galultät ivaren. Q- ?5rtebricb glatt mar geboren ben 20. gebruar 1759 in Tübingen
20 unb bollenbete b,ier als 3°9^n9 oe^ eoangelifcfyen ©eminars feine ©tubien, bie fieb, neben
Sßfyilofob&Je unb Geologie aud) auf SRatfyemattf erftredten. Son einer gelehrten Steife
in ben Qafjren 1784 unb 1785, mäfyrenb toelcber er fid) größtenteils in ©öttingen auf=
fyielt, roo bamals ©bittler unb ^ßland lehrten, lehrte er als neu ernannter ^rofeffor ber
^lulofoblue nad) Tübingen gurüd unb marf fid) l>ier mit allem ßifer auf bas ©tubium
25 ber Kantfd;en ^Inlofoblne, über ir>elcr)e er bie erften Sorlefungen auf ber Umt-erfität
Xübingen Inelt. grüdjie biefer Sefdjäftigung mit ber ^fnlofobljie maren: bie fragmen=
iarifer/en Seiträge jur Seftimmung unb ©ebultion bes Segrip unb ©runbfatjes ber
Kaufalität unb gur ©runblegung ber natürlichen ^tb/eologie in Sejiel)ung auf bie Kantfdje
$InIofobf)ie 1788, Sriefe über ben moralifdjen ©rfenntnisgrunb ber Religion, 1789, unb
30 Observationes quaedam ad comparandam Kantianam diseiplinam cum chri-
stiana doctrina pertinentes, 1792. Übrigeng fetjte er mäfyrenb biefer $eit bie X^o-
logie feinesmegs beifeite, loas er befonbers bemies in ber Seantmortung ber 1786 auf
befonberen 33efef>l bes Könige ©eorg II. bon ©nglanb bon ber ©ötttnger tbeol. gafultät
geftellten ^reisaufgabe : „Semeis ber @ottf)eit Sfirifti" u. b. X. Commentatio, in qua
35 symbolica ecclesiae nostrae de Deitate Christi sententia probatur et vindicatur,
1788, fomie in ben „Seiträgen gur cbriftlicfyen ©ogmatif unb 9Jcoral unb %ux ©efcfyicfyte
berfelben", 1792, in meldten bie Semerhmgen über ©ocins ^ßfyilofobbie unb Geologie,
nad; ib,rem Serl)ältnis jur braltifcfien Sernunft betrautet, bon einbringenbem Serftänbnis
jeugen. ^m ^ab,re 1792 in bie tf)eologifc§e galultät berfetjt, las er junäcb,ft über bie
40 d;riftlidie ©ittenleb,re als fein .gaubtfad), baneben über neuteftamentlic^e ©jegefe, 2lbolo=
getif, praJttfcbe Xbeologtc, nur furje &\t, 1798, nad) ©torrs Slbgang, über bie®ogmatii
Som 1796 an gab er bas „Siagajin für Dogmatil unb 9)coral" f;eraus, bas fbäter bon
1803 an ©üsltnb rebigierte; es finb barin aud) mehrere 2lbb,anblungen etl)ifd()en, bog=
matifeben unb ej:egctifd)en ^n^ttes bon ib,m enthalten, dlad) feinem am 24. bJJobember
45 1821 erfolgten SCobe finb feine Sorlefungen über d;riftlid}e Sittenlehre (bon ©teubel
1823) unb über bie baulinifd)cn Sriefe (bon §offmann unb Kling feit 1820) aus feinen
Sftanuffribten unb Kollegienb^eften b, erau§gegeben morben. ®iefe ©d)riften finb ein Setoeis,
baf3 es it)in md)t an ©d)arffinn, ©eleljrfamleit unb bielfeitigem rr>iffenfcbaftlicbem ^ntereffc
fehlte, menn er aud) feinen 2ef)rer ©torr bjerin nicb,t erreiebte. ®ie große ©ett>iffenf)aftig=
50 feit unb ©orgfalt, mit ii>elcl)er er feine roiffcnfcbaftlicbert llnterfucfyungen unb afabemifdjen
Sorlefungen bef)anbelte, mürben mit j$unef>mcnben ^ab,ren bei ib,m unter bem ©rud
!örberlid)er Seiben unb ©ebrecb.en ju einer älngfilidtfeit, ©Irubulofität unb ©d;merfällig=
feit, bie ib, n aueb, bas fietcb tefte nur mit Slnftrengung tb^un lief?, feine litterarifc^e Xb,ätig=
feit fjemmte unb feinen Sorlefungen bie frifd)e, lebenbige unb freie Semegung raubte.
55 2Iucb bie natürlid)e .£eiterfeit unb £ebb,aftig!ett feines SBefens, mit ber jeboeb, aueb, eine
getoiffe Sftetgbariett bes SEemberaments berbunben mar, mid) infolge jener förberlic^en
Seiben unb mancher fcb,merjlid}en Serlufte in feinem gamilienleben einer gemiffen Ser=
büfterung unb einem bon ber Slufjenmelt fieb, abfcbltefienben ©rnfte, obmof)l fein mab,rb,aft
djriftlidb, frommer ©inn unb fein feftes ©ottbertrauen bies mieber milberte unb tbn ju
eo ausfjarrenber ©ebulb ftärlte. Sgl. über ib,n bie ©ti^en bon feinem Sruber Karl glatt:
£übtnjjcr Sd)ii!c, ältere 1 f>r>
„Einige ^ügc öon tont ÜBilbc bcö bcrcWigtcn D. $ofy. $r. $Iatt" u. f. W., bic feinen
$orlcfungen über bic fyx. Moxal, lübingen 1823, borangeftellt unb Welcher aud; ein
^eqeidmiS feiner ©driften angebängt ift; ferner: Sufyenäum berühmter ©clefyrten 2ßürttcm=
bergS, 182!), I, 19; Gifenbad), ©efd). ber Unib. %üb., ©. 345; ßlübfcl, 33nur, äBetgs
fader a. a. C. ; Teufel, ©ei. ®eutfcf/l., 33b II ff.; §. Döring, ©el. 2$eoL, I, 408; 5
'JSalmer in 2lbS3.
^r. ©ottlieb ©üSfinb, ber College glattS, War geboren 17. gebruar 17<>7 ju 9ieuftabt
a. bA'inbe, al§ ©ofyn beS bortigen ©iafonuS, llrenM bon 3-21. 23engel. Gr abfotbierte feine
tbcologifdjen ©tubien gleichfalls im tfyeologifcfyen ©tift in Tübingen 1783—1788, mad)te
1790 eine gelehrte Steife buret/ SDeutfcb.Ianb, Würbe 1791 Repetent in Tübingen, 1795 10
£iafonu3 in Urad). 33on ba als ^rofeffor ber Geologie naef» Tübingen berufen, War er ber
-Jiadjfolger beS il?m nafye berWanbten unb befreunbeten ©torr auf bem 2el>rftur/l ber 2)og=
malif, trat aber fd;on 1805 an bie ©teile ©torrS als Dberfjofbrebiger unb Jlonfiftorialrat
in Stuttgart, würbe 1814 nad) Gnit/ebung Dom erfteren 2lmte gugleid) ©ireftor beSDber=
ftubienrats, unb ftarb als folcfyer ben 12. 'iKobember 1829. ©eine Wiffenfdjaftlicfyc 15
2bätigfeit galt b/aubtfäcf/lid) ben abologetifd)=bogmatifd>en ©runbfragen, Welche er teils
mit pfnlofobr/ifdjen Mitteln teil« auf ejegetifd;em 2Bege gu beantworten fueb/te. Sie
bebcutenbften feiner wiffcnfdtaftlidjen arbeiten finb: „Über ben aus ^ßrinjibien ber braf=
tifct)cn Vernunft hergeleiteten Über^eugungSgrunb bon ber 3}JbgIid)leit unb 2öirftid)!cit
einer Offenbarung", bie als 2lnb,ang feiner Überfettung bon ©torrS lateinifdier 2Ibb,anb= 20
hing über $ants 9teIigionSlct)re beigegeben ift, bom $afyre 1794; Woran fid) eine 2lb=
banblung im glattfdjen SJcagajin 1797 anreiht: Über baS Stecht ber Vernunft in
2lnfebung ber negatiben SBeftimmung beS $nl)alts einer Offenbarung; bieg namentlich,
gegenüber ber $ant=gicbtefd)en 9teligionSblnlofobr/ie. 2tber aud) bem ©d;etlingfcf/en ©Aftern
gegenüber fuct)te er bie tfyeiftifdje ©runblage beS Gl)riftentumS ^u fiebern in ben 3lb= 25
|anblungen : Über bie ©rünbe beS ©laubenS an bie ©oitt/eit als aufjerWeltlidje unb für
fid) beftefyenbe ijntelligenj in 33ejief)ung auf baS ©Aftern ber abfoluten Qbentität, $IaitS
tTRagaun 1804 unb 1805, unb: Prüfung ber ©cfyellingfcfyen 2ef;ren bon ©ott, 2öelt=
fcfyöbfung, gretfyeit, moralifd) ©utem unb 23bfem, SDcaga^in 1812. 2Ibologetifd) ift ferner
bie 2lbfyanblung : $n meinem ©inne f)at ^efu§ bie ©öttlicbjeit feiner 9teügionS= unb 30
(Sittenlehre beraubtet? 1802. Qn bogmatifdjer S3e§te£)ung bewegten ftd) feine Unterfudmngen
um bie Äarbinalfrage : Über bie 9Jcöglid)feit ber ©trafauffyebung ober ©ünbenbergebung
nacb, ^rin^ien ber ijralttfc^en Vernunft, glattS SRagajin 1796, unb: ^cod) etwas über
bie moralifcfye 9JcögItd)feit ber 3luff)ebung berbienter ©ünbenftrafen, ebenbaf. 1803, Womit
firf; bie e£egetifd)e 9cad)Wetfung ber!nübfte : $ft unter ©ünbenbergebung, bie baS %l% 35
berfbridjt, 2luff)ebung ber ©trafen ju berfieben?, ebenbafelbft 1797 unb 1798. SludE) bie
3lrt, Wie ©üSfinb nod) ^ule|t mit ber ©c^ieiermacb^erfd^en 'Jf)Cologie in fragmentartfdten
Semerlungen fid; au^einanberjufe^en fucfyt, ift nic()t unintereffant (f. feine „Sermifcfyten
Sdriften" nad} feinem £obe b^erauSg. bon feinem ©ob^ne 1831). Sie fyerborfted>cnben
^üge feiner 3>nbtoibuaütät finb eine gro^e ©d^ärfe be3 ©eifteg unb gleid) gro^e Energie 40
beö 3ßiHeng. Gr ift, Wie 33aur treffenb bon ifym gefagt fiat, ber ®iale!tifer ber ©d;ule,
ber, wie ber Krieger auf beö ®egen§ ©bi^e, auf bie ©d)ärfe feiner Iogifd>en 2Irgumen=
tationen füb^n bertraut. ©eine 2J?eifterfd)aft in ber Sogil gab ifym eine entfd)iebene, ener=
gifd;e Haltung, unb er liebte aud} in ber SBiffenfdjaft ba§ Äategorifdie unb ®ütatortfcf/e,
ebne 3lebenrüdfid;t refolut auf fein giel Io§geb;enb. 2Ba§ tr)m aber ganj abging, War 15
ber fbefulatibe ©inn, ber über bie ©egenfätje, Wie fie in ber drfafyrung erfd)einen, |inaug=
greift unb eine Gmfyett unb ein organifdjeg ©an^e§ bon einer fyöcf/ften ^bee au§ ju gc=
»innen ftrebt. ^n feinen fbäteren amilidjen $8erb,ältntffen b)at ba§ geWöt)nIid;e Urteil fid)
häufig an bem „Ifotegorifcr/en unb ®iltatorifd)en", an ber ©d)ärfe unb ©trenge feinet
3luftreten§ geftofjen, aber bie 2;ieferfel)enben unb 9?äf)erfter)enben f)aben bod; immer be= 50
fannt, baf? bie ©tadeln, Welche biefer 3)iann f)in unb Wieber nad) aufecn fet;rtc, nid)t
fd?ärfer Waren al§ biejenigen, Welche er felbft in feinem ©eWiffen unter bem ®rude
fd}tt)ieriger 5Berb,ältniffe embfanb ; ja bafe er nod; ftrenger gegen fid) felbft War aU gegen
anbere, unb bafj, Wenn feine ©trenge biel forberte, fein rechtlicher ©inn audi oft genug
mebj f>tel±, als er berfbrad). ^nebe'fonbcre ift feine 2lbfaffung unb -atebartion ber aller= 55
bingS mit Nety angefochtenen, beränberten Württembergifct)en Viturgic bom :^at)xc 18» >9
nitt)t ganj billig beurteilt worben, inbem fid; erft fböter geigte, Weldien fdjWcren Stanb
« bier b,attc gegen f)ol)e unb aßertiöd^ftc Ginflüffe, wie er mit feufjenbem ©ewiffen in
mand)cS fid) ergeben mufstc, toa$ er nid>t änbem fonnte. äsgl. über ilm ^citgenoffen
HI, 2, 3, ©. 78 ff.; Ti. 9JefroIog ber ©eutfd;cn VII, 2, 742 ff.; 3lUg. K.=,ßtg. 1s2<),üo
156 Sübittger ©djulc, ältere
9h. 191; ©c^toäb. SWerfur 1829, 9?r. 277; SDieufel, ©el. SDeutfd^l., VII. X. XI. XV
XIX; §. ©oring, ©eutfcfye tangelrebner S. 502 ff.; Corner, SSürtt. &=©. S. 531.
©er brüte ber genannten §aubtbertreter ber Storrfcfyen Sdjmle, Ratl @Ijrifttan glatt,
ber jüngere SBruber %ofy. griebr. glait§, geboren 18. Auguft 1772 in Stuttgart, erhielt
5 feine bj?tIofobb,ifct)e unb tfyeologifdje SBilbung gleichfalls im ebangelifcfjen Seminar in
Tübingen unb machte mehrere Steifen, auf meldten aud) er längere Qtit in ©öttmgen
bermeilie, mo man itm für ba§ afabemifd)e Sefyramt feftguljialten fuef/te. SOöäfjrenb biefer
^eü befd)äftigte er ftd? eifrig mit bem Stubium ber ®antfd)en ^l)ilof obb/ie ; mit biefem
©tubium ijing innerlid) gufammen feine erfte Sdmft: ^r/iIofobb,ifd)=e£egetifd;e Unter=
10 fudmngen über bie Sefyre bon ber 23erföb,nung be§ 9Jtenfd)en mit ©Ott, 2 ^eile, 1797
unb 98 (bgl. über biefelbe 3fttfcf/l, 9ted)tf. u. 33crf. I3, 471 ff.), in melier er gu geigen
berfucfyt, bajj bie au3 bem $antfc£)en ©Aftern ftcf> ergebenbe SSerföfynungstfyeorie, monad)
eigentlich bie Vergebung ber ©ünben fid) nacb, bem 2ftaf$e ber ftttltdjen Sefferung rietet
unb tb,r erft nachfolgt, nicfyt blofe bie allein bemünftige, fonbern aud) bie allem im 31%
15 begrünbete fei. @3 foK ifym bafyer, atö er nad) furger braftifcfyer SBirffamfeit 1804 gur
tb,eoiogifcb,en ^rofeffur in Tübingen berufen mürbe, bie 3urücfnab/me ber ©runbgebaraen
biefer Scfyrift bon Storr gur 33ebingung gemacht morben fein, ©emifj ift roenigften3, bafj
er bie eigentümlichen §aubtibeen biefer Sdjrift in feinen 35orIefungen unb fbäteren
©Triften gurüdgenommen f)at unb fid; gang an bie bon ©torr unb feinem Sruber 3- g-
20 glatt bertretene Stiftung anfcf/Iof?, wie er benn übertäubt metjr eine regebtibe, aU felbft=
ftänbig brobuftibe sJiatur mar. ©eine miffenfcfyaftlicfye 'Sr/ätigfeit bewegte fiel) um btefelben
©egenftänbe unb Probleme, roie bie ber anbern Storrfd;en Geologen ; bie bon ü)m ber=
faxten, im glattfd;en SRagagin b.aubtfäc^Iicb, enthaltenen 2lbb,anblungen belogen fieb, auf
ben abfolut göttlichen $nf>alt ber Offenbarung (1796), bie SBunber Efyrtfti, 2lboIogie ber
25 mofaifcfyen Religion gegen $ant (1797), ®ants>, gtcb,ie<3, gorbergg 9ieligion3tl)eorie(1799,
1800), gunbament bes> ©laubemg an bie ©ottfyett (1804) unb einzelnes» @jegetifd)e. @3
fehlte ib,m nicfyt an Scfyarffinn unb miffenfcfyaftlicfyem Qntereffe, roenn er gletd) hinter ben
brei befbrocfyenen Geologen ber alten Tübinger Sdwle gurüdftefyt. ©eit feinem Über=
gange inf braitifd;e 2tmt als Stiftöbrebiger unb Oberlonfiftorialrat in Stuttgart 1812,
30 unb ber Übernahme be3 ©ireftorium§ be§ Oberftubienratä 1829, tuogu aueb, noeb, bie
©eneralfuberintenbeng bon Ulm !am, fyörte feine Iiiterarifd)e 'üLr/ätigfeit, wenn aueb, nidjt
feine 93efct)äftigurtg mit ber SfBiffenfcfyafi, auf, meil feine amtliche 2Birffamfeit ifm bollauf
in Slnfbrucb, nafym ; benn bas> 2öob,I ber baterlänbifcb,en Ätrcf) e unb ber Sefyranftalien lag
ib,m feb^r am §erjen. ©eine raftlofe ^fjätigieit mürbe bureb, einen ©cf;laganfaH, nic^t
35 ganj jtoei ^ö^re bor feinem 3obe, ftiße geftettt, unb feine ©efmfucfyt nacb, ©rlöfung er=
füllt burd) feine fd^rtetle Abberufung am 20. 9Zobember 1843. konnte man in feinem
amtlichen SBirfen aueb, oft bie ©ntfcb^tebenlteit unb ©elbftftänbigfeit beö Auftretend ber=
miffen, fo mar er boef) eine pflichteifrige, bem Serufe fidb, aufobfembe, mofylmeinenbe,
milbe, fjeiterernfte, ,,aud) in ifyren ©4>mäc^en acfitungSmerte unb UebenSmürbtge" ^3erfön=
40 licb,feit unb b,at fic|) im Slnbenfen bieler eine freunblicfie unb banlbare Erinnerung ge=
fiebert (bgl. : 3"t" Slnbenlen an Dr. ®arl (S^rifttan b. glatt, bon ©ettinger unb feinem
Kollegen Oberfonfiftorialrat Dr. b. Ilaiber, Stuttgart 1843; ferner: 31. SMroIog ber
©eutfcfyen, 1843, II, ©. 989 ff., wo auet) ein Serjetc^nig feiner ©djmften; Äling, 3Ze=
Irolog be§ j. glatt im @bang. R.matt für Sßürttemberg, 1844, ©. 137 ff.).
45 ©ie genannten brei Ideologen: $of). griebrieb, glatt, ©üöltnb unb Jkrl 6b,riftian
glatt bemegen fic^ im gangen burcf;au§ in ber Stiftung ©torrS, inbem fie fieb, bemühen,
ber ^«ttb^ilofobb.ie 3«8«fiänbniffe p ©unften ib,re3 DffenbarungSftanbbunIt§ abzuringen.
©ie berufen fiel) für bie ©enfbarfeit ber Offenbarung, bie fie al3 Mitteilung f)öb,erer
3Sab,rl)eiten berftelien, auf bie ©cb,ranlen ber menfcf)Iicr;ert Vernunft unb rechtfertigen ben
so ©lauben an fie burd; ben §intoei§ auf iljren 3Bert für bie Seförberung ber SUtoralität.
©iefe 2lrt ber Abologetü mar ntct)t baju angeib/an, bie gange 2!iefe be^ obmaltenben
©egenfatjeä erlcnnen gu laffen unb bie gefcfyloffene Söucb,! unb felbftftänbige Eigenart ber
cf)riftlicr;en Übergeugung gur ©eltung gu bringen. Sßag t§re mob^Igemeinte unb nicfyt feiten
feb^arffinnige SSerteibigung im borau§ lähmte, mar bie Unlebenbigfeit ifjreö eigenen ©otte§=
55 begriffg unb bie barauä folgenbe 2tu^erlicl)feit ber Offenbarunggautorität. ©o i)at ©ü§=
ünb in ber oben angeführten Slblianblung bom ^ab^r 1802 auf<§ genauefte erörtert, in
meinem ©inne ^efus bie ©öttlicjifeit feiner 9ieIigion§= unb Sittenlehre beraubtet iabe,
aber feinen SSetfucr) gemacht, bie bon ifym au§gel)enbe Offenbarung tiefer mit feinem
^3erfonleben gu berfnübfen. (Sine anbere ^emmenbe ©cb^ranfe lag aber aueb, in ber me=
60 tfyobifdjien 2Sermanbtfcb,aft, in ber il;re eigene rationale ©emonftration mit bem leitenben
Süfitngcr ©djitle, ältere 157
sDiotib ber befämbften rationaliftifd)en SDenfWeife ftanb. @? fann barum nid)t über=
raffen, Wenn trots aller ©trenge, mit ber bie Autorität be? VtbelWort? berfod)ten Würbe,
biefer rationale $"9 in fteigenbem 3Jia^e aueb/ in bie 2Iuffaffung be? SDogma? felbft ein=
brang. ©o berWenbet ©ü?finb ben Äanifcb/cn ©runbfais bon ber Proportion ber "Jügenb
unb ©lüdfeligteit für bie geftftellung ber cfyrifilidjen 6entrallel/re bon ber ©ünbenbergebung 5
al? einer ber Vefferung borangeb)enben 2luff>ebung ber ©trafen, ^n ben oben genannten
Slb^anblungen Will er bon jenem Kantfcfyen ©runbfats au$ mit logifct/er l^onfcquenj bereifen
unb fogar mit matb/ematifd)en gormein beranfcb/aulicfyen, bafc ba? b/bcbjte ©ut noeb, beffer
meid/t Werben lönne burd) 2lufb/ebung ber ©ünbenftrafen, al? burd) ib/re SSoUgte^ung.
(3Jlit einer äbmlid/en matbematifd)en SDemonftration mar it>m 3- gr- glatt im SJcagajin 10
bon 1797 feb/on borangegangen.) 216er Wenn fieb) bie ©torrianer aud) in biefer Ver=
teibigung ber cb/riftltdjen ©runbleb/re bon ber ©ünbenbergebung für ein Wafyre? Qntereffe
getoeb/rt b,aben; Wie Wenig b/aben fie boeb, mit biefen fantifd)--abgeblafsten Segriffen ben
tieferen ©inn unb bie gan^e Tragweite ber £el)ren bon ber Verformung, ©rlöfung unb
Rechtfertigung erfd/ötoft, unb Wie roenig b/aben fie, eben Weil fie felbft ftd) $u fefyr auf 15
ba? "iiibeau it)re? bb/ilofobfufd/en ©egner? b^inübergie^en liefen, bie eigentlid/e ©d/Wäcb/e
belfelben in feinem Velagiani?mu? ju erlennen unb mit burd/greifenbem ©rfolge 31t be=
fämbfen bcrmod)t! ®ie biblifcfye Äritil unb (Sjegefe ber ©torrfcfyen ©cb/ule ift bon ber
iljre? 9Jceifter? nieb/t toefentlid) berfd)ieben; fie feiste bie Slrbeit be? Jtambfe? gegen bie
:>(ftommobation?I)r/botb)efe unb bie Ableitung Wefentlid/er dmftlicb/er 2öaf)rl)eiten au? ßeit= 20
ibeen, fotoie gegen bie Singriffe auf bie @cb/tl)eit ber ©bangelien eifrig fort. SDie nacb/
feinem £obe herausgegebenen Kommentare 3"^- griebrid) glatt?, wenn fie aud) b)infid)tlid)
ber bbilologifd/en 2ltribie unb ber ©cb/ärfe unb Suefe ber tb/eologifcb/en begriffe manche?
bermiffen laffen, Ratten immerhin burd) bie treue Venutjung be? bamaligen ejegetifcfjen
2lbbarate?, unb bureb) i^>r forgfältige? ©inbringen in ben gufammenb/ang für i|)re geit 25
ibjen Sffiert.
Sßäbrenb bie bisher djarafterifterien brei S£f)eoIogen bie ©torrfeb/e ©cb,ule im engeren
Sinne bilben, nimmt ber bierte, ber fid£> tfmen anreiht, @rnft ©ottlieb Vengel, @nfel be?
berühmten Qob/. Stlbrecb/t SBengel, obgleicb/ auet; noeb) ein unmittelbarer ©cb/üler ©torr?,
boef/ fcfyon eine ntcr)t unmefentlid) abWeid/enbe Stellung ein. Vengel, geboren ben 3. 5Ro= 30
bember 1769 ju ^abelftein, 1800 £>iafonu§ in 3Jiarbacf;, feit 1806 ^rofeffor ber %i)to=
logie in Tübingen, feit 1810 prof. Ordinarius, feit 1820 Prälat, b)atte fyaubtfäcfylicf/
bie gäcf;er ber gefcb/ic^tlic^en ^t/eologie borgutragen unb fcb,on beSroegen Weniger Slnlafj,
ben bogmatifc^en ©tanbbun!t ber ©torrfcf)en ©cr^ule, ib,re bibtifc^^abologetifcb.e 9lic£)iung b,er=
bortreten ju laffen. ©eine SSorlefungen über Kircb;en= unb ©ogmengefclncr/te fanben bieten 35
Beifall Wegen ber Haren überfic^tlictjen Verarbeitung be§ ©toffe?, Wegen ber gewählten
unb gefälligen ©arfteEung unb be? bureb, bie 2Bürbe feiner ^erfönlicb;feit gehobenen ernften
unb nacb,bruc!?boHen Vortrage?, obgleich ©ac^berftänbige fbäter an it>nen eine felbft=
ftönbigere, umfaffenbere unb tiefer geb)enbe QueHenforfcb;ung bermi^ten (bgl. ba? bielleic^t
ettoas ju ftrenge Urteil 33aur3, ©efcf)icf)te ber Uniberfität Tübingen, ©. 241 ff.). ®a= 40
gegen bewegte er fiel) in feinen Sßorlefungen über bie cfyriftlidje ©tjmbolil auf bem
©runbe eine? felbftftänbigeren unb forgfältigen ©tubium? ber Quellen, unb ^War niebt
Wo^ fjinficfitlicb; ber SDarftetlung be? latl)olifc§en Seljrf^ftem?, fonbern in?befonbere aueb,
be? focinianifcb,en ©Aftern?, über Welche? Sengel eine aueb, feist nocl) bead)tcn?Werte 2lb=
lianblung : „^been jur r)iftorifcb=anaIt)ttfet)en @r!lärung be? focinianifcb;en Se^rbegrip", 45
glatt? gjiagaätn, ©tücE 14. 15. 16 beröffentlicl)t f>at. 3Jfan %at e? mit5tec£)t cl)ara!teriftifcb,
gefunben, bafe bie ©torrfcfye ©c^ule (©torr felbft, ber ältere glatt, ganj befonber? aber
Sengel) mit Vorliebe ber Vefcb/äftigung mit bem focinianiftt^en ©Aftern fiefy juWenbete.
6? begreift fidc) bie? au? ber inneren SSerWanbtfcf)aft be? bogmatifcfyen ©tanbbunfte?,
in?befonbere au? ber SifmUcbJeit ber fubranaturaliftifct;en Slbologetif mit bem ©ociniani?= 50
mu?, fofern fie aueb; ein Wesentliche? ©ewicfyt legt auf bie ©laubwürbigleit ber biblifcfien
Tutoren unb ben rein übernatürlichen (5b,aralter ber bureb; fie mitgeteilten Offenbarung.
SBenn nun aber ©torr unb glatt in ber äluffaffung ber §aubtbogmen be? ß^riftentum?
bem braltifcben 3Rationali?mu? be? focinianifer/en ©Aftern? noeb; ferner geblieben finb, fo
ift bagegen Vengel gerabe fyierin if)m Wefentlic^» näb^er gefommen, obwohl er benfelben gu 55
Vertiefen unb ju bollenben fuebte burd) bie Äantfc|e ^ßb;ilofobj)ic, beren etf)ifd)e ©runb=
flnfajauung er fict) noc^» boltftänbiger aneignete, al? bie eigentlichen ©torrianer. ©ein bog=
matifebe? ©Aftern trägt baber im allgemeinen ben Gbarafter be? fog. rationalen ©ubra=
naturali?mu? ober fubranaturalen 3lationaIi?mu? an fiel), Welcher in ber Offenbarung bie
übernatürliche Veftätigung unb tfyatfädjiicfyc Sarftellung, eben barum aud) eine geWiffe 60
158 Tübinger <Sd)iile, ältere
(Erweiterung ber eibjfcr)=religiöfen üßermmftWafyrfyeit crfcnnt (bgl. bef. 23engel§ „Sieben
über Religion iinb Offenbarung", 1831, nad) feinem ^obe fyerauSgegeben, unb ben 2tn=
fyang gu ber ©cfmft bon Drellt über ben Hambf bc§ Nationalismus mit bem ©ubra=
naturaliSmuS, Tübingen 1825). ©ine fbe^ielle $robe biefer Sluffaffung ber cf/riftlicr;en
5 Söafyrfyeit geben feine 10 ©iffertationen über ben SniWidtungSgang beS©IaubenS an bie
Unfterblicbleit unb baS SSerJjältmö ber Offenbarung baju, in meinem SCfyema feine 33or=
liebe für ben ©ocinianiSmuS unb fein fantianifterenber futoranaturaler Nationalismus ficb,
begegneten (bgl. SengelS opuscula academica ed. Pressel, 1834). ©benfo be$eicr;=
nenb Wie biefer fubranaturale Nationalismus, rocldtjer bem ©fyriftentum im ©runbe nur
10 ben formellen SSor^ug ber Seftätigung ber SernunftWafjrfyeit übrig läfjt, tft für bie
©tellung SBengelS fein ^elagianiSmuS, melier ben Unterfdjueb jtoifd^en ^roteftantiSmuS
unb ®atf)oliciSmuS in ber ©runblefyre i)on ber Necr/tfertigung als eine „Sogomadjiie" ^u
betrauten geneigt tft, inbem er ben Segriff beS ©laubenS in ben ber Sefferung unb
UmWanblung ber ©efinnung umfe|t (t>gl. SengelS 2lrrf>it» Sb I, ©tücf 2, ©. 469.
15 SiefeS 2lrct;ib, feit 1816 an bie ©teile beS glatt=©üSfinbfd)en SRagajinö getreten, feit
1822 Neues Slrdiib k., Würbe bon Sengel bis gu feinem Sobe r)erauSgegeben unb ent=
fyält im Unterfdneb bom SJlaga^in weniger bogmattfcfye, als ejegetifcfye, bibltfd)4rittfcf;e,
abologetifd)e, braftifdje älbfyanblungen, Welche in ifyrem giemttcr; trodenen unb oft aucfr,
unbebeutenben ^nb,alte laum ein tiefereg unb bletbenbeS Qntereffe barbieten). — $n
20 biefem feinem ©ianbbunfte mar Sengel fo feft abgefcfyloffen, bafs er jeben bon ber ber=
änberten religiöfen geitftimmung urtb bon bem Umfcf;Wung ber ^3r)ilofobl)ie - auf Neu=
belebung unb Vertiefung ber Geologie auSgef)enben ©mflujj ftreng bon ftcr) abhielt;
bafyer er bon ©cfyleiermacfyer nur in ber Söeife Kenntnis nafym, baft er „mit bem 3Sor=
Wurf beS 9Kr;ftifd)en unb ^antr/eiftifcfyen, Wo§u fid) §err ©cf/leiermacr)er befanntlid) neige,
25 feinen ©tanbbunft fo lurj als möglich abfertigte" (Säur). 2lber aud) feinen jüngeren
SanbSmann, ©. %. SodSfyammer (geb. 1784, geft. 1822), melier in feiner ©djrtft über
bie greir/eit beS menfd>Itd;en SBillenS (1821) eine ntcfyt geWör)nlicr/e bb,iIofobf)ifd;4l)eo=
logifcfje Begabung an ben Sag gelegt blatte unb nad) bem Sobe Qo^. griebrid) glattS
$ur (Ergänzung ber entftanbenen Sude bie 2(ugen ber gafultä't auf fid) lenlte, befeitigte
30 Senget E)au^tfäd^(tct) burcb, feinen allgewaltigen ©inftufs, Weil mit itnn ein bon ber biS=
r)erigen Nicf)tung Wefentlicb, abWeicfyenbeS neues ©tement in bie tt)eotogifd)e gatuttät ein=
gebrungen Wäre. SJIan fönnte fid; faft Wunbern, baft Senget gteicr)Wof>l aud; mit feinen
bogmatifcfyen Sorlefungen äiemlidb, biel Seifati fanb. (§,§ erflärt ficb, bieg au§ ber for=
metlen ©etoanbtfjctt, mit ber er 9ktionali3mu§ unb ©ubranaturaligmug einanber gegen=
35 über ju ftellen unb nüeber fo gut ju bermitteln rou^te, ba^ bie Wenigftenö in ber ©tüte
aud; unter ben Württembergifcfyen äb,eoIogen giemlid) berbrcitete Neigung jum Stationalig;
mug Fjintängltcfee 9caf)rung fanb, unb bafe anbererfeitö basi fcf)Iie|Ud)e Übergemid}t beS
©ubranaturali§muö bie Slnftorücfyc an einen bib!ifd)=bofitiben ©tanbbunlt im ©egenfa^
jum Siattonationmg unb jur ^eitb^ibfob^ie ju befriebigen fd;ien. 2lber ebenfo toefentlid)
40 tnirfte tooI)I ju biefem ©rfolg aucb, ba3 mit, ba| Sengcl auf bem $atb,eber ba§ ganje
@emid}t feiner imbonierenben Würbeboßen, aber aw§ „ifyrer ©tetlung red)t fidcjtbarlid; be=
Wußten" ^erfön(id;feit in bie 3Bagfdb,ale ju legen roufete. ®ie§ unb ba3 gro^e berfönlic£)e
ainfe^en, ba§ Scngel aU ba§ anerfannte §aubt ber galultät geno§, läfst aud) begreifen,
Wie bei feinem im beften 'JRanneSalter eintretenben blötjlicfyen Sobe (28. ÜRärg 1826)
45 fein Serluft feiner Umgebung alä ein unerfe|lid)er erfcb.einen lonnte, Wä^renb ba§ um
befangenere Urteil einer ferner ftefyenben 9?ad)WeIt ioenigfteng feine tf)eoIogifd9=Wiffenfd;aft=
licfye Sebeutung nid^t fo fyofy anfd)lagen fann (bgl. ?ßalmer inStbSII, 330; 31. 9Je!roIog
IV, 162 ff.; 2iag. £=3tg. 1826, «Rr. 97; 2lrd)ib 1826, VIII, 723).
SBäfjrenb Sengel, Wie gezeigt morben, über ben genuinen 6I)arafter ber alten
so Tübinger ©dmle nid)t untoefentlicr; ^tnausfdjritt, b,aben anbere Tübinger unb toürttem=
bergifd)e Geologen neben unb nad; i^m benfelben nocb, treuer feftgeb, alten : fo $. 6b,r. %.
©teubel, geft. 1837 (f. b. 21. 93b XIX ©. 16 ff.), 6b,r. %t. ©cb^mib, geft. 1852 (f. b. 31.
Sb XVII ©. 645), 6b,r. Senj. ülaiber, geft. 1836, ber Herausgeber ber ©tubien ber
Württ. ©eiftlidileit, fortgefe^t bon ©tirm, 3. ©. 2Surm, geft. 1847 als ®elan in 91ür=
55 tingen, ^. %. Sabnmaier, geft. 1841 al§ S)elan in tträ^eim u. %. unb anbere (f. bie
©efct/id)te ber Tübinger tfyeolog. gatultät bi§ 1877 bon Sßeisfäd'er). 216er aud; bie be=
beutenbften bon biefen, ©teubel, ©d)tnib, Älaiber, finb burd; bie gortentmidlung ber
tb,eologifd}en 3Biffenfdb,aft unb inSbefonbere burd) bie ©intoirfung ber ©d)Ieiermad^erfd)en
%t) eologie über ben trabitioneEen Sr)buS ber alten Tübinger ©d^ule {unausgeführt Werben,
60 fo ba^ fie nid)t mef)r ju berfelben gerechnet Werben !önnen, obWob/l bei ifmen, befonberS
SüDingcr ©djitlc, ältere £uo,cnb 159
bei Steubel, bie s)tnd;iutrfimgcn jener ©d)ulc unberfennbar finb — unb pvax nid)t blofe
in bem, morin fic in il)reiu Steckte iuar, tote bor allem in ber entfd)iebenen Betonung
ber ©d)riftautorität, fonbem aud) in bem, toorin iE>re ©d)toäcl)e lag, in manchen £>alb=
Reiten unb (Sinfeitigtaten beg biblifd)=berftänbigen ©ubranaturaligmug (bgl. ®. g. ©trauft,
©treitfdjriftcn , 1837, I). 9cad)bem aud) biefe Ie|ten Eigenen ber alten ©torr= 5
fd)en ©diulc Dorn ©cfyaublafc abgetreten, ift biefe bor neueren ©tanbbunften unb 9ftd)=
tungen, bie an ifyre ©teile traten, berfd)tounbcn, l)at aber eine, toenn aud) eigenartig
mobifijierte gortfefcung unb (Erneuerung gefunben in ber ©d)rifttf)eologie $. %. 33edg
(geft. 1878, »gl. 33b II ©. 500 ff.) unb ber bon tl)m ausgegangenen ©d)ule.
93Jan mag bie toiffenfd)aftlid)cn ©d)toäd)en unb Mängel ber ©torrfd)en Geologie 10
bollfommen jugcftcljcn, barf baruin aber bod) in ifyrer Dbbofition gegen bie toiffenfd)aft=
licfte .ßeitftrömung beS Siationaligmug unb ber 2lufllärung unb in if)rer baburd) berbor=
gerufenen aboIogetifd)en unb lonferbatibcn Haftung leinegtoegg ©etftegträgfjcit, bl)ilofobf)tfd)c
Öefa)ränftf)eit unb religiöfe @ngf)er^ig!eit fefyen. @g toar bod) ein tool)Ibered)tigteg unb
unbcräujjerlidjeg Qntereffe, fur toeldjeg jene alte SEübtnger ©d)ule getambft b,at, iuie un= 15
boflfommen aud) bie 2lrt unb 2Beife getoefen fein mag, in ber fie bieg getfyan. @g mar
bie 3*>« ^c'3 ©ubranaturaligmug, bie in biefen SRännern lebte, b. i). bie Überzeugung,
bafj eine übernatürliche, göttliche 2öaf)rl)eit, bafj übermenfd)Ud)e Gräfte unb ©üter ber
2)icnfd)f)eit im Sfyriftentum gefdjenft feien. SDafür fyaben fie allen if)ren ©ifer, allen
©d)arffinn ifjreg ©etfteg, ben ganjen 9leid)tum if)reg SBiffeng einfetjt. SRögen fie in jenem 20
ßambfe manches 2öefentltd)e breiggegeben ober in ber 2lrt ber SSerteibigung beffen,
mag fie feftf)ielten, nad) unferem Urteil mandjeg berfefylt b,aben, jebenfallg bleibt ifjnen
bag grofte 33erbienft, in ftürmtfd)er geit bag ©rbe ber SSätcr berteibigt unb für eine
beffere ^eit gerettet $u f)aben. Sanbem f (fiivn).
Sübutger Sdjulc, neue, f. b. 21. 33aur 33b II ©. 467 25
Surfet, Sljrtftentmu in ber, f. b. 2121. Drientalifdje ®ird>e 33b XIV ©. 44 1,9;
?(gi)bten, bag neue 33b I ©. 217,8; 2lrmenien 33b II ©. 85,io; ©l)rifd)e
ßird)e 33b XIX ©. 305, 10.
Sugcnb, Xugenbmittel. — Sitteratur: Böctter, Sie Sugenbteljre beS 6öviften=
tum§, geftf}id)tt. bargeftellt. Satttjarbt, ©efd). b. clmftl. 6tp, aud) Komp. b. tfjeut. (Stfjif § 2 f. 30
5m Strtifel bef. b. 1. Slbfafc. Sgl. b. 9lrt. „SlSIefe" 93b II @. 134.
£ag beutfd)e 2Bort bon einem ©tamme mit gebeifylid) unb tauglid), in alter 3eit
bortoiegenb für friegerifdje 33or§üge gebraucht, Ijat feine je|t geläufige ©onberbebeutung
unter bem (Sinfluf? ber bfjilofob^ifdien 33egripfbrad)e erhalten (bgl. Hilmar, %1)qoI
Floxal fyerauggeg. bon Israel, 33b 2, ©. 106). @3 eignete fid) trefflid) jur 3Biebergabe 35
bon virtus, rotefern bieg 3Sort Überfe^ung bon ägerrj ift. 3)?an lann nod) berfolgen,
h)ic bie etb,ifd;e Siefleftion fieb, biefeg Slusbrudeg bemäd)tigt unb ilm für tl>re fywdt inf>alt=
licb^ beftimmt, fo bafe fortan Sugenb unb ©ittlid;ileit faft Söedjfelbegriffe finb. &q£xi),
bon bem ©tamme äg, ber aud) in ägeicov ugzcog ägeaxoj borliegt, be^eictjnet urfbrüng=
lieb, jebe 33ortreffIicl)feit, bie einer ^erfon ober aud) einem SDinge Söert gibt unb 2ln= 40
erfennung berfdjafft; bal)er bebeutet eg gelegentlio) 9vut;m unb @l;re; bgl. hierüber ßremer,
33ibl. tfjeol. Söörterb., s. v. ägexr]. 9Zodt? in boller glüffigleit unb bod) gugleid) in be=
fonberer 35ermenbung für bie fütlicfye 2refflid)leit erfd)eint ber 2lusbrud in ben ^eben
beg ©ofrateg bei Jenobb,on unb bei Ißlaton (©täublin, ©efcl;. b. 9Eftoralbf)ilof. 1822,
S. 90; ßremer a. a. D.); unb biefer ©ebraud) fam ib,m \d)on bon ©obfyiften entgegen. 45
$laton unb befonberg Slriftoteleg (e?t? Tigoaigerixtf äq> fjg äya-&6g ävdgconog yive-
rai eth. Nie. 5. 6) befttmmen bann ben 33egri~ff fefter; eine gertigleit im ßkbiete beg
^raltifd^en, toeld;e auf xb xov avdgumov ayaftöv belogen ift. 2lriftoteleg i)at bann
aua) burd) bie Unterfcb,eibung ber ägeral fftixai bon ben diavorjTixai in ber Sejielning
auf bag ju bel;errfd)enbe ^riebleben bag ©ittlid)e im engeren ©inne in bag Slugc gefaxt. 50
35on ba ab b,errfd)t bie 33ebeutung bor, ber gemäfs Xugenb biejenige 33cfd)affenf)eit beg
5Kenfd)en im ganjen unb nad) ben einzelnen ©eiten f)in bekämet, burd) h)cld)e er ju
ipaf)rf)aft fittlid)em ^panbeln gefd)idt ift. SDie mel)r bolfgtümlid)e baränetifd)c ober beffrib=
übe STioral gef)t, j. 33. im angefyenben 3RitteIalter, ganj in eine befd)reibenbe 3luf=
}ät)lung ber Xugenben unb Safter auf; unb in ber ßeit ber 2luf£lärung unb beg 9tatio= 55
naligtnug fallen bie 33egriffe ©ittlid)!eit unb Xugettb fo fel)r jufammen, bafe aud) bie
cinjclne §anblung 2;ugcnb l)cifjcn !ann (2lmmon, 2e()rbud), 1. 2lufl., 1806, £ 52) unb
160 Sugenb
bei $cmt ^ugenb im Unterbliebe bon 9?ecf)t ba§ 'äftoralifcfye, bie ©efinnung im Unter=
fcfuebe bom Segalen begeic^net, „9tedb> unb Sugenbbflicfyten" £>e§f)atb fyat bann ©cfyleier=
macfyer unternommen, biefen begriff gegen bie anberen formalen ©runbbegriffe ber ©tbjf
abzugrenzen, ©runblinien einer Hritif ber bi3l>er. (Sittenlehre, 1803, ©. 163 f., Söerfe
5 z- $f?il. 33b II, Slbfyanblungen. $m Unterschiebe bon ©ut („jebeg ©inäfein beftimmter
©eiten bon Vernunft unb sJcatur") unb ^flicfyt („SBerfabjungSarten") befiniert er bie
STugenb als „Äraft ber ÜBemunft in ber fittlict; mit if)r geeinigten -ftatur unb jroar im
einzelnen 9Jcenfd?en", a. a. D. 33b V, ©. 75 f. 328 f. ^m 2tn$luffe «« $" unterfäeibet
9totl)e ©ut al§ ba§ moralifdje ^ßrobuft, ^ugenb al<§ bie brobujierenbe $raft („bie fbeziftfcfy
10 für bie Söfung ber moralifcfyen Slufgabe qualifizierte moralifcfye ßraft") unb ^flicfyt al<§
bie Söeife unb gorm be§ mora!ifc|en 'ißrobuzierenS, SEfyeoI. ©tfytf, 2. Stuft., ©. 396f.
SlUgemeiner befolgt ift bie einfachere ^Definition bon ©b. %. ©cfymib, in ber cfyriftl. ©ittenl.
fyerauSgeg. bon fetter 1861, ©. 345 f., ber ficb, ebenfalls an Scr)Ieiermad)er anliefst:
ba§ ©ute als SöiHensbefcb.affen^eit be<§ menfcfyücfyen SubjefteS. — liefen 33eftimmungen
15 liegt bie Beobachtung ju ©runbe, bafs bie ^erfon gar nic£)t umfun fann, unter il)rer 33e=
tfyätigung ficb, eine fefte 33ilbung zu erwerben, bie bann fernerhin für ib,r §anbeln be=
ftimmenb toirb; baft babei aber entmeber eine »afyrfyafte 33ilbung ober eine ÜBerbilbung
fyerauSfommt, SEugenb ober Safter. Sitte jene ^Definitionen fe|en bann borauS, bafj ber
Segriff be3 ©uten ober mafyrljaft Sittlichen fct)on gegeben fei, unb bemgemäfj biefe
20 fyertigfetten ober ©efcfncflicttfeiten ficb, burcb, ifyre inhaltliche Beziehung bon ben fonftigen
Seelenfertig!eiten unterfcfyeiben. sJlur 2triftoteIe§ in ber bielbefbroct)enen Definition e&g
jiQoaiQsnxr] iv jusoottjti ovoa xfi JtQog fjjuäg (OQiOjusvf] (ober /uzvf]) ^oy<p ^oX
d>g äv 6 q^gövijuog öq'loeiev miß' toofyl eben in ber 33eftimmung ber SLugenb felbft zu=
gleicb, ba§ SÖefen be§ Sittlichen zum Slusbrude bringen, nämlicb, bie b,ellenifc|)e 2lnfct)auung
25 be§ -Btofetoollen (33eftmann, ©efd)ict)te ber cbjiftlicfyen ©Ute, 33b I, ©. 190f.); eben bafyin
trautet er weiter in ber Unierfcfyeibung ber ^ugenb einerfeitö bon ber Sortierung, bem
Unterdrücken, anbererfeits bon ber l>eroifct)en ^ugenb, bem Überftttlicfyen. — ©S bürfte aber
eine unabtoeislicfye gorberung fein, in ber Begrifflbeftimmung ber ^ugenb aucb, ben Unter=
fcb;ieb be§ Sittlichen (©tb, ifcb,en) bon bem ^ecb, nifcfjen zum 2lu§bruäe zu bringen, bamit bie 33er=
30 mecb^felung ober teilroeife 23ermifcb,ung ber ©ittlidifeit mit 93ilbung, ber ^ugenb mit 93ir=
tuofität, ber@tl)if mit ber ^eorie ber Kultur bermieben roerbe; bgl. ^äl)ler, 2Biffenfcb,aft
ber dmftl. Seb,re, 3. Slufl. § 136 f.
©as> 33ebürfniS einer folgen melir formalen Unterfcb^eibung ftellte ftd) für ben
Slriftoteleö bringenber b,erau§, toeil er aU ©mbirifer fiel) mit einem „§aufen" bon Slugenben
35 (©cl)Ieiermact)er, ©runblinien, ©. 317) ab^ab unb mithin nur ben ©attungöbegriff fud^te,
roäb^renb bie anberen ©ofratifer ifjrem SReifter in ber 2lnnal)me folgten, ba^ e§ facbjid)
nur eine Slugenb gebe. SDiefe Meinung finbet bei ^piaton il)ren Sluöbruc! in ber S^fte=
matifierung ber Slugenben. ©iefe fc^liefet ficb, an bie 2lntb,robologie an, inbem Teilung
unb 3f{angorbnung ber %ricf)otomie entfbrecfjen: aoepia, ävögia, oaxpgoavvrj ; bie dixcuo-
ioovv7], zunäcfyfi bag SSofytberfyältms biefer Seiten b^erftettenb, mad)t ben ßljarafter au§
unb beftimmt bamit gugletc^ al§ fojiale Stugenb ba§ 93erl)ältni€ be§ einzelnen 3Jienfc^en
Zur ©efamtf)eit. ©a bie öoiözijg nur auf ben öffentlichen Uult bezogen wirb, ift fie
neben jenen bier, toie feb^on im ©t)mbofion bon ?ßl. felbft, fo rceiterl)in unbeachtet ge=
blieben. Dbtoob^l biefeä SLugenbftjftem auf bem etb,ifcb,en ^ntetteltualiärnuä (f. unten) unb
45 bem ©ualigmug bon Vernunft unb ©innlicb^leit rub|t, ift e§ boeb, bon bauernbem ©in=
fluffe geblieben, als bie dt)rtftlicf>en SEb^eotogen fic| bei Paton in bie ©cb^ule begaben.
2lmbrofiu§, de offieiis ministrorum, übernimmt bie§ Schema ber „virtutes princi-
pales" unb in ber ifym untergefeb^obenen ©cb^rift de sacramentis erhalten fie ben fortan
bleibenben Tanten v. cardinales. 2lu§ temperantia fortitudo iustitia prudentia
50 madjt Sluguftinul bie ©rmeifungen be§ amor dei, bemgemäfj ba^ bie definitio brevis
et vera virtutis laute: ordo est amoris; al§ beftimmenbe 9)cacf)t entfaltet fic^ aber
bie Siebe in fides, spes unb charitas, ben tfyeologifdjen STugenben, roie man fie fbäter
Zu nennen bflegt (9?eanber, 25orlefungen über ©efeb,. ber cfjriftl. @tt)il, tjerau^geg. bon
©rbmann 1864, ©. 228 f.). ©o wirb eine ©iebenjab,! ber 5lugenben trabitionell, ber
55 bann bie fieben 2!obfünben gegenüber, bie fieben ©eingaben boran treten. 3n^em °'e
©cfyolaftif biefe 33eftimmungen übernimmt, fäl)rt fie zuS^e^ fort bk ©inb^eit ber üEugenb
Zu betonen unb in ber cfyriftl. ©runbtugenb, ber Siebe, aufzuzeigen (Söuttle, §anbbua)
ber cbjiftl. (Sittenlehre, 3. 2lufl, S3b 1, ©. 129 f.). $Die S3ereb,rung be§ SEb^omaS 3lq.
aU be§ !anoniftt}en ^^eologen fül>rt auc| bie neuefte römifcfye SOtoral zu biefem £ugenb=
go feb^ema zurücf, ©cb^mane, fpegtelle 2RoraltI)eol. 1878. 2öenn 33enatoriu§ de virtute
Sugenb 161
christiana 1520 an bie ©teile ber Siebe ben ©tauben al§ ©runbtugenb geftellt fyatk,
fo enttoicfelte sKcelancf;tbon ethicae doctrinae elementa 1550 bte iustitia civilis an
bem ©cfyema ber ©eredjtigfeit, 2öal)rt)aftigfeit unb sIRä^tgfett, leitet aber burd; ben £in=
roei§ auf ben ®efaIog jur 23oranfteltung be£ ^flidjtbegriffeiS über, toeldje bei "ben
^roteftanten, befonberS feit Söolff, allgemein roirb, bgl. SButtle a. a. £). ©. 150 f. ®er b
eingebrochenen gormloftgtett ftellte bann ©cbleiermacfyer auf ©runb fetner $ritif eine um=
toanbelnbe 9tetonftruftion ber tolatomfcfyen Steril t>on SEugenben entgegen, a. a. D.
2. 335 f.: ^ugenb ber ©efinnung ift im ©rfennen 2Bet€r/eit, im ©arftellen aber Siebe;
unter ber geitform erfcfyeint ba§ ©rfennen al§ s8efonnent)eit, ba§ SDarfteßen al§ 33efyarr=
lidjleit. SBie fcfyon liier bie Siebe an ©teile ber ©eredjtigfeit tritt, fo b,at bie Einteilung io
mit ^piaton eigentlich, nur bie<§ gemein, bafs fie au§ ber formellen 2tntt)rD^oIogie t)er=
geleitet wirb; fo ift§ aud) bei ^otlje a. a. D. ©. 225 f.: ©enialttät, 2öei<%it; Driginali=
tat, ©tärfe; unb boHenbS bei $almer, SOJoral ©. 285 f. Übrigeng togl. unten bie
6f)aralterbilbung.
©er Sefyrfa^ t>on ber ©infyett ber ^ugenb fyängt bei ©ofrateS eng mit bem anberen 15
jufammen, toeldjer ägezri unb emorrjjur] einäfe^t. liefen intelleftualifttfclien ®etermini§=
mul bollenbete bie ©toa, inbem fie einerfeits bie ©runbtugenben auf ben blofjen ©itt=
licfyfeitsbegriff gurueffü^rte (Beller, «jtytl. b. ©rieben, 2. SIufL, 3, 1, ©.220 f.), anber=
feitS lebjte, ba| fie mit ber ©rfaffung tbjeg 33egrtffe<§ audj borfianben fei, ofme baf? eine
allmähliche Slnnä^erung an fie ftattftnben tonne. 3luf ©runb il)re<§ abftraften 3bealis>= 20
mug bat fie eS leicht, tugenbftolj für bie Autonomie ju fettarmen; unb bei ber Über=
fiebelung ju ben Römern trat bann baä ©treben naa) ber anjuerlennenben SErefflicbJeit
in ber eiteln ©elbftbeftoiegelung red)t I)erau§: nulluni theatrum virtuti conscientia
maius, Cicero. ®er ©mbirtter 2triftoteIe3 bermocfyte bie $rage nad) bem ©rtoerbe ber
Sugenb nidjt fo leicht ju nehmen ; of)ne ben determinismus consequentiae ju t>er= 25
rennen, betont er bod) bie Söitlfur unb erfennt, baft bte gertigfeit nur burd) (Einübung
.511 getoinnen fei; aber bor bem 9tätfel, mie ber nod) nietjt Sugenbb/afte jur ©inübung
ber Sugenb fomme, bleibt er fielen (-Jieanber a. a. D. ©. 94 f.). ®er firdt)ltd) ortf/oboje
Semitoelagiani§mu§ blatte jur (Srflärung bie gratia inf usa $ur §anb ; wenn er fiel) bann
in ber Xugenbler)re auf ben philosophus ftütjte, fo bilbete jener ©at) „mir »erben gerecht, 30
toemt wir ©eredjtigt'eit üben" für Sutfyer bon SCnfang ben Slnftofj gum £>affe gegen ben
2lriftoteli3mu<§ (Sutr)arbt, ©efd). b. d)r. @t^tf 2, 611 f.). ®iefer ©egenfa^ erneuert fid);
ß^r. Söolff tritt fiegreieb, für ben inteöeftualiftifd^en SetermmiSmuS ein (2ßuttle a. a. D.
6. 186 f.) unb Stouffeau erroeeft meitb^in bie ©c^toärmerei für bie urfbrünglid)e Steinzeit
ber Siatur; auf biefen Unterlagen ergebt fiel), tner unb ba geabelt buref) £ant§ 9tigort!8= 35
mu^ ber ^flicfjt, bie Segeifterung für ba^ felbftgenugfame ^ugenbftreben (©filier, SDie
SBorte be§ ©laubenS; bgl. aueb^ 2lömug 1. unb 2. %., 1775, ©. 81) unb tt>ieberl>olt bie
$raf)Ierei be3 /ueyakoipvxos bei 2lriftotele^ unb be§ ftoifcb^en 2Beifen. ®ab,er erklärt e3
fid), ba| bie borneb^mlicb, biblifcf; ober et>angeIifd)=bogmatifd) gerichtete ^E^eologie eine 21b=
neigung gegen bie SSermenbung be§ Segriffeg , teil§ au^ftoricfyt (Hilmar a. a. D. § 46), 40
teils jeigt, mie §ofmann u. a.; ögl. noef; t). Öttingen, ß^rtftl. ©ittenl. § 3.
3n ber %fyat fefylt ber 3Sermenbung biefeä 33egriffe§ bie biblifd;e 2lnlnübfung; nur
too ba§ ^ubentum unter ben ©influfe ber f)ellenifct)en ^f)ilofobb,ie tritt, mithin in ben
Slbofrttyben begegnet ägsr^ in biefem ©inne, 2Bet§f>eü 4, 1; 5, 13; 8, 7 unb im*!. 23.
b. ÜJcal, bagegen im 31% bejeicfynet e§ l ^t 2, 9 ; ^l)i 4, 8 ba§ 3flü^mltcr;e überbautet, 45
2JSt 1, 3 bie göttliche ICraftertoeifung, unb nur ebenb. 1, 5 eine befonbere ^tugenb, lr>oi)l
bie SLt)at£raft, togl. ßremer a. a. D. ©e^t man oft bafür ,,©erecf)tigfeit" ein, fo fyat auet;
biefe 2lnfcb,auung im %,% neben bem ber ©otteSfurcfjt ntd)t bie formell ^>errfd^enbe
Stellung, £. ©d;ul|, Stltteftamentl. ^Ef)eol., 5. Slufl., St. 21, 1; £.22; unb bon einem
feftgebrägten ©ebraucfye beö 2BorteS dixaioovvi] in biefem ©inne fann bei ben neu= 50
teftamentl. 2?erff. nietet bie sJiebe fein , ßremer a. a. D. s. v. dm. @3 ift auef) an fiel)
tooljl berftänblidb,, ba| bie fittlia)e 2lrbett be§ Reiben fid) unter ben Segrtff ber ju cr=
teerbenben unb erroorbenen Xüclitigfeit fteUt, bagegen ber 6E>rift au§ ©otte3 SBort ju=
näd)ft bie fittlict/e Aufgabe, feine $flicf)t ergebt, unb be§I)alb bie ebangelifcb,e @tb,if feit
$annäu<S bielfacb aU ©efe|efSetb,i! erfcf)eint. 55
2öenn mithin ein nict)t genug beamteter SBin! barin liegt, bafs ©cb,Ieiermad)er felbft
ben Segriff ber Sugenb für bie tI)eologifd)e ©ittenlef)rc ntcr)t berluenbet, fo bat er ^'efc
boer) aueb, md)t all 5ßflid)tenlebre geftaltet. @r fyat bafür ein Sorbilb an ßalijt unb
bem ^ßietiSmuS, toelcbe ba3 Sterben unb bie ©rtüeifung bc3 d;riftlicl)en Seben§ bar=
fteHen unb fo bie ^3flid)tenlebrc unterbauen (Buddei Instit. theol. moral.). §ier 60
Kea[=(Snc«tIopäbU für Ifeeoloflie unb .wtrd»e. 3. 8J. XX. j ^
162 Sttgenb
bietet ftd) ber $unft, mo bte altcfyriftlidje 2ln!nübfung an entgegengebrachte miffem
fcb,aftlid;e formen befolgt unb bte Sel>re bon ber Slugenb ed)td>riftltd) ausigebilbet merben
fann. £äring, 2). ct)r. Seben ©. 238; Sutfyarbt, 5!omb. § 30f. Sie Vorausbedungen,
bte Vilbung unb bte ©nimidelung be§ d)riftlict)en (Sfyarafters' bürfen nid)t über einer d)rift=
5 liefen ©ojialetljiif bergeffen merben; ifyre it>tffertfd^aftltc^)e Vefyanblung bietet bann bie be=
friebigenbe ^Darlegung ber ©infyeit unb bes SBerbens" ber 'Sugenb ; bgl. ©djmib a. a. D. ;
$arlefe, Gf>riftl. @tyif, § 30 f.; 9Jkrtenfen, (S&rtftl. @tfnf, allgem. Seil; 3. «ß. Sänge,
©runbrifc ber djriftl. @tf)if, 3. Steil.
®amit ift aueb, bie Slnfnübfung für bie älsfettf unb für bie Erörterung ber £ugenb=
10 mittel gewonnen. SDie meitaus" umfaffenbfte Vefyanblung biefes' ©egenftanbes' finbet man
bei 3ieinb,arb, ©fyftem ber cb,riftl. 9Jtoral, 3. Steil: bon ben allgemeinen Hilfsmitteln ber
djriftl. Votlfommenfyeit, 33b 4 unb 5 bef. ^ab. 4. 91 berftefyt barunter „aßeS, toae einen
borteilfyaften ©influfj auf bie mirflidje SluMbung unb Vollbringung bflidjtmäfuger §anb=
lungen fyat" ®ies fann nun, mit 2lugnaf)me ber Verfügungen unb Strgerniffe, im bib=
15 lifdjen ©tnne biefes* ÜJBortes", eigentlich alles fein, momit man unter ftttlicfyem ©efic^)t^=
bunfte ju tlmn befommt; ja, auet) jene Fügungen, menn fie al§ Prüfungen aufgefaßt
merben, fönnen jenen 2öert erhalten, ©emgemäfj mirb bann aueb, bon bem Vetftanbe
©otte§, bon ben fitiltdjen SJtotiben, unb fobann bon 9iatur, ©djidfal, Veruf unb allen
benlbaren berfönlid)en Vereisungen gefyanbelt. 2Ba§ aber biefe 3)inge ju SRitteln machen
20 fann, ift lebiglid) bie (Stellung bes 3ftenfct)en §u ifmen, feine Venütjung berfelben unter
einem befonberen ©efic£)t3punftc; eigentlich befielen alfo bie SRittel in ben Verfal)rung<>=
meifen, burd) meiere bie ©inge nutzbar gemacht merben, unb bes^alb mirb e§ ftd) um bie
$unft ber ©inübung ber SLügenb ober ber ©ittlicb,feit, b. I). um bie Slsfetif fyanbeln.
Von einer folgen mar in ber alten $ird)e im 2Infc^lufß an bie angemanbte (Stluf ber
25 ©toa bie 9?ebe. $ant giebt bafür in ben metabbtyfifdjen Stnfanglgrünben ber SLugenb=
lef)re als 2. SEeil bie eil)ifcf)e 3Retf;obenIef;re unb §mar ©ibaftif unb Slsfetif ober ©tätetif.
Unb SRot^e a. a. D. ©.455 befiniert bie Slstefe: „ein lebiglid) auf bie (Srmerbung ber
eigenen Slugenb rein als" folcfyer abjielenbes |>anbeln otnie irgenb einen fonftigen aufjer
bem fyanbelnben ©ubjeft felbft liegenben gmed" ; nad) be Söctte, Seb.rbucl) ber cfjriftlic^en
30 (Sittenlehre 1833, § 296 ift fie ein folcfyeg §anbeln, „ju bem mir nur mittelbar ber=
bflicf)tet finb, nämlicf) um im ftanbe ju fein, ber unmittelbaren Verbflicbtung gu genügen"
©egen bte gidaffimg biefer Slnfcfjauung in bie roiffenfcfyaftlicfye @tf)tl menbet man
ein, bafj in jeber bflic^tmäfeigen §anblung bie 53ejieb,ungen auf bas ^nbibtbuette unb auf
bie ©emeinfc|aft sugleicb, jur ©eltung lommen muffen; bamit märe 9totfye§ Sefttmmung
35 al§ un^uläffig er!annt. ferner umfaffe bie ^flicfyt in bem 9Jca^e ba§ gefamte Seben,
ba^ fiel) in beffen Verlaufe fein Moment beulen laffe, ba§ nur unter mittelbarer 3Ser=
bflictjtung fteb,e. ©tefe (ginmenbungen befeitigen in ber Xtjat eine blumbe 2luffaffung
ber ©aelje, ber gemäf? ber ßbrift fiel) ber 2ls1efe gegenüber toilllürltcl) berb,altcn bürfe.
©etoif? erforbert bte ^ßfltdt)t, in jebem lugenbltcf'e ba§ 3TOec^mä^3^e ?u ^un' un^ nur
40 bie Unftcf)erb,eit be§ Urteile« barüber, morin baö ^tDccfmäfßtgfte befiele, ertuedt ben Schein
ber 3"Iaffung bon berfclnebencm. 93can ift alfo gu ber Slnmenbung be^ ^ugenbmittelS
eben berbflic£)tet, menn fte am Vla^e ift. ®a^ aber bie 33e^iel)ung auf bie ©emeinfcfyaft
ben diaum für folctjc §anblung§toeifen net)ine, mirb nur bann beraubtet merben fönnen,
menn man bte Slufgaben ber Silbung unb ber Reinigung bc§ eigenen Gb/araftere' über=
45 fiel)t. ^n biefer Stlbung leiftet ber SERenfcb, einen 2:eil feiner ©^ulbigfeit für bie ©c=
famtb,ett. ^nnerb,alb ber S^arafterbilbung botljteb^t fiel) aber ber Übergang bon bcr Un=
münbigfeit jur 3DZünbiglett ; mit biefer @infict>t ift ein ßufammenljang bon Väbagogil
unb Sl^letif erfannt, unb ba ber ©intritt ber 5Rünbig!eit jeitlicf) ntc^t beftimmt feft=
aufteilen ift, fann ©rjielmng unb ©elbftbilbung gleichzeitig ineinanbergreifen, mic benn
so biefe aus1 jener {»erbormadbjen foE; bäbagogifcb,e Übungsmittel gelten aber mit SRec^t für
unentbehrlich, unb fo mirb bie Sinologie auef; bie aöfetifeften rechtfertigen, gerner f>at bie
©elbftbilbung bie unfittlicb, e Verbilbung beä eigenen 2öefen§ aus^ufcl; eiben, §äring a. a. D.
©. 264f.; bie entfbrecl;enben ©egenmirlungen unb 93orbeugung§mittel finb in 2Btrflicb,=
leit burcf)aus unentbe^rltcf), fie mürben aber in einem ibealen ©ntmurfe ber fittlicb,en
55 ©elbftentfaltung leinen Vla| finben, alfo innerhalb einer folgen Betrachtung al§ ftttlicb,
mertloä erfcb,etnen. ©erabe biefe ©eite b,at bie dmftliclie @tl)tl erflärlicljermeife befonberg
berüc!ficf)tigt, benn ba3 entfbricl;t bem ©rnft in ber ©d;ä^ung be« fittlicf)en Verberben§.
@§ mirb ftdi; ber ©act)e nad; bielfältig barum- f)anbeln, eine falfcb,e unb übermäßige 33er=
fled)tung mit bem SBeltleben aufjuf)eben, unb ba§ lt)at ju einem ablelmenben Verhalten
60 aueb, gegen bas fittlicb,e ©efamtleben unb ju Übungen geführt, meld;e in fid} mertlos" für
£ugcttb K)3
bic Sttttid)feit finb unb sugleid) bic Söfung gtt>etfeUofer Aufgaben ^inbcm; man benfe
an bic anacboretifd)c 2l€fefc, aber aud) an getoiffe (Srfcbeinungen bei bot $iettften. ®em
gegenüber bürfen allein foId)e |>anblung3toetfen afö Xugenbmittel gelten, toelcbe übett)aubt
für ben (griffen fittlid) berechtigt unb geforbert ftnb, unb tl)re Sefonberbeit toirb eben
nur barin ju erfennen fein, baß bie Schiebung auf bie görberung ber 2lu§bilbung be3 5
(SfyarafterS unb auf bie 2lu§fd)eibung beS bereits angeeigneten Söfen bem 2t)un einen
3ug berieft, ber oljmebem festen toürbe. 9Jcäßigfeit ift an fid) geforbert; fie mu| jur
Üntbaltfamfeit toerben, toenn ein Safter ju übertoinben ift. Slnbad^t ift fo ^ßflic^t tote
:Kcd)t; ben gottentfrembeten ©inn toirb man unter regelmäßiger Übung in bie gäfngfeit
bcrtoanbeln, aHjeit in bie 3lnbad)t überzugeben u. bgl. ©otootyl ba§ 9Jcaß unb bie 2lrt 10
ber eingeiDübnten Unfittlid)feit al§ ber ©rab be3 §ortfcbrttte3 in ber ßbarafterbilbung
finb bei jebem 3Jcenfd)en toerfd^ieben; be§f)alb ift bie 2lntoenbung foldjer bittet burd)auiS
inbibibuell. Sie ©d)toierigfeit liegt barin, baß bie außer bem öinjelnen fte^enbe ^äba=
gogif ber ^erjen§!unbe entbehrt unb barum nur felt)r ofyngefäbr berfafyren fann, ber
llicnfdi felbft aber nid)t in bem 9Jcaße über fid) felbft ftebt, um fid) mit ©id;erbeit felbft 15
bebanbeln ju !önnen. §at man bie 21§fetif mit ber ärjtlicben Skfyanblung bergltdien
(iüncenj ^ßlacciuS, Typus medicinae moralis, b. i. ©nttourf einer bollftänbigen ©itten=
Icbre nad) Slrt ber Ieiblid)en Slrjneifunft, 1688), fo werben biefe ©d)toierigfeiten bobbelt
anfdmulid). Sxityalb fetjt bie dmftücbe 2lsfefe bie Heiligung borau§, toeld)e ©ott bem
fid) befebrenben ©Triften grunblegenb unb fortgebenb jutoenbet; biefe bringt tbm bie burd)= 20
greifenben ^ugenbmittel unb Heilmittel ber %aQig jicudevovoa (1t 2, 11 f.) entgegen, bie
fid) in bem SiebeiSbienft unb ber Seiben§fd)ule (§br 12, 4 f.) jufammenfaffen ; bgl. bie S3e=
banblung ber @tbif bon 3Silmar, unb namentlich aueb bon |>arleß unb lob. Sed. 9)ot
biefen 2fnbeutungen ift aud) ba3 93erl)ältm<8 gtoifd)en „religiöfen unb fittlicben lugenb;
mitteln" auf ben beftimmenben ©runb jurüdgefübrt ; im d)riftlid)en Scben bilben Religion 25
unb ©ittltd)feit nid)t einanber nebengeorbnete Greife unb unter ben fittlicben ;Eugenb=
mitteln finb bie toid)tigften eben bie religiöfen.
ßufolge biefer Erörterung laffen fid) bie lugenb mittel im engeren ©inne befinieren
al3 fittlicbe §anblung§toeifen in ibrer befonberen 23ejie£)ung auf bie 2Iu3bilbung bes>
eigenen 6l)arafter£> unb Jtoar in berjenigen berechtigten befonberen ©eftaltung, toeld)e burd) 30
bie Unfertigfeit unb bie Skrfebrtbeit biefeg Sbaralter§ erforbert toirb, tote foId)c fid)
bei einem jeben berfdjteben borftnben. £)a bie inbibtbuelle 2>erfd)iebenbeit bod) leine
billige ift, fann man biefe §anblung§meifen eben auf ©attungen jurüd'fübren unb ak>
fold)e befbred}en. 2luf frud»tbare üfiktfe gefd)iebt ba§ inbe§ nur in bem 3uf<™'"1ienbange
ber Sebre i>on ber Sbaralterbilbung ober ©efainttugenb. $Da§ ift bann bie Sl^fetil, bie 35
einen notmenbigen 2eil ber Stbtf bilbet ; bgl. ©dmübt a. a. D. ©. 541 f. ; SHartenfen
a. a. 0. 2, 1, ©. 465 f.; bon Dttingen a. a. D. § 65 f.; § 86; Sßalmer, 3Jcoral, ©. 232 f.;
Gabler, SBiffenfcb. § 669—693. @'ine Stufjä^lung ber SEugcnbmittel erfdjeint laum tbun=
lid), man bgl. Steinbarb a. a. D. ; fie toirb in bem bezeichneten ^ufammenbange über=
flüffig, toie fieb bann bie Einteilung bon felbft ergiebt, nämlicb ihm nad) ben berfdiiebenen 40
Seiten ber Sbarafterbilbung ; biefer SLeilungggrunb liegt benn aueb, nur unter "isoranftellung
berfebiebener ©efid)t§bunlte, ben meiften ©rubbierungen ju ©runbe, bgl. 9ci|fcb, ©bftem ber
d}r. 2et>re, § 159 f.; ©dmiib a.a.O.; Siotbea.a.D. §871; sJJcartenfen ©. 486. Hilmar a.a.D.
§ jöf. erneuert für biefe 2lbbanblung bie Sejeicbnung ,,©i§jiblin" unb erinnert an „bie
tird)licbe Drbnung", toie aud) ©d)leiermacber, ©t)rtftl. ©itte, ^erauögegeb. bon ^jonaä 45
S. Ulf. ba§ fym @infd}Iagenbe unter ber £ird;enzud)t erörtert. SDarin liegt eine
5Kabnung, ntc^t p überfeben, intoiefern bie Isletif, bie jeber fieb felbft angebeiben läßt,
al^ ©rgänjung bie ^ßäbagogif erforbere, toelcbe bie ©efamtbeit an tbm ju üben fyat ©er
proteftantifebe Snbibibuali^mug barf aud) auf biefem fünfte nid)t ju bem ©ubjetnbiSmuS
ausarten, toeldjer bie ürcblid) gebrägte gorm unb ©itte mißartet; boct) finb babei aud; 50
bie ©efabren jebeg SDtetbobigmuS im 2luge ju bebalten.
^ie§ fübrt fd)ließltcb auf ben Unterfcbieb ber broteftantifdjen bon ber römifd)en
ßtbif. ©ic 2Iöfeti! ber legten teilt beren Mängel in befonberem sIftaßc; fie mad)t erftlid;
bie öilfSmittel, toeld^e fid) für inbibibuelle Aneignung barbieten, ju fird)Iid) berbflid;tcn=
ben ©efetjen ; fie reißt ferner biefe §anblungen au$ bem ß^fa^twenbange bc§ fittlicben .-,.-,
Sebeng unb maebt fie ju Seiftungen, toelcbe in fieb wertboll unb fogar berbienftlieb finb,
bebt alfo ibre Sebeutung als ^ugenbmittcl auf unb mad)t fie ju §eil§mitteln ((i'rtoerb
ber Seligfeit) ; enbltd) fann fie bie Slltgemeingiltigfeit nur fo feftbalten, baß fie beut 3»=
btoibualrecbt entgegenfommt unb klaffen feftftellt, bie fid) an ben Unterfcbieb ztoifd)en beut
bereebtigten toeltlid;cn unb bem bollfommenen geiftlid)en Sebcn anfdjließen (bgl. ben 2trt. 60
11*
164 Jugenii Simtom
consilia ev.). 3m 3ufammen^an0e ^erru^ macbt fid) unter ben ©eficfytebunftcn ber altlird)=
liefen Sfefetif in ber ©elbftbefyanblung eine felbftgefällige Sötac^erei breit. ®em gegenüber
fteßen erllärlicbertoetfe bie (Sbangelifcben bie unb ba eine 33etracbtung3roeife einfettig in
ben Sorbergrunb, nacb, toelcber in ber cfyriftlicben ©ittlicftfeit ftcb, ba<§ bon ©olt gefegte
5 unb fortbauemb bebingte Seben in einem gefeijmäfsigen Sßerben bon innen beraub ent=
faltet unb bemgemäfj Übung unb Sugenbmittel ganj au§ bem ©eftcbtslreife geraten,
S- G&r. £ofmann, %beoI. @tr/if, bef. ©. 84 f. ©od) bleibt eine folebe Slnfcbauung neben
ber nüchternen, bem ftrirJIicbett Seben jugemanbten bibüfeben Sebanblung ber ©ac|e eben
eine ©infeitigleit. Sgl. in Setreff be£ ^onfeffionellen 9Jterj, ©fyftcm ber d)riftlid)en ©itten=
10 lebre 1841, ©. 80 f. W. Säl)ler.
Fünfer f. b. 21. Sabtiften Sb II ©. 389,26.
Xnoülo f. b. SC. ©t. ©allen Sb VI ©. 348,2.
£ltrhtytnetU — Lea, A History of the Inquisition II, New- York 1888, 126 f. 158;
Fredericq, Corpus documentorum inquisitionis haereticae pravitatis Neerlandicae I, Gent-
15 'sGravenhage 1889, 409-412; Gersonii opera omnia, Antwerpen 1706, 19; Nouvelle Bio-
graphie generale XIII, 166ss.; Kelter unb 3Se|e, Sirenen lerjton XII, 147 f.
■^urlubinen (Turlupins), eine ben Segarben (f. b. SCrt. II, 51 6 ff.) bertoanbte
mittelalterliche ©elte. ®ie Sejeicbnung %. ift ein ©bottname, beffen §erfunft bun!el ift.
SDie Slbleitung bon turris unb lupi („weil fie in berlaffenen türmen pfammen=
20 lamen unb toie bie Sßolfe in ben SSälbern lebten") fei nur ber 9Jterltbürbigfeit balber
ermäbnt. ©ie felbft nannten fid), äbnlicr) mie bie S3egarben, „©efettfefcafi ber Sirmut"
©ie fcfyeinen befonberl unter &arl V (1364—1380) in $ari3 unb in ber Srobinj Isle-
de-France febr gablretct) geroefen ju fein, ©bäter (1460—1465) finben mir fie in ber
üftäbe bon SiEe. Waty ibren Sefyren, bie mir nur au§ ben SDarftellungen ibrer ©egner
25 fennen, bielten fie ba3 „inncrlicbe ©ebet" für bie einige religiöfe ^fücbt. ®a<§ ©treben
nacb, aboftolifeber 23oMommenI)eit beranlafjte fie ju bem ©elübbe boUiger Sirmut, bie fie
foroeit augbetmten, bafj fie faft naeft gingen. ^n tyx?n Serfammlungen, bie fie geheim
breiten, füllen fie, um ba3 ?parabie§ bor^uftetten, bie Kleiber ganj abgelegt baben. ©erfon
nennt fie Epicurei sub tunica Christi unb febrieb ibnen bie Sebre ju, ber ßbrift fei,
30 wenn er eine gewiffc ©tufe ber Soßfommenfjeit erreicht fyahz, jur ©ünbe ntebt mefyr fäfrig
unb lönne ftcfc obne Sebenfen feinen finnlicben Neigungen bingeben. ®ie ^nquifition
berfolgte bie %. auf3 fycftigfte, jumal ba fie aueb, in ber Sanbe-Bfbracbe für ifire Ser)ren
Srobaganba maebten. Slm 5. Quli 1372 mürbe in $ari§ 3ol^anna ®abenton, bie eral=
tierte ^robfyetin ber ©efte, unb ein ungenannter Srebiger berbrannt. ©er Qnquifttor
35 $afob 9Jtore erhielt im $ebruar 1373 bon Harl V ein ©elbgefcbenf für feine Serbienftc
um bie 3lu§rottung biefer Üe^erei. 3tm 27. 5Rärj 1373 lobt ©regor IX. ben Äönig
um feinen @ifer unb bittet ib,n, bie ®omini!aner noeb, toeiter gegen bie %. ju unterftü^en.
@rft in ber ^wetten §älfte beö 15. Qa^rt)unbert§ berliert fid) i^re ©bur in granfreieb.
@uge« Sac^entitamt.
40 Juritotti, $eter, 3JJärtb,rer h)aIbenftfd)=tabortttfd) er ^been, geft. 1426. —
Sftattf). gkciu§ Süljr., Catalogus testium veritatis, Francof. 1666; ©aroluä $uplejft3 b'?lr=
c]entre, Collectio iudiciorum de novis erroribus, tom. II, Paris. 1728; %ot). ©rö- Änpp,
ftteine sJiad)Iefe einiger jur ©riäutenmg ber 3teformatton§=©efdn<f)te nüjjlicl)er Urfunben,
III. Seit, Seidig 1730; ^ermann ^aujjt, Sie religiöfen ©eitert in ^xanhn bor ber ifiefor=
45 ntation, Sßüräburg 1882; berf., öufttifetje ^robaganba in Seutfct|(anb : Snftortfdjes Safcßen=
6uc6, 6. gotge, VII. 53b, ©. 233 ff. (tjier namentiid) <B. 298 ff. im 9lnt). I ba8 3nquifitton§=
urteil SBiftfiof 3t^a6anS uon Speier gegen %. au§ einer efjemat§ g-Iaciu§ ge&örigen §onbfct)rift
mitgeteilt); berf., SSalbenfevtum unb ^nquifttion im fiiböfrltcfjen S)eut(d)lanb, greiburg i. SS.
1890; Subtütg ffeHer, ®ie Deformation unb bie älteren SReformbarteien, üeibsig 1885.
50 ^eter ^urnoto ift mo^l um 1390 in Sotfemit bei ©Ibing geboren. Über feine
Sugenb^eit ift nichts befannt. Um 1415 begegnet er un§ in $rag, unb bon biefer ßeit
an finb feine Sebenäfcbicffale bielfacb, mit benen beö ^obanneg ©ränborf (f. b. SC. Sb V
©. 17 f.) berfnübft, bem gleicb, er bamalö bufitifd)=lr>albenftfd)en ©eban!en fieb, ^utbanbte.
£)h er eine Steife nad) ©ried)enlanb, bie er bem gegen ifm gefaßten ^nquifitionsurteil
55 nad) unternommen bat, um bie Söunber ber Söelt unb bie fircfcltcben ©ebräuc^e ber
©ried;en lennen ^u lernen, febon bor ober nad) feiner $rager 3«it gemaebt b,at, ftebt
nid)t feft; wabrfcbeinlicber ift ba§ le^tere. @rft in ben leisten Qabren bor feinem 'iobe
Surnoto Surrctttni 165
finbcn wir 1. iuicber aU ©dmlreJtor in «Bieter, jefct mit £)ränborf in gemeinfamer ©c=
finnung unb innigfter grcunbfcfyaft oerbunben. Wü ib,m jufammen begann er, bon roal=
benfifdjen ^been getrieben, eine lebhafte Agitation gegen bie ©toeierer ©eiftlidtfeit, bie
bamate mit ber 23ürgerfd)aft in gefybe lag, unb, obgleich er Don feinen 23erb,cmbhmgen
mit bem geächteten unb gebannten 2Bein§berg, mit §eilbronn unb SBtmbfen (f. b. 9cäl)ere 6
a.a.D. ©. 17, 49 ff.) feinen greunb jurüdb, alten wollte, rourbe er boeb, in feinen llnter=
gang funeingeriffen. 9camentlid) jeugte gegen ib,n, baft er, al3 $)ränborf abgereift war,
um mit ben 2Jöein3bergem berfönlid; §ül)lung S" geroinnen, bie ganzen Rapiere be3
^•reunbeö in 23erroaf)rung genommen f)atte, bie bei feiner 23erl)aftung bann bei itmt ge=
funben rourben. 2öofyI im 2lbril 1426 folgte er, in (Speier berbrannt, SDränborf im 10
lobe nad). 2(uf$er feiner ^ßolemil gegen bie roeltlid)e ^jerrfdjaft be3 Klerus giebt ba3
^nquifitionSurteil ifym namentlich fcfyulb, bafe er gelehrt I)abe, ein generale concilium,
universalem ecclesiam repraesentans, fönne irren, unb bafs er bie communio sub
utraque bertreten unb gebrol)t I)abe, jeber ^ßrieftcr, ber rtic^t ben Saienfelcb, leb,re unb
bem SSolfe mitteile, muffe am füngften £age barüber SRecr)enfcl)aft geben, ©benfo wenig 15
loie 2)ränborf barf %umoto einfad) ein fmfitifcfyer Parteigänger genannt werben; aud) in
leinen religiöfen 2lnfd;auungen finb roalbenfifdje mit roiclifitifd)4aboritifd)en ©ebanfen ber=
bunben. ijerbtiionb (£oljr§.
lurrecremoto, $of|amte§ be f. %uan be Sorquemaba 33b IX ©. 545.
Jurretttni. — Sttteratur: ^ottinger, £>eluet. Sirrfjengefd). ; ©enebier, Hist. litteraire 20
de Geuevc; Supplement du dictionnaire de Bayle par Chauffepi£; ®at)ou§, Histoire de
la litterature francaise ä l'etranger; ©ciberel, Hist. de l'Egl. de Geneve, t. III; 33loefd),
©efdjidjte ber fctitüei^. ref. Sirenen ; Mömoires pour servir ä l'histoire des troubles arrives
en Suisse ä l'occasion du consensus, Sltnfterbnm 1726; ©cbtueigei", (Jentrcilbognien, II; (£eüe=
rier, Du röle politique de la V Compagnie dans l'ancienne republ. de Geneve, speciale- 25
ment dans la crise de 1734; Protestant de Geneve, ^alfca,- 1838 u. 1839; 0. ber ©olfj,
®ie ref. $trd)e ©enf§ im XIX. SnW-, 1862; gf. SEurrettüti, Notice biographique sur Bene-
dict Turrettini, 1871; @. be 93ube, Vie de Francois Turrettini, 1871; berf., Vie de J. Al-
phonse Turrettini, 1880; 2fj. §el)er, Deux deputations Memoires de la Soc. d'hist. et
d'archeol. de Geneve, t. XIII; Seiger, Francois Turrettini, Lausanne 1900; !g. §etier, Cata- 30
logue des theses soutenues ä l'Academie de Geneve; Gen. 1898; 83ovgeaub, L'Aca-
demie de Calvin, Geneve 1900.
turrettini (ober SEurrettin) ift ber sJcame eine§ genferifdjen %l)eoIogengefd)Ied)t§,
beffen ©tammbater, granjj %., fein 23aterlanb Succa 1574 berlaffen unb fid) 1592 in
©enf angefiebelt blatte. (§<§ finb namentlich 3 %. namhaft %u machen. 35
1. Senebift turrettini, ©otm be£ foeben ©enannten (geb. 1588, geft. 1631),
tourbe Pfarrer in ©enf unb $rofeffor ber Geologie 1612. $m Qafyre 1620 war er
deputierter ber ©enfer $ird)e bei ber -Jcationalftmobe fon 2Ilai§, toeldjc bie ©orbredjter
Sefdjlüffe in granlreicb, einführte. 3m folgenben %afyvt erhielt er ben Auftrag, bei ben
©eneralftaaten §oCanb§ unb ben b^anfeatifdjen ©täbten bie nötigen §üf3leiftungen ju er= 40
toirfen, um ©enf in gehörigen Serteibigung^ftanb ju fe^en, roeld)e SRiffion er mit glän=
jenbem ©rfolge au§fü|rte. Unter feinen jab,Ireicf)en ©d)riften ift bie b^erborragenbfte bie
„SSerteibigung ber genferifd)en Sibelüberfe|ung" (©enf, 2 Sänbe, 1678—1620), gerietet
gegen be3 ^ßater§ Sotton, be§ Setd)tbater§ §einrid)§ IV. ©d;rift: Geneve plagiaire.
2. ^ranj turrettini, fein ©olm (geb. 1623, geft. 1687), ftubterte in ©enf, Serben, 45
Utrecht, $aril, ©aumur, SJcontauban unb 9cisme<§. 9Zad) ©enf äurüd;geleb,rt, rourbe er (1548)
Pfarrer ber bortigen italienifd)en ©emeinbe, 1653 ^rofeffor ber Geologie, ^n §oHanb,
toobtn ib,n biefelbe SRiffion führte, roeld)er fd)on fein 33ater fid) unterzogen b,atte, fud)te man
il>n fefeub, alten; er blieb aber feinem Saterlanbe getreu. $n tb,eo!ogifd)er 33ejief)ung ift
%xcmi 1. befonberS be!annt alg eifriger ©egner ber Geologie fon ©aumur (f. b. 21. so
Slmtiraut 33b I ©. 476), aU eifriger 3Serfed)ter ber ftreng ortb^oboi'en Dogmatil im
Sinne be§ SDorbred)ter SvonjibS unb al€ einer ber Urheber unb 33erteibiger ber f>elfc>eti=
fäen H'onfensformel (f. b. 21. 33b VII ©. 647). Unter feinen giemlid) ^(reic^en ©Triften,
bie meiftenä bogmatifd)en Qnf)alte6 finb, berbient am meiften 33ead;tung bie Institutio
theologiae Elencticae, in qua Status controversiae perspicue exponitur, prae- 66
cipua Orthodoxorum argumenta proponuntur et vindicantur et fontes solu-
tionum aperiuntur, ©enf 1679—1685, 2. 2lu§gabe 1688. ©eine ©djriften rourben
1817 ff. in ©djottlanb neu berauSgegcbcn. 'JRan b^at aug feinen SBert'en §anbbüd;er für
166 Surrcttuu
©tubentcn pfammengefteEt, bie bis jum heutigen ^age in einigen %o!ogifd)en ©cfyulen
(j. 33. Srinceton) gebraucht merben.
3. ^obann 2lIbl)onS SLurrettini, ©olm beS borigen, Verfolgte äußerlich btefelbe
Saufbalm, aber in ganj anberem ©eifie. -Kenn ber eine bie calbinifcfye Örtlmborje in
5 aller ©trenge aufrecht ju galten fud)t, fo ift ber anbere bemüht, bie Bereinigung aEer
Sroteftanten auf ber 33afiS einiger meniger gunbamentalartilel ^u fianbe ju bringen.
Reiter mar einer ber §aubturl)eber ber belbetifd;en IbnfenSformel, biefer beroieS benfelben
@ifer, um biefe gormel mieber ab^ufetjaffen, unb befreite bie ©enfer Äirclje bon ber
Stutorität bei ÄonjilS bon ©orbrecfyt. 2llbl)onS %. ift ber bebeutenbfte Mann in biefem
io 3^eologengefcf)Ied;te.
©eboren 1671, machte er feine ©tubien großenteils in ©enf; unter bem ©influffe
bon S. 'iSrondjin, bem bebeutenbften 3iebräfentanten ber bom reformierten ©dmlafticiSnmS
fid) emangibierenben unb bem SlrminianiSmuS fiel) juneigenben ©enfer Geologie. %.
mürbe fein befter ©djüler; als ib/n "Srondjin eine feiner erften Srebigten galten fyörte,
15 fagte er: „biefer junge SJtann fängt ba an, mo bie anbern enben" !gm Sa^re 1691
begab er fid; nad; £>otlanb, um bafelbft feine ©tubien ju berbollfommnen. ©ein £>autot=
jmed mar, unter ©i>anl)eim bie "Rirdiengefcfndjte ju ftubieren. Sebor er bon Serben ab-
reifte, gab er einen SemeiS feiner ^ortfcbjitte buref) SLfyefen, betitelt: Pyrrhonismus
Pontificius sive theses theologico-historicae de variationibus Pontificiorum
20 circa Ecclesiae infallibilitatem, Lugd. Bat. 1692, eigentlich eine SBtberlegung ber
©cfirift bon Soffuet über bie Variations des eglises protestantes. guerft ^etgt er,
baß bie Srotefianien il>re Meinung nid;t fo oft geänbert |aben, als man angebe; barauf
bemeift er, baß, füllte bie £f)atfad)e auef) maljr fein, man barauS auf bie Siecfrtmäßigfeit
if)rer <Sact)e feinen ungünftigen ©cf)luß gießen bürfe. ©rtblict) giebt er baS Argument
25 jurüd, inbem er bemeift, baß bie römifd)e Strebe felbft fel)r gefcfymanft bat, teils in ber
Sebre, leite im ©otteSbienfte, teils unb l)aubtfäd)Iid; in einem fünfte, ber bie S3aftS
aller anberen ift, nämlid) in Setreff ber Qnfallibilität ber $ird)e. ©iefe Slfyefen matten
großem 2tuffeben. Sebor er in feine £>eimat gurüdfefyrte, bereifte er nod; (ünglanb unb
granfreid;. %n ßambribge erfreute er fiel) eines bertrauten Umgangs mit Newton, in
30 $aris fanb er oljme ©d)mierigfeit gutritt ju Soffuet, 3D?abtHon unb 9Mebrand;e. $n
©enf mürbe er, obgleid; erft 22 ^ai)ti alt, alfobalb in bie Venerable Compagnie des
Pasteurs aufgenommen, unb ba er bie Sorjüge ber englifd)en unb ber frangöfifeben
^rebigtmeife bereinigte, fo mar er balb einer ber beliebteften Sfanjelrebner ber ©tabt.
$m ^aftre 1697 mürbe für it)n ein Sebrftub/l ber $irct)engefd;icf)te errietet, unb fdjon
35 1701 mürbe er Sieltor ber Sllabemic; biefe SBürbe füllte er, im gaUe ber 2Bieberermäf)=
lung, böd)ften§ 4 ober 5 $abre befleiben; ju feinen ©unften machte man eine 2luS=
nafyme; er blieb boHe 10 $al)re 9Mtor, unb bie 9teben, bie er jätyrlid; am £age ber
Promotionen l)ielt, finb 1737 unter bem SEitel orationes academicae gebrudt morben.
Son befonberer Sebeutung ift ber 2lnteil, ben %. an ber 2lbfcf)affung ber r/elbeti=
40 fdjen ÄonfcnSformel nab^m. 5Ran cmbfanb in ©enf fo gut mie anbermärts in ber
©cfymeij$ bie Serbflicfjtung auf biefe gormel als ein ^oef) ; fie blatte aEerbingS nod) einige
Jyreunbe in ©enf, unb ba fie mit finnbolifcf/er t'lutorität befleibet mar unb bie ftaatlicjje
©anftion befaß, fo fonnte fie niefit ofme SRübe befeitigt merben. gux ©rgänjung beS im
Slrt. §elbetifd)e SlonfenSformel 33b VII ©. 647 ©efagten geben mir b^ier eine altenmäßige
45 SarfteEung ber ©enfer Vorgänge.
®ie gorm ber llnterfd;rift, momit fid) bie ^anbibaten auf bie ^onfenSformel ber=
bflid)teten, mar: „sie sentio, sie profiteor, sie docebo et contrarium non docebo"
9hm ereignete eS fid) im2lbril 1706, baß, als ^tt>et junge ©eiftlicCje, sßial unb Sautier, in
bie Slombagnie aufgenommen merben foEten, Sautier bie berlangte llnterfdn-ift gab, Sßial
50 aber nur fo biel geloben moEte: contrarium non docebo, pacem ecclesiae promo-
vebo, toorauf bie Majorität ber ^ombagnie, „um llneinigfeit unb bie großen Übel ^u
bereuten, meldte entftelten lönnten, menn bie ©adie außerhalb ber Äombagnie anhängig
gemacht mürbe", befd}loß, fid) bei ber Unterfertig beS Sial §u begnügen ; fo mürbe er
benn fo gut mie Sautier in ben ©d)oß ber ibmbagnie aufgenommen, ^nbeffen benad)=
65 ridjtigte bie broteftierenbe 9)Jinorität ber Hombagnie ben Staatsrat (bie ejefutibe Seb^örbe
ber %toubltl) bon biefer 2Ibmeid}ung bon ben beftebenben Serorbnungen, bie offenbar
eine Uberfdjreitung ber tombetenä ber lombagnie mar. ©er ©taatSrat faffierte ben S3e=
febluß ber 2lufnabme bon Sial unb befahl eine neue Serfammlung ber Äombagnie, um
biefe 3lngelegenf)eit auf eine freunblid)e Söeife (ä l'amiable) ju @nbe ^u führen, ^n
eo biefer neuen Serfammlung bom 7. Mai mürbe befcbloffcn, baß, mit ©eneb;migung beS
$urrctttnt 107
Staatsrate:, folgenbe Unterfd;rift bcrlangt merben füllte: sie docebo, quoties hoc ar-
gumentum traetandum suseipiam, contrarium non docebo, nee ore, nee calamo,
nee privatim, nee publice. 3)er (Staatsrat billigte biefe neue Unterfdmft. ©er sJtat
ber ßmcilmnbert (bie gefe^gebenbe 93ef)örbe), olme eine Billigung ober SDtipitligung auS=
mfbrecb,en, lief? fie gemäßen, lobte bie ©inigleit ber ©etftlicfyen unb ermahnte fie, „fiel) 5
insbefonbere über bie obfcfyroebenbe Angelegenheit immer beffer ju berftänbigen" Sßial,
nadjbem er bie neue Unterfcf>rift geleiftet, mürbe gum Reiten 9Me in bie &ombagnie
aufgenommen. 3lad) langen SSerfycmbtungen über ben ©inn ber 33erorbnung beS 9kteS
ber gwcifyunbert, ber in ber %^at jmeibeutig mar, befcblofj bie iRombagme am 18. ^uni,
borjüglid; auf Antrieb bon X., bie grage über bie Unterfcbrift ber ionfenSformel toieber 10
borjunebmen. 3ln ber toitjung bom 25. $uni, mo bie 6ad)e in ernftlicbe Beratung ge=
uvvn merben fotlte, nahmen bon 34 3JcitgIiebern ber Kombagnie 12 ftreng calbinifcb,
ißefinntc ntebt teil, morunter ßalanbrini unb 93en. Rietet (f. b. 31. 93b XV ©. 395)
bie bebeutenbften maren. @S mürbe obne ©d;mterigleit befcbloffen, feine Unterfcbrift mefyr
ju forbern; folgenbe SJiotibe mürben bafür angegeben: 1. 9cad) Öefeitigung beS unge= iü
bcucrlicben sie sentio fönne man aud) baö sie docebo nicf)t beibehalten ; 2. bie28orte:
quoties hoc argumentum traetandum suseipiam feien febr gmeibeutig ; 3. bie üffiortc
neque ore, neque calamo, neque publice, neque privatim lönnten eine Slrt $n=
quifition f)erborrufen, meiere fid; big auf Unterrebungen unb Sriefmedjfel erftreden müfjte;
4. bcrgleicf)cn äserpflid)tungen feien abfolut unausführbar. Slufjerbem machte bie $om= 20
bagnie geltenb, bafe bie genannte Unterfcbrift ben anberen Äird;en, befonberS benen
rcutfcb,lanbs unb ©nglanbs, meldte anberS gefinnt feien, großen Slnftof? geben, unb bafj,
toenn biefe ^ireben, bem ©enfer SBeifbiel folgenb, für ir;re ©ä£e äbrtücbe Unterfcbriften
forbern mollten, barauS eine ©baltung jmifdjen ilm.cn unb ©enf entftünbe. ÜberbieS fei
es unangemeffen, einesteils fieb, mit einem münblic^en SSerfbredjen ber Konformität mit 25
bem äßorte ©otteS unb mit bem ©laubenSbelenntmS (ber jmeiten b,elbetifd)en Konfeffion)
ju begnügen unb anbererfeitS eine Unterfcbrift betreffenb gleicfygiltige ®inge ju berlangen.
^n berfebiebenen Kirchen ber ©ibmeij, 3üricft, 33afel, ©cfyaffb/aufen, merbe leine Unter=
fdjrift berlangt. 9Jtan betonte fernerhin, bafj bie ÄonfenSformel ben lutberifcbert Kirdjen
abfonberlicb, mißfalle, bafs bie reformierten gürften ©eutfdjlanbS münfditen, man ntögc 30
ben 3ßeg ber SRilberung etnfcblagen, unb bafc aud; bie englifeben Prälaten fefyr unju=
frieben feien mit biefen errungenen Unterfdjriften. Sie betreffenben SRaierien feien
bon feinem ©influffe auf bie ©itten, auf ben ©otteSbienft, auf bie ^rebtgtmeife; eS gebe
taufenb tl)eoIogifcf)e fragen, miebtiger als bie betreffenbe, über meldte man geteilter 3Jlt\-
nung fei, obne bafj man baran beule, gormein beSmegen aufstellen unb beren Unter= 35
febrift ju befehlen. @S fei bart, ein Reglement ju baben, beffen §anbb,abung felbft bie
Reformatoren, menn fie nod; lebten, unb anbere grofje SRänner, bie nad) ib,nen auf=
getreten, bom getftüdben Slmte auSfcljliefjen mürbe, ©elbft in ber rötmfd)en Kirche, meiere
bie ^nquifition errietet f;abe unb meldte ficr) für untrüglid) fyalte, bulbe man ftd) gegen=
feittg in ben in §rage ftef)enben fünften. %. unb ©artortS mürben beauftragt, bem 40
Staatsrate ben gefaxten 23efd)luf5 unb beffen ^ftotibe unterjubretten. Slllein bie obbo=
nterenbe 5Dcinorttät ber Kombagnie übergab bem Staatsrate aud; jmei Memoires, ber=
fafet bon if)ren beiben §äubtern ßalanbrini unb Rietet, ©iefer fagte unter anberem: „eS
ift uns unmöglid}, unfere Seforgniffe ju berbeb,len. 3uer^ f^^u3 man ung bDr' ^ag
sie sentio ju ftreicb;en, barauf baS sie docebo ; je^t rotll man baS ©anje abraffen, j-.
ÜiUr befürchten, bafe balb bie 9ieib,e an bie ©^nobe bon £)orbrecr;t unb bie ©laubenS=
befenntiüffe lomme. 2ßtr beforgen baS 3Iuflommen beS 3lrminianiSmuS unb felbft ärgeres.
3Me ©eifter finb in biefem ^abjlmnbert au^erorbentlicb, begierig nacb, Neuerungen, ©afyer
bitten mir ©ueb;, ju befehlen, ba^ fortan bie Canones bon 2)orbred)t mit berfelben
Jormel unterfefmeben merben follen, mit ber man ehemals unfere Reglements unterfebrieb : »j
sie sentio, sie profiteor, sie docebo et contrarium non docebo" ®iefe $rote=
ftation blieb bod) niebt ganj obne 2Sirfung, fo ftarl aueb, bie freiere ©trömung fein
mochte. Sem Staatsrate mürbe bon ber Kombagnic folgenbeS Formular ber 5ßerbflicb=
tung, melcb, e bie JKanbibaten eingeben foUten, borgefdilagen : ,,^^r berfpreebet unb fcfjmöret
bor ©ott, alles ju glauben unb ju belennen, maS in ben ^eiligen ©Triften beS Sllten 55
unb s3cTS entb/alten ift, meldte bie malere unb einige ?{id)tfd)nur unfereS ©laubenS finb.
3>br berfpreebet ferner nichts ju lehren, maS bem ©laubenSbelenntniffe unb bem ilate=
c^iSmuS unferer Mirde nid)t lonform fei, als meld)e bie ©uinma ber ©cf)riftlef)re ent=
balten. CSnbltcb feib ibr ermabnt, in ber 5lircbe unb in ber 3llabemie nid)tS ,ui lehren
gegen bie Canones ber Stmobc bon Dorbredjt unb gegen bie 3(eglemcntS ber „Venerable 6i
168 £urrettint
Compagnie" ®er (Staatsrat billigte biefeg gormular. ©ie Majorität bc<§ 9tatc§ bcr
gWeifmnbcrt, mit ber genannten gormel, al§ einem bloßen ^ombromifj, nid^t gufrteben,
Wollte bie ©eifilicr/J;eit ermuntern ju einer bölligen 2lbWerfung ber fonfefftonetten 35er=
bflicfytung übertäubt, ©od) berflofe nocb, geraume geit, bi§ bie genannte 23er!pflicr;tung§=
5 formel befeitigt mürbe. !ym $afyre 1725, ba bie ortr/oboje SOlinorität bereite im 2lu§=
fterben begriffen War, befcfylofj bie $ombagnie, mit 2lu§naf>me Don einem ober jWei
Sftitgliebern, in ber ©i|ung Dom 15. Quni, bie gormel Don 1706 aufzugeben unb ficb,
einzig unb allem an ben 6. SIrtifel ber calbtntfct)ert Ordonnances ecclesiastiques ^u
galten: „^Sfyr befennet, bafj t^r bie 2e£>re ber $robf)eten unb 2lbofteI fcft^altet, wie fte
io in ben Supern be§ Stlten unb %l%3 enthalten ift, bon melier Seigre mir in unferem
üaiecfnSmuä einen Inbegriff b/aben" Qu gleicher geit fottten bie auf-mneljmenben $anbi=
baten bom SRoberator ber $ombagnie ermahnt Werben, auf ber üanjel nid^tg Unnü|e3,
nod) blofj ber Neugierbe ©ienenbeä ober ben ^rieben ©törenbeS borjutragen. SDamit
toar nicfyt nur bie fyelbetifcfye $onfens>formeI, bie Canones bon ®orbred)t, fonbern aucb,
15 bie gtoeite fyelbetifcfye ^onfeffion abgefdjafft unb allem bem $atect)i3mu§ Galbin3 noa) eine
3lrt bon fr/mbolifcfyer Autorität binbi^iert. Unb bamit man aucb, biefe Autorität ntd^t ju
Ijocb, anfrage, War au§brücfücf) bemerlt : „Wenn bie ^ombagnie bom ^atedji^mug fbrecf/e,
fo gefct/eljie e§ nicb/t in ber 2lbficb,t, ifyn ber ©djrift gleichstellen, noct; um bie Befolgung
beSfelben in alten ©ingel^eiten ju embfefylen, fonbern blüfs unb allein um ju bezeugen, bafe
20 bie ^ombagnie erfenne, bie ©ubftanj unb ber Inbegriff ber dmfilicfyen Sefyre feien barin
enthalten. 2luf$erbem Würbe r/erborgeb,oben, baft, inbem man ftd) an jene Ordonnances
fyalte, man fid^> unter eine Siegel ftctte, bie man niemal? b,ätte berlaffen füllen unb unter
Welker bie ©enferifcfye ^ircfye mef)r al§ ein $ab,rl)unbert lang gelebt I)abe. $m ^protofott
ber ©itmng, Worin biefer SBefcfyluft gefaxt Würbe, ift gefagt, bafs ber ©taat§rat ein=
25 mutig bie Slnficfyt ber ßombagnie betreffenb ba§ Formular bon 1706 bittige, bafs
er aber Wünfcfye, bafs man bon biefer ©ad)e fo Wenig als möglieb, Sluf^ebenö madjie.
Offenbar War bie Regierung mit ber ©eiftlidjfeit einberftanben ; fte Wünfcfyte aber, nad)
ber ©itte be§ 18. QafyrlmnbertS, Wo alle Öffentlichkeit möglich befcfyränft Würbe, bafs
bie ©acb.e intra parietes abgemalt Würbe. SRan i)ätte gefürchtet, ba§ 2lnfeb,en ber
30 Regierung ju fcfywäcfien, Wenn bie ^unbe, bafs fie in Neuerungen Willige, attjufeb^r in
ba? 33olf gebrungen Wäre, ©od) begnügte fid) %. nid^t mit ber Sefeitigung ber $onfen3=
formel in ©enf, er Wollte tt)re ©eltung in ber ©cfjWeiä übertäubt aufgehoben Wiffen.
@r fe^te ftcb, mit bem ©rjbifdjof SÜßafe bon ßanterburt) ins (Sinbemefymen, Worauf juerft
biefer unb fbäter ber ^bnig bon ©nglanb felbft an bie fdjWei^erifcijen Kantone ein
35 ©^reiben ergeben liefe, Worin er fie aufforberte, ber $onfens>formel ju entfagen.
®ie 2lbfcb,affung ber $onfen§formel b,ing für %. auf? engfte mit einer anberen %n-
gelegenf)eit jufammen, Welche eine Wichtige ©teile in feinem Seben einnimmt, nämlia)
mit ber Union jWifcfyen ben Sutb,eranern unb ben Reformierten, gmwcfyft Würbe er ju=
fällig aufgeforbert, fiefy birelt bamit gu befaffen. (Sr erfuhr im %afyxe 1707 bureb, einen
40 :preu|ifcfyen Slbgeorbneten in Neuenbürg, bafe griebrict; I., bem biefe Union fefyr am
§erjen lag, bie 2tnfic£)t ber Äirc^e unb ber Slfabemie bon ©enf barüber Wünfa^e fennen
gu lernen. 2)ie ^om^agnie beeilte fiel), bem Äbnig in einem ©(^reiben bom 22. 2lbril,
Welche? %. aufgefegt f)atte, bie berlangte 2lu§!unft ju geben : „2)ie Kirche bon ©enf b,at
immer einmütig bie Stnfic^t feftgel>alten, bafj bie ^iroteftanten beiber 33e!enntniffe in allem,
45 \va§ Wefentlitt} jur Religion gehört, einig ftnb, bafs bie 5rct9en' um toeld^er Witten fie
boneinanber getrennt finb, für ba<§ ©eelenfyeil inbifferent finb, unb bafs fte bemnacb,
einanber gegenfeitg tragen, fidj als Srüber betrachten, gegenfeitig an ben gotte^bienftlic^en
3Serfammlungen teilnehmen, bie Kommunion boneinanber embfangen, mit einem ffiorte
fiel) attefamt fo benehmen follen, al§ bilbeten fie nur @ine lircljlicfje ©emeinfcfyaft. 3Baö
so bie 2lrt betrifft, Wie bie gWei Parteien ju bereinigen finb, fo erachten Wir, bafj bie§ nic^t
auf bem Söege ber Äontrober^ftreitigfeiten gefcb,eb,en lann; benn feiner bon beiben teilen
Witt babei nachgeben, unb ber ©treit erbittert bie ©eifter, anftatt fie jur SJtilbe ^u
ftimmen. 93tel beffer fcb,eint e? un?, allen ©treit ju meiben, über bie ©treitbunlte nie
anber§ al§ mit IRäfeigung fic§ ju äußern unb im gegenfeitigen berfönlic^en 3Serleb,r bie
55 Siebe Walten ju laffen. Nacf) biefen ©runbfä^en fjat bie ©enf er Äircfye immer geb^anbelt.
SBenn 2lnl)änger be§ Slugsburgifc^en 33elenntniffeg bei unl ba§ Slbenbmab,! ju empfangen
Wünfcb^en, nehmen Wir fie mit offenen 2lrmen auf, ob,ne bon ib,nen irgenb eine 2lbfcfyWö=
rung ib^rer befonberen ©Iaubenganficf)ten juberlangen; Wenn fie unter berfelben 33ebingung
un§ ju il)rem 3lbenbmaf)Ie julaffen Wollen, finb Wir bon §er3m Serne bereit, mit iljren
60 ©emeinben ^u lommunijieren. 2Bir fönnen fogar eine befonbere Sfyatfacfje erwähnen,
£urrcitini 1H9
tuclcf;c @m. 3[Raicftät btc gemäßigte unb friebfertige ©efinnung unferer Äird)c bezeugen
lbirb. 33or einigen %af)xm fyaben einige fyier anfäffige 2utl)eraner um bie (Erlaubnis
nad)gefud;t, bon 3eit 3U 8^ kte Kommunion auS ber §anb eines if;rer ©eiftlicfyen ju
empfangen; bie Erlaubnis mürbe ifmen bon ber Äombagnie fogleid;, einmütig, oljme alle
SBiberrebe gemährt", ®em ift beizufügen, bafj in bemfelben $al;rc 1707 ein lutfyerifd;er b
©eiftlicfyer, ben ber ®önig bon ^reufcen embfofylen fyatte, bie Erlaubnis erhielt, ftd; in
©ertf anjufiebeln ; fo eniftanb bie lutl;erifd;e &ird;e in biefer ©tabt. ©er $önig geigte
fitf; in feinem 2tnttoorrfd;reiben, me!d;eS am 1. ^ult im ©cfyofje ber Kompagnie beriefen
tourbe, äufjerft aufrieben mit bem ©utacfyten unb bat bie ©enfer $ird;e, befmfS ber Union
fid; mit feinen ©eiftlicfyen unb Geologen ins Skmefymen ju fe^en. 5D;e beiben Schreiben, io
baS ber Kompagnie unb bie Antwort beS Königs, finb beigebrudt ber 6. 9ieftoratSrebe
bon 1.: de componendis Protestantium dissidiis. SDiefe Rebe felbft tourbe gerabe
in biefer geit gehalten unb auf 2lnfud;en ber ^ombagme bem ©rüde übergeben, infolge
babon mürbe %. jum 9Jiitgliebe ber ioniglid;en Stfabemie in Berlin ernannt unb bom
Könige mit einer golbenen 9JlebailIe befd;entt. 15
Sie bisherigen Erörterungen über bie 2lbfd)affung ber I)elbetifd;en ^onfenSformel
unb bie Union jftrifcfyen ben beiben broteftantifcfyen Äonfeffionen führen uns ju ben mtd;=
tigften tfyeo!ogifd;en 2öer!en beS %., morauS mir feine tfyeologifcfye Stiftung am beften
fennen lernen. SSor allem fommt fyter in S3etrad)t bie 1729 erfdjienene, auf Slnlafj eines
Briefes beS ©rjbifdjofS SBa!e an bie $aftoren unb ©eiftlicfyen bon ©enf unb an bie ge= 20
famte broteftantifcfye ©eiftlicftfeit ber ©cfymeij ausgearbeitete nubes testium pro mode-
rato et paeifico de rebus theologicis judicio et instituenda inter Protestantes
concordia. Praemissa est brevis et paeifica de articulis fundamentalibus dis-
quisitio, qua ad Protestantium pacem mutuamque tolerantiam via sternitur.
3>er genannte SSrief SöafeS, fomie bie 2tnttoort ber Jbmbagme finb ber nubes bei= 25
gebrudt; aus bem SSormorte erfahren mir aud;, baft fd;on feit 1707 %. mit Seibmz in
Angelegenheiten ber Union unter ben ^3roteftanten forrefbonbierte. ®ie angehängte
Siffertation über bie gunbamentalartifel, auf bie Sitte jmeier lutfyerifcfyer 2lbeliger auS=
gearbeitet, tourbe juerft, nod; bor bem ©rfebeinen ber nubes, befonberS gebrudt unb
ijernad) nod; in ben Reiten Sßanb ber cogitationes et dissertationes theologicae beS 30
23erfafferS aufgenommen. SDie Unterfcfyeibung ber mefentlidjen Sefjren beS GI)riftentumS
bon ben minber mefentlid;en bot fid; bem bogmatifeben, ja felbft bem bobulären %lafy
benlen leidet bar, aber fd;mieriger mar eS, barüber eine erfcfyöbfenbe, bollfommen befrie=
bigenbe 2tuSfunft zu geben; aud) %. fdjeint baS niefot böUig gelungen zu fein, ©ie aH=
gemeine ^Begriffsbestimmung babon ift jmar eine foldje, gegen meld;e nichts einjutoenben 35
ift: „ea religionis capita, quae ad ejus essen tiam seu fundamentum ita perti-
nent, tantique sunt in ea momenti, ut, iis demptis, stare nequeat religio, vel
saltem praeeipua quadam planeque necessaria sui parte destituatur; ober
fürjer nennt er ^unbamentalartifel foldje, quorum cognitio atque fides ad Dei gra-
tiam salutemque obtinendam necessaria est. ©ergleicfyen Slrtifel giebt e§ nur eine 40
geringe ftafyl. ^Diejenigen allein finb funbamentat, meiere bon aßen (Stiften ju alten
Reiten geglaubt morben finb. Qa, er ge§t fo meit, ju beraubten, praeter obedientiam
mandatis divinis et positam in promissis Evangelii fiduciam fundamentale
nihil esse, ©arauf aber ftellt er ben ©a£ auf, ba^ ba§ aboftolifd;e ©^mbolum Fun-
damentalium Judicium et mensura fei. ©leid; nacf)l)er meint er, articulos funda- 45
mentales non esse eosdem omnibus, sed pro varia revelationis mensura,
variisque hominum dotibus et circumstantiis varios esse, — fo bafj jule^t
nur ©ott entfc£)eibet, quid ad salutem necessario credendum sit, quisve error a
salute exeludat, moran fid; eine braftifd; fyeüfame ©rmafmung anfdjliefjt; cum agitur
de nobis ipsis, tutius esse, vel ab minimis erroribus, quasi fundamentales 50
essent, abhorrere et in veritatum divinarum cognitione, quam longissime
possumus, progredi. At, cum de aliis agitur, nonnisi caute admodum maxima-
que cum caritate et mansuetudine pronuntiandum esse. 5Den ©cfyluf? bilbet bie
Erörterung, ba^ ba, mo 3^iefbalt ^errfdjt, in S3ejieb,ung auf bie ©runbmafyrfyeiten be§
6bangelium§, mie j. S. ^mifd;en Jlat^olilen unb ^roteftanten, bie Union unmöglid; fei, bb
toenn aber bie ©iffereng blofe accefforifd;e fragen betreffe, mie ba<B im 3Serb,ältniiS
Jtoifdien Sutfyeranern unb Reformierten ber gall fei, fo folle fird;lid;e ©emeinfd;aft ^(a§
greifen.
(Sin anbereS t^eologifd;e§ 2öerl %.$, bon größerer Sebeutung für bie Jlenntniö feiner
Ideologie, finb feine 1711 begonnenen unb 1737 in 2 33be gefammetten cogitationes m
170 Surrcttiui
et dissertationes theologicae, quibus principia religionis, cum naturalis tum reve-
latae, adstruuntur et defenduntur, animique ad Veritatis, Pietatis et Pacis Stu-
dium exeitantur. ®er atigemeine ßfyarafter ber /Ideologie, ber fid) barin auSfbricb,:, ift ber
einer gemäßigten Drtfyoborje, äbnlicb, berjenigen beS©iegmunb ^jafob Saumgarten, beS SefyrerS
5 unb Vorläufers bon ©emier (f. ben 31. 33b II ©. 464). @d)t reformiert ift bei %.
baS ,§erborf)eben unb betonen ber natürlichen Geologie; nur fällt auf, baß bie Sieligion
ber Üffenbarung lebiglidb, berbottftänbigen foH, maS bie natürliche Religion lefyrt. SSknn
nun ber Serfaffer aud) eigentliche 9Jcr;fterien in ber geoffenbarten Religion annimmt,
quae, ut perfecte comprehendantur, humani intellectus fines non sinunt, fo
10 polemtfiert er befto eifriger gegen bie frembartigen, fdjolaftifcfyen guttaten %u ber ü£b,eo=
logie. „Theologia haud absimilis est arti statuariae quae non tarn adjiciendo
quam abradendo opera sua perficit. Tantum materiae inutilis vel noxiae ab-
scindendum est, donec id, quod superest, sit novus homo ad Dei imaginem
sculptus. yioä) bejeicfynenber für feine ©tellung §ur bisherigen ©ntmidelung ber refor=
15 mierten SDogmatif ift folgenbe ©teile : In Nosodochium ingreditur medicus, et ex-
plorato aegrorum statu apta iis remedia praebet ; mox discedit, se postero die
reversurum pollicitus. Statim vero, ubi est egressus, aegroti illi de variis
sermones miscent, puta de barba medici illius, de ejus capillis, de toga, item
de ejus statura, patria, majoribus, tum de phyalis, quibus sua includebat
20 pharmaca, utrum vitreae an crystallinae, an ex ignota materia essent. De
his aliisque non placide, non amice, ut res ferebat, sed acerbissime inter se
disputant, atque a rationibus ad convitia, a convitiis ad ictus deveniunt. Tum
aliquis forte adveniens, quid agitis, miseri? clamat. Quae vos rabies, quis
vos febris aestus agitat? Sumite modo allata vobis remedia; cumque sanati
25 fueritis, tum commodius de bellis istis quaestionibus disputabitis. At illi neque
dictis audiunt neque monitori pepercissent, nisi ille praeeipite fuga eorum se
unguibus surripuisset. $n ben Sefyren bon ber SErinität, ber ©ottfyett Gfyrtfti, ber
SfRenfcfymerbung, bem Obfertobe Sf)rifti, fbricfyt fieb, 2. im allgemeinen bem ortfyoborm
Sefyrbegriffe gemäß auS. hingegen in Setreff ber ^ßräbeftinationSlefyre, bie in ber refor=
30 mierten ©d^olaftif folcfj eine große 9rolle fbielte, ift er offenbar bemüht, einen anberen
2öeg einzuklagen, als ben bisherigen. @r fragt: cur theologi tanto aestu tantaque
fiducia de decretorum divinorum ordine inter se digladiantur ? Illi circa Dei
consilia optime se gerunt, qui, oecultis Deo relictis, de revelatis opere im-
plendis unice sunt solliciti. Qui crediderit, servabitur, qui non crediderit, con-
35 demnabitur. Hoc scire, de Dei decretis satis scire est. Unb fo mirb überall bon
I. baS £aubtgehnd)t auf baS brafttfdHrucfytbare SRoment ber £et)ren gelegt. Ex una
parte: quid habes, quod non aeeeperis. Ex altera: Deus reddet singulis se-
eundum opera ipsorum. 23JaS SöfeS in unS ift, ift nidjt ©Ott, fonbern unS juju=
fdjreiben, bie greu)eit beS Sftenfdjen muß nid;t fo b^orgeb,oben merben, baß barob bie
40 ©nabe ©otteS in ©chatten geftellt werbe, unb toieberum barf bie menfcfylicfye greifyeit
ntcr)t fo toeit berneint werben, baß baburd) baS Urteil ©otteS aufhöre, ein geregtes ju
fein, $n ©acfyen beS vmleS f ollen mir fo fyanbeln, als ob aüeS bon uns abhänge;
bagegen fo beten unb banlen, als ob bon unS nicfyiS abginge. Duo haec multum
differunt, non justificari neque salvari propter ulla bona opera, et justi-
45 ficari ac salvari nullo praestito bono opere. Cum fides Christum totum
complectitur, non modo ut prophetam et sacerdotem sed etiam ut regem,
hinc requiritur, neminem credere, qui Christi legibus se non subjiciat etc.
X Cogitationes enthalten bieleS 2tboIogetifd)e, welches bem Serfaffer einen eb,ren=
bollen $la| unter ben älbologeten beS (SfjriftentumS fiebert (f. ^elt, ©nctjflobäbie ©.391).
öo ©eine abologeiifdjen $been finb aber in ber fran^öfifetjen Söelt fyaubtfädjltd) in ber $orm
belannt geworben, bie SSernet, ^rofeffor ber ©efcr/id)te unb ber fronen üffiiffenfcfyaften in
©enf, ifynen gegeben r;at unter bem Xitel: Traite de la verite de la religion chre-
tienne, tire du latin de Mr. J. A. Turrettini, 3 Sbe, 1735—1740. Sernet bezeugte,
baß er allerbingS feE>r frei überfeijt fyahe, „aber burcfyauS mit Sißigung unb unter ben
55 Slugen beS SerfafferS" $n °en folgenben SluSgaben unb Bearbeitungen mifd)te Sßernet
immer mebr bon ben ©einigen ein, fo 1748 in einer ^Weiten SluSgabc beS erften SanbeS,
ben er be^eidmenb genug überfdjrieb : de la grande utilite d'une revelation ajoutee
ä la lumiere naturelle, ftatt beS älteren bon %. abbrobierten XitelS: de la necessite
de la revelation. ©te gtoeite SluSgabe beS britten SanbeS, bie 1751 erfdnen, erlaubte
60 fid) noeb größere greifyeiten, Worüber ju bgl. Viguie, Histoire de l'apologetique dans
lurrcttiut £u>cfkn 171
l'eglise reformee frarxjaise, $ariS 1858. Ü3ct kernet tritt ber ©ek-4miS beS 18. Jabr^
fyunbertS beutlicb, fyerbor, jiuar nod) in SScr&mbung mit einem geroiffen ©ubranaturaliS*
muS, aber mit gänjlicfyer üBeriennung beS mr/ftifcfyen (Elementes ber Sieligion.
^n ©enf felbft erlangte X, allmäfylicb, bie ©teile eincS geiftlicf/en ^ßrimaS. i>ÜS
foldicr fyat er j. 33. bie ©ittc ber öffentlichen Konfirmation eingeführt. 2lud) Dom 2IuS= 5
lanbe b^ mürbe er unjafyligc 3)iale um ©utad)ten unb ^Interventionen angebrochen,
©eine legten SebenSjalvrc roaren fefjr getrübt burd) bie ©enfer Unruhen com 3afyrel7:U,
1. ftarb am 1. 9Jiai 1737. 3lad) feinem SEobe erfdjuenen feine commentarius theo-
retico-practicus in ep. St. Pauli ad Thessalonic, Bafel 17M9, fobann feine prae-
lectiones ^um 11. Kapitel beS 9iömerbriefeS, ©enf 1741, unb ein Xrafiat über bie i»
Auslegung ber bi. ©dbjift, Berlin 1766. @ine boßftänbige ©ammlung feiner 2ßerfe er=
friert 1775 in Seutoarben. (2. £t)onta§ f) ©. 61)iHfr).
Stoeftett, 2luguft Setleb Gfyriftian, geft. 8. Januar 1876. — 8ur Stogra =
phie: S. 9luguft Sraeften nach £agebüd)ern unb Briefen, Bon 6. g. @eorg ^einrict, Serlin
issi); l£. Er. GarftemS, ©efebtehte ber .flieler tt)eoIoflifrf)en gafultät. 1875; ?lrt. Sioeften in 15
?lbS ; $ur ©efd)icbte be§ föaraSfdjen STbefenftreit«, 3tfd)r. ber ©efeUfdiaft für @chlevro.4)olft.
Wefd). 1800, ©. 271 f. Sie 2lrt. oon Sübfer, ©chuiber, 9Uberti im (ScEde§tD.=t)oIft. Schrift«
fteuer*Sejifon 11,490, 634. gortfebung II, 330; $. SIemert u. (S. GurttuS, SSorte ber Grtnne=
ning an Dr. 91. Xmeften, 1889; $aul be Sagarbe, lieber einige berliner Sbeotogen nnb luaS Bon
ihnen ju lernen ift, Wt IV, 1890, ©. 85 f.; 3). ß. S. 3tanfe, Gin Sebenöbilb, gejeidjitet »on 20
j. Jocbter (£. .\>itsig, 1906, ©.151 f.; 2. 0. SJanteS Sßerfe, 93b 53, ©.267. 275 f. — ©djriften
JmeftenS abgefeben Bon ben in ber biograptjifcben ©fi^e angeführten SReben unb 9Uiffäjjen,
ben Seiträgen ju ben Steler Stottern nnb ben £b©tS (Bgl. ^'einrict, Sroeften ©. 274. 422):
Conimentatio critica de Hesiodi carmine, quod inscribitur opera et dies, Siel 1815 ; Sie
biet öfitmenifcf)en ©t)mbote, bie 9lug§burgifd)e Sonfeffion unb bie repetitio confessionis Au^u- 25
stanae, £ierau§gegeben Bon ?(. Slroeften, Stet 1816; Sie Sogif, tuMtefonbere bie 9lnali)tif,
SdifeSroig 1825; ©runbrifj ber atmitjtifdjen Sogif'; für feine Sorlefungen entworfen, Miet
18:14;. Sorlefungen über bie Sogmatif ber eBangelifd)4utberifcben Sirdje nach bem ®omBen=
bium be§ S. SB. %R. £. be Sßette, Hamburg, ^erttjeS, Sanb I. welcher bie Einleitung unb
ben eilten fritifchen Seil enthält, 1. »lufl. 1826, 2. 9(uff. 1829, 3. 3(uf(. 1834; 4. 9lufl. 1*38; 30
33anb II, 1. Abteilung, toelcbe bie Geologie unb bie 2(ngeIoIogie enthält, Hamburg 1837;
griebrieb ©diletermad}erö ®runbri§ ber philofototüfcbett (Sthi!, mit einleitenber SSorvebe, SBerlin
1841; 5CRattt)ia§ glaciu§ 3ö^ricu§, eine Sßorlefung. Sfit autobiographifd)en Seilagen unb
einer 9(bhanblung über SKeloncfithonS Serbalten jum Interim Bon .^ermann SRoffef, Serltn
1844; Leonhardi Hutteri Compendium locorum theologicorum. Addita sunt excerpta 35
ex Jo. Wollebii et Ben. Picteti compendijs. Praefatus est Dr. A. Twesten, Serlin 1855;
3ur ©tnnerung an g-riebrid) Saniel (Srnft ©d)Ieiermad}er. Sortrag gehalten in ber S'önig=
lid)en ö-riebrich^JBilbelntS^llniBerfität ju Serltn am 21. 3Jo»emfjer 1868, Serlin 1869.
X tourbe am 11. 2lbril 1789 ju ©lücfftabt in §otftein al§ ber britte ©olm beö
au§ bem f)annot)erfcr)en Kird)fbiele lRarfcf)acr;t ftammenben SBürgerg unb §anbröerter<§ 10
^ofjann X. unb ber ©otolne %., geb. ©toll, geboren. @r ftarb in ^Berlin all Dberfonfi=
ftorialrat unb ^3rofeffor ber SEb/eologie, nacf)bem er in feinem afabcmifcfyen 53erufe b\§ in
bie legten Seben^tage t^ättg geblieben mar. 5>n ^er @efd)ict;te ber tr)eoIogifcr)en Söiffen=
febaft beraubtet er burd) bie eigentümlicbe SSerroertung ber ©runbfäfce ©d)Ieiermacberg
jur Belebung unb Segrünbung ber Itrdjlidjen ©lauben3lel)re feinen Pa| ; al§ Se^rer 45
bat er buret) Klarheit unb ©td;err/eit ber 9JJett)obe, buret) feiten ausgebreitete unb um=
ftdjtig ausgebeutete ©elefyrfamfeit, burd) forgfam abmägenbe 33illig!eit be<3 Urteils unb
ungeblenbete 2öabrl;eit6liebe roäfyrenb jroeier 9Jcenfd)enalter in bf)ilofobb,ifcb;en, er.egetifcb/cit
unb f^ftematifd)en 33orlefungen unermüblid; tf)ätig auf roeite Kreife ber t^eologifdien
^ugenb nad)l)alttg eingetoirft; als -äJMtglieb beS Kird)enregimentS arbeitete er in gerechter 50
ilJilbe unb in bemühter 2lblet;nung jeber Serfümmerung ber reformatorifd)en ©runbfä^e
für ben Slufbau ber einen unb großen, tb,rer @tnf)eit aud) bei rüd'b/altlofem unb treuem
Acftfyalten beS SefenntniSgrunbeS fixeren ebangelifc£)en Kird;e. Überall ftefit er mitten
in ben Setoegungen ber ßeit, bie er burdjlebt, jeben (Sinbruct', jebe bebeutenbe @rfd)einung
felbftftänbig unb gcroiffenbaft in fid) berarbeitenb, aber jugleid) in borfid)tiger ^urücf= 56
baltung nur bann eingreifenb unb b,erbortretenb, roenn bie Umftänbe eS nid;t anbcrS ge=
ftatteten. ©eine ©ntroiclelung unb fein Söirlcn, für beffen ©djilbcrung nid)t nur feine
Schriften, fonbern aud) jar/lreidje bebeutenbe SBriefe unb Slufgcidjnungen als Duellen bor=
banben finb, bieten bab,er ^ugleitt) ein ©biegelbilb ber geiftigen Bewegungen ber geit, bie
er burdilebt bat. 60
©eine isorbilbung erhielt 2. auf ber 6ielcl;rtcnfd;ulc ©lüd'ftabty, bie er im iHbril
172 Stoeßeu
1808 berltefs, um bie Itniberfität Atel ju bestellen. Stuf ben ©eift ber ©lüdftäbter ©dnde
lafjen bie „Vemerfungen über bie UnterricfytSgegenftänbe in ben ©elefyrtenfcfyulen unferer
^erjogtümer" (Vieler Vlätter 1816, ©. 216) §urüdfd;ltef5en, in benen %. für bie $u=
fammenfaffung ber geiftigen Gräfte auf bie gebüfyrenbe Vorbereitung jum afabemifa)en
6 ©tubium eintritt unb bor ber ©rtötung beS freien ©eifteS burcb, ©eneralifteren unb ©ct)e=
matifieren, fomie bor ber Überlaftung burd) 9?ealfenntniffe, bie fcfyliefjlicb, nur bte Dber=
flädjltd&Jett beförbern, einbringlid) marnt. 2öedung be§ Qntereffeö unb flafftfcfye Vilbung,
in melier ber ©eift ficb, metljobifd) regen lerne, bleibe bie |>aubifad)e. Dfyne ficb, be=
ftimmt für ein gacbjtubium entfdneben ju fyaben, mibmete er ficb, junädjft unter §einricl)§
10 unb 3WnI)olbS Seitung ber Vlnlologie unb Vlnlofobfyie, roäfyrenb er bon ben rationaIifti=
fdjen Vertretern ber Stfyeologie, ju ber ilm im ©runbe fein §erj fyinjog, ficb, jurüdgeftofjen
füllte. @rft in Verlin, mofnn er im §erbft 1810 als einer ber erften ©tubierenben ber
neubegrünbeten §od)fd)uIe überfiebelte, füllte er gum Geologen werben, ©inen anfd;au=
liefen ©inblid in feine IJntereffen unb Vereisungen gemäßen bie 'iLagebücfyer, bie er
15 mäfyrenb ber beiben ©emefter feinet bortigen SlufentfyalteS für ©fyriftian VranbiS führte,
gierte unb üffiolf Ratten ilm Innge^ogen. 3lber ©djleiermadjer erft bermocfyte feinem ©eift,
ber in bem ©treben nacb, uniberfetler SluSbilbung in bie moI)l ernannte ©efafyr ber $er=
fblitterung geriet, ©ebräge unb 3Rid;tung ju geben. Söolf bagegen entfernte ilm meb)r
unb mel)r bon ficb, burcb, bie attju tetd&tfjergtge Betreibung feines £er)rberufS, ebenfo gierte
20 burcb, feine abobiftifdje Vrotofyetenart unb bie macfyfenbe Unberftä'nblicfyfeit in ber 2)ar=
legung ber legten Vrinjibten feiner Vfyilofobfne. „Von gierte ftiefj mieb, beibeS jurüd,
feine Verfonalität — nid)t als toenn id) biefe nid)t achten mufjte, aber med fie meinem
Söefen fo gang fremb fear — unb jugleicb, baS, maS er als ibjen 5Rittelbun!t felbft
angab, feine Vbjfofobfne. $u ©d)Ieiermad;er hingegen §og mict) beibeS E)iny/ ©ntfdjieibenb
25 mirften ^tergu bie Vorlefungen über bie tfyeologifd)e @nct/flobäbie.
%m ^erbfte 1811 berliefs %. Verlin, mo er bem SDrange nacb, biel umfaffenber Vil=
bung melj>r S^aum gegeben blatte, als bem gacfyftubium nüislicb, mar. ©eSfyalb ibirb eS
ifym ferner, ju einem äußeren Slbfdjluffe ^u fommen. ©r fdjreibt an ©cfyleiermadjer, ber
ifym ein greunb gemorben mar: „2öetl niemanb mid; eigentlich fyat ftubieren laffen, fon=
30 bem bie§ nacb, unb naef) bon felbft fo gefommen ift, fo f)abe icb, aueb, bie 3eit meines
©tubierenS nie in Vejietmng auf eine anbere gebadet, fonbern jebe $eit beriebt, als toäre
fie um ifyrer felbft mitten ba" Qebod; in bem ernften Sföillen, fid) gufammenjufaffen,
botlenbete er feine ©rftling^fd;rift, bermittelft beren er in Kiel ben blnlofo^bjfdjen ©oftor=
grab ertbarb. @§ ift bie mertbotte Commentatio critica de Hesiodi carmine, quod
35 inscribitur opera et dies, bie er bann 1815 mit einigen ßufä^en bon ^einrieb, burd)
ben ®rud beröffent(id)te. @r brüft barin nad) ber ^etb^obe %. 31. 2öolf<S bie ©id;tung,
inbem er in ifyr, fd;arffinnig fd^eibenb unb berfnübfenb, eine 5Retbe bon Siebern unb %xüq-
menten, bie fbäter ju einem ©anjen berbuttben finb, nad}iüeift. ®ie 2lrt aber, in ber er
ficb, miber bie Neigung, inöSöeite ju geb,en, unter bem eintrieb be§ Vflid)tgefüb,l§ an bie
40 nädjtfte 2fufgabe btnbet, ift borbilblid? für alle golgejeit. Wit bem ficb, erteeiternben Ve=
rufe toucb,g aueb, bie 2reue, bie ficb, nid)t genug tb,un f onnte in ber Erfüllung be§ sunäcbjt
Dbliegenben unb fo faft auäfcbjiejdicb, burd} bie unmittelbaren Slnforberungen inSlnfbrud;
genommen mürbe.
9cacb, lurjer 2Bir!famfeit am Söerberfcfyen ©ttmnafium ju Verlin mirb %. im ^uü
45 1814 jum aufeerorbent!icb,en Vrofeffor ber VbJIofoblne unb 3:b,eoIogte in Äiel ernannt
unb tritt im §erbfte fein Slmt an. Sie älteren Kollegen ber tb,eologifcb,en ^afultät
empfingen ib,n aU ben jünger neuer ©runbfä^e eb,er mit Abneigung, alz mit 2öob,lmollen.
2lber al§ ebenbürtiges ©lieb mirb er bon bem Greife aufgenommen, ber ben ©eift ber
norbifdjen $odj)fd)ule beftimmte. ©o finbet ib,n (Sb^riftian VranbiS, al§ er im grüfyling
so 1815 mit Vunfen in liel bermeilt, in erfolgreichem älustaufcb, mit ben ©efinmmg>
genoffen. VranbiS fcb,ilbert feine ©inbrüde. „@S mar eine glüdlid}e ßeit für jene fleine
Untberfität ; 3Jtänner, toie %., mein geliebtefter Uniberfitätifreunb, ©af)lmann, %all,
§egemifd), lebten im engen Verein miteinanber, auS meinem balb barauf bie Vieler
Vlätter b,erborgingen (baS erfte §eft erfd)ien 1815), eine ©ammelfd^rift bon gebiegenem
.w Söerte." Mit boller JHarfyeit berfolgten biefelben bie b,öd)ften $iele einer „baterlänbifcb,en
3eitfcb,rift". ©ie ©rrungenfdwften ber VefreiungSfriege motten fie bem beutfcb,en Volfe
fidiern. „2ltte ©cgenftänbe be§ SöiffenS, fomeit fie unmittelbar mit bem Seben jufammen=
bangen unb fo bargeftettt finb, mie fie als ©emeingut aller ©ebilbeten, bor^üglid) bureb,
bie öffentliche Meinung, jum 3öob,le unfereS allgemeinen unb befonberS unfereS näd)ften
60 VaterlanbeS mirfen fönnen, gehören gum Vlane biefer 3eitfcb,rift" — fagt bie Vorrebe.
Stoeftcn 173
Unb bicfen 3toecf erreichte fie (bgl. Weiteres in ber 33tograbf;ie ©bringerS: griebrid)
(^riftobb, SDafylmann, Seidig 1870, 33b I, 6. 86 f.). Qn einem Briefe an 9ietnr)olb
(8. Dftober 1817) fenbet %. §. ^afobt ben „Vieler jtoölf 2lbofteln" feinen ©rufe. $ie
„trefflicfjen 2tuffä£e" ber Slätter läfjt er fid; öfter iüteber lefen, unb unter benfelben
feffelt bor allem %ä „Siebe eines ©eiftlidjen in einer ©efellfcfyaft bon 2lmtSbrübem" 5
(33b I, ©. 125f.) fein ganjeS ^rttereffe. @r erfennt barin bie glüdlid;e Raffung beS
Problems, auf bcffen Söfung aHe§ I)inbränge, Wenn „bem träger fdtfagenben §erjen beS
c|riftlid;en ÄörtoerS" neues SebenSblut jugefü^rt Werben fülle: „2Ber bie Sieligiofität ber
Später Will, mufj aud; bie Sieligion ber SSäter Wollen" Unb Wäl)renb ^afobi über ben
ßtoiefbalt Don ©el)nfud;t unb @inftd;t nid;t ^inaugjufommen geftefyt, freut er fid; bod; 10
ber flaren unb fraftbollen 2lrt, in ben %. über benfelben fid) ju ergeben fucf/t, inbem er
an bem „rationalen SDeiSmuS", bem aucb, bie Vieler Geologen Ijmlbigten, fdmeibige
Äritil übt. ©eine Abneigung gegen alles Seftimmte unb @igentümlicr)e mad)e ifm ju
einem ©djattengebilbe. „SbenfoWenig Wie eS einen Saum überhaupt giebt, giebt eS eine Sieli=
gion übertäubt". @S fommt barauf an, aus ben fird;lid)en Skrfammlungen „jenes falte 15
Söefen, jene $albl)eit unb ,ßerftreutl)eit ju entfernen, um berentWitlen fie lauin nod) als
entfbred;enbe 2)arftetlungen eine» lebenbigen Organismus angefel)en werben tonnen" „@S
muffen fid; ©ruber, feine $ul)örer berfammeln", nid)t um geWiffer liturgifd)er formen
unb Sitten frol) ^u Werben, aud) nicf)t, um fid; burd; eine $rebigt unterhalten unb be=
lebren ju laffen — ift bod; bie $ird;e „feine blofje menfd;Iid)e 2el)ranftalt für @rWad)= 20
fene" — , fonbern um mit ben göttlichen ©aben b,auSjul;alten.
üDiefe ungehaltene Siebe beS jungen ^rofefforS enthält Wie im Heime bie gielbunfte
feine» SöirfenS, bie flar unb beWufjt bon il)m burd; baS ganje Seben feftgel)alten roorben
finb. ©r Weifj .fid) aud) als afabemifcf)er Sefyrer burdjauS bebingt burd; bie ftänbige
Siüdficfyt auf bie brafttfdje Sebeutung beS d;riftlid;en SebenS unb ift beftrebt, baSfelbe im 25
©egenfa^e ju auSgelebtercn formen ^u erneuter Hraft gu bringen, inbem er bon ©d;leier=
macfyerS ©rgebniffen auSgeI)t, aber jugletct) bie gefdricfytlid; geworbene ©eftalt beS ebange*
Uferen 6I)riftentumS nad; il)rem Sied)t unb il)rer 2Sar)rl)eit ju berftel)en unb nad) il)rem
bleibcnben Sßert ju erWeifen fid; bemüht. ®er mel)r unb mel)r fid; erWeiternbe ÄreiS
feiner SBorlefungen unb feine Iitterarifd)e Arbeit treffen in biefem ©treben jufammen, 30
fo bafj er aud; bei bem Anbau ber ©ebiete, bie in feiner unmittelbaren 33erbinbung mit
ber Jb,eoIogie fielen, ben 3ft>ed berfolgt, fid; bie äöaffen ju nad;brudSbollerem ©intreten
für bie Sieltgton ju befd)aflen, in ber er bie enifd)eibenbe Sürgfd;aft ber moralifd;en
©efunbb,eit beS SSaterlanbeS finbet. ®ie tl;eologifd;en Slrbeiten aber ftellt er immer
auSfd;Itefeltd;er auf Unfoften bon anberen roiffenfd)aftlid)en planen, bie er lange 35
unb mit Siebe l;egt, in ben SDienft feiner Se^rtf)ätigfeit. SlllerbingS toirft l)ierju auö)
bie ffrubulöfe ©trenge mit, bermöge beren er aud; im lttterarifd)en ©d;affen fid; nie genug
tbun fonnte. „3um ©cfjriftfteller bin id; übertäubt nid;t red;t gemacht. $>d; geb,e nid;t
leicfit genug baran unb ftöre mid) burd; ju biel Hritif" (20. ^uli 1819 an ©d>leier=
madjer). 40
^n breifad;er Siicl;tung bewegten fid; feine SSorlefungen, inbem er bie bl)ilofotol)ifd;en,
ft)ftematifd;en unb neuteftamentlid;=eEegetifd;en ©iSgiblinen in ftetig fid; erWeitembem Um=
fange in ben ÄreiS feiner SCrbeit 30g. ^n ber ft)ftematifd;en Geologie bflegte er guerft
bie bf)ilofobf)ifd;c Geologie, in meld;er er bie Anregungen JiantS, gid)teS unb ©d;Ieier=
macb, erS in eigentümlicher 2Beife auSnu|te ; gleidjjeitig roanbte er ber Sei) re bon ber 45
Äira)e, ber ©r/mbolif, bann aba aucb, ber ©ncr/flobäbie, ber ©ogmatif unb ©tl)tf baS
einbringenbfte ©tubium ju. ^n ^cr ©Eegefe bet)nte er fid; über aße SEeile beS 9tTS auS.
3)aju famen roäfjrenb einer Sieib, e bon ©emeftem bie Seitung beS bl;iloIogifd;en ©eminarS
unb fonftige Übungen, in benen er bie 3SorIefungen fruchtbarer ^u machen bemüht War.
Überall legt er ben ©d)toerbunft auf bie ^Darlegung fixerer unb flarer Henntniffe. ©eS= 50
lialb arbeitet er ©d)o!ien pxm 31% aus, ju beren Verausgabe er, obwohl fie brudfertig
toaren, fia) nid;t entfcf/liefeen fonnte. ©ofort aber geroann er eS über fid), um feine
©cfmler mit bem ©runbe befannt ju machen, auf bem bie ebangelifd;e Hird;e fid; erbaut
bat, „bie brei öfumemfd)en ©i;mbo!e, bie 2lugSburgifd)e Honfeffion unb bie repetitio
confessionis Augustanae" unter forgfältigfter SBenutjung ber älteften SDrude ju ber= 55
offentfidjen. Um fo notWenbiger erfd;eint il)m bie Kenntnis biefeS ©runbeS, „je Weniger
man je£t borauSfe^en barf, bafe ber ifyeologieftubierenbe, Wenn er nad; 33eenbigung feinet
bogmatifd;cn unb ejegetifd;en HurfuS jur Sefung ber fVmbolifd;en 33üd;er fommt, fd;on
geläufige ^been unb 2lnfid)ten in benfelben Wteberfinbet" ®abei fotl bie Unterfdjeibung
bon 33ud;ftabcn unb ©eift ju ib^rcm Siectjtc fommcn; nur brüfe man, „ob ber ©eift 60
174 Stucfieit
Don allen, bie ifyn ergriffen gu Ijaben meinen, Wirilicb, gebannt unb ber Budjftabe in
feinem Verhältnis gu tr/m berftanben fei"
©ie gleiche ^Jtüdficr/t auf feine ©ct/üler geitigt feine „Sogil", Weld;er „©er ©runbriß
ber analr/tifdjen Sogif" folgt, ©ie Bebeutung jenes BucfyS, baS in ber blnlofotofyifdjen
5 Sitteratur lange feinen s$la| behauptet § at, renngeicfynet bie 2lbficb,t ©<f)leiermad,)erS, 9Bor=
lefungen barüber gu galten. X nimmt in bemfelben Stellung gegen bie Berfucfye ber
geiigenoffen, bie 2ogif in eine ©enf= unb 2BiffenSleb,re umgufe^en, gegen bie Überfdjätjung
beS SßerteS ber Bernunftfditlüffe auf Soften ber ^nbultion unb ber rtd^tig toerfolgten
Analogie. 2Iucr; Iner tottt er baS erprobte Sllte gegen borfdmelle (Entwertung in <5<fyufy
10 nehmen, inbem er fnabb unb licfytbotl bartfmt, baß bie Sogt! md)t um ifyrer felbft willen
bon Segriffen unb Urteilen fyanbcle, fonbern um ifyreS ©ebraudjs Willen für eine anbere
©enfoberatton. ©aburd) aber biete bie Sogif baS notwenbige Organon aller eckten Wiffen=
fcfyaftlicfyen SRetfyobe unb bleibe ber unterfcfyeibenbe 2luSbrucf ber in ©uroba einfyeimifdjen
Wiffenfd;aftlid)en Bilbung, bie gum guten ZLeile im ©treben nad; logifcfyer Bollenbung
15 befielt.
Salb folgte ber erfte grunblegenbe Sanb ber „Sorlefungen über bie ©ogmati! ber
ebang.'-lutfyerifcfyen ^ircfye", für beren Slbfaffung ©drteiermacfyerS ©laubenSlefyre (1821. 1822)
entfd;eibenb geworben War. ©einerfeits Will er biefe ergangen. Über fein Berr/ältniS
gur 9)ietI)obe beS SReifterS fcfyreibt er an irm: ,,©ie nehmen ifyren ©tanbbunft mefyr über,
20 id) in bem djriftlidien SeWußtfein" „Wir ift eS borgelommen, baß bei bem je|igen
©tanbe ber ©inge, Wo baS (Efyriftentum fo fer)r bieten nocb, ettoaS faft UnbefamtteS ift,
Wo alfo baS credere nicf/t immer borauSgefe^t Werben lann, um nur baS intelligere
Ijnngugufügen, bie bibaftifcfye 3f?ücfficr)t auf bie Seljrlmge ber Sefyanblung aus bem gweiten
©tanbbunfte für btele ben SSorgug giebt" 5Rit $Rüdfid;t auf biefe Unterfc£)iebe entwirft
25 er feinen ^3lan :
©ie ältere SSeife ber ©ogmatif ift es geWefen, bie aus ber Bibel gegogenen
©laubenSfä^e logifd) gu orbnen unb gu berfnübfen, Wäfyrenb ib,re Söafyrr/eit allein auf
bie Autorität 6f)rifti gegrünbet Würbe. !ym ©egenfaij bagu fei fie bann auf trgenb
ein ©r/fiem ber natürlichen Xfyeologie ober üfteligionSbfnlofobtne, baS für i^ren allein
30 faltbaren <Rern ausgegeben Würbe, rebugiert Werben. ^Wifdjen oen &efoen (gjtreinen
mußte ©tellung genommen Werben. @S gelte nid)t eine einfache 9iüdfer/r gum SClten; benn
bloße Autorität fei leine ÜJcacfyt mein*, man fragt nad; ben ©rünben. %n Beibringung
berfelben gefyt X, in umgefel)rtem Sßert;ältni§ gu ©d;letermad;er, Don bem gegebenen
©toffe ber lird)Iid)en Sefjrbeftimmungen auf ben tieferen ©runb beSfelben gurüd. ©d;leier=
35 mad)er ftedt im „©eifte einer großartigen Xolerang" bie ©renge ah, big Wob, in ber 3U=
fammenfyang mit bem Vringito beS ebangelifd;en ßfuiftentumS möglid; fei. X WiH mitten
auS biefem ^ufa'timen^ange bem ebangelifcfyen 33eWu|tfein Älarb,eit unb Vertrauen gu
feinen gefd;id)tlid)en ^orauSfe^ungen Vermitteln, ©eine ©lauben§Ieb,re foll eine ©ogmatif
ber eöangelifd)4utb/erifd)en ^ird}e fein, bie nicfyt Wie „ein berborrter unb abgeworbener
40 Saum" bafte^e. Slber bamit ift nid}t beraubtet, baß bie eingelnen fie^rbeftimmungen
be§b,alb für richtig gelten muffen, Weil fie in ber Äircfye angenommen finb. ©erabe Weil
bie Jlirdjenlefyre nict)i al§ abgefd)Ioffen unb unberbefferlid; angufeb,en ift, bebarf fie erneuter
gcfct)id)tlid)er gorftt)ung unb fr/ftematifcfyer Bearbeitung. 2tu§ mct^obifd;en 9tüdficf/ten,
Don ber 2lbfid)t geleitet, bereits ©eleifteteS nicb,t gu Wieberb,olen, legt er be SßetteS £eb,r=
45 bueb, gu ©runbe. Xro§ tiefgeb,enber Serfdjiebenbeit ber ^ßringibien Weiß er fid) mit
biefem gorfd;er berbunben in bem „gemeinfcf)aftlid)en ^ntereffe teils für eine rief/tige
{»iftorif^e luffaffung beS lircr;ltd)en Se|rbegrip, teils für bie Wiffenfd;aftlid)e @rforfd)ung
unb Aneignung beS if)m 3Befentlicl;en unb bauernb ©iltigen"
©urc| biefeS 2Berl, fo fagt ein ^eitgwciffe, blatte X nad) unferer Übergeugung ben
50 fircblidjen Sebürfniffen baS löfenbe SÜßort unb ben lirdjltd^en Seftrebungen bie entfbredjenbe
gormel bargeboten. Man erblidte in bemfelben ben gebiegenen ©rWeiS bafür, baß bie
fr/ftematifdjie Arbeit ber ^eformationSürdjen ib,ren Söert unb ifyre <draft behaupte. Xto^
ber großen Auflage War bab,er ber äußere ©rfolg ein auSneb,menber, ba bis gum Qafyre
1838, obwohl bie Sollenbung nod) immer auSftanb, bier 2luSgaben nötig Würben, an
65 Welchen gu beffern unb gu feilen ber Serfaffer nid;t nachließ. Slber biefeS §aubtWerf feines
SebenS ift ein Xorfo geblieben, ©er ^ßringibienlef)re beS erften SanbeS folgte 1837 bie
©otteSleb^re; banacr; War X, obwohl er feine Vorträge über ©ogmati! meb^r als gWangig
9Me umgearbeitet b,at, gur Veröffentlichung beS auSfteb, enben XeilS nid}t gu bewegen. Qe
beutlicb,er ib,m bie ©cl)Wierigteiten Würben, in bie ber 2tuSbau ber d^riftologie unb ber
60 ©rlöfungSlefyre ib,n bon feinen ©runbfätjen aus führte, befto gurüdb^altenber Würbe er.
$tucftcn 175
^cne objcftibe ebrlid;e ©eredüigfeit einerfeits, fraft beren er in ben Vorlefungen auf bie
gleid;Wertigcn Möglidbjfciten ber bogmatifd;en gaffung bon ©laubensfci^en fnnwies, obne
fid; felbft entfd;ciben ju wollen, anbererfeits bas nidjt rufyenbe £rad;ten nad; einer be=
ftimmten Stellungnahme insbefonbere &u ben entfd;eibenben fragen ber Sbriftologie,
hielten tfjn bon bem bellen 2lbfcr)luJ3 feiner gorfdmngen, ber ibm bie unerläßliche 33or= 6
bebingung i^rer SBeröffcntlic^ung War, jurüd, trotjbem er unter biefer gurüdbaltung litt.
Dod; unter biefen ©inbrüden ftanb feine Vieler SBirffamfeit nid)t, bie burd)Ieud;tet
ift burd; bie freubige 3uberfid;t, bon feftem ©runbe aus bie ebangeltfcfye $ird;e ju er=
bauen unb ihr Ned;t auf ©elbftftänbtgfeit gu erWeifen. Jn legerer §tnfufyt bietet
namentlich feine Siebe beim antritt bes SReJtoratö im breifmnberijäfmgen Jubeljafyre ber 10
2lug*burgifd)en Äonfeffion (5. STtär^ 1830) einen Wertbollen Veleg. @r beurteilt barin
bas" ebangelifdje ©runbbefenntnis als bie flafftfdje Urlunbe ber ©eWiffensfreifyeit. 'Die
Segrünbung berfelben liege in ber flar unb treffenb (2Irt. 28) ausgekrochenen Unter=
febeibung ber Weltlid;en unb geiftlid;en 9Kad)t, mit ber jugleicf) ber ©runbfatj fid; ergebe,
bajj in Dingen bes ©eWiffens unb ber religiöfen Überzeugung nid)t 3Wang unb bürger= ib
lid;e ©eWalt, fonbern 2Bort unb Sele^rung bie SRittel feien, Woburd; allein man auf
anbere cinjuWirfen fucfyen bürfe. 3Rit »oller Eingebung lebte er felbft bem alfo gerid;=
teten ÜiUrfen, burd; beffen ©rfolge bie Vieler tl;eologifd;e gafultät einen 2luffd;Wung ge=
mann, ber allein fd)on U)m als! afabemifeben Sebrer bie gead)tetfte ©teHung bcrfd;afft
hätte, ©efteigert mürbe bie Äraft feiner ©inroirlungen nod; burd; bie ©emeinfdjaft mit 20
Miaue ,v)arms, ber feit 1816 nad) Äiel gerufen als ^rebiger unb ©eelforger bie ©emüter
tief bewegte unb ergriff. 33ielleid)t mar es gerabe ber ©egenfatj ber Gbaraftere, ber i£>r
3ufammentreffen in ber Verfolgung ber gleiten 3We befonbers ergiebig mad;ie. Der
(£mbfinblid;feit Don §arms begegnete bei %. unbeirrte fad;lid;e ©rWägung; ber tembera=
mentsbolle 2lnbaffungstrieb be§ erfteren fanb in %.$ umfidjtiger SBeljanblung ber ebange= 25
lifcfyen ^.ringibien feine Regelung ; ber Neigung bon §arms, bem borübergel)enben ©inbrud
in Warmer Eingabe ober Ieibenfd;aftlid;er 2lbWeb,r Naum ju geben, trat X. mit ber
offenen ©abrbaftigfeit edjter greunbfd;aft entgegen. Sßenn er besbalb ju £arms 2Sor--
geben in ben "Zfytfm, mit benen berfelbe in feiner Söeife bie Jubelfeier ber Deformation
begeben wollte, Wie Jobannes oer Käufer ju bem nod) ungeworfelten Soeben Stellung 30
nimmt — in ben ^Briefen liegen bie $eugniffe bafür bor — , fo banlt er bem gott=
begnabigten ^ßrebiger äugleid; auf bas aufrid)tigfte für jebe görberung unb Anregung.
£er Sater be§ ©bigrammg: %. be!eb,rt feine ß^börer unb §arm§ tauft fie banad), batte
öom Stanbbunfte bes> alten Nationalismus au§ nid;t Unred}t.
2lber es mar i^m ntcr)t befd)ieben, in feiner jum beften 2;eile bon i§m felbftftänbig 35
geftalteten Vieler 2Bir!famIeit ju beharren. Nufe nad} S3onn unb ©öttingen blatte er
abgelehnt. ?fla<fy ©d)letermad)ers Stöbe aber erbielt er bie 2tufforberung, 9cad)foIger bes
großen Salmbrecbers ju merben. @s entfbriebt feiner §eimatsliebe unb feiner ftrengen
Selbfttritif, bie er eine Slufeerung feiner „flebtifdjen Natur" ^u nennen liebt, Wenn er
fid) fdjwer jur 2lnnabme entfcbließt. ©rft Neanber unb bann burd) berfönlicb,e 33erb,anb= 40
lung in ft'iel Jobannes ©dmlje brauten feine Sebenlen jum ©d)Weigen.
Jm ©ommer 1835 fiebelte er naefe, ^Berlin über, um nad) Maßgabe feines £ebv=
auftrags Dogmatil unb neuteftamentlid)e ©jegefe anzubauen. Die Negierung erwartet
in ibm einen ^beologen, ber „eine Wabrbaft ebangelifcbe grömmigleit Wie eine treue unb
aufrichtige 2tnbänglicbfeit für bas ^Srinjib ber eüangelifeben ^irdje mit einer grünblicben 45
tbeologifeben ©ele|rfam!eit unb einem freien, bon jeber einfeitigen ^arteiftetlung entfrem=
beten Wiffenfd^aftlicEjen ©eifte berbinbet" ©0 fteßte fieb, ibm red)t eigentlicf) bie Slufgabe,
bie ÜDtttte ju beraubten ^Wifcben ben beiben ^errfd^enben, auseinanberftrebenben ©eiftes=
ftrömungen auf ürcblicbem ©ebiete, benen Neanber innerbalb ber tbeologifeben ga!ultät
in gleia)er 9Beife abbolb War, of)ne boeb entfd)ieben unb burd)fd)lagenb ibnen entgegen^ 50
treten ju fbnnen. @s Waren bie „§egelei" SDkrb,einedes unb bie neu=ortbobose ©efe|lid;=
feit £jengftenbergs, bie, untereinanber im ©treit um bie güfyrung, junäcbft fid) jufammen=
fanben in ber ^urüdbaltung gegen ben neuen, ib,nen nid)t erWünfdjten Kollegen. Unb in
ber £fyat blieb Z., tro| Widriger Serübrungsbunfte unb tro^ bes ibn ftets leitenben
Ariebes jur SSerftänbigung, grunbfä^licb bon ben Nietungen beiber getrennt. Von beut 55
3krjucbe, bie bogmatifeben Formeln unb begriffe ju Prägern §egelfcl)er ©ebanfen ju
machen unb fo einen ©cr)einfrieben jWifcben ^^eologte unb s^bilofobbie ju fcbließen, mußte
w fid; abWenben fraft ber @rfenntnis bes allem religiöfen Seben eigentümÜd;en ©ebiets.
2lnbererfeits berbanb ibn mit SDiarljeinede bie @brfurd;t bor ber gefcf)id)tlicben $erfönlid;=
^it Jefu <Jf>rtftt. Wti Aengftenberg War er eins in bem ©rftreben einer feftcren unb co
176 Stoeften
tiefer gegrünbcten gorm bes> Ürcbjicfyen fieberig. 2Iber jene fünftlidjie (Erneuerung ber
Drtfyobork mit toietiftifcfjem (Einfcbjag, bie il>re 2tnletf)en bei bert bogmatifcfyen 23orau§=
jungen be§ 17. 2iar;rr)unbert3 unb bert |odj)Iir$lic§en Bewegungen (EnglanbS machte
unb in ©efafyr tarn, ben ©cfywerbunft be3 ebangelifcfyen fiebern in bie äußere Autorität
5 „ber fanonbilbenben unb auSlegenbeu ^irdje" ju berfcfyieben, mußte bem bon bem ©eift
unb ber föcaft ber reformatorifcfyen Befenntniffe burcfybrungenen ©filier ©djleiermadjerio al3
ein 2>rrlDe3 etfd)einen. demgemäß I)at er, ficb, felbft getreu, ©tellung genommen weniger
in Befämbfung ber (Erfreme — ^Solemil wiberftrebte feinem SBefen, — Wofyl aber in
llarer, facpcfyer Behauptung ber geroiffenb^aft erarbeiteten Überzeugung, bie aucb, bei bem
10 ©egner ba§ ©ute anerlannte unb nur ba ficb, abWanbte, Wo Mangel an 2Saf)rI)afttglett
ober offene Seugnung ber ebangeltfdjen ©runbfätje fic&, geltenb zu machen fcfyienen. gWar
nicr)t in gleicher (Energie; infolge be§ SRücffc^Iageä ber (Stnbrücfe bon 1848, ber fo biele
gute ^eime ber (Entwicklung gerftörte, äußerte fid? aud) bei ifym eine geWiffe (Entmutigung.
Slber ber fiegeSfreubige Dtotimi§mu§, mit bem er für ben 3lufbau beö ftrcb/ltcfyen fiebern?
15 eingetreten War (bgl. ^Dogmatil 3. 2tufl., I, ©. 213 f.), Würbe burcb, bie treue umficfytige
Pflichterfüllung erfetjt, welche ficb, barauf richtete, ba§ redete ©leicfygeWidjt bor allem ju
erhalten. „(Er ftanb in unferer 3)citte wie baä ßünglein ber 2Sage", fo d)ara!terifierte
ein langjähriger Mitarbeiter im ^ircfyenregiment feine 2Beife.
Bebeutfam treten feine ürcbjicfyert ßtelbunfte, bie er al<§ SJtitglieb be§ ^onfiftoriumg
20 ber ^ßrobinj SBranbenburg (feit 1841) unb be<§ Dberfircfjenrat» (feit 1852) unerfcfyütterlid)
feft im Sluge behalten fyat, in ber berliner ©eneralfimobe be§ $alj)re3 1846 fyerbor Wäfy=
renb ber mistigen ißerfyanblungen über eine ben Bebürfniffen ber geit entfbred)enbe
©runblegung ber ebangelifcfyen äircfye $reußen§. (E3 b/anbelte ficb, um bie Stellung zum
23denntni<o; man fudjte bie $orm, in Welcher „ba§ dizfyt ber broteftantifd)en greifyeit mit
25 ben unerläßlichen fieben^bebingungen ber fircf/licben ©emeinfcfyaft" geWabjt Werben lönnte.
(33gl. Berfyanblungen ber ebangelifcfjen ©eneralffynobe bom 2. $uni bi<§ zum 29. 3luguft
1846 — Berlin 1846 - ©. 185 f. 257 f.) ^m ©egenfa^e ju bem Berfudj einerneuen
Formulierung ber gemeinfamen ©runbfä^e ber ebangelifc^en Befenntniffe tritt er ein für
ba§ gehalten an ben alten. 2lHein nia)t fo ift ba<3 bon ib,m gemeint, baß biefe Hafft=
30 fc^en Urtunben ber Deformation tote ein ©efeijbucb, für ritterliche ©eWalten in ©eltung
gehalten Werben follten. $n bem ©etft, in bem fie gelten lüoKen, foUen fie gelten (1 $o
3, 10—15. Art. Smal. 305). „^cb, fyahe Vertrauen genug z" ber inneren Äraft unferer
Befenntmgfcfyriften, um ju glauben, baß fie ficb, burd) ficb, felbft geltenb machen roerben,
Wenn fie nur nicfyt burd) eine neue BelenntniSformel in ben §intergrunb gebrängt finb."
35 ,,^n il;ren f)errlicf)en 23elenntniffen, in ber älug^burger Honfeffion, ben ©c^malfalbifdjen
3lrti!eln, bem großen ^atecb,i§mu§ fiutberö b,at bie ebangelifcr;e ^irct^e ib,ren 3teicl;tum;
ba§ ift eine Quelle beftänbiger Uraft unb S£üc|)ttgieit, babon bag §erj roarm wirb, bafür
man leben unb fterben fann." ISeinegroegS forbere bie Union ein aufgeben berSelennt=
niffe. „SBorauf eö bei berfelben anfommt, ift allein bie (Einfielt, baß bie Skrfcbjebenfyett
40 ber lonfeffioneßen Überzeugungen fortan leine Trennung ber &ird)engemeinfcf)aft begründen
folle/' 3Jicb,t alfo feien bie 2tbroeitt}ungen mit ©tiHfcb^ioeigen ju übergeben; fonbern man
laffe fie gelten in ber ©cmißfyett, baß bei weiterer ©nttoidtelung bie ünterfcb,iebe in ifyrer
ünerb,eblicb,leit, WenigftenS toa$ bie !ircb,licb,e ©emeinbe betrifft, erfc^einen Werben. £>ie§
entfbrec^e ber Slnfidjt ©cb,leiermacb,er§. ,,©a bie früheren 33erfucb,e, meinte er, fiel; jubor
45 über bie ftreitigen fielen %u bergleid;en, bebor man \xä) Wirllicf) bereinigte, in ber Siegel
gefcfjeitert Wären, fo febjage man ben umgelegten 2öeg ein" 9Jur bureb, lirct)Iicb,e 33er-
einigung Wirb man ermitteln, ob bie £eb,rberfc^iebenb, eiten ber %fy eologie ober bem ©tauben,
ber ©cfmle ober bem ©emeinbeleben angehören.
3Rodr) tiefere Segrünbung b,at %. biefen ©eficb,t§bun!ten in feiner 2lbf>anblung über
50 bie Union gegeben («ß9t@ 1. 2lufl., 33b XVI ©. 659 f.), in Welker er i^r Söefen unb
ib,re Sebingungen erörtert. 2lHerbing<§ fe^e bie Union lirc^lic^e ©egenfä^e borauS, aber
thm berartige, bie Weber jum ©a)i§ma noeb^ jur §ärefie führen. %t)v biblifc^e§ Dedjit be=
Weife bie abofto!ifcb,e 33eb,anblung ber ©egenfä^e beö ürctjriftentum^. ©anacb, ergebe fiel;
aU ba§ 3'cl aller Union^beftrebungen bie Bereinigung ber gleichzeitig an einem Drte
55 lebenben ©laubigen gu gemeinfü)aftlicb,er (Erbauung, ßugleict; aber muffe ein Unterfdneb
gemacht Werben jWifc|en bem, Was» jur (Erbauung ber ©emeinbe biene, unb bem, totö
©acb,e ber ©cf)ule fei. (Eben Weil bie Ibnforbienformel biefen Unterfcbjeb außer acb,t
laffe, inbem fie jeben 2lnber3benlenben bon ber ^irct)engemeinfcb,aft au§fc()Iieße unter ber
3Sorau§fe|ung, baß bon entgegengefe|ten Slnna^men nur eine ftt)riftgemäß unb Wab,r fein
60 lönne, lt)a6e fie für bie (Entwiclelung berf>ängni§bolle ©cb,ranlen errichtet.
£n>eften X\)vm 177
$n biefen Ausführungen ift %£ ©tellung im JHrdjicnrcgimente unb aucb, fein Söirfen
in bcr unter mannigfachen ©egenfä^en nad) fräftigerer ©eftaltung beS ttrcr;Iicf)en i'ebenö
ringenben 3«* gefenngeidmet. $eme ber jtm bie #errfd)aft famtofenben ^Parteigruppen
fonnte tbn als ben ifyren anfefyen. £>ie ödntler ©cfyletermadjerS, roelcfye in ber „5ßrote=
ftantifdjcn Mucf/engeitung" ib,r Organ Ratten, aud; -Jttfcfcr), Julius 9JculIer, Corner t>er= 5
motten baS Skeal £tner Sefynmion nid}t aufzugeben; ©tafyl bagegen unb §engftenberg
forberten eine öon X. als unebangeltfd) abgelehnte Ummobelung beS et>angelifd>en 2lmtS=
begriffe. $Die SBitterfeit unb £eibenfd}aftlid)feit, bie namentlid; bureb, bie ©cfylagworte unb
Herbitte ber „@t>angelifcf)en £ird;engeitung" in bie 2}erl)anblungen über ftreitige fünfte
gebraut mürbe, trübte ben 23Iid für bie 2öürbigung beS gemeinfamen 33efenntniSgrunbeS, 10
unb baS fidb, überftürgenbe §aften nad) fird^enpolitifcfyen ©rgebmffen brängte bie 3tüdficf/t
auf bie in ber 9Jlitte tiegenben Söafyrfyeiten gurüd, Don benen ftcr) %. leiten liefe. Sßic
biefelben ifym bie Dttcfytfdjnur fetner @ntfd)lüffe gaben, geigt einerfeitS baS Don il)m roefent=
lieb, befummle (Ergebnis beS Kolloquiums gu Söittenberg (14. SRai 1845), baS gur
3(uSfd;eibung einer tf)eologifcr/en ^icfytung führte, weldje Vernunft unb ©eift ©otteS in 15
pantljeiftifdjem ©inne für eins erllärte, anbererfeitS fein 2tuSfcf;Iag gebenbeS Eintreten für
3iiboh) (1873) im ^ntereffe ber $orf(fmngSfreir/ett aud) ber ©eiftltcfyen.
Solvent brat"tifd)en Eingreifen entfbred;en bie ©runbfätje für n)tffenfd;aftlid;e 2trbett.
3tt>ifcb,en miffenfdjaftlicr/en Männern folle unter allen Umftänben ein hnffenfcfyaftlidjer
Herfefyr möglief) bleiben, ^ebenfalls fottten fid) Ideologen aud) ber toerfdnebenften 2ln= 20
fidjten in groei ©tüden begegnen: baS eine ift baS $ntereffe für roiffenfdjaftlidje ©d;ärfe,
liefe unb ©rünblicbjeit, tcobei feftguljalten fei, bafe aud; baS, roaS mir Irrtum nennen,
relatbe 3Baf)rb,eit befi£e, — baS anbere ift bie ©efdnclüe, baS äkrftefyen ber 33ergangen=
Ijeit, auf melier mir fortbauen (^Dogmatil I, ©. Vif.). ®arum I;ält er eS für $flid)t,
ebangelifdjen ©lauben unb toiffertfcf/aftlicfye Süüd^tigleit als bie ©runbbebingungen ber 25
ebangelifcfyen S£f)eologie, mo fie fidE) finben, gu fcfyätjen, oI)ne burd) bie abmeidjenbe $orm,
in ber fie ftcb, barfteflen, fiel) irre machen gu laffen. £>te gel)altr>olle ©dmft über 9Jcattf)iaS
glactuS, bent er eine „gefd)id;tlid)e @f)renrettung" angebetfyen läfet, fonue bie umfidjtige
3lu^gabe beö bogmatifdjen §anbbud;§ ber Iutl)erifcf;en Drtfjobojie, über ba§ er aud; gerne
isorlefungen Inelt, finb grüdjte biefeg ©trebeng, wäfyrenb bie bottenbet Ilaren unb burd;= 30
fid;tigen ©arftellungen ber ttnffenfcfyaftlicfyen Slrbeit ©d}Ieiermad}er^ in ber umfangreichen
Einleitung gu ber Slu^gabe be3 ©runbriffe^ Don be^felben ^^ilofo^^ifd^er (Stfyil (Serlin
1841) unb in ber geftrebe bei ber berliner llniöerfitätgfeier be§ Ijunbertiä^rigen ©eburt§=
tageä (Berlin 1869) gugleid} ein®enlmal feiner petät gegen ben Sel;rer bleiben. Überaß
geigt fia) H. al§ eine anerlennenbe 3?atur, toeld;e bie eigene @inficl)t au^ 2ld)tung bor 35
ber bereits geleifteten 2lrbeit bureb, ^eröorl^eben unb ©rllären be§ ©eleifteten betbätigt.
ocb,on bem Jüngling ift e£ Ilar, „bafe burd; fid; allein ber SItenfd; in roiffenfd^aftlidjer
§infid}t feb,r wenig toirb, unb bafe ein eifriges ©tubium be§ früher fdjon ©eleifteten,
toenn e§ nur mit ©eift gefd)ief)t, bie war/rl)aft ergiebigen 9Bege roeift"
Man barf Don %. fagen, bafe er ein SDtann lttar au§ einem ©uffe unb bon bemunbern§= 40
toerter SBielfeitigfeit. ©eine Slnforberungen an fieb, felbft maren bie ftrengften, be3f)alb
hielten ib,n bie näd)ften ^]flid;ten feft; feine Überzeugungen maren in fiel; ftarl unb un=
beugfam, beSb,alb b,afcl)te er niemals nacb) ber ^uftt^wung ber ^ageSmeinungen. 2öie
toarm er aud; empfanb, fo fudjte er boeb, gemiffenb,aft unb toorficf)tig bie 3)Jafeftäbe feines
Urteils nid}t im ©efüfyl, fonbern in ber ©efd}td)te, ber @rfal;rung, bem 3Serftanb. 2llle= 45
toege aber trug unb r/ob ib,n baS mäditigfte ©ottbertrauen. SllS er am Totenbette feines
©ofmeS ^arl, beS berühmten ^olitilerS, nieberlniete, ban!te er ©ott, bafe er tym benfelben
feit feinem fünften %ai)xe, in bem ber Änabe hoffnungslos barnieberlag, gefd;enlt fiätte.
Bunt £er.t für feine ©rabrebe erbat er fieb, oon bem langjährigen ©eelforger unb greunbc
^riebrieb, 2lrnbt baS ©d^riftroort : ©er §err toirb baS gerftofeene 9?ot;r nid; t gerbrecfyen 50
unb baS glimmenbe ®od;t toirb er ntct)t auslösen. 05- ^eiitrici.
Stein (Soöiit, Suttt) ©ftnoben in f. b. 21. Armenien Sb II ©.79,2.
Senilis f. am ©djlufe beS 93anbeS.
Snnbal (Sinbale), äÖtUiam f. b. i)l. Sibelüberf e|ungen 33b III ©.98,2t.
Jttru§ f. b. 21. ©ibonier Sb XVIII ©. 284,27- 55
fReaI=®ttcDf[o)>äbie für I^eorogte unb Strtfe. 3. SK. xx. p_>
178 Sjfdjtrncr
£3fd)trner, .(Kinricr) ©ottlieb, geft. 1828. — .6. 65. %%., ©fi^e feines 2eben§,
Setpjtg 1828; ©olb^orn, SJcitteihmgen auö £$.8 legten 5lmt8= unb SetbenSjatjren, Seipjig 1828
(abgebntrft nebft ben ©eböcütnigürebigten Don Äünffjavbt, Siegel, Sdimatft u. 9(. in 5RBljr§-
SWagciäin f. ^tebiger, 1. 33b, 1 @t.); $öfifc, §. 65. £j., Slbrt'fj fetneS 2eben§ unb Sßirfenö,
5 Seidig 1828; trug, £3.8 Senf mal, Seidig 1828; Sittmann, Memoria H. G. Tzschirneri,
Lips. 1828; Werter' 9Mro(og ber ®eutfdjen, Sabjgang 1828, 1 3X, ©. 113 ff.; gactübeS,
X3.8 $rebigtlneife jc. in 3töt)r§ Wagaztn f. $reb., 1. Sb, 2. @t.; S)er bereinigte Sj. a(§
San^elrebner gefcbjlbert, £afle 1829; 65. granfä 9lrt. £,v in ber 1. i'Iuff. btefer (£ncl)tIop«bte
SbXVT, ©.548 ff.; berf. .in b. 9lb$B 39. «b S.62ff.; Söfcfdj, 2j.8 Sebett unb SSivfen, TOitt=
10 tueibaer ©inttprogramm bon 1875.
£>. ©. £zfd)trtter tourbe am 14. 9?obember 1778 ju 5Dtitttoeiba in ©acbjen geboren.
%n biefer ©tabt hjirfte fein SSatet feit 1775 als SDtafonuS, feit 1793 al<§ Dberpfarrer,
er toar ein trefflicher ^ßrebiger unb ©eelforger. 23on il)m unb einem £>auSlef)rer empfing
Szfdjiirner ben erften Unterricht. 13 $ar/re alt fam er auf ba§ Sipum ju ßljemmfc.
15 §ier tourben SBinjer (fpäter ^ßrofeffor ber Geologie ju Seidig), gactlibeS (fpäier ©uper=
intenbent zu Dfd;a|), Sreifdjnetber (fpäter ©eneralfuperintenbent zu ©otf/a) unb 3ceanber
(fpäter Sifdjof ju Berlin) feine 9Jiitfd)üler unb greunbe. ©e|r geförbert warb er in
feiner 2tuSbilbung burd) ben Privatunterricht, toeldjien ifym ber ausgezeichnete ^fnlolog
$önig (fpäter ÜReftor bon ©t. 2lfra zu SJkifsen) erteilte, burcr) ben anregenben Umgang
20 mit einem älteren grcunbe, bem §iftoriler Sßöltfc, unb burcr; bie trefflichen ^ßrebigten beS
©uperintenbenten derlei, ©cr)on ju Dftern 1796 bezog er bie Uniberfität Seipzig, too
23ecf, ©ottfr. §ermann, SBencf, Söielanb, Patner, Säfar, §epbenreid), 6aruS, $ül)nöl,
bie beiben Stofenmüller, Surfcfyer, Xittmann unb $eil feine Sefyrer mürben; befonberS bem
letztgenannten fdjlofe ftd) ^fd^irrter mit inniger 23ereb,rung an. $m Dftober 1799 tourbe
25 er -IRagifter unb beftanb balb barauf in ©reiben fein trjeologifcfyeS Äanbibateneramen.
$m gebruar beS %ai)xz§ 1800 habilitierte er fid) in SSBittenberg unb tourbe balb barauf
StbjunÜ (ettoaS mer)r als ^ribatbozent) ber pfyilofopfnfdjen gafuttät (Observationes ad
Pauli Ap., epistolarum scriptoris, ingenium spectantes, P I. II. III. Viteb. 1800).
2Iber fd)on nacf) Jurzer geit far; er fict) genötigt, biefe l)offnungSbolI begonnene £l?ätig=
30 feit emgufteEen, ba it)n ber fcfytoererfranfte 3Jater zum ©ubftituten begehrte. 2^fdjirner mar
eben im Segriff in biefe ©tetlung einzutreten, ah ber 3Sater ftarb. Um bie Butter unb
jtoei jüngere trüber unterftü^en %u fönnen, übernabm er nun ba3 eben erlebigte ®ia!onat
^u 9J?ttttoeiba. Sei alfer pflichttreue, bie er btefem 2lmte toibmete, fanb er bod) nocb,
SRuf^e ju litterarifcb, er 33efc|)äftigung. @r gab mit ?[Raucr)art ba§ ?Jeue atigemeine ÜRetoer=
35 torium für embirifd)e ^ftydjologie unb bertoanbte Sßiffenfdtaften (2 Sbe, Seitojig 1802 f.)
b^erauö; er fceröffentlidjte bie ©Triften: Seben unb @nbe merltoürbiger ©elbftmörber k.
(SBei^enf. unb Seidig 1805) unb: Über ben moralifdpcn ^nbifferenti§mu§ (Seidig 1805);
er begann eine ©efdjicfeje ber Stpologetif ju fcf)reiben (1 %l Seidig 1805, mit üßortoort
bon ^etnf;arb). SefonberS bem legieren 3Berle f)atte er e3 zu öerbanlen, bafe er 1805
40 nacb, 2Bittenberg zurücfberufen tourbe, unb ztoar afö orbentlidjer ^3rofeffor ber 'Ji^eologie.
2lm 24. 5Rot)ember Ijielt er in ber ©tabt!ircf)e bie übliche Sicentiatenprebigt, lolloquierte
mit ber tljeologifc^en galultät unb berteibigte feine 3tb£>anblung : De dignitate hominis
per religionem christianam adserta et deelarata (Viteb. 1805). 3lm 2. ©ejembcr
empfing er in ber Uniüerfität§lirtt)e bie tb,eologifd}e ©oltortoürbe. ^n feinem 2lntrittg=
45 Programm: De virtutum et vitiorum inter se cognatione etc. (Viteb. 1805) be=
fpracf) er ein Sfyema, toeld^eg er fpäter auöfübrltcb, beb, anbelte in ber ©d)rift: Über bie
Skrtoanbtfcfyaft ber 2:ugenben unb Safter (Seipzig 1809). @tn anbcre§ Programm: De
sacris publicis ab ecclesia vetere studiose cultis (Viteb. 1808) füllte ber Vorläufer
einer ©efcf;id)te be3 d;riftlid)en Iultu§ fein, beren Aufarbeitung ^gfdc^trner bamalS hiah-
50 fid)tigte, balb aber toieber aufgab, ba er burd) feine Sorlefungen aE^ufe^r in Slnfprud;
genommen tourbe. @r lag über natürliche Geologie, über Dogmatil unb ^omiletü, feit
1806, al§ ©d)röcfl^ Äraft erlahmte, aucb, über Iircb,engefcb,id;te. ©otoo|l burd) biefe
Sorlefungen als aud; burd) bie Pon ilmi geleiteten Disputationen unb 6omiletifd)en
Übungen toirlte 5Egfc^>trner in j^o^em ©rabe anregenb auf bie afabemifcf/e 3uSen^/ ^e'n
55 ©influfj auf biefelbe toud)S mit jebem ^a^re. 2Iudt) bie ^rebigten, toeld)e er bon 3«t
Zu 3eit unb mit großer greubigteit l}ielt, fanben 2ln!Iang, fie tourben fotool)! bon ben
UniberfitätSangeb^örigen als aud} bon ben bürgern oer ©tabt mit lebhafter 5leilnal;mc
ger/ört. S)urd} biefe erfolgreiche ^ptigfeit, burd) bie greunbfd)aft feiner Kollegen unb
bie Siebe ber ©tubierenben, burd? eine el}elid;e 3Serbinbung, in ber er feit 1806 (mit
so 2lugufte geb. ^lo^fdj) lebte, füllte ftd) ^fdt;trner fe^r beglüdt; bitteren ©dmierz aber
bereitete bem patriotif cfyen Wanne baS Unglüd', toe!d)eS 1806 über ©eutfdjlanb ftcrcin=
£äf(i|trner 179
bracb unb aud) ÜBittcnbcrg naf;e berührte. Dad;bem ^fd;irner bon 1805—1809 in
Sffiittenberg gewirft blatte, tourbe er als bierter ^rofeffor ber Geologie an bie Uniberfttät
Seidig berfe^t, loo fid; tfym ein größerer SöirfungSfreiS erfdirtofj. $m Df tober 1809 trat
er fein neues 2lmt an (De formis doctrinae theologorum evangelicorum dog-
maticae distinguendis rite et aestimandis, Lips. 1809). 23alb barauf titelt er jur 5
Vorfeier beS lOOjatjrigen UniberfitcttSjubiläumS eine ^rebigt (3)ie 3Biffenfd;aften, ein
Mittel ber ßrjiefyung beS Menfcb^ngefcr)lecl;teS, Seibjig 1809), burd; welche er fid; fogletcb,
fcen Duf eines öorgügltc^en DebnerS erwarb. ©0 oft er in ben folgenben ^afyren bie
ßanjel ber UniberfttfaSfircfye beftieg, fafy er bort eine jafylreidje gul;örerfd;aft um ftd; ber=
fammelt Oßrebigten bon ^fd;irner 1. ©ammlung, Seidig 1812). lud) feine SSorlefungen 10
über ®ircf;engefcf;id;te, ©ogmattf unb §omiletif fanben ungembt)nlid;ert 23eifall. SDafj er
ein tüchtiger §iftori!er mar, bemicS er burd; feine $ortfe|ung beS großen ©d;röcfl;fd;en
2\>crfeS: Gbriftl. Äird;engef^id}te feit ber Deformation fortgefe^t bon 2^fd;iraer, 33b IX,
i'eibjig 1810 (©efd;. b. gried). ü u. b. ©eften, Überfielt ber neueften Äircfyengefcfncfyte),
üBb X, ib. 1812 (23iograbr)ie ©cfjrödfyS unb geittafeln). 2Xber aueb, als ©ogmatifer unb 15
Momiletifer machte er ftd; je^t einen Damen burd; feine „23eurteilenbe ©arftellung ber
bogmatifcfyen ©tyfteme, tuelcfye in ber broteftantifdjen $ird;e gefunben merben" (3Jiemora=
biliett 1. 33b, 1. ©t. 1810, 2. ©t. 1811) unb burd; bie „Briefe beranket burd; Dein=
barbS ©eftänbniffe tc." (Seidig 1811). $n biefen ©Triften beftrttt SEjfdnmer bie S3e=
baubturtg DeinI)arbS : f onf equent fei nur ber Dattonalift unb ber ©ubranaturalift, ein 20
tlliitteltoeg füf;re jur ^nfonfequeng. 2IlterbingS, erflärte SEjfdnrner, fönne man nur (Einer
©laubenSregel folgen, enttoeber ber fyl. ©cfyrift ober ber Vernunft muffe man bie oberfte
Autorität juerfennen. ®ab,er lönnten nur jioei ©bjteme, baS rein biblifdje, roeldjeS or)ne
9ftidftd;t auf bie Degel ber ©tymbole unb auf bie Dorm bfytlofoblnfcfyer ©runbfätje alles
als göttliche 33elef;rung gelten laffe, mag f)ermeneutifcr) ertoeisltd; 2eb,re $efu unb ber 25
2lbofteI mar, unb ber entfd;tebene DationaliSmuS, toelcfyer unberufen ben ©ubremat ber
3d)rift aufgebe unb ben 3jnl)alt ber Offenbarung nacb, ber Dorm eines 23ermmftbrtnsibS
beurteile, Slnfbrud; auf $onfequen§ ergeben, unhaltbar feien alle ftmfrettftifcfyen ©fyfteme.
Unhaltbar fei aber aud) ber efleftifcfye DationaliSmuS, welcher ben gemeinen 9Jienfd;en=
berftanb jum SRafjftab feiner Urteile mad;e, ebenfo ber eubämoniftifcfye, roelcfyer ben biel= 30
beutigen 23egriff ber ©lüdfeltgfett an bie ©bi^e ftelte, faltbar fei nur ber etfjifdj^lritifdie
Nationalismus, meiner bie 93ernunftibee ber ©ittlid^Ieit als baS oberfte ^3rmgtp ber ct)rift=
lid)en ©laubenSlebre betrachte, nacb, ber Dorm berfelben bie ©djrift beurteile, baS mit ben
fittlicb,en 93ebürfniffen nottoenbig 3ufammenf)ängenbe feftb,alte, bie beigemifdjten, nad)toeiS=
lid; auS ber fbäteren ^Ef)eoIogie ber ^uben entftanbenen ^eitborftellungen aber aufgebe. 35
9D?it biefem etb,ifd;=lritifc^en DationaliSmuS fei eS aber toofyl bereinbar, baS ßfyriftentum
als eine göttliche, burd) SBunber beglaubigte Offenbarung gu betrauten, bafern man nur
ben gtbed biefer Offenbarung nict)t in bie 33e!anntmad)ung beS ber fid; felbft überlaffenen
33ernunft Unerreichbaren, fonbern in bie 33etanntinad)ung unb 33eftätigung ber (noct) un=
ernannten ober berbun!elten) Söafyrfyeiten ber 23ernunftreligion burd) einen göttlid;en ©e= 40
fanbten, unb in bie ©rünbung ber gur gortbf!an§ung biefer fo geoffenbarten toa^ren
Religion beftimmteu Strebe fe^e. 3Dtan fönne alfo, was baS Materielle, ben ^nfyalt beä
GbriftentumS anbetreffe, Dationalift fein, unb bod) b,infid;tlid} beS formellen, b. i^. ber
Slrt unfc 2ßeife ber @ntfteb,ung unb @infüb,rung beSfelben, bie 3lnfid}t beS ©ubernatura=
liften teilen. Ob man fid; für baS biblifct)e ober für baS rationaIiftifd;e ©tjftem entfd;eibe, .15
baS tiänge nid;t fomofyl bon jmingenben ©rünben als bon fubjeftiben 2lnfid;ten unb 93e=
bürfniffen ab. %tb& bon biefen beiben ©^ftemen aber enthalte bie ©runblefyren beS
Sb,riftentumS, jebeS bon beiben fei bab,er geeignet, ben gmed ber ^ird;e gu beförbern; un=
bereinbar mit biefem feien ber DaturaliSmuS unb bie bantb,eiftifd;e 3bentitätSbb,ilofobf)ie.
2o begrünbete ^fd;irncr feinen offenbarungsgläubigen DationaliSmuS, bem er, unbeirrt 50
bura; SBiberfbrud; (bgl. u. a. bie ©ct)rift: Sffier ift lonf equent, Deinfyarb ober 2;jfd;irner,
ober feiner bon beiben? 33eantm. in Briefen b. ^?reb. ©ad;fe, b. i. Dör;r, 1811), ftetS
treu geblieben ift. £)od; b,at er feinen ©tanbbunft niemals in ejjflufiber Söeife geltenb
gemacht; auef) ben DationaliSmuS, iueldjcr eine übernatürliche Offenbarung bertr-arf, aber
baS (Sb,riftentum bod; nod; als eine göttliche 33eranftaltung betrachtete unb fid; baburef; 55
toefentlid; bom DaturaliSmuS unterfd;ieb (man benfe an Söffler, Döb,r, 2öegfd;eiber) bielt
Ijfcbirner für geeignet, neben bem biblifd;=fird;Iid;en ©bftem ben fttotd ber Äircr)e ju be=
forbern; ebenfo urteilte er fbäter über baS „äftt)etifd;e" ©l;ftem (mie man bamals baS
®d;leiermad;erfd;e s" benennen bflegte). @r münfd;te, bat^ bie 2tnb,änger biefer ber=
fa)iebenen ©^fteme fid; einanber tragen unb adjten mbd;ten, unb berabfd;eute ein gemalt= 60
12*
180 $gfd}wner
fameS ©ingreifen in bie greifyett iljrer $orfd;ung. ©ein 33err/ältni§ ju 9teinl;arb blieb
ganj ungetrübt, SDiefer füllte fic§ burcb, ^fcfyirnerg ©egenbemerfungen (in benen er
übrigen! eine „SSeränberung ber «Streitfrage" erblidte, nad; einem Briefe Dom 11. 3juni
1811) nid)t »erlebt, er blieb jenem ein väterlicher greunb. @r fyaubtfädjltcb, bemirfte e3,
5 bafs ^fdnrner, ber im 2tbril 1812 einen ÜRuf nad) $ena unb einen anberen nad; Berlin
erhalten t)atte, in Seidig berblieb. 2lnbererfeii§ fyat ^fcfytmer bem trefflichen Manne
ftets bie banfbarfte Verehrung gemibmet, unb ifym, ab§ er im «September 1812 berftarb,
ein ©enfmal gefe|t in ber „$ebe bei SteinfjarbS ©ebäd)tm3feier k.", gehalten Seidig
1812. — $e ruhiger ^fd)trner, gang Eingegeben feinem Berufe, bie erften $al)re in
10 Seidig beriebt fyatte, befto größer mar bie Aufregung, in melcfye tfyn bie ©reigniffe be§
^afyreS 1813 berfetsten. Qm ?5rüt;Img biefe! $al?re3 roagte er e§, nod; umgeben
bon Saurem, „über bie Hoffnung" gu brebigen, „melcfye ben Söeifen über ba§ UnglücJ
ber 3eit ergebe" ©d)on nad) wenigen SRonaten begann feine Hoffnung in Erfüllung
ju gefjen. (Ergriffen Don ber allgemeinen SBegeifterung , r/ätte er am liebften afö Solbat
15 fid; an ber Befreiung be§ 23aterlanbes> beteiligt, nur bie Stüdficf/t auf feinen ©tanb, ober
bielmefyr auf bie öffentliche SReinung über benfelben, t)tel± tl^n babon jurüd. Um fo
gelegener lam tfjm ber Antrag, ba§ 2lmt eine! gelbprobfte! bei ben fädjftfdjen, bem 33e=
fet)Ie be§ §erjogs> bon Sßeimar unterftellten Slrubben §u übernehmen. 3Rad;bem er ein
2lbfcfyiebs>n)Drt an feine gufyörer gerietet b,atte (23on ber großen 23ebeuiung ber ©reigniffe
20 unferer £age, Seibjig 1814), brad; er im Januar 1814 bon Seidig auf unb eilte burd;
Springen unb SBeftfalen nad) ben TOeberlanben $ux 3lrmee. ©rfi in 9Jton<S gelang e§
ü;m, unter bem SBiberfireben ber fanatifdjen Sebölferung, ©otieSbienfte ju beranftalten, bei
benen er begeifternbe Söorte %a ben fädjfifcfyen Kriegern fbrad;. ©od; fd;on nad) toenigen
SBodjen erreichte biefe ^ätigfeit ib,r ©nbe. ^fer/irner fefyrte im Quni in bie ^eimat
25 ^urüd. @r manbte fid; mieber Ittierarifcfyer SLfyätigleü ju, fdjrieb bie Programme: Nominis
germanica laudes instauratorum saerorum historia illustratae, Lips. 1814, unb:
De bello Christianis non interdicto, ib. 1814, banad; ba§ treffliche Sud): Über
ben £rieg, ein bfyilofobfyifcr/er 23erfud), Seibjig 1815. ^m |>erbft 1814 mürbe ^fcfyimer
al§ 2Irdjibiatonu§ an bie %r;oma3fird;e berufen, balb barauf mürbe er jum ^ßaftor an ber
30 genannten £trd)e unb §um ©uberintenbenten ber (bamal§ nod; ungeteilten) Seidiger £>iö=
cefe ernannt. ©r übernahm biefe Ämter im ©ebtember 1815. $u berfelben $z\t mürbe
er mirtlid;er Seifiger be! Äonfiftorium! unb britter ^profeffor; balb barauf (1818) rüdte
er in bie jroeite ^profeffur auf unb mürbe ©omr/err ju SReifjen. ^ngtoifdjen iDar e^ne
neue $eit für SSaterlanb unb $ird;e angebrochen. ©d;merjlid; beflagte SE^fd;irner ba§
35 llnglüd ©acb,fen§ unb ba! ©Reitern jener grofjen Hoffnungen, mit benen er unb alle
Patrioten ber 9Rcugeftaltung ©eutfdjlanb! entgegengefeljen Ratten; aber er belämbfte ben
^effimiSmug, bem fid) biele ergaben. 23 or allem fei, malmte er, @in§not: bafs bie Äird^e
bie fer/toergebrüften 33ölfer um fid; berfammle, ifmen ©lauben unb Siebe brebige, unb bie
bem blutgetränlten 33oben ber &\t entfbroffenen üeime beg ©uten bflege unb fd;ü|c.
40 (^ßrebigten bon Slgfdjirner, 2. ©amml., Seidig 1816.) D^ne anbere Iird;en ju mieten,
mar er boeb, bon ber Überzeugung burcf)brungen, ba^ nur bie toroteftantifcfye ^ird)e, beren
frommen unb freien ©eift er t>ö|er feilte alg beren ©laubensf^mbole, bie Sebürfniffc
einei reiferen ©efdjled)t§ befriebigen lönne, feine Sofung mar: ba! ©fyriftentum ift ba!
§eil ber 2Mt unb unfere Äird;e bie erftabenfte unter if)ren ©4»toeftern. 3Jitt 33ecj?ifterung
45 beteiligte er fid; an ber geier be§ Steformationgjubiläumö bon 1817, unb unabläffig mar
er bemüfjt, nid;t nur „bie 2lufnal)me be§ §errn in bem ©efcfylecfyie feiner 3«t ?« förbern",
fonbern aud; Iircl)lid;en ©inn ju meden unb %u. ftärlen. ©od) betämbfte ^fcf)irner nidjt
blo| ben Unglauben unb ben QnbifferentiSmuS, fonbern aud; ben miebererftarften Siafyolh
ciämug, ebenfo lat^olifierenbe unb fcfjmärmerifctte 9üd;tungen, meldte innerhalb ber brote=
50 ftantifd)en Äirdje auftauchten, in^befonbere aud; ben „alle Prüfung bämbfenben" pettemuö.
Unerfdmtterlicb, feft mar er babon überzeugt, ba^ bie 3Babr&ett in biefem bobbelten S^ambfe,
gegen Unglauben unb Aberglauben, ben «Sieg behalten merbe, unb bie Sürgfc^aft bafür
fanb er in bem bobbelten «Siege, ben fie bereinft bei ber @infüt)rung be§ ©^riftentumS
in_ bie I)eibmfd)e 2Belt unb im Zeitalter ber l?ird;enreformation babongetragen b,atte.
55 liefen beiben 53egebenb,eiten unb ben gelben berfelben, Paulus; unb Sutfjer, mibmete
^fd)irner ftets ba§ tieffte ^ntereffe. ®ie erftere 33egebenb,eit Batte ilm fdjon in ber
^ugenb mächtig angezogen, im ^ab,re 1814 fafcte er ben 33efd)Iu^, fie au§füb,rlid; bar=
guftetten in einem SBerfe, melcb,e§ ben %itd: „®er %aü be! §eibentum§" führen foßte
unb bon nun an ben 2JätteIbunft feiner miffenfcb,aftlic|)en S^ätigfeit bilbete. 2tber oft
60 marb er bon biefer Sefcfyäftigung mit ber Vergangenheit abgezogen bureb, fein lebenbige!
S-jfdjmicr 181
^ntcrcffc an ben ©rcigniffcn ber ©egenroart. 211S bie ©rieben fidj jum Itamtof für ifyre
)yreit)eit erhoben, griff er fogletcb, -mr geber, um „menfct/licfye unb ct)rtftlid)e SLeilnafyme"
für baS unglüdlictje 33oll ju ermeden (®ie ©act)e ber ©rieben bte ©ac^e GurotoaS,
^eitojig 1821, togl. baju bte ^rebigt: ®ie Silage ber Siebe unb ber £roft beS ©laubeng
über ben ftaß unb bie ©rangfale ber Söller, ib. 1821). S3or aßem maren ei bie 93e= 5
ftrebungen ber iatt)oItfd;en £>ierardne, Voeld^e feine Aufmerlfamteit unb feine 2Bad)famfett
in Anftorud; nahmen. 3Jcit für)nem greimut, aber and) mit unerfd)ütierlitfyer Nut)? unb
ii'ürbc, retooluiionärem Ungeftüm ebenfo feinb als reaktionärer 23ergemaliigung, fyat er
für bie ©ad)e beS 'JßroteftanttemuS geftritten in ben ©Triften: £)er Übertritt beS £errn
b. #aHer jur latfyolifdjen J!trd)e, beleuchtet je, Seidig 1821; $roteftantiSmuS unb 10
Mat|oIict§nmä auS bem ©ianbtounlie ber $olitil betrachtet «., Seidig 1822, 4. 2tufL,
mit einem ©enbfd) reiben an ben 2lbt $red)tl, ib. 1824 (biefe ©djrift mürbe ^toeimal ins
granäöftfd;e, and] ins §oßänbifd)e unb @rtgtifcr)e überfe^t); $ie ÜRücHefyr fatfjolifdjer
libriften im ©roPerjogtum 33aben jum ebangelifct)en ßbjiftentume (betr. bie ^enböfetfebe
Angelegenheit), Seidig 1823, toter Auflagen; ®ie ©efafyr einer beutfd)en ^ebolution, 15
t'ettojig 1823, groet Auflagen ; £)aS ^ealtionSfr/ftem bargefteßt unb geprüft, Seidig 1824;
3it>ei Briefe burd) bie jüngft ju ©reiben erfdnenene ©cfyrift: ©ie reine lattmlifdje £eb,re,
beranlafjt, Seidig 1826, §mei Auflagen ; anonym erfdrienen bie 33rofcr)üren: ®tc AnHagen
ber ©tunben ber Anbadjt (biefeS SBerf gfct/olleS mar befonberS toon latfyolifcfyen ©d)rtft=
(tellern arg toerläftert morben) gemürbigt jc, granlfurt 1826; 23orfteßung eines ©taatS= 20
manneS im AuSlanbe an einen beutfdjen dürften (betr. ben St'onfefftonSmectjfel bei IJerjogS
bon Äötfyen), ^annober 1826. ®ocr) ntd)t bloß ber Serteibigung feiner J?trd)e, auet) anberen
tDtcr)ttgert Angelegenheiten berfelben, toomefymlid) and) ber Seförberung tfyeologifdjer ©tubten
mibmete ^fcfyirner fein Qntereffe unb feinen litterarifdjen gleiß. ©0 fcfyrteb er im 3ln=
fd)luß an SörgS SBet! über bte @b,e (Seidig 1819) toter Abfyanblungen über baS 3Ser= 25
bahnte ber $ird)e jur @b,e, in meldjen er eine 9tetotfton beS @t)erec&tä befürmortete, aber
bie gibtlefye bermarf. gerner Veröffentlichte er ein ib)m abtoerlangteS „©utacfyten über bie
Annahme ber ?ßreu^tfct)en Agenbe (Seitojig 1824, jtoei Auflagen), morin er bte Ablehnung
biefer, jtoar gut ebangelifcfyen, aber otme 9Jcitmtrlung lircfylicfyer Organe juftanbe gelommenen
unb ungenügenben Siturgie bei fretgefteßter 2öat)I billigte, bie Annahme berfelben aber, 30
toenn fie befohlen merben fußte, nid;t ju toermeigern riet, übrigens eine grünbücb.e Reform
beS Kultus forberte, toor aßem aber ©infüfyrung toon l^irc^enborftänben unb ©t^noben an=
emtofaf)!. @ine Anjaf)! feb,r intereffanter ©toffe b,at ^fcb,trner mit toielem %ki$ be^anbelt
in feinen Programmen: De sacris ecclesiae nostrae publicis caute emendandis,
Lips. 1815. Ecclesiae et academiae Evangelicorum quid mutuo sibi debeant, 35
1817. De claris veteris ecclesiae oratoribus, 1817 — 1821. Graeci et romani
scriptores cur rerum christianarum raro meminerint, 1824sq. De perpetua
inter catholicam et evangelicam ecclesiam dissensione, 1824. De causis im-
peditae in Francogallia sacrorum publicorum emendationis, 1827. De religionis
christianae per philosophiam graecam propagatione, 1827. (Snblid; finb bie fe^r 41)
gefdwtjten 3eitfd}riften namhaft ju machen, welche %tfd)ixmx teils aßetn, teils in 3Ser=
btnbung mit anberen ©elebrten Verausgab: SRemorabilien für baS ©rubrum unb bie
atmtSfüfirung beS ^rebigerS, Seidig 1810—1821, 8 Sbe; Slnalelten für baS ©tubium
ber egegettfetjen unb f^ftematifd)en Geologie, herausgegeben toon ®etl unb ^fd}irner,
Seidig 1812—1817, 3 Sbe, 4. Sb herausgegeben toon @. %. R. 3tofenmüßer unb ^fcbyirner, «
1820—1822; 2lrd)ito für alte unb neue $ird)engefdnct)te ^ausgegeben toon ©täublin unb
Ijfd)irner, Seidig 1813—1822, 5 Sbe, unb: Etrct)ent)iftor. 2trd)ito, herausgegeben toon
Stäublin, ^fetnrner unb SSater, §aße 1823—1826, jaultet) 4 §efte; SRaga^in für
cbriftl. ^rebiger, Seidig 1823—1827, 5 33be. 3Son ben galEjIretcben Auffät^en, meiere
^jfct)trner in biefen ober in anberen ßeitfet/riften toeröffentlicb.te, ermähnen mir nur 50
folgenbe: Über bie 33enu|ung ber ©efdjtd)te in Äangeltoorträgen (SJtemorab. 3.33b, l.©t.);
Sie 93erfcbtebent>ett ber bogmatifdjen ©t)fteme lein §inberniS beS gttxdte ber Rixdjc
Ocagajin f. ^reb., 1. 33b, 1 ©t); Über ba§ SebürfniS einer zeitgemäßen ^polemil in
ber eb. ßirdje (ib. 3. 33b, 1. ©t.); 2öie gefc^ar) eS, baß granfreid; latb.olifd} blieb?
(;13öli|, 3abrbüd)er ber ©efd)icr,te, 1. Sb, 3. ©t., 1828). — 3öie ^fd)irnerS fd>rift= 55
ftcHertfd)e Xf)ätigleit, fo nafym aud;, unter bem ©influffe ber Stiftung unb beS ©rfoIgS
berfelben, feine alabemifd)e unb b,omiletifcb,e Söirlfamleit feit 1815 unb 1817 einen neuen
äluffdifoung. ©einem ?ßrebigtamt lag er mit eblent Sifer unb in fo erfolgreicher 2Qeifc
°b, bafe er ben fjertoorragenbften ^rebigern fetner 3eit beigejäf)lt mürbe (bgl. 33b XV
2. 096, 2« ff.). 60
182 £3fcf)h'l,ei' lNnquität
Sjfcfymter mar ein lebensfroher, fräftiger vtnb rüftiger 3S)cann bon anfdjeincnb guier
©efunbt)eit. 5ßlö|lid) aber, im $ar)re 1.823, warb er bon einem rätfelljiaften 23ruftleiben
befallen, meines ber Äunft ber beften Strjte Rottete. Sluct) bie Quellen bon @ms
unb granjensbrunnen brauten leine Teilung. 2lm 2. gebruar 1828 betrat er jum
6 Ie|ten 9Jcale bie Handel unb prebigte, im 23orgefüf)l feinet %obes „bon ber Setlnafyme an
ben menfcpcr/en fingen, toelcfye bleibet, aud) Wenn bie Sebcnsluft unb bie Sßeltliebe ber=
geb,et" (£gf<f)imers Ie$te Sßorte an t)I. ©tätte gefbrod)en, Seidig 1828). Waü) turpem
Iranfenlager, entfcfylief er, 49 %af)n alt, am 17. gebruar 1828.
®urcf) feinen fo frühzeitigen £ob tourbe %$d)\vmx berf/tnbert, manches fdjon be=
10 gonnene 2Bert ju boftenben, manches erft borbereitete (j. 33. eine ©dnlberung ber Äirdje
feiner geit) auszuarbeiten. ®ocr; b)aben treue greunbe fid) feines litterarifcfyen 3Zad)Iaffes
mit bieler Eingebung angenommen. @ine 2lustoat)I bon 'Jjfc^irners Sßrebigten (aus ben
Sauren 1817—1828) beranfialtete Slrc^ibialonus ^ßrof. ©olbfyom, Seidig 1828, 3 33be,
2. SCufl. 1829, 4 33be. 23on bem unbollenbeten Söerfe „$er %aü bes £eibentums" ber=
15 öffentliche 20. -Jiiebner ben 1. %til Seibjig 1829. ®ie „33ortefungen über bie dmftlicfye
©laubensler)re" würben bon $. §afe herausgegeben, Seidig 1829. ®ie afabemtfdjen ^ßro=
gramme fammelte Dr. Söinjer: Tzschirneri opuscula academica, Lips. 1829. S)te
(unboK.) „^Briefe eines £)eutfd)en an bie §erren 6t)ateaubrianb, be la SRennais unb
■äJJontlofier über ©egenftänbe ber Religion unb ^olitif" beröffentlid)te ^3rof. $rug, Seibjig
20 1828, eine frcmjöfifdje ^Bearbeitung berfclben beforgte Honfiftorialrat 9Jiäber, $aris unb
(Strasburg 1829. Dr. ^. 2R. Sgfdjtrner t-
it.
U6ertitto be Gafale f. b. 2t. %-xan% bon Iffifi 33b VI ©. 211,54.
ülitquttät — Sitteratur: 3tettberg, Gccam unb fintier, SC^StÄ 1839, 33b 1 S. 69 ff. ;
25 g. (St). Sßaur, Sie Set)re u. b. Sreteinigfeit it. 5öcenfd)tt)eibung @otte§ 23b III, 2üb. 1843;
St. (Sbrarb, Sa§ Sogma Dom b,t. Stbenbmabt u. f. ©efd). 2 S3be, grauffurt a. Wl. 1845 f.;
®afjni§, ®je Setjre bom Slbenbrnaf)!, Seipjig 1851; §. £er>be, ©efd). b. beutfcr). ^roteft. in
ben Sauren 1555—1581 4 33be, Harburg 1852 ff. ; berf., Sogmatit b. beutfd). $roteft. im
16. Igaljrtjunbert 3 33be, ©ottja 1857; 2t. @c£)roei§ev, Sie broteft. Kentratbogmen in it)rev
30 (htthricfelung. in ber ref. Sirdje 2 SSbe, Qüitd) 1854 u. 56; Siecffjoff, Sie eüang. Slbenbma|l§=
ie^re in ber 8teformation§sett 33b I, ©ött. 1854; ©. SljomaftuS, etjrifti $erfun u. 2Berf II,
2. Stuft., (Sri. 1857; ©djnecfenburger, SL-ergl. ®arftet(ung be§ luti u. ref. £et)rbegrtff§, @tutt=
gart 1855; berf., 3ur firctjl. etjriftologte, ^forj^. 1848; ©. Steitj, 9(rtt. £ran§fubfianttation
unb Ubiquttät in ber 1. Stuft. btefeS SKerteS; 3. ?f. Sortier, (£ntwicleluug§gefd)tc£)te ber Seöre
35 Hon ber ^erfon (Sbrifti 2. 9luf(., 33-eitin 1854; ©. ^titt, einteitung in bie Stnguftana 2. £(.,
Erlangen 1867 f.; g. .Sp. 9r. granf, Stjeologte b. eoncorbienformet 4J(e., 1858— 64; <g. @d)mib,
Ser Santbf ber tutb. Itidie um Sutt)er§ Se^re ooni Slbenbmatjl, Setpjig 1868; &. ©djulfi,
Sie Sebie »on ber ©ott^ett ß^riftt, ©otfja 1881 ; 3. Äöftlin, Sutbere Geologie 2 33be, 2. Stuft.
1902; ®. ©. ©05, Sie Stbenbma^föfrage in it)ver gefd)id)ttid)en (£ntintcfelung 1904. Sopt
40 bie Sogmeugefd)id)ten «on §arnad, Sbomafiuä=@eeberg, (geeberg, SoofS; bie ©efd)id)ten ber
prot. Sbeot. u. S. St. Sorner, ©af; unb ©. gianf, fowte bie "neueren Sogmntifen, bie Slr=
lifet biefe§ 3SerfeS: Slbenbmnbt II (33b I, 38 ff.), Gfjriftologie (IV, 16 ff.), Communicatio
Idiomatum (IV, 254 ff.), fienofiä (X, 246 ff.), ^bitippiften (XV, 322 ff.), ©tanb e^rifti (XVIII,
755 ff.), Stuttgarter Sljnobe (XIX, 116 ff.), Srangfubftantiatiou (oben @. 55).
45 1. Ubiquttät ift bie bon ben Steformierten getorägte (33renj, Opp. VIII p. 932 Ed.
Tub.) 33ejeid)nung für bie bon Sutfyer in bem großen Slbenbmab^Isftreit be^aubtete un=
räumliche (repletive) Mgegeniuart bes Seibes ß^rifti. Obwohl Sutb^er unb feine 3Rad}=
folger biefe 33eb^aubtung für eine blofje ^ebriftination alt!ircb,lic|er Sel)re r)ietten (@2l 46,
366 bei Soofs, ©ogmengefcb;. 4. Stufl. ©. 811 3lnm. 5), fo ift eine foldje Ubiquität bod}
50 roeber bon ben griecb)ifd)en nod) Iateinifd)en 33ätern gelehrt, fonbern im ©egenteil meb^r=
facb) ausbrücflid) abgeroiefen toorben. ©enau betrachtet faKen alte fd)einbar ubiquitarifd)en
Slusfagen ber morgenIänbifcb)en Äircb)en leerer bon Drigenes bis jum ©amascener, aucb) bie
ber Jtabbabojier, bes Seontius unb^obannes felbft, unter bas genus idiomaticum refb.
apotelesmaticum, b. i). fie behaupten auf ©runb ber (Einheit ber Naturen bie logifcb^e,
55 nid)t bie reale Übertragung ber ©igenfdjaften einer Statur auf bie anbere, alfo nur ävri-
dooig ober xoivcovia xh]oewg ober övo/udrcov, nicb)t eine avtidooig idicojudrcov im
eigentlichen ©inne bes 2Bortes, obtoof)! biefer älusbrucf bei Seontius unb bem 5Damas=
ltbiquitüt 183
ccncr toorfontmt (£oofg a. a.D. ©. 812 Slnm. 1; ©teitj a. a. D. ©. 560). ;3)aS genus
majestaticum bleibt in ber griednfcfyen ßtrcfye nod) unauggefagt. äluguftin, beffen lofale
äluffaffung ber dextera dei gegenüber ber illoMen be<§ 2)amagcener§ im Mittelalter
unb flötet bei ben Sieformierten unb 9Mandjtl)on ©eltung behalten fyat (Srenj: Cing-
liani jactant suum esse robur), unb bei bem ftcr) nict)t einmal mit ©icfyerfyeit bie ö
vcaliftifd^e Sluffaffung ber ©egenWart be<§ £eibe£ @l)rifti im Slbenbmab^l nad)Weifen läfjt,
bat bie SlllgegenWart 6l)rifti auf feine göttliche 9Zatur befcfyränft (in Joann. Ev. 50, 13
MSL III, ©. 1703). Sag fytnbert ibjt natürlich nidjt, bon ber Dmnibräfeng „Sfjrifti" ju
ftorcdjcn (de Gen. ad litt. XII, 35, 66), ja beg totus Christus (Epist. 137, 3, 7).
2. %üx bie ©d>olaftif gewinnt bie grage ber Dmnitoräfeng in bem SJfafje an ^ntereffe, 10
ahi bie ^ealbräfen^ be£ £eibe3 ßfmfti im 2Ibenbmaf;l fid) Iird^Itct)e ©eltung berfdjafft unb
bann in ber Xran§fubftantiation<oIefyre ifyre Xf>eorte erhält. 3luguftin bleibt babei in
cvftcr Sinie mafegebenb. _(§ugo a ©t. $. de sacram. II, 1, 13: Quod Christus
secundum humanitatem in coelo est, secundum divinitatera ubique). ®ie ©d;Wierig=
feit, bie burefy biefe Sluffaffung für bie 33erftänblid;macr/ung ber 9tealbräfenj entftefjt, bleibt 15
nod) Verborgen (cf. Qnnoceng III. de sacr. alt. myst. 4, 16). 21uf ben Sombarben unb
iboniag b. 2lqu. gewinnt bie Unterfdjetbung be§ £>ama§cener§ jh)ifc§en bem ßr/riftug abo
totus unb totum ©influfe. 2113 totus ift ßb/riftu3 überaß infolge ber (Einheit ber
s}krfon, al3 totum b. b- ^nBegrtff beiber Naturen nid)t. (©tei| a. a. D. ©. 561.) £>a=
mit ift bie Dmnibräfeng bes £eibe3 abgeliefert. Sie ^erfon 6b,riftt ift eben nad) ber 20
2lnI)bboftafi3 be§ £eontiu§ Wefentlid) ber £ogo3. Sie ©ottfyeit folgt jWar ber 3Jcmfd)I?eit
überallhin, rttcE)t aber biefe jener (t>gl. Siel expos. can. miss. lect. 42 0.). SDie 9lab=
berufne Raffung ber ©egenwart be§ £eibe<§ ermöglicht nod; bie 2luffaffung, bafj jebelmal
burd) ein 9)iira!el ad hoc ber £eib au§ bem Sorot burdj bie Äonfefration neu gefcfyaffen
Werbe. 3lrno bon 9?eid;er^berg (geft. 1175) Iet)nt ben ifym bon golmar bon Xrieffenftein 25
gemacf)ten SSorWurf ber Ubiquttätslefyre energifd) ab (non quod doceamus sicut Fol-
lis ille amarus nobis imponit, corpus Christi quod sumimus non aliter in
tarn multis loeis simul esse posse, nisi Christus corporaliter sit ubique, sed
quod virtutem specialem in corpore Christi essendi ubi ipse voluerit, praedi-
cemus. Et haec quidem facultas in eodem corpore Christi etiam adhuc mor- 30
tali erat, sed donec tempus dispensatoriae oboedientiae transiret, exercenda non
erat (Apolog. 162 bgl. $ßa$, ®@. b. 9K. II, 685). ®a§ Wäre alfo 9JMtibolibräfenä.
5Da§ ift aud) bie 3luffaffung be§ £ombarben: Intelligendum est, corpus Christi
esse in uno loco, scilicet visibiliter in forma humana, veritas tarnen ejus i. e.
divinitas ubique est, veritas etiam ejus i. e. verum corpus in omni altari est, 35
ubieunque celebrandum est (bgl. ©teiij a. a. D. 563). „@r beraubtet alfo bie UnU
bräfen^ be§ ertöten £eibe3, bie Dmnibräfenj ber ©ottfyeit, bie SDMtibräfenj beä fafra=
mentlicfjen £eibe§" (bgl. bagegen (Sbrarb, 2tbenbmal)l I, 493 unb ®iedl>off, 2IbenbmafyI
S. 136 mit ©teit3 a. a. D. 563). £)te§ tft im Wef entließen bie 2lnfdmuung ber ©d;olaftif
geblieben. Übrigeng gel)t au§ bem 2lrno=Sitat b^erbor, baft bod; bie gbentttät beö eud)a= 40
riftifcfjen mit bem r/immlifd)en £eibe feftgeb^alten mirb, ba boct; biefem bie virtus speci-
alis essendi ubi voluerit bittbi^iert toirb, it)ien)ob,l ber l)immlifd)e £eib ganj nad; 3tna=
logie beg menfcfylidjen £örber§ gebaut iourbe, nur baf$ er bo« biefem bie ©igenfcfoaftert
ber impassibilitas, subtilitas, agilitas, claritas boraug Ejatte. 5Die fdjtnterige 5ra9c
roar nun bie, roie biefer im .»oimmel jirfumflribt ejiftierenbe, mit ben @igenfd;aften ber a
Quantität unb S)imenftonaIität behaftete £eib in ber £oftie anftatt ber Srotfubftanj ^u
fein bermöge. 2llbert b. ©rof$e fudjte fid; au§ biefer Kalamität burd; bie Unterf Reibung
bon corpus grossum unb corpus spirituale ju Reifen. 9?ur „per modum corporis
spiritualis" fei bag corpus gloriosum Christi in ber §oftie (£oof3 a. a. D. 581 u. 2lnm. 6
ällbert, Sent. 1, 13 a. 10 opp. XVI, 196). Analogie roar ba§ £id)t, ba<§ bon einem Drtc 50
au§ an allen gegenwärtig fei. ^n Serbinbung mit ber fog. ©ubtntrationStfyeorie (£oofg
a. a. C. 581) mufjte freilief) biefe 2luffaffung jugleid; mit ber ^täumlidjleit bie Sßirflidtfeit
beö Corpus Christi in ber £oftie in grage ftellen. Sonabentura unb Xb.omaS fugten
be^balb bie quantitas dimensiva corporis Christi al§ in ber §oftie gegenwärtig ju
erweifen unb bamit biejenige 2luffaffung ber ©eingreife eineg ^örber§ ju berbinben, bie 56
fbäter £ccam al§ esse diffinitive bejeid;net bat: quando aliquid est in loco sie,
quod totum est in toto et totum in qualibet parte (©tei£ a. a. D. 504; £oof3
a. a. £. 581, bgl. bamit bie ältere 2luffaffung be3 esse diffinitive bei 2;bD>"ag in
©dmlä, £Boma3terjton 2. Stuft. 450. bgl. £oofS a. a. D. ©. 019). ®cr äöiberfbrucb.,
ber fid) barauö ergiebt, beftebt barin, bafj ber in ber §oftie gegenwärtige Seil gugteidf) 60
184 Itbtquttöt
quantitativ unb nicf}tquantitatit> borgeftellt ioerben mu|, maS Sonabentura offen genug
jumutet „habens suam dimensionem" unb boct; „non dimensive" (Sent. 4, 10
art. un. qu. 4 conel. IV, 2236) — unb %i)oma§ bialefttfcf) gu rechtfertigen fudjt (£oofS
a. a. D. 582). Dccam ift eS, ber biefe auf ber realtfttfcfyen Saum= unb QuantitätSlefyre
5 aufgebaute £eb,re bon bem ©ein beS er.tenfiben £eibeS 6f)rifti in ber £>oftie „sed non
dimensive" fritifcfy auflöft. Sie Quantität ift tr)m etma§ ©ubftantielleS, baS ein esse
circumscriptive inbolbiert. %lux ben quantitätstofen Singen eignet baS esse diffini-
tive (bgt. oben). SDeö^alb mufs ber Selb Sfyrifti als ein non-quantum in ber £oftie
feienb gebaut toerben. Samit lenlt Dccam gu ber urfbrünglicl)en gaffung *>« ©cfyolaftii
10 gurücf, nur bafs er bie ©ubintrationStfyeorie berfelben burcb eine Slrt SonbenfationStfyeorie
erfetjt, ber gufolge burcb, göttliche SMmacfyt eine ©ubftanj big ju ber räumlichen 2tuS=
befymmgSlofigfeit eines matfyematifcfyen fünftes fcerbicfytet werben fann. greittcf; war bie
Zumutung, bie Dccam unb mit ifmt Siel baburd) ftellien, in jebem SItom ber £»oftie
ben bollftänbigen orgamfdjen £eib (Sfcrtftt mit ,§aut unb paaren unb aßen ©liebern
15 bunftueß antoefenb ju benlen, nicf)t gering (bgl. fyierju ©tei| im Slrt. SLranSfubftantiaiion
in ber 1. Auflage biefeS SßerfeS 335 ff.; Stettberg, Dccam unb £uu)er a. a. D. ©. 81ff.;
Dccam, Sent. IV qu. 41it. E. G. H. K. L. unb tract. de sacr. alt. ©inleitung Bo. D.;
Siel, Expos, lect. 43 O. P Q.; £oofS a. a. D. 619; ©eeberg a. a. D. 189). 3a Dccam
get)t nocr) über baS esse diffinitive beS £eibeS in ber §oftie fyinauS. Stuf ©runb beS=
20 felben unb ber 2lHmact)t ©otteS folgert er in fbi|ftnbigfter Sialeftif toemgftenS bie 9Jlög=
licftleit (rttd)t 2BtrIttdE>Sett gegen 9Rettberg) beS esse repletive unb bamit ber Ubiquität
beS £etbeS Sf)rtfti. (5fiäf)ereS bei ©tei$ a. a. D. ©.338 ff.; £oofS a. a. D. ©. 619f.)
(Ir Iel;rt alfo 1. baS faftifcfye esse repletive ©otteS, 2. bie lofale Unibräfeng beS £eibeS
ßbjiftt im §immel, 3. bie quantitäiSlofe bunftuelle SSJMtibräfeug beö £eibeS (grifft in ber
25 §oftie, 4. bie 9JJöglicf)feit ber Ubiquität biefeS £eibeS im 2111 (Dccam Sent. IV
qu. 4 N. — quia potest esse in diversis locis simul immo ubique per poten-
tiam divinam non virtute propria), Worin ifym aber Siel nicfyt gefolgt ift (£oofS
a. a. D. 620) unb ©erfon auSbrüd'licr) Wiberfbricfyt (bgl. Hermelin!: Sie tr)eoIogtfd)e
gafultät Tübingen :c. ©. 131 Slnm. 6). Sin btefe bialefiifdje Urgierung einer fyfybo=
30 tb,etifd;en Ubiquität beS £eibeS ©Brtftt burcb, Dccam fnübft £utberS Segrünbung ber Ubi=
quität an.
3. Sie urfbrüngltcfye ©aframentSauffaffung £utl>erS ift gang an bem ©egenfat}
gegen baS römifct/e opus operatum orientiert. 21m Sufjfaframent Ijiat fie ficb, gebilbet.
Ser ©laube an baS SlbfoIuttonSWort Wirb bereits in ben ©ermonen bon 1516f. gu bem
35 entftfjeibenben 2Roitb. SaS Söort ift ba§ ÜSkfentlitfje im ©alrament, ber ©laube bie
»ai)re S)i§^ofition. „Sacramentum non justificat, sed fides sacramenti" (Sermo
de poenit. 1518 2Ö21 I, 314). Sie f^ififc^e faframentliclje ®ah?f bie £utb,er f^äter
menigftenS in feinen $rit>atfcf)riften fo feb,r in ben Sorbergrunb rücft, tritt nocb, hinter
3Bort unb ©lauben, ben lonftituierenben Momenten be§ ß^riftentumS jurücf. ©o aucb,
4onoc^ in ben ©a!rament§fermonen bon 1519 (SB2UI, 709 ff. 727 ff. 738 ff.). Sie $aupU
facb.e im ©alrament ift bie expressa promissio divina, quae fidem exercet (£oof£
a. a. D. 732 Slnm. 1). Qebod) belennt ficb, £utb,er im 2lbenbmaf)I§fermon »on 1519
(SßSl II, 738 ff.) auSbrM'licb, jur Sieatyräfenj unb XranSfubftantiation (©eeberg a. a. D.
272f.). Sie§ änbert fiel) 1520 in ber ©d;rift: De captivitate babyl. (2M VI, 484 ff.).
45 2öäf)renb fner baS alte ©ett)icl)t auf bie promissio, ba§ verbum, bie ©ünbenbergebung
unb ben ©lauben fällt, als baS ©emeinfame in allen ©alramenten, bem gegenüber
fpe^iell im Slbenbmafyle baS „ßffen" gurücltritt (©eeberg a. a.D. 274), wirb bie „%ran§=
fubftantiationSlefyre bureb, bie bereits bon Dccam em^fofilene ^onfubftantiationStb,eorie er=
fe|t" (£oofS a. a. D. 735), ofme jeboeb, jum ©laubenSartifel gemalt ju Ir-erben. Sluf
so bie Serftänblicfymac^ung ber 9Jtöglicf)feit -biefeS SeifammenfeinS bon Srot unb £eib roirb
auSbrücHirf; toergte^tet, bie ^£E>atfact)e als allgemein cb.riftlic^ aber feftgef)alten. Sie Jlon=
fubftantiationStb,eorie befagt an ©teile ber Serwanblung ber Srotfubftan^ in ben £eib
(S^rifti bie fubftantielle toeEiftenj bon Srot unb £eib. Slnalogie ift bie fubftantielle Äo=
ejiftenj ber beiben Naturen gtirifii in einer ^erfon (©te«3, Ubiquität 565). 2tucb, bieS
55 nacb, bem Sorbilb ber ^mpanationStfyeorie ber ©cb.olaftii SaS ©ein beS £eibcS im
Srot toirb öorgeftellt nact) ber SBeife beS esse diffinitive DcamS, fo bafj ber gange £eib
unauSgebeltnt in jebem ^eil ber §oftie gang borfyanben ift. SaS alte Silb bom glüb,en=
ben ©ifen taucht mieber auf. 3U "nem ^trtauggeben über biefe bon Dccam bereitgcftellte
SorfteHungSroeife mar gunädjft für £utl»er fein ©runb oorfyanben, ba bie ©act)e felbft
eo unbeftritten toar. Siefer unb bamit baS 3)?otib gur UbiquitätSleb,re ftellte ficb, erft ein,
ttWqnttät 185
nad)bem bon feiten ÄarlftabtS unb bann groingliS bic Slealbräfeng bc§ SeibcS geleugnet
unb eregetifd; tote ^if)tIofo^^ifd^=tl;eoIogtfc^ totberlegt tourbe. ®a€ ©igttal ju bem großen
:!lbenbmar/lsftrett gab ^arlftabt burd) feine Toi>To-@Eegefe, bie bie 3?eal^räfenj aufhob.
3>3 toar allerbingg für Sutb/er ein frebelb/afteS Stntaften beS 2ttterr/eiligften, beS 6r)riftu&
toortes. ©einer Söarnung „an bie ©Triften p ©trafeburg" (15. Sejember 1524, ©St 53, 5
270 ff-), bie aud) baS berühmte ©eftänbmS (©. 274) enthält, folgt alSbalb bie erfte grofce
bolcmtfcfye ^benbmal)I§fd)rift: SBiber bie I)tmml. ^robb/eten bon ben Silbern unb ©afra=
menten (G21 29, 134 ff.). ®er ertgetifcJje 255irflid)feitöfinn Sutb/er§ erfcfyeint Jjter neben
einer unerreichbaren bolemifctjcn (Sabe in feinem glänjenbften Sidjt. ©iefe ©cbjift ent=
halt bie erfte Segrünbung ber fog. ftmefbocfyifcfyen Sluffaffung ber 9tealbräfen;$, ja aud) bic 10
erften Slnbeutungen ber Ubiquität3ler)re. ©rftere fann fner nur !urj berührt toerben
(toeitercS bor allem bei SDtedr/off a. a. D. ©. 368 ff.). Sutfyer toul unter bem rovro
jtoar baS 33rot berftanben toiffen, aber nicfyt als auSfcfyliefjticfyeS 33rot, fonbern fofern eS
bereite mit bem Seibe (S^vifti eine faframentlicfye ©infyeit bilbet, alfo baS ©anje bon Srot
unb Seib. ®abei ift aber &u beachten, bafs baS rovro, alfo bie faframentlidje @inl)eit, 15
nief/t cttoa erft baburd) &u ftanbe lommt, bafe baS Srot gebrochen, gereicht unb bon bem
})(unbe aufgenommen toirb, alfo burd) bie §anblung, ben usus. @§ ift nidjt baS „ge=
banbelte 33rot", fonbern nact) Sutb/erS au§brüdlid)er Gsrflärung ift ber Seib bereits im
33rot, alfo baS rovro fd)on ba, efye ba<3 23rot gebrochen roirb „unb muf? ja im 23red)en
(ber Seib) fein brinne getoefen, ^auluS lüge benn (280)" 35aS ungebrochene SBrot in 20
ber öanb $efu ift baS rovro, infofern eS fcfyon ben Seib enthält. $)ie3 ift toidjtig für
bie ÜbiquitätSauffaffung SutfyerS. ü&kmt ßbjiftuS alfo fagt: bieg ift mein Seib, fo nimmt
er ba§ totum (SBrot unb Seib) pro parte (Seib). ®a3 ift bie — fbäter bon 9Mand)=
tbon mobifi^ierte — ©r/nefbocfye Sutb>r3 (@3l 29, 266 ff. 30, 298 f.). ^ntoiefern bie
babei herangezogenen 3lnaIogien (feuriges @ifen, befeelter Seib, ©ottmenfd^eit, $inb in 25
ber Söiege jc.) ber Skranfdjaultcb/Ung ober gar bem Setoeife bienen, fümmert uns r)ter
ntd^t. 3)aS, toorauf eS anfommt für Sutt)er, ift einerfettS bie 2Birflid;fett ber ^ßräfenj beS
SeibeS im 33rot fid^ufteHen, anbererfeits gleichzeitig eine grobe unb äufcerlidje ^benti=
fifation unb SBermifdmng ber beiben ©ubftanjen auSjufdrtiefsen (@2l 30, 298 f.). Sutb/er
roiH alfo bie übernatürliche fa!ramentale Gühtr/eit bon SBrot unb Seib unbefdjabet tfyrer 30
fubftantieüen ÜBerfdnebenfyett unb Integrität in bem rovro feftb)alten.
3ur SBegrünbung ber Ubiquität§lel)re unb bamit %u einer nid}t nur für bie 2tu§=
bilbung ber Iutl;erifd)en Slbenbmaliföle^re, fonbern aud} für bie gortbilbung ber ßb^rifto=
logie, ja für bie gefamte Iird)licr)e unb fird)enbo!itifd)e ©nttoidelung ber ©inge fo!gen=
l'djtoeren bogmatifd;en Seftimmung rourbe Su%r erft burd; ba§ luftreten groingliS unb 35
DefoIambabS gegen bie Stealbräfenj be§ Seibe§ im 2tbenbmar/l gebrängt, ©ie erften 3ln=
beutungen biefer Sel)re finben ftdt) ^roar nid)t bor bem ^ah,™ 1525 (mit ©tei| a. a. D.
5ii8 gegen ^omafiu§, ®iedb,off, Hübel in ^9J@2 2trt. Ubiquität 122), roob/I aber bereits
in ber ©d)rift roiber bie r)tmmltfd;en ^robfyeten. ®enn wenn t)ier bon ©b>tftu§ gefagt
tnirb, ba^ er „altentb/alben fei unb alles erfülle", „an aßen Drten, ©tätten, Reiten, 40
"Ikrfonen frei fei", fo würben biefe Slusjagen burd; bie 23efcr)ränrung auf bie göttliche 9Jatur
(Sfyrtftt jebe SSeiocigfraft für bag, roa§ fie bemeifen foltert, nämlid; bie leibliche ©egentoart
berlieren (@3l 29, 293 ff.), ^nbeffen ift jujugeben, bafc eine au§brüd'Iicb,e Sebre bon
ber Ubiquität erft bureb, ben „©ermon bom ©alrament be§ SeibeS x" bom 29. 2Rär(^
1526 (621 29, 328ff., 2S2( XIX, 482 ff.) angebahnt unb in ben großen bolcmifdien 45
©Triften gegen ^mingli unb Defolambab, „bafe biefe 2öorte, ba§ ift mein Seib, nod;
foftfteb,en" bom SJfärj 1527 (@3l 30, 19 ff.; 2B21 XXIII, 28 ff.) unb bem (großen) „33e=
fenntnis bom Slbenbrnab/I" bon 1528 (@2t 30, 151 ff.) aufgeführt ift. Sut^er fyat fein
Eingreifen in ben bereits aufgebrochenen Slbenbmab^Iäftreit, folange e§ ifym innerltct) mög=
licb^ roar, berjögert, um roo möglid; ben 33rud; ju bermeiben. 6r mifd;te fid) be^balb 50
junäd^ft nicJjt in ben ©treit Sugenb/agenS unb ber ©d>roaben mit 3tbingli unb £rfv-
bombab. ^n feinem ©ermon bom 2tbenbmabl unb ber SSorrebe ju bem beutfd;en ©^>n=
gramma befämbfte er groar groingliS „significat" unb DeloIambabS „figurä corporis",
jebod) ofme 9?amen ju nennen, (gr roar inbeffen bereits jum Vorgeben entfcb>ffcn unb
mit ber erften ©treitfdt>rift gegen ^roingli fertig, als beffen „amica exegesis" unb 65
„friinblid) Serglimbfung jc." feine 2lbreffe erreid)ten. ®amit entbrannte ber S?ambf mit
%Iit unb ©ublif.
©egen bie beiben £>aubtangriffe ber ©egner berteibigt £utl)er bon bornf)crein bie
Sealbräfenj beS SeibeS gegen ben Sorrourf ber ätbfurbität unb ber Unnötigfett. ©0
Jftfiel feine boIemifd;e Aufgabe bon felbft in eine cj;egetifd)c unb eine bogmatifd;c. X'xc 60
186 ttbtqmtät
leitete ifi e§, mit ber Wir un§ ju befcfjäftigen f>aben. ©cnn fte enthält bte Ubiqui=
Qnbem Sutfyer bte mafjrr/aftige ©egenWart be§ Seibe<§ ©l)rifti in ber £>oftie feftbjelt
al§ an einem unabänberlicfyen ©Iaubens>artilel, ber burd) bie (Schrift geftellt fei, lag if)m
5 ebenfofe^r barem, bie Wal)re Seiblicbjeit be§ Seibc3 feftjur/alten ab? alle grobfinnlidjen
aSorfteßimgen bon t^r fernzuhalten. 3)er Seilt», ber im 2lbenbmafyl gegeben wirb, ift „ber=
f eibige Seib, gleich ba er auf ©rben ging" (@2I 30, 203). 2lud) ift fein »lut „nidjt
©abrief ober 2Jtid)ael3 93lut Worben, ba er unfterblid) Warb, fonbern ift begfelbigen
©bjiftuS 33Iut geblieben" (ib. 287). 2tber biefe Realität be§ Setbe§ unb Slutei ©firifii
10 forbert nidjt, wie bie ©egner unterteilen, bie Qbentität beweiben mit unferem eigenen
gleifd) unb 33Iut. 5JMt bitterer 3rt>nie geißelt Sutfyer immer Wieber bie ©ebanfen berer,
bie fid) bon bem Seibe Gfyrifti eine fleifct/Iicfye SSorfteltung madjen ober tb,n imputieren
Wollen, ©fyrifti Seib ift „au§ bem ©eift geboren unb ift fjeilig, barum mufj er gemifjlidj»
nid)t gleifd), fonbern ©eift fein" nad> bem ©brueb, ©I)rifti, roa§ bom ©eift geboren ift,
15 ba§ ift ©eift (2Ö21 XXIII, 201). „3ft nun Sr,riftu§ ^leifd) au$ allem gleifd) au3=
gefonbert unb allein ein geifilicb. gleifcb; bor allem, nicfyt auä ^leifcb. fonbern au§ ©eift
geboren, fo ift£ aud) eine göttliche ©peife" „©ein gleifd; ift nicfyt au§ gleifd) nod)
fletfdjlid), fonbern geiftlid), barum fann e£ nicfyt berget^ret, »erbauet, bertoanbelt Werben,
benn es> ift unbergänglid), Wie aHes> mag au$ bem ©eift ift. Unb ift eine ©beife gar
20 unb gang anberer 2lrt, benn bie bergänglicb/e ©beife" (ib. 2G3). „SDarum foDC gmingel
nidjt alfo fcfyliefjen: 2öirb ©briftuä gleifd) gegeffen, fo Wirb nichts benn gleifcb, braug. ©oId)e3
gilt mofyl, Wenn man bon Stinbfleifd) unb ©aufleifd) rebet unb ©abernaiten reben fo,
fonbern alfo: Wirb (Sbrtftug ^leifcf) gegeffen, fo roirb nichts benn ©eift brau§, benn e§
ift ein geiftltd) gleifdi — unb giebt ben ©eift, bem ber e§ tfjt" (205). (§ieran fcf)Iief$t
25 ftd) bie 2luffaffung be§ faframentalen Seibe3 als* cpaQfxaxov adavaaiag an.) 2öeil alfo
ßfmfti Seib ein „geiftlid) $leifdj>" ift/ fo oarf m&n Ü)" ntd^t borftellen nad) ber „groben
begreiflichen Söeife" (226). ®ie Slttribute ber ©röjje unb 2lu§bebnung gelten niefot bon
tfym unb für ifm (221). ©3 ift ganj unb gar nad) Sutl)er ein 2lu3nat)meleib. ©r „um=
jäunet bie ©ottfyeit md)t" „gleicf; als wenn ein ©trobfarf boll ©trol) fteeft." „©a mürbe
30 freilid} (Sbriftu^ Seib ein lauter ©ebid;t unb ©efpenft fein" (221). @r fyat ein „über=
natürlichem 2Befen" (215).
SBeil nun ber Seib ein geiftlid)er unb übernatürlid;er Seib ift, fo folgt äunäcfyfi für
Sutfyer barauö jtoeierlei. (Einmal, ba^ il)m alle ©inge „gegenmärtig unb burcr/läuftg"
finb (©21 30, 210), fo bafs er in fie fnneinrommen unb burd; fie l)inburd)fab^ren lann,
35 ofme „ein Sod} ju madjen" (35321 XIX, 490). @r ift ©nergie, ol;ne 5ÖJaterie ju fein,
ßurn Semeife beffen beruft fid) Sutljer ftet§ auf ba3 kommen be§ 2luferftanbenen burd)
berfdjloffene ^l)üren unb ben berfiegelten ©rabes>ftein. „9cun b^aben mir flare ©djrift,
bafe ©brtftuä su feinen Jüngern lam burd; berfd}Ioffene %i)üx unb au§ feinem ©rabe
aud} burd) befiegelten ©tein. @r fei nun burcp genfter ober "Xljüx f>inein !ommen, fo
40 b^at fein Seib unb baö, baburd; fein Seib gefcfymunben ift, jugleid} an einem Drt fein
muffen, beibeS unberfe^rt unb unbertoanbelt" (2B21 XXIII, 147). „Söie ber berfiegelte
©tein unb bie berfcfyloffene 2$)üx unberänbert unb unbermanbelt blieb unb bod) fein
Seib jugleid) mar an bem Drt, ba eitel ©tein unb §olj mar, alfo ift er aud) im ©alra=
ment gugletct), ba 33rot unb Söein ift, unb boa) Srot unb Sffiein für fid; felbft bleiben,
45 unbermanbelt unb unberänbert" (©21 30, 208 f., bgl. 213. 214. 2 15 ff.). SBeiter aber
folgt für Sutb^er au§ ber Übernatürlid)feit be3 Seibe^, ba^ er aufy in bem fleinften 2ltom
ganj unb gar fein fann, olfme bod) bon iljmi umfd^Ioffen ju merben. S)er „grofee Seib"
lann in einem „fleinen ©tue!" fein „baju ungeteilt unb gan^" in einem jeglichen ©tüd
(@2l 29, 497). „@r mifet fid} ntd;t ab naef» bem ffiaum beg DrteS, ba er ift, fonbern
50 !ann etma biel 3Raum§ etma menig Staum einnehmen" (©21 30, 208). @r marb barum,
Wenn ba£ Orot jerbrocb,en Wirb, ntcr)t mit jerbrod)en (©21 29, 281), fonbern bleibt ganj
in jebem aud) bem lleinften Sleild^en. 2luf fold;e Söeife ift aud; bie ©eele im gangen
J^örber unb bod) aud} ganj unb gar in jebem, auä) bem fleinften J?örberteil (23321 XIX,
487). %a, ba<§ ift bie 2öeife, auf bie bie ©ngel unb ©eifter, ja felbft bie ©amonen unb
55 ber Teufel an „©tätten unb Drtern fein fönnen" (@2l 30, 208).
Wät biefer Segrünbung ber Honfubftantiation b,ält fiel) Sutfyer nod; ganj innerhalb
ber ©renken oecamiftifeber 2luffaffung. ^a, er bebient fieb,, Wie leicht ju feben ift,
fd)o!aftifd;er 2lrgumentation. @g ift ba§ 2Befen be§ „esse diffinitive", ba§ er b,ier mit
auäbrücf lieber Benennung be§ Xerminug befcfjreibt, Wie eg Dccam beftniert b,at (©21 30,
eo 208). ©iefe ©einSWeife erflärt aber nur, Wie e§ möglid) fei, bafe ein leibliche!
ttbtquüüt 187
ÜBcfen in materiellen ©ubftan§cn ofmc fid; unb fie ju beränbern bräfent fein fann. gur
(Srlcbigung ber Weiteren gragc, tüte nun ber Seib (grifft im £immcl unb ^ug(eid) in ber
yioftic fein fbnne, ja in willigen §oftien, bebarf fie be§ 9Jcfurfe3 auf bie 2lIImad;t
©ottcä unb ergiebt bann bie fd;oIaftifd)c 9JMtiboIibräfen3 (ib. f) aud) für Sutfyer. ^mmer
mieber beruft fieb. Sutfyer barauf, bafs man glauben muffe, bei ©ott fei fein ©ing un= 6
meglidi unb barum aud; biefeS ntd;t, bafs ber fnmmlifdjie Seib in ber ftoftie fein fbnne.
Ta* fcböbferifcf,e 355ort unb Sefeb,! ©otte§ ift eS, ba§ foW&eS bewirft (35521 XIX, 487-
48!i. 490f. 493; @3l 30, 200). ©Ott roill e§ fo tjaben (25521 XIX, 495) unb mir
muffen c3 glauben, bafs ib,m bieg Sfiunber nid)t unmbglid) fei.
$ft nun Sutfyer aueb, ber Meinung, bafs ba<§ esse diffinitive unb bie SRuIttboIibräfcns 10
unter bem ©eficr)t3bunft ber Dmnibotenj ©otte<§ bem ©lauben genügen muffe, fo roeijj er
bod) nod} eine ftöfyere Sßeife ber 23erftänblid;mad)ung ber 9?ealtoräfen3 be§ erbeten Seibeg
gegen bie ©egner auSjufbielen. Unb bamit nun ge|t er über bie occamiftifdje 2lrgumen=
tatton t)inau§, inbem er jugleicb, an fie anfnübft. @r min bamit ben entfeticibenben
©egengrunb ber 355iberfad}er treffen, ben „b,od}berüf)mten ©runb: Gf>rtftu3 filjt im £jimmel 15
unb fein Seib ift im 2lbenbmat>l" (35521 XXIII, 119). ®a3 esse diffinitive fteigert er
juni esse repletive, bie SDMtibolibräfenä jur Dmnitoräfeng. ©eine Mittel finb 1. bie
fbmbolifcfye Deutung ber „Sftedjten ©ottes>", 2. bie ®urd)fül)rung ber ^biomenfommuni=
fation.
TaS esse diffinitive unb bie SJMtibräfenj belogen fidb, bermittelft ber göttlidEjen 20
2lllmad)t aueb, auf bie ©ngel unb ^Dämonen. 2lud) fie Vermögen an Dielen Orten 311=
gleid) ju fein, baju im §immel, babei an jebem Orte gang. §ür ben Seib ßfyrifti giebt
e3 aber nod) eine „biel fjöljere unb übernatürliche S55eife", benn biefe, bie feinem Seibc
fdjon auf Srben ju ©ebote ftanb. „®er ©eift mufs nur bjer ftel)en unb befennen, bafs
(5f>rtfii Seib gar biel ein b,öb,ere§ unb übernatürliche!? 255efen f)abe, ba er mit ©ott eine 20
$erfon ift, benn ba er fjaite, ba er im berftegelten ©tein unb Ifyüx mar, fintemal
ba3 bie fjöcbjte 2S5eife unb 3S5efen ift unb nid)t§ f)öb,ere€ fein fann, benn bafs ein
DJienfcb, mit ©ott eine $erfon ift. ®enn bie anbere 355eife, mie @fjriftu§ Seib
im ©tein mar, wirb aud) allen ^eiligen im Fimmel gemein merben, bafs fie mit
ifjrem Seibe bureb, alte Kreaturen fahren , gleiclimie fie f dmn je|t allen ©ngeln 30
unb Teufeln gemein ift, benn ber @ngel fam gu ^5etro in ben Werfer 2ltof 12, 7, fo
fommen bie ^oltergeifter täglicf) in berfcbloffene Kammern unb Äemnaten" (@2l SO,
2 15 f.). ,,-Oietne ©rünbe aber, barauf id) fteb,e in folgern ©tüde, finb biefe: ®er erfte
ift biefer 2trtifel unfere§ ©laubeng, 3efu§ Sb,riftu§ ift toefentlicb, natürlicher mab,rb,aftiger
bölliger ©ott unb JjJenfd) in einer $erfon unjertrennt unb ungeteilt. ®er anbere, ba| so
®otte§ 9f{ecf;te aßentbalben ift" (@2l 30, 207). ©ie§ ledere mar e§ gerabe, ma3 bie
©egner beftritten. ©ie folgten barin ber bon Sluguftin unb bem SRittelalter überhaupt
Vertretenen lofalen 2luffaffung ber dextera dei. Sei Sutb,er beutet in feinen früheren
idiriften, meber in ber erften ^5falmenau§legung bon 1513 ff. (3552t IV, 227 ff.) noeb,
fbäter irgenb etroa§ barauf b^in, ba^ er biefe 2tuffaffung aufgegeben ^atte (»gl. @2l 40, 1 ff.). 40
3e|t aber menbet er fieb, fiegreieb, mit allen 355affen feinet ©cb,arffinn§ unb fetner 3^onte
gegen fie. ®ie gegnerifcb,en ©ebanfen bon ber Steckten ©otte§ finb „finbifcb, unb fleifd)=
litt}" (35521 XXIII, 131). ®ie „Siebte ©otte^" ift fein „fonberlicr,er Crt", fonbern bie
„allmächtige ©etoalt ©otte§, meiere äugleid) nirgenb fein fann unb boeb. an allen Crten
fein nmfs" (133). „2llfo fann ja bie Steckte ©otte^ nid)t eine Kreatur fein, fonbern 45
mu| etma§ über unb aufeer allen Kreaturen fein. ®ag ift aber nid)t, benn ©ott allein
felbft — brum mufj auc^ ba§ mab,r fein, bafe ©otteg S^ecb.te £>anb allenthalben in allen
fingen ift" (143). ®ie SRed;te ©otteg bebeutet alfo bie unräumlid)=br/namifd)e 2lllgegen=
ipart ©otte§. ©ie befagt, ba^ ©ott nidjt „ein foleb, au^geftredt lang, breit, bid, fyod),
tief 355efen fei, fonbern ein übernatürliche^ unerforftt)Iicf)e<3 S5?efen, ba§ jugleicb, in einem 50
jeglichen Äörnlein ganj unb gar unb bemnacb, in allen unb über allen unb aufjer allen
Kreaturen fei. ®aran bebarf e§ feinet Um^äunenö, mie ber ©eift träumt. SDenn ein
Seib ift ber ©ottb,eit biel, fcnel ju meit unb fbnnten toiel taufenb ©ottf;eiten barin fein,
toieberum aueb, biel, btel ju eng, baf$ nicb,t eine ©ottb,eit brinnen fein fann. Dcidt« ift
fo flein, ©ott ift nod} fleiner, nichts ift fo gro^, ©ott ift noeb, größer 2c." (221) — 55
eine unübertrefflid} roafyre unb großartige 2lnfd;auung bom 355efen ©otte§, bie bie gan^e
bem Mittelalter fiegreid} überlegene, eci)t moberne ©röf5e be§ ©eifte^ Sutber» offenbart
für ben, ber fefjen mitl. 35er ©i;llogigmug bei Sutljer ift nun ber: „(5I)riftu<o Seib ift jur
Steckten ©otteö, bas ift befannt. ®ie 9ted)tc ©otteö aber ift an allen (inben — fo ift
fie gemipeb, aud; im 33rot (143). 2llfo ift (SfyriftuS im 23rot" 2)arum, „menn (SbriftuS eo
188 Ubtquüiit
im 2lbertbmafyl btefc 3Borte, bag ift mein Seib, gleid) Wie gejagt fyätte, fo ergingen bod;
biefe äöorte: ©fjriftug ft|et %ux 5ied;ten ©otteg, bafs fein Seib unb Slut ba mögen fein,
wie an allen Drten unb ~eg bebarf Weber einer STrangfubftantiation unb 23erWanblung beg
Sroteg (145)". „2flfo eg ift nid)t Wiber einanber, fonbern ber ©djrift unb bem ©lauben
5 gemäf?, bafs ©fyriftug Seib gugleid; im §immel unb im 2Ibenbmal;I fei. Unb ift gegrünbet
eigentlich im 1. 2lrtifel, ba Wir fagen: Qd; glaube an ©Ott ben 93ater, aßmäcfytigen
©djöbfer k." (153).
2lber nid;t nur bom Segriff ber dextera dei, fonbern aud; bon ber ©fyriftologie aug
erreicht Sutfyer biefeg 9tefultat, bafj ©fyriftug Seib immer gleich Wie ©ott felbft aßgegen=
10 toärttg fein. $m großen Sefenntnig füfyrt Sut^er bag burd). ©ag Argument, bag er immer
Wieber geltenb macfyt, ift bieg: ©ie gWeinaturenlefyre, bie ©infyeit ber $erfon in ber $Wei=
I;eit ber Naturen forbert bie ^ßartijibation ber erbeten STienfdjfyeit ©Ijrtfti an ber 2111=
gegenWart ©otteg. „9?un aber ein folcfyer SJcenfcr) ift, ber übernatürlich mit ©Ott eine
^ßerfon ift unb au^er biefen SRetxfc^en fein ©ott ift, fo mufe folgen, bafs er aud; nad;
15 ber übernatürlichen SBeife fei unb fein möge allenthalben, Wo ©ott ift, unb aßeg burd}
unb Doli ©fyriftug fei, aucf; nad; ber SRenfd^eii, nid;t nad; ber erften leiblichen begreif=
liefen Söeife (esse circumscriptive seu locäliter), fonbern nad; ber übernatürlichen
göttlichen SBeife. ©enn fyier muf$t bu fielen unb fagen : ©t)riftug nact) ber ©ottb,eit, Wo
er ift, ba ift er eine natürliche göttliche ^ßerfon unb ift aud; natürlid; unb göttlid) bort=
20 felbft — ift er nun natürlid) unb berfönlid; Wo er ift, fo muf? er bafelbft aud; 9Jienfd;
fein, ©enn eg finb nicfyt jtoo getrennte $erfonen, fonbern eine einige unzertrennliche
^ßerfon. Unb roo bu fannft fagen: fyie ift ©ott, ba mufjt bu aud; fagen: fo ift ©b,rtftug
ber SRenfcr; aud; ba (©31 30, 211). „Unb eg foßt mir ein fcfyledjter ©I)riftug fein, ber
nidjt met)r benn an einem einzelnen Ort gugleid; eine göttliche unb menfd;Iid;e ^Serfon
25 märe, unb an allen anberen Drten müfjte er allein fein blofjer abgefonberter ©ott unb
göttliche ^ßerfon fein. 9cein ©efeße, roo bu mir ©ott Innfetjeft, ba muf$t bu mir bie
9Jcenfd;I;eit aud; t;infe£en, fte laffen fid; nid)t fonbern unb boneinanber trennen. ©g ift
eine ^erfon Werben unb fcfyeibet bie 3Renfd;i;eit mct)t bon fid;, Wie SCReifter §an§ feinen
$Rod augjeugt unb Don fid; legt, Wenn er fd>lafen geb,t (211 f.).
30 Sutl;er bräbijiert alfo bon bem Seibe ©fyrifti neben bem esse diffinitive unb über
biefeg Ijinaug aud; bag esse repletive, bie Dmnibräfenj im eigentlichen fubftantießen
©inne beg 2öorte§. ©ieg t;atte Dccam nid)t getoagt. @r mar babei ftefyen geblieben,
bie 9Jcöglid;feit beg repletive esse für ben Seib ßfyrifti au§ bem Segriff be§ esse
diffinitive mit §ilfe ber 2lllmad)t ©otte§ bialeftifd; ju urgieren. Sutf)er ift fülmer unb
35 fonfequenter. ®a§ repletive esse ift, „menn etma§ jugleid; ganj unb gar an aßen
Drten ift unb alle Drte füllt unb bod; bon feinem Drte begriffen unb abgemeffen wirb"
(209). Sutb/er boUenbet bamit ben — feiner SReinung nad; fd;rift= unb glauben^gemäfeen
— SBewei1? für bie Ubiquität be§ Seibe§ Sb,rifti, inbem er bie Communicatio idiomatum
au§ ber ^rämiffe ber unio personalis fonfeouent big jum genus majestaticum
40 burd;fül;rt unb bamit äugleid; eine d;riftologifd;e SDigtreban^ mit ber reformierten Seb,re
aufbedt (Alloiosis, ©21 30, 199). 2)ie 9?ealbräfen^ beg Seibe§ in ber §oftie folgt natür=
Itd; bon felbft au3 bem repletive esse. Slber eg war bamit ju biel berotefen, bie 9ieal=
bräfenj be§ Seibeg im SBeltaH, in jebem ättom, in jebem Srot unb allem SBein.
®ag Ijat Sutf;er fid; ntd^t berb,el;lt. ©r roei^, ba^ bie Ubiquität, wag fie beroeifen
45 foll, im fyöcbjien ©rabe gefäl;rbet. ®a§ fnnbert biefen fü^nften unb unerfd;rodenften
aller Geologen aber nid;t, bie bolle ^onfequeng feiner Seb,re ju gießen. „®ag ift'g, ba^
er (nad; ber 3Jcenfd;f)eit) über alle Kreaturen unb in allen unb aufjer aEen Kreaturen
ift — benn Wo er Wot;I überall ift in allen Kreaturen unb id; mödjte ib,n im ©tein, im
$-euer, im Sffiaffer ober aud; im ©trid finben, Wie er benn geWipd; ba ift." ®ie ©ub=
so ftanj beg Seibeg 6f;rifti burd;bringt unb erfüttt atleg, aud; bag fleinfte Sltom (2Ö21 XXIII,
138 f. 140. XIX, 492). ©amit ift bie fbejififd;=faframentlid;e ©egenWart beg Seibeg be=
brof;t. Sutf;er begegnet bem ©inWanb. ,,^ft benn ©fyriftug Seib an allen ©nben, ei fo
Will id; ib,n freffen unb faufen in aßen Söeinftuben 2c. — fo ift fein Unterfd;ieb unter
meinem £ifd; unb beg §errn ^ifd;" „Sßenngleid; ©l;riftug Seib an aßen ©nben ift,
55 fo wirft bu ifm barum fobalb ntct)t freffen, nod; faufen, nod; greifen." „Sroben fyaht
id; gefagt, ba| bie Steckte ©otteg an aßen ©nben ift, aber bennod; jugleid; aud; nirgenb
unb unbegreiflich ift, über unb aufjer aßen Kreaturen. @g ift ein Unterfd;ieb jWifd;en
feiner ©egenWärtigfeit unb beinern ©reifen — ob er gleid; allenthalben ba ift, fo läfst
er fid; nid)t fo greifen unb tabben. ©r fann fief; Wol;l augfd)älen, ba^ bu bie ©d;ale
60 babon friegft unb ben Kern nid;t ergreifft — barum, bafc eg ein anbereg ift, Wenn ©ott
Iniquität 189
ba ift, unb toenn er bir ba ift. ®ann aber ift er bir ba, toenn er fein Söort bagu tfntt
unb binbet ftcb, bamit an unb fbrict/t: §ier foßft bu mid) finben". „SDu wirft ib,n nid)t
tabtoen, ob er gletrf) in beinern 33rot ift, eg fei benn, bafj er fict) btr anbinbe — burd)
fein 28ort unb beute btr felbft bag SBrot burd) fein 2Bort, ba bu ifm effen follft, melcfyeg er
betttt t&ut im 2lbenbmafyl" (SSJ21 XXIII, 149—151). §ier enthüllt fid) bie ©d>toäd)e 5
ber Scroeigfüljrung Sutfyerg. @r mufs gugeben, bafj bie ubtquitarifcfye ©egentoart beg
i'eibeö Gbrifti feinegtoegg ibentifcb, ift mit ber faframentalen. Qene begrünbet ein Überall
unb "Jlirgcnbg beg Seibeg, gugleid) ein $n= unb 2tuf3er=ben=J?reaturen=©ein, eine für bie Kreatur
ungreifbare ©egentoart. ^m 2tbenbmab,I Ijianbelt eg ftd) bagegen um eine „greifbare"
2o fann alfo bocf> nur ber Stefurg auf einen fbegififcfyen SMlengaft ©otteg im 2Bort 10
bie faframentale ©egentoart retten, ©ott mufj motten unb befehlen, bafe fein Seib auf
jene greifbare ©egentoart an befonberen Drten fei. ®amit fongebtert £utt)er, bafj fie nur
auf bie 2>oIibräfeng begrünbet toerben fann. Refugium ultimum ift toieber ©otteg
omnipotenter 2öille. ©0 geigt fid) fcfyon bei Sutfyer bie SeiftungSunfä^igleit ber Ubiquitätg=
leljre für ben -ftadjWeig ber 9tealbräfeng im Slbenbmal)!. $j^e Sebeutung b,at fie lebiglicb 15
für bie 6b,riftoIogic, für bie Slbenbmafylgler/re ift unb bleibt fie irrelebant.
©0 giebt eg benn jebenfallg nad; Sut^er brei feftfteftbare Söeifen, toie bie SJcenfdjfyeit
(5brifti irgenbtoo fein fann 1. nad) bem esse circumscriptive ober localiter, toie fie
auf ©rben mar unb toteberfommen mirb am @nbe ber Stage, 2. nad) bem esse defini-
tive (diffinitive), toie fie nad; unb wäfyrenb ber 2luferfteb,ung im ©rabftein unb ber 20
Ibür mar unb aud) in ber §oftie ift, 3. nad) bem esse repletive, toie fie bermöge if)rer
^erfonalunion mit ber ©ottfett unb @rb;öb,ung gur Steckten überall unb boeb, ntrgenbg ift
unb bemgemäfs aud) in ben Stbenbmafylgfubftangen, aber an fid) ungreifbar unb toirfungg=
log. Stuf biefe breifacfye ©rjftcngweife miß aber Sutfyer ntdjt ttWa ben Seib <5I)riftt be=
fd>ränfen unb fo ©otteg Slllmadjt borgreifen, ©ott toeifj toob,l nod) mefyr SBeifen 25
(6sil 30, 210. 217. 273.). Sutf)er liegt nur baran, bie Söetfen t)eraugguf)eben, bie jeben=
faEö bag ©enlen nad) bem ©lauben unb ber ©d)rift feftfteHen lönne unb muffe. @g märe
fefir berfefyrt gu berfennen, baf$ £utb,er biefeg bretfadje ©ein feine§wegg als eine ©befu=
Iation ber Vernunft, fonbern ab§ ein ©laubengboftulat meint. £)te 2. unb 3. SBeife
ift it)m „über bie Vernunft", menngleid) nicfyt „miber bie Vernunft" (217). Sutfyer 30
toiE geigen, toie ber, ber im @l)riftugglauben unb in ber ©djriftgebunbenfyeit ftet)t,
minbefteng biefe Söeifen ber ©rjfteng beg Äörberg 6f)rifti anerlennen muffe. ®er ©laube
mu^ l)'m f^Iie^lid; „bie Vernunft blenben" (2 14 f.), bie „Vernunft mu§ untergeben"
Jenn alltä „toie" bleibt böHig berborgen (217). Refugium ultimum ift ber ©laube t/ier.
2)arum füf)rt 2utf)er ben Sßiberfbrucb, ber ©egner §ule|t auf il)ren Unglauben gurüd 35
(2B21 XXIII, 161) unb wettert toeiblicb, gegen bie „alte 2Bettermad;erin, bie grau 33er=
nunft, grau §ulba". 3)ie blöben Slugen be§ Unglauben^ finb abgeftumtoft gegen bie
2öunber ©otte§ in Dtatur unb ©nabe. ©d)lief$lidj ift alle§ SBunber.
gür ben galt, baf? feine ©egner felbft mit itjrer Stuffaffung ber 9ted;ten ©otte§
recb,t Ratten, mag £utb,er natürlich auf bag entfd;iebenfte beftreitet, fonftruiert er bie 3)lög= 40
lidjtfeit einer Ubiguität ber im §immel Io!alifierten SDknfd;f)eit Sb,rifti; fie bilbet bann ba<3
Zentrum ber 2Girflid)feit unb ift allen fingen fsräfent, toeil i^r alle ®inge toräfent finb.
Siefe Slnfdiauung, auf bie mir nidjt näb,er eingeben, fcb,eint ber 3lnla^ gu ber fbäteren
praesentia intima getoorben ju fein.
4. 5Rit berfelben gäfngleit toie Sutb,er b,ielt ^toinglt an feiner ^ßofition feft. ©ie 45
ift tr)ren gunbamenten nad) burcb,au§ mittelalterlid), toie befonber§ bie lolale 2luffaffung
ber dextera geigt, ©ie ift fyumamfüfcb^rationale Iriti! beg 3RittelaIterg. Ubiquität unb
Sealbräfenj toerben aug rationalen ©rünben abgetoiefen. ®er ^biomenlommunifation fetjt
er, inbem er bie bezüglichen ©cb,riftftellen bureb, bie gigur beg Alloiosis beg ,,©egen=
tDecb,fetg" erftärt (Amica Exeg. 3, 525, bafj biefe SBorte K. 2b, 66 ff.), bie SDigparität 50
ber GEiftengtoeife ber beiben Naturen entgegen (Soofg a. a. D. ©.815; ©eeberg a. a. D.
:>08 f. Am. Exeg. 4, 52, bafj biefe Sßorte k. 2b 68) unb bleibt aud) bamit auf ber
mittelalterlichen ^ofition (©eeberg a. a. D. 309). @r bertoirft nicb)t nur bag repletive,
fonbern aud) bag diffinitive esse für ben Seib 6l)rifti. SDiefer bleibt circumscrip-
tive unb localiter im „§immel", toie er eg auf @rben toar. 65
Galbin rebräfentiert eine Kombination ber lolalen luffaffung ß^inglig bon ber
Seiten ©ottc§ mit bem ©etoic^tlegen Sut^erg auf bie beilgfräftigc ©egentoart beg gangen
Ctyriftug im 2lbenbmabl, aud) feineg „gleifcb,eg" ßfjriftologifd) bermittelt ftcb, ifym bie
oacb,e fo, ba^ er über bie blofj nominelle Sluffaffung ^toinglig bon ber ^biomen!om=
munifation, alfo über bas genus idiomaticum binauggef)t gu ber £et)re, bafj bie 5ßräbilate 60
190 Iniquität
ber ©rlöfungSWirffamfeit aufy ber menfd;lict)en SRatur realiter gelten, alfo ^um genus
apotelesmaticum (Just. rel. ehr. II, 14, 1 — 3). 2snMlen tnac^t er bor bem genus maje-
staticum SutfyerS unb bamit bor berUbtquttät tyalt (©tei| a. a. D. 578). 33rot unbSöem bleiben
ibm (Symbole, aber folcfye unter benen bie ©rlöfungSfräfte beS 'iSobeS unb ber äluferfteljmng
5 (5f>riftt realiter mitgeteilt Werben. 25arum ift ©Ejrtftuä totus im Stbenbmabl gegen*
Wärttg, nidjt nur fetner ©ottfyeit nad), fonbern als ^erfon (IV, 17, 30), aber nid)t als
totum. ®aS Ijeifjt, fein Seib, ber im §tmmel ift, ift nicfyt fubftantiell in ber £>oftie.
üßkil aber nad) bem genus apotelesmaticum bie ^etlSWirlungen Don ben ungeteilten
ßljriftuS ausgeben, alfo auefy bon feinem gleifd) unjertrennlid) finb, fo finbet aud) eine
10 potentielle ober birtueHe Mitteilung feines gleifcb.eS ftatt (IV, 17, 11: per symbola panis
et vini Christum vere nobis exhiberi adeoque corpus et sanguinem ejus). 2tuct)
fein Seib erWeift fid; als WirHtcfye ©beife (7), (SrlöfungSlräfte bergenb unb fbenbenb (8. 9).
JJic^t aber feinem fubftantiellen ©ein nad) ift ber Seib ßfyriftt im 2lbenbmaI)I gegenwärtig,
fonbern naef) fetner virtus unb potentia, nacb, feiner foteriologifcb/en Söirlfamfeit. 2)ie
i5 Urfact)e bleibt im §immel, bie 2öir!ungen Werben auSgeftraf)It ins Slbenbma^l ber
©laubigen, ©ie Entfernung überbrüdt ber 1)1. ©etft bon feiten ©otieS (cujus [corporis]
communionem spiritus sanetus virtute in eos transfundit [18]), bon feiten bei
9ftenfd)en ber ©laube (5. 11. 12). SDer gläubige ^ommunilant empfängt alfo allein bie
®abe, aber nid)t baS corpus ipsum, fonbern bie communicatio ober xoivcovia cor-
20 poris. @S Wirb in bie ©emeinfcfyaft beS erlöfungSfräfttgen gleifcfyeS berfe|t (22. bgl.
©eeberg a. a. D. 403 f.). ®er gan$e Vorgang beruht auf ber arcana spiritus saneti
virtus (32). ©anj beutlid) fbrid)t bie Institutio bon 1559 auS: Christum e carnis
suae substantia vitam in animas nostras spirare — quamvis in nos non in-
grediatur ipsa Christi caro (IV, 17, 32). ßalbtn beborjugt barum bie baulinifcfye
25 gaf fung bon ber xoivcovia xov ocouaxog Xq. Über bie ^Differenzen in ben einzelnen @bi=
tionen ber Instit. bgl. SoofS a. a.'D. 890 ff.
®er Unterfdjueb ßalbinS bon £utl)er ift fomit beutlid). @r leimt baS genus
majestaticum unb bamit bie Ubiquttät ab, ebenfo Wie bie fubftantielle Stealbräfenj beS
SetbeS 6r)rifti, beraubtet bagegen auf ©runb beS genus apotelesmaticum, ben objeuib
30 burd) ben 1)1. ©eift, fubjeftib buret) ben ©lauben bermittelten getftlicfyen ©enufs ber
,§eilS= unb unfterblicfyleitsträfte beS im §immel lotalifiertcn SetbeS ©briftt. ®te 9lb=
lefmung ber Ubiquttät mit ifyren „portenta" begrünbet baS calbtnifcfye „Extra" 3)ie
^präfenjauffaffung bie 33efd)räniung ber Söirfung auf bie „credentes" SBeibeS machte
bie 6albtnifd)e 2tbenbmal)lSleIj)re für bie ©nefiolutfyeraner unannebmbar.
35 %ux 9)ieIancfytl)onS anfängliches gehalten an ber lutfyerifcben 2luffaffung ber
9vealbräfenj beS SeibeS in ber §oftie (CR I, 145. 760. 823. 830. 1109 f.; bgl. ©eeberg
a. a. D. 337) War neben ber Autorität SutfyerS einmal ber bermetntlid)e altfircfylicfye Con-
sensus (I, 901), ber ifm nidjt Urheber eines neuen ®ogmaS Werben laffen Wollte, fo=
bann feine Überzeugung bon ber $rofanität ber ßWtnglifdjen ©^egefe unb ©efamtauf=
40 faffung (I, 1067. 1077) Wie ber Unfwltbarfeit ber iljir jugrunbe liegenben 6I)riftologie
(I, 974. II, 25. II, 222 f.) ma^gebenb. ^nbeffen ftel)t er ben Argumenten ber Iut§erifcb.en
UbiquitätSleb^re bon bornfyerein ffebttfcl) gegenüber (SoofS a. a. D. 861 Slnm. 7, 820,
2lnm. 2; ©tet| a. a. D. 579). @r Will an bem ubique esse Christi feftb^alten, aber
feine leibliche ©egenWart im Ttaty nicfjt magifcf), fonbern manbatarifet; begrünbet b^aben
45 (I, 949). ©ieS geftl)alten an ber SRealbräfenj geigt aueb, nod; bie 3Karburger 3Ser^anb=
lung bon 1529 (II, 25), Wo er fiel) fbröber gegen ^ruirtgli geigte als Sutber, freiließ nid;t
ol)ne baf? ltrd)enpoltttfc£)e 3)iottbe mttwirften, unb bie batrtfttfdje ©ammlung, bie er 1530
berauSgab (CR XXIII, 7, 31 f.), enblicf) bie Formulierung bon Slrt. X in ber 3lugS=
burger ^onfeffion bon 1530/31. ^nbeffen maa)te tfjn ber De!oIambabfcb,e ©talog, ber
50 fein Vertrauen in ben batriftifdjen Consensus ftar! erfd}ütterte, fortan fet) Wanlenb.
9^eben Selenntniffen jur leiblichen ©egenWart (II, 311. 315. 787. 801; bei ©eeberg
a. a. D. 337) finbet fid) in junefymenbem Sftafje bie Neigung auSgefbroc^en, meift bor=
firfjttg gunäcbft in ^3ribatbriefen, bie ©egenWart im 9D?al)l borjugSWeife auf ©briftuS als
©Ott ju belieben. (Srief an S3Iaurer bei Sinbfeil, Phil. Mel. ep., §atte 1874, ©. 85;
55 CR II, 620). ^n ßaffel füllte er fieb. bereits SBucer gegenüber (1534/35) als nuntius
alienae sententiae. Qmmer beutlic^er nähert er fid) feitbem ber oberlänbifcfyen 3luf=
faffung. 33or aUem Wtberftrebt eS ibm, bie ©egenWart beS SeibeS im Srot anjunef)men.
©o febon im 3lömerbrief!ommentar bon 1532 (CR XXI, 479), Wo er bie ©egenWart
Sfyrifti im 2lbenbmal)I burd) bie SluSteilung realifiert benft, am beutlicbftert 33eit ©ietrid}
60 gegenüber (III, 514), Wenn er bie ©egenWart burd; ben usus ejlnbiert Werben läfjt
Ubiquität 191
(gtcitf a. a. 0. 580f.) 1508. Qn biefcm ©mite mobifigiert s)JMandttb,on aucb, bie ©r/nef=
bocf>e i'utfyerä (V, 498 ff.), ©d;on 1535 in einem S3rief an Söreng gefielt er aua) ber
trogen (Sjegefe be3 est Berechtigung gu (CR II, 824; bgl. 837 841 f.; III, 292).
Sie äQjoXolaiQEia ift tr,m beruft (VIII, 362. 660. 792). £>ie Ubiquität be3 £eibe3
bcftreitet er enblicb burd;au3 (VII, 7S0. 884. VIII, 385. IX, 387. 962 f.; bei ©eeberg r,
(i. a. C ©. 338). @r beborgugt bie fbäter bon Galbtn in ben SSorbergrunb geftetlte
xotvoivia xov ocß/uaroc, Xq. al$ Slnglieberung ber ©laubigen an ben Seib Gfyrifti
(CR XV, 1112 S. 498 ff. IX, 962; bei ©eeberg a. a. D.). ©o boa^te^t ficb, bei 9JWana>
tbon fortfd;reitcnb eine ©btritualifierung ber älbenbmafyMeljre £utl)er3, toie bas> in ber
Slbänberung bon SCrtitel X in ber Variata bon 1540 anbeutungsroetfe gum 3lusbrud io
fommt. Sic immer fcfyroffer merbenbe Slbleljmung ber Ubiquität füb,rt itm fonfequenter=
lucife gu ber früber fo runbweg beftrittenen lofalen 2tuffaffung be3 dextera dei (corpus
localiter alicubi est secundum veri corporis modum ©iefeler III, 2, 243 Slnm. 45).
Die ©egenroart (Efyrifii im 2lbenbmafyl ift feine effieacia in credentibus, momit benn
aud) nod> ber letjte Schritt, ben bie SSariaia nocb, nidjt tbut, getfyan ift — bon ben 15
vescentibus gu ben credentibus. ©o l)at ©tei| red)t, wenn er fagt, 9Mancr/tI)on fei
gu bcrjenigen 2Ibenbmal>l§auffaffung gurüdgefeb,rt, bie Sutfyer 1523 (@2t 28, 397) gurüd=
iueift. ^ebenfallg ift SMandjtfyon ber Sebre GalbtnS roeit näl)er al§ ber £utl)er<§. @r
teilt mit ib,m bie ©runbauffaffung in ber lofalen ©eutung be§ dextera unb ber 23e=
fd)ränfung ber $biomentommunifation auf ba§ genus apotelismaticum. @r befennt 20
ficb, mit ib,m gu bem geiftlidjen ©enuf? ber ©laubigen. ©0 festen in il)m unb (Salbin
ber ©egenfa| gtoifcfyen Sutfyer unb gmingli ausgeglichen gu fein.
5. 2)tefe für ben $roteftanti3mu<§ fo günfttgen Stuöftcbten gerftörte befinitib bie
Stuttgarter ©imobe 1559, auf ber §ergog ßfyriftobfy, ber bureb, bie Conf. Wirtemb.
„im Sanbe anerfannten lutberifd^ert älbenbmafyläler/re eine feierliche ©anftion erteilen" liefs 2.-.
(»gl. bjergu b. 2lrt. in biefem SBer!: (Stuttgarter ©r/nobe bon Hermelin! XIX, 116 ff.).
Sa» bon Sßreng berfajjte 33efenntni§, roeldbeg bon ber ©efamtfyeit ber Prälaten unter*
geid)net rourbe, begnügte fieb nidjt mit ber praedicatio identica, fonbern legte bie
toürttembergifdje ®ird;e auf bie Ubiquität§Ieb,re £utl)er§ unb bamit cfyriftologifd) feft. $Dic
Aolgen biefer ©tmibolifierung einer Sefyre, bie Sutfyer felbft nid)t fr/mboltfiert Ejat , finb so
nidit blofe für bie ©ntmidelung ber Dritjoborjem Sßürtiemberg (bgl. ba§ ©djüdfal ®eb=
lerg, £. ©untrer, Gebier unb bie Geologie 1905; ^3. ©tarl, Cannes %ler 3b^b
1868, 38, 3 ff.), fonbern für bie tfyeologifcfye unb fircfyenbolitifcfye ©ntroicfelung ber 9iefor=
mation überbautet, man barf roob,l fagen: berfyängntgboll geworben. 2Ba§ fid) gunädjft
entfbann, mar eine beftige ^5olemi! gtoifcben Sullinger unb SJfarti^r einerfeit§, 33reng 35
anbererfeitg, in melier biefer in einer 5Heib,e bon ©dmften (De personali unione
duar. natur. etc., Op. £üb. VIII, 831 ff. 1561; sent. de libello Bull. etc. ib.868ff.
ljiil; de majestate dorn, nostr. etc. 891 ff. 1562; recognitio proph. et apost.
doctr. etc. 976 ff. 1661) gur ©icfyerfteßung ber leiblichen ^tealbräfeng au§ ben ©lementen
£uu)erifd)er Slrgumentation gegen 3win0^ em imbofanteg d^riftologifclteg ©Aftern fd;uf. 40
Sn »»de majestate domini" fbrid^t 33reng bie bobbelte ©runblage feiner ßfyriftologie
in einem ©a^e au§: Cum enim in ecclesia t'it sermo de incarnatione Christi, non
solum dicitur, duas naturas in Christo esse personaliter unitas, veram etiam
dicitur, humanitatem esse assumptam in deum et Christum hominem con-
scendisse ac elevatum, exaltatum et evectum esse in majestatem dei adeoque 45
factum esse deum (9n6). ®aä ift ber ©runbgebante , bon boml;erein bie füb,nftc
ßonfequeng Sutt)erfct;er ©ebanlen: bie ^oingtbeng ber Sbeogenefe be§ 5!J{enfd)enfob,n§ mit
ber ßnfartofe be§ ©otte§fob,ne§. ©arau^ ergiebt fiel) ein bobbelter 3tu§gang€bunft für
ben SBemetö ber Ubiquität beö 2eibe3 (ober, mie 33reng lieber fagt: ber Omnibräfeng),
foluobl bon ber unio personalis sive hypostatica aU and) bon ber assumptio in 50
deitatem, ber deificatio au§.
£en erften 2luögang§bunlt bilbet bie unio personalis: illa unio, qua deus et
homo in una persona Christi ita conjuneti sunt, ut nullo loci spatio a se in-
vicem separari queant (841, bgl. 834. 835. 812. 900. 9<i2. 901 u. oft). ®iefe
vlierfonalunion bollgiebt bie göttlid/e "ältlmadjt tro^ unb unbefcb,abet ber i5erfd)iebenartiq= 55
f«t unb ©elbftftänbigfeit ber betben Naturen ober ©ubftangen (834. H:)5. 836. 837 902.
bui. 912. 918. 926. 914 u. oft). (£<§ finbet alfo teeber eine mutatio humanitatis in
deitatem ftatt (834. 837 818. 901. 918. 926 u. oft), noeb, eine Serbobbelung ber
"Perfonen (834. 836 non sunt duo Christi 842. 898. 900. 902 u. oft). SeibcS lueift
s^reng aU eine abfurbe ^nfinuation ber ©egner immer toieber ab. 3)ic unio perso- eo
192 Mbiquttät
nalis t>ebt toeber bie duplicitas naturarum, nocb, biefe jene auf. SDurcb, btefe unio
admiranda et ineffabilis befielt fofort celebris illa in ecclesiasticis scriptoribus,
communicatio idiomatum inter divinam et humanam naturam (838) unb $vax
non solum communicatio proprietatum vocabulorum sed rerum (838 f.). SDtefe
5 fco* bte alte Äircfye in 2BirlH$fett gelehrt (839—841), jene bte ©d)olaftif (838). ©ie
betotrft einen realen Slugtaufcb, ber f^egtfifc^en Proprietäten ber Naturen. Sern ©tntoanb,
bajj ja babei nottoenbtg bag 2Befen ber menfcbjtcfyen 5Ratur berloren gefye, begegnet Srenj
burd) bie Unterf Reibung 3toifd)en fubftantiellen unb accibentieUen ©igenjc^aften, toobei ber
©runbfa| geltenb gemalt toirb: res non tollitur, cum accidens tollitur — ber
10 ©runbfaf einer ^frilofopfyie, beren ©tltigfeit SSrenj fonfi lebhaft bestreitet. ®ie Statur
im eigentlichen ©inne ift substantia (837 corpus videlicet humanuni et änima
rationalis 834) substantia corporea intelligens et in tempore creata 904). $n=
beffen finb bie proprietären alg blojje Stccibengien toon ber fubftantiellen 9?atur ablösbar.
2Bäf)renb bie ©ottfyett jtoar alg res simplicissima acctbentienlog ift, ift bie humanitas
15 alg res composita variis accidentibus obnoxia, quae et substantiam rei non
mutant — adesse et abesse possunt unbefc^abet ber toollen Integrität ber Statur (837).
Qu biefen accibentiellen, berlterbaren @igertfct)aftert ber menfctjlicfyett 9?atur gehört nun
nid)t blofj bag pati ac mori (837), fonbern aucb, bag „in loco esse" (837 934. 1087).
2ln biefer SEfyefe b/ängt bei 95reng nictjt weniger alg alleg. ©iefe proprietates acciden-
20 tariae (unb alfo aucb, bag in loco esse) tonnen alfo „abesse" unb burcb, Mitteilung
göttlicher (Sigenfdjiaften erfe^t werben, ofyne bafj baburcb, bie SRatur beg SJcenfcfyen ber=
änbert wirb, eben burd) Mitteilung i>on vjieQyvoixä, bie bann freilieb, aud) nur acci=
bentieH Don ü)r befeffen Werben (841. 848). ©o ift eg auef) bem 9Jcofeg, betrug, @Iiag, ^ßaulug
unb anberen ^eiligen zeitweilig (848) toiberfabjen. 2luf biefe 3Beife tonnen in ber einen
25 ^ßerfon @f)riftt dissimiles proprietates inseparabüiter conjunetae esse, ut haud-
quaquam loco sed tantum intellectu distinguantur (904). ©eine humanitas fann
unbefd^abet tbrer Integrität nova coelestia divina ornamenta empfangen (912). ®ie
^ßerfonalunton bewirft, quod quiequid convenit filio dei per näturam, hoc con-
veniat filio hominis per gratiam (836), toobei aber boef) injtotfcfyen jeber Statur if>re
30 Proprietäten berbleiben muffen (841), obtoofyl bie proprietates humanae für accibentiell
unb oerlierbar ertlärt toorben finb. SDem^ufoIge mürbe alfo bie menfcfylicfye ^catur fo=
toot)l ib/re eigenen Proprietäten alg auef) bie göttlichen per accidens befi^en, ein $u=
ftanb, ber jeben Unterfcfyieb ju bertotfcfycn fcfyeint.
Sarin liegt offenbar Srenj' §cmptfd)toäd)c feinen (Segnern gegenüber, bafj er bag
35 „in loco esse" oljne toettereg für eine ber menfcfylicfyen Statur untoef entließe Proprietät
erflärt. @r befyanbelt eg alg quantite negligible unb fann eg bod) nict/t log toerben,
nocb, entbehren. Unb toäbjenb er Bier felbft mit plnlofoplrifcf/en 2öaffen ftrettet, rüdt er
ben Söiberfacfjern ib,re 2Ibf)ängigfeit Don 2lriftoteleg unaufhörlich bor (850. 934. 935.
938. 942. 944 u. oft) unb Will bei ifynen pfyüofoplufcfye ©egengrünbe nid)t gelten laffen
40 (837. 903), ja jte&t fid) fd)Iiepd) au§ ber SMaleftif auf bie 2lltmad)t ©otteg jurücf, ber
nidjts unmöglich fei unb ber bie ©egner nur nid)t glauben Wollten (833. 837. 899. 902.
905. 920f. 934). ©a^u fann er fid) ben ©iffenfug ber SBätcr md^t berb.eb.Ien (836 f.).
^nbeffen ergiebt nun bie Communicatio idiomatum bie Ubiquität bon felbft (835.
838. 842 repletive 897 f. 932 f.) unb bamit für Srenj auet) bte Sealpräfenj be§ 2eibe§
45 im 3lbenbmal)l (843 u. oft).
2lber fie ergiebt fiel) ilmt nod; in befonberer Söetfe bireft au§ ber assumptio in
deitatem, au§ ber ©jaltation. 3Kan mu^ bebenfen, ba^ bie ^nfarnation nid)t blo^
eine JPerfonalunton bewirft, fonbern aueb, (verum etiam) eine assumptio ber SRenfcb^
b^eit in bie ©ottbeit. ^ic^t gletcbberecbtigt ttmn fiel; bte Naturen jufammen, fonbern bie
so göttliche präbaliert unenblict;. SDarauf legt Srenj bag §auptgetr>icf)t. ®ie ^Jtenfcb.merbung
©otte§ ift eigentlich ein ©otttoerben bei SJlenfc&en: homo deus factus est (906). £)ie3
gefdbtebt bereite in utero Mariae virginis, bei ber Qnlarnation im friifceftert ©tabium.
©cb,on in bem Heimproje^ mirb ^efug ber Genfer; jur Sftecfeten ©otteg gefegt, jur bellen
SRajeftät ©otte§ erb^öb^t, ^um §errn über alle Kreatur gemacht. „2lHe ©inge toerben
55 unter feine gü£e getb.an" (835f. 841. 845. 906 f. 914. 916. 918 u. oft). £>iefe§ ift
ba§ eigentliche ©unber (836 f.). greilieb, ift bie menfcb.Ucfye ^catur niebt, toie bie ©egner
infinuieren, per se capax divinae majestatis (905. 918. 920). ©ie totrb eg aber
burd) bie ©nabe ber unio hypostatica (903. 905). ®ie menfcfelicbe 9faxtur erleibet
biefeg aUeg, befi^t eg paffit). ©te divinitas Christi ift bie divinitas communicans
60 seu partieipans, bie ber menfcbjicfyen Statur blofj divinitas communicata seu parti-
Iniquität 193
cipata. llnb bte[c-o gcfcfyiebt „in momento incarnationis" (846. 847. 900 f. 925.
927 f. u. oft). (Sine breifacfye Himmelfahrt lefyrt auf foldje 2Beife 33rcnj, bie eigentliche
bei ber ^nfarnation, bie jmeite gleich nad) ber 2tuferftefmng (841. 846. 906 f. 923. 92 7 f.)
unb enblid) bie fid;tbare unb uneigentlidje „öfonomifcfye", nur um ber gufcfyauer mitten
gefd)ef)ene, ein blofseS „spectaculum locale et visibile" (846. 907. 927) — ascensio c
nur „per phrasim loquendi". ^etlSgefdücfytlicfye, cfyriftologijdje Sebeutung b,at nur bie
crftc. Ununterbrochen befinbet ftcb, alfo ber Sftenfd) $efuS feit bem 9Jcoment ber $nfar=
nation als ©Ott unb §err über alles jur iftetftfen ©otteS im £>immel, mäfyrenb er gletd^=
jeitig burcb, bie communicatio idiomatum in ben ©tanb gefegt toirb, auf @rben
localiter et circumscriptive im guftanbe ber ©rmamtton ober^umiliation ba§ @r!öfungS= 10
toerf ju boCbringen (888. 847. 902. 915. 922, 925 f. 931). (Sine Sobbelerjftenj $efu
(fbrifti ift bamit für bie geit feinet (SrbenlebenS fonftatiert, eine göttltd^menfdjlidje im
yummel unb eine menfcpd^göttlicfye auf (Srben (alterum — alterum 915). $m §immel
brdbaliert bie ©ottb, eit, auf (Srben bie 2J?enfd)f)eit. SDer status inanitionis, ; in bem bie
ßottlieit, foioeit eS ifyr möglich ift, an ben gunftionen, bor allem bem Seiben unb ©terben ig
ber 9Jtenfd$ett teilnimmt, ift nur ein ^nterme^o in ber eigentlichen ©einStoeife ber
ÜDtajeftät ber SRcnfd^eit: „Christus suscepit tempore ministerii et conversationis
suae in hoc mundo humano imbecillitates ac fuit corpore suo pro conditione
hujus temporis in loco circumscriptive". ®a§ repletive esse ift baS eigentliche
Sein aucb, feiner 9Jtenfd)l)eit, baS nur jeitmeilig burd) baS circumscriptive esse unter= 20
brocken ober bielmefyr begleitet toirb. ®aS bemirft bie exaltatio inde ab incar-
natione. ©0 begrünbet benn in ber %fyat bie inanitio für 93reng nur eine uneigent*
lia)e (Srjftensmeife Christi hominis (secundum hanc infirmitatem fuit in terra, am-
bulavit in terra etc. 919). ®ie ©ottfyeit aber wirb burd; bie ^biomenlommunilation
bi§ ju einem unbefinierbaren unb aud) bon 93rertg nid)t bräjifierten ©rabe in biefen 25
^rojefj mit hineingezogen, mietoofyl fie per se impassibilis etc. ift. Slber bocb, in
einem feb,r befd)ränften, ber j^ommumtation fel)r toenig geredjittoerbenben 9Jiaf$e. ®ie
uogcf i] 4eov, beren ber Sftenfd) fid) entäußert l)at, ift nämlid) nur ber aspectus divinus
ober bie species divina (922). Majestatem texit, et obduxit eam forma servi (925 f.)
„apparuit omnium vilissimus" @S lefyrt alfo Srenj nur eine dissimulatio usur- 30
pationis, xQvxpig xQrjOEoig (840), nid)t eine xevcooig %Q7}O£0)g ber göttlichen Quali=
täten feitenS ber -JJtenfd^eit. 2lud) bie ©ottfyeit fyat ftd) freiltd) gebemütigt (923). Per
commun. idiom. muffen mir fogar fagen, bajj ©ott in ßfyrifto gelitten fyabe unb ge=
ftorben fei, ja non est sententia, quod deus Verbum dicitur tantum sermone
vocabuli pati et mori, res autem ipsa nihil prorsus ad deum pertineat, sed 35
quod deus, etsi natura sua non patitur nee moritur, tarnen passionem et
mortem Christi ita sibi communem faciat, ut propter hypostaticam unionem
passione et morti adsit et non aliter, ut sie dicam afficiatur, quam si ipse
pateretur et moreretur (839. 903). 2öie fann aber bie ©ottfyeit an bem Seiben unb
Sterben ber SJtenfcb^eit teilnehmen (adesse) unb babon irgenbmie affigiert werben, wenn 40
fie felbft impassibilis ift unb bleibt? ©0 ift aud) bie ©ottfyett nicfyt aufermedt toorben
(913). §ier bermideli fid) bie ©befulation in unlösbare 2öiberfbrüd)e. ©ie $ommuni=
lation ertoeift fid) als unburd)füt)rbar tro| beS eb,rlid}ften unb ewftlicbjten ©trebenS.
9Jcenfd)I)eit unb ©ottfyeit in einer $erfon unauflösbar geeint, füllen in biefer einen ^erfon
gleichzeitig im £>immel alle ©eligfeit genießen, äße Süelt regieren unb auf (Srben leiben, a:>
fterben unb auferftefyen. Srenj mu§ beraubten, bajs ber SRenfcb, $efuS ju gleid;er &\t
lebenbig unb tot mar.
^a aueb, bie ÜUienfcb^eit auf (Srben lommt in ©efafyr, ifyre Realität einjubüfeen. Etsi
enhn Christus (homo) ea erat forma, fcfyreibt Srenj gu ^3b,i 2, ea majestate jam
inde ab initio incarnationis, ut potuisset nee humanis oculis videri, nee 50
humanis manibus palpari — tarnen inanivit humiliavit demisit sese, ut et
videretur et palparetur adeoque loco circumscriberetur. Erat igitur in terra
secundum visibilem carnem, secundum majestatem autem invisibilis erat in
coelo et in terra (925 f.). Slucb, bag esse in loco mar alfo eine ©einStoeife, bie nicfyt
etwa mit ber 9Jcenfd)merbung gegeben mar, gu ber fieb, bielmefyr ber eigentlich unfidjtbare hb
9ftenfd) ^efu§ neben feiner Unficfytbarfeit nod) erft berablaffen mufjte. (Über bie brei
©rabe ber (Sjiftenj bgl. 928.)
Sie 2tu3fage Srenj' über bie dextera dei, bie corpora spiritualia, bie iHofale
©einäroeife unb feine aftronomifcfyen ©belulationen über bie §immelsfbb,ären übergeben
toir. ©ie bilben nur Hilfslinien. Söie Sutfycr mar er fiefy übrigens , aber mit weniger uo
SReat=®nc«ffotJäbic für Ifteoloflic unb xür&e a. Si. xx |ß
194 Iniquität
9ted)t, bemüht, alles auS ber ©cbrift zu fd)öbfen, mäfyrenb bie ©egner mit ben fletfd)lid)en
Söaffen ber '»JSfyilofoblue fämbften. SltlerbingS nimmt ber ©cf/rtftbemeiS mie ber SSäter=
beweis einen großen Raum bei ü)m ein. ©ie bfnlofobfnfdjen ^rämiffen aber liegen
überall zu ©runbe.
5 Witt ber llbiquttät mar für Srenj bte Realbräfenz beiuiefen. ©en ©inmanb, bafj ja
burd) bie Übiquität baS 2IbenbmaI)I überflüfftg toerbe, fertigt er furzer §anb mit £utl>er§
2luSfunft ah (849). ©en ©enufj beS SetbeS aud) feitenS ber Ungläubigen betont er
natürlid) (850). Sieben bem esse repletive behauptet er mit Sutber aud), bafs esse
diffinitive beS SeibeS im 2lbenbmal)l unb tfvax auf eine SSeife, bafs bie ©fynefbod)e
10 SutfyerS fo umgebogen zu fein fcfyeint, bafj bte ©egenmart beg SeibeS burcb, ben usus
erj)ibiert mirb (849).
©aS SJcauIbronner ©efbräd) ber ©d)maben unb ^fäljer (1564) enthüllte bie ©d)roäd)en
ber burd) 2lnbreä infolge feines» 2lriftoteIifd)en ©otteSbegriffeS (actus purus) bereits ah-
gefc^tr>ä4)ten* ß^riftologte Srenj' (bgl. ben SIrtilet, baju ©tei| a. a. D. 590; %f)omafiuS
15 a. a. D. 363). ©ie ©Rarität ber beiben gleichzeitigen ©tänbe mar burd) bie llnter=
Reibung bon xzfjaig unb xQ^otg nict)t auszugleiten, ©ie 2lboIogie beS SJfauIbronner
^ProtofoIlS 1565 (bei 5ßfaff comment. de actis et scriptis publ. Eccles. Wirt. 77)
longebiert bereits eine xevwoig xQiqoEwg gegenüber ber blofsen xqmpig xQ^oscog Srenj',
woburd) freilief) ber ©egenfaij jmifcb^en bem entäufsemben ©rbenleben unb bem gleichzeitigen
20 §immelSleben €l)riftt nod) berfcf/ärft tourbe. Qn SBürttemberg blieb biefe Sefyrmeife bis
jum @nbe beS $aI)rf;unberiS mafjgebenb CIr/omaftuS a. a. D. 374ff.).
6. 3mifcf/en ben Sffiittenberger $I)üibbiften <3}cajor, @ber, Grell), bie an ber 9JceIattd)=
tI)onifcr/en 23efd)ränfung ber ^biotuenfornmuntfation auf bie erften beiben genera feftlnelten,
bie Übiquität bertuarfen unb bie disputationes scholasticae über bie Realbräfenz ab=
25 lehnten, unb ben fd)roäbtfd)en Sren^ianern fud)te 2Rartin Sl)emni|, ber Sraunfdjmeigifd)e
©uberintenbent, Sermittelung. Qebod) ift eS U}m nicfyt gelungen, eine mirfltdje ©im%fe
fyerzuftellen. ©eine 2el)re bleibt ein Aggregat biSbarater Elemente 2ReIanct)t£)ontfcE)er unb
£utf)er=33renzfd)er ^erfunft. 3Mand)tI)onifc1) ift in feiner Sefyrmeife, bie er am um=
faffenbften in ber ©d)rift de duabus naturis in Christo 1571 entmidelte (Wit.
30 Lips. 1578), ber 2tuSgangSbun!"t, bie 2lrifioteIifd)e ^rämiffe: Propria non egrediun-
tur sua subjecta (280). ©ie Proprietäten ftnb ber menfcr/Iicfyen -Jiatur effentiell, nid)t
blojj accibentieH, lr>ie 23renz moÜte, unb tonnen beSl)aIb nid)t einfad) burd) göttliche
Attribute erfe|t merben. ©aS in loco esse gehört alfo zum SBefen beS 3)ienfd)en.
2öäl)renb nun auf biefe Söeife baS genus majestaticum, baS bod) baS in loco esse
35 aufgebt, aus ber ^ommunifation auSgefcfyaltet unb auf ben biale£tifd)en ©ebraud) sD?eIand)=
tb^onS rebuziert zu fein fd)eint, getoinnt (ifyemnitj eS gradatim bocb, toieber. @r giebt
Ztoar z", ba% bie menfcblidje 9fetur b,infid)tlid) beffen, iuaS t^r habitualiter unb forma-
liter subjective unb inhaerenter ein proprium toerben lönne, non capax infiniti
fei. ©ie fann alfo mob^l, toaS aud) bie Reformierten zu9e^en' ^ona creata infusa,
40 qualitates finitae, habitus finiti Don feiten ber ©ottljeü aufnehmen, aber nur naa)
bem 3J}afee ib^rer menfd)licfyen Äa^zität (263 ff. 267), etma fo, rote aud) burd) ^nf;abt=
tation ©otteS in ben ^eiligen eine Steigerung it)rer natürlichen Qualitäten toorfommt.
2lber 6b,emni^ miH nun boct) auc§ baS britte genus md)t preisgeben. @r behauptet beS=
balb eine ©tetgerung ber Kapazität für baS ©öttlid)c in Christo homine burd) bie unio
45 personalis, bie er mit bem ©amaScener anljt^oftatifd) begrünbet (©tei^ a. a. D. 592 ;
©eeberg a. a. D. 363). ®aburd) bermag fie nun bocb, aud) b^perpl)r/ftfd)e Qualitäten,
bie mit bem Söefen ©otteS ibentifd) ftnb, aufzunehmen unb zu beftfeen, jebod) nid)t als
einen effentiellen, formalen, b^abitueEen unb tnl)ärierenben fubjeltiben S3eft|, fonbern nur
als eine effeftibe unb aktuelle, botentieße (3ab(, alfo nict)t fubftantiell, fonbern energetifcb
50 (229 f. 279. 328. 468. 620), als SBirfungen beS mit i§r berfönlicb, geeinten SogoS auf
fie, bie fie felbftmillig aufnimmt unb felbfttb^ätig „looberatib" bertuertet (224. 261. 306.
363). ©ie menfcblic|e Ratur toirb alfo zum felbfttl)ätigen Drgan beS SogoS. ©ie gülle
ber göttlidien SJtajeftät fubftantiiert fidt) ntct)t, aber manifeftiert \xa) in if)r. ©iefen
^3roze^ beult 6b,emni| als eine 2lrt jieQixcoQtjaig. @r bertoenbet aud) baS 23ilb bom
55 glül)enben ©ifen mit Vorliebe (305 u. oft), ©ie 9)Jenfa)l)eit mirb burcb^gottet (2lnleb,nung
an mr/ftifd>e SorfteKungen, ©orner a. a. D. II, 2 ©. 698 f.). Slber bie ©ottljeit ge^t
in bie Spontaneität ber 3Renfcr)f)ett ein (©eeberg a. a. C. 364). ©0 fcb^uf 6§emni|
allerbingS Raum für eine größere 33erfelbftftänbigung ber ©tänbe. $n ber ©rniebrigung
tritt bie mitteilenbe ^ätigfeit beS SogoS bis zu xQviptg xQnaEa>s (353X ja 6iS jur
eo xevwoig xQ^joecog (57) zurüd, ob^ne je ganz 3U baufieren (228 f.), in ber ©rfwfmng ba=
Miquttot 195
gegen boll f>erbor. %a, eine ©nttoicfelung, ein Sacb^tum toirb auf btefe Söeife möglich
(©eeberg a. a. D. 365). gugletcb toar babura) ein ©rfa| für bie inbärierenbe Ubiqui=
tat gegeben. £>iefe toirb als habitueller SBeftfc ber TOenf^eit entfefeieben abgelehnt, als
potentieller bagegen toiebergetoomten, als eine SCrt Ubtbolipräfenj. Samit ftefyt allerbingg
bie anbere 33ebauptung int SSiberfprua), bajj bie fyt;poftatifcfye Union an unb für fieb, 5
utriusque inter se praesentissimam unionem et unitissimam praesentiam be=
grünbe (66 f.) unb barum bie ^Jcenfcfybeit allezeit im £ogo§ gegentoärtig fei unb in il)m
alle Kreaturen gegentoärtig fyabe (©tei£ a. a. D. 595, praesentia intima). 60 fommt
Gl;emni£ über ein toiberfprud)§bolIe3 ©djtoanfen atoifcfyen aprtorifcfyer Ubiquität unb
apofteriortfdjer Ubi= ober SMttbolipräfens nicfjt fymauS unb {ebenfalls buref) fein Stefuttat in 10
Monflilt mit feiner ©runbtbefe: propria non egrediuntur sua subjeeta. 35ie ßonfe=
quenj feiner 2lnfcbauung ift eigentlich, bafj bie 2ftenfcbt>eit $efu jugletd) effentieK 3trlum=
ffript unb potentiell ommpräfent ift. (Über bie reformierte ^ßolemif bgl. ©orner a. a. D.
Z. 724ff.)
£ic £ef>re ber Konforbienformel (Slrt. VII unb VIII) ertoeift ftd^ al§ eine fa)toer= 15
lieb genau fijierbare unb einbeutige Kombination Sutfyertfc^äSrengfcfyet; unb (S^emni^fdjer
2luffaffung. 9ttan mu| feigen, baf$ fie bireft bie 3JJuIti= ober llbiboltpräfeng inbirelt aber
bie effentieße Ubiquität be§ £eibe3 lef>rt. £)enn mrgenbS benennt fie \xa) au§brüdlicb, unb
bireft ju bem repletive esse, ber Dmnipräfeng ber 9[RenfcbI)eit ßfyrtfti. SSielmefyr be=
tocgen fid) alle ib,re 2tu3fagen in biefer 3ticbtung auf ber Sinie ber s]JcuIttboIipräfen;$. 20
3toar fcfyreibt fie ber 9Jlenfcb/b/eit toäfyrenb ber ©rniebrigung tote @rb,öb,ung ben bollen
33efu) ber göttlichen SRajeftät ju. Stber fie ertoäfynt als beren ^tgenfebaften immer nur
bie Dmnipotenj unb Dmnifcien^, nie bie Dmnipräfenj (bei 9MHer 549, 35. 680, 29. 680, 27 f.
C91, 74. 692, 77 f. 695, 92). @S toirb jtoar bon ber 2lllgegentoart ©otteg (548, 27
695, 90. 692, 77) aber nie bon ber Slllgegentoart ber DJienfcbbeit ß^rifti gerebet, bagegen 25
bon tbrer ©egentoart „auf ©rben" „in ber Kirche'' „bei ben ©laubigen" ©tefe toirb
aber ftetö als burefy bie Dmnibotenj Vermittelt gebaut (672, 119. 680, 27 29. 691, 74.
092, 77. 695, 92). @3 fyeifjt jtoar einmal: revera omnia implet et ubique non
tantum ut Deus, sed etiam ut homo praesens dominatur et regnat (680, 27 f.).
2lber praesens ubique dominari ift ntdjt ubique esse, ©ine Überfpannung ber 30
Ubiquität lefynt fie jebertfaffS febr beftimmt ab (548, 27. 695, 90). ^nbireft approbiert
fte aber bie Ubtquttät3lel)re £utfyer3 buret) bie 2lufnafyme ber großen Gitate aus feinen
2lbenbmabl3fd)riften (667 ff. 693 ff.) mit allen ©ä£en über bie Ubiquität unb ba§ reple-
tive esse, ©te lebrt alfo bie Ubiquität tnbireft neben ber Ubtbolipräfenj. SDabei eignet
fie fid) £utber§ Sluffaffung ber dextera dei als S£ropu§ für ©otteS SJtajeftät an (540, 12. 35
546, 17). 9Jcan fiebt alfo beuttief), toie t?ter bie beiben Strömungen miteinanber ringen.
Sonseffionen an 6fyemnit5 finb 1. bie Betonung ber Ubibolipräfenj al3 2lu3fluf$ ber
Cmnipotenj, 2. ber ^nanition ntebt blofj als xgvyjtg fonbern aud) xsvtooig xQVosco^
(546,16. 679,26. 680,26. 688,65), 3. bie a3orau3fe£ung : propria non egrediuntur
sua subjeeta (681, 32) mit ber @r!lärung, ba§ circumscripte esse fei effentiette s$ro= 40
prtetät ber SRenfcbbeit (676, 8), — tooburef) freilieb, ebenfo tote bei Sb^emnii ba§ genus
majestaticum gefprengt toirb, 4. bie toieberbolte Segitimierung be§ bie energetifd)e 2luf=
faffung begünftigenben 33ilbe§ bom feurigen ©tfen (678, 18. 689, 66). ^n ben Sutber=
citaten fommt bagegen ber SBren^aniSmug ju 3ßort. 2lucb barin, ba| inbirelt btötoeilen
(Sbemni^fcbe 2lnfid)ten abgeliefert toerben (685, 5). ^m übrigen toirb bie Comm. Id. 45
realis als iaS gunbament ber gefamten dbjiftologie mit ftarler Betonung ber Integrität
ber Naturen unb ibrett Proprietäten, ber Unempfängltcbleit ber göttlichen Statur für bie
menfcbltd)en Proprietäten (684) unb ber Trennung ber ©tänbe fo burebgefübrt, ba^ fte
fotoobl ein gemilberter SBrenjianiömug , toie ib^n Slnbreä bertrat, als ber fortgerittene
SWelanc^tf;oniani§mu§ 6b^emni|' aeeeptieren lonnte. ©oefy geigt ber Sorbebalt bei (enteren 50
betreffs ber Ubiquität in feiner Unterfcbjift, ba^ man ba<§ Problem ungelöft toufete.
7 ©te§ jeigt aueb, bie toeitere ©nttoictelung ber Sebre, bie nur !urj fli^iert toerben
lann. SBietoob^I bie Ubibolipräfenj 6b,emni|' in ber F.C. haS Übergerotcbt über bie afc
folute Ubiquität getoann, tourbe fie boeb eine Zeitlang bureb bie gemeinfc^aftlicben Se=
mübungen ber beiben ©ebtoaben £ eonbar b §utt er unb leg. §unniu§ ju ©unften ber 55
Ubiquität berbrängt (3)orner a. a. D. 775; £bomafiu<§ a. a. D. 427f.). §utter reprobu=
Siert toefentlicb bit Srengfcbe Sebre. §unniu§ lebrt im 2lnfcblu^ an ©bemni^febe ©e=
banfeit, bielleicb,t aua) fd)on 2utt)erifcbe, eine praesentia intima ber 3Jcenfd;beit, eine
immanente 2lllgegentoart berfelben im £ogo§, eine paffibe Dmnipräfenj. 1)od) gebt er
bnrin über (§bemni£ ^titanS, ba| er bie im ©tanbc ber (gmtebrigung blofj latente prae- eo
196 ttbtquttät ttgoltm
sentia intima burd) bie ©rfyölmng zur omnipraesentia extima fteigert, neben ber
Zugleich, aber bie räumliche ^ßräfenz be§ £etbe3 im §immel fortbeftefyt, womit ber ®uaIi<o=
mu§ ber menfd)li$en (Sjtftcnj ßfyrtfii, ber bei Sutfyer unb 33renj auf bie %f)at ber @r=
niebrtgung befcfyränft blieb, in permanens erllärt wirb (©tei£ a. a. D. 599 f.)- ®amit
5 War bie Ubiquität jur 3Inerlennung gebraut unb nur bie nähere girjerung ber Geologie
überladen.
3Son je£t an Wirb bie Ubiquitätslebje ein Moment in ben Cenotifcfyen ©treitigfeiten,
für meiere auf bie Slrtifel Cenofig unb ßfjriftologie in biefem Söerfe berWiefen werben
mufj (bgl. aud) ©tei| a. a. D. 600 ff.). _®ie ©iefcener lehren im Stnfcbjuf} an Gfyemnü^
10 §unniu§ neben bem potentiellen 33efitj bie xevwoig xqiqoecas ber göttlichen Proprietäten
fettend ber 9Jienfct)^ett unb bie praesentia intima in ber ©rniebrigung, referbieren bie
Dmnibräfenz ber 9ftenfd$eit für bie ©rfyöfyung. ®er Sogos' f)at alfo Wäfyrenb ber (Sr=
niebrigung bie 9)lenfcf)fyeit tfvax gegenwärtig, aber aU eine folcr/e, bie nicfyt an feiner
3lllmacr)t unb SlHgegenWart bartizibiert. @r regiert oljme t^re Cooperation. ®ie Tübinger
15 führen bie Comm. Id. aueb, Wä^renb ber ©rniebrigung lonfequent burd), geftatten nur
eine xQvxpig xQV°£C0^> -binbijieren alfo ber 9Kenfcf;I)eit in inanitionis statu nur eine
©iffimulation ber bollbefeffenen Dmni^räfenj. 5Kur für bie SlUmac^t gefielen fie ben
fyol)enbriefterlid)en Munitionen 3efu eme yJvcooig xQrjaecag iu (retractio reflexiva).
©te Wafyre 9Jcenfcl$eit War freilieb, bamit in grage geftellt (©teifc a. a. D. 600 ff.;
20 S^omaftus' a. a. D. 429; ®orner a. a. D. 788 ff.). ®er 2lbftanb zWifcfjen beiben ift nur
relatib. Sie ©iefjener befcfyränlen fid^ auf bie ^ßotentialität, bie Tübinger be^au^ten
©ubftantialität beö 9Jtajeftät3befi|e§ ber 3Dlenfd)I)eit in ber ©rniebrigung.
®ie ©efcfyicfyte ber Übiquitätslelp ift bamit abgesoffen. SDer 23erfucb, 9cifoIais', fie
im banentl)etftifd;en unb etfnfcfyen ©inne umzubiegen (©tei| a. a. £>. 605 f.), ift ©irtgel=
25 erfcfyeinung geblieben. 2öieWo|l bie beiben Styben einanber näl)er Jommen, wirb boeb, in
ber golgejeit feine ©tmtfyefe erreicht, ©ie befielen innerhalb ber lutfyerifcfyen Geologie
mobifijiert nebeneinanber fort. $m allgemeinen gewinnt 6I)emmi3 bureb, bie ©iefjener
bie Dberfjanb. Salijt lefyrt ju ber melancfytfyomfcfyen fjaffung ber Comm. Id. jurüd3.
®ie 33eztel)ung auf bie 2tbenbmal)Islel)re tritt in ben ^intergrunb. 9JUt bem ^ietigmug
30 unb befinitib mit bem 9tetionalis'mus erlahmt bie d?riftoIogifc|e ©belulation. ®ie lutb,e=
rifcfye ©ogmatif bes" 19. ^al>rf)unberts Ijiat bem Ubiquitäi^broblem geringere*? ^ntereffe
entgegengebracht. ÜRur ^3I)ilibbi ttat bon ben ©r/ftematifem ben ©tanbbunlt ber ©iefjener
retorobujiert. $)ie (Manger Cenotiler behalten bie Dmnibräfenz für ben erbeten ©ott=
menfd)en bor; Xl)omafiu§ begrünbet fie mit @I)emmtj auf bie 2lllmacf)t (a. a. D. 271),
35 granf, Wie e§ fcfyemt, auf bie praesentia intima (2öal)rf)eit II, ©. 230 ff.), b. Dttingen
auf bie „Staumbefyerrfcfyung" (©Aftern II, 2, 151). ©afj aueb, bie Cenotifcb^e 2luffaffung,
Wietoob^I fie einen cb,riftologifcb,en gortfcfyritt barftellt, bon großen ©cb^Wierigfeiten gebrückt
Wirb, lann nict)t zweifelhaft fein. 5Der gortbilbung ber ßf)riftologie, an ber bon ber=
feb^iebenen ©eiten gegenwärtig gearbeitet Wirb, bleibt bie Aufgabe, nacfybem bie Ubiquitätg=
40 lef)re in if)ren bisherigen formen nirgenb§ eine Wiberfbrucfjälofe Raffung gewonnen b^at,
bem ©laubenöintereffe, ba§ il)r unleugbar jugrunbe liegt, ju einem bogmatifa) einWanb=
freien 2lusbruc! ju bereifen. 9t. 85B. ^«nsinger.
Übel f. b. 31. Seiben 33b XI ©. 360.
ltgolmi, Siagio, latein. 93Iafiu§ llgolinuä, ift betannt geworben burdb, ben The-
45 sauraus antiquitatum sacrarum, ber in Senebig 1744—1769 in 34 goliobänben
größten gormat§ erfc§ienen ift. tiefes äöerl enthält erfteng: einen 9toubrud ga^lretd^er
Slbb^anblungen jur biblifcfyen Streb, äologie bon berfeb^iebenen ©eleb^rten. — $Weiten§: 3lb=
l>anblungen bon U. felbft, 33b 10: Altare exterius, de mensa et panibus propo-
sitionis; Sb 11: Altare interius; de candelabro; 33b 12: de sacerdote castrensi
50 (£)t 20, 2ff.); 93b 13: SacerdotiumHebraicum; 33b 17: de ritibus in coena Domini
ex antiquitatibus Paschalibus illustratis ; 93b 21: de phylacteriis Hebraeorum ;
33b 22: Trihaeresium ($fyarifäer, ©abbueäer, @ffäer); 33b 29: de re rustica veterum
Hebraeorum; 33b 30: Uxor Hebraea; 33b 33: de veterum Hebraeorum et reli-
quarum gentium, praesertim Graecorum et Romanoruin, funere et praeficis.
55 S)iefe älbfyanblungen geigen gute Kenntnis ber jübifdjen Sitteratur unb aueb, fonft ©elefyr=
famleit. — S)ritten§: Überfe^ungen altjübifcfyer Söerle famt nebenfteb,enbem ©runbte^te.
a) 31 ^Eraltate ber 3;b,osebb,tb,a, nämlia) in 33b 20 bie erfte Drbnung, in 33b 17 18 bie
zweite (Web), in 33b 19 bie fünfte (Qobafd)im). — b) 20 Sraftate bes toaläftin. 2al=
ltgolim UI)U)inu 197
tnubs. 33b 17: ^esacfnm. 23b 18: ©cbeqaltm, ^oma, Su!fa, 9bfd) fya=fd>ana; Tfya'anitb,,
9Kegilla, (^agiga, 33e^, ^oceb qaton. 93b 20: 3Jcacafrotty, 9Jlacafer fc^ent, ßljalla, Trla,
SiHurim. 33b 25: Sanfyebrin, 2Raifot&. 33b 30: Qibbufd)in, Sota, Äetfyuboify. —
c) 3 Traftate be£ babtylon. TalmubS. 33b 19: Zebacfyim, 9Jcmacr;otfy. 33b 25: Sanljebrin.
- d) -1 alte ÜRtbrafd&e (f. biefe ©ncbil. XIII ©. 788. 793,45ff.), nämlid): 9MfyiItba 5
unb Sibbja in 33b 14; Sibb/re in 33b 15; &qa<§ tob ju Set», 9cu, 35t (unter bem fal=
fd)en Titel Pesictha) in 33b 15 unb 16. — e) ,3cd)lreid)e Traftate au§ bem großen
3titualtoeri Sab cfyazaqa beö 90?ofe§ 9Jcaimombe§. 9}amentlid) megen biefer letztgenannten
Überfe^ungen ift U. in 35eutfd)lanb angegriffen morben : SRofeg 9Mm. fei leine 2lutorität.
3n einem 1748 an Sf)r. 33en. 9Jcicr;aeli3 in §afle gerichteten ©djreiben (ba£ ©jemblar 10
bei- flfll. 33ibIiotb/ef in 93erlin (33ibl. 35iej 2488; 11 ©eiten 4t0) f>at lein Titelblatt. Qn
Zaccaria's Storia letteraria d'Italia I (23enebig 1750), ©. 207 lautet ber Titel :
Viro celeberrimo Cristiano Benedicto Michaelis . Blasius Ugolinus S. P. D.,
Venetiis 1748) berteibigt er fid) unb bringt 33emeife bafür, bafj 9Jcofe<§ SRaim. mit 9ied;t
fia) ^obc6 2lnfeben§ erfreue. 23gl. aucfy baö 93orroort ^um 17. 33anbe. 15
33b 34 beg Thesaurus ift ein 486 ©eiten fültenbeS 9tegifter. $ot). ©eorg Teufel,
Bibliotheca Historica I, 2, ©. 118—142 (Seidig 1784) giebt ein aSergeid^nig aller
Titel ber einzelnen Slbbanblungen unb Überfettungen.
Über ba§ Seben ü§. fyahe id) bi§ je|t letber nicbtg ermitteln lönnen. $n ber
äBibmung jum erften 33anbe, 1744, ift gefagt, ba| bie Vorarbeiten mefyr atö ein ^abr= 20
gebnt gebauert baben. 35er Stegifterbanb, 1769, ift nod) bon ü. felbft bearbeitet. XL.
nennt fid), too er lateinifd) fd)reibt, ftet3 33Iafiu3 UgoIinuS. Ugolini mirb er in ber 33e=
fbredmng ber erften 3 33änbe bes> Thesaurus im Journal des Scavans genannt:
33b 138 (346, 2lmfterbam 1746), ©. 389—412; 33b 141 (349, Stmft. 1747), ©. 245
bil 262; 33b 142 (350), ©. 20—35; 33iagio Ugolini in Storia letteraria d'Italia I, 25
S. 207 unb in ben furjen 33efbred)Uttgen be<§ Thesaurus bafelbft IV, 134— 136; VII,
476—478; VIII, 372; X, 506. fön biefen Sinnigen wirb gerügt, baft U. bie 33ebeu=
tung ber rabbinifd)en Sitteratur für ba§ SSerftänbmS ber 33ibel überfd)ät$e.) U. ift ein
nid)t feltener italienischer 3came. ^n bem ©^reiben an (5b/r. 33. 3)Jid)aeli§ ermähnt ü.,
baft bie jugenblid)en 33rüber 2öald) in SSenebig oft mit ibm jufammen roaren (gemeint finb 30
Qob,ann ßrnft 3mm<wuel 2ßalcb, fyäter ^rofeffor ber ^ßlnlofobfyie unb ber 33erebtfamieit
in ^ena, geb. 1725, unb 6f)riftian 2Bilr,elm granj äSald), geb. 1726, feit 1753 «ßrof.
in ©öttingen). ©benba bittet er, bem ^ßrofeffor ©igigmunb 33aumgarten in .gälte (geft.
1757) biete ©rüfce auszurichten. — Dbmofyl U. eS, fotoeit td) gefeben l)abe, nirgenb§
fagt, lann bocb, roobl faum ein groeifet fein, ba§ er geborener $ube mar unb erft fbäter 35
jur römifcb^fatbolifcfyen ®ircbe übergetreten ift. £crm. £. ©trorf.
U^l^orn, ©erb, arb, lut^erifd^er Theologe, geb. in D^nabrüd am 17.^ebruar
1826, geft. in §annober am 15. 35e^ember 1901. — ®.U., 3t6t ju Soccum. Don &r. Ufjl=
Iiorn, Stuttgart 1903.
U. entflammt einer bürgerlichen gamilie. 35er 3Sater mar ©dju^madjermetfter, ein 40
angefe^ener 3)?ann bon geiftiger 9tegfamfeit unb ecfeter grömmig!eit, bie -Bcutter eine
jarte feinfinnige grau, bie balb nad) ber ©eburt be3 ©ob^neS ftarb. ©c^lic^tbeit unb
filarfyeit be§ 2Befen§ b,at IX. ab§ ©rbteil be§ @lternl)aufe§ empfangen, aber aucfy burcb,
bie fleinlicf)en 33err;ältniffe, bie totrtfd)aftlid) oft bebrängte £age„be3 33aterS unb ba§2ln=
getoiefenfein auf frembe §ilfe eine getoiffe 33efangenbeit unb Singftlicb^feit. 35er Slnabe 45
befugte junäcbft bie S^olföfc^ule, ba ber 35ater iE>n jum §anbroerf ergeben roodte, aber
feine ungemöfmlidje 33egabung 50g bie 3lufmerlfamfeit ber Sefyrer auf it)n, unb ber l>er=
borragenbe ©cb^ulmann Schüren fettfe burd), ba§ er baö ^latSgr/mnafium befucben !onnte.
§ier l^at bor allem 35ire!tor Slbeden, einft §au3lefyrer bon ©d)illerg ©öb^nen, auf
ilm eingetoirft, ein SRann boü 33egeifterung für ba§ Älaffifd^e unb bon religiöfen 60
unb tfieologifdicn ^ntereffen; unb im ^onfirmanbenunterric^te ^aftor SSeibegabn, ein
Vertreter be§ neu ertoad)enben lirc^lic^en ©lauben^Iebeng. ^acb, einem bergeblidjen
23erfud)e in ba§ ©cb^ulle^rerfeminar aufgenommen ju merben tonnte er mit ber Unter=
ftü|ung einiger ifym toof)lgefinnter §erren baS ©^mnafium abfolbieren. ©ein SBunfd;
*oar 3)catf)ematit ju ftubieren, aber au§ Mangel an Mitteln entfcblo^ er fid) jur Tb«o= 55
'08i«, ju ber iljm feine ^ugenbeinbrüde binjogen. $n ©öttingen mürben Sude unb
(ätyrenfeud)ter feine Sef)rer unb bäterlid)en greunbe. Unter ib,rem ©influffe befreite er fid)
bon bem $ieti§mu§, ber ibn bon D^nabrüd b,er anhaftete unb mürbe ein 2ln^änger ber
gläubigen 3Jermittlung3tb,eologie, aber unter 2öal)rung feiner getftigen ©elbftftänbigl'eit.
198 ltt)Cf»or«
9Zacb früher ^auSlefyrcrjeit Würbe er 1849 in ©ottingen Slebetent urtb habilitierte fid;
1852 bort als ^ßribatbo^ent mit ber ©cfyrifi: Fundamenta chronologiäe Tertullianeae.
2lußer Slird;engefd;id;te IaS er aud; über baS St'S unb torebigte regelmäßig in ber Uni=
berfitätSfirdje. ©ifrig beteiligte er fid; mit fcfyarfer geber an bem Wiffenfd;aftlid;en Äambfe
5 gegen bie Tübinger ©d;ule, bon Säur als „ein nicfyt unbilliger Beurteiler" geartet, bon
£ilgenfelb gefd;ä£t unb berbiente fid; in faft federn «Streite bie ©boren. 1854 erfcfyien
fein Bud;: „®ie §omtIten unb ÜRefognitionen beS GlemenS SiomanuS nacb. ifyrem Ur=
fbrung unb %nfyalt bargeftellt", aud} arbeitete er mit an ber grage nad; ber @d)tl)eit ber
3gnatianifd;en Briefe unb fdjrieb 2trtitel für bie erfte Auflage biefer ©ncttflobäbie, beren
10 Mitarbeiter er bis ^um £obe geblieben ift.
^n ber l>annoberfd;en SanbeSfird;e entbrannte ju biefer $eit ber ß'atnbf jWifdjen
ber neulutl>erifd;en ortfyoborm Stiftung (Sßetri unb SRündmiefyer) mit tfyren fyocfyfircbjicfyen
2lnftd;ten unb ber ©öttinger gafultät (Sude unb 6f)renfeud;ter), ber 2lbtoeid;ung bom
Bekenntnis unb unioniftifdje SEenbenjen borgeWorfen mürbe. Ü. ftanb auf ber ©eite
15 ber ©öttinger, maßbotl tfyre Sinficfyten bertretenb ; er rebigierte bie bon ben ©öttmgern
herausgegebene „9JionatSfd;rift für Geologie unb Uircbe" %n biefem $ambf hinein fpielt
ein anberer über bie innere SJliffion, bie bon ben BermittlungStfyeologen Warm gefördert,
bon 5ßetrt für ein gefährliches ©cpnggeWädjS am Baum ber $ird)e erflärt würbe.
^3etri erreichte bie Befeijuug ber ©öttinger gatultät mit ©efinnungSgenoffen nid)t, biel=
so mein- mürbe aufs neue ein BermittlungStfyeologe unb ^War aus ber Union berufen
(©djöberlein), aber fein „ßeitblatt" berbrängte bie ©öttinger geitfebnft unb getoann
großen (Einfluß auf ben größten SEetl ber ©eiftlid;ett, bie fid; einer bolfStümltdjen DrtI)o=
borje juWanbten.
Um ber ^ßetrifdjen Stiftung entgegenzuwirken tourbe U., ber fid) aud; als bebeuten=
25 ber ^rebiger burd; ein Bänbdjen ^rebigtert (©ottingen 1854) in Weiteren Greifen befannt
gemacht fyatte, 1855 nad; £annober berufen als .gtlfSbrebiger an ber ©d;Ioßfird;e unb
Hilfsarbeiter im ^onfiftorium. @r »erheiratete fid; unb b,at mit feiner grau in einer
langen, überaus glüdlicfyen, mit jed;S ^inbern gefegneten (Efye gelebt. SRafd; ftieg er empor.
1857 tourbe er ^Weiter, 1861 erfter £>ofbrebiger unb ^onfiftorialrat. SJttt feiner ^rebigt=
so art (f. b. 31. ©efd;. b. ^rebigt Bb XV ©. 718) brang er nur langfam burd; unb lonnte
erft gegenüber ben anbern bebeutenben ^rebigern §annoberS, bor allem $etri, nid;t auf=
fommen, lange Qtit fyatte er faft leere Slirdjen, bis fid; bann eine bon $al;r gu $al;r
Wad;fenbe treue ©emeinbe um iljm fammelte. SBenig besagte tfym erft bie Slrbeit im
^onfiftorium. $Die bureaufratifcfye, jagfyaft unentfdjloffene, am Sllten fyängenbe, bem $ort=
35 fdjritt abgeneigte Slrt, bie fd;on TOemann bergeblicb. belämbft fmtte, War il)tn I)öd;ft un=
ffymbatfyifd). SDrüdenb embfanb er aud; bie Berlobblung bon Jlird;e unb ©taat unb bie
9?üdhnr!ung, bie aUe boIitifcb,en Äämbfe, bie bamalS baS lönigreid) ^annooer bewegten,
auf bie Äird;e ausübten. „SDaS ift baS unfäglidje (S'lenb biefer Berbinbung bon ©taat
unb $ird;e", fd;rieb er bamalS, „baß nun bie ^ird;e 9JJagb Wirb, baß fie in jebeS
40 ©d;Wan!en ber Regierung, in jeben ^rrWeg, ben bie ^olitil einfd)lägt, mit hineingezogen
Wirb" ©od; lonnte er einige fyeilfame gortfd;ritte anbafmen Reifen, fo bie (Einführung
bon 2lbenbgotteSbienften unb bie SReuorbnung ber ©efängnisfeelforge, bie nod; red;t im
Slrgen lag.
^n ber braftifcfyen Slrbeit in §annober toanbelten fid; feine tfyeologifdjen unb lird;=
45 lid;en 3lnfd;auungen. ©eine Siebe ju ber (Eigenart ber Iutl>erifd;en üird;e, bie in feinem
reiben ©emütsleben unb feinem gefd;id;tlid;en ©inne Wurzelte, Würbe geftärü, er Würbe
ein ©egner ber UnionSgebanlen unb Wanbte fid; meb,r ber Drt^obo£ie ju. @r Würbe
baburd; jum Mittelsmann jWifd;en ber ©eiftlid;!eit unb gafultät unb l>at namentlid; ba^u
beigetragen, baß bie ©bannung jWifd;en beiben allmäpd; aufgehoben Würben. SBä^renb
so feines ganzen SebenS f)at er fid; barum bemüht, ein gutes Behältnis gWifd;en Äird;e
unb Uniberfität aufregt ju erhalten unb War ba^u befonberS geeignet burd; feine Siebe
jur 5!ird;e unb aud; jur SSiffenfdiaft. 2lllerbingS mußte er aua) felbft bie ©bannung
jWifd;en ^^eologie unb Äird;e, bie in geWiffer Söeife unbermeiblid; ift, embfinben, unb
ba er mit bem §er^en in ber Hird;enle^re Wurzelte unb in fie immer tiefer I;ineinmud;S,
55 wä^renb fein fd;arfer Berftanb offen War für aUe t^eologifdjen fragen unb Wiffenfd;aft=
liefen gorfd;ungen, fd;ien er juWeilen unentfcbjeben unb fd;Wanfenb ju fein, ©o flar
unb beftimmt er bie altlutfyerifcfye Se^re bertrat, fo fd;roff er gegen 2lbWeid;ungen bom
BelenntniS fein !onnte, fo an§ie|enb Waren für ilm auä) Wieber bie neueren tl;eoIogifd;en
©ebanlen, unb er berftanb unb trug abWeid)enbe 3lnfid;ten. ©o lam es, baß bieDrt^o=
60 bojen \i)tn borWarfen, er neige ju ben Neuerern, Wäfyrenb biefe enttäufd;t Waren, baß er
W)H)ov« 199
nid;t auf ibje ©citc trat. SDJan I)at ifym be§f>alb aud) iuoE)I bcn 33ormurf ber ©ib!o=
matic gemacht, aber mit Unrecht, benn fein 23erf)alten im ifyeologifcfyen unb fircfylidjcn
©treite ift nicfjt ein berecfynenbeS gemefen, fonbern au§ feiner 2BcfenSart fyerauSgemact/fen.
Wü bem tfyeologifdjen 92acl)mud)S blieb er in SSerbinbung burd; feine ©£amenS=
tfiätigfett. ©r fyalf an feinem Teile bie jungen Theologen, bic in miffenfdjaftltcfyer 5
33ejieb,ung biel ju münfdjen übrig liefjen, ju ernfteren ©tubien gu führen, ©eine
eigene hnffenfcfyaftlidjie Tfyätigfeit erftredte ftd) auf baS gefcfytdjtlidie ©ebiet. $n ben
$abrbüd;ern für beutfdje Theologie (1857 u. 58) fcfyrieb er luffä^e über bie $ird;en=
gcfd;icf)tSfcl)reibung, bie auef) eine 2luSeinanberfe|ung mit ber Saurfd)en ©dmle enthalten.
Öreifsmalb efyrte ifym 1860 burd; ben tfyeologifdjen ©oftor. 1861 erfcfyien fein Seben 10
beS UrbanuS 9tf)egiuS. 3n \imiX prafttfdjen Tfyätigfeit als §oftorebtger erneuerte er
bie alten formen beS lutfyerifcfjen ©otteSbienfteS unb führte liturgifd)e Sehern ein.
Sie ©cfylofelirdje mit ifyrem ©fyor mürbe borbilblid; für bie Siturgie. %ufy ©efangbud;S=
fragen befestigten ü)n unb ^mar in Se^ie^ung auf baS gürftentum DSnabrüd, baS ein
febr fd}Iecb,teS ©efangbueb, befafj. ©ine beffere geiftlid;e 33erforgung ber rafefy maef/fenben 15
.vmubtftabt mürbe burd; ben 33au ber bon K'önig ©eorg V gefcfyenften ©f)riftuS!ird;e
begonnen, ©eine in ©öttingen gemedte Siebe jur inneren 3Jiiffton betätigte 11 burd;
l'Jcitarbett im Qüngtmg^toerem, nod; mel)r bei ber ©rünbung ber ©iafoniffenanftalt
„§enriettenfttft", einer ©tiftung ber Königin 9Jiarie bon §annober. ©r entmarf bie
©runbjüge ber SCnftalt im 2Infct)luf$ an 23etb,anien in Berlin. Sie §auSorbnung unb 20
2lnmeifung für bie ©d;meftem gel;en ben SRittelmeg ^mifdjen ju gröfeer ©ebunbenfyeit
unb greifyeit. U. I)at burd) feine perfönlid;e Arbeit bem ©tift ben lutfjiertfdjen 6I)arafter
aufgeprägt unb bie feften ©runblagen gefd;affen, auf benen S3üttner eS bann ^u fyoljier
Slüte geführt fyat. ©er Anfang mar ferner, bie gafyl ber ©cr/toeftem Hein, baS 5Rif$trauen
im Sanbe gegen baS als fatfyolifd; unb bietiftifd; berfd)rieene ©tift grofs, baS b,annoberfd;e 25
ßönigSbaar blieb lange geit £>aubtförberer ber ©iafomffenfacfye. 1863 mürbe ein
grofjeS ©ebäube für bie §enriettenftif tung gebaut, aber erft in ben Kriegen Don 1866 unb
1870 71 mürbe für weitere Greife bie S3ebeutung beS ©tafoniffenmefenS ermiefen unb
größere Teilnahme bafür gemedt.
§emmenb unb bod; mieber förbernb für bie ©ntmidelung ber I;annoberfd;en SanbeS= 30
fircfye rourbe ber $ated)iSmuSftreit 1862. ©er an ©teile beS alten rationaliftifd; ge=
färbten SanbeSfatecfyiSmuS bon 1790 einfeitig burd; romglid;e 33erorbnung eingeführte,
bon SübrS bearbeitete unb bon ber ©öttinger ^alultät gebilligte ort^oboje ^ated^temuS,
ber bie neuere Gmtmidelung ber fatect^etifc^en Slrbeit ju feb,r ignorierte, erregte einen
©türm, ber bon ben boütifd) Siberalen, bie ba§ realtionäre 3)Jinifterium SorrieS ftürjen 35
wollten, teils b,erborgerufen, teils geförbert tourbe. @S fam ju S]olfStumuIten, bie felbft
baS Seben beS ^onfiftorialrateS bemann unb aueb, U^I^ornS, bie als Träger ber fircbjidjen
9ieafttort galten, gefäl)rbeten. SDer dortig ©eorg V gab nacb, unb 50g bie Sßerorbnung
äurüd. ©er ^atecl)iSmuSftreit führte aber bie ort^oboEe Stiftung mit ber gafultät gu=
fammen unb buref) it)rt fam aud; bie §rage nad; einer ©t)nobalberfaffung toieber in glu|. 40
I860 mürbe eine 35orft;nobe berufen, bie nacb, fyeifjen ^?artei!ämbfen eine Äird;eni)DrftanbS=
unb ©rmobalorbnung fd>uf, bie, einftimmig angenommen, bis f)eute giltig unb bie fefte
©runblage ber meiteren (Snttoidelung ber b,annot)erfd;en SanbeSlirdje gemorben ift. 31IS 1866
^annober eine breufjifdje ^ßrobinj mürbe, erfannte Äönig Söiltyelm bie ©elbftftänbigfeit
ber Iutf)erifcb,en SanbeSrnicfye an, bie ib,r am 17 Slbril 1866 gebilbeteS SanbeSlonfiftorium 45
als oberfte fircfylidie 33ef)örbe behielt, ^räfibent ber neuen 33eb,örbe mürbe ber fyoeb^
begabte unb fyocfyberbiente 5!JJinifter Sicftenberg, U. mürbe U)r 3)titglieb unb blieb cS
bis jum Tobe.
3n btefer ©tellung b,at er ©ro^eS für ben SluSbau feiner ^ircb,e geleiftet. 2ßenn
ilrni aud) ber lüfjne SBagemut nid}t gegeben mar, ber aud) rüdfid;tSloS burd;greifen 50
fann, menn er aueb, meb,r barauf bebadrt mar burd; borfid)ügeS Sabieren baS ©duff burd)
bie mancherlei Älibben ju führen, fo ^atte er bod) ©in $id feft im 2tuge, bie lut^erifcb.e
förd)e ju förbern unb ju ftärfen, unb baS §at er getl)an mit feltener SlrbeitSfraft, großer
ircue unb ©e!bftlofig!eit. ©r mar lein eigentlid) neufd;öbferifd;er ©etft, fein gefd;icf)tlid;er
Sinn Ijing mef)r am Sllten, aber biefeS 2llte fud;te er für bie ^eujeit mieber lebenbig 55
?u machen, unb fo borfid)tig er allen neuen Anregungen entgegenkam, obmob,! ftetS boü
^ntereffe für alle neue ©ebanfen, fo jäb, unb entfd}loffen arbeitete er an it)rcr 2luS=
füb,rung, fobalb er fieb, bon ib^rem 2öerte für bie $ird)e blatte überzeugen laffen.
©r f>at feine befte Äraft baran gefegt, bie Äircl)enborftänbc unb ©fynoben ju Ieben=
bigen unb fruchtbaren Organen ,^u geftalten. Unermüblid) mar er in ber Teilnahme an 60
200 UljUjortt
ben Sejirlgfr/noben unb fucfyte im berfönlicben 3Serlet)r auf bie <i?ircl)cnborfteI)er unb
^aftoren em^utoirfen. @r tourbe ber Tlann be§ 3Sertrauen§ für biele unb bort" ®ird)en=
borftefyem unb ^ßaftoren häufig um 9?at angegangen, zuweilen fafi überlaufen unb bod)
immer bereit ju Reifen, ©ie ©elbftftänbiglett unb 33eWegung3freiI)eit ber ©fynoben unb
5 einzelnen ©emeinben lag il)m am £>erjen, ein ^incinregieren ber ^ird)enbe!)örben liebte
er nid)t, fo lange ba§ 33efenntni3 unb bie ©runblagen ber £anbes>lird)e geartet mürben.
©aä $ird)enregiment foßte nacb, feiner Meinung fid) bor allem burcaufratifd)en 9tegle=
mentieren b,üten unb feine Hauptaufgabe in ber eifrigen görberung aller £eben3regungen
in ben ©emeinben, in ber Unterftü|ung aller Seftrebungen für il)ren äußeren unb inneren
10 2tu3bau fe^en. $n biefe™ ©inne fyat er ber ©iöcefe §ofya=$Diebf)oIz längere gett aU
©eneralfuberintenbent gebient unb ber gangen £anbe§fird)e im £anbes>fonfiftorium. §ier
bat er als geiftlid)e§ 9Jtitglieb entfcfyieben ba§_ meifte geleiftet burd) feine bebeutenbe
2lrbeit§fraft unb unermüblidje 2lrbeii§Iuft. 9Jtit Überzeugung bertrat er bie fog. 33rüelfd)en
2lnträge, bie bem £anbe3fonfifiorium bie guftänbigf eitert, Wie ber Dberfird)enrat in Berlin
15 fie blatte unb beffen formelle Unabbä'ngigfeit bem jftinifierium gegenüber, foWie ber
^irdje übertäubt größere ©elbftftä'nbigleit, aber unter ^Beibehaltung ber Ianbe§l)errlid;ert
$ird)engemalt, berfd)affen wollten. %fym fd)ien ba§ mit ein 2Beg ju fein, ben 33eftanb
ber Iut|erifd)en £anbe§fird)e ju fiebern unb il)r 2lufgel)en in bie Union, bon ber er eine
©d)äbigung ber ed)t Iuti)erifd)en ©ebanfen fürchtete, §u berbjnbem. Söurbe in biefer
20 §infid)t aud) nid)t§ erreicht, fo berfolgte er um fo entfdnebener ba<§ giel, bie fyannoberfd)e
£anbe§ftrd)e äufjerlicb, unb innerlicb, fefter zufammenzufcfyliefjen unb i^r Iutb,erifd)e§ ©e=
bräge zu bertiefen.
21(3 ©uberintenbent ber l^nfbeltton §cmnober arbeitete er in enger 33erbinbung mit
feinen @eiftlid)en unb lürcbenborftänben für eine au3reid)enbe !ird)Iid)e Skrfotgung ber
25 rafd) Wad)fenben §aubtftabt. $n ben fiebriger unb adliger $al)ren fefjte er ben 93au
bon fed)§ neuen Eirenen unb bie @rrid)tung bon jefm neuen ^3farrfteHen burd). SDie beffere
lird;Iid)e 3Serforgung ber anfcfyweUenben ^nbuftriecentren, ber SDioorfolonien Dftfrie^Ianbö
unb ber au§gebeb,nten ©emeinben in ber Süneburger §eibe l)at er big zum %obt unab=
läffig unb erfolgreich betrieben. 5Rtd)t minber eifrig mar feine ^fyätigfett auf bem ©ebiete
30 ber Innern 3JJiffion. $n bem 1865 gegrünbeten „@bangelifd)en herein", ber d)riftlid)e3
Seben unb 2Bir!en im ©inne ber lutfyerifcfyen Ä'ird)e förbern foßte, tnelt er öffentliche
Vorträge über „bie mobernen ©arfteltungen be3 £eben£ Qefu" (1892 in bierter Auflage
erfd)ienen), um bie burd; bie ©ctmften bon 9?enan unb ©traufc beunruhigten ©emüter
ber ©ebilbeten burd) ben Wiffenfcfwftlicfyen 9Zad)toei§ zu ftärfen, bafc ber alte ®ird)en=
35 glaube auf fidlerem ©runbe rube. ©aS lutfyertfcfye SBeWufjtfein fud)te er ju förbern bureb.
eine SReiEje bon Vorträgen über ben ©egenfa| jtoifc^en ber lutfjerifc^en unb römifc^en
Hird;e unb bie ©runbberfd)iebenf>eit ber lutb.erifdjen unb reformierten föonfeffion (2utb,er
unb 9tom, Sutb,er unb bie ©d^märmer, £utb,er unb bie ©d^meijer). 1869 folgten bie
Vorträge über bag batilanifcbe ^ongü, bie in ba§ gefd)id)tlid;e Serftänbniö biefeg ©r=
40 eigniffeS einführen, auf bie Sebrob,ung be§ fonfeffionellen griebenö b,inmeifen unb jur
ebangelifd^en Slbtoeljr mahnen foUten. iäueb, in ber £anbe§fi;nobe mie§ er auf bie brobenbe
©efab,r b,in unb rief bie ©t^nobalen auf, bie ©üter ber Sieformation ju fd)ü£en unb mit
entfd;Ioffener %f)at an ber ©tär!ung ber lutfyerifcfyen ^ird)e ju arbeiten, ©urd) $örberung
ebangelifd;er £iebegtb,ätigleit folle man ber Überflutung be§ £anbe§ burd; „barmherzige
46 ©c^meftern" magren, ben gemifcfyten @b,en befonbere 2lufmer!fam!eit mibmen unb ernft
gegen fold)e Iutf)erifc^e SSäter borgeb,en, bie ib,re Minber Iatl>olifcb, ergtefcen liefen, bor allem
aber bie ^rebigt be§ reinen SBortg bflegen, bie ünterfcfyeibung<§Iel)ren flar betonen unb ben
©uftab 2lbolf=&erein unb ben ©otteSfaften Iräftig förbern.
1869 mar auc^ unter Ufylliormg tbätiger 9)iitmirlung bie ©iafoniffenanftalt „©tebb,an^=
so ftift" gegrünbet, juerft bon ^paftor grefytag geleitet, bann bon ^aftor Briefe ju ^ob,er
Slüte gebraut. 1870 brad) ber beutfcb,=franzöfifc§e Ärieg au§, ber U. §u befonberen,
bon liberaler ©eite fd)arf angegriffenen ^rebigten 2lnla§ gab (3ur Erinnerung an bie
l^rieg^eit. 2ld)t ^rebigten 1871). 2lucb. übernahm er bie ©eelforge bei ben in §annobcr
untergebraebten SSermunbeten. ®ann !am ber fog. Äulturfambf, toie U. bon Slnfang an
55 betonte, töricht begonnen unb nod) berlel^rter geführt ; bie „baritätifd)e" 93e^anblung ber
römifd)en unb ebangelifd)en ^irebe, jmeier ganj berfdjiebener unb z«w «Staate bößig
berfd)ieben ftei)enber tird;en, mu^te nacb, feiner 2lnfid;t lebiglid; ber ebangelifcfjen ^irc^e
fcb,aben unb ber Kulturfambf übertäubt mit einer ?iieberlage be3 ©taate§ enben. ©er
^ambf ber £iberalen gegen 5Rom mürbe in 28irfücf)feit ein Äambf gegen bie £ird)e über=
60 baubt unb gegen jebe§ bofitibe (Eb^riftentum. ®ie fiebriger Qaf)re brachten einen ftar!en
nWorn 201
Webergang beg fird)Iid)cn £ebeng. £>ie .ßaljl ber X^eologtcftubicrcnbcn nal)m rctfjcnb a6,
in ben Jabrifftäbten Würbe bie ftrcfylidje Xrauung fett ber 6infül)rung ber Gibilefye in
Dielen gäUen berfdnnäfyt. SDte Wacfyfenbe foäialbemolratifdje ©trömung unb juneljmenbe
(vntfrembung ber 3trbeiter bon ber $ird)e bereitete grofje ©orge unb bie ©rünber= unb
Sdwinbelgeit, bie mit einem furchtbaren Jlrad; enbete, fd)äbigte bag religiöfe unb fittlid)e 5
Ücb'en auf bag fd)Werfte. 11. arbeitete mit allen Gräften ber junetymenben !ird)lid;en
unb religiösen ©ntfrembung entgegen, ©egen bag Mittel ber „©tabimiffion" E)atte er
crnfte Sebenlcn, er fürchtete eine ©cfyäbtgung ber georbneten !pfarramtlid)en SLfyätigfeit
(wie im Mittelalter burd) bie 23ettelmönd)e) unb Wollte lieber mit allen Gräften bie 3af)I
ber Ideologen, ber ^farrftetten unb fötrcfyen meftren. ©obann fyielt er Vorträge über 10
bcn „i\ambf beg Gfyriftentumg mit bem §eibentum" alg ©biegelbtlb für bie ©egenWart,
aug benen bag in -$al)Ireid;en Auflagen Verbreitete 93ucß mit gleichem £itel, nad) ^nb^alt
unb gorm ein „SfleifterWerl" genannt, erWudjg. @g Würbe bie SSeranlaffung ju feiner
Berufung an bcrfcfyiebenen Uniberfttäten, bie er aber um feiner nrd)Iid)en Slrbeit Willen
ablehnte. 15
3>ag burdj bie Stbilelje beranlafste Srauungggefeij 1876 rief in ber I)annoberfcf)en £anbeg=
fircbc eine Separation fyerbor, relatib ftärler unb auggebefynter alg in irgenb einer anbern
beutfd)en £anbegfird)e. %t)x 9JHtteIbunft mürbe §ermann§burg mit feiner 9Dnffionganftalt,
an berll.g ganjeg^erj t)ing. ®er aufgcbrungene ^arntof mit §ermanngburg unb mit ben
©ebarierten überhaupt bat i|m toiel ©djmerg bereitet ; Wag in feinen Gräften ftanb, fyat er 20
getrau, um ber ©etoaraiion ju mehren unb bag ©inbernefymen jtoifdien ber £anbegftrd)e
unb ber 5Riffion§anftaIt um ber 9)ciffion Willen mieber^ergufteHen, wag aber erft 1890
gelang. Stuf ber anbern ©eite gab c3 einen $ambf mit bem ^roteftantenberein, ber
planmäßige SSerfucbe machte, ©eiftlidje, bie ifym angehörten ober bocf) in ber ÜRicfytung
ibm nafyeftanben, befonberg folcbe, bie ntcbt aug §annober flammten, auf bie hangeln 25
ftäbtifd)er ©emeinben ju bringen. Xa§ Sanbe^onfiftorium Wiberfianb auf bag ent=
fdnebenfte ber gorberung ber (Gleichberechtigung aller 9nd)tungen in ber £irdie unb bem
Streben nadj einer llnionifierung berfelben. Söeil eg toerfcbiebene biefer ^ßaftoren Wegen
sJiid)tübereinftimmung mit bem tutbertfcben Sefenntnig abwieg, Würbe eg auf bag fyeftigfte
angegriffen, and) U., ber aber auf ber £anbegftmobe 1875 einen 33efd)Iuf5 bürdete, 30
toeld)er bag 35erfab^ren ber Selwrbe billigte unb ber 31rbeit beg $roteftantenbereing in
§annober ben SCobeäftofs berfetjte.
1878 Würbe U. jum 2lbt bon Soccum erWäl)It, eines im 12. ^ab^rl^unbert gegrünbeten
©ftercienferflofterg, bag am (Snbe be§ 16. $afyrfmnbertg lutEjerifcb geworben, feine ©elbft=
ftänbigfett unb alte Drganifation big in bie Steugeit erhalten ijat. 11. brachte ber ber= 35
toidelten SSerWaltung beö ÄlofterS ein etngel)enbe§ 3Serftänbnig entgegen, Wie er aucf) al§
^räfibent ber Äalenberg^ruben^agenfc^en Sanbfcfeaft — eine ©teHung, bie mit ber 2tbt§=
tcürbe berbunben ift — rtidbt nur bie burcfy bie Sanbfcb^aft betriebene Söaifenbflege,
fonbern aucb^ bie (Snttoitfelung ber großen lanbfdjaftlicben S3ranb!affe gefcf)ic!t unb tl)at=
fräftig förberte. Sefonberen (gifer toibmete er bem mit bem Softer berbunbenen ^ßrebtger= 40
feminar, bai er jur 3Jcufteranftalt machte. @r fd;uf nocb^ ein jtoeiteS ^ßrebigerfeminar
auf ber @ric§§burg unb nacf) bem 33orbilb Soccumg finb auä) in ben anbern breuf$ifcf>en
^robinjen ^ßrebigerfeminare gegrünbet. 11. f>at in biefer §tnfic^t aufy auf ber ^onferenj
ber beutfcben ®ird)enregierungen in ©ifenacb geWirlt burcb^ Referate über bie tora!tifcb^e
3?orbilbung ber Sanbibaten für ba§ 5pfarr= unb ©cfmlinfbeftoratSamt 1886 unb 1888. 45
SBicfytige Referate t)ielt er auf biefer ^onferenj ferner über bie toiffenfdjaftlicfie unb bra!=
üfttje gortbilbung ber ©eiftlid}en, über !ird;licf)e Slrmenbflege unb bie Mitarbeit ber
Sijnoben auf bem ©ebiete ber £iebe§tl»ätigleit.
3)er§annoberfcb;en Sanbe^nobe b;at 11. juerft ate gemähtes, feit 1878 als ftänbigeS
3)citglieb angehört unb f)ier feine reichen ©aben recfot erzeigt, bor allem bie ber 2BetSfyeit 50
unb ber Serebfamleit. „SBewunberungStbürbig War, Wie er aud; bei il)m ferner liegenben
öegenftänben baäjenige gleicb erfaßte, Worauf t§ anlam, ba§ ßiel flar l»erborl)ob unb
ben einfachen geraben 2Beg ju geigen Wufete. ©eine 5Rebe War fcfmelt, Wie ber glufe
9ibobanu3, immer borWärt§ unb immer bem giel entgegen" (©teinme^ auf ber £anbeö=
n?nobe 1904). @r b>t einen Wefentlict)en Slnteil an ber ©Raffung ber ©efe^e gehabt, 55
Üe für ben Slugbau ber £anbe§fird)e bebeutunggboll geworben finb; ju nennen finb bc=
fortber§ baS neue ©efangbucf) (1881), bag an bie ©teile ber 19 begebenen ©efang=
büdjer in §annober getreten ift unb nad) bem Urteil ©acblunbtger eing ber beften
beutfcben ©efangbüdjer ift, unb bie Slgenbe (1901). ^Dagegen gelang eg ib> nicbt,
einen neuen allgemeinen £anbegfatec£)igmug burd)5ufe^en. 2luc| für bie Sorbilbung ber 60
202 ltylliont
©eiftlicfyen mürbe unter feiner Anregung biel getfyan. SDte Drbnung ber Prüfungen mürbe
berbeffert unb SStfartate gefcfyaffen. ©eine Mitarbeit an ber firctjlicfyen ©efe^gebung
tourbe bureb, bie Verleihung ber juriftifcfjen ®of tormürbe (©öttingen) anerfannt.
25en alten Slnftalten ber inneren SRiffton bemabjte er ftets feine manne ^eilnab/me, unb
5 für jebe ;ifteufcJ;öbfung r)atte er ein leb^afteg ^ntereffe. ®a§ 3Jcagbalenenafbi bon §annober,
ba<B grauenr/eim bei §tlbe<sl)eim, bie 2lrbeiterfoIonie Ääftorf, bie ©ptlebtifcfyenanftalt in
Rotenburg fyat er eifrig geförbert unb auf ber Sanbe§fbnobe unb ben Sejirf^f^noben ben
@ifer für bie innere SJeiffion ju toeefen unb px ftärlen gefugt. @§ giebt nicfyt ein ©e=
biet ber inneren StRiffion, ba3 Ü. mcr)t mit feiner £eilnal)me begleitete, unb aueb, foldje
10 Seftrebungen, bie mefyr Humanitären ßfyarafter trugen, aber bon Sebeutung für baö ail--
gemeine 3Mf3mof)I maren, fanben an u)m einen greunb unb §elfer, fo bie 2Räf$tgfett3=
fact)e, Jfrtabenfyorte, §anbferttgfeit3unterricf)t, ^ugertbf^tele, Sau bon ätrbevtermobnungen
u. f. tr>. ©ureb, ifm mürben jum erftenmal aueb, bie fcfyon bon SBicfyern angeregten
QnftruftionSfurfe für innere 5Riffion eingerichtet. 2öicf)ttg unb erfolgreich mürben aueb,
15 bie Atemübungen um eine beffere ©onntaggrufye, auf bie bie lutfyerifdje Äonferenj in
Seibjig 1870 bie Slufmerffamfeit gelenft t)atte. 1885 gab U. einen 33ertct)t über bie
©onntagSrufye im §annoberfct;en, ber ftcf) auf bie bom 6b. herein beranftaltete genaue
Umfrage ftü|te. 2113 ber ©taat bann mit ©onntag3gefe|en folgte, betrieb U. mit Sifer
eine beffere ©onntagefeier, aueb, bureb, ^3rcbigten= unb ©cb,riftberbereitung. ©eine be=
20 fonbere Siebe fdtenfte er bem äöerf ber Iutl;erifer)en ©eemannimiffton unb blatte feine
fterjlicb, e greube an ifyrem ©mborblüfyen ; ebenfo lag il)m aueb, bie gürforge für bie beutfeben
Sutfyeraner im 2lu3lanbe, befonber§ in ©übafrifa, am §erjen. SSieberb/oIt mie$> er barauf
b,in, bafj biefe ©emeinben im lutr/erifcfyen SBefenntniS unb im beutfcb,en 33oIf3tum, ba3
bort unauflöslich miteinanber berbunben fei, bureb, ^Srebtgt unb ©dmlunterrict/t in beutfeb, er
25 ©brache erbalten merben müfjte. SRan muffe alle§ tb,un, um ber lutfyerifcfjen jftrdjie
©übafrifas» ib,re ©elbftftänbigfeit bemab/ren ju Reifen.
©ureb, feine SEb, ätigleit in ber inneren SRtffton tourbe er $u miffenfcr)aftlicf;en ©tubien
über bie ©efd)icf;te ber Siebe3tf)ätigfeit geführt, unb biefe ©tubien förderten mieber feine
braftifcfje Slrbeit. ®ie enge Verbinbung jtoifcb,en 2Biffenfcb,aft unb $rarj§ ift übertäubt
30 ba§ Sejeicb,nenbe bei U. 3Son 1881 — 90 erfcfyien fein breibänbige§ Sßerf : „SDie cf)rift=
licfye SiebeStlmtigfeit", ba§ auf ben eingeb,enbften Buellenforfcfjungen beruht unb bie erfte
jufammenb,ängenbe ©arftellung ber cr)riftlict)en 33arm^er§tgfeitgü&urtg bon ber aboftolifcfycn
big jur neueften ftt'ti bietet.
älucb, ber fokalen $rage mibmete er befonbere Slufmerffamfeit unb beb,anbelte fie in
35 mehreren Vorträgen: ,,©ojiali§mu3 unb Sb,riftcntum" unb „S^riftlic^e 23armfyerätgfeitl=
Übung", beibe gebrueft in „Stermifcfyten 3>orträgen über ftrd^Itc^eg Seben ber 33ergangen=
b,eit unb ^ulunft" 1875, bann „®a§ 6b,riftentum unb ba§ ©elb" 1882. ^n biefen
Vorträgen tcoßte er in bag 3Serftänbnig ber fojialen Semegung einführen unb eine lutljerifcb/c
3lnttoort auf bie grage geben: 2öie b,aben mir ab§ ß^riften über ben ©o^ialigmug ju
40 urteilen unb uns> §u ib,m unb feinen Vertretern ju ftcllen? ©cb,on b,ier enttoidelt er
bie ©ebanlen, bie er 1887 in ber ©djrift: „®atl)oUci3mu<§ unb ^ßroteftantigmuS gegen=
über ber fojtalen ^rage" in befonberem ©egenfa| ju ©töc!er augfü^rlict) barlegte, ©ie
fokale grage ift junäcb,ft eine mirtfcb,aftlicb,e grage, bie auf boIf§toirtfcb,aftlicb,em ©ebiete
bureb, bie ©taat^männer unb ^ationalöfonomen gelöft merben mu^, aber nietjt bureb, bie
45 Äircfye, melcb,e nur ba§ SBort ©otteS gu ber!ünbigen t)at unb biefe§ enthält feine Dffen=
barung über mirtfcb,aftUcb,e ©inge, fonbern §etl^offertbarung, giebt feine mirtfa)aftlid)en
©ä^e, fonbern nur etfnfdE)e. SDie Hircb,e b,at ber fokalen grage gegenüber nur bie 2luf=
gäbe, bie unumgänglich nötigen fittlicfjen Gräfte ju if)rer Söfung baräureid;en, ben fitt=
licb,en Sßtert ber 2lrbeit unb SerufSerfüllung ju br^igen, ben dgoiSmus gu befämbfen
50 unb Siebe gu pflegen, ©ie b,at ba§ religtöfc Seben in ben 2lrbeit§freifen unb allen
©tänben be§ SSoIf§ mieber^uermeefen, ben ©onntag toieber ju @b,ren ju bringen, ber
unerhörten ßircb,ennot gu fteuem unb bor allem recb,te§ ebangelifcf;eg ©emeinbeleben ju
fcb,affen. ^a^u fann am meiften eine fräftig entioicfelte ©emeinbebiafonie b,elfen. ©iefe
©ebanfen führte U. noc^ toeiter aus ber in ©cb,rift : „SDie fireb, lieb, e Irmenbflege unb ib,re
55 Sebeutung für bie ©egenmart" 1892.
Slblelmenb behielt er fieb, aueb, gegen bie ©töcferfdje ^ircb,enboIitif unb bie §ammer=
fteinfcb,en Seftrebungen für eine größere greib,eit ber Jlircfye burc^i Stnberung be§ Uircb,en=
regiment§. ©etoi| embfanb aueb, er bie ernften ©djäben be§ ftaatlicb,en ^tre^enregimentg
unb be§ Übertoiegen§ be^ juriftifcb,en @influffe§ in ber ^irc^e unb t)at je älter er mürbe,
60 um fo bitterer barüber geflagt. ©ein Qbeal mar bie ftaatäfreie Sürcfje, aber er glaubte
ttfjnjorn Ulftla 203
bie 3eit für eine hitfKvifcfyc |Jreiftrd^e noeb; nid;t gelommen unb er betonte immer mieber,
bafi ber ©djiroerbunft ber lutfyerifcfyen Äircfye in ber (Sinjelgemeinbe läge unb nid)t im
ßirdjenregimente, baS ftetS bie fcfymacfye ©eite ber lutfyerifcfyett Äirctje geroefen fei unb auefy
bleiben mürbe.
gjZefjr beunruhigte tb,n bie (Sntrcidelung ber Sfyeologie. @r ^atte 9titfd)l gegen bie 5
Singriffe ber Drtfyoborm in ber SanbeSffynobe berteibigt unb mar für bie greifyeit ber
2Biffenfcr/aft eingetreten. (Sine unmittelbare unb entfdjeibenbe 9Jcitroiriung ber ^tre^e bei
ber 33efe$ung ber tb/eologifd)en $rofefforen l)ielt er für bebenilicfy, roeil baburd) bie tbeo=
logifdjen gafultäten auä ben Umberfitäten InnauSgebrängt unb in ©eminare berroanbelt
mürben jum ©cbaben ber allgemeinen mtffenfcfyaftiicfyen iöilbung ber Xfyeologen unb ber 10
flircfye, bie bamit bon ber (Introidelung bes geiftigen SebenS abgefetmitten mürbe. Gr
liefe auef; in ben ^rebigerfeminaren bolle greifyeit ber rotffenfdmftlidjen 2trbeit gelten.
2Iber in ber mobemen Xb/eologie fafy er mel)r unb meb/r eine ©efab,r für bie Strebe
unb ber 2öeingartfcr)e §anbel, in bem er einen SSorftofj biefer Geologie fab,, be=
rettete ibnt ernfte ©orgen. @ntfcr)tebcn mar er gegen bie unbebingte Seb/rfreib/eit unb 15
für 2tufredt)tt)atten beS lutfyerifcfyen BefenntniffeS, ofme biefeS einfeitig juriftifd) nad;
jebem Sudjftaben binbenb anjufeb^en. 2Iber bie moberne Geologie mar tl)m eine
grunbftürjenbe „©djmarmgeifterei", bie nur jerftörenb mirfen fonnte. ©eine fefte
Uebergeugung mar, bafj nur ber „alte ©laube" ©runb unb §alt bieten unb bie ®ir<f>e
bauen fönne. 20
£ie bitteren Erfahrungen, bie er mit bem ©taatSregiment in ber föirdje machte, unb
bie tfyeologifcfyen Äämbfe b/aben feinen SebenSabenb getrübt. ®aju lamen bann noeb, fdjmer^
Ii$c 25erlufie in feiner Familie, brei erroadjfene äinber gingen bor ib/m l)tn. Unb bod)
blieb feine StrbeitSiraft bie alte unb ungefct;mäd;t fein ^ntereffe für bie berfcfyiebenften
©ebiete ber 2Biffenf$aft unb ^unft. @r mar feit 1884 23orfi£enber beS §iftorifcr;en 25
Vereins für üftteberfacbjen unb ber SluSfdjmüdung feines ÄlofterS (Söanbgemälbe bon
©ebljarbt) fcfyenfte er eingefyenbe £eilnal)me. tätigen Slnteil naljm er an ber ©djul=
lonferenj in Berlin 1890, auf ber er entfdneben für bie 2Ba§rung beS Ilaffifcfjen
Gb)arafterg ber ©fymnafien eintrat, .^laffifcfye Silbung berbunben mit bem ©fyrtftentum
unb bem beutfcfyen Seben, baS foHten nad) ifym bie ©fymnafien bieten unb barum rtidc)t 30
mit ben 9iealfcr)ulen berquidt roerben. — ©einer geliebten ©iafomffenfadje nafym er fic^
1894 unb 1896 noef) einmal befonberS an, inbem er bie Einrichtung ber 3)taiomffen=
mutterfyäufer gegen bie ber SDiafomffenfdjmlen berteibigie (befonberS gegen Dettinger unb
3immer in ber Slllg. eb. lutf). %g. 1894, 20—22) unb ben Unterfdneb jrotf^en tatt)o=
lifa>n ^flegeorben unb ebangelifcbem ©iafoniffenmefen barlegte (9Jit3fcr)r. für 3>. sDt XVI). 35
Seine legten fdmftftetlerifdien arbeiten galten ber ©efdnd)te feiner 2anbe§ftrcr)e „2lnton
ßorbinuS" 1901 unb „§annot>erfcr)e Hircb.engefcbicbyte". Qm §erbft leitete er noeb in
Hameln bie ©eneralberfammlung beg @bangelifcb;en Sereing. @nbe Dftober nab^m er
nod^ in granffurt a. W. an einer Beratung ber ©ifenacb^er Äonfereng über ben engeren
3ufammenfdjlufj ber ebangelifd^en Sanbeglirc|en teil. U. mar lein grunbfä^licfjer ©egner 40
biefeg 5]ßlane§, blatte aber ernfte Sebenfen, bafe baburef) bie lutljerifcb^e Äirc^te gefcf)äbigt
toerbe unb b)egte übertäubt ^roeifel an ber ©urcfpbjbarfeit, fo lange bie Slircf/e ©taat§=
firebe bleibe. SSon einer unierten beutfeb^en 9?eicf)§lircb,e moHte er nid;t§ miffen. (Sine
foldje fönne lein ein^ettltd>eg gefunbe§ Seben b^aben unb führen gur Trennung bon ben
aufeerbeutfdjen lutfjertfcben JÜrdjengemeinfc^aften, mürbe auef) mel;r ein boIitifcf)e<§ al§ ein 45
fircf)lic^e§ ©ebtlbe merben.
Sie legten 2öocf)en feines SebenS arbeitete er noeb, an ber Verausgabe ber Slgenbe für
bie lutfyerifcb, e Kirche |>annober3, meiere bon ber Sanbesf^nobe einftimmtg angenommen mar.
Tamit mar, bis auf ben noct; feb^Ienben Hatecb^iSmuS, ^u feiner greube baS Sßerl beS
3ufammenfd)IuffeS ber felbftftänbigen SanbeSltrd;e §annoberS boEenbct. 33iS ^um legten 50
läge frifcl) unb arbeitSfrol) ftarb er mie er ftd; gemünfcl)t, „ben §ufe in ber gurcfje unb
bie §anb am Pfluge" am 15. 3)ejember 1901, einem ©onntagabenb, an einer £erj=
lab^mung. Unter großer Beteiligung mürbe er im Softer Soccum beerbigt. ©eit ^uftue
SefemuS, fo mürbe bei ber Srauerfeier in ber ©djlofjfircfje ju ^annober bezeugt, babe
bie Äird;enregierung §annoberS einen Xf/eologen bon gleicher Sebeutung nid)t be= 55
feilen. Jsr. U^tfjor«.
Uijlidj, l'eberedjt f. b. 21. St^tfteunbe Sb XI ©. MM, u.
Ulfila f. 3i< ulftla.
204 Ullmamt
ttümantt, Äarl, geft. 1865. — %L bieWcfrofoge »ott ©rüneifen in ber Mg. Qtg.
(Januar 1865), §agenbad} im Sird]enblatt' für bie ref. ©d)tueiä (9Jlär§ 1865), SBäftr im Sab.
Sird)en= u. SSoIISBIatt (Januar 1865), £>oi|3mann in ber «ßrot. $8 Cgaljtg. 1865), vmb be§
Unterjetdöneten ausführlichere 2)arfteflung in bem ©jtratjeft ber SfjStS üon 1867, welker
5 aud) bie imt>oflenbete S)enffdjrift UUmanrtS über feine STeünafjme am Sirebenregiment 6et=
gegeben ift (aud) befonberS erfcljienen unter bem Sütel: D. Sari Itßmarm, eine biograpt)ifd)e
©fi^e Don SS. 83et)fd)lag, ©ot|a 1866). Ser SSortrag Don D. £au§ratfj über Ultmann (Sieine
©djriften reltgion§gefdjid)tltd)ett Secuta, 1883, @. 438—460) ftefft bie ©efd)td)te be§ ltfl=
mannfdjen SirdienregtmentS nacb, ber Sluffaffung ber baSfelbe befämpfenben Partei bar;
io ©• granf, ®ie Söeologie be§ 19. Safjrfj.3, Seip^ig 1904, ©. 270. — gine ©efamtauSgabe ber
4>auptfd)riften UHmannS ift in $J3ertbe§' „5£fjeoIogifd)er SSibliot^ef" enthalten.
$arl Ullmann Würbe am 15. SEftärz 1796 ju (Sbfenbad) bei £eibelberg geboren;
er gehörte bon £>auS aus ber reformierten ^onfeffion an. ©ein SSater, ^o|ann S3alt=
fjafar UKmann, war Pfarrer gu (g^fenbad^. @r befugte baS ©r/tnnafium ju §eibel=
15 berg, Wo ilm befonberS bie alten ©brachen unb ber SMigionSunterricfyt anzogen,
©eine alabemifcfyen ©tubien begann er im £erbft 1812 in §eibelberg unter 25aub,
^auluS unb ©d)Warz, olme jebod; bon einem biefer fo feb,r berfdjtebenen Stctoräfentanten
bamaltger Geologie eigentümlich angefaßt ju Werben. 3laä) einem $af)re fanbte t^n
ber SSater auf SDaubS diät nad? Tübingen. §ier bollenbete er unter ber freunblidjen
20 Seitung ber (Sbigonen ©iorrS bis gum §erbft 1816 feine ©tubien unb würbe nid)t nur
mit guten Äenntniffen auSgerüftet, fonbern aud) in ber anerzogenen bofttib cfyrtftlidjen
9ftd)tung befeftigt, olme jebod) mit feinen Überzeugungen gu einem ganz befriebigenben
2tbfd)Iuf$ zu gelangen. 3>n bk Heimat jurüctgele^rt, beftanb er fein tl)eoIogifd)eS ©jamen,
Warb am 12. ^inuar 1817 orbiniert unb als $ilar nacfy$ird)f)eim bei §eibelberg gefanbt,
25 Wo er ein Qafyr lang im braftifd) en ®ird)enbienfte tr/ätig mar. Um ^ur afabemifd)en 2auf=
balm überzugeben, begann er im §erbft 1817 in |jeibelberg feine ©tubien bon neuem,
inbem er bor allem bei §egel in ber ^Ijnlofobfne, bei ßreujer in ber Ätiologie ein=
^etmifcl) zu Werben fuct)te. 9camentlicb, ber ledere 30g tlm facfylid) unb perfönlid) auS=
nef)tnenb an, mä^renb bie 93efct)äftigung mit ber ^r/ilofopln'e il)m borzugStoeife bie ün=
30 fertig!eit feiner tfyeologifdjen Überzeugungen unb zugleid) bie Skftimmung feine? ©etfteS,
nicfjt bom Slltgemeinen aufs 23efonbere, fonbern toom Sefonberen aufs SWgemeine zu geljen
unb bafyer mit ejegetifdjer unb Inftorifcfyer ©rforfdmng be§ StyriftentumS zu beginnen,
Zum SeWufetfein brachte. 9iad)bem er im ^rüf)ling 1819 al§ ©oltor ber ?ßb,iIofobb,ie
^romobiert f>atte, führte if)n eine meljirmonatUcfje tciffenfd)aftlid)e 5Reife nad) ^orbbeutfct):
35 lanb, infonber^eit nacb, Sertin, unb b^ier, im Umgang mit ©cfyleiermadjer, be SBette unb
befonberS üfteanber, gewann fein innere^ fingen ben prinzipiellen 2lbfd)Iu|, inbem er in
ber l)ier betretenen ^^eologie, „Weldje im ©egenfa^ gegen ben Nationalismus Wie ben
älteren ©ubranaturaliSmuS baS 6f)riftentum als ec|te Offenbarung unb neue 2ebenS=
fcfjöbfung, aber ^ugteid) als etwas gefd^ic^tlid; unb organifcf) ficb, @ntWic!eInbeS fa^te unb
40 bar)er ben cb.riftlic^en ©laubenSinlialt mit ben eckten unb gefunben SilbungSelementen ber
3eit zu bermitteln fuct)te", baS Qid feines eigenen Wiffenfcb,aftlicb,en ©trebenS erfannte.
^m §erbft 1819 begann U. in §eibelberg er.egetifcr;e unb l)iftorifd)e 3SorIefungen z"
galten, habilitierte fid) balb barauf als tfyeologifdier ^ribatbocent unb erhielt im grüb,=
ling 1821 feine Ernennung z""i au^erorbentlid^en ^rofeffor. ^n biefelbe 3e^ faUen
45 feine erften litter ärifdjen $ubli!ationen, zunäd)ft gtüet !ritifd)e, eine ©d;rift über ben
Zweiten ^ßetruSbrief, beffen erfteS Jlabital er unter preisgäbe ber beiben anberen als ein
ed;t betrinifd)eS Fragment retten Wollte, unb eine 2lbf)anblung über ben fog. brüten SBrief
an bie ^orintf)er, beffen Uned)tb,eit er überzeugenb bart^at; bann giüet firdjengefd^td^tlid^e
arbeiten, ein ber zweiten Auflage bon SreuzerS ©r/mbolif beigegebener 2luffa| über ben
50 dmftlidjien geftzb,fluS unb ein lateinifcfyeS Programm über bie ©elte ber £t)bfiftarier.
©iefen Heineren arbeiten folgte im 2>ab,re 1825 fein ©regor bon Nazianz, eine %xuä)t
feiner bereits bon dreier angeregten batriftifd)en ©tubien. ®iefe STfonograb^ie, bie fid;
ben analogen arbeiten 5ReanberS ebenbürtig an bie ©eite ftellte, trug ib,m einen Stuf ans
SBittenberger ©eminar unb infolge ber 2tblel)mmg beSfelben bie Ernennung zum orbent=
55 liiert «ßrofeffor ein (1826).
Obwohl bie §eibelberger SSerr;äItniffe für bie Söirffamleit eines jungen tfyeologifdjen
Seb,rers bon ll.S Stiftung ungünftig Waren, blieb U. bod) ber baterlänbifdien üniberfität
unter feb,r befct)eibetien ©eljaltSbertyältniffen ^n ^af)re lang getreu.
SDaS ^a^r 1820 ^atte ib,m in bem jugenblid)en Umbreit, ber bamals nacb, §eibel=
60 berg lam, einen §erzenSfreunb zugeführt, wie er tlm fieb, längft an feine ©eite geWünfd)t
blatte, ©iefem greunbfdjaftSbunbe berbanlte ein Unternehmen feine (Sntftefmng, baS für
Wlmiutn 205
U.S fcfyriftftetterifcfye (SntWidelung unb Weit über bie ©renken beS ebangelifdjen ©eutfcr)=
lanbS r/inauSgefyenbe ßelebrität bon entfd^eibenber SBebeutung iüarb, bte „£f)eologifcr;en
Stubien unb llritifen". SDer ©ebante, jener neuen gläubigen Geologie, ju ber fid) U.
in ©emeinfct/aft mit ©djleiermacfyer unb Reanber befannte, ein Drgan ju grünben, in
tocldjem fie fid) auslaufen, nad) ben bcrfdnebenften «Seiten ftd) burcfybilben unb auf bie b
braftifcb^fircbjidien Greife unb 23erf)ältniffe einWirfen fönnte, War ein ^öc^ft glüdlid)er, unb
bic 2luSfüf?rung, ju ber ficfy bie in 33omt bereinigten ©efinnungSgenoffen £üde, RUjfd;,
©iefeler unb ein fo ausgezeichneter SSerleger Wie griebrtd) ^3ertt)eg mit II. unb Umbreit
berbanben, gebiet) nad) ben erften müfyebollen unb befdjeibenen Anfängen fo gut, bafs bie
geitfdjrift in ben erften zwanzig ^afyren iljireS 23eftel)enS allmäfylicr; bis an taufenb 2tbon= 10
nenten gewann unb nod; Ijeuie baS Seben tr)rer ©tifter fräftig überbauert. £)er balb
boionberS herausgegebene (SrftlingSauffaij, mit bem U. bie SEfy©t$ eröffnete — „Über
bie Unfünblidtfeit (fbäter „©ünbloftgreit") Sefu" ertt>ud;S in fiebert Auflagen gu einem
ber einflufereicfyften Söerfe ber gläubigen Geologie ber erften £älfte beS 19. ^afyrlunbertS.
$m %ai)xz 1829 folgte U. einem -Kufe an bie tI)eoI. gafultät ju £alle. ©eine 15
Hauptaufgabe mar t)ier baS fircr/engefdncfytUcfye gaa), neben bem er aber awfy bie @in=
leitungStoiffenfcfyaft, ©r/mbolif unb ^Dogmatil betjanbelte. @r eröffnete feine Vorträge mit
ber in ben 5£fy©t$ Veröffentlichten Siebe: „Über bie Aufgabe beS ^ircfyenbjftoriferS in
unferer geit" ', unb gewann bureb, I)iftorifd)e Wie fr/ftematifdje 33orIefungen balb eine be=
beutenbe, mefentUcb, auf ÜberWinbung beS in §alle noefj) borWiegenben alten 3fiationali§= 20
muS gertebtete SBirffamleit. 2IIS aber bie Singriffe ber @b. $3 0esen ©efeniuS unb
iÖevji'a)eiber ftatt ber geiftigen ÜberWinbung jener ©ctyule eine obvtglettlicbe Unterbrüdung
berfelben begehrten, trat er in einem „Xfyeologifdjen Sebenten" (§alle 1830) für bie ge=
fäfirbete greifet ber t^eoIogifdt)=Itrct)Iict;en ©ntwidelung entfct)teben ein. 23on litterärifcfyen
arbeiten fallen in biefe §aüifö^e ^ertobe, näcbjt einer 3lei^e bon Heineren Beiträgen für 25
bie %\ßi% befonberS fein Stuffaij über „SRicolauS Don 9Ketr/one unb bie bogmatifdje
gnttoidelung ber grtect). ßtd&e im 12. ^afyrfyunbert" (3#6tß 1833, §eft 3); feine St6banb=
lung „De Beryllo Bostreno ejusque doctrina" (1835), unb fein „^o^ann 2öeffel, ber
Vorläufer SuifyerS" (1833), eine 2Ronograbi)ie, aus ber fbäter fein fircfyengefcb^djtlicfyeS
Öaubttoerf, bie „Reformatoren bor ber Reformation", erwuchs. 30
Unter feinen Kollegen namentlid) mit %f)ilo freunblid; berbunben, bem toerfönlidjen
SSetfebr mit ©cbjeiermadjer, Reanber, Sude näl)er gerüdt, bureb, bie ber §aubtfacr)e nad;
öon ifim beforgte Rebaftion ber Stf)©t$ überhaupt ju einem ?!Jftttelbunft tr)eoIogtfct)er
©emeinfcfyaft geworben unb bor allem buref) bie Serr/ältntffe unb Erfolge feinet SeE>t=
amtel auf§ b, öo)fte befriebigt, b,ätte U. in §aUe bie geliebte ^fäljer §eimat auf bie ®auer 35
öerfdimerjt, wenn nio)t eine 5Reib,e bon b,äu§lid;en ^rübfalen i^n bjer auf§ fdt)merglic^fte
(ieimgefud;t b,ätte. ©0 bermoa)te er ber 1836 an ibn erge^enben älufforberung jur
S^ücHebr nad} §eibelberg nid;t ^u toiberftel)en. @r regnete auf eine Umgeftaltung ber
gafultät unb tb, eologifd^en ©tubien in feinem ©inne, mie fie benn aueb, burd) bie Berufung
Sotb,e§, §unbeäb,agen§ unb anberer fowie buro) bie ©tiftung beS tbeologifiben ©eminarS 40
aHmäb,lid; eintrat, bagegen Innficfytlid) ber bon ib,m bringenb getüünfcb,ten §eranjie^ung
einer anregenben bb,ilofotob;ifcb,en Se^rlraft unausgeführt blieb. U.S Sßorlefungen Waren
aua) b,ier Äird}en= unb ®ogmengefd;id;te, ©^mbolif unb neuteftamentlicfye Einleitung, aud)
t»ob,l ©^nobtiler unb anbere ©^egetifa; namentlid; in ben b,iftorifcb,en Vorträgen War
bas forgfältige Siiftat, ba§ er gab, Wie bie lebenbige freie' 2tu3fül)rung, bie er folgen 45
liefe, bureb, feine unb belebte 6b,aralteriftif unb StuSeinanberfe^ung anregenb unb feffelnb.
$jn3toifcr)en War feine fd^riftfteHerifd^e <Xi)ättgtett burd) baS im Qab,re 1835 er=
fc&ienene „Seben Qefu" bon ©traufs bon ber Iircbengef(bicc)tlidt)en Sab^n mieber auf
bie abologetifd^e jurüdgerufen Werben. ©d;on im %ai)xe 1836 erfebien au§ feiner
geber eine $ritif be§ „2eben§ ^efu" unb als ©traufc in einem frieblicben ©enbfcfyreiben b>
antwortete, fcb,rieb U. in berfelben gorm unb Haltung eine befonberS mit ber ^]erfön=
ItcbJEeit 3efu unb ber ©laubwürbigteit beS äüunberS fia) befdjäftigenbe Steblil, bie bann
mit jener erften föritif jufammen unter bem Sitel „£>iftorifcb, ober 5Rt)tf)tfd;" (1838) in
Befonberer 2luSgabe erfd;ien. ®ie bon ©traufs Eingeworfene ^bee, ben cbrtftltcben ©otte»=
bienft bureb, einen ÄuItuS beS ©eniuS ju erfe^en, beranla^te U. ju ber fd)önen an ©uftab 55
ccbtoab gerichteten ©d;rtft : „Über ben ftultuS beS ©eniuS" (1840) — , unb ebenfo riefen
bie feit ©traufj neu erregten SBerfyanblungen über baS Söefentltcbe unb Sleibenbe im
ß^riftentum bie Slbb, anblung : „Über ben unterfcfyeibenben 6f)aralter beS SljriftentumS, mit
8e^ieb,ung auf neuere SluSbrudSWeifen (Xl;©tK 1845) — b^erbor, Welche als febarate
Sdbrift unter bem £itel „'SaS äöefen beS GfyriftentumS" feitbem in bier Auflagen cv= m
206 Hamann
feierten ift. @S firtb bie ©d)leiermad)erfd)en tbeologifd)en ©runbanfd)auungen, bie unS Bei
II. entgegentreten, aber in einer äb,nlitt)en Temperierung, itrie bei 3Reanber: Unabhängigkeit
bon ben ortfyoborm ttyeologifdjen formen, llnterfd)etbung bon ©laube unb ^Dogmatil)
3lner!ennung beS ©oitmenfdilicr/en in Offenbarung unb b,l. ©d)rift, auf ber anberen ©eite
6 Betonung ber bom Nationalismus bekannten religiöfen ^been beS 6I)riftentumS, nament=
litt) ber centralen Bebeutung ber Verfon 6b,rifti als beä notWenbigen unb fd)Ied)tb,in boH=
lommenen Vermittlers ber ®emeinfd)aft mit ©Ott: baS alles aber ob,ne bie einfeitige
©ubjeftibierung ber ©IaubenSWab,rf/eit unb bie fonftigen btüdenben Bebingungen, bie
berfelben bei ©d)leiermad)er burd) fein eigentümliches ^Jebeneinanber Don -äJtyfttt unb ©be=
10 Marion auferlegt finb, alfo bor allem ein unumtounben tb/eiftifd)er ©otteSbegriff unb
eine bollere Slnerfennung beS Übernatürüd)en, foWie überbaubt ein ausgeprägter l)iftoriftt)er
©inn. ®abei ift U.S tt/eologifdje 5Retb,obe bialeftifd), aber burd)auS nid)t fbefulatib:
b,tftorifd), aber MneSWegS Wefentlid) fritifa); bon ber fein beobachteten äußeren ober inneren
@in^elt^atfad)e get/t er auf allgemeine 9xefultate bofitiber 9Jatur aus, ofyne aus benfelben
15 ein eigentliches ©Aftern ju bauen ober fie mit bem fird)Iid)en ©Aftern fritifd auSeinanber=
jufe|en, — @igenfd)aften, bie ü)n für eine borI)errfd)enb anregenbe Seb, rtb, ätigleit unb als
©d)riftfteller für eine mittlere ©aitung jWifd)en ftreng toiffenfd)aftlid)er unb rein bobulärer
Erörterung d)riftlid)er unb !ird)lid)er SDinge borjüglid; befähigten.
^n U.§ ^Weite §eibelberger $eriobe fäUt bor allem fein firc^engcfcfyidrtHdjeS §aubt=
20 Werf, feine „Reformatoren bor ber Deformation", ©ie ertoud)fen u)m, Wie fd)on ertoäl;nt,
au§ feinem „^ofyann Söeffel", ben er burd) ^injunafyme 3°^anng *>• ©od), $oI)annS
b. SBefel, ber Srüber beS gemeinfamen SebenS unb ber rr/einlänbifc^en SRfyfttfer ju einer
©efamtbarftellung ber religiöS^eoIogifcfyen Vorbereitung beS beutfd)en SteformationSWerfeS
erweiterte. Slber mit biefem Söerf'e (1842) unb bem „Sßefen beS ßfyriftentumS" (1845)
25 ift feine im engeren ©inne tr)eoIogifd)e ©d)riftftellerei im großen unb ganzen aua) ah-
gefdjloffen; weitere, namentlid) !ird)engefd)id)tlid)e (Entwürfe, bie er fyegte, famen nia)t
meb,r $ur Steife, unb auf bie burd) Säur unb feine ©d)ule eröffneten fritifd)=b,iftorifd)en
Streitfragen über baS Urd)riftentum ging er nicbt näb,er ein. ©agegen trat baS ^ntereffe
an braltifd)=lird)litt)en ,ßeitfragen, baS in einem urfbrünglid)en $uge feirteg SöefenS begrünbet
30 War unb fd)on in einer Neifye älterer Seiträge ju ben %b©t$ („Über einige SOtängel
unb Bebürfniffe ber broteftantifd)en ®ird)e", 1832; „Über Partei unb ©d)ule, ©egenfä^e
unb Vermittlung", 1833) fid) belunbet fyatte, feit ben bierjiger %at)xm im 3ufammen=
bang mit ber immer mefyr auf Iird)lid)e Probleme füfyrenben gettbeWegung junefymenb,
bei ib,m b,erbor unb nab,m feine fd)riftftellerifd)e Xb/ättgfeit je länger um fo auSfd)Iief3=
35 Iid)er in Stnfbrud). U. warb bon ba an gegenüber ben einfd)lägigen ßeitfragen ber
fyerborragenbfte 2BortfüI)rer ber in ben Xb,©t® bertretenen Geologie, unb eS ift in ben
bierjiger ^afyren laum irgenb eine erheblichere Bewegung auf !irtt)lid)=nationaIem ©ebiete
borgelommen, über roeldjc er fid) nid)t in eingefyenb begutad)tenber 2Beife in feiner 3eit=
fd)rift auSgefbrod)en f)ätte. ©o über bie !ird)Iid)e ©ulbung ober Berechtigung beS
40 StationaliSmuS auS Slnlajj beS 2lltenburger üird)enftreiteS bon 1838 ; über bie burd)
©traufsenS Stuftreten unb ©djidfale in Bewegung gefegte Seb,rfreib,eitSfrage in feinen
„Vierzig ©ä|en, bie t^eologifc^e fiefirfrei^eit innerhalb ber ebangeIifa)=broteftantifd)en
5?ird)e betreffenb" (1843); über bie beutf^fatljolifc^e Bewegung (1845); über bie 9cicb>
annähme beS D. 3tubb auf ber Berliner ^aubtberfammlung beS ©uftab 2lbolf=BereinS
45 (1847). ®en in ben legten Qab,ren bor 1848 fia) regenben ©ebanlen einer beutfd)=eban=
gelifa)en ÜKationalfirdje bertrat er in einem Sluffa^e ber Sottafd)en ,,©eutfd)en Biertel=
jab^Sfdmfi" (1843), inbein er ib,n ben an bie ©tiftung beS BiStumS ^erufalem fid)
Inübfenben SlnglifanifierungSibeen entgegenftellte, unb als jener ©ebanfe in bem bon ben
Königen bon 3Bürttemberg unb Vreufeen auSgeb^enben ©ntWurf einer allgemeinen beutfd)=
so ebangelifd)en ^ird)enlonferenj einen geWiffen 2ln!lang fanb, berfafcte er im ^ntereffe
beSfelben bie ©d)rift: „gür bie 3utunft ber ebangelifd)en Hira)e, an ib,re ©d)irmb,erren
unb greunbe" (Stuttgart 1845 unb 1846), Wie er benn aud) als Slbgeorbneter BabenS
an ber fonftituierenben Berliner Äonferenj unb ebenfo an ben meiften fbäteren (@ifenad)er)
Äonferenjen tfjätigen Slnteil nal>m. SDie ©runbfä^e U.S b,infid)tlid) biefer braltifd)4ird)=
55 Iid)en ^rage Waren Wefcntlicb, folgenbe : tlnterfc^eibung, aber nid) t ©d)eibung bon ©taat
unb $ird)e. ällfo bon feiten beS ©taateS ©ulbung für alles fittlid) @rträglid)e, aber Pflege
ber anerfannten bofitib=d)riftlid)en Jlonfeffionen als ber Trägerinnen ber tieferen, ben
©taat tragenben fittlid)en Gräfte. Unbefd)rän!te greibeit ber Wiffenfd)aftlid)en @rörte=
rungen in ber Sitteratur, aber b/infid^tlid) ber tbeol. gafultäten Bermittelung ber 3iüc!=
6ofid)ten auf bie §reu)eit ber 2öiffenfd)aft unb auf baS BebürfniS ber,tird)e; alfoBinbung
ItUmamt 207
nicht an bie Sefyrform ber ftymbolifcfycn 23üd)er, aber an bie ^ringibien beS ebangeltfcf)en
iVfenntniffeS. Auf bem 33oben ber Kircf/e felbft lein gefeilterer ©tymboI^Wang, fonbern
freie geiftige ÜberWinbung unbollfommener Richtungen, aber unter gefifyaltung ber 23e=
fenntniffe als borbilblicfyer ©laubenSgeugniffe unb unter 33orbet;alt beg Recf/tSberfafyrenS
gegen foldje, bie ifyr Amt jum Umfturj ber fircfyltcr/en gunbamente mißbrauchten. @nb= 5
lieh feine 33efeitigung be§ lanbeSfyerrlicfyen KirctjenregimentS, Wohl aber Ergänzung ber
fonfiftorialen Einrichtungen burdj breSbr/terial=frmobale, bamit eine ©elbftbeftimmung unb
Sclbftentfcfjeibung ber ebangeltfcf/en Hirc^e möglief; fei.
Slucf) in ben %at)xtn 1848—1850 fufyr lt. fort, biefen 33eruf eines Sprechers ber
neueren gläubigen Geologie gegenüber ben aufragen §u erfüllen, ©ie Anfbractje, bie 10
er mitten im Wüfteften ©etümmel beS AbrilS 1848 an bie Sefer ber %fy(&tU richtete
(„ßinigeS für ©egenWart unb gufunft", 1848, 3), ift ein erfyebenbeS geugniS *>er cf)rift=
liefen llliannfyaftigfeit, mit ber er bem (Sfmften unb Geologen ben aufgewühlten 23oben
bei S3aterlanbeS als ein fruchtbarem ©aatfelb ju geigen mußte, ©ine anbete ©cfyrift beS=
felben 3aI)reS („Über baS 23erI)ältniS bon ©taat unb Kirdje") bertrat gegenüber ben 15
alle 23anbe awifcfyen ©taat unb Kircf/e löfenben Seftimmungen ber „SDeutfcfyen ©runb=
rechte" bie ^bee beg djriftlicfjen ©taateS in bem oben angebeuteten ©inn. An ber ©ct)ö^>=
fting bei im £>erbft 1848 ins Seben tretenben beutfd)en ebangeltfcfyen Kirchentages na^nt
II eifrigen Anteil; ebenfo ging er mit warmem §erjen auf ben eben bamalS 9Jiacf)t ge=
tuinnenben ©ebanfen ber „inneren SRiffion" ein. $Die RebolutionSjafyre ließen einen 20
tiefen ©inbruet' bei 11. jurüd, feineSWegS einen berbitternben ober berbüfternben, Wofyl
aber eine Serftärlung unb Vertiefung feinet braftifd)=religiöfen unb firctjlicfyen ©rnfteS.
ii3ie fern fein cb^iftltcfy^ircfylidjer KonferbatismuS bon ben Ausartungen mar, bie ingorm
einer fonfefuonaliftifcfjen ©efe|lict)leit unb trüben 2Sermifc£)ung firefilieljer unb bolitifd)er
lenbenjen bamalS gu Wuchern begannen, bezeugt namentlich bie bon ^eiligem (Srnfte 25
unb ben reinften ebangelifdjen ©efinnungen getragene ßeitbetracb.tung, mit ber er_, ben
Jahrgang 1852 ber SEf)©t^ eröffnete. Unb baß in ben freieren tljieologifctjen Über=
Beugungen U.S leine 3Seränberung borgegangen mar, bewies in bemfelben 3<%8flttg ber
^eitfcbjift bie feine unb überlegene gurüd'Wetfung, bie er ben bom ©rafen ©aSbarin im
Sinne einer wenig erleuchteten Drifyoborje gegen fein „Söefen beS GtmftentumS" gemachten 30
Singriffen Wiberfafyren ließ.
GS entf^ract) ben 93ert)ältntffen unb Slnforberungen ber auf bie ReboIutionSjabje
folgenben geit, Wenn fiel) II. bon nun an borjugSWeife ben Angelegenheiten ber babifdjen
SanbeSfircfye Wibmete. Tie eb. Äirdje in SBaben, ein ©rittteil ber Seböllerung umfaffenb,
mar aus altbabifcfyen Sutfyeranern unb bfäläifcfycn Reformierten bureb, bie SanbeSffynobe 35
bon 1821 ju einer im bollften ©inne unierten jufammengeWacfjfen. ®ie UnionSurfunbe
enthielt au<| bie l^bee einer bon ber ©in^elgemeinbe aus organifcb, ftdt) gliebernben unb
mit bem ©taatSorganiSmuS felbftftänbig fiel) gufammenfcfyließenben Kirche; aber biefe 3bee
war nur fel)r fümmerlicb, berWirllicbt Worben, inbem jWar ju bem fonfiftorialen Kir(|en=
regiment b«3bt)teriale unb ftjnobale @inricf;tungen hinzugetreten Waren, aber teils an 40
mangelhafter Äonftituierung litten, teils burd) ein Übermaß bon ©taatSbebormunbung
auf einen geringen ©rab bon Sebeutung fyerabgebrücft Würben. ®er IanbeSfircf)liclje S3e=
fenntnisftanb War unter 9cacl)Wirfung ber bon bem trefflichen 5Rarfgrafen unb ©roß=
f>er,^og Karl griebrief) (geft. 1811) fyerrübjenben ^pofitib gerichteten HirdjenratSinftruftion
bureb, § 2 ber UnionSurfunbe jWar im ©inne ber Slnerfennung beS KonfenfuS ber S3e= 45
fenntniffe feftgeftetlt Worben, aber inbem man bie ©eltung berfelben ber Autorität ber
Schrift blatte unterorbnen unb baS SRedjt ber fortfcfireitenben freien ©cfmftforfcfmng
Wahren Wollen, War ein fo unbel)ilflidh,er 33efenntni§^aragra^ entftanben, baß auef) Se=
fenntnisflucljt unb SefyrWiflfür fid; nicf)t ol)ne ©c^ein auf benfelben berufen fonnte (bgl.
ÖunbeSfyagen, 5Die SefenntniSgrunblage ber bereinigten eb. Kircfye im ©roßf)er3ogtum 50
Saben, granffurt a. 9Jc. 1851). Run blatte ber Rationalismus eine ausgebreitete <oerr=
l'a?aft unter ben ©eiftlicfyen unb ©ebilbeten 33abenS gewonnen unb bie unter feiner 9Jtit=
toirfung entftanbenen Äirc^enbüc^er, ber SanbeSfatecf)iSmuS, bie 2lgenbe, baS ©efangbuef),
auef) bie biblifdje ©efc£)icf)te, gaben einem bofitiberen ©inn unb fircfyücfyen ©efcf;macf biel=
fachen Slnftoß. ÄnbererfeitS War feit ben gWan^iger Sauren, getragen bon einzelnen 55
wigineßen ^erfönlicf)feiten, ein bem Württembergifcfyen berWanbter ^ietiSmuS im Sanbe
aufgenommen unb nad) unb nad) ju bolfStümlic£)er S3ebeutung gelangt: inbem fieb, auS
i(>m gemäß ber allgemeinen beutfetien (SntWicfelung ^te unb ba ein ftrenger $onfcffiona=
IiSmuS entwicfelte, erfcljien in einer ßeit, bie, Wie bie erften fünfziger ^ab,re, bon einem
ftarfen firc^Iicfjen Qu^ bewegt Warb, ber lanbcSfirdtlic^e Seftanb um feiner Mängel unb 60
208 Itltommt
Slergerniffe Willen ernftlict; gefäfyrbet, unb fcfyon Waren bic Anfänge einer lutt)erifd)en
©eparation im Sanbe borfyanben. ©o eröffnete fic^» ber neueren gläubigen Geologie
eine ebenfo lofynenbe als bringenbe Stufgabe : burd) eine gefunbe Reform ben Seftanb ber
£anbeSfird)e z« fidjern unb bie SinWirfung berfelben auf baS 33oßS= unb ©taatsleben
5 ju fteigern. @S ift ein grojjeS unb btetbenbeS SSerbtenft It.S, biefe Aufgabe in feine
§anb genommen unb bie bamalige gefahrvolle Griffe ber Babtfd^en SanbeSftrctje zum
©uten geWenbet ju fyaben.
@r tl)at bieg gunäd^ft Don feiner afabemifct/en ©teHung aus in ganz freier SBeife,
inbem er bie reformgefinnten $reunbe ber ebangelifcfyen SanbeSfirdje in halbjährigen freien
10 Konferenzen bereinigte. ®iefe „2)urlacr)er Konferenzen" (zu unterfct)eiben Don ben fbäter
unter ©cfyenlelS Seitung erneuerten) gewannen für baS ebangelifctje 33aben eine ej)ocf/e=
mad)enbe SBebeutung, inbem t/ter juerft ^tetiSmuS unb BermittelungStfyeologie gueinanber
Vertrauen faxten, unb in grünblict/er freiefter Erörterung bie Söfung ber fctjtoebenben
lanbeSfircfylidjen SebenSfragen Vorbereitet warb, ©er 1852 in 33aben eintretenbe 3te=
15 giemngSWed)fel eröffnete bie beften Hoffnungen auf bie SDurcfyfüfyrung ber angeftrebten
Reformen, unb als im %afyx barauf bie ebangelifcfye ^ßrälatur burd) §üffeltS -Jiücftritt
erlebigt warb, erfdjnen nidjtS natürlicher, als bafj ber ^3rinjregent (ber je|ige ©rojjfyerzog)
ju berfelben U. berief. @r folgte im §erbft 1853 bem $uf, nicr)t obne ein Programm
feiner fircfyenregimentlidjen ©runbfäije unb giele aufgeteilt ju fyaben, Don beffen Billigung
20 an entfd)eibenber ©teile er feine Annahme abhängig machte ; ben Wefentlidjen ^nfyalt
berfelben führte er gleicb, nacb^er in einer Anfferact)e an bie SanbeSgeiftlicfyfeit auS.
®er ebangeüfcfye Dberlircfyenrat in 33aben mar bamals, abgefeiert Don wenigen rein=
innerlichen Angelegenheiten ber Kircfye, eine bem Sftinifterium be§ ^nne*" untergeorbnete
23el)örbe, oljme baS Sfted^t beS Vortrags beim ©rof$r)erjog ; im Dberfircfyenrate felbft
25 war ber Prälat (b. b,. ber Vertreter ber ebangelifcfyen Kircfye in ber erften Kammer)
nichts Weiter, als baS erftbotierenbe 9)litglieb ber geiftltctjen San!. U. empfing alfo
burd) feine ©teHung leine fircfyenregimentlicfje Wlafyt unb lonnte nur burd) befonbere
gugänglicfyfeit beS dürften, beS 9JiinifterS unb feiner Kollegen im Dber!ird)enrat für feine
Seftrebungen etwas auszurichten fyoffen. (Srft im ^afyxt 1856 übertrug ber ©rojjfyerzog
30 lt. aud) baS SDireltorium, aber bie nachträglichen Sebingungen, Welche ber bamals neu
eingetretene SRinifter Don ©tengel biefer Neuerung anzuhängen Wujjte, matten bie=
felben für 11. efyer zu einem ©cfyaben als zu einem ©eWinn. @S Warb ib,m im Dber=
lirdjenrat ein Weltlicher 3Stgebirettor gegenübergefteüt, beffen Söiberfbrud) jeben fonft ein*
t)eHtgen Kollegialbefcf/lufj ber beeren ©ntfdjeibung beS 9JcinifteriumS unterwarf, unb ftatt
35 beS beantragten unmittelbaren Vortrags beim ©rof^erjog erhielt ber neue SDireftor famt
jenem SSi^ebireftor ©i| unb ©timme im SJttniftertum beS 3nnern/ ®n 3^$:, WeId)eS bei
ber ftarl bureaufratifcfyen unb für geiftlicfye ©eficfytStounfte Wenig empfänglichen ©timmung
biefe§ Kollegium^ für IX. balb jur größten 5ßem Werben foHte.
S)a§ §au^tbeftreben be§ neuen Prälaten War auf bie Ausführung ber in ben Sur=
40 Iacb,er Konferenzen borbereiteten Reformen gerichtet, behufs beren bie feit 1843 nidjt ge=
^altene ©eneralft>nobe im ^afyxz 1855 einberufen Warb. 3#r Würben Entwürfe einer
neuen Formulierung beö Sefenntni^ftanbeS, eines neuen 2anbe3Jatect)i<§mu§, einer neuen
©otteSbienftorbnung unb biblifd)en ©efcf)id)te borgelegt, Vorlagen, Weld)e eine au§ ben
SKitgliebern ber tfyeol. gafultät unb einer 2lu<§Waf)l angefeuerter ©eiftlicb,en gebilbete
45 Sorfonferenj faft WiberftorucliSloS gutgeheißen b,atte; bie ©efangbud)3reform unb bie 3Ser=
faffungSrebifion füllten einer folgenben ©eneralfimobe borbe^alten bleiben. 2)ie neue
©eflaration beS SelenntniSftanbeS lautete: „®ie bereinigte ebangelifd)=broteftantifd)eKird)e
im ©ro^erjogtum Saben grünbet fic^ auf bie b,I. ©c^rift beS 2t unb %l%§ als bie aß=
einige Quelle unb oberfte ^idjitfclmur ib,reS ©laubenS, ib,rer2eb,re unb ib^reS SebenS, unb
so fyält unter boller 2tner!ennung i§rer ©eltung feft an ben Selenntniffen, Welche fie it)rer
Bereinigung ju ©runbe gelegt b,at. £>iefe in ©eltung fteb,enben Selenntniffe finb bie
nocb, bor ber Wirfliefyen Trennung in ber eb. Kircfye erfcfyienenen, unb unter biefen
namentlich unb auSbrücflicb; : bie StugSburger Konfeffion, als baS gemeinfame ©runb=
befenntniS ber eb. Kircfye ®eutfd)lanb§, fowie bie befonberen 33e!enntniSfd)riften berbeiben
55 früher getrennten eb. Konfeffionen beS ©ro^erjogtumS, ber KatecfyiSmuS SutfyerS unb
ber §eibelberger KatecfyiSmuS, in ifyrer übereinftimmenben Bezeugung ber ©runblefyren
t;I. ©d)rift unb beS in ben allgemeinen SBelenntniffen ber ganzen ßfyriftenfyeit auSge=
fbrocfyenen ©laubenS" — ^n biefer Aufteilung, bie fonft einmütig gebilligt Warb, ber=
mi|te eine Minorität ber ©^nobe unb an beren ©bit$e §unbeSb,agen unb 9totb,e bie im
60 § 2 ber UnionSurlunbe ausgekrochene Söafyrung beS 9tec|tS ber freien ©d)riftforfd)ung,
Mummt 209
toäbrenb lt. beftritt, baß eine foldje in ben 23cfenntniSauSbrud gehöre, ©ein ©tanb=
bunft in biefen fragen mar allerbingS md)t mefyr ber feinet 25 Qafyre älteren ©ut=
achtens in ber ©efeniuS=2öegfd)eiberfcl)cn Angelegenheit (f. o. ©. 205, 21), aber er fyatte,
tcic baS bon ifmi berfaßte ©utad)ten ber §eibelberger $atultät über ben bfäljifdjen
Hird;enberfaffungSentrourf bom $af>re 1849 bezeugt, feine Anficht ntd)t erft mit bem ©in= 6
tritt in§ $ird)enregiment geänbert unb roollte aud) je|t ber tt)cologifcr;en freien gorfdmng
fp toenig entgegengetreten miffen tote feine ftynobalen ©cgner, nur baß er fürchtete burcfy
(ivtoäfmung berfelben im 53efenniniSbaragrabI)en alle red^tltd^e Anmenbbarfeit beSfelben
roiebcr in 3we'fe' Su fe£en- ®*n fcfyließltcr) öon '^m nachgegebener $ufa$, toelcfyer 9*ed)t
unb s^flid)t ber freien ©d)riftforfd)ung für alle ©lieber ber $ird;e betonte, ben Sienern 10
ber Äirdie biefe ^3flicf/t befonberS einfdjärfte, aber aud) ein fbe^ififcljeS Stedjt ber tf>eo=
logifdjen gorfcrmng nid)t auSfbradj, gewann für bie Vorlage gtoar nidjt alte, aber bod)
bie bei meitem mehreren ©timmen. Unbebingter mar bie guftimmung ^u t,en übrigen
ßntlüürfen. ®er borgelegte neue SlatecfyiSmuS, eine bon U. felbft bearbeitete 23crfd)mel=
jung beS fleinen 2utb,erifd;en mit einer AuSmafyl aus bem §eibelberger, fanb nicfyt nur 15
auf ber ©r/nobe, fonbern aud) in ben ©emeinben bie banfbarfte Aufnahme, wie er benn
aud) wenige $ab,re nad)f)cr mit geringen Änberungen in ber rl)ein=breußifcl)en Siircfye als
UnionStated) ismuS abobtiert marb. ©benfo rourbe bie neue biblifcfye ©efd) idjte otme 3Siber=
fbrud), bie neue ©otteSbienfiorbnung — eine treffliche Arbeit bon D. SBäfyr — unter
ganj geringen Sftobififationen angenommen unb bie ©infüfyrung ber letzteren nur baburd) 20
berjögert, baß bie ©r/nobe ein boEftänbigeS Äirdjenbudj berlangte, mefd)eS in bemfelben
©tile aud) bie ^ebengotteSbienfte unb Hafualien befyanbelte.
0leid)toof)l foHte biefe neue ©otteSbienftorbnung für baS U.fd/e $ird)enregiment ber=
IjängniSbotl merben. Als brei ^afyre nad> ber ©eneralftynobe bon 1855 bie Agenbe, auf
beren balbige @infül)rung nocf) bie Siöcefanfimoben bon 1857 gebrungen, enbtid) ber= 25
bollftänbigt, rebibiert, genehmigt unb gebrudt mar, t)atte ftd) injtbifd)en bie ©ituatton
meljr als man afmte beränbert. $n Sägern fyatte bor lurjem eine neue altertümlid/e
Siturgie im 3ufammenl)ang mit anberen mißliebigen Äonfiftorialerlaffen ben SBiberftanb
ber ©emeinben macf/gerufen, in Preußen l)at ein 9IegierungSmed)fel ftattgefunben, melct/er
bie liberalen Xenbenjen auf ftrcr/lid/em mie auf bolittfcf/ein ©ebiet mit neuen Hoffnungen so
erfüllte, unb in Saben felbft mar an bie ©teile beS mofylmollenben brot. 3JcinifterS
b. 2Bed)mar, ber oben ermähnte $r. b. ©tengel getreten, ein ®atl/oIif, beffen gefbannteS
$erf)ältniS ju bem Sireftor beS Dberfird/enrateS Ianb!unbig mar. 2)aS alles lub bie
feit bem StebolutionSjaljr faft böüig berftummten obbofitionetlen Elemente ju einer neuen
Slftion ein, als beren näcb,fteS Dbjeft baS neue £irc^enbuc§, meines für bie faft aller 35
liturgifcr/en AuSftattung beS ©otteSbienfteS entmöb,nte fübbeutfcfye unb befonberS bfäljifdie
ÜolfSftimmung immerhin etmaS 33efremblid;eS anfd;einenb ^at|olifierenbeS b,atte, fidt> jur
guten ©tunbe barbot. 3öäl)renb fid}, fo lange eS ficf) de lege ferenda r/anbelte, fo
gut mie leine Dbbofition berlautbart b,atte, er^ob fia) biefelbe jetjt, mo baS ^ird}enbuc£)
nur nod) burd) einen ftrc^Uc^ert SecfytSbrucr; rüdgängig ju madien mar, ^uerft in 2Rann= 40
^eim unb formulierte ficb, fofort in §eibelberg §u ber an ben ©ro^er^og gerichteten
^itte, bie ©infü^rung nid)t etma in ber Solalgemeinbe, fonbern in ber ganzen £anbeS=
fira)e ju fusbenbieren. 3Jlit §ilfe einer gebrudten unb maffenb,aft berbreiteten glugfdmft
unb aller fonftigen Mittel ber Agitation berbflanjte man biefe Dbbofition aud) in anbere
SanbeSteile, unb balb gemann biefelbe, ermutigt burd) bie Äonnibenj beS 3JcinifteriumS beS 45
Innern unb ein an b,öd)fter ©teile felbft eintretenbeS ©cfymanfen bie größten ©imenfionen.
3)ie Äirdjenbefyörbe, bie an eine gelungene ©tnfüfyrung nie gebad)t t;atte, bermod;te —
bon ben beeren ^nftanjen berlaffen — bem anftedungSartig burc^S Sanb ge^enben
3d)iüinbel feinen SBiberftanb §u ti)unf unb obmob,! bie 9Rid)tigfeit ber ganzen (Bad)^ am
Gnbe barin an ben %a$ trat, baß bie aJceb^af»! ber ©emeinben bennod; bie neue ©otteS= so
bienftorbnung annahm unb aucb, bie renitenten ficb, jum ©ebraud) ber &>tUU unb %ox-
mulare beS neuen ^irdjenbucfyeS herbeiließen, fo mar baS 9tefultat beS AgenbenftreiteS
bod) eine töblict)e 3Serle^ung ber tircfyenregimentlidjen Autorität unb bie @rfal;rung, baß
nod) ganj anbere Singe ju ertro^en feien, als baS Wegbleiben eines ©onntagSebangelium
ober Ijallelufaf) im ©otteSbienft. 55
ÄlSbalb geigte fid) aud), baß bie Dbbofition biel meiter gel?enbe $kh berfolgtc.
©eit entfernt mit ber ©rlebigung ber Agenbenangelegenb^cit jurüd^utreten, organifierte fie
ficf) nur um fo fefter unb nat>m giim ^iel ben ©turg beS Ll.fd)en Mird)enregimentS, baS als
ein reaftionäreS, Imcfylircr/licfyeS, b^ierard}ifd)eS bon ba an bie .ßielfcf/cibe ebenfo unermüb=
lidjer als unmürbigcr ^eitungsangriffe iourbc. 9cad)ft ber Agenbe mürbe befonberS bie biucf) so
SReo[=®ncftfropäbie für Sljeologte unb SHväje. K. 81. XX. n
210 UHraanu
33efd)Iuf5 ber ©imobe bort 1855 an bte ©teile eines r)öd>ft mangelhaften SBafylfr/ftemS ge=
fe|te Hoobtation ber $reSbr>terien als öemeiS ber gegen gretfyeit unb Siecht ber ©emeinben
fetnbfeligen ©efinnung ber SUrdjcnbefyörbe ausgebeutet, obmob;! ber Slntrag auf biefe 33er=
änberung gar ntct)t bon btefer, fonbern bon bem fonft obbofitionellften Sftitgltebe ber
5 ©bnobe ausgegangen mar. ©benfo berbäcfytigte man bte Sltrctjenbe^brbe — otme allen
©runb — ber ©r/mbatfyie mit bem ebenbamalS bon ber Regierung mit ber römifcfyen
Hurie abgesoffenen Honforbat. Sie güfyrer beS 2IgenbenftreiteS nahmen nun aucb, bte
Slgitation gegen baS Honforbat in bte §anb, unb als balb barauf bie zweite Hammer
baSfelbe bermarf unb infolge beffen ein neues 3Jciniftertum aus berSJUtte ber Dbbofition
io Ijierborging, mar aud) baS ©cfyidfal beS ll.fcfyen HirdtenregimentS beftegelt. SDa an bie
©teile beS HonforbatS ein gefe^gebcrifd)er Slft trat, ber beiben Hirnen ©elbftftcinbigfett
unb ©elbftbermattung zufbracb,, mithin eine Jtebifion ber ebangltfdjen Hircfyenberfaffung
geboten mar, fo roarf \\<fy bie fircfylicfye Dbbofition nun auf bie ÜBerfaffungsfrage. ©ie
Sofung, bafj bieS Hirdjenregiment mcfyt berufen fein tonne, baS Prinzip ber ©elbftftänbig=
io feit unb ©elbftbermattung ber eb. SUrdje (für melcfycS 11. bon Anbeginn getambft blatte)
ins Seben einzuführen, marb unter gefteigertem Fortgang ber gefyäffigen 3ettung§angrtffe
ausgegeben, unb baS botlftänbige ©emäfyrenlaffen berfelben feitenS ber Regierung gab bcn
©egnern bie ©emipeit, baf$ ber ©turj ll.S nur eine grage ber gett fei-
211s ^rälat bor unfreiwilliger ©ntlaffung gefiebert, b/ielt 11., fo fcfymer er unter btefer
20 Situation innerlicf) litt, fiel; boeb, in feinem ©emiffen gebunben, baS ©teuer ber Äirc^e
feinen ©egnern nicf)t ju überlaffen, fo lange eS i§m fittltcb, möglid) fein mürbe, baSfelbe
^u beraubten. 2IIS aber §ule|t ifym bie ßumutung gefteUt marb, ein bon ifym felbft in bie
Äirc^enbeb^örbe gezogenes bollfommen untabcligeS geiftltd)eS 9JlitgIieb aus berfelben entfernen
ju laffen, bamit eine SDJifdjmng berfdnebener 9iicb,tungen im Hirdjenregimcnt ftattfinben tonne,
25 erklärte er, bafj nacb, feiner Überzeugung baS Hirdjenregiment nid/t an ber SSerfcfyiebenfyeit
ber 9ticl)tungen, fonbern an bem einhelligen 33e!enntniS ber eb. iürdje feine SBafiS b,abcn
muffe, unb bat, menn man bon bem ©ebanfen nicfyt abfegen unb zugleich bie Hird)en=
beljörbe gegen bie meift bon Seuten in ©taats= unb Hird;enämtern auSgefyenben Singriffe
unb 33erbäct;tigungen nic£)t fdmtjcn motte, um feine (Sntlaffung. %laü) bergeblicfyen 3L?er=
30 (»anblungen erhielt er biefelbe, ebenfo auf beharrliches sJcad>fucb,en D. 33ät)r, unb nun traten
in Regiment unb SSerfaffung ber babifcfyen SanbeSürcfye jene SSeränberungen ein, meldte
in ben nädjften ^jar/ren fo biet bon fid) reben gemalt l/aben unb in Setreff beren mir Iner
lebiglicb, auf unfere feiner ^c'xt in ber feuert db. H$ l86* gebrachten 33ericf)te bermeifen
formen. @S roirb ntdjt zu beraubten fein, baf$ baS ll.fdje Hirdtenregtment biefen SluSgang bureb,
35 keinerlei SOMngel erleichtert b,abe ; bor allem lag eS in ber ^nbtbibualität mie in ber SebenS=
füf)rung beS trefflichen SRanneS, bafj er ^u biel auf baS 2Bof)ImoIIen beS SanbcSfürftcn unb
beS Hircb.enregimenteS baute unb einer freiroücfyfigen ©ntmiclelung bon unten auf nid)t
jutrauenSboH genug entgegenkam; aber ber Mambf, in bem er unterlegen ift, blatte ^mn
tiefften ©runbe einen ganj anberen ©egenfatj, bcn eines auf beftimmten bofitiben, be=
40 lenntniSmä^tgen ©runblagen georbneten unb eines bon biefen ©runblagen mbglicf/ft ab--
ftrab,ierenben unb auf bte bage ©emeinfamleit broteftanttfcl)er 33ilbung unb ©ntmiclelung
bafierenben Ätrd^entumS. Wlan barf aufy beraubten, baf? eine Sieorganifation ber ba-
bifcb,en SanbeSlirc^e im ©tnne einer mal)rf)aft Jird;Itc^ert 3]erfelbftftänbigung ber @injel=
unb ©efamtgemeinbe, falls 11. ftc angeftrebt l)ätte, bcn babifd;en burcaufratifd;en mie
45 liberaliftifcfjen ©timmungen ber fünfziger ^al;rc gegenüber faum zu erreichen gemefen
märe. — §eute mirb bicHeict)t allerfettS zugegeben merben, — ntdjt nur, ba| eS b,öct)ft
mangelhafte latecfjettfc^c unb liturgifcf)e $3eftänbe toaren, meiere 11. bura; beffere zu ^=
feiert fucl;te, fonbern aueb,, ba^ er \\fy noeb, meitere unb bleibenbcre 35erbienfte als SUrcb, en=
regent um fein £anb ermorben f)at. 2Sir rechnen bab,in ben bon tb,m guerft eröffneten
so Hambf gegen eine unmäfjtge 3>erftaatlicf)ung ber Hircb,e ; ferner bie in mül)feligftem Hambf
gegen bie 33ureau!ratie burct)gefe|te ©manzibation unb Serforgung ber ebangeltfd)en ®iafbora
im Sanbe; bie älnbaf^nung berfönlicfyer 2Sect)felbejieI)ungen gtütfcEjen Hird)cnregiment unb
©eiftlicfifeit mie ©emeinbe; aucl; ben aUerbingS nict)t freilaffenb genug unternommenen
unb bab^er arger SJlifjbeutung berfallenen 5Berfucb,, bie ^Pfarrbefe^ung bem bureaulratifcljen
55 aRecf)aniSmuS zu entnehmen unb geiftlicb,en ©eficf>tStounIten zu unterftetlen.
SllS 11., 65jäb,rig, in ben 9iub,eftanb trat CJteujafyr 1861), mar unter ben unfäglid;
bitteren Erfahrungen ber legten ^jafyre feine ©efunb^eit bereits gelnid't. ©o gingen bie
fefmfücf/tigen Hoffnungen, bie er für eine erneute litterartfdjie 2Ruf$e auf feinen 9tub,eftanb
gefegt b,atte, nur fümmerlicb, in Erfüllung. 3lbgefel;en bon ber legten Umarbeitung
eo feiner „©ünblofigfeit ^efu" unb einigen Heineren Beiträgen zu ben Xf»©t£, lam eS
ItUiitcutu Ulrid) •>{[
nur nod) 511 Stnfäfcen, nid)t mcbr p SluSfüfyrungen ; namentlid) ift eine ®cnlfd)rift, bic
er über feine iird)enrcgimentlid)C 2lmtSfüt)rung im Skrte fyatte, letbcr unbollenbet ge=
blieben. ©aS befte Seil feiner ßeit unb Straft nabjn bie sJ(ebafiion ber Xb/Stß in 2tn=
f^vud), roeldje roäbrenb feiner $rälatur borjuggtoeifc Don Umbreit geführt nun in feine
.fjänbc jurüd'ging unb nad) bem £obe jerteö bieljäfmgen Mitarbeiters, bem il. nod) ein r,
fd)tfneS ©enfmal fetste (f. 18G2, §eft 3) anfangt unter 3totf;c^, bann unter £unbeS=
bagenS unb 3itef>mg Mittbirlung mit alter Siebe unb Sreue bis an baS eigene @nbe
fortgefeljt roarb. 2lm 12. Januar 1865 ift er geftorben.
II. mar leiner Don ben fd)öpferifd)en ©elftem unb pto^etifcf)en Männern, benen
cS gegeben ift bk Geologie unb £ird)e in neue Satmeu 311 führen, aber er mar eine» 10
ber febrnften Talente unb einer ber ebelfien Gf/araftere, bie im 19. ^abjfmnbert ber
beutfden eb. ^tre^c gcfdjentt roorben finb. (Sin d)rifilid)er §umanift im beften ©inne
bec Portes, bat er ben flar unb toarm erfaßten d)riftlid)en $nl)alt tote in feinen ©diriften,
fo in feinem i'ebcn in eble, reine formen gefaxt unb als d^iftlid)cr ©efd)id)tfd)rcibcr unb
2lbologet, als berebtcräöortfübrer ber dmftlidjen 2Bal)rf)eit unb ber eb. &'ird)e, als anregenber 15
unb liebevoller $ül)rer ber afabcmifdjcn Sju^nb unb als treuer aufobfentb gea>iffent)aftcr
Arbeiter im $ird)cnrcgiment, enblid) als cfmftlidjer §auSbater, greunb unb ©ulbcr für
bic tbeoIogifd)e Stiftung ju ber er ftd) belannte, ein 3euÖn^ abgelegt, baS mancher
geringfebä^igen ^Beurteilung unb lcibcnfd)aftlid)cn S3er!ennung uneraebtet in reichem ©cgen
fortlebt. «Bill. S3ci)fd)tag f. 20
Ulrtd), 23. Don 2lug§burg, geft. 973. — Gerhardi Vita s. Oudalrici, Ijeri:u§qeg.
nun 9Sai&, MG SS IV 6. 377; ßufati %. Martyrol. Notkeri, $b<8 XXV, 3. 209; «raun,
Wejd). ber So. u. SlugSburg., I, IHugäb. 1813 «5- 177; Sod), ©e[d). unb ftuit beä fd. U trief),
bau. S-iff. 1875; SSattenbad), ©efd).=£l. V, 3. 117; l£6err, Sitt. be§ Wl. III, 3. 409 ff.;
Öaucf, m ®-3 III", 6. 47 ff. 25
Ulrich, mürbe 890 ^u SlugSburg geboren, ©ein SSatcr #ubatb ift ber STbnbcrr ber
©rafen bon Sillingen, feine Mutter ©ietbird) l)ängt mit bem §aufe beS .§er^ogS 33urd)arb
bon Sd)toaben jufammen. ©eine ©rjtebung fanb er in ©t. ©allen, bamatS bem toid)=
tigften ©itje litterarifd)cr unb tbeolügifcber SSilbung in Sllamannicn. ©od; finb bie sJtad)=
richten über feinen bortigen 2luf enthalt legenbarifd) gefärbt; befonbcrS ift atleS erbid)tet, roaS m
über feinen 35erfebr mit ber ©inficblerin älsiborab crjäfytt toirb; fie !am erft nad) ©t. ©allen,
naef/bem Ulrtd) bic SUofterfcfyule berlaffcn batte, f. Mefyer b. ^nonau %u Ekkeh. Cas. s.
Galli 57, ©.213. (SS ift möglid), bofj bic Mond) c tbn jum (Eintritt inS Älofter brängten ;
benn banl feiner bornet)men §erfunft fwtte er bem ^tofter als 2Ibt grofje ©ienfte leiften
tonnen. 2lber eS ift fidler, baf$ Ulrtd) baS mönd)ifd)c Seben berfd)mät)te. ©inige ^cit a5
bor bem 'Sobe SlbalberoS b. 3tugSburg (28. Slbrit 909) fel)rte er nad) SCugSburg jurüd.
3)er Sifd)of übertrug it)m ba§ älmt bcS SamerariuS. 2US 2lbalbero ftarb, berliefj er
3tugSburg roieber, erhielt aber nad) bem Sobc §iftinS (8. 9lobember 923) bou Jpcüirid) I. .
auf anbringen feiner ^erioanbten baS SiStum ätugSburg; er iüurbe am 28. ©ejember
getoeif)t. ^n jener geit ioaren bie S3ifd)öfe gunäd)ft geiftHd)e Ferren, gerabe im 10. $at)x- w
b.unbert irmrben bie ftaatlid)en ^]flid)ten unb 3ied)tc ber ©rof^en bcS SteicbeS auf fie über=
tragen. Ulrtd; bat fold)en S)ienft ben Königen ^einrieb, I. unb Dtto I. gcleiftet. Sr
forgte für Scfeftigung feiner ©tabt unb ber ifym gehörigen ©tifter unb Üaftcttc. (Sr mar
in ber fdjlimmen ^dt ber (Smpörung bcS §erjogS Siubolf bem Könige treu unb mußte
bcöbalb fein ganjeS ©ebiet, aud) SlugSburg, an ben s$faijgrafen Slrnulf beclorcn geben 45
unb fid) felbft in bem eilig befeftigten ©d)mabmünd)en belagert fefjen. ©od) mürbe er
bon feinen bem Stönige treuen Jßerroanbten, feinem Sruber ©ietbalb unb bem ©rafen
Slbalbcrt bon SRard)tbal, befreit. 9iun bemühte er fid), ben ^rieben 3it)ifd)en 33ater unb
Sobn fjerjuftellen. @S fam aud) auf feinen unb beS S8ifd)ofS §artpert bon (5l;ur betrieb
ber Sßaffenftillftanb ju ^Hertiffen ju ftanbe. ®aS barauf folgenbe 3at)r 95Ö mar bic &o
gröfite 3eit feines SebenS. ®ie Sagbaren blatten fd)on im 2>al)re !)--J öor SlugSburg
gelegen, toaren aber abgezogen, ob;ne ber ©tabt ^u febaben. ©reinig %afyxc fboiter erneute
fid) bie ©efabr unb gmar in biet größerem Umfang, ©anj ©übbeutfd)lanb rourbe ba=
mals bon ben räuberifd)en ©d)arcn ber SRagtyaren burd)jogen, bie unterftü^t bon SanbeS=
berrätern faum SBiberftanb fanben. Ulrid) 30g biet tapfere 9Jfannfd)aft in bie ©tabt, 55
befcljte bie niebrigen, burd) Xürntc triebt berftiirlten s)Jiauern, unb tbat baS ©eine, baf;
ein Sturm auf baS %fyox im Dften fräftig abgefd)lagen mürbe. 00 roufjte er bic c^tabt 311
balten, bis Cito I. mit bem beutfcfjen Speere b/eranjog. ©cinöiegauf bem ^ed)felb (lo.Stug.
'•'■"'•j) befeitigte bie ä)cagi)arengefal)r für immer, sjjad) biefer .3 c i t muf;te Ulrid) bic jcr=
M*
212 Ulrid)
ftörten Atrien unb Tabellen erneuem, ©täbte, ©tifter unb 33urgen, Käufer unb gelber
feiner Sanbgüter Wieber in guten ©tanb fetjen. 23efonber<3 3lug§burg erfreute fid; feiner
gürforge. @r mufsie bie Verarmten Pfarrer, SSerroalter unb ©ienftleute bon betn, tva§
ifym übrig geblieben War, eine geraume geit erhalten, unb er mufUe Itrdjltdje unb bürger=
5 Iid)e Drbnung in feinem 3Bolfe fefter grünben. ®a§ I)at er gern auf SifitationSreifen
getfyan, bie er nad) bem Dfterfefte ju machen pflegte, nad)bem er in ben erften Jagen ber
ÄarWod)e ©iöcefanftmobe gehalten b/atte. ©a befugte er bie ©tifter unb Softer geudjt*
Wangen, ©taffelfee, güfeen, Söiefenfteig unb §ebac^, bie er fid) referbiert fjatte unb bercn
©infünfte tfym bie großen Sftittel ju feinen Unternehmungen gaben, unb burcbjog fobann
io bie übrige ©iöcefe, um ©enbgerid)t unb girmung $u galten unb um bie §ufammen=
gerufenen steriler l)inftd)ilid) tt)rer SlmtSfüIjrung unb tt)ret ©Uten ju prüfen unb %a er=
mahnen. ©ine überftrömenbe, Wenn aud) unWeife Söofyltfyäiigleit ju üben, füelt er für
einen ©d)tnud foWot)I be§ gürften als aud) be§ 33ifdjof§. @r übte fie aud) gegen bie
kleriler, bie er in großen ©d)aren in feiner bifd)öflid)en Siefibertg I)atte unb ju ben
15 ^ircfyenfeften berWanbte. ®ie feftlictjen ©otteSbtenfte Würben bon ifmt fefyr bermannig=
fac^t unb an ben §aubtfefien in mehreren Slird)en Inntereinanber mit immer fteigenben
^runfe unb ^3ombe bon tr)m boUjogen. 3U Innern täglichen berfönlid)en ©otteSbienfte
glaubte er bie 2lnbad)tSmittel nid)t genug Raufen ju tonnen, ©r betete ben l)errommlid)en
täglichen ßurfuS, iaS officium bon ber SRutter ©otteS, bon bem ^eiligen ^reuje unb
20 t>on alten ^eiligen unb ben ganzen ^ßfalter unb feierte an manchen 'Jagen bie 9J?effe
breimal. 2lud) im gaften lonnte er fid) in ben bon ber $ird)e baju beftimmten Reiten
nicr)t genug tfrnn. ©ie grömmtgfeit feiner geit richtete fid) befonberS auf 9teliquien=
bere^rung. ©o mar e§ aud) bei Ulrid), ber beSfyalb auf bie 3krmet)rung feine«? 5HeIiquten=
fd)at$e3 eifrig bebad)t War. ©r machte gu bem gtoede weite Reifen. @r brachte unter
25 Slnberem bon ©t. SJcoritj im SöalliS fefyr zweifelhafte Überrefte bon Kriegern ber tb,ebai=
fd)en Segion unb auS $om ben, Wie e3 fd)eint, md)t reblid) erworbenen, aber aud) fefyr
unfid;eren ^obf beg 1)1. SlbunbuS nad) 2Iug§burg. $n Stom ift er breimal (910, 954,
971) al§ SBaßfafyrer geWefen. ©a§ 9Jcönd)tum fyat er fteiS bodigefyalten. ©ie unter bem
33orfitj be§ ©93. griebrid) bon -JJiatnj tagenbe 2Iug3burger ©fynobe bon 952 traf 9Rafj=
30 regeln jur Reform ber Softer toie jur fittlicf)en §ebung be§ £leru§ (MG CI I, ©. 18).
Ulricb, felbft b,at bie 9Bieberaufrid)tung bon Senebiltbeuern, Kempten unb Dttobeuern be=
trieben unb ba§ ?Jonnen!lofter ©t. ©tepl)an in 2lug3burg begrünbet. äöenn er bie oben
genannten ©tifter nid)t jur ©elbftftänbigleit lommen Iie|, fo roirlte er bod) anberen bie
freie Stbt^wal)! au§ unb unterftüite bie SSerftrcngerung be§ ^lofterlebenö, mie fie bon
35 Söeften nad) ©eutfd)lanb einbrang. ®ie in ©t. ©allen empfangenen ^ugenbeinbrüde
mirften nad).
©er 2tu§gang feinet fonft fo glüdlid)en @piflopat§ war nid)t frei bon einem 5Jftfj=
Hang. @r f>atte einen Neffen 2lbaIbero, bem er längft bie güb,rung be§ bifd)öflid)en
Aufgebots übertragen §atte. ^n roünfdjte er, um ba€ Öiötum feiner gamilie ju erhalten,
40 ju feinem 9tad)foIger. 3lbaIbero mar baju geeignet: er war Wol)I unterrid)tet, beeiSBortcg
mächtig, in aßen weltlichen ©efd}äften beWanbert. Dtto I. b,at ib,n benn aud) UIrid)§
SBunfd) entfpred)enb im Steril 971 $u beffen ?iad)foIger ernannt. 9?un lie^ Ulrid) bie
Safallen unb SDienftleute be§ 33i§tumö il)m ben Sreucib leiften. Slbalbero b,anbelte feit=
bem al§ ber red;tmäfeige 9?ad)foIger feinet Db,eimg; er trug, obgleid) er nid)t lonfelricrt
45 War, ben 33ifd)ofgftab. ©ag erregte aber foWob,! bei bem Slugöburger ^Ieru§ Wie bei
bem beutfdjen ©piffopat großen 3lnfto^. ©ie ©ijnobe ju ^ngell)eim im §erbft 972 gog bie
<Bad)i bor ib,r gorum unb nötigte Slbalbero ben 23ifd)ofgfiab §urüdjugeben. @r ftarb !urj
banad); ib,m folgte am 7. Wai 973 Dtto I. im S£obe unb nod) in bemfelben 3a^e
erreichte ben leben^müben 33ifd)0_f ber Job, er ftarb am 4. ^uli 973, auf afd)ebeftreutem
so 33oben liegenb, in ©egenWart feiner Hlerifer, Weld)e bie Sitanei fangen. 33eigefe£t Würbe
er in ber ©rabftätte, Welche er fid) nad) bem legten Kriege mit ben 9flagi)aren neben ber
neu aufgebauten ©t. Slfra!ird)e errietet §atte.
®em ©lauben jener gzxt entfpred)enb War e3, bafe fid) feb,r balb am ©rabe Ulrid>g
§ilfefud)enbe einfanben unb bafe fie aud) bon bort gefd)eb,enen SBunbern berichteten.
55 UIrid)3 Slnbenlen unb Überrefte genoffen beälwlb in 2tug§burg unb im Weiten Umfreife
allgemeine 23erel)rung. ©ein ftänbiger Begleiter in ben legten ^afyren, ^ropft ©erb,arb,
fd)rieb eine preifenbe Siograpljie, Welcher er fd)on biete geilen unb 2Bunber bei ^eiligen
Sifd)of§ anfügen lonnte. ©iefe ©dmft nab, m S3ifd)of Stutulf bon Sluggburg mit fid) nad)
9tom, als er barauf ausging, für feinen Vorgänger bie 33ereb,rung ber ganzen dl)riften=
eo t>ett gu erwerben, ©er ^atoft ^ol)ann XV erfüllte feine Sitte unb liefj im gebruar
Ulrid) Ultrnmoittoiiiömnä 213
093 eine 23ultc an bic ÜBifd^ofc unb ätbtc ©allienS unb ©ermanicnS auSgeb/cn, Weld)e
bic fird)Iid)e 33eref>rung Wrid;S gebot. SDaS erfte nachweisbare 23eifbicl einer bäbftlidjen
Manonifation.
2cn Manien Ulrichs trägt eine furge (Streitschrift gegen ben Gölibat (Eescriptio b.
Udelrici ep. in qua papae Nicoiao de continentia clericorum non iuste sed 6
impie, non canonice sed indiscrete traetanti ita respondit, MG LL I ©. 254 ff.).
2er ^erfaffer beginnt mit ber 23emerfung, baf? bie il)m gugefanbten befreie beS s^3a^>fteö
über bie (Sntfyaltfamfeit ber ©eiftlicfyen iE>n in gurdjt unb ^raurigfeit berfe^t t)aben. @r
erflärt eS für ©eWalttfyat, bafj man gegen baS (Sbangelium unb ben ^eiligen ©etft $ur
Befolgung bon bribaten Sefebjen gelungen Wirb. SRatfd;täge unb Ermahnungen feien 10
boruigieb/en geWefen. ©ott fjabe im 212; ben ^rieftern bie @I)e erlaubt unb I)abe fie
Urnen nacfir/er niemals »erboten. 6t)riftu§ l)abe bie ftrenge (Snttwltfamfeit für weniger
ratfam gehalten unb SßauluS I)abe jebem embfob/Ien, fein eigenes SBeib gu r;aben, nid)t
ettoa nur ben Saien. SSom 93ifcr)of »erlange ^ßauluS, bafj er ßineS SöetbeS 9Jlann fei,
unb bis ins 4. Iyat)rl)unbert fyafce eS fein bem entgegenftefjenbeS Verbot gegeben, ©regor 15
ber ©rojje fyabe freiließ ben ©eifilidjen bie @b,e unterfagt, aber als er in feinem £eid)e
(iOOO Hinbetföbfe fanb, r)abe er gefagt: eS ift beffer, ju heiraten, als ©elegenl)eit jum
lobe ja geben. ^JcifolauS t)abe alfo einen großen geiler begangen mit feinem ©ebote
ber ßntljaltfamfeit. ßl;riftuS fage, l»er eS faffen lann, ber faffe eS. ©er ^ßabft bagegen:
locr es nidjt faffen lann, ber folt »om 33annflucf/e getroffen Werben, ©cfjänblicr) fei eS, 20
bafj 53tfd)öfc ober 2Ircf)ibiafonen »or ben abfdteulicf/ftcn 2Bof)Ilüften feinen 2lbfd)eu
embfinben unb bie ilmen untergebenen ©eiftltdjen tüte ©Haben gWingen, ib,re feufdjen
(i'ben aufjubeben. ®er SSrief ift ein ^ßfeubonfymon; feine SlbfaffungSjeit ergiebt ftd;
barauS, bafj, ©regor VII. ib,n auf ber gaftenfr/nobe bon 1079 »erurteilte (Bern. ehr. 3.
b. 3- 3. 436). @r wirb bemgemäfj nad) bem ßblibatSerlafj ber römiftfjen ©tynobe bon 1074 25
getrieben fein. ®ie 9cotig SernoIbS geigt gugleidt), bafj man in bem b. Udelricus beS
Briefs ben SlugSburger S3ifc£)of erfannte; benn er ift ber b, eilige Mrid). @S ift möglid),
bafj baS ber 2lbfid)t beS SkrfafferS entfbrad), ber feinen ©inmenbungen gegen ben er=
jicungenen ßölibat baburtb, ©eWid)t §u geben meinte, bafj er unter ber sIRaSfe eines
bolfStümlid)en ^eiligen rebete. ®od) ift bie ©ad)e nicr/t fieser; benn unter bem ^Sabft so
ÜttfoIauS ift fid)er MfolauS II. gemeint; bei ben decreta super clericorum conti-
nentia foll ber Sefer an ben 3. ^anon ber Sateranfimobe bon 1059 benfen. 2)ann fann
ber SSerfaffer aber nid)t als ber SlugSburger Sifcfyof reben Wollen, fonbern er mufj als
3eitgenoffe 9tifolauS' II. fbrecfyen. ©inen ocutfcfyen SÖifc^of Ulrid), ber jiütfct)ert 1051) unb
1074 ftarb, giebt eS nidpt, bagegen brei Italiener: Ulrid) bon Qmola, »onSenebent unb 35
bon germo. SDer gälfdjer fann fid) alfo Ulrid) genannt Itaben, um für einen biefer brei
gebalten ju werben. 2)od) aud) Wenn eS fo War, fo Wirfie feine ©d)rift nur als 2öerf
beS Slugsburger ^eiligen. ©aS geigt bie 9loitg SernolbS.
gerner Wirb bem Ulrid) ein Sermo synodalis parochianis presbyteris in
Synodis enuntiandus gugefd^rieben (bgl. MSL 135, ©. 1069). Slber mit Unred)t. 4«
2er ©ermo ift nur baS bielbenu|te Commonitorium cuiusque episcopi in leid)ter
Überarbeitung. (9t. SSoget f) §anä.
UltramontaniSmuS. — Sitteratur. (£§ wirb auf bie retc^tjaltigen Sitteraturangaben
:,u bem §trt. „Stöntifdie Sirdje" S3b XVII unb jwar ntcfjt nur für ben erften aügemeinen
'2. 74 f.), fonbern and) für bie folgenben ?(5frf)nitte (©.78, 83, 85 u. f. w.) Oerwiefen. Ein= 45
,jclne§ barauä muf3 um ber SßoHftcinbigfett roiHen t)kx uoc£)maI§ notiert werben.
A. Sßegrif f Sbeftimntung unb t) i ft 0 r. (Sntwitf elung be§ 11. SöHmger, kleinere
2cf)riften ed. 9?eufc£), 1890; berf., ft'irdje unb feirctien, ^atifttum unb Süvcbenftaat 1861; berf.,
3anuö, ber ^ßapft unb ba§ Sonjit (in 2.?luf{.: $a§ Sßapfttum) 1869, (1892)'; griebridi, ©e=
ict)icf)te beS Sßatttanifctjen So«jit§, 3 S3be 1877—82; berf., 3. 3- Söllinger, 3 33be 1899 — 50
1901; n. gdjulte, ®ie iUndjt ber römtfdjen ^ßäpfte, 1871 u. ö.; berf., üe^rbuet) beo Mt). unb
eo. ftird)enred)t§, 1886; 0. üoen§6roed), ®er lt., fein SBefen u. f. Sefiimpfnng, 2. Slufl. 1898
(t>op: ^eiifdjtog, 3. 9t6£)iüfe gegen bie uttr. 9cot, ®eutfd)=eo. 331. unb feparat 1S97); berf.,
Jer U in 2)eulfd)tanb 1896; berf., ja^lreicbe brütet in ber 3Konatöfd)rift „©eutfc^Ianb" ;
beif., Taö «ßapfttum in f. fug. unb fultur. SBirtfamteit, 2 S3be, 1900-1902 (aud) in 3>o»§= 65
ausgäbe); ba.^u: 33ie tatt). ilritif, 1902; 2. ß. ©ßg, ®er U. ai-i Sßeltanfdjauunq 1904; ba^u:
9?f)ennnu§, Äat^oliciömuä unb 11. (§tft.=boI. S3t. 1 904) ; ZI). SBeber, Staat unb «ird)e nad)
ben 9lbfid)ten be« U. 1873; Jyr. ^- Krau§, ©pettatür=S8viefe in ber «Ittg. geitting 1895 ff. ;
•Öaimiaer, ^r. X. Ärauö, ein Sebencbilb, '■'<■ Vtu§g. 1905; SBratg, 3. eriunerung an «rau§,
1902; '^aumftarf, Plus ultra, ©d)idfale eiueS beiitfctjen SJattjoüfeti, 1883; üiufdjtuc-., Mtrd)cn= w.i
214 ltltroiuontaniSranS
recfjl 23b IV imb V; Scrdjiolb, Sie 93ul(e Unam Sanctam it)re SSebeulunq f. Slitdje unb
©tciat, 1887; Soo«, Sie 23utfe Unam Sanctam, 1897.
B. SiuSluirf'ung beS mobemen 11. a) Seutfdje Sitteratur: SDtejer, Sie vötiiifdjc
'Jrage, 3 ^be, 1871-85 ; berf-, Sie beutfdje Sirdjenfreirjett unb bie fünft, fatf). Partei, 1848;
5 berf., Um umS ftveiten Wir mit ben Wir. ? 1875; bevf-, $ur Scaturgefd). beS gentrumS, 1882;
'■IHpfoIb, teuere .ft\=©efd)id)te II, 1883 (ebb. litter. Stnqaben im Stnbang, leiber nid)t feiten
o O. imb 3.); SSenier, ©efd). ber fatf). £t)eo(ogie, 0. 33b 1889; Wirbt, «Quellen j. ©efd). b.
I«abfitum8, 2. Stuft. 1901; berf., Ser II. im 19. Satjrb,., 1902 (g-Iugfdmft beS ®u. SjunbeS);
Gdjotler, Satt)otici§mit§ unb 11. (£r)eoI. geitfdjr. au§ ber @d)lneij 1900); (93ad)em) Staate
io lerjfon (2. Stuft.); Ser Seutfdje Slcerfur (feit 1869); Ser ftatbotit, gegr. 1821 (SJcahiä); 3Ser=
Ijanblungen ber ©enerafoevf. ber fatf/. Vereine (bejw. Slattjolifentage) 1850—1906; baju: Sie
©en.=S3erf. 3tunbfd)au unb itritil , 1868; baju: t>. §oert$broedj, Ser DvegenSburger
«altjotifentaq, 1904 (in: Seutfcl)Ianb, 3. £>eft); grantfurter ^eügem. 33rofd)üren; S3rofd)üren=
cl)!Iu§ für b'a§ fatt). Scutfd)Ianb, 1866 ff.; 33onifatiu§brofd)üren, 1870 ff.; «Dcajunfe, @efd). beä
15 f uliurfainbfs, 2. 3(u§g. 1902; Tttebermerjer, Sie Mi), treffe SeutfdjtanbS 1861; berf., Sie
fatl). ^Bewegung in unfern Sagen, 1868; Sa3 20. Safjrtjunbert (Organ ber SReformfat^ülifen
feit 1904);' -jRenaiffance (beSgi. feit 1904); „Sag mir motten", Programm be§ 20. Satjrf).
(1904); 5Seitbred)t, fronfeff. Sitteraturbetrieb (glugfdir- be§ ®r>. 33unbe«) 1906; ^errmann,
9u>mifd)=fat(i. unb euang. ©ittlidjfeit, 1899 u. ö. ; bagegen: SRauSbad), Satt). Sßorat, 2. Stuft.
-0 1902; Stbloff, Satt). Moral 1901; 1903; fiotbe,' Äirdit. Sßrüberfcfjaften u. ret. Seben im
«tob. Statt).,, 1895; SEBerr, ©efd). bc§ tartetloerbanbeä b. tattj. ©tubentetmerbinbungen, 1890;
^. SSerner, Sie marian. Kongregationen (Grjrifti. Sföeft 1904 3?r. 13); weitere Sitteratur f.
St;coI. 3at)re§ber. über 1905, <B. 863; SSerner, lUoberuer ßatt)otici§mu§ (Sfieol. 3vunbfd)au,
1902); ©eil, Sie (Sntlüirfetung ber fatt). Sirdie im 19. Safjrrj., 1898; Steifen, ©efd). ber fatt).
125 fttrd)e iml9. Sabrt). (beittfd), 2 Sie. 1880). SSgt. Sitt. junt St. sßiu30ereine 33b XV ©.464,19
S.U. ©0(3, Sa§ a5.CJ.93. unb ber lt. (9111g. 3tg., SSeil. Sh\ 238 (IS99); Seljmfuljl B.J., SaS
SH.C3.aS. für b. ©ebraud) be§ ©eetforgerS unb 93eid)toater3, greiburg 1899. — b) S[u«tan =
bifd)e Sitteratur: La Civiltä Cattolica feit 1850 (erft in 9ceabe(, bann in 9tom, bann in
gtorenj erfdjienen, jejjt wieber in 9tom); SPiidinub, L'etat actuel de l'Eglise rom.-cath. en
30 France (aud) beittfcf), burd) ftr. .f)offinann) 1876; öittnet, L'U. ou l'egliso romaine et la
soeiete modeine, $ari§ 1S44; Secannet, SJJontatembert, 3 SSbe, $ariS 1898—1902; Satreitk,
Joseph de Maistre et la Papaute ($cm§ 1906) f. Sinnige in £f)S3 1907, Ta: 7; ©eipbet,
Lcs deux Franccs, 1906; Sebibour, L'Eglise catholique et l'Etat sous la troisiemc Eepu-
blique I (1870-1889), SßarB 1906; Sabrl), Lcs catholiques republicains (1890-1903),
35 'ißariö 1905; Sotnbeö, Une campagne laique, S3ari§ 1903; berf., Uno deuxieme campagne
laique. eib- 1905; Sfiureau^Sangin, La Eenaissancc catli. en Anglcterre au XIX. «., 5ßari3
190 ff. ; SSer(aegen, La lutte scolaire en Lelgique, ©ant 1905.
C. ©l)(Iabu3 = Sttteratur: ©taatSIejfiton, 9tvt. (St)üa6u@ u.a.; ©dyraber, S. <ßa^ft u. b.
«tob. gbecu, 2. Stuft. SSien 1867; Soft, 93ov(efungen über" ben ©r)Habu3 SSien 1865;
40 SSieuitle, Le Syllabus commente d'apres les Actes dos Souverains Pontifes, ^ßariö 1879;
Sie Gncrjftifa Dom 8. Sejember 1864 (Shlt. tu 12§eften ber ©Hunnen aus? $)?aria=Saacl)
feit 1865); Storniere (euang. ©eifttid)er), 5piu3' IX. ßncl)flifa unb @. nerbeutfd]t unb ev=
Hart, ©ütevStot} 1891; meiiere Silt. f. bei Scirbt, 33abfrtum, 2. Stuft. (1901) ,^u 430, luo
aud) ber Sortlaut; t>. ,S>oen§broed), Ser ©V)tlabu§, f. Stutorität unb Sraglueite 1904; SRinatbi,
45 J.S., II Valore del Sillabo (8iom 1888); ijoural, Genese historique du Bvllabus, 2. Stuft.,
^ßau 1906.
^n bcm embringenben, tüett^m orientierenben Slrtilel „Siömifdje Äird)e" Sb XVII
©. 75 ff. ftellt ^attenbxifd) als ba§ Untcrfd)eibenbe be§ „römtfd^en £i#u3" tun, ba^ ba§
(i^ttfteutum, lt)är;renb e^ für ben ^roteftantiigmug eine 233eltanfd)auung, btelme^r für
50 bcn romifd^en ^atf)Dlici§mu§ eine öerrfdiaft fei. Jiatürltd) ift jener 2BeItanfd)atumg
bejto. if)ren Vertretern 9^ed)t unb irieb ber ß^anfion bamit nid)t abgebungen — aber
bie ©jbanfion beriet)* fic^ ^rin^i^iell nur auf ba§ geiftige ©ebiet unb bie SRtttel follen
unb inerben bcm entfyred)en. dagegen ift eä nid)t aHein erflärlid), fonbern geb,t au§ beut
2Befen beg romifd)en 5?att)oIici§mu§ — inenn bie obige Sefinition richtig ift — b,erbor,
55 bafj bie ©eltenbmad)ung ber §errfd)aft burd) itm je nad) Sage ber Serb/ältniffe aud) auf
bem tüeltlid)en ©ebiete gefurftttnirb. ©iefe leitete ©eltenbmad)ung im tneiteften ©inne
tnirb unter bem begriffe be§ Uttramontanigmug befaßt — einem Segriff, ber allcrbing3
erft auf ©runb t)iftDrifd;er Unterfucfyung unb ©ntlnidelung genauer flargeftellt tnerben
fann, bon bem aber bon bornb,erein fobiel einleuchtet, ba^ toir e§ bei it)m nid)t lebiglid)
eo mit einem unter befonberen Umfiänben fiel) ergebenben (Sinjelattribut römifct)=!atfyolifd)cr
Äird)lict;feit, fonbern mit einer ba§ gefamte 233efen berfetben betreffenben £Seftimmtl)eit
SU ib,un b,aben, bei ber bann freitid) §u untcrfud)en bleibt, unter welchen 33ebingungen fie
in Stltion tritt. ©d)on ef)e ber ©treit barüber ging, ob „ultramontan" unb „fatr/olifer;"
ibentifd)e begriffe feien, t>at fid) ©ößinger in ber 1865 gefefnuebenen, abzx erft nad) feinem
lUti'(iiitouttuii£m]iS 215
lobe veröffentlichten bebeutfameu 2lbl)anblimg „Die ©Vetyerifd)e ©eminarfragc unb ber
©bjttabuä", barüber auSgefvrodjen : „Jm ©runbe ift e3 nidjt fdjtoer, genau anzugeben,
nue unb worin fid; ber Ultramontane Vom ^atlwlifen unterfertige, ift e3 nidjt fd;Wer,
naebutmeifen, baf$ bev U. nur eine im ©d)oj?e ber großen rird;lid)en ©cineinfdjaft fid)
geltcnb nmdienbe, Von einer größeren ober geringeren äfruar/l Von^erfonen vertretene .. 5
i>ltifd>auung ift. ©iefc läfjt fidt) in einen einigen !urjen unb uaren ©a§ jufammenfaffen;
aber au§ biefem Baty entsinnt fid; eine Seigre unb 3lnfct)auung, Welche nid)t blofs 3teligion
unb .Uirdu-, fonbern auef) ©taat, 2öiffenfd>aft, ^SoXttif, ©Ute unb fogiale guftänbe, furj
ba3 gan^e geiftige Scben . in ifyren SBereidt) ^ieb,t. Der ©at$ lautet: ber tyapft ift
bic fyöcbjte, unfehlbare unb barum aud) einzige Autorität in allem toa3 Religion, &ird;e, w
2itte, Moral betrifft; jebem feiner 2lnfvrücr)e über biefe ©egenftänbe gebührt unbebingte
innerliche tüte äitfeerlid£>e Unterwerfung" (f. Döllinger, &t ©d;riften, ©. 226 unb Vgl.
S.2Uf). Demnad) ift Döllinger — unb jtoar batiert feine ätufterung fünf IJab/re bor ber
Definition ber Unfer/lbarfeit — ber älnficf/t, bafc U. unb $atfyoItci3mu3 im allgemeinen
nicht ibentifcb, finb, aber für U. unb römtfdjen $atf)oIici3mu3 be^ro. ^aVali§mu§ ($uria= 15
Ii*mu3) Würbe er bie ^bentität zugeben, ©raf ^oenSbroect) fief)t in ber Segriff3beftim=
mung (Der U, ©. 12) junäd;ft Von ber ^öentitätgfrage ab unb befiniert ben U. al<§
„ein Weltlicr/=volitifd)e§, antireligtöfeS ©Aftern, ba§ unter bem Dedmantel bon Religion
unb unter Serquicumg mit Religion Weltlid)=Volitifd)e, irbifd)=materielle §errfd>aft§= unb
Maa)tbeftrebungen Verfolgt, ein öt;fiem, ba§ bem getftlidjien Raubte ber iatr/oIifd)en 9?eli= -m
gion, bem ^avfte, bie ©tellung eine§ WettIid)=Volitifd;en ©rofjfönigio über dürften unb
Golfer aufbricht"
(Sine borläufige SegriffSbeftimmung entnehmen mir ber Darlegung eines* Mannet,
bem niemanb abftreiten Wirb, baf? er ben U. genau gelaunt twt, ba berfelbc U)m nid;t
allein tr/eoretifcf» al3 befonbere 9tic£)tung im $atr/oIici§mu§, fonbern aud; praftifcf; in fein 25
eigene«» Seben unb in feine Iitierarifd)e Dr/ätigleit eingreifenb nal)e — ju nafyc! —
getreten ift, nämlid; ber Definition, meiere $ranj XaVer $rau§ in bem ^Weiten ©vettatorbriefe
ber allgemeinen Leitung gegeben l)at. „Mir fcfyeint" — fyeiftf e<§ ba, „bafj biefe Merfmalc
(nämlicb, biejenigen, Welche bem ultramontanen ©r/ftem ^u alten Reiten ju eigen gemefen finb)
fieb, in 5 fünften guf am menf äffen: 1. Ultramontan ift, Wer ben Segriff ber $ircf/e über 30
ben ber Religion fe|t; 2. uttramontan ift, Wer ben 5ßabft mit ber ^irct)e verWecf/felt;
o. ultramontan ift, Wer ba glaubt, ba§ Steter) ©otteS fei bort biefer 23elt unb e§ fei,
mie bal ber mittelalterliche äuriali§mu<§ behauptet I)at, in ber ©ct/tüffelgeWalt 5)]etri aud)
tucltlicf/e Jurigbiition über dürften unb Golfer eingefd;Ioffen ; 4. ultramontan ift, tver
ba meint, religiöfe Überzeugung lönne burd) materielle ©eWalt erzwungen ober bürfe 35
burd) folcfye gebrochen Werben; 5. ultramontan ift, roer immer fid) bereit finbet, ein flareä
ßebot beS eigenen ©eroiffeng bem 2lnfbrud;e einer fremben Stutorität ju obfern." Unter
bem i<orbe^alte einer nähern Umgrenzung be§ fünften ^unlteg in§befonbere toirb man biefer
Definition, toeldie ^aubiEer in ^rauö' Seben^bilb (2. Stuft. ©. 100) toieber abbrudt, bei=
ftimmen !önnen, ivenn fie temporis ratione habita unb nid)t fo Verftanben tvirb, al§ 40
ob alle fünf SRerfmate ftet§ Vereint Vor^anben fein müßten.
Der Segriff „ultramontan" fyat feit ^ab,rr;unberten fd;on feine eigene ©ntividelung, ab*
gefeb,en junäer/ft bon feiner inneren Stugtvirlung. „Ultramontani" ^>ei|en im Mittelalter
an ber UniVerfität Bologna, unb aud) an anberen üalienifcfyen §od;}d)ulen, biejenigen
Stubierenben, roeld;e „Von jenfeitg ber Serge" fommen — big in baS 16. ^afyrfyunbert ^
finbet fid; bie Se^eidimung auf ©rabfteinen Von beutfdjen Jünglingen, toeld;e tväbrcnb
ber ©tubienjeit j. S. in ©iena berftorben finb. Ultramontani f)ei|en in 9iom gelegentlid;
ber $avftroaf)l Glemcnä' V. unb meiterb,in bie franjöfifct;en Äarbinälc. 35iel Verbreiteter
aber mar fer/on im Mittelalter eine Serroenbung be§ 3lu§brudg, meld;e ben entgegen*
gefegten geograbb,ifd)en ©tanbvunlt nimmt, fei e§ Von Deutfdjlanb, fei e3 ettva Von 50
Aranfrcicft au3 — ba finb „ultramontani" jur ^eit §einricl)S IV. bie beutfef/en Ghc=
gorianer, meil fie ber Von jenfeitö ber Serge in<S äßerl gefegten Slftion bienen; gleid;er=
ioeife tverben in granfreid) fo genannt biejenigen, roeldie ber galliranifd;en 3?id)tung (f. b. 31.
©aHifani§mu3 Sb VI, 355) entgegen fiel) ber furialiftifd)cn Eingeben. 3" *>iefcr Sebcutung
ift ber Slugbrud im 18. Jar/rfmnbert aud} nad) Deutfd^lanb gelommen: ©emier meint, ba| 55
bie in Italien lebenben iatr/oIifd)cn Hird)cngefd)id;töbefliffenen aud) in bem übertragenen
Sinne ultramontani feien (2ebenSbefd)reibung Von ir/tn felbft abgefaßt, .Stalle 1 . S2,
II. Dl. S. 151). ©obann ift ber DerminuS im I'.). 3a(irl;unbert fcb,r in Webvaud) ge=
tommen, unb jrvar feit tSnbe ber 2oer Jab,re ^uerft in Münden für bie Partei, melde
burd) ben ©tanbvunlt beS älteren ©örree gefcnnzeicl)net ift (vgl. '^riebrid), Döllingcr II, •■•»
216 UltrnmontnniSmuS
5 ff.); burcfy ben Kölner Kird>enftreit ift er aueb, in 9Rorbbeutfd)Ianb üblid) geworben.
3lngefid;t3 ber fdjon berührten, für ben oberflächlichen Seobacfyter bertounberlicfyen %f)aU
fad£?e, bafe t>on ber einen ©eite bie Qbentttät bon 11. unb (römifd>em) Äatr)oIici3mu§ ebenfo
eifrig geleugnet, toie fie auf ber anbern behauptet toirb, fü^rt nur eine eirtgefjenbe _f)iftorifd)=
5 frttifcb,e Unterfucr)ung über ba§ Sßefen be§ U. gur Klarheit. @§ toirb fieb, babei I)eraug=
fteHen — toie bereits bie obigen Definitionen e3 erlennen laffen — , bafc toir e3 im U.
mit einer fet/r lomblijierten ©rjer/einung ju tlnm fjaben.
Da3 ift ber ©runb, toe§b,alb fcfyon bie $rage nact) ber ©ntftet/ung beg lt. fefyr
berfcfyiebene Seanttoortung finben fann — rote fie benn aueb, in ber %i)at folcfye gefunben
io fyat. 2öie toeit foll man babei rüdtoärts> flauen 'i ©inb eitoa bie granjofen be £amme=
nais (f. b. 31. $b XI ©. 331 f.) unb be SUcaiftre (geft. 1821, bgl. SDcargerie, Le comte
J. d. Maistre, ^ari3 1890) bie 3>äter be3 U. getoefen? Dag fönnte bem, ber ben in=
ftruftiben Ausführungen in ben einleitenben Kapiteln bon grtebrid): ©efdjicfyte be§ batU
fanifdjen Konnte folgt, fo fdjeincn — ba ftcfyt man (Sudj I, Kab. 2—6) bie ©enannten
15 unb il)re ©efinnung§genoffen am 2Berf, ben ©eift abfoluter £>errfd)aft ber Kird>e auf
allen ©ebieten junäd;ft in grantreid) bureb^ufetjen, worauf er bann nacb, Deutfdjlanb
bjnübergefüfjrt toirb. Aber ^rtebrtd^ felbft toeift toeiter $urüd: bereite auf bem SLrienter
Konjil finb in ber gorm ber Aufbrüche eines unbebingten $abalis>mu§ ed)t ultramontane
$iele aufgeftedt unb berfolgt Würben, toenn e§ aud) ^iu§ IV nod) ntc^t rätlicr; erfdnen
20 — ober toofyl burd) bie nod) red)t Iräftige ebi§f obale SWtion bagegen berbaut tourbe — ,
bajs bie legten Konfcquenjen auf bem ©ebiete ber Sefyre unb bes> £eben3 gebogen toürben.
Söenn infolge babon bie Canones Doctrinae unb bie Decreta Reformationis be§ ^rienter
Äon^ilg bem 11. nod; nid)t abfcfylietjenben AuSbrud geben, ja fogar auffallenbe Süden in
biefer §infid)t geigen, j. 33. bejüglid) ber potestas papae, fo ift bie babalifttfdje 3iicr/tung
25 bod) in flafftfcfyer SBeife auf bem Konzil Vertreten toorben burd) einen Sainej unb feine ©e=
finnung^genoffen, wie fie benn aud) in gelegentlichen 2öenbungen in ben Canones ber VI.,
XIV unb XXV Sessio Ausäbrud gefunben fyat (bgl. Appendix analytica adConc.Trid.
in ber Aulgabe ber Canones et Decreta, Seidig, 'üSaudmitjfcfyer ©tereotitobrud s. v.
Pontifex Maximus). Söenn toir nun in Orient in ben gefuttert bie entfcfyiebenftcn
30 Präger ber $bee be3 abfoluten ^abaligmul unb bamit jugletd; bei 11. ju erbliden b^aben,
fo liegt e<§ nafye, auf bem ©oben ber fircfylicfyen ©efamtanfdjauung eben be§ 3efu^entumg
nad; ber @ntftel)ung beS U. 2lu3fd;au gu galten. Denn, ber^ält e3 fieb, Wirüicb, fo —
toie ©otf)ein in feinem ^gnatiuä t>on £ot)o!a, §alle 1895 ausführt (togl. 33uo) II u. III)
— baf? ber ©eift ber ©egenreformation nad; ben beiben ©eiten tun, fotoor;! ber £on=
35 jcntriervmg ber Gräfte be§ ^atb,olici§mu§ ab§ ber Äambfaltion gegen alk§, tr>as> toiber
if)n ift in ber umgebenben SBelt, junäcftft in Haffifd)er ®cife in £ot;ola unb feiner ©tif=
tung Sctüu^tfein unb ©eftaltung gewonnen b,at unb bon bort au§ bann in bie Slbern
be§ gefamten Iatb,olifcb,en ^ird)entum§ infiltriert toorben ift, fo ift aud) bie $rage nao)
ber ©ntftefmng beS 11. nid^t einfacl) burd) einen §intoei§ auf baä Xrienter ^on^il ju be=
40 antworten. Dort tritt nur ju 2age, toie toeit e§ bereite erreicht toar unter toefentlicb,
beftimmenber, toenn aueb, nid;t alleiniger, Vorarbeit ber ^efuiten, ben „römifd;en %t)pü§"
ber Sluffaffung be§ 6l)riftentum§ burd) ba3 SBirfen ber „militia ültramontanismi"
(©otfiein, Sud? II, Mab. 2, 3) jur 2;b^at gu mad;en, bejto. jur §errfd;aft ju bringen.
2Ser nun nod; toeiter jurüdblidenb bie ©efc£)id)te ber Äircf)e befragt, bem wirb bie<§
45 allerbingä nid)t al§ ettoaS im 16. Jjafyrfyunbert ^eugefcb^affeneS, fonbern nur al§ etmtö
toieber S3elebte§ erfd;etnen. llnb fo mufe unfer 33Iid fid) nod)mal§ rüdtoärtö toenben
um ben s|iunft ju erlennen, too juerft mit 53etouf3tfein römifcb^erfeitS ber ©tanbbunft ge=
nommen toirb, ben Wir al§ ben ultramontanen bejeidmen eine Unterfudmng, bie un§ ju
genauerer ©rfenntniS be§ 2Befen§ be§ U. toirb Dienfte leiften fönnen.
so @§ ift bemerfengtoert, ba^ tyapft ^ßaul IV., inbem er in ber Sülle „Cum ex
apostolatus officio" im ^a^e 1559 bas, toa£ $abft unb 5lird;e fei unb folle, feterlid;
ber a."i>elt funbtfjat, fcb,on eine 9^eit>e bon Seftimmungen über bie ^abftgetoalt gegeben
l>at, toelcb^e toof)l geeignet getoefen toären, bie in ben ^rienter Bestellungen berbleibenben
Süden au^ufüHen. Da^ biefe Sülle ganj gtoeife!lo§ al§ „ex Cathedra" erlaffen
55 gemeint fei, fyat gegen §ergenrött»er§ berlegene @infbracr)e (ßirc|c unb ©taat ©. 763 ff.)
$riebricfy in ber 2. Auflage beg „Sanuö" (f. o.) ©. 501 fiegreieb, nad;geioiefen. Die
Sülle felbft aber (Wortlaut bei ÜRtrbt, Queüen, n. 288) „befiniert au<3 ber %üü? ber
aboftolifd;en ©etoalt" ba§ ^olgenbe: (§ 1) Der ^3abftr toeld)er ©otte§ unb SJ> rifti ©tett=
bertreter auf @rben (in terris) ift unb über bie Völler unb Königreiche bie glitte ber
eo ©etoalt innehat unb alle richtet, lann bon niemanb gerichtet toerben. (§ 3) Alle §ierard;en
UUratttoittantSmuS 217
unb alle sperren unb gürftcn big zum $aifer hinauf finb, fo&alb fic nad)gcmiefenermaf?cn in
Meierei ober ©d)igma berfallen, Don felbft, olme ba£ eg etneg befonberen 3?ed^töborgc^en§
babei bebürfte (absque aliquo juris aut facti ministerio), tljrer ©teile unb beren
(iinen unb CSinlünfte böllig unb für immer berluftig unb jum Verleiben berfelben fernerhin
untauglich unb tonnen nie mieber als baju tauglich erflärt merben 5
£iier fernen mir bag babaliftifcfye ^rinzib ber allumfaffenben £>errfd)aft eigenartig
ausgeprägt, „in ber feierlichsten, bon ben 5!arbinälen unterzeichneten unb nachher nod)
r-on" i*iug V. befonberg beftätigten unb erneuerten ©rflärung : baf? ber $abft bermöge
{einer Mgetvalt jeben sJftonard)en abfegen, jebeg £anb einer fretnben Qnbafion preisgeben,
jeben äkfitjer feinet ßigentumg berauben lönne, unb jroar ohne jegliche red;tlid)e $ox-- 10
malität" (3)öHtnger, ^anuö2 ©. 214). ©teilt man neben biefe 33ulte jur Ergänzung
nod) bic 1568 burd) $iug V neu eingeschärfte unb ergänzte „9?ad)tmal)lgbulle" (f. b. 21.
Bulla in Coena Domini, 33b III ©. 535 f.), bie zwar jetjt ntct)t mefjr an ben @rün=
bonnergtagen in ©an ©iobanni beriefen mirb, beren ^eftfteltungen aber baburd) nid)t
aufgehoben finb, fo f)at man um bie $z\t furz bor unb nad) bem Slbfdjlufs beg ZErienter 10
.\\omile. eine neue Üserfidjerung ber llnbegrenjtb,eit ber bäbftlid)en i>(nfbrüd)e auf abfolutc
©eltung ihrer §errfd)aft bor fiel). Slber aud) biefe beiben SHtenftüde bon 1550 unb 15(i8
finb nur ergänjenbc Söieberfyolungen früherer gefiftellungen. 23ei ber „^ladrtmabdgbulle"
ift bag olme meiiereg Har, ba fie meil älteren ®atumg ift unb befanntlid) fd)on Sutfyer
mit feiner $et}crei 1524 in biefelbe aufgenommen mürbe. Slber aud} bie 33uECc bon 1559 20
ift nid)t original, fonbern beruht in ben §autotfä|en auf ber ©runblage ber 33ulte Unam
Sanctam bon 1302, meld)e 1516 burd) Seo X. erneuert morben mar.
2>nbem ioir ung biefer btelbefbrocfyenen 33ulle guroenben, fteben mir bor einer ber
erfien mafjgebenben Formulierungen ber grenjenlofen Slnfbrüdje beg ^abaligmug. 2öas
in ben Dictatus ©regorg VII. jerftreut ift, liegt tner fompalt bor. ©0 merben fid) t)ter 25
auef) bieSBurzeln beg U. Har legen laffen, ber immer in genauer Sejiefmng jum fteigenben
^apaligmug ftefyt. ÜHun mar ja freilid), menn man bie Sage ber Singe in $ranfreid),
tr>or;m bie Sude junäcbjt it)re ©bitje richtete, nad) beren (Srlafj ingätuge fafct, bag 3Sor=
gelten 33onifaz' VIII. ein ©cbjag ing ©affer. 2lber bie S3uHe bleibt, obmobd Siemeng V
gejtoungen ben auf granfreid) fbejiell bezüglichen ^eil berfelben rebocierte, bag flaffifcfyc 30
£ouiment ber t>öd)ftgefbannten babaten 3lnfbrüd)e für alle Reiten, meil fie biefelben
biblifd)=bogmatifd) ju begrünben fudjt, fie fo in bie 33eleud;tung einer religiöfen $un=
bierung rüdt unb in einer gorm geigt, meld)e fo einfad) ift, bafj aud) ber meniger @e=
bilbete berftefit, mag fie mill, menn fie befagt: Porro subesse Romano Pontifici omni
humanae creaturae declaramus, dieimus et definimus omnino esse de ne-35
cessitate salutis. 2lud) bie Silber, beren Sonifaj fid) bebiente, maren berftänblid) :
„bie bäbftlid)e ©emalt berb,ält fid) jur faiferlid)en unb rönigltcfeen mie bie ©onne jum
3Konb, ber fein £id)t nur bon jener embfängt, mie bie ©eele jum Serbe, meld)er nid)tg
für fid;, fonbern nur ber untermürfige ®iener ber ©eele fein foll ; unb bie jmei ©cr)merter
finb bag ©tjmbol ber fird)lid)en unb meltlid)en ©emalt, meld)e beibe bem ^3abfte gehören, 4u
aber fo, ba^ bag eine com ^ßabfte felbft geführt mirb, bag anbere bomgürften, bod) für
bie ßixd)i unb nac^ ben Reifungen beg 5ßabfteg;/ (^anug, 2. Stuft. ©. 65). gür bic
politifcfyen &zk beg 11. ingbefonbere bleibt bie 53ulle bag gunbament, meil fie bie Sc=
Ijaubtung, ba^ bie meltlidje ©emalt in it)rer ©infe^ung unb iltrem SBirfen bon ber geift=
liefen unabhängig fei, alg ^e^erei berbammt (bgl. 33erd)toIb a. a. ■£).)• 3tüar M 45
§ergenrötber im 31nti=Sanug (bgl. b. ©dmlte, Slltfatt). ©. 331 f.) beftritten, bafe bie 93uttc
al§ „infallibel" anzufeilen fei unb fbeziell bat er in „Hirdje unb ©taat" ©. 300ff., 751 ff.
„aHeg aufgeboten, um bie Sebeutung berfelben für unfere 5ra9e auf ^u^ au rebu^ieren"
(f. $anug, 2. 2lufl. ©. 407). Slber toenn er bag begrünben mill bureb eine milbernbc
jnterbretation ber Söenbung „spiritualis potestas terrenam potestatem insti 50
tuere habet" — mag er miebergeben möchte: „bie geiftlidje ©emalt ift befugt, bie
Mtlid)e ju belehren (!) — , fo bat felbft ber rau)olifd)e Ätrd&m&tfbrtf« ^un! (Über
bic 53ulle Unam sanctam in ber Xüb. Q© 1890, ©. 640 ff.) nad)gcmicfen, ba^ biefe
Uberfe^ung rttc&t angängig ift, baf$ fywc „instituere" nid)tg anbereg bebeuten lönne unb
folle alg „einfe^en" — nämlid) dürften). 00
Gs gebt baraug berbor, ba^ bag brittc ber bon ^raug aufgeftelltcn DJJertmale
beg U. feine birelte gunbierung in ber SBullc Unam sanctam finbet unb ba$ eg im
©runbe reebt unbantbar bon ,v)crgcnrötber ift, menn er ber angeführten ©teile ibren
toa^ren Sinn nebmen mill. ®enn auf ber bon ihr betretenen Sebre beruht big auf bic
©egenroart bie aud) feinen ©efinnungggcnoffcn innemof)tienbe leubenj, ba, mo eg fid) um go
218 UltraniontatttSmuS
bag ^ntercffc ber rönüfdjm Äird;c fyanbelt, bic bcibcn (Miete ntdjt ju Reiben unb bie
Weltlichen ®inge fietg nad) SRafjgabe jeneg ^ttterefleö ju beljanbeln.
SÖernt eg fidE> nun ^unäcbjt barum {janbelt, bie Slugwirfung beg U. auf bag ©ebiet f)in,
Weld;eg außerhalb beg $ird)enWefeng liegt, ^tftortfd^ §u berfolgen, fo gefyt bäbftlid;er=
5 feitg bie S^enbenj, baß „in ber ©cfylüffelgeWalt Sßettt aud) Weltliche Qurigbiftion über dürften
unb SMfer" einzufließen fei, jtoar rüdwärtg nod; Weit über ©regor VII. fyinaug, fie
tritt aber bod) in bag entfd;eibenbe ©tabium itjrer ©ntwidelung erft in beffert geit, alfo
feit ber Reiten §älfte be§ 11. 2s<#I;unbertg. ©liefe @ntfcr)eibung ift im Äambf mit ber
beutfdien gürften= bejtt). ^aifergeWalt unter ^einrieb, IV. erfolgt. ®ie SBerfyältniffe, bie
10 F)icr im einzelnen ntd^t begeic^net gu werben braudien, waren ebenfo günftig geworben,
Wie fie nod) unter ^einrieb, III. ungünftig Waren. Sangfam War ber bfeuboiftborifcbe
„ultramontane" ©ebanfe bon ber ©uberiorität be§ ^3abfttumg aud; in ben Weltlidjen fingen
in bie 2lbern ber ©laubigen, ^ßriefter unb Saien, eingeführt Worben, alg nun ber große
$abft bie SReifterjüge feiner lird;Iid;^olitifd;en ©iblomatie tb,at. £>ie gregorianifd;en
15 ^been finb big ^um 13. ^afyrlmttbert W £>errfd;aft gelangt, unb bie SBefyaubtung, baß
bie I)öd)fte ©djlüffefgeWalt alle anbere ©eWalt aud; auf bem Weltlichen ©ebiete inbolbiere,
berief fiel) auf bag angebliche Seifbiel ber ©djenfung ^onfianting, big fcfyließlid» ^nno=
cenj IV. (geft. 1254) auefy beffen nicfyt mefyr ju bebürfen glaubte unb nun fagte: „galfcf) fei
eg ju fagen, Äonftantin fjabe burd) feine ©dienfung bem bäbfilidjen ©tubje Weltliche 5Rad)t
20 gegeben, ba biefe ib,m bod; naturgemäß unb unbebtngt bon Gliriftug berliefyen Worben fei,
ber aud; eine föniglid;e £errfd;aft gegrünbet unb bem 1)1. betrug jugleicb, bie ©cfylüffel
beg trbtftfjen unb beg tnmmlifcfyen 3^eid;eg übergeben I)abe. ©ie Weltliche 5Rad)t fei nur
infofern eine legitime, alg bie Weltlichen dürften fie alg eine bom ^3abfte berliefyene ge=
brauchen, ^nnocenj III. f>at bieg in einem 33riefe an ben Patriarchen bon $onftanti=
25 nobel iurj fo auggebrüdt: Dominus Petro non solum universam Ecclesiam sed
totum reliquit saeculum gubernandum (^anug, 2. SCufl. ©. 407).
©ie fo aufgebedten ©runbWurjeln ber ultramontanen 9ftd)tung nad; ben außerfird;=
Iid;en ©eiten fnn umfaffen in ifjrer SlugWirlung aUe ©ebiete beg ftaatlidjen Sebeng —
allerbingg böllig nur in ber ^eorte, aber Wcnigfteng mit bem 2lnfbrud;e bralttfdjcr
30 ©urd)fül)rung, „Wenn bie $eit eg berlangt unb günftig ift" Qft ber ^3abft «Statthalter
©otteg aud) über bag nid;tfird)licbe ©ebict, fo ift ber 2Infbrud;, bie Weltlichen Ferren
cin= unb unter Umftänben aud; abgufe^en, eine logtfcfye ^onfequenj. ®ie $rone ber 3ln=
fbrüdje aber bilbet bie ausbrüdlid) „auetoritate apostolica de fratrum nostrorum
consilio" erlaffene Defloration ßlemeng' V., Welche einen förmlid;en £reu= (h^W. ©e=
35 f)orfamg=) @ib bom Äaifer berlangt: um jeben ^toetfel baran ju bef eiligen, ob ein folcfyer
@ib (burd) §einrid; bon Suremburg, ben 1312 ©efrönten) geleiftet fei ober bon feinen
9tad;foIgern geleiftet Werben muffe, Wirb erklärt, „illa juramenta praedieta fidelitatis
existere et censeri debere" (Clementina tit. 9 de jurejur. II, 9).
$Da eg fid) bei ben bigfjerigen Darlegungen um bie mittelalterlid;en Söurjetn beg 11.
40 ftanbelt, foWie um bie SlugWirfungen, Welche berfelbe in ber ©efd)id)te unter ib,m günftigen
Umftänben einft bargeboten b,at, nad;bem einmal feine 3iid;tung eingefcfylagen Worben War, fo
Wirb immerhin bie grage berührt Werben muffen, ob benn jeneg britte 9JcerImaI Wie ©beltator
eg auffteKt, b,eute noa) für ben U. gutrifft. Slllerbingg begegnet man ba junäc&ft lautem
^rotefte feiner Vertreter: bie Reiten feien borbei, fo Reifet eg ia, in Welchen foldje 3ln=
45 fbrüd;e erhoben unb burd;gefetst Werben lonnten. QaS letztere borber^anb ja — unb
bod; ift felbft bieg nur cum grano salis ju berfteb,en. )&a$ aber bag ©rftere angebt
— b,aben Wir nid)t bor 3lugen bie 2lußer!rafterllärung ganjer ©efe^grubben aug neuerer
$eit? gft rttcöt bag öfterreid)ifd)e ©runbgefe| bon 1867, finb nid;t bie breußifd;en Wlav-
gefe|c feiteng beg ^abfteg alg unberbinblid) erflärt Worben (Ttxxht, ^abfttum, n. 432 itp.
50 441)'^ 2lber man Wirb bielleid;t fagen, baß bag nur gefd;el;en fei. Weil in biefen ©c=
fe|en bie Weltliche ^nftanj bie ©renje if)rer 33eftimmunggfäl)igleit überfcb,ritten i)abt
^fjatfäc^Iicr; b,aben jene ©efetje bod; nirgenbWo bogmatifc^e ®inge berührt unb b,abcn bie
inbibibuelle grömmigfeit nic^t bel^inbert ; fie f)aben lebiglid) ©cb,u^We^ren errietet, um
ben mobernen 9tcd)tg= unb ©taatggebanlen jur 2lugWirlung ju berb,elfen, Wie bieg aueb,
55 burd; ben big f)eute bon ber Üurie nid;t anerfannten 2öeftfälifd;en grieben gefd;eb,en ift.
Unb anbererfeitg ftrebt ber U. Wie einft im Mittelalter fo aueb, je^t noeb, nacb, 2lugbeb,=
nung beg römifd)=fird)licf)en ©influffeg auf bie nämlid;en „Weltlidien" ©ebiete — nur
tt)ut er eg in Slnbequemung an bie mobernen formen, j. S. ben ^Sarlamentarigmug. ®ag
b,aben Wir in eurobäifcb;en Parlamenten mit §änben j^u greifen, Wie eg benn auo) im
co fokalen Seben 2ag für Xag ^erbortritt. r>ier Wirb bom IL bie ©d;eibung tird;licb,er unb
ItUramoittaittsnuts 219
tvcltlid;cr Singe eben nidtt bot^ogen, menu es auef) im Igntcreffc bcsfelbcn liegt, foldjc
5dicibung 51t fingieren. 2lls auf bem ©ff euer ^atfjolüentag 1906 ber ftarbinal ä<annu=
lefli bie* aujjcr ad)t gelaffen unb Unterwerfung unter ben s$abft aud) in ben bolitifd;en,
alfo nid)t lebiglid) in ben religiösen Singen, als felbftberftänblicfye unb Bei ben beutfdjen
tfatbolifen treu biird;gefüb,rte sßflidjt rül;menb fyerborgefyoben r)atte, ba entftanb gegenüber 5
bem ftinWcifcn ber 2lntiuItramontancn barauf eine lebhafte nachträgliche 23emcgung in
ben blättern ber ultramontanen Partei. Unb biefe 33eit>egung fjat ifyre 3Mlen fo meit
gcfd;lagen, bajj jtoei 9Jconatc nacfyfycr (unter bein 30. Dftober 1906) pus X. fclber, ben
illtraiiiontanen ,ut £>ilfe fommenb, erflärt fyat, bie „beutfdjcn ü'atb,olifen" feien in !poU=
tifdien fingen frei. 9?atürIicJ) ift babei borausgefetjt, bajj biejenigen, mekfye allein er fo 10
bejeidmet, b. I). bie 2lnb,ängcr ber ultramontanen Jticfytung, ftet) buret) nid)ts anbercs als
bas ^ntcreffe ber römtfdjen SCirdje aud; in bolitifdjen Singen würben leiten (äffen. Sas
edu-eiben bes -}>abfies rourbc abgebrudt unb ift fommentiert in ber Köln. Leitung t,om
21. sJioü. 19i Mi.
2iodi bejeid)ncnbcr aber ift, bafe bie eigentliche §aubtbrobe bäbftlid;er 2lllgcmalt 15
über bie weltlichen ^nftanjen als felbftberftänblid) beibehalten Sorben ift. Ser 2tnfprud),
bie Untertfyanen bom ©ibe gegen ib/re dürften unter Umftänben ju entbinben, ift nicl)t
ein foldjer, ber mit ben gelten bes SRittelalters begraben fyinter uns läge: nod) 1805
febrieb $ius VII. an ben Nuntius in SÖien, bafc bieg prinzipiell feft bleibe — „aller=
bings aber finben mir uns jc|t in Reiten fo großen Unglüd's unb foldjer ©rniebrigung 20
für bie ÜBraut ©fyrifii, bafs bie 5tirct)e biefe fteilfamen ©runbfä|e einer berbienten Strenge
liegen bie rebellifcfyen geinbe be§ ©laubens ntct)t nur nidjt anmenben, fonbem ofmc
Schaben nid)t einmal ermähnen barf" (bgl. $anus, 2. Slufl, ©. 351 ff.) SRan mirb
folebe Filterungen im Sluge behalten unb fidc) nidc)t buref) bie milbernbe Senbenj ber
feiten Stuflage bes ©taatslerjfons irre machen laffen. „@s bürfte" fagte Söllingcr 25
fdion 1865, „nur eine fo!d;en 2lnfbrüd;en günftige SSenbung ber Singe in ber 2Belt=
läge eintreten — unb mir mürben alsbalb fämtlidje Ultramontane bie 2lbfeijungs=
boftrin als göttlich geoffenbartes Sogma berfünbigen fyören"
Sic Stüdroirfung ber ultramontanen sJJic£)tung auf bie 23err)ältmffe innerhalb ber
Hira)e trat natürlid) gleichzeitig, ja nod; früher als bie 23erfud)e ber Slusbreitung if;rer 30
^errfefjaft auf bas weltliche ©ebiet, Ijerbor. ©enau betrachtet mürben biefe letztem gar
niebt fyaben gemalt merben fönnen, menn nictit bas s$abfttum bereits bie „aboftolifd;e
Autorität" in ber ^irdie in einer 2Iusbelmung, meld;e alle anbere Slutorität nieberlegte,
fein eigen genannt blatte. 9Bir flehen ba bor bem r)ocr) hinauf unb tief berab reidjenben
Mambfe jtoifcf)en ber ebiffobaliftifeben unb ber babaliftifc|en Stiftung, ber in ber abenb= 35
länbifcben ^'ird^e ausgelämbft morben ift unb fc£)on mit bem ©iege ber gregorianifcfyen
^been bie alte 95erfaffung unb georbnete ^ird)enbermaltung burd) felbftftänbige Sifcb.öfe
fernid^tet liat. Sieben ber greifjeit ber 33ifc£)öfe fcl))binbet bann unter heftigen ^ämbfen bal)in,
|»a§ bie Sanbeslircljen bon felbftftänbigen unb eigenartigen ©inric^tungen gefd)affen fjatten,
inebefonbere auef) bie 33ebeutung ber fr/nobalen ^nftitutionen : bie miffenfdmftlidHfyeo; 40
logifciie Slrbeit erhält ben Sobesftofs, mo ber U. ben %u% ^infe^t; bie inbibibuelle
^rommigfeit mirb nacb feinen ?ßrinjibien gemobelt, unb eine fanatifct)e ©efinnung allen
Setljärigungen gegenüber, meiere bem U. entgegen fielen, mirb bureb, einen bemofratifd;
geworbenen Klerus in ben untern ©ebbten gebflegt.
Seit ßtybrian ift ber ^ambf ^ifeb^en ber ebiffobaliftifdjen unb ber babaliftifd)en 45
Sichtung — berfelbe b,at fid) bamal§ an einer bogmatifd)en Streitfrage, ber über bie
©iltigfeit ber ®e£ertaufe (f. b. 21. 23b X ©. 270 ff.) ent^ünbet — ^afyrlmnberte lang
unter ber Cberfläd)e geführt morben. ©ein Stefultat Iäf?t fieb, !urj beäeic^nen: es bcftefyt
in einer fo funbamentalen ©cfymäcfmng ber ebiffobaliftifd;en 9üd;tung, ba^ biefclbe im
Weiteren Verlauf nur ausnafymsroeife nod) unter günftigen Umftänben fiel) geltenb machen 50
fonnte. „£er «ßatoft ift" (^anus a. a. D. ©. 70) „naef) bem neuen Siebte riic£?t nur
oberfter, fonbem im ©runbe einiger ©cfeijgeber ber ganjen Äircb,e. ©r trägt, mie
Sonifa^ VIII. es ausgebrücft b,at, alle 3xed;te im ©d;rein feiner 93ruft" (lib. sext. c. 1
de Constitut. I, 2 licet Romanus Pontifex qui jura omnia in scrinio pectoris
censetur habere). Unb bod) l)at fieb, gerabe angeficf)ts unb unter bem ®rucf biefer 65
VMpaltftifd)en 2{ügemalt, geftü^t auf bie fid; burd;bilbenbe 2lnfc£)auung bon ber ©ubertorität
fcer allgemeinen ilonjilien feit bem 1 I. ^ab,rb,unbert, befonbers feit ber 3«t bes ©du-oinas
mit bem mieber erftarlenben bifd;öflid)en 2lmtsbemu|tfein aud; ein neues (!biffobalfbftem
auSgebilbet (f. oben 33b V ©. 128, 45 ff.); allerbings f;at bas 5. ^ateranfonjil fomobl bie
tonjütare ibeoric als auef) bie gormulicnmg ber ebiflobaIiftifd;en ^raris, ioie fie in ber im
220 ItltramontaniSmnö
5. unb 31. Sessio bon ^onftanj foroie ber 2. Sessio bon 33afcl erfolgt roar, bcrbammt.
Srot^bem trat bie 9lid)tung auf bem Srienter Sbnjil roieber fyerbor, unb wenn fie aud)
ntd^t ftarl genug war, um ben 93efd)lüffen beSfelben ein ebiflobaliftifd)eS ©ebräge ju
geben, fo t)at fie boc^ bie 2tu3brägung eines Iraffen ^abaliSmuS nod) bert)inbert. @rft
5 baS äsatilamtm t)at ben bößigen ©ieg beS le|tern in ber römifd)=fatt)oIifd)en $ird)e fon=
ftattert unb befeftigt. 2jn3roifd)en iDar Der ©inflobaliSmuS in granlreid) in ©eftalt ber
neugallilanifct)en 33erocgung beS 17. 3al)rl)unbertS (f. b. 21. ©allilaniSmuS SBb VI ©. 335)
unb in ©euifd)lanb in ber beS gebronianiSmuS (f. b. 2t. ^ontfyeim 33b VIII ©. 340)
im 18. ^ar)rf)unbert nochmals t)erborgetreten unb bilbet im 2tltlatr)oltctSrnuS (f. b. 2t. 23b I
10 ©. 415) eine§ ber SRomente beS ^SrotefteS gegen baS neurömifd)e Äird)enroefen (bgl. SJZejer,
3. ©efd). b. röm.=beutfd)en $rage I [1871]).
©aß bie uttramontan=monard)ifd)e ©eroalt aßen ©onbereinrid)tungen unb =©etoot)n=
fetten im tird)lid)en ttmlreife, allen tieften älterer Übung auf bem ©ebiete ber Sitte,
ber formen beS ©otteSbienfteS ober beS lird)lid)en SebenS, entgegentreten roirb, jebenfalls
15 too fiel) biefe ber erftrebten Untformität nicf)t fügen, bebarf nur ber ©rroäfmung. ©o
entfällt im roetteren ©inne unter it)re StuSroirlung auct), roaS gefd)el)en ift unb nod) ge=
fd)ieb,t, um ©onberbilbungen auf Iiturgifd)em ©ebiete ju berbrängen (bgl. oben 33b XII
©. 7 14 ff.) unb um befonbere formen ber SDebotion im ©otteSbienft einzuführen. Sine
fernere teils beabfietttigie 2Birtung teils mittelbare $o!ge ber ,£errfd)afi beS ultramontanen
20 ©etfteS ift bie £ät)mung beS 3nterefleg an ftynobaler 33etf)ätigung, ja beren bötlige S3e=
feitigung geroefen. groar ^atte *>aS Xrienter konjil (Sess. 24, de Ref. c. 2) regelmäßige
^robinjiaI= unb ©iöcefanftmoben angeorbnet unb man I)at beren auct) im 16.— 18. ^afo
l)unbert ;$at)lreid)e gehalten — aber roo einmal roie in ^iftoja (f. b. 21. SRicci 33b XVI
©. 745 ff.) ein felbftftänbigerer ©eift ftd) geltenb mad)te, ba fyat benfelben alSbalb berU.
25 unterbrücft.
©elbftberftänblicl) liegt in ber Sticfytung ber 2tltion beS lt. tüte bie tlnterbinbung beS
fbnobalen £ebenS, fo aud) bie 23emict)tung beffen, roaS bon Ianbe§Iirct;lict;en 33eftänben
ftd) im 23ereid)e ber Iatl)oIifd)en £ird)e ftnbet. S)a t)at er — um nur an jroei SBeityielen
bie§ ju tltuftrteren — bei ber $trd)e im granlenreid)e, fct)on el)e bie tofeubo4fiborifd)en
30 ©etretalen entftanben unb bei ber ®ird)e in ©banien balb nad)t)er eingefetjt. 5m Sereia)
ber fräntifct)eit ^ird)e roar 33onifatiuS berjenige, roeld)er juerft eine bewußte unb er=
folgreid)e Sfyätigteit bat;tn richtete, mit ber jroeifelloS notroenbigen Reform gugtetet) bieS
^u erreichen, baß ein Seil roenigftenS ber bisherigen nationalen ©elbftftänbigieit beS
Äirct)enroefenS an ÜRom abgegeben tourbe. 23on ba ah ift iro£ ber energifd)en Betonung
35 unbebingter 2lutorität auct) in bem ^ircfyenroefen beS ^Reic^eS, roie $arl ber ©roße fie
nod) übte, ber ^rojeß ber 2tbbröctelung jener nationalen ©elbftftänbigieit bon ©tabbe ju
©tabbe ibeiter gegangen, unb roenn bie roertbollen Siefte, bie immerinn nocl) in ber
„^ragmatifdien ©anftton" bom ^al)r 1438 feftgelegt rourben, nad) 80 %at)tm bößig
befeitigt finb, fo t)aben baju ^pabft unb ^önig fiel) bie §anb gereicht. 9tun ift ja ab
40 unb ju bie „gallilantfct)e 9ttct)tung" (f. b. 2t. ©allilaniSmuS 93b VI ©. 355) roieber
aufgetaucht, aber burd; baS bem U. bienlid^e Jvonlorbat bon 1801 rourbe jebe ©elbft=
ftänbigleit roieber bernid)tet unb abermals teilte ber 2anbeSl)err fiel) mit ber römifd)en
^nftanj in bie ©bolien. §eute freilid) ergebt fiel) auS biefen Ruinen angefidjts beS
„TvennungSgefetjeS" bom ^at)re 1905 ein bie römifcr)e ^nftanj unb baS ganje ^ird)en=
45 toefen bebrol)enber ßtrftartb : ber fran^öfifcl)e ©taat beratet auf jebe @inmifd)ung in bie
2Ingelegent)eiten beS ^ird)enroefenS in feinem 33ereid), nacl)bem er bie roibergefet3lid)en
2tuSroüd;fe beS DrbenStoefen befd)nitten t)at, jiel)t aber aud) baS, toaS er bisher xzidßa)
pr 33efolbung beS üleruS geleiftet t)at, jurüd — unb bie römifd)e ^urie, ber leine
irgenbroie felbftftänbige ober an eigenartiges Seben geroöl)nte fran^öfifdie ^'trd;e, fonbern
50 nur bie roillcnlofen 33ifd)öfe unb ein Seil ber 33eböllerung jur ©eite fter)en, foll nun
neue umfaffenbe Drgantfationen bet)ufs gunbamentierung eines lebensfähigen $ird)en=
roefenS fd)affen. @S muß fid) jeigen, ob bie ©efoIgfd)aft ben Hoffnungen 9tomS entfbrid)t
— follte baS allgemein ber %aU fein, fo t)at ber II. aud) bort gefiegt unb toirb unbe=
bingter §err fein tro| ber jet^t il)m gefd)affenen ©d)roierigleiten.
55 ^n ber altfbanifd)en ^trct)e blieb bis @nbe beS 7 ^al)rt)unbertS IanbeSlircb,=
lia)e 2tutonomte gegenüber ben römifd)en 2Infbrüd)en beftet)en. „®ie mit großer ^tegel^
mäßiglett gehaltenen ©t^noben btefer £ird)e übten baS 9iid)teramt über 23ifct)öfe unb
5Retroboliten unb roiberf!prad)en gelegentlid) aud) ben ^ßäbften in ©act)en ber ©laubertS=
Iel)re, roie eS namentlich bie ©t)nobe bon Solebo im ^at)re 688 gegen ^ßabft Senebilt
fi0 tl)at, inbem fie fein ©ctiretben einer fdiarfen ^ritit unterioarf unb felbft ben 33ortourf
UltramoutantSutuS 221
iftm nicbt fbartc, baß er mit fcfyamlofer ©tirn ben Vätern Wiberfbred)e |3Jcanfi XII, 16].
Jn ber'ßeit bon ber arifcfyen ^nbafion big gegen SluSgang be3 11. $al)rf)unbert3 fjatte
bic fpanifcfye $ird)e xfyc felbftftänbtgeS Seben geführt . fte folgte bcm iolebanifdjen, nid)t
bcm römtfdjcn ©efetje 2)a3 Würbe anber<§ burcl) bie 9Jcönd)e bon ßlunr/, unb al§
alles römifd) geworben War, fällte man bie ©efcr)id)te ber früheren $af)rt>unbertc int 5
remifden Sinne" (bgl. ©öffinger, %anu$ 2. Slufl. 146 ff. u. 299 nebft ben betr. «Roten).
Üiknn fidj bie SZieberbrüdung lanbegfircfylicfyer ©elbftftänbigfeit burd) bie ultramon=
tanc Stiftung naturgemäß mefyr in früheren ^a^l^unberten gegeigt fyat, fo ift bie Weitere
iVibätigung be3 U., alle tt/eologifd; = Wiff enfcf)aftlid)en Bewegungen in feine
iWn ju leiten unb, fofern ba§ nid)t angängig, gu unterbinben, naturgemäß mef>r ber 10
neueren fyti aufbewahrt geblieben, obWofyl auc| fcf/on in bie tfyeologifdjen Stampfe früherer
^abrl;unberte entfbrccfyenbe Momente fyineinfbielen. ®a3 Varabigma bafür bleibt ba bie
Untcrbrüdung ber ifyre eigenen Sahnen gefyenben beutfd)en fatfyolifdjen SLbeoIogte im
lii. ^aljrfmnbert. $n bem Vortrage ®öllinger§ „2)ie Vergangenheit unb ©egenWart ber
fatbolifer/en Ideologie", gehalten am 28. ©ebtember 1863 bor ber ©eleb/rtenberfammlung 15
in 2JJünd)en Wirb (f. ©öllinger, Sil. ©d;riften, ©. 170 ff.) barauf InngeWtefen, baß ba§
16. $abrl)unbert aud) für bie fatfiolifcfye Geologie ein Zeitalter be3 Slufblüf)en§ einleite,
baß aber mit bem 17. in ©banien, mit bem 18. in granf'reid; ber Verfaß eintrete, roäfy=
renb ber beutfcfyen fatfyolifdjen Geologie nod; große $tele gefiedt feien, bie fie jebod),
nxnn t£>r greibeit ber ^Bewegung berfagt Werbe, ntct)t erreichen fönne. 2113 ©öUinger fo 20
fbrad), afmte er nicfjt, Wie balb biefe Verfagung erfolgen unb gerabeju fobifijiert Werben
irürbe — tote bieS für Wichtige (Einzelausgaben Wiffenfd)aftlid)er Slrbeit bureb, ben Syllabus
errorum bon 1864, bann in allgemeinerer ^nftanj burd; bie Definition ber llnfet)lbar=
feit bc§ VabftcS erfolgt ift. 2öa3 biefe letztere für ben Weiteren ©ang ber fatfyolifcfyen
Ideologie bebeuten Werbe, fyat ber fdjarfblidenbe SDöllinger fd/on bor ber ^Definition 25
borauSgefagt, unb im 2Ingeftd)t ber Erfüllung feiner VorauSfagung flehen bie legten
^at/rjefmte. „gunädjft," fagt er am ©cfyluß feinet „QanuS", „muß ber neugebrägte
©laubensfa£ fid? al§ ©runb= unb ©dftein beS gangen römifd;=Iat^oIifd}en £et>rgebäube3 b,in=
bflanjcn, bie gefamte 5£bätigfeit ber Geologen fieb, auf bie (Ermittelung rebujieren, ob ein
jüpftlicr/er SluSfbrud) für eine Set/re §u finben fei ober nicfyt . . . 2Bo§u nod) müI)fame<B gorfd;en 30
in ber Sibel, toogu ba3 fcfywierige ©tubium ber SErabition, Wenn ein einiger 2lu3=
fprud) be3 untrüglichen «ßabfteS bie geWiffenl)afte tfyeologifcfye Slrbeit eine§ 9Henfc|>enalterg
ju jertrümmern bermag? 11m bie £el)re bon ber bäbftlid)en Unfel)Ibar!eit au^ ber
ftirdjengefctncfyte gu ertoeifen, ift nicfyt Weniger nötig, al§ eine burcfygängige 33erfälfd;ung
berfelben . . " 2ßa§ bie neuere Iat^olifd;e 23ibelforfd?ung angebt, fo Wirb man trotj 35
Bieter« («ßabft «ßtuä X. unb b. Sibetftubium, 1906 — bgl. baju %f)2$ 1907, ©b. 104)
toobl_!aum jur Söiberlegung $)öllinger§ auf bie (Errichtung ber römifd)en „^ommiffion
für bie görberung ber bibüfdjen ©tubien" bom ^ab,re 1904 r/inWeifen wollen, ba, Wie
§outin (La question biblique, Vari§ 1906, ©. 197—222) nacb>eift, bon grüßten
terfelben für bie Wiffenfd;aftlic^e gorfdmng feine 5Rebe fein fann ; ti>a$ aber bie fird)en= 40
gejdjicfytlidien gorfdjungen betrifft, fo bleibt ber „^nber/' ein ftetg gegen bie $orfd;er ge=
ricfjteter Sold), Wie it)n einft 5ßaIeario genannt t;at. ©efd)id)töfälfd}ungen, ber Senbenj
fre* U. entfprungen, b,at ©öllinger im „%anu%" unb anber§Wo reidilid) an3 £id)t gebogen.
3lllerbing§ ift ba§ ©ebiet ber äird;engefd)id)te, foWie ber ©efd)id)te beö d)riftlid)en Sebenä
unb ber bielgeftaltigen älußerungen be§ religiöfen unb fird;lid}en ©eifteg im Sauf ber 45
^abrbunberte ein fo großem, baß immer nod; 9iaum ju einer Slrbeit bleibt, bei ber felbft
ultramontane Geologen nüijlicfye 33eil;ilfe leiften mögen, aber ber Regulator aller f;iftori=
i*en ^orfdmngen liegt für ben 11. in beffen eigener Xenbenj.
Unmittelbarer nod; als auf bem litterarifdjen 2Bege Wirft ber 11. auf breite Süiaffen
be» SSoIfe^ baburd;, baß er bie 2lrt ber ©ebotion beeinflußt unb jur görberung feiner 60
3tt)ede leitet. Jlatürlid; entfällt unter ba§ unfererfeitö f)ier in§ äluge gefaßte Sereid;
nicb,t olme Weitere^ alles, toaä auf fatfyolifcfyer ©eite bon 3Jcaterialifierung unb 3Jced)ani=
lierung ber Seligion unb ifyrer Übungen borfommt unb Wobon ein Xeil als für bie
neuere geit im ©ebraud) bon Seufd) in ber ©enffd;rift „®ie beutfd)en 33ifd)öfc unb ber
Aberglaube" (Sonn 1879) für Weitere Greife offen gelegt Worben ift. %üv ung fommen 55
Bier folrfje formen, mögen fie neu (Wie bie fog. 2lnbad)ten jum l;eiligften .sperren ^efu,
SJanä unb ^febl;§ a. a. D. ©. 81 ff.) ober nur erneuert fein (Wie ber Unfug mit Sfa=
Mieren, SUebailten, ferabf/ifdten u. a. ©ürteln, a. a. D. :33 — (il) nur infofern in 53etrad;l,
als biefe Debotionen bem immer Weiteren unb gefiederteren ©inbflanjcn be§ ultramon=
tanen ©eifteö bienen, bie ©elbftftänbigfeit unb Steinzeit fatl>olifd;cr Übung ber gröntmig= 60
222 UUramoutantöntug
feit burd; frembe 3ut^atcn Hubert unb bie d£>incfifc^)c SRauer befefttgen, Welche ber U.
je|t in ®eutfd)lanb um einen grofjen Seil ber Volfsmaffen jiefyt, um" fo feine bolitifdjen
^toecfe ju förbern. SBie übrigen? fdjon im 17. Qafyrfmnbert in granfreid; fclbft bie
foetltgften g-unftionen biefem 3tele ultramontaner Konzentration bienftbar gemalt Würben,
5 ba§ lehren bie 1899 in ber Revue Historique beröffentlid)ten 2Innalen ber „Com-
pagnie du St. Sacrement", über Welche 6. Slair in ben Etudes rel. etc. 1888/9
unb febarat Raoul Sltlter (La Cabale des Devots, Vartä 1902) eingefyenb fyanbelt.
2lngefid)t§ ber St)aifad;e, baf? bon ©taat§ Wegen bamal§ (1627) bie erftrebte Vertreibung
ber $rotcftanten auS granfreid; ntd)t §u erreichen War — fie i(t erft 1682 mit ber 2tuf=
10 bebung be§ @bift§ bon 9tonte§ erfolgt — , ftifteie ber £>erjog bon Ventabour eine um
ba3 2lbenbmaI;Isfaframent fid; fammelnbe „Compagnie" olme Drbensfteib au§ einflufj=
reichen in ben Srabitionen eine? fanatifd;en ^koicfiantenfwffes aufgewogenen ^erfonen,
um bem angegebenen .g^ecfe nacbjugcfyen. Wüxt bäbftlid;er 2lbbrobation auggerüftet ber=
breitete biefe Compagnie fid; in 56 ©täbten — überall tritt neben einbringlid;er 33e=
15 müfmng um ba§ äußere 2öofe( ber tiefftfteljenben ©dndjten ber ©efetlfcfyaft unb auf=
obfernber ^ftädjftenliebe ba3 fanatifcbjte unb b^itcbierifdjfte ©ebaf)ren gegen 2Inber§gläubige
teil§ in birefter Verfolgung, teil? in llnterbinbung bon §anbel unb fonftiger @jiftenj=
möglid;feit berfelbcn ju Sage. Söenn man beacbtet, bafs mir ba ben ©egenftanb bor
2tugen fyaben, ben 9Miere§ „Sartuffe" fd;onung§Io3 geißelt, fo Wirb flar, toeld;e Rolle
20 ber U. in bem berühmten geiroilbe fpielt, ba gegen ifm ber bernid;tenbe ©cfylag be<§ £>id;=
ter§ gerietet War.
2Bie b,ier, fo rietet fid) bie Slftion be§ U. in ifyrer legten Stbjtoedung ftet§ auf
bo!itifd)e 3iele. ®a3 ift weiten Greifen in ©eutfd;lanb erft flar geworben, feit mir
eS geWiffermafjen täglid) am eigenen Seibe fbüren burd) ben ©ebraud; ber barlamentarU
25 fdjen SÜöaffen, ibeld)e ber IX. fid; in ben boIitifd)en unb fommunalen VertretungSförbern
gefdiaffen f)at. greilid; ift bie 3xid)tung felber ja älter unb fyat aud; tbre 2Bege ju gef)en
geWufet, lange el>e barlamentarifdte (Einrichtungen borfyanben Waren. 2öa§ bie gefuttert
alsSbalb nad) ifyrem ©inbringen in ®eutfct)Ianb fid) ju fiebern Wußten — (Einfluß an
fatb,oIifd>en §öfen (anberiWo fogar an ebangelifcfyen, 3. V. bem $of)ann<B III. bon
so ©cfyweben), nämlid; (Einfluß auf bie Vefetjung Wichtiger ©teilen in ben Regierungen unb
33ef)örben — , bag ift natürlid) ftetg im ultramontanen ^ntereffe ausgenützt Werben. Unb
Wie ba in bem broteftantifdjen ^3reuf$en be§ 19. ^afyrlnmbertg bie gäben gejogen Würben
bon „Rebenregierungen" befonber? unter griebrid; 2ßilb,elin IV. unb tro| ber 2luff)ebung
ber „fatfyolifdjen Slbteilung" im Äultu^minifterium aud) unter ben folgenben §errfd)ern,
35 ba3 bebarf feiner fbcjiellen 2lu3füf)rung, bietet aber 2lnla^, bter jum ©dilufe auf bie @in=
imbfung be§ U. in ©eutfd)lanb übertäubt §urüd 3U fommen.
©ic fdjon berührten Unterfud)iingen griebrid}? (bgl. bie ©efd;id)te be? 33atifanifd)en
lonjilä I, 1877) l)ah(n bie grage nad; bem §>eimatlanbc be§ mobernen U, flar gefteHt.
©a^ bie§ granfreid) unb §War bag granfreid; ber bourbonifdien Sieftauration ift, ftel)t
40 feft ; bafe aud} bie ^ulirebolution unb bie Qät %3boIeon3 III. ben franjöfifd;en U. nur
Weiter cntwidelt unb gefräftigt i)at, ri\d)t minber. ^m Sauf ber bamit befaßten Qa^rjefjnte,
unb ^War gletct; ber erften ift bann aud) bie gnfeftion nad; ©eutfcfylanb übertragen Werben,
^n S3at)crn Waren bie Verfyältniffe günftig. ©ie römifdjte Iturie, Wcld)e nad; bcr9teftau=
ration ben $>artifulari§mu3 in bcutfd;cn Sanben borjüglic^ auggenul^t f)at für ib,re 3n=
45 tcreffen — bie ©injelfonforbate mit 33ai;ern, ^preu^en unb ber oberrl;einifd;en i!ird)en=
brobinj bezeugen ba§ — , fanb ben Soben borbereitet bureb, ben 9iüdfd;lag, Wie ifm ba§
2luffommen ber Romantif gegenüber ber aufflärenben 9tid;tung be3 18. 3al)rb,unbert§
bejeid;net, bie ja aud; in bem fatf)o!ifd)en ^ird;enWe_fcn auflöfenb gewirft b,atte. ®enn
ben rl)eimfd;en Greifen bejüglid; bes 3ufammenfd;luffeö gu einer ultramontanen Partei
50 bie Priorität gebührt, fo ift boeb, juerft in 9)Iünd;en ber ftärffte §ort unb ber belebenbe
sDtitteIb^ unft einer fold;en in bem ©örre§fct)en Greife begrünbet Worben. ©ab,in gravitieren
nun feit ben 30er ^ab,ren bon ber Stomantif ober ber allgemeinen reaftionären 3eit=
ftrömung au§ eine güllc bon Gräften (griebrid; a. a. D. ©. 203; bgl. berf., % bon
DöUinger, 93b I, II [1899|) — it)re ©tärfe aber gewann bie Partei baburd;, ba^ ber
55 b,eranWad)fenbe ^Ieru§, teils bon oben b,er mit Raa^brud angeleitet, teifö in ber cl)rlic^en
Ueber^eugung, bafe b,ier Wie ba§ fird;Iid;e fo aud» ba? religiöfe ^ntereffe tfjatfädjlid; feine
Rechnung finbe, fid) anfd;Iof$. ®er 9xef. mag nid;t unerwähnt laffen, ba| ©öllinger
fclbft einmal ib;m gegenüber feine zeitweilige Hinneigung §u tt)r mit ber ,§inWeifung auf
bai le^tere 3)loment erflärt b,at. ©r ift freilief) nur big ju bem fünfte i|rer gab,ne ge=
«" folgt, an Weld;en ©tubten unb £eben§erfa^rung ib,m ein unbebingteS: Plus ultra! juriefen.
lUtrautontantSmnS 223
2o cntftanb in £}cutfd;Ianb infolge beS traurigen Kölner (SreigniffcS (j. ben 2lrt.
Srofte 33b V ©. 24 ff.) jum erftenmal Wieber eine fog. ultramontanc ^artei, beren
3cntrum 9Jiünd;en War. Qu bem Greife um %o\epfy ©örreS gehörten ©öllinger, Söiebe--
mann, Söinbifdmiann b. %, b. Safaulj, 3UngSeiS, Tioi) unb Satyer; fbäter bie jüngeren
Mräfte ir-ie £aneberg, ©eutinger, ©ebp, £öfler, ©uibo ©örreS unb §offiättcr k. Son 5
biefem ging aud) bie Berufung SttöfylerS auS, ber natürlich alöbalb nacb/ feiner Überftebe=
lung nadr; 9Jiünd)en ein Siitglieb beSfelben Würbe. ®ie Sranbfdjrift „2ltl)anafuiS",
melcr/e ©örreS in ben Kölner Söirren unter bie Hatfyolifen ©eutfdjlanbs frfjleuberte,
baS infolge ber nämlicr/en 2lngelegenl)eit bon ^fnlibbS unb ©. ©örreS gegrünbete §aubt=
organ ber Katl/olifen, bie „£iftorifcr)=poIitifcr;en Slätter", unb bie immerhin grofje geiftige 10
Scbeutung ber in 3)Mnd)en bereinigten SJiänner matten biefeS jum 9Jttttelbuntt ber
fatf>Dltfdt)en SeWegung" (griebricr;, Sat-Kon^. I, ©. 203 f.). 2Bie nun biefe „fat&oltfd&e"
'Bewegung met)r unb mel)r in eine ultramontane fid) fortbilbete, baS mag man in
ivrtebricb/3 weiteren SluSfüfyrungen, junäcbjt bis ©. 373, nadjtefen. SDie Sefämbfung ber
Ideologie beS Sonner §ermeS, bann beS ^reiburger §irfd)er machte ben Stnfang, bem 15
fpater bie ber ©üntt)erfd)en ^3t)ilofobt;ie gefolgt ift ; fobann mürbe bie SoKSagitation bon
SJtoinj auS mit §einrid)S unb 9JioufangS Seitung begonnen unb burd; bie ,,fatt)olifd)en Vereine"
(^iuSbcrcine, f. b.2lrt.) unb beren ©eneralberfammlungen fbjtemattfcr) betrieben. ©cfyon
bei ben SBafylen jum granffurter Parlament griffen biefe Vereine ein. 2tuf ben großen
Matfjolifenberfammlungen Würben teils ge(;eim teils öffentlich) bie 3iele unb Mittel ber 20
gefamten Slftion f cftgeftellt : ©dwle, treffe, SereinSWefen, 2öof)ltr/ätigfett u. f. W. bilben
bie SeWeife bafür, bie fid) immer meljir erweitern. 3n einer 3e^ bie mefyr unb mcb/r
einer bemolratifcfyen Seeinfluffung ber Seitung aller öffentlichen 3lngelegenr)eiten Siaum
gab, leiftete bie Bearbeitung ber Breiten SRaffen in ben ^piuSbereinen unb fonft @nt=
fcfyeibenbeS — allerbingS bie Krone beS (Erfolges fjat biefen Seftrebungen erft bie @m= 25
für/rung bc§ allgemeinen gleiten 9foid)StagSWaI)Irecr;tS aufgefegt, meines bie gunbamen=
tierung unb ben Sau beS 3entrumS=£urmeS ermöglichte, ©inline befonberS bebeutfame
Stabben auf bem 2Begc, ben bie Ultramontanifierung ber fatt)oIifcr)en Ktrd>e in ®eutfcr)=
Ianb feit ßnbe ber 40er 2jal)re jurüdgelcgt I)at, mögen nod) ermähnt Werben : faum War
einer ber £>aubtteilnel>mer an bem Serein, $reif)err bon Ketteier, Sifdwf bon SJiaing ge= 30
werben (1850), fo fe|te er bie Sluflöfung ber ©iefeener fatl)olifd)4i)eologifd)en galultät
burd) unb liefe nun ben jungen KlcruS buret) bie oben genannten Sftainjer ©elefyrten er=
Sieben. Sem ©rjbifd^of Steifad) in 3Jcünd)en entwarf ber $efmt ®el)arbe einen ultra=
montanen Äatec^iSmuS, ber nacb^ unb nad) in ben weiften beutfdien ©iöcefen (Singang
fanb. ^Dte gefuttert felber sogen ein unb gelten i§re „Sftiffionen" ; anbereDrben folgten; 35
firtt^licbc Vereine aller 2lrt Wud)fen Wie ^ilje t;erbor. Unb für jebe 2lftion, ja für ba§
Senfen unb Urteilen in allen fragen Wirb jugleid} in ber 1850 gegrünbeten Civiltä
Cattolica bas mafegebenbe Statt gefcfyaffen, au§ bem ber SJcain^er „Äatl)oli!" nunmehr
bie ^arolen entnimmt, Wäfyrenb bie ©d;aren ber „©ermanifer", b. I). ber ^efuitenfd}üler
beutf^er ^robenien^ mel^r unb mef)r mafegebenbe, barunter aud) bifd)öflid;e, ©teUen cin= 40
nebmen unb für ®eutfd)=Dfterreid) bie ^efuitenfdjulen in gelbfird; unb QnnSbrud bie
Älerifer borbilben. 2ln ben Seriellen über bie ©eneralberfammlungen ber fatb^olifcben
Vereine ober, wie fie neuerbingS genannt Werben, über bie „&atl>olifentage" !ann man
am beften ben auffteigenben ^egelftanb ber Ultramontanifierung Icnnen lernen, ©cb.on bie
^räfenjliften finb inftrultib. 9tod} unb nacb, berfd)Winben bie f)erborragenben fat^olifd)en 45
(Mehrten, obwohl bod; 3af;re lang bie ©rünbung einer „fatr)oltfcr;en Uniberfität" eins
ber ftärlft bcrborgel)obenen ^rogrammnummern bilbete, bie aud; bleute nod; Wieberfefy rt ;
jene räumen ben Pa£ ben s3JJoufang, £>affner unb 9Jie^ger galf u. 3t. £>afür machen
jicf) bie fatfyoIifd;en ©tubentenbereine immer breiter, aud; el)e fie noc^ in ben allerlc^tcn
3aBren ba§ ©lud Ratten, Slngriffc feitenS i^rer nid)tlatf)olifa^en Kommilitonen ju erfahren, 50
bie nacb, 2lu§gangSbunft unb ^altif berfeb^lt Waren unb angefid}ts ber l»eute befteb^enben
i^erfiältniffe nur ein enormes 2öad)Stum jener Sereinigungen zeitigen fonnten.
So War ber U. Wie anberSWo fo audr; in SDeutfd}lanb auf ber ganzen Sinie bor=
gerüdt, unb als nod) bor ber @ntfd)eibung beS ^afyreS 1870 als eine ^3robe auf ben
allgemeinen ©tanb ber SDinge bie 18. ©älularfeier beS 3Rart^riumS ber älboftclfürften 55
mit unerhörtem $omb — eS Waren 500 Sifdjöfc erfc^ienen — als le^teS /i-eft im
„freien" .ftiref/enftaate begangen Worben War, ba tonnte ein aufmerlfamcr ultramontaner
^eobadjter frol;lodenb rufen: „2Bir gewahren feit biefem bebeutfamen (Sreigniffe allent=
falben größere 3tüb,rigfcit unb mel;r Energie ; braltifd)e ßiele werben berfolgt, alles brängt
wattiger als früher jur ©inigung ber Iat^olifd;cn Elemente; baS Sertrauen ift gcWad;feu, go
224 ttltruutontauiSmitS
bag ©efür/l ber gufammengefybrigfeit gefteigert" (9liebermer/er, ®ie tafy. Bewegung 1, 1).
2Bag lag barem, ob jene fatfyolifdjen @eler)rten bureb, 2lbwefenfyeit bei bm Katfyolifentagen
glänzten — jetjt Wanbte ftc^> ber Vifcfyof bort Ketteier rote einft Sutfyer „2ln bert 2lbel"
imb fnelt ir)m feine Vflicfyten fo einbringenb bor (1868), bajjj Wir ^af)re lang Vertreter
5 beg r)ob/en 2IbeI§ an ber ©bifce ber 35 erfamm hingen fungieren feigen. $n ben Verfamm=
Jungen felbft aber, beren bbliiifcfyer ßfyarafter fict) mefyr unb mefyr accentuierte, Werben
bie ßtoeefe beg U. auf ber breiteten Unterlage ftyftematifd) geförbert tüte bon einem
Vrennbuuft aug, in bem alle ©trafen !onbergteren. Vor altem fyanbelt eg ftdt) — trotj
ber Verfidierungen toleranter ©efinnung unb tro| ber ©inlabungen 3. V. beg offener
10 Katfyolifentageg an bie „©laubigen" unter ben ©oangelifcrjen ju gememfamer 3lrbeit „be=
b)ufg Betambfung beg Unglaubens unb beg Urnftur^eg" — eg fyanbelt ftcr; barum, bie
d^tnefifd^e 30tauer ^Wifcfyen ben Konfeffionen immer f>ör/er ju bauen unb immer fefter ju
funbamentieren. 2lIgVaufteine baju wirb in erfter Sinie litterarifcfyeg SRaterial berWenbet:
ftoegififd) lat§oIif4>e BeKetriftif, JatE>oItfd>e SBettbefdpibung, fatb/olifdje Sichtung an ©teile
15 ber bem Volte ju entjie^enben Klafftfer — JatE>olifd£>e ©efdjucfytgi'litterung an ©teile ob=
jefttber ober gar „broteftantifcfyer" 2luffaffung unb SDarfteßung. @in latfyolifdje %a%i&
treffe bon erftaunlic^er 2lugbelmung breitet fief; ja feit ber geit beg „Kulturiambfeg"
über ganj ©eutfcfylanb aug — bie forgt fd)on bafür, bafj nichts ©iörenbeg in jene Greife
bringt unb bafs alle Vorrommniffe in bie richtige ultramontane Beleuchtung gerüdt Werben.
20 2öenn auf ben Kaibjolifentagen bie bo!itifcf)e Varole auggegeben wirb, fo |at ber gange
2ltobarat banad) gu funktionieren, unb in legier 3nfian3 barm ber gentrumgturm im
^Reidjgtage unb bie ßentrumgtürmcfjen im bar/erifd)en Sanbtage foWte in einer 2lnja^I
fommunaler Vertretungen bafür gu forgen, baß aug bem sie volo aud) ein maßgebenbeä
sie jubeo Wirb. Um btefen ©ffeft ftänbig erzielen gu lönnen, Wirb im großartigften
25 SRaßftabe bag fbejiftfd) fatt;olifd;e Vereingleben gepflegt — in ^uriften=, £ef)rer= unb
§anbWerferbereinen, in faufinännifcfyen unb ©efeHenbereinen, in §af)lretd^ert Verbinbungen
aud) bort Weiblichen ©eWerbetreibenben. §ier unb ba gefcbjdt, bod) meift — fobalb man
an bie Öffentlichkeit tritt — in blumber Söeife Wirb bon bem $ßarttätgbringty ©ebraud)
gemaef/t unb baneben ot)ne ©Irubel bag SofunggWort aug einer Verengung ber @r.egefe
30 bon @a 6, 10b entnommen.
^n ber SRärgnummer beg Kölner Vaftoralblatteg (1907) finb überfidjtlicr; bie „außer=
orbentlicfjen Mittel jur Pflege be<§ religiöfen 2ebeng" jufammengefteßt, beren
ber U. fief; bebient befonberg jum^toed ber „SRännerfeelforge" in feinem ©inne: „1. 33oIIs>=
miffionen unb 3)tänner=@jercitien, befonberg folef/e, Welche in bollfommener 3utücfge^ogen=
35 r;eit in befonberen @j;ercitienr;äufern gehalten Werben ; 2. moberne §au§feelforge, §au§=
befuge; 3. Vereine unb fivax 50cännerbruberfd;aften, Kongregationen, ©efeHenbereine,
Veruf^bereine (gad)bereine) mit borWiegenb fird;lid;en 3ft>ecfen, gürforgeberein für ent=
laffene Sträflinge u. bgl. ; 4. Vefcb^affung ^ettgemäfser guter 2e!türe (Rettungen, $e\U
fünften jc), @inrid;tung bon Vorromäug=Vercinen, Sefc^allen, Kolbortage; 5. görberung
40 ber zeitgemäßen Vilbung auf unferer ©eite (gortbilbungSunterrict;:, fojiale Kurfe, ®e=
battierflubg, Sßinbt^orftbunb, Qugenborganifation ; 6. allgemeine öffentliche Volfgberfamm=
lungen; 7 ct;aritatibe Einrichtungen (Kranfenbflegc jc); 8. 21$ol)IfaIj)rtSetnrid,)iungen
(©barfaffe, ©terbelaffe, ©arlej)engbereine u. f. W.)"
5i>enn berart bie Vaufteine für bie d;inefifd;e 9)tauer befebaffen finb, fo laffen fid;
45 feit 1864 auefy bie Sinien beS ©runbblaneg, nad) bem gearbeitet Wirb, aufweifen, unb
jWar au§ ber gegnertfd)en Darlegung felber. ®a3 t^eoretifdje gunbament bilbet ber
„©tyllabug", Welker „bie Jatl)oItfct)e Kirche auf bie ultramontane Beurteilung ber ge=
famten mobernen Kultur feftlegt" (SJiirbt, U., ©. 12). 2e|te 3lb^Wedung ift nieb^tö anberel
alg bie 2lufrict/iung einer romanifd;=!leriIaIen ©enfWeife unb ifjrer §errfc§aft in ber
60 gangen (Sljriftenfyeit.
%u§ ber Scelta di Atti episcopali del Card. G. Pecei ora Leone XIII
(Roma 1879, ©. 417) ergiebt fid), baß fein anberer al3 biefer ber „geiftige Vater be<§
©bltabug" ift(©ö^, U., ©.57). SllgVifdbof bonVerugia b,at er 1849 auf einer ©tmobe
ju ©boleto ben Antrag gcftellt, eg möchten bie mobernen Irrtümer unter Beifügung
55 eineg Verbammunggurteilg aufgeftellt Werben. 3)ie Civiltä Cattolica ergriff biefen ©e=
banlen unb fct)Iug bor (1851), mit ber beborftefyenben Vulle über bie Immaculata Con-
ceptio eine berartige Kunbgebung jugleia) auggelien ju laffen. 3n bex %t)at fe$te ^5iug IX.
gu biefem Qxozü eine Kommiffion ein, boc^ Würbe ber angedeutete Termin rttct)t ein=
gehalten, unb ba im $uli 1860 ber Bifd)of ©erbet bon ^erbignan 85 ^rrlel)ren gefammelt
60 blatte, fo befab,! ber $abft einer neuen Kommiffion (barunter ber ©ogmatifer ber Qefuiten
UItramowtont§«iu§ Urabreit 2^5
^errone), auf ©runb bon beffen BergeicfymS einen ©tyllabuS aufstellen. 2öie biefer bann
auf 80 Hummern feftgefteHt unb bafj beabftebtigt würbe, „burd? bie Bollftänbigfeit ber
Sammlung eine ©efamtbottrin für bie fatfyotifd)e SSeltanfcfyauung" gu bieten, erörtert
©cfyanj, SCrt. ©tyllbuS im ©taatSlerjton, 2. Stuft., V, 641 ff. Sieben bem Syllabus Er-
rorum bat aueb, nod) bie Encyclica Quanta cura, mit ber jener beröffenttict)t Würbe, 5
eine bofitibe Bebeutung. ©oe£ (©. 61 ff.) unb grofyfcfyammer (Beleuchtung, ©. 12 f.)
toeifen barauf fyin, bafj buret) beren ben ©fyttabuS bectenbe Stutorität bogmatifd) bie ah-
fotute ^errfdjaft bon Kircfye unb '»Pabfttum über alte Weltlichen ^nftanjen feftgeftettt Wirb,
greilid) nimmt eS ben 2tnfd)ein, als ob biefe unbebingte Stutorität ber ©nctytlifa Iatb,o=
lifdjerfeitS nict)t burd? weg als ben ©fyltabuS beefenb anerfannt fei — ©r^arb g. B. 10
(Siber. KatfyoliciSmuS, ©. 165) beftreitet eS — , aCCeirt in ben jetjt mafjgebenben Greifen
ift biefe 3lnerfennung zweifellos borfyanben trotj ber mobifi^ierenben Behauptung bon
Z<i)a.n% a. a. £). ©. 649, bafs „bie Autorität ber ©ncbllita nicfyt ofyne weiteres auf
ben ©r/IIabuS übertragen Werben" tonne (bgl. bagu ©oe£, tl., ©. 66).
£ie 80 ©ä£e beS ©fyttabuS finb in jetm ©rubben eingeteilt, bon benen bie brei is
erften (big ©a| 18) altgemeine 2tnfd)auungen tüte ^antfyeiSmuS, Naturalismus bis t)in
jum Qnbifferentiömu§ bermerfen; ber bierten finb ©Dualismus, Kommunismus, geheime
unb 23ibelgefeüfcf)aften jugewiefen. @S folgen ^rtümer über bie Kirche unb beren 9tect)te
(@a£ 19—38) über bie bürgerliche ©efellfcfyaft (39—55), bie natürliche unb bie djirtftlicfye
Sittenlehre (56—64), bie @t>e (65—74), bie Weltliche §errfd)aft beS ^ßabfteS (75—76) 20
unb Irrtümer, meldte fieb, auf ben mobernen SiberaliSmuS begeben (77—80). ®a bie ©el=
tung biefer ©ä|e negiert wirb, fo ift bie bofitibe Seb,re gu finben, wenn man bie ©ä|e
umfefirt, unb ba leuchtet benn ein, bafs jWtfcfyen ben im ©tytlabuS tl)atfäd)licb. nieber=
gelegten babftlicfyen ,£>errfd)aftSanfbrücI)en unb bem mobernen ©taatSwefen ebenfoWenig
ein ebrlicfyer griebe befielen fann toie gtbifc^en ber ba'bftlicfyen Sebre nebft ifyren §oIge= 25
rungen unb ber ebangelifcfyen, tüte fie fieb, auSbrägt auf ben berfcfjiebenen ©ebieten beS
religiöfen SebenS.
3m BlicE auf ©nebflifa unb ©bllabuS fagt ®bltinger (AI. ©Triften ©. 206 ff.):
„9)tan tonnte früber fagen, bie Bezeichnung „ulteamontan" fei nur ein gefyäffigeS 9Jcanbber
— baS ift nun anberS: ber 11. ift feine giftion mef)r, fonbern eine reelle unb aggreffib 30
borfebreitenbe SSJiac^t, bie tfyren Krieg mit allen im tircblict/en ^>arteit>aber anWenbbaren
SBaffen fübrt, unb bie Kluft gwifcfyen ben ©eiftern biefer 9xtct)tung unb tfyren (tatb, olifeben)
©egnern mufj mebr unb meb,r auet) bem btöbeften 3tuge fid)tbar werben" 3ufammenfafien^
ftellt ©oetj (U., ©. 60) bie Senbeng I)erauS: bie gange Söelt ju leiten bureb, ben KleruS
mit ber fbejififc^ romanifeben ©eifteSfc^ulung, bie im ©egenfa| ju anbern tb,eologifd)en, 35
))b,ilofobbifcb,en unb allgemein miffenfdjiaftlicben 9tict)tungen fbejiell bie ^efuiten bertreten
— ein ©Aftern, baS eine burcb,gefüb,rte 33erquictung bon Religion unb ^otitit ift.
S5a§ ©treben, in ber 6b,riftenbeit bie romanifct)4Ierifale SDenfmeife jur ©ettung $u
bringen, ift einft in ber jmeiten §älfte beS 16. unb im 17. ^«^r^unbert tro^ ber ioeit
günftigeren Sage in ben eurobäifeben Nationen nur ftellentoeife bon @rfolg getoefen. ^a, 40
bie ^atfac^e, baf$ eS im 18. ^af>rt)unbert ber Stufflärung gelang, in bie fatbotifcb, e Kircfye
felbft einzubringen (bgt. S-„ B. ©cb,iüab, grang Berg, 1869, 2lbfcb,n. 8, 9, 10 unb 15)
unb in ©eutfcblanb unb Dfterreicb, beacb,tenStberte Reformen auf bem tfyeologifcfyen, bem
allgemein literarifetjen unb bem brattifc£)en ©ebiete ju inaugurieren, geigt, bajj aueb, bie
tunftboUfte c^inefifclje 3Jcauer ba nid^t ftanbfyält, tbo ein mächtiges geiftigeS 2öeben bie 45
Rationen ergreift. 2Ser fieb, aber t)eutgutage bie $rage borlegt, ob ober tbietoeit mafsgebenb
jener romanifc^^lerifale ©eift bureb^bringen tbirb, ber toolle beachten, ba^ baS unleugbare
3tnfteigen ber ultramontanen aBette in SDeutfcbJanb allein ttict)t entfcfyeibenb ift — felbft
teenn man glaubte brognoftigieren ju muffen, bafs biefelbe noct) weiter fteigen unb atteS
2anb berfcb^lingen toerbe. üBenratf). so
Umbrett, ^riebrieb SBilbelm Kart, geft. 1860. — Sie 9?etroIoge Don ©tfjenfet
Olügem. ttrrfil. 3eitfd)r. 1860, §eft 6, ©. 11 ff.); $|RülM8u&er (9?cue eüangel. ttr^enseitung
W60, 9?r. 23) unb Bitte! (2Wgem. girc£)en^ettg. 1860, %lv. 54) werben ergänzt burd) bie non
3- 6. 33. 9RoIjr ju |>etbeI6erg 1860 (je^t ^3aul SiebeiJ) Verlegten „3wei 9feben gehalten am
©rabe" [Umbreite] üon bem ^eibelberger ©tabtbfarrer jum ^eiligen ©eift, bem fpäterett s^rä= 55
taten 3- •'poltjmamt unb bem Kollegen SR. SRotfje, befonbevg aber burd) baZ tion bem früberen
Kollegen unb langjährigen 9Jiitberau§geber ber SfiStü ß. UHtnann gejetebnete fiebenSbitb be§
Sreunbe§, baS in ber gemeinfam gegrünbeten ßeitfcfjrift (]S62, §eft 3) erfdiieu unb al§ ?(n=
^ang (im Sonberbvucf ©. 47—79) uon ^Srof. Lic. 3ltet)m eine 9t6£)anbtung bradite, in ber
„bie Ittterärifcbe SBirffamfeit UmbvettS nad) itjven ^aupterjeugniffeu gefd)ifbevt" ift. wi
«ear=®ncftftoDäbie für Ifieotogic unb Mir4e 3. M. XX. 1 5
226 Itmbrctt
U. Würbe am 11. silbrit 1795 ju ©onneborn, einem größeren ©orfe unfern ©otfja,
geboren. ®ie grömmigfeit ber ©Itern, bie ifyren einigen ©oljm jum ©tubium ber %l)w-
logte beftimmten, unb ber funftliebenbe ©inn bes Baters, eines 9Jceifters auf ber Drgel,
äußerten einen nachhaltigen ©tnflufe auf fein empfängliches ©emüt. ©djon auf bem ©otljaer
5 ©bmnafium (1809 — 1814), beffen ^rofeffor Sftegel trefflict)en Unterricht im ^ebrätfcfyen
erteilte, Don ber ^oefie bes 2l£s mächtig angezogen, liefe er fid) feit §erbft 1814 auf ber
Uniberftiät ju ©ötttngen bon % ©. @id}l>orn leicht für bas ©tubium ber fog. orientali=
fcr/en ©prägen begetftern. ©ine grud)t besfelben liegt uns bor in ber 14 Quartbogen
ftarfen, auf Soften ber Uniberfttät 1816 gebrudten ©bttinger ^reisfdnnft : „Commentatio
10 historiam Emirorum al Omrah ex Abulfeda exhibens" 2Bie fefyr aber aucb, ber
fdjon fo früb, ber gelehrten 3BeIt betannt gemachte ©cfmler ber Georgia Augusta, bem
fein Sefyrer ©tcf^orn bereite am ©cfylufe bes erften ©emefters bie arabemifdje Saufbalm in
Slusficbi geftedt fyatte, auf Erwerbung grünblicfyer ©bradjfenntniffe bebaut blieb, fo war
es bod) Weniger ein rein fbrad)Iicr/es ober gar gefcfyicfytlicfyes, als bielmefyr ein äft^etifcb.eg
i5 Qntereffe, bas fein für alles menfdjltdj ©ct/bne unb ©rfyabene empfängliche^ ©emüt ju ben
Werfen bes SJlorgenlanbes ^injog. DZocb, als ©tubent berfafete er, §erber unb ©icfyf/orn
ju „leitenben ©eftimen" erWäfylenb, als Commentatio philosophico-critica, bie ifym
fbäter §ur Habilitation biente, feine erfte ©cr)rift über ben $rebiger, beren %itd lautet:
„KoI)eIets bes Weifen Königs ©eelenfambf ober bfyilofobfyifcfye Betrachtungen über bas b,öd)fte
20 ©ut, aus bem £>ebräifcf)en überfetjt unb als ein ©an^es bargefteßt, ©otfya 1818" SDiefer
auf WiHfürlicfyen Bersberfei}ungen rufyenbe Berfucfy, bie ©infyeit bes Bucfyes nacb^uWeifen,
ben er burd) bie 2lbf)anblung „Coheleth scepticus de summo bono" 1820 Weiter
frttifcf) begrünben Wollte, Würbe inbes fbäter bon ib, m aufgegeben unb fa)erjr)aft als „litte*
rärifd)e ^ugenbfünbe" bejeidniet. Bon feiner Borltebe für bas rätselhafte Bucb,, ben ©egen=
25 ftanb feiner erften altteftamentlicfjen Borlefung jeugt nod) bas 1849 erfcfyienene ©cfyriftdjen :
„2öas bleibt ? 3«tt0«wiäfe2 Betrachtungen bes Königs unb $rebiger3 ©alomo über bie
©itelleit aller üDinge. Überfe|t, erflärt unb in u)rem toofylgefcfyloffenen gufammenljtange
entwickelt", Worin er „ben greifentwften SLon" bes in ©alomos Statnen rebenben ^rebigers
Wieberjugeben ftrebte.
30 Dbfcfyon er im grü&jabr 1818 unter bem ©eneralfuberintenbenten Breifdmeiber bas
tt)eoIogifd)e Kanbibatenejamen ju ©otfya mit ©fyren beftanben f)atte, berjicbiete er auf ben
Beruf eines braftifcfyen ©eiftlidien unb fel)rte nacb, ©öttingen gurütf, um fid) bafelbft ben
bfyilofobfnfdjen ©oltorgrab §u erwerben unb im §erbft 1818 afe ^ribatbocent feine erfo!g=
reiche Söirffamfeit ju beginnen. Unterbrochen Würbe biefelbe im ©ommer 1819 burcb, eine
35 Wiffenfdjaftlidje Steife nact; Söien, Wo er mit bem geiftesberWanbten §ammer=BurgftalI,
ben er für „ben erften Kenner ber ©d)riftfcr/ät$e bes SRorgenlanbes" gehalten t>at (»gl. aber
ben 21. ©cfylottmann in 58b XVII ©. 620, 3 f.), fid) auf immer innig befreunbete. 93e=
reitö im §erbft 1820 »erfdjaffte ib^m bie ©mbfel;lung bes berühmten 5)]aläograbf)en Stopp,
ber ein greunb bes SDZiniftcrs Steisenftein War, ben 3tuf als aufeerorbentlicb,er 5ßrofeffor
40 ber 5|]b,iIofobl)ie unb Geologie in ber ^ilofobfjifd^en ga!ultät ju §eibelberg, Welker er feit
1823 als Drbinariu§ angehörte; unb biefe ©teile l)ielt er fid) audj offen, aU er 1829
jum Orbinarius ber tl)eologifcb,en -Jafultät ernannt Würbe. 3>m Greife feiner gamüie, ber
er ftets ein liebeboller unb gärtlidjer ©atte unb SSater War, im innigen Beriefe mit
5ab,Ireid;en greunben unb bor allem in ber Siebe ju feinem Berufe, bem er als Se^rer
45 unb ©djriftfteHer mit gvöfeter Slreue oblag, führte nun U. ju §etbelberg ein glüdlic^es
unb ruhiges Seben, bantbar geftimmt burd) ben ficb,tlict)en ©egen, Weidjen ©Ott auf feine
SBirlfamleit legte, unb b^lid) erfreut burd) bie bon ben berfcfyiebenften ©eiten i^m ju
teil Werbenbe Bereb,rung unb älnerJennung. Slber er b,atte jule^t eine fcfywere ?ßrüfung
auszufallen, ba ifyn im ©ommer 1858 ber Slltersbranb ergriff, bon Welchem ib,n erft
50 nad) unfäglicf)en, mit d)riftlid)cr ©tanbb,aftigfeit unb aufrichtiger grömmigleit ertragenen
Seiben am 26. älbril 1860 ber %ob erlöfte.
2öenn Wir je|t ben Berfuc^ machen, über U.s Bebeutung uns 9iecr)enfcr)aft ju geben,
fo Wirb unfer Blid fofort auf „bie eble, berfölmenbe unb jufammenb,altenbe Kraft feiner
^erfon" gerichtet, auf bie bon 9fatf)e fo treffenb gefdjilberte „Kinblid)feit unb 2öeitfinnig=
55 leit feines berfönlidjen ©j^riftentums, in ber er fid) fo ganj unb gar nid)t ausfc|)liefeenb
berb,ielt gegen bie begebenen 9iid)tungen unb Färbungen ber d)riftlicf;en grömmigfeit,
fobalb er nur bie toerfönlicfye 2öab,rbeit berfelben inne Würbe" ®agu fam ber offene Blicf
nic^t nur für bie ©d^önb.eit ber ^oefie bes %%§, fonbern aud) mein unb meljr für bie
©öttlicfyfeit feines ^nb,altes, Woburd) er befähigt Würbe, feinen 3u()btern unb ben jaf;I=
60 reichen Sefern feiner begeifierten ©Triften bas 312 lieb unb Wert ju machen. Sluf tote
Umbreit 227
©elefyrfamfeit War U.3 ©treben nid^t gerietet, aber ben ©runbfinn ber bJL ©ebrift in
$orm unb ©eift immer reiner unb umfaffenber ju ernennen unb für bie richtige SBürbigung
beä Sllten SBunbeS in ber cfyriftlid^en Geologie unb $ircr)e unermüblicb, gu Wirren, ba3
blieb fortwäfyrenb feines SebenS ^od^fte greube. ©eine tfyeologifdje Stiftung Würbe im
Öoufc ber Igabre eine toofitibere; aber im SBefttje eines gefcfjloffenen SfyftemS ift btefer 5
©otteggelc^rtc nie gefoefen. Dbgleicb, er ftcb, (bgl. %t)&t® 1858, 6. 607) mit ber Un=
mlänglidjfeit fircr/lidjer Sefyrformetn ntdjt abfmben laffm wollte, freute er fief), mit ftreng
iftrdilidjen SluSlegem in ber liebeboHen ©rforfctmng ber Offenbarungen be§ ^eiligen in
gSr'ael gufammentreffen ; aber folgen gegenüber, bie eS jur d;rtftltcr)en ^flict/t regneten,
£erber unb @icJ)fyom gerabejm über 23orb gu werfen, befannte 1852 ber friebfertige SRann, 10
bon feinem feiigen Setyrer @id)l)orn folgenbe brei ©rüde gelernt p t)aben: „1. <£>ie Uritif
ber I?l. Schrift ift eine broteftantifdHreie SBiffenfcfyaft. 2. 3)ie 2Iu3legung berfelben mufj,
Wenn aueb, ntd^t allein, bod) aud; im ©eifte beS Orients geübt Werben. 3. 35ie Humanität
unb Pietät gehören auet) gur Religion unb inSbefonbere jum guten beutfct)en ©tnn"
U. geicfynet unS f eiber feinen ©nttoidelungSgang mit ben Sßorten (2$©t$ 1856, 15
S. 177): „3d> toarb burd} ©icbjfyorn gu £erber unb §ammer geführt unb machte bie
orientaltfcr)4beologifcr;e, fowie fbäter bie tr)eologifct)=ortentalifcr;e ©rllärung beS SföS p
meiner borjüglicbften Wiffenfct)aftlict;en SebenSaufgabe" Dirne Drientalift im jetzigen ©inne
be§ SöorteS ju fein, befafß er gute ©toracfylenntniffe unb ein feines SSerftanbniS für bie
(gtgentümltd^Jeit beS tyn anhieb, enben morgenlänbifdt)en SBoIfStumS; unb ot)ne 2tnfbruct) 20
auf ben tarnen eines mit fct)arf gugefdmittenen bogmatifct)en Segriffen arbeitenben 5£t)eo=
logen, berftanb er es um fo beffer, bie religiöfen Stimmungen unb 2lnfct)auungen ber
©otteSmänner beS Sitten SunbeS glüdlict) nacbjuembfinben unb lünftlerifct) barjufteßen. ©o
fanb benn fd)on baS erfte ©ct)riftd)en ll.§ über baS §oI)elieb bielfact)en Slnflahg, baS unter
bem 5£itel „Sieb ber Siebe, baS ältefte unb fdjönfte auS bem SRorgenlanbe. 9?eu überfeijt 25
unb äftbetifcb, erftärt" ju ©öttingen 1820 erfdbjen. Ungemein erfreute ben 33erfaffer bei
biefem SBerfudje, baS §ot)elieb gegen §erber als @in äufammenfyängenbeS ©ange ju er=
toeifen, ber ^Beifall ©oett)e§, ber ftcr) noeb, im Weftöfttid)en ©iban über bie 2Serfuct)e, @in=
r)eit in baS §o!?elteb gu bringen, nict)t günftig ausgebrochen batte, bagegen bon UM ©ebrift
urteilte: „-Stieb, bünft, ber Serfud) ift biegmal glüdlidb, gelungen" @ine jWeite berbefferte 30
unb bermefyrte Sluggabe, bie Wegen ber 2tu§fd)neibung übbiger Manien jugenblic^er $lian=
tafie jugleicb, eine berminberte fyeifjen lonnte, erfajien 1828 §u §eibelberg; unb aud) fbäter
berlor II. ba§ ^ob.elieb nie au§ bem Sluge. ©afür jeugt au^er meb^rfacb^en Sefbrec^ungen
in ben ,,^©tÄ" unb bem betreffenben älrtüef in biejer ©ncbllobäbie aud^ feine „@rinne=
rung an ba3 §of)eIieb" (§eibelberg 1839) bei ©elegenfyeit be§ öOjälfrigen ^rofeffor= (ni<f>t 35
3)oltor=) Jubiläum« bon §. @. ©. ^5aulug, bie fcfyon aU einlJenfmal feiner eblen §uma=
nität bier @rWäl)nung berbient; bg(. ^eicl)ltn=3)lelbegg, ^]aulu§ unb feine gett, Sb II,
<5. 237 f. 3Rod) beutlid^ier geigte fid^j feine feltene ejegetifclje Begabung in ber ©rflärung
be§ $iob (,,©a§ Sucb, §iob. Überfe^ung unb Sluölegung nebft ©Weitung über ©eift,
^orm unb Sßerfaffer beä Sucres, §eibelb. 1824", beren jweite Auflage (1832) auä) m§ 40
(Snglifcb,e überfe^t Würbe. SDiefelbe Begabung geigt fieb, in ber (Mlcirung ber obrücb,e
(,,$b,ilologifd9=fritifcb,er unb bb,ilofobl)ifcb,er Kommentar über bie ©brücfye ©alomog, nebft
einer neuen Überfettung unb einer (Einleitung in bie Sftorgenlänbifcfye Söei^eit übertäubt
unb in bie §ebräifcb.=©alomonifa)e in^befonbere, §eibelberg 1816").
©djon bei biefen arbeiten offenbart fid) feine fpäter immer beutlicfyer b,erbortretenbe 45
praltifd)e 3lidb,tung; er Wollte bie geiftige unb religiöfe (Erhebung, bie it>m gu teil ge=
Sorben War, burdb; gefcb/madwolle unb treue 2öiebergabe ber betligen Quellen aua) ben
Ungelegten gugänglia) mad^cn. slisie U. feit 1828 feine ©tellung in ber 9tebaftion ber
bon ibm mitgegrünbeten „©tubien unb ^ritüen" jur SSerfö^nung ber Wiffenfcfyaftlicben
^ntereffen mit benen ber ctyriftlicr/en grommigfeit treu unb unberbroffen benu^te, fo War 60
«3 ib,m aueb ein befonbereS anliegen, bie ©rgebniffe ejegetifd^=Wiffenfcb,aftlicb,er gorfcb,ung
ber cfyriftlicfyen ßrbauung gu bermttteln unb bie ©runbtöne ber betligen 93Jufif beS Sllten
S3unbeg jebem frommen §ergen berne^mlid) anjufcf)lagen. 3U biefem 3toed; giebt bie
„e^rtftlic^c (Srbauung auö bem ^falter" (Hamburg 1835) eine tlberfe^ung unb (Sr^
tlärung 35 au§erlefener ^falmen in brei 2lbftt)nitten, ©laube, förlöfung unb §offnung, 66
beren le^ter $ff 2, 110, 72 beb,anbelt. Sie aud; inö ^oßänbifd^e überfeinen „©runbtöne
fce$ StX" (Hamburg 1843), Weld)e au§ ber braltifdien ©rflärung beS 5H23 im §eibel=
berger ^rebigerfemmar berborgingen, b«nbeln am Seitfaben aulgejeidjneter ©djriftftetlen
Sunäü)ft bon bem fcböbferifcb,en, ewigen, berfönlid)en, ©inen ©otte unb feinem ©eifte unb
Sorte, bann bom ÜRenfc^en unb fd;lie^licb, bom 3J}effia<3. Slu^er ben Heineren 2luffä|en eo
15 !
228 ttrairett ltnber=gucf
in ben „2$©t$", toelcfye gar/lreicr/e ^enftonen unb ©elbflangeigen auS U.S $eber ent=
galten, erroäbjte id) nocb, bie 2lbt;anblungen: „De veteris testamenti prophetis, cla-
rissimis antiquissimi temporis oratoribus, Heidelb. 1832, 4°" unb „£>er Änedjt
©otteS. Settrag jur (Sr/riftologie beä Sitten SeftamentS, Hamburg 1840" ©enfelben
5 b, ol/en gtoecf berfolgt ben Geologen gegenüber, fo baß alfo ber gelehrte 3($>arat nicfyt ganj
fel/lt, U.S bebeutenbfteS Söetf, bie ©rflärung ber ^ro^eten außer %ona unb ©aniel
(^ßraltijd^er Kommentar über bie ^ro^eten beS Stlten SunbeS mit er.egetifcf)en unb ftt=
tifcfyen Stnmerfungen, 4 Sbe, Hamburg 1841—46"), toobon baS Bucb, Sefaja, baS er
aud) in ber 1. Stufl. biefer @ncr/flo£äbie befcfyrieb, 1846 in »erb. Auflage toieber erfcbjen.
10 2lber U. begnügte ficr) nicfyt bamit, ben bleuen Sunb im Sitten mit ben lidjteften garben
ber ^ropfyeten, bie er „bie älteften praltifcfyen Geologen im ©ienfte beS einen lebenbigen
unb ^eiligen ©otteS" nannte, gu geict)nen; eS brängte ilm aucfy, bie ©rgebniffe feiner alt=
teftamentlid^en gorfcfyungen %ux Slufr/ellung beS %l%3 %a bertoenben. ©o entftanb, nadjbem
auS ben Vorarbeiten eine ©in^elfdjrift („Sie ©ünbe. Seitrag jur Geologie beS SCS^,
15 Hamburg unb ©otfya 1853") erroacbjen roar, fein leistet größeres 2Berf: „©er Srief an
bie Corner auf bem ©runbe beS 21SES aulgelegt, ©otf}a 1856"
2lucr) bie atabemtfcfye Sefyrtb, ätigfeit U.S toar überroiegenb bem 21% geroibmet. 2Bäb,renb
aber ber Unterricht in ber fyebräifdjen ©rammatil unb in ben Elementen anberer femiti=
fcr)er Sprachen immer feltener rourbe, begannen fcfyon 1826 unb 1827 bie regelmäßig
20 fortgefe^ten Sorlefungen über bie apoftolifc|en Briefe unb bie Einleitung ins 31%. 2tuf=
faKenb ift baS gurücftreten ^vc tyiftortfd&en Sudler beS 21S£S, hne benn überhaupt ber ge=
fcfücfytltcrje ©inn in U. weniger enttoicMt geicefen ju fein fcfyeint. 3um ^e^ hieraus läßt
fid/S iüot)t erflären, baß ber getoiffenfyafte 3Rann unbefcfyabet feiner aufrichtigen 2öab,r=
fyeitSliebe öfters ber ©efab,r erlag, ficb, burcb, ben ©djein ber ©läubigleit einer 2lnfid)t
25 blenben ju laffen, Wenn biefelbe feinem frommen ©efül)le jufagte unb burdj bie gegenüber:
ftefyenben ©cfyrmerigfeiten für itm ben SRetg beS Slieffinnigen gewann. Sei biefer Sefyaup=
tung I)abe ict) weniger bie 2lnnäb,erung an bie fircblicfyen SSJceinungen über $ef 7 u. §i 19
im Sluge, als j. S. bie ©elbfttäufcfmng, meldte itm in bem fyofyen ©djöpfungSgefange am
(Eingänge in baS Heiligtum beS %%$ eine ©reieinigfeit beS göttlichen SBefenS bemerfen
30 ließ, foroie fein faft unbebingt juftimmenbeS Urteil über S3äl)rg ©r/mbolil be§ mofaifdjen
^ultu§; toenigftenö bezweifle id;, baß je|t nod) ein „feit Sängern im Oriente §aufenber unb
bon feinem ©eifte Erfüllter" (2b,©tK 1843, ©. 169) jenen Deutungen ber 3a^)Ien= unb
9Jtaßbeftimmungen feinen bellen Seifall toirb fcf/enfen lönnen. Übrigens regnete U. felber
fritifcf/e ©d^ärfe ntd^t ^u feiner befonberen Segabung unb Ijatte aucf) ein Setoußtfein barum,
35 baß ficb. if)m ^utoeilen baS ©efül)l in allp großer Seh)eglicf)Ieit an bie ©teile nüchterner
Betrachtung brängte. Sgl. 9{euß' Srieftoecfjfel mit ©raf. ©ießen 1904, ©. 146.
Siatürlicr; toerben bie Urteile über ben roiffenfdjaftlid^en 2Bert ber einzelnen ©cfiriften
U.S je nac^ bem ©tanb^unfte ber Seurteilenben berfcb,ieben auSfaßen. granj ©eli|fd^
ftt^rieb, als er UJ %oh erfahren b,atte, an feine Söitroe: ,,©ie lirc|Iic|)e unb inSbefonbere
40 bie altteftamentlid^e 2Biffenfdpaft fyat einen ib,rer ^ort^^äen berloren, ben -Kann, ber, tüaS
§erber begeiftert begonnen, im ©eifte bollenbet unb ber menfcf;licf)en ©eite beS alten SLefta=
ments ol>ne Serlennung ber göttlichen ju rechter SBürbigung berfyolfen b,at" ©arüber
aber lann tootyl fein 3t»eifel befielen, baß baS liebenStoürbige unb befcljeibene SBtrlen beS
3DtanneS, ben nacf) 3totl)eS geitsm^ „eine feltene Sertnü!pfung mannigfaltiger ©aben unb
45 £ugenben" gierte, ju ben mo^lt^uenbften ©rfdjeinungen in unferer Sermtttelungetfyeologie
gehört. Stbolf Äomp^oitfen.
ltnber:=@h{f(Unberer/cf", Unteret^f, aud) Dnbereid), ^^eobor, geft. 1693. —
3tuei gute, leiber fetir turje Seben§6erict)te bei ©ottfr.Slrnolb, £eben b. ©laubigen <B. 933— 945;
Wat ©oebel, @efct). b. cfjriftl. Se6en§ II, @. 300 ff.; §. §ep|je, ftircfjengefrf). 'beiber Reffen II,
50®. 330; beif., ©efdj. beS $iettSmu§ in ber ref..ttrd)e ©. 469 ff.; '91. SRitfc&I, ©efci). beS
«ieti§mu§ I, @. 371 ff.; g. gr. Sten, Soacbtm «Reanber @. 61—76, 272—279; gr. SS. ßuno
in 9lbS3 39, @. 279 f.; «RttfdjlS Untermietung bringt tr>eoIogtfct) am tiefften, ift aber trogbent
wenig befriebtgenb. 6r benugt außer ©oebel taum jroet [oon fünf] ©djrtften U.S. Sie 93e=
beutung biefeg ^iietiften ift auS feiner @d)riftfteHerei nur ungenügenb jju erfennen. fRtieinifdie
55 Sitten finb uon ©oebel fleißig üerroertet. Ueber bie SBrenter gett finbet fi^ ungleicf) widjtigereg
SKaterial in ben bortigen ?lrd)iüen (TOniftertaU unb ^atäfnotofolte, ifteügionSgefcf). SremenS,
9Rffr. Don «ßeter Softer, geft. 1709, S3renter (S^rontf, «Diftr. oon bemf.). ®ie treffliche ?trbeit
oon Sfen gewährt eine reetjt gute Ueberftcl)t.
I. Seben unb fird)licr)e ^äm^fe. S£b,eobor U., ber erfte Segrünber ^ietiftifd)er
eo Jlonbentifel in ®eutfcb;ianb, ift am 15. ^unt 1635 als ©olm eines toob,l§abenben refor=
Unbcr=@ntf 229
mierten Kaufmanns in ^Duisburg geboren, $m jtoetten 2ebengjab> berlor er bureb, bie
speft ben Sater, ©erwarb lt., unb bie SJtutter, ©ara, geb. ©alenger, beibe 9?acblommen
niebertänbifdjer ©planten. ®er Db>im, gotyann ü., nab> fid) beS Sermaiften liebeboß
an, bod) mögen bie 3«3enberlebniffe baju mttgeroirr't twben, ifm ernft unb ftreng ju
machen. Sotengtoden fyaben tfyn ftetS tief bemegt. Mit 18 Igabjen begab er fid) jum 5
Stubium ber SLbeologie nact> Utrecht. Sie gierbe ber bortigen galultät mar 93oetiu§
(f. b. 31.), bei bem umfaffenbe ©etebrfamfeit unb grofje Sefyrtfyätigfeit Don ernfter grömmig=
feit burcbleucfytet mar. 3#m jur Seite ftanben feine ©cfyüler, (SffeniuS unb ber heftige
ilfattb- SRet^enuS, ein SanbSmann bon II. ©in gleicfygefinnter Kreis ausgezeichneter ^aftoren
fämpfte in ber ©tabt für purttamfdje 2ebenSb>ltung unb für greifyeit ber Kirche im ©taat. 10
öefonber^ embru(f§boÜ burd) 5ßrebtgt unb ^onbcnttfel toar feit 1653 Sobenftein. ©urd) einen
brcijäbrigen 3lufentf>alt in biefem Greife (1654—1657) empfing II. baS ©epräge feiner
^römmigfeit. Sefonberc Sebeutung für fein inneres Seben Imtte ber ^rebiger ban ben
Sogaart (bgl. ^afleluja, ©. **** 4a). ®er fog. Kapitelftreit unb ber eben neu auS=
brecfyenbe ©abbatfyftreit liefen il)n unberührt. U. mürbe lein einfeitiger Soetianer. 9cad) 15
Duisburg jurüdgefebrt, borte er bort bie Goccejaner §unbiuS unb ßlauberg, ja er roeilte
als Kanbtbat nact; furjem Sefuct) in granffurt a/2ft. längere gett bei SoccejuS in Seiben.
Spürbare 2öir!ungen biefer ©dmle ftnb bie bibtifcfye Orientierung ber Segriffe, ©inn für
fpracfylicfye Ünterfuct/ungen, Sermenbung ber SunbeSibee, tppifdje ©eutung beS <Sahhatfy
geboteS (am nacfybrüdttcfyften in SBegeroeifer ber Einfältigen %v. 131, aud) §atlel. ©. 560). 20
6ine afabemifcfye Steife führte itm nad) ©nglanb unb granlreid; unb borfyer nad) ©enf.
Tort f>at II. geprebtgt, aber mit Sababie moljil !eine Serüf)rung gehabt, (©egen ©oebel
unb Stitfcbl bgl. baS urfunbl. geugniS im Bremer 3ftin.4prot. bom 31. 3>uli 1670 bei
Sien, ©. 273.).
9<cad) feiner §eimter/r rourbe U., 25jäl)rig (1660), $aftor in StRütfieim a. b. Stufyr. 25
Tiefer Crt ift burd) iljm %um fprid)roörtlid)en Sorbilb für ben gefamten meberrfyeinifdjen
PetiSmuS geworben. ®ie jiemlid) ftarfe reformierte ©emeinbe erlebte eine böllige llm=
toanblung. @S berlautet ntct)tö bon befonberer Stebegabe bei II., baS fyoct/beutfcfye machte
ibm fogar ©d)mierigfeiten (Sb)rift Sraut ©. ** 5 b). ®od) befunben feine ©Triften bei
aller ©cb>erfättigfttt eine ungetüöb^nlid) feine 3Utenfd}enIenntni§. ©tets> ftet)en i^rn treffenbe 30
Silber in gütte ju ©ebot. SJian fpürt ben S^ara!ter, ber für eine ^eilige Überzeugung
fämpft unb ju b^errfd^en unb ju ftegen berfteb^t. 9J?it großem ©rnft berroaltete er fein
3lmt in ^rebigt unb ©eelforge. ®ie Seben§füf)rung feiner ©emeinbeglieber foHte in
jebem $uge eine fbejtfifdj d;riftlid)e fein. Sei feinen §au§befud)en brang er auf @in=
ridjtung regelmäßiger Sefbrect;ung d)riftlid)er SBa^rb^etten im gamilienlreife. ®iefe „5Prir>at= 35
firdie, in ber jeber §au§t>ater ^ßaftor ift", fd;ä|te er fo fyod), bafe nad) feiner Meinung
e§er ber bürgerliche Seruf mit einem anbern bertaufd;t werben füllte, al§ ba| ein d)rift=
lic^eS §auä folgen ©otte^bienft ganj entbehre (2Begm. ber (Einfalt., 2Bibmung). Salb
erteuc^fen hieraus freie 23erfammlungen jur Pflege ber ©ottfe!ig!eit. $m eignen §aufe
geftaltete fia) UJ „Übung" jur ^ated;ifation. SBertboIIe llnterftü^ung leiftete ib^m b^ier 40
unb fonft feine £eben§gefäl)rtin Margarete, %od)ter be§ franj.=ref. ^rebigerg §ulfiuä in
SBefel. Sie Seute brängten fid) ju ben ^3rebigten unb Seffcredjmngen. II. mar uner=
müblitt), babei bon großer Sefonnenb^eit unb gäfyigfeit. 9iicf)t§ fbrungf)aft Ungleid;=
mäßiges, nid}t§ Überfbannte§ geigt fid) bei bem ^ielgefcfyäftigen (bgl. fallet. ©. 584).
3ll§ er 1668 3)lülf)eim a. b. 3tul)r berlaffen blatte, bro|te jiüar eine SBetle Sertoirrung 45
unb Separation (bureb Eingreifen be§ lutt). ^erritorialr/errn unb Sefud) be3 Sababiften
;5öon), bod; bie clebifcfye ©^nobe ftellte batb bie Drbnung mieber b^er.
Slteb^rere eb/renbolle Berufungen blatte 11. au§gefd}lagen, als er £>ofprebiger ber£anb=
grafin §ebmig ©oplne in Gaffel mürbe (1668). Stjad; §eppe b^at er ben petiSrnuä am
bortigen §ofe böllig fycimifd) gemalt. 2öir finben if)n fpäter nod; bort in b^ob; em 2lnfer/en. 50
Stuf feinen ©influ^ lommt aud) bie Serorbnung be§ Sanbgrafen üarl bon 1692, bureb; toeld;e
ßated}ifation bom 8. Sebengjafjre ab, unb Konfirmation mit 14 im Sanbe obligatorifd;
töurbe. ^rt Met boCenbete U. feine erfte ©dbrift (St)rifti Sraut, 6. ®e§. 1669, f. u.).
<2ie ift feiner gürftin getoibmet. ©od) entbehrte er tootjt aU §ofprebiger bie ©emeinbe=
tfmtigfeit. ®arum fdjtug er einen $uf ber Königin ßb^arlotte älmetie bon ©änemarl 55
au«, folgte aber gerne, als ib/m 1670 baS 2tmt eines ^ßaftor primarius an ©t. SRartini
in Sremen angetragen mürbe.
gür Sremen bebeutete U.§ 9Jamc bie Sofung einer Partei, bie im ©egenfa^ ju ben
frsberigen ^3rebigern ftanb. Kaufleute t/atten ibn empfohlen, bie Sauf)erren berufen unb
Heg ©el)alt beroilligt. CDaS geiftlict/e ÜJtiniftertum ber ©tabt hingegen betrachtete ib^n «o
230 Utibcr=@l)tf
mit bcm größten 9Jiif$trauen. ®ie klagen gegen ben unruhigen teuerer beim 9kt mollten
rtid)t aufhören. 9?a<|bem bet 33erbacf)t be§ SababiömuS abgefcfyüttelt mar, fyeifjt e3 in
einer neuen 33efct;merbe, XL. febaffe bie ^erifoben ab, änbere bie Formulare, bringe auf
bie Mangel, mag ifym gerabe am §er3en ^eSe' ftW quäferifcfye ©ebärben beim ©ebet u.
5 bgl. m. ©ine allgemeine Aufregung ergriff bie ©tabt. 9Kan tonnte biefem ÜRanne
gegenüber ntc^t gleicfygiltig bleiben. 9Jlanrf) e maren mie Don ©innen buref; bie ernften 33uf$=
brebigten. ©inige ©elbftmorbe galten allgemein al§ folgen. @§ entfbricfyt gan^ genau
ber ©timmung in ben ortfyoborm Greifen, menn J. §• ^e^, bDn feinem greunb Joadjim
ÜReanber berichtet, biefer fyabe aU ©tubent einft U.4 ^rebigt aufgeführt „mit bem 316=
io fefyen etroa<§ ju I)ören, fo man fyernaef) übel beuten unb auftragen möchte". Sie blötj=
licf/e Sefefyrung ift beften§ Verbürgt unb in ber SStrffamfeit U.3 nicfyt ofme ©leiten.
©o miffen mir j. 23. bon ©. 2B. Sucf,felber (1645—1690, ^aftor in Tübingen, MühU
beim, ©mben), bafj er afe Jurift buref) eine ^rebigt IU in Gaffel jur Sfyeologie geführt
morben ift. 9ceanber ift fortan in linblic^er 2ln^änglid)!eit feinem geiftlicfyen 3Sater er=
15 geben, ©ie Vorgänge in Bremen glichen im ganzen ber Mülleimer $t\t, borf» behauptete
fieb; bie Dbbofition. 2öie eine amtliche Slngabe ton 1680 befagt, fyielt II. täglidj brei
©tunben ^ßribatunterrebung unb eineinbalb ©t. ^ateef/ifation. ©onntag Wafym. ber=
fammelten fieb, bie 9JIänner unb jungen ©efetlen bei ü)m jur Sefpredjung eine3 ©<f)rift=
abfdmttte§. gaft noef) tb,ätiger mar feine grau, ©ie leitete nicfyt nur eine SBefbrecfyung
20 mit grauen unb Jungfrauen, fonbern berfammelte aueb, an allen 2Boc§entagen bon 11
big 12 bie jüngeren Softer. SRittmocfy unb ©onnabenb 9}acfym. !amen bie kleinen ^u
ifyr, um auf bie Äatedjnfation borbereitet ju werben. 2ln einigen anbern Scadjmittagen
braute fie ben ©ienftmägben unb geringen Seuten ba<§ einfältige Skrftänbniö ber 5 §aubt=
fiücfe bei. (älu^fü£>rltc^er Sericfyt bon ber Slrt unb äöefyfe, mie §err Unberet;! unb feine
25 .gaufjfrau i|re ber/berfeitö fonberba^re 23erfammlungen galten, Venerando Ministerio
übergeben 22. ©ejember 1680 — mit Äritif bom gebruar 1681, im Sremer ©t.=3l.) ©ie
Kollegen jürnten, in ber ganzen ©tabt la$> man bie ©iftate ber $Paftorin. 2lber ber 9fat,
in bem II. ergebene 2Inr/änger jäfylte, bemütigte nicfyt ungern ba§ geiftlicfye 5Rinifterium.
Unjmeifel^aft fyat ber $rimariu3 bon 9Eftartini oft nacb; ^ietiftenart ben lirdjlidjen ©e=
30 ftcfytäbunft berfannt, unb bie tlnterftütjung feiner Sefirebungen angenommen, mie fie fieb,
itnn bot. ©r I)at fieb; um bie SRmifterialfitjungen menig gelümmert, obgleich er alter=
nierenber ^$räfe§ mar. ©cfjroff begegnete er ben 2lmt§brübern, bie auf feine 2Irt nidjt
eingingen. 33ei ^euma^len !am e3 ^u heftiger Agitation. Stacb, ©t. 50tartini braute Ü.
1676 al§ §ilf§brebiger feinen ©cb,üler 6orneliu§ be §afe, lie^ ib,n bann miberrecfytlicb,
35 jum 3. ^rebiger machen unb fo inä SRtnifterium einrücfen. ®ie §ilf§brebigerfteHe mürbe
1679 mit Joachim 9ieanber befe^t. Jm ganzen finb nid)t meniger ate elf greunbe U.8
^u feinen Seb^eiten auf Sremer ©ebiet angefteßt morben. ©ie famen au§ gran!furt,
5Jlülb,eim, ©Iberfelb u. f. m. 2Seitget)enbe Sieformbläne gegen ba§ ©taatöfircb,entum in
Sternen begegnen un§ in bem „SJiemortal ber beiben ^rebiger 'üLfyeobor Unbere^i! unb
40 ©orneliuä be £mfe an ben bräfibierenben Sürgermeifter Dr. $arme§, praesentatum Ven.
Ministerio 1679 b. 27. Juni." ^aubtmunfcb, ift ein ^reöb^terium, ba§ ernftlicfye
^ire^enjueb^t übm unb ben ^rebigern in ib.rem 3lmt Reifen fotl. ©a§ Slbenbmab,! gebührt
nur ben ©laubigen. S3ei ben ^inbern ungläubiger — b. b\ Bier unmiffenber — ©Item
foH aueb, bie Saufe nicfyt ob,ne meitereS boltjogen rcerben. — 2Bäf)renb biefe 2öünfcb^e
45 unburcfyfüfyrbar blieben, Batte H. großen ©rfolg mit feinen Semüfjungen um bie 5?atecfet=
fation. ©rünblicb,e bfarramtlicfye Untermeifung bor bem erften Slbenbma^I^gang marb
allgemein angeorbnet unb nal)m am 28. Januar 1672 in ben bier ©iabtfirdjen ib^ren
Anfang, ©in feierlicher 2«t bilbete ben ©cfyluf?. (Über U.g fatecb,etifcb,e ^ilfäbüdjer f. u.)
— 2)a§ ©djmlmefen im engeren ©inn tourbe bureb, Anregung einer ©c|ulgrünbung im
60 SDorf SRabltng^aufen geförbert. — Dfocb, langen Semüb^ungen gelang 1684 für bie ^3arocb>
bon ©t. Martini bie Slbfcb.affung be§ 33eid)tbfennigg. — ateicbjicf! 22 Jaf)re lang b,at U.
in Bremen gemirlt unb mel)r unb me^r 33oben gemonnen. 3ll§ er am 1. Januar 1693
bie 2lugen fcfilo^, lam aueb, im 9Kinifterium bie §ocf)acf;tung bor bem feltenen SDtanne
jum Slugbruc!. %loä) am 2öeif)narf»tgfefte batte ber Stoftlofe meb^rfaef» gebrebigt. Sei bem
55 Begräbnis am 6. efyrte be $afe t&n buref) eine feböne „3lbbanlunggrebe" (aufer b. Strnotb
bor §aCeI.2 1722).
II. ©cfyriften. ©ie Mitteilungen hierüber finb fo lücfenfyaft unb falfcb,, bafe eine
genauere Überfielt nötig ift. 3u0Ie^ führen mir bamit bie §aubtgeban!en U.§ bor.
1. 6f)rifti Sraut unter ben Xöcb^tern ju Saobicaea, ba§ ift ein b,od)nbtiger SEraftat
60 in biefen legten Sagen, barinnen bie lebenbige Äraft be3 feügmacJjenben ©laubenö bon
Uitber^ijrf 231
allen ©dmtad/reben ber in biefer ^eit Gljrifti fdjemenber ©pötter nicfyt nur au3 §. ©grifft,
fonbern aud> aufe gletcbjautenben geugnüffen ber barin gottfeelig erfahrenen unb bon (Sott
gelehrten Scannern gereiniget unb bertb/äbiget ftrirb. $n bret; 'Ictl, beren ber I. bie un=
teilbaren ^ennjeidjen, ber II. bie berfcfyiebene .vunbernüffen, ber III. bie bargu nötige
Mittel in fid? berfafet- *>anau 1670, (46) + 232 + 119 + 459 ©©. 8°, 21697 — &
£a» Vucb, if± entftanben au$ bem Serlangen nacb, einer ausführlichen beutfdjen Slafuifttf,
bie 5Retf)obe erinnert ftar! an £>oowbeed3 Theologia practica. @in Seitfatj [ber fid>
oft ju einem breiten, fcfytoerfätligen Slbfcfynitt auätbäcbjt] roirb erläutert burd) gut gei»äE>Ite
Üelegftellen au3 ber ©cf/rift, ^atednSmuS unb ^irdjenlefyrem. VefonberS reidrtieb, finb
bie 92iebcrlänber unb Puritaner Vertreten. Sutfyerä Sieber fehlen nid)t, bie 2Tufnaf>me Don u>
vJlrnbt unb ^einrieb, STiüßer roirb befonber§ gerechtfertigt (** 6 b). — SlHe 9Jcenfd)en
finb bon ^catur gottlos unb berloren. 2lber bie erlt)äb,It finb bon (Sroigleit, finben burd)
Bereinigung mit ©Ott §eil unb unauSfbrect/licfye ©eligfett. Mittel baju ift Gb)riftu3, an=
genommen im ©lauben. £>a§ entfcfyeibenbe ^ennjeidjen be§ feltgmadjenben ©laubenS toirb
barin gefunben, bafj man (Efjrtftuö mef)r begehrt ak alles Vergängliche. $ur Verbeui= 15
lidiung biefeS in aUen ©Triften roieberfefyrenben ©ebanfenS bergleicfyt U. bie Stellung
ber berlobten Vraut. Söie biefe, wenn fie baS Jawort gegeben b;at, ftd) unberbrücbjid)
gebunben tbetfs, fo foll (5r)rifti Vraut if)n bor allem begehren, ifym bie ^reue galten unb
burd) ibrenSSanbel ib,m ©b/re machen. ©0 ift ber Stitel beSVucfyeS ju berfteljen, feinet
toegS aber bon gefühlsmäßiger £>ol)enltebeSfrömmigfett (baS Referat bei 9iitfcf)l I, ©. 372 20
ift eitel Vfyantafie, ein baar gelegentliche SBenbungen fyaben tfyn irregeführt. SSgL nodb,
.vmtfcluja ©. 307 unb 355 ff. ©infält. <5f>rift 1700, ©. 20). Dft ift ber ©laube nur
fditoad). 9Jian tbürbe be§t)al& bie ©emiffen bertbirren, toenn man l^ör)ereö forbern ibollte
als biefeS 3Reb,rbegeb,ren 6r)rifti. $m gufammenfyang hiermit ergiebt fid) ifym bie 33e=
beutung d>riftlid)er ©emeinfd)aft: „roeil nirgenbwo bie bollfommene Slbbilbung beS mer)r= 25
geliebten fo tlärltcb, als in ben roiebergeborenen ^inbern ©otteS ju fbüren, fo liebt er
biefelbigen mit bimmlifdjer Zuneigung über alle greunbe unb Vermanbten nad) bem
ftleifcb/' (I, ©. 131). — ^inberniffe beS getftlidjen SebenS finb falfdje ©id)err)eit beS©e=
toiffenS, blojj äußerliche Übung ber bürgerlichen unb Iirct)Itd;en Vfltd)ten unb beS ©ebetS,
kämpfen beS b,l. ©eifteS. — $u eücmgelifcfyer 2Iufrid)tigJeü werben folgenbe Mittel 30
embfofylen: Velmtfamer ©ebraud) begr». Reibung ber an fieb, jugelaffenen 3)cittelbinge,
bef. in Sup^, ©biel unb %an%. ^rbifcb.er 5Reid)tum ift eine ©otteägabe; man fei ein
getoiffenfyafter SSertoalter unb f^are, um guten .ßtoeden roir!fam Reifen ju lönnen (III,
©. 53 ff.). S)aä bomelmtfte Mittel aber ift ba^ ©otteätoort, gunädift im ^rebigtamt,
baneben aber aud) in bribater 33ertbaltung. Sßie ber irbifdje Seruf, fo fei ber ßb,rifien= 35
ftanb Snb,alt ber ©efbrädje!
2. §alleluja, ba§ ift, ©ott in ben ©ünben berfläret. Ober be§ ©ünber§ 2öanber=
ftab ,nir ©rlänntnü^, ©enie^ung unb Verklärung be§ ^ödjften ©uteö. (Srfter Sleil Bremen
1678, 600 ©@. in 4°, ber Königin Sfyarlotte 3tme(ie bon ©änemarf geibibmet. 2§er=
born 1722, aud) liollänbifcb, 1684, 401©©. in 4°. ©eutfd;er Stu^ug bon ßb,r. ©täfo, elin 40
u. b. 2.: eb,elid)eg ^atoort ber gläubigen ©eele 21731, 212 ©©. 8° ((Sine 2tu<Sgabe
§anau 1668, melcfye §ebbe 471, unb 3fJitfd)l I, 371, ©oebelll, 301 nad)fd;reibenb, an=
führen, b,at nie ejtftiert). — SDiefe ©cb,rift ift ein breit angelegter ©ntrourf beö §etllroegg
nacb, coccejanifdjem ©d)ema in grageform. ®er borliegenbe erfte ^eil beb,anbelt „bie $11=
Bereitung beö augermäf)Iten ©ünber<§ gum 2BerI ber Verllärung unb beffen 2tnfang mit 45
bem toaf)ren ©lauben" ®ie Unterfud;ung be§ ©laubenöbegriffeg geigt ©elbftftänbigleit
unb 5einb,eit (l?ab. XVIII— XXVIII). ©laube ift für lt. ein Assensus practicus
(<£. 180 f.). ©rfenntnig ift jroar unabtrennbar mit bem ©lauben berbunben, gehört aber
bod) ftreng genommen nicfyt ju feiner mefentlidjen 2lrt unb ©igenfcliaft. ©emgemäfe Reifet
e$: „3Rottbenbige ©tüde be§©lauben§ nadjeinanber unb in^befonbere namhaft ju machen so
unb ju geilen, bürfte fid) fd)lberlict) tfmn laffen (©. 215). 3ted;ter ©laube ift 1. ein
Bufludjt nehmen (nin), 2. ein fefte§ fefteS Sefi^en (rrjn). ©ein erfter Anfang ift ein
Öungern unb Surften, unb folcfyeS ©ern=glauben=tbotlen ift fd)on ©laube (©.238). 6nt=
fefeieben tabelt U. ba§ §afd;en nad^ füjjen ©nabenembfinbungen (©. 235, ©. 435, gegen
Mitfdill, ©.372 f. ©inmal finbet fid) fogar barauf be^üglicb, ein leifer Vortourf gegen 1beo= :.:.
boruS a 33ralel). Von ben Äenngetcfyen, an benen ber ©laube fid) feiner Steditbefdjaffen^eit
öergetbiffert (tab. XXIX— XXXIV), ift baS toidjtigfte fdjon früher bargefteKt. ©e« ©Iau=
beng ©üter unb ^orred)te tberb'en lurj betrieben (Ä'ab. XXXV— XXXVII, 3^ed;t=
fertigung, Verfüb,nung, geiftlicb,e ^inbfcb,aft, §eilig= unb $errlid;macb,ung). ttrfbrung be§
©lauben« (kap. XXXVIII) ift bie Uraft be* £;L©eifte3 in ber Sßiebergeburt bei rechtem eo
232 Unöer=@«d
©ebraucb, Don SSort unb ©aframent. §ier toirb über bie IbenbmablSgemeinfcfyaft mit
Ungläubigen gerebet (©. 544 ff.) U. toünfd)t ftrenge Kircfyensuctjt, bolemtfiert aber gegen ben
SDonatiSmuS ber Sababiften (tote fcfyon * lb). — Sie Übung beS ©laubenS in ber Siebe foUte
im jtoeiten %tfl nacb, ben betriebenen Bedungen jur SarfteHung fommen. ©inen furzen
5 ©nttourf bieten bie beiben legten Kabb. beS borliegenben erften Seils, .ßunäcfyft toirb
eine furje (Mlärung ber 3 £aubtftücfe gegeben (Kab. XXXIX), bann fcf)Iief$t baS Sua)
mit ber „2lbbilbung eines 9JJenfd)en, in toelcfyem ber ©laub 6,at angefangen burcb, bie
Siebe tljätig ju fein". 2luS feiner eigenen Übung unb Erfahrung betreibt ber Serf.
bie 3Birlungen ber ©nabe ©otteS im berfönlicfyen unb beruflichen Seben. — $Der jtoeite
10 SLeil ift nie erfcfyienen. Sie berftfjiebenen Auflagen unb Bearbeitungen beS umfänglichen
SöerfeS geigen, toie gefaxt eS getoefen ift. —
S3em ^aÜeluja toefentlicb, ä^rtttc^ ift ber ©ebanfenaufbau in jtoet turnen Katechismen
U.S. ©ie Verleugnen nicb, t einen ftarfen fbftematifdjen Srieb, obgleich, fie nur eine fcbjicfyte
Auslegung ber §aubtftücfe bieten tooUen. ®ie 2luSfülj>rung berbient fotoofyl infyaltlicb,
15 als formal I)ofyeS Sob. Seiben ift eine 2IuStoafyl fcfjöner ©ebete angehängt. Sei faft
gleichem Umfang ift übrigens baS Behältnis jueinanber rätfelfyaft (aucb, %a §aßeluja
Kab. XXXIV, bgl. baf. ©. **** 2 a).
3. Söegtoeifer ber Einfältigen ju ben ©rften Buctjftaben beS toabjen SbriftentljwmS,
meiftenteilS nacb, ber Drbnung ber $ünf §aubtftücl Gbjiftlicfyer Religion, Bremen 1676
20 (48) + 120 ©©. in 12° ®aS Sud) ift gum 9lu|en ber Sanbbebblferung getrieben.
(Sine toicb, tige Söibmung an bie §auSbäter ber 9Jcartinigemeinbe ge^t boran. U. ift ©egner
ber gerglieberungSmetfyobe, bie nur im münblicfyen Unterricht angetoanbt toerben mag.
$n biefem Sel)rbüct)lein füllen ,,©ie troftreicb^en 9Bafyrl)etten aneinanbergefnübft aufs
Sabier gefe|t" toerben, jebocb, einfacher als im §eibelberger Katechismus. 2IuSgefyenb bon
25 ©otteS Söefen unb (Sigenf haften befbricfyt er ©c|öbfung unb Erhaltung (@rfl. beS 1. 2lrt),
bann bie ©ünbe (elencfytifcfye Auslegung ber 10 ©ebote), unb bie ©rlöfung (2. u. 3. 2lrt.).
BefonberS forgfältig toirb toieber bie ^eilSaneignung burcb, ben ©lauben enttoicMt. Ur=
fbrünglidbjte 2tuf$erung beSfelben ift baS ©ebet (@rfl. beS U.S.), feine Sprung finbet
er an Sßort unb ©aframent (4. unb 5. §aubtft), feine Betätigung regelt ficb, nacb, bem
30 2)efalog (normatibe 2tuSl. ber 10 ©ebote). 21m ©cfylufj ift ber ganje ©toff nocb, einmal
in 12 fnabben fragen jufammengefafjt. —
3^0^ mebj nacb, bem coccejanifdjen ©d)ema eingerichtet, unb nocb, überfidjtlicfyer in
genauerem Stnfcfylufs an §aMuja ift ber jtoette Katechismus, beffen (SntftefyungSjeit nid)t
näfyer feftjuftellen ift. §ier ergiebt ber Xitel ^ugleicb, hinlänglich beutlicb, bie ©lieberung :
35 4. £)er Einfältige 6 fyrift burcb, toasten ©tauben mit Efyrifto bereinigt, unb nacb, offt=
begangnem -JRipraucb, ju bem redeten ©ebraucb, beS ^eiligen 2lbenbmab,IS, unb beme gemäfj
ju leben, borgefteHet : ®urcf) fragen unb 2lnttoortben in jtoe^en ^aubtftüden. @rftlic| bon
ber tröftlicfyen Sereinigung beS ©ünberS mit ©ott in ßfyrifto. 3um anbern, bon bem ©J>rtft=
liefen Seben, burcb, eine banfbare ©egenliebe foldjer Sereinigung gemä^ eingerichtet. (3ft
40 nur in einem 9Rad)bru(f nacb,toeiSbar: @fcb,toege 1700 (10) + 92 ©©. 12°). — 1. Son
ben jtoei Sarteien — ©ott unb bem ©ünber, bon bem Mittel ber Sereinigung beiber:
ßfyriftuS, unb bom ©lauben an ib,n, bon ber Serfiegelung berfelben bon feiten ©otteS
burcb, bie ©aframente. 2. Son ber Erneuerung, ber SflicfyterfüHung nacb, ©otteS ©ebot,
unb bon ber Übung beS ©ebets. — ©en ©cb,Iufi beS Sücb,leinS bilben ©utacb,ten gegen
45 unterfcb,iebSlofe 3ulaffung jum 2lbenbmab,l.
5. ©er üftärrifdje 2ltb,eift entbeeft unb bon feiner S£f)orbeit überzeuget. $n jtoe^en
Xb,eilen. ^n bem ©rften als ein fo!cb,er, ber ba toiffentlicb,, toitlenS unb borfe^licb,, ib,me
felbft unb anberen bie ©ebanlen, toelcb,e fie bon ©ott b,aben, nehmen toiH. ^n ^em
jtoet)ten als ein fo!cb,er, ber ba untoiffenb unb ungemerft auo) unter bem ©djein beS
50 toab,ren ßb,riftent^umS, ob,ne ©ott in ber 2öelt lebet. Bremen 1689, 974 ©©. 8°,
liegt aueb, fjoßänbifcb, bor 3lmfterbam 1702, 245 ©©. 4°, mit Sffiibmung an Kurfürft
griebrieb, III. bon Sranbenburg, Sanbgraf Karl bon §effen, unb ©eorg Subtoig bon
Braunfc^toeig. Offenbar ift eine beiftifc^e ©trömung fbürbar getoorben. ®er erfte %nl
toiß bieberftanbeSmäfeigen 3toeif^ buxfy ©egengrünbe entfräften. Sieben bem üblichen
55 abologetifcb,en SRaterial toirb mit befonbrem ?cac|bruc! bie Erfahrung ber ßb,riften geltenb
gemacht. ®enn unjtoeifelb,aft ift eS, bafc 3[Renfcb,en ©rfab^rung gehabt b,aben bon ib,rer
eignen großen Seränberung, bon einer übernatürlichen ©otteSerfenntniS, bie enttoeber aß=
mäb,Iicb, ertouc^S (©amuel, 'Simotb, euS), ober aber mit bli^artiger Slbpcbjeit entftanb, als
bie bon ©ott beftimmte ßeit ber Seränberung ba toar (Sftngften, SauIuS, — ©. 168).
60 @ine unbeftreitbare @rfal)rungStb,atfacb,e ift bie unbefcb,reiblicb.e, ben Serftanb überragenbe
Uuber=(gt)tf Unfeljlbiirfcü beS Ißatfttä 233
CMemctnfd^aft ©ottcg mit ber ©eele, unb Leiter bie ©eroiffengqual beim SBiberftreben
gegen bie 2Bal)rt)eit. — $er gtt>ette Seil rietet fid? gegen bie Streiften ber $rarte. 2Ille
gelten bei ©Ott al§ foId)e, aud) bie ©lieber ber fief/tbaren ®ird)e, fofern fie nicfjt fräftig
belehrt ober totebergeboren finb. 9JJit gefunbem %att, roirb roeitergefjenbeg ©cfyematifteren
bermieben, bod; roirb aud) in ben SBtebergeborenen fortbauernber braftifcfyer 2Itf)eigmug 5
gefunben. —
Q?$ bleibt immerhin bemerfengroert, ba| ber älnfcmger ber föonbentiiel biefeg ?8ud)
getrieben bat. 9iic£)tig er!ennt er ben religiösen SDefeft im Sttljeigmug. @r toeijj genau,
ba^ bie Überroinbung roeber bureb, ben ^nteHe!t, nod) bureb, ben Söillen gu erwarten ift.
— Übrigens finb bie brei legten ©driften fo gut rote unbefannt geworben. 10
III. Die gefcb/icbtlid)e Sebeutung ergiebt fid) aug bem Sigb, erigen. „Söag
Sbener in ber lutlterifdjen ®ircb;e ift, bag ift Unberer/cf in ber reformierten geroefen", —
fo iiat be §afe 1703 geurteilt. SJiit ©infcfyränfung auf ®eutfct)Ianb Wirb man biefen
<5a§ in ber %fyat gelten laffen. QWat ift [anberg alg bag Sutb/ertum] ber 6al=
binismug bem pettgmug roefengbertoanbt, unb biefer begeiefmet in ber beutfcfyen refor= 15
mierten ®ircf)e nur eine 2öette, bie bon ben sJlieberIanben unb ©nglanb r)erüberflutet. U.
bat feine 9tid)tung in ben TOeberlanben empfangen, aber ebenfo gerotfc b,at er eine ftar!e
Eigenart. 6r ift nicfyt ÜBoetianer ober ßoecejaner, fonbern beibeg. 2öag feinen ftarlen,
braftifdjien ^ntereffen fiel) einorbnet, roirb übernommen. ®ie aftuellen ^ontroberfen feiner
3eit bleiben unberührt, roenn fie feine STenbengen ntct)t angeben, ©eine gange 2lufmerl= 20
famfeit fongentrtert fid) auf bie fragen ber fubjeftiben §eilganeignung. ®as ©Iaubeng=
leben frifcr)er, Doller, tiefer, ^erfönlidjer gu geftalten, äkrflärung ©otteg im ©ünber bureb,
beffen fnngebenben, genau geregelten ©eljorfam gu bewirten, barauf finb aUe feine 33e=
mülmngen gerietet, feine fd)riftftellerifct)en arbeiten, feine Seftrebungen in ^ßrebigt, ßate=
cbefe, ©eelforge. dben btefem fttoed fotlen aucr) bie freien Slffociationen bienen. Sie 25
2d)ranten biefeg ©tanbbuntieg geigen fiel) in bem geringen 23erftänbnig für ben calbini=
fcfyen ©emeinbegeban!en, foroie für bie Aufgaben unb ©üter beg lulturellen Sebeng. SDod)
begegnet nirgend eine ©bur febaratiftifcfyer ©ngigfeit.
3)lit allem ©rnft unb @ifer berbanb fid^> nüchterne Sefomtenfyeit. ®arum feiert roir
fo biele tüchtige jüngere 9ftänner unter feinen 3lnb)ängem. 2ßtr finben, bafj nidjt 30
nur ©türmer, toie ©d)Iüter, ßobber, $Detrt) iijm folgen, fonbern er bürgert „bie
Übung ber ©ottfeligteit" in ben §äufem ein unb b,at bie äonbentttel in feiner ®ird)e
Joirflitt) bobulär gemacht. ®iefer in feiner ©timmung boetianifcfye petigmug ift bottg=
tümlid). Sin ben frommen ©efängen ber ^elbarbeiter erlannte man bag mülb/eimifcfye
©ebiet. SBon liier b;aben SReanberö Sieber ibjen ©iegeäjug angetreten. SBa^rf^einlicb, l)at 35
aueb, U. Sieber gemacht. ®ie eingaben im ,,©eiftltc|en §arfenfbiel ber S^inber 3ion"
finb inbeffen unficfyer. ®aS belanntefte ber bort aufgeführten Sieber: „©rleucb^t mieb, §err
mein Siebet" ift jebenfaßS toon U.§ feb^on ermähntem ©c^üler 23ucf)felber (3JJeiner§, Doft=
briefcbl.^er{gefc|. II, 1739, ©. 524). Qn (Saffel erfcf)ienen 1693 Überfe^ungen breier (Schriften
bon 3öiaem SEeeffincf (f.b.Sl.Sb XIX, 472): ©oliloquium, bag neue ^erufalem, bie £lage 40
$auli. ©er Überfe^er 3(o^nn^) ®(eufing auS Bremen) b;anbelte wob,! infolge einer
Anregung U.§, ber in fo bieten ^ügen an %eeßmcf erinnert. — SDte ®onner§tagg=
berfammlungen in SSJJül^eim, beren beginn rool)l 1661 ju fe^en ift, erhielten fid^ big 1740
(lerfieegen, geiftl. unb erbaul. Briefe II, 1, ©. 17), um 1700 rourben fie jeitroeilig
bon ben ^aftoren gehalten. SLerfteegen erfuhr in biefem $rei3 tiefe @inbrüc!e unb nannte 45
U. ben Reformator bon SOWilfieim. ©eit 1727 l>at er in biefen berfammlungen gerebet.
3Bef entlief) bureb; feine SKitroirfung rourben fie 1750 ju frifd;em Seben erroedt, unb
blühten lange fort, big etroa 1840 buref; ^aftor ©turgberg ein neuer Sluffcfyroung fam.
6g ift rebrreieb, ba^ ÜRütbetm, äbnlicb roie Utrecht unb Stibbelburg noeb; bleute ein (Zentrum
religiöfer Seroegungen ift. eo
S" Bremen bat be §afe, unb nad)l)er befonberg %v. 2lb. Sambe bie ©eban!en il.g
mm ©iege geführt. @g roar ©t. Martini, bag fbäter einen ©. ©. Srebiranug unb ©ott=
frieb Genien berief. — Stucf; mit bem beffifclben §of blieb U. in bauernber Serbinbung.
£as betoeifen bie SBibmungen ber brei §auj)tfcf)riften. — Über Regierungen ju ©bener
läfet fieb nid;t biel feftftellen. ^n bem Ireig, ber ftd) in granffurt an biefen anfcf)Iof$, 55
Nte U. berfönlicb/ ^reunbe. 9Zeanbcr fanb, bon §eibelberg lommenb, bei ©bener b,er(v
licfye älufnabme. ^ur Rcditfertigung feiner berfammlungen b;at fiel) 11. in ^Bremen auet)
«inmal auf Dr. ©benerg J5orgel)en in granlfurt berufen Qten, ©.99,275). ©oetevv.
ltnfe!)lbarfeit bcö ^apfteS f. b. 21. isatif anifebeö flonjil. *•
234 Uttgtirifd)e ®onfeffio«en
Ungartfd)C S'onfefftone«. — Kiss, A. XVI. szazadban tartott Magyar refonnätus
zsinatok vegzesei (33efct)lüffe ber ungartfdjen reformierten ©tjnoben be§ 16. 3jaßrf)imbert§),
Subapeft 1882; S. WMex, a3e!enntnisfcf)riften ber ref. ftircf,e, Seips. 1903; (S. SBö^f, Con-
fessio helvetica posterior, SBiett 1866, p. XV ff. ; $. 33ob, Historia Hungarorum ecclesia-
5 stica, Tom. I, Lugd. Bat. 1888; ££. SSalogf), History of the Keformed church of Hungary,
Eef. Church-Review, July 1906.
§aubiträger ber reformierten Sebre rourbe tri Ungarn 9ftattl;iag ®ebat) (f. ben 31.
33b IV ©. 598, uff.), ber junäd^ft in Sutberg ©inne geroirft batte, fid) aber feit 1542
ben ©d&toetjern anfto- $>"«& bag2ßirren be§ Sßeter SJteliug (f. ben 21. 35b XII ©. 567 ff.)
io rourbe ®ebre^in feit 1558 ber geiftige 3JJitteIpunft ber reformierten Stiftung, ber fid) bte
ungartfcfyen ^roteftanten faft burdjroeg ergaben, roäbrenö Siebenbürgen tut^ertfdt) gefinnt
blieb. ®en äufjeren Slnftofj jur Slbfaffung eineg reformierten ©laubengbefenntniffeg gaben
bie Sefuiten, bie fett 1560 ifyre gegenreformatortjdje 2lrbeit begannen. Unter ifyrem ©influjj
erbob ber ©rlauer SSifc^of 2tnton 33eran£ unermübltcbe klagen roiber bie ©rlautfyaler be=
15 roaffnete ©d;ar, bie fid) jum ©dm^e beg ^roteftantigmug jufammengefunben blatte : fie
feien 23ranbftifter unb Rebellen, ©inen roir!lid)en ©rfolg erhielte bie (Gegenreformation
unter gerbinanb unb SRarjmilian nod; nid)t, aber bie Reformierten faljen fid; bod) ge=
nötigt, ausführlichen Sertdjt tEjreS ©laubeng ju geben. SReliug fonnte bafür ein umfang=
reicfyeg ©djriftftüd borlegen, an roeldjem r>ietteid)t auch] fein College ©regor ©jegebi) mit=
20 gearbett bat. @g erfct)ien im gleiten SDrud, jebod; mit berfd)iebener Sßorrebe 1562 alg
Confessio catholica exhibita sacratissimo et eatholieo Romanorum Impe-
ratori Ferdinando et filio suae Majestatis Regi Maximiliano, ab universo
exercitu equitum et peditum S. R. M., a Nobilibus item et incolis totius vallis
Agrinae, —unb §ugletd; als Confessio ecclesiaeDebreciensis. $n jtemltd) ungeorb;
25 neter SBeife roirb ber gefamte ©toff ber cbjiftlicben Sefjre vorgetragen: bie einzelnen 2lb=
fdmttte finb ganj nad; fd)oIaftt[d;er Kanter burd;gearbeitet, nirgenbg fbrtdjt bag gläubige
©emüt, überall nur ber logifd; augmeffenbe 23erftanb. gufäHigreiten big fyerab jum 211))?
brüden unb big $u ber grage, ob illegitime ^inber feiig roerben tonnen, roerben mit fonber=
barer Umftänbltd^eit be^anbelt. Sie Sefyre ift begügltdö ber ©aframente calöinifd),
so bejüglid) ber ©rroäfylung ebenfatlg: bod; brängt fid; bie ^räbefttnation tbeorettfdb überall
in einer fcboIafttfd)en %rodent;eit berbor, bie mefyr an bie ©bigonen, als an ©albin felbft
erinnert. Rätfelfyaft ift, bafj bte Rechtfertigung etnerfeitg flar aU Imputation gebeutet
roirb, unb bod; in anberem .ßufammenfyange ber ©a$ ju lefen ftebt (SBefenntntgfdjriften
©. 327,9, bgl. 282, ü ff.): Tridentinum anno 1547 et 1546 celebratum de iusti-
35 ficatione, de fide, operibus, recipimus.
SDte tb;eologifd;e Unbebolfenl)eit biefer ©djrift führte fer)r balb gu einer nod; bößtgeren
älnlebnung an bie ©d;roetj. $unäd;ft übernahm eine ©^nobe »on ^arcjal 1562 93ejag
bogmatifd;en Slbri^ „Confessio christianae fidei" in einer leisten Bearbeitung, ©ine
fiebenbürgifd;e ©t^nobe Don Xorba fd;lo^ fiel; 1563 an. Dbgleid; biefeg SSefenntnig jofort
40 ju Mlaufenburg gebrudt roorben fein foß, ift bod) nur ein ®rud bon ©ärogbataf 1655
nad;roetgbar: Compendium doctrinae christianae, quam omnes Pastores et Mi-
nistri Ecclesiarum Dei in tota Ungaria et Transsylvania, quae incorruptum
Jesu Christi evangelium amplexae sunt, docent ac profitentur. §ier totrb bie
calbinifcbe Seigre in ft)ftemattfc&er 2lbrunbung vorgetragen, befonberg augfür)rltd; bte©tüde
« bon Rechtfertigung unb neuem Seben foroie bon ben ©aframenten. 33ejag ©nttourf einer
bregbt;terialen 5lird;enorbnung rourbe inbeffen fo gut roie ganj befeitigt.
2lud; bie §errfd;aft biefer ©d;rift roäbrte nid;t lange: man beborjugte balb bie mil=
bere Confessio helvetica posterior SuIItngerg. ©ine ©fynobe bon ®ebre^in 1567 be=
fdjlofj: Inter reliquas confessiones reeepimus et subscripsimus helveticae con-
50 fessioni Et quieunque confessionem nostram in synodis confirmatam et
hanc confessionem helveticam . . temere reiecerit iurisdictione ecclesia-
stica puniendum statuimus. @g foHten alfo bie borigen 33efenntniffe nid;t befeitigt
roerben; baju fteHte eine ganje Reib^e bon ©r;noben, barunter bie gu ©ebrejin felbft, in
ben burd) SSIanbrata unb granj ©abib l)erborgerufenen antitrinitarifd;en ^ämbfen neue
55 ortr;oboje 2lrtife£ auf, bie fid; teilroeife aud; auf, bte ©aframent§Iel)re u. f. ro. etnlaffen.
©ar;in gebort aud; bie Confessio Czengerina bon 1570 (nid;t 1557), bie man lange
3eit alg „bag ungarifd;e 33efenntnig" berjeid;nete, bte aber t$atfäct)Iict) leine fyerborragenbe
Sebeutung befi|t.
Qn ber (Gegenwart bält fid; bie ref. Äircbe in Ungarn ebenfo tüie in Öfterreid; allein
so an bie §elbetifd;e lonfeffion unb ben §eibelberger Hated)tgmug. @. S- ®arl SöJufler.
Ungarn 235
Ungarn, fird)lid;) = ftatifttfcr;. — Quellen: 1. Sie tu bat Säubern bev tinaarifdjeu
jrrone am Sittfange bes SaljreS 1901 Oorgenomiuene 23oIr3jät)tuug, refp. bereu DJeful'tat, ä"=
jnmmengefteUt u. ausgegeben Hon 336Io Äenej: Magyarorszag nepessögi statisztikäja, 33uba=
peft, 1906, 8°, 320 ©. 2. Magyarorszag közoktatäsügye az 1904 evben (®er öom föntgl.
tmg. ®ultu§-- unb llnterricf)t§minifter Hont ©taube be§ @d)ithoefen§ (janbelnbe, bein Sanbta'ge 5
unterbreitete 93erid)t ö. S- l904)> Subapeft 1906, 4°, 184 @. 3. Organisation religieuse de
la Hongrie par Emile Hörn, <ßart§ 1906, 8°, 61 @. 4. A magyarorszagi protestäns egy-
Mzak törtenete (©efdt)td)te ber ungarifcfjen proteftanttfdjen ®irdie), öon granj Safogfj, $ro=
ien'or ber 'Xtjeologte, 3)ebrecen 1905, 8", 167 @. 5. Magyarorszag egyhäztörtönete föbb
vomisokban (fitrdjengefcfjidite Ungarns in ^auptjügen) öon Dr. gofjann Äarätüonrji, röni.- io
fatf). Somtjervn, SJagpöärab 1906, 8°, 357 ©. 6. @efd)idite be§ ©oangelittmä in Ungarn öon
Stefan Sinberger, euang. Pfarrer, Söubapeft 1888, 8°, 199 @. 7. Magyar evaDgelikus egy-
liiizjog (Ung. euang. gtrd)enred)t), öon Sari 9Jcif(er, «JSrofeffor, S9ubape|t 1906, 8", XIX unb
742 ©. 8. Protestäns Kepes Naptär (iJSroteft- SSüberfalenber), rebigiert öon kaxl ©jäSj,
ScftionSrat, LIII. ^afirgang, Subapeft 1906, 8°, 79 ©. Slufjer biefen nod) mehrere fjierrjer 15
bejüglidje 3)aten tird)Itä>gef'diicfjtüd)er 28erfe, firdjlicfjer ©djematiämen, Iird)lid)ev unb poli=
tifdjer Stätter unb ßeitfcrjrtften.
Sie jur ^eiligen ©tebfyansSfrone gehörigen Sänbcr be§ ungarifdjen ©taateS finb:
a) ba3 eigentliche Ungarn, inbegriffen «Siebenbürgen unb $tume, b) Kroatien unb ©la=
bonien, nebft ber ehemaligen SCfJtlttärgren^e, beren ©efamtfläcbeninfyalt 5853 geograbfyifcfye 20
SQuabratmeilen (324851 qkm) beträgt. ®ie ftafyl ber (Sintooljmer befielt laut ber legten
allgemeinen SSoIESjä^Iung im $at)re 1901 au§ 19254559 ©eelen (am ©nbe 1906
ca. 20000000). 2öa3 bte «Rationalität betrifft, fo finb bjerunter 9ttagr;aren 8 742301
(45,4» ■'„), £>eutfcr/e 2 135 181 (ll,l°/0), ©lobenen 2019641 (10,5°/0), Rumänen 2 799479
(14,5° 0), 9*utb,enen 429447 (2,2»/0), Kroaten 1 678569 (8,7°/,), ©erben 1052 180 (5,5°/„). 25
2lnbere 397761 (2,l°/0). ®er Äonfeffion nacb, gehören a) jur römifcb^fatr/olifcfyen ^ird^e
9 919913 (51,5°/0), jur gried)ifd)=i'atb/. 1 854143 (9,6°/0), jur gried)ifc^=orientaItf^en(ortb,o=
bor), 2 815713 (14,6°/0), jur Stugfburgifdjen tonfeffton benennen ftdj 1288942 (6,7"/0),
jur reformierten (fyelbetifcfyer $onfeffton) 2 441 142 (12,7°/„), gur Umtarifcben Religion
68568 (0,40/„), Israeliten finb 851378 (4,4°/0), anbere ^Religionen unb ©eften (2lng= 30
lifaner, Sabtiften, ÜRa^arener 2c.) 14 760 (0,l°/o). (S^ettdf) geboren maren (im ^afyre 1904)
682 064, unefyelid) @eborene73462, jufammm 755526 ©eburten. ©eftorben finb 495836.
2Son ben 182170 gefcb>ffenen @b,en waren gemixte @$en: 19127 (10,500/0).
©d)ulbflid)ttge $mber gab e§ im ungarifcfjen ©taate, unb ^mar im 2tlter bon 6—11
Sabren 2174577, im älter bon 12— 14 ^ren 1241010, jufammen 3 415 587. 2b,at= 35
fädjlicb, befugten bte ©dmle 2 657 263 ftinber (77,8°/0). 33on ben SolfSfdmlen Waren
1921 Staate, 2804 ©emeinbe=, 375 $ribat=, 12,766 &onfeffton3fcf,ulen (unb föax röm.=
fatf). 5280, gried).=fatf). 1991, gried).=orient. 1756, ebang. 2lug£b. Äonf. 1362, reform.
1863, unit. 36, i§r. 478), jufammen alfo 17 866 ©d^ulen. 2)en ^onfejfionen naä) Reiben
ft^ bie bie ©cbule befud^enben linber (in Ungarn) in röm.=fatf/. 1268 319 (49,34°/,,), 40
gried^.=fatb,. 234873 (11,82°/,,), gried^.=orient. 274127 (12f840/0), eb. 3lug§b. ßonfeffion
200939 (7,30°/o), reform. 344078 (13,93"/0). untt. 9 908(0,39°/»), t«r. 102 326 (4,38" „),
anb. fionf. 22). £>ie Qaty ber £eb,rer betrug 31678 (tnerbon Seherinnen 8157). ®ie
$ai)l ber 2eb,rerbUbungäanftalten toar 89, unb jroar 27 bom ©taate erhaltene, bie übrigen
fonfefftoneKe ^nftitute. S5ie 3ab,I ber Zöglinge mar 10 362, fyierbon in ©taatöanftalten 45
3995. 2)a3 SSoIfefc^uIgefe^ tourbe im %dbxe 1868 befcbloffen unb fanltioniert. — ®aö
©efe| über bie 9JUtteIfcb,ulen unb Dualifüationen ber ^rofefforen lam im %at)K 1883
ju ftanbe. ©a§ biftorifebe 3^ed)t ber Sbnfeffionen, öffentltdje ©bmnafien ju galten, blieb
i^nen gefe|licb, gefiebert. ®ie ftafyl ber SfRittelfc^uIen mar in Ungarn im ^atyre 1904, unb
Jtüar ©^mnafien 167, Sealfc^ulen 32, jufammen 199; b,ierbon ©taatsfd;ulen 63, @e= 50
meinbefa)ulen 11, ^ribatfdmlen 4 unb ftonfejfionsfcr/ulen 121. SDte 2tnjat>I ber ^ro=
fefforen mar 3 953, bie ber©ct)üler 62 201. ^n Kroatien unb ©labonien toaren 19 3)iittel=
jaulen, 399 ^rofefforen unb 6301 ©cbüler. - - Söiffenfdjaftlic^e Uniberfitäten beftefyen 3,
unb jroar 1. bie Subapefter lönigl. ungarifebe Untberfität, gegtünbet bon (Srabtfdjof ^ßeter
$äjmän^ im %al)xe 1635, neu organifiert unb erweitert bureb, bie Königin 9ftaria Xb,e= 55
refia im ^ab,re 1770, nad) Subabeft bcrlegt im ^abre 1781. ®ie 3ab,I ber orbent!icb,en,
aufeerorbentlidjen ^rofefforen, ^ribatbo^enten unb £ef/rer ift 328, unb ^War an ber röm.^
fatb,. tfyeologtfcfyen gafultät 13, an ber jurtftifdjen unb ftaat^miffenfd;aftltd;en gafuttät 53,
an ber mebijinif^en 151, an ber bfyUofobbtfdien g-afultät 111. Sei ben^ 4 gafultätcn
fearen im SÖinterfemefier 1903/1 =6586, im ©ommerfemefter 5860 totubenten cin= 60
gefdjrieben, bte meiften (4(>06 refb. 3392) bei ber juriftijd;en ^-alultät. 2. Tic Solo(^=
236 Ungarn
bärer (Älaufenburger) Uniberfität, gegrünbet burcb, ben ©taat im %afyct 1872, ofme t^eo=
logifcfye gafultät. 2lnjal)l ber £eb,rftül>Ie 110, bie StngaEjl ber ©dritter in ben 4 gafultäten
(naturtoiffenfcr)aftlicr)e bann bie iifyilofobfyifc^bfyilologtfdjie Abteilung bilben bort 2 %aM-
täten) ift 1925. 3. ©ie gägräber (Slgramer) Uniberfität, gegrünbet im 3>aljre 1874, mit
5 83 ^rofefforen unb ©ojenten, or)ne mebigintfc^e gafultät. ©ie Sln^a!)! ber ©djüler ift
1055. ©ie Unterricfjtgfyracrje ber erften ^toet Uniberfttäten i[t bie ungarifd^e, in ber Ie§=
teren bie froatijcfje.
Red)t3berl)ältnt!§. SBetreffenb bie röm.=fatr)., griecb,.=fatr)., griect).=oriental., ebang.
2lug3burger Äonf., reformierten unb bie unit. Religionen mürbe bie botte ©leicb^eit unb
10 Reziprozität burtf) ben ©21 20 bom $. 1848 auSgeftoroctjen, melier jugleid> berfbradj,
bafs fämtlic^e firdjlicfye unb ©djulbebürfniffe ber genannten $irct)en auf ©taatgfoften be=
ftritten roerben. ©ie Erfüllung biefe§ 23erfbrect)en§ liegt aber auct) fyeute nocb, in weiter
gerne, ©bäter mürben bie Steuerungen ber einzelnen ßonfeffionen untereinanber burcb,
bie ©21. 53 bom 3. 1868 unb 43 bom 3. 1895 geregelt, ©urcb, ©21. 42 bom % 1895
15 itmrbe aud) bie iäraelitifcfye Religion für regiert gefeilte!) au§gefbrocf)en, bie Sabtiften t)in=
gegen tourben burct) bie 2JUnifterialberorbnung bom 2. Rob. 1905 gefetjlicb anerlannt unb
erhielten ib,r 3bnftitution§retf;t. Straft be§ ©21. 7 bom 3. 1885 erhielten 13 Dberfyäubter
ber ref., lutb,. unb unit. Stircfjen einen ©iij im 9Jcagnatenf>au!§. ©er ©eb,alt ber 33oIfl=
fdjultefyrer, 9Rittelfd)ulIeI)rer unb ©etftlidjen roirb auf ba§ fsftgefetjte SRinimum bom ©taate
20 ergänzt, roeldjeg gugletc^ eine jäfyrlicfye ©ubbentton ben brot. ^ircfyen betouligt. ©ie ©ub=
bention ift im Subget bom $. 1907 mit Str. 5 654078 firjert, toeldje ©umme im ^aljre
1908 mit 1 Wiü., unb in 1909 abermals mit 1 9Jliß. fronen bermefyrt roirb. ©ie ob=
ligatoriftfje ßibilefje beruht auf ©21. 31 bom £5. 1894, bie fiaatlitfje 2ftatrife(füb,rung auf
©21. 33 bom 3. 1894 unb ©21. 36 bom 3. 1904. — ©2t. 32 bom 3. 1894 regelt
25 bie Religion be§ bon gemifctjten @b,en ftammenben ^inber berart, bajj bie Verlobten bor
ber (Sfyefcbjiefjung ba3 Übereinkommen treffen fönnen, bafj tEjre fämtltcfyen au§ ber (Sfye
ftammenben Stinber in ber Religion ber einen ober ber anberen @I)ef)älfte erlogen roerben.
@ntfteb,t lein Übereinfommen, fo folgen bie Knaben ber Religion be3 23ater§, bie ÜJiäbd^ert
ber ber 3Rutter. ©ie Übereinlommen bor ber (Sfyefcfyliefcung (Reberfateg) finb jum großen
30 Vorteil ber röm.=fatr). Sftrcr)e unb jum Radjteil ber brot. Stirdjen.
I. Römifcb/ = fatt)olifcb/e Äirct)e. ©er ©rünber unb 2Solj)ItI)äter ber röm.=fatb,.
^irdje in Ungarn mar ber erfte gefrönte $ömg Ungarns, ©t. ©tepfyan (1001—1038).
©eit jener ,3^ übt jeber Wönig Ungarn^ aboftolifcr)e Rechte, unb ift „supremus eccle-
siarum patronus" ©eit 1404 üben bie Könige Ungarn*? ba3 „jus placeti" ©iefeg
35 Recfyt mürbe burcb, ba§ Jtonforbat bon 1855 fallen gelaffen, am 9. 2luguft 1870 jebocb,
mit 33eifeitefe£ung be§ S^onforbatS toieber fyergefteßt. ©er Stönig übt laut ber ^onftitution
bon 1848 unb 1868 ba§ vl>atronatg= unb Regierung3recfyt über bie fat^olifc^e ^ircb,e, burcb,
33ermittelung be§ berantmortlicb.en ^ultu§= unb Unterricf;t3minifter§. 2ln ber ©^i|e be§
ung. röm. -lai^. Äleru§ fteb,t ber @^jtergomer (©raner) ©rjbifcb,of (ba§ ©r^btötum grünbete
40 ©t. ©teb^an im 3af)re 1001). ©eit 1279 ift berfelbe ber $rima§ beö Reicb,e§, feit
1452 legatus natus sedis Apostolicae, feit 13!>3, Dber= unb ©efjeimfanjler, feit 1715
trägt er ben §erjog§titel. ©eine Redete finb: er frönt unb beeibigt ben Äönig; er fann
eine Rationalfintobe einberufen; jebe 2lbbeßation geb,t, mit Umgebung ber SBiener Run=
tiatur bireft nad; Rom. Unter feine ©erictjtgbarfett gehört teilraetfe aucb. bie griecfjifclj^at^os
45 lifclje (unierte) ®irct)e.
©ie ung. röm.=fatb,. Sürcfye teilt ficb, in 4 §aubtbiöcefen unb 1 §aubtabtei.
1. ©ie @§jtergomer (©raner) §aubtbiöcefe enthält 1 @r^bi§tum, 8 "S3ifd;offi^c, 40@rs=
bed?antftüf)le, 207 ©ed)antftüf)le, 1783 Pfarren. Sifdjoffi^e finb. in R^itra, ©bör,
SSeöjbrem, 5ßec§ unb SSäcj (gegrünbet bon ©t. ©tebfyan), ferner in SeSjterc^ebän^a,
50 ©jefe§feb,erbär, ©jombatb,el^ (gegrünbet bon 2Jlaria SEb^erefia 1777).
©ie §aubtabtei bon 5jßannonb,alma, gegrünbet bon ©t. ©tebb.an. ©er ^aubtabt
(abbas de monasterio Sancti Martini in monte supra Pannoniam sita) ift ber
ftete unb oberfte 2lbt ber Senebiftiner. @r ift ber einzige „praelatus nullius dioece-
seos" unb bireft bem abofto(ifcf)en ©tul)le unterworfen, fann ©iöcefanf^noben abgalten.
55 ©eit bem $at)re 1870 ift er berechtigt, „Privilegium ad instar" girmungen borsu=
nehmen, unb rote jeber @rjbifd;of unb 33ifd)of ift er StRitglieb be§ Dberl>aufe§. ©ie §aubt=
abtei b^at 1 ©edjantftub,! unb 15 Pfarren.
2. ©ie Mocfaer §aubtbiöcefe enthält ein ©rjbiStum, 3 33ifcb,of§fi|e, 29 ©r^bedjant;
ftüfyle, 51 ©edjantftüb^le unb 658 Pfarren. §8eftanbteile beweiben finb: ba§ @rjbi<otum in
6oIalocfa (gegrünbet bura) ©t. ©tebfyan, jum (SrjbiStum erhoben 1135), bau ßfanäber
Ungarn 237
Siltum (gegrünbet burcb. ©t. ©tebljan, Stefibenprt £emei§bär), baö Ragfybäraber 33i§tum
(gegrünbet burcb, SabiSlauS I. ben ^eiligen, 1095), ba§ ©tebenbürger 23i3tum (gegrünbet
bura) ©t. ©tebfyan, ^eftbenjort ©fyulafefyerbär).
3. Sie (jrlauer (@ger) §aubtbiöcefe enthält 1 @rjbt§tum, 4 33i3tümer, 18 @rj=
bcajantftüble, 81 2)ecr)antftüljle, 753 Pfarren. Öeftanbteile ber §aubtbiöcefe finb: ba§ @r= 5
lauer Stetum (gegrünbet burcb, ©t. ©tebfyan, gnm ©rjbiätum erhoben burcb, grang I. im
Qafyre 1804). Sie Bistümer 9toä§nr/6 unb ©jebeg (gegrünbet bon SDiavia Sfyerefia, 1776).
<Da3 ©palmarer unb Kafcfyauer (Kaffa), 33i§tum (betbe gegrünbet burcb, granj I. im
^abje 1804).
4. £)te gägräber (2Igramer) §aubtbiöcefe enthält 1 @rjbi§tum, 2 SiStümer, nämltcf;: 10
baS ^ägräber @r^bi§tum (alä Saturn gegrünbet burcb, Sabillauö I., gum ©r^biätum er=
ijoben burcb, granj Sofefcfy I- im %at)xe 1853), ba<3 genger (©egniaer) 33i<§tum (ju=
fammengejogen au3 ben früheren ßorbabiaer unb 9Jcobrufer Bistümern im ^afyxe 1833),
baS ©tafobärer Saturn (entftanben burcb, 3ufammenäte^ung be§ alten, im 3«^e 1230
gegrünbeten ©^eremer unb bognifdjen 23i6tum§ im $al>re 1773). ©ie §auptbiöcefe enthält 15
25 grjbecfyantftüfyle, 66 ©ecfyantftüfyle, 610 Pfarren in Kroatien, ©labonien unb £)al=
matien.
SDie £af>I ber ©omfabitel ift 27. @S giebt 272 tüir!Iicb,e unb 152 £ituIar=£)om=
berren ; 30 mitfliege unb 150 £itular4ibte, 37 rotrflidje unb 109 £itular=^röbfte. ®ie
£omfabttel (5 ©efeKfcr;aft3bomfabitel, Capitula collegiata) roaren feit uralten Reiten 20
autb,enttfcb,e Orte mit 2lmt§ftegel; b,aben auf bie 2BabJ[ be§ SHfcfyofio feinen ©influfj. SDie
3abl ber weltlichen ©eiftlicfyen beträgt 6593.
2tufnal)me bon DrbenSgeiftlic^en in ba§ £anb, ©tiftung ober 2Iuffyebung bon Drben,
fann nur mit SeroiEigung be§ Königg ober auf £5efdjluf$ bes> Reid^tageS gefcfyefyen.
^ofebb, II. (1782—87) fyob 134 9JJöncf;3Jlöfter mit 1544 SJföndjen unb 6 grauenflöfter 25
mit 191 Tonnen auf. SDie fyeute beftefyenben Drben finb folgenbe: ^ßrämonftratenfer,
Senebiftiner, ßifiercienfer, Kabu^iner, SDominiraner, granjiSfaner, ^iariften, SDtifericorbianer
unb fett 1854 bie ^efuiten. Sie gafyl ber 3ftöncb^flöfter ift 227, bie ber DrbenSbrüber
2196. £te ftafyl ber grauenllöfter ift 365, bie ber Tonnen (Urfulinernonnen ber fyl. (£lifa=
betf), 9?otre=®amenonnen, engltfdje $räuleino, graue ©cfytoeftern jc.) 5420. 30
£l)eologifcr;e ^nftitute (©eminare) finb in jebem @rjbi§tum unb 33i3tum mit 2lu3=
nafyme bon 3 p finben ; fie finb organifiert auf ©runb ber Igl. 33erorbnung bom 25. 2Ibril
1803; ber größte S£eil roirb au§ bem SMigiomSfonbe erhalten, ©egenroärtig befielen 18
^nftitute für meltlicfye unb 13 für DrbenSgeiftlicfje, fomie ein ßentralinftitut an ber Uni=
berfität ju Subabeft; jufammen 32 ^nftitute mit 880 Zöglingen unb 177 ^ßrofefforen. 35
Sie Unterria)t§fbracf)e ber fatb,. ©eminare ift bi<§ bleute bie lateinifdje.
Äircb,enbermögen. S)er geiftlicb.e ober ^iretjen^ent mürbe 1848 gefe^Iicb. auf=
gehoben, gür ben Serluft rourbe bie ®eiftltcl)feit nieberen ^angeg burcb, @runbentlaftung§=
babiere entfe^äbigt. 2)a§ ^eftierung§recb,t ber oberen ©eiftlicbjeit rourbe burcb, ein ®efet$
bom ^ab,re 1715 geregelt; e§ erftreeft fieb, nur auf ben brüten 'Seil ibjceg rein erworbenen 40
Vermögens, ba§ 2. drittel geb,t in ba§ ©igentum ber ^ircb,e über, baä 3. ©rittel in ba§
be§ ©taate§. SDie untere ©ei[ilicb,Ieit lann mit 2lu§nab,me beg 20. ^eile§ be§ @rtoerbe§
frei teftieren. $Da§ ©efe| bom ^afyxt 1498 berbietet ber oberen ©eiftlicb,!eit bie ©rtoerbung
roeltltdier ©üter.
®a§ in ben §änben ber röm.=fatl). ©eiftlicb,!eit ftel)enbe !ircb,licb,e Sefi^tum beträgt 45
987079 §eltare.
^(eligionäfonb (fundus religionis) gegrünbet burcb, König gerbiwmb III. mit
©rünbung§ur!unbe bom %ai)xt 1647, roelcb,e für Meligtonöbebürfniffe au§ bem @in=
Eommen ber Igl. Kammer iäljrlicb, 6000 ©ulben beftimmte; bergröfjert burcb, Karl III.
(im ^ab,re 1733), burcb, 3Raria Stjerefia (1769), burcb, ^ofebb, II. (1786), ber ben xöefi^ w
ber aufgelösten Crben unb Klöfter ju ©unften beä gonbeö liquibierte, jule^t bergröfeert
bma) ^ran^ I. (1802). 35ie ©röfee beg gonbe§ ift b,eutc 30 SJiiaionen Kronen. ®er
SdE)ä^ung§breig ber £iegenfcb,aften (112 000 £eftar) 20 Millionen Kronen, ber Reinertrag
2200000 Hronen. ®ie Sertoattung biefe§ gonbeS ftet)t unter 3luffic^t be§ Kultur
mtnifteriumä. 55
Seb^rfonb (fundus studiorum), gegrünbet burcb, 9Jtaria 1b,erefia im 3a^re I775/
ate fte bie ©üter be§ aufgelöften ^efuitenorben§ ju ©ctjulgtoecfen ju bertoenben anorbnete.
Sargelbfabital 13 SJüttionen Mronen. ©ie Siegenfrfmften betragen 35 000 §eltar, mit
einem jäbjclicb, en ©infommen bon 700 000 Kronen. 2lu§ bemfelben werben röm.=fatb,. ©i;m=
nafien, Recb,t§alabemien, £eb,rerbilbung§anftalten unb einige 9Jormalfcb,ulen erhalten. IMe 60
238 Ungarn
Verwaltung biefeg $onbg ftel)t unter Slufftcbt beg Kultugminifteriumg. £>er König E>at
burcb, @rla£ bom 21. 9)iai 1880 mit ber KontroIIteumg ein Komitee, beftefyenb aug 15
röm.4atl). ©eiftlicfyen unb Saien, betraut.
KatfyoIifdJK Autonomie, ©ie röm.=iatr/. Vifcfyöfe berfucfyten feit bem ^jafyre 1868
5 gegen ben ©influfj beg ©taateg auf bie fircr/licfyen Angelegenheiten unb jur (Mangung ber
tatfy. Autonomie ju agitieren. ®ie erfte organifterenbe Verfammlung Würbe im SRonat
Dftober 1870, bie jtoeite am ll.Robember 1897 gehalten, gwä berfelben tft, mit Äug:
nafyme bei Vatronateg ©r. SKajeftät feiner ftaatlid)en Vefyörbe bie ©inmifcfyung in fircfylicfje
Angelegenheiten ju geftatten. ©a aber biefe Intention mit ber taufenbjäfyrigen Verfaffung
10 beg ©taateg im KUbertyrucf/ ftefyt, erlangte fie bisher nidjt bie ©t)nvpatr)ie ber Nation unb
ber Regierung. Rur bie ©iebenbürger röm.=fatl). Kirche (status catholicus) beft§t nocb, —
aug ber gürftentumgperiobe — eine Art fircbjicfier Autonomie, inbem unter bem Vräfi=
bium beä 33tfd^ofg mit Vejieljmng 68 geiftlidjer unb 136 Weltlicher Vertreter jär/rlicfe, über
Vermögend unb ©tfmlangelegenfyeüen beraten Wirb. SDiefeg Siecht Würbe burcr; ©rlaffc
15 i>om %at)xt 1861, 1872 unb 1876 Verbrieft. ©er Vertnögengftanb ber — unter ber 3Ser=
Waltung unb Rechnungslegung ber burcb, bie ©iebenbürger xöm.-tati). Ktrdje jäljrlicb, ab^u=
f/altenben füg. ©tatutgberfammlung machte im ^atyre 1906: 6 070 721 Kr. mit 401339 Kr,
2>ar;regeinfommen.
Kircbjtcfyeg Seben. Auf bem ©ebiete beg fircfylidjen Sebeng unb ber inneren
20 SDfiffion toirfen 1. ber im %afyxt 1847 gegrünbete ©t. ©te^anstoerein, beffen §aupt=
jWecf bie Vefefttgung, (Srr/altung unb Verbreitung t»e§ Katl)oItcigmug auf bem SBege ber
treffe tft. @r giebt @lementarfcb,ul= unb Religtongbücr)er, ©ebetbüdjer, fatl). %a$-- unb
SBoc^enblätter, 93rofct;üren, Wiffenfcfyaftlicfye Vücfyer unb §eiligenbilber fyeraug ; erläßt Vreig=
aufreiben unb liefert ben 5)titgliebern jär/rlicb, 100 ©rudbogen. An ber©pi|e fielet ber
25 Vrtmag unb jtoei b,ot)e Magnaten, alg Vräftbenten. 2. ©er Verein beg 6,1. Sabiglaug, gegrünbet
im $afyre 1864. Vräfibent ift ein 93tfd>of. 3wecf beg Vereint ift bie ungarifcfye röm.=ratr;.
©efinnung in ben öftlidjen Säubern (Vallanbalbinfel) ju unterftü^en, für biefelben ©eift=
liege unb £el>rer ^eranjubilben, ferner bie (Erbauung unb görberung baterlänbifcfyer ©Ovulen
unb Kirnen. 3. ®ie berfcfyiebenen, ga^Ireic^en Vereine, j. 33. ber ©t. ^r/omag:, ^äjmän^,
so ©t. ©merictWerein, bie lati). $üngltngg=, grauen= unb ©efeHenbereine, bie 9Jcartenfongre=
gattonen k.
II. ©riecb, ifcg=fat^oIifc6,e (unierte) Kirche. Auf Anregen beg ©gjtergomer
(©raner) ©r^bifeijofg ©eorg Si^ai? unierten ftcb, aug bem Kreife beg rutfyenifcfyen Volfeg
ber ©egenb 9Jhmfäcg 400 ©eifiltcfye grtecfyifcfyer Religion mit ber röm.=!atb,. Kirdje, beren
35 erfter Vifcfr;of im %at)xc 1655 geWeifyt Würbe, ©raf Seopolb Kolonicg (©raner @rjbifd)of)
i)at mit «§ilfe ber ^efuiten burd)gefe£t, ba^ au§ ber rumänifcb.en Sebölferung ©ieben=
bürgeng mef)r alg 100000 ©laubige griedb,ifcb,er Konfeffion jur Union übertraten, unb bafj
auf ber ©t>ulafel)erbärer ©imobe (1697) ber Vifc^of ^eo^il unb 12 griecf/ifcf;e ©ec^antg,
bie aueb, bon König Seo^olb I. unterführte Union untertrieben, unb für bie unierte Kirche
40 ba§ gogarafcfyer Viötum gegrünbet rourbe.
Qn ber griecr/^atfyol. Kircfje befielt 1 (Srjbigtum, 6 S3istümer, 7 ©omfa))iteI mit
45 $Doml)erren (canonici), 59 ©rjbecfyante, 155 ©ecb,ante, 1361 Pfarrer, 731 Kapläne,
9 SRöncb.gJlöfter, 44 Klofterbrüber, 5 Scminarien, 228 ©eminariften, 34 Vrofefforen. ®ag
gogarafd^er Viitum tourbe im Qaf)re 1850 bureb, gtanj S°fc^ I- 3um @r^^tum 'n
45 ©tjulafeb.erbär erhoben, ber ©ii} begfelben tft Valäjsfaloa. ®ag (Srjbigtum tourbe im
^ab,re 1868 berfaffungggemäfj ben Sanbeggefe^en inartüuliert. Unter fetner ^uri^iftton
gehört ba§ £ugofcb;er unb ©jamofujbärer 33iitum (beibe gegrünbet im $ar/re 1850) unb
ba§ ©rofjtoarbeiner (Rag^bäraber) 33i§tum (gegrünbet bur<| SDfarta SLt/erefta, im 3a^re
1777). ©ie übrigen brei Sigtümer, nämlicb, bag 3)Junfäcfer (toieberb,ergefteEt bon Ataxia
so Slfyerefia, 1771) bag %erjefer (gegrünbet bon granj I. im $afyre 1816) unb bag Körö=
fcfyer (gegrünbet aus bem früheren ©jbtbnicjer Vigtum im ^a^re 1751) finb ber %üxi&
bütion röm.^latb,. (Srjbigtümer unterfteHt. 9taa;bem bie gried)--ktf). Kirdje ein integrierenber
Xeil ber röm^fatljolifdjen ift, geniest fie aud) alle Rechte unb Vorteile bon feite beg
©taateg, wie bie röm.4atl). Kirche. ®ag in ben §änben ber grtecb^.^atb,. Kirche fteb^enbe
55 Vefüjtum beträgt 172 329 §e!tare. SDie ©laubenggenoffen ber griea;.=unierten Religion
finb ib,rer Rationalität nacb, Rumänen, Rutb^enen unb SRag^aren.
III. ©iied§. = orient. Kirche, ©ie juribifcfie ©tellung ber griecf;.=orient. Kirche in
Ungarn Würbe buref) ben 27. ©A. beg Sanbtageg bon 1791 geregelt, inbem ib,r an ben
ber röm.=Iat^. Kircfye feit je^er jufte^enben Vorrechten Anteil gewährt tourbe. Qb,ren
60 33ifcb,öfen rourbe ©i^ im Oberläufe juerfannt unb fie Würben mit ©ütern (60 032 §ef=
Ungarn 239
täte) botiert. Nationalität unb ©bracfye entjtoeiten bie Hir^c. infolge beffen rourbe fie
burcf) ben &ÜI. 9 bom %at)xe 1868 in jtoei 9)}eiroboIitanfbrengel geteilt, ©ie fwben
2 ®rjbif^6fe, 8 93ifcböfe, 92 (grjbec&ante, 2311 Pfarren, 283 Fabiane, 290G Pfarrer,
4 Seminarten, 35 ^rofefforen, 351 ©eminariften, 28 Drbenäfyäufer mit 158 Drben<o=
brübern. 5
A. Urfbrung be§ ferbifdjen -DJcetroboIitaneig. Unter bem $befer Patriarchen,
2lrfen ßfernobicS roanberten 38 000 ©erben ein, um bem©rucfe ber "Surfen jju entgegen.
Ten Slnfieblern mürben bom Äönig Seobolb I. bureb, ba£ ©iblom bom 10. Sluguft 1691
ib,re fird^Uc^en 9tecb,te gugefic^ert. %fox Weligion3oberl)aubt ift ber Karlobicjer ^atriardj.
Sein 2Birfung§ifretg mürbe im $abje 1829 auefy auf ba§ balmatinifcbe 23i§tum au?-- 10
gebefmt. ©ie Äarlobic^er ®ircl;enftmobe (1864) arbeitete bie neue SSetfaffung au3, toelcbe
im 3ab,rc 1875 bom König fanfttoniert tourbe. ©ie oberste 23ebbrbe ift ber ferbtfcfyc
9?ationalfircf;enfongref3, melier aus 25 geiftlict/en unb 50 meltlicljen, auf 3 $afyre ge=
tuät>Iten tOiitgliebem beftefyt. ©er beftänbtge 33orfii$enbe ift ber ^atriareb,. ©er Äongref?
wirb nao) bem 2öiKen beS SlönigS einberufen unb berät unter 2tufftcfyt eine§ fgl. $om= 15
miffärä. ©ie 33i3tümer teilen ftcb, in ©rjbecbantfiüble. ©ie Pfarren unterfteljen ben auf
6 ^abre gehalten lofalen Kirctjenfenaten. ©ie Seftanbteile be3 SDZetroboIitaneS finb : ba§
Matriarchat, ba§ Säcfer, Dfener (23uba), SemeSbärer unb SSerfecger SBtgtum (alle unter
«eobolb I. gegrünbet im lyafyre 1690), ferner ba3 Karlftäbter unb ^afräc^er Siötum.
B. ©a3 rumänifc^e @rjbis>tum mürbe unter bem §ermanftäbter (Srgbtfd^of 20
(Metropolit) im^afyre 1865 felbftftänbig. ©eine Drganifterung rourbe bureb, ben §erman=
ftäbter Äongrefj tm^abje 1870 feftgefe|t. ©ie beb, örblicljen Slbftufungen finb: ber National
iircfienfongrefj, beftefyt au3 30 geiftltcfyen unb 60 roeltlicben auf 3 ^ab,re geroäbjten
Jtebräfentanten, ba<§ 9JietroboIitanfonfiftorium (in beiben bräfibiert ber (Srjbifdjof), bie
Gptffotoalfrmobe (^räfibent ber SBifcfyof) unb bie ©emeinbefimobe. SBeftanbteile finb: a) ba3 25
£ermanftäbter ©rjbigtum (für bie nid)t jur Union übergetretenen Rumänen bureb
Sofebb II. al3 23i3tum errietet, jutn (Erzbistum erhoben im ^afyxz 1864); b) ba3 Araber
Bistum (gegrünbet bureb, Seobolb I.); c) ba§ föaränfebefer SMStum (gegrünbet im ^af>re
1865).
IV ©ie ebangelifcf) e Kircfye 2lug§burger Konfeffion ift in gtoei — auf 30
gefcbjcbtlicber 33aft§ entftanbene Korporationen, jebe mit felbftftänbiger unb eigener SSer=
toaltung — geteilt.
A. ©ie ungarifcfye ebangelif et) e Kirclje fcfjltefst bie auf bem ©ebiete be§ unga=
rifcb,en ©taateg fi<| befinblicb, en ebang. 21. K. ©laubigen in ftcb, , mit Slusmab, me ber ©ieben=
bürger ©act/fen. ©ie erhielt ifyr fiaat§recf)tlicr)e<§ (gEiftengre^t im $af>re 1606 unb 1608. 35
3b,re fonftitutionelle Drganifierung mürbe auf ben gfolnaer (1610), ©jebeäbäraljer (1614),
Söäfaf)egr,er (1707), Hefter (1791) unb Subabefter (1891—4) ©bnoben aufgearbeitet,
^ureb bie 3^efolution äaxU III. tourbe bie ebang. Ktrcfye in 4 ©uberintenbenjen geteilt,
bie Subabefter ©bnobe blatte bie ©eniorate in ben 4 ©uberintenbenjen anber§ eingeteilt,
^m ^ab,re 1735 tourbe neben ben ©uberintenbenten au§ ber Steige angefel)ener 2öelt= 40
lieber für jeben ©iftrilt ein ^nfbeftor gemäht. 3Ktt SetoiHigung SDf aria SberefienS fonnten
bie 4 ©iftrifte jä^rlic^ p einem ©eneralfonbent sufammenfommen. 3m 3a^re l774
tcurbe ber erfte „©eneraKonbent" abgebalten, an beffen ©bi^e ein bon allen ©iftriften
getoäbjter toeltlic^er $räfe§ (mit bem Stiel „©eneralinfbeftor")" geftetti tourbe. ©eit 1860
tourbe ba3 ©obbelbräfibium, ber amt^ältefte ©uberintenbent neben bem ©eneralinfbeftor, 45
eingeführt, ©er ©encralfonbent befielt au§ 90— 100, bon allen ©uberintenbenjen getoäb^lten
3JlitgIiebern. ©er ©eneralinfbeftor mirb buref; Slbftimmung ber Kttct/engemeinben lebenl=
länglicb getoäf)lt.
©ie ©eneralfbnobe beftef)t au§ ben bon ben s$re§bt)terien aller 4 ©uberintenbenten
im Sege ber Slbftimmung gemähten geiftlicfyen unb meltltcfjen SRttgliebern, bon ben 9te= 50
bräfentanten ber ^rofefforen unb Seb^rer, enblicb, bon „ex offo" sDJitgliebem (®eneral=
infbeftor, ©uberintenbenten, ©iftrift^inflpeftoren, bie Sorfiijenben ber ung.=ebang. §ilf^=
anftalt). ©ie übrigen Sebbrben finb: ©er Kir cb, enbiftrtf t, an beffen ©bifce ber
Superintenbent (Si'fcbof) mit bem ©iftriMnfbeftor fteljen; — ba§ lirebenfeniorat,
ebenfaEg mit ©obbelbräfibium (©enior unb ^nfbeftor); bag ^reSb^terium, b. i. ber 55
«injelne Kircb^engemeinberat unb bie ©emeinbeberfammlung. ©ie lircb^engemeinben
toä^len ben ©enior, bie ^nfbeftoren, ben ©uberintenbenten unb ©eneralinfbeftor. öftren
eigenen ^rebiger toäf)len bie StRitglieber ber Äircfjengemeinbe. ©ie Drbination bolljiebt ber
-öijcbof gemeinfcf)aftlicb mit ben Senioren.
Sie 4 $irc£)enbiftrifte finb folgenbe : I. ©ie Sänbaer ©uberintenbenj befielt auö 1 0 eo
240 Ungarn
©enioraten, 165 ^irdjengemeinben. gafyl ber ©laubigen 433583. ©tfc beS je|igen
SifcfyofS: SBubapeft. II. Sie ©uberintenbenj bieSfeitS ber Sonau befielt auS 9 ©enio=
raten, 164 $ira;engemeinben. gat)l ber ©laubigen 205 375. ©i| gegenmärtig: SBalaffa=
gbarmat. III. Sie ©uberintenbenj jenfeitS ber Sonau Beftel)t aus 10 ©enioraten, 160
5 iRirdjengemeinben. Slnja^I ber ©laubigen 236934. ©t£ gegenmärtig: tyäpa. IV. Sie
Sfyeifjer ©uberintenbenj befielt auS 10 ©enioraten unb 172 äird;engemeinben. 2lnga^i ber
©laubigen 209 711. ©i| gegenwärtig: SJttSfoIcj. Sie ungarif$=evangelifd;e $ird)e befielt
alfo auS 89 ©enioraten, 661 ^ircfyengememben, mit 665 Pfarrern unb 169 Fabianen.
Qofyl ber tfyeologifdjen Stöabemien 3, mit 16 orb. $rofefforen unb 138 £>örem. Sie
10 ©laubigen ftnb ifyrer Nationalität nacb, 9Jfagtyaren, Seutfcfye unb ©lobafat.
B. Sie ©iebenbürger eöange lif ct)e $irä)e. Qljr Urftorung ift gleichzeitig
mit ber Reformation, ©ie befielt aus einer ©utoerintenben^, mit bem beftänbigen ©i|e
§ermanftabt (Ragr/Sjeben), biefe faf$t in fid) 10 Secb^ntftülile, 247 ^ircfyengememben unb
220362 ©laubige, meiere ©aajfen mit beutfcfjer SRutterfbradje ftnb; biefe mürben im
15 Safyre H42 in baS Sanb gerufen, mit btelen Privilegien berfefyen unb bewahrten ir)re
Nationalität (natio saxonica) bis b,eute. ©ie b,aben 1 tfyeologifcfyeS ^nftüut mit 80
©cfyülem. Siefe $ird)e erhielt tfyr ReIigionSfreil)ettSgefe| im !3ab,re 1557 unb mürbe
unter ber Regierung ber ©iebenbürger gürften unabhängig, ©ie behielt baS ©elbftberwal=
tungSred)t aueb, naa) ^Bereinigung Siebenbürgens mit Ungarn (1848). SaS frühere bureau=
20 fratifdje $ird;enregiment mürbe gelegenr/eitlia) ber ttrd)Iic|en ©eneralberfammlung 1870 in
eine ^ßreSbfytertalEonftitution bertoanbelt, beren gaftoren ftnb : a) bie $farrgemeinbe, beren
Organe baS $reSbr/terium (Sorfitj: ber Pfarrer) unb bie ©emeinbeberfammlung, beren
SJcitglieber auf 6 Igafyre gemättlt merben. Sie ©emeinbeberfammlung mäfylt ben Pfarrer,
menn fie auS mein- als 2500 ©eelen befielt, einen Kurator unb bie 5ßreSbr;teriumSmit=
25 glieber; b) bie Sed)antftüb,le; ber Gräfes ift ber Secfyant; c) bie SanbeSfircfyenberfamtm
lung, beren boHjtefyenbeS Organ baS Dberfonfiftorium, auS 8 Sftitgliebern befielt, beffen
$ßräfeS ber ©utoerintenbent ift. Serfelbe toirb burd) bie SanbeSftrcfyenberfammlung im Sßege
gegebner Slbfttmmung bon ben 6, burd; bie Secfyanei fanbibierten ©eiftlicfyen gemäfylt,
unb auf ©runb ber alten lanbeSfürftlid)en Redete bon bem Könige in feinem 2lmte be=
30 [tätigt. 93ei bem ©eneral!onbente ber ung. ebang. ^ira)e bon 1848 erfd)ienen aueb, bie
Vertreter ber ebang. ^ircfye ber fiebenbürger ©acfyfen; aufserbem fonft niemals, meber
früher nod) fpäter. — SaS 33efi£tum ber ebang. 5Eirct)e beträgt 40 441 §e!tare.
V Deformierte ^ircfye. Urfbrung. ©ie entftanb mit bem Einbringen beS 6al=
»iniSmuS unb teilte basfelbe £oS, mie bie Iutl?erifd)e Äircfye. 2InfangS Verbreitete ficb,
35 baS £utl) ertum unter ben magtiarifcb, en, beutfcfyen unb flabifcfyen SSölfern Ungarns ; aber
nact> bem auftreten beS GalbtmSmuS fdjiloffen fiel) faft fämtlicfye -äftagfyaren an bie gafyne
ber fyelbetifcfyen Äonfeffion unb bie Seilung beS *]ßroteftantiSmuS mürbe bon 1561
bis 1591 befd)loffen; unb bureb, bie SeilungSfimoben (in Siebenbürgen im Qafyre 1564,
in ber Sfyeiftgegenb im ^ab,re 1567) burcb,gefüb,rt. 93on nun an [tanben fia) bie jtoei
40 vroteftantifa)en §älften mit itjren ©djulen unb mit ib,rer getrennten 33ermaltung gegen=
über. 3Jur im ^afire 1841 tourbe bureb, ©raf ^arl ßab (©eneralinfbe!tor StugSburger
üonfeffton) bie Union beantragt. @§ ftimmten aufy hierfür mehrere fyerborragenbe Debner.
Socf) in ben SSirren ber 1848er Devolution unb ber barauf folgenben fcolitifcfyen Deaftion
tourbe unb blieb biefe ^bee bergeffen; nur r)ier unb ba finben fiel) einige gemifa^te ^ira)en=
45 gemeinben unb ©r/tnnafien, bura; bie Dotmenbigfeit ber ©elbfterb^altung bemogen, ju ber=
einter 33ertoaltung organifiert.
Dacb, ber IRo^äcfer ©^laa)t (i:»26) mürbe baS Sanb Volitifd; in brei Seile geteilt.
Sie füblic^en unb mittleren Seile, mit ber §aubtftabt Ofen (33uba) bon ben Sürlen er=
obert, unterlagen ber .«oerrfcfyaft be§ §albmonbel. Sie nörblia)en unb meftlia;en Seile
so blieben unter ber ^absburgifcfyen St^naftie. Sie öftlicfyen Seile (Siebenbürgen bab,in ge=
rechnet) unb bie S^ei^gegenb bilbeten unter ber Degierung reformierter dürften bon 1538
bis 1691 ein eigenes Deicfy; unter folgen Volitifcb,en 33er|ältniffen änberte [ic^i baS SoS
unb bie ©nttoicfelung beiber getrennten broteftantifc^en Hirnen. Sie ©vuren ber langen
getrennten ©tellung finb bis fyeute noa) nid^t berfa)munben. Qutx\t tarnen bie beiben bro=
55 teftantifcfyen £ira)en auf bem ©ebiete beS g-ürftentumS Siebenbürgen jur 33lüte. Defor=
mierte prften: ©tefan SocSta^i (1604—1606), ©abriel Setzen (1613—1629) unb
©eorg Däfoc^ I. (1630—1648) er^mangen mit Söaffengefoalt bon ben fatl)olifcb,en §abS=
burgern bie Religionsfreiheit ber ^roteftanten aueb, für bie anberen Seile Ungarns, gerner
maren bon SBebeutung ber Sföiener (1606), DifoISburger (1621) unb Sinqer (1645) aueb,
go in DeligionSfacb,en entfd^eibenbe griebenSöertrag unb bie barauffolgenben, bie DeligionS=
Ungarn 241
freifycit ber $roteftanten fid)cmben £anbtag§gefe£e. 2lber nad) bem SBeftfälifdfjcn ^rieben
erhielt baS burd? Sefuttenjjoltttf geleitete §ab§burger .fjauS (unter £eobolb I.) ©ieben=
bürgen toieber jurüd, unb in bem fo neubereinten ©taate tourbe ber ^roteftanttemuS bem
Untergange nafye gebraut. Grft ba§ burd; 3°W H. «»" 25. Dltober 1781 erlaffene
©efe| (edictum tolerantiale) berurfacfyte ein Reuaufleben, toeld;e§ ber auf bem 1791er 5
Sanbtage eingebrachte, burd> Seo^olb II. fanftonierte 26. ©efe^artifel (laut toelcfyem bie
fleligionSfreifyeit ber Sßroteftanten auf ©runb be§ 2Biener grieben§ gugefic^ert toarb), unter=
ftüttfe. Saburd; getoann bie broteftantifdje $ird)e einen fo fixeren 23oben, baß baS im
£s<tbre 1859 erlaffene i. i. Sßiener patent, toeld}e3 bie broteftantifdje Slutonomie einju=
färänfen beredte unb biefelbe bem att^ugroßen ©influß ber abfoluten ©taatSregierung 10
untertoerfen wollte, auf eine fo große Dpbofttion traf, baß e<§ bon ber Regierung gurüd=
gejogen toerben mußte unb bloß unter ben Sutfyeranern flabifcfyer Nation eine Trennung
berborbracfyte. Siefer abgetrennte Seil aber (patentalis superintendentia), bereinigte
fitt) nacb, Rüderlangung ber ^onftitution toieber mit ber autonomen iRircfye, unb ber griebe
tourbe im ^n 1867 fyergefteßt. Sie reformierte Sftrdje blieb aud) ju Reiten be§ tya-- 15
tente» feft unb einig. —
Sie Konftitution unb Drganifterung ber $ircb,e tourbe burd; bie auf ben S?omjäter
(Hi23) unb Sjatf)märer (1646) ©tmoben befdjjloffenen $ircb,engefe£e befeftigt. Sag ^3re3=
btyterialftyftem tourbe in ber erften in Dfen (1791) abgehaltenen ©imobe gefepcb, formu=
liert. Siefe ©imobe befteßte ben ©enerallonbent jur firdjlidjen Dberbefyörbe über bie 20
Suberintenbenjen, um bem toeltlidjen (Elemente einen gleichmäßigen ©influß unb 2Bir=
fung3trei§ ju beriefen.
Sie Janonifdjen ©efetje ber Dfener ©imobe fanftionierte ber föömg nid)t. Sie ba=
ntaligen Sefdjlüffe tourben aber autonomifcb, troijbem burdjgefüfyrt. Ser in Sebrecjen am
25. ©ebtember 1860 abgehaltene Sbnbent formulierte bie toeitgefyenbfte bemolratifcfye 25
Organifation ; beftimmte, um in jebem fünfte bie Rarität burcbjufüfyren, baß bie Qaty
ber getollten toeltlicfyen unb geiftlid)en Repräsentanten gleicb, fein foße, unb führte ba§
bobbelte ^ßräfibium ein.
2ln bem im ^afyre 1873 abgehaltenen $onbente beteiligte fid) aud) bie ©iebenbürger
Superintenbenj toenigftenS an ber Beratung; infolge ber bolitifcfyen Union nal)m aud) bie 30
Sereinigung ber reformierten ^irdje it>ren Anfang. — SRebjere Äonbente befdjäftigten fiel)
mit ben SSorarbeiten jur neueften ^onftitution, um biefe ber ©imobe borjmlegen. infolge
ber günftigen bolitifcfyen ^onfteEation tourbe im $ab,re 1881 mit Setoißigung be§£önig§
bie erfte organifierenbe £anbe3fönobe mit ©infefyluß Siebenbürgens! einberufen. (Sine äi)n=
licfye batte bie reformierte ^ireb, e Ungarns» noeb, nicfyt erlebt ; benn felbft auf ber I)erbor= 35
ragenben Dfener ©imobe toaren nur 4 Siftrifte bertreien ; ber 5., ber ©iebenbürger, nid}t.
3)iefe bemerlen^toerte, ebod^ebilbenbe £anbe§fimobe tourbe in ber ©tabt Sebrecjen com
31. Dftober bi§ 24. Sfobember 1881 im großen ©aale be§ eben bamal§ boHenbeten neu=
erbauten ^oßegiumgebäube§ abgehalten (Sebrecjen ift ber gocu§ ber ebang. Reformierten
in Ungarn; 52 282 ©eelen unter Seitung bon 7 5ßrebigern unb 4 §ilf§brebigern). Sie 40
jtoeite ©i|ung§beriobe biefer ©i^nobe tourbe bom 10. bi§ 17. ©etotember 1882 abgehalten.
Sie stoeite (1891—92) unb bie britte (1904—07) ©eneralfimobe tourben in $3ubabeft
abgehalten. Sie ©eneralftjnobe befielt au? ben bon ben ^ßre§br/terien aller 5 ©Uji>er=
intenbenjen im Söege ber 2lbftimmung getollten 96 3Jcitgliebern, toelcfje $ai)l bie 5
©uberintenbenten (93ifd)bfe) unb bie 5 Dberluratoren, al§ „ex offo" SRitglieber, unb 10 45
SProfefforen auf 116 erbten. 2ßa§ bie ^^ätigfeit ber 3 ©eneralfimoben betrifft, fo begann
man bamit, ©ott toegen ©inigung ber 5 ©uberintenben^en ber ung.=reformierten föircfye
ju banf'en; al§ Sinnbilb ber ^ircfyc tourbe baö ©iegel ber ©eneralfimobe (eine brennenbe
^adel mit 7 ©lernen umgeben unb 3)ct 5, 15) feftgeftellt. Sie Organifation ber tircfye
tourbe auf gefdjicfytlid^er ©runblage bon ber unterften ©tufe bi§ pr b,öcb,ften im ©inne 50
be§ f^nobalbreäb^terialen ^3rin§ib§ unternommen. 2113 oberfte, bie ©efe|e ber ©eneral=
f^nobe bolljieljenbe Seljörbe tourbe ber „©enerallonbent" alz Vertreter ber ©inljeit mit
feftgeftellter Slombetenj in bie Honftitution aufgenommen; bie in jebem 10. 3>ab,re emju=
berufenbe £anbeögeneralft)nobe tourbe alsi oberfte, legiälatibe 23ebörbe beibehalten. @§
tourbe ferner ein ^Pfarrtoablgefe! befcbloffen, laut toeld;em bie ^irc^engemeinbe bureb, 2lb= 55
ftimmung i^ren ©eiftlic^en toäblt. 2Beitere Seftimmungen betrafen bie 9lect)tfprec^ung in
Stäjibliriarangelegenfyeiten, bie £irc^)ltcr)e Sefteuerung, baS 3Serb,alten ber lircblic^en Beamten,
baö Srjief)ungö= unb Unterrid)t§toefen, bie ©rünbung eineö allgemeinen Sanbeiofirc^enfonbä,
«iner $farrtotttoen= unb Söaifenfaffe unb eines Sßenfiongfonbg für Pfarrer.
Ser brittjibietle Gfyaraftcr ber Monftitution ber ref. ilircfye: bie freie 2Babl, bie gleiche go
fRtat^nc^rtopäbie für J^eologie unb Slirdje. 3. Sil. xx. |(j
242 ltngortt
älnjab,! geistlicher unb toeltlid)er Vertreter bei ben 93el)örben unb ba§ bereite ^räftbium
(Rarität) finb in allen Slbftufungen burd^gefütjrt. ©ie erfte SanbeSgeneralfrmobe naf>m
nad) altem ©ebraud) bie Sejeic^nung „33tfd)of" (püspök) anftatt ©uberintenbent an.
©ie älbftufung ber $trd)enbeb,örben ift folgenbe; ^reSbbterium, ©entorat (Xraftu§),
6 ©uberintenbenj, ©eneralfonbent unb SanbeSgeneralfimobe.
(Einteilung : 5 Mrcfyenbiftrifte. 1. ©ie ©uperintenbenj bie^fettS ber ©onau be=
fiefyt feit 1544. ^m $af>re 1607 teilte fie fieb, in 2 Se^fe. %m ^atyre 1734 bereinigte
jie \xä) h)ieber infolge ber Carolina resolutio. ©i£ gegentoärtig in ^un^entmiiHoS. Sie
enthält 8 £rarru§, 268 $ircf)engemeinben, Qaty ber ©laubigen 431910. 2. ©ie ©uber=
10 intenbenj jenfett§ ber ©onau befielt fett 1591. ©h) in #tomärom (^ornorn). §at
9 'SraltuS, 293 lircfyengemeinben, 256 017 ©laubige. 3. ©ie ©ubermtenbenj bieSfettl
ber Streife. Racb, bem ^afyxi 1572 bereinigten fieb, 4 ^raftuS unter bem tarnen „93er=
einigte Sftrdjenfeniorate DberungamS", unb übernabmen anftatt ber Regierung ber©uber=
intenbenj bie ber ©enioren an, unter bem ^ttel „seniorale regimen", Rur infolge
15 ber Carolina resolutio (1734) bertoanbelte fid) biefelbe in eine ©uberintenbeng. ©i|
gjttsfolcs; fie ääfylt 8 £raftu§, 354 JÜrd^engemeinben unb 270 735 ©laubige. 4. Sie
©uberintenbeng jenfeitg ber Xfyeifj befielt feit 1559, jäbjt 13 Sra!tu§, 576 ^ircb,en=
gemeinben unb 1 061 759 ©eelen. 5. ©ie ©iebenbürger ©uberintenbenj befielt feit 1564, 3äf>lt
19 SraftuS, 539 Jürdjengemetnben, 432 352 ©laubige; ©t| in Mojfbär (Ulaufenburg).
20 ©tefe ©uberintenben^ b,at infolge ifyrer SOOjäfyrigen abgefonberten ©tettung einige ab-
toeidjenbe güge bi§ auf Ijeutc beibehalten: ifyren 93ifcr/of (biefer %\td ift feit ber gürften=
gett im ©ebraudje) beftätigt ber ®önig unb ber SBifcfyof legt einen @ib berSEreue ab. ©ie
©uberintenbeng fyat 5 Dberfuratore au§ toeltlid)em ©tanbe; ein ftänbiger ©ireftiomSrat
ift in 2Birlfamfeit. ©en 23tfd)of unb bie Dberfuratoren toäfylt bie ©iftrtftSberfammlung
25 unb nidjit, tote bei ben anberen ©uberintenbenjen ba<§ ^3re§br/terium. ©ie gabt ber
t^eologifd^en Slfabemien ift 5 (in 33ubapeft, ©ebrec^en, 5loto§ft)är, $äba unb ©äroSpatat),
mit 34 orbentltctjen ^rofefforen unb 503 Geologie ©tubierenben. ©ie ©efamtgafyl ber
ung.=ref. ^ircfyengemeinben ift 2025, mit 1981 Pfarrern unb 188 §ilf§bfarrem. ©a3
23efi§tum ber ref. Äirdje beträgt 81280 §eltare.
30 Sie ungarifd)e ref. $ird)e bezeugt toarme ©fymbatlne für bie Slßtang ber bal ^ßre§=
bbterialfr/ftem befolgenden ref. ^trd)en (Alliance of the reformed ehurches holcling
the presbyterian system). ©ie leitenben SSorfte^er ber ref. ©emeinbe unb bes> ^oHegiumS
ju ©ebreejen fcfytcEten ifyren erften SegrüfjungSruf im Qafyre 1875 nacb, Sonbon an bie
erfte fonftituierenbe 23erfammlung. ©te 5 ©uberintenbenjen liefert fid) auf bem im ^atye
35 1877 in ßbinburg abgehaltenen großen ©eneralfonjil bureb, jtoei 2tbgeorbnete bertreten,
unb brückten ben in 9ieto=9)or! 1880 unb in 23elfaftl884 abgehaltenen großen 33erfamm=
lungen in 33riefen ifjre brüberlicfyen ©bmbatfnen au§. ©nblid) im %ab,xe 1905 ift bie
ung.=ref. ^trd;e, als orbentlidjeg SRitglieb in bie Slllianj eingetreten.
VI. llnttarifd)e Streite, ©er größte S£eil ib,rer ©laubigen faßt auf ©teben=
40 bürgen, ©rünber biefer SWigionlgemcinfcfyaft (1566) toar ©eorg 33Ianbrata, §ofarjt be§
©iebenbürger dürften, unb $xax\% ©äbib (geft. 1579) früher Älaufenburger ref. ©eiftlidier.
©ie erhalten bie Religionsfreiheit im $alp 1568 ; bie unitarifdje Äird^e tourbe eine ber
4 reeeptae religiones; in Ungarn erhielten fie nur im ^al)re 1848 gleite 9ted)te mit
ben anberen Iftrcfyen. 9Jad^bem bie unit. Mirdje au3 ber ref. ^trdje gefd)teben ift, über=
45 nab,m fie beren Kultus unb tonftitutton nad; ©iebenbürger gorm ; b,at einen 33ifa)of,
toeld)en ber Äöntg in feinem Slmte beftättgt. ©ie Unitarier fyaben 9 ©ecfyanten, 113^ird)en=
gemeinben, 109 Pfarrer, ein il)eologifd)e<§ ©eminar mit 4 '■ßrofefforen unb 25 ^örern.
©ie englifd;en unb amerifanifcb,en Unitarter unterftü^en bie ung. unit. .^ird)e bebeutenb.
VII. ©ie 5Rajarener unb 93abttften. §autotf abliefe, in ber unteren 93oIl3flaffe
60 bertreten, enttoidelte fieb, feit ber Rebolution bon 1849 eine neue ReügtonSfefte unter bem
tarnen 91ajarener ober 9?ad;folger gb^rifti, beren Religion eine Sftifdjmng ber 2tnfcfyauungen
ber ©arbiften, 93abtiften unb DJtennoniten ju fein fd;eint. ©ie erfte bolitifo)e 33erorb=
nung erging gegen biefelbe im Safte 1854. Racfy @rla| be§ Äultu§mintfter§ bom
13. 2luguft 1868 gehört biefelbe nicfyt unter bie gefellic^en Religionen, ©ie S3abtiften
55 erfd)ienen feit 1874 in Ungarn, bie erfte ©emeinbe organifierte fia) in 33ubabeft. ©ie
würben im Qab,re 1905 gefe^licb, anerlannt.
VIII. © ie Israeliten, ^^e bürgerliche unb bolitifd)e ©leicbj&eredjtigung erhielten fie
im 17. ©.21. be§ ^afyreS 1867; bie i§r.9Migion tourbe im %ab, re 1905 gefepcf) reeibiert.
3ur geftfteHung il^reS 33erl)ältniffeS gueinanber unb bem ©taate gegenüber tourbe ber erfte iS=
60 raelitifcfje allgemeine üongre^, befteb^enb au§ ben Vertretern be§ ^ubentumS, am 10. ®e=
Ungarn 243
jemberl868 jufammenberufen; bie Sefcfylüffe biefeS KongreffeS mürben am 14. ^uni 1869
burd) einen fgl. ©rlafc beftätigt. §ier beginnt bie 9?eu*eit ber iSr. KultuSbereine. 35ie
tör. KultuSgemeinbe mürbe in 26 greife eingeteilt; fomofyl bie ©emeinben als auify bie
^ejirfSfreife merben burdb, ben auf brei %at)xe geteilten 3Sorftanb geleitet. Sie allge=
meine Oberbefyörbe i[t ber Kongreß melier aus 86 2lbgeorbneten befielt; beffen boß= 5
ftrecfenbeö Drgan ift bie iSr. SanbeSfan^Iei in SBubabeft, bureb. tüeldje bie Äreife unterein=
anber unb mit ber Regierung berfefyren. 35ie 33efd^lüffe beS KongreffeS mürben nur bon
einem £eile ber Israeliten angenommen, biefelben, fomie bie neue Drgamfation [inb auet;
nur für btefen Seil gilttg ; feit 1869 ift bal)er eine ©Haltung eingetreten unb teilen fieb,
bie Israeliten in brei boneinanber unabhängige Korporationen, nämlicb. in bie Kongreß, 10
Crü)obor.= unb in bie „status quo" KultuSgemeinben, mit betfd^tebenem Kultus unb mit
berfdjiebener Sßertoaltung. 35 en KongrefjiSraeltten mürbe eine 2anbeS=sJtabbibrätoaranbie
in Subabeft errietet unb am 4. Dltober 1877 eröffnet, mit Dber= unb UnterlefyrturS,
10 orbentlid)en unb §ilfSbrofefforen unb 81 Zöglingen.
IX. Konfeffioneller Unterricht unb ©ct)ulen. $ur ©rgänjung ber Kirdjem 15
ftatifti! gehört bie bei Unterrichts, meil berfelbe fid) auefy bleute größtenteils in ben §änben
einzelner iMtgionSfonfeffionen befinbet. a) 35er SSolfSunterricfyt. 35aS bieSbejüglicrje
(1868) 2anbeSgefe$ ließ bie bureb, baS 1791er ©efe$ aufrecht erhaltene Slutonomie ber $ro=
teftanten fyinficfytlicr; beS Schulunterrichtes unberührt unb mürbe burd) baSfelbe nur bie ftaat=
lia)e Oberaufficfyt ausgesprochen. 9cad) bem neueften Serielle beS KultuSminifterS ijalt bie 20
röm.=fatl). ^ireb, e 40 Sebrerfeminare mit 3645 göglingen ; bie gried).=tatlj) . 4 Sefyrerfeminare
mit 605 Zöglingen; bie gried).=orient. 5 £el)rerfeminare mit 549 ßöglingen; bie et). 2lugSb.
Konfeffion 7 Sebjerfeminare mit 473 Zöglingen; bie ref. Kirche 6 £el)rerfeminare mit
674 Zöglingen unb bie iSr. KultuSgemeinbe 1 Seminar mit 154 göglingen. 35ie brot.
fiirdjengemeinben erhalten ifyre 33oIfSfcfyulen auS tt)ren eigenen ©elbmitteln, mancherorts 25
Ieiften auä) bie DrtSgemeinben unb ber ©taat jäfyrltdje §ilfsbeiträge. b) ©tymnafien.
ivür bie röm.=fatfy. ©tymnafien mürbe unter 9Jcaria ^erefia (1776) baS erfte DrganifationS=
Itatut erlaffen. 35ie ^roteftanten aber blieben im ©ebraucfye ifyreS 2lutonomiered)teS. ©in
allgemeines 2anbeSgefe| mürbe im %afyxz 1883 nad) langer Dfttoofition unb bielen ©egen=
reben ju ftanbe gebraut, hierbei mürben bie gefdncf;tlic|ett Steckte ber Konfefftonen ge= 30
achtet unb nur bie Dberaufficfyt beS ©taateS unb baSSRinimum beS 2eI)rftoffeS beftimmt.
Honfeffioneße ©r/mnafien befielen 117, unb jmar röm.=fatb 60 mit 18279 ©d)ülem;
griea).=!atf). 2 mit 900©cfyülern; griecr).=orient. 3 mit 810©d)ülern; eb. 2tugS. Konfeffion
22 mit 6031 ©cfyülern; ref. 27 mit 8476 ©dntlern ; unit. 2 mit 476 ©cbülem; brot.=
unierte 1 (in 3ttmaSjombat) mit 384 ©cfyülem. c) Sßroteftantifcfye §ocbJ$uIen. 35
Ter $roteftantiSmuS grünbete bon jel)er §ocbJcfmIen, an melden Geologie, 9?ecfytSmiffen=
fcfyaft unb einige bfnlofoblnfcfye ©tubien gelehrt mürben, unb biefe merben „Koßegien"
benannt. 35ie Reformierten befüjen gegenmärtig 3 Koßegien unb mehrere 2lfabemien.
35aS 35ebrecjener ÜoKegium, gegrünbet als ftä'btifcfye ©dmle tm^a^re 1550, entmicfelte
iieb jur §ocbfct)ule im %afyxt 1588 ; ib^re b^öb^ere ©ntmicfelung erlangte fie im 19. 3a^s *o
b^unbert. ©rgänjenbe STeile fmb bie tb,eologtfcb,e unb rec^tStoiffenfcb,aftltd;e 2lfabemie, jebe
mit 4 ^ab^rgängen, ein ©fymnaftum unb ein £el)rerfeminar, jufammen mit 40 orbent=
liefen unb 6 §ilfSbrofefforen. ^m ^ab^re 1905 säb^e man 121 §örer ber Geologie,
228 §örer ber Rechte, 708 ®^mnafialfdb,üler unb 245 ©eminarjöglinge.
2)aS ©äroSbataler Kollegium, gegrünbet 1549, befi^t fein Sebrerfeminar, b^at ju= 45
fammen 32 orbentlictje unb §ilfSbrofefforen, 112 §örer ber Geologie, 65 öörer ber
9iec|te unb 520 ©bmnafialfcb^üler.
3)aS ^äbaer Kollegium, gegrünbet 1531, fyat 20 ^rofefforen, 70 §örer ber Geologie
unb 550 ©r/mnafialfcfyüler.
Tie Subabefter tl)eologifcb,e 2l!abemie, eröffnet 1855, mit 6 orbentlicfyen ^rofefforen 50
unb 81 §örern ber SEbeologie.
Tie'ÄolojSmärer t^eologifc^e Slfabemie, eröffnet 1895 mit 5 orbentlicfyen ^rofefforen
unb 119 §örern.
9iecb,tSa!abemien befielen nodb, in KecSfemet unb 9Jcäramaroffäiget. 35ie Unterricf)tS=
j^rac^e ift überaß bie ungarifcfye. bs
35ie .'oocbjcfyulen ber ebangelif cb, en 2lugSburgifd)en Slonfeffion finb
Wgenbe : in ^orgfonr; Oßrefeburg), gegrünbet 1606, geftaltete fia) jur bierjai)rgängigen,
'Otnbletten tbeologifd)en 2l!abemie im Safyre 1882, mit 7 ^rofefforen unb 56 Sb«^™-
Tie ßberiefer, gegrünbet 1534, mit einer SiecbtSafabemie (bie einige ber eb. 2lugSb. Konf.)
unb einem Sebjerfcminare, 53 'Jb^eologen, 270 Hörern ber ))kd)k, 126 ©eminarjöglingen, 60
16*
244 Ungarn
337 ©r/mnafialfct)ülem unb 30 ^rofefforen. ^n ©opron (Öbenburg), gegrünbet 1557,
mit 37 Geologen, 390 ©r/tnnaftalfcfyülem, 116 ©etninarjöglingen unb 24 ^ßrofefforen.
Unterrict/tSfbracfye überall bie ungarifcfye. ©te ©iebenbürger ebangelifcfyen ©acfyfen baben
ein tb,eologifcfy=lpäbagogifcr;e!o ©eminar in Stegt^eben (|>ermanftabt) mit 7 ^Jrofefforen
5 unb 80 Zöglingen. Unterric^tSjprad^e beutfcfc\
X. SUrcljltcfye Seiftungen ber $roteftanten. ©a§ ©laubenSleben entmidelte
ftcb, nod) bei feiner Honfeffion ju einem folgen ©rabe, baji e§ auf bem gelbe ber inneren
3JUffion im 23erf)ättm§ ju ber gaty ber ©laubigen tüirffam märe, ©ie ©elbmittel unb
bie D^fertoiUigfeit ber ung.^rot. Hircfye erfd&ßpfen ficb, in ber ©rfyaltung t-erfct/iebener
io ©cfyulen ; auf bem kontinente giebt e3 faum eine Hircfye, Welche, auf eigene Hraft ange=
toiefen, fo biete Spulen erhält, wie bie ungarifd^proteftantifcfye.
Qn ber eb. Slircfye 2Iugsb. Honfeffion toirft bie ,,ungarifct)=ebangelifä}e §ilf<§anftalt" feb,r
fyeilfam. ©ie mürbe im Sab,re 18^3 angeregt, erfteö ©rünbung<ora!pital mar 4000 fronen,
toirft aber feit 23. Dltober 1860, ba fte erft $u biefer geit bom Könige beftätigt mürbe.
15 fttoed : bie Unterführung ber mit materiellen ©djmierigf eiten fämpf enben Hircfy engememben
unb ©djulen, bie ©rünbung unb ©rfyaltung bon STRiffion^often, Unterftü|ung ber SSittoen
unb SBaifen fircpcr/er Beamten. $b,r ©runbfapital unb ©tntommen fd^ö^ft fie au§
freiwilligen ©penben unb ftefyt mit bem grofjen ©uftab 2lbolf=3Serein ©eutfcfylanbS in enger
SSerbinbung. ^m ^afyre 1905 fyatte bie Stnftalt 34115 Ar. einnahmen unb 20619 ßr.
20 ausgaben ; ©runbfapital 292 768 Hr. %n SSerbinbung mit biefer 2tnftalt würbe mit
©enefmügung be3 MonbentS im Safyre 1877 unter bem tarnen „Seoipolbinum" ein neuer
$onb angelegt, melier bei ©elegen^eit be§ 1 00 jäfyrigen Jubiläums ber burcb, Seopolbll. fanf=
tionierten, bie greil)ett ber Religionen ftcfyemben, berühmten 1790/91er ©efeije unter bie ärmften
Hirnen unb ©acuten ju berteilen ift. ©er gemeinfame Hirdjenfonb (cassa domestica)
25 mürbe 1895 gegrünbet, ©runbfapital 280 000 Hr. — ©ie Sanater SJftffton, gegrünbet
im ^afyxz 1862, jur (Erhaltung unb 33eleb,rung, ber unter anberen Honfeffionen im Sßanate
jerftreut lebenben ©bangelifcfyen. ©ie erfte felbftftänbige ©iafporai'ircfye mürbe in 33erfeq
im %afyxe 1868 organifiert mit Set§au§ unb ©cfyule, SRiffionlcentralftation SemeSbär.
©ie froat=flab. Sttiffton entftanb im Qafyre 1868 jur ©eelforge ber an beiben Ufern ber
30 ©rau gmifd^en röm.=!atl>. unb griecb,.=orient. Golfern jerftreuten (Sbangelifdjien, bie Gentral=
firdjengemembe in gägräb (2Igram) mürbe mit §ilfe ber ©uftab 2Ibolf=2krein3 im %a§xt
1879 organifiert mit 4 ©iafyorafircfyen. ©ie ©iebenbürger eb.=fäcr)f. Hira)e grünbete im
^Safyre 1861 ben „©uftab 2lboIf=23erein" mit 10 Unterabteilungen. 2luf Anregung be§
eb. ©uperintenbenten Sofepb, ©^eläc§ organifierte fiel) in 23ubapeft ber „SLabitb,a=33erein"
35 im $al)re 1873 jur Unterftütjung 2lrmer unb fieibenber. @in gemeinfame^ Siebegtoerf
beiber prot. Hirdjen ift baS ^rot. SanbeSmaifenb^au^, gegrünbet in$Buba))eft im^re 1859;
baS neue SBaifenfjaug mürbe im 3ab,re 1877 erbaut, ber herein forgt für 100 2Baifen.
@b. 3Baifenb,äufer befteb,en ferner in $Rojön^)6, ^ßo^on^, Ujbanoüce. @in großer gemeim
famer gonb ift ber be<§ Saron SBalbäcfi;, beffen @ntfte|>ung fefyr merftoürbig ift. Saron
40 SSalbäcfb, (geft. 8. 2luguft 1878), ungarifef/er röm.^atb,. ©ro^grunbbefi^er, betrachtete ben
ungar. t$roteftantigmu3 «^ "i>\t ©runblage ber greu)ett unb teftterte fein 8000 2>oa)e
gro^e§ Sefi^tum ben gefamten b^ot. .Hirnen, inll. ber ©iebenbürger fäcbf. unb ber unit.
Äircfye; fttoed be§ gonb§ ift Unterführung armer Kird^engemeinben, !trcf)licber Beamten
(^farrer, Sebrer), ber ^ßfarr=2Bitmen unb =2öaifen, unb ©rljö^ung beö ©el)alte§ ber
45 33ifd)öfe. ©er ^onb beträgt 1 715050 Slx. unb ftel)t unter gemeinfamer Dberauffic^t
unb Verwaltung ber 11 ©u^erintenbenjen.
©ie ältefte SSJtiffion ber ref. 5?irc^e ift bie ÜMffion 9)ioIbau=9tumänien§, mol)in biele
religionsbermanbte 3)iag^aren au§ bem ftarf beböllerten ©jefler Äreiö Siebenbürgen^ au&
manberten unb ftcb, nieberlie^en. ©er erfte aJiiffionar mar @meric^) ©ülei, ref. Pfarrer
&o (geft. 1847) fein 3laä) folger §ranj ^6§ (1855—1869). ©er brüte berühmte unb eifrige
SRiffion^farrer mar SCRartin gelber (1861— 1871), melcfier binnen jetyn pafyren 3439 ®u=
faten pm ^ird^enbau fammelte. ©a§ Refultat t£?rer gemeinfamen SBemüb,ungen finb fünf
regelrecht organifierte Jftrcfyengemetnben in Sulareft, ©alaej u. a. mit 6045 ©eelen. ©ie
Dberaufficl)t unb 5u^run8 iüurbe ber ©iebenbürger ref. Strebe übergeben unb unterftefyt
f.5 ber ^onbentbeb,örbe. ., ©ie „flabonifcHr/rmifdje 5Kiffion" nab,m im ^atyre 1876 ib,ren 2ln=
fang, fteb,t unter ber 2lgibe ber ©upertntenbenj bie§feit§ ber©onau, §au^tftation mar 23e3fa.
©ie ref. S?irdb,e erhält ^eut^utage 90 3Jliffionsftationen für bie ©iaftioragemeinben. ©aö gro|=
artigfte Sffier! ift ber gelegentlich ber ©ebreejener Sanbe^nobe gegrünbete gemeinfame S?ira)em
fonb; ju ©unften beweiben mürben gelegentlich ber 1881er ©^nobe, an ben greubentagen
go ber Drganifierung 64000 Hr. gejeic^net. ©ie Aufgabe ift bie 2lufrect;tl)altung unb
o
Ungarn Uniertc Orientalen 245
«Stärfung ber burcb (Stnflufj anberer .Uonfeffionen ober Nationen im Untergeben begriffenen
$ira)engemeinben, bie ©rünbung neuer ©emeinben, bie ^Dotation ber 2ttiffion unb be§
t'anbe3=, $farrhntroen= unb SöaifenfonbS. 3)te im Saläre 1905 ausgegebene 6umme be=
trägt 329 944 Ar., ©runbfapital 3 573510 Sir. £>ie ©uperintenben^ jenfeit§ ber Sfyeifj
grünbctc im ^afjre 1864 ben ref. Unterftüt$ung§t>erein jur Unterftütsung ber p grünben= 5
ben unb ber Dom Unglüde Verfolgten armen $ird)engemeinben, armer Pfarrer unb ber
jttnfdjen anbere uonfeffionen eingehängten 9Jtiffton§fmnfte ; jäfyrltcbe§ (Sinfommen 12 000 Ar.,
bie jäbrlid) au^uteilenben Unterftütmngen belaufen fia) auf 9000 Hr., ©runbfapital
180 000 Kr.
Tie miffenfd^aftlicb^itierarifdjen Vereine ber ung. ^roteftanten ftnb : 1. $Der ungarifcbe 10
prot. ^tttcräröerein (gegrünbet 1889): gaty ber 30iitglieber 1631, ©runbfapital 131 470 Ar,
■2. Sie 2utb,ergefeafd)aft (nur für bie et). 2(ug3b. lonf. gegrünbet 1883) mit 1505 2Ritgliebem.
Örunbfapital 37000 kx. Sie tfyeologtfcfyen ober Jirchlicfyen geitfcfyriften roerben burcb, 25
prot. 9Jionat§= unb 2Bod)enblätter Vertreten, barunter 10 für ba§ SSoIl aufgegeben. £)ie
Pflege ber miffenfd)aftlid) t!) eol. Sitteratur — früher meb,r unter bem @influf$ ber beutfcb, en 15
unb englifcfymieberlänbifcfyen Geologie — geriet je länger, jemebr in f elbftftänbige Saljmen
unb liegt nebft einzelnen, auf auSlänbifcfyen Uniöerfitäten gebilbeten ©eiftlid)en gröf$ten=
teils in ben §änben ber eb. unb ref. tljeol. 2t!abemieürofefforen.
(ftrans SSatog^) Soloman 9leüe§5.
Untcrte Orientalen. — Sitteratur: £eo 9lt(atiu§, De ecclesiae occidentalis atque 20
orientalis perpetua consensione, 1648 (ngf. ben 9trt. „9lKatiu§" SSb I, 370, Hon 38agenmann=
fmurf); 91. Siebter, ©efdjidite b. fird)l. Srennung jwifcfjen bem Orient u. Occibent, 2 33be,
iSW u. 65 (ba§ materiatreierje, aber untrttifcfje SBerf beS burd) feine eigentümlidjen ©c£)tclfale
betannt geworbenen fattjoltfcfiert SRündjener Geologen gewährt für ben gegenwärtigen Strtifel nur
infofem gntereffe, al§ bie ©efctjicfjte ber Unionen mit bargefteüt wirb: für ben bermaltgen 25
^efianb unb Quftanb ber „unierten" Strafen bietet e8 fo gut wie nichts); 3- §ergenrött)er,
Ite SRedjtSoerljaltniffe b. »erfdjtebenen Otiten innerhalb b. fatt). ^irctie, 9lrd)it> f. fatfj. $irdjen=
redjt, SSb VII u. VIII, 1862, 4 9luffäße: 1. 2111g. («rmtbfäfce b. röm. @tubl§ belügt, ber
Orient. Otiten, 2. Sie £nerarcfjie ber orient. Otiten u. ir)re Stellung j. päpftl. Primat, 3. Ser
Orient. 9tegular= u. ©ärulartleruS, bie ©emtnarien u. Pfarreien ber Orientalen, 4. Sie 30
Saframente, ©aframentalien it. anberen !ird)I. ©ebräudje bei b. Orientalen; 9t. ©tlbemagl,
Serfoffung unb gegenwärtiger 33eftanb fämtlidjer Sircfjen b. Orients, 1865; 2. Auflage (allein
jetit ju brausen), beforgt oon 3. ©einiger, 1904 (f. tn'er @. 325 ff.); §■ Senjinger, Ritus Orien-
talium, Ooptorum, Syrorum et Armenorum in administrandis sacramentis, 2 voll. 1863
u. 61; 3- 4-8- $itra, Juris ecclesiastici Graecorum historia et monumenta, 2 voll. 1864 35
ii. US (6ei ber eigentümlichen OtecfjtSftetlung ber unierten Äircfjen mufs man allenthalben bie
üoereinftimmenben unb bie befonberen 9ted)t§quellert unb =trabitionen beS Orients neben bem,
was „Otom" hinzugefügt Ijat, tennen, um bie SSerpItniffe %u oerfteljen: für bie „©riedjen"
»gl. jur tteberfidjt 31. >Dtila§, S. ftird)enred)t b. morgenlänb. Sirdje, beutfd) Hon 9(. ö. Reffte,
1S!;*7, ätoeite, erweiterte Sluflage, 1905); 2:^einer u. TOftoficfj, Monumenta speetantia ad 40
unionem ecclesiarum Graecae et ßomanae, 1872; 9?. 9?iüe§, S.J., Kalendarium manuale
utriusque ecclesiae, orientalis et occidentalis I 1879, II 1881, 2. 9luft. 1896 u. 97, III
Addititia 2 voll., 1885: Symbolae ad illustrandum historiam ecclesiae orientalis in terris
coronae S. Stephani (ba§ fe^r Wertuoffe titurgiotogifetje ?BerE will fpegtetC ben unierten
Sirenen bienen) ; C. Sßkrner, S.J., Orbis terrarum catholicus s. totius ecclesiae catholicae 45
et oeeidentis et orientis conspectus geographicus et statisticus, 1890; 91. 9tcnbt, S.J., Sie
gegenfeitigen 3?ec£)t@uerr)ä(tniffe ber Otiten in ber fatr). Strdje, 9lrct)trj für fatt). ®ird)enrec£)t,
9b LXXI, 1894; qjring SJtaj;, §erjog ju ©aebfen, SSorlefungen über bie orient. Sird)en=
frage 1907, füejieü ©. 200 ff.; ©efoftriS ©ibaroufe, Des Patriarcats: Les Patriarcats dans
l'empire ottoman et specialement en Egypte, 1907 (faft gänjltd) oftne ÄenntniS ber beutferjen 50
Sitteratur jur @ad)e). — Sitte tiefe Tutoren ftnb fatrjotifet). Sßon eüangelifcber ©eite lommt
in S3etracf)t: C. 3Rejer, Sie ^ropaganba, ttjre «ßrouinsen unb t^r Ütecf,t, 1. S3b, 1852, fpejiea
£•418 ff.; 3-. Sattenbufct), SSergIetc£)enbe ^onfeffionStunbe, 1. SSb, 1N92, ©. 245 ff.; mit).
fö^ler (Surift), Sie fatt). ftirdjen be§ TOorgentanbS. Beiträge 5um 58erfaffung§red)t ber
log. uniert=orient. Äird)en, 1896 (bie eingebenbefte Sarftellung ber gefamten $8ert)ä£tntffe ; reid)= 55
lit^e 3lnga6e ber Setailtitteratur); % ßoof§, ©Qmbottf I,' 1902, ©. 393 ff.; it Söetf), Sie
«tent. et)rtftenf»eit ber äRtttetmeeriänber 1902, fpejieü ©. 140 ff. u. 425 ff. — Tvür bie f)ier=
arrf)ifcf)en SSert)ä(tnif|e im eiu^etnen unb nad) momentaner Drbnung (zumal and) nad) tt)at=
l^licber 33efe£ung) f. fpejieH La Gerarchia cattolica, offijieHeS 3al)rbud) ber Kurte, alfo
^ule^t 190 <. 3Bid)ttgere ©pejiaKitteratur nenne tri) bei ben einzelnen .Sitrdjen (wertoolfe 60
Mitteilungen auä benfelben mannigfad) in ben Echos d'Oricnt). 3uyerläffige ftatiftifd)e sJ(ad)=
ricfltert ftnb oielfad) faum ju erlangen; ba§ befannte ^a^vlutd) iwn .{iübner=3urafd)ef (®eo*
gvapl)ifcl)=ftatiftifd)e Saöelfen aüer Sauber; 5(1. 9luSgabe 1907) betaifliert mit Sejug auf
246 Untertc Orientalen
reltgtöä=fiv$ltd)e $erf)8Itmffe nidjt [o loett, bafs überaß, wo eS „ünievte" giebt, aud; fie unter=
fdjieben mürben; bennod) ift e§ gelegentlich, brauchbar.
I. SlllgemetneS über bie Stellung ber unierten Ktrdjen. @S fyanbelt fiel;
in biefem Slrtifel nicfyt um baS ©an^e ber Sßerfudje, bte getrennten $irct)en bei Orients
5 unb OcctbentS toieber jufammen^ufü^ren. (©oWeit bte „ortl;Dbor.e" orientaltfd;e $trd;e
in £etrad;t lommt, f. 31. „Drientalifcfye Stirere" 93b XIV, fbe^ell ©. 442—444.) SSteI=
mefyr fyabt id; nur barguftellen, WaS fid) bis &ur gett erhalten fyat.
1. @S ift 3tom gelungen, bon allen $ird;en bei Orients größere ober (meift)
Heinere Srud)ftüde ab^ulöfen unb feiner Obebieng $u unterfteHen. Sn forborattber gorm,
10 im einzelnen unter Umftänben, bte ju berfolgen ebenfo weitläufig, tote unintereffant Ware,
fyaben fid) in (Suroba, 2lften, Slfrifa Seile ber fyeimifcfyen alten $ird;en an bte römtfdje
angliebern laffen unb baburdj im ©inne ber letzteren unbefdjränt'ten Slnfbrud; auf baS
Sßräbtfat „^atfyoltfd;" mitbefommen. ®ie offizielle Se^ei^nung ger)t babon aus, bajj
jebe biefer $ird;en tljren befonberen „9lituS" l)at. ©egenüber bem fyerrfdjenben unb
15 eigentlich „normalen" 9tituS, bem „lateinifdjen", finb bte linierten Wefentltd; als bterfad;er
9fttuS fc|ematifiert: griedjifcfyer, armenifdjer, fi;rifd;er, fobtifcfyer. SDocb j>at, bom armenifcfyen
abgefeb,en, jeber Unterabteilungen, nämlid; teils nad; Nationen, teils nad; ber ^ulluSfitte
unb =f^rad^e. ®er Segriff „ritus" ift im latetnifdjen ©bracfygebraud; umfänglicher als
fbejtelt bie Übernahme beS SluSbrudS in ben beutfe^en ©bracbjcfyat* berrät. 2öäl;renb
20 Wir unter „9ütuS" eigentlich nur bte ^ultuSformen berfter)en, bte „S3räud;e" ber Stircfye
bei ifyren feiern, umfaßt bie Iateintfd)e (Embfinbung beS üffiorteS alle 2lrt bon 33rau<|,
jumal bon §erfommen (bgl. ^orceHtni, Lexicon totius latinitatis s. v.). ^rgenb=
Wann muft ein ritus ja Wo|l einmal „eingeführt" Werben, ©o fann jebe ©egenwart
ritus f Raffen. 2lber eS überwiegt bie 3Sorftellung, bafj ein ritus eine Slrabition
25 rebräfenttere. ©o ift bie „folenne" ©itte ein ritus. ®er SluSbrud l)at nafyen inneren
Äontaft mit diseiplina. ©o fönnen aud) formen ber 33erfaffung k. barunter begriffen
Werben. Sine ©renje ift immer ber ©ebanfe beS „Slufjerlidjen", b. I). etwas WaS „blofc"
SIJKorie ift, lann nid)t ritus fyeifjen. ®ie römtfdje $trci;e unterfdjeibet ^wifdjen Orb=
nungen juris divini unb juris humani. 2öaS nid;t „göttliches 9led;t" ift, ift freier
30 ritus, b. f). eine Drbnung, über bie bie $ird)e „berfügt". Ungtt)etfelr)aft ju ben ©tngen
juris divini gehört baS SDogma unb baS ©aframent. $ebe bogmatifierte £eb,re, alfo
aud; bie bom Primate beS ^abfteS, baju aUeS, WaS gu ben ©ffentialten (Materie unb
gorm) ber ©alramente gehört, mu| überall anerlannt fein, Wo „fatfyolifcfye $ird;e" ift.
darüber IjiinauS „barf" bie $ircbe, ber Sßatoft, $reif>eit Walten laffen. 2llS ritus gelten
35 biejenigen äußeren Sräudie, ©Uten, Drbnungen, ^nftitutionen, bte juris humani finb
unb beSfyalb nidjt überaC in ber üircfye uniform fein „muffen" Slucb, an ben ©alra=
menten ift ritus, WaS nicf)t il)r „SSkfen" ausmalt, ©onacb, befielt 9?om ba, Wo eS fieb,
nid;t böllig burcb,jufe|en bermag, Wo ber ritus Minus auf ju heftigen Söiberfbrud),
Wäre eS aud^ nur auf unüberWmblidjeS Vorurteil ftöfet, als 23ebingung ber Slnglieberung
40 an bie catholica in feinem ©inne nur auf Unterwerfung unter baS 2>ogma unb Übung
„aller" ©aframente. ®ie Unierten muffen feit 1870 natürlich aud) bie Unfeb,lbarleit
beS $abfteS unb fämtlic^e £eb,ren, bie ben ßfyarafter ber „^atb,ebralentfcb,etbungen" tragen,
anerlennen. @S brauet nadjgerabe faum mebj betont ju Werben, ba^ eS nacb, ber ibe=
eßen ©eite eine partie inegale ift, Wenn 9Jom unb SCeile ber orientalifdjen Jlirdjen fieb,
45 unter 3Sorbeb,alt ib,reS „ritus" unieren. ällle Äird;en beS Orients embjtnben tl)rem
ritus gegenüber anberS, als 9tom bem feinigen gegenüber, Wie eS tb,n begrifflid; begrenzt.
5im Orient lebt allenthalben baS ®ogma in ber geier. SöaS ntd)t ItturgifdE) auS=
gebrägt ift, Wirb als meljr ober Weniger lebhaft irrelebant embfunben. Umge!ef)rt fteb,t
man in ber ©eftattung beS eigenen SOR^fterienbraucb/S minbeftenS eine Slrt bon Sitligung
so aud) Der fyerfömmltcfyen ©onber!eb,re. $Dte orientalifd;en ^ird)en, fbejteU aud; bie größte,
bie „ort^oboje", finb merlwürbig bereit, gujugefteb^en, ba^ anbere $trct)en bielleid)t aueb,
ein <Sb,arisma b,ätten. ^l)re brobaganbiftifcfe,en unb UnionSbebürfniffe finb an fid; gering.
Slber fie „fönnen", unter bem 33orbeb,aIt fbejielt ib,rer Jlul tu S formen, fid; anberen
Äirdjien nähern, ja bon bortb,er eine Oberleitung annehmen, formen ber ^uriSbiltion
55 Werben bon ben orientalifcfyen Triften jum %(H enger, jum SEetl freier beurteilt, als in
üftom. ®a biejenigen ^onjilien, bie nacb, orientalifdjien Gegriffen „göttliches $ird)enrecb,t"
gefd)affen l)aben, bie für „öfumenifd;" erachteten, aud; in 5Rom gelten, „lann" bie $apft=
frage Wie eine relatib arbiträre gelten, ©inen ©fyren brtmat beS römtfd;en Sifd;ofS ge=
ftebt jebe orienta!ifd;e $ircf;e nacb, ib^ren genuinen 5ßerfaffungSibeen ju. @S ift befannt,
60 ba| baS ^onjtl bon glotenj buref) einen berfdileiernben SluSbrud, l)üben unb brüben
Itmerte Orientalen 247
ijcrfc^tebert interpretierten ©a£ bie „©tnigung" in §tnftcr)t bcr ©eitmlt, bte ber slkbft
innerhalb ber fötrdje fyahe unb üben bürfe, ergtelt fyat. ©ie ©act/e ftebt brinribiell
jo, bafe ber Orient ficfy trgenbrote eine oberfte ^egimentäfteltung be3 ^ßa^fteg „gefallen
laffen" fann, ber öccibent hiermit bem Orient gegenüber fic§ „aufrieben erflären" lann.
Tic römtfd;e $ircf)e tonnte (begrifflich) felbft ibjen, ben ritus latinus einer Union 5
julieb abänbern, gefdjroeige bafe fie fremben ritus „bulben" fann, roenn fie bafür ben
2lnfbrucb auf „£errfd;aft", ben fie ttic^t ^reiggeben fann, burc£)fe£t. £>ie orientalifdje
MMje „nmfe" bie Slnerfennung ir/re§ ritus Verlangen, bann fann fie, ofme aufhören
in bcr Ibeorie ftdE> felbft gleid) gu bleiben, ben $abft als ifyren (bödmen) „Regenten"
anerkennen. 23i§ 1870 fonnten ^Ilufionen über ben Gfyarafter beS römifd)en Primats 10
im Orient genährt Werben. %laä) 1870 ift nod) feine „Union" roieber gefd^affett (freiließ
autt} nod) feine roieber aufgeboben) Werben; eS braucht aud) feine ,,grunbfä|litf/' meljir
geftiftet ju Werben: mit Erweiterung ber bori)anbenen Unionen, ober 2tnglteberung neuer
ßkmeinben ober SDiöcefen an biefe ober jene fann man ftet) Reifen. @§ mufe ftdb, geigen,
ob bie and) im Orient Wieber Wacfyfenbe t|eoIogifcr)e UrteilSfraft bie 3lu<3bebmtng ber bor= 15
banbenen unierten £ird;en in ben ©ebieten, aus benen fie ftammen, beförbern ober
hemmen Wirb.
2. %d) gebe nunmehr eine furge Überfielt über bie grunblegenben Urfunben bejro.
bäbftlicfyen (Erlaffe in £inftcr)t ber unierten $trd;en.
3n geWiffem Sftafee bon ^Belang, nämlicf) gWar nirf)t im juriftifer/en , Wob/f aber im 20
tbcologifeben ©inn, ift geblieben bag ©Iauben§befenntni§, WeldjeS föaifer -Ifttcr/ael $aläo=
logoS, nacb, ber Vorlage, bie ^ßa^ft ßlemenS VI. ib/m 1267 gemalt l)atte, auf bem
Äonjil bon £r/on 1274 bem $atoft ©regor X. übergab. ©. ®enginger, Enchiridion sym-
bolorum etc. 9. ed., bon ©tal)l, 1900, 9fr. LIX. @§ fanftioniert ba§ filioque, bterömifcr)e
3aframent§Iebre, foWeit fie fontrobers> febien, bie Sefyre bom purgatorium, bor altem 25
aueb, in fet/rofffter gorm bte bom bäbftticfjen Primat. ®iefem ©ofument gegenüber erfennt
man erft bötlig bie gurüdfyaltung beö Decretum unionis, ba§ in gloreng 1439 erlaffen
unb bon Eugen IV. burd) bie 33ulle Laetentur Coeli broflamtert Würbe. $n biefem
£efret fiebert fiefj bie romifdje $ird)e nur bie älnerfennung bes> „9ied;tes" tbrer bog=
matifeben ^ßofitionen, fbegiell aueb, foWeit fid) Iiturgifd)e formen baran angefd)Ioffen batten. 30
SSom filioque Wirb gefagt, bafe eS „licite ac rationabiliter" bem ©bmbol hinzugefügt
fei: e§ wirb nid)t etwa berlangt, bafe bie ©rteeben e§ aueb, bem ©fymbol einfügen
müßten, ßbenfo wirb, ofme bafe ber Slu^brucf transsubstantiatio eigene berührt roürbe,
feftgefteEt, bafj in ber ©uc^ariftie bom ^ßriefter ha§ corpus Christi „roa^r^aft fonfi^iert"
toerbe, roobet fonftatiert toirb , bafs ba§ in azyrno sive fermentato pane triticeo 35
gan; gleic^ertoetfe gefcbeb,e: l^ier roirb alfo bie alte ^ontrobergfrage über ba§ ungefäuerte
ober gefäuerte S3rot einfacb, für irrelebant erflärt, gugleicb, roirb beutltcb, feftgeftellt, ba^
jebe förebe bie geier nad) ibrer eigenen consuetudo begeben bürfe. ®ann roirb bte
Sebre bom gegefeuer unb bon ber „^cütjlicbfeit" bon ©eelenmeffen „biffiniert", be^gleicben
jule^t in ben biel berbanbelten unflaren Slugbrücfen bie „plena potestas" be§ $abfte§ 40
„regendi ac gubernandi universalem ecclesiam" ©. ®enjinger=©tabl, 9?r. LXXIIIA
(bier nur ber lateintfebe %at; ben griecfjifdjten f. baneben g. 33. £efele, üonäiltengefcbicf) te VII,
c. 724 — bgl. übrigeng 21. „$errara#orenf 33b VI, ©. 45). 3ft bie 23ulle Lae-
tentur Coeli bie ©runblage be§ geäfften älnfcbluffeg ber ganzen „griect/tfeben" ^ircf)e
unb ber tb^atfädjlicben Union menigftenS geibiffer 33ruc£)ftücfe biefer $ird)e, fo fonnte ©ugen 45
noef/ jroei roeitere Unionsbefrete ))rof lautieren, eines in §inficb,t ber Armenier (33utle
Exultate Deo 1439) unb eines in §tnficf;t ber Qß^btten (33uße Cantate Domino
1442), f. bie bogmattfeben ^aubtbartien bei $)en3tnger=©ial)[, 1. c. Nr. B u. C. £cr
^Jabft berfäf)rt I)ter in ben ©ogmen, bte er jur ©brache bringt, biel lebhafter unb um=
ftänblicber, e§ ^anbelt ftdE) eben um roeit meb/r in ber gemeinfamen „fatl^olifd^en" ©ogmen= 50
ertttoicfelung „jurüdgebliebene" Hird)en; ber gange %mox ift autoritatiber (bon ber
^rimatftellung be§ ^abfteg roirb nic|t erft gebanbelt, fie roirb einfacb, borauögefe|t) ; ber
fattifebe ©rfolg roar, toie bei ben ©riedjien, nur ein feb/r barttaler.
2luf bie ©riedjen Begießt fidb, ein 33rebe, bag Seo X. 1521 erliefe unb *>a§ jenen nid)t nur
ibre fultifd;en formen unb ©Uten, fonbern aucl) tbre £nerarcr/ie auäbrücfltd} beftätigte. 55
Ginfad; eine Erneuerung ber florentinifeben gormel enthält bie 93ullc Magnus Dominus
bon Glemeng VIII. 1595, bie bie ©runblage ber rutbenifd;en Union btlbet, unb ber
^« 33uße Decet Romanos Pontifices (bie §ierard;te ber neuen $ird)e betreffenb)
löOfi folgte.
23efonberc3 ^nterefje für bie Unionen bezeugte 33cnebift XIV ®urd) bie 33ulle «>
248 linierte Orientalen
Etsi Pastoralis 1742 regelte er befinitib bte Berfyältnifje ber ©rieben in Italien, ber
fog. Italograeci, burcb, bte Butte Demandatam Coelitus Wenbete er ficfy an ben
Patriarchen unb bie Bifd)öfe ber SMcbjten. @r felbft ü&ertrug bte Beftimmungen ber
letzteren, fefjr „fcfyonenben" Butte burd) bte Weitere Butte Inter Plures 1744 aucb, auf bie
5 Sutanen; £eo XIII. Ij>at fie burcb, bie Butte Orientalium Dignitas, 9Robember 1894
überhaupt auf bie „ecclesia orientalis" auSgebeljmt. ^n ber Butte Allatae sunt fyat
Benebift 1755 nod) einmal feierlich bie Berechtigung begebener „Otiten" broflamiert.
BiuS IX. t)at baburd) Bebeutung, bafj er burd) bie Breben Eomani Pontifices
unb Amantissimus, beibe bon 1862, eine befonbere ßentralbefyörbe für bie $irdjen ber
10 orientalifdjen Seiten fdjmf , bie Congregatio de Propaganda fide pro negotiis ritus
orientalis. @ben er tnelt bie Rtit für gefommen, fbe^iett in bie fyierarcfyifdjen 3}ed)ts=
berfyältniffe ber orientalifdjen Kirnen mit „Reformen" unb organifcfyen 2lbänberungen
tiefer einzugreifen, ©o mit ber Butte Reversurus 1867 in bie $orm ber armenifdjen,
mit ber Butte Cum Ecclesiastica 1869 in bie ber „dwlbäifcfyen" Jftrcfyenberfaffung.
15 Unter Armeniern wie (Sfyalbäern b,at baS eine ©Haltung nad) fid) gebogen , bie erft bie
fölugfyeit feinet 9Zad)foIgerS ju übertoinben Wufjie.
£eo XIII. mar bisher Wob,I ber am intenfibften für bie Union bemühte unter ben
Bäbfien. @r I)at bie Orientalen bon bornI)erein unb immer wieber aufs lebfyaftefie um=
Worben unb er b,at eine gütte bon organifatorifd)en 3J?afenab,men getroffen, um bie
20 UnionSftrdjen ju ftärfen unb , Wo möglid), für Weitere ßutritte angtet) enb ju machen.
©. bie Darlegungen bei £. 3t ©oe£, See XIII., 1899, ©.221 ff. 3Bie fdpn einzelne
feiner Borgänger fyat er nationale Kollegien gur SluSbilbung beS föleruS ber Unierten in
9?om (f. über bie berfdjiebenen Kollegien biefer 2trt b,ier am 6entralfi|: ^öfrter ©. 67),
aber aud) in ^onftantinobel unb Sitten gefdmffen (baS in ^onftantinobel unterftettte er
25 ben franjöfifdjen 2Iuguftmer=2lffumbtioniften , bie u. a. feit 1897 bie oben ©. 245, 6i
notierte geitfcfyrift Echos d'Orient herausgeben). %n ber @ncr/clifa „3ln alle dürften
unb Böller ber @rbe" (Praeclara Gratulationis, fie War ber ©an! für bie Shtnb=
gebungen auS 2lnlaf$ feine» BifcfyofSjubtläumS), $unt 1894 nennt er unter ben fragen,
bie ib,m am §er§en lägen, borab bie ber „Unionen" @r berftcfyert bie Orientalen, ba$
30 er „unb feine 5Racf)foIger" niemals etWaS de jure , de patriarchalibus privilegiis,
de rituali cujusque ecclesiae consuetudine abtijmn Würben. ®ie fd)on erwähnte
Butte Orientalium Dignitas fottte baS in 9ted)tSform beftätigen. ©ie btlbete ben 2lb=
fd)Iuf$ einer Konferenz ber orienta!ifd)en Patriarchen, bie er nod) im §erbft 1894 um
fid) fammelte. Bgl. über biefe Konferenz fbejiett 20. ®öl)ler, ©. 38 ff. £eo erWteS ftcb,
35 im Weiteften SRafse ben klagen ber Orientalen über BergeWattigungen, bie fie im 2öiber=
fbrud) mit ben feit 2HterS immer Wieber „geWäfyrleifteien" greiljeiten tfyatfädjücb, erbulbet
tjätten unb erbulbeten, ^ugänglid). @r War Ilug unb grofs genug, um baS „Satinifieren"
gerabeju ^u tabeln. t)ie ittegalen 9JJafmafymen puS' IX. machte er atterbingS nicfyt
rückgängig. 5Dte befonberen „lateinifcfyen" 9ßatriard)aie k. beS Orients b,ob er aufy
40 feineSWegS auf, befcfyränfte aber ifyren @ifer, eigentliche „Sateiner" aus ben Orientalen §u
gewinnen, ©eine Hoffnungen für bie ©efamtürcfye Waren gerabe auSbrüdlicb, auf bie $örbe=
rung ber „Unierten" als foldjer geftü^t.
3. Bleibt es in ber 5ßoIitif ber $ätofte bei ben ©runbfä^en SeoS, fo Wirb baS
^irdjenWefen ber Unierten immerhin ein fe^r anbereS Slnfe^en bewahren, als baS un=
45 mittelbar römifd^atfyolifc^e. SoofS b,at böttig recb,t, Wenn er ©. 395 fcb, reibt: „©ie nid)t=
Iateinifd;e Iird)enfbrad)e ift Wab^rltd) nid^t bie einige Befonber^eit, bie ben Unierten
belaffen ift. ©ie fjaben ifyre eigene Siturgie, eine 9?eib,e eigener $efte unb eigener Jiird;en=
gebäube; fie muffen ^War bie römifdjen ^eiligen als ^eilige anerfennen, feiern aber ib,re
2agc ntcr)t, g!eid)Wie fie bon ben fiiejififd^ abenblänbifc|en geften nur baS gronIeid)naml=
so feft angenommen fy ahm ; fie fyaben nidjt bie bunte JRannigfaltigleit beS abenblänbifa)en
5Röncb,tumS — auf ben meiften ber unierten ©ebiete giebt'S nur Bafüianifdje 2Jcöncfye
ober Stntonianer [baneben bei ben Armeniern bie 3Jcecb,itariften in Benebig unb Söien]
— fie fyaben bor attem nod) ib,r eigenes, nur teilweis (3. B. im ©fyerecfyt) abgeänberteS
ober mobifijierteS Äircb,enred}t unb i§re eigene 5!ircb,enbiSjibIin [ifyre %xt bon gaften, bon
55 2BeU)egraben, bie $rieftereb,e, Briefterbärte 2c. jc.]" Böttig anfctjaulict) ju machen Wäre baS
$ird)entum ber Unierten nur unter 3fücfgreifen auf baS J^ird)entum ber „ortfyobor.en"
©ried)en betfv. je bie alte fyiftorifd) gegebene gorm ber „9tebenlird;en" (©elten) beS
Orients, bie in geWiffen Seilen jur Union übergegangen finb. $n ^i£fer $inftd)t ift auf
bie einzelnen ©onberartilel ju berWeifen. Die eigentlich ab enblänbifd) = römifc^e 2lrt
60 bon grömmigleit Wirb in biefen ^irtfien nie l^eimifcb, Werben tonnen. ®enn fie t)ängt
Itnicrtc Orientalen 249
eben an cinberen gaftoren nod) als bem bloßen „SDognta" itnb bem äußeren $u=
fammenr/ang mit 3tom. (@S gehört ju ben frönen 3"0en i" ber ©nctycltfa £eoS XIII.
t>om Suni 1891 [Praeclara Gratulationis], baf? ber Söunfct/ nad; einer „plena ac
perfecta conjunetio" in ber „fides", bie mefyr fei als certa aliqua dogmatum
credendorum concordia fraternaeque caritatis commutatio, barin auSgebrüdt 5
toirb [in bem .ßufammenr/ange, wo bie 2}erfd)iebenr/eit ber Seiten auSbrüdlid) für bie
Tauer ^ugeftanben Wirb!] 2lber ber ^ßa^ft fteb/t als Geolog unb £iftorifer mcr)t fcf/arf
genug. Cb je ein ^ßapft aus ben linierten Verborgenen unb in feiner berfönlicfyen Haltung
fortfahren fömtte, nad; beren 2lrt ©Ott gu bienen?!)
II. Überfielt über bie einzelnen unierten $trd)en. $Die ©efamtjiffer ber 10
linierten mag 51/, Millionen betragen. Wan lann ifyre &ircr)en nad; berfdjiebenen
©efidiSbuniten gruppieren, gunädjft nacr) ^r 33erfc§Ubentyeit ber „Otiten", rote fer/on
oben ©. 246, ig— 18 in ber Äürje angebeutet Worben. ©obann nacb, ben „SBerfaffungStfyben"
$n biefer SSetfe ergeben ftd? brei (Brufen ($öf)ler, ©. 3): a) (Solche ©emeinfer/aften,
bie nur im engeren ©inne eigene 9iiten, jeboeb, feine eigene §ierardne I)aben, fonbern 15
unter lateinifd)en 23ifd)öfen fter/en: bie ©riechen in Italien, bie Wenigen ^Bulgaren unb
Jlbeffinier, ein %exl ber Armenier, aueb, bie fog. SfyomaSdiriften. b) ©olcfye mit eigenen
^ifeböfen, ja jum Seil eigenen 9ftetroboliten: befonberS in Dfterreicf/=Ungam. c) ®ie
$atriard)ate beS SftorgenlanbS. (Sftannigfacb, mufs man bie Unterfcfüebe, bie baS römifdjie
Mird)ertred)t in |>inftd)t ber provinciae sedis apostolicae unb terrae missionis macb,t, 20
unb bie normen ber Drganifation ber legieren beachten [bgl. barüber 2lrt. „Stömifcfye
kixfy" 33b XVII ©. 96—97], um bie 2trt ber ©inglieberung ober Seauffidjtigung ber
berfcfyiebenartigen unierten ©ebiete ju begreifen, ©ie in 33etrad)t lommenben ©ebiete finb
nid)t felbft terrae missionis, jum %dl jebodt) geograbfyifd) in folgen belegen unb beren
Drganifation eingefügt. Stile ^Angelegenheiten ber unierten ^ircfyen unierfteb/en bei ber 25
fturie ber S. Congregatio de Propaganda fide [f. über biefe 2lrt. „9vöm. Ätrdje",
S. 98, 54], fbe^iell bem borb)tn ©. 248, 10 bezeichneten $Weige berfelben. [SSereinjelte ?0cale
fmb aud) Äarbinäle aus ben linierten freiert roorben.]) 9Jttr fd;eini eS braftifcb, am
beften bei einer Überfielt rein geograbfnfcb, ju berfalnm ©ann ergeben fidc) folgenbe
ßiref/en: 30
A. in Suropa: 21IS ältefte unb am Weiteften in ber Union innerlich ber römifdjen
ßirdie angenähert:
1. Sie ber Italograeci. SBflI. SRe&er in ÄÄSS VI, 1133—1141; b,ier eine Über=
ficb>t über bie Wedjfelbolle ©efd)id)te, befonberS ber efyebem Widrigen ©emeinbe bon
Senebig. ©injelne ©rubben finb bureb, baS ganje ®önigreid) b/tn jerftreut. SJombaftere 35
©rubben nur in ßalabrien unb ©Milien; ©efamtjal)! etwa 50000. Über bie (Sinjel=
Reiten ber Sülle Etsi Pastoralis (f. ©. 248, 1) berichtet Nefjer. ®a biefe ©rieben
lateinifd^en 93tfcr)öfert als Drbinarien unterteilt finb, boct) aber ib,re ^riefter bon biefen
nirfit geroeib,t werben fönnen, Jat ber ^abft mehrere „Söei^bifc^ijfe" il)reS SrituS beftellt.
2. Unierte ®ircr/en Dfterreicf)=lingarnS. ©ie gehören bis auf eine, bie 40
armenifcb,e, bem Ritus graecus an, verfallen aber nacb, ben Nationalitäten unb
nacb, ben ÄultuSf brauen in folgenbe ©rupben:
a) Sirene ber 3tutf)etten. ©peätallitteratur: ÜK. o. 3Kaltnom§fi, ®ie Sirenen»
unb ©taatgfa^ungen Bejügf. beg grtedi.=fatt). Situs ber 3Jut^enen in (.«attgien, 1861 ; W. §ara=
ÜeiDtc^, Annales ecclesiae ruthenae communionem cum s. Sede Romana habentis, 45
1S02; 9kt. „giem", Stt^2 S3b VI bon SRetjer, 1889; g. SitomSfi, ®ie rut(]enifd)=römifcl)e
fiirdjenberetnigung , genannt Union §u SBreft; ciu§ betn ^olni(d)en überfe^t oon 5ß. 3eb=
jinf, 1904.
es b,anbelt ftdj bei biefer $ird)c jur ßeit nur noct; um „9veftc" ©ennoct) ift fie
bie größte aller. SDenn bie ßar)I it)rer SDZitglieber beträgt in ©alijien (1900; f. §übner= 50
3urafcb,e!) ftarf 3 Millionen, in Ungarn etroa V, gjliHion. ®ie üird;e, beren ©brache baS
lHltflaroifd)e ift, fyat in ©alijien eine boEftänbig felbftftänbige Drganifation als ein 6rj=
Kstum: 9)JetroboIie ^alicj (ober „ßrjbiStum bon Semberg rit. graec") errietet 1807,
mit jtoet ©uffraganfit^en (^rjem^sl = Sßefigali^ien, ©taniSlaroöro = Dftgalisien unb bie
Öuforoina). ^n Ungarn b,at fie jtoei Bistümer (3Jiun!acj unb (SbcrieS), bie unter bem 55
lateinifdten ^ßrimaS beS SanbeS (bem ©rgbifd;of bon ©ran) flehen. (Inblid) ift it)r ein
ferbifdeS SiStum in Ungarn angegliebert (treu^ in Kroatien), unter bem lateinifdten
Gr^ifdof bon 2lgram (nur 20—25000 ©eclen, als felbftftänbige ©bardne fdton unter
3)?aria i^erefia lonftituiert : fie !ann mit ber rutf;cnifd)en Äirdtc jufamntengefa^t werben,
ba alle flaroifc£)en Äirdicn bie glcidjc Üird)cnfbrad)e f;abcn |aud;, foiocit fie uniert finb,»)
250 Hniertc Orientalen
bie gleiche 33 u dj ft a b e n form, bie „glagolitifer/e" — bie ortbobojren, römifcb, auSgebrüdt:
„afatr;oltfd)en" ober „fcfyiSmatifdjen" $ird;en, b/aben mit tfynen bte itircfyenfpra d)e, aber
nicfjt bte 23ucbJtabenform gemein; bte letzteren fyaben fid) bie „cfyrilüfcfje" ©cfyrift an=
geeignet!]).
5 35te Stutfyenen finb eines ber 33ölfer, bie in ber ©efd)tcf)te bisher nicfyt ju il)rem
SRed^te gefommen finb. ©ie finb eS, bte eigentlich ben tarnen ber „Muffen" urfprünglid)
tragen unb in £ieb bte erfte Metropole ber Dftflamen befeffen fyaben. $ur geit ^ei^en
fie in Sfufjlanb entroeber Ufrainer ober ^leinruffen, fie fyaben im ganzen einen 23efianb bon
etroa 30 2Jittltonen ©eelen. ^ad) ben SEatareneinfäHen im 13. ^a^unbert mar tE>r
10 Sanb im 14. $al)rf;unbert teils an ^ßolen, teils an Sittauen, bann nad) ber Bereinigung
ber beiben letzteren 9leid)e (1385) faft ganj an *|Men gefommen. %üt biefeS 5Reid) maren
fie jeboeb, ein unfidjerer 33eftanbteil , folange fie „ortr/obor." blieben. Qumal nadjbem
„©rofjrufjlanb" in SftoSfau bureb, ©rfyebung beS bortigen 9Ketrotooiiten jum Patriarchen
(1589) ein toöllig freies fircfylicfyeS Zentrum unb bamit neuen ©lanj gemonnen I)atte,
15 beftanb feine geringe ©efab. r für bie $ßolen , bafj bie immerhin ben 9KoSfottntem fefy r
biel näfyer, als tljmen, ben SSeidjfelflaroen, bertoanbten Ufrainer auf 2tnfd)Iuf; an ©rofs=
rufjlanb finnen mürben, ©o empfab/I fieb, für fie auS bolitifcfyer Stücfficfyt bie Setreibung
ber Union ^reifc^en ben Ufrainern ober 9fo%nen mit 3f{om. ©in 3ted^tStiteI bafür mar
borI)anben feit bem ^onjil bon ^Ioren§, auf bem fbejiell aueb, JJfibor bon ^ieto fidj für
20 bie Union erflärt f/atte. 92icb,t of)ne reid)Iid)en ©dmlbanteü ^onftantinobels bejro. ber
lanbfremben, griednfcfyen Metropoliten bon $ieb, unter rüb,rigfter Xfyätigfeit ber Qefuiten
(©farga, ^offebin) fam eS im 2>al)re 1596 auf ber ©fynobe $u 23reft (in Sittauen)
mirflicb, ju bem neuen 23efcf/Iuf$ einer Union ber 3tutr/enen mit 9tom. ©er 9JktroboIit
bon $ieb, Sftidjael 9tef;ofa (SRagoja), accebtierte fie, immerhin berfönlicb, oljme fieb, me!)r
25 als äufserlicb, gefügig ju erroeifen. ©eine 9?acr/foIger, §t)batiuS $ociej (1600—1613)
unb Belamin 9?utSfi (1613—1637), toaren um fo eifriger. (2In bem ©rgbifcfyof ^ofobbat
ihm^eroitfeb, bon ^ßolojf, ber bon ben erregten Drtb,obojen 1623 ermorbet mürbe, erhielt
bie Union tfyren fbe^ififd^en 3ftärtr/rer [bon puS IX. 1867 fanonifiert — Seo XIII.
b,at fein geft aueb. auf ben lateinifcr/en StituS mitauSgebefjmt]). ©o gelang eS in ber
30 ^Zfyat, baf* bis 3JJitte beS 17. ^a^uno^tS bie Union jiemlid; boEftänbig in bem Steidje
burdjgefetjt mürbe. 9htr bie ©iöcefen bon Semberg unb Sujf ftanben noeb. auS, ergaben
fid) 1700 unb 1702 aber auefy. ©er gerfaK ^olenS b,at bie golge gehabt, ba| bie
„Union bon 53reft" im roefentlidjen auf ben 3!eil beS 9teid)S, ber an Öfterreid) fam,
^unterging. (Sie 9tutb,enen im ©ebiete ber ©tebb,anSfrone §aben mit ber Union bon
35 Sreft an ftd) nichts ju tb,un, fonbern eine befonbere Union um bte SRitte beS 17. ^ab,r=
{»unberts abgefebjoffen.) Qm einzelnen ^aben bie 9?utt>enen befonberS oft über „3Ser=
geroaltigung" burd) bie „Iateinifd;en" 33ifd;öfe (ober bie biefen ^ugetfyane Regierung) ^u
flogen gehabt, ^n ©altgten bauern bie fird;Iicb,en unb bolitifd^en klagen fort. Slber
aud) in Siuplanb finb bie Stutl^enen ferneren Sebrängniffen als ©onbernationalität (maS
40 fie im relatiben ©inne zweifellos finb) auSgejetjt. ©o b,at aud; bie „Drtfioborje" feine
unbebingte 3Serbefraft für fie. 0ßgl. ben inftruftiben älrtifel „JUeinruffen" in bem
©ammetoerfe „Muffen über Stufelanb", b,erauSgeg. bon 3. Belnif, 1906.)
b) Sirene ber Rumänen, ©ie befteb,t nur in Ungarn, befonberS in Siebenbürgen
unb reicht in unfidjeren Anfängen bis ins 17. $af)tl)unbert jurüd. 3)ie 3Bed;feIfäße
45 ib,rer ©efd;id)te finb in manchen Sejiebungen nid^t unintereffant. ^n Se^ug auf bie
Rumänen tburbe juerft bie ^bee bon „^ßerfonalbiöcefen", bie u. a. bie ^efibenj mehrerer
„fatb,olifd;er" S3ifd)öfe, für berfd)tebene „SUten", am gleiten Drte geftattet, ins Sluge ge=
fafet unb nad) bielem ©d)toanfen berroirflicb.t: fie mar mit Segug auf bie Unierten unb
bei ber territorialen ® urdjeinanbermifcfyung ber 9titen gar nidu1 ju umgeben.
50 ^ur 3eit bilbet bie Hird;e (ib,re eigene üird)enfbrad)e b,aben bie Rumänen erft im
17. ^a§r|»unbert befommen) eine felbftftänbige 9Mrotoolie, bie bon gogarafd) ober 3llba
^ulia, mit brei ©uffraganbiStümern (in SugoS, ©rofe=9Barbein unb ©jamoS=Ubjär), ju=
fammen etma eine SMion.
c) ©ie ^ircb,e ber Armenier. @in (Sr^biStum in Semberg, eine größere ©e=
55 meinbe befonberS in 2öien ; aber aud) bie Armenier in 33enebig gehören baju. %n&
gefamt bod) nur roenige 3CRitglieber (b,öd;ftenS 4—5000). Über bie berühmte armenifd;=
fatb,oIifd)e 9)?önd;Sfongregation ber 3Jied;itariften (in Senebig unb Söien) bgt. ben Slrt.
Sb XII ©. 477—482.
3. Uniaten in 9tuf$Ianb unb in ber^ürfei. ©^ejianitterotttr: (9f. feiner)
60 ^ie neueften 3uftnnbe ber Eatt). Strdjett beiber SRituS in «ßolen unb SRu^tanb fett gatfjarmn II,
ltnicrtc Orientalen 251
]s4l; G. Sihmisft, ©cfdiidjtc bc* allgemeinen SSerfall'ö bei' unievlcn rutfjeuifdicn Mivdjc im LS.
imb 19. Saijr&imbert unter jwlnifdjem unb rufftfdjem ©cepter, beutfd) bon 91. Slocätjnäft,
2 93be, 1S85 u. 1887 ; 9trt. „$tew" u. „£ürfei" $®S2
a) Tie ©dndfale bcr rutf>enifd)en uniertm $ird)e toaren, tote fd)on berührt, eng bcr=
floaten in bie beS bolnifdjen 9teid)eS. geittoeilig Mte & Den 2lnfd)ein, bafe biefe £trd)c ö
bie ganjc Nation umfbannen toerbe. ©er bolmfcr/e latetnifcfye JlleruS toar jebod) biet ju
begierig, bie Union too möglich in eine 2lnnerjon umjugeftalten unb bie unierte $ird)e
minbeftenS in bolle fyierardnfdie Unfelbftftänbigfeit ju berfe^en, bie bolnifcfyc Regierung
anbrcrfeitS toar bolitifcb, biel ju getoalttf)ätig , als bafe bie Kutanen ntd)t immer triebet
Widfyalt an bem Matriarchat unb ber £ird)e bon SRoSfau fyätten fucfyen f ollen. ©cb,on 1648 fam 10
es jum 2lufftanbe ber Äofafen toiber ^olen unb bamit -mm ^Beginn ber enblofen SSirren,
bie baS ^olenreicb, fd)liefeltcb, Vernieteten. %n ®\& M^ M fä>on äiemlicf) balb neben
bem unierten Metropoliten ein ortfyobojer etabliert. ®er ^3atriarcf) CEfyeobfyarteS bon
Jerufalem blatte 1620 einen folgen getoeifyt, unb bie toolnifcfr/e 9ftacf/t reifte nic^t aus,
bie gortfe^ung ber Steige „fdnSmatifcber" Metropoliten bon ®ieb ju berfyinbern (ber 15
befanntefte in biefer !Weifye ift betrug MogilaS ober 9Jiof>ila, 1633—1647; f. über iljm
unb feine „Confessio orthodoxa" ben 2lrt. bon «ß&. 3Jfer,er, 23b XIII ©. 249). (Srft
17U7 gelang eS, nacfybem jebocb, inätoifdjen ein großer &eü ber Ufraine (baS gan^e
ßofafengebiet) befinitib an -Rufelanb abgetreten toar unb ®ieb jtoar in bolnifcfyem Ü8efr|
geblieben, aber firdjenbolitifcr; faft bebeutungSloS getoorben toar, biefe SRetrobolie toieber 20
rein uniert ju geftalten. Qm einzelnen ju berfolgen, toie unb in toelct/em Umfange burd;
bie berfa)iebenen „Teilungen" (bie „erfte" gefdjab, 1775, bie toeiteren 1793, 1795, gule$t
1815) feolnifdje ©ebiete an Stufelanb famen, tft Ejter nid)t im ^ßla^e. getttoeilig getoann
burd) biefe politifcfyen Vorgänge aud) ^reufeen eine „unierte" ©iöcefe (bie bon ©ubraSl,
1807 im ^rieben bon £tffvt an 9?ufelanb übergegangen), $n JRufelanb galt eS als felbft= 25
berftänblidje Aufgabe, bie Union ber JRutfyenen toieber rücfgängig ju mad)en. ^attjarina II.
ertoieS ftdi in biefer S3egter)ung als bößig rüdfid)tS= unb ffrubelloS. ®en ©tut)I bon
$ieb berfud)te fie nid)t fotoobjt bon ber Union ju befreien, als bielmefyr aufgeben, ©te
foß nid)t toeniger als ad)t Millionen Unierte toieber $u Drtr;oborm gemacht b,aben. -Jhtr
baS ©rjbiStum ^ßolo^ liefe fie nod) toetterbeftef)en. Jjfyre beiben näd}ften 3Rad;folger, 30
$aul I. unb SUejanber I., toaren im ©egenfa|e ju ib,r tolerant unb geftatteten fogar
eine ^ierard)ifd)e 9Zeuorganifation ber Unierten, befonberS in ben nbrblicfyen, Itttautfc^en
Jiftriften. hingegen TOfolauS I. fd)Iug toieber bie 2Sege ^at^arinaS ein unb brachte eS
bis 1839 ba^in, bafj bie Unierten, fotoeit i^r ©ebiet bem eigentlichen 9iufelanb an=
gegliebert toar, „freitoiHtg" baten, in bie orti)obor.e „Äirct)e ib,rer SSäter" jurücfleljren ju 35
bürfen. ©ie immer nocb, uniert berbliebene, relatib Heine ®iöcefe bon 6b,elm (in
„tongrefjbolen") tourbe bann 1875 bon Slleranber II. ebenfalls in bie orir/oboje ©taatS=
fird)e mit aufgenommen, ©eitler giebt eS feine unierte rutfyenifcfye Äircfje in ^Kufelanb
me^r. SRämltdj trjatfäc^licb,. ,,^trct)enred)tltcr;" b,at 9^om auf nicbtS berjic^tet unb (»alt eS
biejenige Drganifation, in bie eS jule|t eingetoilligt i)at, aufregt, toenn eS bie entfbrec^en= 40
ben b,ierarcf;ifcr;en ©teilen aud) nicb,t befe^t. Qm Moment ift baburcb, toieber eine neue
Situation gegeben, bafs ber „Cftererlafe bon 1905", burd) ben SftfoIauS II. £ultfreib,eit
in feinem Steige getoä^rte, eine größere ober geringere Qafyl foId;er, bie im ©efyeimen an
ber Union feftgefjalten Ratten, in ©tanb gefegt bat, ^u „$Rom" jurüc!äu!eb,ren. 3luS ber
oben ©. 245, 48 bezeichneten ©d)rift beS ^ßrtnjen Mar. bon ©acbjen entnehme icb, , bajj biefe 45
borerft nocl) gelungen feien, fid) jum „lateinifdien ^HituS" ^u galten. 3)enn eine
„fatfyolifdie" J?ird>e mit „gried)ifd)em ^RituS" fei eben bod) in 3tufelanb nod) nicf)t „an=
erJannt" ©er ^rinj ertoägt bie Sorjüge unb Sebenlen biefeS ßuftanbeS für 5Jom.
3m einzelnen finb aEe 93eri(|te über bie 2lrt, toie bie Union in 9lufjlanb rüdgängig ge=
toorben unb toie bie ^uftänbe gur Qeit liegen, fo unburd}ficf)tig, bafe ein fjiftorifcb, ju= 50
treffenbeS Urteil laum ju getoinnen ift.
@S giebt in Stufjlanb jerftreut aud; linierte (ruff. „Untaten") bon anberem als
„gried)ifd)em" SRituS, befonberS Irmenier. ©otoeit bie SlaufafuSlänber in 33etrac§t fommen,
bgl. bie Semerlungen über ben fog. „cilicifdien ^atriard>at" ®ie fonftigen armenifdjen
unierten ©emeinben unterftel;en Iateinifc6,en 3^ilariaten. 55
b) gür bie Xür!ei ift b, i e r nur berjenigen Unierten ju gebenlen, bie auf ber 33alfan=
^albtnfel leben, @S l)anbelt ficb babei (fotoeit ber „griednfd)e 9tituS" in 33etrad)t fommt)
um minimale ©rubben, bie ben „^Otiffionen" angegliebert finb. §offnungSboE liefe fia)
bie ©acf)e ber Union anfdjeinenb ^eittoetlig unter ben Bulgaren an, folange fie nocb
^olitifd) gänjlidb, unfrei, fircljlicb, bom öfumenifd;en Patriarchate abhängig toaren. ^m so
252 linierte Orientalen
^afyre 1860 fe|te fyter eine UnionSbemegung ein, bie puS IX. nur all^u „tfyatfräftig" untcr=
ftü|te. ©ie ift balb im toef entließen im ©anbe Verlaufen, jumal nad) Segrünbung beS
„Bulgarien ©rarcfyatS", 1872. ©ie Bulgaren finb feit ifyrer 33el;er)rung ein befonberer
©egenftanb ber Hoffnung, ja beS „2lnftorucf)S" ber $äbfte gemefen (f. meinen 2trt.
5 „^otiuS", 93b XV ©. 380) ; fie f>aben boeb, immer 9frm nur getäufcj>t. Seo XIII.
f>at bie unierte „ecclesia Bulgarorum" 1883 in brei „a^cftoltfc^e Sifariate" eingeteilt;
tfyre SDiitglieber roagt niemanb auf mef>r als 10—15000 ©eelen ju beranfdjlagen. —
^n ^onftantinobel giebt eS aueb, eine $ai)l unierter Armenier unb „^DMcfyiten" ; barüber
fogleict;.
10 B. Linierte ^ircfyen in Stfien unb 2lfrifa.
©tefe ^irdpen bieten baS befonbere gefc^ic^tlic^e unb recfytlidjie ^ntereffe, bafs fie faft
fämtlid) al§ „Patriarchate" organifiert finb. Über baS 9Jia| ber 2lbr>ängtgfett ber
unierten Patriarchen als fo!ct)er Dom ^abfte fyerrfcfyt im einzelnen einige UnfTarfyett.
©icfjer ift, bajj 5tom bie altlircfylicfye Sfangfiellung unb Sfecr/tSbefugniS, bie fief) in bem
15 $atriarcf)entitel auSbrüät, in beftimmtem 9JJaf$e magren toill. ©ie Orientalen ^ßatrt=
ardjen fte^ert anberS als bie occibentalifcfyen. (©er Segriff eines „Patriarchen" unter*
feb, eibet ftcf/ in geroiffem Umfange bon bem eines Dbermetroboliten, aud) bem eines ^rimaS.)
©er ©cf)ematiSmuS faft aUer orienialifcrjen Patriarchate roeift eine 2tbfiufung bon @rs=
btfct)öfen unb bloßen „Sifdjöfen" auf: baS barf nid)t irre führen, eS fyanbelt fieb, lebig=
20 lieb, unb überall nur um %itularunterfcf)eibungen, rttd^t i) ierarcfnfcfye Über= unb Unter*
orbnungen; it)irflict)e „©uffragane" i)at nur ber ^atriardj). ©od) eS ift ju weitläufig, aud)
in Sejug auf bie uiatfäcf/licf) ntcf)t bebeutfame 2lrt ber unierten Patriarchate laum angezeigt,
ben frmlreten ;JRecr)tSberr;äItniffen fyter näl)er ju treten, ©ie §aubtfad)e ift, bafj bie unierten
Patriarchen meift irgenbroie ein ditdjt ber (Ernennung ib,rer ©uffragane b,aben, aud)
25 fbejififd)e ©tjnoben berufen tonnen, ©.ben zweiten ber oben ©.245,26 bezeichneten
2tuffäie Don §ergenrötl)er, ferner befonberS noeb, ^infc^iuS, ©aS Äircr/enrecfyt ber $att)o=
lifen unb ^roteftanten I, 1869, ©. 538 ff., fbe^ieß ©. 562 ff.; baS oben ©. 245,49 aueb,
benannte Söerf eines fatfyolifcf/en 2igttoterS ift mel)r umftänblid), als grünblicb, unb nur
mit 33orftd)t ju benutzen.
30 $ur 3e^ S'eDt eg fecP unierte Patriarchate:
1. ©er Patriarchatus Ciliciae Armenorum. @r ift feit 1867 in $on=
ftantinobel bomijiliert (nad) S3etl) ©. 153 t)at bie ©emeinbe Irier 14 ^ircfyen unb runb
16000 SRitglieber), umfaßt aber aufjer ben armenifd)=l:aiI)olifd)en ©emeinben ber 93al!an=
I)albinfel nod) biejenigen in sJ{uffiftf; Armenien unb im auf$ereurotoätfd)en ©ebtete beS
35 ©ultanS. ©er 2itel beutet barauf I)in , baf$ bie Union ausgegangen ift Don ben in
(Sictlien unb ©fyrien Verbreiteten Slrmeniern (ber ^Batriarcb, refibierte bis 1867 auf bem
Sibanon in @I=^urein ober 33jommar). ©ie ^aubtöun!te ber ©efcb.icljte f. bei 3Serner,
©. 144 ff. Unter bem Patriarchen (ber bureb, ^iuS IX., f. oben ©. 248, 13, in feinen
üRedjten feb,r beeinträchtigt mürbe) fiebert 10 ©iöcefen (eine Heine barunter in ^erfien) ; im
40 gangen l)anbelt eS fiel) aber um nicr/t »iel mef)r als etroa 100 000 ©eelen (©ilbernagl
fagt: „130000", aber SBerner beregnete nur etroa 94000, unb er ift im allgemeinen
nicf>t ängftlicl) in feinen 3iffern)-
2. ©ie brei antioeb, enif c^en Patriarchate:
a) Patriarchatus Antiochenus Graeco-Melchitarum. @r umfaßt bie
45 unierten ^ationalgrtecfjen beS türlijc£)en SieicfyS. ©ie ftärffte $at)l folcb,er finbet fieb, im
alten ©^rien (©amaStuS, Beirut, ©aiba [= ©ibon], befonberS 9)tariamne [fieute = Qofyltf),
an ber Salm bon Seirut nact) ©amaSfuS]); baf)er bie Benennung beS Matriarchats,
beffen ^nftaber übrigens nief/t in bem heutigen 2lntaija refibiert, fonbern in bem Älofter
(Hlerilerfeminar) 3lin=SEraj im Sibanon. Organifiert finb bie „9Jtelcf)iten" in 15 ©iöcefen,
50 mit inSgefamt etwa 120 000 ©eelen.
b) Patriarchatus Antiochenus Syro-Maronitarum. 9iebräfentiert bie
lolal am meiften jufammenfyängenbe (faft ganj im Sibanon fonjentrierte) unierte Strebe
beS Orients, organifiert in 8 bejm. 9 ©iöcefen mit bielleic^t etroaS über 250000 ©eelen.
©. SCrt. „Warontten" bon Stoebiger^efeler, Sb XII ©. 355—364.
55 c) Patriarchatus Antiochenus Syrorum. ©in Srudjteil ber ^afobiten; ber
^atriareb, refibiert in Harbin (bei ©iarbefr, im oberen Sanbe beS Tigris), bat 9 ©iöcefen
unter fiel), bei im ganzen bielleicr/t 15—20000 3lnb,ängern. — ©afe biefe brei Streben
fieb, alle im tarnen mit Slnttocbia in Serbinbung bringen, bebeutet jum Xeil b^iftorifc^e
Slnfbrüc^e, baneben jebenfaUS einen toob,lflingenben mittel.
60 3. ©er Patriarchatus Chaldaeorum Babylonensis. ©ine auS ben
Unicrte Orientalen Union, firdjlidje 253
"lteftortanem gewonnene UnionSftrdje. Vgl. für ifyre @efd)icfyte ben 2lrt. „ßt>albäifd)c
Triften" M2* III, 41—45, bon 9}el>cr. 3^r Verhältnis ju 9rom fear burd) 9Jta|=
nahmen $iu3' IX. (f. oben ©. 248, u) lange fefyr unfidjer unb ift eS tt>or)l nod). Unter
bem Patriarchen fielen 11 $)iöcefen, für bie SBerner nur etwa 40000, ©ilbernagl
bagcgen 70 000 ©eelen anfe^t. ®er ©t| be§ Patriarchen ift SRoffuI. SDie „ßfmlbäer" 5
bieten für ben fyiftoriftfjen gorfctjer befonbereS ^ntereffe, ba fie eine grofee Vergangenheit
aU „9ceftorianer" gehabt fyaben unb ba u>e ©ntitndelung als folcfyer ficb, auf$erl)alb ber
©renken beS oftrbmifcfyen Steiges bottjog. ^fyre Stturgie unb ifyr 3Jiönd;tum ift bafür
ein $euge.
4. J2)te @rrid)tung eines fecf)ften unierten Matriarchats, nämlid) für bie fototif die 10
ßirdje SIgtytotenS gehört $u ben organifatorifcr)en Mafjnafymen, bie £eo XIII. ghjcdfmäfetg
befartb. 2lm 26. ^ouember 1895 ftiftete biefer gern ins ©rojje unb in eine ferne ^u=
fünft blidenbe Vabft ben Patriarchatus Alexandrinus Coptorum, mit bem
$atriarcfyenfit5 in «airo unb zwei ©iöcefen. £eine Veredmung ber ©eelenzaljil wagt fid)
über 21000 fyinauS (fo «Rejjer im Slrt. „£ürlei", GAS" XII, 134); nad) Vetl), ber 16
3. 12itf. ben ßenfuS bon 1900 mitteilt, beziffern fid) alle (alfo nicf)t btoj} bie lobtifdjen)
linierten StgfybtenS auf 4630! %üx bie Verfyältniffe im einzelnen bgl. befonberS
bas SBerf bon ©. ©ibaroufj.
5. 9Jocb ift I)ier ber linierten unter ben Slbeffiniern unb ^IjomaScfyriften gu
gebenfen. ©ie $al)l ber erfteren ift ganz gering ; fie fielen je£t unter einem im Sanbc 20
(in Äeren) refibierenben eigenen aboftolifdjien Vifar. gür bie legieren f. ben ©cfy!uJ3=
abfdmitt be§ 2trt. „SRefiortaner" Vb XIII ©. 735—36, bon ^etermann4?efeler. (£ur
Sitteratur über fie ift nachzutragen : ©. 5R 9rae, The Syrian church in India, 1892).
Öco XIII. bat fie 1887 in brei befonberen „Vicariatus apostolici Syro-Malabarorum"
(f. bie -Kamen bei Söerner, ©. 175), b. £). fo befaßt, bafj fie unter lateinifdjen Oberen 25
ftefyen, bie baS „Vribilegium fyaben, nad; ft)rtfd;em S'tituS §u bonttfijieren unb ju !onfir=
miercn", übrigens einen ©eneralbüar unb einen Seirat bon bier ©eiftlicfyen aus bem
$oIfc felbft jur ©eite fyaben. Sie Qafyl ber in Vetracfyt !ommenben ^omaSdmften
fdieint etwas über 100000 z« betragen. %. Sattcnfcufif).
UmforntitätSalte f. b. 31. älnglilanifc^e ßird&e Vb I ©. 528, ie u. 529, 1. 30
lttttgenttuS, SBuCc f. b. 21. ^anfen 33b VIII ©. 597, w.
Union, lird}Iid}e. — Sitteratur: S. g. 9tt£fcf), Urtunbenbud) ber eoanget. Union,
Öonn 1853; 3. Mütter, S)te euangel. Union, iEjr SBefen unb göttliches 3fed)t, Sertin 18D4;
5- 3- @tat)I, ®te luttjer. Sirene unb bie Union, SBerltn 1859; S. §. ©act, S)te euang. Jfirclje
u. bie Union, «retnen 1861 ; 91. Stoeften, 9trt. Union in b. 1. 9luf(. b. $S®. ; S. «B. gering, 35
®e(cf|. b. firrfil. UnionSoerfudie, ßeips- 1836. 1838; 3. ©. @d)ribel, 9Utenm«Bige ©efd). ber neue=
ften Unternehmung einer Union, Setpjtg 1834; berf., TOittettungen über bie neuefte ffiefd)ict)te
ber luttjerifeben kuü)e, 1835 f.; 91. ©. Subelbadi, Deformation, Sutbertum unb Union,
Seipj. 1839; SR. g- Entert, etjaraftersüge au§ b. Se6en ftriebrid) «tU)etnt III., 3. £1. 1846;
Jf). si8angemann, ©ieben SSücfjer preufjtfdier fitrd)engefd)ict)te, SSerlht 1859 f. ; ®. $>. ©aef in ber 40
1. 9lufl. biefer 3fl.=(gitci)fl. ; f. g. 9t. ga^ttiS, Sie Union (?l. ®8. .ftß. 1868, 0. 81 ff.);
3-.S8ranbe§, ©efd)id)te ber fird)t. ^oütif be§ §aufe§ Sranbenöurg, @ott)a 1872 f.; %t>. SSnnge=
mann, -Die preufttfdje Union in tljrem SSertjältniS jur Una Sancta, 33ertin 1884; berf., ®ie
tird)Iid)e (Ja6inet§poIitit griebrief) 38itf)eImS III., SBerltn 1884; (£. g-örfter, Sie gntftetjung
ber ^reujjifdjen Sanbe§fird)e, 2 «Bbe, Tübingen 1905 unb 07; ®. ©. gtnUja&er, ®ie euang. 45
fivd)I. Union in 9Zaffou, SJBieSbaben 1895; «gl- audj bie Sitteratur bei bem 9lrt. Sutfieraner,
ieparierte 33b XII @. 1.
Hird)lid;e Union ift bie Vereinigung fonfeffioneU getrennter Äird^en ju einer fird;=
liefen ©emeinfcb.aft olme 2ßed}fel ber Jonfeffioneüen Überzeugungen. Unionen in biefem
Sinne fennt nur oer ^ßroteftanti§mu§, borneb, mlid; ber beutfct)e. ©enn bei ben berfd}iebenen 50
3Sereinigung3berfud)cn jmifdjen ber römifd^en unb ber ortentalifcfyen Äird^e banbelte e§ fia)
ftetg um 2lnerlennung be§ römifeben ?ßrimat§ bureb, bie ©riedjen, alfo um eine Slnberung
tyrer lonfeffionetlen Überzeugung in einem feljr mistigen fünfte; f;ierbon machte 91om
feine Slnerfennung ber Orientalen afö fat^olifd^er (Stiften abbängig. Unb bei ben Ver=
^lanblungen grotfet^en 9tömifd)en unb ^roteftanten über eine Iird}lid}c Vereinigung backten 55
U)entgften§ bie erfteren ebenfalls nid)t an eine Union im angegebenen ©inn, fonbern nur
an bie burefy mefyr ober weniger roertlofe ^ugeftänbniffe erleichterte Unterioerfung ber lei.v
teren unter 9tom.
254 Union, fird)H(f|e
3)te ©nttotcfelung ber Deformation führte jur ©ntftefyung jtoeter getrennter $on=
feffionen, Voeld^e Sefyre, Berfaffung unb SMtu<S eigenartig auSbtlbeten unb fid^, obgleict)
berfelben Bewegung entflammt, bocf) älmlicf; fc^roff gegeneinanber abfdjloffen, Wie beibe
gegen bie rbmifcfye ^irc^e. $n ber ©cr/toeig, ben Dteberlanben, ©djottlanb unb — Soweit
5 ba§ £anb für ben $roteftanti§mu<o gewonnen Würbe — in granfreicr;, Wie anbererfeit§ in
ben ffanbinatrifdjen Sänbern, tarn eine ber beiben Äonfeffionen ju au€fdjliepcber .gerrfcbaft,
Wogegen innerhalb be§ beutfdjen SSoIleg fid) nid)t nur ^roteftanten unb Äatbolifen, fon=
bern aucb, Sutfyeraner unb Deformierte gegenüberftanben. £>ier mufjte ber ©treit ber
Ä'onfeffionen am beftigften Werben, I)ier aud) ber SSunfc^) nacl; Bereinigung am leb=
10 fyafteften.
3unäcb,ft Waren bie Berührungen ber beiben proteftantif^en ^onfeffionen borWiegenb
bolemiSd); bocb, behielten ftct; 2utf)eraner unb Deformierte nid^t ganj gleich : bie £utr)eraner
(ernten bie ©emeinfcfyaft mit ben Deformierten entfdueben ab, Wäfyrenb biefe ficb, Don 2tnfang
an entgegenfommenb geigten. ®er ©runb, We§r/alb bie Sutt)eraner fid) bon ben Deformierten
15 getrennt füllten, lag allein in ber Berfd)iebenl)eit geroiffer ©ogmen, auf bie großen Unter=
Scfjiebe in JMtuS unb 3Serfaffung legte man lein ©eWidjt. ®a§ entfbrad) bem Umftanbe,
bafj bie ©Egonen ber Deformation au§fd)lief$lid)en Söert auf bie fircf)ltcf;e £el)re legten.
$n ©nglanb ftoielte bie BerfaffungSfrage eine älmlicfje bebeutenbe Dolle, Wie bie 2el)rfrage
in ©eutfdjlanb : §tt>tfcr)en ©biffobaliften, Breäbbterianem unb Qubebenbenten mar eine 3Ser=
20 ftänbigung über bie Sßerfaffung ebenfo unmöglich, roie über bie 2el)re Dom {»eiligen 3lbenb=
matjl §toifcb;en ben beutfd^en 2utb,eranern unb Deformierten, ©o lange nun bie Drtr/oborje
bie allgemeine Überzeugung befyerrfcfyte, fehlte ber Boben für erfolgreiche unioniftifdje 5£^>ätig=
feit: fo führten benn aud) bie 2lnnäfyerung3= unb 2kreinigung§t>erfud)e beS 16. unb
17. $al;rt;unbert3 ju feinem anberen Defultate, aU p bem, immer bon neuem p geigen,
25 bafc man nidjt einig mar. ©eitbem jebod) ber $ßieti3mu3 bie §errfd)aft ber Drtfyoboyje
erfdjüttert, bie 2lufflärung biefelbe gebrochen f)atte, fanb ber Union^gebanfe, ber bi§ bafym
nur bon einzelnen Männern gebflegt Worben mar, in Weiteren Greifen Slnflang: eS mar
bie Batyn für bie @infüf)rung ber Union geöffnet.
@iner ber Wefentlicbjten Unterschiebe jroifd^en Drtl)obor,ie unb Bieti3mu3 befielt barin,
so ba$ beibe Dichtungen berfdjneben über ben 2Bert ber Deinfyeit unb ber Uraft ber §römmig=
feit urteilen. %üx bie Drift, oborje mar bie Deinfyeit berfelben ba§ Slugfc^laggebenbe : fie
Schien geWabtt burcb bie Wtberfbrucb^loSe §errfd)aft ber „reinen 2el)re'/. Sern $ieti§mu§
entging bie Säufdjmng nid)t, bie bjer borlag; er feinerfeitä legte beSfyalb allen Dacf)brucf
auf bie ^ntenfität ber grömmigfeit, unb er meinte fie meffen ju fönnen an ber 2ebl)afttg=
35 feit ber religiösen ©mbfinbung unb an ber eigenartigen Sßeife beö religiöfen ©ebab/renS.
aiucf; er irrte, unb auch, fein Irrtum f)atte üble folgen ; benn Wenn bie Drtfyoborje eine
tote Ded^tgläubigf eit geförbert hatte, fo fbrberte ber ^ßietiömuö einen geiftlofen ÜDtetfyobtemuS
be§ religiöfen Seben§ unb ben@rfa| be§ religiöfen @efüf)l§ burcf; gemalte ©mbfinbungen.
2lber feine 3lnSd;auung blatte etma§ einleuc^tenbeg: fie mirfte auf bie roeiteften Greife unb
40 erfctmtterte bie ©tü^en, roelcfye bie fonfeffioneEe Trennung im öettmfetfein ber älteren
©eneration gehabt blatte, ©enn lebenbige ^römmigfeit mu^te man nicfyt feiten bei ©lie=
bern ber anberen ^onfeffion erblicfen, mäl)renb man il)ren SOJangel bei ©liebern ber eigenen
ju beflagen blatte; unb mar e§ bann berechtigt, ben erfteren eine ©emeinfa)aft p berfagen,
bie man ben festeren gemährte, \dh\t roenn man annahm, ba^ jene in einzelnen fünften
45 irrten? @g ift begreiflich, bafj bie Srübergemeinbe, biefe grud)t ber bietiftifc^en Bewegung,
bie erfte unierte firdjlicf)e ©emeinScf;aft roar.
Drtltoborje unb pettemu§ ftanben infofern auf gleichem Boben, al§ fie an ben 5Ef;at=
fachen ber Offenbarung festhielten, ^b^nen trat in ber Slufflärung eine 3Seltanfcf;auung
gegenüber, bie ba<3 Deligiöje jroar nic|t beseitigen Wollte, bie jebocb. ba§ Deltgiög=9öertboHe
50 nic^t in bem Sbegififcljen 3nb,alt beg christlichen ©laubenö erblicfte, (onbern in ber Sotnialen
unb be<3l)alb an \\<S) inhaltslosen 93orau3S4un9 ie^er b,tStorifd)en Deltgion, bem ©lauben
an ©ott, ^ugenb unb Unfterbtic^Jeit. Wü einer ©cb,netligfeit, bie beifbiello§ ift, errang
bie 3lufflärung bie $errfcf;aft unter ben ©ebilbeten. ©ie aber fonnte in ber fonfeffioneHen
Trennung nur eine 3Jli^biIbung erblicfen, erflä'rlicb au§ bem irrationellen Verlauf ber reli=
55 giöfen Bewegung. SBo bie 2lufflärung Berrfcbte, berScljWanb be§b,alb ba§ BeWu|tSein bon
Decfjt unb $flicl)t fonfeffioneller Trennung böflig. ©leicbWol)! Waren bie 3luSgeflärten
nicBt bie eigentlichen Präger be§ ©ebanfen§ einer Union ber beiben ebangelifc^en 5lon=
Sefftonen; bieg Qid wäre für fie ju niebrig geWefen. Dber Wo S« biefe Union forberten,
galt fie ibnen nur al<3 Bollenbung ber SToleranj unb ab§ BorStufe für bie gortbilbung
60 be§ 6b,riftentum§ jur SBeltreligton. §ier griff nun bie Deubelebung be§ cbriftlic^en ©inneö
Union, firdjltdje 255
im anfange beö 19. ^afyrljunberts ein : baS Btbltfd^e ßfyrifientum, baS bem Bolfe nie
ganz berlorcn gegangen toar, begann aud) in ber äöelt ber ©ebilbeten toteber 2(nf)änger
511 finben. ^ffre grömmtQfcit aber toar frei Don jeber Jonfefftonetlen Befcfyränfung :
Lutheraner, Reformierte unb $att)olifen toufjten fieb, in bem fyöcbjten eins trotj ber $u--
gefyöngfett zu berfdnebenen Sltrcfyen. Qa bie beiben erfteren Ratten baS Betoufjtfein, tyaU 5
fäd)Ucb. einer ^ird;e anzugehören. (Sin SDtfann, ber bor bieten anberen ein berebter $euge
bcö ©laubeng toar, @. 2JZ. Slrnbt, rannte nur ztoet £ircr)en, bie ficfytbare Äirdjc beS BabfteS
unb bie unfid)tbare töirdje beS 2öort3 (bgl. Bon bem Söorte unb bem $ircr;enliebe 1819
S. 34). 1)a<fytz man fo, bann mufjte man bie äußere ©efdiiebenl)eit als ettoaS embfinben,
baS nicb,t fein foHte: inoju man fidj nod) ein ^a^rfjunbert borfyer um ber äisafyrfyeit toillen 10
berbflidjtet gefüllt fyatte, 2lbfcf)lief$ung gegen bie frembe ^onfeffion, baS aufzugeben füllte
man fidt) je|t, toteber um ber 2öaf?rr)eit toillen, gebrungen : eS blatte ein bollfiänbiger Um=
fa)toung ber ©efinnung flattgefunben.
2)a§ geigte fid} auf bem litterarifdjen ©ebiete. §ier toar bie %taa.t m<§ oer 2Bieber=
bereinigung ber torotefiantifcfyen ilonfeffionen längft zu einer ftefyenben getoorben. Slber baS 15
Urteil über bie Bereinigung fdjlug im Saufe eines ^abjlmnbertS völlig um. "MnflerS
Arcanum regium, baS im 3saf)re 1703 erfd)ien, r)atte noeb, einen ©türm ber ©ntrüftung
berborgerufen (f. b. 31. ^ablonSfr; Bb VIII ©. 512,27); als im nädjften Safyrjefynt &)x.
3JJ. $faff, bon einer btetiftifdjen Beurteilung beS Religiöfen auSgefyenb, BereinigungS=
borfebläge machte, fanb er bei ben lutfyerifcfyen Geologen faft nur Söiberfbrud; (bgl. 33b XV 20
S. 236, 31). S^1 bagegen bertraten bie fyerborragenbften Geologen neben ben unbe=
fceutenbften 9Jcännem ben UnionSgebanfen, unb aUe fanben gleite gufitmmung. Unter
jenen nenne icb, Bland, beffen ©djrift über bie Trennung unb SBieberbereinigung ber ge=
trennten cfyriftlidjen §aubtbarteien im $. 1803 erfdjien. Bland fab, baburd; ben Boben für
bie Union geebnet, baf? in ben tfyeologifdjen Meinungen unb 2lnfid)ten eine Berf<f)iebent)eit 25
nid)t mebj bemerkt toerben fönne, berfyel)lte fid) aber nid)t, bafj mögltdjertoeife bie ©e=
meinben ©cfytoierigfeiten in ben 3Beg legen toürben; aud; bafj eS an einem allgemein an=
erfannten Organ ber $irct)en fehlte, toeldjeS bie Bereinigung bollzter)en fönne, machte u)m
Sebenfen; g!eicb,toob,l glaubte er, baf? bie Union toenigftenS auf einem befdjränften ©e=
biete möglieb, fei, toenn fie nur mit gehöriger Borftcfyt ins 28er! gefegt toerbe. Born 9?o= 30
bember beSfelben $af)reS ift bie Borerinnerung zu ©cfyleiermadjerS „ßtoei unborgreiflicfjen
©utacfyten in ©acfjen beS broteftantifd;en ^ird^entoefenä" batiert. ©d)Ieiermad)er<§ Ie|te§
3tel toar bie 2lu§gleicf)ung jebe§ !onfeffionellen ©egenfa^eS, jebod; nid;t bie Bertoifdiung
jebeg Eirdjlidjen Unterfd}ieb§. @r fragt: 9Beld)er berftänbige, nid;t bon Uniformität§fud}t
angeftedte ÜDtenfdj lönnte too^l irgenb einen ©etoinn barau§ ab;nben, toenn man in §oIIanb 35
unb 3ad}fen, in ©cfyottlanb unb ©ct;toeben einen mittleren Br|tyorttDnalglauben annähme
über ba§ Slbenbmafyl ober bie ©nabentoa^l, unb toenn man eine @intrad;t§formeI ju
ftanbe brächte gtotfe^en ber @tntrad;t§formeI unb ber ®ortred;tfd;en ©t;nobe? ©eäb^alb
h>ün[d)te er nid;t ben Berfud; einer allgemeinen Bereinigung anzuregen, fonbern nur ba
foHe bie Äird^engemeinfd^aft beranftaltet toerben, too fie fid) als ein beftimmteS unb all= *o
gemeines BebürfniS aufbringe. 33ie 3lrt ber Bereinigung aber beftimmte er bafnn, ba^
bon einer Slnberung ber religiöfen Überzeugung babei nicfyt bie 5Rebe fein bürfe. ©3 fomme
barauf an, bie ^ird)engemeinfd;aft ^erjuftellen, ob^ne ba| bie Unterfcfyiebe im Seb^rbegriff
unb bie Slbtoeicfyungen im Rituale angetaftet toürben. SDie $xaa,e be§ BebürfniffeS, toeldie
für bie ©infübjung ber Union entfetjetbenb fein foßte, bejahte ©cfjleiermadjer für Bre"Ben- 46
^mberniffe erblidte er faum, ba ja bon ben Berfcbjebenfyeiten in ber Seb^re auä) nur ju
reben, unnü§ unb faft läcfyerlicb, fei. SDaS Bebenfen q3IancEg, eS lönnten bie ©emeinben
iiitberfbrud; ergeben, blatte er nidjt. S)ie §erftellung ber lird^Iid^en ©emeinfcfyaft aber, ur=
teilte er, toerbe fid) fel>r einfad} betoirfen laffen. 5Da ber ©taat baS einzige toirffame
Crgan ber EirdjlidEjert ©emeinfdjiaft fei, fo bebürfe e§ nidjtS als bie bon i^m auSgeb, enbe 50
Grftärung, bafe eS überall toeber in bürgerlicher noeb, in rtrdjlicfyer unb religiöfer §infid)t
für eine Beränberung foEe gehalten toerben, toenn toer bisher nad) bem einen RituS unb
bei einer ©emeinbe ber einen ^onfeffton fommuniziert f)ah(, in ^"^«ft/ e§ fo nun iwmer
ober abtoectifelnb, bei einer ©emeinbe ber anberen ^onfeffion unb nad) bem anberen Ritus
lommuniziere. — Racb, „einer längeren Bmtfe erfcb,ien bie ©d}rtft beS bamaligen §of= 55
brebigerS g.©. ©.©ad, Über bie Bereinigung ber beiben torotcftantifcb^nÄirdjengemeinben
in ber breufeifcfyen 9)conard)ie (1812). Bad, ber fid; fd;on in einem ©utad;ten bom
1 3. ^3uli 1798 für eine gemeinfame 2lgenbe für bie lutf). unb bie reform. Jlird;c in
!(reujjen auSgefbrod;en blatte (f. görfter I, ©. 107), teilte ben ©ebanlen ©djlctermadjerS,
^6 bie Union zunädjft nur auf einem befd;rän!tcn ©ebiete einzuführen fei; er unterfcfyieb eo
256 Union, ttrdjltdje
fid) bon if)m, inbem er ein SBelenntniS auct) für bie unierte S^itd^e für nötig Ijnelt unb als
folctyeS baS fog. Slboftoltfum unb bte 2tugSburgifdje ^onfeffion borfcbjug, unb inbem er
bie ©infüfyrung ber Union burdj eine ftaatlidje ©rflärung bermarf unb ftatt beffen bte
Slbftimmung aller ©eiftlicfyen beiber Parteien unb bie ©ntfcfyeibung burct; eine grojje
5 gdtajorität forberte.
jffiiU man unbefangen urteilen, fo mirb fidj faum leugnen laffen, bafs in biefen
«Schriften ber UntonSgebanfe ntcfyt bon einem fyofyen, ber SBebeutung ber ©acl)e toürbigen
©tanbbunfte auS betrautet ift. gtoar^barauf $ ^n 9r°f5eS ©emidjt ju legen, bafj bie
Sßerfaffer bie augenblicflicfy fyerrfdjenbe Überzeugung für bauernb gelten, toäfyrenb fie boa)
10 bereits im ©efytoinben begriffen mar, benn fo!c|e Irrtümer begegnen allen ; fcpmmer ift,
bafj roemgftenS tylanä unb ©djleiermadjer jebe Stiftung bor bem ©tauben ber ©emeinben,
beS Rubels, toie ^ßland: unb ber ungebtlbeten SotfSflaffe, toie ©cbjeiermacfjer fid^ auS=
brücfte, mangelte, unb ganj unbefriebigenb finb bie borgefcfylagenen -jJcafjregetn. ^lanctS
■Rat lief barauf fyinauS, bie SGeränberung fo borfidjtig einzuführen, bafj biejenigen, bie fie
15 betraf, nichts babon merften ; ©cbjeiermacljer, ju beffen bleibenbem 3f{ufym e§ gehört, ben
©ebanten an bie ©elbftftänbigleit ber $ircr)e mteber jur 3lnerfennung gebracht $u Ijaben,
räumte bem ©taate bie Befugnis ein, eine für baS Htrd^Itd^e, ja, maS genau genommen
finnloS ift, für baS9Migiöfe mafjgebenbe Seftimmung in bolter i&elbftftänbigfeit ju erlaffen;
©act aber, ber baS lebhafte ©efüfyt fyatte, bafj baS unt£mnli$ fei, geigte mit feinem 3Sor=
20 fdjrtag, mie feft ber, freilid) auct) je|t nod) ntd^t berfcfyrounbene Söatm, bafj eigentlich bie
Pfarrer bie ct;riftlicr)e $irct;e bilbeten, aucfy treffliche ©eiftlidjie beftricfte.
Sßebeutenbe görberung braute ben UnionSbtänen baS SteformationSjubiläum bon
1817. ©enn im gufammenfwnge mit bemfelben lam eS juerft jur SSermirtlict;ung ber
Union. ®en 3tnfang machte 5Raffau; bjer traten am 5. 2luguft 1817 38 bon ber 3?e=
25 gierung ausgemalte ©eiftlicfye ^u einer ©imobe in ^bftetrt gufammen, um über bie mür=
bige geier beS Jubiläums ju beraten. Sem üßorfdjlag ber Regierung gemäfj einigte man
fic| bafyin, bafj bie befte geier bie Bereinigung ber getrennten ^onfeffionen fein »erbe, ba
bie S3erfcf;iebenl)eit ber Meinungen in ben roenigen bisher noefy abmeidjenben Sßorfteuungen
beiber broteftantifd)en ^ird^ert in baS eigentliche SBefen ber Religion ntcfyt eingreife unb
30 bemünftigermeife feinen ©runb ber fortbauernben Trennung meljir abgeben tonne. Sie
SSerfammetten ftimmten bemgemäjj ber ©rttärung ju, bafj, ba betbe broteftantifdje 9telt=
gionStetle im mefentlidjen ifyreS BefenntniffeS übereinftimmen, fie fieb, baf)in bereinigen,
bafj fie bon nun an eine Sftrcfye im §erjogtum bilben, roelcfye ben SZamen ber ebangelifd)=
cfyriftlidjen füfyre. Söiberfbrud) gegen bie Bereinigung unb gegen biefe Begrünbung ber=
35 felben erI)ob fic|) roeber auf ber ©bnobe, noeb, im Sanbe: erft fbäter trennte fieb, eine 3ln=
%afyl Sutb^eraner bon ber Sanbe^fitc^e, fie btlbeten bie lutb,erif(^e ©emeinbe ©teeben.
2lud? in ^ßreufeen fnübfte fieb, bie @tnfül;rung ber Union an ben bretlmnbertiäfyrigen
©ebäcb,tni§tag ber Deformation. §ter aber l)atte bie Union eine lange üßorgefcljicfyte. S?ur=
branbenburg mar ba§ erfte beutfdje Sanb, in meinem fd;on feit bem anfange be§ 17. 3a^r=
40 f)unbert§ bie beiben broteftantifc^en Slonfefftonen mit gleichen 5Recf)ten, menn auet; in fel)r
ungleicher ©tärfe, nebeneinanber beftanben. ®er ©ebanfe ber ^Religionsfreiheit lam alfo
l)ier in einer $eit, ber er fonft fremb mar, roenigftenS ju teilmeifer Sermirftidnmg. 2lber
bie ^ob,enjoHernfcl)en dürften Ratten feit ^o^nn ©igtSmunb meitergeb^enbe 2lbftcf;ten. ©er
Söunfcb,, bie religiöfe ©baltung ib^rer Untertanen ju befeitigen, bie Uraft ber @bange=
45 Iifcb.en im Steige gujammenjufaffen, machte bie §>ol)engollem ju Prägern unb görberern
ber S^e« ber Union. SDabei befeb^ränften fiel; bie ©eban!en nicfjt auf bie eigenen Sanbe
ober baS Steicb;: ber erfte breujjifcfje Äönig backte an bie firdpdje Sereinigung aller @ban=
gelifeljen übertäubt, griebrieb, SBilb^elm III. blieb bemnact) nur ben Xrabitionen feines
|jaufe§ treu, menn aueb, er bon Anfang an ben SBunfcb, biegte, ba^ bie trennenben lon=
50 feffioneßen ©djranren bab^infaUen foEten; er fbraef; ib,n, too fieb, Gelegenheit gab, offen unb
nacfybrücflicl) auS; er beljanbelte in einzelnen 3}{a^regeln (©rnennung ©cb,Ieiermacf;erS jum
^rofeffor in £aüe, ©tetnbartS in granffurt a. D. unb bgl.) bie !ircb,licl)e Trennung als
nieb^t befteb,enb; aber er mar in feiner getoiffenfyaften, bebäcf/tigen unb befonnenen 2öeife
bon nichts toeiter entfernt, als babon, bte StuSfüfyrung eines lange gehegten SG3unfeb.eS
söirgenbtoie gu überl>aften. @S maren lang ermogene unb aßmäfjlicb, gereifte ©ebanlen, bie
ber ^önig in feinem Aufrufe bom 27. ©ebtember 1817 auSfbracb, : er belannte fid) ju ber
Überzeugung, b«| bie beiben broteftantifcfyen ^onfeffionen in ber §aubtfacf) e im ßliriftentum
einig feien unb nur noefy burdj äußeren Unterfd;ieb getrennt mürben; in iljrer Union fab,
er beSb^alb ein gottgefälliges SSer!, bon bem er reiche görberung beS ftrdjlicfyen ©inneS
60 ertoartete. ®aS äöefen ber Union aber beftimmte er balnn, ba^ meber bie reformierte
Union, ftrd)Hd)c 257
Kmfyc jur lutt>erifd;en nocb, bieje ju jener übergeben, fonbern beibe eine neubelebte, eban=
gelifcfcd&rtftucfye ^ird?e im ®eWe li>u§ ^eiligen ©tifterS Serben foßten. @r ertlärte, ba|
er felbfi baS ©ätularfeft ber Deformation in ber Sereinigung ber bisherigen reformierten
unb lutljerifcfyen §of= unb ©armfonSgemeinbe ju SotSbam ju einer ebangelifcb^cbjiftlidjen
©emeinbc feiern merbe, unb forberte gur Nadjafymung auf, »erfidjerte aber jugieirf), bafj 5
er loeit babon entfernt fei, bie Union aufbringen unb in biefer Angelegenheit etmaS ber=
fügen ober beftimmen ^u rooßen (ßur Sorgefd;idj)te beS Aufrufs bgl. görfter I, ©.267 ff.
£cr Serfaffer ift Gbjert.)
25er Aufruf beS Königs fanb begeifterte Aufnahme: eine grofte AnjabJ ©eiftlidje unb
©emeinben, befonberS in bem toeftlic|en Seile ber 5Ronard)ie, fcfyloffen ficb. auSbrüdlid; 10
ber Union an. ©er SBiberfbrucb, innerhalb SreufjenS blieb ganj oereinjelt, unb bie Se=
benfen aufjerbreufjifcfjer Geologen, irie Ammon, $axm§ unb Sittmann, fanben, mie eS
fdjeint, in ^ßreufcen mrgenbS 2Biber!)aß. dagegen folgte eine 9ieibe feinerer beutfcfjer
£änber bem Borbilbe Sreuf$enS nacb,: bie erfte ©eneralfimobe ber 9tf)einbfatj ju $aiferS=
lautem im $afyre 1818 befcfylofj bie Bereinigung ber getrennten Honfeffionen ju einer 15
proteftantifcb^cb^ifilictjen Sftrcfye, unb erflärte (§ 3 ber Serein.=Afte), bafs fie gmar bie aß=
gemeinen ©Symbole unb bie bei ben getrennten broteftantifetjen Honfeffionen gebräuchlichen
fmnbolifcfyen 33ücb,er in gebüfyrenber Artung b,alte, jeboc^ feinen anbern ©laubenSgrunb
unb leine anbere 2eI)morm anertenne, als bie fyl. ©cfyrift. Son 1817—1822 bottgog fid;
bie Union in einem großen Seile beS ©ro^erjogtumS §effen (f. 58b VIII ©. 5, 41), '-0
ISIS in ben ju $urb,effen gehörigen ©ebieten bon §anau unb gulba. $n Saben be=
fdjlofc bie ©eneralfrmobe bom ^a^tre 1821 bie Sereinigung ber Honfeffionen (f. 33b II
©. 350,2o). $n Söalbecf mürbe fie im gleiten Sjatyre bura) baS H'ircbenregtment be!re=
tiert. Son ben Anl)altifd>en $ürftentümem nafym fie Sernburg im Jyafyre 1820, ©effau
im %afyn 1827, Hotten erft 1880 an (f. 33b I ©. 549,4). ®ie gaffung ber Union unb 25
bie ©teßung gu ben ©Embolen mar nidjt überall gteieb,: baS eine ©jtrem begeiefmet ber
eben ermahnte 3. Saragrabb, ber SereinigungSatte ber Sfalger Hircfye, baS anbere bie ent=
ftiredjenfce Sefttmmung in ber SereinigungSurfunbe ber broteftantifcfyen Honfeffionen in
Sfyemljeffen, monacb, bie beiben bisher getrennten Honfeffionen gemeinfct)aftltc^en fr/tnboli=
fa)en S3üct)er aueb, fernerhin als Sefyrnorm ertlärt tourben. 30
Herren mir gu ben Serfyältniffen in Sreufeen gurüd. ©er Honig fyatte, irie ermähnt,
ben 2lnfct)Iu^ an bie Union ber freien @ntfcb,eibung ber ©emeinben überlaffen. Söoßte
man nun bie ©efal>r, bie bamit gegeben mar, baf? neben ber neu ficb, bilbenben unierten
Sirene metyr ober meniger bebeutenbe Srucfyteile ber HonfeffionStirdjen als foldje fort=
beftanben, bermeiben, fo muftte bie Abfielt fein, ben aUgemeinen Anfdjlufj an bie Union 35
fyerbeigufüfyren. Allgemein binbenbe unb boeb, freie ©rllärungen toaren aber nur möglid),
roenn bie 5?ircb,e eine folcb,e Organisation erhielt, ba| fie irgenbmie felbftftänbig b,anbeln
tonnte. 9tun maren feit bem 2>al)re 1814 S5erb,anblungen im ©ange, um baS gefamte
$ira)enmefen neu ju regeln. 3U ^en Abfielen gehörte bie @infüb,rung preSbt)terial=fimo=
baier (Sinricbtungen ; in ben 3a^r^n 1817ff. mürbe mirftieb, ein Anfang bamit gemalt. 40
allein bie Sureautratie tonnte fieb, in biefe neue 2Beife, bie tireb, liefen ®inge gu beb,an=
beln, nicb,t finben; bie Abneigung beS Königs gegen aßeS, maS nacb, SiberaltSmuS auSfab,,
tarn baju: bie gotge mar, baf$ man bie beabficb.tigte ©^nobalüerfaffung fallen liej$. gür bie
Union ergab fieb als unoermeiblicb, e Äonfequenj, bafs ber Äönig bie Surcb.fü^rung, meb,r als
er urtyrünglicb, beabficb.tigte, in bie eigene §anb nehmen muffte. An ©tnmirlung auf bie 45
fonfeffionelle Seb,re backte ber Honig nicfyt: ba^ er bie greib,eit ber Überzeugung artete,
binberte ib,n baran. Sei ber Neueinrichtung ber ftrdjlicfyen Seb,örben mar fc^on bisher
leine Ätficfyt auf bie fonfeffioneße Trennung genommen morben. Sie Honfiftorien maren
nitt)t einmal rein ebangelifdje Amter. £>ie ©urebfü^rung ber Union mufjte beSb,alb bei=
natje auSfcb,lie|licl; auf bem ©ebiete beS ©otteSbienfteS serfuct)t merben, mie benn aueb, 50
oon Anfang an bie Annahme beS gemeinfamen AbenbmaljlSrituS als Annahme ber Union
betrachtet mürbe. SBenn irgenbmo, fo f)m\fyte in ber ©eftaltung beS ©otteSbienfteS
toäfyrenb ber rationaliftifcb,en Qät bie 3Bißl'ür. ©er ©efcb,mact ober Ungefcb,mact ber
tircbjtcfyen Sel)örben, oft genug beS einzelnen SfarrerS, maren ma^gebenb. griebrieb 2öil=
b,elm III. bagegen liebte Orbnung unb Siegel in aßen ©rüden, er mar erfüllt bon Sietät 6ä
gegen baS Alte, fo bafj bie ©efinnung beS Königs treu miebergegeben ift, menn eS in ber
"-Borrebe gur Agenbe oon 1822 fyeifjt, bureb^ bie ©leiebförmigteit ber ©otteSbereb,rung merbe
nitt)t aßein eine gemeinfc^aftlic^e Überzeugung, fonbern aueb, eine b,eitere ©eelenrub,e unb
fromme guberfiebt in bem anft>recl;enben ©ebanfen erzeugt, bafe eS biefelben gürbitten unt)
©clübbe feien, meiere unfere cb,riftlicb,en Sorfab,ren feit mehreren ^ab, rb,unberten beteten (;n
ffleal=®nc^Hopäbie für I&eorogie unb Sir«e. 3. M. XX. j 7
258 Union, ftripcfie
(bgl. aud) ben Srlaß an ben ^ronbrinjen bei görfter II, ©. 55 nnb ben Driginalauffat;
beS Königs über bie Siturgie S. 345). 9Jton begreift, baß griebrid; 2Büljelm bon ber
RotWenbigfeit einer neuen ©oiteSbtenftorbnung für bie preußifct;e Mrdje burd;brungen War
unb baß er bie Sorbilber für biefelbe nur in ben älteren Stgenben fucfyen tonnte. Run
6 embfanb ber ®ömg für Suttyer bie f)öd;fte Serefyrung, er lannte feine ©dirtften Wie Wenige
geitgenoffen ; aud; fear ifym bie gorm beS lutb,erifd;en ©otteSbienfteS fi;mbatl;ifd;er, als
bie beS reformierten, So tarn cS, baß bie neue Slgenbe im Wefentlict)en an bie lutfyerifcfye
©otteSbienftorbnung ftd; anfd;Ioß, obgleich fie für bie ©emeinben beiber ^onfeffionen be=
ftimmt mar. @ine gemeinfcfyaftlicfye 2Igenbe für 2utf>eraner unb Reformierte blatte fd;on
10 eine ^abineitSorbre bon 1798 für etwas 2Bünfd;enSWerteS erflärt. Rad;bem injtoifdien bie
2lbftd)t ber Bereinigung beiber Sfrmfefftonen in ben Sorbergrunb getreten War unb bereits
anfing, fid; ju berWirftid;en, lonntc ber ftönig bei ber neuen 2lgenbe nur an eine UnionS=
agenbe benfen, unb ba er überzeugt mar, baß er ^War nid;t bie Union, aber fraft feiner
IanbeSl;errlid;en ^trctsengeWalt bie 2lnnal?me einer neuen Slgenbe gebieten fönne, fo erteilt
15 leicht, meiere S3ebeutung bie Slgenbe für ®urdj)fübrung ber Union gewinnen mußte. Qnbem
icb. für ben Serlauf ber Slgenbenfacfye auf SBb X S. 349, 43 ff. unb auf görfter ob II,
S. 70 ff. berweife, gte^e id; nur bie SBirfung berfelben für bie Union in 23etrad;t. ©ie
2lgenbe gab bem ©otteSbiertfte eine §orm, bie ber 3eit ungeWofmt mar, bie aud; bem
®urd;fd;nitt ber religiöfen Überzeugung fcfyWerlid; ganz entfbrad;; fdmn baburd; retgte fie
20 zum Söiberfbrud;. ©en reformierten ©emeinben aber bot fie eine ©otteSbienftorbnung,
bie auf Iuti)erifd;em Soben ertoad;fen, bie ben reformierten Hircfyen fietS fremb geblieben
War, außerbem fd;Ioß fie fid; aud; in einzelnen fünften, auf bie baS SSolf Sffiert legte
(^ä^Iung ber jeb^n ©ebote unb bgl.), an baS §erfommen ber Iutl;erifd;en $ird)e an. Sie
$olge mar, baß reformierte SreSbfyterien, bie ber Union gugetfyan toaren, bod^ bon ber
25 Slgenbe nid;tS miffen büßten. 2lnbererfeitS konnte fie and) ben Sutfyeranem nidjt genug
tbun. ®aS 53eicb> unb 2lbenbmaI;lSformular mar unlutfyerifd; ; befonberS erregte bie
Stoenbeformel beim f)I. 3lbenbmab.I Sebenfen; benn fie Wiberfbrad; jtoar ber fiuttyerifcfyen
Sebje nidjt, aber inbem fie biefelbe nicfyt auSfbrad;, fdnen fie beftimmt, fie unter ber §anb
Zu befeitigen.
30 ©arauS erflärt fid;, baß an bem 2Biberfbud) gegen bie 2lgenbe fid; ber üambf gegen
bie Union ent^ünbete, ber zur Separation eines SEeilS ber breußijcfyen £utb^eraner bon ber
unierten SanbeSfirdje führte (bgl. 33b XII S. lff.), @S märe aber ju biefem ^ambfe
felbftberftänblid; nid}t ge!ommcn, menn nidjt injmifd;en ein mistiger Söanbel in ben reli=
giöfen Überzeugungen fid) boHjogen blatte. Qm anfange be§ QafyrfmnbertS führte bie
35 Stufflärung faft allein ba§ 2Bort, fie bcrrfcfyte i" ben Uniberfitäten mie auf ben Äanjeln;
e§ gab aud) fpäter Diationaliften in SRenge, aber ifyre §errfd;aft mar gebrochen; ifmen
gegenüber ftanb bie gro^e ftafyl berjenigen, meiere bon ber ätufftärung jum ^ofittben
6l>riftentum gurüdgelebrt maren. 2)em alternben Rationalismus gegenüber füllten fie fia)
als bie Präger eines neuen, jugenbfrifdjen ©cifteS, als bie ©rben ber 3"^"^- ®$ toar
40 nun aber eine naturgemäße ©ntmidelung, baß nidjt Wenige bon iljmen ju bem lirdjlicfyen
ßb^riftentume fortfd;ritten. ©iefe ©ntmidelung bemerft man überall: auf fonfeffionellem
Wie auf uniertem, auf broteftantifdiem Wie auf fatI)olifd;em ©ebiete. Sie führte ba^u,
baß innerhalb ber Union felbft berfd)iebene Strömungen entftanben, meiere 2öefen unb
Slufgabe ber Union fcfyr berfdjieben faßten. ®en einen War bie Union mertboll, Weil fie
45 bureb biefelbe baS Red;t ber fonfeffionellen fiebere befeitigt fab,en; bie anberen Waren ber
Überzeugung, baß bieS keineswegs ber gall fei; fonbern, inbem bie Union ben übereim
ftimmenben ©efjalt ber reformatorifdjen Sefenntniffe anerlenne, fjabe fie ein reidjereS 33e=
fenntniS als jebe ©inzellirdje unb gugleid; ein beftimmtereS unb geüärtereS; bie britten
aber bertraten ben Sa|, baß burd) bie Union bie SScHgiltigfeit ber Iutb^erifd;en £eb,re in
50 ben f)iftorifcb,=lut^erifd}en ©emeinben Wie ber reformierten in ben reformierten leineSWegS
aufgeboben morben fei.
@S ift l)ier nicb,t ber Dxt, ben Streit ber Parteien ju berfolgen, bagegen muß bar=
gefteltt merben, Wie bie offizielle gaffung ber Union burd; bie @inWirfung biefer berfdne=
benen Richtungen beeinflußt Worben ift. ®er Slufruf bon 1817 ftellte als ßiel tyn bie
55 §erfteHung einer neu belebten ebangelifcb=d?riftlicb>n £ird)e burd; Sereinigung ber beiben
getrennten broteftantifd;en Äirdjen. Qn ber in Rüdfid;t auf bie fd)lefifd;e Bewegung er=
laffenen üabinettSorbre bom 28. gebruar 1834 beißt eS bagegen: ,,©ie Union bejWedt
unb bebeutet lein 2lufgeben beS biSberigen ©laubenSbetenntniffeS, aud; ift bie Slutorität,
Welche bie SefenntniSfcfyriften ber beiben ebangelifd;en Äonfeffionen biSber gehabt, burd;
60 fie nid;t aufgehoben Worben. ®urd; ben beitritt zu ib,r Wirb nur ber ©eift ber Mäßigung
Union, ttrtfjlt^c 259
tmb OUilbe auSgebrüclt, Welcher btc SSerfdjnebenfyeit einzelner &el»rpunfte ber anbeten $on=
feffton nid;t me|r afö ben ©runb gelten läfjt, \i)v bie äu^erttd^e fircfylicfye ©emeinfd)aft gu
berfagen. ©er beitritt jur Union i[i ©acf;e be§ freien @ntfd)iuffe<§, unb e<o ift bab)er eine
irrige Meinung, bafj an bie (Einführung ber erneuerten 2lgenbe notWenbig aueb, ber 33ei=
tritt zur Union getnüpft fei ober inbireft bureb, fie bewirft Werbe. $ene Beruht auf ben 5
Don -Mir erlaffenen Slnorbnungen, biefe get)t naefy Dbigem au§ ber freien @ntfcr}Itefjung
eines ffim fyerbor" & §. ©ad urteilte in ber erften 2tuftage biefer ©nctyllopäbie
(3Jb XVI ©. 711) ofyne ^Weifel richtig, bafe ber Sn&alt biefe§ (MaffeS triebt in botlem
©inflang fter)e mit bem Qnfyalte be§ Aufrufs Don 1817; baj$ bie Bereinigung ju einer
eüangelijc^riftlicf/en Äirdje ettoaS anbere§ fei afe „(Seift ber ÜJtäfjigung unb -Kilbe unb 10
©etoäfyrung ber äufjerltcj)=firc§lic§en ©emeinfe^aft" ; ebenfo ftimmte bie ©rtlärung, bafj
niebt geftattet Werben bürfe, bafj bte getnbe ber Union im ©egenfatj ju ben greunben
berfelben als eine befonbere 9fteItgion§g.efeUfd)aft fid) tonftituieren, ntdt)t mit ber gufage
überein, baf? lein $Wang ?ur Union angeWanbt Werben foEe; biefe $ufaSe f)atte bte 9ie=
ItgionSfreifyeit anerfannt, jene SSeigerung War eine 33erle^ung biefeS religiöfen Urrecf/t§. 15
2Ba3 ba$ (entere anlangt, fo würbe nad) bem Jtegierungfantritte griebrid) 2Sill>elm3 IV
burdi bie ©eneralton-jeffion bon 1845 Weiteres Unrecht abgefebnitten. ^Dagegen ging bie
g-ortentwiefetung im übrigen in ber burd) bte $ab inettSorbre bon 1834 angeWiefenen 9ticb/
tung. £)a3 geigte bie berliner ©eneralffynobe bon 1846. Söenn auf berfelben ber Berfud)
gemacht Würbe, bas> ©emeinfame ber reformatortfcfyen Setenntniffe in bem Drbination§= 20
formular jufammenjufaffen unb fo bie bisherige äkrpflicfytung „auf bie 58 elenntniSf Triften
in ibrer Übereinfttmmung" bureb, eine beftimmtere Raffung gu erfetjen, fo entfpracr; ba3
ebenfo fidjer bem UnionSaufrufe bon 1817, als eS ber ^abinettSorbre bon 1834 juWiber=
lief. 2)af$ bie leerere für mafcgebenb angefef/en Würbe, ergiebt fid) barauS, bafj ba§ %ox=
mular bie fönigtiebe 33eftätigung nidjt erhielt. üftod) Weiter ging bie ÄabinettSorbre bom 25
6. 3Kärj 1852. £)er $önig fpracb; in berfelben feine Überzeugung auS, bafj bie Union
nacb, ben 3lnfia)ten ^riebrieb, SBtl^elmS III. Weber ben Übergang ber einen ^onfeffion gur
anbern, noeb, biel Weniger bie SBtlbung eines neuen brttten 23etenntniffeS herbeiführen follte.
@r billigte, baf? ber ebangelifcfye Dberfircfjenrat bie 35erpflicfytung ber SÜrcbenbefyörben in
Senkung auf Union unb ^onfeffion im ©inn unb (Seifte ber JöefenntniStreue aufgefaßt 30
b,abe, unb fäb/rt bann fort: gdj l)alte bafür, ba^ e§ nunmehr an ber $eit jft, biefen
©runbfä|en in ber (Seftaltung ber ^ird^enbe^örben einen befttmmten unb für bie le|teren
felbft majjgebenben 3lu§brud §u befleißen unb baburd) bie Sürgfd^aft ju geben, bafs in
bem Stegimente ber ebangelifeben 2anbei§!ird;e ebenfofeb,r bie mit (Sottet (Snabe in ber
Union gefnüpfte ©ememfebaft ber beiben eoangeltfcfjen ^onfeffionen aufregt erhalten wie 35
aua) bie ©elbftftänbigfeit jebeg ber beiben Selenntniffe gefiebert Werben foll. ©emgemä^
tourbe auägefbrod^en, ba| ber ebangeüfcfye Dber!ird)enrat Verpflichtet fei, ebenfoWof;! bie
ebangelifd;e £anbesftrd)e in iljrer ©efamtbeit gu bertreten, aU ba<§ JEec^t ber berfcb,iebenen
^onfeffionen unb bie auf bem (Srunbe beSfelben rub,enben Einrichtungen ju fd)ü|en unb
ju pflegen, unb berfügt, ba| in 2lngelegenl)eiten, bie nur auf (Srunb eine^ ber beiben Söe= 40
lenntniffe befcb,ieben Werben tonnten, bie tonfeffionelle Vorfrage nid)t nad) ben ©timmen
ber fämtlid^en 9JUtglieber, fonbern allein nact; ben ©timmen be3 betreffenben 33efennt=
niffeg entfdbjeben Werbe.
©iefer @rla§ bejeicb,net ben §öb,epuntt beffen, toa§ bie fonfeffionelle Stid^tung inner=
balb ber unierten $ird)e erreichte. @» ift begreifttd), ba^ er bei ben (Segnem biefer Partei 45
bie größten Sebenfen erregte, jumal ba man afe ib,r legtet &\d bie 2tufr/ebung ber Union
betrachtete, ©aburdb, fat> fid; ber dortig beranlafjt, in einem Weiteren @rla^ bom 12. Qult
1853 auf baö beftimmtefte au§jufpred;en, bafe er nict/t baran beule, bie Union ju ftören
ober aufjub,eben, unb jugleicb, bem 2Beitergeb,en ber £utf)erifcl)en ein fel»r berftänblicb,e^
§alt ju gebieten. $n ber^E^at fjatte bie HabtnettSorbre bon 1852 aueb, nict;t bie erwarteten 50
folgen. Sie itio in partes War fo Wenig geeignet, bie Union ju jerftören, bafe fie fid;
überhaupt nidjt al§ anwenbbar bewies.
Sie (SntWicfelung ber Serfaffung ber preu|ifd;en £anbe§firdje feit 1873 l)at bireft
einen ©influ^ auf bie Union nidjt auggeübt, inbem prinjipieK erllärt Würbe, bafj 33e=
fenntniöftanb unb Union bureb, biefelbc nicb,t berührt Werben foKten. @§ ift aber nid;t gu 55
bejhjeifeln, ba| inbireft bie Union babureb, gefeftigt Worben ift: fie nimmt an bem ©e=
toinne teil, Welcher ber Sanbeöfircfje au§ ib,rer Drganifatton erWäd;ft.
^cj) i)abi im Borftebenben bcrfucb,t, bie tb,atfäd)licb,e ©ntwidelung ber Union ju geidmen,
o^ne bie SarfteEung bureb; @inmengung ber grage nacb, 9?ed)t ober Unrecht berfelben gu
bertoirren. Socb, mögen ein paar i-kinerfungen hierüber noeb, erlaubt fein. eo
1 - +
260 Union, ftr^Hdjc
Ijiftorifcb, angefefyen, beantwortet ftcb, biefe grage leicht, ©ie 3JJänner, Wetcf/e bie
Union einführten, begingen lein Unrecht: fie r/anbelten in ber aufrichtigen Überzeugung,
baS SÖefte ber fftrdje ju förbern; bie ©emeinben, Welcfje zur 2tnnaljmte ber Union beftimmt
Würben, erlitten fein Unrecht: benn fie Waren ebenfo Wie bie Führer bon bem Redjte ber
5 Union überzeugt, ober ließen ficf; babon überzeugen. ©aS Unrecht begann erft, als ben=
jenigen, welche anberS bauten, berWefyrt Würbe, bemgemäß ju l)anbeln. ©enn auf reli=
giöfem ©ebiete giebt eS nur ein bobbelteS Unrecht: Verleugnung ber eigenen unb $Wang
gegen frembe Überzeugung, hierüber Wirb eine SRetnungSberfcfyiebenljett faum möglich
fein. StnberS ift eS, Wenn man bie FraSe nacb, Recfjt ober Unrecr/t ber Union ber brote=
10 ftantifdjen $trcr)en allgemein faßt, ©eit 300 Igafyren Wirb btefe Frage berfcfyieben beant=
Wertet; eS ift mefyr als lüafy rfcfjeinlicf;, baß man nie zu einer einbettigen 2lntWort gelangen
Wirb, ©ucfyt man bie Urfacfye tnerbon nur in ber ©treitfud^t unb ÜRecfytijaberei ber 2;t>eo=
logen, in ben „fcfynbben Unbitben ber fog. ÄonfeffioneEen" ober in ber 33erfcf)WommenI)eü
ber Unioniften, fo begnügt man ftcb, mit einer fefyr oberflächlichen Stnfid^t. ©ie Urfadje
15 liegt bielmet)r barin, baß "jene grage mct;t auf ©runb objeftiber X^atfac^en beantwortet
werben lann, fonbern nur auf ©runb eines Urteils über ben 2öert ber @inf/ett unb 33e=
ftimmttjeit ber fircfjticfjen £et)re unb ber ©leicfyr/eit ber fircfjltctjen Drbnungen. ©iefeS
Urteil aber ift naturgemäß ftetS fcfyWanfenb. ©enn fo gewiß eS ift, baß für jebe fittlictje
©emeinfcfjaft ein geWiffeS 9Jtaß gemeinfamer Überzeugung notWenbig ift, ebenfo gewiß ift
20 eS aucfy, baß eine ©emeinfcfjaft nid^t möglieb, ift, wenn man forbert, baß it>re ©lieber in
altem unb jebem gleich benlen unb füllen. SBie groß aber jenes notwenbige Wlafy ge=
tneinfamer Überzeugung fein muß, an welkem ^ßunft eS überfdjritten Wirb, fo baß baS,
Was 33anb ber dinigung fein foll, (Element ber SJtuflöfung Wirb: hierfür giebt eS feinen
objeftiben SDcaßfiab. ©eSfyalb Wirb als notWenbig für bie ftrctjticfje ©emeinfcfyaft ftetS bon
25 ben einen me|r, bon ben anberen Weniger geforbert Werben. ©arauS ergiebt fta), baß
foWobJ bie greunbe als bie ©egner ber Union einen ©tanbbunft bertreten, ber relatib
berechtigt ift. Qene f™*3 bie 3eu9en fur ^ie ©emeinfamfeit beS broteftantifcfyen 33obenS,
bie zu bergeffen man lange .ßeit in ©efafyr War ; biefe bie $eugen für bk Berechtigung
ber lutfyerifcfyen, beztetmngSWeife reformierten 2luSbrägung beS $roteftantiSmuS, bie zu über=
30 feb,en man je|t in S3erfud)ung ift. Überwogen im 16. unb 17. ^ab,rb,unbert bie ©egner
ber Union, fo War baS ^otge ber 33ert)ältniffe: man arbeitete unter lebhaftem ©treite
gegen abweicfyenbe Überzeugungen an ber genauen Formulierung ber Sefyre. 2öie b,ätte
man nicfyt bem (Ertrag biefer Slrbeit ben größten 2ßert zutreiben fotten. ©ie jüngftc 33er=
gangenf)eit bagegen gehörte ben greunben ber Union, unb aucf) bie näd^fte ßutunft Wirb
35 iljmen WoI)l gehören. $ü) meine baS nicfyt in bem ©inne, als fei eine 2luSbeb,nung ber
Union auf biejenigen beutfct;en SanbeSiircfyen zu erwarten, Welche biefelbe nidjt angenommen
l^aben. ©aju fel)It ber Stntaß; aucf; Würbe ber äkrfucf; bie leb^aftefte Db^ofitton ^erbor=
rufen unb ^u neuen ©ebarationen führen. 2tber unbeftreitbar fcb,eint mir, baß bie greunbe
ber Union bie atigemeine guftimmung me^r für ficb, t)aben, als ib,re ©egner. ©aS tritt
40 gerabe auf bem fonfeffionelten ©ebiete an ben %üq : feine fonfeffioneß Iut^ertfct)e SanbeS=
firdje fann fic^ fd^roff gegen Reformierte abfc^tießen : beinahe überall ift bie fog. gaftweife
3ulaffung Reformierter jum fy. älbenbmal^le in Übung. Unb Wo fie abgelehnt Wirb, ge=
fc^iet)t eS ntdt)t, Weit bie ©emeinben baran Slnftoß nehmen, fonbern Weil fie gegen bie
Ueberjeugung beS Pfarrers berftößt. 2lucf; bieS ift burct; allgemeine SSerf^ältniffe bebingt.
45 ©er moberne Verfefyr b,at eine biel häufigere Berührung ber berfcb,iebcnen jtonfeffionS=
berWanbten herbeigeführt, als früher: eS tonnte ntcfyt ausbleiben, baß zum 33ewußtfein
fam, in Wie bielen fünften man einig ift. ©azu fommt, baß ber ©egenfa^, in Welchen
baS Gtmftentum gegenwärtig geftellt ift, Weit abliegt bon ben fünften, über Welche ber
^5roteftantiSmuS beS 16. 3ScibjImnbertS fidt) trennte: bie naturgemäße golge ift, baß ib,re
so SBebeutung anberS beurteilt Wirb, als bamalS. ©nbticb, b,at bie Strbeit ber ^eotogie —
einfc^ließlicb, ber fonfeffioneß gerichteten — zu cem Refuttate geführt, baß niemanb bie
Formulierung, Welche baS ©ogma im 16. ^ab, rb,unbert fanb, für fcfylecfjtfnn gutreffenb
b^ätt; auctj ber überzeugtefte £utl>eraner giebt ju, baß bie lutfyerifcfyen 33efenntniSfct)riften
feine Überzeugung nidjt in bemfelben ©inne auSfbrecb,en, Wie bie Überzeugung ib,rer 35er=
55 faffer unb beren .geitgenoffen. ©ie b, erfömmlic^e Untertreibung zwif^en ber ©ubftanz
unb ber $orm beS SefenntniffeS ift nichts anbereS als baS ^ugeftänbniS biefer ^b^atfactje.
^t)re gotge aber ift, baß man ben Söert ber trennenben Formel anberS beurteilt, als
borbem. 3)}it einem 2öorte: ebenfofeb,r Wie baS beiben broteftantifc^en lonfeffionen ©e=
meinfame für baS allgemeine SeWußtfein an ©eWicb,t gewonnen b,at, i)at baS Xrennenbe
60 an ©eWicfjt berloren. gotgt nun aus biefem 3SanbeI, baß bie lutb, erifa)e unb reformierte
Union, lirdjfidjc UnttartSmuö 261
Eigenart — bic ja borbanben (inb, aud) abgefeben bon bem, maS beibc Strien über ba3
ij[. Slbenbmafyl x. lehren — ju berfebminben traben, ober febon berfcbitmnben finbc1 ®aft
ba§ letztere aud) auf bem ©ebiete ber Union nid)t bet gaH ift, brängt fid) jebem 93e=
obad)ter auf. Unb toer möcbtc im ©rnfte ba§ bötttge 33erfcb>inben beiber SEr/ben hninfeben:
ein folget Söunfd) märe nichts anbereö, aU jene Don ©d;Ieiermad)er getabelte Uniformi= 5
tät*fud)t, bie Sertoirflicbung eine§ folgen 2Bunfd)e§ aber ift, tuie bie SDinge je|t nod)
liegen, unmögltcb. #aurf.
Umtart§mu8(ber neuere, engtifd)=amerifanifd) e). — 3.®an.9{upp,77/7.l.iYi
/•;A'A'. 1 HIIA . An original History of the relig. Denominations at present existing in the
U St. etc., $fiilabelpf)ia 1844. % 9t 23earb, Unitarism, exhibiteel in its actual condition, 10
l'nnbon 1840. O. ftoef, %. ©ociniant§mu§, fiel 1847 (I, ©. 263—287). gatrbatrn, Append.
ju WleranberS u. ©imonS engl. \'(u§g. oon 3. 91. SornerS „©nttoiefet. b. S. o. b.^nj. (St)riftt
(Hist. of the Developement etc., (£btn&. 1861 ff.) II, 3, p. 347 ff. 3. £. 23hmt, Dictionary
of Sects, Heresies etc. (Sonbon 1874), Slrt. Unitarians. $. Sftartineau, Unitarian Christia-
nity. Ten Lectures on the positive aspects of Unitarian thought and doctrine (mit 23ei= 15
trügen auef) Don ?lrmftrong, 23inn, ^jerfon jc), Sonbon 1881. ©. 23onet=2ftaurt), Desorigenes
du Ckristianisme unitaire chez les Anglais, SßcmS 1882 (aud) engtif d£) : Sonbon 1884).
Cv 3tougbton, Religion in England from 1800 to 1850, I (Sonbon 1884), p. 23. 211 ff.
hoblet b'Jdlueda, L'eVolution contemp. chez les Anglais, les Americains et 1. Hindous,
v^aris 1884 (aud) engl.: Eelig. Thought in Engl., Am. and India, Sonbon 1885). 31. Stuer= 20
more, 9(rt. „Unitarianism" in ©diaff=£)er$og Relig. Encycl. III, 2419 — 2422. ®rti§bate,
History of the Presbyterians in England, their Rise, Decline and Revival, Sonbon 1889,
I, p. 522 ff. 622 ff. 9Iug. 23enter, ®et ältere unb ber neuere Unttariämu§: 3)eutfd)=eoang. 231.
1891, ©. 610 ff. — SSefentlicb übertreffen ftnb btefe 3)arfteÜungen burefj 3of. |)enrt) Men,
A History of the Unitarians in the United States, in vol. X Don ©d)aff§ American Church 25
Hist. Series (9?ero=?>rf 1894), p. 121—249 (S)er Sßanb entplt aufeerbem in f. fetten £cilfte
eine Hist. of the Universalists uon 9tidi. (Sbbrj. — SSgl- aud) $. &• ©ntttf}, 9Irt. „Unitarism"
in b. Encycl. Brit. XXIII, 725 f.
Sgl. ben 6ef. Shttfel über Sinbfel), ^Srtftlet) (ju btefem auef) bie ergänjenben Sitteratur=
angaben unten jum Sterj) ©banntng (23b III, 788, reo ju ben Sitteraturangaben nadj^utragen 30
ift: ©. gildjer, Channingas preacher and theologian (in ben Discussions in Hist. and Theol.
X. York 1880, p. 253—284 unb 3. SB. etjabrotcf, W. Ellery Channing, minister of religion,
SJofton 1903. Sertgt. b. 2(rt. ,,^^eob. ^arfer", 93b XIV, 696 ff. (reo jur Sitt. beizufügen ift :
?[ftf)err, Zt). harter in f. Seben unb SBirfen [@t. ©allen 1894] unb 21. 23. SSruce, Apologetics
[gbtnb. 1892), p. 136—145]. — SBegen 9?. 23. (£merfon§ f. D. 23. grottnngbam, History of 35
Transscendentalism in New-England/ 9>}ett>=g)orf 1876. g. 23. ©anborn, Genius and Character
of R. W Emerson, 23ofton 1885. g. ©• ßabot, Memoir of R. W. E., 2 vols, Sonbon 1887.
Sid)arb ©arnett, Life of R. W E. (in ber Sammlung : „Great Writers"), Sonbon 1888. —
Sgl. Slüibone, Dict. of Engl, and Amer. Wr. etc, Suppl. I, 556 f.; lleberreeg^einje, (#efd).
b. WH'. IV, 496 f. 40
Ue6er SameS ÜKartineau i>anbdri: 2(. 2S. Sa^fon, J. M., a biographyand study, 23ofton
1900. 33. TOandjot : $rot. a^onatSbefte, 1900, 8.65 ff. ■£>. ^Sfletberer, gntreidelung ber prot.
Geologie feit Kant 2c. (1891), ©.434 ff.; £>. 3. «jjrtce, «ötartineauS 9ffeIigton§^iIofop6ie(®tff.),
Setpäig 1902. 3. Srummonb u. ©. 23. llpton, The Life and Letters of J. M., and a Survey
of his Philosophical Works, 2 vols., yteto-tyort 1902 (f. b. auSf. Slnjetge in b. Princeton 45
Rev. 1908, 655 ff.). 2?gl. Dict. of National Biogr. Suppl. III (1901), p. 146—150.
Ue6er ©topforb 23vöofe f. u. a. (£. 2B. Sölctljer im 3:ti323 1898, ©.477 unb bef. ©teube:
Sero. b. ©I. 1899, ©. 195—210.
3n ©nglanb fanben antitrinitarifd)e ^been fd)on unter ^einrieb; VIII. ©ingang unb
mandie Se!enner, tro^ harter Verfolgungen fetteng ber Staatsgewalt. Unter ©lifabetb; 50
tourben 1575 jtoei SBiebertäufer wegen „arianifcfyer" ©efinnung unb 2ef;rtoeife berbrannt;
be^gleidE)en 1583 ber §äretifer ^ob^n £etoe§ in formier; „for denying the godhead
of Christ" (2lEen, p. 122). 9?od) unter ^a!ob I. erlitten 1612 Sartfyolometo Segate
in Smitbfielb unb ©bmarb Sßigt)tman in Sicbfielb ben geuertob — beibe als „Ana-
baptists and Arianizers" (ebb. 123). @in »on ben ©ojimanern ^olenä an %atoh 1. 55
SefanbteS ©jemplar beS ing £ateinifcb> überfetjten 3tafauer Äatediiginuä tourbe auf
?arlament3befd)luf3 1014 burd) §enfer§f)anb berbrannt. — SErot^ bem altem, unb
«o£ be§ @r^bifd)of§ Saub ^anoneö bom ^atjrc 1640, bie ben 2lntitrtnitari<3mu3 afö
„a damnable and cursed heresy" berboten (bgl. XI, 313, 1 ff.), berbreiteten fid)
befonber§ jur ßeit ber großen 9?ebolution, bon §ofianb au§ ©ebriften ber ©ocinianer ü0
i" beträd)tücber gabt in ©nglanb. 3)ie in ettwaS mobifijierte £ef)rioeife beä ©o=
cinianiömuS fanb einen gelehrten ©ebu^rebner (ober menigftenS fd)onenben Beurteiler)
fln bem Iatitubinavifd)en Theologen 2«. (5(nßingroortb; (geft. 1614), fotnic einen mit
262 ttmtari§ntttS
wieberfyolten garten Verfolgungen fyctmgefudjten ^onfeffor an bem 1662 geftorbenen
3ol)n Nibble (f. ben 2trt. III, 201 ff.). Woü) unter SBilfyelm IIL *»utbe baS foct=
nianifd)e VefenniniS bon ben Soleran^aften bon 1689 auSgefd)Ioffen unb mit ferneren
©irafgefeijen belegt. 2lber baS Sluffommen beS ®eiSmuS foWie beS ßlatfefcfjen National:
5 ©ubranaturaltSmuS — mit feiner fabellianifd)en gaffung baS SrinitätSbegriffS, an meiere
befanntlid) aud) Sfaac Newton ©ef allen fanb (»gl. bei 6larfe IV, 103, 39 ff.) — fieberte
einem in focinianifd)er Söeife abgefd)Wäd)ten ©reieinigfeitsbegriff eine Weite Verbreitung
als bribatim gehegter Set)rmeinung foWob,! in ftaatsfirdjlkfyen Wie in ©iffenterfreifen.
SDte Bewegung trat offen t)erbor unb gebiet jjum Vrud) mit ber englid)en ©taatSt:ird)e,
10 als Sfyeobr/tf Sinbfeb, 1773 — wegen ber im borl)erg. %at)x feitenS bei Parlaments
erfolgten Slbleljmung ber Petition um 2luft)ebung ber Verpflichtung auf bie 39 Slrtüel —
feinen Slugtritt auS berfelben erllärte unb bemnäcbji eine freie ©emeinbe auf antitrini=
tarifd)er VafiS in ber (Sfferjtrafje in Sonbon grünbete. Sinbfeb, leitete biefe ©emeinbe
bis gegen bie SJcitte ber 90er %ai)xz beS 18. 3<*I)rr;unbertS, worauf er ftd) ins Vribat*
15 leben jurüdjog (geft. 1808), übrigens aber als abologetifcfyer ©djriftfteller für feine ©act)e
t^ättg blieb (^aubtWerfe : Conversations upon Christian Idololatry, 1790, Worin er
aud) ben ©lauben an bieSErmität als „götjenbienerifd)" befämbft, unb „Conversations
on the Divine Government 1802, Worin er eine 2lrt Don ©fyftem feiner religiöfen
^been giebt (bgl. ben 2Irt. bon ©cfyoeE: XI, 503 f.).
20 ©leicr^eitig mit biefer 2Birffamfeit beS Sonboner VrebigerS, bie ben ©runb jum
füb=englifd)en UnitariSmuS legte, Wirfte !yofebt) Vrieftler; für biefelbe ©act)e im mittleren
©nglanb (»gl. ben 2trt. in Vb XVI, 53, 1—32, $u bem Wir t)ier einiges (Srgän^enbe
nachtragen). 2öäb,renb feiner Sefyrtfxitigfeit als Vrofeffor ber Siiteratur an ber £)iffenter=
atabemie gu SBarrington (c. 1756— 1761) Würbe er infolge feines ©tubiumS ber ©driften
25 beS üftaturbt)ilofobI)en SDabib £>arilet) fowie berjenigen beS r)eteroborm antibeiftifdjen 2tpo=
logeten !>Ratt). Sarbner (f. b. 2t. XI, 288 f.) irre am calbinifdjen jlird)englauben, bem er
urfbrünglid) mit @mtfd)iebenr/eit angefangen l)atte. @r Würbe llnitarier unb obenbrein
2lnb/änger ber faft materialiftifd) üingenben, übrigens bod) nict)t emftlid) in biefem©inne
gemeinten Sefyre §ariIer/S, Wonad) bie Vibrationen ber £)irnnerben als bie med)anifd)en
30 Urfad)en beS ©mbfmbenS unb ©enlenS ju betrauten feien (211b. Sänge, ©efcfyidjte beS
SftaterialiSmuS, % 295 ff.). 2lnbererfeitS ful)r er boct; aueb, barmt fort, in Sarbnerfdjer
SQöetfe gegen rtaturaliftifct)en Unglauben (inSbefonbere gegen baS berüchtigte Systeme de
la Nature) unb gegen §umefd;en ©febticiSmuS ju gelbe gu jieljen, unb $War als Ver=
teibiger mancher entfc|ieben fubranaturalifüfd)er Sefyren, u. a. beS ©laubenS an ein berfön=
35 Iid)eS fortleben beS 3Jcenfd)en im^enfeitS. (Sr Wirkte hierauf jWölf Qaljre lang (1768— 80)
als Vrebiger einer, gleici) il)m, unitarifet) gefinnten ©emeinbe ju Seebs, foWie Weiterhin
an einer ebenfold)en in Virmingb, am (1780—91). ^n bie geit feines SöirlenS am erfteren
Drte fallen feine bebeutenbften arbeiten auf bfyfyfifalifct) :cl)emifd)em ©ebiete, befonberS feine
©ntbectung beS ©auerftoffs 1774, ben er — Weil bamalS nod) in ben Vorurteilen ber
40 irrigen Vbjogiftontr/eorie ©. @. ©tab,ls befangen — als „bebt)Iogifierte £uft" bezeichnete.
SBä^renb ber Virmingt)amer 3«it fügte er jur bisherigen, teils naiurWiffenfcfyaftliajen,
teils tt)eologifd)en ©d)rtftftellcrtt)ätigleit Verfuge aud) auf bem ©ebiete ber Volitil b,inju.
©in föffat) über bie rebublifanifcfyc 9?egierungSform, Worin er biefe bebingterWeife ber=
teibtgte, ^og ib^m bie Slnflage ju, er ft;mbatt)ifiere mit ben SJebolutionSmännern ^ran!=
45 reid)S. Dbgleid) biefer Vorwurf nid)t in bollern Umfang begrünbet War, brad) boä; bon
feiten beS ftrengmonarcfnfd) gefinnten Virmingb,amer VollS ein erbitterter älufrul)r gegen
it)n loS, Wobei feine 2Bol)nung, famt feinen Vüd)ern unb einer ©ammlung Wertboßer
bt)r/fifalifä)er Qnftrumente, in flammen aufging (14. ^uli 1791). ©iefe J?ataftrobb,e ber=
leibete ifjm ben 2lufentl)alt in ©nglanb. SJacb.bem er noeb, einige Seit ju ^adfnet; bei
50 Sonbon in jiemlid) !ümmerlid)er Sage jugebrad)t, fiebelte er 1794 mit feiner gamilie
nacb, Vennfr/lbanien über unb Wibmete baS le^te $abjgef;nt feines raftloS tl)ätigen SebenS
ber görberung beS norbamerilanifd)en UnitariSmuS (f. u.). — gür Sllt-@nglanb Würben
Wät)renb ber näcljftfolgenben ^at)rset)nte bie unitarifd)en Qn^reffen r)aubtfäd)Iict) gebflegt
unb geförbert burd) bie Vrebiger XfyomaS SelSb,am (geft. 1829 — §uerft ^JrieftIet>S 5Raci)=
55 folger in Sirmingb, am ; fbäter in Sonbon Sinbfe^S SZacbJoIger unb beffen Viograpb, ; f.u.)
unb Sant (Sarbenter (^rebiger in Vriftol, geft. 1840). S55ät)renb tt)reS SBirlenS erreichte
bie bis in bie erften $ab,re beS 19. QafyrfmnberiS t)inein immer nod) gebrüdte Sage beS
britijd)en UnitariertumS,, attgemad) it)r @nbe. ©d)on 1813 Würbe baS it)re Seb^rfreib,eit
befd)ränfenbe unb beS Öfteren fie mit t)arten ©elbbufeen belaftenbe ©efeij aufgehoben;
60 1825 fonnten fie fid) §u einem über ©nglanbS ©renken ^inauSreid)enben religiöfen Vunb
UuttariSnmS 2(VA
(British and Foreign Unitarian Association) jufammenfcfyliefjcn, itnb balb nad;
garpenterS 2ob tourbe burd; ©rlajj ber fog. Dissenters' Chapels Act (1844) ber leiste
SReft »on 93efd;ränfungen i^rer religiöfen greifyeit beseitigt (f. Stilen, p. 152 f.).
^n 9leu=@ngtanb fanb Vrieftler; bei feiner ©intoanberung bafetbfi einen für untta=
rifdje Seiten empfänglichen 33oben, für beffen Bereitung — befonbetö in Vofton unb 5
beffen näherer Umgebung — liberal gerichtete fongregationaliftifd)e ^rebiger toie ^onattjan
Hiatifjeto (geft. 1766), @I>. ßfyauncel; (geft. 1787), ©imeon £otoarb (geft. 1804), Bornas
Öarnarb (geft. 1812) u. a. mit ©rfolg tf)ätig toaren (Sitten, p. 170 ff.). 5ßrieftlet) felbft
(geft. 4. gebr. 1804) t>at toäfyrenb ber §el)n Qa^re, bie er noeb, in Slmerita (juerft in bem
pennfülüanifdjen ©täbteben -Jtortljumberlanb) »erlebte, Weniger burd; Vrebigten ober 10
fonftigcS perfönlid;e§ Sötrfen als burd; fd;riftfteltertfd;e £f)ätigfett bie unttarifcr)e ©ctcfye
;u förbem gefugt, ©r fcfyrteb t)ier u. a. feine parallele jtoifd;en £jefu3 unb ©ofrate§
(Jesus andSocrates compared, 1803) fotoie bie »terbänbige 2Iu3legung ber fyt. ©d)rift
(Notes on all the Books of Scripture, 1802—04), bie er feinen früheren tbeotogifcfyen
Werfen größeren Umfangt, namentlich ber ,,©efd;id;te ber gälfdmngen be3 6I;riftentum3" 15
unb ber jtoeibänbigen „ungemeinen iircfyengefdjtdjte" folgen liefe unb tooburd; bie auf
141 dummem ftd; belaufenbe ©efamtfyeit feiner ©driften »olljäpg tourbe. $u be=
fonberem Stnfefyen ober ©influffe ift feinS feiner tbeologifcf)en SBerfe gelangt. ®a§ ban!=
bare Slnbenfen, ba§ feine Selenntniggenoffen ifym toibmen, gilt toeniger feinen 33eftre=
bungen auf biefem ©ebiete al<5 feiner d;arafter»oEen religiöfen ^$erfönlid;feit unb fetner 20
Beteiligung an jenem eifrigen unb erfolgreichen naturtotffenfd;aftlid;en $orfd;en, tooburd;
bie Saöoifter, Söatt, 23. granllin, 9t guiton unb anbere feiner ßeitgenoffen 9xubm erlangten
(»gl. Rödler, ©otteg beugen im 9teid} ber Statur, 2. 21. 1906, ©. 333 ff. fotoie bie ba=
felbft benutzte SDarftellung »on SR. ^ßattifon 9JMr, Heroes of Science ; Chemists
[Sonbon 1883], 52 — 79). — 2)te bem unitartfcfyen ©tanbpunft juftrebenbe Vetoegung 25
getoann feit bem Seginn be3 19. IgafyrbunbertS befonberS in 9Jcaffad;ufett§ unb bennäd;ft=
benachbarten -Jceuenglanbftaaten eine »on %afyx ju %af)x toacl)fenbe 2lu3befmung. VoftonS
^rebiger fielen ber neuen 9ttd;tung — bie fid) bamals> mit Vorliebe nod; „liberale"
@a)ule nannte — nad; unb nad; faft alte ju. SDurd) 33efe|ung »on fünf ber einfluf$=
reichten ^rofeffuren am §ar»arb ßoltege mit Vertretern ber liberalen Qbeen tourbe 30
toäfyrenb ber %afyxt 1806—08 biefe ,£od;fd;ule für ben Unitari§mu<§ erobert (um eben
bie geit, too bie fird;lid;=fonfer»atiö gerichteten Greife ber Äongregationaliften »on sD?affa=
d}ufettl il)r Xt)eoI. ©eminar ju 2tnbo»er grünbeten). $ur Vilbung eigentlicher unita=
rtftt}er ©emeinben in größerer Qafyl tarn e§ erft feit bem §toeiten $ab^efmt be<§ %afo
bunbertö. SlHerlei .ßeitunggpolemif jtoifd}en ben Organen be§ Softoner Siberaliömu§ (3. SB. 35
ber Monthly Anthology unb bem Christian Disciple [feit 1813]) unb benen ber
ort^obojen ^Jücbtung beförberte ba§ feinbfelige 2lu§einanbertreten ber Parteien; auf ber
letzteren Seite toar e§ namentlicb ber Panoplist (ein todbrenb ber Jgafyre 1805—20 er=
ftt)einenbe§ ftreng caftnmfttfdjeg Statt), beffen fd;arfe 2trtilel (feit 1815) jur 2tuff)ebung
ber Äird)engemeinfcf)aft mit ben 3tnt)ängern ber mobernen §ärefie mahnten, ©afe biefe 40
§ärefie feine anbere fei al3 bie $Denf= unb Set)rtoeife ber altengltfdjen llnitarier, tourbe
ben Drt^obojcn befonberS infolge ber Verbreitung »on 33et§t)amö Memoirs of Theoph.
Lindsey (Sonbon 1812) im amerilanifd;en 23ud)t>anbel Har. ®a§ »om „Unttariämuö
in Stmerila" ^anbelnbe ^a^itet biefer Siogra^bie öffnete ben ftrengiirdjtid; ©erid;teten
bie Slugen über bag, toa§ fie »or altem »on it)ren ©egnern fdjneb. Qn immer bringenberer 45
Seife ergingen nun bie SJta^nungen an biefelben, augjufd;eiben unb auf ©runb i^rer
Sonberte|ren fidj al<3 neue !ird>tic|e ®emeinfd;aft 51t fonftituieren, — toogegen freilidj
jene nod) längere ^iü fid; fträubten. Stuf entfcfjeibenbe SEBetfe trug bie ^rebigt, toetd;e
ber Softoner liberale Vaftor (SEerr; ßbanning (geb. ^u91eto^ort, 9ty.*3. 1780) am 5. Wai
1819 ju Sattimore antäfelid; ber Drbination beg unitarifd; gerichteten ©eiftlid^en ^areb 50
S^arfä f)iett, baju bei, ba<B offene §er»ortreten ber ebenfo gefinnten ^rebiger unb ©e=
meinben — bamalö ettoa 120 im <5taaU 2Raffad;ufett§ fotoie 9—10 in ben 9cacf)bar=
ftaaten —mit ifjrem Vefenntniö 311m ÜmtatiSmuS ju beförbern (Stilen, 195 ff.), ßbanning
tourbe »on ba an §auptfüf)rer ber rafcb, fid) ausbreiteten neuen Denomination, ju bereit
Sejeicbnung al3 „unitarifd)" er freiließ nur ungern fid; f evbeiliefe. ©eine ibealiftifcfje 55
©eifteärid;tung blieb alter fdjärferen befenntnigmäfeigen Stu^rägung fotoo^I feinet eigenen
Xenfeng unb £ef)reng, toie beö il)n umgebenben ilird;entoefenio ftets abgeneigt, „(sine
etablierte Äird;e/;, meinte er, „tft ba§ ©rab be§ ^ntelleftä" Sieber ate einen Unitarier
pflegte er fid; einen „liberalen (Stiften" gu nennen, toomit er einen folgen meinte, „ber
geneigt ift, aU S3ruber in 6f;rifto 2111c aufzunehmen, bie nad; bem Urteil ber Siebe 60
264 ltmtori§mu§
^efum ©fyriftum als ifyren §erren unb 2Reifter annehmen" !gn biefem ^ralttfd£>=^>^tlan=
tfyrobifcfyen (Seifte fyat er bis gu feinem STobe (2. Dlt. 1842) als eifriger ©egner ber
©flaberei, foWie als görberer ber SftäfugüeitSbeWegung unb ber ©efängniSreform getoirft
(bgl. ©cfyaffS Strttfel: III, 788). — (SfyanningS 5Jiad)f olger als tyaubtfäcpd) einflußreicher
5 Vorlämbfer beS amerüamfdjen UnitartSmuS Würbe Sfyeobore harter (geb. 1810, geft.
1860), buret) Weidjen bie nodj berfyältniSmäfjig fonferbatibere ©eftalt ber älteren uni=
tartfcfyen ©clmle gur mef)r Mtifd} unb fubjettibiftifd) gearteten beS mobernen llnitaris=
muS fortgebilbet Würbe. SDie bon ber älteren ©clmle noeb, feftgetjaliene Stutorität ber
Vtbel Würbe unter Dariers ©influf? preisgegeben unb in Verbindung bamit eine fbefu=
10 latibe ^ortbilbung beS ©otteSbegriffS gur ©eftalt eines „reinen" (richtiger eines meljr
ober Weniger ftarl bantfyeifierenben) ifyeiSmuS angeftrebt, überhaupt alfo eine Slnnäfyerung
an ben mobernen fbeMatib=triiifd)en Rationalismus ^ollanbs unb ©eutfd;IanbS bollgogen
(RäfyereS f. in bem 3lrt. bon Süb,rS: XIV, 696 ff.). — ©ine nad^altig Wirffame @r=
gängung erfubr bie ^ätigleit biefer berüfymtefien Vertreter ameritanifd)=umtarifd;er Mangel*
15 berebfamfeit burd) baS fdjiriftfteßerifcr/e SBtrfen beS SMcf/terbEnlofopfyen ÜMbfy Söalbo
©merfon (geb. 1803 gu Vofton, geft. 1882). SDem Vrebigerberufe blatte aud) biefer reid)=
begabte ©eniuS ftd) urfbrünglid) geWtbmet, gab aber, nactjbem er brei ^aE>re lang Vaftor
an ber fongregationaliftifcfyen „Reiten ^ircfye" gu Vofton geWefen, 1832 foWofyl biefeS
Slmt Wie feine Sftitgliebfcfyaft in ber inbebenb. $ird)en= unb SlbenbmafylSgemeinfdjaft auf,
20 fiebelte nacb, bem ©täbtd)en ©oncorb(9Jcaff.) über unb roirfte bon Bier aus fdmftftellerifd;
foWie burd) in Soften gehaltene öffentliche Sefyrborträge für bie <B>afyt beS llnitariSmuS.
Sftiiteltounft feines mit ungemeinem ©rfolge betriebenen 2öir!enS für ein bogmen= unb
formenfreieS inbibibualiftifcfyeS ©fyriftentum mürbe ber auf feine Anregung in Soften ent=
ftanbene „tranSfcenbentate $lub" SDurdj) Mitarbeit an mehreren btelgelefenen 3eitfd)riften
25 (guerft an The Dial, bann feit 1844 an The Atlantic Monthly), burd) Veröffent=
Hebung feiner Vortragsferien unb nid)t am Wenigften burd) feine ^icfytungen (Wie „Na-
ture" 1836) trug er gur Verbreitung feiner „tranSfcenbentalifiifd;en" 2luffIärungSibeen
in weitem llmrraS bei (bgl. bie ©efamtauSgaben feiner Works bon 9Jcorler/ [Sonbon
1883, 6 Vbe] unb bon Riberfibe [Softon 1883—84; 12 Vbe]). ©runbfäpdje ©#em=
30 lofigfeit ift ein £aubtd>arafteriftitum bon ©merfonS bantb,eifierenb=mr/ftifd)er unb ejtrem=
inbibibualiftifd}er SBeiSfyeit, bie weit über bie ©renken ber unitarifd)en ©eite l)inauSSieb=
b/aber gewonnen I)at. Qn oer neuen w'e i" "bec alten SGBelt ergö|en ftd; biete |mnberte
fd;öngeiftig beranlagter Sefer, befonberS aud) in greimaurerlreifen, an berartigen !ed b,in=
geworfener ©entengen Wie: „9iatur, Sitteratur, ©efd)id)te finb nur fubjeftibe @rfc|ei=
35 nungen" ; ,,©ott erbaut feinen ^embel im §erjen, auf ben Krümmern bon ^irdjen unb
Religionen" ; „ttnfere Vernunft barf nid;t bom göttlichen ©ein unterfebieben Werben" ;
„®ie reine ©bmbat^te mit ben .gtoeden bes SßeltaHS ift eine unenblidpe J^raft unb lann
Weber beftod)en nodi abgelenkt Werben" jc. (bgl. bie bon §. R. §aWeiS herausgegebenen
„Gems of Emerson" [Sonbon 1886]), foWte bie SBlütenlefen ©merfonfdjer ©ebanlen=
40 bli|e, Womit ber beutfd;e maurerifd)e ©d)riftfteller "Diebrid; 33ifcl)off feine 2i5erle gu ber=
gieren bflegt (g. 93. in ben Slnmerfungen gu ,,©ie Sogenarbeit unb baS Reid; ©otteS",
Seibgig 1904, ©. 53 ff.). — sJ?od; bei Sebgeiten SmerfonS grünbete einer feiner begetftertften
2lnb,änger, 31. Sronfon Sllcott in ßoncorb, 3JIaff., eine fbcgielt gur Pflege tranSfcenben=
taliftifd)er 2öeiSl^eit beftimmte „Coneord School of Philosophy" (1879), bie er faft
45 ein gafrge^nt liinburd) leitete, bie aber naefc, feinem ^Eobe (1888) fid; auflöfte (bgl. Über=
Weg=|>einge a. a. D. 497).
3u bauernbem Seftanb finb einige fd)on ältere Vereinigungen gur görberung ber
amerifanifd;=unitarifd;en ^ntereffen gelangt, ©o bie 1825 gu Vofton unter 6b,anningS
Slufbigien gegrünbete American Ünitarian Association (bagu beftimmt „to diffuse
50 the Knowledge and promote the interests of pure Christianity") foWie mehrere
fbäter entftanbene Vereine (fo bie Western Conference of Unitarians feit 1852 unb
bie 1865 gu 9JeW=?)orl im? Seben getretene National ünitarian Conference, geftiftet
gur „promotion of the cause of Christian faith and work) Wibmen fieb, mit
Wadjfenbem ©rfolge ber Vflege ber unitarifc^en Qntereffen. Von ben beiben tfyeologifdjen
55 VilbungSanftalten beS amerilanifd)en UnitariertumS trägt bie gu SKeabbiHe in Vennft)I=
bania (geftiftet 1844) auSfdjIiepd) unitartfd)en 6bara!ter, Wäb,renb bie mit ber ^barb*
Uniberfität berbunbene tBeoI. galultät ober Divinity School fieb, feit 1878 für „unde-
nominational" erllärt fyat, b. i). aufy mcb>unitarifc£)e ©tubierenbe gulä^t. ©ine ftarfe
Slbneigung gegen beftimmte bogmatifd^e 2lu§brägung unb ftjmbolifc&e gi^ierung if)reS
60 Seb,rbegriffS ift nad) Wie bor djaratterifiifd; für bie amerilartifd)=unitarifcb;e ''Ideologie.
UnUrtrtStnuS 265
Ticfclbc bermeibet in bieten tEjrer Vertreter e! gerabejut, fid) all „unitarifd;" ju bcgetdjnen,
bct»orjugt bielmefir tarnen toie ettoa „linier $Iügel ber $ongregationaltften" ober „rntifd;=
liberale Ökologie" ober „©dmle be! unbogmatifcfyen Gfn*iftentum!" u. bgl. 2lud) toirb
wn nidd toenigen unitarifd; gerichteten unb mit unitarifcfyer ^ßrebtgt bebienten ©e=
meinben boef; ber Warnt „ unitarifd) " gemieben — fo baß ätotfdjien ber ©efamtfyeit ber 5
üfnbänger biefe! Vefenntniffel unb ben ifmen sunäcbjt bertoanbten Denominationen (in!=
befonbere ber fongrcgationalifiifcfyen) leine fd^arfe ©renjtinie gebogen werben lann unb
eine genaue ftatiftifcfye ©rmittehmg bei bermaligen Sbnfeffionlftanb! ber Partei unmöglich
ift. 3u ben betr. Angaben bei darroll (Am. Church Hist. Ser. I, 367), toonad; bie
Unitarier Stmerifal im ^abre 1893 fid) auf 420 ©emeinben mit 444 iürd^gebäuben, 10
gegen 510 ©eiftlicfyen unb 68000 „Scitgliebern" beliefen, bemerlt ber £ifiorüer bei
Unitarilmu! (Stilen, p. 243) ganj offen: biefe $at)hn feien §u ftanbe gebraut bureb, §in=
umaftme bon giemlidb, Dielen, „nur ber ©atfje, nid)t bem Tanten nad) unitarifcfyen ©e=
meinben" ; unter ben 144 Surfen befänben fid» laum 197, bie fieb, aulbrüdlicb, felbft all
unitarifd; begetdineten, unb bei ben 510 ©eifilid)en feien einerfeitl gegen 20 brebigenbe 15
grauen, anbererfeit! minbeften! 100 übertäubt nur liberal gerichtete aber nicfjt etgentlid;
unitarifefte 2f;eoIogen mit inbegriffen. Den Sfyarafter einer freifinnigen 2lllertoelt!fird)e,
mit ftarl entfeffeltem ©ubjeftibilmu! ifyrer Vertreter unb mit entfbredtenber ©leid;giltig=
feit gegen fefte lirdjlidie Drganifation, belunbet in ber %fyat bie unitarifdjte Denomination
in mebr all nur einer Ve;üebung. Diefe „£ircb,e ber ^ntefleltueßen" (tote fie fid; aud) 20
toofyl nennen läßt), befiijt ib,r einigenbe! Vanb nidjt fotoobl an ben ©aijungen irgenb=
tüelcfyer Sfffojtation ober an fonftigen ftrm religiö!=fird;lid;en Überlieferungen, fonbern
t)orneb,mIid) an ber gemeinfamen antibogmattfeben ^enben§ ifyrer 3?ebner unb ber toefent=
lief) übereinftimmenben 2lrt, toie if;re lyournaliften (in mehreren gefefudt rebigierten unb
einflußreichen Organen toie je|t befonberl ber Christian Examiner unb bie Unitarian 25
Review) fid; über religiöfe Probleme unb geitfragen bemefymen faffen. „Unitarilmu!"
bebeutet ifyren 2lnb,ängern rtidf)t ba! gehalten an einem bogmatifd; beftimmten ©ottel=
begriff, fonbern übertäubt nur f. b. a. freie unb fortfdjtrittlicfye religiöfe Denftoeife (bgl.
gretbingbam bei Sitten, p. 244: The new Unitarism is neither sentimental nor
transcendental nor traditional; it calls itself „unitarian" simply because 30
that name suggests freedom and breadth and progress and elasticity and
joy", etc.).
©eit bem ©afnnfterben ber oben genannten tbeologtfcfyen $ort)tof)äen be! amerifanifcfyen
Unitarilmu! fyaben jum S^etl toieber altenglifd>e litterar ifd;e ©rößen bie geiftige güfyrung
bei Unitarilmu! übernommen, Diefdben gießen %ux Verftärfung ib,rer $ofition auef; 35
Vertreter bei eurobäifd)=feftlänbifd;en tf;eologifd;en Siberalilmul gerne I)eran unb fyaben
befonberl buret) Veranftaltung öffentlicher Vorträge u. bgl. einen nieftt unbeträchtlichen
ßinfluß auf bie Greife ber toiffenfdjaftlid; ©ebilbeten getoonnen. $ur SSefeftigung if;rel
2fnfeb,enl unb jur Verbreitung tfjrer 2Infd}auungen trägt namentlid) ba§ ^nftitut berHibbert-
Leetures 2Sid)tigel bei, ein feit 1873 in regelmäßiger ^fyätigfeit getretener Vortragt 40
c^flul (gegrünbet bureb, ein Segat bei reichen ^maicabflanjerl 9?ob. §ibbert [geft. 1849]
jum gtoecl ber Vertretung „antitrinitarifefter Seftren" unb mit ber aulbrücfficfyen 33e=
ftimmung, baß „nur §eteroboje" an ifnn mittoirfen bürften). StRaj DJJüffer, 2lbr. ^uenen,
C. ^ßfleiberer u. a. b,aben ^ur görberung biefel Unternehmen! bureb, mef;r ober toeniger
toicfytig getoorbene Vorträge bilb^er beigetragen. — $u ben erfofgreid;ften einl^eimifdien 45
SSorfämbfem für bie unitarifd;e <&afye gehört ber nod; gegentoärtig in englifcfyen toie
außerenglifd;en fdjöngeiftigen Greifen — toegen feiner eleganten päbofyerl für ein
tounberfreiel, ber mobernen ©nttoidelungllebre angepaßtel unb ganj auf! braftifdje rebu=
äiertel 6f)riftentum — bielgefeierte ©totoeforb 31. Vroofe (Verfaffer bon Dteben über
„©laube unb 2Biffenfd)aft", toeld)e an 6f;arlotte Vroid;er [Oöttingen 1898] eine Über= 50
fe|erin fanben, bon geiftreid)en ©ffafyl über „Religion in Literature and Religion
in Life" [2onbon 1901] u. f. to.). ®e!gleid)en ber feit Slnfang 1900 au§ bem geben
gefdjiebene ^amel 9JJartineau, Vroole! f)ob,el Vorbilb unb geififid)er Vater, ber naefibem
«r 1836 mit ben juSiberbool gehaltenen feef;! Vorträgen über „®a! Nationale ber relU
giöfen gorfcb,ung" feine Saufba^n auf glän^enbe SBeife eröffnet, faft burd) jtoei 9Jcenfd)en= 65
alter binburd) ted! in Vorlefungen am Manchester New College, ber tfyeol. ftocftfcfmlc
^•1 altenglifd)en tlnitariertuml, teil! in Sieben unb ©griffen fonftiger Strt fein berebte!
S^gnil für ein gemäß mobern=unitarifd;er ©oftrin ibealifiertcß unb fublimiertc! (Sbriftentum
abgelegt f)at. Drei 2ßerfe bon internationaler Verbreitung entftammen ber ^eit feiner
Bereifteren ungemein erfo!greid;en ©d)riftftcflertf)ätigleit: bie Types of Ethical Theory bo
266 IttttiariSmuS ltnttocrfttätcn
(2 vols., Sonbon 1885), eine jtoeibänbige Steltgtongblnlofobljnc, betitelt A Study of
Religion, its Sources and Contents (Dsforb 1887) unb ein genialer Settrag §ur
tljeologtfdien ^ßrinjibienlefn-e : The Seat of Authority in Religion (Sonbon 1890).
©a in btefen Sffierfen neben glängenber Button aua) eine fyerborragenbe fbelulatibe 33e=
b gabung ju %aQt tritt, eignen fte ftd; bor allen ba^u, einem einbringenberen ©tubium ber
©otte§- unb 2öeltanftd)t bes> Ünttart<omu<3 ber ©egentoart ju ©runbe gelegt gu toerben.
2lm mobernen 9JJaterialt§mu<§ unb bem ^3ofittüt§mu§ ßomteS unb SRiEg, ja felbft am
©bencerfdien 2tgnoftici3muS toirb bon tf>rem SSerfaffer fdjarfe $rttif geübt; feine eigne
religiöfe ©enftoeife ift eine toefentltd) bantl)etfiifd)e, getragen bon r/ob/em fittlid;em (Srnft,
10 aber berbunben mit roeitge^enber Neigung ju fubjeftibiftifc^er ^ritif unb §r/berlrittf be=
äüglid) ber gefc£)id£>tltct>en ©runblagen be§ ßfyriftentumS — in toeld) leiderer £>mfid)t er
einerfeitS franjöfifd)en liberalen 9Migion§forfd)era tote 21. unb 3- Stebilte jc, anbererfeitS
ben jüngeren 9lus>läufem bon SaurS Iritifd)er ©dmle rta^eftel) enb erfd)eint (bgl. $fleiberer§
bielfad) juftimmenbe Söürbigung ber 9Jcartineaufd)en Geologie in ben &$%$ 1889,
15 ©. 41 ff., fotoie bie meb/r fritifcf; gehaltenen 9lu3fül)rungen bon SibftuS im %^^8 1888,
©. 323 f. unb 1890, ©. 349 ff.). $m !Berr/äItm§ ju manchen feiner 33efenntni§genoffen,
namentlid) ju bem rabilaler gerichteten parier (bgl. über biefen : SüfyrS, in $b XIV,
697 f.) ftel)t 5Rartineau al§ ber tiefere reItgtöS=etE>tfc£j gefyaltbollere ©enler ba. ©od) teilt
er mit allen ©ogmatifern beS neueren UnitartSmug bie ablefmenbe Haltung gegenüber
20 jenen Überreften fubranaturalifiifcr/er ©en^ unb Sefyrtoetfe, toelcb,e ba<§ focimanifd)e !He=
Iigion<8fbftem nod) %u fonferbteren gefugt r)atte, imSbefonbere alfo ben lonfequenteren 9tatio=
nali<3mu§ rnnfiddltd» ber Sefyren bom SBunber, bon ßbrtfii ^3erfon unb bon ben le|ten
Singen. (£ergog f) SMht f
Universalismus hypotheticus f. b. 91. Reibet tfd)e ^onfenSformel 33b VII
25 ©. G47, 52.
Ittttöcrfttötcn. — Sittercttur: Sentfle, Untberfitäten be§ 9Ktttefalter§, 1885; jRaf&balf,
Univei'.*ities of Europe in the Middle Ages, 1895; Kaufmann, ©efcfjidjte ber beutfdjen lhti=
oerfitäten, 1888/96; $aulfett, Sie beutfd)ett Untoerfitäten, 1902; SerjS, Sie Untüerfttftten im
Seutfcfien SReirf), 1904; Xtiolud, Sa§ atab. Seben be§ 17. 3af)r&§., '1853/54; gtter, De ho-
30 noribus sive gradibus academicis über, 1685; ©tetn, Sie nfetb. ©eridjtSbarfeit in Seutfd)=
lanb, 1891; fcont, f otleg it. fionovar, 1897; «Uabemifdie fyret^ett, 1905; 3ur@efcf). b. <ßriüat=
bojenten = äRitteil. b. ©efellfd). f. beutle ©rjieljung§= tt. ©cf)ttlgefct)td)te, 1901, £xft 1; Solcfj,
®efd)id)te be§ beutfdjen SinbententumS, 1858; «Bltneroa, Sotubud) ber geteerten SSeit, 1892 ff.;
(Svman u. £imn, S3ib(tograpf)te ber beutfdjert Uniuerfttfiten, 3 93be, 1904.
35 Sie llntberfitäten ftnb ein (Erzeugnis beS cb,riftlid)en ©eifte3leben<8 be§ SRtttelalterS.
„SDie Kird)e toar bie Trägerin aller ^been geiftigen unb gefellfcfyaftlicfyen gortfd)rittes, unb
inbem fie nid)t mübe toarb, biefe Qbeen ju bertoirHicfien, ftanb fie toeit über aHen anbern
menfd)Iid)en Einrichtungen ber geit" (2ambred)t). ®anad) erfd)eint ber ©treit, ob bie Uni=
berfitäten fircr/lidje ober toeltlid)e Slnftalten toaren, müj$ig: fie toaren betbe^, entfbred)enb öem
40 ßb,ara!ter be§ d)riftlid)en 2tbenblanbe3, beffen ©efd)id}te bie brei SSorte : sacerdotium,
imperium, Studium auSbrüden.
S^re (Sntfteb.ung faßt in ba§ 12./13. ^a^unbert. ®er %Wu$ mu^te erft ba=
fein, bebor nad) ib,m llntberfitäten gegrünbet toerben fonnten. Studium generale
toar ber sJfame, ben biefe frei entftanbenen Seb/ranftalten gegen bie 5DJttte be§ 13. 2jab,r=
45 bunbertö E)m annahmen. 3Jian gelangte ju bem Segriff, nad)bem bie ©nttoidelung bon
^iart§ unb Bologna biefe 2lrt scolae ober studia unterfd)iebltd) mad)te bon anberen
bie bann scolae speciales, studia particularia Reiften mochten, ©te entfd)eibenben
2b,atfad)en toaren folgenbe. ©rfteng: e£ toaren llnterricb,t§anftalten für all unb jeben,
ber lernen b. b,. ftubteren tooßte. ©amit Ejing jtoeiteng jufammen, ba^ bie £et)re (doc-
ßo trina, scientia) eine diseiplina generalis, eine allgemein gütige, in ber ganzen (51;rtften=
f)eit brauchbare toar. Unb baju lam britteng, ba§ biejenigen, bte ben burd) bie ^rajiä
tt^bifd) getoorbenen unb für nottoenbig erfannten ©tubtenlurfuö abfolbtert Ratten, nad)
einer Prüfung für befähigt erflärt tourben, bie gelernte 28tffenfd)aft ju brobagteren unb
überall als anerkannte Se^rer aufzutreten.
55 ©rfnelt jufolge biefer brei Momente ber Strcfyettto, nadjbem er ftd) befeftigt b/atre, ben
Scamen studium generale, fo gehörte boeb, jur gortbauer beS 2bb§ noc) ettoa§, toaS
ba§ SSort universitas auSbrüdt. ®enn erft bon ber gext an, too bte ©cb.uten bon ^ariS
unb Bologna universitates b. b,. juriftifd;e ^örberfcb.aften einfd)Ioffen, fann man ben
Seftanb biefer beiben .giocbjdmlen batieren. ©oldie organifierten Serbänbe bon Sefyrern
ttittoerfttiUcn 267
unb ©cfyülem entftanbcn um bie 9Benbe bes 12. Sfl^unbertS, fic brücftcn ben ©cfyulcn
ein bleibcnbes (Siegel auf, fd^ufcn tfyre 3Serfaffung, erlangten Privilegien unb fonfoltbierten
fo ben Styto, ber fcitbem als ein Studium generale privilegiatum in ber ©efcbjdjte
feine 9toHe fbielt.
Sie Föt^erfd^aftltc^e SBerfaffung gehörte alfo mit jum Segriff bes ©eneralfiubiums. 5
Ter ©efamtberbanb „universitas magistrorum et scholarium" fcfylojj in fia) noa)llnter=
berbänbe einerfetts ber Sefyrer, anbererfeits ber ©polaren, teiltoeife au<| beiber gufammen,
tote fie bie tarnen „gafultäten" unb „Stationen" anbeuten. %m £aufc bzx ^ett tourbe
bie 33ejet$mmg ber ©efamtforboration jur Segnung ber Sef/ranftalt, unb gerabe in
£eutfa)lanb ift bon Anfang an Studium generale unb universitas promiscue ge= 10
brauet toorben. Niemals aber fyat man barunter bie ©efamtfyeit ber 2Siffenfd£iaften ber=
ftanben: ber Ausbruc? universitas litterarum gehört ber üfteufteit an. —
25er Arcfyenib ber Uniberfitäten tourbe in ^}aris unb Bologna gefunben. 5Der
©runb lag barin, bafj um biefelbe geit (^u Anfang bes 12. ^aljrfy.s) eine beftimmte
iiMffenfdjaft — in $ßaris bie SEt/eoIogie, in Bologna bie Surtsbruben^ — nad) einer 15
neuen 301 e t^ob e bon fyerborragenben £el)rem (Abälarb, ^merius) befyanbelt unb ba=
fcurcb, eine neue Ära bes gelehrten ©tubiums begrünbet tourbe. ®ie 9Jietb,obe beftanb
in ber btaleftifdjen (Erörterung bes (Begebenen, bort ber $irct)enlefyre, l)ter ber Sftecb, tslefyre :
bas überlieferte Stecht toar ©efe|, ber überlieferte ©laube toar ©efe| ; bie Aufgabe beftanb
barin, bie SBiberfbrüdje jtoifcfyen ben Autoritäten, ben JRircrjenbätem toie ben ©loffatoren, 20
bialeftifcb, ju entfernen, b. i). bas Pro et Contra ju bisbutieren unb ben ©cbjufjentfcfyeib,
bie Sentenj ju §tet)en.
$n biefer bialeftifcrjen SfJiet^obe fteclte Seben, fie toecfte Seben, fie erzeugte eine $on=
tinuität ber gelehrten Arbeit unb fieberte ben ©d)ulen gu $aris unb Bologna, toofnn aus
aßen ©egenben bes Abenblanbes bie ©djüler ftrömten, bie SDauer, bie anbern gleich 25
jeitig berühmten ©cfyulen, toie Mofter 35ec, Saon, £ours, Sabenna, ntd^t ju teil toarb.
üDiefe neue äRetfyobe tourbe gur ©cfyolaftif, bon ber ^trcfye anerlannt unb ber=
breitet -atr SBeförberung unb Söetoafyrung ber ©infyeit ber Sefyre auf fircf/licb^religtöfen, tote
auf fircbji$=rect)tticfyem ©ebiet. SDas römtfeb, e Stecfjt !am nur fubfibiär in 33etrad)t, fotoeit
fein ©tubium für bas 33erftänbnis bes fanonifcfyen nötig toar. ©ntfbrecfyenb ber mittel* 30
elterlichen ^bee bon Uniberfalmonardjie unb ttmberfalfircfye ftanben Geologie unb$uris=
prubenj im 33orbergrunbe geiftigen 3>ntereffes. ®ies «ber ift ber Urfbrung bes connu-
bium academicum ^toifo^en beiben. —
-^ribilegien lamen ber Uniberfitäisbilbung gu gute. ®as erfte toar bie fog.
Authentica Habita Äatfer $mW\<fy§ I., in $orm eines 9teia;sgefet;es gu Sfoncaliass
1158 erlaffen unb in bas Corpus J. C. aufgenommen. (&§ befagt, bafj biejenigen, toeld^e
©tubien falber an frembe Drte reifen, ben faiferlkfyen ©cbu| genießen unb, bon ber
örtlichen ©eri^barleit befreit, enttoeber bor ifyrem Seb.rer ober bem 93ifd)of 9ted)t nehmen
foHen. ©alt bieg ^3ribtleg aueb, nicft.t au§fcblie^lic§ für Bologna, fo tourbe e§ boeb, ge=
mäjj ber Sebeutung, bie bie 9ftedj)tfa)ule bon Bologna bamafö fcb.on &efafs, bon ib,r bor= 40
jüglicb, geltenb gemalt unb trug ju iljrer toeiteren @nttoi(felung toefentlicb, bei. SfBeiterfytn
tourbe e§ bie ©runblage für äße 5ßribilegienbriefe, toeldje $aifer unb Sanbe^b,erren ben
fräteren Uniberfitäten erteilten.
©in äb^nlic§e§ ^Sribilegium erlangten bie ©cbulen bon tyaxtä, inbem au$ befonberer
Seranlaffung im ^afyre 1200 ^önt0 ^P^ilitob Sluguft ben ©polaren berfönlicb,e ©icb,er=45
^eit unb Unantaftbar!eit tf)rer feabt getoäl)rte unb fie ber ©erid)tsbar!eit beä Stfcftofg
unterfteHte.
SDiefe ^ribilegien begünftigten ob,ne ßtoeifel bie Silbung bon üorborationen, bie fid;
ja boeb, nur unter bem ©ct)u|e ber fyödbjten geiftlicb,en unb toeltlic^en Autoritäten fefttgen
lonnten. S3alb tarnen anbere, bom Sßabft erteilte baju : baS ^ßromotiongrecb, t unb ba€ 50
fogen. ^efibenjbribilegiitm. —
2)ie Uniberfität $ari3 fonftttuterte fiel) am @nbe be§ 12. ^al^unbertä au§ ber
Bereinigung ber Se^rer ber bier ©i^iblinen: Geologie, ^u^, SDlebt^in unb 2lrte3, unb
jtoar toaren es bie, toelcfye auf ber ©eineinfel im Sejirte bon 3^otre ®ame ibre £eb,rtf)ätig=
feit ausübten, nacb,bem fie bom Äanjler ber 5?atb,ebrale in b,er!ömmlicb. er iikife bie @r= 55
laubnis ba§u erhalten Ratten.
$>ie ?ßarifer Uniberfität toar alfo eine lUtagifteruniberfität : bas Regiment ber öebr=
anftalt lag in ben §änben ber Sichrer, unb toas fie regierten quoad Studium, bas ging
bie ©efamtbeit, bie universitas magistrorum et scholarium an.
■Kacb, unb nacb. fcb.loffen bie £el)rer bcsfelben gacb,es nod; engere iserbänbe. 25en «0
268 Umtoerfttäten
Slnlaf? baju gab bie ^romotiongfrage, bie ftatutartfcb, geregelt merben muffte, ma§ im
jmeiten ^a^rje|nt be§ 13. ^abrlrnnbertS gefdjab- Um biefe 3«tt erlernt aucb, ba3 SBort
„facultas" gunäcbjt für bte betreffenbe SDiägi^ttn ; feit ber üJJitte be§ ^alE)rr;unbert§ über=
trägt e§ ftcb, aber auf ba§ ÄoHegtum oer 2ef>rer be§felben %a<b,e§, unb bte universitas
5 magistrorum et scholarium erfd)eint nun in toter gafultäten gegltebert. 21I§ gemeinfameg
Dberfyaubt beä ©tubium§ galt big (Snbe be§ 13. Qabrfyunberr» ber Kanter bon 9?otre
©ante, ber ba§ ^rüfunggroefen beauffid)tigte unb bie Stgertg erteilte.
Unter ben gaiultäten nafym bie arttftifdje gmar als SSorftufe ju ben oberen bret ben
unterften 9kng ein, jebodE) mar fie an Stftitgltebergab,! bei meitem bie ftärffte. ©ie lehrte
io bie F>ergebrad)ten artes (septem liberales) unb berbanb bamit borgügttd^ ba§ ©tubium
ber 2lriftoteIifd)en ©djriften. ^i)t lag befonberS bie Pflege ber ©ialeftif ob, bie mteberum
nur ber Geologie ben 2Seg bereitete: bienten bocb, nad) ©regor IX. alle 2Stffenfd)aften
einzig ber Geologie, ©ie juriftifdEie galultät traftierte ba3 fanonifdje 9iecr;t, ba§ al§ ein
2lnf>ängfel ber Geologie gelten fonnte. ©ie Sftebijin, bielfacf» noa) gu ben artes ge=
15 recf/net, r/arte ib,re £>aubtbflegeftätte aßerbingS meniger in $art§, al§ in SKontbeUter unb
©alerno. IJn ty&tä übermog burd)au§ ba§ bbjlofobr/tfcf^tfyeologtfclje ©cfyulftubtum, unb
bie Slrtiften bilbeten ben ©runbftocf ber Uniberfttät.
(Sbenfalfö in ben erften ^afyrgefmten be§ 13. Qab/rlmnbertg mürben für bie gmecfe
ber 93ermaltung unb ber ©t^iblin bie ©polaren in bier Nationen eingeteilt. @§ ift
20 mofyl lein gmetfel, ^afe bamit eine -Jlacfiabmung ber in 3tflKsn boraufgegangenen freien
9kttonenbtIbung beabficf/tigt mürbe, um Drbnung in ba3 ßfyaoS ber ftubierenben lyugenb
ju bringen. 2ln ber©bit$e jeber Nation ftanb ein bon tl)r gemähter ^3roIurator, mäfyrenb
alle bier ftcft, unter einem gemeinfcbaftlicfyen Sfteltor bereinigten.
©omit umfaßte ba3 ©eneralftubium in $ariS eine bobbelte $orboration§biIbung :
25 einmal rücfficf/tltcf; be3 Se^rjlüedä bie 3Jtagifter= unb ©cfyolarenuniberfttät mit ifyren bier
gatultäten, fobann bte unter einem gemeinsamen ©d)olarenreftor bereinigte, in bier 9la=
tionen gegliederte ©tubentenfcfyaft. ©a nun bie artiftifdjen SRagifter gugleid; nod) ©d)o=
laren in ben oberen gafultäten maren, fo ergab \\<fy für fie eine gtoiefad^e üorboration3=
jugef)örig!eit: al§ Hombonenten tt)rer gafultät gehörten fie gum corpus magistrorum,
30 al§ ©polaren ber oberen galultäten aber äugleid) gu ben Nationen, ©rroägt man nun,
baf$ bie Sfter/rgaftl ber ©cfmler übertäubt 2lrtiften waren, fo ift erftcfytlicf/, ba£ bie gange
bfyilofobfytfcfye gafultät in ben Nationen enthalten mar unb bafj auj$erb,alb berfelben nur
bte Sefjrer ber oberen gafultäten ftanben. 2luf biefe Söeife belamen bie Slrtiften balb ba§
Ubergemid)t an ber Uniberfttät. 3unä(^ft (um 1274) maa^te ftcb, ber 9^ationenre!tor auc^
35 jum §aubt ber 3lrtiftenfalultät, bie mit ben bier Nationen quaft ibentifcb, mürbe. Um
btefelbe 3«t mögen ficb, bann aua) bie anbern galultäten je einen SSorfte^er (©efan) ge=
geben b,aben. ©obann untermarf ficb bvc Sieltor ber 2lrtiftenfalultät bte 3J?ebijiner unb
©efretiften unb nad) längerem SSiberftreben enblicf) aud) bie Xb,eologen, fo ba^ bon
1341 ab ber urfürünglicfye artiftifd)e ?Jationenreftor ate §aubt ber gangen Uniberfttät
40 auftritt.
©iefe ©ntitncMung gelangte gum 3lbfcb,lu^, furg bebor bie erfte beutfcb,e Uniberfttät
(iprag 1347) gegrünbet rourbe. —
©er Solognefer %^y entmicfelte fiel) in anberer ^orm, roeil liier ber ©cb.ulunterri^t
anbere Slrt Batte afe jenfeit ber Silben, ^n granlretd) mar er feit larl b. ©r. unlö§=
45 ü<i) berbunben mit ben Softem unb $ird)en, fo bafe fieser mie ©cfyüler ipso facto gum
geiftlitt^en ©tanbe gälten.
^n Italien bagegen fwtten fidj bon ber JRömergett f)er Satenfd)ulen erhalten, unb
menn baneben aueb Kirdjenfdjulen ejiftierten, fo befafjen fie boeb, feine§megg baö 9JJonobol.
33efonber§ gab eg Saienlefjrer in ben Iombarbifd)en greiftaaten, roo bie ftäbtifdjc ^olttif
50 ehrgeizigen Seilten 2lufftieg berfbracb,. 2lud) in Italien toaren bie fteben freien fünfte bie
©runblage ber geiftigen Silbung. 2lber mäb,renb im Sorben ba§ ^aubtgetoicb.t auf bie
©ialeftil gelegt mürbe in ib,rer Slnmenbung auf SJietabr/bJtf unb 'Sfoeolügte, trieb man
bier borjügltcf) ©rammatif unb Stfyetoril in Slntoenoung auf bie 3tecb,t€lunbe, b. b,. gur
Slbfaffung juribifdjer ^nftrumente als Vorbereitung auf ben Seruf be§ ©acb,malterg unb
55 9totar§. 3iom, ^ßabia, ^abenna, Bologna roaren Drte, mo bag ^ecfjt im 3f{a^men ber
artes gelehrt mürbe, ©eit ben Reiten be§ ^rneriug nun (1100—1130) b,örte in Bologna
ba§ SHec^t auf ein gmeig ber Vifyetoxxi unb ©lement ber liberalen @rjieb,ung gu fein, e§
mürbe eine felbftftänbige ©oltrin unb erzeugte eine neue Haffe bon ©tubierenben, reifer
an llter unb felbftftänbiger al§ bie fonftigen ©polaren be§ frühen 9Jlittelalter§. §ier
60 liegt ber ©runb für bie ©ntftetmng ber (juriftifeben) ©tubentenuniberfität in Bologna.
Umtoerfttäten 269
£er 2luffd;mung be<3 9tecr)tgftubium§ in 3*a^en if1 an benSiamen be3 3rnertu3 ge=
fnübft. S8alb nacb, tf?m erhielt e<§ einen neuen 2lnftofj in anberer Stiftung. Um 1142,
um biefelbe ßeit als betrug £ombarbu§ in$ari3 feine Sentenzen Verausgab, ersten
in Bologna ba§ ©efretum ©ratianS, bie „concordantia distantium canonum"
SBeibe Werfe finb Slnmenbungen ber bialeftifd;en 5Qlet^obe bon StbälarbS „Sic et Non", 5
betbe luurben bie bon ber 5\ird^e anerkannten SLe£tbüd^er fotoob,! für ba3 ©rubrum ber
aijeologte al<§ be§ Äirdjenrecrjt^. Unb ebenfo toie Srneriuö ba3 ©tubtum be<§ meltlidien
ober faiferlidjen 9tecr)t§ bon ben artes gefcfyieben I)atte, fo machte ©ratian ba<B fanonifc^e
ober bäpftlidje Stecht ju einer ©onbermiffenfdjaft neben ber Geologie.
©urd; ©ratianS Stuftreten erhielt nun Bologna al§ Kecfjtsfdjwle bobbelteS ©einigt : 10
^aten unb Älcrüer bon ©üb unb -Korb jogen tjerbei. SDie fpefttlatibe Slr/eologie fam
bagegen nict)t auf, if)r §aubtfr§ mar unb blieb $ari§. ^n Bologna fyerrfcfyte braftifdje
Wiffenfd&aft, ber ©eift be§ 2)ie3feitg, bie fragen ber ^nbeftitur, beS 33err;ältniffe3 jmifd;en
ßaifer unb $abft, bon geubalftaat unb bürgerlicher §reib,eit mürben erörtert, mäT;renb in
fatö tr/eoretifd;e Söiffenfdjaft, ber ©eift be<§ ^enfeitg übermog, fragen über bie @inb,eit 15
ber Vernunft, über 5£ran<§fubftantiation, über bie Realität ber Uniberfalien auf ber 2age3=
orbnung ftanben.
2lÖe biefe Umftänbe bemirlten, bafj Bologna unb nacb, ifyr bie übrigen füblicb, en §oct)=
fcfmlen ben laienhaften, bemofratifcr;en ßfyarafter bon ©tubentenuniberfitäten erhielten,
ipäbrenb $ari3 unb Drjorb nebft tfyren älbfömmlmgen {uerardrifd) regierte 9Jiagifterfdmlen 20
tourben.
3n Bologna maren eS bie ftubierenben gremben, bie fid) jur 2Bab,rner;mung ib,rer ge=
meinfamen ^ntereffen in „Nationen" äufammenfdjloffen, mafyrfcfyetnlicr; um biefelbe geit, ate
in $ari3 bie ÜJJagifteruniberfttät anfmb. ©a£ dufter ifyrer Vereine gaben bie ftäbtifdjen
fünfte ab ; mie biefe mahlten fie fidt) einen Steftor, bem consiliarii jur ©eite ftanben, 25
fcb>uren if)tn ©efmrfam unb unterteilten fid) feinem ©ericfyt. ^nfofern mobifijierten fie
bes 9totbart§ ^ribileg, bas> fie $mar bom örtlichen ©ericfyte ejimierte, itmen aber nur bie
©abl lief? §rüifct)en bem gorum bei 23ifct)of<§ ober tt)reg 9Jieifter§. 2)ie Sßrofefforen mürben
alfo au§gefd)altet, unb ba§ bifctjöflidje ©eridjt blieb einzig für bie Klerifer unter ben
Stubenten. 30
■Jcod) bor ber 9)citte be§ 13. $al)rr/unbert§ berfdjmobjen bie Korporationen ju jmei
großen (juriftifdjen) Uniberfitäten ber ßitramontani unb Ultramontani, innerhalb beren
bie berfef/iebenen ^Rationen mit ir/ren fretgerr)ät)lten consiliarii nod; ein felbftftänbigeS
Seben lebten ; fie erhielten fid) mit ifyren beiben SKeftoren big §um 16. $cit)rfmribert fym,
roät;renb auf anberen bon Bologna abgeleiteten §od) faulen bie Sftebujierung auf eine 35
Uniberfität (seil, scholarium) mit einem 9tcftor fd)on früher eintrat.
2)ie ^ecfytslebjer ftanben junäa)ft aufeerf)alb ber Uniberfität. 3Bob,l motten fie, ba
bie Seitung be§ ©tubiumg bod; in ifyrer §anb lag, ju Sßrüfung^toecien, befonberö feit
Öonoriug III. 1219 ben Slrdjibiafon mit ber 33erleil)ung ber Sijenj beauftragt blatte, ein
collegium doctorum borfteÖen, jur Drganifation eines folgen fam e§ jeboc| erft in ber 40
leiten §älfte be§ 13. 3abrl)unbert§, al§ e§ notmenbig erfcb,ien, ber erftarlten ©c£)oIaren=
uniberfität ein forboratibe§ ©egengemicr)t ber £et;rer ^u geben. 2lHmäb,licb, gerieten fie
aber, ba bie ©tubenten fie mäbjten unb in 3Serbinbung mit bem ©tabtmagiftrat befolbeten,
berart in Slbliängigfeit, ba^ ber rector scholarium aueb, rector studii mürbe unb felbft
bie $rofefforen feiner ©erief^tsbarfeit untermarf. ©eitbem mochte aueb, bal Solognaer 45
©eneralftubium einer universitas magistrorum et scholarium gleicben. @rft Slnfang
be§ U. galjr^unbertg traten bie 3lrtiften (infl. Sftebijiner) ju einer (britten) Uniberfität
jufammen; unb al§ 1360 ^nnocenj VI. ein Studium generale in theologia be=
billigte, ba berbanben fidt) bie -üJtagifter ber Geologie ju einer ©enoffenfcb,aft, mäb,renb
i§re Stubierenben ber Uniberfität ber 3lrtiften beitraten. 50
©obiel über ben Solognaer 2lrcb,et^b be§ ©eneralftubium^ : I) ter bie ©cljolarenuniber;
fität, in $ari3 bie 3Dcagifteruniberfität. ^^re beiberfeitigen 2lblömmlinge unter ben bri=
mären, frei entftanbenen Uniberfitäten trugen natürlicf) ben 6b,ara£ter beö 23orbilbe§. —
parallel mit ^ßariö unb in offenbarer 5Kacb,at)mung, menn aud; fonft felbftftänbig,
enttoidelte fidt) bom 12. Qafyrlmnbert b,er ba§ ©eneralftubium in Djforb. ©eine S3e= 55
fonberlieit liegt in ber Stellung be^ Kanälerg, ber abS Vertreter be§ 33ifcb,ofö, b. b,. ber
fccfje bem ^arifer Kanzler bergleid)bar mar, barüber b^inauö aber aud; bie ©teßung be^
9wor3 innehatte. ®ie Urfad)en für biefe ©igentümlidjfeit ber englifd)en Uniberfitäten
fwb bei ^af^batt nad}julefen.
Site brimäre, big jur 3Jiitte beg 13. 3sab/rb,unbert§ entftanbene ©eneralftubien finb &>
270 Itnitierfttäten
in platten 5teggio, Mobena, SSicenja, ^ßabua, 33ercetli, in'granfreid) Orleans
unb SlngerS ^u nennen. (§S ift bejetdmenb, baf? fie alle junäd^ft nur 9ted;tSfd;ulen
toaren, alfo blofj eine gafultät befaften: bte 9ted;tStotffenfd;aft toar eben baS £iebIingS=
[tubium ber Meriler beS 13. 3(a^uitf>ert§, bie Jlircbe felbft ein grojjeS SfadrtStnftitut.
sGambribge bagegen, ein Stbleger Don Drjorb, befaft toie biefeS alle bier gafultäten.
3Jtebi§imfdje ©eneralftubien enttoidelten fid; in ©aterno unb Montbellter. ^n
Montpellier gefeilten fid; bagu im 13. ^afyrtmnbert artiftifdje unb juriftifcfye gatuliäten,
unb mit Stüdfidjt auf biefe erteilte 9fal;olauS IV- 1289 für Montbellter nod; einen
©ttftungSbrief, obwohl liier baS ©eneralftubium „ex consuetudine" fdjon längft
io beftanb.
SttS felunbäre Uniberfitäten mögen nun biejenigen betrachtet werben, bie nad;
einem ber Strcfyetfybe abftdjtlid) bon ber £anbeSf)errfd;aft ober bom Äaifer ober bom ^ßabft
ober bon iljmen jufammen gegrünbet tourben unter Verleib, ung eines ©tifibriefeS
mit eben ben ^Sribilegien, bie für baS 23eftet)en eines ©eneralftubiumS als nottoenbig er=
15 fannt toaren. §ie^en jene erften fo ex consuetudine, fo tourben eS biefe ex privilegio.
SDen Steigen eröffneten nad) 53olognaer 5Et)b bie ,£od;fd)ulen ber bfyrenäifcfyen £»alb=
infel (Valencia, ©alamanca, £iffabon=6oimbra), wo fid} juerft baS S3ebürfniS fühlbar
machte, ben @inb;eimifd;en baS Reifen auf auSlänbifd;e §od;fd;uIen $u erfbaren. @S toaren
©eneralftubien „respectu regni", alfo nidit fotoofyl internationale, als bielmefyr £anbeS=
20 uniberfitäten. ^b,re Stnga^I betrug am ©nbe beS Mittelalters 13.
Stilen Sänbern boran eilte Italien mit ber @rrid;tung bon ©eneralftubien. 2lb=
gefefyen bon 9t e ab et, too Sfoifer griebrid; II. 1224 ein foldjes mit allen bier gatultäten
begrünbete, unb bon 9t om, too ^mtocen^ IV 1244/5 baS ©eneralftubium ber röm. ®urie
für Geologie unb 9ted;t§toiffenfd;aft ins Seben rief, berbanften bie übrigen ibje @nt=
25 ftet)ung ber ^nitiatibe ftäbtifdjer Muni-|ibien, bie fid) hierbei bon ftStalifd)=boIitifd;en S8e=
toeggrünben leiten tieften. Sin ifynen behaupteten baS 9ted)tSftubium unb näd)ft itmt baS
mebtjimfdje ben Vorrang. 3m S^en befaft Italien toät)renb beS Mittelalters fcfyon an
20 ©eneralftubien.
^n granfreid; tourbe Soutoufe bie erfte nad; 'jßarifer Mufter geftiftete Uni=
so berfität (1229). $fyr Urheber toar ber ^Sapft, unb if)re Stiftung ift gefdncfytlid; infofern
bebeutfam getoorben, als fie ber SSorfteltung 9taum gab, ber $apft fönne auf Sitten
eines Sanbesberrn ober einer ©tabt ©eneralftubien grünben. Unb bon biefer 23or=
fteHung toar eS nur ein Heiner ©d)ritt bis gur (Snttoidetung ber %i)toxk, bafj eine Uni=
berfität übertäubt ntd)t ins Seben treten tonne of)ne einen ©tiftbrief beS $abfteS ober
35 toenigftenS feines Mitregenten im mittelalterlichen Söettftaat, beS§etligen9tömifd;en$aiferS.
Stuf £ouloufe folgten im 14. ^afyrljmnbert nod) bier neue ©eneralftubien: Slbignon,
GafjorS, ©renoble, Crange, bobbelt fo biele aber im 15. Stuf ifyre SSerfaffung
getoann neben bem ^arifer aud; ber löolognaer %t))p einigen (Sinfluft, infofern als bie
Vertreter ber Stationen, bie ^roluratoren ober Äonfiliarier, neben bem S^eltor unb ber
io Magifterforboration an ber Seitung beS ©tubiumS teilnahmen. Stuf bie 9Ba^l ber£el;rer
Ratten inbeS bie ©tubenten feinen (Sinftuft. SBemerlcnStoert ift ferner, bafs mitStuSna^me
bon ^ariS ber 33ifdjof burcb, einen Äan^ler ober ©cfjolaftifuS faft überalt bebeutenben (Sin*
flujj behauptete. Stuf biefen franjöfifd)en ^bug ging aber bie SSerfaffung ber beutfcb,en
Uniberfitäten jurüd.
45 3n ®eutfd)Ianb b,ebt bie UniberfitätSgefcb,id)te erft um bie Mitte beS 14. ^ab,r=
tmnbertS an, inbem $axl IV 1348 in feinem Ifrontanb 33öf)men mit bäbfilicfyer 33etoitti=
gung ju $rag ein ©eneralftubium eröffnete unb bamit getoiff ermaßen ben ©d;tuftftein
legte v für bie beutfd;e Sefiebelung ; benn bon nun an beginnt bie nationale ©egentoirfung
ber Gedjen, toelc^enad; 60$atjren ben%obuS ber®eutfd;en er^toang. Man toirb übrigens
50 bei jeber UnibcrfitätSfd;öbfung befonbere Setoeggrünbe aufjubeden b,aben. 3n to=
furrenj mit $rag erb, ob fid) 1365 bie Uniberfität Söten. @S folgten fobann, als in ber
3eit beS ©djiSmaS bie Uniberfität ^jariS fid; jerftreut blatte, §eibelberg 1386, Äöln
1388, @rfurtl392. ^m näd)ften ^ab,rb,unbert berfud;ie juetft Sifcb, of ^ol). b. ©gloffftein
1402 §u SBür^burg bie©rünbung einer Uniberfität, fie überlebte iijren Urheber nicb^t unb
55 tourbe 1582 bom prftbifd;of ^idiuS mit §ilfe ber Qefuiten gum jtoeiten Male geftiftet.
dagegen gebiet ba§ totubium in Seibjig, too bie Sanbgrafen bon SMnrangen 1409
bie aus $rag betriebenen beutfd;en Magifter unb ©polaren feftl>aft matten. 3e^n 3a^re
jbäter begrünbeten medlenburgifd;e §erjöge in Serbinbung mit ber §anfeftabt 3t oft od
bie erfte §od)fcb.ule in bem neuen Äolonialgebiet jenjeit ber @lbe. £>termit toar bie erfte
co ^eriobe beutfd;er Uniberfitätengrünbung abgefd;Ioffen. 33efe|t toar : ber ©übtoeften mit
Untocrfüntctt 271
£cibelberg, ber heften mit Äbln, baS ßcntrum mit ©rfurt unb Seidig, ber Sorben mit
JRoftocf, ber Dften mit $rag, ber ©üboften mit SGSten.
Mod) im 14. 3jßW"nbert griff bie UniberfttätSbilbung über bie Dftgrenje beS JRetc^e^
bjnauS: $rag unb Söien erroedten 9cad;eiferung bei ben Königen bon s}>oIen unb Ungarn,
bie in Ärafau, bejro. in %ün flirren unb Dfen = $eftb, §od)fcfmlen errichteten, frei-- 5
lief) ofme bafj biefe Stiftungen in jenen nod; etroaS jroeifelfyaften ßulturlänbern ju rechtem
©ebenen famen.
Stuf ber entgegengefetjten Seite beS 9teid^ö erhielt £öroen 1425 bie erfte nieber=
länbifcfye Uniberfität.
%n ber girierten §älfte beS 15. Qa^unbertS b/ob in 35eutfd)Ianb eine groeite ^eriobe 10
eifriger Uniberfttätengrünbung an. ®ie Urfacfyen roaren jroeifelloS mel)r bolitifdje, als
roiffenfcr/aftlidje, är^nlidt; tote bei ber (Srridjtung ber Uniberfitäten in ben ttalifcfyen grei=
floaten beS 13. 3flfyrijunbert§. ©aS rbmifdjc Stecht Inelt burd) bie Pforten ber neuen
Uniberfitäten feinen ©injug in 35eutfd)tanb gur Unterbrüdung ber f)eimifd)en -Weckte unb
äur ©tärfung abfoluter gürfiengeroalt. ©retfSroalb, bie ©cfyötofung 3ftubenort>S unb 15
Stiftung bommerfdjer §erjöge, roar 1456 bie erfte ber neuen Uniberfitäten biefer ^eriobe.
(*S folgten g-reiburg im 23reiSgau 1 457, S8afell460, ^ngolftabt unb Srier 1472,
Tübingen unb StRaing 1477, alle mit bäbftlidjen ©tiftungsbriefen. (Sberfyarb bon
2ßürttemberg erbat ftd) 1484 bon feinem Verroanbten ^aifer ^riebrid; III., ber 3. $. als
§lücb,tling bor ÜDcattbiaS ßorbinuS im 9teid)e umherirrte, nod; einen groeiten ©tiftungSbrief 20
für Tübingen, in reellem befonberS baS ©tubium beS „laif erliefen" 9red;teS betont
tourbe jur Sänbigung ber „effrenes subditorum animi". §ieran fnübfien antibabate
fünften unb 33orrdmbfer ber ©taatSgeroalt bie tenben^iöfe Sefyre, bafj bie ^ribilegierung
einer gafultät beS römifdjen sJted;tS $eferbatred)t beS KaiferS fei.
2lm 6nbe beS 15. $ar;rr)unbert3 roaren alfo alle größeren Territorien 35eutfd)IanbS 20
mit 2IuSnar/me bon ^urfacbjen unb 53ranbenburg im 33efi§ einer Uniberfität. 33ranben=
bürg trug fidt) aderbingS älnfang ber 90er^a^re mit bem $Iane einer UmberfttätSgrün=
bung, jebod) lam tt)m ^urfad;fen, baS bei ber Leitung ber fäd;fifd;ett Sanbe im 3>ar/re
1486 feine Seibjiger Uniberfität abgegeben I)atte, nod; jubor mit ber ©rünbung bon
Sittenberg 1502; bie Sranbenburgifdje §od;fd)uIe trat bann erft 1506 gu^ran!furt 30
an ber Ober anS £id)t. Seibe Uniberfitäten befafjen foroof)! bäbftlid;e als faiferltdje ©tift=
briefe; fie maren bie legten mittelalterlichen ©rünbungen in ®eutfd)Ianb.
2lufjerl;alb ©eutfcfylanbS rourben nod; errietet: in ben norbifdjen Sänbern bie Uni=
berfitäten bon Ubfala, 1477 auf betreiben beS Klerus, unb lobenb, agen, 1478 unter
ttönig @r/riftian I., beibe nad) beutfd^em SRufter, natürlid; mit bäbftlid;er Konfirmation. 35
3n ©djottlanb roaren e§ bie 93ifd}öfe, bie roäfyrenb beö 15. ^ab,rr;unbert§ brei Uniberfitäten
in§ geben riefen: ©t. 2lnbreroS 1413, ©laSgorö 1450, 2lberbeen 1494. Stuf biefe
SSeife bebedten bi§ jum @nbe beS SKittelalterS faft brei 33iertellmnbert ©erieralftubien bie
cfyriftlicfye Söelt. 35 tc SSerfaffung aEer füb,rt jurüd auf bie beiben 2lrcr)etr;toe ^SariS unb
Bologna mit benjenigen 2lbtoeicb,ungen, roie fie bie geograbfyifcfyen, boIitifcb,en unb jeitlicb,en 40
SSerfyältmffe mit ftdj brauten.
9Bir betrachten nun bie ©runbjüge ber 3Serfaffung ber beutfd}en Uniber=
fitäten. 3ie finb ade gegrünbet: bie älteften nad) Sßarifer 3SorbiIb, bie fbäteren mit
Senu^ung ber ©tatuten ifyrer Vorgängerinnen rote SBien, Äöln, (Srfurt, Seib^ig. ^Regiert
tcurbe bie £eb,ranftalt bon ben 3)iagiftern ber bier gafultäten, bie jum concilium plenum 45
jufammentraten. ©a^ in SBten ber b^umaniftifd) gefinnte S?aifer SDfar, I. 1501 eine 31rt
fünfter gafultät in bem collegium poetaruin et mathematicorum mit bem 3ted;t ber
Sid^terfrönung fcb,uf, blieb ein bereinjelter gaß. 3eDer Sanität ftefyt ein S5elan bor, ber
ganjen Uniberfität ber $fte!tor, früher geroär;tt bon unb auS ber ©efamtfyeit ber SDiagifter
unb Scholaren, fbäter blo^ nod) bon unb aus> ben magistri regentes. ®ie Slemter 50
h>ecb,felten ^albjä^rlicb/. ^ebe galultät (unb Nation) bereite ib,ren ©d)u^f)ei[igen unb
feierte fein ^atiregfeft. 25te Uniberfität felbft beging bie fircf;Ud)en gefitage, eine ©itte,
bie fieb, jur Selunbung beS geiftlid;en Sb,ara!terä ber Uniberfität bis inS 18. Scifyrrmnbert
erhielt.
^ie^ationeneintedung ^aben nur Uniberfitäten beS 14. ^a^rtmnbertS, fie umfaßte aber 55
neben ben ©polaren aueb, bie Stftagifter. Streit bei ber mit ber 3)tet)rung ber Uniberfitäten
fieb, minbernben grequenj ein natürlid;eS SebürfniS baju nidj)t borlag, fo berfdiroanben fie
•w 15. ^ab,rb,unbert. 25a| fie granffurt 1506 mit ber ©efamtberfaffung nod; bon Seidig
H'ierte, tft belanglos, gormell beftanben fie in öeibjig bis 1830.
Äeine UniberfitätSgrünbung roar müglid; ofme eine luSftattung mit dienten unb <;o
272 ttnfoerfttätett
Skgenfcbaften : geiftlicbe unb toeltlicfee ©etoalten gingen babei §anb in §anb. ©etoöljmlid)
toar bie $nf Odorierung einer SMegiatftrcfee; aucfe ganje ^farrbörfer tourben übertoiefen.
3n erfter Stnie mufjte für bie ©uBfifteng ber ^rofefforen unb für ©ebäube geforgt toerben.
Geologen unb 3ur'flm toaren getoöbnlicl) fircbiicfee ^frünbner, benen baS Sieftben^
5 bribilegium ju gute tarn, fonft salariati. Ser Sebarf an Sebmn toar nidjt er=
fyeblicb: 2— 4 Geologen, 3 — 6 ^urtften, 2 3Jlebi^iner (ein „theoricus", ein „practi-
cus") genügten, ©röfjer toar, entfbrecbenb ber ©Gütermenge, bie Slnjabl ber artifttfcfyen
2eferer, toot)I 20—30; ber ©tamm berfelben toar befolbet, eingetotefen in baS fog.
collegium.
io Collegia fyiefjen bie ber Uniberfität überlaffenen ©ebäube, in benen bie Sertoaltung
bomi^ilierte, actus unb lectiones gehalten tourben, too aucb £el)rer unb ©djüler SBolmung
unb $oft Ratten, ©otoeit bie Kollegien (bie nod) bleute befteftenben englifcben Colleges)
nicbt $la$ boten, tourben bie ©polaren in ^ontubernien ober Surfen untergebracht,
^ßribatbenfionen einzelner SDiagifter unter 2lufftcfyt ber Uniberfität. SDaS Sltleintoolmen in
15 ber ©tabt toar im allgemeinen »erboten.
Qu ben befolbeten 2el)rem unb HoHegiaten, benen in erfter Stnie ber öffentliche
Unterricht oblag unb bie actu regentes (seil, cathedram) fueften, lamen unbefolbete
äftagifter, bie teils als §ilfSlefyrer in ber Slrtiftenfafultät il)r „biennium Jomblierten"
(eine Sefyrberbflicfytung, bie ilmen bei ber Promotion auferlegt tourbe), teils als 33affa=
20 lare in ben oberen gaMtäten bie für bie toeitere Promotion erforberlicbe SEl)ätigleit als
^robefanbibaten ausübten, teils aucb, foldje, bie freitoiUig in 2lntoartfd)aft auf eine befolbete
Seftur bienten.
©er Unterricht felbft toar banaefy bon jtoeierlei 2trt. ®er orbentltdjie, öffentliche
Unterricht tourbe Don ben befolbeten ^rofefforen als fog. lectio im Slubitorium erteilt;
25 baneben beftanb ber aufjerorbentlicbe, bribate ,<nilfSunterria)t in ben Kollegien unb Surfen,
an bem ftcfy fotoofyl bie orbentlicben toie bie Hilfslehrer beteiligten, hierbei b^anbelte eS
fid) einerfeitS um Vorbereitung ber jungen ©cfolaren für bie lectiones ((Einübung ber
lateimfdjen ©bracfye), anbererfeitS um ä£teberl)oIungen (repetitio, resumptio) ber öffent=
lidjen £e!tionen.
30 ©en Sorlefungen tourben fanonifdje Sücfcer gu ©runbe gelegt: in ber Geologie bie
©entenjen beS ^JetruS SombarbuS, in ber 9Jed)tSlebre baS Corpus juris, in ber 3Jlebtgtn
§ibbo!rateS, ©alen unb Slbicenna, bei ben Prüften befonberS bie bbjlofobfyifcfycn unb
naturtoiffenfcfyaftlicfyen ©Triften beS 2lriftoteleS. $n ber ^nterbretation befolgte man im
allgemeinen ben mos italicus:
35 Praemitto, scindo, summo casumque figuro,
Perlego, do causas, connoto et objicio ;
man nannte baS „magistraliter legere" (Sine gute (Srflärung giebt Sfyorbede (®efd). b.
Untb. §eibelberg 1886). 3um tfyeoretifcben Unterricht ber lectiones, b. t>. ber Überlieferung
beS toiffenfcfyaftltdjien ©toffeS, fam ber braftifcfye ber disputationes, b. I). ber Übung im
40 bialeftifctjen ©ebrauefe, in ber 9tebrobuftion beS ©toffeS. 2lu<^> bie ©iSbutationen toaren
öffentliche unb bribate. SefonberS bie 2lrtiften Ratten fie ju üben: einen Sag in ber
SBodje biSbutierten bie 9)iagtfterr am ©onntag bie Saffalare. 2lud) bie Seigrer ber oberen
gafultäten toaren ju folgen offiziellen 9ttufterbiSbutattonen berbunben, bie als fog.
girlularbtSbutationen retf>eum gingen. Öffentlich toaren aucb bie 3>nauguralbiSbuiationen
45 ber ^3romobenben. ®ie pribaten, fyäuSlid)en ÜbungSbiSbutattonen fanben in ben JMegien
unb Surfen ftatt, befonberS abenbS (disputationes serotinae). Slßjäferlid) füllte bie
geiftlicfye Sfttterfcfyaft ein mehrtägiges geftturnier begeben in ber fog. Disputatio quod=
libetica. 3um Sei^r tourbe ein befonberS gefcfyicfter Magister quodlibetarius getoä^lt.
(Sin folcfyer toar aber nieb^t immer jur §anb, bafjer fiel biefe ©lanjleiftung ber Uniberfität
60 oft aus unb trotte im 16. ^afyrfmnbert ganj auf- —
®er ganje Unterricb;tSlurfuS toar jugefcfjnitten auf bie ©rlangung ber SOZeifterfd^aft
im Seljren. ©ab^er ber Xitel magister unb doctor, biefer in 3*^^ iener mi^x ^,n
granfreic^ beliebt, bod) toar magister aud) ffynonr/m mit bem fbäteren professor. ®ie
beutfe^en Uniberfitäten übernahmen beibe, auSfcpef&lid) berblieb ber „magister" am ©nbe ben
66 2lrtiften. $uv Sejeid)nung biente baS gro^e M unb D bor ober feintet bem tarnen beS
SnfeaberS, mit ober ob. ne §injufügung ber galultätslettern. ©eit ber bumaniftifeben 5ßeriobe
berbinbet fieb. ber magister artium mit bem doctor philosophiae, um im 18. %afa
b;unbert gang ju berfebtoinben. Se|t toirb eS auä) ühlxä), baS D. bureb Dr. ju erfe|en.
01ur bie brot.=tb,eoI. galultät berb^arrt beim alten Sraucfy, tool)l aus rein äu^erlicber Ser=
60 anlaffung, bie bei ben Jfatfyolitm nid^t gegeben toar. @S toar, ba| bie Kanbibaten ber
Uniucrfttätett 273
Ideologie, bie meift bcn 9J?agiftergrab in bcr bfyilof. ^afultät erwarben, anfingen, fid)
£oftoren ju nennen mit bem üblichen Dr. bor bem 9camen. Von tfynen Imben ficb,
nun, um VeribecfySlungen borjubeugen, bie mitfliegen ©oftoren bcr Geologie mit bem
alten D. ab.
3um 90cagifter unb ©oltor gelangte man in älterer $eit nur gradatim unb rite, 5
b. i). nacb, (Erwerbung ber nieberen ©rabe beS SSaffalati unb Stgentiaten ; promotio per
saltum mürbe erft in ber Jieujeit übltcf). Übrigens mar bie Sijentiatur urfbrünglicb, lein
befonberer ©rab: fie bezeichnete blofj baS gmifcfyenftabMm ber licentia assumendi
insignia doctoralia. $ur ©ifrctrung ber VromotionSfoften begnügten ficb, Diele mit ber
Sijenj. ßrft bom 17. gafyrbmnbert an finbet fid), wie bei %ttex nacb^ulefen ift, juerft 10
in Strasburg bie Licentiatura als befonberer ©rab. %n ber Slrttftenfatultät l)at er nie
Sebeutung gewonnen, ©er Vaffalar (irrigertoetfe mit bacca unb laurus gufammen=
gebracht, aber wol)l bon bachelier — bas Chevalier abzuleiten) berfcfyWanb im 18. ^afyx--
bunbert bon ben meiften beutjdjen Uniberfitäten, Setbjig lennt ibn noäj im 19. (Er warb
evfeiit burd) baS ^reife^eugniS ber ©r/mnafien. 15
" ^m tfyeologifcfyen $urfuS beS SRittelalterS fyatte ber Valtalar grofje Vebeutung. ©aS
Stubium umfaßte Vibel unb beS Sombarben ©enteren, ©emgemäfj beftanben jmei
Stufen beS ^3af falariats : auf ber erften las ber b. biblicus ober Cursor unter Seitung
feinet 2eI)rerS über einige biblifd)e Vücfyer, auf ber ^weiten ber b. sententiarius ober
formatus bie Sentenzen. Dfync biefe Se^rt^ätigfeit ber Vaffalare ift ber mittelalterliche 20
Unterricht gar nid)t benlbar.
©em VromotionSaft ging nod) bie disputatio aularis, solennis ober inauguralis
borauS, gewiffermafjen eine öffentliche Prüfung, in ber ber Hanbibat bor bem ganzen
afabemifd)en (EoetuS fein können ju betoeifen Ejatte. ©em itanjler waren bie ^anbibaten
ju bräfentieren, er blatte als Slufficb.töinftanj bie (Erlaubnis jur Promotion p geben. 25
$nbeS fyinberte baS nidjt, baf$ fd) on gu geltr, VlatterS Reiten tctngft baS Sßort galt :
Sumimus peeuniam et mittimus asinum in patriam — bie ©öfteren in 9Jtont=
bellier jagten: in Germaniam. ©er Actus doctoralis fanb geWöfmlid) in ber $irct/e
ftatt unter (Entfaltung großen (EeremoniellS: feierliche Vro^effton, ©lodengeläut, SDfufif,
Serjen, Überreichung ber symbola doctoralia, als birretum, liber apertus et clausus, 30
anulus doctoralis, epomis, osculum, rtad)bem ber $anbibat nod) eine quaestio gelöft
unb auf bie Siebter ber Uniberfität ben ©oltoreib geleiftet. Slm (Enbe eine gratiarum
actio beS Doctor novellus, barauf Verteilung bon „chirotecis" unb feierlicher 2lbgug.
las convivium doctorale, bom ©efan ber galultät auf Soften bei ©oftorS auS=
gerietet, befcbjojs ben 211t. 35
©ie Impositio birreti bebeutete bie Verletzung ber facultas hie et ubique do-
cendi ; jeber Vromobierte mar alfo eo ipso habilitiert für baS afabemifcb, e Sefyramt. ^nbeS
jdjon früb, jeittg fan! bie Sßürbe ju einem bloßen (Ehrentitel berab, ber gemiffe Vrärogatiben
im lircf)Iict)en unb bürgerlichen Seben nu^bar machte, ©eit bem 2lu§gange bei 30Zittel=
altera fdmfen fogar faiferliclje Vfalägrafen nidjt blo^ gelrönte ©ic^ter, fonbern aueb, 40
^öfteren, bie man aber als fog. Doctores bullati auf Uniberfitäten ntd)t honorierte.
3^ie golge mar: baft ber ^itel für ©elb §u l)aben mar unb im äßerte fan! unb ba| bie
§abilttation noeb, bejonbere Seiftungen erforberte.
©aS Vromotion§recb;t mar jugleicb, ba§ aus bem ^orboration§brinjib flie^enbe
SoobtationSrecljt ber 3CRagt|ter. Urfbrünglicb, auf eine Uniberfität belogen mürbe eS 45
im 13. ^afyrfmnbert bureb, bäbftliclje Vribtlegierung, fbäter getooEjnJjeitäred^tttc^ al§ facul-
tas ubique docendi allgemein anerlannt, bi§ ^JJi^braucb, unb @iferfucb,t bie fog.
„9Joftrifi!ation" erb^eifc^ten.
3U ben integrierenben Vribilegien ber Uniberfität, für beren Slufredjter^altung fog.
fionferbatoren gugleirf) mit bem Äanjler bomVabfte beftellt mürben, gehörte baS Stecb, t, 50
fi^ Statuten ju geben unb über alle Supposita bie al'abemifc^e ©ericljtSbarfeit au§ju=
üben, ©iefe, bom Leiter entmeber allein ge^anbb^abt ober in ©emeinfe^aft mit ber ©e=
famtbeit ober einem 2lu§fct)u^ ber £eb,rer (concilium plenum, consistorium, ©enat),
umfaßte bie jtotle, einfcljliefelicb, 9Jlatrimonialfacb,en, unb frimineße; boeb, lagen bie 3Ser=
l)ältniffe in biefer §inficb,t tjier unb ba berfctjieben. 55
2lu§ bem ^orborationSbrinjib flo^ brittenS ba§ ©elbflbermaltungSrec^t über bie ben
Uniberfitäten berliefyenen Sertürner, greilieb, ermiefen fic|) bie ©elefyrten babei bielfad;
ate fcb,lecbte §auSl>alter.
3_u biefen §aubtbribilegien lamen noct) einige fonberlic^e minoris momenti, bie
teil» bie ©infünfte ber Sefyrer erb,öb,en, teils ilmen (£l;renborrcd;tc gemäßen foHten. ©0 60
iRear=®nc5Hot)äbie für Ideologie unb Äit«e. 3. H. XX. 18
274 Itttttierftiäten
genoffen fie greibeit bon bürgerlichen Saften unb ©teuern, Ratten für ifyren §aus^alt
freien 33ier unb Sßeinfcfyanl, als bromobierte ©ottoren ftanben fie im StbelSrang, ma3
it>D^>t bie $uriften burcbje|ten, aU fie nad) ©infüt/rung be§ römifdjen 9>iecr;te§ bie ©taatg*
bermaltung in il)re §änbe befamen unb aucft, ba§ Sitelmefen in ©ctymung brachten. 33e=
5 fonberS geehrt mar bie ©tetfung be§ DeltorS. 2Rit bem ^ßräbilat „Magnificus" begrüßte
Zuerft (mie ©Treiber in ber ©efcfyicfyte ber Uniberfität gteiburg berietet) ber Karbinal
9ttf. (SufanuS ben erften Deftor ber Safeler |>ocf)fcr;uIe. Stfynücfye fbezififc^e $räbilate
nahmen bie ©elane („Spectabilis") unb bie §alultäten ober — mie fie fi<^> f bäter in
befferem Satein bezeichneten — Ordines felbft an. —
10 Slbgefefyen bon ben brimären Uniberfitäten, mo gleichzeitig Saufenbe bon ©polaren
anmefenb gemefen fein mögen, fyat ber gubrang ju ben ©tubien in feiner früheren
Cßeriobe folcfye §öb,e erreicht rote heutzutage, gumeift ftubierten Slnge^brige be3 geiftlicf/en
©tanbeS ; erft gegen @nbe be§ 9JiittelaIter§, als baS DeicfySfürftentum eine zentrale Sanbe3=
bermaltung fdmf unb baS Slltenf ^reiben ber Quriften anfing, fucfjte audj ber Sürgerftanb
15 UniberfitätSbilbung. ©ie meiften beutfcfyen Uniberfitäten werben mit einigen ^unberten
©tubierenber jufrieben getoefen fein, roä'fyrenb bie 21 Uniberfitäten beS heutigen ©eutfcfyen
SHetd^g im SBinter 1905/6 zufanrmen 41 938 immatrilulierte ©tubenten, burcfyfdmittlicb,
alfo je 2000 zählten, ©ie Slrtiftenfalultät mar naturgemäß bie ftärffte; bie ifyeologifcfye
galultät mag anfänglich, bie juriftifcfye an Frequenz übertroffen fyaben, bom 15. ^at)r=
20 fyunbert ab aber lehrte fid) ba§ 33erf)ältni§ um; bie mebijinifd^e galultät lam in©eutfd)=
lanb laum in Setradjit, il)r Sluffct/mung erfolgte erft im 19. ^afyrr/unbert. §eute bilbet
bie bbjlofoblufclje galultät bie eigentliche universitas litterarum, neben melier bie brei
anberen nur gact)fct;ulen finb.
$ur Qmmatrifulation mar im Sftittelalter eine befonbere SSorbilbung nicf;t erforber=
25 lief), baS SBiffen ber ^Eribialfcfyule genügte. Sftit 15 £jal)ren unb barunter unb mit febj
ungleichen Senntniffen bezogen bie beani („©elbfdmäbel") bie Uniberfität, beren nädjfte
Slufgabe bie guticfytung biefer ungleichartigen SRaffe für bie beeren ©tubien mar. ©er
Qjmmatcilulation ging boran ober folgte aucfj nact) bie abenteuerliche Seremonie ber ©e=
bofition (seil, cornuum). ©ie ©polaren trugen mie bie StRagifter flerifale Straft ; fie
30 Ratten e§ mit geiftigen, nid)t meltlicfjeri ©ingen zu tljmn, unb ztoifc^en geiftig unb geiftlia)
unterfd)ieb baS ÜKittefalter nod) nicfyt. ©eiftlid), Ilöfterlidb, mar auefy il)r Seben in ben
Kollegien, Surfen unb ^äbagogten, geregelt bureb, eine ftrenge §au§orbnung. Seitionen
r/örten fie 2—3 be§ £ageS, bazu lamen bie I)äu3licf)en Defumbtionen, bie exercitia unb
disputationes. £onorarzaI)lung im heutigen ©inne lannte man mcfyt. ©ie Seitionen
36 ber oberen galultäten mürben bon ben bazu angeftellten bejolbeten Sßrofefforen gratis er=
teilt; nur in ber Slrtiftenfalultät mar big zum Anfang beS 16. 2jafyrfyunbertS eine ben
einzelnen SBorlefungen unb Übungen angebaute %ait (collecta, pastus, minervale) zu
entrichten.
%m übrigen ftanb z^^ ba§ ganze alabemifc^e Seben gufotge ber Horboration§=
40 bribilegierung im ^t\d)^n ber libertas scolastica, aber bon einer „alabemifdjen grei=
l)eit", mie fie bie neuere $eit bem ©taate gegenüber beanfbrud)t, lonnte leine Siebe fein.
©ie Uniberfitäten maren „gefreute ©ct;ulen" nad) außen I)in, im 5n«^n aöer ^urc^
Iirct)licf)e ©itte, ©tatuten unb @ibesleiftungen aller l'lrt ftreng gebunben in Sebje, Semen
unb Seben. ©aS berfyinberte ztoar nid)t Übertretungen, im ©egenteil — ba3 ©efe^ ftt^afft
45 erft ben 3Serbrea)er — , aber niemanb geftanb alabemifcfyer Sizenj ein Stecht z« an ©teile
ber Iird;lict)=llöfterlicl;en unb zünftigen 3ucb,t. —
©obiel bon ben mittelalterlichen Uniberfitäten. $I)r fcb,olaftifcb,e§ ©efüge erfc^ütterten
Zuerft bie Singriffe ber §umaniften, bie Deformation marf fie über ben Raufen, $er\t'6xte
fie gerabezu, unb e3 galt einen SfBieberaufbau, ben auf brotefiantifcfyer ©eite 5Relancr)tr;on,
so auf latfmlifcfyer bie ^efuiten beforgten, bie nacf> bem 2!rienter Konzil erlannt Ratten, moran
e§ fehlte. 3ur Deformation maren übergetreten: 2Bittenberg, ©rfurt, Tübingen, §eibel=
berg, Safel, Seidig, granlfurt, ©reif§malb, Doftocl; ferner ISobenfyagen, Ubfala. Defor=
mation unb (Segenreformation riefen neue Uniberfitäten in<§ Seben. ©ie i)roteftantiftt^=
lutl>erifa)en SanbeSf>errfct/aften errichteten, natürlicf) nun o^ne bäbftücfyen ^onfenS, toofy
55 aber mit faiferlicfyem ?ßrtbileg : Harburg 1527, Königsberg 1544, ^ena 1558,
©traßburg 1566 (zuerft al§ ©turmf^e Sllabemie mit bPofob^en ©raben, feit 1621
Uniberfität), §elmftebt 1576, Slltborf 1578 (mie ©traßburg erft 2llabemie, feit 1623
Uniberfität). Äatfyolifcfye Deugrünbungen maren: ©illingen 1554, SraunSber g 1565,
Dlmü| 1574, Söürzburg 1582, ©raz 1586.
eo 3luf reformierter ©eite ' entftanb 1580 bie Daffauiftt^e Sanbesf)oc£)fc^uIe in §erborn,
Itntticrfttätcn 275
für bie ber fatferlicbe 23eftätigung§brief aber bcr fyoben Moftcn toegert nidt)t eingelöst
tourbe.
©er ,\>aubtfi£ ber reformierten $ircf)e maren näcbjt ber ©cbmeij bie 9Jteberlanbe.
Tort galten feit 1536 ©enf unb Saufanne aU calbintftifcfye £ocr;fcf)ulen, fyier Serben,
gegr. 1575, unb granecter, gegr. 1585. 5
^n ©ct/ottlanb tarn ju ben brei alten Uniberfitäten noct; eine inerte in ©bin bau gl?
1583, mäbrenb ^rlanb 1591 enblid) bie fcfjon im 14. ^afnlmnbert geplante (ratbolifcfye)
UntoerfUät ®ub lin entfielen fafy.
%n ^tafien fdmfen bie ^efuiten ^u 31 om unter ben 2Iugen be§ ^abfteS bie berühmte
©rcgorianifcbe Uniberfuat im Collegium Romanum 1582. io
T>ie erfte, natürlich fatfyolifcfye Uniberfität auf ameriranifcfyem 23oben errichteten bie
Spanier 1551 in ßtma ($em).
©er religiöfe ©ifer ber Uniberfitätengrünbung rul)te aud) im 17 . $abrl)unbert nicfyt.
ßg entftanb ©iefjen 1607 al<§ (Stiftung lutfyerifcben 33e!enntniffe§ gegenüber bem refor=
miert geworbenen Harburg, be§gleicb,en Rinteln 1621. 9luf latboltfcfyer ©eite: bie 15
SSenebiftineruniberfität in ©aljburg 1622, bie ^efuitenafabemien (mit bf)tlof.=tf>eoIog.
ßurfuö) in $aberbom 1615, üölolefyetm 1618, DSnabrücf 1630 (fcb,on 1633 Don
ben Sdjmeben jerftreut), Bamberg 1648; baju 1635 bie ungarifa)e -ftattonaluniberfität
in Ibrnau (1777/83 nacf) Dfen=$eft berlegt, bie heutige ©taatluniberfttät Subabeftb).
^n Siblanb errichtete ber ©ct)mebenromg0 1632 bie Uniberfität 3)orbat; eine groette 20
fa)tv>ebifcr/e ©rünbung folgte 1640 ju Abo in ginnlanb (fyeute §elfingfor§). $Die
nieber!änbifcb=reformierten Uniberfitäten bermel)rten ftcf; um ©roningen 161 1 , Utredjt
1636, §arbertoij! 1648.
9?orbamerifa fal) im Jgabre 1636 bie Slnfänge feiner erften nacb, englifct)em 3Sorbilb
gegrünbeten Uniberfität im §arbarb=SoKege ju Sambribge. 25
-)JJtt bem 30jäl)rigen Äriege mar bie ©rünbungsberiobe !onfeffioneHer Uniberfitäten
jit @nbe gegangen. 3113 ^cad^ügler tonnen nod) gelten auf broteftantifcber ©eite: ®ui§ =
bürg (reform.) 1655, ftiel 1665 unb Sunb 1666; auf fatbolifcfyer : QnnSbruc! 1672.
Tte SSerfaffung ber Uniberfitäten blieb tute fie mar; ibje forporatibe ©elbftftänbigfeit
ging freilieb bem Sanbe^errn gegenüber in bie 33rüd)e, ber ^rojefs ber 35erftaatlict;ung 30
liatte begonnen. 3lucb bie £el;rmeife blieb biefelbe mit Seittonen unb Simulationen, nur
ber SSorbereitung^ unb §ilf3unterrtcr;t mürbe auf anbern gufj geftellt. ®er Qn^alt ber
Seiire änberte fieb bloß infofern, als erftenS neben ber ätriftotelifcfyen ^fyilofobbie bem
Öumani§mu§ Svaum gegeben unb jmeitenö bie fcfyolaftifcbe X^eofogte auf ben SRefc-rma=
ttonSuniberfttätert buref) bie 2utb^rifcb=3DMancb^l)onfcr/e bejm. Salbinfcfye erfetjt mürbe: 35
Gregefe, loci communes unb controversiae maren bie brei ^rüfungSfädjer ber !ünf=
tigen Ätrdjenbiener. „9MancbtI)on§ ©Aftern lutfyerifcfyer Sogmatif unb angepaßter 2Irifto=
telijcfyer qs^ttofo^p^te mürben ©emeingut ber Uniberfitäten beS 16. unb 17 3<*brf>unbert3"
Ten Unterriebt erteilten je|t allgemein befolbete Sefyrer aucb m ber Slrtifienfatultät.
Sie Mittel jur Sefolbung mie überbauet jur @rricf)tung ber neuen Uniöerfitäten mürben 4e
bielfacb, fäfularifiertem ^ircfyengut entnommen. %&a professor publicus tyatte ettoa
brei= big biermal möt^entlicb ju lefen, ma§ bem bamaligen ©tanbe ber „SBiffenfcb, aft" ent=
foracb,. ©aju fam aber bie älrbeit ber ®i§putationen, ©eflamationen, Prüfungen ber
^romobenben unb ©tipenbiaten unb mancherlei ^ßrioatunterriebt. ©a§ Qnternat^leben in
Kollegien unb Surfen batte aufgebort, für SanbeSfinber forgten ©tipenbiatenanftalten. 45
2Bo nicb,t ein aHabemifcbe^ ©^mnafium ober ^äbagogium mit ber Uniberfität berbunben
toar, beftanb bie 3Sorfcb^rift, bafj ber junge ©tubent fic§ einen „privatus praeeeptor"
ju loä^len bitte, ber ib,n ad studia anleitete unb quoad mores beaufficb,ttgte. 2lu§
btefen ^ribatbräjebtoren gingen bie beutigen ^ribatbo^enten ^erbor.
^nbe§ fungierten bie s}>rofefforen aucb, felbft afe $ribatlef)rer, ba fie ©tubenten 50
3ßob,nung unb Hoft gaben; fie erfe^ten bamit bie früberen Stefumbtionen. (Sine neue
Einrichtung entftanb in ber jmeiten §älfte beö 16. ^«^bu"bert§ in fogenattnten ^3ribat=
toQegien. ßunäcbjt maren e§ freie ©igp utierf retnge^ ert in ber juriftifc^en galultät, unter
Settung eineö älteren ©tubenten ober auc§ eine§ nid)t angefteHten ®o£tor3, b^borgegangen
äug braltifcbcm Sebürfni§, bem bie langen unb breiten, unmetbobifeben unb jiellofen 55
öffentlichen Seftionen nieb^t genügten. @ö fam bal)in, baß bie ^ßrofefforen felbft folcfye
collegia, junäcbft al§ disputatoria unb examinatoria einrichteten ; im 17 ^df)x-
^unbert mürben barau§ c. lectoria, bie bann aUmäblicb, bie lectiones publieae über=
f'üijig matten. ®amit 50g fieb, ber alabemifcbe Unterriebt auä bem 2lubitorium in bie
i!ribatbäufer jurüd unb mürbe nun nidjt mebr gratis erteilt, fonbetn gegen (Entgelt, go
18*
276 Uniöcrfttätett
®ie§ ber Urfbrung ber ^J3ribatborIefungen unb be§ SMegienb/onorar§. STcan tann bie
©ntmidelung an ben gebrudten SSorlefungsberseidmiffen verfolgen, bte feit bem @nbe bes
16. 2>alj)rlj)imbert<§ mefyr ober meniger regelmäßig erfdnenen.
©ie Üniberfitäten berloren in bieferßbodje ifyren allgemeinen internationalen (D)araiter:
5 ftatt bes Damens Studium generale tourbe bie I)umaniftifd)e Se^eidmung academia
gebräuchlich Unb ifyre Aufgabe mar bie 2lu3bilbung bon Kird;en= unb ©taatsbtenem,
toobet bie lanbesfirtpdjen 3>ntereffen fo überwogen, baß fämtlicfye Seb,rer auf bie $e=
fenntnisfcbjiften berbflicf/tet Würben, ©iefe ©ntwidelung bolljog fid) sufammen mit ber bes
abfoluten üEerritorialfürfteniums'. 2lu§ politifcfyen, JonfeffioneÜen unb ftslalifdjen ©rünben
10 gerieten bie üniberfitäten unter bie £anb ber dürften, be§ ©taateg : baß man ifmen bas
Korborations>= unb ©elbftberWaltungstecfyt beließ, gefcfyab, aus £kquemlid)feit unb mit }eber=
zeitiger Did}tbeacl)tung.
2Mf)renb bie broteftantifdien $a!ultäten als $adjfd)ulen für bie ©eiftlidjen galten
unb bemnacb, bie 33orbtlbung jum $ rebig tarnt §aubtfad)e Würbe, richtete bie @egen=
15 reformation jur braftifdien 2lusbilbung t^reg Klerus im fircfylicr/en Kultus" nad) ben 3k=
fdjlüffen be§ "iEribentmums ©emtnare ein unb überlief; it)ren gaMtäten bie fdjolaftifdje
SSerteibigung bes alten ©laubens» unb bie 33erambfung ber Deformation. ©ie Düdmirfung
auf ben ^roteftantts'mus mar bie, baß bas Sibelftubium Wieber jurüdtrat hinter ber
©ogmenfdjolafiif unb baß bie jtoeite $älfte be<S 16. ^afyrljmnberts» bte eine große Kird)en=
20 Haltung erweiterte §u einer vielfältigen gerllüftung. 2lm bogmatifdjen (Segänl ber Uni=
berfitätstr/eologte fcfyeiterte fdjließlicb, bie Deformation, nad)bem fie ben Keim bes 3Ser=
berbenS fd>on mit ifyrer römifcVred)tlid)en 33erftaatlidmng in fidj aufgenommen. Sie
notWenbtge, unbeilbolle $o!ge mar ber 30jä^rtge Krieg.
©er Dutjm 28ittenberg3 erblaßte nad) SMandjtfyons SLobe. %ixt bie Pflege ber
25 2öiffenfd;aften gewannen bie i)on £ef)rftreitigfeiten Weniger aufgewühlten calbiniftifdien
§ocf)fd;ulen ^etbelberg unb ©traßburg SBebeutung, infonberEjett aber bie nieberlänbifcfyen
Üniberfitäten, bie feit 1580 ettoa bie ganje geiftige Kultur ©eutfcblanbs' auf ein baar
SRenfdjenalter fyin beeinflußten. Über ©traßburg unb ^eibelberg, Wo bielfad) granjofen
lebten unb Wirkten, brang franjöfifcber ©influß ein, befonbers aud) ber Damismu§, um
30 ben ^fyron bes „alten fyeibnifcfyen ©bijen SlriftoteleS" ju erfdjüttem. —
Dact) bem 30jäf)rigen Kriege Ijanbelte es fid) abermals, wie nad) ben ©türmen ber
Deformation, um einen SBteberaufbau ber Üniberfitäten. 2öie ©eutfcfylanb fia) bon ben
Wirtfdjaftltcfyen 3Sermüftungen erholen mußte, fo galt es1 auc^, fio) ber geiftigen Sertürner
mieber betoußt ju werben, Umf4>au ju galten, ju ficfyten unter ben alten Qnbentarftütfen
35 fcf)olaftifc^=ariftotelifd)en gabri!at§ unb Deue^ ju mäf)len. 2ln t^eologifc^en ©treitigleiten
jjatte man ben ©efdjmad berloren: ©bener unb grancfe Ien!ten bie llniberfitätstbeologie
jum Sibelftubium unb braftifc^en ßfyriftentum jurücf. Deben bem römifd^en Deckte begann
man bie ^eimifc^en pi ftubieren, fo baß 2;^omafiu§ ben Doctor juris utriusque jetjt
in biefcm ©inne beuten moKte. ©urcfc, ©rotiu^, ^pufenborf, ^b,omaftu§ !am baS Datur=
40 unb ©taat§red;t baju. ®ie neuere ^^ilofob^ie cineg ßartefiuS, ©binoja, Seibntg, ber 3luf=
gang ber naturtoiffenfct)aftlic§en gorfd;ung, bie (Srfinbung eineö neuen matl>emattfd}en M=
füls" — alles bie§ bockte an bie Store ber Üniberfitäten, ©inlaß begefyrenb. 9Jid)t minber
bie beutfdje ©brache, bie juerft ^omafiug ^um @ntfe|en ber Seibjiger 3obfgete^rten ftatt
ber lateinifc^en Unterrid;tsfbracl)e eingeführt fyatte. @g ift ba§ 3eita^ter *>e3 ^ol^l;iftori§mus.
45 ©elebrte 3eitfd}riften entfielen, bie Jritifa) referieren; faft jebe Uniberfität fd)uf fia) nad;
unb nad) ein foltt)e§ Drgan, in toelcfyem jugleid) unter bem %itd „©eierte Dad}rid;ten/;
Kenntnis gegeben mirb bon bem toiffenfd;aftlid)en Seben ber Üniberfitäten. Seist erft
fangen fie an, eine Stebeutung für ba§ allgemeine litterarifd)e Seben ju getoinnen, bie
i^nen bisher fremb mar. ©ie felbft traten baburcb, in näheren 33erfeb,r, bie S3ejeid)nung
50 ber ,,©eIebrten=Debubli!" fam auf, unb ein gunftgeifi be§ ©ele^rtenftanbes ertoacfyte.
greilid; trat ba§ fat^olifdie 2)eutfd)lanb, in toeld^em bie Ratio studiorum ber Sefuiten
nod; lange maßgebenb blieb, babei jurüd, befonbers ifolierte fid) Dfterreid; feit 1648 geiftig
unb litterarifd). 3mm^in S^ang bie geiftige Degeneration ©eutfcfyianbs' rafdier afö bie
toirtfd)aftlid}e. granjöfifd)er ©influß ift babei im ©biel: ber £>of Subtoigs XIV. lieferte
55 ein neues Silbungöibeal, baS bes bollenbeten §ofmanne§, bem bor allem fonfeffioneße
^nbifferenj eigentümlid) mar. aSorgügltc^ für bie ^^tf^«- ©erjett entftanb aua) bas
©brid^mort : ^uriften finb fd)led}te 6t)riften. §atte noc§ im Zeitalter be§ Konfeffionaliömus
bie ©eiftlicfyleit bie ©taatögefcbäfte beeinflußt, fo bilbeten fie jetjt allein bie regierenbe Kafte.
demgemäß ftanb bas juriftifd^e ©tubium bura)au§ im Sorbergrunbe, bie Geologie trat
60 bagegen prüd, befonbers feitbem ber ^ietiSmuo jum DationaltömuS bertoäffert morben mar.
Umberfitfiten 277
2bomafiu§ War ber 33afynbred)er ber neuen geit. @r unb grancfe, bcibc alö teuerer
aus Seidig bertrieben, gaben ber neuen branbenburgjfcb^n Uniberfität £ alle (1693) if;ren
Gbarafter, unb fie behielt ^abrjelmte lang bie güfyrung, big fie mit bem Sobe biefer
fceiben Männer unb burcb, bie Vertreibung be§ Ißtnlofobfyen äöolff il>ren guten SJluf als
toiffenfcfyaftlicfje greiftatt berlor unb bon ber 1734 in ©öttingen errichteten Uniberfität 6
überholt Würbe. £>alle featte ben broteftanttfdjen ßfyarafter ftatutenmä^tg nocfy feftge&alten,
eS foHte eben, ba granffurt mit bem lurfürftlidjen §aufe reformiert geworben mar, bie
Sebranftalt ber lutberifcfjen ©eifilidjfett fein; ©öttingen bagegen, bon ©nglanb aus be=
griinbet, bermieb bon bomfyerein alle ©ngfyerjigfeit, fcfylof} baS fonft übliche ßenfurrecfyt
ber tbeologifcfyen gafultät über bie „Weltlichen" gafultäten auS unb bromobierte fogar io
glcicb/ju Anfang einen $uben jum Dr. med.
^n biefe $eriobe beS fcfyeibenben ÄonfefftonaliSmuS unb beS Übergangen jur 2tuf=
flärung fiel auf broteftantifcfyer ©eite nocb, bie ©rünbung ber Uniberfität @r langen
(1743). ^n SreSlau Ratten 1702 bie Qefuiten bie Ie£te ifyrer 2lfabemien auf beutfdjem
$oben errietet; fie ftanb natürlich ebenfo Wie bie bom 33ifc&,of 2lbolf 1734 in gulbaiö
eröffnete §ocb,fd(tuIe abfeitS bon ben Neuerungen ber gelt.
2luf ber Weftlidjien §alblugel waren 1701 im Yale College gu New §aben bie
Junbamente ber gtoeitälteften unb näcfyft §arbarb bebeutenbften norbamerifanifeben Uni=
berfttät gelegt toorben, Wäfyrenb im fbanifcfyen SRittelamerila bie Sominilaner 1721 eine
;u £jabafia mit bäbftlicfyer Bewilligung aufmalten. 20
$aS Zeitalter griebricfyS b. ©r. ift baS ber Stufflärung. 3Me Söolfffd^e matbematifcb,
bemonftrierenbe ^ßbjlofobfne Batte bie Üniberfitäten erobert unb beeinflußte ben Sefyrbetrieb
aller gatultäten. ©ie War eS, bie bie „atabemifcfye gretyfyeit ber Sefyren, bie nicfyt Wiber
©ott unb ben Staat finb", bürdete unb bie Vernunft §ur Slbbeßinftanj machte für äße
tt)ifjenfcb,aftlicb,e Slrbeit. ®ie Üniberfitäten borten auf, bie 2Biffenfcb.aften im ©inne ber 20
Stilen ju trabieren, fie gelangten bielmefyr %m ©rfenntniS, bafj fie 2ßiffenfd) aft ju erzeugen
Ratten. SSon §aHe War bie libertas philosophandi ausgegangen, in §alle begann auef)
bie Sftationalifierung beS ®ogmaS, bie ^ritif ber SSibel unb ber SBefenntniSfcfyriften unb
bamit bie ^reiSgebung beS lonfeffionellen SßrinjibS. ®aS @rbe ber Deformation: bie @nt=
toicfelung beS inbibibualiftifcfyen 'SenfenS fam ju @b,ren; eS galt ©emlerS ©a|, bafj baS 30
2ßefen unb ber ©nbjWecf ber Religion lebiglict) bie -JJcoral, mithin bie 2luSbilbung ber
eigenen freien ^ßerfbnlicb,!eit fei. SDurcfy biefe innere UmWanblung War ber firct)li<|=fon=
Tcjftonelle ßfyarafter ber üniberfitäten fcfyon bretSgegeben, fie b,örten auf Qnftitute jur 33c=
auffi^tigung unb gortbflanjung bes SanbeSftrdjentumS ju fein, ber Deligion§reber§ ber
„H>eltlia)en/y Se^rer mürbe enblid) offiziell abgefc^afft (in ©ie^en j. 35. am 31. Dft. 1777), 35
nacfybem man fid) mit ifym fcb,on längere Qi\t b,inburcb, burefy rationaliftifcb,e Deutung ah-
gefunben b,atte. 2lm @nbe beS ^ab,rljunbertS lonnte ba§ ^reu^ifcb,e Sanbrecb,t ©d;ulen
unb Üniberfitäten al§ Sßeranftaltungen be§ ©taateS broflamieren, nacb,bem ber ©taat felbft
befonberS infolge ber @intbir!ungen, bie bon ber ©djöbfung ber norbamerifanifcfyen Union
ausgingen, fon'feffionsloS unb baritättfeb, geworben War. 40
3)ie norbbeutfdje broteftantifdie Slufflärung fct)lug i^re Söellen aueb, nacb, ©üben in
bie fatf)olifd)en Sänber. Wan machte ben ^efuiten jum SSorWurf, ba^ fie b,inter ber 3^
jurürfblieben. Äurfürft SERajimilian %o\?pt} bon Satjern ernannte bal^er ben gret^errn
öon ^efftatt 1746 pm ©ireftor unb 1. ^rofeffor juris in ^ngolftabt mit ber Slufgabe,
baS Ünterrid;t§Wefen ju reformieren. @leicb,5eitig gefc§ab, in SBien unter bem bon 5Raria 45
Ifyerefia berufenen greib,errn ban ©mieten eine Reformatio studiorum, beren Söirfung
ein fatmfd;e§ ©ebidjt „Gemitus Barbariei exterminatae" 1752 bert)errIicBte. ®ie geift=
liefen Stifter mit it)ren Üniberfitäten Söürgburg, Syrier, SRainj unb ©rfurt folgten nad;.
3?ur baS alte Mn behielt feinen character indelebilis. 2Bäb,renb bie faft erftorbenen
Üniberfitäten (Srfurt, 9Jtainj unb 'ürier in ber ^Weiten §älfte be§ 18. Safyrfy.S eine 2lrt 50
bon äüieberauferfiebung feierten, mu|te jtc^S Mn gefallen laffen, ba| i^m feit 1777 in
Sonn eine neue furlölmfcfye Uniberfität aufllärerifd)en 2öefenS jur ©eite gefegt Würbe.
55orficb,ttger berful>r unb in 2lnleb,nung an bie $ir<f)e ber Äoabjutor bon prftenberg, ber
in fünfter 1773 nacb, 2lufb,ebung beS ^efuitenorbenS mit bä^ftlicb.er ©enebmigung eine
tatEjoIifd^e Uniberfität ausbaute, bie fiel) ben gorberungen ber Neuheit niebt berfcfjlofe, ahex 55
oott) nia)t bem SHuminati§mu§ unb gebroniämuS mit ib,ren (Sjtrabaganjcn berfiel. 2ln
wr Oftgrenje feines Steicbeö errichtete Äaifer ^ofe^b II. 1784 in Semberg eine beutle
Uniberfität, ofme bejeicbnenberWeife bie bäbftlicbe 33cftätigung nacb;3ufucb,en. ©rWälmt fei
enblia) noef) bie mit !aiferlicf)er 33eWißigung 1781 erfolgte ©rfyebung ber Ijcrjogl. sHiilitär=
alabemie in Stuttgart jur £oben SlarlSfd)uIe. ' eo
278 Uittoerfttttten
©ie Seränberungcn, bie ba3 18. $ar/rl)unbert bem Uniberfttätöbetrieb . bewerte, Waren
f'urj folgenbe.
©ie SGötffenfd^aften grünben ficb, auf bie ÜHutonomie ber menfcblid)en Sernunft unb
befreien ficb, bon ^rabitton unb fircfylicfyer Sebormunbung. 2IrtftoteIe§ tritt ab unb madjt
5 ber neueren ^fyilofoblrie $Ia£, bie in $ant tt>ren §öl)ebunft erreichte. ©ie Ijmmaniftifcfyen
©tubien, befonberi be§ ©riecfyifcfyen, Würben burdj ©rnefti unb ©einer neubelebt unb
führten jur Ätiologie unb ätltertumSWiffenfcijaft. ©eitbem erfcbien bie blnlofotofnfdje gafultät
ben brei „oberen" mebr aU gleichwertig.
^anonifdje Xejte Werben ben „33orlefungen" nicfyt mefyr ju ©runbe gelegt, fonbem
10 fr/ftematifcfye Vorträge ber einzelnen 2Biffenfcbaften in ätnlelmung an mobeme £ef)rbüd)er
gehalten. §ibbofrate§ unb ©alen Weisen bem SRif'roffop, bem anatomifcfyen Realer,
botanifcfyen ©arten. ©ie lateimfcbe Unterricfytgfbracfye Wirb feit SE1)omafut§ unb 3SoIff
mefyr unb mefyr burd) bie SRutterfbracfye erfe^t. ©amit unb mit ber fdjIolafiifcl>=btaIelti=
fd)en ©cfmlung um ber Geologie Willen berfiel aucb, ba§ ©i»butation3Wefen. ©ie alten
15 ftatutarifcben lectiones publicae Würben berbrängt burcb, bie collegia privata, bier
früher blofj gebulbet, je|t fogar unter geftfe|ung bon §onorartar,en borgefct/rieben Würben.
3Son atabemifcfyen ©raben erhielt fid) nur nod) ber be<§ ©ol:tor§ unb in ber brotefi.=iI)eol.
gafultät ber be§ Sijenttaten. §ier War bie SBerletfmng ber ©oftorwürbc bon jefyer an eine
feierliche lirc^Iic^e §anblung mit ^Brebigt be§ ©oftoranben ge!nübft geWefen. ©iefer Sraucb,
20 berfiel mit manchem anbern afabemifcfyen geremoniell, ber Actus doctoralis unterblieb,
unb e§ !am bafün, bafj bie ifyeologifdje ©oftor Würbe — benn al§ fold)e galt fie, bie
nicfit um ©elb feil War — faft nur nocb, honoris causa berliefyen Würbe.
©ie ^orborationlberfaffung blieb im allgemeinen erhalten, ifyre 3^ed)te mürben freilieft,
immer bebeutung§lcfer, nadjbem bie Uniberfitäten bem Drgani§mu3 be<§ mobernen ©taateg,
25 ber ilmen bie ©elbftberWaltung abnahm, eingefügt Waren. Sei ©bttingen behielt ber ©taat
bie 33efe|ung ber ^ßrofeffuren bon bornfyerein in feiner §anb, unb wenn anberWärtS unb
hx§ in bie neuefie $eit fynzw bon ben gafultäten SSorfc^läge entgegengenommen Werben,
fo gefdjiefyt e§ au§ 3toe^mö|tg!eit§grünben, Weil fonft „vix constare poterit Patrono
de eruditione et qualitatibus personarum, quibus professio deferatur (Carpzov,
30 Jurisprud. eccles. II, tit. XXV).
Um bie Söenbe be§ 18. $al)ri)unbert§ ftanb e§ fo, ba|3 bie beutfeben Uniberfitäten
ficb au§ bem guftanbe ber Serfumpfung unb Seract/tung, bem fie erlegen Waren, b,erau§=
gearbeitet Ratten unb bie geiftige güfyrung ber Nation antraten. Qu beaebten ift jeboeb,
bafc fie Wäfyrenb be§ 18. IJafyrlmnbertö immer nocb, ofme eigentliche eigene $mttattoe
35 lebiglid) ©efäfje ber neuen ©eifte^ftrömung Waren.
^n ben Weftlidjjen Sänbern blatte bie neuere $IjnlofobI)ie unb Slufflärung leinen @in=
flu| auf bie Uniberfitäten gewonnen. 5Die tfjeologifcfjen ga!ultäten §ranfreicb§ Waren burd)
bie Xribentinifcb,en ©eminarc lahmgelegt Worben, bie 2lrtiftenfa!ultäten aber, auo bem
ßufammenb^ang mit ber Sinologie gelöft, ju Colleges geworben im ©inne unferer ©^m=
40 nafien, fo baf$ bon ber Uniberfität eigentlich nur noeb, jurifttfcfie unb mebijinifcfye gacb,=
faulen übrig Waren. ®ie ^ebolution boUjog bann bie 2luflöfung noeb, formell bureb,
2lufl)ebung aller Uniberfitäten. Qm fonferbatiben ©nglanb blieben bie alten gut fwv
bierten §ocb,fcb,ulen bei if)rer mittelalter lieben College-Serfaffung, unb b^ier Wie in %xanh
reieb, befanben ficb bie füfyrenben ©eifter, bie ben gortfctmtt ber Söiffenfcb^aften herbeiführten,
45 aufjerfyalb ber Uniberfitäten.
^m Dften bon ©eutfcfylanb Ijerrfcb, te noeb, tiefet ©unfel tro^ ?peter bem ©ro|en unb
feinen energifcfyen 9tacb,foIgerinnen. 2lHcrbing§ War febon 1755 in 5Woö!au bie erfte
rujfifcfye Uniberfität begrünbet Worben, aber ©orbat fjatte ein gan^eä 3a^un^ert Vm*
burd? geruht unb erb/ob ficb erft Wieber ju Slnfang beg 19. Qab,r|unbert§.
50 $n 2lmerila entftanben feit ber Stftitte bei 3°^""^^^ ^h College-Uniberfitäten
in ^ßrtneeton 1746, ^ßb, tlabelbb,ia 1749 (auf Anregung §B. granflini), bie 6o=
lumbia=Uniberfität in 9JeW 5)or! 1754 unb bie ©taatsBuntberfität gu Sllbanb, 5R. 3).
1784, beren Drganifation ficb, sJJaboleon I. jum SSorbilb ber Universite de France ge=
nommen b,aben foll.
55 ©a§ 19. ^ab,rb,unbert leitete ficb, ein mit ben golgeWirlungen ber franjbfifcfyen 3fiebo=
lution. ©ebon b,atte bie Uniberfität Strasburg Wie bie übrigen fran§ö[ifdjen §ocb,fd;ulen
ib,r @nbe gefunben, bie franjöfifdje Siöafion ferner Syrier, 9J(ainj, Sonn unb üöln auf=
gelöft. Stuttgart War 1791 ju ©unften Tübingens Wieber eingebogen Worben. 25er
Steige nacb, berfd)Wanben fobann, g. %. infolge ber ©äfularifation, bie Uniberfitäten gulba
eo 1802, Bamberg 1803, ©uieburg 1806, 2lltborf unb ©Illingen 1809, ©algburg, Rinteln unb
Umberfttätcu 279
pclmftcbt 1810, ßrfurt 181(5, fünfter unb ^aberborn 1818. granffurt unb bitten»
berg mürben, jeneg 1811 mit Sreölau, biefeS 1815 mit §alle bereinigt, ^ngolftabt mar
fcfyon 1800 unter bert SEBirfungen ber Slufflärung nacb, 2anbSl)ut beilegt iborben unb tarn
1826 in bie batyerifdje $aubtftabt.
hingegen entftanben in ^ßreufjen bie neuen Uniberfitäten p Berlin 1809/10 unb 5
Sonn 1818. 33onn ioie SreSlau geigen ben ©egenfa| beS $e$t jum @inft befonberS
beutlid^ in bem frieblicben 9?ebeneinanber jroeier berfef/ieben fonfefftoneHer t^eologtfd^er gaful=
täten. Slucb, Tübingen erhielt 1817 eine fatboI.=tr)eologifcl)e galultät p fetner broteftan«
tifa)en. Statt ber aufgehobenen bifcb/öflidjien Uniberfität in SRünfter fcfmf ber breufj.
6taat jur SluSbilbung be§ rl;dnifd)=tueftfälifcr)en tatr)oltfcr)en Klerus eine tr)eologifcr/=bbilo= u>
fopbtfd;c ülfabemie, bie neuerbingS burd) §tnjufügung einer jurtftifcfyen gafultät jum ^ange
einer Uniberfität erhoben mürbe. (Sine älmlicbe 2lnftalt mie in fünfter errichtete ber ©taat
gleichzeitig in SraunSberg für bie ermlänbifd)e ©etftlicfyfett an ©teHe be§ bergangenen
Collegium Hosianum. 9?eu entftanb als ©rünbung beS neuen ©eutfe^en 3leicbeS
1872 bte Uniberfität Strasburg, bie feit turpem, mie SreSlau, Sonn unb Tübingen, 15
2 u)eologifd;e gahtltäten befi|t.
$n Defterreicb, mürben einige unter ben Igofebfyvmfc^en Reformen in St^een berroan=
belte Uniberfitäten, tüte ©ra^ unb $nnSbrucf mieberbergefteßt. ©ine Sfteugrünbung erfolgte
1S75 in (Sjernomitj, mäfyrenb bie ^rager Uniberfität 1882 in eine beutfcr)e unb eine
cjecfttfcfye gefbalten rourbe. Ungarn erhielt 1872 in ^laufenburg feine 2. 2anbeS= 20
uniberfität.
$n ber ©djmeij b/atte bte Uniberfität Safel buret) mect/felbolle Reiten ibr ®afein be=
Raubtet. Qfn- traten als beutfebe ©djmeftern feit 1832 unb 1834 an bie ©eite bie alten
l)oF>en ©dnden bon ,3 und; u"^1 Sern, mäb/renb in ber fran^öfifef/en ©cb,h)eij bie cal=
biniftifdjen 2tfabemien bon ©enf unb Saufanne 1873 Begto. 1891 ju Uniberfitäten 20
auSgeftaltet mürben.
!gn grantreieb fyatU SJaboleon I. ba§ gefamte UnterrtcfytStoefen ju einem großen Dx-
ganiSmuS ber Universite de France jufammengefafst, in meinem bie einzelnen juriftifcb, en
unb mebiäinifcfyen gacbjdmlen aufgehoben maren. ®ie brüte 9tebublif b,at feit 1896 bie
2Bieberb,erfteHung ber einzelnen Uniberfitäten naefe, beutfeb, em SSorbilb betrieben. (©taatS= an
uniberfitäten in: 2ltj, Sefangon, Sorbeaur,, Säen, 6lermont=gerranb, Dtjon, ©renoble,
Stile, £r/on, SJcarfeiße, 9JiontbelIier, -Jknct), ^ßari§, 9ßottterS, 9tenneS, Souloufe.).
^n ©nglanb iburbe 1832 bie Durham University gegrünbet, ferner 1836 bie
University of London, junäcbft als ^>rüfungS= Uniberfität, im ^ab,re 1903 reorganifiert
übt fie je|t aud) eine £e|rtbätig!eit auS, toie fett 1893 bte University of Wales. 35
Spanien befitjt folgenbe Uniberfitäten, bie äße auf ein mebrfyunbertjäbrigeS gnter
jurüdbliden: Barcelona, ©ranaba, 9J?abrib, Dbiebo, ©alamanca, Santiago, ©ebißa, 2Sa=
lencia, SßaHabolib, ßaxaQOba.
Italien t)at teils ftaatlidje, teils fog. freie Uniberfitäten in: ^Bologna, ßagliari, ßa=
merino, (Satania, gerrara, (Sxtnua, sIRacerata, 3Reffina, StRobena, 3Reabel, $abua, Palermo, 40
^arrna, ^Sabta, Perugia, ^ßtfa, 9tom, ©affari, ©iena, 2iurin, Urbino — offenbar mebr al§
genug.
3n 9Jorh)egen entftanb 1811 bie Uniberfität üriftiania; in ^Belgien ©anb
1816, Sütticb, 1817 unb 1834 bie freie Uniberfität in Srüffel; in §oßanb 1870 bie
ftäbttfdt)e §Ddt)fdt)uIe bon 2lmfterbam. 45
%m übrigen berbreiteten fieb roäl>renb beS 19., beS roiffenfcb/aftlicb,en ^a^rbunbertS
bie Uniberfitäten über bie ganje 2öelt. ^n Stu^lanb rourben errichtet @ba^otr>, ^afan,
©arfdjau, Petersburg, Äieto, Dbeffa, XomSl; auf ber Saüanbalbinfel 1837
2Uben unb in ber jtoeiten §älfte beS ^ab,rbunberts ^aff^, Sufareft, Seigrab,
Sofia. Slud) bie Surfet befi^t feit 1900 in Äonftantinobel eine 2lrt bon Uniberfität. 50
Snbien ert)telt §od)fct)ulen gu Sombab. unb 3)tabraS (1857) unb Sabore (1882).
Stuf ben ^üibtoinen rourbe bie fdjon feit ^af)rbunberten beftebenbe ®omini!lanerfct)ule in
l'cantla 1857 Uniberfität. ^aban i)at feit 1868 eine Uniberfität in £ofio unb feit
l«!iö eine groeite in Wtjöto, 3luftralien feit 1850 in ©r;bnet>, feit 1853 in WieU
oourne. 55
^n 3iorbamerifa entftanben gal)Iretd^e neue Uniberfitäten, bie aber nid)t aKe ben
tarnen berbienen. ^u ertoäbnen finb: bie 2lnn 2lrbor U. in aJiidjtgan, bie Uniberfitäten
öon ^ofton unb ©bicago, bie ^obnS §ob!inS U- in Baltimore, bie 33erfelet;= unb bie
-danb Stanforb U. in California, bie 6ornell=U. in ^tfyafa; bap in Sanaba bie Uni=
öerfitäten Montreal unb Toronto. 60
280 Itntöerfttätctt
%n ©übamerifa entwidelte fid) feit 1849 in 2)contebibeo eine Untt>er[ität, 2lrgen=
tinien l>at eine in 33uenoS SlireS.
gür Stfrifa ift ju erWäfmen außer ber franäöftfdjen 2lfabemic ju Algier (1879) bie
mufelmännifdje §odjfdmIe @l 9I^ar in Kairo (©tatut bon 1896) unb etwa nocfe, bie 1873
5 gegrünbete Ünitoerfität in Kabftabt, an ber tnbe§ feine SSorlefungen, fonbern Wie in ^nbien
nur Prüfungen abgehalten Werben.
Ttan Wirb nidjt fef)Igeb,en in ber 2tnnafyme, baß biefe SluSftreuung bon Kulturzentren
über bie gange @rbe bornefymlicf; bem Rufym gu berbanfen tft, ben ftd) bie beulen
llniberfitäten im 19. gafyrfyunbert erworben I)aben. S)ie 3eit beS banaufifcfyen $5rot=
10 gelehrten, ben ©filier nocb, in feiner berühmten Jenaer 2lntrittSrebe fenngeidmete, War
burt| Kant gu @nbe gegangen. ®ie Kantfdje ^tlofotofyte braute bie SlufflärungSberiobe
jum toiffenfdjaftlidjen 2lbfd)luß, unb fein „Sapere aude!" Würbe gum Seitmotib ber
Wiffenfdjaftlidjen Arbeit, Wie fie fid) bon nun an in ben llniberfitäten fongentrierte. ®er
berliner Uniberfttät Würbe bie ^aI)rI)eitSforfcf)ung als belebenbeS unb tretbenbeS ©lement
15 in bie Söiege gelegt, unb fie trug borgüglicfo, bei gu bem großartigen Sluffdjtoung ber
©eifteSWiffenfdjiaften, ber b^ftorifcr;=fritifa)en 33eb,anblung ber Geologie unb 3«^i§brubenj
in ber erften §älfte beS ^ar;rr;unbert§. 2Me jroeite §älfte gehört meb,r ber naturtoiffen=
fd)aftlicl>en gorfd)ung an: WaS fie geleiftet, liegt bor unfern 2Iugen. tiefer rege ©ifer
f>at gu einer ©begialifierung ber 3BiffenSgebiete, gu einer ©etailfrämerei geführt, ob beren
20 bem ©tngelnen ber gufammenljang mit bem©anjen berloren gefyt. ©ie r/iftorifd)e gorfcfyung
fcfylebbt ein ungeheures Material gufammen, unb jeber Kärrner füfylt ficb, als ©elefyrter
unb im £>ienfte ber „SBiffenfdjaft" 2öir fielen f<|on bor ber $rage: cui bono? unb
man erfennt bie RotWenbigfeit, wie bor 200 $afyren Wieber einmal ^nbentur gu machen,
ben ©eWinn ju fixten unb fid) ju überlegen, ob eS fo weiter gefeit fann. '
25 SDie (Einheit bon $orfdjung unb Seigre foH ben eigentümlichen 6b,arafter ber
beutfd)en llniberfitäten ausmachen, unb jtoar fo, baß biefe foWofyl auS jener entfbringt,
al§ auet; ju ib,r r/infüfyrt. ©teb, t aber bie g-orfdjmng, Wie eS betont Wirb, im SSorbergrunb,
fo folgt, baß baS 2ßaS unb 2Bie ber £el)re bem forfd;enben Sefjrer ju überlaffen fei, baß
alfo mit bem ^ßrinjib ber freien Söiffenfc^aft — unb eine anbere giebt eS nia)t — aud)
30 bie £eb,rfreib,eit gegeben ift. SKan lann nun aber finben, baß bamit bie llniberfitäten
einen bobbelten ßl)arafter angenommen fjaben, ber mit fid? felbft uneinS ift. ©ie finb
bod; aueb, ftaatlid;e llnterricbtSanftalten jur 2tuSbiIbung bon Beamten aller 2lrt, befonberS
im $uf% unb „©djultoefen; ban eben galten fie in tfyrer gafultätSberfaffung an ber
mittelalterlichen Überlieferung feft, aud^ älrjte unb Kircb, enbiener au^ubilben, obwohl einer=
35 feitö bie SluMbung ber §eil!unbe unb jtoar mit 9ied)t ein freies ©eWerbe ift, ba ber
©taat Weber 2Biffenfd)aft nod; Kunft, alfo aud) feine §ei!funft batentieren fann unb barf,
anbererfeits ber Kirche felbft als einem auf fid) berultenben SRec^tgtnftttute außerhalb beS
fonfeffionSlofen ©taateS bie §eranjieb,ung beS MleruS ef)er obliegen möchte als bem ©taate.
Sßenn man nun jugiebt, baß bie Wiffenfdjaftlicfje gorfeftung jur SluSbilbung ber „^afy
40 leute", Wie eS Triften, 2tr§te unb ©eiftltcfye finb, nur in fef)r lofer Sejie^ung fteb,e,
fo madjt man jur Rechtfertigung ber fcb,einbaren Unftimmigfeit geltenb, baß aud; biefe
■jßraftifer eine möglicb,ft bertiefte wiffertfcljaftlicfje Silbung b,aben unb toenigftenS mit ben
Problemen ber äöiffenfd;aft befannt fein müßten. 3lm ift aber flar, baß bie bloße 23e=
fanntfdjaft mit ben Problemen feine Sefriebigung gewährt, bielmeb^r Überbruß erzeugt
15 unb bem@erebe bom Sanferott ber 9Biffenfdjaft Rab,rung giebt; befriebigenb ift für$raf=
tifer nur ber georbnete SBeft% eines fixeren SBiffenS. SlutoritätSlofe SBiffenfdjaft ift nichts
fertiges, 2Biffenfct;aft fann man nic^t lernen, nur bie SUcetfjobe, wiffenfdjaftltcr) p
forfcf)en, fann gelehrt Werben, ©aran ift aber ben s^raftifern nic^t gelegen, ©ie ^urifttf
ift Wefentlidj Sßraftif unb fo lange feine Sffiiffenfdwft, als ber ©taat um feines $e=
5oftef;enS WiKen eine bofitibe Red)tS= unb Staatslehre borfdjreibt. ®ie §etl fünft, auf "bie
eS bodj Wob,I anfommt, ift ebenfalls reine ^3raftif; foWeit aber bie SJlebtgin 2Biffen=
fcf;aft ift, gehört fie feit ^ofyanneS Füller, bem 5ßb,t)fifer unb ^fybjiologen, gang unb
gar jUr RaturWiffenfcbaft. 2öaS aber bie Geologie für eine SBiffenfcbaft fei, ift b,eut=
jutage noef) ftrittig. S)e Sagarbe erflärt fie für eine Inftorifcfje $DiSjiblin, für ein Söiffen
55 um bie Religion übertäubt, nicf)t ein aisiffen um ben ^3roteftantiSmuS ober Katbo=
UciSmuS. SDa^u bebürfe eS aber feiner befonberen tr;eologifcben gafultäten. 21nbererfeit§
muffe man fid) flar barüber fein, baß, Wenn bie 2öiffenfc|aft bie ©runbanfdjauungen ber
d;riftlid)en ^beologie als irrig bejeidme, jebe Sefdjäftigung mit ber 2öiffenfd)aft bie cb,rift=
lidje Geologie auflöfe. ©oÖten bemnad; bie ftaatlidjen tbeologifd;en gafultäten nad; Wie
60 bor bie ©eiftlicfyen auSbilben, fo fönne baS nur gum ©d)aben ber Kirche gefd}el)en. Qn
Utttoerfttttten 281
ber %f}at fyat aucb „bie Unremltdbjett ber Überzeugungen auf brotcftantifd;cm ©ebiete"
Bereite ju euiem Bebenlltd^en ^eologenmangel geführt.
Bon ber Steformbebürftigfeit unferer Uniberfitäten ift fett langem bie 9?ebe; ange=
fochten Wirb namentlich auify bie Sefyrtoeife, bie ifyr ©d>WergeWtd)t immer noefy in ben
großen afroamatifden Vorträgen bat, ba an ben fog. ©eminarübungen unb BracticiS bodj 5
nur eine fefyr befcfyränfte Qaty bon ©tubenten teilnehmen fann. Darum wirb, Was big^er als
ifyr Bor&ug galt, bon manchen als ib,r ©runbfebjer betrachtet, bafs fie ein ©emifd) feien
bon 2lfabemie, Üniberfität unb §act)f$ule, Woburcf? fie ju jenen unförmlichen, unüberftcb>
liefen ©ebilben geworben, bie man universitates litterarum nennt, bie an grequenj
ben brimären, aber auf fel)r einfachen ©tubienberfyältniffen berubenben ©eneralftubien 10
nicbtS nachgeben, aud; wie biefe Wieber „Sebranftalten für alle" f)etf$en tonnen, fid) aber
bon ifynen babureb unterfebeiben, baf? fie — leinen ßlmralter, Weil fein (StfyoS, fyaben.
Sie wollen alles fein, unb barum ftebt $u befürchten, bafs fie mole ruunt sua. Die
Reform fönnte in ber 9iicb,tung ber Befdiränfung liegen, ftatt in ber fortfd)reitenben @r=
Weiterung, barin bafj alles gacfyfdmlmäfjige unb Braftifcb^edmifde auSgefcbjeben Wirb 15
unb bajj fie oljme galultätenfonberung einfad} UnterricfytSanftalten für ©eifteS= unb 9latur=
loiffenfdiaften werben, in benen — mit De SagarbeS Porten — baS üffiiffen um baS
Riffen, b. f). bie ßrgebniffe ber 2Biffenfd)aft benen mitgeteilt Werben, bie nacb. folgern
Riffen berlangen.
•öcit ber je^igen $orm ber £efyrfreil)eit fyängt natürlich bie ber Semfreifyeit unb bie 20
ganje fog. afabemifd)e greif) et t ber ©tubierenben eng jufammen.
Der ©d)olar beS Mittelalters War ©djüler; ber ©tubent ift ein ©eWäd)S ber neuen
3eit. ©eit ber ©rünbung ber 9Jcelancb,tb,onfc^en unb ber $efuiten=©t)mnafien Würbe bie
früber laum ficfytbare ©renje jWifd)en ©djule unb Üniberfität beutlicfyer: ber ©tubent
unterfcfyieb fieb. bom „Bennal", er Warb fict) feiner beeren Stürbe fo beWufst, baf? bie 25
2lufnabjne beS jur Üniberfität gelangenben ^ennälerl (Bad)cmten ober geuj) in ben bor=
nehmen ©tanb ber „Burfdjen" eine gülle ber gröbften 9Jüf$anblungen feitenS ber ,,©d)o=
riften" mit fid; führte. Der BennaliSmuS, ber feit beginn beS 17 ^jab, rfyunberts auf ben
brotefiantifcfyen §ocbfd)ulen graffierte, bilbet Wobj baS bunlelfte SBIatt in ber ©efcbjcfyte ber
Uniberfitäten. @r Warb 1661 abgefcfyafft burefy Vereinbarung jWtfcfyen ben einzelnen Unt= 30
berfüaten, nacfybem fd^on ber NegenSburger NeidjStag 1654 bagegen ©tellung genommen.
^jnbeS bauerte baS treiben unter bem tarnen be§ Nationalismus fort. Die ©tubenten,
einer offiziellen Drganifation im Nahmen ber Üniberfität ermangelnb, bilbeten IanbSmann=
fdjaftlicfye Berbänbe, bie, fofern fie lanbSmänmfcfyen gufammenfcfylufj unb gegenfeitige §ilfe=
leiftung bejWedten, ib,re Berechtigung Ratten, ja 1677 in Königsberg fogar jWangSWeife 35
eingerichtet Würben; inbeS arteten fie unter ber nunmehr 9ttobe Werbenben Berufung auf
bie „a!abemifcf)e greib.eit" au§ in ©efeßfdwften, beren ^ßrinjib ©aufen, llnjud;t, ©d)läge=
reien unb 3Serb,öb,nung aller guten ©Uten ju fein febjen. ®er fog. „Komment" Warb ifyr
©efe^bueb,, ber „b,onorige Burfd)" in bfyantaftifdjem Koftüm mit bem SRaufbegen an ber
Seite terrorifierte bie 3Jiufettftabt. 3U ^nen gefeilten fict> feit ber SDtitte be§ 18. 2>abr= 40
^unbertS, al§ mit ber Freimaurerei bie ©eb^eimbünbelei übertäubt in 2)eutfcf)lanb einbog,
bie nidjt biel befferen „©tubentenorben". S)iefe juditlofen „Sanbämannfc^aften (bie mit
ben mittelalterlichen Nationen Weber 3ufammenb.ang noc^ Sibnlicbjeit f>aben) übertrugen
fieb in§ 19. $al)rfmnbert. gid)te eiferte gegen fie in feiner Berliner NeltoratSrebe „über
bie einzig möglieb, e Störung ber afab. greib,eit" %n Berlin entftanb bab,er auä) bie erfte 45
föeaftion, inbem ^ier ein Kreis bon ©tubierenben eine neue Berbinbung unter bem Namen
„Öurfcftenfc^aft" einging. Sie ©egnerfcfyaft gegen baS alte Wüfte treiben organifierte fieb
nacfi ben greibeitSfriegen in ^ena 1815 gur aügemeinen beutfcb,en Burfd^enfcbaft, unb jWar
auf bemofratifd>4onftitutioneIler ©runblage, Wä^renb bie SanbSmannfc^aften im ©egenfa^
baju „ßorbS" bilbeten auf monard>ifcb=abfoluter. £)ie Sßirfungen ber Karlsbaber Be= so
fölüffe berfd)ärften biefen bolitifcb,en ©egenfa^, ber fiel) bis auf bie blutige ßeit übertragen
bat. ©eit ben 40er ^afyren ^erfblitterte fieb, bie beutfcfye ©tubentenfdjaft immer mebr.
hieben Burfdjcnf haften unb „6orbS" entftanb eine Unmenge neuer Berbinbungen, mit
„$rin3ibien" unb „Gouleuren", beren Bariierung unb Differenzierung admäE)Itct) fd)Wierig
geworben, einanber befefybenb ober ignorierenb, ribalifierenb in NidE)tigfeUen unb äufeerem 55
Schein, aber gelegentlicb bodjenb auf bie „afabemifdie greil)eit", bie fie als Burfd;ent>err=
üd)feit, als bie Üngebunbenbeit unb ©elbftberrlid)!eit beS ftubentifdjen 2ebenS bcrel)ren.
5)aS ßouleurftubententum umfafjt inbeS boef) blof; bie 3Jcinberbeit ber ©tubierenben, bie
gwfee gjiebr^abl ftef)t au^erbalb ber „Berbinbungen" ©eit jwei ^a^rje^nten geigt fid)
baber baS Beftreben, an ben einzelnen Uniberfitäten ©tubentenauSfd;üffc ju bilben jur uo
282 Uttibcrfttätctt ltttfterblicljfett
©efamtbertretung ber ftubentifdjen ^rttereffert. ©o lange freilieb, bie p arttf u lartfttf d^j ert
Neigungen ber äierbinbungen, bie man fd^ie4)terbing§ au<§ bem llnibetfitätSralpen ber=
roeifen unb unter baS ^olijeigefeij freuen foltte, borr/errfd)en unb bie afabemifctjen 33e=
fyörben felbfi ben ftubentifcfjen äBufs, Äomment unb JbmmerS goutteren, t)at eine ernft=
5 i)afte Drganifation ber ©tubentenfct)aft nur geringe 2Iu§fid)ten.
£>te afabemtfdje ©erid)tSbarJeit ift aufgehoben, baS Sanb 3itrifd)en Uniberfität unb
©tubent gtemlxd^ loder geworben, bie freie 2ötffenfct;aft unb gorfcrmng t)at eS nic^t fefter
getnübft. ®er ©tubent befuctjt nad) belieben bie Vorträge einzelner 2et)rer, benen er ber=
fortließ fremb bleibt, er befugt fie aud) nid)t, trenn er ftct) nur burd) SorauSbeja^lung beS
10 §onorar§ auf ber feit bem brüten ^a^rje^nt beS 19. ^afyrlmnbertS gu biefem gmede ein=
gerichteten UniberfitätSquäftur bie für bie Staatsprüfungen erforberlid)e Xeftierfäfügfeit
berfd)afft t)at. @3 ift bat)er »of)I fein gmeifel, bafj unfere mit ^nftttuten unb ©amm=
lungen aller 2lrt g. %. überreid) auSgeftatteten Uniberfitäten gtoar ausgezeichnete 2lnftalten
für bie Wiffenfcfyafilicfye §orfcb,ung finb, bafj aber ber Unterrid)t3ertrag an aUgemein=
15 toiffenfct)aftlid)er, tüte an $aci)fct)ulbilbung bei ber 3ftel)rgabl ber ©tubierenben nid)t im
rechten 23ert)ältntS ftel)t ju bem 2htfmanbe an Mitteln. ®arauf müfjte geachtet werben,
toenn einmal ber Einfang gefd^efjen foltte gu llniberfttätSreformen. @. £orn.
Uttmnljeit f. b. 21. Reinigungen 33b XVI ©. 564,42.
Httfdjulbtge Sttnber, $eft berfelben. — 9lugufti, Senfitnirbigfeiten I, @. 304 ff.; ugl.
20 aucE) ©ueranger, L'anne liturgique, I6, 1880, &. 366 ff.
®as> g-eft ber Unfd)ulbigen ^inber (Festum Innocentum; aud) Natale Infantum,
Necatio Infantum, fj/uega rcöv aylcov iö' %diad<x>v vi]7i(cov) feiert bie grted^ifd^e unb
bie röm. $ird)e jum Stnbenfen an bie £bfer bes 33eit)let)emttifcf)en ^inbermorbS. ®ie=
felben mürben fefyr früb, jettig aU d)riftlid)e ?Cßärtr/rer betrachtet; fo fd)on bei ^renäuS,
■2b Adv. omn. haer. III, 16, -1, Tert. adv. Valent. 2 unb ß^rian, Ep. 58, 6 unb
bielen ©bä'teren. Söann bie geier it)rcS ©ebenftagS üblicfy würbe, läfjt ftd) nur an=
nät)ernb beftimmen. ®ie röm. Depositio martyrum bon 354 f>at ben ^ag nod) nid)t
(f. SftommfenS 2tu§gabe in ben 21©© I, ©. 631). 3m 5- 3a^unoert gebaute man
ber unfdjmlbtgen Äinber lebiglid) bei ber Sefbredmng ber Anbetung ber Magier am
30 @bibr)anienfefte (f. ^ßrubent. Cath. XII de Epiph. ; 2luguftin Serm. 199, 373 unb
375 in Epiph.; £eo M. Serm. 31, 32, 33, 35, 38 in Epiph.; gulgentiuS 9lu3b.
Homil. de Epiph. deque Innocentum nece etc.). ^Dagegen t)at baS Äalenbarium
bon ®aru)ago, baS sDcabiHon aus einer §anbfd)rift beS 7. ^afyrfmnbertS herausgegeben
t)at (Vet. Anal. 1723 ©. 167), beim 28. SDejember ben ©intrag: s. infantum quos
35 Herodes occidit. liefen 'üEag t)at bie römifctje $ird)e fcftger/alten, wogegen bie gried)ifd)e
$ird)e ben 29. ®ejember feiert, ©eit bem SBeginn beS 9Jc2l. gehört baS geft ju ben
attgemein gefeierten §aubtfeften, f. Caroli Cap. 81, 19 bon 810—813, ©. 179. @3
erhielt im Verlauf eine Dftabe; über @igentümlic^)Ieiten beS 9UtualS f. Microlog. 36,
MSL 151, ©. 1005. (3ötf(er f) ^o«*-
40 Unfter&Hcf)i'ett. — I. teuere SBerfe ^ur Dvientierung: 1. SSoIfg. TOenjel, ®ie bor=
d)viftlid)e Unfterbtid)feit§le6re, 2 S3be, 1870 (A. ®te Si)m6oüt be§ teonnenia^rä al§ Unter=
läge ber Jjeibnifctjen Unfterb(icI)Feit§Iefiren, B. ®ie orientaItfd)e, altgriediifdie, altbeutfdie Un=
fterblid)f"ett§let)re). 2. gbm. Spiefj, Enttütdetung§gefd)id)te ber SSorfteKimgen üom 3uftai1&e
nad) bem Stöbe auf ©runb nergieidjenbev 3?eItgion§forfc^ung, 1877 (juerft ©ad}orbttimg: 3?ur=
15 fteüungen über SBefen, Urfprung, 33eftimmung, ©d^icffnt ber ©ee(e; SEob, SBeftattung, ©rnber=
fljmbolif; ttjeoret. ©runbe bei Unfterbücbfett§gIaubenS. ©obann bie etnjelnen SSölfevgruppen :
Siaturbölter, 9(egt)).iter, CSbtnefen, Si^ier, Werfer, ©rtedtjen, Körner, Selten, ©ermanen, ©lauen,
Silben, g§Iam. ®ie diviftUd)e Se^re bient als SOlafjftob. Sttteratur reichhaltig unb überftdjtlid)
georbnet, aber nidjt gleicbmäfjig üerarbettet). 3. §erm. @d)ul|, ®ie SSoranSfe^ungen ber
50 d)riftltd)en Sefyre oon ber llnfterblid)feit, 1861. 4. ,£. Sremer, lieber bem 3"ftanbe nad) bem
Stöbe (btbüfcb=tbe0tDgifd), populär), 5. Stuft. 1898. 5. 3. 28. SRinf, Som 3uftanbe ber Seele
nad) bem Stöbe, 3. Stuft. 1878 (barin bie SSriefe SabaterS an bie Saiferin W. geoborolnna, au§
benen bie „SSriefe au§ ber §5tte" (1884) enttebnt ju fein fd)einen). 6. Seonb. ©djneiber
(tatbot.), ®ie Unfterblid)fettgibee im ©tauben unb in ber ^Ijilofopljte ber SSölter, 7. Stuft.
55 1883 (reid)e§ ^iftorifdjeS unb litterarifdjeS 9!JcateviaI, beffen Slnalüfe unb Verarbeitung ?,toar
ntd)t burdiweg auf ber §öbe ber g-orfdiung ftebt, aber bodi bie §i(f§mtttet ber proteftantifdjen
^bitofopbie (nid)t Stbeotogie) u. mand)e ßrqebniffe b. $fi)d)o(ogie gefd)ic!t bermertet (I. Sßfvjdjol.
SSorau§fe|ungen. II. %icbtd)riftt. SSbtfer. III. dbriftt. Se^re;' a) bibt. (Sädiatologie; b) djriftt.
^rjilofo^tjie; c) neuere ^5^iIofopEjen u. Ätafftfer [non fttopftod bi§ Stiebge; fernex- ©t;afefpeare,
UttfterMidjfeü 283
fliilton, finnig, GalberonJ). 7. 3$om ^^ilofov^ifcf)en Stanb|Htnft: 3fcd)iter, 33üd)(em tum
bem Seben nad) bein Höbe, 1836, 2. «uff. 1866; 8enb=91öefta, 1851. g_ ^ jjid)te> 3bee ber
<|Seiii.inlid)fett unb ber inbitübuellen gortbauer, 1855; Steicbmüffer, llnfterbtidjfeit ber (Seele,
IST1.) (im 9(nfdilufj an Seibnis unb £erbart) ; 28itmar§fjof, 2)a§ genfeitS, ein »iffenfd)aftltd)er
Serfud) jur Söfung ber Unft.frage, 1863—66; (£\ ^aiülle, La vie eternelle, 4. ?(uf(. 1884. 5
SeadjtenSmert : <Sd)obenfiauer, SSelt al§ 3BiHe unb SSorft. II, 4, cp. 41: lieber bie llnjerftör=
borfeit unfereS Sßefenö an fid) ; bgl. nudj SJJarevga I, 137. — ©ine fjiftorifdi=fntifd)e SDar=
fteflung ber pljilofobtjtfdjen llnfterblid)feitäberoeife mit CUteHenbelegen gießt 5). %x. ©traufe,
©faubenSlefjre, 1840, II, 106—110. 8. 2Bid)tige l)tftorifd)e (ginjelbarfteüungen : ©rroin föotjbe,
<Ufl)d)e, 8eelenhilt unb Unfterblid)feit3g(aube bei ben ©riedjen, 2. 9(uf(. 1898 ; ©cfjrantü), Sns 10
Seben nad) beut £obe nad) ben SSorfteüimgen be§ alten 3§rael unb beä gubentumg, 181)2;
Jrei), 2ob, ©eelengtaube unb ©eelenfult im alten görael, 1898 ; SBiebemann, Sie Soten unb
ifjre 9Jeicl)e im ©1. ber alten ?(egl)bter (Ser alte Orient, II, 1). — ©nblid) 9. Ueberfid)t über
bie ältere Sitteratur unb ©efdndjte ber Sefjre: flügge, ©efd). b. fielen Dorn 3ufta«be ber
SRenfdjen nad) bem 33obe, 1799—1800. 15
II. £ie Sefyre bes %%§. £)er guftanb rtad^ bem Tobe Wirb ^ßf 88, 11—13
(„2Birft $u an Toten Söunber üben? ©rftefyen ©Ratten, $)id) gu greifen?"), $f 19,
15—20, im £>tobbud)e, als broblematifd), Wo nid)t als Negation bes Seben§, gefdnlbert.
£er S^bismus far,b im a^im 35rael bi£ Sorftellung bon einem ©d)atienretd) (©d)eoI)
als ßlement bes aHgemein=femitifd)en 2H)nenfuIts unb ©eelenglaubens bor (bgl. ©rün= 20
eifen, ©er Slfynenlultus unb bie Ürreligton QsraebS, 1900; ^obertfon ©mitt), 2)te 9Wi=
gion ber ©emiten, 1899). Stber Weber in bie Sßerfyeiftungen, beren ftd) bie $atriard)en
getröften burften, nod) in bie ÜDtotibierung ber mofaifd)en ©efet$esborfd)riften fließen un=
mif3berftänblid)e 2tnbeutungen einer mbibibueKen gortbauer ein. 2lud) @lia<§ giebt fid)
mit bem ©dricffal be§ allgemeinen Tobes ber Qnbibibuen gufrieben (1 % 18,4; bgl. mit 25
©en 25, 8). 3)ie @rgäi)lung bon feinem (Sntrücftroerben ift unbeftimmt Wie bie 2lnbeutung
bom Sebenöenbe beö £jenoc£) unb bie ©age bom §eimgang be3 SRofe. SSeretngelt i(t bie
5bce bes 9SerIufte§ urfbrünglid)er Unfterblid)feit infolge ber ©ünbe (®en 2, 17; 3, 22;
6, 3; 2Bei 1, 13; 2, 24). ©onftige Slnllänge an bofitiben Unfterblid)leit§glauben tragen,
jumal bi§ pm @nbe be§ @pte, ben ©tembel bid)terifcber ober rebnertfd)er 3lu§brud§= 30
toetfe. „®ie (Errettung aus> ber ©d^eol" ober „bor bem'Sobe" ift Seroa^rung borSobeg=
gefab,r («jjf 33, 19; 103, 4; bgl. 73, 23 ff.; ©br 10, 2. 17. 28); ba§ „eitrige Seben" ift
„Sänge ber (trbtfd&en) 2;age" (^f 21, 7; 22, 27; 30, 4; 37, 28; 41, 13. Sgl. nocb, SRe^
2, 3; 23ar 1, 11; «ßf 72, 7; 91, 16; 21, 5). freilief/ ben frommen errettet ©Ott bom
$ad)en ber Unterwelt in ba§ Sanb ber Sebenbigen ; bie 2Bege be§ SebenS fielen it)m 35
offen unb ing Sebenäbucb, ift er gejetd^net ($fl6, 10; 27,13; 36, 9f.; 69,29;
^on 2, 3. 7 ; 25a 12, 1). 2lber ber ©inn folcfyer Söenbungen gleit auf bie Sejielnmg
bes frommen ju ©Ott, in beffen ©emeinfd)aft er Seben unb ©enüge t)at, bem gegenüber
nid)t ^immel unb @rbe, nic^t 2;ob unb 2SergängIicb!eit t£>n belümmern (5ßf 73, 23— 26);
©ott felbft ift „ba§ Seben" be§ frommen (®t 30, 20). ©ofern nun ber £ob nid)t blofj 40
bas natürliche Seben^enbe, fonbern jugleict) ©träfe für bie ©ünbe ift (®en 3 ; $jßf 90),
fo berbanben fid) nad) unb nad) mit jenen burd) ben allgemeinen ©eifterglauben unter=
ftü^ten 2In!Iängen beftimmtere SSorfteltungen bon ber 2tufbebung biefer allgemeinen ©träfe,
b. §. bon einer Überminbung be3 ^obe§ im ©inne einer 2tuferftefmng. ©d)on früher
^atte fid) au§ ben Sorftellungen bom ^otenreid) (©d)eol), bem „Unterften ber @rbe", 45
bom „Sanbe ber ©taubberoobner", bom „33erfammelttt>erben Su ben 35ätern" — ber©e=
banfe einer felbftftänbigen jenfeitigen ©Etfteng (etroa im ©inne ber b,omerifd)en §abeä=
fd)atten) b,erau§gebilbet. ®a§ geigt bie ©rjä|lung bon ber ©amuelerfd)einung (I, 28),
fotoie bas Söort ^alob§ ©en 37, 35. 31ud} an biefer £)offnungglofen ©tätte ber 5Kega=
tion atte§ Seben? ift ©ott attgegenlüärtig mirlfam <$f 139, 8), aber 2Bunber ir-irft er so
nid)t mel)r (88, 11. 13). $Dte bort t)errfcf)enben Söegieb,ungen ber 3JJenfd)en untereinanber
bleiben unbeftimmt. ®ie 9tang= unb 2öertunterfd)iebe quie^cieren (§i 3), fie alle finb
-"nt~ („©d)laffe", b. i. Iraftlofe ©d)attenbilber) ; aber aud) bort werben bie l'cute bon
Sang erfennbar fein, bie Könige auf fronen fi^en (^ef 14, 4 ff.). Sftan fann, auf
©runb fo!d)er 2lnbeutungen, bas altt. Sotenreid) foiwor/I al§ ein fortleben, Wie als1 ein 55
3Jid)tfein bejeiebnen: aber gegen beibeSegriffsformeln bleibt neutral bas1 33unbe§berb, ältnts"
SU ©ott. ©erabe bie entfd}tebene grömmiglett rechnet öftere mit bem Tobe als einem
Uebergang in bas Wd&tfein (^f73; 102, 25 ff.; .017,8—10; 11,7—12; 16,22). Sa=
neben Wäre es naturgemäß, Wenn fid) aud) bie Hoffnung auf eine neue, boUJommencre
@pftengform jenfeits bes ©rabes, gu Weld)er bie biesfeitige fid; als s^orftufe ober Prüfung uo
berbält, frübjcitig ausgebilbet f)ätte. 2lber fbärlid) unb unbeftimmt finb bie 3ufunfts=
284 Itnfterbltc^ett
gebauten, Weld)e in ber bormaffabäifcfyen gett bon foId;er §eilSb,offnung moiriert Würben.
©ie §aubtftelle £>i 19, 25ff. gef)t nacb, (Iwalb, ©tttmann, £>. ©d)ul| auf bie boftljatme
(Ehrenrettung §iobS burd) ©otteS ©ad)Waltung. SBtelletd^t liegt eine ^ejrtberberbnis bor.
©ic ©teile lautet: „SRein ©rlöfer lebt unb ber nacb, mir nod) fein Wirb, wirb auftreten
5 über meinem ©rabeSfiaub. Unb nact)bem meine §aut, biefe ba ! bafrin ift unb id) meines
gleifd)eS bar bin, werbe id) (Sott flauen (ober „fcfyaue icb/' ~\X\^)'- ben id) flauen
werbe mir jum §eit unb meine 2tugen fel)en werben unb nid)t eines gremben (£afjm
unb ©dimltj: „ntc^t mefyr als f einbüßen") ; fdwn ber^ebren fic^> [aus ©el)nfuct)t banad)]
meine Vieren in meinem Sufen" ©er Wortlaut läfü beibe ©eutungen ju: ©Ott Wirb
10 bem £oten nact/träglicb, 3fted)t berfcb/affen (§. ©cfmltj) unb: ©Ott wirb itm im ^enfeits
entfdjäbigen (©itlmann). @ine brüte Sluffaffung: „id; felbft Werbe eS nod) Inenieben
fTar burd)fd)auen, bafj unb Wie ©ott nad) meinem %obe als mein SCnWalt auftreten
Wirb", fyabe icb, in „$fr;d)oIogie beS Unfterblid)teitSgtaubenS" (©tub. 5. bergt. 3ftetigionS=
Wiffenfd). II, 1894, ©. 199—203) eEegettfd) begrünbet (bgl. ^attenbufcf,, %f)2$ 1894,
15 12). ©aneben eine bierte, bem Segriff beS „©ottfdSauenS" entfbrect/enb : troij ber fd)einbar
fixeren 9cat)e beS ^TobeS Wirb tl)m ©ott bocfr, noct) einmal „fein 3lntti| geigen" (Sf 30,
4—10), itm nod) einmal auS ber SEobeSgefafyr retten. — Sei ber allmählichen 2luSbil=
bung beftimmterer $enfeitSl)offnungen tiat bie brobl)etifd)e SluSbrucfSWeife unb bie Über=
tragung beS $beal§ nationaler Sßiebergeburt auf bie inbibibueUe (Erneuerung einen Slnteil,
20 ber teils mit ber @tr/tfierung beS ^erfönlicfyfeitSbertmltniffeS ju ©ott (2>er 31) jufammen=
bangt, teils fbracfylicf) bebingt ift. 2luSfbrüd)e Wie§of 13, 14; Qef 25, 8; 26, 19, boetifdje
SBenbungen Wie 1 ©a 2, 6 unb ©leidmiffe Wie baS bon bem oben Xotenfetbe, Welches
burd) ben belebenben §aucf) ©otteS ju neuem ©afein gerufen Würbe (@j 37) — führten
ju ber beftimmten 2et)re bon einer „2luferfiel)ung bieler (©a 12, 2) fei eS, baf? mit biefen
25 „Steten" eine SluSWaf)! ber ©erect)ten ober eine tntenfibe Sejeictmung ber ©efamtfyeit
(Wie Sftö 5, 15 im Sergleid) ju S. 12) gemeint fei. hierbei ift nidjt bie fbäiere rabbi=
nifd)e Segrünbung ber llnfterbticfyfeit als SRafjfiab anzulegen, ba biefe in 2lnatogiefcfyIüffen
unb gewagter SUlegorefe auf anbere ©teilen jurücfjugreifen bflegte, 3. S. auf 35t 22, 7 ;
33, 6, — freilid) aud) auf @r. 3, 6 (bgl. 28ünfcf/e, ©"ie Sorftellungen bom ßuftanbe nad)
30 bem ^obe nad) 2lbofri?bf>en, Salmub unb $irct/enbätern, ^brSt) 1880, ©. 366). Siel=
mel)r fe|en bie allegorifdjen ©eutefünfte fcfyon auf anberem 2öege eingebürgerte Sorftellungen
boraus. ©ie 2lbleb,nung ber Sluferfteb.ungSl^offnung im ^ob,eletl) ift lein SeWeiS gegen
eine gleichzeitig fjerrfcb.enbe entgegengefe^te Strömung, greilid), baS ©ericbi, an Wela^cS
^ob.eletb, ben ^ugenbmut mab,nt (11, 9f. 3, 22), ift lein jenfeitigeS (bgl. inbeffen S.$lei=
35 nert, 2). Srebiger ©alomo, Srogr. 1864, ©.31 ff.); ber SebenSgeift, Welcher, im ©egenfa^
^um irbifd]en, ber @rbe berfallenbcn Scibe, im iobe ©ott ^urücfgegeben Wirb, ift ber baS
Slfl burd)Wa!tenbe fd)öbferifcb,e ©ottesobcm. 2{ber fd)Werlid; bed't biefeS Sud) bie geit=
genöffifd)en ©efamtanfci^auungen eines SolIeS, in Welchem bie Srobl)etie unb 2tbo!aI^btif
bon §ofea bis ©aniel baS ^enfeitSibeal entWicfelt l)at. 3)tit bem SReffiaSbilbe gewann
40 aud) bie ^enfeitsfjoffnung feftere llmriffe ; freilid) nicf)t olme mfytfyologifcfye Slnfä^e ju be=
günftigen,j. S. bie Ülaffifijierung ber ©ngel (®a 10, 13; 12, 1 ff. 8, 16; 9, 21; 10,
13. 21). Über ben 3ufmrimOTfycmg biefer 'nad)ejilifcb,en 2(uferftel)ungSlel)re mit ber alt=
berfifcb,en Religion ift baS 3)unfel nod) nid^t böllig gelichtet (bgl. Wlmftl ©. 238—244;
©bieget, ©tub. üb. b. gwtaüefta [II. 3ur berfifdien @Sd)atologie] ; 21. ®ob,ut, Qübtfd^e
■15 Slngelologie u. ©ämonologie in it;rer Slbl). bom SarfiSmuS, 1866 ; 3i5aS f)at bie tal=
mubifd)e ©Sdjatotogte auS b. Sm^uS aufgenommen? 3bm© XXI, 1867, ©. 552 ff.;
$übfd>mann, ©ie berftfd)e £eb,re b. ^enfettö u. jüngften ©erid)t, %px%fy 1879; Södlin,
ScrWanbtfd). b. jüb.=d;riftl. mit b. berfifdjen ©Scljatologie; @. ©tabe, ©influ^ beS SarfiSmuS
auf baS :3ubentum, 1898). ©ie trefflicften arbeiten bon §übfcr/mann, 2öünfd;e (f. 0.)
50 unb S. ©röbler (©ie 3lnfid)ten über Unfterbticl)!eit unb Sluferfteftung in ber jüb. Sitt.
ber beiben legten Qafirf). bor 6tir., "ilb,©m 1879, ©. 651 ff.) geben einen umfaffenben
©inblid' a) in bie berfifd}e, b) in bie bord)riftlid)=iübifd)er (abofrfybfyifcfye unb bfeubebigra=
bf)ifdie), c) in bie talmub. Unfterblid)feitSlef)re. ©ie älfynlicbjetten finb auffallenb, ber
t)iftorifd)e ^ufammenfyang ntcr)t fidler, ^o^ut meint, ber SarfiSmuS ^abz meb,r bom
55 ^ubentum entlehnt, als umgelegt; ju erfterem gehöre bie Se^re bon ben 7 Sarabiefen
unb ber §btle, ferner bafe „am @nbe ber 2öelt bor bem Eintreffen beS §eiterS fd)Were
Slagen eintreten Werben; ya. le|terem bie anftö^igen Sartien, berentWegen fdion 3)(ai=
monibeS gegen einzelne ^almubiften botemifierte, 5. S. „bie für bie frommen beftimmten
fetten 9JtabIäeiten" ©ie ©elbftftänbigleit jübifd)en ©cnlenS erb,eße aus ©teilen beS fyag=
60 gabifd; en ieilS beS Salmub unb SJJibrafd), wie : ,,©ie SBeifen b, aben feine 9M;e t;ier
Unftevblicrjfeit 285
Wie bort, ba fie bon ©eifteäentwidelung 31t ©eiftc^cntwidclung fdjreiten" ,,^n ber ju=
fünftigen &>elt firtbet fein ©ffen, lein £rinfcn ftatt; bielmebj erfreuen fidb, bie frommen
am Sicfytglans ber göttlichen 9}jajeftät" „2lIIe t^raelttifc^en ^ro_bf)eten iueisfagten blofj
bon ber ge-it ber ©rlöfung; ba§ eigentliche Senfetts aber b,at fein Stuge erfdjaut aufjer
©ott" (23erad;ot 34b). ©oweit £t"oI)ut. ^fyatfädjlid) liegen au3 bem bordjriftlidjen ^ubentum -,
£cnfmäler einer breifacfyen Stellung jur Unfterblicfyfeitgleljire bor, ungefähr entfbred;enb
ben Slnfcbauungen ber ^^arifäer, ©abbucäer, ©ffäer; aber nur bie banielifcf^bttarifäifdje
fann alö Sluäbrud ber fyerrfcijenben iSraclitifdjen grbmmigfett gelten, ©in Ergebnis biefer
©nttoidelungSlinte ift ba§ 2. SJiaffabäerbud), tt>o ber ©taube an bie Sluferftetmng alter
Israeliten aU moralifcfye ^ßflid^t angefefjen Wirb (12, 43—45) : gerabe Weil ber STob 10
Strafe für bie ©ünbe ift (7, 18. 32. 38) unb tfyatfäcfylicf; alle, bie ©uten Wie bie Söfen,
fterben, fo Wirb ©ott bie Seiber ber frommen auferWeden. Wod) in biefem Sud) (um
100 b. S^r.'C) ift bie Reinigung ber grebler faum ein -Jiebenmotto ber 3luferftel)ungg=
ertoartung (7, 17 ff. 33. 31 ff.); hingegen fdjeint biefe Sorftellung fcfyon im ^xtbit^ (2. 3ab/r=
^unbert b. Chr.?) al§ ^rtftallifation geläufiger 9iebeWeife ausgeprägt ju fein (16, 20f. 15
nad) Qef 66, 24); im 4. @§ra (unter ©omitian) tritt fie ftarf l)erbor. 2öäl)renb nun
im Sarud), ©iracb,, S£obit, 1. SDtaf feine 2tbWeid)ungen bon ber älteren mofaifdjen ©dieoI=
lettre borliegen, fo ift bie Qenfeiistwffnung ber brobfyetifd^abofalr/btifdjen 3lid}tung in
eingelnen ^ßfeubebigrabfyen (£>enod;, ^ßfalmen ©alomoS, 4. (&$va, Slbof. Sarucb,) weiter
aulgeftaltet Worben. Von ben djronologifd) getrennten ©rubben ber §enod)Wei§fagungen 20
Iefyrt nur c. 37—71 (bor 64 b. 6b,r.) eine fdrtecfyttnn allgemeine Sluferftetmng, Wäfyrenb
bie älteren capp. 1—36 unb 72 — 105 (um 110 b. @I)r.) ebenfo Wie bie ^falmen ©a=
lomo§ (um 60 b. (5l)r.) nur eine äluferftetmng ber frommen ermähnen; hingegen lefyrt
ba3 2. -IMfabäerbucr) im SDanieljcf) en ©inne bie Stuferfteb, ung aller Jjsweliten, ber SSöfen
toie ber ©uten (6, 26; 7, 4. 14; bgl. 11, 29; 14, 37 ff.). £>a3 ©ejamtergebniS au§ ber 25
abofrt/btnfcfyen unb bfeubebigrabtnfct/en Sitteratur ift bie fucceffibe 2lu§bilbung ber Sel;re
bon einer allgemeinen unb f onfreten Stuferftel)ung : ein felbftbeWujjteS Seben im $W ifd)en=
juftanb, ein feligeS im lichten ^ßarabiefe, ein unfeligeS im finftern §abe§; 2öieberfeb,en
nad) bem SEobe unb ©emeinfd;aft mit ben frommen aller Reiten. 2lu§erWär)Ite fromme,
tüte §enod) unb @Iia§, genießen fdwn bor bem ©erid)i§tage bolllommene ©otte<?gemein= 30
fcfyaft, anbere geringere ©rabe beWufjten ®afein§; bem ©ericfyt gefyt eine allgemeine 2luf=
erftefyung boran; e3 enbigt mit ber Vernietung ber ©ottlofen; bie Vergeltung Wirb
ftnnlid) gebadet. 3)a§ SBieberbelebiWerben Wie ba§ ©eridit ift unentrinnbar (£>enocr) 61, 5).
Sie StuSbrüde „eWige3 Seben", „5ßarabie§", „2tuferftel)ung", „35er!Iärung" fangen an,
ftcb, aU fefte Segriffe au3 ber §ülle bilblid;er ©inlleibung^form §u löfen. ©djarf beftimm= 35
Bare 2Benbebun!te in biefem ^roje^ treten nid)t b,erbor. SBie ba§ Silb be'§ meffianifcb,en
9teitt)eg übertäubt, fo fdntlert junäd;ft and) bie 2luferfteb,ung§ibee jWifd;en $Dieöfeit§ unb
^enfeitö, blö|lid}er ©otteätljat unb allmäl)licb,er ©ntwidelung. $n ben ^ßfalmen ©alom.
bräbaliert nod) bie bilblicb;e SebeWeife : bie ©elig!eit ift nid)t berfd;ieben bor unb nad) ber
2luferftel)ung, bie^eiligen finb felbft ba^^arabieg unb ba§ ewige Seben, fogar bie ,„3luf= 40
erfteb,ung" fann al§ QWzvhd gefaxt Werben (14, 6 unb 3, 16, v 5 v. 19). 3tfmlid)
berfd[)toommen bie (alejanbrinifdie) jübifd£>e ©ibr/tle (b. Qfyx.) unb bie (baläftin.=bl>arif.)
Jubiläen (1. ^al)rt>. n. SI)r.). 2lnber§ unb beftimmter im §enocb,bud). 'Jlad) bem mitt=
leren §enocb, ift ba§ ^ßarabieä (im Dften jWifd)en §immel unb @rbe) ©ammelort aller
Seligen (61, 12), nad) ben anberen Slbfdjnitten nur für §enocb, unb @lia§ beftimmt. 45
2er §abe<§ liegt im Söeften. SSon einer Serflärung rebet erft ber noad)itifa)e ,3ufa^
cp. 108. yiad) ber jübifd}en 2lbofalt)bfe @gra§ (4. @^ra) giebt e§ für einige ein birefteg
hinübergehen au§ biefem Seben in jene§ erwartete : fo neben £enod) unb (Slia SCRofe, @§ra
unb ber SReffiaS. Sludj fonft erfd)eint ber Übergang in§ Q«nfeilg unbermittelt. 7 läge
toirb bie ßrbe menfdjenleer fein, bann finbet Sluferftef)ung, ©erid;t, Serbammni^ ber 50
SKel^rjal)! ftatt, unter 2lu3fd)Iuf; aller ^ürbitte ; bem Drt ber 9?uf>e, ba bie ©eligen 7fad)e
S«ube genießen, fteb,t gegenüber ber Drt ber 7facb,en Dual für bie anberen. ^m ganzen
entfbrid)t bieg ber bf)arifäifd)en 2tnfid;t. ®ie ©abbucäer leugneten bie 2luferfteb,ung unb
and] bie ©auer ber ©eele im bfyarifäifcfyen ©inne, b. b,. in Serbinbung mit einem Setbc
{owarpaviZu nad) Jos. Ant. XVIII, 1, 4; bgl. Bell. Jud. II, 12; Tic 12,18; 2t© ss
23, 8), barum aber nidjt gerabe bie ®auer fdE)led£)t^m, bie fie bie(leicb,t nur broblematifd»
beliehen (Wie Äotieletb,) ober ignorierten (bgl. 2öünfd)e ©. 370). 2ludj bie talmubifcbe
Sefire unterfcb,eibet bie blofee gortejiftenj ber ©eele bon bem Söunber ber 3luferftel»ung,
toelcb,e Seib unb ©eele Wieberum bauernb bereinige, unb jWar buret) eine ©otteötljat, bie
ttidjt minber unbegreifltd) fei alö bie ßeugung unb bie @ntfteb,ung beS ^iegenö (2Bünfd;c m
286 ttnfterblidjfett
a. a. D. ©. 374. 377). ®ie ©ffäer fcf/einen eine natürliche ©eelenunfterblicfyfeit gelehrt
ju I)aben {a&avaxiQovoi rag ipvydg, Jos. Ant. XVIII, 1, 5; Bell. jud. II, 18, 11;
bgl. 3Jit 10, 28). Slucb, ^3fyiIo Inelt bie ©eele für roefentlicb, unbergänglicb, unb nur jeit=
weife in ben Werfer (©arg, ©rube) be§ £eibe§ eingefcfyloffen. SDurcb, fbiritualiftifer/e $fr/cfyo=
5 logie unterfct)etbet fieb, bie aleranbrinifcfye (Sgcfyatologie bon ber bb^rtfäifcb^baläftinenftfclett ;
fo im bfeubofalomonifcfyen SCöet§^ett§buc^e (jWifcfyen 150 unb 50 b. 6b,r.), welches bie
natürliche llnfterblicbjeit, big jur Stnbeutung einer ^räerjftenj (8, 19 f.), mit ber bfyarif.
Hoffnung auf eine mit Söieberbelebung unb ©nbgericfyt berbunbene ^eugeftaltung ber
2)inge lombiniert. ®er %ob ift $o!ge ber ©ünbe, bureb, be§ SEeufefö 9ieib entftanben,
10 bem -Dienfctjen an fiel) unnatürlich ; Wer aber fromm unb gerecht, bem ift er (&abt ©otte3
unb ein ©lücf. SDenn ber ©eftorbene feb/rt ju feiner Wahren ©jiftenjform jurücl; ein
„^arabojon" boH^te^t fiefy (5,2): nur bie äcpgoveg meinten, be§ %obe3 ©cfyrecfen feien
mer)r al§ bloßer Schein (3, 2), Wäfyrenb bod) ba§ ©terben ein Übergeben in ,,©otte§
§anb", in bie siQrjvrj ber Wafyrljiaften, forberlofen ©rjftenj ift (4, 7). S'Jacb, talmubifdjer
15 Slnftdjt fyabm bie 3lbgefd)iebenen fcfyon bor bem ©nbgericfjt bon ben Vorgängen auf
(Srben Kenntnis; unb aucfynacf; bem©erid)t unb buref; balfelbe bleibt für eine klaffe ber
©eridjrteien ein ßtoifcfyenjuftanb mit Gelegenheit jur Sefferung unb Säuterung (9teini=
gungSfeuer nad) ©ad) 13, 9; bgl. 1 ©a 2, 6); bie erfte klaffe bilben (nacb, ©c^ammai)
bie bolKommenen frommen, meiere nie fünbigten (nidjt blofj im ©inne bon ©i 49, 5)
20 unb in3 Seben^bucb, berftegelt werben, toäfirenb bie brüte ©rubbe, bie bollenbeten grebler,
in ba§ 93uct) ber 33erbammni3 eingezeichnet unb bem Ort ber Qual, ber ©efyenna, über=
liefert werben (Söünfcfye ©. 377—381; 2t. ©ber^eim, Life and time of Jesus the
Messiah, 1884, II, 792). 21u§füf>rlicr;er (al§ Söünfdje) fyanbelt über ben Unterfcfyieb
§totfc^en ber Seigre §ülel3 bon ber ©d)ammate @ber§t>eim II, 791—796, On eternal
25 punishment, aecording to the rabbis and the new Testament). Slucfj bie ©djule
§iHeIs>, obwohl fie bie Qafyl ber abfolut Verworfenen emfdjränne, lehrte bodj, baf$ bie
©eelen ber ferneren ©ünber unter ben ^graeliten unb ©ojim nad) ^monatlicher Dual im
©ef)innom burdj) $euer bemicfyiet, il)re Selber bon ben ©ered)ten gu ©taub gertreten
»erben (bgl. 2Ral 4, 3) unb aud) bie begnabigten klaffen ber Übertreter werben bort geftraft
30 unb §War einftWeilen „bon ©Wigfeit ju dtoigfeit" — ^n ben nacfycfmfilidjen Qab,r=
t/unberten fdjiWanft bie borfyerrfctjenbe SDoftrm jwifcfyen 1. ©roigleit ber §ößenftrafen,
2. abfoluter Vernichtung (a) äußere, b) innere Verbrennung). 3. 2lnfä|en jur Sefyre bon
ber SBieberbrtngung unb 4. 2lnfäi$en jur Sefyre bon einer allmählichen, ftufenmeifen Säute=
rung, Umfcb^meljung, SSerflärung. 3U Sefu 3e't h)ar bk bor^errfc^enbe 3lnficb,t ber
35 „Stoigleit ber ©trafen" jugeneigl ; aueb, b,at 3eTu^ berfelben nid^t toiberfbroc^en, Worauf
noeb, nicfyt folgt, bafe er fieb, nieb, t in brinjibieller ©ifferenj mit einzelnen §aubtbunften ge=
roufet fyabt (f. III; gegen (Sber^eim ©. 792. 796).
Sitte ratur: 1. $ur Orientierung: ®ie gefd)id?tlicf)en SBerfe über bie DMtcuon 3§rael8,
6ef. (aufeer ©ut^e, Stabe unb ^olgmann) sFcarti (1897) unb SSubbe (1900); ferner «Robertfon
40 ©mitö, Religion ber Semiten (beutfd) 1899); Üf)ei)ne, -Die ^Religion be§ nad)ej;ilifd)en ^uben=
tumS (beutfd) 1898); §erm. <Zd)uVa, SUtteft. Geologie, 2, 1878, ©. 345 ff. 653 ff. 807 ff.
S>orait3fe£ungen ber ctjrtftt. Se()re ö. b. Unfterbltd)feit, 1861, bef. IV, § 8—14, @. 206 ff.;
©rünetfen, <Set)roa(Tt), ®ünfcb,e a. a. 0. 2. ©pe^ieüeS : M'öfttin, De immortalitatis spe, quae
in libro Jobe app. die, 1S46; iRebSlob, ®er ©runbcf)ara!ter ber ©dieol bei ben Hebräern,
45 3(genä ffiZfy VIII, 1838; Crtel, §abe§ (ei-eget.=bogntat.), 1863; 91. SSafjI, Unfterblid)feit§=
unb SSergettungäte^re beä altteft. §eßi'aigmu§, 1871; Sibber, lieber SoljeletS Stellung jum
ltnfterblid)feit§glauben, 1875. 3. l»lu§ ber älteren Sitteratur: Dealer, Veteris Test, seritentia
de rebus post mortem tut., 1846; .'parm, De spe immort. sub veteri Test, gradatim exculta,
1845; S3öttd)er, De inferis rebusque post mortem futuris, I, 1, 1846.
50 III. £>a§ 9ceue ^eftament. — 3n i3en ^ambf jroifcb/en fabbucäifcb,er Negation unb
b^arifäifcb.er ©gd^atologie greift ^efu^ ^ie ^3aulu§ ju ©unften ber lederen ein (3)ct 22,
23 ff.; 31© 23, 6 ff.), ^n bem entfebetbenben äßort gefit 3Rt 22, 32 roirb bie religiöfe
Sebeutung ber Unfterblicb.leitöle^re bureb, birefte 83e^ier;ung auf ba$ ©otteS&etoufjtfem be=
Iräftigt unb bertieft. ®er ©eeten^uftanb, roelcb/er bem @rtbgertct)t folgen wirb, richtet fieb,
55 nacb, bem et^ifcfjen Unterfcfiiebe grotfeben ©erecf;ten unb Ungerechten ; ber letzteren b,arrt
etbige xoXaois, jener einige 'Qoiiq (3)tt 25, 46). £)er Segriff 'Cool] alwviog fluktuiert
jroifcb^en „everlasting" unb „eternal" b. b,. ber ejtenfiben ©nblofigfeit eine§ glücffeligen
SDafeinä in einem jenfeitigen fortleben unb ber bergeiftigten ©jiftenjform einer imma=
nenten ©eligfeit, beren Qntenfität jebeg 93eben!en§ über baö geitlid^ünftige überbebt Qo
60 5, 24). SDafs ber Segriff Qcor) aicbvtog im ©inne be3 4. ©bangeliumS aueb, bem ©eift
ber frmobtifcfyen ©leicljniffe nic|tt fremb ift, folgt fdjon au$ folgen SluSfbrücb.en, roie 3JJt
Uttfterblic^ett 287
22, 32; 9)cc 12, 29 ff.; in ifmen fbricfyt fid; ba£ @rr/abenfein über bie blof? embiriftifcfycn
©lauben3= unb ^offnungSibeale au3. SDaju fitmmt bie ©egenfäl$lid;feit, mit Welcher
^efuö ben Vr)artfäem begegnet. ®ie QenfettSlefyre ber Vfyarifäer, fo reifer Silberfülle fie
fid) bebiente unb fo unlösbare ^ontrafte bie Wörtliche äluffafjung barbot, War beS Unter=
jcfuebeS jWifd;en 33ilb unb %b?e fid; nid;t betonet; bie §eiföi)offnung berfd)mol3 entWeber 5
($f. ©alom.) mit bem 3teij ber SDicfytung, ober fie lüfte au<§ biefer Ira^-fitw^^e $u=
hmftögebanfen au§ (tüte in ber ©diwle ©cfyammaig), unb ber Vb,arifäi!?mu$> blieb be<SI;alb
ungeeignet, bie 33oIf3gemeinbe Jlar über ba3 ju orientieren, totö im Qwfeitö tf)rer fyarre.
2)arum unterfcfyetbet fid; ^efu Qenfettötbeal bon bem tor/arif. ä) burd; bie Vergeiftigung
unb (ftlnfierung be€ Sluferftefyung^Wed'eS unb bemgemäJ3 aud; ber SRittel (9ERt 16, 25 f.); 10
b) burd) bie bemühte llnterfd)eibung gtütfc^en bilblicfyer ©infleibung unb intelligiblem
©etyalt (bgl. 3JZt 11, 14 f. mit 13, 9—13); baju lommt c) ein §inauSgeI;en über bie
ccfyranfen ber Volfögemeinbe ^u einem bie 9)lenfd)^eit umfbannenben ^beal (9Jct 8, 11;
21,13; 21, 31 ff.), moburd) aud; baS tranfcenbente gufunffcSbilb ein uniberfalereS ©e=
präge erhält: an bie ©teile be§ fummarifd;=^eremptorifd;en ©ertd)t§ ber frommen Q^aelitcn 15
über bie Reiben tritt ber moiibierte llrteilSfbrud; be§ 5ftenfd;enfol;ne3 auf ©runb be3
berantWortlicfyen ©elbftjeugniffeö ber Slngellagten (25, 31—46; 12, 37; bgl. %o 12, 47 f.).
■lieben biefer etl)ifd;en Vertiefung unb bogmatifcfyen Klärung finben fid; 3ln!länge an bie
^bee einer $Retembfr>d;ofe (9Jct 11, 14; 17, 12). SDte Sefyre bon ber Reinfarnation
früherer $robr)eten alö §ero!be ber meffianifd;en (Snbjeit mar aßmäfylid; fo tief in bas 20
Solfgbetoufetfein eingewurzelt, bafs felbft §erobe§ 2lntiba<§ bie ^bentität $efu mit bem
bon iltm ermorbeten Stäufer für möglid; r/ielt (14, 2; Sc 9, 7—9). ©eele unb Seib Werben
fct)arf unterfdneben (9Jct 10, 28), aber fo, bafj über ber natürlichen 33ergänglid)leit be3
Leibes unb ber Unbergänglicfyfeit ber ©eele als f)öberes> ber 2lllmad;t3Wille ©otte§ ftel)t.
las SBort an ben ©d;äd;er bon ber VarabtefeSau§fid;t (aijjueQov Sc 23, 43), bie ©d;il= 25
berung be§ @nbgericf/t3 unb bie Enfbielung auf bie beborftefyenbe 2lufrid;tung be§ 9JceffiaS=
reid)e<o (9Jit 16, 27) finb bieHeicfjt äfmlicf; Wie ba£ £abeSgletd;rti<§ Sc 16 bilbüd; ju berftel)en.
Sin neuer gaJtor, burd; ben bie IJenfeit^offnung beftimmt Würbe, War ber ©laube an
bie fafttfdje 2luferftel)ung Gi)rifti. 2lber bie Reflexionen, Welche fid; im 4. ©bangelium
an bie Terminologie ävdoraoig, Ccorj, iyeiQeo'&ai Inübfen, Wiberfbred)en bem bon $efu§ 30
gegebenen ^beengel;alt nicfyt, unb aud) bei $auluö finb eS nur Vfyantafie unb Reflexion,
toeld;e ba§ fonft ibentifdie ^enfeit^ibeal um mehrere güge bereichern. 2lud) bei t^m
toedjfelt ber 2öieberbelebungögeban!e 1 ito 15,20 balb mit ber ^bee eine§ einfachen Über=
gang3 in ba§ ^enfeit§ $b,i 1, 23, balb mit ber beftimmten SSorfteßung eine<§ 23erWanbeIt=
toerbeng 1 ^0 15, 51. 2lber ob ber erneuerte, berÜärte, geiftige 9Jcenfd;, Welcher tro| ber 35
SSertoefung feiner äufeerlid;en §üHe feiig in ba§ ^enfeitg hinübergeht, im ©inne ^auli
richtiger begetcr;net Werbe als Wafyrfyafte 9catur unb eigentlid;eg ©elbft (2 ^0 4, 16), al§
neue ^flangung über ben Krümmern be§ alten 3Jcenid)en (1 $0 15, 35—55) ober (bgl.
M 11) al§ ein ^Pfrobfret§ an biefem le|teren: biefe grage ift ebenfoWenig beantwortbar
toie jene, ob ba3 „hinübergehen" ber ©eele, um „bal)eim ju fein bei bem §errn" (2 $0 40
5, 8), ein §inüberfd)lummern, ein §inüberträumen ober ein Wacfyes? (Singe^en in bie
anbere ©eingfbb,äre fei (bgl. Iner^u 2BeijeI, Urd;riftl. Unfterbli^feitgle^re, ^©tÄ 1836;
©tähelin, %b%t) 1871; Üöftlin, ebenbaf. 1877). £>en ^beenlreiS geläufiger Silber, 3. 33.
bon bem „33ud; beä Sebenö" (tyfy 4, 3), bem ,,©tad;el be§ %ob&' unb feinem „(Sin=
gefa;lürftto erben in ben ©teg" 1 ^0 15, 54 f. §at ^aulu§, Wenn aud; bieHeid)t nief/t mit 45
eigenen ^ut^aten, fo bod; mit eigentümlichen ©Wattierungen bereichert, bie im ^ontegt
ber ©efamtbarfteHung ju bem SebenöWa^rften unb ©rgreifenbften pb,Ien, toaä je gefbrod;en
toorben: fo ba§ 33ilb be§ ©efäetwerbenö in ©c^Wadjljeit unb t)ürftig!eit unb be3 3luf=
geM in ßraft unb ©lang (bgl. S. Sanhedrin fol. 90b, nad; 3Bünfd;e a.a.£.©. 368),
— be3 ÜberlleibetWerbenS mit neuer Seb,aufung, ber aEmad;töWeifen Serl'lärung beä 50
^'etbe§, beS blö^Iid;en SerWanbeltWerbenS nad; bem Klange ber ^ßofaune, beä @ntrüdt=
teerbeng in be§ §immelS Söollen. — 2lud; ift jWeifeßog, bafj ^5. feine 33ilber teilWeife
in ftrengerem, bem bb,arifäifd;en Realismus fid; när/ernbem ©inne gefaxt Wiffcn Will.
316er e§ Wäre berfeb.It, Wollte man au§ bem (med;anifd;en) 33ilbe ber grabueüen §eHig=
teitsbifferen^ ber ©eftirne 1 $0 15, 41 fcfyliefcen, bafj ^. ben 2luferftef>ung3leib al§ ein 55
nid)t fbesififd; berfd;iebene§, fonbern blofe in fetner Vitalität gefteigerteS Slnalogon beö
itbifd;en Seibeö angefeb,en Wiffen Wolle; ober au§ bem (organifd;en) 33ilbe be£ 2ßcijen=
(orne§ 33. 37, ba£ er ben 2tuferftef)ung§leib nid)t als ein neugefd;affene<§ 3)ublilat beu
bertoefenben SeibeS, fonbern als bie naturgefe^mäfsig au§ jenem l)erbDrIcimenbe ©elbft=
erneuerung gebacf)t Ijabe. — ®ie neuteftamentlid)c Unfterblid;leitglcfnc liegt biesfeitS fold'er 60
288 ltnflerbIicf)fGtt
WeitauSfct)auenben SegriptTaffifijierung, unb foWeii Paulus 2tbgren$ungen giebi, fyat er
ftd) gelegentlich berieb, tigt (2 0# 2, 2 f., bgl. 1 £f) 4, 15 f.; 1 Sb 15, 51). ®er nämlichen
©cbjanfe bilblicf/er SluSbrucifö Weife ift baS eSd)atologifdj)e 33ucr) x. £., bie an blaftifdjien Silbern
reiche %ofy.MpoMyip\t unterworfen, ©ie ftellt a) ein mef)r als taufenb ^jar/re WäfyrenbeS
5 SluSrulien ber 9Jle$rjafyl ber ©eligen bon aller ^^ättgleit 14, 13 bis jur Reiten 3luf=
erfteljmng 20, 5 ff., bon bem nur Wenige aufgenommen finb SS. 4, wäb/renb einzelne einer
nocb, früheren 9BieberbeIebung 11,11 entgegeneilen, b) bie unmittelbar beborfteb)enbe 33er=
Wirfltdjmng ber enbgiltigen Sefeligung für alle frommen £>ulber (bgl. 3, 11—21 mit
12, 10—12) unvermittelt nebenemanber. $e ^eiliger unb ernfter l)ier bie 23eranfcr)au=
10 Hebungen für baS lünftige Seben geftaltet finb, um fo weniger eignet fieb) foleb, Silben
fdjmuct ju gacf)Werfen für logifcfye Klaf fifijierung ; bielmel)r entfbriclSt eS bem @rfenntnis=
%toed biefer guiunftsbilber, wenn fie als poetifcfyer Slbbruc? ^eiligen ©mbfinbenS Wieberum
baju berWenbet Werben, ben 'Xiefgefyalt ber geweiften -Webe $u Würben. SDer bogmatifcr)e
SBert ber abofal. tfnfterblicb/feitslebre liegt in bem (bureb) eine möglicf)ft getreue, b. I).
15 gefdjiicfefreie Überfettung Wieberjugebenben) ©efamtcfyarafter ber ©arftellung, Welche ben
^öfyebunfo beS ©mfteS cb,riftlic^er 3uft*nftSt)offnung lebenswahr auSftoricr/t. ©elbft bie
finterf djeibung ber erften unb ^Weiten 2tuferftet)ung c. 20, beS erften unb ^Wetten SEobeS
2, 11; 20, 14, foWie ^Wifcfyen ber jeitlic^en ^errfcfyaft ber auferWecften 9Jfärtr/rer auf
©rben (ßfnliaSmuS) unb bem jenfeitigen unbergänglicfyen Seben — änbert an biefer Seur=
20 teilung nichts. — ©oWeit jene Unterfdjeibungen nicfyt fliejjenbe Silber finb, fonbern, Wie
20, 3—7, auf auSbrücflicf)er geitbifferenjiierung berufen, b/aben fie ib,r Sßorbilb, ja ifjren
Urfbrung in ben borcfyriftlicrjen 9JcefftaSerWartungen (SDaniel, ©ibt;Ue, ^enoeb, ; bgl. 4. @Sra
unb Sarucb,), Wo ebenfalls naefy 6pod)en unterfcljieben Wirb; baS (tfyriftticb^jtbofalr/btifdjie
liegt aufterfwlb jener jeitlic^en Seredmung, beren Söert nur arcfyäologifcfyeS unb Mtur=
25 f>iftorifcr)eS Qntereffe b,at. gliefsenb finb auet) bie Sorftellungen „Stuferftefwng ber ©e=
regten" Sc 14, 14 unb 2luferfter/ung ber ©uten jum Seben, ber Söfen jum ©ertd^t, SJtt
25,46; %o 5, 29; baS Serb/ältniS bon £abeS unb ©eb/enna 3Jtt 11, 23; 3Hc 9, 43.
ginfterniS 9Jtat 8, 12 unb geuerb, olle 13, 42 ; 5, 22. ©iefer Wecb/felnben StuSbrucfStoeife
Würbe man mcf>t geregt, Wollte man barüber enifd)eiben, ob &\u$ oag ^acfyleben ber
30 SerbammungSWürbigen Weniger förberfyaft aufgefaßt Wiffen Wolle als baS ber engel=
gleichen ©eligen: ein fcfyarfer Segriff eines nicrjtiorberb/aften SebenS liegt ber urcfyriftliclen
SlnfdjauungSWeife fern. $m ganjen ift bie 35erfd£>tebertE>ett in ben Unfterblicf/feitSibeen ber
einzelnen Seb/rtroben beS 91%$ berfcf/Winbenb gegenüber ber ^bentität. S)ie mannigfachen
Silbformen, in benen bie gufunftSfyoffnung realifttfef) ausgemalt Wirb, Werben faft burcb,=
35 gängig in berfelben Söeifc auefy auf bie geiftig=fittlicb,e ?Jeufd)öj5fung, Wie fie fdjon in
biefer Söelt »oUjogen Werben foll, angeWenbet: nahyyevsoia, xatvi] xxLois, äväoraoig,
'QcüOJioirjaig, ivdvoaofiai, öioQ&tooig, ävaveovofiat, av^dveiv, nh]Qovo$ai, dot;䣣-
o§ai. 33gl. 9Jit 19, 28 unb 31© 3, 21 mit TA 3, 5; ferner 2 %t 3, 13 unb Styl 21, 1
mit @pb, 4, 24; 2 £o 5, 17; fobann 1 l^o 15, 21 mit M 2, 12 f. S^ö 6, 4f.; aueb, 1 ^o
40 15,55 mit §br 2, 14f. Slucf) bie Silber gehören bab,in, Welche an ben gefcr/id?ilicf/en
3u!unfiSfieg beS ßf)riftentumS ober an bie fcb,on bureb, baSfelbe boEjogene ^Jeufcftööfung
anfnübfen unb bon b,ier aus (ber fog. ^Weiten ©cf)öbfung) einen SfuSblic! auf baS %m*
feitS, als britte ©cf)öbfung ^ef 65, 17; 2lbl 21, 1; 2 ^3t 3, 13, eröffnen; fo baS okyj-
rovv ©otteS in ber ^enfcl)|eit; bgl. ^ob, 1, 14 mit 3lbf 21, 3 unb beibe mit 2 lo 6, 16.
« @rfcf/eint nad) biefem SSergletct; baS „(SinWolmen ©otteS in ben ^enfe^en" (h unb /xstö.)
als ebenfo julünftig Wie gegenwärtig, Werbenb Wie feienb, tranfeenbent erwartet Wie im=
manent geworben, — als ebenfo auf bie $Weite Wie auf bie britte ©a)öbfung bejüglicb,,
fo erhellt ber bilbfjafte ßf)arafter biefer entfcfyiebenften (unb bemgemä^ jeber anbern) ^n=
^altScf)ara!teriftif beS unfterblicb,en SebenS ; jumal Wenn Wir ber altteftamentl. Seb^re bom
BoSöob.nen ©otteS unter feinem 33oIfe Se 26, 11 f. unb feinem ©efebenWerben bon ©meinen
3Ru 12, 8; ©j 24, 10, guerft 35ct 5, 8 unb Qo 1, 18, fobann 1 %i 6, 16 gegenüberftellen.
Slucf) ba§ 33ilb bon bem guten §irten unb einigen §üter ber einen ^»erbe, Welches bie
SlnWenbung auf bie 1., 2. unb 3. ©cfyöbfung juläfet, bient, Wie fdjon $f 80, im ©eutero*
jefaja, ©gefiel, ^ ©alom., fo nacb^ ber 2lnfc|auungSWeife beS 9JSIS gunäd^ft ber 33eran=
55 fcb/aulidmng ber geiftig fittlic^en Seitung, beren immanenter 2Bert aber mit bem tranfeen*
benten ^u!unftSibeal eines gotterfüllten Unfterblicr/feinS lombiniert Wirb (bgl. 3o 10, 16
mit 14, 2 ; £ebr 13, 20).
Sitteratur: ?ruBer ben „S3ibl. ^eo(." mm SBeife, 33eV)fct)fag, §ol|mtann, unb ben feijon
ertoätinten Slb^anbl., fomie ber bei Domer, ©lauben§Ie^re II, § 151 ff. unb Sfttnt, SSom 8u=
60 ftanbe nad) bem SCobe, 1878, ertuä^nten Sitteratur finb 6ead)ten§iuert: geüex, Sie Setjre be§
Unfterbltdjfeit 289
-)il 00111 Suftaube und) beut lobe, Sljeol. ftaljrb. 1847; SWolbemar Sdjmibl, De statu ani-
marum, lSül; Sßfleiberer, ^aulmtämuv I, 3 unb 7; Eetdjmann, $aulmifcf)e SJorft. üon l>tuf=
erftefjimg u. ©endtf in Sßer£). j. jiib. «botaltotottf, 1897.
VI. 23or = unb aufjercfyriftl. llnfterblid^fettälc^re. ®ie 33or[tetIung bort
ber Unbergänglid;fett rourbe bon ben $ulturbölfern bei älliertumi in mannigfacher SSeife 5
auf bie 9Kenfd)enfeeIe Belogen. Db bie Unenblid)feitSibee früf) (5R. ÜDtütter) ober fpät
fid) enttüidfelt b/at (Öubbod, Siele), unb auf roelcfyem Söege fie bem ©eifte ber Urbölfer
geläufig mürbe, fyängt bon (Sb/araiter unb ©brad)e ber einzelnen SSößer ab. Söar erft bie
2tner!ennung einer beeren fflafyt lebenbig, artete man ftaunenb auf ben Sauf ber ©e=
ftirne unb bie ^afyreijetten, fo mar bie 9flöglicb/feit gegeben, bie llnenblicPeitiibee ju 10
fonjibteren unb auf bai menfcfylicfye Seben ju übertragen: aber bieg gefcfyaf) in berfcfyie=
bener SSetfe, in ungleichem SDiafje. SDem ßfyaralter ber ^nber entfbrad) jene ^beenentmicfe=
hing mefyr ali bem ber femitifc^en SSölfer unb felbft ber Slgfybter. SDie ^öm^ter in
ifyrem weltlichen ©inn matten,, faum einen 2lnfaij über bie ©d)ranfen bei £)ieifeiti
ij'inauSguIaufdjen, roäfyrenb bie Signier, obwohl aud) ifyr ^enfeitö nur eine mumienhafte 15
gortfetjung bei bolfitümlid; befcfyränften SDieifeiti mar, bod^ bem @rnft bei Sobei unb
ber Unfterblict/ifett mel)r Rechnung trugen. 5Dic Werfer, in ifjrem ©inn für @f)re, $ambf,
Xugenb betrachteten bai irbifd)e £eben als 9JcitteI jur ©rreidmng einei fittlicfyen gmeefei,
toelcr)er über ben SLob lj>inauSreid)t unb erft im ^enfeitS ganj erfüllt toirb; bie $nber
hingegen lenften bai Sluge bei ©eiftei bon bem ©djeinbafein biefer 2öelt ijunweg auf 20
bai toafyre, nicfyt rorberfyafte, nicfyt enblicfye, fonbern roanbelloje ©ein, bem gegenüber biefe
irbtfcfye geitmtrflicftfeit mit ifyrem SBecfyfel unb ib/rer 23ergänglid)feit nur ein Sraum ift.
■Kefyr realiftifd» backten über bai 23erl)ältnig bon ßeit unb ©roigfeit bie 33011er bei
2lbenblanbei: ©rieben, Römer, ©ermanen; aber fie gaben ben ©öttern, mai ber ©ötter
ift, unb ber reiche $rang ifyrer 9Jlr/tI)en barg b)unbertfacfye 2tfmungen unb Slnfbielungen 25
auf bie SJtöglidjteit einer anberen SlnfdjauungSmeife, tbonacfy ber mal)re groed bei Sebeni
nid)t bem ©ieifeiti angehört, ©anj ablefmenb jum UnfterblicfyteitSglauben behält fid?
aud) bie altcfymefifcfye Reicfyireligion nid)t, obwohl (Songfutfe, ber bietätibotle Reformator
biefer Religion, ftd) ftets weigerte, über bas> ©c^idfal ber ©eelen nad) bem SEobe ein be=
ftimmte§ Urteil ^u fällen. ®ie ältefte 3Inficb^t feb^eint getoefen ju fein, ba^ bon ben ^mei 30
Seelen, bie jeber 9Jlenfd) b^at, eine in bie @rbe, bie anbere in ben §immel toanbert. Die
©eelen ber 3Sorfab;ren backte man beim Dbfer anmefenb. hingegen leb^rt ber SEaoteling
bei Saotfe eine überzeitliche ©eingform, welche bem göttlichen ^rinjib (Tao = Söeg,
2Bort, Xoyog) unb bem „fy. 9JJenfd;en" gulommt. („®er fy. 3Jienfc§ bauert mie §immel
unb @rbe ; mie biefe lebt er nic^t fidj) felbft. SßetI er nidjt§ ©elbftifdb, e§ §at, fo tann er 35
fein ©elbft boEenben".) Sgl. SStct. b. ©traufc, Saotfeg ^aotefing, I, 6. 7 21; Wr
maier, ©ie ^aoleb^re bon ben roafyren 3Jfenfd)en unb ben llnfterblid)en (©2Ö31 63 u. 64).
— ®ie altägt)btifd»e Unfterblicb^feit§le§re grünbet fid) auf ben ^ainüf be§ ©onnenlicfjtg
mit ber ginfternis unb ben ©ieg be<§ erfteren. JDftriS, bom Sruber ©et getötet, mirb bon
Öorol, feinem ©ob^n gerächt unb lebt im ^otenreieb^ fort roie fein ©ob^n in ber Dbernxlt. 40
Sterben ift b/ier SSerflärung ^um Siebet, nacb^bem be§ %ob?$ Dunlel übertounben. ®er
3onnenmt)tf)u§ toirb 1. mit bem SOßiebererroacfyen bei Raturleben§ fombiniert, 2. als 33ilb
bei einzelnen 9Jlenfc^enleben§ angefefyen. ®ie Sidjtfeelen nehmen teil am Kampfe unb
erfreuen fidj in iftrer 33er!Iärung ber Räb^e bei fiegreieb/en Urltd^te§. ©bäter erft tritt ber
SSergeltungigebanle, bai ^otengericb;t unb ber inbib. Unfterblicbjeit^ unb Reinfarnationi= 45
glaube in ben 33orbergrunb. an feine ©teile tritt in ber $eriobe bei einbrtngenben
MenentumS bie troftlofe ^otenflage unb baju bie Seforgnü, ber 33ergeffenl>eit ali bem
jbeiten 'Jobe ju berfatten. 2lu§ ber gab^lreicb^en Sitteratur: SR. Setofiui, SEotenbucb; ber
3leg^bter, 1842 ; Ubylemann, %)a$ SEotengeric^t b. b. alten Ig^btern, 1854 ; »rugfd?, Sie
äfflpt. ©räbermelt, 1868; Religion unb SBtyiljoI. ber alten tg^bter, 1891 ; Söiebemann, 50
Sei. b. Sieg., 1890. — gur älteren Unfterblicfytettilefyre ber femitiftt)en Söller, welche aüen
^enfet^en bai gleite 2oi bei ©ingangi in bie llntertoelt ^umiei, aber nur göttlichen
2Befen aftuelle ©eiftejiftenj jufct;rieb (jeboeb; nad) altarabifeber S^^e rub^t bie ©eele ber
Unbegrabenen ntdjt): Ärebl, £)ie Religion ber boriilamit. 2lraber, 1863; SöeHtjaufen,
Keftc arab. §eibentumi, 3. 2lufl.; @b. ©d;raber, ®ie Höllenfahrt ber Qftar, 1874; 55
£jtyert, L'immortalite de l'äme chez les Chaldeens, 1874; 21. Qeremiai, £öttc unb
i^arabiei bei b. Sabtylonicrn, 1903. Über bie an altarab. unb djriftt. Sorftellungen fid^
anlefmenbe Unfterblicbleitilebre bei ^ilam bgl. ©brenger, 3Jcof)amm. 2ebre unb Seben,
1861-1865, ßab. 6. 7. 11 ff.; Sßolff, Wut) ammeban. @icb; atologie ; 21. b. Sremer, ©efd;.
k« b^errfd)enben ^been bei ^ilam, 1868. Über bie altarifdjen Unfterblid)feitianfd)auuitgeit, w>
WeaUftncoflopnbic für Ideologie unb Sitidje. :s M. XX. 19
290 UnfterBKdjfcit
bert Unfterblicf)feitStrani (soma) unb bie ©eifterlefyre (devas, asuras), bgl. Wlaic DJlüHer,
ürfbrung unb @ntft>. ber Religion, 1880, ©.258—266; ©ffa^S, I, ©.68 ff.; 2G.©eiger,
®ie 9Jtt>tb,en bom S£ob unb bom ^enfeits bei ben ^nbogerm. (-Korb unb ©üb, 9fr. 32).
Über bie ältere bebtfcfye Sefyre, in ber $roar bie UnfterbltcttfeitSljoffnung fyerbortritt unb
5 bie SkrgeltungStbee fd£)on anflingt, bon ©eelentoanberung aber leine ©bur ift: §. ©raf$=
mann, Sfttgtoeba überfe|t, mit Irit. u. erl. Slnm., 1876, bef. II, Sieb X, 129. 118. 126;
St. Subtoig, Sie bbjlof. unb relig. Slnfcfy. ber äkba in ifyren @ntrc., 1875. ftux brat>
manifct)en äknbantalelp (SratnnanaS, UbanifcfwbS, ©ütraS), in toeldjer bie Qbeen ber
irbifd)en unb nad^ettlidjen Söiebergeburt unb ber ©eelenmanberung jum gmecf ber Säute*
10 rung, ©träfe unb (Srlöfung auSgebilbet borliegen, bgl. Soffen, Qnb. SlltertumSfunbe, 2,
1875; Söeber, £nb. ©tub. II, 206—229; Seuffen, 2)aS ©r,ftem ber Skbanta, einßomb.
ber ®ogm. be§ Srafym., 1883;„2öuttie, ©efd). beS £eibentumS, II, ©. 393 ff.; DIben*
berg, SBubbfya, 1881, ©. 44. Über ben SubbljnSmuS, im Kampfe mit bem Srafym., unb
feine meljir neutrale als abmeicfyenbe ©tellung $ur Unfterblicfyieit, „auf ber 9)tefferfd)neibe
isütotfd&en ©ein unb 3«(^t8", bgl. DIbenberg, Subbal), ©. 273ff. 291; Shuttle ©. 569;
9)1 ÜMTer, (SffatyS I, 254 (Über bie Seb. beS 9cirmäna) 277 (Über ben bubbb,. 9?if>i=
ItSmuS). Über ben ^arfiSmuS unb feine 2el)re bon ben als ©dmtjgeifter fortlebenben
©eelen (grabafdnS) unb ifyrer ^ßräerjftenji, fomie bon ben berfonifijierten Ormu^bfunltionen,
ben „^eiligen Unfterblicfyen" (amescha <jpenta) g. 33. Steinzeit, SöeiSfyeit, ameretat
20 (= „langet Seben" [®armefteter] ober „ünfterblicbjeit" [SEiele]): ©biegel, @ranifd)e
älltertumSfunbe, II, 1873; 9Jt 9JMtter, (SffabS I, 62 ff.; Siele, Godsdienst van
Zarathustra, §aarlem 1864; SDarmefteter, Haurvetät et Ameretat, ess. sur la
mythol. de l'Aveste, ^ariä 1875; ^übfdmtann, %pv%i) 1879 (fucf>t nacfejuwetfen, baf$
bie UnfterbIid)feiiS* urtb 9Bteberbr.tel)re beS SunbetSefct) in ben .öaubtbunften auf bie
25 älteren SBefianbteile beS Stbefta jurütfge^en. Av. XIX, 89 unb 92f. : „Sföemt alle Soten
auferfteb,en, Unfterblidj) alles Seben wirb, äöenn fid) nad) 2öunfa) bie SSBelt erneut k.").
20. Sranbt, ©aS ©dncffal ber ©eelen nad) bem %obe nacf) manbäifcfyen unb barfifdjen
SLtorft., ^br^b, 1892. — Über bie altgermanifcfye 2el>re: $arob ©rimm, ®eutf^e SDfytfyo*
logie, 2, 1844; 3lb. äöuttfe, ®eutfcb,er SBoIföabergL, 1860; 2B. ©d)war£, ®er gütige
so 23oIfSabergt. unb baS alte §eibentum, 1862; 3S?iertgel a.a.O. $ux gried;ifd;=römifcf)en
9Jtytl)oIogie, ber Se&re ber Drbf)iter, ^r/tfyagoreer, PatonS (im $ßI)äbon), pnbarS, ber
©totler, fomie ben eleufinifd)en 9JcbJterien: 1. ®ie größeren Söerle bon Söelcfer, greller,
©d}öman, Seob. ©cb,mtbt, unb bef. (Srrain Sio^be, $f^d)e (2. SlufL); 2. @rnft (SurtiuS,
®ie SBebeutung be§ Unfterblid;!eitSglau6cn§ bei ben ©rieben unb bem ganzen inbogcrma=
35 ntfdjen SBöIIerfreife (©eljerS 9Jlonat§bI. 1861); Xeuffel, ©ie b,omerifd)en SorfteHungen
bon ben ©öttern unb bom Seben nad) bem ^Xobe, 1848; SiägelSbad), 9Jad) tjomerifdje
Geologie be§ gried)ifd^cn S5oII§gIauben§ bis 211er.., 1857; 33Jaa^, Drbl^euS (Unter*
fud^ungen jur gried)., röm., altdjriftl. ^enfettSbicb,tung unb Sveligion); ^^iemann, Sic
j)Iatonifd)e ©Scfeatologie in ifirer genetifdjen (Sntro., 1892; SJunje, ^f^ologie beS Un=
40 fterblid)leit§glaubens, 1894, ©. 124—131; SB. 33oigt, ©efd;. ber Unfterblid}feitöibee in
ber ©toa, 1900 (bie bobbeltc ©tellung ber ©toa beruht teils auf bert jwei (Elementen
ib,rer $ft)d)ologie, bem göttlichen Urfbrung ber ©eele unb ifyrem Sieforbiertiüerben in bie
SBeltfeele bei ber Söelterneuerung mittels sxjtvqcoois [Cicero — diu mansuros esse
aiunt animos, semper, negant], teils auf inlonfequenter 2lnleb,nung an ben ^ßolU-
45 glauben; ©. 22 ff.). — Wartung, sJteIigion ber SRömer, 1836; @. ©erfjarb, ®ie Unter*
melt; ctruSl. SCotenlifte im tönigl. «Kufeum ^u Berlin (2lrd)äot. ^eitg. 1845); Silben*
fyoben, Quae fuerint Romanorum de condit. post obitum fut. op. vulg., 1855.
— 2öäb,renb bie griect).=röm. Religion auf Slnbaffung femitifd)er Slnfdjauungen an bie
arifdje Ürüberlieferung beruht, fo finb bie QenfeitSanfcb,auungen ber Ietto*flatoif<f)en, fei*
50 tifd)en, beruanifcfyen, meEifanifc^en Religionen betten ber 9IaturböIIer äb,nlid) unb roie biefe
für bie genetifd^bf^ologifdje SDarfteEung ber 9JJotibe beS Unfterblicb,!eitSglaubenS ge*
eignet (f. VII). — 3SgI. nod) Sb,r. §. 2öei|e, ©efcb,icf)te beS UnfterbIid;!eitSglaubenS unter
ben 23öl!ern beS SlltertumS, 3. f. ^t^ilof. 1836.
V. ©ie bogmatifcb, en ^b,eorien. 33ei oberflächlicher Formulierung beS Problems
55 fragt fid), 1. ob bie ©eele beS SRenfc^en unfterblicb, ober fterblict; fei. ©ine runbmeg bejalienbe
Slntmort auf biefe grage erteilen bie bogmatifdjien Slnl)änger ber meiften 9t eligionSf Aftern e
unb auf bb,ilof. 9tefIeEionSftanbbttn!t a) manche griecbifc^e $b,ilofobb,en, inSbefonbere bie
Drbb, üer, ^^t^agoreer unb einzelne ©toifer ; b) bie antt^robol. Sualiften im 2lnfcf)Iu^ an
ßartefiuS, Seibnij, Sßjolff, Äant; fo 9JtaIebrand)e, 9Jt. 9JlenbelSfot>, §.a3rougt)am (1835);
00 c) bie ^erfönlidtfeitsblnlofobfyeit, meiere, obmob^l met^r an $id)te un^> §eget als an §er=
Unftertltdjlett 291
hart anfnübfenb, im ©egenfa£ gu jenen ba§ ''Perfönlicfye aU un^erftörbare Realität be=
trauten; fo ®p. §. 3öetfee, 3. §. gid;te, ©öfcbd, ©etiler, ^ofenfranj, UM«. - 9Jcit
s)ietn ftimmen (Sbit'ur, Sucres $ombonatiu<§, ©junoga, ba3 Systeme de la nature,
£ume, SBielanb, £egel, ©cbleiermacljer, geuerbacf), SDüfyring, ©traufe, bie 9JiateriaIiften;
aucf) $lanct (SEeftament eine§ $Deutfcf)en, 1881). ©cfytoanfenb bleiben Soltaire, £a2Jiettrie, 5
$rie», ©arroin, Wlafy, Sertt-ow. ^nbeffen anfechtbar ift tuie bie ^roblemftellung, fo
biefe fummarifcbe Seanitoortung unb bie Zitierung bcr beugen. ©ct)on bafe ^laton hnrfticfy
bie Unfterblicfyleit Iel)re, bezweifelt £eict)müller. Sgl. bagegen g. Sertram, Sie Unfterb=
ItcltfeitSlebre «piatong, 3. f. Sf>iIof. 1878. gerner Ä. gr. §ermann, De partibus ani-
mae immortalibus sec. Platonem, 1850; St. Sußinger, SDeS 2triftotele§ @rr/abenfyeit 10
über allen 2)uali<§mu3 unb bie bermeintl. ©ct)mierigfeiten feiner (Betfteö= unb Unfterblicb=
fettSleljre, 1878. ©cbjottmann, Sergängl. unb Unttergänglicr/eg in ber©eele nad?2trifto=
teleS, 1873). ©ntfbrecfeen ntcbt ©cfylciermacfyerg, $. ©. %\d>k§, §egelS unb ©cfyobenfyauerS
^been über bie ©toigfeit be§ ©eifteS bem nacb, „Unfterblicfyfeit" bürftenben ©mbfinben
mebr aU bie enblofe gortbauer be3 3nbibibuum§ im ©til be§ borfanttfcben 9tationalt3= 15
mus? Äaum irgenb ein ?ßbtIofo^t; beraubtet abfolute Vernichtung (nicfyt einmal Wlaxn--
länber), unb felbft 2)emoIrit, ©birur unb ^ttrrbo laffen bie ©timme ber Hoffnung nidjt
fd)lea)ttr>eg berftummen. Umgefefyrt wirb fcfyledbtbmtge Unfierblid)feit, welche ben ©a$,
„ber 9Jcenfcb, ift fterblicb/', aufhöbe, Don niemanb behauptet. gieljit man a&er hü $been
ber 5ReubIatonifer, be<5 %of). ©c. ©rigena, 3. ©. gierte, ©Delling, St. Qfyc. %x. Traufe, %x. 20
b. Saaber, ©. %fy. getaner I)eran, fo geigt fieb, bie fummarifcfye grageftettung als bölltg
berfeljlt. ®ab,er 2. wie toirb ba§ fortleben be£ an ber SDcenfctienfeele Unbergänglicben
gebaut? ®er natürlichen Unfterbüctjfeit, welche einer anfang^lofen Sräerjftenj entfbricfyt
ober tr>enigftem§ abS Korrelat ber natürlichen Sererbbarfeit bureb, geugung (Strabucianfe
muS) gebaut wirb, ftebt gegenüber ba§ fortleben nacb, ©otteg Söillen troij natürlicher 25
©terblicfyf eit ; alfo ba<§ übernatürliche ©efc^enl einer geiftigen (ober &ugleicr) leiblichen)
Sßieberbelebung, toobei bauembeä Slb^ängigfein Don göttlict/er ©nabe borau§gefe£t toirb.
2luc6 in letzterem gälte fann ba§ ©intreten in ben guftanb ber ©eligleit entroeber für
ade (Gtybrtan) ober boc^ für bie Patriarchen, 5ßrDbb,eten, 3J(ärt^rer (^renäuS, ^ertuHian)
fogtetdb mit bem SCobe ftattftnben ; nacb, anberen Äircb^enbätern ift grotfeben 'Jiob unb 3luf= 30
ertoechmg ein ^wifcljenjuftanb an^une^men (^uftinuS, §ilariu§, Qfyx'xü. bon ällej.), ber
entteeber berfc^toinbenb !urg (§ilar. in 5Pj 65. 22 : menigftenS bie SJcärt. werben fogleicb,
ber eroigen ©eligfeit teilb^aft) ober anbauernb ift unb mä^renb beffen entweber ein ©eelen=
fcfilaf ($ft)c^Dpann^ie: §en0<^ 100, 5; 91, 10; 92, 3; bgl. ®a 12, 2. 13; 2Ibt 14, 13;
Sutber: „verisimile exceptis paucis omnes dormire insensibiles", Srief an 3lmg= 35
borf 13. ^an. 1522; (Ealbin bagegen) ober —für bie minber ©ereilen — eine Säuterung,
fei e<8 burc^ jenfeitige Reinigung (^urgatorium, gegefeuer nacb^ ©aefy 13, 9; 1 Uo 3, 13;
^ub 23), fei e§ burd) ©eelenwanberung ClRetembf^ofe, 9te!urrenjib,eorie) ober boefy
2eibe§toanblung CüJcetamorbb^ofe, Transmutation, Transformation, ÜBerHärung) ftattbaben
teirb. @ine roeitere SRannigfaltigleit ber SSorftellungen über ba§ 3enfe^ ergiebt fieb, (bei 40
§ilariu§, 2tmbrofiuS, Sluguftin, ©regor b. 5Raj., (Eb,rt)foft., §ieron.) au§ ber Kombination
bon „^arabieS" unb „älbrafjamS ©$oj$", SBieberbelebung ber©eele unb Söiebererftattung
beS SeibeS, Sßarten unb Slnfc^auen ©otteS. (Sgl. 2öünfcb,e ©. 517—523.) hieben bie
3bee ber allgemeinen Sluferfte^ung tritt bie Sorftellung einer bartießen (Srmecfung (ßftr.
§. 2Bei|e bgl. 2Bei ©al. 5, 15) ober boef) einer @infcb,ränlung ber leiblichen Erneuerung 45
auf bie frommen (2öeijj, Sibl. ^fjeol.). ^Dogmengefcr^tcbtlicb fbielt in biefe grage bie
Äontroberfe jibifc^en ben ^b^tb^artolat^ren unb 2l^btt)artobo!eten, git>tfcben ßreatianiömuS,
3;rabucianiSmu§, ©eneratianiSmuS unb ^räeEiftenjianilmuS fotoie über bie ©wigfeit ber
§öHenftrafen ein (bgl. bie „©cb,u£fct)riften" „für bie ßtbigfeit ber £>ötlenftrafen" um bie
ÜWitte be§ 18. QabjlnmbertS). ©egen bie Meinung, bafj ©ebet unb Sllmofen ben Soten 50
nü^en (2 5Rf 12, 44 f.), finb fet/on früb einzelne, wie ber 5ßreSbb,ter SleriuS in ©ebafte,
aufgetreten; feit Slnerlennung ber fiebere bom ^3urgatorium 1439 nahmen 3;otenmeffen
unb ©jequien überb,anb. Scibnij getraute fieb, rtiebt ,,^u febifören, ba| eS ntebt irgenb
ein Slnalogon gebe ^u einem $urgatorium" (Ep. 34. 37 f. an gabriciuS). ®afe ba§
t)öH. geuer ein f)r/lifc|e3 fei, galt nacb, bem geugntö be§ Sactanj unb Sluguftin als atlg. 55
^rabition, melier nur Slug., ©reg. b. 9?r/ffa unb SlmbrofiuS tniberfbrac^en (3Bünfd)e
S. 522). — 3um ©trett über ben ©eelenfcljlaf bgl. (aufeer ber bei ©biejj angef. £itte=
tatur): %\m. ©eibel (2lbt in £>alberftabt), Som ©cfjlafe ber©eele nacb, bem £obe, 1754,
Senjfr;, 2Biberlegung beS ©eelenfcblafeS, 1755; (Sb^träuä, De morte et vita aeterna,
1591.1, II, -lfi ff. — unb für bie ©celentuanberung: üeffing, @rj. beS SRenfcb, engefcb, led;tS ; w
19*
292 Itnfterblidjfcit
gerbet, ©ialog über ^3altngenefie unb ©eelenWanberung (gerftreute Slätter) ; lyof). %x.
V. 9Jiet;er, SBIätter f. I)ö^ere 2Bafyrt)., 1830, I, 244 ff.; ßfyr. gourier, Passions de l'äme.
gu bem 33eften, toa§ bie SSiffenfcfyaft für 3lufr)euung ber Slrt unb Söetfe beS geiftigen
gortbefteljienS geleiftet fyat, gehört bie ^ufawmenftellung ber lonlreten Silber, Weld)e uns
5 ben ©egenfatj §Wifd)en bem 33Ieibenben unb bem 33eränberlid)en Veranfdjiaulicfyen unb jur
^teflerjon anregen. 33gl. ©cfyovenb/auer a. a. D. ; ^3ertt>, ®ie mVftifd) en ©rfcfyeinungen in
ber menfc^I. 3tatur; ©u $rel, ^tlofovfyie ber 9Ji#il, 1884. Seliger für ba3©runb=
Problem ift bie teleologif d)e (Erörterung : 3. Wo^u bie©eWif$ett eines unVergängl, ©afeinS
notWenbig fei? a) bem inbiVibuat=eubämoniftifd)en 2Sunfd)e, baS liebe $d) ju lonfer=
in vieren, b,at ©cfyleiermacfyer (bem Söorte be3£>erm9Jtt 16, %o 12 gemäfs) ben ©a£ entgegen
gefteßt: „SSer nictyt gelernt Ijiat, mel)r ju fein als er felbft, ber Verliert Wenig, wenn er
ficr) felbft verliert" Slber bem vftycr/ifcijen SebenSburft, welker möglichenfalls egoiftifd)
ift, fielen $ur©eite b) bie ©fymvatfyien ber greunbfc^aft unb gamilienliebe, bie Hoffnung
auf SßieberVeretnigung mit ben Heimgegangenen, bie ©etmfucfyt nad) unvergänglichem ©e=
15 nuffe beS $bealen, wie eS bie Kulturarbeit ber ^enfcbJettSgefdjicf)te in Kunft, 2öiffenfd)aft,
©emeinWefen, KuliuS gefefyaffen fyat. 2luS jenem gefeiligen ©inn für felbftlofeS ©emcin=
fct/aftSleben unb auS biefer äfifyetifcfyen ©etmfucfyt nad) unvergänglicher S£eilnal)me an bem
$bealen entwickelt fid) c) ber etfyifcfye SBille, bauernb mitzuarbeiten an ber 9tealifierung
ber Qbee, unb ber ©taube an bie gtelftrebigfeit unb gWedWafyrlmt aUeS fittlid)en XfyunS
20 unb SeibenS. $Diefe Söafyrfyeit fcfyeint in grage gefteßt, falls eine 3Sernicb,tung beS etb,i=
fcfyen Kulturlebens beVorftünbe, Wo „alle lebenben unb Vernünftigen SBefen nebft alten
ib,ren Seiftungen, ben ©taatenbilbungen, ben Söerlen ber Kunft unb 2öiffenfd;aft, nid)t
blofj aus ber 2öirllid)leit föurloS VerfdjWunben fein, fonbern aud) lein SInbenlen in irgenb
einem ©eifte ^urücfgelaffen b,aben Werben, ba mit ber ©rbe natürlich aud) il)re ©efd)id)te
25 ju ©runbe geb,en mufj" (©traujs, V. §eHWalb u. a.). 33or allem nötigt d) ber ©ebanle
ber aUg. Söeltb, armonie, baS SBunber beS ©afeinS im gangen, $u ber religiofen 33eWunbe=
rung ©otteS als be§ SBeifen unb ©ütigen; foWofyl biefe beWunbernbe ©otteSgeWififyett
als beren Kefyrfeite, ber Surft ber 9Jcenfd)enfeeIe nad) bem lebenbigen ©Ott, Würbe bei
2lnnab,me ber 33ergänglid)leit betrogen Werben: bafyer um ber 2Bafyrb,eit be§ ©otte§=
30 gebanlenS Willen ber SüCuSblicf auf unvergänglich Seben unentbeb,rlict; ift. — Slud) mit
biefer teleologifd;en ©rläuterung ber SRotiVe beä Unfterblid;glauben§ ift bas> Problem
nid;t erfd)övft, ba ba3 33ebürfni§ nad) ewigem Seben Weber Von allen in gleicher Skife
em^funben Wirb, nod;, Wenn bieg annä^ernb ber %aU Wäre, bie 2ftöglid)feit au§fcb,löffe,
ba^ ber 3Renfcb,engeift gerabe bei Volllommener 9leife fein etb,ifd)eS unb religiöfeg ©enüge
35 in ber immanenten Mitarbeit an ben ewigen ^^^en fud)c unb finbe. ®a^ abgefeb,en Von
biefer, Von %. ©. gtcfjte, §egel, %vk§, ©c^leiermacb.er betonten immanenten unb inten=
fiVen „©Wigfeit be<§ ©eifte§" noc| eine tranfcenbente unb ejtenfive „llnfterblitt)!eit ber
©eele" ju erwarten fei, fud)en ju begrünben bie 4. nad; bem SBarum fragenben
VI. SeWeife für bie Unfterblid; !eit, Welche faft burd;Weg ben 93eWeifen für
40 ©otte§ ®afein analog finb. 1. ®er S3eWei§ e consensu gentium (Vgl. mit ßicero:
a) 3fioäloff, ©a§ SMtgionäWefen ber ro^eften 5RaturVöIIer, 1880, ©. 23—34, b) ^efd)el
©. 147; [Subbocfö 33erid)t über bie SlntWort beS 2lrafuru (©. 175): „@§ ift nod; nie
ein 2lrafum nad) feinem Sobe §u un§ jurüdgefe^rt" beruht auf ungefdiiclter $rage=
ftellung unb mangelhafter S3eoba(|tung; 2lnfä|e jum llnfterblic^leitgglauben finb fo all=
45 gemein, Wie gur Religion überbautet] ; c) Saftian, Beiträge jur Vergl. ^f^)d)ologie 1868,
©. 2 72 ff.) fc|eitert §. 33. an ber negativen (Stellung ber $fyönij(ier unb be§ 33ubbf)iSmu§
unb b,at faum ben ©eltung§bereid) beS entfvredjenben ©otte§beWeife§. @benfo 2. ©ie
SeWeife ab utili unb a tutiori. $ener empfiehlt bie Stufred^ter^attung be§ Unfterb=
Itc^IeitgbogmaS im ^ntereffe ber öffentlichen 9Jtoral(§obbe§); biefer fud)t ber tfyeoretifcfyen
so UngeWiPeit ein ©egengeWic§t gu geben in einem berartigen Vraftifcfyen S^er^alten, „al§
ob" ein jenfeitigeg fortleben befte|e: biefe feb,r VoVuläre ©enfWeife (au§ einem nad)=
gelaffenen Briefe S. Si^ronS [1821 von einem ©etftlidjien in §afting§ gefunben, brigeg.
1869] : „Unzweifelhaft b,aben biejenigen, Weld)e feften ©lauben in ba§ Evangelium fe^en,
einen Vorteil Vor allen übrigen vorauf, Weil, Wenn ba£ (Evangelium Wab,r ift, fie im
55 fünftigen Seben ibjen Sob,n erhalten, unb, giebt e§ lein fünftigeö Seben, bann teilen fie
nur mit ben Ungläubigen ben ewigen ©dbjaf, nacfybem fie bie ©tü|e einer erhabenen
Hoffnung t^r Seben lang gehabt unb leine nachträgliche ©nttäufd^ung erfahren |aben")
entfvringt bem Qntereffe, bejüglicb, beS Qertfeitg fidler ju geb,en, Hingt aber felbft in ber
Beweisführung Kants (3t. 33. £artft. III, 332, Vgl. 403 f. 453 ff.) an. ©er 9cerV ber
60 Kantfctjen Unfterblidjlettslebre (^5r. 33.) liegt in einer 33erbinbung beS moralifcb,en 33eWeifcS
Unflcrilidjleü 293
|f. u. 6J mit beut :!. tclcologifcfyen 33etoeiS, toelcfyer bon ber Scftimmung bes bcrfönlid)en Qnbi=
bibuumS jur 23oHfommenI)eit ben ©cfylufj mad)t auf eine ©rgänjung beS bjenieben nur ±eil=
toeifc erreichbaren ©nb^telS in einer jettfettigen 3L\>elt. ®iefer -JReinung bon 3. £. gierte (^bee
bcr^erfönlidE)!eitunbber inbib. gortbauer, 1855), ^ul. Butler (1835), ©öfd>el (1836) unb
Ulvici („toeil bie toalienbe ©eele fid) felber ßtoeef unb giel iljireS ©trebenS fe|t, ift an= 5
juneb,men, bafe fie im ewigen ©ein baS giel Su erreichen beftimmt fei") fyat fdpn SBIafcfye
C}>biiof. UnfterblidtfeitSlefyre) ben Unterfcfneb jtoifc^en ber ©nblicfyfeit beS ©in^elroefeng
unb ber Unenblic^feit ber ©attung entgegengefteßt. Umgelegt finben auf ©runb beS
.Uonftanjgefe^c§ bie mobernen Sltomiften unb felbft bie ^anbfbcfyiften (#ädel, ^erigenefiS
c. 37), *>a$ beg 2ttomS „Waffe" tote „©eele" „etotg unb unfterblicb/' fei, bie 3Kenfd)en= 10
feele hingegen fterblicb, unb bie ©attungSibeen blofje ätbftraf tionen ! 2lnbere erfennen bie
Scrgänglicbjett beS ^nbibibuellen an, fefyen aber in ber menfd)lid)en ^perfönlidtfett eine
Smttbcje Don JJnbibibuellem unb allgemeinem, fo bajs t^r bie ©toigfett ber blatonifdjien
$b'ee julomme (Stofenfran^, Söeifje, aueb, ©djaller unb felbft ©d)oben|auer). 4. SDer ana=
logücbe SetoeiS: bie Analogie ber bljibjiologifdien 5ftetamorbf)ofe (33erbupbung, 2öinter= 15
fcfylaf u. f. f.) gelte in birefter Übertragung aueb für bie menfdjlidje ©eele : fo bei ben
ifiabbinen bie ©i'em^Iifijterung auf baS aöetjenforn, eine ©dmedenart, eine ägtybt. 5Räufe=
gattung (2öünfd)e ©. 368); bei ben $irdjenbätem %aa, unb Sfacfyt, ©ame unb $rud)t,
^ogel ^öniE, Sonfcfyeibe [©regor b. 9tyffa]; ber ben ÄoSmoS burd)bringenbe £tcb>
ftra&I (Gt>rill; ebenb. ©. 519 ff.; bgl Söeifse, 2#Siß 1836, ©. 323). demgegenüber 20
a) negatib: %x. 9iid)ter, ®te £el)re bon ben legten ©ingen, I, 1883; b) bofitib (als
richtige SSertoertung ber Analogie) %x. b. Skaber (Über ben Segriff ber 3eit) : „Übrigeng
giebt eS leinen anberen SBeg, bem SRenfcfyen bie Unfterblid)feit feinet SDafeinS %u be=
föeifen, als ifm ju bermögen, baS toafyre Seben ju enttoideln. Senn bon bem 2tugenblid
an, ba biefeS Seben ^riebfraft in if)m getoänne, toürbe eS aud) ebenfo unmöglich fein, 25
ib,m einen Zweifel ein feiner toa^ren Unfterblicfyfett, b. b,. an ber toafyren 33ertoirllidmng
feinet SebenS beizubringen, als eS unmbglid) toäre, eine jufammengebrüdte ©bannfeber,
falls fie Setoufjtfetn fwtte, an i^rer elafttfcfyen -Katar jtoeifeln ju machen" (2öerle II,
2. 75). 2Bo nun bie leleologte bon tbeeßen Sinologien ah\at) unb an ben ÜRealner.u<§
ber ©rfdieinunggtoelt abbellierte, führte fte jum 5. aftronomifc^en Setoetfe", toelcb,er feine 30
Scbtüffe aufbaut a) auf bem ®afein ber fo umfangreichen, aber anbernfaÜS jtoedlofen
@riftenäfbb,ären anberer §immetelörber, unb b) auf ber Söa^rfc^ einlief eit, bafe aueb, ba§
detail beS aftralen ©onberIeben§ ber ©eftirne beftimmt fei, bem menfcfyüdjen Söiffen gur
Vereiterung ju btenen. ©trettb^orft, ©rünbe für unfere gortbauer au$ ber 3lftronomte
1792; ^ona§, 2)te ©eele unfterblicb/; au$ ben SBunbertoerfen be§ ©cb,öbfer§, bem ©e= 35
biet ber Slftronomie ic, 1884; 33retfd;neiber, ®ogm. II, 367; 3)orner, ß^rtftl. ©lauben^I.
a. a. C. ©agegen jtoetfelnb ^. ®. 3Jcict)aeIig, ®ogm. ©. 719 ff. ; ableb^nenb £>aumer, ln=
beutung etne§ ©bftem§ fbefulattber «ß^tlof. ©.51. — SSgl. %ofy. $uber, 3ur ^b^ilof. ber
Slftronomie, 1858, u. Äletn, Stftronom. 2Kbenbe, 1884, Üab.29. — 2öä^renb bei ber teleolog.
Betrachtung 3JcitteIjtoec! unb ©elbftjtoec!, äftb,. unb et^tfdje (Snttoicfelung tneinanber berf(ocb,ten 40
teerben, tritt bie Qbee be§ ftttlicb^en ©eifte^IebenS als fbe^ififc^en ©elbftjtoedeS in ben ,
i^orbergrunb 6. im moraltfc^en Setoeife im ©tnne ^antS. gtüid beS SebenS ift btegor=
berung ber £>eiltgfeit al§ bi3ßiger Slngemeffenfjeit an ba§ moraltfc^e ©efe|: eine SoIl=
fommenfyeit, beren !ein ©innentoefen als folcb>3 fällig tft, unb bie bafyer, um annäljernb
erreicht ju toerben, baS s$oftulat eines unenblicb,en ^rogreffuS borauSfe|t : bab^er bie 45
tröftenbe Hoffnung ber 2luSftcb,t in eine feiige 3u^unft fittltd) begrünbet fei ($rtt. ber br.
Sern. V, 128 ff.). 3Son biefem berfetneben unb bem ©otteSbetoeiS ^antS entfbred;enb ift
7. ber SetoeiS auS ber ©erec^tigfeitSibee, beren Negation jur moralifcb^en SaScibität führen
toürbe. Xugenb mu^ belohnt, ©ünbe beftraft toerben: beibeS gefcfriefyt Ijienieben nur un=
bollfommen ; baber ber SluSblicf auf eine aufeernatürlicb,e SebenSfb^äre erforberlicb,, too 50
bie auSgleicb,enbe '©erecfytigfeit boöfommen bolljogen toerbe. Db^ne ben ^mbulS, toelcb^er
aus biefer ^bee beS jüngften ©erieb^ts ertoäd;ft, toäre felbft ber fromme feinen Aufgaben
nieftt getoacb,fen; bie 33öfen toürben triumbb,ieren, mit Stecht, benn „b,offen toir allein in
biefem geben auf Gfyriftum, fo finb toir bie elenbeften unter allen 9J!enf$en". ©0 mit
2ltf)enagoraS unb ^uftinuS bie ©ocinianer, Slrminianer, Stationaliften, aud) ßalbin, Seibnij, 65
©• £. b. ©Hubert ; fd;on ^latonS ?pb;äbon ertoäb^nt biefen ©ebanfengang. (Sr liegt 5lantS
©otteSbetoeiS ju ©runbe (^5r. SSern. V, 130 ff.) uub fönnte mit bemfelben SRedjt in ben
Hantfd^en Unfterblid)tcitSbetoeiS bertooben toerben, toie beffen ^beengang gelegentlich bon ^ant
fel6er in bie Segrünbung beS ©otteSglaubenS aufgenommen toirb (;v 33. VI, jum etoigen
^rieben ©. 429, 3lnm.). demgegenüber E)at bie ©toa unb nad) tb,r 6lem. i'Uer. (©trom. 60
294 ttttfterbltd)feit
IV, 6. 22) bie immanente ©erecbjigfeit betont, meiere fcfyon fyiernieben grebler unb Un=
gläubige treffe (r>gl. So 3, 18); felbft Salbin ftnbet Inst. rel. ehr. (im llnterfcbjebe Don
1. 5, 10) mit ÜDfofeg, $aulu§, Slnfelm, ©cfart, Sutfyer einen frommen Skrjicfyt auf bte
<ßarabiefe3freuben nidjt unbenlbar (III, 16,2; 2,26); unb ©pino^a »erlangt, baß ber
5 iugenbfyafte nic^t burdj bie ^bee eines feiigen (Snbjtoec!§ fid? beftimmen laffe, fonbern
bie ^ugenb foll naturgemäße 33etf)ätigung ber ©eelenliarmonie fein, beren unenblicr)er
3nl)alt, bie ©otte§Iiebe, feineätuegg einer ebenfalls unenblic^en ©jtftenjform al<§ Unter=
läge bebürfe (Ep. 34, Eth. V, 41 sq.). SDiefe Slblefynung be§ 33ergeltung§beweife§, unb
jtoar im ©inne ber ©pino3.=©cf;leterm. (ntc^t fabbucäifcfyen) ©enftoeife ift faft ©emeingut
10 be§ gebilbeten SDenfenS geworben. Sßgl. SSielanb, ©ut^anafie ©. 303 ; ferner ©fyafte§=
burt), Sefftng, $i$te, ©<|ellmg, $xk§, SDaumer; togl. 9Jtaaß, 2öie backte ©cfyleiermact/er
über bag fortleben? %px%fy 1891. hingegen fyat ber aftoralbetoeig in ^antfe^er gaffung,
fombimert mit ber c|riftli$en 2öertfcb;ä|ung be§ £eben3, an ©eltung nid)t toerloren
(£. ©ct,ul§, 1861; mt\fy, Unterr. in b. c^r. Selig. § 76; Äattenbufcb,, (Sfyriftl. Unfterb=
15 lid&feÜSgl., 1881). 9Jcan fann aber biefem SBerfaj^ren nod) eine metapt). ©ubftruftion
geben; ntcfyt im ©inne be§ fonft fog. 8. meta^^tjfifc^en 23ei»eife3, weiter au§ ber @in=
facb^ett ber ©eele ober ber ^mmaterialität be§ ©eifte<8 ■ — im tinterfcfyiebe bon ber aK=
gemeinen materieE=atomifttfcb/en indestruetibilitas (Seibnij) — bie linjerftörbarleit be§
menfdjlicfyen 2Befen<§ herleitet (9Rarfiliu<o f^teirtug, Söolff, SRenbelSfolm, ©öfcfyel, ©Ioa£ in
20 3tf4>r- f- tyW- un^ ^Päb. 1895 über mein unten citierte<§ 33ud)). ®enn au§ ber bloßen
§eterogeneität be§ ©eifteg fö'nnte man »ielmefyr a) mit ©pifur bie ©leicfygiltigfeit gegen
©ein ober ÜRicfytfem ableiten (Diog. Laert. X, 27: oxav jusv fj/nEis d)/biev, 6 §dvaxog ov
ndgeoxiv ' oxav de 6 ftdvaxog Tiaofj, rörs rj/ueig ovx io/uev) ; ober aber man müßte b) bie
Unfterblicfyfett (mit Seibnig unb tonnet) aud) auf bie ^ierfeelen auäbefmen. — SSgL
25Äant§ $aralogi§mu3 in ber Ärit. b. r. 33. III, 310 ff. unb $rie3, Seligtongpbjlofopfne
©. 105. hingegen fann bie 9. ontologifcfje gufammenfaffung auf ©iunb genetifd)=
fprad)pfr/cfyologifcI;er ©nttoicfelung fidj einer metapl)r;ftfd)ett ©cbjußfolgerung bebienen, toelcfye
au§ bem Segriff ber immanenten llnenblicfyteit be3 ©eifteS, foie er in ber fittlicl)=religtöfen
^EobeSüberminbung fi<^> betoäfyrt, aud) bie ©etoißljeit bei @nbtriumpl)e3 ber ejtenfiöen
30 Sebensbauer über ben %ob herleiten unb al§ ber Totalität bernünftiger 2ßeltbetrad)tung
entfbredjenb nadjroeifen mürbe, ©in afmenb=taftenber 23erfud) ju biefer 33efyanbIung<otoeife
(IX) ift $Iaton§ 2Bortf^ieI im ^^äbon (bie ©eete 1. Seben, alfo 5Ricb>£ob, folgliü)
2. nic^ttot ä-&ävaxog) ; ebenfo bie Unterfcb,eibung amritatvam (unfterblicb,) unb vya-
tireka (fortlebenb) in ber 93ebantabogmatil (®euffen ©. 309); auefy, baß ©eele et^mo=
35 logtfcfe, mit ©oma, bem unfterblicb, macf)enben ^ranl, jufammenb,ängt (©. 6urtiu§,
©riea^. ©t^mol. 375. 397). 2Sorau§fe|ung ^u folgern 33eh)ei§berfaf)ren ift eine @nt=
mictelung ber em^irifc^en ©ntfteb^ungömeifen bes Unfterblid|feit§glauben§ (VII. VIII).
VII. ©ie urfprüngli<f)en 5&Jotibe beö Unfterblicfyr'eitgglauben3 entf^reeb^en ben
natürlichen Urfacb^en ber ©otteäibee. ®a§ @rmacf)en beö ©otteäglaubenS läßt fieb,
40 ^f^ologifcb, auf bie trierfacfye 2öurjel jurüdfüb^ren: 1. ®ie fubjeltiben 3Jtotbe beg
SBunfcb^eä: gurcfyt unb Hoffnung; 2. ber bon ber ^3b,antafie boll^ogene 3lnaIogiefa)luß;
3. ba3 objeltibe 3Serftanbe§rätfel, meinem ber ^aufaltrieb, ber ©ubfumtionS= unb @in=
b^eitstrieb ju §ilfe lommt; 4. ber ©inn für Secfyt unb ©Ute, meiner jur ^bez ber
Humanität unb ber moralifcb^en Söeltorbnung fü^rt. demgemäß entfielt ber Unterbliebe
45 leit^glaube, ber nacb, 3Jlt 22, 32 auf bem ©ottesglauben bafiert: 1. au§ bem SBunfc^
(SEobe§furc|t unb 2eben§burft); 2. au§ ber Qbeenaffociation, namentlich be§ Traumlebens;
3. au§ bem unheimlichen, für ben Serftanb unfaßlic^en SRätfel ber 2ebenSbernicb,tung;
4. au$ bem bie SSergeltung^offnung erjeugenben ©inn für ©erecf)tigfeit, 2ob,n, ©träfe,
unb bem allgemeinen SSerboHlommnung^ftreben. (^)a^u 5. ©elegenlmtSurfadjen, nament=
so l\ä) (VIII, IX) fyracfylicfye: StReta^ber, §^erbel, ©ßi^fe, £omonr/mie, 3SoI!§ett)mologie.)
1. Quod volumus, credimus ; $aui)tbertreter biefer Ableitung ift geuerbacr) •_: „©er
^nb^alt be§ ^enfeitS ift bie etoige ©eligleit ber Qnbibibualität, bie l)ier bie^feitö nur
bureb, bie 9catur befeb^ränft ejiftieren fann. ©iefe ©eligleit ift ba§ §immelreicl) beS
5!Jcenfcf)en unb biefer £rimmel toieberum ift bie ^nb^altbeftimmt^eit feinet ©otteg: toie ber
55 gjeenfer) feinen §immel benft, fo feinen ©Ott" ,,©ott unb Unfterblicfjfeit finb ibentifdj.
S3eibe entgingen aug bem Sßunfc^." Sigbeba X, 14, 8 ; 9tot&, ßbm© II, 225, IV,
427: „2Bo unbergänglic^e§ Siebet ift, too ber ©onnenglanj toolmt, bab^in bring m'vfy,
o ©oma, in bie unfterblicb, e, untoerlepcfye Söelt; . . too man ftcb, regt unb lebt nac^
Suft, wo Söunfcb, unb ©eb,nfucb,t »ertoeilen, too bie ftra^Ienbe ©onne ftef)t, mo ©eligleit
60 unb ©enüge Ijerrfcfyt, mo alle 2öünfcb,e erfüllt finb, o bort laß mief) unfterblicb, fein"
UnfiicrMtdjIcü 295
Tiad) tatmubifd)cr 3lnfid)t ift baS SarabicS eine ©tättc ber äöonne, toeldje bie greuben
ber ÜKeffia^ett überbietet. „®ie frommen fättigen fid) bon bem gleifd) (beS Sebiatban),
baö feit bem erften ©d)öbfungStage ju biefem £Wed eingefallen Würbe, unb trinfen Sßein,
ju Welchem feit Slnbeginn ber Söelt bie Xrauben bereit liegen" (SBünfdje a.a.O. ©.410).
gnbeffen fd>etnt biefe bofitibe SluSmalung ber SarabtefeSfreuben erft einer reiferen $ultur= 5
ftufe anzugehören; aud) bie ©rnntome ber £obeSfurd)t laffen eine anbere Deutung ju.
2)ie ©itte ber ^otenfbeifung, tüelc^e man auf ben Sßunfd) nad) SebenSberlängerung beuten
iuitt (bgl. Stylor a. a. £).), fe|en in unb mit ber £f)atfad)e beS berfönlid)en £rennungS=
fdjmerjcö bereits eine tiefere Sluffaffung bom £obe foWte bie gäi)igfeit, bon ber eigenen
ScbenSberlängerung ju ©unften beS Eingeriebenen abjufefyen, borauS (9?ub. 9iotI), Sie 10
lotcnbeftattung im inb. 3llt., ßbm© 1854; Wt. TOütler, ebenb. 55; Slnbreä, ®ie 2oten=
gebraute ber Söller ber 93or= unb Set^eit, 1846; SBafjmannSborff, 9)Jottbe ber£oten=
beftattung. Srogr. $ötln. ©r/tnn. 1884). SDer ^rauergefang beS ®r/eriaS, unter ben
inbifcfyen ÄfyolS lautet: „2öir fd)alten biet; nie, mir fränften btd) nie, fefyre gu uns jurüd!
Cjy naben bie ftürmifcfyen Slage, — Weile nid)t in ber ^älte — fomm Wieber ju uns ; 15
cS ift gefegt unb gereinigt für btd): 10mm fyeim, jurüd ju uns, bie bid) immer geliebt"
(Über bie Stellungnahme ber alten (Stiften jur ©itte ber ^otenmab^eiten bgl. Sluguftin,
De cura pro mortuis gerenda ; ^JrubentiuS, Peristeph. V unb VI ; Stugufti, ®en!=
ftmrbigfeiten auS ber d)v. 2(rd)äoI., 1828, I, 526; Srogr. b. 3oad)imStf). ©irnrn., 1877.)
2tnbrerfettg Weicht ber SBunfd) nad) SBieberbereinigung öfters ber %uxd]t bor ben "üoten 20
unb bem SBunfd), bon ifynen nid)t beunruhigt pi werben (bieS nad) SöafjmannSborff ©. 5
ba3 erfte Diotib). 93gl. bie SBorte bei ber £eid)enfeierlid)!eit ber Sobo in 5Rorboftinbien:
„ü?imm unb ifj; bormalS I)aft bu mit uns gegeffen unb getrunten, jetjt lannft bu eS
nid)t mel)r; bu Warft einer bon uns, bu bift eS nid)t mefjr; Wir fommen ntcr)t mel)r gu
bir, fomm bu aud) nid)t fürber ju unS!" ©aSfelbe ergäbet bon ben 'SfcfyuWafdjen unb 25
Ifcfjeremiffen ßaftren (ginnifdje 9Jh)tf)ologie, ©. 120 ff.) unb bon ben 9varatonga=^olt)-
nefiem 3ßait5=©erlanb (VI, 310). ®ie ^otenmafylgeiten bebeuten oft Wie bie £eid)en=
berbrennung blofj bie 'JrennungSfeier als finnbilblid)e 2lbfinbung mit bem ©eftorbenen.
^at. ©rimm, ©aS Verbrennen ber Seiten, (SB. b.2B.) 1849; SB. ©onntag, Sie 2oten=
beftattung, SotenfultuS alter unb neuer $eit, SegräbniSfrage 1878. [ßnbltd) bgl. 6I)a= 30
teaubrianb (3lttala unb 3^ene): „SSenn einmal ein Sftenfd) aud) nur einige 3><^e nad)
feinem iobe Wieber an baS £id)t ber SBelt jurüdläme, fo jWeifle id), ob tl)n felbft biejenigen,
bie feinem Slnbenren bie meiften ^Ebränen geWeil)t, mit Wirllid)er greube Wteber begrüben
icürben" 2ib,nlid) 5Raeterlind, 2)er 1)1. 2lntoniuS, eine fatirifd)e Segenbe].
2. Xer ©influ^ auffaßenber Slraumerlebniffe auf ^antafte unb ©efamtWelt= 35
anfefjauung ift nid)t blo| auf nieberer Äulturftufe erb^eblid), fonbern im SSebänta
unb in ber ^abbala, bei fbefulatiben SDenfern Wie §ier. SarbanuS unb unb ©d)oben=
blauer Werben bem Seben beS XraumeS über baS finnlid)e ©ebiet b,inauSgeb,enbe 2luf=
ftt)lüffe jugefd)rteben ; felbft 3lriftoteleS unb Seibnig Wollen baS Traumleben beachtet
lfiffen. ©a^ aud] ber UnfterbIid)!eitSgIaube befonberS auf nieberer ^ulturftufe bem 40
Traumleben mäd)tige Slnregungen berbanft, b;at neben SSaftian (f. 0. VI, l,c) be=
fonberS SEr/lor (3tnfänge ber Kultur I) burd) ©ammlung bon 33eifbielen erhärtet. ®ie
3Serftorbenen erfd)einen uns lebenbig; Wir leben mit ibnen, unter ilmen; ber Moment
beS @rWad)enS büntt uns ein §erau§treten aus einer 2Belt in eine anbere. S)er $Rei§
biefer 2tbWed)felung E>at fogar ' jur Iünftlid)en ©r^eugung bon SEraumjuftänben geführt : 45
bei bem grönlänbifdjen Slngelof unb bem turanifd)en ©d)amanen, Wie in ber antifen
ÜDtontif. Sie 9ZeufeeIänber meinten, bie träumenbe ©eele entferne fid) au§ bem Seibe
unb febje wieber jurüd, nad)bem fie ins Sotenreid) geWanbert, um fid) mit il)ren
greunben ju unterbalten. £>iefe gä§ig!eit, bie an fid) jebem julommt, Wirb alsS3erufS=
legitimation bom ^ßriefter ober tauberer berlangt: er folt feine ©eele in baS QenfeitS 50
toanbern laffen, um bon ben 2lbWefenben, ben 2:oten, ^unbe ju bringen. Ser Äarene
foannt (nad) Saftian) in feinen birmefifcfjen 2BäIbern gäben über bie ©een, bamit bie
©eifter, mit benen er im %raum berlet)rt, ben SüdWeg nid)t berfel)len. ®iefelbe §bee
fprid)t fiel) in bem 93oIISbraud)e aus, einen ©d)Iafenben nid)t umjubrel)en, foWie in ber
Sage bon ®önig ©untf)ram ber Wir!lid)e ^raum als geträumte 9Birllid)reit aufgefaßt 55
li'irb. 5Rit bem traumbaften (Sinbrud bon bem fortleben beS Stbgefdnebenen lan« fid)
ber lebhafte SBunfd) berbinben, ibn ber Sernid)tung entriffen ^u fef)en. 2lber biefeS
bobbelte SORotib, fo Wirtfam eS genetifd) geWefen fein mag, ift bod) nad) fad)lid)er äBert=
fa)ä|ung nur ein untcrgcorbneteS. 2)ie ©eele fief)t im 'Xraum nur baS ©biegelbilb beS
«genen ^nnern. Tie Kombinationen, ioeldjc bie Sb^antafic auS ben bon ber 3luf$cnWelt üo
Ü96 ltnfterftlicfjfcit
entlehnten 2Baf)rnc£)mungSreflej:en btlbet, belegen ftd? innerhalb beS geläufigen 33orftelIungS=
freifeS; bemgemäß ift baS Sanb ber ©eligen burct; bie 33oIfSibeale beftimmt. 35er
^nbianer befugt im %xaum feine ^agbgrünbe, ber Hellene fdjaut bie elfyfäifcfyen ©efilbe,
ber ©ermane backte ficb, baS Seben in SiBalljalla mit blutigen ©d)lacf/ten öerbunben. Um
5 biefe bolfstümlicfyett ^enfeitöibeale ju bilben, baju beburfte eS fcfyon einer umfaffenberen
^antafietfyatigfeit, einer Qbeenaffojiation, toeldje audj) bann in ßraft bleibt, Wenn bie
am 5£raum fyaftenbe Qßufion als folcfye erlannt ift. Ungleich fachgemäßer als ber 2lna=
logiefcfyluß, Welcher auf baS Traumleben bie Attribute beS Wirflictjen SebenS überträgt,
finb bie ^beenaffociationen, burd) meiere bem irbtfcfyen Seben ber ßfyarafter beSSEraumeS
10 beigelegt Wirb ; bie ben ^nbiern geläufige, t>on Güalberon bramatifierte $bee, „baS Seben
ein SEraum"; ber fog. SEraum ein Slbbilb beS irbifdjien SebenS, aber im irbifetjen SEobe
ber SRoment beä ©rWadjenS aus bem SebenStraum gur Wahren Söirflidpeit. 3>ie ©e=
ftfnd)te ber SEraumborftellungen im 3151 geigt eine fortfcfyreitenbe (Entwertung beS 2BeiS=
fagungStraumS (r>gl. 35t 13; 3er 23; Solj 5, 2—6); aber biefe Entwertung Itfnbert md&t,
15 baß eine lebhaft erwartete Sßenbung beS irbifcfyen SebenS, btefeS fog. Wirfltcfyen 3)afeinS
ber ©egenWart, als ein „©ein Wie bie 5£räumenben" gegenüber bem Eingeben ju ^ö^erer
35afeinSform bezeichnet wirb ($f 126). Nur bei 23ergleictmng beS gangen SebenS mit
einem ^raumjuftanbe Wirb ber Einwurf gegenftanbSloS, baß Wie im einzelnen SEraum
ein Wirflict)eS ©terben geträumt Werben fann, fo aufy baS traumhafte Erbenbafem
20 übertäubt ein ©biel ber bernictjtenben SEobeSmactjt fei: benn biefe 93orftellung beS
aktuellen ©terbenS gehört eben felbft bem traumlj)aft=irbifcr;en SDafein an. 35er toafyre
SEraum=tob ift baS ErWadjen. Slber freilieb, ber juftänblic^e SEob als ©eftorbenfein (b. i.
feienbeS Nicf)tfein) bleibt ein nod) mächtigerem Nätf ei, baS rttdt) t bloß bie 5ßb, antafie, fonbern
ben Sßerftartb befcfmftigt.
25 3. 3)aS intetteftuetle Nätfel beS SEobeS füfyrt auf nieberer ^ulturftufe jur SSor=
fteüung einer furzen Erweiterung beS SebenS über baS ©rab InnauS. Nacb, bem irbifdEjen
SEobe ftefyt für aÜe eine Entfcfjeibung bebor, beren StuSfall fei eS ben SEob boEenbet, fei
eS eine fernere SebenSfrift in anberen Stegionen anbafmt ; fo bei ben §ibfcf/i, ben ©umea=
Negern, ben ©rönlänbern. Dber eS leben überhaupt nur bie ©eelen ber Häuptlinge fort
so (fo bei ben SEonga^ufuIanern) 0fox nur bie ©eelen ber ©uten (bei ben Nicaraguanem;
Wie nact) ber umfaffenberen SEejigrubbe beö §enocb,bucb,e§ nur £>enod) unb ©liag baö
SSorred^t f;aben, im ^ßarabiefe ju leben). Sßielfacf) ift bie Beobachtung ber 5£rauerfeier=
Umleiten unb 33eftattung§maßregeln feiten§ ber Hinterbliebenen bie 33ebingung für ein
ferneres Seben ber ©eftorbenen; bal)er bie ©ebräucfye unb 3SorfteKungen, Welche fid) auf
35 bie bleibenbe 33erbinbung jWifdjen ©eele unb Körper begießen ; \pv%ay<oyia, ^enota^ien,
©inbalfamierung, 3JJitgabe öon Nahrungsmitteln unb 1)1. ^3apt)ruSrollen, 9ieliquienfult.
SSgl. Db^ff. XI, 51 ff. 73; 31. XXIII, 71 ff.; Vergil. Aen. VI, 325 ff. 362 ff.; §i
14, 22 (bfll. ©tCmann); Qef 66, 24 (bgl. ßt|ig); 14, 19; 35t 28, 26; ^er 16, 4; ©i
38,16. Stylor, Slnf. b. Üultur, II, 21; Saftian, SSerbleibSorte ber abgefcfyiebenen ©eelen,
40 1893. 3>ie ©efal)r eines SEobeS im ^enfeits ift für bie ©eele leineSWegS aulgefd^loffen;
aber junäc^ft finb bie SEoten nur geftorben für baS ^e|t unb §ier, um WenigftenS §ett=
Weife ober WenigftenS in einigen au§erWäl)Iten Häuptern fortzuleben in einem 3)ort unb
3)ann. SOöie fann benn bie ©eele fogleicr; tot fein, Wenn ber Körper boeb, noeb, ntd^t
bößig bemicfytet ift ^ Unb Warum foKte, Wie alles in ber Natur bie formen Wed)felt,
45 ofme barum feb^on bie SebenSlraft einzubüßen, — baS atmenbe Seben beS 9Jienfcr)en unter=
gegangen fein, Wenn eben ba§ lörperlid^e Sltmen aufgehört blatte? — Slber umgelegt
fcfyleicfyt fia) auef) in bie ^enfeitSborftellung bie 9JJöglicl)leit beS Unterganges ein: jener
„zweite Sob" ift baS größere Übel. 3DRan fann bie Wanbellofe gortejiftenz ebenfoWenig
borftellen Wie bie abfolute 2Sernicf;tung (gerabe Wie bie SlnfangSlofigfeit fo Wenig Wie ein
50 SBeltanfang borftellbar ift) ; aber unfaßlicfyer unb ftörenber ift ber Skmicf/tungSgebanfe,
Weil er a) bie nacljfinnenbe Steflejion berftummen machen Will, — ben SBunfcf;, über baS
QenfeitS aufgeftärt gu Werben, im teime erftieft, unb b) ber ^l^antafie bie erfclmtternbe
3lnfd)auung aufnötigt, baß ber unvergleichliche SBert eines 5Renfcf;enlebenS in einem
SJcoment in§ Nichts berfinfen fonne. ©o unerträglich ift ber ©ebanfe ber tolöpc^en
56 Vernichtung eines ©eiftWefenS, baß Wenn er einmal auf f)ot)erer NeligionSftufe flar t>oH=
Zogen Wirb, fofort an bie gorberung ber 3Sergtc^>tIetftung fia) bie entgegengesetzte gorbe=
rung fnübft, aueb, ben aftuetlen %oh als 9tid)tfein, baS ©terben als ©ct)em zu betrauten
unb einen 3"fiani> Zu erbenfen, Wo ©terben unb Nicfytfterben, %oi unb Unfterblicf;feit,
fei eS ibentifet), fei eS nieb^t finb, ober (mobern auSgebrüdt) Wo aueb, baS Nichts als
eo bloße aSorftellung erfannt Werbe. Rig Veda X, 129: „Nicl)t Xob unb nid;t Unfterb=
ItnfkrbltdifcU 2\)1
lidjfeit War bamalS :c." Vubbl;a (bei Dlbenberg ©.278—91): „3ft ba§ bev Vreiä, ju
imffen, ob bie Sßelt ewig ober nid)teWig, ob ©eelc ober Hörber ibentifd) ober betrieben
— ob ber boßenbtte Vubbfyajimger nadj bem ^obe fortlebt ober nict/t, ober ob er ju=
gleid) fortlebt unb nidjt fortlebt, ober ob er Weber fortlebt, noct; rticf/t fortlebt : ift baS
ber $rei3, fo lannft bu nid)t mein jünger fein!" «20er nctd? ber ©eelen ©eligfeit ftrebt, 5
bcr fyat beffere3 gu tf)un al§ gu forden nad? bem ©ein ober -Jttd&tfem" $>aS Sftätfel
bei Sebemoabfdmitteg wirb eben auf fyöfyerer Hulturftufe als intelteftuclleg Problem bem
burcfygängigen 3"fömmenf;ang fud)enben Haufaltrieb beg VerftanbeS jugeWiefen unb ab-
gefonbert bon ber religiöfen ^enfeit^offnung ; nur auf bem ©tanbpunft ber finblidjcn
^Ijantafic, wo ©enfen unb SBoIIen nod) in feimr/after @inr)eit fid) entwickelten, War ba§ 10
hälfet ein HJlotib be§ Unfterblia;leitgglaubeng. — $ene primitive Qbee be£ „^Weiten
lobe!" f)at nun (fdjon bei ben ÜJlaturbölfem) meift fittlidje Rebenmottbe, befonberS
±. bie VergeltungSborfteHung, meiere fyerborgefyt aus> bem ©inn für ben ,3ujammen=
Ijang jtoifttjen ©elbftgefüfyl unb fokaler ßWectmäftigfeit, unb augmünbet in ben fittlic^en
©lauben an eine fyöd)fte ©eredjtigfeit unb auSgleicfjenbe ©üte. SDie berfyängntebolle 15
£rifi3, Weld)e nad) bem ©lauben ber $tbfd)t bie ©eelen ber eben Verftorbenen erwartet,
trifft befonberä bie befjarrlict; @t/eIofen mit Vernichtung: bielleicl)t ein §inWei3 auf bie natür=
lid>e Unfterblidjf eit burefy geugung, jebenfallS eine Veurtetlung ber bfyfyfifajen Söeltorbnung
nad) ber moralifdjen $bee ber ©erecfytigfeit. %üx biefe etljifdje Vegrünbung ber llnfterblia)=
feitSborfteüxmg bieten bie Religionen foWofyl ber 9taiur= Wie ber ÄuIturböÜer jafjlreict/e 20
Belege: ba3 ^ntereffe an ber in biefemSeben oft unbolllommenen 2lu§gleid)ung jWifc^cn
■jugenb unb ©d)icffal fdjafft ben ©ebanfen einer nacb^eitltcfyen Vergeltung; unb biefe3
^ntereffe fann ein objeftib=fittIkfye<§ fein, loggelöft bon bem inbibibuellen SBunfd) naef)
Sefeligung. ®afj an fiel) bie VergeltungSibee au§ anberer 2Burjet ftammt aU ber Un=
jerftörbarfeitlglaube, erbeut au3 ber $bee jenes „^Weiten SobeS" (bei Negern unb %\h- 25
Japanern), Welche ber Vergeltung bie Ungerftörbarlett opfert (fiat justitia, pereat mun-
dus), Wie auef) aus ber 2Iblelmung be§ tranfeenbenten Vergeltung§motib<§ bon feiten
jo!d)er, bie an ber llnfierblicfyfeit faum zweifelten (manche ©toiler, Seffing, Voltaire).
£ic Dbbofition ber ©abbueäer gegen bie tofyarifcttfdje 2luferfte§ung§Ief)re richtete fiel) biel=
leidet gegen bie fyeteronome gorm bes> Vergeltung§mottb3 (»gl. ©röbler a. a. D. ©. 667 ; 30
2Bünfa;e 370; Seusben ^u P. Aboth. I, 3; ätmücfyer ©ebanlengang ©<f)Ieierm., Sf>r. ©I.
§ 158, 1). 2>er Vergeltunggibee ift ber 3Rofai<§mu<§ günftig, um bie 2lu§bübung ber
Unfterblic^feitä^offnung b^at er lein Verbienft. Slucf) bie griec^. 3Jl^tf)oIogie unterfer/eibet bie
ber Vergeltung geWibmeten ©efübe, über Welche 2Rino§ unb 2Ieacu§ regieren, »on bem
fcfiatten^aften 2IufbeWafyrung§ort für bie unjerftörbaren ©lemente feelifdjen Sebeng. §erafle§' 35
Seele friftet brunten jene ©d^atteneEiftenj, Wäl)renb bie leibhafte, Wa^r^afte (»gl. %l. 1, 4)
©rjftenj im Greife ber ©eligen thront. 2luc^ bie cfyriftüctje fiebere bon ber §ölle I)at
jtoei heterogene SRotibe; ©djeol unb ©erinnern (£ut|er überfe^t adrig unb yeswa mit
„§ötfe"). %m talmubifc|en Vegriff ©el)innom berbinben ftc^ beibe' Momente: ©cfyatten=
reio^) unb Vranbftätte, ginfternig unb geuer [SSünfc^e ©. 382f. 495ff.]. ©0 im Vud)e 40
Öenod) (103, 8; 100, 9): „Veim großen ©erid)t Wirb iE>r ©eift eingeben in bie ginfter=
tii§ unb in bie llmftrictung unb in bie brennenbe glamme", bgl. ©röbler ©. 678. Stucb
im ®eutfd)en bebeutete bag SBort §öüe urfbrünglia) ben bunfeln Drt [helta, helle ju=
fammen^. mit helan, heln (b^eb^Ien^ celare), aud) mit cella unb (litt.) kletis, feitlicfyeä
Sorratggebäube, lurl. „ülete"], Würbe aber aßmäfylicr; mit ber Vorfteltung beä §ellen, 45
Rurigen bermifc^t unb ging bolfötümüd) in bie 2lnfd?auung ber „büfterroten ©lut"
[©Ritter], be<§ „ginfterfeuerS" ßatob Voet)me] über. — lllfila§ braucht gaiainna neben
halja. — (Vgl. b. ^etabb,ern 9J?t 8, 12; 13, 42.) ©a^ ba3 %al ©e^innom als ©tätte
bei göttlichen ©trafgerid^t^ gugteiefe mit ber Vorfteßung beö geuertobeö berfnüpft War,
M einen jufäaigen ©runb: ber ©d;au^Ia| be§ 5Rolod;obfer§ (^er 8, 31) War bie brä= 50
fumtibe ©tätte be§ göttlichen 3orngerid)tg (19, 2. 6 ; 7,31—33; 2 Hg 23, 10; 2 6b,r
33, 6) unb be3 ewigen VerberbenS (SDJt 10, 28, bgl. 23, 33 unb V. 15). 2lber biefem
Wtorifo) bebingten SBecfyfel in bem 2lnfd;auunggbilbc (©chatten — Vranbftätte) entfbrac^
eine fad)lid)e Umgeftaltung, fofern feit bem ©rü im 3ufamment;ang mit ben lonfreten
SKejfiaäerWartungen bie Vergeltunggibec in ben Vorbergrunb trat : ba<§ gegenwärtige Seben 65
tourbe alg Vorhatte für baö 3enfeit§, al§ §erberge ober Vilgerreife aufgefaßt (2Sünfcbc
S. 3G3— 367), unb erft baä @nbgertd;t Wirb ben angeincffenen 3"ftano bauernben
©leid)mafeeö in ber fittlicben 2ßelt fd;affen. ©a^ an bie 3°ce ber jenfeitigen Vergeltung
aud) finnlicfye, felbftfüd;tige 9)iotibc, ja ©diabenfreube anfe^en fönnen, jeigt ,s>enod> 9n,
26; 27, 2f. ; fowie bie Tb;atfad)e, ba^ gerabc ber SDiangel an ^bealiginug, bcr Unglaube 60
298 UnßcrMidjfctt
unb £>albglaube, bem äjergeltunggmotib mefyr jugängltd; i(t alg ber ©laubengtbealigmug
unb ftd) oft burd» ben auf bie 9CRetf)obe ab utili reftringierten 23ergeltunggbetoeig uxa-
ftimmen läjjt. ©leicb>ol)I ift bag bortoiegenbe ©ebräge beg 33ergeltunggaugblideg bie
Überzeugung bon bem SBalten einer fittlicfyen Söeltorbnung; aud; im 31% toirb bag
5 Strafgericht in 93erbinbung gefegt mit bem fortleben ber Abgefdjnebenen. SRerftoürbig
bleibt, bafc bie nämlichen tofr/d)oIogifct;en 9J}otibe, meiere aufjerfmlb beg biblifdjen Qbeen=
Ireifeg fcfyon früfy zur Jkrgeltungglefyre geführt Reiben, gerabe in ber Religion ber„§eim=
fud;ung ber SSäterfünben an ben ®inbern" zunäcfyft !aum baju beigetragen |aben, aug bem
fdjattenf/aften Sotenreid) einen ©cf>autolat$ moralifdjer Auggleicfyung ju Silben, fonbern
io erft bann, als neue ÜJtotibe (3Jleffioötbee, grembfyerrfdjaft, ©inflüffe beg ^ßarfigmug f)inzu
traten. Aber eben b/ieraug erhellt, toie unguläfjig eg ijt, burd) abfct)Iief$enbe ©ogmati=
fierung ben altteft. 2et>ren ein normatibeg ©ebräge gu geben (toie bei ©blittgerber, %oi,
fortleben unb Auferftelmng ; Gremcr unb 3linf f. o.). 93ielmef)r fteHt ung toie bag A%
fo bag 31% mit feinen egdjatologifdjen Anbeutungen Aufgaben an unfer eigeneg ©enlen ;
is tüir brausen ung bei Söfung biefer Aufgaben bon bem 93oben d^rtftltd^er £ebenf<f)äi$ung,
fo toeit biefelbe ©acfye ber @mbfinbung unb beg Söolleng ift, nidjt §u entfernen, olme
barum ben Anfbrud) auf freie SBiffenfa)aftIid}!eit aufzugeben: toofern toir nur anerkennen,
bafj bie SBorftellungggebilbe, mittel beren toir bem fingen nad) Marfyeit über ben ^n=
fyalt jener ©mbftnbungen ©eftalt ju geben fudjen, toanbelbar unb bon bem ©bradjgebraua)
20 beg 3 e^^ eh>u^tf etng abhängig finb. £)ag geigen
VIII. bie £>aubtmomente beg djrtftlicfyen llnfterblidjüeitgibealg. %üx bag
gebilbete S)en!en unferer geit gilt in weiten Greifen $ant alg Interpret d?riftlid)er £ebeng=
fd}ät$ung. $ants Unfterblidjfettgbetoeig beruht gtoar mel)r auf bem (Snblofigfeit r/etfd)en=
ben Sugenbftreben alg auf ber 33ergeltunggibee ; aber bag ©runbmotib ift bagfelbe toie
25 in feinem ©ottegbetoeig : ber ©inn für bag unbebingte ©einfüllen ber fittlidjen 2öelt=
Harmonie. Aud? in bie cfyriftlidje Auferfteljmnggibee fliegt bag 33ergeltunggmotib ein.
Aber eg erfdjöbft ben $nr/alt ber cfyriftlicfyen £ebengfd)ä|ung nicfyt. ®iefe örbnet alle
SRotibe ber UnfterbIid)feitgf)offmmg bem ©ottegglauben unter : aug bem ©efamtrefler. beg
©ottegibealg ergiebt ftd) (tro£ 1 %i 6, 16) bie ©etoij$f)eit über bag etoige Seben, toelcfye bem
so djriftlidjen Sebengtoerte entf^rid^t. 3)egl)alb bilben bie3ftomente, toeldje bem Gfyrtften bagSöefen
©otteg fonftituieren, aud} Anregungen zur girjerung beg Unfterblidjfeitgglaubeng ; benn eg
ift toafyr, ba^ ©ott „nid)t ber ^Eoten, fonbern ber Sebenbigen ©ott" ift. ®ie a^o!oge=
tifd)e (Srbärtung beg Unfterblid)!eitgglaubeng b^at bem ©ang ber ©ottegbetoeife ju folgen;
ingbefonbere ift auf bie Siebe ©otteg gur einzelnen Kreatur jurüdjugreifen. 33orbebin=
35 gungen für richtige SDebuftion finb: 1. negatib: bie Slblefmung ber SBetoeigfüfyrung aug
ber rationalen ^3fr/d)ologie. ©er 2Iuftoanb an ©djarffinn, ber auf biefeg ©d;ofelinb ber
pf)ilofopr/ifd)en Drtb^obojie bertoenbet toorben, erliegt bem Änfturm jeber ©rfenntnigtb^eorie,
toeld}e bie raum^eitlicfje Slpriorität unferer ®enlorgane aud; nur ^roblematifd; berüd=
fid)tigt (%m$, ^ralt. ^b^ilof. II, ©. 101). ©o toenig toie toir ben ©ebanfen eineg 3lb=
40 fd)luffeg befinitib augbenlen !öunen, finb toir im ftanbe, ben ©ebanlen ber toirllid)en
@nblofig!eit ober beg 9iicf)t=2Jbfd;luffeg gu bollzie^en. 2lHeg SDenfen berfiert in bem
siyed;fel beg fraftfammelnben 2lugrul)eng (inbem toir, um toeiter gu benlen, ^robiforifd)
ein räumlidjeg @nbe fe^en), unb beg ^ortfyinneng im jälilenben 3«ii^tl)mug (Äantg
3tntitl)etil b. r. SS.). ©al>er ift eg jtoar richtig, bafc „fein 2Sefen !ann gu nid)tg verfallen",
45 aber auä) „Sllleg mu^ ju nidjtg jerfaHen, toenn eg im ©ein beharren toiH" (©oetb^e).
Unb minbefteng mü|te, toenn bie ©eele beg Söienfdjen begfyalb unfterblid} toäre, toeil fie
etnfad) unb immateriell fei, aud; bon ber ©eele beg ^iereg, ber ^ßflange bagfelbe gelten,
ba fie nicfyt minber toie bie beg Sftenfcfyen sub specie aeternitatis angefeuert toerben
lann unb fo gut toie jene ein „trangfcenbentaler" JMleftibbegriff ift. Aber fogar bie
50 Atome, obtoo^l gerabe fie toanbellog, toeil fd)Ied)tf)in einfad}, bleiben fid; felbft nur
infofern gleid), alg bie 33erf)ältniffe beg ©leid;getoid)tg jtoifdjen ib^ren erfd^einenben
Munitionen lonftant toieberf eb^ren : biefen toal)rne^mbaren Munitionen gegenüber gilt bag
Atom felbft nur alg begriffliche gufcmimenfaffung ber $f)änomene pr ^bee (Sineg ©ub=
ftratg. ^Jlun toerben gtoar bie unter bem foHeltiben ©ubftrat ber LXierfeele jufammen=
55 gefaxten „(Elemente" b. i). „ßmpfinbungen" alg „93etoufetfeingborgänge" bezeichnet; barin
unterfd)eibet fie fid} bon bem Atom; aber ift fie begfyalb toeniger ober me|r ber=
gänglid} alg biefeg? Alg Stftenfd) fenne id} nur bie SRenfcf/enfeele, meine innere unb
äufsere ©rfab^rung: unb äf)nlid}e tofr/cblfdje ©efe^e, toie bie, toeld;e meine animalifd)e
©mbfinbung, ettoa beg ©urfteg ober ber $la<i)e bebingen, liegen aufy bem 33etoufetfein§=
60 oorgang ju ©runbe, bermöge beffen id; mittelg ber äußeren ©inne ,,äu|ere" Dbjefte
llnftcrbltifyfctt 299
auffaffc. 33ctbc CSxicbniffc werben im ©cbjafe latent, bcibc fc|en entwickelte bft;d;ifd)e
Segfamfeit boraug. 2lucb, ber Unftcrblicbfettägebanfe entwickelt ficb, au§ einfachen bff/=
cbjfcr/en ©rlebniffen. -Hicfyt blof$ ber ©eele ba§ $inbe3, be§ SBilben ift ber ©ebanfe an
eine fernere 3«^"^ ferner faßbar, fonbern übertäubt tft bie Unterfc^eibung jwifcfyen
Vergangenheit, ©egenWart, guiunft nur nafy SRafjgabe be<§ SebürfniffeS möglief). SDa<§ 5
ttinb ben!t faum an morgen unb geftern; ber Segriff borgeftern, übermorgen ift fcr)on
ein großer gortfdmtt. SDaä $inb lebt in ber greube ber inneren Unenblicbjett bcS
2lugenblicfe3. -äftancfye äöilbe b/aben nur ba3 Sebürfnig, auf %afyxe, auf 9Jionate bor=
ioä'rtS su benfen: bie abftrafte UnfterblicfyfeitSibee reift erft mit bem 9)ionotf)ei3mu3.
3(ber aud) bem reiferen SDenfen bleibt biefe „abfolute Unenblidtfeit" ein nur £>albber= 10
l'hinblidjeS Problem, ^ßarabieä unb ©elnnnom werben balb als „meßbar groß" balb
ati „gerabgu unenblicf)" be^eidjnet (Söünfcfye ©. 495). SDa£ fromme SDenfen fyat nur ein
anfdjaulicfr, übcrfeb/bareS (Bebtet möglichen gortlebenS im 2Iuge; bie grage nad) ber Un=
fterblicf/feit tritt ifjm fogar in ben §intergrunb gegenüber bem etb/tfdjen, fojialen ^ntereffe
unb bem ©otteSglauben, in bem bie Wafyre Unenblicb/feit embfunben Wirb (*ßf 73). 2lucb, 15
toer mit Srnft bem Unfterblic^feitSgebanfen nadjtmngt, roirb baju weniger iura) bie^bee
ber „Unenbücf/feit" ober be§ im Söedjfel Sefyarrenben beranlaßt al§ bureb, Reflexionen,
bie an bie moraltfdje Sßertfcfyätjung be§ SebenS anfnübfen. ?Jur unterftütjenb wirft ba=
bei ber ©ebanfe, baß infofern, ab§ bie Sorftellung nietjt bloß (Erzeugnis!, fonbern @r=
jeugerin be§ 2BeItganjen, mit @infcf)luß ber .ßeit unb be3 Räumet, ift (Berfeler;, $idjte, 20
Sdjobenfyauer, ©ctmbjpe, Wtaify, SerWorn), ba§ benfenbe ©ubjeft felber al§ benfenbe<§
ntdt)t bureb, fein felbfterjeugte§ Dbjelt, bie $e\t, getötet Werben fann. 2Iber aueb, bie
Segriffe ©ubjeft, Dbjelt, Sorftellung, geit, Unenblidjfeit u. f. f. finb nict/t ba3 Urfbrüng=
lidie; elementarer ift bie (alle ÄuIturWerte mit erjeugenbe) ©brache, beren ©ntftebung
praftifcfye SEriebfebern b/at ; unb erft au<§ ber tofr/cfyologifcf/en Slnalfyfe ber fbracb;Itd;en 3lu3= 25
brudStoeife für Unjerftörbarfeit unb ©eele gewinnen Wir mit geftftetlung ber ©d)ranie
be£ Problems aueb 2. tooftttb: bie fbrad)licl)e 3>orbebingung $ur Söfung be§ $robIem§.
a) ©eele ift ber 30fenfcb, als» (Sinbeit, £eib ak Drgani3mu§ bieler ga!toren; ©eele al§
Srftt^einung jarterer, bergeiftigter Munitionen, Seib aU @rfcf)einung ber gröberen ®afein^=
elemente. ©a§ Söort ©eele mit feinem mr/ftifcfyen ^^uber, befonberS in boI!§tümIic^en 30
Kombinationen (3. 93. im SDeutfcfyett mit „feiig") fnübft gleic^Wob,! an bie förberb,afte
SorfteUung ber bewegten !0?eereöfIäct)e an (got. saivala, ahd. seula, bielleicf/t au§ su
„enegen", jufammenb.ängenb mit ©ee). „©eele be§ SDtenfc^en, Wie gleicht bu bem
9Saffer! 3Som §immel fommt e§, jum §immel fteigt e§, ewig Wec^felnb" 2Bie bie
©ee, „bom ©türm gebeitfcb,t, eine ©tätte beWegenber Gräfte ift", fo Wirb bie ©eele bon 35
i'abenfcr/aften burdj)Wür/lt; aueb fie bat regelmäßige @bbe unb glut: „§immelb,o(^ jaucf)jenb,
jum iobe betrübt"; ba§ 2luf= unb 9tieberWogen erf)ebenber unb bebreffiber 2lffe!te ent=
\f>x\ä)t ber SBellenbeWegung (6are§, ^oefie unb SJloral). ^m Segriff ber ©eele liegt
toie ba§ 2eben fo aueb ber 2ßedt)fel, ba§ ^ic^tbeftänbigfein, ber %oh. ®a§ SBefen ber
fv/ji ift Sergänglidjieit; bag „unruhige, besagte ®ing" ift bem Stöbe geWeifyt (mb,b. 40
„veige"). SDer §öt)ebunft beg irbifcfyen £eben§ ift, in meb,rfac^em ©inn, feine 25ernei=
nung; im Stöbe bollenbet fid^ baö Seben. 2Ser um feine \pv$] ängftlic^ bemüht ift, ber
„toirb fie berlieren". 2tuc£) ba§ ©rlennen fcb,ü|t nief/t bor bem Untergang: mit bem
^erluft ber Hnfcr)ulb Wirft ber ©enuß bon ©rfenntni^baum bie 2tu§treibung au§ ber
Stätte, ba ber Saum ber Unfterblidjifeit ftanb. SDer Seben§bro^eß, einfc^liellicb, berjenigen 45
Unenblicbieit, Welche im ©ebanfen liegt, enbigt im Stöbe. Unb boeb, ift bie ©eele ilpm
Segriff nacb, Wefentlicb, Seben. b) SDie negatiben ^been beö Unbergängltcb,en, Unenblicf)en
entstammen bem Vermögen ber Slbftraftion unb Negation ; bie bofitiben l;aben fonfrete
Slnlnübfungsbunfte. SDie Unterwelt %. S. ift bei Stgtjbtern unb 5Reufeelänbern, im ^enoeb,
unb bei ben ©ffäern, bei ben Seltenen unb im 3Jc2l. ibentifcf) mit bem Drt be3 TOeber= 50
gangeä ber ©onne im SBeften (Procop. bell. Goth. IV, 20; SDillmann, Menocb,, ©.217;
®röb(er ©.670. 696 f.; St^Ior, 2lnf. b. Kultur II, 64). SDer Stote gef)t „bureb; baS
3jor ber untergeb/enben ©onne", um „bie 28ege ber §infterni§ %w burdjiWanberrt" unb ben
l>ater Dfiriä ju fc^auen. §ier Wie bort bie bilblicf)en 2Benbungen bom „Serfcbroinben",
„^inabfinfen in bie ©ruft", §inabfteigen in bie Stiefe, in ben 2lbgrunb, bem Slu^Iöfcbcn 55
bf» Sebenölicb^teö, bem ©c^eiben au§ bem Sanbe ber Sebenbigen. infolge folcfier f»racf;=
fia) gleichartigen Benennungen Wirb bann aueb; bie fernere SDauer be3 fterblirfien ÜJtenfcben
in Analogie gefegt mit ber „unbergänglicben" ©onne. 3?acf) ^sf 72, 17 (llo, 4) foll
ber 9Jame beg ÄönigS bleiben, fo lange bie ©onne Wäb/rt. sJfad; SDa 1 2, 3 foCC baS
-cua)ten ber ©cf)riftgelebrten ewig bauern. SDafj baö Sfönigrcid; be» ©efalbten ewig eo
300 ItufterblidjMt
bleibt, ftcfyt ber ^kobfyet SDa 7, 14. Dbtoob,! nocl) in ben ^f ©alom. (3, 16) ävaorfj-
vai ek t,<x>r)v alcbviov bgl. mit ninxEiv, nxcöfia 33. 5. 13 auf bilblicf)e Raffung beutet,
fo toürbe bod) allmäfylicb,, feitbem fid) mit §ilfe be3 „jtoeiten ©cfyriftfinneiS" awa 5tebe=
trogen fefte Kategorien r/erau3bilbeten, bie §errfc^aft be3 9fteffia§ al§ „ewige, ber $eit
b enthobene" beftimmt (§. ©cf;ul£, ätltt. £f)eoI. 831). c) 2öie — bef. nad) ä^r/btifdjem
unb affabifd^babr/Ionifcfyem 3Rt;tf>ug — bie ©onne, fo ift ba3 ©amenf orn ©rjcugnig unb
©rjeuger §ugleicf/, unb befonber§- biefeg ©innbilb ber 12nbergänglid)feit f)at jur ©djöbfung
ber UnfterblicfjfeitSterminologie beigetragen (a) ber ^3erfebb,onefuItu<§, ß) 1 Ko 15, y) ipoet.
SBenbungen, toie ©cfnllerg „üftod) föftlid)eren ©amen bergen — "). 33on biefer burd) bie
io fyomontmien 33ejeid)nungen ber ©braclje aufgenötigten 33etracf>tung§toeife ift jur Qbee ber
Sftetempffycfyofe nur nocb, ein ©d)ritt (©egrabation unb ©lebation ; ©träfe unb Säuterung).
(Gegenüber ber realiftifd)en 33ertoeriung be§ ©amen!ornbtIbe§ (Beugung, ^ellenteilung)
ftefyt bie ibeatiftifcfje, toonacf; bie ©eele ben Kerler bes> £eibe§ berietet, um in anberen
©eftaltungen eine neue £>ülle ju fucfyen, big fie bereinft 9ieforbtion in ba§ 9tid)tfein er=
15 ringt (33ubbb,i§m.). !Migiö3 bollenbet ift erft bie dfmftliclje 2lnficf)t, toonad) bie ©eele
als ©ubftanj beö 2eibe<§ burd) ba3 Sicfyt ber fd)öbferifd;en ©otte§fonne gu neuer inbibi=
bueller Seiblidjfeit fyerborgelocft toirb Qo 12 ; 1 Ko 15). ®ie ©eele rub,t „in ©ott" (2Sei
3, 1; Eot 3, 3; 2lbf 14, 13) al§ ©eifttoefen tetlnefymenb an ber ©eligfeit ©otte§; aber
burd) fcfyaffenbe ©otte§tb,at empfängt fie einen neuen, berflärten Seib, beffen ©runbjüge
20 fd)on auf (Srben burd? ftttlid)e§ 2Bad)3tum, Seiben, Übertoinben gebilbet toerben unb b,er=
au3ftraf)Ien füllen; toäfyrenb bie 33erbielfältigung biefeö ©amenf orn§ ntd^t mefyr aU bl)t)=
fiologtfcfye gebad)t toerben barf (9Jit 22, 30). 2öie folcfye 3keen fr«r$ frrad;Iid)e 3fteta=
morbfyofe ju ftanbe fommen, bafür bietet 21© 2, 31 f. als llmbilbung bon ^3f 16 ein
Seifbiel; gletdjtoofyl ift in ben bon ber dmftlidjen ^ßfyantafie gefcb,affenen 33ilbern ein
25 bollenbeter 2lu3brucf für ben §öcf)ftgrab ber £eben3fd)ä|ung erreicht. (33gl. Slbf 21, 4
au§ ^ef 25, 8.) 3)em fann toeber ber %ob nocb, bie Unfät)ig!eit, un§ bon enblofer gu=
fünft eine flare 33orfteHung ju machen, Slbbrucb, t^un (9iö 8). Unb barin liegt
IX. bie 3Sat)rt)eit ber 2lu§brmf€formen für ba§ emige Seben. ^n bem ©rabe
tote bie naturtoa^re, fittlid} begrünbete ©mbfinbung fid) entfbred)enben 2lu3brucl fd)afft,
30 fann bie 2öafyri)eit i^rer 2tu§fagen bem ^^^f6' enthoben toerben. 2Bed)fe(n bie 2ßort=
formen für ben gefcfyaffenen ©ebanfen, fo bleibt bie 5ftad)t be§ fd)affenben ©ebanfeng
unb toürbe, felbft toenn bie gefamte e§d)atoIogifd)e Terminologie au§ bem ©brad)fd)a|
be§ Kulturberfeb,rs getilgt toürbe, immer »on neuem analoge 2tnfd)auungs>bUber zeitigen.
©a§ geigen fd)on bie ©urrogate, toeld)e ßomte, ©traufj, ©umring, @. ». ^artmann an
35 bie ©teile cfyriftlidjer Hoffnung fe^en. ®er rabifalfte Reformer £5. Jobber (®a§ Kec^t
ju leben, 1878) »erlangt folgerichtig Sluömerjung aller fbracr/licfyen ätnläffe jur Qbeali=
fierung, fogar be§ toeiblicf;en ©ef4>Iec£)t§ in bem äßorte „bie ^iatur". ®ie 25urd)füb,rung
biefeö 5Ri^iIigmu§ toärejugleicl) ber Xob ber sJJaturtoiffenfd)aft, beren ^Begriffe ((Energie, ©e=
fe^, gunftion, 2ltom, ätquibalent, 2luölöfung) ebenfalls ^fälligen UrfbrungS, finnbilblid) en
40 ßfarafterg finb. 3n ie^em ®«nfen ift bie treibenbe .straft ba3 fingen nad) Klarheit,
ber SBitte, nid;t blo^ „ju einem gegebenen 33egriff feinen ©egenftanb ^u fudjen" (Kant),
fonbern ju einem gegebenen SSort feinen 33egriff, unb ju bem begriffenen ©egenftanb
fein SBort, feinen Haren fbrad)Iidj)en älugbrud". ©otool)l ba§ gegebene 98ort toie ba§
gefunbene toirb aber irgenbtoie aU fegenbergenbe§ ©efd;enf (afe befreienbe (3abi) em=
45 bfunben, unb fold)e§ ©mbfinben, bem religiöfen ©efüfyl eng bertoanbt, berbürgt ber
©brache ba, too ntdjt mü^ige^ ©biel ber ^^antafie, abergläubifdje ©inbilbung, fonbern
ernfte§ ©innen unb SEracfyten toaltet, i^r Stecht unb ib,re Kraft ju fd)öbferifd)er Urteilt
bilbung ; fo aud) in 33e^ug auf bie Unfterblid)feit. ©erabe bie Religion ber 93ernid)tung,
ber 33ubb|->i3mu§ betoeift ba§. „33erfenften ©eifteg, bie llnenttoegten, bie getoaltig ringen
60 immerbar, fie ergreifen ba§ Sförtoäna, ben ©etoinn, über toeld)en fein anberer ©etoinn"
9?irtoäna, obtoob,l man toeber fagen barf, ba^ bort bie ©eele ift, nod) bafs fie nid)t ift,
toirb bennod? bejeid)net al§ ba§ „£anb be3 griebenö, too bie 33ergänglid;feit 9tub, e finbet",
alg baö „unerme|Iid)e, unergrünblicfye 5)ieer ber ©toigfeit", bie ©d)ranfenlofigfeit, too
fein @ntfteb,en unb 33ergeb,en meb,r ift (©brücke beg SDfyammababa). ©old}e fbrad)lid)en
55 3tu§brücfe jtoingen aud) bem ^ßljilofob^en ben ©ebanfen an ein bofitibeS ^beal ber Un=
bergänglid)feit auf. 3)täcl)tiger aber als bei bem 33ubbfyiften ift bie ©elmfud)t beg ßfiriften
naa) bem abfolut 33efreienben unb 33efeligenben ; benn erft baS t^ätige ©treben unb
©Raffen im ©ienft be§ ©otte§reid)e§ entbtnbet bie 33oEfraft motorifcfjer Seben§inner=
bation, ob,ne beren 9Jtittoirfung bie ©enfibilität be§ @mbfinben§ unb 33orfteften§ quie§=
60 jierenb bliebe, ©arum fallen in ben dmftlictjen ©ebanfenfreiö biejenigen Sßortftimbole,
UnftcrbHdjrctt Itntemdjt, tf)col. 301
ir>eld)c bag irbtftf>e Sebcn alg 2trbeitgfclb unb 9?üfttag für ein t)öt)ereg ©ein cljarafterifieren.
Sie Julie ber ©ottegltebe, Wie fte bag im 9?eidj> ©otteg tätige ßbriftenberj erfüllt, ift
unmittelbare Unenblict/feit. $n bem SJtafje, wie bie reale Safig lebengtoabren (Smbfinbeng
gegeben ift, mu| bic pofittbe greube an ben Silbern cbriftlidiier Serflärunggr/offnung be=
jabt werben: birefte Verneinung märe eine Verlegung ber Kulturbflicf)t, bem innerlich 5
erfaßten $bcal angemeffene äußere gaffung ju geben, $ebe Slnbeutung befinitiber £roft=
lofigleit, jebe Verfügung ber naturgemäßen ©ct)Iuf$folgerung Don ber intenfiben Unenb=
Itcfjfeil auf eine entfyrecbenbe äußere SDafeingfülte Jjtefse ben gefunben geiftigen £eben§=
trieb unterbinben mit §ilfe bon ungefunben 33oraugfet}ungen, bie ber abftraften SDenEweife
erborgt mürben, obWofyl biefe erft jenem ibren Urfbrung berbanlt. SDarum mirb ber 10
blofj tfyeoreiifcrje ©treu um bie Kategorien ber (Swigfeit, Unenblicfyrett, Unfterblic^Ieit fo
refultatlog berlaufen mie jene Kontroberfe jmifd^en 2Iberrotften unb Slleranbriften : alg
fiegenb erfaßten fdjliefelicf) bie Partei, meiere, obWof)! ibr t^eoretifd^eg ©ogma negatib
lautete, boeb, bie etlufcfyen ©runblagen beg mittelalterlichen (Sfyrtftentumg mebr alg bie
©egner ju Wahren geeignet war: bie Slberroiften. (3>iefe leugneten bie Unfterblidjfeit, 15
bertraten aber bie bluraliftifebe ^ffycfcologte gegenüber bem $antt)eigmug ber älleranbrtften,
meiere infofern bie Unbergänglictjfeit lehrten, alg bie ©injelfeelen ifrrem Söefen naef) mit
ber JMtfeele ibentifd) unb fomit nur (Sine ©eele feien).— (Srgebnig: SDie ©tellung jur
Unftevblic^feit Wirb eine bofitibe fein, fallg 1. bie ©otteggeWifcbeit alg böefefier fonfreter
Qnfjalt beg (etfjifcf) beftimmten) SeWufjtfeing borauggefetjt Wirb ; 2. bag (Sine Söunber, 20
t»eldt;eö in bem ©ein beg 2Beltganjen liegt, unter bem forrelten Silbe einer fcfyöbferifctjen
©ottcgtfyat angefdwut Wirb, unb bemgemäjj auet) 3. bie guumftgfyoffnung, Welcfce ber
cf/riftlicr)en 9Bertfcf)ä|ung beg Sebeng entfbriift, in birelte Segier/ung gu ber Qbee jener
jauibfcrtfcljen ©oitegtr)at gefegt mirb. Unb bieg ift nietjt nur mbglicb, fonbern unerläpcf).
fmx bag reine §erj fdf>aut ©ort; fo Weit bieg §erj ein enblofeg ©ein ju Wünf(f)en ber= 25
mag, barf eg beffen SerWirflicbung auef) erwarten. SDie beiben ^nbalte beg dmftlut)
beftimmten ©emütglebeng, a) bie ^bee beg Satergotteg alg ber freien, fcfyöbferifcben Siebe
unb b) bie Hoffnung, ba£ bon bem „unenblict/en" Söert ber Siebe ©otteg niefetg gufünf;
tigeg febetben lann unb baf? bem „unenbHcfeen" (Srnft ber Sebengaufgabe feine gernftcfyt
2fbbrudb tbun barf, fommen in fo gleichartiger SBeife gu ftanbe, baft eing otme bag 30
anbere !aum gebaut Werben fann. ©inb nun bie 9realgrünbe beiber $been uner=
fdjöbflidf), fo Werben auef; bie Verfuge ju formeller ©eftattung beg ©otteg= unb TInfterb=
lic^leitgglaubeng ebenfo untilgbar fein Wie bie Kraft ber ©brache übertäubt. ®ie ©brache
alz Softer ber febaffenben (Smbfinbung ift gugleicb beg jeugenben (Srfenntnigwilteng
@efär)rtin unb bureb, ibn Butter beg gefebaffenen ©ebanleng; ibr lommt eg ju, in ©e= 35
mäpeit jener lebengWafyren (Smbfinbung beren 3öefenggeb,alt ^u bejaben.
Slugfü^rlictje (Srörterung unb Segrünbung biefer Sfyefen f. in meiner ©ebrift „®ie
^ü)oIogie beg Unfterblid^feitgglaubeng unb ber Unfterblic^feitgleugnung" (©tub. 3. bgl.
SieligiongWiffenf^aft II), 1894. ©. «Runse.
Utttcrrt(^tS= unb 35Ubung§Wcfctt, t^cologtf(^e§. — Quellen unb Sittevatuv: 40
S- 3RöHer, Se^rbucf) b. Ätrcbengefcbicbte, 1. S3b, neu bearbeitet üon §. b. ©djubert; 3. 33b,
Bearbeitet üon ©. Saiuerou, Tübingen unb Seipjtg, 1902 besro. 1899; £. 91. §afe, Äird)en=
flejd)id)te, 11. 9(uf(., Seidig 1886; 'ä. 3JJüüer, ®ird)engefcf)icl)te, 1. 93b, g-reiburg i. S3r. 1892;
2. 33b, Tübingen unb Seipjig 1902; 9(. .^arnad, ®ie SQttffion unb 9tuäbrettung beS E^riften-
tumS in ben 'erften brei ^abv^unberten, Seipjig 1902; berf., Sie Seftre ber jiuölf ?(pofteI 45
ne6[t Unterfudjungen jitv älteften ©efdjtdjte ber tirdjenuerfaffung unb beS Sircijenred)tö {%U
II, 2); berf., Sie Quellen ber fog. apoftolifcrjen Sivdienorbnuug nebft einer Unterfucfjung über
&en Urfprung beS Settoratä unb ber anbeten nteberen SESet^en (SU II, 5), Seipjig 1886 ;
SR. ©iebengartner, ©Triften unb ©tnri^tungen jur SBtlbung ber ©eiftlidjen, gretburg i. S3r.
1902; (£. Oadjffe, SieSefjre üon ber tivd)lid)en ©rgiebung, SSerlin 1897; £). gering, Sie Sebre 50
»on ber ^vebigt, 33erlinl905; D. SRitfdjf, Sijpvian üon Sartljago unb bie Sßerfaffung ber
Strebe, ©öttingen 1885; gr. X. ©ggerSborfer, Ser fjl. 9luguftinu§ al§ ^äbagoge, gretb. t. Sßr.
]907. — 91. £aud, .ftirdjengefcrjidite Seutfd)Ianb§, 1.— 4. SSb, 1. 6e§ro. 2. 9lufl. Seidig 1896
die 1903; gr. ^aulfen, ©efdndte beS gelehrten UnterridjtS, 2. 9Iuf(., 2 S3be, Seip^ig lWMi
b'5 97; 9(. y. 9{id)ter, Sebrbud) be§ fatbolifdjen unb ebangeltfdjen Sird)enved)t8, 8. 9luf(., be= 55
arbeitet üon Soüe unb gat)f, «eiüjig 1877; ®. 3. .g>efelc, Konäiliengefd)icbte, 2. 9lufL, 4 S3be,
iyreiburg i. 33r. 1873—79; ^r. 9(. ©petf)t, ©efd)id)te beS llnterrid)t§roefen§ in Seutfd)ianb
«on ben älteften ßeiten biö 51a «öittte beö 13. 3ubrr)unbert3, ©tuttg. 1885; ©. Sßlülkx, SSer=
Ht"ung§= unb 5ßerraaltung§gefd)idbte ber fäd)fifd)en SanbeStirdje (= Seiträge ,yir fäcbft[cben
Sivd)engefd)id)te, IX unb'X), ßeipjig 1894 u. 95. — 91. $1. SRtdjter, Sie eüan'gelifd)en Äird)en= 60
wbnungeit beö 16. %ax)xx); 2 S3be, Weimar 1845—46; ®. ©ef)Iittg, Sie eüangelifdjen Äird)en=
302 ttntemcfrt, tljeol.
orbnungen be§ 16. Saljvf)., 1. S3b, 1. u. 2. ?lbt., Seidig 1902—04; 91. fi. «Ritter, ©efd)id)te
ber eüangetifdjen Äirdjeituerfaffung in ®eutfd)lanb, Setpjig 1851; D. 2Rejer, S)aS 9tecf)t§leben
ber beutfd)ert ebangeltfcfjen £anbe3nrd)en, £annouer 1889; Ä. Söller, Seljrbud) be§ beutfd)en
eüangetifd)en SirdjenredjtS, Serlin 1895; $. 2)rera§, ®er eüangelifd)e ©eiftiicbe («Dconograpl)ien
öpr beutfdien Shilturgefdjtctjte, XII), Sena 1905; £ß. ®otbe, «JJcartin Suttjer, 2 «Bbe, ©ot£)a
1884—93; 3- föftlin, Martin Suttjer, 5. Stuft. Bearbeitet uon ©. Äaroerau, 2 «Bbe, »erlin
1903; ©. 9*tetfd)el, 2utt)er unb bie Drbination, 2. 9lu§g., «SMttenberg 1889; «Bürttembergifcbe
Sird)engefd)id)te, tj§geg. üom Saliner 33erlag§üerein, Satro unb Stuttgart 1893; ($. SSlöfcf),
©efcfjicfjte ber id)K>etjerifdjen reformierten Sirdien, 2 «Bbe, Sern 1898 — 99; 9t. ©ttttjelirt, fmlbr.
io Sroingli, fein Seben u. SSirfen, 2 S3be, Safel 1895—97; fr 28. ©affencamp, &effifd)e Strdjen=
gefd)id)te feit bem Bettalter ber «Reformation, 2 «Bbe, 2. 9tu§g., frranff. a. 2K. 1864; «83. Siefjl,
®ie Sdjutorbnungen be§ ©ro^erjogtumS Reffen, 3. S3b (Monum. Germ. Paedagog. XXXIII),
Berlin 1905; ©. (£geIt)aof unb SB. SDiel, Vorträge, gehalten auf ber VII. ©eneraloerfammtung
be§ Vereint für 9teformation§gefd)id)te ((Schriften b. Vereins für 9teformation§gefd)., ©djrift 83),
15 £>alte a. ©. 1904; &. SSrunner, ®ie babifdjen Sd)u(orbnungen, 1. 93b (Mon. Germ. Paed.
XXIV), «Berlin 1902; «ßfjit. gaf. Spener§ §auptfcf)riften/ bearbeitet üon «ßaul ©rünberg
(«Bibt. ttjeot. Slaffifer, XXI), ©otfja 1889 ; «ßfj. fr Spener, Xtjeologifdie Vebenten unb anbere
briefliche antworten, 4. «8b, £atte, SBaifenbauS, 1709; SB. ^ofebad), «ßt). fr ©pener «. feine
Seit, 2 «Bbe, «Berlin 1828; «ß. ©rünberg, ©pener, 3 «Bbe, ©öttingen 1893—1906; Seit Subtn.
20 öon ©ecfenborff, ßr)riften=@taat, Seipjig bei S£f)om. frttfdien, 1706; ©. Sramer, 91. £>. franrfe§
päbagogifclje Sd)riften, 2. Stuft., Sangenfalsa 1885; 91Hgemeine3 ®ird)enbtatt für ba% euange=
tifdje ®eutfd)Ianb, im «auftrage ber eoanget. Sirdjenbefjörben, Stuttgart, ©rüninger, mehrere
fratjrgänge (citiert: 91.^.); «ßrotofotfe ber beutfdjen eoangetifcfjen Äird)enfonferenä öom 8. bi§
14. Suni 1882; bief. Dorn 12.— 18. Sunt 1884, Stuttgart 1882 bejm. 1884; ßtjr. £>. gbtjarbt,
25 ©efege, Verordnungen unb 9lu§fd)reiben für ben «Bewirf be§ Sättigt. Sonfiftorium§ p §an=
noüer, 1. Vb, §ann. 1845; ©. lU)H)orn, 3)te praftifd)e Vorbereitung ber Sanbibaten ber!J£)eo=
(ogie für baZ Vfarr= unb Sd)utinfpeEtorat§amt, 2. Stuft., Stuttgart 1887; ©. Sdjmibt, ®ie
«Jfotroenbigfeit u. «Dcöglidifeit einer praftifdjen Vorbilbung ber eüangelifdjen ©eifttidjen, «-Berlin
1893. — S. Venber, ©efdjidjte ber pt)ttofopt)ifcf)en unb ttjeotogifctjen Stubien in ©rmfanb,
30 Sraun§berg 1868; S. SSraun, ©efd)id)te ber ^eranbilbung beS SteruS in ber S)ii3cefe SBürj:
bürg, 2 S3be, SBür^burg 1889—97; [©injel], ®ie tbeotogifd)en Stubien in Defterreid) unb
ttjre «Jteform, SBien 1872. — Sie übrige Öitteratur, namentlid) bie über bie einzelnen eöan*
gelifdjen «ßrebigerfeminare, f. im Slrtifel fetbft; oieifad) berufen bie «Angaben aucb, auf brief=
iidjen «Dcitteitungen ber Seiter ber betreffenben 9lnftatten, bie alle bereitWiHigft 9lu§funft ge=
35 geben t)aben.
©iieberung be8 s2lrtifel§: I. 2>te Anfänge; IL 3)ie Ulofter= unb Äatßebralfd)ulen unb
Uniuerfitäten be§ «UeittelafterS; III. Sf)eotogifd)eg ltnterrid}tS= unb «5ilbung§raefen feit ber 9te=
formation (bef. in ®eutfd)lanb) : 1. in ber enangeüfdjen Strebe: a) «Prüfungen unb Stubiutn;
b) Äanbibaten, SSitarie unb «Prebigerfeminar; 2. in ber römifd)=fatf)otifd)en ^ird)e.
40 2)e* 9(vtitet „Uniuerfitäten" ift OorauSgefe^t.
I. ® te Anfänge. ©§ £>at lange gebauert, et>e fdbft bie erften ©^uren einer Sorge
um bie SSorbtlbung unb 2Sorbereüung ber £et>rer ber ©emetnben in ber d)rtftlid)en ^ird)e
ftd) geigten, ©o lange ba^ (S^ari^ma bie Präger ber ©emetnbeämter befttmmte, toar ber=
artiges ja überhaupt au^gefd^Ioffen, unb gerqbe ba§ 9ted)t ju lehren §at man nod) toeit^in
45 d)ari§matifd; begabten juerfannt, al§ bie Stmter ber Sßerlnaltung unb be<§ ^ultu§ fd)on
me^r unb mebj nad) menfd)Ud)em ©rmefjen befe^t rourben. „93iö gegen @nbe be§ 2. %afo
b,unbertä gab e§ toafyrfcfyetnlid) überaß nod) freie £eb,rer, Saien, bie im ©otte^btenft reben
unb aud) fonft eine 2ebrtb,ätigfeit ausüben burften" (%U II, 5 ©. 88). 2tm näd)ften
b,ätte e§ gelegen, ruentgften^ bei bem^öorlefer (ävayvcooryg, Lector), ber fd;on früt) all
50 befonbere gDtteSbienftUd^e ^erfon erfcfyemt, »on öorneb,erein nad) einer getoiffen 33orbübung
ju fragen, unb fyäteftenS au§ bem erften ©rittet beS 3. ^abrb|unbert§ ftammt aud) roofyl
bie in ber fog. 2tyoftojifd)en ^ird)enorbnung (f. Sb I ©. 730 ff.) Stap. 19 fid) finbenbe
33eftimmung: ävayvcoorrjg xa&iOTavea'&a) tiqcötov doxi/ufj dedoxijuao/J.evog
Evrjxoog, diriyrjxiKog, aber junäd)ft rourbe aud; bie ^unft beS SefenS gur ©rbauung ber
5ö©emeinbe al§ eine ®ahe beS ty. ©eifteä angefe^en (SU II, 2 ©. 234; II, 5 ©. 86).
@ine 9lacr/tt)trfung biefe§ entl)ufiafttfd)en Vertrauens, bafe ©Ott burd) feinen ©eift
ben ©einen allezeit bie redeten ÜKänner ertoecfen unb fie aud) mit ben redeten ©aben
unb ^enntmffen auSftatten roürbe, ift e§ bann roob,!, bafe man nod) lange bie Setter ber
©emeinbe meb,r roerben, al§ bilben Iäf$t. 2tnberS inäre e§ t>ielleid)t getoefen, b, ätte man öon
eo Vorneherein im S3ifd)of aud) ben eigentlichen unb nottoenbigen Präger be<§ £eb,ramte§ ge=
feb,en; aber roenn er aud) ber Siegel nad) bafür galt (g. 33. bei ^uftin, 2fyol. I, 67),
altgemein ift er e3 boa) erft im 3. ^a^rb^unbert geroorben (Völler, ^irc^engefd). I, ©. 749).
©o toar e§ freiließ aud) früher fc^on roünfd)en§roert, ba^ er naideiag fi,h:o%og, dvvd-
/uevog xäg yQacpäg eQfxrjvsveiv fei, aber e§ toirb aud) ber gall in§ «Äuge gefaxt, bafe
Untmidjt, tljeol. 303
er dyga/iuarog ift, unb Widriger, als gelehrte, ift §erzcn3bilbung (2lboft. ^irc£>ert=
orbmtng, kap. 16); bielfad; febeint ber Hefter neben ber SSorlefung aud; gleid) bie 2lug=
legung beS %0e3 beforgt ju fwben (Sil II, 5 ©. 88), unb Wo aud; er berfagte, f onnten
jebcrjeit bie freien Sefyrer eintreten.
2Bof)I begegnen Wir fd;on bom @nbe be§ 2. $jaf)rl)unbert3 an gelehrten cr/riftlid)en 5
cduilen, unter benen bie fog. Slleranbrinifcbe $ated)etenfd;ule (f. 33b I ©. 350 ff.) bie
berüfyintefte ift. 2lber fie finb ntd;t au$ bem (Sebanfen krborgegangen, für bie 33tlbung
beu beranWad)fenben $Ieru3 zu forgen, fyaben bielmel)r Waljrfcfyeinlid; junädift lebtglidi
apologetifebem ^ntereffe gebient. SDennod) finb fie im (Srfolg geWifj bielfad) ju einem
§attbtnüttel für bie 2lu3bilbung cbriftlicfyer Seb^rer geworben (Stabiler a. a. D. ©. 253 f.) 10
unb fyaben, ben fycibnifdjen ^31t)iIofDp^ett= unb ^ktorenfdmlen nacfygebtlbet unb bie d)rift=
lidje 2Bal)rf)eit mit ben Rütteln kibnifd;er Söiffenfcfyaft berarbeitenb, biet baju beigetragen,
ben fyeibnifcben ä\>iffens>ftoff in bie d)riftlid)e (Semeinbe einzuführen. Md)t im entfernteften
barf man aber an irgenb eine Strt bflicb> ober geWofmkitömäfsigen Sefud}§ biefer
Sdmlen benfen. ib
£ie erften Anfänge zur bemühten §eranbilbung geiftltckn ^acfyWucbfeg fallen mit
ber ©ntftebung ber Ordines (f. 33b XIV ©. 425 f.) im 3. ^G^un^rt gufammen. ©ic
finb aui ben 33ebürfniffenpkr ftrd;lickn SrajiS fjerborgegangen, bod) werben bann ganz
öort felbft bie nieberen 2(mter ju einer Sorfdmle für bie fyöfyeren. 33alb Wirb e§ aU
ettoaS (ümbfefylen^ unb 9}acfeaf)men3toerte§ angefekn, baf* jemanb alle Ordines nacb= 20
einanber befletkt unb zum fyökren nur bom nieberen auffteigt. -Küfmienb fyebt Gt)brian
(Ep. 55, 8) bon Gornelius> bon 9tom berbor: non ad episcopatum subito pervenit,
sed per omnia ecclesiastica officia promotus ad sacerdotii sublime fasti-
gium eunetis religionis gradibus ascendit; unb goftmuS (Ep. 11) l;at fbäier bie
Reiten für bie einzelnen ©tufen forgfältig abgegrenzt : er forbert fünf $;ake für bie 25
nieberen SBeibert, bier Qatjre für ben ©ubbiafonat unb abermals fünf ^a^re SDienft al§
Jiafon. $jn ber afrifanifdjen ^irct)e erfekint bann bie gorkrung, bafj niemanb ofme
Prüfung bon einem Ordo zum anberen gugelaffen Werbe; ßtibrian (Ep. 29) f)at fie
juerft geftetlt (bgl. 9titfcb,l, Gfybrian bon tartfyago, ©. 170 f.), unb ba§ Konzil zu §itojpo
(393) i)at fie fid) zu eigen gemalt (£>efele, ^on§tttengefcr>ic^te, II, ©. 57). 30
SSor allem Werben e3 braftifck gertigleiten geWefen fein, bie man zum £-nbalt einer
folgen Prüfung machte, ©ie lernten fid} am beften burd; ba§ 33eifbtel unb bie Übung,
unb fie fid) anzueignen genügte ein amtltcb^btenftltcber 3ßerlel)r. Sielfad) blatte fid) aber
aud) febon ein engerer berfön(id)er 3Ser!ef)r, eine 3lrt §au^genoffenfd;aft be§ 33tfd;of<§ mit
ben jüngeren ^lerüern jum fttoeä ibrer UnterWeifung krau^gebilbet, bie fog. ©iatribe 30
(ciebengartner, ©djriften unb @inrid;tungen, ©.10 f.). ©inb au§ älterer 3e^ bie5Rad)=
nebten über fie unflar unb unbeftimmt, fo finb au$ bem @nbe be3 4. ^a^rb^unbert§ un§
bie erften beftimmteren Angaben über eine berartige ©inridjtung erhalten. 2Bieber ift c<o
äfrüa, Wo Wir fie am meiften auggebilbet finben. §ier berbanb Sluguftinug mit if>r
gönnen beg 9Jcönd)tumg unb geftaltete fie baburd) gerabeju ju einer 2Xrt Älertferfdmle, 40
lcenn man barunter niebt ein Unternehmen jur §eranbilbung werbenber, fonbern nur jur
älusbilbung fdion im ©ienfte beftnblid;er Vertier berfteb,en barf (f. Sb II ©. 274, u ff.).
3luguftinu§' „De doctrina christiana", namentlid) ba§ 4. Sud;, eine SCrt §omiletif
(Öcring, fiebere bon ber ^rebigt, ©. 28 ff.), unb bie Heine ©djrift „De cateehizandis
rudibus" fönnen ung zeigen, \va§ etwa in biefer ©dmle getrieben Würbe. 3Jad)Weialid; 45
finb mebrere ejegetifd;e ©Triften be§ 3luguftinu§ au§ ben mit ben jungen Hlerifern be=
triebenen ©tubien erWacbfen. Über bie in§altreid}en beleb^renben SLifcbgefbrädje b^at un§
^ojfibiul (f. Sb XV ©. 574 ff.), felbft ein ©cbüler be§ 2luguftinu§, in ber Vita feines
Sebrerg Wertbolle ^adn-td}ten binterlaffen.
^ablretcbe Sifd;öfe finb au<? jener ©d;ule bamate berborgegangen, bie nun ib^rerfeitS 50
toofyl wieber in äf?nlic^er SBeife erziel)li<b auf tb^ren üleruS einwirken, fo ba^ Wir überall,
too fie im 3lmte ftanben, berartige ©djulen annehmen bürfen. %n älfrila begegnen un§
3ll^iu§ bon iEagafte, @bobiu3 bon lljalig, 5ßrofuturuS bon Girta, ©eberuS bon 9)Jilebc
unb UrbanuS bon ©icca (@gger§borfer, ©er f)l. 2luguftinu3, ©. 130 ff.). 2lber aud; über
Wiia b^inau§ wirb 2tuguftinuö 9<lad;foIger gefunben t>aben. 3Baö Wir im 5. unb 6. Qabr= 55
bunbert an äb,nlid)en @inrid)tungen in ©übgallien unb ©banien finben — j. 33. Serinum
«i-33b XI ©. .100 ff.) unb fein berühmter ©cbüler Säfariuä bon Slrleg (f. 33b III ©. 022 ff.) — ,
— , toirb auf feinen ©influfj zurüdgeb^en.
Xod) muffen Wir bor übereilten Serallgemeinerungen gerabc in biefer älteften $eit
uns brüten, ©er Silbung^zuftanb unb bie @inrid;tungen finb in ben einzelnen ©cbicten co
304 Untemdjt, tfjeol.
ber $ir$e fe^r berfcbjeben geWefen. Unfere 9?acf)rtdj)ten aber finb um fo unfidjerer, al3
Wir bei ben Wenigen Duetten, bie Wir fyaben, nocb, nicfyt einmal überall mit ©ict)erl)ett
ben Drt ifyrer ©ntftetmng angeben tonnen. —
IL ®ie &Iofter = unb ®at{;ebralf$ulert unb Uniberfitäten be§ 9JtitteI=
6 altera. 2Ba§ bt3b,er fiel) fyerauggebitbet fyatte, ift burct; bie ©türme ber 33öIferWanberung
bielfacb, wieber bemid)tet Worben. 2öa§ aber an gürforge für bie 33ilbung be§ $Ieru3
ficb, firtbet, ftettt sunäcfyft al3 diMhfyx ju ben ehemaligen @inrict)tungen fic^> bar. ©o be=
ftimmte ba§ ^onjil §u 33aifon (529) unter au^brücflicfyem §intoei§ auf ältere italifcfye
33erfyältniffe, baß bie ^ßre§bt)ter bie jüngeren Vertier in ib,r $au§ aufnehmen unb fie im
10 ^falmengefang, in firdjltcfyen Seitionen unb im göttlichen ©efe£ unterrichten füllten
(§au<f, ®ird)engef4 £>eutfcf>l. I, ©.219). ®a3 Äonjtl ^u 33racara (569) befdjloß, bamit
auct) alte 33eftimmungen erneuernb, baß niemanb 5ßriefter Werben fülle, ber nid^t Wenig*
ftens> ein %ai)x lang ba§ 2Imt be3 £eftor§ ober be§ ©iafonen berWaltet unb fo bie Jira)=
liefen Drbnungen lernten gelernt fjabe (MSL 33b CXXX, ©. 566). Unb auefe, ba§,
15 "maS bie nacb, 33enebift3 bon S^urfia (f. 33b II ©. 577 ff.) SSorbilb neu gegrünbeten
Möfter auf unferem ©ebiete leiften, unterfcfyeibet ficb; nicfyt Wefentlid) bon bem, »a§ et)e=
mafö fd)on 2luguftinus> unb feine ©djüler eingerichtet Ratten.
^Otogen bie 33enebiftinerflöfter bon 2lnfang an ben Setrieb ber 2Siffenfdj)aften in t^re
Siegel aufgenommen (a. a. D. ©. 582, 22 ff.), ober mag erft ßaffioboriuä (f . SBb III ©. 749 f .)
20 Wiffenfdpaftlicfyer Arbeit in ben ^löftern ba§ rechte Stnfefyen berfdjafft fyaben, etWa3 ^Jceueg
gegenüber 2luguftinu3' 33eftrebungen wirb bod) erft baburefy gefcfyaffen, baß bewußtermaßen
bie §eranbilbung ber $ugenb jum fircbjicfyen £)ienft al§ Slufgabe ber Softer erlannt
wirb unb $lofterfc£mIen für Knaben begrünbet werben. -iDcbglicb,, baß berartigeS b,ier unb
ba in mannen Softem fcfyon früher gefct)el)en ift, inbem bie fog. Oblati, bie ben Softem
25 fcfyon im früf>eften Sllter (im 7. ober fdjwn im 5. %at}xe) zugebrachten Knaben, bon felbft
auf Unterricht ber ^ugenb führten (©becl)t, ©efc|. be3 Unterrt<l)t<§Wefen§, ©. 9 f.), bie
erften fixeren ©buren planmäßiger ^lofterfc^ult^ätigleit finben fieb, in ber angelfäc^fifd^en
3?tr$e. 23on t>ier I)aben foWo^I 33onifaciu3 (f. 33b III ©. 301 ff.), Wie 3llfuin (f. 33b I
©. 365 ff.) bie ©a$e nacb, ©eutfcfylanb unb in ba3 granfenreieb, getragen, unb in ifyrer
30 9^adt)foIge Ijat Äarl ber ©roße feine berühmte „Constitutio de scholis per singula
episcopia et monasteria instituendis" (um 790) erlaffen (§auc!, Ätrd^engefd). ©eutfd)=
Ianb§ II, ©. 186 ff.). ßb^robegangS (f. 33b IV ©.82 f.) Reformen b^aben Wofyl bon
bornfyerein unter bem (ginfluß foIdt)er 33eftrebungen geftanben, fo baß er bei feiner Drgani=
fierung ber SSeltgeiftücfyfeit gleich bie bon ben ^anonifern ju leitenben ^atb^ebralfcb^ulen
35 ben ülofterfclmlen an bie ©eite ftellte (©toeeb^t a. a. D. ©. 12).
2tu§ katl§ be§ ©rofjen unb 3lKuin§ 33eftimmungen gewinnen nur einen beutltcb^en
©inblicf in ba§ tl>eologifd)e Unterricb^tgtüefen il)rer 3e^t. 'sDer Unterricht begann mit bem
^ßfalmenunterricb^t. ©er ^falter, ha§ tägliche ©ebetbud) ber Älerifer, biente außer ben
elementarften ^atecf)i§mugftüc!en (©laube unb SSaterunfer) fomob^l al§ erfter £ern= wie al§
40 erfter Sefeftoff ; er Würbe ganj auöWenbig gelernt. 3>l)m folgten bie Wicb^tigften religiöfen
gormein, ba§ ältbanafianum, ber @Eorci§mu§, ia§ ?ßönitentiale u. bgl., Weiterhin ba§ @ban=
gelium ober bie 2eItionen be§ Somes unb bie .vSomilien für bie ©onn= unb gefttage.
3um Unterricht im Sefen trat balb ber Unterricht im ©einreiben unb im lircb,licb,en ©e=
fang; außerbem ba^ 53erecf)nen ber t'xxfy liefen gefttage unb bie lateinifcfye ©rammatü.
45 ©eförbertere ftubierten bie „Regula pastoralis" ©regorä be§ ©roßen (f. 33b VII
©. 87, 7 ff.), 3fibor§ „De offieiis ecclesiasticis" (f. 33b IX ©. 449, 36 ff.) unb ben
^aftoralbrief be§ ©elafiug (f. 33b VI ©. 473), W03U für bie Hanoniler noef? bie „Re-
gula de vita canonica", für bie SRöncb^e bie „Regula S. Benedicti" lam (©beeb^t
a.a.O. ©.58 ff. bef. 62 f.).
50 ®amit War bie Wic^tigfte geiftlicb^e 2lu§bilbung, bie fieb^ jemanb jur 9^ot aueb, Wo|)I
in ben ^farrfcfyulen aneignen lonnte, Wie fie eigentlich bei jeber Pfarre borfyanben fein
füllten (©beeb^t a. a. D. ©. 26), erfcb^öbft. 2Ber Weitere ^iele berfolgte, ber trat nunmehr
in ba§ ©tubium ber fieben freien fünfte ein, ba§ minbeften§ feit 2luguftinu§' fttit, feit=
bem 9Jtartianu§ 9Jcineu§ gelij Gabella bie Septem artes liberales unter bem 33ilbe
55 ber §o%it SRerlurg mit ber ^|ilologie in neun 33ü$em bargeftellt blatte (31. ©bert,
©efa^icb^te ber Siteratur be§ Mittelalter^, I, 2. Slufl., ©. 482 ff.), mel>r unb meb^r bie
©runblage b^o^erer 33ilbung geworben War unb e§ ba§ ganjc Mittelalter b,inburc|i, ja
bi§ in bie 3fteformation§jeit hinein geblieben ift. $n bie ©rammatif, ben erften 'Seil be3
Xribiumg (ber erften brei ©tücfe ber Artes liberales), Waren bie ©djüler feb, on notbürftig
60 eingeführt ; ju ib^r gehörte nun aber aud) bie Seftüre ber Iateinifct;en ©cb^riftfteller ; @ato<§
ttnterridjt, tljcol. 305
£iftid;en (gerb. Qaufyal, Catonis philosophi über, 23erlin 1869) matten ^>ter ben
2Infang, SLsirgil unb Dbib waren bie Wid)tigftcn flaffifd)en 2lutoren, bie freilid; b/äuftg burd)
bie d;rifilid;en 2)id;tcr 3uöencug un^ ©ebuliul erfeist Würben. 2luf bie ©rammatif
folgten afö fernere Seile be3 S£ribium§ bie 9Ü)etorif unb SDialeftif, erftere namentlich an
giceroS „De inventione" ftubiert unb bielf ad; unmittelbar mit bem 9ted)t§ftubium ber= 5
bunben, im übrigen aber feltfamerWeife gering geartet, ba e§ nad) ^fiborö Söort gur
SSerfünbigung beS SßorteS ©otteS „be§ älsortgebrängeS eine3 S^etorä" nicfyt bebürfe ; bie
£ialeftif in ^Deputationen geübt unb meb,r unb mefyr im 'sDienfte ber ©d)oIaftif als
„Königin be§ ©d>ulunterrid)t§" fid; I)erau3bilbenb. 2Bot)I galt bag Sribium, ba<§ fpradt)=
lid)e ©tubium, al3 ba3 gunbament, auf bem bie gefamte tfyeologifcfye ©eleb)rfamfeit fid) 10
aufbauen lonnte; bennod) begnügte in ber Siegel aud) ber gelehrte Geologe fid) md)t
mit ben ftorad)licl)en gackern, fonbern fd^ritt jum Quabribtum ober jur 3Ratb,ematil fort,
bie in Slritfymetif, ©eometrie, SJtufif unb Slftronomie fid; teilte, unb bie infolge biefer
Sultibierung burd; bie Geologen mefyrfact; rein tfyeologifcf) beftimmt War. 33ei ber 2lritl)=
metif mar ber $ombutu§, bie fircbjicfye geitrect/nung, keren ©runbjüge ja fd)on bem ele= 15
mentarften Unterricht angehörten, ein §aubtgegenftanb be3 ©tubiumg; aftronomifdje
ilcnntniffe bilbeten baju bie notWenbige ©rgänjung ; Dielfad; würbe aber aud) bie mt)ftifd;e
Sebcutung ber 3afolen im bi;tf)agoräifd;en ©inne befyanbelt, unb bie ©cfyüler in bie tieferen
©ebeimniffe ber 3aI)Ienlef)re eingeführt. ®a§ grünblid)e ©tubium ber 3Jtufif erforberte
aua) tfieoretifcfye ^euntniffe, Orientierung über Tonart unb 9>il)r/tt)mug, über &lang= 20
gefcl)Iecr)ter unb 33ermifd)ung; e3 Würbe bes>I)alb juweilen bire!t mit bem ©tubium ber
2lritb,metif berbunben. ®a§ ©tubium ber ©eometrie aber Würbe man f)eute als ©eo=
grabine bezeichnen.
Sieben ben freien fünften, bie einzelnen aud) Wob,l, fo weit fie nid)t bireft ber %foo>
logie bienten, als ungeiftlid) unb und)rtftltd) erfcb,ienen (bgl. 3fü>Dr/ Mon- reS- caP- IX)? 25
liefen aber batriftifd)e, lanonifttfcr/e unb bor allem er,egetifd)e ©tubien felbftftänbig 6er.
■Jiamentlid) 2luguftinus> mürbe eifrigft gelefen ; bie bieten mit beutfd)en ©loffen berfet)enen
.vtanbfcfyriften ber „Canones Conciliorum" unb ber „Decreta Pontificum" geigen,
bajj man fid; ötel mit ib, nen befaßt l)at ; unb baf? er.egettfd;e ©tubien al3 f elbftberftänblid)
erachtet Würben, l)örett mir toon 9fabanu§, ber (De clericorum institutione, III, 30
Äab. 1) fagt, bafj fein SUerifer auf iI)eoIogifd)e 23ilbung irgenb einen Stnfbrud) ergeben
fönne, menn er nid)t r/inreicfyenbe 33ibelfenntni§ befäfce (©beeret a. a. £)., bef. ©. 81 ff.).
3n baä 12./13. ^ab,rl)unbert fällt bie @ntfteb,ung ber Uniberfitäten (f. ben Slrt).
Sun je|t an mirb e^ meb/r unb meb/r ©Ute, ba^ bie, bie b,bf)ere tl^eologifd^e 33ilbung be=
geb,ren, biefe auf bem Studium generale fid; fud;en. SSor allem metteifern bie Drben 35
barin, ftetg mehrere il>rer ©lieber ftubieren unb afabemtfer} e ©rabe fid) ertoerben ju laffen.
3lber aud; gürften unb ©täbte machen ben ©rtoerb befiimmter ^ßfarrftellen öon bem 33efi|
a!abemifcber ©rabe abhängig (Seiträge gur fädjf. ^ird;engefd;. X, ©. 157 f.). ©0 erfe|en
biefe bielfad; bie burct)meg bernacfjläffigten unb beräu^erlicb,ten Slmt^rüfungen, unb immer
fteb,t eine grofce $at)l gelehrter Sb.eologen au(f} im brafüfdjen 3lmte; freilid; niebt gerabe 40
in ben fyöcfyften ©teilen, ba e§ meb,r unb meljr möglid; getoorben ift, biefe bureb, ©unft
unb ©elb ju ermerben (§afe, ^ir^engefcfji^te, ©.322 f.); bod; finb bie b, öcb,ften Beamten
unb Berater ber 33ifd;öfe unb anberer b/ob/er ©eiftlidjen meift miffenfdjaftlicf) gebilbete
Seute unb au^er in ber Geologie bor allem im iird;Iid;en $Redb,t bemanbert.
^m allgemeinen werben bei bem tb,eoretifcb,en, fd;oIaftifd)cn (f. oben) betrieb be§ 45
StubiumS bie ©rforberniffe beä geiftlicb.en 2lmte3 bernac^läffigt. ©ie ^3rebigten ber $eü
tragen bielfacb, ben ©tembel ber ©ct/olaftü, ben aud; bie 3Jit)ftif nic^t immer §u Verbergen
öermag (gering a. a. D. ©. 71 ff.).
SJlancfye litterarifd;e @rfd;einungen au§ ber ^Weiten §älfte beä SJcittelalterS, bie nadb
Srfinbung ber 33ucb,bruder!unft fid) Raufen, geigen, ba^ man jenen Mangel emtofanb unb 50
ifm abjuftellen fud)te. Sieben b,omiletifd)en Hilfsmitteln, bie freilid; nid)t immer aU cin=
toanbsfreie güf^rer fid) ertoeifen (f. 33b XV, ©. 652 ff.), unb Suchern, bie bem Witf;tig=
ften lircb,Iid;en ^nftitut, ber 33eid)te, ju bienen beftimmt finb (f. bor allein ©effden, £>cr
Silber!atecf)i§mu§ be§ fünfzehnten 3af)rl;unbert§, I, Seidig 1855, ©. 28 ff.), finben fid;
aud; ©rfd)einungen baftoraltb^eologifd;er Slrt, fo bor aßent ber fd;on 1330 gefd;riebene, 55
aber erft im 15. ^ab,rl)unbert berbreitete „Manipulus curatorum" beS ©uibo be 9Ronte
3!otb,erii, unb bie ©Triften be§ Sanier Pfarrers Ulrid; ©urgant (um 1500).
S1" 15. unb 16. gab,rl;unbert bringen in bie gelehrten Greife ber ©eiftlicf)en buma=
niftifd;e ^been ein. 3)aburd; Wirb bielfacb, bie tl)eologifd;e Silbung neu befruchtet unb
bor allem aud; Sibelftubium Wieber meljr an bie ©teile ber ©djolaftit gefegt ; bod; giebt (.0
Weol=ffinc^Hopäbie für Sljeologte unb Kir«e. 3. 21. XX. 20
306 Itnterridjt, tJjeoI.
e3 aud] ©eifilicfje, bie anftatt tfyeologifcb, lebiglid) l;umaniftifcf/ gebtlbet jinb unb mit
ber i$ereb,rung für bie Sffierle berÄlaffifer bielfad) aud) tf>re 2öeltanfd)auung angenommen
I)aben. —
III. ^fyeologifcfyeg Unterrid)t<§= unb Silbunggtoefen feit ber 9tefor=
5 matten (bef. in £>eutfcf)Ianb); 1. in ber ebangelifäjen ^ircfye; a) $ßrü =
fungen unb ©tubium. ©obalb au§ ber reformatorifcfyen Setoegung be§ 16. ^ai]x-
i)unbert§ ein neues ^irdjentoefen ftcb, ju bilben begann, fyat man bedangt, baf$ bie
©iener am 2öort einer Prüfung fieb, unterbieten unb ib,re 33efäb,igung betoeifen füllten.
2öa3 gunäd^ft ba§ 2Bittenberger 3fteformation3gebiet betrifft, fo Reifet e3 fd)on im
10 „Unterricht ber Sifitaioren" (1527), ber ©runblage ^freier/er ebangelifdjer Sürdb,enorb=
nungen, bafj, bebor jemanb jum $farrl)errn ober ^ßrebiger angenommen mürbe, er §ubor
bem ©uberattenbenten folle borgeftellt toerben; ber folle iljm »erhören unb examinieren,
toie er in £ef>re unb Seben getieft, unb ob ba§ 3SoII mit U)m genugfam berfefyen fei,
auf bafj fein Ungeklärter ober Ungefcfyicfter jur S3erfüb,rung be3 armen 33oIIe§ auf=
15 genommen mürbe (Sßeber, SMancfytfong Hird)en= unb ©djulorbmmg, ©cfjlücfytern 1844,
©. 104 f.). £>ie ©uberintenbenten mit biefer Prüfung ju betrauen, mar nur ein bor=
läufiger akrfud); balb Reifet eS (ßurfädtfifctie «ßifttationSarttfel 1529 unb 1533: Stifter,
©bangel. ®ircb,enorbnungen, I, ©. 103, 226), bafj ein jum ^farrfyerm 2Iu§erfeb,ener jum
23erb,ör an ben £jof folle getieft toerben; burdj) bie Reformatio Wittebergensis (1545)
20 toirb bie Prüfung ber tfyeologifdjen gafultät übertragen, bi§ enblicb, bureb, bie furfäcbjifcfye
$irct)enorbnung bon 1580 bie oberfte geiftlidje 33el)örbe bamit betraut mirb (Sudler a. a. D.,
©. 83, 90; ©efyling, JÜrctjenorbmmgen, I, 1, ©. 377 ff.). ®a§ ift bann in ben meiften
ebangelifd)en £anbe§fird)en borläufig Dtecfyt getoorben, immer junäc^ft aber fo, bafj bie
beborftefyenbe Slnfteßung jur Prüfung erft ben Slnlajj bietet.
25 @§ liegt auf ber §anb, bafj Sutfyer unb sJJMand)tbon, felbft bureb, gelehrtes ©tubium
fyerangebilbet unb felbft £eb,rer an ber Uniberfität, feinen anberen als ben afabemifcfyen
33tlbung3gang für ben ebangelifcfyen ©eiftlidjen toünfcfyen tonnten, ©o mad)t benn auo)
bon borne^erein ber „Unterricht ber 33ifitatoren" neben ber ©efcfncflicPett bie ©eleb,rfam=
feit ^um ©egenftanb ber Prüfung, ©emtod) fyaben bie ©ramina ber erften ^afyxifyniz
30 oft genug gänjlicb, babon abfegen muffen, toeil toiffenfcttaftlicb, gebilbete (Sraminanben
md]t jur Verfügung ftanben. ®a3 Sötttenberger Drbiniertenbucb, 1537—60 (b,erau§gegeben
bon 33ud)toalb, Seibjig 1894), ba§ — ba anfangt üffiittenberg für faft alle ebangelifcfyen
£anbe<oftrct)en orbinierte — einen großen £eil ber erften ebangelifeljen ©eiftlicfyen umfafjt,
nennt neben 647 au§ ber Söittenberger Uniberfität ^erborgegangenen unb 125 fonftigen
35 ©elebjten aucr) 425 ©cfyulmeifter, 81 Kantoren unb 211 Lüfter, bei benen gelehrte 33il=
bung j. T. minbeften§ f)öd)ft jtoeifelfyaft ift, unb aufjerbem 161 Drbinierte, bie jtoeifeKoS
feine gelehrte Silbung befeffen ^aben, 3. %. Aanbmerfer, ^uc^mac^er ober auef; furjtoeg
aU Bürger S3egetcr)nete. ^ro^Seonfjarb^utterl^roteft gegen jefuiiifdje ^Bortoürfe (®rünbt=
lieber 3Sericf)t bom orbentlicf;en unb rechten Slboftolifc^en Seruf unb Drbination ber Sutb, e=
40 rifcb,en @bangelifcf;en 5ßrebiger= Söittenberg 1608) läfst e§ fieb, alfo boeb, nicf;t beftreiten,
ba^ bei ben £utb,erifd)en aueb, „gemeine Saien ju ^rebigern berufen unb aufgeteilt"
toorben finb (bgl. aud) SDremg, ®er ebangelifcb,e ©eiftlic^e, ©.20 unb 22 f.). SBirb aueb,
übertrieben fein ober ju ben berfd)minbenben 2lu3nal)men gehört fyabm, toaö bie ^efutten
aud] beraubtet b,aben, ba^ manche noef; nid;t einmal b,ätten lefen ober fcbjeiben fönnen
45 — ba bie, bie nidjtt felbftftänbig eine ^rebigt abjufaffen im ftanbe toaren, bod) minbe=
ften§ eine mußten borlefen fönnen — , fo b,at bielfatf; bod) mob,! bie elementarfte SSor=
bilbung ^ur 33erfeb,ung eineö geiftlicb^en 2lmteS ausreißen muffen, ©te Prüfung toirb in
ber älteften ßeit bielfacb, toefentlid) in ber 2lbnal)me beä 3Serfbred)en§ beftanben b,aben,
bie reine ebangelifd^e £eb,re ^u brebigen, toie folcfje äkrbfticfytung bor aßem bie ©o^Iarer
50 Äircfyenorbnung ung aufbehalten b,at (9ttcf)ter a. a. D. ©. 154 ff.).
®oct) f)at man n\d)t abgelaffen auf gelehrte 33orbilbung ju bringen. 3m 3a^r 154:4
toirb in £eibjig augbrücflicl; feftgefe^t, bafe feiner folle angeftellt toerben, ber nia;t eine
Seit lang auf einer Uniberfität getoefen fei; toerbe ein -ftic^tftubierter für ein Slmt bor=
gefcr)Iagen, fo folle er erft einige 3«tt ftubieren; nur ganj au§nab,m§toeife follte e§ ge=
55 nügen, toenn er bei einem ©uberintenbenten ober Pfarrer in praxi ben &ird)enbienft
fennen gelernt l^abe (©retoö a. a. D. ©. 16). ©0 tourbe eine getoiffe gelehrte Silbung
jebenfalls balb bie Siegel. 9Jtinbeften3 bürfen toir bie 23ilbung, toie eine £ateinfcb,ule fie
barbot, balb aU bie ®urdb,fcb,nittsbilbung be§ geiftlid)en ©tanbeg borau§fe|en. Unb um
fo mel)r fonnten bie £ateinfd)ulen al§ geeignete SilbungSftätten angefeb,en toerben, afö
ro religiöfer unb bireft tl;eoIogifcl;er Unterricht eine breite ©teile in il)nen einnahm. £eb,rer
Unterrtdjt, tljcol. 307
an biefen ©cfyulen Werben gerabeju als ^rofefforcn ber Geologie bcjcicfjnet (Setträge jur
fäcbj. iircfyengefcr/., X, ©. 137), unb bte in ben Seligtonöftunben befwnbelten lateimfcfyen
$ate$i3mu3au§Iegungen Warfen mefyr unb mcl)r ju ^ombenbien ber ©ogmatif ftd^ au§
(cgi. 3. 93. Conr. Dieterici Institutiones Catecheticae, neu herausgegeben bon 2t. ©.
<£iecffyoff, Berlin 1864); ja bielfacb; Waren in ben Sateinfdjmlen gerabeju 9JceIancr/tfyon§ b
„Examen Ordinandorum" (CR XXIII, ©. 1 ff.), um 1552 bon tf)m zufammengefteltt,
unb fbäter ©elneder^Explicatio Examinis Ordinandorum" (f. 33b XVIII ©. 189,Eoff.),
bte meiftgebraucfjten $om|penbiert ber lutfyerifcfyen Geologen im 16. unb 17. Jjafyrtmnbert,
ak Schulbücher im ©ebrauef?.
©ie jeigen un§, bafj bie Dogmatil §temltc^ uneingefcr/ränt't in ber bamaligen tfyeologt* 10
fcfycn 23ilbung bie §errfcf)aft führte, ^n ber furfäd)fifc£)en förcfyenorbnung bon 1580, bie
neben jenen $ombenbien über bie an bie jungen Geologen geftellten ätnforberungen mit
am einge^enbften uns unterrichtet, Wirb freilieft, aueb, auf bie 33e!anntfcfe,aft mit ber ©cfyrift
befonbere§ ©eWicfyt gelegt; au3brücflicb, wirb geforbert, bajj feftgefieltt Werbe, ob bie @i-a=
minanben aueb, „felbft in ber 33ibel nad)gefc£)Iagen unb fiefy be3 eigentlichen 33erftanbe3 15
bort erholet fyätten" SDennocb, fommt bie ©dpft nur al<§ ©bruct/fammlung für bie bog=
matifcfyen Slrtifel in 93etracb,t; all felbftftänbiger Sßrüfungggegenftanb erfef/eint fie nicfjt.
£a3 anfängliche ernftlicfye 93eftreben, bie lutfyerifcfyen Ideologen bor allem %u ©c§rifi=
Geologen ju erstehen (»gl. ^Beiträge jur fäcfyf. ^ireb, engefcf)., X, ©. 132 f.), war alfo balb
berfannt ober mijjberftanben Worben. ^Dagegen ift e§ bebeutfam, bafj in ber Iurfäc£)fifdE>ert 20
ßircfyenorbnung bie Slblegung einer ^robebrebigt gum 33eftef)en be<> @jamen§ erforberltcf)
ift; bal ift ein berfyeifjungSbolter 2lnfa£. ©inline aufbehaltene Prüfungen (befonberS
ÜJieIanct)t^on§ : f. ®reW§ a. a. D. ©. 41; bgl. aud) geüfcfyrtft für nieberfäcbj. ^ircb,en=
gefäkr/te, VIII [1904], ©. 121, 167 ff., 196 ff. u. ö.) berraten un§, inwieweit im all=
gemeinen bie ©jaminanben ben geftellten ätnforberungen entfbracfjen. 2B
6ine gan§ befonbere Stellung nimmt in ben tutfyerifcfyen ©ebieten Söürttemberg ein.
§ier ftiftete £>er§og Ulrich gur §eranbilbung bon Staate unb $trct)enbienern ba§ fog.
©tibenbium an ber SanbeSuniberfität unb überwies tt)m am 6. 2luguft 1547 ba3 Tübinger
2luguftinerflofter. §erjog SI)rifiobI) forgte aud) für ben jüngeren tbeologifcfyen SRacfyWucfys,
inbem er 13 Softer in ebangelifcfye ^lofterfctmlen umfefmf, bon benen freiließ 4 fefyr balb 30
toieber eingingen. Sanbegfinber im Sllter bon 14 ober 15 $al)ren, bie bie 2lufnar/me=
Prüfung in ©tuttgart beftanben Ratten, fanben in iljmen älufnafyme unb würben bann
aujjer in ben gewöhnlichen gackern ber £ateinfd)ule unb in ben Slnfang§grünben be§
©riecf)ifct;en and) fcfyon unter gang fbejieller SRücffidjt auf ib^ren fbäteren 33eruf unter=
rietet; fie Würben eingebe enb mit bem 3fJeuen SEeftament in Iatemifd> er Überfettung befannt 35
gemalt, tourben in ben ^ßfalter unb bie 5ßeriloben eingeführt unb im Sb^orgefang geübt.
2lu§ ben nieberen, grammatifcfjen famen fie bann in eine ber 4 beeren älofterfdmlen,
Sebenb^aufen, ^errenalb, §trfcb,au unb ÜHauIbronn, too ju ben genannten gackern bor
allem bag 3llte SEeftament, ©ialeftif unb ÜRb/etorif hinzutraten. 16 ^ab,re alt fonnten
fte in ba§ Tübinger ©tibenbium ober ©tift aufgenommen Werben. §ier bereiteten fie 40
ftcb, jmei %cfyxz auf ba§ 33accalaureat ober 5Uiagifterium bor, inbem fte ben $urfu§ ber
S(rtiften=galultät abfolbierten (f. b. 3t. „llniberfitäten") ; nur nebenbei Wibmeten fie fieb,
%ologifc|en ©tubien, inbem fie 33orlefungen über ein tfyeologifcfyei S^ombenbium unb
über bie ^ßaftoralbriefe hörten. @rft im brüten Safyre Wanbten fie ftd) ganj bem 33eruf§=
ftubium ju. ^m Wesentlichen ift bie Stnlage beg ©tubium§ bx§ bleute bie gleite geblieben 45
(2Bürttembergi|cl)e Slircb^ngefcincf/te, ©. 365, 401 f., 444 f. u. b.). —
yiiä)t minber fyat man auf reformierter ©eite bon 2tnfang an bie gehörige 2tu§=
bilbung ber ©eiftlidb,en betont. 33on früf) an b,at ßwingli buref bie Umgeftaltung beä
©ro|münfterftiftg in eine tl)eologifd)e £el)ranftalt unb bureb, bie (Einrichtung ber fog.
„^ßrobfyeäei" if>r 5Recb,nung getragen. 5Rit letzterer glaubte er ba§ Wieber in3 Sebcn ju bo
rufen, was 1 $0 14 bon ber gegenfeitigen brobfyetifcfyen 33elel;rung ber erften 6l;riften=
gemeinben berietet ift (bgl. StntWort an 33al. 6ombar: ©cfmler unb ©cb,ultb,e|, 3wingli§
3Ker!e, II, 1, ©. 15 f.). %a\t täglicb, fanb fie unter ßWingli^ Seitung bormittagS in ber
©rofemünfter!ircf)e, unter 3Jcr/loniu<§' 33orfi^ nacfjmtttagä in ber grauenmünfterürcfje ftatt;
fte foEte nacb, ^WingliS SBunfcb, an bie ©teile be§ biä bab^in ben 6b,orb,erren obliegenben bb
^wengefangö getreten fein ; boefy nahmen au^er biefen bie ©tubierenben, bie fiel) auf ben
getftlic|en 33eruf borbereiteten, unb alle ($eiftlict)en ber ©tabt nebft ifyren Fabianen barau
teil; getrieben aber Würbe auäfcbjiepcb, bie @r!lärung ber ^eiligen ©cb^rift, bormittagö
bei 3tlten, nachmittags beg 3Reuen Xeftamentg (©täfjelin, .^ulbreicb, ^Wingli, II, ©. 84 ff.).
^Balb Würben für 2lu3bilbung unb Stnftellung ber @ciftttd()cn fefte Drbnungen in ."
2(V|:
308 ltntem<f)t, tt)eol.
ßüridt; gefcbaffen, bie bann im ganzen für bie berWanbten lir^Ud^en ©ebiete öorbtlbltd;
geworben finb. Unter 2lufficbt bes" 9late§ Waltet bon 1532 an eine befttmmte $rüfung<o=
bewerbe, befte^enb aus1 bem 2Xnttfte§ als Vräfibenten, bter Sfatsfyerren, ben ^rofefforen
ber Geologie unb jtoei Pfarrern, i^reS 2lmte§. Vorgenommen aber Wirb bie Prüfung
5 alfo, baß „man für ba§ erft Locos communes an^üdje, bemnacb, erfahre, Wie beläfen
unb geübt bie gürgefteEten in beiben Steftamenten ffyenb; toa§ fie für ein ^ubicium in
Scripturis fyabinb, tote fie bie bruebinb, läfinb unb bem 3SoIfe erilärinb" (Vlöfcfy, ©e=
fcbjcfyte ber fclwei^ertfcb^reformterten Surfen, I, ©. 91).
2BäI)renb alfo im lutl)erifd)en ^irdjengebiet junäcbjt in einfeitigfter 2Beife bie Sog=
io matil betont wirb, Wirb b,ier iton Vorneherein neben ib,r ber Vibelfenntnt<§ unb ber braf=
tifcfyen Vefäfyigung bei ber Prüfung eine ©teile eingeräumt. 2tußerbem bat man injuria;
unb banacb, übertäubt auf reformierter ©eite bon 2lnfang an nad) ber Vefäljiigung für
ben geiftlicf)en ©tanb übertäubt gefragt, ofyne erft bie Berufung für ein beftimmteg 2lmt
abzuwarten unb bat babura) bie gange Sßeife bon bornelierein braftifcfyer geftaltet. 3Jief>r
15 unb mef)r bilbet fid) bann in beiben ^trcfyengebieten ba§ gleite Verfahren heraus.
gunäcbft bleibt Wäfyrenb beä 17. $afyrb/unberis' ber 3uftank *m Vrinjib gtemltd^ un=
beränbert. gn äöirllicbjeit löft ber 30jäfpge $rteg bielfacb, alle Drbnung auf. —
2113 man naef) bem Kriege barauf finnt, bie Söunben ju feilen, bie er gefebjagen,
ba Wenbet man aueb, gerabe unferer grage eine ganj befonbere Stufmerlfamfeit ju. Vor
2n allem ift es ber VietiSmusi, ber auf beffere Vorbilbung ber ©eiftlicben bringt, ©cfyon
in ben „Pia desideria" regt ©bener bie $rage an; in feiner Vorrebe ju ©ann^auers
„Tabulae hodosophicae" (1690), bie ben befonberen %itel füfyrt: „De impedimentis
studii theologici" be^anbelt er fie ausführlich unb fommt in ben „Sllieologifcfyen Ve=
benfen" wieberbolt auf fie jurücf. 2lud) ©roßgebauer unb ©eefenborf (f. unten) Weifen
25 auf fie fein; am boUftänbigften aber faßt bielleicbt 21. §. grand'e alle ©ebanfen in feiner
„Idea Studiosi Theologiae" (1712) jufammen. 95ejeid)nenbertüeife trennt er niebt bie
innere gurüftung bon ber äußerlichen 2lusbilbung unb ftettt besb,alb obenan bie $orbe=
rung, baß „man juerft unb cor aHen Singen an einem Studioso Theologiae fudje,
baß fein §erg rec^tfebaffen fei bor ©ott". gur ©runblage bes" tfeeologtfd^en ©tubiums
30 aber mad)t er je£t mit VeWußtfein bie b,l. ©djrift, bie redjt ju berfiefyen ein jeber ©rie=
dnfcb unb §ebräifd) lernen muffe, hieben bie ©ogmati! aber unb bie Controversiae
theologicae tritt in bebeutfamer Söeife bas" ©tubium ber ffymbolifdjen Vücber. Unb
enblid) Wirb auef) bie $ird;engefd)id)te, jtoar junäcbft nur, Weil fie „ad aecuratiorem
exegesin Scripturae erforbert wirb, näcbjtbem aber im Studio controversiarum am
35 Wenigften entraten werben !ann", jum ©tubium embfofylen. 2öa3 aber noeft, mistiger
ift, bas ©tubium foH ber Vrarjs bienen. „2öenn bes^alb ber junge Geologe einen fo=
liben ©runb in ber ©rfenntnis ber göttlichen SBafcrbeit geleget, injmifcben autf) ju guter
Übung unb (Erfahrung in ben Söegen ©otte§ fommen ift, fo richtet er aueb bafnn fein
©emüt näber, toie er gefcfyicft Werben möge, bes guten ©cb,a|e§, fo ©ott in feine ©eele
40 geleget, aueb, anbere burd) öffentlichen Vortrag teilhaftig ju machen" 2lufgabe feines
ferneren ©tubiums ift alfo, fieb, aueb, torafttfd) auf fein fbäteres 2tmt borjubereiten (Gramer,
granefes toäbagogifc^e ©Triften, ©. 407 ff.).
©ine golge biefer 2lnregungen ift e3, baß in berfefnebenen Sanbesürcben um biefe
ßeit neue 5ßrüfunggorbnungen entfielen, 3. V. fc^on 1718 in Preußen (3)c^lius, Corpus
45 Constitutionum Marchicarum, I, %lx. 118), 1732 in turfacb,fen (Schräge ^ur fätt;f.
^trebengefd)., X, ©. 161), 1735 im <Rurfürftentum §annober (©bbarbt, ©efe^e, Verorb=
nungen unb 2lusfcbreiben, I, ©.583 ff.). 3unäcl)ft Wirb je|t allgemein ba§ ©jamen als
QualififationsbeWeiS für ben geiftlicben Veruf überbautet angefeb,en unb Wirb, inbem je^t
afabemifeb^es ©tubium al§ unumgängliche Vorbebingung gilt, burcb,Weg an ba§ @nbe ber
50 Uniberfität^eit gelegt. ®abei ift bie Vebörbe, bie bas ©ramen abnimmt, nicb,t überall
biefelbe; balb Wirb es bor ber galultät, balb bor bem ^onfiftorium, balb bor einer ju=
fammengefe|ten ^ommiffion abgelegt (bgl. bie Verbindungen gerabe über biefe gtage in
ßIebe=3)Jarf in: gri^ ÜRefa, Slb,eologifrf)es ©tubium unb bfarramtlic^es Gramen in 6lebe=
Tiaxl, Vonn 1905). Vielfacb, behält man aber neben biefem ba§ ©tubium abfcb,ließenben
55 ©ramen bas ©jamen beim 2lmtsantritt bei, unb e§ Werben fortbin in mehreren £anbe§=
lireben $Wei Prüfungen geforbert ; bie gtoeite Vrüfung bleibt meift unangefochten ©acbe ber
oberften Äircbenbefyörbe.
®ie bermeb^rten 2lnforberungen unb beränberten ©eficb,t§bun!te geben beutlicbjt au§
ber breußifcb,en Vrüfung§orbnung 6,erbor. 2ßie feb,r je|t ber braltifcbe ©eficb,t§bunft ber
go beftimmenbe geworben ift, getgt fieb, gleicb, baran, baß fc|on bor ber Prüfung eine Vrobe=
Uutcmd)i, tljeol. 309
bvcbigt einzureiben ift, „baf? fie Don einem jeben ©raminatore gelefen unb jenftert loerbc",
unb bafc ib;r bann gleid) im Sittfang ber Prüfung „eine mit etlichen üinbern anjufteßenbc
fatecJ)etifcr)e Übung" folgt, eine beutlicb> golge ber großen 3öertfd;äkung, ber fict; banf
ben prberungen burdf) ben petiämuS feit einigen ^afyxftfynUn bie tatccfyetifcfje SLb/ätigfeit
ber öeiftlidien erfreute. $)ie Partes Theologiae, in benen fobann bag eigentliche 5
(framen angefteUt werben foll, finb Theologia thetica unb polemica, exegetica unb
moralis, casuistica, pastoralis, Historia ecclesiastica unb „mag jur erbaulichen
ceelcnforge gehöret" .ginficfjtlkr/ le|terer merben für ba3 ©ramen ganj befonberg fbe=
jiette Söeftimmungen gegeben, ein 3etcr)ett, ^>K \$x man f*e betont ju fefyen münfcfjtc.
So Jollen bie Sraminatoren fragen, „mie ber ©saminanb ftet) im 93eicr)tftul^l ju »erhalten 10
habe, mie er mit Angefochtenen unb ©terbenben, mie mit Hranfen ju berfafyren unb mie
er fiel) bei ber "Saufe unb bem ^eiligen 2lbenbmat)l ju »erhalten fyabt, baf? fein 2lmt
jebertnann erbaultcr) fein möge" 2lber auefy in ben ^unäer/ft tfyeoretifcfyen gackern tritt
bie Betonung bei prafttfcfyert ©eftcfytäbunfteiS tjerbor. ©0 foll ber ©pminanb, um gu
betoeifen, „bafe er im Studio biblico mofyl berfieret fei", ntcr)t nur bie Summam unb 15
Scopum jebcl biblifetjen Sucres» miffen, er foll auef;, menn tr)m ein £ert borgegeben
loirb, „folgen ex tempore analbfieren, biäbonieren, ba<5 ^ürne^mfte notbürftig erflären
unb bie Ufuö fyerau^iefyen" tonnen. Unb felbft bie Prüfung „Don ben fürnefymfien 2lr=
tifulen ber cfyriftlidjen fiebere" foll befonber<§ auf bie ^ra£ttfcr)en Materien gerietet merben,
auf „(E'rleucfytung, 33erefyrung, Söiebergeburt, Rechtfertigung, Erneuerung, Heiligung" 20
labet foll ber (framirtanb „feine SEfyefm mit ben ,§aubtfbrücf;en bei Uten unb Reuen
icftamenr», bie er im ©runbtejt anführen unb berftefyen mufs, bemeifen, foll ben ©runb
bey SemeifeS au$ ben ©brücken felbft geigen, ben in ber §aubtfbracr)e liegenben Racf)=
bruef eruieren unb bie gebüfyrenbe Slttmenbung finben tonnen; imgletc^en foH er miffen,
ir>o in benen regierten fbmbolifcfjen Supern babon ge^anbelt merbe" ©an^ bem bon 25
ebener borangeftetlten ^rinjib entfbrect;enb aber follen baneben bie (Sraminatoren, ein
jcber bribatiffime, ben ©ruminanben naef) feinem tnmenbigen guftanbe prüfen, „ob er in
ber 33ujje unb lebenbigem ©lauben ftefye, unb ma§ er tjierbon für Äennjeicb^en bon fict)
geben tonne; mie er fein Seben bon ^ugenb auf gefül)ret, mie er zu©ott belehret morben,
toelcfye Speeimina Providentia diviniae er an fiefy erfahren, unb ob er feinet £eben3 30
falber Anfechtungen embfinbe?" (3Jtr;liu3 a. a. D. ©. 230 ff.). Rtct;t überall E)at ber
$ieti§mu§ ben ^rüfungSorbnungen fo beutlicf) feinen ßtmrafter aufgeprägt.
2lud) aus> ber rattonaliftifcfyen geit fennen mir 23emül)ungen um bie SSorbilbung ber
fotogen. 9Jtanctje3 Reue bringt bie „^ßfarrlanbibaten=^ßrüfung§=Drbnung für 33aben=
Surfacf)" 1756 (Srunner, SDie babifct)en ©ctmlorbnungen, I, ©. 107 ff.). Slufjer ber 35
^robebrebigt forbert fie auef) eine miffenfcfjafiltcfje fcfjriftlicr/e Arbeit : „fobalb fic| einer
um ba§ ©ramen mefbet, ift il)me eine 9Jlaterie in einer $u beftimmenben geit lateinifcf;
ju elaborieren aufzugeben, %um ©jembel ein Dictum Sacrae Scripturae, melcfje£> er
grammatice, rhetorice, polemice et practice abl)attbeln foße" Äircb^engefcfjic^te mirb
mefir um i^rer felbft millen geprüft ; neben bie Geologie tritt aU fefbftftänbigei ^rüfung§= 40
faefy bie $l;ilofobl)te, unb ^mar Sogt!, in ber ber ©raminanb „bie nötigften terminos
ju erflären im ftanbe fein" foll, „?Retabl)t)fi!, in ber er „bie Definitiones ber Ontologia
unb bie bomefymften fieberen aui ber Theologia naturali unb Psyehologia empyrica"
toiffen mufe, unb SJforal, in ber er „ba§ Principium generale ber ganzen 9ftorat unb
ba§ Speciale be§ Juris naturalis nebft benen bomefmiften Definitionen, bie bei benen 45
ty'ttctiien gegen ©ott, fiefj felbften unb anberen borlommen, §. @. ma3 eultus Dei ex-
ternus, internus etc. moderamen inculpatae tutelae, pactum, laesio etc. feien, f;er=
lagen unb bie ©rünbe foß anführen lönnen, marum füld£>e ©tücfe nact; ber Ratur geboten,
»erboten ober erlaubt feien" Heine geringe Slnforberungen merben auef; an bie ©braa>
fenntniffe be§ ©jaminanben, aud; im §ebräifcr)en, geftellt. 3"^ begegnen fücr 3Sor= 50
icliriften über berfefnebene ^enfuren.
Sei berartigen forgfältigen Seftimmungen ift e§ bobbelt auffallenb, bafc — auf ba§
öanje gefe&en — bie jmeite §älfte be§ 18. ^a^rfjunberti einen Riebergang auf unferem
©ebiet barftellt. ®arf man auef; ntcr)t febe Mlage bcrallgemeinern, fo mieberb^olen fid)
bie 3lu3laffungen über mangelhafte ißorbilbung ber Geologen beer) immer mieber, unb 55
eine_ Serb^öbnung bei getftlictien ©tanbe§, mie bie in ber ^obfiabe bon Hortum (5Deutfcf;e
RattonaI=2ttteratur, fyerauggeg. bon 3°fe^ Hürfc^ner, 93b 140), ober eine ©atire, mie
bje junäa)ft auf nieberlänbifcf)c Ser^ältniffe fiel; bejtefyenbe bon ^etrui $offtebe (f. 33b VIII
2. 242, 49 ff.), mären niebt möglich gemefen, menn fie tttd^t in meitem Umfange begrünbet
9«tüefen mären (bgl. auch, SDretbS a. a. D. ©. 132 ff.). §at bei biefem Riebergang jeben= 60
310 Utttcrrid)*, if)coL
falls bie Sieal'tion be§ Nationalismus gegen ben ^ietiSmuS crfyebltd» mitgeWirlt, fo fyat
bann ber Nationalismus in ernfter 2lrbeit audj Wieber an ber £ebung beS geiftlicfyen
©tanbeS gearbeitet (f. unten).
£ö$ft bebeutfam für bie §eranbilbung eines Wohlunterrichteten XfyeologenftanbeS ift
5 audj bie ©inriduung beS 2lbiturienteneramen§ geworben, mit ber ^ßreufjen 1788 boranging,
unb bie bann allmäfyltcf; in anberen Sänbem burcfygefüfyrt Würbe (^aulfen, ©efd). b. gelehrten
Unterricht», II, ©. 92 ff., 354 u.ö.). ®amit War eine fixere ©runblage gelegt, auf ber nun bie
bon ba an enifter)enben neuen t^eologifc^en ^rüfungSorbnungen fid? aufbauen tonnten,
bie immer mefyr ju beffern man fort unb fort bebaut gewefen ift. ©ie finb jufammen=
io gcftellt bei Stifter, ^ird)enred;t, 8. 2tufl., ©. 708 unb bej. in ben ^rotolollen ber beutfdjen
ebangeIifa)en5?ird)en=5?onferenä, 8.— 14. ^uni 1882, ©.88 ff., bod) fyaben feitbem mehrere
SanbeSttrcfyen neue Drbnungen erhalten : 5?oburg=©otfya burdj Verfügung bom 15. 9io=
bember 1887 (2lUgemeineS 5?ird)enblatt 1888, ©.214 ff.); ©ad;fen=2Seimar, ©d)Waräburg=
©onberSb/aufen unb ÖraunfcfyWeig im ^afyr 1889 (21.5?. 1889, ©.257, 265, 585 ff.); ber
15 Äonfiftortalbegirf taffei im ^ab,re 1891 (21.1.1891, ©.180); baS ©ropergogtum Dlben=
bürg unb ber 5?onfiftorialbe§iri SöieSbaben im Qa^re 1892 (2t JL 1892, ©.677 u.293);
©a<|fen=2lltenburg burcb, Verfügung bom 8. ^uni 1893 (31.51 1893, ©. 473 ff.); ber
ebangelifd>e Dberfircfyenrat fyat unter bem 2. 9M 1894 genaue Slnorbnungen wegen ber
.ganbrjabung ber ^Weiten Prüfung getroffen (21.11. 1894, ©. 537 ff.), unb Hamburg fyat
20 burcb, Verfügung bom 12. DI tober 1893 bie jtoeite Prüfung eingerichtet (21.5?. 1894,
©. 10 ff.) ; im Königreich ©acfyfen finb bie äkrfyältniffe für bie jWeite ^rüfung im $af>re
1895, für bie bor ber tfyeologifcfyen galultät in Seidig (unter bem 23orfit$ eines SftitgliebeS
beS SanbeSfonfiftoriumS) abzulegende erfte Prüfung im $al)re 1902 neu georbnet (31.5?.
1895, ©. 33; 1902, ©. 531); ©djaumburg=Sibbe befi^t eine neue Drbnung feit bem
25 17. Slbril 1895; ©d)IeSWig=§oIftein feit bem 28. DIt. 1898; Söalbed feit bem 14. 3JJärj
1899 (21.5?. 1899, ©. 449, 273); für ben Konfiftorialbeairl ©beider ift eine neue Drb=
nung im $jal)re 1900, für ba§ ©rofsfyer^ogtum Sßaben am 11. gebruar 1906 erlaffen
toorben (21.5?. 1900, ©. 146; 1906, ©. 185 ff.).
$m allgemeinen gilt in ben beutfcfyen ebangelifcfyen SanbeSltrcfyen f)inftd>tlid) ber 23or=
so bilbung ber Ökologen bleute fotgenbeS. $Durd)Weg finb jWei %ologifd)e Prüfungen in
Übung; bie erfte, pro licentia concionandi ober pro candidatura, bilbet ben 2lb=
fcfylufs beS©tubiumS; bie ^Weite, pro ministerio, pro ordinatione ober pro munere,
ift bie 3Sorbebingung ber 2lnftellung, bocb, wirb auüt) fie fcfjon feit Qab^ren oljme Nüdftdjt
auf eine borliegenbe ^Berufung, meiftenS minbeftenS 1 big 2 Jjßll« na<§ ber erften
35 Prüfung abgelegt. 9cur in wenigen SanbeSlirct/en, j. 33. in 2lnl)alt, lennt man noa)
eine ber 2lnfteßung unmittelbar borangefyenbe Prüfung in ber alten 2öeife, bie nun alfo
eine britte Prüfung barfteßt. ®od; Wirb fie nur abgehalten, Wenn jroifdjen ber ^Weiten
Prüfung unb ber 2lnftellung längere geit berfloffen ift. 3Dtebxfacb ift fie in eine bor ber
SBebbrbe ju ftaltertbe ^robebrebigt umgeWanbclt. Sie ^orauSfetjungen für bie erfte
40 ^rüfung finb überall bie beftanbene -IRaturitätSbrüfung unb ein minbeftenS brei=
jäbrtgeg UniberfttätSftubium. Nur Söürttemberg, 33at;ern unb Strasburg fyaben ein
bierjär/rigeS ©tubium, unb 23aben begnügt fid) bor bem erften ©ramen mit fünf ©eme=
ftern. §infid;tlid} ber ^rüfungSbefyörbe ift bie Sage im gangen fo geblieben, wie Wir fie
fcfyon für ben Slnfang beS 18. QafyrfyunbertS feftfteHten ; mein; unb mefyr &at ber^uftanb
45 fid; b^erau^gebilbet, ba^ beim erften (gramen Vertreter ber galultäten mittoirlen, beim
^Weiten nur SJcitglieber ber 5?onfiftorien ober im braltifdjen 2lmte fteöenbe ©eiftltd;e
prüfen, bie nid)t immer bom 5?ird)enregimcnt ernannt finb, fonbern Bier unb ba auty
ffmobale 5?örtoerfd;aften bertreten. Sic ^rüfungggegenftänbe finb meift fo berteilt, bafs
bie erfte Prüfung mel)r Wiffenfd)aftltd}, bie jWeite mel)r braftifer) fid; geftaltet, bod) Werben
so aud; bei ber erften Prüfung braltifd;e Seiftungen, eine ^ßrobebrebigt unb eine 5?atecfjefe,
bleute allgemein geforbert. SBeim ^Weiten ©jamen treten baju au^er einer Prüfung in
ber braltifcfyen Geologie (§omiletii, 5?atecb^etil, Siturgil u. a.) nod) gefanglid;4iturgifcb,e
unb auä) Wob,l mufifalifdje Seiftungen, fnnficfytlid; berer namentlicb, 5]3reu^en neuerbingö
ausführliche Seftimmungen erlaffen fyat (21.5?. 1891, ©. 499; 1901, ©. 654; 1903,
55 ©. 47). ©urd) @infül)rung bon braftifc^en Übungen in ^rebigt, 5?ated»efe unb Siturgie
(in ben fog. fyomiletifcfyen, Iated}etifd>en unb Itturgifd>en ©eminaren; bgl. ©. %t. ©eiler,
SSon ber frühen 93ilbung ber ^rebiger einige ©ebanlen, gefdjrieben aU baS ^3rebiger=
©eminarium auf ber §riebrid)=2llejanber^2lfabemie errichtet Würbe, ©rlangen 1773;
§einr. tyfyl. ©ejtrob,, Über braltifcfye 23orbereitungöanftalten gum ^rebigtamt, nebft einer
60 3fJac6ricfet bom 5?bniglid;en ^afioralinftttut in ©ötttngen, ©öttmgen 1783; 5?öfter, ©e=
Uutemdjt, tljcol. 311
fcfyiduc bc3 ©tubiumg bcr braltifdjcn Geologie auf bcr Unttoerfttät ju $tcf, Stltona 1 825 ;
Seiträge ?ur fäcbj. Äirct/engcfcf/., X, ©. 140 ff.), fo»te burd; bie burd; ©d)leiermad;er
(f. 93b XVII ©. 596, 47 ff.) »iffenfdjaftlicb/' begrünbete Aufnahme ber braftifcfyen £r)eo=
Iogie unter bie tI;eologifd;cn ©i^iblmen fyaben bte Uniberfitäten bem ©rängen auf braf=
tifdjc 2lu3bilbung ber Sttjeologen mebr unb mebr nachgegeben. 2tnbererfeit<o fyat bie 5
tbcologifcfyc ©nttoidelung aud; auf bie an bie jungen Geologen pi ftellenben 2tnforbe=
rungen eingetotrft. (Einmal ift bie Jlircfyengefdndjte au§ tb,rer bienenben ©teHung f>erau§=
getreten unb längft felbftftänbiger VrüfungSgegenfianb neben ben anberen getoorben.
2)ann bat bie b;iftorifd;e 33efyanblungg»etfe ber ©cfyrift, ber ©lauben3= unb ber ©itten=
lehre eine Sieifye neuer ©i^ibltnen hervorgerufen. $u ber ©jegcfe finb bie biblifdjte @in= 10
Icitung unb bie biblifdje Geologie, ^ur Dogmati! bie 2)ogmengefd)id;te, jur @tb,if bie
©efdncbte ber djriftlid^en ©itte getreten, bie alte aud; in ben Prüfungen ju ifyrem Siedete
lonimen.
(Sine breite ©teile nimmt in ben neuen Drbnungen ba§ fcfyriftltdje 93erfab;ren ein.
hieben ber Vrobebrebigt »irb faft atigemein ein fated)etifd)er @nt»urf eingereiht unb 15
neben toiffenfd;aftlid;en arbeiten, bie bor ber Prüfung ju fertigen finb, »erben bei ber
Prüfung IMaufurarbeiten geliefert, beren gab, l in einigen SanbeSlirdjen bt§ auf 5 (93raun=
fd;tocig), 6 (©djtoarjburg^ubolftabt), ja auf 12 (©d)Ie3»ig=.g)oIftein) fteigt. 9cur ganj
bercingelt, 3. 33. in 93aben (2l.ß. 1906, ©. 185 ff.), befter/t abgefefyen bon ber ^rebigt
unb bem fateefyettjdjen ©ntrourf i>a§ lebigltd; münblid)e Verfahren $u Secfyt. 20
istelfad; fct>reiben bie Drbnungen neben ber fbe^iell tfyeologifdjen Prüfung aucb, eine
33crüdfid}tigung allgemeinerer 3ötffen§gebiete bor unb legen 2Bert auf 93etanntfd;aft mit
ben altflafftfdjen ©brachen an ftd), mit allgemeiner ©efcf)id;te, ^bjlofobfne unb Väbagogtf,
bamit ben 2lnforberungen allgemeiner 93ilbung 9ted;nung tragenb. ©agegen ift bie in
^reufjen burd; ©efe£ bom 11. 9M 1878 geforberte ,,»iffenfd;afilid;e Staatsprüfung", 25
bie bon ben ebangeltfdjen Geologen nod; einen befonberen 9cacf)»ei$> allgemeiner 93il=
bung forberte (ba§ fog. „^ultureramen") burcb, ©efe| öom 21. 9M 1886 wieber ab*
geföafft.
b) Äanbibaten. Filarie unb Vrebigerf eminar. 2)en ^anbibaten, bie um
^farrfteßen fid) betoerbenb auf tt)re Aufteilung »arten mußten, fyat bie ebangelifcfye $ird)e 30
bor bem Sluflommen ber bereiten Prüfung (f. oben) faum 93ead;tung gefet/enft; erft
bon ba an er»ad)t bie ©orge um ifyre befonbere 2lu3bttbung ober Söeiterbilbung, unb
eigentlich, erft neuerbingö ift biefer Angelegenheit in gefe£geberifcr)en SJJafjregeln bie ge=
büh,renbe 93ead)umg gefcfyenft »orben (f. bie Überfielt über bie bamaho giltigen $anbi=
batenorbnungen, bon benen mehrere feitbem burd; neue erfetjt »orben finb, bei: Üb, lf)orn, 35
Sie braftifd;e Vorbereitung ber $anbibaten ber Sfyeologte für ba§ Vfarr= unb ©d;ul=
injtoettoratiSamt, Stuttgart 1887, ©. 7).
3la<f) £utb^er§ Urteil »ar bie befte Vorübung für bie !ünftigen Vfarrer bie ©d;ul=
tb,ätigfeit; ift e§ nad) xi)m bod; „aßejeit fo getoeft, bafe bie ©d;ulmeifter bie beften$farr=
Ferren geben" (3)e 2öette, 2utb,erä Briefe, IV, ©. 372). tiefem Urteil ftimmte man m
^unädift unbebingt ju. Sänge $t\t finben »ir burcb,»eg bte fbäteren Vfarrer »orb,er al§
6cb,ulleb,rer befdmftigt (ögl. 3. 93. Hatoerau, 2lgricoIa, ©. 57 ff.; SKt ber ©efellfd)aft für
beutfdje (Sr^ieb,ungg= unb ©crjulgefd;., VII [1897], ©. 366 ff.), unb ber Übergang toon
einem 2lmt jum anbern »ar ein fo getobr/nlidjer, ba% bielfad} Vfarrer, toenn ftd) tb,nen
eine beffer befolbete ©dmlftelle bot, jum ©cb,ulbtenft prüd!ef)rten ; manntgfad) »aren aud; 45
©cfiul: unb llird^enamt miteinanber berbunben (f. j. 93. 93b IV ©. 344, 7 f.). $n §eften
tDurbe ber ©c£)ulbienft, »ie in ben ©täbten, fo auf bem Sanbe, afö unerläpcfyeS ®urd;=
gangöftabium jum ^ßfarramte betrachtet (5Dteb,I, ®ie ©djulorbnungen be§ ©ro^b,erjog=
tumä öeffen, III, ©. 10). 2113 bie 2lnf)3rüd)e an ben ^farrerftanb »ud;fen unb all=
mäblitt) ein 9SoI!gfd;ulleb,rerftanb fid; ^u btlben begann, tonnte berartigeö niebt befielen 60
Bleiben, ©odi fjat ^inficfytlicr; ber £eb,rämter an ^ö^eren ©cb,ulen erft Dorn 18. ^ai)x--
^iinbert an, namentltcl) burd) ben ©utfluft griebr. 2lug. 2BoIfg (Vaulfen a. a. D. II,
S. 222 ff.), fid} bie £o3löfung eme3 befonberen ©tanbeS ber ©t)mnafialleb,rer bon ben
Geologen bolljogen. ©ine enge 3Ser»anbtfd;aft be§ £eb,ramt§ mit bem Pfarramt aber
bauert nocb; ^eute fort, unb bie bon alter! b«v f on ben jungen Geologen geübte 3n= 55
ftrultorentliätigfeit b^at in ibrer heutigen S3efct;äftigung al$ §auöleb,rer ober aU £eb,rer an
^ribatfcr/ulen ilire unmittelbare ^ortfe^ung.
Sin erfteS ©^mbtom bcr ®rlenntni§, ba^ bie geit be^ Übergang^ bont ©tubium
}um 3lmt bor allem nocb ber bra!tifcb,en 9Sorbilbung auf Ie£tere§ gemibmet fein muffe,
U'igt bie Jlurfäd;ftfd;e Kird;enorbnung bon 1580, bie nid;t glcicb, felbftftänbige Vfarvcr 00
312 ltutemdjt, tycol.
feljen, fonbern alle burcb, ein üDiafonat r/inburcfygeljen laffen teilt, bamit fie „burcb, ben
Pfarrer, al§ im ^ircfyenamt geübten unb erfahrenen, beibe in ifyrem Srebtgen unb 3Ser=
ricr/tung if)re§ 2tmte3 bei ©efunben unb Uranien, toie aucb, benen ©efangenen, not=
bürftigltcb, unterrichtet unb alfo erft recfyt ju folgern Slmt abgerichtet toerben fönnten"
5 (©ebjtng a. a. D. Sb I, 1, ©. 381). 2Iuc^ fog. SrebigergefeEfcf)aften ober Srebiger=
follegien, beren @ntfter/en toir bom Stnfang be§ 17. $at»rl)unbert3 an beobachten fönnen
(Seitrage jur fäd^f- ®@, X, ©. 147 ff.), geigen ba§ Seftreben, bie Hanbibatenjeit nu£=
bringenb für ba3 fbätere 2tmt ju geftalten. Ilber erft bom Stnfang be§ 18. ^al^unberts
an toerben ernftlidjere Seranftaltungen im ^ntereffe ber $anbibaten getroffen, ©o orbnet
10 ba§ ^onfiftorium in §annober im $al)re 1735 fog. Seminaria ber Ä'anbibaten ber
Geologie an, „bie ba§ erfte ©ramen auSgeftanben". ©ie füllen „nacb, ber Gelegenheit
eines jeben Dri§ unter ber ©ireltion bes ©uberintenbenten ober be£ ©tabt=9Jcinifierii
jum Srebigen, Äatect/ifteren, Sefudjmng ber ^ranfen in benen publiquen Sagaretten,
2lrmenr/äufern, £>ofbitälem unb Hlöftern, aucb, barin mit benen 2lrmen gu ijmltenben
15 2Rorgen= unb 2lbenb=Setftunben, nicfyt toeniger jur Sefuct/ung ber ©efangenen angefüt)ret
unb in eine beftänbige Übung gebraut toerben" (©bfyarbt a. a. D. ©. 587). ©ttoag
Sertoanbteg ift e§, toenn ba<§ ^onftftorium in ©re§ben 1788 ben ©uberintenbenten eine
eifrigere gürforge für bie ^anbibaten an§ §erg legt unb ilmen aufgiebt, „ib,nen biätoeilen
burct; er.egetifcf)e ober Saftoralborlefungen ober aifetifcfye unb äb,nlid;e mit iljmen anju=
20 ftellenbe Übungen gu mehrerer Steife Gelegenheit ju geben" (Seiträge j. fäcfyf. $©, X,
©. 149 f.). 2lu§ legerer Serfügung ift im Qafyre 1844 ba§ Stegulatib über bie tb,eo=
logifct/en ^anbibatenbereine, eine fbegtell fäd)fifcf;e ©inricfytung, ertoarfjfen, ba§ bann burcb,
bie fäct/ftfcfye ^anbibatenorbnung bom 16. $ebruar 1892 auf 3 neue beftätigt toorben ift.
SDanacb, toerben bie Hanbibaten einer @bI)orie unter bem Sorfitj bes> ©uberintenbenten
25 ju einer Sereinigung gufammengefd^loffen, bie bon geit ju geit Serfammlungen ju gegen=
fettiger görberung unb Seleb/rung abhält. Son ben einzelnen Sftitgliebern finb arbeiten
au§ bem ©ebiete ber toiffenfcfjaftlicfyett unb braftifdjen Geologie anzufertigen, bie bann
in ben Serfammlungen Iritifiert unb betjanbelt toerben (a. a. D. ©. 151 ff.). 2Iud; in
anberen £anbes>ürcr;en (bgl. g. S. bie Seftimmungen be§ ^onfifioriumg in ©befyer bom
so 3. 9JJai 1882 : Uf)Ir)om a. a. D. ©. 8, unb ba3 Jtircr;engefe|, betr. bie 2lnftellung§fäb,ig=
feit unb Sorbilbung ber ©eiftlicr)ert in ber eb.4utr/. $trtf)e ber ^robinj §annober bom
16. £uli 1906, § 13: ®ird)I. 2tmt3blatt für ben Segirr be*§ Hgl. £anbe§ronfiftorium§ in
§annober, 1906, ©. 109 f.) fyat man berarttge @inrid)tungen getroffen ober bocb, in^2luge
gefaxt. —
35 ©ine anbere 2lrt ber gürforge für bie gortbilbung ber Äanbibaten ift ba§ Sifariat.
©eine Söiege ift Söürttemberg, für bie 2lugbilbung eine§ folgen 3nfW"^ bvc geeignete
Soben, toeil bort bie Äirc^enregierung infolge be§ Unterrichts ber ^^eologen auf öffent=
lic^e Soften in ben ^lofterfc^ulen unb im ©tift (f. oben) in weit b^erem Sftafje, al§
anberStoo, ein Serfügung§rec|>t über bie jungen Geologen befi|t. ©leicb, nacb, bem Se=
40 ftcfyen ber erften Prüfung toerben bort bie l^anbibaten im ^ircb^enbienft bertoenbet unb ju
bem gtotä nacb, boraufgegangener Serbflicfytung feit 1855 aucb, orbiniert. ©ie b,ei^en
bann Sirare unb toerben gunäct)ft al§ Sfarrgeb/üfen einem beftimmten ©eiftlic^en gur
§ilfeleiftung, aber aucb, gu ib,rer toetteren Slu^bilbung jugeteilt; fic leben mit ib,m in
r)äuglict;er ©emetnfcb,aft unb fielen unter feiner unmittelbaren Stuffidjit, erhalten bon ib,m
45 bie nötigen Erinnerungen über it)re Srebigten unb ^atecb,efen unb toerben in alle bfarr=
amtlichen Serricb,tungen in föircfye unb ©eelforge bon ib,m eingeführt, darauf erhalten
fie enttoeber eine Sfarre gur bi!arifcb,en Serfefmng ober toerben §ilflgeiftlicb,e in©täbten
unb großen Sanbgemeinben (©tabt= ober Sarotfrialbüare) mit relatiber ©elbftftänbigleit,
bocb, fo, ba| über fie bis gu it)rer befinitiben SlnfteUung bon bem borgefe^ten 2)e!an
50 regelmäßig an bie geiftlicb,e Seb,örbe berietet toerben mufe.
Unter biefen Einrichtungen b,at bie ©teHung ber Sfarrgeb,ilfen, ber Seb,rbilare, tote
fie bann meiftenS genannt toerben, in anberen SanbeSrHrd-icn me§r unb meb,r ?cacb,ab, mung
gefunben, früber fc|on in Saben, im ©rofjfyergogtum §effen unb in ©cb,toargburg=©onberS=
Raufen, neuerbingS aucb, in ^3reu^en (2tUg. Hircb,enbl. 1899, ©. 370) unb in ber §an=
55 noberfc^en Sanbe§!ircb,e (2lmt§blatt a. a.D. ©. 155 ff.). ®urcr)toeg bauert ba§ Sitariai ein
^ab,r unb liegt bielfacb, erft nacb, bem gtoeiten (Spanien, ^b^ätigleit unb Sflicb,ten be§
Sitar<§ finb burcb, genaue Sorfcb,riften ber Sefwrben georbnet; b^ier unb ba forgt eine
2öanberbibIiotb,e! für bie 2lu§rüftung mit ber nötigen Sitteratur. —
Soeben biefen 3Jca^nab,men aber, bie in bie befteb,enben lircbjicr/en Serb,ältniffe ob,ne
60 gro|e ©cb,toierigleit ficb, eingliebern laffen, b,at man nun aucb, auf befonbere 2lnftalten
Uiitemdjt, tfjcol. 313
jur vetteren silugbilbung ber .flanbibatcn SBebacfyt genommen unb in mehreren £anbcg=
firmen ^rebigerfeminare gegrünbet.
$bre erften ©buren faden in bic geü beg ^ietigmug. @g ift fraglich, 06 man
ba$ Soccumcr §ofptj, bag im %a1)x 1677 burd? ben 2lbt ©erwarb 9Manug (f. 33b XIII
6. 253 ff.) bie erften Leges erhielt, um biefe geit fdjon alg ^rebigerfeminar begeidmen 5
barf. ©enn ber eigentliche ©runb, megfjalb man in Soccum mehreren Jknbibaten 2Iuf=
enthalt unb Unterhalt gemäbjte, mar ber, bei bem in einer gemiffen Umgeftaltung bei=
behaltenen ^orenbienft unb beim Unterricht in ber Sllofterfdmle — fyier unb ba aud) beim
v}>iebigen — ©efyilfen gu I)aben (GI)r. ©rieb, Sßeibemann, ©efdncfyte beg Sllofterg Soccum,
©ott. 1822; gr.Süfterbied, ®ag§of^ig im&Iofter Soccum, ©ött. 1863, ©. 12 ff.). Äel= 10
bar mufete ja freutet; biefe Xb^ätigfeit ben angefyenben ©eiftlicfyen eine fyöcbjt crwünfd)te
Vorbereitung auf it)tert 33eruf fein. Unb jebenfaUg ift biefe (Sinricfytung ' mit ber 2Mafe
getoefen jur ©rünbung beS älteften mtrllicfyen ebangelifdjen ^ßrebigerfeminarg, bag mir
bisber lennen, beg ©eminarg in •■Ribbaggljaufen bei Skaunfcfymeig. Dbgleid) feine
Statuten com 27 ©ebtember 1690 bon bietiftifdjen ©onberlid) feiten fid) frei galten, fo 15
Iaffcn bod) bie engen Schiebungen, bie ber bamalige §er3°9 bDn Sraunfcfymeig Stubolf
:)luguft gu ©bener unterhielt, o|ne meitereg Vermuten, bafe bag ©eminar pietiftifct)en 2ln=
regungen feine ©ntftelfmng berbanft. 'Saju fommen liiterarifdjie Semeife. $n feinem
1C85 erfdnmenen „Sfyriftenftaat" macfyt Seit Subm. b. ©edenborf (f. Sb XVIII ©. 113, 20 ff.)
ben üßorfdjlag, Seminaria ober Colloquia ju ftiften, „bie fmubtfäcfylid) mit ad praxin 20
gerietet unb in benen biejenigen, fo fdjmn Dörfer in ber theoria bag 9Rötigftc begriffen
fyaben müßten, bornefymlict) in ben ©lüden, jur ©eelforge gehörig, mie aud; im ein=
ijcjogenen, ejemblarifcb^en unb mäßigen Seben unterrichtet unb geübet mürben" (2(ugg. b.
1706, ©. 524). $Rit biefen ©ebanfen befdjäftigt fid} ©bener in bem freilieb, erft 1702
crfcfjienenen IV. %eil feiner „SEl)eoIogifd;en Sebenfen" eingefyenb (2Iugg. b. 1709, ©. 526ff.) ; 25
aber eg ift anjunefymen, bafe fie tfyn bom ©rfdieinen beg „ßbjiftenfbiegelg" an bemegt
unb ju entfbredtenben Anregungen beranket fyaben. 2(uggefübrt aber fyat ben ^ßlan in
Snbbaggfyaufen ber bamalige ©eneraliffimug bon Söolfenbüttel, ^ol). Suf. 5ßeftorf, ein
ehemaliger Soccumer §>ofbeg. @r toirb auf ben ©ebanfen gefommen fein, nad) bem
Sorbilb Soccumg gerabe bag alte Subbaggfyaufen §um ©i| eineg foldben ©emtnariumg 30
ju wählen. gmölf Sfanbibaten füllten nad) ben Statuta (abgebrudt: .ßeitfdjr. f- nieberfäcfyf.
£© X [1905], ©. 203 ff.) in bem ©eminar bereinigt fein, unb jtoar follten bie bagu
auggetoäljlt toerben, „bie fid; in bem Examine fyerborgetfyan". gunäcfyft follte jeber
ein ^robejaln- burd;mad)en unb, „menn fobann nad; beffen 2tblauf mürbe befunben
toerben, bafe er eineg ftiHen Sebeng unb dmftlicfyen SBanbelg fid; befliffen, auc^ ba§ 35
Studium theologicum unabläffig mit gutem ©uccejj traftiert, fo baft er bie Qdt über
unfträflid} befunben, nod) jmei unb alfo brei boUe 3al)r" im ©eminar fid) aufhalten
bürfen. Stegelmäfeig follten bie horae canonicae gehalten werben; um 9 Ul)r follte
man täglid) gemeinfam in ber ©rflärung ber ^1. ©djrtft fid} üben, S)ienftag§ um 8 Ufir
aber follte allwöcljenilid} eine ©tebutierübung ftattftnben, „unb gmar alfo unb bergeftalt, 40
bajj biejenigen, meldte bafür capables feien, nad; ©utbefinben bes> 3lbt§ refbonbieren,
anbere aber, meldte bie ^Reifte träfe, opponendo il)re dubia borbringen" füllten, 5)3rebigtcn
unb Kated)ifationen foEten alternieren. ®a§ ©eminar fyat unter allerlei Seränberungen
— jule^t blante 2lbt Sarteig bie Ummanblung ber mit i^m berbunbenen Sf)orfnabcn=
fcfiule in ein Seb^rerfeminar — big 1809 beftanben; unter ber franjöfifdjen grembb,err= 45
fcfKtft tourbe eg aufgehoben.
Sal. (Srnft Softer, ber ©egner be§ $tett§mu§, liefe bod) burd; feine Slnrcgungen
M beftimmen; fo grünbete er 1718 in ®re§ben ein Consortium theologicum mit
ber Aufgabe, bie Hanbibaten burd; ^3rebigt, ©eelforge unb 5kted>efen in ben 2lrmen=
faulen ^u üben unb §u förbern; im fiebenjäfyrigen Kriege ift e§ mieber eingegangen. so
©n anbereS ©eminar bietiftifd)en ©ebrägeö beftanb feit 1735 in granffurt a. -W.
§ier follte ber jcbeSmalige ©enior be§ 3)(inifteriumg ivanbibaten ju „einer redrtfcfyaffenen
t^eologifdien ©rubition, magrer ©ottfeligfeit unb mag fie in ber isermaltung ib^rcS fünf=
%n Slmteg ju t§un unb ju tuiffen bon nbten hätten Slnleitung geben." 2Son 1743
an bat gol). «ß^il. grefeniug (f. Sb VI ©.265 f.) biefer Inftalt borgeftanben. Gr E>at 55
in feinen „^aftoral. ©ammlungen" 1748 auef) ben ^ßlan eineg meit umfaffenberen Semi-
narium theologicum entmorfen, ber fid> aber nid)t bermir!lid;t l;at (®rem-5 a. a. C.
2. 115 ff.).
infolge feineg auf bag ^raltifc^e gerichteten ©inneg bat bann ber 3{ationaIigmug
ber ^rebigerfeminare fieb, angenommen. sl\on feinem ©eift becinflufet geigt ftd; fdmn eo
314 Unterricht, tfjcol.
ba§ Slcffribt $arl g-riebricb/S' bort Saben bom %afyxt 1769, burd; baß er bie (Srricfytung
eines ^ßfarrfeminariums anorbrtet. @s ift im toefentlid;en basüßkrf ber Unterträte 2BaI§
unb 5ftauritii. SSor allem bureb, ^ßrebigen, Sktftunben unb Äatedjifteren fottert Ijier bte
^artbtbatert geübt toerben. ©ie foHen auef) rtad) furzer Vorbereitung brebigen lernen.
5 ©urd) bie SBetftunben füllen fie in bie SSibel eingeführt toerben, unb „bamit biefes befto
getoiffer gefcf;ef;e, muffen fie jebes bt6Itfdr)e Sßucb, in eine Tabelle bringen unb bie @r=
flärung ber fdjtoeren ©teilen unb, toaS aus" ben Slltertümern ober ber ^ircEjengefcfncfyte
Zu beren ©rläuterung gehöret, ebenfo toie bie sJtu|anroenbung über einzelne SSerfe ober
S£eile bes $abitels> in margine betfügen" ©ie raiionaliftifdje SBefiimmtfyeit ber 2Inorb=
10 nung tritt befonberl in „bem ntdjt 2Befentlicf;en" zu ^age, „baio aber jur gierbe ge=
reibet unb manchen zufälligen 9?u|en ftiften fann" Sieben ben altflaffifdjen ©brauen
unb ber babifcfyen Sanbe§gefcr)tcr)te toerben r)ier auef) Sßatbeft^ unb ^tojif ben ©emina=
riften jum ©tubium embfof/len, „beren fein Pfarrer entbehren lönne", unb aufjerbem
bfonomifcfje Söiffenfdjaften", unb zwar 1. beffen, toas jur 3Serbefferung bes 2tder= unb
15 $elbbaues, toie aud; ber 9?ab,rung ber Untertanen gehöre ; unb 2. Kenntnis ber ?ßflanjen
unb Säume." %üx bie 9Jcuf$eftunben totrb bie ©eibenjud;t embfol)Ien (Srunner a. a. D.
©. LXXV unb 199 ff.).
2Iud) bon §erber befi|en toir ben ©nttourf eine3 $rebigerfeminariums\ 2lllerbings
tft es zweifelhaft, ob bas bon ir)m Seabftd)tigte ntdr)t mebr ben oben beb,anbelten ®anbi=
20 batenbereinen anjugliebern märe, ba im toefentltct)en Sirfularbrebigten unb jeittoeife 3Ser=
fammlungen ins 2luge gefaxt toerben. Unter ben ju befyanbelnben 9Jcaterien tft aber
auef) f)ier ein Oeconomicum für bie fünftigen Sanbbrebiger borgefet) en, ba „ber (Smflufj,
ben in folct;en ©ingen ein ©eiftlicf)er auf feine ©emeinbe fyaben fönne, febr beträdjtlicb,
fei" 3ur 2Iusfüf;rung fd)eint fterberä ^ßlan nict)t gefommen z" fein (§erbers Söerfe,
25 berausg. b. ©ubfyan, Sb XXXI,'©. 782 ff.).
©ie Umbifbung be<S Soccumer §ofbizes zu einem toirflicf)en ^ßrebigerfeminar unb bie
©rünbung bes ^ßrebigerfeminars in §annober geboren auef; ber rationaliftifdjen $eit an.
©cr)on ber 2lbt 6b,abbü§eau r)atte 1789 in feiner JRebaftion ber Leges bes SJtoIamts
„©tubien unb braftifct)e Übungen als ben eigentlichen gtoed be§ Slufentfalteä ber £>ofbites
30 im Softer" bezeichnet; 2lbt ©alfelb regelte 1800 bie gemeinfame Sr/ätigfeit buref einen
„©tubienblan", ftellte einen „©tubienbireftor" an unb organifierte bie $ritif ber braf=
tifcfien Übungen teils buref; ben ©tubienbireftor, teilä burd) bie §oftoites felbft; auf ben
bon if/m getroffenen ©inricfytungen beruht im mefentlicf;en bie im Igafyre 1820 feftgeftettte
©tubienorbnung, bon ber an bie neuere ©ntroidelung be§ ©eminari batiert (©üfterbied
35 a. a. D. ©. 22 ff. ; ©alfelb, Beiträge jur S?enntni§ unb Süerbefferung be§ ®ircr)en= unb
©d^ulroefen^ I, §ann. 1800, ©. 4(35 ff.; 2öaltb,er, ^eol. 9?admct;ten 1821, ©.364 ff.;
1823, ©.393 ff.; Vierteijäfyrl. 5Rad)rid;ten bon l^ird)en= unb ©dmlfad/en, §ann. 1829,
©. 24 ff. ; ©dntfter, S)ie 2Iu§bilbung ber Geologen im ^ßrebigerfeminar be§ ^lofterS
Soccum, §ann. 1876).
40 ©a§ ^ßrebigerfeminar in öannober ift nacr) längeren 3Sorberbanblttngen im 3a^'e
1816 in§ Seben getreten. Dtad) Soccumer SJcufter eingerichtet mar c§ bod; roeit geringeren
Umfangt, Bat fcöcbften§ fünf sUfttglieber gejault unb nur ganj furje 3«it einen ©tubien=
bireftor gehabt. 1854 rourbe e§ einer Umgeftaltung unterzogen, inbem man bie Qafy
ber eigentlichen ©eminariften noeb, berringerte, bagegen mit bem ©eminar ein $oobe=
45 ratoreninftitut berbanb (3iierteljäf)rl. sJcacb,ricb,ten, §ann. 1824, ©. 1 ff.) ; 1891 ift e§ nacr)
(Sridjsburg bei 9JcarfoIbenborf berlegt toorben (f. unten). —
33ielleid)t roeil bielfad; ber 9tationali§mu§ fo eifrig für bie ©rünbung bon $ßvebtger=
feminaren eintrat, mürben bon entgegengefe^ter ©eite ©timmen laut, bie bringenb babon ab-
rieten, ©o manbte ®lau§ §atm8 («paftoraM&eoIoflte, 3. Sucb,, 2. 2lbt.: St6I. tbeoL Äöafftler,
60 VI, ©. 166 ff.) fid) namentlid) gegen bie übung§mei§ getriebene ©eelforge, bie er gerabeju
afö 5Ri^b,anbIung ber ©eelen bezeichnete. SDennoct; fanben aueb, auf fonferbatiber ©eite fieft,
Segünftiger ber ©eminare. ^n einer befonberen ^abinett^orbre bom 27. 3!Jtai 1816 mieö
^riebrieb, SKtIBelm III. auf bie 9Zotroenbigfeit bon ^3rebigerfeminaren b^in: „@8 mufj auf
bie Äanbibaten ber Geologie, roenn fie bie Uniberfität berlaffen, meb,r 2tufmerffamfeit
55 bermanbt werben. ^4> ^K ba% zu biefem mistigen QtiKä geiftlid;e ©eminarien er=
richtet toerben, in toelcb,en bie Kanbibaten, nacb,bem fie bie Uniberfität berlaffen l)aben,
unter ber Seitung mürbiger ©eiftlicfjen ju borzüglicb,en ©eelforgern auägebilbet toerben
foßen." ©er einzige — freilief; nict/t z" unterfetw^enbe — ©rfolg toar bamals bie @r=
riebtung beg ^rebigerfeminar§ zu Söittenberg, ba§ zuS^e^ e'nen @*fa£ für bie ber ©tabt
fio berlorene Uniberfität barftellen follte. @§ tourbe 1817 am 1. Siobember in ©egentoart
itttteiridjt, if)col. 315
beä ÄönigS cingcmeil)t; am 10. 9iobembcr nahmen bic JMcgicn ifjrcn Einfang (.vu'inv.
iSb. ©cfymieber, SDaS %I. ^rebigerfeminar ju Wittenberg in feinen erften Anfängen, 3luf=
jciefmungen auS bem Igafyre 1818, SBittenberg 1892 ; Stattet ^ur Erinnerung an baS
©tiftungSfeft beS $rebigerfeminartumS ju SSittenberg, gefeiert am 29. unb 30. ©etotember
1812, ÜJlffr. für trüber unb greunbe; 3Ser§etct)ntg ber Seiter unb SRitglteber beS ®gt. 6
$reb.=©em. gufEBtttenB. für bie «Jett bom 1. Juli 1817 bis 1. ©etotember 1883, 2Btttenb.
1883; ^a^regberic^te ber ©eminargemeinfcfyaft bon 1877 an). Erft in ben Diesiger
Sauren lam bie ©acfye in ^reufeen aufs neue in glufj, unb ba§ 9lefultat mar bamalS
bie ©rünbung beS ®gl. SDomlanbibatenftiftS in Berlin im Jafjre 1854 (£>aS %I. ©om=
fanbibatenftift 1854—1904, geftfcfyrift jum öOjä'r/rtgen ©tiftSjubiläum bon Dr. ßonrab, 10
Berlin 1904) unb beS jur 2luSbiIbung bon SteligtonSlefyrem an b, oberen ©cfyulen be=
ftimmten $anbibaten!onbift§ beim Softer llnfer lieben grauen in SJcagbeburg 1857
(^abrbueb, bei ^äbagogiumS ^um Stlofter U. 2. %. in SJcagbeb., 1907). Jn ber golge
fmb bann in 2llttoreu|en noeb, bie ^rebigerfeminare in ©oeft (1892), Naumburg a. b.
DueiS (1898) unb ©embomalonta (1899), neuerbingS SBittenburg genannt, entftanben, 15
unb eS mirb angeftrebt, bafj menigftenS jebe ^ßrobinj it)r ©eminar befüjen fott.
^njtoifcfjen finb and) in mannen anberen 2anbe§lirct)en ©eminare ins 2ebenS ge=
rufen. ©cfyon 1818 begrünbete in ÜUnlnübfung an feine alte Uniberfität baS Herzogtum
■Haffau fein 53rebigerfeminar §erborn (f. bie SDenlf Triften beS ©eminarS, namentlich bie
»on %x. gimmer herausgegebenen für bie Qafyre 1873—90 unb 1891—93, £erbom 1890 20
bejto. 1893), baS urftorünglicb, beftimmt mar, baS lebiglicb, tfyeorettfcfye ©tubium ber
■ftaffauifcfyen Geologen nacb, ber toraltifcfyen ©eite tun ju ergänzen, ^acfybem fcfyon
toieberljioli auf bie 9?otmenbtgfeit einer berartigen 2lnftalt fyingemiefen mar (bgl. Über bie
Diotroenbigleit unb jmecfmäfsigfte Einrichtung eines tfyeol. ©eminarS für lünftige ©eift=
Iid)e ber eb. Äircfye SabemS, ©uljbacb/ 1824), mürbe 1833 baS ©eminar in SRüncfyen 25
eröffnet ($eftfct)rift jum Slnbenfen an bie 50jäb,rige Jubelfeier beS et). 93rebigerfeminar§
ju SRündjen am 16. ©etotember 1884, 9flünc$en 1884). 2luS bem Jafyre 1836 ftammt
baS ©eminar in SSolfenbüttel für bie braunfcfym. 2anbeSlircI)e, eine Erneuerung unb gort=
fetjung be§ ©eminarS in iföibbagSfyaufen (%. SB. §. San! u. E. 2. %. $enle, SDaS 5ßrebiger=
feminar ju SBolfenbüttel, Sraunfd)meig 1837); auS bem $al)re 1837 baS §effifcr)=©arm= 30
fiäbtifdje ©eminar in griebberg (ß. SB. $öt/Ier, £anbbucr) ber lirctjlicfyen ©efe^gebung beS
©rofef)ergogtum§ Reffen, 2 Sbe, ©arrnft. 1847 u. 48, I, ©. 36, 325 ff., 336 ff., 341 ff.
367 f.; II, ©. 365 ff.; ®arl Höbjer, Slircfyenrecfyt ber et), ^ircfye beS ©ro^. Reffen, SDarmft.
1884, ©.189 ff.; «ß^. «p. Grbfcmann, ®enffc^rift be§ ©eminarf für baS Qa^r 1838,
3. 34 ff.). $m Jab,re 1838 entftanb bon %$. SB. ©ittenberger (Über ^3rebigerfeminarien, 35
mit SerüdEfic^tigung ber ju §erborn, Soccum unb SBittenberg borb,anbenen unb in Se^ug
auf bie @rric|tung eines folc|en im ©ro^erjogtum Saben, §eibelberg 1835) embfo^Ien,
Dom di\ä). 3^otb,e (SBarum füt)lt bie beutfcr^ebangelifcfye^irdjie gerabe in unfern ^agen ba§
SebürfniS bon ^rebigerfeminarien ? ®enlfcb,rift ber Eröffnung beS ©ro^b,. Sabifc^en eb.=
bjot. ^rebigerfeminariumS, §eibelberg 1838) gemeint, baS ©eminar in §eibelberg (©an. <w
Scb,en!el, ®ie Silbung ber eb. Geologen für ben toralt. ^ircb,enbienft, eine ®enlfcb,rift
jur 25jäb,r. Stiftungsfeier beS ^3rebigerfeminarS in £>eibelberg, §eibetb. 1863; §. SBaffer=
mann, 9Kd&. 9lot^e als toraltifa^er Xb,eoIoge, greiburg i. S. 1899, ©. 89 ff.; ©efe|eS= unb
SSerorbnungSblatt für bie 33erein. eto.=torot. förc^e beS ©rof#. Saben, 1895, 5Rr. IV,
S. 10 ff.); 1862 baS ^rebigerMegium ju ©t. ^auli inSeito^ig (33r. Srüdner, ©aS 5)Sreb.= 45
M. ju ©t. «Pauli, 33ericb,t über baS erfte Jab,r feines SeftefyenS, Seitojigl863; ©.Sauer
u. Sr. Wartung, geftfe^rift jur 25jät)r. ©tiftungSfeier beS 5ßrebtger=woH. ju ©t. $auli,
Seibjig 1887 ; SBiffenfü). Seilage ber £eitojiger Leitung, 1904, 3Rr. 88). 1883 ^at man
in Slltenburg ein ^ßrebigerf eminar eröffnet, nact/bem fd)on feit 1834 bort ein braltifcb,
t^eologiftt^er ÄurfuS für ^anbibaten beftanben b,atte. lim biefe geit tolante man aueb fcb,on 00
bie Einrichtung eines ©eminarS in §effen=Äaffel ; im SanbtagSabfcfyiebe bom 31. Dltober
1^33 mürbe bie 92otmenbigleit eines folgen anerlannt unb feine ErridEjtung genehmigt,
aber erft im Jafyre 1891 ift eS in Hofgeismar begrünbet morben (31. Jilingenber, ©aS
^rebiger=©eminar p Hofgeismar, 1891—96, Gaffel 1897; Slätter auS bem $rebiger=
3cminar ju .'Hofgeismar, 9tr. 1, ©ommer 1903). Jm Jab^re 1896 erhielt bic 2anbeS= 65
firebe ©cf)IeSmig=§olfteinS ein ©eminar in «)3ree£ ; fett 1870 (bgl. SfyalbbäuS, ©d;Iem.=
Mft ®3i II, ©. 223) beftanb eine berartige Slnftalt in £>ciberSlcben m{t bem TpoycUcn
B^ecf ftanbibaten für bie Sertoaltung beS ^3rebigtamtS an ©emeinben mit bänifcb, er ©pracbe
ju befähigen. SDaS jüngftc «Prebigerfeminar, baS ber mecllenb. 2anbcSftrd;e in ©cb, merin, ftammt
aus bem 3. 1901 (©a^ung b. 16. älbril b. Js.; 2eb,rtolan b. ^rcb.=©em. ju ©a)merin i.93i.).— go
316 Untemdjt, tfjeol.
©ie (Sinrid;tung biefer ©eminare ift öerfd^teben. %m allgemeinen laffen fid> brei
©rubben unterfcfyeiben: 1. Dbligatorifc^e Slnftalten alter SCrt : Herborn, griebberg unb
Heibelberg; 2. gafultatibe 2lnftalten: bie fämtlicfyen altbreujstfdjen ©eminare, bie ©emi=
nare ber H<wnoberfcr;en SanbeSfircfye, 5Ründ;en, baS ^ßrebigerfollegium gu ©i. ^Pauli in
5 Seidig unb bie ©eminare in 2lltenburg, Hofgeismar unb in Söolfenbüttel nact) feiner
?ceorganifation im %afyvz I906 (t*gl- 2lmtSbrüberI. Mitteilungen beS SanbeSbrebiger=
bereinS im §erjogt. SraunfdsWeig, XIII [1904], %lv. 3) ; 3. Dbltgatortfdje 2lnftalten neuer
2trt: $ree| mit §aber§Ieben unb ©d)Werm. ©ie erfte unb britte ©rubbe gleiten fid^
barin, ba$ if>r SBefucb, unerläßliche 33ebingung für bie gulaffung gum gWetten ©ramen
10 ift. ©ie werben alfo alle bon ^anbibaten befugt, bie gwifcfyen bem erften unb gWeiten
@pmen fteljen. ©ennod) trägt jene 33eftimmung bei ber erfien ©rubbe einen anberen (Efyaralter.
©ie betreffenben ©eminare behalten nocb, im Wefentlidjen bie Sel)rWeife ber Uniberfität
bei, unb wenn fie aucb, tl)re Hauptaufgabe barin fef)en, bie ©eminariften in braftifdjer,
bfarramtltcfjer St^ätigfeit, namentlich in ^rebigt unb S?ated)efe, auSgubilben, fo bleiben
15 biefe bocb, nocb, im Wefentlidjen lebiglid; Sernenbe. 2lnberS bie ©eminare ber brüten
©rubbe. ©tefe I)aben fid) in ber SefyrWeife gang ben ©eminaren ber gtoeiten ©rubbe
angefcfyloffen, bie, Wie fie ben (Eintritt bon bem freien SSillen* ber einzelnen — mefyr
ober Weniger — abhängig machen, fo aud) ben gangen Unterricht freier gu geftalten
fudjen, bie beSfyalb nidjt nur bei brafttfdjien Seiftungen, fonbern awfy in geeigneten 3tefe=
20 raten bie eigene 2lrbeit ber ©eminarmitglieber anregen unb an bie ©teile ber iöorlefungen
fonberfatorifdje Sefbredmngen fe|en. infolge biefer breiteren Slnlage brauchen bie ©e=
minore ber gWeiten ©rubbe fid; aucf) nicfyt auf ^anbibaten ber Geologie gu befcfyränfen,
fonbern fbnnen aud) ^anbibaten aufnehmen, bie fcfyon il)r gWeiteS (Iramen beftanben
fiaben. $War ift eS für bie meiften aucfy biefer ©eminare neuerbmgS ©itte ober 2Sor=
25 fdjmft geworben, aud) nur bor bem groeiten ©ramen ftef)enbe Geologen gu 9Jiitgtiebern
gu I)aben, bod) ift eS in Söittenberg unb Hofgeismar burcfyauS bie Siegel, baf? aud)
ilanbibaten beS ^rebigtamteS unter ben SRitgltebem finb, unb baS ©omfanbibatenftift in
Serlin unb baS ^ßrebigerfollegium gu ©t. ^auli nehmen im gangen, baS ©eminar in
SBolfenbüttel fogar bringibieß nur gur Slnftellung ftel)enbe Geologen auf. ©abet machen
30 aber bie meiften als fog. ©liteanftalten in allen gälten bie 2IufnaI)me bon guten ©ramenS=
leiftungen abhängig.
©emcinfam berfolgen alle ©eminare baS ^ringib, Wtffenfcfyaftlicfye mit braftifd)er
2luSbilbung gu berbinben. Unb wenn fie tt)r Haubtintereffe aud) ber toraftifd)en "£l)eo=
logie im Weiteften Umfange guWenben, fo betreiben fie bod) einmal bie fyier in ^rage
35 lommenben ©iSgiblinen bom n>iffenfd)aftlid;en unb f)iftorifd;en ©eficfyiSbunfte aus, laffen
baneben aber aufy feinS ber übrigen t^eologifdien gädjer au^er ad}t. ^e nad) fetner
fbegietlen 33eftimmtl)eit ober aud; nad) ber ^id^tung unb Begabung feines SeiterS bebor=
gugt baS eine ©eminar mefyr bie fbftematifd;en, baS anbere mcl)r bie l)iftorifd;en ©iS=
giblinen.
io 2lud) f»eute nocb, rennen mand)e ©eminare Übungen in ber ©eelforge unter il)re
2lufgabe; inbem if)r Seiter, Wie in H°fae^mar D^er Naumburg a. Qu., gugleicb, ein
Pfarramt berWaltet, fmt er Gelegenheit, ben ©eminariften beftimmte feelforgerlicfye 3luf=
träge gu geben, ©ang befonberS betont biefeS SJcoment baS berliner ©omfanbibaten=
ftift; aud) baS Seibgiger ^rebiger!ollegium b^ält eS für lr>id)tig. ©aS ^ßrebigerfemtnar
45 in Wittenberg t)at, ben Aufgaben ber 3eit folgenb, gur Übung in ber ^ugenbbflege
einen „^ugenbberein" in§ Seben gerufen (Serid^t beS eb. ^ugenbbereinS gu SBittenberg
über baS ^a^rl906). S« ©d}leStüig=Holftein muffen feit 1906 alle f anbibaten, nad)=
bem fie baS ©eminar in ^3ree| abfolbiert §aben, — fofern fie nicr/t nad; ^aiix^khm
gelten (f. oben) — ein ^afyr 33i!ar Werben.
50 Slnbere sJiad}rid;ten Werben am Seften in tabellarifcfyer gorm gegeben, f. ©.317.
2. ©aS tl>eologifd)e Unterricb,tSWefen in ber rbmifcb/ = latb/olifcb/en
üird^e erhält im 16. ^afyrfmnbert einen neuen Eintrieb burdj ben Sefdjlu^ beS SLriben=
tiner ^ongils, ben b,eranWad;fenben Klerus in Itrd^licr)en 2lnftalten gu ergießen unb gu
unterrichten, unb gu bem gtozü ^ßriefterfeminare gu grünben (Sess. XXIII, Gap. 18,
55 De reform.). 33om gWölften 3a|re an füllten biefen bie zünftigen Ülerüer angehören;
©lementarbilbung feilten fie mitbringen, ber fog. niebere grammatifcfye Unterricht aber fo=
Wol)I Wie möglicbjt ber gefamte tb.eologifcb.e ^ö^ere füllte ilmen bann im ©eminar gu
teil Werben, ©ie ©rünbung ber ©eminare Würbe bor allem ben Sifdjöfen gur ^ßflid;t
gemacht.
60 SKancfye berartige 3lnftalten traten balb ins Seben; ber Äarbinal Slmulio bon 9xieti
Utticmdjt, tljcol.
317
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318 Itntemdjt, tfjeol. Utban IL, ^o^ft
unb 33ifd)of Martin bon ©cfwumberg in ©tcfyftätt, bie fcfyon 1564 ©eminarien eröffnen,
finb wofyl bie erften, bie ba§ ©efret bertoirllictjen. 33alb folgen ©eminare in 33enebent,
Verona, Sarino in ©Milien, in 33rirm, in Dfimo. 23telfacr; gewährt ber $abft Mittel ju
ibjer ©rünbung, unb e3 entfielen fog. ^äpftltd^e ©eminare; fo grünbete ©regor XIII.
5 in 9ftom fectjS ©eminare für bie orientalifcfye $trcr)e, ferner baS f)elbetifct)e ©eminar in
sJftaiIanb unb gm ei ©eminare in 23enebtg; bem bäbftlicfyen 2Ilumnat in SDittingen geroäljrte
er einen jäl)rlicf)en Bufc&ujj öon 1380 ©lubt. 3>m meiteften Umfange aber nimmt ber
Qefuitenorben ben fircblicr)en Organen bie ©orge aud) für ba§ flerifale Unterrid)t§tt>efen
ab (f. b. 21. Sefuitenorben, 33b VIII ©. 757, 23 ff.). @rft naef) feiner 2Iuflöfung Ijat
10 man mit ber Sluäfüfyrung beS £ribentiner 33efcfyluffe§ regten (Srnft mact/en muffen. ©a=
bei f/at man ber Dberaufftct)t be§ ©iaateS fid^> jebocfy meift rttc^t erwehren fömten.
3ju ©eutfdjlanb ift fyeute ba§ aSer^ältnig burdjweg fo, bafj bie jungen Bleuler ent=
toeber Don früt) an in bifc^öflic^en ©eminaren — guerft in ben Änaben= bann in ben
^ßriefterfeminaren — ifyre 33ilbung erhalten unb bt<§ jur ^3riefterroeil)e barin bleiben
Kolonnen, ober bafj fie gunäd^ft ein öffentliches ©r/mnafium unb bann baS ^riennium an
einer ftaatlicfyen Slnftalt abfolbieren unb bann bor ber ^riefterweifye noer; einen $urfu§
in ben ©eminarien burdjmacfyen, bie übrigens in allen micr/ttgen ©tücfen bon ftaatlicr)er
Genehmigung abhängig finb. Über ifyre innere (Einrichtungen orientieren 3. 33. bie bei
©iebengartner, ©cr)riften unb (Einrichtungen, ©.479 ff. bejm. 485 ff. abgebrühten ,,©ta=
20 tuten beS erjbifcfyöflicfyen ^nabenfeminarS Dttonianum in Bamberg" t>om $afyre 1880
unb bie „©tatuten beS ©eorgianifcfyen ^lerilalfeminarS in ÜJfüncfjen bom 28. Sunt 1893.
@§ befielen bleute in ^ßreufjen ^riefterfeminare in SErier, £ulm, ©nefen, ©rmlanb,
^»ilbe^eim, DSnabrücf, $ulba unb Simburg; je jtoei ©eminare Ijiaben $öln, fünfter,
$aberbom unb 33re3lau. ^eologifcfye §af ultäten beftefyen in 33onn, ^ßaberborn unb 33re§Iau,
25 Stjceen in 33raunSberg, $ulba unb ©nefen, bagu bie Slfabemie in fünfter, ©adjjen fyat
ein ^Sriefterfeminar in ^rag (toenbifcfyeS ©eminar). Sie oberrb^einifc^e ®ircr)ettbrobing unb
@lfaf$=£otr/ringen befitjen in ^Wainj, Strasburg unb sIRe£ je eins, in greiburg unb 9totten=
bürg je jtoei ^riefterfeminare. £f)eoIogifcr)e gafultäten befielen in greiburg unb 9totten=
bürg. SDie baberifcfyen ®iöcefen befitjen übrigens je eins, 9Jcüncb^en=greifing ^mei $riefter=
so feminare ; %I. Styceen befteb; en in greifing, 2)tHmgen, StegenSburg, ^affau, Bamberg unb
@itf)ftätt, tfyeologifcfye gafultäten in 9)£ündjen unb Sßürjburg. ©aju fommen §af)lreic^e
^nabenfeminare, bie meift aueb^ an ben ©itjen ber ^Sriefterfeminare fiefy befinben.
„gür bie ©ntmiöelung beS tf)eoIogifcb^en ©tubiumS ift namentltcf) bie ©tubienreform
in Dfterrretct) im 18. ^afyrfmnbert bebeutfam geworben. 2)urcb^ fie finb namentlich bie
35 firet; engefcf)ict)tlic§en gäd)er unb bie biblifcfyen §ilfsmiffenfcb^aften in ba§ tb^eologifc^e ©tubium
eingeführt toorben, bie ^3aftoraltf)eoIogie ift bon ber SRoral unb bem ^ird^enrec^t ge=
trennt, unb e§ finb ft)ftematif(^e Sorlefungen über ^Dogmatil unb Woxal eingerichtet
morben. SDer auf brei ^ab^re bemeffene öfterreicfyifcfye ©tubienblan ift in SDeutfct)tanb
burcb>eg angenommen ioorben unb fteb^t noefy I;eute in ©eltung (©iebengartner a. a. D.
40©. 151 ff.). gerbinonb So^rS.
Untcrf<^ett>ung0j[al)r f. SDiSlretionSjab; r 33b IV ©. 708.
Mr f. b. 21. 2Ibrab;am 33b I 106, 8.
Itrban I., ^abft, mar nacr; ©ufebiuS unb ben 5pabft!ataIogen 9?acb>Iger be§
lalUftuS auf bem römifcfyen ©tub^Ie, ben er 8 ^afyre inne blatte, 222—230 (Eus.
45 h. e. VI, 21, 2; 23,3 natft ber Gbjonü 9 ^ab^re). ©ufebiuS berietet nur feinen tarnen;
bie fbäteren ^acb^ridjten über ib^n finb unglaubtbürbig. T)a^u gehört feb^on bie 3^otij beS
Lib. pont. ©. 22 ber 2lu3gabe bon 5Diommfen, er fei ^onfeffor getoefen, unb bie @r=
Säf)Iungen in ben jungen Sftärtipraften AS 5[Rai VI ©. 11 ff. unb Anal. Boll. VIII
©. 164f. 3Ricf)t einmal über feinen STobeStag giebt eS eine einheitliche Überlieferung; im
50 Lib. pont. ift als SEag ber 33eife£ung ber 19. 5Rai genannt, baS fog. SSKartbrologium
^ieron^m. bagegen ertoäfmt ben ^ob jum 25. 3M. U. fc^eint in bem coemeterium
Callisti beigefe^t morben ju fein; benn eine bort gefunbene ^nfcfyrift OYPBANOC E.
toirb am einfaßten auf ib^n belogen, ©oeb^ läfjt i§n ber Lib. pont. im Ooemet.
Praetextati begraben fein. ^nuif.
55 Itrban II., ^3abft, 1088—1099. — ltvban§ Briefe unb Uvftmben finb uerSeic£)net
ßei S^ffe <S. Gö7ff. ®ie 6erid)tenben üuelten äufammengeftedt bei SBattericl), Poutif. ßom.
Urin» II., ^atft 319
Vitac I, 57J ff. ®ie tt'on.ylienbefdjluffe bei ^Jtanfi, Coli. conc. XX. ©miorobims, ©efdj. b.
tot. 9iom im «W IV4, ßtuttg. 1890; Sieumont, ©efdj. b. @t. 3{om II, Berlin 1867; Wa\--
ttn-i, 3>ie Sefejjung be§ ba'pftlicfjen ©tuljl-j, greiburg 1887 ©. 255 ; ©iefebredjt, Sl\3 III, 1;
gelier uon Jtitonau, Satjrb. b. beutfdjen !Keid}8 unter §etnrid) IV u. V., Seidig 1890 ff.
53b 4 f. 1903 f.; 9Jidjter, 9lnnalen be§ beutfdjen 9teicl)§ im Zeitalter ber Dttonen unb 5
Salier, üalie 1898; ©ljbet, ©efdj. beä erften SreujäugeS, 2. 9luf(.,' Seipjtg 1881; Stent, 3ur
Siograpfjte beä Sßapfteö Urban II., 23er(in 83; SBattenbadj, ©efdj. beä röm. ^apfttum«,
SBeviiu 1876; Sangen, ©efdjidjte ber röm. ®irdje Don ©regor VII. biä gnnocenj III., 33onn
1893; £efele, GonctIiengefdötd)te V2, bearb. ü. Stnöpfler, greiöurg 1886; §aucf, il© ®eutfü>
Innbä IIP, Seipjig 1906, «gl. audj bie Sitteraturangaben bei bem ?lrt. Äreu^üge. 10
Urban II. War Don ©eburt ein granjofe aus! ritterlichem ©efd)led)te, Dbo Don
Sagnb. au$ ©fjatillon f. 9JJarne. grübjeitig trat er in ben geiftlicfyen ©tanb ; bie für fein
£ebcn aus>fct)laggebenben ©inbrüde erhielt er in ber Umgebung Brunos! bon Köln, bes>
©rünbers! bes! Harifjäuferorbens!. (Sr Würbe 2lrd>ibiafonus! in ÜRfyeims!; bann aber ent=
fdjiofe er ftd) jum Eintritt in bas> Hlofter, er ging nad) Sluni); unter ber Seüung bes! is
2Ibte3 §ugo, bem er audj als! 5ßa^jft nod) banfbare 33erefjrung Wibmete, burcr)brang er
fid) mit ben %bwn ber 9teformmöncr)e. $m HIofter erfannte man ben Söert be<§ jungen
SJtonneS: er Würbe ^3rior, ©regor VII. berief iijn nadj Statten "nb «nannte if)n 1078
jum Äarbinalbifdjof bon Dftia. 2tls! foldjer bewies er ftd) als! treuer unb tüchtiger 9)Zit=
arbeiter bes! tapfres!, befonberä burdj §ül)rung feiner Segatiott in SDeutfdjIanb im $. 1084; 20
bie ©egner fbotteten, er fei ber 33ebiente ©regors>, biefer aber bezeichnete tfjn fterbenb
neben Sinfelm Don Succa unb §ugo bon Stjon als geeignet fein 5ftad)foIger ju fein.
Keiner t>on ben dreien jebod) rourbe gewählt, fonbern ber 2lbt ®efiberius! bon SRonte
Gaffino, ber ftd) als ^Saipft SSiftor III. nannte. (§3 gelang bem trefflichen SKanne md)t,
bie !ird)lid)e Sage gu beffern: fie War, als! er am 16. ©ebtember 1087 ftarb, Weit fd)Iimmer 25
ab3 bei bem Sobe ©regors! VII. @rft im SJJärj bes! nädjften $al)res! bereinigte ftd) eine
Slnjafyl ftarbtnäle mit 21 (? 16) Sifcfyöfen unb etlichen Slbten gur 23omar;me einer 9Jeu=
h>a|l in ^erracina. Sie SBab/I Dbo§ War längft zweifellos»: fo Würbe er benn am
12. SOJärj in ber Kircfye bes> b,l. ^ßetru§ unb ßäfariusi einftimmig gewählt unb fofort
fonfefriert. %üx bie ©ebanfen, mit benen er fein 2lmt antrat, ift ber 23rief bejeic^nenb, 30
ben er am Ztage nacb) ber 2öab)I an bie beutfdjen ©regorianer richtete. De me, fcfyrieb
er an fie, porro ita in omnibus confidite et credite sieut de beatissimo p. n.
Gregorio; cujus ex toto sequi vestigia cupiens omnia quae respuit respuo,
quae damnavit damno, quae dilexit prorsus amplector, quae vero rata et
catholica duxerit eonfirmo et approbo et ad postremum in utramque partern 35
qualiter ipse sentit in omnibus omnino sentio atque eonsentio. ®a3 War bie
Stbficfyt ; aber Urban II. War eine ganj anbere üftatur al§ ©regor VII., e<§ fehlte ib, m bie
ritdfidjtälofe Seibenfc^aftlic^leit, welche ber letztere bei ber ©urcfyfüfyrung feiner ©eban!en
entioicfelte unb bie feinen ©egnern ÜJBaffen Wiber il)n bot: Urban War gefcfymeibiger,
flüger ; ba§ Wir!te auf bie 2lu3füb,rung ber Slbficb.t. SBenn er be^alb aueb, ben Kambf *o
mit bem Kaifer fortfe|te, fo bermieb et boeb burd) fo fd)arfe Betonung ber bäbftlidjen
Oberberrfd)aft, Wie man fie bei ©regor geWöfmt War, bie Dbbofition ber übrigen euro=
t)ätfd)en gürften ju brobo^ieren; rman möchte bermuten, ba^ jWar nicb,t auf feine 2tn=
fdjauungen, aber bofy auf feine Stufjerungen ba§ Seifbiel feines! 23orgänger3 ntc^t or)ne
Crinflu^ geblieben ift. @S gelang bem ^3abfte auf biefe Söeife ©rfolge ju erzielen, bie 45
©regor berfagt Waren; in granlreicb,, ©jsanien, ©nglanb Würbe ber bäbftliclje (Stnflufe
mächtiger al§ er feit lange geWefen War.
3unäd)ft freutet) War bie Sage Urbansi nicr)t glänjenb. $m ©bätjab,r 1088 begab
er fieb, nad) 9tom; aber ber 2lnfjang Siemens' III., be§ einftmaligen ©rjbifcfyofS SBibert
toon jlabenna, ben ^einrieb, IV auf ber ©tjnobe bon Srirm 1080 jum ©egenbabfte 50
^atte Wählen laffen, War in ber ©tabt Weit gröfjer als! ber feine. Qn einem ©riefe an
93ifdt>of ©ebbarb bon Konftan^, ben er 1089 jum ©eljilfen Slltmanng bon ^ßaffau im
beutfdjen ^ifariat ernannte, erflärte Urban, bafs SBibcrt, famt Honig ^einrieb, unb aßen,
bie bon ibnen t irdjlicf) e SfBürben embfangen blatten, ejlommunijtert blieben ; aber Siemens! III.
fonnte eine ©^inobe in ber $eters!fircr)e berfammeln (Waljrfdjeinlict; im $. 10S9) unb fjier 56
bie Grfommunitation §einrid;g für nidjtig erflären; Urban bagegen fab, fidj im ©ommer
1089 genötigt, 9iom Wieber ju berlaffen; er ging nad) ©übitalien, in 3Mfi fjielt er am
10. ©ebtember eine ©tynobe, bie bon 70, nacb, anberen bon 115 Sifdjjöfen befudn1 War;
fte faßte Sefdjlüffe gegen bie ©imonie, Saieninbeftitur, (Sfjen ber Mlerifer u. bgl. ^n
Sari Weihte er am 1. Oktober bie ju @bren be§ -Jftfol. b. Tl\)xa erbaute Hird)e. ©eine go
Mücffeb^r nad) 9{om führte nidjt ^um bauernben Sefi^e ber ©tabt; im ©ommer 1090
320 Urban II., %ap\t
toar er toieber auf normannifc^em ©ebiet, unb toäfyrenb ßlemenS III. im grübjafyr 1091
in 9iom einbog, fab Urban bie ©tabt erft im 9>iobember 1093 toieber. @r mar toäfyrenb
biefer $afyre ntd^t untätig; er ^>iel± ©tmoben in SBenebent (28.— 31. SDtärj 1091) unb
%xoia (11. unb 12. SDiärj 1093), fyaubtfäcbiid) aber galt feine 3tufmerffam!eit ben 33er=
5 fyältmffen ©eutfd)lanbs : liier totrlte bie i>irfd)auer Kongregation im bäbftlidjen ^ntereffe
auf baS 33olI; mit ben ©regorianern unter ben dürften unb 33ifd)öfen war Urban fofort
in bie engfte Serbinbung getreten. @ine ,3eit lang fcfnen eS, als fei ber griebe mit bem
Kaifer möglid); bie ©acfye fd)eiterte jebocb, baran, bafj ^einrieb, Siemens III. nidjt fallen
laffen lonnte unb wollte, toäljirenb UrbanS $xd bie Sefeitigung SSibertS unb baburd) bie
10 Seenbigung beS ©d)iSmaS toar ; ber Kambf l)atte alfo feinen gortgang. Unb Urban
bewies fidj nun als ein ^Mittler, bem febeS 9JtitteI red)t mar, toenn eS nur jum ^icle
führte: burd) bie Sermittelung ber @f?e jtoifdjen ber 9Jtarlgräfin SDtatfnlbe, biefer fidjerften
©tüfce beg ^abfitumS in Italien, unb bem jüngeren Söelf bon 33aiem (1089) wuftte er
nid^t nur baS Welfifd;e §auS in feiner 2tnl)änglid)feit an 9tom p feftigen, fonbern aud)
15 bie Serbinbung feiner ttalienifd)en unb beutfd)en SunbeSgenoffen ju berfiärfen. 2öar
aber fd)on bie Stiftung ber @b,e stoifcfyen einem lTjäfyrtgett Jüngling unb einer ungefähr
breimal fo alten $rau fittlid) nicfyt ju rechtfertigen, fo nod) Weniger, bafj Urban bie @m=
börung König KonrabS gegen feinen 3Sater (1093) toenn nicfyt beranla^te, fo bod) förberte,
unb gerabegu fdjmacfyboil toar, bafj er ben 33errat ber fdjamlofen Kaiferin Slbelljieib an
20 ifyrem ©emafyle (1094) billigte unb benü^te. ®ocb, bie grud)t biefer SDtafjregeln toar für
bie ©ad)e beS $abfteS feb,r günftig : bie 5Racb,t §einrid)S jerbrödelte, bie ber ©regortaner
fonfolibierte fiefy: eS !am für Urban bie geit ber SLriumbfye.
^m ©ommer 1094 bracb. er toieber bon 9fom auf, Wie ein ©ieger burcfyjog er baS
mittlere unb obere Italien; bom 1.— 7. SRär^ 1095 fyielt er eine grofje ©fynobe ju
25 ^iacenja. ^taltentfc^e, burgunbifcfje, fran^öftfdje 23ifd)öfe fammelten fid) in großer Qaty
um ben ^Sabft; aud; bie §üb,rer ber beutfd)en ©regorianer fehlten nid)t, ©ebb,arb bon
Konftanj, ben Urban einftmalS als Segat $um 23tfd)of getoeifyt blatte, Ubalricb, bon $affau
unb ©iemo bon ©aljburg; bor allem aber umgeben ib,n bie ©cfyaren ber -JJcöncfye unb
feine Kirche bermod)te bie l)erbeiftrömenbe Sftenge ber Saien ju faffen, man fbrad) bon
30 4000 Kterifem unb mef)r als 30 000 Saien, bie 3eugm ber ©t;nobe toaren; bie öffent=
lid^e SJteinung trug ben ^ßatoft. Sie ©t^nobe erneuerte bie Sefcfylüffe gegen bie ?ßtriefter=
eb,e unb bie ©imonie, erflärte bie bon Giemen^ III. unb feinen 2lnt)ängern erteilten
Drbinationen für nichtig unb fbracb. bon neuem ben glucb. über ben ©egenbabft unb bie
©einen au§ ; bie bon ber Kaiferin gegen Kaifer §einric| erhobenen 2lnMagen tourben o§ne
35 Unterfud;ung als glaubtoürbig angenommen, toäfrenb fie bod) augenfd)einlid) ben ©tembel
ber Süge trugen, unb ber Kaiferin bolle Slbfolution getoäb,rt. ®an$ anber§ berfub^r ber
^abft unb bie ©imobe mit König $I)tlibb bon granlreid), obgleid) e§ fieb, bei i§m um
ein notorifcfyeg Serbred^en fianbelte. ^b,ilibb ^atte feine ®emal)Iin Sertf)a berfto^en unb
lebte in e£)ebred)erifd;em 3Serb,ältnig mit Sertraba, ber bon ib,m entführten ©ernannt be§
40 ©rafen gulco bon Slnjou. Deshalb b,atte ib,n ©r^bifebof §ugo bon 2t>on auf einer
©fynobe ju 3lutun ejlommunijiert; aber nid)t alle franjöfifd^en 33ifd;öfe f>atten fo biel
5Rut toie er; nadjtbem 53ertb,a geftorben toar, toaren fie bereit, bie SBerbinbung be§ Königs
mit Sertraba anjuerfennen. Urban fyatte ben König unb ben ©rjbifcfyof bor bie ©^nobe
äu ^Siacenja gelaben; betbe erfcb,ienen nid)t; bie ©tmobe aber gewährte bem Könige eine
45 neue $rift jur Rechtfertigung, fuSbenbierte bagegen §ugo bon Styon bon feinem Slmte.
2lm folgenreicb,ften tourbe ber le|te Vorgang, ber ju ertoäb,nen ift: ber gried)ifd)e Kaifer
SllepuS b,atte eine ©efanbtfd)aft an ben ^5aj)ft gefd)icft, um bie §ilfe be§ SlbenblanbeS
^um Kambfe gegen bie Ungläubigen ju erbitten. Urban embfing bie ©efanbten bor ber
©^nobe unb förberte jur Unterftü^ung ber ©ried)en auf; feine SBorte toaren nidjt ber=
so geblid; gerebet, fofort gelobten nid)t toenige ber Slntoefenben eiblicb ben 3«9 w$ 3Rorgen=
lanb, ben Kam^f gegen bie Ungläubigen, ©o tourbe eine Setoegung in glufs gebrad)t,
bie länger als jtoei ^al)rb,unberte nid)t toieber jur 9iub,e lommen foHte. ©d)on längft
b.atte man im Slbenblanbe mit bem ©ebanlen eines 3u9eg nac^ ^em Often gefbielt: ber
©eift ber geit mar für ein foldjeS Unternehmen bereit, eS fehlte nur an bem SJtanne, ber
55 bie borl)anbenen Kräfte entfeffeln, ib,nen bie Richtung ju geben bermod^te. Tlan barf eS
als bie toicfytigfte ^anblung UrbanS bejeic^nen, ba^ er fiel; entfcblof?, bem gried^ifc^en
§ilferuf 33eac£)tung ju berfd)affen. SDer beginn ber Kreu^üge ift fein SBeri
2BaS in ^iacen^a begonnen toar, lam in ßlermont gu boller Entfaltung.
3m §erbfte 1095 berliefe Urban Italien, audb, bieSfeitS ber Silben fottte fid) bie
60 neue ^Oiacfyt beS ^abfttumS feigen. 3n Glermont gebaebte er eine allgemeine ©fynobe ju
Urban II., ^tipft Itvfiatt III., ^ajjft 321
galten; in ber Ibat toaren bte curotoäifd;en Sänber, toenn aueb, nid;t gleichmäßig auf
biefer ©tmobe (18.— 28. 5iobember 1095) Vertreten; neben ben Romanen, bie in großer
$at)i erfdnenen toaren, bcrfcfytoanben bie toenigen 3)eutfcr)en, aus ©nglanb bollenbS mar
nur ein SBifdpf, Slnfelm bon Santerburty, antoefenb. Stuf franjöfifdiem Soben beringte
Urban ben 33ann über ben frartgöfifd^en ®önig, ba er fein $err/ältnis ju Sertraba ju 5
löfen fid} Weigerte; b/ier in ben ©egenben, too ber ©otteSf riebe juerft eingeführt toorben
toar, fbrad) er bie ^llgemeingiltigfeit beSfelben als fircfylicfyeS @efe£ aus (f. 33b VII ©. 21).
^ie Seftimmungen gegen bie ©imonie unb bie Saieninbeftitur tourben erneuert unb ber=
fdjärft (can. 15 f. 18). ©elbft bie Setftung beS Se^ensietbeg tourbe ben ©eifrigen
unterfagt (can. 17). £ocb, bieg alles tritt an 3öid)tigfeit gurüd gegenüber ber 93egetfte= 10
vung, toelcfye Urban b/ter für ben Ureu^ug ju ertoeden toußte. SCaufenbe toaren b/erbei=
geftrömt, um ben ^ialpft reben ju fyören, toieber toar man genötigt, aus ber $ird;e unter
ben freien Fimmel §inau^ujiet)en. Unb jbjer fbracb, bann Urban für ben gug jum
heiligen ©rab, er begieß allen benen, bie in biefem Kampfe fallen würben, bie $rone
beS 9JJartr/riumS. -Wie machte eine Siebe größeren ©inbruef als biefe. 21I§ ber $abft 15
geenbet, bracb, bie 3Dfenge in ben oft toteberb/olten 9tuf auS: ©ott toill eS, ©Ott toill eS.
^aufenbe bezeichneten fieb, mit bem Dom ^ßabfte beftimmten ßetc^en, bem roten $reuj. ©ie
Setoegung ergriff ganj granfreieb;, teilte fid; bon bort ben benachbarten Sänbern mit;
nid)t nur bie Stitterfcfyaft fab, b,ier ein giel, baS fie begeifterte, fonbern aueb, baS niebere
isolf tourbe bureb, SJcänner toie $eter bon 2tmienS entflammt. 20
%üx bie ©teßung beS ^ßabfteS toar biefer ©rfolg auSfd)laggebenb, er toar nun in ber
Ibat ber Rubrer ber abenblänbifd)en 3ßelt. SDie 9Kacf;t dortig ^fülibbS berfcb,toanb
gleicb/fam neben ber beS ^3abfteS, er trennte ftcb, bon 23ertraba unb tourbe bureb, Urban
Born Sänne loSgefbrocfyen. %n SLourS unb 3fämeS bjelt ber ?ßap\t toeitere ^onjilien
(grübjafyr 1096). ®ann lehrte er nacb, Stalten äurüd; ^er toar bk 9)cad)t §einrid)S 25
unb GlemenS' III. böllig gebrochen, ©er $abft, ber gegen @nbe beS ^ab/reS 1096 feinen
2h) toieber in Stom nab/m, !onnte nun (Januar 1097) eine ©fynobe im Sateran galten;
im 3luguft 1098 gelangte er enblicf) — toa^rfcf/einlicb, burd; 3ßerrat — in ben Sefitj ber
btefter bom 2lnb/ang 6Iemen§' III. befehlen ©ngeföburg. @r felbft befanb fid) in biefer
ßeit in Unteritalien; er b,ielt baf elbft am 3. Dftober 1098 eine ©tmobe in SSari, bie 30
buref) bie 2Serb,anblungen über ben 2lu§gang be§ 1)1. ©eiftees eine allgemeinere 33ebeutung
bat. (Sine jtocite römifc^e ©^nobe fanb bom 24.— 30. 2tbril 1099 in ber $eter§fird)e
ftatt. ^id^t lange banacb, ftarb Urban (29. Quli 1099). 2ln geiftiger Sebeutung ftef)t
er toeit unter ©regor VII., aber feine Klugheit erntete größere ©rfolge ai§ ber !üb,ne
3Jut @regor§. 5Dte Sage ber ^irdje roar für ba§ ^abfttum bei feinem STobe toeit 35
künftiger ab§ im Qa^e 1085. §aud.
Urban III., ^ßabft, 1185—1187. — Sie «riefe unb Itrhmben llrbanS üerjeid)net Bei
Saffe, II, @. 854. Sie onnalifttfdien nueüen bei SBatterictj, Pontif. ßom. Vit. II, ©.663 ff.;
MG CI I <B. 441 ff. 9?r. 314—317; @regoroüiu§, ©efefj. b. ©tabt Mom im 90^91, IV; 9{eu=
mont, ©efd). b. ©tabt 3?om, II; SSattenbacf), ©efet). b. röm. 5j3a^fttum§; ©ctjeffer=S3oictjorft, 40
Mfer gfriebrtd)§ I. Ie|ter (Streit mit ber Surie, SSerlin 1866; ^ruß, fatfer grtebrief) I.,
S3b III, Sanjig 1873; ©tefebred)t, ©efd). b. b. tatferjeit, Sb VI, Setpjig 1895, ©. 114 ff.;
Sangen, ©efrf). b. röm. Sirene Hon ©regor VII. bi§ ^nnocenä III., 93onn 1893, ©. 564 ff.;
•tioucf, m Seutfrf)[anb§ IV, Seipjig 1903 ©. 304 ff.
§ubert (Sribelli gehörte einer 3JtaiIänber gamilie an; £uciu§ III. nab^m tt)n in baS 45
tarbinalglotlegium auf; feit 1185 toar er ©rjbifdjof bon SDtailanb. 2lm 25. 9lobember
besfel&en $af)re3 beftieg er al§ Urban III. ben ipäbftlicfyen ©tub,I. ®al SBer^ältnig ju
Saifer griebrid} I. toar fd)on unter 2uciu§ III. mancfyfad) geftört: bie matl)ilbifd;e @rb=
fäaft, bie Slrierfd;e Sifdjofötoab/l, bie Sfoifertrönung §einrid;ä VI. toaren fragen, über
bie fid} sßapft unb l^aifer ntc^t berftänbigen !onnten (f. b. 3Irt. Suciuä III. Sb XI, B0
£• 669 f.). Sßie fid; ber neue Sßapft ftellen toürbe, lonnte laum fraglicb, fein. Urban III.
fear nicr;t nur burd) bas iserf>alten feinet 3Sorgänger^ gebunben, er blatte aud; bcrfönlid;e
©rünbe jur geinbfcb,aft gegen ben Mfer: bei ber ^erftörung 9JiaiIanb§ im 3. 1162
batte griebridi mehrere ©lieber ber gamilie Sribelli teils ifyreS Vermögens beraubt, teils
graufam mißb^anbeln laffen. ®er ^ßabft geigte benn aueb, balb, baß er nid)t gefonnen fei, 55
bem Maifer entgegcnjufommen. ©c§on baß er baS sIRaiIänber 33iStum aud) als s$abft
behielt, toar eine §anblung ber geinbfeligfeit gegen ^riebrieb,; fobann erneuerte er bie
^orberung ber 3urüdgabe ber matb,ilbifd)en ©ütcr; enblid) er^ob er neue klagen gegen
ben Äaifer. tiefer nab;m baS ©bolien* unb ?Regalienrecf)t in 2lnfbrud> unb 50g barauf
iHeol=®nc^fIot>äbte für Geologie unb Jftlr«e. 3. «. XX. 21
322 Urban III., $a*>ft Itrbon IV.f ^apft
geftüijt bte §tnterlaffenfd)aft ber 33ifd)öfe unb bie ©infünfte ber Bistümer mäfyrenb ber
©ebiSbafanj ein. SeibeS fianb in 3Btberfprud) mit ftrajlicfyen Seftimmungen, bie bon
alter§ f)er galten: bet $apft erflärte eS für unrecht; er forberte bon bem ®aifer ben
33erjic^t auf feine bermeintlicfyen 9tecfjte. ©einerfeitS bermetgerte er bem ^aifer bie bon
5 ibjn lebhaft gemünfcfyte Krönung §einricl)S , ja er fud)te bie beutfcfyen SBtfd^öfe in ifyrer
SEreue gegen ben $aifer manfenb ju madjen, unb menigftenS bei ^fnlibb bon ^öln blatte
er ©rfolg. SBenn er in ber %rierfd)cn 2öab/Ifrage berfbrad), niemals bem SlrcfyibiafonuS
golmar bie SBeifye ju erteilen, fo mar biefeS gugeftänbnis nur "n Mittel, um feine
wahren 2Ibftct;ten ju berl/üHen. SDer offene SBrucf/ liefs benn aucr) nict/t lange auf fidj
10 märten. Urban unterftü^te baS aufftänbige ßremona; als griebricb ftegte, mar ifym ber
^Rüdtjug rtict)t meb,r möglich, er mufete bortoärtS; unter offenem 33rucr) feiner gufage
meiste er am 1. $um 1186 golmar jum @rjbifcb,of bon SErier. ®er ^aifer räd)te fia),
inbem er burd) feinen ©olm ^einrieb, ben ^irdjenftaat bermüften liefe, ben $ßabft aber
cernierte er in Verona unb fd)nitt \i)m jeben SBerfefyr mit ber 2tuf5enmelt, jumal mit
15 ®eutfcf;Ianb ah. SDort mar ^IrilibpS Haltung unter ben S3tfd)öfen ntdjt ofyne ;Kacr)folge
geblieben. Um bie bäbftlicfye Partei ju feftigen, ernannte Urban $r/ilibb jum bäbftlia)en
Segaten. ©od) bie Hoffnungen, bie er auf bie bä'bftlid)e gartet in ©eutfdilanb feiste, er=
toiefen fieb, als trügertfet) , auf bem %age §u ©einkaufen (28. ^obember 1186) mufjte
griebrid) bie dürften unb Sifdmfe jur 3lnerlennung feines SfiecfyteS im (Streite mit bem
20 $abfte gu bemegen. Um fo fd)roffer mürbe biefer; er lub ben ®aifer bor fein ©ericfyt in
Verona. @S mar bergeblid), bafj griebrid) eine ©efanbtfcfyaft an xi/n fanbte, um $u einer
SBerftänbigung ju gelangen; ber $a!b[t bermetgerte U)m ben ^rieben, er brofyte mit bem
Sann. (Sfye er tnbeS biefe 2Ibfid)t ausführen tonnte, ereilte ilm ber %ob. @r ftarb ju
$errara, mof)m er fieb bon SSerona begeben b)atte, am 19. Dftober 1187. §aud.
25 Urban IV., «ßabft 1261—1264. — Les Registres d'Urbain IV p. J. Guiraud,
Eeg. ordin., 2 93be, SßariS 1901 u. 1904; Reg. camöral, S$ai~. 1901; ^otttjaff. Regest. II,
1474 ff.; MG Ep. s. XIII. e reg. pont. Rom. selectae ed. g. 9vobenberg, 93b 3 ©. 474 ff.,
SSerlin 1894; qjoffe, Analecta Vaticana, 3nn§br. 1878, ©. 15 ff., 128 ff.; SSaumgarten,
»D3 III, <3. 42 ff.; 3 SBiocjrnpbjen UrbanS bei SKuratori Scr. III, 1 @. 593, HI, 2
30©. 404 ff., ugf. SRCS XII, @. 152 ff.; «Reumont, Öiefcfa. ber ©tabt SJorn II, Berlin 1867;
©vegoniütu§, ©efd). ber Stabt Korn im 'UM V2, ©tuttq. 1871; g. «. Räumer, ©efet). ber ^o^en=
ftaufen u. ifjrer geit, 2. ?(uf(. 4. 93b, Seipsig 1S41, S. 422 ff.; (L be ferner, Histoire de la
lutte des papes et des empereurs de la maison de Souabe, 2. ?Jufl. 3. 93b, 93ari§ 1858,
©. 113 ff. ; ©c[)irrmacfjer, S)ie legten £)oßenftaufen, ©öttingen 1871; ©ternfelb, Sari b. ?ltijoit
35 a(§ ©raf üon b. s$ronence, 9?erliu 1888; STencftjoff , ®er Sarn^f ber ^nfienftnufert um bie
Wart ?(ncorta, ^aberborn 1S93; S. §nmpe, Urban IV- u. Wanfreb, §etbelb. 1905; 9i!.
Steuert in b. 3?£L© X, ©. 451 ff. XII ©. 127 ff.; TOagifrer, Vie du pape Urbain IV.,
5Evot)e§ 1854 (mir unjugönglicl)) ; ©eorgeS, Histoire du pape Urbain IV- et de son temps,
$ari§ 1865.
40 Urban IV ^tefe bor feinem ^ontififate $afob ^antaleon. ©ein ©eburt§jab,r ift
unfid)er; er mar ber ©ob,n eines ©crjufymacfyerS ju SEro^eS, erhielt feine 33ilbung in Saon
(^3. 18337) unb ^ktriS, mürbe ^anoniluS gu Saon, ®omf)err unb 2Ircb,ibialon ju Süttid),
1247 bäbfüicber 9JuntiuS in ©d)Ieften, ^ßolen, ^reu^en unb Sommern, 1249 3lrd)ibialon
in Saon, im ©ejember 1253 Sifcfycf bon 3Serbun. ®er gelehrte, energifcfye unb talent=
45 bolle 9J?ann mürbe balb in ^om bemerft unb benü^t. ^nnocenj IV fanbte ifyn 1247
mie bemerlt als bäbftlic^en S3eboßmäd)tigten nacb, bem 9brboften ; 21lejanber IV. ernannte
ilm 1255 jum Patriarchen bon ^erufalem. ®ie SebrängniS ber ßf)riften im Orient
bemog ib,n, fieb, nacb, Italien ju begeben, um bie §ilfe beS $abfteS ju fucfjen: er befanb
fieb, in 3Siterbo, als StleEanber ftarb. §ier mürbe er nacb, einem Dreimonatlichen ^on=
so Habe am 29. Sluguft 1261 jum ^abfte gemault unb am 4. ©ebtember fonfefriert. Sie
aSerf)ältniffe lagen äu^erft fcfyroierig. 9iom mar fo gut mie unabhängig ; in Italien r)atte
Äönig SRanfreb bie Dberf)anb ; in SDeutfcfylanb ftanben fieb, bie Parteien unberföb,nt gegen=
über: es gab mof)l jmei gemäb,lte Könige, aber feinen allgemein anerfannten £>errfd)er.
Urban fuebte tb,atlräftig unb burcfjgreifenb baS bäbftlicb,e ^ntereffe gu magren, ©r er=
55 gänjte alSbalb nad) feiner ^ntb,ronifation beS ÄarbinalSloHegium bureb, bie Ernennung
bon bierjefm Äarbinälen, acf)t Italienern unb fecbS granpfen; er ftellte in 9xom unb ber
Umgebung, fo meit eS möglitt) mar, bte bäbftlicbe Dberl)errfd)aft mieber b,er. dagegen
fucb,te er bie beutfd)en 3Serf)äItniffe in ber Zerrüttung ju erhalten, in ber fie fieb, befanben.
SDa ber $lan aufgetaucht toar, J^onrabin, bem legten §obenftaufen, bie Ärone ju über=
60 tragen, fo erliefe er (3. ^uni 1262) ©^reiben an bie ^urfürften bon Wiain^ J^öln unb
ltrtnti IV., fap^t Urfion V., $ctyft 323
Ivter, in Weidjen er unter SDrofyung mit bem Joanne beffen SÜ>aE>l bcrbot. Siicfyarb bon
ßomWatl unb 2llbb,on<§ bon ©aftilien, bie beibe geWäb/lt Waren, forberte er gur ©nt=
Reibung bor ben toäbftlid)en ©tub/I. ^toar gelang e§ ifnn 1263 fie jur Anerkennung
feinet ©erid)t3 ju beftimmen, $. 18 634; bod) mufete er am 27. 2luguft 1264 bie @nt=
Reibung Wieber bertagen, $. 18931. @r fottte fie nid)t mel)r erleben, ©eine £aubt= 5
Jorge bitbete bie 5Racr/t 9JJanfreb<g. SDiefer fud)te ben ^rieben: er erbot fid) gur 3af)lung
einer fef>r bebeutenben ©umme, um bie Anerkennung be£ bäbftlicfyen §ofe<B ju erlangen;
aber bergeblicr/; er beWog Äönig Qafob bon Aragon ju griebenSbermittlungen, aucb, fie
fdjeiterten ; nidjt minber bie Semüb,ungen 23albuin3 bon ^ntfalem. ©enn ber $abft
iDoßte leinen Rieben: er Wollte ben Untergang be§ r/or/cnftaufifcfyen dürften. ©e3fyalb 10
lub er ben .tönig bor feinen 9tid)terftub,l, bannte tt>n unb übertrug 1263 bie Ärone bon
9?eabel unb ©ijilien unter Abfefyen bon bem älteren ^ßlane, ©bmunb, ben ©ob,n
<5einrid)3 III. bon ©nglanb auf ben fi^ilifcr/en %i)xon %u ergeben, bem ©rafen Slarl bon
Änjou, ben er aud) in ber SBürbe eine<§ Senator^ bon Sforn anerlannte. ©od) eb,e Äart
in Italien eintraf, ftarb ber ^ßabft in Perugia am 2. DItober 1264. $ßon lirc^)Iid)en ib
§anblungcn UrbanS IV. ift nur bie allgemeine @infül)rung beö $ronleidmams>fefte<8
(%. 18 998 f., 19016) unb bie (Einleitung jur Union mit ber gried)ifcf)en £ird)e 0)3 . 186n.jff.
18951) *u erwähnen. £aurf.
Wvian V., ^ßabft, 1362—1370. — Bullarium Romanum, Taurin. edit. 33b 4, 1859,
S. 519 ff. ; Sfjemev, Codex dipl. dorn, terap. s. sedis, 2. 33b, 9tom 1S62, @. 403 ff. ; $offe, 20
Analecta Vaticana, lyttnäbr. 1878, @. 190f. ; Lettres des papes d'Avignon se rapportant ä
la France, 5. Urbain V. p. M. Lecacheux. 1. Lieferung, $aiiä 1906; 28ürttembergifd)e
(4)e|d)id)tCMiueIIen 2.33b, ©tuttg. 1895, ©.448 ff.; 4 iöiogvaptjien bei ßaluzius, Vitae paparum
Avenionensium I, ©. 363 — 423; ©lasfdjröber 9tQ@ III, ©. 299; 9tibaneg, Actes anciens
et documents concernant Urbain V. pape, 3^ari§ 1897; Mansi XXVI; Raynaldus, Annal. 25
occles. t. XVI; TOagnan, Histoire d'Urbain V., 2. Infi., 33ari§ 1863; «Reumont, ©efd). bei-
gabt 9tom II, Berlin 1867, @. 937; ©regoromuä, ©efd). ber ©tabt 9t om im "331% VI4,
3tuitg. 1893 ©. 398; ©attenbad), ©efd). be§ römtfdjen $apfttum§; 33aftor, ®efd)id)te bei-
mpfte P, g-reiburg 1901, ©.96 ff.; 'ißrou, Relations polit. du pape Urbain V. avec les rois
•de France, 93ari§ 1888; ©oud)on, ®ie s^Qpftroaf)len Dort 33onifa^ VIII. 6iö Urban VI., 30
33nuinfd)roeig 1888, ©. 66 ff.; 3Benm§£t), ©efd)id)te .fönig farlö IV. 3. 33b, gnnäbr. 1892,
3. 266 ff.; firfd), Sie 9?üclte£)r ber «ßttpfte Urban V. unb ©regor XL, «ßaberborn 1898.
Urban V war ber ©olm eine« Sfttteri ©rimoarbu«, ber t)od;betagt ben 17.Dttober
1366 ftarb, unb Würbe geboren ju ©rifac in ©ebauban, ©iöcefe Sftenbe. 2Il§ Jüngling
trat er in ben Senebiltinerorben, er machte fobann gelehrte ©tubien, rourbe doctor 35
decretorum unb lefyrte längere ßeit in SRontbellier unb 2Ibignon. ©bäter würbe er
3lbt im ©ermanugflofter ju'SIujerre, bann in ©. Victor gu sJJtarfeille. 6lemen§ VI.
unb ^nnocenjVI. benü^ten il>n mel>rfad) al$ bäbftlid}en Segaten; er befanb fid; auf ber
9iüdreife bon Neapel al§ er am 27- ©ebtember 1362 in 3lbignon jum ^3abfte erh)äl;lt
tourbe; am 28. Dftober mürbe bie 3Bab;l publiziert, nod; am gleiten %ag,e erfolgte bie 40
3ntb,ronifation, am 6. 9iobember bie Krönung be§ neuen ^ßabfteS. Urban tbar ber bor=
le^te ^Jajpft, roelc^er in 2lbignon refibierte, einer ber legten, ber fid; mit Äreujjutg^
gebanfen trug: ^peter bon Sufignan, J^önig bon Gebern, follte bie abenblänbifdjen gürften
ju einem föreu^uge entflammen, ^ob,ann bon granfreid} güfyrer be§ 3u3eg derben.
2)od) ber ledere ftarb 1364 in englifc|er ©efangenfd;aft; $eter eroberte jtoar Sllepnbrten 45
(11. Oftober 1365), aber ba er fid} nicb,t berbarg, ba^ e^ i^»m unmöglid} fein werbe, bie
©tabt ju r/alten, gab er fie aläbalb Wieber auf; er Würbe 1369 ermorbet. ©en ^abft
nahmen anbere unb bringenbere ©orgen. aU bie um ba§ 9)torgenIanb in älnfbrud;. 3n
Oberitalien arbeitete ber gewalttätige Sernabo Visconti an ber Stitöbrettung feiner vIRaa)t.
S§ War eine ber erften §anblungen Urban«, ba^ er ib,n am 30. sJJobember 1362 bor so
feinen 3tid)terftuf>l citierte. 2ll<§ Sernabo nid;t erfdjien, belegte er ilm am 3. 9)£ärj 1363
mit bem 33anne unb rief bie ©laubigen jum ^reujjug Wieber ben Räuber beä ftrd)licb,en
©ut3. 2lber Sernabo War nid)t ber Sftann fid) babureb, fd)reden ju laffen unb Urban
^atte nidjt bie 3Rad)t ib,n ju überwinben; fd)on im ^uli begannen griebcnäunterfyanb;
lungen, bie noeb, bor Ablauf be§ ^ab.re« jum ^rieben führten. Urban erhielt burd) ben= 55
felben bie bon Semabo befehlen Staftelle in ben ©iftriften bon Bologna unb s3)iobena
unb in ber SRomagna jurüd, aber er mufete fiel; ^ur 2luf Hebung beS Sanncs unb jur
S^lung ber ungeheuren ©umme bon 50i)(jiio ©olbgulben berfteb,en. ©er ^xkhc mit
Semabo führte nid}t jur Scrufjigung bc<8 italienifd;cn Sanbeö; ©ölbnerbanben unter
Sprung bon Abenteurern berfd;icbener Stationen plünbertcn unb branbfd)al^tcn bie 60
21*
324 Urban V., $n))ft Urfian VI., ^apft
ttaltenifc£>en ©täbte; ber ^3a£ft erlief am 13. 2fyril 1366 eine Bannbulle gegen fie; er
oerfucfyte eine Siga ber bebrofyten ©täbte unb ©taaten ju bilben; bocb, olme biel (Srfolg:
e§ mufjte aud) fyierburcb bie ©inftcbt ftd? it/m aufbrängen, bafj bie Stüäfefyr nad) Italien
geboten mar. Sängft Ratten bte Corner biefelbe gefordert; patriotifdje Italiener tote
5 Petrarca Ratten bringenb baju gemannt, aud) ®aifer &axl IV münfcfyte fie; fo entfcfyloft
fid) Urban im 2>ab/re 1366 bte Sücffef/r beftimmt jujufagen. %vo% be§ heftigen 2öiber=
\pxufy§ ber franjöftfcf/en Äarbinäle unb ber SBorftettungen be§ franjöftfcfyen £>ofe§ t/ielt er
fein 33erfyred)en : am 30. 2lpril 1367 Verliefe er Slbignon, am 19. 9M fcfjiffte er ficb, in
SRarfeitte ein, am 4. 3"™ fanbete er bei ßorneto; ^ter lam ib,m ber SJiann entgegen,
10 ber feit beinahe 14 ^ten als päpftlid)er Segat im ^irdjenftaate mit unermüblicber 2lu3=
bauer an ber SSieberr/erfiettung ber pä^ftltcfyen SJcadjt gearbeitet l)atte unb bem aKeS ge=
lungen mar, maS unter ben augenblicklichen SSerfyättniffen ermartet toerben lonnte, ber
^arbinal $gtbiu§ Sllbornoj; getftlicr/e unb weltliche ©rofje begleiteten ben Segaten. 2tm
Ufer fyatte man einen 2Iltar errietet, an meinem Urban abSbalb nacb, ber Sanbung eine
15 SEfteffe lag. 2)a3 ^fingftfeft feierte er in ßorneto ; borten famen ©efanbte ber 3tömer,
um bem ^apfte als bem §errn ber ©tabt bie ©cfylüffel ber ©ngelSburg ^u überbringen.
9lur langfam näherte er ftcb, 9tom, am 9. Qunt lam er nad) Siierbo, erft am 16. Dftober
§og er in S^oin ein. 3lm 30. Dftober würbe jum erftenmale mieber feit bem £obe
SBomfaj' VIII. „am Ijocbaltar ber $eter3fird)e 9)teffe gelefen. ©cfyon efye Urban in 9tom
20 eintraf, mar StgibiuS Sübornos geftorben (24. 2luguft), für ben Sßapft ein unerfe£=
lieber SSerluft. @S gelang tfym benn aud) ntd)t, bie Angelegenheiten Italiens ju orbnen.
3)a3 33erb,ältmS §u Sernabo blieb unficfyer; bie ©tabt Perugia empörte ftcb, (1369),
mufjte mit bem tarnte belegt unb fonnte nur burd) ©emalt bedungen merben. ©ie
glänjenben Slufjüge, bie ftd) an ben Skfucb, ber, Königin S^arrna öon Neapel in 9}om,
25 mie an ben ^aifer kaxU IV., boEenbS an ben Übertritt beS orientalifd)en ÄaiferS 3°^nn
^SaläoIoguS gur römifcfyen $ird)e (18. Dftober 1369) fnüpften, fonnten faum barüber
tauften, bafs ber gmeef ber 9tücffebr toerfeb/lt mar; Urban bebeutete in 9lom nia)t mel)r
als in 2tbignon. SRan begreift, bafj ber ©ebanfe nad) 2lbignon jurüctjufeb.ren in ber
©eele be<§ $a|3fte§ auftauchte, unter bem ^Drängen ber fran^bfifcb.en ^arbinäle reifte ber
so ©ebanle jum (SntfdEjIujß. Sergeblicl; toarnte bie b,l. Sirgitta: fie tooHte eine Offenbarung
empfangen fyaben, Urban merbe fterben, menn er fio) mieber nacb, Stoignon begebe;
bergeblicb, befcf)tooren bie Körner ben ^apft ju bleiben; am 5. ©eptember 1370 fc|iffte
er ftcb, mieber in ßorneto ein, am 16. lanbete er in SDkrfeide, bereits am 24. befanb er
fid? mieber im pctyftücf/en ^alafte ju Slbignon. Slber feine 3e^ ^^ abgelaufen, am
35 19. ©e^ember 1370 ift er geftorben; feinem SBiUen gemä^ mürbe fein £eio)nam naa)
©. aSictor in SRarfeiHe gebracht.
Urban fyatte ein ©efüb,l für bie s$flicb,ten be§ päpftlid)en 3lmte§, baS geigt feine
Siücffebj naa) 9iom, aueb, feine mieberb,oIten ©rflärungen gegen fircr/Iicfye SRifebräuc^e, bte
©intonie, bie Bereinigung ja^Ireid^er ^Pfrünben in einer §anb u. bgl. 2lber er mar fein
40 bebeutenber SRann, er t>ermodE)te mob.1 nad) 3f{om jurücfjufe^ren, aber er »ermocb,te nic^t
biefen ©cfyritt ju einem epocb,emac|)enben ©retgnis ju machen; beäb,alb mar er im ftanbe
i^n jurücfjut^un unb babureb, feine eigene mertboHe %I)at felbft au^jutilgen. Urban t)<xt
biel gebaut, in 91 om am Sateran, in ©. ^3eter unb ©. 'jßaul, in 3l»ignon befonberS am
päpftlicfyen ^3alaft. ^n 3[Rontpeßier grünbete er ein Kollegium für gVüölf 3Jtebigin=
45 ftubierenbe. ^autf.
Urban VI., $apft 1378—1389. — Bullar. Eoman., ed. Taurinens. Sb IV, 1859,
©, 580 — 601; Theodorici de Nyem, De schismate libri III, rec. ©. ©rler, ßeipjtg 1890;
Vitae Gregorii XI et Clementis VII bei Baluzius, Vit. pap. Avenion.; Mansi, Coli,
conc. XXVI; ißaftor , Urtgebrucfte Sllten, fjreiburg 1904, @. 6; Kaynaldus, Annal.
soeccles. XVII; ^fteumont, ®efd). ber ©tabt SRom II, SBerltn 1867, <B. 1015; ©regoro»iu§,
®efd). ber ©tobt «Rom im «UM VI4, ©tuttg. 1893, ©. 481; SSattenbacf), ©efd). be§ rötn.
$apfttum§; «ßaftor, ®efd). ber ^öpfte P, gretburg 1901, @. 115 ff.; Stnbner, 8S® III,
©. 409 ff.; $efele, S®. VI2, g-reib. 1890, ©. 728 ff.; Creighton, A History of the Papacy I,
Sonbon 1882, ©. 55 ff.; Gayet, Le grand schisme d'Occident I, Berlin 1889; Valois, La
55 France et le grand schisme I, ißari§ 1896; ©omfjon, ®ie Sßaöfitoafjlen üon Sonifag VIII. 6i§
Urban VI., «Braunf d)it)etg 1888, ©.81 ff.; 3af)r, ®ie SSa^I UrbanS VI., §aUe 1892; Sltemefc*
rieber, ®a§ ©eneralfongif, spaberb. 1904, @. 1 ff.
■iftacr; bem 2;obe ©regor§ XI. entfianb in 9?om bie ntd)t unbegrünbete Seforgnte, e§
möge %u einer 3tücft>erlegung be§ päpftltdjcn ©t|e§ nacb, 2Ibignon fommen. ®a§ Sßolf
60 mar entfct/loffen , baö ju üerb,tnbern unb bie 2Sab,I eines 9tömer§ ober menigftenS
ltrtion VI., $atft 325
Italieners ju erjtomgcn. SMc ^arbinälc aber, jum größten 2eile gran^ofen, toaren un=
einig : bic Simufiner toünfcfyten einen ber ^^ren, bem hnberfirebten bie übrigen franjöfifd&en
tote bie nic^tfranäöfifd^en ßarbinäle. SttS bie Söäfyler am 2lbenb beS 7 2Ibril 1378 ficr)
jur Üöab)l berfammelten, festen eS, ba| ein langet 5bnflabe %u ermarten fei: 9ciemanb
tonnte nocf> abfegen, toen bie üöaljl fcr)Iiepcr) treffen toerbe. ©erabe bie Unficr)erf?eit beS s
siuSgangS aber fteigerte bie Aufregung in ber ©tabt; fct)on am Slbenb beS 7., bann im
Saufe beS 8. 2lbril lam eS jju tumultarifct)en ©cenen: man forberte ftürmifer), bafj ein
Italiener getoäfylt toerbe; bie Harbinäle fal)en, bafj Söiberftanb gegen ben Sßilten beS
Golfes gum ©cfjlimmften führen mürbe, ©o entfdjloffen fie fid) benn, ifjre ©timmen
einem Italiener %u geben, Bartholomäus ^rignano, @r;;bifcr)of bon Sari; er nafym ben w
tarnen Urban VI. an. @r mar in -Jceabel um 1318 geboren; feiner fanoniftifer/en
Selefyrfamfeit berbanlte er fein ©mborlommen am £ofe ju 2lbignon, ©regor XI. gab
Wjm baS unbebeutenbe ©rjbiStum Stcerenja, 1377 er|ielt er baS reifere bon 23ari; er
tourbe gerühmt als geinb ber ©imonie, als bebaut auf $eufct)I)eit unb ©erecljtigfeü; aber
er toar fyeifjblütig unb jäb^ornig, ftarrfinnig bis jum 2öab,nfinn unb bodb, ju beeinfluffen 15
bon Seuten, bie ifym fdjmeid^elten, ofyne, jeben gunfen Don Sllugr/eit unb jugleicb, über=
jeugt, bafj er allein alte§ berfter)e; fein 2tuf$ereS tt>ar toenig imbonierenb, er toirb ge=
Gilbert als ein unterfe|ter, ettoaS beleibter 9Jknn, bon gelbbrauner ©eftct)tSfarbe. ©eine
Sage forberte Mugfyeit; benn bie ©iltigfeit feiner 2öab)l fonnte angefochten toerben; mar
fie boa) erfolgt unter bem ©inbrucE ber 35ror)ungen be§ SSoIfeS. ßunäcfyft jeboer) fdnen 20
aßeS fiel) ju fügen; Urban mürbe am 9. 2IbriI intbronifiert, am 18. gelrönt, ofyne bafj
einer ber Äarbinäle bie 9?ecf)tmäf5igfeit ber 2Sal)I in gtoeifel gebogen I)ätte, aud) baS
römtfcfye SSoll mar befriebigt. 2tKein Urban blatte baS Talent jebermann ju beriefen
unb bon ficr) ju flogen; ber -Kann, ber eben noef) ein Heiner drjbifdmf getoefen toar,
trat ben ^arbinälen l)errifct) unb fcfyroff gegenüber; er tabelte offenbare 20ttf$bräucr)e, aber 25
er tb,at eS in einer Söeife, bie tränten follte; toie fein Stuftreten, fo erregten feine 2lb=
fielen Söiberfbruc^: er tooßte reformieren, baS $abfttum aus ber 2lbl)ängigteit bon granl=
reiä) befreien, im ^arbinalstoltegium baS Übergetoictjt ber granjofen befeitigen; bie
$olgc toar, bafj baS 35er^ältni§ gtoifct)en Urban unb ben ^arbinälen balb fo fct)Iect)t
tourbe aU möglieb,, fie fbracfyen bon il)m aU einem 35errü<ften unb er fufyr fie an al§ so
9JJemeibige unb Verräter. ©0 ftanben bie SDinge bereits toenige äöoe^en naef) ber SSab^L
Um bie §i^e ber ©tabt ju bermeiben, berliefjen bie äarbinäle bei beginn be<§
Sommert S^om; bie frangöftfe^en begaben fict; nacb, 2lnagni, f)ier tourbe bie ©mbörung
gegen Urban befcfyloffen. ^n einer am 9. Stuguft an alle <5brtftgläu6igert erlaffenen
Defloration erllärten fie ben aboftolifc^en ©tubj für erlebigt, bie Social UrbanS für 35
erjtoungen unb ungiltig, iljm felbft für einen ©inbrtngling unb Slnttc^rift. Urban fcanbelte
einmal in feinem Seben berftänbig, inbem er fic§ erbot, bie iWecbtmäfjigfeit feiner 9Bab,I
ber Prüfung buref) ein ^onjil gu unterfteKen ; feine ©egner lehnten e§ ab. 3Son
3lnagni begaben fie fid^ naef gonbi unb §ier tourbe bon iljmen am 20. ©ebtember
1378 ber äarbinal Stöbert bon ©enf jum ^3abfte getoä^It. ®amit begann baS gro^e 40
ScbiSma.
Sßßer ficr) im 9tect)te befanb, lann faum eine $rage fein- ®ie Sebenlen, toelc^e gegen
Urbans 2BabI borlagen, toaren buref; bie Äarbinäle felbft entkräftet, inbem fie ibn ein
isterteljaf)r lang als recbtmäfjigen ^ßabft anerkannten, ^b^r SlbfaH fann nur als @m=
Körung gegen ben rechtmäßigen $atoft angefeb^en toerben; t^r $abft, er nannte fiel; 45
ElemenS VII., toar ein ©inbringling. ©oefe toar bie Sage für iljm §unäcbjt toeit günftiger
als für Urban ; er toar ein 9ttann in ben beften $al)ren, geborte einer reichen unb mächtigen
Familie an, toar talentboll unb berebt, burcr; ben 33ergleicb mit UrbanS toenig an^ieb^enber
$erfönlid;feit !onnte er nur getoinnen, auf feiner ©eite ftanben bie üarbinäle mit 2tuSnaI)me
öon bier Italienern, aufy ^jofyanna bon 9ieabel, bie bon Urban gefränft toar, erfannte 50
ibn fofort an, baS gleiche gefct/al) bon granlreid; unb naef; unb naef; bon ©cf)ottlanb,
Sabo^en, Gafiilien, Slragon, sJiabarra, £otb ringen. 2lber Urban toid) rttebt; ba alle
ßarbinäle ibn berlaffen Ratten — bie Italiener bietten fieb neutral — , fo ernannte er eine
9rofec 3abl neuer £arbinäle; in Italien ftü^ten ib^n bie ^eilige beS SSoIleS, ^atfjartna bon
Stena, unb bie Xoct;ter ber fcf/toebifcr)en Sirgitta, gleichfalls üatb^arina gebeten ; $arl IV bs
unb ber größte Xcil S)eutfcf)IanbS, ©nglanb unb bie nörblicbert unb bie öftli^en Sänber
fingen ib^m an.
Ter ftambf ber beiben ©egner berührte junäd;ft 9ieabel; borten batte ftd) (Siemens VII.
begeben, nadjbem eS Urban gelungen toar, fiel; ber ©ngelsburg ju bemächtigen unb ba=
burü) boEftänbig §crr in 9(om ju toerben. Slber baS neabolitanifd'c i^olf toar bem 60
326 ltrban VI., ^atft Urban VIII., ^apft
fremben Vatofte menig geneigt; fo entfcfylofe er fid), aus Italien ju meieren, im 9M
fd;iffte er fid) ein, um feinen ©uj in 2lbignon auf juf plagen, am 10. ^uni lanbete er in
SRarfeillc, mit greuben empfingen tyn bie einft in 2lbignon jurüdgebltebenen Äarbinäle.
2Bäf>renb beffen fuct/te Königin $of;anna ifyren ^rieben mit llrban ju machen, biefer aber
6 mottle nicf/t Untermerfung , fonbern Vernichtung ber Königin, er belegte fie mit bem
Sßanne, erflärte fie bes Steiclts bcrluftig, auf feinen 2lnla| erlmb ber §erjog Äarl bon
©urajjo, ber @rbe 3Rea^eIö, bie galme ber ©mbbrung; in Korn empfing er bie ürone
bon ^erufalem unb ©i§ilten aus ber §anb bes Vabftes, als Üreu^ug füllte fein gug
gegen Neapel betrachtet werben. ®as Unternehmen gelang: &arl mar fiegreid;, bie
io Königin felbft geriet in feine ©eroalt, er freute ftd) nicfyt fie ermorben %u laffen. Slua)
ber bon (Siemens VII. unterführte §erjog Subroig bon Slnjou, ben g^anna §unt @rben
ernannt blatte, bermocfyte leine Söenbung fyerbeigufüfyren ; bas ftarle §eer, mit bem er in
Italien erfdnen, löfte fid; auf, ofme bafe es ^u einer entfd;eibenben ©d;laa;t gefomtnen
märe; Subroig felbft ftarb im £>erbfie 1384. ®ie Verbinbung Urbans unb &arls fcb,ien
i5 bem Vabfte ben größten Vorteil ju bringen. ©od; rourbe gerabe fie ilmt berberblicfy.
©er $ajjfi, ber ftd; nad; 9?eabel begeben blatte, entzweite ftd; mit bem $önig ; mit 9ied;t
ober Unrecht mar er ber Überzeugung, bafe eine Slnjaf)! Äarbinäle mit bem Könige fid;
berbunben Ratten, um feine 2lbfe|ung fyerbei^ufür/ren; er liefe fie gefangenfe^en unb
foltern, oljme bod; ein ©eftänbnis bon ilmen erbreffen gu fönnen. ©as gefdjal; in
2u 9iocera, roo Urban fid; auffielt, bon l)ier aus berfyängte er ben SBann über $arl, bas
Qnterbift über 9ieabel; l)ier liefe il)n ®arl belagern, er fettfe einen Vreis auf ben $obf
bes Vabftes. Slber ber ©tarrftnn tlrbans rourbe baburd; nid)t gebeugt, Stag für 1Eag
bertunbigte er bon einem genfier bes S?afteUs E>era6 ben glucb, über bas feinblicfye §eer.
(Snblid; im 3>uli mürbe er befreit; er begab fid; nad; ©enua, unterwegs mar er in ©e=
26 faf)r, bon feinen ^Befreiern gefangen genommen unb an (Siemens VII. ausgeliefert ^u
merben. 3n ©enua l)ielt er fid; bis jum ©ejember 1386 auf ; el>e er bie ©tabt berliefe,
liefe er fünf bon ben bellagten äarbinälen umbringen, man er^lte fid;, fie feien im
©efängnis erbroffelt, bie Seidjmame in einem ^ferbeftaü berfcfyarrt roorben. ®em Volle
graute bor bem blutigen Vabft, bie $aljl feiner Anhänger aber fcfmiol^ infolge foldjer
30 2;i>aten mein- unb meb/r jufammen. Von ©enua begab er fid; naä} Succa; bann nad;
Perugia. (Sr mar mieber ganj bon ben neabolttanifd;en Angelegenheiten erfüllt. Äarl
bon ©ura^o mar 1386 in Ungarn ermorbet morben; für gruet Knaben, ^arls ©olm
Sabislaus, unb jenes Subroig bon 2lnjou ©ol)n Submig, fämpften bie Parteien, Urban
aber meinte bie $eit gefommen, bie ^)äbftlid;e 3Rad;t in Neapel für immer ju feftigen,
36 er blante einen 3^9 ™fy bem Äönigreid; ; bie <5a<$)e fd;eiterte baran, bafe er rttct)t ber=
mochte, fein §eer jufammenjuf)alten. Qm Df tober io88 mufete er nad; 5Rom jurüd=
teuren. 2luf b^od;fliegenbe ^iläne b^at er feitbem beratet, man meife nur bon etlichen
Iird)lid;en Vorfd;riften, bie er erliefe: bafe er je bas 33. %at)v jutn ^ubeljab^r beftimmte,
bas geft 33iartä §eimfudmng anorbnete. 2lm 15. Dltober 1389 ift er geftorben.
40 Urban VI. ift nid;t olme 5Ritfd;ulb am 3lusbrud; bes ©d)ismas, obwohl er ben Starbi=
nälen gegenüber im Steckte mar; benn feine ©emaltfamfeit brängte fie ^ur @mbörung;
fie machte aud; fein fbäteres ^ontififat fo unl^eilboll, mie bie Regierung laum eines
^meiten ^atoftes; bod; ift fie bielleid;t cntfdndbbar : man fann fid; bes ©inbruds nia)t
ermef;ren, bafe ber ©tarrfinn unb bie £eibenfd;aftlid;Ieit bes bon §aufe aus tüchtigen
45 3Jiannes Iranfb^aft ausgeartet maren. $aud.
Hrftan VII., jum ^ßabfte gemäht ben 15. ©ebtember 1590, ftarb fd;on am 12. ^Eage
natyfcx. @r t)iefe Qol). 33apt. Saftagna unb mar 1521 in Sfom geboren; feine gamilie
flammte aus ©enua. Ideo raptus est, fagt ©arbi bon ib^m, ne malitia mutaret
intellectum ejus. 9Zäl)eres f. bei 9Jioroni, Dizionario, vol. 86, p. 36—41.
eo Sentotf).
Itrbon VIII., ^abft bon 1623—1644. — Sitteratur: SOJoroni, Dizionario,
vol. S6, p. 41—73; ÜJicoletti, Vita di Papa Uibano VIII. e storia del suo Poritificato,
banbfcbriftüd) in ber a3ibüot^e£ Sarbenni in 9iom, 8 sBöe, „fovmlog unb fd)Ied)t gefciirieben",
aber öon SSSert, weil tnefentltdi cuiv einer Sompilation Bon 9?untiQiuvbepefd)en befteljenb, ufll.
55 flionfe, mm. $äpfte III, 9lnaleften ©• 158; für bie geh biö 1623 ug(. ben 4. (grgänäung8=)
Seil ^u ^latinaä ^apftleben, ital., Venezia 1705, ©. 329 ff.; Siaconiuä, Vitae Pontt. Rom.,
ab Oldonio rec. t. III, ßomae 1677; SavoäjuSSerdjet, Eelazione I, Venezia 1877; SBrnfd),
©efd). b. firdienftcwte I, 1880. Sie grage nad) ll.ö Stellung im :J()jäf)v. Sriege bebanbelt
auf ©runb t)anbfct)riftl. WaterialS: föreguroinuä, U- III. im SSiberfprud) ju (Spanien unb
Urion VIII., ^ovft 327
',um ttoifer, 1N7Ü; baju og(. <|äieyer, £>ift. Mit. ÜU. 94, 471 ff.; $alf, ebb. 120, 23Sff.; (£l)fee,
$apft 11. VIII. unb ©uftci» Slbolf (£3(45(4) XI, 1895, 336 ff.); £>. Mopp, 3)er 30jftf)r. Krieg III,
1 u. 2 (IS!).") f.); Wuntiaturfierr. cmS ®eutfd)Iaitb IV, 1, 2, ed. tietmüng (1895, 97).
Urban VIII., 9Jcaffeo 33arberini au3 ^lorenj, geboren 1568, trat unter Seitung
feinet Dr/eimS, roefcfyer Ißrotonotar an ber iturie mar, früfje in bie lird}lid)e Saufbalm 5
ein. ©irhisV machte tfjrt mit 19 %at)xm gum 9teferenbario betla ©iufttjta, ©regor XIV
bann 311m ©obernatore bon $ano, roo er rüä'fidjitSloS unb erfolgreich bemüht mar, bie
Crbnung b^ufteßen unb ju erb/alten. ®en jum ^rotonotar ©mannten fanbte ©lernend VIII.
al» 9luntiu§ an ben franjöfifdjen §of, roo er bei ber Saufe be§ ^ringen Subtotg (XIII.)
©etoatter ftanb unb jum fetten 9Me in gleicher ©igenfcfyaft bon ^ßaul V gefanbt er= 10
fd)ien, um bann 1605 bie SlarbinalSroürbe ju erlangen unb bie Segation bon Bologna
nt übernehmen. Unter Seitung jefuitifcfjer £e|rer im Collegio Romano, befonberS burd)
ÜlureliuS UrfuS, borgebilbet, geigte er ftets Vorliebe für bie Sitteratur, berfafete aud;
fclber lateinifcfye ©ebid)te, jum Seil in ©eftalt bon ^arapfyrafen ju ^falmen unb biblifcfyen
Sbrücfyen in fyoragifdjen SJietren, jum Seil aud) felbfiftänbige Rinnen auf 9Jcaria, 15
(S^riftuö u. a. ©iefe ©ebidjte finb mefyrfact; gebrueft. ,ßu Anfang feinet ^ontifiraieS
ftiftete er ben Drben bon ber unbefleckten 9JJaria, boKjog bie ^anonifation beS Qgnatiu^
bon Sobola, granciScu«? Xaberiu§, 211. ©onjaga unb be<§ $tlibbo 9ieri, foroie einiger
tfyeattner. 33alb aber mürbe fein ^ntereffe gänjlicr) bon ber großen ^ßoliti! abforbiert.
Scfyon baburebj, baf? bie 21 $ai)re feines ^ontifilate§ jroei drittel beS „großen ftriegeS" 20
beden, ift e£ gegeben, bafs bas> r)autotfäcr)ltcr)fte fird)engefd)id)tlid)e ^ntereffe, roeldjeS biefer
$abft erregt, ftd) auf feine ©tettung in unb jum 30jäl)rtgen Kriege begießt. Unb biefe
Stellung toar merfroürbtg genug. 2öäl)renb „bie beiben Sßätofte, toeldje bie erften fünf
3ab,re be§ Krieges erlebten, $aul V unb ©regor XV., ib)n burdjaus» als» eine 2Ingelegen=
beit ber eurobätfd)en tatr/olifcfyen 9teftauration aufgefaßt unb ben $aifer bereitroißtg mit 25
gciftlicfyen unb toeltlicf)en Mitteln unterftü|t fjatten, mar bie Haltung UrbanS bieje, bafj
er ba§ latfyolifcfje $rinjib jenes> Krieges berleugnete unb fallen lief? unb nur bie bolitifcfye
9Jlad;tfrage aU beffen Seroeggrunb anerlennen wollte" (©regorobiuS, Urban VIII., ©. 7).
9Uit @ntfcr)iebenr) eit trat übrigens biefe ©teltung be§ ^ßabfteS, roeldje t^n in fteter ©egner=
fcfiaft ju ©banien unb jum Haifer l)ielt, erft bei Gelegenheit ber mantuanifcb,en ©bifobe 30
beg ©rofeen Krieges ju Sage. Urban VIII. begünftigte nämlid), nad^bem er 1626 bag
§erjogtum Urbino al§ anfaUenbe§ fielen annektiert f)atte, bei bem 2Iu§fterben ber ©onjaga
ih?Kantua 1627 bie 33efi|nafyme biefe§ §erjogtum§ burd) ben erbberechtigten franjöfifd^en
3ir>eig ber gamilie (Gebers) au§ bem ©runbe, um ben Iaiferlid)=fbanifd}en o^neb^in in
?Jeabel lonfolibierten ©influfs nid)t ju abfoluter §errfct;aft in ganj Italien fid) ermeitern 35
ju feb,en. ^aiferlid^e Srubben befehlen barauf^in 5[Rantua gemaltfam unb bertrieben bie
Gebers; ja e§ fcfyien faft, als ob aud) ein Reiter „saeco di Roma" burd) biefe Srubben
erfolgen toerbe. @rft im Slegengburger ^rieben (1630), roo gerbinanb II., bem ©rängen
ber einen fyab^burgifcr^militärtfcrjen 2IbfolutiSmu§ befürd)tenben fat^olifcb.en gürften ©eutfeb,;
lanb§ naebgebenb, SBaHenftein abfetjte, toarb aud) bie 2Biebereinfe|ung ber 92eber§ be= 40
fdiloffen. 2öenn bon biefem ^rieben an ber Stücfgang ber Iaiferlid)en 2Rad)t unb im
©runbe aud) ber ber tatb^olifcfyen Steftauration batiert, fo ift bieg ju nid)t geringem Seile
eben ber ^olitil, meldte Urban VIII. einfd)lug, jujufd^reiben. ®ie ©orge, bajj bei bem
Btoiefbalt jmifd)en ben großen fat^olifdjen ?Öiäcr;ten bie ©ct/meben unb mit ib,nen ber
$roteftantigmu<8 in ®eutfd)Ianb eine altju günftige ©teßung geroinnen möchte, festen ib,n 45
toeniger ju brücfen aU bie ^uxdjt, ben Äaifer jum abfoluten §errfcb,er bie§feit§ unb bann
aueb, jenfeitg ber 2llbcn merben ju fet)en. ©egen jene lonnte er, roo e§ ©rfolg berfbrad), immer
tbieber ^ranfreidjg ©etoid)t in bie 2öagfd)ale bringen unb b,ai bieg aueb, meb^rfaef) getb,an
— gegen bie Übermalt be§ ßaiferS roürbe aueb, ber 5ßabft unb Italien fd)u^lo§ gemefen
fein, gafet man biefe Momente ins 2Iuge, fo ioirb Urbanä feb^manfenbe ^olitif erllär= so
lieb, ©afe fie ib/n brinjibicll an ber allerfcfyärfften ©egenfteüung gegen bie ^roteftanten
unb ibje <Baty ntdjt ge|inbert t/at, bemeift fein burd) Sßrof. Dbel in $alle auä bem
Sßiener ©taat§ard;ib an ben Sag gebrachtes Srebe an gerbinanb II. bom 28. ^uni 1631,
in toeldjem er über bie ^erftörung SDiagbeburgS burd) Sill^ frob^lodt unb bem ßaifer
®lüd münfd}t (abgebrueft im „®eutfcl)en 3Jcerlur" 1884 9ir. 29). Safe ber ^5abft bann 65
Gnbe K333, als er bie 9cad)rid)t bon bem Sobe ©uftab SlbolfS erhielt, laut jubelte, ift
erllärlid) unb mirb bon SJicoletti V, c. 5 (f. unten) burdj Mitteilung eineS Briefes bcö
fiarbmalö S3arbcrini an ben 9tuntius 33id)i beftättgt, ioo eS Reifet: „SlUr l)aben fixere
N)?ad)rtdjt über ©uftabS Sob ; mit roeldjem ^ubcl ©e. ,fjcilig!eit biefelbe entgegengenommen
bat, fönnen fie fid) benfen — ift bod; jc^t bie tod;lange bcrnid;tet, bie mit ibrem ©ift »<
328 Urion V11I., ^utft Urim
bie ganje Sßelt ju berberben fucfyte" (bei ©regorobiuS a. a. D. ©. 155). SlngeficfytS
biefer Betben ®aten Wirb man nid)t im $WeifeI barüber fein, inwieweit bie SBefdmIbigungen
beS $rimaS bon Ungarn, ^ßagmanr/, ber als fatferlid)er ©efanbter fruchtlos mit Urban
unterfyanbelt blatte, begrünbet Waren: ber $abft fei f eiber auf ©eite ber $e£er, freue fidj
5 über ifyre gortfcr/ritte unb benutze fie gern für feine ©cfyauielbolitil (bgl. 2H. 6ontarini,
Rel. della Corte di Roma bei 33aro^i=33erd}et I, 376). $DaS legiere blatte freilid;
guten ©runb unb mürbe aufs neue baburd) beftätigt, bafj, als nacr) bem Sobe 2Saßen=
fteinS baS ©lud ficr) Wieber ben fatferlicr/en SBaffen jujuneigen unb 9tid)elieu nun ben
Pan ins SBerl %a feiert begann, mittete ber fcfywebifcf/sfranjöfifcr/en Slllianjs SDeutfdrtanb
io nieberju^alten unb bie ©panier aus ben 9fteberlanben foWte aus 9Jcailanb ju bertreiben
— bafj ba Urban fioax ntd^t ber 2lHianj beitrat, aber in ber öffentlichen Meinung als
Segünftiger berfelben unb als ©egner bon £abSburg=©banien weiter galt.
©eine ^fyätigfeit in ben engeren ©renken feinet ©taateS mar eine lebhafte. @r ift
ber Ie|ie $abft gemefen, melier ben ®ird;enftaat nod) fyat erweitern lönnen unb jtoar
15 burd) bie ©inberleibung bon Urbino. ®ann f>at er für bie Sefeftigung ber Weitgeftredten
Sänber grofje ©ummen ausgegeben, freilief; ofme feinen 3^ed gu erreichen. 3ln ber
nörblicfyen ©ren^e ber Segation ^Bologna erbaute er baS grof$e gort Urbano (ßaftelfranco)
gegen ben §erjog bon SDcantua, bielleicr)t aud) als Zwingburg gegen bie unruhigen
iöolognefen felbft. $n Stom befeftigte er baS £afteü ©. 2lngeIo unb jog neue sJJiauer=
20 ftreden mit Söafiionen , legte audj unter ber batif anifcr/en iöibliotfyel ein umfangreiches
2Baffenbebot an, für Welcf/eS in £iboli eine befonbere Söaffenfcfymiebe errichtet würbe;
jum ©tefcen bon Kanonen berWanbte man baS bem ^antljeon geraubte SCRetaft; um iföom
gegen einen §anbftreid) bon ber ©eefeite r/er ju fdnttjen, mürbe aud) ber §afen bon
ßtöitabecct)ta eingerichtet unb befeftigt. $n allem bflegte Urban autolratifd; ju berfafjren;
25 bie ÄarbinalSfongregationen jog er feiten ju 9tat, ^onfiftorien t/ielt er faum. Um ben
if)tn läftigen fbanifcf/en ©efanbten Äarbmal SBorgia loSguWerben, erlief er einft blötjlid)
ben ftriften 23efel)l, baf? alle 33ifdE)öfe fofort Stefibenj ju galten Ratten — fo jmang er
biefen nact; üttabrib gurüdjufef)ren. greilid) blatte 33orgia fid) erlaubt, Was unerhört mar:
er War offen im $onfifiorium aufgetreten, um gegen UrbanS antifbanifcf)e unb anti!aifer=
30 Iid)e ^5oliti! ju broteftieren, unb ber ^ßabft, überrumbelt, blatte il>m jWar ba§ Sßort ab=
gefcb^nitten, ficb^ aber ben fcfyriftlicfyen ^roteft in bie §anb brüden laffen. — ©in $ät=
genoffe t)at Urban befd)ulbigt, bafj er bie übergro|en ©ummen für Sefeftigungen,
Lüftungen unb ^riegSbereitfd^aft nur belfyalb erhoben unb berWenbet b^abe, bamit um fo
meb^r für feine gamilie babon abfiele. Ob bieS begrünbet ift, ftel)t bafiin — jebenfaßg
35 ift er berjemge geWefen, Welker ben 9Zeboti3muS sum le^tenmal im großen ©til betrieben
fyat. Srofd^ fd;Iiefet (©. 402) au§ SluSfagen beS benetianifd;en Sotfd)afterS, bafe Urban
fogar beabfid}tigt fyabt, bie Sarberini — Wie bie§ einft mit ben garnefe gefd;e^en war
— jum Stange eines ®b^aftengefdjIecf>t<B ju ergeben. SDiefer ^3Ian, Wenn ernftlia) ins
2tuge gefaxt, fd^eiterte; aber mit ©elb unb 33efi^tümern Würben bie -"Reffen gerabeju
40 überfd^üttet, fo bafj fie 3. 33. in ber römifcb,en (Sampagne balb bie reichten ©runbbefi^er
Waren. %h]x ^ab^reSeinlommen ftieg bon 12000 auf 300000 ©cubi. ©cfylimmer nod)
als ib^re Vereiterung auf öffentliche Soften War ber Umftanb, bafe bie Geboten !urj bor
bem Ausgange UrbanS ben ^ircfyenftaat nod) in einen ürieg mit bem §erjog bon $arma
berWidelten, ba er fid} bie berbfänbetcn §errfd}aften ßaftro unb 9tonciglione im bäbft=
45 liefen (Siebtet nicr)t burd; jener Sift unb ©eWalt Wolle entreißen laffen. ©er ^rieg Würbe
beiberfeits fc^Iecfet geführt, fcfilebbte fid) burd; jwei ^afyre b^in, enbete aber (31. Tiäx^ 1644)
mit einem burd) granfreid) herbeigeführten S5ergleid;e faft gan-^ gu ©unften beS garnefe
bon $arma. ®ie loftfbielige „2lrmee" beS ^3abfteS blatte fid; jämmerlid) benommen, baS
beugte biefen tief; bor Aufregung Würbe er franf unb ftarb im ^uni beSfelben ^atixtZ.
50 sJlidjtS ift bejeic|menber bafür, bafj bie ©orge um bie Weltliche §errfct/aft beS ^ßabfttumS
ber eigentlich tretbenbe ©eban!e in att feinem bielgeftaltigen äußeren %b]un War, als ber
Umftanb, bafj er, bon I)öd)fter 3Serel)rung für bie ©räfin aRatlnlbe erfüllt, Weidjen einft
ben ©runb ba^u gelegt, beren 2Ifd)e aus ©. Senebetto bei SSftantua entWenben unb nad)
Sfiom bringen lie| (bgl. Avvisi di Roma, 9. ^uli 1633, bei ©regorobiuS a. a. D.
55©. 160 f.), Wo er iftrem 2lnbenlen in ber ^eterSftrcfye felbft ein großartiges unb fd}öneS
©enlmal errichtet fyat. SSenrat^.
Urtut ttttb Stttttmtm. — teuere Sit tera tut: 1. ©pejialfdjriften: Ealbetttetjer, U.
unb £. in ,,^3b^" III (1893), ©. 107 ff. ; SB. SKufj ?lrnoIt, The1 U. and Thummim in
„Amer. Journ. of Sem. Languages and Literatures XVI (1900), p. 193 ff.; g. .^ummelnuer,
ltrim 329
„Seitrnjie änm ©ebvaud) bc'ö yoüfC'S bei ben Hebräern" in 83$ 19<>4, ©.254 ff. ; ©. 8SiIbc=
boer, Ü. en Th. in de Pricstcrwet in „Theol. Studien" 1905, 3, ©. 1 OD ff. — 2. %m $11=
famnienljana, mit öerivanbten ltnterfud)ungen: $. 23en,ynger, £jebr. ?lrd)äoiogte, Jyreib. 1894,
5. 407 f.; 8S.9Jc.macf, Sebrb. bev Ijebr. 9lrd)äoL, greib. 1894, II, 93 f. 119 f.; 3. SBeMjaufen,
SRefte avob. £>eibentmn§- (SBevlin 1897), ©.132 ff.; £. 28. 3Muie§ Magic, Divination and 5
Demonologv etc. (Sonbon 1898), p. 75 ; 5JJ. |mupt, Babylonian Elements in the levitical
Ritual, in 'journ. of bibl. Liter. XIX (1900), p. 58. 70 (bgl. nud) % $aupt in SBOT,
Proverbs [1901], p. 33) ; 2. S. goote, The Ephod, in Journ. of bibl. Liter. XXI (1902),
j>. 30 ff. ; ?l. SeremiaS, ®a3 ?l£ im Siebte be§ alten Drient§, 2. ?lufl. (ßei^j. 1906), ©.192;
m. etnmf, 5Me Ijoljenprtefterltdje £b>orte im 91 £ (§aUe 1906), ©. 53. — 3. $n biblifdjen 10
Ideologien: 9i ©menb, Seljrbud) ber altteft. 9ieIigion§gefd)id)te, 2. 9luf(. (grab. 1899),
3.319. 414; £. 2Rarti, ©efd). ber i§r. 9vel., 4. 9tuff. (©trafeb. 1903), ©.45; 83. ©tabe,
SJiM. £f)eoI. be*3 9IS (Süb. 1905), ©. 129. — 4. Kommentare p Er 28, 30: ®iümann=9}l)ffel
(1S97), ©. 340f.; Ringer (1900), ©. 138; 83äntfd) (1903), ©.243. — 5. Strtifel in Gncr,=
flopäbien :c. : £. 9iieb,m, „2id)t unb 9red|t" in beffen -öbroörterb. be§ bibl. 9(ltertum§2 (1893), 15
I, 1)29 ff. ; 3. 83enäinger, ßo§ bei bett Hebräern, oben 83b XI (1902), 642 ff. ; tetmebl) in
£afting3 Dictionary of the Bible IV (1902), 838 ff.; ©iegfrieb, „8oo§" in ©utf)e§ 83ibe(=
Wörterbuch, (1903), ©. 397; ©. SKoore in ber Encyclopaedia biblica IV (1903), 5235 ff. —
lie ältere Sitteratnr f. in ber gefd)id)tlid)en Ueberfidit am ©djlufj biefeg 9lrtifel§.
:-■:--- c^w^ (t,gL @E 28, 30; £e 8, 8; ofyneArtilel nur @3r 2, 63 (9cet> 7, 65); 20
in umgelegter Reihenfolge $Dt 33, 8: „beute U. unb beine X." in ber Stnrebe an ©ort;
Tm 27, 21. 1 ©a 28, 6 nur O"1^^ aber gtt)etfeIIo§ nid)t at3 bie ältere Benennung,
fonbern nur Abfür^ung für „bte IX. unb bie£."), beiSutfyer „Sidjt unb Stecht", erfd)einen
in alten ben ©teilen, reo fie erroäbnt toerben, aU SJcebia ber göttlichen Drafelerteilung.
Über bie nähere 33efd)affenl)eit biefer Sttebta unb bie 2Irt ij)rer 2tnroenbung gebrid)t e<§ 25
jcbod), loie bei fo mannen anberen fingen, roelcfye bie {»eiligen ©d)riftftefier als aH=
gemein befannt borauäfefeen burften, faft an jeber 2tnbeutung. 2lucr) bie ^rabition toer=
mod)te, tote fid) geigen wirb, fd)on frül)geitig leine 2lu§funft mebr gu geben, unb fo
fonnte fid) bon ben Reiten be£ SßfyUo unb ^ofetobuS an eine gütle bon Vermutungen
unb immer neuen Kombinationen anhäufen, oI)ne baß man ju einer atifettig befriebigenben 30
Söfung be§ RätfelS gelangt märe. 2öie bei fo bieten anberen Streitfragen ber f)ebräifd)en
2lrd)äoIogie l)at e§ fid; babei bitter gerächt, baß man fid) niebt entfd)ließen mochte, bie
Slugfagen unb 33orau§fet5ungen be§ fog. ^ßriefterfober. einerfeitg unb bie ber übrigen
©efd)id)tlbüd)er anbererfeitg junädjft ftreng gefonbert ju betrachten unb ejegetifd) ju
ihrem 3ted)te fommen ju taffen, anftatt beibe bon born^erein gu bermifd)en unb e§ ate 35
fetbftberftänblid) anjufe|en, ba^ fie bon benfetben 33orau§fe|ungen befjerrfcfyt fein müßten.
??atürlid) grünbete fid) ba§ Urteil bi§ in§ 19. Qa^&unbert fo gut tote au3fcf)Iiepcft
auf bie Stuöfagen be§ $riefterf obej. Wad) biefem toirb @j 28, 30 bem SJtofe geboten : „unb
bu follft in bie Drafeltafd)e (^^^ "®~ eig. SEafd)e be§ 9ied)t§, be§ rid)tertid)en @ntf<freib<§)
bineint^un bie Urim unb bie 'jlummim, bamit fie auf bem §ergen 3taron§ feien, toenn 40
er t)ineinget)t bor 3a^e/ unb fo fott Staron bag Drafet für bie Kinber ^^rael attejeit
bor ^aftbe auf feinem §erjen tragen" 3)tn fid) fönnte bie SBenbung ^ 'ü'- aufy be=
beuten „baran ober barauf tljmn, fe|en ober ftreid)en" (iüie j. 33. @j 45, 19 ba^ ©ünb=
o^ferblut an bie $fofte u. f. to.) , ba^er LXX @j 28, 26 entfyred)enb bem b» r;nn:T beä
iamar. : xai Ijud-rjoeig sm to Xoyiov xrjg xqIoecoq xr/v dfjXaxsiv xal xr\v äkrj'&eiav' 45
ebenfo, nur Xoyelov ftatt Xöyiov, im S£er.te be§ Sucian (ed. be Sag. I, 79). 5Die 33e=
beutung „Ijineinttmn in" roirb jeboc^ gefordert burd) bie jtoeifellofen ©teilen @r.25, 16. 21;
5Ruö, 17; 19, 17 (fämttid) im ^riefterlobej; bgt. aufeerbem ©t 23, 25; ^er 29, 26;
5Jef) 2, 12), roäfyrenb bie begriffe „legen auf, befeftigen ober ftreid;en an etma§" in ber=
felben Cuette regelmäßig burc^ by -,n; miebergegeben ioerben; bgt. @j 28, 14. 23. 25; so
8e 2, 1 ; 4, 7 u. a. Übrigen^ roirb bie gaffung ber LXX (unb bamit alle bie £i#o=
tiefen, welche bie 11. unb 1. mit ben (Sbelfteinen auf ber Drafeltafd)e ibentifijieren) fdjon
burd; ben Kontejt bon @j 28, 15 ff. au^gefd)Ioffen. %lafy ber Slntoeifung jur Anfertigung
ber £afd)e, ber Sefe^ung berfetben mit toter Reihen ©teinen unb ber Sefeftigung am
Öpbob fann in 33.30 ntd)t nod)maI§ über 23. 22 ff. auf 33. 17 ff. jurücfgegriffen fein. 55
'•MenbS unmöglid) roirb bieg burd) ben 33erid)t über bie ^nbeftitur 2taron§ Se 8, 8 :
unb. er befeftigte barauf (""?" sc. auf ben (Sb^ob ; fo richtig LXX) bie lafcfye unb ifyat
w (:N>, ©am. ioieberum br ; LXX M to Xöyiov) bie Xafd;e bie U. unb %. u. f. to.
Söären bie lederen mit ben ©belfteinen auf ber 2afd)e ibenttfd), fo bätte ifyre Anbringung
nid)t erft erfolgen fönnen, naebbem ber @bf)ob (93. 7) unb bie Safere bem 3Iaron bereite »1
angelegt mar.
3icf;en ioir nun ba§ Rcfuttat, fo ift erftlid) gu fonftaticren, baß in beiben Steilen bie U. unb
330 Urira
X. nid)t nur als greifbare ©cgenftänbc, fonbern als etmas bereite Setanntes unb 33orb,anbenes
borausgefetjt merben: fie merben meber irgenbmie näfyer bef djrieben, noeb, mirb il^re 3ln=
fertigung geboten, ©er 3ufa£ bes ©amar. bor -nn:i : „unb bu foUft bie Urim unb
bie %. machen" bemeift nur, bajj bas gänjlicfye gefylen einer Sfotij über bte ü. unb ü£.
5 fd; on frühzeitig al§ etmas 33efremblid»es emtofunben mürbe. %n ©r. 39, 20 ff., bem parallel:
beridjt ju ©r. 28, 22 ff., mirb tfjrer überfyaubt niebt gebaut. 3$re Sebeutung aber lönnte
nad) ©r. 28, 30 als eine rein fr/mbolifdje erfcfyeinen. 9öie bas golbene ©tirnblatt bes
§of)enbriefters mit ber 3luffd)rift '"b uhip ibeeß bie gottgewollte §eiltgfett bes 23unbes=
boltes barfteßt, fo ibnnten bie lt. unb %., bie 2laron auf bem §er$en trägt, menn er
10 bor ^afybe 'ns Heiligtum eingebt, fdmn bureb, tfyr blofjes üßorfyanbenfein eine S3ürgfrf;aft
barfteßen, baf? ftcb, biefes 3SoI! göttlicher „©ntfdjeibe" rühmen barf, jugleid; aber aueb,
eine 33erpflid;tung, bafj es" ftcf) benfelben aEegett unterwerfen motte. ©aJ3 eine berartige
Sebeutung ber Ü. unb %. in ber ^n^ntion bes 33erfaffers bon ©r. 28, 30 Hegt, mufj
im §inblid auf bie Stnalogie bon 28, 38 mmbeftens als mafyrfcr/einlicr; be^ief/net merben.
15 ®iefe 2Innafyme mirb auä) baburet; nief/t hinfällig, bafj 5lu 27, 21 (gleichfalls im 33ereid;e
be<§ ^ßriefterfober.) neben ber fr/mbolifef/en äugleicfy aufy auf eine braftifcfye Skbeutung ber
IL Ijingemiefen mirb : „unb er (^ofua) foll bor ©I cajar ben ^priefter treten unb er (ber
^rtefter) foll für tljm bas Urimorafel (ü-n-iNn EEÖ23) bor ^af)be befragen u. f. m. (LXX :
„xal ijiEQanrjoovoiv avxov xrjv xgioiv xcbv drjlojv; bgl. gu dijlot,, manifesti, clari,
20 mo-w fyöc&Jt ibal)rfd)etnlicr/ XL&oi ju ergänzen, als Überfettung bon Q^in nod) ©t 33, 8 ;
1 ©a 14, 41; 28, 6; ©i 45, 10: Xoystco xgioecog, drjloig akrj&dag (too&I ©obbeIüber=
fetmng bes urrc-: -pn im i) ebr. ©iraef/) unb 36 (33), 3 : cbg igcoxfjjua dr/icov, nad) rid;tiger
Sesart für dixaioiv). £$n ben I) ebr. ©iracfyfragmenten ift 33. 3 fyinter -imm berftümmelt ;
aber ftatt bes gu ertoartenben cmxz ~:;:n; finben fid) ©buren (^), bie auf eine
25 ©rmälmung ben totaphöth führen. Tiafy ©menb (£fy23 1903, 5Rr. 22, ©b. 586)
fd)ämte fid; ber @n!el ©irad)g ber totaphöth unb feijte bafür ba§ ^o^enbriefterlid^e Dralel.
Dbige fyebräifcfye Söorte in 9tu 27, 21 bebeuten entmeber „bermittelft be£ @ntfa)eibe§ ber
U." ober lurjtoeg „bermittelft, burd; Stntoenbung" (zz'diz Serfafyren, älrt; f. bie Sej.).
^n jebem %aüe mirb bamit auf eine Sermenbung ber U. (unb %.) jum Seb,uf ber
30 Dralelertetlung fjingemiefen, unb mir bürfen barau§ folgern, ba^ aueb, @r, 28, 30; £e
8, 8 nid)t blo^ eine fbtnbolifdje Sebeutung ber U. unb %. borauägefetjt ioirb.
2tu^erb,alb beä ^riefterfobej begegnen mir ben U. unb %. ®t 33, 8 ; (&>r 2, 63 unb
bamit baraßel 9^eb, 7, 65, ferner in bem (au$ ben LXX ju eruierenben) urfbrünglid}en
Sejt bon 1 ©a 14, 41, fomie (bte U. attein) 28, 6.
35 Se^üglid; ber ©teile 3)t 33, 8 (in ber gaffung: „beine %. unb beine U. gehören"
ober „foßen gehören beinern frommen" u. f. m.) bflegte man früher als felbftberftänblia)
an^ufeb^en, baf? teuere 53ejeid)nung auf Slaron geb|e, ba nad; @E 28, 30 nur biejer jur
güf>rung ber 11. unb %. berechtigt gemefen fei. ©egenüber btefer petitio prineipii be=
gnügen mir uns ju lonftatieren : 1. bafe bem ©brücke felbft bie ätnfünbigung borb,er=
40 gebt „unb in Se^ug auf Sebi fbracb, er", bat)er bie LXX ben ©brueb, felbft mit dors
Aevl örjlovg avxov xal älrj&siav avxov anheben; eine 33efcb,ränlung auf äfaron ift in
ber Ti) at nur burd; eine Iünftlid)e ©intragung ju geminnen ; 2. bon einem 33erfud)tu>erben
Slarons ift meber (Sj 17 nod) 9iu 20 bie 9Jebe; 3. im meiteren ^ontejt bes 2ebifbrud;es
(9]. 9 ff.) ift ganj ausbrüdlid) bon ber ©efamtb^eit ber Sebitenbriefter unb ben allen ge=
45 meinfamen gunltionen bie 3tebe. ©cb,on aus biefen (Brünben ift baran feftgufyalten, bafe
®t 33, 8 bie güfyrung ber %. unb U. (meiere aueb, bier alg etmas allgemein Sefanntes
borau§gefe^t merben) bem ^jjriefterftamm als folgern, fomit ofyne Sefd;ränfung auf ben
§ob,enbriefter, jugemiefen mirb. Um fo ma^rfd^einlidjer ift ber 2lnfang bes Sebifbrud^es
ju überfein : „beine 1. unb 11. gehören ben Seuten beines betreuen", moburd; bie S3e=
50 sielmng auf fämtlictje ©lieber bes 9)Jofeftammes, alfo bie Sebiten, nod) beutltd)er berbor=
tritt, ©rmäb^nung berbient babei bie gan^ eigentümliche, fcb,arffinntge ©eutung, bie (Sb.
SSJJeber CDJfofefagen [1905], ©. 4, unb befonbers' in „®ie Israeliten unb t&re 3lad)hax--
ftämme [§alle 1906], ©. 56, bem 33er3 gegeben b,at. Wafy ibm banbelte es fia) ur=
fbrünglid), ganj mie bei bem ^atobsranibf, um einen Mambf ^a^es mit SRofe (nrü^n
55 = „mit bem bu geftritten baft'O- ©iefer ©treit 3Jtofes mit ^afybe ift fein böcbftet
9tub, mestitel ; ber ftambfbrcis aber maren bie II. unb %.; „im lambf mit ^ab,be b,at er
ibm bas ©efyeimnis ber DraJelleb^re, burd} bie ^aljbe fortan feinen SBillen lunb giebt,
abgemonnen"
Über SBefen unb 2Inmcnbung ber 11. unb %. erfahren mir aueb, aus ®t 33 nichts.
eo ©benfo ergiebt fieb, aus 1 ©a 28, 6 nur, bafj man s^ifre (LXX h xolg d^oig) eine
Hrim 331
Antwort, einen bireften Ü3efd)cib auf eine an ©Ott gerichtete gragc erhalten fonnte, Wie
anbcrerfeitS burd) Slräume ober burd; bie ^3robf;eten. Leiter fül)rt uns bagegen 1 ©a
14, 41, fobalb man fid; ju ber Slnerfcnnung entfdjliefst, bafj Ijier bieLXX benurfbrüng=
liefen 1er.t bewahrt fyaben. ©ie brücfen aus (nad; bem Serte SucianS, ed. be Sag. I,
•275): „unb ©aut fyrad;: o QafWe, ©ott ^SraelS, Warum l;aft bu beinern &ned;t fyeutc 5
nic&t geantwortet? SSenn an mir ober meinem ©ofme ^natfyan bie 23erfd)ulbung
| haftet], fo gieb Urim (dög diqlovg); unb falls bu fo f^red;en follteft: am 23olfe haftet
bie 2>erfct)ulbung, fo gieb Stuminim (dög öoiörrjTa)" ©egen bie Wefentlicfye llrtyrüng=
Iicf/feit biefeS S£er.ieS fann nid)t bie 23erftümmelung beweiben im Cod. Vat. (xal iav
räde e(h>], dög örj reo Äacö oov IoQarjX, dög drj 6oi6xr]ra) unb Alex, (emr/g rw 10
).a(ö oov I.) ins gelb geführt Werben. 33eibe berufen auf ber irrtümlichen äluSlaffung
bcS h1 bor reo law unb Werben burd) baS Zeugnis ber 23ulgata (genauer einer auS
bem toirflidjen LXX^ejt gefloffenen Interpolation in ben %v& beS §ieronr/tnuS reicfylid;
aufgewogen; biefeS geugniS lautet: quid est, quod non responderis servo tuo
hodie? Si in me, aut in Jonatha filio meo est iniquitas haec, da ostensionem: 15
aut si haec iniquitas est in populo tuo, da sanetitatem.
©egen biefe für fid; felbft rebenbe unb bereite 1842 (in ber 1. 2tufL beS ^ommen=
tarS über bie 23üd)er ©am.) bon 'iSfjemuS borgetragene Sßieberfyerfiellung beS urfbrüng=
Iidjcn Wertes (accebtiert u. a. bon ©Walb in ber ©efd;. QSr. III, 51 ; be Segarbe in
„bie rebibierte £utt;erbibel" [©.=21. aus ben ©gSt 1885, ©t. 2], ©. 19; ftuenen, 2öet(= 20
baufen, 23ubbe, ®riber, 91oWad) f>at man in bem üblichen unb cum grano salis be=
recf)tigten SJUfctrauen gegen boreilige ^orrefturen beg maforetl). %vct?§ auS ben LXX
9JHerei eingeWenbet. ®eil finbet (im Kommentar $u 1 ©a 14, 41) im obigen %?it
„nichts Weiter als eine fubjeftibe unb jWar irrtümliche Deutung ber LXX, bie nur auS
ber unrichtigen Sluffaffung beS tr':n als t^n entftanben unb „barum gan§ Wertlos ift" ; 25
nad) Äloftermann (Äomm. ju ©a unb ^g 1887, ©. 53) ift ben LXX bie feufef/e furje
SrääF)Iung [beS mafor. SegteS] ju nadt geWefen. %ro| biefer SJJadjtftorüdjc geben Wir
ju bebenfen: 1. baS e-1?;" ^v1 beS jetzigen bebr. SEerJeS giebt übertäubt leinen ©inn;
bielmef)r ift ^?n in l;obem ©rabe berbäcfytig, entWeber eine bogmatifdje ^orreftur (bod;
f. u.) ober ein SRotbefyelf ber ^unftatoren ju fein, gu bem fie fid) entfc^Ue^en mußten, 30
■M burd} ben SBegfatl be3 3]orf)erge^)enben ber ©egenfa^ bon 11. unb %. unb bamit
übertäubt ber ©inn be§ Serid;t§ berloren gegangen war; 2. ba bie LXX bon berlbirf=
liefen Sefdjaffenfyeit ber II. unb %. offenbar feine Slnfd;auung meljr Ratten, fie bielmebr
au^en an ber SEafcfye angebracht badeten, fo ift nid>t abjufeb^en, tbie fie eine (Erweiterung
bes b^ebräifd;en %?tf.z§ Ratten erfinnen foßen, meiere ftd^tlid; bon einer anberen 2Iuf= 35
faffung ber 11. unb %. augge^t, nämltcr) ber als b^l. Sofe, roelcf)e getoorfen iberben unb
fid} fomit borfyer in einem 33el)älter befunben f)aben muffen. SDenn roie ber I)ebr. %nct,
fahren and) bie LXX fort: „ba rourben ^onatf)an unb ©aul [bom Sofe] getroffen unb
ba§ 3SoI! ging frei au§. llnb ©aul fbrad;: werft (ba§ 2oS) jWifctien mir unb jWifd;en
^onatfian" u. f. W. ; 3. ber jetzige 'jCer.t fann (Wie bieg j. 33. be Sagarbe annimmt) in 40
bogmattfcfyem ^ntereffe berfürjt fein, <ti\va Weil bie SlnWenbung beg 1)1. £ofe§ nicf)t aus=
brüdlid; genug bem §or;enbriefter pgefd;rieben ober ber letztere burd) baS i-'?~ 33. 42
fogar auSgefd)Ioffen fd)ien. ©infamer Wirb man jebod) mit ben meiften bie SSerfürjung
au^ einem Stbirren bom erften auf ba§ ^Weite ^~ (LXX beibemale dög) erflären.
Sft nad; aHebem bie 2Bieberl)erftellung bon 1 ©a 14, 41 nad} ben LXX berechtigt, 45
fo giebt btefe ©teile in ber %l)at über ba§ SSefen ber 11. unb %. einen Wichtigen 2tnf=
frf)lufe. 2öir erfahren au§ il)r, bafe es fid; um minbeftenS gWei jumSoSWerfen beftimmte
©egenftänbe f)anbelte; ba§ §erauSfommen be§ einen bebeutete ein „ja", bas" beS anberen
ein „nein", fei es1 ein für allemal ober fei eS (Wie man au3 1 ©a 14, 41 fd;liefeen fönntc)
je naef) ber borr/er getroffenen Seftimmung. üam feines bon beiben fyerauS, fo War bieS 60
ein 3eid)en be§ göttlichen Unwillens, Weld;er übertäubt eine Antwort berWeigcrtc (bgt.
1 Sa 14, 37 ; 28, 6). ®ie StnWefenfyeit eines 5priefterS ift babei borauSgefe^t, benn auf
feine älufforberung finbet 33. 30 f. bie erfte Befragung ftatt, burd; Welche (23. 38 ff.) bie
jtoeite beranlafet Wirb. ®abei fdjeint eS jebod) nid)t, als ob bie £janbf;abung ber 1)1. Sofe
9ait} auSfd}licilid) bem 5j3riefter jugcfdjrieben Würbe. 55
3iel)t man nun in Erwägung, ba| aud) bie fonftigen 93erid)te über baS äßerfen
be§ Sofes baS letztere Wiebcrf)oit %u s4.srieftern unb ^u bem (Sbl;ob in 5lk'sielnmg fe£en, fo
töirb man eS minbcftenS als ^öcb,ft Waf)rfd;cinlid) bcjicid)nen muffen, bafe eS fid) in allen
biefen fällen gleichfalls um bie SluWenbung ber U. unb %. l;anbelt ; bgl. 1 ©a 23, 6. 9,
too 2)abib bem Gbjatl;ar, bem ©ol;n bcS Slcfyimelcfb, gebietet, ben auc 9cob geflüchteten &>
332 Itrim
(Sbfyob fyerbetäubringcn, unb bermittelft beSfelben ©ott befragt ; cbenfo 30, 7 ff. 2Iud;
1 ©a 14, 18 ift mit ben LXX "ra^y für '«* T^s ju lefen, jumal ftcf, bie Sabe nad)
bem auSbrüdlicfyen geugniS bon 2 ©a 6, 2 »gl. mit 1 ©a 7, 1 f., bamalS nid)t in ber 9lä^e
©aulS befanb. ©af$ in ben genannten ©teilen ber ~ns$ „fein eigentliches ^riefterfleib"
5 fein fbnne, mürbe bon %x. SB. ©dmltj in ber 2. Slufl. biefer @ncr/fl. IV, 254 menigftenS
für ben bon ©ibeon „aufgeteilten" 1700 ©olbfefel ferneren ©bfyob, fomie für ben beS
9Jcicf)a (9U 17, 5 ff.) anerlannt, bagegen bon Soij (o. V, 404) mieberum geleugnet. grei=
lieb, barf naefr, ©d)ult5 ebenfomemg ein 33ilb unter biefem @bl)ob berftanben »erben. Slber
mie oft mirb nod) mieberfyolt merben muffen, bafj ein ©ebilbe bon 1700 ©efeln ©olbeS,
10 baS man aufftedt unb mit bem man nad) ber Sluffaffung beS ©r^lerS 9?i 8, 27 ©ötjenbienft
treibt, eben nur ein ©otteSbilb fein fann; bafc audj ÜRi 17 unb 18 ber ganje $onter.t
feine anbere Sluffaffung juläfet; bafc 9til7, 5; 18,14. 18. 20; §o 3, 4 @bf)ob unb
£erabl)im mie etmaS eng 3ufammengeI)brigeS genannt finb; bafj 1 ©a 21, 10 baS
©cfynxrt ©oliatljS in ein ©emanb gemicfelt hinter bem ©bfyob fyängt, ber fomit etwas
15 greiftefyenbeS fein mujj ; bafj berfelbe ©bfyob 1 ©a 23, 6 mit (Sbjatfyar nad; ^egila fytnab;
tarn (ii^ "H?) unb 33. 9, fomie 30, 7 bon ©bjatfyar bem ®abtb b, erbeigebract/t (ntcr)t
ettoa angezogen) mirb; enblicb, bafj ber @bl;ob, ber als ©emanb bient, 1 ©a 2, 18;
22, 18 ; 2 ©a 6, 14 — offenbar jur Unterfdjeibung bon jenem anberen, Dom 9Jktat(=
Überzug C"1^ %tf 30, 22) über ein §olj= ober Stonbilb benannten ©bfyob — 15 ^sn
20 Reifet? 9Jimmt man nun noa) baju, bafj Qafy 10, 2 unb @g 21, 26 (bgl. aueb, bie 3ln=
fbielung §ab 2, 19) bie £erabl)im auSbrüdlid) als Draf elf^ertber ermähnt merben, fo mirb
man fieb, bereinft boeb, nod) ju ber Slnerfennung enifcfyliefjen muffen, bafs ber fo gefliffent=
lieb, mit ben SEerablnm jufammengeftettte unb gleichfalls jum Draf elerieilen bermenbete @pr)ob
eben aud) nur, tote bie (ober bielleidrt richtiger ber) %eratol)im, ein S3ilb gemefen fein
25 fann. 9Bie fidf) beibe boneinanber unterfdneben, mie bie U. unb %., bie nur mit bem
@bl)ob in 33erbtnbung gebraut merben, an ober in biefem angebracht maren, barüber
miffen mir fct)Iect)terbing§ nichts; bie alten Gürtler fdjmeigen barüber, meil fie eine beut=
lieble 2lnfd?auung babon bei ibren Sefern borauSfe|eu fonnten, bie nadjerdifcfyen beS=
fyalb, meil fie biefe SDinge gern ber SSergeffenfyeit übergeben falten. 2)aft ber $rtefter=
30 fober. bie II. unb %. nic^t ju einem ®btter= ober ©otteSbilbe in 33ejiel)ung fe|t, fonbern
ben @bb,ob nur als ein ©tücf ber ^riefterfleibung einführt, fomit an bie ©teHe bon
f)iftorifcf)en ^lac^ricljten über baS altteft. SoSorafel ©befulationen über eine beabfieb^tigte
SBiebereinfüb^rung in ben ICult ber ©emeinbe fe^t" (©tabe, 23ibl. SLr)eoI. 129), mirb bon
niemanbem, ber bie Probleme ber 5ßentateucr)friüf fennt, als ein ©egenbeioeiS gegen
35 obige ^Darlegung angefeb^en merben. — Dirne @rtoäb,nung beS ©bfyob ober briefterlia^er
33ermittelung feljeint boeb, gleichfalls bie Slnmenbung ber II. unb 1. bor^uliegen: bon
feiten SDabibS 2 ©a 2, 1; 5, 19. 32, bon feiten ©amuelS 1 ©a 10, 20 ff.; bgl. 3.1 19
baS ©teilen ber Israeliten bor ^fl^be unb ben Terminus i?^l bom ©etroffentoerben
burcl; baS 2oS, ganj mie 1 ©a 14, 41 f. (f. o.) unb mie Qof 7, 16 bei ber 2tuSlofung beS
40 Stefan bureb^ ^ofua. Ülucr) §o 4, 12 („mein 33oIf befragt fein ©tücf §o!j unb fein
©tab giebt iljmt Sefcfyeib") unb SSJlt 3, 11 ift bieUeicf/t ber noeb, fortbauernbe ©ebrauef;
ber 11. unb %. borauSgefe|t.
2öaS ben SRobuS ber Slntmort anbelangt, fo fcf;eint biefelbe (mie 1 ©a 14, 41) in
mehreren ber oben angeführten ©teilen auf einfache 33ejal)ung b, inauSjulauf en ; fo beutlicb,
45 1 ©a 23, 11 f.; 2 ©a 2, la; 5, 19 unb mit einer unbebeutenben (Srmeiterung SHt 20, 27
unb 1 ©a 30, 7 ff. ; eine berneinenbe 2lntmort mit meiterer 9Jcotibierung erfolgt 2 ©a
5, 23 (f. u.). 2lber auef) in ben gäßen, too beftimmte tarnen in ber 2lntmort erfreuten
(fo m 1, 1; 20, 18; 2 ©a 2, lb unb bei ber ^erauSlofung 2ld)anS unb ©aulS Qof 7,
16; 1 ©a 10, 20 ff.), fann man baS 93erfat>ren fo benfen, bafj bie 2lntmort buref; immer
50 mieberb^olte biSjunftibe fragen erhielt mürbe (fo auef) ^önig, DffenbarungSbegriff II,
258; ©tabe, ©efef). ^SraelS I, 472). ©o blieben bon ausführlicheren 2lntmorten, bie
nicf)t auf „\a" ober „nein" berufen fönnen, nur 1 ©a 10, 22b unb 2 ©a 5, 23 f. ®iefe
merben jeboeb, bon ben Driginalerjäb^Iern fcr;merlicf) als ein Seftanbteil beS SluSfbrucbi
ber 11. unb %., fonbern e£>er als briefterlicfje ober brobfy etifcfje ©rläuterungen beS lederen
55 gemeint fein.
©ie Ie|te (Srmälmung ber U. unb %. finbet fieb, @Sr 2, 63 (parallel ^ 7, 65).
yiafy biefer ©teile ertüartete man bamalS baS SSiebererfteljen eines ^riefterS, ber bie U.
unb %. f;anbl)aben (unb bann u. a. aud? über bie 2Xnftorücf)e gemiffer, nicf)t ^inlänglid)
legitimierter ^riefterfamilien entfcb;eiben) fönne. £>ie meitere S£rabition mei^ jeboef; bon
eo einem 3Bieberauf leben be§ 'iß.. DrafelS nid;tS; ficljerlicf) nid;t beSbalb, meil bie 3lrt ber
ltrim 333
£anbr;abung fcfyon im 5. ^akfyunbert nid)t mek befannt ßciucfen Wäre. Bielmek „toagte
man fie offenbar rttc^t toieberkr^uftellen, Weil bie SBakfagung bom ©efetj übertäubt be=
jettigt War" (©menb a. a. D. 6. 319). ©o begreift fid), bafe 1 3RaI 4, 46. 14, 41
bielmek auf ba3 ©rftekn eine§ glaubhaften Brobb/eten gewartet Wirb, unb bafc bie U.
unb %. bon ber ©r/nagoge ju ben fünf fingen geregnet Werben, bie ber jtweite Tempel 5
nidjt mek befeffen l^abe. £>ie SRifcfma (©ota 9, 12) erflärt au3brüdlid>, bafj mit bem
aobe ber nebi'im rischonim (b. fy. r)ter: ber borerjltfdjen $robkten) aucb, bieU. unb X.
aufhörten. £>em entfbrick ba§ ©c^Weigen über fie @i'39, 8 ff. unb 1 6k 24, 13, foWie
ber Mangel einer feften SLrabition über fie bei ben LXX, bei Bfyilo unb 3ofebb,u3.
gießen mir nun ba§ 9tefultat aus ber gefonberten (Erörterung ber StuSfagen be3 10
^viefterfober. (P.) einerfeitS unb ber fonftigen Erwähnungen anbererfeitS, fo ergiebt fid):
mi) P finb bie U. unb %. ©egenftänbe, bie fid) in einer am Ijioknbriefterlickn (Stoljob
ober ©dmlterfleib befeftigten %a]d)t befinben unb, abgefefjen Don iker fr/mbolifckn 33e=
beutung, bom §>oknbriefter jur Ermittelung be3 göttlichen 2öiden§ berWenbet werben.
fiad) ben fonftigen SluSfagen finb e§ ©egenftänbe, mit benen man ba§ 2oZ wirft unb 15
je nad) ben Ümftänben ein $a ober üftein ober aud) gar leine Antwort erhält, ©er
ßbfyob, ber aucb, fner bei ber Slnroenbung ber bi. £ofe — unb ^War entWeber alz S3e=
Fjälter berfelben ober als $euge uno Beetnfluffer be§ SoSWerfenä — eine Violh ftoielt, ift
ntdEjt ein ©djutterfleib, fonbern ein metaüüberjogeneS ober and) mit einem ©cf/ulterfleib
angetfyaneg ©ottesSbüb. 2lb§ §üter beäfelben Wirb mekfad) ein ^riefter borau<ogefe|t ; 20
bod) fdjeint baburd) nid^t auggefddoffen, bafj gelegentlich, aud) anbere ^krfonen, ober
toenigftenS bie Slnfüker einer BoHsmenge (©aul, ©abib) bie Befragung felbftftänbig
bomefymen. $Die bi§ ku*e immer Wieberfyolte Beb,autotung, ba| berartige Befragungen
SotteS immer nur im ^ntereffe be<§ Bolfgganjen ober bod; Wichtiger öffentlicher 3ln=
gelegent>eiten ftattgefunben Ratten, lann im £inblid auf ben Britoatebb,ob be§ 9Jiid)a 25
(öfll. 9ti 18, 5 f.), foWie auf 1 ©a 22, 10. 15; 23, 11 f.; 30, 7 f., nick aufreck erhalten
toerben.
Sei einer Bergteidjung bes> (enteren Stefultatä mit ben Sluifagen be3 P. fekn Wir
mZ, wie in fo bielen anberen Streitfragen, bor bie Stlternatibe geftettt: entWeber enthält
Gr 28, 30 ba£ Urfbrünglick unb allein Segitime in Setreff ber IX unb %. SDann beruk 30
bie in ben anberen Berichten borau3gefe£te $ßrarj§ auf ben gröbften -Stifsberftcmbniffen
(bef. fyinfid)tlicr) be§ @bb,ob) unb Überfckeitungen ber legitimen ©a|ungen — freiließ
■Bcifjberftänbniffen unb Überfckeitungen, an benen ftd) aud) angefekne Briefter unb ber
Dciditbriefter ©amuel in ber unbefangenften SBeife mitfdmlbig machen. Dber: bie unter
aßen Ümftänben fek alten Berichte $i 17 f., 1 ©a 14, 23 u. f. W. bieten bar, toa§ in 35
alter 3«t aflgemein geübter, für jebermann unberfänglicf)er, nod) nicb,t bur^i ein ge=
fdjrtebene§ ©efe| befämbfter religiöfer Sraucb, War. ®ann rebräfentiert P eine ©tufe
ber ©ntwidelung, auf ber man jWar (fd)on Wegen SDt 33, 8) bie Wichtige 3totte, bie i>a§
|l. Sog einft gezielt t;atte, nid}t bößig ignorierte, aber boeb, — im 3tnfcfyluf$ an bie
ja^unbertelangen Bemühungen ber ^3robkten — jeben abergläubifd;en ober gar göt$en= 40
bienerifcb,en 33eigefcb,mad fernzuhalten trachtete. ©0 ift e§ bann gu berftekn, bafe ber
S^ob lebiglia) al§ ©eWanb in Betraft fommt, ba^ bie 11. unb %. alz bie 5Rebräfcn=
tanten beg in ^grael allein geltenben ®ottegrecr;t3 bor allem eine reIigiö§=fbmboltfd)e
Sebeutung fjaben (f. 0.) unb ba^ ju il^rer §anbl)abung allein ber §ok^rtefter fombetent
ift. Stafj aber bie gorberung @j 28, 30 nur al§ eine ibeeEe, alz eine finnige ^korie 45
gemeint ift, bürfte boeb, ^ur ©enüge baburd^ erhärtet fein, baj$ fie in nad)eEtIifd)er geh
eine toraftifck aSerWir!Iic|ung nid)t meb,r erfahren r)at. SSie Wäre bieg benlbar, Wenn
über bie §anbb,abung ber U. unb %. bureb, ben §oknbriefter eine borejilifdie gefepek
Seftimmung ober bod) eine jWeifetlofe ^rabition bor^anben geWefen Wäre!
Sßenn Wir bi§kr eine SDeutung ber tarnen U. unb %. unterlaffen b,aben, fo ßefdjat; 50
bie§ in ber Überzeugung, ba^ ade berartigen Berfuck nur ben äßert bon fek f ragWürbigen
•^bot^efen baben. gjiag eg aueb, Wa^rfd^einlid) fein, bafj beibe 5piurale eigentlid) al§
Slbftrafta (Wie £""" u. a.) gemeint finb, fo ift bod) bamit für bie Bebeutung nicb,t§ ge=
Tonnen. §ätte man eS lebiglid) mit 1 ©a 14, 41 (f. 0.) ju tb,un, fo Wäre bie 5ßer=
mutung guläffig, ba^ U. „Slufköung" [ber ©d)ulb], %. bagegen „9Jicb,tfd}uIb" (nacf; 55
Ga(bemer/er „§eil", nad) Zimmern „Unfträflic^feit") bebeuteten. ®a ©aul unb ^onatfyan
getroffen Würben, müßten alfo t^atfäd)lid) LI. erfcb,ienen fein. 3lber nad) bem Borgang
ber LXX (d^coaig xal äXrj&eia, Wonad) Vulg. : doctrina et veritas) toflegt man ^u
überfein: Grleud)tung unb 3Bakr;eü. &)?n wäre jeboeb, nid)t Sßakkit, fonbern BoH*
ftänbigleit ober Unfträf[id)Ieit (bab^er bon ben LXX felbft 1 ©a 14, tl bureb, ooiÖTt^ eo
334 ltrtm
toiebergegeben). Stuf erfierer 93ebeutung bort 'n beruht bie gaffung at§ |jenbtabr/oin:
boßftänbige @rleucf)tung (f. u.). 2lnbere wollen roenigfien3 baran feftJjalten, ba| beibe 2Ui£>=
brücfe junädbjt ba3 Drafel felbft unb erft übertragener Sßeife bie Söerf^euge bejetd^nen,
mit benen e3 gewonnen tourbe (fo j. 93. (Stoalb, 2lltertf).3, ©. 390 f., ber „§elligfeit unb
5 Dftcfytigt'eit" überfe|t). ©afe bie LXX über leine fiebere ^rabition mei)r Verfügten, geb,t
au§ bem ©cfyioanfen ber Überlegung in ben Verriebenen Supern fjerbor. 5Jceben drjXmaig
ftnbet fiel) für Q^in auef) (5??2o{ (f. o.), bei ben übrigen griecfyifcfyen Überfeinem bagegen
cpcoTiajuoi rote für 'n xeXeioxrjxsg ; ät)nltc^ @3r 2, 63 LXX Vat. ea>g ävaaxfj iegevg
xölg qpcoTi£ovöt, xal xölg xeXeioig' Luc. ed. be Sag. ewg av oxf\ l. x. cp. xal xalg
10 xsXeiwosoiV bagegen 9Rer) 7, 65 Vat. legsvg qocoxlocov, Luc. leQsvg xölg (pwxia/xölg
xal xalg xeXeiwoeoiv, aber in @3r ß 5, 40 (be Sagarbe I, 495) eojg av ävaaxfj
ag%iEQEvg ivdedvjusvog xr\v drjXaiöLv xal xr\v äXrj'&eiav (alfo roie (Er. 28, 30). 2lEe
biefe lleberfe|ungen finb jeboeb, laum etroaS anbereä, al3 eine med)amfct/e 9tebrobuftion
ber r)ebr. SBörter ofyne eine beftimmte 93orfteHung bon ifyrem wirflicfyen ©inn. ©elbft bie
15 Slcöglicf/feit ift nid)t auggefctjloffen, baf? in ben formen 'N unb 'n eine fbätere 3urecb>
macfyung uralter, in if>rer eigentlichen 93ebeutung nicb,t meb,r berftanbener Söörter borltegt
(fo tüieber §otjinger, @e ©. 138). $n 93esug auf bie n badeten Söettfyaufen Oßroleg.3
©.412, SRote), ©cfjtoaltb, (SatSB XI, 172), 6albemer/er („unb/eilbringenber §lud)"),
^3. faaupt („ungünftige, berurteilenbe 2lnttoort") u. a. an einen gufammenr/ang mit *nm,
20 berflucfyen. §öct)ft itnrDat)rfc^etnItd^ ift bie neuerliche ^uffl^^enftettung (gimmem, 93ei=
träge jur babr/lon. SReL [Seidig 1899], ©. 91, 3fc. 2; 3Jtofc Slmolt, Hennebr,) mit affbx
ürtu = tertu (bgl. törä), 93efel)l, @ntfd)eibung.
3um ©cf)luf3 geben toir eine !urje Überfielt über bie ©efct/tcfyte ber 2luffaffung ber
U. unb %. unb berbinben bamit bie Stngabe ber roicfytigften älteren Sitteratur. 3Senn
25 bereits bie LXX bureb, tt)re Überfettung bon @j 28, 30 ben Untergang ber richtigen
S'rabttion he^ü^m, fo »erben roir eine foId)e nod) Weniger bei ^f)i!o, ^ofebfyuS unb im
;Ialmub fucfyen. 9iad) $fyüo (de vita Mosis III, 11) ftellte ba§ Xoyelov (fo ober
Xoyiov LXX @j 28, 30 für "pn) jrnei SLugenben, bie dr/layoig unb äXiq-&eia, bilblkf/
bar (äyaljuaxocpoQst, lt)orau§ man nief/t entnehmen lann, ba^ ^b,iIo bie 11. unb %.
30 felbft für §toei äydXjuaxa erflärt I)abe, jumal biefe 2lnficb,t aua) bureb, bie ©teße de
monarch. II, auSgefcb, (offen toirb). Qofebb,^ (Archaeol. III, 8, 9 [9iiefe § 2 15 ff.]) be=
rietet feinen Sefern — ob^ne au§brüc!licb,e (Ermahnung ber ü. unb %. —, baf} ©Ott
bureb, bie 12 ©belfteine, bie ber ^o^ebriefter auf bem 93ruftfcf;ilb trug, ben ©treuem ben
©ieg borfyerberfünbigte. ©enn eb,e fieb, nod) ba§ §eer in 93eroegung fe|te, ftrab,Ite ein
35 folcfyer ©lanj au§ ib,nen, ba^ ber ganzen SRenge lunb tourbe, bafj ©Ott ju it)rer §ilfe
bereit fei. ^n ätnerfennung biefer 'Sb.atfad^e Ratten aud^ bie ©riechen bas> 93ruftfd)ilb
Xoytov (Drafel) benannt. ®ocb, l^abe bie Söirlfamleit biefeS DrafelS bereite 200 3ab,re
bor ber 2Ibfaffung ber 2lrcb,äoIogie aufgehört, ba ©ott megen ber ©efe|e^übertretungen
jürntc. SRan fieb,t, bafe 3°fe^lu^ auc^ ^^r (abtoeicb,enb bon ber fonftigen jübifcfyen
40 3;rabition, f. o.) feine Chronologie fo einrichtet, bafj ib,n rixdjt leicht ein Sefer beim Söorte
neb,mcn fonnte.
©iefelbe ^abel bon ber ^unbgebung be§ ©otteöfbrucf)§ burd^ ba§ ©längen ber
(Sbclfteine auf bem 93ruftfcb, Üb fet)rt in berfctiiebenen Variationen in ber jübifef/en ^rabition
roieber. ©abei fuct)te man jeboeb, bie U. unb %. felbft (mit Stecht) in ber 93rufttafcb,e be§
45 §ob,enbriefter§, fei e§ in ©eftalt bes> b,l. 9?amen§ (rn^; fo ^ßfeubojonatr/an (Sj 28, 30)
ober mehrerer ©e^eimnamen ©otteS, beren StnblidE ben ^riefter begeifterte unb bie auf
ben ©belfteinen beS 93ruftfcb,ilbä berborglänjenben 93ucf)ftaben richtig berbinben unb beuten
lehrte (nacb, anberer ainna^me glänzten fie ber 9ieib,e naef) r)erbor, um SBörter unb ©ä^e
ju bilben; f. bie 93elege in 93u£torf§ historia U. et Th. cap. 4 in beffen Exercitt.
so p. 267 sq. [Basil. 1659]; aueb, in Ugol. Thes. XII). $Die ©eutung ber ü. unb %.
bon ben ©teinen (als ben „leutfjtenben unb fe^Kofen", alfo 'N unb r, nacb, bem 3Sor=
gang beg Salmub abjeltibifcb, gefaxt, bertritt noeb, Hamburger in feiner 5Real=@ncr;fl.
(unter U.); aueb, Heil (2trd}äol.2, ©. 179 f. u. ju @r.28; naa) ib,m aueb, 9Jolc! ju SDt 33, 8)
erblicft in ben U. unb %. ein 3JJebium, roelcb,e§ erglänjenb ober nicf)t erglän^enb Qaf)be§
55 ^a ober 9tfein ju erfennen gab.
@in neuer ©efidjtSbunr't für bie 3luffaffung ber ü. unb %. iüurbe im 17. ^ab,r=
b^unbert unb jroar roof)l juerft burd) ©rotiu§ (fo ©ieftel in ber 1. 3lufl. biefer ©nc^fl.)
eröffnet, nämlicf) burd? ben SSerlüeig auf bie gjotijen bei ©iob. ©ic. I, 48. 75 unb 3lelian
var. hist. 14, 34, nacb, foeldjen ber ägr/btifcfye ^ßriefter, ber al§ Dberricfyter fungierte,
eo ein 93ilb ber 2Bat>rr)ett (©tob. ©. 1, 75 Reifst e§ Qdidiov, bei 3lelian ein äyaX/j,a bon
«rtm 335
Sa^fürftetn) am £>alfe getragen imb fd>Iief$Iicr) bem im ^rojeffe obfiegenben umgehängt
t)abt (Sin gufammenfyang ber U. unb %. mit biefem äyal/ia ift feitbem überaus
häufig mieber geltenb gemacht Worben (fo bon .gengftenberg, 35ie 3333. sJRofcS unb 2tgt;bten,
g. 154; Dealer, Sibl. afjeol I, §97; ©teiner in ©cbenMS SBibeUej. V, 581 ff.), ju=
mal feit man burd; Sloffelini belehrt mar, bafj baS fragliche äyak/ua baS 33ilb ber Tme, 5
ber ©öttin ber ©eredjtigfeit, barftetfte, unb feit burdj) SBüfmfon in ben Manners and
customs of the ancient Egyptians, II, 26sq. unb 2. ©er. II, 28 ff. berartige2lbbi(bungen,
aud) mit ben einanber gegenüberfujenben ©eftalten beS ©onnengotteS Re unb ber Tme
(f. bie 2lbbübung in MebmS ^anbrnörterbud) ©. 916; 2. SlufL 931) belannt geworben
toaren. -JJacb. Knobel (ju ©r. 28, 30) mären fogar bie tarnen Ü. unb 1, aus ägr/btifeben 10
Wörtern ^ebraifiert, nacb, ©teiner WenigftenS ibre .ßufammenftettung burd) baS ägfybtifcbe
ra unb tme beranlafjt. 35ie ganje Kombination ertoeift fid) jebod; bei näherer (£rmä=
gung als eine fo fünftlicfye, bafe fie mit Stecht bon 35illman (@r. unb £e ©. 307 ; 2. 2lufl.
:U1) tooHftänbig berWorfen Worben ift.
(Sine grünblicbe Erörterung beS Problems berfuebte nad; 23ur.torf mieberum ©bencer 15
in „de legibus Hebraeorum ritual. III, diss. 7 (1685 u. ö.). @r gelangt fcbltefc
lieb, ju bem Sxefultat, 11. fei (analog ben ober bem teraphim) ein tleineS @ötter=
bilbtt)en getoefen, Welches, bom £>oI)enbriefter an baS Dbr gehalten, bemfelben bie Slntmort
jugeflüftert fyabz. (35ie §rage, ob nid^t bie 11. wegen £>o 3, 4 als jmei fletne, jum Sofen
oertvertoete SEerabfnmbilber gu beuten feien, ift neuerbingS aud) bon ©tabe aufgeworfen 20
toorben; bgl. jebod) unten über baS 23erbältmS ber £ofe ^um lerabbim. %n f teine
Silber benft aud) $oote, ©bbob, ©. 31.) SDie ortbobor.=broteftantifcbe Stuffaffung beftanb
bem gegenüber auf bem gufianbefommen beS DrafelS burd) rein innerliche @rleud)tung
beS §o'benbriefterS unb erblidte in ben 11. unb %. (im ©inn bon ©r. 28, 30 nicfyt o^ne
aßen ©runb) nur ©tymbole ber göttlichen ©egenwart ; fo bef. $. ©. (Earbjob in feinem 25
Appar. histor.-crit. etc. (1748), p. 76, Wie fdwn $. 23raun, Devestitu sacerdotum
Hebr. II, 20, p. 588 sq. SDiefelbe Stnfcbauung Wirb im Wefentlicben nodj bertreten
bon mh,x (©bmbol. beS mof. ßultuS II, i08ff. unb 134 ff.), 3M> U)m fragte, b. b-
betete ber |>obcnbriefter um göttliche (Erleuchtung. 3BaS ibm barauf ins £>erj gegeben
toarb, baS tourbe als göttliche Antwort betrachtet; bafür trug er in ben U. unb %. bie 30
SBürgfdbaft auf bem §erjen.
SDie Qbentifi^ierung ber 11. unb %. mit ©egenftänben jum 2öerfen beS SofeS finbet
ftd> auSbrüdlid) fd)on bei 3. 35. 9Jcid;aeIiS (SOtof. Stecbt, I, § 52), ber an brei ©ieincfyen
benft, bon benen eines „ja", bag anbere „nein", ba§ britte leine 2tntmort bebeutet babe.
liefe Stnftcbt ift feitbem in berfd)iebenen 2)cobififationen berrfd)enb geblieben, ©ie f)at 35
ibre §aubtftü|e in bem ©brad)gebraucf), monacb. man ba§ £o§ (^fi'-o) warf ("; ober
-1~); ba§ £o§ felbft fiel (^) ober „fam beraub" (N^^). 9Rur barüber fcbtoanlte man,
ob U. unb %. ba§ Dralel übertäubt (al§ „untrügliche 6ntfd;eibung" nacb beSöette,
revelatio vera nacb, ©efen. im SLb!efauru§, „Hare unb boEftänbige @ntfd)eibung;/ nad»
Mmann u. f. m.) ober bie 9JtitteI jum Sofen felbft, etwa 'N burd)ficbtige, t unburd>= *o
[tätige, ober gefd)Iiffene unb robe ©teine begetc^ne. S^ad» Qüüxd) (im 2. @r.fur§ ^u
„^obanneS eScbcrtoIog. ©efi(f)te", ©tuttg. 1834, unb jWar ju ber yjfj<pog Xevxif] Dffertb.
2, 17, toaren bie U. unb %. eine §anb boß teils gefd)Iiffener, teils rober 35iamant=
toütfel ; ber §obebriefter fombinierte bie 33erbältniffe beS SCßurfs nad) einer boI)en^>rtefter=
Itcben ßrbtbeorie. 9Jcit ber Slnnabme bon ©teind;en jum Sofen begnügen fieb @malb 45
C2üteru).3, ©.392: jtoei ©teine bon begebener garbe), ©cbul^ (2lltteft. SLbeor.% ©199),
Siefym, ©iegfrieb, 35abieS (groei mit ja unb nein befdmebene ©teine), ^olginger (mit bet-
rage, ob niebt bie beiben ©d>of)amfteine ßi 28, 9 urfbrünglid) in bie Xafcfye geborten),
Senneb^> (jtoei ©teine in SSürfelform). Übrigens aber fann man bie Vermutung sIBelI=
NfenS ju 1 ©a 31, 3, ba| baS SSerb ~y~, »obon rnin, eigentlich baS SBerfen ber 50
Socpfeile bebeute, febr tüot)I aud) auf bie 11. unb %. begeben. 35afür fbridjt nid)t nur
•Öo 1, 12 (f. 0.), fonbern bor allem @j 21, 26 f. : „SDcr König bon 33abd ftebt am ©d)eibe=
h>ege . er fdiüttelt bie Pfeile, befragt ben SEerabbim, befdjaut bie Seber. ^n feiner
Seiten ift baS SoS ^erufalem" 35aS bei|t mobl einfad) : er fd}üttelt bie SoSbfeile bor bem
®ottesbiIb (bem SEerabbim), Wie man ebebem bie lt. unb %. im 2Ingefict)t beS (5bbob, ^
nacbmals in SUelfa bie SoSbfede bor bem §ubal fdmttelte (bgl. Ül>eQbaufen, ©fi.^en
HP, ©. 132, ber an «Pfeile obne ©bi^en benft ; aud; Dtobertfon ©mit!;, 35aS 211 jc,
übetfe^t bon 3totbftein, ©. 273 f., berfte|t bie U. unb %. bon einem ^feilorafel). SDafj
63 21, 26 f. ber betreffenbe SoSbfeil mit bem tarnen ^erufalem beschrieben ju benfen
Hi läfet fieb niebt bemeifen; boeb ift bie 3Jcögtid;fcit ntebt auSgefd;loffen. ^ür bie ^e= 60
33(i Utrtm Url^erger, % 2t.
fd)reibung fbricf/t eine bemerien§toerie 9Iotij bei ©brenger, ®a3 Seben unb bie Seb/re beg
3RoI)ammeb I., 259 f., auf Welche be Sagarbe (bie rebib. Sutt/erbibel, ©. 19) berWeift. $n
ber &aaba ju 9Mfa befembert fid) fteben ©täbe bort berfdnebener $arbe, bereit jeber ein
2Bort trug (ja, nein u. f. W., aud) caql, 23lutgetb, um in ftreitigen gälten einem ber bag
5 Sog 2ßerfenben bie Seja^lung ber ©üfyne gu überweisen). Qe nad) Übereinkunft entfdjieb
bann beim Sogwerfen bag §erborfommen beftimmter Wörter, Wäfyrenb bie anberen un=
berüdfid)tigt blieben. SCud^ bie berfefnebene $arbe ber ©täbe gab bigweilen ben 2tugfd)lag.
2lud) bon brei Pfeilen, Don benen jmei befd)rieben, einer btanf war, ift anberWärtg bie
Stebe. £>ag §eraugfommen beg Manien bebeutete bie Verweigerung ber Antwort (bgt.
io jum ^feitorafel bei ben Arabern übertäubt 9tobertfon ©mitb, im Journ. of Phil.
XIII, 277 ff.).
SDie jüngfte ^ß^afe in ber Deutung ber U. unb %. ift ifyre Verleitung (unb jWar
nid)t blofj bie ber -Warnen, f. oben ©. 334, 20) aug babr/Ionifd)en 33orbilbem (bgt. baju
gimmern, £>aubt, 9Jcuf$ 2trnolt a. a. D. unb befonberg 21. ^eremiag, ©ag 2t£ im Sid)te
15 beg alten Orient, 2. 2luft. (Seidig 1906), ©. 192, 21. 3. 5Radj ib,m entfbredjen bie XL.
unb %. inmitten ber 12 (Sbetfteine (ben SEierfreiggeidjen) ben ©egenfä^en „Seben unb
%obf ja unb nein, Sid)t unb ginftemig" Übrigeng ftnb bie auf ber SBruft getragenen
lt. unb %. 2tnatoga §u ben babr/Ionifd)en ©d)idfatgtafeln, bie gteid)faltg auf ber Stuft
getragen werben (ibid. ©. 450). 9Rad) bem babblonifd)en ©cfyöbfunggepog legt bie Siamat
20 bem ^ingu bie ©d)idfalgtafeln auf bie 23ruft; aber SRarbuf, ber Sefieger ber 5£iamat,
nimmt fie il)m ab unb legt fie fid) felbft an. 2Bir laffen hierbei ganj aufser 23etrad)t, bafj
eine ©ntlelmung ber II. unb %. aug bem 23abr;lomfd)en jur $eit ©amuetg unb ©abibg
ferner benlbar ift, unb baf$ beibe bei bem ©ebraud) beg Sofeg jebenfallg rttdE>t an bie
SlierlreiSbilber unb bie ©egenfäije bon Seben unb %oh jc. gebadet r/aben. 2tber aud)
25 Wenn man fid) bamit begnügt, erft bem ^ßriefterfobej eine abfid)tlid)e SCntefmung an bag
babbtonifd)e SSorbitb jujufcb, reiben, fd)rumbft bie 2lnalogie auf einen fümmerlidjen 9ieft
jufammen: ber §or/eprtefter trägt bie Dralettafd)e mit ben H. Sofen auf ber Sruft, wie
bag babt)tonifd)e ©ottegbilb bie ©d)tdfalgtafeln. SDiefe ©teidjung läfjt u. @. eine birefte
Entlehnung (ju Weld)em gWecf aud)?) laum begrünbet erfreuten. Sauljftlj.
30 ttrlSperger, $or;. 21 ug., Dr. theol., SDogmatüer unb ©rünber ber beutfd)en 6bjiften=
tumggefellfcfyaft, geft. 1806. — Quellen jur ©efd)t^te fehte§ SebenS: .turjeS fetbft=
oerfa^te§ Curriculum au§ §(nlafe feiner Orbinatton. (Mebrudt mit ber DrbinationSrebe feines
SBaterS unb anberen ©eleaen^eitäreben, ?(ug§burg 1757; ©rabmann, S)a§ gelehrte ©c^iuaben,
SRat>en§burg 1802, @. 694-704; 3o£>. ©eorg Teufel, 3)a§ gelehrte Sewtfd)Ianb, 10. 93b,
35 Semgo 1803, @. 759—761. gür feine t{)eolügifd)e Qcntancfetung uergleictje man bie (£in=
(eitung p feinem „Äurjgefa^ten ©tjftern beS SSortvageS Hon ©otted S)reietnigteit" lieber feine
Semüfjungen jur ©rünbung ber ©rjviftentumSgefeUfdjaft geben beren gefa^rtebene ^ßrotofolle
foteie feine gatjtreidjen SSriefe an bie ©efeüfdjaft ?tuffa^(u^; für feine fpätere Seben§äeit finb
ebenfalls bie teueren bie §au^tquette. ^votofoHe unb 93rtefe befinben fiel) im 2Xrcr)ib ber beut=
40 fd)en e^riftentumSgefeüfcbaft im 50liffion§^au§ ju SBafel. — Sitteratur: 8tb93 33b 39, ©.355
big 361. ?trt. üon Eb. Jacobs.
©ie gamilie 11. War um bie SBenbe be§ 16. 3>ar/rb,unbert3 in ©übbeutfcb,Ianb ein=
gewanbert, nadjibem fie um i^reS ei>angelijd)en ©laubeng Willen aus ib,rer früheren $eimat
in Dfterreidb, War Vertrieben Worben. ^ofiann 2luguft 11. War ber ©olm be§ ©enior§
45 ©amuel U.§ in 2lug€burg (f. b. 2t.), be§ früheren §of!prebigerg §erjog @berb,arb SubWigg
Don Württemberg. @r Würbe in 2tug§burg am 25. Sfobember 1728 geboren unb b\§
in fein §eb,nte§ Qab;r burd) feine ©Item unb Sßribatte^rer unterrichtet, ^m §erbft 1738
bejog er bie §ürftenfd)ule ju 5Reuftabt an ber 2tifd), beren 9ieftor Ortete er ein bant=
bareg 2tnbenfen bewahrte.
50 3Son 1743 an befud)te er ba§ ©^mnaftum ju ©t. 2tnna in 2tug§burg unb fd)Io|
im ^ab,re 1747 jeine ©^mnafialftubien ab mit ber ©iffertation De praestantia Colo-
niae Georgiensis prae Coloniis aliis. ©arin befd)äftigte er fid) mit ber 2tnfiebetung ber=
triebener et>angelifd)er ©al^burger in ÜRorbamerifa, bie burd) SSermitttung feinet 3Sater§
in @ben @ger fübtid) bon ©abanna^) eine jWeite £eimat gefunben Ratten. @r giebt in
65 biefer feiner @rfttinglfd)rift u- a. feiner greube barüber 2tu<§bruct, ba§ bie Emigranten
in ifyrer neuen §eimat nun if>reg ©laubeng frei leben lönnten unb Ijofft, ba| fie tt)n
aud) unter ben ^nbianern augjubreiten ©elegen^eit fänben. ^ene ©atjburger ib,rerfeitl
batten fid) p gemeinfamer gürbitte für il)n, ben ©ob^n tt)reg 9Bob,ltb,äterg berbunben,
„bafi ^efu 9ieid; burd; itm möchte ausgebreitet Werben". $Dag Söerf ber gürforge für
t;o biefe ©taubenggenoffen unb Sanbgteute feiner bfterreid}ifd)en Sorfab^ren führte er nad)
ttdspcrget, & A. 33?
bcm lobe feines SaterS Weiter, tote er aud) fonft für @bangelif$e in ber .gerftreuung
zeitlebens ein WarmeS §erj b,atte unb auf jebe Süeife für fie eintrat. Son 1747—1750
ftubiertc er in Tübingen fyaubtfäcfyltcb, bfyilofobfyifcfye gäcfyer. Stadlern er ben Söinter
1750 Wegen Unbäjjlicfyfeit im elterlichen §aufe jugebrac^t fyatte, bejog er 1751 bie Unt=
berfität £aEe, um fiter mit bem bollen ©tubium ber STfyeoIogte ein^ufe^en, ftd; aueb, fcfyon 6
im ^rebigen ju üben unb an öffentlichen 3)iSbutationen teilzunehmen, ^m £aufe beS
$rofefforS ©igm. %at. Saumgarten fanb er liebebolle Aufnahme, -ytadjbem er 1753 nacb,
abgelegtem (gramen bietOkgtfterWürbe erlangt b,atte, fcb/Iofj er feine afabemifcfyen Stubten
im Sabre 1754 mit einer ©iffertation De mysteriprum christianae fidei vera in-
dole, et adversus recentissimas oppugnationes vindieiis. SDarin brachte IX. 10
eigentlich nicb,t gang baS jum AuSbrucf, WaS i|n fcfyon bamalS bewegte unb beffen weiterer
Darlegung faft feine gange SebenSarbeit geWtbmet mar, nämlicb, ben ÜRacfyWeiS, bafc im
SßerftänbniS beS SBefenS ber SDreiemigfett ©otteS ber ©cfylüffel gum SerftänbniS ber
gangen cfyriftlicfyen Religion liege. 35a er im erften (SntWurf $u jener Arbeit bie bureb,
äßolf Vertretern geitgenöffifd^e ^Inlofobljne angegriffen fyatte, fytelt tfyn Saumgarten, bem 15
er feine SCrbeit borlegte, babon ah, fie in §aße, Wo SSoIf bamalS noeb, lebte unb Rangier
ber Uniberfität mar, px publizieren, riet tfym aber an, fie in feiner §eimat als befonbere
©cfyrift bruefen ju laffen. 2öaS nun in §aüe erfetnen, mar eine allgemein gehaltene
Slbfyanblung über ben djriftlicfyen ©lauben, bie feinen Slnftofs erregte.
yiafy beftanbenem tarnen trat er in feiner Heimat öfters als $rebiger auf unb 20
unternahm im barauffolgenben $ab,re bom 3Jiai bis gum 9?obember 1755 eine längere Steife,
auf ber er u. a. aueb, (Stuttgart, granlfurt a./Sffi., Hamburg, $obenb,agen, SSernigerobe
unb Berlin berührte. (SS lag ü)m bamalS fcfyon bor allem baran, berfönlicfye Sejiefyungen
ju ©leidjgefinnten anjufnübfen, WaS 3. %. Wettgeljienbe folgen blatte. ©0 fütterte er
in granffurt ^u Seginn jener ÜReife im §aufe beS Seniors D. gtefeniuS nadb, S3e= 25
fbredSung mit biefem ben „©runbrijs, Wie eine ©efetlfcfyaft jur Seförberung cfyriftlicfyer
Siebe tonne errichtet Werben; gu bem (Snbe entworfen, bamit anberen llugen unb er=
fafyrenen ^ßerfonen ©elegenl)eit gegeben Werbe, noeb, mehrere Sorfcfyläge gu tfyun unb ba=
irnrd) bie ©acfe,e ju befferer Steife gu bringen".
@S ift Wofyl laum bloßer ftvtfaü, ba| ftd) fct)on im Anfang beS folgenben $al)reS in 30
Safel eine „©efellfdjiaft bon guten greunben" jufamment^at, ganj unabhängig bon ber
1740 in Safel gegrünbeten ©octetät ber Srübergemeine, „in ber Abfielt, nacb, atigemeiner
(Sf)riftenbflid)t, ©otteS ©fyre unb ber Sftebenmenfdjen §eil ju beförbern unb fufy untereinanber
ju erbauen" 3Me Statuten biefer ©efeEfcb, aft ^atte eigenb, änbig Pfarrer §ieron^muS b'Slnnone
in ?3tuttenj bei Safel, ber SSater beS SSaSler ^ietiSmuS, ein ^acfyfomme oberitaltenifcb.er 35
Sefugianten, entworfen, ber feit bem ^ab^re 1736 mit Samuel Ü. berfönlicb, befreunbet
War unb beffen SiebeSarbeit unter ben ebangelifd)en Dfterreitt^ern unterftü^te. 3)te $reunb=
fd^aft mit bem 3Sater U. War aueb, auf ben Soljm übergegangen. 3)'2lnnone forrefbon=
bierte, Wie bisher bribatim, fo bon 1756 an im tarnen jener ©efettfcb,aft mit ben beiben
U. unb grünbete eine ©efeÜfdjaftSbibliotfye!, Worin Schriften Samuel U.§ unb ifjnen 40
geifteSberWanbte 33üd)er 3luffteIIung fanben. 35ie ©efeUfdjaft machte fid) jur ^ßflic^t, bie
Verbreitung cfiriftlic^ er Schriften an bie £>anb ju nehmen, eine cfyriftlid) e 2eib,bibIiotb, el einju=
ridjten, bebrängte ebangelifd^e ©laubenSgenoffen ju unterftütjen, §eiben=, ^uben= unb
SKo^ammebanermiffion ju förbern, ein Wacb,fameS äluge auf fyerumreifenbe äoEeltanten
ju I^aben, baf$ fie nid^t ^rrlef)ren berbreiteten, unb auf bie geilen ber $«t ju merlen. 45
Sie erften greifbaren grüßte biefer ©efellfd)aft War bie Sammlung bon ©eibern für bie
ßbangelifdpen in Öfterreicb, unb bie Aufteilung eines 3)tafonen jur Pflege bebürftiger
Sranler in Safel. @S liegen !eine SRa^rid^ten barüber bor, Wie lange btefe ©efeHfcb,aft
in Safel beftanb. 3)ie ^3roto!oUe über it)re SSerb^anblungen reichen nur bis gum Qafjre
1760. 2lber gan? beutlid) fielet man in ber ,,©efeßfd)aft ber guten greunbe" eine 3Sor= so
läuferin ber fbäter burd) ^ob,. 2lug. U. ins Seben gerufenen Sb,riftentumSgefeEfcf)aft, bie
in Safel ib,ren ^entralfi^ fanb. @S ift ^öc^ft Wafjrfc^einlid), bafj fd)on jene erfte SaSler ©e=
feUftt^aft auS bem ^af)re 1756 für innere unb äußere TOiffton, Wie Wir je§t fagen würben,
auf bie Anregungen beS jungen U.S jurüöcgeb,en, bie er bon granffurt auS im ^afyxt
jubor gleicl)gefinnten greunben f>atte jugeb, en laffen unb bajj Wir in iftren Statuten bie 65
§aubtgebanfen jenes „©runbriffeS" beffen, ben U. mit^refeniuS in granlfurt entworfen
fiatte, beffen 2BortIaut Wir aber nid)t lennen. ^m ©ntWurf unb in ber Ausführung
fold^er WeitauSfcl>auenben päne b,atte %ofy. Aug. U. an feinem Sater, Sam. U., einen
Vorgänger, beffen ^been ntdjt ofyne ©trtflujs auf ib,n geblieben Waren, unb ber feinerfeits
birelt bon Auguft |>ermann granfe Qmpulfe embfangen l;atte. 60
9ieaI«ffiitcö«opäbte für Sljeoloflte unb mt«e. 3. M. xx. oo
338 UrlSpergcr, g. 21.
%la<$) SlugSburg 3urüdgefef)rt, würbe IL bon feinem SSater jum ©ef)ilfen beS ^rebigt-
amteS mit bem 'Jitel eine§ „^eftilenäiarS" eingesegnet unb erhielt im %at)v 1757 bie
©teile eines inerten ©iafonen an ber SSarfüfeergemeinbe. infolge mehrerer rafct) auf=
einanber folgenber SEobeSfälle unter ber ©emeinbegeiftlidjleit burcfylief er bis 1760 fämt=
5 lid;e SialonatSfiellen bis jur erften. gWtfcfyenlnnem würbe er 1761 beauftragt, in SEiroI
bie friegSgefangenen breufetfdjen Offiziere feelforgerlid; ju bebienen. 9>iad)bem er 1762
burd; Übernahme beS SDialonateS an ber §aubtbfarrurd;e ju ©t. 2lnna (Gelegenheit ge=
funben ^atte, feinem SSater in beffen letzter SlmtSgett jur ©eite ftefyen ju bürfen, blieb er
gern noch; bis 1770 3)iafon, obWof)! ifym fd;on 1765 nad) bem 9iüdtritt feines 23aterS
10 bon ben öffentlichen Ämtern bie erfte ^ßfarrfteße War angeboten Worben. %la<fy jtoei=
jährigem Pfarramt an ber l>(. $reujurd;e gelangte er im ^afyre 1772 furj nact; bem
SEobe feines 87jä^rigen 33aterS ^um ©eniorat, meiere Stürbe er aber blofe toter ^afyre
lang belleibete, ba er fid; fcf)on 1776 infolge anfjaltenber $ränflid;leit erft 48jäfyrig ge=
nötigt fal), feine fämtlidjen bis babin berWalteten öffentlichen Slmter meberjulegen.
15 ^njWifcfyen aber f/atte er fid^> neben geWiffenfmfter Erfüllung feiner 2lmtStofIid)ten,
ja £>anb in §anb bamit, Weiter mit jenen fragen befd£)äftigt, bie fcfyon feiner afabemifd)en
SDiffertation %u ©runbe lagen. ®ie Anfänge biefer ©tubien gel)en bis in feine früfjefte
$eit jurücf. @r füllte bon ^ugenb auf einen „beinahe unaufhaltbaren Srieb" in fid;,
ber 2öa^rbeit felbftfiänbig nacb^ubenfen. %et>e auf biefe SBeife gewonnene SrlenntniS
20 fudjte er in origineller Söeife Wiffenfd;aftlicf) $u »erarbeiten unb fic^> fo t>on früb an
fein eigenes ©bftem ju bilben. $Dabei berfolgte er ben ©runbfa|, niemals eine gut
bezeugte Ijtftorifc^e 5tl)atfad;e nur beSfmlb ju berWerfen, Weil fie feinem SSerftänbntS
©cfywierigfeiten bot, fonbern bie Urfacfye ber mangelhaften ©rlenntniS jmnäcfyft bei
fidt^ felbft pi fua)en. ©obann galt iljmi bie SBtbel als unmittelbare Offenbarung
25 ©otteS nidt)t nur als ©rfenntniSqueße, fonbern aud) als „^ßrobierftein ber 3Baf)rf)eit''
2Jat beginn feiner 2lmtStf)ätigleit machte er eS fiel) fogleid) jur Siegel, burd) feine
jal)lreid;en Sßrebigten (120—150 jäfyrltd;) nid)t nur feine .ßufyörer %u erbauen, fonbern
aud) fid; felbft Wiffenfd)aftlid) gu förbern. @r brebigte gan^e 33üd>er ber ^eiligen ©cfyrift
31 unb %l%ä nad; einer eigenen SJJetfyobe burcjE), beftänbig auf ben ©d^riftjufammenb^ang
30 InnWeifenb. Unb bei ber Vorbereitung auf feine ^rebtgten gab er fid) bei jebem %?&
über äße einfdjlägigen Wiffenfcfyaftlicfyert fragen 9ied)enfd)aft, fo bafe er nad; feiner eigenen
SluSfage oljme Weiteres barüber gelehrte Slbfyanblungen Bätte liefern lönnen. 33ei biefen
©tubien liefe itm im ^afyre 1767 bie ©teile M 2, 2 unb 3 (Dorn ©efyetmniS ©otteS beS
3SaterS unb ßb^rifti, in tr>elcf>em »erborgen liegen alle ©d)ä|e ber 2öeiSl)eit unb ber @rfennt=
35 niS) nicfjt mel)r loS, unb er fab in tbr ben ©d)lüffel aller (SrlenntniS. SSon biefer $eit an
galt fein gangeS ©tubium nod) intenfiber als bisher ber ©rgrünbung biefeS ©eb^eimniffeS
unb eS erfcfyienen innerhalb ber 3>al)re 1769 bis 1777 fieben meift umfangreiche 2lbb^anb=
lungen über baS SBefen ©otteS, roorin er eine felbftftänbige ®reieinig!eitSle^re barlegt.
3)arin null er, auf bem SBoben ber ©etyrift unb beS lutbertfeben 93e!enntniffeS ftebenb,
40 bie reine fiebere »ertreten unb boeb gugleicb bie ber atb^anafianifd>en 3luffaffung ber ^rinität
anfiaftenben 3JJängel (§üermifc^ung ber SBefenSbreicinigfeit ©otteS mit feiner Dffen=
barungSbreieinigleit) ju überminben fucf)en ob^ne bod) bem ©abeEianiSmuS ju Verfallen.
(35ier 3>erfud)e einer genaueren S3eftimmung beS ©efjeimniffeS ©otteS unb beS SSaterS
unb ßljrifti 1769—1774; ^ur^gefafeteS ©Aftern meines Vortrages »on ©otteS $Dreieinig=
45 feit, 1777; bajmifd;en jroei ©treitfdjriften über benfelben ©cgenftanb pr Slbiüebt bon
Singriffen). U. unterfcfjeibet bor aUem eine *iefenS= unb eine DffenbarungS=5Dreieinigfeit.
3ur öfonomifd;en SErinität gehören Segriffe wie 3eu9m un^ 2t"§8^en. S)aS gehört
ntebt jum ffiefen ©otteS, läfet aber auf feine innere S3efcbaffenbett fefliefeen, ba fid) ©ott
nur fo offenbaren lann, Wie er toirfltd) ift. äluS ber Xb^atfadje ber Offenbarung alfo ift
so erfennbar, bafe in ©otteS Sßefen innere Unterfd;iebe borb^anben finb, ob>e bie er nio)t
aus fid; herausgeben nod; fid; babei bifferen^ieren lönnte. 3m breieinigen 2Sefen ©otteS
fann eS an fid; feine erfte unb leine letjte Werfen geben, alfo aud; nid;t bie eine, etwa
ber 3Sater, jum prineipium et fons deitatis gemalt werben, ©anj anberS aber, Wo
gar nid)t bom Söefen ©otteS, fonbern nur bon ber Offenbarung feines SkfenS bie Sfobe ift.
55 £>a erfebeint ber ©o^n unb ber ©eift bem 3Sater als ber SebenSquelle untergeorbnet. Sie
9Babrt)eit, bafe ber einige ©ott nad; feinem Söefen felbft breieinig ift, ob>e jeboeb naef;
biefem notWenbigen SSerbältniS betrachtet, 33ater, ©ob> unb ©eift ju fein, ift baS @e=
l)eimnis ©otteS ober baS Söefen ©otteS an fid).
2)er SluSgang ©otteS bon fid; in bie Offenbarung Wirb bon U. als ber Übergang
eo auS bem Unenblid;en ins @nblid;e aufgefafet. 11. fragt: SBie fommt ©ott, bie unenb=
UrlSpcrgcr, & 3t. 339
(idjc llrfacfye, ju einer cnblicfyen SBirtung, tote fie bei ber ©d^ö^fung bettelt ftattfinbetV
Unb tote macfyt ©Ott aus ber ©cfyötofung ber 3Mt, bie bod) enblid) bleibt, ein unenb=
licfyeS Üßerf? Unb tote greift eS ©ott an, bafj baS ©nbltcfye unb Unenblidje miteinanber
IjinS Werben? Sie Antwort lautet: $m ©ob,n ift baS (Snblicfye unb ba§ Unenblid;e jur
(Soweit berbunben, fo bafj er fieb, felbft in feinem StuSgang burdb, unenbltctje $raft ju 5
enblidEjert Söirtungen beftimmt, burd? enblid;e 2öirfungen mit enblicfyen Gräften ftd> ber-
einigt unb baburefy enblicfje Söefen in feine unenblicfye Sereinigung aufnimmt. SDie tieffte
Stufe feiner ©rniebrigung in ber 2öelt gefdjiafy in feinem £obe, benn in feinem im
Örabe rufyenben Seibe lie| er fieb, big jum fcfyeinbar Seblofen t)erab, Woburd; er mögltcf)
machte, baft aueb, bie fleinfien ber einfachen Gräfte ber ^Bereinigung mit ib. m unb ber barauS i°
fliefjenben folgen teilhaftig Werben tonnen. ®iefer freiwilligen ©infeb^ränfung feines
ii>efenS folgt bie 6rr;bl)ung, bie im ©egenfat? baju eine 2tuSbreitung feiner £>errlid)fett
barftettt bis alte .groeefe feines föommenS in bie 2Mt erreicht finb unb feine unb feines
SaterS £errlicf)feit md)t metjr im SluSgang boneinanber unterfcfyieben fein Werben. Sann
bort bie gange Ökonomie auf, ba fie ib,ren fttozü erreicht b,at. ®er ©oljm unterwirft fieb, 1-,
bem Sater unb fyört auf, ©ofyn gu fein, bleibt aber wie bor feinem SluSgang eine göttliche
"^erfon. ©er {»eilige ©eift begleitet ben ©otm auf feinem gangen Söege ber ©rniebrigung unb
(iTböbung. Stuct; er gef;t aus bon bem Sater, um bei bem ©ob,n ju fein. „@r. ift bie
in ©ott gebärenbe b. i. ben SluSgang unb SDarftellung eines göttlichen ©otmeS burd)
©eburt bewirfenbe $raft" (Serfu<|e, ©tüd IV, ©. 323). %m Stnfddufj an bie Xrini= 20
tätslefyre unb im gufammenfmng bamit lief? U. im %ab,vz 1775 bie ©ct)rift „bom gött=
liefen ©benbilb" erfcfyeinen.
U. mar fid) beffen beWufjt, bafj feine tieffinnige (Srfaffung ber SErinitätSlebje üfteueS bot,
unb erwartete mit 3facr)t, bafj fie beamtet Werbe unb WenigftenS bei ©efinnungSgenoffen 3tn=
Hang finbe. 2lber er Würbe feb. Wer enttäufcb, t. Sie tonangebenben Organe jener geit, Wie u. a. 25
bie Slllgemeine beutfcb,e Sibtiotbet bert/ötmten feine 3tuSfüb,rungen unb bon ber anbern
Seite b,er Würbe er Wegen feiner 2lbtoeicf)ung bon ber atfyanaftanifcfyen Stuffaffung als $rr=
leerer berbäd)tigt, ja fogar bor ®aifer unb ^eieb, angetlagt. ®a ibjn in abologetifcfyem
^ntereffe alles baran lag, bureb, fein ©Aftern baS alte SDogma neu gu begrünben unb ju
feftigen gegenüber ben fribolen Angriffen ber fog. Geologen berlangte er bon ber Uni= 30
berfttät Tübingen Srüfung feiner XrinitätStefyre unb entWeber beren 2BtberIegung mit
biblifcr/en ©rünben ober Slnerfennung feiner Stufftellungen als febjiftgemäfj. 5Die StntWort
Tübingens War bie Serteifyung ber tfyeologifefyen SDoftorWürbe im ^afyxt 1775. — U.
loarf ben Geologen feiner ßeit 3)entfaulb,eit bor, Weil fie fieb nid^t mit ben ib,m fo
tüid£)ttgen fragen befaffen Woßten unb erhoffte bon ber 3^""^ ei"e beffere SBürbigung 35
feiner arbeiten. ®iefe Erwartung erfüßte fid). ©enn im borigen ^a^r^unbert liefjen
i§m j. S. Säur unb SDorner alte 3tnerlennung Wiberfab,ren. Seacf;tenSWert ift aud}, ba^
fieb, in ber ©egenWart Tl. £äb,IerS ©arftellung ber ^rinität in feiner „2öiffenfcf)aft ber
cf)riftlict;en Sel)re" (2. Stuft. ©. 315—318) nab,e mit berjenigen VL3 berührt. — Ter
©runb ber Ignorierung Ü.S bureb, feine ßeitgenoffen mag b,aubtfäd;lid; in feiner feb, Wer= 40
fälligen unb unftyftematifcfyen $DarfteHungSWeife gelegen fyabm. SefonberS fein „@rfter
^erfueb," leibet an bieten Sftängeln, WeSt>atb er fbäter fetber babor Warnte, mit beffen
Setture baS ©tubium feines ©fyftemS ^u beginnen.
2)a er fict) in feiner t^eologifc^en ©teüung fo bereinfamt fab, fucb,te er mit ben
wenigen ©leictigefinnten güb^lung ju gewinnen unb fie jum 3"fcmimmfcbJuJ3 ju beran= 45
laffen. ßr blatte noeb, WeitauSfdjauenbe fd^riftftetterifctie Släne, WoHte biefe aber nicb,t
ausführen, ob,ne ber Seacf)tung unb %eilnar)me WenigftenS feiner ©efinnungSgenoffen fid;
berftd^ert ju b,aben. ®arum War er feit bem $at)re 1777 buref) umfaffenbe Äorrefbon=
benj in biefer 9ttd;tung eifrig tf)ätig, jeboeb, oljme (Erfolg. ®a befd;lo^ er burd) 2Bieber=
Belebung alter unb Slnfnübfung neuer berfönlicb,er Sejieb,ungen eine Sereinigung jur bo
Serteibigung ber cr)rtfttict)en 2Saf)rb.eit gu grünben nad; bem Sorbilb ber feit 1698 in
ßnglanb beftefjenben „Soc. for promoting Christian knowdledge", beren forrefbon=
bierenbeS 5Ritglieb er feit 1765 War, unb ber fdjwebifdjien ©efellfd)aft „de fide et
christianisnio" ^m Stuguft 1779 begann er jene Wichtige 16monatlid;e 3Reife, bie bie
©rünbung ber ®eutfcb,en 6b,riftentumSgefeltfct;aft (f. b. 2t.) jur golge r)atte. SiSb^er batte bs
man angenommen, U. fei über 3?orbbeutfcb,lanb nad; ©nglanb gereift unb fjabe gulefet
noeb, bie ©djWeij berührt, Wo er enblid) mit feinem Slan Slnflang gefunben l)ab(. ©aran
ift richtig, ba^ er nad) feiner 9tüdfeb,r auS (Snglanb burd) bie $unbe bon ber ©rünbung
einer „Sieutfdjen ©efellfd)aft ebler, ttjätiger Seförberer reiner £cbjc unb Wahrer ©ott=
fdigfeit" in Safet über ben 9ttif$crfoIg in feinem eigenen §cimatlanbe getröftet »ourbc. ro
340 ürl^erger, 3. 9t.
%fyat\äd)l\<fy begann II., Wie aus ben fyanbfcfmftlicDen 2lften bei erft für&ücfy bollftänbtg
äugänglicb) geworbenen 2trcf;ibS ber beutfcfyen ©fyriftentumSgefellfcr/aft in Safel nun un=
zweifelhaft fyerborgefyt, jene Keife mit bem 33efuct) ber ©djWeij. SBabrfdjeinlicr; berührte
er ©t. ©aHen, ©tein a. Kfyein, ©tfjaffb/aufen unb Söintertfyur, ganj fidler pürier;, Wo er
6 Sabater auffucljen Wollte, aber nicfyt antraf, unb Safel, Wo er bei Pfarrer Qob. Kub.
Surcffyarbt ju ©t. $eter, bem geiftlidjen ©oljm b'2tnnoneS, unb bei anberen $erfönlicr;=
feiten fofort SerftänbniS für fein anliegen fanb. SDie Briefe auS 33afel Waren ib,m auf
feiner ganzen weiteren Keife eine fortmäfyrenbe Quelle beS SlrofteS bei ben unerwarteten
©nttäufdjmngen, bie er befonberS in SDeutfcbJanb erlebte. 3>n SDarmftabt fanb er fo wenig
10 21nflang, bafj er fyeimgefefyrt Wäre, Ratten il>m nict/t Briefe auS Berlin Don Dber=
fonfiftortalrat ©überfrag, mit bem er bereits in Slorrefbonbens ftanb, unb aus SBafel
SJiut gugejprod^en. ©ein 9Jlifserfolg in granffurt beWog tbm, ©eutfd)Ianb borerft über=
fyaubt ben Kücfen gu fel)ren unb eS in ©nglanb mit ber SBerWirflicfyung feines planes
ju berfud;en, Woran er Dörfer gar nie gebaut b,atte. $)aS berftänbniSboIIe @ntgegen=
15 fommen beS beutfdjen Pfarrers Lambert in Sonbon entfcb, äbigte ifm für feine bisherigen
2Ktf$erfoIge. 21m 2Beifmact)tStage 1779 berfünbete Sambert Don ber ^anjel b^erab zur
freubigften Überrafdmng beS antoefenben U. bie ©rünbung einer ©efeEfcljaft nad) beffen
©inn, fo bafs 11. kotier greube nact> SBafel berieten lonnte: ©ottlob! iä) fann ^fynen
jum^rofte fagen: bie ©efellfdjaft ift ba! ,3unäcl>ft W^ U- nur an eine beutfcfye ©efell=
20 fcr)aft gebaut, bie allerbingS aucf; bie SDeutfcfyen im SluSlanb umfaffen foEte, um biefe nicfyt
nur ber reinen Sefyre, fonbern aua) bem SDeutfcfytum ju erhalten, ^n ©nglanb !)offte er
einen englifcb.en gweig grünben ju lönnen unb baburcr) eine große internationale Sßer=
einigung an^uba^nen. SDurcf; biefen ^3Ian mürbe er gu einem ber erften Vertreter beS
2lEian^geban!enS. @r fcfyrieb jubemgwecfe inßonbon eine englifcfjeScljrift: An address
25 to all sincere promoters of the kingdom of God, resident in England etc.
Slußerbem gehörte aud) bie §eranjiefmng lebenbiger ©lieber ber römiftfjen, griecjnfcfjen
unb ruffifcfyen $ird)e mit ju feinem $lan. Slußerorbentliclj merfwürbig erfd)ien ifym in
©nglanb bie 'J^atfac^e, baß tl)m bis $u jenem .ßettbunlt nur auS reformierten £änbern
Vertrauen unb Unterftü|ung ju teil geworben mar. @r freute fidj ungemein über biefe
30 ungeahnte Ausbreitung feiner £jbeen aucb, in ber Hoffnung, baß baburcl; feine näheren
©laubenSgenoffen in ©eutfcljlanb jum SSetteifer angefbomt Würben.
Stuf ber Kücfreife l)ielt er ficb, längere 3^it in §ollanb auf unb fanb bei feiner Kücf=
Ieb,r nac§ SlugSburg im Kooember 1780 bie fctjon erwähnte SRelbung ber @ntfteb,ung
einer ©efeUfcfyaft in SBafel, ber erften auf bem kontinent. ®iefe Äunbe f)ielt ib,n auf=
35 red^t, ba er gleicb.jeitig bie Kadjricb, t Dom iobe SambertS borfanb unb er ben gortbeftanb
ber Sonboner ©efellfdjiaft gefäb^rbet fab,, bie benn aucb, balb barauf einging. 3JUt ber
SaSler ©efeßf^aft, bie ber SRittelbunlt ber in ben folgenben ^a^ren in ber ©d^Weij unb
in $Deutfc6,lanb jab^Ireict; entftef)enben ^ßartiMargefeUfcr/aften Würbe, blieb U. bis in feine
leijten Qfl^re in jeitenWeife au^erorbentlicb, lebhafter ^orrefbonbenj unb liefe fidj burcb, fein
40 „geliebtes Safel", baS er für bie Übernahme ber ßentralleitung ber ©efellfcbaft immer aufs
neue feiner SDanfbarfeit berfic^erte, bie Sendete ber anberen ©efeEfcb,aften jufenben. (Sr
fbracf) eS fofort bei ber Äonftituierung ber ©efellfcbaft aus, bafe er nicfyt baran ben!e,
t£?r §aubt fein ju Wollen. @S genüge ib,m, regelmäßig über ib,re ^E^ätigleit unterrichtet
ju Werben. Kocb, meb^r als feine ^JreieintgfeitSle^re trug ib,m bie ©rünbung feiner ©e=
45 feHfcfyaft ^o^n unb ©bott ein. $a er Würbe, Weil man geheime 2lbficb,ten ba^inter
Witterte, beS ^efuitiSmuS unb ber Freimaurerei berbäc^tigt, unb ein ^Weiter ©emetriuS
genannt, ber mit feinem ©efcljrei ber Slufllärung einen ®amm entgegen fe^en möchte.
©ern ^ätte fid^> 11. Wieber nacb, Sonbon geWanbt, um ba ein ©rjieb,ungSinftitut für
beutfct;e ®inber nafy bem 33orbilb ber 2lnftalten bon 2lug. §erm. granle in §alle ju
50 grünben. @S foßte baju bienen, bie Kacljfommen ber in ©nglanb niebergelaffenen ©eut=
fcljen foWob,! ber reinen 2eb,re als ib,rer Nationalität gu erhalten unb jugleic^ ben @ng=
länbern 2lnfcb,auungSunterricj)t über grünblicb.eS, beutfcfjeS ©rjie^ungSWefen ju geben. @S
fam aber nicfjt gu jener Keife nacb, ©nglanb, WaS H. nic§t nur um feines planes, als
aucb, um feiner felbft Willen bebauerte, ba ib,m baS bortige Mima beffer jugefagt ^ätte,
55 als baS heimatliche.
2lud; bie ©efeUfd)aftSfacl;e nab^m eine anbere Söenbung, als 11. eS erwartet blatte,
ba feine greunbe in Safel unb anberSWo Weniger eine tb/eoretifcfje 3Serteibigung ber reinen
fiebere, als bielmeljr ^raltijc^e SiebeStb^ätigfeit anftrebten. Qn feiner legten größeren
©cf)rift, ben „ßeugniffen ber Söafjrbeit", bie 1786 erfdjüen, fbricb^t er ficb, barüber auS
60 unb bebauert eS, ba| fogar ber Käme ber bon ifym gestifteten „S)eutfc|)en ©efellfcbaft
UrlSperflcr, 3. 3t. 341
tätiger Seförberer reiner Scr)re unb Wahrer ©ottfeligfeit" abgeänbert Würbe (in
„25eutfcb> ©efeltfcfyaft jur Seförberung cb>iftltcr;er 2ßar)rl}eit unb ©ottfeligfeit", fbäter furj
„$eutfcr;e ßr/riftentumSgefellfcfyaft" genannt). £>ie neue ©eftalt ber ©efeßfcfyaft fei feinem
urfbrünglicfyen $lan etgerttlid^ botlfommen entgegen. Slber er tröftet fict) bamit, „bafj ©ott
baS Unternehmen, Wenn e§ nacb) feinem ©inn fei, erhalten unb Weiter führen werbe" 5
%a e§ fei ju koffert, baj? burd) 2lnftalten — er meint Wot/I in erfter Sinie @rjie^ung§=
anftalten — , ber urftorünglicb/e gWecf ber ©efeUfcfyaft nitfjt nur erreicht, fonbern nod)
übertreffen Werbe. @lf ^afyxe fbäter fbricfjt er in einem Briefe fogar in afynunglboller
ÜUeife bon einer „2lnftaIten=$eriobe", bie burcfy göttliche Seitung bei ber ©efettfdjaft
einmal eintreten lönnte. ©ie 93erWirflicr/ung feiner Sieblingltbee, bie ©rünbung einer 10
bortoiegenb Iitterarifä)en ©efettfcfyaft ^ur 33ertetbigung ber geoffenbarten Religion blieb
il)m berfagt. SDafür entwickelte ftct) bie ©eutfcfye 6Ij>riftentum3gefellfcf;aft immer mefyr ju
bem, roaö er felbft als Äanbibat im %at)te 1755 in granffurt geplant fyatte, ju einer
®efeHfd)aft jur Seforberung cfyriftlicfyer Siebe, beren erfter 33erfucf) bie „©efetlfcfyaft ber
guten greunbe" in Safel im ftofyct 1756 geWefen mar. Über alle @nttäufcr)ungen fyob 15
ibn immer Wieber fein glauben£frol)er 2Jcut unb fein faft brobfyetifcfyer 33Itcf l)inWeg unb
liefe ifm ©ro|e§ bon ©ott boffen. ©0 fctjreibt er in feinen „geugniffen ber -Jöabrfyeit"
u. a.: „2öir eilen einer ber größten ijaubtebocfyen entgegen, bie je bie 23eroof)ner be§
Srbbobenl gefeljen unb bie allen Singen auf bemfelben eine neue ©eftalt geben Wirb"
£er §aubtfturm Werbe bie fat!j>olifcr)e $ircr;e treffen, bie ifyren ©influfs auf bie SSölfer 20
berlieren werbe, ©ogar im ©cfyofj ber fatf)olifcr)en $irä)e toerbe e§ tiefgreifenbe £>iffe=
renjen geben, „©elbft Stom unb ^ßapft Werben auf lurje $eit all offenbare geinbe unter
fic^> erfahrnen" Slucfj broteftantifdje Sänber mürben in bie aEgemeine ^Bewegung blnein=
gejogen Werben. 2Benn aber tt)re Dbrigf eiten ba§ 3luff ommen freier Slnftalten all ^ßflang=
ftätten d^rtftltct)er ,3ucr;t begünftigten, mürben tbje Staaten bor bem ©d)limmften bewahrt 25
bleiben. U. fal) boraul, bafj fict; bie religiöfen ©egenfätje in ber ^ufunft immer met)r
berfd)ärfen werben, mar aber geWtfj, bafj ber $err fetner ©emeinbe Werbe jum ©iege
bereifen.
$n ben beiben legten ^afyrjefmten feines SebenS mar U.§ STf)ätigfeit burti) ju=
nefjmenbe förderliche ©cb>äcf/e unb burri) bie ^ränflidjfett feiner ©attin (grau 2lnna geb. 30
Ducr/terlonb) auf allen ©eitert gehemmt. Stuct) lafteten öfonomifdje ©orgen auf ifym, ba
er bei feinen sab^Ireia^en ^ßublifationen (©rabmann füb^rt im „(Meierten ©cfjmaben" 32
größere unb Heinere ©djriften Don ib^m auf) unb auf feiner grofjen Steife jur ©rünbung
ber (E^riftentum^gefeßfc^aft einen beträchtlichen Sleil feinet SSermögenS aufgebraust blatte
unb nun aU @meritu§ in bügelt übler Sage War. ©0 toerbracfyte er bie golgejeit trot3 35
feinen weithin reict;enben SBejiefyungen meift in ftißer gwücfgejogen^eit. ©eine toieber=
leiten fc^laganfaHä^nlicljen ^lö^ltd^en ©rfranlungen b^inberten i|n oft gänjlicb^ an geiftiger
Arbeit. 3Jtit Wunberbarer Energie raffte er fic^ nad) jebem Strant^eitSfaö immer Wieber
auf, um bur$ litterarifcb^e Beiträge in gettfcr/riften unb unermüblicb^e ^ßrtbatforref^onbenj
feine tfyeologifdjett Slnfc^auungen unb bie ©efellfSaftSfac^e ju oerteibigen foWie für be= 40
brängte eoangeltfcfye ©laubenggenoffen einjuftel^en.
©ein brennenbe§ Serlangen, all „Stad^Iomme öfterrei^ifc^er Emigranten etwa! für
bie ebangelif^en ©lauben§genoffen in Dfterretct), 33öl)men unb Ungarn ju tt)un, trieb if»n
bqu, bem ^aifer granj I. (II.) au§ 2lnla§ eine! S8efud)e§ belfelben in 2luglburg im
Sabre 1792 eine £>enffcb>ift ju überreifen, bie ber leutfelige gürft b,ulbt)oltft entgegen 45
nab,m, obfcb^on er jubor ftrengen SBefet)! an feine ^Begleitung erteilt blatte, !eine SittfteHer
jujulaffen. @ine merlwürbige Verfettung günftiger Umftänbe, infolge beren e§ U. bamall
gelang, berfönticb, jum Äaifer 51t gelangen, far) er all eine freunblicfye gügung ©ottef. unb
(Störung feiner ©ebete an. ®iefe Erfahrung ermutigte i^n, auf einer Steife nacb, Öfter=
teid^ im^ab,re 1797 in S3aben bei2Bien eine förmliche 2lubtenj beim ^aifer naa)äufucb;en, 50
bie il)m gnäbigft gewährt Würbe unb Wobei er bie geWünfcfyte Gelegenheit fanb, ficb, mit
bem sJKonarcben über ben ©rnft ber ^eitlage au^ufbrecfyen. Slucb, für bie ©aljburger
Volonte in Slmerifa, über beren ßuftanb er nocb, 1787 eine ©cfyrift Verausgab, War er
tfiätig, folange es ib^m feine abnebmenben Gräfte erlaubten.
6rft Wenige ^af)re bor feinem Sobe ging fein Söunfcb, in ©rfültung, an einem füllen 65
Crt (Cttingen im Sliefe) feinen Suchern unb feiner ßorrcfbonbenj leben ju fönnen. ®ie
Seifen, bie er jtoifcfyenlnnein unternahm, jWeimal nacf) Öftcrretct; unb einmal nacb, §ermbut,
au(f) „nadb, SBernigerobe, Wo er befonberö nab,e greunbe blatte, erfolgten meift auf Slnraten
ber 3trjte unb bienten ib;m jur Pflege berfönlidjer Sejie^ungen. %xo§ feine* fyob, en 3IIter>
unternahm er nod) im Qab,re 1805 eine 9Jeife nacb, (£nglanb, Walirfcfjeinlicf) aua; feiner 60
342 ttrlSperger, g.- 3t. Urt^erger, ©am.
©efunbfyeit toegen, fanb aber nid;t ben getoünfcfyten Erfolg unb ftarb auf ber ÜHüdreife
im greimaurer|oftntaI §u Hamburg am 1. S^ember 1806 finberlog in einem 3Uter bon
78 %afycm.
gor). Slug. U. toar feiner 3^ tt>et± boraulgeeilt unb f/at barum für bie ©egentoart
5 meb,r al<§ blofs fyiftorifcfye 23ebeutung. @r mar einer ber erften, ber bei ber bamal<§ in
©eutfcfylanb fyerrfcfjenben 93erad)tung ber eigenen Nationalität gegen aße£ llnbeutfd^e im
beuifdjen SSolfötum toroteftierte. @r fyätte es gern gefefyen, wenn feine „Seutfct/e ©efe£l=
fcfyaft" burd) il)re 3lu<§breitung auf aufjerbeutfcfye Sänber (toie ©nglanb, §ollanb unb
©cfytoeben) aud) ba<§ Nattonalbetoufstfein ber bortigen SDeutfdjen geftärft t/ätte. 33or allem
10 aber gehört er mit ju ben öafmbrecfyern für bie freie Drganifation jur Pflege religiöfen
Sebeng unb djriftlicfyer 2iebe3tl)ätigleit innerhalb be<§ befte^enben $ird)entum§. @r b^ielt
beim ©inbringen bon grembförbern in bie d)riftlid;e $ird)e, toie ®ei§mu§ unb 9xationa=
Ii§mu§, freitoiöige Bereinigungen lebenbiger Efyriften al§ ba§ jtoedmäfjigfte Mittel, bie
cfyriftlicrje ©emeinfdjaft aufregt ju erhalten. SDafj er barin ricr/tig fab,, fyat bie golge^eit
15 betoiefen. Sei ber Verfolgung biefe§ $toede€ fannte «r leine ©cfyranfen ber Nationalität
ober ber $onf effion mefyr ; ba mar tb/m aHein bie ©tellung ju (Sfyriftug ba§ ©ntfcfyetbenbe.
Stucb, barin toirb er Stecht behalten, bajj ber SöafyrljeiiSgefyalt ber alten SBelenntniffe nidjt
berloren geb/t, toenn er biblifc| neu begrünbet toirb, fonbern nur um fo geller an<§ 2ic$t
tritt unb bafj bie Geologie nie bon einem $unft ber ^ßeribfyerie au§ ba£ Zentrum finben
20 lann, fonbern bafj in ber göttlichen ©elbftoffenbarung ber SRittelpunÜ gegeben ift, Don
too au§ bann bie beribfyertfcfyen fragen iljre £öfung finben toerben. 4?- 9tnfteiit.
ltrläjjerger, ©amuel, §ofbrebiger in Stuttgart, bann ©eniof in 2lug§burg,
geft. 1772. — 2i tt er a t ur : 5Boi)I»erbiente§ (SljrengebäcfytniS be§ |)errn ©amuel llrläfcerger
gefammelt unb herausgegeben oon S0^- ^u9- UrlSperger, 2lug§6urg 1773; (Sammlung
25 Url§öergerfcr;er 3ubelfd)riften, lugäburg 1764; 3. ©. TOeufefg Sejifon 1815, XIV. ©. 213
Bi§ 215; Sotf), (S)efc£)ict)te be§ tircf)entieb§ II, 166—173, 9(bS3 91. üon Jacobs ; populäre
S)arfteHungen: Dr. £. Sftenner, Sebenäbüber au§ ber ^ietiftenjeit, ^Bremen unb Seidig 1886,
@. 332 ff., bort audj Belege ©. VII— IX; 2traxin Stein, Samuel tlrl§t>erger, ®er ^atriarcl)
be§ fübbeutfdjen peti§mu§, £mHe 1899, mit 93enütwng uon Quellen, botf) otjne Angabe bet>
30 felben. — S)er r)anbfcr;vtftlicf|e Sßriefinectjfel ©. ll.§ mit St. ip. 5™"* befinbet ftd) in ber 'itaHenfer
SBatfen^augbibliotfiet, mit ben ©rafen ©totberg=Sßernigerobe u. a. im fürftl. *äxdii\) ju
SSernigerobe a. §., mit bem Pfarrer b'Slnnone nun 3Rutten| bei SSafel im ^riuatbefi|. —
Weitere Quellen finb oermenbet unb genannt in: SSernfjarb Soc^, ©am. UrlSperger unb feine
SiebeSarbeit an ben ©laubenSgenoffen, SSilber au§ 2lug§burg§ firct)IictjeT Vergangenheit
35 ©. 97—140. 9tug§burg, ©d)Iofjer 1906.
©amuel Urlg|3erger, ber 23ater be§ be!annteren ^o^nn 3luguft 11. (f. St.), be§
©tifter§ ber beutfcfyen (St)rtftentum§gefeHfct)aft (f. 31.) intereffiert burcr) fein ©c^icffal am
£>ofe ©bewarb SubroigS bon SBürttemberg toie burd) feine gürforge für bie ©al^burger
unb bö^mifc^en Emigranten. @r tourbe geboren am 31. Stuguft 1685 al§ ©o^n be§
40 fjerjoglicfyen ©tab§bertoalter^ ^u Ätrct)E)etm unter £ecf, al§ Nac^fomme eine§ efyemalS in
Ungarn unb ©teiermarl begüterten, in ber ©egenreformation aber um be€ SBefenntniffe^
toillen auögetoanberten @efct;led)t3. ©ein Silbungögang toar bcr junger begabter
©ctjtoaben: ©tabtfcb,ule, Jtlofter unb Tübinger ©tift. 3JJit 20 Sal)ren tourbe er 3Jtagifter
ber ^fyilofopr/ie, bie ©i^utation b,anbelte bon ber laterna magica ! Stuf ©runb feinet
45 t^eologifc^en @jamen§ tourbe er nochmals in ba€ ©tift, aufgenommen (1707), too er je$t
bie greunbfc^aft ber ©tubiengenoffen 31. 33engel unb Ötinger genofe. ®a3 2öof)IgefalIen
be§ §erjog§ anlä^Iict) einer öffentlichen Di^utation über eine ^olemil be§ Äanjlerg
^äger gegen Sode unb $oiret berfdjaffte ib^m ein grofje§ 3?etfefti^enbium, ba§ ü)n auf
faft 5 Qafyre burcf) £)eutfcr;Ianb, §oßanb unb ©nglanb führte, eine &\t beftimmenber unb
so nachhaltiger @inbrüc!e.
Über ©rlangen, too er in ber 5£odi>ter beö 9tittera!abemiebire!tor§ bon ^äger^berg,
^a!obine ©ob^ie, feine nachmalige ©attin lennen lernte, eilte er nacb, §alle ju 31. §.
grande. ©iefer übergab tt)n feinem eben nac^ ©nglänb ^urücHel)renbeh greunb, bem
§ofbrebiger be§ ^rinjgemabjä ©eorg, 31. 22. Sö^me, beffen fromme, originale $erfön=
55 ItcPeit (Sb,aratteriftil bei Gramer, grancfe II, 58 ff.) auf ben Jüngling entfctjeibenben
(Sinflu^ getoann. 3toar trennte ein heftiger ©eefturm, ber bag ©cfnff an bie fjoHänbifc^e
^üfte surücftoarf unb U. gugleicb, mit ber ^obegnot ben ßrnft aufrichtiger Sefefyrung
bördelt, bie beiben auf ein b,albe§ Qab.r, toäb,renb beffen IL §o!lanb befugte unb in
Utrecht bei ^5ontanug unb Se^befer 93orIefungen über 6occeianifcb,e unb 6artefianifcb,e
60 ©treitigfeiten fyörte; al§ bann 33öi;mc ifm nad; Sonbon rief, um an ©teße be3 beur=
ltvlö^errtcr, ©am. 343
laubtcn 2. ,s>ofbrebigerS 9iubcrti fein Mitarbeiter an ber ^offabeöe unb ber bcutfcfycn
3abot;ftrcr/e ju Werben, folgte U. mit greuben. 2US £>au§genoffe SöfymeS lernte er in
faft awetjäb/rigem 2tufent^alt nicb/t nur Sonbon unb bie Uniberfitäten Drjorb unb (Sambribge
fennen, fonbern mürbe aucb, ju tfyätiger 2TnteiInab;me an bem eben je|t — e§ mar bie
^cit !urj bor 2BI)itefielb unb SßeSleb, — aufblüfyenben braftifcfyen „englifcfyen" 6fc,riften= 5
tum mit ber Stüfyrigleit feiner religious societies herangezogen. Von nidjt geringer
Tragweite foltte e§ für feine güEunft Serben, bafe bie feit 1698 beftefyenbe angefefyene
societas de promovenda cognitione Christi il)n bei feinem 2lbfd}ieb jum auswärtigen
forrefbonbterenben ÜJittglteb erb/ob. 9JJit ertoeitertem S3ttcf unb angeregt für tb/ätigeS
gbriftentum fdneb 11. aus biefer geit „tebenbig unb frä'ftig siefyenber ©nabe" 9Jftt 10
mehreren jungen ©nglänbern lehrte er im $uü 1712 nadb, §aße ju $rancfe jurüd, ber
it>rt jet$t in fein £>auS aufnahm, tfym aucb, Wieberfyolt feine Mangel jur Verfügung [teilte;
als 33orfteb,er beS englifcfyen §aufeS fyielt er Sorlefungen über engUfcb.e ©efcfyicfyte. ^n
bertrautem Umgang mit bem 3J?eifter fnübfie er eine 3Serbinbung für§ Seben, noeb, im
boben 2llter rüjmt er, bafj er mit biefem teuren -Kanne auf befonbere SBeife berbunben 15
geblieben fei. Über §annober, too er am $of ßutritt b/atte, Hamburg, ©tenbal, 2öolfen=
büttel, -Ttfagbeburg, ipalberftabt, Berlin, too er bie alten greunbe ©toenerS befugte, unb
^'eibjig lehrte er im 9JZärg 1713 in bie £>eimat jurüd, um in ©tetten im 9tamStal feine
erfte Pfarrei ju finben.
©cfyWere innere unb äußere Äämbfe Warteten auf ib,n. SDer junge ^er^og ©bewarb 20
Subwig, ber in Treue gegen feine fromme (Srjiefyung fieb) 9ßietiften Wie §ebmger unb
jnoeb/ftetter ju §ofbrebtgem gemäht fyatte, „um mit ib/nen in ben §immel ^u tommen",
war feit bem Tobe ber SOiutter SRagbalena ©ibr/Ke immer meb,r auf franjöfifdje 2IbWege
geraten; auf beren eb/rWürbigen SöitWenfi^e in ©tetten trieb baS ^räulem bon ©räbenitj,
bie 9Mtreffe beS ^erjogS il)r b/errifdjeS ©biet. 2IIS nun 1714 £jocb,ftetter fein 2lmt 20
nieberlegte, Würbe mit ib/rer auSbrücflicfyen 3uf^mmun9 U- hnm $ofbiafonuS unb balb
jum §ofbrebiger unb ^onfiftorialrat in Stuttgart berufen. 3Son bem WeltgeWanbten,
jungen ^rebiger erwartete fie mefyr ÜRacbJicfyt. 3n bvc Tfyat fcfyeint II., fo fefyr er bie
innere Saft biefeS 2lmteS embfanb, nicfjt ben 9Jt"ut jum fräftigen ©lia^eugniS gegen bie
„Sanbberberberm" unb bie Übbigfeit beS §ofeS gefunben ju b)aben. Vergebens fueb/te 30
er burd) eifrige!. SBerben für bie neue SRalabarmiffion and) am §of geiftlicfyeS Seben %a
Wedren. $War gelang eS ib,m ben §erjog gu intereffieren unb eine SanbeSfollefte für
■Üftffion burcbjufe^en, für beren SJurcfyfüfyrung eine Sbmmiffion unter bem SSorfi^ eines
ScbtoagerS ber ©räbeni| eingefe^t Würbe, unb äftiffionar ^iegenbalg fdb,rieb ifjm feb,r
erfreut über ben reichen ©rtrag bon 6000 fl. , aber ba§ 2lrgerniS am §ofe blieb 35
befielen.
ßinen Sßenbebunft in UrläbergerS gSerr)aIten bebeutete — ba§ ift b,eute gegen=
über ben Siebenten Gramer! unb be§ bon ib/tn abhängigen SHttfd^I (©efd^ict/te be3 $ietiS=
muä III, 12 f.) fo gut Wie ficfyer — grancfeS 14tägiger Sefudt) im §aufe be§ ^reunbeS
ju Stuttgart im sJiobember 1717. ®er innerlich) unglüdlid^e §ofbrebiger feb/nte fieb, felbft io
nad) StuSfbracb/e, Wenn er lurj borfyer fd)rieb : „©lauben @uer §0$ Würben nur, ba§ ©ie
einen göttlichen Seruf b}ieber ^u reifen fyaben. ^cb; Weife eS unb bin'g geWife." 5}afe
bie beiben greunbe im Saufe eine! äWeiWödjentücfyen intimen ^Berle^rS eine 2Ju§fbracb,e über
IU ©tettung ju bem Treiben beS §ofe§ bermieben Ratten, ift bei bem ßfyarafter ber
beiben ein unboltjie^barer ©ebanfe, bag ©cb^Weigen beS granefefeben Tagebuchs, ba§ nur 45
eine Unterrebung über ben £>ofbrebiger mit bem ^Sräfibenten Dfianber erwähnt, ftedt
einer tieferen bfr/djologifcfyen Betrachtung eb,er ein argumentum ex silentio füx bie
3lu§fbracbe unb ibje fegen§reict)e SBirfung bar als ba§ ©egenteil; gerabe einem Tagebucb,
jener ^eit enthielt man bie ^ntima mit bewußter 2lbficb;t bor, jumal Wenn fie bie $öfe
betrafen. @ntfcf)eibenb ift (abgefefjen bon bem ßeugniS ber bon mir ©. 103 angebogenen so
^orrebe, in ber 11. noeb) nad) 36 ^afyren bem greunbe für bie ©laubenSftärfung „in
ben bunfelften Reiten feines bamaligen 2lmtlaufeS" aus boCem §e^en banlt), ba| bie
Briefe, bie U. bem „§er£enSbaba" nac§ Ulm, 2lugSburg unb ^cörblingen nacf)fenbet,
(»2)aS ift wafjr, ber ©ieg ift über mein Vermuten ., midt) b)at eS gewattig gefiärfet",
Weitere ©täte f. m. Seitrag !) fo beutlicb; bon einem inneren unb äujjeren Umfcb; Wung, 55
bon U.s fräftigem Zeugnis foWofyl Wie bon Wacb,fenber Verfolgung feitenS beS AofeS unb
i>« -öofbartei reben, bafe eS beS geugniffeS beS jungen ^-ranefe gar nicf)t einmal bebürfte,
ber an feine SRutter fd^reibt, 11. fei burd) ben Umgang mit bem Sater baju ermutigt
Sorben „bon ber 2öat)rr;eit Zeugnis p geben" Db freüicb, bie auS üoeb, ßircbenlieb
(f- oben) in bie meiften 2)arftellungen b;erübergenommenen @injelb,citen, Wie bie 'iprebigt 60
344 Urlgpcrger, ©am.
am Karfreitag, bie barauffolgenbe SDrofyung beS §er$og§, er r/ättc U. am Itebften bon ber
Kantet fyeruntergefdmffen, bte (Sinlerferung, bie I)elbenfyafte @ntfd;eibung ber ©attin, lieber
bte Söitroe eines 9)cärtr;rerS als bie grau eines 33erIeugnerS ßfmfti ju fein, güge, bte
offenbar auf eine münblidje Überlieferung zurüdgefyen, fnftorifd) ober legenbenfyafte* 2IuS=
6 fcfymüdung ftnb, baS §u entfdjieiben mu| ber mobjl $u erroartenben Vereiterung ber biS=
fyer recfyt lügenhaften Duellen überlaffen bleiben. 211S X^atfacb.e fielet feft, mie £>err Dber=
fyofbrebiger Kolb auf ©runb ber Stuttgarter Konftftorialalten beftätigt, bafj U. ©dritte
gegen bie ©räbeni| unternommen b,at, moju er fid) in feinem ©emiffen als 23etcf;tbater
beS §erjog§ berbfltcfytet füllte, baft barauffnn ein KommiffionSberfafyren gegen ib,n ein=
10 geleitet mürbe, beffen (Ergebnis bie 2ImtSentfe|ung mar. (Sin partes ©efcfyid mar eS für
ib,n, bafj er 2 ^aljre lang auS eignen ÜJlitteln unb orme 2Imt in ber ©tabt bleiben
mufjte, tro| mteberr)olter ^nterceffion beS KonftftortumS für fein geachtetes unb gefaxtes
SRttglieb. 2)aS il)m angetane Unrecht l)at U. als SJcann unb Sbnft ofyne Erbitterung
gegen feinen dürften getragen. @rft im ^afjre 1720 miüigte ber $erjog in feine SBe=
15 rufung gum ©tabtbfarrer unb ©bejialfuberintenbenten bon §errenberg. ©cfyon nacfy
2 ^jatyren Iräftigen 2öirIenS mürbe er bor bie eb,renbolle 2öaJ?l gefteHt, ber 9?acb>Iger
feines greunbeS, beS §ofbrebigerS 33öfnne in Sonbon ober ©enior an ber $aubtfircr)e
bei ©t. 2lnna in SlugSburg, $u merben. @r entfdneb fid) rafcb, für SlugSburg, mo ein
Kreis frommer 2lriftoIraten %fyoma$ bon Sauner, bon ©tetten, bon §öSlin, ©uHmamt
20 fid^> um ben befdjeibenen grandefd)üler unb ^äbagogen 9Ji. Stenbe, ben Sefyrer SiScobiuS',
gebilbet blatte. ®od) bem grembling unb ^tetiften U. tourbe ber Eingang in StugSburg
burd) bie Qnfr'Suen eines eiferfüd)tigen SDtafonuS ©djneiber embfinbltcr; erfcr)roert; no$
e^e er einbog, toarb er auf ©runb einiger bon £>ebinger übernommener ©ätje auS feinem
ErbauungSbucb. „£)er Kranfen ©efunbfyeit unb ber ©terbenben Seben" über baS Seben
25 ber ©eligen nadj ben %ob bei bem ebangelifcfyen SRinifterium beS ^BabiSmuS unb
©icf)teIianiSmuS angellagt. 2tuS ben umftänblicfyen Unterfudnmgen, bie 1725 ficb, burd)
einen erneuten Sorftoj? beS $feubonr/muS fieberest $eträuS mieberb,o!ten, ging er glänjenb
gerechtfertigt fyerbor. @r befafj Söeite beS ©eifteS genug, um %a ©unften einer libertas
evangelica in non necessariis nachzugeben. ®ie fettere ©elaffenfyeit beS efyrmürbigen
30 SRanneS, ber übrigens feinen ©tanbjntnft auS 6r/emnit5, ©erwarb unb Srenj grünblia)
barjulegen mufjte, gemann tf>m fogar bie Zuneigung faft beS gefamten SateS. $DerfeIbe
griff energtfd) ein, ber Intrigant ©c^neiber mürbe entlarbt unb auS ber ©tabt gemiefen.
SllS menige ^afyxt barauf gegen eine 2lrt Konbentifel, bie im gufammenfyang mit U.S
(SrbauungSftunben jum ^eil mit geiftlicfjer Seitung, jum ^eil ob,ne fic fid) gebilbet Ratten,
35 im 9tot unb bon ben Kanzeln borgegangen mürbe, genügte faft aEein baS ©eit>icr;t ber
^ßerfönlic^Ieit beS ©eniorS bon ©t. Stnna, um bie neue @rfcr/einung als ber Kirche un=
gefäb,rlto) gu bulben, ja als ein geid^n neuermacb.enben geiftlicb, en SebenS fogar ju bflegen.
^n ruhiger, jäb,er, tiefgrabenber Slrbeit fud)te nun U. feine ©emeinbe im ^rieben ju
bauen. 3Son feinen förnigen auf Selefirung bringenben, bod; bon ber ©d)ab!one freien
40 ^rebigten ging eine tiefe 2Biriung auS; bie ©rmedten fammelte er in fonntäglidjen
SebetttionSftunben; bie SlmtSgenoffen berbanb er \xä) in brüberltdjen ©emeinfd;aftS=
lonferen^en, mit Vorliebe ging er ben manbernben Kaufleuten unb ber ermadjfetten 3"SWD
nad;, mit ^nfbeltor Senbe teilte er ficb, in 2öaifen= unb Slrmenfürforge. 9öaS ber biel=
feitige Sflann in 42jär)ttger §irtentreue jur §ebung beS geiftlid;en unb fittlicfjen SebenS
45 ber ©tabt tfyat, roirb iHuftriert burd; baS Urteil eines fürftlid)en Sefud;erS, StugSburg
erfd^eine if>m mie ein mol)lgebflegter ©arten, ber ©ärtner barinnen aber fei U. ; ber
Nürnberger Kubferfted) er (Sfyriftian bon 9fted)el ruft aus : D glüdfelig 2lugSburg, baS einen
folgen ©amuel b,at!
Slud; bie gefamte ebangeltfd^e Söelt foKte biefem Spanne berbflio^tet merben. ©cb^on
bo feit feiner Sonboner $z\t lebte in il)m bie greube am §anbeln für meitgreifenbe 9ieicb,=
gotteSauf gaben. SIlS nun im 20 tnter 1731 ber Salzburg er ©rjbifc^of Seobolb Stnton
bon girmian feine ebangelifc^en Untertanen burd? baS gefe^mibrtge SmigrationSbatent
bertrieb, ba gab 11. burcb. feine energifcfie, merltb^ätige Siebe baS rechte Seifbiel, mie man
ficb, ju biefen bebrängten ©laubenSgenoffen ju fteßen fyabe. 21IS mit bem 31. ©egember
55 1731 bie ®urd)äüge burd; StugSburg begannen unb bie latfjjolifdje Dbbofition fogleid;
mit ber Sorfberre einfette, mad)te er nicb,t nur bie fyetmifcfye Siebe in $rebigt, Koßeften,
glugfd;riften unb meitberjmetgter Korrefbonbenj mobil, fonbern manbte fi(| lurj entfdjloffen
aucb, an feine englifdjen greunbe. ®ie fofort gefanbten 20000 fl. ber societas de
prom. cogn. Chr. bilbeten ben ©runbftod ju ber auS aßer Söelt gefbeiften §ilfs!affe
60 U.S für bie ©migrantennöte jeber Slrt. ^unberttaufenbe gingen für bie bertriebenen
UdSpergcv, ©am. 345
galjburger, Sbljmcn, ^polen, für bte 2tnfiebler in Sittauen unb 9Jorbamerifa burd; feine
•öanb. 2lud) für bie bäntfd^=£>alliyd^e 9Jtiffion unb ©d&ulfcS Slrbeit unter ben ^uben
fammelte er. $n Dielen ©täbten 2)eutfd)Ianb§ I)atte er Vertraute Agenten, bie JoHeftierten
unb ba§ ^ntereffe an ben Emigranten toacb, erhielten, tote Sftefcb, in Sinbau, b'2tnnone
in SKutten^ bei SBafel, f^reycmug in $ranffurt, außerbem greunbe in Nürnberg, Wo er 5
ut feiner großen greube ben alten $ob,. ©djaitberger Wieber entbedte unb burd; eine ©d)rift
auf ben ©d)ilb f)ob, in §annober, Stuttgart, Berlin, 2öernigerobe, Wo fid; burdj einen
Sctoager mit bem ©räflidjen §aufe auf ©runb ber gemeinfamen ^ntereffen balb ein
inniges unb für U.§ $eicf)$gotte<^toede nü|Iid)eä greunbfcfyaftSbanb fttübfte. 9Jiit biblo=
matifdjem ©efdjid benutzte er feine Weitreic|enben 33ejiel)ungen ju ben £>öfen bon ©tutt= 10
gart, £>annober, SJledlenburg, bor altem SBernigerobe unb Kopenhagen, um, meift in
perfönltdjer Korrefbonbeng mit ^rinjeffinnen, Vorteile für bie Emigranten burcbjufe^en ;
gelang e§ it)m bodj, nid)t nur auf bie Könige bon SDänemarf unb Preußen bureb, ben
©rafen Sfyriftian Ernft bon Söernigerobe Einfluß ju gewinnen, aud) in Söien beim
Äaifer mürben mit §itfe ber ©eneralftaaten 23orftettungen gemalt, bie nid>t ofyne 3Btr= 15
fung blieben. (Sine Steigerung feiner Emigrantenfürforge bebeutete e§, baß bie bt;ilan=
tropifde ©efeltfcfyaft ber trustees itm ju ifyrem 23ertrauen3mann unb Agenten berief,
aß e3 fieb, barum fjanbelte, „gefunbe, fromme, arbeitfame" ©aljburger in ber bom ©eneral
Dgletfyorbe geleiteten Kolonie ©t. ©eorgien in ^ennfbjbanten anjufiebeln. U. beforgte
bie ©etoinnung unb 2tu£rüftung ber Seute h\ä ins einseifte ; er felbft ftetlte mehrere 20
;£ran3borte jufammen unb gab üjmen jebe§ma( einen erfahrenen Geologen gur güfyrung
unb geiftUcfyen Seitung mit. Übertäubt lag ifym atteS an ber redeten 9Jliffion§arbeit an
jenen biebern, in ifyren ebangelifcfyen Stnfcfyauungen oft red)t bertoitberten neuen ©Iauben3=
genoffen. Er felbft brebigte tfmen, fo oft fid) (Gelegenheit bot, richtete für bie 3)urd;=
jieljenben unb gurüdbleibenben *mm regelmäßigen Katedjetenbienft ein , mit großer 25
©etoiffenl)aftigfeit mahlte er ben amerifanifdjen Koloniften il)re frommen unb braftifdjen
^rebiger 95oI^tu§, ©ronau unb Semfe au§ §aEe, unb blieb bureb, eine rege Korrefbon=
benj mit biefen unb bieten einzelnen ©aljburgern, bie bureb, fein §au§ gegangen Waren,
in beftänbiger §üt)lung. ©0 gebiet unter feiner Oberleitung Ebenerer, Wie er bie ©rün=
bung nannte, ju einer ^ßflanjftätte ebangetifcfyen ©tauben^ unb beutfd;en gleißet unb 30
mürbe ein Widriger galtor im religiöfen unb fulturetten Seben ber neuen 2Mt (fiefye
#r. Stxnolb, ®ie ©qljburger in 2lmerifa, $al)rbud; ber ©efettfefjaft für bie ©efcfyidjte be§
$roteftanti§mu£ in Dfterreid) XXV. 9Bien 1904). %u§ feinem ftarfen feelforgerifd^en
Qntereffe an feinen ©algburgern b,erau§ fam er in einen rüdb,aItIo§ fdjarfen ©egenfa|
su bem ©rafen .ßin^nborf, ber in jener 3eit nadjbrüdlicfjft fid} ber Emigranten annahm 35
unb nid>t menige 3tnftrengungen mad)te, in SBernigerobe, ^o|ienb,agen unb Sonbon fid)
unb feine <&a<fye in ©unft ju bringen. U., ber einen milben allem ©jtrabaganten ab-
polten 5pietigmu§ bertrat unb ber $ird)e bienen toollte, fie^t im §errnb,utertum nur einen
läftigen unlauteren Konkurrenten, gaft fein 93rtef geb,t nad» Söernigerobe ober ju
bJJlnnone nad; 33afel ob,ne eine efyrlidje ^otneSaufmaHung gegen bie „neue SRobe", bie 40
celtiererei, bie bie arme Kirche jerftören toerbe, gegen biefeS „Übel, bem man auf eine
etocmgelifdje SSeife fteuern" muffe. $u feinem tiefen ©d;merj lann U. e§ nid;t b,inbern,
baß bie §erml)uter in ©eorgien bie -Jtacfybara feiner ©aljburger ©benejergemeinbe werben
unb bort, mie er e§ auffaßte, große Konfufion anrichteten. ®ie ©orge um Ebenerer,
über ba3 fieb, fo manche Söettertoolfen Wie ber englifcb=franjöfifd;e Krieg, bie ©Ilabenfrage 45
jufammenjogen, toarf einen ©chatten auf bie legten 2eben§jal)re be§ berbienten 9Jlanneg,
toenn ib,m aud? ber ©d)merj über ben faft böÖigen sJiiebergang beö SBerleS, ben ber
Sobn erleben mußte, erfbart blieb, ©ein 2llter Warb frieblicfy berflärt burd) bie aH=
gemeine Siebe unb Sßerefyrung, bie er in feinen beiben ©emeinben in Slug^burg unb in
Slmerifa, wo man ifjn Wie einen Sßater fd)ä|tc, in reifem 9Kaße genoß, Wa3 bei feinem 60
60jäf)rigen 2lmt§= unb Ehejubiläum in über^eugenber SSeife jum 2Iu§brud fam. ®a§
^äu^liclje ©lud Würbe getrübt burd) ben frühen SSerluft bon bier Knaben unb ben frühen
Job breier ^ocfytermänner, bod; War ber einige überlebenbe ©ob,n ^ob,ann 2luguft fein
in be§ 3Sater§ ©eift Wirfenber 3Racf)foIger in ber A'ürforge für Ebenerer, feine 2lugen=
toeibe in ben %aq,tn be§ 2Hter§, ate ba§ Einbringen beö englifcfyen ©eiSmu§ in bie 65
beutfa> Ideologie unb bie ^errfdiaft be3 9{ationatigmug auf ben Kanzln ben el)rWürbigen
3,e"gen au§ ©benerö unb ^randeg ßeit mit trüben ©ebanfen erfüllte. ^ad)bem er 1764
Kitie ÜÜmter niebergelegt, beenbete er nad) einem fcb,önen otium cum dignitate am
Cfterfonntag 1772 ^u Slugöburg fein arbeitlreicbeg Seben.
©tt^riftftellerifd) f>at fid) Ü. außer in feinen „au§fül;rlid;cn 9laa)rid;ten" über bie 60
346 UrlSpergcr, ©am. UrftnuS, ©egen^apft
Kolonie (Ebenerer unb bem jäteten „amerifanifcf/en SWerroert1", bie jufammen über
6000 Cuartfeiten umfaffen unb b/eute noeb, ein fulturbtftorifdjeg SDenfmal finb, nur in
agletifcfyer 5Rid^>tung betätigt, ©ein obengenanntes, ju ben „alten Sröftern" geljörenbeg
©rbauunggbud) fyat eine roeite Verbreitung gefunben, eg enthält bftyctrologifd) tiefe 93e=
5 tracr/tungen unb fraftbotte ©ebete bon großer ©cfyonbeit. ©eine btelfacb, gebrudten
^ßrebigten berraten ein orginaleg ©djötofen aug ber ©d)rtft, babei eine bon ber ©djablone
beg norbbeutfeben Vieiigmug freie SBeife, ben (grnft ber 33e!eb,rung unb bie §errlid)leit
ber ©aben ©otteg an bie $erjen heranzubringen (groben bei Dtenner, ©. 361 ff.).
(Einige feiner geiftlid)en Sieber f/aben in Stmppä Sieberfcfyaij 2lufnal)me gefunben.
10 ©amuel U. ift eine batriardjalifcb milbe, babei fraftbotte ©eftalt beg fübbeutfd)en
Vtettgmug, tote fie ftd) aug einer glüdlid;en 9ERifcb,ung ©benerfdp -Kilbe, I)aIIenfifc|er
@ntfd>tebenl)eit unb englifd)er 5EI)atfraft ergab, bei tiefer Qnnerlicfyfeit mit einer toobJ=
tfwenben 2öeite beg Vlideg für bie ©elegenb/eiten, bie ©ott barreidjte, in einer geit, reo
man in ber @nge fieb befyaglicb, füllte. SDurcb, feine ba^nmac^enbe Slrbeit an ben @mi=
15 granten b,at er Slnteil an allen fegengretdjen ^ulturfolgen biefer Sßeroegung, bureb, feinen
bag gefamte Seben feiner ©emeinbe in Stuggburg burcfybringenben unb bflegenben |>irten=
bienft ift er ein SBegroeifer audb, für heutige Aufgaben in ber föirdje geworben, tote ftd)
in ber %fyat nict)t toenige 2lnfä£e ju ben berfdjtebenen .ßroetgen ber unter ung geübten
fird)ltd)en Siebegtr/ätigfeit, roie ©uftab 2lboIf=Vereingarbeit, ^ugenbfürforge, ©emeinfd)aftg=
20 pflege u. bgl. bei tr)m ftnben. @g ift rool)I nidjt guüiel gefagt, roenn ber ©oljm bon bem
Vater rüb,mt: 2ln il)m ftarb ein wahrer großer 9ftann, man mag bieg 2öort im natür=
liefen, bolittfd)en ober getftlid)en Verftanbe nehmen. äSernJjarb ®ocfj.
ttrfaciuS, S3tfd)of f. b. 3t. Slrianigmug Vb II ©. 33,24.
ttrftnuS (fälfd)ltcb, and) Urftcinug genannt), ©egenbabft »on ©amafugl.,
25 geft. nadb, 385. — Sie tt)icf)ttgften Sofumente gefammelt in Collectio Avellana N. 1—13 ed.
©üntfjer, CSEL35, 1, aufjerbetn Mansi III, 621 f. 624—629; Hieronymus chronicon ad a.
Abr. 2382; Eufinus hist. eccl. XI (II), 10; Liber Pontific. ed. SudjeSne I, 212 ff.; Am-
mianus Marcell. XXVII, 3, ll— 13, 9,9. teuere Sttteratur f. Bei b. 3lrt. 3)amafu§ (IV,
429), ber auef) fonft ju üergieid)en ift.
30 9cad) bem %obe beg römifd)en Vifdjiofg Siberiug (24. ©ebt. 366) rourbe ber römifd)e
©iur)l ©egenftanb heftiger kämpfe. Sie eine Partei h>äl)Ite ben SDtalon Urfinug, bie
anbere ben SDamafug, ebenfalls einen ®ia!onen beg SiberiuS. Veibe Parteien beraubten,
bafj if)r ^anbibat ber früher geroäb/lte fei; aber bie jroeifellofe 'jEfyatfacfye, baf$ bie Drbi=
nation beg Urftnug nur bon einem Vtfd/of, Vaulug bon %\büx, boßjogen toorben ift,
35 roäfyrenb bem ®amafu£ fold) ein 3Serfto^ gegen bie ®anone€ nic^t nacb,gefagt roirb,
fbriebt bafür, bafe UrfinuS eb,er auf bem $Ia£e mar. STßir bürfen für ib,n al$ SEag ber
2öeif)e ben 24. ©ebtember annehmen, für 3)amafu§ ben näcb,ften ©onntag, 1. Dltober 366.
Urftnug bai*e bie basilica Julii (bas. Sicinini bei §ieront;mug, 3^uftn unb Slmmian)
jenfeits be§ Stiber befe^t; bei einem Serfud) be§ ©arnafug, ib,n gemaltfam bon bort ju
40 bertreiben, lam e§ ju blutigen ©trafsenfambfen. %tyt griffen bie ^ßräfeften ein; als
Vertreter ber Majorität rourbe ©amafuS beborjugt unb Urftnu§ mit jmei ©ialonen in§
@EtI gefdnett. Slber feine Sln^änger blieben jurüd"; fieben t^m getreue $re§b^ter breiten
in ber basilica Liberii i^re ©otte^bienfte ab. $Da erftürmten am 26. Dftober 366 bie
bamafianifeben Motten bie Vafilifa, e§ gab ein furchtbares Vlutbergiefeen, bon 137 Seiten
45 toeife Slmmian. ©leicfymob,! rourbe ber griebe nid) t tjergefteftt unb bie Urfinu^Ieute fuhren
fort in ber basilica Liberii um ib,r Sfted) t gxt beten ; fie berlangten, ba| ber Äaifer eine
©^nobe jur ©ntfcfyeibung einberiefe. 2llä Valentinian eine Serufyigung eingetreten glaubte,
geftattete er (Coli. Avell. 5Rr. 5) bie ^ücHe^r be§ Urfinu§ nacb, 9bm, aber nur bom
15. ©ebtember big 16. 9iobember 367 bauerte biefer Slufentl) alt ; toeil bieDrbnung in ber
so ©tabt emfiüdf) gefäb,rbet mar, rourbe er mit feinen ^lerifern roieberum berbannt unb bie
basilica Sicinini auf latf erliefe Verfügung (Coli. Avell. 6) bem ©amafug auggeliefert;
fein Slnfyang fyielt fortan in ben Gbmeterien feine ©ottegbienfte ob,ne ©eiftlid)e ah. @g
roar bag Verbienft beg neuen ©tabtbräfeften ^raetejtatug, roenn fo für eine 2öetle
iöenigfteng nacb, aufeen „tiefe 9lul)e" bur^gefe|t friert. Unter bem 12. ^amtar 368 legt
55 ber ^aifer fein frü^ereg @bift babin aug (Coli. Avell. 7), baf? bie Urfinugfleriler ftd) it)ren
Stufentb^altgort frei roäblen bürften, nur 9iom ju meiben bitten; roieber einige 9Ronate
fbäter roirb aueb, bie Umgegenb bon 9iom big ^um 20. SSJJeilenftein ben Unrub,eftiftern
berfcfiloffen; feine religiöfe Verfammlung beg populus dissentiens barf in biefem Umlreife
UrfinuS, ©egcit^ft 347
gebulbet werben (Coli. Avell. 8. 9). ®er ©rfolg beS ^räfeften DItybriuS (10) in ber
Untcrbrücfung ber Tumultuanten mar borübergefyenb ; feinem sJtacbfolger 2(mbeliuS mtrb,
jtjo^I im 3abre 371, bie $fltd)t, diom unb bie fuburbifartfcfyen ©ebiete bon UrfinuS
unb ben „©enoffen feinet $rrtumS" — act)t Don ifmen lernen mir f)ier mit tarnen fennen
— freizuhalten, ftreng eingefd)ärft, nebenbei freiließ mitgeteilt, baf? UrfinuS nict)t mefyr an 5
bem einen $Ia£ in ©aHien, mobin man ib,n juerft gefebieft f>abe, ftill ju fitjen brauche
(11. 12). Offenbar liegt ber Regierung ungemein biet baran, jebe entbebrlicbe Strenge
gegen einen angefeb,enen $irct)enmann ju bermeiben. greilicb. eine römifcfje ©imobe Don
378 (Mansi III, 625 f.) banft jmar ben ^aifern bafür, baf? bem legitimen S3ifct)of bon
9iom, ©amafuS, bie ©ntfdjeibung über bie ©tltigleit ber Ordination in feinem ©brengel 10
übertoiefen fei, geigt fieb, aber feb/r beunruhigt bureb, bie immer erneuten 2Jerfud)e ber bon
UrfinuS gemeinten ©eiftlicfyen, fiel) einjubrängen ; einer bon ber Partei, Sfaac, ein be=
febrter unb roieber rückfälliger Qube, t)at ben ©arnafuS eines $abitalberbrect)enS befclmlbigt.
3toar ift ©amafuS freigefbroefien unb ^faac gebüfyrenb beftraft morben, aber bie ©orge
bor neuen Slänfen mirb man in 9tom nict)t log. £)er föaifer (13) antmortet noeb. bor 15
Cjnbe 378, baß bon $faac fieser niemanb met)r etmaS ju fürchten b,abe; UrfinuS fei
längft in $öln interniert, unb feine Sitten, freikommen, mürben niebt gebort merben;
innerhalb beS 100. 9fteitenfteinS um 9fom mürbe feine ,3ufammenfunft ber griebenS=
ftörcr gebulbet. Quietum nihil esse patitur, Hagt aufS neue bie ©fynobe bon 2lquileja
Sebtember 381 über UrfinuS unb meifj ben $aifern bon Söüfylereten ju berieten, bie er 20
bureb Briefe unb ifym ergebene ^ßerfonen in SRom anftifte. ©elbft als im 'sDejember 384
"JamafuS ftirbt, fürchtet man am §of einen neuen SBorftofj beS Verbannten ; um fo leb=
baftere greube bezeugt man barüber (Coli. Avell. 4), bafs bei ber 2öal)l beS ©iriciuS
baS römifetje SSolf bem UrfinuS eine unjmetbeutige Slbfage erteilt f)at. Serblet fyai
atfo UrfinuS auf ben römifeben ©biffobat niemals ; er mirb mobj balb nacb 385 geftorben 25
fein; bie 9cad)ricbt beS Liber pontificalis, er f)abe jur @ntfct)äbigung für 9iom ben
Stuhl bon 9ceabel erhalten, ift offenbar ber ©efcrjtcbte beS ©egenbabfteS SaurentiuS nacl)=
gebilbet.
SBenn ber libellus preeum, ben bie $riefter gauftinuS unb SftarcellinuS etroa ju
Anfang 384 bem ;XI)eobofiuS überreizten, ©timmen auS bem urftnifdjien Sager mieber= 30
gäbe, fo befäfjen mir eine tiefere fachliche @rllärung für bieS ©cbiSma. ®ann märe
£amafuS ber Äanbibat ber griebenSpartei gemefen, bie buret) bie Slufnafyme aller ^lerüer
beg gelir. ju gleichen Stecbtcn mit benen beS SiberiuS in 9iom fiel; bereits ju CSnbe 365
als bie mäcbiigfte ertüiefen fyatte: UrfinuS mürbe bie SDtinberbeit rebräfentieren, bie gegen
folcbe ^onjeffion an.StreuIofe unb §äretiler unbebingten ^ßroteft erl>ob. 2lber jene §tybo= 35
tfiefe eines fonft unbelannten 5RebaltorS bon ®ofumenten gur ^abftgefebic^te, mie fie in
bem Scbluf^fatj binier %lv. 1 ber Coli. Avell. (p. 5, 1—6) ausgebrochen ift, entbehrt
jebeS 2lnf>altS in bem libellus. ©eine 23erfaffer finb ftrengeSuciferianer; unb 5[Ränner,
bie felbft baS 35erbaltcn beS §i!ariuS bon ^oitierS febroff tabeln, rönnen nicf)t bie eebten
3Jacr)folger beS SiberiuS fein mollen, beS 33ifct)ofS, bon bem bocr) fogar bie ib,m fo günftig 40
gefinnten gesta (Coli. Avell. p. 2, 7) nocl) einräumen : manus perfidiae dederat.
^ene gesta ftellen UrfinuS als ben ^anbibaten ber SibcriuStreuen, SDamafuS als ben
ber Äleriler bin, bie erft bem SiberiuS bei feiner Verbannung emige breite gefct)moren,
alsbalb aber ^elij für ibn jum 33ifct)of gemäblt Ratten; ®amafuS fei einer bon biefen
Weineibigen gemefen. 3lun braucht man mobl bie 2!t)atfacr)e niebt ju bejmeifeln, ba^ 45
UrfinuS nie mit gelir. balliert batte unb barauf feine b.ö^)eren 2lnfbrüd)e grünbete. 2lbcr
einen ^rieben, ben SiberiuS gutgeheißen batte, im Flamen beS SiberiuS gu brechen, ift
auet) eine fonberbare ^reue: ber UrfinuS als 9tacr)foIger beS SiberiuS ift cbenfo eine
tenbenjiöfe giltion mie ber £)amafuS als ?iacb,foIger beS gelir. (Coli. Avell. 1 p. 2,
21—23). ^n fragen ber 9tec£)tgläubigieit merben bie beiben gteidt) geftanben l)aben;60
benn obfebon bie ©tonobe ju Slquileja (Mansi III, 621) ben UrfinuS beS SiebeSmerbenS
um bie g-reunbfebaft beS 2lrianerS SSalenS (bon SJJurfa) bejiebtigt (bgl. Hieron. ep.
lö, 4), giebt fie ,^u, baß er fiel) offen in bie Sßerfammlungen ber Slrianer niebt babe bc=
geben bürfen, alfo ftreng auf feine nieäntfebe Drtbobojie gebalten t)at. ®er §cibe 2lm=
mianuS 9JJarc. mirb 9?ecbt bebalten, toenn er jenes ©dnSma mit feinen ©reuein auf ßbr= 65
geij unb äbnltcbc Seibenfcbaften gurüdfübrt. ©ct)lagmorte, bie bei ber 9)lenge erbi^enb
mirlen, finb nad) ^n^ Se'r/ ^h bie ber 3ieligionSfämbfe unter ^onftantiuS, leiebt ge=
funben.
©ennabiuS vir. 111. 27 nennt einen UrfinuS unter ben ©cbriftftellern beS 4. $abr=
bunberts. (i-r b^be gegen bie §äretifer gefebrieben, bie eine Mebcrtaufe bcrlangen, mo wj
348 ItrfimtS, ©egenWft ItrfumS, £acf;ar.
bie §anbauflegung be§ latfyotifdjen $ßriefter<§ nad) einem Ilaren 33elenntni§ ju ßfyriftug
unb ber t)I. %x\nität genüge. $d) be^toeifle nicfyt, bafc ©ennabiug an unfern UrftnuS
benft, fcfyon toeil er ir)m ben $la| hinter bem guben Sfaac antoeift, unb »Denn gar ftatt
be§ 33eitoorte§ homo Romanus ba§ monachus ber älteren 2lu§gaben ju 9tecr)t beftänbe,
5 fo tourbe ber ©egenfa£ jtotf^en UrfinnS unb ©amafuS leicht »erftänblid) : Urftnuä
Sßortfüfyrer ber neuen ^bncf/Sfrömmigfeit, ®amafu3 be§ toeltfb'rmigen ^irdjentumg. ^n=
be§ ^ieronfymuS unb 9tufinu3, biefe Slfcoftel ber Söüftenfyeiligfeit, finb bem llrfmuS fo
übel gefinnt tote möglicr)! ®er JDtöncr) UrfinuS berbanlt feine ©jiften^ bb^fttoal>rfcfyem=
lieb, einer fd)lecr)ten üonjeftur. Siliere ©eleb/rte, barunter ein ©tetol). Salute, b)aben bie
10 ©treitfct)rift unfer§ Urfinu§ in bem bfeuboctyfcrianifcfyett STraftat de rebaptismate toieber=
erfannt, ben bie 3ftobernen einmütig tn§ 3. ^afyrfyunbert »erlegen. 2)a3 geugniä »on
brei §anbfct)riften (ober blofj einer?), bie einen UrfinuS als Slutor bejeidmet r)aben, fällt
nicfyt in§ ©etoicb;:, toeil ba toar)rfct;einlicr; eine gelehrte 3lanbnotij au£ ©emtabiu<§ »orliegt ;
icb, bejtoeifle nietjt, bafc ©ennabiug jenen Straftat, ben toir unter (Styfcriang ©Triften lefen,
15 gemeint r)at. ©elbft toenn t)ter eine grobe 33ertoecf/felung aufjer allem gtoeifel ftänbe,
würbe ©enn. c. 27 boct) nod) nicfyt toertlo§, benn ba toir einen Suciferianer lennen, ben
©ialonen §üariu§, ber in 5ftom jur fttit be§ llrfinuS bie gorberung ber SBiebertaufe
für alle Don Strianern ©etauften fteHte (f. b. 31. §ilariu§, röm. SDtaf. VIII, 67), fo fann
©ennabiuo boeb, tooblunterricfytet getoefen fein, toenn er ben Urfinu§ gegen bie !grrler)re
20 ber Söiebertäufer fdjreiben läfjt; unb e§ ift bann eine eigentümliche Qronie be§ ©cfyicffal<o,
bie über ben faiferlidjen 93rtef oon @nbe 378 (Coli. Avell. Sffc. 13, p. 54, 15) bie Über=
fct)rift De rebaptizatoribus gefe|t b,at. ®enn bierbureb, toirb UrfinuS, bon bem ba§
Sbift in erfter Sinie b,anbelt, mit bem Slfrilaner 6Iaubianu§, ber aHerbing§ jenen tarnen
berbiente, bei einer §ärefie untergebracht, bie er btelmeb/r nact) Gräften befämbft b)at.
25 9tb. Sülidjer.
UrjtttUS, gact/ariaS, geft. 1583. — SR. Slbam, Vitae German. Theol. Heidelb.
1620, p. 529—542; ft. ©ubljoff, f . DIeüianuS unb ß. Urfinug, (Stberfelb 1857; ©tuet, ©rato
oon (Srafftbeim unb feine greunbe, granffurt a. m. 1860, 2 S3be; berf. in ber 1. Stuft. biefeS
3Berte§; £>ang 9tott, SSriefe beg £>eibelberger SCIjeoIogen 3ncb- tirfütug aug £jeibetberg unb
30 ^euftabt a. £. in ben §eibeI6. 9Jeuen 3a^r6üd)ern 3o^rg. 14, §eft I, 39—172, §eibeI6erg
1905. 9tuc() in ben „Sfyeologtfcfjett Sirbetten au§ bem rtjetnifc^en eoanget. $rebiger=3Serein",
§eft 8/9 unb 12 teerben oerfrfjtebene SSriefe lt.§ mitgeteilt. — Sürjere S3iograp£)ten Ijaben
1862 W. ©obel in feiner ©efetj. be§ cbriftl. Sebeng je. I, 393 ff., 1863 £unbeSl)agen in 5)5iper§
(Süanget. Äatenber unb 1880 Q. Serie in ben üun bem eu. SSeretu ber ?ßfatg herausgegebenen
35 „pfölsifdjen ^Reformatoren" unb Stnbere gefctjrieben. Stufjerbem finb bie betannten 2Ber!e jur
pfätgifcfcjeu 3?eformation§gefrf)icl)te oon 9Uttng, (Struoe, SSunbt, (Seifen, Ätuctbobn ?c. ju üer=
gteieben. Stucb einige fjanbfdjrtftlicfje SJoti^en finb in naebftebenbem Strtitet tierlcertet. — ©einen
litteravifctjen ÜRacblafi empfahl lt. feinem ©ctjüler «nb greunbe 3ob- Sungnig, weteber juerft
feine lateinifdjen ©ctjriften b^rauggab. 5)er erfte 33anb berfeiben erfrf)ien 1581 in9?euftabta.§.
40 Bei ^arnifcb unb in neuer Stuggabe 1587 (Zach. Ursini volumen Tractationum Theo-
logicarum. Neostad. Pal. 1587, 701 ©. got.). (Sin gföeiter Sonb folgte 1589 (ebenba
652 <B. got). Söeibe S3cinbe mürben im tarnen beg binterlaffeneu {(einen ©obneg 11.3, 3o=
banneg, bem ^3fat§grafeu gob- Saftmir gemibmet. 3"ngnt^ beforgte aud) eine üortreffliebe
Sluggabe beg fieibetberger ^atecbi§mu§, tneltbe mit einigen beutfeben ©cbrtften ll.g 1584 unb
45 1592 in 9ceuftabt erfdjien, foioie 1586 eine fold)e feiner SSortefungen über 2lrtftoteIe§ Drgonon
unb 1585 unb 1590 neue Stuftagen beg „©rünbtieben S3erid)tg". S)te oon lt. in ber ©apieng
mit ben ©cbülera angeftettten Hebungen würben 1589 unb 1590 unter bem Sitet: „Medita-
tiones in materiis theologiae scholasticae" in gtuei SSönben neu berauggegeben. Stug It.g
bintertaffenen ©ctjriften ftedte fein ©d)üler ®aoib ^areug mit grofjer Sorgfalt einen Kommentar
50 ju bem ^eibelberger Satedjigmug t)er, ber unter bem Sitet: „Explicationes catecheticae"
juerft 1591 erfcfjien unb feit 1598 atg „Corpus doctrinae christ." gacjtretcrje neue Stuflagen
erfuhr (ogt. ben St. $areu§ S3b XIV @. 688). gtne ©efamtauggabe ber SSerte ll.g oeran=
ftattete uon 1612 an fein ©d)üter Quirinug 9?euter in brei gotiobänben.
U. tourbe ben 18. ^uli 1534 in Sreglau geboren, ©ein SSater, £a§toar (ntdjt
55 SCnbrea3) Seer, ftammte au§ S^euftabt in Öfterreict;, blatte in SBien ftubiert unb toar
1528 nacb^ 33re§lau gelommen, too er Informator mebrerer junger ^atrijier tourbe, fia)
ba<3 Vertrauen ftertoorragenber gamilien ertoarb, fbäter al§ ®ialon ober „Sluöteiler be§
gemeinen 3llmofen§" in ben ©ienft ber ©tabt trat unb Don 3Roibanu§ auc^ ju ^ßrebigten
|erangejogen tourbe. ^m ^af>re 1533 »erheiratete fieb, ^aöbar, ber feinen gamilien=
60 namen in llrfinuä umgetoanbelt blatte, mit Slnna 3*rotb^e, ber i:od;ter einer angefebenen
Sre§Iauer gamilie, blieb aber bi§ ju feinem £obe in bürftigen, ja brücfenben 3Serbält=
niffen. 5?rän!Iict)leit unb anbere bäu^licfye 5£rübfal, fotoie ein §ang jur ©c^toermut, ber
UrftniiS, Madjar. 349
bei bem Leiter fid) geigte, madjte aufy bte ^jugenb beS ©ol)neS gu einer fvcublofert unb
erjeugte bei ,3<*<Wa§ ftü^>e einen ©ruft ber SebenSauffaffung, ber iljn in feinem gangen
2eben nicfyt »erliefe unb in fbäteren ^ab,ren gu ausgekrochener SJMancrjolte tourbe. —
3tuf ber unter ber Seitung SlnbrcaS SGStnlterö ftefyenben (Slifabetfyfdmle grünblid) bor=
gebilbet, fomtte gadjariaS bereits in feinem 16. SebenSjaljire bie Uniberfität begießen. @r 5
ging nacb, 9Bittenberg unb tourbe t/ier am 30. Slbril 1550 immatriMtert. 23on feinem
SanbSmanne 3°^- älurifaber tourbe er Wdanfyfyon borgeftettt unb bon biefem, nacfybem
er einen bon U. angefertigten lateimfcfyen 2luffa£ befriebtgenb befunben blatte, für reif
jum Sefudje feiner Sßorlefungen erllärt. SDte SRittel gu feinem Unterhalte, toelc^e fein
SSater nid^t ju befcfyaffen bermocfyte, gewährten ifym ftäbtifdje ©tibenbten unb Unter= 10
friujungen toob/Igefinnter ©ömter. Unter btefen befanb fieb, aud) Qob,ann JRrafft (ßrato bon
Grafftfyeim ; f. b. 21. 33b XI ©. 57 f.), toelcfyer bamalS feinen jungen ©djmpng nod; niebi
berfönlicb, lannte. (Sin $>anfbrief bei jungen ©tubenten an tfm bom 17. Dftober 1551 eröffnet
bie uns großenteils noa) erhaltene, toäfyrenb eines SDienfcfyenalterS fortgefettfe ^orrefbonbeng
mit $rafft, ber ib/tn im Saufe ber $ab,re aus einem fyocfyberefyrten ©onner jum bertrauten 15
greunbe tourbe. 2SaS immer i^r §erj in greube unb Seib betoegte, tourbe in btefen Briefen
niebergelegt, bie bon bem bie beiben trefflichen Männer berbinbenben engen 23anbe eljrenbolIeS
^eugniS geben. SWS jtoei ^ab/re fbäter bie Uniberfität toegen StuSbrudjS ber ^3eft borüber=
gefyenb nacb, ^orgau berlegt tourbe, begab ftcb, U., bon 9JleIand)tr;on mit einem embfeb,=
lenben £eugniffe (25. Quli 1552, CR VII, 1059 f.) berfeJ>en, in feine SSaterftabt jurücf, 20
too er nun auch, strafft befugte. (Sin reifer ^Bürger, QuirinuS ©cb,Iab,er, nabm tt)n bjer
wm §ofmeifter feines ©ob,neS (SIeafar an, mit bem U. balb nacb, Söittenberg gurüdfefyrte.
^m grübjafyre 1554 tourbe U. bureb, einen gieberanfall, bon bem er unb (SIeafar be=
troffen tourben, beranlafet, fid) mit biefem auf einige 3Jtonate nacb, 6I)emm| ju begeben,
too beibe balb genafen. Waty il)rer ^Rüdfe^r liefe fieb, U.S ^ögling immer mel>r in baS 25
rol)e unb gügellofe treiben b;ineinjieb,en, toelct/eS bamalS unter bielcn Sßittenberger ©tu=
benten fyerrfcfyte, unb bereitete feinem jungen Informator, toeldjer attmäblicb, jebe 2tutorität
über ibn berlor, fo biel 3Serbrufe, bafe biefer enblidt) flefyentlid) bat, ifm aus feiner ©teßung
ju entlaffen. (Snbe ^uli 1555 braute U. tb)n nacb, Breslau jurüd, too einige 9Jconate
öorfier U.S 3Sater geftorben toar. 2lm 21. ©ebtember 1555 traf U. toieber in 3ßitten= 30
berg ein unb fe|te Ijier, nur mit toenigen gleidjgeftnnten greunben berleb/renb, feine
Stubien mit neuem ©ifer fort. $u 3Jie(and;tf)on, an bem er mit tiefer 23erer;rung b^ing,
trat er nun in ein noeb, engeres ^erljtältniS unb fat) mit SBibertoiUen bie geb^äffigen 3tn=
feinbungen, benen ber Praeceptor Germaniae ausgefegt toar, unb bie bie junge eban=
gelifdje ^ircb,e gefäb,rbenbe §änbelfud;t bieler Geologen jener $tit 35
2tlS fieb, 9)leIand;tb,on 1557 anfcb,idte, ju bem 3fleIigionSgefbräd;e nacb; SßormS ju
geb,en, befcb,Iofe U., nunmehr eine gröfeere toiffenfcb,afttid;e Steife anzutreten, &u ber ib,m
bie Srüber feiner berftorbenen Butter unb anbere ©önner bie SRittel getoäb,rten. ®er
fd)arf benfenbe 23jäb/rige Jüngling b,atte fieb, bereits eine fetbftftänbige toiffenfd>aftlid;e
Ueberjeugung angeeignet. @S brängte ib,n, bie grofeen ©djtoeijer Geologen lernten ju 40
lernen, mit beren Slnfdjauungen er, ob,ne auf eines SReifterS SBorte ju fdjtoören, überein=
ftimmte. (giner Slufforberung ^ßeucerS folgenb, begab er fieb, junädjft nad; SBormS, too
er am 31. äluguft, brei SCage nad; 3Jlelandjtb^on, anfam. SBä^renb beS ganzen Monats
September blieb er b,ier unb toar 3euSe oer fd;mad;boßen (Streitigkeiten, mit benen fieb,
bie ßbangelifcfyen jur greube ber römifd;en ©egner beiämbften, blatte aber aud) ©e= 45
legenfyeit, bie bebeutenbften Geologen unb Söortfüfjrer ber berfd)iebenen Parteien
jener 3eit fennen ju lernen. SDann ging er, mit einem glänjenben 3eug"tffe 3JieIancb,=
tym (d. d. 2ßormS, 1. Dil 1557) auSgerüftet, über ©trafeburg, Safel unb Saufanne
nacb, ©enf, too ib,n ßalbin mit 2So|ltoollen aufnahm. 3Son ba toanbte er fid; über Sr/on
unb Orleans nacb, ^ßaris unb nab,m b^ier längeren 2tufentb,alt, teils um fid) in ber franjöfifd;en so
S^rac^e ju berbolllommnen, teils um feine in Söittenberg begonnenen b,ebräifd;en ©tubien
unter ^ean SjJcercier ju bertiefen. ^m ©ommer 1558 trat er bie 3tüdreife an, befugte
Äunärfjft ^ürieb, unb fnübfte mit ben bortigen 2!b,eologen Regierungen an. ®ann feb,rte
et über Tübingen, Ulm unb Nürnberg nad) 2öittenberg %uxM. §ier traf ifm im ©eb=
tember 1558 eine Berufung beS SreSlauer 9tatS gum bierten Seb,rer ber @Iifabetb,fcb,ule, 55
ber er alsbalb golge leiftete. ©eine 2tntrittSrebe (Oratio exhortatoria ad doctrinae
christianae studium, gebrudt 3. 33. in Ursini Opp. I, 20 ff.) malmt jum ©tubium
ber Ideologie unb giebt ebenfo bon ber gebiegenen toiffenfcfyaftlidjen S3ilbung, toie bon
ber ernften, aueb, ber berfolgten ©laubenSgenoffen im SluSlanbc in Siebe gebenfenben,
t^riftlidt)en ©efinnung beS jungen ©eleb,rten 3«ugniS. •»
350 ltrftmtS, Sad&ar.
Söäbrenb 11.3 2lbtoefenl;eit toar aucf) in 23re3lau ber ©aframentsftrett ausgebrochen,
ber bamate in ganz 3)eutfd;lanb bie ©emüter erregte. U. mar fid) auf feiner Steife böllig
flar geworben, bafj er in biefer grage nidjt neutral Bleiben, fonbern nur auf @albin§
©eite fielen fönne. ©o toenig e§ iim gelüftete, an biefen unerquidlicfyen kämpfen tetlgu=
5 nehmen, fo luelt er fidj boa) berbflicfytet, feine Überzeugung offen ju befennen, unb gab
ibj, als er bei ber ifmi obliegenben ©rllärung be§ examen ordinandorum 2ReIand;=
ti)on§ jur Sefyre Dom l;I. Stbenbmab,! tarn, offenen 2tu3brud. ©e§l)alb als ©aframentierer
angefeinbet, lief? er jur Rechtfertigung feines ©tanbbunfts 1559 eine eigene ©cfyrift er=
fcb,einen, in ber er mit ber atte feine arbeiten auSzctdmenben ^larb,eit feine £eb,re bon ben
10 ©aframenten unb inSbefonbere bom bl. Slbenbmafyle barlegte (Theses complectentes
breviter et perspicue summam verae doctrinae de sacramentis, Vratisl. 1559 ;
»gl. Urs. Opp. I, 761 ff.). 5Da Ü.3 23orgefet$te baran älnftofs nahmen, tourbe bie©d;rift
berboten. U. aber, ber an bem immer lebhafter entbrennenben ©treite feine gteube fyatte,
hat um feine (Sntlaffung unb erhielt biefelbe am 26. Slbril 1560 mit einem rüfmilicfyen
15 geugniffe beS Rats unb unter ber 33ebingung, baf$ er ber ©tabt auf Verlangen mieber
ju bienen bereit fei. 3Son Jfrafft mit Reifegelb berfefyen, »erlief ü. am 25. ^uni 1560
Breslau unb ging nad) 2Bittenberg, too groei 2Jconate borfjer 5ReIand;t£)0tt geftorben mar,
b,ielt fid; bjer einige geit auf un° reWe oanrt uoer Sranffurt, §eibelberg unb 23afel nad;
3ürid), toobjn ü)n SuEinger unb betrug 3!Hartt?r zogen. 2lm 3. Dftober fam er fyier an.
20 9Jiartr/r mürbe ilmt in 3ürid), TOag ^m 2Mcmd;tl)on in Söittenberg getoefen mar. @r
brieS fid; glüdlid;, ben „göttlichen Unterricht" btefeS 9Jianne§ genießen ju bürfen, unb
befeftigte fid; nod; meb,r in feiner fd;on borb,er gemonnenen tf)eoIogifd;en Überzeugung,
bie ifym ben $la| an ber ©eite ber ßalbiniften antoieS unb i()n für biefe offen unb ent=
fcbjeben Partei ergreifen liefe, ©o gern er feiner 3Saterftabt bon neuem feine ©ienfte
25 getoibmet I)ätte, toie feine bortigen greunbe toünfd;ten, fo fyätte er, mie er fcf/on am
6. Dftober an Ärafft fd;rieb, einer gurüdberufung ba§ in nur unter ber SBebingung folgen
fönnen, baf? eS i^m geftattet mürbe, bie Sebje ber ©d;toeizer ®ird;en über bie ©afra=
mente, bie 3Sorfeb,ung unb ©nabentoafyl, ben freien Sßitlen, bie menfd;Iid;en Überliefe*
rungen unb über bie d;riftlid;e $ircf)enjud;t öffentlich z" befennen.
30 2Säf)renb Ü.S 2IufentI;alt in Qüxxfy b,atte ^urfürft griebrid; HI. bon ber $falj
(f. ben 31. 33b VI ©. 275 ff.) ben legten Sutb,eraner in ber §eibelberger tb,eologifa;en
^afultät entlaffen unb toünfcfyte biefelbe ganz mit reformierten 2eb,rern ^u befeuert unb
namentlid; für bie Seitung be§ furj borfjer in eine 2lrt ^rebigerfeminar bertoanbelten
©apiengfollegiurmg eine geeignete ^raft ju getoinnen. ®a 'üJcarttjr ben gunädjft an dm
35 ergangenen Ruf ablehnte, fnüj)fte man a3e4anblungen mit bem Don ifym empfohlenen 11.
an, ber aber ernftlid; Sebenfen trug, ob er ben Ruf annehmen fönne, ba er fiep in feiner
ängftlid)en 33efd;eibenb,eit bie $raft nid;t zutraute, ben ib,m angetragenen ^often auiju=
füllen. SDod; er überroanb feine 3TOeife^ uno fonnte enbltct) am 27. Quli 1561 ^rafft
fd;reiben, bafe er nacb, ^eibelberg ge^en toerbe. Racf)bem er nod; ba§ 33erb,ältni§ zu feiner
40 SSaterftabt georbnet b[atte, reifte U. über ©trafjburg nad; §eibelberg, too er am 9. Sep-
tember eintraf unb am 13. Dftober immatrifuliert rourbe. §ier toar il)m junäd;ft bie
fo)toierigc Aufgabe ber borljer öon Dlebian geführten toiffenfc|aftlid;en unb öfonomifd;en
Seitung ber genannten Slnftalt gefteßt. §ierju fam, nad)bem Dlebian in ben braftifd;en
Äird;enbienft übergetreten unb 11. am 25. Sluguft 1562 jum Dr. theol. bromobiert roorben
45 toar, nod; ber £efyrftul)l ber ©ogmatif. 2lm 1. ©ebtember 1562 begann er feine 23or=
lefungen über bie loci theologici unb fe|te fie fort, hx§ er fie enblid; 1568 in bie £änbe
be3 zu feiner @ntlaftung berufenen §ieront)mu^ 3anc^iug te3m fonnte. älufeerbem f)atte
er nod; feit 1563 an jebem ©onntag nachmittags bie üatedjiSmuSbrebigt zu galten unb
bei ben Beratungen über eine neue bfälzifd;e Äird;enorbnung mitzutoirfen. ©er toefentlid;e
so Slnteil, ben ü. an ber Slbfaffung beö |>eibelberger ^ated;i§mug blatte, ift in 33b X
©. 164 ff. biefeS SSerfeg näb^er bargelegt, ßtoei bon ib,m al§ Seitfäben für bie ©abienz
aufgearbeitete Äated;i§men, bie größere Summa theologiae unb ber Catechismus
minor fönnen als 33orarbeiten bazu betrachtet toerben unb bie fr/ftemaiifa;e ©eftaltung
beweiben ift ob^ne 3toetfel auf ilm zurüdzufüb,ren. ©o großen unb toof)lberbienten S3eifaß
55 aber biefer $ated;i3mu§ nad; feinem ©rfcfyeinen (anfangt 1563) bei ben @efinnung§=
genoffen in unb aufeer SDeutfdjIanb fanb, fo großen Slnftofe nafym man auf Iutb,eriftt)er
©eite an ifym. ©d;on im Slbril machten Herzog (Sb.riftobb^ bon Sßürttemberg, ^falzgraf
SBoIfgang unb 9)carfgraf Äarl bon 33aben bem ^urfürften ernfte 33orftellungen unb ber=
ftärften fie im SDtai unter Seigabe eine§ toaf)rfd;einlid; bon 33renz berfafeten 33erzeitt)=
eo niffeS ber Mängel be§ neuen $atecf;i§mu3. ®ie Aufgabe, beffen toiffenfd;aftlid;e 33erteibi=
ltrfmuS, gadjar. 351
gung ju führen, fiel II. ^u, Welcher baburd; ^u immer neuen tfyeologifcf/en $ef)ben ge=
nötigt Würbe. 3n jafylreiclen, meift im tarnen ber §eibelberger Geologen getriebenen,
©treitfet/riften trat er mit Klarheit unb©d)ärfe für baS angefochtene 33üd)Iem ein. ©egen
eine bon Srenj unb Bibenbad) toerfa^te, im §erbft 1563 burd; ^erjog Gfyriftobl) bem
ßurfürften überfanbte Äriti! richtet fid£> feine im SRärj 1564 erfdjienene (Schrift: „2tnt= 5
toort auf etlicher Geologen $enfur u&er bie am 3ianb bc§ £eibelb. ®at. angebogenen
geugniffe" 2luS bemfelbcn ^ab,re ftammt bie „Verantwortung Wiber bie neugegrünbten
Auflagen, mit meldten ber ßatecf)i3mu§ . bon etlichen unbilliger 2Bei§ befdjWeret ift.
©einrieben burd) bie Geologen ber Untb. §eib." %m Auftrag be§ Jhirfürften berfaftte
er ferner all Antwort auf bie fed)S bon beffen ©d)WiegerfoI)n $ol)ann griebrief/ bem 10
s))iittleren überfanbten fragen über ba3 2lbenbmaf)l 1564 bie Heine, aber infyaltreidje
Sdn-ift: „StntWort unb ©egenfrag auf fedjS fragen bon bei £>erm 9c"acr;tmal)l". gm
ÜKäi'3 15G4 erfcfyien bann au$ feiner geber bie bebeutenbfte biefer ©treitfd)riften : ,,©rünb=
lieber 33erid)t bom 1)1. Watymaty ., geftellt burd) ber Uniberfität §eibelberg %i)io-
logen" Sei bem jur Beilegung biefer (Streitigfeiten bom 10. bi§ 15. Stbril 1564 15
abgehaltenen ergebnillofen 9JcauIbronner ^teligionSgefbräd) (f. b. 21. Bb XII 442 f.) mar
tl. neben Dlebian ber fcfylagfertigfte 2Sortfüb,rer gegen Slnbreä. SDaran fct/Ioffen fiefy er=
bitterte litterarifcfye Kämbfe, bei benen U. bie Vertretung be§ ©tanbtounfts ber ^fäljer
übernahm. 2Iuf ben 1564 ju granlfurt bon Brenj herausgegebenen „Wahrhaftigen unb
grünblicb,en Bericht" über ba§ ©efbräd) antwortete er mit einem ,,©egenberid)t", melier 20
ben 1565 ju §eibelberg gebrudten ^rotofoHen über balfelbe angehängt würbe. @r er=
toäbnte barin bie befannte, biel beftrittene, Slufjerung, Welche £utl)er bor feiner legten
Seife nad) ©kleben über ben 2lbenbmal)l§i)anbel ju ^elandjtt/on getfyan fyaben foÖte:
„i'iebcr ^fyilibp, icb, be!enne e§, bafj ber (Bad) bom ©aframent ju biel gefcr)e^en ift" k.,
unb Würbe beSfjalb alsbalb (im gebruar 1565) bon Qoad)im SJlorlin in ber ©d)rift:25
„SÖiber Sanblügen ber §eibelberger Geologen" (©trieben 1565) aufg fyeftigfte angegriffen.
11 antwortete barauf in einer unter bem tarnen be§ ^ofua £agu3 berauSgegebenen beut=
jtfien ©cfyrift, in ber er jugleid) 3ftarbad)§ Singriffe auf ben „grünblicfyen Bericht" $urüd=
toiel. 2113 man 1566 um bie ßeit bei Sluglburger ^Reid^tagg baran badjte, bie $fälger
toegen StbfaHg bon ber SlugSburger Konfeffion bom 9Migion3fvteben au^ufcbjieften, fuepte 30
U. auf Krafftg Slnraten biefen BorWurf burd) bie in biefem %af)xt erfd)ienene Heine
Schrift gu Wiberlegen: „SlugSburger ^onfeffion, berfelben Sinologie 2c, mit ib,ren eigenen
ffiorten in gragftüd gefteCt" (Urs. Opp. II, 1419 ff.), ©emfelben ßmede foüte ein am
4 Februar 1566 b,erau§gegebene§ toeiterel ©d^riftc^en bienen: „Strticul, in benen bie
eöangelifcf/en ^ircfien im §anbel be§ ätbenbma^fe einig ober ftoänig finb" (©ub= 35
^off 640 ff.).
9iur mit iiUberroiCen roar 11., ben feine Neigung biel mefyr ju ftiKer frieblic^er
©elefirtenarbeit fyinjog, %am 3Sorlämbfer in einem gefyäffigen, mit menig lauteren 3Baffen
geführten ©treite geroorben. %l§ if>n @nbe 1566 ber Ülurfürft nadi 2lmberg berief, um
ba§ im Sfobember unterbrod;ene Kolloquium mit ben bortigen Iutf>erifd)en Geologen an w
ClebianS ©eite fortjufe^en, !am er jtoar, lehnte aber jebe Beteiligung an bem 2Bort=
gefegte ab, bon bem er fid) leine grud)t berflpracb,. Salb barauf (am 19. gebruar 1567)
fcb,rieb er feinem greunbe Ärafft: „Sum pertaesus istorum certaminum, quorum
esse laborem puto majorem quam fruetum", unb lünbigte iljmt feine 2lbfid)t an,
folgen ©trettigleiten fern ^u bleiben, fobalb er einmal bon bem ®ambfblat$e abgetreten 45
fei. Sie aufjerorbentlicfye 2trbeit§laft, roeld^e auf if)m ruf)te, trug gerotfß nicb,t menig baju
bei, ib,n in biefem ©ntfcfylufj ju beftärfen. ©tetl bon bem ©efüf)l gequält, ba^ er ben
ifym obliegenben Aufgaben nid;t genügen !önne, ^atte er Krafft fcb,on im 3luguft 1563
geltagt, bajj er fo bielerlei SDinge $u treiben fyaht, unb beigefügt: „Vitam in cruciatu
consumo, dum video me, qui rem unam ago male, plures agere pessime" 50
(Sott 59). SDic au§gebef)nte litterarifdje ^b,ätigleit, bie er 1564 entfaltete, roar ilmt nur
baburd) möglieb, geroorben, baf} bamal§ bie Uniberfität roegen 2(uöbrud)ö ber 5|3eft eine
3«t lang gefcf)loffen roar. ©onft mufcte er bie 9Zäd;te baju ^u §ilfe nehmen, infolge
beffen würben feine Slugen gefcf)Wäcr;t unb er litt an ©cfylaflofigfeit. 3mmer fd)Werer
ipurbe e§ i^m, bie it/m obliegenben Utrbetten fo ju bewältigen, Wie er e§ in feiner bein= r,:,
Hm ©eWiffenfyaftigfeit für feine ^flid)t b^ielt. 9ftd)f feiten fehlte in ber ©abienj ber
Jjceite £eb;rer unb IL blatte bann ben Unterricht ber 70 Böglingc allein ju beforgen.
£anfbar begrüßte er e§, aU ifym enblid) burd; bie Berufung bon 3ftndH einige 6nt=
laftung berfd;afft Würbe, unb fd;Iofe am 10. gebruar 1568 feine bogmatifcfyen s^or=
lefungcn, Welche $anfy\ fofort übernahm, älbcr ba nad) Wie bor in ber ©abienj alles, go
352 ttrftttu§, gac^ar.
Unterricht, ©r^ielrnng unb Verwaltung an U. fying, blieb feine Überladung fo grofj, bafs
er am 19. ©ebtember 1569 $raffi flagte, er i)abe in biefem ganzen %ai)vt nicfyt fo btel
geit gehabt, um aud) nur einmal aus ber ©tabt ins greie ^u gel)en. AIS btefer 1570
Wäfyrenb beS 9leicf;§tagS in bem naiven ©beier Weilte, fonnte er nicfyt bie geit erübrigen,
5 U)n bort ju befugen, unb fd)rieb (am 25. %mi) bem $reunbe: „Si pater meus ve-
nisset atque istic esset, non liceret mihi eum visere" @r lönne ftd) burdjauS
nidjt au§ feiner „SLretmür/le" (pistrina) entfernen. @r märe barum, als it}m imAuguft
1571 au§ Sern unter fefyr Vorteilhaften Bedingungen eine tfyeologifctje ^ßrofeffur in £au=
fanne angetragen würbe, fel)r gern biefem 9?uf gefolgt. Stber ber ^urfürft liefj ü)n nicfyt
10 gießen. U. erhielt nur bie (Meicfjterung, bafj tt)m nacb, einiger geit fein ©djiüler $afob
Kimebonl als ©et)ilfe in ber ©a()ienj beigegeben Würbe. Aueb, baS förberliclje Befmben
U.3, ba§ fcb,on früher biel ju Wünfdjen übrig lief}, berfcljlimmerte fid) um biefe geit.
I^ScfyiaS unb ein quälenbeS ©teinleiben fteHten fieb, ein unb berminberten feine Arbeits
fraft. Unter biefen Umftänben nat)m feine IJtybodjonbrie immer mebjr ju. @r gog fieb, bon
15 jebem Umgang jurücf unb tröftete fieb, ber Hoffnung, bafc ifyn ©Ott balb ju ftd^> rufen
Werbe.
§ierju famen neue ^ämbfe, Welche bieSmal innerhalb ber bfäljtfcljen $ircf;e felbft
entbrannten, ©ction bie $irct)enorbnung bon 1563 b, atte bie 9cotWenbigfeit einer $ircben=
5ud)t betont, Wie fie in ben calbinifcfyen föirdjen beS AuSlanbS beftanb. Aber gu H.g
20 lebhaftem Bebauern mar fie in ber ^3falg noeb, nicf)t gur (Smfültrung gelangt, $n Briefen
auä jener geit gab er mefyrfacb, feinem ©etymerj über bie b,errf(^enbe gucfytloftgfett AuS=
bruef. Am 26. 9Jcai 1568 lief} er bem ^urfürften eine SDenffctjrift aufteilen, in ber er
freimütig $lage barüber erfyob, baft man fieb, unberufen in bie franjöfifd^en Kriege ein=
mifd^e unb barüber bie inneren Angelegenheiten unb namentlich bie dinridjtung ber©i3=
25 jiblin berfäume (Monita D. D. Ursini Friederico III proposita etc. bei $lucfl>or;tt,
Briefe II, 1053 ff.). -JJlag aueb, H.§ ©emütSberfaffung ju feiner beffimiftifcfyen Beurteilung
ber ftrebjicljen unb fittlicfjen guftänbe in ber $falj etwas beigetragen fyaben, fo läfjt fiel)
feinen klagen boeb, nicr/t jebe Berechtigung abfbrecfyen. DIebian, gandji u. a. teilten feine
Anfcfyauung, Wäl)renb fid$ ber furfürftlicfye Seibargt Stomas (Sraft unb anbere einflufj=
30 reiche SJtänner fc^arf gegen bie ^irefyenjucfjt auSfipradjen. 3llg bann im ^uni 1568 ber
(Snglänber ©eorg SBitfyer bei feiner Promotion gum Dr. theol. bie £f)efe berteibigte, bafj
bie Pfarrer mit ben ^reSbfyterien 9Jcact)t fmben foUten, jeben ©ünber, aueb, bie dürften,
gu ermalmen, gu ftrafen unb ju erlommunijieren, gab bieö 2lnla| gu einem ärgerlichen,
in SBort unb ©cb,rift, auf Mangel unb l^atfjeber, immer heftiger entbrennenben ©treite,
35 an bem aueb, U. fic^ beteiligte. 9J?it ©ntfe^teben^ett trat er für bie -ftotroenbigfeit einer
bureb, bie $re<§bi;terien gu übenben Äirc^engud^t ein, gog fiel) aber balb bon bem ©treite
äurücf, roeil er fieb, bei ben in ber ^ßfalg unb übertäubt in ®eutfcb,Ianb fyerrfcfyenben 3Ser=
lältniffen leine braftifcb,en grüßte bon ib,rer 6infüb,rung berfbracl). ©cfyon am 26. 5Rärg
1570 fdjrieb er an BuQinger, er gebenfe in ber ©ad)e fein 2Bort meb,r gu reben, unb
40 felbft nicb,t gu antmorten, menn er gefragt Werbe. SDenn bie Qtxt fei ge!ommen, bon ber
e<§ Reifst : „Prudens tempore illo tacebit".
©in unertoarteteö @reigni§ bereitete biefen Jlämbfen ein borläuftgeS @nbe. Unter ben ©eg=
nern ber ^ircf;engucr;t Ratten fieb, Slbam 5Reufer, Pfarrer an ber $eter3fircr;e in §eibelberg, unb
^oljann ©ilbanuS, früher latfjolifcb.er ©ombrebiger in Sßürjburg, feit 1560 lutb^erifdjer Pfarrer
45 in 6alm, bann 1565 ©uberintenbent in ^aiferölautern, feit 1567 ^nfbeltor in Sabenburg,
befunben. Beibe glaubten fict; bon DIebian jurücfgefe^t unb traten bem ilmen übergeorbneten
^irdjenrat mit SBiberfbenftigteit entgegen. 2tl§ bann SReufer auf ber Mangel i) eftig gegen bie
^irc^enguc^t eiferte unb beä^alb fein Pfarramt mit ber grüljbrebigerftelle an ber \)\. @eiftlircl;e
bertaufc^en mu|te, berlor er allen §alt. §atte er borfyer feb^on bie göttliche ©reieinigleit
so unb bie ©ottfyeit 6§rifti geleugnet, fo backte er je^t an böüigen Slbfatt bon bem cb,rift=
liefen ©lauben unb fucr;te nicfyt blo^ mit ben Slntitrinitariern in Siebenbürgen, fonbern
fogar mit bem türfifcfyen ©ultan Berbinbung. älucb, ©ilban beteiligte fieb, an ^m 3In=
griffen auf bie 3;rinität§leb^re unb fcfyrieb §. B. eine Slbfyanblung „miber ben breiberfön=
liefen Abgott unb ben 3toei=^aturen=©ß^en/' Auf bem bamals in ©beier tagenben
55 3tacfyStag famen bie BeWeife bafür in bie §änbe beg üurfürften, toelcb,er, bureb, biefe @nt=
beefung aufs fct;mergli(^fte berührt, aföbalb bureb, ein (Sbift bom 13. ^uli 1570 bie @in=
füb,rung ber $re3bt>terien unb ber Äircb,enjucf;t in ber bfäl^en Hirdje berfügte. ©ilban
mürbe auf BefebJ be§ ^urfürften behaftet, toäb,renb 5Reufer entfam unb al§ ?[Rub,amme«
baner in ber Sürfei ftarb. ©a§ ©utad^ten ber §eibelberger Geologen, Welker ?u bem
60 beklagenswerten, am 23. ©ejember 1572 ertbltd) bolljogenen SobeSurteil über ©ilban
ItrftmtS, $>a$ax. Urftanb 355)
führte, trägt leiber aua) bie Unterfct/rift ll.S, tüeldjer Sterin gleich Dlebian ganj ben alt=
teftamentlict/en ©tanbbunft bertrat (f. fyierju befonberS SBunbt, 9Jlag. für bie $ird)en=
gefegte b. «Pfalj I, 88 ff. SDaS ©uralten bei ©trübe 217 ff. »gl. b. 2121. griebricf, III.
23b VI ©. 278 unb Dlebian 33b XIV ©. 362). — 2)iefer beinlid>e gtoiföenfaa gab
ben ©egnern ber bfälgifcfyen ßtrcfye ni^tt unmtllfommenen 2tnlaft ^u bem 1573 bon 2Inbreä 5
in 9Jlemmingen offen ausgekrochenen 23ormurf, bie 2eb,re ber £>eibelberger Geologen
füfyre jum ^Slam. ®i£fe fonnten ben23ormurf nicfyt auf fiel) fitjen laffen unb beröffent=
listen 1574 im 2luftrage beS ßurfürften bie ©djrift: „23efanntnuft ber Xfyeologen unb
ßiret/enbiener ju £etbelberg bon bem einigen roab/ren ©Ott in bretyen ^3erfonen, ben jmoen
Naturen in ber einigen $erfon ßl)rifti" jc. @S unterliegt feinem .ßmeifel, baft U., ber 10
bereite 1563 ber antttrinitarifcfyen Partei in einem ©utaebten (Opp. III 795 ff.) ent=
gegengetreten mar, an ber 2Ibfaffung biefer ©ct)rift einen mefentlicfjen 2lnteil I)atte, menn
er niajt ifyr alleiniger 23erfaffer mar.
©er 2ob fjriebrtc^g III. (26. Dl tober 1576) machte bem 2Birfen U.S in §eibelberg
ein ßnbe. @r fyätte biefe (Srlöfung aus feiner „'Sretmüble" freubig begrüftt, menn er bie 15
Mittel befeffen fjätte, um or)ne 2tmt feinen Unterhalt gu beftreiten. %m ©ommer 157-1
batte er fieb, auf gureben feiner greunbe mit einer einfachen ^ßfätjerin, SJiargareta 2raut=
tuein, berfyeiratet, meiere ir)m, ob,ne if)m roegen ib)reS SftangelS an 23ilbung geiftige 2In=
regung geben ju fönnen, eine tüchtige §auSfrau unb treue Pflegerin mürbe unb einen
©ofyn fünfte. 2lber im Vertrauen auf ©ott bemafyrte U. feinen guten sIRut, unb fonnte 20
am 12. ©ejember 1576 an SBeja fd)reiben: „Vivendi cum familiola diu sine labore,
quo victum quaeram, sumtus non habeo. Sum autem dei beneficio magis
alacri animo, quod ad me attinet, quam unquam" (f. Siott 140). ©eine (Enthebung
liefe jeboeb, länger auf fieb. märten, als bie ber übrigen §eibelberger Geologen. (Snblicb,
am 3. Dftober 1577 mürbe baS ©abienjIoHegium aufgelöft unb, nacfybem 63 ßöglinge 25
beweiben, meil fie ben flehten lutr)erifd)en ÄatectnSmuS nicfyt annehmen wollten, entlaffen
toorben maren, am 11. Df tober aud) IX. feine 23erabfd)iebung angefünbigt. günf %age
fbäter 50g er mit feinem Meinen §auSrat auS bem 2InftaltSgebäube ju greunben, bie ibm
gaftlicr) aufnahmen (bgl. U.S SSrtef an 6b,r. §erbefian Dom 28. Dftober 1577 bei $Rott
144). (Einen auä Sern an il)n ergetyenben 9vuf jur Seitung einer äfynlicfyen 2inftalt mie 30
bie ©abieng lehnte er ah, meil er fieb. bie nötige $raft baju ntcfyt mebr zutraute unb
aueb, ^faljgraf ^ob,ann ^afimir, griebricf/3 gleicfygeftnnter jüngerer ©otm, ib,n nietjt §ieb,en
laffen moflte. ^m ©ebiete biefe§ dürften fanb bann U. mit ®aniel SEoffanuS, ftanfyi
unb anberen an bem am 28. 3Rärj 1578 bon ib,m gegrünbeten collegium Casimiria-
num in -Jleuftabt a. Sq. einen neuen Söirfunggfretö unb eröffnete b,ier am 26. SRai feine 35
^ättßfeit mit SSorlefungen über ben ^ßrob^eten 3efaia (OPP- HI, 1 ff-)- ©eine förber=
lid^e Äraft mar bei feiner Überfiebelung nacb, 3Reuftabt bereits faft böllig gebrochen. 23on
Sarmgicfyt unb anberen fcb,merälicb.en Seiben gebeinigt, mar er aufteilen lange an ba§
S3ett gefeffelt unb feine 3Serftiinmung unb SRenfcjienfc^eu berliefe ib,n aueb, in 9Zeuftabt
ntcb,t. lieber ber Xüre feines ©tubiergimmerS lieft er tner bie befannte 3>nf$rift an= 40
bringen: „Amice, quisquis huc venis, aut agito paucis aut abi aut me labo-
rantem adjuva." 2Iber tro^ feines leibenben ^uftflnbeS fe|te er aueb, in 5fteuftabt feine
angeftrengte miffenfcfyaftUcfye 2f)ätigfeit fort, »eranlaftt burd) bie Untergcicbnung ber
Konforbienformel, feb^rieb er jur 23erteibigung beS reformierten Sefyrbegrip im Hainen ber
5Jeuftäbter Geologen 1581 fein le^teS gröftereS 2Berf: „De libro Concordiae ad- 45
monitio Christiana" (f. ben 2Irt. Neostad. admonitio 33b XIII ©. 708 f.) unb lieft
biefer bebeutenben ©cfyrift nod) in bemfelben 3>al)re eine beutftb^e Bearbeitung in er^
teeiterter ©eftalt folgen (6b,riftlicb.e (Erinnerung bom ßonforbienbucbj. Wü grt>et fleineren
SerteibigungSfdbjiften gegen 91if. ©elnecfer (Examen recitationum D. N. Selnecceri etc.
1583) unb £)abib 6b,^träuS (Commonefactio D. Chytraei etc., 1583) fcb>ft 11. feine so
litterarifcb^en 2Irbeiten ah. @nbe 1582 traten U.s Seiben mit neuer ^eftigfeit auf. (Sr
«lag benfelben am 6. 3Jtarj 1583. ®er ^b^ilolog Sambert Subolf «pitl)oböuS, ber fbäter
Ui SBitme heiratete, ftanb mit 3ungni| an feinem ©terbebette. 3" f«n^ ©ebäci)tniS=
tebe xüi)mt U.S 2ImtSgenoffe ^ranj ^uniuS mit begeifterten ^Sorten ben ^rieben unb
bie ©laubenSjuberficbt, mit ber U. auS biefem Seben feb^ieb. ®ie beutfcf;e reformierte 55
Sirene ebrt if;n mit Stecht als einen ifjrer Ijerborragenbften unb fcf)arffinnigften SEiieologen.
vJieij.
Urftanb f. bie 2121. ©ereeb^tigf eit, urfbrünglicf)e 23b VI ©. 546 unb @ben =
Mb ©otteS 23b V ©. 113ff.
i»£a[=®ncöHopäbie für X^eoloflie unb fttrdje. 3. 81. xx. •_>;;
354 Itrfula
Xlrfitla, bie I)eilige unb bie elftaufenb Jungfrauen. — $>ie auSgebilbete
üegenbe liegt in boppetter ©eftalt üor a(8 Historia s. Ursulae et sociarum eius (Fuit tem-
pore pervetusto) in ben Anal. Bolland. III, ©. 7 ff. unb al§ Passio s. Ursulae et ss. unde-
eim millium virginum (Eegnante domino) in ber AS Oct. IX, ©. 157 ff. unb Stornier
5 3af)r6üd)er 93, 1892, ©. 154 ff.; bie GtematicinifcEie 3nfd)vift bei trauS, Sie ä)r. Snfdjriften
bev Sftljeintanbe 9tr. 294; Sermo in natali sanet. Colon, virginum in ben Stornier gS8. 89,
1890, ®. 118. — ßrotnbad), Ursula vindicata, Sölnl647; SSinteriin, Kalendarium ecclesiae
Germ. Colon, s. IX., Söht 1824; «Reüberg, S© ®eutfd)L I, ©öttingen 1846, ©.111 ff.; g-riebrid),
S© 2)eutfd)(anb§ I, SBantberg 1867, ©. 141 ff.; Stein, ®ie 1,1 Urfula, Söln 1879; Hinten =
toberg in ben SSonner 3abrbücr,ern 1889—93; SBatteubad), ©efd). Q,. F, @. 47. ®ie ältere
Sitteratur bei $ottf)afi, Bibl. II, <S. 1616.
%la<fy bei; auSgebilbeten Segenbe mar bie 1)1. Urfula bie einige Softer beS d)rift=
Ud)en Königs SeonotuS ober SDiognetuS in Britannien. JI)r ÜRame fußte fie als bie
©treiterin toiber ben Bären, b. t). ben Teufel, ben ©rbfeinb beS Menfcb,engefd;Ied)tS (nad)
15 1 ©a 17, 34) bejeid)nen. Bon einem l)eibnifd)en ^ßrinjen jur @I)e begehrt, behielt fie
fid), aufjer ber gorberung feinet Übertritte jum ßfmftentum, nod) eine grift bon brei
Jahren als Bebingung bor, um, wie man annehmen mufe, roäbjenb berfelben mit iljren
^el)n ©efbielinnen eine 2BallfaI)rtSreife $ur©ee $u machen. 2luf elfSDreiruberem, bie ebenfo
biele SLaufenb Jungfrauen als if)re unb il)rer greunbinnen ©efoIgSleute trugen, tarn fie
20 nad) bem §afen %üa an ber Stifte ©aHienS, bann ben Sifyeinftrom hinauf nad) Äöln,
bon ba, nacb gaftlid)er 2lufnal)me unb Beroirtung burd) bie Bürger biefer ©tabt, weiter
ftromaufroärtS bis Bafel, roo bie flotte jurücfgelaffen unb bie weitere 2öaHfaI)rt ju Sanbe
nad) fHom gemad)t rourbe. 2luf ber Siücfreife, welche ben nämlid)en SSeg einfielt,
fcfyloffen fid) bon ffiom aus ber Sßatoft ßr/riatuS mit einem ©efolge bon Merifem, bon
25 Bafel aus ber bortige Bifdjof ^ßauluS ober 5ßantuIuS ber Ungeheuern $ilgerfd)ar an.
Jn $öln iüieber angelangt, würbe biefelbe beim Sanben unb SluSfteigen bon Wilben
J)eibnifd)en Barbarenl)orben, Welche als §unnen bejetefmet Werben unb beren Äönig be=
reits in -öagenS 9?eimd;roni! „@&$el" fyeift, überfallen unb fämtlid) niebergemeijelt, teils
am Ufer, teils in ben ©dnffen, Wo fie fid) teilweife (wie j. B. bie 1)1. ©orbula) ber=
30 borgen Ratten. £>ie bX Urfula felbft follte anfangs t£>rer ©c|önl)eit Wegen als ©attin
für $önig (Sg§el berfcfyont Werben, Weigerte fid) aber biefer @l)re unb fiel nun ebenfalls,
bon einem Pfeile burd)boI)rt, ber feitbem il;r fter/enbeS Attribut in ben ©arftetlungen ber
d)rifttid)en ^unft geioorben ift. ätlSbalb nad} ber blutigen Slb^at mürben bie §unnen
bon b,immlifd)en |>eerfd)aren, bie man ^jlö|ltd), ben gemorbeten Jungfrauen gletd) an
35 3ar)l, erfd^einen fa§, in bie $Iud)t getrieben unb fo jur Sluf^ebung ib^rer Belagerung ber
©tabt &bln genötigt. ®ie befreiten Kölner beftatteten nun bie @rfd)lagenen auf einem
großen Begräbnis|3la|e am^h^ein, inbem fie einer jeben ber Märtyrerinnen eine fteinerne
^afel mit i^rem tarnen barauf beigaben, ©iefe tarnen I)atte ber ioä^renb beS Blut=
babeS in eine §öb> geflüchtete Bifd)of Ja!ob, einer bon ben fie begleitenben ^lerilern,
40 angegeben. Jnmitten ber SLaufenbe bon 9Jtärti}rergräbern erbaute balb barauf, burd)
mieberf)oIte Xraumgefid)te baju aufgeforbert, ber aus ©ried)enlanb gebmmene Pilger
(SIematiuS eine $ird)e gu ©bren ber 1)1. Urfula unb ü)rer elftaufenb ©efä^rtinnen. 3Sie
grofe bie §eiligleit biefeS BegräbniSpIatjeS ift, läfet fiel) baraus erfel)en, baf5 berfelbe bie
Beife^ung feiner einigen metteren Öeid;e, nid)t einmal biejenige eben getaufter Einber, in
45 feinem Boben bulbet.
©egen bie ©laubmürbigfeit ber Segenbe in biefer gorm erhoben bereits mittelalter=
Iid)e ©d)riftftel(er, mie JalobuS a Boragine in ber Legenda aurea unb ©obelinuS
^erfona, ©efan bon Btelefclb um 1418, in feinem Cosmodromium, Sect. VI, c. 14
bei Meibom Scr. rer. Germ. I, ©. 199 (bgl. aud) Joad). BabianS Orat. de XI
50 milibus Virginum, Vienn. 1510) (Sintoänbe. gar/Ireicfye ©injeljüge, bie in bie Segenbe
berflod)ten finb: ber «ßapft ßt)riaiuS, ben baS c^riftlicbe Altertum nid)t fennt, baS Äbnigreid)
©ijilien unb bie ©tabt Ibnftantinopel in ber 3eit ber (5I)riftenberfoIgungen, bie §unnen, bie
Sßaßfafyrten aus Britannien nafy'Siom unb ber pä>ftlid)e 31blafj erregten Beben!en. 3lud)
BaroniuS (Martyrolog. Rom. 21. Oct. unb Annal. ad an. B83 nr. 4) gab bie Segenbe
55 roenigftens in ibjer in Hbln unb überhaupt in ®eutfd)Ianb lanbläufigen ©eftalt auf, fud)te
aber ber abroeicfyenben englifdjen Raffung 2DBa^r£>ett abjugetninnen, bie bie Historia re-
gum Britan. ©ottfribS bon 3Jtonmout^) um 1170 barbietet. ®od) ift fie ebenfo un=
möglid} toie bie ©eutfeb, e — §unnen am 9tteberrt)em um 380 unb giften auf bem geft=
lanbe geben bem üönigretd)e ©ijilien unb bem ^ßapft St)rialuS nid)tS nad).
60 %üx bie ^iftorifd^e feitif b,anbelt eS fid) einer an fieb, unmöglichen ©efd;id)te gegen=
über rttcr)t um bie grage tfjrer ^ftatfäc^Ud^fett, fonbern nur um bie nad) ber 3e^ un^
Urfulrt 355
bcr &rt if>rcr ©ntftcfmng. ®ic crfie grage läfjt fid) ^einlief/ fieser beantworten. SBcbcr
©regor fort louxä nod; bie bem 7 —9. Qafyrljwnbert angefangen ^Jiartfyrologten, bie bie
tarnen bc§ £terontymu§, Seba, 2Kbo bon Stenne, §rabanu3 9Jiauru3 unb ^otfer tragen,
fennen bie Segenbe. ©ie begegnet $um erften Sftale in bem um 848 in üöln berfafjten
gjjartbrologium be<§ Söanbalbert bon $rüm v. 671 ff. MG PL II, ©. 507: 5
Tunc numerosa simul Rheni per litora t'ulgent
Christo virgines ereeta trophaea maniplis
Agrippinae urbi, quarum furor impius olim
Milia maetavit duetrieibus inclita sanetis.
Ungefähr gleichzeitig ift bie $rebigt In natali, Wenn biefe Wtrflicb, in bie $a= 10
rolingerjeit gehört. ®ie Segenbe ift ctlfo fidler md)t älter al§ ba§ 9. Jafyrbunbert;
aud) fd)eint fie Wäfyrenb ber näcbjten ,3ett nicfyt über il)r Urfbrungggebiet binaulgebrungen
5« fein.
i\>a§ bie 2lrt ifyrer ßntftetnmg anlangt, fo Iä|t fiefe, aud) biefe grage beftimmter
aU bei bieten anberen Segenben beantworten, ©ie ift au§ ber clematianifdjen ^nfc^rift 10
ertoad)fen. Dtefe gehört bem 3lu3gang be§ 4. ober bem 5. $at)rl)unbert an. ©ie lautet:
Divinis flammeis visionibus frequenter admonitus et virtutis magnae maiesta-
tis martyrii caelestium virginum imminentium ex partibus orientis exsibitus
pro voto Clematius V C. de proprio in loco suo hanc basilicam voto quod
debebat a f undamentis restituit. Si quis autem super tantam maiiestatem huiius 20
basilicae ubi sanetae virgines pro nomine XPI sänguinem suum fuderunt
corpus alicuiius deposuerit exceptis virginibus sciat se sempiternis tartari
ignibus puniendum. SDurct/ bie 3jnfd)rift erfahren mir bemnacb, bon ©efid)ten, bie bem
GlematiuS, einem 9)tann fenatorifcfyen 3tange§, würben. @§ erfd)ienen il)m bimmlifdjc
Jungfrauen, bie ib,m in Sejug auf xfyc Sftartr/rium eine 9J}afmung erteilten. §ier fragt 25
fid): bat er bon ifyrem -Dkrtr/rium fcfyon borl)er gemußt, ober fwben fie e<§ tl)m erft ge=
offenbart? ®ie Jnfcbjift fagt bireit Weber bag eine nod) ba§ anbere. ©rWägt man
aber, bafj Slematiu3 im folgenben ©a^ ben Kölnern mitteilt, bafe an biefer ©tätte ^eilige
Jungfrauen für ben tarnen 6f)rtfti ibr 93Iut bergoffen, fo Wirb man geneigt fein, ba3
leitete anzunehmen. ®afj biefe 2lnnar/me richtig ift, Wirb baburd) beftätigt, baf? im ^al»re 30
386 bem 2lmbrofvu<§ bon SSRailanb ftd) ©erbafiuS unb ^SrotafiuS al£ 9Mrif/rer offenbarten,
unb bafs um biefelbe ,ßeit fid) bie 9ftärtr/rer bon Slgaunum bem 33ifd)of SLb,eobor
bon Dctoburum funb traten. Sie brei ©rfcfyeinungen finb parallelen, bie gletdb be=
urteilt werben muffen. $eine bon itmen gtebt bon einem Wirllicfyen @reigni3 ^unbe,
aber alle fyaben zur 33orau3fe£ung bie Überzeugung, baf* am Drte ber ©rfdjeinung 35
9Diartr/rien ftattgefunben Ratten. $>iefe 2lnfct)auung Wirb für $öln ebenfo begrünbet ge=
toefen fein Wie für 9Jlailanb, Wenn e§ aueb, tuer Wie bort an einer beftimmten Über:
lieferung fehlte. ®ie SSifionen be§ Glematiuo gaben alfo einer berfd)Wommenen 33or=
ftellung ©eftalt unbgarbe, freilid) nod) in gtemltcb unbeftimmterSöeife: ßlemattuS erfuhr
nidpt Wie 3lmbrofiu§ bie tarnen feiner ^eiligen : er mufete fid) bamit begnügen, bafs fie 40
Jungfrauen Waren. @r glaubte ber @rfc|emung unb gelobte, bie auf feinem ©runb unb
Soben befinblicf/e berfallene S3afilifa, bie ben Ort be3 50lart^riumg bezeichnete, Wieber
berjufteßen. ©^ bleibt aud) ^ier mancfyeS unfid^er: man !önnte bei ber Safilita an eine
alte -JJiemoria ben!en; aber bann Würbe ber 9?ame ber 3Rärtt)rer ntebt berloren gegangen
fein. ®ie Sejie^ung ^wifc^en bem Sflartfyrium unb ber ^ird^e ift alfo Wafyrfcfyeinlicf; erft 45
bura) bie 3Sifion ^ergeftellt. 2lud) bie 33ebeutung ber 2öorte in loco suo ift fraglid);
Slinfenberg berftebt fie: auf iljrem urfbrünglid)en ^3Ia^. 2lber biefe ©eutung fd^eitert
baran, bafj niemanb eine baufällige $ird)e an einem neuen Drt bon ©runb au<§ Wieber=
f)erftellen fann. £>ie Söorte in loco suo fagen alfo bei ibj etwag böKig Überflüffige^.
temgemäfe fjat man fie in bem oljmefyin näcb.ftliegenben ©inn ^u berfteben : auf feinem 50
0mnb unb 33oben.
2lu§ ber clematiamfd)en ^nfd)rift ergiebt fid) fomit, bafc e§ im 4. ^abjlmnbert eine
^rabition über bag 3J{artr/rium einer größeren ober Heineren Stn^abl bon Jungfrauen in
ftöln ntdbt gab. ©er ©laube an bie ^atfäcr/licftfeit beöfelben beruht augfcb,liefelid) auf
ber 3uberläffig!eit ber SStfionen beö 6lematiu3. Stber biefer ©laube War in Mn ebenfo 55
borbanben, wie in -äMlanb ber ©laube an ©erbafiuö unb ^rotafiu€ unb im 9tl)one=
tbal ber ©laube an bie 9ftärtr/rer bon Slgaunum. @r Würbe geftü^t burd; bie bon
6lematiu§ erneuerte Üird)e ; fie ober ein fbäterer Sau behielt ben tarnen ecclesia sanc-
tarum virginum Jafyrbunberte lang (llrf. $BSi<$frtb8 bon 927 Wtt) US I, ©.19,
3Jr. 88). 60
356 Itrfitla
©er ©laube an ba§ Martbrium einer unbeftimmten gafyl namenlofer Märtyrerinnen,
bie gu unbekannter geit auf unbefannte äßeife ben Sob erlitten, tft ber AuSgangSbunft
für bie Silbung ber Urfulalegenbe. Man lann »erfolgen, mie biefer S'cebelflecf ficfy aU-
mäfylidj berbicfytete. ©er erfte gortfdjritt mar, bafj bie 9?amenIojen tarnen erhielten:
5 ytod) in bem Sermo in natali virginum fyerrfcfyt bie allgemeine Segeicfynung ; nur ber=
fiebert ber Sfobner, bafj ju ben Jungfrauen bie 1)1. Söinnofa ober Sßmnofa gehört Ijabe
(c. 11). Jn bem Martfyrologium UfuarbS (875) lieft man gum 20. Dftober: Civitate
Colonia passio sanctarum virginum Marthae et Sanctae cum aliis pluribus,
AS Juni 23b VII, ©. 613. ©ie Meinung bes ©ermo mar alfo fetneSroegS allgemein
10 anerfannt ; aucb, faßt auf, bafj bei ber 9camengebung biblifcfye tarnen benutzt mürben,
eine Seftätigung bafür, bafj e3 an jeber Überlieferung mangelte. ©ie plures aliae
»erlangten nadj weiteren tarnen, ©o finbet man benn in bem Kölner Kalenber bon
873—891, ben Sinterim befannt gemacht f)at, 11 tarnen: Urfula, ©ancia, ©regorta,
5ßinofa, Martha, ©aula, Sertula, öantina, 9tabacia, ©aturia, ^aHabia. ©obann firtert
15 fidj bie Qafyl. ©afc man au§ ber ßlematianifcfyen Jnfcfyrift biele Märtyrerinnen l)erau£=
las», geigen ber ©ermo unb Ufuarb ; fcfyon im erfteren unb bei Sßanbalbert finb bie bielen
SLaufenbe geworben unb au§ biefen werben in ben gufä^en gu ben Martfyrologien Seba§
(ASMärg II, ©.25) unbAbo§(MSL 123 ©.431) u.a. bie 11000. ©ie erlernen als
öffentlich anerfannt in ber llr!unbe §ermann3 bon Köln Dom 11. Auguft 922, Annalen
20 beS b,ift. Vereins für b. 3R^ein, 26—27, ©. 334. Sei ber Art ber Silbung ber
Segenbe ift e£ Wenig Wafyrfdjeinlidj), bafj biefe ^tffer burcb, irgenb einen Sefefeljiler ent=
ftanben ift. @3 Wäre efyer ju bermuten, bafj fie auf ber Kombination ber 11 tarnen
mit ben Xaufenben bon Märtyrerinnen beruht, ©od) f)ängt fie mit ber notoeßtftifct)en
AuSgeftaltung ber Segenbe jufammen. ©iefe aber entftammt, Wie Klinfenberg gezeigt
25 i)at, ber Serfd)melgung ber -Jlacfyricfyt bon ben jungfräulichen Märtyrerinnen, bie bei Köln
ben %ob fanben, mit ber Wälifdj)=bretonifdj)en ©age bon ber grauenWanberung au$ 33rt=
tannien nad) Armorifa unter Kaifer MajimuS, bie ©ottfrieb bon Monmoutlj) in feiner
Hist. reg. Brit. V, 15 f. aufbewahrt Ijat. AuS biefer ©age ftammen bie SRacfyricfyten
bon ber ©eefafyrt ber Jungfrauen unb il)rer §inme^elung, alfo ber eigentliche Jnfjialt
30 ber Segenbe. ©ie Historia s. Ursulae geigt fie fc|on in böttig abgerunbeter ©eftalt.
©a fie bem ©rjbifdjof ©ero (969—975) geWibmet ift, fo Wirb man bie Serfd)melgung
ber Kölner ^ad)rid)t mit ber britifdjien ©age in bie erfte §älfte beS 10. JafyrfmnbertS
gu berlegen Ijaben. Jm 12. Jafyrlmnbert gefyt bie Segenbe in bie ©ef$id)t3toerfe über;
man finbet fie bei ©igibert bon ©emblouj;, Chron. j. 453 MG SS VI, ©. 310, bei
35 Dtto bon greifing, Chron. IV, 28 ©.211, unb in ben jüngeren Kölner Quellen, ber
Sfteimcfyronit' ©otfrib Jagens (um 1280) S. 152—396, 6fyroniten b. b. ©täbte XII,
©. 26 unb ber Cronica van der hilliger stat van Coellen (1499).
2tber gur $Rub,e mar bie ©age nod) mcfyt gefommen. Jm 12. Jab,rb,unbert fanben
auf bem ager Ursulanus, b. I). nicfyt in ber Umgebung ber llrfulalirc^e, fonbern bei
40 ber Kirche ber Macb,abäer (f. Klinfenberg, Sonner JS 93 ©. 171 ff.) Ausgrabungen
ftatt, mobei man au^er bielen meiblicfyen aucb^ auffaHenb biele männliche ©ebeine fanb,
unb unter biefen biele, bie burcb, in ben ©argen befinbücfye fteinerne Stäfelcf)en atö
Karbinäle, @rgbifc^öfe, Sifcfjöfe jc. — babei aucfy jener ^abft gfyriafuS begeia^net maren.
®iefe guno« erregten bei bem 2tbte ©erlac§ bon $)eui$ ben Serbacb^t, e§ fyaix b^ier eine
46 gälfcf)ung ftattgefunben, meöfyalb er bie ib^m befreundete (Slifabetb, gu ©c|)önau um 2luf=
fcfylufe bat unb fo jene merfrcürbige rüdEtoärtl fcb^auenbe 5ßrobf)etie über Urfula unb bie
©Iftaufenb beranlafjie, meiere bon ©Ufabetb^g Sruber, (Egbert, in lateinifcfyer ©brache
niebergefc^rieben, für längere geit aU juberläffige ©efcf)i$te geglaubt morben ift. 3lßein
bie in ifyr enthaltenen Sluffc^lüffe über bie (Smgelfyeiten ber Märt^rergefd()icb,te finb boß
so ber gröbften Anachronismen unb ber Iäbbifcb,ften Angaben über bie beteiligten ^3erfonen.
^abft 6fyrtafu§ g. S. foH ein Srite bon Nation getoefen fein, ber auf befonberen göttlichen
Söefef)! feine bäbftücfye SBürbe nieberlegte, um ben Jungfrauen nad) Köln gu folgen, ©ie über
feine Abbanfung erzürnten Karbinäle Ratten ebenbeSb^alb fein Anbenlen in ben Aften ber
i>ätoftlttt>n ©efc|ic|te gu tilgen gefugt, unb fo erftäre ftd; ba§ ©cfyroeigen aKer römifd)en
55 Quellen in Setreff be<§ ^SabfteS 6^ria!uS. Aucfy ein König bon ©riec^enlanb unb eine
Königin bon ©ijilien feien unter ben im ©efolge ber fyl. Urfula Umgefommenen gemefen.
©ie Möglichkeit ber Senlung ber glotte ber Jungfrauen gur ©ee unb auf bem Steine
erlläre fid) barau§, ba^ UrfulaS Sater, bon ib^rem ^eifeblane benachrichtigt, b^eimlicb, fee=
lunbige Männer in bie ©cfyiffe beorbert fyabe u. f. f. ©cb.on ^3abebrocb, (in feinem Co-
ro natus chronico-histor. ad Catal. Rom. Pontiff. p. 31) f>at ba§ Märchenhafte biefer
ltrfnla Itrfultnertnncn 357
Slngabcn erfannt unb be6i)alb ben auf bic f>I. Urfula bezüglichen SBiftoncn (£Iifabetr)3 bic
©laubnriirbigfeit abgefbrocfyen. 2)ie 1183—1187 aufgezeichneten Offenbarungen be§ eng=
lifcfyen $rämonftratenferabt<§ 9ftct)arb, ber fid^ zu erneuerter llnterfud)ung ber ©acfye in bie
2l6tet 2lrn3berg begab unb bort jtoei Sucher de passione ss. undeeim millium vir-
ginum verfertigte, ergänzen unb erweitern bie ©efid)te ©lifabetb/g unb finb bemgemäft 5
nad) abenteuerlicher unb fabelhafter al§ biefe. 9Jcan finbet fie in (Srombad)! Ursula
vindicata, Äöln 1647. (SöcHer f ) £autf.
Urfttltltcrinttcn. — Gu eilen unb Sitte rat uv: 3. 33. 5Rajari, Seben ber fjl. Slngela
Dierici, beutfet) bearbeitet XlugSburg 1811 unb öon W. Sinket, 9tegen§burg 1843 (über bie
alteren Siogropbien ber fjl. §lnge(a f. |>etni&udjer I, ©. 511); Chroniques de l'ordre des 10
Ursulines recueillies pour l'usage des religieuses du meme ordre par M. D. P. V (^aula
be ^omereu, Urfuüne geft. 1699) SßariS 1673 ff. 3 Vol.; Journal des illustres religieuses de
l'ordre de St. Ursule avec leurs maximes et pratiques spirituelles, *ßari§ 1684, 5 Vol.,
bentfet) 2 33änbe SanbSljut 1720; SDt. £>amel, L'annee spirituelle historique et chronolo-
gique des religieuses Ursulines, ^citiS 1689 ed. ßlermont^-errunb 1891 ; gfjarleg (St.^oij, 15
Anüales de l'ordre de Ste-Ursule depuis la revolution francaise jusqu'ä dos jours, ed.
Elermont=gerranb 1858, 5 Vol., Elermont=gerranb, Vie des premieres Ursulines de France,
|?cui§ 1856, 2 Vol.; £etöot, ©eftf)td]te ber ftlöfter unb SRttterorben, Seip^ig 1754, IV, 178 ff.;
\ieimbud)er, Orben unb Kongregationen ber fafdot. Sirdje, $aberborn 1896, I, 511—519 (bort
weitere Sitteratur) ; bie erften ©djroeftera ber llrfultnerinnen, nad) ben £)rben§annalen bear= 20
beitet unb au§ bem g-ran^öfifd)en überfe$t uon einer Urfultne, mit einem Sßorroort üon
5ß. Slitg. Sebmfut)! S. J., ^nberborn 1897.
Sie nad) ber 1)1. llrfula benannte grauengenoffenfcfyaft gebort zu ben bebeutenbften
Stiftungen, roelclje au$ ber -Jceubelebung be§ italienifd)en $atfyoIict3mu3 in ben 40er
^a^ren be§ 16. ^a^unbertg I)erborgegangen finb. ©ie finbet ifyren §aubtzwed; im Unter= -0
ricfyt unb (Erziehung ber weiblichen Jugenb, um eine ftreng fircfyltdje ©efinnung ju
erjeugen unb fo inbireft ber Deformation entgegenzuarbeiten, 5#re ©tiftertn ift bie t>on
ßlemenS XIII. im %afyx 1768 feiig unb 5ßiu8 VII. im Jafyr 1807 fettig gefbrocfyene
21ngela SOierici. Slngela Würbe am 21. SRärj 1470 (ober 1474) in SDefenjano am
©arbafee geboren. %xixi} berWaift toueb^i fie mit i))rer älteren ©d)toefter im §aufe eines so
OfyeimS in ©alo auf. Jlvre Steigung zu erxentrifcfyen formen ber grömmigfeit betätigte
fie bereit! frül) in einer I)etmlid)en gluckt auS bem §aufe be<§ O^eimS, um einfam in
einer §öl)le berborgen zu leben. 9?ad) bem %obe it)rer ©d)Wefter fcljtofs fie fieb, ben
5ranzi§Ianer=(ober ^abuziner^ertiarierinnen an. $n ir)rem ©eburtSort SDefenzano
begann fie mit einigen OrbenSgenoffinnen eine ^leinfinberfcfwle ju t)alten, in ber bie 35
Sinber in ben StnfangSgrünben ber Religion unb ben ©lementargegenftänben unterrichtet
tourben. ©eit 1516 fe|te fie biefe SC^>ätigIett in SBreScia fort. ÜRacr) berfd)iebenen 3BaE=
fahren unter anberen nacb, 2;erufalem, an bie fieb, bie ©rzäbjung »on i^rer rounberbaren
Teilung nad) zeitweiliger ©rblinbung Inübft, t^at fie fieb, mit einer Deib^e gleicb,gefinnter
©efäb,rtinnen zufammen, um eine unter bem ©cfmije ber fy. Urfula fteb^enbe Bereinigung w
öon 3teligiofinnen or)ne befonbere§ ©elübbe am 25. 9iobember 1535 in ber ©t. 2lfra=
fireb^e ju Srelcia z" begrünben. ^b,re angeblid) auf göttlid)e Offenbarung zurüdgeb,enbe,
bem ^Briefter ©abriel Sozzano butterte Siegel umfafet 25 ßatottel. ^acb, ber Slbficb.t ber
Stifterin folTte bie. ©enoffenfe^aft feine gemeinfam lebenbe flöfterlid)e , fonbern eine nacb,
2lrt ber Xertiarierinnen berfa^te freie ©c^toefterfeb/aft %ux Übung ber d)riftlid)en Siebe 45
buref) ^ranlenbflege unb 3«geni)unterrid)t foroie zur eignen Silbung unb Heiligung bilben.
©ine befonbere Orbengüeibung h)ar ebenfo wenig wie ba§ gemeinfame Seben in einem
£aufe borgefd)rieben. ®ie Jungfrauen behielten t^te 3öob,nung bei ben ©Itern ober
Sertoanbten. Sie gaftenbi§ztylirt mar feine ftrenge, bie 2tnbad)t3übungen nicb,t fe^r §ett=
raubenb, nur ber täglid)e Sefucb, ber 9Jieffe unb monatlicb, einmalige gemeinfame $om= 50
munion tr-urbe geforbert. @in ^eufc^b/eit^gelübbe rourbe nic^t abgelegt, fonbern nur ©e=
f'orfam, Sleufcb^ett, 2lrmut al§ ebangelifd)er Statfcb.lag empfohlen. $m Oberleitung ber
©efellfcb,aft foHte eine „Butter" auf Seben^zeit gewählt Werben. Unter biefer follten
•web, ben ad)t SDiftriften ber ©tabt Sreöcia ad)t 3Ratronen ate 23orftefyerinnen, unter
biefen atyt Sefjrerinnen unb unter ben festeren ebenfo Diele 2luffeb,erinnen (ßolonetli) 55
tym. Sie ©efellfcfyaft unterfteCte \\ty bem Sifcfyof »on Sre^cia, ber einen ^riefter als
^ater ber ©efellfcljaft mit ber väterlichen ^irtenforge betraute, gür bie 2luffe^erinnen
"erfaßte Slngela nod) befonbere Admonitiones in neun ^abiteln, in benen fie ib,nen unter
anberem auöbrücllicf) anS $erz legte, il)re 'Jöc^ter bor ber Jrrlefyre zu bewahren. @ine
Weitere Slusfüljrung if)rer in'ber Degel gegebenen SSorfdvriftcn finbet fid) in bem an ifvrc 9cacf;= 60
358 Urfuliitcrimtcn
fülgerin, bie ©räfin Sucre^ia bon Sobrone, gerichteten SEefiamcnt in elf Kapiteln. Stadlern bie
Siegel üom Sifdmf t>on SreScia, Karbinal ^ranj ßornaro, am 8. Sluguft 1536 genehmigt
mar, mürbe am 18. 9Jläx% 1537 bte ©tifterin Angela jur Dberin ermaßt, meinem Amte
fie bi§ ju ifyrem am 27. Januar 1540 erfolgten £obe borftanb.
5 ©te elaftifdjien formen ber urftorünglicfyen ©emeinfdjaft manbelten ficb, in ber
^olgejeit, unb bie Urfulinerinnen mürben in ben meiften Sänbern ju einem förmlichen
Drben mit gemeinfamer SebenSroeife, Klaufur unb feierlichen ©elübben nacr) ber Auguftiner=
regel. Sie SBeftätigungSbulle i>om 9. Juni 1544 '»ßafcftS $aul III. bezeichnete ben
erften ©cfyritt in biefer Stiftung, inbem fie einen befonberen Ablafj für jene Jungfrauen
10 gemährte, meiere eine befonbere K leibung tragen, unb ^ugleicb, ben Oberen ber ©efetlfdjaft
bie (MaubniS einräumte, aueb, Anberungen an ber urfbrünglicfyen Siegel nacb, $ett unb
Uniftänben ttorjune^men. ©araufljnn legten bie fämtlicf>en Urfulinerinnen einen lebernen
©ürtel als Beiden ber Jungfräulid)feit an. Jbje Ausbreitung in Italien t>erbanfen bie
Urfulinerinnen bor altem ber tfyatfräftigen ^roteltton beS Karbinal SBorromeo, ber 1581
15 eine neue Seftätigung ber ©tiftung buref» ©regor XIII. ermirfte unb fie in feinem
SJietrobolitanfprengel aufs nacf)brücflic&Jte emtofafyl, fo bafe im Jal)re 1584 bie Kongregation
bereits 600 Jungfrauen umfaßte, bie jum größten %e\L bem SBunfdje beS KarbinalS nac£)=
gebenb als regulierte ©enoffenfcfyaft mit befonberer Kleibung in einem §aufe ^ufammen=
lebten (£elr,ot IV, 197 ff.).
20 5Die bisher auf Dberitalien befdjränfte ©enoffenfdmft fanb 1574 burefy granjiSfa
i>on SBermonb aueb, in granfreieb, (Eingang, inbem fie nacb, Söeife ber bj. Angela in Abignon
f leine SJläbcfyen $u unterrichten begann. 1594 begannen bie fran^öfifeb^en Urfulinerinnen
auf Slat beS ©tifters ber SDoftrinarier 6äfar bon 33uS (f. 21. 33b IV, 765) ein «öfter*
licfyeS Seben. 33on ©übfranfreieb, lamen 1608 bie Urfulinerinnen nacb, $ariS in bie 5Bor=
25 ftabt ©t. JacqueS, tr>o bie bomefyme 2öttroe grau bon ©t. SBeube (#. be Sefymont,
Mme de St.-Beuve et les Ursulines de Paris, Sfyon 1889) 16li ein jroeiteS
größeres Klofter erbaute. ®ie Urfulinerinnen biefeS KlofterS legten auf ©runb ber 33uHe
^ßabftS ^ßaul V am 12. ©ebiember 1612 bie feierlichen ©elübbe ah unb nahmen bie
Klaufur an. Jfyre Satzungen (Constitutions des Religieuses de Ste-Ursule de la
30 congregation de Paris, ^3artS 1640) ftammen Don bem löetcfytbater ber SJlme ©t. Skube
^3. ©onterr/, ber fie im 3Serein mit anberen Jefuiten auf ©runblage ber Auguftinerregel
entworfen blatte, ©ie mürben baS SJlufter für alle regulierten Urfulinerinnenllöfter. SDen
brei SJlöncfySgelübben mar t/ier nacb, Art ber Konftitution ber Jefuiten ein bierteS ^in^u*
gefügt, baS ben Drben jum Unterricht ber roeiblicfyen Jugenb. berbfltcfytete. AIS DrbenS=
35 tracfyt Ratten fie ein fc^marjeS Kleib mit Sebergürtel, auf bem Kopfe einen fcfymarjen, mit
meiner £einmanb gefütterten ©dreier, barüber einen größeren ©Fleier »on bünnem
fcfytuargem 3eu9e/ ro°5u ™ ^er Kird;e noeb, ein fcb,marjer s3Jcantel ob,ne Ärmel !am.
©trenge Süfjungen gebot bie Siegel nic^t, aufser ben gemöl)nlicb,en fircf)Iicb,en gaften mürbe
am SJlittmocb,, an ben SSorabenben ber SJcarienfefte, ben geften beS b^l. Sluguftin unb ber
lo i)l Urfula gefaftet. ^äglid) mar toon ber Komplet bis um 7 UI)r frü^) ©tillfd)meigen
geboten. £>ie ©eif^el fam nur als Mittel ju getoiffen b,armlofen Sftortififationen j. S.
ben ©is^iplinen auf bie flache $anb, bie man fieb, bei beftimmten ißergeb^en auS^ubitten
blatte, rtic^t als SBerfjeug eigentlicher Seftrafung in Slnmenbung. 2luS bem Drben auS=
jutreten, um eine anbere religiöfe ©enoffenfe^aft ju grünben ober ju reformieren ober
45 eine I)bf)ere 3Bürbe in einem anberen Drben ju erhalten, mar ftreng »erboten. Kein
Klofter füllte mebj als 60 Sliorfrauen unb 20 £aienfcf)roeftem enthalten. — Sieben ber
^3arifer Kongregation beS DrbenS ber Urfulinerinnen bilbeten fieb, eine Steige anberer
^um Steil umfaffenber Kongregationen mit ben 9Jlutterb,äufern gu Slouloufe 1615,
Sorbeauj 1618, £r,on 1619, ®ijon 1619, %ulk 1621, SIrleS 1624 unb Slmgnon 1627
so (§eIr/ot IV, 178 ff.). 9Son gran!reid) berbreitete fidE> ber Drben nacb, ber ©cb,toeij unb
©eutfebjanb. @in Klofter ber Urfulinerinnen oon SDijort mürbe 1659 in Supern unb bon
f)ier aus 1695 in greiburg i. S. begrünbet. Sefonbere Sebeutung für ©eutfcb,Ianb b.atte
bie Kongregation i)on Sorbeauj, r>on ber baS ganje latb,olifd^e ©eutfcbjanb mit Klöftern
überwogen mürbe, beren roicfytigfie bie Klofter ju Köln 1639, ju ^rag 1635, p SKepra)
55 in Saben 1660, ?u 3Sien 1660, ju Erfurt 1667 unb gu ©üffelborf 1685 maren.
Jn ber jmeiten £älfte beS 18. Jab,rb,unbertS lamen fie nacb, Portugal (^ßeretra) unb
Jrlanb (6or!). bereits 1670 mar auf SlajoS in ©ried;enlanb ein Urfulinerinnenllöfter
errietet. Slacb, Slmerila gelangte ber Drben 1639, in meinem Jab,re ju Quebec in
Kanaba baS erfte Klofter erftanb, in ben bereinigten ©taaten mürbe 1727 in SJero*
60 Orleans, in Srafilien 1751 baS erfte Klofter gegrünbet. ßur ßeit feiner größten 2luS=
llrfuliiicrimtcn 359
bcbmmg um ben Stnfang be§ 18. 3«b,rfyunbert3 umfaßte ber Drben 20 boneinanbcr un=
abhängige Kongregationen mit 350 Klaftern unb c. 15—20000 Tonnen. Sieben btefert
regulierten Urfulinerinnen gab e§ in Italien unb ber ©c^roeij nod; ntd;t regulierte ober
fongregierte unb Peruanerinnen ber bjf. Urfula, bie, obroobl fie leine ©elübbe ablegten,
ben ^ugenbunterrtc^t betrieben. Sei ifynen ift eine Seeinflufjung burd; ben jefuttifd;en 5
©eift nod; [tarier nachweisbar, ©ie trieben aKjä^rltc^ ad)t SLage tnnburd; bie geiftlicfyen
Grerjitten SofyolaS, unterrichteten täglid; Heine SiJtäbcfjen, fatednfierten an ©onntagen aud;
ertoaebfene ^erfonen, befugten Kranfe, fbenbeten 2Ilmofen unb gelten alle greitage eine
Sonferenj unter ftcfy. ©ie trugen feinen ©Bieter, Jonbern nur ein fctyroarjeS ©eroanb
tüte bie übrigen Urfulinen. 10
2Bie aßen 5Rönd;3= unb üftonnenorben braute aud) ben Urfulinen bie franflöfifdje
jRcbolutton unb bie ©äfularifation in £)eutfd;lattb eine ftarfe ©d)mälerung ifyrer Klöfter.
^n granfreid; gingen fämtlidje Klöfter ju ©runbe. @rft unter ÜKaboIeon I. mürben bie
Urfulinen jroar niebt als Drben, aber al§ Unterrid)t3gefellfcf;aft burd; SDelret bom %at)xe
1806 jugelaffen. @§ entftanben nun roieber in gtanfreid; eine SRetlfje bon Kongregationen 15
üon irotyeS 1806, bie balb 27 Filialen, barunter ein Klöfter in $art3 gä^Tte, ferner bie
bon ber fäfularifierten Urfuline ©ibonltn für ben Qugenbunterricfyt gegrünbeten Soeurs
de St.-Roch mit bem Futterraufe ju gellettn (Gut). %$, Notices historiques sur les
congregations et communautes religieuses du XIX. siecle, Louvain 1892) unb
enblicb, bie burd; tb,re Seiftungen im ©ebiete ber 2Irmenfd;ule unb ber Kranfenbflege 20
berborragenbe Kongregation bon 6I;abagne3 in ber SSenbee, bie fog. Urfulinerinnen bon
3efu§ mit 400 ©cfyroeftern unb mef>r al§ 50 giHalflöftcrn.
%n ©eutfd;lanb roaren ber ©äfularifation bie barjrifcfyen Klöfter jum Dbfer gefallen,
Don benen fbäter Sanb^ut, Straubing unb 2öür^burg roieber erftanben. 3n ^teufsen,
roo ber 7jäbrige Krieg, bie naboleonifcfyen Kriege unb bie ©älularifation bie m elften 25
klöfter bernid;tet Ratten, erftanben bor allem buret) bie eifrige ^ätigteit ber Dberin bei
SreSlauer KlofterS Urfula ^ermann um bie -"Kitte be<o 19. %at) xf) unb ert§ ja^lreid^e 5Reu=
grünbungen, bon benen §tad;en 1848, £>erfel bei Sonn 18.52, Syrier 1853, Serlin
1854, 9tatibor 1863, Sobbarb 1867 nod) befielen. 2öät)renb be<§ Kulturfambfe<§ in ben
70er unb 80er ^ab,ren be§ 19. $at)rf)unbert<§ Ratten bie Urfulinerinnen ib,re Klöfter ber= 30
laffen muffen, feit 1887 aber mürbe ilmen bie 9ttidfefyr nad; ^ireu^en berftattet unb 9ieu=
grünbungen entftanben ju ©utin 1888, %a Königgftein im %aunu§ 1891 unb ju
2t. %ob,ann 1895. ^m ganzen befielen in ®eutfd}Ianb nod; 36 Urfulinerinnenflöfter,
unter benen aufjer ben bereite genannten Sreifad; unb Sillingen in Saben, Süffeiborf,
©eilenfird;en, Köln, 9Jtüb,If)eim an ber Vivfyx, Kalbartenberg, D^nabrüd, §afelünne, 35
SreSlau, £iebetb,al unb ©d)roeibm£ ^u nennen finb. %n Öfterreid}=Ungarn finb bie
Urfulinerinnen bie ftärffte grauenf ongregation , fie befitjen bort 28 Klöfter. ®ie
134 Urfulinerinnenflöfter in granfreid) finb burd) bag Kongreganiftengefe| bom ^a^re 1904
aufgeboben. ®er Drben ift nod; in ber ©d)toeij mit 2, in Belgien mit 24, in £>otlanb
mit 15, in ©rofebritannien mit 8, in ©banien mit 2, in Portugal mit 3, in Italien 40
mit 17 Klöftern bertreten.
^n Italien giebt e§ nod; nid;t fongregierte Urfulinerinnen. 1864 mürbe mit ©e=
nefjmtgung 5ßabft ^3iug IX. bon ber ©räftn ©lifabetb, ©ribeßi baä urfbrünglid;e ^nftitut
ber Angela SUlerici roieber errietet. ®ie 9JiitgIieber ber Kongregation bon Sreicia unb
bie bes frommen SereinS bon ber unbefleften @mbfängni§ leben al§ weltliche Urfulinen 45
in i^ren gamilien. ©ie legen nur ba§ ©elübbe ber Keufdjfyeit ab unb toirfen als @r=
gerinnen in bornefjmen gamilien.
3n SZorbamertfa baben bie Urfulinerinnen 24 Klöfter, in ©übamerifa 5, in 2lfien
unb %aüa 3, in 2lfrifa 2 ^enej in Algier unb Sarberton in Srangbaal, in Sluftralien 1
ju Slrmibale, bai mä^renb bei beutfd;en Kulturfam^feS bon au§ 3)uberftabt in §annober 50
Vertriebenen Urfulinerinnen gegrünbet rourbe. Sie ©efamtjabl ber ©d;meftern giebt
§eimbuct)er (1,519) auf etma 4500 an.
$abft Seo XIII. b,at, äb,nlid; mie bei ben Senebiftinerorben, aud; bei biefer lofe
äufammengefügten ©enoffenfd;aft burd; ein ©d;reiben bom 21. ^ult 1899 an alte SBtfdjöfe,
in beren Siöcefen ftd> Urfulinen finben, berfud;t, einen fefteren 3ufammenbang b«bei= 65
jufübren. Sie bereinigte Kongregation follte in 3iom ibren ßentralfi^ erhalten.
^ie Sebeutung be§ Drben§ beftebt b«nte bor allem in bem Unterricht, ben bie
Urfulinen roeniger tn ber aJJäbd}enbolf§fd)ule, al§ in ber böseren Xöcb,terfd)ule ausüben.
^ie ©rjiebung bon 9Mbd;en in ^enfionaten, bie mit ^nbuftrie= unb Kunftfcbulen ber=
bunben finb, bie §eranbilbung bon 2e(;rerinnen unb (Srjie^crinnen l;abcn fie fid; jur 2luf= 6u
360 UrfuHnertmten ttffJjer
gäbe gemalt. SDabei ift bic ©rgiefmng natürücb. ftreng Iird£>üdE> abgegroedt unb foH jum
fleißigen ©mbfang ber )?l. ©aframente, jum täglichen S3efud^> ber bJL 9Jceffe, jur Seftüre
ber fyl. Segenbe, jur Kontemplation unb ©etoiffenerforfd;ung , enblid) jur Pflege ber
religiöfen Kongregationen, bor allem be<§ 23unbe§ ber JRarienfinber unb be3 2lboftoIat3
b ber cfyriftlict)en Softer ober ber ©rgbruberfdjaft ber fyl. 2lngela anleiten.
©. ©rii^nta^ei;.
Untgunt). — SHtteratur: Dr. Straüjo, Geogr. nacional de la Eepublica Oriental
del Uruguay, 2. Slufl. 1895; %. ß. ©arofon, The South- American Eepublics, 1. 33b 1903;
(£. W. Sftaefo, Desr. general de la Eepublica Oriental del Uruguay 1900; ^nnbbuct) be§
iü SeutfdjtumS im SluSIcmbe 1906; Encyclopedia Britannica; SSriefl. Witt. üon Sänjiger,
Sßaftor in 9ftonteütbeo.
©ie Sftebublit5 tourbe 1828 ein felbftftänbiger ©taat. infolge be§ Unab6ängigleitg=
friegeS be§ heutigen Argentinien gegen ©banien mar ba§ h\§ babin fbanifd)e ©ebiet am
Uruguay, „Banda Oriental" genannt, bon 23rafilien befetjt »orben, roaS aber 2trgen=
15 tinien Don 1825 — 1828 mit ben Sßaffen erfolgreich rüdgängig machte. 3um ftieblicfyen
2lu3gleid) fcbuf gleicbmob, l (Snglanbg Vermittlung aus bem umftrittenen Sanbe ben neuen
©taat, meld)er 1830 feine SBerfaffung erhielt, $n biefer ift jroar bie römtfcb^fatfyolifcfye
Religion ab» bie be<§ ©taateS anerfannt, aber aucr) aßen anberen Kulten ©ulbung ju=
gefiebert.
20 ®ie Sebölferung, im ganzen über 700 000 ©eelen (1900: 683 000) auf 186920 qkm,
befielt ber 2lbftammung naefy jum größten SCetI au§ 3)ieftijen, abgef eben bon ben ©inmanberern
unb 2lnf äffigen be§ 19. ^abrbunbert§, feien e§ ©urobäer ober SBrafilianer unb 3trgen=
tinier. ©ie finb faft burdjtoeg latb, olifd), toie ja fd)on bie erfte toirflid)e Kolonifation be§
2anbe3 burd) SRiffionät^ätigleit ber ^efuiten unter ^Slnltbb III. borgenommen tourbe,
25 beren Drben atlerbingg bem ©efe|e nad) bie Sebublil ju meiben b,at. ©e^r fbät aber
tourbe ba§ ©ebiet ju einer felbftft'änbtgen ©iöcefe, nämlicb, am 15. %uli 1878, natürlid)
mit bem 33ifd)offi|e in ber £aubtftabt. ©ie umfafjt 40 Pfarreien mit 18 Filialen, Don
130 ^rieftem bebient.
®en broteftantifdjen Konfeffionen gehören etwa 5500 Sewobner an. Unter ilmen
30 finb bie $Deutfd)en infolge ber ftarlen ©inmanberung bon ©d)meiäern am jab,Ireid)ften.
©ie befi|en jebod) nur gtüet organifierte ©emeinben, bie eine (feit 1857) in 9Jcontebibeo,
roelcfee ein toürbige§ ©otte^b, aug %u bauen im Segriffe ftebt, bie anbere in 9cueba§elbetia;
bie erftere beftebt %. 3- a"3 150 gamilien unb fyat an einer gehobenen 33oIf8fd)ule eine
©tü^e für bie 2Beiterenth)ideIung. 2lud) bie biel jab,lreid)ere jtoeite ©emeinbe befitjt
35 eine ©dmle. 33eibe fd)loffen fid; ber „@t>angeUfd)en Sa ^Iata=©^nobe" an unb unter=
ftellten fid) bem berliner Dberfird)enrat. — Älter unb »ermögenber ift bie 2lnglilanifd)e
©emeinbe mit ©dmle unb etma 1800 ©eelen. ©aju beftebt eine beträd)tlid)e 5Retbobiften=
gemeinbe, i>on ben bereinigten ©taaten ^Rorbamerifaö au§ gegrünbet. — SDer franjöfifd)en
©brache in Kird)e unb ©dmle bebient fid; eine 2öalbenfer=©emeinbe, auö $iemont
40 größerenteils eingemanbert. — ®a§ llnterrid)tämefen beg ©taateS ift berb,ältni§mäiig feb,r
geförbert. @3 finbet obligatorifd)er unb unentgeltlicher 33efud) ber 3Solfefcbule ftatt unb x
man gä^It nabe^u 900 ©d}ulen (500 öffentliche unb 400 toribate), bon melden in Söionte«
bibeo 620 fid; befinben, 53 in ©alto. ^ebenfalls meift Uruguay unter ben ©taaten
©üb= unb 3JcittelamerüaS ben regften ©d)ulbefud> auf. ©eine Uniberfität in ber §aubt=
45 ftabt Beftfct brei gafultätm (Stefyt, 3Jiebijin, gjJatb,ematil). SB. ©ö^.
Ufia f. Israel, ©efeb. bibl., 33b IX ©. 475, -i.
ltffljer (aueb, Ufb,er), ^aiob, @rjbifc^of bon Sirmagb, , geft. 1656. — Sittevatur:
Vernarb, Life of U. mit ber ©robrebe, 1656 ; mit ©rwetterunaen abgebr. üon ßlarte in Lives of
thirty two English Divines 1677, @. 277 ff.; 3f. «ßarr, Life of U. 1686 (oitggeäeicfjnet
50 butcf) Slbbvucf ber torrefponbenj U.§); SS. ^tüingbom, Vita U. 1700; St), ©mitt), Vita 1707;
S- SUfin in ber Biographia Britannica (ugl. b. Strtilel) 1812; berf., Life of U. 1812; glring=
ton, Life 1848 (mit neuen »riefen); SS. 33au\ Usher-Memorials 1889; ferner 33oob§ Fasti
Oxon. (tjeraugg. ü. S3Iife); $arrt§, Ware 1739, vol. I; ©rnnger, Biograph. Hist. of England
1779, II 162; ^ant, Hist. of the Church of Ireland 1S40, vol. I; «Reib, Hist. of the
55 Presbyterian Church in Ireland (tieraueg. ö. ®ißen) 1867, vol. I; 9DJitd)ea u. ©trut^erS,
Minutes of Westminster Assembly 1874;' Softer, Westminster Abbey Kegisters 1876, ©.126;
©tubbg, Hist of the University of Dublin 1889; gofter, Alumni Oxon. 1892, IV 1532;
©ibnel) See, Dict. of. Nat. Biogr. LVIII, 64; Encj-cl. Britan. vol. XIX.
Ufftcr 361
SDen gefcfyicfrtlicfKn Manien berbanft 11. feinen ttriffenfcfyaftlicljien Stiftungen auf bent
©cbiete beS ftrcbjicfyen 2IItertumS, beten 2lnfä£e jum %eü nocb, in Slnfefm ftefyen, nt<f>t
aber feinem Anteile an ben fircfyenbolitifdjen 2luSemanberfet3ungen ber geit, $ur 2)urd)=
fe$ung feiner ürdjliöpen ^beale in ben kämpfen, bie in einer bie Volffeele tief unb folgen*
fa)toer beroegenben (Sbocfye gtotfd^en Vrälatur unb Vuritanertum ausgetragen mürben unb 5
eine neue $fyafe beS englifcfyen ÄircfyentumS be^eic^nen, fehlte bem ^trcfyenmanne ber
SBagemut unb ber rüdfid^tglofe ©igenrotlle, ber mit parier gauft bie ©äfce tro$ig unb
fantig unb um ben 2luSgang unbekümmert auf ben %xfä ber geit roirft. 3lber als
ifyeologifcfyer ©djriftfteller ift er burefy bie glüäcliöge Bereinigung Don ©elefyrtengaben, raft=
Iofen Sammeleifer, fritifdje $raft, gefunbeS Urteil, Vertrautheit mit ben SebenSbroblemen 10
ber Vergangenheit unb 2)arftellungSgabe auägegeicljnct. — Von $rlanb auSgefyenb ift
feine SebenSarbeit gmifetjen feinem Vaterlanbe unb dnglanb burdb, 3 ^ab^elmte fyinburcf)
geteilt geblieben, um gulefct auSfcbJiefslicb, biefem an einer bebeutungSbollen Sßenbung
feiner fircfylicfyen unb bolitifcfyen ©efcfyiäe ju bienen. —
2luS bem angefefyenen ©efdjlecfyte ber noeb, jetjt blüb, enben 9iebilleS entfbroffen — ein 15
3Jebiße fyatte 1185 ben ifym Don $ob,n Vlantagenet Verliehenen SlmiStitel ostiarius
(usher) mit Vereinigung beS Königs als Familiennamen angenommen, — tourbe
11. als ©ofm beS ^afob U., ber am ÄönigSgericfyte in ^Dublin eine fyöfjere Stellung ein=
nafym, am 4. Januar 1580 in ber ©t. -KkfyoIa^Varodjrie bon ©ublin geboren, $n ber
bamalS blüfyenben ©cfyule ber beiben ©Rotten gullerton unb Hamilton, zweier bolitifcfyer 20
Agenten $afobS VI. öon ©cfyottlanb, bie unter ber SDecfung toäbagogifcfyer 2lbfid)ten po!i=
ttfcfye gfoeefe, Verbinbung be§ irif^^roteftantifd^en 2lbeIS mit ifyrem £>erm »erfolgten,
übrigen^ ftarl religiös intereffierter unb miffenfcfjaftlicb, fyerborragenber SRänner, borgebilbet,
trat U. auf Veranlaffung feines DfyeimS, beS nacfymalS (1595—1613) jum ©rjbtfdjof bon
2lrmagf) erhobenen §enrb. U. im Januar 1593/94 in baS SErimtr; ßollege, Dublin ein. 25
Seine ©tubien umfaßten f)ier bie gried>ifd^e ©bracr)e, bie Slriftotelifcfye Vljilofobbje, ©e=
fa)icf)te unb §ebräifcr;, mobet ein frü^> fieb, entnndcelnber ©inn für tfyeologifcfye unb d§rono=
logifcfye Vrobleme, berbunben mit eifernem gleifje, ifm jum ft)ftemattfcr)en ©tubium aller
ilp bamalS erreichbaren Sßerfe über biefe 2öiffenSgebiete trieb. $n ben Qafyren 1597
bis 1600 nafym er bie üblichen ©rabe, würbe geüoto bon SErinitt) (Soll, unb liefe fiefy, 30
naa^bem er feinem bäuerlichen Vermögen §u ©unften feiner Vermanbten entfagt, bon feinem
CBeim 1601 bie geiftlidjen 2öett)en erteilen, obrool)! er baS fanonifcfye Stlter nod) nicfyt
erreicht fyatte unb ben SieblingSmunfdb, feines VaterS, ber ifyn für baS Stecfytftubium be=
ftimmt b,atte, bamit burcb.Ireujte. ©cf)on 1605 tourbe er jum §aubtbfarrer bon ^inglaS,
um biefelbe $eit jum ^'an^ler ber ©t. Vatriäc'S ^atb,ebrale in Dublin unb 1607, nac£)bem 35
er einen tfyeologifa>en ©rab ermorben, §um Seftor ber Geologie ernannt.
Sitte biefe ©fyren fielen ib,m in ben ©cfjofj, toeil er aus einem lebenbigen (Smbfinben
für bie bie geit bemegenben religiöfen SRädbte b,erauS unb um bie ©rftbjiefjung geiftiger
33ilbungSmögIicf;Ieiten bemüht, frü^ bie ©cptoingen feines ©eifteS geregt unb buret)
glücflitt^eS (Singreifen in bie bamalS bon ber römifc^en Äontroberfe beb,errfcb,ten ©trebungen 40
unb ©timmungen feinem jungen tarnen Sichtung ju berfc^affen gewußt ^atte.
©cb,on 1599 ^atte er burd§ eine b^ilofob^ifd^e ©iSbutatton, bie bemerfenStberten
Scb,arffinn unb eine niöpt getoö^nlidb.e Velefenb,eit in ben Vätern berriet, bie 2lugen auf
fieb, gejogen; als ib,n hierauf ber gelehrte ^efuit §. ^. gi^fimonS mit Vettarminfcb.en
liefen öffentlid) angriff, braute ber faum 20jä^rige 11. feinen ©egner nict)t nur jur fo= 45
fortigen Slufgabe ber litterar ifc§en A-eb^be, fonbern aueb; ju bem 3eu9n^ • ^- fe^ e'n
iuvenis praecocis sapientiae, non malae indolis, „unter ben Sfäcfytfatfyolilen ber &\t
ber geleljrtefte SRann." — ®iefe ©aö§e b,atte jur golge, bafe er bon ba ab ber Söfung
ber irifd^römifcfyen grage als bem j. 3. alle anbern Qntereffen in ben §intergrunb
brängenben Probleme feine Gräfte unb Neigungen ^utoanbte. SDie SSaffe jum ©treit 50
fudEtfe unb fanb er in ben ©Triften ber Äirc^enbäter, beren ©tubium er in täglicher
lectio continua, 18 ^ab,re b^inbureb,, bis er „fie alte burdciftubiert b,atte", betrieb,
liefen batrtftifcfjen ©tubien blatte er, als er in ben nun folgenben ^ab,ren, bie in bem
bon bolitifct/en unb lonfeffionetlen Äämbfen jerriffenen Sanbe eine 3flenge alter Vinbungen
Iöften, mit immer ftarfer, je unb bann entfdpeibenber §anb in baS lircl)Iicb,e Serben unb 55
©eftalten eingreifen burfte, in erfter Sinie feine ©rfolge ju berbanlen. —
Slucb, bie Verüb, rungen mit bem ©eifteSleben ©nglanbS, bie um biefe 3e't 6°' '^m
einfe^en, mürben für ib,n in biefer ^icb^tung bebeutungSboll. SllS im ©ejember 1601 bie
©nglänber in ber blutigen ©c^Iac^t bei Äinfale ben irifcf)en Slufftanb niebergebroeb/en
Ratten, luar bon ben Offizieren ber fiegreicb,en Slrmcc, in ber 2lbfid;t, bie geiftige Hebung 60
362 ltpcr
beS triften SSoIfeS in bie SBegc ju leiten, aus ber Seute eine Summe Den £ 700 jur
©rünbung einer UmberfitfaSbibliotfyef' jur Verfügung geftellt roorben. ®a in $rlanb
mtffenfcfyaftlicfye Kultur bis babin noeb, leine ©tätte gefunben, rourbe II., ber burd) feine
auSgebetmten 2lltertumftubien für bie 3JUffion am meifien fid) empfahl, mit feinem
5 greunbe Sufe Gfyaloner 1603 jur ©rmerbung geeigneter SBücfyer unb ipanbfdjriften naefy
(Snglanb gefdndt. SDiefe Reifen, bon ba ab in Jurten gmifetjenräumen mieberfyolt (bis jum
Qafyre 1640), brachten it}n auf bie 33afm, bie ifyn auf bie §öb,e feines rotffenfcfyaftlidjen
£ftul>meS führen füllte, unb fyaben bem gmede, ber fie beranlafjte, im roefentlidjen ent=
fprocfyen. SBiel größerer ©eroinn inbeS erwuchs U. perfönlid) aus innert burefy bie freunb=
io fdiaftlicfyen Schiebungen, in bie er ju ben englifdjen ^Bibliophilen unb Sibltot^eJSs
grünbern ©ir %h,oma§ Soblefy, ©ir Robert Sotton, Samben, ©elben unb ©pelman trat,
liefen Scannern berbanfte er ftarle Hilfen jur Söfung feiner 9Jtiffion in ©nglanb.
2lber er mar nid)t allein ber ©mpfangenbe. ßamben nafym in bie neue 2luSgabe
feiner Britannia einen 2tuffa| über bie ältefte ©efcf)id)te ©ublinS bon ber §anb U.S auf,
15 qui, mie er in ben einfübjenben Söorten bemerlt, annos varia doctrina et iudicio
longe superat; ©pelman lieferte U. für fein Glossary eine gelehrte Slbfyanblung über
baS altirifcfye ^irdjengutSrecb,:, bie bureb, bie gelehrte unb fd)arffinnige ^larfteßung obfoleter
SegiSlaturfragen ifym bon bem Herausgeber ben ©fyrennamen: literarum insignis
pharus einbrachte. — 5Racr; ^rlanb jurüdgef et)rt , erhielt er ben Sefyrauftrag, an ber
20 Uniberfität bie tfyeologifcfye kontroberfe jmifc^en 9fomaniSmuS unb 2tngliIaniSmuS ju ber=
treten (bie SfiegiuSprofeffur mürbe erft 1674 eingerichtet), promobierte 1612 jum Dr. ber
Geologie unb mürbe 1614 SSt§efan§Ier ber Uniberfttät.
infolge jenes Auftrags griff 11, megen feines grünblictjen 2BiffenS auf tfyeologifdjem
unb antiquarischem ©ebiete nun als einer ber erften 9Jcänner gefdjä^t unb burd) bie
25 $raft einer innerlich Karen ^erfönlicbleit ju einer Höfye beS SebenS gelangt, bie greunb
unb geinb nötigte, mit ifym ju rennen, um biefe geit in bie gereiften Jircr/lid;ert
kämpfe jmifc^en ben beiben um bie §errfd)aft in $rlanb ringenben Parteien ein.
®ie irtfcb^roteftantifcfye $ird)e, bamalS ein ©pielbatl englifdjer S3eget)rltc^fett, mar
in l)offnungSlofer Sage, ©ie berfügte roeber über ein anerfannteS ßrebo noeb, über eine
30 innere Drgamfatton. 1560 fyatte eine ^ubliner ©imobe baS ßommon ^}rat)er Soor
jrcar formell angenommen, aber bie 39 3lrtifel, meiere biefeS borauSfe|te, Ratten bei bem
ftreng calbinifd) gerichteten $leruS, ber in bem englifcfjen Import jubem eine SBebrolmng
ber irifcfyen greib/eiten argmöfmte, niemals 21nerlennung gefunben. Um Älarfjeit in bie
Sage ju bringen, berief bie (englifcfye) Regierung 1615 eine ©fynobe nacb, ®ublin, bie
35 nac^ englifdjein 35orbilb bie SBilbung einer (geiftUcfyen) ^onbolation jur Beratung inner=
Iird)licb,er fragen, eines !ircb/Itcb/en 33efenntniffeS unb ber ©elbftbefteuerung beS ÄleruS, in
bie üföege leiten foHte. lt., ber als eins ber b/erborragenbften SJUtglteber ber 3Serfgmm=
lung, noeb, unbelümmert um bie dornen beS $fabeS unb mit gefcb,loffenen Über=
jeugungen, feine gorberungen auf ben 'üLifcb, roarf, fe^te nacb, längeren ^ätmpfen bie
40 j(>S- »3rWen 2lrtilel" buret), bie im mefentlicfyen fein Söerl roaren. Slntirömifcb, unb
j)uritanifcr; jugleicb,, galten fie jmar bie ©runbftimmung ber Conf. Anglicana bon
1559 feft, meinen aber im einzelnen nicb,t nur naefy gorm mie ^nfycdt bon ib,r aht
fonbern nehmen einerfeitS aueb, bie bon bem angti!anif4)en ©taaiSitrcf/entum abgelehnten
ftreng calbinifcb.en Sambetliartüel (bon 1595) herüber unb rieten fieb, anberfettS in
« fc^arfen ^Beübungen gegen baS römifcb, e ©Aftern : ber $apft fei ber 2Renfd) ber ©ünbe,
bie „lat^olifc^e $ircf;e ttic£>t bie römifc|)e, fonbern bie unficfytbare", baS D^fer ber SDteffe
„b,öc§ft fünb^aft", „religiöfe Silber jeber 3lrt ungefe^lia)" unb untertaffen bemufjt bie
Seb,re bon ber Ordination unb bon ber b^ierarcb.ifclien 9tangorbnung beS ÄleruS. — Slber bie
an biefen SKittelroeg ge!nü!pften Hoffnungen bermirflicb,ten fic^ rtic^t. ®ie Puritaner im
50 9brben ber ^nfel lehnten biefe 104 2trtifel tro£ it)rer antirömifc^en ©cb,ärfe ab, baS irifcfe.e
Parlament tt>at, obgleich bie ©tmobe unb ber irifcb,e $rimaS fie angenommen unb ber
33igefönig fie im 9tamen beS Königs unterjeicb.net b,atte, baS ©leiere, unb bie Äatfyolifen,
bureb, bie butitanifcfyen §erauSforberungen aufs b,öc§fte erbittert, fdjürten bie ©timmung
gegen bie 2lrtilel unb ibren 35erfaffer buref) SSerbäc^tigungen in bem 5Ra^e, bafe %aiob I.
55 balb barauf ablehnte, li. als „einen berla^ten Puritaner" bei §ofe ju empfangen (1619).
@rft ein ©^reiben beS ^rifcb, en an baS (Snglifcf/e ^5ribt) Council roanbelte ben Unroillen beS
MönigS, ber an bem ©eleb,rten julettf fo großes ißo^IgefaUen fanb, bafe er ib,m baS eben
erlebigte SiStum gjceatb, in ©naben übertrug (1621).— 5Racb, Qrlanb gurüdgele^rt, fe£te
U., obgleid) bie nun eintretenbe Stnberung beS ipolitifctien Programms feitenS ber eng=
60 lifcb,en Regierung bie Stücffic^tna^me auf bie Matfyoltfen jur 5JßfItd£)t machte, feine ganje
Ufffjev .%3
Mraft an bie ÜbcrWinbung bezw. Skrför/nung ber 3tömifdE>crt unb fyatte, bon bcn Männern
bcr milberen Xonart afe $rieben§ftbrer bei ©eite gefdwben, zulegt bie ©enugtfmung, bafe
Sorb galflanb, ber neue (Statthalter, in feinen StRa^na^men gegen bie Verweigerer beS
©ubrematScibeS (SMufanten) ju it)m feine 3uflud)t nehmen mufjte.
©iefem ffiegierungSbtenfte r)atte 11. ee Wob,l ju bcrbanten, baf$, als er bon lfj2o — 2(j 5
mit unbeftimmtem Urlaub auf ber ©ud)e nad) alten SDruden unb .fjanbfdjriften abermals in @ng=
lanb War unb in biefer geit ba§ irifebe (SrzbiStum 2lrmagb, burd) ben lob Dr. §ambtonS
hei Würbe, gafob I. Wenige 'Sage bor feinem Xobe 11. jum ^rimaS bon S**0110
(22. 9Rärz 1624/25) bureb, Übertragung beS ©rzbiStumS berief.
tiefer ^bmgSbanf für geleiftete ®ienfte _b,at ifym in ber golgejeit eine Saft auf= 10
gebürbet, beren SDriuf unb Stnfbrucb, ju überWinben er, ba feine innere 2lrt auf grof$=
jügige SifdwfSarbeit ntcf>t angelegt roar, bie ^raft nid)t befafe. 3)ie $ird)enbrobinz or)ne
georbneten ©ienft, Pfarreien, ®ird)en unb Spulen in flägltcf/em ©tanbe, baS ^irdjengut
an ©ünftlinge ber Regierung berfebjeubert unb unter ben mit ben 9Jtaf$nar)men beS
^ijefonig§ unjufriebenen Siatfyoltfen eine gefährliche ©ärung. 21IS galflanb einzulenken 15
begann, erfjob U. als %üi)xa ber broteftantifcfyen Partei ©infbrueb, gegen „bie red)ilid)e
2lnerfennung einer abergläubtfctjen unb gö|enbienerifcb,en ©eüe" unb leimte jebeS @nt=
gegenfommen gegen bie fatfyolifdjen üffiünfdje ab. ®ie Jyolge roar, baf$ bie Regierung
mtnmefyr eine feftere unb Ilarere Haltung (unter bem rüdfict/tSlofen ^Radgfolger %ali=
lanbS, Sorb SBentroortb,, bem nachmaligen @arl ©trafforb) annahm unb nunmehr ber 20
ernfte Verfucb, gemalt werben lonnte, ber alles innere Seben erftiefenben fircfylicljen Un=
orbnung ein @nbe ju feiert. (Srgbifc^of Saub tfyat gemeinfam mit 33ifdwf Vramljall bon
Sonbon aus bie einleitenben Schritte, unb am 14. Qult 1634 Würbe eine SSerfammlung
(Parlament unb ^onbofation) berufen, ber ü. ein ®ird)enbrogramm borlegte, baS „ofme
Särm" ben @rfa| ber 104 ^rtfd^en Slrtilel, alfo feiner eigenen ©djöbfung, bureb, bie 25
39 Slnglilanifdjen Slrtilel anftrebte, ein Dbfer feiner berfbnlidjen Überzeugungen in ber
ßird/enfrage, baS er mit ber füllen Hoffnung zu rechtfertigen fudjite, ber ©tanb ber
irifcfyen Ätidjie werbe, ba bie 104 unb bie 39 Slrtüel Wefentlia) am gleiten Sefyrgut feft=
gelten, mdc)t gefef/äbigt werben. SSentroortl), ber auf 3rlan^ ^n^> auf bk Regierung
kaxlz I. feb,r bringenbe Siüdfidjten zu nehmen fyatte, »erlangte lurjer £>anb bie 2lnnal)me 30
ber Conf . Angl. unb fe|te feinen Söillen gegen U.S fyalty erjige, auf bie irifcr)e ©elbftftänbigleit
gerichtete Sftettungöberfucfie bureb,. ^Jlur bei ber ^Beratung ber englifef/en Canons (33eftim=
mungen über ^ultfragen unb 9Beir)en) blieb ber ^$rima§ auf feinen gorberungen inforoeit
feft, al§ er bie Umarbeitung be3 23ramr)altfcr)en @ntrourf§ erjroang unb it/m in einigen
3lrtifeln (Drbnung be§ (SotteSbienfteg, ^irct)enfc^muc!, ©rteilung ber SBeifyen u. a.) einen 35
milb buritanifc^en 3«g gab. §atte er bamit bem anglifanifdjen §ocr;brucl, ber unter ben
g-orberungen ber reltgiö^bolitifcf/en ^ettlage aEe Mittel, 3flecb,t§brucb unb 23ergeroaltigung
ber ©eroiffen, für erlaubt lüelt, nachgegeben, fo rourbe biefe gefällige Beugung Oor ber
Saubfdjen UniformierungSbolitil in ber ^olge ber 2lnlaf$ bitterer älnfeinbungen, bie ber
broteftantifdje §aubtftamm ber ^nfelbeoöllerung, bie entfct)ieben buritanifet; gefinnten 10
fcf)ottifcb,en 2lnfiebler im Sorben, gegen ifyren ,,^bflicr)en unb fäufliclien" ^rima§ richteten.
©nblicb, »erfucb,te er, nad^bem SBentroortb, bie berüchtigte High-Commission in %x=
lanb burcb,gefe|t unb U. beren Seitung übertragen Ijatte, an feinem Xeile beren b^arte
Seftimmungen inforoeit ju milbern, al§ er Mnen Äatb,olifen Wegen feiner religiöfen Ueber=
jeugungen Verfölgen Iie§ ; ib,re rect) tltdt)e 3lner!ennung inbe§ £> at er fein ganjeS Seben b, in= 45
buro^ mit allen Rechtsmitteln, beren er r)abl)aft Werben lonnte, ebenfo energifd) befambft,
toie er bie Vergewaltigung 2lnberSgläubiger in ©eWiffenfao)en berWarf. —
2lucb. in ben ftaatSmännifc^en ©efcb.äften, in bie bom ^af)re 1640 ab ibn feine eng=
lifebe SebenSebifobe jog, fehlte ib,m bie burd;greifenbe unb glücHic^e §anb. SDen 3tuf=
gaben einer ^eit, bie troij aller 35erirrungen unb SRa^lofigleiten an grofjen, tf)araltcr= 50
Dollen Männern tretet; War, War er nid;t geworfen, ©elbft nacb, ben irifcfjen ©rfabvungen
bermocljte er nicb,t, bie 3Jlenfd;en unb bie ©inge nad; bem inneren SSerte ibrcS dh3)t$
unb ibrer 2Sab,rr)eit ju meffen; inbem er auf bie ®ingc faf> in ib,ren S3ejieb,ungen ju
ben 5)Jenfd)en, geriet er in ©ct)WierigIeiten unb SSerWidelungen, , an benen nicb,t immer
feine fd)limme ßeit, fonbern er felbft mit feinen gebrochenen Überzeugungen fd;ulb War. 55
3n %xlanv b,atte bie llnmöglidjleit, Drbnung in bie fircf>ttdt>c Sage ju bringen, bie
BrüSlen 3ftüd'fid)tölofigleiten beS (Statthalter^, ber ©roll unb StrgWolm ber mit buritanifd)cn
Sroden bürftig abgefbeiften ^roteftanten unb ber berbitterte Wrimm ber «atbolifen
it)m bie greube an ber älrbcit berborben, bielleid;t aud; bie Un^tlänglicb,feit ber eigenen
toaÜ gejeigt. eo
364 ltfffjer
2l(g er mit einem neuen Urlaube im 9Rärj 1640 Strmagfy berließ, um in (Snglanb
feiner lüterarifcfyen fiufee ju leben, afynte er nicfyt, baß er in ein Sanb ber ©türme
ging. ^m 9tot>ember Würbe ba§ Sänge Parlament eröffnet, in bem ba§ SofungSWort
ber ©roßen Siebellion fiel, mit ber bort aufgeworfenen §rage nad) bem göttlichen 9tecr)te
5 be§ @biffobal= ober $re3bbterialftoftem§, bie bamal§ bie Parteien ju maßlofen 2tu<o=
fcfyreitungen trieb. SDie englifdjen unb fdjwtttfcfyen Puritaner unb bie eben auflommenben
Qjnbetoenbenten, bom rafet; auffteigenben ©influß im Parlament trunlen gemalt, bebeuteten
bon ©iijung %u ©i|ung eine immer brob/enbere ©efa^r für Bistum unb ^rälatur. 35a
friert U.3 ©tunbe gelommen ju fein, ber, als ein SRann in ber ©unft beS Königs unb
io bon 1634 fyer aud> als ein ben Qntereffen ber Puritaner Wohlgeneigter $rälat, nad)
beiben ©etten p Vermitteln unb bie berbinbenben gäben in ber £>anb ju galten rote fein
anberer geeignet War. SDurct) häufige ^Srebigten bor ben Lariam entSf üb, rem unb in feinem
Berlefyr mit ben buritanifdjen Prangern fucfyte er bie ©bannung jWifdjien ben Parteien
abguminbern, entwarf, um ben ^ntranfigenten ben Söinb auS ben ©egeln ju nehmen unb
15 um ju retten, WaS noeb, %u retten War, über bie im ©inne eines gemäßigten @biflobal=
fr/fiemS anjuftrebenbe ÜReuorbnung ber firdjlidjen Angelegenheiten, fonberlict/ ber Ber=
faffungSfragen, eine SDenlfdjrift, bie, unbollenbet unb für bie Öffentlichkeit noef; nidjt be=
ftimmt, entWenbet unb oljme fein BorWiffen unter bem %\td Directions of the
Archbishop of Armagh concerning the Liturgy and Episcopal Government gc=
20 brueft Würbe, ©ie itmrbe bon il)m felbft mit §ilfe einiger einflußreicher Parlamentarier
berfolgt unb unterbrüdt, fo baß gWeifel auf ^ ^Etedjtfyeit eines ber bebeutfamften
ttrc^Ii^en ©olumente jener gett gefallen finb; aber am 12. 9Jlärj nal)m ein geiftlidjer
2luSfd)uß unb lurj barauf bie buritanifdjen güfyrer ben (Entwurf, ber an bie ©teile ber
Btfcfyöfe ©uberintenbenten gefegt Wiffen Wüßte, an, unb Karl I. griff fttäter, um aus feinen
25 legten 9föten einen ÜKuSWeg ju finben, (lurj bor feinem Slobe 1648) barauf bergeblid;
jurüd; fein ©ob/n Karl II. inbeS legte il)n bei feiner ÜRücffefyr $um %i)tom (1660) feiner
Declaration ju ©runbe.
2ludj im ^ocr/berratSbro^eß gegen ©trafforb blieb U.S Haltung nid/t ganj ein=
Wanbfrei. Bon Karl in ben engern 2IuSfct/uß gebogen, Warnte er ^War, als ber einige
30 SJlann, ben König, baS ^EobeSurteil ju unterzeichnen, tbenn er „nid/t bon ©trafforbS
§od/berrat bößig überzeugt fei", bergoß aber %i)xänm nad) ber Unterzeichnung unb wagte
auet) einige abfällige SKorte bor bem Könige, aber bod) nid^tg mef)r als biefe. —
%n ^rlanb waren injWifd/en infolge beS bort aufgebrochenen blutigen 2IufftanbS
(1641) gefe|Iofe .ßuftanbe eingetreten, bie U. buref; ben Serluft feiner Qabt jum armen
35 3JJanne gemalt Ratten; nur feine große SBibliotfyef in ©rogb^eba, bie fbäter nacb, Sonbon
fam, war au$ bem Untergang gerettet worben. ©a§ blatte ben $önig beranlaßt, il)m
ba§ englifdje SiStum Sarli^Ie ju überWeifen, ba§ if>m jwar, infolge ber Irtegerifct)en
äöirren im englifd)en Sorben, (Sinfünfte nid)t brachte, aber in ber golge infofern bebeut=
fam für ifm Würbe, al§ feine Berufung j$u ber SBeftminfterberfammlung bura) bie eng=
40 lieble ^ßrälatur jum ^Eeil mit beranlaßt Würbe. $ier Würbe in ben Beratungen bielfaa)
auf U.3 3rifct;e 2lrti!el jurüd'gegriff en ; in ber ©c|lußreba!tion b,at bie ^onfeffion bie 3ln=
läge, 2lufeinanberfoIge unb bie Überfdjiriften ber U.fc^en Vorlage I)erübergenommen —
nur jWei neue 2lrtilel, bon ber ©eWiffen^freib,eit unb ber ©l)e, finb baju gelommen, —
aber fein in ben Directions borgetragener Sorfcbjag eine§ jur ©uberintenbentur er=
45 niebrigten @bif!obat§, an bem bie Puritaner freiließ ifyr 2Bof)lgefallen Ratten, fiel burc^ ben
©infbrud) beg 5?önigg. ^nfolgebeg jog U. fid? üon ben Beratungen gurüd unb fdjleuberte
nun olmmäcfytige unb b, efttge Vorwürfe gegen „bie gefetjlofe unb fd)i§matifd;e SSerfammlung".
£>a3 Unterb,au§ ließ feinen tarnen au§ ber 3)iitglieberlifte ftreid)en, feine ^ßribatbibliot^e!
Ionfi§jieren unb t^n berfönlid; bebrofyen. ©o berbradjte er bie nädjften ^ab^re rub,elo§
so auf ber glud)t bei rot;aliftifd;en greunben bis jum ^ab,re 1646, Wo er, bor bem Court
of Examiners Wegen feiner Bedienungen jum Könige in Unterfuc^ung genommen, aber
Wegen mangelnber BeWeife freigegeben, in Sonbon feine antiquarifcfyen ©tubien Wieber
aufnehmen lonnte. §ier Wägten ib,n feine toolitifdjen greunbe, bie b,odjangefeb,ene
Quriftengilbe bon Sincoln'S Qnn, (1647) ju il>rem ^rebiger; aud; in feinem Bistum
55 ßarlisle fd;eint er um biefe 3eü m *>en Sejug bon ©inlünften gelommen ^u fein , fo
baß er in feinen legten Seben§jab,ren bor äußerem SRangel gefct)ü^t blieb. —
Um fo tiefer berührte ib,n ber 2lu§gang ber roba!iftifd;en ^ragöbie. 21I§ ^arl feine
legten Berfyanblungen mit bem Parlament, gegen beffen unberföf)nlidje 3Jiaßnab,men U.
bom 5Robember 1648 an in feinen ^ßrebigten bon Sincoln'S Qnn gebonnert fyatte, Wicber
60 aufnahm, berief er neben anberen Bifdjöfen aud) U. ju fid;, ber ib,n ^War in ber Bifd;ofS=
ltfff»er 365
frage auf ble oben angebeutete 9JcitteIlmic z« brängen fudjte, anberfeits aber in ben
Sßerfyanblungen mit ben jur legten ©ntfcfyetbung entfcfyloffenen SDiffenterS mit feinen ror;a=
liftifcfien Überzeugungen rüdfyaltSloS fyerauSging. 9Zac6, bem jäfyen 2tbbrud) ber Berr)anb=
lungen lehrte er bon GariSbroof ßaftle, iuo er in ber Umgebung beS gefangenen Königs
ausgebaut blatte, nact) Sonbon als ©aft ju ber üjmt befreunbeten ©räfin b. Veterborougb/ 5
jurüd unb mujjte Don beren £>aufe aus „mit aufgehobenen §änben im ©ebete ringenb
unb unter Kummer, ©cfyroadj)f>eit unb Stlter zufcimmenbred)enb", ben Vorbereitungen zur
§inrid)tung beS bon ifym fo fel)r geliebten Königs jufeb,n. —
(Sine ©inlabung 9ttcf)eIieuS, ber ifym nact) bem %aU beS Königs eine Venfton unb
freie SWigionSübung in granlreicb, angeboten Ijaben foll, entfbrad; er nicfyt. Vielleicht 10
aus ©rroägungen fyerauS, bie infolge ber anfangs roofylroollenben §altung beS 2orb
-}>roteftorS ben faft gebrochenen ©reis auf eine Rettung eines XeilS feiner firdjlicfyen
^beale nodE) r)offen liefj. @iner SSitte um freie 3ieIigionSübung, roenigftenS in bribaten
Greifen, bie er als güfyrer ber Sonboner e^tgJo^alen ©eiftlidjen an ßromroeH richtete,
rourbe anfangs entfbrocfyen ; als U. inbeS um fcr)riftltd}e gufage bat, fut)r Sromroett ge= 15
fränft auf unb lehnte fdjroff ab.
©iefe 2lbmeifung mar ber lefcte ©cfylag, ber ilm traf unb feine legten lircb/lidjen
Hoffnungen jerbracb,. %a\t erblinbet 30g er fieb, gu feinen roiffenfd)aftlid)en arbeiten zu=
rüd unb erlag einer Sungenentjünbung, bie feine legten Gräfte rafd) berjetyrte. „Vergib
mir, £err, meine ©ünben, infonberfyeit meine Unterlaffungfünben", baS füllen feine 20
legten 2öorte geroefen fein. 21m 21. 9Jiärz 1656 entfdjlief er, böltig gebrochen im
76. $af)re feines SebenS. — ®ie reichhaltige Bibliotfyel, bie er bei feinem 2lbfd;eiben nod)
befafe, mürbe Dorn Vroteltor $oI)n Droen zur Prüfung überroiefen, fobann für 22 000 £
angefauft unb nacb, bem üfteto GoUege bon Dublin übergeführt, enblid) nacb, $arlS II.
9ftidfel)r nacb, üffifntefyall bon btefem bem Srinitr/ College in ©ublin, mit bem U. fein 25
ganzes Seben tyinburdj in enger Verbinbung geblieben mar, als $önigSgefd>enf über=
triefen. —
©in erfreulicheres unb einheitlicheres Bilb als U.S orgamfatorifcfye unb bolitifdje Slrbeit
bietet bie Betrachtung feiner lirdjlicfyen unb miffenfd;aftlid;en Setftungen. 2luS=
gejeic^net burd) ein trefflicbeS ©ebäd)tniS, ein ©eteb/rter Don reifem Söiffen unb großem 30
©cfyarffmn, b,at er bie ttyeologifdje 28iffenfd)aft feiner ©bocfye in tyerborragenber Söeife be=
einflufst unb ifyr in einigen ^DiSjiblinen baS ©ebräge feines ©eifteS gegeben. ©elbenS
QeugniS, er fei vir summa pietate et integritate, iudicio singulari, usque ad
miraculum doctus et literis severioribus promovendis natus, fbricfyt, roenn aueb,
nicb,t o^ne ben banegtyrifcfyen 3"0 bzv ©boc^e, baS allgemeine Urteil ber gätgenoffen aus. 35
®afe er, ein überzeugter Berater ^arlS I. unb jugteieb, bon Sromroeü b,ocb/geb/aIten, in ben
ttrajlicfyen Äämbfen ber $e\t bon ben beiben um bie 9Jlacr)t ringenben Parteien, ben 9ior;a=
liften unb ben ^5reSbt)terianern, geehrt unb roieberfyolt als ©clb.iebSriditer in ben fcfyroies
rigen, bureb, berfönltcb^e 2eibenfct)aft bertoirrten fragen in Slnfbrucb, genommen rourbe,
betoeift, ba^ beibe ©eiten feine geiftige Überlegenheit unb bie ©fyrluPeit feines SBoüenS 40
anerfannten. SDiit Saub, beffen ^od^ürd^Iic^eS Igbeal bem feinen nicb,t entfbraef), ftanb er
bon 1628—40 in angeregtem Vriefroecf)fel; beibe berbanb baS 3nt^r«f^ an ^cr SB'fff"1
ft^oft, bie Siebe jum 2lltertum unb ber ©egenfaij gegen 3lom, über beffen t£>eoIogifd)=
^olitifdje ftkk freilieb, tt)re Slnfcb.auungen auSeinanber gingen; auef) bie Uni=
formierungStenbenzen SaubS teilte U. nict)t, bertrat aber mit il)m __ bie gorberung beS 45
unbebingten ©et;orfamS gegen bie rechtmäßige Autorität. 2luS biefer Überzeugung fyerauS
betonte er bie 5ßfltc^t beS baffiben ©eb^orfamS, bie er in ber Bibel begrünbet fanb, mar
infolgebeS überzeugter Sfotyalift, ©egner ber rechtlichen Slnerlennung beS ^atb^oliciSmuS,
ben er als unbtblifcfyeS unb grunbberberblicfyeS ©t)ftem belämbfte, mäb/renb er bie gegen
bie Äatfyolifen gerichteten ©eroaltmafjregeln berurtetlte unb ben nid)t ftaatStircb^idien 50
btoteftantifeb^en ©emeinfcb,aften roeit entgegenlam. — 2lud) bogmatifcf) mar er freier gerichtet
unb b^ielt bie ftrenge Sinie beS ftaatSlirc|licl)en (ürebo tttct)t inne; über bie $räbeftination
backte er ftreng calbinifcf), mäl/renb er im Slbenbmab,! über bie 39 2lrtifel hinaus 6b,rifti
©egenroart als „roirllicb^e unb mab,rb,afte" fafjte. ^n ben erbitterten ^ämbfen enblidj um bie
Stellung beS Bifcf>ofS bertrat er bie 2lnfid^i, ba| ^3reSb^ter unb Bifcb^of bon gleicher 55
SBürbe, boneinanber nur bem ©rabe, nicfyt ber Drbnung (ober 2Bcu)e) nacb, berfcb,ieben
f«ien, ber ©btffobat alfo nur als eine b, obrere firdjlicfye ©tufe ju gelten fyabt; baS biblifebe
^t ber fontmentalen 9ieformationSfircb,en erlannte er an, fanb aber im Bistum bie boH=
fcmunenfte, bem Iirct)Iic^ert 3mede bien(id)fte gorm f>ierarcr)if(i)er Drbnung. — 2lud) bie
Sonnen feiner berfönlid)en Atömmigleit trugen ben !ircb,lid)en $US- 211S ein „Bifd)of «»
366 ttfftet
nad) a^oftoltfc^em 23orbiIb" bielt er auf bte Übung geregelten ©ebetö unb tägliche £au&
gotteSbienfte. 2113 bte trotte feinet 33ifct;of3amt§ rühmte er bte ^ßrebtgt. Vae mihi, si
non evangelizavero ! War bte ^nfdjrtft feineg bifa;öfUd)en ©tegel§, unb bon feinen
fircfylidjen Anfängen an bte ju feinem STobe fud^te er, Wo immer \id) bte (Gelegenheit
5 bot, bie ^rebtgt, bte, abWeidjenb Don ber üblichen gelehrten gorm einen au£gefbroc|en
ebangetifcfjen $ug aufwies, ©te War immer, rühmen feine geitgenoffen, ifyrer SBirfung
geWifj, weil fie bolfMimlicb, unb btblifa) ^ugieicb. War.
3n biel geringerem SJlafje fyat 11, ber SBifdwf unb $trd)enmann, ben gorberungen
ber geit, bie alle bezaubern $raft an bie 33ertoirfUdmng eines Jircbjidjen ^beal§ fe£te,
10 entfbroct;ett. Söeber bie ÜberWinbung ber üftotftänbe feiner triften $trd)enbrobinä, nocb.
bie 'sDurcfyfe^ung feiner firdjenbolittfcfyen 3^Ie gegen bie burttanifcfyen unb fyocpircfylicfyett
SBiberftänbe tft tb,m befdjieben geWefen. @r War leine §errfcr)eraatur, bie über bte 2öaffe
golbncr 3flüdfi$t3lofig!eiten berfügte. $Da^u fehlte iljm in jener an Reiben ntcfyt armen
$eit ber furcfytlofc Söagemut unb bie eiferne S&aft, bte im Kampfe um ©runbfatj unb
15 ©eWiffen big ju ben legten @ntfd)eibungen burd^ält. —
©einen 9tad)rubm unb ben $Ia£ an biefer ©teile berbanft er feiner umfaffenben
©eletyrfamfeit, ber 2l!rtbie feiner Ünterfudmngen, feiner grünblicr/en Kenntnis ber britifcfyen
§anbfa^riften unb ifyrer gunborte in ben Iöniglia)en 2trdj>iben unb SifcfyofSregiftem, enblid) bem
raftlofen @ifer in ber §erbeifcbaffung neuen unb Wertbollen Materials jur ©rfyeuung unauf=
20 gellärter gefd)td;tlid)er Probleme. @r b,at berfönlid) unb burd) feine §elfer ein un=
geI)eureS ütterartfcfyeS SDtaterial jufammengebradjt, Jritifcb, georbnet unb burcb, bie ifym
eigne 2lrt, unter Sergid^t auf bie §erau§arbeitung ber oft unter d)aotifd)em 23rud)geftein
begraben liegenben religiöfen SBerte, bie au§ ben Quellen unmittelbar auffteigenben
9Jläd)te einer fd;bbferifd;en Vergangenheit auf bie jur SDtSfuffion geftetlten ©egentoart§=
25 torobleme Wirten ju (äffen, ber gefcfytcfytSWiffenfcfyaftltctjen @rfenntniStI)eorie auf bamalS
noo) bunfeln ©ebieten ber Geologie unb 2lrct;aoIogte bemerkenswerte ®ienfte geleiftet
unb burcb, feine Unterfudmngen, bie eine Weitgefyenbe Vertrautheit mit ben 2ßirlli^)leiten
ber alten unb mittleren geit Verraten unb feinen ©ebanfenftug btelfad) über bie
©renken ber jeitgenöffifcfyen 2lnfcr)auungen btnauStrugen, fid) ein bletbenbeS ©ebädjitnis
30 gefio^ert.
9flit feinem im ^af)re 1613 gebrudten 2Berfe Gravissimae Quaestionis de
Christianarum Ecclesiarum in Occidentis praesertim partibus ab Apostolicis
temporibus ad nostram usque aetatem continua Successione et Statu historica
Explicatio (9leubrud Sonbon 1663 unb Hanoviae 1688), — baS, als $ortfe|ung ber
35 Apologia QeWelS gebaut, bie angltrantfcr/e SDoftrm nid)t nur als bie £eb,re ber fecfyS
erften ^afyrljunberte, tote ^etoel eS getan, in 2lnfbrud) nafym, fonbern tyv Stecht aud)
aus ber. Eird)Iicr/en ©ntwidelung ber nad)folgenben neun ^ab,rb,unberte nac^toieS, h)äb,renb
bie römifa;en ©onberlel'ren als> 2Bud>erungen am ©tamme ber Wahren $ixd)t nad^getoiefen
werben, — trat er mit einem ©d)Iage in bie 9teib,e ber beften jettgenoffifdjen 2lbologeten be§
40 Stnglilantgmui. 5Den gleichen ©ebanfen berfolgt fein fange ,3^* als ein SDteifterWerf
anttrömifcfyer ^otemi! gebriefene§ Sud) An Answer to a Challenge wherein
the Judgement of Antiquity is truly delivered and the Novelty of the
now Romish Doctrine plainly diseovered 1625, ba§ bie Übereinftimmung ber angli=
fantftt)en 2lrtilel mit ber £eb,re ber brimittben £ird)e barlegt unb bie römifo^en 2lb=
45 irrungen nad^Wetft, übrigens in freier ©teßung jum römtfö^en SLrabition^ unb 3lbenbmab,te=
begriff. 3lud> feine Praelectiones theologicae unb ber au§ feinem 3Zad)Ia^ gebrudte
Tractatus de Controversiis pontificiis gehören b^ier^er. $n feiner Unterfuc^ung The
original Bishops and Metropolitans briefly laid down 1641 berfudjt er bagegen
ben anglifamfdjen S3tftt}öfen bie aboftolifd^e ©ucceffion gegen bie Angriffe ber $re3bfyteri=
so aner gu binbtjieren. — 21I§ er in bemfelben ^afyre, um gWifd;en ben fir^lid^en ©egen=
fä^en ju bermitteln, mit feiner Reduction of Episcopacy unto the form of Syno-
dical Government, received in the Ancient Church (bon Sernarb 1647 b.erauög.)
b,etbortrat, Würbe er be§ 33rua)ä mit feinen Überzeugungen befc^ulbigt. 33ifa;of unb
$re§br/ter finb nad) ib,m eine aboftoliftt^e Qnftitutton, bem 3tange, nxdjt bem üöefen naa)
55 unierfa^ieben; ber Äixdje bon @bb,efu§ ^at nad) 21© 20, 17—28 ein IMegium bon ^rel=
b^tern borgeftanben, beffen Settung in ber §anb eines SSorfi^enben (be§ „@ngel§ ber
©emeine") lag. Sluf ben Sinien biefel Vorgang^ fei bie S^euorbnung ber anglilanifa;en
Sßerb,ältniffe ju fucfyen, bie ^3riefter (unb ^irdjenborfte^er) mit ber 2tufficb,t über bie $ud)t,
Unterbifa^öfe mit älbl^altung monatlia^er ©smoben über Se^r= unb ®i§jiblinfragen,
60 Sifcfyöfe (ober ©uberintenbenten) mit bem 23orft£ in ben aßiäb,rlid)en SDiöcefanftmoben
Uffter 367
(ber Pfarrer unb ©uffraganc), enblicb, bie ©rjbifcböfe mit ber £eitung ber VrobinziaI=
fimoben, bte alle brei ^afyre bm gefamten ®lerug bereinigen unb gegebenen gad§ ju einer
9totionalftmobe zufammentreten, zu betrauen. 2Hfo X^efen, bie nur als ein Verfucb jur
ÜberWinbung ber bie $zit beWegenben ©egenfäise Vebeutung erlangten; boeb würbe fbäter
in ben Unterfyanblungen mit ben £)iffenterg auf |ie jurüdfgegriffen unb bie Vorfcbläge 5
U.g ben 2Ibmadmngen in einer Steige bon fünften ju ©rmtbe gelegt. —
©eine arcfyäologifcr/en ©tubien b/aben ficr) in erfter Sinie mit ber geftfteHung beä
gefdbict/tlicben ©tanbeg ber alteften irifcfyen unb englifeben Kirdje befebäfttgt; im einzelnen
gingen fie auf ben ;ftacbWeig, bafj bie irif$=fcb;ottifd;=englifcbe $ird;e bor ber rbmifeben
ÜJfiffion eine reinere §orm beg biblifcfyen, am ©bangelium orientierten Gfyriftentumg bar= 10
ftelle, beren ©runbjüge in ber unter ©lifabetb, Wieber fyergeftellten Steformationgfircbe fieb,
toieberfänben. 2tuf ©runb ber Vorarbeiten £elanbg, ßambeng, ©belmang unb, ßottong
um ©Reibung unb ©äuberung beg firdjengefcbicbtlicfyen ©utg bon fagenfyaften Überliefe*
rungen bemüht, Wieg er in feinem Discours of the Religion anciently professed
by the Irish and British 1631 bie §od)fd;ä^ung ber bl. ©cfrrift alg religiöfer 9iorm 15
ber altbritifeben ®ird;e, bie ©runbjüge ber ^tedjtfertigunggleljire, bag 3lbenbmab,l in beiber=
lei ©eftalt, bie bon ber römifcfyen Vrarjg abwetebenbe Dfterfeier unb bie üftidjitigfeit beg
furialen 9Äacbianfbrud;g über bie beiben ^nfelftrcfyen nacb. ®ie im gleiten JJafyre er=
febienene Veterum Epistolarum Hibernicarum Sylloge (50 Vabftbrtefe bom @nbe beg
6. big jum 13. Sa^r^-) erbringt im Wefentlicben bag gefdnd;tlid)e SRatertal für biefe Sfc^efe. 20
Unb in feinem auf grünblicben Dueßenftubien fufjenben unb bureb eine fcr)üd)teme fyiftortfdjie
ßriti! auggezeiebneten §aubttoerle Britann. Ecclesiarum Antiquitates (1639 unb, bureb,
neues* Material bermefyrt, 1677 unb 1687) Werben unter Slugfcbeibung alter überlieferten
fagenfyaften Slnfä^e bie gefdncbtlicfyen Anfänge ber $trd)en feftgefteHt,bie@runb^ügeber britifeben
gnttoidehmg big 9Jlitte beg 7. ^jabrlmnbertg bargelegt unb bie Verpflanzung ber Kircfye 25
unter bie nörblicf/en ©ämme ber Viften unb ©coten, enbltct) bie triften guftänbe emgefyenb
bebanbelt. 2tudb, feine ältere ©cfyrift Gottescalchi et praedestinatianae controversiae ab
eo motae Historia 1613, beren Sftaterial einer 1628 in Venebig bom @arl Vembrofe für
Djforb erworbenen £>anbfd)rift ber Varoccifcben Vibliotbef entnommen ift unb bie eine big bairitt
unbefannte ^Recenfion ber Confessiones ©ottfdjtalfg enthält, Wie bie Dissertatio non de 30
Ignatii solum et Polycarpi scriptis, sed etiam de Apostolorum Constitutionibus et
Canonibus Clementi attributis 1644; ferner bie Praefatio in Ignatium, bieStuggabe
ber ^gnatianifeben Korrefbonbenz, Ignatii Epistolae genuinae 1647, fobann bie editio
prineeps bon Ignatii Martyrium a Philone descriptum, bie Annotationes ju Volt)=
larbg Briefen, bie bureb bie fcfyarf finnige 2lugfcbetbung ber umfangreichen 3>nterboIationen unb 35
bie 3lnnat)me bon bem Vorfyanbenfein einer bon ibm bergeblicb, gefugten, erft 200 ^ab,re
nach, feinem STobe aufgefunbenen ffyrifcb/en Verfion ber Briefe feiner Kombinationggabe
ein glänjenbe§ 3euÖn^ augftetten, — finb fritifcfye ©änge auf bem ©ebiete ber allgemeinen
ßircfyengefdndjte , zugleich, bie Vorarbeiten §u einer bon ifym borbereiteten unb grofj an=
gelegten bogmengefd;id}tlid}en Theologica Bibliotheca , ju beren Slugfü^rung inbe§ er 40
felbft infolge ber ftürmifer/en fetten nid;t lam. Waty feinem ^obe Würbe baraug eine
9Jconograbbie, bie Historia dogmat. controversiae de Scripturis et Sacris vernaculis,
bie für bie erften fed)§ ^a^rlmnberte ben 9?ad)Wei3 bom ©ebraud} ber £anbe£fbrad)e im
©ottegbienft ber britifcfyen Äird^e bringt, beröffentltdjt. — Von feinen jar/Ireidjen Heineren
Unterf uc^ungen au<§ bem ©ebiete ber biblifcben unb brofanen 6b,ronologie, ber biblifd)en 45
leEtfritif unb ber fird)lid;en 9ted)tggefd)id;te nenne icb, bie Annales Veteris et Novi
Test. 1650—54 (ber Ann. Vet. Test, erfter ®rud erfet/ien in Sonbon 1650, bie Ann.
Nov. Test, una cum rerum Asiaticarum et Aegyptiacarum chronico ebenba 1650,
ein -fteubrud beiber Genevae 1722), beren cfyronologifcfye 3lnfä^e big in bie neuefte $eit in ben
Druden ber englifd)en VibelberWenbet Würben (Schöpfung: 4004 b. 6f)r., ©inbflut: 2348, 50
3lu§pg: 1491, sJ{üdf eb,r aug @jil : 536); bie aug feinem 5Rad)Iaj$ b,erauggegebene (unboll=
ftänbige) Chronologia Sacra; ferner The Principles of Christian Rel. 1654; The
Method of the Doctr. of Christian Religion ; De Graeca LXX Versione syntagma ;
Epistola de variis textus Hebr. lectionibus 1652 ; The power communicated
by God to the Prince and the obedience required by the subjeet 1660; The 55
hrst establishment of the English Laws and Parliament in Ireland unb
A Discourse showing why and how far the Imperial Laws were reeeived by
the old Irish. — 9t. Varr, fein Hablan, bat zugleich mit einem Life U.g, auf bag
«He fbäteren Viograbben jurücfge^en, ben fefyr umfangreid^en VriefWeclbfel U.g mit ben
ttften ©eleb, rten in ßnglanb unb auf bem Kontinent berauggegeben ; eine (Ergänzung 60
368 ttfffjer ltftcri
ba^u bieten bie aSeröffentlicfmngen bon $arr§ 3Sorgcmger, Dr. Semarb (borficfytig ju be=
nu^en, ba 93. ben breSbr/terianifcfyen ^ug in 11. ungebüfyrlicb, unterftreicfyt). — ©ine ©e=
famtauögabe ber ll.fcfyen ©Triften (mit Siograbfne) r)at Gfy. 3?. (Slrington, Regius Prof.
of Divinity, unter bem SDitel: The whole Works of the Most Rev James Usher,
5 D. D., with a Life of the Author and an Account of his writings 1847 in
16 Sänben beröffentlidjit. — SRubolf SSubbenfteg.
Mftert, £eonI)arb, ge(t. 1833. 2. Ufteri mar ber ©ofyn be§ gleichnamigen 6fyor=
l)erm unb ^rofeffor!» ber ^ebräifct)en ©bracfje am ßarolinum ju güricfy. ©er ältere V-
gab jur 9teformation3feier 1819 in 3Serbinbung mit ©al. SSögelin, einen immer nocb,
10 brauchbaren, fr;ftematifcp georbneten 2lu^ug an§ 3mingli<B fämtlici)en ©Triften in jmet
33änben fyerau3, bearbettete auc&, ben b,iftorifd)=Iitterartfcr;en 2In^ang p gminglil £e&en
bon $. 6. Ijefj. 2)er jüngere 11. mürbe ju Süric^ ben 22. Dftober 1799 geboren.
2Bäb,renb ber $nabe in ber 23ürgerfcr/ule feiner SSaterftabt menig ©efc^icf an ben SEag
legte unb nichts tr)n ju feffeln bermocfyte, ma3 ba gelehrt mürbe, entwickelten ficb, bie
ib 5Mme be§ miffenfcfyaftlict/en Striebeö auf ber fog. ©elefyrtenfcfyule unb im Collegium
humanitatis in rafdjem Verlauf. 25er innere SBilbungSbrojef} begann mit bem ermacf;en=
ben ©efüb,! für bie ©d&önfyeit ber Älaffifer. 93eranlafjt gunäcfyft burcb, ein egegetifd^eg
Kollegium bei ^rofeffor % ©djultfyefj, gerieten etma<§ fbäter bie religiöfen Überzeugungen
in bie @ffe be§ Iritifierenben 23erftanbes\ Abneigung gegen bie trabttioneHe ©jegetif be§
20 yi%8, gegen bie Drtfyobope überhaupt, mieberfyolte aber immer Vergebliche 33erfucfye, eine
SCfJittelftefiung ju geminnen jmifc^en ber fircfyUdjen Se^ranfc^auung unb ben ©rgebniffen
ber fubjeftiben ©enftl)ätigteit, förmliches ©tubium ber Älaffifer unter SBremig Anleitung,
befonberS be§ ©obfyo!Ie§, nacfyfyer be§ ^ßlaton, SSetanntfcfyaft mit ber Iritifcfyen $ßl)tfofobr;ie,
Segeifterung für gicf/te unb 9iot)aIi§, bollenbeter ^beaü^ums1, 33efd)äftigung mit ©cb,Ieier=
25 macfyerg @tb,if unb SDialeftif, — baS waren nunmehr bie ^b,afen, melclje bie mächtig er=
regte ^jünglinggfeele burcfylief. 5Die gärenbe ©ebanlentoelt burcfybracb, enblicfc, bie geffeln
beg in ficb, gelehrten 5RatureE§, ba§ big in§ 19. 3jab,r leine greunbfcfyaft blatte auffommen
laffen, unb nötigte jur Mitteilung an anbere. ©elegenfyeit baju bot ein Keiner Iitie=
rarifc^er SSerein, bie ßfyorfyerrengefellfcfyaft genannt, in ber ficb, bie tücfytigften Jünglinge,
30 mie £. 9cüfcf,eler, Q. II. Senler, gerb. 9Ker,er, ®ab. ©cf/ultb/efj, 3. Vi. pft unb 33orn=
I)aufer jufammenfanben, unb bie burcb, bie miffenfcfyaftlicfye 9tegfam!eit, ben fittlicfyen (Srnft
unb ben baterlänbifdjen ©inn ü)rer ©lieber aucb, auf bie übrigen ©tubierenben einen
mof)ltl)ätigen ©influ^ ausübte. (3SgI. 14. 9feujab,r§blatt jum heften beö 2Baifenb,aufe§,
güricf; 1851, ©. 12, unb: (Erinnerung an ^- Vi. Senler, Sieftor ber t^urgauifc^en ^anton§=
35 fct)ule, grauenfelb 1860, ©. 17 ff.) Slber balb gewährte bie b,eimifcb,e £eb,ranftalt bem
ftrebfamen ©eifte nicb,t meb^r bie Sefriebigung , nad) ber if)n »erlangte. SRacfybem U. bie
tb^eologifcb.en Prüfungen beftanben unb bie Drbination empfangen fyatte, bejog er im
grübjafyre 1820 bie llnißerfität Berlin, Wo er h)äb,renb na^eju brei ^afyren mit großem
Jleifee feine pfnlologifc^en, pb.ilofo^ifc^en unb t^eologifcb^en ©tubien fortfe|te. SSocfljä
40 ^orlefungen nahmen fein »oKes' 3ntereffe ^n Slnfprucb,. Sßor aUem aber mar eS ©d)leier=
macljer, ber auf bie religiöfe ©timmung unb tb,eolDgifcb,e ©cnftoeife UJ beftimmenb ein=
toirlte. @r fjörte bei ib,m ©bangelium ^ol)annig, 2ftoofteIgefci)icr;te, ^orintb^erbriefe, Seben
^efu, ©ogmatü, braftifdje iljeologie, ©efc^ic^te ber mobernen ^ilofobfyie unb ©ialeftif.
ilucb, an §egel mürbe nicb,t borübergegangen, miemo^l mit ©icfyerfyeit beraubtet merben
45 barf , bafj ficb, bamal§ 11. ju beffen fy ilofoflpb, ie nocb, in fein anbereg Sßerfy ältni§ gefe|t
b,at, als ba§jenige mar, meines ©4)Ieiermacb,er ju ib,r einnahm.
2lu§gerüftet mit einer miffenfc^aftlic^en SDurcb/bilbung bon feltener ©rünblicb,feit !eb,rte
ber junge 2Jcann nacb, Qüxify pixM, um bon je^t an bie gemonnenen ©infic^ten mit un=
bermüftlidjer 3lrbeit§Iuft ^u bermerten. ©cb,on im 2lbril 1823 erfaßten feine burdj bie
so Sretfcljneiberfc^en ^ßrobabilien beranlafcte Commentatio critica, in qua evangelium
Joannis genuinum esse ex comparatis IV Evangeliorum narrationibus de
coena ultima et passione Jesu Christi ostenditur. Qn biefer ©ct/rift, bereu größere
§älfte ber 9tocb,meig ber ©ifferenj, b,inficb,tlicf) ber ^ßaffab.feier unb ber Slngabe über ben
SobeStag ^efu einnimmt, mirb mit ©efcbjcf, freilieb, auf Unfoften ber tynobtifc|en ^rabition,
65 bem SSerfaffer bes- bierten ©bangeliumg bie 2lugen^eugenfcb,aft binbi^iert. ^Jocb, im näm=
liefen ^ab,re eröffnete U. auf Anregung beä ib^m befreunbeten %. Sagbar bon Dreßi ein
^ßribatfollegium über bie baulinifcfyen Briefe für jüngere greunbe, mobei fein 2lbfeb,en ber
Slnlünbigung jufolge übermiegenb auf bie Darlegung beä inneren geiftigen 3"fflmmett::
fyangS ber ganzen tb,eologifcb,en 2lnficb,t beö 2lbofteli unb ib,re§ 5ßerb,ältniffeg ^u bem
Ufteri 369
Sefyrbegriffe beS ^ofyanneS unb betrug gerietet War. SDiefc Vorträge nun finb eS ge=
lüefcn, in Welcben ber ©runb gelegt Würbe ju bem Söerfe, baS feinem ÜBerfaffer fofort
einen gefeierten tarnen in ber tfyeologifiben 2öelt fieberte unb unter bem Sitel: „@nt=
toicMung beS baulinifcben SebjbegriffeS mit §mftc6i auf bie übrigen Schriften beS $euen
leftamenteS", fieb. in bier, jebeSmal forgfältig überarbeiteten, WaS bie 33enu$ung neuerer &
©Triften betrifft, teilweife nur ju feb/r erweiterten ausgaben (1824. 1829. 1830. 1832)
Slnerfennung in ganj $Deutfcr/lanb erwarb. (gWei Weitere Sluflagen erfebjenen nafy bem
£obe be§ 33erfafferS 1834 unb 1851.)
Sei bem bolleren ©inblicfe, ben bie heutige Geologie in bie SefyrWetfe beS 2lboftelS
unb beren DrgamSmuS befi^t, ift eS ein Seid) teS, an ber 2)arftellung U.S erfyeblicbe Mängel io
aufjubedEen. Söenn er j. 23. als einen ,§aubtgeficf;tSbunft, unter Welkem bie fiebere ent=
toicfelt Werben Wolle, bie ©ntgegenfe^ung ber borcfyriftlicb/en gett unb beS ßbrtftentumS
betrachtet, fo bürfte barin fcr/toerlicb, jemanb baS ^ringib ernennen, aus bem fidE) eine px-
treffenbe Dtefonftruftion beS baulinifcben ©ebanfenfbJtemS gewinnen läfst. 2lucr/ giebt er
niebt foWofyl eine „(Entwicklung" beS eigenartigen, in fid^t gefebjoffenen SefyrbegriffS, als is
biclmefn- eine ^Bearbeitung ber einzelnen Sefyrftüäe nad) einem mitgebrachten ©cfyema in
mitunter giemlid) flelettartiger gorm. Ufteri t/at fic&, bieS felber nict)t ganj Verbergen
fönnen, Wie er benn (33orWort jur 4. 2tuSgabe) offen gefter/t, in ben erften 2luSgaben
fjabe er bie baulinifcfye SEt)eologte, namentlich bie (SrlöfungSlefyre, ^u fefyr aus bem ©tanb=
fünfte ber ©cbjeiermacberfcljien SDogmatif aufgefaßt unb in beren $orm gegoffen. 2lber 20
wenn er fieb, fcfymeigelt, in ber legten ber bon tfym beforgten 2luSgaben biefen gefyler be=
feitigt gu b,aben, fo ift bie 3Öab,rb,eit btelmebr bie, baf; nunmehr bie Stuffaffung neben ben
©cbjeiermacfoerfcfyen ©runbibeen nodj überbem bureb, bie ^rinjibien ber §egelfd>en <Sc&uIe
befyerrfcfyt Wirb. U. maibt bie groet fef)r richtigen, feitbem bon anbern ju (Efyren gezogenen
Semerhmgen, bafj ber nacb, ber eigenen ©erect/tigt eit ringenbe ^ßauluS nacb, feiner 2ki et) rung bie 25
©ereebtigfeit einzig in ber ©nabe ©otteS unb in ber ©emeinfdbaft mit 6b,rifto gefueb, t fyabe, unb
baf} bon einem fünfte auS, bem ber (ErfenntniS ^efu ßf)rifti als beS ©otmeS ©otteS unb
beS (ErlöferS, fieb, foWofyl ber ©efubtSfreiS, als bie ©bbäre ber SBirffamteit beS 2IboftelS
aHmäbJicr; erweitert babe (4. 2luSg. ©. 9 unb 10). 2Mre bie erftere SLfyatfacbe in ber
gangen ©ctjärfe it)rer 33eftimmtbeit erfaßt unb »erfolgt, bie jWeite bamit in SSerbinbung 30
gebracht unb beren notwenbige ^onfequenj für bie ©eftaltung ber Seb. ranfefjauung , Wie
fie fieb in ben ©ebriften be£ 3ltooftel§ niebergelegt finbet, in forgfälige (Erwägung gebogen
toorben, bann bätte foWob,! bie Slnlage ber ©djrift im ganjen, al§ aueb, bie Slbfolge be§
©top im einzelnen, namentlich im ^Weiten SEeile, eine anbere Werben muffen. 9^icb,tg=
beftoWeniger ift bie ©ebrift fcb,on balb nacb, il>rem @rfcb,einen mit 5Recbt al§ eine feb,r be= 35
beutenbe Seiftung begrübt Worben. Db,ne nennenswerten Vorgang bat fie für ein erneutes
unb bertiefteS 3SerftänbniS beS großen §eibenaboftelS bab^nbredpenb gewirrt; fie 6at ntct;t
äum Wenigften beigetragen, baS 33eWu|tfein um bie Slufgabe ju Wedcen, Welche fieb, bie
^Bearbeitung ber biblifcb^en SLbeologie ju fteßen bat, uno ift biefe feitbem über Ü. b^inauS=
gefeilten, f 0 barf nitt)t bergeffen Werben, ba^ aueb, ib, m fneran ein ^eil beS SerbienfteS 40
gebührt.
@S War eben um bie fttit, ba ber toauünifcbe Seljrbegriff bie treffe berliefe, baf;
Sern ben bielberfbrecljenben ©eleb^rten an bie «Stelle bon £u^ (93b XII ©. 19) jum
^ßrofeffor unb ®ire!tor Gymnasii berief, ^n biefer ©tellung Wirfte er bom ©ebtember
1824 bis an fein frühes @nbe als Seb^rer ber flaffifcbm ©brachen unb beS §ebräifcben 45
— auSfjelfenb eine SBeile auefy als ®ojent an ber bamaligen 3Xlabemie — mit Un=
berbroffenbeit unb gutem ©rfolg. ©in unbeholfener ^einb aller §albbeit, gehörten
©enauigleit beS SöiffenS, treue (Erinnerung unb gertigfeit in ber SßerWenbung ber er=
toorbenen ^enntniffe ju ben ©runbforberungen, bie er feinen ©cf/ülern gegenüber mit
unenttoeglic^er ^ä^igfeit, mitunter mit beifjenber ©cb.ärfe, geltenb machte. Slber aufy bor so
ben 95ebörbert unb bem ^3ublilum, in feinen öffentlichen ©dpulreben unb Wo fieb, fonft
Gelegenheit fanb, Würben bie Hemmungen beleucbtet, Welche einer r/öderen ©eifteSbilbung
ber ^ugenb im 2öege ftanben. 9Zicbt Weniger lag LI. bie §ebung beS ^ürcfyerifcfyen ©c^ul=
lcefenS an, für beffen Gfjorberrenftift er jum Sßerbruffe feines 33aterS in einer anonymen
^lugfa)rift eine gän§Itcr;e Umgeftaltung berlangte. SöaS fobann neben ben Dbliegenbeiten 50
be$ 2ei>rberufS an ^eit noeb. jurücfblteb, Wibmete er raftloS ber wiffenfcfyaftltcfyen gorf(bung
unb ber fcbriftftederifcl)en ^ätigleit, Welche [id^ feiner berfönlicb,en Neigung zufolge, unter
fteter 33erücfficbtigung ber biblifcf)en Xb,eologie, überWiegenb ber neuteftamentlicben Äritif
unb ©gegefe juWanbte. ©0 Würbe ib,m möglieb, nidjt nur bie Wieberbolten 2luSgaben
feines §aubtWerfeS, beS baulintfeben SebrbegrtffS, ju beforgen unb eine wertbollc v^ear= uo
8»«at=®nc^Ho()äbie für St^eoloflie unb SHr<i>e. 3. Sl. xx. 24
370 Uftert lltenlpim
bettung ber äßolfifdjen Borlefungen ^u ben toter erften ©efängen be§ IJIiaS (2 93änbe
1830), foroie eine gute, frttifdje StuSgabe toon ^ßlutarcb^ Consolatio ad Apollonium
(1830) ju liefern, ©onbern wir befitjen noct; überbem toon U)m ^mei lürjere 2lbfyanb=
lungen über ben Käufer ^o^nneg, bie Staufe unb Berfucfyung ßfyrifti (£b©t& 1829
5 unb 1832), unb einen „Sommentar über ben Brief ^auli an bie ©alater" (1833).
äßenn jeboer) in ber Sorrebe ju biefem »erlangt mtrb, baf? ber Slusleger ba§ Btlb feines*
©cfyriftftellers', tote es" fict) in ber ©ct)rtft abriegelt, ftoracfylicb, unb facfylicr; beleuchtet bor
ben Slugen ber Sefer emtoorfieigen lafje unb be§r)alb bezüglichen $k\% auf bie @nt=
midelung beö 3ufammenl)ange§ ber ©ebanlen bermenbe, fo ift 11. biefem $iele nidjt naa)=
10 gekommen. ®enn bei aller ©enauigfeit in ber grammatifd;=I)iftorifd;en ^nterbretation beg
@injelnen unb toieler 5ßräjtJion im 2lus"brud ift nur menig getb/an für bag, was' einen
tr)eologtfcr)en Kommentar über ben Sfyaralter gewöhnlicher ©diolien ergebt, ©em ©alater=
briefe foUte — fofern il)m ©Ott Seben unb Gräfte fdjenfe — aHmäpdj bie Bearbeitung
ber übrigen ©Triften „beS Slboftels" be£ ©eiftes" unb nidjt be3 Sud)ftaben§" folgen.
15 Stilein ©ott b/atte anber§ befdjloffen. Dadjbem 11. einen 9tuf an bie neugegrünbete §ocr)=
fdmle feiner Baterftabt abgelehnt t)atie, im Slugenblide, als bie Berfyanblungen über bie
Umgeftaltung ber Serner Slfabemie in eine ^ocbjdmle il)rem Slbfcbjuffe entgegenreiften
unb ein tr)eoIogifcr;er £e^)rftut)I tt)m in fixerer 2lusjtd;t ftanb, rijj ib/n, noct) nid) t 34 $ab,re
alt, ben 18. ©etotember 1833 ein jät/er %oh aus ber Weitgeöffneten Balm eme§ fteigen=
20 ben Dufymeg unb mitten au§ feinem E)äu§Itd£>en ©lud".
U. mar eine etroas' nüchterne Datur, feiner ganzen 2lnlage nacb, nidjt foWob}! jum
Willensmädjtigen 5Ranne ber %fyatr als jum ©elefyrten gefcfyaffen. 9Jcit febarfem Ser=
ftanbe unb Haffifdjem ©efd;made toerbanb er einen $bealiSmu§, ber e§, im fingen nacb;
gufammen^ängenber @rlenntni§, unter gurüdftellung ber ©rfcb, einung, toor allem auf bie
25 ^bee abfa^ unb, belogen auf bie ebangelifct/e Überlieferung, bie Iritifcfye ©timmung ^u
feiner notWenbigen Äefyrfeite t/atte. £>ie Söeife, wie er fid> über ben Segriff be§ SRfytfms
in feiner Slnmenbbarfevt auf bie ©bangelientrabition auSfbricfyt (£1?©*® 1832), madjt ifm
jum unmittelbarften Vorgänger toon ©traufj, toobei jeboer) fet/r fraglicb, bleibt, ob bie
lonfequente SDurdjfübjung ber 3Jlr;tr/entI)eorie je feine Billigung erhalten bätte. 93egeid>=
30 nenb für U.s- tb/eologifdjen ©tanbpunft ift aufy feine „im brüten ©äfularjar/re ber Ser=
nifef/en Deformation" bor ber ftubierenben ^ugenb gehaltene Debe (3üricb, 1828). Dfyne
bafe be§ etb,ifd>en galtor§ nur mit einem 2öorte gebad;t toäre, gilt if)m bie Deformation
toomefymüd; a\§ eine grud;t be§ mieberermacfyten rotffenfdjaftltc^en ©eifte§, alö ein ©ieg
ber Vernunft über bie ©innenwelt. Si^nlid) fe|t er ba§ urfbrünglidje SKefen ber toon
35 6r;riftu§ geftifteten, fittlicb,:re[igiöfen ©emeinfd;aft in bie Begeiferung für 2Bab,rb,eit unb
gegenfeitige Siebe. — £jm ^3ribatumgange mar IL nad) bem geußniffe feinet toon i^m
lodibere^rten Seid;enrebnerö, be3 bamaligen ?ßfarrerg unb nadj^erigen ^ßrofeffors' £u^ —
beffen „2;rauerrebe" mir bas1 golgenbe entnehmen — ftets- beft^eiben, aud) roenn er bie
$ßalme trug, bon großer ©ienftfertig!eit, immer tooran in neuer Äunbe toon ben @rfd;ei=
40 nungen unb ben ©dritten ber 2öiffenfd;aft. „©eine ©eifte^art mar eine folcfje, bie nacb,
Dben fid; richtete, bie SBa^r^eit ju flauen, ber SBabjfyeÜ rein ju bienen.^ (Stf>öl;t unb ber^
flärt b^at fid) bieg auf feinem Totenbette ermiefen. @r ftarb mit bem fyeUften Belnu^t=
fein unb unter ben fünften 2tuf$erungen be§ erb^öb,ten geiftigen Sebenl, ben Blid mit
^Iarb,eit auf ba§ Bergangene unb Betoorfteb/enbe gerietet, ©eine Söorte maren Siebe unb
45 ^eilnaf)me. ©einen greunben liefe er jtim 3lbfd;iebe fagen, er ad;te nad; ber ©d;rift ben
Borangegangenen für ben ©lüdlidjeren" ©über f.
llfuari»u§ f. b. 21. Acta martyrum Bb I ©. 14
<,1'.!
Utcn^ctm, (Sfjriftobb; toon, Bifcb,of toon Bafel, geft. 1527- — 3. 3. ^er^og,
etjrtfiopf) bun Utentjetm in ben Setträgen jur ©eictjidjte 33afel§, <8ofe( 1839, @. 33 ff. 9M>en
50 ben bort ertofitjnten dueüen ftnb oor ädern ju nennen bie ingtotfcfien üon ber f)iftortfd)en unb
ontiquarifdien ©efeflfdjaft in S3afel f)erau8gegebenen SSaSier ßfirontfen, Setpjig 1872—1902,
ferner baS e^roniton be§ Äonrab ^ettifan, f)er. üon Serntmrb ^tggenbad), SSafel 1877. Ue6er
ben greunbe§frei§ lltentietmä ögl. bef. ßt)arle§ Sd}tnibt, Histoire 'li'tteraire de FAlsace, $art3
1879, unb fnepper, Safob SBimpfettng, gretßurg i. SSr. 1902. Ue6er baS Sßerpftni§ beS
55 S8ifcf)ofS pr ©tobt fie|e §eu§ter, Sßerfaffung§gefd&ict|te ber ©tabt Safel int ffltittetatter. 3)te
Iird)lid)en ßuftänbe im Sistum unmittetöar vor ber Deformation fdjitbert mit üoHftänbiger
S3e^errfct)ung be§ ard)iüalifd|en sKateriaIe§ Dub. SSadernagel in ber S3a§ter ßeitfdirift für
©efd)id)te unb 9(ltertum8tnnbe, II, @. 171 ff., S3afel 1903 (Mitteilungen über DtabmunbnS
geraubt unb fird}(. ßuftänbe feiner ßeit in Söafel).
lttcnlpetm 371
2>cr kassier 33ifdjof ßtmftobl) bon Utenfyeim, ber greunb ©eilerS unb äBimpfelirxge
unb Öemunberer unb©önner be£ ©raSmuS, gehört ju ben gafylreicfyen Scannern, bie be=
fümmert über bie mannigfachen ©cfjäben ber $ird)e unb boll reblidjen 28iHen3, tljmen
abhelfen, bie erften ©dritte SutfyerS mit Seifall begrüßten, allmäfylidj aber in beutlicfyen
©egenfa§ 311 tfym traten, unb gegenüber beren Seftrebungen ^ur Serbefferung ber reli= 5
giöfen unb fittlicfyen guftänbe ba3 -fteue unb ©igenartige ber Deformation befonberS
beutlid) fyerbortritt.
©r entflammte einem clfäffifdjen 2lbel§gefcf)lecf)te unb inuf$ um bie SDtitte beS 15. 3ab,r=
IntnbertS geboren ioorben fein, gtoax nennt tfyn ^kffifan fdjon 1507 grandaevus
(@I)ron. ©. 37), unb cbenfo fyebt ©raSmuS in einem Briefe 1513 bie ©t>rfurd)t fyerbor, 10
bie fein Sitter einflöße. 2tber nad) bem geugniS beS $artr)äufer§ ©eorg ift er 1527
geftorben, cum fere octogesimum attigisset annum (33a3l. ©fyron. I, ©. 414). ©eine
ßltern maren §amg bon il. unb ©ufanna bon SJcülnfyeim. $m $al)re 1473 befleibete
er ba§ 2lmt be3 DeftorS an ber !urj borget geftifteten Uniberfität in 23afel unb mirb in
bem ^JJatrifelbudje atö Artium liberal, magister, juris pontif. scholaris unb prae- 15
positus et canonicus eccles. S. Thomae Argent. begetcfmet. gugleicb/ finben mir
bie 9(0% bafj er am 18. SDegember beSfelben ^at)re§ al§ magister Erfurtensis auf=
genommen mürbe. §ier in Safel traf U. einen $rei3 bebeutenber 3JJänner, bie an ber
Uniberfität lehrten ober litterarifcb, tfyätig maren, unb beren geiftiger SJiittelbunlt ber
•rmmanift unb entfdnebene Vertreter be« 9}eali3mus> Qo^anncg |>etynlin bon ©tein (de 20
Lapide) mar. SRit biefen Scannern, gu benen unter anberm fein SanbSmann ©eiler
bon $aifer§berg geborte, fet)en mir U. balb eng berbunben, tro^bem bafe er im neuen 2Bege
b. b,. als Dominalift unter bie magistri regiert morben mar. (©. 33ifcb,er, ©efd^td^te ber
Uniberfität Safel ©. 165.) gum ^P^obft bon ©t. Stomas in ©trafeburg mar U. er=
nannt morben, nacfybem fein Vorgänger im Stmte, Surfart ©d)ön, am 10. ©ebt. 1473 25
geftorben mar (©cfymibt, Histoire du chapitre de Saint Thomas de Strasbourg
p. 272). 2tl§ ^Srobft besS SEb/omagfiifteS gehörte er mit ©eiler bon $aifer3berg gu ben
Männern, bie ber SBifdjof 2Ubrecf)t bon ©irafeburg nad) feinem StmtSantrttte im ^af^re
1478 mit einer ^nf^eftion feiner ©iöcefe betraute (©d)mibt, Hist. lit. I, p. 349).
SSBürbe unb $frünbe am ©traftburger XfmmaSfiifte behielt U. junädjft aucf) bann bei, 30
afö er in ba3 SaSler SDomtabitel eingetreten mar, unb liefe fta), als er 1486 mit ber
custodia betraut mürbe, burd) ben $abft ^nnocenj VIII. ben nötigen SDiSbenS megen
be§ SefitjeS praeter infombatibeln Senefi^ien erteilen. 2lm 27 3>uni 1494 jeboa) ber^id}tete
er auf ba§ jtanonifat unb bie ^robftei ju ©unften feine§ Steffen SMcfyior bon Saben.
Dtod; in bemfelben ^ai)vi mürbe er burd} einen (Srlafj be§ Slbteö bon Gslunr;, Qacqueö 35
b'2lmboife, jum vicarius generalis in spiritualibus et temporalibus über ben Drben in
partibus Alemanniae ernannt unb fbejiell mit ber Slufficfyt unb SSermaltung be3 ^tofterö
ju 3t. Sllban bis> jur SefteKung eineö Stbminiftrator^ betraut unb im 3- 1499 enblid;
(f. bie Urfunbe bom 30. ®ej. 1499, burcf) bie fidf) ber SSifd^of (Safbar ju D^etn feine
Sed)te borbe^ält) juerft jum 3Sermefer be§ Sanier Si^tumg unb 1502 nacb, bem iobe 40
GafbarS ju 9Jb,ein gum Sifcfyof gemäht, ©aburcf; mürbe bie 2lugfüfyrung eine§ $Ianeg
berbinbert, mit bem fid) ß^riftob^ mehrere ^a^re lang getragen fyatte. @r mar entfc^loffen
getoefen, fid} gemeinfam mit feinen elfäffifdjen Sanb^leuten ©eiler, SBimbfeling unb bem
3)ominifaner Xf)omag Sambarter in bie ©infamfeit bei ©djmar^malbeö jurüdjujieben unb
bort fern bon bem treiben ber 2öelt ein ftitler Sefcfyaulicfyfett gemibmetel Seben ju führen. 45
pit ^reube maren bie greunbe auf biefen ©ebanfen eingegangen, unb SBimbfeling I?atte
ficf) bereite in bem Mofter 3Jiarientf>al bei 9Jtatng bie nötigen 2tnmeifungen über „Schlafen
unb 2Bad)en, über bie 9^af)rung, über ©ottesbienft unb Arbeit, über bie ^eilige Sefung
unb bergleidjen £>inge" geben laffen. 2111 jebod; ein ©cfyreiben ß^riftobb,! eintraf, in
bem er melbete, bafe er ab§ SBifd;of bon Safel in 3lu3fid;t genommen fei, mar 2öimbfe= 50
ling burd;au§ ber 2tnficf)t, bafe fid; U. biefem Slmte nid)t entgie&en bürfe. (©. ben örief
23tmbfeling§ an 6b,rift. in ber aSierteljabjgfcfirtft f. ^unft u. Sitter. ber Denaiffance I,
p. 233 ff.) 2lnber3 ©eiler, ber an ber 5SJlöglidE)feit einer Deformation ber^meifelte unb
aucf) bann bon ber Übernahme eines 23i3tum3 abriet, menn cS of;ne Umtriebe unb 33e=
ftea>ng erlangt merben fonnte. ©elinge es, bie zerrütteten finanziellen ikrf)ältniffe mieber 55
ju orbnen, fo merbe baburcb lebiglid) bem 3^acf)folger bie 2Röglicf;feit berfcfjafft, befto
gröfeern SujuS ju treiben. 2Bimbfeling jebocf) embfab,l ntct)t nur 6f)riftobf), bem Dufe
ju folgen, obmobt feine eigenen päne baburcb burdjfreujt mürben, fonbern erteilte if)m
aud) fofort Datfcbläge für bie güb,rung be§ 2lmteS unb betonte babei befonberl bie sJ?ü§=
'i*feit jäl)rlid}er ©iöcefanf^noben, mic fie j. 33. in ©beber, 2öorm3 unb SKains gehalten eo
24*
372 Utcnfietm
Würben, Wieg aud) barauf f)in, bafj e§ nicr)t an bortrefflid/en Männern fef)Ie, btc ßkifiobl)
mit ber Erfüllung ber einzelnen Wict/tigen Slufgaben betrauen fönne. 3um ^e^ biefelben
©ebanfen f^ric^t er in ber ©ebifation ber Concordia curatorum et fratrum mendi-
cantium (dd. Arg. 13. Febr. 1503) an U. au§ unb kbt aud; l)ier befonberg lieber
5 bie Vebeutung ber ©fynoben unb bifdE)bfItcE>en Vifttationen krbor. ©o fann e§ ntcf/t über=
raffen, baft SBim^feling nod) in bemfelben ^at)re bon 6r)riftobt) nad; Vafel berufen unb
1/ier mit ber 5Rebaftion ber ©bnobalftatuten betraut Würbe, bie ber neue 33ifd;of auf einer
©tynobe feiner ©etftltdifeit borjulegen unb fie baburd; an ike Vflict/ten ju erinnern be=
abfid;tigte. ©oWobl bie brieflichen Slufjerungen SÜßimbfelings» (colligimus statuta syno
10 dalia, facio epitomata in eadem, facio prologum), Wie biefer prologus in statuta
synodalia felber (curavimus antiquis synodalibus statutis nova quaedam addere)
betätigen, bajs e§ fid; mel;r um bie Sammlung unb bie Stebaftion ber befteknben ©ta=
tuten al§ um ein neues? felbftftänbige§ 2Berf t)anbelte. „3Rit bieler 5ftük unb in frommem
Eifer" macke ftd; SSimbfeling an biefe 2trbeit, bie burcr)au3 ben bon ii)m betretenen
15 9teformationsborfd;lägen entfbrad/, unb fd)on am 23. Dfiober 1503 berfammelte fid; bie
©r/nobe, auf ber bie ©eiftlid;feit be3 S3te:tumg jur SBeobad/tung ber ©tatuten berjpflid;tet
Würbe. SBimbfeling Wünfcke, Wie er Vrant fdmeb (f. b. 23rief bei ^nebber ©. 360 f.),
bafj ber SBifdwf felber in einer 9tebc ben Stlerug ermahne, lonnte ibn jebodt) nick baju
bewegen. ©iefer überliefe bielmek au§ SSergagt^ett, Wie er felber geftanb (quod ait se
20 pusillanimum esse) biefe Slufgabe feinem 2SeiI;bifcf)of unb berfbrad), beffen Siebe eine
lur^e 2lnfbrad)e beizufügen. ©iefe SBorie finb ben ©tatuten beigegeben, unb e§ Wirb
au§brüdlict) ^erborge^oben, baf? fie ber 33ifd/of aud) felber borgetragen fyabe. ©ie Weifen
auf bas> 2lrgerni3 r/in, bas> bie ©eifilickn mit ifyrem ungeiftlickn SBanbel bem 33oIfe
geben, unb mahnen jur Umfek. ©abei berfickrt fie ber SBtfd)of, bafs er feines>Weg3 am
25 ©trafen eine greube fyabt, unb bafj er nick nad) it)rem ©elbe Verlangen trage, fonbern
nad; ikem unb iker Untergebenen ©eelenl/eile bon ganzen £>er$en fhrebe. Sf)arafteriftifd)
ift, roie bie 93erberbm§ ber Üird;e bor allem auf ba£ 2Iufr/ören ber ©tmoben unb ba§
TOcf/tbeacfyten ber ©tatuten jurüdgefükt unb bon ©bnoben, bie jäEjrltc^ zweimal nad;
ben alten, bon bem Sanier $onjil erneuerten Seftimmungen abgehalten werben, 33effe=
30 rung erwartet wirb. 2Ingefid)t3 be<§ ^nb,alteö biefer 2tnfbrad/e ober oratiuncula, Wie
fie 2BimbfeIing nennt, ift ber Eifer, mit bem biefer iken ©rud betreibt, unb bie Hoffnung,
bie er auf ifyre Verbreitung fe|t, ntcf/t reck begreiflid). üffieil bie ©tatuten, benen bie
Siebe beigegeben werben foll, nod; geänbert unb bermet/rt werben muffen, unb i^re $ubli=
fation baburd) berjögert Wirb, Wünfd/t er, bie 2tnfbrad)e, fo lange fie nocf/ in frifa)er
35 Erinnerung ftef)t, allein gebrudt ju b,aben. Qa er ift, Wie er bem Sudjbruder Slmerbad)
fdpreibt (f. b. Srief bei Änebber 352), bereit, felber ein ©olbftüd an bie, Wie er glaubt,
nicf/t beträd/tlidjen Soften beisufteuern. ©ic Diebe bruden ju laffen, fd/eint i^m um fo
nötiger, al<§ fie nur bon Wenigen berftanben Worben ift. Unb er iwfft, bafe fie über bie
©renken be§ S3iötum§ b,inauö bon ben ^3rieftern gelefen unb be^ergtgt Werbe unb aud;
4o anbern 93ifd/öfen $um SSorbilbe biene. SBieHeict;t barf man aud) in bem ©efange,
mit bem ber -Keud;lm unb Sßimbfeling befreunbete Siftercicnfer ^onrab Seontoriuö bie
©tjnobe befingt, einen 33eWei3 feb^en, Wie feb,r man in geWiffen Greifen auf benSifd)of
unb ben bon ir/m eingefd/lagenen 2öeg b,ob,e Hoffnungen für bie ®irct)e fe^te. @in Süd
auf bie ©tatuten jebod) §eigt, bafe man fid; babor brüten mufe, ba§ SSorget) en be§ Sifdjof^
45 ^u überfdiä^en unb ib,n beiWegen afö einen greunb unb Vorläufer ber balb beginnenben
Deformation in Slnfbrud; ju nehmen. 2ßir f)aben bielmeb^r einen ber bielen Verfudje bor
ung, ba§ !ircblid;e 2eben burct; 2Sorfd;riften ju b,eben, bie bie Sfyätigfeit bes ©eiftlid>en
bil in alle ©in^elj^eiten hinein regeln, ©ie ©tatuten enthalten eine güüe bon aud)
gleid/giltige 2iufeerlid;feiten regelnben Sßeifungen ol)ne einen jufammenb,altenben @runb=
so gebanlen, unb bon einer Dbbofition gegen bie fatb,olifd;e Sluffaffung bei 6§riftentum§
ober ba§ ^ierard/ifd/e ©i)ftem finbet fid; ' feine ©bur, fo f et)r ba§ Veftreben jum Slulbrud
lommt, bie bifct/öflid/en Dedjte and) gegenüber Übergriffen be§ bäbftlid;en ©tiu^Ieg ju
waken. ©ie Slbfidjt, ba§ erfd;ütterte bifd)öflid;e 3lnfekn Wieber ju kben, tritt freilieb,
aUentfyalben J>erbor. Unb Wenn man nad) einem ©runbgebanlen fud;t, fo fann man
55 tbrt in ber Überzeugung finben, bafe bie Verftärfung ber bifcf)öflid;en ©eWalt unb it/rcr
Verteibigung gegenüber ben \i)x bon allen ©eitert bror)enben SCngriffen ba<§ befte, ja
einige Mittel fei, bie §ud)tfofe ©eiftHd;fett ju beffern unb bamit aud; ba3 fird;Iid;e Seben
inggefamt ju erneuern. %m bie @rfenntni<3 be§ ©eifteg, in bem biefer 9teformation3=
berfud; unternommen Wirb, ift e§ Wichtig, barauf gu ad)ten, Welche Süd;er jum ©cr/Iitffe
60 ben Pfarrern ju eifriger Seftüre embfof)len Werben. @l finb bie ©ckiften gob^ann ©er=
Utcnljeiiu 373
Jona, inSbefonberc fein Vucb, de arte audiendi confessiones, unb tf)tn in ifyrcn 2ln=
fixten nafye fteb)enber SJtänner, barunter Joannes be SabibeS Resolutorium dubiorum
missae, momit fie ficfy befonberS bertraut machen foUen.
9)lit ja^Ireictjen, äb,nlid)en Verfucfyen, bie lircrjlidjen guftänbe unb in erftcr Sinie
baS Seben ber ©eiftlicbcn $u beffem, blatte ber, mit bem ßfyriftobb, feine SEIjättgfett be= 5
gann, aud) baS gememfam, bafe er erfolglos blieb. £>ie Slbfic^t, regelmäßig ©tmoben
abjubalten, liefe fid) nicfyt bermirlltdjen. 35te Vriefter beS ViStumS moHten fid^>, mie ber
Öifcbof bem Seitor ber ^eologie im Varfüfeerllofter, Vellifan, fagte, nid)t reformieren
laffen, unb mäf>renb fie im elfäffifdjen 'Seile beS ViStumS an bem 2lbel einen Stüdfyalt
batten, mürbe eS bem Vifcfyof in bem fö^meijerifd^en Seile bei bem ftüdmeifen Verlufte lo
feiner bolitifdjen Vefugniffe immer fcfymieriger, aud) in rein fircr/Iicfyen fingen bie ^üget
in ben §änben ju behalten. SDie ®omb,erren aber machten geltenb, bafe fie bon ber
bifd)öflic|en Autorität erjmiert feien unb lebtglid) unter bem $abfie unb ifyrem ©efane
ftänben. Unb bergebenS maren bie ©rjmterten unb ifyre ©jemtion SRifebraucfyenben in ber
isorrebe ju ben Statuten auf ben Scfylufe beS 42. VrtefeS beS 1)1. Vemfyarb r/tngemiefen 15
tcorben. ®a feine meiiern Simoben meb,r abgehalten mürben, fonnte ber Vifdjof aucb,
nicbt, mie er beabfid)tigt fyatte, bie brevis summa catholicae doctrinae, bie ^kllilan
auf feinen SBunfcb, im 2tnfd;lufe an fyerborragenbe Sebrer ber Veitelorben berfafet batte,
feinen ©eiftlicr)en als ©runblage für il)re Vrebigten empfehlen. (©f)ron. b. Vell. S. 36.)
Jn ben Statuten finben fid) u. a. aud; Vorfcbjiften barüber (Fol. V) mie bem $u= 20
fammenlaufen beS Volles -m gemiffen Silbern unb anbern angeblichen üffiunberorten auf
Sergen unb in SSälbern non tarn ex veris visionibus, quam ex falsis somniis
laesae fantasiae illusionibus et sensuum praestigiis fobiel als möglief; gefteuert
toerben folle. Slud) biefe Vorfcfyrift mürbe man boUftänbtg mifeberftefyen, moUte man fie
als einen, ioenn aucb, nur fd}üd}tern gemalten Verfud;, bie 9Wiquien= unb $etligenbereb,rung 25
einmfd/ränlen, beuten, ©in b,albeS 2>ab,r, nadjbem bie Stmobe abgehalten unb bie Sta=
tuten bem Klerus borgelegt morben mar, tarn ber Slarbinal sJiar/munbuS Veraubi nad) Vafel.
Gr mar bon 2tleranber VI. als 2lblafelommiffär nad; ®eutfd;lanb gefd}idt morben unb
Eebrte nun nad; 9tom gurüd. Qn S3afel bermeilte er ein bolleS Vierteljahr, teils bureb
bie §i|e, teils bureb, ©elbberlegenfyeit gelungen. Unter ben mannigfachen ®naben= 30
erruetfen, bie er mäbjenb biefer ^ext b,o!)en unb niebern Vittftellem aller 2lrt erteilte, tft
bie ßlebation ber ©ebeine ber brei ^eiligen Jungfrauen ^unegunbiS, $Red;tunbiS unb
SßibranbiS in (Siebtel fierborjufjeben, moburd) biefem SBaEfabrtöorte bie alte, attmä^ltcb
berminberte gugfraft toieber jurüdgegeben mürbe. ®er SBtfdbof ßb^riftobl) beteiligte fid;
nicfjt nur mit feinem Sßeiljibifdmf unb gablretcben ©eiftlic^en an biefem feierlichen 2l!te, 35
fonbern liefe fid; bon Sk^munbuS aud} jur ©lebatton unb Translation ber ©ebeine ber
^eiligen ©ermanuS unb StanboalbuS im Stifte fünfter in ©ranfelb ermäd;tigen, unb
entnahm biefe Reliquien im Jafyre 1505 bem §od>altare ber Iftrdje unb transferierte fie
an einen ber öffentlichen Verehrung zugänglicheren Ort.
Jn bem Briefe, ber Gfyrifiobb, riet, fieb, als SBtfcbof mahlen %u laffen, blatte ibn 10
ffiimbfeling auf bie güHe fyerborragenber Männer ^ingemiefen, bie er bei ber Verwaltung
beS SiStumS ju feiner Unterftü^ung beransiefien lönne. £>etn Stufe, ben er felber fofort
erbalten batte, nacfjbem U. mirflid) gemäht morben mar, folgten flpäter meitere, fo bie
2(ufforberung, in einem bon bem 23ifi|of reformierten 9tonnenflofter menigftenS für einige
3«t bie Leitung ,^u übernehmen. (Sin anberer elfäffifd;cr SanbSmann, auf ben ber Sifdjof 45
feine SBIide richtete, mar ßabito. @r trat 1515 fein 2lmt als Vrebiger am fünfter an
unb mar gugleicb auä) als Se^rer in ber tfyeologifcfyen galultät tb;ätig. ©ine eigene
3Jlunfterbräbifatur mar fd>on jur 3eit beS Sifd;ofS 2lrnolb bon$Rotberg (1451—58) ge=
Raffen morben gemäfe einem betrete beS VaSler $on§ilS bom Jab,re 1438, baS be=
ftimmte, bafe fortan jebe ©omfirdje einen Xbeologen unb Vrebiger für bie Silbung ber so
liöcefangeiftlicbjeit unb bie Untermeifung beS Volles anstellen i)aht (SaSler Ja^rbudb,
1895, S. 154). ©ureb, Vermittlung ßabitoS lam nod) in bemfelben ^«^e aueb, De!o=
lambab nad) Vafel, ma^rfdjeinlid) als Seutbriefter am fünfter, jog jeboeb fd;on im fol=
genben Jab,re mieber fort, mäf)renb (Sabito ein baar Jab,re länger blieb. 2)ie Verufung
bieier 2Jcänner geigt, bafe ber Vifct)of bemüht mar, burcl) miffenfcb.aftlid^eS Streben unb 55
Sücfytigr'eit auSgejeidjnete Seute berbeijujieben. 2)od) barf man auS ibrer fbätern Stellung
jur Deformation leine Scf/Iüffe auf feine eigene ©efinnung gieben. @S genügt, baran
w erinnern, bafe Ccfolombab, ber 1518 ein jireiteSmal nad) Vafel lam, 1520 in baS
Ötigiüenflofter bei SlugSburg trat unb nod) feineSmegS ben Stanbbunlt einnabm, auf
tom er ipäter bie Sieformation in Safel burd;fül;ren balf- 1518 mar Delolambab einem «o
374 tttenfyettn
Stufe beS ©raSmuS nad; ©afel gefolgt, ben biefcr nod) bon £öWen au§ an tftn gerichtet
r)atte. Unb ju ©raSmuS, ber 1521 nad; ©afel überftebelte, fd;on borget aber öfters toegen
beS ©erfefyreS mit feinem Verleger groben in biefer ©tabt »eilte, füllte fid) ber t)uma=
niftifd) gefinnte ©ifdwf befonberS Enngejogen unb gab u)m ga^Iretdje 93eroeife ber ©er=
5 et)rung, bie er Wie alle ©ebilbeten ber $eit für ben großen- ©eler)rten embfanb.
©oWob,! ßabito als aud; ©eatuS 9it;enamtS, ber b, äufig bon ©fmftobl; an feine %a\d
gebogen Würbe, fd;reiben ©raSmuS, Wie fejfyr ib,n ber ©ifcl;of fd)ä|e unb fid) nad) ib,m
felme. 2tud) ift nod; ein ©rief erhalten, in bem u)m biefer felber feine greube über bie
guten 3Rad)rid)ten auSfbricl;t, ilm ju einer balbigen 2öieberr)olung beS ©efud)eS aufforbert
10 unb it)m fein §auS, ja fid; felbft unb aKeä, Was er fein eigen nennt, anbietet, lud;
(SraSmuS fann nid)t genug l)erborl;eben, mit welker ©üte it)n ber ebenfo burd; bie 9tein=
t)eit feinet £ebenS tote burd; feltene ©elefyrfamteit ausgezeichnete 9Jcann beljanbelt l;abe.
$n nid;t weniger als brei bon ben uns erhaltenen ©riefen an feine englifdjen greunbe
erjäbjt er bon bem Sßferbe, baS tr;m ber fonft feineSWegS als freigebig belannte ©ifd)of
15 gefd)en!t, unb baS er felber, faum jum 'Sore InnauSgeritten, um ben ^reiS bon 50 ©ulben
belauft I)abe. SDaS Encheiridion trage ber ©ifd)of fortwäfyrenb mit fid; t)erum, unb
er felber l)abe gefefjen, Wie ber 9fanb in feinem @r.emblare botl Zotigen bon feiner §>anb
fei. Unb in einem fbätern ©riefe I)ebt er fyerbor, bafe bie SluSgabe beS 9Zeuen ^eftaments
burd)auS mit ber guftimmung beS ©ifcbofS erfolgt fei. ©iS in bie legten ^ab,re feines
20 SebenS ftanb ber ©ifd;of mit SraSmuS in brieflichem ©erfeljre. Unb nod; in bem legten
uns erhaltenen ©riefe beS ©elefrrten an 6b,riftobb, aus bem $al)re 1524 finben Wir bie
@mbfel)Iung eines ©ucfyeS £uiI)erS, De quatuordecim spectris, freilief) mit ber ©e=
merfung, Wenn aud; in biefer ©d)rift etwas ©öfeS fteefe, fo Werbe bie @infid)t beS SeferS
baS ©olb aus bem 9Jtifte fyerauSjunebmen im ftanbe fein.
25 SDafj ber ©ifd)of, ber bie ©d;äben ber $ird;e tief beflagte unb bis gleist einer 9ie=
formation geneigt War, bie erften ©Triften £utb,erS, bie in ©afel eifrig nadjgebrudt
rourben, gerne las unb mit froren Hoffnungen fein auftreten begrüßte, gefyt aus ber=
fd)iebenen .ßeugniffen fyerbor. Lutheri quidem scriptis, flagt ber $artt)äufer ©eorg,
in prineipio multum favere videbatur imprudens, donec tandem serpentem
30 viridi in gramine latitantem et se et suam metropolim ac diocesim graviter
laesisse deprehenderet, sed nimis sero (©aSl. Gfyron. I, p. 415). ©arf man eine
©teile auS einem ©riefe EabttoS an £utl)er auf ßbjiftopb, begeben (episcopus
quidam eruditus ac primae honestatis), fo roar er nod; 1519 bereit, fid; für
£u;I)er gu berWenben (f. ben ©rief bei Scultet., Annal. p. 44). SDod) ift biefe ®eu=
35 tung zweifelhaft. 2lber nod; 1520 tonnte Söimbfeling feinem alten ©önner fcfvreiben:
„9ftöd)ten bod) alle beutfd)en ©ifdjöfe unb bie übrigen ©rofjen gugleicr; mit ben ©d;Wei=
jern barauf bebacfyt fein, ben ^ßabft £eo jur SRilbe ju ftimmen, bamit er nidjt £utb,er
ganj ju ©runbe gelten laffe, einen 5Rann, ber nid;t nur in feiner £et)re fid; als ebange=
Iifd;en Sljriften beroät;rt, fonbern aud) in feinem ganzen £eben" SDod; gleicb, Wie 2ßimbfe=
40 ling felbft, fo Wanbte fid; aud) ber ©ifdjof mit ©ntfi^ieben^eit bon £utb,er ab, als bie
5^onfequenjen bon beffen ©orge^en beutlid) ju Stage traten. Unb bie ©reigniffe, bie aud)
in ©afel bie !fteugeftaltung ber !ird;lid)en ©erbältniffe herbeiführten, baben fid; olme unb
gegen feinen ÜJBiUen bolljogen. ©r War jebod; um fo Weniger im ftanbe, fie ju ber=
|inbern, als fid; bie ©tabt, bie 1501 ber fcr)Weiäerifd;en @ibgenoffenfd)aft beigetreten War,
45 bem ©influffe beS ©tfa^ofS immer met;r entzog. 2öol)I Ejatte ß^rifto^l) bei ber Über=
nab;me feines SlmteS eine ©eWanbtljeit in ben ©efd;äften beWiefen, bie il;m felbft fein
©ereb,rer Sßimbfeling n\d)t gugetraut hatte, unb fid; beim ©erfud;e, bie zerrütteten finan=
gellen ©erbältniffe beS ©iStumS ju orbnen, einer ©barfamleit befliffen, bie il)m manage
als ©ei$ anzurechnen geneigt Waren. 2lber bem fingen ber aufblüb,enben ©tabt nad)
50 Unab^ängigleit unb ber fortfd)reitenben 3lbbröd'elung ber bifcf)öflid;en ^Red;te J^ätte aud;
ein tl)atlräftigerer 2Rann als ber greife ©ifd;of mit feiner ju ftiller ©efd;aulid;lett neigen*
ben ©eleb,rtennatur nid;t §alt ju gebieten bermod;t. ©on 2lIterSbefc^Werben unb $ranf=
l)eit b^eimgefuc^t erhielt er 1519 in bem SDombelan TOflauS bon®ie§bad; einen Hoabjutor.
2lber nun erflärte ber 9tat ber ©taat, bamit fei aud; bie burd; ßftrifto^f) 1506 gegebene
55 £>anbbefie aufgehoben, unb Weigerte fid;, fie aufs 9?eue ju befd; Wbren. Unb als ber ener=
gifd)e toabjutor ben ©aslern baS bon ib,nen nad; bem ^obe beS ©rafen ^b,ierftein be-
fehle ©d;lo| ©fäffingen nidjt überlaffen Wollte, befct)Io^ ber erbitterte diät 1521, in 3U=
tunft feinem ©ifd)of meb,r ^u fdjwören.
^atte fo ber dtat ben entfdjeibenben ©d)ritt gettian, um bie ©tabt gänjlid; ber
60 £>errfd;aft beS ©ifcfiofS ju entheben, fo jeigte er fid; bereit, itmt entgegenjufommen, als
Utenfyctin 375
fidb, biefer im folgenbcn %abu an ihn Wanbte Wegen beS atrgernifjeä, *baS einige £uma=
niften burcb, einen ©banferfelfcfymauS am s$almfonntag gegeben Ratten. 9ftd;t nur mürbe
ben Teilnehmern ftrenge ©träfe angebrob/t für ben galt, baf? ficb, bergleicfyen Wieberfyolen
fotttc, fonbern bei biefem 2lnlaffe aufy ben ^ßrebigern »erboten, ber 33erfünbigung beS
(SbangeliumS nadj althergebrachtem SSerftänbniffe neue fielen beigutmfcfyen. gerner mujjte 5
ber l'eutbriefter gu ©t. 2Uban 2ßilf>elm 9teublin, ber unter großem Zulaufe heftig gegen
bie §ierard)ie unb ^nftitutionen ber I'ircfye brebigte unb bei ber $rofmlet(f;namSbrogeffion
an ©teile ber Reliquien eine Sibel getragen b, atte, auf anbringen beS 33ifd^of§ bie ©tabt
berlaffen, tro^bem bafj ein l)a!beS §unbert grauen aller ©tänbe aus feiner ©emeinbe bor
baS 9tatbauS famen unb für ilm gürfbradje einlegten (9tyff, 33aSl. Gfyron. I, ©. 32 f. 10
3. ferner ben Srief beS SBaf. Stmerb. bei S3urdf)arbt=23iebermann, SonifatiuS Stmerbacb,
3. 156 f.). $ie ©d)rift De interdicto esu carnium, bie ©raSmuS, beranlaftt bureb,
ben SpanferfelfdnnauS, an ben Sifdwf richtete, unb in ber er für bie 2tbfd)affung einiger
geiertage unb bie Slufbebung beS ßölibatSgWangeS eintrat, ficb, gugleicb, aber nacfybrüdlicb
gegen jebeS eigenmächtige $orgefyen auSfbracl), geigt, inwiefern ber 33tfdE)of aueb, je|t noeb, 15
al§ greunb einer Deformation betrachtet Werben fonnte. 9Jcit SDeutlicbJeit gefyt bieg bor
allem aueb, auS bem Schreiben fyerbor, mit bem er am 22. Dftober 1523 bie ©inlabung
ber 3ürct/er, am gWeiten DeligionSgefbräcb, teilzunehmen, beantwortet. 9cad;bem er guerft
auSetnanberfetjt, baf$ bie Silber unb bie SSJceffe Weber ber b,l. ©cbjift Wiberfbräcf/en, noer; ben
d)riftlid)en £ergen gum Ärgernis gereichten, fonbern gu f>erglid)er 2lnbad)t beitrügen, betont er 20
naa)brücflicr/, bajj eS niemanb guftefye, bon ftcb, aus in biefen Dingen eine Slnberung borgu=
nehmen, fonbern bafc bieS lebiglicb, burcb, eine allgemeine 23erfammlung unb eine (Srftärung
ber $ircf)e felber gefct;et)en. !önne, unb bafj ein eigenmächtiges 33orgef)en gur Trennung unb
bamit gu fernerem 3irgerniffe führen muffe. SllS bie gürdjer entgegen feinem State b,an=
bellen, feftfofs er fidt) ben 33ifd)öfen bon Äonftang unb Saufanne an unb ermalmte mit 25
ifjnen gemeinfam bie ©ibgenoffen, bei ber alten Religion gu beharren, borbef)a(tlicf) bie
3lbfd;affung einzelner 9J}tf$bräud)e gu gelegentlicher geit. Sluct) in Safel fudjte er, fobiel
in feiner $raft ftanb, gu berr/inbern, bafj bie neue Bewegung, bie immer meb/r bie ©runb=
lagen ber bisherigen ^ird)e in grage ftellte, weiter um fict) griff. 211S Defolamtoab 1522
nun brüten 9Rale nacb, SBafel lam unb nun mit grofjem ©rfolge im ©inne SuifjerS bre= so
bigte unb lehrte, berbot ber 33ifdt)of ben ^rieftern bei Serluft tt;rer Sfrünben unb ebenfo
ben ©liebern ber §ocbfdmIe, ib,n gu beeren (9tr/ff, SaSl. ßfyron. I, ©. 36). 2öemt Cefo=
lambab trofcbem bie §omilien über ben 1. QofyanneSbrief, bie 1524 im ©ruef erfcb,ienen,
bem 53ifcf)of unb feinem ^oabjutor roibmete, fo tb,at er eS weniger, Weil er fie baburd)
ju gewinnen b,offte, als Weil er geigen Wollte, bafj feine ^rebigten baS Sic^t beS SageS 35
nid)t ju freuen bitten. ®r Wu^te, Wie bie Söibmung geigt, baf} bie bergen ber Sifcfyöfe
ib,m unb feinen Srübern, bie baS ©bangelium lauter berlünbigten, bereits entfrembet
toaren. 2lber aueb, aus bem bereits früher erwähnten legten uns erhaltenen Sriefe beS
GraSmuS an 6b,riftobb, get)t b,erbor, bafj fieb, biefer immer noeb, gerne mit feinem gelehrten
^reunbe über eine Deformation ber Äircb, e unterhielt, freilieb, eine, Welche bie ©runblagen 40
ber fatt)oItfct)en ^irclje unangetaftet lief} unb bon ben 23ifct)öfen ausging. SGBir feb^en ben
greifen S8ifcr)of mit ber Seitüre bon ©djriften befeb^äftigt, bie SBefferungSborfcb^läge machen,
aUerbingS mit ©c^riften, bon benen fieb, ©raSmuS feine grofee äöirlung auf bie ^eitgenoffen
berfbrid)t, Weil bie eine nimis sapit jura pontificia unb eine anbere mit ilpn retd;=
liefen ©taten aus ben Sifionen ber b;l. 33rigitta bie Seute jum Sachen reiben Wirb. 45
öeflieb Iel)nt er barum aueb^ bie S3itte, einer biefer ©Triften eine SSorrebe mitzugeben,
ab. itUe über ben ilkrt biefer Sücber, fo barf er fiel) feinem alten ©önner gegen=
über jeboef) auc^) barüber leife ^Weifel erlauben, ob bie $Berfud)e beS neuen ^ßabfteS
§abrian, bie lirdbjicfyen ßuftänbe ju beffern, Wirflict) ber grömmigfeit gu ®uti lommen
Serben. 50
2Üir i)abm fein Stecht, gb^riftotol) bon U., Wie bieS fmufig, g. 33. aud) Sb III ©. 715, 51
gefcbjebt, einen ebangelifcfy gefinnten Sifcb, of ju nennen, WenigftenS Wenn biefeS Sßort einen
@egenfa£ gegen bie fatb, olifc^e 3luffaffung beS GbjiftentumS unb eine Hinneigung gu ben
neuen bon Sutber betretenen 33eftrebungen, bie S?ircf;e gu erneuern, begeiefmen foH. 2Iucf)
baS SBefenntniS Spes mea crux Christi, gratiam non opera quaero, baS auf ber 55
bonßbjiftobfy in baS3Jcagbalenflofter gu Söafel geftifteten ©d)eibe unter ber gu bengüfeen
i>es ©efreugigten flagenben 9ftaria 3JIagbaIena ftcb,t, bereinigt nicf)t bagu. ®ic Söorte
iprerf>en nichts auS, WaS ntcf>t ein frommer Äatbolif gu allen Reiten als feine Uber=
>euc^ung blatte befennen fönnen. ©ie geben aueb lebiglicb, Wieber, wa§ (St>rtfto^r) bei bem
"on ib,m unb feinen Arcunbeu ©cilcr unb ÄUmbfeltng b,od) bereiten ©erfon gefunben gu
376 lttentjetnt SBäter bc§ guten ©terben§
t/atte, beffen testamentum Peregrini metricum mit ben äöorten fdjliefjt : Spes mea
tu Jesus est: gracia non opera.
$m gebruar be§ %at)xe§ 1527 fanbte 6b,riftotob, bon ^runtrut auf, mo fd)on feine
Vorgänger metft ju reftbteren pflegten, 33oten an ba3 SDomfabitel mit ber Sitte, ifyn
5 feiner 3Bürbe ju entheben, entfcf/Iief aber, nod) bebor ein neuer 33ifd)of gemäfylt werben
mar, am 16. Sftärj be§felben ^jabreS in feinem ©d)loffe §u SDelSberg unb mürbe aud)
in ber bortigen $ird;e bor bem §aubtaltare begraben (Basilae sacra p. 358 s.). 2lu§
bielen guten ©rünben r)aite er, wie ber $artl)äufer ©eorg berietet, ben Söunfcb, aus=
gefbrod)en, nid)t in 33afel beftattet ju werben (23a<§I. (SI)ron. I, ©. 414). Qn ber Tfyat
io mürbe in biefer ©tabt bie Deformation nad) jmei ^afyren enbgüttg burd>gefül)rt.
@feerl|ari> 3Hftf|er.
Ittraqmftcn f. b. 31. £u£ 33b VIII ©. 487,22.
Uljtenbogaeri f. Sötenbogaert.
V.
1«, Fabian f. SBSatt.
Wättv, 2Iboftolifd;e f. 33b I ©. 711.
SSärer ber djrtftl. Sdjre f. Soltrinarier 33b IV ©. 765.
SBäter be§ guten ©rerfcettS. — Cuelten u. Sitteratur: <San^io ßicateüi, Vita del
P. Camillo de Lellis, Viterbo 1615; $eU)ot, ©efd}icf)te ber Ätöfter imb 3fttterorben, Seidig
20 1754, IV, 310—323; SS. Säumfer, Ser 61. gatniHuS uon SeHiS unb fein örben, granffurter
äeitgemäfee SSrofcbüren 5R& IX. *jb 2. §eft, granffurt 1887; §eitnbucber, Drben unb ®on=
gregattonen ber fattj- Strebe, ^aberborn 1897, II, 264—269 (Ijter roeitere Sitteratur).
©te SSätet be§ guten ©terbenS ober be§ guten Xobe§, Stgonijanten, clerici regu-
läres ministrantes infirmis, finb mie biele anbere Drben ein ^ßrobuft ber fatfyoHfdjen
2ö DeftaurationSbemegung in Stalten mäfyrenb be§ 16. 3a^untortg- 9")r ©ttfter tft ber
bon ^Sabft 33enebilt XIV. im Qafyre 1746 heilig gefbrocfyene (Samittug be Seliiö (bie
ältefte 33iograbI)ie f. oben bon ßicatelli). Gamillug be £elii§ ober £eHi§ mürbe 1550
ju 33ud)ianico im Deabolitanifcfyen geboren. Tyrüf) bertoaift führte er al3 ©ölbner in
benetianifcfyen SDienften im Kriege gegen bie Stürfei ein itülbes», bor allem ber ©biel=
30 leibenfef/aft ergebenes Seben, bi€ er fid) burd) eine offene Söunbe am ©d)enfel genötigt
fat), im ©t. Qafob'ofyofyital ju Dom ein llnterlommen &u fud)en. ®ie Erfahrungen ber
Dad^äffigteit unb ©leidjgiltigfeit ber Slranlenbfleger führten ifyn 1582 ju bem @ntfd)Iu|,
eine ©enoffenfcfyaft jum gtoeef forgfältiger ^ranfenbflege gu ftiften. 2tl§ 32jäb,riger b,olte
er mie 2or)oIa bie mangelnbe ©dmlbilbung auf bem ^jefuttenfoHeg in Dom nad) unb
35 trat l)ier in enge Regierungen ju bem bJL ^ßr/ilibbuS Deri. $n Dom erhielt er 1584 bie
^rieftermeifye unb mürbe Fabian an ber ^ircf)e La madonna dei miracoli. 1584 be=
grünbete er b/ier bie ©enoffenfd)aft ber SSäter be§ guten ©terbeng, bie fid; bie $ranfen=
bflege unb namentlich ben feelforgerifd^en 33eiftanb in ber 'jXobeäftunbe, befonberS ber
^eftfranfen gur Aufgabe machte. ®urct) ©i£tu<§ V erhielten fie 1586 ifyre 33eftätigung.
40 3ln ber ©bi|e ftanb ein auf brei 3afyre geiüär)Iter ©uberior, ber ^Priefter fein mufste.
Qux tlnterfd)eibung toon anberen regulierten ^lerüern trugen fie auf bem fd;marjen %alat
ein lob/farbeneS ^reuj auf ber linfen ©eite. ©regor XIV. erb,ob bie ©enoffenfdjaft ju
einem förmlichen Drben mit ber Sluguftinerregel, nad)bem fie in ber ^ßeftepibemie 1590
ib,re fyingebenbe Dj)fermttIigMt bemiefen r)atte. ®ie ministri infirmorum legten neben
45 ben brei 3)Jöncb,§geIübben als öierteS ba<§ be§ ^ranfenbienfte§ aueb, gur ßeit ber ?ßeft ab.
^n ben neunziger ^ab,ren be§ 16. ^afyrr/unbertS oerbreitete fid) ber Drben in $taton/ fo ba|
ib,n ^ßaul V 1605 in bie fünf ^rotoin^en, Dom, SJJailanb, Dea^el, Bologna, ©i^ilien teilte.
1607 legte SamiH fein a3orfte^eramt nieber, geklagt bi§ ju feinem %ohe bon ber eitern*
ben SBunbe am ©cb,enfel. 1613 toob,nte er nod) bem fünften ©eneralfatoitel feinet Drben§
50 bei, am 14. ^uü 1614 ftarb er. 23ereit<§ 1613 blatte ber Drben bureb, aufobfernbe Pflege
200 9)litgliebcr oerloren. SBcnn aud) bie ftafyl ber Drbensf)äufer nad) bem lobe bcö
bitter bc§ guten Sterbens Söter bc§ SobcS 3? 7
Stifters gunatmi, fo mürbe ber Drben bureb, bie Veftepibemien, in benen feine ©lieber
Ijelbenmütig pflegten, immer mieber ftarf be^imiert. ©o blieben 3. V. in Neapel 1657
bei einer folgen ßpibemie bon 100 Tätern nur toter unb bon ben %afy freieren Vrübern
nur einer am £eben. Stufeer Italien bat er fid) noeb, nacb, Portugal, ©panien unb bon
bort nacb, 2lmerifa Verbreitet, $n neuerer ßeit b)aben bte Später beS guten SEobeS bei 5
Gboleraepibemien unb auf bem ©cr)lacr)tfelbe eine fegenSreict)e ^E^ättgfeit ausgeübt, %n
Spanien mürben bie DrbenSfyäufer unter ber .Königinmutter 6f>riftine in ben 40er $ab/ren
beS 19. ^ab,rf)unbert§ aufgehoben, aueb, bie toter erft in neuerer $e\t in granlreicb, ge=
grünbeten -ftiebetlaffungen finb mieber berfeb/munben. 9cur in 9toermunb in §oltänbifcr;=
Limburg mürbe 1884 ein neues DrbenSfyauS begrünbet. Qn Stalten befi£t ber Drben noeb, eine 10
ßafyl §äufer, beren ©triften^ aber bebrob/t ift. ©aS §auptl)au§ ift baS toon Samill 1586
in 9fom begrünbete §auS bei ber Kircbe la Maddelena, in bem ber auf fed)S Qafyre
getoäblte ©eneral refibiert. Sie 9Jtitglieber beS DrbenS befteben aus ^ßrieftern unb
iörübern, bon benen bie lederen bie Kranfenpflege beforgen. 3U ^^fen Aminen noeb)
Cblaten, benen bie Verrichtung ber r/ä'uSlidjen arbeiten obliegt. Stufjer ben toter ©elübben io
legen bie üJUtglieber noct) bier einfache ©elübbe ah, in bem bom t)I. ßamiHuS bor=
getriebenen Kranlenbienft feine 2tnberung borgunefymen, lein (Eigentum, baS ben Käufern
gehört, 5U beanfprucfyen, nacb, leiner Söürbe innerhalb unb aufjerb/alb beS DrbenS ju
ftreben, unb fogar Slnjetge gegen Vrüber, bie folcfye Söürben erftreben, ju erftatten. 9?ur
ben ÜJtobijiaten unb Kranlenfyäufem finb fixere ©innafymen geftattet, bie Vrofefjfyäufer 20
finb auf 2tImofen angemiefen. Wie Pflege ber Kranlen foll olnte 9tücfficf)t auf bie Kon=
feffion, aber mit befonberer Sorgfalt für baS ©eelenfyeit ber Uranien ftattfinben. SDurcb,
bie ©ttftungSbulle ift auSbrücflicb, berboten, Kranle ju bewegen ein Seftament ju ©unften
beg DrbenS ju machen. %n 2lnerlennung ber Seiftungen beS DrbenS ernannte £eo XIII.
1883 ben ©tifter beS DrbenS, ben hl. ßamtß unb ^ofiann toon ©ott ju Patronen alter 20
epitäler unb Kranfenr)äufer unb toerfügte bie Einreibung ibrer tarnen in bie Sitanei
ber ©terbenben. SDer meiblicfye 3toe'Ö bz$ DrbenS, bte Wienerinnen ber Uranien, bie
1764 ju Sima geftiftet mürben, fyaben eS ju leiner größeren Vebeutung gebracht.
©. ©rüifmadjer.
95öter (95räber) bcS £obe§. — Quellen w. ßitteratut: ©ggerer, Fragmen pari is 30
Corvi protoeremitici sive reliquiae annalium ordinis fratris eremitarum S. Pauli, primi
eremitae, Vindobonae 1663; §eh)ot, ©efcrjtrfjte ber fölöftev unb SRitterorben, Setöjtg 1754,
III, 385—401; ^etraburfjer, Orben unb Kongregationen ber fattj. SHrcfje, 5ßaberborn 1896, I,
4.7—79 (f. bort tteitere Sitteratur).
Väter (Vrüber) beS SCobeg ober ©infiebler toom b,l. ^3aulug, bem (Sinfiebler, ift ber 35
9Jame eineg 9Jlönct)§Drbeng, ber je nacb, ben berfefnebenen Sänbern, Ungarn, Portugal unb
granlreicb;, in benen er lebte, in ©rupben ^erfaßt unb einen berfdjiebenen lirfprung b,at.
Sie ungarifd)en ^ßauliner entftanben im ßettalter ber (Sntftefmng ber Settelorben
1250 bureb, Vereinigung ber ©infiebler bon Vatad) unb ^ifilia. S3erettg 1215 b,atte ber
8ifcb,of Bartholomäus bon günfliretjen bie ©inftebler feines ©prengels jum gemeinfamen ü»
Seben im Softer beS b,I. Qalob bon ^aiacb, bereinigt. 1246 jog fid) ber £)omr)err
ßufebiuö bon ©ran als @remit mit mehreren ©enoffen in bie ©inb'be bon ^Sifilia jurücf,
unb 1250 erbaute er ib,nen ein Älofter in ^ifilia. $n bemfelben Qatjrc bereinigten fieb,
bie Gremiten bon ^atad) mit benen bon 5ßiftlia ju einer Kongregation, bie 1252 bie 23e=
ftätigung beS S3ifcb,ofS SabiSlauS bon günflircb,en erhielt. ?Racb, bem 2;obe beS ©ufebtuS 4-,
1270 nahmen bie ungarifdjen ^ßautiner 1308 bie Sluguftinerregel an unb b^ie^en nun
9Migiofen bom Drben beS b,I. ^aul beS ©infieblerS. ^n Ungarn berbreitete fieb, ber bon
ben Königen protegierte Drben fo ftarf, baft er 170 Klöfter jäb,lte, bcfonberS feitbem 1381
bte Reliquien feines ©d)u|patronS, beS b,I. $aulu§ bon Xfyeben, bon Venebig nacb, Ungarn
in ba§ SaurentiuSflofter überführt roorben maren. Von Ungarn lamen bie Vauliner nacb, r,u
Xeutfcb,lanb, mo bis 1786 ein Konbent ^u 9lob,rb,aIben in Söürttemberg beftanb, nacb, Kroatien,
vl*olen, ^ftrien unb ©darneben. SDer Drben machte fieb, in Ungarn bor allem burd) bie
Anlage trefflicher Klofterfd)uIen feit 1676 berbient. Qn ben ITürfenfriegen gingen bie
ungarifdEjen Klöfter ^u ©runbe. @S e^iftieren nur noef) in 9?ujfifcb,=VoIen baS Klofter
5jenftocb,au (ßlairmont), ein berühmter 2öaEfab,rtSort mit bem angebltcb, bon SucaS ge= r«
malten HJiartenbtlbe, unb ^mei Klöfter in ber ©iöcefe Kralau, 9iupella unb SeSniom.
Tie portugtefifcb,en ^auliner finb bon StRenbo ©ome^ bon ©imbria um 1420 ju
Sctubal (3IJenboliba) geftiftet. ©ie mürben 1578 mit ber 3luguftinerrcgel bureb, ©regor XIII.
beftdttgt. Tiefer 3meig ift ^u ©runbe gegangen, ohne größere Vebeutung ju erlangen.
378 Leiter be§ £obc§ Vaganten
3Me franjöftfcr/en Vauliner, bie ben tarnen SSätcr ober trüber be§ %oiiS führten,
fcfyeinen erft aul bem älnfang be§ 17. 3saf)rr/unbert§ ju ftammen. $r;re bon 2öillielm
Gallier berfaßten ©tatuten mürben bom Vabft ^3aul V. 1620 abbrobiert, roorauf innert
üönig Subroig XIII. bie ©rricfytung bon Ülbftem geftattete. $u ben Obliegenheiten beg
5 Drben3 gehörte, Ärante ju bcfudien, ©efangene ju tröften, Verbrecher jur 3tt<fytftätte ju
begleiten, ^ote $u beerbigen. Qfjr ganzes Seben foule fie mit bem ©ebanfen an ben %ob
bertraut machen, besifyalb grüßten fie fid) gegenfeitig mit bem Memento mori, fußten
bei ben 9Jial)l3eiten einen ^oteniobf unb trugen ein jetymarjes mit einem Sotenfobf ber=
fefyeneS ©fabulier. Verehr burd) Urban VIII. mürbe ber fransöfifetje Qtozia, btS Drben3
io unterbracht. &. ©rütjmatfier.
SJogantctt. — lieber bas SSagantenroefen ftanbeln Söingtjamll, p. 387 ff. ; $fanct, @e(dj.
b. tfriftl. ©efeflfdjaftSüerfaffung I, 375; II, 100 ff.: SReanber, . g© (©otfia 1856)11, 58. 164 ff. ;
$ffugf=§arttimg, Diplomat =fjtfi. g-orfebungen, ©otfja 1879, @. 50 ff. — lieber bie ©oliarben
uitö fatjrenben ©cfjüier beS fpäteren sMttefatter§ f. befonberS Q. ©rimm, kleinere ©ctirtften,
15 III, Sjetfin 1866, © lff. ; SS. ©iefe&rec&t, Sie Vaganten ober ©oliarben unb ifjre Sieber,
in ber 9111g. 5ötonat§fct)rift für SSiffenfcf). u. Sitt, S3raunfd)iti. 1853, @. 10—43. 344—381 ;
SS. ©djerer, ©efet). b. beutfd)en ®icf)tung im 11. u. 12. gabvfj., (Straßburg 1875; 0. .£mbatfd),
Sie tat. SSagantentieber be§ 2R9I., ®örli£1870; $. Siberg, $3 SSb 64, 1889, ©.544; Stb.
SSartoli, Storia della letteratura Italiana, t. I, Firenze 1878; Sßattenbacf), ©efd)id)t§queflen
20 II6, ©.472. (Sammlungen: Carmina Burana §. 0. 3. 91. ©dimeüer, ©tuttg. 1847, 2. Stuft.,
SSreStau 1883 ; 38. SRener, Fragmenta Buraüa in ber geftfdjrift ber ©öttinaer ©efetffd). b.
SStffenfcfj. 1901. Ile6erfe|uug: i?. Satftner, ©olia§. ©tubentenlieber b. 9M., ©tuttg. 1879.
Vaganten, Clerici vagantes s. vagi, finb in ber Terminologie be3 älteren
$ird)enred>i§ foldje ©eiftlid)e, bie otme feften ©i| unftät um^er^ief)en, fei e3 roeil fie
25 eine§ beftimmten Drbinationgiitebl, b. b/. eme§ ftänbigen ^ircfyenamtesi als Duelle xt)xtS
Sebensiunterfyaltesi, entbehren ober toeil fie bie $ird)e, bei ber fie angefteHt roaren, ber=
laffen t)aben. ©djion im 5. unb 6. Jyafyrlmnbert tourben b/ie unb ba Äirdjengefetje t;ie=
gegen erlaffen. ®as> d)aIcebomfd)e Uonjil unterfagte im 6. feiner Canones iaS %ei-
qozovsiv ämdehv/uevcog, bie fbäter fog. ordinatio absoluta s. vaga b. h. bie Drbi=
30 nation ofme gleidjjeitige guroeifung bes> Drbinierten gu einer beftimmten Äirdje. ®ie
fbanifdje ©fynobe bon Valencia (524?) bebror/te ben umfyerfdiroetfenben Merifer mit ber
©rjfommumfation (c. 5 Mansi VIII, ©. 622) ; bie gleite ©ro^ung fbrad) bie arelatenfifcb,e
©r/nobe bon 524 gegen benjenigen aus?, ber einen clericus evagatus aufnimmt (c. 4
MG CC I, ©. 37). SttcfytSbeftoroemger tauchten immer bon neuem bagierenbe Jlleriter
35 in größerer ober geringerer 3a^ auf, namentlich in folgen Sänbern, an beren Se=
!ef»rung jum 6b;riftentum noef) gearbeitet mürbe, ober in ben ^ac^barlänbern folc^er
3Jcifftonlgebiete. ©enn ben als SRiffionaren auggefanbten ©eiftlid)en liefe fieb, in bieten
gälten ein beftimmter ©brengel bon borneb,erein nic£>t anmeifen, unb oft genug brängten
tfeibnifcfye Verfolgungen, oft aud; blofee gurefit bor benfelben, dergleichen 3)äffionlbifc|öfe
40 ober =^ßriefter in toeniger unfiöpere ©ebiete ber 'Kircfye jurüc!, mo fie fieb, bann, ob,ne bie
^uri^biftion eines» beftimmten beeren ©eiftlic^en anjuerfennen, als fog. axscpaloi ober
clerici regionarii (3Banbergeiftlid}e) herumtrieben. Ratten fie obenbrein burd) ©imonie
ober bureb, irgenb melctjeö anbere unerlaubte Mittel il)re Drbination erfcb;licb,en, fo lag
bie ©efal)r nur um fo näfyer, bafe fie alöbalb auf bie ©tufe gemör/nlicfyer Vaganten
15 fyerabfanfen, bafe fie S3ifdt)öfen, ^rieftern unb anberen tntitulierten ober feft ange=
ftcllten, be^frünbeten ©etftltdjen gegen (Selb ober ^aturalberbflegung if)re Slu^ilfe in
ib,ren 3lmt§berrid)tungen antrugen; bafe fie bei roeltlicb/en ©rofeen in ben germanifo)en
Sreicfien, namentlicf) in ben ©cbjöfjem ber ©rafen unb Siitter, t)tenfte al§ §au^geiftlicb,e
(Fabiane) annahmen unb fiel) babei toob,l aud) jur ©titbef orgung unmürbiger unb er=
50 niebrigenber ©efeb^äfte ungeiftlic^er 2Irt mißbrauchen ließen; furj, baß fie auS i^rem
geiftlic^en 2lmte ein ©etoerbe matten unb auf bie ftörenbfte SBeife in bie georbneten
Verfyältniffe unb Verrichtungen be§ regulären Klerus? eingriffen. Äarl b. ©r. fucb,te bem
Untoefen ju fteuern, inbem er bie cfyalcebonenfifcfye Sßorfd;rtft erneuerte, ut nullus ab-
solute ordinetur sine pronuntiatione et stabilitate loci ad quem ordinatur
55 (Cap. 22, 25 bon 789 ©. 55, bgl. bem Vefcf,tuß ber fjfranff. ©rmobe bon 794 Cap.28 c. 28
©. 76); ebenfo berbot er bie Slufnal^me bon fremben sterilem, bie fid) ntdjt burd) Vriefe
il)rer SBifdjöfe au§meifen lonnten (Cap. 22, 3 ©.54; bgl. bie Sefdjlüffe ber 9teform=
ft;noben bon 813 gegen bie clerici vagi, SOZaing c. 22 ©. 267 ; Strien 23 ©. 253).
3lber ber ©rfolg toar nid}t bauernb. SRocb im 9. 3ab,rb,unbert mußten mehrere Hon^ilien
60 Verorbnungen gegen Clerici vagantes, s. vagabundi (aud) mob,l cl. ambulantes)
SJngnntcn 379
inSbefonbere gegen beren Sjerfucfye, fid; auf betrügertfebem SBegc in bereits anberWcitig
bergebene 33eneficien etngufcfjleic^en, erlaffen; j. 33. 2Rainjer ©tmobe bon 847 c. 12
©. 179, ©bnobe t>on $abia 845—50 c. 3 ©. 81, ©tmobe bon$abia850 e. 18 ©. 121.
2ludj einzelne $ird>enfürften eiferten r)eftig gegen baS treiben ber Vaganten, 3. 33. 2lgo=
barb bon St)on, in feiner ©cfyrift De privilegio et iure sacerdotii, unb ©obefyarb bon 5
•öilbeSfyeim, bon bem eS in fetner Vita c. IV, § 26 fyeifjt: „Illos (sc. clericos), qui
vel monachico, vel canonico, vel etiam Graeco habitu per regiones et regna
discurrunt, prorsus execrabatur" — $m 12. ^abrfyunbert lehren är)nltd>e klagen
bei ©erhob bon ^leicfyerSberg Wieber; befonberS in feinem Liber de simon. (MG Lib.
deute III, ©.249, bef. 252 f.). 2lm fd)limmften fd)eint bie ©ad) e im 13. %afyr- 10
bunbert geworben ju fein. ÜRun brängten fid) bie 33aganten als SSifare auf geit gegen
yungerlölme in bie geiftlidjen ©teilen ein, jum ©d)aben ber ©eelforge Wie beS geiftlidjen
StanbeS. ©ie ©tmoben tambften, Wie eS fd)etnt, oljme biel ©rfoig gegen biefen Wi^-
ftanb (f. 9D?ainx 1261 c. 24 £ar^eim III, ©. 608; 3Ifd>affenburg 1292 c. 6, £>at%
beim IV, ©.9; Trier 1310 c. 22, ©. 134). £)ie fd>roffften 33efd)Iüffe fafßte bie Junger 15
Stmobe toon 1261; fie berbot, ben 93aganten Verberge ober 3lImofen ju gewähren,
iöfan erfährt babei, bafc baS 93oIf fie als ©berfyarbmer bqeidmete, ein üftame, beffen Ur=
fprung nidjt aufgeflärt ift (c. 17, ©. 600). 2lucb, bie ^affauer ©iöcefanffynobe in
<5t. gölten 1284 fafjte einen gegen ibre ^Aufteilung gerichteten 33efcr)lufj (c. 6, ©. 671).
$n 33aiern erllärte man fie „bie Soiterbfaffen mit langem £>aar" rote bie ©bielleute für 20
aufeerljalb beS SanbfriebenS (Sgr. b. 1244, 1281, 1300 in Duetten u. @rört. V, ©. 87,
348, VI, ©. 122).
@ine eigentümliche klaffe flerüaler ober Ijalbllerifaler Vaganten bilbeten bie feit
bem 12. Qctljrfyunbert juerft in granfreid), bann aueft in ©eutfcfylanb unb ©nglanb auf=
tretenben fat)renben ©änger, gumeift berborbene ©tubenten ober unftäte Merüer. 5Jcan 25
bezeichnete fie bemgemäfj anfangt freilieb, als clerici vagantes, aber aud) als ribaldi
(b. i. ©Reimen), feit 2Xnfang beS 13. SabjfyunbertS fcorjugSWeife als Goliardi ober Go-
liardenses (altfran^öfifd) goliarts ober gouliarts, aud; gouliardois, altenglifd)
goliardeis). 2)a bie letztere Benennung öfters burd; pueri s. diseipuli Goliae
gebeutet Wirb (fo j. 33. in einer ©fynobe ^u Stouen 1231, SJcanfi XXIII, ©. 215, unb 30
ju ©enS ©. 512), fo fd)eint fie bon Golias = Goliath hergeleitet werben &u muffen,
©oliarben finb bemnad; f. b. a. jünger beS ©oliatfy, gleidjfam l^iefenfölme. ©ie waren
unberbefferlicfye gteunbe beS SBeinS, beS©bielS unb ber grauengunft; aber fie bewährten
in ifyren ©ebbten eine unbergleid)Ii^e gormfierjerr/eit unb fie berfügten über alle Töne,
bie ber $oefie gegeben finb : garte Sieber auf Waxxa unb bie ^eiligen, ernfte unb fbottenbe 35
9toge= unb SfRar/ngebicfyte gegen bie ©ebredjen ber 2öelt unb beS MeruS, übermütige
unb lieberlidje ^neib= unb ©bielgefänge, einfacb, fcfiöne StebeS= unb grüfylingSlieber
unb lede SSerfe, bie aller ©Ute §ol)n fpreeben, bagit mancf)e§ kräftige bclitifcb.e ©ebtci)t
— ba§ alles gelang tl)nen. ©in berühmter ©oliarb im 12. Qß^rljunbert mar SBalter
bon Sitte (Gualterus ab Insula) ober bon Gfyätitton, ber ©änger ber Sllejanbre'iS, 40
ber fog. 2lbofalt)bfe beS 33ifcf)ofS ©oliaS unb anberer latemtfeber ©ic^tungen. 33on ifjm
lüoltl berfcb,ieben; ift ber „SIrctnboeta", ben man 1164 unb 1165 in ber Umgebung beS
grofjen ©rjbif et) ofS 9toinalb bon ßöln finbet, ein ungewöhnliches Talent, aber bon ebenfo
ungeroöfmlid)er Sieberlid;leit. @r fottte in einem §elbengebid)te bie Traten griebriebs I.
feiern; aber baS ©ebtebt ift nie begonnen, gefd)weige benn bottenbet Worben. ßincS 45
flerifalen archipoeta ^UolauS, als ju feiner 3ät in ben $Rb^"9^Ö^ben berühmten
T)icbterfürften, gebenft (SäfariuS bon ^etfterbad) ; berfelbe ^ahi einft (um 1220) in biefem
ßlofter, als eine fernere Äranll)eit feinen roeltltcbert ©inn niebergebeugt, bie ^utte ge=
nommen, um 3)iönd) ju Werben, fei aber nacb, Wiebererlangter ©enefung alSbalb unter
Sachen ju feiner umb^erfcl)Weifenben 33erufSart jurüdgeleb,rt (^5. ©rimm, ©. 14 f.). — 50
34lretcfje ^onjilien beS 13. unb 14. ^afyrlmnbertS erliefen Verbote unb ©trafmaferegeln
toiber baS Weitbin ausgebreitete Unwefen ber ©oliarben unb ibre bielfadien (Srjeffe. ©0
befcfjloffen 1231 unb 1239 übereinftimmenb bie ^robinjialfbnoben bon 3rouen, ©bäteau
©ontier, 2). TourS,, unb ©enS, eS fotte ben clerici ribaldi, unb gang befonberS ben ©oliarben,
foroeit bieS ob^ne Ärgernis gefebeljen fönne, bie baS Qnfigne beS geiftlidjen ©tanbeS bilbenbe 5:.
Sonfur wieber genommen Werben (Wanfi XXIII, c. 8 ©.215; c. 21 (&■. 237, c. 13
2. 512). ^m 3af)re 1289 Würben ©imobalftatutcn für bie ©iöcefen (SaboiS, 3t^obcj
unb Tülle erlaffen, Woburcb, ben Mlerüern, bei Serluft aller üsorred^tc tr;res ©tanbeS,
unterfagt Würbe, baS entebrenbe ©eWerbe bon Modulatoren, SBuffoncn ober ©oliarben $u
betreiben (lOianfi XXIV, ©. 1 0l 7). ^-ür ^ranfreid) febeinen biefe unb ä^nlidje i'iafV <*>
380 Vaganten SBalbeö, bc
regeln big gegen ©eblufs beS 13. Qafyrbunbertg ein böttige§ ober faft bötttgeS Serfcbnnnben
ber ©oliarben betoirft ju baben; roenigften3 ift bon ibnen in franjöfifcrjen Duetten feit
etwa 1300 niebt länger bie SFtebe. Slber nod) Sonifaj VIII. nabm in feine ©efretalen
eine Seftimmung gegen bie ^lerifer auf, qui se ioculatores seu goliardos faciunt
6 aut bufones (c. 1 in VI. 3, 1) unb bie ©aljburger ©tmobe bon 1310 bielt e<§ (naebbem
febon bie ©tmoben ju £rier 1227 c. 9, ©aljburg 1274, c. 16, ©t. gölten 1284 c. 29,
^Bremen 1292 gegen bie ©oliarben eingefebritten waren) für nötig, eine eigene SJtabnung
an bie in ber ©aljb. ©rjbiöcefe BefittbltdEjcrt ©oliarben ju richten, ftd) banad) ju galten
(c. 3 £art$. IV, ©. 167). Um biefelbe $eit nabm §ugo bon SErimberg in feinem
10 „Sftenner" ein befonbere§ Kapitel „bon 9übalben unb ungezogenen Seuten" auf, unb nodj
bt§ tief in§ 15. Qabrbunbert binem gefebiebt ber fab,renben ©Eitler unb bagierenben
Merüer unter berfebiebenen tarnen (vagatores, ©bielleute, ©bred)er jc.) (Srroäbnung.
ätljmlicr) in ©nglanb, roo beifbieteroeife noeb, Sfyaucer (geft. 1400) bon ©oliarben rebet,
bie er als bon geroöbnlid)en ©bielleuten ober Sänfelfängern faum berfebieben betreibt.
15 (£ötfler f) §anä.
SSalbeS, ^uan unb 2IIfonfo be (geft. 1541 bejtb. 1532). — Sttterotut:
Sf). ©cf)tnibt, Ueber Suan'S unb Süfonfo'S Seben unb ©diriften, 3rj£r) 1837; (Sb. 33oef)mer,
Cenni biografici aui fratelli G. e. A. di V., angehängt ber SluSgabe ber CX Considerazioni,
§aüe 1860 (©. 477—598); berf., Ueber bie 3roiüing§brüber 3. u. 21. be SS. (2lnr,cmg *ur
20 beutfd)en Ueberf. ber 110 93etrad)tungen, |mtte 1870). Snjwifdien war erfefrierten 93. SBiffen,
Life and Writings of J. de V., üonbon 1869. 33oeb,mer, Lives of Spanish Eeformers:
Juan and Alf. de V in 33b I ber Bibliotheca Wiffeniana (Strasburg unb Sonbon 1874),
@. 63—81. SSgl. auet) 93b II, Preface (1883); SS. Voller tjanbelt über bie relig. Stellung
be* Suan be SS. in ben Sinnigen ber Considerazioni unb ber Trattatelli (f. u.) in 5£lj©tS
25 1866 unb 1871; @ug. ©tern, Alfonse et Juan de V., These (©trafjburg 1869); berf., 9lrt.
SSalböS in SicfjtenbergerS Encyclop. des Sciences rel. XII Charte 1882) ; Manuel SarraSco,
A. et J. de V., leur vie et leurs ecrits rel. (Geneve 1880); ©plattet, Sie S3rüber 2(tf. unb
Suan be SßatbeS, 33afel 1901. — SSgl. ft. Eaballero, Conquenses ilustres, t. IV, A. y J.
de V, noticias biogräficas y literarias, SKabrib 1875; Jy. SDcenenbe^ Sßelaüo, Historia de los
30 Heterodoxos espafioles, t. II (SÖtabrib 1880); sJcad)träge bapt in t. III (ebb. 1882); 93enraü),
Slrt. „Stalten, reformatortferje 93ewegungen" oben 33b IX, bef. S. 535 ff.
Ueber bk ©ifjrtften ber 33rüber 33. f. 33b I ber Bibliotheca Wiffeniana ©. 82—130;
bie Driginalbrude finb äufjerft feiten, einiges ift nur r)anbfd)riftltcl) auf unS gekommen. 9feu=
bruet eineS üCeileS ber Söerfe ^rmnS Bietet bie „Reformistas antiguos Espanoles" in 93b IV,
36 IX, X— XI, XV, XVI— XVII, XXI. ®urd) SBöbmer würbe ebiert: Le cento e dieci
Divine considerazioni (f. o.); Dialogo de la Lengua (SRomau. ©tub. VI, 339 — 420); Dia-
logo de Mercurio y Caron (ebb.): El Salterio traduzido Diit 9(nt)ang (93onn 1880);
Sul Principio della dottrina Cristiana, Cinque trattatelli evangelici, §aüe 1870; baSf. beutfet),
tbb.; Trataditos de J. de Valdes, 93onn 1880; Instrucion cristiana para los ninos, 93onn
40 unb Bonbon 1883; baSf. ital. in Bibliotheca della Rif. Ital. IV (glovens 1884); El Evan-
gelio segun San Mateo (grftbruef), SRabrib 1880). S)urcf) Sdberoerj rourbe ebiert; Lac spiri-
tuale (2. ?IuSg. mit ber richtigen Angabe be§ ?lutor§), öeilbronn [1870]. ®urdi 3ob,n 33ettS
würbe englifd) publiziert: 93a(beS' Kommentar jum «jjfatt^äuS (1882) unb su bem erftest 93ud)
ber 33falmen (1894); ferner: „XVII Opuscules"; „Spiritual Milk"; „Three opuscules" ;
45 .,Commentary upon the Epistle to the Romans"; „Commentary upon the first Epistle to
the Corinthians" 93gl. SBilfenS in 8®® IX< ©■ 108 ff-/ 341 ff., XII, 30 ff. (Sine ?(u§war,i
ber CX Considerazioni (im ganjen 36) gab beutfef) Otto Singer, Setpjtg 1875.
SSon aHgem. fiitt. ügl. : Slmabile, II Santo Offizio della Inquisizione in Napoli vol. II
(1892) ; Agostino, Pietro Carnesecchi e il movimento Valdesiano, Firenze 1899 ; Estratto
B0 del Processo di Pietro Carnesecchi (t. X ber Miscellanea di Storia Italiana, Surin 1870) ;
33enratt), SSernarbino Dcfjino, 2. 9htf(. 1892; berf., Sulia ©onjaga, passim (1900); Keufd),
Snbej I (1883), p. 375 f.
33riefe ber SSrüber finb, abgefetjen iwn bem waS Sabaüero im Slnfjang barbietet, in größerer
8ab^ neuerbingS aufgefunben werben: itjrcr 55 bon 91lfonfo würben burd) £>. SSalg 1881
65 pfammengebradit, üon benen einer üom 8. Sluguft 1532 in %®@> IV, 629 f., 40 aber burdi
33ö£)mer in Homenaje ä Menendez Pelayo, Estudios de erudicion espaiiola, ^Jtabrtb 1899
gebrndt würben. 93öb,mer rjat aud) 1882 einen bon guan am 12. San. 1532 an ®anti§cu8
gerichteten 93rief tn ber Riv. Cristiana (Jv(orenj 1882, ©.95 f.) oeröffentUd)t. Ueber 40 S3riefe
3uan§ im Slrd)iu ju 'äJcantua, binnen 1536 unb 37 an ben Sarbinal (Srcole ©onjaga ge=
60 richtet, f. 93enratf|, S. ©onjaga ©. 113, 3(. 6. 7; einer biefer 33riefe ift in ber Riv. Crist.
S-lorenj 1900, in alter itat. Uebertraguug ©. 87 abgebruett; bie übrigen bereitet Sßrofeffor
Dr. §ei!igbrobt jur Sructtegung uor.
^uan unb 3lIfonfo be 3SaIbe§ tburben aU ßmittinge ^u @nbe be§ 15. ^at)rbunbertö
in 6uenca in ©aftilien geboren, too ibr SSater erblid)er 9tegibor toax. ätlfonfo, meieren
Vctlbeä, be 381
SJicter SRartbr Don 2lngf)icra, ein 9JiaiIänber, ber alte 3tat AerbinanbS be§ ftatfyolifdicn
unb abofiolifeljer Vrotonotar, aU einen Jüngling, ber gu grofjen Hoffnungen berechtige,
anfat), begleitete ben jungen Jlönig $arl im $af;re 1520 gur Krönung nad) Slawen unb
toeiter nad) 2öorm3, too er bie £utl)erfd;en ©Triften berbrennen fafy. „Jiux toenige" —
jdireibt %x. b. Mautner (©efcfyidjte @uroba3 feit bem @nbe be§ 15. ^ß^unbertS) — 5
„toaren fo fdt)arffid;ttg tote ber ©panier 2llfon<§ Valbeä, toelcfyer bon 2Borm<» au3 feinem
greunbe VetruS SJiarttir über alle<§ 2Ju3runft giebt unb mit ben 2Borten fdjliefjt : fo ift,
toie man meint, ba§ @nbe, toie idj aber glaube, ber Anfang biefer ^ragöbie." ®er
$abft, ber mit bieHeicfit frommem (Sifer nact) Sutfyerö Verbammung unb Verbrennung
ftrebe, fd£>retbt SUfonfo, fyange ju gab, an feinem Stecht unb berfdjmäfye ba§ einige Sftet= io
tungömittel ber ßfyrtftenfyeit, ein allgemeines ^onjil. Söenige ^ab,re barauf tourbe Sllfonfo
faifcrlicfyer ©efretär unter bem ©ro|fangler 3Jtercurino Strborio ba ©attinara, einem pe=
montefen, ber ein IJafyrgefynt lang bie ©eele ber laiferlicfyen ^olitif toar. @3 gab bamals
toter ©rofjmäcfyte: Sutfyer, ber $abft, (SraSmuS unb ber ftaifer. Verbünbet mit bem
©elebrten bon 33afel, fucfyte ®arl bie §änbel ber beiben erften ju beb,errfcb,en unb ju 15
fd)litt)ten. 2ll<B ftcfy in ©banien in ber SCftitte ber 20er %afyxe ein getoaltiger ©türm ber
")3iönd)e gegen ben großen §umaniften ert)ob, berfod)t Sllfonfo fo toarm bie ©ad;e be3=
felben, bafj ein $reunb fcigte, er fei erq3mifd)er als @ra§mus>. ®er ©rofeinquifitor,
toela)er audt) bie 3Bibmung einer fbanifcfyen Überfettung be£ Enchiridion militis Christiani
annahm, gebot ben ©freiem ju fd;toeigen. ©d)on 1521 toar „Sutfyer fbanifcb/' ge= 20
brudt, in Slnttoerben, toie Slleanber im gebruar berichtet. (Sin greunb bon Sllfonfo
halbes, ber bolnifcfye ©efanbte SDantigcuS, fdt)reibt an feinen $önig am 18. sDejember
1524 aus 5Rabrib : §ier barf man über Sutfyer ntct)t einmal reben: unb aus> ©ranaba
12. Cftober 1526: fein eigener Wiener unb jtoei galtoren guggerS feien als Sutb,eraner
behaftet toorben unb nur mit 3Rüb,e freigefommen (Acta Tomiciana VII, 138; 25
VIII, 348, »gl. 362 f. unb VmbfeilS ©ubblement jur SJJeland^tb, onsforrefbonbenj p. 506).
3m 9Jlai 1527 ereignete fidt) bie (Srftürmung unb Vlünberung 9?om<8 burd) ein
faiferlid;e3 |>eer, nicfyt auf ©e!t)eife beS ®aifer§. SDer ^ßatoft felbft tourbe gefangen ge=
nommen. ällfonfo Salbei gab ber ©ttmmung bei §ofe 2tu3brucf in einem ®ia!og, in
toeld;em fidj Sactanj, ein ^abalier be<§ $aifer§, unb ein SlrcfyibiafonuS, ber eben bon 9tom 30
fommt, in Vallaboltb, too $arl bie 9iad;rid)t erhielt, über jene Äataftrobfye unterreben.
Sactanj enttoidelt bie 2lnfid)t, bafj bie ©cfyulb ber Vertoüftung Stoma ber $abft trage,
ber, all griebenlftörer unb krieglanftifter unb all felbft toortbrüd)iger Verführer gum
ßibbruet), feinen Seruf gröblieb, b^intangefe^t I)abe. „ph e§ nü^Iidt) unb Vorteilhaft ift,
bafe bie §ob, enbriefter toeltlicb, e §errfd;aft §aben ober nid;t, bas mögen fie felbft bebenden ; 35
fia)er toürben fie, meines ©racfyienS, freier für bie geiftlidjen ®inge forgen !önnen, toenn
fie mit ben toeltlidjen fict) nicf)t befaßten" 33om ^irdjenftaat, ben unlängft nod; 9Jlac=
dt)iabeE al§ ben ÜKufterftaat gebriefen blatte, urteilt Sactanj, in ber gangen 6b,riftenb,eit
toerbe lein einiger ©taat fdjlecfyter regiert. 2)aä SSol! tourbe beffer fahren, toenn ber
5ßabft feine Sänber frettoißig bem ^aifer abträte. Sactang berteibigt aud; bie geftnefymung 40
be§ gegen feine eigenen ^inber toütenben b,I. Saterl. @r toeift b^tn auf bie 9Jiiffion beS
ßraömug, ber mit grofjer Serebtfamleit, Itlug^eit unb 33efo}eibenf)eit bie geiler unb
Jäufd)ungen bei römifd;en §ofeö unb aller äird;enbeamten bargelegt fyaht. „Unb ba
btel", fährt er bem 2lrcb;ibiaIonuS gegenüber fort, „in feiner SBeife bei eudt) anfo)lug, im
©egenteil' bie Safter unö böfen ©itten täglicb, gunafymen, fo tooHte ©ott auf anberc 45
3lrt berfucb,en, eud) gu be!eb,ren, unb erlaubte, ba| jener äRöncb, Martin 2utb,er auffiele,
ber nid)t nur alle ©cb,eu bor jenen ablege, tnbem er oi)ne irgenbtoeld;e 3?üdfid;t alle ibre
Safter funb machte, fonbern aufy biele ©emeinben bom ©eljorfam gegen ibre Prälaten
entfrembe, bamit ib^r, ba ifjr au§ ©d)am m<fy nid)t hattet belehren toollen, eud; biellcicb,t
belehrtet aul §abfud)t, um nidjt ben Vorteil ju berlieren, ben ib,r bon ©eutfcb,lanb fyatttt, so
ober aus @b,rgeiä, um eure £errfd;aft nicfyt fo fel)r ju formalem, toenn ©eutfd;Ianb, toie e§
jeßt ber gad ift, faft aufeer eurem ©eb,orfam berb,arrte. ®a man aber toeber auf bie eb, r=
erbietigen Vortoürfe beä @ra§mu§, nod} auf bie unebjerbietigen Seleibigungen Sutb, erl gehört
i)abz, fo b^abe ©Ott gu anberen 33eleb,rungSmitteln greifen unb ^riegönot über 5Rom julaffen
muffen. T-ie ^l. ^Seterl!ird)e toar gum VferbeftaU getoorben. §aft bierjig STage lang 55
fear in ber §aubtftabt beS ß^riftentumg feine DJieffe gelefen, fogar bie ©ebeine ber
älpoftel toaren umt)ergetoorfen. ®ag aud) toill Sactanj niefet gcbiHigt f)aben; bie Reliquien,
toeld;e toirflid) fold)e feien (unb ben ©laubigen nidjt in ein Dilemma bringen, toie bas,
fcafe bie Butter ber 9Jtaria jtoei JSöbfe gehabt f>aben muffe, ober Waxxa jtoei s3Jiütter),
bie möge man in Gfyren galten, aber baS i^olf belehren, bafe fie alle ntcbtg feien im 60
382 »alte«, bc
aSevgletd; mit bem b,l. ©aframent, ba§ jeber tägüd) empfangen fönne. ©er 2trd;i=
bmlomiS felbft fbricfyt fcfyliejslid) feine §offnung au£, bafj ber ftaifer nun bie Deformation
ber Äird;e in bie £>anb nehmen iuerbe, fo bafj man bi§ an§ @nbe ber STage rühmen
fönne: SefuS 6f)riftu§ grünbete bie $ird;e unb Harl V reftaurterte fie. — ©er bäbftlicfye
5 ^Runttu^, ber berühmte ©raf Salbaffare ßafttglione, unb im @inberftänbni<8 mit il)m ein
College t>on 2tIfon<§ im faiferl. ©efretariat, %uan Slleman, boten alleg auf, bamit biefer
„ultralutl)erifd)e" ©ialog ben flammen übergeben werbe. 2lber beim Hatfer richtete
man nichts au§, ber @rjbifc^of=©rofeinquifitor erflärte : e<§ fei nid;t fyäretifct/, etWa§ gegen
bie ©Uten eine§ Vabfteg unb ber Vriefterfd)aft ju fagen, unb ber oberfte Dieter beä
10 DeicfyS entfcfyieb: bie ©d)rift fei leine berleumberifcfje. Slleman Würbe bom §of entfernt,
ber Duntiu§ ftarb einige SLage barauf gegen 9Jtitte gebruar 1529.
IgnjWifdjen r/atte, Wobl im ©ejember 1528, ^uan be 23albes> einen nidjt minber
fdjarfen ©ialog beenbet: 9Kerfur unb Sharon, @ntfd;eibenb bafür, bafj ^uan, nid)t
Sllfong, ben ©talog 9Jcerfur unb Sharon getrieben r)at, ift eine Slnfbielung in %uan§
15 ©ialog „Von ber ©brache", %. 75 : ,,©a %fyx bie SRöndje berteibigt", fagt einer ber
Unterrebner gu $uan, „fo tüttt id) bon bleute an bie ©acb^e beä Königs bon granfreid)
gegen ben Haifer berteibigen" ©ie Slnnafyme, baf? ©anttlcus», ber bolnifdje ©efanbte
in ©banien, in einem Vriefe au? VaUabolib bom 1. gebruar 1529 an SllfonS biefen aU
Verfaffer ober SJlitberfaffer be3 ©ialogg Sfterfur unb (Sharon anfe^e, geigt fid) burd) bie
20 Briefe bon 2llfon§ an ifm al§ irrig (bgl. bie Vriefe im Homenaje an 9Jtenenbeg).
(Sharon läfjt fid; bon 9Jlerfur erjagen, Wie Haifer $arl unb Honig granj bon %xani-
reid) übereinfommen, ib>en @I)renfireit burd; ein ©uell auggufedjten, Wag aber fd)lief3lid)
burd) bie franjöfifdjen ffiinfeljüge nicfyt ju ftanbe !ommt. ©ie ©rjäfylung Wirb bon
$eit ju 3e^ unterbrochen burclj ba§ Stuftreten jüngft beworbener ©eelen, fdjled)ter unb
25 guter, mit benen fid; ber gäfyrmann ber Unterwelt unb ber £>immeb3bote in ©efbräd;
einlaffen. ©o jiel)t fid; burd; ben Dialog ein bolitifd;er unb ein religiöfer gaben. ©egen=
über bem tumultuarifd; bewegten ©eutfd;lanb, Wo au3 ber lutfyerifcf/en ©e!te Wieberum
neue ©baltungen entfiprungen feien, Wirb ©banien glüdlid; gebriefen, beffen ©eneral=
inquifitor burd; Hlugfyeit unb ©üte au<§ ben Särm gegen ©raSmuS ju befd;Wid;tigen
30 geWufjt l;abe. ©er Wahren Triften freilid; finb gar Wenige, unb fie Wagen fid; nicfyt
in bie Dffentlid;feit. 2Ingefict)tg ber Verfommenfyeit berer, bie fid; nad; ßf;rifti tarnen
nennen, äufjert SRerfur, er Würbe fid; für arg befd;imbft galten, Wenn fidj biefe Seute
ÜJterlurianer nennen Wollten. @r bat fid; einmal, al§ er mehrere jum ©mbfange be§
fy. £eibe§ ^efu 6§rifti bem Stltare nab^en faf), ifmen in gleicher frommer 2lbficb,t ange=
35 fdjloffen, unb ift nur, Weil er nidjt bejahen Wollte, jurüd'geWiefen Worben. ©em 9Jterfur
jagt Sfktrug im geblünberten Dom : bie&eute Werben nun merfen, Wie biel t/öfyer fie ein Söort
au§ ben Briefen be§ bl. ^aulu^ ober axiS ben meinigen galten füllen, alä unfere Selber, ba fie
biefe fo mipanbelt feiert ; unb bie @t)re, bie fie unferen (Meinen antraten, b^aben fie bon je|t
an unferm ©eift ju erWeifen, ben Wir ju ib^rem 9iu|en in unferen Briefen b^interlaffen l)aben.
40 SEftertur Will fid; „totlachen", al3 er fieb^t, Wie geredete Vergeltung 6l>riftu§ an Dom übt,
Wie bie Verfäufer berfauft, bie Däuber beraubt, bie aKiPanbelnben mife§anbelt Werben.
@!§ muffe noa) fd;Iimmer fommen, fagt betrug. 3lud; bie ©tattf)alter 4l)rifti, bemerlt
(Sharon gelegentlid;, bergeffen alfo, il)r 3Bort ju galten. ®a^ eine Deformation ber
Htrcfye burd)au§ notWenbig fei, fagt ber Verfaffer ein baarmal. @r läfet eine b^I. ©eele
45 au^fbredjen, ba^ fie ftet§ ©ott um feine ©nabe gebeten unb nid;t auf eigene Vernunft
noo) Hraft bertraut fyabt ©iefelbe b^at übrigeng nichts bagegen, Wenn man juWeilen
bie Swns^a" 9JJaria al§ Qnterceffora anrufe, nur muffe man nid)t bergeffen, ba| allein
©ott bie ©nabe geben lönne, unb muffe fie au§ biefem Urquell erbitten. 2lud) bie üffleffe
ju l)ören, ift gan^ gut. ©eWaltfame 33efeln-ung<Bberfud;e billigt ^uan nio)t einmal ben
50 dürfen gegenüber, ©einen Gablern gilt bie SlntWort: Vrüber, gefyt bie Söege, bie eud;
beffer fdjeinen, unb la^t mid; meinen geb>n, benn feb^t, er ift nid)t fd;led;t. ßiner SLb;eo=
logenfeele, bie berbammt Worben, l)ält Sharon bor: Wenn bu in SBabjb/eit 2il)eolog
Wäreft, fo Wüfeteft bu, frag ©ott ift, unb Wenn bu e3 Wü^teft, fo Wäre e3 bir unmöglio),
il)n nid;t gu lieben ; unb liebteft bu ifm, fo Würbeft bu bicfy fo berb/alten, ba^ bu in ben
55 §immel fämeft. ©er ftreng römifd;e Sitteraturljiftorifer SOienenbej Vela^o erllärt biefe
£e^erfd;rift nad) ©bra^e unb ©arftellung für ba§ befte DriginalWerl in fbanifa)er $rofa
au$ ber 3eit Harlg V ©a§ erfte Vud; Würbe jufammen mit bem ^Weiten Wob^l 1529
gebrudt. $n gan^ gleicher 2lu§geftattung erfc£)ien eben bamalä ber Sactanj bon llfonfo.
Veibe anonym. @<§ folgten balb WenigftenS bier anbere ©rüde be3 Sactan^ unb be3
eo ?}Jer!ur. ^ener allein erfcbjen au^erbem 1586 in tyaxtä. 1850 brudte Uföj i Dio beibe
Salbeä, bc 38.'5
als 33b IV ber Reformistas antiguos espanoles, 1881 f;abe icb, itm als A>eft 19
metner Doinanifcfyen ©tubien herausgegeben. Tue italienifcf/c Überfe|ung Würbe big um
1600 WenigftenS fiebenmal gebrucft, £actang engltfcb, 1590, SRcrlur beutfct) biennal 1609
bis 1643 unb barauS befonberS bie Siebe beS fterbenben ^önig§ 1711.
Sei ßaftiglioneS Sobe fagte bcr ®aifer gu feinem §ofe: eS ift einer ber beften s
labaliere ber SBelt geftorben; aber Sllfonfo ValbeS nal)m er in bemfelben %at)xz wtt
nacb, 3ta^en uni) ®eutfcf/lanb. ^rt Bologna mar er bei ber Krönung JiarlS burdE)
(Siemens VII. gugegen. Ter Vabft ließ ib,m bort ein 23rebe aufteilen, Welches feinem
Vater unb feinen ©efcbwiftem (2lnbreaS, TibacuS, %uan unb 3Raria nebft bcren ©atten
Subobtco be ©alagar) erlaubt, fid) il)ren Veicljtbater gu Wählen unb biefem getoiffe §aful= 10
täten gufbricr/t (abgebrucft bei gontana, Renata di Francia I, p. 456f., ebenbort and)
je ein bäbftltdp ©albofonbuft für Sllfonfo unb ^uan auS ben 2>ab,ren 1530 unb 1532).
TaS ©efamtbilb, Wie bie jetjt borliegenben Briefe bon unb an Sltfonfo fowie unferc
Kenntnis feiner amtlichen unb fonftigen SI)ätigfeit eS gu entmerfen geftatten, „räumt ifym
unter ben religiös angeregten unb fircfyüd) lebhaft intereffierten §umaniften auS (SraSmuS' 15
2rf)ule einen ©fyrenblat} ein" (©glatter, 21. unb Q. V., ©. 10) ; aber baß er Sutf>er§
9)totibe aucb, nocb, nach, bem SBormfcr Sage nicfyt berftanb, geigen brci Briefe an Slngfytera
(ebb. ©. 19—22); feine Stellung gur Deformation ift bie beS VolitiferS. 2öie in $ia=
cenga ben ©efanbten ber broteftierenben ©tänbe, fo geigte ftcb, ValbeS aucb, in SlugSburg
friebfertig unb entgegenlommenb. @r marb nicfjt mübe, gWifcfyen ben brei §äubtern, bem 20
$aifer, bem Segaten unb 9J}elancfjtI)on, als taftbolter Ünterfyänbler gu bienen, unb trug
bafür ©orge, bafj ber Äaifer über baS cr)riftlicf;e VefenntniS ber ^roteftanten münblict)
unb fcr/riftlicf) gut berietet würbe. 3öenn ValbeS über n bie Seifetreterin, wie Sutt)er bie
SlugSburger ^onfeffion nannte, \d)t>n bor ber feierlichen Übergabe urteilte, fie fei gu bitter,
als baß bie ©egner fie r)innel)men fönnten, fo fbracb, er ntcfjt fotoor/I als ©egner, fonbern 25
bielmefn- als Vermittler; als foldjer biente er aud) nad) ber Übergabe. $m Oftober
1531 fcfjrieb er aus Trüffel ben ©ratulationSbrief beS ®aiferS an bie fatf). ©ctjWeiger
nacb, bem Äabbeler ©iege über bie gnnnglianer. 9Jiit biefen r)atte befanntlicf; felbft
3Relancr)tl)Dn ntd^t gemeinfame ©act)e machen wollen, greilid), ber ^aifer bertröftet in
biefem Vrief für Weitere $ämbfe auf bie bäbftlicfye §ilfe. Aber anbererfeitS hoffte er, 30
unb mit il)m ValbeS, ben ^5abft burcfj ein $ongil gu mäßigen. Am 30. Tegember beS=
felben %af)xt§ 1531 fd)reibt, ebenfalls auS Trüffel (Wo SSalbeS nod) am 20. unterzeichnet),
ber Nuntius Slleanber an ben bäbftlicfyen ©efretär nacl^ 9tom, er babe bon einem t)od)-
geborenen, toiffenftfjaftlicr; burc^gcbilbeten ^ofmanne gehört, bafc eS bei §ofe Seute gebe,
aucb, Autoritäten, bie an nichts anbereS bähten, als baran, biefe lut^erifcf)e ©e!te, fo 35
feb,r fie biefelbe in i^ren Sieben berWürfen, bocb burcb, bie %ifat ju förbern, unb Weil fie
fid) über 2utf)er, ba ber berbammt fei, nic^t frei äußern bürften, fo ^öben fie ben @raS=
muS in ben §immel unb berbreiteten beffen 5ßeref)rung in ©banien unb feien je|t Wegen
beffen Verurteilung gu ^ßariS gang närrifc^. Wlan fann nic^t gWeifeln, ba^ ber eifrigfte
unb einflußreiche 6raSmobl)iIe nocl; bamalS 3llfonfo 3SaIbeS war, Wie i|n im %afyte w
jubor ber laiferlic^e ©efretär ©cfyeipber in einem Srief an ©raSmuS felbft als folgen
^ingeftellt. 1532 trug ValbeS bagu bei, baß ber ffaifer ben ^3roteftanten, um ibre^ilfc
gegen bie Surfen gu erlangen, ben borb,anbenen 33efü}ftanb bis gur näd)ften Äirc|en=
berfammlung gugeftanb. Anfang Dftober ftarb er in äßien. Über Sllfonfo ift gu bem
in Soeb, merS berfcljiebenen ©figgen ^ufammengetragenen nocb, manches Inngugefommen : eine «
lngaf)I bon SDofumenten bei ßaballero, meift auS bem ber Sftabriber Academia de la
Historia gefybrenben gaScifel, auS bem B. Cenni 485. 487 nur bie Mitteilungen
$elffericb,S benu^en fonnte; ferner bie ©efanbtfcb.aftsberic^te bon ©antiScuS, Acta To-
miciana t. 7 sq.; ein Sörief bon Süfonfo an SantiScuS bom 8. 2luguft 1532, beröffent=
lic^t bon D. 2öal^ in 3Ä© IV, 629f. 40 Briefe bon if)m finb gebrucft im „Homenaje" 50
(1899); 19 blieben „propter temporis angustias" ungebrucft (f. 0.)
^uan blieb in ©banien, als fein Vruber mit bem ^aifer eS berliefe. ©raSmuS
fcfirieb an ^uan am 13. Januar 1530: ^uan trete il)m nun bort an bie ©teile bon
2llfonS. ^n ben ^aljren 1531 unb 1532 ftnben Wir %uan in unb bei Dom. 'SJort
jeigte er bamalS im Verfefyre mit bem berühmten unb gelehrten faiferlid;en §iftoriograbb, en 55
Scbülbeba, einem greunbe feines SruberS Alfonfo, ^ntereffe für naturWiffenfcl;aftlic|)e^ro=
Werne. Dacfybem er ben größten Seil beS %ai)x& 1532 in Deabel gugebracfjt b,atte, War
er im §erbft Wieber in Dom. ©ort Würbe er „Cameriere di spada e cappa" am
^äbftlicfjen ^öofe. ^n Briefen bom 16. unb 20. Dftober 1532 an ben Comendador mayor
bon Seon embfieb;lt bcr fbanifcf/e ©efanbte in Dom, bem ebenba berWeilenbcn 33ruber 60
384 kaltes, be
beS faiferlic^ert ©efretärS 2llfonfo ©albeS, einem gelehrten unb gefcfyeiten -Scann, bon bem
©uteS tu koffert fei, ein ©inlommen ju^utoenben, bamit er feine ©tubien Verfolgen fbnne
(ßabaHero 468). Dirne Sltmung bon bem gerabe ju jener 3eit eingetretenen "£obe feines
©ruberS ließ %uan W einen ©eleitSbrief für bie Steife ju biefem, alfo an ben faifer=
6 Hct/en §of, auSfteKen, ben gontana (Renata di Ferrrara I, 9tom 1889, ©. 476) mitteilt.
$n Bologna traf ifm bie ^rauerlunbe. ©o lange 2llfonfo lebte, fcfjetnt biefer für ben
©ruber geforgt ju fyaben. 2lm 12. Januar 1533 fcbjeibt ^uan auS©ologna an feines ber=
ftorbenen ©ruberS greunb ©anttScuS, ©ifcfyof bon ßulm, unb melbet, ©riefe Werben tb, n beim
^ßabfi treffen, bei bem er ifym gern ju ©ienften fein Werbe (Riv. Crist. 1882 ©. 95 f.). $abft
10 unb Maifer Waren bamalS in ©ologna, reo fte am 24.$ebruar ein ©ünbmS fcfyloff en. ©er?ßatoft
berfbracb! fein ©efteS, um bie cfyriftltcfyen gürften für bie Berufung eines allgemeinen
MonjilS ju gewinnen unb bie ©ntfctjeibung ber grage über bie @b,e ber SEante beS MaiferS
mit ^einrieb, VIII. bon ©nglanb, ber fie berftoßen Iwtte, ju befdjleunigen. SDie @nt=
fdjeibung, auf bie Marl im 9Jcai 1533 Wieber brang, bie aber erft am 23. SJiärg 1534
15 erfolgte, War jugunften ber unglücklichen Königin, bie ©albeS in feinem SDialog jmifcb,en
DJierfur unb @r)aron fräftig berteibigt blatte. ®aß ber $abft ben ©erfaffer jenes SialogS,
in welchem er felbft ftreng beurteilt Worben mar, an feinen §of nal)m, War ein 3lft ber
©elbftberleugnung, mit bem er bem Maifer feine ©erfbbjtlidjfeit ju beWeifen Wünfdjte.
®ie Stellung $uanS am bäbftlidjen £ofe mar ein ©fyrenamt ofme regelmäßige Db-
20 liegenfyeiten. ©iS ju bem am 25. ©ebtember 1534 erfolgten 2:obe btefeS ^abfteS lebte
er in 9tom. Dann lehrte er nacb, 9?eabel jurüd unb jWar in SDienften beS MarbinalS
(Srcole ©onjaga unb in unb bei biefer ©tabt blieb er bis ju feinem SEobe. ©aß er
nacb, zweijähriger 2tbWefenl)eit nacb) Neapel jurücffe^rte, fteb,t aus feinem Dialogo de la
lengua feft. 2)afür, baß er 1534 jurüclgefeb^rt fei, entfcfyeibet nief/t, baß im Dialogo
25 de la lengua bie fbanifc|e Überfettung beS Cortigiano bejbrocfyen Wirb, beren ©ruef im
2lbrtl 1534 beenbet Würbe, benn fte Wirb fcfyon abfdjriftlicr) im Umlauf geWefen unb
buref/ ©arcilafo in üfteatoel belannt geworben fein; ÜngebrudteS wirb im Dialogo de
la lengua auet) fonft mitberüfyrt. Über bie 2luflöfung eines §auSb,altS eines beworbenen
^ßabfteS fonnte ©albeS in ber jebenfalls burd) ben %ob ßlemenS' VII. beranlaßten
30 51. Äonfiberation aueb, bann fo fbrecfyen, wenn er bei biefem "^obeSfatt nid)t meb,r in
5tom mar. Slber bie 2lmtal)me, baß er im §erbft 1534 jurüclgelefyrt fei, fetjeint beffer
baju ju ftimmen, baß feine greunbe in 9ieabel fagen, feine ©riefe b,ätten ib,nen btel 3Ser=
gnügen gemacht unb ju lachen gegeben ; im erften ^al)re nacb^ feines ©ruberS SEob, bureb,
ben er aufs tieffte erfcfyüttert roar, wie Wir auS bem ©rief an SDantiScuS bom Januar
35 1533 feb,en, fc^rieb er gewiß nict)t fo b,eiter. Um baS @nbe beS ^ab,reS 1534 fcb,rieb er
bort ben Dialogo de la lengua (herausgegeben sJftabrib 1737. 1860. 1873), ein in
©toanien nacb, gorm unb ^n^alt als llaffifcr; anerfannteS Söerf über Urfbrung, 3fiecb>
feb^reibung, SSortWa^I, ©til feiner 2Jhitterft)racr;e foWie über gut getriebene ©üd)er ber=
felben. Diefe 2trbeit ließ er ficr) bon greunben abbringen, fortan galt feine fcb,rtft=
40 fteHerifcfye SE^ätigleit ber Religion.
@ine ber bebeutenbften grauen Italiens bertraute ftcb, feiner geiftlicb^en güb,rung an,
©iulia ©onjaga, bie finberlofe SSitWe beS ©eSbafiano ßolonna, §erjogS bon SErajetto.
©on t^r b,atte Slrioft (im Orlando furioso) gefungen: il)r gegenüber ber-^ic^te nid;t
nur jebe anbere auf ben ^ßreiS ber ©cfy önE>eit, fonbern beWunbere fie Wie eine bom §immel
45 geftiegene ©öttin ; SJcarcantonio SJiagno, if>r ^rolurator, fc^reibt, er Ijabe in ^talien,
granlreicb,, ©eutfcb,Ianb, ©banien feine ©cf)önere unb ©rajiöfere gefefyen (Slffö, Tre
prineip. della Famiglia Gonzaga, Parma 1787, ©. 33); 6arnefecd;i fagt bor ben
^nquifitoren : ben 9luf ib^rer ©cb,önb,eit unb "^ugenb fei fo groß geWefen, baß jeber
Galantuomo gefugt fyabe fie lennen ju lernen. ®er afrilanifcb^e Sorfar ©arbaroffa
50 macfjte 1534 einen Überfall in $onbi, um fie für ben ©ultan ju rauben, ein ©efcb,icl,
bem fie nur mit genauer 9tot ertrann. 2lls ber üaifer, bon feinem MriegSgug gegen
©arbaroffa fiegreieb; jurücfgelef)rt, in 9Jeabel Weilte, War aud? ©iulia bort. Sie ©efeierte
War aber je|t tief unglücflkfy, nicf)t nur auS Trauer unb Jhtmmer über gamilienereig=
niffe, fonbern Weit mefyr noef), Weil fie nidjt grieben fanb mit ©ott. (SineS SEageS, in
55 ber gaftenjeit 1536, als ©albeS fie auS einer Sßrebigt Dc^inoS (f. b. 2Irt.), nacb, $aufe
geleitet blatte, fluttete fie ib,m ibj überbolleS §erj auS unb ließ ftcb, tröften unb Weifen.
SDaS ©efbräa) mußte ©albeS ib,r nteberfcbjeiben; er nannte eS Alfabeto Cristiano
(f>erauSgeg. in ital. Überfe^ung jenes 3)cagno, ©enebigl546; bgl. Bibl.Wiff. I, 118f.).
©aS b,ier ©eratene gelte nur ib,r unb benen, bie eS gerabe brausen lönnten, bemerft er
60 babei für bie, Welchen eS ju ftreng ober ju nachgiebig fcf)einen Werbe. Unbanfbar!eit gegen
«ntbeS, be 385
©ott, jagt er tl)r, fei für fie um fo fcfymäfylicfyer, ba fie tuelleicfyt mefyr ©otteSgaben, fo
am Setb tote in ber (Seele empfangen b]abz, als fyeut^utage fonft irgenb jemanb in ber 2öelt.
3^r Söanbel fei untabeltg, ber Deformation bebürfe fie für i^re ©efübje unb Neigungen.
25ie cbjiftlicfye Vottfommenfyeit befiele barin, ©Ott ju lieben über äße Singe, unb feinen
-Matten tote fid) felbft. „®aS nimmt mid; Wunber", bemerlt ©iulia, „benn mein 5
Sebenlang b,abe id) fagen fyören, bafj bie SRönd^e unb Tonnen ben ©tanb ber VolI=
fommenfjeit I)aben burd) bie ©elübbe, falls fie fie galten" ©laubt mir, antwortet VaIbe"S,
bafj SJcbndje unb ^idjtmönclje fo toiel oon djriftlicfyer VolHommenr/eit fyaben Werben, als
fie ©lauben unb Siebe ©otteS b,aben werben, unb nicr)t ein Äarat meb/r. @r ftoridjt t^r
oon ©efeij unb ©oangelium: wenn fie 9teue füfyle unb gebeichtet unb Sttbfolution er= 10
galten I)abe, fo foHe fie ganj fidler fein, bafs ifyr alle ©ünbe »ergeben ift. (tr/riftuS b,at
genug getljan für bie ©ünben alter 9Jtenfd)en ber Vergangenheit, ©egenWart unb Qu-
fünft, unb uns in ben ©tanb gefegt, ^inber ©otteS ju fein. 2lHmäfyIt$ werbe fie, mag
fie jetjt, ben Verftanb unterWerfenb, aus ©er/orfam betenne, aus (Erfahrung benennen,
^nbem er baS a^oftotifdt)e ©laubenSbefenntniS burcfynimmt, fagt er, ber i)l ©eift Werbe 15
ibr bie 2lugen öffnen unb mit ©infid)t Werbe fie aud) glauben an bie I)eilige Iatr)olifd)e
Stirere unb bie geiftltcb,e ©emeinfcr)aft ber ^eiligen Verfonen, bie in ifyr finb; Werbe er=
fennen, bafj SfyrtftuS fester in ber 9Mt eine allgemeine, bureb, bie ieilnafyme an ber
§eiligteit ßfyrifti l)eilige $ird)e fyat, Welche ©ute unb 33öfe umfaßt, unb bafj er eine geift=
licfye Vereinigung oon ^eiligen 5ßerfonen b/at, Weld)e, erhalten bureb, bie ©nabe beS 20
fil. ©eifteS, in ©tauben, Hoffnung unb Siebe leben, ©ie $bee unb baS Vtlb ber d;rift=
ticken Vottfommenfyeit gegenüber ber eigenen Un»ottlommenb,eit fei baS Vudb,, in Welchem
fie beftänbig lefen fotfe, unb baS in einem 'jEage fie Weiter bringen Werbe, als alte Sucher
ber 9Mt in jeb,n ^afjren. lud) bie f>(. ©cfyrift ift ©ift für ben, ber mdt)t biefen bemü=
tigen ©inn I)at. 2llS S3üd;er, bie tfyr ben üffiitlen entflammen Werben, empfiehlt er baS 25
De imitatione Christi, unb bie Vitae patrum oon Saffian unb §ieronr/muS; eS
gebe, glaube er, Überfe^ungen (jene Vitae, erfdn'enen 1544 repurgatae mit Vorrebe
oon Sutfier). ©er 6f>rift fei bem ©eifte nacb, frei, otme einen anberen Dbern aufter
©ott anzuerkennen, unb bem Seibe nacb, allen unterworfen, um ßfyrifti Willen (»gl.
Senrat^, 3. ©onjaga, &ap. III, ©. 39 ff.). 30
(Sin paar Söoctjen bor ber gaftenjeit, in Welker biefeS ©efbräcb, ftattfanb, fyatte ber
ßaifer ju Neapel ein ©bitt erlaffen, bafe bei S£obeSftrafe unb Verluft beS (Eigentums
niemanb mit ^erfonen t>erfef)ren fotte, bie oon ber lutfyerifdjen §ärefte infiziert ober
berfelben berbädjtig feien. ÜRad)bem ber Äaifer am 22. 9flär^ abgereift War, inhibierte ber
SSijefönig fogar bie gortfe|ung ber Vrebigten Dc^inog, bie fict) aueb, beg faifertid;en sr,
35efucf;g unb VeifattS erfreut |atten, unb WoUte nur, Wenn Dc|ino fieb, über bie ifym
jum Vorwurf gemachten Vunfte genügenb erflärt fyaben Werbe, bie ^ortfetjung geftatten.
@l gelang biefem, ben Verbadjt ju befeitigen, fo ba^ er feinen ^urfu§ bon Vrebigten ju
6nbe bringen burfte. @§ War Wob,I noeb, in bemfelben ^afyxe, bafi ©iulia, für ib,re
3)ienerftt)aft ein §au£ in ber ©tabt beb,altenb, in ba§ granjigtanerinnentlofter ©. (5b,iara 40
30g. Dbgleicb, nicb,t jur Drben^regel berbflic^tet, »erlief fie ba^felbe bod; nur feiten, fcb,to§
fiel; aber nicfyt ganj gegen Vefud;e ab.
2öaf)rfd;einlicb, nod} oor ©d)lufe beS ^a^reä 1536 fanbte ValbeS an ©iulia feine
Ü6erfei$ung be§ VfalterS au§ bem §ebräifd;en mit einer an fie gerichteten Einleitung
unb Wot>l gugteid) feine 2tu§legung beweiben (bie Überf. b,erau§geg. Vonn 1881, ber 45
Kommentar ju ben erften 41 ^falmen — meb,r ift big je|t nic|t aufgefunben — in
Revista Cristiana, SJfabrib 1882—84, bie (Einleitung englifd; in ben Opuscules 1882).
3m ^ab,re nad; bemjenigen, in Welchem fie bie Vfalmen erhalten b,atte, alfo Wob,( @nbe
1537, Wibmete er ifyr, gleichfalls mit befonberem (ginleitungSfcf;reiben, feinen Kommentar
über ben 3fömerbrief unb ben erften ^orintfyerbrief (b,erauSgeg. ©enf 1556. 57, 9Jlabrib 50
1856, als T. 10 unb 11 ber Reform, ant. esp.; englifd) oon VettS, Sonbon 1883).
3eine Überfe|ung unb ©rflärung ber übrigen VauluSbriefe (jum §ebräerbrief ift er nict)t
getommen) unb anberen, Worauf er fid; im SftattfyäuSfommentar begießt, b,at fieb, ntebt
auffinben laffen. aßab, rfcb,einlid; ift er fbäteftenS um Dftern 1539 bamit fertig geWefen,
borauSgefe^t, bafj er mit berfelben ©dmeltigteit, mit ber er jene erften beiben baulinifdb,en 55
Briefe beb^anbelt fyatte, Weiter arbeitete, unb ba bie Strbeit natürtic^erweife mit ber $eit
leidster Würbe. Von biefen Vriefen Wanbte er ftd> ju ben ©oangelien. @ine (Einleitung
ju ib,nen, an ©iulia gerichtet, ift bem SJcattfyäuS OorauSgefcl)ic!t, ber Wob,t 1540 ab-
gefcb, (offen Würbe (b,erauSgeg. SKabrib 1880, englifcb, toon SettS, Sonbon 1882, barauS
befonberS ber Sermon on the mount 1882). Über bie anberen ©Oangelien ift nid;tS eo
mtaU&ntWop&blt für Ideologie unb «tr«e. 8. 81. XX. 25
386 Salbe§, be
bon Balbes> ju STage gekommen. @r toar ber erfte, ber es« unternahm, ba§ v)c3; au$ bcm
©rtecf/ifcfyen inö ©banifd)e ju überfein, ©eine Kommentare finb 2Serfe treuefter $or=
fcfyung, bie fid) ju beweiben toeifj, bon toiffenfcf;aftlicr/em tote Don erbaulichem SBert, in
licfytboller fd)ltd;ter ©arftellung.
5 hieben biefer fortlaufenben ©ctyrifiauälegung befyanbelte er in fleinen 2luffä$en eine
SJianmgfaltigfeit bon einzelnen reltgiöfen fragen, bie tf)m f eiber auftauchten ober bon
anbern ir/tn borgelegt tourben. (§r felbft citiert folcfye Stuffätje al§ Consideraciones,
Discursos, Epistolas (ober Letras), Respuestas. 110 Konfiberationen finb 1550 in
Bafel in italtenifcfyer Überfe^ung gebrudt toorben (ugI.Bibl.Wif f. I, ©. 124 ff.), 39babon
10 im Original (Sonn 1880, in ben Trataditos). ©inen SDi§Iuri, ben er citiert: ob ber 6f)rift
feiner Rechtfertigung unb Berl)errlid)ung getoif? fein foll, befüjen toir ttaliemfd; (al3 fünften
ber Trattatelli, aucr; ber bterte mag ju ben Discursos gehören), bon jtoei anberen toiffen
toir bie Xitel. @s> gab neben ber ©ammlung ber 110 Betrachtungen eine ©ammlung
bon minbefteng 30 feiner Briefe unb eine bon minbeften3 33 feiner Slnttoorten auf fragen;
15 au§ allen brei ©ammlungen toerben in ben 9ianbbemerfungen jum 9Jcattfyäu3Jommentar
Hummern citiert (nicb,t bon Balbe§ felbft). 2Bir befi|en nur eine biefer 2Inttoortcn unb
nur italienifa): ,,^n toeldjer SBeife ber ßfyrift ftubieren foll in feinem eigenen Bucb/',
feinem ©eift, in toelcfyem er alles finbet, toas> er ©cf/led^teä unb burd) ©otte§ ©nabe
©ute3 Ijat, „unb wie bie r)I. ©djrift ifym afe Qnterbret unb Kommentar bient" (bem
20 Alfabeto angebrudt 1546. 1860, englifcb, befonbers» in einer geitfcf/rift 1852, englifd)
unb fbanifdt) mit bem Alf. 1861). Bon ben tr/eologifcfyen Briefen ^aben toir fieben im
Original (in ben Trataditos, englifd) in ben XVII Opuscules), jtoei anbere, über
©lauben unb Söerfe, in ital. Überfettung (in ben Trattatelli).
2Ba3 bon biefen fleinen 2tuffä|en im Original ju finben toar, ift au3 £>anbfcf/riften
25 be3 16. ^ab,rb,unbertö gebrückt in Trataditos de J. de V., Bonn 1880, nämlicf; 39 ber
HOKonfib., 7 @bifteln unb De la penitencia cristiana, de la fe crist. y del bivir
crist. ^jtalienifcb, ift aufjer ben 110 Konfib. unb einer hinter bem Alfabeto gebrückten
risposta nur borljanben ba3 Büchlein: Modo che si dee tenere ne l'insegnare &
predicare il principio della religione Crist. Roma 1545. 92eue 2tu3g. §aUe 1870:
so Sul principio della dottrina Crist. Cinque trattatelli di Giov. Valdesso. ©Ieidj=
jeitig beutfd) ebenba. SZacfybrud ber §alleftt)en 2lu3g. ber trattatelli: Roma-Firenze
1872. ®ag erfte ber fünf ©tücfe: Della penitenza Cr. (um 1545 nod) einmal gebrudt)
ift ba§ in ben Trataditos, beffen Xitel fo anfängt. @S folgen Della giustificazione.
Della medesima giustific. Che la vita eterna e dono di Dio per G. Cr.
35 fünftens : Se al Cristiano conviene dubitare ch'egli sia in grazia di Dio, e se
ha da temere il di del giudizio, e se e bene essere certo dell' uno e amare l'altro.
®ie XVII opuscules by J. de V., überfeijt bon Bett§, Sonbon 1882 enthalten bie
Einleitungen gu 5ßfalmen, ^Römerbrief, 1. Korintfyer, ©bangelien; bie 7 Sefyrbriefe, Äon=
fiberation 109, bie 5 Trattatelli; nebft bem Titelblatt be§ Modo che si dee u. f. to.
40 9fom 1515 mit Bilb, nad) einer 1870 für micb, gemachten $ßf)otograbI)ie. 2lu3 biefen
XVII: Three opuscules, ^toei SDrude 1881, nämlich, Consid. 109 unb ber erfte unb
ber fünfte ber Trattatelli. gtoei ber Briefe, überfeist bon Bettä, On sickness unb On
temptations, fd)on 1880 in The Friends' Quarterly Examiner.
$n ben in ben Trataditos Veröffentlichten fban. §anbfd)riften einer ©ammlung bon
45 46 2luffä|en bon B. finb bon ben 39, bie ftd) in ben 110 Betrachtungen finben, 16 mit
Epistola begeicbnet, obgleich fie leinerlei Briefform fyaben. SDie 54. ift aud) in Brief=
form borfyanben, bgl. £>ter ©. 288. B. toirb mitunter Betrachtungen, bie er fdjon nieber=
gefcfjrieben blatte, ju Briefen gemacht, unb bon Briefen 2tbfcf;rift behalten b^aben, in ber
er toegliefj, toa§ nio^t Betrachtung toar. — ®ie Bezeichnung discorso im brüten
so Trattatello btnbert nicb,t, ir)n aU epistola anjufeb^en, ba ja aucb, in ben Konfiberationen
questo discorso borlommt (p. 263. 334. 339: 353. 256. 403. 422, discorrere 133).
— Game|ecdn' fagt (Processo 391), Balbe§ I)abe ein Butt} discorsi e considerazioni
berfa^t.
Sie ©runbtoab^r^eiten giebt er am gaben ber £>eil3gefd)icr;te au§ ber Bibel in feiner
55 cbjtfilidjen Kinberle^re (Bonn unb Sonbon 1883): „®ie Überfe^ungen be§ 16. 3a^=
b,unbert§ ing Stalienifc^e, Sateinifcfye, ^olnifcb,e, unb neue au§ bem ^taliemfcfyen inö
©eutfcbe, ©nglifcb^e, granjöfifc^e, @ngabinifa)e, nebft 9lü(füberfe|ung in§ ©banifcbV' 3"
ber ©inleitung ber^eicb,ne \<fy 17 biefer Dftaglotte borangegangene ®rucfe: ttal., lat.,
beutfcb,, boln., engl. 9Jtein ebenbaf. in 2lu^fia)t geftellter ital. ©rud ift im 4. Bb ber
60 Biblioteca d. Riforma ital., glorenj 1884 erfcfjienen. ^n bemfelben Banbe babe ia)
iWbeS, be 38?
auf 50 Dftabfeiten au* ben alten italienifd)en Überlegungen Verriebener ©Triften bon
halbes ©leid;niffe unb fonftige 3krgleid;ungen gufammengeftellt. Diefelben, bermer/rt,
fbanifd; in Revista Cristiana, 9M>rib 1885, ©. 117 f. 2öenn, fagt S3aIW8, bie d;rift=
liefen Altern felbft ober burd) geeignete Sefjrer it)re kleinen in biefen Dingen unterric|ten,
fo Wirb bie falfd)e Religion gu ©runbe gefyen unb bie toafyre auffommen. Sie Äinber r,
foEen wiffen, bafs ©ott ir)r Sater ift burd) bie menfd;tid)e ©eburt unb burd) bie d)ri(t=
lid)e Sßiebergeburt; bafj S^riftuS ber §err ift, ber fie bon ©ünbe, STob unb §öEe erlöft
unb freigemacht I)at. ®a§ mofaifcr)e ©efe| Warb gegeben, bamit ba§ au§erWäI)Ite Volt
erfenne, bafj ber -DZenfd) bon üRatur unfähig ift, ber gorberung ber Siebe ju genügen.
Da3 SBort ©otteS, ber ©of/n ©otte§, nafym gleifd) an in ber Jungfrau SJiaria (bgl. ju i»
5Jct 1); ©Ott WoEte burd) fein SGBort aEe Dinge lieber b, erfreuen, Wie er alle burd) ba<§=
felbe gemacht t/atte. %$m, bem fünblofen (bgl. $onfib. 109) legte ©Ott bie ©ünben aller
auf unb ftrafte fie an il)m, als ob er fie begangen b,ätte, bann r)at er ifyn auferWedt unb
berr)errltd^t unb tr)m unumfcOränfie ©eWalt im §immel unb auf @rben gegeben. 9iad)
feiner Himmelfahrt fanbte ßt)riftu§ ben 1)1. ©eift, burd) Weld)en ©Ott ju erfüllen begann, 15
wag er 2lbrat)am berl/eifeen f)at. Die Slboftel ber!ünbeten allgemeine ©traferlaffung unb
Vergebung, ba<§ @bangeüum. Die eS annahmen finb ®inber 2(brar;am§, Wie er glauben
fie, oI)ne nad) menfd)Iid)er $lugl)eit ju fet)en, Worauf fie il)ren ©lauben grünben foEen.
Die Bereinigung in (Sinem ©eifte aller berer, bie bieg @bangelium angenommen I)aben
unb getauft finb mit SBaffer im 9camen bei 3Sater€ unb be§ ©ofyneg unb be£ r)l. ©eifte<o, 20
ift bie Sird)e. Die Stiften lieben einanber mit einer innigen Siebe, bie fel)r berfd)ieben
ift bon jeber anberen Siebe, bergeftalt, bafj bie Siebe ba§ $ennäeid;en be3 ßl)riften ift.
28ie nid;t ©onne ift, roaS nid)t leuchtet unb Wärmt, fo ift ber fein d)riftlidjer ©laube,
ber nidjt Siebe ju ©ott unb ju Sl)riftu3 fd)afft, ber bem ©eroiffen nid)t ^rieben giebt,
ber nid)t 2öerle ber Siebe Wirft unb ber md)t bie SBegierbe jur ©ünbe ertötet. Die §off= 25
nung bei ewigen Sebenl mad)t un3 bie $tlgerfd)aft burd; ba§ gegenwärtige fnnburd)
leidster. Da<8 Seben bei @f)riften fott ein beftänbigel ©ebet fein, ein beftänbigeS gaften,
ein beftänbigel geft, ber dc)rtftlid^e ©abbatl). De3 ßl)riften geWbb,nlid)e3 ©ebet foE ba3
Saterunfer fein. (Sr bete mit ©lauben, aber nid)t um etWa<§, ba§ in ber bJL ©d)rift
nicb,t berb, eifjen ift, benn roa§ fid) nicfyt auf 33erb, eifeung grünbet , ba§ ift nid)t ©laube. 30
Die Sllmofen bei @f)riften foKen immer auf ben 9tuf)m ©ott'eg unb 6f)rtfti angelegt fein,
unb bal finb fie, roenn toir benjenigen, bie auf bie Serr/eiftungen ©otte§ unb Sfjrifti
bertrauen, Reifen, bamit fie nod) mel)r bertrauen. S^riftum foKen mir nad)al)men in
bemjenigen, roorin er nad)geal)mt toerben roiK, in ©anftmut, ®emut, A-einbelliebe, ©e=
b,orfam ; tfjun, ma§ er tb, at, unb nid; t<§ ü) un, Wa§ er nidc)t getl)an fyahm roürbe, ba<o ift 35
bie 9iid;tfd;nur für ba3 d;riftlid)e Seben . 6I)riftu<§ roirb lommen ju richten bie
Sebenbigen unb bie ^Eoten; bie ba§ @bangelium nid;t in foldp SSeife angenommen
b,aben, ba$ ber ©laube in it/nen roirlfam ift, werben in ewige $em geb,en, Wer aber baö
©bangelium angenommen, unb fid; bie Slaufe ba§ b,at fein laffen, roa§ für -Jioal) bie
2lrd;e war, ber Wirb eWigei Seben b,aben. Sitte biefe 2Baf)rI)eiten fielen in ber 1)1. ©d)rift, 40
h)eld;er ber (5f)rift, weil fie bom i)t ©eift unb bon ^erfonen, bie ben 1)1. ©eift b,atten,
gefcfyrieben ift, ebenfobiel ©lauben fd)enlen foß, all ©otte felbft, überzeugt, baf$, fo oft er
etwas au§ ber 1)1. ©djrift lieft ober lefen l)ört, ©ott mit if)m rebet. 2Benn bie Itnber
I)eranWad)fen, follen fie, ib^rem 2llter entfbrecfyenb, über anbere Seb,rftüde unterrichtet
toerben, „wie über bie Seid)te, über bie 1)1. Kommunion unb über bie anberen d)riftlid;en 45
Dinge, unb Wie aud) über bie aKerb,eüigfte 2)reieinigfeit"
2Bag bie Srinität betrifft, fo ift il)m ©r)riftu§ Wahrer ©Ott unb Wahrer DJcenfd;,
3obn ©otte§ ab initio et ante saecula, eWig Wie fein SSater unb ir/m gleicb, unb
tonfubftantial (f. m. @inl. jur Äinberleb^re ©. XVI) ; unb bom 1)1. ©eift fagt er, bafj er
bom 33ater unb bom ©ob,n ausgebe (Mateo p. 10). 6b,riftu§ ift ©ob,n ©otte§ bureb, 50
©eneration, bie Gbriften finb ©öbne ©otte§ bureb, Degeneration (Consid. CIX).
Über bie 33eid)te unb bie Würbige Vorbereitung bei 33eid)tenben fbrid)t er aulfüb,r=
Htt; im Alfabeto (60 f.). Der ©ünber erf/ält ©otte§ Vergebung nicf)t Weil er beiztet,
fonbern Weil er an 6f>riftu§ glaubt.
2ebb,aft berurteilt er ju 1 Ko 11 bie in ber Strebe feiner Bett fjerrfdjenbe Debrabation bb
in ber 2lbenbmaf)lfeier, bie 2lbWeid)ung bon ber @infe|ung unb ber a^ofto!ifcf)en 3lnorb=
nung. Paulus fyabe gebeten ^u tb,un Wie GfyrtftuS getb,an, ber 33rot unb SBein an atte
9ab- Durd) bie Umf Reibung : bie§ Srot, ba§, Wie i|r feb,t, gebrochen ift, bamit ibj ba=
bon effet, ift mein Seib, f)ebt Valbe^ b,erbor, ba| bag 33rot nicb,t berWanbelt Worben Wax
in ben Seib ^efu, ber e# lebenb mit eigenen £anben aufteilte. 3m Alfabeto 60
388 halbes, be
Christiano, mo er fid), mie er felbft fagt, ©iulia affomobiert, bemerft er: bei ber SReffe
fönne man grucfyt gießen auS allen brei £>aubtftücfen : ber 3lboration beS f)od^£>eiItgen
©aframentS, ber @biftel= unb ©bangeltenlefre, ben ©ebeten ; aus ber Slboration ein neues
unb inbrünftigeS Verlangen nact; (Sinberleibung in baS Seiben ßfyrifti burdj ©lauben unb
5 Siebe, nad) ©rtötung beS alten 5SJ?enfd)en burd) ßljriftuS , nad) Slufermecfung beS neuen
mit St)rtftu§. @r rät ©iulia, an allen gefttagen SJieffe ju r)ören, menn möglid) ; an
anberen 'Jagen eS nur bann aufzugeben, tr>enn fie fonft irgenb ein SiebeSmerf, bei bem
fie fei, berlaffen müfste.
lieber bie r)I. ©cfyrift fbridjt er fidj> mieberfyolt fo au§ mie am ©cfylufc ber $inber=
10 lettre. @r nennt fie 58erid)t beS BJL ©eifteS über göttliche ©inge (Sonfib. 37. 98). ®en
SBorten ©otteS unb Gfyrtfti aud) nur ein SEite(d)en ju nehmen ober f)injujutf)un, ift
©afrilegium ober ^ßrofanation (1 Äo 11 ©d)luf$). 2llleS, maS in ber 1)1. ©c§rift fter/t,
t)ält ber ©laube für fidjer unb feft, inbem er auf bie Serfyeifjungen bertraut, bie fie giebt
(f. ju 1 $o 13), unb burd) ben Jroft ber ©cfyrift erhalten wir uns in ber Hoffnung,
15 inbem bie Sefung ber Verkeilungen unfere ©ebulb ftärft bei ber Verzögerung ber 3Bieber=
fünft ß^rifti (ßonjib. 33). £>ie ©cbjift felbft aber meift über fid) InnauS auf ben ©eift,
aus bem fie berborgegangen ift unb ber @l)rifti ©laubige in alle 2Bat>rI)eit leitet. -Bcid),
fagt ValbeS, mürbe eS mefyr ftören, menn ber SRangel an Übereinftimmung ber @ban=
gelten in einigen fingen, ber, tüte eS fd)eint, borliegt, nid)t borb/anben märe, benn icb,
20 freue micfy, bafj bemnacfy mein ©laube nid^t bon ©Triften abfängt, fonbern bon ©eifteS*
einmtrfungen (^nfbirationen) unb Erfahrungen, toie ber ©laube berer bon ©amaria
3>o 4 (bgl. $onfib. 3), unb icb, erfenne, bafj ©ott fo biel Sicfyt geben mollte mie nötig ift
für bie, meldte bie inneren ©eifteSeinmirfungen Ijaben, unb nicf)t fo biel, um ben 9Kenfc|en=
berftanb olme biefe ju erleuchten (Proemio ju ben ©bang.). 9Ber baS Sid)t ber bJL ©cfyrift
25 unb baS Veifbiel ber ^eiligen f)at, nid)t aber fyl. ©eift, ber manbelt mie jemanb mit
einer $erje in ber 9Zad)t, nid)t ganj im ginftern, aber ntcfyt fidler unb ofme gurdjt
(ßonfib. 46). ©em (Stiften (babm liefce ftcr, ßonfib. 32 jufammenfaffen) ift bie t;l. ©cbjift
juerft feine gibel, bann feine 33ibel, baS 33ud) ber Sudler, baS ü)m bon bem ©eifte jeugt,
ben er felbft in ficfy l)at unb um beSmiHen er alle mit menfdjlid^em ©eift gef<f)riebenen
so Sucher bei feite läjjt. $Die b,I. ©ct;rift allein pa$t fid) ber ^abajität ber Sefenben berart
an, bafe fie nid}t nur 5RiId) für ben Anfänger, fonbern aud) ©beife ben 33oIIIommenen
bietet (Alf. 3). Sie beften 2lu§leger ber |l. ©cfyrift finb ©ebet unb Betrachtung, ge=
tragen burd; i)l ©eift, ©rfafyrung, tägliche Sefung (^onfib. 54, 9tö 304), unb anberer=
feit§ ift bie 1)1. ©d;rift 2tu§(eger ober Kommentar für baS fo^ufagen eigene S3ud) be§
35 (Stiften, für ba§, toa§ in feinem ' eigenen ^nnern fd}(ect;teg unb göttliches ju lefen ift.
®ie DI. ©d)rift ift jugleict; ©rquidfung unb SBegmeifer, unb mit ber $e\t fommen mir
baf)in, mit ib,r gu bergleid;en unb burd) fie al<§ mab^r ju bemeifen, maS ©ott uns in unferem
eigenen $jmtmt gelehrt fyat (Epist. 1 ber Trataditos, bgl. ^onfib. 32. 23 unb ju
^f 19, 11). SDurd) baS geiftlid)e Sid)t, baS unS erleuchtet, lernen mir aud; bie fy. ©cb^rift
40 berfteb^en, bie mit ib,m gefcfmeben ift (^onfib. 68, 9tö 304). ®a bie ©eifteSgaben ber=
fdjieben finb, fo berfteb,t ber eine bie b,I. ©cb^rift in ©inem ©tüd", ein anberer in einem
anbern; bleuer aber als bie 1)1. ©d;rift ftrab,It ber 1)1. ©eift in ben (Stiften (tonfib. 68,
bgl. meinen 2luffa^ ©eift unb ©ctjrift, im Slnb^ang jur beutfcb^en Überfe|ung ber Setracb,=
tungen; englifd) bon SettS: The Holy Spirit and Holy Scripture 1881, mit einem
45 ,ßufa£ bon mir). Übt eud?, fagt halbes, in ber ©rlenntniS ©otteS burcf) bie ©c^öbfung,
galtet ftetS im ©ebäcfytniS bie burcb, bie fyl. ©d)rift, unb brägt eurer ©eele bie burd)
S^riftuS ein (Epist. 2 in ben Trataditos). Dbgleid) @I)riftuS unS feinen eigenen ©eift
mitteilt, fo gefcf;iel)t eS megen unferer UnembfänglicDfeit bod) nid)t in bem Sftafje, bafe
mir Gfyrifti ©ebanfen unb ©efüb^Ie, bie mir in ben ©bangelien lefen, alle auS eigener
so Erfahrung recfyt berfteb^en !önnen (Proemio ju ben ©bangetien).
3lufeerf)alb ber oben genannten ©rubben ber Heinen Sluffä^e fteE>t, mie bie ^inber=
Iet)re, fo aud) baS ©cr;riftc|en über SBufee, ©laube unb Seben (fbanifd; in meiner Tra-
taditos 1880). $n if)r entmitfelt er nic^t nur, maS er über ben §aubtinfyalt ber ^rebigt,
fonbern aucb, maS er für bie ^ird)en§ucr)t anorbnen mürbe, menn eS feine Aufgabe märe, in Sejug
56 auf biefe Singe Slnorbnungen §u treffen. ©Etommunigiert merben müßten nacb, breimaliger
Sßarnung bie §abfüc^tigen, @|rgeijigen, Säfterer, Übbigen, bie in geinbfct;aften unb £aber
leben, in ©c^melgereien unb @itelfeiten, bie fd;anbbaren ©rmerb treiben unb um ©eminn
fbielen, ebenfo bie, meld)e an eiteln Zeremonien unb abergläubifcfyen Dbferbanjen fangen,
inbem fie ben ©efd)öbfen unb ben geiten ober ben SBorten beimeffen, maS ib^nen meber
60 jufommt nocfy bon ber 1)1. ©cfyrift ober ber ctyriftlid)en ^ircr)e beigemeffen mirb. ®ann
33nlbe8, bc 389
würben wir eine ßird)e feben, bie ber ber Stbofteljeit fefyr äf>nltd^ unb wie ein 33ilb beg
ewigen i'ebeng toeyre. $m Kommentar ju 1 $o 7, 37. :J8 Will er ntdEjt unterlagen ju
jagen, ber gröfete Verfaß beg Gb,riftentumg fei bafyer gekommen, bafc man e§ ^»abe ju
einer ©acbe bieler machen Wolfen, Wäfyrenb eg eine ©ad*e weniger fei, ja fefyr Weniger,
©ott Wolle, bafe eg berer fei, bie er rufe, unb inbem bie SRenfcfjen Wollen, bafe eg für b
bie fei, bie fie rufen, rieten fie eg ju ©runbe. $)ocb, eg ift md)t meine Aufgabe, fagt
er, bieö surecfyt ju bringen, SDemgemäfj enthält er fieb, ftetg jeber Siufjerung über bie
iserfaffung ber römifcfyen $ird)e. Dfme 3vt>etfel War er, Wie 1536 9Mancf;tI)on, ber 2ln=
fiebt, bafe man, Wenn ber $abft bal ©bangeltum julaffe, ben ^rimat beg ^abfteg über
biejenigen Stfcböfe, bie fid? ju il)m galten Wollten, nad) menfd)lid)em 9lecr)te gelten (äffen io
fotle. Slud; burfte 33a(b6g nod} nidjt äße Hoffnung aufgeben, bafe bie römifcfye Kirche
nid)t Werbe ifyren $aulug »erWerfen. @ine ftarle Strömung ging aud) in 3;^^" 3"
©unften beg ©bangeliumg; ein atlgemeineg föongil ftanb nab,e bebor; Salbei fyatte bäbft=
UdK Stf;eoIogen unb 33ifcb,öfe unb @r-$bifcf)öfe ju ©laubenggenoffen unb 33eWunberem;
bag Consilium de emendända ecclesia, bag 1537 bie bom ^3abft eingefettfe $om= 15
miffion bon Prälaten angab, geigte einfidjtigen gteimut; ber 5ßabft fanbte 1541 jum
9tegengburger Steligionggefbräd) einen ßontarini, ber gern auefy glaminio unb SSermtglt
mitgenommen fyätte.
$eter SfKart^r 23ermigli aus 3'fDre% $r'Dr bvc 3luguftiner ju S. Pietro ad aram
in Neapel, fd)lofj fid) an 23albeg an unb legte in ben legten 30er Qafyren unter größtem 20
3ulauf bie ^aulinifdjen ^Briefe aug (f. b. Slrt.). SRarcantonio glaminio aug ^mola, ber
liebliche Siebter, lebte feit @nbe 1538 brittefyalb ^ab,re mit tfynen als ©Ieid)gefinnter, unb
er War eg, ber bem im Greife bon 2Mbeg entftanbenen 33üct)Iem bon ber 9Bob,ltat ß^rtftt
bie $orm gab, in ber eg algbalb in Wieberfyolten £)ruden eine aufjerorbentlicfye 35er=
breitung fanb. Dd)ino aug ©iena (f. 33b XIV, 256), alg ©eneral ber ^abujiner naefe, Neapel 25
jurüdgefefjrt, War fo eng berbunben mit 23albeg, bafj er fid) oft bon biefem St^ema ju
feiner ^rebigt geben liefe; er übte eine folcfye SSirfung auf bag 2Mt, bafe, Wie ein ba=
maliger §iftori!er fagt, felbft ©erber fieb fyeraugnafymen, über feb, Wierige ©teilen ber SSrtefe
^au(i ju bigfurrieren. 1540 fam ebenbabin ber Florentiner ©arnefecd)t (f. 33b IX
S. 539 f.), ber fcfyon in 9bm alg ^rotonotar Giemen^' VII. mit 23albeg befannt ge= 30
roorben, jefet in geiftlid)e ©emeinfd)aft mit ib,m trat.
3m ©ommer 1541 ftarb 33albe§. ^m näd)ften %afyxe begann bie rbmifd)e ^n=
quifition ib,re Slfyätigleit. 33ermigli unb Dd)ino »erliefen Italien für immer. Dd)ino,
nacb, 9iom citiert, »erftanb einen Wutf be§ fterbenben ßontarini, unb flo^; er fdjreibt am
31. 2(uguft 1542: „Wäre id) nad) 5Rom gegangen, fo b,atte id) nid)t mefyr brebigen lönnen, 35
ober nur 6b,riftu§ in 9Jfa§fe brebigen unb 2SirrWarr reben lönnen, et satis superque
datum est hypoerisi et superstitionibus; bielmefyr id} b,ätte muffen entWeber Gfyriftum
berleugnen unb ib,n berfolgen, ober ba§ Seben laffen; jene§ War ©ottlofigfeit, ba§ anbere
■Jfyorbeit, ba id} rttd^t ba§u infbiriert toax; Wenn ©ott mid; WUT, Wirb er mtd) überall
finben"; ßb^riftuö felbft l)abz fid} Verfolgern entsogen, unb fage, Wo fie un§ nid)t auf= 40
nebmen, foßen Wir ben ©taub bon ben güfeen fd;ütteln (93enrat|, Dd;ino 2. Slufl. ©. 283).
9i!id;t§ War jeitgemäfeer, al§ bieg Satis superque. 1543 Würben in ^Reabel ba§ Bene-
fizio di Cristo unb anbere !e^erifd)e 33üd;er öffentlid) berbrannt. glaminio, 1550 im
§aufe beg Äarbinalö ^ßole in 3ffom geftorben, Würbe al$ §äreti!er begeidimet. 3n ^em=
felben ^af>re 1550 Würbe in gerrara ganino au§ gaen^a fjmgericbtet, ber erfte Slutjeuge 45
bes erneuerten @bangelium§ in Italien, ber im Werfer unermüblid) feinen Mitgefangenen
bie „2öor)ltt)at 6brifti" brie§. S)rei ^abre fbäter erlitt in 9tom ein SJtöncb, aus Montal*
cino, ber aud; in 9Ieabel bie ©d;rift aufgelegt blatte, ben Märt^rertob. 3m ^eaf olt^
tanifeben Waren, Wie ein ©egner im 16. ^afyrlmnbert er§äf>It, burd) 33albe§ unb feine
©enoffen 3000 ^ßerfonen, barunter biele ©d)ulmeifter, berbeftet, Wa§ man erfannt Ejabe, so
aß fie retraftierten. 33albe§ ^atte gefagt (ju 5Rö 10, 10): „@3 Wirb folebe geben, Wetcbe
*>on Gbriftug unb bem ©bangelium glauben, toa$ man foll, jebod) Weit fie Wabjnebmen,
bafe e§ ein gefäbrlid) ©ing ift unb berad)tet unb für fd;led)t gehalten bei ben Seuten, eg
niebf ?u belennen Wagen, um nid)t jene @efal)r unb jene ©djanbe ju erleiben, unb werben
fo, inbem fie ibren ©lauben berborgen galten, benfelben aßmäblid; berlieren ; aber Wenn 55
fie Gljrifti unb beg ©bangeliumg fid)' ntct)t febämen, fonbern mit bem 50?unbe ben OHauben
oefennen, ben fie im §erjen tragen, fo Wirb eg gefd}eben, bafe ib,r ©laube um fo me^r
Vüäd;ft, je inbrünftiger, mutiger unb Wirlfamer ilt>r 33efenntnig ift" (bgl. 5?onfib. 24). $m
3- 1560 rottete man in Salabrien burd) fürd)terltd)eg 33lutbab bie 2öalbenfer aug, bei
benen aueb ber neue ebangelifd)c "Antrieb, ber bon 9teabel gefommen War, freubnie 2luf= eo
390 2?albe§, U Wahns, SBtfrf»of
naljme gefunben fyatte. 3m S- 1564 mürben in Reatoel jtoei ©belleute, ©ianfrancefco
2lIoi§ au§ Gaferta unb ©argano b'SCöerfa toegen Sutfyertumg auf öffentlichem 9Jcarft ent=
Raubtet. ®er erftere, einer ber rüfyrigften Valbeftaner, fyatte aucb, feinen Vermanbten, ben
Sftardjefe ©alea^o ßaraccioli (f. b. 2lrt. Vb I ©.723 ff.), gewonnen, ber jefct längft in
5 ©enf in ©icfyerlieit mar ; aug Safertaä 2tu3fagen ergab fid), baft ad^t Vifd)öfe unb brei
©rgbtfd^ofe in ©übitalten über bie Rechtfertigung mie Sutfyer unb SSalbeg bauten.
Safe ©iulia ©onjaga, bon meldjer gomari in feiner @r.bofiiion be3 Strioft 1549
rühmte, fie mibme aUe ifyre geh ^eiligen ©ebanfen unb lefe mit reinem unb fdjlicfytem
§erjen bie fy. ©djrift, bie§ im ©eifte bon ValbeS ttjat, mar unberborgen, man fyielt e§
io aber nodj) tttd^t für geraten, bie Rücffidjten gegen bie gürftin bei feite ju fe|en. 1553 am
25. SJcarj fcfyreibt fie an il)ren SSetter gerrante in Ve^ug auf 2Iu$>fagen, bie über fie bor
ben ^nquifitoren gemalt toaren: fo biel fie feiert fönne, fyanble eg ficb, um ifyren Ver=
fefyr mit Valbeg unb beffen ©Triften. 3Benn fie über religiöfe ©tage gefbrocfyen l;abe,
fo fei e§ gefa)el)en, um biefe ju berfte^en, nicfyt um bon bem abjutoeia^en, ma§ bie
15 fatfyoltfdje JUrdje fefifyalte. greilicb,, bei bergleidjen fyeijje e§, jeber ©Ratten fei biet. !$a.bz
man bon ValbeS ©Triften eine fd^Ied^te Sfteinung, fo fyätte man fie berbieten foUen unb
foKe fie je|t berbieten; wenn fte einmal berboten fein mürben, fo merbe fie geb,orfam
fein. Übrigen^ befttje fie biefelben gegenwärtig nidjt (Reumont, Vitt. Colonna [1881]
©. 275 ff.). Sllfo ©iulia fyatte bie ©Triften bereite in anbere §änbe gegeben. 5Der ©eift
20 ib,re§ greunbe§ mar ifyr unberlierbar, unb bon tarn l>atte fie aucb, ba§ gelernt, bie
Religion fo im §er^en $a tragen, baf? fie tb,r bleiben mufete, toenn felbft bie b,I. ©a)rift
ifyr genommen mürbe. SRefyrere ©Triften bon Valbeg ftanben übrigens längft in bem
Veneiianifcfyen Katalog berbotener Sucher, aber erft ein bar 2>at)re nacb, biefem Vrief
©iuliag mürbe Joannes Valdesius burd) ben erften ^uhyc ber ^nquifition bon Rom
26 unter bie Tutoren ber erften Älaffe aufgenommen, bon benen alles unb jebeS ju lefen
unterfagt ift. ©iulia aufwerte fid) mifjbilligenb über ben römifcfyen ^nbej (Processo
Carnesecchi 171), unb am 29. Jguli 1559 fcfyrieb fie (baf. 386 f.): fie fyöre, baf$ morgen
in Rom ein Sluto fein foHe, in meinem aud) ba§ Vilb be§ SRarcfyefe bi Dira erfcfyetaen
merbe (gemift ber b'Dria, ber als $lüdjtling in ©anjig ftarb, f. Cenni 564 unb 2lnb,ang
30 ju ben beutfdjen $onftb. ©. 361); „menn etma Samefecdn in ber©cene erfdjeinen foltte,
mie ba§ aud) mit 35albe§ ber %aü fein tonnte, fo fagt ifym bon mir, er foU auf bie
©d)mad) flauen, bie fein älterer Sruber burd;mad)te", ^efu§, ber erftgeborene bieler
Srüber. Rod; nad; jenen Einrichtungen bon 1564 fteb,t fie gu 9Jtario ©aleota, bem
neabolitanifdjen 33aron, ber in Rom im ^nquifitionSlerler fa^ (bgl. Senratb,,
35 9JI ©aleota, §iftorifd;eg ^Eafcb, enbud) VI, 4 [1885], ©. 169—196). $n einem Srief bom
17. gebruar 1565 an 6arnefecd)i, ber ib,r berichtet blatte, man fybre, ber ©efangene merbe
fd;ulbig befunben, tritt fie lebhaft für biefen ein unb erinnert baran, mie biele<§, ba§ ficj^i
nadj^er al<§ gabel b^erauggefteEt ^ahz, gegen Äarbinal 3Dtorone au^gefbrengt morben fei,
um bon ber Skrteibigung abgufd;reden unb ba§ tSrftaunen über eine Verurteilung ju ber=
40 ^inbern (Processo Carnesecchi 387 f.). 2lHein am 12. %\m\ 1567 mürbe ©aleota,
bamal§ mob,! balb 70jä^rtg, ^u fünf I^afyren ©efängni§ unb jur 2lbfd)toörung berurteilt,
bor allem, meil er ©djriften bon ^uan Salbei befeffen, gelefen, überfetjt unb gelobt
fyatte, nämlid; ben Kommentar über 9JJattf)äu<S, ben über bie ^Pfalmen, bie fragen [unb
2lnttoorten], Briefe (epistolette), baS Alfabeto Cristiano; in 33e$ug auf baö Verbot
45 ber Valbe^fcb, en ©Triften b, atte er geäußert : mir ift§ gleicb, , id) l^aht fie inne. Unb er
b,at abgefa^boren , benn er ift in greifyeit geftorben. ©iulia erlebte biefe Retraltation
nidjt. ViuS V., ber am 8. ^aniutt 1566 jur Regierung fam, mürbe fie „lebenbig ber=
brannt b^aben" (Senratb,, % ©onjaga ©. 99) — aber fie mar fd)on im Softer ber
granji§!anerinnen in Reabel am 19. 2lbril 1566 geftorben. $n ib^rem ieftament fagt fie: icb,
50 befehle meine ©eele ©ott, bem allmächtigen §errn unb gütigften Vater, unb ^efu ßljrifto,
feinem ©ob.n, meinem ©rlöfer. ©in baar 5!Jconate nac§ ib,rem ^obe mürbe ßarnefecdji ge=
fangen genommen, am 1. Dftober 1567 mürbe er in Rom entlaubtet. 2lonio Valeario
(f. 33b XIV, 601) ftarb bort 1570 am ©algen. £>ie ebangelifcfyeVemegung in Italien mar
erftidt. 216er in ben ©Triften be§ ^uan be Valbeä bemalte fie bis auf unfere 3^
55 ib,re größten litterarifcb, en ©cb,ä|e. 2ln ben um bie Verbreitung berfelben in bem mobernen
(Snglanb feb,r berbienten 3ob,n 33ett§ fcb,rieb ber berühmte ^anjelrebner ©burgeon unter
bem 1. 3suni 1882: ,,©ie b,aben ein gutes SBerf getfjan, inbem ©ie biefen ^eiligen
bem ©rabe ber Vergeffenb,eit entriffen" m. SSoe^mer f (SBenrat^).
®okn§, Söifdjof f. b. 31. 3lrtantgmu8 Sb II ©. 33, 21.
Ülalenö, ftaifer 391
Valens, römifcfyer Äaifer 364 — 878. — Sie loidjttgereu Quellen: IHmmianu*
-litavceHtnu-J, Sfiemiftiu*, ©ofrateS, ©ojontenoS, Stjeoboret, ©regor Uon 9Jajianj, ©ober.
Itjeoboftcmu*. 3" *$■ SiHemont, Histoire des emp. V, ©. 35 ff.; ,§emv. 3Jid)ter, 3)a§ tt>eft=
riiiiiifctje SReid), bef. unter ben ffaifern ©vattan u. f. m., SSerlin 18G5; £erm. ©djtüer, ©efdjtdjte
ber röm. Äotferäett 2.33b, ©otfjci 1887, ©. :U8ff.; Sicto^<5diu(0e, ©efd)id)te be§ Unterganges 5
beS gned)ifd)=viimifd)en .ftetbentums 1. 93b, 3™<* 1887, to. 186 ff. unb fonft.
SBalcnS, ber jüngere Vruber be3 $aifer§ aSalerttmiartu^, ift um 328 al§ ©ofyn eines
au$ nieberem ©tanbe ju £wl)em milttärifct;en Stange, julefct jum Dberfommanbierenben
ber britifdjen Strumen aufgeftiegenen $annonier§, ©ratianug, geboren. ®ie Vrüber
Wulfen im Sager auf. gut ßett Sultan^ fanben fie als Offiziere ©elegenr/eit, ein mann= io
bafteS SefenntniS ib,re§ djriftlicrjen ©Iauben§ abzulegen (©otrat. IV, 1; ©030m. VI, 6).
iilS SSatentinian nacb, bem furzen Regiment ^otoiang bon ben Srubben mit ber &aifer=
Würbe befleibet Würbe, berief er balb barauf (28. 3Rärj 364) ben 33ruber jum WiU
regenten unb überwies if)m ben Often be3 3fteid;eg. SDaö SSer£)äItnt§ mar aU ©Ietd^=
fteEung gebaut, in SBirilicbJett nai) m Sklentinian ben 9iang be3 Dberlaiferg ein. Valens 15
jab, fidji fofort bor großen ©d)Wierigieiten. 2tn ber SDonau ftanben brofyenb bie ©oten,
ben günftigen Slugenblicf erWarienb, um ir/re Waffen in ba§ Sieicb, ju ergießen. %n ben
Vorbereitungen gut StbWefyr biefer ©efal)r erftob fieb, im £>erbft 365 ein gefährlicher Ufur=
bator, ber gelbfyerr ^rofojnug, ein VerWanbter Julian«?, nicfjt im tarnen be§ §etfem<omug
— benn feine 5Rünjen trugen ba§ Gfyriftu^eicfyen, unb (Sljriften waren ebenfo Wie Reiben 20
feine Parteigänger — fonbern als ber Präger unbergeffener fortftantiniferjer Erinnerungen
im §eere unb im Steige; barum fd)mücfte ibm bie SöitWe be§ ^onftantiuS, gauftina felbft
mit bem Vurbur. sJ2acf; anfänglichen Erfolgen be£ UfurbatorS überwältigte ifyn in einer
©djlacfyt ber ergraute fonftantinifcfye gelbfyerr 2trbetio unb lieferte ib,n bem Kaifer jur
Öinricfylung au§. ©eine 2tnb,änger berfielen graufamen ©trafen, unb für bie golge^eit 25
blieb in Valens ein ftarleS boIitifcfyeS 2Riferrauen fyaften, bem immer Wieber Unfcb,ulbige
geopfert Würben, unb ba§ fid) bor altem in ben bureb, baS DratelWort AEOA f>erbor=
gerufenen umfaffenben Vrojeffen blutig auSWirfte (Victor ©d)ul|e I, ©. 202 ff.).
$n fernere Verwickelungen rourbe Valens bureb; feine Parteinahme an ben ftrcr;=
Iid)en unb t^eologifdjen ^ämbfen geführt. ®ie Sage b,atte fid) im Dften in ben legten 30
3ab,ren infofern für bie ^Ricäner gebeffert, al§ §omoufianer unb §omoiufianer fid) in
fteigenbem SRafse näherten, unb bamit eine grofee Koalition gegen ben 2triani§mu§ fidt)
anbahnte unb fd)lk$\d) burcb,fe|te (f. b. 2t. 2lrtam8mu8 Sb II ©.39 ff.). 3lt^anaftu8f
Safiliu€ b. @r., ©ufebiug bon ©mefa, 2lmbb,ilocb,iu8 bon ^lonium, @regor bon 9?ajianä,
um nur biefe ^u nennen, fter)en in biefer dnttoicfelung im SSorbergrunbe. S5alen§ ber= 35
trat mit boHer ©ntfe^teben^eit bie anbere ©eite. ®§ läfet fidt) a(lerbing§ au§ unferen
Lueßen nid)t ermitteln, ob er bon älnfang an bem 2triani§mu§ angebörte ober erft ba=
mala unter bem ©influffe feiner ©emablin Stlbia Dominica unb be§ 33ifd)ofg ©ubo£iu§
bon Äonftantinobel (f. b. 3t. Sb V ©. 577) fieb, bortbin Wanbte (bgl ©ofr. IV, 1;
3050m. VI, 6; ausgemalt ^eobor. IV, 12). Se^tereS ift Wab/rfcb/einlicb,er. ^ebenfallg 40
bat ibm (Subojiuö getauft unb ftanb in I)of;em 2tnfet)en bei ib,m (5ßr)Hofi. IX, 3). Stuf
feinen (Sinflufc gebt ein Iaiferlicb,e§ @bift jurüc! @mb,iar)r 365), toeld)e§ bie erneute 316=
feimng aller bon &onftantiu§ abgefegten, aber unter Julian jurüdgefe^rten 33ifcr;öfe an=
orbnete (Hist. aeeph. 15). Unter anbern Würben babon 9Jteletiu3 bon 2tntiocb,ien unb
2Ub,anafvu3 betroffen, bod} fonnte biefer fd)on nacb, Wenigen SRonaten jurücffer/ren unb 45
ift in ruhigem SBefi^c feinet 33i§tumg geftorben (373).
Seitbem erfolgten jjWar immer Wieber Sorftbfce gegen ortb,oboEe ^ircb.enfjäubter unb
©emeinben, aber e§ fe^It bem 93erfab,ren ^3Ianmä|igfeit unb Jlonfequeng. 2BäI?renb an
ber einen ©teile rücfftcf/t§lo§ ^gegriffen Würbe, liefe man an ber anberen ben Singen
ib,ren Sauf. Zufällige berfönlicb^e unb örtliche Serfjältniffe f^einen in ben meiften 'ftäüen so
bie 6ntfcf)eibung be'ftimmt ju b,aben. SSietfacb, finb aud; bie Beamten felbftftänbig bor=
gegangen; unter ilmen fab,en bie Drtfyoborm mit 3Recb,t in bem brätorianifcfyen ^räfeften
-^omitiui 9Jiobeftu§ ib,ren erbittertften ©egner unb Verfolger (©regor b. ^la^. In laud.
Basil. c. 48 MSG XXXVI p. 557). #u einer einbeitlicfyen, bon Ilaren ©eficf)t3buniten
geleiteten Mircb. enboliti! fehlten bei SSalenö au§reid;enbe @infid)t unb @ntfd)Ioffenb, eit. 2tnberer= 55
feitö nabmen Wirtfcb,aftlid)c unb bolitijclie ©orgen unb fragen in Wacf)fenbem 3Jiafee fein
§anbeln in 3tnfbrud). 5Die 3iebreffionen beftanben neben Heineren ©trafen in ber Sieget
in 2tbfe|ung, 2Iu§Weifung unb Honfi§fatton beä Vermögens (©regor b. sJiaj. a. a.£. c. 46).
X>ie Segenbe ift früh tb,ätig geWefen, biefe S^aferegetn' in breite unb ©cf>ärfe umjubilben;
id'on Safiliu^ rebet bon einem awenxdg 7j.nkF.fi0g unb meint, eine fd;Werere Verfolgung öo
392 Valens, Stuifer
Ijabe bie Äircfye übertäubt nid&t erlebt (Ep. 242 MSG XXXII p. 900). %n bemfelben
©inne gilt bem ©regor bon Seetang SSalertg dl 6 xe^ro/udxog (a. a. D. c. 44 p. 553).
^mmertnn bleibt nacb, Slbjug erfennbarer Übertreibungen allerbingl genug übrig, um
bie antinicänifdje $irc§enboIitif bei Äaiferl all eine gewalttätige, oft awfy brutale gu
6 fenngeiclmen. ®af$ fie bereinjelt bil $ur Rötung fortgefcf;ritten fei, Wirb bon ben ©egnern
behauptet, ift aber fyöcbjt unWafyrfcf; einlief , ober el fyaben in folgen gälten nod) anbere
9Jlotibe mitgeWirft. $)te Wieberfyolt berichtete Verbrennung einel ©cfnffel mit 80 Jllerifern
bor TOlomebien (©regor b. S^ag. a. a. D. c. 46; ©ofr. IV, 16; ©o^om. VI, 14;
Stfyeobor. IV, 24) fann meinet @racf)tenl nid^t fo bor fid? gegangen fein, tüte fie über=
\o liefert Wirb; eine foldje Untfyat ift aud? bem Vräfeften 9Jcobeftul nid;t zuzutrauen. @l
muß fyier ztmaä fyineinfbielen, bal Wir nicfjt lennen, unb ©ibbon fyat mit feinem „un=
glücken £ufaU" bielleidjt bod) 9ted>t.
2Benn bie Verfolgung in ben ©emeinben ©cfyreden unb $urd)t iüecfte (Vafiliul
a. a. D. p. 901), fo begegnete fie bod) aud) mutooKem Söiberftanbc, unb leucfjtenb fteljit
15 fyter ber ?lame Vafiliul bei ©roßen , fo Wenig aueb, möglich ift, bie immer mefyr inl
Segenbarifdje getoacb,fenen Vorgänge genau in il)rem gefcbjdjtlidjen $erne ju erlennen
(©regor b. 9taj. a. a. D. c. 4 ff., ©ofr. IV, 26; ©ojom. VI, 16; £r,eobor. IV, 19;
©bfyraem, Sobrebe auf Vafil. opera I, Eom. 1743, p. 293 ff.). %n biefel Verfahren
Würben anfangt aueb, bie Jcobatianer hineingezogen Wegen tfyrer d)riftoIogifd;cn 3ugef)örig=
20 Jett ju ben Jiicänern, aber unter bem ©influß einel geWiffen üJcarcianul, ber früher ju
ben ©olbaten bei Valaftel gehörte, bann Vrelbtyter bei ben 9Zobatianem War unb nun
bie %öä)t?v bei ^atferl unterrichtete, erhielten fie Smlbung (©ofr. IV, 9). ©aß ber
©inbruef einer gur -Dcilbe ma!)nenben 3Rebe bei 'ülfyemiftiul ben J^aifer jule^t übertäubt
ju einem maßbotleren Verhalten beftimmt Ijabe, barf nacb, bem Söortlaute bei 35ertdt)te§
25 barüber (©ofr. IV, 32) nidjt wob,! bezweifelt Werben (bgl. Victor ©dnxl|e I ©. 181).
2113 eine reine VerWaltunglmaßregel , bie mit ber fircfyltcfyen ©ituation f einerlei
gufammenb/ang Ijat, ift ein @bift bom $. 370 ober 373 zu beurteilen, Welct/el bie ge=
Waltfame gurücffüfyrung berjenigen befielt, bie, um ben Verpflichtungen ber $urie ju
entgegen, ftd) in bie ©infamfeit geflüchtet unb ben ©remiten gugefeEt Ratten (Cod.
30 Theod. XII, 1, 63). Sie ©egner bei $aiferl fyaben biefen bureb, bal ©iaatlintereffe
geforberten Slit (bgl. b. 31. Sfyeobofiul b. ©r. Vb XIX ©. 619) mit Unrecht zu einer
SJcöncfylberfoIgung geftembelt (Sfyeobor IV, 19; Hieron. Chron. ad 379). (Sine zweite
Verordnung gleicher SLenbenj fafjt äb,nlid)e Vorgänge im ^leru§ in! Sluge (Cod.
Theod. XVI, 2, 19 a. 370).
35 £)a§ Verhalten bei Itaiferl jur Drtb,obo£ie Würbe bon biefer um fo härter embfunben,
all feine Haltung ben ©öttergläubigen gegenüber all eine auffallenb nad)ficb,tige erfcljien.
Xb,eoboret WiU Wiffen, bafe Valenl Wäb,renb feincl Stufenifyaltel in Slntiocb,iett im
SBinter 373/74 allgemeine ®ulbung broflamiert fjabe unb ba^ infolge babon jn biefer
©tabt bie aulgelaffenen Umzüge ^u @b,ren b,eibnifd}er ©ottlieiten Wieber in bie Öffentlich
40 feit getreten feien (IV, 24). 2Ingeficf)tl ber ^atfad)c, bafe bamall bie Vebölferung
2lntiod)ienl bil auf einen fleinen 9teft djriftlicf) War, fann bie Mitteilung in biefer gorm
nid}t richtig fein, aber ficfyer ift, bafe bie SJeligionlboIitif ber beiben £>errfd)er ben §eße=
nilmul mit großer ©d)onung bemäntelte unb nur bei befonberen 2lnläffen eingriff (Victor
©cfyul^e I, ©. 204); fo Würben bie blutigen Dbfer unterfagt (©. 207). £>iefe Haltung
45 Wurzelt jeboeb, nid)t in religiöfem ^noifferentilmul, fonbern in ber fieberen Überzeugung,
ba| bie alte Religion fid} im legten ©tabium ber ätuflöfung befinbe.
3njWifcf)en War bie ©otengefafyr immer größer geworben, ^reulofigfeit unb §ab=
fuct)t ber rbmifcljen Veamten trieben bie Varbaren enblicb, in einen bezweifelten älufftanb
hinein, ber in ber ©djilacfyt bei Slbrianobel am 9. 3luguft 378 jum Untergänge bei
so römifdjien §eerel unb bei Äaiferl führte, ©ie ©egner fallen barin ein ©otte!gerid)t
(SLf)eobor. IV, 36).
Dirne 3*b«f^ erfaßte Valenl feine faiferlicfyen Stufgaben mit großer ©eWiffenb,aftig=
feit unb befajs ein lebenbigel VeWu^tfein feiner Vflid?ten. 3um 3a^Drn S^^S1 un^
embfinblicb, in allem, \va§ fein £>errfd)ertum berührte, War er im ©runbe gutmütig unb
55 unermüblidj, bie 2Bob,Ifab,rt ber Vebölferung ju b,eben unb übertjaubt Drbnung ju fo)affen.
©ein Regiment Würbe in feiner ©an^eit all ein bäterlicfye! embfunben. 3Uli|griffe unb
gärten faßen nicb,t foWob,l üp all fd}lecb,ten Ratgebern unb einflußreichen Verfonen
feinel Vertrauenl ^nr Saft, ©eine £ebenlfül;rung bewegte fiel) ganj in ber 9Jcoral bei
Gbriftentuml unb ber Kirche, ©tetigfeit, @ntfcb>ffenfyeit unb große ©eficb,tlbunfte
60 gingen u)m ab. ©eine Vilbung War, entfbrcd;enb feinem i'ebcnlgangc, gering; er berftanb
Südens, Shifcr »alcntimanuS I. 393
fein ©riedufd;. ©od) geigte er VerftänbniS für SStlbungöftrebcn. 3Me gcfct/icfytlicfye Über=
lieferung ber Äircjjc fafy in ilmt nur einen djrtftuSf einbüßen Verfolger unb t/at banad)
fein 33ilb roettab bon ber Sffiafyrt/eit geformt. SHictot ©d)uli?c.
SyalcnttntanuS I., römifdjer Äaifer 364-375. — öuellen unb Sittemtur
j. unter 5Bdcn<?. ®aju 9tnbe, 3)amafu§ SBifcfjof Hon SRom, g-veib. 11. £üb. 1882. 5
Valcntinianu3 — über bie £>ertunft unb frühere 2eben3gefcf)ict/tc f. b. 21. Valens» —
geboren 321 gu Gibalä in ^annonien, it)urbe nad) bem blöt$lid)en iobe ^obianä bon
ber 2lrmee in Ricäa int Februar 364 jum $aifer geWät/lt. @S toar unter ben bamaligen
•^crbältniffen eine glüd'Iid}e @ntfd)etbung. SDer neue 2luguftu§, ber furj nad) ber 9BaI)l
feinen tfym in unWanbelbarer breite ergebenen jüngeren trüber 93atenö jum sJRitI)errfd)er io
für ben Dften beS Retcf/eS erfyob, allerbingS mit bem tt;atfäd)Iicf)en Vorbehalt ber Dber=
leitung, War eine fraftboHe ©olbatennatur, Weld)er bie berWidelten friegerifcfyen Aufgaben,
befonberö an ben germanifdjen ©renken, nid^t nur mit ber @ntfd;Ioffenb,eit eines mutigen
©olbaten, fonbern aud) mit ber Überlegenheit eines» ttugen «Strategen aufnahm. 2luf bie
9Bob,lfab,rt be3 5Reidje^ feiste er alleg. ®at/er befyanbelte er bie Beamten mit ©trenge; 15
bie ntilitärifcfye SMe^iblin übertrug er auf ben ßibilbienft. Vor allem in ber @eI)orfams>=
forberung roar er unerbittlich $n feinem Söefen lag eine geroiffe §erbigteit; feine £eiben=
fcfjaftlictjieit tonnte furchtbar fyerborbredjen. ©eine Vilbung roar mäfug, bod) fud)te er
ben Sertebj gelehrter 9JJänner unb berfud)te fict) felbft in bilbenber J^unft unb Sprung.
2SMe er im ©lauben ber ^ircfye ftanb, fo lebte er beinlict) nad) ben etl)ifct)en formen be§ 20
ßl)riftentum§ unb bulbete ntct)t<§ ©emeine§ um fict; (Amm. Marc. XXX, 9, 2: omni
pudicitiae eultu domi castus et foris, nullo contagio conscientiae violatus
obscenae, nihil incestura).
$m ©egenfatj ju feinen dmftücfyett Vorgängern geigte er eine grofje 2lbneigung gegen
ftaatltcr)e§ Eingreifen in bie religiöfen unb £trct)Itc^en ^ämtofe unb $artetungen (Amm. 20
Marc. XXX, 9, 5: inter religionum diversitates medius stetit). @r Inelt al§
Säte fict) nidtf für befugt, in biefer Richtung einen ®rud auszuüben (fein 2Iu§fbrucr) bei
Slmbroftusl Ep. I, 21 MSL XVI p. 1004: non est meum judicare inter episcopos).
9?ur roo bringenbe Rot feine Verantwortung als ©taatSoberljaubt berührte, unb griebe
unb Crbnung gefät)rbet Würben, trat er au§ fetner 3u*ücft;altung t/erau<§; fo in ben 30
SKirren, bie auf bie jrötef^ältige VifctjofSWafyl nact) bem Slobe be§ Siberius folgten (Rabe
2. 15ff.; bap bie 3131. ®amafu§ unb llrfinu§), unb in ber Stusfertigung be3 btel=
befbrocfyenen RefcribtS, Weldjesi bie getftltdje ©ericfytiSbarteit unabhängig Don ber Weltlichen
fteüte (Rabe ©. 23 ff. ; über bie berfdnebenen 2lu§Iegungen §aud im 21. SDamafusi Vb IV
6. 429). ©0 wenig ferner ber auf ber ©eite ber Rtcäner ftefyenbe ^aifer irgenbwie bie 35
förct;enipolitif be§ Vruberg ju beeinfluffen unternahm, ebenfo roenig berfuet/te er in feinen
eigenen Sänbern ba§ ©nbe beg 2lrianigmug gu befd)leunigen (©o!r. IV, 1 : röig dgsia-
vQovoi ovdajucög rjv öyh]Qog, ©ojom. VI, 6). SBie frei er fncrin ftanb, bezeugt bie
£|atfacr)e, ba^ feine jroette ©emab,Iin Suf^«« tm entfe^iebene 2lrianerin roar. 2lud; ben
^onatiften gegenüber entfd)lof$ fict) Valentinian erft 373 §u einem bert)ältnigmä^ig milben 40
Gbüt, roelct;eg it;ren ^rteftern unter 2lnbrol>ung ber 3lbfe|ung bie SSÖiebertaufe berbot
(Cod. Theod. XVI, 6, 1). 9cur bie 3JJantd}äer, in benen bie Regierung immer auef)
ben berfifd)en ©rbfeinb roitterte, rourben fcfyärfer angefaßt (XVI, 5, 3 a. 372). Offen
£>at er fiel) jum ©runbfa^ ber Xoleranj allen Religionen gegenüber befannt (IX, 16, 9
a. 371: testes sunt leges a me in exordio imperii mei datae, quibus uni- 45
cuique, quod animo imbibisset, colendi libera facultas tributa est).
S)ie biefem Verhalten ju ©runbe liegenbe ©timmung roar nicfyt religiöfer 3nbiffe=
rentigmus, fonbern eine faft mobeme 2luffaffung be§ ©taateö in feiner ©tellung ju ben
Religionen, ©ie bilbete auf ber anbeten ©eite teilt §inberni§, beftimmte 2öünfd)e ber
tbatfäcfilict; ftaatlicr/ en Religion unb ^ircb,e, beren Erfüllung eine Steigerung ber 2tuttorität 60
be^ ßb,riftentumg bebeutete, jur SluSfü^rung ju bringen. ©0 inurbe bom ©onntag oie
©teuereintreibung entfernt (XI, 7, 10) unb ber 23erbraud) Verurteilter d)rtftlid)en 33e=
lenntniffeä im 3irtu§ unterfagt (IX, 10, 8 a. 365). ^ür 23eit>acfwng ber Penibel füllten
ßbriften ntdjt meb,r in 2lnfbrucl) genommen Werben (XVI, 1, 1 a. 365). ©ct;aufbicler
unb ©cfyaufyielerinnen, bie auf bem Sterbebette fict; taufen laffen, bann aber Wiebcr ge-- 55
iunb Werben, gewinnen bamit Befreiung aug ber clenben Äafte (XV, 7, 1 a. 367'^ 371V).
Jet ftmfer ^erfönlicb, brachte in 2lmncfttecrlaffen am Dfterfefte fein cfyriftlidicS Embfinbeit
offentlict; jum 2lugbrud" (IX, 38, 3; \). ®iefcg ^oblWollen gegen bie Äirdjc bat ibtt
nit^t gebinbert, ber 5tiid;t au$ bem .Uurten^Wange in ben Älencs mit aller ÜHeftinimtbeit
394 2$alentimanu8 I. Sitalenttmanitg II.
entgegenzutreten (XVI, 2, 21 a. 372) imb nicfyt minber au§ ftaatltd^=it>irtfd^aftltd)em ^n=
tereffe in einem berühmten ©bilte an ben 23ifcf;of SDamafuS bon 9tom bom 30. Quli 370
ber (Srbfcfyleidjerei ber ©eiftlicfyen unb ber SRöncfye mit fd)arfem Söort unb ©trafanbrob/ung
entgegenzutreten (XVI, 2, 20, baju 9tabe, SamafuS 50 f.), eine SSerfügung, bie am
5 1. Sejember 372 aud) auf 23ifd;öfe unb Tonnen auSgebefmt mürbe. Über biefe be=
fcfyämenbe Sftafjregel f/at lein (Geringerer als §ieronr/tnuS geurteilt: nee de lege con-
queror, sed doleo, cur meruerimus hanc legem (Ep. 52, 6).
2tucb, bem §eibentume gegenüber mürbe bie Toleranz aufrecht erhalten; mer/rfad) r)at
ber $aifer gleich, nacb, 23eginn feiner Regierung ftd) in biefem ©inne öffentlich auS=
10 gefprocfyen (IX, 16, 9 ; ba^u Amm. Marc. XXX, 9). iDen 5ßrieftertümern mürbe bie
gortbauer t^rer alten Siebte neu beftätigt, mobei freiließ ntd)t zu überfein ift, bafj fie
aud) ftaatlicfye unb fommunale Saften f eb, r mef entließ mittrugen ; aueb, bie ^arufbicin blieb
unbehelligt, nur bie näcfyiltdje DJJantif mürbe firengftenS Verboten, aber nur, meil t!t)re
gufunftSerforfdmng fieb, bolitifcf) lombromittiert blatte. ®ocb, ermirfte ber $ßrofonful bon
15 2ld)aja für bie eleufinifcfyen 2Jcr;fterien SDtSbenS. 2) er 2lltar ber 33ictoria berblteb an
feiner ©teile in ber ®urie, zu melier er unter Julian jurüctger'efyrt mar. dagegen trugen
bie beiben §errfcf)er fein 53ebenfen, baS gefamte Semipelgut ju 9cu|en beS faiferlicfyen
$ribatbermögenS einzuziehen. @S mar eine Finanzoperation, meiere bem febj b/auS=
fyätterifcljen ©inn ber 2lugufti nai)e liegen mufcte (baS 5RäE>ere 3Siftor ©ct)ul$« I, ©. 196 ff.).
20 ©iefe 33eb,anblung beS §el!eniSmuS läjjt fid) nur aus ber ^atfadje erllären, baf$ bem
$aifer ber Verlauf ber ^ulianifd)en 3f{eftauration bie Unfäb/igfeit unb ^ufunftslofigfeit
beS §eibentumS zweifellos gemacht blatte, unb eS bolitifcf) erfd)etnen mufjte, in ben or)ne=
bin bemegten gehen mit großen unb fcfymterigen Aufgaben einen Srucf/teil ber 23ebölfe=
rung nid)t in Unruhe vtnb Dbbofition zu berfe^en.
25 3U ben Familienberr/ciltniffen beS $aiferS fei nod) bemerkt, bafj er fid; Don feiner
erften ©attin 3Saleria ©ebera, bie ib,m ©ratian geboren blatte, fcfyeiben liefs, meil fie ib,re
faiferlicfye ©teHung eigennützig mißbrauchte, unb fid) barauf mit ^uftina, ber SRutter
SBalentinianö IL, bermär/lte. (Sine fonberbare 93ermirrung fyat bie Meinung auffommen
laffen, bafj er bie beiben ©attinnen z" gleicher ßeit recfytmäfsig befaf$, ja bie £)obbeleI)e
30 bureb, ein ©efe| freigegeben j^abe (©ofr.).
Qn ber Erregung angefid)ts einer armfeligen ©efanbtfcfyaft ber Quaben im Sager ju
33regetio erlitt Sßalentinian am 17. Sfobember 375 einen löblichen ©d)Iaganfall. Sie
Seidje mürbe nacb ^onftantinobel gebracht unb in ber 2tbofteIfircr;e beigefetjt.
SBictor ©cfjultje.
35 SSalenttntamtS II., römifef/er Äatfer 375 — 383. — .^etnrtd) SRidjter, ®ae weft=
röintfd^e 3teid], befonberö unter ben Äatfern ©ratian, SSalenthucm II. unb 2Kajitnu§, Berlin
1865; Hermann @cl)iüer, ©efd)tdite ber römtfcfjen Äatfergett, 2. 33b ©ot^n 1887, ©. 389 ff.;
SStctor ©d)ul^e, ©efcf|irf)te be§ Untevgangeä be§ griecfttfct)=röniifctjen £>eibentum§ 1. 93b, ^ena
1887, <B. 227 ff.; ®n% 9taufdien, 3aJ)r6üd)er ber d)riftlid)en Sirdie unter bem Satfer %tyo--
40 boftuS b. ©r., ^reiburg 1897; Jyörfter, 9tmbroftu§ Sifcbof uon SRailanb, .fialle 1884.
Sßalentinian II. ift 371 aui ber zweiten @l)e SBalentintanS I. mit ber 3lrianerin
^uftina geboren. 9?acf) bem %tkz be§ SSaterg mürbe er, erft tnerjäfyrig, im Sager zu 23re=
getio burd) rafcfyes Eingreifen be§ germanifd)en ©eneralS 9J}erobaube<§ burcl) bie Slrmee
Zum 2Iuguftu3 erhoben (375), obtoo^I ber ältere Sruber ©ratian (f. b. SC. 23b VII ©. 62)
45 ber legitime £r/ronerbe mar. ^n ber %\joX \ai auä) ©ratian big zu feinem S£obe im
SBeften bie 2ICIetnt)errfcr)aft geführt. @r mar eS, ber nad) bem Untergänge be§ SalenS
378 ^eoboftuS (f. b. 21. 33b XIX, 615) zum SWüregenten berief, unb atte bis zum ^ab,re 383
für ba<§ aSeftreicf) erlaffenen ©efe|e geben bon i^m au§. %iaty feiner ©rmorbung am
25. Sluguft 383 übergab ^eoboftuS bem 33alentinian bie bon jenem befeffenen £anbeS=
50 teile, aber aUe midjtigen @ntfcb,eibungen gingen in ber golge bod; bureb, feine §anb.
Unter bem ©influffe feiner Butter nafmt ber ^aifer anfangs bie Slrianer unter feinen
<&§u§. HJlailanb erhielt in ber ^ßerfon beS 2lujentiuS einen arianifcb,en 33ifcb,of, gegen
ben SCmbrofiuS alSbalb ben ^ambf aufnahm; ein ©efe| bom 23. Januar 386 fieberte
ben 3lnb,ängern ber ©rmobe bon Slrtminum ®ulbung (Cod. Theod. XVI, 1, 4), anbere
55 SSerfügungen fd;ärferen Qnl)alteS follten ben Slrianern baS berlorene Terrain mieber er=
obern Reifen, fo burcl) SluSlieferung ber ^ird;en (Slmbr. Ep. 31 MSL XVI, p. 1002;
contra Auxentium c. 23 ebenb. p. 1014; bazu ^aufdjen ©. 232 ff.; ©. 242 ff. unb
b. 21. 2CmbrofiuS 33b I ©. 444). SDocb, gelang eS ^eobofiuS, bei beginn beS $elbzuge§
gegen ben Ufurbator ^JcagimuS nidjt nur biefer l?ird;enbolitif ©tißftanb zu gebieten,
2?oIenrtnta«uS II. $alenttnu8, dhtoftifer 895
fonbern auä) ben auf feine $ilfc angeroiefenen Äaifer in entgegengefeijte 9iicr)tung ju
führen. Semei§ bafür ift ein ©efe£ bom 14. 3>uni 388 beö ^nr/alteS, bafj unter ferneren
Strafen allen §äreti!em 23crfammhmg<§= unb ^ultuSrecfyt genommen mtrb (Cod.
Theod. XVI, 5, 15). Um biefe 3eit ftarb Suftina (9taufcfyen ©. 284), unb bamtt mar
ber neuen $olitif aueb, bie 3uftmft gefiebert. 5
Unter ÜBalentinian machte ba<§ §eibentum einen neuen äkrfucb;, einen Seil feiner
unter ©ratian berloren gegangenen Sterte mieber ju geminnen. 2Ug güfyrer traten
■SiimmadM unb ?$rätertatu3 in 9tom r/erbor, jroei meit über ben ürei§ ifyrer 9foligion3=
gertoffen angefefyene unb au§ bem Bulgaren ©ötterglauben fyerauägemacfyfene 9Ränner. Sie
grage ber Söieberr/erfteHung be<§ 3lltar3 ber SStctoria tritt roieber in bie Dffentltcfyleit. 10
^n einem bon ©tymmacr;u<§ in glä'njenber -iRtjetorif berfafjten ©djrtftftüä — bie fog.
brüte Delation — mürben 384 bem $aifer bie 2öünfd^e %ux Kenntnis gebraut. 2)a<§
Äonfiftorium neigte angeficfytS ber allgemeinen boIitifcr)en Sage jur 5Rad)giebigfeit, boef)
ba<S rafcfye unb energifdie Eingreifen be§ SlmbrofiuS gab ben SluSfcfylag gegen bie Delation
(bau 9föl>ere Victor ©cr;ul|e I, ©. 227 ff.). 2lucr; ein ^roeiier SBerfucf; im ^ab^re 392, 15
bie sJteftitution beS 2lltar§ ber 3Sictoria ju erlangen, blieb erfolglos (©. 280; ^Raufcfyen
2. 361). $n bemfelben ^afyxe mürbe ber erft 20jäb,rige gürft in SSienne auf 33eran=
laffung be§ ©eneralS Strbogaft ermorbet; bie näheren Umftänbe feinet SobeS finb bun!el
(töauföen ©. 360 ff.). @r ftarb ungetauft (Slmbr. Ep. 53, 2 a. a. D. p. 1166). ©ie
2etdt)e mürbe in SRailanb betgefeist ; 2tmbrofiu§ bjelt bie 9tebe (de obitu Valentiniani 20
a. a. C. p. 1557).
2lmbrofiu§ b,at für ben Soten, auf ben er in ben legten $ar)ren einen macfyfenben
(Stnfluf? gemonnen t)atte, ba<§ ^>öct)fte Sob. ^n ber %f)at ift ber ©inbruef ber 5ßerfönlicr;=
feit ein fr/mbatfnfctjer , unb man mirb über bie Unfelbfiftänbigfeit unb Unficfyerb/eit be£
jungen dürften billig urteilen in ^üefficr/t barauf, bafj er all bierjäf)riger Änabe ba§ abenb= 25
Icmbifct/e Äaifertum erlangte unb fo bon bornr/erein fict) baran gewöhnte, bon anberen
— ^uftina, 2lmbrofiu§, £!r)eobofttt§ — fieb, führen ju laffen. SDocb, mar ib,m aueb, bon
latur eine gemiffe 2öeicr)l)eit unb infolge babon Unluft $u ernfter 2lrbeit eigen. $m
allgemeinen mar er nur bas> IJnftrument in ber §anb berer, unter beren (Sinflufj er ge=
rabe ftanb. ®ie Beurteilung buref; 3lmbrofiu§ ift ftarl rJ>etortfdt) unb überfcfymängltcf). 30
ßrft lurj bor feinem SEobe trat er in bie @6e. Sßictor ©diuUje.
Sßolentintonu§ III., meftrbmifd^er Äaifer 4 2 5 — 455. — §erfc6erg, ®efcfjttf)te
be§ röniifcr)en Sotferrcid|§, SSerlin 1880; ®. b. SBteterSljetnt, ©efd)td)te ber SSöüerroanberung,
2. 3Iuf(. 2. 58b, Seidig 1881; ©am. S)iH, Eoman society in the last Century of the Western
empire, Sonbon 1898. 35
Unter £onoriuä (f. b. 31. 33b VIII ©. 332) ging ba§ meftrömifdje 9teic^ unauf=
baltfam feinem Untergange entgegen, ©ermanen unb |junnen überfluteten bie ©renken,
in ben ^ßrobinjen erhoben fic§ Ufurbatoren. 3n liefert ©türmen tritt bie fluge unb ent=
fc^Ioffene SEocfyter be§ großen SEb,eobofiug, ©alla ^ßlacibia einflußreich b,erbor. ^onoriuö
bermäb,lte bie nact; ber ©rmorbung 2ltl)aulfg bermitmete ©c^mefter mit bem ©eneral unb 10
fbäteren SRitregenten ßonftantiu^, bem fie 419 ben ^Iabiu§ ^Iacibu3 S^alentinianug ge=
bar. tiefer erlangte 425 nacb, bem Xobe beg §onoriu§ huxd) bie ^ilfe Sb,eobofiu€' II.
bon Cftrom, ber einen ^rätenbenten berniclitete, bie abenblänbifcfee ^aiferlrone. 33i§ ^u
ibrem Slbleben 450 führte bie SRutter für ben Knaben anfangt ba§ bormunbfc^aftIicr;e,
bann traft ifjrer berfönlict;en Überlegenheit ba§ Regiment, ^n biefer 3«ü, nämlicf) bureb, «
©efe^ bom 6. ^,uni 445 erlangt £eo I. (f. b. 21. Sb XI ©. 370) bureb, 3Sermittelung be3
2letiuä für ben römifc^en ©tub/l bie berühmte 9tec^t§anerfennung , bie in bem ©aije
gibfeit: sed hoc illis omnibusque pro lege sit quiequid sanxit vel sanxerit
apostolicae sedis auetoritas (SRirbt, Quellen gur ©efcljic^te be^ ^abfttumg, 2. 2lufl.,
lübingen 1901, ©. 65). ©benfo mar bie Regierung burc^ ijilfc in ber Sefämbfung beö 00
^RamdjäiSmuß entgegenfommenb. dagegen mar ber ®ambf gegen ben ©ötterglauben faft
9<>nj jur 3iub,e gefommen, offenbar meil eine mirllic^e Nötigung baju nicb,t meb;r ba mar
(Victor ©cf)ul|e, ©efcf>icb,te be§ Unterganges beg griecb.=röm. ^etbentumg 1. Sb, %ena 1887,
S. 387 f.).
SDer baltlofe, in fcb,limme Safter geratene unb in berberblicfycr ©ünftlingömirtfcl^aft &
gefangene §errfct)er, mürbe 455 ermorbet. 3Rit ib,m erlofc^) unrü^mlid) bie abenblänbifer/e
Sinie beg l:b,eobofianifcbcn §aufeg. Victor Sd)ii«?e.
SSalentinuS, ©noftüer, unb feine ©cb,ule. — SJitteratiiv: s.'(. ^'eanber, ©enetifcfie
^ntmidelung ber nornefitnften gnoft. S\)ftemc, SBevlin 1H1D, <B. !)'J-222; xv "Bintter, kxh.
396 SnlentimtS, ©nofttfer
©efd). beä ©noftkiömuS, beutfct) 0. Sörner, .gieitbronn 1844 II, ©. 66—121; g. gt)r. Sßauv,
®. djriftl. ©nofis, Tübingen 1835, @. 124—170; berf., ©efd). ber dEjrtftl. firdje in ben brei
erften 3abrf).3, Sübingen 1863, ©. 196—204; berf., S3ortefungen über b. cbjiftl. ®ogmen=
gefcf). I, Tübingen 1865, ©. 190—197; §. Dritter, ©efd). b. <J36tlofoi#e V [= ©efd). b. djvtftl.
5 jßrjUof. IJ, Hamburg 1841, @. 191—283; SB. «Kotier, ©efd). b. ÄoSmologie in b. griecr,.
Äircfje, £alle 1860, ©. 407—442; ©. §einrici, S. lialentinianifdie ©noftS u. b. t}l. ©d)rift,
Serlm 1871; 91. £avnacf, Sogmengefd). I2, 200—226; berf., 9trt. Valentinus and the Valen-
tinians in Enc. Brit. XXIV, 37— 40; berf., ©efcfj. b. altct)r. Sitt. I, 174—184. II, 1, 291—296.
540 f.; berf., ©S391 1898, © 516—520; 3t 9t. Sipftuä Slrt. ©noftici§mu§ i. 9IE9B® I ©eh.
10 33. 71 (aud) feparat Seip*. 1860); berf., 9lrt Valentinus in DchrB IV, p. 1076—1099
(beutfdie Bearbeitung SprSEtj 1887, ©. 586—658; nad) tiefer ift citiert); 91. ,£>ilgenfelb,
3tu£b, 1880, @. 280-300; 1883, @. 355 ff.; 1890, ©. 1—63; berf., tefcergefd). b. Urd)rtften=
tum®, Setpj. 1884, ©. 283—316. 461—472; 0. SBarbenfjeroer, ©efd). b. altfird)!. Sitt. I
(1901), ©. 331—337; ££». gafjn, ©efd). b. ntl. tanon§ I, 718—763. II, 953 ff.; fr £orm,
15 Valentinianismens Historie og Laere, Sopenbjagen 1901; (S. be fral)e, Introduction ä l'etude
du Gnosticisme au II. et III. siecle (<ßari§ 1903), p. 81 ss.; (£. £. ©cfjmitt, ®. ©nofiS I
(Seipj. 1903). ®aju bie Unterfud)ungen üon f. ffejjler, lieber ©nofiä unb aItbabt)Ionifd)e
Religion (SSerfianbl. b. 5. internal. CrientaliftenfongreffeS II, 1 [Serl. 1882], ©. 288—305);
ß. ©djmibt, ©nofttfdje ©diriften in fopt. ©pradje (ZU VIII, 1. 2, Seipj. 1892) passim
20 (f. SRegifter) ; £. 9lnj, 3ur frrage nad] bem llrfprung b. @noftici§mu§ (£11 XV, 4. Seidig 1897).
3teid)e§ religionggefd)id)ttid)eS Material bietet 9t 3tei|enftein, ^oimanbreS, Seipj 1905;
ty. SBenblanb, S. beHenifttfd);römifd)e Sultur in irjren Begebungen ju ^ubent. u. Erjrtftent.
(§anbbud) j. 925: ^eraxiSg. ü. Siefcmann I, 2. Tübingen 1907) ©. 161 ff.
Sie 3tefte ber ©djriften SSalenttnS finb gefammelt uon ©. ©rabe, Spicilegium SS.
25 Patrum II (Oxon. 1699), p. 43 sqq. ^n ber 9Iu§gabe ber SBerfe b. 3frenfiu§ 0- 91- Stieren I
(Lips. 1853), p. 909 sqq. 9tm öottftänbigfren bei 9t- £ügenfe(b, Kejjergefd). b. Itrcfjriftent.
1884, ©.292 ff. Einen neuen Sitet, ber in einem frragment tion Element 911er-, de Providentia
erhalten ift, bat @. 9Jcercati r>eröffentlid)t (Rendiconti del E. Istituto Lombard. Ser. II, vol. 31
[1898], p. 1034 nad] Cod. Ambr. H 257 inf.).
30 Quellen: S3ef. bie SBerfe be§ EtemenS 2Iieranbrinu§, bem mir audi bie (Srrjaltung ber
midjtigften frvagmente nerbanfen; baneben 3irenäu§, &er öon £ertuHtan (adv. Valent.), |>ip=
poltjt (Philos. VI, 3 — 5. 21 — 55) unb Spiptjaning (haeres. XXXI sqq.) au§gefd)rieben luorben
ift. S)od) baben ^»ippolvjt unb (£piprjantu§ baneben aud) rtocfj felbftftiinbig ©djriften au§ ber
üatentinianifdien ©d)u(e benutst. DrigeneS rjat Valentin r)ciufig genannt (f. bie aUerbingS
35 nid)t uoHfränbige 3itfarnnienftetlung 5ej |jaVna<£ 9(ltd)r. Sitteraturgefd). I, 193), nod) häufiger
o^ne Namensnennung befämpft.
3)ie Sitteratur ju $tolemctu§, ^erafleon unb SOJarfu§ f. u. üor ben betr. 9tbfcb,nitten.
Snljait b. 9lrt.: 1. Seben. 2. ®ie fd)riftfteaerifd)e ^ätigfeit 93alentin«. 3. ®a§ ©t)ftem
93alenttn3. 4. ©efd)id)te ber rmlentiniatüfdjett ©djitle. 5. ©ecunbuS. 6. $toIemäu§. 7. §eratleon.
40 8. 9Jcartu§. 9. i?o!orbafu§. 10 Duetten unb SSebeutung be>3 natentinianifdjen ©i)ftem§.
1. Seben. Über bie ©cr/tcffale be§ bebeutenbften unter ben gno[ttfd)en Sehern finb
roir nur fefyr ungenügenb unterrichtet. 2lu§ einer alten Quelle, tt>or)l einer offiziellen 2tuf=
jeid)nung au§ ber romifd)en ©emeinbe, r)at ^renäu§ bie 9iotij mitgeteilt, bajs Valentin
unter bem 33ifd)of §t)ginuö nad) 3tom gelommen fei, bafj er unter $iuS feine ^aupt-
45 mirlfamfeit entfaltet' fya.b? unb bafe er bi§ ju Slnifet bort geblieben fei (OuakevTivog juev
ydg tjl'&ev elg ^Pco/ur/v em cYy(vov, rjxjuaoev de im Tliov xal jiage/ueivev k'cog
'Avixrjxov III, 4, 3; ber gried)ifd)e %?%t ift bei (Sufeb. h. e. IV, 11, 1 erhalten). ©a=
nad) fällt ber römifd)e 3lufentb,alt 35alentin§ in bie 3eit ca. 136—165. ©amit läfet fia)
allerbingg bieSlngabe be§ 2;ertuHian fd)roer bereinigen, tiefer berietet (adv. Valent. 4;
so t>gl. de praescr. 30), Valentin fyabt fid) §offnung auf ben römtfcr)en Siftt^ofSftul)! ge=
mad)t, eö fei ib,m aber ein 9Mrti)rer (b. b,. Ä'onfeffor) borge^ogen morben (speraverat
episcopatum Valentinus, quia et ingenio poterat et eloquio. sed alium ex
martyrii praerogativa loci potitum indignatus de ecclesia authenticae regulae
abrupit). 33on ben Vorgängern be§ 3lnifet ift nad) ber römifd)en Sifte nur SEelegfcr/oruS
55 Monfeffor geroefen (^ren. III, 3, 3), unter bem aber Valentin nod) nid)t in Dforn getoirft
^at. §arnac! fud)t biefen Söiberfbrud) baburcf) auszugleichen, ba^ er annimmt, S£ele^
pb,oru^ fei ein gleichzeitiger, alterbing§ älterer ^oKege be3 §t;ginui geroefen, beffen
Slegierunggjeit aber im ^ntereffe be§ monard)ifd)en @bl§fobate3 ju früt) angefe^t roorben
fei (6b,ronologie II, 1, 179). ^ertuüian r)at fid) in feiner ©treitfd)rift fonft faft nur auf
60 eine Steprobuftion ber Slngaben be§ ^renäuö befd)rän!t. Söo^er er bie fyiftorifc^e D'cad^ridjt
f)at, läf^t fid) nid)t mel)r auimad)en. ©tänbe fie bei einem ©d)riftfteller, ber in i)iftorifd)en
©ingen genau roäre, fo bürfte man ib;r bod) ©lauben fd)enlen. 9Jun geb,t aber ütertulTian
jeber l)iftorifd)e ©inn ah (f. %. tyapman, Rev. bened. 1902, 156ss. JThSt 1907,
597 ff.), fo bajj man aud) in biefem gallc baö äuf5erfte 93ci^trauen für berechtigt balten
ätaleiitmuS, ©nofttfer 397
barf unb mit ber 9}cöglidjfeit rennen mufj, bafj bie ganje Slngabe eine boshafte (Srfinbung
SCertuHianS ober eines ©eWäfjrSmanneS Don ifjm barftellt. 9Jiit ber 2lngabe beS ^renäuS
ftimmt im Wefentlicfyen auct) ßlemenS Sllej. (Strom. VII, 17, 106 f.) überein, beffen
SSorte allerbingS burcb, eine unfinnige ^ßaragrabr/enteilung in ben 2tuSgaben bon fflofy
unb ©inborf boHfommen unberftänblicb geworben finb. @r berteilt bie cfyriftlicfje 2ebje 5
auf brei Venoben: 1. bie gett ber Sßirffamfeit $efu bon ber Regierung beS SluguftuS bis
mitten in bie $eit beS Xtberiuö ; 2. bie ßeit ber 2lboftel, bie mit bem £obe beS ^auluS
unter ÜRero tfyr @nbe finbet; 3. bie 2Birffamfeit ber £>äretirer, bie unter §abrian t/erbor=
getreten finb unb bis ju 2lntoninuS $tuS getütrJt b)aben (fj /uev yäg xov xvgiov xaxä
tijv nugovoiav bibaaxaXia and Avyovoxov Kaioagog äg£a/uev>] jueoovvxwv xcöv io
Tißegiov xqovcov xeXeiovxaC fj de xcöv änoaxoXcov avxov fxe%gi ye xfjg TlavXov
Xeixovgyiag inl Nigcovog xeXeiovxaC xdxco de jieqI xovg 'Aögiavov xov ßaaiXeojg
ygovovg ol xdg algeoeig inivofjoavxeg yeyovaoi xal fleugt ye xfjg Avxcovivov xov
ngeoßvxegov diheivav fjXixlag xa&dneg 6 Baadeldrjg, xdv rXavxiav iniygdcptjxai
diödoxaXov, (hg avypvow avxol, xov Üexgov egjuqvea' — woavxcog de xal Ovaler- 15
tTvov Qevöä diaxtjxoevai cpegovoiv yvcögi/xog d'ovxog yeyövei UavXoV Magxicor
yäg xaxä xfjv avxrjv avxoig fjXixiav yevö/uevog d)g ngeoßvxegog vecoxegotg ovve-
yevexo' — /ueft' ov (b. fy. rXavxiav) 2ijucov in' öXlyov xi]gvooovxog xov üexgov infj-
xovoev). SIemenS bemerft, WaS ficfy mit ben Angaben bei ^renäuS becft, bafj bie großen
gnoftifctyen 2eb,rer, bon benen er 23afilibeS, Valentin unb -Jftarcion namhaft ma$t, in ber 20
$eit bon ca. 120—160 getbirft b/aben. Um aber für ib,re £eb,re ein fyöfyereS 2Uter ju ge=
toinnen, leiteten fie biefe bon 9Jtännern ab, bie mit ben 2tyofteln noct) eine 93erüb,rung
gehabt fyaben; fo 33afilibeS bon ©laufiaS, bem ©ragoman beS $etruS, Valentin bon
SfyeobaS, einem ©cfyüler beS ^auluS. 3)af$ bamit eine ©ucceffton fyergeftellt werben foHte,
ift h>at)rfct)einltc^ , wenn aucfy nic^t fieser. SDie ^eitgtenjen, bie SlemenS $kx für bie 2öirf= 25
famfeit ber großen ©eftenftifter angiebt, beftätigen bie S^atfacb, e, bo^ bie 2Ritte beS 2. ^afyx-
^unbertS bie geit if)rer SSirffamleit gemefen ift.
3Jiit biefen Slac^ric^ten ift erfc^öbft, renS mir an juberläfftgen 9Jotijen über bie £eben£=
Seit beS Valentin befi^en. 2BaS ^e'rtußian adv. Valent. 4 mitteilt, ift berbädjtig unb
toaS er de praescr. 30 über Valentin berietet, bon einem fo ferneren 3Serfeb,en gebrücft, 30
bafj aueb, biefer Jiotij feine befonbere ©laubtoürbigfeit beigemeffen werben barf. Gr fcb,reibt
^ier: (constat) in catholicam primo doctrinam credidisse apud ecclesiam Roma-
nensem sub episcopatu Eleutheri benedicti, donee ob inquietam semper curiosi-
tatem, qua fratres quoque vitiabat, semel et iterum eiectus novissime in
perpetuum diseidium relegatus venena doctrinae suae disseminavit. SOtan 35
t^ut bem cfyronologifcfyen S^eil ber 3Rac^rict)t ?,ubiel @t)re an, Wenn man mit §arnacf
(6b,ronol. II, 1, 178 f. 292) einen ÜberlieferungSfeljler annimmt unb ftatt Eleutheri:
Telesphori forrigiert. 3Ber mit ben ^aiferregierungen fo umgebt, Wie SfcertuHtan eS in
adv. Jud. 8 tfmt (f. S- ß^brnan, JThSt 1907, 598), bem barf man aueb, eine arge
ßonfufton unter ben römifeben 33ifcb,ofSnamen jutrauen (SibfiuS, DchrB IV, 1078a). 40
3luc$ toaS @bibb,aniuS über bie §er!unft unb Sßirffamfeit Valentins berietet, lä|t fia) in
feiner ßuberläjfigfeit nicf;t mel)r fontroßieren. 3?aterlanb unb SIbftammung War, Wie er
felbft fagt (h. 31, 2), ben meiften unbefannt. 2lu3 münblicb, er Überlieferung, bie er mob,l
in Slg^bten aus bem ÜJiunbe bortiger 3Salentinianer embfangen b,at, ftammt bie Äunbe,
bie @bibb,aniuS felbft mit aUem 3Sorbeb,alt miebergiebt, ba| Valentin in 2lg^ten, im 45
$b,rebonitifcb,en üüftenbejirf ju §aufe getoefen fei unb ba^ er in 2lleranbrien feine 2lu§--
bilbung embfangen fjabe {eyaoav avxov xiveg yeyevfjoftai ^geßoiv'miv xfjg Atyvnxov
nagaXi(bxr\v , ev 'AXe^avögeiq nenaidevo'&ai xi]v ^EXXrjvo)v naideiav). 2tn anberer
Stelle (h. 31, 7) fügt @bibb,aniuö noeb, bie ^Racbjicfyt ^inju, bafe Valentin, nacb,bem er in
Slgbbten gemirft §aht, nacb, 9tom gekommen fei, um bort feine Sebje ju brebigen. darauf 50
b,abe er fieb nacb, @r/bem begeben unb bort am ©lauben ©cbiffbrudb gelitten. ®a @bi=
bbaniuS felbft Syrier ift, mag er babon roobl in feiner §eimat bernommen b,aben. ©ie
Slngabe, bafj ber 2lbfaß bom ©lauben in 6t/bem ftattgefunben i^abc, lä^t fieb, niebt mit
ber bon ^ertuUian berichteten ^atfadie, bie inbireft aueb, bon ^renä"^ beftätigt wirb,
bereinigen, Wonacb, Valentin fcb,on in Stom bie ^irebe berlaffen fyabt. SibfiuS (Duellen ber 55
älteften ße|ergefcf/. 259 ff., bgl. ^brSb, 1887, 589 f.) unb nacb ib,m ^ilgenfelb (Äe^ergefcb,.
284 ff.) unb ßab.n (®efc^. b. ntl. .UanonS I, 455) fe£en ben 2lufentb,alt auf ß^bern bor
ben römifdjen unb nehmen als Duelle biefer Angabe baS ©r;ntagma §ibbol^)tS (f. bagegen
•öarnaef, 6b.ronoI. II, 1, 292 2lnm. 2). ®er Slufentb^alt Valentins auf 6r,bern mufe ba=
öer fraglicb, bleiben, Wenn er aueb, ntebt ofyne Weiteres als unwabjfd)einlicr; bejetebnet 60
398 »alenttnuS, ©nofttfer
Werben fann. ©agegen ift bie bon (SbibfyaniuS mitgeteilte Überlieferung Woljl bamit im
Sfted^t, Wenn fie Valentin als einen Signier bezeichnet, ©enn fein ©Aftern ift Wohl nur
auf bem 33oben beS ägt)btifcb=bellemftifcben ©tmfretiSmuS berftänblicf;.
211S brobefyaltig ergiebt fid^ bemnacb. folgenbeS: Valentin ftammte aus 2tgr/bten, Wo
5 er erlogen Würbe unb guerft lehrte, %n ben Sauren ca. 136—165 hielt er ficb. in 3tom
auf unb toirfte bort mit binreifjenber SSerebfamfeit für feine Sefyre. Unter bem SbtSfobat
beS Slnüet berliej? er bie ©tabt, bielleicbt um ftcb nach bem Dften p Wmben, Wo er einer
fbäteren Überlieferung zufolge auf 6r/bern eine SöirfungSftätte fanb. Über feine weiteren
©djicffale unb über bie 3eit feines iobeS ift nichts befannt.
io 2. ©ie fcbrif tftellerifcbe ^bätigfeit Valentins, ©oweit ftcb aus ben 2In=
gaben ber Seftreiter Valentins ernennen läjjt, ift er nur mit ©elegenfyeitSfdbriften berbor-
getreten. ©ie einige ©iftrift, bie ihrem äitel nach bogmatifcben $nl>aIteS geWefen fein
tonnte, trug bie 2tuff(hrift „bon ben brei Naturen" (Ovalevrtvos 6 aiQeoidQxtjg tiqcö-
rog ETievorjaev iv reo ßißXiop reo ejiiyeyQajujusvcp tieqI t&v xqicöv (pvoscov SlemenS
15 211er.. $ragm. de Providentia beröff entließt Don 9Jcercatt, Ren die. del R. Istituto
Lomb. ser. II, v. 31 p. 1034; baS Don §arnad, 2lltcbr. Sitteraturgefcb. I, 183 bem
4. ^a^bunbert jugeWiefene Fragment, baS Eulog. Alex, [bei ^SI)otiuS bibl. c. 230
p. 273] aufbewahrt bat, fönnte Wohl biefem Söerf entftammen. @in ©runb, bie Stieb, tig=
feit ber Überlieferung in bem bon SJcercati benutzten Cod. Ambros. H 257 inf. §u be=
20 zweifeln, liegt Vr»obl faum bor). 2SaS Wir fonft bon ©Triften Valentins fennen, ift oljme
2luSnabme braftifeben QnbalteS. @3 fwb ^3tebtgten, §t)tnnen unb Briefe. Fragmente
auS ben ^rebigten bat ßlemenS 211er.. aufbewahrt (Strom. IV, 13, 89 sq; VI, 6, 52).
SSon SBrieffragmenten finben ftcb, ebenfalls bei ßlemenS 211er.. (Strom. II, 8, 36; 11,20,
114; III, 7, 59) brei erhalten; nur bei einem wirb ber 2lbreffat (2tgatl>obuS) hinzugefügt.
25 ülöober bie in ben ^>bjlofobbumena (VI, 42) mitgeteilte SSifion ftammt, bie Valentin er=
Zäf/It bat, läfjt ficb. nicfyt mehr ausmachen. @S liegt nafye an eine ^3rebigt ju benten.
©afj Valentin auch, als ©icfyter tfyätig gewefen ift, berichtet ^ertuHian (de carne Christi
17 20; Origenes in Job 21, 11 f. bei ^ßitra, Analecta sacr. II, 368. Kurator,
gragm. Q. 81). (ginige geilen auS einem biefer Jahnen bat §tbbotfet (Philos. VI, 37
so p. 290, 80sq. ©.=©cbn.) gittert. ©afj Valentin auch, ein (Sbangeltum berfafjt fyahe, ift
irrtümIicf)crWeife auS ^ßfeutotertuUian, adv. haeres. 12 (bgl. %xm. III, 11, 9) gefolgert
Worben. (Sbenfo Wenig ift bie Vermutung ©rabeS fticbfyaltig (Spicil. II, 49), bafj %zx=
tußian (adv. Valent. 2) ein 2öerf mit bem Sitel Sophia citiere. 3Jian glaubte früher
fogar, baS 3Serf in ber fobtifeb. erhaltenen ©d)rift Pistis Sophia noeb; ju befi^en. ©benfo
35 Wenig ift man berechtigt, baS ©tücf mit ber Überfdjmft xo döy/ua Ovahvtivov, baS 2lbamentiuS
in bem Dialog, de reeta in deum fide IV, 2 (©. 136, 25 ff. b. b. ©anbe=33a!I).) mit=
teilt, mit Valentin in gitfcunmmfyans ^u {,ringen. D& bie bon (Sbibf)aniuS (h. 31,5sq.)
benutzte balentinianifa)e Urlunbe, nacb. ^arnact (Slltcbj. Sitteraturgefa). I, 178) „eine 2lrt
Sef>rbrief", bie ftcb „als folc^er ju ben Briefen 93alentinS fügt", bon ber £>anb 23alentinS
40 ftammt, ober, WaS Wal)rfcb.einlia}er ift, aus ben Greifen feiner 2lnl)änger, Wirb fia) nicht
meb,r feftfteßen laffen.
®iefer Überblicf über bie fa)riftfteHerifa)e ^atig!eit Valentins geigt, bafj irm bie braf=
tifeb^en 2lufgaben in 2lnfbrucb, nahmen unb bafj er nia)t ben @b,rgeig hatte, ©djriftfteller
ju fein, ©eine ^rebigten b,at er Wof)l nicht felbft herausgegeben, fonbern fie mögen bon
45 feinen ©cbülern aufgejeicb.net unb bann beröffentlicbt Worben fein. SDafj fie baS Sieb, t ber
Deffentlicbfeit nicht ju fcheuen brausten, beWeifen bie baar bürftigen Fragmente, bie Wir
leiber bon ilmen allein befugen, ©benfo Wirb eS auch, mit feinen Briefen fteben, bie fdjtoer-
licb. für bie Öffentlichkeit gef eh. rieben Waren, ©ie ^Pfalmen foKten ohne ft'mtfd bem gotteS=
bienftlichen SebürfniS bienen unb Werben baS auch get^an haben, ©onft hätte fie SEertuHian
50 fchwerlia) mit ben ^Sfalmen ©abibS in eine Sffeifye geftellt (de carne Chr. 20).
3. 2)aS ©Aftern Valentins, ©ie 3öeltanfcbauung eines Cannes ju entwickeln,
bon beffen eignen ilufeerungen Wir nur armfelige krümmer heften unb für beffen 3Jcei=
nungen Wir nur auf bie Berichte übelWollenber ©egner angeWiefen finb, bie fich noch, baju
nicht bemüht haben ober nicht in ber Sage Waren, überall jWifcb.en ben 2tnfa)auungen beS
55 gjceifterS unb feiner ©cbüler reinlich p Reiben, baS gehört ju ben unmöglichen ©ingert.
@S Wäre auch im 2lltertum nur ben berfönlicben ©cbülern möglich geWefen. ©enn wie
^renäuS berfichert (I, 11, 1), ftimmte bie Seh.re Valentins in bielen fünften nicht mit
ber feiner ©cbüler überein, fo ba| bon einem balentinifcben ©ogma gar feine Sfobe fein
fonnte unb bie aufjerfyalb ber ©chule fte^enben Serichterftatter häufig als balentinifcb an=
eo gefehen h.aben Werben, WaS ©onbergut beS ^tolemäuS, 5RarfuS ober §erafleon War. ©aS
StalentimtS, ©nofttfer 399
gilt bor allem für ben 23erid)t be<S $renäu§, beffen £)arftellung geigt, tote ratlos1 er im
©runbe ber Sßielfyeit abit>eid)enber Stnfic^ten unb Rainungen innerhalb ber balenttniamfd)en
©d)ule gegenüberftanb. Gs , gilt aber aud) für bie ^olemtf be§ GlemenS bon Sllejanbrien,
obgleich biefer autl)enttfd)e ätuftemngen be§ RtafterS felbft, wenn aud) nur aus" Reiter
£anb, jur Verfügung Ijatte. 5
®en Räbrboben für SMentinS £efyre bilbet ber fyelleniftifd)e ©tyntretiämug, ben un§
erft je£t bie gorfd)ung ju erfcbltefjen beginnt (bgl. bie ausgezeichnete ©fi^e Don Söenblanb
in SiefmannS £anbbud) j. RS I, 2, 161—179). SDie berfd)iebenften Religionen r)aben
in if)tn mit bb,tlofobl)ifd;er ©befulation unb tbeofobb,ifd)er Rtyftif einen 33unb geschloffen,
in bem toiffenfcb,aftlidj)e§ SDenfen unb ratlbe $f)antaftif um religiöfe Sefriebigung rangen. 10
Segriffe rourben barin ju ©öttern unb ©ötter ju Segriffen, in $ab,l unb 33ud)ftabe fbrad)
ficb, baS tieffte, religiöfe ©el)eimni3 aus1, ba§ geit unb ©efd)id)te übetf^ringenb bie Gtoig=
feit beS SEeltbroaeffeg umnannte, SaS „ganje SDrama ber ©eelengefd)id)te" (Söenblanb
6. 177) rourbe aufgerollt, aftrologifd)er gatali3mu§ unb ber ©ebanfe an ba3 finftere
Söalten beS ©dbjdfafe lieferten ben Ginjd)lag unb bie befreienbc Sfyatfacfye ber Grlöfung 15
bitbete ben gefugten unb gefunDenen ©cfylufe be§ SDramaS. 3Ba§ fyier in biefem roilben
gaubertanj roirbelte, mag bie ©cele beg £>enfer<§ unb ba3 §er& be3 fd^Iid^ten frommen
in feinem tiefften inneren erfcfyütterte, raar eine gewaltige, religiöfe IrifiS, an beren Söfung
mitzuarbeiten auch, Valentin bemüht raar.
©runblegenb für Valentin ift ber blatonifcf)e ^Dualismus», ber bie geiftige, göttliche, 20
bimmlifcfje ^beatioelt Don ber materiellen GrfcfyeinungStbelt trennt. 2113 ein ©ebilbe, ba§
teil fjat an jener rate an biefer ftefyt ber Rtenfd) mitten §toifct)eninne unb fo entfielt i>a$
Problem, raie ber geiftige Rienfd) bie Srücfe zu feiner b)öl)eren Heimat toieber finbe unb
ficb, bon ber materiellen Söelt, in bie er burcr) feinen Seib gebannt ift, rateber löfe. „©0--
biel ba3 23tlb bürftiger ift als1 ba§ lebenbige 2lntli|", fagt Valentin in einer $rebigt 25
(bei GlemenS 2llej:., Strom. IV, 13, 89), „fo biel bürftiger ift aud) bie 2SeIt als ber
lebenbige 2ton". SDiefer Ston ift ba<§ ibeale Urbilb, ber ^oSmoS ba§ unboßfommene 2lbbtlb.
©djöjjfer be§ Äo§mo§ ift ber 2)emiurg, ber nad) ber 3lngabe beS Giemen! (Strom. IV,
13, 90 p. 603 %), ber ©ott unb 33ater genannt unb als ba§ älbbilb be! magren ©otteS
unb als ^robbet bezeichnet rairb. 2113 „Rtaler", b. I). alö ben etoff geftaltenben ^ünftler 30
bezeichnete Valentin bie ©ob^ia; fo toenigften§ beutet Giemen^ bie S5orte ber ^rebigt:
„9Ba3 mar ber Inlafe für bie Slnfertigung be§ SBUbeä? SDie §errlicr;fett beö 2lntli|e§,
ba§ bem 2ftaler bie 3üg« tot, bamit fie burcb, feinen tarnen geehrt raürben. 2)enn bie
©eftalt tourbe nicpt aut^entifcb, erfunben, fonbern ber ^ame bectte bie SRängel ber 9la<fy'~
btlbung. ©0 btlft aucb, ba§ unftc^tbare SSBefen ©otte? mit jum ©lauben be§ ©efcb,öbfe§" 35
(r<'i ovv fj ahia rfjg elxövos ; jueyaXcoovvr/ xov tzqoocojzov naQeo%if]fievov reo t,(x>-
ygäcpo) zbv rimov, Iva rifxri&fj dl övojucnog avxov' ov yäg av&svTixöjg svQS&rj
f^OQ(prj, äXXä xo övofxa InhqQcaoHV xb voxeQfjoav h> TiXäasi. owegyei de xal xö
xov §eov äogaxov elg moxiv xov jisJikaojusvov). ®te Söorte finb toof)l nid^t obne
2lbfidb, t etroa§ bunlel gewählt unb ebenfo mag e§ bem groeef ber ^rebigt entfbroc^en 40
baben, it;nen einen !ira)licb,en Mang ju berlei^en. Ob fie bon GlemenS richtig gebeutet
finb, ift fra glitt). GS läge näb,er, ftatt ber ©obfyia ben ®emiurgen al§ „9Mer" an=
jufeb,en, ber bie $üge t,e§ maieftätifd)en ©otte§ nad)pbilben berfud)t fyahe, aber, raeil biefe
3Zacb,bilbung bod) nur unboßfommen tbar, burd) ben „tarnen", b. f). bie geiftige Dffen=
barung, bie üöcängel be§ 2öer!eä au^ufüHen fueb, te , fo mie bie SJlaler bem Porträt ben 45
tarnen be§ ©argeftellten beifügten, bamit ber 33efd)auer be§ 33ilbe§ beffen Mängel felbft
ausgleiten fönnte (bgl. §ilgenfelb, ^etjergefd). 300). 3JJan !ann aud) ben 9Serbad)t nid)t
abtoeifen, ba| Giemen^ fein Gitat einer balentinianifd)en ©d)rift berbanft, in ber bie ©ebanfen
Valentins toeitergebilbet raaren. ®ie Auslegung, bie Giemen^ bem Gitat giebt, ift biefe:
2)er 2Beltfcb,öbfer ift baS Slbbilb beg raab, ren ©otteS; bieg 3lbbilb ift ein 2öerf ber ©ob^ia, so
gefd^affen $ur @b,re beg Unfid)tbaren, benn ma§ au§ ber ©i)^ßie ftammt, finb bie jibjoco-
fiaxa, toa§ bon bem einen, bie Slbbilber. ®a aber bie au§ bem StRittelreitt) (nid)t au$ bem
nlfjQojjua) ftammenbe ©eele nid)t bie göttliche Realität (xö qjmvonisvov) barftellt, fam
ba3 Slbfolute (xö öiacpögov) unb bie§ ift ber 2lnb,aud) be§ abfoluten ©eifteS. Rad) ber
Seb.aubtung ber SSalentinianer (Myovqi; eg ift bemerfengfoert, ba| er ^ier ben Pural 55
braucht, obroobl er e§ bod) mit einer Slufeerung SSalentinö p $m ^aöen toiK; äfmlid)
toecb,feln in ben Exe. ex Theodoto bie Rumeri) ift bie Gr^äl)lung ber ©enefi§ bon ber
3ftenfd)enfd)öbfung, bie bon einem finnlid) mafjrnebmbaren 2lbbilb (aloih]T>) eixwv)
frric^t, ein brobbetifd)er ^inmeiö auf bie b,öl)ere, gnoftifd)e 2ßabrb«it. 5Der ©eblufj biefer
©tläuterurtg mad)t cö wafyrjcbeinlid), ba^ Giemen! au§ einem balenttnianifd)en Mom= go
400 $denttmt§, ©nofttfer
mentar ju ©en ],27 fct/öbft, in bem aucfy bie 2öorte au§ ber ?ßrebtgt 33alentin3 citiert
Waren.
SDie ©ebanfen, bie S3alentm in bem *)3rebigtfragment au3fbrict)t, feinen btel Weniger
fornbli^iert, al§ bie ©rläuterung, bie ifynen in feinet ©d)ule gegeben Wirb. @r be^anbelt
5 ben ©egenfa| Don ©ott unb 2Mt. SDiefe ift ebenfo unboßfommen im äkrljä'ltnis ju
jenem, wie ein Porträt unbotlfommen ift im aSer^ältni§ ju feinem Original. ®ann ent=
ftefyt aber bie grage: 2Barum Würbe übertäubt eine fo unboHfommene SBelt gef Raffen?
Valentin bleibt im 33ilb: ein Porträt Wirb nur bon einem bebeutenben 2lntlt| gefc^affen;
ber ÜMer fe£t ben Flamen be§ ©argefteltten jum Porträt, unb fo b,at biefer felbft @b,re
10 burcr) bie ©arftellung, aucfy Wenn fie ba§ Original nur unbollfommen Wiebergiebt. $$n=
lief; ift e§ mit ber 9Beltfd)öbfung. ©ie ift aucfy ein 33ilb be§ mietbaren ©otteS, aber
unbotlfommen Wie jebe3 S3ilb. ©ennod; bient fie bagu, ben unfid^tbaren ©ott ju efyren,
beffen ^JJame it;r beigefügt ift. $nbem bie Timern bie mit ©otteä 5Rame gefcf;mücfte
©cfyöbfung anfcf)auen, bient il)nen biefe baju, baft fie jum ©lauben an ©ott gelangen.
15 SSon ber ©d;b>fung be§ 9Jcenfct;en t;anbelt ein äkucfyftüct' auS Valentins Briefen
((Element 211er.. II, 8, 36): „Unb Wie jene ©djöbfung (nämlicr; bie be§ 9Jcenfcf)en) ben
@ngeln gurct;t einflößte, afe er @rt;abenere3 rebete ak ein ©efcf)b>f erwarten liefe, weil er
(ber ©cfyöbfer) unfict;tbar in ifm ben ©amen be3 beeren 2öefen§ legte unb bieg aucb,
offen erklärte, fo finb aucb, unter ben ©efcbjecfytem ber SRenfcfyen in ber 2Mt bie 9Jcenfct;en=
20 Werfe benen furchtbar , bie fie fcfyaffen, Wie ©tatuen unb Silber unb alles , wag bie
9Jtenfc^en auf ben tarnen ©otteS »erfertigen. £)enn Slbam, ber auf ben tarnen be§
3Jienfc^en b,in gef Raffen mar, rief bie gurcfyt bor bem bräerjftenten 9Kenfcf;en t;erbor, als
ob biefer in u;m latent märe, unb fie (b. f). bie ©ngel) entfetten fta; unb entftetlten baS
22erf." £)ie Meinung 33alenttn3 ift aucb, bjer beutlid;. SDie ©ötterbilber finb für bie
25 9Jcenfcf;en ein ©egenftanb fcfyeuer gurcfyt, tro|bem fie ein ©ebilbe ber 9Jtenfdjenf)anb finb.
5Denn in ilmen benft man ficb, bie ©ottt;eit wolmen unb biefe SorfteHung fdjafft in ben
Sftenfcfyen bie gurcb.t. ©benfo t;aben fid) bie (Sngel bor bem erfcb/affenen 50ienfcb,en ge=
fürchtet, Weil in i§m ein ©ame ber ^öfteren 5Ratur {xfjg ävco&ev ovo(ag) lag, ben ifym
ber ©cf;öbfer gegeben blatte unb beffen 33orb,anbenfein er aucb, offen erftä'rt fyatte. Söie bie
30 iöcenfdjen fid^ bor ben ©btterftatuen fcfjeuen, fo bie Sngel bor bem 9Jtenfcb,en, in bem fie
ben ipräerjftenten „SRenfc^en" (d jiqoojv ^'Av&gcojiog) b. b,. ©ott felbft ioo^nen benfen.
Um biefer gurd^t lebig ju Werben, berberben fie ba§ Söerf beg ©cb,öbfer§, inbem fie e3
jur ©ünbe berleiten. Sie bjer benu|ten 3SorfteHungen bewegen fid) burc^auS auf bem
33oben, au£ bem auc^ bie mancherlei jübifcfyen 2lbam§fagen entfbroffen finb (Souffet, 9M.
35b. ^ubent."- ©. 404 ff. 557 ff.).
Sluc^ b^ier fcb^eint ßlemeng nicfyt auö Valentin felbft gefcljbbft ju ^aben, fonbern au§
einer balentinianifa)en 2lu§legung bon ©br. 1, 7, Wo aU ©rläuterung ju cpoßog xvgiov bie
©teile au3 bem 33rief Jßalentinö mitgeteilt War. ®iefe 3lu§legung geigt mit ber an ba3
oben befbrocbjene ^rebigtfragnient angefc^loffenen fobiel berWanbte 3üge, bafe e§ feinem
40 ßweifel unterliegen fann, fie fei berfelben ©c^rift entnommen. ^m 3olt9enDm (*• c- § 38)
ift bon bem @ntfe|en bie 3tebe, baö ben 2lrc|)onten erfaßte, ein didxovog, bon bem im
gragment feine &ebe ift, Wirb all üßrtnger ber 2;aufe unb ^rebiger eingeführt — gebaut
ift toofyl an ^o^annei b. %. (bgf. ^Jreufc^en, jWei gnoft. §bmnen 3. 53 f.) — , unb ber
2lrcfyon gewinnt aul ber gurd^t ben 3lnfang ber Sßei^eit, bie ifyn jur ©Reibung jWifcljen
45 ben SluSerWätjlten unb ben 3i5eltlicljen fü^rt. Sßon alle bem läfet fiel; in bem Fragment
felbft nichts entbed'en. @l jetjetnt bab^er auet; an biefer ©teile eine Sßeiterbilbung bei ur»
fbrünglicb,en ©bfteml in einer balentinianifcr)en ©d^rift borjuliegen.
•JJttt biefer Sluffaffung bon ber §errlid)feit be§ ^rotoblaften ftimmt ein $rebigt=
fragment überein, beffen (Spaltung Wir ebenfalls (SlemenS berbanfen (Strom. IV, 13, 89):
50 „SBon Infang an feib ifjr unfterblicl) unb feib l?inber be§ ewigen 2eben§ unb Wolltet ben
%oi auf eucl; nehmen, bamit il>r ib,n berbraudjt unb bernicljtet unb ber SEob in eucl; unb
buret; eucl; fterbe. ©enn Wenn if)r bie 2öelt auflbft ofyne bafe it»r felbft aufgelöft Werbet,
fo fyerrfcfyt ib,r über bie ©cfybbfung unb über aße 33ergänglidj>feit." 3lucl) an biefer ©teile
ift ber ©ebrauet; biblifc^er 3öenbungen bemerkenswert, ©afe aucl; bie Klangfarbe ber in
55 3legbbten gefunbenen Sogia äljmlicr) ift, mag nebenbei bemerft fein. SBon Slnfang an finb
bie SSJcenfdjen Äinber beö ewigen £eben§; Wenn fie ben %ob als i^ren 3lnteil auf fid)
nehmen, fo t)aben fie ib;n babura) aufgebraust, fo bafe er in iljmen erftorben ift, alfo feine
SUcactjt meb^r über fie §at. ©er 2lu§brucf rdv xoa/xov Xveiv bebeutet bie älbfe^r bon
allem ©innlidjen, feine ©rtötung; bamit Wirb ber 9Jcenfcb. §err über bie bergänglicfye 2öelt
60 (bgl. ba3 Sogion: eäv jurj vrjorEVorjrs zbv xoojuov ov /ur] evqyjte xr\v ßaodeiav xov
$alcntiituS, ©noftilcr 401
tizov). SBenn aud) r)ier ßlemeng §ur (Erläuterung fjufügt, bafs Valentin ä&nltc^ tüte
SafiltbeS annehme, bafj ber SDlenfd^ Don SRatur jum §eil beftimmt fei, bajj aber ber £ob,
ein SBerf beg äöelt^ö^fer», ftd) baureiferen eingebrängt I)abe unb bafj erft biefe bon ben
unfern berfdjtebene Strt (rovto to öidupogov yevog, nämlid) 6r)riftug) l/abt bon oben
r/erablommen muffen, um ben %oi ju bernidjten, fo roiberfbricljt bag j. 3). bireft ben 0
üffiorten 33alenting, ftimmt bagegen mit ben Se^ren ber ©d)ule überein.
Über ben Urfbrung ber ©ünbe unb beg 33öfen im SRenfctjen belehrt bag umfang=
reichte bon aßen 23ruct)fiüden, bag aug einem ^Briefe ftammt unb folgenb ermaßen lautet
(Glemeng 2Iler., Strom. II, 20, 114): ,,@iner ift gut, beffen Mitteilung bie Offenbarung
burd) ben ©otm ift, unb allein burd) ir)n bermag bag §erj rein ju roerben, roenn jcber 10
böfe ©eift aug bem §erjm aufgetrieben roirb. ©enn biel böfe ©eifier roofmen in ir)m
unb laffen eg nid)t rein roerben, jeber bon ifynen tl;ut feine 2Serle, inbem fie alle biel=
faltig burd) unjiemlidje 33cgierben plagen. Unb bag §erj fo)eint etroag älmlidjeg ju er=
fahren roie bie ^arabanferat. ©enn biefe roirb angebohrt unb angegraben unb oft mit
$ot bcfd)mu§t, roenn Seute olme 2lnftanb barin logieren unb auf ben Ort lein 2td)t I)aben, 15
roeil er ifmen nid)t gehört. ©0 gel/t eg aud) mit bem§erjen; fo lange eg feine gürforge
erfährt, ift eg unrein, bieler ©ämonen 33efyaufung. 2ßenn eg aber ber einige gute Steter
in Cbfntt nimmt, fo ift eg geheiligt unb erftral)lt bon 2id)t unb fo wirb ber feiig gebriefen,
ber ein fold)eg §erj befiel, roeil er ©Ott flauen wirb." SSalentin bergleidjt bag §er§ mit
einer Verberge, "bie bon unanftänbigen ©äften befd)mu$t unb bemoliert roirb. töeil bie 20
©äfte an bem fremben Eigentum lein ^ntereffe fyahm, bohren fie 2öcf)er in bie SBänbe,
lieben bie @rbe aug unb laffen aßen Unrat barin liegen. ©ieg jebem antuen Sleifenben
geläufige Silb, für bag aud] bleute nod) ber Orient $tluftrationen bietet, foll bie X^ättg=
feit ber ©ämonen, ber ©rreger ber 2eibenfd)aften, im §er$en erläutern, ©ie finb barin
eingebrungen, t)aben fiel) bort eingeniftet unb berberben nun ifyre Seljaufung, big ber „gute 25
SSater" fief; biefer annimmt, bie ©ämonen auftreibt unb bag §erj nun rein unb heilig
bon 2\d)t erftrafylt. Söer ein fo bon ben böfen Dämonen unb ben bon ir/nen r)erbor=
gerufenen SBegierben gereinigte^ §erj r/at, ift feiig, weil er ©Ott flauen wirb. Sie 25e=
nutwng bon Söorten %tfu (9Jit 19, 17 12, 45 f. 5, 8) ift ebenfo bemerfengroert, roie bie
©infacfyr; eit beg ©ebantengangeg (bgl. baju @. ©a)toar|, §erme§ XXXVIII, 96 f.). J5lemen§ 30
bat gegen bie 2lnfcr)auung polemiftert, mag tyn jeboa) ntc^t ^inbert, an anberer '-stelle bie
Slßegorie §u übernehmen (f. ©d)toar^ a. a. D. 95 ; bie fbätere gönn biefeo ©ebanf eng bei
ben SSalentinianern f. bei §ippoI^t, Philos. VI, 34).
$on Sefug l>anbelt ein gragment, ba§ au$ einem 23rief an einen geioiffen 3lgatt)opug
ftammt, beffen %vct aber berborben ift, fo bafj er fic§ nic£)t mit ©ic^er^eit erklären lä^t 35
(Siemens aller,., Strom. III, 6, 59; SSerbefferungsborfcfyläge teilt ©tät/lm im äfybarat
mit). ®er berberbte ©ingang bes 33rua)ftüc!es entbält bie SBer/auptung , ba^ ^efug ent=
Ijaltfam gelebt fyabz unb — roie eg fa)eint — , bafj er baburc^ feine Sergottung ertoirlt
ijaht. ,,@r a^ unb trän!, or)ne bie ©Reifen roieber befonberg bon fid^ ju geben. ©0 grofj
roar bei ib,m bie $raft ber ©ntl)altfamfeit, ba| bie ^aljrung in i|>m nxdjt berbarb, ba eg 40
in if>m !ein 5?erberben gab." 2eiber lä&t \id) n\d)t mef>r er!ennen, st>ie fiel) Valentin bie
SSergottung badete unb roie er fic^ bie Seiblidjleit Qefu oorftellte. Slber roelaje Sebeutung
er ber eyxQäjeia beimaß, roirb l;ieraug beutlicf). ®er ©ebanfe erinnert an ben in bem
gnoftifcr)en §r;mnu§ „bon ber ©eele", roonacr; bie irbifa)e ©peife ben pneumatifcfyeit
SSJlenfa)en berbirbt (^reufd^en, gwei gnoft. §r)mncn 54f. ^ertußian, de anima 23). 10
§ier roirb burd^ bie Uraft ber ©ntfyaltfamfeit bie berberblict;e Söirfung ber ©peife auf=
gehoben: eg ift beutlid), roie bei Valentin cdlz$ ftnritualiftert ift.
3öid)tig für bie ^Beurteilung oon Salenting ©emeinbebegriff ift ein HeineS ©tüd aug
einer §omilie jieqI cpäcov, beffen %e& freilief) ebenfalls nid)t intaft ift (Slemeng 2llej.,
Strom. VI, 6, 52): „3Sieleg bon bem, toag in ben allgemein gugänglidjen ©Triften ge= 50
fa)rieben ift, finbet fid§ in ber ©emeinbe ©otteg gefd;rieben. ®enn bag ©emetnfame, bag
finb bie Söortc aug bem §erjen, bag ©efe^, bag im gerben gefo)ricbcn ift. ®ieg ift bag
Soll beg ©eliebten, bag geliebt roirb unb ilm liebt." ®er 3ufammenl;ang bleibt im
einzelnen bunfel; aber ba^ bon einer geiftigen ©emeinfd)aft, nia)t bon einer äufjerlictjen
Drganifation bie ^iebe ift, ergiebt fiel; mit genügenber 3Deutltcr)fett ©er kabg xov >)ya- 55
mjjuevov roirb mit ben grjjuaza änb xaQÖiag, bem vo/uog yganrög sv xagdia (9lö 2, 15)
in ben engften ^"fflwmen^ang gefegt.
3U8 Oueße feiner £eb^re ^at Valentin (nad) ^^ol^t, Philos. VI, 42) eine 33ifion
bejeid;net. C£r fab, ein neugeborenes Htnb, bag fid) auf feine grage alg Sogog gu erfennen
gab. ©er bon i^m borgebract;te „tragifd^e 3Jl^t^uS" fei bie Quelle feiner Sebje. 2Sifio= go
SReal^ncgriopäMe für I^eoloflte «n*> «irefte. 3. «. xx. o(;
402 $alentütu§, ©nofttfcr
nären dfyarafter trägt aucb, baS 23rud)ftüd cineS ^|a!mS, baS ebenfalls bon §ibbolt;t
(Philos. VI, 37) aufbewahrt toorben ift.
(SS ift eine unlösbare Stufgabe, aus biefen 33rud;ftüd"en eine jufammenfyängenbe SDar=
ftellung i)on SSalentinS Sefyre ju geben. @S roar ein befonbereS ©ct/idfal, baß gerabe
5 biefe Sleußerungen nicf/t ebenfo, tote bie SJJaffe feiner ©Triften bem Untergänge Verfallen
finb, orme baß bamit betotefen toerben tonnte, gerabe fie feien für Valentin in fyerbor=
ragenbem 9)iaße djarafterifiifcf). gubem toirb bie 3tnalr/fe babura) crfcr/toert, baß ficb, bie
@r,egefe ber balentiniantfd/en ©dmle bereits biefer Äußerungen bemächtigt unb fie in $u-
fammenljiänge tymeingefteßt fyat, bie itmen urfprünglicb, fremb toaren. 3e^e Statfteßuna, ber
10 2ef>re üBalentinS fjat aber bon einer ftrengen, burdj) ntct/ts beeinflußten 2lnalr/fe ber nod)
erhaltenen Söorte auskugelten. $n ifynen nur ein unbcIlfommeneS Zeugnis btx ©ebanfen
beS SefyrerS ju fer)en (£>emrici, Talent. ©nofiS '2. 65 f.), ift ein burct) nid)tS gerechtfertigtes
2JJißtrauen. @S erflärt ficb, nur aus ber 2§atfadje, baß man biel ju toenig Stüdfidjt auf
bie ©nttoidelung ber ©r/fieme genommen hat, bie gerabe bei ber Sebje Valentins eine
15 befonberS intenfibe getoefen fein muß.
Über allem Sein thront ber „lebenbige 2lon" (d £wv alcbv) ober tt>ie er an anberer
©teile genannt toirb, ber „bräerjftente Sftenfcb/' (d jiqoojv 'Av&qoojios), ber „einjige gute
33ater" (d /uovog äya-ßög TiaxfjQ). £eibmfcr;e unb c^riftlic^e Segcidntungen laufen baraßel.
©ein unbolKommeneS Slbbilb ift bie SGelt. SfBer fie gefdjaffen r)at, fagt Valentin nidjt,
20 Vielleicht ber SDemiurg, Vielleicht bie ^öt)ere ©otofyia. ®ie ©cfyöbfung mar mangelhaft, fo
baß ber fcfyaffenbe ^ünftler ben tarnen beS lebenbtgen 2lon beifügen mußte, um eS ^u
ermöglichen, baß man biefen aus bem ©efcfyaffenen erfenne. SDenn bie §errlidj)feit biefeS
$on ift fo groß, baß fie feine üftacfybilbung »erträgt, obtool)l fie $ur 5Rad)bilbung retgt.
©emeint ift aber nidjt bie materielle 2Selt; fie rann nid)t bie $üge beS lebenbtgen 2ton
25 tragen, ba fie ja tot ift. @S ift bie il'elt ber ©eifter, an ber aud) ber -JJienfcfy burct;
feine ©eele Anteil r)at. 2Bie Valentin bie @ntftei)ung ber materiellen ÜBelt erklärte, läßt
ficb, au§ ben SBrucbJiüden feiner ©ct)riften rttdEjt meljr nad;toeifen. %n ben SRenfdjen legte
ber ©djöbfer, orme baß bie (Sngeltoefen ettoaS babon metften, ben ©amen ber beeren
üftatur (<j7i£Q[xa zfjg ävco'&ev ovoiag), fo baß er burd} feine Sieben ©ntfe^en unter ben
30 (Engeln Verbreitete, ba fie meinten, ber „bräerjftente SJienfd)" b. b. ©Ott fei felbft in iftm
borl^anben. ©ie entfteüten bal)er baS 5ffier!, inbem bie Segierben als ©ämonen in i^n
einbrangen unb bie Seltaufung befd;mu|tcn. 33on 2lnfang an für baS Seben beftimmt unb
beS eroigen SebenS teilhaftig ift biefer ©ame ber beeren dlatux unberle^lid;. ^n ^er
Überroinbung ber £eibenfd}aften roirb aucb, ber ^ob in ben 'äTtenfcfyen überrounben; fie
35 löfen bie 2öelt, olme in tf)r aufzugellen unb trium!pb,ieren baburd) über bie 33ergänglid)leit.
2)ie 3toHe, bie $efuS in biefem ©rlöfungSbrojeß gefbielt b,at, fcb^eint baburcb, gegeben
ju fein, baß ib,m eine öoHfommene ©ntfyaltfamfcit gugefdjrieben roirb. ®ie toft ber @nt=
|altfam!eit ging fo roeit, baß fogar bie ©beifen unberbaut burd) ib,n b,inburdigingen. ^n
ber Slbroenbung bom ©innlid;en unb ben Slambf gegen bie Seibenfdiaften liegt bab,er ber
40 35>eg, ber jur ©rlöfung füb^rt. ©inb bie böfen ©eifter, bie Seibenfcb,aften, aus bem §erjen
ausgetrieben, fo l)errfd}t in ir;m ber 2>ater, ber allein gut ift, unb an bem 9Jccnfd)ert erfüllt
ficb, bie 2Serb,etßung, baß er ©ott flauen toirb.
5Die Quellen biefer SEbeologie finb bie blatonifc^e ^r/ilofob^ie, 3Borte ^efu unb
baulinifd)e ©ä|e. ©aß SSatenttn ficb^ in feinen fdjriftlicfyen Äußerungen jurüd^altenber
45 gezeigt fyahc, ift eine unftattr;afte Slnnafjme. @r fteb^t in ber ^b,at ben fird}lid)en Üreifen
unb ib,ren Slnfdjauungen nod; unenblid) biel näf)er, unb er b,at in bem frmfretifüfcfyen ©e=
menge ben feften Soben noct; toeniger unter ben güßen berloren als ein ietl feiner
©ct)üler.
4. ©efd^idite ber balentinianifcb,en ©cb,ule. @S roirb toob,l faum ein ju=
so treffenbeS 23ilb ber Seb,re Valentins felbft fein, baS S^enäuS (I, 11, 1) entwirft; toenigftenS
ftimmt baS, toaS mir fner als balentinianifa^eS ©Aftern erhalten, in toiditigen fünften
nid;t mit ben autb,entifd)en Äußerungen Valentins. Waty ib,m toäre baS ©r/ftem eine
Stonengenealogie geroefen, roie fie uns bon ben Slntignoftifern jum Überbruß aufgetijd;t
toerben. Sin ber ©bi|e foE banacb, eine unnennbare gmeir/eit fielen, beren eines ©lieb
55 ber "AQQ-qrog, baS anbere bie Siyrj_ ift. 25iefe 3^eib,eit emaniert eine ^toeite 3toeib,eit, ben
IlaTrjQ unb bie 'Akrj&sta. 2luS biefer 33ierf)eit geb,t abermals ein bo^belteS Segripbaar
t;erbor: Aoyog unb Zcor'j einerfeitS, unb "Av&Qoaicog unb 'ExxXrjoia anbcrerfeitS. ©iefe
bier SegriffSbaare bilben bie erfte 2ld)tl)eit. Aoyog unb Zojrj emanieren geb,n Iräfte
(övvd^eig), "Av&gamog unb ' 'ExxXrjoia jtoölf. ®aß biefe SR^fti! auf eine ©bielerei
60 mit ber ^ab,l breißig, ber ^ab,l ber SEage im ägtybtifdjen SJionat, hinausläuft, ift olme
ÜMenttttuS, ®itofttfer 403
weiteres bcutltd^ (bgl. baju sJ{et£enftein, s}3oimanbre3 271 ff.). (Sine bon ben jtoölf legten
Emanationen fiel ab, unb bon ifyr ging ba§ weitere ©cfyöbfunggtoerfi auS. ©ie trennte
bura) ©renken ben BbJI)o3, b. i). ben oberften Söeltgrunb, bon betn Peroma; in biefem
waren bie erzeugten Üonen, in jenem ber ungebeugte SSater. ®ie ^Weite ©renje trennt bie
„ÜJhitter" bon bcm ^leroma. ßfyriftul ift feine ©manation bon ben innerhalb beS 5
$leroma befinblicfyen Slonen, fonbern bie „Butter" fyat tyn au§ ber Berbmbung mit einem
©Ratten, ber beeren Söelt (b. fy. be§ Bleroma) fic| erinnernb, geboren. £>a er männlich
\oax, Warf er ben ©Ratten bon fidb, unb lehrte in ba§ ^leroma jurüct. ©ie SDtutter, bie
ber geiftigen $otenj beraubt War, blieb mit bem ©chatten allein aurüd unb braute nun
ben üDemiurgen berbor, ber aucb, jiavxoxgdxcoQ genannt Wirb. 9Jtit biefem jufammen 10
Würbe ber „linfe Strcfyon" (ägiozegog "Aq%cov) emaniert. 3eM ßift halb a^ ©manatton
beS OeXr^xog, balb als eine folcfye be£ GfjriftuS, balb als eine ber ©folgte "Av&qwtco;-
'ExxArjola. £>en ^eiligen ©eift betrauten fie als eine Emanation ber 'AXij&sia (fo
bat ber Sateiner; ©btbf). lieft xfjg 'ExxXrjoiag) ; fein ^Wecr" fei bie Prüfung unb Befruc§=
tung ber 2tonen, in bie er unficfytbar eingebe. ®al)er brauten bie $onen bie grüßte ber 15
2ßal>rt)ett. ^renäug b,at biefer ©ftjje be§ balentinianifd^en ©bftemS bie SBorte zugefügt:
haec quidem ille; fie fehlen gtoar bei ©bibljantuS, finb aber fcfytoerlidj), wie ©tieren
5. b. St. meint, eine guthat beS Überfe§er3. ©ennod) wirb man ein JRecfyt l)aben %a
bejttteifeln, bafD bie ©arftellung, auö Welcher Quelle fie aucb, ftammen möge, ein Bilb
ber 2lnfd>auungen BalentinS gewährt. $aft nichts erinnert an bie 2el)re, wie fie fid; auS 20
einer 2lnalt)fe ber Fragmente BalentinS ergiebt. ©er Scfylufj Wirb baf)er nidjt ab^uWeifen
fein, bafi man eine ©cfyulleftre mit ber BalentinS felbft identifiziert f)at.
üttit ber ©arfteHung beS JJrenäuS ftimmt in Wefentlicfyen fünften baS ©Aftern etneS in
bem mbjüfcfyen Jargon gefcfyrtebenen Briefes überein, ben ©bibfianiuS feinem Banarion ein=
berleibt bat (h. 31, 5 f.). 2öol)er er if)n bat, fagt er ebenfo Wenig, Wie er etwas über ben 25
Berfaffer bemerkt, ©r berietet nur, bafi man bie ©cfyrift in ben Greifen ber ©efte lefe
(jrgög 'dnog xal xuxä Xs^iv xr\v Jiagd&eoiv xfjg xax'avxäv dvayvcboscog, Xsyco dfj
xijg avxcbv ßißXov, evxavfta txoüjoo/ucu); offenbar I)at ©bibfyaniuS angenommen, baft
fie eine geWiffe Slutorität befi^e. 3ln Valentin al§ SSerfaffer ju benlen, berbietet ber©til;
aber beffen einfacherem ©Aftern unb feine Terminologie flimmern nocb, beutltcb, f)inburc^. 30
2lm Anfang biefe§ ©^)ftem§ fteb,t ber AvxonäxoiQ tim"AxQenxog, ber.aÖeS in fid^ um=
fafjt, ben einige ben nie alternben, ftetg jugenblicb, en , mannmeiblic^en 2lon nennen, ber
ftets alle§ umfaßt, o^ne umfaßt ju Serben, ©ein ©elbftbemufstfein {fj iv avxcp kvvoia)
tooEte bie Ziyrj (bon anbern "Ewoia, Xdgig genannt), ^n ber Bereinigung mit bem
Urbater fteßt bie Ziyv\ ben „25ater ber SBa^r^eit" b,erau§, bon ben 3Sotlfommenen 'Av- 35
&Qcojiog genannt, bag ©egenbilb be§ bräejiftenten Ayhvyxog. 2lu§ ber SSerbinbung bon
Siyrj unb "Av&Qcoixog gel)t bie 'Ahföeia ^erbor. Qu ber erften, ber bräejiftenten S8ier=
beit (Bv&og, Ziyr], IlaxriQ, 'AXrj'&eid), tritt au§ ber SSerbinbung ber erften ©tojfygie ent=
ftammenb bie ^roeite SSierb^eit: 'Av&Qcojiog, 'ExxXrjoia, Aoyog, Zcorj. 2luS ber SSer=
iunbung bon "Av&gajjiog unb 'ExxXtjoia entfbringen jmölf Gräfte, bon benen fecf)§ 40
männlich, fec^S tceiblicb, finb; ferner ftfyn Äräfte auö ber SSerbinbung bon Aoyog unb
Zoiiq, bie tnieberum gur §älfte männlid), jur §älfte meiblio) finb. ©0 entftet)t bie erfte
2)rei^igjabl. £)er ^ßro^efe tüieberb.olt ficb bann nocb, einmal; e§ entfte^t eine jtoeite 2lo)t=
b^eit, bie fid§ mit ben 2id;tlräften berbinbet unb fo eine jtoeite ©rei^igjab,!, berborbringt.
Sie »eitere ©nttoicfelung fe^lt, namentlich wirb nicfyt beutlicf), toie biefe 2lonenroelt mit 45
ber ©rlöfung ber Seele in 33ejief)ung gefegt roorben ift. @§ ift nur ba§ Borfbiel be§
2)rama§ gef Gilbert; ber tragifc|e 50i^tl)u§ felbft ift berloren.
£afj biefe 3tuögeftaltung beö ©t)ftem§ alt ift, betoeift S"n«u^- ®enn bie 2t&:
toeid)ungen be§ Sriefeö bon feiner SDarfteHung finb fo geringfügig, bafj fie au|er Setrac^t
bleiben lönnen. ®iefe Seb^re auf Valentin felbft jurü(fjufüb,ren, fe^lt jeber 2lnlaj$. ®a fid; baä 50
©tojtem auf bie ftaty breiig aufbaut, mirb man in %a\fttm feinen Urfbrung ju fud;en
liaben, too fid? offenbar fe^r früf) felbftftänbige Honbentüel äufammenfanöen.
2lbmeid)enb ift bie SDarfteüung ber 2el>re, tüte fie §ibboli;t (Philos. VI, 29 sqq.) auf
©runb einer eigentümlichen Quelle gegeben f)at. Bon Sienäug finD nur einSeIne 33e=
merfungen übernommen. 2luf bie ftarlen ©ifferenjen unter ben einzelnen Sehern ber B5
Schule b,at §ibbol^t mieberl>oIt bjngetoiefen. 3ln bie ©bi^e fteEt £ibbolfyt bie /uovdg,
aua) naxrjQ genannt; fie ift ungebeugt, unbergänglicb, unfaßbar, unbegreifbar, le|te UrfadEje
aUeö ©eienben; baju gefcbtecfytäloS obne Berbinbung mit einer weiblichen Äraft. 2)iefe
fiovdg mar urjbrünglid) allein in felbftgenügfamer ^)iul>e. ®a fie aber bie (Stnfamleit
nia)t liebte unb bie ^eugungöfraft in it>r borbanbcn bar, fo rourbe fie burdb, bie Siebe ge= 60
26*
404 »nlentimtS, ©nofltfer
jungen, ein Dbjeft für biefe $u fcfyaffen. ©o emanterteber 33ater bmNovg unb bie AXrj§Eia;
biefe Ijtoeifyeit tourbe Herrin, Anfang unb 9Jcutter ber2lonen im TikrjQWjua. ©iefe erftegtoetbeit
emanierte Aöyog unb Za>rj, btefe toieberum'^r^coTros- \xnVExxXrjoia. Novgvxfo Alri&eia
bringen barauf gutn^anl für bte jeugung§Iräfttgen (Emanationen bte boHfommene gafyl,
5 bie ßebn, in jefm Slonen bar. ©ies> afymt toieber bte gtoeite ©r/aS nad) unb emaniert
gttjölf rr 2tonen, bte bem Novg 'Akrj'&eia bargebracfyt toerben, fo bajj nun im gangen
28 Slonen borfyanben finb — bie ftafyl ber Sage be<§ SRonbmonatS. ©ie gafyl 28 toeift
auf orientalifcfyen Urfprung biefer ©eftalt be§ ©r/ftem3 tun. ©er jtoölfte unb jüngfte ber
gtoetten 2tonenretfye ift toeiblicb. ; e3 ift bie Socpia. ©te ftieg ju bem Urbater embor unb
10 ernannte, baf$ er allein ungebeugt ift unb bafj er ungegart ba§ erfte Slonenbaar emaniert
fyabe. 3#n fuc&te fte nacb^uafymen unb braute eine ©manation I)erbor : e§ toar bie geftalt=
lofe unb ungeformte 2Raterie. ©ureb, biefe ©manation entftanb im $Ieroma eine 23er=
totrrung; man befürchtete, ba| aueb. baS bon ben 2tonen ©ejeugte in ät)nltd^cr Sßeife ge=
ftaltloö unb unboWommen toerben möge unb bie ©obb/ta felbft begann boll @ntfe|en über
15 biefe ge^Igeburt ju jammern. 2luf Sitten ber $onen fanbte ber llrbater btefe jur Unter=
ftütjung. Novg unb 'AXrj&eia emanieren 6B,riftu§ unb ben f/eiligen ©eift. 2lucb. I)ier
toirb ber orientalifdje Urfbrung beutltd); benn eine ©%t)gie entfielt nur bann, wenn man
bie femttifdjen Slquibalente Nrpd/:-Np-"p smi einfetjt. ©ureb, biefe neue ©t)^gie toirb
bie gefylgeburt ber ©obbia bon ben 2tonen getrennt unb bamit bie Urfacfye ber SSertoirrung
20 befettigt. 2tucb, ber llrbater emaniert noeb, einen Slon, ben Sxavoog, ber bte ©renje ber
Slonen begegnet, bafyer aueb. "Ogog ober Mejoxevg genannt. Slufeerfyalb biefeS "Ogog ift
bie Sldjitfyeit,., bie aufjerljalb be§ Peroma befinbltcfye ©obfyia, bie Sl>riftu§ ju einem boU=
fommenen Ston geftaltete.
©ie breiig Stonen befebjoffen nun eine gemeinfame grudjt be3 ^ßleroma gu emanieren
25 unb biefe bem llrbater Darzubringen, ©o tourbe 3e!u^ emaniert. Sie untere ©obfyia
fud^te angftboK ttjre (Erzeuger, 6l)riftu3 unb ben ^eiligen ©eift. ©ie $onen fanben mtt=
leibig ^u§, ber mit ber unteren ©obfyia eine ©b^tygie einging unb fie bon ben Seiben
r)etfte, bie fie in ifyrer ©efynfucfyt nacb. 6E;rtfiu§ auSfianb. ©a3 gelang ifym; er befreite
bie ©oblua bon ben Seiben, inbem er biefe ju §r/boftafen machte. 3Son ber gurebt, bon ber
30 ovaia %pv%ixiq ftammte ber ©emiurg, au$ ber Trauer bie 3Jiaterie, airö ber $Ratlofig!eit
bie ©ämonen, au§ ber §ilflbebürftigfeit bie Sujje unb ber 2tuffcf)toung ber ©eele. ©iefe
gebort p ber 9JtittelfbI) äre : fie fteb, t unter ber öydodg unb über ber 3Jtaterie. 9Btrb fie
ber öydodg äljmlicf;, fo fteigt fie embor unb geb, t in bie öydodg, ba3 r/tmmlifc^e ^erufalem,
ein; toirb fie aber ber 9Jcaterie älmltd), fo geb,t fie ju ©runbe. $on bem ©emiurgen
35 ftammen bie ©eelen, benen er au3 ber bämonif(|en SRaterie Seiber gab, toie er aueb, , o|ne
ju toiffen, ba^ bie Äraft baju bon ber unteren ©ob^ia ftamme, bie 2öelt fc^uf. ^>robb,eten
unb ©efe| finb bon bem ©emiurgen ausgegangen. Sllle ^f^djtfer tragen eine §ülle auf
bem §er^en, bie ifynen bie ^ö^ere ©eiftertoelt berbirgt. 2U3 biefe §üüe roeggenommen
toerben foHte, tourbe %t\u§ (b. §. ber ^iftorifc^e) bon ber Jungfrau SOiaria geboren, inbem
40 bie untere ©obbja in biefe einging unb ber ®emiurg fie überfcfyattcte. @r feilte bie Seiben
ber ©eele, toie 6brtftu§ bie Seiben ber unteren ©obf)ia geseilt r/atte.
9Jtit biefer ©arfteHung beeft fid) im toefentlic^en aueb ber 3lufrifj beg balentintanifcb,en
©t)ftem§, ben ©lernend Slle£. in ben Exe. exTheodoto § 29—42 au% einer ©cfyrift ber
Salentinianer mitgeteilt t>at. $n manchen ©injelbeiten toeicb,t bie ©li^e freilieb, ab, allein
45 ber £r/bu3 ift berfelbe (bgl. bie eingel)enbe ©arftellung bei Sibfiu§, %px%t) 1887, 629ff.).
2öie §tbbol^t (Philos. IV, 35; bgl. Sertull., adv. Valent. 11) berietet, verfiel bie
©dmle fbäter in einen orientalifdjen unb einen italienifdjen 3toe'8- 8U biefem rechnet §ibbolt)t
ben poIemäu§ unb §eralleon, ju jenem 2lEionilu§ unb 33arbefane§ [f. b. Slrt. 33b II
©. 400 ff.], ©er ah enblärtbtfcr)e Btoeig blatte fidj bor allem in Stalten unb ©übgattien
soberbreitet unb jtoar in folgern 5Ra|ef ba^ Srenäuä fein grofjeS fe|erbeftreitenbe§ 2ßer!
urfbrüngltcb, allein gegen bie balentimanifc|e ©d;ule gu rieten befc|lo| (I, praef. 2).
©er orientaliftfje ^toeig blatte fein Sßefen in 2lgt)bten, too noeb, ©bibfyaniu§ feine 2lnb,änger
in einigen S3e^ir!en fanb, unb in ©^rien. ßu biefem 3toeig gehört aurf; -IftartuS, über
ben ^renäuä befonberg ausführliche Mitteilungen gemalt l)at. Über bie toicfytigften ©cb^üler
55 Valentins, ©ecunbuS, $tolemäu§, §eralleon, üolorbafu§, Wlaxluä f. u. ©ie noeb, be=
fannten tarnen bon äln^ängern SSalentinS finb nad) §arnacl, 2lltcbr. Sitteraturgefc^. I,
174: ©ecunbuö, ^tolemäuä (bie glora), £eraf(eon (tolorbafuS ?), ^b«oti>n«^ ällejanber,
SUJarfuS, 2lrjonilu3, Sb^eobotuS, porinuS, SucuS, SarbefaneS, 2lmbrofiu§, 6anbibu§, ©ro=
feriuS, 33alen§. ©afe bie ©e!te bi§ in bie 2. §älfte beS 4.„3ab,rbunbertg hinein beftanb,
60 tourbe feb, on botfyer bemerlt ; boeb, fcb. eint fie bamal§ auf 3lg^bten befc^ränft getoefen ju
9SttIcnitmt§, ©noftifer 405
fein. 2lnbertoärt§ hxrben il)re 9icfte bon bem ÜDcanicfyäigmug aufgefogen morben fein. Über
ib/r @rlöfd>en finb Vütr mcr;t unterrichtet. %üx Sl)eoboret (haeret. fab. praef.) ift bie
balentinianifcrje ©nofisi eine abgetane ©acfye, bie bereite ber ©efducfyte angehört.
5. ©ccunbuS. Über if;n befiijen mir an felbfifiänbigen ^adjridjten nur ma3
^renäuS (I, 11, 2) mitgeteilt fyat. $bilaftrtu§ (div. haer. lib. 40) fdjreibt il)m eine 5
bofetifd;e (Sbjiftologie ju, bie in feiner Duelle, bem ©fyntagma §ibbolr;tg, ben 3}alenttni=
anern beigelegt mar (bgl. SLertuö., adv haeres. 11 sq.). 2Ba3 SÜuguftin (de haeres. 12)
unb *]ßräbeftinatu§ (c. 12), ber ifyn aufreibt, berieten, ift mertloiS, ebenfo be§ letzteren
Semcrftmg, ©iobor bon Greta fyahe bie 2lnb,änger be§ ©ecunbu3 miberlegt. 9cad) Qre=
näuS teilte ©ecunbuS bie erfte 'Öydoäg in ^mei Setraben, beren eine männlid;, bie anbere 10
toeiblicb, mar; jene mar ba§ Sidjtt, biefe bie ginfterniö. ®ie abgefallene Slraft liefe er nid;t
eine ber breifeig klonen fein, fonbern regnete fie gu ib/ren grüdjten. @<§ ift nicfyt ganj
beutlicb;, mie biefe Söorte $u berfiebcn finb (xrjv de anooxäoäv xs xal voxegrjaaoav
övva/uv fxrj slvai anb xcov X' Alcbvcov aXXä [äno xcov xagncov avxcöv]). 9Jcan
mufe mobj bie bon ,§ibbolt)t aufgewogene ©cfjrift ju £ilfe nehmen , um ben ©inn richtig 15
ju erfaffen. 2)ann märe bie abgefallene, $raft bie obere ©obI)ia , bie I) ier nicb, t in bie
Steige ber bem 5>leroma angefyörenben 2lonen gefteEt mar. ©0 erflärt fidj bie fbätere
Aorm beö ©tyftemg, bie eine obere unb eine niebere JEocpta lennt.
6. $tolemäu§. 23on iljm ift einer ber foftbarffen 9tefte ber gnoftifcrjen Sttterotur
erhalten, ber SSrtef an bie 5'lora (©ptpfian., h. 33, 5sqq.); er ift oerfd)iebentlid) abgebructt, x,
5. 23. bei SU. §ilgenfelb, QvoZt) 1881, 215—230. 9Jeue Stecenfion auf ö'runb neuer Kollationen
bei 5(. §arnacf, ®S32l 1902, 536 ff. 3)erfelbe Jjat ben Sejt mit Jritifdtjein Kommentar aud) in
SiejjmannS tleineren Seiten 9h\ 9 ueröjrentticfjt (Sonn 1904). lieber $toIemciu§ ogf. nocf)
9t. (Stieren, De Ptolemaei Valentimani ad Floram epist. I, 1843 [null ben SSrief in jmei,
Don oerfd)iebenen SBerfaffern ^errüfjrenbe Sßerfe teilen unb feine Sluthenticität beftreiten ; bie 25
Arbeit ift gänjltd) uerfetjlt]. ®. §einrici, ®. oalent. ©nofi§ 1871, 75 ff.; ?I. £ilgenfetb, Ke|er=
flefditdjte 346 ff.; Dt. 91. Sipftu§, DchrB IV, 515 ff.; tieftet, @efct). b. 9l£ in b. dniftt. Kirctie
1869, £. 66 ff. Quellen: Slufeer bem 33rief an glora Sren. I, 1—8. :yrenäu§ bilbet aud)
bie GueHe für £)ippoIt)t unb ©t>tp£)aniu3; tt)ot)er le|terer ben S5rief an glora erhalten tjat,
läfst fid) nid)t augmadjen. 30
Über bie ^erfon unb bie £eben§jeit be<§ 5ptoIemäu§ finb iüir nur äufeerft mangelhaft
unterrichtet. @g läfet ficr) nur fobiel fagen, bafe er noct) am Seben gemefen ju fein fcb.eint,
afö 3renaug fei" ä^ 9eS^n bie ©noftifer fcljrieb (c. 180). (Sr fagt in bem SSormort
(^ 2): xal xa&cbs dvva/uig fj/Mv xr\v re yvdj/urjv avxcöv rolv vvv Tiagadidaoxövxwv,
tiyto r.)]v xdjv nsol IlxoXsjuaiov, anävdiGfia ovaav rfjg OvaXevxlvov o%oXfjg, ovv- 35
xouo)g xal oacpojg äjiayyEXovjusv xal äcpoQjuäg dcooojusv xaxa xr\v fjfxöiv /uexgiö-
xr\xa ngög xö avaxgimiv avxrjv xxX. ®afe biefe ^rrle^re ju feiner ßeit »erbreitet
tourbe, fagt er bamit beutlicb,; nic^t aber ift fid)er, mennfc^on mafjrfc^einli^, bafe $tole=
mäu§ bamit felbft noc^ ju ben Sebenben geregnet morben fein mufe. ?cacb, §i^olt)t
(Philos. VI, 35) mar ^tolemcmJ einer ber gür/rer ber abenblänbifcb^en SSalentinianer. 40
Tod) erf ab, ren mir nicb,t, mo er gelebt unb mann er gemirft r/ai. ©elbft[tänbige Äunbe
^at aud) §tyfmlr/t nid>t über ib,n befeffen; mal er über ifm berichtet (Philos. VI, 38),
ift au! £jrenäu§ entnommen.
35on ©Triften ift aufeer bem 33rief an glora nur ein SBru^ftüc! au§ einer ej:egetifcr)en
Schrift erhalten (^ren. I, 8, 5). ®a Qrenäu§, ber e§ erhalten t)at, »erfid^ert (praef. 2 45
ivxvxcov xölg vjio/uvy'jjuaoi x(3v, cbg avxol Xeyovoiv, OvaXevxlvov ixad-rjxaZv), er fyabe
3lufjeicl)nungen con ©cpülern 33alentin§ benu^t, fo mirb man barunter ein ejegetifcbe!
2Berf be§ $tolemäu§ ju berftefeen f?aben, ba§ u. a. eine 2lu§legung beg ioltanneifc^en
$ro!oge§ enthielt. SBon biefen SBrucbftücfen b,at bie S)arftetlung ber 2;^eologie beä s^toIe=
mäu§ augäugeb^en; ber 33ericbt be§ $renäu§ ift baneben felunbär, ba nicf/t meb^r feft= 50
juftetten ift, miebiet au& münblicb,en ^ac^ricb.ten flammt, bie ^renäuS jugeftanbenermafeen
ebenfalls benu^t I)at (praef. 2 ivioig de avxcöv ovjußaXow xal xaxaXaßo/ievog xr\v
yt'o')/.u]v avxcöv).
Ter Srief an glora, eine fonft unbekannte (S^riftin, ift »eranlafet bureb, eine grage
nad) bem Urfbrung be§ altteftamentlic^en ©efe£e§. 3Ract; ber 2lnficb,t ber tircbjicrjen Seb^rer 55
ift eö bon ©ott bem SSater gegeben; bie anberen beraubten, e§ flamme bom Teufel.
Reine ber beiben 2lnficbien ift berechtigt, fonbern ein £eil be§ ©efe^eö geb,t auf ©ott, ein
-teil auf 3Jcofe§ unb ein Seil auf bie 2llteften be3 jübifeb^en SSolfeö jurücf, mie fid; au3
ben Porten beg §eilanb§ nod) erfd;Iiefeen läfet. 2tud> ber bon ©ott ftammenbe leil beö
©efe|e§ verfällt in brei Seile: 1. bie reine, mit bem SBöfen nid)t berquidte ©efe^gebung es
(>/ xa&agä vouoihma, f] üov/unXoxog x<o xax<f> C. 3, 1). £>iefc fyat ber §eilanb er=
406 »alenttimS, ©nofttfer
füllt, mtyt aufgelbft (2Rt 5, 17); 2. ba3 mit bem Söfen berquidte ©efe£, ba§ bom |>eilanb
aufgehoben Würbe, ba e§ mit feiner üftaiur unbereinbar mar; 3. bie britte ©rubbe ift
tr/bifcb unb ftmibolifcb, al§ Slbbilb ber beeren, pneumatifdjen SBelt ben 9Jlenfd)en gegeben.
©iefe ©rubbe ift bon bem §eilanb, Don bem Sinnlichen auf ba§ ©eifrige surücfgefüfyrt
5 Worben. Sie reine ©efe^gebung Wirb rebräfentiert burcb, ben ©efalog, ber geigt, ma<o man
gu faffert unb ju tb,un bat. ©a tb,m ba§ 33oHfommene (xo xeXeiov) fet)lt, mufjte er bon
bem §eilanb erfüllt Werben, ©ie jWeite ©rubbe umfaßt ©ebote Wie bie bem jus talionis
entnommenen; folcfye finb bon bem £>etlanb aufgehoben Worben. $u ben tr/bifdjen finb
biejenigen über ben ©abbatb), bie 23efdmeibung, baS 5af*en» bk gefie u. ä. gu rennen.
10 %i)xe wörtliche, finnenfällige Erfüllung ift aufgehoben unb fie muffen geiftig berftanben
Werben aU Eixövsg xal avfxßoXa xcöv TivEVftaxixcbv xal dia<p£Qovxu)v. Sin bie ©teile
ber blutigen Dbfer treten biejenigen diä tcvev/uo.tixcöv aivcov xal dofcöv xal ev%a-
oiaxiag xal did xv\g elg xovg nXrjoiov xoivwviag xal simoilag, cä§ geiftlicfye Sobobfer
unb 33arm^erjigfeit am 9cacbjten.
15 %n Dem Stoetten, ruberen 2lbfdmitt be§ SBriefeg (c. 5) erörtert $toIemäu§ bie $rage,
Wer ber ©ott fei, ber ba§ ©efetj gegeben t)at. 33on bem t/öcbjten, boßfommenert ©ott,
bem xüeiog -&sög, lann e§ nid)t ftammen, ba e§ unbolllommene, bom §eilanb befeitigte
©tüde enthält; ebenfo Wenig bom Teufel, gfofglid^ mufj ber ©efeijgeber bon beiben ber=
fcbjeberi fein. @3 ift ber ©emiurg, ber SSeltfdjöbfer, ber bon jenen beiben Wefenljaft ber=
20 fd^tebert ift. @r ftefyt mitten giütfd^en beiben; er ift Weber gut, rote jener, nod) böfe Wie
ber SCeufel, unb Wirb bafyer baffenb al§ geregt bejeic^net. @r ift niebriger al§ ber boK=
fommene ©ott, unb beffen ©erecfytigfeit ift botifommener al§ bie feine; benn er ift er=
jeugt. 2lnbererfett<§ ift er b;blj>er al<§ ber Teufel, beffen SBefen SergänglicfyJeit, ©untel ift,
ba er materiell unb bielgeftaltig ift. ©a§ 2ßefen be<§ ungebeugten 2lUbater§, bes> naxr\Q
25 xcöv oloiv, bagegen ift UnbergänglicbjEeit, abfo!ute§ £id)t. ©ein SBefen r)at jwet ^ßoten§en
fyerborgebracfyt — reelle, fönnen Wir leiber ntcr)t mefyr erfennen, ba gerabe fyier eine £üde
im %tp, ift, bie fieb. au§ bem golgenben nid£>t mer)r mit ©idjert/eit auffüllen läfjt. ©ie
$rage, roie bon bem einen Urbrinjib, ba§ ein einziges ift unb bon un§ al§ eine§ belannt
unb geglaubt roirb, ba§ ungebeugt unb unbergänglid) unb gut ift, aueb, bie Naturen ^erbor=
30 gegangen finb, ba§ bergänglit|e (b. b,. ber Teufel) unb ba§ mittlere (b. I). ber ®emturg),
bie boer) jenem boKfommenen ^rinji^p unä^nlid) finb, ba biefeg bod) nur irmt ät)rtlid)eö
unb roefenlgleic^e^ f>erborbringen unb jeugen !ann — btefe grage beanttcortet ^3tolemäu§
niiJjt, fonbern berfcbjebt bie 33eleb,rung barüber auf eine fbätere $e\t.
©er 33rtef ift au3gejeidmet burc^ bie ruhige, flare 33etoei3füb,rung, beren gunbament
35 religiöl=füiüdje SfRa^ftäbe finb. ®^ giebt au§ ber alten ^irebe nur wenig SDotumente, bie
fid; hierin bem SSrief an bie ©eite fteHen taffen. SSir finben nichts bon ben abftrufen
2leonenreib,en, bie man naef) bem SBertd^t ber ^ärefiologen erwarten lönnte unb bie an=
jubringen ber jroeite %t\l be§ 93rtefeS reid;lic^ ©elegenl)eit geboten Ijätte. ©agegen ift
eine einfache Geologie mitgeteilt, bie ftd^> mit berjenigen be£ 33alentinu§ na^e berührt.
40 ©er letzte Söeltgrunb ift ba§ „eine, ungebeugte, unbergänglicb,e, gute ^rinjib", baö feinem
SBefen nad; ä<p&aQOia unb <po5g avxoov, änXovv xal juovoeideg ift, ber &eög xsXeiog,
ber allein gute ©ott, ben ber §eilanb alä feinen 33ater bejeit^net b,at (eVa xal fiovov
eivai aya&ov deov xbv tavxov JiaxEqa 6 aaixtjQ äjiecprjvaxo c. 5). @r ift 3Sater
{naxrjQ, naxrjQ xiöv olo)v, o 7iaxi]Q i£ ov xä ndvxa, idiwg xiöv Tiävxaiv fjQxrj-
46 uevojv ari avxov), SSater beö ©ol)ne§. 35on ibm finb gtoei ^cten^en ^erborgebrad)t, ber
©emturg unb ber Teufel. Slud; ber ©emiurg ift ©ott; aber ibm eignen geringere $räbi=
täte. @r ift nict/t gut, nid;t boßfommen, nid;t ungebeugt, fonbern gerecht, ba§ S3öfe
b,affenb (dixaiog xal juioojiövtjQog c. 1, 6). Slber biefe ©ered;tig!eit ift nid;t abfolut;
e§ ift bie burcb i^n felbft normierte ©bfyäre (fj xax' avxov öixaioovvtj c. 5, 4). 3Rieb=
so riger al§ ber S3ater ift er fyör)er alg ber Teufel, bie SJZitte ift fein S^etdc), er ift felbft f\
fXEooxrjg (c. 5, 4). ©od; ift er ba§ 2lbbilb be§ boEfommenen ©otte§. @r b,at bie 2öelt
gefdjaffen unb Waltet mit feiner SSorforge in il>r. @r l^at aueb, ba§ ©efe|, fotoeit eö niebt
9Jienfd)enWer! ift, gegeben. ©ab,er bebarf baö ©efe| ber SSolIenbung unb Erfüllung, bie
ib^m burcb ^m §eilanb ju teil geworben ift.
55 SCucr) ber Teufel ift „©Ott" Slber er barf mit bem ©emiurgen nicb,t ibentifijiert
Werben. (Sr ift ber SÖtberfadjer, ber ba§ 5]erberben febafft (d ävxixsi/uEvog cp§oQonoibg
diäßoXog c. 1, 2). ©eine ©binäre ift bie Ungerechtigkeit ; er ift fcblec^t, fein 2öefen 3Ser=
berben unb ginfterniS, materieE unb bielgeftaltig.
©a§ Problem, Wie ber boltfommene, gute, unbergänglicr)e ©Ott, ber fcböbferifd» ber=
60 anlagt nur ©Iei<l)artige§ fdjaffen fann, bennod) biefe fo bolllommen ungleichartigen
aSnlenttmtS, ©ttoftifcr 407
ü&efen gefdjaffen babcn lönne, löfi $tolemäue> in bem SBriefc nicbt. (5r beutet an, bafj
er eine Söfung renne, berfdjiebt aber bie ©rörterung biefer Söfung auf eine fbätere gett.
(So liegt nab,e, bier an bie Äonenretben gu benfen, bureb, bie [tc| eine „©ebotenjierung
be§ fiöc^ften ©ottc§ bofrjogen" £>at (£arna<f, ©9321 1902, S. 525). Aber eS i[t au$
müglicf), bafc bie Söfung auf anberem Söege gefugt morben ift. dagegen ift bie ©ote= 5
riologie be§ poIemäuS au§ bem SSrtefe böHig beutlidj. ®ie ©rlöfung ift in bem §eilanb
gegeben. @r allein fennt ben Ällbater (d ßövog eidcbg rov rcov öXcov jiareoa c. 1, 8),
baber ift ber boHfommene ©Ott in ftoejififcb.em ©inne fein 23ater. ©eine Aufgabe mar,
unS ben SSater funb ju tbun. $nbem er un§ bie ©otte^erfenntnis »ermittelte, I;at er
un3 allein in ben ©tanb gefegt, bie SRätfel ber 2SeIt ju begreifen (diä rcov rov ocorfjgog 10
fjii(!)v Xoyiov juovov eonv äjiraiorcog im rrjv xardXtjipiv rcöv ovrcov ödtjyeiodai
c. 1, 9). & ift belieb, nenb für ben ©ang ber ©ntmicfelung be<3 cfyriftlicben £>ogma§, bafe
bie cfyriftologifcbe gormel Sjuoovoiog reo naxQi, bie in 3^icäa jum ©ieg gefommen ift,
bem ©nofitfer $tolemäu§ ifyren Urfbrung berbanft (§arnacf a. a. D. ©. 526 f.).
®ic Autoritäten, auf bie $ßtolemäu§ feine JMttf" am %% grünbet, finb bie Äuäfagen 15
^efu unb ber Äboftel. @r fennt eine aboftoüfdje SErabition, bie bureb, ©ucceffton ber ©e=
meinbe jugelommen ift (änooroXixrj naoddomg, r)v ex diado%fjs xal fj/ueig naoei-
bjcpa/uEv c. 5, 10). Sftan Jann an bie Berufung Salenting" auf ben ^ßaululfcfyüler
SfyeobaS benfen, bon bem er feine Sebje ableitete (f. 0. ©. 397, 21). 3)ie £errenmorte
finb bon $toIemäu§ jiemlicb. toörtlidb, citiert unb jmar nacb, 2ftt mit geringfügigen Ab= 20
iDetdjmngen (f. §amacf a. a. D. ©. 529 f.). ®a<§ Qo^annegebangeltum ift ebenfaEtö be=
nuijt, aber ob,ne befonbere ©infübjung; ein ©tat au§ 1, 3 wirb mit Xeyei 6 änooroXog
eingeführt.
©er btolemäifcfyen ©$ullebre b,at $renäus einen längeren Abfc^nitt gehribmet (1, 1—8).
6r b,at bafür tmo/biv^juara befeffen , ob bon ^3toIemäu3 felbft ober bon einem feiner 25
©cfyüler, gefyt au§ feinen Söorten nicfyt b,erbor. ^Differenzen in ben einzelnen Auäfagen
bat er betborgefyoben unb wenn er bebaubtet (I, 4, 3), bafj einzelne £eb,rer ifyr ©Aftern
nicbt öffentlich bortrugen, fonbern ficö, für bie (Sinmeifmng in bie SDttyfterien ©elb geben
liefen, fo geigt bie§, ba^ fie ib,re 3Sortefungen niebt anber§ befyanbelten al§ bie, ^eibnifetjen
^bilofobb^en if)rer 'jfyM. Qn ber oberen 2ßelt, bem ^3Ieroma, ^errfcb.en 30 Äonen. Sin 30
ibrer ©bi^e fteb,t al§ Urgrunb atteg ©eienben ber Uranfang (TlQoaQyr\, ügondrcog,
Bv&og). $n ib,m ift immanent bie "Ewoia, aueb, Xägig unb 2iyrj genannt, ©en
©ebanfen, einen Anfang be§ 3111 ^erbortreten ju taffen, legt ber Bv&og toie einen ©amen
in bie 2iyij, bie barauf ben Novg (Movoyevrjg, UarrjQ, aueb, 'Aq^tj tcov ndvzcov ge=
nannt) gebiert. (Sr aHein bermag ben SSater §u erfaffen. 3Jiit i^m pgleicb, tourbe bie 35
'Abjfteia emaniert. SDiefe bier: Bv§6g-2iyiq, Novg-AXrj&eia bilbeten bie erfte 3Sier=
beit, bie 2öurjel be§ 2MI. 9Son bem Movoyevijg mürbe Aöyog unb Zcor\ aU Slnfang
beg ^lerorna emaniert unb bon biefen "Av&Qcojrog unb 'ExxXrjoia. ©0 entfielt bie erfte
'Oyöoäg, bie jugleicb, al§ 93iert)eit aufgefaßt toirb, ba fiefy, bie einzelnen 33egriff^baare aU
manntoeiblicb; jufammenfc^lie^en „laffen. Qefyn toeitere Äonen ober fünf ©b^gien ge^en 40
au3 Aoyog-Zcoi] b,erbor, jtbölf Äonen aus AvvxQcojiog-ExxXrjola, fo bajj bie ßaty ber
30 Äonen erfüllt mirb, beren te|ter bie Zocpia ift. 2)ie ©rfenntniä be§ UrbaterS mar
nur ber erften ©manation, bem Movoyevrjg ju teil gefaorben, ber fie aueb ben anberen
Äonen bermitteln tooHte, bamit aueb fie an ber ^»errlicbfeit be§ 3Sater» teil Ratten. ®er
30. Äon, bie ©obfyia, mürbe bon leibenfebaftlicbem Verlangen ergriffen , btö SBefen be§ 45
SSater§ ju erfaffen. 3Son beffen ©ü|ig!eit märe fie böHig aufgefogen toorben, menn fie
nicb,t auf eine Sßoteng, ben "Ogog, ber aße^ aufeerbalb ber unbefcbreiblicb^en ©rö^e ©otte^
betoaebt, geftofeen märe, ©iefer §orog führte fie mieber ju fieb felbft ^urüc! unb überzeugt
fie, bafe ber 35ater unfapar ift. ' ©ie liefe nun bie frühere Abfielt famt ber Seibenfd^aft
fahren, bie aug jenem 3lnfcb,auen be§ göttlicben ©ebeimniffe§ entftanben mar. 50
Um bie aSieberbolung eine§ fo bermeffenen ©trebenö ju bermeiben, emaniert ber
Movoyevrjg nacb ^er SSorfebung beg 3Sater§ noeb eine anbere ©t;jbgie, Xotorog unb ba§
Ilvevjua äyiov, meldte bie ftefyl ber Äonen abfc^ttefjt. 6b,riftuS belebte nun bie Äonen
über ba3 2Befen ber ©bjtigie unb über bie Unfafjbarfeit beg SßaterS; biefe Unfafebarfeit
fei für fie ber ©runb be§ 'SSeb,arren«, toäbrcnb feine ©rfafjbarleit ber ©runb ber 3^u9unS &5
unb ©eftaltung in bem ©obne ift. ®er beilige ©eift aber lebrte fie, nacb,bem fie über
ibr unbemegteS 33ebarren aufgellärt toaren, banffagen unb berfd^affte ibnen fo bie toabre
"Hube. 2ll§ §rud)t ber ®anfbar!eit befd^loffen alle Äonen, baS ©cbönfte jufammen=
^bringen unb fo entftanb %e\u$f ber aud? Ham'jQ, Xotorog, Aoyog unb rä Tlnvra
genannt mirb. " w>
408 Salenthntg, ©noftifer
©amit ifi baS fyimmlifdje ©rama btö an ben Spunft geführt, an bem bie ©efdncbte
beS gafleS einfe|t. poIemäuS fyat — Wenn anberS bte ©arfteßung beS 3>rena"3 tt»trt=
lid; fein ©Aftern enthält — ntd^t einfach bte ©ebanfen beS älteren SBalentinianiSmuS
re^robugtcrt. (SmerfeitS ift bte ©teßung ber ©obfyia unb bte SRoße, bte fie im Peroma
6 fbielt, anberSartig, anbererfeitS ift nur ein "Ogog angenommen unb bie ©teßung beS
2,(üvy]q fdjärfer brä^iftert.
©er weitere ©ang be§ ©ramaS nimmt feinen llrfbrung bon ber an ber ©obfyia
ausgetriebenen iv&vjurjoig, ber je£t §ur £r;boftafe geworbenen 2lbfid)t, in bte £tefe bei
Sßaterö einzubringen. ©iefe "Ev&vjurjoig, audj 'Axatud)& (rtenri) genannt, War mit
10 bem nd&og, baS fie in ber ©oblria hervorgerufen f)atte, auS bem ^leroma in bie Seere,
baS xevoojua, fyerabgefunfen. ©efialtloS, Wie eine geblgeburt, bietet fie einen traurigen
2lnblicf. 35a erbarmt ftd) il>rer ber obere (SfyrifiuS unb berieft it>r WenigftenS nad) ibjer
©ubfianj eine ©eftalt, wenn fie audj nid)t nad; ber ©rfenntnis geftaltet Wirb. $n i^r
ift nod) baS ©efmen nad; bem ^leroma geblieben unb fie fyat nod; einen $au<§ ber Un=
15 bergcmglidjfeit (öd/ui] äcf&agoiag) behalten, ©o fet)nt fie fid) nad; bem 2id)t bei Aoyog
unb fud)t eS ju erreichen, Wirb aber baran bon bem "Ooog gel;inbert, ber il;r baS SBort
"ladt ^uruft, bamit fie nidjt $u Weit bürgere. ©a Wirb fie, weil fie ben §oroS nid;t
überfcfyreiten fann, bon 8eibenfc|aft ergriffen; fie erfährt Trauer, gurd;t unb ^Ratlofigfeit.
2luS i^rer guWenbung ju il?rem ©d;öbfer erftefyt bie Sföelt in tf;rer gefetjmäjjigen Drbnung
20 unb il;rem materiellen SBeftanb. ©er guWenbung entftammen bie ©eelen, bie ber SKklt
unb biejenige ber ©emiurgen, ben freuten bie feinfte ©ubftang, bem £ad)en bie leidtte,
ber $uxä)t unb Trauer bie ferneren ©toffe. 2luS bem ©eelenftoff geftaltet bie Sldjamotfy
ben ©emiurgen, ber nun feinerfeits in ber Äraft ber iv&vjuqotg ©benbilber ber 2tonen
fd;afft. ©o entfteb,en fieben §immel ober @ngel, über benen ber ©emiurg thront, über
25 ib,m, im mittleren 9veid), bie 2ld;amoif), fo ba| !)ter ein Slbbilb ber tytmmlifcfyen "Oydodg
entfielt. SluS ber Trauer ftammt baS 33öfe, baS jum Teufel ober Koo/uoxQdzcoQ unb
feinen böfen Gmgeln, ben ©ämonen, geftaltet Wirb, ©ein 9tod; ift bie materielle 2Belt.
SSon bem ©emiurgen ftammt ber Menfd), ber junäcfyft auS rein materiellem ©toff
gebilbet wirb unb bem ber ©djöbfer fobann ben bftycl;tfd;en ©toff einfyaudjt. gule^t er=
30 |ält er bie fleifd;lid)e §üße, ben deg/uduvog %itwv. ©od; fyat bie Sldjamotb/ bem
Menfd;en gugleid) aucb, ben öneumatifd;en 3Jlenfd;en eingefät, oljme ba^ ber ©emiurg batoon
etwa§ merfte. ©o fam man §u einer itoHfommencn 'jridiotomie: ber rein materielle
^eil, ber fcergängltd) ift; ba§ mit 2BiHenSfrei§eit begabte ^fttdjifcfye, baS fid) für red}ts
unb linfS, für ©eifiigeS unb Materielles entfdjeiben !ann, unb enblid) baS $neumatifd;e,
35 baS ©alj unb Sicfyt ber Söelt ift. ©aS $neumaiifd)e blieb aber ntd)t in aßen 9JJenfd)en
borb,anben; in manchen überwucherte baS b^fifdje, in anberen baS materielle ©lement.
©o entfielen brei ©efd}Ied}ter, bon benen baS erfte ber 23oHfommenI)eit geWürbigt Wirb
unb teil an bem ^ßleroma gewinnen fann, Wäfjrenb baS jWeite, baS bft)d;ifd;e jWifdjcn
gut unb bbfe b,in unb fax gebogen in ben Drt ber SRitte gelangt, Wenn eS fid; jum
40 ©uten Wenbet. ©aS ©efa)ted}t ber Materiellen aber ge^t ins SBerberben.
©er ©rlöfung bebürftig finb nur bie $fyd)tfer; »oß^ogen Wirb fie burd; ben 6b,riftuS,
über ben bie SluSfagen ber einzelnen ©ru^ben in ber ©d;ule ftart abweisen. Iflaä)
einigen ift er bon bem ©emiurgen nad} ber bfr/dnfdjen unb materiellen ©eite gefcfyaffen
unb baju fam ber ©ame beS ^neumattfdien bon ber Sldjamoif). Sei ber SLaufe ging
45 ber aus bem ^Sleroma l>erabgefommene ©oter in ib,n ein, fo bafj er ein Slbbilb ber ur=
fbrünglid}en Sßter^eit barftetlt. %lad) anberen nab,m er bon aßen, ju bereit ©rlöfung er
gefanbt War, bie ©rftlinge an: ^neumatifdieS bon ber Sl^amot^ ^3fbd;ifd;eS bon bem
©emiurgen, einen jpfr/d)ifd;en — ntdjt materießen — Seib bon ber Dfonomie. 3^ur ber
le^tere litt; 5ßneumatifd;eS unb ^pj^tfdjeg Waren unfidjtbar unb fonnten bab,er au<$) nia)t
60 leiben. Qn ber $ird)e als einer ©emeinfdaft in erfter Stute ber ^ffydüfer b,errfcl)t ber
©emiurg; bab,er fe^It f>ier bie boßfommene ©nofiS, bie nur ben 5pneumatifern gu %e\l
geworben ift. ©iefe bebürfen bab,er ifyrer 9fatur nad; feiner ©rlöfung, fonbern finb beS
©ingangS in baS ^leroma geWt^. ©ie SSoßenbung Wirb bann eintreten, Wenn aßeS
$neumatifd}e jur boßfommenen ©nofiS gelangt unb banad; geftaltet fein Wirb, b. f).
55 Wenn aße }meumatifd;en 9Jlenfd;en bie boßfommene ©rfenntniS bon ©ott unb ber 2ld;a=
motb, befi^en. ©ann Wirb bie 2ld;amotb, als 33raut beS ©oter in baS ^lerorna eingeben
unb bieS Wirb bie §ocbjeit feiner $rud;t, beS S^riftuS mit ber erlöfien Sodjter beS Siebtes
feiern. Mit ü)r jugleid) gel)en bie ^neumatifer als Stdjtengel in baS $Ieroma ein. ©er
©emiurg ge^t an ben Drt ber Mitte, an bem fid) bis baltfn bte Sldiamotlb, auffielt, unb
eo Iner finben bie 5ßft)d}ifer 3lub,e. ©ie materielle 2ßelt Wirb im geuer bernid)tct.
»alenttmtS, GJnoftifer 409
SieS ©Aftern »erfolgt ein bereites £iel. ®a3 eine ift fbeMatiber 2lrt. (Sä Will
geigen, inwiefern ©Ott in 2öirflid;feit SWbater {naxriQ xä>v oXcov) fein fonne, inWiefeme
er tbatfädjlicb, ber tlrgrunb Don allem, toaö ba erjftiert, ift. ®ie ju fetbftftcinbigen SBefert,
ju ©Ottern gemalten göttlichen Gräfte unb ©igenfdjaften follen bie (Entfaltung be§ gött=
liefen SöefenS beutlid; machen, foHen geigen, Wie in biefe 2Selt einer friebenSbollen, ruhigen 5
unb feiigen (Entfaltung ba§ SBegefyren unb bamit ba§ Seiben eintrat, unb Wie mit biefem
Seiben ba§ $erabftnfen auS bem Peroma, ber ©bfyäre, in ber ©ott boOfornmen alles in
allem ift, gegeben war. ©0 nähert fiel) biefe feiige ©eifterWelt ber Materie unb je näfyer
fie biefer fommt, um fo mebr berliert fie güf)Iung mit ber reinen ©eiftigfeit be§ Peroma.
Ta3 anbere ^ntereffe ift rein religib3=fittlidi)er 3lrt. SDa§ Problem, Wie ber 2Renfc£>, ber 10
mitten jroifcb,en ben feinbtieben ©egenfä^en ftefyt, gur ©ottb/eit jurüdfeb/ren fann. Unb Ijier
ift e§ bejeidmenb, mit welcher (Energie bie prfon be3 £>eilanbs> in ben SRittefbunft be§
(Erlöfungebrojeffeä gefteHt Wirb. 2tud^ ber getftlicbe äRenfd;, bem feine Statur bie 5Eeil=
normte an ber (Erlofung in Peroma garantiert, fann be§ £>eilanbe<§ nieb/t entbehren, burd)
ben ber in tbn gelegte bneumatifcfye ©ame erft gur (Entfaltung fommt. ©0 läuft aud; 10
biefe unenbliö) Diel fomblijicrtere gorm be§ ©r/ftemg bod) im Wefentlid;en auf bie ©ebanfen=
reiben binau£, bie polemäul felbft in fd;Iid)ter unb flarer $orm in bem 23rief an bie
glora entwidelt t/at.
2Bie ftcb, bie (Ejegefe unter bem (Einfluß biefeg ©r/fteme§ geftaltete, geigt ein grag=
ment bei Qrenäu? (I, 8, 5), ba§ nad) ber ©cfjluPemerfung be§ ^renäu§: et Ptolemaeus 20
quidem ita bon biefem felbft fyer^urüfyren fdieini. Qt§ bebanbelt ben 2lnfang bes> Qob, anne§=
ebangeliutm§. 3°^anneg toitt bflrw bk (Entftelmng bc§ 31Ö erklären; gunäcbjt ba§ pinjib,
bal juerft bon ©ott erjeugt Wirb unb Don bem alle§ emaniert: doxy- ®^ ^"fe* auc^
Xovg (fo ber Sateiner; bei (Ebibftaniug fefylt bie 9^ott§), ©ofyrt, Movoyevrjg unb Oeög
(filium et unigenitum domini ber Sateiner), üöon biefem würbe ber Aoyog emaniert 25
unb in 'ü)m ba§ 3öefen ber Slonen, bie fbäter bom Sogo§ ib/re ©eftalt empfingen. 3uerft
bifferenjiert alfo^ofyanneg ©ott, hk'Agx^ unb ben Aoyog, bann bereinigt er fie wieber.
2lHe folgenben Stonen f)aben burd; ben Sogoö ©eftalt gewonnen unb finb burd} ifm ent=
ftanben. Wü ben Söorten: toa§ in ibm Würbe, ift Seben, beutet ^or/anneä bie ©%r/gie
an, benn bon ben anberen beifjt e§, e§ fei burd) dm geworben, nur ba<3 Seben ift in il>m so
geworben, ©urd; ben SogoS Wirb ba§ Seben fruchtbar unb bringt ba§ „Sid;t ber Wenfcfyen"
|erbor: bie ©^^gie bon "Av&qcojios unb 'Exxlrjoia. ®iefe Reifet <pä>g, Weil bie
3JJenfd)en burd; fie ©eftalt gewinnen unb in bie @rfd;einung treten. ©0 ergiebt fid) alfo
au§ biefen brei erften SSerfen be^ ^ob,anne§ebangelium§ bie erfte 3Sierb,eit. Qnbem eg bon
bem Zooxvjq fbridjt unb fagt , bafj aKe§ au^erb, alb be§ Peroma burd; ilm ©eftalt ge= 35
toonnen §abt, bejeidjnet e§ iljm alg bie grudjt be§ Peroma. SSenn man bie bon $ob,anne§
genannten Segriffe jufammenjälilt, fo ergiebt fid), bafs er bie erfte 'Oydodg aufgefübrt
bat; er nennt nämlid): IlaxrjQ, Xdgig, Movoysv/]g, AXt'j&sia, Aoyog, Zcoi), "Av&qco-
nog, 'ExxXrjoia.
2)ie ^ünftlicb,feit biefer ©jegefe fier/t in einem beutlid)en ©egenfa| gu ber einfachen 40
Setoeisfübrung unb ber berftänbigen ©d;riftbenu|ung, Wie Wir fie im 33rief an bie glora
finben. %xo% ber ©djlujjworte be^ 3r«nflu^, bie bem $tolemäu§ biefe 2tu§legung ju=
auftreiben fdjeinen, ift e§ bab^er fraglid;, ob fie Wirflicb, bon ib,m r/errül)rt.
7. §erafleon. S)ie Fragmente finb gefamnielt Bei (£. ©roöe, Spicileg. II, 80sqq. 236;
?(. Jptlgenfetb, Äe|ergef^id)te 472 ff. ^n neuer forgffilttger JRecenfion üon E. ?(. SSroofe, The 15
fragments of Heracleon (TSt I, 4), ßcmtbribge 1891. [§ier auc^ eine ®arfteHnng feineä
2i)ftem§; nad) S3roofe§ Sammlung finb bie gragmente im folgenben ctttert.] 91. 9Jeanber,
entioiefehmg b. uornefjmfien gnoft. ©ijfteme 1819,' 143 ff.; ©. ^einvict, ®ie oalent. ©noffe
1S71, 127 ff.; 91. ^tigenfelb, Se|ergefct). 1884, 498 ff.; ©. (Salmon, DchrB II, 897 ff. lieber
bie TOetfiobe feiner SdjriftauSlegung f. ©. ^Jreufc^en in b. Sinfeitung p b. 9fi:Sgabe tum 50
Crigeneä' Kommentar ju 3o^., Seip^ig 1903, Cllff.
2lud) über bie prfon unb ©d)idfale beg §eraf!eon Wiffen Wir feb/r Wenig, tro^bem
gerabe bon ib;m banf bem DrigeneS gablreid;erelBrucb,ftüde erhalten finb, al§ bon irgenb
einem feiner ©djulgenoffen. Giemen^ ällej;. nennt ibn ben Stngefebenften au§ ber ©d^ule
Sßalenttn§ (d xfjg Ovahrxlvov oxo?ifjg öoxifmnnxog, Strom. IV, 9, 71). Drigene§ 55
hmfjte über feine $erfönlid}feit nid>r» Weiter gu fagen, aU bafs er für einen bertrauten
Sdnilcr beö Valentin gegolten ^ahc (xov OvaXevrtvov Xeyojuevo)' slvai yrcogiiiov,
Somm. in ^o II, 1 1, 100). Srenäuö b,at ib,n neben $tolcmäu§ geftcHt (II, 4, 1 ;
ob er mit bem ungenannten clarus magister I, 1 1 , o ibentifcb ift , Wie .'oarnad,
C.uellenfrit. j. ©efdj.'b. ©noft. 187:;, 62 f. 2lltd;r. Sitteraturgefd;. I, 17". annahm, bleibt 00
410 SBaleitttuuS, ©noftifer
jWeifelbaft), aber auf i!)n Weiter feine Stüd'fidrt genommen, bermuilid; Weil er Don ifnu
nichts weiter Wuftie. Ob Sertußian, ber if)tn adv. Val. 4 eine Söeiterentwidelung beS
btolemäifd;en ©fyftemS gufd;reibt, mefyr Don ibm Wuftie, als WaS bei ^jrenäuS gu lefen
fteb,t, ift fc^r fraglich. ©ie fbäteren Ketjerbeftreiter fwben jebenfallS leine felbftftänbige
5 Kunbe mef)r bon ibm befeffen ; aua; §ibboIr;t , ber ifyn neben ^ßtolemäuS als §aubt beS
abenblänbifdjen 3w^ige§ ber üßalenttnianer bejeidmet (VI, 35, bgl. 29), fd;eint fiel; nur
auf bie yioti% beS ^renäu§ geftütti ju r;aben, ba er über feine Sefjre nidtiS mitgeteilt fyat
2ßoi)er ^3^otiu§ (ep. 134 ad Protospath. Johannem p. 24b Amphiloch. %x. 51 bei
33roofe) feine Kunbe bon ib, m erhalten i)aben mag, ftelti bal;in ; eS liegt am nücbjten, eine
io SfeminiSgeng aus DrigeneS' IgofjanneSfommentar in feinen üffiorten ju fefjen. 2öaS ber
lib. Praedestinatus c. 16 berichtet, ift reiner ©d;Winbel.
AuS ben Anführungen ergiebt fiel;, bafs ^erafleonS 2ßir!famleit um baS 3>af;r 200
angufetjen ift. StWaS ©enauereS läfti fieb, Weber über feine SebenSumftänbe nod; über ben
Drt feine§ äöirfenS au§macb,en. 9Jtancr)e eigentümlichen StebeWenbungen fd;einen als
15 SatiniSmen gebeutet »erben gu muffen, fo bafj eS Wafyrfdjeinltcb, genannt werben barf, baf$
er in 9fom gelebt unb gefcb,rieben fyat. ©amit mürbe bie Angabe §ibbolr/tS, alfo eines
Römers, im ©inflang fielen, ber ilm ju ben $ül)rera ber italifdjen 23alentinianer macfyt
(VI, 35). DrigeneS befafj unb benutzte imojuvijjuam bon ifnn, in benen ©teilen beS
3>ol)anneSebangeliumS !urg erllärt Waren. Sine Auslegung bon Sc 12, 8—11, bießlemenS
20 Aler.. citiert fyat (Strom. IV, 9, 71), mag bemfelben Slkrf entnommen fein. Über ben
Stiel unb fonfiigen Qnfyalt biefer ©d;rift ift unS nichts befannt.
Sie §au^)tbun!te feines ©fyftemS laffen fieb, auS ben Fragmenten noct) genügenb beut=
lieb, barfteflen. ©ott ift feiner Statur nad; ©eifi, flecfenloS, rein unb unfidjtbar unb fann
bafjer aud; nur jivevjuaux&g, nid;t aoifxaxixcbg berel;rfr werben (%x 24). Sein ©egen=
25 bart ift baS materielle, teuflifcfye ^ringib, baS feinen Söitten, fonbern nur Stegierben lennt,
unb baS nur berberbenfcfyaffenb Wirft (%x. 46). gwifdjen Reiben ©bl)ären, ber rein
geiftigen ©otteS unb ber materiellen beS SeufelS, ftefyt bie ©eele, bie nicfyt unfterblid;,
fonbern nur be§ £jeileS fällig ift (imrfjdeicog k'xovoa ngog ocozrjQtav, %x. 40 $. 17). ©ie
flammt bon bem ©emiurgen unb iftunterfebieben bon bem göttlichen ©amen, bem geiftigen Seil
30 beS 9JJenfd;en. ©ie nvEv^axmoi finb baf;er tfyrer Statur nad; mit ©Ott bertoanbt, für baS
§eil beftimmt; fie finb bie AuSerWäfylten, eylenroi (gr. 37). ©ie werben burcr) ben SogoS
j'ur fyöcfyften ©rfenntniS geführt; bie ^Sf^ifer finb nur buref» bie finnlid)e Sßafyrneljmung,
burc^ 2öunbertb,aten ju überzeugen ((V egycov cpvow e,yov xal di' aicr&rjoecos TieiftEoftm,
%x. 40). ©iefe gelangen bab,er nur gur evmoTia, bem recb,tfd;affenen ©lauben, tbäfirenb
35 bie ^ßneumatifer !raft ib,rer auf baS ewige Seben gerichteten ®iSboftiion bon ber Dffen=
barung beS göttlichen ©eifteS erfafet toerben (§r. 27). ®ie SDcateriellen, bie §^lifer fyahtn
bie Serbinbung mit ©ott berloren, Weil fie tief in ber SJiaterie berfunfen finb (%x. 23).
SDie für |?neumatifer unb ^jfr/djuiEer notroenbige ©rlöfung ift burd) ben Zcottjq üoü--
gogen morben. @r ift baS (Sbenbilb beS bem $Ieroma angef)örigen Xgcazög; aßeS, b. b,.
40 ber xoojuog unb maS in ib,m ift, nicfyt aber ber Äon unb roaS barinnen ift, ift burcr; tlm
geworben (gr. 1). £ic 9tolle, bie bon ^erctileon bem SogoS jugetotefen Wirb, entfbria)t
berjenigen ber ©obl)ia in ben anberen ©bjtemen. Über bie 9catur beS §eilanbeS bieten
bie erhaltenen 33ruc£)ftüde feine jufammenl)ängenben AuSfagen. @r ift ausgegangen bon
ber SJcajeftät (rd /ueye&og) unb |at gleifd; angenommen, Wie man ein ÄleibungSftüd an=
45 legt (gr. 8). ©urd; ^oljanneS b. %., ben Vertreter beS ©emiurgen, t;at biefer bie Über=
legenf)eit beS .'oetlanbeS offen funb machen laffen. 2)iefer begab fid; bis gu ben äujjerften
materiellen Seilen beS ÄoSmoS, otme bod; bort etWaS ju Wirfen ober gu reben (%x. 11).
3Son ba ging er an ben Drt ber ?ßft)cb,ifer; mit ber ©eifjel b. b,. ber Äraft beS Zeitigen
©eifteS trieb er baS SBöfe aus unb brachte burd; baS ^reuj bie ©d;led)tigi;eit gum 25er=
so fd;Winben {%x. 13).
©er ©emiurg ift ein Seilfürft {fxixgbg ßaodevg), ber bon bem ©rofsfönig eingefetjt ift.
@r I;errfd;t über baS 3tcid; ber SJcitte, b. b, . bie Legion beS ^3f^d;ifcb, en, bie an baS 9JtaterielIe
grenzt ;_ feine §errfd)aft ift bab,er nur tlein unb borübergeb^enb. Qn bieS 3teid; fommt
ber §eilanb, nimmt fid; ber 9Jienfd;en an, bie in einem ü)rer 9tatur Wiberfbred;enben Qu-
55 ftanb ber UnWiffenb,eit unb ©ünben leben, bergiebt ib,nen bie ©ünben unb berfd)afft timen
fo baS Seben (%x. 40). 2öer fid; bon bem £eilanb nid;t gur ©emeinfd;aft mit ©ott
führen lä'^t, berfäüt bem ©erid;t beS ©emiurgen, ber ber Solljie^er ber ©trafgered)tigfeit
beS Königs, b. i). ©otteS ift (%x. 48). ©ie Art ber 3Birffamfeit beS ©oter in biefem
9teid;e beS ©emiurgen ftellt ^erafleon fo bar, baf$ bon bem vldg 'Avßgebjiov, ber bem
6o ^leroma angehört, ber ©ame ftammt, Wäb;renb ber Zcort'jQ, ber ebenfalls vldg 'Av&qü)-
»alettttmtg, ©nofttfer 411
nov, Reifet, erntet unb bie (Sngel fenbet, bon benen jebem eine ©eele angetoiefen i[t, in
bie er eingebt (%x. 35). ©o iülben bie ©eelen mit bert ©ngeln ©ragten unb erlangen
baburd) bte gäfngfeit mit bem £eilanb bie Serbinbung einjuge^en (§r. 18). 2llg £iel
fcfytoebt ü)m bie Bereinigung aller cpvoeig Tivev/uaTixai ober ber ä<p&aQTog rfjg lxloyf\q
yvot±, bie eine ©infyeit barftellt, jur Ixxhqoia TivEv/ucmxi] bor, bie mit bem §eilanb &
jufammen eine ©b^r/gie bilbet (gr. 37).
SDie Stellung ju ben fonfreten religiöfen ©rfdjeinungen toar bamit gegeben. SDag
.öeibentum toirb £erafleon nur unter bem, ©eficfytgtounft beg ,§r/lifd)en betrachtet fyaben;
boef? bieten bie Fragmente barüber feine 3luf$erung. ®a§ ^ubentum ift toie bie Sßelt ein
SBerf beg ©emiurgen. @g ift mangelhaft, ba e§ toeber bie ©rfenntnig ber beeren geiftigen io
ll>elt bermitteln nod; aueb, bie Kraft jur Übertombung beg Sbfen ju geben bermodjte.
£ag £eben, bag eg erzeugte, toar nur fcfjtoacb, unb bergänglicb, unb ebenfo feine §err!icr/=
feit ; benn eg toar eine ttjorj xoofuxr}. ®a§ Seben, bag ber §eitanb Vermittelt, ftammt
aug bem ©eift unb feiner Kraft unb ift bafyer etoig, unbergänglicb, (gr. 17). 2lucb, bag
©efe§ ftammt bon bem ©emiurgen; aud) eg toirft ben 'Job, ba eg wegen ber ©ünben 15
Vernichtung bringt {%t. 40). ©ennod) fehlen ber jübtfdjen Religion nief/t bie Keime beg
beeren geiftigen £ebcng. ®enn bie Offenbarung fyat ftcb, fiufentoeife bon ber bunflen
3(nbeutung big ju ber bewußten ©rfenntnig bolljogen, toag §eraf!eon bureb, bag 23ilb bon
©djall, Jon unb 2Bort beutlicb, gu machen judjt. @in unbeftimmter ©cb,ad {r}%os) toar
bag $robf;etentum (^ TiQocprjTMrj xd^ig); m 3°^"neg toürbe ber ©cfyaH jum Jon 20
{(poivrj), im £eilanb ift erft bag 2Sort erjcf/ienen (gr. 5). 3)en 2ßeg, auf bem ftcb, ber
©laube an ben Sogog beg §eilanbe§ enttoidett, I)at er fo befdjrieben (gr. 39): „®ie
2)Ienfcb,en glauben juerft, bon StRenfcfjen geleitet, bem §etlanb. Söenn fie aber felbft an
feine 2Borte fommen, fo glauben fie nicr)t mel)r toegen beS menfcpdjen ßeugniffeg, fonbem
toegen ber 2ßaf)rl>eit felbft." 25
£)ie Fragmente £>erafteong finb barum befonberg toidjtig, toeil fte aufä beutlicb^fte
jeigen, eine tüte nebenfäcr/liclje 9toHe bie Stonenfbefulationen braftifcb; in bem ®enfen ber
Sdmlfyä'ubter gefbielt f)aben. ©te finb freilief) bie 33orau3fei5ung für tb^re "-Betrachtung
biefe§ £eben§ unb ber Gräfte, bie eg jur ©rlöfung bon bem Materiellen bringen, unb bie
ben in ü) m liegenben keimen ber f;öl;eren , geiftigen Statur jur (Entfaltung bereifen. 30
Öerafleon lä^t gelegentlid) auef; biefe ©befulationen einmal burd)flingen. Söenn e§ bom
Jembel f)ei^t, ba^ er in 4G gafyren gebaut fei (Qo 2, 20), fo ift er ilmt bamit ein 93tlb
für ben §eilanb; benn bie Qafyl 6 meift auf bie 3)taterte, bie $afy 40 aber, bie mit ber
oberen, in bie 9Jcaterie nid)t berflod;tenen SSierfyeit ibentifd; ift, auf ben 2lnb,aud) bes
©eifte§ unb ben barin liegenben ©amen @r. 16). 3öa§ ^erafleon in feiner S(u§Iegung 35
bor allem tntereffiert, ba§ ift ber 92eg, auf bem bie ©eele teil an bem ^pleroma, teil
an ©ott gewinnt, mie fie be§ 33öfen §err toirb unb toie fte bem fjeiligen ©eift eine
©tätte beretten fann. 9Jtan erfennt barauö, toa§ man aud; au$ bem Srief beS ^ßtote=
mäu^ an glora $u erfennen bermag, ba^ biefe ©noftifer in erfter Sinie burd;au§ religiös
ftttlid) tntereffiert toaren. Um ba3 recfjt ju toürbigen, ift e3 freilieb, nötig, ftcf; über bie 40
Sefonberb,eiten ib,rer ©cb,ulfbracb,e r/mtoeg-jufetsen. Slber man toürbe ib,nen bitter Unrecht
tb,un, trenn man ib,re ©noft§ nur inteHeftualiftifcb unb fbefulatib berfteb,en tooUte.
8. 9Jiarfu§. Cueüe: Sren. I, 1H— 21; iüaWd)emticr) emtf) I, 11, .1 9luf ;bm 6e=
mfien §tpvo(i)t, Philos. VI, 39— 55 [für ben £e;rt beä 3reniut§ wicl)tigj unb epipfianiuS
h. 34. S)ie Stngaben ber fpeiteren .fiäreftotogen finb ü^ue Sßert. .öieronljmuä ^at 'iöi. su 45
einem Sln^änger be§ 33afiltbe§ gemadjt (ep. 74; I, 14!) SSaHarft). ffigT. 3. Üi^enferb, De
redemtione Marcosior. et Heracleonit. Opera phil. 194 sqq.; 91. 92eanber, ©enet. (£nttt>tcfe=
lung b. üornetimften gnoft. ©nftetne KJSff.; ©. Oalmon, DchrB III, «27 ff.; 5R. 3tei$enftein,
SßoimanbreS 220 ff. 260 f. lieber bie Saufe f. %. TOünter, !?. gotteSbienftt. ?Utertunter ber
önofttfer, ?lnfpad) 1790, 'S. 120 ff. 50
5Rarfug fcf)etnt ein ^citgenoffe be^ ^renäug getoefen ju fein, ber, too er bon if)tn
fbricb,t, rebet toie bon einem Sebenben. ©eine Sßirffamfcit entfaltete er in .sUctnafien
Qxm. I, 13, 5), boeb, famen feine ©datier nacb, Söeften unb breiteten feine Sebje big
nacb, ©aflien b,in aug. @nge 33erüb,rung mit ber orientalifef/en ©nofig toürbe auf femi=
tifdje 2lbfunft feb, liefen laffe'n, toenn ntdjt bie gnoftifcb,en ©ebanfenreiben bamalg überall 55
in ber Suft gelegen b,ätten. §'erDl^1Tlu^» bem eine 2lufserung beg Drigeneg borgelegen
(laben tonnte, begeidjnet SJcarfug alg $gr/bter (Komm, ju Qef 64, 4; IV, 7H1 5PaH.).
3lber eg fcb,eint eine Sßertoecb, feiung ju fein (©almon, DchrB III, 829).
©driften beg 3Dtarfug fyat ^renäug benufet, leiber ob,ne ib,re Jitel ju nennen, i'lucb,
<ilemeng iMler.. fd;eint foldje gefannt unb gelegentlid) ausgebeutet 51t b,abcn (,v Nix uo
412 Sälen«»«*, ©noftifcr
Strom. VI, 16, 140 f. »gl. ©almon, DchrB II, 161). SDafc bie ©efte eine Menge
abofrtobr/er ©Triften benutze, beraubtet $renäu3 auSbrüdfltd^, inbem er fytnjufügt, fie
feiert bon ben 5Rarlo[iern felbft fabriziert toorben, um bie Unberftänbigen p tauften
(jigbg xovxoig äjuvß-rjxov 7iXf]'&og dnoxgvcpoiv xal vodcov ygacpmv, äg avzol enka-
5 oav, nageiacpegovoiv elg xaxdjrlfj^iv xcöv ävorjrcov I, 20, 1). Db baju and) ia§
S^omalebangelium gehörte, ift nxd)t mit ©id)err)ett au^umac^en.
©a§ ©Aftern be§ 9ftarfu§ im einzelnen gu entwickeln, ift I)ier überflüffig, ba e§ ficb,
nicfyt foroeit bon bem ber ganzen ©cfyule entfernt, bafj e§ eine ausführliche ©arftellung er=
forberte. ©igentümlicf) fd^einen bem 9Karfu§ ,3ar;lenfbtelereien S^toefen ju fein, mie fie
io bamals in ber 5Robe toaren. ©er (Sinflufj ber Dfcubrjtfyagoreer läjjt ftd^ bei ib,m befonberg
beutlicf; nad)meifen. 2Iud& eine anbere 9Jiobetl)ort)eit, bie SSerbinbung bon 33ud)ftaben=
fbielerei mit ben Qafykn finbet ficb, bei itma au§gebilbet. 9Jtit ben 12 ©obbelftunben
be<§ %aa.z§ roerben bie 24 SBucfejtaben be§ griecbjfcfyen 2llbfyabete3 berartig in S3e§ter)ung
gefe|t, bafs ba§ 3llbbabet in jroei Sleile geteilt unb biefe ieile gegenläufig nebeneinanber
15 gefteßt »erben, alfo A unb ü, ß unb W u. f. f. (ögl. ba^u Sftei^enftein, *)3oimanbreS
©. 260 f.). 9JJarfu§ i)at bie bucfyftabenfbielenbe 33efd?reibung be§ 'Avftgamog ober irgenb
einer anbern ©ottt)eit auf bie 'Aitf&eta übertragen (Qren. I, 14, r2). SStcfytiger als bie
©eifenblafen aritfymetifcber ©e^eimle^ren, mit benen 9Jiarfu§ bie älonenlefyre feiner ©cfyule
umgeben i)at, finb bie Mitteilungen au§ ber Siturgie ber Marlofier, burcb, bie un§ 3re=
20 näuö einen SBIid in bie ©a!rament3lebje biefer ©efte tf)un läfst (I, 21).
©al ©efjeimnig ber ©rlbfung führten fie nad) Igrenäu3 auf eine unfkf/ibare unb un=
begreifliche Überlieferung jurütf. ®al;er fei e§ nicfyt feft umfcf;rieben unb laffe ficb, nict)t
in ein Sßort f äffen, ©obiel 9D<ft)fiagogen e3 bei ibnen gicbt, fobtel (Mbfungen, fügt 3*e-
näu§ fböttifd) fjinju (oooi ydg eloi xavxrjg xfjg yvd)jui]g juvoxayooyoi, xooavxai xal
25 äjioh'xgcooeig I, 21, 1). ®ie Söaffertaufe fyat nad) i^rer Meinung nur toffycfjifcfye Äraft;
um boÜfommen ju fein, bebarf fie ber Srgänjung burd) bie änoXvxgoioig. "Tcur fo giebt
fie bie Möglicfyfeit, in ba3 Peroma einzugeben. Sine Sinologie bietet bie SEaufc $efu,
bie in jroei Slfte gerfällt, bie SBaffertaufe, bie Qo^anne§ b. %. fbenbete unb bie anokb-
xgcooig, bie tooHgogen mürbe, al§ ber GfyriftuS in %tfuä einging. 3ene toflr ^PWW-
30 biefe bneumattfdj. 33ei manchen 9Jcar!ofiern beftanb ber 33raui| (I, 21, 3), ein 93raut=
gematf) b, erjurid()tcn , in bem bie mfyftifcr/e §ocl)jeit ber ©eele ftattfanb. So füllten bie
|immlifd)en ©^tjgien nad)gebilbet unb bie ^»od)3eit ber ©eele mit bem §eilanb bargefteßt
roerben. 2lnbere boUjogen bie ^Eaufe am Söaffer mit ben Söorten: Stuf ben 9iamen be§
unerlennbaren 2lUbater§, in ber ®al)rf)eit ber 2lHmutter, in ben, ber berabfam auf %tfu§,
35 in bie Bereinigung unb ©rlöfung unb (Semeinfc^aft ber Gräfte (eis övo/ua äyvoaorov
TJaxgog xä)v ökcov, slg 'Ahj&siav firjxega jiclvxcov, slg xov xaxsX'Dovxa elg 'Iyjoovv,
slg evaioiv xal anolvxgojoiv xal xotrojviav xcov dvräfif.ajv). 33ei anberen i»ar eine
aramäifct;e gormel in (Sebraud), bie nacb, ©. Aoffmann (3nt2B IV [1903], 298) fo ju
lefen ift: ^r ^rpicn N^cipi Nn^ N^rr^;: «-■-: N^n 3"^^ murn naa b. ^. Qm %lamm
40 ber Stdjamott;, tauche unter! ®a§ £eben, ba§ £id)t, toelcb.eS au^geftrab,lt roirb, ber ©eift
ber 2öat;rt)eit möge bei beiner ©rlöfung fein! (ober: [35u] Sebenber, [®u] Sicb,t, meines
au§geftraf)It roirb u. f. ro.). ©ine britte gormel lautet: 3)er 5Rame, ber aßer ©ottt)eit unb
£>errfd&aft unb 3Baf)rl)eit »erborgen ift, ben 3efu§ ber ^ajarener anlegte in ben 2id)tjonen,
db,riftu§, ber £err beffen, ber burdj ben ^eiligen ©eift lebt, jur engelhaften (Srlbfung!
45 {Tb övojua xb äjioxexgvß/isvov änb Jidorjg -dsöx^xog xal xvgioxijxog xal oArjfieiag,
o evsdvoaxo 'Irjoovg 6 Na^agt]vbg er xaig £d>vaig xov (paixog, Xgioxbg xvgtog
xov t,wvxog biä Uvevfxaxog äytov, elg Ivxgoioir äyyehxrjv). (Sine anbere ebenfalls
aramäifdje gormel ift au§ ber aud) l)ier »erberbten gried}ifd;en SLranSfrifction beg ^renäu§,
beffen Überfe^ung roie bei ber oben mitgeteilten burcfyauS falfcb, ift, »on ©tiäet (bei
so ©tieren I, 229 Slnm. h) fo relonftruiert roorben: üc vj" t^-hn -iz ^'ztz "p"si Nn^w5:
n^s: yra-> n^ not: !t-,esn'-^ b. i). 9Keffia§ unb ©rlöfer meiner ©eele »on ben
Slonen burcb bie Straft be§ Samens %ao$, bei feine ©eele ©rlöfenben, er ift $efu3 ber
9Jagarener. (Slnberä interpretiert bie Söorte 20. 9B. färbet; j. b. ©t. : n;n -p-izw n-rnün
■rr^x: ^-c-< \n n"Cl;: p-r -^ s?:oi n^" bs -jw-i ncs: -u *>• ^- ©efalbt unb erlöft bin id)
55 oon ber ©eele unb b'on allem ©erid)t im tarnen %ao§ ; erlbfe bie ©eele, o ^tfu, bu
9cajarener!) 2luf biefe aBeib^eformeln anttoortet ber SJcr/fte: ^d) bin gefefiigt unb erlöft unb
xd) löfe meine ©eele bon biefem Slon unb bon aHem, roa§ auö ib,m flammt, im tarnen
3ao§, ber feine ©eele erlöfte jur ©rlöfung in 6b,riftu§ bem Sebenbigen! {eox^giyjuai xal
XeXvxgajjuai xal kwQovjuai xr\v yjvxrjv jliov änb xov alwvog xovxov xal ndvxcov
60 x(öv nag avxov ev xcp övöjuaxi xov 'laoj, dg eXvxgwoaxo xijv yjv%r]v avxov elg
2>aIeitttmtS, ©ttofitfcr 413
uttoXl'tqcooiv ir Xqiotco t<ö tcbvn). Sie Umftefyenben fbrecf/en baju: Jrtebc fei allen,
auf benm biefer sJJame rufyt (Eigr/vy näoiv, ecp' ovg xb övojua xovxo snavaTravexai).
Sarauf folgt bann eine ©albung mit 33alfamöl (bgl. Drtgene§, c. Cels. VI, 27). $u=
toeilen mürbe ba<§ Saudjbab unterlaffen unb man begnügte ftd) bamit, unter älmlid)en
©ptllefen ben Täufling mit Söaffer unb C( ^ufammen %\x falben, ©ine ©albung mit 5
Salfambt allein folgte aud? barauf. Sßteber anbere bermarfen ade fatalen §anblungen
mit ber 33egrünbung, bafe man ba§ 2Rr/fterium ber unauSfbrecfylicfyen unb unbegreiflichen
Sraft nicfyt burd) fid)tbare unb Vergängliche ©toffe boß^en bürfe. Sie bollfommene @r=
löfung fei bie (SrfenntniS ber unau3fbrect;ltcr;en Stftajeftät (xr;v imyvcooiv xov äjioogrjxou
ueye&ovg I, 21, 4). $n ber ©nofi3 erblicften fie bie geiftige (Möfung; toeber Selb nocf) 10
©eele fonne baran teil nehmen, benn jener fei materiell, biefe ftammen au<§ ber unteren,
unöoElommenen 2öelt (ex xov voxegr\piaxog b. I). bem xonog xfjg jueoöxrjxog, ber
3toifd)enroelt, bie ftd) jtoifc^en bem $leroma unb ber SRaterie befinbet). Sie ©rlöfung
erftrecft fid; aber nur auf ben geiftlidjen 9J?enfct/en (xbv eam äv&gwjiov xbv jtvev-
uaxixöv). 15
2luc§ eine (Möfung für bie SLoten ift ben 9Jtarroftem befannt getoefen. 9Jcan falbte
unter (SbifTefen ba3 §aubt be3 33erftorbenen mit Söaffer unb Dl ober and) nur mit
Salfamöl, bamit er ben bämonifdjen 3SJiädE)ten unficfytbar werbe (ut incomprehensibiles
et invisibiles principibus et potestatibus fiant I, 21, 5) unb bamit ber innere
Wm\dj auffteige unb bie ©eele gum Semiurgen gelange. Sie formet, mit ber ber Surd)= 20
gang burd; bie Sftetdbe biefer @ngelmäd)te errungen rourbe, lautete: 3dj bin ein ©olm
be§ 23ater§, be§ bräerjftenten 33ater<§, ein ©olm in bem ^räe^iftenten. %<fy tarn, um alles
m fe&en, ba§ grembe unb ba§ (Sigene; nidjt ba§ überhaupt grembe, benn es> ift ber
3(d;amotf), bie t>a§ 2öeiblid;e ift unb fie bat fidjS gemalt; benn id) leite mein ©efct;led)t
ber bon bem ^3räerjftenten, unb id; gel)e toieberum in ba3 üDteinige, toober id; gekommen 25
bin (iyoj vlbg änb Tlaxgög, Uaxgbg Jigoovxog, vlbg de ev xco Ugoövxi [fo nad) bem
2atetntfct)en ; @bibl)antu3 fyat Tiagovzi]. fjX&ov ndvxa ideiv xd dXXoxgta xal xd l'dia'
xal ovx äXXoxgia de 7iavxeXä>g, äXXd xfjg ,A%aixwvx, iJTtg iaxl d"fjXeia xal ravia
eavzfj enoirjoe. xaräyco de xb yevog ex tov ÜgoSviog xal 7iogevojuai JiäXiv eig ra
löia, o&ev eXrjXvda). Sen 3)urd;gang burd} ba§ 3f{eid) be§ Semiurgen berfd;afft folgenbe 30
^ormel: ^d} bin ein foftbareö ©efäjg, mel)r aU ba3 SSeib, ba§ eud; gemacht tiat. S5enn
eure SDtutter ib^ren Urf^rung ntcbt fennt, fo fenne icfy bagegen mid; felbft unb roeifj, U)o=
ber id) bin, unb id; rufe bie unbergänglid;e ©o£l)ia an, bie im S3ater ift, bie Butter eurer
3Jlutter, bie feinen SSater b^at, unb feinen ©emafjl: manntoetblid; »om SBetbe geboren
machte fie eucb. , olme t$re StRutter ju fennen unb inbem fie fid) für allein erjftierenb 35
l)ielt. 3^ tön rufe ibje SRutter an (axevög ei/M evu/j,ov fxäXXov nagä xr]v d"iqXeiav
zt]v noujoaoav vfxäg' el fj /uijxrjQ vjucöv äyvoel xr\v iavxfjg @i£av, iyä) de olda
iuavrbv xal yivcboxco, öftev ei/ui, xal ImxaXov [xai xfyv äcp&agxov 2ocpiav, fjxig
eoxlv ev xm riaxQL, juijxrjg de xfjg jj,rjxQbg v/ucöv xfjg jurj Ejpvor\g /uijxeQa, äXX' ovds
ov£vyov' aQQ£vo,d"fjXsia de vjio flrjXeiag yevo/uevf] enoirjoev v/uäg, äyvoovoa xal 40
xl]v fxtjxeqa avxfjg xal doxovoa savxrjv elvai ßövrjv' iycb de emxaXov/uat avxfjg
Tt]v firjxeQa). Siefe gormel berfe^e ba§ Sftetc^ beä Semiurgen in Aufregung, ber ©eift
beg 3Jerftorbenen gebe in fein ©igentum, inbem er feine ^effeln, b. r). feine ©eele, abftretfe.
^as an bie obere ©o^fyia, bie ben geiftlicfyen 9)tenfd;en bem 5Rid;ter b. fy. bem ©emiurgen
entjiebt, ju ridjtenbe ©ebet lautet folgenberma^en (I, 13, 6) : Sie bu toofjneft bei ©ott 43
unb ber mr/ftifcf/en öorgettttd^en ©ige, beren ficb bie ftetä bag Slngefidjt be§ 3Sater§ fd}auen=
ben ÜTiajeftäten al§ Seiterin unb güb^rerin bebienen unb auftoärtö jieljen ibre ©eftalten,
toeldie jene Übermütige (b. \. bie 2ld)amotb;) ftd} borfteHte unb un3 bie Slbbilber burd;
bie ©üte be§ Urbaterö emanierte, inbem fie bie £uft nad) bem ^oberen tote einen 3;raum
blatte: fiebe ber Siebter (b. b^. ber Semiurg) ift nal>e unb ber§erolb gebietet mir, mid) gu berant= 50
toorten. Su aber, bie bu un3 beibe fenneft, lege eine 3tec|enfd)aft für un^ beibe ab bor bem
Sticfeter ! (Jj jiaQsdoE Oeov xal /ivoxixfjg tiqo alüivaiv JEiyfjg, i)v xä Meye&i] did
."rairoc ßXenovxa xb jiqoooitiov xov HaxQÖg ödrjyeT 001 xal jigooaywyeT %o(b/ieva
avaojicöoiv äveo xdg avxcbv fWQcpdg, äg fj fieyaXozoXfiog exeivtq cpavxaoiao&eloa
owl xb äya&bv xov IIoojidxoQog TigoeßdXexo fjfjiäg xdg eixovag, xoxe ev&v/uiov xebr 55
<wo) dbg Evvjiviov eyovaa' Ibov 6 Koixrjg iyyvg xal 6 xf]Qvg~ fie xeXevei dnoXoyEio-
iiur 0!' de cbg emoxa/bievrj rd äjuipoxEoaiv xbv iijieQ d/uyioxego»' fj /uö)r Xoyov cog
eva byxa xo> xgafj Tiagdozrjoov).
Über ben 2lbenbmabliritu§ Ijaben mir nur eine furje ©cfyilberung (I, 13, 2), au$ ber
fi^ aber ba§ SBefentlidjfte nid)t entnebmen lä^t, meil ^renäu^ fein Slbfefyen nur auf baö üu
414 StalentmuS, ©uoftifer
magifcfye SeiWcrf richtete unb gefttffentltd^ ben (Sinbrud b,erborjurufen fucfyt, bafj eg fid;
babei um einen jur Sutoierung ber Einfältigen beranftalteten ©cfywinbel gefyanbelt fyabe.
§at er mcfyt übertrieben ober gefärbt, fo lief eg bei btefen 2lbenbmafyl§gebräud)en atlerbingg
auf Stafdjenfbielercien btnaug. £$nbem ber 3ftr/ftagog über ben Q3ecb,er boll SRifdiWein bag
5 ©aufgebet faracb, unb bie ©biflefe Weit augbefynte, bertoanbelte fid) ber geroö£>nItd)e Söein
in roten. SDag Würbe fo gebeutet, bafs bie fyöfyere Gfyarig {fj vtieq xä oXa Xagig) auf
bie ©biflefe tun i^r SSIut in ben Sedier geträufelt f)<xbe, batntt bie S£eilneb,mer aug betn
Sedier ju trinlen unb baburcb, aucb, jener ©Ijarig teilhaftig ju Werben begehren motten:
alfo bie richtige SRagie. ©in anbereg Shmftftüd beftanb barin, bafj 3Jiarlu§ ben affi=
10 ftierenben *Probfyetinnen 33ed;er mit SftifdjWem ju galten gab unb fte bag ©anfgebet
fbredjen tief?. ®ann nal)m er felbft einen Diel größeren SBecfyer, in ben er ben ^nfyalt
beg kleineren eingießen lief;, ©arauf fbracb, er folgenbeg ©ebet: Qene ©I)arig, bie bor
allem ift, bie unauibenfbare unb unaugfbred)Iid)e, fie erfülle beinen inneren SRenfdjen unb
meiere in bir bie ©rfenntnig bon ftd), inbem fic bag ©enfforn in guteg Sanb einfät (fi tzqö
15 xä>v öXcov f] ävevvorjxog xal äggrjxog X.a.Qig 7iXt]Qcooai oov xbv l'oco av&Qamov,
xal Tiltj'&vvai iv ooT rrjv yvcöoiv avxfjg iyxaxaojisiQovoa xbv xoxxov xov oLvänecog
dg xi]v äya&ijv yrjv I, 13, 2). Sluf bieg 2öeif)egebet füllte ficb, ber größere SSedjer fo
mit 2öein, ba| er überlief. Sie quantitative SSermefyrung würbe bem (Sinftrömen ber
Gfyarig gugefct)rteben. Dh f)ier $renäug boshaften Älatfd) bertrieben ober bie ©Uten ber
20 3Kar!ofter jutreffenb gefdrilbert bat, entgleit jtcr) ber 53eurteilnng. 9<ieanber (genet. @nt=
Widelung ©. 183) ift geneigt, ben Sericfyt beg $renäug auf ein SJitfjberftänbmg jurüd=
jufüfyren.
9Jtarrug felbft t)at ficb, alg 5ßrobb,et gefügt unb ftcfy bie $raft zugetraut, bie ^]robt)eten=
Wetfye aucb, anbern mitzuteilen. ®a§ Ritual ift bei $renäug I, 13, 3 erhalten. ®er
25 Sericfyterftatter bemerlt baju, SRartug fyahz fid) mit Vorliebe an angefefyene unb begüterte
grauen f)erangemad)t unb biefe burdj Mitteilung ber $robI)etenWeu)en für feine ©efte ju
gewinnen geWufjt. @r bat babei nur überfeben, ba£ feit ttn Weigfagenben Softem bei
Sßlulibbug, beren SRuf iijim bon Sfteinaften l)er bocb, belannt fein mufjte, ^3robb,etinnen in
ber älteften Äird;e nichts unerfwrteö Waren. S)a§ 3Seib,egebet lautete: ^cb. Will bir Slnteil
30 an meiner ©nabengabe gewähren, ba ber SlUbater beinen @ngel beftänbig bor feinem
2lntlits fieb,t. 2)te ©tätte beiner SRajeftät ift in un<§ ; Wir muffen äufammenfteb,en. 9ftmm
juerft bon mir unb burd) mid; bie ©nabe. Süfte bid;, inbem bu Wie eine Sraut ben
Bräutigam erWarteft, bamit bu Wirft, tt>a§ id; bin unb id), Waä bu. ^Bereite in beinern
33rautgemad)e bem ©amen be§ Siebtel eine ©tätte. 5Jimm bon mir ben ^Bräutigam,, unb
35 faffe il?n unb fei in il)m befaßt, ©ieb, e, bie ©nabe ift auf bitt) ^erabgelommen ! Öffne
beinen SRunb unb Weilfage! ®ie grau antwortet barauf: %ä) fyahe nod; niemals geWeil=
fagt unb berftefye nia)t ju Wetefagen. ©arauf fbvtd)t ber 9Beib,enbe: Öffne beinen 9Jhtnb
unb fbrid) irgenb etwas unb bu Wirft Weilfagen!, Worauf jene ju Weilfagen beginnt. Sie
Semerfungen, bie S^enäul baran fnübft, bafj fold}e ^ßrobljetinnen ben 9)iar!uS nid)t nur
40 mit if)rem 9teid)tum unterftüfet, fonbern aud; bie ©unft ib/re§ Seibeö Ratten ju teil Werben
laffen, Wirb nteberträcfytige Skrleumbung fein, bie an ben gewagten, aber burd;au3 nid;t
unerhörten Silbern bon bem Srautgemad) ib^re ^aftrung Wie il>ren Urfbrung b,aben
motten.
2lud} bei HJJarfus, beffen ©befulattonen im übrigen bie toHfte ^fyantaftif offenbaren,
45 ift bod; ber religiöfe ©runbgeb,alt nid)t gu benennen. 3)Zag e§ mit ben ^afdjenfbielereien
fteb,en, wie e§ WoHe — eg lä|t fid} barüber nid}tö met)r ausmachen — jebenfaßS äei3en
bie ©ebete, ba^ bie (Srfyebung bei inneren 3!JJenfd;en jum $leroma ben ^ern aller biefer
bunten $f)anta§magorien btlbete. Slber nid)t eine mr/ftifd)e 33erfenfung in bie nur bem
7iv£v/j,a burd; bie ©nofi<3 äugänglia)en liefen ber unaugfbred}Iid}en unb unbegreiflichen
50 ©eb,eimniffe, fonbern bie 2tbJet>r bon ber 2Belt be3 Materiellen, ber 2öelt beä SBöfen, bem
3teicb, bei in ber ginfternig be§ ©d)lecb,ten berfunfenen Teufels, ©ie ßunge rebet bie
©brache ber ßett; aber in bem §er^en tönt baö alte Menfd^eitSlieb bon gaU unb @r=
löfung. ®a§ ift meb,r Wie Sftagie unb ©buf.
9. ^olorbaful. ®ie ©efd)id}tlid)feit ber ^erfon be§ MorbafuS unterliegt geWia)=
55 tigen Sebenfen. 2Baö @bibl)aniu§ bon ib,m berietet (h. 35), ift bie 3Biebergabe bon
©injelbemerlungen, mit benen $renäu3 feinen Seria)t über bie SJkrfoftaner auSgeftattet
b,at, ob;ne bafe er babei ben tarnen be§ 3Weige<S ber ©d)ule nannte, bon bem bie 33e=
merfungen gelten (SBoHmar, ®. Holorbafug=©noftl, 3^ 1855, 614f.; 2ibfiu§, 3. Duellen*
Iritif b. @bibfyanio§ 167 f.). 3Son bem fo entftanbenen Strtilel beg @bibb|aniu§ fyat £b,eo=
go boret (haeret. fab. I, 12) ein (geerbt geliefert. ^ßb,ilafter begnügt fid? mit ber 5Ro%
$nlenttmt$, ©nofttfer 415
bafe Molorbafug similiter in litteris et numero elementorum astrorumque Septem
vitam omnium hominum et generationem consistere adserebat (h. 43): 2lud)
£ibtoolt;t bat offenbar nid;rS rec^teg geteuft; ma<§ er bon tt)m bemerft, ift fo allgemein
ober fo' offenfidjtlicb, SScrlegenbeitSauSfunft, ba| auf eine befonbere Überlieferung ntcfjt ge=
fdjloffen merben famt (Philos. IV, 12. VI, 5. 55). Slertutlian, adv. haer. 15 tyat 5
ebenfo menig au3 bem ©tmtagma §ibbolr/t!ö ju entnehmen bermoct)t. ©ic ©teile adv.
Valent. 4, an ber man eine ©rmä|mmg be§ 3Ranneö fanb, bietet in it)rer f;anbfd^rift=
liefen Überlieferung ^mar einen berberbten %yct; aber bie ©menbation be3 SattmuS, ber
bjer ben MolorbafuS einfette, ift fdjmerlid; im Sterte ($ror/tnann lieft in ber SluSgabe be3
Sßiener (5orbu§ II, 181, 3 ff.: ad expugnandam conuersus ueritatem et cuiusdam 10
ueteris opinionis semen nactus colubro suo uiam delineauit ; überliefert ift in
ben brei .gmnbfcfyrtften colubroso. @ngelbred)t fcf)lägt colubrosum, Didier [astu] colu-
broso bor), üuellc aller -ftadjridjten fct)eint bie rätfelt/afte ©teile ^renäu«? I, 14, 1 ju
bilben, bie im Satetnifct)en fo lautet: hie igitur Marcus vulvam et suseeptorium
Colorbasi Silentii semet solum i'uisse dicens quippe unigenitus existens semen, 15
quod depositum est in eum sie enixus est. ®er 2lu§brud Colorbasi Silentii
berettet ob,ne §xage ©djmierigfeiien, ha bon einem Ütolorbafug bei JgrenäuS fonft feine
3xebe ift unb er bab,er jebem Sefer unberftänblidt) bleiben muf^. ÜRun tonnten bie beiben
legten Sudjftaben eine SDittograbbte fein, fo baf$ ber 'iEer.t urfbrüngltd) gelautet tiätte
Colorba Silentii, menn nietet tSbtbfyaniug ba§ KoXoQßäoov bezeugte, älber mag ift 20
fii'/Toa xal ixdoxeiov ttjs KokoQßä Ziyrjq? @§ fönnte nur ein Äunftauäbrud ber
Scbule fein, ber jebod) fonft nirgenbs> ermähnt mirb. ©er SBerfud) ^eumanng (Hamburg,
bermifdjte Sibliotb. 1743, I, 145), ein t)ebräifcfye3 älquibalent in 5'5pN Vz ^u fonftruieren
unb barunter bie llrbierfyeit in ifyrer ©efamtfyeit ju begreifen („alle SSter jufammen")
liefert feinen baffenben ©inn, menn man ntd)t eben berftetjt: „bie ber SEetraftfyg an= 25
gehörige ©ige" ^mmerfyin ift biefe Söfung noeb, berjentgen bon 23aur (S?ird;engcfd). ber
3 erften ^dfyxi). 204, 2lnm. 1) borjujieben, ber bag 2Bort auf ^5"^ :>ip jurüdfüfyrt unb
bie „©timme ber SSter" b. t). ber oberften betrag im ©egenfais §u ber Ziyr\ berftel)t.
Senn ein foldbeö SBortfbiel märe ben Sefern bes> £$renau§ unberftänblict) geblieben unb
jubem mar $renäu§ gar nid;t in ber Sage es> %w machen, ba er fein ^ebräifd; berftanb. 30
Öort l)at aber jubem mit Stecht geltenb gemalt, bafj ber ©inn Verlange: bie ^olarba ber
©ige unb borgefdjlagen, ben S£er.t, be<S ^renäu? §u änbern: rfjs Kolagßä ex Ziyr\g
(DchrB II, 595a). ®ocb, eine Slnberung be§ %vpxä ift bebenfltd), ba bie ©unfelfyeit ja
fefyr roof>I bereite burd) bie Duelle berurfadjt fein fönnte, ber $renäu3 in biefem 2lb=
fdjnitt folgte. 35
Sluffallenb unb unerflärt bleibt aber immer ber unerwartete 2tu3brud für bie oberfte
betrag, ber an btefer einen Stelle auftaucht unb nad)t)er nid)t mieber gum 33orfd;ein
fommt. §ilgenfelb l>at barauf l)ingemiefcn, baf? ber 5Rame KoloQßäoiog fid; auet) bei
3Mu8 (ep. III, 52) finbe, ebenfo afö KoXoQßamog CIGr 6585 (gwXl) 1880, 241.
£e|ergefd). 288). S)ie 3JJöglid;feit ber ©pftenj eineä 3Salentinianer§ ift bamit ungtüeifel= 40
Ht bemiefen, aber ebenfo fönnte bamit, toie Sibfiu§ miß (^torXb, 1887, 593) ber Söeg
gegeigt fein, mie §ibboIbt §u feinem SRi^berftänbnig fam, ba$ bann alle fbäteren §örefio=
logen nachgemacht baben. Sa§ bollfommene ©cljmeigen be§ ^renäu§ über eine ©efte be3
Solorbafuö ift ferner berftänblid; unb fönnte nur jur 5Rot au§ ber ©ürftigfeit fetner
Üuellen erflärt merben. Slber gerabe über SftarfuS ftanben ib,m befonber§ reid)lid;e Tiaä)- 45
richten ju ©ebot, fo baf3 biefe ©rflärung menig roa^rfcbeinlid; ift.
©in fixeres Urteil über bie grage läfst fieb, bei ber SBefcfyaffenfycit be§ QueHenmaterialö
nid^t abgeben. SSielleid^t fc^afft bie Kenntnis ber b,anbfd)riftlicf)en Überlieferung beg @bt=
^aniug unb ber lateintfcb,en Überfettung be§ S^näu^ nod; bie 9Jiöglid;feit, bem 3Serftänb=
ni§ ber ©teile nät;er ju fommen ober bie $tf)kxqueüt %u entbeden. 50
10. Quellen unb S3ebeutung be§ balentinianifcb,en ©^ftem§. Überbltdt
man bie ©runbgebanfen be§ ©t;ftem§, baö im einzelnen unenbltcb, toariiert bei ben ©tt)ülern
toteberfebrt, fo ergiebt fid), bafj e§ jum guten %e\l in bem patomSmuS, mie ib,n bie
fpätere 3eit tierftanb, murselte. @€ ift ba§ Sieb bom gatl, ber ©eljnfud^t unb ber @r=
löfung ber ©eele, baä Valentin, mie im ©runbe alle ©noftifer, gefungen t)at. ®er 55
unenblidK ©eift, auf beffen Dieter) baö nvev/na ein unberäu^erlid;e§ 3tecb,t b,at, ,^ieb,t bie
5Kenfcb,engeifter mieber ju fid), ioeil in ib^nen nie bie ©elmfucfyt nad; ber beeren SBelt
erlofdjen ift unb med fie auä ber 35ergänglicf;feit be§ ^rbifd;en mie au§ einem ©efängniS
Beraulftreben. Söie ber blatonifdje @ro§ gmifd^en bem ©terblid;en unb Unterblieben ber=
mittelt unb in ber ©eele ben Xricb natb, ber emtgen ©cbönbeit ber ibealen iffielt triebt 60
416 $nleitthm3, ©noftifer
$ur S^ul^e fommen läßt, fo bei Valentin bie ©otobia^ctjamott;. Sie 2tonert, biefe £)Stoofta=
fierten begriffe, finb im ©runbe nichts anbereS als bie blatonifcfyen %bwn, toie fcfyon
■£ertutlian mit Stecht fyerborgefyoben fyat (de anima 18). SlllerbingS ift eS fein reiner
$IatoniSmuS, ber in Valentin unb feiner ©dmle ^erbortntt. Saß pfytfyagoreifcije ©mflüffe
5 in allerlei 3af)Ienft)tnbolif unb 2lntitf;efen fyerbortritt, ift bereite bon^renäuS bemerkt toorben
(quod autem velint in numeros transferre Universum hoc a Pythagoricis ac-
ceperunt II, 14, 6 ; bgl. .gibpolbt, Philos. VI, 24 u. ö.). ©benfo ift ber ©influß ber
©toa unberfennbar, bon ber beftimmte SieblmgSauSbrücfe toie ötäfisoig, ngoxornfj, xard-
Arjyjig, ÖQjurj, ovoia, xaraoxevi] u. a. entlehnt finb unb ber ©ebanfengänge, toie bie
10 9folle beS oniqixa unb Jiä&og, bie 33orftellung einer Söeltberbrennung nacfygebilbet toorben
finb. 33erfiänblict; toirb biefeS ©t)ftem nur auf bem 33oben eines bfyilofobfnfdjen ©rmfretiS=
muS, toie er bie 3eit ber)errfd)te.
Slber eS fußte nxdjt ${)iIofobt)ie fonbern Religion fein, toaS bie ©nofttler berfünbeten.
2lucf) fyier finb fie bon bem ©tmfretiSmuS ibjer geit auf baS ftärlfte beeinflußt toorben.
15 2Bie tief biefer ©influß reifte, läßt fid) gur geit nod; nidjt überfd)auen, ba bie Quellen
jeijt erft erfdjiloffen toerben, manche nodj ju erfdjließen finb. 2Bie ftarl ber b/etbnifcEje
©tmfretiSmuS beS femitifcfyen Orients eingetoirft i)at, läßt fiel) ebenfalls nocb, nid)t bötlig
ermeffen, ba eine ©efcfyicfyte bei femitifcfyen §eibentumS nod; nic^t getrieben ift. Surcb, 3Ser=
mtttelung ber Dbfyiten mag l)ier mancher ©ame aufgegangen fein, ber bem orientalifdjen
20 Soben entftammt. Sie ägr#tifd)e Religion, bie SBolfSreiigton ber ©rieben unb Körner
— fie äße t)abm beigetragen, baS religiöfe StnfcljauungSmatertal ^u fcfyaffen, mit bem biefe
©noftS operiert, ©o ift bann biefe ©umme bertoirrenber Silber unb fraufer 3Sorfteßungen
entftanben, innerhalb beren eS fctjtoer ift, einen leitenben gaben in ber §anb ju behalten.
Sennocfj fcfyeint toenigftenS ein %e\l ber ©clwlfiäubter burc§ bie güße ber ©eficljte triebt
25 bertoirrt toorben ?u fein, ©ie toollten, toenn man fie nad) ben heften il)rer autfyenttfctjen
SluSfagen beurteilen barf, ben bon willigen Sorfieüungen religiöfer Strt bertoirrten
Reiben einen einfacheren unb jubcrläffigeren 2öeg ju ©Ott geigen, unb biefer äöeg ging
burd) bie ^erfon $efu Sbrifti.
Sie 3lutoritäten, unter bie fie ficb, freuen, finb bie SBorte Qefu unb feiner 2lbofteI.
so 3ln ib/rer §anb fritifierte ^toIemäuS baS jübifdje @efe§, in fie läßt Valentin feine Sar=
legungen auSflingen, auS itmen fucfyte §era!leon fein ©Aftern ju enttotcfeln, wobei eS ifym
freilieb, baffieren mag, baß er bie Söorte ber ©bangelien mefyr in baS ©d)ema feiner £et)re
preßt, ate bie§ nad) innert möbelt. Valentin beruft fiel) nid)t auf irgenb einen obffuren
ißeifen ober ^rotofyeten, fonbern auf bett ^auIuSfcfyüler Sfjeobag, an beffen (Sjifteng ju
35 jtoeifeln nur bann berechtigt toäre, toenn feine ©egner beffen 9cid)ter.iften^ betoiefen Ratten.
SfJJarluö rüb,mt fiep freiließ brobbetifcfjer Begabung unb einer befonberen inneren ©rleud)=
tung burefy bie l)b1;ere S55eisl)eit, bie ifnn bie ©eb^eimniffe einer beeren 3Belt offenbart
l)abe. 2lber bamit tl^at er nichtig außergetoöl)nlicl)e§. älucb, Reiben unb bie rfjrifttid^en
©emeinben rühmten fiel; ibrer ^roblieten unb $robf)etinnen unb räumten il>nen befonbere
40 Sorrec^te ein. beurteilt man baS ßb^riftentum nur nacb, ben toenigen fircb,Iid;en ©Triften,
bie aus ber älteften Qnt übrig geblieben finb, fo fd)eint ber 2lbftanb groß genug. 2lber
'toir toürben bie ®iftanj beffer unb richtiger fdtjä^en, toenn toir bie litterarifef/en ©enf=
mäler jener ^\t noeb, bottftänbig befäßen. 2)ann toürben toir and) ein jutreffenberei Urteil
über ba§ abgeben !önnen, toag bamafe „cb^riftlicl)" toar, ate un§ ba<5 bei unferen lüc!en=
45 haften Kenntniffen je^t möglid} ift. Qu jebem §aße l^aben biefe ©noftifer nicfyr» anberei
fein toollen, als cljriftlicfye £el)rer, ^5rebiger ober ^rofcl;eten.
®ie Mircb^c l)at fie freilief) fbäter anberi beurteilt. SDaß fie ba3 ßfjriftentum in ber
gebilbeten SBelt erft möglich mad;en Ralfen, blatte man balb bergeffen. ©ie 2lboIogeten
Ratten ben Sänften nidit jum ©iege berb^olfen, benn fie flutteten baä Äinb mit bem Sabe
so aug unb man b|at mit 3iett)t il?r Sfjriftentum „beinlid) bürftig" nennen fbnnen (^ülicfyer,
©ie djriftl. Religion [®. Hultur ber ©egentoart I, 4, Seidig 1905] ©. 100). Sie alte
Religion, bie fie nur in 'ben SRfytfyen §u finben meinten, erfc^ien ib^nen als ölöbfinn, bie
alte ^l^ilofob^ie %\)oxfytit unb 2rug ober im beften %aüe ein fümmerlid)e§ Plagiat ber
biblifcb^en SßeiSb^eit. Unb baneben foßte nun bennod) jugleicfy ba§ ßl)riftentum al§ bie
55 boElommenfte $f)ilofobl)ie ertoiefen unb fein 9ted)t burc| einen 3Sergleic|) bbllig tnlon=
gruenter ©rößen beljauptet toerben. Sem gegenüber fyahm bie ©noftifer ben dfyarafter
beS S^riftentumS als einer ©rlöfungSreligion auf baS energifc&Jie feftgeljalten. 2SaS fie
fua)en unb bermitteln ju fbnnen meinen, ift bie Übertoinbung ber SBelt, biefeS Inbegriffs
bon ©ünbe, 3:ob unb Teufel, unb bie ©emeinfcb,aft mit ©Ott.
eo Sie ©efabj, bie tro^bem in biefer ©nofiS tag, ift bon ber Sftrd;e inftinftib erfannt
SolcntimtS, ©nofHfer SJalenttn, b. fjetltge 417
worben. ®er Dualismus, ber burd; fie öeretütgt Würbe unb ber bem SDenfen jener 3eit
burdjauS nidjt anftöfjig erfdnen, brofyte ben SDionotfyeiSmuS gu gerftbren unb einen SDitl)eiS=
muS an bie ©teile gu feiert, beffert Konfeguengen an ber Sefyre 9JtarcionS beutlia) Werben.
Unb bie 2luflöfung aCfeS ©efcbjd;tlid;en, feine Verflüchtigung gum bloßen SBUb unb ©leicr;=
nis, gu einem rein zufälligen gaftor in bem großen unb ewigen geiftigen EmanationS= 5
unb ErlbfungSbrama brad;te bie ©efafyr, ba| baS Efyriftentum ben feften Boben ber 2Birf=
lid}feit unter ben güfjen berlor. ES mag fein, bafj noct) Valentin biefe ©efaljir abguWenben
bermodjt fyat, aber SRänner Wie SJkrfuS geigen, bafj fie früher ober fbäter unabWenbbar
War. 2>on ©belulationen, berfonifigierien Gegriffen unb fünftlid; lonftruierten 5ßerfonen
aber fann feine Religion auf bie SDauer leben. 10
©0 berechtigt bafyer ber Kambf gegen biefe ©nofiS mar, fo läfjt ftcr) bocr) bei rüd=
fdjauenber Beurteilung nidjit berfennen, wie biel fegenSreid>er Keime bie Bewegung in ftd)
fd)lofj, bie fbäter in ber Kirche gur Entfaltung gekommen finb. Sßietoeit Valentin für bie
fird;Iid?e Drganifation borbtlblid; geworben ift, läßt fid) nid)t mebj ernennen, ba Wir über
bie Drganifation feiner ©emeinben gu Wenig Wtffen. $mmerb,in Hingt feine ©Reibung 15
jtrifdien ben ^neumatifern unb ^ftydjtfern nocfy in ber fbäteren 2lnfa)auung bon einer
bobbelten ©ittlicbjeit in ber Kird;e Wieber. ©aS ©ebiet, auf bem bie folgen ber £fyätig=
leit Valentins unb feiner ©cb,ule am beutlicbjten Wab,rgunel)men finb, ift bie Wiffenfo)aft=
liebe unb erbauliche Sitteratur. ©erabe hierin fdjeint feine ©dmle mit befonberem Eifer
tfyätig geWefen gu fein. 2tbofrf/bfye Ebangelienergäfylungen unb Slboftelfafyrten befriebigten 20
in romanhafter §orm baS SefebebürfniS beS ©urcfyfdmtttSgebilbeten. gur bie litterarifo)en
^ntereffen ber fyöfyer ©ebilbeten forgten Dben; ber Erbauung bienten Vrebigten unb bie
toiffenfcfyaftlicfye Sitteratur Vertraten umfangreiche SBerfe e^egetifd^en unb fr/ftematifd;en $n=
t)altc§. ES War fein Söunber, baß biefe intenfibc litterarifaje £I)ätigfeit ber ©d}ule einen
Sufym berfcr)affte, ber um fo bemlicljier für bie Kircfyc fein muffte, <dS fie nichts ©leid;= 25
artiges befaß. ^Derartiges gu fd)affen War bie bringenbe Aufgabe ber näcfyften .ßeit.
$n Welchem SKaße aber bie fird;ltcr)e Sitteratur, bie guerft berbiente, eine Wiffenfct)aft=
lidje genannt gu Werben, bon Valentin unb feiner ©dmle beeinflußt Worben ift, geigen
SlemenS unb DrigeneS noeb, auf baS beutlicbjte. 5Rid)t nur, baß bie Befämbfung ber
balentinianifcr)en Sefyren offen ober berftedt bie SBerfe ElemenS' Wie ein roter gaben burct> 30
jieb,t, er t)at aueb) in md)t Wenigen gälten Silber, 2Wegorien unb ©ebanfengänge feinem
©egner abgelaufd;t, um fie gegebenenfalls ju berWerten. Sie Kommentare beS DrigeneS
finb olme 3weifel tote berjenige gum ^ofyanneSebangelium geigt, u. a. aud; gu bem ^toed
getrieben, bie gnoftifcfye ©d)riftauSlegung gu berbrängen. Ünb Wenn bon ib,m, in feinem
fpäteren 2tlter WenigftenS, maffenb,aft ^5rebigten aufgegeid)net unb herausgegeben Worben 35
finb, fo Wirb aueb, babei ber ©egenfa| gegen bie feelenmörberifc|)en §omilien ber balen=
tiniarttfct)en ©d;ule mitgeWirlt b,aben. 3ln r^etorifdjer Kraft, an entern ^ßatljoS War
Valentin freilieb, bem DrigeneS überlegen. 2lber beffen Hare, in it)rer nüchternen S3eWeiS=
füb,rung einbrudSboüen Erörterungen, bie nie bie überlegene Einfielt beS Wahren ©elefjrten
Verleugnen, Werben gerabe in ben Greifen nid;t WirfungSloS geblieben fein, für bie jene *°
balentmianifcfyen ^rebigten eine ©efab^r bilbeten. ®aß man auet; baS 9JiitteI ber ®id;=
tung nid^t berfcfymäfyte, beWeift ber §^»mnuS beS ElemenS 211er,., auf beffen Bilberreicb.tum
bielleicr)t aud; balentinianifd;e ^ßoefie befrud>tenb eingewirkt b,at.
Stuf biefe 3Beife r)at bie Kirche bie Sßaffen ber geinbe umgefd)miebet unb mit ib,nen
bie ©egner überWunben. 3lber bie Erinnerung blieb noct) lange lebenbtg unb als ftt)on 45
längft bie legten 9tefte berfc^Wunben Waren, b,at fid; bie ©efe^gebung noc| mit if>nen be=
faßt (Cod. Theod. X, 5, 65 § 2). (Srttin <Prcuf(^en.
SSalentin, b. ^eilige, 5. ^afyrfy. — AS j. 7. 3an. Sbl ©.368; SRettkvg, m
3)eutf^tanb§ I, <S. 220 f. II, @. 133; ©aud, $® Sewtfc^Ianb§ I3, @. 360.
ES giebt eine Stngafyl bon 3Jiännern beS Samens Valentin, bie in ber alten Kirche so
unb im 9JM. als Wläxtyxa bereit Würben. Qn Dei: ^fo 9tomS, an ber Via Flaminia,
liegt baS Eömeterium beS ^l. Valentin, eines römtfcfyen ^ßriefterS, f. Kraus, Roma sott.
S. 533 f. ©er rbmifdjen Depositio martyrum ift fein ^lame nod; fremb ; bagegen
finbet er fidt) gum 14. gebruar in mittelalterlichen 3Kartt)rologien, g. 33. im Breviar.
Einsidl. beS 12. ^ab,rb^unbertS : Romae Valentini presbyteri, Spoliti Vitaliani 55
item Valentini episcopi, AS Nov. II, 1 ©. 20. 2ftit ibm gufammengefloffen, biel=
leicht urfbrünglicb; ibentifet) ift nidjt nur ber b,ier genannte Bifdjof Valentin bon ©boleto,
fonbern aueb, ber 33tfd;of Valentin bon Xerni; im Martyr. Sangall. beS 10. ^afo
b,unbertS lautet ber Eintrag: Romae Valentini epi., Interannis civitate Valentini
«eaI=encBHopäMe für Iljeologte unb Äir^e. 3. a. xx. 27
418 Valentin, b. Ijeüige SSalcrtau öon ©emeltunt
epi., a. a. D. SDert Valentin bon Xerni fennt audb, ber Cod. Bern. beS Martyro-
logium Hieronymianum, aber jum 14. Slbril unb nicfyt cü§ Sifdmf. Söcan befinbet fid^>
bier alfo auf fet/r unserem 33oben. ©ie 2lften be£ ^ßriefterS tote be§ 23ifd)of§ finb jung
unb unglaubmürbig. Qm 3CR31. feierte man ben 3SaIentin§tag aud) in ©eutfcfylanb, f. j. §8.
5 bag unter SBifd^of Söolfgang gefcfmebene Stegensburger ^alenbarium bei 9JceI)Ier, ©er bl.
SBoIfgang ©. 172. ,,©t. Gelten" galt als ©einbettiger gegen bie faßenbe ©ucfyt. gum
13. Slobember fyat ba<§ ältefte fartfyaginienftfcfie 9Jiartt)roIogium ben ©intrag s. Valentini,
©ött. älbb. 31% III, 3 ©. 21. Stber bon biefem, rcab^fcfjeinlicb, afrifanifd^en, 9JWrtr/rer
miffen mir nict/t3 als* ben tarnen; er crfdjeint auct; im Cod. Bern. be§ Martyrol.
10 Hieron., aber am 14. gebruar (AS ;J?ob. II, 1 ©.29: In Africa natale s. Va-
lentini).
©idjerere $unbe al§ über biefe unb anbere altfircfylicfye SDtärt^rer be3 Samens
SBalentin b)aben mir über einen gleid^namigen 93if(^of, ber in ber auSgefyenben alittrcfylidjen 3eit
in 9täiien tfyättg mar. $reilicb ift au<fy fte dürftig genug. (Sine sJ^ott§ über ifm giebt
15 @ugibiu3(f. 33b V ©. 590, 3i) im 41. Äabitel feiner SebenSbefcr/reibung ©eberin§. ©anacb,
mar er Slbt unb 53tfd)of ber datier unb ift er am 6. Januar eine» nicfyt ju beftimmenben
3afyre<3 geftorben. 23on ber nachhaltigen 93eret)rung, meiere ü)m in einem nicf)t altju
befcfyränften Greife ju teil mürbe, giebt isenantiuS gortunatuS, V. Mart. IV v. 647 f., Äunbe.
@r meifj bon SalentinSfircfyen in Sforicum. ©nblict) I)ören mir in Stribog V. Corbin. 17
20 2I3M XVIII, ©. 262 bon 93aknttn§ ©rab in maxi bei 3Jteran, alfo auf rätifdjem
23oben. ,£>iemad) mirb man Valentin ab§ einen in Stätien unb bem benachbarten
9?oricum für bie StuSbreitung beS 61)riftentum§ obne feften ©i| tätigen Sifdrnf ju be=
trauten t)aben. ©ie geit feinet 2ßir!en§ ergiebt ficr) barau§, ba| nacb, V. Sever. 41
fein ©cfjüter SuciltuS um 480 ein ©rei§ mar: er mirb alfo in ber erften §älfte bes>
25 5. Igaftt^unbertiS geteirft fmben. ©ie Reliquien 35alentin§ mürben bon §erjog SEaffilo
bon Skiern 768 nacb, $affau gebracht, V Corbin. 35 ©. 270. ©eitbem nahmen $irct)e
unb Sistum bon ^affau ben 1)1. Valentin als einen ifyrer früfyeften Qnljiaber unb SRe=
bräfentanten in Stnfbrud). ©ie etma bem Stnfange beS 11. %ab, rtmnbertS entftammenben
Slften fct/ilbern Valentin als einen bon Dften fyer in bie ©egenb bon ^affau gekommenen
30 grembling, ber eine $?\t lang al<§ 9Jliffon§btfc|of in biefer ©egenb gemirft \)abe. ©oeb,
\jabe feine ^Srebigt b,ier menig genug ausgerichtet, unb er fei be§b,alb bei ^abft £eo I.
barum eingefommen, feinen SBifcfyofSfuj in eine anbere ©egenb berlegen ju bürfen. $\ve'u
mal b,abe ib,m 2eo biefe Sitte abgefc|lagen. 31IS er ^um brüten 9Me enblicb, burc^=
gebrungen, t)abe er fieb, fübmärt§ in bie Serglänber (montana), „ b. t). in bie SEt;roler
35 Silben jurüdgejogen, unb fei fiier balb barauf geftorben. — St^nlicb, lauten bie 2tn=
gaben einer bleiernen ^afel, bie man im ^afyre 1020 neben feinen ©ebeinen gefunben
r/aben moüte, unb bie angeblicb, im 5. Qa^^unbert, fur^ nacb, be3 ^eiligen 5£obe,
berfertigt mürbe, in äöafyrfyeit aber fcb^merlict; bor bem 12. ^af>rb,unbert entftauben ift.
(Bötffer t) ^o«tf-
40 $aIettthtH§, ^?abft 827, mar ber 5Racb, folger @ugen§ II. unb Vorgänger ©regorS IV.;
er regierte laum einen 5Ronat; fo berichten bie fog. 2innalen @inb,arbg, mäb^renb bie
33iograb!)ie 3>.g im lib. pontif. bon bierjig 2agen fbricfjt. 9Jad; berfelben mar er ein
geborener Körner de regione via lata, $abft ^3afct)aIiS meiste ib,n ^um ©ialon unb
ert)o& ibn fbäter jum 2Irct)tbiafon. ^ouef.
45 2?oIerian tum Kemcltum, geft. um 460. — & ®uc^e§ne, Fastes öpiscopaux de
rancienne Gaule I2, <J5ari§ 1907, p. 290. 296. — Gallia christiana III2 (1876), <B. 1268. —
Hist. litt. II, 328 f. — StHemont, M^m. eccl. XV, 125. — 2Ratnorfi, Saint Cesaire eveque
d'Arles ^ariS 1894, 43. 70. 251. — ®ie editio prineeps üon Sac. 6irmonb: Sancti Vale-
riani episcopi Cemeliensis homiliae XX. Item epistola ad monachos, de virtutibus et
50 ordine doctrinae apostolicae. Omnia nunc primum praeter unicam homeliam, post annos
plus minus mille ducentos in lucem edita. Lutetiae Parisior. 1612, 8° (238 (Seiten £ejt).
— S8eräeict)nt§ ber festeren SluSgaBen bei MSL 52, 783 ff. au§ ©aßonb X u. ©cfjoenemcmn II.
®er Slbbruc! 691—758 ift naef) ©aflanb genommen. — Theophili Eaynaudi S. J. Apologia
pro S. Valeriano (MSL 52, 757—836) gegen ben Sßorraurf be§ <£emipe(agtani8mu§ (1633);
55 9J. ©diac!, De Valeriano seculi quinti honiileta Christiano, Havniae 1814. — RQH 1892,
@. 259; 1905, ©. 77.
_®ie in ber ©übofteefe ©aßiens> gelegene civitas ber 35ebantier, meiere bie erfie
©tation in ber Sanbfdjaft Alpes maritimae für ben au§ Sigurien !ommenben Reifen;
ben mar, efye er ben eigentlichen ©renjflu^ Saru§ baffierte, überragte an Sebeutung be§
$alerian bon ©emeltum 419
um s3Hecr gelegene taftell 9ftcca OJli^a), b/attc 2tmbf)itf)eater, 2lquäbutt, Hermen unb
ftanb unter einem ^iräfeften. £eute ift fie bii auf einen $ügel (Gimiej), ber eine Äird;e
unb eine 2Ibtei trägt, berfcfjWunben ; ber alte sJiame War tt>ot)I demenelion. (giner ber
beiben einigen bortigen SBtfd^öfe, bereit tarnen uni befannt finb, War 23alerianui. 33iel=
leicht ift er ber 23erWanbte bei ©ucfyeriui bon Styon, an ben biefer feinen berühmten 23e= 5
febjungibrief richtete (MSL 50, 711; bgl. XiHemont 1. c). Von feiner Slmtitfyätigfeit
ioeife man nur, bafe er 439 an bem $onjiI ju 'Siiq, 452 an bem ju Sßaifon teilnahm
(ftefele, ©onctliengefc^. II2, 289. 296), mit 18 anberen gallifd>en 23ifcb;öfen £eo b. ©r.
gegenüber für ben Primat Don 2Irlei eintrat (f. b. 21. 33b II, 58, 22) unb fid) gegen bie
2lnfbrüd)e bei Sljeobor bon grejui erllärte (f. b. 2t. gauftui bon 9tejt 33b V, 783, 10). 10
l*r ift alfo 2tnf)änger bei £ilariui bon 2lrlei unb bei $auftui getoefen. 2Ba3 tfym
23ebeutung giebt, finb aber feine §omilien. 23ü 1612 War nur bie unter 2luguftini
Hainen gefyenbe de bono disciplinae befannt, bie 1601 Don 9Md)tor ©olbaft ju ©enf
ali bem 23alerian gehörig erWiefen unb ebiert war (MSL 52, 687). ©irmonb fanb in
einer ßorbejenfer §anbfd)rift 19 anbere, bie er bemfelben 23alerian jufdjrieb. Sie 15
äußeren ©rünbe bafür finb nicfjt fo fcfyWacf/, tote ©d)acf ©.15 angiebt. 2Werbingi
ioerben fie aber baburd; berftärft, bafj, Wie <5<fyaä juerft bemerft i)at, in ben Flores
doctorum bei %b,oma§ £>ibemicui (geft. 1289, bgl. ßaf. Dubin, Commentar. de scr.
eccl. III [1722], 611 f.) ©entenjen aui unferen .'oomilien einem episcopus Valerius
jugefcbrieben Werben, unter bem unfer 23alerian ju öerfteben fein Wirb (bgl. Flores 20
doctor., Antv. 1558, p. 132. 453. 732). Seiber berfäfyrt ©d)ad in biefer Unterfud)ung
ntd£»t forgfältig genug. — 'Sie inneren ©rünbe für bie gufammengefyörigfeit ber jWanjig
§omilien (unb bei 23riefei an bie 9Jtönd)e) erhalten einen bebeutenben 3uWad)g burd;
bie gleichartige 2lnWenbung bei ^urfui, bei Sfr/r/tfymui. 23alerian fyat feine £omilien
mit aßen Ihmftmitteln ber gallifdjen 3ll)etorenfd)ulen auigeftattet, feine ©iltion Weift 25
überrafd)enbe tecr/nifcfje ^einbetten auf. 2lud) bie 2tllüteration Weift er WirrungiboH ju
berwerten (bgl. 5. 33. MSL 52, 698 B). ®abei fefylt bter nod) bie big jur lächerlichen
Unnatur überlabene Drnamenti! ber abfterbenben 9lr/etorenfd)ule bei 6. gafyrfmnberti
(2lbitui b. 23ienne). 23. ermübet nid)t burd) gehäufte D^r/mora, Wie *J3etrui ßbjr/fologui.
©eine ©iibofition ift fteti flar (bgl. bai ©runbfct/ema bei ©d)acf ©. 48 ff.), Wie bei 30
Seo b. ©r.; aber er ift biel farbenreicher ali biefer. 2lm glänjenbften ift er in ©d)ilbe=
rungen; fner erliegt er bisweilen ber 23erfud)ung, burd) 2luimalung länger ju feffeln,
ali bai ©benmajj ber Siebe berträgt. ©ein 3Bortfcba^ ift bebeutenb, 2lbWeid)ungen bon
ben flaffifcfyen 2öortbebeutungen finb ä^nlid) Wie bei ©altoian unb 6t;rt)fDlogug (©cb,ad
2. 56). @r citiert fonfequent nur bie93ibe( unb jWar burd)gel^enb§ nid;t nad? ber 23ulgata 35
(Bfyad ©. 29 ift grunbfalfcb). ©en©eneca benu^t er ot)ne it)n ju nennen (bgl. Hom. II
mit de Providentia c. 1 ff!), Wie aud) fein ©til bem bei ©eneca nacfygebübet ift. ®ie
öorliegenben ^omilien finb al§ ©ammlung aufgearbeitet unb t>erau§gegeben: ber ©d}Iufe
einer $ebe bilbet oft bie Vorbereitung auf ba§ %i)ma ber näd)ften (»gl. j. 23. ben ©ebluf
bon Hom. VI mit bem %i)ima bonHom. VII, aud) Hom. I am ©cfylufj mit Hom. II 40
init), unb eine fbätere 9tebe Weift me^rfad» auf eine frühere jurüd (5. 93. MSL 52,
711 B auf 708 B). — SDajj 23alerian bon ©ennabiuS nic^t erwähnt Wirb, b>t toteKcicbt
in bem geringen Umfang ber ©ammlung feinen ©runb. — 2tl§ ©efdjicr/tiquelle finb
bie §omilien toertbotl, Weil fie bie @infeitig!eit ©albian« in ber ßeitbeurteilung ergänzen ;
bon ben 23arbarenlriegen Würbe ßemenelion bamalö rttefet birelt berührt ; aber 3üge bon 45
Kriegsgefangenen baffierten oft bie ©tabt, unb ber So^auf fbielt in ben Sieben eine
grofee Stolle. — Über bie Geologie be§ 23. ift biel geftritten Worben, mit geringem @r=
folg, ba er bogmatifd)en üontroberfen abfid;tlid} au§ bem 2Bege gebt. ©ieS ergiebt fief;
befonberg au§ ber 12. £>omilie de bono conservandae pacis. ^m 3ufammen^anÖ
mit «ßf 133 Warnt er babor, fid) bon ber Strebe ju trennen unb legt ein lur^eS trinitarifd^el so
SelenntniS ah, ba€ giemlicb mobalifttfeb lautet (bgl. Hom. III MSL 52, 702 B), aber
ohne ben geringften §inWei3 auf 9lom ober ein J?onjil ober bei ^rabitionibrinjib bei
2jincentiui bon Serinum; unb unmittelbar barauf Warnt er bor ©treitluft. Hom. VII
MSL 715 B C Wirb $ef 58, 7 auf notleibenbe ^uben, .sjärettfer, Reiben unb 23arbaren,
tote auf 6f)riften, belogen, ^n ber ©nabenleb^re getgt bie biel erörterte Hom. XI ben 55
& als; 2lnf)änger bei gauftui bon 3liej, aber oljne alle ^olemif gegen ben $räbefti=
natianiimui unb o^ne 2lblel)nung ber innerlich Wirfenben ©nabe. ©ein ©tanbbunft ift
bon bem bei ßäfariui bon 2lrelate Wenig berfd)ieben (bgl. Rev. ben. XXIII [1906],
-67) nur bafe jeber (ginflufe 2lugufttni feb,lt. 23. ift bor allem 3Rordift, fein ßieblingi=
gebanfe ift bie gorberung ber ©iijiblin, ber 2lrbeit an fid; felbft, im 2lufblicf ju ©Ott, eo
420 Salcrton tum ©cmeltum 2Salertamt§, ®atfer
ßfyrifiuS unb bert 9Jiärit>rem. Hom. XV— XVII nennen bie Dreiteiligen bc<8 Vifcbof<8=
fi£e<§ (5ßonttu§, 9iajariu§, Selfus: bgl. AS 14. Ttax III, p. 274—279. Hist. literaire
II, 332 ; Gall. Christ. 1. c.) nicfyt mit tarnen, toeift aber 745 B beutlicb. auf jie I)in.
Sfyarafteriftifcb. ift ber ©a|: quamvis fides probata sanctificet, opus tarnen
5 est, ut sit qui ipsam fidem Domino supplici intereessione commendet. — ©er
Vrief Valeriana an bie 3Rönd)e (MSL 52, 755 ss.) toirb bon einigen al§ 2Ibt3fcr/reiben
aufgefaßt, baS nad) Serinum gerietet getoefen toäre (gabriciuS, Bibl. VI (1746), 782;
©dErnd ©. 8); aber Valertan mar getoifj nid)t 2lbt bon Serinum, fonbern er fyat nur
bie bortigen consuetudines auf bie 'Softer feines» ©ebteteS übertragen, tote biele anbere
10 gaUifcfye SBtfd^ofe (9Mnorfy 251). ®er 33rief foU biefe ©etoolmfyeiten als aboftolifdje
rechtfertigen. — ®a<§ ■jEobeSjatjr Valeriana ift unbefannt; (Eemenelium tourbe mit TO^a
bereinigt unb ift burd) Songobarben unb ©aracenen böHig jerftört toorben. ©a§ rafdje
©infen feinet S3ifc§ofgfi|e§ ift toofyl eine .gaubturfacrje getoefen, bafj manche §omilien
Valeriana früb, unberbienter Vergeffenljeit anheimfielen ober unter fremben tarnen ber=
15 breitet tourben, j. V. bielteicftt be§ 5ßetru3 (Sbjfyfologul (hist. litt. II, 332) ober ettoa be§
©ua^eriuS. Slrttolb.
SBalertflttUS, rbmtfcT/er ^aifer 253—260. — Prosopographia imperii Romani ed.
3)effau II, p. 286; £ittemont, Histoire des empereurs t. III; Xfj. S3ernl)arbt, ©efdiicf)te 9Jom§
üon SSaterian bi§ ju 2)tofletian§ £obe, SSerlin 1867 ; ©. @d)iHer, ©efdridjte ber römifdieit
20 Satjevseit I, 2 ©otf)a 1883, <B. 811 ff. — 3>ie auf bie DWigionSpoIttif 6ejüglict)en OueHen
finb bürftig; bie totd)ttgften finb ber Sericftt be§ S)iont)ftu§ üon ?tlejanbrten (Euseb. VII,
10. 11), bie Acta proconsularia ßt)prian§ (©artet III, p. CX) unb ber über baS Dteffript
Dom Safjre 258 referierenbe 80. Srief (©avtefll, p. 839).
Vubliu§ SiciniuS Valeriana entflammte einer bomefymen gamtlie unb batte ftd) in
25 militärifd)en unb bürgerlichen Ämtern betoäfyrt. . $n ber blutigen Äataftrobb/e, mit toeldjer
bie Ufurbation be§ StmilianuS gegen ©aHu3 abfdjlofj, getoann er 253 ben "ißurbur, inbem
in Stätten bie 2trmee ifm aU 2Iuguftu§ aufrief, ©en troftlofen guftänben im Steige
unb ben trtegerifdjen Vertoidelungen an ben ©renken bemühte er fid) nacb. Gräften ju
begegnen, aber ber gute 2öille be3 ©ed^igjä()rigen fanb ju bolter 2lu§toirfung nid)t mefyr
30 bie nottoenbtge ©nergie. ®ie golge toar eine unficfyere Haltung unb -Jiadjgiebigfett gegen
frembe ©inflüffe. ©ein ©ofm unb SJcitregent ©allienug, ber ben Söeften be§ 5Reid}e§
übernahm, toar feinerfeitS aucb. nid)t geartet, biefen SRangel ausgleichen.
$n ber ßfyriftenfrage batte Valertan unter ®eciu§ eine §altung eingenommen unb
mit 2tuftoenbung feinet (SinfluffeS fo erfolgreich bertreten, bafj bie cb,riftltd)e Überlieferung
35 ntcbt mit Unrecht in ifym ben eigentlichen Urheber ber becianifa^en Verfolgung fab, (f. b. 21.
Sb IV ©. 526 ff.). 3KU biefer ^olitil bricht er je|t ntcbt., nur, fonbern toenbet ben
Stiften fein 2Bo6,ItooHen in gan^ befonberem 9Jca|e ju. Dffentlicb, erfahren fie feine
©unft. ^n feiner näd)ften Umgebung unter feinem §ofgeftnbe toaren bie Selenner ber
neuen Religion fo ga^Iretcb ju finben, ba^ man batoon ben ©inbrucf einer ixxlf]oia
40 fcov batte (®iont)fiu§ bon Sllepnbrien bei Eus. H. E. VII, 10, 3). 2öir finb nicbt
in ber Sage, bie SRotibe biefer Umftimmung ju ernennen; ntcbt einmal Vermutungen
finb geftattet. ®ie Situation ift ettoa biefelbe toie in ben Anfängen ber Regierung
©iolletiang. Stucb, ber toeitere Verlauf ber ®inge bietet infofern eine Vctraßele, al§ in
beiben gäUen eine cbrtftenfeinbUcbe Vartei auf ben ^aifer ©tnflujß getoinnt unb ib,n ju
« ©etoaltma^regeln beranla^t. SDer gü^rer berfetben ift b^ter ber bem ^errfc^er nab,e=
ftebenbe angefeb,ene ©eneral 30^. gulbiug 5Dkcrianu§, ein 9Jiann bon geringer ^erlunft,
tro£ eines förberlicb,en geb,IerS — er binfte — bon glänjenber militärifcber Vergangen;
b,eit. ®ie ^atfac|e, bafe er ben äg^btifcb.en ©acra borftanb (Eus. VII, 10, 4), läjjt
feine betoufjte religiöfe ©teßung auf ber entgegengefe^ten ©eite erlennen. ©er ^ambf
so gegen baS am £ofe mit greunblic^feit beb.anbelte gfyriftentum toar bamit bon bornberein
gegeben. 2Benn febod) unfere Queßen biefen ©eficb,t^un!t augfcbtte^Iid) betonen, fo ift
bieg eine unjureic|enbe Veurteüung. 3toeife^D^ne ^a^en bei SRacrianuS, ben bamals
fcb,on bocbfltegenbe, auf Hfurbation jielenbe Vlane erfüllten, aucb, bolitif(f)e @rtoägungen
mitgefbtelt, fei e§, ba^ er in ben Triften ein §inbemi§ tbrer Vertoirllic|ung fanb ober
55 bafj er burc$ ©rregung innerer Unruhen bem Äaifer ©cb, toierigleiten ju bereiten fucb,te.
Se^tereS ift roabrfcbetnltcber ; ber ©eneral VoftumuS ging bamalS im äBeften benfelben
SBeg fnnterliftiger Vraltilen ©aEienuS gegenüber.
@§ gelang bem Ilugen unb energifd)en 3JJanne, ben ^aifer bon ber cf)riftenfreunb=
liefen Volitil ju Ibfen. $m ^a^re 257 erfolgte ein Dfteffribt, toeIcb.eS ben Stiften bie
SBalcriaimS, fiaifer 2So(efiu§ 421
religiösen Verfammlungcn foWie baS ^Betreten ber untertrbifd^en VegräbniSftätten unter=
jagte unb ben Klerus in bie Verbannung Riefte (Eus. VII, 11, 1—17; Cypr. Acta
procons. I). SDarauS läjji ftd) entnehmen, bafj -JJtacrianuS baS bolitifcfye Moment, bie
£rganifatton ber ßfyriftengenoffenfcfyaft mit ©rfolg auSgefbielt fyatte ; ber faijerlicfye Vefefyl
jielte bemgemäfe bafyin, ben feften, unfontrollierbaren Verbanb ber ©laubigen ju jer= 5
trümmem, inbem baS Sftücfgrat beweiben, ber Hierum, herausgenommen unb sugleicb, bie
iÖlöglicftfeit öffentlicher ober f)eimlicijer ßufammenfünfte ber ©lieber befeitigt Würbe. @S
lcäre wertboll ju Wiffen, Wie bie fyeibnifcfye Partei ben cf/rtftenfreunblict/en Kaifer bon ber
©taatSgcfäbjItdtfeit beS Sb/riftentumS überzeugt f>at. $n ber milben gaffung beS 9?effribtS
wirft ficl/erlicf) noeb, baS frühere SBofylWoIIen ValerianS gegen bie ßljriften nact). 10
^nbeS fd)on 258 folgt ein neues 9teffribt, ba§ ganj in 3lnleb,nung an bie 9leIigionS=
bolitif beS SDeciuS jebe 9tücffi<f)t fahren läjjt. Vifct/öfe, VreSbfyter unb SDiafonen follen
fofort Eingerichtet Werben, Verfonen beS ©enatoren= unb 9fttterftanbeS ^unäc^ft buref)
Icgrabation unb Konfination beftraft, bann im gälte anbauernben Unge|orfamS gegen
baS Dbfergebot gleichfalls getötet werben. ®en grauen Wirb ©injiefyung beS Vermögeng 15
unb Verbannung angebrofyt. ®ie Gfyriften enblicb, im faiferlict/en |>ofgefinbe (Caesariani)
foUcn ingeff ein ju Zwangsarbeit auf bie f aiferlicb, en ^Domänen berfd) teft Werben (Cypr. Ep. 80).
tiefes @bift ftettt bie Unausführbar! ett unb ©rfolglofigfeit be§ borjäbjigen fieser ; bab, er Wirb
jettf ein anbereS Verfahren berfud/t, mit bem unter SDeciuS ein geWiffer (Srfolg erreicht
Werben War. 2öie ernft man eS bamit nab)m, bezeugt bie ^atfacfje, baft bie beiben 20
größten ©emeinben im Söeften, 9tom unb Karthago i|re Häupter berloren. 3n e'ner
Matafombe, Wofyin er ftcb) geflüchtet, Würbe ber Vifdwf ©ir.tuS bon 9tom ergriffen unb an
Ort unb ©teile am 6. 2Iuguft 258 getötet (f. b. 21. 33b XVIII ©. 410); baSfelbe ©e=
fcbjcf ereilte ßtybrian am 14. ©eptember (Acta procons.). ^Daneben jäfylt &om als
einen berühmten 9Jiärtr/rer ben SDiafonen SaurentiuS (10. 2luguft). 3)ie fbanifcfje Kirche 25
nennt als Vlutjeugen biefer $eit ben Vifcfwf gructuofuS bon ^arragona unb feine beiben
2>iafonen. Über ©jelutionen im Dften berietet ©ufebiuS VII, 12. ©anacb, griff bie
Verfolgung aud) in ben SleicfySteil beS ©aßienuS ein, mar alfo als eine allgemeine gebaut.
3n 2öirllicb,!eit famen bie ÜRebreffionen nur an einzelnen fünften jur Slntoenbung, unb
aua) Ejter b,aben fie ben Seftanb ber ©emeinben nicfyt ju erfeb/üttem bermodjt. Übertäubt 30
machen fie, bon Wenigen gällen abgefefyen, einen fc^toädjlicfyen ©inbruet. ®ie 9iöte beS
9ieia)eS nahmen bie Regierung berart in Slnfbrucb,, bafe if>r für eine IraftboKe 3teIigionS=
jjolttif toeber fttit noeb, SRittel blieben. 3tuc§ tft fraglich, ob Valerian mit ganzer Über=
jeugung f)inter ben 9tefMbten ftanb. ®ie ©c^onung, meiere fein ^riftlic^eS §ofgefinbe
im i^ergleicb, ju ben Senatoren unb Slriftofraten im gtoeiten 3tef!ri^t erfährt, giebt ju 35
benfen. 5D?an muf? jeboeb, befennen, ba^ feine ber fog. Sbjiftenberfolgungen fo biele un=
beantwortete gragen in fiel) trägt als biefe.
©ureb, Verrat geriet ber Haifer in bie £mnb beS 5ßerferfönigS, ber ib,n bis ju feinem
^obe in fcb,imbflid)er ©efangenfcb)aft ^ielt. S3alb barauf liefe SKacrianuS feine beiben
Söb,ne im Dften als iRaifer ausrufen, ba ib,m felbft fein lörberlid^eS Seiben bie 2lnnaf)me 40
biefer SBürbe berfagte. ^n ben babureb, b/erborgerufenen Jlämbfen gingen alle brei unter.
£er 5iact)foIger ValerianS, ©allienuS, r/ob fämtlicl)e cb,riftenfeinblic|e Verfügungen feines
SaterS, bie jugleicb, unter feinem tarnen gegangen Waren (Cypr. Acta proc. 1, 4;
Eus. VII, 11, 8), fogleicb; auf (f. b. 2t. Vb VI ©. 354f.). SBictor ©^ul^e.
SSaleftuS, §etnr. (Henri de Valois, Seigneur d'Orce), $iftoriograbb, beS Königs, 45
bebeutenber franj. ©elel)rter beS 17. ^ab/rlmnbertS, geb. gu ^ariS 10. ©ebtember 1603,
geft. ebenba 7. 9JM 1676. — Sitteratur: Hadrianus Valesius, De vita Henrici Valesii
über, Par. 1677, tnteber^olt 1740 in H. Valesii Emendationum libri V (f. u.); D. S3arben=
ferner, <PatvoIogie2, §62, 7. 79, 2. 103, 1; £>. gurtet, Nomenciator II2, 170—73.
3" ber ©d)ule ber ^efuiten ju Verbun, banacb, Wie fein Sruber jgabrian ValefiuS 50
in beren „(Slermonter gollegium" in VariS erlogen, b/attc V. u. a. ben ^etabiuS (f. 0.
Sb XV, 166) jum Sebrer ber 9tb,etorif unb trat mit biefem Wie mit %al ©irmonb (f. 0.
Sb XVIII, 396) in freunbfd)aftlicf)e 33esieb,ung (f. ©tanonif, ®ion. 5ßetabiuS ©. 29 u.
HO); beiben bjelt er ©ebäcb^tniSreben, VariS 1651 unb 1653.— %m ^ab/re 1622 ging
~i;. nacb, 33ourgeS, um QuriSbruben^ ju ftubieren, lebte bann fieben ^afyre als Parlaments* 55
abbolat in^JariS, gab aber 1630 bie juriftifcfye Saufbalm auf, um fieb, ganj ben gelehrten
©tubien unb Wiffenfd)aftlicb,cn 2lrbeiten ju Wibmen. 2llS grucb,t berfelben erfcf)icn ju=
"äcbft feine mit lateinifd)er Überfe^ung unb !ritifd;en älnmerfungen berfebenc, auS bem
cod. Peirescianus herausgegebene editio prineeps beS SucfycS jtf.(>i üofTfjs xal x<c/.ia;
422 »ttlcfms SBaflit
ber 2tu^üge aus gried)ifd)en £iftoriiera, toeldje Äatfer ßonftantimis «Porbfyfyrogemtetus
im 10. ^abjljunbert ^atte anfertigen [äffen: Polybii, Diodori Siculi, Nicolai Da-
masceni . Excerpta ex Collectaneis Constantini Aug. Porphyrogenetae,
$artsl634 (f. ßrumbadjer, 93^.2itt.=©efc^.2, 258—260; «ßaul^SBiffotoa SR®. IV, 1038).
5 33erbient machte er ftd) audj iura) feine fntifcfye Ausgabe best 2lmmianus -äRarceHinus,
Ißaris 1636, jtoeite berbefferte 2htsgabe bon feinem 33ruber £abrtan 33., $aris 1681.
©einer 2lusgabe blatte 33. jmei ©tücfe unbe!annten Urfbrungs hinzugefügt, beten erftes
bie gelt bon 293—337, bas ahmte bie ^afyre 474— 526 umfaßte, welche als Excerpta
Valesiana ober Anonymus Valesii nod) bleute aßen ©bitionen bes 2lmmianus bei=
10 gegeben werben (f. 3B. Dfyneforge, Der Anonymus Valesii de Constantino, ®tel 1885,
unb SD. $. 21. 2öefterl)uis, Origo Constantini Imperatoris, Campis 1906).
©eine Sebensaufgabe aber mürbe eine neue Mtifd)e 2lusgabe ber griednfdjen ®ird)en=
fyiftorüer, mit ber er bon bem @rgbifd)of 9Jiontd)aI bon £ouloufe im tarnen bes franjöfif^en
Klerus 1650 beauftragt mürbe; in brei 23änben erfcfyienen Eusebii Pamphili eccle-
15 siastica historia, libri de vita Constantini, Constantini oratio ad Sanctos,
graece et latine cum annotationibus (Par. 1659; f. o. 33b V, 605), Socratis
Scholastici et Hermiae Sozomeni Hist. eccles. (1668; f. o. 33b XVIII, 481),
Theodoreti et Evagrii Hist. eccles. item Excerpta Philostorgii et Theodori
Leetoris (1673), alle brei 33änbe bereinigt 2Imfterb. 1695, neu berbeffert r/erausgegeben
20 bon 3B. 9teabing, Sambrtbge 1720 u. ö. ©er $önig blatte bie treffliche 2lusgabc bes
®ufebius mit einer S^^benfton bon 1200 Sibres belohnt; bie ^enfion bom franjoftfcften
Merus betrug 600, fbäter 800 Stbres. 2In ber beabficfytigten 21usgabe ber latemifd^en
^ircfyenr/iftoriler (©uljncius ©eberus, -ftufinus u. f. it>.) mürbe 33. burd) ben %ob gefyinbert.
©eine lleinen ©driften, barunter mehrere unebierte, publizierte *$. 33urman jun. u. b. ^itel:
25 H. Valesii Emendationum libri V et de critica libri II (angefügt finb feine Ora-
tiones, borausgefdjndt bie 1677 in $aris erfcfyienene Vita Henrici Valesii bon feinem
33ruber §abrian) Slmft. 1740. 65. Scmbmnutt.
SSafla, Saurentius, itaüenifdjer §umanift, geft. 1457- — Sitteratuv:
Bon Ballag (Schriften finb ätuei, jeborf) nitfjt noüftänbige, 2lu§gaben erfcljienen: Bafel bei
30 #. q5etrt 1540 (1543) unb Benebig 1592 fol. Sine (Sammlung fetner SSvtefe bat Balten
(f. u.) in §luSftd)t gefteHt. „Tria Opuscula" bat bevf. 28ien 1869 neu herausgegeben. Sälono-
grapbtftfje Bearbeitungen feines Se6en§ unb feiner ©djriften finb §al)lreict) üortjanben: ältere
öon ©rtftof. «ßoggtalt («Piaccnsa 1790); SSilbfdiut (Setben 1830); ©laufen (Kopenhagen 1861).
Sobann: SSatjten, Säur. SSafla (SSten 1864; Berlin 1870); berf., S. SS. über %$oma% üon
35 Slquino (Biertelj. ©djr. für Kultur sc. I, Seidig 1886); 6. ©. Bumpt, Seben unb Berbtenfte
be§ S. SS. (©tf)mibt§ fteitfdir. f. ©efct). SSiff. IV, ©.397 ff.); 9Konrab, SDte erfte Sontro=
tierfe über b. apoft. ©Iauben3befenntni§. S. 33. unb bn§ Sonjil p^Iorens (au§ bem Sänifdjen,
©otba 1881); «Ötancmi, Vita di L. V. (girenje 1892); «DJ. ». 23olff, fi. SS., fein Seben u. f.
SSerfe (Seidig 1893) ; ©dittmbn, S. SS. gm Beitrag *ur @eftf). b. £>umani§mu§ (JD), Berlin
40 1896. — Bgl. £irabo§rf)i, Storia della Lett. ital. VI, 3; «Ritter, ©eftf). b. d)r. «ßfiitof. V,
©.243 ff. ; lleberffleg, ©runbrifi III, 11; grbmann, ©runbrife 239, 1; «Reufrf), Snber. I (Bonn
1882), ©.227; Burct£)arbt, Kultur ber «Rettaiffance; Baftor, ®efd)icf)te ber Bäpfte Bbll;
SSoigt, $. SSieberbelebung be« tlaff. Siliert. (Berlin 1859), ©. 222 ff. 311 ff. 3, 2luft. (1893),
I, ©.460 ff. ; 3anitfd)ef, ©ef. ber «Renaiffance (Stuttgart 1879), ©.10 ff.; üKancint, Vitadi
45 L. V., 3-irenje 1891. — lieber biejentge 2lu8g. b. „Donatio", meldie uon §utten beforgt
luurbe, ogt. Epist. Huttenii ed. Boecftng I, Ind. bibl. 18; 5ßlitt, ginlettung in bie
9luguftana I, 181; über BaHa§ Sonflüt mit ber gnquifition f. Slmabile, Inquis. di Napoli
Bbl (1892), ©.73 ff. 3m a%: ©aäparli, ©efdtj. ber ital. Sitteratur II. Bb (1888).
SaurentiuS 33alla ift geboren ju 3tom 1405 (ntdjt 1415, f. SJiancini ©. 4).
50 ©eine gamüie ftammte au§ ber SRät)e bon ^ßiacenja ; fein 33ater, Suca beßa 93aße,
roar Dr. juris utr. unb ^onfiftorialabbofat beim bäbftlid)en ©tul)Ie. S^ad) be§ 33ater§
frühem %ob übernahm ein Dfyeim feine ®r^ief)ung. @r lernte Satein unb @riea)ifd)
bei ben au§gejeid;netften Se^rern (Seonarbo 33runt au§ Slre^o, Sturiäba) mürbe 1431
jum ^riefter gemeint unb betoarb fid) bei $abft 9JJartin V (geft. 1431) bergeblid) um
55 bie ©teße eines abofto!ifd)en ©efretärs. ©arauf gog er fid) auf einige geit nad) pa=
cenja jurüd unb bublijierte b/ier feine erfte ©d)rift, meldte 1483 inSömen, 1519 unb 1540
in33afel unter bem'Jitel Devoluptate ac deverobono erfd)ien (bgl. ÜDtancini, ©.46 ff.).
9cod) in bemfelben ^ab^r erhielt er eine SeljtfteEe ber ©loquenj an ber Uniberfität $abia,
fd)rieb i)kx feine bab;nbred)enben ©diriften Quaestiones dialecticae, De libero arbitrio
60 unb De elegantiis latini sermonis, bie offene ÄriegSetflärung be§ §umani§muS gegen
bie boetb^ianifd)e ©djullogü mie gegen bie 33arbarei be§ bisherigen Sateins. ®iefer mutige
?Mln 423
Singriff gegen bic geheiligte Srabition braute nicfyt blof; ^fnlofobfyen unb Geologen in
älufrubj, fonbem aud) mit ben ^urtften befam 33. ©treit, Weil er fie Wegen tyreS
fd)lect)ten SatetnS berl)ör;nie. @r berliefj bafyer qSabta unb führte mehrere 3ab>e lang
ein Jöanberleben in ÜJtailanb, ©enua, glorenj, trat 1435 ober 1436 in ben ©ienft bcS
befannten £umamftenfreunbeg Sllfonä V., Königs bon 2lragonien, begleitete biefen auf 5
feinen Kricge^ügen, Würbe 1437 Don d)m jum ©efretär ernannt, mit bem '35td)terbtplDm
beehrt unb mit litterarifd)en arbeiten beauftragt. %m S5ienft h)ie unter bem ©d)u£ be§
McnigS, ber bamalS ju ben 2InI)ängera beS SSaäler Konnte unb ju ben ©egnern
(Jugend IV gehörte, berfafjte 33. um biefe geit (c. 1440) baäjemge SBerf, an ba§ fid)
in ber g-olgejeit am meiften für ib> 3tul)m unb glud) geheftet f)at, bie Declamatio de iu
falso credita et ementita Constantini donatione. 2lt<§ bann 2Ufon<o 1442 nact)
in clirj adrigen Kämpfen bas* ^önigretet) beiber ©Milien gewann, 30g Äs. mit if)in in9?eabel
ein,' mürbe bon tlmi mit ©unftbejeugungen überhäuft unb Wiber feine ©egner in ©d)ut$
genommen. 9iod) bor ber Publikation jener ©cfyrift nämlid) Ratten fid) bunfle ©crüd)te
über f)äretifdje 2Jnftd)ten 33alla§ Verbreitet; er blatte cä gewagt, bie Uncd)tl)eit be§ 33rief= 10
Icect/felS (5 E>rtfti mit 2Ibgaru2> (f. 33b I, 98), wie ber fog. epistola Lentuli ju beraubten,
bie ^bentität beS ®iont)fiu§ bon Stilen mit bem 33erfaffer ber areobagitifcfyen ©Triften
Sil bezweifeln, ja fogar bie aboftolifd)e 2lbfaffung be§ fog. Symbolum apostolicum ju
leugnen. ©in granäigfaner %xa Antonio ba 33itonto fal) hierin einen Stngriff auf ba3
rtunbament be<§ ©Iauben§ unb bonnerte in ^rebigten gegen ibm. 2Iud) griffen bie ©egner 20
33.s ©djrift De voluptate an: er i)abe bie 2el)re @bifur£ berteibigt, bie ^ugenben für
blofje Wienerinnen ber Suft erllärt, er lettre nur brei Elemente, nur brei innere ©inne,
nur ad)t ©b/Hogi3men, leugne bie 33erbienftlid)feit ber 33irginität unb be§ möndJHfct/en
Sebenö jc. 2Ran regte ba§ 33olf gegen ifm auf, beranftaltete £>i3butationen gegen ibm,
belangte il)n bor bem erjbifcf)öflicf)en SBüariat unb berlangte bon ifym einen förmlichen 25
3£iberruf. 33. beftreitet bie Kombeten^ bes> ©erid)tes>: feine $einbe feien zugleid) feine
ätnfläger, 3euSm uno 9ttd)ter; ftatt eines* 2öiberruf§ gab er nur bie I)albironifcr)e ©r=
flärung ab, er glaube Wie bie ÜRutter Kird)e. 2113 man if>n Wegen eines* bialeftifd)en
©a^es* angriff, erllärte er: „bie -Fiutter Kird)e Wiffe ^War nict/tg tnerbon, aber bennod)
glaube er aud) in biefen SDingen ganz Wie bie Kircfye" 3a er freute fiel) nicfyt, öffentlich 30
über bie ^"ouifitoren zu fbotten, unb Wanbte fid) mit einer Klage an ben König. SDiefer
gab ben 3snquifitoren feinen Unwillen z_u ernennen, nannte fie falfd)e 2Inlläger unb un=
gerechte 3fttcf)ter. ®er ^ro^efe Würbe eingeftellt, ben 9Jcöncfyen 3ftub^e geboten (f. bie 33e=
richte i\5 in feiner Apol. ad Eugenium Opp. p. 795; Antidoton c. Poggium Opp.
p. 356). 33.3 33ud) gegen bie fonftantinifcfye ©ctjenlung Würbe nun ,erft reeb^t belannt, 35
feit fieb, König 2Xlfong offen als beffen ^ßroteftor erflärt blatte. 3um2trSer feiner geinbe
befcfiäftigte fic| 33. je^t auef) mit bem 5Reuen 'Jeftament, tabelte bie Überfet$ung§fef)Ier ber
^ulgata, führte ein 9tegifter über bie ^rrtümer be§ fyl §ieron^muö, befcb^ulbigte ben
bl. 2(uguftin fe^erifefter 2tnftcf)ten über bie s^3räbeftination (f. Poggio Epp. im Spicil.
Rom. IX, 642). Unterbeffen f;atte dortig 2tlfon§ mit S|3abft ©ttgenlV feinen ^rieben 40
gemacb/t, Balte bon ib^m bie 33elef)nung mit bem Königreich beiber ©ijilien erhalten unb
ber qßa^pft War ben 28. ©ebtember 1443 Wieber in ÜRom eingebogen. 33. Wünfcbje in
Familienangelegenheiten nad) 9?om ju fommen, Wanbte fict) ba^er brieflich nacb^ $Rom an
einen bäbftlicfjen Kämmerer SubWig 1444, fct)rieb aud; an ben s^3abft felbft, entfcb)ulbigte
feine ©d)rift, iebocB ol)ne biefelbe jurüdjune^men, unb bat um einen Salvus conduetus. 45
@r reifte barauf felbft nact; 9iom, aber bie ©egner Waren noct) ju mächtig, man regt ben
?öbel gegen ib^n auf, nur buref) rafdpe glucfet bermag er fein Seben ju retten. @r foH
bamal§ in 3_ser!leibung über Dftia nacb^ Barcelona geflogen fein; bon ba feb/rte er nad;
^eabel jurüd unb richtete bon fyier auö eine 3lbologie an ben $abft (f. ^Kancini,
'£• 188 ff.), ba aud) feine greunbe ifym rieten, bie Pfaffen nicb;t ferner ju reiben, namque bo
sacerdotum furor est insanus et ingens. ©0 Würbe ?JeabeI jum zweitenmal fein
ilufentfjalt 1445 ff. 2)er König nab)m fid) aud) je|t Wieber feiner an, liefe fid) felbft
toon if)m im Sateinifcb^en unterrichten unb beauftragte ilm mit Überfe^ung griec^ifc^er
Tutoren. 2luct) eröffnete er je^t in sJleabel eine ©cBuIe ber Iatctntfc6en unb grtec^ifdicn
Gloquenj, berfammelte um fieb^ gaBIretcbe ©d;üler unb entfaltete eine reiche litterarifdie bö
ll)ätig!eit. 3Iber auet; £)ier fehlte e« bem reizbaren unb ftreitfüd;tigen ©ele^rten nicBt an
©egnern; fo belam er ©treit mit bem ©enuefen 33. gaciuS, mit feinem frühem ^reunb
Antonio 33eccabelli, genannt '•ßanormita, unb anberen. ®ie§ berleibete ibm jule^t ben
Stufcnt&alt in 3Reabel. Unb aB nad) (gugenä IV. ^ob ©ebruar 1147) ber gelehrte
•'oumanift Iboma§ bon ©arjana att- TOfolau^ V (1417— 1 '155) ben bäbftliden 3tul)l 60
424 Watla
beftieg, fo eröffnete fid) für 93. bie 5Jtöglid)feit, nad) 3tom jurücfjule^ren. 211g er bem
£umaniftenbapft ben erfien SEeil einer lateinifcfyen $Iia§überfe|ung al§ ©bjengefcfyenf bar=
braute, fanb er bei tb,m freunblicfye unb eb,renbolle 2lufnab,me, 1447 unb 1448 eine 2Jn=
ftcttung aU scriptor apostolicus. Stfeue ©rfolge, aber aucb, neue ^ämbfe marteten
5 feiner in SRom. ßuerft belam er ©treit mit ©eorg bon SErabejunt, mit bem er feit
1450 al§ Sebjer ber Stfyetorif lonlurrierte, bocb, blieb für bieSmal ber $ambf in ben
©renken be§ litterarifct/en 2lnftanb3. Um fo leibenfdjaftlictyer aber mürbe fein ©treit mit
bem geroanbteften, aber aucb, fnffigften unb bogfyafteften unter ben italienifdjen §umaniften,
§ranj ^Boggio 93raccioIini, ber fid) Don 93. burcb, angeblid) bon if)tn fyerrüb/renben 3knb=
10 gloffen in feiner litterarifcfyen @r/re gelränft glaubte. *ßoggio§ Invectivae in Vallam
unb 93.§ Antidoti in Poggium libri IV gehören befanntlid) ju bem ©röfcften, toag
je bon litterarifdjer ^ßolemif borgefommen, ba tnsbefonbere $oggio feinen ©egner nicfjt
blof? al3 ©elefyrten unb ©tiltften angreift, fonbern and) fein Privatleben unb feinen fitt=
liefen @I)arafter mit ben mafjlofefien Vorwürfen überhäuft, ib,n als Betrüger, Sieb,
15 gä'lfcfyer, ©äufer, $ungfrauenberfül)rer, ^ßäberaften, inSbefonbere and) all gefährlichen
Me|er benunjiert. Unb ba3 Söunberbarfte babei ift, baft n\d)t bloft gWei „§umaniften"
e§ maren, bie ftcb, alfo traftierten, fonbern bafe and) biefe litterartfcfye 93algeret unter ben
2lugen be§ $abfte§ borging, bem fogar 93. feine ©egenfcfjrtft bebi§ierte unb ber ftd)
nid)t bewogen fanb bamiber eingufdjireiten. @in 93erfbfmung§berfucr) bei §umaniften
20 ${nlelbbu§ blieb erfolglog; beibe ©egner nahmen iljren §a^ mit m§ ©rab, ja ber überlebenbe
$oggio fcfyämte fid) nicfyt, feinen toten geinb nod) burefy biffige ©rabfet/riften ju fyöfynen.
3n ber ©unft be§ ^abfteS aber — 9ttfolau§ V. foWot)! all feine§ 9cacb>Igerg (Salijt III.
(1455 ff.), ber tf>m bon 9ceabel J)er berfönltcf) befreunbet mar — blatte fid; 93. in feinen
legten £eben§jar/ren immer mein: befeftigt, befonberS burd) Überfe^ung griecfyifdjer Tutoren,
25 g. 93. bei SEfyucr/bibeS. $u bem 2lmt eine§ Secretarius apostolicus berlieb, ifym @alir.t
and) nod; eine SDomljiermftelle ju ©t. ©iobanni in Saterano (©ebt. 1455): t)ier, in ber
$farrürc|e be§ $Babfte§, fanb er benn and) feine ©rabftätte, nad)bem er im 51. £ebens>=
\ai)x ben 1. Stuguft 1457 geftorben mar (nict)t 1465, wie früher angenommen tourbe f.
gumbt a. a. £>. ©. 402 ff.). — 93. befaf? einen lebhaften unb beweglichen ©eift, einen
30 febjagfertigen 3Bi^ unb gefunben 3Renfcfyenberftanb, getbanbte ®arfteöung§gabe, au§=
gebreitete ^enntniffe, eine unermüblid)e 2lrbeit§!raft. $Durd) feine erfolgreiche Se£)rtl^ättg=
leit, toie bureb, feine litterarifd;e grud)tbar!eit b,at er ju bem italienifdjien Rinascimento,
ju bem „SBieberertoacb.en ber SBiffenfd^aften", ^ur 9ZeubeIebung be§ b^iIoIogifd)en, bb,ilo=
fobr)ifd)en, mittelbar aud; be§ t^eologifc^en ©tubiumS, jur 2lufbec!ung jatjlreid^er Irrtümer
35 unb 93orurteiIe, jur 93egrünbung einer befferen Satinität unb bor aCem ber fyiftorifcfyen
^ritif nid)t wenig beigetragen. £>en religiöfen unb fircfylicfyen fragen fteb,t er ebenfo
fremb gegenüber tüte bie SDler/r^al)! ber italienifd)en §umaniften ; aber boeb, ift fein ^nter=
effe toeber ein blo^ äftb,etifcb,e§ nod) ein bloft antiquarifd)e§ mie bei ben anbeut, fonbern
ein Iritifd^el: ba§ $\d, ba§ er mitten in einer tief im Stutoritätlgtauben fieefenben Qzit
40 berfolgt, mar, bie 9Siffenfd)aft Io§jurei|en bon ben geffeln ^emmenber ©d)u(trabitionen,
bon bem £)rucf infaEibler Autorität. (Sr ift einer ber erften Vertreter bei 9tecb,t§
freier gorfd)ung auf aKen ©ebieten, einer ber 93äter ber biblifdjen unb b.iftorifdien
^ritü, ein Vorläufer unb SBabnbrec^er moberner ©eifte§freib,eit, — unb infofern
immerhin, mie 93eßarmin ib,n nennt, ein praecursor Lutheri. ©ein fittlicb,er
45 9BanbeI mar nid)t smeniger al§ malelloS, aber bod) meit nid)t fo fd)Iimm als ^3oggio
ib,n mad;t; fein 6b, arafter litt an benfelben ©cb,mäd)en, mie bie meiften feiner tmmamftifcfyen
greunbe unb ©egner: er mar eitel, ftreitfücfytig, neibifd) unb biffig gegen feine§gleicb,en,
fd)meid)Ierifd; unb unterwürfig gegen bie ©rofjen, ein bielfeitigeS Talent, aber fein großer
©^arafter.
so ©eine ©cfjriften finb feb,r ja^Ireid), unb Wenngleich erft mehrere ^afyxe nad) feinem
Stob ba§ erfte ?ßud) in S^om gebrueft mürbe, fo ift er bod) einer ber erften 3tal^n,er/
benen bie neue beutfd)e (Srfinbung $u gut lam: mehrere feiner ©d)riften b,aben noeb, im
Sauf be<o 15. ^a^unbertS eine 9teib,e bon Auflagen erlebt, ©o bor aßem fein bb,iIo=
Iogifcb,e§ ^aubtmerf De elegantiis latinae linguae libri VI, bie feit 1471 in $ari§,
55 93enebig, 9lom unb fonft wieberb^olt gebrueft Würben ; man jäljlt ^Wölf 2lu§gaben au$
bem 15. ^afyrfyunbert ; über bie eimcfjemadjenbe 93ebeutung be§ SBerleg f. ^ttibt ©• 418;
93oigt ©. 430. 9Sir übergeben bie übrigen rein bt/ilologifcfyen unb ^iftorifcb, en ©djriften. 33on
tb, eologifcb^ er unb üreb, enl)iftorifd) er 93ebeutung aber ift bor allem bie Declamatio de falso
credita et ementita Constantini donatione, gefcfyrieben 1440, fed)^3a^re nfld) ber^lud^t be§
eo ^3abfte* @ua.en IV. au* 9tom (Quni 1433), furj nacb, bem SEobe bei Skrbinali 93itelle§d;i
(gcft. 1. 2lbril 1440), ben bie©$rift als blutbürftigeS Ungeheuer bejeic^nct, qui gladium
Petri in Christiänorum sanguine lassavit, quo gladio et ipse periit. (§terburcb,
entfd^etben fid) bie berf ergebenen Angaben über bie SlbfaffungSgeit.) ®ie ©cbjift ift
freilief) mefyr eine declamatio, tote ber Verf. felbft fie nennt, eine ftarf oratorifcf) gehaltene
politifcfye Senbenjfcfmft, als eine bjftorifcf)4rittfcl;e Unterfucljung ; bte gelehrte $orfcbung 5
ift nicfyt $toed, fonbern Kambfmittel; meb,r als bte falfcfye ©cfyenfungSurtunbe intereffiert
il)n baS moberne Sßabfttum mit feinen toeltlicben Sftacfrtanfbrücfyen, benen er ben förm=
liefen Krieg anlünbigt. ^nbem er bte Unecljtfyeit ber Urfunbe, tote bte Ungefcbjcbjlicfyfeit,
ja Unbenlbarfeit ber ©ct/entung felbft mit unerbittlicher Kritif ertoeift, forbert er ju=
gleich, feine $eit= mb VolfSgenoffen auf junt offenen Singriff auf ben toeltltcfyen Vefttj 10
beS ^ßa^fteg, bamit ber tomtfe^e Vifdjof burcr; Sßergtd^t auf benfelben toieberum toerben
fömte, toaS er fein fott: ^actjfolger ßlirifii unb SSater ber Kirclje, vicarius Christi non
Caesaris, pater sanetus, pater omnium, pater ecclesiae. — ©ebrudt tourbe bie
Schrift juerft s. 1. et a. ©röfjere Verbreitung aber erhielt fie erft im 16. Qabjfyunbert
buref) bie bon Ulricb, bon §utten im $jafyre 1517 beranftaltete, mit einer (tronifcr;en) 15
isorrebe an $abft Seo X. berfefyene 2IuSgabe (bie Vorrebe batiert aus ©tecfelberg bei
gulba Dom 1. ©ejember 1517, bgl. ©traujj, £utten, 2. 2tufl., ©. 215ff.; Hutteni Opp.
ed. Sodtng I, 18). „ Über ben ^n^alt bgl. St V. (= Venratbj in ©eljerS 9JconatSbl.
1866, ©. 408 ff. Über ben ©inbruef, ben btefe ©cbjift auf £utl)er gemacht fyat, als fie
ihm im gebruar 1520 burd) einen greunb jufam, bgl. bie SluSgabe feiner ©cfjrift „2ln 20
benäbel" Don Venratfy, £allel883, ©.Vllf.; £utfyerS Urteil über V. bomSÖcärj 1520
in ber Resp. ad Lovan. theol., ©21 IV, 189: cui nee Italia nee universa ecclesia
multis seculis similem habuit etc. Über eine ©cfjrtft „2lnti=Valla" bon Antonio
ßoriefe »gl. $aftor a. a. D. ©. 26 (1901).
©benfo bebeutenb aber toie btefe ©tfmft 3S.§ für bie fnftorifdje Kritif, tourbe für 25
bie ©ef$uf)te ber ©r.egefe feine Collatio Novi Testamenti, eine Vergletdmng ber 9Sul=
gata mit bem Originaltext beS bleuen 'iEeftamentS unb Sierfud; jur Berichtigung ber
latemifcfyen Überfe^ung aus bem ©runbtejt, 1444 berfafjt, aber erft 50$cu;re fbäter bon
©raSmuS herausgegeben u. b. %. Annotationes in latinam N. T. interpr. ex col-
latione gr. exemplarium, VartS 1505, fbäter bon 3tebiuS, Stmfterbam 1630 unb in 30
ben Critici sacri — „bte erfte grucfyt ber neuertoacfyten blnlologifcben ©tubten für bie
©jegefe" (f. barüber gftancini, ©. 238ff.).
gür bte ©efdjicb,te ber ©tl)tf, ber bfyilofobtnfdjien gunät^ft, mittelbar aber aueb, für
bie t^eolügifcbe, tft bon Vebeutung V.S erfte ©cfyrtft De voluptate, libri III, ge=
fdirieben 1431, bann in ertoeiterter Umarbeitung u. b. %. De vero bono 1433, eine 35
©egenüberfteßung ber ftoifcfyen, ebifuretfeben unb d^rtftltc^en SRoral naef) bem Vorbtlb
bon ßiceroS De finibus: bom trbifefeen ©tanbbunft betrachtet fyä'tte ©pifur rect)t; in
SBabrbeit aber feien beibe Slnficfyten, bte ftoifclje *£ugenb= toie bie ebilureifc^e @enu|Ieb,re,
gleic^ mangelhaft, toetl fie betbe ba§ Seben nacl; bem SEobe bergeffen; bie allein richtige
ifnficfyi fei bie d^riftliclje, ba§ $iel beS irbifcb,en £eben§ ber ©etoinn ber etotgen ©elig= 40
fett. — ©nen 2ln|ang ober gortfe^ung ^ierju btlbet ba§ 1438—1442 getriebene ©e--
fbräcb De libero arbitrio, über ba§ SSerbältntS ber menfcblicb^en 2BtltenSfret^ett jur
göttlichen SlHtoiffenbeit, gerietet gegen ba§ fünfte Suc^ bon 23oetbiu§ De consol. phil.,
gebrueft 1482, toieberb,olt herausgegeben, bon 3. Fabian, Safel 1518 ; biefe ©djirift ift
ef , auf toelcb,e £utb,er in feinem ©treit mit ©raSmuS fieb beruft unb auf toelcfie feine 45
2lu|erung in ben SLifdjreben fieb be^ie^t: „isalla ift ber befte Söal, de libero arbitrio
bene disputat" ; biefelbe ©cb^rift ift eS aber aucl;, bie 3)telancb, tb^on in ben fbäteren 2luS=
gaben ber loci beftreitet als eine Stoica opinio.
Von toeiteren ©Triften V.S, bie ein tbeologifdjeS ^ntereffe bieten, toären noeb ju
ertoäbnen ein Sermo de mysterio eucharistiae, eine Sobrebe auf ^bomaS bon bo
2lquino unb ber bon Valien ebierte Dialogus de professione religiosorum
(Sßien 1869); bgl. baju Vaftor a. a. D. ©. 21 (1901).
2)er neuefte Viograbb, 9)tancmi, giebt baS folgenbe jufammenfaffenbe Urteil über
i(alla : ©in Unbeil für ifm toar eS, bafe er mit 5ßoggio ^ufammenftiefe, ber ibn nun obne
SHube unb 9taft über ben Xoh binauS berfolgtc. ©0 batte er beffen 3lnbänger neben 55
allen, toelct;e im ©inne ber Kurie febrieben, gegen fiel) — toaS b,alf eS, bafj er cbrift=
liebe ©runbfätje berfoebt unb ber SBabrbeit biente? @r als Vater ber mobernen .Uritif bat
beren bornenbolleS 2lmt geführt triebt um eS perfönlicbcrt ^ntereffen bienftbar ju macbert,
fonbern um bie SRenfcbbeU fyofyvc ju bringen. ®abei bat cr freilieb in ber eigenen
Vertetbigung niebt immer baS reebte sJJia^ etngebalten, ijat in bcleibigenber Steife gc= bo
426 Katia «ottbalen
antwortet, Wo er bie ©egner burd) bie jtcingenbc Uraft unb ©diärfe ber Scroeisfübrung
bättc jum ©ebroeigen bringen !önnen. ©o bat er, eine glänjenbe SSertorberung italienifcben
©etfte«;, ju feiner 3^it bie ib/m gebü!)renbe 2lnerfennung niebt gefunben — aber je£t
nad) bier ^a^rbunberten räumt man ibm mit 9recbt eine ©teile ein unter ben ©rofjen,
5 beren Setzungen in reifem 9)caf$e bie menfd)lid)e Kultur geförbert f)aben.
äSagcnmattn f (SBenratlj).
«aüomkofo, Drticn Don f. b. 21. ©ualbert Sb VII ©. 221.
SSanbalen, gumal ibre ^ircfrenbolitil. — £aie(fen unb neuereßitteratur.
I. Victoris . Vitensis historia persecutionis Africanae provinciae, rec. C. Halm, Berolini
io 1878 in MG, auet. ant. III, 1., rec. M. Petschenig (1881) im SBiener Corpus VII (jniet öor=
treff liebe 9lu3gaben biefer £auptqueUe ber ©efd)id)te @eiferid)3 u. |juneridi§); Procopius, debello
Vandalico, jumal I c. 1 — 9 incl., ed. Jac. Haury, Procopii opp. I, Lipsiae 1905, ©. 307 ff.; bie
roenigfteng njatjrfcr)einüct) bonVict.Vit.berrübrenbe „Passio ... martyrum,quiapud Carthaginem
passi sunt sub rege Hunirico VI Nonas", ed. Halm, ©. 59 — 62 ; ed. Petschenig,
15 ©.108—114 (fjinter iljren 9lu§gaben be§ SSttenfer§) ; vita s. Fulgentii Ruspensis, ed MPL,
vol. 65, ©. 117 — 150; Prosperi Tironis epitoma chronica, ed. Th. Mommsen, MG. auet.
ant IX, Hydatii (ntdjt Idatii !) continuatio chronicorum Hieronymianorum ed. Th. Mommsen,
MG. auet. ant. XI, pars I, ^riScug unb $Dtalcbu§, 5Sonner Corpus hist. Byz. ; Suidas,
Lexicon s. y. xmqICw es Candidi Hist., 33ormer Corpus p. 477; bie „Notitia provinciarum
20 et civitatum Africae, ed. Halm, @. 63 — 71; ed. Petschenig, ©. 115 — 134 (fjtnter ttjren 9tu§=
qaben beS Vict. Vit.); Victor Tonnennensis, chron., ed. Th. Mommsen, MG, auet. ant. XI
(1893), ©. 184 ff., bie Elften ber Saterantynobe Com 13. SKärj 487 bei Mansi VII, ©.1171
unb ^efele, Ecmc.=@efd). II2, ©. 614—616. ®ie Sßünjen ber SSanbalen, plumpe 9cad)=
abmungen be§ br^antimfcrien STijpuS, in bem gleichnamigen SSüdjIem »on Quliu§ grieblo'nber,
25 Seipjig 1849, 68 ©. nebft jroet itupfertafeln (@üd)e§ banon bei Saljn, ttrgefd). I2) — biet"
uürb auf ber ©runblage Uon 7 ©itber= unb 18 Kupfermünzen ber tgl. Sammlung bon SSerlin
bie SRumiSmatif ber norbafrtfanifeben Könige, abgefeben non ©eifertet), uon bem ftdj ed)te
©tücfe nid)t naebtneifen laffen, befebrieben — bieten mit bieHeicbt einer einzigen im 9lrt fefbft
ju berüdfiebttgenben 9lu§nabme teinerlei biftorijcbe bejtt). tircbengefcbicbtlicbe ausbeute.
30 II. 3% <J5apencorbt, ©eferj. ber nanbat. £errfd]aft in 9lfrifa, Berlin 1837; gelir. ®arjn,
Könige I, 2. 9lbteil., ©. 146 — 265 unb ©erman.=ruman. llrge[d)id)te I2, 93erlin 1899, jumal
©.147—222; 9t. Ebert, G6rifr.=lat. Sitteratur I2, ©. 455 ff. unb fonft; Seuffel=©cbttmbe,
©efd). ber röm. Sitt. II5, ©.1176. 1206 f. 1238. 1254 f.; 585. ^öfefd), Sßtetor üon Sita, Söbeln
1887; «Stabler b. SMfferSgrün, ®ie Sanbalen . 406—77, @b;mn.=$rogr., SSojen 1883/84;
35 91- ©cbmavse, . . äußere ßntoictlung ber afrif. Äirdje, ©öttingen 1892, jttmal ©. 153—183;
3. gerrere, De Victoris Vitensis libro etc. [Thesis Tolosana!], «ßetriä 1898, 191©.; 9Ub.
©djönfelber, De Victore Vitensi [SSreöIauer ®iffert. 1899] 51 @. (imfritifd), lueil
fircblid) befangen!); o. $ffugf=£mrttung, SelifarS SSanbalenfrteg, £>8, 61. 93b, ^abrg. 1889,
©. 69—96; Subioig ©cbmibt, ©efeb- ber SBanbalen, Seipjiq 1901, 203 ©.; ©erb- giefer, Qur
40 SSürbtgung ber Vita Fulgentii, SBrieger§ Bf© XXI = 1901, ©.9-42; 585. ff rafft [geft.], 9lrt.
SSanbalen in btefer $3t©2; ben bemnädift ebenba, 3. 9t. erfdjeinenben 9(rt. Vict. Vit. ; entlief)
bie Vandalica öon granj ©örre§. I. 9lbbanblungen: 1. 9lrt. Ebriftenüerfolgungen, g-. X.
«rauäfebe 9t@. I, ©. 215—288, jumal 258—282 ; 2. tird)e unb Staat im SSanbalenretd)
420—534, ®3®2S X= 1893, ©. 14—70; 3. gur ff © beä 58anbalenreid)ee, Qn)2b XXXVI,
45 ©• 494-511; 4. ®er ed)te u. b. falfd)e SStctor üon Cartenna, ßm^b IL = 1906, ©.484—494;
II. 9lnäeiqen:l. non ©cbönfelber, 3roS:bXLII = 1899, ©.635—639; 2. üon ®abn, Urgefd).
I2, BroSb XLIII, ©.112—148; 3. öon gerrere, XLIII, ©.308—313; 4. uon 2ubro.©d)mibt,
©g9l 1902, 9er. 10, ©. 816—826.
3)ie 3Sanbalen (eigentlid) 3Banbalen) finb nad) ber berübmten ©teile ^rofopg (De
so bello Vand. 1, 2) Dftgermanen ober bielmebr ©oten im roeiteren ©inne. Qn i^rer ÜDr'
gefd)icbtlid)en meift nod) roobanifc^en $t\t (bt§ etroa 370) bel^errfd)en fie bag ^ntereffe
burd) bie felbft in ben Slagen ber großen 93blferrr>anberung merftoürbigen aulgebebnten
©iebelungen Don s3iorboften nad) ©üben unb bann nad) bem äufjerften ©übtoeften ber
römifd)en Sffielt. SBeld) eine Überböllerung, roelcben Raummangel, meld; eine £eute= unb
55 .£>uttger3not berraten un^ biefe raftlofen Äreu§= unb Querjüge ! ©päier (im 5. unb
6. 3»ar)v^-) bilbet bann baä SSanbalenreicb^ einen ber römifd)=germanifcb, en 5RitteImeer=©taaten,
auf ben %$. 3Jfommfen§ 2tu§brud bom Sabintoellen ber Slüten ebne grücbte gan^ be=
fonber§ toafjt.
©er ältere ^piiniu§ unb XacituS mad)en unö mit ben nörblid)ftcn ©i|en be§ SSoIEeö
so jtoifcf/en @Ibe unb SBeicbfel belannt. ^ur ßeit be§ großen ^arfomannenfriegeS (166 bi§
181) finb fie nad) Saffiug ®io bereits im beutigen ©d)lefien angefiebelt. ^aum ein
^abrbunbert f bäter mufe Slatfer 31urelianu§ um 271 (nad) ®erjbbu3) fcb,on bie mittlere
»tttibolctt 427
£cnau bor ben norbifcf/cn (Sinbringlingen fd^ü^cn. Um 330 bon tEjrcrt itorbifd)en s)iacb=
barn fyart bebrängt, erhalten fie bort Äonftanttn bem ©rojjen fd)üt$enbe 2tufnal)me auf beut
regten SDonauufer in ^annonien, muffen aber bie römifd)e Dberr/of)eit anerfennen unb
ein 9teiterfontingent fteÜen. Um 407 berlaffen Üsanbalen, Sllanen, ein mit erftern eng
berbünbeteS nod? immer rätfelfyafteS, nad) 2luSwetS ber tarnen fidler nicfytgermanifcfyeS b
Solf, baS urfbrüngltcf/ an ben 2lbl)ängctt beS $aufafuS anfäffig mar, unb ein fuebifcfyer
Stamm biefe §eimat unb fuef/en nad) furchtbarer i<erb/eerung ©aHienS neue 28olmfti$e
in ©banien. §ier fiebeln fid) bie Sanbalen an, juerft (409—423) borjugSroeife im
Sorben, in ©alläcien, bann (423—429) im ©üben, in33ätica, bem heutigen 2tnbalufien.
2)aS bisher roobanifdje ^oll erhielt fein arianifd)eS ßlmftentum burd) Äaifer Valens i«
(364— 378), ber ja aud) ben Surgunbem, foroie ben 2ßeft= unb Dftgoten (im engeren
Sinne) feine £ärefie übermittelt I)at (bgl. ©afyn, Urgefdricfyte I2, ©. 208). @S gab aber
aud) bereinjelte ortr/obor.e Sanbalen, unb mit Stecht tritt Subroig ©d)mtbt (Söanbalen
a. a. £>. ©. 20 2tnm. 5) ber unbegrünbeten Meinung ©tablerS bon SöolfferSgrün (a. a. D.
Sojen 1 884), ©ttlidm fei §eibe geroefen, entgegen. $Der mächtige SRinifter beS ÄaiferS 15
MonoriuS (395—408), toenngleitf) banbalifdjer Slbrunft, mar roeber £>eibe nod) 2trianer,
fonbern Äatfjolif. ©inem 2öobaniftcn, nimmt ©d)tn. richtig an, mürbe ber grofje Xb,eo=
bofiuS roor/l laum feine 3^tc£)te (©erena) bermäb/lt fyaben. %<fy füge fyin^u: ber fromme
2)id)ter ^rubentiuS fagt bon ©ttlicfyo unb £>onoriuS im ©egenfatj jum 3trianer 2tlarid?:
„Deus Christus utrique " (c. Symmachum oratio, opp., Parmae 1788, II, 20
v. 695— 744 incl. [p. 196—198]; v 708 ff.; v. 742— 744, ibid. ©. 198), ftellt alfo
bie föonfeffton SBeiber bblltg gleid).
Über bie religiöfen Anfänge ©eiferidiS jutreffenb 2. ©cfymibt a. a. D. ©. 31 : „©afj
er urfbrüngltd) ^atb,olif geroefen unb nun [428] gum arianifd)en ©lauben übergetreten
fei, ift, roie ber einjige ©eroäfyrSmann, §r/batiuS, felbft borfid;ttg bemerlt, nid)t fidler 25
bejeugt (a. a. D. c. 89 : ut aliquorum relatio habuit) ; aud) an fiel) aber fcfyeint biefe
biefleidjt erft aus fbäter geü ftammenbe, tr>oI)l nur auf böswilliger ©rfinbung berul)enbe
^erfion mentg glaublich"
429 lanbete ©eiferieb, ($önig feit 427) mit nur etma 80 000 ^erfonen, barunter 50000
Kriegern, an ber norbafrifanifcr)en ^üfte ; ob bom 9JliIitärftattI)alter 33onifatiuS infolge 30
ber angeblichen Siänle beS 2IetiuS eingelaben, ober ntcb,t, ift ftreitig. ©aS 33anbalen=
reief; batiert eigentlich erft feit bem 19. Dftober 439 ; benn aisbann überfiel ©eifertet; mitten
im ^rieben iti erfidjtlicfyer 33erf>ör/nung beS Vertrages bon Hippo regius (in -Jcumibten)
bom 11. gebruar 435 $artI)ago, blünberte biefe 2RetroboIe grünblid} au§ unb erb, ob fie
ju feiner 9tefiben^. ^m ^uni 455 machte ber TOeerfönig — feit 440 bi§ faft 475 ftad) 35
er nämlict) faft aßjä^rlicb, mit feiner au<§ überaus gar)lreic^en ^reujern befteb^enben ge=
fürchteten glotte in ©ee unb berljeerte bie lüften beiber ^aiferreid;e — aud) ber alten
Königin ber 2öelt einen r/öd)ft unmittfommenen 33efud) unb blünberte fie 14 ^£age lang
aus. ©eitbem erfdjeint ber 9te<fe all ©ebieter bon ganj ^orbafrila, bon Mauretanien
bil jur ^ttrenaüa, fomie ber ^nfeln Äorfifa unb ©arbtnien, eine§ Teiles bon ©ijilien, 40
enbltdt) ber 33alearen unb ^itttyufen. SDie bekannte Überlieferung, toonad) ©eiferid) bon
ber ^aifertn @uboria jur 9tomfal)rt eingelaben roorben fei, um fie bon ber berfyafjten
ef>elidt)en SSerbinbung mit bem ^aifer ^etroniuel 3Rarjmu§, bem 3J?örber il)reä ©emafylS
Salentinian III., ju befreien, bejeiefmet ®alm „als nidjt au§reicb,enb berbürgt", 2. ©cb^mibt,
jutreffenber als „eine gabel" %la<fy einer meitberbreiteten 2lnnal)me embfing ^abft 45
Seo I. ber ©ro^e am 2. ^uni 455 ben barbarifd)en ©ieger unb bewog tlt)n buref) feine
Sitten, roenigftenS bon 3Jlorb unb Sranb a6gufet)en unb fid) mit blofjer ?piünberung ju
begnügen. ®iefe Überlieferung ift inbeS tro^ tbrer fdjeinbav fo autfcentifdpen Sejeugung
bureb, ben 6b,roniften ^5rofber %\xo leineSmegS unantaftbar : „£mben roir aud) leinen ©runb,
meint 2. ©d)tnibt, bie ©efanbtfcfyaft beS ^abfteS ju leugnen, fo ftortdjt bod; manches ba= 50
gegen, bafe beffen ©influfj es beijumeffen getoefen, bafe 9tom bon größeren ©reuein ber=
fdjont blieb, ^n ber ^ßrebigt roenigftenS, bie Seo am 6. iyuli nadj öffentlicher, anläßlid;
beS SlbjugeS ber 33anbalen abgehaltener ®an!feier gehalten b,at, ift nichts babon gejagt.
£ie ^anbalen trachteten, roie bie ©oten 3llaricb,S, in ber §aubtfac[)c nur naef) 5vriegS=
beute; bie ^erftörung ^on Käufern unb ^enlmälcrn mären bafyer meift ^mecfloS geroefen ; 55
baju fam als roicljtigeS 3)coment bie @b,rfurd)t bor ber ©röfjc unb ,g>eiligfeit 3tomS, bie
allen ©ermanenfürften eigen mar."
2)aS afrifanifd)e 35anbalcnreidj bei feiner beifbiellofen ^foIiertb;cit im äufeerften dübelt
ber antifen SBelt franlte am meiften bon allen cjermantfd)=artanifdjen Wittelmeerftaatcn an
bem bobbeltcn inneren ©egenfa|, bem nationalen unb jumal bem religiöfen; benn nirgenbs b<<
428 SSanboIc«
Waren bie 93egieE>ungen jur romanifcben Vebölferung fo fd^roff. ©eiferieb ftteß in fetner
neuen §eimat auf ^Wei borberrfcbenbe ©tänbe, ben geiftlicben 2lbel, bte S3tfd|>öfe, unb ben
Weltltcben, bte £atifunbien=Vefii5er, bte fog. possessores. Veibe Würben als |)aubtftü|e
beS fatbolifcben ^mberiumS Don ben Vanbalen fr/ftematifcb unterbotet!, erftere mit 3lb=
5 fe|ung, Verbannung, ja fogar gutüetlert mit bem %obe beftraft, le^tere gelungen, auf ifyren
©runbbefitj ganj ober boeb großenteils ju ©unften ber ©ieger ju beliebten. £)aS Waren
bie sortes Vandalorum, bie banbalifcben ©iebelungen, auS ©eblaubeit mit fHücfftd^t
auf bie geringe ^obfeabl ber (Sinbringlinge jumeift auf bie Vrofonfularbrobing mit ber
.gaufetftabt ^artfyago Befdjrärtlt. Söenn nun ©eiferieb als ©fymbol loyaler Unterwerfung
10 unter baS Varbarenjocb bie arianifebe SSiebertaufe !E>etfd^te unb überjeugungSfefte $atbo=
Wen maßregelte, fo Ijanbelt eS fiel) ba Weniger um religiöfe als um bolitifcbe Verfol=
gungen. Übrigens fronte er feine ortfyoborm Untertanen, Wenn er ju beiben $aifer=
ftaaten bejro. naeb, Untergang beS Weftrömifcben SfaicbeS $u Vr^an^ allein in befferen
Regierungen ftanb, fo 454—457 auf bie gürbitte beS ^aiferS Valentinian III. — ba=
15 malS geftattete er ber biete $abre lang berWaiften bßubtftäbtifcben ^atbolifengemeinbe
fogar bie 2öafyt beS ©eogratiaS jutn Vtfcbof (24. Oft. 454) — (bgl. Vict. Vit. I, c. 8 bejto.
I, c. 24 mit App. ad Prosp. Tir. Chron. unb ber vita s. Fulgentii Ruspensis
c. I, 9fa. 4, ed. MPL, vol. 65, ©. 119), fo 475 bejto. 476— 477 in 3ufammenb,ang mit
bem mit ^aifer $eno abgefcbloffenen fog. ewigen grtebenSbertrag, ber bis jur ®ataftrobbe
20 bon 533/34 bie ©runblage beS Verbältniff eS ber Vanbalen juDftrom bilbete, ob,ne inbeS
btefeSmal aueb in bie Söafyl eines t)autotftäbtifcb^en Dbetfnrten %a willigen (bgl. Vict. Vit.
I, c. 17 bejW. I, c. 51, Excerpta ex Malchihist. c. 3, ed. Bonn., ©. 260f., VriScuS,
p. 216 ff., e. 7, Grocott, a. a. D. I, c. 4. 7). S^enfaUS in einer biefer beiben griebenS=
perioben, Wabrfcbeinlicb in ber früheren, ließ ber Vifcbof Victor b. ßartenna (in ber Maure-
25 tania Caesariensis) naeb ©ennabiuS, De vir. ill. c. 77 ed. Vernouttt bem SReerfönig eine
(letber berloren gegangene) gefyamifcfyte Sßiberlegung beS StrianiSmuS überreifen, obne
im minbeften besfalb beläftigt §u Werben! 476 überließ ber ®öntg fobann in einem
Vertrage bem tbatfäcfylicfyen S9e^errfd)er Italiens, Dbobafar, ben größten Steil ©ijilienS
gegen einen Qab^reSjinS (f. Vict. Vit. I, c. 4 bq\ü. I, c. 14), unb fo ftarb ber geWa(=
30 tige ©ermanenfürft bocfybetagt am 25. Januar 477, berföbnt mit allen ©egnern, bie er
Wä^renb feiner langen fturmbeWegten £aufbal)n fo bitter befämbft fyatte, im ^rieben mit
beiben ^aiferreieben, Wie mit ben ®atb>Itfen (f. Vict. Vit. I, c. 17 he$m. 51; II, c. 1).
Vacfenb ift bie (Sbarafteriftif unb ber Vergleich mit Xf>eoboric^ b. ©r. bei SDabjt (Urgefcf;.
I2, ©. 159). „©eiferieb ift eine ber geWaltigften ©eftalten ber VöIferWanberung . . 35em
35 großen ^^eoboridE) ftefyt ber Vanbale gegenüber Wie bem mtlben Sag bie blutige 9?acr)t
SBenn fein (©eifericbS) gefürcbteteS Siaubfctnff in ©ee ftidjt, bejeiebnet er bem fragenben
©teuermann fein bestimmtes ßiel, fonbern läßt fieb bon Söinb unb Söetlen gegen folcfye
SJlenfd^en tragen, benen ©ott jürnet (bgl. 5Procob. a. a. D. I, c. 5) — ein e$t fagenbafter
^ug, ber bie 2luffaffung ber 3«it ^ier Wieberfbiegelt ; Wie fein fd)rectlicber VunbeSgenoffe,
40 ber ^unne 2lttila, auf bem geftlanbe, fo Warb ber banbalifebe ©eelönig ein ©Freden
ber Völler, eine ©eißel für bie SfReere." §'erSu bemerft 2. ©d)mibt a. a. D. ©. 70
2lnm. 2 nid^t un^utreffenb : „®ie 3lne!bote mag richtig fein, bat aber jebenfatls ibren
©runb barin, baß ©eiferieb baS $iel feiner (Sjtoebition forgfältig gebeim bitft-" ^en
Qfyaxaita beS großen Vanbalen fa^ilbert Victor bon Vita mit VeWußtfein als ben eines
45 Unmenfcben, ber mit ber Varität eines St^annen gegen feine romanifeben unb germanifd^en
Untertbanen mit gleicher ©raufamleit Wütet! 2lber bie ^oc)e ftaatSmännifd^e Vebeutung
beS 3Jteer!önigS, abgefeiert bon feinen SxeligionSberfoIgungen, bie man mit ©afm (Könige
I, ©. 244 f.) als fitttid; unb bolitifcb gleirf) berWerflicb anjufeben fyat, ift bureb S0^0"^
unb bie Wacferen Vtijantiner ?|3riScuS, 9)iaIcbuS unb VrocobiuS unb fogar bureb gelegent=
50 liebe ^ugeftänbniffe beSVitenferS felber (j. V. I, c. 4. 8. 17 h^W. I, c. 13. 14. 24. 51),
bezeugt. 3tber aueb fittlicbe Vorzüge beS VanbalenfönigS laffen fieb quellenmäßig belegen.
SDaß er bie altgermantfebe Vorliebe für bie Xugenb ber Äeufcbbeit in feiner Sßeife ber=
leugnet, beWeift baS begeifterte £ob beS „^eremiaS" jenes 3«talterS, ©albianuS, Wo eS
(De gubern. Dei 1. VII, c. 20-22, § 84—100, ed. §alm, MG-2luSgabe auet.
55 ant. I, 1 [1877], p. 99—102) u. a. beißt: „Vei ben ©oten finb nur bie Körner un=
feufcb, bei ben Vanbalen niebt einmal bie Körner!" SlnberfeitS fyanbdt eS fieb Iebig=
lieb um eine römifebe Verleumbung, Wenn ©ibon. 2lbollin. (Carm., Panegyricus V,
y. 327 ff., ed. Suetpbann [MG-2luSgabe], ©. 195 f.) febon gu 458 bon ©eiferieb be=
riebtet, baß er träge unb forbulent geworben fei, bureb Vublerinnen ju ©runbe gerichtet.
so ©enn erftenS Wtberfbricbt bem angeblichen 9JlaraSmuS beS Vanbalen ber gefcbicbtlicbe 3U=
aSnnbalen 429
fammcnfyang: Sftocr) 467 entfallet ber „fd)toerfällig geworbene" Monarcb, eine ungetoöbn=
Itdje, an einen nocb, jugenblicfyen sJMen gemafynenbc ^atfraft (f. ^rocob. a. a. D. I,
c. 6), unb minbeftenS big 474 leitet er mit alter Äraft alle SWbjüge berfönltd). ©o=
bann rüfirt btefe Sefcfyulbigung bon einen 2Iutor I)er, ber nacb, 2luStoeiS feines S3rtef=
toecf>felS einen gerabeju fanattfcf)en £aß gegen alles ©ermanentum förmlich gucktet. ®afj 5
ferner ©eifericb, toafyre iugenb aucb, an Stomanen ju fd)ät$en toußte, erhellt auS ber
großen StuSjeicr/nung unb 2ld)tung, mit ber er ben I)odj>I?ergigen grtebenSbermittler bei
jlaiferS $eno, Dm Sßatrhier ©eberuS, beljianbelt, einen toafyrl)aften ©fjrenmann, ber eS
fogar berfdwtäfyt, bom Mönig bie ben ©efanbten nad) bamaliger ©itte jufommenben
©efd)enfe anjune^men unb als einzige ©unft ftd) bie unentgeltliche greilaffung ber ®riegS= 10
gefangenen abbittet unb aud) erhält, ©iefer toacfere ©bigone beS 9>iömertumS ift biS=
t)tx leiber nur burd) 9Md)uS, Hist., ©. 260 f., c. 3 bezeugt. (Snbltd) erinnert Subto.
©cfymibt a. a. D. ©. 100 mit gug an „bie ©efinnung, bie er [©eif.] [laut bem SSitenfer]
gegen feine ©efolgSgenoffen an ben *£ag legte, inbem er biefelben auf bem Totenbette feinem
^ac&folger embfafjl" 15
§unericr), bei großen ©eiferid) unfähiger untoürbiger ©ofjm (reg. bom 25. Januar
477 bi§ ©ejember 484), ber arianifcfye „'ÜEorquemaba", fronte anfangs aus $urc£)t
bor S^anj bie ^ailjoliien, genehmigte (481) fogar bie Söafyl beS ©ugeniuS jum 33ifd)of
Don Itartfyago, »erfolgte fie aber feit 482, nod) mel)r in ben ^jafjren 483 unb 484 auf
unerhört graufame SBeife ; ben größten ©rab erreichte biefer ©türm freilieft, erft feit 9)Jitte 20
484. ßönig ©untamunb(reg.484— 496) fd)onte bie Drtboborm toteber, unb beffen^iacfyf olger,
ber geiftbofie, für feine geit f)od)gebiIbete £I)rafamunb (reg. 496—523), tote Seobigilb, ein
arianifcfyer „Julian", begnügte fteft, toenigftenS mit unblutigen Maßregelungen, wie 3Ser=
bannung ber fyerborragenbften 33tfd)öfe. §ilbericb, (reg. 523—530, geft. 533), £unerid)S
unb ber toefirömifd)en ^atfertocfyter ©ubofia fd)on betagter (geb. toafjrfdjetnlicb, 456) 25
fanfter latfyolitenfreunblidOer ©ob,n, getoäb^rte unbebingte 9MigionSfretl)eit (bgl. ^rocob.
I, c. 9, vita s. Fulg. c. XXVIII, § 59, c. XIX, § 60 unb Vict. Tonnenn,
ed. %fy. SOiommfen, p. 196 f.). %tyt fanben aud) toieber fattyoltfdje ©rmoben auf afri=
!anifd)ein 33oben ftatt, unb gtoar gletcb anfangs (523/24) in ber br^acemfcfyen ^robinj
jtoei, ju $unca unb ©ufeS, unb 525 ein größeres ^onjil in ber geugitana, ju ^artfyago 30
felbft unter bem 33orfi£ beS 5Bifd)ofS SonifatiuS (f. £efele, eonc.=©efcr,. IP, ©.710—715).
3Rand)e Prälaten fd)einen auf ben ertoäfynten ©tmoben eine untoürbtge, Iäd)erlid)e 9Me
gefbielt %a b,aben: ,,^aum toaren bie afrilanifcb^en 33ifd)öfe aus bem @rjl ^urücfgefefyrt
unb bon ber Verfolgung befreit, fo brachen 9tangftreitigfeiten unter ifynen auS" (§efele
II'2, ©. 703 unb 711 2tnm. 5). §ilberid)S griebenSbolittf ift fd)toerlid; aud^ eptgra^bifet) 35
bezeugt, tote ©d)toarje a. a. D. ©. 172 annimmt [f. ^ranj ©örreS, ^ird)e unb ©taat im
SSanbalenreicb,, ©.67 3lnm. 3], aber bieUeidjt numiSmatifd) [f. bie Münje mit ber 2luf=
fdjrift „Hildirix Rex | Felix Kart(hago)]" bei 3- Sr^e^anDer/ ©• 30 unD ^*e ^u^f^;
tafel I [faft 9JUtte rechts]). §tlberid)S, ftd) an baS bereits t»on einem ^uftinian (feit
518) geleitete S^anj anleljmenbe, fid? nod? baju mit ben Dftgoten, ben natürlichen SSer= 40
bünbeten ber 3Sanbalen, »erfeinbenbe ^3olitil, beförberte im Sunbe mit ber feit ©eiferid)S
Xob ftetS ^uneb,menben 3Sertoeid)Iid)ung beS 23olfeS bie Slataftro^e. ©ein gleichfalls fef)r
bejahrter 3Setter ©elimer (©eilamir), ber baS Spanier beS nationalen SlrianiSmuS b, od)b, ielt,
liefe ifm abfe|en unb f^äter ermorben (530 be^to. 533, »gl. $roco^. I, c. 9 unb Vict.
Tonn., ed. 3)commfen, ©. 196 f.). 2lber er felbft unterlag fcfjon 533/34 in ben ©drtadjten 45
bei ©eeimum unb iricameron ber genialen ^riegSfüfyrung beS gelben 23elifar. ^Rorbafrila
nebft ben ^nfeln tourbe als „@jarcb,at ^artb,ago" eine b^anttnifd)e ^robinj, bis eS (709)
bem ©iegeSlauf beS jugenblicfyen %$lam unterlag. SDer le^te 3Sanbalenfönig, ein feltfam
befaiteter, romantifd) Veranlagter, fd)on an baS biel fbätere Rittertum erinnernber ßb, arafter,
bom ©ieger ftanbeSgemäfc bebanbelt, erhielt reid)lid?en ©runbbeft^ in ©alatien. Stuf bie 50
if>m gleicb,faßs angebotene b^öc^fte ©b^rung, bie S^anj getoäb^ren fonnte, ben ^atriciat,
mußte er freiließ infolge feiner ehrenhaften SBeigerung, ben 3lrianiSmuS abjufcb^toören, ber=
jid}ten (bgl. ^rocob., Bell. Vand. I, c. 9—25, II, c. 1—9, App. Prosp. Tir. p. 312.
329; Vict. Tonn. ed. 9Kommfen, p. 198, SoribbuS, Johannidos seu de bellis Libycis
1. I, v. 381 ff.; 1. III, v. 17 ff., 198—264, rec. ^of. ^artfet) 1879, MG-3luSg. auet. 55
ant. nebft ^fIug!=§arttungS lebiglid) in mtlitärifcb=tecr>rtifcber §infid;t berbtenftlicfjen 6r=
läuterungen, „SelifarS 3Sanbalenfrieg" a. a. D.).
©eifericf)S fog. Xeftament ift baS bon ib,m ben benachbarten SJcaurenftämmen ent=
lehnte Xf)ronfoIge=©efe^, ber fog. ©eniorat, toonacb, in feiner (ber aSbingtfdjen) ©bnaftie
nid)t regelmäßig bem SSater ber ©ofm folgen, fonbern ftetS ber ältefte 2)efcenbent in birefter 60
430 nßonbatcn $artatton8retf)t
Stbftammung bon il)m (©etfertdE)) felbft bie Krone erben follte. gwed biefer Verfügung War,
Wie in bem bamit übereinftimmenben o§mamfcr;4ürfifd)en §au3gefe£, ber ÜRaffenberWeid>=
lidmng borjubeugen (bgl. Vict. Vit. II, c. 5 begho. II, 13 unb ^ßrocob. I, c. 7); er
Würbe in betben ©taatenbilbungen nicfyt erreicht-
5 £. ©djmibt a. a. D. ©. 151 f. ertebigt in befriebtgenber SBetfe eine intereffante, mit
bem Untergang be<§ a>anbalenreid; e3 jufammen^ängenbe antb^oboIogifd;=tofycr;ologifd)e ©treit=
frage: ,,©a| in ben ben S^antinern unzugänglichen SanbeSteilen einzelne ©blitter [ber
tsanbalen] ficb, erhielten, ift nid)t au3gefd)Ioffen, aber Don größerer ftafyl waren biejelben
fi^er ntd^t. Sfyatfacfye ift aHerbing§, bafj ein großer ^rojentfal ber heutigen 33erber=
10 bebölferung in Stftaroffo, am 9tif, in ben ©ebirgen 2lure§ unb ©rofcfabfyliemS, fotoie
auf ben Kanarifcfyen ^nfeln blonbe§ §aar unb blaue Stugen fyat (S£iffot, ©eogr. I, 403);
aber bie Wieberfyolt, jute|t bon Söfyer (®a3 Kanarierbucf), 9Dlünd;en 1895) Vertretene
2lnfid)t, bafj bie<§ auf germamfdje, fbejieft banbaltfcfye SRifcb/ung jurücfjufü^ren fei —
nad> £öl)er foltert bie Sßanbfcfyen auf ben Kanarifdjen unfein ^acbJEommen ber borten
15 geflogenen 33anbalen fein, — muf? al3 unbegrünbet berWorfen Werben". %n Der ^atr
bie norbafrilanifdjen 33anbalen Waren niemals jabjreid;, unb ba§ ©batuationöffyftem ber
btyjantinifdjen Regierung Würbe nad) 'ißrofob grünblicb, burd;gefüb,rt (bgl. 2. ©cfymtbt,
©. 148 ff.). (2BU1). trofft f) %van ©öm§.
tian XU f. ail 33b XIX ©. 775:
2o »ariata f. b. 21. 3Utg§b. 23efenntni3 33b II ©. 249, io.
95ariattOtt§rcd^t. — ©cljlefingev, 3)te $aviationsbefugni§ be§ ®trd)etH.iatron§ in ber
3SSR XIX, 91; ©tlberftetn in 9Ivd)t» für f. SM. 61, 3 ff.
3kriation§red)t (jus variandi) nennt man ba§ SttedE>t bei £aienbatron!§ nacr) einer
bereits erfolgten ^räfentation, innerhalb ber ifym gefe^ltcb, juftefyenben ^räfentationgfrift
25 nod) einen anberen Kanbibaten bem jur 23eftättgung berechtigten getftücf/en Oberen in
33orfd)lag §u bringen (c. 5. 24. 29 X. de iure patronatus [III, 38]. Argum. c. 4
X. de officio iudicis ordinarii [I, 31]. 2)em geiftltcfyen Patron ift biefe 33efugni§
abgebrochen unb nur in beinhalte, bafj er in entfcfyulbbarer 2öeife ein unfähiges ©ubjeft
präventiert I)at, eine neue ^räfentation geftattet (c. 20. 25 X. de electione [I, 6]
30 c. 18. 26. cod. in VI0 [I, 6]). Über ben ©runb biefer iserfdjnebenfyeit ift man nidjt
einig. @r liegt Wofyl Weniger barin, baft ba§ bom ©eiftlidjen geübte ^räfentation§recb,t
aus bem ©efid)t§bmrtte einer Kollation aufgefaßt Wirb, als Weil ben ©eiftlidjen meljr
©inficfyt jugetraut Wirb, tfmen jur 2öal)l aud) eine größere grift (fect)§ SRonate) al§
ben £aien (bier SJionate) bewilligt ift unb eine Wedjfelnbe SReinung für fie Weniger ge=
35 jiemenb ift.
2Ba§ nun bie 93efugni§ be<§ £aienbatron3 betrifft, fo fyängt e§ bon feinem freien
@rmeffen ab, ob er t>on berfelben ©ebrauct) machen Will ober nicbt. ®abei entfielt bie
grage, ob ber Patron berechtigt ift, burc^ folgen 2^orfd)Iag ben juerft ^räfentierten au§=
^ufc^lie^en, fo ba| berfelbe oom geiftlidjen Oberen nicf)t meb,r bei ber ^rtfütution berüd=
40 fkfytigt Werben bürfte (fog. brtbatibe Variation), ober ob e§ bem Oberen frei ftefyt, au§
fänttlidjert ^räfentierten benjenigen ju beftätigen, Welchen er für ben geeigneten b,ält
(fog. lumulatibe 3>ariation). Über btefen %aU fd>eint fidt?> fc^on jeitig eine entgegen
gefegte äluffaffung gebübet ju fiaben, ba bie ©ad)e nidit böllig !(ar ift : benn, inbem bie
©Joffe jum c. 24 X. de iure patronatus ad v. alium bellariert : „Dando secundum
45 videtur recedere a priori, sicut ille, qui plures constituit procuratores diversis
temporibus" fdjeint bamit bie bribatibe Variation berteibigt ju fein, obgleich bieg bocb,
ntc^t unbebingt ber galt ift, inbem bie ©loffe nid)t au§fbric|t, bafe ber Sifc^of gebunben
fei, bem SBiÜen beg ^atron§ ju folgen, ©agegen entfcfjeibet beftimmt bie ©loffe jum
c. un. de iure patronatus in VI0. Nota 3: „Laicus potest unum praesentare,
50 postea alium accumulative, et sie potest variare et Dioecesanus potest ac-
ceptare, quem voluerit" für bie Jumulatibe 33ariatton. ©iefer lederen 2tnftct)t
fd)Iiefet fid) bie fbätere ©oltrin unb ^3raji§ fdjledjtfym an (bie Kommentatoren jum Sitel
de iure patronatus, bon benen gagnanuS jum cap. 24 X, cit. mit 33ejugnab,me auf
£ambertinu§ e§ al§ communis opinio canonistarum et legistarum bezeugt, berb.
55 gerrariS, Bibliotheca canonica s. v. ius patronatus. Art. IV, nro. 45 ; ban (Sfben,
Ius eccles. universale P. II. sect. III. lit. VIII. cap. V
33eftritten ift aueb,, ob bem Patron eine mef)rfad)e Variation geftattet ift. ©ine be=
i*ttncittou$rcd)t Hatermtfer 431
ftiminte (£ntfd;eibung barüber enthält baS gemeine Stecht nidit, ba bie Clem. 2 de iure
patronatus (III, iL') bon biefer grage niebt tjanbett. $)em ftrd^üdjen ^ntereffe iDtber=
fbrtcbt eS aber gar niebt, im ©egenteil, eS entfbriebt bemfelben bielmebr, bajj bem 23ifcbofe
eine größere 2tuSWabl Don ^erfonen geftattet Wirb unb bafyer erklären fid; bie Äanoniften
aud) mefyr für, als Wiber bie Wteberbolte Variation. (,§. $. ^acobfoit t) Setjling. 5
Vasa sacra f. b. 31. ©efafce, gotteSbienftltcbe 33b VI ©. 412—415.
SBaiabfaS, granj, gefi. 16. Wäv^ 1547. — 2Iug. Mahnet, Bibliotheque saeiee IV, 1;
g^öc^er, ©eIef)rten=2eriIon IV, 1466; Biographie universelle LXVII, 569 f.; Nouvelle
biographie generale XLV, 989.
grangoiS 2BatebIeb (aueb, ©aftebleb unb Duateble) ift geboren in bem ©täbteben io
©amacbeS 0ßicarbte, SDebart. ©omme), War bann Pfarrer ju Sramet im 23aloiS. ^rang I.
ernannte ibn jum $rofeffor beS ^ebräifeben am College de France, bann aud) jum
2lbt t>on SMojane. 93. felbft b,at nid)ts Veröffentlicht ; feine Überfettung ber Parva
Naturalia beS 2lrifioteIeS ift erft 72 ^af)re nad) feinem SEobe in ©ubalS 2IuSgabe beS
SlriftoteleS gebrudt werben; Aristotelis meteorologicorum libri quattuor erfdjnen in v,
2i;on 1548. SDie 23ebeutung beS 35. liegt in feiner afabemifeben SiHrffamfett. @r bat
fid; um baS Stufblüben beS ©tubiumS beS .^ebräifeben in granfreid; berbient gemacht.
SDa er aufser grünblicben ^enntniffen aud; bie ®abz guter unb lehrhafter ®arfteEung
befaf;, b,atte er einen grofjen $reiS bon gittern. ,§aubtfäd;Iid; aus ben 9iad;fd;riften
biefer ßufyörer (33ertin le Somte wirb namentlich erWäbnt) nabm Stöbert ©tebl)anuS baS 20
Material gu ben älnmerlungen, Welcbe er feiner im Qabre 1545 (^ßaris 8°) erfebienenen
93ibeIauSgabe beifügte, (©iefer febr feltene SDrud enthält aufjer ber 23ulgata auö) bie
1513 in^ürid; beröffentlicbic lateinifcbe 23ibelüberfetsung bon Seo $ub, %b. 33iblianber u.a.).
3öte weit ©tebbanuS in bie Slnmertungen aud; eigenen ober anberWärtSfyer entlehnten
•Stoff aufgenommen bat, ift ungewiß. §ier fei nur bewerft, bafj ber Qnbalt ber bon 25
9t. ©tebfyanuS 12 ^ab^re fbä'ter beranftalteten 33ibelauSgabe ,,([©enf] 1557, §ol.) ein
mefentlid) anberer ift: fie bietet neben ber 33ulgata niebt bie Überfettung beS Seo $ub
unb ber anberen 3ürid;er, fonbern bie beS ©ancteS *}3agninuS, unb bie älnmerlungen
ftnb, wie auS ber ißorrebe erhellt, geiftigeS Eigentum niebt nur beS 23atabluS, fonbern
aud; beS ^agninuS unb anberer »om Herausgeber benu^ter Slutoren. ^n bem Critici 30
sacri betitelten ejegetifd;en ©ammelwerle finb bie ^Rotert biefer SluSgabe mit llnred;t ob^ne
weiteres al§ t>on ^BatabluS berrül)renb bejeidmet. 3lofy anbere 3uf^e, namentlid; aus
ßalbin, jeigt be§ ©teb^anuS toom ^abre 1556 batierter, in Söirflicbfett (f. am (Snbe beS
33ud;e§) erft am Slnfang beS 3a^re§ I557 bollenbeter Liber Psalmorum Davidis,
Wellen ©. $5. £. Sßogel jufammen mit ben 9Joten rwn §ugo ©rotiuS Wieber abgebrudt 35
b,at (Francisci Vatabli annotationes in Psalmos etc., §alle 1767, 8°). — 3ln ben
^arifer ©rud Inübfte fid; eine heftige gefybe ber SLbeologen ber ©orbonne gegen
Robert ©tebb,anuS, über Welche ber grofje 33ucb,bruder unb gelehrte 30iann felbft in
Iateinifd;er (Ad censuras Theologorum Parisiensium, quibus Biblia ä Roberto
Stephano excusa calumniose notarunt, eiusdem Roberti Stephanie
responsio 1552, ,8°, 255 p.) unb franjbfifdjer (Les censures des Theologiens
de Paris . . 1552, 8°, 156 Slatt; gacfimile=9ceubrud ©enf 1866) ©brad-e
intereffanten 93erid;t erftattet b,at. ®ie ^3arifer 'Xb,eDlogen b,atten bie SInmerfungen als
an nid;t Wenigen ©teilen le^erifd) unb bem £utf?ertum günftig bejetebnet unb be^balS
tbre Unterbrüdung embfol)len; bie ©elebrten bon ©alamanfa aber fd;ä|ten baS 9Berf im 45
übrigen fo febr, baf? fie eine burifijierte 2IuSgabe beranftalteten (juerft in ber 1584 er=
fa)ienenen fatein. Sibel). 3Son biefen Slnmerfungen urteilt 2). 33. b. £>aneberg (©efdjidjte
ber Offenbarung4 1876, ©. 849, bafe fie „bielfältig fieberer jum iöerftänbniS fübren als
9tiefener.blifationen Slnberer" 33. ift im fatbolifeben ©tauben geftorben.
§ernt. £. Stvnrf. 50
üßaterunfer. — (Sitten Heilten Slnfang, ba§ SSefentüdie au§ ber unää^Ugen l'itteratnv
t)eruorp^e6en, tjat 9lug. IKubolf ®ebfer gemad}t in bem .tönigS&erger Programm De oratione
dominica, part. I (1830) p. 2—5; er (jembette bann de discrepantia Matthaoi et Lucae etc.
unb in part II de fontibus e quibus Christus haue formiüam hauserit (mit Miiiif be§
25erfuc()§ §evber§, ^avaüelen au§ bem 3enb=?luefta ,^ur ©fftärung beizubringen). Sin ber 55
Spt0e ftetjen bie patrifti[d)en 9(u§(egungen: Tertulliani liber de, oratione c. 1- 10; Cypriani
de dominica oratione c. 1 — 27 (üSMener Sluägabe üüu Partei I, 2(17 — 287), Augustini de
sermoiK; Domini in monte seeundum Matlhaciiin libri duo — um :>93 - (A1SI, XXXI\r.
432 SSateriittfer
1229-1308); üott ben ©rtedjen Origenis .W evyjs c. 22—30 (Serltner 9luggabeII, 346—395),
Gregorii Nysseni sig xrjv jiqoosvx^v (MSG XLIV, 1120 — 1193). — ©ine jufammenfaffenbe
Sarftellung ber Auslegung ber tirdjenüäter finbet fid) römifcfjerfettg Bei ©erb. iiHmann, Sa3
©ebet, nacb ber Sefjre ber ^eiligen bargeftettt, II. Sb: Som ©ebet im Sefonberen, 1877,
5 ©. 18—141.
SutfjerS 9lu§Iegimgen beg Saterunferg fittb attjjer ben befannten in beu beiben Sated)ig=
men äufjerft §at)freicf). 3dj notiere aug ben biSfjer erfd)ienenen Sänben ber Sßetmarer 9lug=
gäbe: II, 74—130 2lugtegung beutfcf) beg Saterunferg für bie einfältigen öaien 1519 (»gl.
baju IX, 122—159); VI, 9 — 19 ©ine !urje gorm, bag $ßaterno[ter §u uerfteljert unb ju
10 beten 1519; VI, 20—22 ©ine furje unb gute 9lu§legung beg Saterunferg üor fid) unb hinter
fidj 1519; VII, 220—229 (Sine fur§e gorm (ber jeljn ©ebote, beg ©taubeng unb) beg Sater=
unferg 1520; X, gleite 9lbt., im „Setbüdjlein 1522" eine furje gorm beg Saterunferg
©. 395-407; XI, 55—59 jtrei <ßrebigten über bag Saterunfer am 9. u. 10. Ttüri 1523;
31 Äatedngmugprebigten im 3- 1528 (fie fotten im XXVI. Sb erfdjeinen); ©rofjer unb
15 kleiner £ated)igmug 1529; XXXII, 416—422 in ben 28od)enprebtgten über 9Kt 5— 7,
1530/32; ©in einfältige SBeife ju beten, für einen guten tJreunb, SOceifter Sßeter, Salbier 1534;
bag £teb „Saterunfer im Inmmelreid)" (juerfi in ber 9caumburger Sirdjenorbnung 1537 ermähnt).
Sn ben ^aljren 1530—1600 ift in Seutfd)lanb eine Unjafit Don Satectjtgmugauglegungen
erfdjtenen. Sag Sftaterial ift gefammett uon $rof. 3- W. 9teu in Subuque (^ottm); ügl.
20 Quellen jur ©efd)id)te beg ®ated)igmugunterrtd)teg, I. Sb: ©übbeutfdje ülated)tgmen,
1904. Ser jtoette Sanb, ber in jwei Slbteitungen bie Satedugmen üon 9Ktttel= unb 9<iorb=
beutfcfjlanb bringen foH, fann nur erfdjeinen, wenn genügenbe ©ubffriptionen erfolgen. Sie
tlnterftüjjung biefeg 5E3erfeg ift ftufgerft ju empfehlen.
Slufjer ben 9Jcattl)äug= unb Sufagfommentoren, bie fjier nid)t fämtlid) nufgejäblt werben
25 tonnen, ftnb ju Dergleichen : Slbotf §erm. §einr. $amp£)aufen, Sag ©ebet beg §ernt, 1866;
9lug. Sljotucf, Sie Sergrebe ©briftt, 5. Slufl., 1872; ©rnft Sldjelig, Sie Sergprebigt nad)
9Jcattt)äug unb Sutag, 1875; Frederic Henry Chase, The Lord's Prayer in the early Church,
Cambridge 1891 (Texts and Studies vol. I, 9cr. 3); ©uftao Satman, Sie SSorte Sefu, mit
Serüdfidjtigung beg nacrjfanontfdjen ©cfjrifttumg unb ber aramäifdEien Sprache erörtert, 93b I,
30 1898; ©b. greirjerr tion ber @oI|, Sag ©ebet in ber ätteften ©bjiftenljett, 1901; ©bewarb
9Jeft(e, Lords Prayer in Encyclopaedia Biblica, vol. III, Sp. 2816—2823, 1902; Stjeobor
Satjn, Sag ©uangelium beg SJtattfjäuS auggetegt, (1903), jroeite Auflage 1905; Dtto Sibeltug,
Sag Saterunfer, tlmriffe ju einer ©efd)id)te beg ©ebetg, 1903 (enthält I. Sie Sorftellungen
üom ©ebet in ber alten griecbjfcfjen Sircfje, II. Sie Stuffaffung beg SSaterunferg bei grieccjifchen
35 @ct)rtftfteflern, III. Sag SSerpItnig üon £utt)er§ Sßaterunferertlärung im Steinen fatecb,igmug
ju ben altfjocijbeutfcfjen Stuglegungen beg 9. big 11. S^rf)-'» 9lnb,ang: ungebrucfte SSaterunfer=
ertlärungen, oornefimltcb, aug §artbfd)riften ber ®. S3ibIiot^ef ju SSertin) ; ©rieb S3ifd)off, ^efug
unb bie 3tabbinen, ^efu SSergprebigt unb „^immelreict)" in i|rer Unabpngigfett «om SRabbi=
nigmug bargeftettt, 1905 ; Lic. Dr. ©uftaü .gönnid e, teuere gorfcb,ungen put SSaterunfer bei
40 «Kattb.äug unb Sufag, 5Rf3 XVII, 1906, <S. 57—67, <B. 106—120, ©. 169—180.
Sn ben ©339t 1904 I, S. 195—208 bat Ib. £>arnad nadjäumeifen öerfud)t, baf? bag ur=
fprünglid)e §errngebet fo gelautet Ijabe : „SSater, bag Srot für ben fommenben Sag gieb ung
^eute, unb öergieb ung unfre Sdjulben, nne aud] mir Uergeben baben unfern ©cftulbigern,
unb fütjre ung nid)t in SSerfud)ung funein". S3ei 9Kattb,äuS fei ung biefeg ©ebet in bereieberter
45 unb Itturgtfd) ftilifierter gorm alg ©emeinbegebet erhalten, unter 9lntnüpfung an bie jübifdje
©ebetgübung unb an bie ^-Berfünbigung ^efu; bei ßufag liege e§ ung üermebrt um eine etn=
leitenbe SBitte öor („eg tomme bein ^eiliger ©eift auf ung unb reinige ung"), wetdje bie ©fs
fab,rung ber djriftlicfjen ©emeinbe im apoftoüfd)en ßettalter enthalte, im Unterfdjieb üon allen
anbern religiöfen ©emeinfdjaften, junftd)ft üon ber ber ^otjannegjünger. ©g ift rjier nid)t ber
50 Ort, in bie Sebatte einzutreten, an ber ftdj unter anbern, üormiegenb in ableb,nenbem Sinn,
»on ©oben (©fjriftttd)e «Seit XVIII. 1904, ©p. 218—224), ftriebrid) ©pitta («öconatfebrift
für ©ottegbienft unb ftrdjltd^e Sunft IX, 1904, ©. 333—345), Joggen (©0augelifd)e S?trd)en=
äeitung 1904, ©p. 389—398, 417—426) beteiligt fiaben. Sn ber @d)rift „©prüdie unb Seben
3efu, bie ^meiie Quette beg 3)cattb,äug unb Sufag" (Setträge jur ©tnlettung in bag 9cS II)
55 1907, ©. 48 fjält §arnad baran feft, bajj bie Urform beg £>errngebeteg aug ber 9lnrebe
jiärsQ unb ber 4.-6. Sitte beftanben f)abt: nid)t§ fpred)e bagegen, bafj fie in Q ge=
ftanben fjabe.
^)a§ 33aterunfer nimmt in bem Seoen ber ^riftUd)en ©emeinbe eine fo be=
&errfd)enbe Stellung ein, bafj eine boUftänbige ®arfte((ung bei allen tfoeologifcfoen ©i§=
60 stylinen 3lnleiben machen mü^te. @§ ift aber eine 2lufga6e für fid), öon ber mir bier
abfeben, etroa bie ©efd)id)te ber 33aterunfer4ßrebigten ju febreiben ober bie 2tu3legungert
beg SSaterunferg im ^ated)umenenunterrid)t unb in ber !ird)Iid)en Sebruntertoeifung über=
bauf)t gu be^anbeln ober aud) ben ©ebraud) biefei ©ebeteä im ©emeinbegottegbienft feft=
jufteßen. Sie Aufgabe biefeg Slrtifelg befd)ränlt fid) auf bag bibIifd)4beoIogifd)e ©ebiet.
65 28ir gerben bierbei aug bon ber Überlieferung, tüte fie in bem erften unb in bem brüten
©bangelium borliegt.
SSntcrunfce 433
I. ©ie Überlieferung, ©er %<& bes Saterunfers ftef)t sJJct 6, 9 -13 unb in
etmas abtr>eia)enber gorm (mit ber einfachen 2lnrebe ndreQ unb ofyne bie britte unb
fiebente Sitte) Sc 11, 2— 4. $m SUlarfusebangeltum erinnert in bem ©bruef) 11, 25:
„Unb luenn if;r ftefyt unb betet, fo bergebet, juenn ifjr etwas gegen jemanb b,abt, bamit
aueb, euer Sater in ben Fimmeln euer) eure Übertretungen »ergebe" bie Segeicfynung bes 5
Saters an 9)ct 6, 9 unb bie 9Jiab,nung gu bergeben an 3Jit 6, 14 unb 15. ©ine beacf)tens=
teerte ©acfybarallele bietet bas ^ofyannesebangelium in bem ©efbräcf) $efu mit ber ©ama=
riterin am gafobsbrunnen. ^efus begeietmet bie Anrufung beä Saters im (Seift unb in
ber 2öab,rl)eit als bas (Sebet ber wahrhaftigen Slnrufer ©ottes. (Sott ift (Seift, baraus
folgt bie geiftige gorm ber Anbetung ; unb ©ott ift Sater, bas ift bie 2öal)rr)eit, bie io
^eftts offenbart, unb bie in ib)m ergriffen it)irb.
5RattI)äus bringt bas Saterunfer als Seftanbteil ber Sergbrebigt; Sufas in gang
anberer Umgebung in bemjenigen Slbfcfynitte feines ©bangeüums, in bem er Seifbiele ber
Seb/rtoeife Qefu olnie seitlichen gufammenr/ang toeber unter fid; nod) mit bem Sorr/er=
gefyenben ober -ftacfyfolgenben mitteilt. 3e^ uno ^rt finb bötltg unbeftimmt gelaffen. 15
Sffieil ber Sefucb) ^efu bei 2Raria unb sJJcartr/a unmittelbar borl/ergeb/t (Sc 10, 38—42),
ber naefy 3° U/ 1 nac^ Setfyanien in bie 9läb,e £jerufalems ju berlegen ift, f>at bie
Jrabition eine benachbarte Sofalität, ettoa ben Dlberg ober ben ©arten ©ett/femane, an=
genommen (bgl. $. 21. 9tobinfon bei (SI)afe ©. 123—125); aber biefe 2tnnab,me ift in
bem Äontejrt ntcfyt begrünbet. 2Bas Sufas tb, atfäcf)licfy mitteilt, ift folgenbes : „tlnb er 20
(Sefus) mar im ©ebet an einem Drte, unb als er aufhörte, fagte einer feiner jünger ju
ü)m: §err, lefyre uns beten, toie aueb, $ol)annes feine jünger gelehrt b/at. @r fagte aber
ju ilmen: SBenn if>r betet, fo fbrecr)et: 33ater, gefyeiliget roerbe bein 5Rame u. f. ib." ©ie
näcbjte Seranlaffung ber ^üngerbitte h)ar ber 2lnblicf bes betenben SReifters. ©as Sufas=
ebangelium b, ebt bas Seien ^efu befonbers b)erbor ; fo ift ib, m bie ©rtoäljmung bes ©e= 25
betes 3efu &« ber ^orbantaufe (3,21), feiner $lucr)t in bie ©infamfeit jum ©ebet (5, 16, bgl.
bagegen Mc 1, 45 am ©tfjlufj unb -Dtc 1, 35), feiner ©ebete bor ber 2tboftelroal)l (6, 12), bor ber
9Jiefftasfrage an bie jünger bei ßäfarea $f)ilibbi (9, 18), bor ber Serflärung auf bem Serge
(9, 28) eigentümlich, wie er aueb, allein bie gürbitte $efu für ben burd) fein falfcfyes ©elbft=
bertrauen gefäb/rbeten jünger Setrus in ber Saffionsnacfyt ermähnt (22, 32). gu ben 30
angeführten ©teüen tritt nun 11, 1 b,inju. ©ie jünger rannten ^efum alä einen SReifter
bei ©ebetei, ber, um ©ott bie anliegen feinei §erjen§ borjutragen, nict)t auf bie fonft
gebräuchlichen jübifc^en ©ebete angemiefen mar (bgl. 3Jtt 11, 25 ff.; Sc 10, 21). 2Ser fo
beten tonnte roie er, ber lonnte aueb, feine jünger ein ©ebet lebjen, bai über bie üb=
liefen ©ebetiformeln f)inauifüb,rte. ©a§ toar um fo meb^r ju ertoarten, a(§ auef) ber 35
Käufer feinen Jüngern ein ©ebet fonberlidjen 3n^a"tg gegeben blatte. ©a§ ©ebet, ba€
ber Käufer lebjte, mirb ber Sotfc^aft entjbrocl)en fyaben, bie er berlünbigte. Man §at
fpäter ba§ ©ebet in Söorte gefaxt; in einer f^rifct)en §anbfct)rift ber Sobleiana lautet
es fo: „©ott mad)e uns (ober miebj n>ert beines Königreiches unb ber greube barin;
©ott, geige mir bie Saufe beines ©o^nes" (bgl SRcftle a. a. D. ©b. 2817 SInm. 6). 40
Som Seten ber ^ob^annesjünger b,at Sufas fct)on 5, 33 gerebet; mäfyrenb 3)tatt§äus unb
Partus in ben ^araHelbericfyten nur i^r gaften ertüäfynen (ÜKt 9, 14; 3Jcc 2, 18), fügt
Sufas fytngu: xal derjoeig noiovvxai. ©ie Sitte bes Jüngers, bie fid; an bem ben
^ofyannesjüngern bon if)rem 3Jteifier gegebenen ©ebet orientierte, erfüllte ^efus anbers, als
fie gemeint mar. 6r gab ntct)t eine ©ebetsformel, fonbern fagte ben Jüngern, welches ifjres 45
Setens ^nfjalt unb Strt fein fotte. 2Benn fie beteten, fotte ibr ©ebet in ber 2Seife bes
bon it)tn mitgeteilten ©ebetes berlaufen. ^ieb^t als ob es auf ben Sucbjtaben unb ben
9Bortlaut an!äme; man fielet leicht, toie jeber Seftanbteil bes bon ^efus mitgeteilten ©e=
betes ber ©rmeiterung fäb^ig ift. Slber bie entfeb^eibenben ©runbgeban!en treten flar
b^erbor. ©ie jünger ^eju follen ©ott als Sater anrufen, roenn fie beten, unb es fott 50
if>nen bor allem am §ergen liegen, ba^ ©ott bie @l)re merbe, bie ifym gebührt, ©ottes
©ad;en flehen im ©ebete ^efu boran; ber jünger Qefu benft guerft an bas, mas ©ottes
ift, unb bann erft an fiel) unb bas ©eine.
fflenn man fiel) bon ber Überlieferung bei Sufas gu ber bei SRattfyäus menbet, fo
erhält man junäcbjt ben ©inbruef, als ob bas gleite, nur um gtoei Sitten erroeiterte 65
©ebet bon ^efus ben Jüngern als Seftanbteil ber gunäcbjt ib,nen geltenben, aber gugleid)
bor einer größeren Solfsmenge gehaltenen Sergbrebigt mitgeteilt morben fei, beren 3eit,
fofern man ben lufanifdjen Sarallelbericl;t beijicl)t (6, 20—49), nicf)t lange nad; ber 2lus=
toa^I ber jtoölf 2lboftel anjufe^en ift. ©iefer ©inbruef füb,rt bei ben <rjarmoniften ftrenger
Dbferbang, als bereu entfcbjebenfter Sertreter Stnbreas Dfianber mit feiner 1537 er= 60
9feat=»ncl>fIßt>äMe für SC^eoIoflie unb Sircöc 3. a. xx. 28
434 $aterwnfer
f dienerten @bangelienl)armonic gelten barf (bgl. barüber 33b V 659, 32— 660, 32), ju ber
notwenbigen 33ef)aubtung , bafj QefuS bas> ©ebet ju jtoeten berfd)tebenen SMen feinen
Jüngern gegeben fyahe. ©obalb man aber näl)er jufiefyt, fa)Winbet biefer ©inbrucJ, unb
bte baraug gezogene Folgerung nm| Innfälttg Werben. ®enn lote bte 33ergbrebigt über=
5 b,aubt ntdjt bie Sföiebergabe einer einigen SKebe $efu ift, fonbern ba<§ £eb,ren ^efu in ©aliläa
burd) ein 33eifbiel beranfcbaulicfyt, ba<3 ber ©bangelift baburef) gewonnen bat, bafc er mit
einer beftimmten Siebe 3efu berWanbte Stebeftoffe berbanb (bgl. barüber %$. gafynS
9JJattb,äus=5lommentar 1905 ©. 322 ff.), fo giebt ftd; infonber^eit ber ganje Slbfdmitt 6,
7 — 15, ber in ben mittleren Werfen 9— 13 ba<8 23aterunfer enthält, als» eine (Sinfcfyaltung
10 ju erlennen, bte bie auffällige ©Symmetrie ber brei ©tücfe bom SUmofengeben (6, 2—4),
bom Seien (6, 5—6) unb bom gaften (6, 16—18) beutlid) -unterbricht. SDie SBortc
^efu bom ©ebet im Kämmerlein fyaben ben Gbangeliften an älmlidje 2Borte erinnert, bie
^ejuö gebraucht b,at, um bor bem ^labbern ber i&vixoi (= E-^on, bie bf)arifäifdj)en
©enoffen, bgL @6. SReftle, Philologica sacra, Berlin 1896, ©. 34—36) ober ber
15 vnoxQixai (cod. Vaticanus) ju Warnen, unb fo fügt er ben 2tbfdmitt in bie 33erg=
brebigt ein, ber in feinem weiteren Verlauf bie SJcitteilung bc§ 33aterunfer3 bringt. @r
fteltt bamit bas> §errengebet in einen ©ebanfenfrei<§ hinein, ber borjüglicb, geeignet ift,
feinen ^nb,alt §u erläutern. Slber £rt unb geit ber Übergabe biefeä ©ebeteä an bie
jünger ift bureb, bie erficfytlicb, bom ©bangeliften f)ergefteUte Sjerbinbung mit ber 33erg=
20 brebigt nid;t feftgelegt. Unb ebenfoWentg wirb bie ©efc&Jcbtltcbreit ber lufanifcfyen Über=
lieferung baburd; in $rage gefteUt, baj3 bei 3Jtatt^äu§ bie ©ebetäunterWeifung, bte $efu§
feinen Jüngern giebt, unter einen ©egenfatj gefteEt ift, rote er bem ganzen Aufbau unb
©ebanfengang ber 93ergbrebigt (bgl. 5, 20) entfbrtdjt.
$n beutltcf>er 2lbb,ängig!eit bon 9)iatil)äu3 ftefyt ber ^ßaterunfer^ejt in ber fog.
25 2lboftetIeb,re (bgl. 33b I, 712, 50). 9?eu ift bie §injufügung einer SDoroIogie. 33eaa)tene=
Wert ift bie ©infübrung. SBie ba3 $aftcn, foU aud) ba§ 33eten ber Sfyrifien anberS be=
fdjaffen fein al3 ba3 ber §eud)ler b. f). ber ^uben. ®a<3 SBort ol i&vixoi 5Rt 6, 7 ift
alfo nid}t im ©inne bon zä e&vrj berftanben Worben. $Der Xejrt lautet ®ab. VIII, 2
(bgl. g. 33. bie allgemein jugänglidje Heine 3lu§gabe ber $Dibad)e bon Lic. §an3 £te£mann,
30 33onn 1903) : Mi]dh Jiooo£v%eod'£ cbg oi imoxQizal, all' d)$ ixslavoev 6 xvoiog iv
zep evayyelko avzov, ovzco jzqooev%£o$£' IMzeq fj/ueöv ö iv xw ovgavcp, äyta-
o&rjTa) rö ovoud oov, elfierco •!) ßaodela oov, yevij&rjra) rö $elr]{/.d oov cbg iv
ovgavcö xal im yrjg' tbv ägrov rjjucov zov imovoiov dög fjfuv orjjueQOV, xal äcpsg
fj/uv Tjyr ocpedrjv rjfxcov, cbg xal tjjueTg äcpie/uev zdlg öcpsderatg rj/xeov, xal juij
35 elaeveyxijg fjLiäg slg TzsiQao/uöv, ällä Qvoai rj/näg änb rov tiovtjqov' ort oov ionv
f] dvvaiug xal 1) do^a eig rovg alcovag. zglg zrjg fj/uegag ovzco JiQooevxso&e.
II. ©ic ©rläuterung. 33ebor Wir un<§ ben einzelnen 3Sorten jutbenben, mufj
ber allgemeine ©tanbbunft feftgeftellt Werben, bon bem au<§ bie (Srflärung be§ ©injelnen
^u erfolgen fyat. ®a§ SSaterunfcr ift lein neue§ ©ebet in bem ©inn, als> ob feine Sitten
40 aufjerfyalb be§ ©efidjtslretfeg jübifdjer grbmmigfeit gelegen l;ätten, ober al§ ob e3 ib,nen
an beutlid;en Slnllängen an bie (Sxbdt ber jübtfdf>en ©tmagoge fehlte. ©0 beginnt ba^
„Äabbifd) be§ ©ottegbienftes" mit ben 2üorten: „3Serl)errlid)t unb geheiligt Werbe fein
großer 5Jame in ber Söelt, bie er nad) feinem SBillen gefd;affen fyat, unb er laffe fyerrfdjen
feine König^errfdjaft (unb laffe fbroffen feine ©rlöfung unb bringe fyerbei feinen SDteffiaö
45 unb erlbfe fein Solf) 311 euren Sebjetten unb in euren £agcn unb gu Sebjetten be§
ganzen §aufeö &xad, in 33älbe unb in nab,er geit! unb fbrecb,et: Slmen" (ber aramäifd;e
Hiid bei ©alman a. a. D. ©. 305 ; bie cingellammerten SBorte finb Wo^)I f^äterer 3ufa^)-
©0 bietet aud) ba§ Wortreiche jübifdje §aubtgebet, ba§ ©d)mone=@§re ober ba§ 2ld}t3eb,n=
gebet, Weld}e§ jeber ^Sraelit täglid) breimal ju beten bat, unb noct) meb^r bie furje
50©umme biefe§ ©ebeteg, ba§ §abinenu, beutlicb,e parallelen (bie Sejte bei ®alman
©. 299 ff., ©. 304). 2Ran barf inbe<S nic^t bergeffen, bafe e<ä fiel) bei bem §abinenu um
eine Slbfürjung be§ Slc^tjebngebetg nacb, ber Sorfc^rift ©d;emuel§ (geft. 254!) in 33abt)=
lonien ^»anbelt, unb baf; aud) ba§ Kabbifcb, be§ ©otte^bienfteg fiel) tbatfäc^lic^) erft im
2. 3ab,rbunbert n. <§fyc. erwähnt finbet (Srtcb 93ifd)off a. a. D. ©. 76). Slber felbft Wenn
55 bie älnllänge in ben un§ unbelannten früheren Vorlagen ber je^igen 3lecenfionen, alfo
in ben fimagogalen ©ebeten jur 3«it 3«fu W fänben, fo bleibt ba3 Saterunfer bod;
um beffentwillen, ber e§ juerft gefbrod;en t)at, ein böEig neueö ©ebet. |>ier gilt im
bollften ©inne ba3 2Bort: Si duo idem dieunt, non est idem. %e\u§ berWaltete
bie Heiligtümer feinet 33oIfe§, bie geugniffe jjer ^_ ©d;rift unb ben ÜReidjtum ber ©e=
60 bete ^aete, Wie ber ©olm beg §aufel, ber über ba3 §aul gefe|t ift (§br 3, 6).
üotcrunfer 435
2Bäbrenb bem rabbinifcb, gefeilten ^öraeliten bag ©efclj ©otteg in eine Unfumme bon
einjelnen ©eboten gerfiel, bie bann nod; burd; bie „Sluffä^e ber Sllteften" bewiest
Würben, (tanb bor bem SIi<fe ^efu ber 2Bilte feineg Saterg in bem einen ©ebot ba:
2)u follft lieben ©ott, beinen §errn, bon gangem §ergen, bon ganger «Seele unb bon
gangem ©emüte (Sftt 22, 37), unb neben bieg £aubtgebot (teilte er bag anbere, bag er 5
au§ feinem berborgenen Serfiecf Se 19, 18 fyerborgog: 2)u follft beinen Jcäcb/ften lieben
wie bid) felbft. Ober 3>efu §anb griff in bie brobr/etifdjen ©dmften hinein, bie für bag
gemeine Serftänbnig in tiefem ©unfel lagen, unb r/olte aug §o 6, 6 bag 2öort fyerbor,
bag tüte ein IjeHeg Sid)t bie ©efinnung ©otteg unb feine gorberung an bie 9)cenfcr/en
beleuchtet: Sarmfyergigt'eit will ify unb nicfyt Dbfer (9Jct 9, 13; 12, 7). ©o mar boef, io
eine neue ©tunbe beg ©ebeteg auf @rben angebrochen, alg £jefug ben Söalb bon Sob=
unb ©fyrentoräbifaten burdpbrad;, mit benen ^graelg ©ebete ©Ott umgaben unb berl)ütlten,
unb feine jünger lehrte, fie foHten ©Ott alg Sater anrufen. $>ag tfyat ber SDtann, ber
bon fid) fagen fonnte, bafj niemanb ben Sater fenne benn nur ber ©ofm, unb »ein eg
ber ©ofm miß offenbaren (Wlt 11, 27). ©o ift bag Saterunfer ein ©ebet, bag gWar an io
fid; r/eute nod) jeber $ube fbred)en fann, ber bon ^efug Gfyriftug nicfytg Weife ober nidttg
Wiffen Will, bag aber bod) nur redit gebetet Wirb bon bem Sun9er/ ^er e^ *m tarnen
^efu betet, unb ber bon bem ©eift, ber ben ©efreugigten berllärt, eg immer aufg neue
lernt, Wag bag fyetfet, im tarnen %e\u &eten.
1. Sie Slnrebe. Iläxeg Sc, tkxxsq ?]ju<x>v 6 ev xoTg ovQavölg 3Jct. Sgl. 'Aßßä 20
6 7iat7]Q 9Jk 14, 36; ©a 4, 6; 9tö 8, 15. ®ag gange (Sbangelium liegt in biefer 2ln=
rebc, bie bem SSortlaute naef) nicfyt neu War unb gubor fcfyon — freiließ in anberem
Sinne — bon Reiben unb Iguben gebraust Worben mar. 3n *>en Iwmerifcfyen ©ebict/ten
beten bie ©rieben gum „Sater ,3eu§''; er tft naxrjQ avdgcöv xe &eolv xe. 2lber Wie
oft geigt fid) biefer „Sater ber ^Jcenfcfyen unb ©ötter" fct/Wad), furgfid)tig, Wanfelmütig, 25
betbört unb überliftet! @g fel)lt tr)m bie §ob,ett beg ^eiligen ©otteg (bgl. Dr. 3'"?°*/
„Zevg naxriQ unb ©eög TtaxiJQ, eine religionggefct)ict)tltcr/e parallele" in Sutl)arbtg
3fSÖ2 III, 1882, ©. 189—224). 9J}it gang anberer @f)rfurd)t flaute ^grael gu feinem
©ott embor, gu bem eg fid) in ein I?inbesberl)ältni3 geftedt tou^te. ©ott ift ber 3Sater
bei 33olfe§, ba§ er fid; erlüäf)It unb gefdjaffen I>at, bem er feine Skrfyeifjungen gegeben, 30
beffen guüinftige SoKenbung er herbeiführt. ®te ^eitegefc^id^tlic^e Sebeutung bei 5Öater=
namen§ tritt gu SCage , fotoo^l toenn bag SSoll auf bie 3Saterfd)aft ©otteg (g. 33. im
Siebe 9)cofe§ 5Dt 32, 6), al$ aud; wenn e§ auf fein ^inbegber^ältnig gu ©ott (g. 33.
2)tl4, lff.) f)ingemiefen wirb. Qn bem brangbollen fingen um ©rlöfung bridjt ber
ÜJame „SSater" aU SInrebe b,erbor — ein §inmei£ auf bie §eilggulunft, in ber biefer 35
9tome feine ©rfüßung finben Wirb: 3»ef 63, 16; 64, 7: „9cun aber, '^afy'mz, bu bift ja
unfer SSater: mir finb ber^on unb bu unfer Silbner . 3ürne, ^aty1»)?, nid)t gar gu
feb,r unb gebenfe nicb.t für immer ber Serfdmtbung!" SDie §eit§gulunft Wirb ©egenmart
burd; bie (Srfcfyeinung ^efu. 31I§ ber, beffen ©ein unb Seben, Sieben unb SSirlen aug
bem 1)1. ©eifte ©otteS flammt unb bon ib,m beftimmt Wirb, ftel)t er in einem eingigartigen 40
Serfiältnig beS ©ofme§ gum Sater (3)tt 1, 20; 3, 16. 17; 4, 1; 7, 21 xov naxgög fxov
xov iv xolg ovQavölg u. f. W.; Sc 1, 35; 3, 22; 4, 1. 14 u. f. ro.). ®ie ©ingigartigfeit
biefei SertjältniffeS geigt fieb, barin, bafe 2>efu§, Wenn er ©ott feinen 93ater nennt, feine
jünger nid;t unmittelbar in bieg 23erb,ältnig mit einfet) liefet ; er unterfdjeibet gmifcfyen ber
33egeid)nung „mein Sater" unb „euer Sater" (bgl 9JU 7,21 mit 5, 16; 6,8 u. a.), 45
ob,ne jemals bie gufammenfaffenbe Segeicfjnung „unfer Sater" gu gebrauchen, bie auef) im
§errngebet, Wie ofmc meitereg erfidjtlid; ift, nic§t ^efug mit ben Jüngern, fonbern bie
jünger, benen bieg ©ebet gegeben Wirb, untereinander gufainmenfd^liefet. Siber eben biefe
eingigartige Stellung gu ©ott, über bie ber Sobbreig $efu 5Dit 11, 25—27 näheren 2luf=
fd;lu| giebt, ermächtigt ilm, ben Jüngern, bie fid) an ilm alg ben bon ©ott gefanbten SJceffiag so
angeftt)loffen l>aben, ein ©ebet mitzuteilen, gu beffen Seginn fie ©ott in neuer 2öeife alg Sater
anreben unb in beffen Serlauf fie gu ifym alg Sater beten follten — nicfyt alg ©lieber
beg Solleg, bag ©Ott feinen erftgeborenen ©o^n genannt f)at (@e 4, 22), fonbern^ eben
alg jünger ^efu, ber fie alg eingelne Serfonen gum ^önigreieb, ©otteg feineg Saterg
berufen blatte, unb ber in tfynen bie erften ©lieber feiner ©emeinbe, feiner exxXrjoia er= 55
lannte. ©en ebangelifd;en ©eb,alt ber Stnrebe b,at Sutb,er in ber bem Keinen $ated;ig=
mug einberleibten Sluglegung bortrefflicb, gum 2lugbrucl gebracht. ®ie jünger %t\u
bürfen unb follen ©ott getroft unb mit aller guberficr/t bitten „Wie bie lieben ßinber
tbren lieben Sater"
Safe bag Saterunfer ntct)t ein ©ebet beg ©ingclncn, fonbern ber gläubigen 3>ünger= 60
28*
436 $aterunfer
gemeinbe ift, tritt bei SufaS erft Don ber bierten Sitte an, bei IRattfyäuS fcfyon in betn
Qu\afy $ur 2lnrebe ju ^age: SSater unfer, ber bu bift in ben §immeln! 2öie bie ©e=
bete ber ©bnagoge burcfyWeg als ©emeinbegebete geftaltet finb, fo Ijat StfuZ baS ©ebet,
baS er feinen Jüngern gab, ju einem gemeinfamen gemalt, baS ber ©inline nicfyt ifo=
5 liert für ficfy, als fyätte er befonberen SInfbrucb, auf ©Ott, fonbern als ©lieb ber ©emeinbe,
al§ Sftitjünger ber anbern fbred)en foK. SfÖenn nun aber ber Sater als 6 ev roTg
ovgavoTg be^eicr/net Wirb, Wofür fonft 6 oigänog (9Jit 5, 48; 6, 14. 26. 32; 15, 13;
18, 35; 23, 9) ober aucb, bie Variante 6 inovgdviog ftefyt, fo Wirb bamit ntd^tt eine bifferente
Sejeicr/nung eingeführt, als ob im llnterfcfyieb bon bem Satemamen, ber uns ergebt, nun
10 bie Sejeiclmung folge, bie uns bemütigt, bamit Wir uns nic§t an ©ott berfünbigen (fo
j. S. ©glatter, £)aS ©bangeltum beS 9J?attb,äuS, ausgelegt für Sibellefer, 1895, ©. 98).
^Dagegen fbricfyt erftenS ber jübifcr)e ©bracfygebraucr;. „®er fyimmlifdEje Sater ift ber,
Welker QSraelS ©ebet erhört. SBenn alle anbere ^uflucfyt un° Hoffnung berfd)toinbet,
bleibt QSrael nur ber^Ruf: Stuf wen füllen Wir uns berlaffen? Stuf unfern fyimmlifcfyen
15 Sater. 3m Kabbtfd) b,etf$t eS: angenommen Werbe baS ©ebet unb gießen beS ganzen
^Srael bor ibjem fyimmlifcfyen Sater" (bg(. ©alman a. a. D. ©. 153). gWeitenS frri^t
bagegen ber Kontejt bei 9Jtattb,äuS, ber jur ©rläuterung bient. ©er bjmmlifclje SSater
ift ber ©ott, ber, ungehemmt burd) tibifd)e ©ö^ranlen, alles Weift, atteS fieb,t, aUeS ber=
mag unb baruin aßen jugänglicr; ift; er ift ber Sater, ber „im Verborgenen fielet" unb
20 baS ©ebet im Kämmerlein er|ört (3Jit 6, 4. 6. 18). ©iefe 9Jtacr)t l)at ber etbig ^ronenbe,
beffen 9came ^eiliger ift (3ef. 57, 15). 5Rit anbern Söorten, ber fyimmlifclje Sater ift ber
©ott, ber ©eift unb Seben ift Qo 4, 24; 5, 26), ber bon ber unfid)tbaren r/immlifcfyen
SBelt beS ©eifteS auS alles burcfyWaltet. 2)er 5Rattf)äuSjufa| beWeift, bafj in ber älteften
3ubend)riftenb,ett, auS ber fyerauS unb für bie baS erfte ©bangelium gefd)rieben ift, baS
25 §ermgebet nid^tt als eine ©ebetSformel mit unberänberlid)em 2öortlaut aufgefaßt Worben ift,
fonbern als eine ®abs gefu, bie red?t WoI)l burcb, SÖorte, bie QefuS felber fonft brauste,
erweitert unb erläutert Werben fonnte. SBenn &\u$ fonft bom „tnmmlifcfyen" Sater
rebete, fo lonnte man ifm aucfy in bem bon ib,m ftammenben ©ebet fo reben laffen.
2öäl)renb £utb,er in ber Sibelüberfetjung bie neuf)od)beutfcf;e 2Bortftellung „unfer
30 Sßater" anWanbte, b,at er in ben Katechismen unb für ben liiurgifdjen ©ebraud) an ber
burd) baS §erlommen ber mittelalterlichen Kirche (Pater noster) unb früheren beutfd)en
©brad) gebraut empfohlenen ©tellung „Sater unfer" feftgeb/alten (gotfy. atta unsar,
ab,b. fatar unsar; „unfer" ift pronomen possessivum, nic^t etwa ©enetib beS
^erfonalbronomenS, bgl. ©rimm, ^afob unb 2BiIf)elm, ©eutfdjeS Söörterbudj II, 1860,
35 ©b. 992). ®er §eibelberger Katecb, iSmuS überfe^t bie Slnrebe : Unfer SSatter, ber bu bift
in §immcln. ©ie ©tellung blieb übrigens im ^eformationSjafyrljmnbert in freiem glufe.
©o I)at 3to'n3^ m feiner „3Htton ober Sraucf) beS ^Rac^tma^lS" bie Überfe^ung
„5ßater unfer" (bgl. §. 21. ^Daniel, Codex liturgicus III, 152), unb bie Serner
Siturgie fyat nocb, bis ins 17 3a§r^unoert hinein biefe 2SortfteKung beibehalten, toä^renb
40 umge!ef)rt nieberbeutfdje Iutb,erifd)e Katechismen „Unfe Saber" bargeboten b,aben (§am=
bürg 1584, 1586, 1599; bgl. (5. SERöncfeberg, ®ie erfte SCuSgabe bon 2utb,erS lleinem
Katechismus, Hamburg 1851, ©. 14 2lnm. 2 unb Kambb,aufen a. a. D. ©. 31 u. 32).
2. SDie erfte Sitte ober bie erfte ©tufe beS ©ebetS: 'Ayiaoftrjtco tö
ovo/ud oov SufaS unb 5Rattb,äuS. ©er)eiligct iperbe bein 3Rame!
45 @S ift ju beachten, bafe bie grierf)ifcb,en llberfe|er beS aramäifcb.en SSortlauteS im
ganzen Saterunfer ^mberatibe Slorifti gewählt b,aben; bie einige SluSnab.me bilbet baS
lufanifcfye didov in ber bierten Sitte. @S fjanbelt ficb, um ben ©ebraucb, beS 3lorift§,
toobei jufammenfaffenb baS Serratien bis ju einem @nbe beseia^net, alfo baS $iel ins
3luge gefaxt mirb, baS erreicht Werben foÖ (bgl. %x. SIa§, ©rammati! beS neuteft.
so ©riecr,ifcf,, 2. 2lufl. 1902, § 58, 2, ©. 199). SefonberS le^rreict) hierfür finb bie 3m»
beraube im erften ^3etrusbrief (bgl 1, 13 xeMcog ttmoare behaltet bie bößige Hoffnung
bis ans @nbe). ®er jünger ^u, ber betet, bafs ©otteS 5Rame geheiligt Werbe, glaubt
unb Wei^, ba| bieS $kl erreicht Werben Wirb. S^un ift aber Weiter gu beachten, ba^
baS ©ebet nicfjt a!tib lautet: jiäzeQ, äyiaoov tö övojud oov, ba ja ber ÜRame ©otteS
55 an fid) b,eilig ift. 5Die baffibe gorm beS 2luSbrucES (baS einige Wirflicb,e 5ßaffibum im
©ebet) Ien!t ben Slicf mit 9lottoenbigleit auf bie Sßerfonen, bon benen baS ^eiligen ge=
übt Werben foll; eS foH alfo bon ben 9Jlenfd£)en, inSbefonbere bon ber 3üngerfd?aft gefu
ber an fid? ^eilige ©ott beftänbig unb in ftets fteigenbem, jur Sollenbung b,inbrängenbem
aJlafee burd) SSort unb %fyat als ber ^eilige befannt unb babura) fein $ame berb,errlid)i
eo Werben (bgl. befonberS $ef 29, 23). £)aS ift ber 3nb,alt ber erften Sitte. Deus est
Snteruufcr 437
sanctus id est deus: sanctificatur ergo, quando ita, ut est, agnoscitur et
colitur et celebratur (SengelS ©nomon ju Soft 6, 9).
©ie £>eiligfett ©otteS ift bie gufamntenfaffenbe Sejetclmung für ben ©efamtgebalt
beS göttlichen SßefcnS in feiner Offenbarung (bgl. 33b VII, 573, 38). Sin ben ttybifcfjen
©teilen, Wie $ef 6 ober neuteft. Sc 5, 1—1 1 treten brei SegriffSmomente fyerbor. ©er fid) 5
offenbarere fyeilige ©ott überführt ben 9Jtenfd)en Don feiner fünbtgen, fein ganjeS 2öefen
erfüHenben Unreinheit unb UnWürbigfeit; baburd) beugt unb bemütigt ©ott ben 9JJenfd)en
unb ftcHt ifyn in bie gurcfyt bor ifym. 2lbcr eben ber ^eilige ©ott ergebt ben ©ebeugten,
entfünbigt ifyn unb fteEt il)n in ben ^rieben ber burcfj bie ©ünbenbergebung fyergefteHten
©otteSgemeinfdjaft. Unb bann nimmt ©ott ben burd) gurdjt unb Vertrauen t)tnburd)= n>
gegangenen, gebeugten unb erhobenen 9Jfenfcr)en in feinen ©ienft unb maö^t ifm jum
SBerfjeug ber 2tuSricb,tung feinet SKUllenS.
®aS füllten alfo bie 3un9er> ^mm gefuS biefe Sitte gab, glauben, bafj fie toirflidj
trofc tt)res UntoerteS ©otteS Äinber feien, bie bie Sotlmactjt fyaben, ifm als Sater an=
jurufen, unb bie feinen Satewamen entheiligen Würben, wenn fie ftd) folcfyeS Vertrauens 15
Weigerten, ©en tarnen ©otteS ^eiligen ijeifet bie itinbeSftellung feftl)alten, bie ber
Sater ben betenben Jüngern $efu giebt unb berietet; eS Reifet, ein $inb ©otteS fein unb
bleiben Wollen — ein $inb, baS ben geiftigen gufammenfyang mit bem Sater burd) ben
©ienft ber Siebe beWeift. ®aju bebarf eS aber ber beftänbigen Sitte, eS möge gefd)el)en,
b. f). burcb, ©ott gefeiert, ber eS allein feb, äffen fann, baf$ ber -Warne beS SaterS im 20
©lauben unb im Seben ber $inber ju ber feiner §eiligleit entfbredjenben tätigen 2tn=
erfenntmS gelange. 2tuf ©otteS Sßirlung ge^)t jurücf, Wenn fein 9?ame gebeiligt wirb;
feinen Seiftanb erbaten bie 3un0er bamalS fcfyon, als ^efuS i^nen bie alte unb nun bod;
fo neue Sitte gab; fie fbrad)en aber bie Sitte mit bollerer (MenntniS, als fie fie
im tarnen beS erbeten £>errn in $raft beS ©eifteS, ber ben ©elreujigten berflärt, gu 25
fbred)en begannen.
3. Sie jWeite unb brüte Sitte ober bie jtoeite ©tufe beS ©ebet|S.
'EX&kco (eXMxm N D bei W., N C bei Sc) f\ ßaodeia oov. ©aju bei 3Jit : yevrj-
■&>'}tco t6 §e?if]/ud oov obg (cos fefylt bei D*abck, %txt. unb @bbr.) iv ovgavqj xal im
yijg (DrigeneS laS in feinem %qct ot xfjg yfjg, de oratione c. 18, 2, fo aud) cod. D 30
unb anbere Uncialfyanbfcfjriften). @S fomme bein Sieicb,; eS gefcfyebe bein SBitle, Wie im
§immel, aud) auf ber @rbe!
@S gilt, junädjft bie SeWegung beS ©ebeteS ju erlernten. 9öenn man bie güHe
ber erften Sitte erwägt, fann man fagen, baf; aUeS erreicht ift, trenn ©otteS Sater=9iame
bon ben 2Renfd)en geheiligt Wirb. @S giebt fein bö^ eres Qid als biefeS ; toobl aber 35
ftefyen §inbemiffe ber böKigen ©rreidjmng beS QkUZ entgegen, bie nicfjt eb,er berfd)n)inben,
als bis ©otteS §errfd)aft in §errlicl;leit in bie ©rfcfjeimmg tritt, bis bie unficfytbare unb
bie fict)tbare SBelt, §immel unb @rbe böllig eins geworben finb, ber Sater fcfyaubar unter
ben ^inbern ibob,nt unb bie ^inber bor ben 3lugen beS SaterS toanbeln (bgl. Slbf 21,3;
22, 3. 4). ®arum richtet %t\u§ ben Süd ber betenben ^üngergemeinbe binauS in bie 40
3uiunft, mo bie @rbe mit ber fyimmlifdjen Söelt geeint fein wirb, unb fügt ju ber Sitte
um Heiligung beS 9?amenS ©otteS b. b,. um ben redeten ©lauben unb Se»äb,rung beS
©IaubenS im ©tenft ber Siebe bie auf bie Erfüllung bliefenbe Sitte ber Hoffnung. ®ie
jtoeite unb brüte Sitte finb eSd^atologifd) ju berfteb,en; fie fielen unter fid) in alters
engftem 3ufamment)ang. 9fteicb, ©otteS unb SöiKe ©otteS gehören jufammen. Regnum 45
dei, quod ut adueniat oramus, ad consummationem saeculi tendit (Tert. de
or. c. 5). ©aS SfJeicf; ©otteS tritt in bie @rfd)einung als bie jur bollen ©urebfü^rung
gelangte <r>errfcf;aft ©otteS über bie 3Belt. (SS ift ber ^uftanb ber SSelt unb bie Drb=
nung ber ©inge gemeint, tt)o ©otteS 2Bitte ber allein beftimmenbe auf @rben geworben
ift, ober (Wie §ofmann Sc 11, 2 ausgelegt b,at, bgl. bie i)l ©d;rift 9t iS VIII, 1 bo
1878, ©. 284) „bie Crbnung ber ©inge, in Welcher eS leinen anbern toirffamen SiUffen
giebt als ben SöiHen ©otteS unb ber äöille ©otteS ju feiner bollen Sertoirllicbung ge=
langt ift" ^m SoltenbungSjuftanb finb bie ©nabengüter ber ©rtöfung ju boller 2luS=
tüirlung gelommen; bie @rbe ift bann aus einer ©tätte ber ©ünbe unb beS TobeS in
ein Sanb beS griebenS unb beS SebenS bertoanbelt, unb bie bollenbete ©emeinbe breift 55
itiren ^önig, beffen 2öillen ju boHbringen il)re Suft ift. ©0 ift eS jetjt fd)on „im
§immel" ©d)on DrigeneS b^t bie grage aufgetoorfen (de orat. 26, 1), ob ber Ser=
gleicbungSfa^ „Wie im ^tmmel, aueb, auf ber @rbc" nicb,t ben brei erften Sitten gemein=
fam fei; fbracblid) ift boef) nur bie Schiebung auf bie britte Sitte möglieb, inbem auS
bem IJmbcratib yEvt]dr\TOi ber l^nbifatib yeyhnjTm, yryovrv ober aud; yivFTm ergänzt 60
438 ÜSatermtfer
tütrb. ®er SBecfyfel beS S'Jumerug: iv xoTg ovgavoTg in ber 2Inrebe, iv ovQavco in ber
brüten Sitte, ift bom Überfetjer eingeführt ; er I)at am aramäifcben ©runbter.t fernen 3ln=
fyalt. Qm §immel, in ber 9Mt ©otte§ unb feiner ßngel, bie totHtg feine Sefefyle au<§=
rieten (5ßf 103, 20. 21), giebt e§ leinen Söiberfbrud) unb SBiberftanb toiber ©otte§
5 2Bitten. 2luf ber @rbe bagegen ift, roie Sutl)er bibltfd) auflegt, böfer SRat unb SSiUe
borbanben, bie un§ ben tarnen ©otte3 nid)t ^eiligen unb fein Sieid) nicfü fommen laffen
Wollen. @3 ift „be§ Teufels, ber SBelt unb unfrei gleifcbeg SOßiHe" £)ae ©ebet gebt
babin, bafe bie t>on ©otteö ©ebulb ber 2Ju§tr>irfung biefeä SBitteng gefegte griff gu @nbe
gefyen unb ©otte§ SöiHe aucfj auf @rben &u alleiniger ©eltung fommen möge, womit
io bann aud) „bie ftönig^errfcfyaft über bie SBelt ©otte unb feinem ©efalbten jugefatten
ift" (Styl 11, 15. 17; 12,10).
35te britte Sitte bient, tüte fid) gezeigt I)at, ber jtoeiten gur (Erläuterung; fie fonnte
bei ber erften Mitteilung be3 §errngebete§ (Sc) fehlen, entftammt aber fonftigem £et)r=
Wort %tfu, tät W°n h\t Sergbrebigt geigt, wenn Wlt 7, 21 ba§ %l)un be§ 3BiHen§ be§
15 I)immlifd)en Saterä als> SUierfmal ber ^eicb^angefyörigen |ingefteßt wirb, ^m ©etl)femane=
fambf I)at $efu3 felbft ftd) biefe Sitte angeeignet unb mit if)r bie ©efoifjfyeit über bie
SRotmenbigfeÜ be§ Seibenätoegeg errungen (Mt 26, 42 yevrj&rjxco xb §ürjjud oov).
Stertußian I)at — au3 toeld)em ©runbe, ift nid;t erfidjilicb, — bie zweite Sitte jur brüten
unb bie britte gur gmeüen gemacht. 2luguftinu§ War ber Meinung, bajj bie britte Sitte
20 getüiffermafjen eine 2SieberI)oIung ber beiben erften fei. ©eine 2öorte lauten (Enchiri-
dion ad Laurentium, ed. Sruber, Lipsiae 1883, c. 116): Euangelista uero Lucas
in oratione dominica petitiones non Septem sed quinque complexus est; nee
ab isto (= Matthaeo) utique discrepauit, sed quomodo istae Septem sint in-
tellegendae, ipsa sua breuitate commonuit. Nomen quippe Dei sanctificatur
25 in spiritu (ba§ fyetfjt nad) c. 115 in caelo); Dei autem regnum in carnis resur-
rectione (= in terra) uenturum est. Ostendens ergo Lucas tertiam petitionem
duarum superiorum esse quodam modo repetitionem, magis eam praeter-
mittendo fecit intellegi.
©af$ ba£ egd)atoIogifd;e Serftänbni§ ber ^Weiten unb brüten Sitte tE)re 2fntoenbbar=
30 feit auf ben gegenwärtigen geülauf nid)t ausliefst, t)at £I)eobor Qafyn, ber, Worin id)
il)m nid)t folgen fann, aucf; bie erfte Sitte in e3d)atoIogtfcI)em ©inne fafü, treffenb nad)=
geWiefen (a. a. D. ©. 274). ®ag @gd^atoIogtfcr)e ift eben nid)t lebiglid) jufünftig, fonbern
fter/t fd)on jefct tl)atf äd)Itd) mitten in ber (Erfüllung. £)enn atte3, Wag bie $ufunft an
©eridü unb ©nabe offenbar machen Wirb unb in bie @rfd)einung treten läfjt, ba$ ift ber
35 ©adjje nad) jetjt fcfyon borf)anben — nur nod) nicfyt gefdjieben unb getrennt, nicf;t in
ber entfprecfyenben äußeren ©eftalt, fonbern gemifcfyt, berbüllt, in Serborgenb,eit be§ inneren
aSefeng. S)a aber ba3 9ieid) ©otte^ in ber ©egentoart ficf; ba offenbart, roo ber ©eift
©otte§ fein Söefen b,at (bgl. Wo 14, 17), fo ift bie jioeite Sitte, auf bie ©egentoart be=
jogen, bie Sitte um ben 1)1. ©eift. SDarin rul)t nid)t nur ba§ Stecht ber 2lu§Iegung
40 £utl)er§, fonbern aucb, ber 9?eij einer alten, in ber bon £>arttac? angeregten ©ebatte biel
beftorod?encn unb bon ib,m al§ urfbrünglidjer 2ufa§tejt in Slnfbrud^ genommenen Sariante
ju Sc 11, 2, bie ©regor bon 9Jt)ffa in ber brüten Siebe über ba£ ©ebet borbringt, unb
bie aucb, bon jtoei 9JttnugfelI)anbftf)riften bargeboten Wirb. @§ ift bie ^anbfcfyrtft 5Rr. 700 (bon
©oben e 133), Sonbon, Brit. Mus.Egerton 2610 (2601 bei §arnacf a.a. D. ©. 196 ift ein
45 SDrucffefyler), au§ bem ll.Qatjr^unbert „mit borjüglitt^enSe^arten", unb bie §anbfcb,rift Tit. 162
(bon ©oben s 214), 3tom, Barb. IV 31, im ^afyr 1153 bon ber §anb bei ^ßregbr;ter§
Manuel gefcferieben (bgt. 6. ©. ©regorb, Xejtfritif be§ $1%, erfter Sanb, 1900, ©. 213
unb 214 unb ©. 161). ©regorg Söorte lauten (MSG XLIV 1157 C): fj xa&tbs fjßuv
vnö tov Aovxä xb amo vorj/ua aacpeaxEQov EQjxrjVEvexai, 6 xrjv ßaodeiav ik&eiv
so ä£icöv xrjv xov äyiov Tivsvfxaxog ovjujuayjav EJiißoäxai; ovxco ydg iv ixeivco svay-
ysMco <prjölv' ävxl xov' eX&exoj f\ ßaaiksia oov' ilfifrco, cpfjol, xb äyiov nvEVfxd
oov £<p tjjuäg nai xa&agiodxoi fuxäg (in ber 9ftinu3felt)anbfcr;rift 3lx. 700 ber gleiche
%qct, nur mit ber ©tellung: xb Tivevßd oov xb äyiov; in ber .ganbfcfjrift 3Rr. 162
lauten bie 3öorte: eI&exco oov xb nvEVfia xb äyiov xai xa.'&aoiodxco rjfiäg). ©iefe
55 Sariante „e§ fomme bein Zeitiger ©eift auf un§ unb reinige uns" fd^eint fcb,on bor
Marcionl %ti.t, alfo bor 150 ftd; in SufaSfyanbfdmften gefunben gu baben. ®enn als
Marcion fein febangelium ^erfteüte, ba§ er l^aubtfädEjIicb, bem Sufaö entnahm, tilgte er
bie il)m unerträgliche erfte Sitte unb bereinigte bie beiben Sarianten be§ SufaStejte§, bie
er borfanb, gu folgenber gorm beö Saterunferä : IldxsQ, iMixco xb äyiov nvev/nd oov eqf
eo f)[xäs xai xad-aQiodxoi fjjuäg' ilMroi v\ ßaoilda oov (bgl. %fy. Qafyn, £)a§ Saterunjer
58ateruufer 439
eine« ßritifcrS in 9cf3 II, 1891, ©. 108-416, ©. 414). 3Jton toirb bic (Sntfic&ung
ber fefyr alten Variante ntcfyt mit 2BeUfyaufen (©a§ ©bangelium 2ucae, überfe^t unb er=
Hart, 1904, ©. 56) barauS ableiten bürfen, bafe „einer fbätcren ßeit ber ©etft genügte
unb bie ^arufie ibj entbehrlich War", fonbern man Wirb ben hontest ber ©teile bafür
in Stnfbrucb, ju nehmen b,abcn. Qn 2c 11, 13 folgt ba§ Söort: „SSenn alfo iljr, bie ifjr 5
arg feib, euren Äinbern gute ©aben ju geben Wifjt, Wie Diel mefyr wirb ber Sater bom
§immel ^eiligen ©etft geben benen, bie tyn bitten" ©a§, worauf Qefu 3tebe bom ©cbet
fdjliepd) bjnau3gef)t, trug man in ba<§ bon ifmt mitgeteilte ©ebet felbft Innern (fo febon
§ofmann ju ber ©teile, bgl. a. a. D. ©. 291). 2Sie fei)r ba§ Urteil über bie ©ntftelmng
ber Variante noeb, fcfyWanft, mag man barauS erfeben, baf3 b. ©oben (a. a. D. ©b. 222 10
unb 223) geneigt ift, bie Sitte um ba§ kommen be§ reinigenben 1)1. ©etfte3 als ein au$
ber £äuferfd)ule ftammenbeö ©ebet au^ufaffen, ba3 jemanb gu ber Jcotij 2c 11, 1 „wie
^oljanneg feine 3>un0er beten lehrte" an ben 9fanb feiner 2ula§b,anbfc^rift gefcb, rieben
habe; bie Stanbnotij fei bann fyäter an unrechter ©teile in ben Sulagtejt felbft ein=
gebrungen. 15
4. ©ie bierte bi§ fiebente Sitte ober bie britte ©tufe be<3 ©ebetS.
ßs ift im ©ebet ein innerer gortfcbjttt borl;anben, ben e§ b,erau§juftellen gilt. Sie
jünger ^efu, bie ben Sater um bie Heiligung feinet ÜNamenS anflehen, erbitten ftcb, bie
Ä'raft, aU ©otte3 J^inber im ©lauben unb in ber Siebe ju leben unb fo ben tarnen be3
SSatcrg ju b, eiligen. ©ieö giel Wirb allem Sßiberftanb gegenüber böllig erreicht Werben 20
bureb ba§ kommen be§ 9ieicb,e§, nad) beffen b,errlicb;er Soüenbung fie ftcb, betenb fefmen.
©er lag ber §errlid)feit ift aber noeb, nict)t erfebjenen; es» tb,ut ftd; eine gWifdKnjeit auf
ätoifcfyen bem berborgenen ©afein bes> SRetd^eö (im ©eift) unb feiner b,errlicben Sollenbung
— eine 3toifcb,enjeit, beren 2änge unb ©auer ©ott allein befttmmt. ©iefer gwifc^enseit
gelten bie folgenben Sitten. Qefu§ richtet ben Slid ber jünger auf ibje Sebürfniffe in 25
biefer 2Bartejeit uno fcfyenft itmen mit ben Sitten gttgletd^ ba§ Sertrauen, baj$ bem, ber
nad) ©otte§ ÜReicb, trachtet unb fein kommen I)erbeiflel)t, aße§ anbere jugelegt Werben
Wirb (SDct 6, 33). @<§ I)anbelt W um hm ©rüde: „$rift unfer 2eben, Wollft bie ©d}ulb
bergeben, erlös un§" (au§ bem Slbenblieb ber bot) mifcljen Srüber: ©te 9cadj)t ift lommen).
a) ©ie bierte Sitte. au
rp\ „ c ~ \ 3 / f diöov -fjuiv xb xa&' fiueoav 2c,
1 ov aoTOv ri/ucov xov emovoiov «> c 'S , rm'f c '
w /r ( 00g rjßiv orjjueQov vJit.
Unfer Srot für bie fommenbe ^eit gieb m§ l f^JÜX 2fl0!
Srot ift 9kbrung be<§ 2eibe§, „allc§, 'mtö jur 2eibe3 5Rab,rung unb 9Zotburft gehört," 35
toie 2utb,er auflegt. 2Rit ber einen Sitte, bie ^u bem Wortreichen ©eblabber bei ben
mancherlei 9cöten be§ 2eben§ einen bemerlen^Werten ©egenfa^ bilbet, Wirb für ben ganzen
Umfang ber leiblichen Sebürfniffe ©orge getragen, ©erabe 2ulag Weift barauf b,in, Wie
bie jünger in ber ^adjfolge Qefu if)r täglicfjeg Srot gefunben b,aben. Qn ber ^ßaffion§=
nad;t richtete 3£fu^ °i£ SraSe an f^e: 2li& icb; eueb, au^fanbte ob,ne Seutel unb ^afcb,e 40
unb ©c§ul)e, b,abt ibr aueb, je Mangel gehabt? ©ie fbrad)en: TOe leinen (2c 22, 35).
Sie Ratten Stag für %a$ bekommen, Weffen fie beburften.
©er $onter.t bei 2Rattb,äu§, in bem fo emftlicb, bor bem b,eibnifc§en ©orgen um
■JJafyrung unb Äteibung gewarnt Wirb (6, 25—34), ergebt bie Segieb,ung ber Sitte auf
baä irbifcb, e Srot ju böEiger ©eWi^eit. ©er 2ufa§ter.t inbeffen , in Welchem al§ befte 45
ber ©aben unb b,öcb,fte§ 3iel beö Sitteng ber 1)1. ©eift genannt Wirb (2c 11, 13), tonnte
umgebeutet Werben. ©0 gab fd)on 9Jiarcion ber Srotbitte bie gorm: xbv aqxov 00 v
rbv emovoiov diöov fj[uv xb xaß' ^juegav. ©ureb, Sertaufd^ung be§ ^ronomenS Würbe
au§ bem Srote ber 9JRenfcb,en ba§ Srot ©otte§, alfo ba§ Srot, bon bem %tfu§ %o 6, 32
rebet, unb ba3 er im ©egenfatj jur natürlid^en, bergänglicfyen ©beife ba§ bom Sater ge= so
gebene §immeIöbrot nennt, ©ie geiftlid^e Ümbeutung ber Srotbitte b,at in ber alten
Äircb,e breiten 9toum gewonnen, iertußian unb Gbbrian ftellen fie in ben Sorbergrunb
(Christus panis noster est — Tert. de oratione, c. 6, Cypr. c. 18), geben aber ju, bafe bie
Sitte aueb, carnaliter berftanben Werben bürfe. ©agegen b,ält Drigene§ (jisqI evy/]^
c. 27, 1 ff.) e€ für eine unWürbigc 2luffaffung, bie bierte Sitte auf irbifdje ©inge ju begeben; 65
ba§ gleifd) Gbjifti, be§ bom §immel berabgefommenen 2ogo3, ift bie Waf)re ©beife, bie
Su effen unb um bie ju beten ift. ^ieront)inu§ bat bann bureb, bie Überfe^ung beS
l-iiovoiog mit supersubstantialis 0Rt G, 11) bie geiftlicbe ©eutung erzwingen Wollen,
blieb aber auf b,atbem Söcge fielen, inbem er 2c 11, 3 bie alte lateinifdjc Überfettung
quotidianum unberänbert fteben liefe ; fie ift bon ba auS in eine grofjc S^eib, e ber §anb= 60
440 SBaterimfer
fd^rtftert be§ Iateimfd;en IRaitijiäug eingebrungen (ixjl. ben Styparat in 9Borb<§wort&i =
2Bbjte'<§ 2iu§gabe beS lateimfdtjen %l%, 33b I p. 60).
25aft imovoiog mit supersubstantialis falfcb, überfefet ift, ftefjt feft; aber ü>eld;e3
ift bie richtige Überfe^ung unb ©eutung? ©d;on Drigenei bemerlte, bafs ba<§ 2öort
5 roebcr bei einem griec|ifd)en ©d)riftfieller ooriomme, noi| in ber gemöfynlidjen Umgang^
fpraaje gebraust werbe, fonbern »on ben ©oangeliften gebilbet toorben ju fein fcfyeine;
er fteKt bann imovoiog unb negiovoiog (3. 33. LXX @r. 19, 5 = %xt 2, 14)_3ufammen
unb giebt bie ©eutung: xbv im xr\v ovoiav ovfxßaXXöfievov agxov. ©ine getoiffe
Aufregung rief eine Don ©. 21. 35ei|mann (9Jeue 33ibelftubien 1897, ©. 42) erneuerte
10 5JJotij S. S. 2B. ©rimm§ fyeroor, ber im 4. %eil be§ ejegetifcfyen £>anbbud;e§ %\x ben 3tyo=
fri^fyen be§ 2l£ (1857, ©. 35) bei 2 2M 1, 8 bie 33emerfung machte: „2SiWürIid;er, aber
wegen 9)tt 6, 11 unb Sc 11, 3 merfwürbiger ßufatj in brei Codd. Sergii: xovg imov-
oiovg" ©oßte alfo ba<§ Söort imovoiog bocb, fonft nod; »oriommen? 2SeUI)aufen
fdjreibt (1904) gu ÜJtt 6, 11: „^n 2 S3M 1, 8 fyaben ein paar obffure £anbfd;riften
15 rovg ägxovg xovg imovoiovg für ^"l'?P'j "? sftu 4; rj/ foofür bie LXX ot ägxoi 61 did
jiavxög fagen" @§ I)anbelt fia; !)ier aber gar ntd^t um griednfcfye §anbfd;riften, fonbern
um bie WiHfürlidje 33erfion eine§ SßergleicfyerS armenifdjter §anbfcb,riften. ©rimm fd)öpfte
feine (ungenaue) 33emerfung au§ ber LXX=2lu3gabe toon .golme^arfong (tom. V,
Oxonii 1827), ibo %u 2 3Jial 1, 8 bie Variante fte!)t: xal ngoe^xa/bisv rj/Aeis xovg
20 ägxovg Imovoiovg Kvgico 3 Codices Sergii. 2Steberb,oIt Werben bann ju anbern
©teilen 9 ober 10 Codd.' Sergii angeführt. 2lu<§ ber 23orrebe §um erften Xeil (1798,
33ogen m2b) erfährt man, bafj bie Varianten »on 15 armenifdjen §anbfd)riften benü^t
feien, bie im % 1773 t>on ©ergiu§ 9Mea, ©iWerior eine! ^lofierg in ^erufalem, toer=
glitten Worben feien; tue Kollation fei bann in bie 33ibliotf)ef einer armenifd;en d^rift=
25 liefen ©enoffenfdjaft in ^onftanttnopel gekommen (bgl. aud) 33b III, 96, 28). ®en $u=
fat}, ben ©ergiu§ in brei, feiner armenif d) en §anbfd)riften f anb, überfeine er mit imovoiovg,
umgelegt Wie ffyrifdje Überfettungen (Syrus Sinaiticus unb Curetonianus ju Sc 11, 3,
letzterer aud; ju Sftt 6, 11) ba§ Söort imovoiog be§ §errngebet§ mit „beftänbig"
(= fahr. T1'??!) miebergegeben fyaben. G£§ bleibt alfo babei, bafs imovoiog ein äna^
30 Isyö/uEvov im ftrengften ©inne ift. 35a bie griedüfdjie Überfettung be§ urfprünglid) ara=
mäifd)en ^CRatt^äuSeoangeliumg hinter bie $?ü be§ 2uia§ gu fallen fcfyeint, ^at ber Über=
fe^er ba§ SBort too^I au$ Su!a§ genommen, Sulaö felbft aber toerbanft eg ber gried)ifd;en
(münblid}en) Quelle, aus> ber er bie @rjäl)Iung 11, lff. fd;b>fte.
Über §erlunft unb 33ebeutung bon imovoiog l)at Seo -Kefyer im 7 33b Don $ub,n§
35 3«ttfd)rift für bergleid;enbe ©^rad^forfdjung (1858) ©. 401—430 eine um ber bortreff=
liefen Orientierung mißen bleute nod; lefen<§merte 2lbb,anblung gefd^rieben. ©r fam ju
bem Ergebnis, bafe analog ber 33ilbung moiovoiog ba§ 25?ort imovoiog an§ im unb
ovx mit bem ©ufjtr. 10 gebilbet fei, mobei auf bem im ein befonbere§ ©etoid^t lag;
ägxog imovoiog ift ba§ 33rot, ba§ für ben Seben<Sunterb,alt nötig ift, tt>a§ ben 33ebürf=
40 niffen enttyridjt, für fie au§reid)t, alfo bas> „notbürftige 33rot" im ©inne Don $r 30, 8
("jPt1 cOrD- Sn oer ^«t überfe|te granj 35eli|fd} in feinem b,ebräifd}en %l% ben Sluö=
brud mit 'fipn ö^. ®iefe Deutung ift gegenmärtig aufgegeben. S5enn man fieb,t nid;t
ein, tooju für eine foldje Vorlage bie f^rad)Iid)e SZeubilbung nötig mar. @§ ftanben
gute alte 2Börter mie dicov ober avraQxrjg (beibe§ in LXX ju $r 30, 8 = 24, 31),
45 foofyl aud; Ixavog ober ävayxaiog jur 35erfügung. Ttan fcfytoanft gegenwärtig nur
1. jtDtfd;en ber Verleitung auö bem (fubftantibierten) r/ imovoa (§. 33. 31© 16, 11;
20, 15; 21, 18) — analog ^juegiog, sonegiog au§ fj/uega, eojiega — fo bafs bann ber
©inn ift: „Unfer 33rot für morgen gieb un§ §eute" (möglid}ertoeife aud; „unfer 33rot
für ben ^eranlommenben %aa, ober für ben je|t anbred;enben S£ag", je nad;bem man
so ba§ 3Saterunfer al§ Slbenbgebet ober al§ 9Jtorgengebet auffaßt; ba§ „|eute" fteb,t bann
freilid; tautologifd;), ober 2. jtotfd)en ber Ableitung bon imd>v, fo ba^ ba§ Ilaffifd;e
6 imcbv xgovog ober ba§ fubftantibierte xb imov „bie ßulunft" ber 33ilbung ju ©runbe
liegt, toobei bie älnalogie Don exovoiog, aus> excßv ober ii%lovoiog au§ iMXwv ju oer=
gleiten ift. @§ ergiebt fid) bann bie Überfettung: „unfer 33rot für bie lommenbe 3e't"
55 (bgl. %i). 3a$n a. a. D. ©. 277 2lnm. 84). 2Bä^renb biele Sluäleger (fo aufy Qaf)n)
für bie erfte Deutung („unfer 33rot für morgen") ftd) erllären, fcb,eint mir bie jmeite
nötiger ju fein. (&§ fommen folgenbe ©rtoägungen in 33etrad;t.
1. S5a^ in imovoiog ein geitbegriff ^e^ ^j^ ^,urc^ ^ag ©^tüergemidjt be§ au§
bem aramäifcfyen 9Jiatt^äu§ abgeleiteten §ebräerebangelium^ feftgeftellt. §ieron^muö be=
60 merft in feinem 50tattf)äugfommentar ju 6,11 (MSLXXVI, 43 C): In euangelio quod
Statcrunfer 441
appellatur secundum Hebraeos pro supersubstantiali pane reperi mahar,
quod dicitur crastinum, ut sit sensus: panem nostrum crastinum, id est
futurum, da nobis hodie. ©aju i(t neuerbingg eine jmeite 33elegfteIIe getreten, $n
einer Sluglegung beg 135. ^ßfalmg bemerft §ieronr/mug (Anecdota Maredsolana ed.
©. 3florin, vol. III, 2, 1897, p. 262 — 162 bei ga^n ift SDrucffel)ler): In hebraico 5
euangelio secundum Matthaeum ita habet: Panem nostrum crastinum da
nobis hodie, hoc est — nun folgt beg |jteronr/mug Umbeutung — panem, quem
daturus es nobis in regno tuo, da nobis hodie.
2. mahar t;at tote bag r/e&räifcfye ^9 jroei 33ebeutungen: a) morgen, 3. 33. @r. 8, 25,
LXX avQiov, b) fünftig, 3. 33. @r, 13, 14, LXX /uexä xavxa (menn bicf) bein ©ofttt 10
fünftig fragen roirb). SDcr tonangebenbe Überfeiner beg |jermgebeteg aug bem 2Iramäifctjen
ing ©riecfjifcf;e »erftanb mahar nicf)t im ©inn »on „morgen", fonft l)ätte er fief) frag=
log ber Überfe^ung mit avgiov ober bem häufigen inavgiov (3. 33. LXX ©en 19, 34)
bebient unb xbv xfjg Inavqiov (»gl. 5ftt 27, 62) ober äfynltd) gefcfmeben, fonbern er naf>m
bag Sßort im ©inne »on „fünftig" Um biefen ©inn augjubrücfen, griff er 311 ber 9?eu= 15
bilbung.
3. £>ugo ©rotiug f;at bie (Srflärung »orgetragen (Criticorum sacrorum tom. VI
Amstelodami 1689, p. 270): Est imovaa (ober richtiger to otw) omne id spatium
uitäe quod nobis emetiendum restat, incognitum nobis, Deo cognitum; imov-
oiov id quod ei spatio sufficit Vult Christus nos Deo hanc curam com- 20
mittere, ut quantum uitae superest tantum nobis suppeditet alimentorum:
neque ita tarnen, ut poscamus id omne nobis repraesentari Est ergo hie
otf/iegov positum pro eo quod pleniore Hebraismo diceretur orj/nsgov a^/uegov
{= tv St), id est Luca interprete xo xa$' fj/uEQav. Slljmlicf; 33engel im ©nomon
ju 5Rt 6, 11: Panis quasi totum quiddam per uniuersos nobis dies est desti- 25
natus, sed datio in singulos dies distribuitur. Utrumque exprimit xo „imovoiog"
4. £>ie23itte, bafc ©Ott ung Sag für %%, fo lange bie Sßartejeit big ^um kommen
beg 9teicf;eg in §errlicbleit bauert, ung unfern Sebengunterfyalt barreid)en möge, fügt fid)
aufg befte in ben ©ebanfengang ein, ber fief; beim Übergang »on ber Reiten jur brüten
(Stufe beg ©ebeteg alg innerer $ortfcf)ritt fjerauggefteßt f;at. SDie ^^if^enjeit, bie fyer= 30
anrütft Sag für Sag, fo lang eg ©Ott gefällt, erhält bie SDecfung beg leiblichen 33ebürf=
niffeg buref; bie 33itte: Unfer 33rot für bie fommenbe gett gib ung Sag für Sag!
?Racr) biefem ©rgebnig ift bie Segart beg Sufag : xö xa&} fjiusQav „täglich" (»gl. 2c
19,47 unb 31© 17,11; fonft nirgenbg im 31%) ber 9Jkttf)äugfegart oijjueQov »orju=
jieb^en. $Die präfentifcfye gorm beg $mperattt>g öidov ift mit 2Ibficf;t gewählt; benn 35
Sufag ift nicfyt tttoa ber gorm dog aug bem 2öeg gegangen (»gl. 3. 33. 14, 9 ; 15, 12).
Sag ^räfeng ift eben bureb bie Söenbung xö xa&' fjjusQav bebingt.
b) ®ie fünfte 33itte: Kai äcpeg fjfXlv tag äjuagxiag fj/ueöv, xal yäg avxol
äcpiojusv Tiavxl ocpeiXovxi fjfMv Sc, xal ä<peg fjfuv xä ö<pei,Xrjfxaxa fjjjiübv, d>g xal
fj/ueig ä<p^xa/j,Ev xoig öcpedexaig fjfx&v Sftt. Unb »ergieb ung unfre ©ünben (©Bulben) ; 40
beim autf)t»ir »ergeben jebem, ber ung fa)ulbig ift (wie auef; mir »ergeben f)aben unfern
©cfmlbigern) !
©ie Anliegen, bie bie 3>ün3er 3efu ifyrem l)tmmlifcf)en SSater in ber ßmtfcfjenjeit big
jur Aufrichtung beg ÜRetcfyeg in £>errlid)feit »ortragen, begießen ftcf; ntdjt nur auf bie leibliche
JJafirung, fonbern auef; auf ben bauernben ^rieben ber ©eele. ®enn ber SJfenfcfj lebt 45
nia)t »om 33rot allein (SDit 4, 4), unb ber fünbige 9)Zenfcfj erft rec^t ntd^t. ©0 folgt auf
bie feierte 33itte bie fünfte, beren ©igentümlicbleit in beiben Delationen barin befte^t, ba^
bag erbetene Vergeben bon feiten beg Ü>ater§ m bem eigenen Vergeben ber 33etenben in
Segiebung gebracht wirb, unb jmar bei Sufag in ber gorm eineg präfentifeben 33egrünbungg=
fa^eg (neben ber gorm äcpiojusv begegnet auef) äcpie/uer, mie in ber ©ibacbe), bei 9Jiattf)äug 60
in ber gorm eineg aoriftifcf;en 3sergleicf)unggfa|eg (»gl. bie 2lorifte trt 9JZt 19, 27: ä<p)']xajuev
ndvxa xal jjxoXovdrjoa/iev 001). £>iefe SSejtebung betoeift, baf? eg fief; im §ermgebet
mi)t um bie erftmalige Vergebung ber ©ünben banbelt, mie fie mit bem eintritt in ben
^üngerftanb »erbunben ift, fonbern um bie tägliche Reinigung »on ©ünben, beren auef)
bie jünger bebürfen. @g gilt auef) »on if>nen, bafe fie im Sjergleicf) mit ©ott nicfyt gut, bs
fonbern böfe finb (»gl. Wlt 7, 11: vjueig jiovtjqoI iW;); ber ©eift ift miliig, aber bag
gleifcf) ift fcb>acf) (3Jtt 26, 11). @g märe ein geicfyen mangelnbcr ©elbftfritif unb ge=
fäbrlicf)er ©icf)erf;eit, alfo bag ^cicfjen eineg ^uftanbeg, »or bem ^efug 9)it 7, 1 ff. cin=
bringlicf) marnt, menn fie fief) eine ©ünblofigfeit gufcbrteben, bei ber fie bag 33etcn biefer
93ittc für überflüffig b'^ten. ©ine folcfje ©elbftbeurteilung iüärc ein ©elbftbetrug (»gl. eo
442 aSntevunfer
1 $o 1, 8). 2öer ficf) bagegen nacb, bem 9Jcaf$ftab 9Jct 5, 48 beurteilt, ber Votlfommcn=
b,eit ber Siebe bedangt, ift fid^ ber „Verfehlungen" (Sc) ober „Verfdmlbungen" (9Jct)
roofyl beWufjt, bie mit bem %fyun unb Saffen fünbiger SJJenfc^en berbunben finb. ®ie
jünger ^efu fielen bor ©ort in bemütiger Beugung ; fie unterfdjeiben ficb. barin Wefent=
5 lieb, bon bem ©elbftgefübj fyeibnifdjen £>odmiut§, Wie e§ fiel) in bem ©ebet be§ 2lbolIomo<§
bon %'qana in Äabbabocten au<§fbrid)t, ba§ ifym im Romane be§ $I)iIoftrato§ jugefcfyrieben
Wirb: d> &sol, doirjti juond 09?£dd1a£j'a(vitaApolIonii,ed. 6. S.Äatyfer, 1870, lib. I, c. 11,
p. 10). SDer Segriff be§ bcpä\r\na ober ber oepedri (bgl. SRt 18, 32 unb bie Delation
ber fünften Sitte in ber ©ibacfye), womit an fidj jebe Seiftung begetd^rtet Werben fann,
10 gu ber einer berbflid)tet ift, t/afteie, Wie j. V. bie Vabfyrt au3 bem Faijüm auSWeifen
(bgl. Slbolf SDeifemann, 9?eue Vibelftubien, 1897, ©. 48) befonber§ an ©elbgafylungen,
ju benen einer burd) Slufnafyme einer 2lnleil)e ficb, berbflid)tet fyat „Sie Übertragung
be§ 2lu§brud3 für bie ©elbfcfyulb, bie einer nod) nid)t jurücfbe^afjlt fyat ober übertäubt
nief/t gu ^len imftanbe ift (9Jct 18, 25), auf bie Verfünbigungen (— xä naQajizcojuaTa
15 9Jtt 6, 15 ober = rag ä/uagriag Sc 11, 4; öcpedhtjg Sc 13, 4 = äfi,agxa>X6g Sc 13,2)
fe|t bie Vorftellung borau§, bafc jebe Verfünbigung Nichterfüllung einer ©Ott gegenüber
übernommenen ober t>on bornfyerein beftefjenben Verpflichtung fei" (»gl. %$. Qafyn a. a. D.
©. 280 3tnm. 88). 9tur bafj nad; bem ganzen gufammenfjang bes> ©ebeteä e€ ftcb, nicfyt
foWobJ um bie Verpflichtungen ber $ned)te gegen tEjren £>errn (Sc 17, 10), fonbern um
20 bie ber föinber gegen ifyren Vater b,anbe(t (bgl. ba<§ ©leidmis 9Jit 21, 28—31). SDie
jünger ^efu toiffen ftd) al3 ^tnber ©otie<§ ifyrem r)immlifct;en Vater gegenüber berfd)ulbet,
fofern fie bie fdmlbige Vflidjt bollfommener Siebe^gefinnung unb Siebeöübung gegen ©Ott
unb ben ^cäcbjten ntd)t leiften, unb b^aben bafyer täglid) ben Vater um „@r(af$ ber
©d)ulben" ober um „Vergebung ber (©dmlb ber) ©ünben" anjuflef»en.
25 ©0 Wenig fid) bie jünger Qefu einer VoHfommenb^eit berüfymen fönnen, bie ba3
©brechen ber fünften Vitte auSfcbJöffe, fo fel)r bürfen fie anbererfeitg, wenn fie bor bem
Vater ifyre Verfehlungen belennen unb um beren Vergebung bitten, ba§ VeWufjtfein fjaben
unb auSfbrecfyen, bafs ber ©eift be§ bergebenben Vaters in ifynen fein 2öer! treibt, unb
ba| fie fid) ^u ben Vrübern fo behalten, roie fie beten, bajj ber Vater fieb, ju ifmen
30 fteÖen möge. SDer jünger ^efu bejaht ben bem natürlichen ©inn unberftänblid;en unb
anftöfeigen ©ai$, ba| bem fünbigenben Vruber, bem fein Unrecht leib tb^ut, nid)t nur
fiebenmalige, fonbern fiebjigmal fiebenmalige, alfo ungegarte unb ungemeffene Vergebung
juerteilt Werben foß (2Jct 18, 22 ; Sc 17, 4), unb er f)anbelt naä) biefem ©a^. ©0 Wirb
ba§ bem ©cb^ulbner gegenüber geübte Vergeben, Wie e§ ber Sufa^tejt au^fbrieb^t („benn aueb,
35 wir bergeben jebem, ber um§ fcb^ulbig ift") jum ©rlenntni^grunb für bie ©emeinfdjaft
be§ ©eifte§, in ber bie betenbe unb bergebenbe ^üngergemeinbe mit bem b^immlifc^en
Vater ftebt. ©cm ^äcb^ften gu bergeben ift um fo mef)r ©acr)e be§ ^ünger§ ^efu, al§
ber -Jcäcfyfte nie in bem bollen unb ftar!en ©inn fein ©cfyulbner ift, Wie er felbft ©otteS
©d^ulbner ift; bie Verfcb;ulbung ift bielmefyr immer Bio ju einem geWiffen ©rab gcgen=
40 feitig. ®er @rnft ber berföf)nlicb,en ©efinnung ^eigt fid} aber in ber botlbracr;ten Slb^at
be§ Vcrgebenb^abenS. darauf Weift ber aoriftifeb^e 3Jcattb,äu^tejt Bin : „Wie auef) Wir bergeben
fyaben unferen ©cf)u(bigern" 2öie ^efu§ feb^on 9Jct 5, 23. 24 bem mit einer Dbfergabe bor
©ott tretenben jünger bie 9cotWenbigfeit ftrenger ©elbftbrüfung eingefeb^ärft unb ü)n ber=
bfticb,tet bat, jubor, fo biel eä an if)m liegt, ba3 geftörte Vcrf)ältniä gum Vruber Wieber=
45 fjerjufteUen, fo fe|t er ftter borau§, bafe feine jünger „^eilige §änbe aufgeben, frei bon
3orn unb 3an!" (1 Xi 2, 8) b. Ij., bafe fie e§ nid;t Wagen Werben, mit einem bon ©roll
unb §af$ erfüllten §erjen jum Vater ju beten, fonbern bafj fie jubor Eingegangen finb
unb benen, bie fid) ib^nen gegenüber berfdmlbet b^aben, bie ©d;ulb erlaffen l)aben. ©^
finbet im Vergeben ein Iorrefbonbierenbe§ Verhältnis jWifd;en bem f)immlifd;en Vater
50 unb feinen Äinbern auf ©rben ftatt. SDiefer ©eban!e finbet einen felbftftänbigen 3lu3=
brud in ben beiben bem §errngebet angehängten, fieb, aber auf bie fünfte Vitte BegieBen=
ben Verfen 3«t 6, 14. 15 (bgl. SOtc 11, 25): „äiknn tr)r nämlid) ben 3Jcenfd}en (aßge=
mein, alfo ben nädjfien Angehörigen Wie ben gremben) tbre geb^Itritte (TTagdmco/ua
ber geb^Itritt, infolge beffen ber Vetreffenbe ju Voben liegt, bgl. ©a 6, 1) bergebet, fo
55 wirb aud) eud} euer r;immlifd;er Vater bergeben ; Wenn tBr aber ben 2Renfd)en nid;t ber=
gebet, fo wirb auef) euer Vater eure $el)ltritte nid}t bergeben". 2)ie Unerbittlid}leit be§
©ericl)teg, ba§über ben feart&er^igen SRenfd^en ergebt, ber, uneingebenl ber in überreichem
Wa$ erfahrenen Vergebung, bon feinem ©dimlbner unbarmb^erjig bie Vesabjung einer
üeinen ©d}ulb einforbert, f>at ^efu§ in bem ©leidmte Wtt 18, 23—35 bargetban. Un=
60 barmfierjigleit fd)Iicfet bie %i)üxt jum Vaterb^erjen ©ottel ju.
^atermtfcr 443
©o biel cnifter, Weil auf ftrenge © etotf Jensprüfung I)inbrängenb, ift biefe Sitte abS
bie jum ißergleict; fid; barbieienbe 6. Sitte im ©d}mone=@3re : „Sergieb un§, unfer 3Sater,
benn Wir b)aben gefünbigt; berjeibe un§, unfer dortig, benn Wir I)aben gefrebelt. 2)u
bergiebft unb berjet^eft ja gerne, ©ebbet feift bu §err, ©näbiger, ber bu biel bergetfyeft"
^n Erinnerung an ben ßrnft ber Sitte fdjretbt ^olbiarb an bie $f)ilibber VI, 2: et 5
ovr ÖEOfxe&a rov y.vgiov, Iva r/jutv ä(pfj, öcpeilojuev xal fjjuelg äcptevai anhavci
yag tcjv rov xvqiov iojukv öy&ak/ucöv. Seibes» aber, ben ©rnft unb ben Slroft ber Sitte
jufammenfaffenb, fbridjt fid^> Sutfyer im ©rofjen ®ated?i3mu3 fo au3 (III. pars § 94):
„Scrgiebft bu nun nicfyt, fo benfe aud) ntct)t, bafj bir ©ott Vergebe; bergiebft bu aber,
fo I)aft bu ben 2!roft unb ©icfyerb, eit, bafj bir im §immel »ergeben Wirb, nict)t um beineö 10
Sergebeng Willen; benn er tfyut e<§ frei umfonft, au§ lauter ©nabe, Weil er§ »erteilen
bat, loie ba§ ©bangelium lehret, fonbern baf? er un§ foIc^e§ jur ©tärfe unb ©icfyerfjeit
als jum 2öat)r5eicr)en fe|e, neben ber Serr)eif$ung, bie mit biefem ©ebete ftimmt" 3)em
bon Sutfyer abgewehrten 9Jcif$berftänbm<§ bon ber Serbienftlicfyfeit be§ Sergeben§ ift ein
leil ber rattonaliftifdjen SDogmati! erlegen. ©0 meinte $ul. 2lug. Sub. 2öegfd)eiber in 15
feinen institutiones theol. Christ, dogm., juerft §alle 1815, § 137, p. 251: Gratiam
Dei remissionemque peccatorum Mt 6, 12. 14 sqq. animo placabili preci-
busque obtineri edocemur.
SJiit ben gWei teilen ber fünften Sitte ift für immer ©laube unb Siebe ober aucfy
Religion unb ©ittlidifeit jufammengebunben. ©ie 3unSer 3efu können ntct)t gläubige 20
Äinber ©ottei fein unb bleiben unb babei ein fyafjerfüHteS, unberfölmlidKg §erj gegen
ben 3Räct)ften liegen. SöoKten fie ba§ Unvereinbare »ereinigen, fo ftünben fie fdjon
mitten in ber Serfudmng, bon ber fie bod) bitten, bafs ber Sater fie ntcr)t in fie £>tnem=
führen möge.
c) ®ie fec^fte Sitte: Kai jurj Eioeveyntjg tj^iäg eis Tieigao/udv £c=2Rt. Unb 25
füt)re un3 nid)t in Serfucfyung hinein!
2)er gufammenfyang mit ber fünften Sitte ift leidjt ju erfennen. 3öie bie 3un9er
^efu in ber Bwifdjenjeit big jur SCufrtc&tung be3 9fteid>e§ in .gerrlicbjeit im SeWufjtfein
begangener ©ünben bie fünfte Sitte fbrecfyen, fo im SeWufttfein fünbltdjer ©d)Wad)I)ett
bie fechte Sitte, b. 6,. bie Sitte um SeWafyrung bor ber ©efafyr ju fünbigen. Qn anberer 30
gaffung fefyrt bie Sitte Wieber, al§ %e\u§ ju ben brei Jüngern, bie er gu 3eu0en fe'neg
©etl)femaneJambfe<S machen wollte, fbrad;: „2öa<f)et unb betet, bafj iE>r ntct)t in Ser=
fucfyung hineingeratet; ber ©eift ift Willig, aber ba<§ gleifd) tft fd)Wacb/' (3Rt 26, 41). @§
I)anbelt ftd) hierbei um ba§ hineingeraten in £eben§lagen, bie mefyr ab§ anbere bie ©efab,r
in fünbigen mit ficb, bringen, mag nun biefe ©efafyr im »erfüb,rerifc^en Steige ber £uft ober 35
im ferneren ©rucf be§ Übel§ befielen, unb mag fie au§ ber eigenen 3Ratur be§ ^ERenfcb.en
emtoorfteigen ober »on ber 2Iu^enroelt herbeigeführt roerben, Wobei immer ber geinb ber
3Jlenfct)en feine §anb im ©fciel b,at, ber „bie 2>üttg^ ju fixten begehrt Wie ben SBeijen"
(Sc 22, 31). SDer ©ebanle an $rüfung§Ieiben, unter benen ber ©laube ber 3unSer M
ftanbt)aft bewährt, unb für bie fie bafyer ban!en lönnen (»gl. 3a 1/ 2), liegt r)ter fern. 4f»
®enn eben SBadjifamteit, bie bie ©icfjerleit be§ Seid)tfinne§ unb ber Übergebung, aber
audj bie geigb^eit ber gab,nenflucb,t meibet, unb ©ebet, ba§ bie SeWafyrung bor bem %aü
unb allem, \va§ fäHen fann, ing Sluge fafet, erfcb,einen al§ Mittel, bie berb,inbern, ba^
jünger ^efu in bie Serfucfmng hineingeraten, ober bafj ©ott fie bineinfübrt — ein §in=
einführen, ba§, Wenn e§ ftattfinbet, nic|t foWob,l unter ben ©eficfyräbunft ber ©rbrobung 45
be§ ©Iauben§, al§ unter ben be§ anfjebenben ©ericb.teg faßt, fofern baS ©eric^t „am
§aufe ©otte§, alfo eben an ben Jüngern ^efu, anfängt" (1 ^3t 4, 17). Um 2lbWenbung
folgen ©ericb^teS Iet)rt ^efu^ feine jünger beten, bamit fie nicb,t in ben Sannfreig bon
Serfuc^ungen hineingeraten, benen fie erliegen, fonbern bamit ftcb, Söorte Wie 2 $t 2, 9
ober 2lbf 3, 10 in erfyöfytem ©rabe an ib,nen erfüllen. 2Benn fie aber bie Sitte mit w
ßrnft fbrecb^en, feben fie ficb, Wie bei ber fünften Sitte mit einer eine Aufgabe in ficb,
fcf/liefjenben ®ahi betraut. Söie ber ©eift be<§ bergebenben Sater§ in ben Jüngern bie
Hraft ber Serföb,nlicbleit Wirlt, fo äußert fiel) bie bom Sater erbetene SeWafyrung bor
bem %aü in ber glucf)t ber 3unS^ b"r ber ©ünbe, fo baf? fie bie ©elegenb,eit jum
©ünbigen nicr)t auffucfjen, fonbern fie Wie ein ©ift meiben. iRafmungen Wie : 93er- 55
yeze xr\v noqväav unb änö t;)c ädwXoXaTQdas , bie ^auluS ben ^orintbern zuruft
(1 Ito 6, 18; 10, 14), folgen au§ ber red)t berftanbenen feebften Sitte, aber aud) bie .straft,
folgen 3Jcab,nungen golge ju leiften. ©0 Wirb unter ben ©efabren be§ gegenwärtiger^ Slonä
bon ben Jüngern ^efu, bie it)rer Serfud)licf)!eit eingeben! bleiben unb mit Wad)en binnen
ficb, ber 2Baffe beä ©ebete^ bebienen, ber 9(ame bc3 Saterö geheiligt. — Unter ben g»
444 SBoterunfev
patrifttfcfyen 2lu§Iegungen mag an bie äljmlicfye be§ DrtgeneS erinnert toerben (tieqi ei>xfjs
c. 29, 16): EV%<x>[JL£&a /urjdev a^iov noifjaai xov vnö xrjs dixaias xqioeoos xov fteov
ElöEvzyßrjvai eis xov Jisigao/nov. 9öa§ e3 mit biefem §ineingefüfyrttoerben in bte
Serfuo)ung für eine Setoanbtnü> fyat, erläutert Drigene<§ burd) ben ^jintoeiS auf bag brei=
6 malige nagedoixE, mit bem ©ott bie 2lbfaH§ftufen ber §eibenbölfer beftrafte: 9tö 1,24.
26. 28. ©ine Itturgiftfje 2tu§geftaltung ber Sitte ift ber mit 1 ®o 10, 13 ficb, berüfyrenbe
3ufa§ gu TieiQaojuoV. ov vneveyxEiv ov övvdjue'&a, latetmfcr): tentationem quam
ferre (ober sufferre) non possumus. @<§ ftnbet fidj) in ber alesanbrinifcfyen Siturgie, in
ber ft/rifdjen ^afobu^liturgie, bann bei §icront)mu§ (gu 9Jct 26, 41 unb gu @g 48, 16;
10 »gl. MSL XXVI 198 C unb XXV 483 C), bei £ilariu§, in ben pfeubo=auguftimftt;en
©ermonen, bei (Sr)romatiu3 u. f. tr>. (»gl. Sllfreb 9tefc|, 2lgrapr/a, 2. Stuflage, 1906, ©. 85
unb bie ©teilen in ©abatierä Bibliorum sacrorum latinae versiones antiquae,
tom. III, gu Sott 6, 13).
d) ®ie fiebente Sitte: 'Alka gvoaifj/uäg anb xov TiovrjQovTlt, fel)It beiße.
15 ©onbem erlöfe un£ »om Söfen.
©ie Sitte wirb »ielfacfy barauf eingefc^ränlt, bajj fie bie pofitioe ©rgängung ber
fechten Sitte fei. ©o fct)reibt Stuguftin im Enchiridion ad Laurentium in ber gort=
fetjung be§ ©. 438,20—28 citierten Kapitels 116: Deinde tres alias adiungit: depane
quotidiano, de remissione peccatorum, de tentatione uitanda. At vero quod
20 ille (= Matthäeus) in ultimo posuit: sed libera nos a malo, iste (= Lucas)
non posuit, ut intellegeremus ad illud superius, quod de tentatione dictum
est, pertinere. Ideo quippe ait: sed libera, non ait: et libera, tamquam unam
petitionem esse demonstrans: noli hoc, sed hoc, ut sciat unusquisque in eo
se liberari a malo, quod non infertur in tentationem.
25 SBir »erfter)en bie Sitte au3 ber gangen Stnlage be§ Saterunfer§. SDie britte ©tufe
erreicht fyter toieber ba§ ßtel, gu bem bie gtoeite t;trtgefüt)rt r)atte: ber Sltd ber betenben
jünger toirb auf bie lommenbe SoHenbung be§ Steictjeg fytnauägericfytet. SSenn „ber
■£ob nitfjt mel)r fein toirb noajfieib, nod) @efcr)rei, noeb^dmtergen" (ätyf 21, 4), toenn feine
StRacfyt ber Serfür)rung mefyr ben Sollenbeten nab)en fann unb nafyen barf, bann ift bie gänglidjie
30 ©efcf)tebenr)eit »on bem Söfen »ertoirflicfyt, um bie Ijner gebetet toirb. $m llnterfdjteb »on
Qveo&m ex xtvog, toobet bie Sorau^fe^ung befteb,t, baf$ man fic^> in bem StRacfytbereüt)
befinbet, au§ bem i)erau3 man gerettet toirb (g. S. Sc 1, 74), betont gveoftai ano xivog bie
©Reibung, Trennung, bas> $erngerücfttoerben »on bem Sereicfye ber bebrofyenben S!Kacr)t,
bie einem nun nicr)t§ mefyr angaben fann. ©er 2lu3brucf toirb balb fo gebraucht, bafj
35 an SJkrfonen (g. S. 9fö 15, 31 ; 2 2$ 3, 2), balb fo, bafc an ©acb.en (g. S. 2 %\ 4, 18)
gebaut toirb. ©cf)on bie KircV)en»äter toaren »erfet/tebener Meinung, ob xov novrjgov
maSfulinifcr) »om ©atan (fo SLertulltan unb feit Drtgene§ bie ©rieben) ober neutrifcb,
(fo ©tortan unb bie meiften 2lbenblänber) gu »erftefyen fei. 2lber ber ©a£ 2 %x 4, 18 :
Qvoexai jus ö xvQiog äjiö Jiavxog egyov tiovtjqov xal ocßosi eis iv]v ßaoikeiav
40 amov xyjv ejiovgdviov lieft ficb, boä^ toie eine uralte 2lntoenbung ber fiebenten Sitte,
unb toenn man bie gortfetjung berfolgt: cß fj dotja eis tovs atcövas xcbv alcovcov,
afxrjv fieb,t man, toie leicht eine 2)ojologie fic| anfcb,Io|. @§ fc^eint am ©d)lu^ beS ©ebete3
eine umfaffenbe Sejeic^nung nieb, t nur be3 Übelö, fonbern be§ Söfen (neutrifc|) am %\a% ju
fein, beffen Urheber ja ber geinb ber SJtenfc^en ift, beffen ganger Umfang aber mit aß
45 feiner Saft unb feinem ®rucf für) bem begierig nact) ber sBoßenbung au^auenben jünger
f^mergltd) aufbrängt. ©0 fct)reibt ß^rian (de dominica oratione c. 27): in nouis-
simo ponimus: sed libera nos a malo, conprehendentes aduersa euneta,
quae contra nos in hoc mundo molitur inimicus (ober, tote e3 nachher fyeifjt, dia-
bolus et mundus). 9?ocb, ift ba§ Söfe, fofern e§ aU fct)äbtgenbe 9Eftacr)t feinblicb, auf
50 bie jünger einbringt, unb fofern e§ al§ berlocfenbe $Slatyt auf fie etnjutoirfen unb ficb,
in ir)r inneres einjufcb,Ieia)en trachtet, ein in btefer 2öelt ftettg toirfenbeg @Ie.ment, ba§
erft bann au§ if»r berfcfytoinbert toirb, toenn ©otte§ Steter; in bie tootte ©rfeb^einung tritt
unb ©ott ir/atfäcfylicr; ber aEein Ijierrfcfyenbe 5löntg ber 2öe(t getoorben ift (»gl. Qafyn
a. a. D. ©. 283 u. 284). ®afj biefe ^eit balb !ommen möge, ba§ toar feb^on in ber
56 jtoeiten unb brüten Sitte ©egenftanb be§ ^le^enS, unb ba§ toirb in ber fiebenten Sitte
„al§ in ber Summa" mit anberer Sßenbung abfcf)Iie|enb jum 2tu3brucf gebraut.
5. $Der liturgifcb; e 3ufa^ ber®ojologic mit 2Imen. Sie S(btoetcr)ungen be§
Saterunfertejte§ bei Sufa§ unb 9Jkttb,äu§ b^aben gegeigt, ba^ bie betenbe ©emeinbe fict) ba§
§errngebet mcb,t in Inecbtifcbev ©ebunbenb,eit an ben Sucbjtaben, fonbern ingreib^eit unb
so Kraft bei ©eifte§ angeeignet b,at. @§ mag bte britte unb fiebente Sitte toon gefuS
SBatcruttfcr SSattlnnifrfjcS Stoiiftil 445
bei ber ßc 11 ergäfylten 23eranlaffung nidjt geftorocfyen morben fein; ifyre §inju=
fügung bei 9Jtatttyäug unb in bem ÄreiS d)riftlic|er ©emeinben, au§ bem b,erau£ unb
für ben baS ©bangelium getrieben ifi, |at baS ©ebet nicfyt beränbert, fonbem in
einem ©inn aulgeftaltet, tüte er SBorten ^efu entfbrad), bie er bei anberen ©elegen=
Reiten gefbrod)en bat. ©aS gleite Urteil gilt bon ber §ingufügung ber ©ojologie unb be3 5
befräftigenben 2Borte3 2lmen. 23eibe3 ift bem urfbrünglid)en %qt bei £ufa§ unb SJcattfyäug
fremb. 2lber ber 3ufa£ einer ®0£Dlogie unb be3 2tmen3 manberte in fefyr früher $eit
au3 bem ©ebetSbraucb, ber ©imagoge in bie ©otteöbienfte ber Stiften hinüber (bgl.
ben 2lrt. Iiturgifd>e gormein 33b XI, 545 u. 547). £>er ältefte geuge für bie £>oeo=
logie am ©djlufc be3 23aterunfer<§ (ofyne „2lmen") ift bie 2lboftellefyre. 3Jian mcrlt an 10
ber gorberung c. 8, 3: xglg xrjg fjjuegag ovxoo Tigooevxeo&e ben ©inffufj ber jübifcfyen
©ebet§fitte, in ber baS täglid) breimalige Stecitieren be3 ©d)mone=@gre $flid;t mar.
SDte ©Ökologie ift groetgltebertg : oxi oov ioxiv fj dvvapig xal fj dotja eig xovg
aiwvag (ögl. ©. 434, 35—36). 9fcod) ift in bem SobbreiS ba§ „^Reicb," ntd)t genannt;
boa) ftefyt an ein paar anbern ©teilen ber 2lboftelIeI)re (in ben eud)artftifd;en ©ebeten 15
c. 9, 4 unb 10, 5) bie ßaodela bor ben ^b/oren ber SDordogie. 2ludj) in bem 3ufa£
be§ Syrus Curetonianus gu 9Kt 6, 13 ift bie SDojologie groeiglieberig : oxi oov iortv fj
ßaodela xal fj dot-a eig xovg almvag xcöv alcbvcov äfxfjv. 2ludb, einglieberige formen
finben ficb, mit fj döfa (fo ein cfyrtftlicfyeg Stmulet be<B 6. 2>afytl)unbert2>, berliner ägr/btifd)e
Urfunben 9cr. 954) ober mit fj övvajuig (= uirtus, fo in bem mit k bezeichneten :u
Iateinifd)en Zvci, Surin, Wal ©. VII. 15, früher in Sobbto, 5. ober 6. Satyr!?.). 3ab,r=
b,unberte lang fcfymanfte bie $orm ber 2)or,oIogie. ©ie alten griecf/ifd)en Siturgien geigen
ba3 |»errngebet unb bie SDojologie, bie in ein<§ gufammenmacfyfen foUten, nod) getrennt,
^ad) ber !gatobu§Iiturgie (äf)nlid) aud) naa) ber aleranbrinifdjen ober 2Jiarcusliturgie)
folgte bei ber $eier ber ©udjariftie auf ba£ bom 2Solf gefbrod;ene Skterunfer ein an bie 25
legten Sitten fid) anfd)lief$enbes leife§ ©ebet be§ $riefter<§ (Unb füljre uni nicfyt in 3Ser=
fudmng, §err — §err ber Gräfte, ber bu fennft unfere ©cfymad^eit — fonbern erlöfe
uns bon bem 33öfen unb feinen 3Ber!en, bon aß feiner ®rof)ung unb 2lrglift um beineg
1)1. 9Jamen§ mißen, ber angerufen ift über unfre -Kiebrtgfeit). 5Run erft, nad; biefer
@infcb,altung, fbraa) ber ^3riefter mit lauter ©timme bie (auct) anbere ©ebete abfdjliefcenbe) 30
©ojologie, tborauf ba<§ 3Solf naa) altem, fdjon bon Quftin (erfte Slbologie c. 65) be=
jeugtem ©ebraud;e mit 2lmen antmortete (bgl. ben näheren -ftadjmeig in meiner ©d;rift :
3ur 23orgefd;icb,te be§ aboftolifd>en ©laubenöbelenntniffe§, 3Künd;en 1893, ©. 11 ff.). $ur
§errfcb,aft fommen fotlte bie ©eftalt ber ®ojologie, bie fte in ben abofto!ifd;en ^onftitu=
tionen annahm, in beren fiebenteg SBucb, bie Slboftelle^re aufgenommen mürbe. §ter geigt 35
bie ©ojologie bie breiglieberige §orm : özi oov ioxiv f\ ßaodela xal fj dvvajuig xal fj
(5o|a eig xovg almvag' afxfjv „®enn bein ift ba§ 9teid; unb bie ^raft unb bie §err=
licb,feit in ©roigfeit, 2lmen" (Constitutiones apostolorum VII, 24, ed. Sagarbe 1862,
©.208; ber gleite Ste^t be§ äkterunferä liegt III, 18, ©.111 bor).
2113 längft ©Ökologie unb 2tmen jufammen mit bem ^errngebet gefbrodjen mürben, 40
bauerte eg bodb, noa) (ein gute^ 3e^^n für bie @ntt/altfamfeit ber ©d;reiber) ^abjbunberte
lang, bi§ ber gutoacbg enblid) in gried}ifd;e @bangelienb,anbfd}riften einbrang ; bie älteften,
in benen er fid) finbet, gehören bem 8. ^af^rfjunbert an (E b. i. Basileensis A. N.
III. 12 unb L b. i. Parisiensis n. 62). 2)ie 33ulgata §at bie 2)ojoIogie in ben SerJ
beg SSaterunfer§ nid)t aufgenommen; ba§©ebet fo)Iief t mit ben SBorten : Sed libera nos 45
a malo. ®ie !ritifd)e 2lu§gabe ber editio S. Hieronymi bon SBorbSmortb/Iöfnte (pars
prior, Drforb 1889—98) tilgt aud) ba§ in bie Süulgatabrude eingebrungene Amen, ^m
lutb,erifd;en ©otte^bienft erinnert ba<§ SBeglaffen ber ©ojologie in ber 2tbenbgmab,lgliturgie
an ben urfbrünglid)en ©adjberr/alt. 2(nf)ang§toeife fei bemerlt, ba^ bie Seifügung ber
3)or,ologie im 12. unb 13. ^a^unbert ein UnterfdjetbungSjetdjen ber Hat^arer bon ben 50
Äatb,olilen mar. tiefer Unterfo)ieb gab fogar gum gegenfeitigen isormurf ber ^erfälfdmng
ber Sibelmorte Slnlafe (bgl. bie Selegftellen in meiner ©djrift a. a. D. ©. 13). ©0 bringt
bie ©efdndtfe ber ©Ökologie ben ©a| be§ 2tboftel3 2 l^o 3, 6 (©d;lu§) in nad;brüdlid;e
(Erinnerung. 3ol)<nme3 ^oußteiter.
Sattfonif(J)e§ StonjU. — ®ie üunftänbtgfte ©atttmlung ber öueüen juv ®efcf)id)te i>e<5 B5
Sjatifamfdjen ftonji(§ enthält bie Collectio Lacensis, tom. VII. (Acta et decreta sacro-
sancti oecumenici coneilii Vaticani. Acceduot permulta alia documenta ad concilium
eiusque historiam spectaatia, Friburgi Brisgoviae 1890, <B. 1752, cjr. 4°, aud) Ss2t. 1892)
toivb im fnlgenben *?lrtifel jitiert : *'oü. L. Ue6ev bie S3orgefd)id)te f ü£)rt nid^t fiinnuö
446 $atifantfd)eg ^ot^U
(£. ßecconi, Storia del Concilio Ecumenico Vaticano scritta sui documenti originali, 4 93be,
«Rom 1873—1879 (33b I überfegt üon 28. Molitor it. b. Eitel: (Sitgen ßecconi, ©efd)td)te ber
allgemeinen Strctjenüerfanimlung im SSattcan, «JJegengburg 1873, 353 ©. u. 144 ©. llrrunben).
Surd) bie Ueberfidjten über bte auf bag Songü bejitgtidje Sttteratur bat befonberen 28ert:
5 ß. 5r'ebberg, Sammlung ber Siftenftücfe 5x1m erften üatifanifdjen Sonjil, mit einem ©runbrtfj
ber ©efcbidjte begfelben, Sübingen 1872(954©.). Stnbere Sammlungen : S- griebriclj, Documenta
ad illustrandum Concilium Vaticanum anni 1870, 2 Slbt, Nörblingen 1871 (©.316 u. 437);
ß. Martin, Omnium concilii Vaticani, quae ad doctrinam et disciplinam pertinent, docu-
mentorum collectio, «ßaberöorn 1873 (©. 266); Slrdjto für fatf»- £ird)enred)t XXII— XXXIII,
in XXXVIII ©. 150 ff. XXXIX @. 80 f. »gl. ©eneralregifter ju I— XXVII ©. 19 ff. 156 ff.;
St. ü. «Jtogfoüäni), Romanus pontifex, tom. 7—16, Suppl. 7—10, Nitriae 1871—1879;
@. ©djneemann, Satetntfd)=beutfd)e |>anbauggabe ber betrete unb ber l)auptfcid)ltd)en Sitten
be§ Sßatifa«. ^onjüS, 2. Sluff. 1895 (307 ©.), grei&urg i. SSr. ; St), ©ranberattj, Constitutiones
dogmaticae sacrosancti oecunienici concilii Vaticani ex ipsis eius actis explicatae, FriburgiBr.
15 1892(243 ©.); bie bogmattfctjen Sefd)Iüffe aud) abgebrnät: ß. «Wirbt, Duellen pr ©efd). b. «ßapft=
tumS unb be§ römifdjen ^attjottjismuS, 2. Slufi., Sübingen 1901, ©.371—382; £. üon®remer=
Slxtenrobe, Slftenftücfe jur ©efd)id)te bee 93erljältnt|fe3 üon Ätrcfje unb ©taat im 19. 3a£)r=
l)unbert II (©taatgard)iü XXIV), Seipjig 1876.
^n ber publi§iftifrf)en Sttteratur üor Eröffnung be§ Sonjilg nimmt einen fferüorragenben
20 «ßlag ein: 3anu§, Ser «^apft unb bag $onjil. (Sine Neubearbeitung ber in ber Slugg'burger
SlHgemeinen 3eiiun9 erfdjtenenen Slrtifel: Sag Äonjil unb bie ßiuiltä, Seidig 1869(451©.),
fpdter burd) £5. griebrid) u. b. Sitel: „3- »• SöHtnger, Sag «ßapfttum" al§ Neubearbeitung nun
SanuS üeröffentlidtf, Mündjen 1892 (519 ©.; nad) bem Sonnort ftammt ber größte Seil be§
33ud)eg Hon SöHinger, aufjerbem war 3. £mber Mitarbeiter, aud) 3- griebrid) l)at Matertal
25 betgefteuert) ; feine SStberlegung üerfudjte: 3>. £iergenrötljer, 9(nti=3>anug, greiburg i. 33r. 1870
(188 ©.). i)eroorl)eben§toert finb ferner bie Sammlungen üon Slbbnnblungen „Sag öfume=
nifcije ßoncil." ©timmen au§ Marta--Saad). Ng. Unter SSenu&ung röm. Mitteilungen unb ber
Strbetten ber ßiuiltä, Ijeraugg. üon gl. «Riefe unb Ä. ü. SSeber, grab, i. SSr. 1869—1871, 12 £>efte;
„Sag öfumenifcfje ßoncil üom Saljre 1869." «ßeriobtfdje SSlötter jur Mitteilung unb" SSe=
30 fpredjung ber ©egenftänbe, weld)e fid) auf bie neuefte atigemeine ®ird)enüerfammlung bejietjen,
3 «Bbe (2. u. 3. i)eraugg. üon «JR. 3- ©d)eeben), «Regengburg 1870. 1871 ; unb üon ber ©egen=
feite bie „©timmen aul ber fatfjolifcfjen ®ird)e über bie ®trd)enfragen ber ©egenwart", 2 33be,
Mündjen 1870, an benen u. a. £mber, ®i3Hinger, grtebtid), 3fleinFen8 mitgearbeitet l)aben. 3ol).
gr. ü. Sdjulte, ®ie Madjt b;r röm. Raufte über dürften, Sänber, «Otter, Snbiüibuen. 2. Shtfl.,
35 $rag 1871 (151 ©.); berf., Sie Stellung ber Sonctlten, ?ßcip)te unb S3ifd)öfe unb bte üäpft=
lictje (Sonftitution üom 18. guti 1870, $rag 1871 (339 u. 286 ©.); 3- Sangen, ®aS S3ati=
canifd)e S)ogma üon bem liniüerfal=(£piftoüat unb ber ltnfet)tbarfeit be8 s$apfte§ in feinem
SSerl)ältni§ jum Neuen Steftatnent unb ber ftvdiltctjen Ueberlieferung, 4 Sie, Sonn 1876;
S3. (i. ©tabftone, Sie uatifanijcfjen Setrete nad) i^rer iöebeutung für bie Itntertanentreue.
40 Ueberfetsung (üon Sßl. Soffen), Nörbltngen 1875 (92 ©.).
(Sine |>auütquelle für ben SSerlauf be§ ÄonjtlS bilben bte in ber SlugSb. SlHgem. ßtg,
erfd)icnenen anonymen ft'orrefponbenjen, bie bann al§ 33 ud) üeröffentlid)t morben finb: OuirtnuS.
iRöntifdje 33rtefe üom Eonctl, Mündieu 1870 (710®.). Stefe 69 «Briefe, üom Sejember 1869
bi§ jum 19. Sult 1870, enthüllten mit fd)onuug8(ofer Offenheit bte intime ©efd)id)te be§ SoitäitS,
45 ba% nad) bem ?Sunfd) feiner Seiter au§ natjeltegenben Urfad)en bie tl)m geftetlten «Aufgaben
im Verborgenen löfen füllte, unb tjaben gegenüber allen Eingriffen ben 3?uf grofjer $uüer=
läffigteit behauptet. Sll§ ber «Jtebafteur ber StugSburger 5ßofeeituug fid) jum ftweä xijxn
SSiberlegung um Material an 33ifct)of Sinfel uon SlugSburg manbte, fdjrieb biefer jurüd:
„man möge fdjtoetgen, bie «Briefe in ber «Mgemetnen .geüung feien ganj ma^r, unb roenn
50 man einige etma in «Jcebenumftänben üorfommenbe Unrid)tigteiten beftreiten ober beridjtigen
mottle, fo txiürbe bamit bie SBa^rbeit in ben übrigen, toid) tigeren Singen erft red)t beträfttgt
werben" ügl. g. grtebrid), «Jtömtfd)e SSriefe über ba§ Soncit, Revue internationale de Theo-
loge 1903 («Bern), §eft 44, ®. 622, Stnm. 1. 3n biefetn 9tuffa| ift enblid) bie üielüer-
^anbelle grage nad) ber §ertunft ber «-Berichte üon bem legten Ueberlebenben ber an ttjrer
55 6ntftel)ung 33eteiügten beantwortet toorben. Stl§ JRebatteur fungierte Sölttnger, ba§ il)m
äxtftrömenbe Material maren 33riefe 3-riebrictjS, üor ädern aber 33erid)te beö in «Jiom roeiten=
ben Sorb Stcton, unb, at§ biefer üor Sct)Iuf3 beS ®onjil§ abreifte, 33erid)te beä ©rafen Soui§
Strco, be§ bai)ertfd)en ©efanbtfd)aft§attact)eS, aud) bie Sepefctjetx beS ©efanbteu ©rafen Sauff=
ftrd)en maren Söllinger äugänglidj, enblid) jafilreidie SSriefe üon 33ifd)öfen urtb anberen $er=
60 fönen. Set bem petnltd)en Sluffe^en, baZ bie «Römifd)en Sriefe in ganj (Suropa erregten, bat
bte tömtfd)e «Polizei e§ an ©tfer in ber Stuffpürung ber gefjetmnigüolten Sorrefponbentett ntd)t
fet)len laffen, aber fie üermod)te ba§ «Jtätfet ntebt ju löfen, ba fetner biefer S3ertd)te ber römifd)en
«45oft anüertraut rourbe, beren geringe Sldjtung üor bem SSrtefgel)etntniS befannt war. Sifdjof
Strofjmarjer üon Sirmtum l)at bte „«Römtfdjen «Sriefe" in bem an Söllinger gertd)teten 33rief
65 üom 4. 9Jcärj 1871 „bie getreuefte unb befte ©efcl)id)te beg Uon^ilg" genannt (gr. üon Sdjulte,
Ser ?tltfatl)oltcigmu§, ©iefjen 1887, S. 254). — «Bomponio Seto, Otto mesi a Roma durante
il Concilio Vaticano, g-trenje 1873 (fotl nid)t üon bem Sarbiual ©alüator 9SiteHe§ct)t, fonbern
aSattfamfdjeä atonal 447
oon beffen 33ruber frranceoco il>itcHc?dii nevfnfjt fein «gl. ©ranberait) [f. n.J II, ®. 517,
9(nm. 1); S. SSeuiUot, ßome pendant le concile, 33ari§ 1872, 2 vols.
(Sine weitere loictjtige Quelle fiub bie von fr frrtebrid), ber als Sfceofoge beS ffnrbinalS
A^obralofje nacli 9lom ging, nom 5. Se^embet' 1869 bis jum 21. frtü 1870 tögltdi über ba§
gonjil gemachten Slitfjeicliniingen: Sagebud). SBäfjrenb beä SSatifanifdjen ffonsüä geführt, 5
9cürblingen 1871, 2. oermefyrte Auflage 1873 (488 ©.). Surtf) bie uafjen Sejiefyungen ber
Sßerfaffer ;,u ben Vorgängen in 9iom finb oon SSebeutung : Sorb Dicton, $ur ©efd)id)te be§-33atica=
nifdjen lioncileS, 2Hündjen 1871 (114 ©.), ü6er ben 9lutor ogl. LordActon and his circle edited
bv Abbot Gasquet, Sonbon 1906, ©. 358 ff. Letters of Lord Acton to 'Mary, daughter of
W E. Gladstone ed. by Herbert Paul, Sonbon 1904; fr gefeter (33ifd)of oon ©t. gölten unb 10
Sehctär beS ffonjüö), Sa§ oaticanifdje Soncüium, beffen ciufjere SSebeutung unb innerer Verlauf,
Sien 1S71 (112 ©.); ff. SKorlin (33ifd)of 0. 33aberborn), bie 9trbeiten be§ SSatifantfcfjen Eoncit«,
33aberbom 1873 (266©.); ffarbinnl SJcanning, The true Story of the Vatican Council,
Sonbon 1877, beutfdi oon 33. 33enber. Sie roafjre @efd]id)te be§ Oatiianifdien ffonjil§, ©erlin
1877 (166®.); Emile Ollivier, L'eglise et l'e"tat au concil du Vatican, $uri§ 1879, 2 vols; 15
fr o- Süfliuger, ©riefe unb ©rrlärungen über bie SSatifanifdjen Sefrete 1879—1887, IjrSg.
oon fr ©• fjkufd), 9)cünd)en 1890.
9(ud) bie SSiograpfnen einzelner äJJitglieber beS ÄonjinS bieten einiges 9Jcaterial, 5. 33.
fr Sagrange, Vie de Mgr. Dupanloup, eveque d'Orlöans, 33ari3 1883 1884, 3 vols. ;
91. 33aumgartner, Erinnerungen an Dr. ff.fr ©rcttfj, frreiburg i. 33r. 1884; ff. «Uleinbl, Sebeu 20
unb Wirten be3 33ifd)of3 fr fr 9Jubigier, 11.33b. Sinjl892; frv. ».Der, frürftbtfdjof $ioerger,
©vaj 1897; fr ©uülermin, Vie de Darboy, 1889; SBolfgruber, ffarbinal 9vaufd)er, frreiburq
1888; fr3obl, 33 incen^ ©affer, frürffbifdjof 0. 33rij:en, S3rijen 1883. — gür bie Slufnatjme unb
Surd)füf)rutig ber 33efd)(ü||e: fr Tl. 3teinfen3, frofepf, £ubert 9teinfen§, ©otfja 1906; H\-
innerungen an ?imalie non Safaulj, ©ottja 1878; fr 45- SReinfenS, 9lmalie 0. Safaulj, 33onn 25
1878; frr. ffaufmann, Seop. ffaufmann, fföln 1903, ®."l53ff.; fr frriebrid), Sgnaj 0. Söflinger,
3.33b, Wunden 1901; S. ff. ©oet^, frr. §. fjreufd), ©otfja 1901; (£. ©§. 33urcett, Life of Car-
dinal Manning, archbishop of Westminster, vol. II, Sonbon 1896; D. 33fülf, 33ifd)of oon
Setteler (1811—1877), 3.33b, SOcainj 1899. — 9tu3 ber 9JiemoirenIitteratur fei fjeroorgefjoben :
Senfioürbigfeiten be§ frürften ßfotobimg 511 ©o^en(oC)e=@d)iHingsfürft, 2 33be, Stuttgart 1906. 30
Sgl. ferner bie Shteratnr bei ben ?lrti!eln 9Utfatljoltst3muS, SötUnger, 33iu§ IX.
Sie größte jufammenfaffenbe frittfctje Sarffeffuttg be§ ffonjilä bietet: fr frriebrid), ®e=
fd)id)te beS 33atifantfd)en ffon^ilS I, 33onn 1877 (840®.), II, 1883 (458©.), III, 1887
(1258 ©.). Sfj. ©ranberatf), S. J., ©efcfjidjte be§ 33atifanifd)en ffonjilS üon feiner erften
?(nfiinbigung bis ju feiner Vertagung, ^r§g. non ff. ffird), S. J., I, gretburg i. 33r. 1903 35
(533 ©.), II, 1903 (758 ©.), III, 1906 (748 S.) fjat jum erften SJcaie bie uoüftänbigen
Sonjilöaften benü|en fönnen unb ift baburcfj in ber Sage, in mandjen ©injelfieiten tfjat=
fad)lid)e 33erid)tigungen ber 3-riebrid)fd)en Sarftedungen ju liefern. Sie ©efamttjaltung
beS 2BerfeS aber ift burcb, ben iefuitifd)=furialen ©tanbpuntt be-3 35erfafferS nadjteiüg bt-
einflufet. 40
frür bie gefd)id)tlid)en SSovanSfe^ungen be§ ffonstlS unb bie 33eurtei(ung feiner 33efd)(üffe
ift (jeranju^ieijen: %% grommann, ©efdjidite unb ffrttif be§ 3Saticanifcf)en Konctl§ non 1869
unb 1870, ©otfia 1872(529©.); ff. ©eil, Sic ©ntuncffung ber fatfj. ffirdje im 19. frdirfntnbert,
Seipjig 1898(112 @.); gr. 9cippo(b, |mnbbud) ber neneften ffirdiengefd)id)te 33b 2, ©16er--
felb 1893 ; 3. 9Jc. 91. SSacant, Etudes thöologiques sur les constitutions du concile du Va- 45
tican, «}5arig 1895, 2 vols. ; $of)le, 9lrt. „llnfeljlbarfeit", 3Beger unb SBelte'S ffird]entejifon,
2.9lufl., greiburg i. 33r. 1901, ®p. 240—268; gr.3E.gunf, ffatfjolifdjeS Sfniftentunt unb
fiirdje in ber 9Jeiueit, in: ffultur ber ©egenloart I, 4, 33er(in u. Seip^ig 1906, ©.244 f.;
frSoofS, gtjmboiit I, Stt6ingen 1902; %x. ^tieljen, The history of the papacy in the XIX th
Century translated by A. J.'Mason vol. II, Sonbon 1906, ©. 290—374; £>. 33rüd, ©efd)id)te 50
ber fattj. Slirdje im neunzehnten fraf)rl)unbert 4. 33b, 2. 9luf(- non 3. 33. ffifsüng, fünfter i. 33.
1907, ®. 1—66.
9(uf3erbem bie 33e^anblung be§ ffonjilS im ff trd)enred)t : 9v. 0. ©djerer, ^anbbud^ beS
tird)enred)t§ I, ©raj 1886, §80, 5. 453 ff.; II, 1898, §100, ©.3 ff.; 33. Cinfd)iu3, ffird)en =
redit ber ffattjolifen unb 33roteftanten in Seutfcfjlanb, III, 33erlin 1883, ©.332. 451-473. 65
603, IV, 1888, ©.433.436; 9t. S. Siebter, Sefjrbud) beä fatbolifdien unb enangelifd)en
ttrdienred)t§, 8. 9tufl., bearb. u. Dt.Sooe unb 3B.ffab/(, Seipjig^l886, ©.202 ff. 381 ff. 488 ff.;
§r. kleiner, Ue&cr bie @ntmidetung beS fatfjolifdjeu ffird)enred]tg im 19. friEjrfjunbert (jRebe),
Tübingen 1902, ©. 16 f.
I. 9Sorgefd)id)te. 2)te erfte nad)it)etäbare ätufjerurtg ^apft ^ßtul IX. über feine 60
2l6fid)t, ein ö!umenifd)e€ Honjil ju berufen, ift am 6. 2)ejember 1864, jtüet STage »or
ber 3SeröffentIid)ung be§ ©t?llabu§, in einer ©il3ung ber Äarbinäle ber SfttuSfongregation
erfolgt. @r erteilte ir/nen ben Auftrag, ber balb auf aße in 9lom refibierenben Äarbinäle
auggebe^nt tourbe, über biefen ^ßlan fid) in fd)riftlid)en @utad)ten au^ufpreihen. 3ur
Prüfung biefer ©utad)ten, unter benett ba3 beö l^arbinalg 3ieifad) ben größten Umfang 65
fyatte, rourbe Slnfang 9Jtärj 1865 eine ^arbinalsfomimffion eingefetit. ®ie 9)ießrbeit bor
448 $ntiJanifcf)e§ Son^l
Karbinäle bejahte bie grage nacb, ber 9?otWenbigfett eines? Konzils, bie übrigen, toelcfyc
ftct) gegen bte (Einberufung erklärten, traten bieS aus tnnerfircr)licr;en tüte aus bolitifcfyen
©rünben, nur Karbinal Venttm dotierte, bafj für ein allgemeines Konzil fein 2lnIaJ3 bor=
liege (©ranberatf) I, ©. 34f.). %üx ben %aü ber (Einberufung beS Konzils Würben aucr)
s bereits bie Don ifym ju berfyanbelnben ©egenftänbe erörtert unb babei ga£>Iretc^e ficfy jum
Seil Wtberfbredjienbe Söünfcfye geäußert; SDiffenfuS fyerrfdjte j. V. barüber, ob bie 9^ot=
roenbtgfeit ber geitltdjen ^errfcfyaft beS VabfteS erflärt Werben fodte. gWei Karbinäle
fbracfyen ficb, für bie Definition ber bäbftlicfyen Unfebjbarfett aus, Karbinal Ugolint mit
ber bejeidjmenben Vemerhmg, bafj bann „in ^u!unft jeber %lot gefteuert werben fönne,
10 aucf> ob,ne bafs ein neues Konzil berufen §u Werben brause" (ebenb. ©. 44). Vom
gjiärg b. $. 1865 an mar bie (Einberufung beS Konzils befcfyloffene ©adje. 2tuf ben
Sftat beS KarbmalSfoHegtumS (ebenb. ©. 26) erging im Saufe beS 2lbril unb SJtai burcf)
ben ^räfeften ber Vrobaganba, Karbinal ßaterini (Coli. L. p. 1017 f.) an 36 Vifcfyöfe
berfcbjebener Nationen „sub arctissima secreti lege" bie 2tufforberung, bte ©egen=
15 ftänbe namfyaft ju machen, bie ifynen mit 9tücffidj>t auf bie guftänbe ifyrer SDtöcefen gur
Verfyanblung auf bem Konjil WünfcfyenStoert fcfytenen. $iuS IX. t)atte bie Stfte biefer
Vertrauensmänner felbft entworfen. Von beutfdjen Vifcfyöfen befanben ftcb, barauf bie
tarnen beS VtfcfyofS Söeifj bon ©befyer unb beS VtfcfyofS ©eneftreb, bon DfrgenSburg, ber
eS für angemeffen luelt, in feinem Slntmortfdjreiben bie SRüntfjener SEfyeoIogenfcfyuIe ju
20 benungteren. Unter ben befragten Vifcf;öfen t/at „eine gan^e SRetfye" bie ©eftnition ber
bäbftlicfyen Unfehlbarkeit „aucr;" embfofylen (©ranberatf) I, ©. 48). — £>te erfte öffent=
ltdpe SInfünbtgung beS geblauten KonjilS boll^og ber ^Jkbft am 26. ^unt 1867 in fetner
SHIofution an bie jur ßentennarfeier beS 2lboftelfürften in 9tom berfammelten Kircf;en=
fürften (Coli. L. p. 1029 ff.; ubi primum optata nobis opportunitas aderit, 1032 b)
25 unb machte in feiner Slnttoort auf bte ©lücfWunfcfyabreffe ber Vifcfyöfe (ib. p. 1033 ff.),
in ber biefe 2lnfünbtgung freubig begrübt Würbe, am 1. ^uli bie beftimmtere SDcittetlung,
bafj baS fünftige Konjtl, Wann eS« immer jufammentrete am fjfeft ber unbefleckten
(Empfängnis ber Jungfrau 5Raria (8. SDejember) Werbe eröffnet Werben (ib. p. 1042 f.).
Sie Vorbereitung beS Konzils lag in ber §anb einer aufjerorbentlicfyen Kongregation
30 beS KarbinalfollegtumS, in bie jener erfte SluSfcfyufs umgeWanbelt Würbe, als bie Ve=
rufung beS KonjtlS feftftanb. ©te füt)rte ben Xitel „SDie fbejielle birigierenbe &ongre=
gation für bte 3tngelegenb,etten beS jufünftigen allgemeinen KonjtlS", Würbe aber furj
„gentralfommiffton" genannt ; tfjr gehörten bte Karbtnäle Vatriji, ÜReifactj, ^ßanebianco,
Vijarro, ßaterini, fbäter aucb, Varnabo, Silto, ßaballi unb be Suca (©ranberat§ I, ©. 62 f.) an.
35 3#re elften Vorarbeiten fallen bereits in baS $ar)r 1865 unb galten ber ©eWinnung
ausgezeichneter Ideologen unb Kanoniften als facf)berftänbtger Verater (Äonfultoren) beS
KonjilS. 2luf ©runb ber bon ben Nuntien, unb bann aucb, bon berfcfyiebenen Vifc|öfen
eingeforberten Vorfcfyläge (Coli. L. p. 1024 ff.) erfolgten bte Berufungen unb babei Würbe
anfangs bie ultramontane Sftcfytung fo einfeitig beborjugt — beifbielSWeife Waren bie
40 Uniberfttäten 3Rünc§en, Vonn, Tübingen, greiburg, VreSlau boßftänbig übergangen, ba=
gegen auS Sföürgburg ^Wei Xb^eologen unb jWar beibe gelinge jjeg Collegium Germa-
nicum (§ergenrötb,er unb ^ettinger) berufen Worben — bafj bie getroffene 2luSWa§I
nacf) beren VefanntWerben fa)arfen 2Btberfbrucb, fanb. Mit nichtigen Söorten b,at fbäter
SlntoneUt bie 5Jitd)tberufung ®öEingerS ju rechtfertigen berfucb,t (©ranberatb, I, ©. 69 f.).
45 -Jceben ber ^entralfommiffion Würben folgenbe ilommtffionen gcbilbet: 1. eine bogmatifc^e,
2. fürbie^ircljenbtSjiblin, 3. für baS DrbenSWefen, 4. für bie orientaltfd)en Kirnen unb bie
aJctffumen, 5. für bie $ir<$ enbolitif ; tbre Qnftruftionen: Coli. L. p. 1102 ff. ©ie arbeiten
biefer einzelnen Kommiffionen unterlagen ber Prüfung ber gentralfommtffion, ^ie fc^on
babura) mit ifynen in engfter güfjlung ftanb, bafc ber Vorfir^ in btefen Kommiffionen
so ?[RitgIiebern ber ^eutralfommiffion übertragen Würbe. S^Sefamt waren 96 Konfultoren
in Sb,ätigfeit, bon benen 24 bem DrbenSfleruS angehörten, barunter 8 bem 3>efuüen=
orben. 3U ben genannten Kommtffionen trat bann fbäter nocb, b,inju als fecf;fte: bie
Kommiffton ber Zeremonien. — Sänge Unterfucfyungen bereitete bie grage, Wer ju bem
Konjil ju berufen fei (©ranberatfy I, ©. 83—132). Über baS SRec^t ber Karbinäle, aua;
55 berer, bie ntcr)t 33ifc§öfe Waren, unb ber S)töcefanbtfc§öfe beftanb fein Z^e'fet- dagegen
begannen bie Vebenfen bei ben Xttularbifcfyöfen, welche Wob,l im SBefi^ ber btfcfyöflicfjen 5ß5ei&e
finb, aber feine 9legierungSgeWalt ausüben ; eS Würbe ju ib,ren ©unften entfcb,ieben. Von
ben Slbten foHten nur bie berufen toerben, Welche unabhängig bon ben Vifcfyöfen bie
StegierungSgeWalt über ein Territorium ausüben (abbates nullius), unb bte, Welche an
60 ber ©bi£e einer aus mehreren Klöftern gebilbeten Kongregation fteben (©eneraläbte),
$attfatttfd|eS ßon-jil 449
ferner bie ©eneraloberen religiöfer Drben. 2)en ^ßrofuratoren ber an bem ©rfcfyeinen
auf bem ^onjil berfyinberten 33ifd^öfe Würbe in 2lbänberung ber früheren Übung ba3
JRed^t auf ©i£ unb ©timme in ber ©tmobe berfagt, aufy bie Ü'abitelSbifare Würben nicf>t
jugelafjen. Bon ber (Sinlabung ber fatfyolifcfyen dürften würbe Slbftanb genommen.
2lm 29. ^uni 1868 Würbe bie Sülle Aeterni patris (Coli. L. p. 1 ff.) publiziert, bie, bon 6
$iu3 IX. unb ben in 9iom anWefenben Äarbinälen unterzeichnet, auf ben 8. ©e^ember
1869 ba3 Äonjil narf) 9rom einberief. S)a e3 ein öfumenifcbeä fein follte, mürben auet;
bie Sifcfyöfe ber $ird)en beö orientalifcfyen 9Utu<§ eingelaben (baS Schreiben Arcano di-
vinae providentiae consilio bom 8. ©ebtember 1868 ib. p. 7 f.) unb in einer weiteren
Suffe (Jam vos omnes Dorn' 13. ©ebtember 1868, ib. p. 8 f.) aueb, alle Vroteftanten 10
unb bie anberen 2tfatl)oIifen aufgefordert, bei (Gelegenheit be£ Äonjilg fiel) ber fatfyo=
Iifdjen $ird)e Wieber anrufet/Heften (obsecramus, ut ad unicum Christi ovile redire
festinent).
2öa§ junä'cf/ft bie nid^t unierten Orientalen betrifft, fo erhielt ber römifef/e 2lbge=
fanbte 2lbbate Sefta jmar eine 2lubienj bei bem grtec^ifd^en Patriarchen bon &onftan= 15
tinobel, aber ba3 bäbftlicfye ©inlabunggfctyretben Würbe niebt angenommen. ®iefe 2tb=
leimung mar entfdjeibenb für bie bem Patriarchen untergebenen Sifc^öfe. ©er armenifef/e
^atriareb. bon Ibnftantinobel nal)m jWar au§ ber §anb SEeftag bie ©inlabung entgegen,
erflarte aber, bafj ber &atr/olifo6 bon ©tfcl/miabfin ^u entfeb, eiben l)abe, biefer War jeboct/
gegen bie Beteiligung an bem Uonjil. (Sbenfo behielten fieb, bie grtec^tfebert Patriarchen 20
in 2lleranbrien, 2lntiocbien unb ^erufalem, auef) bie Berbanblung mit bem fobtifer/en
Patriarchen in $airo r/atte lein bofttibe§ ©rgebni§, ebenfomenig bie mit bem Patriarchen
ber ^afobiten geführte unb bie llnterrebung mit bem neftorianifer/en Patriarchen. ©ie
Sinlabung Würbe alfo au§naf/m3lo<!> abgelehnt.
Bon broteftantifet/er ©eite fyat fie feine roefentlicr) anbere 2tufnabme gefunben. ©ie 25
mr/fteriöfen Briefe ber angeblichen bter ebangelifct/en ©eiftlidjen, bie „im tarnen bieler
@bangeltfcf/er ber ^robinj ©acf)fen" am 18. unb 28. 2tuguft 1869 bemBifcf/of SJtartinbon
^aberborn bieBitte au3fbracf/en (Coli. L. p. 1137 ff. 1142 ff.), jur Befeitigung ber ßtrcr)en=
fbaltung bei bem ^3abfte auf bie Slbfcr/affung be§ $ßrieftercölibat» unb ber $eld) entheb, ung
anzutragen, finb trot5 angeftellter Unterfuc^ungen niebt aufgellärt Worben unb t/aben 30
jebenfaffS leine braftifd/en 2tu§Wirfungen ausgeübt, ©a e<§ bem gefamten ^ßroteftantfe
mul an einer Vertretung fehlte, ja fogar bem VroteftantiSmuS ©eutfct)lanb3, muftte e3
ben einzelnen Sanbeeiftrcfjen überlaffen bleiben, bie ©inlabung ju ignorieren ober ju be=
antworten, ©er ©bangeltfd/e Dberfircb/enrat in Berlin Wie<§ bie gumutung, jjen ebange=
lifef/en ©lauben ju berlaffen, in einem energifet/en ^ßroteft bom 9. Oftober 1868 jurüd; 35
unb forberte zugleicfj ^uftoHeften für ben ©uftab 2IboIf=Serein auf (Coli. L. p. 1123 ff.).
Slucb. ber XV beutfcb^ebangelifcfye $ircf)entag gab eine ©rflärung ab; bie ©eneralffynobe
ber batjerifcb.en broteftantifef/en £anbe^lircb,e nab,m nur au§ formellen Bebenlen babon
älbftanb.
^nnerf)alb ber anglifanifcb,en ^ircb,e ^at bie bäbftlict/e ©inlabung freilieb, einigen 40
3ßiberf)alt gefunben, aber ber Söiberfbrud; überwog boct) aueb, biw unb ber 2öunfd) be§
Dr. ßumming, eine§ fdjottifcb^en $re^br;terianer§, ju bem ^onjil gelaben ju Werben, ift
nur erwähnenswert wegen ber babureb, angeregten Berfyanblungen (Coli. L. p. 1144 ff.). —
£ie Hoffnung ber Hurie, ben fcbiämatifcben Orient unb bie Söelt ber proteftanttfeben ite^erei
ju einer 2lneri'ennung ber bon ibr geplanten Beranftaltung ju beranlaffen, War mithin 45
gevettert, faQS fie übertäubt beftanben bat. ®a ein anberer 21u3gang laum ju er=
toarten War, liegt bie Vermutung nabe, bafe bie ©inlabungen an bie aufjerfyalb ber
römifcb=!atboltfcben Strebe lebenben ßb^iften lebiglicf) auf ©runb unb ^ur llnterftü^ung
ber giltion ergangen finb, ba^ alle ©etauften ber römifcb,en £trcf)e angehören.
©ie 3lufnabme, bie ba§ beborftef)enbe Äon^il in ben Greifen ber römifdj=fatbolif<$en so
Äircbe fanb, War ntdbt überall gleich unb unterlag großen ©cb^Wanfungen. Über bie
bon ibm ju löfenben Slufgaben War au§ bem 2lu§fcbreiben freiließ Wenig %u entnehmen,
benn bie allgemein gehaltenen iRebeWenbungen über bie Rettung ber ^irc^e bon ben
ibr brofyenben (Gefahren u. f. W. umfbannten baö gefamte ©ebiet ber ^ntereffen beö
Gfiriftentumg. 5Der (grfolg £)at aber biefe Unbeftimmtb,eit be§ Programms legitimiert, 55
benn baburet; Würbe ber äurie boöe 2lttiongfrei§eit gewahrt. ®a feit 300 ^al)xm fein
öfumemfcfyeiS Äon^il getagt batte, War ber $ßlan ferner bon bem -JümbuS beö 2lufeer=
getoör;nlicl)en umgeben unb ber Jtefbeft bor bem Urteil beS Ober§aubte# ber föirdje, ber
eö al§ Heilmittel für alle 9^bte ber fttit anbriet, fonnte fiel) mit ben Hoffnungen auf
rounberbare Sßirfungen einer bon bem bJL ©eift erleuchteten Verfammlung ber Btjcf)bfc 60
KeaI=(Snc^flDpäMe für Ideologie unb ffiir<6e. 8. H. xx. 29
450 BatifemifdjcS ^ottstt
aller Sauber ber @rbe bereinigen. SDtefe Umftänbe fieberten bem Äonjileprojeft $unäd;ft
eine freunblid;e Beurteilung unb regten ju allerfyanb Dbationen an. ätber eine
fräftige, halb mächtig anfd;WelIenbe ©egenbeWegung fetjtc unter ben liberalen ^atfyolifen
fofort ein, fobalb fid) bie 9iebel ju jerftreuen begannen, bie über bie bei ber Berufung
5 beS ®on£ilS mafjgebenben 9JJotibe anfangt ausgebreitet Waren. 2tufflärenb b,at bor allem
ein berühmt geworbener Slrtüel in ber bon Qefuiten geleiteten geitfdjrift „Civiltä Cattolica"
geWirft (Coli. L. p. 1157 ff.), ber in ber gorm einer bom 6. gebruar 1869 batierten
jlorrefbonbeng aus granfreid) eS als bie 2lnfid;t bieler ®atr)o!ifen in granfreid) lunftellte,
bafe baS ^onjil nur feb/r furj bauern Werbe, ba feine 9)ler;rl)eit einig fei. 2IIS ©egen=
lo ftänbe ber Berbanblungen Waren genannt : ®ie Definition beS ©fyllabuS, bie Berfünbigung
ber Unfehlbarkeit ber '^ßabfteS, bie Dogmatifierung ber Sef;re bon ber leiblichen £>immel=
far)rt ber Maria. Über biefen 2Irtifel, beffen Borgefd;id;te audj einen intereffanten @in=
blid in bie Bedienungen ber ^urie unb ber Nuntien jur treffe gewährt bgl. grtebrid),
©efef,. b. Bat. ÄonjilS II, ©. 7 ff.; ©ranberatb; I, ©. 183 ff.
15 Der ©inbrud btefeS 2IrtifelS Würbe baburd) nod; gefteigert, bafj @rjbifd}of Ded;ambS
bon SRedjeln für feine Brofd)üre L'infaillibilite et le concile general, in ber er ib/re
Definition berlangte, burd; ein bäbftlid;eS Brebe bom 26. ^unt 1869 (Coli. L. p. 1261 f.)
Warm belobt rourbe. fortan War eS nid)t mefyr nötig, nad; fonfreten Aufgaben für baß
^onjil Umfd;au ju galten, benn mel)r unb meb,r fe^te fid; in Weiten Greifen bie Über=
20 jeugung burd;, baft an leitenber ©teile bie 2lbftd)t beftanb, bie bätoftlicfye Unfefjlbarfeit
jiroflamierett %a laffen. Die Befd;toid;tigungSberfud;e blatten feinen ©rfolg ; eS erljob fid;
bielmef)r gegen bie Dogmatifierung biefer bon ultramontaner ©eite längft bertretenen fiebere
eine Dpbofition, beren Umfang unb (Energie fd;WerIicf) borauSgefefyen roorben War. Daß bie
fatt)olifd)e 6f)riftenr)eit fid) nad; biefem Dogma gefeint fjat, ift eine Behauptung, bie mit
25 offenfunbigen ^atfadjen in SSiberfbrud; ftefyt unb aud) burd) ben §inWeiS barauf, bafj
bie boßjogene Definition fid; fbäter burcfygefetjt l)at, nid)t an 2öar/rl)eit gewinnt. (Sine
gewaltige (Erregung fyat bamalS baS fatfyolifdje ©uroba burd)bebt unb für Monate rüdte
bie religiöfe $rage in ben Mittelbunft beS öffentlichen $ntereffeS.
^n Deutfd;Icmb begann bie Bewegung burd; bie DöHingerfcfyen 2lrtifel „DaS ßon=
30 eiltum unb bie ßibtliä" (in ber allgemeinen ßeitung bDm 10- bi3 15. StRärj 1869), bie
„gleid; einem mächtigen BIi|ftraf)I nieberfufiren unb überall jünbeten" (griebrid; II, ©.21).
@§ bilbeten fid; Bereine jur Slbroeb^r ultramontaner Beftrebungen. %n ^oblenj traten
rl)einifd;e Saien jufammen unb richteten an ben Bifdjiof bon Syrier eine Slbreffe (Coll.L.
p. 1175 ff.), in ber gegen bie in jenem 2lrti!el ber Sibiltä bertretenen 2lnfd;auungen
35 ©tellung genommen unb bie gorberung erhoben rourbe, ba^ ba<8 beborftebenbe Äonjil
barüber feinen groeifel laffe, ba^ bie 5!ird;e mit bem 3öunfd;e gebrochen fyatie, bie tf)eo=
fratifd;en ©taatsformen be§ Mittelalters roieberb^erjuftellen, ba^ bie (irgter)ung beS ÄleruS
fid; nid;t gegen bie allgemeine Bilbung ablefmenb bereite, bafj eine allgemeinere organifd;
geregelte Beteiligung ber Saien am dt)rtftltd>=fogtaIen Seben ber ^farrgemeinbc l>erbei=
40 geführt unb enblid;, ba^ ber Index librorum prohibitorum aufgehoben ioerbe. 2lud;
fatb^olifd;e SRitglieber beS .3°ßpar,fan,cntg/ 3- 23- ^Peter 9leid;enfberger, Söinbtb^orft unb
^örg, entwarfen eine Äunbgebung (Coli. L. p. 1185 ff.), bie fid; u.a. gegen baS Be=
bürfniS einer ©ntfcfjeibung ber ftrittigen $ragc ber bäbftlid;en Unfeljlbarfeit erllärte, t)aben
fid; bann aber barauf befd;ränft, fie ben beutfdjen Bifdjöfen borplegen. 2lnbererfeitS
45 nab^m bie ©eneralberfammlung ber fatfjolifdien Bereine ®eutfd)lanbS am 8. ©ebtember
in ©üffelborf eine Dtefolution (Coli. L. p. 1197 f.) an, in ber bem Hongil baS bolle
Bertrauen unb pgleid; bie Erwartung auSgefbrod;en Würbe, bajj bie dürften fid; aller
bie greib^eit feiner Beratungen unb Befd;Iufjfaffungen beeinträd)tigenben ©d;ritte enthalten
Würben.
60 3H§ ber beutfd;e @biffobat am 1. ©ebtember 1869 in gulba ju Beratungen jufammen=
trat (Coll.L. p. 1187ff.) Würbe bon if)m ein gemeinfamer Hirtenbrief (p. 1191ff.) erlaffen, ber
berub^igenb Wirfen foEte : baS %njil f önne feine neue fiebere berfünbigen, bie nid;t in ber
1)1. ©d;rift unb ber aboftolifd;en Überlieferung enthalten fei, unb ber Berbad;t, bafj auf i^)m
bie greib^eit ber Beratung beeinträchtigt fein fönne, fei ebenfo unbegrünbet Wie bie Ünter=
65 fteHung, bafe ber Babft baS SBerf jeug einer Battei fei, für il)n beleibigenb. Slber neben biefem
für bie breite Dffentlicfjfeit beftimmten ©c£;reiben Würbe nod; ein anbereS an ben ^3abft
gerichtetes befd;loffen (Coli. L. p. 1196 f.), baS auf einen anberen SLon geftimmt War.
©ie ftunbe babon, ba^ für baS beborftebenbe Äon^il bon mannen ©eiten eine Borlage
über bie Unfeljlbarfeit beS BabfteS geWünfd;t Werbe, b^abe grofee Aufregung unter ^b^eo^
eo logen unb Saien Ijerborgerufen unb jWar unter Scannern bon bewährter Streue gegen bie
$attfantfdjc8 ßonjtl 451
ßird;c. Aud; bie Verfaffcr teilten biejc 93efürd)tungen : fateamur necesse est, nos
ipsos, in quantum res ad Germaniam spectat, praesens tempus minus oppor-
tunum existimare ad definiendam summi pontificis infallibilitatem. 2)iefe« bon
14 33ifd;bfen unterzeichnete ©cfyriftftüd — bie 23ifd)öfe bon Söürjburg, @id;ftätt, Vaber*
born, ber Vertreter be« 35tfd;of« bon ©beier unb ber aboftolifcfyer Vifor bon Sujemburg 5
fcfyloffen fid; au« — fanb bei Viu« IX. eine fefyr ungünftige Aufnahme.
©in heftiger Äambf entbrannte aud; in gtanfreid;, ber §eimat be« mobernen Ultra*
montani«mu«. 2)a« 2öerf be« 33ifd;of« SRaret, ®efan« ber tl)eologifd;en $afultät bon
$ari« gegen bie Unfehlbarkeit (Du Concile general et de la paix religieuse, 2 23be,
$ari« 1869, beutfet) Regen«burg) unb bie in gleichem ©eift gehaltenen Schreiben be« 10
23ifd;of« Subanloub bon Orleans fanben jal;lreid;e (SrWtberungen nid;t nur au« ber
93iitte be« franzöftfcfyen Äleru«, fonbern aud? bon (Srjbifd^of SRanning bon Sßeftminfter
unb @rjbifd)of ©edjamb« bon 9Kecb,eln. $n ^ R£rt>e *>er ©egner [teilte fid; aud; ©raf
ÜJJontalambert, ber bie Sloblenjer Abreffe al« einen 2id;tftraI;I, ber bie gegenwärtige
■Jinftemi« burdjbrodicn l;abe, unb al« ein männliche« unb d;riftlid;e« 2öort inmitten 15
betaubenber ©eflamaiionen unb ©d;ineid;eleien (Coli. L. p. 1181) begrüßte. Sn Öfter*
reid;*Ungam fjerrfdjte im Vergleid; ju SDeutfcfylanb eine für ben ^uftanb beä borttgen
<»Ueru« bejeidmenbe 'Seilnafymlofigfeit (griebrid; II, ©. 91). 3n Statten bemühte fid;
©raf Ricctarbi barum, bem batifanifd;en Konzil ein öfumenifcfye« Konzil ber greibenler
gegenüberstellen (Coli. L. p. 1254 ff.); e« fyat aud; im ^Dezember 1869 inReabel getagt, 20
war aber nur eine fcfyWadjie SDemonftration. ©dwn bor bem gufammentritt be« Konzil«
war bemnad; bie Wicfytigfte ber fbäter feiner Sßefdjlufefaffung unterbreiteten angelegen*
fetten ©egenftanb tiefgreifenber Kämtofe unb bie 3lu§fid)ten auf eine glatte Annahme
bei brojeftierten SDogma« berminberten fid; bon 9Jconat ju 9Ronat.
©a« beborftefyenbe Konzil fyat aud; bie eurobäifcfyen ©taat«regierungen befdjäftigt. 25
£er bai;erifd;e 9Jtinifterbräftbent $ürft Sfylobtoig zu §o^enlobe*©d;ilttng§fürft richtete am
9. Abril 1869 eine bon Döllinger berfafcte (§ob,enlob,e, ®en!mürbigfeiten I, ©. 351)
ßirfularbebefcfye an bie bito!omatifd;en Vertreter 3ki;ern« (Coli. L. p. 1199 ff.), fid; über
bie Abfielen ber Regierungen, bei benen fie affrebitiert Waren, in Sejug auf ba« Konzil
Zu informieren unb iljmen bie grage borjulegen, ob e« nicfyt zWedmäfjig Wäre, im borau« 30
gemeinfame ober ibentifdje 9JZafcregeln ju ergreifen, um ben i/l. ©tub,l über bie bon ib,nen
gegenüber bem bfumenifeben Konzil beabficfytigte Haltung aufzuklären, für ben %aü iE?rer 33e=
jatnmg würbe bie Veranftaltung bon Konferenzen ber intereffierten 3Jcäd;te borgefd;lagen.
Segrünbet würbe biefe Anregung bamit, baft baö Konjil borau^fid;tIid; feine Slrbeit ntd;t
auf ba§ t^eologifc^e ©ebiet befd;ränlen Würbe, benn bie einige bogmatifd;e 5£b,efe, für beren 30
2lnnab,me fid; Rom intereffiere unb bie ben ©egenftanb ber Agitation be<§ S^uitenorben€
in Italien unb ®eutfd)Ianb bilbe, fei bie grage ber Unfeb,lbarfeit be§ ^abfteg. £>ie
@rb,ebung biefel 2tnfbrud;§ (pretention) jum ©lauben§fa| Würbe aber über bie ©b^äre
ber rein geiftlid;en Angelegenheiten b,inau§greifen unb eine ©ntfebeibung bon eminenter bott*
tifd;er Sebeutung fein, ba fie bie ©ewalt be3 $abfte§ felbft in jeitlid;en Singen über alle 40
dürften unb SSölfer ber S^riftenb,eit auöbe^ne. ®er ©rnft ber ©ituation Werbe baburd;
nod; gefteigert, bafe fid; unter ben bie Arbeit be§ HonjiI§ borbereitenben Kommiffionen
eine befinbe, bie fid; allein mit ben Materien befd)äftige, bie ebenfofeb,r ba§ öffentliche
9ied;t unb bie «ßoltttl betreffen Wie ba§ !anonifd;e Red;t. ®iefe Vorbereitungen bered;*
tigten ju ber Annahme, ba^ ber 1)1. ©tufyl ober Wenigftenö eine augenblidlid; in Rom 45
mächtige gartet beabfid;tige, burd; bal Konjil eine Reifye bon betreten über fragen
promulgieren ju laffen, bie meb,r bolitifdjer aU fird;lid;er Ratur finb. ®ie Rote berWie«
fcf)ttefelid; auf jenen Artifel ber offijiöfen Civiltä Cattolica. — £>ie Anregung ^o^enlofjeä
fanb wenig SBiberfyall ; bie Antworten lauteten teil« ablefmenb teil« au«Wetd;enb. (Ueber bie
bon Sößinger baju gemalten „Semerfungen" bgl. §ob, enlob, e« ©ent'roürbigfeiten I, ©. 359 f.). so
§ob,enlob,e felbft fiat ben Verfolg Wcfentlid; auf bie Haltung ber öfterreid;ifd;en Regie*
rung jurüdgefül)rt, bie in bem ©djreiben be« ©rafen SBeuft an ben öfterreid;ifd;en ©e=
fanbten in sIRünd;en bom 15. 9Rai 1869 (Coli. L. p. 1211 ff.) feine 3Sorfd;Iäge jurüd*
Wie«, Weil fie jur ^eit ba« Vorfyanbenfein einer ©efab,r leugnete unb bon bem ©d;ein
einer S3efd)rän!ung ber grei^eit ber Iatl)olifd;en £ircb,c eine Vermehrung ber ©bannung 65
ber ©emüter befürchtete. @r replizierte in einem Artifel ber Aug«burger Abenbjeitung
(2!en!würbigleiten I, ©. 363 ff.). $reufjen ^ielt tfoav Vräbentibma^regeln für nid;t ange*
bracht unb erflärte, gegenüber etwaigen in ba« ftaatlid;e ©ebiet übergreifenben Sefd)Iüffen
bie Red;te be« ©taate« Wahren ju Wollen (®ebefd)e 33i«mard« an ben breufeifcfyen ©e=
fanbten in Sern, ©eneral bon Roeber, bom 23. Wäxi 1869, Coli. L. p. 1202 f. unb feine eo
29*
452 Batitamfd)e§ kon^il
2IntWort auf bm Borfdjfag be§ ©efanbten bon 2Imim in 3Rom bom 26. Sftai b. 3-/
bafj ju ben Beratungen be3 Konjilio ein beutfdjer Botfdjafter abgeorbnet Werbe, ib.
p. 1206ff. bgl. 1203ff.), aber bie batyerifcfyen Borfcbjäge finb für ©eutfcbjanb bodj nicfyt ganj
bebeutung§Io§ geblieben, ©ie berfönlictjen Berfyanblungen aWifcfyen BiSmarcf unb §ob,en=
5 lob, e 9Jcitte $uni 1869 (©enfwürbigfeiten I, ©. 374ff.) fyaben ^u „Befbrecfmngen ber beutfcfyen
Regierungen untereinanber" geführt, bon benen Bi^mard am 11. SCuguft an §ot;enIoI)e
fd)reiben fonnte (Coli. L. p. 1208), bajj fie „in ÜRom im ©inne ber 3Sorfid;t unb be3
griebeng nid)t olme Söirfung geblieben finb" 9?äb,ere§ ift nicfjt befannt geworben.
granfreicfy ftanb ate bie Wafyt, bon ber ber gortbeftanb be§ $ircb,enftaate§ abging,
10 ber Kurie anberS gegenüber al§ alle anberen ©taaien @uroba§. Unter bem ©influfj feiner
2tßianäberf)anblungen mit Öfterreicb, unb 3ta^en (griebrid; II, ©. 339 ff.) War feine
«Stellung unfidjer, aber e§ entfdneb ficb, für bie gortbauer ber Dffubation unb erllärte
fta) fogar in ber Qnftruftion an ben frangoftfcr)en ©efanbten Bannebille in 9iom bom
19. ©ebtember 1869 (Coli. L. p. 1233 ff., bie girtularbebefcfje bom 8. ©ebtember Coli. L.
15 p. 1231 ff.) für bie beborfter/enbe ^Definition ber Sefyre be§ ex cathedra fbrecfyenben
Babfte<o, nurbaf? e€ für tfjre Raffung bie äufjerfte Klugheit embfafyl (griebricf) II, ©. 345 ff.).
2Iuct) ob/ne biefeä Borbilb g-ranfreicb/S Wäre bon Belgien, ©banien,Bortugal fein SBtberftanb
gegen bie Kurialbolitif ju erwarten geWefen (if)re älntWorten finben ficf; : Coli. L. p. 1239.
1245 ff. 1248). ©te Regierungen berichteten alfo barauf, auf ben rbmifcfyen §of in ber
20 bon §ob, enlob, e empfohlenen Stiftung einjuWirfen unb t/aben mit 2lu§nab,me bon 9iuf$lanb,
ba§ feinen Prälaten berbot, nad) Rom ju reifen (Coli. L. p. 1253 f.), bem Befucb, be§
KonjilS leine §inberniffe in ben 2Beg gelegt. ©en breufjtfcfyen Bifdjöfen aber lieft ber
KultuSminifter b. SRüf/ler ein am 8. Dftober 1869 an @rjbifcf)of 2ReIct)etg bon Köln gerichtetem
©djreiben (ib. p. 1208 f.) mitteilen, in bem au$>gefbroct;en war, baf? bie ©iaatdregierung
25 bas> Vertrauen fyege, ba| fie aucb, aufjertwlb bes> £eimatlanbes> ber SRecfyte unb ^flictjten
fict; betou^t bleiben Würben, Weld)e iljmen al§ Bürgern be3 ißeicfye«» unb Untertanen
©r. 9Jcajeftät be3 Honigs julämen.
IL ©ie Berfyanblungen be§ Konzils. 1. Bon ber Eröffnung bi§ ^ur
Einbringung ber Borlage über bie Unfeb/Ibarf ett am 6. 9Jcär& 1870.
30 Über bie Slufgaben be§ Konzils I)atte bie Kurie gefctjWiegen. ©aft bon tt)r bie Bromul=
gation ber ^mfatlibilität bon lange ber borbereitet Werben War unb bie Erreichung biefeS
giele§ ber §aubtgWe<f be3 gangen Konjil§ geWefen ift, bat griebrid) in feiner ©efcfyicfyte be§
Kon^ilio nacfygeWiefcn. ©a3 ift gegenwärtig befonber3 nacbbrücfltc^ ju betonen, ba ©ranbe=
ratb^ in feinem ©egenWerf mit großer ©ictjerfjeit baö ©egenteil beraubtet unb baö richtige
35 BerftänbniS be§ Berlaufe§ ber ©bnobe babon abfängt, ba^ er al£ ba§ Ergebnis ber ©efcl)icj)te
be§ UItramontani§mu§ (3efuiti§mue) im 19. ^af)rf)unbert aufgefaßt Wirb. Bom Beginn
be§ $onjil3 an ftanb bie Qnfattibilitätöfrage im 3)tittelbun!t be^ Qntereffeg unb Wirlte
grubbenbilbenb. ®a^ bie SJcajorität fie ju bejahen entfcb,Ioffen War, unterlag feinem
ßtoeifel, ungewiß aber War, ob ber SBiberfbrud) ficb, fyerborWagen unb Welchen Umfang
40 er annehmen würbe. (Sr War ftärfer, a!3 man erwartet fjatte unb b,at berb,inbert, ba^ bie
©tmobe ben bon jenem 6ibiltä=2lrtifel tbr borge^eid)neten raffen Bcrlauf naf)m.
2tm 2. ©ejember 1869 Würben bie bereits in Rom eingetroffenett Prälaten ju einer
^3räj^nobalberfammlung in bie ©irUnifcfye Itabelle berfammelt, s$iu§ IX. f/ielt eine 2ln=
fbrad)e, bie tarnen ber ÄonäilSbeamten Würben berfünbigt unb biefe felbft bereibigt,
45 barauf gelangte bie ©efdjäftäorbnung „Multiplices inter", bom 27. Robember 1869
battert (Coli. L. p. 17 ff.), jur Berteilung. ßu Bräfibenten Würben bie Harbinäle bon 3teifacb,,
be Suca, Bi^arri, Bilio, ßabalti ernannt, ju ituftoben bie gürften ^ob,ann ßolonna
unb SDominicu§ Drfini, au^erbem jWei B^0™0*0*611/ ^n ©efretär (Bifcb,of ^efeler bon
©t. Bblten), ein ©ubfefretär unb ©et) ilfen, Notare, it ^eremonienmeifter, StnWeifer ber
60 Blä^e, ©timmenfammler, ©tenograbfjen, ©olmetfdjer, Slrgte (Ordo agendorum officia-
libus concilii Vaticani: Coli. L. p. 1069 ff.).
©ureb, bie ©efd) äftäorbnung, bie er bon fid; au§ ob,ne jebe SRitWtrfung be§
ÄonjilS erliefe, ^at tyxtä IX. fiel) bon bomr/erein einen beftimmenben ©influf? auf bie
©^nobe gefiebert, ©ie Wicb,tigften Beftimmungen Waren folgenbe. 3n § 2 „De iure et
55 modo proponendi" nab,m ber Babft eS afe fein attgfcr)Ite^Itcbe§ 5Red)t in Slnfbrud;, bie
©egenftänbe ber Berljanblungen be§ J?on^il§ ju beftimmen. ®ie ©t;nobalen bürfen allerbingö
Anträge [teilen, aber mit ber Befdn-änfung, bafj fie 1. einer bom Babft ju biefem fttozä
ernannten Kongregation bon Karbinälen unb Bätern ber ©imobe „bribatim" in fa)rift=
licfjer gorm eingereicht Werben; 2. bafe fie ba§ 2Bob,l ber gangen 6f/riftenb,eit be=
60 treffen, niebt etwa nur ba§ einer einzelnen ©iöcefe; 3. bafe iljre ^cütjlicfjfeit unb
BatifamfcfjcS Shm-jil 453
ßtoedmä^igfeit begrünbct mirb; 4. bafj fie nid)t§ gegen bic £el)rc ber $ird;e ent=
galten. Die Prüfung ber Slnträge botljaebt bie Kongregation, bie ©ntfdjeibung, ob fie
bem Konzil borgelegt merben, trifft ber Sßa^ft. § 3 legte ben SRitgliebern beä KongilS
bie 35etbfltd^tung jum ©tiHftfjmeigcn über alle Berbanblungen auf. Die §§ 7 unb 8
fyanbelten Don ben Berfammlungen ber ©tmobalen, ben ©eneralfongregationen unb ben 5
öffentlichen ©it$ungen. ^n ben ©eneralfongregationen, beren Seiter bom ^abft ernannt
mürben, füllten bie ber ©bnobe borgelegten (Sntmürfe bon Defreten burcfyberaien merben,
aud; foHtc über fie eine atterbing3 nur brobiforifcfye Slbftimmung ftattfinben. ^n ben öffent=
liefen ©jungen fanben feine Beratungen mefyr ftatt, fonbern nur bie befintiben 3X6=
ftimmungen, beren @rgebni3 bureb, ben anmefenben Babft fonftatiert unb al<§ feine Gnt= 10
Reibung „sacro approbante concilio" berfünbtgt merben fotlte. Die Stbftimmungen
foEten mit ben Sßorten „Placet" ober „Non placet" erfolgen. Der ©djroerbunft ber
fonjiliaren arbeiten rubte alfo in ben ©eneralfongregationen. Die bjer jur Berf)anblung
gelangenben Vorlagen füllten einige £age jubor ben ©tynobalen überliefen merben unb
mer bon ifynen barüber $u reben berlangte, fottte bte§ fbäteftenä am Sage jubor bei bem 15
^ßräfibenten anzeigen, gür ben gaK, bafe in ber Debatte feine ©inigung erhielt mürbe
— bon ber KonsilSleitung mürbe bieg offenbar als ein 9Iu§nal)mefatt betrachtet — follte
ber beanftanbete (Sntitmrf famt ben gegen ifm erhobenen (Sinmenbungen an befonbere
ftänbigc Kommifftonen (1. de rebus ad fidem pertinentibus ; 2. de rebus dis-
ciplinae ecclesiasticae; 3. de rebus ordinum regularium ; 4. de rebus ritus 20
orientalis) bermiefen merben. Diefe bier Kommtffionen (congregationes speciales seu
deputationes) füllten bon bem Konzil burd) fdmftlidje 2lbftimmung gen>äl)lt werben;
jebe fottte au3 bierunbjtoanjig Berfonen befteljen unb unter bom Babft ernannten
Borfiijenben tagen. § 9 berbot ben Bätern, ba§ Konzil bor beffen Beendigung ob,ne
©rlaubniS ^u berlaffen. 25
2lbo KonjilSauIa, unb jmar fomobjl für bie ©eneralfongregationen mie für bie öffentlichen
2i|ungen, mürbe ber rechte KreuäeSarm ber ^eter^Iircbe benu|t, ber burd) eine b, of)e ^oljtoanb
abgefebjoffen mar. Bom erften Stage an aber bat fiefy biefer 9kum feiner fcbled&ten Slfufttf
wegen al3 unbrauchbar ermiefen. Die erfte öffentlid;e©it$ung begann am 8. Dezember
1869 9 Ubr morgend mit einem feierlichen ©otteSbienft. ©rgbifd^of ^ßuec^er^affabatli 30
au§ bem ^abujinerorben fnelt bie ^ßrebigt (Coli. L. p. 764 ff.), barauf folgte eine für bie
(Stellung ber ©tynobe ju bem tyapjt bejeicb,nenbe §ulbigung — „bte Karbinäle fügten ftet)ertb
bie £>anb be<8 ?ßabfte§, bie Patriarchen, Primaten, ©rjbifcf)öfe unb Bifcfyöfe nacb, tiefer
Verbeugung fein recbte§ Knie, bie %bU unb DrbenSoberen fnienb feinen gufj" (©ranberatb,
II, ©. 22) — eg folgten ©ebete (Coli. L. p. 694 ff.), bann fyielt puS IX. eine Slnfbracfye 35
(ib. p. 29 ff.), ba3 ©röffnunggbefret (ib. p. 32 ff.) mürbe beriefen, bie jmeite öffentliche
©itmng auf ben 6. Januar 1870 angefagt unb mit bem Te Deum um 3 llbj nad;mit=
tagl bie geier gefebjoffen.
$n ber erften ©eneralfongregation am 10. Dezember unter bem Bräftbium be§
£arbinal§ be Suca mürben bie ÜJtamen ber bon bem ^3abft für bie 2lntrag§fommtffion 40
ernannten Bäter (Coli. L. p. 7 10 f.) mitgeteilt unb bon ber ©tmobe bie iudices ex-
cusationum unb bie iudices querelarum et controversiarum gemäbjt (ib. p. 712).
ferner gelangte gur Berteilung an bie ©fynobalen bie bon Biu^ IX. für ben %aü bes
Eintritts einer Bafanj be^ aboftolifeben ©tub,leg mäb,renb ber Tagung beö KonjilS er=
laffene Bulle Cum Romanis pontifieibus am 4. ®ej. 1869 (ib. p. 45 ff.), ber^ufolge 45
bal Konzil fofort fu^benbiert fei unb eine Söiebereinberufung be^ neuermäljlten $abfte§
bebürfe, um meiterjuarbeiten, unb ba3 Schema constitutionis dogmaticae de doctrina
catholica contra multiplices errores ex rationalismo derivatos (ib. p. 507 ff.). 3n oer
jmeiten, britten unb bierten Kongregation am 14., 20. unb 28. ©e^ember mürben bie bon
ber Bulle multiplices borgefebenen Konäilgfommiffionen für bie ©laubenSfacfjen, für bie bo
ftrcfjlic^e ©i^iblin, für bie Drben§facb,en unb bie Stngelegenfyeiten ber orientalifcb,en Kirnen
(ib. p. 711 ff. 716) gemäbjt. ^n meinem ©rabe fc&on bamal§ bie ^nfattibilitätSfrage
bal ^onjil befeerrfd&t b,at, bemieS bie SSorgefcbtd^te biefer 3Sab,Ien. ©ie §aubtfüb,rer ber
für bie "Definition mirfenben SRajorität trafen in bribaten Konferenzen jufammen unb
bereinigten fieb, barauf, ba^ feiner gemäb,lt »erben bürfe, bon bem man miffe, bajj er 56
gegen bie Definition ber bäbftlicb,en Unfel^lbarfeit fei. Darauf mürben Siften ber 51t
2BäbJenben angefertigt, unb nacl; erfolgter Billigung bureb, einen ber Bräfibenten beö
Äortjil^, beg KarbinalS be 2lngeli3, litb,ograbbiert. Diefe Borfcb,läge fanben Annahme
bura) ba§ Konjil (©ranberatb, II, ©. 69 f.). Sorb 2lcton mirb Stecht baben, menn er
(a. a.£). 2. 66) biefc 2lu3nüt}ung ber Majorität für einen taftifcf)en geiler ber töurie 60
454 9Satifa«ifcf)cö gottjil
erflärt, bcnn biefe§ sBerfalpn t)at mefentlicb, baju beigetragen, bie obbofitioneU ©eftimmten
ju einer DbbofttionStoartei sufammenjufü^ren.
©ie Dftror/ierung ber ©efcfyäftgorbnung Ijat fieb, bom !urialen ©tanbbunft au§ be=
mäfyrt, benn ber SStrrung ber fertigen ^fjatfacfye lonnte fieb, niemanb ent^ie^en unb ba§
5 *]ßräfibium berfyinberte jebe Kritif, gegebenenfalls bureb, Sßortent^ie^ung. 2(ber bie Unju=
friebenfyeit ber ©tynobalen mucf)§ unb mufste machen, fobalb ba3 ^onjtl in bie mirtlidje
Durcharbeitung bon Vorlagen eintrat. Bereits am 12. SDejember reiften jman^ig ©fynobale,
bormiegenb franjöftfcfye SBifcfyöfe, bei bem $abft 2tbänberung§borfcb,Iäge ein (Coli. L.
p. 915 ff.), in benen u. a. barum gebeten mürbe, ba$ jene 2lntragsfommiffton mit einem
io ablelmenben 33efcl)eib aueb, bie ©rünbe ber 21bleljmung angeben follte, baf? bie 2lntrag=
ftetter ba§ 9iec§t Ratten, iljre Anträge bor biefer Stommiffton felbft $u bertreten unb bafj
biefe Kommiffion bureb, bon ber ©fynobe gemähte -Kitglieber berftärlt mürbe. SDer^abft
lehnte ab, e§ foHten erft Erfahrungen gefammelt merben. (Sine ^mette SSorfteüung (ib.
p. 91 7 f.) mürbe unter bem 2. Januar 1870 bei ^3iu§ IX. eingereicht, in ber unter ber
15 güfyrung be§ KarbinalS ©d^toarjenberg fec^gunb^manjtg 9JtttgIieber, meift beutfcfye unb
öfterreicfyifdje Bifcfyöfe $um 5Eeil bie gleichen Sebenfen äußerten, bann aber, atterbingg
in fcfyonenber gorm, bagegen SBermafyrung einlegten, bafj § 2 ber ©efcfjäfrsorbnung fo ju
berfter)en fei : quasi non agnosceretur ius patrum libere ea in concilio pro-
ponendi, quae quis ad publicam utilitatem conferre posse existimaverit, verum
20 nonnisi exceptionis et gratiae instar concedatur. ©er $abft lehnte bie SSorfdbtäge
ab. 3tt ei"em bitten ©einreiben (ib. p. 918 ff.) bon bem gleiten SEag beantragten bier=
unbacb^ig ©tmobale, au§ ®eutfc§Ianb, granfreieb, unb ^orbamerifa, bafj alle auf ben
©lauben unb bie ©iSjiblm fieb, bejiefyenben SSorlagen fobalb als möglieb, bem Konzil bor=
gelegt mürben, bafj bie 9Jcitglieber beS Konzils naef) ©brache unb Sänbern in fecfys ©rubben
25 geteilt tl)re Beratungen galten foHten, bafc bie ftenograpfyifd) aufgenommenen Sieben ber
©eneralf ongregationen gebrueft borgelegt mürben unb eS erlaubt fei, ben Konftynobalen bie
eigene 2lnftcr;t über bie jur 23err/anblung ftetjenben Vorlagen fdmftlicb, borjulegen. ®er
^ßabft lehnte bie 3Sorfcb,läge ah.
©ie Debatten beg Konzils fyaben — ba bie in ber jtoetten Kongregation aufgeteilte
30 Konftitution „Apostolicae sedis moderationi convenit" über bie genfuren latae sen-
tentiae bom 4. Dftober 1869 (griebberg, 2Iftenftücfe XL) nid^t ©egenftanb bort 2?er=
fyanblungen mürbe (über bie 3lufnab,me bgl. griebrid) III, ©. 185 ff.) — erft in ber
bierten ©eneraltongregation am 28. ©ejember begonnen, unb jmar über ba§ ©ct)ema
de fide. ©ie SDiSfuffion nab,m einen unermarteten Verlauf, ©djon ber erfte 9iebner
35 ßarbinal Stoufcfyer, @rjbifcb,of bon 2öien, übte an bem (Sntmurf eine fdjarfe Kritü, ©rjbifcb, of
SonnoU^i bon £>alifar. erllärte, man fotte ben (Sntmurf nid)t bearbeiten, fonbern mit ©fyren
begraben. 3lll SBif^of ©tro^matier bon Bosnien unb ©irmium in ber fünften ©eneral=
fongregatiort am 30. SDejember ben ^ttcl beö ©cfyemciS fritifterte, lam e§ ju bem erften
3ufammenfto^ jmifeb^en biefem rebegemanbten unb unerfcb,roc!enen 33ifcb,of unb bem $rä=
40 fibium be§ ÄonjiR SRocb, ungünftiger mürbe ba§ ©djierna buref) ben Sifc^of ©inou!b,iac
bon ©renoble beurteilt, ©elbft ÜJJartin bon ^aberborn mu^te SJcängel jugeben. 5Rit
ber fiebenten ©enerallongregation mar ber 4. Januar l)erange!ommen unb man ftanb
noeb, mitten in ben erften Erörterungen. ®iefe ©ntmiifelung mar offenbar nidjt borauö=
gefeb,en morben, al§ auf ben 6. Januar bie jmeite öffentliche ©i|ung angefeilt morben
45 mar ; bie berfrüfyte 3lnfage bereitete je^t ben Seitern be§ Konzils eine nieb, t geringe
aSerlegenb,eit. ®enn eine 3Serabfcb,iebung be§ ©cb,ema§ ate KonjiI§be!ret mar für biefen
^ag unmöglieb,. 3lber aueb, bie Hoffnung, in biefer ©itmng bie ^nfallibilität unter
Sermeibung aller ©igfuffion auf bem Söege ber 3lfflamation bur$ ba§ Konjil an=
genommen ju feb,en, mufete aufgegeben merben, ba ©rjbifcb/Of ©arbob. bon 5ßari§ bem
60 Äarbinal beßuea am 27. ©e^ember erüärte, ba^ für ben galt einer folgen Überrumbelung
fmnbert SBifcfyöfe fofort Stom berlaffen unb ba§ Äonjil „in ben ©ob^len ib,re ©cb,u^)e mit
fortnehmen" mürben (2tcton a.a.D. ©. 73, griebrieb, III, ©. 320). £>ie gtoette 5 f f ent =
Itd^e ©i^ung am 6. Januar 1870 mu^te bab,er anber§ aufgefüllt merben; eg ge=
fcfyab, burc| bie 2lblegung be§ tribentinifd^en ©lauben^belenntniffe§ feiten§ ber ©tjnobalen.
55 SDie Sebeutungölofigfeit biefer ©i|ung err/eltt barauö, bafe fie in feiner 33e^ieb,ung einen
Söenbebunlt, ja nicb,t einmal einen ©infcfjnitt in ber ©efcbjcfyte beg KonäilS barfteßt.
©elbft ber Söedjfel be§ $räfibium§ — nacb, bem Sobe 5Reifacb,§, ber feiner $ranfb,eit
megert gar ntcr)t feine§ 2lmte§ b,atte märten fönnen, mar Äarbinal be Slngeliö am
30. ©cjember jum erften ^räfibenten ernannt morben — fällt rtic^t mit biefer ©i^ung
60 jufammen, für bie 3Serb,anbIungcn über ba§ ©cf;ema de fide aber bebeutet fie lebiglia)
a$attfamfd)cS Stimjil 455
eine Unterbrechung. 2lm 8. Januar 1870 mürben fie in ber adjten ©encralfongrcgation
mieber aufgenommen unb am 10. 3anu<w in ber neunten ©eneralfongregation jum Sfbfdjlufi
gebraut. Unter ben legten Siebnem ragte ©rjbifcfyof §atynalb bon Kalocfa fyerbor, ber
fiel? mit ber frühem Siebe be3 33tfd^of bon ^3aberborn unb bem SSunfcb. be§ SifdjofS Siäfe
bon (Strasburg nacb, fdjärferer Kontrolle ber Sieben auSeinanberfetjte. Uneingefdjränfte 5
guftimmung fd;eint ba3 ©cfyema bei feinem ber fünfunbbreifjig Siebner gefunben ^u fyaben,
aber in S3ejug auf ben ©rab feiner Sieformbebürftigfeit b,errfct)te grofjer SDiffenfuS. ©a3
Siefuliat ber SBerfyanblungen in fect)g ©eneralfongregationen mar, bafj eS am 10. Januar
mit ben erhobenen (Einmenbungen ber ©laubensbebutation überroiefen mürbe.
$n ben folgenben 2Boct/en (10. Januar bi<§ 22. Februar) b,at ba3 Konzil in neungefyn io
©eneralfongregationen (Sir. 11—29) über ©i^iblinarfcb/emata unb fragen be3
fircbjicf/en Sebeng beraten. ®iefe 33erf)anblungen bilben jmar in ber ©efdjicfyte be§
Konzils nur eine (Ebifobe, fie fyaben aueb, ^u feinen braftifdjen (Ergebniffen geführt, aber
fie gewähren einen (Einblid in bie Stimmungen ber SBifdt)öfe, ber um fo mistiger ift, al3
in biefen (Erörterungen bie §aubtftreitfrage be<§ Konjilä jroar nidjt ganj auSgefcfyaltet mürbe, 15
aber boeb, gurüdftrat. 2öir entnehmen i^nen bie mistige ^Beobachtung, bafj bei manchen
ber ©tmobalen ein meitgel)enbe§ SSerftänbniä für bie Siotmenbigfeit bon Sieformen
geb,errfd)t b,at unb e3 finb fritifdje 2luf$erungen laut gemorben, bie bon ber Kurie
fc^merlicb, erroartet roorben finb. Seiber ift ©ranberatl) (II, 157 ff.) in bem Steferat über
biefe SSerfyanblungen überaus genügfam. 3n Der ©iijung am 14. Januar mürben ju= 20
näcbjt bie ©fynobalen auf§ neue an bie$flicf/t ber ©efyetmb, altung aüer ^onjil^angelegenb, eiten
erinnert unb jur mögUct/ften Kürje in ben Sieben ermahnt (Coli. L. p. 718), bann begann
bie ©ilfuffion ber am 8. Januar berteilten beiben ©i^iblinarfdjemata, beS Schema de
episcopis, de synodis et de vicariis generalibus (ib. p. 641 ff.) unb be§ Schema
de sede episcopali vacante (ib. p. 651 ff.). SJier/rfad) mürbe beanftanbet, bafj in ber 25
Vorlage nur bon ben ^3flid) ten ber Sifdjöfe bie Siebe fei, aber nidjt bon ber notmenbigen
Sieform be§ KarbinalMegiumg unb ber Kurie. ©trof$mat)er (griebrieb, III, ©. 461 ff. ;
©ranberatl) II, ©. 166 f.) fam barauf ju fbrecfyen, baß ber tyapat ju uniberfalifieren b. i/
aueb, Siicb.t^talienern gugänglicb, gu machen fei, unb berlangte aueb, eine Uniberfalifierung
ber römifcb,en Kongregationen. SMdjerg bon Köln fanb bier SÜßorte fd;arfer Kritif an ber 30
$entraIifation ber firdjlicfyen SSerroaltung in Siom unb forberte beren ©e^entralifation
(griebrieb III, ©. 451 f.; ©ranberatb II, ©. 170), manbte ftd) aueb, gegen bie S3eb,anblung
ber (Efyclunbemiffe, ©iSbcnfe unb SLarm. ©er 33ifct)of bon Sbarbonneß rügte bie ambitio
cleri unb geißelte bie römifcfye ©tellenjägerei (griebrict; III, ©. 452 f.). Sei ber (Erörterung
ber ^robinftialfr/noben tarnen fel)r merfmürbige 3Se4äItniffe an ber Kurie jur ©brache. 35
Unter ben ©rünben it)xer feltenen (Einberufung mürbe bon 93ifd)of ©utoanloub bon Orleans
angeführt, bajj bie bäbftlicfye 2tbbrobation ü;rer 33efd)lüffe big px fünf ^afyren auf fid;
toarien laffe. 3uS^i^ befc^merte er fid) barüber, bg§ bie Congregatio concilii in Siom
an folgen bem bl. ©tuf>( ^ugefanbten 33efd»Iüffen Stnberungen bornimmt, fo bafe „ba^
^robinjialfonjil ba§ befdjloffen ju b^aben fcfyeint, ma§ e§ tb,atfäd;Ii(J) nid)t befdjloffen bat, 40
fo ba| bte Unterfcfortftert ber 33ifd)öfe unecht finb" (©ranberatr; II, ©. 179). j)iefelbe
Älage finbet fieb, in ben bem ^atoft unb bem Konzil eingereichten Postulata frangöfifcr)er
SBtfcb öfc (Coli. L. p. 839 c). 2lucb, @rjbifcb,of 9)ield;erö fbracb, über biefe SJiiMtänbe. ©elbft
ba§ Verlangen nad; Siationalftjnoben unb regelmäßig toieberfeb,renben öfumenifcb, en ©^noben
tourbe laut (©ranberatb. II, ©.181). Siad)bem inögefamt fiebenunbbreifeig Siebner ju biefen «
Schemata gefbrodjen b,atten, mürben fie in ber fecb^efynten ©eneralfongregation am 25. Januar
ber ©i§jibIinarbej)utation „pro examine" übermiefen(Coll. L. p. 721 d). S)a§ ©cb. ema De
episcopis ift nidjt mef)r ©egenftanb bon ^erb^anblungen begKonjilg getoorben. ®a§ ©cb.ema
De sede episcopali vacante tourbe in rebibierter ©eftalt (ib. p. 655 ff.) nodmtaI§ am
23. Stuguft erörtert (ib. p. 764), aber eö iftnicb.t meb,r barüber abgeftimmt morben (©ranberatb, 60
III, ©. 522 ff.). — 9Som 25. Januar bi§ jum 8. gebruar mürbe bon ad)tunbbreif$ig Siebnern
baä©cb,ema Devitaethonestate clericorum (Coll.L. p. 659 ff.)biöfutiert(ib.p. 722—726).
Üiacb, ben borb,anbenen S3erict)ten mürben bie geiftlicb,en Übungen, ba€ gemeinfame Seben
ber ^riefter, ber Sölibat (SRifeftänbe in granfreieb,, ©ranberatb. II, ©. 198), bie gebier
be3 römifcfyen 33rebier§, ba€ Sarttragen ber Klertfer unb anbere fragen berührt, aber 55
bie Debatte ftanb auf feinem t)oben S^ibeau. 3)ie Vorlage mürbe an bie SDt§5ibünar=
bebutation jurüdbermiefen unb ift nid)t mef;r an baö Konzil jurüdgelangt. — 3Som
10. big 22. gebruar (21.— 29. ©cneralfongrcgation) mürbe ba§ Konjü mit bem ©cr;ema
De parvo catechismo (Coll.L. p. 663 f.) bcfdjäftigt, inbem ber^abft bie 3(bficb,t auS=
fbrad), einen fleincn Katcd;iginu§ nad; sitrt bc§ iöe(tarminfd;cn aufarbeiten ju laffen, ba= a>
456 gSattfonifcfjcS Sons«
mit bie iserfctnebenfyeit in ber UnterWeifung ber ©lemente beg ©laubeng ein @nbe fyabe.
2)iefer Äatecrjigmug follte bann in bie betriebenen Sanbegfbracfyen überfe^t Werben, Wäl)renb
bie Sifdjiöfe bie greitjeit behielten, unabhängig babon Jatedjettfc^e UnterWeifungen fyeraug=
Zugeben. 2lber ber ©ebanfe ber tlnifijierung beg llnterricfyig fanb neben ftarfer SBefür=
5 Woriung aud) heftige Dbbofition, au§ mannigfachen 9J?otiben. 2ludj> biefeg ©djema mürbe
an bie ©igztylinarbebutation zurücfberWtefen. Qn berbefferter ©eftalt (Coli. L. p. 664 ff.)
tourbe eg am 24. 2ltoril ber ©fynobe aufg neue borgelegt. Sei ber SÜbftimmung in ber
neununbbierjigften ©eneralfongregation Dotierten bon 591 2Intoefenben 491 mit placet
(ib. p. 742). ®a über bag ©c^ema aber ntcfyt in ber bierten öffentlichen ©itjung befinitib
10 abgeftimmt Worben ift, gehört eg ju ber großen ©rubbe ber unerlebigten Vorlagen.
©inen mistigen ©infdmitt in ber ©efdncfyte beg Sfonzilg bezeichnet bie in ber neununb=
gtoangigften ©eneralfongregation am 22. Februar erfolgte ^kibliration (Coli. L. p. 728)
beg bäbfilicfyen ©efretg bom 20. gebruar (ib. p. 67 ff.), bag angeblich nur jur leichteren
SSerWirfltdmng ber bon bem aboftolifdjen ©djreiben Multipliers inter bom 27. 9?o=
15 bember borigen ^afyreg berfolgten gtoeefe einige formen für bie 23err)anblungen auf=
[teilen Wollte. SDiefeg 2>efret [teilte aber gum %eil ganz neue ©runbfätse auf unb mufj
bafyer alg eine neue ©efcfyäftgorbnung bezeichnet Werben. SDie Wtct)tigften ifyrer
bierzeljm ^unlte umfaffenben 33eftimmungen waren: 21ugftellungen (animadversiones)
an einem ©cfyema ftnb fortan nic^t mein- münblid), fonbern fcfyrtftlicfy zu machen
20 unb tfvax innerhalb eineg bei feiner Vorlegung bon ben $räftbenten ju beftimmen=
ben geitraumg (§ 1) ; mit ben Slugfteffungen ftnb 23erbefferunggborfct)läge ju berbinben
(§ 3) ; biefe 2lu§fteßungen ftnb bei bem ©elretär beg flonzilg einzureiben, ber fie
ben juftänbigen £)ebutationen überweift (§ 4) ; barauf gelangt mit einem fummarifcfyen
33eritf)t über bie eingelaufenen 2lugfteHungen bag bon ber ^Deputation berbefferte ©d)ema
25 an bag ^onjil gur münblicfyen 23err)anblung (§ 5) ; bon ber borliegenben grage ab--
fdjtoeifenbe ^Rebner ftnb burd) bie ^ßräfibenten %ax ©acb,e ju rufen (§ 10); Wenn ber
©egenftanb ber ^Debatte erfdjöpft ift, fo tonnen bie ^räftbenten auf fdjriftlidjen Eintrag
bon jeb,n ©rmobalen an bie ©eneraltongregation bie grage [teilen, ob bie ÜJigfotffton
noef) fortgefe^t werben foH, bie Majorität entfd)eibet (§ 11); über bie Stnna^me einer
30 SSorlage entfcfyetbet bie ©timmenmefyrljieit (§ 13); bie Slbftimmung erfolgt münblid) mit
mit placet ober non placet, bod) ift aueb ein bebingteg placet ^uläffig, aber biefe SBe=
bingung ift bann fcfyriftlicfy einzureichen (§ 14). — ®er 2Majj z" biefer Slbänberung ber
©efcfyäftgorbnung War bag langfame ^ortfcfyreiten ber ^onzilgberfmnblungen, bie im Saufe
bon brei SOtonaten ntd^t ein einzigeg ©d)ema gum 2tbfd£>Iu^ gebracht Ratten. ®iefe§
35 negatibe ©rgebnig Würbe aueb inmitten ber ©tmobe embfunben, Wie berfetnebene Petitionen
um 2lb!ürjung ber Debatten (Coli. L. p. 957 f.) beWeifen, aber ber ©runb ber 9)cif$crfoIge
lag bod) nicfyt barin, bafj ben Entwürfen bag „Wafyre SföofylWollen" berfagt Würbe ((fo ©ranbe=
ratb, II, ©. 224 f.) unb aueb, nicfyt barin, bafe bie Sftitglieber nicf)t „bon beTn Verlangen befeelt"
Waren, „bie Beratungen nad) 3)iöglicb,f'eit ju förbern" ®ie 3Se4anbIungen rücften btelmeb^r
40 belf)alb nief/t bon ber ©teile, Weil bie ©tmobe ber Überzeugung War, bafs bie if)r borgelegten
©cb^emata nad) gorm unb ^nb^alt ben 2Infbrüd)en an ein unter if)rer Verantwortung zu ftanbe
Iommenbe§©elret nid)t genügten. ®afj biefe neue©efcb,äft§orbnung geeignetwar, eineiöefcfyleu=
nigung ber ©efd^äftgfübrung herbeizuführen, leuchtet alferbingö fofort ein, aberftelonntebod)
nur unter ber S8orau3fet$ung al§ ein gortfcfjritt gelten, bafe ba§ Konzil biefe ^erfürjung feiner
45 Skrfyanblungen nieb^t mit SJacb^teilen anberer Slrt bejahten mufete. Dh biefer %aü borlag
ober nicf)t, |ing aber babon ab, ob bie Seitung be3 kon^xl§ fo gro^eg Vertrauen befafe,
ba^ ib^r ob^ne Sebenlen eine faft unbegrenzte SJcac^tfülle überWiefen Werben tonnte, ob
ferner ber Majorität ber ©tmobalen bie (linfid)t, bre © er ec^ttgf ettäftnn unb bie geinfüfyligteit
Zugetraut Werben burfte, bie einen SRifebraud; ber Qafylm au§fd)üef$en, ob enblicb, ber
so Slbftimmunglmobug annehmbar War ober nieb^t. 2luf biefe fragen geben bie $rotefte gegen
bie beränberte ©efeb^äftgorbung bon fünfzig 93ifcf/bfen unter ber güfyrung beg ©r§btfdt;of§
SDarbo^ bon $ari§ am 1. ÜJiärg (Coli. L. p. 958 ff.), bon zweiunbjWanzig anberen
$ifcf;öfen (ib. p. 963 ff.) mit larbinal ©cb, Warzenberg an ber ©bi|e am 4. 9Jcärz, bon
bierzeb^n borWiegenb beutfd)en S3tfct)öfen am 2. SRärz (ib. p. 967) eine beutlid)e 3lnt=
55 Wort. Slber fie b^aben nic^tö erreicht, nid}t einmal eine fdpftltd&e 2lntWort (©ranberatt;
II, ©. 242). ®enn ber einzige 2Beg, ber bießeieb^t jum ^iel gefübtt fyätU, nämlich bie
SRitarbeit an ben ÜBerlmnblungen big zu einer S^erftänbigung über bie aufgeworfenen
fragen einzuftellen (griebrieb, III, ©. 672) ift bon ber 3Jcinorität nic^t eingefeb^iagen
Werben. 3n^em fie ftdb aber ben neuen Seftimmungen tfyatfäcrjlicr; unerWarf, b^at fie
60 fie anerlannt.
SatifamftfjeS ®onß 457
Der i]\vcd ber 2tbänberung ber ©efc£)äftSorbnung War aber nidjt nur bcr, übertäubt
ein rafcfyereS lembo ber arbeiten beS ^Ron^IS berbeijufüfyren, fonbem beftanb bor ädern
barin, nadb, bem (Scheitern ber Hoffnungen auf eine SCnnafyme ber Qnfalltbilität burcb
OTflamation beren Definition auf bem SSege ber Befcfylußfaffung 31t fiebern, Denn
barauf ftrebte baS ®onjtI bjn, motten audb, im Qanua* unb gebruar, tote mir faben, bie 5
Sifcungen mit ber Bebanblung anberer ©toffe aufgefüllt werben. Bier^n Sage nacb,
Eröffnung beS Mon^IS waren bereits bie Befreiungen eines Hebten Greifes bon Defini=
tionefreunben über bie 2lrt iI)reS Borgeb)enS im ©ange (©ranberatb, II, ©. 136 ff.). Die
erfte Berfammlung fanb im §aufe beS BifdwfS ©eneftreb, bon 9tegenSburg ftatt, bie
jtoeite am 23. Dezember in ber Billa Saferta, bie britte Wieber bei Bifcfyof ©eneftreb, 10
am 28. Dejember. 2luS tfyren Beratungen ging ber 2tntrag an baS Konzil, bie Unfeb>
barfeit beS ?ßa^fte§ auSgutyrecften , fyerbor, ber jWar ntebt ber erfte mar — benn fcfyon
unter bem 25. Dezember fyatte ©rjbifdwf DecfyambS bon 3Jled>eIn einen gleiten Slntrag ein*
gereift (Coli. L. p. 921 ff.) — aber boeb, bie große 2Iftion eingeleitet bat. Ttit einem urfbrüng=
lieb, bon fünf^elm Bifcböfen unterzeichneten Begleitfdpiben bom 30. Dezember (ib. p. 1703) 15
Würbe biefe Petition (ib. p. 924) um Sieujafyr in Umlauf gefegt unb fanb balb an
380 Unterfcf/riften (©ranberatb, II, @. 141). @irte 2lbreffe ber Bifcfybfe beiber ©ijtlien
toieS 69 tarnen auf (Coli. L. p. 934), baju famen bie Slbreffen einzelner ©rmobalen
(ib. p. 935 ff.), ^nggefantt Waren eS an 480 Bifcfyöfe, bie auf fcfyriftlicfyem 2ßeg bei bem
Äonjtl auf bie Definition antrugen. @rft auf bie Munbe bon biefen Beranftaltungen 20
I)aben bie Definitionsgegner ftcb jufammengefcbloffen, am 8. Januar begannen tb)re Be=
ratungen unb in fünf ©egenabreffen (ib. p. 944 ff.), bie bon 136 Bifcfyöfen unterzeichnet
waren, Würbe ber Babft angegangen, bem Äon^I über bie ^nfatlibilität feine Vorlage
ju machen. Über biefe Eingaben I)at bie SlntragSfommiffton am 9. 5^ruar berfyanbelt
(©ranberatf) II, ©. 151 ff.). Bis auf jWei 93iitglieber War fie bottjäblig berfammelt unb be= 25
fcfyloß, inbem nur Äarbinat 9taufct)er bagegen ftimmte, bem Babft bie 3lnnabme ber
Definition %u embfefylen. — Durcb, biefe 3tbreffen für unb Wiber bie QnfaHibilität War
baS Borfyanbenfein bon $Wei Parteien auf bem ^onjil offenfunbig geworben, beren Be=
jiefmngen fieb, naturgemäß babureb berfdwften, baß beibe ©rubben ftarf agitierten unb
eS an feinen Slnftrengungen fehlen ließen, Unterfcbriften ju fammeln. ©efyr überrafcfyenb 30
Wirfte baS ©rößenberl)ältmS ber beiben ©rubbert. Die Ultramontanifterung ber römifcf)=
fatfyolifcfjen Äirife War biel ju Weit fortgefcfyritten unb bie 3ufammenfetmng ^ ^onjtlS
ber ultramontanen SRtct)tung biel ju günftig, als baß eS zweifelhaft fein f onnte, ob bon feiten ber
9Jlel)rb, eit bie $rage einer bogmatifet/en ©ntfcfyetbung über bie Unfefylbarfeit bejaht Werben Würbe.
GS War bielmefyr bie ©tärfe ber Minorität, bie fenfationell Wirfte ! Unb ber ©inbruef 35
ibrer Dbbofttion Würbe noeb berftärft burcb, baS ©eWtcfyt mancher ber it)r angefcbloffenen
$erfönlicf)feiten unb burcl; bie nationale ©rubbierung ber Parteien. 3?on ben beutfcb,en
SifdE)öfen Waren breijeilm ©egner ber Definition, barunter ©rgbifc^of ©cb,err bon 5)Zünct;en,
©rjbifcb, of 9Mcf;erS bon Äöln, gürftbifc^of görfter bon Breslau, Bifcfjof üetteler bon 9Jcainj,
33ifct/of §efele bon Stottenburg, unb nur bier traten für fie ein, barunter 23ifcf)of ÜDcartin 40
bon 5ßaberborn unb Bifcfyof ©eneftret) bon 9tegenSburg. Unter ben öfterreicb^fct)=ungarifcf;en
Sifcf)öfen war ebenfaHS bie 9J}er/rf>eit in ber Steige t&rer ©egner ju finben unb t^r ge=
borten an SJtänner Wie ^arbinal ©tb^Warjenberg aus $rag, SCarbinal S^aufcber aus 2Bien,
@r§bifdt>of ©imor auS ©ran, ©rgBtfd^of §at)nalb auS Mocfa, 33ifcf)of ©troßmat)er auS
Stafobär. Bon ben franjöfifcfjen Bifcf;öfen ftanb ein Drittel auf feiten ber Dbbofttion 45
(©ranberatl) II, ©. 268 ff.), barunter ©rjbifcbof Darbob, bon ^ariS, Bifdjof Dubanloub
bon Orleans, Bifcfyof gjearet in ^ariS. Unter ben SJitgliebern beS Hon^ilS, bie
tocu)renb beffen Sagung Wie in ben borangegangenen 3eiten &efonberen Cftfer in
ber 5probaganba für bie ^nfallibilität entfalteten, ragten ber J^onbertit Gr,ibifcbof
3Kanning bon Söeftminfter unb Bifd)of ©eneftre^ bon D^egenSburg befonberS b,erbor. 50
Öftre ©tärfe War bie 3uberficb,tlicf)feit beS ©laubenS an bie 9JotWenbigfeit ber Defi=
nition biefer £eb,re, bie ©tärfe ber Minorität ib,re tb,eoIogtfcbc ©rubition unb intelligent.
GS War fein gufaH, baß bie fbanifeben Bifcböfe ausnahmslos ber Majorität an=
gehörten unb breibtertel beS beutfcb,en ©biffobatS bcr Minorität, benn biefe Haltung
War bureb baS 9Jibeau ber tbeologifeben Bilbung beS IleruS in beiben ^änbertt 55
bebingt. Durcf) eine füb,ne ©a)eibung gioifdben ^iftorie unb Dogmatil berfuebt fretlicb
ber ^efuit ©ranberatb unter §inWeiS auf eben biefe berfcbjebene Haltung beS fbanifeben
unb beutfeben ©biffobatS ben Sefer bon ber Überlegenheit ber bogmatifcb,cn Bilbung ber
Sifcb,öfe ©banienS $u überzeugen. „2luf bem Äonjile, Wo man ©elegenbeit batte, ben
Stanb ber tb, eologifeben 22iffenfcb,aft bei ben einzelnen Nationen s» bergleicfjen (!), bilbete eo
458 SSatifamfdjcS Stongtl
ftd) unter bcn Vätern ba§ ©djer^mort : bie ©panier b>ben i^re ^eologie aus Folianten,
bie Italiener au<3 Quart*, bte granjofen au$ Dftabbänben unb bie ©eutfdjen au§ 33ro=
fdjüren ftubiert" (©ranberatb II, ©. 271). ©ine grofee ©djmiertgfeit lag für bie 9}Jino=
rität barin, bafj Sßabft $iu3 IX. offen gegen bie bon ifyr bertretene ^ofition gartet ergriff,
5 inbem er bie Slutoren bon ©dmften ju ©unften ber Unfefylbarfeit unb bte, meldte älbreffcn
biefeS Sn^altS einreihten, öffentlich) belobte, auf ber anberen ©eite bie 9Jiinorität§=
bifdjöfe feine llnjufrieben^eit nacfjbrüdlicb) füllen lief?. Unter biefen Umftänben, bie
aud) bon ©ranberatb) nicfyt geleugnet merben, toirit beffen ©rflärung (II, ©. 294), baft
ber $a»ft auf ia§ ^onjil feinen £)rud aulübte unb „e§ ganj ber Seitung bei bd. ©eifte£
10 überlief", burcb) iJ?re ^ür)n(jett überrafdjenb. ätber mochte aucb) bieltetd)t biefe 3Be!unbung ber
berfönlicfyen Slntitoatb^ien be§ VabfteS auf ben ©ebanfengang tr)eoIogtfc^ gering Veranlagter
unb ber 2Biffenfc§aft entmöljmter SRänrter bermirrenb eintoirfen ober btefletdrt aucfy bie @nt=
fd)luf$fälj)igfeit ftrebfamer ober abhängiger ©tmobalen abfdjmäcfyen, bie @ntf Reibung über ben
2lu3gang bei Kampfes mürbe rttc^t burcb berartige Veeinfluffungen einzelner SRitglieber
15 beftimmt, f onbern bing babon ab , ob bie SfttnoriiätSpartei in ficb; f elbft bie föraft unb
bas Vertrauen auf ibje ©ad)e befafs, um ficb) ju behaupten unb burcbjufetsen. @ben
biefe innere geftigfeit aber I)at tJ>r gefehlt. 2öa§ bie ftattltdje ©d)ar jufammen=
blelt, toar lebiglicb) bie Verneinung ber grage nad) ber 3^ecfmä^ig!eit ber ^Definition ber
Unfehlbarkeit bei $ßapfte<3, nicfyt bie 2tblel)nung ber Sefyre felbft. SBoljI b,aben manche in
20 il)rer SSJcitte biefen ©tanbpunft eingenommen unb bietteidjt mar in nicfyt wenigen gäEen
bie Seftrettung ber Opportunität ifyrer geftlegung bie gormel, hinter ber fid) bie (Sinfidjt
in fdjtoere SBebenfen gegen bie fiebere felbft berbarg. Stber ba3 bie ganje Partei, bie
ifyeologifd), national unb ürcbenpolitifcb) fefyr berfduebert intereffierte Elemente in fid) barg,
umfcfjliefjenbe Sanb mar eben bod) lebiglid) bie 33eftrettung ber Opportunität ber in 2IuS=
25 fidjt ftefyenben £ebrfeftfe£ung. S)ie ©runblage ber Partei mar bemnacb) nur eine 9cega=
tion. $Daburcb) mar ba3 $elb tf>rer 2tftion febj befcfyränft unb e§ fehlte ifyr bie fort=
reiftenbe Slraft be§ Eintretend für pofitibe ,3iele. Von bem gemaltigen SRatertal, bas> bie
2Siffenfd)aft, jumal bie beutfcfye, für ben ®ampf gegen bie 2eb>e felbft herausarbeitete,
!onnte bie Partei al§ ganje nur einen Slusfcbnitt benutzen unb fte mufjte in ficb) ju=
30 fammenbredjen, fobalb Situationen eintraten, in benen gmedmäfjtgfeitSermägungen unb
taltifc^e Sftüdficfyten tEjrert 3öert berloren ober bößig berfagten. 3Iud) barunter frnt bie
SRinorität gelitten, bafs ib)r eine einzelne füb)renbc ^$erfönlicf)feit gefehlt b)at.
2)ie 2lbfaffung unb Verbreitung ber 2lbreffen betrep ber ^nfaHibilitätSfrage mürbe
bon au§gebeb)nten bublijtftifcr; en Erörterungen begleitet, an benen ficb) 2RitgIieber beiber
35 5Ricb)tungen auf bem Äonjil beteiligten (griebberg a. a. D. ©. 38). ^n granlreicb) maren
es bor allem bie 2Iu3einanberfe|ungen bei sIRitgIieb§ ber franjöfifcb)en SKabemie unb
früheren DratorianerS ©ratr^ mit @r^btfd;of ®ed;ambS, juerft über bie $onorius>frage,
bie 2luffeb)en erregten unb bem Angreifer biel 3"[tt«iinunflr <*&cr aucb fc|atfen 3Biber=
fbrucb), j. 33. bon Sifdmf 9täfs bon ©trafjburg, eintrugen (über bte ©ratrr/=^ontroberfe
40bgl. Coli. L. p. 1396 ff.; 1871 b)at er ftdj bann ben ®elreten beS ^onjilS untermorfen,
ib. p. 1405). Unter bcn bie Vorgänge auf bem ^onjil Iritifierenben ©Triften nab^m bie
im SRai erfd)einenbe, burd) ibre ©acb)!enntni§ au§gejcid)nete §örofcb)üre „Ce qui se passe
au concile" (bcutfdi u. b. mittel: „9Sie eä auf bem ^onjil i)ergeb)t", 9Jiüncb!en 1870)
einen betborragenbcn ^31a| ein, ©rjbifdmf ©arbol; bon ^ßaris embfab)! fie Sfoboleon (Coli.
45 L. p. 1568, bgl. ©ranberatb) II, ©. 554 ff.) unb baS ^onjil bjelt e§ für notmenbig, gegen
fie ju broteftieren. ©a ber franjöfifcb)e ^leruS für bie ^nfaKibtlitätSerllärung intereffiert
mar, ma§ er burd) jabireicfye Slbreffen be!unbete (Coli. L. p. 144 1 ff.) — nad) ©ranbe=
ratb, II, ©. 566 fd)ämte fid} ber ÄleruS be§ ©aüafani<3mu<§ (!) unb münfd)te bab)er, bafs
ein Äonjilsbefdjlujj beffen Übcrbleibfel befeitige, möl>renb eS bod; bielmeb)r ber ©egenfatj gegen
50 bie 33ifc|öfe mar, gegen bie bon ber @rb)öb)ung ber Sliacbt be§ VabfteS ein ©d)u^ ermartet
mürbe, ebenb. ©. 273 — , tarn e3 mefjrfad; su üonflüten jmifd;en 33ifd)öfen unb ib^ren
®iöcefanen (3)larfeitle, ©t. Srieuc). 5Dtontalembert aber f)at e§ nad} feinem Xobe (12. SJcärj
1870) büfeen muffen, bafe er in feinem nid)t nur für bie bamalige ©ituation mistigen
Srief bom 12. gebruar (Coli. L. p. 1385) bagegen broteftierte, bafs bie ©erecb)tigleit unb
65 bie 3öab)rb)eit, bie Vernunft unb bie ©efd)id>te bem bon ben Ultramontanen im Vatilan
aufgerichteten ^bol geopfert mürben.
9iocb ftärfer aber mar bie burd) ba§ ^onjil entfachte 33ei»egung in ©eutfcb)Ianb.
S)ie miffenfd)aftlid;e Vilbung bei ^Ieru€ mar bjer ju grofe, al§ ba| er fambfloS bor bem
neuen ®ogma bie SSaffen ftredte, unb ber 9came ©öllinger gehörte px ben in ber
60 ÄonäilSlitteratur am meiften genannten, ^n SKüncfien erfebjenen jene ,,^ömifd;cn Briefe
«BnttfnmfdjcS $011511 459
bont tfonjü" (bgl. oben), bercn eminenter ©influf? auf bie öffentliche sIftcinung un=
beftritten ift, fo berfcfyieben and) ba§ Urteil über il)ren Söert lauten mag. Unter bem
19. Januar bcröffenilid)te ©öEtngcr mit Ramensunterfcfyrift „©inige Söorte über bie
Unfe|lbar!eit3abreffe" in ber „2Iug3burger allgemeinen Leitung" (Coli. L. p. 147:! ff.)
unb erregte burdj biefen 2lrtifel ba§ gröfde 2luffefyen. 2lus> 33re§lau, 33raun§berg, 33onn, 5
Äöln, $rag, Sftünfter mürben bem 23erfaffer ßuftimmunggabreffen (ib. p. 1482 ff.)
gefanbt, er hnirbe ber 3Rann be§ ^ages», aber aueb, ber größten Sinfeinbungen. ©cfyon ba=
mal? offenbarte fid? übrigen? ber Unterfdneb gir>ifd)en bem ©tanbtounft 2)öttinger§ unb bem ber
Äonjilömtnorität in einer für beren 2(u§ftd)ten berfyängmgbotlen 2Beife, benn @rjbifcb,of
©d;err bon ÜJiüncfyen, ©rgbifdmf 9JMd)er§ bon $öln, 33ifd)of föetteler bon StRainj, 10
33ifdmf Bremen*} bon ©rmlanb legten ©etoicfyt barauf, öffentlich) ibre 'äftifsbiHigung ber
©öttingerfeben 2lu3füf>rungen au^ufbredjen (Coli. L. p. 1489 ff., 1485 f.). 2tm 9. 5Rär^
erfebjen SDöHinger? Slrtifel gegen bie beränberte @efd)äfts>orbnung (ib. p. 1499 ff.). 2Ba<§
in biefem grübjabj ber 9Jcun<|ener Runtiuä SReglia an ^arbinal Sintonellt ju berichten
fyaite (©ranberatfy II, ©. 649 u. a.), maren feine günftigen (Sinbrüde. — ^n ©nglanb 15
fyat ber Söiberfbrucr) Remmanm§ gegen bie ^Definition (Coli. L. p. 1513 f.) leine kämpfe
hervorgerufen, bie an bie auf bem kontinent geführten heranreichten.
$n ber breijefynten ©eneralfongregation am 21. Januar mar unter bie SJiitgüeber ber
©bnobe berteilt morben (Coli. L. p. 720) ba3 ©d)ema Constitutionis dogmaticae
de ecclesia Christi (ib. p. 567—641). SMefe Äonftitution gerfiel in brei Steile: 20
ber erfte beb, anbelte in 15 Kapiteln bie Sebre bon ber$ird)e, ber -^meiie fafete in 21 canones
bie $embun!te jufammen unter gleichzeitiger Stnatbematifierung entgegengefetjter 2lnftd)ten,
ber britte unb größte gab unter bem SLitel „Adnotationes" eingefyenbe Segrünbungen
ber in ben beiben erften teilen bargelegten Sebre. Sßon biefer $ird)e mürbe auSgefagt,
bafj fie ber mr/ftifd)e Seib ßbjifti ift (cap. 1), baf$ nur in ibr bie cf)riftlid)e Religion au3= 25
geübt merben fann (cap. 2), baf$ fie bie bollfommene ©efettfdwft ift (cap. 3), bafs bon
ifir getrennte ©emeinfetjaften ntebt al§ ifyr ^etl begeidmet merben fönnen (cap. 5), baf$
nur bureb, fie unb nur in ifyr bie ©eligfeit erreicht merben fann (cap. 6. 7), baf$ fie
unbergänglicb, unb unfehlbar ift (cap. 9. 10), bafj fie eine befonbere potestas befi|t
(cap. 10), bafj (5^riftu§ in if)r ben Primat be§ römifdjien 33ifd;of<§ eingefe^t t/at(cap. 11) 30
unb biefe bafyer aud) jettltd)e §errfd)aft befitjt (cap. 12). Söirb jmifd^en ber ^ircfye unb
bem ©taat bie ©intraefd geftört, bann ift e<§ bie ©dmlb be<§ ©taate§, ber bie Red)te unb
$flid)ten ber $ird)e nicr)t refbeftiert (cap. 13). 2htcb, bie Regenten finb an ba§ ©efe|
©otteg gebunben, ba§ Urteil aber, tote e<§ ju banbfyaben ift, gebort ju bem supremum
magisterium ecclesiae (cap. 14). $Da3 ©cblufcfabitel Verlangte für bie Ätrdjie ben 35
3ugenbunterrid)i, bie greifyeit in ber 2tu3bilbung be§ l?Ierug unb beffen Befreiung bon
ber militärifdjen ©ienftbfüd^t, bie Unbefd}rän!tb,eit ber Drben u. a. Unter ben canones
toar ju lefen (9?r. XX): Si quis dixerit, in lege status politici, vel in publica
hominum opinione constitutam esse pro publicis ac socialibus actionibus
supremam conscientiae normam ; aut ad easdem non extendi ecclesiae iudicia, 40
quibus ea de licito et illicito pronuntiat; aut vi iuris civilis fieri licitum,
quod iure divino vel ecclesiastico est illicitum: anathema sit (ib. p. 578). 3ll§
biefe? ©cb,ema tro^ beg ©ebotö ber ©e^eim^altung erft teilmeife, bann bodftänbig belannt
mürbe, am 10. gebruar in ber „©übbeutfdjen treffe" (©ranberatb, II, ©. 688), mar ber
©inbrud gerabeju berblüffenb. „5Ran ^meifelte juerft an ber Slut^entijität biefer ®ofu= 45
mente,_ boeb, mürbe fie balb beftätigt, befonberg bureb, bie Unjufriebenbeit, meldte bie 3Ser=
öffentltcbung am römifd)en §of b,erborrief. ©obalb bie ©d^eit biefer ©cb,riftftüde aufeer
$rage mar, er^ob fict) ein ©cfyrei ber aRipilligung in ber treffe bon ganj ©uroba;
man mahnte bie Regierungen, aufjumerlen unb bie bürgerlid;e ©efedfdjaft ju bertetbigen,
roekfje bureb, Seb.ren einel bergangenen .ßettaforä bebrofyt feien" (Ollivier, L'eglise et 50
l'etat II, p. 190 ff.). SDie 21nnab,me biefeg ©cb,emag mar rttcbtS anbereg al§ bie £og=
matifierung ber £ef)ren unb ©runbfä^e be§ ©t,)llabu§ unb feine Vorlage in ber 2at ein
Unternehmen, ba? um feiner üonfequenjen mitten bie Regierungen, mie e§ fdnen, mobil machen
mu^te, menn fie aueb, big baf)in fid) bon jebem ©ingriff in bag $on?,U gurüdge^ alten unb eine
beobad)tenbc unb abmartenbc §altung eingenommen b.attcn. ®te @ntfd;eibung barüber, 55
ob biefe ^olitif aud] je|t nod) fortjufe^en mar, rub, te nad; Sage ber SDinge bei gran!reid;. ^>tcr
mar feit bem 2. Januar ba§ 9Jcinifterium Cfübier am Ruber (©ranberatb, II, ©. (iSlff. ;
griebrid) III, ©. 619 ff. ), unter bem ©raf ®aru ba<S 9)iimftcrium bcö 2(u3märtigcn ^attc.
3Bic DKibier bie franjöfifd;c ^olitif gegenüber bem ^on^il aufgefaßt I;at refb. aufgefaßt
feben moßte, f)at er in feinem 3l<crt' über Äird)e unb ©taat niebcrgelegt. 2)ant unter-- &>
460 2Satifatttfcf)eS Sottä«
fclneb ftc§ bort iljm barin, baf$ er auf bem ©oben ber 2lnerlennung ber ^reifyeit bcg
konjilss, tüte autf) anbere sDcitglieber be£ ^abinettg, lein greunb ber Definition ber $n=
faflibilität mar.
gunäcfyft mar e§ aber bas> ©d)ema de ecclesia, bag allarmierenb roirfie. ©raf
5 SSeuft mieg am 10. gebruar (Coli. L. p. 1570 f.) ben öfterreid)ifcr/en 33otfd)after ©raf
Srautmannsftorf an, bem $arbinal=©taai3fe!retär zu erflären, baf; bie 33eröffentltd^ung
folcfyer bie Sichtung bor bem ©efe£ berle^enber 23efttmmungen in Öfterreicb, unterfagt unb
bie Übertretung biefes> 93erbote§ mit gerichtlicher Skftrafung geafmbet merben mürbe (ber
23ericr;t bei ©efanbten über bie ünterrebung mit Slntonelli bom 17.gebruar ib. p. 157 6 ff.).
10 2öeit mistiger aber mar, baf; aucb, ^ranfreid) jetjt ba§ Söort ergriff. $n ^ner au<^ ^e"
anberen ffiäfytm mitgeteilten Debefcfye bom 20. gebruar (ib. p. 1553 ff. ; ©ranberatb, II,
©. 692 ff.) roieg ©raf Daru bie in bem ©db,ema enthaltenen Übergriffe in ba3 ftaatlicfye
©ebiet jurücf unb »erlangte, bajj ber ^eilige ©tufyl ber frangöfifdt)en Regierung bor ber
Sefcfylufjfaffung bei ^ongilg über fragen, bie bie ^Soliti! beträfen, ©elegenljeit gebe, bem
15 ^onjif ifyre Sluffaffung ju übermitteln ; Daru fyat babei an bie 2lbfenbung eineä ©e=
fanbten gebadet. 3lntoneßi aber erteilte in feinem 33rtef an ben S^urtttug Gfjngi bom
19. Sßärz (Coli. L. p. 1555 ff.) eine ablefmenbe 2lntmort. Diefer SBefcfyeib mar fürgrant=
reidE) eine Überrafcfyung unb rourbe begreiflidfjermeife unangenehm embfunben. Die fran=
göfifdt)e Regierung fyat barauf^in in einer zweiten Denlfct/rift, bom 5. 2lbril (ib. p. 1563 ff.),
20 bie gorberungen ber erften 5Rote fäax fallen gelaffen, fyielt aber ben gegenüber bem ©ct/ema
eingenommenen ©tanbbunft bollftänbig feft, unb »erlangte bie Entfernung ber gefäfyrlict/en
©teilen. Diefe3 Sorgefyen ber franjöfifc^en Regierung fanb bie .guftimmung audf; anberer
9Jlä$te, bor allem Dfterreicr)§ (Debefcfye SeuftS bom 10. Slbril, ib. p. 1585 f.). 2lber e§
ift baburcb, ntcfjtg erreicht morben, ba hinter biefen ^roteften nicfyt ber Söilte ju ent=
25 fpredjenbem §anbeln ftanb. Strttonellt bielt fogar bie $eit für geeignet, bem öfterreicfyifcrjen
9fteicfy§fanzler am 20. 2tbril in einer auffaßenben SBeife ju antmorten (ib. p. 1588 ff. ;
©ranberatb, II. ©. 709 ff.) unb in granfreicb, tourbe nacb, bem ©turj bes> ©rafen Daru
DHibier am 18. Slbril aud) 9Jiinifter bei Wurmartigen. Damit mar bie ©efab,r enbgiltig
befeitigt, bafs etroa bon franjöfifc^er ©eite auf ba<§ Konzil ein Drudf ausgeübt mürbe;
30 mag audb, immer @rgbtfc§of Darboto. burcb, feine 33orfteHungen bei 9teboleon berfucr)t I)at.
Dtefelben bolttifcfyen Erwägungen bie tt>n ju großer 9teferbe beftimmten, maren aucb, für
33i3marcf ma^gebenb (Coli. L. p. 1601 ff.), ©benfomenig gab ©nglanb feine ßurücffyaltung
auf, benn ben ©inflüffert £orb 2lcton§ auf ©labftone mürbe burdb, bie 33erid)te be§ eng=
lifcfyen ©efd^äftgträger§ in 9tom, Dbo 3tuffeU, an ben 3JJinifter bes älufjeren, £orb
35 ßlarenbon, bie SBage gehalten (über bie ©inmirlung SJknningS auf sJtuffeH bgl. ^ßurcell,
Life of Manning II, ©. 433 ff.).
3lm 22. ^ebruar trat in ben 33erf>anblungen bei ^onjifö eine $aufe ein, erft am
18. 5Rärj folgte bie brei^igfte ©eneralfongregation. 3U ^iefer Unterbrechung ^mang bie
9cotmenbigleit einer llmgeftaltung ber ^ongiföaula. ®te Deputationen erhielten baburcb,
40 3«it, bie an fie ^urücfbermiefenen ©d£)emata umzuarbeiten, mäb,renb bie ©tmobalen auf=
geforbert mürben, nac§ ber fofort in ^raft tretenben neuen ©efcb,äftäorbnung ib,re Se=
merfungen ju ben erften gebn ^abiteln be§ ©db,ema§ De ecclesia binnen jefyn ^agen
bei bem ©etretär be§ ^onjilö einjureiclten (Coli. L. p. 729ff.). 2lm 6. SSJJär^ erfolgte
enblicb, ber gro^e ©c^lag: ben SJJitgliebern bei ^onjilS mürbe ju ^abitel 11 beäM©cb,ema§
45 De ecclesia (De Romani pontificis primatu) ein ^wf^a^i^t ^er bk Überfc^rift
führte: „Romanum Pontificem in rebus fidei et morum definiendis errare non
posse" (ib. p. 641) jugefanbt. ®a§ beigefügte Aconitum bei ©elretariati be§ lonjilS
bezeichnete biefe Vorlage als bie (Erfüllung bei 2Bunfcfye§ zahlreicher SRiiglieber (cum
plurimi episcopi petierint a SSmo domino nostro, ut concilio proponatur
50 thema de infallibilitate Romani pontificis) unb forberte baju auf, etmaige 93emer=
fungen ju bem elften ^abitel famt biefem 3ufa£ binnen geön Sagen einzureichen; bie
grift mürbe bann big zum 25. SERärg berlängert (ib. p. 1697 bgl. 729). ©o mar benn
bie (Sntfcb^eibung gefallen unb zwar in bem längft borauggefagten ©inne, bie 3e^ ^
Skrftecf'fbietenS ber ^urie mar zu @"be unb baö Konzil ftanb bor einer Ilaren ©ituation.
56 2. Die 3lnnab,me ber Constitutio de fide catholica in ber britten
©i|ung am 24. 2lbril 1870. Die ©eneralfongregationen Ratten nocb, nic§t mieber
begonnen, al§ bereite aus ber SDtitte ber Majorität, bie e§ nid;t ermarten lonnte,
bie Definition ber QnfaHibilität unter Dadb, unb %aä) gebradbt ^u fefyen, 3Serfuc^e unter=
nommen mürben, bie Eröffnung ber 33err/anblungen barüber zu befc^leunigen. %n biefem
60 ©inn fbradjen fic| u. a. am 10. Sftärz breiunbneunzig SSäter in einer an bie ^räfibenten bei
SBattfnnifdjeS SLontf.i 461
.ston^tlö genuteten (Eingabe au3, ebenso fed^unbbreifcig 93ifd)öfe in einer Petition an bie 2ln=
tragsiommiffion (ColLL. p. 969 ff.) Stuf ber anberen (Seite verlangten fed)3 ungarifdjie Sifdtofe
in einem ^oftulat an ben Äarbinal be Stngeliä (ib. p. 973 f.), bafj biefe fdjtoierige
jftaterie erft bann auf bie Sagcäorbnung gefegt toürbe, toenn fie forgfältig burcb, bie
3)iitglieber beS JRonjilä geprüft toäre, unb am 20. 2Ibril baten bierjefm 33ifd)öfe berfdnebener 5
2änber (ib. p. 975 ff.), bafc ber SSerfyanbhmg über ba§ elfte Kapitel be3 ©djemag de
ecclesia bie (Erörterung be3 13. unb 14. Äabitel3 über ba§ 33erf)äUni§ Don $ird)e
unb (Staat, fbejiell über bie 23ulle 33onifaciu§' VIII. Unam sanctam, borangefyen foäe
(griebrid) III, ©. 857 ff.). Waty bem Sagebucb, etne<§ 2Ritglieb§ ber ©r/nobe — ob
el ben bon ©ranberatb, III, ©. 9 ff. ir/tn jugefdpebenen Söert beft|t, mufe balnngeftetlt io
bleiben — , waren unter ben ÄongtBpräfibenten bie Äarbinäle SBilio, be Suca, be Singeiis
geneigt, biefen Söünfcfyen ber SDiinorität entgegenkommen, ©ine Heine überaus betrieb^
fame ©rubbe Don ^rälaten, bie fid) um ©rjbifcfyof SJfanning unb 33tfd>of ©eneftret) bon
:){egen§burg, ben beiben §aubtagitaioren ju ©unften ber llnfeblbarfett, fdjarte, trat jebocr)
biefen 23erfucr/en einer |unau3fd)iebung ber SDtefuffion mit großer ©nergie entgegen. 15
infolge beffen tourbe ber $abft felbft, in einer 3lubienj unb bann burd; eine bon b, unbert=
unbfünfjig SBifdjöfen unterzeichnete Petition (Coli. L. p. 977 ff.) bom 22. 2lbrtl angegangen
unb auf biefem äöege erreicht, bafc bie bon ifynen erfelmte 33erl)anblung ntd)t toeiter b,inaug=
gcfcfyoben mürbe.
©ie ©eneralfongregationen bom 18. 9Jlärj bi3 19. 2tbril, b. f). bie breifcigfte bis» fed;€unb= 20
üierjigfie (Coli. L. p. 730—739), b/aben fidc) mit ber23eratungbe<§ am 10. Januar ber ©lauben3=
bebutation übertotefenen unb bon biefer rebibierten ©d)ema§ De doctrina catholica
befd^äftigt. $n biefer SDebutation toar eine ©ubfommiffion bon brei ?[RitgIiebem gebilbet
toorben, bie ib/rerfeitS toieberum bie £jaubtarbeit an S3ifd)of Martin bon ^aberbom über=
trug, ber fid) babei ber Unterftütjung be3 ^efutten ^leutgen bebiente. £)ie 23ert)anblungen 25
ber ©ebutation (©ranberatb, II, ©. 363 ff.) führten fcbjiefjlid) baju, baf? nur ber erfte
Seil be3 ©d)emas> (Coli. L. p. 69 ff.), unb jtoar unter bem Sitel de fide catholica,
ben ©eneralfongregationen übertoiefen tourbe, toäbjenb ber jtoeite Seil be§ ©djemaS (ib.
p. 1632 ff.) überhaupt ntct;t jur 23erf)anblung im Plenum gelangt ift. %n ber am
18. 9Jiärj beginnenben ©eneralbebatte, bie burd) ben S3ericf/t be§ ©rjbifcbofg ©tmor bon ©ran 30
(ib. p. 80 ff.) eingeleitet mürbe, fanb ber ©nttourf neben mannigfacher Slnerlennung bod)
aucfy berfdjiebentlidjen Säbel. 23tfcr/of ©tnoulbtac bon ©renoble feiste au3, bafe bie ©ebu=
tation bon fid; au$ 3ufat5e ju bem ©djema gemacht l)abe, bie in bem ^onjil nict/t bean=
tragt toorben toären. ^arbinal ©djtoarjenberg gab biefem Säbel fogar eine nocf) fcfeärfere
Formulierung, inbem er bie 2lrbeit ber ^ommiffion ntcf/t cd§ bie grudjt ber lonjiliarifdjen 35
Beratung anerlannte. 2113 er fid; aber beilegte, bafj bie 33äter ju ben ftenograblnfcf/en 33e=
richten leinen antritt litten, tourbe er bon bem ^Jräfibenten unterbrochen, @rjbifd)of ft'enrid
bon ©t. Souü tabelte u. a. bie bielen Slnat^ematiömen. Unter ben in ber ©jjejialbebatte
gehaltenen 9?eben ift bie beg S3ifd) of3 ©tro^mat)er am 22. 5Rärj §u großer Serü^mt^eit gelangt,
toeil fie ju einer ftürmifd;en ©jene geführt b,at, bie für bie ^Beurteilung ber ^ebefreifjeit 40
ber ©tmobalen einen toicf)tigen Seitrag liefert, ©trofjmatyer beanftanbete gunäcbft auf
©runb ber früheren ^ßraji^ ber ö!umenifd;en ^onjile bie ©db,Iufetoorte ber ©inleitung
(Cum itaque nos etc. Coli. L. p. 71c), naef; benen nidjt ha§> konjil, fonbetn ber ^pabft
bag ©ubjett ber ^Definition fein foHte. SDann aber toanbte er fid) gegen bie ©ä|e beä
^ßrooemium^ (ib. p. 70), in benen au3 ben proscriptae a Tridentinis patribus 45
haereses abgeleitet tourben opinionum et philosophicorum systematum monstra,
mythismi, rationalismi, indifferentismi nomine designata, quae in unam demum
coalescentes errorum congeriem, naturalismum ediderunt unb gefagt mar, bafj
impia huiusmodi peste impune grassante auef) manche ©bl;ne ber Äircfye angeftedt
toorben feien, ©trofemar/er „tabelte bie 33erfeb,rtl)eit unb Ungerecfytigfeit biefer ^Borte, 50
inbem er auf bie religiöfe ©leicb,giltigleit, toelcfye im ^at^olijiömug ber Deformation bor=
ausging, fjintoie^, unb an bie ©reuel ber Debolution erinnerte, toelcfye bie ©ottlofigleit
unter ben ®atr/olilen, nid;t unter ben ^3roteftanten berurfaef/t b,ab<t. 2Ran foEe nid;t bie
tüchtigen 3Serteibiger djriftlidjer £eb,re unter ben 5ßroteftanten bergeffen, bon benen biele ba3 i\5ort
Sluguftins berbienten: errant, sed bona fide errant; eä gebe bon feiten ber ®atf)oltien feine 66
befferen SSiberlegungen ber im ©djema aufgeführten Irrtümer, aU bie, toelcf)e ^roteftanten
gefcf)rieben ; alle 6b,riften feien SRännern toie Seibnij unb ©uijot ju SDanf berbflicfytet"
(puirinu§ ©.296 f.; 2lcton ©.90; griebrieb, III, ©.773). ®afe bie ^roteftanten in
2d;u| genommen tourben, führte ju einer bramatifdjen ©jene, beren ftenograbr/ifef/er Se=
riefit je|t bon ©ranberatb, II, ©. 395 ff. abgebrudt ift. Db biefer Script bejügltrf; co
462 2SatiJnnifrf|e§ Sottet
einer ^öc^ft grabterenben ©teile (©. 394 2tnm. 1) bollftänbig ift, mufe bei ber mangelnbcn
Kontrolle ber ftenograbfnfdjen aiufjeidmungen burcb, bte 9tebner balnngeftellt bleiben,
©trofjmar/er mürbe bon bem ^arbtnal be 2lngeli§ unterbrochen, bon 6a)palti $ured)t=
gemiefen unb burcb, bie tumultuarifdjen 9?ufe ber aufgeregten Bäier jum Berlaffen ber
5 Tribüne gelungen (Indignabundi patres e subselliis egrediuntur, singuli pro se
varia obmurmurantes. Alii dicebant: Et isti nolunt infallibilitatem papae,
istene est infallibilis ? Alii: Lueifer est iste, anathema, anathema ! Alii vero:
Alter Lutherus est iste, eiiciatur foras. Omnes autem clamabant: Descende,
descende !). 21m näd)ften %a$ fmt er in einem fcfyriftlicb, eingereihten ^ßroteft gegen bie
10 Unterbrechung feiner 9tebe Befcfymerbe erhoben unb „für ba§ ifym öffentlich ^gefügte Unrecht
eine öffentliche ©enugtfyuung" berlcmgt (©ranberatl) II, ©. 403), mie e§ fdjetnt bergeblid).
©egen bie Bejetdmung beg ^5roteftanti§mu§ al§ pestis foll bon Berlin au§ eine fefyr
energtfdje ©rflärung (griebrid; III, ©. 789) erfolgt fein; ba ©ranberatb, (II, ©. 393
2lnm. 1) fie ntct)t beftreitet, rotrb bte 9cadirid;t als jutreffenb anjufer/en fein. SDafc ftc^
15 ftarle ©inflüffe gegen bie ^Definition ber angeführten Beurteilung be<§ $roteftanti§mu§
geltenb gemalt b/aben, ergibt ficb, barau§, bajj ba§ ^rooemium burcb, bie (glaubend
bebutation in bem bon ©trofsmafyer betretenen ©inne tatfädE>ttcE) abgeänbert roorben ift.
S)er neue £er.t (Coli. L. p. 96 f.) leitete ntct)t mefyr au3 bem ^rotefianti§mu3 benüftatura=
Ii§mu<o u. f. ro. ah, aucb, mar ber 2lu3brucf pestis burcb, impietas erfe|t. Wad) biefen 2tbänbe=
20 rungen gelangte bie Umleitung $ur 2lnnar;me. — ^n ber ©be^iafbebatte über ha§ erfte
Sabtiel „De Deo" traten ^etnungSberfcbJebenfyetten barüber I)erbor, ob bie Slnfanggmorte
lauten fottten „Sancta romana catholica ecclesia" ober „Sancta catholica aposto-
liea romana ecclesia", bte jmeite Raffung Drcm9 ^urc^- ®*e Bebenren gegen bie bor=
gefcf/lagenen canones unb 2tnatl)emati3men mürben nur bon einer SRinberf/eit bertreten,
25 aucb, ber Borfd)Iag be3 Btfcfyofg §efele bon Stottenburg, ntct)t bie ^rrenben, fonbern bte
Irrtümer ju berurteilen, fanb leine 3lnnal)me (©ranberatb, II, ©. 41 7 f.). ®a§ jtneite
$abttel, bas> u. a. über bte ©rflärung ber ^eiligen ©cbjtft fwnbelte, übernahm jroar bie
trtbentinifdjen Beftimmungen, aber ftridt) barauS bejeidjmenbermetfe bie unanimis con-
sensio (ib. p. 439). ®ie (Erörterungen über ba§ bierte Äabttel De fide et ratione
30 beranlafjten ben Btfdmf ©tnoulr)tac bon Orenoble ju einer nacb/brüöclicb/en Berteibtgung
ber greir/eit ber 2ßiffenfd)aft (ib. p. 449 f.), aber er brang mit feinem Borfct/Iag, ^u er=
Hären, bafj einige SBiffenfcb/aften bon ber Offenbarung ganj unabhängig feien, nidjt burcr/.
SDag ©djema enthielt bann nocb, jroei ©cfylufsermafmungen (Coli. L. p. 77 f.), beren jmeite
bafyin ging, baj? aucb, bie J^onftttutionen unb ©efrete beobachtet roerben follen, burcb, bie
35 pravae opiniones, bie nid; t in ber borliegenben Itonftitutton aufgeführt feien, bon bem abofto=
lifcfyen ©tufyl berurtetlt mürben (über biefe bebeutung§bolle Beftimmung unb i!)re Bel)anb=
lung : griebrid) III, ©. 827 ff. ; ©ranberatf) II, ©. 454 f.). — $n ber fünfunbbiergigften ©eneral=
longregation am 12. Slbril gelangte ba<§ gan^e ©d)ema jur 2lbftimmung unb tourbe mit
515©ttmmen angenommen, mit placet iuxta modum botierten breiunbadjtjig ©tjnobale;
40 über bie bon biefen fdpftlid) eingereichten Sebingungen (Coli. L. p. 219 ff.) erftattete
33ifd}of ©affer bon 33rij;en am 19. 2tbril ben 33erid)t (ib. p. 232 ff.). 3lngefid)t§ ber be=
borfteb^enben beftnitiben ©efamtabfttmmung befanb fid) bte Minorität in fdjiüieriger Sage,
benn fie befürchtete, burd; t&re Beteiligung bie bisher befämbfte ©efcb,äft6orbnung anju=
erfennen; aud} gegen bie ©djlufjfätje beftanben in tbrer 5Dcitte ernfte Bebenfen. drft am
45 23. 2lbril entfd^ieb man fid; roefentlid) auf ia§ Betreiben ber ^arbinäle 3{aufd;er unb
©d)roar§enberg für bie Slbftimmung mit placet. „SDer §aubtgrunb be§ 9cad;geben^ mar,
baft bie beiben It'arbinäle injir>ifd;en ©id)erl;eit barüber erbalten Ratten, e3 mürbe un=
mittelbar nacb, ber öffentlichen ©i^ung bie ^nfallibilttät auf bie S£age3orbnung gefegt
toerben, unb ba muffe man burd) bie morgige Unanimität ben ^ontraft ber mangelnben
so ©inftimmigleit bei ber Dotierung ber llnfel;lbarlett fo grell als möglid; b^erbortreten laffen"
(grtebricb, III, ©. 836). 3n *>er am 24- ^Px^ ftattftnbenben brüten öffentlichen ©i^ung,
bei ber 667 Bäter anroefenb roaren, mürbe bie Constitutio de fide catholica
einftimmtg angenommen unb bie geftftellung biefe§ Stefultateg fofort bon bem 5Pabft
„beftätigt" (Coli. L. p. 247 ff.).
65 3. Sie Berijanblungen über bie 3nf allibilität^borlage unb bie 2ln=
nab^rne ber Constitutio De ecclesia Christi in ber bierten ©itjung
am 18. Qult 1870.
@in Borfbtel beg je^t beginnenben großen Siebelambfeö um bte ^nfallibilität roaren
bie Berfud;e einiger bebeutenber Btfdjöfe ber SUltnorität, auf Ittterarifdjem SSege ib^re ^on=
60 ft)nobalen über bte großen, tt)rer Definition im Söege ftel)enben ©cb^mierigfeiten aufju=
^attfamfefjeS ®on5tl 463
Hären, bocb, nutzten fie Wegen ber $enfur tfyre ©Triften aufeerfyalb ))iom$ crfd;cinen laffen.
Äarbinal Skufcfycr fcfyrieb Observationes quaedam de infallibilitatis ecclesiae sub-
iecto, von 33tfdE>of §efele ersten: Causa Honorii papae, $arbinal ©cfiWar^enberg ber=
anlafete bie bon feinem t^eologtfdjen Berater ößrof. ©. 9Jto;er in Vrag) berfafetc ©ebrift De
sumrai pontificis infallibilitate personali unb Sifcf/of £etteler liefe eine in ©olotfjurn 5
gebrudte ®enffd)rift „Quaestio" berteilen, bie bei ifyrem ©tntreffen in 9iom auf ber Voft
fonftgaiert unb erft nad) energifdjer 9leuamation freigegeben Würbe, ©er ©inbruef biefer
©Triften War nidit gering (über ©egenfcbjiften bgl. ©ranberatb, III, ©. 44 ff.), aber bei
ber gufammenfe^ung beg ^ottjttö ofyne entfd)eibenbe SBirfung.
©djon in ber erften auf bie britte öffentliche ©itjung folgenben ©eneral= 10
fongregation am 29. Stbril Würbe bie Vorlage eineg Schema de Romano ponti-
fice angetunbtgt (Coli. L. p. 740). 2lug ben Greifen ber Majorität Würbe biefer
©cfyritt mit greuben begrübt (ib. p. 979 f.), jugleid; aber broteftierten einunbfiebjig Väter
mit cnergifcfyen Söorten bagegen, bafe ofyne borangegangene geftfteüung ber £eb,re
bon ber äixdje bie bon ber Unfehlbarkeit beg Vabfteg bebanbelt werbe (ib. p. 980 ff.), 15
freiließ bergeblicb. ®ie ©laubengbebutation, bei ber bie big jum 25. 3)iärj abju=
liefernben ©utaebten ber Väter über bag ©cfyema De ecclesia in großer 3ab,I ein=
gelaufen Waren (Synopsis analytica observationum quae a patribus in caput
et canones de romani pontificis primatu faetae fuerunt, abgebrudt: griebriefy,
Documenta II, p. 179 — 289) batte am 27. 2lbril mit ben Verljanblungen über ben 20
(Entwurf beg burefy bie Veränberung beg 2trbeitgbrogrammg noiWenbig geworbenen neuen
©djemag begonnen unb War bamit, nidbt ofme bafe in it)rer eigenen Sftitte ®ifferenjen
aufgetaucht waren, big jum 8. Sftai jum 2lbfd)Iufe gelangt (©ranberatb, III, ©. 121 ff.).
Unter bie ©tmobalen Würbe bag neue ©cfyema jufammen mit bem Veridjt ber ©laubeng=
bebutation (Coli. L. p. 2 74 ff.) am 9. 3Jiai übergeben. £>ag ©cbema (ib. p. 269 ff.) 25
führte ben 2itel Constitutio dogmatica prima de ecclesia Christi unb beftanb aug
einer (Einleitung unb bier Kapiteln : 1. De apostolici primatus in beato Petro in-
stitutione, 2. De perpetuitate primatus Petri in romanis pontifieibus, 3. De vi
et ratione primatus romani pontificis, 4. De romani pontificis infallibilitate
nebft brei canones. $I)m lag bag elfte ^abitel jeneg erften ©djemag De ecclesia 30
Christi unb bag Caput addendum bom 6. Wläv% ju ©runbe.
2lm 13. 9J£ai begann bie ©eneralbebatte in ber fünfjtgften ©enerallongregation, ein=
geleitet bureb, ben 33eridt)t beg Vifcfyofg Vte bon Vottierg (Coli. L. p. 290 ff.), ^n ben toteren
©eneralfongregationen, bie fie auggefüllt §at, Würben bterunbfec^gtg Sieben gehalten (©ranbe=
ratt) III, ©. 285), bie jum 5£eil ben (5b,arafter bon 2lbl)anblungen trugen unb begreiflicfyerWeife 33
biele SBieberbolungen aufwiefen. 2llg einen Verftofe gegen bie Sogt! bezeichnete Vifdwf
£abib bon ©aint Vrieuc bag Verfahren, über ben Vabft (Sruärungen abzugeben, bebor
bie Sefyre bon ber ^ird^e feftgeftellt fei, ^arbinal ©djWarjenberg unterftüijte biefen Angriff
auf bie beränberte ^agegorbnung, unb ja^lreic^e anbere 9tebner folgten ibm barin. SStfc^of
©reitb, bon ©t. ©allen fbrad) eg offen aug, bafe ber ^Definition ber bäbftlicfyen Unfebl= 40
barfeit nicfyt nur gWedmäfeigteitggrünbe im 2Bege ftünben, fonbern aueb, Sebenfen gegen
bie 2eb,re felbft. Sifc^of §efele bon SJottenburg, ber Wol;l alle ©^nobalen an @efcbid)t<s=
fenntni§ überragte unb auf bem ©ebiet feiner fipejiellen gorfcfyung, in ber ©efd;id;te ber
lonjilien, eine anerfannte Stutorität^fteHung bel^aubtete, fbrad; al3 §iftoriler unb führte
ba3 firc^lic^e Altertum in§ ^e^/ ^ox allem bie Verurteilung be§ $abfte§ §onoriul I. bureb, 45
ba£ fedb,fte öfumenifdje J^onjil. Sifcfjof ^etteler bon s3Jcainj führte au§, bafj bureb, bie ©rb, ebung
ber bisher nur als ©c^ulmeinung bertretenen £efyre bon ber bäbftlicljen Unfeb,lbarfeit jur
Söürbe eineg ©ogma§ „bie göttliche ^onftitution ber Äirdb,e beränbert unb bemid)tet ju
toerben fcb,eint". 2113 33ifd)of Verot bon ©t. 2luguftin feine ben ©egnern offenbar recfyt
embfinblid)en ^iftorifc^en 2lu3füb,rungen in bie ©rtlärung au^münben liefe, bafe ei ib/m öo
aU ein ©afrileg erfcb,einen Würbe, biefer Seb,re feine ©timme ju geben, Würbe er bon
bem ^ßräfibenten (Sa^alti febjoff unterbrodjen unb be 2Ingeli3 entzog ib, m ba3 2Bort. Sifcb, of
be lag Safeg bolemifierte gegen bie Vorlage, Weil babureb, bie Verfaffung ber Rhdjz bcr=
änbert;unb aug einer ariftotratifd)en in eine abfolut monarcbjfcb, e umgeWanbelt Würbe. Qn ber
bon ©trofema^er gehaltenen 9tebe Würbe aug bem ^e^ertaufftreit nacb,geWiefen, bafe bao 55
britte 3ab,rb,unbert nidjtg bon einer Unfef)lbarfeit beg römifdien 93ifcb.ofg Wufete. 33ifd)of
9Jcaret führte aug, bafe ber llnfefylbarfeitgcfyarafter einer bäbftlid;en Se^rentfdjeibung bon
ber 3uftimmung ber Vifd)öfe abhängig fei. gür Sifd^of ©infcl bon X'fuggburg War ber
Mangel eineg ".fynWeifeg auf bie Unfe^lbarfeit in Wt 16, 18 f. ber augreidb,enbe
SdjriftbcWeig gegen biefe 2eb,re. — ®a nad) allgemeiner 2lnfc^auung für bie Togmatifie= 60
464 SattfantfdjeS ftons«
rung einer £e£>re nicfyt nur für notmenbig erachtet mirb, baf$ fie in ber göttlichen Dffen=
barung enthalten tft, fonbern aufy, baf? baö 2Bot)l ber $ira)e ib/re geftlegung bedangt
(©ranberatb; III, ©. 213), fo taufte bie $rage ifyrer Opportunität in ber ^Debatte immer
toieber auf unb mar aud? g<*t nict;t ju umgeben. S3ifct)of 9libet bon SDijon fe$te b/ier
s ein unb geigte, bafs fie für nicfyt menige unerträglich fei, bem SBofyl ber $irc|e fdjabe unb
für bie Regierung ber Üirct/e unnü| fei. (Ebenfo berneinte ^arbinal ©djmaräenberg ifyre
23egrünbung au§ ben 33ebürfniffen ber ©egenmart unb ^arbinal Steufcfyer beftritt, bafj bie
adjt^n ^abjlmnberte gcltenbe Überzeugung bon ber Unfefylbarfeit ber ©e!rete allgemeiner
SJonjüe unb ber bon ber liretje angenommenen ®elrete ber ^äpfte nicfyt mefjr genügenb fei.
io 3u ben micfytigften Sieben gehört bie beä (Ergbifcfyofg SDarbob. bon $ari§ (ebenb. ©. 233
big 240), ber bie 33orgefcf)icf)te be§ ©d)emas fritifierte, bie borgefcfylagene ^Definition an
ben für eine folcfye geltenben (Erforberniffen prüfte unb bie praftifcfyen SBirfungen tbrer
2lnnal)me unterfucfjte. — 33on infaßtbiliftifcfyer ©eite mürbe natürlich, berfud)t, aHe biefe
Argumente ju entkräften unb bie ^ftotmenbigfeit bes> ®ogma3 ju ermeifen, bor aUem aucr)
15 au<§ ber bamaligen $eitlage ju rechtfertigen, (Ergbifdmf Seafyp bon 6afr)el fanb bie Sefyre
unmittelbar in ber ©cf/rift mitgeteilt, ©rgbtfcfoof ©palbing bon ^Baltimore lieferte nad)
©ranberaify „feb/r grünblicb/' ben Xrabitionsbemeis, ber $atrtard) 3Salerga [teilte feine
©egner mit ben 9J{onott)eleten in parallele. S)a| gange Sänber bie ^Definition t/erbei=
feinten, mürbe bielfact; berfiebert unb tbre ßmedmäfsigfett meb/rfacb, aus bem angeblichen
20 Verfall ber afatbolifeben #tNird)en begrünbet. ^arbinal 50tanning bemühte fiel; um biefen
^Jtac^meig für (Englanb, (Ergbtfdmf ©cr/aepmamt bon Utrecht für §oßanb, ©r§bifdE)of 5ftabba=
lena bon (Eorfu für bie fcbtömattfcben ©rieben. 3lber roeber bie Sieben ber einen nod)
bie ber anbeten Partei Itaben auf ben ©egner überjeugenb gemirlt; bie ©ebatte mogte
r/in unb fyer, man bätte nod) SRonate lang in biefer 9Beife meiter bigfutteren lönnen ofme
25 bafs bie 3lu€ficbt auf SSerftänbigung gemacf)fen märe. — 3lm 3. ^$uni gelangte ein bon
meb/r aI<B b/unbertunbfünfgig Tätern unterjeiclmeter Slntrag auf ©cf/Iuf$ ber ©eneralbebatte
(Coli. L. p. 984) §ur 2InnaI)me (ib. p. 748), moburef) biergig noeb; eingefd/riebenen 9?ebnern
bas> SKort entzogen mürbe (griebriel) III, ©. 1849). SDer bon einunbacb^tjig ©pnobalen
gegen biefe 33erleljung be§ jebem bon iljmen jufteltenben SRecbteä, bie ©rünbe feiner 2lb=
30 ftimmung borjutragen, eingelegte ^roteft (Coli. L. p. 986 ff.) mürbe unter ■'pinmeü auf
ba§ päpfilid)e SDefret bom 20. Februar bon bem ^räfibenten ntebt angenommen.
$Die am 6. Quni beginnende ©pegialbebatte bat fiel) nur Iurg bei ber (Einleitung
(Coli. L. p. 269) aufgehalten. 2113 33ifd)of «ßerot erllärte, ba£ bie Borred/te beö $apfte§
nieb/t nad) bem alten ©lauben ber Sttrcfye, fonbern nad) ber 3tuffaffung ber Ultramontanen
35 bargelegt mürben, mürbe er §ur ©acfye gerufen (©ranberatl) III, ©. 296). Sifcb^of Söierb.
bon ©url toanbte fid) bagegen, bajj ber ^apft perpetuum prineipium ac visibile
fundamentum ber ©inf;eit ber Äird)e genannt mürbe. 2Inbere münfd}ten eine gang neue
(Einleitung, ison ben eingereichten 35erbefferungäborfcf)Iägen fanb bie ©laubenSbebutation
nur menig brauchbar, ber bon ibr rebibierte £er.t mürbe am 2. Quü faft einftimmig an=
40 genommen (Coli. L. p. 756). — Stucb bie 3Serf)anblung über ba§ erfte unb jmeite Äabitel
über bie (Einfettung be§ ^rimatö unb feine gortbauer in ben römifeb^en 23ifd)bfen (ib.
p. 270ff.) mürbe rafd) erlebigt. ©ie gelangten mit geringen Slbänberungen an bem
gleichen Sage 5m 3lnnaf)me (ib. p. 756). 3>on ^ntereffe ift, ba^ bie ©lauben§beputation
ben bon @rjbifd)of iRon-jon bon ©ranaba geftellten Slntrag, ba3 göttliche SHccbt ber Bereinigung
45 be<§ ^ßrimat§ mit bem römifd)en ©tub,l au^ufpred^en, abgelehnt b^at. — ©röfjere ©d;miertg=
leiten geigten fiel) bei ben SSerfyanblungen über ba<8 brüte Hapitel, in bem ba3 SBefen
unb bie Sebeutung be§ ^ßrimat^ feftgeftellt mürbe (ib. p. 271 f.). £ier probojierte ju=
näcbjt bie 2Benbung, ba^ bem ^3apft eine plena potestas pascendi, regendi ac guber-
nandi universalem ecclesiam gufomme, ba§ Verlangen nacb, §injufügung irgenb melier
50 33egrenjungen. 33ifdbof 3Serot gab feiner S?ritil ber bon ber ultramontanen ©dwle ber=
tretenen Stuffaffung ber päpftlicb,en ©emalt bie fd;arfe Formulierung, ba| er einen $anon
borftt)Iug (Si quis dixerit, tarn plenam esse Romani pontificis auetoritatem in
ecclesia, ut omnia pro nutu suo disponere valeat, anathema sit), ber ifym eine
überaus febatfe ßurüd'meifung be§ ^räfibenten ßapalti eintrug (©ranberatl) III, ©. 316).
55 gerner beftanben 3)ifferen§en über bie ©ä|e beS (Entmurfs, bie ben ^Sapft für ben
supremus iudex in bem ©inn erklärten, ba^ eine Appellation bon feiner (Sntftt)eibung
an ba§ öfumenifd)e l^onjil au§gefd)Ioffen mürbe, ba ibre 2lnerlennung eine S3inbung
in 33e^ug auf bie ^nfallibilitätöfrage enthielt. (Enblid) erregte eg Seben!en, baf
bie potestas iurisdictionis be§ ^ßapfte<3, ber alle §irten unb ©laubigen auf ber
60 gangen SBelt ©eborfam fcfjulben, all episcopalis, ordinaria et immediata begetcfynet
SBattfantfrfjcS ®onpl 465
mürbe (Coli. L. p. 271). %ion berfd/iebenen ©etten mürbe bie (Streichung biefer 2lu3=
brüde geamnfd;t, bon SBifdmf ©ola Don SKi^a mit ber ÜJiotibierung, bafs bei ü)rer 2ln=
naljme bcr ^3abft ber einzige 58tfd;of in ber ganzen $trd;e fein würbe, mäfyrenb alle
übrigen SBifcfyöfe nur nocb, bie ©eneralbüare be3 ^kbjtesi genannt merben bürften (®ranbe=
ratb, III, ©. 333). 2113 fbäter über bie eingereihten SefferungSborfdjläge (Coli. L. 5
p. 332 ff.) am 5. Qult bon ber ©laubenäbebutation 33ertct;t erftattet mürbe, tarn e3 nocb, über ben
britten $anon, ber eine beränberte, nicb, t borgefdjlagene gaffung erhalten I)atte, ju fdjarfen
2tu3etnanberfe£ungen (grtebricb, III, ©. 1163 f.; ©ranberatb, III, ©. 370 ff.). $ie 3ln*
nafyme be£ britten ÄapitelS famt beS zugehörigen Kanons erfolgte am 11. ^uli (Coli.
L. p. 758). 10
2Jcit ungefdjmäcf)ter ®raft trat bie ©imobe am 15. ^uni in bie ©be^talbebatte über
ba3 bierte Kapitel ein. 2lu3 ben. Seben greifen mir nur bie bes> ©ominifanerS Äarbinal
©uibi @rjbtfcb,Df Don ^Bologna ^erau§, meit fie befonbere<§ 2IuffeI)en erregt I)at. @r beftritt
nicfyt bie tlnfet)lbarfeit be§ ^papfteg, aber fbracb, fie nur ben @ntfd)eibungen beg ^apfte<§
ju, nicfyt beffen ^erfon, unb erklärte, bafs ber $abft an ben borfjer eingeholten "Rat ber 15
ÜBtfcfybfe gebunben fei, meiere bie ^rabition ber Äircfye bezeugen. 33on feiten ber 9Jtefyr=
b/it 30g er fkf) ftarfe Stufjerungen bei 5Rtf3falIem§ %u (griebrict) III, ©. 1110 ff., @ranbe=
ratb, III, ©. 395 ff.) unb mürbe fofort naefy ber ©i£ung in ben SSatifan gitiert, um fieb,
ju berantmorten. ^}iu3 IX. liefe iljm t)art an unb fd)Iug bie Berufung auf bie Srabition
ber Äirdje bureb, ba§ berühmt gemorbene SBort nieber : „bie Srabttion bin idj." Slnfang 20
$uli brang in ber ©bnobe bie Überzeugung burd), bafj mal für unb gegen bie Vorlage
gefagt merben lonnte, gefagt morben mar, aueb, bie 33ifd;bfe ber 3Jttnbert)ett berfbracfyen
fieb, feinen Vorteil bon ber 3Seiterfü§rung ber ©ilfuffton. $Daju fam, bafj bie §i|e
immer unerträglicher mürbe unb ^a^Iretc^e Dbfer forberte (2. SOeuillot fcfyrieb bamall:
„Et si la definition ne peut mürir qu'au soleil, eh bien, on grillera" bgl. Quirinul 2s
©. 571). ^nfolgebeffen mud;§ bie Qaty ber auf ba3 2ßort ber$id)tenben angemel=
beten 3iebner bon SEag ^u ^ag, fo bafs am 4. Quli in ber jmeiunbac^tjigften ©eneral=
longregation bie ©bejialbebatte gefdjloffen merben tonnte, nact/bem ju biefem feierten ^abitel
fiebenunbfünfjig $äter gefbrocfyen unb einunbfecbjig auf Dag 2ö°rt beratet blatten.
3Jun gelangte ber grofje $ambf rafet) gu feinem @nbe, boeb, md)t otme unerwartete ^
3mifcf)enfäEe. 9cad;bem bie ©laubenSbebutation in ber ©enerallongregation Dom
11. 3u"i über bie bon ben Tätern eingereichten 23erbefferungs>borfd;läge (Coli. L.
p. 372 ff.) bureb, Sifcfyof ©affer bon Srijen 33ericb,t (ib. p. 382 ff.) erftattet unb eine
neue Sefinitionsformel borgefcfjlagen blatte, mürbe in ber fünfunbad)tjigften ©eneral!ongre=
gation am 13. ^uli ba§ bierte Äabitel angenommen unb barauf ba§ ganje ©djema jur 35
älbftimmung gebraut. SDa§ @rgebni§ erregte grofjeä 2luffeb,en, nicf>t meil bie SSorlage
angenommen mürbe — barüber beftanb fein ^wäfd — fonbern meil bon ben anmefen=
ben 601 3Sätern nur 451 mit placet ftimmten, bagegen 88 mit non placet unb 62 mit
placet iuxta modum (ib. p. 760). $u ben mit non placet Slbftimmenben gehörten
u. a. (Duirinul ©. 609 ff. ; griebrkr), Documenta II, p.426ff.): ©ie ^arbinäle ©cljtoarjen; ^
berg (^jßrag), sIRattneu (Sefangon), 9iaufct)er (2Bien), bie Patriarchen 3uffuf (2lntiocf)ta)
unb älubu (Sabtylonien), bie ©rjbifcljöfe unb §8ifdE)öfe a) au§ granf'reicf) ©inoulb^iac
(S^on), darbot; (^ßarig), gjfarguer^e (lutun), 3iibet (SDtjon), ©ubont be§ Sogeg (sKe^),
Subanloub (Orleans), , Warat (©ura i. p. i.), ©abtb (©t. Srieuc), ^lace (3JiarfetHe) ;
b) ©eutfd;lanb unb Öfterreid)=Ungarn : ©imor (©ran), gürftenberg (Dlmü§), ©cb,err 45
(9Jiünct)en), ©einlein (Bamberg), Sßter^ei^fto, (Semberg), §at;nalb (Äallocfa), Mtekv
(^Oiainj), ©trofema^er (Bosnien unb ©tirmtum), görfter (Srellau), gormerf (ab oft. ißtfar
bon ©ad)fen), SDinlel (2lug§burg), 2Biert) (®urf), @berf)arb (SErier), SBedmann (Oönabrücf),
6remen| (©rmlanb), 5Ramf janoiböft (^3robft ber breufe. älrmee in Serlin), ^efele (5Rotten=
bur9) ; c) Italien : ^ajari bi ßalabiana (TOailanb), Sofanna (Stella) ; d) ©rofebrttannien 50
unb bereinigte ©taaten bon -Korbamerifa : 6onollb (§alifaj), gi^geralb (Sittle^Rocf),
Kenrid' (Souilbille), Sourget (Montreal). In ber Slbftimmung l>aben fiel;, obmofil in
9tom anmefenb, nict;t beteiligt bie Harbinäle: hattet, Drfei, Quaglia, §ob,enlof;e, Sernarbi,
älntoneEi, ©raffelini. $u ben bebingt ^uftimmenben gehörten: ^arbinal ©uibi bon
Bologna, Sannocjt) (©aljburg), 3Jielcf)er§ (^öln), Sanbrtot (9ftf>etm§), Siccio ((Sajasjo). 65
2lngefid)tä ber beborftefyenben @ntfc£;etbung mürbe bon ben ©egnern ber ®efimtton
nod; ein le|ter SSerfud) gemacht, fie in i£>rem ©inne ju beetnfluffen. @rjbtfd;of ®arbob
richtete in ber ©enlfdjrtft „La derniere heure du concile" einen 2tbbeH an bie W\U
glieber ber ©rmobe (^rtebrtct) III, ©. 1177 ff.), beren für bie Majorität unb bie Seiter
be3 ^onjilg beinlidje geftftetlungen fo grope (Srregung l>erborriefen, bafe ein ^]roteft gegen 60
iRea[=^nc«flopäbie für I^eoloaie unb Ätr*e. 3. a. xx. 30
466 $aiifamfd)cg Stonpl
biefc Vrofcfjüre in ber fedj<3unbad)tzigften ©eneralfongregation am 16. ^uli für nötig er=
achtet Worben ift. 3lm ätbenb be£ 15. JJuIi Würbe eine Deputation bon fecfyg Vtfd)öfen ber
üftinberfyeit (©imor, ©moulfyiac, Darbob, ©djerr, Ketteier unb SRtüet) bon Viu<§ IX. em=
bfangen. 2Bag fie erbat, blieb hinter ben b'xtyet bon U)r erhobenen gorberungen Weit jurüd,
6 benn fie befcfyränfte ftdj auf bie jtoei Sffiünfdje, bafj bie SBorte Don ber plenitudo potestatis
im brüten Kabitel gefiria)en unb im bierten Kabitel ber älusfage über bie bäbftltcfye Un=
fefylbarfeit bie 2Borte hinzugefügt mürben, baf? er fid^> bei il)rer Vetfyätigung auf ba#
geugnis ber Kirdje ftüije. Ketteier marf ficfy bor bem Vabft ju Voben unb flehte dm
an, „ber Vater ber fatljolifdjen Söelt möge ber Kirche unb bem ©biffobat burd; etWa§
io 9?ad}giebigfeit ^rieben unb bie berlorene ©inigteit wiebergeben" (QuirinuS ©. 625).
ViuälX. gab tfmax feine beftimmte $ufage, a&er fein Verhalten Wedte neue Hoffnungen;
bafe fie trügerifd) Waren, betoie§ bereite ber näcfyfte %ag>. Die SBirfung alter bicfer 95e=
mü^ungen mar jebocr) eine nocfy Weitere SScrfd^ärfung bc§ Defretg. Denn bie ©laubcn§=
bebutation beantragte, ben ©cfylufeWorten „Huiusmodi definitiones romani pontificis
15 ex sese irreformabiles esse" ben Qu\afy ju geben „non autem ex consensu
ecclesiae" unb bie fecf)3unbad;tzigften ©eneralfongregation fyat ifm am 16. $ult angenommen,
ofme über biefe bebeutung§boßen 2öorte übertäubt notf) in eine Beratung einzutreten
(griebrid; III, ©. 1185).
Durd; bie Sfnfetjung ber bierten öffentlichen ©itiung auf ben 18. $uli für befinitibe
20 Slbftimmung trat ber Kambf um bie Unfehlbarkeit in fein le^teS ©tabium. Sie 9JIino=
rität befanb fidj in einer bezweifelten Sage. Die fefte Drganifation einer Partei befajj
fie nicf)t unb blatte fie fid; nid)t fdjaffen fönncn, ba bie fe^r berfdjnebenen Elemente in
tbjer -Kitte nur burd) bie Verneinung ber gWedinäfjigfeit oer Definition ber 3nfa^=
bilttät zusammengehalten Würben, nid)t burd; bie Stbleljmung ber fiebere felbft. 2Bar
25 infolge biefer ©abläge fd;on in ben bergangenen 9JJonaten ein einfyeitlidjeö Vorgehen
fefyr erfcfywert Worben, fo War ein fotd;e3 bon bem SJJoment an übertäubt nid;t mefyr er=
reizbar, feit mit ber Verfünbigung beö Dogmas alg mit einer unmittelbar beborfteljenben
5Eatfad;e geregnet Werben muftte. Denn ber Ausübung be<§ 9ted;te3, aud; bei ber ent=
fd)eibenben ©cblufjabfiimmung baö ablel)nenbe Votum feftzufyalten , fteHten fid; (Sr=
30 wägungen ber ^ßietät in ben 2Beg, bor allem gegen bie Verfon bes> ^3abfte3, ber feinen
Zweifel barüber gelaffen blatte, bafs er auf bie 2tnnaf>me bes Dogmas ba$ größte ©eWid;t
legte, unb bie gura)t bor einer ^Benachteiligung bes> SlnfefyemS ber Kirche burd) eine
obbofitionefle Kunbgebung bor ber grofjen Öffentlicfyfett. Unter biefen Umftänben blieb
ifynen fein anberer 2lu§Weg, aU fid; bon ber ©iijung fernzuhalten. Durd; bie $urie
35 felbft Würbe er empfohlen unb nahegelegt. Söäbrenb nämlid; big gu biefem ^eitbunft ben
©imobalen unterfagt geWefen War, diom ju berlaffen, War am 16. $uli ben J?ongiI^=
bätern allgemein bie ®rlaubni<g erteilt Worben, Urlaub zu nehmen (vel ratione valetudinis
vel ratione negotiorum in dioecesi peragendorum, Coli. L. p. 761). 21m 17. ^uli
überfanbten barauffnn fünfunbfünfjig Sifd; öfe ber Minorität ein Schreiben an ben $abft (ib.
40 p. 994 f.; griebrid) III, ©. 1194 ff.), in bem fie fid) aufö neue z" i^rer Slbftimmung
bom 13. 2>uli befannten unb bie ©rflärung abgaben, au£ 3flüdfid;t auf if)n ber ©i^ung
fern bleiben z" Wollen (Pietas fidelis et reverentia non patiuntur nos in
causa personam sanctitatis vestrae adeo proxime concernente palam et in facie
patris dicere: non placet). Daf? fie burd; ibje Greife ben Äambfpla^ räumten, War
45 i£)ncn in biefem 3lugenbltd, Wie e§ fcfyeint, nicb^t flar, unb bie äkrabrcbung, bafe „für
ben %aü be§ 2tnfinncnS, ba§ Dogma anjuerfennen unb zu berfünbigen, feiner borfdmcll
für fid; f)anbeln foEe, fonbern bie 33ifd)öfe ber einzelnen Sänber zubor nod) eine Qu-
fammenfunft b,aben unb jebe Nation mit ber anberen fonfericren foßen" (§efele an
DöUmger 10. Sluguft 1870; ^riebridi III, ©. 1198; ©ranberatb; III, ©. 557 f.), ift
so ntd)t gehalten Worben. Die ©efab;r, bafe eine gröjjere 3a^I bon Vifcf;öfen fid) bem
fommenben Dogma nid^t unterwerfen Würbe, War mithin befeitigt, bebor e3 befiniert War.
6rzbifd)of 9JMd)erS unb S3tfc6of b. Äetteler erflärten fdjriftlid; t^re Unterwerfung, ef;e fie
ÜRom berliefeen. — ^n ber öffentlichen ©i^ung am 18. ^uli (Coli. L. p. 481 ff.) Waren
fünfl)unbertfünfunbbreif3ig Väter anWefenb. Slufjer 33ifd;of Sticcio bon &a\aföo unb
55 Vifd)of gi^geralb bon Sittle Nod ftimmten alle mit placet, ber Vabft berfünbtgte barauf
bie Definition unb bie Veftätigung ber Sefcfylüffe. grjodp in berfelben ©i|ung unterwarfen
fid; bie beiben genannten biffentierenben Vifcb,öfe (©ranberatb^ III, ©. 502 f.)
4. Die Vertagung be§ $onzil3. %lod) brei ©eneralfongregationen b^aben nad;
ber bierten ©i£ung ftattgefunben, aber eg Waren unbebeutenbe 2lngelegenf)eiten, mit benen
60 ba<§ Konzil nod; einige 3Bod;en befeb^äftigt unb feftgeb^alten Worben ift. 3lm 26. ^uti
BattfunifdjeS iton^ti 46?
würbe bert ©fynobalcn ba3 Schema super apostolicis missionibus (Coli. L. p. 682 ff.)
mit ber Beftimmung, bie BerbefferungSborfdjIäge big jum 20. Sluguft borjulegen, überreicht
(ib. p. 762); eS ift nicb/t mefyr jur Berb/anblung gelangt. Sie ftebcnunbad;t§igfte ©enerat=
fongregation am 13. 2luguft befcfyräntte fid) barauf, bie sufammengef^moljene Si<^iblinar=
bebutation ju ergänzen (ib. p. 763). Sa3 rebibierte Schema de sede episcopali vacante toar 5
ber ©egenftanb einer furjen Sebatte in ber adjitunbad^igften ©eneralfongregation am
23. Sluguft (p. 764) unb rourbe in ber neununbacb^igften ©eneralfongregation nad! ben Bor=
fernlägen ber ©laubenöbebutation am 1. ©ebtember angenommen. — Sic gafjl ber ©fynobalen
batte fieb, injroifdjen fortbauernb berminbert. Sie Berechtigung jur Setfnab, me an bem ^onjil
Ratten gegen 1050 Prälaten befeffen (©ranberatf) II, ©. 27), bon benen aber nur 774 Bäter 10
erfebienen unb aud) nieb t bauernb berfammelt waren, $n ber brüten öffentlichen ©iijung am
24. 2lbrit r/atten 667 ©tmobale abgeftimmt, in ber vierten am 18. $uli noeb, 535, bann aber
fanfen rafdt; bie gtffern bev 2lnt»efenben: am 13. Sluguft roaren e§ 136, am 23. 2luguft 127,
am 1. ©ebtember nur nod) 104. @3 ift eine muffige grage, ob ba§ ^onjil audj) ofyne
ben gufammenbrud; be§ JtircbenftaateS noct; einige geit feine Beratungen bätte fortfetjen 15
muffen, ber Ijaubtjtoed feiner Berufung War erreicht, ber großen ©bannung mar eine
atigemeine ©rmattung gefolgt unb ba§ ^ntereffc für bie Äirdjenberfammlung roar er=
lofdjien ; aueb, bie Soften fielen auf bie 'Sauer ins» ©etoicfyt (QuirinuS ©. 187 berechnete
in bem Brief bom 8. gebruar, alfo in ber Qdt ber größten grequenj, ben täglichen
Slufmanb für bie bon bem Babft unterhaltenen Prälaten auf 25000 grancS). Sa er= 20
folgte bie 2tufb/ebung be3 ^ircfyenftaateg unb bamit roar ein auSretcfyenber Slnlafe
gegeben, bie nur noeb, begetierenbe Berfammlung aufjulöfen unb jugleict) mit biefer 2luf=
Iöfung gegen bie italienifcfye Regierung einen ©d)lag ju fübren. Qn ber Bulle „Post-
quäm Dei munere" bom 20. Dftober 1870 (Coli. L. p. 497 ff.) erklärte $iu§ IX.,
bafj infolge ber sacrilega invasio ber ©tabt sJ?om guftänbe eingetreten feien, toeldje bie 25
für bie Beratungen be§ ^on^ls» noüoenbige greib/eit, ©icfyerljeit unb 9iuf;e bermiffen
laffen. 2lu3 biefem ©runbe rote mit ^Hücffic^t barauf, bafc bie bureb, bie grofeen @r=
Fütterungen @uroba§ gefebaffene Sage bie 2tnroefenf)eit ber Bifcfyöfe in ibren Siöcefen
berlange, berfügte er bie Vertagung be§ ^onjil§ (Vaticani oecumenici concilii cele-
brationem usque ad aliud opportunius et commodius tempus suspendimus). 30
©egen bie bter aufgeftellte Behauptung, bafs bie neue Drbnung ber Singe in 9tom bie
greif/eit be3 ^onjitg beeinträchtigen Würbe, bertoabjte fieb; jebod) bie italienifcfye Regierung
fofort ("sDepefcbe be§ 3Rinifter§ be<8 auswärtigen Bi3conti=Benofta an bie italiemfcben ©e=
fanbtfcb/aften bom 22. Dftober, ib. p. 1738, beutfeb : b. £remer=2tuenrobe, 2litenftüde
©. 321). Ser Borfct/lag be§ ©rgbifcbof ©balbing bon Baltimore, ba3 $on§ü in ber 35
belgifdjen ©tabt SRedteln fortjufe^en (©ranberatb, III, ©. 539), bat leine braltifcb,e
Bebeutung erlangt.
III. Sie Befd>lüffe be§ ^on§t Ig. 1. ©ntwürfe unb Anträge. Bon ben
oben©. 453, 50 ff. genannten ^ommtffionen, benen bie Borbereitung ber bem Slonjil ^u unter*
breitenben Borlagen übertrafen mar, Würbe eine grofee Qaty bon (Entwürfen für 2el>r= 40
unb Si^iblinarbefrete aufgearbeitet, bie in bem Index schematum quae a theologis
et ecclesiastici iuris consultis praeparata fuerunt (Coli. L. p. 505 f.) berjeiebnet
finb. @tne erfte ©rubbe bilbeten bie bogmatifcfyen ©c^emata (circa fidem) : I. de doc-
trina catholica contra multiplices errores ex rationalismo derivatos, II. de ec-
clesia Christi, III. de matrimonio christiano (bon bem SBefen ber cfyrtftltdjen @b,e, 45
bon ber ©emalt ber ^irebe in Bejug auf fie, bon ben 9Jiifct)eI)en) ; eine ^toeite ©rubbe
aa^tunbjtoanjig ©cfyemata circa diseiplinam ecclesiasticam; eine brittc ©rubbe
adjtgebn ©d)emata circa ordines reguläres; eine bierte ©rubbe jmei ©cl)emata circa
res ritus orientalis et apostolicas missiones.
Bon ib/rem, aueb; burc| bie Bulle Multiplices inter (§ 2, Coli. L. p. 18) an= 50
ernannten 3ted}t, in Bejug auf bie bon ber ©fynobe gu ber|anbetnben ©egenftänbe 2ln=
träge ju ftetlen, b,aben gablretcbe Bifcb,öfe ©ebraua) gemalt (©ranberatb, III, ©. 434 ff.).
©ine grofce gülle bon Borfc^Iägen bogmatifcfjer , etl^ifcb.er unb biäjiblinarer 2Irt liefen
fiebenunbbrei^ig neabolitanifc^e ©rjbifc^öfe unb Bifctjöfe buref) ben (Srjbtfc^of bon sJJeabel,
Äarbinal ©forja einreiben (ib. p. 768—832). @lf frartgöfifebe Bifd;öfe unterbreiteten 55
(ib. p. 832—849) feb,r toeitgreifenbe unb burd; bie fieb, barauö auf baö |irct;ltdtjte Seben
ergebenben 9^üdfd}lüffe rotebttge Borfcfyläge. ©ie berlangten u. a. bie ©rricfytung bon 5?lerifal=
feminaren in jeber Siöcefe, bie §ebung be§ ©tubiumg ber b,ebräifd;en unb gricebifeben
©brache in ib,nen, 3lnir»eifungen über bie ^rebigttoeife, forgfältige Regelung be§ Drben§=
toefeng, Befd)ränfung ber ©remtionen. Slbbellationen an ben ^eiligen ©tuf)l mit Über= 60
30*
468 «BattfantföeS ®onpl
gefmng bcS SJietroboüten follten nicfjt juläfftg fein, in ba3 Karbinaltollegium unb in bie
rbmif<$en Kongregationen unb Tribunale follten neben ©elefyrten auch, im brafttfcfyen
Seben beWä'r/rie Männer berufen Werben unb gWar au§ allen Stationen. Verlangt Würbe
eine häufigere unb regelmäßige 2tbf)altung ber berftfnebenen Strien bon ©bnoben, eine
5 neue Bearbeitung be§ corpus iuris canonici, bie ^erabminberung ber $enfuren unb ber
bem $abft referbierten $äße, eine Stebifion beS ©fyerecfytl, eine (Erweiterung ber SDi3ben=
fationSfaMtäten ber Sifcfyöfe, eine fcfmellere ©rlebigung ber £)i3benfation§gefudj)e in "Stom,
eine 33erbefferung unb SJiobernifierung ber Sefttmmungen über bie Süc^erjenfur, eine
Reform be£ SBrebierS, eine Befcfyränhmg in ber ©eWäfyrung neuer SIbläffe, eine 5Rtlbe=
10 rung ber gaftengebote, eine genaue Überwachung ber Verbreitung religiöfer Silber, ber
2lnfünbigung bon SBunbern unb ber ©infübjung neuer Slnbacfytigübungen, ein energifcfjeS
Sorgefjen gegen bas b,e|erifd)e, gucfytlofe unb ba3 ^ntereffe ber Kirche ferner fcfyäbigenbe
treiben ber fatfyoltfdjen Sagesbrefje. — 2lu3 ber 3)Utte ber beutfcfyen Bifcfjöfe finb gum
SCeil bie gleiten Sßünfcfye laut geworben (ib. p. 873 ff.), 3- B. betreff« ber @r/egefet5=
15 gebung, ber ©iSbenfationen, ber 9foferbatfäIIe, be§ ^nbej:. — $n ber gleichen Kicfytung
bewegten ficb. aud) bie 33orfc^Iäge beS KarbinalS ©ctjwargenberg, ber aber aucb, für bie
SanbeSfbracbe in bem ©otteSbienft 3ffaum fcr)affen Wollte (©ranberatb. III, ©. 445);
ebenfo bie ber belgtfcfyen Bifdjöfe (Coli. L. p. 876 ff.), ber unter ber güfyrung be§
SifcfyofS SBinbi bon ^ßtftoja beiitionterenben Stfcfyöfe 3ftittelttalien3 (ib. p. 881 f.), unb ber
20 Bifdjiöfe bon Duebec unb §alifar, (p. 879 f.). 9?icf)t weniger als neun Anträge, bie bon faft
jroett;unbert SSätern unterzeichnet waren (ib. p. 868 ff.), berlangten, baß bie leibliche 2luf=
nat)me 2Rarias> in ben §immel (corporea virginis assumptio in coelum) jum ©ogma
erflärt Werbe. %üt eine @rf)öl)ung ber bem 1)1. ^ofebb, in ber Stturgie erWiefenen @b,re traten
brei Sßoftulate ein, bie bon breit) unbertunbbier §et> n 23ätem unterftü^t Würben (ib. p. 895 ff.).
25 2Reb,rfacb, würbe aucb. bie ©mbfefylung einzelner Vereine unb SiebeSWerfe burd) bie ©tmobe
erbeten. ©d)on biefe SluSlefe geigt, baß aucf) bie ©tmobalen ifyrerfeits bem Konzil ein
gewaltiges 2trbeifc§brogramm gugebac^t b,aben. 2luf bem Konzil ift jebocb, fetner biefer
Einträge jur 33err;anblung gelangt, freilief; aucf; bon ben furialerfeitg borbereiteten ©nt=
Würfen nur eine Keine STnjabl. 2lber felbft bie Wenigen auf ber ©tmobe burcfyberatenen
30 Vorlagen finb, wie bie obige SDarftellung gezeigt b,at, ntd>t fämtlict; ^ongtlöbefrete ge=
Worben, fonbern nur jWei unb aucf; fie nur in einem fleinen 9lu§fct)nitt.
2. Ignfyalt Ux\b SBebeutung ber 93 ef dblüf f e be3 Konzils, ©ie beiben Wicf/=
ttgften @ntfc|etbungen bom 18. IJuli f;aben folgenben Sßortlaut. ^n cap. 3 Reifet eS am
©nbe : Si quis itaque dixerit, Romanum pontificem habere tantummodo officium
35 inspectionis vel directionis, non autem plenara et supremam potestatem iuris-
dictionis in universamecclesiam, non solum in rebus, quae ad fidem et mores, sed
etiam in iis, quae ad disciplinam et regimen ecclesiae per totum orbem diffusae
pertinent; aut eum habere tantum potiores partes, non vero totam plenitudinem
huius supremae potestatis; aut hanc eius potestatem non esse ordinariam et imme-
40 diatam sive in omnes ac singulas ecclesias sive in omnes et singulos pastores
et fideles: anathema sit. — ®er ©ct;Iuß beS 4. KabitelS lautet: Sacro approbante
concilio docemus et divinitus revelatum dogma esse definimus: Romanum
pontificem, cum ex cathedra loquitur, id est, cum omnium christianorum
pastoris et doctoris munere fungens pro suprema sua apostolica auctoritate
45 doctrinam de fide vel moribus ab universa ecclesia tenendam definit, per
assistentiam divinam, ipsi in beato Petro promissam, ea infallibilitate pollere,
qua divinus redemptor ecclesiam suam in definienda doctrina de fide vel
moribus instructam esse voluit; ideoque eiusmodi Romani pontificis defi-
nitiones ex sese, non autem ex consensu ecclesiae irreformabiles esse. Si quis
5u autem huic nostrae definitioni contradicere, quod deus avertat, praesumpserit :
anathema sit (m. Quellen2 ©.380,15—23, 381,43—382,9).
Sie erfte ©ntfdjeibung betrifft ba3 33erl)ältm3 ber bifdjöflicfyen unb ber bäbfiltcr)en
©eWalt. ©cfyon im Saufe beS Mittelalters bitten bie Sifcfyöfe gu ©unften be§ $abft=
tumg manche 3ftecf;te aufgeben muffen, aber nocfe, ba3 tribentinifcfje Monjil fyatte Sess. XXIII,
55 c. 4 ibnen bas> regere ecclesiam dei (ebenb. ©. 243, 12) gugefcfyrieben. 2luc^> baS
Vaticanum beftreitet nun jWar, baß bie ^ßroflamation ber ordinaria et immediata
potestas iurisdictionis beS römifc^en Sifct/ofg über bie ganje Kirche ber bifcf/bflidjen
©eWalt ©intrag tb,ut, aber baS regere ecclesiam ift ju einem regere assignatos sibi
greges gufammengefcfyrumbft (ebenb. ©. 379, 3ß) unb au$ ben 33erb,anblungen be§ ÄonjilS
00 ergiebt ficb, ganj flar, baß aEe SSerfud)e, bie ©elbftftänbigfeit beg ©biflobatS in biefem
3$attfatttfdje§ ßonjtl 469
©efrct zum 2tu3brud gu bringen, gefächert ftnb. %ribm bem $abft Iner ein Uniberfal=
e^tffo^>at jugef^roc^en Wirb, ber eS ifym ermöglicht, in jeber £)iöcefe, zu aßen Reiten,
unter aßen Umftänben mit bem Siechte bei orbentlidjen SSifd^ofg einzugreifen, i[t bie
Stellung be§ betreffenben £>iöcefanbifd>of<§ stuetfeIIo§ bebotenziert, benn er fyat nidjt nur in
bem ^Sa^ft einen Sifcfyof neben fid), fonbern einen folgen, ber jjugletc^ al§ ^nb,aber bei 0
Primates bie Duette aller ber ÜRedjte bar[tellt, bie tf)m bon SlmtS Wegen julommen.
®ie jtüeite Seftimmung fbrid)t bie QrrtumSlofigfeit ber £ef>rentfd;eibungen bei
$abfte3 aus unb nimmt bafyer für fie in Slnfbrucfy, baf$ fie für jeben fatfyolifcfyen Sfyriften
berbinbltd) finb unb bauernbe ©eltung b,aben. Sei ber geftftettung ber Sebingungen,
bie erfüllt fein muffen, um einer bäbftlicfyen Stunbgebung ben 6b,ara!ter ber Qnfattibilität m
ju fiebern, ift au§ ben 2lu§fübrungen bei Satitanumi, bie ben biefe Itnfefylbarfeit befi=
nierenben SBorten borangeljen, bie @r!lärung J)eranzuziel)en, bafj bie 9?ad)foIger bei 9ßetru<§
nia^t bie Aufgabe fjaben, eine neue fiebere ju entb,ütten, fonbern unter bem Seiftanb bei
t)l ©eiftei bie burd) bie 2Ibofiel überlieferte Offenbarung ober ©laubenifyinterlage heilig
ju bewahren unb treu auflegen. @i gehört baju ferner, bafe bie ©ntfebeibung ex 15
cathedra erfolgt fein mufs b. t). in Stuiübung bei munus pastoris et doctoris om-
nium christianorum, bafj fie eine doctrina de fide vel moribus enthält unb ali
eine ab universa ecclesia tenenda befiniert Wirb, ©tefe Sorauife^ungen einer infalliblen
©ntfdjeibung fyaben aber nid) t bie Sebeutung bon ©r/mbtomen, aui benen ficfyer erfannt werben
fann, ob im fonlreten einzelnen %aü eine folcfye borliegt ober nicfyt, benn bai Sorl)anbenfein 20
biefer Sorauifetjungen ift ntdjt an beftimmte bon anberen erfennbare 9tterlmale gefnübft. ©ie
I)aben aud) nur in fcb,r befdjränftem 9Jcafje ben ßfyaratter bon ^Begrenzungen ber bäbft-
liefen ©eWalt, benn ob eine Gsntfcfyeibung bem depositum fidei angehört, ob fie in ben
Sereid; ber fides ober ber mores fällt, ob fie fatfyebratifcb, ift, melier ©eltungifreü if>r
julommen fott, barüber b,at eben nur ber $abft felbft zu befinben, feine SnftanS aufjer 25
ibm. ©ine Sinbung bei ^ßabftei liegt jebod; infofern bor, ali burdj bie $roftamation
feiner Unfehlbarkeit auä) alle päbftlidjen £elpntfd)eibungen bergangener ^a^unberte in
ben 9tang bon infalliblen ^unbgebungen eingerüdt finb unb ba'fyer nid)t umgeflogen
Werben tonnen. 3>n *>iefe ^ubri! gehören bor allem bie @ntfd>eibungen, beren Seftreitung
mit bem SInatbema bebrofyt, beren Stnerfennung ali SeWeü bei ©laubeni bedangt ober 30
wie in ber Sülle unam sanetam Sonifaziui' VIII. gar ali Sebingung ber ©eligfeit f)in=
geftellt mürbe. Db alle biefe bäbftlicfyen Sefyrentfcfyeibungen unter ftd) bie, bom ©tanbbunlt
bei ^nfattibilitätibogmai aui geurteilt, unentbehrliche innere Übereinftimmung befi^en, ift
b,ier nicfyt zu unterfucfyen; aber fie wirb bräfumiert. SDabei ift ei feb,r bezeid;nenb, ba^
bie ©ammlung ber al§ unfehlbar ju beurteilenben bäbftlidjen ©ntfdieibungen fäax bon 35
bribater ©eite unternommen Worbett ift (Analecta iuris pontificii XXII p. 897—946,
©euerer Ä91 § 100 2tnm. 6 nennt bie l)ier gegebene Sifte ber actes dogmatiques „Wobl
biel ju grofe") unb nacb, £co X. (sanetos Romanos pontifices praedecessores nostros
in suis canonibus seu constitutionibus numquam errasse, m. Quellen2 ©. 185, isff.)
Wie bem ©r/llabu3 $ßius>' IX. (9Zr. 23 berurteilt ben©a|: Rom ani pontifices in rebus 10
fidei et morum definiendis errarunt, ib. ©. 367, 35 ff.) mbglid) fein müfjte, aber bon ber
für biefe Arbeit im legten ©runbe allein juftänbigen ©teile b. f). bon bem 5|3abft felbft nic&t in
Singriff genommen Worben ift unb, bürfen mir hinzufügen, fd) Werlicb, unternommen Werben
wirb. $)enn eine foldjie autoritatib feftgeftellte Sifte unfehlbarer @ntfcb,eibungen Würbe
eine Seengung unb Selaftung bei ^ßa^fttumö bebeuten, auf bie e§ begreiflid;erweife gern 45
beratet. @g befielt mithin über ben infalliblen ßfyarafter bätoftlid;er ©ntfcfyeibungen
grofee llnllarb,eit — tro| IßiuS IX., ber erllärt b,at: „SSer ba§ ®e!ret mit aufrichtiger
©efinnung lieft, bem liegt fein Wahrer ©inn leicht gu ^age" (m. Duetten2 ©. 382 2tnm. 1)
— unb zwar foWof)l bejüglicf» ber nacb, al% ber bor bem üßatifanum ergangenen unb e§
ift nid;t ju erwarten, bafs fie gehoben Werben Wirb. 5Da§ ^ßabfttum b,at bielmel>r ein so
fein- ftarlei ^ntereffe an ber @rf>altung biefei 3uftan^eg- ®enn fca f"r ^'tglieber ber
fatbolifd;en Ätrcfye bie Serbflid;tung ber Unterorbnung unter feine latfjebratifdjen £ebr=
entfd;eibungen nid;t zweifelhaft fein lann, fo bat bie Unfidjierfyeit barüber, Wo eine foldje
borliegt, einerfeiti jur fjolge, ba^ alle bäbftlidjen @ntfd;eibungen über ©egenftänbe be§
©laubeng ober ber cfyriftlicben ©Ute bon bem 9iimbu§ ber ^rrtum^Iofigfeit umgeben finb 55
unb bafyer aU infallible refbeltiert Werben, anbererfeitg aber Wirb freie £>anb behalten,
eine getroffene ©ntfcfyeibung gegebenenfalls nad)träglid; aU nid;t Iatl)ebratifcf> brei^ugeben.
2)arauö erWäd;ft bie eigenartige ©ituation, bafj eä bäbftlid;e ©ntfcfyeibungen de fide unb
de moribus giebt, bie abS bom aboftoüfdjen ©tu^I erlaffen für ben fatf)olifdien (ibriften
ob^ne Weitere^ berbflicb^tenbe ®raft l>aben, aber bod) nid;t in SluSübung bei b]öa)ften ^cf;r= 60
470 aSattfanifdje§ ^ottgtl
amteS erlaffen morben finb, fo baf? für fte Unfel)lbarfeit nid)i in 2lnfbrucb, genommen
merben fann, unb mieber anbete bäbftlidjie ©ntfdjeibungen de fide unb de moribus,
bie ebenfo aufzunehmen finb, aber auf ©runb bcS SefyramtS getroffen mürben unb bal)er
ben Sßorjug ber llnfelparfeit befitjen. Da ferner ber einzelne ^3abft nid)t bagegen ge=
5 fid)ert ift, als ^ribatmann bem ^rrtum ober fogar ber ©ünbe ber £>ärefie ju berfatten
(tyf). £>ergenrött)erS Seljrbud) beS fait). ®ird)enrecf;tS 2. Stufl. I)erauSgeg. Don % ^oÜtoecf,
greiburg i. 33. 1905, ©. 267), eS aber an einem Drgan ber $ird)e fel)lt, einen folgen
Defeft feftjuftellen ober ben betreffenben Sßaibft roiber feinen SOßiHen gu entfernen, fo fann
ber %aU eintreten, bafs ber als Qnbibibuum in ©laubenSfacfjen irrenbe $abft unter bem
10 ©influfs biefeS QrrtumS ftd) bei ^öd^ften 2eI)ramtS bebienen miß, aber in beffen §anb=
I)abung tro|bem ntct)t bem Irrtum berfatlen !ann, b. I). eS ift anzunehmen, bafj in
einem folgen %aU — unb bie ©efd)id)te (j. 23. §onoriuS I.) geigt bte 23ered)=
tigung, itm als möglid) zu fe|en — bie Ausübung beS £eb,ramiS in 3Bar/rb,eit n'tcfyt
ftattfinbet. Diefer ©cfylufj ift ju gießen, meil eben baS £ef>ramt bie Sßerfyeifmng ber
15 Qrrtumslofigfeit f»at. Daraus ergiebt fid) aber, baft ber als ^ßribatmann irrenbe Sßatoft
aud] in feiner amtlichen SClwtigfeit bem IJrrtum unterlag, als er glaubte, baS £el)ramt
ausüben zu fonnen. Die 2et;re bon ber Unfehlbarkeit bei ^SabfteS eröffnet bemnaef; ben
2TuSbIicf auf red^t fomblizierte Skrljältniffe, bor benen man ftd) nur retten fann burd)
ben — ©lauben, baf$ tl)atfää)Itd) ^päbfte nidjt geirrt fyaben unb ntd)t irren fbnnen.
20 @ine micfjiige Jbnfequenz ber Dogmatifierung ber £el)re bon ber QnfaUibilität beS
SßabfteS ift bie grunbfäpcfye Seränberung ber ©teßung ber öfumenifcfyen Äongile.
ÜKHerbingS J)atte fitf; bie in ^onftanj (Sess. V., m. Duellen2 ©. 155, ißff.) erhobene
gorberung, baS concilium generale als bie Siebräfentation ber fatr/olifd)en $ird?e an=
Zufel)en, nid)t burcfygefeijt, moI)I aber bie 3lnfd)auung, bafc biefer Söert bem in Serbin*
25 bung mit bem ^ajrft tagenben Konzil jufomme. Diefe ©ad)Iage ift burd? baS 33atifanum
mef entlieft, beränbert morben. 3Son ben ötumenifdjen Konzilen I)eif$t eS luer, bafj fie
bon ben ^äbften benu|t morben finb, um burd) fie Definitionen borneI)men ju laffen,
aber fie maren bafür nid)t baS einige 9)Jebium (Romani pontifices , prout
temporum et rerum conditio suadebat, nunc convocatis oecumenicis con-
30 ciliis aut explorata ecclesiae per orbem dispersae sententia , nunc per
synodos particulares , nunc aliis, quae divin a suppeditabat Providentia,
adhibitis auxiliis ea tenenda definiverunt, quae sacris scripturis et apostolicis
traditionibus consentanea, deo adiutore cognoverant (ebenb. ©. 381, lßff.).
©iefeä fyiftorifcfye Urteil finbet feine ©rgänjung be^m. Segrünbung barin, bafe in ber
35 fid) anfd)Iie^enben Definition bei Dogmas bie Unfefylbarfeit lebiglicb, bem ^ßabft ju=
gefd;rieben wirb. Qebem Serfucf), babei bie SKittoirfung be§ ofumenifd)en ^onji(§ al§
unau3gejbrod)ene 33orau§fe|ung ju bef;anbeln, fteb,en bie ©djlufjmorte non autem ex
consensu ecclesiae irreformabiles esse (ebenb. ©. 382, 7) fyemmenb im Söege. %üv
bie geftfteEung bon ©laubenSbefreten ift baS öfumenifd)e £onjiI bemnad) überflüffig ge=
40 morben, e§ b,at feine fonftitutibe Sebeutung berloren unb ift ein fonfuItatibeS Drgan ber
$ird)e getoorben, ba§ aud} in 3"^nft herangezogen merben fann, aber mdj)t herangezogen
Zu merben braucht. (Sine felbftftänbige Sebeutung befi|t eS nicf)t meb,r, mag e§ bielleid^t
and) einmal mieber berufen roerben, um buref) feinen bloßen ßufanmiOTtritt bie Dfu=
menizität be§ römifcfjen Äatf)oIiciSmuS glanzbotl unb finnenfällig zum 2lu§brucf zu bringen,
45 um bie überlegene 9)Jad)tftellung be§ $abfttumS bor allen 33ölfern zu bezeugen ober um
ib,m bie 3Seranttoortung für ernfte ©ntfcljeibungen abzunehmen ober tragen zu geifert.
©efyr berfd)iebenartige SBiberftanbe Ejatte baS ^ßabfttum nieberfämbfen muffen, eb,e e§
ben 18. Suli 1870 erlebt b,at, aud) noef) auf bem Äonj« felbft. 2Iber ^iuS IX. i)at
an biefem %üq toeit rnebj erreicht als bie Deflaration feiner llnfefylbarfeit. Denn eS ift
50 i^m gelungen, im ßufa'u^^^ug mit ber Dogmatifierung biefer Sefyre aud) bie in ber
Serfaffung ber ftirdje liegenben älnfnübfungSbunfte für ©elbftftänbigfeitSbeftrebungen anti=
furialer 2lrt zu befeitigen. 3Zad)bem baS Äarbinalsfollegium bie 9Me einer eigene ^3oIitif
treibenben Eorboration ausgcfbielt b,atte, toar ba§ ^abfttum nur nod) burd; ben @biffo=
bat, ber an ber bon ib,m im Slltertum eingenommenen ©teEung feft^ielt, unb bureb, baS
55 öfumenifcfye Konzil beengt. Durd) bie £ei)re beS SatifanumS bon bem Uniberfalebiffobat
beS römifd;en 33ifd)ojS mürbe ber ©biffobat ungefäl;rlid), bureb, bie bem $abft aHein Z"=
gefd)riebene ^nfallibilität tourbe baS öfumenifc^e Konzil enttoertet, bie ©ntmicfelung beS
^abfttumS zur abfoluten 3Ronard)ie b,atte ib,re te^te $b,afe burd)Iaufen.
3. Die 2lufnab,me ber Sefctjlüffe. 5Rur bezüglid? ber Sifd)öfe ber tonzife
60 minorität fonnte es fraglid) fein, ob bie 2lnerfennung beS neuen Dogmas auf ©ctjwierigfeiten
aSattfantfdjcS Son^ü 471
flößen Würbe, ©ie Ratten in Stom tapfer ifyre Bebenden geäußert, an ber ©ef<f)äft3=
orbnung Ärttif geübt unb ftc&, auct) baburd) nict)t einflüstern laffen, baß bie ^3räfibenten
ibre Sieben gern unterbrachen. 2luct; bie 2lrt, Wie ber cfyalbäifd)e ^atriarcb 2lubu unb
(jrjbifdjof Gafangian befyanbelt Würben (über bie a^ologettfc^ert Bemühungen ©ranberatljs,
biefe feE>r fonberbaren Vorgänge bon ber $ongtlggefcfytc|te loSjulöfen, bgl. II, ©.325 ff.), 5
unb bann fbäter nocfy Äarbinal ©utbt (ebenb. III, ©. 395 ff.), b,at ib,nen nicfyt ben fflunb
gefcbjoffen. ©ie ftärffte Sebrofyung ber greifet beS Konzils aber erfolgte freiließ bon
außen b,er, jeboeb nicfjt bon feiten ber ©taatSregierungen, fonbern bureb, bie ultramontanen
Treibereien. ,,©te Slgitation (ju ©unften ber $nfallibilität) Würbe — erflärte ©rjbifa^of
©arbob. in feiner SRebe bom 20. 9Jc"at — burd) bemagogifcfye fünfte foWett betrieben, baß io
btele i^äter beS HonjilS im ©eWiffen beängftigt unb mit ber gurdEjt erfüllt mürben, fie
tonnten in ib,re ©iöcefen nidjt ^urüc!!eb,ren unb biejelben ntdjt ob,ne bie größten ©d)Wierig=
feiten leiten, Wenn fie Söiberftanb gegen bie ^Definition letfteten. ©o ift e£ gefeiten,
baß biefe 23äter, obgleich geWiffenfjaft ifyrer $flid)t folgenb, bem fyeftigen ©rängen bon
außen b, er unb ber tunftlicr) gemalten SReinung ju Weit nachgaben unb bie $rage ber bäbftlict/en is
Unfehlbarkeit bem Äonjil borjulegen beantragten. ©uret) ben fojufagen bor ben SEoren beS
Sonjite erhobenen £ärm ift unfere greifyeit unb unfere 2Bürbe einigermaßen beeinträchtigt
worben, toaä feb)r beflagt Werben muß" (ebenb. ©. 234, bgl. ©. 281). 2lutf) ©rjbifclwf
©djwarsenberg beflagte fid) in fetjarfen äBorten über bie maßlofe Stnfeinbung ber
SftinoritätSbifcljöfe in ber ultramontanen treffe (ebenb. ©. 279), fer/r mit ÜRecfyt. ©enn 20
eS f)at ifmen fefyr fern gelegen, eine rabüale Dbbofition ju treiben. Sarin lag gerabe
tljre ©cfywäcfye, baß fie obbomerten, aber tfyrem -Jöiberfbrucb, baburef) felbft bie ©bi$e ab=
brauen, baß fie auf fyalbem 2Bege fielen blieben, ftefyen bleiben mußten, wenn fie ib,rer
tfyeologifcfien Überzeugung nict)t untreu werben wollten, ©ie fyaben bom Boben ber b,eiligen
©cfyrift aus , burdb, bie Verwertung ber ©efcr)id? te ber Kirct/e (u. a. ber Verurteilung beS 25
^abfteS §onoriu§ I. Wegen §ärefie bgl. b. 2lrt. 33b VIII ©. 314) unb mit logifa^er
Beweisführung ifyren ©egnern fdjarf jugefetjt. ^ebe Äriti! beS batifanifcb,en ©ogmaS —
bon einer folgen ift b,ier abpfefyen — Wirb bie ©d)riften unb Sieben ber Minorität
banfbar benutzen, benn fie finb eine gunbgrube gelehrten 3Biffen§, fie bieten manche
fcb,arffinnige Erörterung unb ft>a§ ein borbatifanifa^er Geologe ber römifcb,en Äirc^e gegen 30
ba§ 25ogma borbringen lonnte, ift bon ilmen gefagt toorben. 3lber e§ feb,lt ib,rcn 2lu§=
füb,rungen bie burcf)fcb,lagenbe kraft, unb jtoar nicfyt ettoa nur, weil ba§ ^onjil bei ber
3lrt feiner gufamnierifefjung für Belehrungen un^ugänglicf) war, fonbern Weil fie mit ber
Majorität in ber ©runbauffaffung be3 3öefen§ ber ^trd^e unb be§ römifdjen ^rimat§
eing mar; auf biefer 33afi3 !onnte aber ber $ambf gegen bie Unfeb,lbar!eit be§ ^5abfte§ 35
nur mit falber $raft geführt Werben. (Sr War um fo fdjWieriger, Wenn jugleicf) in ;Kecr)=
nung gebogen toirb, baß in bem ^Weiten ©rittel be£ 19. 3ab,rb,"no^§ ber lXItra=
montani§mu§ unb mit ib,in bie bi§ jum ^jßabftlultug fidb, fteigernbe ©ct)ät3ung be§ ^ßabfte§
große gortfe^ritte gemacht ^atte. Unter ben S3ifcb,öfen ber älteren ©eneration regten fidj
jtoar noeb, ©egenftrömungen, aber er War bie bon 9iom offen begünftigte Stiftung. 40
ferner toar bie Definition ber Seb^re bon ber immaculata coneeptio ber SRaria buret)
5ßiu§ IX. i. 3. 1854 (m. Quellen2 ©. 362) bereite unter ber 33orau§fe£ung erfolgt, baß ib,m
bag Stecht jur geftfe|ung eines ©laubenäfa^eS juftanb. ®a biefeä ©ogma bem bamaligen
fat^olifc^en ©mbftnben entfbracb, unb nid)t gleichzeitig bie grunbfäpcr)e grage nao^ ber
Äombetenj be€ ^ßatofte§ zu tiefem Vorgehen gefteÜt Würbe, War biefe ©ntfcfyeibung freilieb, 45
nicb,t nur ntdjt angefochten, fonbern fogar mit greuben begrüßt Werben, ^n ifjrer 3ln=
erlennung aber lag ein ^räjubij für bie 3Serb,anblungen beS SSatifanumg. Denn bie $u=
ftimmung ju bem b,ier eingefcb,lagenen Verfahren be§ ^5abfte§ War nur unter ber Sebingung
juläffig gewefen, baß er al<8 ein juberläffige§ Drgan ber in ©laubenSfragen irrtum^frei
urteilenben $ircf)e geb,anbelt b,atte. SBar i|m aber biefe Qualität in biefem einzelnen 50
gaU ftiafcb,Weigenb ^uerlannt Worben, bann War eg fa^Wer, ib,r aSorb.anbenfein grunbfä^=
lieb, ju beftreiten. ©er Weitaus größte £eil ber 3ftinoritätSbifcf)öfe t)at aufy nieb^t gewagt,
biefen 2öeg ju betreten, ©ie fcfyrecften babor ^urücf, bie Sebje bon ber Unfeb,lbarleit beS
$abfte§ matertea ju belämbfen. Wlan Wollte fie Wof)I als ©cb,ulmeinung gelten laffen
unb beanftanbete nur ifyre ©ogmatifierung. @S b^anbelte fiel) alfo um eine in if>rer 55
SlftionSlraft ftarf befebränfte Dbbofttion, beren Stebner eS nod) ba^u ntct}t unterließen, bei
ben berfeb^iebenften ©elegenfyeiten auSbrücflicf) if)re berfönlicb,e Ergebenheit gegen ben ^Sabft
p betonen. $f>re 2BiberftanbSfäbigfeit ift bon ber Kurie richtig eingefebä^t Worben. ©er
bwteftierenbe ©biflobat l)ielt ftanb gegenüber ben 3Serfucf/en ber einfe^üc^terung, aber
angeficfjts ber bro^enben Sllternatibe: Unterwerfung ober ©c£)i3ma fjat er fidt) gebeugt. 60
472 »nttfamfdjeS ^ongtl
©ie fatlj>oltfc£>e ßircfye erlebte einen ifyrer glänjenbften ^riumbfye, nicfyt einen einigen 33ifd)of
Ijat fie berloren. 9?ur fyabm nicfyt aUe bie gleite ©ctmelligfeit be3 UmbenfenS beWiefen.
(Sie ©aten ber 3#immunS ^ex SölinorttätSBifd^öfe burcfy ifyre fog. SCbfyafionSerflärungen
finb ber^eicfmet Coli. L. p. 995 ff.).
5 ©a ©eutfcbjanb in ber Dbbofition bie güfyrung gehabt fyatte unb bie beutfdje
Söifjenfdjaft für ben ^arnbf gegen ba§ ©ogma bie fdjärfften SBaffen geliefert fyatte, War
bie Haltung be<3 beutfcfyen ©biffobatö bon befonberer Söicfytigfeit. ©d^on ber Hirtenbrief
ber (Inbe 2tuguft in gulba berfammelten 33ifd?öfe (ib. p. 1733 ff.) beWie» ben großen
UmfcfyWung, ber ficfy überrafcfyenb fdpett in feiner SRitte bottjogen Ijatte. Stuct) bie ju=
10 näcbjt nocfy jurücffyaltenben SBtfdEjöfe finb bann balb nachgefolgt, als letzter SBifct/of £>efele,
ber nad) langen, fd)Weren ^ämbfen am 10. 2lbril 1871 bie Üon§iI<Sbefrete beröffent'Iic^te,
Weil er bon feinem ÄferuS im ©ttd) gelaffen Würbe (©ranberatb, III, ©. 559 ff.). —
©afe $arbinal 9taufcr)er ftcr) fdjon bor feiner Slbreife bon 3tom n unterworfen fyatte, ber=
fehlte nid)t feine Söiriung auf bie übrigen ^inorität6bifcr)öfe Öfterreict/=Ungarn§. älud)
15 ^arbinal ©ö^toarjenberg tfyat biefen ©ct)rüt, ba ilm „bie SBemerlung, gleicfyfam einzig unb
aHein nod) ber SBiberfbenfiige ju fein, in bie größte Unruhe berfe|te" (33rief an ©uban=
loub bom 25. Januar 1871, ©ranberau) III, ©. 574). ©rjbifc^of £>a_rmalb fyat mit
feiner guftimmung jurücf gehalten, big u)m bon Äarbinal 2lntoneIli „ein ziemlich fräftigeS
©^reiben'7 juging (ebenb. ©. 577). $n feiner SlniWort bom 15. ©ebtember 1871 er=
20 flärte er mit großer Unerfcljrocfenfyeit, baft er ben 2Biberftanb gegen ba§ bon ifym be=
lämbfie ©ogma aud) je|t nocfy fortfetjen Würbe, Wenn bie anberen SBifdjöfe ifyre auf bem
^onjil eingenommene Haltung feftgefyalten B,ätten. ©a fie nun aber big auf Wenige ifyre
3uftimmung erflärt Ratten, fo fei für bie ^Definition bie ifyr bi§f)er febjenbe aber not=
ibenbige moralifcfye ©inmütigleit nunmehr bortjanben, fo bafs er als* ^at^olif ficb. unter=
25 Werfe unb ba§ ©ogma anerkenne, ©effen amtliche SBelanntmactmng aber lehnte er ah
unb berWafyrte fidj gegen ben SEabel be£ ©taatäfef retard, bafe fein SBerb, alten auf bem
^ortgil „Wenig lobenswert" geWefen fei. SSifc^of ©trofcmafyer bon ©irmium fcfyrieb nodj
am 23. Januar 1871 an ©ubanloub (©dmlte, ©er 2Htfatfyolici3mu§ ©. 258 f.):
Concilium Vaticanum manifestissime liberum non fuit nee proinde iure in-
30 struetum dogmata condendi, quibus universi orbis eonscientia obligaretur.
Concilium Vaticanum apertissima prineipii petitione et circuli vitiosi errore
illud tandem definivit, quod ab anni initio definitum stabilitumque praesup-
posuit. Pontifex semet personaliter infallibilem ab initio usque ad finem
gessit, ut semet personaliter infallibilem tandem definiat : hoc modo tota con-
35 cilii oeconomia et activitas in quandam ludibrii speciem, venia sit verbo,
degeneravit. Legitimus proinde concilii huius character sine gravissimis,
funestissimis sequelis nullo modo agnosci potest. gugleid) erllärte er bie 2lbfid)t
ber rörmfdjen ®urie, bureb, @ntjieb,ung ber ©i^benfe bie Sifdjöfe jur Unterwerfung ju
fingen für einen Sftijjbraucr; , ber ben tarnen Sl^rannei berbiene. 2lm 26. ©ejember
40 1872 aber h,at aueb, ©tro^ma^er bie ^onjiI§be!rete in feinem ©iöcefanblatt beriiinbigt. —
3tud) 33ifdj)of ©reit| bon ©t. ©aHen ging biefen 2Beg, obtoob,! er ficb, gunäcbft ju einem
referbierten SSerfyalten entfcb^Io^ unb feine Hoffnungen barauf fe|te, ba^ ber nädjfte $abft
„burc^ eine !ommentierenbe Constitutio apostolica bie cooperatio episcoporum bei
©laubemSentfcfyeibungen feftfe^en" Werbe, „fraS möglieb, Wäre, otme bie ©ubftanj be§
45 neuen ©ogmag änbern ju muffen" (©ranberatt; III, ©. 587). — 2ln bem S3erfucb,, ba§
fommenbe ©ogma abpWel)ren, blatte fict) ein beträ^tücb^er Xtxl ber frangöfifefcen Sifcfybfe
mit großem (gifer beteiligt, je^t lag e§ if>nen offenbar fefyr am §erjen, bie Erinnerung
baran bergeffen ju machen (©ranberatb, III, ©. 590 ff.). SSet ^arbinal Sftatljiieu boH^og
j\<$) ber llmfcb^Wung fo rafd;, bafe er fc^on am 8. 2tuguft bie fc^riftlic^e ©rllärung abgab,
so „toto corde et animo" bem 33efd)Iu^ ju^uftimmen. 2Icfyt 2:age fbäter folgte ib^m @rj=
bifdpof ©inoul^iac bon S^on, balb auc| ber befonber§ Wegen feiner antiinfaUibiltftifc^en,
fd^riftfteEerifc^en SC^ätigleit bielgenannte Sifcb^of Sparet, ©ubanloub, ben l^arbinal
§of>enlofye all einen geheimen ^efuiten bezeichnete (©enlWürbigleiten be§ dürften
6f)IobWig I, ©. 394 f.), |at e§ offenbar feine inneren lämbfe gefoftet, ©elbftberleugnung
55 ju üben. (Sr^bifcb^of ©arbor; erllärte noeb bor feinem ifym burc|> bie Commune bereiteten ge=
Waltfamen @nbe feine ausbrücHicfje 3"ftimmung, aucf) spere ©ratr^i beugte fiefy unter ben
berfönlicb^en unb bigjiblinaren ©inWirfungen be§ @rjbifcb,ofg ©ec^)amb§. 3lud? bie italienifc^en,
englifd)en unb norbamerifanifcfyen SRinoritätöbifcfiöfe blieben nic|t jurücf. 93emerlen§Wert ift,
ba| ©r^bifctiof Äenricf bon ©t. £oui<§ in einem 33rief an Sorb 2tcton bom 29. 3Jcärj 1871
eo (Schulte ©. 267 ff., ©ranberatf) III, ©. 606ff.) feine Unterwerfung lebiglicf) al^ einen
$attfamfd)e8 ^on^tl 473
3lft beS ©efyorfamS gegen bie Autorität ber $ird)e barftettte unb fünjufügte, „bafj fie
ntdjt auS ber 23efeitigung ber ©rünbe fyerborgegangen War, bie feine Dbbofition gegen
bie betrete beranlafjten". — ®te meiften 93ifcb,öfe feinen bie ^on^ilsbefcllüffe in tfyren
©iöcefen publiziert ju I)aben, beren retfjtlicfye SBerbinbltc^feit War jeborf) nacb, ber 2tuf=
faffung ber ®urie (ÜRunbfcfyreiben 2lntoneHiS an bie Nuntien bom 11. Stuguft 1870, 5
Coli. L. p. 1715; ©ranberatb, III, ©. 592) bereits burd) bie bäbfilidje 23eftättgung unb
SBerlünbigung in ber britten unb feierten öffentlichen ©itjung fid)ergeftettt.
©urd) biefe nachträgliche guftimmung bw 3Rinorität3btfc&/öfe 311 bem battfanifd)en
©ogma ift bie grofje ®riftS, bie eS für bie römifcb^fatfwlifdie Hircfye fyeraufbefcfyWoren
Jjatte, überWunben Worben. 2Iber eS lonnte nid)t berb,inbert Werben, bafj ber ^ßroteft io
gegen ben batilamfdjien „sJieufatf)oIiciSmuS" %ux 33ilbung ber altfatfyolifdjen ßircfye (bgl.
b. 2lrt. 33b I ©. 415 ff.) geführt b,at, beren 33ebeutung ju feiner $ät in ber 3afyl tljrer
Hcitglieber bell gum StuSbruct gefommen ift, btelmefyr na<| ifyrem (gintreten für bie großen ifyr
einft bon ®ötttnger borgeseidmeten Aufgaben (23rief Dom 18. Dftoberl874, m. Duetten2
%lx. 484 ©. 423) bemeffen Serben mu|. r>
©aS SSatifanifcfye ^on^il bejeidmet in ber ©efd)id)te ber römifd^fatfyolifdjen Sltrd^e
ben Anfang einer neuen ^ertobe. ®ie 9Kad;t beS ^3abfttumS ift gefteigert Worben,
unb bie gentralifierung ber fircbjicfyen Verwaltung in 9tom I)at Weitere gort=
f dritte gemacht, ©ine für baS ^alpfttum befonberS glüdlicfye gügung War eS,
bafj unmittelbar nacb, ben entfd)eibenben 33efd)lüffen burd) bie italienifdie @inl)eits= 20
betoegung baS ©nbe beS JlircfyenftaatS herbeigeführt Würbe. SDenn baburd) trat
$abft $iuS IX. in ben ©enuf? ber $ribilegien beS SRärtfyrerS Wie früher ^3tu§ VII.,
unb für feine beiben 9?ad)folger Würbe bie „römifd)e $rage" ein SlgttationSmittel erften
langes unb eine unerfdjbpfltcfye Duette bon Äunbgebungen ber ^ietät. 33or attem aber
tourbe baS $abfttum baburd) bon einer Stufgabe befreit, ber es notorifd) nid)t geWad)fen 25
toar, burd) bie eS in ben engen $reiS territorialer $ntereffen Innabge^ogen tourbe, bie
^afyrfmnberte b,inburd) bie 33eb,aubtung feiner internationalen ^ofttion erfcfyWert I)atte.
£ie bon bem unfehlbaren $abft regierte Äird)e l)at an geftigfeit, an ©infyeit , an ©e=
fa)Ioffent)eit gewonnen, bie ©urd)füfrung ber Stomanifierung beS inner!ird)licb,en SebenS
tourbe erleichtert, aud) bie §anbb,abung ber SDiS^iblin, furj ber bolitifcfye $atl)oltciSmuS l)at so
eine SSerftärfung feinet Unterbaut erfahren. ®aju lommt ferner, bafj baS ^abfttum fieb,
flugertoeife bisher babor gehütet l)at, in einzelnen lon!reten Ratten feine ©ntfe^eibungen
al§ tatb,ebratifd()e ^u fennjeid^nen b. fy. e§ b,at bie SBirfungen beS aner!annten 33efi^e#
ber Unfeb,Ibar!eit für feine gefamte S£t)ätigfeit in Stnfbrud) genommen. 31I§ einen Sieflej
biefer «Sachlage b.aben toir eS anjufefyen, toenn ©b,r^arb (2)er ^at^oliciSmuS unb ba§ 35
jtoanjigfte ^ab,rb,unbert, Stuttgart 1902, <S. 275) bon einer „befreienben Söirfung ber
Unfe^lbar!eitSer!lärung" fbricfyt ober ©molfa (Erinnerung an Seo XIII., greiburg 1906,
6. 23 f.) bie Eröffnung be§ 23atifanifcb,en 2trd)ib§ au§ ber burd) biefeS ©ogma gefj$affenen
©ic^er^eit ableitet, ©erartige, auf ben erften 33lic? barabo^ erfd)einenbe Urteile finb nic^t
fo leidjt ju teerten toie e§ oft gefcfyefyen ift. SJlber gerabe biefeS ©^rbarbfe^e S3ucb, liefert auf ber ^
anberen ©eite ben 33eit>ei<§, bafe innerhalb ber bureb, baS SSatilanum beftimmten römifcb.en ^ird>e
baS b,errfcb,enbe ©Aftern fieb, burcb,au§ leiner bebingungSlofen ^uftimmung ju erfreuen b,at.
2lu§ ^a^Ireicb^en ©^mbtomen ge|t ferner fyerbor, ba| bie Saien auf eine ftärfere 3DRit=
arbeit an bem fircfylidjen Seben b^inbrängen, baf? bie Überfbannung beS SlutoritätSbrinjibS
ftt)toer embfunben toirb, bafe bie JHerifaltfierung ber JPolitil auf Söiberfbrucb, ftöfjt, bafe 45
ba§ nationale ©mbfinben erftarlt unb fiel) gegen baS Übergewicht beS romanifc^en (Elements
in ber Äircfye auflehnt, bafe bie Slnerlennung beS mobernen ©taatSgebanlenS in ibjer
eigenen ?OJitte an S3oben getoinnt, ba^ ba§ Verlangen, ju ber mobernen Kultur ein bofi=
tibeS Ser^ältniS ^u gewinnen, junimmt, bafj ber ©eift ernfter toiffenfcb,aftlid)er gorfd)ung
aueb, in ber römifc^en föircfye feine befreienben SBirfungen ausübt. 9J2ag in ben 33e= 50
ftrebungen beS fog. 9teform!atb,oliciSmuS fieb, aud) biel UnllareS, SBiberfbrudiSbotteS, Un=
fertiges finben, bie 93etoegung ift ba unb eS gelingt nid)t, fie burd; Slbleugnung auS ber
2Belt ju fd^affen. ©benfo jeigt bie internationale £oS=bon=3ftombetoegung, bafe in ber fatf)o=
Iifcb,en ßb^riften^eit fid) biel Unmut angefammelt b,at unb bie 3«it !riti!lofer Untertoerfung
für Weite Greife ber Vergangenheit angehört. 2öir beobachten bemnacb, innerhalb ber 55
latf)olifcb,en Äird)e baS 2Bir!famWerben bon ^altoren, bie bem 3Serfud) einer Weiteren
SluSgeftaltung ber batilanifd)en ©runbfätje quer in ben 2Beg treten.
3Rad» ber rein bolttifdjen ©eite blatte baS^on^il gunäct)ft nur bie 9Birf ung, bafe öfterreteb, mit
ber Segrünbung, bafe „ber Äombagif^ent ein anberer geworben fei" (Coli. L. p. 1719) am
30. $uli 1870 baS ßonforbat bon 1855 (ebenb. p. 1721 ff.) funbigte (über baSSBerb, alten ber so
474 SBattfumfdjeS ^on^U SSccfcnmc^er
©taatäregierungen gegenüber ben ^onzilsbefcfrtüffen togl.ßkanberatfylll, ©. 663 ff.; griebberg,
Slftenftücfe ©. 53 ff.). Stber aucfy bei bem Sluäbrucf) be<o breufjifcfyen 5Mturtamj)f§ War „^um
Seil Wenigften§ ber ©inbruct beftimmenb, ben ber ©ang be§ ^on^tlg auf bie ©taat§=
regierungen machte" (%. 3£. gunf, Kultur ber ©egenWart I, 4, Seidig 1906, ©. 245).
5 Qn ber jüngfien Vergangenheit enblidj» f)at ba§ fatfyolifcfye granfreid) bie Trennung be3
Staates bon ber Äirdje boEgogen, nacfybem ficb, bie Unmöglicfyfeit berauggefteEt fyatte,
auf bem 33oben ber burcb, ba§ Äontorbat bon 1801 gefcfyaffenen Slecfytgberr/ältmffe fid^
be§ 2lnfturm<§ ber in ir)r burcb, bas SSatifanum jum ©iege gelangten ultramontanen 9tid)=
tung ju erWefyren.
10 ®ie ©eftnition be§ ®ogma§ bon bem Uniberfalebijfobat unb ber ^nfalltbtlität bei
römifcfyen 93tfct)ofS t)at bie ©efcbjdjte ber Sntftefmng biefe<8 ©ogma§ jum älbfcfylufe ge=
bracht, ©iefe Sebjen gehören feitbem ju bem $rei§ geoffenbarter ©laubenöWafyrfyeiten unb
Werben bon biefer ®ircl)e niemals aufgehoben Werben, toob,l efyer nodj eine Steigerung er=
fahren (Stebe bon @. Sommer, ^rofeffor ber Geologie an ber Söiener Uniberfität „De
15 maiestate pontificis romani" ju @b,ren be£ 25jäb,rigen ^ßatoftjubtläumg £eo§ XIII.
u. a. : affirmamus, ecclesiae esse unum caput in duabus personis distinetis,
Christo scilicet et Petro. — Sicut humanitas Christi est quasi instrumentum
animatum coniunctumque divinitatis, quae propria filii est, simili quoque
modo pontifex m. dici potest primarium instrumentum humanum animatum-
20 que ipsius verbi incarnati ac divinitatis, quacum coniunctus est auctoritate
vicarii universa. Recte igitur papa a s. Catharina virgine Senensi alter
Christus appellabatur. JJafrbucf) f- Wlofotofyie u. fbelulatibe Geologie, fyerauSgeg.
bon @. (Sommer, ^aberborn 1903, ©. 497 502). Slber aucfy bon biefem £)ogma gilt,
bafj feine offizielle Ste^ebtion ifym nocb, nidjt bie ©arantte berieft, bafj ei tfyatfäcbjid) in
25 bem bon bem befcfyliejjenben ^on^il geWoEten Umfang für aüe Qtitm refbeftiert unb
Wirffam fein Wirb. SDte ®ogmengefcf;icf/te liefert ntd)t wenige 33cifbiele bon Umwertungen
unb (Entwertungen einzelner ^Dogmen, ob,ne bafs bie innere SlbWenbung bon ilmen bie
^onfequenj erzwingt, bafi fie formeE aufgehoben ober abgeänbert Werben. ©oEten Reiten
Wiebertefyren Wie bie bei 18. 3sar/rl)unbert3, fo Würbe aucfy bie @infd)ä£ung be§ bati=
30 Janifcfyen ®ogma§ babon nid^t unberührt bleiben. Slber bie römifö^e Äird>e Wirb bei
ifyrer großen 2tnbaffung3fäf)igfeit unb ©laftijität aucf) folgen ©bentualitäten geWacfyfen
fein, benn fie f>at ficb, ben 2Beg ber autfyentifcfyen ^rtter^retattort be§ ®ogma3 nid)t ber=
fcfyloffen unb befiijt in ber 9ftetfyobe bei ®iffimulieren§ gegenüber unabänberüdjen ©ingen
ein biel bewährtes Slugfunftimittel. 6ort mivbt.
35 SSeefenmetyer, ©eorg, geft. 1832, Würbe am 20.9?obember 1760 ju Ulm geboren unb
entftammte einer früher in StugSburg angefeffenen gamilie, beren ebangelifcfye ©lieber fbäter
nad) SDonauWbrtb, unb nacfy beffen Sefetjung burcb, Sägern nacf) Ulm belogen Waren. DbWor/l
er Wie fein SSater ein SeinWeber Werben foEte, befugte er bod) bie unteren klaffen be3
ftäbtifd^en ©t>mnafium§. 9Jur Wenige SBodjien batte er aU Seb,rling im bäterlid^en §aufe
40 gearbeitet, als einer feiner 2eb,rer, ber bie f>crborragenbe Begabung bei Knaben erlannte,
bie ©Item beftimmte, tbn Wteber auf ba§ ©t)mnafium ju fd^iden. SD^it 17 ^afyxen trat
er in ba§ Ulmer Collegium academicum ein unb Würbe in ben numerum studiosorum
philosophiae, bie in Tübingen beboniert Würben, aufgenommen, -ftocb, Wäb,renb biefer
Ulmer ©tubiengett entwickelte fiel) feine Eigenart, bie 9iid)tung auf bie ^iftortfdbert ©tubien
45 unb bie Siebe $ur ^leinf orfcb, ung , befonberl auf bem ©ebiete ber 9ieformation§gefd)idjte.
^n feinem Wot)l erften, mir lianbfc^riftlicb, borliegenben ©cfyriftcfyen (e§ War ein, Wie
febeint, bon Qtit ju 3«'t geforberte<§ „speeimen in inquisitione") : „33on @itelb,ann§
Sangenmantel, einem heftigen SBtberfacber Sutl>er§", bag er, noeb nidjt 20 %afyxt alt, im
Slbril 1780 nieberfd^rieb, entfd)ulbigt er fd)on bie „litterarifd)=b,tftorifd^e ©riEe", bie fein
50 bebeutenbfte§ SSerbienft Werben foEte, „au§ §anbfd)riften noc^ nid^t ans Sid^t gefteEte
©ad)en ^u gieben", unb ber ©efd)id)te foleber Seute nacfr^ugefyen, „bie in tiefer 2$ergeffen=
b,eit fteefen". ©te Anregung baju berbanfte er ob.ne ßtoeifel bor aEem bem trefflichen
©d^eIb,orn (f. b. 21. Sb XVII, 551 ff.), mit bem er. Wie mit 2lm @nbe, bem §erau§geber
be§ ©leiban, in regftem SßerJebre ftanb, unb ber ifym feine reichen Sammlungen öffnete.
55 3lber ber junge ©tubent felbft fammelte fdwn Wo er lonnte alte SDrude unb b,anbfd)rift=
Ucbeg 9)iaterial unb jWar au§ ben berfc^iebenften ©ebieten, \va§ tbn allein in ben ©tanb
fe^te, feine umfänglicfjen ©bejialftubien ju machen. SRatürltcb Wanbte er ficb, gunäd)ft
ber Solalgefcbicbte ju unb fteEte e§ ficb, jur Aufgabe, Wie er in einer (b^nbfcfyriftlicfyert,
fbäter in anberer gorm Veröffentlichten) Slbb, anbiung bom ^ab,re 1781 „£eben§befd)reibung
Bcefenmetyer 475
Ulrich $rafft<§, beiber 9ted;ten £)ocior3, ©tabt^fatrerö ju Ulm unb geugen ber 3Ba^r^eit"
e3 au§ftorid;t, nad; unb nad; bie ©efd)id;te aller ber HJiänner, bie in ber 9teformation§=
gefd)id;te Ulm? eine 9toHe gezielt tmben, ju bearbeiten, liefern fttotüe bienten mehrere
©pejümina aus jenen Sauren, bie eine ganj ungewölmltdje Kenntnis ber &ird;en= unb
2itteraturgefd)id)te ber $eformation3geit befunben, unb bte, fo Weit fie bie £>eimat fbejiell b
angingen, ber SteformationSgejcfyicfyte Ulmg ju ©runbe liegen, bie Beefenmer/er für ^ofy.
£erful. ^>etbg Betreibung »on Ulm mit feinem ©ebiete (Ulm 1786, ©. 157—196)
lieferte. ©a§ merlwürbigfte au3 jenen Ulmer ©tubentenjafyren ift aber eine Debe Beefen=
metyerS auf ben SOOjä^rigen ©eburtätag £utb,er§, ber einige SSerfuct), 2utb,er3 ©eburt<§=
tag im ^atyre 1783 in biefer Sßeife ju feiern, ber mir bi§ jeijt befannt geworben ift. io
©ic ift ein beutlidjeö geidjen bafür, Wie ba<§ BeWufctfein Don Sutfyerg ©röfje jener geit
faft abfyanben gefommen mar unb if>r erft nad) unb nad; Wieber jurüderobert Werben
mufjte. ©laubt bod; ber Berfaffer ftd; entfdmlbigen ju muffen, Wenn er e3 Wage, Sutl)er
ju feiern, ba er ja jugeben muffe, „bafs berfelbe lein fo großer ©eift geWefen al§ 2eib=
nit$, Sode, Newton unb einige anbere bergleid;en unb baj$ er einige widrige geiler an 15
fid; fyatte" Unb e3 ift ganj im ©inne ber 3eit, wenn er geigen Will, „Wie grojje Ber=
bienfte Sutl;er um bie Äirdjenberbefferung unb übertäubt baburd; um bie 2lufflärung
habt" 2lber in feiner §od)fd;ä£ung SutfyerS unb feiner Begeifterung für ilm ging er
feinen Sanböleuten Wofyl ^u weit, jebenfalls Würbe feine Slbftdjt, biefe JRebe am
10. 9?obember 1783 ju galten, px feinem Bebauen: Vereitelt. 20
(Erft im %ax)xz 1786 bejog er bie Uniberfität 2Iltborf, um 5£b,eoIogie unb Bfülologie
ju ftubieren. $Dort Waren ©abier, Säger, ©ieben!ee3, 2Bill unb ©cfyWarj feine l)aubt=
fäü)Iid)ften Sel;rer. Sftefyrere Heinere Slrbeiten au§ jener geit, ©elegenb,eit3fd;riften, bie
er im auftrage ber societas latina Altorfina fjerau^gab, laffen erlennen, Wie bielfeitig
feine ©tubien Waren, Wie aber ba3 litterarifd)e unb fyiftorifcfye ^ntereffe ba<3 eigentlich 25
tfjeologifcfye bei Weitem überwog. 2lm 19. Dltober 1789 erwarb er fid; bie btnlofobb,ifd;e
ÜÖtogtfterWürbe buref; Berteibigung ber ©d;rift Vicissitudines doctrinae de sacra coena
in ecelesia Ulmensi, einer fefyr gelehrten 2trbeit, beren I)anbfd;riftlid;e Quellen je£t
nur jum lleinften ^eile nod) borfyanben fein bürften, unb am 20. gebruar 1790 Würbe
er Magister legens. $u biefem $\vtäe tmite er eine 2lbb,anblung De recto et vario 30
historiae reformationis saerorum usu Vorgelegt unb bertetbtgt, bie, Wenn fie aud;
bie ßWedmäftigleit befonbers» betont, bod; ben Weiten Blid ifyres» Berfaffer§ unb feine
Begabung, aud; größere fyiftorifd;e Aufgaben ju erfaffen, bezeugt, ©eine alabemifdje
£I)ätigleit — er Ia§ bom W<xx% 1790 an über ©cfyrödt)>§ ^om^enbium ber d)riftlid)en
tird)engefd)id}te öon ber Deformation an — War nur oon !urjer $Dauer. Bereite im 35
Dltober 1791 feierte er in feine Baterftabt jurüd, um fidj in bie ^anbibatenlifte auf=
nehmen ju laffen. 2lm 13. ÜJiärj 1792 Würbe er gum Sßräjeptor ber 5. klaffe, am
28. Dooember beSfelben ^ab,re§ §um 2eb,rer ber 6. klaffe unb enblid) im gebruar 1793
jum ^rofeffor ber Dljetori! beförbert, Womit aud; ba§ 2lmt eine§ ^rogrammatariu^ t>er=
bunben War, 'mtö i^n jur 2luägabe toon jWei, f^äter öier jäf)rlid)en Programmen ber= 40
pflichtete. ^n ^^efer ©teUung, b,ier unb ba aueb, al$ ^rebiger auty elf enb, berblieb er,
unermüblicb, tb^ätig unb fdjriftfteUernb unter ben WedjfelboHen ©c^idfalen feiner Bater=
ftabt, bie in fein Seben fielen unb bie aud) in bie Berfyäliniffe be3 ©tjmnafiumö, an
bem er lehrte, zeitweilig tief einfdmitten unb ib,m felbft manche gwüdfeijung eintrugen.
Sa§ b,ing oielfad) bamit jufammen, ba^ er, ber an ber alten §errlid)feit Ulm^ fid) er= 45
freute unb ba§ BeWufetfein beg 9f{eid;§ftäbter§ in fid) trug, fid; nur fd^Wer in bie neuen
unb jWar befonberg fdjliefelid; in bie Württemb. Berljältniffe finben lonnte. ^m ^5. 1826
Würbe er in ben 5RuI)eftanb toerfetjt, biente aber feiner Baterftabt nod; Weiter afö ©tabt=
bibliotfyelar. Qm ^uni 1830 erhielt er in Slnerfennung feiner Berbienfte um ben Slnbau
ber Äirdjengefc^idjte »on ber t^eologifd;en gafultät in Qena bie Wol)lt)erbiente tfjeologifdie 50
^oftorwürbe. DbWol;l er ein ^]oIt)b,iftor War Wie Wenige unter feinen ^eitgenoffen, ge=
b,örte feine Neigung bod) immer ber Iird;engefd)id)tlid;en gorfcb,ung. ©ein Seben War ba§
eine§ emfig unb in aller ©tille forfd>enben ©elel)rtcn, ber nur fad^Iicjie ^ntereffen !annte,
unbefümmert um ba§ Sob ober ben ^abel ber geitgenoffen. Bon feiner Sugenb an War
er ein ©ammler ; ba£ blieb er, aber nid)t um feine ©d>ä£e ^u bergraben ober in ftider bö
©elbftgenügfamleit fid; allein an ilmen ju erfreuen, fonbern um fie ju nüljen unb nu^=
bar zu machen, nad; Söeife ber 2lltborfer ©ctmle gleid)giltig gegen bie gorm, in ber er
bie Stefultate feiner ©tubien lunbgab. 2ln ben tl)eologifd;en Jtämpfen feiner 3eit unb
ber allmäb,lid;en ÜberWinbung ber Slufltärung blatte er feinen Slnteil. ©eine Betrad)tung
ber tl)eologifd;en ©egenfä^e feiner ßeit War eine ^iftorifd^, j. B. in ber ©i;mbolfrage, 60
476 SSeefenmetyer
töte man u. a. au<§ feinen Skmerfungen in ber oben ermähnten ©d)rift De recto usu etc.
eiferen fann. ^rre id) nicfyt, fo bertrat er je ntefyr unb mefyr einen toarmen ^ße!toraIi§=
mu§ unb t>oß ©lauben^uberftcfyt fab, er unter ben ©ebrecfyen be§ Stlterg bcm ^obe ent=
gegen, ©erabe ein Igafyr bor feinem 2obe fctmeb er an einen Nürnberger greunb in
5 einem mir borltegenben ^Briefe: „Stile SRorgen benle icb, an ?ßf 71 t>. 9, unb bann ift
mir, aU fage ©Ott &u mir $ef 46, b. 4, unb bann gefye icb, getroft unb rufng in meiner
Saufbaljm unb an meine Strbeit" Slm 6. Stbril 1832 mürbe er bon feiner Sirbett unb
au§ bem Greife feiner gamilie, jtoei ©öfmen, bie ib,m feine (erft im ^ab,re 1881 im
Sllter bon 94 %afyctn berftorbene) zweite grau, $atfy. @Uf. 3(ul. 8eb- SÖMer, geboren
io blatte, abgerufen.
©ie gafy feiner ©cfyriften unb 2luffä£e, bie meiftenS rttd^t umfangreich finb, ift fefyr
grofj. SLrotj ber lolalen gärbung finb* fie ob ber Sebeutung UIm§ im Deformation^
jeitalter für ben gorfcfyer nocf) fyeute, tr-ie mancf/e§ aud) überholt fein mag, eine unfcfyä£=
bare gunbgrube, meldte bie Ie|te ©eneraiion faft gan$ bergeffen ju b,aben fdjeint, mag
i5 jum %6l baran liegt, bafj fie fo btelfacb, gerftreut finb. 2Ber mit mir gu feinem S3e=
bauern zuweilen nachträglich bemerft ijat, baf? if>m, wenn er 23eefenmer/er3 Sirbetten ge=
rannt, mancfye<§ mübjame ©ucfyen erfbart toorben märe, roirb es> bielleidjt begrüben, menn
fyier ber Serfuct) gemalt toirb, abgefefyen bon gang lurjen Degenftonen unb Dotijen
(namentlich im „Sltfgemetnen Iitterartfct)ert Sinniger"), eine möglicbjt boßftänbige $u=
20 fammenftellung feiner Slrbeiten ju geben.
©eine mir befannt geworbenen ©Triften unb Stuffäije finb folgenbe:
Carmen maximam partem ineditum etc., Slttborf 1788, 4. — Particulam
Annalium Manusscriptorum ineditam etc. (ein ben S3auernfrieg betreffenbe£ ©tue!
au§ DMancr;tr/on<§ Slnnalen), Stltborf 1788, 4. — Leibnitii epp. ad J. A. Schmidium
25 Theol. Heimst, ex autogr. Norimb. 1788, 8. — ©ttbenbien bor ber Deformation
in SReufelö SJcagagm 1788, II ©t., ©. 113. — De vicissitudinibus doctrinae de
sacra Coena in eeclesia Ulmensi, Stltborf 1789, 4. — De recto et vario Histo-
riae reformationis sacrorum usu, Stltborf 1790, 4. — Beiträge jur ©efcfndjrte ber
Sitteratur unb Deformation (betrifft meiften§ DeformatiottSgefcfytcfyte, tjanbelt aber rau«r)
30 bon ben ^eftamenten ber jtoölf Patriarchen unb einer ^anbfcfyrift ber lateinifd^en Über=
fe^ung berf.), Ulm 1792, 8. — 33erfucf) einer ©efdjücfyte ber Seichte in ber Ulmifdjen
^ircfye, 1792, 8. — Über jwei fefyr feltene 23rieffammhmgen (©cfymebel unb §edfel)
Dceufete gJiaga^in, 1792, 6. ©t., ©. 137 f. — Dad)rid)t bon be§ Martin Salticuö ef>e=
mattgen Ulmtfdjen Deftorä geben je, 1. Slbfcfm., Ulm 1793, 2. Slbfd). 1794, 4. —
35 Comment. hist. litteraria, Ulmenses bene de re Literaria orientali meritos
sistens, Ulmae 1793, 4. — De codice manuscripto Juvenalis Satiras complec-
tente, Ulmae 1793, 4. — De Academia Veneta, Ulm. 1794, 4. — Dadjricfyt bon
§anö ^acob 2öe^, erftem ebangeltfcfyen Pfarrer in Seibfyeim, Ulm 1794, 8. — De
Ulmensium in Litteras Graecas meritis ibid. 1794. 1795. — De Ulmensium in
40 Arithmeticam meritis, ibid. 1794, 4. — Dacbjict/t bon Sonr. ©am§, be§ erften
orbentlid) berufenen Ulmifcb,en ^Reformator«?, Seben, 35erbienften unb ©Triften, ebenb.
1795, 4. — Serfucf) einer ©efdncfytc be§ ©c^loffe^ ^elfenftein, ebenb. 1796, 4. —
Spec. obss. miscell. in Com. Nepotem, ebenb. 1796, 4 (barin auef) über bie erfte
beutfef/e 3lu§g. be3f.). — 6oHectaneen bon ÜOklancfjtfjonS SSerfyältntffen, in melden er
45 mit ben Ulmern ftanb, ebenb. 1797, 4. — 33on bem ehemaligen Slufent^alte ber ^uben
in Ulm, ebenb. 1797, 4. — De Marco Beumlers Philologo Eamista, ibid. 1797, 4.
— De Ulmensibus Erasmi amicis, ibid. 1797, 1798, 4. — kleine Seiträge ^ur
Kulturgefcf). b. beuten ©brache, 1. Slbfdm.Ulm 1798, 2. Stbfcb,. 1802, 3. Stbfctm. 1804, 4 (betr.
33al. ^drelfamer, ©eb. granf jc). — SSerfucb einer ©efef). be§ beutfeben ^ird^engefangeg
so in ber Ulmifcf)en Äirc^e, ebenb. 1798, 4. — Pentas epp. cl. vir. hactenus nondum
editarum, ibid. 1798, 4. — Slnalelta ju £af. Dtterg Seben, Stag. Sitt. Sinniger 1798
Dr. 97 ©. 977. — Über ^riftian ©ntfelber in ©ablerö Deuft. ^eol. Journal 1800,
IV, 4. 309. — ®ttoa$ über Saj. ©benglerö ©Triften, SlUg. Sitt. Slnj. 1800, Dr. 25.
— Son ber erften Sranbenburgtfcfyen £ircb,enorbnung in ©abter§ Journal für tl;eo".
55 Sttteratur, 1801, 2. 33b, ©. 525 ff. (bgl. 3lEq. Sitt. Sing. 1800, Dr. 182). — 33on
3ol)ann SlauffenS in teutfdbe 35erfe gebrautem $falter, ebenb. ©. 530 f. — AI. (^ronil
bon Ulm (ßeitgenöffifc^e^) ebenb. 1801. — De Minerva a Domitiano superstitiose
eulta, ibid. 1802, 4. — Darfst bon Ulr. ®raft§ Seben jc, ebenb. 1802, 4. —
Hexas epist. cl. vir., ibid. 1802, 4. — Sefcfjreibung ber ©tabt Slmberg, Sitt. Hättet,
so Dürnberg 1802, ©. 398. — 23erfucf> einer ©efeb^te be3 Ulmifo)en ^atecl)igmu§, I. 1803,
23ecfcnmei)er 477
II. 1804, III. 1805, 4. — De Pauli Salichii vita etc., ibid. 1803, 4. — 23erfua)
einer ©efcfyicfyte beS er/em. ©ommifanerllofterö in Ulm, ebenb. 1803, 4. — Über %oi).
Gaftner unb SKartm Äloftermair in Sitt. Slätter 1803, 3lx. 22. — ©ef. 9?aa)r. bon
$acob 9xa$, ebenb. 5Rr. 1. — Gotfectaneen bon SEranquißug ^artr/eniuö 2Inbronicu§ au§
SDalmatien, ebenb. 9fo 2. (2ln gleicher ©teile nod) eine ÜRetfye fleinerer Sflilcetten.) — 5
kleine 9cacl)lefe ^u be§ feiigen 2lm Gnbe bon 'Sr/omaS -Jcaogcorgug, ebenb. ©. 194.
219f. — De antiquo numo Syracusano, ibid. 1803, 4. — Dactylefe 311 3jO&.9Jtojer3
Seben, Sitt. glätter 1803, 228 ff. — 23on ©ebafttan SJiurrfyo au3 Golmar, ebenb.
e. 323 ff. — De consilio edendorum qui progymnasmata Graece scripserunt,
Hermogenis, Aphthonii atque Theonis, tentamen, ibid. 1804, 4. — De non neg- 10
ligendis vett. codd. Fragmentis etc., ibid. 1805, 4. — 9tad)iicf/t bon Sorenj
JBalter ^ücbel 2c, ebenb. 1806, 4. — De Joanne Boemo Aubano etc., ibid. 1806, 4.
— SBerfud) bon SJnnalen be£ er/em. granpgJanetflofterg in Ulm, ebenb. 1807, 4. —
Wricb 3toingli als ^äbagog, *H. Sitt. 2lnj., 9Jfüncf/en 1806, ©. 199. — ^of). Sang,
ein berbienter Sftrcf;en= unb ©djmllefyrer in 9Jtemmmgen im 16. ^afyrfyunbert, ebenb. 242. 15
Über Sutr/er3 Sud) bon ben Gigennamen ber SEeutfcf/en, ebenb. ©. 295 (bgl. ebenb.
g. 206 ff. unb 1807, ©. 154 ff.). — 3o&. ^catoriuö ebenb. 1807, ©. 15f. — Gol=
leetaneen, bie ©efef). be§ ^roteftantigmug in Göln betreffenb (©erb,. Söefterburg), ebenb.
1807, ©. 146. — ©ef. Dacfmcrjten bon %ot). 33ünberlin bon Sin£, ebenb. ©. 513 ff. —
§ift. 9J?i§cellen bon Ueberlingen, ebenb. 1808, 4. — Sieber be§ 15. ^af)r^unbert§ auS 20
|>anbfcr/riften. ^n Beiträge j. ©efefy. altb. ©^ract)e bon gerb, äkcffyerlin, ©tuttg. 1811.
— Hermogenis progymnasmata graece recensuit, Norimb. 1812, 8. —
Reellen litterartfef/en unb I)iftorifcf/en 3nfyalt3, ebenb. 1812, 8. — De illa Homeri
formula: Tavza ftecöv iv yovvaoi xeitat, Ulm. 1813, 4. — De schola latina
Ulmana ante et sub Reformationis sacrorum tempus, Ulm. 1817, 4. — Sitte= 25
rctrtfcfye 9facf/ricr/t bon Sutfyer§ ©cf/riften, bie Gmbfel)lung be§ ©cr/uIröefenS betreffenb,
Stuttgart 1819, 8. — JJluguftin 23aber, ein ©cfyroärmer, in bie ®enlmät)ler, §eft 1,
Stuguft 1819. — Hurje 9?acf;ricr;t bon 3. ^oljabfel unb §. Setter, Gehören ber lat.
Scf/ulen in Ulm im 15. Qab/rlmnbert, Uhu 1821, 8. — Sitterargefcfjicr/te ber 23rief=
fammlungen unb einiger ©Triften bon Dr. 9Jcartin Sutfyer. 9Jiit einer 33orrebe bon 30
be SBette, ^Berlin 1821, 8. — Commentatio critica qua illud Arcadis cuiusdam
somnium expendit. Ulm. 1821, 4. — $ricfs> 33efd)rcibung be3 SCRünfterg in Ulm.
9ieue berb. 2lufl. bon 23., ebenb. 1821. — Gin 23rief be§ 9ciioIau§ £>rabiä in ©täublin§
unb ^fdnmerS Slrd^tb für alte unb neue ®ircf/engefcf,icr;te 33b V (1822) ©. 380. —
Aliquot Codicum Manuscriptorum quos possidet indicem, Ulm. 1822, 8. — 35
33on ^ofyann Sanbtsberger unb beffen ©cf/rtften in ©täubling ^trajenl). SIrdiib 1823,
Öeft 4, ©. 45 ff. — Sutr/er3 beutfdje Stbelüberfeijung in 23retfcr;neiber§ Journal für
$reb. 1823. — Über be§ ©ojinuä 3lufentb/alt in Sßittenberg, ©täublmS Ätrd&en&ift.
2Irc^. 1824, §eft 3, ©. 79 ff. — ©inb bie 23efcf/roerben ber beutfef/en «Ret^Sftänbe gegen
ben römifcfien ©tufyl auf bem 9teicfy3tag ju Nürnberg 1522/23 bem bäbftlicfyen Segaten 40
felbft übergeben ober ifym nur nacfrjgefcfyicft toorben? ©täublin3 Äirdjenr/ift. 2Ircfy. 1824,
©. 87 ff. — ®ie 93erl)anblungen auf bem Sfteic&ftage %a ©beier 1526, bie Religion be=
treffenb, ebenb. 1825, 1. §eft, ©. 72 ff. — Über einige gleicb^etitge ©Triften gegen
Sutberö Verheiratung mit ^at^arina bon 33ora, ebenb. 2. Jpeft, ©. 167. — 9iacf/Iefe
jur ©efcfyicfyte be§ Slblafetoefenö lur^ bor ber Deformation, ebenb. §eft 4, ©. 461. — 45
9tacf/ricf/t bon ^onrab Äöllin, ©onünüanerbriorl in fööln unb heftigen ©egner Sutb^erä,
Seben unb ©Triften auö gebrückten unb ungebrud'ten Duetten, ebenb. ©. 471 ff. —
Über $an$ (5ad)§, Seförberer ber 9ief., ebenb. 1826, 3. .fteft. — kleiner Seitrag jur
33ibelgejd)tc^te mit ^ufä^en ^u !ÖJogfyetm3 SRac^ricbten bon SDlic^ael ©erbet unb ju 2lm
ßnbeö 9?ac§rid)t bon ©. %xöl)tid), ebenb. — 3Jon Wifyad ©attler, einem ju ÜRottenburg 50
am ^Recfar 1527 Eingerichteten 2öiebertäufer, ebenb. 1826, 4. £>eft. — 33ibIiograbb,ifcb,e
unb biograbr/ifc^e SInaleften ju ber Sttteratur ber alten griecfyifcf/eh unb römifc^en ©d)rift=
ftetter, Ulm 1826. — ©ammlung bon 2tuffäfcen jur Grläuterung ber 5?ircbenlttteratur=,
Wün^ unb ©ittengefc^id)te befonberg be§ 16. ^al)rf)unbertg mit einer ©tetnbrucftafcl,
Ulm 1827. — %lad)nd)t bon SEfyomanS Gb^roni! im 6ar;ertfcben littcr. unb merfanttl. 55
3lnj., 1828, 9fr. 18. 19. — Über bie erften 1519 unb 1520 erfef/ienenen latetnifcfyen
unb beutfeben Sammlungen bon Sutfyerä ©Triften, %i)BtR I, 828, II, 361 (bgl. baju
goerftemann, 2f)StÄ II, 77(iff.). — 33on ^ob^ann bon 2)raenborf, einem teutfeben
§uffiten, ebenb. 1828, ©. 399. — Über 2lbam ^eufer, ebenb. 1829, ©. 553. — Sitte»
rarifd)=btbliograbl;ijct)e sJlaa>rtct)ten bon einigen ebangclifcfyen latccbetifc^en ©cf;riften unb 00
478 SSeefenmctyer Segfye
^ateck^men bor unb nact) £utl^er§ üatedjt^meti je, Ulm 1830. — kleine ^Beitrage jur
©efcbjcke be3 Stetd^tagS ^u Stugsburg 1530 unb ber 2tug3burgifckn Konfeffion. 2lu<§
gretd;jeittgen §anb= unb ®ruc?fckiften , Nürnberg 1830. — 3Ser i/at juerft unter
ben ebang. Ökologen eine ©ammlung bon fernen über bie ^3erifoben auf bie ©onn=
5 unb gefttage herausgegeben? (53ugen|agen) %fj&m III, 1830, ©. 869. — Über be§
Sart^olom. 33emf)arbi 2l^Dlogie ber Slerogamie, £b,©tß 33b IV, 1831, ©. 125. —
©enlrnal ber emfyetmtfcfyen unb fremben Geologen, toeld)e in Ulm ju ber toirflidjen @in=
fü^rung ber Deformation bor 300 Igaken gebraucht mürben, Ulm 1831. — Über ben
SScrfaffcr be3 Siebet: ßommt ber gu mir, fbxicfyt ©otteS ©o^n, ffi%i) 1832, I, 1,319 f.
10 — De diis paciferis etc. ebenb. I, 2, 55 ff. — 3um 2lnbenlen an bie 2lu§manberung
ber ebangelifcfyen ©aljburger im ^ake 1732 unb Don ben Söiebertäufem im ©algburgifckn,
ebenb. II, 2, ©. 243. — S)e§ ebangelifcfyen -KZärtr/rerä QofyanneS ©iajiug SDebitation
bon ben ^faljgrafen Dtto ^einrieb, k., $%f) 1837, ©. 157 — ®ie fek feiten ge=
Worbenen Programme 33eefenmer;e*3 befitjt bie Ulmer ©tabtbibliotkf, ebenfo bie tk
15 b,interlaffene Urlunbenfammlung jur ©efdjtcke ber ©tabt Ulm , roäfyrenb bie loftbare
33ibliotk! unb feine übrige §anbfd)riftenfammlung , bas> Defultat mek al§ 50jäkigen
Sammeleifers, um feinen ©öfmen ba§ ©tubium ju ermöglichen, butc^ 33erf'auf jerftreut
werben mußte. S^eobor Solbe.
35eg^er ^o^anneS, als ^Jrebiger befannter ^raterkrr ju fünfter geft. 1504. —
20 Quellen: Skonif be§ ®lofierg 9Jiefin£ bei fünfter; 9Fcemortenbud) be§ 5raterl)au|e3 ju
fünfter; Sübum ber SIrtiftenfat ultöt ju Eoin; SSeräetctjntS ber 5ESot)ltt)äter be§ 9ctefinMlofier§;
9JcecfIenburgtfct)e<§ Urhmbenbutf); Slnnalen unb 9(ften be§ öilbeSfjeimer 33rubert)aufe3, tjeranägeg.
Bon ®ö6ner (©annooer unb Seipjig 1903), ©. 268,87, 269, 270, 272; Cornelius, ©efct)td)t§=
quellen beä 33t§tum§ fünfter, bef. S3b II. — Sitteratur: 3m Qaljre 1883 ueröffenttictjte
25 Dr. gfranj 3L1fteä bie erften Bon il)m in fünfter nufgefunbenen 24 ^rebigten unb glnei beutfetje
©ebidjte, 3°b- SSegfte, ein beutfc£)er ^rebiger be§ 15. 3<*kb- (©aüe), ju «gl. 6b. ©darüber in
@g?( 1883, ©. 1329 ff- unb «{Stjü. ©trauet), Sinniger für beutfd)e§ filtert. 1884, 202 ff.;
ferner Softe* in £3® SSb VI 1885, ©. 345 f. : „®rei unbetannte beutfetje ©djrtften Bon 3of).
S8egt)e"; berf. in bem SJlünfterfc^en Slnjetger 1904 juni ©ebäditnie SSegbeä; &ubto. ©ctjutje
30 in ber 311F XVIII. 1888 über 3- 93egtje; berf. in ber 3®@ 1890, ©. 577—619, £ur ©eftf).
ber SSrüber Born gem. Seben, 9er. 3, bt§tjer unbet. ©crjrtften be§ 3. 3<egt)e; Sraufe, SRoft.
gettung 1885, 9Jr. 296; .gerat. Strieloff, 5)ie SEraftate unb ^rebigten 2}egt)e8, unterfutfit auf
®runb be3 lectulus floridus ber SSerl. §onbfcb,rift jur (Einleitung in baZ ©tubium 58egtje§,
©alle 1904, ?(b93 oon ^t)tl. ©trauet).
35 I. SebenSumftänbe. ^Da 33. 1504 geftorben ift unb 53 ^abre ber Sruberfc^aft bom
gem. Seben angebört b,at CDtemorienbud) be3 2Rünftcrfct)en §aufeö), fo ift er 1451 in ba3=
felbe eingetreten, alfo in ber erften §älfte be<§ 15. ^ak^unbertS geboren unb §war ju
fünfter, mo fein 33ater (W\d). Gfyx.) ^ol)anne§ 33egk al§ Hefter unb Mette syn echte
huysfrouwe mie e§ fckint ate fromme, rooI;It!;ätige 33ürger§leute in guten 93erl)ält=
40 niffen gelebt i)abm, mie fieb, ba§ au£ bem 3Remorienbucf) ergiebt, mo fie unmittelbar nacb,
bem ©tifter aU befonber<3 berbiente 2BoI)ltf>äter genannt werben. ®erfelben gamilie
mirb aueb, bie bafetbft ermähnte ©t)efeJe 2Begkr angehört l;aben. ?Ract) bem Xitel
Sftefter war ber Sßater ein bermögenber ,§anbmer!er ober 2lrgt (bielleicf)t Gfnrurg).
©eine Slu^bilbung b,at er fic^erlicb, in feiner 33aterftabt erhalten, mo ber §umam§mu§
45 bie ©cbulen übertäubt beeinflußte , bef. aber bie Untermeifung ber 33rüber , bie für
ifyre ©lieber ba§ Stecht befaßen, je fünf ^u ©eifttic^en au^jubilben. Db er bei ilmen
auigebilbet ift, ift nick fieser. ^ebenfaßS geigt ber 9xeicl)tum ber Ilajfifcb,en ßitate in
feinen ^prebigten eine umfaffenbe allgemeine 33ilbung. ©bäter, als er fcb,on in§ grater=
f)auö eingetreten mar (1451), b,at er nod) auf ber Uniberfität gu (Söln ftubiert, wo ba§
50 Sllbum ber 2lrtiftenfa!ultät ib,n al§ Johannes ten Loe, dictus Veghe , clericus
Monasteriensis nennt. @r fükt alfo, nad) bielfacb,er ©itte, einen SDobbelnamen, machte
aber nur feiten babon ©ebraud).
2Bie fcb,on erwähnt, trat er 1451 in ba§ graterb,au§ jum ©bringborn (ad fontem
salientem) in fünfter. §ier mu| er fieb, ba§ Vertrauen be§ 3te!tor 9}{ad)ariug SöeltndE
55 erworben i)abm, fo baß man ifm nacb, ÜRoftod fanbte, Wo feit mek^en $al)ren eine neue
SZieberlaffung ber 33rüber im ©ntftekn toar. ©cb,on 1462 b,atte man brei 33rüber au3
fünfter gefenbet (bgl. SRedt. Urfunbenbucf). Um biefe Srüber gu einem Äonbent ju
bereinigen, fdjtdte man 33. bafym. @r War pro tempore rector bei §aufe§ viridis
horti, al§ Welcher er in einer noctj borl)anbenen Urfunbe bon 1470 am 13. Januar
60 erwähnt ift. ©oeb, lann er fict) nict)t längere 3^it bort aufgehalten ^aben, benn bie bon
»eglje 479
©irtoS IV auSgeftctlte, unb an ir)n gerichtete 33eftätigungSurfunbe beg SfloftodEcr §aufeS
bom 8. September 1471 ift an irm naa) 9Jcunfter gerietet, ©benfo befagt bie bom
1. Januar 1472 auSgeftetlte Urfunbe gu SRünftcr, bafj er aueb, faiferlidjer 3lotar (clericus
mon. publicus imperiali auetoritate notarius) mar. S)ret Qafjre fbäter, 1475, mar
er jur 33ifttation in ÜRoftocf, unb gmar als 9ieftor beS 9Jiünfterfct)en £aufeS, rooju er als 5
9}aä)foIger SMincfS 1475 geroäf)lt mar. @r mar ber fechte ber bortigen Steftoren.
©rofje Aufgaben maren tl)m bort geftellt, teils für baS feb/r bebeutfame 33rüberf)auS
bortfelbft, teils für bie fcfion bureb, ben ©tifter ^einrieb, bon 2lr/auS errichtete Union ber
beutfe^en graterfyäufcr ju Söln unb Söefel. ©0 erflärt ftet), bafe er balb nacb, feiner
2öal)l fieb, nacb, Stoftocf begiebt, begleitet bon $ofy. ©btüermann auS §erforb. §ier in 10
$oftod fetjte er an ©teile beS torberlicb, fci)roacr;en ^ob,. b. Qferlofm als neuen 5te!tor
ben ÜftfolauS bon SDeer ein, unb gab bem §aufe eine Siegel, meldje ber 33ifcr/of
33altf>afar bon ©cf)merm beftätigte. ©einen (gifer bezeugt, bafj er fcfyon im folgenben
^afjre 1476 bie länger unterbliebenen SMoquien naef; SRünfter einberief, §ur ^ubilatemocfye
famen bie Slbgefanbten ber Käufer 6öln, äBefel, §erforb, £ilbeSr;eim unb Gaffel. £>ie 15
noeb, auf ber berliner SBibliot^ef befinblicfyen 5ßrotofoHe geigen, bafj mistige 33efcf)Iüffe
über bie Aufgaben ber 33ifitatoren, bie $flic£)ten unb Stellung ber Konfefforen in ben
Scfyroefterfyäufem unb betr. ba§ neue 33ruberr;auS gu Harburg gefaxt mürben. SDa bie
v]iacr;rict)ten über letzteres günftig maren, mürben auf bon bort ausgekrochene Sßünfcfye
brei 33rüber gefenbet. 2>n oer ^'efe neue ©tiftung ad rivum leonis betr. Urfunbe mirb 20
er ebenfo mie in ber oben ermähnten ÜRoftocfer aueb, als laif. ÜRotar genannt (abgebr.
bei Gb,r. gr. 3lr/rmann, §ift. beS KugelfyaufcS %u Harburg, in Kucfyenbecfer ann.
Hass. VII, 1). ^n ben §ilbeSl)eimer ^rotoMen ber unierten §äufer mirb 1478
(ed. ©öbner ©. 268) ermähnt, bafj fie feine @ntfcb,eibung in berfdnebenen Streitigkeiten
ber §UbeSb,eimer 33rüber erbaten. 25
vDa er bie bielen Reifen gu 33ifitationen unb Kolloquien mit ben bielen arbeiten
als 3teltor „burd) Kranfb/eit nict)t mochte bulboieren", fo nal)m er 1481 bie ©teile eines
SeicfytbaterS unb 5teftorS am ©cfymefternfyaufe gu 9ciefinf bei SRünfter an, rooju iljm bie
bier alteften ©ct/toeftern nacb, ben ©tatuten roäb/lten, mie eS in ber Urfunbe lieijjt: ein
toiS unb matgeleert 9Rann. (&v mar ib,r jmeiter 33eid)tbater. 2lucb, bie §UbeSb,eimer 30 ,
^ßrotofoHe a. a. D. ©. 269 ermähnen, bafj er finito colloquio ju fünfter resignavit.
©ein 5RadE)foIger mürbe SEfyfymanbuS (SEt^mann SrabanbuS bon ßoesfelb). ^n Sciefinf
toob,nte 33. im §errenb,aufe, ber fbäteren ©d)ule am ©erbatiiitrcr/fyof, rao er ein Xb,or
nafy bem Kircb,b,of bauen liefe (bgl. ben noct; erhaltenen 9teberS). Unter feiner Seitung
ift baS ©cfymefternfyauS ju b^o^er 93Iüte gebieten; über 100 ©cb^meftern lebten bafelbft;35
mehrere ^riefter ftanben ib,m in ber ©eelforge gur ©eite. SDie ß^ronif fagt: be uns
bele fuberlifer leer unbe f(|rift fyeft na gelaten ((SorneliuS, ©efd)id)tSquetlen beS 33iStumS
fünfter II).
33. lebte in ber erften geiftigen 33Iüte^eit SJfünfterS. Unter bem bie getftlicfyen mie
toiffenfcb^aftlicb, b^umaniftifd^en 93eftrebungen förbernben 33ifd^of ^einrieb, bon ©cb^marjburg 40
(1454—1494), mie unter bem feingebilbeten ßonrab bon 3üetberg (1497—1502), mar
fünfter für ©eutfcb,Ianb, befonberS für 2BeftfaIen, bie §aubtbflanjftätte beS Humanismus.
DaS §aubtbcrbienft gebührte bem SDombrobft S^ubolf bon Sangen, einem geitgenoffen
33.S (geb. 1438, geft. 1518). ©iefer ^atte nacb, feiner ©tubienjeit Italien befugt unb
reiche ©cf/äfce an 33ücb,ern bon bort mitgebracht, fieb, bann, befonberS als ©ombrobft, ber 45
Spulen angenommen, unb tüchtige Kräfte für biefelben $u getoinnen gemußt, beren
9Jcittelbunft er mar; mir nennen 2tymann Kemener, ben 5Re!tor ber Iateinifcf)en ©cfyule,
8ernb,arb ©meringiuS, %ofy. 33ering, ^unifen, (EäfariuS, §crrmann bon bem 33ufcbe,
§orIeniuS, bef. %ofy. 9JcurmetliuS. ^rt mie b,o^)em 2lnfeb,en noeb, ber alte 31 bei biefen
§umaniften ftanb, geigen bie i^m met/rfaef; gemibmeten 33ere^)rungen in 33erfen, 3. 33. bon 50
letzterem in feiner Dbe auf fünfter, in roelcfyer er mit überfc^mängUc^en 2Borten feine
saneta probitas unb feine ©cb,rifterllärungen rüb,mt; ebenfo b,at ifm ^acobuS 9Jion=
tanuS, ber fbätcre 9teltor beS 33ruberb,aufeS in §erforb, ber greunb 2utb,erS unb 9Mancf;=
t^onS, als einen, ber nullas artes beracb,tet fyahz, bereit; aud) §errmann bon bem
33ufcbe fyat i^n befungen (domino Veghio de angustia humanae vitae), mobei er 55
fein ©tubium religiöfer ©Triften rüb,mt, unb in einem anberen @ebicb,t ju ben 5Rünfter=
fäen ©intern rennet. (^Jcä^ereS bei ^ofteS a. a. D. XXVI f.)
33on 33.S 33elefenb,eit unb ©tubien, fomobj bon tb,eologifcb,en mie fmmaniftifcfyen,
geben einen ungefähren SRafeftab bie Sitate in feinen ^rebigten. Söir finben bon
^lafftfern citiert: 2triftoteleS (©. 258, 309), ben Nullius (©. 39 unb 144), ©encca go
480 SBeglje
(©. 53, 92 u. a.). 33on ben ßtrd&entoätern DrigeneS (59, 336), SbrbfoftomuS (52), ben
^itligEjen Raumes Seo (155, 162), am meiften ben Sluguftin, unjeren ^eiligen Sßater unb
Patron (124 u. a.), SlmbrofiuS (20, 37), §ieront)tnuS (68, 126), SoetbiuS (129), 33eba
(68, 139), fobann 2lnfelmuS (35), Serabarb (231, 234), £ugo (351), $etruS Slefcnft«
5 (bon SlotS 162), Stomas 3lquin (140), Sonabentura (27, 104); bann bie bem 33rüber=
freife befonberS nabe frebenben 9lutySbroef (42), 9Jcefter @^eert be ©rote (387), ben ]joc§=
angefebenen SSerteibiger t^rer ©enoffenfc^aft: ben cancelerer van parijs, ©erfon, (11,
28, 29, 146, 153, 235 u. a.); ferner ben btelgelefenen SlfymacbuS, b. fy. ben ftnattifd&en
Slsfeten ^obanneS ©dboIaftituS (geft. 606), ber toegen fetner aSfetifcb=mbJiifcben ©cbrift
10 xkijuai rov jiagaöeioov, scala coeli biefen -Kamen fübrt (©. 230) ; aufserbem werben
nod) allgemein citiert: ein ^3oet (243), ber vader boik (50, 174), de hillighe doctores
(200, 330), de hillighe lerers (371).
II. ©Triften. 23on feinen bieten unb f ebenen ©Triften, meldte bte 9cief. ©bronif
a. a. D. ermähnt, ebenfo bon feinen SDicbtungen, toelcbe 33., ftets obne feinen tarnen ju
15 nennen, niebergefd)rieben, finb erft in neufter ßett eine 2lnjabl aufgefunben unb burcb
eingebenbe Unterfucbungen als Don ibm ^errübrenb ertoiefen toorben. ©o b,at §ölfcber
gtüei religiöfe beutfct)e Sieber ibm jugefcbrieben, abgebrucft in beffen $ftieberbeutfcben
Siebern ©. 132 f. unb bei %o\U$ ©. 392. SKujserbem finb erbalten a) bte bon ben
©cbmeftern nacbgefcbriebenen ^ßrebigten.
20 SDaS ^nbaltSber^eicbniS ber Slbfctyrift fagt in ber Überf cbrift: „§ijr 5egr)int be tafel
üb beffe nabolgbenben coEacien, be uns ^>efft gbebaen unfe bater ber joI)an begbe" @S
finb ibrer 23; bann folgt ein 2Ibfcbnitt: „fomfygbe mercflife bunte be unfe bater uns
oicf gbefecbt befft in coüacien" unb jule^t nocb ^mei coßacien bon unbekannten SSer=
faffern.
25 2IuS ber Überf cbrift „unfe bater", toie aus ber Slnrebe, inbem mit ber altberfömm=
Itcben „jutoer leefte" (eure Siebe 185. 3) abtoecbfelt: Äinber, toie befonberS aus bem
ganzen ßbarafter ber ^rebigttoeife, toie auS einzelnen ©teilen (©. 195. 29), ergiebt ficb
mit Seftimmtbeit, bajj fie bor ben ©cbtoeftern beS §aufeS, in meinem er ^3ater, ©eel=
forger toar, gehalten finb; fie ftammen baber auS ber 3eit bon 1481 — 1504, unb ba
•30 mir leine ©ammlung aus berfdtnebenen $abren, fonbern eine 2lufjeicbnung aus bemfelben
^a^rgang toegen ber ^Beziehungen ber ^rebigten aufeinanber (4 auf 3, 82 auf 3, 9
auf 82, 13 auf 12, 15 auf 14) baben, unb in biefem 2>al)re ber 21. ©onntag nacb bem
gefte SWerfeelen gefallen, toaS nur möglieb ift, wenn Dftern gtoifcben ben 21. unb
25. 2lbril fällt, fo folgt, ba biefeS nur 1481 ober 1492 ber gatt mar, bafe bie ^ßrebigten
35 toobl in bem lederen Igabre gebalten finb, unb nicfyt gleich aus bem erften ^ßbre feines
SlmtSantritteS gefammelt mürben (bg(. bie eingebcnben Unterfucbungen bei Slrieloff über
ben Sefer= unb $brerfreiS ©. 202 ff.).
@S finb IJkebigten gehalten am Dftertage, am gronleicbnamStage, am 4., 6., 11.,
15., 21. unb 23. ©onntag nacb. ^fingften, ferner am Slagc ber 5Raria 3Jcagbalena, beS
io QacobuS, ber bl. 2lnna, beS \j[. 2luguftin, ber ßircbtoeibe, beS ©imon unb $ubaS, 2Wer=
beiligen, 2lllerfeelen, ^ob- beS ©bangeliften, unb auf ben funbacb atg men alleluia Ied)t
(©ebtuag.); bon mannen ^agen: ©t. ^nna, 11. nacb $f-, (Berftörung ^^ufalemS),
£ircf)tbeibe (unb feine Dftabe), 2lllerfeelen unb 21. nacb, $f. (bom J?odE>geitItc^en bleibe)
toerben je groci geboten, toie eS aus ber ©itte ber Srüberfreife ju erflären ift, meldte
45 meift am ©onntage jtoei ^rebigten borten.
®er ©egenftanb ber ^ßrebigten ift meift bem ©bangelium beS ^ageS entnommen
ober baran angelnübft.
SDiefe ©cbriften toarcn unbe!annt geblieben; (SorneliuS unb §blfcber in i^ren geift=
lieben Siebern unb ©brücben auS bem SCRünfterlanbe (Serlin 1854) bitten auf ben ftatt=
so licfjen Sanb, meldten bie ©ebtoeftern naa)f4)rieben unb gefammelt Ratten , ^tngett>iefen ;
aber erft ^ofteS bat fie äufäütg in ber Sibliotbef beS SlltertumSbereinS ju SKünfter ge=
funben unb berauSgegeben.
®ie ^ßrebigten 5ß.S fübren in bem 3Serjeid)niS ben tarnen ^ollatien. @S toar bieS
eine ©igentümlicbfeit ber Srüber, baber man fie aueb babon an berfebiebenen Drten
55 ÄoUatienbrüber, Fratres collationarii vulgo vocantur (Erasm. ad Lamb. Grun-
nium, op. omn. III, 2, 1822, ep. 442, Lugd. Bat. 1703), unb ü)r §auS baS
^oEatienbauS bezeichnete, ©o nannten fie felbft ibre 2Jrt gu ^rebigen im llrtterfcbtebe
bon ber b^fömmlicben 3Seife, inbem fie niebt sermones ober conciones nacb ber Sßeife
ber borgefebriebenen fcbolaftifcben ^rebigtmetbobe, lunftreicb gebaute, ein SLbema bureb
60 ^eile unb Unterteile bebanbelnbe Sieben hielten, fonbern frei, aus bem inneren Seben ber
S8cgl)c 481
gctftlid)en (Erfahrung gefcfyöbfte 2lnfbra$en mit errtften (Srmaljmungen, bie je nacfy 2lrt
unb 33eranlaffung halt fürger, balb länger toaren; biefe 2lnfbraa)en Würben, fttnn fie
öffentlich toaren, in ber 93olfSfbrad)e gehalten. ®a bie boI?StümIid)e 2trt ber SJtenge
nidjt bloß gefiel, fonbern aud? einbringltdjier baS §er^ traf, fo tourben fie fleißig befugt
unb gerne gehört. SDiefe Unterrebungen, toelcfye nid^t bloß jur görberung ber d?riftlid;en 5
ßrfenntniS bicnen füllten, fonbern bor allem jur Heiligung beS SebenS in ber @emein=
fcfyaft mit ©ott unb in ber 33ruberliebe, fanben an ben ©onn= unb geiertagen ftatt,
nad) bem grüfymaljl (prandium), aber Dielfadc) aucl) nocb, SlbenbS nacb, bem ©bätmabj
(cena); fie tourben gehalten unb geleitet Don einem bamit beauftragten 23ruber, bem
custos collationis ; eS fanben ftd) baju ifyre scholares unb audp anbere homines 10
bonae voluntatis ein. SBenn bann ein Slbfcfmitt auS ber 1)1. ©cfyrift ober anberen er=
baulichen ©cfyriften in beutfd)er ©bracfye gelefen, eine JMation barüber in einfachster 2Irt
gehalten war, wobei eS nidEjt auf gefctjmücfte hieben unb großartige Gitate abgefeben mar,
um bie Dfyren ber ßufyörer ^u beluftigen, fonbern im (Eifer um bie ©eelen mit betoeg=
lieben SBorten §erj unb SGBitte 3U betoegen unb ju treffen (non ornatis locutionibus 15
et magnalibus allegationibus, sed motivis et compunetivis verbis), tourben auet)
bie .ßubörer aufgeforbert, nacb, ber (^aht, toelcfye ifjnen gegeben, barüber ju fbrecfjen (ju
Dergleichen bie §erforber ©tatuten unb baS Reform, vitae).
^e nacb, ber Begabung ber ^ollatienbrebiger toaren bie 2lnfbradjien berfdjiieben. 93.S
finb bor ber ©cfytoefterfcfyaft gebalten, unb finb, wie bieS aud) SLfyomaS a ^embis als 20
übliche ©Ute bekämet, gtemlid^ lang, boct) rttebt nacl) SIrt ber 3)tenbi!anten, toelcfye fünf
bis fed)S ©tunben ju prebigen pflegten (Wimpheling, vita Geileri, p. 120).
25ie 9lebetoeife ift befonberS in f^radbltdber §tnftd)t eingefyenb bon S£rieloff in feiner
©djrift nacb, allen ©eiten unterfudjt unb burd) ga^Iretdbe Belege bargefteßt. @S finb
leine fbitjfinbigen BegripenttoicMungen, aucl) nid)t troefene Slbb, anbiungen , fdjolafttfcfye 25
®ebuftionen, fonbern im ebelften ©inne bolfStümlid;, aber ntdbt toie ettoa ©eiler ju feiner
3eit unb anbere eS liebten, berb, toofyl gar rofy, in gefcfymacflofen dergleichen. 23. fnübft
an bie ^eilige ©efdn'cfyte ber Bibel, feltener an ©efdjtcfyten auS bem Seben ber ^eiligen
(5. B. bom Xobe beS 2lbofteIS SofyanneS, ober bom feJL Martin) an, noct) toeniger bietet
er 3)?ärcf)en, ©djitoänfe, 2lne!boten (toie bei feinem SanbSmann ©ottjdjalf Rollen); bie 30
geiftlicfyen ©inge toeiß er burd) bie näfyer liegenben SDinge ber SRatur unb @rfaf>rungS=
roelt flar $u machen; fo j. B. an bem 9Bacf)fen ber Bäume unb tt)rer Kultur (75, 80,
91, 190, 280); ober er begießt fid) auf bie §eimat mit ifyren ©djmlen unb Sefjrern für
brei klaffen (274. 17), baS §ofbttal (211. 8), beren eS in Söeftfalen toeniger gäbe als
anberStoo, ober auf baS Berufsleben ber ©cfytoeftem, U)r Soeben (185, 23 ff., 237), 35
©binnen, Scalen (128. 1. 133. 18), aud) bie Arbeit ber SRaurer, ^immerleute (154,
219), ©olbfcfymiebe, ^inngießer, ^otmefer (125. 4 ff.), ^öbfer (73), ober auf fonftige
Erfahrungen auS bem Seben: bie ©ebräucfye bei ber §ocb,jeit (86. 30), bei einem %vmh
gelage (71. 24), Begräbnis (123. 15).
9teid)lid) ift bie Bertoenbung bon ©leidjmiffen, bie oft fe^r finnig ausgeführt toerben 40
unb ben üßergleiclmngSbunft !Iar f)erauSftelIen (j. 33. bie §eimatlofig!eit beS aus bem
$arabieS bertriebenen 2Renfcb,en 160. 9, ober bie SSergleicfmng beS 2BeiI)raucf)S mit
Äattengolb (80. 39), ber ©ünbe mit ber Ha|e unb bem ©forbion (43), beS toiber=
ftrebenben 5Öienfdjen mit bem übermütigen $ferb (121); beS 2öanlelmütigen mit ber
SBetterfabne (66. 23); beS $egfeuerS mit bem §ofbitaI (211), eines £offärtigen mit bem 45
$laumfiffen (367) u. a. ©benfo jief)t er b^eran bie 9?ed)t§gebräud)e (Verurteilung ?um
©trange, toas fd)rectlicb,er fei als bie ©ntb^aubtung) (197. 12), einem Berbredjer baS
Sifen auf bie SBange fe^en (37. 6). 2lud) mebijinifcb,e ilenntniffe, toie er fie bei ben
Äranfen bflegenben ©dijtoeftern borauSfe^en fonnte: über ben Söeibjaucf) (81), 2lfcf>e beS
SBeinftoclS (92. 2), bom 2Surm!raut (72, 37), Sabenbet (368. 11), SJcofdmS, ber bom 50
$an%r flamme (82. 4); 132, 28 ift bon einem $raut bie Siebe, baS bie Reiben ju
fengen pflegen, bamit eS nict)t b,ier ju Sanbe toacb^fe (toeld)eS gemeint, ift fraglid)). 2lucb,
Allegorien bertoenbet er, 3. 33. baß acfyt Jungfrauen baS b,od;jeitlid;e ®teib arbeiten, jebe
an il)rem Xetle, toomit er bie ad)t d)riftlic$en ^Eugenben bergleid)t (in ber 18. $reb.
©. 222) oitmobicr)ett (SDemut), ret;ntcbett, fteibic^eit (©tetigleit), boerficb,tid)eit unb be= 55
fcb,eibenb^eit, rechte anbaut of men^nge, berbulbid)eit, gb,etemberertf>eit, goblile lebe.
3ur eckten 33otfStümlicf)feit gebort aud) ein liebenStoürbiger Junior, toobei 33. aber
nie bie ©renje beS ©cf)ic!Iid)en überfd)reitet, fo 3. 33. baß bie Juben für leinen ^rebiger
geforgt Ratten, unb baber ^efuS ibnen am geft ber Xembeltoeib^e brebigen mußte (159.
32), befonberS läßt er ibn am ^etruS auS (35. 11, 46. 35, 70. 29, 341. 2), ober toenn eo
Meot=ßncl)Hopäbic füt S^eologtc unb Stt^e. 8. 81. XX. ;)1
482 $egl)e
er bie Untugenben ber grauen, ibre S^eugierbe, ©efd/mätjigfeit geißelt. Überaß getgt fid/
33. aU ein buref/ bie geiftige Silbung ber ßeit, befonberä be§ Humanismus r/inburd/=
gegangene geiftlicfye ^erfönlicfyfeit bon guter ©ttte unb Haltung (95. 38), toelcr/e mit ber
©rfabjeung bei ©eelforgersS bie §etl3toal/rr/eit au<§ bem inneren eignen Seben anberen an§
5 §erj legt, um innere**, geiftlicr/eio Seben %u toeefen, ber ba§ menfct)Iicf)e §er^ in feinen
gef/Iem, Serfud/barfeit, ba£ treiben ber SBelt, if)re ©efaf/ren unb ©ebred/en rennt unb
aufbecJt, ber aber aud; bie gange Kraft be§ ©laubeng unb bei SLrofteS ber &ird/e in ber
©emeinfd/aft mit Stjrtfto erfahren l/at, unb bafür gewinnen roiß.
©ein fird/Iid/er ©tanbbunft, meldten feine ^rebtgten aufzeigen, ift ber bon ©. ©root
10 in ben Greifen ber Srüber Dom gem. Seben begrünbete; e£ ift bas> fird/lict/e bra!tifd/e
Seben ber mobernen SDebotion, toie fie fcf/on in ben biet citierten Tätern : Gr/rt)fofiomu3,
bef. 2tuguftin, fyl. 33emb/arb, S£t)oma<3 bon 2lquin, tüte in bem großen $arifer 6an=
celer (©erfon), ferner in ©. ©root, bem ©tifter, bertreten roar; e§ mar nidjt bie berftanbe<§=
mäßige ©d/olaftif, fonbern bie braftifd/e 9JJr/ftif ; nid/t toie fie in 9tu^broeI, SEauIer, @d=
15 t/art ben fbetulatiben St/arafter an ftet) trägt, fonbern toie fie bom I/l. 23ernf/arb t/er buref/
©roote alle bantb/ etftifcf/e Slnflänge abgeftreift, aber in ber „^nnigfeit" (devocie = devotio
161. 32), ber buref) ben b/l. ©eift im §erjen getoirften (Erfahrung befiel/t. $jn brei
©tufen (©tänben) ift biefe gu erreichen, aber nur bon bem red^t gu befer/reiben , ber
„felbeg eerften mal i/nne gfjeoffent l/ebbe unbe bat id bat felben eerften mal gf/efmafet
20 unbe gf/eboelt t/at", toa§ er (12. 8) bon ftd) nod) nid/t bbßig ju fagen toagt. ®er ftrcf)=
lid/e ©tanbbunft ift baf/er berfetbe, mie er aud/ in ber -Kad/folge ßb,rifti bon %tjoma§ a
Kembi3 un<3 begegnet. SDie ^rebigten Inübfen eng an bie b/I. ©d/riftgebanfen an, fetten
an bie abofri/br/ifd/en ©cf/riften (82 unb 10); bielfacf) an ba3 boiek eghener under-
vyndinge (8. 10), eghener consciencien (306. 8, 381. 2 unb 11), auefr, ba3 boiek
25 des levens genannt; unb bewegen fid) burcf/au§ im ©eift, ja in ben 2lusbrüden ber
©d/rift; bod/ ber Gr/arafter ber römifef/en Slird/enler/re brägt fict/ beutlicf/ genug in ben
angeführten ^«^Itlangaben ber ^rebigten au<§. $\vax ift %$• toe^ entfernt, jener in
äufeeren Skrricf/tungen fid/ ergeb/enben grömmigfeit ba€ 2öort ju reben, al3: jur Kird/e
gef/en, „ecn frenfefen to lefene, ober er/n folt baternofter to bebene", es> !ommt biclmef/r
30 auf bie innere ©efinnung be3 §ergen3 an, ba§ ftd/ bbßig in ©ottes> SBitten ergiebt, unb
er erroeift e§ au§ bem Sud) „ber eghener unberb^nbinge" ((Erfahrung), bajj e§ nicb,t leidet
ift, „fo to feggene al fbelenbe I)eflig merben"; er fennt bie menfcfylict/e 9Jatur mit ib,rer
©d)lt)adj)b,eit unb ib,ren ©ebred)en: „icf fyebb? anjt, bat unfer nicf)t bete en fr/, be gebe
fo leef r/ebn unb fo beftc in ber leefte unbe brentfcfjab gobeS ftaen, rot) en folben cer ben
35 r/unt bindren taten (nief/t ftanb galten) unb folben etme boetlife fünbe boen, ban mb, bair
gicb,t bete umme laben"; aber bei allebem ift e§ bod) bie iserbienftlid/leit be§ eigenen
2bung in ber 9Jacr/foIge ßtirifti, bon ber fo oft gerebet mirb, roenn er fbrid)t bon ber
Äraft, au§ bem gegfeuer ju befreien, bom SBirfen ber ^ugenben, meldte ba§ fjod^jeitlicfie
^leib arbeiten, ^toar fbrid^t er (175) bon ber $raft be§ SBortcö ©otte§, roetcb.eg, roenn
40 e§ ein SJtenfd) in fieb, behalten könnte, ib,n reinigen mürbe, aber er gleicht einem unreinen
Korbe; roenn ein 9CRenfct) eS fo anbäct)tig t)örte, ba^ er barau§ eine Urfact)e ber Sefferung
nät>me, bann mürbe er ©ott banfbar roerben unb atteö ba§ bon fid) abtb^un, toaä eine
Urfact/ ber ©ünbe an fid) bat, — jmar roagt er fogar in betreff bc§ 31blaffe§ (217.49)
baö fyötyt auffällige 2i5ort ju fagen, ba^ man für bie abgefet/iebenen ©eeten leinen 2lb=
45 lafe geroinnen lönne. „SRer boen be jelen foHe gr/ nt)n ablait roi9nnen, beg en foße gr/
nid)t boen, roant bat en macb, in nicf)t gelben, mant fe ft/nt aßene gobe berballen, fe f^nt
aßene in ber SJlacbt unb in ber orbel gobj gfjat. ©e bifd^obe, be carbinale, nod) be
baroeS felben en mad) ben jelen nt)n aflaet gtjeben noct/ en maef) od; n^n aflaet gb,eben,
bat men boer be gelen mannen lenne, battet er to I/ulbe Jemen mogl)e; mer un§ mogl)en
so fe aflaet gl/eben, manef tot) nod/ unber erer macfjt f^n unb unber eren gb,ebetbe unbe
regimente unbe tob fr/n er mebelebe, bar umme megl)en fe uni aflaet gl)eben, an erer
gutgünftid)eit, fo beer unbe fo bete aU en bat gfyelebet unb gfyenogfyet", — aber ben
©lauben, ber ba3 aßeingenugfame SSerbiertft ßb^rifti ergreift, bem basfelbe jur ©erecf/tig=
feit zugerechnet toirb, finben toir nief/t betont; !ann aud^i ber 2tblafs ben armen ©eelen
55 nicr/t Reifen, fo bod) bietet anbere ; bie 33arml/erjigfeit ift baö aßergrö|te unb berbienft=
lief/fte SBerf, unb mit ben 2öer!en bei ©ebetö, ber penytencien, mit 2Umr/ffen, ber
3Keffe, !ann man ber armen ©eele im gegefeuer ju §ilfe fommen (16. unb 17. $reb.);
of)ne §ilfe unb 23eiftanb ber ©rajien unb ©nabe ©otte§ lann ber SJlenfct) nieb^t feiig
roerben ; ber Sfienfcb, mufj ba§ ©eine bagu tb, un, foß U/m ©ott ©ragte unb ©nabe geben.
60 3tm SRaria SUiagbalenentage brebigte er über bie SSorte : tl)r ftnb biet ©ünben bergeben,
benn (want) fie fyat biel Siebe gehabt; mit 2InWenbung beö ^aultnifd^ert (foß f>ctfeen :
petrmtfdjen) ©brudjeS: bie Siebe bedet ber ©ünben Sftanmgfaltigleit. 3Bie ber 'Dtenfcfyen
iitebe bie 9tacften fleibet, fo berjefyrt unb berbrennt bie göttliche Siebe unfere ©ünbe.
J\>enn bu bafyer bid) alfo ganj unb boltfommen ju mir gefegt fyaft, unb l)aft reine
Siebe, reinen Sroft unb reine 3uberfid)t fo bößig in mid) gefe|t, bann follft bu bon 5
mir ©nabe empfangen; benn wenn bie ©ünbe mächtig getoefen, ift bie ©nabe nod)
mächtiger (overvlodich) geworben. ©ed)S fünfte finbet er in ber ©cfyrift, meiere ein
Wenfcf) an fid) l)aben mu|, melier bie Vergebung feiner ©ünben erhalten Will: baS
ÖcfenntniS ber ©ünbe, bie gurd)t bor ©otteS 93erbammniSurteil, baS SefenntniS beS
grofjen ©cfyabenS, ber Don ber ©ünbe fommt, bie ©cfyam über bie ©ünbe, SefenntniS 10
(9?eue = droifheit) unb boßeS Vertrauen unb guberftcfyt, baf? ©Ott bie ©ünben bergeben
roitl; -jtoar nid)t in ber Meinung, baf* er Vergebung möge berfrigfyen mfyt ftmeS felbeS
berbienfte; aber wer ein gut, fyeilig Seben begonnen fyat, barin bleibt unb fianbfyaftig im
$ambf gegen gleifcf) unb 33lut big an baS ©nbe berfyarret, ber tfyut ein SBerf, bon mefyr
Serbienft, als um ©otteS Söitlen fiel) martern ju laffen. — ©0 fefyr aud> fyter bie ©nabe 15
betont Wirb, es ift bod^) eben nur eine §ilfe, n>eld>e b,in^u!ommt ju bem eignen freien
Ibun, Welches berbienftUcb, ift bor ©Ott; fretltd^ ift eS bie Siebe ©otteS, meldte (220.15)
unferen guten SSerfen bie $orm unb garbe giebt unb fie berbienftUcb, mad)t unb ^um
SSerbienft lommen läfjt, unb baS gefdnefyt burd; bie fieben ©aframente, bon welken baS
berbienftlid)fte unb gröfjefte baS beS i)l. SeicfynamS ift; aber er fügt jugleid) fytnju: fo beer 20
alj tob bat unfe bar to boen (221. 1), — bamit ber ^ßriefter bor bem 2lltar all ein
„ntobbeler unb en bertoeerber (werf = gefcfyäftl. Auftrag) tufcfyen gobe unb al ber gfyener
fafe, be fytyr teg^entoorbtd) ftm" ^anbele.
2Sir fcpefjen uns bem Urteil $ofteS' über biefe ^rebigten bölltg an (©. XLVII):
„9Jcit wirfltcfiem Vergnügen laffen fid) biefe ^ßrebigten noefy jeijt lefen; eS liegt etwas in 25
ifmen, baS einen ungemeinen 9teij auf uns ausübt unb uns* immer bon neuem ioteber
311 ifmen E>m§te^t. ©iefeS fcfylicfyte, finnige unb innige ©emüt, boH %iefe ber ©mbfinbung
unb §ob,eit ber ©eftnnung, mufs untotlliürlid; feffeln, unb je Weiter man lieft, befto lieber
gewinnt man ben ^rebiger"
b) 2ln biefe 33.fd)en ^rebigten fcfyliefU bie §anbfd)rift Wie ber 2Ibbrud berfelben 30
burdj IJofteS bon ©. 399 noeb, 1. bie $rebigt eines unbefannten $riorS bon 2öinbSfyeim
über triebe, @intrad)t unb brüberlidje Siebe, im 2lnfd)luf3 an bie Söorte: ein neu ©ebot
gebe ia) eud), bielleidjt bei ©elegenfyeit einer Hlofterbifttation, Worauf ber lynljalt, befon=
berS bie 33efpred)ung ber brei ©elübbe, Wie namentlich ber ©cfyluf? l)injuweifen fcfyeint;
2. eine ßollacie am ©t. GlemenStage (24. 9Jobember), bon einem Ungenannten ; unb 35
3. bon ©. 425 an nod) fuberlife bunete, be m§ font)gb,e beeren in coKacien gfyefecfyt
f)ebben. ^n allen breien ift bie 2tnrebe susteren, susterken, Welche SS. nid)t bat;
Berufungen auf bie nämlichen ®eWäb,r§männer unb I)illigben lerere, Wie bei is.
c) 2lu|er biefen ^rebigten glaubt Softes" in einer Slbbanblung ber fnftorifdjen ^ab^r^
büd;er bon 1885 noeb, brei in §anbfd;riften borliegenbe SLraltate, Welche teils er, teils 40
bie Sibliotlje! beS 3lItertumSbereinS ju 5Rünfter befi^t, bemfelben 93erfaffer jufdjreiben ju
muffen: wyngarden der zele, Marientrost unb geistlike jagd. SDie Xitel beuten
auf ben ^M*, btx bielfad; faft Wörtlich untereinanber unb mit ©teHen ber ^ßrebigten
übereinftimmt. dlad) ben auS allen breien gegebenen SDtitteilungen ber Wicfytigften ©teilen
ift bie erfte ©cfyrift bie bebeutenbfte (bie §anbfcb,rift bom ^afyre 1502), bie originellfte 45
bie brüte, einem jungen dürften geWibmet," ber bemnäd)ft jur Regierung berufen ift, als
toelcb.er ber §erjog Magnus II. bon 9ftec!lenburg bermutet Wirb, fo bafe bie ©cbjift
toäf)renb beS 2tufentt)alteS 33.S jur Drganifation beS §8ruberb,aufeS in 3toftod gefebrieben
fein lönnte. %üx bie 9tad)Weife im einzelnen berWeifen Wir auf bie genannte 2lbb,anb=
lung unb auf ÄraufeS Vermutung in ber JRoftoder Leitung 1885, 9lr. 296. 50
SBeitere Unterteilungen über 33.S ©Triften machte ber Unterzeichnete belannt in
feiner 3lbb,anblung 1890 in ber 35?© ©. 577 ff., Worin mitgeteilt Wirb, bafj auf ber
berliner Sibliotf)ef eine §anbfcfyrift über ben Wingarten der zeele, über ben lectulus
floridus „Slumenbettdben", bor^anben ift. Söcibe finb fcf)on 148(i bollenbet; über biefe
■'oanbfcbrift unb biefe Xraltate banbelt bie ©ctjrift bon Xrieloff (f. oben). äluS fbracb,= 55
liefen 9iergleicb,ungen b,at er bie @ntftebungSjeit biefer Xraftate nacf)juWeifen gefugt:
(c. 237 unb 245) juerft bie geiftlic|)e ^agb, bann 3ötarientroft, baS Slumenbettdien unb
jule|t ben Wingarten ; alS^eit giebt bie berliner ^anbfcb,rift 1486, bor bem ©onntag beS
%ubi, bie^agb fe^t er 1469 (nid)t 1475 bei bem jweiten Slufentbalt "!<. in9toftod), fbäter
für geiftliclje Seute bearbeitet, ben 9Jfaricntroft äWifctjen Qagb unb Settcb,en. 2. Srljulse. 60
484 «eltlttt
SSeltlttt, Deformation unb ©egenreformation. — ®ie nodi ungebrucften
Quellenfd)riften ftnben fid) iiau^tjäc^Iid) in ber Ambrosiana in SKaflanb, in'bet Biblio-
theca Vaticana in 9Jom, in ber Bibliotheca Nazionale in JJeapel, beren Urfunben jc. foweit
fie fidj auf fdjiueijerifdje (unb früher einmal etbgenbf ftfd)e) ©ebiete Bejie^en, in Kopien im eibgen.
b SunbeSardnn in 93ern liegen. 9Bertr>ofleS Urfunbenmaterial wirb aurf) ba§ fpanifdie ©taat§=
ardjiö ju ©imancaS tiefern, beffen maitä'nbifaVfdjwetäertfdje Slften baS 33unbeSard)tr> in Sern
ju forderen beabficfjtigt. gerner uerweifen wir auf bie ©taatSardjioe unb 93ibItott)efen in ßfjur,
Supern, ßürid) unb ba§ gräfl. SaliSfdie gamilienarcfjiü in 3'äer§- publizierte Quellen:
ßibgenöffifdje 9tbfd)iebe, 33b IV1 unb IV2; bie oenetian. ©efanbtfd)aftSberid)te Hon @irot= unb
10 ©iac. ©oranjo (9ltberi, Serie II 93b 4); ®ie franjöf. 91ftenfamtnlungen bieten wenig, ß. Slott),
Mery de Vic et Padavino in ben Quellen jur Sdjweiäergefd). V. 33b. S)a3 SSelttin fpegieH
betreffen: Gioachimo Alberti: Antichitä di Bormio unb F. Feliciano Ninguarda, vescovo
di Como: Atti della visita pastorale diocesana, beibe in ben ^5ubl. ber Societä storica
comense (ßomo 1890, 1892/94). 9lud) in ben fpciter erfdjienenen SSänben finbet fid) mandjeS
15 auf baS SBeltlin ßegügltcrje. gf. Steffens unb §. 9veinf)arbt, 9iuntiaturberid}te au§ ber ©djweiä,
I. 33b (©olotburn, Union 1906); 9Bir§, Slften ber rötn. ßurie (Quellen jur ©djweij. ©efd).
33b. XVI); 135 päpfrlidje ©djreiben au§ bem 16. Saljrtrunbert (9lrd)tt> für ©djtuetj. 3tef.=
©efd). ed. ^iuSUerein, 33b II); Fra Paolo Sarpi, Breve relatione di Valtellina, pubt. im
IL vol. dell'Appendice alle Opere di fra P. S. (ed. Veronese 1758) unb bei Dott. Ulr,
20 Martinelli, La Campagna del marchese di Coeuvres etc. (Cittä di Castello 1898) ; Pietro
Soave («ßao'fo ©arpt), Historia del Concilio Tridentino (Londra 1619), f. 2lrt. ©arm' 93b XVII
©. 486 — 488); Pallavicino storia del concilio di Trento. ßum 9?erfjältm§ biefer ftwei
SonsitSbarftellungen unb tljrem Quellenwert f. Kante, ^äpfre, 33b III, §{nf)ang. 2)aS 93er=
fjättniS beS Äarbinaler^bifdiofS ß. 33orromeo pm 93e(tlin betjanbeht bie Biographien beS
25 Zeitigen: Gio. Pietro Giussano, Vita di 8. Carlo Borromeo (Roma 1679 unb r>on £)ltrocd)i
1751 tateinifd) herausgegeben); Sala, Documenti (Milano 1861) unb Sala, Biografia di S.
Carlo (Mil. 1858); Sylvain, Histoire de St. Charles Borromee (Sitte 1884), bie aud) niete
Urfunben enthalten, aber nicfyt niel jur Klärung fetner SSirffamfett für§ 93eltlin beitragen.
3)ie widjtigften Quellen auf bünbner. Seite finb : Campell Ulr., Historia raetica (IX. 33b ber
30 Quellen jur <Sd)roeij. ©efd].); Petrus Dom. Rosius de Porta, Historia Reformationis (Curiae
Raetorum et Lindaviae 1771 unb 1777); §anS 2(rbüferS (ß()ur 1877) unb gortunat ©predierS
(ßtjur 1672) 3tätifd)e ßfrronifen. Bearbeitungen: @. ben 9lrtifet Stauen 33b IX ©.524
unb bie bort üerseidinete Sitt.; ben 9lrtifel BorromäuS 93b III S. 333; Slrt. Somanber
93b X S. 653 unb 9cad)trüge in 33b XVI. Slufeer anberen größeren ©diweijer ©efd).:
36 S. BuHiemin (gortf. Sof). u. SKüderS Sd)W. ©., 33b 9); Sof). 3af. §ottinger, feinet.
£ird)en=@efd). (3ürid) 1707); ß. 3. Sinb, 2>te 9?ef. in ben Bistümern ßf)ur unb ßomo (ßfuir
1858); Bartl)ol. 9lnf,orn, §1. SSiebergeburt ber eu. Sirdje in ben III 33ünben (ßt)ur 1860);
3- ©• SJtatjer, ®aS Sonjit Don Orient unb bie ©egenreformatton in ber ©ditueij (©tanS
1901/03); Cesare Cantü, Rivoluzione della Valtellina (Como 1831); berf , II sacro macello
40 di Valtellina (Milano 1885) ; P. Ä. Lavizari, Memorie della Valtellina (Coira 1716) ; F. S.
Quadrio, Dissertationi etc. (Milano 1755); G. Romegialli, Storia della Valtellina (Sondrio
1834); ß. ^affter, ©eorg Scnatfd), 93eitr. jur ©efd). ber 93ünbner SBirren (®auoS 1894).
Sr. ©d)iefj, 33uHingerS Äorrefponbenj mit ben ©raubünbnern. 3»n ben Oueften jur @d)ioeiäer=
gefd)id)te 93b XXIII, XXIV, XXV; 3. Sterauev, ©efd)id)te ber ©djwetä. ßibgenoffenfdiaft.
45 III. 93b 1516—1648 (©otöa) &. 9t. $ertb,eS 1907- SSeitere 'Sitteratur tft angegeben unb
djarafterifiert bei ß. ßamenifdj: Earto 93orromeo unb bie ©egenreformatton im SSettlin mit
befonberer 93erüdfid)tigung ber SanbeSfdjute in ©onbrio (ß^ur, $i§ 1901).
$Da§ %fyal ber 3lbba roar al<§ ^ommunüattongineg gh)ifd}en bem 33tn[tgau unb 5Rai=
lanb etner=, bem frel»ettfcr)=rätifd)en ©ebtete unb 3Senebtg anberfeitö fcfcon früfc ein t)iel=
50 umworbenes ©tücf 2anb. Anno 774 fd)en!te e§ Harl ber ©rofee, toobt alä ©anlo^fer
für ben glüc!lid)en gelbjug gegen bie Sangobarben, bem Älofter beö bl. ®ion^fiu§ ju
^arte unb fieberte biefem aud) bie Immunität barüber ju (9Jtobr, Codex diplom. I, 8).
Salb mürbe eg aber jum gcmfapfel ber beiben geiftlid^en §erren, beren ©ebiete b,ier ju=
fammenftie^en, beö 93ifd)of§ »on ßomo unb beS S3ifd)of§ bon ßbur. Söabrfcbeinlid) bie
55 bem ©Ijmrer Si^tum fe^r gewogenen Dttonen batten ib^rn bie ^erritorialfyerrfcfyaft über
Sormio berfc^afft, bie e§ ^ernad} meifteng burd) bie gamilie »on Wlat\fy al§ feine SBögtc
ausüben liefe. 1190 erbob aber aud) ber 33ifd)of t>on 6omo, ber fd)on au§ ber $eit
^arl§ beS ©rofeen berftammenben ©runbbefi^ im SSettlin innehatte unb bem 1006
^einrieb IL bie £älfte ber ©raffd)aft Sßeltlin gefd)enft b,atte, 3lnftorud) auf bie territorial
so berrfcb.aft unb unterwarf 1205 Sßormio, ba§ aber 1336 fid) roieber unter ben ©d)irm t>on
Sbur ftetlte, jebod) fd)on 1350 in bie ©eroalt ber 33v»contf lam unb bis 1512 matlänbifd)
blieb, tote aud) bie ©raffd)aft ßläoen (ßttiabenna, ßlabenna, ber ©d)lüffel jum ©blügen=
unb ©eptimeripafe), bie — ein %t\l be§ §erjogtum§ ©ebtoaben — juerft unter eigenen
©rafen, bann unter bem 33ifd)of bon 6b;ur, bernaa) unter bem 33i§tum 6omo geftanben
65 fyatte, aber 1335 mit biefem §ufammen unter bie SSilconti gefommen toar unb (feit 1450
$eltlin 485
unter ben ©forja) blieb, trotjbem 1404 ber flüchtige 9Jcaftino Sßigconti Stäben unb baS
SSeltlm bem 33iStum 6l?ur gefcfyenft unb biefeS aucb, 1486/87 bie „Söormfer^üge" (bgl.
g. ^ecftin, XXVI. ^abjeSber. ber fyiftor. antiquar. ©ef. ©raubünbenS, 6I)ur 1897) unter=
nommen blatte. (gum gangen bergleicfye: $. 6. Planta, $)ie currätifcfyen §errfd)aften in
ber geubaljeit, Sern & 3. SStyfe 1881.) ^n ben kämpfen um baS ^erjogtum SKailanb 5
Vertrieben 1512 bie brei 33ünbe in „alt frt) Dätta" bie grangofen auS bem 33eltlin unb
behaupteten fid^ bort — abgeben bon ber furzen geit, bie auf ben „SSeltlinermorb"
folgte — bi3 1797, inbem fie bie @inmol)ner, bie fie 1512 mit Qubel empfangen blatten,
als Untertanen befyanbelten, unb bura) neun SlmtSleute regieren liefen, bon melden bie
in ©onbrio refibierenben SanbeSfyauptmann unb 33ifariuS (immer ein DecfytSgelefyrter), ber 10
ju Stäben ^ommiffariuS, bie su33ormio (2öormS), SCirano, ^eglio, SRorbegno, irab,ona
unb ^ßiuro ($IurS) ^obefta fyiefjen unb jeber in feinem 2lmtSbe^irf bie I)ofye unb niebere
©eridjtSbarfeit ausübte, jebodj an bie ©tatuia ber Untertl)anenlanbe gebunben mar. (Sine
2lrt ©efcfyäftSprüfungSfommiffton unb 2tppelIationSlammer bilbeten bie neun ©bnbilatoren,
bie über bie Beamten bie 2tuffia)t führten. 35te Untertanen mähten auS ifyrer -Kitte einen 15
£l)alrat (consiglio della Valle), beffen Sterte aber immer mefyr unb mefyr befdjmitten mürben.
Äircbjicb, blieb baS SMtlin (im metteren ©inne immer mit ©laben jufammen ge=
nommen) bon Italien abhängig, nämlicb, bom 33iStum (Somo (baS urfprüngltcb, unter
Slquileja, fpäter unter bem (Erzbistum 9Jiailanb ftanb), fo bafj baS 33iStum Sfyur (baS 843
Dom 9)cetropoIitanberbanbe bon SRailanb loSgelöft unb bem ©rjbistum SMn^ zugeteilt 20
toorben mar), bort menig mefyr ju fagen fyatte, nacfybem bie brei 33ünbe eS aucb, um ben
ungeftörten 33eft| ber „SRaftinfdjen ©cfyenfung" (beren ©iltigfeit aßerbingS fel)r angegriffen
unb be^meifelt mürbe), gebraut unb ifym bafür auf ©runb beS „SÄblifdjen ©prucfyeS"
1530 eine jäfyrlidje @ntfct)äbigungSfumme jugefbrodjen Ratten (bie eS jeboa) fpäter aucb,
nod) berlor), maS ber SBifdjof allerbingS burcfy feine mangelhafte 33unbeStreue felbft ber= 25
fa)ulbet fyatte.
Sie Deformation tnelt im jtoeiten ©ejennium beS 16. IJafyrljmnbertS üon -Sürid;
Ijier it)ren friebticfyen (Sinjug in bie nörblid^en Xäler ©raubünbenS, bie füblicfyen (baS
romanifd)e ©ngabin unb 9MnftertI)al unb bie italienifd^en S£tjalfa;aften 33ergeH, Sßufcfylab
unb 9Jlifor. beS fyerrfcfyenben SanbeS unb baS ebenfalls ttalienifcb, fpredjenbe Untertanen* 30
lanb SMtlin) empfingen bie „neue Sefyre", mie bie Deformation allgemein genannt mürbe,
fjauptfäcbjicb, (j. 33. baS ©ngabin) ober auSfd)Iieftlid) bon ©üben b,er, mofyin tfyre ^b,äler
fid£> öffnen, ober metl fie, mie baS ©ngabin, leidster bon ©üben als bon Sorben §er ju=
gänglicb, maren. ®iefer Ümftanb bebingte aucb, bie ganj anbere ©ntmicMung ber 9iefor=
mation in ben romanifcfyen unb italienifd^en ^^älern. ®er unter bem ©influfe ber güricjjer 35
Deformation fid) boff^ie^enbe SlbfaH bon Dom mar jugleiö^ ein ©ermanifierungSproje^,
benn manche X^alfc^aften, in benen bisher romanifd) gefprod^en mürbe, belamen bon Qüxid)
unb anbern beutfcfyen ©egenben b,er burd) bie beutfcfyen ^räbilanten, Sibeln unb refor=
mierten ©Triften aud) bie beutfcfye ©prad)e (j. 33. baS 5ßrätigau, mo man, naä) ßampett
um 1570 nur nod) ba romanifd) fprad), mo fid) ber ^at^oIiciSmuS länger erhalten blatte, 40
in ©emiS unb ©erneuS).
Sn ©raubünben boEjog fid^> bie religiöfe unb fokale Deform unter bem ©influft ber
^langer Strtüelbriefe b. 3. 1524 unb 1526 (vide 33b X S. 653 f. Slrtüel „^omanber").
^■er 1526 ju SDaboS gefaxte SBefcfylujj beS 33unbeStageS ftellte jebem ©inmoljner, ben
Degierenben mie ben Untertanen bie 2öab,l beS 33efenntniffeS frei. Sie 2öiebertäufer, 45
tt»elct)e bereits Unruhe ins Sanb gebraut Ratten, mürben allerbingS bon ber DeIigtonS=
freib,eit auSgefdj)loffen, bie latb^olifd^e unb reformierte Honfeffion aber als gleichberechtigt
anerfannt. §ierbon matten nun aucb bie burcb, bie beginnenbe ©egenreformation auS
Italien bertriebenen 2Inb^änger ber Deformation ausgiebigen ©ebraudb, unb tieften ficb, in
gwfeer 3ab,l in ßljiabenna, im 2:b^ale ber 2tbba, im ^ufcb,Iab unb 33ergeK nieber; benn 50
bei ben proteftantifcfyen ©c^mei^ern unb ®eutfd)en fanben fie mofyl ©d^u^, aber nicb,t ge=
nügenbeS SluSlommen, meil bie tlnlenntniS ber ©pracfye ibnen bort im 2Bege ftanb,
wäb,renb fie b,ier in ibjer Sprache unterrichten unb fc^reiben lonnten. 3Jtancbe benu^ten
% 2lfol aucb, als DperationSbafiS, um nab^e ber italienifcfjen ©renje, aucb, fernerbin in
it'rcr §eimat bie römifcbe ^ircb,e ju befämpfen. ßu biefem 3mecte errichteten fie 33ucb,= 65
brucfereien, bon benen bie ju ^3ofc£)iabo bie probultibfte unb, unb ba fie ficb, balb faft
ganj in ben ©ienft ber ^ßolemif (j. 33. 23ergerioS) gegen Dom fteßte, bon bort auS am
beftigften betampfte mar. (Vide: bie Offizin ber Sanbolfi in ^ofcfyiabo 1549—1650 bon
3- 21- bon ©predjer in ber Bibliographie unb litterar. 6f)roni! ber ©djmeis. 1879. ©. 83 ff.
Bolletino storico della Svizzera italiana, Bellinzona 1890. ©. 33 f.) 60
486 SMtltn
^n 9J?aüanb, mo e<§ trotj ben Verfolgungen immer nod) jerfprengte Defte ber
2Mbenfer gab, Ratten aueb, reformierte fielen ©ingang gefunben. Dadjbem aber 1522
granj ©forja bort eingebogen mar, lonnte er feine Sanfbarleit gegen ben ^ßabft unb
$arl V. nicfyt beffer betoeifen, aU burcb, ein ftrenge§ Verbot aller $ei$erei, ba§ unter
6 £rombetenfd)all am 23. SRärj 1523 bertünbet mürbe (Archivio storico Lombardo
1876, ©. 568). SDen flüchtigen „He|em" folgte ein ^nquifitor, gra 5Dcobefto ©crofeo
bon Vicenja in3 äkltlin nacfy, macr/ie ficb, aber I)aubtfäcblicb megen feiner §abgier, „ficb)
feinen Gklbbeutel ju füllen", fo belaßt, baß ifyn bie III Sünbe auf Söunfcb, ber %f)aU
bebölferung be3 £anbe3 bermiefen (GfSronif beä ©tefano SJierlo, DomegiaHi II, ©. 85,
10 ßantu, Somo jc S. 100).
Qm SSeltlm folgten ftd) Deformation unb Gegenreformation auf bem guße. 2Bo§I
^atte fcfyon 1525 ein DrbenSbruber be§ 2luguftiner!onbente§ gu 6omo, (Sgibio a Sßorta,
ficb, in einem ^Briefe an gmingli um ^at fur fe'ne Vebenfen unb .ßtoeifel an ber be=
ftefyenben Religion geroenbet (be ^Sorta, Hist. ref. II, 5), eine 33oU3trabition erjagt fogar,
15 Sutfyer felbft f)abe bei 2lnlaß feiner Domreife am Somerfee reform atorifcb, gemirft (Cantü
Rivoluzione della Valtellina ©. 6), ftd)er gab e<§ fdjion im Reiten SDejennium im Sßeltlin
reformatorifcb, gefinnte 2lmt3leuie au§ ben III Vünben (2lnb,orn, #eil. 2Biebergeburt k.
6f)ur 1630. ©. 43), eine größere Vemegung machte fic^ aber bort erft nacb, bem S3efannt=
merben ber ^nquifitionsbuße „licet ab initio" 1542 unb ibjen Vegleiterfcfyeinungen be=
20 merfbar, moburcb, aßen bon ben ßanoneg ber röm. £ird;e 2lbmeid}enben ber ^rieg erllärt
mürbe, Datürltcb, braute ber ©trom ber Flüchtlinge, ber in bie gaftlidjen rätifct)ert S^ä'Ier
ficb, ergoß, aueb, manche unruhige $öbfe in§ Sanb, meiere nidjt nur ben ängftlicfyett Gütern
ber rättfcfyen Drtfyoborje, fonbern aud) ben bolitifcfyen Vebörben bielfacb, Unruhe berur=
faxten. GüambeH (hist. raet. II, ©. 311) ift mit ben b/eteroborm 2tnftd)ten mancher
25 Flüchtlinge natürlich nidjt emberfianben, be£l)alb ift fein Urteil über bie „unruhigen fööbfe,
bie nur $u $anf unb ©trat geboren feierten", mobjt mefyr Dom Varteimanne ber Drif)o=
borje al3 bom unbarteiifdjen §iftorifer, aU ben er ficb, fonft au^meift, beeinflußt, ©ie
§äubter ber Deformation in ben III Vünben Ratten fdjon 1529 einen italtenifcfyen ^ßrebiger
au<§ bem SSeltltn nacb, %lan% fommen laffen, um ilm. einem ©Iauben§eramen ju unter*
30 merfen ((Somanber an Vabian 12. 2tbril 1529). ©ebr große Aufregung berurfacfyten bie
miebertäuferifd)en Sefyren ber beiben falabrefifdjen 3Dtönc^e, Francesco unb §ieronimo, bie
1543 nacb, bem ©ngabin gefommen maren, aber fcb,on im folgenben ^afyxe auf ber ®i^=
butation ju ©ü§ „toiberlegt" unb be§ SanbeS bermiefen mürben, ^n 6b,iabenna lebte
aU 5|3ribatleb,rer ßamillo Sienato au§ 3ieabel, ber bureb, feine antitrinitarifcfjen fieberen
35 großen Slnftoß erregte unb ferner Selio ©ocino, ber 53egrünber be§ ©ocinianigmuä. Stuf
©runb einer bon ©aßitiuS für ßfüabenna aufgefteHten ^irc^enorbnung mürbe ben
SCnfyängem b,eterobojer Sebren ber 2lufentl)alt unmögliii) gemalt. ®a ficb, ßamiHo
Denato miberfe^te, mürbe er bon ber rätifdjen ©^»nobe e^ommuni^iert, 2:ijiano (über tbn
vide Comba, I nostri Protestanti, Firenze 1897, II, ©. 479 ff.), ber auf feiner
40 gluckt au§ Italien nad? (Eb,ur gefommen mar, mürbe auf eine ®enunäiation be§ ©attitiuö
bin bom 9tot jum ©bießrutenlaufen berurtcilt unb be§ £anbe§ bermiefen, trotjbem er, in
bie @nge getrieben, feine aniitrinitariftfien £eb,ren miberrufen Batte (be Vorta, Hist. ref.
lib. II, ©. 80 ; Gomba, 1. c. ©. 488). (Somba (1. c. ©. 299 ff.) bringt aueb, ben über=
getretenen SRonct) §ranci§cug Diger au§ Vaffano in Sb,iabenna in 3«fcimmenb,ang mit ben
45 Slntitrinitariern, mäb,renb %. ©cb,ieß (Rhetia, eine ®icb,tung au§ bem 16. %at)xfy. bon
%v. 9iiger au§ 33affano. Überfe^t, mit erllär. 2lnmerf. unb einer Einleitung über Seben
unb Sffierle be3 2Iutor§ berfeb,en bon %. ©cfneß, 6b,ur, Äantongfcbulbrogramm 1896/97)
ib,n einen 2lnb,änger be^ granciäcug ©tancaruS au$ SJJantua in S^iabenna nennt, beffen
abmeicb,enbe £eb,ren in Sejug auf ba3 2:auffa!rament er anfangt teilte, fbäter aber mieber
50 aufgab. Übrigeng mieten beibe !aum bon ben 2lnftct)ten ber 3ürcb,er ah, fo baß ßomanber
nid)t anftanb, fie anjuerlennen. SOJainarbo, ber feit 1539 an ber ©bi£e ber broteftan=
tifeben ©emeinbe ju @b,iabenna ftanb, mar ftreng ortb,obo£ unb nur ju leidet geneigt,
anbere ber §eteroborje ju jeib,en. (3SgL aueb, be Vort, 1. c. lib. II; Srecfyfel, ®ie brot.
Slntitrinitarier bor %. ©ocinuS, II. 33b.) 2öenn eö mirllicb $. Diger gemefen fein foltte,
55 ber unter bem Damen „il Dero" alg Seilneb^mer be§ SffiiebertäuferfonjilS in Venebtg 1550
genannt mirb, bann — meint ©cb,ieß 1. c. ©. 22 — nabm er baran nur afö ©egner
teil, ba er aueb, fortan ficb, eng an bie güricfyer fyielt unb unbehelligt in ben III Vünben
blieb, ^m ©egenfaij ju ben genannten „unruhigen Höbfen" erfreuten ficb, unter ben
flüchtigen Italienern namentlicb Sluguftin 9)iainarbo au§ ^Siemont, §ieron. ßancbi bon
60 Vergamo (geft. 1590 als Vrofeffor in ^eibelberg), S3artb,ol. 3JJaturo bon ©remona, ber
Seltlitt 487
benetianifcbc ©raf- Uliffeä bon SJcartinengo, ©iulio belle Dobere bon 9JcaiIanb, ©citoio
Galanbrino au£ Succa, ©citoio Sentulo aus Deatoet unb S_. S. Sergerio, gem. Sifcfyof
bon ßabo b'^ftria (ber bett Übereifer ber Vertreter bcr rätifd)en Drtlioborje gelegentlich
in feine ©cfyranfcn mieS) großen 2tnjeben3 beim:Solf, bei ben Beamten unb ben .s}äutotem
ber rätifcben Deformation. 5
SDen italienifcfyen Flüchtlingen im SSeltltn Ratten bie III Sünbe anfänglid) ba§
Srebigen unterfagt unb blof? ben Stuf enthalt geftattet. 1538 erlaubte aber ber Sunbe3=
tag auf Sermenben be§ §ercule§ ©alis unb Saulu§ 9JcaScranicu3 fyin ifmen unb allen
©laubenSgenoffen in ßfyiabenna bie freie Srebigt be§ @toangelium3. (£)ie genaue Dueßen=
angäbe ber Urfunben :c. in 6. ßamemfd), ßarlo Sorromeo unb bie ©egenref. im Seltltn tc. 10
ßfmr 1901, worauf aud) für bie folg. SDaten toermiefen fei.) 1544 erfolgte ein neuer
©rlafe ju ©unften ber toroteftantifcben 2el)rer unb Sräbifanten, meld)e aber auf toritoatem
SBege bejafylt werben mußten. SDie Flüchtlinge mürben neuerbingg be§ ©cljm|es> toer=
fid)ert, mufeten aber megen altfäHtger Sergefyen unb ^rrlefyren ben 2lmt§leuten eine
Kaution leiften (äbnlicfye torotofyr/laftifcfye Serorbnungen betr. ber Unruhigen maren fdwn 15
1537 erlaffen morben). SDie III Sünbe, in ber 9Jcebjb,ett toroteftantifcr;, unterftü|ten
fortan audb, au§ toolttifd)en ©rünben bie Deformation im Seltlm, um bort ben ftoamfcf;=
öfterreidErifcben ©influfe ju minbern unb bie Seltliner befto enger an ftd) ju fetten. ©0
mürben aud) für bie Sünbner bie Untertfyanenlänber §um Slnlafj be3 religiöfen Sruber=
jtoifteö, mie bei ben ©ibgenoffen (^abbelerfriege), mäl)renb big baljrirt ber ©laubcnSfyajs 20
in ©raubünben unbekannt gemefen toar. gu ©unften be<§ „alten ©laubenS" im Seltlüt
toerbinben ftdj jetjt bie fatfyoUfcb, gebliebenen ober unter bem ©influjj ber gefuttert, SorromeoS
u. a. mieber fatr/olifd) gemorbenen Sünbner (I)aubtfäcbl. im obern Sunb) mit ben fatfyo=
Uferen Drten ber ©cr/met^ unb bureb biefe mit Dfterreicb/SDatlanb.
2)ie bolttifcfyen unb religiöfen ©egenfä'^e jh)ifcl)en ben Sünben unb ben Seltlinern 25
mürben jubem immer größer. ®ie Segeifterung, mit ber bie Seltliner 1512 bie III Sünbe
empfangen Ratten, mar .bureb, mannigfacbe Seamtenmillfür, Sluffyebung bon mirflid)en ober
bermeintlidjen Deuten, ^ot;e Suf$en u. f. m. bei ben Seltlinern ber llnjufrtebent)eit ge=
mieten unb in ben fatfyolifd) gebliebenen ober burd) bie ©egenreformation mieber ge=
toonnenen mürbe namentlich bon 9Jcailanb au3 ber £>af$ gegen bie fetjerifd)en „§erren" 30
gefdiürt, „bie ibnen ifyre Religion nehmen mollten". ©cfymer emtofanben fie bie Se=
ftimmung bom 14. Sttoril 1545, bafj „bie Satoiften leine au§länbifcf;en Srebiger Ewben
burften"; benn ifyre eignen Sriefter ftanben auf einer bebenftieb, niebern ©tufe unb maren
äubem menig ^ablreicb (DomegiaHi 1. c. vol. II, ©. 84). Siele ^frünben mürben nicfjt
einmal bureb ^ilare beforgt (ber ©r^riefter ©ali€ in ©onbrio 3. 33. genofc toter ^5frünben, 35
b,atte aber feinen Sifar) unb fo fanben bie eifrigen ^ßräbifanten balb biele ^ui)'6xzx. 1547
erfolgte ber erfte ernfte ^ufammenfto^ jmifcfjen ^at^olifen unb ^3roteftanten, meil in ber
ßircb,e ju ©a^toano §eiligenbilber (mafrfd^einlicb, bon einem jungen ^arrabicini, ber in
3üria) ftubierte) gerftört morben toaren. ®ie^ benu^ten bie Hat^olifen, um bom Sunbe^tag
ju bedangen, ba| fein flüchtiger ^roteftant länger all brei SEage ficb, im SSeltlin auf= 40
balten bürfe, mürben aber abgemiefen. Srotjbem bedienen bamal§ biele ^ßroteftanten ba§
i^eltlin unb fugten ^uflucb^t in ©enf. 1550 fam ber ^nquifitor ©btölerio (ber fbätere
$m$ V.) naef) 9Jcorbegno, fonfi^^ierte broteftantifcl;e ©Triften unb magte fogar ben Saurer
SBifcb^of bor fein Tribunal ju citieren, morauf biefer Jelbft feine Söegmeifung beranla^te.
1551 blante — nad) einem ©erüd)te — aueb Dfterreid)=©banien, begünftigt bureb «
bie Sage ber SDinge in ®eutfd)lanb, einen (ginfall ing Seltlin, bie Sage ber bortigen ^ro=
teftanten ftfuen ganj böfe ju fein, ba mürbe -)Jcori£ bon ©aebfen aud) ibr Detter; toter
3)lonate nad) bem $affauer Sertrage erhielten fie ein neues ^Eoleranjebift, ba§ trotj bäbft=
lieber unb ftoanifcfjer Ißrotefte in i?raft blieb.
Salb machten mieber „unruhige ^ötofe" burd) tJjre Seb^ren unb Sergerio burd; fein 50
felbftberrlicbeS auftreten, (£infe|en unb 2lbfe£en toon Sfarrern obne Segrüfeung ber
©tjnobe, biefer mieber grofte ©orgen. Um ben bogmatifd)en Uontrotoerfen fortan ben
Siegel ju fd}ieben, fe^te 1552 bie ©to^nobe bie Confessio raetica auf, meldte 1553,
nacb>m Sergerio, ber fie befämbfte, ba§ Sanb berlaffen blatte, aud) bon ben Italienern
angenommen mürbe. Dun folgten biblomatifcbe ^etbgüge beS Satoftel unb öfterreid;= 55
©banieng in bie III Sünbe, um bon biefen balb bureb, ®roI)ungen balb mit £ilfe bon
fteunblicben Söorten unb §anbefötoergünftigungen im Sßettftreit mit Franfreid) ein SünbniS
(ber Söffe unb ©ölbner megen) unb bie Erlaubnis jur @infüf)rung ber ^nquifition im
Seltlin in erbalten. 3113 bie§ mi|lang, fanbte Dom bie ^abujiner, bie benn aud) al§--
balb ben 5lreu^ug gegen bie fetjerifcfyen Sanbeöb,erren brebigten unb 1556 einen blutigen 60
488 Sßeltlin
Überfall ber $roteftanten gU £egIio bemirften. 2ln ber SanbeSgrenje lauerten Seauf=
fragte ber ^nquifition auf 'präbtlanten unb fe^erifcbe Säten, bie fidj bem mailänbifcr)en
©ebiete nagten, überfielen fie unb fdjlebbten fie nacb, Sftailanb unb 9tom. sßroteftaniifd)en
$aufleuten aus ben III 33ünben unb bem 23eltlin nafym bie ^nqutfition bie Sßaren meg.
5 1557 mürbe baS 5£oIerangebift erneuert unb auSbrücflid) bie böUige ©leicrjberecfjtigung
beiber ^onfeffionen beftätigt. SDajs man broteftantifcfyerfeits aucb, gemißt mar, bieje p
reflektieren, bemteS 1558 bie rätifcfye ©tynobe, an bie bie ^räbifanten im Seltlin baS
Slnfucben geftellt Ratten, fie möchte fiel) beim SunbeStag für 2lbfct)affung ber SReffe im
SSeltlin bermenben, maS fie aber jurücfmieS. Slucr) ^ßaolo ©arbi (Breve Relazione di
10 Valtellina, Verona 1758) rüfymt bie Unbarteilicfyfeit ber broieftantifcfyen 2lmtSleute: ©er
$roteftant 2lnton ©aliS — erjagte er — fyahe bie ^atljolifdjen fogar gelungen, bei
iljrem $riefter $a beizten unb biefem p gef)orcr)en. ©egen (Snbe beS fünften ^abjjelmtS
feiert fid) im 33eltlin aud) bie Seiten feft. SobabiKa fam mit gmölf ©enoffen nacb,
5ßonte, mo ib,nen ber bitter Duabrio ein §eim bot. Dft auSgemiefen, finb fie bod? immer
15 mieber ba unb finben fortan einen feften §interf)alt an ben fatfyolifcfyen Sünbner Dber=
länbern.
Stße aber, meiere bisher ber Unterbrücfung beS ^ßroteftantiSmuS im 23eltlm fieb, ge=
meifyt Ratten, überragt toeit ber „§elb ber ©egenreformation", ber 9JtatIänber ®arbinal=
ergbifcfyof ßarlo Sorromeo, beffen ©influfs mit feiner ^nt^ronifierung als ©rjbifdmf bon
20 9Jcaüanb (1560) ftet) aucb, im 3Seltlin bon %üq gu Sag fteigenb geltenb machte, 9facb,
ßantü (Rivoluzione, ©. 28) mar fcfyon bie @infü|rung ber ^efuiten im SSeltlin fein Söerf.
2ßät)renb bie Deformation bon aujjen immer meb/r bebrofyt mürbe, begannen in ib,rem
Innern neuerbingS ©laubenSftreitigleiten, an benen ber au§ Tübingen auf furge geit
nacb, ©raubünben jurücfgefefyrte Sergerio nid)t unbeteiligt mar, ber fid) ingmifcljen jum
25 lutfyerifd)en 2lnroalt in ber ©d)metä gemalt fyatte unb bureb, feine 2lgitation ben grieben
ftörte. 2Iuc£) ©cfymenffelbifd)e Seigren brangen ins Sanb ein.
®ie Qafyl ber ^roieftanten r)atte bisher im Sßeltlin beftänbig ^genommen, aber aud)
ber Sifer 9fomS, fie gu bernid)ten, ber namentlid) bon SRailanb auS entflammt mürbe ;
1564 berlangte Äönig Sßtyilttop II. bon ben III Sünben bie 2luSlieferung ber ,,^e|er",
30 mürbe aber abgemiefen, morauf mieberum tyanbeltreibenbe Sünbner bon ber Qnquifttion
in Stalten ergriffen unb beraubt mürben, ©in eifriger Parteigänger beS ^ßabfteS mar in
©raubünben ^ofyann bon Planta, §err gu DägünS, ber fieb, aber burd) feinen „93ullen=
fyanbel" aud) bei ben fatfyoltfdjen Sünbnern berb,afjt machte unb feinen „Sanbe§berrat"
mit bem £obe bü^te. (5ßgl. 9JL Salaer, ^oljann bon ^lanta k. Büricb,, ©d^ult^efe 1888.)
35 $Da3 1579 geftiftete Kollegium «'oelbeticum in 5Railanb, ein 25erl 33orromeo§, fyatte
nid)t am menigften gum gmeefe, bag i'eltlin mit jungen ^rieftern gu berfe^en. ®ie
III Sünbe erneuerten aber ba§ Verbot ber fremben Sßriefter unb fo blieb iljmen borber=
b,anb noeb, ba3 SBeltlin berfd)Ioffen.
31I§ ein mirffameS 2Rittel fab,en aud) bie SRänner ber 9?eorganifation ber römifd)en
40 ^irdje bie geiftlid^en 33ifitationcn an. ©eit 1532 I)atte baS Seltlin feinen 3Sifitator meb,r
gefeb^en. Sei bem 2öiberftanb ber III Sünbe gegen ba§ ^ongil gu Orient unb feine S3e=
fcb,lüffe tonnte ber SBifd^of bon ©omo im !8eltlin nichts ausrichten, ©iobanni granceSco
Son^omini (Suonomi), bom ^5abfte gum 35ifitator be§ Siltumg ßomo ernannt, brang
1578 mit Sift in§ Jseltlin ein, inbem er bie Sünbner bat, ib,m feinet $obagra megen
45 eine J^ur in ben mannen Säbern ju Sormio ju geftatten. 33on ben 2lmts>leuten aU
„©aft" freunblicb, aufgenommen, begnügte er fid) perft bamit, bie SDinge lennen ju
lernen unb barüber an Sorromeo gu fcfjreiben. Sluf ber Stüd'reife lie| er alle 9}ücffid;ten
fallen, brebigte, firmte unb bi§benfierte, Ia§ SReffe unb examinierte bie ^ßriefter, bie er
anfangs am meiften fürchtete, meil er ib^ren Seben^manbel tabeln unb ftrafen mufjte. Sn
60 Segug auf bie ile^er b,at er leine großen Hoffnungen. (®ie fet)r intereffanten Sifitation§=
berichte finb in ber Ambrosiana in 9MIanb unb 9fom. ©enaue QueEenangaben fief)e
bei ©teffenS u. Stein^arbt, 5Runtiaturberid)te, ©olotfmm 1906, I, ©. 133 ff.).
1580 betrat Sorromeo felbft unter bem ©d)eine einer Pilgerfahrt ba§ Seltlin unb
mürbe nacb, eigener 2lu§fage aueb bon ben broteftantifcf)en 3lmt§Ieuten e^renboK embfangen,
55 fonnte aber r)ier birelt nicf)tg ausrichten; hingegen erreichte er um fo meb,r auf feinen
Reifen nacb, 33ifenti<§ (2luguft 1581) unb in<§ M\oi (§erbft 1583), mo er „$e£er bureb,
feinen bloßen Stnblid belebte" unb anbere als „§ejen" auf ben ©Weiterlaufen braute
(alles ^äfyere hierüber fier)e bei ßamemfcb, Sarlo Sorromeo 1. c, ©. 124—139).
(Sine meitere SifitationSreife im Skltltn unternabm 1589 geliciano ^inguarba, S3ifd)of
60 bon ©omo, bem, als einem SanbeSÜnbe, bie Sünbe bie baftorale SBirlfamleit im Slbbatale
SBeltlin SßenatoriuS 489
nicf)t berbieten fonnten. (©eine SBericfyte finb ^ubltjiert in ben Atti della visita pastorale
Diocesana pubbl. per cura della societä storica comense, domo 1892—94).
2)a§ SUcailänber ®abttulat bon 1639 berfcfyaffte bann bem 33ifd)of ^u domo bie unbebingte
SBoHmacfyt ju geifilid;en 33ifitationert unb jut ^Boßäieljmng ^ä^fttid^er SSulIen.
ÜJiit ber Deformation unb ©egenreformation im SSettlm eng Dermalen ift baS 5
©cbjclfal ber Sanbegfcfyule ju ©onbrio, meldte bie III SBünbe nacb, bem 9Jiufter ber
güret/er ©d)ulorbnung einrichteten, mit ber fie emerfeitö eine 2lnnäb,erung ber 3fcegie=
renben unb ber Untertanen bejmeclten unb anberfeitg ba§ SilbungSnibeau I)eben unb ber
fcfyolaftifcrfllerilalen @r?ieb,ung eine meb,r r/umaniftifcfye entgegenfe^en moHten. £)iefe ©cfmle
ift raafyrfcfyeinlicb, bie erfte ©imultanfcfyule, bie errietet Würbe ; benn fie follte bon fatb, o= 10
lifcfyen unb broteftantifcl/en Einbern ber Sünbner unb 33eltliner äugleicf) befugt unb nur
ber Religionsunterricht follte febarat erteilt werben, yiad) mehreren Anläufen mürbe
1582 bom 93unbe3tage ju ®abo3 befcfyloffen, baf? bie ©infünfte ber fälularifierten ^rotoftei
ju £eglio bafür bermenbet Werben füllten; allein bon 9MIanb au§ Würbe ba£ Söert fo
lange befämbft, b\§ bie ©cfyule 1585 nad) ßfyur berlegt mürbe, ©in geplanter bewaffneter 15
(Einfall in<3 3SeltIin (1584) jur Unterbrücfung ber „St'etjer unb ber ^etjerfcfyule" bon 9Jlat=
lanb au§, an beffen guftanbelommen ßarlo SBorromeo (geft. 3. Rob. 1584) nicr/t unfcfmlbig
getoefen mar, mürbe berraten unb l)atte nidjt ba3 erWünfcfyte blutige Refultat. ©bäter
erfdjeint in ben 33ünbner SHtert jWar noef) oft eine „©cfyul gu ©onber§" (©onbrio), allein
ber ©infaH, ben bie ©banier 1621 in3 SSeltlin matten unb ber 600 ^ßroteftanten ba§ 20
Seben rofiete (SMtlinermorb), bernidjitete mit ber 33 ünbrt er l> err f d) af t aueb, ib,re ©djule. (SDie
Quellen gu biefer intereffanten ©$ulgefcf>icr/te, jum Slufru^r jc. finb angegeben in 6.
Gamenifcl), 6. SBorromeo unb bie ©egenreformation im SSeltlin mit befonberer 23erücf=
ficfytigung ber Sanbeäfcfyule ^u ©onbrio, ©. 141 — 233 unb ^Beilagen.)
3)ie $ämbfe ber „SBünbnerWirren", bie ftcb, meift um ben 23efi| beS ^eltltnS breiten, 25
gehören ber bolttifdjien ©efcfncfyte an unb lönnen nur im Stammen ber ©efer/ict/te be§
30jär)rigcn Krieges betrachtet merben. 2IHerbings> ift ber gortfcfyritt ober SRüäfcfyrttt ber
Reformation im SSeltlin, ib,r ©ein ober Ricfytfein eng bamit berfnübft. SDiefe enblofen,
balb offenen Balb geheimen $ämbfe unb Qntriguen lönnen l)ier aber leinen Pa£ finben;
hingegen fei auf bie Wid)itgfien Söenbebunlte nod) Jurg Inngebeutet. 30
Radjbem bieSünbner naef) bem „SMtlinermorb" it)re Untertfyanenlänber 19 ^a^re lang
mit ben 2Baffen in ber §anb ober mit §ilfe ber $£>iblomatie ofyne ©rfolg äurücfjuerfyalten ge=
ftrebt Ratten, braute fie bag SMIänber ^abitulat 1639 mieber in beren 33efi|, allein bie
2lu3ftbung ber reformierten Religion mürbe allen ©inmoljmem berboten. ®te bünbnerifc^en
2lmt§Ieute, bie nicfyt fat^olifc^ maren, burften fieb, bort ^mar mäb.renb ib,rer 2lmt§bauer 3&
unb biejenigen broteftantifcb.en Sünbner, meiere ©üter im 33eltlin Ratten, jur 3e^ ^er
ßrnte brei SDionate aufhalten, aber leine ^rebiger galten. SSurben biefen allein gebulbeten
^roteftanten im 33eltltrt ^inber geboren, fo mufjten fie latl^oltfct) getauft, ober bie %aufe
mu^te aufjerfyalb beg 3SeItlin§ bottjogen Werben.
2)a§ jus circa sacra ber 23ünbner im SSeltlin mar bamit berloren unb alle 2ln= *o
ftrengungen, mit §ilfe @nglanb§ unb $ßreuf$en§ fbäter günftigere Seftimmungen bon
Defterreicf)=©banien ju erreichen, Waren bergebeng. SJcancfymal lie^ bie §ärte in ber 2tu3=
Übung ber Slrtifel nad), aßetn immer mieberum ftbren Wir bon 2tuStreibung ber ^5ro=
teftanten unb bie ^ßarteifämbfe unb gamilienjWifte, meiere bie SSünbnergefcbicbte be§
18. ^a^rf)unbert§ füllen, maren and) nicfyt baju angetan, fie gegenüber ben j|ircr)enfürften &
in 30tailanb unb ßomo ^u fcb,ü^en. ©ingig ba§ 2:oIeranjebift Sofebb.S II. braute ifmen
borübergel)enbe ©ulbung, ob,ne aber biefe unb bie ifyr bermanbte ©migrantenfrage, bie
feit längerer Qtxt bie ©emüter erregte, ^u Ibfen. ©erabe jur $e\t, ba ber ^aifer in
SBien, als ©c|ieb§ricf)ter in ber 2tu3meifungöfrage ber ^ßroteftanten im i<eltlm biefen be=
ruf)igenbe guficfyerungen glommen lie^, rüclte Raboleon in SDcailanb ein unb im folgenben ßo
3_a^re 1797 fd)Iug er ba§ a>eltltn jur Gtgalbinifc^en Rebublü. ®ie 33ünbner Ratten bort
nict)t<S meb^r pi fagen, ba§ SSeltlin teilte fortan bie ©efc^icle Dberitalieng. 6. ßontcnif^.
2Senontüt§ ^ortunatu0 f. gortunatuS 5Bb VI ©.131.
3SetttttortMg, SEfyomaä, geft. 1551. — SGBiiff=9?t>^ttf(^, 9Jiirn&ei-gifd)eS ©elefjrtenle^tfon ;
8. (S. (i. (Bdiroar^ 2{ionia§ SSenatoriuS unb bie Slnfflnge ber ^roteftnntifdjen ©ttjif, SCt)©tJi 65
1850, 6. 79 ff.; 2t). golbe, 21). 23enatortu§, fein Seben unb feine Itttevavifdjc 2t)ätigteit. Söeitr-
ivx baöer. ft© XIII, 97 ff. 157 ff.
£b,oma§ 33enatorius (eigentlich ©ecfjauf, baneben Wirb er aueb, Qäger genannt),
tourbc ca. 1488 in Nürnberg geboren, ©eine Weitgefjenbe bumaniftifebe 33ilbung mirb er
490 ÜknatoriitiS
l)aubtfäd?licb, in Valien, mabjfcfyeinlicb, in $abua ertoorben fyaben (bgl. %f). $o!be a.a.O.
©. 176 Slnm. 5). SDie immer mieberfyolte Sefyaufctung, bafs er ®om intranet gemefen fei,
beruht auf falfcb, gelegnen SBrieffiellen (ebb. ©. 98 ff), Qm ^al)re 1519, in bem er als
$rüf)meffer in Homburg bei Nürnberg ermähnt mirb, galt er fdmn als angefefyener
s £>umanift unb mar ein begeifterter SSercJ>rer Neucbjing, balb aucb, Sutfyerl. Sm ©ommcr
1522 mürbe er als* ^rebtger an ba§ Neue ©pital nacb, Nürnberg berufen, ©ort ift er,
bon 1533 an al§ ^rebiger an ber Satobslircfye, abgefefyen »on einem balbjä^rigen 2tuf=
enthalte in Notfyenburg o. b. Zauber, mo er im ©ommer 1544 bie ^Reformation bei
bortigen $ircfyenwefen§ einleitete, fein Seben lang geblieben, ©eine miffenfc^aftlicfyen Qnter=
io effen maren fefyr bielfeitige. ©ie erftrecften fiel) aucb, unter bem ©influfe bei Slftronomen
$o!j). ©d)öner auf bie 9JcatI)ematif, aber in erfter Sinie mar er nacb, Nidjtung unb jeit=
meife aucb, 2eben3fül>rung (ebb. 177- 193f.) tro| feiner äafylreicfjen unb mertboUen t|eo=
logtfdjen arbeiten §umanift. Qm bertrauteften 2Ser!eb,r ftanb er mit SBiltbalb ^3irrf=
Reimer, aucb, bann noeb,, all btefer mit 2lnbrea§ Dfianber, SBenjellaul Sin! unb ben
15 anberen ebangelifcfyen ©eiftlicfyen verfallen mar, ja ib,m tourbe bieDrbnung bei Nadjlaffel
bei großen (Belehrten übertragen. 2öir fennen bon SSenatoriul nidjt menige lateinifcfye
©ebicfyte unb SSerfe, mit benen er bie SBerfe ber greunbe ©obanul |jeffe, ^oacb,. @ame=
rariul, ätnbreal 2lltb,amer, 33incentius' Dbfoboeul unb anberer gierte, aucb, mehrere
b,umaniftifcb,e ©elegenb,eitsfcb,riften, feinen Draco mysticus sive venatio, Nürnberg
20 1530, feine Querela Ditis (1532) unb ben aucb, b,ierb,er gefyörenben Catechismus minor.
Hoc est de instituenda iuventute in fide Christiana, Nürnberg 1535, eine für
bie Nürnberger fateinifcfje ©cfyule gebaute b,umaniftifcb,e ^atedjismusbearbeitung, bie ba=
bureb, »eranlafjt fein mirb, bafs il)m im ^ab,re 1534 bal ftäbtifcfye ©cfmlmefen unterteilt
morben mar (%i). Sblbe a. a. D. ©. 173), mertooßer finb jeboeb, feine (Sbittonsarbeiten.
25 ©o gab er aul bem Nachäffe ^ircfljeimers' beffen lateinifcfje Überfe^ung bon 3£eno^b,on§
^eHenifa (1532) unb felbftftänbig AgioTocpdvovs TlXovxog. Aristophanis facetissimi
Comici Plutos interprete Thoma Venatorio. 1531 I)erau3, unb bal gröfete SSerbienft
nacb, biefer ©eite b,at er fieb, bießeicfyt bureb, bie erfte ©rucfaulgabe ber 3Berfe bei Streb, i=
mebel mit ber Überfettung bei ^acob bon (Sremona unb bem Kommentar bei (Sutofios'
30 bon 2lf!aIon ermorben (ebb. ©. 178).
©eine erfte felbftftänbige tf>eoIogifcr)e ©cb,rift finb feine Axiomata quaedara rerum
christianarum (1526), eine für einen ^ßriefter aul ber ©iöcefe 33rirm jufammengefteUte,
treffliche 2lnemanberreifyung ber §aubtfä|e ebangclifdjer £eb,re. $n fynw bertritt er fcb,on
ganj im ©inne Sutfyerl, nur prägnanter in ber $orm, einen ©ebanfen, ber unl bann in
35 aßen feinen tb, eologifcb,en ©cf>riften mieber begegnet, nätnlid) bie bleibenbe SBebeutung ber
2iaufe, bei divini erga nos favoris testimonium quasi ancora (ad quam
divinae misericordiae promissiones expeetantes) securi et laeti confugimus.
2113 erfter unter ben Nürnberger @eiftlicb,en meift er barin aucb, alle bon £ut|er ah
meicfyenben ©rflärunglberfucfye ber 2lbenbmaI)Ismorte bon Sarlftabt, Delolampab unb
40 Bwingli mit großer Seftimmtb,eit %uxüä. ©egen bie SSBiebertäufer, fpegteltt gegen bie S3e=
b,au^tung, ba^ ber ©laube nicb,t in ben $inbern fei, fd)rieb er feine 5pircfb, eimer getoibmete
©cb,rift Pro baptismo et fide parvulorum 1527 (Sine rein erbauliche ©$rift, bie
ben Semeis liefert, wie einfacb, unb ünblicb, fromm ber gelehrte £mmantft reben fonnte, ift
„@in fur§ Unterricht ben fterbenben 3)tenfcb,en ganj tröftlic|" (1527). 2ln i^r fanb £utb,er, ber
45 ben 93erf. bamalö noeb, gar nicb,t gefannt ju b,aben fcb,eint, fo großes ©efaßen, ba^ er fie mit
einer lob^reifenben 33orrebe (2. 2S. @2l 63, 284) neu b, crau§gab, unb fie ift aucb, fpäter noeb,
meljrfacb, herausgegeben unb in äl)nlicfye'!£roftbücl)lein aufgenommen morben (>Lb,.^olbe a.a. D.
©.118 f.). ®af? 3Senatoriug aber noefy b, eute in ber ©efcb,icb,te ber Geologie mit @b,ren genannt
mirb, »erbanft er feinem großen SBer!e De virtute Christiana libri tres. Norin-
60 bergae XXIX. 58on bem ©runbgebanlen aulgeb,enb, Christianorum virtus est fides
unb bem barauä gefolgerten ©a|e proprium Christianae philosophiae credere (voco
autem summam philosophiae Christi, virtutem fidei, hoc est, fidem quae
operatur per dilectionem, ut ait Apostolus. Quae virtus, quid est aliud quam
quidem impellentis Spiritus saneti impetus ad recte sentiendum primum de
65 deo ipso, deinde et ad recte agendum cum proximo.) p. 7b giebt er eine um=
faffenbe £ugenb= unb ^3flicb,tenleb,re (bgl. baju ©cb,marj a. a. £>. ©. 79 ff. u. @. Sutb^arbt,
©efcb;icb,te ber ctmftlkb, en @tb,il, Seidig 1893 II, 88 ff.) Woburcb, er ber eigentliche Slnfänger
ber ^roteftantifc^en @tb,it mürbe (bgl. aucb, ben Slrt. @tb,if 33b V, 548, 53 mo aber ber @in=
fluf? ber ©cb,ule 9J?elancb, tb, onf überfcb,ä^t mirb). ©a| biefe§ Suc|) feinen @influ| aulgeübt
60 l)at, lag faum in ber bon ©päteren (j. S. ©cb,marg, banacb^ bon ©ieffert im Slrt. @ib,il) barin
ilenatortuS SBenema 491
gefunbenen Hinneigung jum DfianbriSmuä, bon bem man bornalS nocb, nichts" mufjte, fonbern
bielmebr barin, baf? neben bem, ma3 bon SBittenbcrg ausging, gelehrte tfyeologifcbe
arbeiten namentlid) Don Sutberanem überhaupt recbt menig 33ead)tung fanben. — £b,nc
eigentliche ^olemif, unter SBermeibung aller ,„3anftel;re — benn mo man ötet ganlt,
berleurt man oft bie Söa^r^eit" — , aber bocb um ben bieten Irrtümern über staufe 6
unb Slbenbmabt entgegen gu treten, befmnbelt Sßenatorius' bie ©aframentstel)re, ober roa3
bon beiben ©aframenten yu, Reffen fei, in ber ©djrift. „@m furije bnterricfytung bon
ber/ben facramenten, bem Sauff bnb Nadjtmal ßfyrtfti:" Nürnberg 1530 (bgl. %i). Mbe
a.a.D. ©. 161 ff.). Stuf berfelben ©rufe mie bie feböne Xroftfdpft bom %ai)xe 1527
fte^t feine „©rmanung jum ßreutj in ber gebt ber berfolgung", bie er @nbe ©ebtember 10
1530 mor/I im £>inblid auf bie beborftefyenbe, ben ©bangelifeben brobenbe ©ntfe^eibung
be3 2tug§burger Neid)slag§ ausgeben liefe (ebb. ©. 165 f.). 2tu§ einer 3trt bon er.egetifd)en
Vorträgen, mie fie bamafä in ©übbeutfd/Ianb öfter bortamen, mirb eine ©djrift ermaebfen
fein, bie im ©ebtember 1533 fyerauslam : In divi Pauli apostoli priorem ad Ti-
motheum epistolam distributiones XX (Basilae 1533). @3 finb fidj tofe an ben 15
lejt anfcblie|enbe 2luslaffungen mef>r bogmatifeber atö eregetifeber Natur, bie feiner CSt^if
an bie ©eite treten, Nacfe, 2Bill=Nobtitfcb Nürnberger ©eIebrten=2erjfon fotl er noeb jmei,
toie es" fcb,eint, fyeute berfc|oIIene ejegetifebe ©ebriften berfaftt f/aben, eine bem Notbenburger
3iat gemibmete In Psalrnum CHI et CIV brevis enarratio 1548 unb eine fotd)e
In Psalrnum LXXXIX au§ bemfelben %afyxe, bie bem §eil§bronner Slbt ^ol). SBirfing 20
jugeeignet morben märe. —
■äRefyrfad) finben mir feinen Namen unter offiziellen Veröffentlichungen ber Nüm=
berger ©eiftlicfyfeit, fo unter bem Nürnberger Natfdjtag bon 1524, unter ber ©cfyrift gegen
ben ^affauer SDomfyerrn Nubbrecfyt bon 3Ros1)am 1539 u. f. »., unb in bem bonDfianber
angeregten ©treite über bie offene ©djmlb wollte er gegen biefen bureb Propositiones 25
auftreten, bie jeboeb, auf Suibers" 33eranlaffung ungebrudt blieben (%fy. $o!be a. a. D.
©. 170 f.), aber obroob,! er bie anberen ©eiftlid)en ber ©tabt, aueb, Dfianber an ©elebr=
famfeit weit überragte, t)at er eine füb,renbe ©teile im Seben ber Nürnberger strebe nie
eingenommen. @r mar unb blieb ber ©elebrte, ber aud) an ber $olemit leine $reube
batte. Nur eine regelrechte ©treitfcfyrift l>at er gefebrieben. 211s" fein SanbSmann ^°b- 30
§aner (f. b. 2t. Sb VII ©. 400 ff.) feine gegen bie ebangelifcfye Ned)tfertigungslebre ge=
richtete ©cfyrift Prophetia vetus ac nova, hoc est vera scripturae interpretatio.
De syncera cognitione. Lipsiae 1534 batte aus"ger/en taffen, in ber 23enatorius" aueb
eine ©cbmätmng feiner Skterftabt unb ibres" ^ircfyenmefens fat), fd/rieb er De sola fide
iustificante nos in oculis Dei, ad Joh. Hanerum epistola apologetica. Norim- 85
bergae 1534. ©eine legten ^al)re fielen in bie $e\t btä Interims; bem er anfangt
mit ben übrigen ©eifilicb/cn miberfbroeben fyatte, mäb/renb er bei ben fbäteren 23erl)anb=
lungen ntebt meb,r ermäbnt mirb. @r ftarb al£ ber Ie|te toir!licb,e §umamft unter ber
Nürnberger ©eiftltcbleit am 4. $ebruar 1551. Sfieobor fiolbe.
Sßenetna, §ermannu§, geft. 1787. — £. Sannegieter, Programma fun. Herrn. 40
Venema, grau. 1787; ^. |). 35erfd)uir, Elogium Herrn. Venema, ftran. 1787 (öuü. lieber;
fejjung mit Slnmerhingen UDn ^- Sßaffer, „Lofrede op Herman Venema", 2lmft. 1801);
Xa§ neue gelehrte Europa, XIX, 535—565; 33. ©lafiu«, Godgeleerd Nederland, III,
489—496; gi)\: @epb, Joh. ötinstraen zijn tijd, ?(mft. 1865passim; 355. S3. @. 23oeIe§, Fries-
lands Hoogeschool en het Rijks Athenaeum te Franeker, Leeuwardeu 1889, II, 399 — 40, 45
£>arm ober §ermannu§ SBenema mürbe 1697 gu Sötlberbant' (^rob. ©roningen) bon
roo^lb,abenben ©Itern geboren. 3n ©roningen genofe er ben Unterriebt, ber i£)n für bie
Uniberfität borbereitete, unb bon 1711—1714 mar er bort afö ©tubent eingefdirieben.
Ser Niebergang ber ©roninger Stlabemie trieb ibn nad) graneler, mo er am 12. ©eb=
tember 1714 eingef(b,rieben mürbe unb ben Unterriebt unter anberen bon 2tlb. ©cbulten§, so
ben 33itringag 33ater unb ©obn unb ^ob- bon ber Söaeijen bem ©obn genofe. Sefonberö
bie beiben VitringaS b^ben fomob,! auf feine tbeologifcfje Silbung mie auf feine in
maneber §infid)t freiere ©eifteSricbtung großen (Sinflufe ausgeübt. Unter bem jüngeren
iUtringa ^>ielt er in ben ^aforn 1717 unb 1718 jmei ©föbutationen. ©ebtember 1718
beftanb er fein SDottoreramen in ""Ideologie unb balb barauf bor ber Classis bon es
^ranefer fein ^ßrobonentgeEamen, morauf er am 12. gebruar 1719 ^rebiger gu Tronrijb
bei granefer mürbe. Nad) bem Xobe bon Vitringa bem Qüng. mürbe er als beffen
Nacbfofger gum ?ßrofeffor in graneter ernannt, mäf;renb er balb barauf aud) beffen SBittme
beiratete. 2tm 22. 5Rärj 1724 bat er fein ^rofefforat mit einer Nebe Dezelo veritatis et
492 »eitema
pietatis genuino et charitatis pleno ($xan. 1724) angetreten. 2ln bemfelben läge
Würbe er aud) jum Doct.theol. bromobiert. — Sündig %afyvt lang War er eine gierbe
ber granefer 2tfabemie. Stuf toiele feiner ©d)üler übte er großen ©influft aus. 2IuS bem
2luSlanb gog er biele ©tubenten ju feinen SÖorlefungen. SBefonberS Ungarn tarnen, um
5 il)n $u I)ören, unb felbft 9ftd;ttI)eologen Wohnten feinen 23orlefungen bei. $m Qafjre 1774
Würbe er auf fein eigenes @rfud)en bom Kuratorium emeritiert. 2IuS freiem 2lntrieb
berltel) es ifym ben ^Rang unb %xtd eines Prof. honor. unb lieft ifyn in bem ©enuft
feines bollen ©eI)alteS. @r lieft fid) juSeeumarben nieber, Wo er am 25. 9M 1787 ftarb.
©eine grau 2lnna ©obi)ia ©r/b;$eS (Sixti) mar fd)on 1767 geftorben, mäl)renb aud) ber=
10 fd)iebene Kinber il)m im SLobe borauSgegangen waren. sJ2ur eine £od)ter überlebte ir)n.
%n graneler in ber ©roften Kird)e mürbe er begraben.
Unter ben nieberlänbifd)en Geologen nimmt 3Senema einen ber erften ^lä^e ein.
@r)r. ©ebb nennt ilm felbft „ben gröftten (Belehrten beS 18. $al) rl)unbertS". @r mar
äufterft fd)arffinnig ; ein tüchtiger Kenner ber orientalifd)en ©brauen unb beS ®ried)tfd)en,
ib auftergemöl)nlid; belefen unb bor allem mit einer ungewöhnlichen Kenntnis ber Kird)en=
bäter unb ber Söerfe ber ©d)olafttfer auSgerüftet. SDabet unterftüttfe tfyn ein borjüglicfyeS
©ebädjtniS. SCI§ ©geget, befonberS beS 2IIten ^eftamentS, machte er fid) einen groften
tarnen unb blieb er hinter 3Sitringa b. ätlt. nid)t jurücf. ©eine er.egetifd)en Söerle
geid)nen fid) burd) Klarheit, unbefangenes Urteil, felbftftänbige Unterfud)ung, grofte 2BaI)r=
20 fyeitSliebe unb befonberS burcb, ©pradjfenntniS unb baS ©inbringen in ©ang unb SSerbanb
ber ©ebanfen beS ©cfyreiberS aus. ©ein ejregetifcfyeS ^aubttoer! ift fein Commentarius
in Psalmos, 6 vol. (1762—66). Über brobI)etifd)e ©d)riften gab er u.a. auS: Disser-
tationes ad vaticinia Danielis emblematica (1745), Commentarius ad librum
prophetiarum Jeremiae, 2 vol. (1765), Sermones vice Commentarii ad librum
25 prophet. Zachariae (1787), Lectiones academicae ad Ezechielem (cura J. K.
Verschuir 1790), Commentarius in prophet. Maliachiae (ed. Ia, 1788). — 2tlS
Kanjelrebner jeid)nete er, ber 1729 aud) jum UniberfitätSbrebiger ernannt Worben toar,
fid) nid)t auS. ©ein ©til War, foWol)l im Satein als im §oÖänbifd)en, alles Weniger
Wie gefällig, el)er raub,, bann unb mann fogar nad)läffig. %ebo<fy l)at er als ^3rebiger
30 fid) baS 3Serbienft erworben, baft er burd) feine einfache unb beutlid)e Ster.terflärung in
bie ^SrebigtWeife feiner £age, bie fel)r langweilig unb aEegorifierenb War, eine 25er=
befferung braute. — %üx feine Qeit berbienftlid) War and), WaS 3Senema in feinen
Institutiones hist. ecclesiasticae V ac N. Testamenti (7 tom. Lugd. Bat. et
Leov. 1777—1783) lieferte, ^n biefem Söerfe geigte er fid) als ein felbftftänbiger,
35 wal)rr/eitsliebenber ©elel)rter, ber mit Vorliebe Buellenftubien trieb, fid) bor ber Krttif
ntd)t freute unb burd) fein Vorurteil leiten lieft, unb ber fid) befonberS burd) grürtblid)e
©elei)rtr/ett, Klarheit beS Urteils unb tiefe ©tnftdjt auszeichnete. ®en Unterricht in ber
Kird^ngefd)id)te gab er fid)ilid) mit groftem ^ntereffe, unb, Wie er felbft in ber 25or=
rebe feiner Institutiones (bortfelbft I, p. 5) fagt, „non sine aliquo adplausu et
io fruetu."
3Senema mürbe ju ben ßoecejanem gerechnet, ging jebod) feinen eigenen 2Beg. ©eine
Geologie baute er auf gWet ^rinjibien auf : bie Vernunft unb bie 1)1. ©d)rift. @r brang
jebod; feine SReimmg niemanb auf unb War in feinem Urteil über anbere fefyr milbe unb
berträglid), foWie er fid; im Umgang mit anbern ftetS liebenSWürbig unb einfad) erWieS.
45 @r Würbe als baS £>aubt ber toleranten angefel) en unb einige feiner ©d)üler unb ©eifteS=
berWanbten gingen in il)rer SEoleranj fo Weit, baft fie gegenüber allen bertragfam maren,
abgefel)en bon ber Iird)lid;en Drtfyobojte. @r War ber einzige nieberlänbifcfye ^3rofeffor,
ber für ben focianifd)er S^rfe^en befd)ulbigten SJlennonitenbrebiger %ot). ©tinftra $artei
ju nehmen Wagte. Kein Söunber, baft aud) S^enema felbft ber ^rrleb^re befd)ulbigt Würbe.
50 Sßirflid) War er u. a. fyinftcfjtüd) ber fiebere bon ber menfd)Iid)en Df)nmad;t unb ber gött=
lid)en ^räbeftination aud; ntebt burcfyauS in Übereinftimmung mit ber fiebere ber Kirche,
©egen ben ©roninger ^rofeffor Strtt. ©rieffen, bon bem eS übrigens belannt ift, baft er
überall Ketzereien fud)te unb fanb, unb ber bon ftreitfücfytigem Sb^arafter War, muftte er
fid; fd)on früb berteibigen, ba biefer ibn ber §eterobojie befd;ulbigt unb felbft bei ber
55 ©tmobe bon ©röntngen angellagt blatte. Stuf Würbige SBeife antwortete er in „Körte
Verdediging van syne Eere en Leere" (Leeuwarden unb Harlingen 1735),
Worin er feine 2lnfid)ten über ben Sunb ber SBerfe, bie ßured)nung bon SlbamS ©ünbe,
ben altiben unb baffiben ©eI)orfam bon ^efuS ©IjriftuS unb bie Sßräbeftination auSein=
anberfe^te. ®rieffen I)ielt feine S3efd}ulbigung aufrecht unb Sßenema fd;rieb barauf:
60 „Justa cum viro clar. Ant. Driessenio expostulatio (%xan. 1736). £)aS Vertrauen
SSettemo ätobefferitttgSpunfte 493
ber Drtfyoborm genofj äsenema jebocr; mcbt unb fyat er niemals gebinnen tonnen. 6r
fanb iebod) einen mächtigen 33efcf)ü§er in bein (Statthalter ^rtnj 9Ml)eIm IV. 9iact)
beffen Sobe befonberS fufyr man fort, $enema beS ©octaniSmuS unb 2trminianiSmuS ^u
befcfmlbigen. Snf°l0e kabon fab, er ficb, genötigt, fi<h in feinen Exercitationes de
Christi vera divinitate (Leov. 1755) ju berteibigen. £)iefc ©cbrift, aber bor aßem 5
ber ftetS junefymenbe ®rang Vieler ficfy bon ben SBanben ber reformierten Sefyre ju löfen,
betoirfte, bafj 3Senema fernerhin feine Strbeit ungeftört fortfe|en lonnte, aud) mäfyrenb
feinet SebenSabenbS bis ju feinem £obe fyn tfyätig. <3. <$>. »an SBcen.
^cnejUCla. — Sttterotur. £. ß. Saiofon, The South-Amer. ßepublics, 2. 93b; Sofe"
©it <yortoul, Hist. constit. de Venezuela (1907); 2S. ©ieberä, SSenejuela (1888); berf., ©üb= 10
amerifa, 1903.
®ie Unabbängigleit beS SanbeS bon ©banien tourbe tfyatfäcbticf) im $abre 1823
errungen; aber eS blieb baSfelbe längere 3 ett ein befonberer %t\l ber bereinigten 9lebubli!,
toeicfye aucfy ßolumbia unb ©cuabor umfaßte. @rft (1829) 1830 fam eS burcb, 3tuf=
bebung biefer Union p bem felbftftänbigen ©taate 35enejuela, toelcber aßerbingS burd) 10
eine grofee Qabl bon ^Bürgerkriegen in feinen Äulturfortfdmtten immer aufs neue ge=
benimt tourbe. ©0 gelangte er benn aucb, — feit 1864 bie „bereinigten ©taaten bon
Isenejuela" — bei einer SHaumfläcbe bon 1 533 000 qkm nur ju einer Setoobnerjab,! bon
2,6 Millionen (um 1830 aßerbingS nur ettoa 750 000). £>er Slbftammung nad) bilben
aucf) bkr bie 9Jcif<hlmge (SReftijen, Mulatten, .ßamboS) bie grofje ^Dtebr^eit, toofyl über 20
65n;0, mäbrenb bie rein toeifje SBebölferung ju faum 10°/0 gefcbäfct toirb. Sieger erhielten
ftdj auS ber $eit ber ©Ilaberei (aufgehoben imSa&re 1833) wob,! 120000, toäbrenb man
nod) 325000 ^nbianer annimmt, bon melden aber ettoa 270000 gibilifiert finb. %a\t
bie gefamte Sßetoofynerfcbaft gebort ber faifyolifcben ®ird)e an, beren ^Religion in ber
SSerfaffung SSenejuelaS bon 1831 als bie beS©taateS erflärt ift, jebocf) unter ©etoäbrung 25
freier ^ultuSauSübung für SlnberSgläubige.
©ie römifcb=latf)oIifcbe ^ircbe tourbe fner giemlicr) fbät organifiert. SDenn erft 1637
tourbe 6aräcaS ber ©it$ beS SBiStumS (©ti. ^afobi be 33enejuela) für baS ganje Sanb,
nact)bem biefeS bis babin bon ©oro aus (am ©olf bon 9Jcaracaibo) geiftltcfy bertoaltet
toar. 3m Sal^re 1803 mürbe GaräcaS §aubtftabt ber neu georbneten Ätrcbenbrobinj 30
(3JcetroboIitanfi|), melier bier ©uffraganbiStümer unterftefjen : @S finb SBarqutfimeto, im
^afyre 1847 als SDiöcefe gegrünbet unb 1868 mit einem 33ifcbof befe^t; ealabo^o, feit
1863 ©iöcefe, in toelcbe 1881 ein Sifd^of eingeführt mürbe; ©to. XomaS be ©utyana
in ßiubab SBolibar, bereits 1791 errichtet mit febr auSgebeb^ntem ©brengel nac§ ©üben;
5Keriba be 3)iaracaibo, feit 1777 35iöcefe, meiere eine bebeutenbere 9tngat;I bon ^farreien 35
beauffiebtigt als ber @rjbifcboffi|, in toelcber §inficbt bie Bistümer febr berfebieben er=
feinen (118, 104, 94, 60, 52 $f.). ^n ib^rem SSerr>äItntg jum ©taate batte bie latb.
^irebe manche neuzeitliche Slnorbnung b,injuneb,men; fo 1839 bie 2hrfl)ebung ber Älöfter,
1873 bie Bibüebe famt ^ibilftanbSregifter, ja 1874 auf einige 3ett bie 3lufrtcbtung einer
„^Rationalnrcb^e". 40
©uret) bie ©ulbung ntcbtlatbolifd^er ©emeinf haften !am eS jwar giemltc^ balb §ur
§erfteßung einer angli!anifcf;en ©emeinbe, fbäter ju jtoei ^reSb^terianergemeinben unb
einer metbobiftifcfyen, baju einer §oßänbifd()=reformierten. @rft 1894 aber bilbete fidj eine
beutfetje ebangetifd;e ©emeinbe, meiere fiel; 1902 ber breufjifihen £anbeSfirct)e anfcblofe.
"sebod) !onnte fie fief) nicht Iräftig meiterentmicfeln, ba um bie ^abrfmnbertmenbe bie 45
ftaty ber bortigen ©eutfeben jurüifging; fie befi^en eine ©cfyule, meiere gebeizt. 3m
ganzen toerben etma 7000 ^ßroteftanten im Sanbe fein.
©er Unterricht ber aSoIfSfihuIe ift jtoar gefefelict; obligatorifcb; unb unentgeltlicb; ; boct;
ift bie grofje SERebrb^eit ber SBetoofyner beS SefenS unb ©cbreibenS unlunbig. ^mmerbin
gab eS 1891 bereits faft 2000 2MfS= unb 59 3Rittelftfmlen, aucb, 5 Sebrerfeminare unb 50
eine Uniberfität neben 3 anberen toenig entmidelten §ocb,fcb,u!en. ©ie Hlerüer erhalten
natürlich in ben 5 ^riefterfeminarien ber SDiöcefen ibre StuSbilbung. SS- ©ö^.
SSerbefferung^mtftc, bie feeffifefien. — S£)r. ü. Hummel, ©efcbidjte öon Reffen
33b 6 u. 7, Gaffel 1837. 1839; $. &eppe, 3Me einfütirung ber SSerbefferungäpunfte in Reifen
uon 1604— 1610 unb bie (Sntfte^ung ber t)effifd)en ttrdjenorbnunq Don 1657, Raffet 1849; berf., 65
ßird)engefcbid)tebeiber£efjen, 2 33be, Warburg 1876; 91. §-. ß. SSilmar, ©efdiidjte b. ßonfeffionl=
ftanbeS ber eo. Stiriie in $e))m, bef. in |)effen=.^affei, 2. Vlu§g-, ftranff. a. W. 1868, S. 164 ff.,
tjier finbet ftd) bie fe6r auögebe^nte jeitgenbffifd)e Siteratur über bie SSerbefferungäpunfte 6. 306
494 SerfceffermtgSpmtfte
Bis 335 jufannnengeftellt; über bie ^erfönlicfifett be§ Sanbgrafen 9Jiori£ unb feine $olitif
ugl. ben 2(rt. oon ßenj 9lbS3 22, 1885, ©. 268-283. Suleljt erfdjien ®. SBautnann, ®ie
Einführung ber S3er6efferung§punfte in Reffen: Slffgem. @öangelifcfj=Sutl3erifcfje Sircfjenäeitung
1906, 9?r. 1. 2. Eine neue Bearbeitung be§ S£(jema3 unter emgetjenber 33eriicEftcf)tigung ber
5 poltttfcfjen ©efdjtdjte ift erttumfdjt.
Qn ber ^effifc^ert ^ircbe ruaren im ReformationSjettalter neben ber 2lugufiana bon
1540 als Sefyrnormen in ©iltigiett bie Söittenberger $oniorbie (Concordia Buceri,
1536), ber granffurter SFEejefe (1558), bie Raumburger fßräfatto (1561), unb baS corpus
doctrinae Philippicum. £)ie Pfarrer mürben auf letzteres „beftellt unb angenommen"
10 (feit 1561), bie SDottoren ber Geologie auf bie 2Iuguftana bon 1540 beipflichtet, $m
Qa^re 1566 mürbe bie bon 2lnbreaS £r/periuS aufgearbeitete $ird)enorbnung publiziert.
Racb>em Sanbgraf $l)ilipp ber ©rofsmütige im ^al)re 1567 geftorben, mürbe Reffen
unter feine ©öb,ne geteilt: Sanbgraf SBU^elm (geft. 1591) empfing bie^älfte beS SanbeS
(Rieberbeffen, Gaffel), Submig (geft. 1604) ein Vierteil (Dberbeffen, Harburg), SßPty>
15 (geft. 1583) bie Riebergraffd)aft $a|enetnbogen (©t. ©oar), unb ©eorg (geft. 1596) Die
Dbergraffcfyaft $ai$enelnbogen (®armftabt). Saut beS ^efiamentS (§. Qfyx. ©a)minle,
Monimenta Hassiaca IV, Gaffel 1765, ©. 577 ff.) füllte eine gerotffe ©infyeit beS po!i=
tifcfyen Regimentes aufregt erhalten merben (begügltdE) beS SanbtageS, ber 12niberfitätS=
bermaltung, ber golterbebung u. f. m.) unb in fircblictjer £>infid)t bei ber hergebrachten
20 Serfaffung unb ber hergebrachten Sebre, bei bem 2lugSburgifcr/en SefenntniS unb ber
SSittenberger Jtonforbie, berr/arrt merben.
%xo^ ber SSerfdjiebenr/eit ber 6f;araltere unb ber fircfylidjien Richtung ber bier Srüber
mürbe anfangt ber triebe unb bie ©inigieit nicfjt mefentlicb, geftört. (SS botumentierte
fiel) ibje ©inigleit namentlich, in ber $iegenbainer ©rbberbrüberung (1568), mo unter
25 anberem über bie Slbfjaltung ber ©eneralfpnoben genauere Seftimmungen berabrebet
rourben, bem ©rlaffen einer neuen auf ber ©runblage ber Slgenbe bon 1566 auS=
gearbeiteten botlftänbigeren Slgenbe (1574) unb in ber Stellung, bie bie Sanbgrafen
unb bie bon ilmen im $ar/re 1576 in Gaffel berfammelte ©eneralftmobe bem %ox=
gautfcfyen Sucfye gegenüber einnahmen. SDiefe ©fynobe, an ben l)effifd)en 'jErabitionen
30 entfdjueben fefti/altenb, erklärte fid) — abgefefyen bon §unniuS — einftimmig gegen bie
in biefem Sucbe bertretene neue Stiftung, gegen bie angeftrebte Serbrängung beS corpus
doctrinae Philippicum, gegen bie ©r/tnbolifterung ber Ißribatfcfyriften SutberS, gegen
bie 23erbäct)tigung ber Sluguftana bon 1540 als variata unb befonberS gegen bie ubi=
quitiftifcbe ©brifiologie unb beren Serbinbung mit ber 2(benbmal)lSlebre.
35 2lnberS gestalteten fid) bie Serbältniffc, als ber auf Setreiben ber ©emaf)Iin SubmigS,
einer mürttembergifcben ^Brinseffin, 1575 berufene ^ßrofeffor 5tgibiuS ^unniuS, ein ebenfo
gelehrter unb fcfyarffmniger als ftreitbarer ^beologe, mebr unb mefr, unb namentlich
auf Submig unb bie Dberbeffen ©influfs geioann. 2tuf ben ben ©eneralfonbent ju Xrepfa
am 24. Robember 1577 borbereitenben ^onbenten unb bann aud? auf biefem felbft geigte
40 eS fiel), baf$ neben ber altbeffifd)en Richtung eine neue ultralutberifcfye toeite SBerbreitung
unb Slnertennung gefimben blatte, (gegenüber bem 33ergifc£)en S3ud)e, baS jur Beratung
borlag, einigte man fid) jroar nacb langen ©treitberfyanblungen barüber, ba^ bis ju beren
befinitiben ©rlebigung ber ©ebrauef) ber neuen Rebemeife in Setreff ber Sefyre bon ben
beiben Naturen %z\u ©f)rifti cingefteßt, bafs nur über il)re perfönlicb^e ©intgung in con-
45 creto gefproeben, ba^ bie £el)re bon ber communicatio idiomatum nidt)t borgetragen unb
alles Sßolemifieren berboten fein foUe (ber SErefyfaer 2lbftt)ieb abgebrudt: £>. §eppe, ©efeb-
beS beulten ^roteftantiSmuS in ben %afcm 1555— 1581 3.33b, Harburg 1857, ©.283
2lnm. 1), aber bie befinitibe ©ntfe^eibung, bie einer jufünftigen ©eneralf^nobe borbeb^alten
mürbe, ift mcf)t erfolgt. Sie 1578 in Harburg abgebaltene ©eneralf^nobe berfefjob fie
50 aber nicf;t blojs, fonbern erlannte ben consensus auej) nur an „unabbrücb, lieb, allen teilen
an ibren in biefem synodo getbanen (meit auSeinanber geb,enben) confessionibus" unb
über bie Stiragmeite biefer Reftriftion felbft erboben fia) bann auf ben folgenben ©eneral=
fpnoben neue ©treitigleiten (§eppe, ^© 1 ©. 387 ff.), ^m Qabre 1582 mürbe bie le£te
©eneralft)nobe gebalten; bie gortfübrung eines lircb,Iid)en ©emeinfcbaftSlebenS mar jur
55 Unmöglicbfeit gemorben. Siele oberbeffifdje S£b«ologen unter^eiebneten bie Jlonlorbien=
formel. Sanbgraf SBilbelm bon £effel=^affel unb fein Sruber Submig bon Dberb,effen
bertraten fortan unb jmar beibe mit boller (Sntfcbiebenbeit, entgegengefetjte Riebtungen.
5Der mäcbtige fegenSreicbe ©influf?, ben baS im ^ntrum SDeutfcbJanb gelegene unb nacb
Äurfacbfen größte proteftantifebe Sanb bis babin ausgeübt batte, mar jum ©cbaben beS
60 ^roteftantiSmuS infolge biefeS gftnefpdtS gebrochen. Sanbgraf SSilbelm feinerfeitS fcblofj
BcrbcffermtgSpunfie 495
fid) jeljt immer enger an bie reformierten Ideologen unb ^ircr/engemeinfcfyaften an, berief
biele ber in ©acfyfen Vertriebenen $b, ilibbiften in ijofye $ircf/enämter unb führte bie silgenbe
bon 1574 aucb, in ber ifmi im ^af>rc 1583 größtenteils jugefaßenen Diebcrgraffcfwft
Äa|cnelnbogen ein.
■Warf) bem lobe biefeS dürften begann eine neue ^Sfyafe ber ürcr/licfyen (Snttoicfelung 6
in §effen. Sanbgraf SDtoritj, ber ibm im Qafyre 1592 nachfolgte, tourbe angeekelt bon
ben unfruchtbaren bogmatif(|en ©treitigleiten feiner geit unb mar ber Überzeugung, baß,
um bie ebangelifd;e ftircfye ju beleben, ba3 Söort ©otteg ganz anber§ al§ bisher unb zu-
mal nacb, feiner foteriologifcfjen unb übertäubt feiner unmittelbar auf ba3 Seben toir!en=
ben ©eite bertocrtet werben muffe unb bie ^ircfye felbft einer neuen Reform bebürfe. io
ison biefem ©tanbbunftc au3 ift er bann aber ju DealtionSbeftrebungen gelangt, bie ifm
über bie bis bal)in in Reffen eingehaltenen ©renken toeit InnauSfüfyrten unb betoirften,
baß er bie ©ulbung bcs SutfyertumS in §effen ebenfo einfeitig auszufließen bemüht
toar, toie man in ©acfyfen ben BfyilibbiSmuS einfeitig auSgefcfyloffen |atte. SDcoritj mar
ein b,od)begabter unb energifdjier 9Jcann. ©el)r forgfältig, namentlich bon Tobias §om= 15
bergl unb ItaSbar ßruciger erlogen, fyatte er ftcb, in jungen Qafyren eine über alle ©e=
biete ber 2Biffenfcb,aft, aucf) auf baS tfyeologifdje fid) erftrecfenbe ©eler/rfamfeit angeeignet
unb fonnte mit 15 ^af)ren in einer bon ber tr/eologifcfyen unb b^ilofobljifc^en gafultät
mit ifym borgenommenen Prüfung glänjenb befielen, aud) befaß er eine nicfyt geringe
Serebfamfeit. 20
©eine eigene Berechtigung zu einem reformatorifc^en Borgern toar ifjmt nicf)t im
geringften zweifelhaft, er l)attc eine fyor/e Sluffaffung bon ben Deckten unb Bflicfyten, bie
ifym aU Ritter beiber tafeln unb als oberftem Bifcfyof be§ £anbe§ julämen unb fie toar,
toie burd) bie ganze ©trömung ber $eit, fo burd) bie Berfyältniffe, toie fie bamals in
Reffen borlagen, nod) genährt toorben. ©eit 1582, alSbie ©eneralftmoben aufhörten, toaren bie 25
toid)tigften ^irdjenfadjen ftatt an biefe, an bie fürftlid;e langtet unb bamit an ben £anbe§=
fyerrn gebraut toorben. älucb, bie ebiffobale Stellung ber ©uberintenbenten toar in ber
legten |$eit »telfad) beeinträchtigt toorben, fie toaren in mancher §inficf)t zu bloßen De=
ferenten b,erabgefunlen. Um feinen (Einfluß nocr) zu berftärfen, errichtete 9ftorit> 1599
ein mit ber ^anjlei in Gaffel berbunbeneä ®onfifiorium, bem er bie Prüfung, Slnftellung 30
unb S3eauffict)ttgung ber Pfarrer übertrug unb bann 1610 an beffen ©teile einen mit
allen ebiflobalen Deckten auSgerüfteten „abgefonberten (b. I). bon ber ^anjlei getrennten)
ßircfyenrat unb Honfiftorium" in SRarburg.
Sftandjerlei llmftänbe r)aben bie beabficr/tigte Deformation erfcfjtoert. Bor allem
fiel in ba<B ©etoidjt, baß ber größte Seil beS BolfeS ein ebangelijd)e§ Betoußtfein nod) 35
niefit befaß unb unfunbig be§ £efen<§, ntdjt leidet ju einer r)öt)eren ©tufe ber <f)riftlicr;en
©rfenntnig emborjub,eben toar. gn ber Slntaftung feinet $ultu§ unb namentlich ber
aus ben Reiten °^ borreformatorifdjien J&rcfye r/erübergenommenen geremonien unb
ber nod) bielfadj borf)anbenen unb bon nicf/t toenigen beref)rten Silber, fafj» e§ eine
toefentlic^e Beeinträchtigung feiner Religion. ®er Slbel neigte um fo mel)r jum Söiberftanbe, 40
ba er mit bem Sanbgrafen toegen be§ $atronatgrecl)te§ unb beö Umfanget ber ebiffobalen
Steckte im ©treite lag. 3" Dberb,effen aber toar bon ber früheren Regierung eine anbere
5iid)tung gebflegt toorben unb tourbe bon bieten mit ganzer Überzeugung bertreten.
Sanbgraf 2Jiori£ ift, fo lange fein Dr/eim Subtoig bon Harburg lebte, nur langfam
unb borfirf)tig borgegangen. Bor allem fucf)te er in biefer geit Seute feiner Stiftung 45
für bie oberen $ird)enämter ju getoinnen. @r berief unter anberen ben 1591 au§
Saufen betriebenen ©reg. ©cb,önfelbt jum ©uberintenbenten in Gaffel, ben ©eorg Dei=
mann, einen ©d)üler be€ 2lnbrea§ £>r/bertu§, jum ©uberintenbenten in 2lHenborf. ®er
erfte Berfucb, einer Deform aber, ben er 1603 in ber ganj unter fäcfyfifcfyen (Sinfluß
fteb,enben ©tabt ©d)mallalben unternahm, inbem er fyier ben Iateinifcb,en ©efang, bie 50
Silber, bie ßonfefration unb ©lebation beim Slbenbmal)! unb anbereS abgufcr;affen fud^te,
mißglücke ganj unb gar.
Slnberö fteate er fidj, aU im DEtobcr 1604 Sanbgraf Subtoig in Harburg geftorben
toar, nach, beffen SEeftament ba§ Dberfürftentum Reffen jur §älfte (bie 9Jlarburger) tr>in,
jur anberen Hälfte (bie ©ießener) feinem Better Subtoig II. bon ©armftabt jufiel. ^toar 55
latte ber Xeftator berorbnet, baß bie @rben bei Berluft ifyreS @rbe€ bei ber bem ftaifer
Äarl V 1530 ju 2tug3burg übcrgebenen l^onfeffion unb beren Stbologie berbleiben
feilten, aber Wloxify f)ielt bafür, baß bie bon if>m beabficb,tigten Deformen biefer Be=
ftimmung ntrf>t jutoiberliefen. 9luct> bie 2luguftana bon 1540 toar ja bon jeb,er in folcf)er
SBeife bezeichnet toorben unb fie aßein bie in Reffen offiziell eingeführte. Beftimmungen 60
496 aSerBcffcrung^unltc
jum Vorteile be§ neuen Sutljiertumg unb etma gar be§ llbiquiti3mu§ roaren aber in ba§
Seftament nic^t aufgenommen morben.
$m ^afyre 1605 liefe 9flori£ einen furzen cr}riftltcb,en Segriff über ba§ Srotbredien
Veröffentlichen unb führte eg bann fofort in Gaffel unb ben ©raffdjaften giegenfjain unb
5 ^ieberfatjenelnbogen unb tfvav faft oljme SSiberfbrucb, ein. $n erfter Sinie glaubte er
nun aber feine Deformation in Harburg, bem §auptbollmerf be§ Sutr/ertutmS, unb im
übrigen Dberljeffen jur ©urd^füfyrung bringen ju muffen, tinter bem 16. Sunt 1605
liefe er ben 9Jcarburger Geologen, unter benen al§ eifrige unb cfyarafterbolle Sutfyeraner
bie 5profefforen %oi). SBinfelmann (feit 1592), Saltb, afar 9Jcen$er (feit 1592, aud)@bfyoru§
10 ber ©ttyenbiaten), ber ©uberinienbent ^einrieb, £eud)ter unb ber 2lrd)ibialonu§ ^onrab
©ietrieb, hervorragten, befehlen, bie 2el)re bon ber llbiquität nicfyt ferner borjuiragen unb
bon allem janffüdtjtigen Söefen abjufte^en. 2113 hiergegen bon biefen Geologen ein
$roteft eingelegt mürbe, lief? er ifynen einige 2lrtifel jur ftrifteften 9?ad}ad)tung mitteilen unb
fie jur Sefolgung ber Sefcfylüffe be3 'jErefyfaer ©eneralfonbenr» unb ber nacf)folgenben
15 ©eneraiftynoben ermahnen.
$Diefe fog. Serbefferungsbunfte, bie eine meütragenbe Sebeutung erlangt
r)aben, beftimmten: 1. „bafe bie gefährlichen unb unerbauUdjen $Dis>butatione§ unb ©treit
Von ber ^erfon ßfjrifti eingebogen unb Von ber SlHentfyalbenfyeit ßfyrifti unb mag berfelben
anhängig ift in concreto, al<8 „ßt)riftu§ ift allenthalben", unb ntd)t in abstracto „bie
20 ajfenfcfyf/eit 6f>rifti ift allenthalben" gelehrt; — 2. bafe bie gefjn ©ebote ©otte3, mie fie
ber £>err felbft gerebet . gelehrt unb gelernt, unb bie nod) bom ^abfttum an etlichen
Drten überbliebenen Silber abgetfjan ; — 3. bafe in ber 2lbminiftration unb ©ebraud) be§
1)1. 2lbenbmab,I§ ba§ gefegnete Srot nacb, ber @infe|ung be§ §erm foUe gebrochen merben"
(§ebbe, Serbefferungsbunfte ©. 15). — ©tatt biefer brei gäflen einzelne Slftenftüde, in=
25 bem fie ben Reiten SlrtiM in jroei (de abolitione imaginum unb de redintegratione
decalogi) gerlegen, toter Serbefferungsbunfte auf.
©afe eS fieb, in Söirflicbjeit nicfyt blofe um biefe brei refb. toter Slrtifel, fonbern um
eine biel ioeiter greifenbe Deformation, mofür biefe 2lrtifel bie 2lnfnübfung3bunfte fein
follten, feanbelte, fonnte ben @inftd)t3bolleren ntdjt Verborgen bleiben. ®ie SJtarburger
30 Geologen legten atebalb einen motivierten ^ßroteft ein unb machten geltenb, bafe fie bei
ifjrer Stnnafyme auf bie ©tmobalabfcfyiebe nict/t berbflid)tet morben unb biefe überfjaubt
ntebt giltig feien, bafe bie anbefohlene (Einteilung be3 £)efalog§ bem $ated)i3mu<o SutfyerS
jumiberlaufe unb ba3 Srotbrecfyen ber StbenbmaljlSlefyre 6albin3 Sorfdmb leifte. ©er
Sanbgraf mar aber feft entfct/loffen biefen SBiberftanb ju brechen. ^acfybem er jubor
35 mit ben toier genannten Geologen berfönlid) aber bergeblid) unterfyanbelt fyatte, befretierte
er beren Slbfetjung. — 2lber nun erl)ob fieb, eine immer ftürmtfcfyer merbenbe Seroegung.
®ie Sürgerfctjaft f d)arte ftet) um bie ifyr teuren ©eiftlidjen, bie ©tibenbiaten forberten il)re
©ntlaffung. Sergeblid; bemühten fieb, bie ©uberintenbenten ©cfyönfelb bon Gaffel unb
©cf/oner bon 3^g^^flin> bie SJioriij nad; Harburg berufen Batte, bergeblid) aud» 9)lori^
40 felbft, ber an bie ^Bürger unb ©tubenten 2tnfbrad)en b,telt, bie ©emüter ju befd)tr>id;tigen.
yiaä) ber Slbreife beä Sanbgrafen lam e§ am 6. 2tuguft ju einem 3lufruf)r. ®a§ Soll
brang belnaffnet in bie ®ird)e, in ber ©djoner über bie SerbefferungSbunlte brebigen
follte, mipanbelte i^n, ©d;önfelb unb anbere ©eiftlid;e auf greuli^e 2Beife unb rüftete
fiel), ebentuell auä) bem Sanbgrafen felbft Söiberftanb gu leiften. 2tber fcb,on in ber nädjften
45 Dadjt rüdte biefer r/eran, befehle ba§ ©d)Io^ unb gog bon allen ©eiten Srubtoen b, erbei,
bie Sürgerfd)aft rourbe gelungen, fieb, ju untermerfen, unb mürbe entwaffnet. 3lm
9. Sluguft mürben aHe Sürger jum ©otte^bienfte befohlen, nad) beffen ©cb,luffe ber £anb=
graf eine Ijerjbemeglic^e Slnrcbe b^ielt unb fofort aHe Silber au§ berHird;e entfernen liefe.
2lm folgenben ©onntage mürbe ba§ fjl. Slbenbrnaf»! nad; reformiertem Diru? gefeiert,
50 ber Sanbgraf nab,m baran teil, ©d^liefelicb, mürben auf Sitten ©ct)bnfelb§ biejenigen,
bie al§ 2lufrüb,rer gefangen gefe|t maren, begnabigt, aber nur äufeerlicb, mar baburd) bie
Dufie mieberb,ergefteUt. — 2tuc§ in anberen teilen Dberf)effen<§ unb felbft in 5JJieberb,effen
erfyob fieb, je|t ftarler SBiberfbrucb, gegen bie @infüf>rung ber Serbefferungöbunlte. Söeber
Unter^anblungen nod; Serfjöre unb ©rofwngen moHten fruchten.
55 lim burdjgreifenbere TOaferegeln borjubereiten, berief nunmehr 9Jtori£ im ©ejember
1605 bie ©uberintenbenten unb Sanbbögte ju einem ^onbente nad; Gaffel. ®iefer fd;lug
bor: 1. bie ©rlaffung eine§ 9Jtanbate<§, burd; ba§ bie ©uberintenbenten unb meltlicfyen
Seamten jur ©infü^rung ber SerbefferungSbunfte autorifiert mürben; 2. bie gulaffung
jum 1)1. 3lbenbma^Ie aud) fo!ct)er, meiere bie ^effifd^e Slbenbmaipiefyre nicb.t accebtierten,
go gu geftatten; 3. bie ©infüf)rung einer nod; ju beranftaltenben ©ammlung bon ©ebeten unb
2krf>efferung&|mnfte 497
©efängen in allen ©emeinben unb eines auf ber ©runblage ber alten agenbarifd)en
Statte unb beS lutfyerifdjen $ated;iSmuS auS^uarbeitenben SanbeSratednSmuS ; 4. jur §ör=
berung ber ®onfolibation ber Reformen bie @inrid;tung eines ÄonfiftoriumS in Harburg,
©ie DJtonbate Würben alSbalb erlaffen, bie Ausarbeitung beg J!ated;tSmuS unb ©efangbud)eS
in Angriff genommen (£>ebfce ebenb. ©. 41 ff.). — 211S aber ber äBiberftanb, unter 5
anberem namentlich ber beS 2lbelS an ber SBerra, fortbauerte, aud; bie (Entfettung bon
jeljm oberf)effifd;en ©eiftltcfyen nid;t abfcfyredte, unb in ben ©emeinben immer größerer
©treit mit i^ren Pfarrern ficr) erfyob, überhaupt bie SerWtrrung fid; nur fteigerte, ent=
jcr/lof} ficb, ber Sanbgraf, bie fr/nobale Debräfentation ju §i(fe ju nehmen, bon ber er
bi§ bar/in ganzer; abgelesen blatte. @r berief juerft auf ben 17. Januar 1607 S)iöcefan= io
fimoben nad; Gaffel, @fd;Wege, SRarburg unb ©t. ©oar, auf benen eine ftarfe Majorität
ficf; für bie Serbefferungsinmfte erwarte, unb bann auf ben 12. 2fyril beSfelben Igal;reS eine
©eneralfr/nobe nad) Gaffel. SDiefe entfaltete im ^ntereffe ber Reformen unb ber §erftetlung
einer ©infyeHigfeit in SMtuS unb £el)re eine reiche ^Ijätigfeit unb fajjte ben Sefd;luf},
bafj ber 1605 fd;on Vorbereitete unb bom Sanbgrafen nad;malS bereite rebigierte ltate= 15
dnSmuS allgemein in Reffen eingeführt werbe. ®er Sanbgraf liefe tr)n, nacfybem er nocf;
einmal nad; ber ©tynobe rebibiert Worben War, 1607 unter bem %\kl „®inberlel)re für
cfyriftlicf/e ©ctmlen unb Hircfjen in Reffen" brucfen unb publizieren. ®ie ©fynobe ber=
fügte ferner bie Verausgabe eines ©efangbud;eS unb infolge bicfeS Sefd)luffeS erfcfnenen
unter ber Autorität beS Sanbgrafen 1607 bie ^falmen SobWafferS unb bann 1612 baS 20
erfte twUftänbige 4)effifd;e ©efangbud), in bem neben ben ^falmen aud; bie bisher bom
Volle gefungenen Sieber Aufnahme fanben. Sie ©imobe berfafete ferner ein SefenntniS
in fecfyS 21rtifeln, burd; baS bie r/effifd;e Htrc^e öffentlid) ifyren 2lnfd;Iufe an bie refor=
mierte &ird;e bofumentierte. @S b/anbelte über bie alleinige Autorität ber 1)1. ©cr/rift, bie
(Einteilung beS SDelalogS, baS Silberberbot (3lbfcr)affung ber Silber), bie Seb/re bon ber 25
^erfon ßbjifti, bon ber ^ßräbeftination unb bem 1)1. 3tbenbmaf)I. -Jcacfjbem btefeS Se=
fenntniS bom Sanbgrafen genehmigt Werben, erfd)ien eS nod; 1607 unter bem Slitel:
„Sfyriftlict/eS unb richtiges ©laubenSbefenntniS beS jüngft in anno 1607 ju Gaffel in
§effen gehaltenen synodi generalis" 2lufeerbem traf bie ©r/nobe 2lnorbnungen über
dmfüfyrung bon ^atednSmuSbrebigten u. f. it>. (£ebbe ebenb. ©. 64 ff.). 30
Unmittelbar nad; ber ©eneralf r/nobe begab fid; Sftorit*, bon ©d)önfelb unb mehreren
Späten begleitet, nad; SlKenborf unb (Efcf/Wege unb berfyanbelte mit ben renitenten ©eift=
liefen unb bem renitenten Slbel ber Söerragegenb. Silber er War, geftüijt auf ein ©ut=
achten mehrerer tb/eologifct/er gafultäten, nur jur Slnerlennung be§ jroeiten 93erbefferungS=
fünftes, unb jroar aud) nur bebingungSroeife, gu bringen. ©d)Iie^lid} rourbe eine Slnjaf»! 35
bon Pfarrern entfe|t unb etliche gefangen genommen unb feftgefyalten bi§ fid; ber SCbel
unterwarf. — Stijmlicfyem SOßiberftanbe begegnete Wloxxfy im ©tiftslanbe §erSfelb. — ®cr
bartefte ^am|>f erbob fid; in ber £>errfcfyaft ©d;malfalben unb §at ^e^>n ^ab^re fid;
fjingejogen. $n ber ©tabt ©d;mallalben felbft lam e3 ju einer 3SolfSer§ebung, bie mit
Sßaffengetoalt niebergemorfen werben mufste; bie Silber lonnten au$ ben üiref/en nur 40
unter bem <5d)u%t ber 9JluSfetiere entfernt werben. — 2tud) nad) folgen SRa^regelungen
regte fid) in ben eben genannten ©egenben unb in Dberl)effen namentlich in ben ©täbten
granfenberg, Äird^ain, %xfy\a unb Harburg immer aufs neue D^ofition. (Sine
Unterjud^ung in Marburg ftellte feft, ba^ bafelbft nod) 264 Renitente Waren. ®ie
Verwirrung War gro^ unb ba§ ürdjlidie Seben für lange 3«it tief gefd)äbigt. Siele &
blieben bem 2tbenbmal)l§tifcf/e fern ober lommunijierten, Wenn fie an ber ©renje Wohnten,
augwärtä. — ©er Sanbgraf b>t in ben näd^ftfolgenben Sauren, unb jWar gerabe aud; im
^ntereffe ber Sefeftigung feiner Deformation, bem ©d;ulWefen gro^e 2lufmerffamfeit ju=
getoanbt. ©aS bon ib^m (1599) errichtete collegium Mauritianum in Gaffel ber=
ioanbelte er 1618 in eine 9Utterafabemie, in ber aud) über Geologie gelefen Würbe. 50
Unter bem 6. Januar 1618 erliefe er ein neues Degulatib, ba§ auf ben ©runbfä^en bee
SBolfgang Datid)iuS unb ^o^anneS ©türm bafierte, für bie ©tabtfdwlen. Wad} Gräften
trug er aud; für ben Unterricht in ben ©örfern ©orge. ©eine Sefdjidung ber ®orb=
rechter ©tmobe aber, Wo ber §eibelberger ßated;tgmu§ als SelenntniSbud) ber gefamten
reformierten ^irdje anerlannt würbe, bewirfte, bafe biefer ^ated;iSmuS in ben r/öderen bö
Spulen unb in bielen ©tabtfd;ulen in ©ebraud) genommen Würbe.
§anb in §anb mit biefen Iirc^lid;en Itäm^fen gingen nun aber aud; politifdie unb
bann auefr; frieg'erifd;e unb biefe gefäfyrbeten nict)t nur bie gortejiftenj beS Äaffeler gürften=
tums, fonbern führten aud; in bielen ©ebieten §effenS, namentlid; Dberb^ effenS, eincsJteaf=
tion ju ©unften be§ Sutl)ertum§ Jjerbei. SubWig V bon SDarmftabt (1596—1626), ber 60
8Jcat=®tici)(lopäMe für ttieotofllc unb Stivd)e. 'A. %■ XX. :;o
498 SßerBeffcrMttg^wnftc SSerbantmtuS
2ftiterbe DberfyeffenS, mar eifrig bemüht, bte ©tellung fetner Sinie, bie nacb, bem
%eftament $f)ilibi>S beS ©rofjmütigen nidjt berechtigt toar, bei ber oberften Seitung ber
fyeffifcfyen Sanbe in jeber §tnftcf)t mitjutüirlen, ju rieben, gunädjft toroteftierte er gegen
baS ^eftament SubmigS bon 9Jcarburg unb forberte, eine Teilung DberfyeffenS nacb,
5 köpfen berlangenb, einen größeren Sintert als bie ^raffte. 3tlS bann ein 3tufträgal=
gerieft gegen feine Slnfbrücfye entfcfyteb, fucfyte er bte bureb, bie Reformen beS Sanbgrafen
SJJcorttj gefdjaffene Honfteßation ^u feinen ©unften auszubeuten. @r erlannte nun bte
teftamentarifdjen 33eftimmungen beS ©rblafferS an, aber nur um jettf baS ganje Dberfürften=
tum für ftcb, in 2lnfbrucf; $u nehmen, ba 9florit5 bie 33efttmmungen auf fircbjicfyem ©ebtete
10 berieft I?abe. @r fcfylofj fiep enger unb enger an bte Iutfyerifd)en RetcfySftänbe unb an ben
römtfcfyen $atjer an unb lämbfte im SOjä^rigen Kriege auf beffen ©eite. — Sie erften
SRafjregeln, bie Submtg, abgefeb,en bon einer Slntlage bei bem 9teicr/Sl)ofrate, ergriff, be=
ftanben bartn, bafj er bie in Harburg auSgemiefenen ^ßrofefforen beranlajjte, ftcb, nacb,
©armftabt ju begeben unb feinen ©rfm| für ftcb, unb ifyr 33efenntntS anzurufen, unb in
16 ©iefjen, erft ein ©r/mnafium (Oft. 1605), an beffen ©£i£e er $or/. Sötnfelmann fteHte
unb (7 Dft. 1607) bann eine httfyertfcfye ©egenumberfttät, an bie er unter anberen
§. £eucf)ter unb 33. 3Ren|er berief, eröffnete. SBeiter bestimmte er bureb, eine 1607 er=
laffene ©eftnitorialorbnung, ba$ fortan alte ©eifilict/e auf bte unberänberte SlugSburg.
^onfeffion, bie ©cljmalfalbifcfyen Strtifel u. f. m. berbflid;tet merben follten. — $m gafyre
20 1623 erflärte ber 9tetd;Slj)ofrat ben Sanbgrafen 3Rori| feinet (SrbeS für berluftig. ©ie
^urfürften bon $öln unb©ac§fen, bie mit ber ©rdutton beS Urteilt beauftragt mürben,
befehlen in ©emeinfdjaft mit liguifttfdjen STrubben unter %iüt) Dberfyeffen unb 3rttebcr=
treffen, ©ie reformierten ^3rofefforen unb Pfarrer mürben abgefegt unb groet ^afyre
fbäter bte lutfyerifdre Uniberfttät bon ©iefjen nacb, 5Rarburg berlegt. 9cieberfyeffen,
25 mit StuSnafyme bon Äaffel unb llmgegenb, mürbe als ^ßfanb für bte @ntfcfyäbigungS=
gelber, gu beren gafylung ^Rotty berurteilt mar, mit ^rublpen belegt, Dberb,effen
aber jum lutfyerifdren 33efenntniS gurüdfgefü^rt. 3Jcorit5, bureb, all baS Unheil,
baS über baS Sanb unb ilm gefommen mar, gang gebrochen, entfagte 1627 ju
©unften feines ©ofmeS Söilfrelm ber Regierung. SDiefer, 2Btlf)eIm V., fab, ftcb, ge=
30 nötigt, noeb, 1627 mit 2. ©eorg II. bon SDarmftabt (1626—1661), SubmigS V. %lafy
folger, einen Vertrag abgufd)Iief$en, bureb, ben er auf Übertreffen, ©drmalialben unb
bie 9Jiebergraffcfyaft &a|ene!nbogen berjtdrteie. Stucb, in biefen beiben SanbeStetlen mürben
nun bie reformierten $rebiger berbrängt unb ber lutfyerifdje ÄultuS unb baS lutl)erifd;e
33e!enntniS eingeführt.
35 (Sine beffere $eit febjen für §effcn=$affel auf jugeb,en, als ©uftab 2lboIf bon ©cb>eben,
an ben fieb, 2ötlb,elm V. mit ganzer Gntf^iebenb^ett anftt)Io|, in 2)eutfcb,Ianb erfcb,ten. 31IS
bann aber nacb, beffen %ob alSbalb mieber eine unglückliche äöenbung für bie ©acb,e beS
^3roteftantiSmuS eintrat, mürbe in erfter Stnie aueb, baS reformierte Reffen in ?OZitIetben=
fcfjaft gefegt. ?cieberb,effen mürbe unter bie 2lbminiftration ©eorg II. gefteHt. Söilfyelm
40 ftarb geächtet unb als ^"$^"0 'n £eer- — SlnberS unb glücflicb^er geftalteten ftcb, bie
SSerfyältniffe unter ber äßttme SffiilklmS V., ber Sanbgräfin Slmalte ©lifabetb,, bie als
SSormünbertn ib,reS ©ob,neS 2BiIb,etm bie Regierung übernahm, ©ie befiegte in mehreren
treffen ©eorg II. 3) er Siertrag bon 1627 mürbe aufgehoben unb bagegen (14. Slbril 1646) ein
@inigreitS= unb %UgungSbertrag, ber im DSnabrücfer ^rieben beftätigt unb bmfy einen 9tejej$
45 ergänzt mürbe, abgefcb, loff en ; §effen=Iaffel mürbe mieber in ben 33efi£ ber 3)iarburger §älfte
Dberb,effenS, ©cb, malfalbenS unb ber 9ciebergraffcb,aft gefegt. ®er gri^enSfcb^lu^ garantierte
in firrf)licb,er §inftcb,t ben status quo, b. b,. bie genannten SanbeSteile blieben lutb,erifcb,.
3u ©unften ber menigen Reformierten, bie fieb, bort noeb, fanben, mürbe nur baS auS=
bebungen, ba^ fte ftä) ju ©emeinben äufammentb,un bürften unb gemiffe ßircb,en refb.
so tbjen 3)iitgebraud; unb b,ier unb bort gemiffe ©tnlünfte §u beanfbrua)en Ratten, ©emäfe
eines Vertrages bom 19. gebruar mürbe baS UniberfttätSbermögen geteilt. Slm 5. 9JJat
1650 mürbe in ©iefjen eine Iutb,erifcb,e unb im ^uni 1653 in Harburg eine reformierte
Uniberfttät errietet. 3lm 27. ©ejember 1657 mürbe bon Sanbgraf Sßilfyelm VI. eine
auf ber ©runblage ber alten fyefftfcfyen Jlircfjenorbnungen im mefentlicb,en reformiert ge=
65 b,altene, aber mit Rücfftcfit auf bie lutb, erifcb,en SanbeSbemofmer aueb, biefer ©eite möglic^ft
Rechnung tragenbe ßirc^enorbnung für bie ©efamtlanbe §effen=ÄaffelS bublijiert, aber in
übertreffen fam allgemeiner als biefe bte ©armftäbter ^ircb,enorbnung bon 1562 in ©e=
braud). (g. gs. #affeitc<mtt>) S. Wirbt.
»eri>amntm§ f. b. 3t. §öllenftrafen 33b VIII ©. 199.
Serben, StStum 499
Serben, Si§tum. — Chron. ep. Verdens. (Don 786— 1482) bei Seifcnij, Script, rer.
ßrunsv. II ©.211 ff.; Ser. episc. MG SO XIII <5. 343; £cutct, ®© 2>eutfcfjlanbs II 6. 390 f.;
3f. "SMdjmann, Unterfudjungert j. älteren ©efdj. be§ 93i§tum§ Serben, ©ött. 2>tffert. 1904.
@§ giebt feine ^uberläffige -iRacfyrtdjt über bert Urftorung beg SiStums Serben. groar
ift eine Urhmbe Raxlä b. ©r. bom 19. ^uni 786 erhalten, nad) melcfyer er ju Serben 5
ein SiStum grünbet unb e£ auf SBefel^t be§ Sabftel ^abrian, be§ @S. Sul unb ber
übrigen Sifd)öfe unb auf ben 9tat 2llfumS einem ^ßrtefter 3^amen§ ©uitbert übertragen,
feine ©renken beftimmt unb e£ 3Jtain^ untergeorbnet I)at (Dipl. Karl. I ©. 333 ff.
jlx. 240). 2tber biefe Urfunbe ift eine gtoetfellofe gälfct/ung, angefertigt erft 1155—1157
(f. Xangl in ben «Witt. be3 gnft. f. Dfterr. ©efd). XVIII ©. 53 ff). £>a e3 unmöglich 10
ift, ed)te Seftanbteile au^ufonbern, wie §üffer, Äorbefyer ©tubien ©. 154 ff. unter=
nommen t)at, fo ger)t il)r für bie @ntfter/ung beg Si§tum§ jeber Söert ab; fie r)at nur
33ebeutung für bie Seftrebimgen ber Serbener S3tfct)öfe im 12. ^afyrr/unbert. SRit ber
Urfunbe fällt ber angebliche erfte SBifd^of ©uitbert ; er ift lebiglid) eine Serbobbelung be§
(Stifters bon ÄaiferSroert. ^Dagegen ift bielleid)t ber jtuette 9tome ber 33tfcr)of§reifye 15
bjftorifd). @r lautet t)ter, Wie in ber Chron. ep. Verd. ©batto; ©batto Wirb in ber
ßfyronif als abbas Amarbaracensis ober Amarbacensis bejetdmet. SDaS Softer
fann nur in bem frcinfifcfjen Softer älmorbacb, Wiebergefunben Werben. sJlun fyaben bie
Ann. necr. Fuldens. j. 2. Quni 788 eine 9ioti^ über ben SEob beS 93tfdt)of^ SacificuS
(SS XIII ©. 168). Son einem Sifdpf biefeS 5ftamen<§ ift ntct)t§ befannt. SDiefe ber= 20
fdnebenen 3^otijen r)at juerft 3- ®- D- ©cfart in feinen Comment. de reb. Franc.
Orient. I, 1729 ©. 698 fombiniert. @r lofte ©batto auf in s. Patto, erflärte Satto
für Stbfürjung bon SacificuS, gewann baburd) einen 2Ibt bon 2tmorbad), ber §ugleid> Stfd/of
toar, beffen 2lufnar)me in baS gulbifd)e SEobtenbud) mcfytS Unmögliches I)atte. ©ine ge=
toiffe ©tü$e erhalten biefe Vermutungen babureb,, bafj ber näcbfte 9iame ber Serbener 25
33ifd;ofSlifte Sagfo, ^fyanco, in ben Ann. necr. Fuld. ju 808 in ber gorm ^Eanud/o
ober ®anud)o ftcb, finbet (©. 470). Dftmmt man fie an, fo gewinnt man bie Sorftellung,
bajj bie ©egenb um Serben bem lüofter 2tmorbad) jur -üftifftonSarbeit überWiefen mar
unb bajj $arl nad) einiger $eit bem 2lbt bei ÄlofterS als bem Seiter ber 9Jftffion bie
©teEung eines SifcfyofS übertrug. 30
©od) ift auef) ber urfbrünglidje ©i| beS SiStumS nid)t fid)er. ©td)er bezeugt ift
SSerben gegen bie SDtttte be<§ 9. ^ab,r^unbert§ burd; 9timbert Vita Ansk. 22 ©. 47 unb
burd; bie Urfunbe SubwigS b. 35. t>om 14. ^uni 849, 33. 3R. 1353. jüngere fäd)ftfd)e Quellen
feit bem 13. ^ar/rfmnbert roiffen bagegen bon einer urfprüngüd)en ©rünbung bei 33i§=
tum§ in Sarboroief unb ber Verlegung nad) Serben i. $• 814 (De fundat. quar. Sax. 35
eccl. bei Seibnij I ©. 260, 5Rieberbeutfd)e ß^ronif bon Sarberoief bei Seibnig III ©. 216).
Gine ©tü|e für biefe 9?acf;rid)t glaubt man barin ju finben, baf$ im Liber censuum
ber römifc|en ^ird)e botn @nbe be§ 12. $ab,rl)unbert!§ Sarbotoief all ©uffraganbiStum
bon Bremen genannt ift (2lulgabe r>. ^abre I ©. 166). SXber ba^ man in 9tom um
1190 annahm, e§ befteb,e bamalä in Sarbotoief ein Stetum, giebt fein iföecr/t gu ber 40
Vermutung, el ttabt ftdt) in JRom bie ^unbe bon ber urf^rüngtidjen ©rünbung be§
33i§tum§ in Serben erhalten. SDie fäd}fifd)en ^ao^ricfjten au§ bem 13. Qa^rfiunbert aber
finb ju jung, aU bafs fie für eine X§atfad)e be§ 8. irgenb in Setradjt fommen fönnten.
®ag ©Ieid;e gilt t-on ber 9iad)rid)t ber ©äd^f. 2öeItd)ronif c. 137 (MG ©eutfd;e 6b,ron. II
6. 152), bafe ba§ SiStum in S?Dt)enbe b. i. Äufyfelbe im ^r. ©alätoebel gegrünbet toorben 45
fei. ©afj bie gefälfdjte ©tiftung§urfunbe Serben al§ ©i£ be§ 33iötumg nennt, mad;t
jiemlicr) fid)er, bafj e§ in ber SJcitte be§ 12. ^a^rf)unbert§ feine ^rabition über bie
©rürtbung in Sarbotoief gab. ®ie barauf bezüglichen 9Zad)rid)ten finb erft nad; 1157
entftanben. 3Jian mirb banacb, bie ©rünbung in Serben al§ ba§ 3öat)rfdt;etnlidt)fte be=
trauten muffen. m
3u ber Serbener ©iöcefe gehörten bie ©aue 9Jlofibi, Sarbengau, ©rebani, Dfter=
toalbc. ©ie maren jum %til bon SOBenben bemo^nt. Unter biefen b,ielt ftdt) ba§ §eiben=
tum big ing 13. ^afyrfyunbert (f. ben Sf. ^onoriuö' III. an ^onrab bon Sorto, Söefif.
U53. V ©. 153 9lr. 324), roä^renb el bei ben ®eutfcb,en im Saufe be§ neunten ber=
fdjtnunben fein toirb. es
SiföofSltfte. «ßatto, geft. 2. ^uni 788; 2;agfo, geft. 808; ? ?; ^arutt), geft. 82'.);
§elmgaub 831 unb 838 erroedmt; 2Balbgar 847 unb 849 erro.; ©erolf 868 unb 873
ttto.; Söigbert 874 unb 895 erro.; Sernar I. — ; Slbalmarb, geft. 933; 3lmo(ong, geft.
962; Srunl. 962— 976; @rb 976— 994 ; Sernar II. 991-1014; 3Bid)er 1014— 1031 ;
Ibtetmar I. 1031—1031; Srun II. 103-1 — 1049; ©igebert 1049—1060; 3?icr,bert eo
500 Serben, «Bistum Scrbtenfl
1060-?; £artbicb ?•— 1097; ÜRago 1097—1117 (sie), Dietmar IL 1116—1148;
^ermann 1148—1167; §ugo 1167—1180; %ammo 1180— V; 3?ubolf ? — 1205; 3fo
1205—1231; Suber 1231—1251; ©erwarb b. £o»a 1251—1269; Slonrab b. Sraun*
fcb>etg 1275—1300; griebriefe. b. £onftebt 1300—1312; «RifoIauS Äettetyobt 1312—1331;
b ^o^ann b. ©Ölungen 1331—1341; Daniel b. Söidjtricb. 1342—1364; ©erwarb b. Serg
1364; «Rubolf 9tiu)Ie 1365—1368; ^einrieb, b. Sangein 1369—1381; ^obann
b. BefterfletE) 1381—1388; Otto b. Sraunfdfctoeig 1389—1395; SDietricb, b. 9Ke$m
1395—1399; ßonrab b. ©oltau 1399—1407; Ulrtd; b. Sllberf 1407—1409; ^einrieb;
b.£otoa 1409—1426; 3o$ann b. Styl 1426—1470; Sartfyolb b.SanbSberg 1470—1502;
10 Gbnftobfy b. Sraunfcb>eig 1503—1558. #auif.
SScrbicttft. — S. §• S3irtf), 2>er SBegriff be§ meritum bei Xertuüicm (2)iff.), Setyjtg
1892; berf., ®er SSerbienftbegriff in bet djriftüdjen ®ird]e nad) feiner gefd)id)tlid)en (£ntwtcfe=
lung bargefteüt, II. $er SSerbienftbegriff bei Sopran, Seipjig 1901 ; £>erm. ©djulfc, 3>er fittlictje
SSegriff be§ SerbienfteS unb feine ?lntuenbung auf baZ SSerftänbni§ beä SBerfeä Eljrifti,
iBXb@tK 67 (1894), (3.1—50. 245—314; S. ©tange, Einleitung in bie Stf)if II, Seidig 1901;
^aulfen, Softem ber St£)if, 2. ?lufl. 1891, S3ud) II, 5, 12; 2Beger=38elte, ttrdjenlerifon, 9lrt.
«erbienft öou tirfdjfamp XIP, 690— 694 ; grüner, £e£)rbud) ber fatt)olifdjett 9Jioraltt)eologie
2. Stuft. 1883: Mgm. Woraltbeologie 5 £ptft. §2: 2krbienftlid)fett (3. «uff. 1902 f.). Rur
Ergänzung »gl. 9t. ©nabe 93b VI, 717 ff., Sotjn S3b XI, 605 ff. unb Consilia evangelica
20 83b IV 274 ff.'
1. 2)er begriff SSerbienft (ba§), im religiö^etb/ifcfyen ©inne genommen bejeicfynet
einen funbamentalen ©egenfatj ber Jlonfeffionen, infofern er im 5tat|oIici§mus ba<§ Sßer=
f)ältni§ be§ SRenfdjen ju ©Ott recfyt eigentlich benennt, mä^renb er im ^ßrotefianti§mu3
für ba§felbe fd)Ied)tl>in abgelehnt roirb. 9tacb latr/olifcfyer Stnfcfyauung fyanbelt e§ ftdj
25 nämlid) in ber Religion barum, bafj ber 5Renfd; nad; bem ^obe bie etoige ©eligfett bon
©ott al§ Sofyn für feine SSerbtenfte empfange. Unter Serbienft finb b>r allgemein ju
berfteb/en: 2Serre, burd) bie ber 3Jcenfcb. freiwillig im SDienfte ©otteS eiWag geleiftet unb
einen 2lnfbrudj) auf Sofm erworben fyat. Son biefer Setrad?tung3Weife au§ ergiebt ftcfy
aber notwenbtg nod) ein anberer unb engerer Segriff bon Serbienft, nämlict; ber eines
30 2ßerfe§, meines über ba§ erforberltdjie Jcormalmajs b. I). auf fittlicfyem ©ebiete über_ ba§
^flidumäfjige fymausgeb/t. 2Bo bal)er biefe Sorfteüung begegnet, ba ift jener allgemeinere
SBegriff bon Serbienft borauSgefeijt unb miteingefdjloffen. ©emäjj bem aber, bafe faifyolifcfye
unb ebangelifcfye ©ittlicfyfett unb SWigiofität fid) aU bie bon SRenfcfyen gemachte unb erbaute
unb bie göttlid) gewollte boneinanber unterfdjeiben, finben mir jenen SBegriff bon Serbienft
35 auä) in ber bon ber dmftlidjen Offenbarung fid) Ibfenben @tb,il roieber. Samit ift jugleic|)
angebeutet, ba^ ber ganje 33orftelIung^IreiS, ber ficf> um ben Segriff „Serbienft" cjru^ptert,
legten SnbeS au^ercb.riftlic^er §erlunft ift. 21bgeleiteterweife erft ergiebt fi^ ba§ Problem,
ob unb wie ber Segriff Serbienft auf ßfyrifti Seiftung angetoenbet toorben ift unb ange=
roenbet Werben lann.
40 2. ®ie SBurjeln be§ religiöfen Serbienftgebanfenö liegen in ber jübifcfyen 3f?eIigiofität.
SSät)renb bei ben flaffifcfyen 3eu3en oer i^raelittfcfycn §-römmig!eit jeber ©eban£e an
menfcblicbeS SSerbienft burd; ben ©tauben an Israels ©rmäb^tung au^gefcbloffen unb nur
bie SRögüdjfeit offen gelaffen ift, bafc ein großer ^etl be§ Solfeö burd; eigene ©cb,ulb
ba§ ibm bon ^afoeZ ©nabe jugebad)te $eil berfeberje unb bem ©eridjte berfade, fo tritt
45 im nadjerjlifcben 3"oentume immer beutüdjer ber ©ebanle eine<§ 9te(f)t#beri)ältniffe§
jWifdien ©ott unb ben "üJtenfcfyen b^erbor, in roeldjem jtbar ©otteö freie ©nabe md)t böÜig
auSgefc^altet, aber botf) auf bie 3ufid;erung bon Sofm an bie ©uten unb frommen be=
fcb,ränft ift. 3noem gugletd^ bie ©nbboffnung meb!r unb mebj auf ba§ ^enfeitS geb^t,
Wirb bie bobbelfettige Sergeltung nad; bem iEobe ertoartet (®a 12, 2; 4. 6§r 7, 32 ff.).
50 ©a§ Sud) %obht) ift ein tbbifd)e§ ^eugniä für biefe jübifd)e 3lnfid;t bon bem religiöfen
Serljältniffe unb Serb! alten; benn alle feine Ermahnungen finb auf ben S£on geftimmt:
idv dovfavorjg xcp §ec5, änoöo&rjoezai aoi 4, 14; jene3 ©ott bienen erfolgt aber
b>ubtfäd;Iicr/ burd; Seten, gaften unb 2tlm ofengeben. Sorau§fe^ung bafür ift ber ©e=
banfe ber menfdjlicfyen 2öillen§freif)eit, Wie ib^n ^falm. ©alom. 9, 4 f. au§jbred)en. Se=
55 fonberg eingeb^enb unb folgerichtig finb biefe %bem in ber talmubijd)=mibrafifd;en %tyo--
logie auögefübrt (2Beber=©d)nebermann, ^übifc^e 5£^)eoIogie 2. Stufl. 1897, § 59—66).
S)a§ ©runbfe^ema für ba§ religiöfe Ser^alten be§ SÖtenfcben ift bie<S, bafe er erftenS burd;
©rfüEung ber ©ebote, jWeitenS burd) gute2Berle (sc. afö überbflic^tige freie Seiftungen),
bie rrß| t>or bem göttlichen 9tid)ter getoinne. 3" biefem Segriffe finb aber bie ?toei
üBerbtenft 501
Momente enthalten, baf? ber göttlichen $orberung ©enüge geleiftet toorben fei, unb bafe
man infolge beffen ein meritum, 2lnfbrud) auf Sol)n l)abe (SGöeber ©. 277. 79). Gt)aral=
teriftifd; ift Inerbei ba§ atomtftifdje gälten unb 2Sägen ber einzelnen Seiftungen, ber
guten tüte ber böfen, ber menfd;Hd)en toie ber göttlichen. 2Bie fid) bie Seiftung meffen
unb toägen läfjt, fo aucr; ber Solm 0=?). „$n biefem ©eben unb (Empfangen, Seiften 5
unb ©egenleiften boßjieb,t fid) ba§ ©emeinfdjaftSberfyältniS gtoifd)en ©ott unb ^Srael"
(1. c. ©. 304). Sefonberg touf/tig unb folgenreich, finb nod) bie gtoei ©ebanfen, einmal,
bafj aud) für bie grunblegenben £eil3tfyaten ©otteS menfd)Itd)e!§ Skrbienft bie Vorauf
fe£ung bilbet — um be<o 23erbienfte§ 2lbral)am3 toißen t)at ber ^eilige feine SBelt ge=
Raffen Pesikta 200 b — fobann bafj ba§ Verbienft ber (gerechten, 3. 23. ber Sßäter, 10
anberen ju gute gerechnet toerben fann. ©eutlid) erlennen wir in bem aßen bie be=
f;errfd)enben ©ebanfen ber bfyarifäifdjen grömmigleit. ®en ©runbgügen nad) finbet fid)
biefer 9Jlorali§mu3 aud? bei 5ßI)ilo bon 2Heranbria, fo jebod;, baf} ein r)eßenifcf;=bl)Uo=
fobbifd)er ©infcfylag bertoortritt (bgl. 23b XV, 361), fotool)l im ©ualiSmuö, als in ber
rein inbibibualifttfd)en S3etracbtung§h)etfe. §ierin ift $lato fein Vorgänger, ber in mehreren 15
©ef^räcben ben ©ebanlen ausführt, bafj nad) bem ^Eobe ein ©ertcbt über aße (Seelen
ftattfinbe, bei bem fie xaxä %r\v ä£iav (Phaedon 113 E) ebenfo ben SoI)n tbrer guten,
toie bie ©träfe für it)re böfen %fyatm babontragen (Rep. X, 6 1 4 ff . ; Gorg. 523 ff.;
Phaedon 113 f.). ®abet toirb aßerbmgS ber blofje Verbienftgebanfe überboten burd) ben
anbern, bafj ber nad) ©ered)tigieit unb SLugenb ©trebenbe nad) 2ftöglid)feit fucfye ö/uoiovo^ai 20
■&s(ö unb bal)er bon ©Ott getoifj ntcbt toemacbtäffigt toerbe (Rep. X, 613 A B). ©old)e
©ebanlen, um bie S£ria£ ©Ott, SEugenb, llnfterblid)ieit grubbiert, fteßen bie religiös
fittlid)e ©ebanfentoelt beS gebilbeten ibealiftifcb,en £>eibentum§ bar, als baS ©fyriftentum
auftrat.
3. ©d)on burd) feine i3raelitifd)e gunbamentierung ift e£ bebingt, bafi bem ©bangelium 25
urfbrünglid) ber 23erbienftgebanfe fremb ift. 9c"acf/ urd)riftltd)er 3tnfd)auung gebt aßeS
£eil bei 2Renfd)en auf ©ott unb feine in (Sbrtfto ertoä'I)Ienbe ©nabe jurüd. SDiefe @r=
fenntniS toirb nur burd; ben Umftanb erfd)toert, baf} SefuS in feinen 2Iu3einanberfet$ungen
mit bem $ubentume gerabe gern bom SoI)ne rebet. 2lber bei näherem gufeben it>irb
beutlid), baf} iyefuS &alb in ^ßarabojien fbrid)t, bie gerabe ein toiriltdjeS Verbienft au3= 30
föltefeen (3. 8. ÜJtt 10, 41 f. bgl. mit 3Rt 25, 37—40), balb toieber ben ©lauben an ©ott
üben toiß, bem, toie überaß, bie 3Birilid)ieit ju toiberfbrecfyen fd^eint (bgl. 9JJt 6, 1 ff.),
©eine fdjönften ©leic^niffe fielen gerabe barauf, jeben ©eban!en an ein SBerbienft bei
2Kenfcb,en bei ©ott abjutelmen (üRt 20, lff.; Sc 15, 17 ff.); bag ^immelreid; ift mdjt
auf ein Stecbt ber 2Renfd)en, fonbern auf ©otte§ ©nabe aufgebaut (2Rt 18, 23 ff.). 33e= 35
berrfcbt biefer ©runbfa^ bie gefamte aboftoUfcfye Sitteratur, fo ift e§ bor aßem $aulu§
getoefen, ber iljm gegen bb^arifäifd; gefinnte ^ubend)riften mit großem ?Jad;brud unb fieg=
|aftem ©rfolge bertreten |at, einge-uge ber ©nabe nicb^t blo^ mit Sßorten, fonbern aud;
burcb. bie ^atfadjen feines SebenS. ®arum b,at er bor aßem audj an Stbrafyam nad;ju=
toeifen gefugt, baf$ i§m nid}t für SBerfe ein SoI)n nad) 3Serbienft (d [xio&og xaxä 6<peärj/ia) 40
bon ©ott gejault toorben fei (Sftb 4), fonbern au$ freier ©nabe eine SSerfyeifjung für ib,n
unb feine -ftacbfommen gegeben (®a 3). Unmöglich fönne bab, er ba§ fbäter gegebene ©efe|
ben ©inn b^aben, bafj el ben 9Jienfd)en ju berbienftlic^en 2Ser!en aufrufe. 2Bie fc^einbar
totberfbredjenbe 2lu§fagen bei ^ßaulu§ gu biefen Haren ©runbgebanfen feiner Seb^re fict)
behalten, barüber bgl. Sb XI, 610 f. 45
4. ^ft nun aber jtoeifellog, ba§ jenes bfyarifäifdjie 3ubend)riftentum, toelcb, e§ ^3aulu§
ju befämpfen blatte, bie ©runbibee be§ @bangelium§ berlannte unb berfeb^rte, fo geigt
une aud) bie ältefte i) eibend)riftlid;e Sitteratur ber aboftolifd)en SSäter unb ber 2lbologeten,
bafe bter alSbalb unb toie untoißlürlid; ba§ ©bangelium in ba§ ©d)ema bei SSerbienft=
geban!enS eingefbannt tourbe. S5ie bäufige 2lnfüb,rung ber in ber Septuaginta mitge= 50
führten Slbolr^bb^en fogleid; bei ben aboftolifcb, en Tätern ift bierfür bebeutfam (bgl. 33b I,
625 f.). ®ie fyerrfcfyenben ©ebanlen finb biefe: %n ber SEaufe toerben bie ©ünben be§
borangegangenen SebenS bergeben (Herrn, mand. IV, 3, 1; Justin, apol. I, 61, 94 C;
Tert. de bapt. 1). SDarin unb in ber J8err)eifjung julünftiger ©üter erfd)öbft fid)
eigentlid) bie ©nabe ©otteä (bgl. 1 dem. 7, 4). SDenn ber ©etaufte 6at nunmehr bie 55
Aufgabe, fid) bor ©ünben ju b"ten unb bie ©ebote ©otteS, ba§ „neue ©efe^" ßr)rifti
ju galten, bamit er in ber Vergeltung, bie bei ber Sluferfteburtg ftattfinbet, baö etoige
wben ererbe (Herrn, vis. I, 3, 4a; 2 Clem. 8, 4). 3?orau3fc£ung bafür ift bie aner=
fcbaffene §reit)eit be§ Sßlißeng, !raft beren ber 3Jienfd) baö ©ute toäb^len unb ©otteg
©efetj erfüßen fann (Herrn, mand. 12,3, 5—5, 1; Justin apol. II, 7 14; Tert. go
502 Serbienft
de aniraa 21). Sei Vermag erfcfyeint auty Bereits ber begriff beö SSerbienfteg alg einer
über ba<§ ©eboterte fnnauSgefyenben guten ^anblung: sim. V, 3, 3 iäv de xi äya-fröv
TioirjorjQ sxxög xfjg IvxoXrjg xov fteov, oeavxco Tiegmoirjor) do£av tzeqioooxeqciv
aal eorj evdog~6xsQog Jiaqä xcö ftscS ov EfiElXsg elvai, ein ©runbfa|, ber mand. IV,
5 4,2 auf ben bertoittoeten (Regatten, 'ber nidjt toieber heiratet, angeroenbet toirb.
5. 3SäI)renb ohtx bei ben älteren unb fbegieft ben griedjüfdjen Sefyrern ber 2olm=
gebanfe in blatonifdjier Söeife mit ber Sercüjmlicfyung an ©Ott berfnübft unb fo ermäßigt
roirb, giebt ib,m perft ber 2tbenblänber SEertuttian bie ftreng redjtltdje 2tuStorägung, bie
in bem Segriffe meritum borliegt. Sie gange bamit jufammen^ängenbe 2öortfamiIie
10 begegnet pufig in feinen ©djriften (Sßirti) ©. 13—17; £>. ©d)ul$ ©.24). SKferbingS
braucht er ba§ SÜBort meritum meift in bem fd)on bei §erma§ angebeuteten ©inne, bafj
e§ eine freie überbflidjitige Seiftung bebeutet (SöirtB, ©. 17—22). Siegt aber bem fd)on
bie allgemeinere SorfteÖung bom „Serbienen" gu ©runbe, fo fbridjt e§ aud) StertuHtan
oft au$, bafj e§ übertäubt barauf ankomme, deum promereri ober demereri, b. t).
15 ©ott ficb, %u beruflichen burd) gute Söerfe, inSbefonbere aud) burd) satisfactiones für
nod) borfattenbe ©ünben (Söirtb, ©. 25 ff.), bamit man auf biefem ÜBege im ©eridjte
Sob,n bon bem geredeten Sergelter empfange »gl. apol. 18 : viros a primordio in sae-
culum emisit (sc. deus) spiritu divino inundatos, quo praedicarent deum uni-
cum esse — quas demerendo sibi disciplinas determinaverit, quae ignoratis et
20 desertis et observatis his praemia destinarit, ut qui producto aevo isto iudi-
caturus sit suos cultores in vitae aeternaeretributionem, profanos in ignem — ,
suscitatis Omnibus ab initio defunctis et reformatis et recensitis ad utriusque
meriti dispunctionem. ©o fyat 'üEertuIIian ba3 gange GI)riftentum unter ba§ ©cfyema
opera unb merces, pericula unb praemium befaßt (bgl. bef. de resurr. carn.
25 8. 15. 21) unb ift baburd) tonangebend für ben abenblänbifcfyen ÄatfyoIiciSmuS geworben.
Gr/brian Wanbelt burd)au§ in ben Sahnen feines SebjerS SLertuHian unb fteHt befonberS
in feinen ©Triften de eccl. unit. unb de opere et eleemos. bie Serbienftlefyre als
lat£)oItfd)e§ ©emeingut bar bgl. de unit. 15 : iustitia opus est, ut promereri quis
possit deum iudicem; praeceptis eius et monitis obtemperandum est, ut ac-
30 cipiant merita nostra mercedem; de op. et el. 26: quae illa erit — operan-
tium gloria, quam grandis et summa laetitia, cum populum suum dominus
coeperit recensere et meritis atque operibus nostris praemia contribuens, pro
terrenis coelestia, pro temporalibus sempiterna, pro modicis magna praestare etc.
Praeclara et divina res — salutaris operatio, — res posita in potestate fa-
35 cientis — verum dei munus et maximum, infirmis necessarium, fortibus
gloriosum, quo christianus adiutus perfert gratiam spiritalem, promeretur
Christum iudicem, deum computät debitorem — nusquam dominus meritis
nostris ad praemium deerit. Sor allem erwerben bie befonberen üb erbf listigen
2öerfe ber (E^riften fold? Serbienft, lote Stlmofen, haften, ©fyelofigfeit unb befonberS ba£
40 9flartfyrtum (togl. ©dml£ ©. 33). ©aneben febjt atterbingS bei ben Slbenblänbew,
fbegteß aud) ßfybrian, nid)t ber SreiS ber ©nabe, bie als Äraft beS ty. ©eifteS gur vita
virtutum befähigt: dei est inquam, dei est omne, quod possumus (de gratia
dei 4. 5), bgl. aud) fbäter SlmbrofiuS (©ctmltj ©. 34 f.), bod; ift gerabe berfelbe 2lm=
brofiuS (im Unterfd;iebe bon Gtybrian, de laps. 17 f.) für bie Übertragbarfett ber Ser=
45 bienfte eingetreten, ©o ermahnt er bie Altern, ibje £öd)ter gur 3ungfräulid)feit gu
ergieben, ut habere possitis, quarum meritis vestra delicta redimantur (de
virg. I, 7).
6. @rft Sluguftin r)at eine Slnfct/auung bon ber ©nabe folgerichtig burd)gefül)rt, bie
gunädjft bie gange abenblänbifdie Serbienftlefyre gu befeitigen fcfyien. ©od; ift gu bebor=
50 morten, ba^ biefe nid)t gerabe an SelagiuS einen Sertreter blatte, ber bielmeb^r ganj an
ben alten griednfdjen SRoraligmuS erinnert (bgl. ep. ad Demetr. Sb XV, 757, 4 a). ^m
gufammenfyange mit feiner Seb^re bon ber ©ünbe unb ber fittlid)en Unfreiheit be§ ge=
faUenen 5Renfd)en leb^nt Sluguftin eS ah, bafj ba§ meritum im liberum arbitrium
yoluntatis tburjele (enchir. ad Laur. 32); bielmeb^r muf? erft©otte§ fd)öbferifd)e ©nabe
65 im Sftenfdjen einen guten 3©iHen b^erborrufen, alfo ob,ne borangeb^enbe berbienfilia)e 3Ber!e
(de grat. Chr. 24; de nat. et grat. 4). Nolentem praevenit, ut velit, volentem
subsequitur ne frustra velit (enchir. 1. c). $Da<o wirft ©Ott burd; ben b,I. ©eift b. fy.
burd) inspiratio caritatis, unb baä ift bie eigentliche „©nabe" im ©inne 2luguftin§ (bgl.
Sb XV, 756). ©iefer bebarf e3 aber nid)t nur einmal für ben 2tnfang be§ neuen SebenS
60 (gr. operans), fonbern in singulis nostris actibus est necessaria (de gestis Pel. 56 ;
aScrbicnft 503
gr. cooperans, de gr. et lib. arbitr. 33). ©en bollen ©mft ber freien göttlichen
©nabentfyat behauptete 2luguftin b«rt^ feine fielen bon ber abfoluten Vräbeftinatton,
bon ber Unmiberftel)Iicr)feit ber innerlichen ©otteömirfung unb bon bcr Mitteilung eines
donum perseverantiae an bie jum §eile Vräbeftinierten. SEro|bem faßt er nid)t gang
auS bem ©d)ema ber Sßerbienftlefyre Ij>erau§, fonbern ernennt e§ an, bafj ©Ott in ber 5
2f;at bie menfcfylidjen merita frone. 2lber: non deus coronat merita tua tanquam
merita tua, sed tanquam dona sua (de grat. et lib. arb. 15); per hoc et ipsum
hominis meritum donum est gratuitum (ep. 186, 10) ; etiam ipsa hominis bona
merita esse dei munera (enchir. 107) bgl. noch, serm. 297, 6; de gest. Pelag. 35.
©0 bielt bocfy aucb. 2tuguftin, obgleich er auf bie neue Stiftung be§ befreiten 2BilIen3 10
ben ^acfybrud legt, baran feft, bafj ber ©rlöfte fid) Verbienfie ertoerben muffe unb fönne,
ebenfo tote ba§ ber Sflenfcr) im Urftanbe füllte (enchir. 106). (Sine btrefte Übertragung
ber merita lefyrt er nic&t, um fo bebeutfamer ift e§, bafj er bod) SRefjobfer unb 2llmofen
ben SSerftorbenen ju gute fommen läfjt, folgen nämltct) qui cum viverent, ut haec
sibi postea possint prodesse meruerunt (enchir. 110). 15
7. Von |ier au§ ift bie Weitere ©ntitncMung, bie bie Verbienftlefyre im Äatb, oltciSmuS
gehabt b,at, ya begreifen. SWmäljlicb, ift e<S gelungen, ba3 ebangelifcfye SJcomcnt ber
Sluguftinifd^en Sebje auSjufcfyeiben unb „bie ©nabe" ber SMigiofität beS VerbienfteS ein=
jugliebern unb bienftbar px machen. Vorbereitet rourbe bies baburd), bafj man ben
tragenben Unterbau ber 3luguftinifd)en 2eb,re, bie abfolute^räbeftinationfamtbengolgefä^en, 20
befeitigte unb im mefentlicfyen gu ber älteren 2ei)re einer bebingten Sßräbeftinatton (quorum
merita praescivit, eorum praemia praedestinavit, Ambrosius de fide V, 6, 83)
äurücllenlte. ©regor b. ©r. (geft. 604) fc^eint aUerbingS bie 2luguftinifd)e $räbefimation§=
lefyre feftjub, alten (moral. 33, 21, 38) betont, bafj bie gratia praeveniens nidjt ante-
cedentibus meritis gu teil werbe (in Hi 18, 40, 63), aber füfyrt bod; biel ftärler ab§ 25
2luguftin bie gange Betrachtung auf bie merita r)inau3. SBirft bie ©nabe guerft
ofyne un§, fo mufj bocb, alSbalb unfer freier 2BiIIe gefyord/enb unb gufttmmenb mitmirfen
(mor. 33, 21, 38; 24, 10, 24). Praeveniente ergo gratia et bona voluntate
subsequente hoc quod omnipotentis dei est, fit meritum nostrum (in Ez. hom.
I, 9, 2). Um ber borgefyenbm ©nabe mitten banlen mir, roeil aber unfer freier SöiEe 30
ifyr gefolgt ift, nobis retribui praemia speramus (mor. 33, 21, 40), unb gmar per
impensam gratiam in extremo iudicio ita remunerat nobis, ac si solis pro-
cessisset ex nobis (mor. 16, 24, 30). §ier unb anbermärtS (g. 33. in Ez. I, 9, 2)
erläutert er feine ©ebanfen an 1 $0 15, 10, nur bafj er betont: ict) I)abe mit ber ©nabe
gufammengetoirf t. ©0 ift fd;on bjer bie Umbiegung ber 2tuguftinifcr)ett ©ebanfen beutlicb, : 35
bie ©nabe felbft ftellt nod) nidjt ba<§ §eil ber, fonbern macfjt e3 nur möglicb, fie befcr/afft
bie unumgänglichen Vorau§fe|ungen für ein erfolgreich SSirfen be§ freien 2BilIen3.
2)te Verurteilung ©ottfdjalfs (853) beförberte ba§ Vorbringen biefer femi=auguftinifa)en
^enftoeife.
8. SDie großen ©cfyolaftiier be§ 9M.§ fyaben mit ftrengerer ©r/ftematif bie Verbienft= 40
lebre unb bie ©nabenlefyre gufammengearbeitet. ©runblegenb ift ^3etru§ SombarbuS
(bgl. 33b XI, 638, 28 ff.), gur ©rgängung be§ bort ©efagten fei hinzugefügt, bafj ber
Sombarbe mit Berufung auf 2luguftin beraubtet, ber SRenfct) fyabz auch, bor ber ©ünbe
ber fbegtfifcfyen ©nabe b. i. ber gr. operans unb cooperans beburft, um merita gu
ertoerben unb ba§ etoige Seben gu berbtenen (II, dist. 24, 1 ; 29, 1). ©er gefallene 45
■Dcenfd) braucf/t fie aufjer gum adiuvare aud) nodj jum sanare. 5Da€ Sßefen ber
©nabe beftefjt aber in fittüdjen Gräften (virtutes). 2lu§ bem ßufammentoirfen biefer
unb beä freien 2öiHen§ geb^en bie 2llte b. fy. bie SBißen^regungen (motus animi) unb
bie äußeren bona opera i)erbor. @rft biefe inneren unb äußeren 2Wte finb merttorifcr),
benn nullum meritum est in homine, quod non sit per liberum arbitrium. 50
ffienn e§ ba^er b.ei^t, bag emige 2(hm toerbe gratis gegeben, fo befage bag nid;t quia
non meritis datur, sed quia (mit 9?üdfid)t auf ben Anteil ber gr. oper.) data
sunt per gratiam et ipsa merita, quibus datur (II, dist. 27). Sffielcbe ©eftalt bie
§eilggemi|b,eit auf biefe 2öeife getoinnt, geigt bie bon Sut^er oft frittfierte Definition
ber §offnung : est certa exspectatio futurae beatitudinis veniens ex dei gratia ob
et meritis praecedentibus vel ipsam spem — vel rem speratam. Sine meritis
enim aliquid sperare, non spes, sed praesumptio dici potest (lib. IV, dist. 2(i, 1).
$on grofjem (Sinfluffe auf bie golgejeit mürbe bie gefcb,Ioffene ©eftalt, bie übornaS
2lquina§ ber 2ebje gab. §ier ift bie gange Religion auf ba3 meritum aU ^idbunft
«ingeftellt, unb bod; fctjeint e§, al§ fei bie bolle 3luguftinifcb,e ©nabenlefire feftgefyalten eo
504 Scrbicnft
(bgl. bef. Summa Th. II, 1 qu. 109—114). gnbeffen mufj, um mit letzterem ju be=
ginnen, Bei %f)oma$ eine gtciefad^e ©nabe untergeben werben, bon ber nur bie eine,
bie fyabituale, bem Teilgebiete fbegtfifcb, angehört, Wäfyrenb bagegen bie anbere, meift
auxilium dei moventis, auxilium gratiae ober ät/nlicb, genannt, über bal gefamte
5 ©ebiet bei göttlichen 2Birtenl fic^t erftrecft unb jeber Kreatur bagu bereift, bafj fte in
bem empfangenen ©uten erhalten Werbe unb mittelft belfelben ftcr) betätige. ®enn
nulla res ereata potest in quemcunque actum prodire nisi virtute motionis
divinae (qu. 109, 9 concl. cf. 1). 3)iefe göttliche Beseitigung ift freilief) berfcbjeben
je nad) ber 2Irt ber Kreatur, berfetneben aud) bei bem urfjprüngltc|en unb bem fünbigen
io 3ftenfd)en, unb belb/alb fd)eint el manchmal fo, all b,anble el §ier fieb, um eine neufdjöbferifdje
©nabe; im^rinjib aber ift fie überaß fid) gleicb, all bie ^aufalität bei primum movens
simpliciter (qu. 109, 1). SDafj il)r ßfyarafter lein fbeäiftfct; ijieilmäjjiger ift, geljit ent=
fcfyeibenb baraul l)erbor, bafj bieje 2lrt ber ©nabe ntc^t r;inreid)t, um ben Werfen bei
3Jienfcb,en ben meritorifd)en ßfyarafter ju »erleiden, Wenn er aud) im Urftanbe blofj
15 mittelft jene! auxilium dei moventis ©ott über allel lieben fonnte (qu. 109, 2. 3;
112, 2 f. u.). Sa alfo biefe fojufagen natürliche ©nabe all ein ftetl gleicher gaitor
in allen ©ä|en bei 5TI)omal mit enthalten ift, fo lann man gleid)fam um il)n bie ganje
9tedmung fürten, unb behält bann nur bie gratia habitualis, ober virtus gratuita
all bal religiöl entfcfyeibenbe übrig, ©o ergiebt ftcb, folgenbe ©efamtanfd)auung. ©er
20 SJlenfd) foE fieb, burd) merita bal ewige Seben, bie visio dei berbienen. 2lber biefel
$iel liegt über bie gefcb,affene menfd)Iid)e SRatur r/inaul. Ideo homo per sua na-
turalia non potest produeere opera meritoria proportionata vitae aeternae,
sed ad hoc requiritur altior virtus quae est virtus gratiae (qu. 109, 5). SDiefe
virtus infulsa ober gratia habitualis ober gratia gratum faciens brauchte aud) ber
25 SDtenfcb, in statu naturae integrae, nämlicb, ad operandum et volendum bonum
supernaturale — quod est meritorium, mäfyrenb er fie in statu naturae cor-
ruptae überbiel baju braucht, bafj bie Statur geseilt werbe (1. c. 2). ^Wed uno Söffen
ber ©nabe mufj aber an bem Sßerfyältnil jur natura integra Har Werben. 3n biefer
rann ber SDfenfd) ©ott super omnik diligere, aber nid)t ex caritate. tbaftv. bebarf
30 er ber ©nabe, benn Caritas diligit deum super omnia eminentius quam natura
(1. c). 2tIfo ad implendum mandäta legis — nicb,t fcF;led)tIj>in, fonbern — seeun-
dum debitum modum, per quem eorum impletio est meritoria, requiritur
gratia (1. c. art. 5). ©iefe gr. |eif?t einelteill operans, in quantum animam sanat
vel iustificat, anbemteil! cooperans in quantum est prineipium operis meritorii,
35 quod ex libero arbitrio procedit (qu. 111, 2 bgl. 109, 6 concl.). ^)a§ erfte burdj
bie gr. operans gewirrte SSerbtenft ift ber motus liberi arbitrii, traft beffen Wir
ber ©ereef/tigfett bei unl gered)t mad)enben ©ottel juftimmen (qu. 111, ad 2). SDenn
natürlid) gilt: homo sua voluntate facit opera meritoria vitae aeternae, Wenn
aueb, fein 2ßiHe burefy bie ©nabe bräbariert Werben muj3 (qu. 109, 5 ad 1). ©treng
40 genommen bürfte freilief; bon einem mereri bei SJtenfdjen bei ©ott nid)t gerebet Werben,
toot)I aber seeundum praesuppositionem divinae ordinationis, ita scilicet ut id
homo consequatur a deo per suam operationem quasi mercedem, ad quod
deus ei virtutem operandi deputavit (quaest. 114, 1). ©ofem man bab,er auf ben
Anteil bei menfcfylidjen liberum arbitrium an jebem meritorifcfyen 9öerfe fieb/t, lann
45 man nur bon einem meritum e congruo b. i. nad) StHigfeit reben ; fofern el aber ju=
gleicb, procedit ex gratia spiritus saneti, sie est meritorium vitae aeternae ex
condigno (quaest. 114, 3). @benfo berbient fid) ber ©erecfyte 9Ket)rung ber ©nabe
ober ber Siebe (114, 8). ÜRod) entftefyt bie grage, Wie behält fid> bei 2Renfd)en $Ber=
bienft jum erften ©mbfang ber ©nabe. ©treng Wirb abgelehnt, bajj ber SJcenfcb, ftcb,
50 biefe berbienen tonne (quaest. 114, 5), ebenfo Wie, bajj er bie reparatio post lap-
sum berbienen lönne (1. c. 7). 2lber eine praeparatio bei 3Jienfcb,en auf bie ©nabe,
eine facere quod in se est Wirb geforbert (quaest. 109, 6; 112, 3). ©iefe lönne
unb muffe ber -äftenfcf; mit feinem liberum arbitrium — natürlich non sine auxilio
dei moventis — leiften. ©ie ift ^War imperfecta bergltcfyen mit berjenigen prae-
55 paratio, bie jugleid) mit ber infusio gratiae ftattfinbet, aber auf fie folge, infofern fie
jugleicb, a movente deo flamme, necessario sive infallibiliter infusio gratiae
(112, 3). $)x>ax nid)t an biefer, Wof)l aber an anberer ©teHe Wenbet ^omal auf bie
opera extra caritatem facta ben Segriff einel meritum congrui an, burefy Welche
bor allem bie dispositio ad gratiam berbient Werbe (suppl. quaest. 14, 4). ©cb,on
eo Swnabentura aber brücf't fiel) bireft fo aul, bafj bie gratia gratum faciens jWar nicb,t
SBer&tewfi 505
merito condigni, aber bocb. merito congrui berbient toerbe (breviloqu. V, 2). 2)unS
©cotuS aber unb bie 9fJominaltften fc^einen einerseits ben SSerbienftgebanfert ju Iritifieren,
inbem aHeS an ber freien acceptatio ©otteS I)ängt, aber tbie auf allen ©ebieten, fo
enbet aucb, f)ier biefe „mobeme" Kritif in fircfylicfyem ^ofüibiSmuS, ja in bem -JJcaße als
eigentlich alles 33erbienft nur de congruo ift, „berfcf/h>inben bie Unterfduebe, burcf) 5
bie bei ben S£l>omtftcn baS Vertrauen auf bie eigne Seiftung nocb, eingefcfyränft toirb"
(©d)ul$ ©. 296). ®ie fyabituale ©nabe aber als 33ebingung berbienftlicfyen SBerfeS Ijat
nur nodj ben ©inn, baß nacb, ©otteS SInorbnung bie berbienftlid;en SBerfe ben ©tembel
ber Kircr/Iicbjeit tragen muffen, benn bie Kircbe teilt als SSertoalterin ber ©aframente
ben erforberlidjen ©naben=habitus mit. ©0 berläuft ber ^eilSbrojeß bie ©tabien beS 10
meritum de congruo, inbem ber Sftenfcb, facit, quod in se est, ber baburcb, bebingten
Mitteilung ber prima gratia unb ber burcb, baS gufammentoirfen fc*0" gratia unb
liberum arbitrium geleifteten merita de condigno, belebe -Bcefyrung ber ©nabe unb
bie etoige ©etig!eit berbienen (bgl. ©eeberg, SDogmengefcfytdjte II, 186 f.). ^nforoeit biefer
gerablinige ^rc^eß burcb, bie ©ünbe unterbrochen wirb, treten am anfange bie Saufe unb 15
bann baS ©ußfatrament unterftü^enb ein, aber bie bamit berbunbene ©ünbenbergebung ift nur
§üfSfa!tor; benn baS ©ntfcbeibenbe bleiben bie merita. $Die ©djolaftif bat gugletd; ben
©ebanlen bon überfdjüfftgen merita ber ^eiligen (bgl. 2Irt. consilia evangelica) unb bon
ber Übertragbarfeit berfelben auSgebtlbet, roofür SLfyomaS bie ©infyeit beS corpus
mysticum ber Kirdje als 9ted)tStitel fanb, roäfyrenb bie Hircbe in ben Slbläffen barauS 20
Vorteil jog. 3lud) baS 3Ber! (Efyrifti wirb bon ber ©cfyolaftif unter bem ©efict/tSbunft
beö meritum betrautet. 2llS beffen eigentliches ©ubjeft erfd^eint naturgemäß berüRenfcb,
SefuS. Unb jtoar ift feine Seiftung baS SRufterbetfbiel für ein meritum im befonberen
©inne b. b, . für eine fcjjlecfytb, in überbflicbiige Seiftung. ©0 berfteb, t eS SInfelm bon 6anter=
burr; (bgl. 33b I, 569 f.). 2)ie gleiten Kategorien febjen bei %i)oma§ roieber (Summa 25
III, quaest. 48, 1 ; bgl. ©eeberg, SDogmengejcbidite II, 96). ®ie näheren Seftimmungen
unb ^Differenzen ber einzelnen ©cfyolaftifer fonnen als bloße Sfteologumena außer Setradjt
bleiben, ba baS SBerl 6I)rifti bjer, anberS als im ^ßroteftantiSmuS, nur bie entferntere
33orauSfet5ung, nid)t bie bletbenbe ©runblage beS £>eilSftanbeS bilbet.
8. 3m ©egenfaije gur Reformation l)at bie fat|olifd)e SSerbienftle^re U)re abfcf/ließenbe 30
©eftalt empfangen, unb bie üircfr/e b,at fie gegen auguftmifdbe Reaktionen, bie ben b,erge=
brauten gormein toieber i^ren alten tieferen £jnl)alt geben rooüten, nact/brücfltcb, beraubtet.
Sefyrreicb, ift fyier fcfyon bie römifcfye Confutatio, toenn fie gegen ben bierten Slrtilel
ber Conf. Aug. eS nötig finbet, für bie merita hominum, quae per assistentiam
divinam fiunt, einzutreten. ®enn freilieb, opera nostra ex se nullius esse meriti; 35
sed gratia dei facit illadigna esse vita aeterna ; aber jugleicb, gilt: ubi est merces,
ibi meritum. ^a gegen art. XX Sbirb nocb, auSbrücflicb, feftgefyalten, baß gute Slkrfe
mereantur remissionem peccatorum. 2Son bem 3Ron(|tum Ijtetßt eS (art. 27),
monasticam vitam mereri vitam aeternam et multo auctiorem. parallelen bei gleici)=
jeitigen X^eologen bringt ^.Särnmer, ®ie toDrtrtbentirtifcf)=!at^oItfc^e^:r)eoIo0iel858, ©. 161 ff. 40
Unter bem ©inbrucfe ber reformatorifc^en Dbbofitton, bie fid) auf 2luguftin berufen tonnte,
ift bie Sebje beS Tridentinum sess. VI borficfytiger abgefaßt, otme baß fac^Iid; etioaS ge=
änbert ift. 6r/riftuS b,at burcb, feine ©erecfytigfeit allen bie ©nabe ber Rechtfertigung
berbient (n. 7). SDiefe mirb ben einzelnen %u teil, inbem fie gurtädbft burcb, bie gratia prae-
veniens nullis eorum exsistentibus meritis vocantur(n. 5. 8). 2lber mit ibjer ©erec^)t= 45
ma_cf)ung, bie burd) baS ©alrament gefcb,ieb, t, ift eS auf bie guten Söerfe abgefeb, en unb mit
btefen auf bie vita aeterna a) et tanquam gratia filiis dei per Christum Jesum
misericorditer promissa b) et tanquam merces ex ipsius dei promissione
bonis ipsorum operibus et meritis fideliter reddenda. SDurct; ifyre auS ber virtus
ber ©nabe ftammenben Söerfe Ratten fie baS eibige Seben vere promerisse. ®enn bie üu
©üte beS §errn gegen bie SCRenfc^en ift fo groß, ut eorum velit esse merita, quae
sunt ipsius dona (n. 16). 2tber fie finb bod) eigentliche merita, benn si quis dixerit,
hominis iustificati bona opera ita esse dona dei, ut non sint etiam bona
ipsius iustificati merita, aut ipsum iustificatum bonis operibus — non vere
mereri augmentum gratiae, vitam aeternam, et ipsius vitae aeternae, si tarnen 55
in gratia decesserit, consecutionem, atque etiam gloriae augmentum, a. s.
(can. 32). infolge beffen barf aucb, bie Reflexion auf ben eroigen Solm baS §anbeln
beS iustificatus beftimtnen, ofyne ib^rn ben Cbarafter als bonum opus ju benehmen
(n. 11 can. ;J1). ©erabe biefer ©a$ ift aud; fbäter gegen SRtyftilcr unb Csanfcniften
bertreten roorben (bgl. ©cn^inger, Enchiridion symbolorum etc. n. 1167 1170). 60
506 Sßerbtcnp
greilicb/ befielt bie grofje ©djtoierigfeit biefer 35erbtenftlel^re barm, baf$ ber üflenfdj) niäpt
mit ©icfyertjeit föß roiffen fönnen, ob er bte ©nabe fyabe unb alfo fein %b,un berbtenftlicb,
fei (n. 9 bgl. 12). Dted^t unberfyüEt fyat 33etlarmin disput. de iustific. V bte römifdje
Se^re entroiäelt V, 1, 6: habet communis catholicorum omnium sententia: opera
5 bona iustorum vere ac proprie esse merita, et merita non cuiuscunque praemii,
sed ipsius vitae aeternae. 20, 4 nos existimamus vitam aet., tum quoad primum
gradum, tum quoad ceteros, reddi bonis meritis filiorum dei. SDie Ijeute
ferrfcfyenbe Sefyrform (bgl. bert rttdjt gan-$ jutreffenben 2trti!el in Sß.=2ö. fotoie bte ®og=
mcttifen unb SJcoraltfyeologien f. £itt.) ift biefe: 33orau3fe£ung ift, baf* bie ©eligfeit burcb,
10 SBerbienfte b. lj>. freigetoollte menfd)Itc£)e §anblungen erworben Werben mufs, nidjt mtnber aber,
bafj es ber ©nabe bebarf, um folcfye meritorifdOe 2Berfe ju boHbringen. SDocfo, beftefyt
mit 33ejug auf ben Beitrag, ben bie ©nabe tnerju liefert, eine gemiffe Unllarfyeit. Sie
übliche £el)re unterfcfyeibet nä'mlicb, bie beiftefyenbe ober altuale ©nabe unb bie b,eilig=
madjenbe, I^abituale ©nabe. ^ene roirb bem SJJenfcfyen immer nur borübergefyenb ju teil,
15 ift aber ju jebem guten SBerfe notwenbig ; biefe toirb bem -Dlenfcljen burcb, bie ©alra=
mente „ber Soten", SEaufe unb Bufje ju bleibenbem 33efÜ3 gegeben; aber er berliert fie
roieber burcr) SEobfünben. Run wirb für ein berbienftüdjeS 2Berl fotoobj bie 9JUttoirtung
ber a!tualen aU ber 23efit$ ber fyabttualen ©nabe erforbert. ^nbeffen ift bod) bie b,abi=
tuale ©nabe baS @ntfcr)eibenbe. 3)enn bie juborfommenbe ©nabe beS 23eiftanbe3 Wirft
20 fcb,on auf ben im ©tanbe ber Sobfünbe befinblicfyen, beffen gute 2Berfe boa) ntdjt ben
§tmmel berbienen follen, ja allgemein roirb gelehrt, bafe ©Ott jebem SJcenfdjen bie (bei=
ftebenbe) ©nabe gemährt, bie er braucht, um feiig ju werben. 2Iber erft mufj ein Sftenfcr;
bie fyeiligmadjjenbe ©nabe burcfy bie genannten ©aframente erlangen, el)e feine Söerle
meritorifcfye finb. ®ie im ©tanbe ber ©nabe Verrichteten guten 2Berfe, unter betten noct)
25 bleute 23eten, gaften unb 2Ilmofengeben fyerborgefwben roerben, berbienen aber auty Wirf=
licfy bie eroige ©eligfeit unb jubor SRefyrung ber fyeiligmacfyenben ©nabe. greilid) gefyen
babon ah biejenigen guten Söerfe, bie ber SRenfcb, als ©atiSfaftionen für bie gettltcfyen
©ünbenftrafen leiften mufc. Unb fobalb ber Sftenfcr) eine ^obfünbe begebt, „nimmt biefe
ber ©eele bie ertoorbenen SSerbienfte unb maa)t fie unfähig, neue 93erbtenfte ju erwerben"
30 (Römifdjer @inb,etefate^igmu§, beutfd) SRünc^en 1906, ©. 242). ®ocfy ftellt baS 23uf$=
faframent, inbem eS bie b, eiligmaa^enbe ©nabe roiebergiebt, aucb, „bie 33erbienfte ber guten
2öerle, bie bor berSEobfünbe gefdjeben finb, Wieber b,er" (1. c. ©. 193. ©r. Öfterr. $ated).
%x. 638, 4). Slber ber 93erbienftbegriff erftrecft fid^) noa) toeiter jurüct. ©er im ©tanbe
ber SLobfünbe befinblicfje SJJenfo) fann ficb, nämlid) bie fyeiligmacfyenbe ©nabe bura) ein
35 meritum de congruo berbienen ; nur bie erfte altuale ©nabe nid) t. ®a biefe aber
allen 9JJenfcr/en ju teil roirb (f. o.), fo fieb.t ftcb; jeber an einen §eil§roeg getoiefen,
auf bem, unter 33orauöfe^ung be§ erften ©nabenanftofeeg, fort unb fort menfcfylicfyen
Serbienften göttlicher £o()n, bis fyin jum eroigen Seben, folgt, beffen ©rabe roieber je
nacb. SSerbienften berfcb,ieben finb. 2)ie fyabituale ©nabe b,at babei nur nocb, bie 33e=
40 beutung, bafj mit bem freien SBillen bie tirdjlicfye §eiföanftalt jufammentoirfen mu^, um
bem Sftenfcfyen bag §eil ju fiebern (bgl. bie 91ominaliften). 2Bob, l !ann bie 9lefle£ion auf
altuale ©nabe, bie §u jebem guten SBerfe immer aufg neue erforberlicb, ift, religiöfe
©mbfinbungen au^löfen; aber bie SLenbenj ift babei toafyrer grömmig!eit entgegengefe^t,
infofern ©otte§ Äraft bafür begehrt roirb, um bor ib,m mit 33erbtenften ju erfahrnen.
45 Sabber barf bie Betonung ber ©nabe im £atb,olict§mu§ nicb.t barüber ^inroegtäufdjien,
ba^ er boeb. nur eine Religion ber Sßerfgeredjtigr'eit, be§ 33erbienfte§ bflegt. 2öie freilieb.
e3 möglia) ift, ba^ SRenfcfyen genug merita aufjuroeifen b,aben, um bas etoige Seben ju
berbienen, aber nicfyt genug satisfactiones für iljre ©ünben, um bem ^egfeuer ju
entgegen, ba§ bleibt ein @el;eimni<§. 2öie fd^on bie Reformatoren erlannten, ift bie
50 Äonfequenj ber SSerbtenftlebre, ba^ 6b,riftu§ in ben ^intergrunb tritt, ©enn ber ©rfolg
feines 9Ber!e§ befteb,t blof? barin, ba^ er für alle bie 3)cenfcb,en bie ©nabe berbient,
bamit ilmen aber nur bie SJlöglid^leit ^u berbienftlicb.en guten Söerfen eröffnet ^at. Sine
unmittelbare 33ebeutung für ba§ religiöfe 33erb,ältniS I)at fein ©rlöfungötoer! nicb,t meb,r.
Über bie etbjfdjie Beurteilung ber 23erbienftlefyre f. u.
55 9. ®ie Reformation mar tecr)t eigentlich ein $ambf gegen bie 33erbienftleb^re.
greilicb, lommt £utb,er and) f)ier, roie in anberen fragen, ber ©egenfaij erft atlmäb,=
lia) boE §um Serou^tfein. 3una^ft geftatteten i^m bie üblichen gormein (f. o.)
boa) nod^), fie im ©inne be§ SluguftiniSmuS auszulegen. ®ab,er rebet er rool)I in
feinen Slnmerlungen jum Sombarben nocb, bon einem meritum de congruo (2S2X 9, 72),
60 betont aber fcfyon in einer Rebe 1512, bafj bie ©eburt au§ ©Ott gemä| $a !/ 18 9es
2Sert>tenft 507
fcfyefye: gratuito liberoque beneplacito, non nostro merito neque dignitate (2B2t
1, 10; @2l var. arg. 1, 30). ^n ben "ißfalmenborlefungen beutet er ben 23erbienft=
begriff um, auf eine getoiffe praeparatio unb dispositio für ba§ bie§feitige, tote ba§
jenfeitige £eil (ju 5ßf 113 [114], 1 35521 4, 126 f.), aber ftt>n in jiuei ^rebigten 1516
fritifiert er bie Definition, bie ber Sombarbe, Don ber Hoffnung gab (f. o.), fo, bafj 6
jebeS Vertrauen auf SBerbienfte befeitigt rnirb (2M 1, 70 ff. 81 ff. var. arg. 1, 106 f.
126 f.) unb in ber 33ern^arbifcb,en SDiSbutation be3 gleichen $ab,re3 de viribus et vo-
luntate hominis sine gratia toirb bie borangefteKte $rage an homo naturalibus
suis viribus dei creatoris praecepta servare aut boni quippiam facere atque
cum gratia mereri meritaque cognoscere possit? in aßen i|ren teilen berneint. 10
©eine neue ^eiMIefyre jerftört alle 23orau3fe|ungen ber 93erbienfilebre, befämbft in§be=
fonbere bie obttmtftifcfye Beurteilung be§ natürlichen 9BiKen§, bie 93orfteEung bon bem
gufammentoirfen be3 menfcfylicfyen 2ßiHen3 mit bem göttlichen, legt ben £on nicfjt
auf bie einzelnen 9Berfe, fonbern auf bie innere ©erecfyttgfeit be£ §erjen§, bie bor
ben SBerfen borfyanben fein mufy unb fyeifjt auf ©ott, nicfyt aber auf 33erbienfte, aucb, is
nia)t fofem fie feine ©aben finb, bertrauen (bgl. befonber3 operat. in Psalmos
ju $f 5, 2021 5, 163 ff. exeg. lat. 14, 240 ff.), ©o iuirb too^l nocb, bog Sßort
„ÜBerbienft" beibehalten, aber bie ©adje aufgehoben: sunt itaque merita, et nulla
merita in nobis, sunt, quia dona dei sunt et opera ipsius solius, nulla sunt,
quia non plus de illis possumus praesumere, quam nullus novissimus pecca- 20
tor, in quo nondum aliquid operatur deus (1. c. ©. 169 bejw. ©.250, bgl. $om=
mentar ju ©a mit feiner ^Bolemi! gegen eine Rechtfertigung au<§ Söerfen be3 ©efetK§
ju 5, 2 : at nunc — indoctorum scripturae interpretum et concionatorum in
merita nostra trudimur, ex nobis satisfacimus peccatis — cumulamus ea (sc.
opera nostra), velut frumentum in horreum, quibus deum debitorem faciamus, 25
et in coelo, nescio quanta altitudine sedeamus. Caeci, caeci, caeci, his Omni-
bus Christus nihil prodest, alio consilio iustificant se ipsos. $n aßebem tritt
aber mefyr untoitllürlicb, ab§ birelt ausgebrochen bie bom ÄatfyoIiciämuS berfdjtebene
Orientierung ber grömmigfeit berbor, inbem e§ ficb. für Sut^er barum fyanbelt, baj? er
aU ©ünber bie Vergebung ©otte3 unb bie berfönlia)e ©emeinfcfyaft mit il)m felbft ge= 30
tomne. infolge beffen ift ifym aucb. bie ©nabe nicfyt mef)r etma§ im -Dcenfctien, nicb,t eine
qualitas animi, um benjßert menfcbjicfyer 2Ber!e ju ftetgern, fonbern favor dei — ut
omnis qui credit in Christum, habeat deum propitium (Confut. rat. Latom.
1521 25531 8, 6 opp. var. arg. 5, 489). £>iefe ©nabe toirb burcb, ben ©lauben, ber
toieberum donum dei ift, abbergtyiert unb fie nimmt ben SJcenfdjen ganj unb gar auf 35
in bie §ulbe (SSorrebe ju SHö), toenngleicb. er mittelft be3 donum ober be3 ©Iauben§
nur erft anhebt, bie ©ünbe ju töten. $Da aber bieje§ ©nabenberfyälini§ bauernb bie
©runblage alter grömmigleit bilbet unb bilben mufj, ift für merita !ein Raum meb,r.
^nfotoett eine ©erecf)tigieit borfyanben ift, gilt: aliena iustifia (sc. Christi) omnes
fiunt iusti (ju ©a 2, 16). 33on ben guten Sßerren aber gilt: „bieSBerle berbienen nicfyt 40
ben §immel, fonbern ttneberumb ber Fimmel, au$ lauter ©naben gegeben, tb,ut bie guten
Sßerle bal)in, olm ©efucb, be§ 33erbienfte<3, nur bem Rieften ju Ru£ unb ©ott ju
Gieren, big baft ber Setctmam aucb. bon©ünben, %ob unb §öHe erlöfet merbe" (@2l 7-,
174). ©ine jufammenfjängenbe SDarftellung unb föritif ber fcfyolaftifcfyen SBerbtenftlefyre
giebt ber grofee Kommentar ju ©a (@2t I, 183 ff.). &
<&§ ift 3JieIand)tt) on trefflieb, gelungen, fotoofyl Sutb, er§ ^ritif ber römifcb,en 3Serbienft=
leb,re, toie feine bofitibe 2lnficbt in ber Conf. Aug. unb 2lbologie au§jufbrecb, en unb gegen bie
Confut. §u berteibigen. Sie §aubtfteUe ift Apol. p. 62, 17 ff., too er bor allem aufbeeft, mie
im fatbolifcfyen ©t)fteme Sb,rifti Seiftung nur für ben ©mbfang ber prima gratia in Betraft
fomme(bgI. nod) 90,41), mie nicf)t6fagenb bie Untertreibung eines meritum congrui 50
unb condigni fei, unb meldte Folgerungen ficb. barauS ergeben, bafe man über ben Befi§
be§ ©naben=habitus leine ©etoipeit §ahe. SSgL 140, 260 f., tt>o er bie gratia aU
misericordia dei erga nos erllärt unb enblicb. art. 4 ber C. A., l»o bie reforma=
torifcb,e Recb.tfertigungoleb.re in if;rem ©egenfa|e jum 23erbienftgeban!en au§gefbrocf)en ift
(ebenfo Art. Smalc. II, 1 bon £utb.er felbft). 2öo bie Reinheit biefeS 2lrti!efö bon 55
ber Rechtfertigung berfef)rt lt)irb, ba finbet ftet§ eine 2lnnäb.erung an bie römifebe vi^er=
bienftleb,re ftatt (bgl. bie Dualer 93b XVI ©. 376). Sefte^t lein 3JZenfcb. bor ©Ott auf
©runb feiner merita, fo tonnen erft recfyt rtic&t bie merita eines SRenfcfien (^eiligen)
anberen ju gute lommen unb für fie ein ©runb ibrcS ©ottbertrauenö toerben. SDieö
füb,rt 5)celan(|tb.on Apol. 225, Uff. auS, um art. 2i ber C. A. gegen bie Confutatio go
508 SBerbtettft Serfaffnng
ju berteibigen. ^n biefem gufammenfyange unb ©egenfaije wirb fyier tüte an anbeten
©teilen ber Segriff meritum, berbunben mit satisfacere, auf ©bjiftt Serfölmung3toerf
angetoenbet unb bie Rechtfertigung al3 gurecljnung feiner Serbienfte beftimmt, befonberS
n. 19: Christi merita nobis donantur, ut iusti reputemur fiducia meritorum
5 Christi, quum in eum credimus, tanquam propria merita haberemus. (Sbenfo
brücft ficb Sutber felbft au§ (bgl. Äöftlin, £utr,er§ Geologie II2, ©. 160 f.). @3 bare
aber ein SDtißberftänbniä ju meinen, baß hiermit aueb, ba§ im Serbienftbegrtffe auggebrücfte
RecfytSberfyältniä jmtfcb.en bem 9Jtenfcfren unb ©ott borauggefettf Werbe. Slllerbingö ift e§
bie SReinung ber Reformatoren, baß bie Serföljmung ber 28elt nic6,t ob,ne jWifct)en ein=
io tretenbe satisfactio ftattfinbe. Stber e§ ift bocb, eben ©ott, ber fte in (Sljriftug befdjafft
unb bamit am b,errücr)ften feine ©nabe unb Siebe offenbart. Unb barum ift e§ eineSara=
bojie, Wenn es> I)eißt, baß Wir gleichkam mit eigenem Serbienfte bor ©ott treten, eine
ebenfolcr)e ^arabope, al3 Wenn $aulu§ ben ©ünber gerechtfertigt werben läfst. ®ie
Terminologie erflärt ficb, au§ ber Solennf gegen ben Äatf)olici3mu§, unb ift bar)er nur
15 für fie brauchbar. SDie broteftanttfcfye Drtr)oborje b,at aber ben Segriff in bie SDogmatif
aufgenommen. S£t)bifcb, §oßa^ (examen p. 836) : satisfactio antecedit, meritum
consequitur. — Satisfactio Christi est exsolutio nostrorum debitorum — me-
ritum autem oritur ex impletione legis et passione indebita. — Merito autem
suo nobis iustitiam et salutem aeternam acquisivit. Sßofyl mag bei biefer Sfteorie
20 ba3 ©nabenbeWußtfein unoerlürjt befielen bleiben, aber e§ bat mit tb,r fein eigene^
Recfyt jWeifelfyaft gemalt. 3)enn e§ fcfjeint nun bocb, fo, al§ befiele ba§ Söefen ber ÜReIi=
gion im „Serbienen", nur baß ihm 6r)riftu3 bertretunglweife bie nötigen merita für
bie 9Jienfcr}en befclwfft b,at. SDaljer foHte berSegriff meritum aud) an biefer ©teile aus
ber ebangelifcfyen SDogmatif berfcfywinben, Wäfjrenb e§ fid) mit bem Segriffe ber satis-
25 f actio, ber bie ©ünbe boraugfetjt, anberg berfy alt.
10. 2lud) in ber neueren @tbjl ift ber Segriff Serbienft meb,rfac^ befbrocr) en Worben.
$ant fiel)t in bem „Serbienft" einen unrechtmäßigen 5Rebenbub,ler ber Sßflicfyt, bie bie
einige ^riebfeber be§ fittlicben §anbeln§ fein foll, bgl. $ritif ber bralt. Sernunft ed.
^ebjbacb, ©. 103 f. ©. 186 ff.: „2Benn mir irgenb etWa§ ©d)metd>el&afteg bom Serbienft*
30 liefert in unfere ^anblung bringen lönnen, bann ift bie Sriebfeber fcfyon mit Eigenliebe
etroa§ bermifcr)t, t)at alfo einige Seiljmlfe bon ber ©eite ber ©innlicb,feit" (©. 190).
Sßäfyrenb bagegen ^ßaulfen für bie bulgäre @tb, il bon bflieb, tmäßigen §anblungen berbienft=
Iid)e unterfcfyetbet unb barin ftet; ber fatf)oltfcr) en ©tfyif bewußt annähert, finbet ©tange, baß
biefe Untertreibung nur für eine t>eteronomifd)e @tb,il juläffig fei, infofern ba ber ©efe^geber
35 ©ebote unb Ratfcbjäge nacb. ©utbünfen abftufe. ©r beutet ben SLfyatbeftanb, auf meinem bie
bulgäre Unterfcfyeibung einer geWölmlicr)en unb außergewöhnlichen ©ittlidjleit beruht, mitüRetf)t
bab,in, baß rtiebt eine bon ber 5ßflicf)t berfdjiebene Rorrn gefyanbfyabt, fonbern bie in bem
befonberen ?yatle I)erbortretenbe fittlidje £etftung3fäl)igfeit be§ §anbelnben mit feinem
fonftigen §anbeln ober mit bem anberer berglicfyen roerbe (@inl. in bie @tb,il II, 90—98).
40 greilieb, müßte bann aueb, ber Sluöbrucf be§ Serbienftlicb.en Einfallen, ber ftet§ auf eine
etb,ifc|e Seurteilung fübjt, bie über bie Sflic^t b,inau3 ein ^öljeref lennt. .ganbelt e§
fid) b,ier um Serbienft im engeren ©inne, fo liegt bod? ber gefamten Serbienftlefyre, befonber^
in ber !atb,olifd;en ©eftalt, ber etl)ifcr/e Mangel ^u ©runbe, baß baS SBefen bei ©ittlicb,en
in bie einzelne ^anblung gefegt, bagegen bie Sebeutung ber ©efinnung al§ ber ftetigen
45 Richtung be§ berfönlicfyen ®illen§ bollftänbig berlannt mirb. Senn aueb. bie eingegoffenen
SEugenben bejeic^nen im latbolifdbert ©^fteme nur Gräfte, bie ber freie 2BiHe be§ 9Jcenfcb, en
ftcb, bienftbar unb nu^bar machen muß, unb nid;t eine ©inneäroeife. ©o treten gerabe
am Serbienftbegriffe bie religiöfen unb etf)ifcb,en Mängel ber Eat^olifc^en Denltoeife offen
3U Xage. So^anneS Simse.
so Serehte, Itrdjltdje, f. bie 2131. 9Jciffion, innere, 3JJiffion unter ben Reiben,
gjciffion unter ben ^uben Sb XIII ©. 90ff., Sruberfcb, af ten Sb III ©. 434,
SiuSbereine Sb XV ©. 464ff.
^erfoffung, lireb, licfie, unb rucbjidjeg Recb,t im 1. unb 2.^abr^unbert. —
Sitteratur: ©. Q.^iancf, ©efd). b. <f)rift. fircöl. ©efeCffct)aftSöerfaffung, 5 S3be, 1803 ff.; 9?.3{otl)e,
55 S)ie Anfänge b. djriftl. Ätrctie, 1837; ^. 33. ßtgfjtfoot, „The Christian ministry", in feinem Somm.
ptn q3£)iltpperbrief, 1873; 31. £arnacf, ®ie ßt^re ber 12 Styoftel, 1884; (£. §atd), ©eieHftf|aft§=
»erfaff. b. Sird)e im SUtertum (überf. ö. 2t. ^arnac!), 1886, ba*u im Expositor J887, 'Kai;
®. Söning, Sie ©emeinbetierfaff. be§ Urctjrtftent., 1889; g. SBeigfäcter, ?tpoftoI. Zeitalter2,
aScrfaffung 509
1892; 3t. ©nbm, f irctienved)t I, 1892; 28. Sa&J, 2et)rfr;frem be§ KtrdiettredjtS unb ber Sircf,en=
poltttC I, 1894; g. JJemUe, Les origines de l'episcopat, 1894; S)unin=33orfottȤft, HJ., S)ie
neueren gforfdjuncjen über bte Anfänge beS (SpiffopatS, 1900 [t)ter eine Bollftänbige Ueberfid)t
Ü6er bie neuere ©pejidlitteratuv] ; £. SSruberS, ®ie SSerfaff. b. Sirdje bi§ j. 3. 175 n. kt)\\,
1904; Jl. Sübecf, 3ieid)Seintethmg unb tird)lid)e £ierard)ie bee Orients bis jttm 9lu§gang beS 5
4. Safjrt)., 1901; 9(. £mrnacf, ®ie SMiffion unb 9luSbreitung beS ©IjriftentumS in ben brei
erften ^1%, 2. 9lufl., 1906; 3i. Änopf, ®a§ nad)apoftolifd)e geitalter, 1905; $. 31. Seber,
3)ie Siafonen ber 33ifd)öfe unb $reSbrjter, 1905. Saju bte Slrtifet „OrbineS", „©eiftlidje",
„^riefter", „©trnoben" u. a. in tiefer (£ncl)flopäbie, ferner bie einfd)Iagenben SSerfe öon
$>infd)tu§, grtebberg, $robft u. f. ro. ' 10
2luf feinem anberen ©ebiete ber $ircb>ngefcf;icf;te ift ber ©egenfafci ber fonfeffioneHen
unb ber gefd)id)tltdjen Betrachtung fo grofj, rote auf bem ber älteften Berfaffungsgefcfjicfyte
ber £ircf>e unb bes fird)lid)en 9ted)ts\ 9kd) fatfyolifdjer 2ef)re b>t gfjriftus bte Äirdt>e ge=
ftiftet, if/r betrug jum £autot gefegt, an betrug einen regterenben 2tboftoIat angefd)loffen,
ber fid; in bem (Sptffobat ebenfo fortfe^en feilte, Wie ber Primat in ben Nachfolgern bes 15
$etrus, unb ben Unterfcf/ieb bon Hierum unb Saien ab§ funbamental angeorbnet. 2lud)
bie ganje übrige Äirdjenberfaffung, rote fie fyeute beftebt, Wirb auf (Sb>iftu3 felbft jurücfgefüfjrt,
unb nur barüber giebt es eine untergeorbnete £ontroberfe, Wie biel er babon bireft unb
toäfyrenb feiner irbifdjen Sebens^eit befohlen, wie biel er al<§ ©rr)ö^ter in ben 40 klagen
feinet 33erfel)rs mit ben Jüngern angeorbnet i)at, unb Was bie Stpoftel bann noa), bon 20
feinem ©eifte geleitet, hinzugefügt fyaben. ^ebenfalls fyat er bie $ird)e als regnum
externum, auggerüftet mit einer ungeheuren 3ted;tsgeWaIt, bie ifyre SBurjel am ü8tnbe=
unb £öfefcblüffel b>t, geftiftet, unb bie flerifalen ^ombeten^en gelten auf ifm prüct. @r
fyat ber Äirdje bas Stecht unb bie $fltd;t uniberfaler 9Jtiffion anbertraut unb if)r eben
bamit bie (Snben ber @rbe jum (Eigentum übergeben, unb er r)at if;r unb tfyren 23e= 25
fd)lüffen in ber 33erf/eiftung, bafj er buref; feinen ©eift bei tlr)r fein Werbe alle SEage, Un=
feblbarfeit berliefyen: bie &ircf)e ift fo ben Weltlichen 9teicb^en ber ©egenWart unb ber
3u!unft jroar als ein regnum sui generis, aber bod) als ein Sfteitf; entgegengestellt, bem
gegenüber bie 5Red)te, bie ifmen noeb; bcrbleiben, nur ben befdjeibenften Umfang r/aben
fönnen. 30
3lber aueb^ nao) altbroteftantifcb^er fiebere ift bie $ird)e eine abficb^tlic^e unb birefte
Stiftung @I)rifti, unb, obgleich bie fat()oIifcf;e 3luffaffung einfr^neibenb forrigiert ift, werben
bod) — im §aIbini<§mu<B unb in einem £eile be§ Sutf)ertumg — bebeutenbe tr/eoiratifcr;e
unb flerüale Elemente, roenn auo) latent, fonferbiert.
SBeibe Betrachtungen f/aben bie ganje (SntroicfeIung§gefdc;idt)te be§ aboftolifcb^en 35
unb naa)atooftoIifcr;en 3eita^er^ SeSen täi uno fluf^erbem fielen unb fallen fie mit
ber grage ber ©efdjicfytücf/feit einiger neuteftamentlicb^er ©teilen (namenlicb^ im
Sbangelium be§ 9Kattfyäu§). ©ieb^t man bon ib^nen ab — unb nao) allen ^Regeln
geftt)ic|)tlicb;er Rx'tixt ift man baju gejtoungen — , fo ift jebeS birefte äußere SSanb
jtoifcfjen Qefuä unb ber ,,^ircf;e" unb ifyren toerbenben Drbnungen gerfde; nitten. Übrig 40
bleibt ba§ innere geiftige Banb, aud; wenn QefuS bie ^ircf;e Weber geftiftet noef) aua)
gewollt l;at. Übrig bleibt natürlich aueb^ bie ^atfad)e, bafj eö eben feine ©dualer unb
©laubigen geWefen finb, bie bie Äircb/e gebilbet f)aben, unb baf? er 3it)ölf bon ib^nen al§
Verbreiter feiner fiebere unb atö fünftige Nieter über bie ^Wb'lfftä'mme eingefe^t b^at.
Sllleö aber, totö Wirflicf) geworben ift, ift md)t aus einem im boraus gefaxten ^ßlane 45
entftanben, fonbern ift unter ben gegebenen geitoer^ältniffen automattfef; b^erausgeWaa^fen
au§ ber brüberlicb;en ©emeinfcfyaft bon 3Jcenfcfjen, bie burd) ^efus ©ott gefunben Ratten,
bie fia) barum bom ©eifte ©ottes regiert Wußten unb bie, in ber jübifcfyen ^b^eofratie
fteb^enb, an bie BerWirflicljung berfelben bureb^ ^efus glaubten unb bafür ifyr Seben ein=
festen, ©ott gefunben Ratten — in ber jübifef/en %t) eofratie ftanben : eine in fiel) ber= 50
jtt)lungene buale (SntWicfelung muffte bie golge fein! 3n Dem ©amenforn ober biel=
mefyr in ©amenforn unb gelb jufammen War boef; niebt nur ein bie 2Renfd;^eit
umfbannenber, in ber g-urcfyt ©ottee atmenber Bruberbunb, fonbern auef; fc^on jene
Hircjte borgebilbet, Wie fie fiel) im $atr;olicismus entwickelt §at unb bon ifym als ur=
fbrünglicfje borgefteUt Wirb. 55
Unter ben berfcfyiebenen fritifcfjen Sluffaffungen ber @ntwicfelungsgefd;icl;te ber fircf)=
lio)en Berfaffung unb bes fircf)lic()en 9?ecf;ts, Welche im legten Qa^rbunbert borgetragen
toorben finb, ragt bie bon ©or)m bura; bie richtige ffißab^l beä 2lusgangsbunfts unb buref;
Äonfequenj b^bor. ©ie bezeichnet gugleicf; ben benfbar fd;ärfften ©egenfa^ jur fatf;o=
lifd^en Sluffaffung („bie ©ntfteb^ung bes Äird;enred)ts unb ber üireb/enberfaffung ift ber 60
Slbfatl bon bem bon ^efus felbft gewollten unb urfbrünglicf; berWtrflidjten ßuftanb").
510 aScrfoffttng
Db fie faltbar ift, mirb bie folgenbe SDarfteßung, bie ftreng anatytifcb, berfaljren mirb,
geigen.
1. ^efuS Ijat, na^bem er guerft toter ©djüler gemonnen fyatte, einen meiteren unb
einen engeren $retS bon 3tnf)ängern um ficb, gebammelt: „Sie ©cfyüler" unb „bte gmölf
5©cbjiüer" (ober „bte gmölf"). ®ie lederen (bielleirfyt aueb, anbere? bie ©iebgig?) fyat er
fcfyon bei Sebgeiten einmal auSgefanbt, um gu torebigen unb gu feilen (bocfy mirb baS
bon einigen «ritifem beftritten). 2lber ben tarnen „2lbofter fyaben fie bielleicljt nocb, nicfyt
bon biefer 2IuSfenbung erhalten, bielmebj mußten fie ficb, felbft erft als 2tbofteI unb
mürben als folcfje anerfannt, nacfybem fie (guerft VetruS) ben Sef)rer unb ©otteSfofyn als
10 fyimmlifdjen £>erm gefeiert Ratten unb bon iljm burcfy ben bj(. ©eift bie 2lnmeifung empfangen
gu l)aben fic| bemußt mürben, baS Söort bon il)m gu bertünbigen. üfteben ib,nen em=
^fingen aber aueb, nocb, anbere ©djwler eine folcfye 2lnmeifung. @S gab alfo, feitbem fid^
bie bureb, bie ^ßaffion gerftreuten 2Infyänger 3>efu mieber in 3erufalem gebammelt Ratten,
1. „bie 3toölf" — „bie @lf", bie ficb, burd? eine üvtoaty ergänzen (21© 1, 15 f.) — ,
15 bie al§ ber ©tamm ber 2Inf)ängerfd)aft galten unb, ba fie bon &\u§ felbft als gufünftige
Stegierer im 9JcefftaSreicb, eingefe^t maren (Duette Q: 9Jct 19,28; Sc 22, 28. 30), aueb,
fdjon jefct als Regenten ber ©emeinbe (unter ber gül)rung beS $etruS) betrachtet mürben,
2. bie „2tboftel", b. f}. bie Sfttffionare, gu benen aueb, bie gmölfe gehörten — erft aE=
mäbjicb, (bie ^Betrachtung beS VauluS ift I)ter mafyrfctjeinlicb, bon bebeutenbem ©influß ge=
20 mefen) entmicfelte ficb, ber ^Begriff ber „gmölf Slboftel" unb tilgte im Saufe beS 2. 2>al>r=
IjmnbertS baS ©ebäcljitniS an eine größere 2IngaI)l bon 2lbofteln faft gang aus, 3. bie
übrigen, b. Ij>. bie „©cfyüler" unb „©cfyülerinnen" (31© 9, 36 ; @b. ^etri 50), borfyerrfdjenb
©aliläer, unter benen man balb „alte ©d)üler" befonberS fjerborI)ob (21© 21, 16), unb
aus beren 3Jcitte bon 2lnfang an ober bocb, fe^r balb bie trüber $efu — an i^rer ©biije
25 ^afobuS — Ijierborragten (21© 1, 14). ®ie gmölfe maren alfo ^Regierer (mefftanifc§)
unb SRifftonare gugleicfy, aber ben SReffiaSgläubigen gegenüber fußten fie rtid^t bie
2lutorität bon Sefyrern geltenb machen ; benn nur einer ift Sefyrer (9Jct 23, 8).
2. SDte ©efamtbegetdmung „bie ©clmler" fyat fid) nicfyt lange gehalten; benn fie
lonnte gegenüber ber 2lnerlennung ^efu als beS 9JceffiaS nicb,t befte^en, toeil fie einerfeitg
30 ju menig, anbererfeit^ jubiel ju befagen festen (fd)on in ber ^Bejetc^nung ol jua&rjjal xov
kvq'lov fyebt fie ficb, felbft auf), ©ie befagte gu menig, meil ber 2luferftanbene nic^t
mel)r nur ein Sel)rer unb ^rojj^et, aueb, nicfyt in jeber^infid^t nur Messias designatus
mar; fie befagte jubiel, meil fie im ©inne berfönlicfyer Qürtgerfcr)aft ober berufsmäßiger
JJac^a^mung be§ 9)tafier3 berftanben merben mußte. 2luf bie §eibencfyriften ift fie faum
35 übergegangen, unb bereite ^ßaulu§ b,at fie aU ©efamtbejeic^nung aUer (Ebjiften nidjt ge=
brauet (mob,I aber bie 2lboftelgefcf)icl)te, mag bon SBicfytigiett ift). 2)er 3tame „©cb^üler" rebu=
gierte ftc^ aÖmäb,licl) auf bie 3roölf unb auf folc^e, bie ben §errn noeb, berfönlicb, gefefyen
Ratten. ®a er aber fpejiaUfiert mürbe, mürbe er feit ber gett ber Verfolgungen aueb,
folgen erteilt, bte — meil ficb, ßb,riftu§ bureb, if>r 5Befenntni§ öffentlich gu ib,nen belannt
40 batte unb meil fie feine Seiben fortfe|ten, alfo feine 9iacb,af)mer mürben — in einem fo
engen Verhältnis ju 6b,riftuS ftanben mie bie einft berfönlidb, berufenen jünger. 2Benn
baneben im 2. ^a^ljunbert bie 2lbologeten ßb^riftum mieber ifyren Seb,rer unb ficb, unb
bie 6f)riften überb,au^>t feine ©cb;üler nennen, fo ift bas für ben tecfynifdjen ©ebraua) beS
3Borte§ ofme jeben Gelang. ®a| bamit ba§ ältefte Verhältnis, mie eS ^mifcb,en S^fuS
45 unb ben früb,eften Jüngern beftanben blatte, mieber aufzuleben fcfjien, ift jufäUig unb nur
fcb,einbar, ba aueb, bie Slbologeten in ib,m bie @rfcb,einung eines b,immlifcb,en SSefenS er=
kannten. ^Dagegen finb bie bemußten Verfuge bon Sßicpgfeit, bie nac|mtal§ gemalt
morben finb, innerhalb ber größeren ©emeinbe ober tb,r gegenüber, eine ©rufetoe bon
,,©cb,ülern" ju fcb,affen, bie beSfyalb bie ©cb,üter ^efu finb, meil fie feine 9Zacb,ab,mer im
so ftrengen ©inn finb. 5Reben ben Äonfefforen lommen |ier bie manbewben unb brebigen=
ben 2l§!eten be§ 2. ^ab,rf)unbertS unb fobann im 3. bie 5Röncb,e in Vetradjt. 2lber fc^on
bor ber ©ntftebung beS ?[Röncb,tumS b,at ÜRobatian feine Reform ber Iatb,olifc^en 6b,riften=
b^eit bureb, 2Bieberbelebung be§ ^Begriffs beS ©cb,ülerS unb 9Jacb, ab, m er § ßb,rifti — freiließ
in feb,r unjureicfyenber, ja fcb,mäcb,Iicb,er SBeife — burcbjufe^en berfucb,t. Qmmerb,in tommt
55 in bem niemals in ber ^irdjengefcfyidb, te gang er!ofcb,enen ©ebanlen, ^efuS muffe „©cb^üler"
b,aben unb ber ©cfmler muffe ber 9tacb,a|mer ^efu (im Seben, im -ffiirlen unb im Seiben)
fein, ein uraltes (Element gum 2tuSbrucf ; benn nacb, ben ebangelifcb,en Vericb,ten fann ba=
rüber fein ^meifel fein, baß QefuS feine ©cb,üler nicf)t nur als Sernenbe, fonbern in unb
mit bem Semen als feine imitatores b. b,. als Vergicb,tenbe, §elfenbe unb Seibenbe ge=
60 bad;t b,at, fo gemiß er baneben aueb, einen „brüten Drben" — benn granciSfuS b,at ib,n
»erfoffttwg 511
an biefem fünfte ganj richtig berftanben — gelten liefe. $nbem bie ©efamtgemeinbe
b. f}. bte ßfyriftenbett, bte ©clbftbejeicbmmg „bte ©cfyüler" aufgab, fteigerte fie tfyr reli=
giöfeS 33etoufjtfein, biSbenfierte ftd; aber gugletd^ bon ber ftrengen 9iacfyal)mimg ^efu.
SDiefe 3Crt ber ©nttoicfelung ber ©efamtgemeinbe ift nur ein Spezialfall il)rer 4>arafte=
rtftifdjen ©nttoicfelung auf allen Sinien, unb eS ift fner tote überalt bebeutfam, bafj $auluS 5
an biefem ^Srojefe befonberS fräftig beteiligt ift. SBenn baS Seben im ©eift, toenn ©laube,
Siebe unb Hoffnung bie £aubtfact;e ift, fann bte generelle Zumutung be* imitatio nicbj
mef)r befielen. Stamtt fällt bie güngerfctwft im eigentlichen ©inn. ®en ©etohm l>at
bie bona libertas einerfettig unb bte lircbjicb, reglementierte Soweit anbererfettS.
3. 3)ie 3toö"f' b'e 2lt>ofiet unb bie übrigen (f. sub 1) ^ufammen bilbeten in $eru= 10
falem bie meffianifcbe ©emembe $efu. ©ie toaren ein föreiS bon $uben, ber ftct) bon
feinen SSoIlSgenoffen gunädbjt nur baburd; ju unterfcfyetben fcfyien, bajj er ben fünftigen
SDJeffiaS, ben alle als in beS §immelS SBolfen fommenb erfelmten, bereite fannte unb feine
balbige Slntunft beftimmt ertoartete. Slber eben biefeS Moment barg eine güHe neuer treibenber
Gräfte in ficb, ; benn erftlicb, entftanb fo ber ©egenfatj bon „©laubigen" unb „Ungläubigen", 15
ber fiel; nottoenbig bis jur Sluflofung jebeS SanbeS ^toifcfyen beiben teilen fteigern mufjte,
jtoeitenS gab bte (Erinnerung an „altes baS, toaS ^efu€ geboten blatte", ben ©injelnen
unb ber ©emeinfcfyaft beftimmte Richtlinien, bie über bie bisherige ©emeinfcfyaft bjnauS=
führten, unb brittenS toeclte „baS Üntertofanb beS ©eifteS" eine l)eroifct;e guberficfyt unb
^atfraft unb trieb jur SDtiffion. 20
SDaS ©elbftbetoufjtfein, toelcbeS bie jugenblidjje ©emeinbe befafe, fbiegelt ftd; in ben
©elbftbejeicbnungen. Söäbrenb fie fiel; als „©aliläer", „Sfaigaräer", toofyl aud) als „bte
2lrmen" bejeid)net unb berfbottet borte, nannte fte fid) felbft „baS Soll ©otteS", „ben
©amen älbraljamS", „baS auSertoäfylte SSoIl", „bie ©rtoäfylten", „bie jtoölf ©tämme",
„bie Anette ©otteS", „bie ©laubigen", „bie ^eiligen", „bie trüber", „bte lirebe ©otteS" 25
unb nannte il)re ungläubigen 33olfSgenoffen, toenn fie bartnäcftg ber ebangeltfcben 33ot=
fd;aft SBiberftanb leifteten unb bie ©laubigen berfolgten, „bie ©bnagoge beS ©atan"
$n jenen SSejeic^nungen bringt fie jum SluSbrucf, bafj fte baS Soll im SMfe ift, bem
allein alle 3Serb,eifeungen gebühren; bann mar eS nur eine grage ber fttit, bafj biefe
Gljriften bie nidjt cbrtftgläubigen ©tammeSgenoffen, alfo baS gan^e übrige ^ubentum, als 30
jeber $rärogatibe berluftig, ja als tb,ren magren ©egenfatj anfeb^en mußten.
©ie Sejeicljnungen „bie ©laubigen", „bie §eiligen", „bie trüber", „bie Kirche"
(toob,l auc^ fc|on frü^e „bie b,eilige SLirfye") finb btejenigen getoefen, meldte an bie ©teile
ber Sejeic^nung „bie ©cfmler" getreten finb. 2lße bier finb fct)on im ^wbentum nacb,=
toei§bar (ju „Srüber" f. 21© 28, 21), aber toaren bort nur bon fefunbärer Sebeutung 35
getoefen.
„^eilige" nannten fidj bie (Sb,riftgläubigen, toeil ^efu§ fieb, für fie geheiligt f>atte,
toeil fie bureb, bte SLaufe unb ben f)f. ©eift geheiligt toaren unb fiel; al§ ^eilige unb
^Xeilne^mer ber ^ufünftigen §errlicb,feit toufeten. äln ben 6I)ari$>men, an 3Bunbern unb
3eicf;en unb an ber 3Racb,t, bie ^Dämonen auszutreiben, befafeen fte bie tl)atfäd;licl;e unb 40
finnenfäHige ©etoä^r ber §eiligleit (biefe batte fotoobj einen bingltcben al§ aueb, einen perfön=
Itcben 6b, aralter ; jum erfteren f. 1 Qto 7, 14 unb im allgemeinen §. Söeinel, ®ie 2öir!ungen
be§ ©eifte§ unb ber ©eifter u. f. to., 1899). ®ie Sejeidmung b,at fia) als ted^tttfd^e big jur
montaniftifcb,en ^rife gehalten; bann berfcfytoinbet fie (aber nur aHmäfyücl;), tauebt aber
in 33erfoIgung§jeiten immer toieber auf. ®afür entftanben ^eilige ©tänbe (9Jfärtt)rer, 45
^onfefforen, SlSfeten, jule|t — im Saufe be§ 3. SafyrfyunbertS — and) l)eilige Sifcb^öfe; bon
ben beiligen Slbofteln fpricf;t fd;on ber @bb,eferbrief 3, 5), unb bie {»eiligen SJJittel
(©aframente) feboben fieb, immer me^r in ben 3Sorbergrunb, unter beren ftofetoeifem @in=
flufe bie ber Heiligung fefyr bebürftigen ©brtftert immer toieber geheiligt toerben. 5Ran
toufete fiel) niebt mefjr als b,eilig im ©inn bon berfönlicf) rein (33erfuo|> D^obatianS eine 50
Äirc^e bon „Steinen" berjuftetlen), aber man befafe ^eilige 3)tärtbrer, beilige 2l§feten,
^eilige ^3riefter, f)etlige §anblungen, ^eilige ©Triften unb eine ^eilige Se^re.
Safe ber 9?ame „Srüber" fo ftar! in ben Sorbergrunb trat, ift bte golge ber 3Ser=
fünbtgung ^efu ($flt 23, 8). @r tourbe nod) geftetgert bureb, benSeifa^: „intern §errn",
inxd) bie ^"fflfiw^fflfiwttS °er ganzen 93erbinbung unter ber 33ejeicb,nung: rj ädelq?ÖT)jg 55
(1 $ßt2, 17; 5,9 unb fonft) unb bureb, baS bon Qefug felbft erteilte, aber boct> nur
jögernb bertoertete 9tecf)t, ib,n felbft unter ben trübem mit gu begreifen (5Rt 12, 4S;
&Ö 8, 29). ®er Dtame ift fbäter b. t). im 3. ^afyrfyunbert meb,r unb meb,r jurüclgetreten
(in ber ^rebigt b,ielt er fiebj, teils toeil bie faltifcb,en Serfyältniffe ib,m nic^t mef)r ent=
(brauen — man toar lein Sruberbunb meb,r — , teils toeil ber begriff fia) unter bem 60
512 SScrfoffung
©influfs beS ftoifcfyen 93ruberbegrtffg berfladjte (S£ertull., Apol. 39: „fratres etiam
vestri sumus iure naturae matris unius"), teils meil er nunmehr ebenfo für be=
fonbere ©tänbe in ber ßljiriftenfyeit referbiert mürbe mie ber üftame ^eilige: ber Jllerifer
nannte ben ^lerifer, ber ^onfefjor ben Honfeffor, ber ^onfeffor ben Älerifer „Sruber"
5 ober „$err Sruber"
©er 9came „bie 5!ircl)e" („Kahal") mar ber glücflicbjte ©riff, ben bie Urgemeinbe
auf biefem ©ebiet ber ©elbftbeäeic^nungen getfyan l>at (bafj er auf SgefuS felbft ^urücfgeb,t,
ift tro| 9Jlt 16, 18; 18, 17 menig mafyrfcfjemlicl)). ^auIuS B,at ifyn fcfyon borgefunben,
unb %toax in bem Dreifachen ©ebraucfye, forcof)! als ©efamtbeseidjnung ber SI)riftgläubigen
io (31© 5, 11 guerft, f. auct) 12, 1: oi änd rfjg ixxlrjocag), als aucfy im ©inne ber @inje(=
gemeinbe (21© 8, 1 ; ©a 1, 22) unb im ©inne ber ^ufammenrunft ber ©emeinbe. ©ie
Urgemeinbe b,at ben feierlichen SluSbrucf, ben baS ^ubentum für feine gotteSbienftlidje
©efamtfyeit brauste, übernommen („Kahal" — in ber LXX in ber Siegel mit exxkrjoia
überfe|t — ift bie ©emeinbe in ifyrer Se^iebung ju ©ott unb ift bat)er feierlicher als
15 baS meb,r profane „Eda", meines bon ben LXX ftetS mit owayooyr) überfe^t toorben
ift. ®ie Sftejebtion Don ExxXrjaia ift alfo ebenfo gu berftetjen mie bie bon „^Srael",
„©amen SlbrafyamS" u. f. m. Qm praftifcfyen ©ebraucf) ber bamaligen geit trat bei ben
$uben lxxlr\oia toeit hinter ovvaycoyrj jurüd, unb baS mar für bie GI)riften fel)r günftig).
®er bielfeitige ©ebrauct) jufammen mit ber religiöfen gärbung — bie bon ©ott berufene
20 ©emeinbe — fotoie bie Sftöglicbjett ber ^erfonifijierung liefert ben Segriff unb baS 2Bort
rafcfy in ben Sorbergrunb treten, unb ber bermanbte Segriff: „6 Xaog" !onnte ficb, ifem
gegenüber als tectmifcfyer rttd^t galten, ©ben weil man bie Sejeicfmung „rj ixxXrjoia"
befafe, mar eS unnötig, ben -Kamen ,,f) awaycoyt)" §u übernehmen, ben man jmar ntd)t
ängftlicfy freute (f. meine Slnmerfung gu £ermaS, sDknb. 11), aber bocf) feiten gebrauste.
25 2öie man feine blofje ©djmle war (ben Reifen unb ben Slbofteln gegenüber), fo aucb,
leine ©imagoge, mie bie ber Sibertiner ober ©ilicier. 9JJan mar eine bon ©ott berufene,
bom ©eifte regierte ©emeinbe b. b. ettoaS gang -JteueS, aber eben bamit bie Serroirf=
licfyung bei alten 3°ealS. £>ie Sefyaubtung bei (SbtbfyamuS (haer. 30, 18), baf? getoiffe
$subend)riften ben tarnen ©bnagoge auSfcfyüepcf) (mit Slbtoeifung beS Samens „©lllefia")
30 bei ficb, angemenbet Ratten, ift entmeber unrichtig ober begießt fiel; nur auf eine fbätere
graltion bejibierter unb ber großen Äircfye befonberS feinblidjer Jyubencfyriften.
©aburd), bafc man bie Seseicfmung. „©imagogc" als tecbnifcfye ntd^t übernahm,
fjoben ficb, bie ßfyrtften auef) terminologifc^ fcfyarf bom ^uodtwi" unb feinen religiöfen
Serfammlungen (namentlicf) in ber ®iafbora) ab, nacf;bem bie innere Trennung eingetreten
35 mar. 2ll§ „^ircfye" unb als „Äircfjen" fjaben bie §eibencf)riften bie neue Sieligion bon
Slnfang an fennen gelernt. Unter biefem Söort (toie unter bem Söort „Srüber" unb
„^eilige") bermocfyten fie ficb, etroaS ju benfen, menn aucb, nic^t baS, toaS man in
^erufalem barunter berftanb. ©in autoritatibeS ©lement mar urftorünglicl) im Segriff
ber Siirc^e mct)t gegeben; aber jebe beifüge ©röjje, bie ficb, als ibeal=reale ©emeinfcfyaft
40 giebt, birgt ein foldjeS bon Slnfang an in fic^: fie ift „bor" bem ©injelnen; fie fyat ib^re
Ueberüeferungen unb Drbnungen, ib,re befonberen Gräfte unb Drganifation. ©iefe finb
autoritatib; bagu: fie trägt ben ©injelnen unb berfid)ert ib,m gugleic^ ben Sn^a^^ ^en
fie bezeugt. ©<|on 5!JJt 18, 17 erfcb,eint fogar bie ©injelgemeinbe als ritterliche älutorität
(f. barüber unten), unb 1 %i 3, 15 Ijeifjt eS : olxog fteov, rjiiq iazlv exxirjola &sov
45 C&vzog, ojvlog xal idgalco/xa Tfjg älrj'&eiag. „Ecclesia mater" finbet fiep bann in
ber Sitteratur beS 2. ^fl^^unbertS öfters (Tertull. ad mart. 1: „domina ecclesia
mater"). 2lm mieb^tigften aber mürbe es, baf? ^auluS (mar er ber erfte?) eine Sb,riftuS=
®irtf)enfj)efulation eröffnete, ber ^mar bie alte SorfteHung bom @b,ebunbe ©otteS mit
feinem Solle ju ©runbe liegt, bie aber aucb, jeitgefcb,icb,tlicb,e SlonenborfteUungen benu^en
so mufete (ba 6b,riftuS nicfyt ©ott felbft, fonbern ein göttliches 2Sefen mar), gn biefer ©befu=
lation mürbe bie Äirdje ein l)immlifd)eS unb ein irbifcb,eS Sßefen gugletct) unb fonnte an
allen 2luSfagen teil nehmen, bie man über ßfyriftuS machte. Sie ^ircb,e ift im §immel;
fie ift bor ber Söelt gefcb, äffen; fie ift bie @ba be§ l)immlifcb,en Stbam; fie ift bie Sraut
ßbjifti, ber £eib Sltrifti; fie ift gemiffermafjen ßb^riftuS felbft, mit ib,m unb an ib,m bom
65 §immel in biefer ©nbjeit erfefnenen. SöaS Xertullian in bie SSorte gefaxt §at: „In
uno et altero Christus est, ecclesia vero Christus, ergo cum te ad fratrum
genua protendis, Christum contreetas, Christum exoras" (de paenit. 10), biefeS
^neinanber erb^abenfter @infacb,l)eit unb auSfdjmetfenber 9)ct)ftil, baS bat man mit größerer
ober geringerer Älarfyeit in ben meiteften Greifen unb faft bon Slnfang an fo borgeftettt.
60 ©s mar tröftlid), es mar eine ernfte Serbflicf>tung, unb es mar ein überfcfymenglicfyer ©e=
Schaffung 513
banf e bolt f)immlifcr)er Kraft : ber ßfyrift fyat aU 2Jfttglieb ber Kircfye nicbj nur fein 33ürger=
red^>t im §immel, fonbern ifi aucb, ein ©lieb am Seibe Gl)riftt; aber aucb, bie 93erant=
mortung mucf)g bamtt, unb bie ftral)Ienbe Krone tonnte and) eine furchtbare Saft fein.
Sie fonfrete 3Ratur ber ©emeinfcf/aft fam in ber xoivcovia (tecr/nifd? : f. 21© 2,42
unb ©a 2, 9) unb in ben gemeinfcfyaftlicfyen 3Ka^tjeiten §um 2Iugbru<£ £)ie xoivwvia s
muß ficb, über ben ganjen Sereicb, beg Sebeng erftrecft I)aben unb machte bie Sejeidmung
„adelcpoi" jur SBa|rl)ett; bie gemeinfcfyaftlidjicn TOafyljetten befiegelten biefeg 33er^ältni€.
£araug aber folgt meiter, baß unbefd)abet beg 2tnfefyeng unb ber befonberen 3te^te ber
groölf unb anberer ©eiftträger ibeeU bei ber ixxXrjoia bie ©emalt lag, unb eine gemiffe
©leid)£>cit aller 9flitglieber gefyerrfcfyt fyaben muß. sJZä§ereg miffen mir nicb/t, aber aug io
31© 15 ergiebt fiel), baß in großen Sebengfragen bei ber exxXrjola (im herein mit ben
ßtr-ölfen refp. ben 2tbofteIn) bie ©ntfctjeibung lag. 2Bte babei bie „©imobe" b. i). bie
große ©emetnbeberfammlung (b. fy. eben bie exxXtjoia in einheitlicher unb afttber SDar=
fteßung, fef)r irrefüfyrenb „Jfyofteltonzil" genannt) gu beurteilen ift, ob fie regelmäßig
jufammentrat, mie ficb, innerhalb biefer ,,©r/nobe" bie Kompetenzen ber 2tboftel (beg 15
betrug) bejro. beg $afobug be^ro. ber $regbt>ter abgrenzen, enblia) ob bie jerufalemifdje
„oimobe" all ftetige (Sinrictjtuttg borbüblidb, geroefen ift für bie fyeibencfyriftlicfyen
„Sr/noben" (b. i). urfbrünglicb, bie folennen 23erfammtungen jeber einzelnen ©emeinbe),
toiffen mir nid^t fidler. Söenn bie gormein, bie Sufag brauet (15, 22: Böge xölg
anooxoXoig xal xölg JiQeaßvxsqoig ovv oXr] zfj IxxXrjoiq unb 33. 28 : edog~ev reo nvev- 20
/uazi xc5 äyiq) xal f]fxiv), richtig unb genau finb, fo fungierte bie ©r/nobe fo, ' baß fie
ftcb, babei all Drgan beg 1)1. ©eifteg mußte (alfo Ünfefylbarleit!). SDer 9Jcobu3 mar
biefer, baß bie Sltooftel unb ^3regbr/ter ficb, befonberg äußerten bejm. borfcfylugen, unb bie
©emeinbe (tö nkrj&os: 21© 4, 32; 6, 2. 5; 15, 12. 30 [in 2Intiod>ia] ; [21, 22]; feb/lt
bei $aulug) juftimmte ober ablehnte. 25
4. Sefyrer unb ©djüler (toenn aucb, bag 33eroußtfein um biefeg 33erb,ältni§ immer
meljr abnahm) — eine anfangt faft familienfyaft jufammenlebenbe ©emeinbe — bag
toabje &xad, in beffen SJtttte ber §err bemnädbjt erfreuten mirb unb bem atte Steckte
unb Drbnungen beg 23ol!eg ©otteg julommen — eine r/tmmlifcr)e ©emeinfefjaft, bie nur
für eine xurje ©banne ftzxt in biefem 2ion erfebjenen ift: aUeg bag mogte bon 2lnfang 30
an ineinanber. SRetdjer unb fomplijierter auggeftattet ift roofyl nie in ber 9?eIigion^=
gefd)id)te eine neue ©emeinfe^aft aufgetreten! 2tucb; bie 9tecb,t§bilbung, bie fofort eintrat,
geigt fcfyon in tf>ren embryonalen ©tabien bie fompli^iertefte 2lnlage. SDie ältefte ©emeinbe
toußte ficb, noeb, ate jübtfctje b. b,. fie empfanb ficb, an bie 2tutorität be§ ©efe^e§ unb aller
jeitgefc£)icf)tlicb,er Drbnungen, bie mit ib,m jufammenb,ingen, gebunben; aber im Konflilt^faße 35
fab, fie fid) genötigt, fid) ber 2lutorität be§ jerufalemifcb,en ©ericb,täb,of§ ^u ent^ieb,en
(31© 5, 29: TieiS-aQxeTv dsT ßecö fxäXXov fj äv&gcoTioig) ; benn fie mußte ben Söcifungen
beg ,,©eifte§" unb ben ©eboten ^efu unbebingten ©eI)orfam leiften. Qn un^ m^ ^efer
jtoeiten unb brüten 2tutorität neben bem 21SE unb ben väterlichen Drbnungen mar ferner
noeb, eine 2lutorität ber 3^blfe unter ber güfyrung beö betrug al§ Selber unb 5Regiercr 40
gegeben (f. 0. sub 1), unb biefe muß aueb, in bem 9iecr;t biefer 3WD^fe auf folenne
©ünbenbergebung — unbefd)abet be§ allgemeinen StedjitS) unb ber allgemeinen ?fift\d)t ber
Sünbent-ergebung — hervorgetreten fein (9Jct 16, 19; 18, 18; ^o 20, 23). ®iefe ©e=
toalt, an unb für ficb, nid)t rechtlicher 5Jatur, mürbe boa) ju einer förmlichen richterlichen
gunhion. 2Iu§ ber bun!len ©efdb;i4)te 21© 5, 1 ff. (2tnama§ unb ©abbfura) läßt ficb, mit 45
95ab,rfcb,einlicb,!eit entnehmen, baß betrug atö §aubt ber 3WÖIf ©trafgemalt ausgeübt
bejw. ben ©trafboKjug beg „©eifteö" bewirft $at („©roße gurcb,t" in ber ©emeinbe,
31© 5, 11). 2lber aueb) bie ©emeinbe felbft lonnte ©trafgemalt ausüben big jum 33ann,
toenn bie brüberltdt)e 33ermab,nung unter toter 2lugen unb bann bor ,3euSen ntc^tl ge=
fruchtet b/itte (biefer ^nftan^en^ug Wt 18, 15ff. ; er feb, ließt: emöv rfj ixxXrjolq' iäv de 50
xal xfjg sxxXt]aiag naQaxovorj, k'oxco oot ojojisq 6 l&vixög xol 6 xeXcovtjg). Üieben
biefen 2lutoritäten, beren ^ufämmentoirfen unl bunlel ift unb unter benen @tn3elne
(betrug, ^ob^anneä) noeb, eine befonbere 9toHe fbielten, gemannen fd)ließlicb, noeb, bie 33er=
toanbten ^efu aU 23ermanbte, bor allem QafobuS, eine gemiffe 2lutorttät (f. u.).
©ie Xrangformation ber ^ubenftrcfye unb ©^nagoge in bie ©fllefia ©otteö belaftete 55
unb feftigte bie cb/riftlicfje ©emeinbe bon 2lnfang an unb gab ib,r 9tecr/t3orbnungen.
9tecb,tgorbnungen ermucljfen it)r aber aueb, au§ ber Überzeugung, bie meffianifdb,e ©emeinbe
ber ©nbjeit ju fein ; benn als foleb, e mußte fie ficb, rein unb b, eiltg erhalten, mag le£tlicb,
nur bureb, ©trafen unb 33ann gefdj»ef)en tonnte, ©nblicb, mußte fie neue 2ebeng= b. b,.
9tecb,tgorbnungen augbilben, meil fie bag gefamte Seben unb Renten ib,rer ©laubigen fo= 60
8teoI=®ncörro|)äble für Ideologie unb SUrdje. 3. a. XX. ;J3
514 aSctfoffuttg
mie baS gefeßfcfyaftlicfye SSerr/ältniS berfelben jueinanber mit 33efd)lag belegte urtb alles
einer neuen unb feften Drbnung, aucb, in öfonomifdjer §inficf;t, ju unterwerfen fuc^te.
%üx bie neuen £ebettSorbnungen fotlte bie in ber gamilte fyerrfcfyenbe Srüberlicfyfeit als
bie ber mefftanifcfyen geit am meifien entfbrecfyenbe £ebenSform borbilblid) fein; aber man
5 mürbe fid), mie unfre 2tnbeutungen geigen, ein falfcfyeS SBilb bon ben guftänben ber ©e=
meinbe Don Igerufalem in ben erfien Igafyren machen, mcnn man fie ficb, ettoa mie einen
SSerein fommuniftifd)er Dualer borfteßen mollte. (StmaS babon unb bon einem fanften
bneumaiifd)en 2lnarcl)tSmuS mar allcrbingS mof)l borf)anben; aber mit ü)m fonfurrierten
bie gemaltigen, recfytSbilbenben Gräfte ber jübifc^en Drbmmgen, ferner baS in ber 23er=
10 roirificfmng begriffene meffianifct/e SieidjiSibeal, meiter bie ^ßrärogatibe ber „ßmölf" unb bie
©emalt ber unfehlbaren ©emeinbe. ©aju : ju ber Stutorität beS 21SS trat bie älutorität ber
§ermmorte, benen man ©ebot um ©ebot entnahm. ©aS toaren aUeS abfolute 2lutori=
täten, bie bie freie 23emegung beS (Einzelnen unb aucb, bie ©elbfiftänbigfeit unb ,,©Ieio)=
fyeit" in engen ©renken gelten.
15 5. 2lußer ben gmölfen unb ben 2lbofteIn gab eS aber an ber «Seite ber legieren
bon früher Qeit r)er in ber ©emeinbe and) noct) berufsmäßige *ßrobl)eten unb £eb,rer
(nid)t bon 2tnfang an; 3iefu<§ fagt: %l)x foHt eucf; nicfyt fiefyrer Reißen laffen). SBann
unb mie bie SriaS entftanben ift, miffen mir ntcfyt. Dirne 2lnlefmung an Qübtfct)eg mirb
fie ftdt) nidjt entmidelt b,aben (-JcafyereS f. in meiner 2tuSgabe ber „2lboftelleI)re" unb in
20 meiner SJciffionSgefcfncfyte P, ©. 267 ff.). ^SauIuS fagt 1 Ro 12, 28: ovg juh e&exo ö
fiebg Iv xfj IxxXrjaiq tiqcöxov djiooxoXovg, öevxeqöv 7iQO(prjxag, xgixov diöaoxdXovg
(bgl. @bf> 4, 11 unb bie „2lboftellef)re"). ©iefe brei ©tänbe bilben eine @inl)eit, meil
fie alle mit bem XaXslv xov Xöyov xov ftsov betraut finb. yizbm ben 2ttoofteIn als
SJliffionaren mit befonberen ©tanbeSbflidjten — je jmei manbern jufammen, f. 5Rc 6, 7 ;
25 £c 10, 1; ^ßetruS unb QofyanneS; 93arnabaS unb ^ßauluS; CJubaS unb ©tlaS); SarnabaS
unb ÜJiarfuS; ^auIuS unb ©ilaS; XimotljeuS unb ©ilaS (2t© 17, 14); SimotljeuS unb
©raft (19, 22); baß ^auluS mefyr unb meb,r als ©injelner miffioniert, ift für feine ©onber=
fteüung cr/arafteriftifd) — ftefyen bie ^ßrobfyeten. ©ie finb teils in einer einzelnen ©e=
meinbe mtrffam, teils ger/en fie aucb, in anbere ©emetnben (3Rt 10, 41; 21© 11, 27ff.;
30 21, 10) unb fyaben ebenfalls ib,re ©tanbeSbflidjten. ©ie £ef)rer fcf/einen an einen Ort
gebunben gemefen gu fein, fo baß bie ^3robl)e^en gmifcljen ifnien unb ben 2lbofteln eine
SiJlittelfteEung einnehmen (2lboftel unb ^robf)eten in ber 2lbofteIleb,re c. 11 unb fonft;
^robfyeten unb £el)rer 1. c. 15; 21© 13, lf. unb fonft). ßb,ariSmatifcr;e ^erfonen finb
fie alle, b. i). \i)t Seruf ruf>t auf einer ©eifteSmitteilung unb gilt ibeeU ber ganzen
35 tircfye. 2lber ber d;artSmatifd)e S^araftcr fdjließt nic^t aus, baß i^r 5Ranbat bon ber
©emeinbe anerfannt bejm. erbrobt fein muß. 2lud) ber 2lboftel fdjeint für jeben 9JliffionS=
gug einen befonberen 2luftrag nötig gehabt ju b,aben. @rlifd)t ber Auftrag, fo ift er
„£ef)rer" bejm. „^ßrobb.et" — fo fd)eint eS menigftenS am 2lnfang gemefen gu fein,
©treng genommen ift erSlboftel aud) nur für bie, für bie er ein SDtanbat embfangen b,at
40 (f. 1 J^o 9,2; ©a 2 ; ?Rö 11, 1:): änooiolr] xfjg jisQnojufjg, ißvcöv änooxolog.
Älaffifclje ©teile 21© 13, lf. : tjoav er 'Avxtoydq xaxä xrjv ovoav exxXrioiav tiqo-
(pfjxai xal diddaxaXoi (folgen fünf tarnen, unter ib,nen SßarnabaS unb ©auluS). Xei-
xovgyovvxcov de avx&v xcp xvqico xal vrjoxevovxwv emev xö nvev/ua xb äyiov
äcpoQLoaxe d)'] /uoi xov Bagvdßav xal JEavXov eig xb Eoyov o ?i()ooxsxXf]/uai av-
45 xovg ' xoxs vr]oxsvoavxeg xal Jigooev^djuevoi xal im&evxeg xäg %siQag avxolg
änüvaav. ^m llnterfdpieb bon ber üblichen ©jegefe bin icb, geneigt, als ©ubjeft §u
XeixovQyovvxa>v etc. bie antioc£)enifcr/e ©emeinbe ju fubblieren. ©d)roffe ©ubjelts=
mec^fel finb bei £ufaS feb,r häufig, unb 33amabaS unb ^auluS lönnen fia) bocb,
nid}t felbft auSgefonbert fjaben. Über bie ©ef<fnd)te ber 2lboftel, Sßrobfyeten unb £eb,rer
so f. unten.
6. ©ie Seftellung jum SDienft an ber ©emeinbe erfolgte nad) borb,ergeb,enbem ©ebet
unb gaften burcf» ^anbauflegung (21© 6, 6; 13, 3; 1 SU, 14; 2 %x 1, 6; 1 %\5, 22).
2öie man ju if)r fam, braucht man nid)t ju fragen, ba eS ficb, um bie Fortführung eines
fübifcfyen ^RituS ^anbelt. ©aß man in ber ^anbauflegung bie 33erleil)ung beS jum 2lmte
55 nötigen 6b,ariSmaS faf) — nidjt bloß einen fr/mboIifd)en 2lft — , ift auS ben Simotb,euS=
fteHen beutlict/, unb baß biefe erft eine fbätere 23orfteUung auSbrüden, ift unmafyrfdjieinlid).
©ie ^anbauflegung mar alfo gemiß „falramental" ; aber meldte beibehaltenen ober neu
gefcfyaffenen Sitten maren in einer ©emeinbe nicfyt falramental, bie ben fieb, finnenfällig
bet^ätigenben \) eiligen ©eift in ib,rer 9ftitte ^atte? ^ur §anbauflegung maren bie gmölf
eo berechtigt (f. 21© 6, 6, mo ber fd;roffe ©ubjeftsmecbjel bemerfensmert), aber aua) bie
»erfaffung 515
ginjelgemeinbe, bie bie £anbauflegung burcb, ibre ^reSbr/ter bottgog (1 %i 4, 14), ferner
bie 2lboftel unb berufsmäßigen 9Jüffionare (1 %i 5, 22 ; 2 %i 1, 6) ; aud) formten 2lboftel
unb ©emeinbe jufammenmirfen. 3Bte alt bte 33orftellung bon ber Übertragung ber
2tmtSgemalt beS DrbinatorS auf ben Drbtnanben unb ber ©ebanfe ber ©ucceffion tft,
toiffen hur nid)t. 5
7. Über bie Stellung ber 9Jcutterfircr)e $erufalem im Greife ber jübifd)en %'6ä)Ux-
gemeinben ift eS nicfyt leidet ein Urteil gu geminnen, weil bte 3<*&Jl ber einfebjagenben
älteften QueßenfteHen fbärlicb, ift, meil man ntcfyt tt>et§, ob man jüngere ©teilen bter
Ijerbeigieben barf unb meil man ferner unterfdjeiben fann, toaS ber ©emeinbe in ^erufalem
als 3eruMcm uno ^aS tyx a^ ©i| oer .Stoölfe (atf° eigentlich, nur biefen) gebührt. Vor 10
Übertreibungen mufj man ftcb, jebenfaHS brüten; benn an mehreren ©teilen, too man bie
(irmäfmung ber ©emeinbe bon 3>etufalem ermarten müfjte, menn tt)re Vebeutung eine fo
burcbjctilagenbe unb abforbtibe getnefen märe, finbet man ganj unbefangen bte ©emeinben
bon Subäa genannt (f. ©a 1, 22; 1 2b, 2, 14; 21© 11, 1. 29; 15, 1). VauluS nennt
baS „obere" ^erufalem „unfere Sftuiter" (©a 4, 26), nicfyt aber bie ©emeinbe bon $eru= 15
falem, unb bie 33ebaubtung, ber 9?ame ol äyioi fyabt in fbejiftfdjer 2ßeife an biefer ©e=
meinbe gehaftet, läfjt fiel; niebt galten, 2lnbererfeitS tft $erufalem ben baläftinenftfeben
Triften „bie Ejetltge ©tabt" (9JU4, 5; 27, 53), unb eS lag in natürlichen 33erf)ältntffen
begrünbet, baf? bie ©emeinbe bafelbft als baS eigentliche Zentrum unb als 2luSgangS=
bunft ber 6b,riftenb,eit angefefyen mürbe (aueb bon VauluS). Sie auffadenbe Konfirmation 20
ber famarttanifef/en ©emeinben burcb, «JktruS unb ^ofjanneS fyat nichts mit ber Sebeutung
^erufalemS ju tl)un, fonbern ift baS dnbe einer Kontroberfe über bte ©amariterbefebrung,
beren Stecht, mie bie ©bangelien geigen, juerft umftritten mar unb bie aueb ntcb,t bon
einem ber 3toölfe, fonbern bon einem bellenifttfcfyen ©iebenmann unternommen morben
ift. Sagegen bleibt eS bebeutfam, bafs bte Kirche bon ^etufalem ben SarnabaS entfenbet, 25
um bie fyetbencfyrtftlidje ©cfyöbfung in 2tntiocr/ia ju lontroöieren (21© 11, 22 f.), bafs ©ilaS
unb ^ubaS borten gefanbt merben (2t© 15, 22. 32 f.), bafc ipetruS borten gellt
(®a 2, 11) unb 2lbgefanbte beS ^afobuS (©a 2, 12), ferner bafs aueb, fonft jerufalemifcbe
Triften (bie vtieqUolv cmöoroloi) bte ©iafbora tontrollierten, unb enblid), bafs auf bem
fog. 2lboftel!onjtl — eine fyöcbft ungenaue Sejeicbnung — bie ©emeinbe bon ^erufalem 30
augenfcbetnltcb für alle jubäifeben ©emeinben bie 3SerbanbIungen fül)rt. SDamit ift baS
Serbalten beS ^auluS ^erufalem gegenüber ju bergleicfyen, niebt nur feine ©orge für bie
SoHelte, fonbern aueb, feine ©orge, bie 2lnerfennung ber ©emeinbe gu erhalten, ©emifs
nabm biefe ©emeinbe eine ©onberfteKung ein, aber bafs bte anberen ©emeinben, aueb, bie
QubäaS, ibr gegenüber gang unfelbftftänbtg maren, barf man nicfyt fcbliefjen. 5Rerfmürbig tft, 35
bafs bte ßfSriften in ©altläa fo gang gurücftreten. @S muffen ftcb; in ©rtoartung beS (Eintritts
beS meffianifcb,en ^Reic^S in ben 50 2agen nacb, Dftern bte meiften in $erufalem gefammelt
liaben. 2)ann ift bie Überlieferung, bafj eS 120 maren, ein 33eir>eis, mie menig jablretcb,
bie entfebiebenen 2lnb,änger ^efu maren. 3U ^en S^ofeen unb rafer; fieb, folgenben Über=
gangen in ber Urgefcb,icb, te ber ütrcfye, bie ftetS eine neue ©bolutton bebeuteten unb in 40
aller 9teligton§gefcincl)te einzigartig finb, gehört als erfter ber Übergang bon Kabernaum,
6f)oraäm unb Setbfaiba nacb ^erufalem. ©d)on burc^i tbn riffen 2;rabitionen ab unb
hmrben Segenben gefcb,gffen ; benn baS tft bie unbermeibltct/e golge jebeS 9Secb,felS. Kann
man ftcb eine JtärJere Übermalung benfen als bte, meiere in ber jubätfeben ®inbbeits=
gefebic^te unb in ber Serfetmng ber erfien @rfcb,einungen beS @rt)öJ>ten aus ©aliläa nacb, 46
Qerufalem gegeben ift!
8. Sie Slboftelgefcfücfyte (c. 6) ergäbt, ba^ in Qerufalem nacb einer getoiffen 3eit
angeblicb auf 2lntrag ber 3mölf bon ber ©emeinbe fieben SUlänner gemäblt unb bon ben
„2lbofteln" gum „®ienen an ben ^ifeben" beftellt toorben feien, um bie Ilagen ber
§elleniften (b. b- ber in ^erufalem mobnenben ©iafborajuben) über SSernacbläffigung ibrer 50
SBtttoen bei ben Unterftü^ungen p befeittgen. $Da biefe fieben Männer fämtltcb, grieebifebe
tarnen tragen, fo gehörten fie mabrfc^einlicb, felbft gu ben ^eöeniften. Söurben fie nur
jur Pflege ber belleniftifcben Sßitmen eingefe^t ober aUer 2Bttroen? Ratten bie 3mölf
MSber felbft biefe SL^ätigteit ausgeübt (bafe ibre Regierung fieb aueb, auf bie öfonomifebe
Sermaltung bejog, ift bie mabrfcbeinlicb richtige Meinung beS SufaS; benn bie freimißigen 55
©aben merben „ju ibren ^üfeen" niebergelegt, f. 21© 4, 35. 37) ober maebte ftcb, je|t
erft ein befonberer „Sifcbbtenft" notmenbtg'^ SDiefe fragen bleiben unbeantmortet ; aber
btel embfinbltcber als biefe Sütfe ift eS, bafs bie ©ieben als „"Etfcbbiener" fofort mieber
öerfebminben, bagegen einer bon ibnen, „©tebbanuS" als großer äBunbertbäter unb ^iS=
butant berbortritt, ber bie erfte Verfolgung entfeffelt unb ber erfte ^Jtärtbw mirb, ein 60
516 SSerfaffuttg
cmberer ebenfalll all Sßunbertb/äter unb all Sltooftel (©bangelift) bal ©bangelium nacb,
©amaria unb Vbjltftäa trägt, um fid) bann — tote el jctjemt befinitiö — in Gäfarea
nieber^ulaffen (31© 8, 40; 21, 8. 9). Unter foldjen Umfiänben i[t el ganj unmöglich, bie
toirllicfye sJJatur bei SImtl biefer ©leben feftjufteßen („SDtafonen" im fbäteren ©inn toaren
5 fie jebenfalll nidjt ; benn ber ©iafonat ift lein felbftftänbigel Slmt), unb ber Kombination
bleibt ber toeitefte ©Kielraum ; man fann „Vifd)bfe" in ifmen feb/en, aber aucb, bie 9Jiög=
lidjfeit befielt unb liegt biet näf)er, in ilmen fyelleniftifcfye Stibalen ber ßtoblfe ju erblicfen,
bie bie Autorität ber gwölfe letstlid) nicfyt erfd;üttert, aber bie d)riftlid)e ©acf;e mächtig
geförbert fjaben, toeil fie ficb. im (Seifte %tfu gegen ben Tempel toanbten unb toeil fie
10 bie ©amariter= unb ifyre 3lnb,änger bie £>eibenmiffton begannen. 25iefe Sluffaffung fiat
eine getoiffe ©tü|e an ber merltoürbigen Sfyatfadje, bafj bie Don ©tebfyanul entfeffelte
Verfolgung bie gtoölf ™fy betroffen (31© 8, 1) unb bafj fotool)! Vaulul all aud; bie
jerufalemifdje SLrabition über ©tebfyanul gefcfytoiegen t)at. Non liquet.
9. %lafy einer alten gutbejeugten Srabitton, ju ber fid) 31© 12 fügt, finb bie gtoölf
15 12 ^ab,re in Q^ufo^m berblteben; bann I)at fie bie Verfolgung bei ^jerobel, in toelcfyer
ber 3^ebäibe Qalobul fiel, gerftreut, unb fie finb nur nod) jeittoeilig nacb, Qjerufalem
gurüdgefel)rt. ©d>on borfyer aber Ratten fie bon ^erufalem aus» in lyubäa all -ütRiffionare
gemalt be^to. bie 3)Uffion anberer lonfirmiert (f. Vetrul unb 3ob,annel in ©amarien,
sßeirul in Vfyilifiäa). $n Qerufalem erfolgte nun eine totale Veränderung ber Verfaffung.
20 3ln bie ©teile ber bal SReffialreidj im boraul barfteüenben ^Regierung ber gtoölf traten
^alobul, ber Vruber bei §errn, unb Vrelbr/ter (bie Stboftelgefdjricfyte marfiert ben Um=
fc£)toung ntd^t, fe£t ifm aber boraul, f. 12, 17; 11, 30; 15, 2. 4. 6. 22. 23; 21, 18).
Sie Duelle Q nimmt auf biefen Umformung nirgenbl 3ftüdfid)t. (Sr bejeidmet bie erfte
©eboten^ierung bei Vneumatifcf^SReffiamfcfyen unb ift fcfytoerlid) oljme eine tiefe förifi! er=
25 folgt ; aber toir toiffen nic£)tl 9?äb,erel. ©od? ift fobiel getotfj, baft jeittoeife nocb, in
Qerufalem antoefenbe 9JUtgIieber bei gtoölferfollegiuml (Vetrul unb 3D^nneg)
ib,re Autorität •nidjt eingebüßt Ratten (©a 2; 31© 15; in 31© 11, 30 ift nur bon
ben Vrelbtytem, in 31© 15 bon ben Slbofteln unb Vrelbtytern, in 31© 21 bon ^alobul
unb ben Vrelbr/tem bie 3tebe). 3)ie neue Verfaffung mufj in breifacfyer $infid)t
30 getoürbigt toerben: 1. läfjt fie bie Vertoanbten $efu Ijerbortreten (nad) ^alobul' Xobe
tourbe ber Vetter Qefu ©tmeon in ^erufalem getoäfylt [nad; Euseb. II, 11 bon ben nocb,
lebenben Slbofteln, ferner bon Jüngern unb Vertoanbten 2>eM; au$ anbere Vertoanbte
$efu traten in baläfttnenftfdjen ©emeinben an bie ©bt£e; bie Vertoanbten $efu
b,ei^en decmoovvoi; bie alte jubendjriftlidjie, jerufalemifcl)e Vifdiofllifte mit ib,ren bielen
35 tarnen ift btelleid)t aud) eine Sifte bon Vertoanbten ^efu ; ^egefipb, ^uliul 3lfrif., f. Bafyn,
gorfd;. VI, ©. 225 ff.); 2. lä^t fie bal bneumatifd)=meffiamfd;e ©lement berfd;toinben ;
3. fann fie nur all eine 9iad)bilbung ber fyerrfdjenben jübifcfjen Verfaffung berftanben
toerben unb bejetdjnet alfo ib,r gegenüber eine fdjarfe 3lbfage. §ier ift bemnacb, im Vergleich
mit bem erften ßuftanbe aü^ neu: man richtet fid; ein unb fucb,t unb regiert natürlicb,=
40 gefd)id)tlicfe,e Drbnungen. ©er i-Mur! auf bie Vertoanbten Qefu bejeid;net unstoeifell^aft
(minbeftenl in einer §infid)t) einen @rfa| ber gtoblf, mag ber ©runb in if)rem allmäl»=
lid;en Slbfterben ober in ber aulfcf/Iiejjlicfyen 3lbofteltb|ätigleit, ber fie fid; nun toibmeten,
mag er baneben nocf) (ober lebiglid)?) in unl unbelannten Vorgängen unb ©bannungen
(man Jönnte bie ©iebenmänner all bie älteren Slibalen ber 3roo'f, bie Vertoanbten ^efu
45 all bie jüngeren i-ftibalen betrauten ; aber ^u folgen Vetrad)tungen reidjen bie Quellen
nid)t fid>er aul) ober lebiglicb, in einem ftrtften Verbot, bal ben ßtoölfen ben Slufent^alt
in ^crufatem unterfagte, gelegen fyaben. ®afe- man aber grabe bie Vertoanbten $efu in
ben Vorbergrunb fd)ob, iann nid)t nur bie golge ber §ocE)fd)ä£ung bei S^o^^ dM$
©eredjten") unb feine! allgemeinen 3lnfel)enl getoefen fein, fonbern el mufj r)ter bal
50 9)Zotib gefpielt l)abmf baj? bie natürliche Vertoanbtfcb,aft mit Qeful biefen SDabibiben ein
3ted;t auf bie Regierung beriefe. 2öir b,aben f)ier alfo ben ©ebanfen bei Gtyalifatl ju
erlennen ; angefidit! belfelben ift bie balb eintretenbe ^fotierung ber Kircf)e bon ^erufalem
unb ber g. 3. £abrian! erfolgenbe Untergang ber 3u^nlird;e bafelbft all ein ©lud ju
breifen. ©ie neue Verfaffung in ^erufalem mit ^afobul an ber ©bh)e unb Vrelb^tern
55 — 3toölf? f. 3al;n ©. 297 not. — mufj fo berftanben toerben, bafe Qalobul bem J&o^en=
brkfter entfbrid;t (f. £egefibb bei Euseb. II, 23, 6: xovrcp /uovco i£rjv ek ra äyia
[tcöv äyiojv] rfmevai) unb bie ^3relbt)ter bem ©r/nebrium (f. ©teurer, ©efd)icb,te bei
jüb. Volfl II3, ©. 189 ff. 176 ff.). Vielleicht Ratten bie anberen d;riftlicb,en ©emeinben
in ^aläftina bie SUteftenberfaffung fd;on früher, unb bal mag aud; auf ^erufalem ein=
60 getoirft l>aben. Slber ^afobul all Dberfter ^atte eine einzigartige ©tellung über allen.
2krfaffung 517
©ein S^ron mürbe nod) ju @ufebiu§' $eit gegeigt (h. e. VII, 19), unb aueb, bie f;eiben=
d^riftltd^e Überlieferung (nicfyt nur Qubencfyriften) nennen if>rt ben erften, Don @f>riftu3
felbft unb ben 2lbofteln(!) eingefe^ten Vifcfjof bon ^entfalem (Euseb., I.e.). Unjn)etfel=
fiaft übten er unb feine Stacfjfotger eine monarcfnfcfye ©emalt au§, unb bafs er ftatt VeiruS
im §ebräerebangelium als» ber erfte erfcfyemt, ber ben äluferftanbenen gefefyen b,at, ift ein 5
fieberer Verneig bafür, baf? eine Spannung zmifcfyen Vetrug unb ^afo&ug beftanben fyat, bie
für meite Greife mit ber Überorbnung beg lederen enbete (fjatte ftcb, betrug bittet fein ©intreten
für bie§eibenmiffion bigfrebitiert ?). 2tber baf$ %at obug ben £ttel „Vifdmf " geführt ]f>at, muft man
— ba ber S£itel im Sereicb, beg ^ubentum§ rtict)t borfommt — boc^> ftarf bejmeifeln, obgleich,
bie f)eiben= unb jubend)riftlicb,e SLrabition ib,n fo nennen. 3)ie Überfcf;menglicf)feiten ber io
lederen in einer fbäteren Veriobe (Hom. unb Recogn.) finb mit Vorfielt aufzunehmen,
ftier erfcfjeint ^afobug nicfyt nur alg bon (Sfyriftug felbft eingelegter Vifcfmf, fonbern fein
(tbiffobat erftreeft ftcb. auef; über bie gange iübifcfye ßbjiftenfyeit unb, ba biefer bie §eiben=
Triften einberleibt finb, über bie gefamte ßfyrifteufyeit. Qafobug ift ber §err unb Vifcfmf
ber ^eiligen ßircfye unb ber §err unb Vifctmf ber Vifcfyöfe (Recogn. IV, 35). „@r ift i&
ber tyap\t ber ebionitifcfyen $|antafte" SDiefe läf$t bie gmölfe unb betrug frieblidE) neben
ihm befielen — jene bie St^oftel (SJtifftonare), er ber Dberbifd)of — , aber aueb. betrug,
bag .gaubt ber 2tboftel, ift berbflic|tet, bem Dberbifcfyof „^abjegbericfjte über feine %f)ätig=
feit ju fenben unb fiel) feiner prüfenben Dberaufficfyt ju unterteilen" (Recogn. I, 17. 72;
IX, 29; Ep. Petri ad Jacob. 1, 3; Ep. Clem. ad Jacob. 19; Diamart. Jac. 1—4; 20
Hom. I, 20; XI, 35). SDie grage, ob er Vifdmf gefyeifjen I)at, ift eine relatib unter=
georbnete, menn eg feftfteb, t, baft er alg regierenber 9SJJonarcb, gemattet unb minbefteng bie
Kompetenzen befeffen t)at, bie nad)malg ber monarct;ifcf)e Vifctmf auf fyeibenctjriftlicfyem
©ebiet befafj. ®er ©ebanfe unb bie VermirtTidjmng eine? monarct)ifct;en 2Imtg ift alfo
auf jubencbjtftlicfyem ©ebiet unb in S3egug auf $afobug juerft entftanben (Sftt 16, 18 ift 25
bielleidjtt ein ^ßroteft ber bem ^afobug nicfjt porigen baläftinenfifcfyen (Et)riften gegen biefen;
aber bie ©teile fann aueb, anberg berftanben merben), unb eg !ann fefyr mof)l fein, ja eg
ift toabjfctjetnlicf), baf? bamit etmag mie ein Uniberfalebtffobat (menn aueb. ofme biefen
tarnen) ing 2luge gefaxt mar. Slber ob bieg auf bag f)eibert4>riftttct)e ©ebiet bjnüber=
geroirft unb bort bie Vtlbung beg monarcfnfcfyen ©toiffobatg beförbert I)at , ift frag= 30
lief) (f. u.). Safe man aber bag Slmt be§ 3a^Dl&u^ n^t nur auf e'ne ©infe^ung burcl;
bie 2tyofteI, fonbern fogar auf eine birefte @infe|ung Sf)rifti gurücfgefübrt fyat, ift ein S3e=
teeiö bafür, mag in jenen geiten an Segenben möglieb, gemefen ift. ^»egefibp (bei Euseb.,
h. e. II, 23, 4) fagt freilief} nod): diab£%exai %r]v saxlrjoiav fxetä xcbv änooToXeov
'Idxcoßog, aber (Sufebiug fcfyreibt (§ 1) jiqös rcöv äjioaroltov, unb bie @infe|ung mirb 35
möglicbjt meit b,inaufgefcf)oben, bi§ jur §immelf ab, rt 3«fw (urfprünglicf) ganj allgemein:
na$ ber §immelfaf)rt). Seiber bermögen mir bie micf)tige grage, ob unb in welchem
5)ia|e eine ^ftejebtion im ©inne einer förmlichen Übertragung ber altteftamentlicf^en 5ßer=
faffung§orbnungen auf bie c^riftItdE3te ©emeinbe buref) bie neue SBerfaffung beabficb,tigt mar,
nicfyt ju beantmorten. *o
10. Sie SSerfaffung ber jubencf)riftlicf;en ©emeinben toeiter noef; ju berfolgen, erübrigt
fief; unb ift aucl; bei ber ©bärlicbjeit ber Quellen laum möglid). %n ^erufalem blieb
ber monarefnfeibe „©biffobat" befielen, nacf;bem bie bortige ©emeinbe all jubencbjiftlicfye
erlogen mar unb eine b|eibencb,riftlicb,e fid) an i^re ©teile ju fe^en begann.^ %n Sejug
auf bie (Sbioniten, bie er Gilbert, fagt @toibfyamu§ (h. 30, 18) : nQsoßvrsQovg omoi 45
eyovai xal ägxiovvayobyovg (baju ber oben befbroc|ene 3ufal: ovvaycoyrjv de ovxoi
xalovoi xrjv eavxcbv ixxXrjoiav xal ovyi EKxkrjOLav). ^ntereffant ift, bafe @bibf>aniu3
fon einer jubencf)riftlicl)en ©efte, ben ©Ifefaiten, erjäljlt, fie berede jtoei ©cf;meftern, 2tb=
fömmlinge be§ ©tifterä „ävxl d-eebv", <x>v xal xä nxvojuaxa xal xä alla xov oco/uaxog
ov7irt aTCEcpegovro ngög äU^rjaiv voof]judxa)v (h. 19, 2). Sllfo aueb, i)'m fbielt bie 60
leibliche 9Sertoanbtfcr)aft eine micfjtige Stolle!
11. @§ ift baraboj, aber boeb. eine 2!f;atfacb.e, bafe bor bem großen Kriege nur ftofc
teeife Verfolgungen feiten§ ber jübifcfyen Dbrigfeit unb beö jübifeb^en VoIfe§ (ber einzelnen
Synagogen) borgefommen finb (3Jtt 10 cum parall.; ^o 16, 2) unb bie Drganifation
ber ©emeinben fiel; ju beraubten bermocf;te. ®ie in c. 1—5 ber Iboftelgefcbjcbje er= 65
jöftlten Verfolgungen ber 3»ölfe blieben noef) of;ne meitergeb.enbc 2Birfungen. ®ie
SteblmnuSberfolgung galt ntcljt ben 2lbofteIn unb fann baf)cr aud) nid;t alle jerufale=
mifcf)en (Stiften au|er ifmen betroffen fyabm (gegen 21© 8, 1). @rft bie Verfolgung
unter £erobe§ im % 42 griff fd)ärfer ein; aber e« gelang bem $afobu§, beffen ej;embla=
rifcf)e grömmigfeit unb ©efe^e^treue auef; bon ben Quben bemunbert mürbe, bie ©emeinben 60
518 »erfoffung
2serufalemS unb ^"^öag bor einer $ataftrobr)e ju fcfyüisen unb tl)re Drganifation ju er=
galten. SBenn ba§ bäterlidje ©efetj treu beobachtet unb ber Sembel remitiert mürbe,
fiel ber £>aubtanlaf3 ju Verfolgungen meg. ©elbft gegen 5ßaulu§ fcfyritt man in $eru=
falem nur ein, meil man u)n befajulbigte, Reiben in ben "Semmel geführt ju ijaben
5(21© 21, 27 ff.). @ine 2tgitation im großen ©tu bon 3iemfalem au§ 0eSen »k a)rifi=
Iicr)e Vemegung ift bi§ ju ber geit, ba ^3aulu§ bie ©labt 9iom betrat, nicfyt unternommen
morben (21© 28, 21 f.) — bielleicr)t meil äufjerücb, aße§ biet unbebeutenber mar, als« e§
un§ erfctjeint (bafyer aucfy bal ©d)toeigen be§ 3j0f^ug) un^ bie jübifdje Dbrigteit mit
®u£enben bon ©eften gu fd)affen Ijatte. SDie Einrichtung be§ QatobuS unb ber grofje
10 förteg beenbeten biefen guftanb. 2U3 Da§ SUDentum uno btö jübifcfye ßfyriftentum fidj
mieber fammetten, trat jene§ biefem als> erbitterter $einb gegenüber. 3>uftin er^lt un3
(Dialog 17), bafc bon Serufalem „ermcu)Ite SUänner" in bie ganje SDiafbora gefa)icft
tborben feien, um bie ©Triften al§ 2ltb,eiften unb grebler %a benunjieren. ©imeon, ber
9tod)foIger be§ ^afobu§, tourbe ebenfalls SRärtfyrer, unb 23ar!ocb,ba behängte über ba§
16 33efenntni<§ ju gefug bie furcfytbarften ©trafen ($uftin, Apol. I, 31). SDurcb, bie jtoeite
gerftörung $erufalem§ unter §abrian berlor ba§ jübifct/e ßbjtftentum befinitib feinen
gentralfitj unb bamit aller SBafjrf^einlicfjIeit nadj aud) bie Centrale ber Drganifation.
@§ gab nunmehr nur nocb, einzelne ©emeinben unb ©rubben bon folgen.
12. 2luf ba§ fyeibendjriftlicr/e ©ebiet übergefyenb, muffen mir einige allgemeine 93e=
20 merlungen borau§fa)icfen. A priori ift gu ermarten, baf? bie ^omblijiertb, eit ber ber=
faffungibegrünbenben (Elemente, bie fdjon auf jubencf)riftlicfyem ©ebiet bon 2lnfang an
grofj mar, I)ter nod) gefteigert erfd) einen toirb; benn birelt ober inbireft, ftärfer ober
fdjmäd)er mirfte bon jenem ©ebiet ba<§ meifte auf biefe3 hinüber, aber neue Vebingungen
traten nocb. tyinju. 5D?an b,at alfo junäcfyft für bie VerfaffungSgefcfyicfyte ber ^eibenfirdjen
25 bai meifte bon bem in 2lnfa£ ju bringen, mag in Vejug auf bie ber $ubenfir$en er=
mittelt toorben ift. SDa$u !ommen bie befonberen Drganifationen in bem Stach, e: bie 2Irt
ber ganülienorganifation, bie freien Vereine, bie 2Jtbfterien= unb ßultbereine, bie 23er=
faffung ber ©djulen, bie ©tabtberfaffung, bie ^robinjialberfaffung unb bie Stacb^berfaffung.
©ie alle muffen bon einem beftimmten fünfte an auf bie ^ircfyenberfaffung eingemirft
3of)aben; benn e§ ift eine unberbrücbjicfye Siegel ber S3erfaffung§gefct}td)te jeber neu auf=
ftrebenben unb ftcr) entmicfelnben größeren öffentlichen ©emeinfdjaft , baft fte nia)t
nur ntct)t inbifferent bleiben rann gegenüber ben ©emeinfdjaften, bie fie borfinbet,
fonbern bafe fie aud), latent ober offen mit ifynen ribalifierenb, ib,nen ein (Element naa^)
bem anberen naa^bilbet unb bamit jugleid) ^u entjiet;en fudj)t. 2lber aua) bamit finb
35 bie Vebingungen noa) nid)t erfcr/öbft, unter benen bie ^eibenc^riftlic^e föircfyettberfaffung
fic^ gebilbet t)at. 23ie(me^r ftefyt bei bem großen Umfang be§ Materials, baö mir b,ier
befi|en, ju ermarten, ba^ \iä) auf biefem Voben ©bannungen beutlic^) beobachten laffen
merben, bie mir auf bem jubencfjriftlicfyen ntcr)t ober fo gut mie nict)t beobachtet b,aben,
meil bie GueKen ju fbärlicb, finb. 2)a ift erftlic^ bie ©bannung, bie in ber ©efcfyicfyte
40 einer jeben größeren Drganifation eine ungeheure Stoße f^ielt, jmifc^en einer ©bolution
bom ©anjen ^um ^Eetl unb einer ©ummation ber SEeile jum ©anjen. S)a§ ©anje
ift immer fc^on borb,anben : alfo muffen bie "Seile il)m gegenüber unfelbftftänbig bleiben. ®a§
©an^e ift anbererfeit§ VrobuÜ ber Seite: alfo lann unb foü e§ nia)t bielmeb,r aU eine „^bee"
fein. 3mtraI°r9antfation unb Solalorganifation finb in ftetem ©treit miber einanber,
45 eben meil beibe fid) forbern , unb ber Sob ber einen aucb, ben Verfall ber anberen nacb.
fict) gießen mu^. 9Jtan !ann bie ganje Verfaffungggefo)id)te ber 5?irc^e im Stammen be§
2öiberftreit§ biefer beiben 3fRäct)te jur ©arftettung bringen, ©a ift jmeitenS bie ©bannung
bon „©eift" unb 2lmt, bon g^ari§ma unb 9ted)t<§orbnung, bie ©bannung ber ^neumatiler
unb ber Veamten, ber toerfönlicfyen Sräger unb Virtuofen ber Religion etnerfeits unb ber
so berufsmäßigen Ste^räfentanten anbercrfeits. ^ene !önnen ©biritualen, Vrobtjeten, 2llleten,
9Jlöncb,e, aucb, £eb,rer unb Sb,eoIogen jein unb fyeifjen, unb biefe Vreöbbter, 93ifd)öfe,
©uberintenbenten, ^äbfte. ®ie ©bannung ift le^tlicb, immer bie gleite, unb ebenfo ift
e§ biefelbe ©bannung, bie fiel) in bem ©egenfa# bon ©eift unb Vudjftabe, religiöfer
greifet unb 23efenntni§ augfbrieb. t. 2lucb, in bem Stammen beg 2BiberftreitS jmifd)en ©eift
55 unb 21mt fann bie ganje Verfaffung§gejd()ict)te ber SÜrcfye jur 35arfteIIung gebracht merben.
®a ift enblicb, bie ©bannung bon Saien unb &Ieru3, bon ©emolratie unb 2lrifto!ratie
(3JJonartt}ie), bie bielfacb, mit ber borigen berfd^Iungen, boeb. ib.re befonbere ©igenart befi^t.
2lb§ ©lemente, bie bon 2tnfang an afe galtoren ber Drganifation mirlfam gemefen
fein muffen, lann man 1. bie Stutorität ber ©eiftträger al§ XaXovvzeg xbv Xoyov xov
60&eov (2lboftel, ^ßrobf)eten unb Sebrer), 2. bie 2Iutorität ber /,2llten" gegenüber ben
»erfaff»«8 519
„jungen", 3. bte 2lbminiftrationS= unb ©refutibgetoalt getoä^Iter Beamten unterfd)etben.
<E)ie erfien gehören bem religiöfen ©ebiet im eigentlichen ©inne an, bte ^Weiten fyaben
ifyr gelb in ber fittlid)en ©r^ie^ung unb ber SDiS^iblin, bie britten in ber Sßerfoaltung
unb bon einem beftimmten Momente an aud) im Kultus.
gerner ift bei Unterfud)ungen über ben Urfbrung altfird)lid)er SJerfaffungSformen 5
baran ju erinnern, baß eS auf jübifcfyem unb auf gried;tfd)em ©ebiet einige mistige
Elemente unb formen gab, bie fid) fel)r äJ>nltd^ waren unb fogar im Stiel jufammen=
trafen, ferner baß eine neue ©etneinfd)aft audj fbontan Drganifationen unb 2lmter I)erbor=
bringt, bie mit fd)on bort)anbenen fid) beden. Unter folgen Umftänben ift eS tyäuftg
nicf/t möglich mit ©id)erl)ett ju jagen, woI)er bie betreffenbe 6inrtd)tung ge!ommen ift, 10
ob fie eine Slnalogtebilbung nad) jübifd)em ober nad) gried)ifd)em SJtufter War ober ob
il)r Originalität ^ufommt.
©nblid) ift baran ju erinnern, baß bei gefd)idter 93el)anblung bie Quellen, feien fie
aud) nod; fo fbärlid), auf jebe 9tecl)tSfrage Slnttoort geben, bte man an fie ftellt, ba man
ja aud) if>r ©d)toeigen benutzen fann unb ba$u burcf) formaüftifcfye Kombinationen unb 15
SluSfbinnungen immer neues SJcaterial gu gewinnen bermag. Slber eben biefe SCftetfyobe,
bie Sobfeinbtn ber gefd)id>tSfritifd)en, l)at bereits baS größte Unheil auf ben ©ebieten beS
alten Kird)enred)tS unb ber urfbrünglicf/en Ktrd;enberfaffung angerichtet. SBetbe l)aben burd)
baS 3"öie(=2öiffen=3BoHen (bgl. 3. 33. bie jüngfte große 3Ronograbl)ie bon Seber, 1905)
unb bie fanoniftifcfye 9JcetI)obe mefyr gelitten als burd) oberflächliche 33el)anblung. 2tud) 20
9tüdfd)lüffe bon fbäteren ^uftänben unb Drbnungen auf bie früfyeften finb auf biefem
©ebiet nur mit großer 23orfid)t geftattet; baS Stecht ju il)nen ift in jebem einzelnen gaU,
aud) Wenn eS fid? um biefelben termini technici fyanbelt, erft &u erWeifen.
13. £>ie cr)riftlid)en ©emeinben in ber ©iafbora, bie baulinifd)en unb bie anberen,
Ijaben fid? entWeber burd) Slbfbaltung aus ben ©tmagogen entWtdelt ober bod) fo, baß 25
jübifd)e $rofelr;ten il)ren urfbrünglid)en Kern gebilbet l)aben. 3>n Reiben gälten mußte
bie ©tonagoge mit ifyrer 23erfaffung nad)Wirfen, mag biefe 9}ad)Wtrlung au<| in foldjen
©emeinben balb abgenommen fyaben, in benen bie „eckten" Reiben nad) lurjer $eit bie
übertotegenbe SJcet^afyl bilbeten. Slber aud; bann War bie regelmäßige 33erlefung beä
21SLS nid)t bie einige 3^eminigcenj an bie ©tmagoge. gerner, folange bie neue ©emeinbe 30
nod) Hein mar unb familienl)aft jufammenfmlten tonnte, muß bie erfte Drganifation nod)
ganj bon ben befonberen llmftänben abhängig geWefen fein, unter benen bie ©emeinbe
entftanben mar. ®ie Slboftelgefd) id)te legt eS an mannen ©teilen nal)e, baß am Anfang
aud) grauen eine bebeutenbe Stolle in ber Drganifation gefbielt I)aben, unb bie ^ßaulu<?=
briefe beftätigen bag (^ßrisciUa in Korintb;, @bl>efu§, 9tom ; S^bia, @uobia§ unb ©rmtfydje 35
[owrjMrjoäv poi] in ^b^ilibbi, ^ßt)öbe in Kencb^reä [jiQooTdng] u. a.).
^m allgemeinen empfängt man au§ ben ©emeinbebriefen be§ ^ßauluS baä überein=
ftimmenbe Silb einer gleichmäßigen ©elbftftänbigfeit ber einzelnen ©emeinbe (f. bie ^ac^=
toeife bei SBeijfäcfer, Slboft. 3«talter) unb getoinnt gugletct) ben fixeren ©inbrudf, baß bie
loyalen ©b^renberfonen unb 2lmt3träger — Wer unb maö fie immer getoefen fein mögen 40
— bamal§ nur eine befcfyeibene 9ioKe gefbielt b^aben lönnen. ®ie ©emeinben fte|en
unter bem SSorte ©otteä (be^m. be§ §errn) unb unter ber bäterlicfyen ftufyt be§ 2tboftel§,
ber fie begrünbet ^at ; aber fofern ber ©eift fie regiert, ift biefer ©eift ber ©emeinbe als
ganzer unb als einer @inb>it gefcb^en!t, unb aud) bie 2lmtS= unb ©fyrenberfonen fielen
als ©lieber in biefer ©infyeit unb nicf)t über ifyr. ®aS folgt aus ber Statur ber ©e= 45
meinben, bie nicfyt nur ben tarnen {ixxlrjaia) mit ber ©efamtgemeinbe ©otteS teilen,
fonbern bon benen jebe einzelne aud) ifyr gefd)loffeneS älbbilb unb if>re 2luSmirlung ift
(baS ©anje ift in bem SEeil; nicf)t nur ift ber ^Eeil in bem ©anjen). ^beeQ giebt eS
alfo, fo baraboj baS flehten mag, übertäubt leinen Unterfd}ieb §mifd)en ©efamtgemeinbe
unb ©injelgemetnbe — alles, maS oben sub 3 bon ber Kirche gefagt ift, gilt aud) fjier — , 50
aber faftifd) fonnte natürlicb biefer Unterfcfyieb ntcbt aufgehoben Werben, machte fiel)
bielmeljr immer ftär!er geltenb. ®ie ibeeHe ©inbeit ber beiben liegt in bem Söirfen beS
©eifteS unb fbrid)t fieb, j. 33. noer; febr beutlicb auS, Wenn bie römifcfye ©emeinbe bon
ilirem nad) Korintl) gerichteten Sriefe fagt, er fei bon ifjr „burd) ben ^eiligen ©eift" gefd)rteben
(c 63, ganj wie 21© 15) unb bon feinem ^nbalte beraubtet, er fei bon ßb^riftuS burd) 65
fie lunbgetan (c. 59). Stucf; bie 3lrt, toie 5ßauluS ben gall beS SBlutfcbänberö in
ßorintb; beb^ anbelt miffen Will, ift b>r cbaraEtextftifcb : bie mit bem 2lboftel bereinigte ©e=
tneinbeberfammlung ift fombetent unb barf auf „bie Kraft unfercS .fn-rrn Scfug" tedinen
(bon befonberen 93efugniffen lolaler SlmtSträger ift babei ntebt bie Webe), ©nblid) fei als
auf einen befonberS bebeutfamer 33eleg für baS ibeeHe 2Befen ber ©tnjelgemeinbe auf bie 1»
520 SBerfaffung
Terminologie ^ingetotefen: fj ixxXijoia xov d-eov fj naooixovoa. xr\v noXiv (f. I Sßt 1, 1;
1, 17; 2, 11; £br 11, 13; I ©lern. 1, 1; Polyc. ep. 1, 1; Smyrn. ep. ad Philom.
init., Dionys. Cor. bei Euseb. IV, 23; Ep Lugd. 1. c. V, 1; II SIem. 5 Je. unb
SigfytfootS 9?ote %\x GlemenS, 1. c), auS ber ftc^> ber JermtnuS „^ßarocbje" (2lboH. bei
5 Euseb. V, 18: fj iöia jiaQOixia avxbv öfter rjv ovx edetjaxo. Ep. Smyn. ad
Philom. : Jidoaig xaig xaxä nävxa xojiov xfjg äyiag [xal xa&oXixfjg] exxXrjoiag
jiaooixiais) entwidelt r)at. Sie (5&rt(tenBett in jeber einzelnen ©tabt ift nidjt nur
ixxXtjola xov &eov, fonbern fie gebort Wie biefe eigentlich in ben §immel; füer auf
@rben ift fie nur in ber grembe unb tranfitortfd). ©ie ift alfo eine Inmmlifcfye ©röfje
10 b. b,. im ©runbe nicr)t ©injelgemeinbe, fonbern ©rfdjeinung beS ©an^en in bem Seil.
3)iefe Betrachtung, bie — aud) für ben einzelnen Gtmfien — befonberS einbrudSboß bei
§ermaS (Sim. I u. fonft) ausgeprägt ift, ift nocb, bem ^renäug (IV, 30, 2 f.) unb
namentlich bem Siemens Sller,anbrinuS unb DrigeneS ganj geläufig. 2)er Severe richtet feine
Slufmerffamfeit babei aucr) barauf, baf$ eS in ben ©täbten ^toei 2lrten bon exxXrjoim
15 giebt, bie profanen unb bie cf/riftlicr)en (ber 9iame exxXrjoia für bie leiteten f)at augen=
fd)etnlicr) feinen Urfbrung nad) nicbtS mit ben brofan=ftäbtifd;en exxXrjoiai ju tljmn; eS
ift bicr einer ber §ab,Irei(|en gäße jufäHiger, aber bann für bie ©ntwidelung ntebt be=
beutungSlofer Übereinftimmungen ju erfennen); Orig. c. Cels. III, 29: ai xov Xqioxov
exxXrjoiai, ovve£exa£6/j,evai xalg Sv naqoixovoi bfjfxoiv exxXrjoimg, &>g cpaioxfjoeg
20 eloiv ev xoojuo), ibid. 30 : exxXrjoiag xov ftsov [man beachte ben ,3ufa|, ^ie er fdjon
im 1. SlemenSbrief ftel)t] Jiaooixovoag exxXrjoiag xä>v xaffi ixäoxrjv tzoXiv drjjucov.
2öaS man b:e pneumatifcfye $Demofratie innerhalb ber ganzen $ird;e unb barum aueb,
ber ©injelgemeinbe cum grano salis nennen fann, tritt febr beutltct) in ber Slrt, Wie
$au!uS fic| in ben Briefen an bie ©ememben richtet, gu 'Jage. ^rinjitoieH fyat er jebe
25 bon tfynen als ein in fiel) gleichartiges ©anje bor 2lugen, fie felbft ©ubjeft unb Dbjelt
aller Betfyättgungen. Sin ein berantWortlicfyeS lofaleS 2tmt über ber ©emeinbe beult unb
toenbet er fic| junäc^ft nicfyt, bielmefyr ift bie ©emeinbe, überall als ganje berantWortlidj,
unb bie SSerfcbtebenbetten in tbr begrünben rtiebt eine Über= unb Unterorbnung, fonbern
ein organifdjeS ßufammenWirfen, in welchem jeber SEeil gleicb, wichtig ift. ©ieS ift aueb,
30 eine $o!ge ber contemplatio partis sub specie totius, bie bei ^ßauluS noeb, burdj bie
Betrachtung jebeS einzelnen ©brtften als eines freien mächtig unterftüijt Wirb. 9Jcan
barf aud) fragen, ob niebt bie @ntfter/ung ber fog. „lat^olifc^en" 33rieflitteratur bon l)ier
aus ju begreifen ift. ©S giebt Briefe mit fbejießer älbreffe, bie Jat^olifcb, gemeint finb
(5. 33. bie fieben Briefe in ber 2lboMr/bfe) ; eS giebt Briefe mitfatfyolifcfyer Slbreffe, bie
35 fieb, bod; junäcb,ft an einen beftimmten ^reiS gerichtet b,aben muffen (^a!obuS=, ^ubaSbrief);
eS giebt Briefe, bie jugleicb, eine bartilulare unb eine ratb/olifcfje 2lbreffe l^aben (Ep.
Smyrn. ad Philom.); eS giebt enbltcb abficfytlicb, abreffenlofe ober mit einer blofjen
©cb,einabreffe auSgeftattete ©d)riftftücfe, bie fieb, boeb^ junäcl)ft auf eine beftimmte ©emeinbe
belieben (§ermaS; ep. Barn.), ©iefe ©eltfamfetten fotoie ber fcb,neUe SluStaufcb,, bie
40 ©ammlung unb baS allgemeine 2lnfeb^en bon Briefen tro| ibrer lolalen Slbreffen bleiben
unerllärt, toenn ntebt bie ©inselgemeinbe bie ©efamt!ircb,e bertreten tonnte unb menn
ntebt, minbeftenS ibeeU, ber ©emeinbe als ©emeinbe unb als einer in fiel) gleichartigen
©cfybbfung bie geiftlicf)e ©ouberänetät julam. ^n Ie|terer §inficb,t ift u. a. aueb, nod;
bemerkenswert, ba^ nocl) im 2. ^afyrfmnbert bie ©emeinben Briefe mecb^feln, oljme ba^ in
45 il)nen irgenb ein 2tmt ermähnt mirb. £>ie ©emeinbe fd;reibt an bie ©emeinbe, als gäbe
eS feine Bifcfybfe unb feine ^reSbfyter.
14. 1)ie ©nttoicfelung gel)t gunäefeft bom ©anjen jum SEeil. ©arum fbielen ber
©eift unb ber Slboftel (auet) ber ^robf)et unb Sefjrer) eine fo grofse 9totle; benn ber
Slboftel gebort ber ©efamtfird;e an. Bon bier aus gefeiert war alles 3Diiffion, mu^te alles
50 in glufj bleiben (bis baS na^e @nbe fommt), mu^te alles, WaS fiel; lofal geftaltete unb
ftabilierte, eben nur in ben Äauf genommen Werben, Weil eS eigentlich fdjon ein frembeS
Clement j^ineinbradjte, baS bureb, bie gifiion ber ^bentität mit bem Uniberfalen boa)_nitt)t
ganj befeitigt Werben fonnte. Bon fyier aus gefeiert, Wunbert man fieb,, bafe Wir in
ältefter fttit nichts bon Berfucfyen b^ören, bie Befehlen auS ben lofalen Berl;ältniffen unb
55 aus ber bon ilmen b, er brol) enben BerWeltlic^ung b^erauSju^ieb, en unb irgenbWo ju fammeln,
am Beften in ber Söüfte. Sichtet man aber barauf, ba| fid; bie ßfyriftuSjünger ganj ju=
erft tb,atfäd;Iid; in Qerufalem gefammelt l>aben unb baf? Wir Wieber feit ber 9Jcitte beS
2. ^altrfiunbertS bon Unternehmungen biefer 2lrt — nun aber Wirb bie SBüfte ober baS
Sanb gewählt — t/ören (bgl. bie urfbrünglidje 2lbfid;t ber bfyrfygifcfyen ^ßrobb^eten, ferner
60 bie gälte aus ^ßontuS unb ©tjrien, Welche §ibboI^)t im ©anielfommentar erjagt, bann
»crfaffnitfl 521
bie ©ingelfätte ber äoxrjxal juovd^ovxeg big gum 9Jtönd}tum), jo fann barüber fcbtoerlicf)
ein gWeifel fein, bafj in ber geit jWifct)en 35 unb 150 ntcf/t mangelnber 2lrgWofm
gegenüber bem Sofalen mit feiner unbermeiblicben 2öeltlicf/feit, aucfy nid)t mangelnbe a&
fetifcf)=fittltcr)e $raft folct/e Serfucfje hintertrieben fyat, fonbern bie Überzeugung, bafs bei
ber üftäfye beS 2BeItenbe§ ftd) bergleid)en nicfyt mel)r loljmt. ®ie e3d)atologifcr;e «Stimmung 5
ift ^ier Wie anberiWo, ganj Wtber il)re 2lbftcf;ten, eine fonferbatib Wirfenbe äftacf)t ge=
toefen; tfyr l>at eö bie lofale Drganifation I)aubtfäcf)Iicf) ju berbanfen, baf$ fie fid) über=
baubt in ber 6f;riftent)eit ju entwicfeln bermocf;te, Wobei borbefyalten bleiben mag, bafj
$aulu3 aucf) eine $öf>e unb $nnerlid;fett ber Betrachtung gewonnen unb in ©eltung
gefe|t b>t, bie ba3 ©egebene, alfo aucf) bie lofale guftänblicblett, als eine ©otteSorbnung ">
fjinnalmi.
2öa§ ^auIuS di§ 2tboftel (fo ju fagen als SRanbatar ber bneumatifcfien ©efamt=
gemeinbe) ber bon ifym geftifteten ©in^elgemeinbe gegenüber in 2Trtf^ruct) nimmt, ift ntcfjt
tuenig. @r ift ber ^äbagog unb ber SSater sugleicr/; er berflucf)t jeben, ber feinen ^inbern
ein anbereS ©bangelium bringt, unb er fann bedangen, baf? jebe feiner ©emeinben bie 10
Crbnungen refbeftiert unb aufredet erhält, Wie er fie in allen ©emeinben begrünbet unb
pflegt. 1 $0 4, 17: xa&cög navxa%ov Iv Tidor] exxXqoiq diddaxco, 7, 17: ovxcog
iv xdig ixxXr\oiaig Jidomg diaxdooojum, 14, 37 : ijxiyivcoaxexco u yqdcpoi v/mv oxi
y.vQiov ioxlv ivxoXr) (ift es> äufätlig, bafs ^3aulu§ feine aboftolifcfye Slutorität in ber
©emeinbe am ftärffien geltenb mac|t, bie ats> bie bemofratifcbfte erfcfyeint'O- 2fnbrerfeit3 20
unb unbefcfyabet beffen fe|t er borauS, baf? ber ©eift bie ©emeinbe leitet. %n biefer
£infid)t ift 1 $0 12—14 ber beutlicfyfte SBetoetS feiner 2tnfcf;auung unb ber Wirfliefjen
$uftänbe. £>te 6I)art3mett beftimmen alle<§.
15. 2)a§ Söenige, mag man baneben bon lofalen ©eWalten erfährt, ift fefyr ber=
Rieben. %n Segug auf bie Ir/faonifcfyen ©emeinben fagt Sufag (21© 14, 23), ^Saulug 25
unb Sarnaba§ Ratten xai ixxXrjoiav bort unter ©ebet unb Raffen ^3res>br/ter eingefe^t,
unb ebenfo ergäbt er (2t© 20, 17. 28), ^aulu§ b>be bie ^}re§br/ter ber ©emeinbe
bon (SbljefuS berufen unb fie ermahnt, auf bie §erbe acfjt ju fyaben, in toeldjer vjuäg
xo nvevjua xo äyiov e&sxo iniaxönovg, Tioijuaiveiv xrjv SKxh^oiav tov "&eov, i)v
negienoirjoaxo diu xov al'/iaxog xov löiov [man beachte, ba§ aucf; f)ier bie (Sinjel= 30
gemeinbe ©arfteßung ber ©efamtgemeinbe ift unb bafe ftdt) 2ufa€ baf;er in Sejug
auf bie Sofalorganifation genau fo auSbrücft, mie ^ßaulu§ 1 Üo 12, 28 in Sejug auf bie
©efamtorganifation]. ^n oem 1- ^f)effalonicb]erbrief bittet er bie ©emeinbe, §u erfennen
xovg xojiicövxag iv v/ulv xal TtQoiaxa/uevovg vjucov iv xvgicp %ai vov&exovvxag
v/uäg unb fie um if)re§ SBerfeS willen liebenb befonber§ f)ocf) ^u galten (c. 5, 12 f.). 35
£ie folgenben SSerfe fcfjeinen fid) bann an eben biefe SBorfteber ^u richten („@rmaf)nt
bie llnorbentücfyen, tröffet bie kleinmütigen", u. f. io.) ; aber fieser ift ba3 nict)t, unb man
erfennt audj nid)t, bon welchem ©a£e an ber Slboftel fiel) toieber an bie ©efamtl)eit
richtet. $m ©alaterbrief ift ein lofaleg 2lmt übertäubt nid)t ermähnt (boef) f. ben aH=
gemeinen ©a^ 6, 6: xoivcoveixco 6 %axr\yovpLEvog xov Xoyov xq) %axr]jpvvxi iv ^
Tcäoiv äyadolg), unb auef) nid)t in ben fo umfangreichen ^orintl;erbriefen. §ier ift felbft
bort, mo e§ fieb um bie 2lufrec^terl)altung ber gehörigen Drbnung unb be§ llnftanbeg in
ben 3Serfammlungen l)anbelt, unb bei einem falben ©u^enb ät)nüct)er ©elegenl)eiten, too
man bie 2lbbeltatton an ein lofale^ 2lmt fict)er ertoartet, ein foldt)eS nict)t genannt. Sieben
ben Slbofteln, ^ßrobbeten unb £el)rern finb nur in ber ©emeinbe wirffame 6l;arigmen *&
(I, 12, 28 f.) aufgeführt, unter il)nen __ ävxdijjuxpeig unb xvßsgvijoeig. Ql)re QnE>a&er
erfd)exrtert fomtt nicf)t in ber relatiben Überorbnung über ber ©emeinbe toie jene Xoyov
lakovvxeg. ^mmerl)in ift aber bie llnterfcfyeibung einer l?i[fletftenben , alfo biafonalen
gunftion unb einer leitenben bon 2ßid)tigfeit. ^m 3fömerbrief ftel)t e<§ äf)nlid). Sie
Drganifierung be§ £eibe3 ber ©emeinbe fommt lebiglicf) buref) ßf)ariSmen ju ftanbe ; &°
unter if)nen mirb nacf)einanber genannt bie $robl)etie, bie ©iafonie, ber Sebjenbe, ber
Jröftenbe, ber SJtttteilenbe, ber 3Sorftel)enbe (d Tigoioxdjuevog, wie in I '2f)eff.), ber in
Sarml>erjigfeit Stf)ätige. $ier ift alfo fogar ber ^robb^et unb £el;rer untcrfcf)iebglog ein=
georbnet [auf ben 2Bed)fel bon ber Stf)ättgfett unb ^erfon ift fcf)merlict) ©eWicf)t ?u legen];
ju beachten aber ift, baf? auef) l)ier neben bem £et)ren ©iafonie unb 2?orftel)erfd)aft unter= 55
fcfiieben finb (12, 6 ff.), ©onft Wirb noef) in bem 33rtcf eine gemiffe ^böbe dtdxovog xfjg
ixxkrjolag xfjg iv KevxQ£(üs genannt, bie ba jigooxdxig ttoXIcjv xal i/xov avxov gc=
toorben fei (16, 1), ferner Werben .gaulgemeinben in $Rom unterfd)ieben (16, 3 ff.)- 3'n
^olofferbrief Wirb ber ©emeinbe aufgetragen, bem 2lrd)ibbu3 ju fagen: ßXme xrjv dia-
y.ovtav, ijv TiaQeXaßsg iv xvq'iw, Iva nvxijv nXrjQoTg. 2lu§ bem ^pinlcinonbrief 60
522 Sßerfoffnng
(23. 2) fielet man, bafj 2lrcbj$5uS, bem l;ier eine 9iote zu teil Wirb, jur £auSgemeinbe
beS ^fyilemon gehörte, bie man nicfyt mit ber ganzen ^oloffergemeinbe ibentifijieren barf.
Slber feine diaxovia fann fid^> nur auf bie ganze ©emeinbe Begießen, unb Wenn iljm
$auluS OBfyilem. 2) feinen unb beS ^EimotljeuS owoxgaxKoxrjg nennt, fo mufs fie er)j)eb=
6 lief; gewefen fein; aber Worin fie beftanb, bleibt bunfel; benn diaxovia fann einen ganz
allgemeinen ©inn Ijmben, fo bafj man aucb, bie SöortberWaltung barunter berfteb, en fann, aber
auty ben fpejieKen ©inn ber bienenben §ilfleiftung. 23emerfenSWert aber ift, bafc bem 2lrcl)i|tyuS
bie diaxovia in einem feierliclj=fultifcfen 2lft übertragen werben ift; benn nur baS fönnen
bie SBorte f\v Jiagttaßeg iv xvqico befagen. @S ift alfo 2t© 14, 23 ju Vergleichen.
io $n bem fog. dbtjeferbrief (einem 'girfularfcfyreiben nad) fiaobicea unb anberen IIein=
afiatifd^en ©emeinben) erfcfyeint bie ©efamtgemeinbe auf bem ©runbe ber 2ltoofteI unb
^ßrobljieten auferbaut, benen baS ©efyetmniS 6f>rifti offenbart ift (2, 20; 3, 5). @S Wirb aber
bei ber ©cbjlberung beS 23efttjeS ber ©efamtgemeinbe (4, 11) audj> eines lofalen 2tmteS
gebadet unb baSfelbe mit ben 2lbofieIn, $robI)eten unb Sefyrem berfnütoft. SOBie &u er=
io Warten, finbet eS — bie noi^heg — feine ©teile neben ben 2eb,rern, bie ja in ber Siegel
einer ©emeinbe angehörten. ©ie §injufügung bon „@bangeliften" ju 2lbofteln unb
^Bropfyeten erflärt ftc$ auS einem uns nicf)t ganz burcbjicfytigen 2Jlotü>, WelcfyeS bie ©iffe=
ren^ierung beS 2lboftoIatS veranlagt fyat, obgleich, berfelbe aufy naa) $auluS nid)t auf bie
3toölfe befctyränft ift („@bangeliften" finben fid& im W% nocf) 31© 21, 8 [SBtrftüdE] unb
20 2 %i 4, 5; bagu f. Euseb., h. e. III, 37; ältooft. ®ircf;enorbnung c. 19; Tertull., de
praescr. 4; de Corona 9; Hippol, de antichr. 56). „©bangeliften" fönnen nur
folcfye 9Jtifftonare fein, bie auS irgenb Welcljem ©runbe auf ben (Sfyrentitel „2lbofter;
feinen 2Infpru$ Ratten. ©ie ©emeinben, an Welche ber @tot;eferbrief gerietet ift, Waren
nid)t bon ^auütS gegrünbet, fonbern Waijrftfjeiniict; bon ©laubenSboten, bie bon if>m ab-
25 gängig Waren, %n biefer ätbljängigfeit bq'm. in ber blo% lofalen SJJiffionSWirffamfeit
biefer 9Jtänner mag eS begrünbet fein, bafe fie ben Sitel „2lboftel" nicfjt erhielten, ©er
$l)ilibberbrief ift baburc^ ausgezeichnet, bafs bjer ber 2lbreffe (jxäoiv xdlg äyioig iv Xq.
"I. roig ovoiv iv (ßdinnoig) bie 3Borte hinzugefügt finb : avv imoxonoig xal diaxovoig.
Wan beachte, bafj fie nicfjt gleichwertig neben ber ©emeinbe fielen, bafj ber 2trtifel fefylt,
30 unb bafj eine 3Weiteilung gegeben ift. 2Ber fie finb unb Warum fie genannt finb, fann
man mit ®afyrfcfyeinltcf)feit auS bem ^nfyalt btä Sriefe€ ablefen. ©er Srief ift ein ©anf=
fcf;reiben für bie ©^enben, Welche bie ©emeinbe bem Slpoftel Wieberfyolt unb foeben Wieber
getieft b,at. ©ie 3lnnaf)me liegt nab^e, ba£ eben be§b,alb „33tfcf;öfe unb ©tafonen" ge=
nannt finb. ©arau§ folgt, baft fie an ber Aufbringung unb Überfenbung ber ©^enben
35 befonberg beteiligt Waren, unb bafj bie§ ju ib^rem Slmte gehörte, ©ie 3*o«itciIung unter=
ftü^t biefe 2lnnab,me; benn „öidxovoi" an ^Weiter ©teße unb ob^ne einen bie ©ienft=
leiftung nä'b^er bejeic^nenben ©enetib fann nur ©ienenbe im eigentlichen ©inne, alfo ©iener
im 3SerWaItungöbienfte bejeicf)nen. ©ann aber muffen „imoxojioi" neben biefen 3lug=
fül;renben füfyrenbe 2lbminiftratibbeamte fein, ©ag 9Bort als gunftionS= ober 2lmtö=
io bejeidjnung ift feinem Urf^rung unb Spalte naef) fo bielbeutig, Wie bie Bezeichnung ol
ngsaßvtsQoi. ,,^]re§bt)ter" fann einfad) ben 2llten gegenüber bem jungen bezeichnen;
es fann ein ©b,rentitel fein (burcl; Wellen foWobJ perfönlic^e SSorjüge als bie @igen=
fcl)aften, eine ältere, autoritative Sßeriobe ju re^räfentieren [= SlrabitionSzeuge] marfiert
Werben); es fann aber auet; baS gewählte unb förmlid; eingefe^te 9)litglieb eines 9tateS
45 [Gerusia] bezeichnen, ©er ©ebrauet; beS SßortS in feinen berfd;iebenen S3ebeutungen inner=
|»alb ber cf;riftlict;en ©emeinben fann aus ber ©imagoge ober aus ben ftäbtifcf;en 35er=
faffungen flammen ober fyontan entftanben fein. (Ebenfo fönnen bie ©^iSfopen aus
ber LXX flammen; fie fönnen ben ftäbtifef/en Verwaltungen nacf;gebilbet , fie fönnen
aber aucb. fjwntan entftanben fein. 3mmer gebeutet baS Söort einen 2luffef>er, Kurator,
so ©u^erintenbenten ; aber Worauf fiel; bie 2utfficf;t bezieht, barüber enthält eS nicfjtS. @S
fönnen ©eelen fein (bann ift baS SBort = jioi/usveg [f. 1 $t2, 25: röv noijueva
xal miaxoTiov xcbv yjvx&v vjucöv, 21© 20, 28 (f. o.): emoxonovg noijuaiveiv xr\v
ExxXrjoiav, I ©lern. 59, 3 : xbv navxbg nvevfxaxog xrioxrjv xal etxioxotzov] unb
gleicfybebeutenb mit ngooxdxrjg xcbv xpv%wv fjfMßv, 1. c. 61, 3); eS fönnen aber auclj
55 ©ebäube, öfonomifcfje 2lngelegenfyeiten unb bergl. fein, ober biefeS unb jenes jugleiclj.
©er fefylenbe 2lrtifel an unferer ©teile läfjt üermuten, bafe bie ^b]ili^ifcf;en Sifdjöfe unb
©iafonen für Paulus nid)t als beftimmte ©injelne, fonbern als ©ruppe in 58etracf;t
famen.
9Jlit biefen ©teilen ift baS SRaterial, Welches Wir in Bezug auf bie ältefte ^ßeriobe
eo ber §eibenfircf/en (lofale 2lmter anlangenb) befhjen, erfc§ö|3ft. 30Ran fönnte nur noa)
Berfnffmtg 523
^tnjufügen, bafj bie förmige StrifiS, Wie fie au§ bem 2. Jbrintfjerbriefe fyerborgel)t, ficb,
als ein Berfucb, ber ©emeinbe barfteÜt, ficb. ber Dbebienj be§ SlpoftelS ju entjie^en. 2lber
eine «Spannung ätoifcfyen ber lofalen Drganifation unb ber uniberfaI=apofto!ifcr;ett ift bjer
minbeftenä ntd)t ba§ primäre geWefen, fonbern unter bem ©influfj ber überfyofyen Slpoftel
E>at fict) innerhalb ber burcb, GliquenWefen gefäfyrbeten ©emeinbe eine Gliaue gegen ben 5
2tpoftel erhoben unb broljte bie game ©emeinbe für ftd^ $u gewinnen. 2lUe Sliquen
gruppierten ficb, aber um apoftolifdie 9Jcänner (richtige 2luffaffung ber Sage in I Giern. 47),
b. I). bie nocb, beftefyenbe lofale llnfelbftftänbigfeit ber ©emeinbe tft ganj beutlicl;.
2)a§ äufammengeftettte Material ift Weber einftimmig nocf/ erlaubt eS birelte ©djlüffe
auf bie @ntfteb,ung ber einheitlichen ©emeinbeberfaffung, Wie Wir fie in ber nacb,= 10
b,abrianifd)en geit faft überall finben. 2Bir muffen alfo gufefyen, ob ficb, au§ ben Urlunoen
ber mittleren geit (Beäpafian big §abrian) Beobachtungen gewinnen laffen, welche ein
£icf)t nacb, rücfWärtS unb borWärtg Werfen.
16. ©anj altertümlich), als blatte e§ $aulu§ gefcbjieben, lautet 1 $t 4, 10f.: exaoxog
xa&cog k'Xaßsv %aQiO[Aa, slg iavxovg avxb öiaxovovvxeg cbg xaXol oixovbjuoi TioixiXrjg 15
l&Qaog fteov ei ng XaXei, (bg Xoyia fieov ei ng öiaxovsT, cbg ig~ loyyog rjg xoQyyü
6 öeog. 2ln ben GI)ari§men, bie bie Drganifation begrünben, nehmen alle, jeber in be=
ftimmter 2öeife, teil; ba§ ßfyarigma foH bei jebcm ju einer £)ia!onia Werben; folcfyeg
dienen l)at feine Wicfytigfte SDarfieHung in bem Söortbienft einerfcits unb bem SDienft im
engeren ©inne (bem Reifen) anbererfeitg (man beachte, bajj ber «Spielraum be§ diaxo- 20
vovvreg ein Wetterer ift als» ber be§ diaxovei). Slber in bemfelben Sßrief Wenbet ficb,
ber Berfaffer, inbem er ficb, felbft ©pmpregbfyter nennt, an bie $re£br/ter (5, 1 f.). @iner=
fettS fteÜt er fie (B. 5) ben jungen (vecoxeqol) gegenüber, b. b,. einfact) ber jüngeren
©eneration in ber ©emeinbe (anber§ 31© 5, 6. 10: fyier begeidjmen ol vecoxeqoi [ol
vsavioxot] eine ©ruppe junger Seute im jerufalemtfcfyen ©emeinbebienft, bon ber Wir 25
fonft nichts Wiffen), anbererfeits aber geigt er burcb, feine ©rmafmung, baf$ biefe $re§=
btyter feinegWegg aUe Silieren umfaffen, fonbern 2lmt§träger finb, beren ftafyl alfo aud)
befd)ränft fein mufj. ©eine (Ermahnung lautet: jioijudvaxE xb ev v/ulv jioi/uviov xov
fteov, jbif] ävayxaoxcog aXXä ixovoicog, fxrjöb alo%QOX£Qdcog äXXä Jigo&v/xcog, lurjd'
<yg xaxaxvgiEvovxsg xcov xXyjqcov {xXyjqwv fann nur ©t^nonpm ju noi[xviov fein, be= 30
beutet alfo bie ©ebiete unb ©ruppen innerhalb ber ©emeinbe) aXXä xvnoi yivößsvoi
xov Tiotjuviov xal (pavEgw&Evxog xov aQyinoifJiEvog xo/lueio'&e xov äfiaQcivxivov xfjg
86it]g oxEcpavov. $l)r 2lmt ift bie S^ättgfett eine§ §irten, ber bon ber ^eerbe leben
barf, ber fie gelungen, eigennü^ig unb fyerrifcf) ober Willig, in fyerglidjer greubig!eit unb
borbilblicb, regieren lann, unb ber einft einen befonberen 2or)n erwarten fann. ®a^ bei 35
einem fo ftarf entwickelten Io!aIen 2lmt boeb, noeb, bie Betrachtung c. 4, 10 f. in $raft
bleibt, ift befonberl Wichtig. ^5re^bt)ter (ol jiQEoßvxsQoi xfjg ixxXrjolag) Werben audj
Sa 5, 14 genannt; fie follen in ^ran!b, einfallen gerufen Werben unb ben Uranien mit©ebet
unb einer Dlfalbung befyanbeln. Slu^erbem Werben in c. 3, 1 bie £efer gewarnt, ficb,
ntct)t ju bem berantWortunggooHen Sefjramt gu brängen. Seiber Wei§ man nicf)t, Wol)in 40
ber Brief gehört, ^m §ebräerbrief, ber Wabrfcfyeinlicb, nac§ 3fiom gerietet ift, fehlen
ißregb^ter, aber Slmt^träger fehlen nicb,t. ©ie b^ei^en in biefem Briefe lonftant rjyov/xEvoi,
Wag nidjt ein Stiel, fonbern ein allgemeiner Slugbrucf: ift (bgl. 21© 15, 22, Wo bie $ro=
pbeten ©ila§ unb Quba§ fo genannt finb, unb Sc 22, 26, Wo ber rjyovjusvog bem
diaxovwv gegenüberftel)t). Sin ber §auptfteße 13, 17 finb unzweifelhaft berantWortungg= 45
boEe §irten gemeint (jiei'&eo'&e xoig tjyov/uevoig vjucov xal vtieixexe avxol ydo
äyQvnvovoiv vjieq xcov \pv%cov v/ueov cbg Xoyov äjiodcboovxEg Iva jusxd %agäg
xovxo Ttoicooiv xal /ur] axevdCovxEg) ; eben biefelben, Wenn aueb, ein Weiterer Äreiö, finb
13, 24 ^u berfteb,en. dagegen mu^ eä fraglicb, bleiben, ob mcr)t 13, 7 unter ben ent=
fcb,lafenen rjyovjUEvoi., beren bie Slbreffaten geben!en follen, oXxivEg lX6.Xr]oav v/utv xbv 50
Xoyov xov &eov, cov ävaftecoQOVVXEg xrjv k'xßaoiv xfjg ävaoxgoqryjg jui/ueio&e xl]v
niaxiv — Slpoftel htp). ^ßetruä unb $aulu3 p berfteb,en finb. ^n ber unter bem
Hainen be§ ^o^anne§ ftebenben Sitteratur erfeljeinen in ber 2IpofaIr/pfe bei ber großen
Sb,ronbifion ©otte§ (c. 4) 24 ^3regb^ter neben i^m fi^enb (bießeicfyt bebeutfam für bie ©e=
meinbeberfaffung) ; aber in ben fieben Briefen lommt jWar eine $ropb,etin in Sb,t>atira 55
bor (2, 20), bon einem ©emeinbeamt jeboc() ift nirgenbwo bie ^ebe, unb bie @ngel ber
©emeinbe bürfen nicb,t al§ Bifcf)öfe genommen Werben, Wofür fie auefy in ber älteren geit
niemanb erllärt b,at. 2öicb,tig aber ift bie ©teUung beö ©cb,reibenben, beö 3°^anne^- ^r
erfct)eint tatfäcbjicf) aU ber ©uperintenbent biefer ©emeinben, obgleia) er fid} afö Bruber
(1, 9) bezeichnet, ©onft fann man nur noeb, auf bie BorfteUung bon ben 12 2lpofteln 60
524 Sßerfaffung
in bem 93u(f)e (21, 14) als bm 12 ©runbfteinen, bon ben aC^ofteln unb ^ßrobfjeten (18,
20), femer auf bie in ©bljefuS eingebrungenen fallen 2tboftel (2, 2) unb auf ben 93or=
lefer fnntoeifen (1, 3), ber in jeber ©emeinbe borauSgefetjt toirb (f. SRc 13, 14; 9Jct 24,
15). ©er 33erfaffer ber brei Briefe, ber in bem Reiten unb britten fid) 6 ngeaßvxegog
5 nennt, erfcfyeint in tlmen ebenfalls aU ©uberintenbent. ®a§ ift in I, 2, 12 ff. erfennbar,
gang beütlid) aber im britten SBrtef (f. %VL XV, 3, 1897). ®er Sßerfaffer toaltet tote
ein $aubt über einer größeren Slnja^I bon ©emeinben unb regiert fie burct) feine 2lb=
gefanbten unb burcfy 93riefe ; gugleid) aber leitet er burcb, eben biefe Slbgefanbten eine £>etben=
miffion. Qn beiben 93ejieimngen aber erfährt er in einer ©emeinbe einen ftarfen Sötberfbrucr;,
10 ber ftcr) bil jur 2lbtoeifung ber 93riefe unb jener SRiffionare unb bi3 jur @stommum=
lation bei 2lnfyang3, ben biefe in ber ©emeinbe gefunben t/aben, gefteigert fyat. ©a ber
üffiiberfbrucb; bon einem SJianne au§gef)t, ber (III, 9) als> 6 (pdongcorsvcov avxcov [seil,
ber ^irdje, in ber er ftefyt] bejeidmet toirb unb ber ben 23ann ausübt, fo fier/t Ijier offen=
bar ber totale §irte (ober einer ber lofalen Wirten; benn ber Slbreffat bei 23riefo unb
15 ber in bem (Schreiben SS. 12 genannte ®emetrtu3 fcfyeinen feine Kollegen ju fein) im $ambf
mit bem bie Steckte eine§ ©eneral= unb 9Jciffton<§fuberinienbenten in 2lnfbrucb, nefymenben
93erfaffer. SSir l)aben alfo f)ier ba§ Seiftet eines flagranten „gufammenftofjeä b« burd)
ben $re3br;ier rebräfentierten bneumatifcfjen Uniberfal= unb 3Rtffion§organifation mit ber
lofalen Drganifation. (^»ierju ift bie ©cfyilberung ber (Stellung unb iljätigfeit bei
20 QofyanneS bei (Sternen^ 2IIe£., Quis dives 42 gu bergleidjen : ineidr/ juExfjX^ev ml
xr]v "E<peoov, anfiel nagaxaXov juevoq xal sm xä nXi]oi6%cüga xcöv e&vcöv, onov jukv
inioxonovg xaxaoxrjocov, onov de oXag ixxXfjoiag ägjuoocov, onov ds xXr\qcp eva
ys nva xXrjgcbocov xcöv vnö xov nvevjuazog orjjumvojuevcov, gleicf) barauf ift Don bem
nw&soTcbg InLoKonog einer ©labt bie Siebe). Qm 3>Dfyanne3ebangeIium ^nbtid^ toerben
25 bie 2tboftel bor Übergebung in if)rem 2tmte gewarnt (13, 13 ff.), aber, tote ei fcfjemt,
ntdjt bor Übergebung über bie ©emeinbe, fonbern bor Übergebung untereinanber unb
gegenüber ifyrem DJteifter 6t>riftu3. ©onft ift nur noefy bie ©teile bemerfen§toert(21, 15 ff.),
in ber bem ^3etru§ in feierlicher Sffieife ha§ allgemeine §trtenamt übertragen toirb.
9Jtt 16, 18 ift baju ju Dergleichen.
30 $n ben ^ßaftoralbrtefen erjdjeinen S£imotr/eu§ unb "£itu<§ al§ ©teltbertreter bei 2Iboftel3
toäfyrenb feiner Slbtoefen^ei^fotoeitSteßbertretung^ier moglicb, ift. ©ie füllen auf bie redete
£el)re feiert (gegenüber ^rrlel)ren), ngoo£%eiv x. ävayvcoosi, x. nagaxXrjoei, x. didaaxaXlq
(I, 4, 13), foHen Beamte umftcf)tig einfe^en unb bie ©emeinbe bejto. bie ©emetnben all
©uberintenbenten Pflegen. JJacb, II, 2 ff. foß 2;imot^eug bie 2eb,re, bie er bom 2lbofteI über=
35 liefert erhalten f)at (diä noXX&v juagxvocov), juberläffigen 3Rännern, bie getiefte 2eb,rer
ju toerben berfbreeben, toeiter überliefern; er felbft foll fieb, aber al§ geiftli(|er Krieger
nicb,t in toeltlici;e §änbel mifeljen, um fo toeniger, ate er berechtigt ift, bon feinem 2lmte ^u
leben (tote ber Slboftel felbft, f. 1 $o 9, 7). 9cacf) bem SEituibrtef toerben neben „2llten"
(S3ejal)rten, noeoßvxai) unb bejahrten grauen, beren ©tanbe^flicfjten gegenüber ben
40 jungen Männern unb grauen (al veat, oi veoixeqoi) faft toie Slmtibflid^ten erfeljeinen
(2, 2 ff.), befonbere ?ßre€b_r;ter ermähnt, bie %itu3 auf ber %n\d xaxä nohv einfeuert
(xaftioxdvai) foll (1, 5 ff.). 9cacr;bem bie ib,nen nötigen Dualitäten aufge^ä^lt finb
(barunter äveyxXrjxog unb juiäg yvvaixog avrjQ), toirb fortgefahren : dsi yäo xbv enla-
xonov äviyxXi]xov ehai <bg fieov olxovojuog, unb nun folgt noeb, eine güKe bon
45 Qualitäten, ©o toie ber j. %. tautologtfdje %eict lautet, erfcfyemt ber Sifc^of al§ ibentifd)
mit bem ^3re6b^ter, mu^ alfo auclj bluralifc^t berftanben toerben; aber e<§ fragt fic^, ob
bie 93. 7—9 nid)t eine ^nterbolation finb (93. 6 fcb,lie|t mit ävvnoxaxxa, unb 93. 10
beginnt mit äwnoxaxxoi). %n biefem gälte ift bie 93erorbnung toabrfcb.einlicb/ auf einen
monarcfufcfyen 93ifc£)of ju beuten, ^m erften 3;imotb,eu§brief toerben „2llte" (93ejal)rte, b,ier
50 aber ngsaßtixegoi), bejahrte grauen, junge StRänner unb junge grauen, toie im 2;itu<o=
brief, al<o befonbere ©emeinbeftänbe unterf Rieben (5, 1 f.), baju 2Bittoen unb foIcb,e SSittoen,
benen eine ©emeinbefunltion übertragen ift (5, 9 f.) unb bie ifjren Unterhalt au§ ber ©e=
meinbefaffe embfangen (5, 16). Slu^erbem fyaben aber bie ©emeinben eingefe^te ^ßreS=
hytex, unb in 93e^ug auf bie guten (xaXcög ngoeoxcöxeg), namentlich aber auf bte leb,r=
55 fähigen, toirb angeorbnet, ba^ fie eine bobbelte Station erhalten foßen (5, 17). Slucb, foß
eine $Iage gegen fie nur angenommen toerben, toenn jtoei ober brei 3eu9en öorb.anben
finb (5, 19). 2luf$er biefen Slnorbnungen ftel)t aber (3, 1—13) noefy ein langer Slbfcfmitt,
ber bort ben Dualitäten be§ 93ifcb,of§ unb ber ©iafonen b,anbelt unb mit ben Söorten
eingeleitet ift : et' xig imoxonfjg ögeyexcu, xaXov egyov ini'&vjusT (man fann unb barf
eo alfo ba§ ^öifc^ofgamt erftreben). Unter ben Dualitäten bei SifcfyofS, bie mit ben im
»crfoffuwg 525
SituSbrief geforberten faft ibentifcb, ftnb, ift neben [Mag ywatxbg dvr\g befonberS
cpiX6g~£vog, öiöaxxixög, d<pddgyvgog, xov löiov olxov xalmg Jigoioxdusvog unb bie
gorberung, aueb, bei ben Reiben ein gutes $eugnis Su §aben, fyerboräufyeben. 35te Qualt=
täten ber ©iafonen finb benen beS SßifdjiofS äfynlicb, (ob 3,11 auf bie grauen ber £>iaione
geb,t ober auf bie ®iaIoniffenV). @S ftefyt mit biefem Stbfdmitt Wie mit bem parallelen 5
beS SituSbriefeS. Sßar/rfcfyeinlicb, ift er interpoliert (c. 3, 14 fd£)Iießt an 2, 15 an); in
biefem %aü ift er auf einen monarctnfdjen 33ifcf/of mit feinen ®iafonen ju beuten (23. 2
6 emoxojiog, 35. 8 didxovoi). $ft er nidjt interpoliert, fo ift ber 33ifcf)of = bie S3ifd)öfe
= bie eingefe^ten ^resbpter.
2tuS bem erften GlemenSbrief empfangen mir enblid) eine ntdt)t nur beiläufige, biel= 10
mef>r abficfjtlidje, jufammenfwngenbe unb umfangreiche Hunbe über 3_serfaffungSberbält=
niffe. ®aß ber 33rief ein ©emeinbefcfyreiben ift, aus 9tom ftammt unb fieser batiert
werben fann, macljt feine Mitteilungen um fo Wertvoller. Slber bie ^onftatierung tb,at=
fäcb/licfier äjerr/ältniffe ift mit gefdndjtlidjen Urteilen unb einer %i)ioxk berbunben, bie
ntc|t gleich fieser finb. Slnlaß beS Briefes ift bie ©rfyebung eines Seils ber forintfyifdjen 15
©emeinbe (ber „jüngeren"), auf Stnftiften Weniger 9MbelSfüb,rer gegen bie anberen; bie
©rfyebung §at bereits jur Slbfefcung »on untabeligen ©emeinbebeamten geführt, bie rwn
ben -Körnern mißbilligt Wirb. Sf/ätfäcfylicb, ift folgenbeS : a) £)te ©emeinbe verfällt in ^5reS=
btjtcroi unb „Qunge"; jenen gebührt (Sfyrerbtetung (1, 3; 3, 3; 21, 6). b) 33on biefen
^}resbr/tem (als 33ejab,rten) finb „bie Seitenben" (rjyovjuevoi, jigotjyovuevoi: 1, 3; 21,6; 20
in ältefter gett für bie rönüfcfje ©emeinbe auet) fonft nachweisbare ©efamtbejeicb^nung
aller Seitenben, f. oben §br u. £>ermaS, Vis. II, 2 ; III, 9) ju unterfdjieiben, benen
©efyorfam gebührt, c) Unter biefen Seitenben faßt ber 33rief Don c. 40 an foId)e
ins Sluge, bie ben ©otteSbienft §u leiten Ratten, fei eS, Weil bem SSerf. bieS als
baS 2Bid)tigfte erfdnen, fei eS, Weil ftcb, ber ©treit um bie HultuSorbnung gebreb/t 25
fyat. S)iefe Seitenben nennt ber 33erf. breimal „33iftf)öfe unb SDiatonen", ib,r 2Imt
„imaxojirj" (42, 4 f. ; 44, 1. 4). d) @S finb eingefetjte (xatiioxdveiv 42, 4. 5; 43, 1;
44, 2 f. ; 54, 2) Beamte, bie als feit Dielen ^ßb^en bei allen Wob^Ibejeugte (44, 3) unb
fcbjießlid) feierlich geprüfte 9Jcänner (44, 2) toon erlefenen SRännern unter ber ßuftimmung ber
ganzen iftreb/e (44, 3) eingefe^t Werben finb. e) 3>l)re gunftion ber ernoxonrj ift ganj 30
Wefentlicf) ober primär fultifc^er SDienft (jigoocpsgeiv xä dcöga 44, 4, ngoocpogdg xal
Xeixovgyiag EmxeXelo'&ai 40, 2, 7igoo<pogdg tioieTv 40, 4; Xsixovgyia in e. 44 ab-
toecb/felnb mit Imoxoni] gebraust), f) &iefe Beamten, oon benen jüngft ein Seil ab=
gefe|t Worben ift, führen 44, 5 aueb, ben Slitel „^reSbpter" (bie ©teile entfcfyeibet, Weil
fie bie berftorberten Vorgänger ber abgefegten 33ifcfyöfe unb SDiafonen „jigoodomogrjoavxeg 35
jiQsoßvzsQoi" nennt; nicfyt entfcfyeibet 47, 6 unb 57, 1, Weil Wer ol Jigsoßvzsgoi bie
Sejafyrten [Wie 1, 3; 3, 3; 21, 6] bej eignen lann), unb 54, 2 finb fie unter ben
xa&sorajUEvoi ngeoßvtegoi minbeftenS einbegriffen, g) "£rot5 ber fyofyen SBebeutung ber
2lmtSperfonen liegt ibeeß unb leerlieft, bie ©eWalt bei ber §erbe felbft (tö jioijuviov, f. 16, 1 ; 44,
3 ; 54, 2 ; 57, 2), befö. bem JiXfj&og (54, 1 : tioicq xd Jigooraoadjusva vnb xov Tilrj'&ovg). 40
h) Sie driften^ eines monard^ifc^en Sifcb^DfS für Horintb, ift auSgefd^loffen. i) £>er SSerf.
beSSriefS fc^reibt im tarnen ber römifd)en ©emeinbe unbberläßt biefe Haltung niemals;
bie römifdjie ©emeinbe fenbet aueb, nief/t ^3erfonen naef) .florintb,, bie fie als Älerifer be=
jeicb,net, fonbern alS ävögag moxovg xal odxpgovag, and vsoxrjxog ävaoxgacpevxag Ewg
yrigovg djusjLmiojg iv rjjuiv (63, 6). £>ieS finb bie tl)atfäcb;licben 23erf)ältniffe ; eS folgt 45
aus ibnen, baß bie Sifcb.öfe unb ©iafonen, bie ftets jufammen genannt Werben unb beren
gemeinfame gunftion imoxojirj ober Xsaovgyia b,eißt, als xadsoxa/usvoi jigsoßvxegoi
Wab^rfc^einlicb, px ben ^yovjuEvoi gehören; aber feineSWegS folgt, baß biefe ^ultuSbeamten
allein bie fjyovjUEvoi. finb, bielmefyr lönnen noeb, anbere, nidjt genannte ©ruppen ju
biefen geboren (nic£)t einmal baS ift fieser, baß alle xadeoxa/xevoL ngsoßvisgoi 93ifcb,öfe 50
ober ©ia!onen finb). Slußer bem ©argeftellten bringt bie römifcfye ©emeinbe in ib,rcm
Srief aber noeb; eine ^^eorie unb gefcfncfytlicfye ^Behauptungen in Sejug auf baS ^ultuSamt.
ßrftlid) bringt fie c. 40ff. bie ^l}eorie, baß bie altteftamentlicb/en HuItuSeinricb.tungen,
alfo aueb, bie beftimmten Drbnungen: §ob,erpriefter, ^riefter, Seoiten, Saien, borbilblicb,
für bie cfmftlirf)e ©emeinbe feien (Ijob.erpriefter = GfyriftuS, ^riefter = Sifcböfe, Seoiten 55
= ®ia!onen) — fraglicb, ift, ob im ©inne beS SSerf. ber XerminuS „6 laixog" bem
33orbiIb angehört ober bem cfmftlicfjett 5lacbbilb. ©a fieb, aber 6 Xaixog in ber LXX
nicr/t finbet, fo ift le^tereS Waljrfct; einlicb, ; JJäbereS über Saien unb SUeruS f. u. — ; bamit
ift ber toerb/ängniSbofre erfte ©d;ritt oolljogen, baS Sßefen beS lird;Iicb,en SlmtS nadb, bem
jübifcb,en ju beuten (eine geWiffe 33orbereitung liegt in 1 Ho 9, 9 unb 1 1t 5, 18). 5^aS go
526 aScrfaffMng
toar ettoaS SfoueS — jumal ba Ijerborgefyoben toirb 41, 3, bafj bie 23erle|ung ber ®ultu§=
gefetje im 2££ bcn %ob nacb, fid) jtefyeü — , unb bie römifcfye ©emeinbe ift ficb, aucb, mit
©tolj betoufjt, bafe tf>r eine neue ©rfenntnte gefdjeuft fei (41, 4: dpäre, ädeXcpoi, öoco
nXeiovog xaTfjgico&rjjuev yvcooecog, rooovtco /uäXXov vnoxeijue'&a mvdvvco). ,3toeiten§
5 beraubtet fie, bie @infe|ung bon SBifd^öfen unb SDialonen fei — mit eben 'biefen 2lmt§=
bejeidjnungen — im %% getoeiSfagt, inbem fie (42, 5) bie jefajamfcljen SBorte: dcoaco
xovg äg%ovxdg oov iv slgrjvrj xal xovg imoxÖJiovg aov ev dixaioovvrj alfo ber=
fälfcfyt: xaxaoxrjoa) [bteä ift aucb, term. techn., f. o.J xovg imoxojiovg avxcöv ev
dixaioovvrj xal diaxovovg avxcöv ev moxsi. *3)ritten3 ergäfjlt fie, bie 3lpofteI, bie
10 ebenfo bon ßfjriftuS gefanbt feien tote (5I)rifiu3 bon ©ott, Ratten als Sfttfftonare überall
il)re ©rftbefefyrten naa; geiftlid)er Prüfung (bgl. 1 %x 3, 10) aU 23ifd)öfe unb 25iaionen
(xcov jueXXovxcov moxeveiv) eingefeijt. ©nblicb, behauptet fie, „unfere" Slboftel (fyier
btetteicfyt nicf)t bie $toßlf, fonbern ^ßetru§ unb $aulu§, f. c. 5) Ratten burcb, Offenbarung
$efu ß^rifti borau§gefeI)en, bafj fid) ©treit um ba§ övo/xa ber emoxomrj ergeben toerbe;
15 beSfyalb Ratten fie fid) nidjt nur mit jener ©infe^ung begnügt, fonbern aud) bie 2tnorb=
nung hinzugefügt, baf$ nad; bem 2lbfd)etben ber erften Beamten anbere erbrobte 9Jcänner
ib,ren 2)ienft übernehmen feilten. 2Öie man fiefyt, ift trier bon abofiolifcb^bifcfyöflid;er
©ucceffion nid)t bie -Webe (übertäubt bon nicfyt ©ucceffion); toot)l aber toirb bie gortbauer
be§ Stmfco — ber ©treit mujj fid; alfo barum gebrei)t fyaben, ob baS 2Imt übertäubt
20 fortbeftefyen foll ; eS toar alfo fein ©treit um ben monardjifcfyen ©biffobat, ob er fein
ober werben folle; benn biefer ©piffobat ftanb übertäubt nidjt jur 5ra3e ~ auf abofto=
lifcfye 2lnorbnung jurüdgefüfyrt. 2öer bie ^Beamten ein^ufe^en |at, barüber toar ebenfo=
toenig ©treit wie über bie 9?atur be§ 2lmt§.
©er (SIemenSbrief lä'fjt für bie römifcf)e ©emeinbe (nkfyt für bie forintbjfdK) immer=
25 fyin bie entfernte SRögltcftfeit offen, bafj bort ein monardnfcfyer SBtfd^of erjftierte, unb bafj
eben ber ©djreiber beS SSriefS ber monardnfcfye S3ifd)of ift (in biefem gaHe müfjte man
freilieft, annehmen, ba^ bie römifd;e ©emeinbe bon i^ren eigenen 23erfaffung§berlj)ältniffen
abfielt unb fid; in bie gang anberäartigen !orintl)ifd;en berfe^t, h>as natürlid) gang un=
toaf)rfd;einlid; ift). 2lHein biefe 50iöglidj!eit Wirb burefr, §erma§ au§gefd;loffen, ber eben=
30 faH§ in 3ftom gefd;rieben tyat unb beffen Söerl fucceffibe im Sauf bc§ erften 25rittel§ be§
2. ^a^rb,unbert§ entftanben ift. @3 ift ntd;t biel, toag §erma§ gur 3]erfaffung§gefd;id;te
bietet, unb bag Söenige ift aud; nid;t burd;toeg beutlia), aber einiges ift bod; bon b,ob,em
Gelang, a) §erma§ ben!t im Unterfd;ieb bon GlemenS in erfter Sinie an bie ©efamt=
unb nid;t an bie Soralgemeinbe. ©e§b,alb fd;iebt er bie 2tboftel unb 2el>rer in ben
35 Sorbergrunb, bie nad; Sim. IX, 15. 16. 17. 25 einer bergangenen ©eneration angehören,
bon benen aber na<^ Vis. III, 5 unb Mand. IV, 3 noeb, etliche leben. SDie ^5robb,eten
ertoälmt er bei biefen Iird;engrunblegenben Stetracfytungen nid;t (Sim IX, 15 finb bie alt=
teftamentlid;en gemeint); toarum, ift fd;toer ju fagen (f. SJliffion unb 2lu§breitung I3,
©. 284 ff.), ba er fid; Mand. XI fefyr eingefyenb mit ben toafyren unb falfd;en ^3robb,eten
40 beschäftigt unb felbft 5]3robl)et ift. b) ^n Vis. III, 5 berfnübft er bie ©efamtorganifation
mit ber lofalen (toie im (Sb^eferbrief) unb bilbet nun bie 9?eif)e änoaxoXoi, ernoxonoL,
diddoxaXoi, didxovoi, b. i). bie lolale Drganifation ift ib,m in ben 33ifd;öfen unb
©iafonen gegeben ; er fteHt jene aber, um fie ju ef)ren, bor bie 2eb,rer. Sie gufanimen*
ftellung „Sifd;Dfe unb ©ialone" finbet fid; (aug zufälligem, aber erfid)tlid;em ©runbe
45 umgefe^rt georbnet) noer) einmal Sim. IX, 26. 27. %t)xe bornel^mfte Aufgabe ift afö
uneigennü^ige 9)Jänner, bie Söiitoen unb Söaifen ju bflegen fotoie bie 2lrmen ; ib,r SDienft
^»eif3t öiaxovia unb X^aovqyia. c) $tt Vis. II, 2, 6 toerben bie TZQorjyovjuevoi xrjg
ixxXfjoiag ermahnt, ib,re 2öege in ©ered;tigfeit gu berichtigen — man fann unter ifynen
(f. I Clem.) nur jebe 2lrt bon Seitenben berfteljen — , unb in Vis. III, 9, 7 erhalten
so fie nod; eine berfdjärfte 9Jiab, nung ; guglcid^ aber toerben ü) nen bie nQcoxoxad-EÖQlxai
auSbrüdlicb, hinzugefügt. 2öer biefe finb, ift leiber nidjt angegeben (nad; Mand. XI, 1
füjt ber ^feubobrofib, et auf ber ^atb,ebra, unb nad; Mand. XI, 12 ftrebt er nad; ber
jiQcoxoxa'&edQia). SJtan toirb bem Sluöbrud, ba er neben bem fo allgemeinen 2lu3brud
ol TiQoriyovfjLEvoi fte^t, eine toeite SSebeutung geben muffen (f)öb,nifd; ift er nicb,t): aUe
55 finb gemeint, bie, fei e§ al§ ^3robf)eten ober Seb^rer ober in einer bertoanbten @igenfcb,aft,
bem jtXfj'&og (Mand. XI, 9) al§ Seleb^renbe gegenüberftefyen. Db ber 33erf. nur ba§
©treben nacb, ber TiQcoxoxa'&edQia berurteilt ober ben ©ebanfen einer jiQ(oxoxa§edQia
felbft, ift nid)t ganj Ilar; inbeffen ift erftere§ toab, rfcb,einlid»er unb toirb aucb, nicfyt bureb,
Sim. VIII, 7, 4 toiberlegt ; benn aucb, fyier fbridyt ber 33erf. feine 3)Ji|bittigung nid;t
60 gegen bie TZQooxela al§ folcfye au§, fonbern gegen bie, oT e'xovoi t,y\X6v nva iv äXXrjXoig
«crfoffttttg 527
jiegl ngcoTEtcov xal zisgl do^rjg xivog ' jidvxeg ovxoi /ucbgoi sioiv, ev a.}JXr\Xoig £%ovxeg
CfjXov tieqI tiqcoxeiidv. $mmerl)in $ m S^üdfirfjt auf ben i'ommenben monarcfyifcfyen
©btffobat bie %l)atfa<fye be3 £fjXog jieql jiqcoxeicdv tütd^tig (bgl. 3 $>o 3: 6 cpdojigoj-
xevcjov), unb nic^lö fnnbert, bie ©treitenben unter ben Inioxonoi %\x fucfyen. d) 2ln gtoet
©teilen ift bon $re§bfytern bie 3tebe: in Vis. II, 4, 2 fragt bie Ätrcfye ben §erma§, ob s
er ein getoiffeö Vücfylein fcfyon ben Vreöbfytern gegeben l)abe. 2Iuf feine Verneinung fyin"
tüirb ifym gejagt, baf$ er e§ in biefer ©tabt /usxä xcöv ngEoßvxEgcov xcöv ngo'ioxafxhcov
xrjg ixxXrjotag lefen fotle, unb in Vis. III, 1 Wirb er in einem ftymbolifcfyen Vorgang
belehrt, baft e§ nod) toürbigere ^erfonen in ber streite gebe al§ bie Vre3bfyter, nämltcf)
bie -Btärtfyrer. Seiber läfjt fic^> nacb, biefen lurjen Söorten fcbJecfyterbingS nicfyt feftftellen, 10
tüte fid) bie Vregbfyter ju ben Vifcfyb'fen unb SDiafonen bereiten (bagfelbe gilt bon ben
einmal genannten jioijUEvsg, bie für bie©db,afe beranttoortlicb, finb, Sim. IX, 31, 6, wer
finb fie? VreSbtyter ober Vifcfyöfe?). 2Bo bie ©inen genannt finb, fehlen bie anberen.
2lugenfd)einlicb, gehören bie ngsoß-üxEgoi ol ngoioxa/usvoi xfjg ixxXrjotag fo auSfcfyltefjlid)
ber ©injelgemeinbe an, bafj er fie bort nidjt brauchen lann, roo er ber ©efamtfircfye ober is
ber ©injelgemeinbe al<§ Vrojeftton ber ©efamtfircfye gebeult. Slber mefyr läfjt ficb, nid)t
fagen. ®a§ Verhältnis beiber ©rubben bleibt bunfet. e) ©djliefjlicfy gebenft §erma§,
mo er bon ber Verbreitung jene§ VücfyleinS (f. o.) fbricfyt, eines> ©lernend unb einer
©rabte. $ener foll baö Vüdjitein dg xäg eg~a> TioXsig fcfyicfen; benn ba§ fei fein
Auftrag (exeivco ydg imxhgajixai), biefe foll au3 bemfelben bie iüitmen unb 2Saifen 20
ermahnen, ©e'meint ift ibafyrfcb, eirtlid^ ber ©cfyreiber be3 erften 6lemensbriefe§ ; aber aucb,
wenn man in bem Vegrünbung§fa| eine für ©lernend nicfyt nur ad hoc beftefyenbe,
Jonbern ftänbige Beauftragung erfennt, iann man in ib,m fcfylecfyterbingg nicfyt einen
monard?ifd)en Vifdjof erfennen, fonbern nur einen Veamten (Vreäbfyter ? Vifcfyof?) für bie
Äorrefbonbenj. ®te ©rjftenj eine§ monard)ifcf)en Vifcf)of§ ift foroof)! burd) ben Vlural 25
ol jiQsoßvxEQoi ol 7iQoioxäjUEvoi xfjg ixxXrjoiag (in ber einen ©emeinbe 9tom) wie aud)
burd) ben Vlural ejiioxojiol au§gefdb,loffen.
©ie „Slboftelle^re" ^at e§, mie §erma§, faft burd^toeg mit ber @efamt!ird)e unb mit
ber ©injelgemeinbe als ifyrer 2lu§toir!ung ju tun. ©ben be3b,alb befdjäfttgt fie fid) fo
eingeb,enb mit bem 2Sir!en ber 2tbofteI, Vrob^eten unb Seb,rer, beren Söirfen fie nod? 30
borau§fei$t, menn fie auö) fd)on 2tnorbnungen trifft für ben %aü, bafc ^ßrob^eten unb
2el)rer ber ©injelgemeinbe fehlen (9 unb 10, 1—6 im Vergleich mit 10, 7; 13, 4;
15, 1). ®ie §ocl)fd)ä|ung biefer Xoyov XaXovvxsg ift eine ungeheure (fie foEen toie ber
§err geehrt merben ; o&sv yäg f\ xvgiöxrjg XaXslxai, exeT xvgiog loxiv, 4, 1 ; ben
fkobfyeten ju Iritifieren, ift eine unbergebbare ©ünbe 11, 7). Dbgleid? ber ©tanb ber 35
$roj>I?eten fcfyon fernere 2ln^eid)en bon Äorrubtion bietet (11, 7—12), fo änbert ba§
nidjtg an ber ifmen gebü^renben §odjfd^ä^ung unb an ben materiellen Seiftungen, bie
i»ie ©emeinbe iimen (fogar bor ben Slrmen, 11,4) fd^ulbet ; benn— fo fd)reibt ber Verf.
(13, 3) — „bie Vrobljeten finb eure £of)enbriefter" ßum ^weiten 9CRaIe begegnet un§
liier ber 9lefurg auf ba§ altteftamentliclje Vriefteramt (f. 0. bei I SIem.). ^n c. 14 40
fommt ber Verf. auf ben ©onntag§gotte§bienft unb bie feierliche ftvoia. ^n biefem 3U=
fammenl>ang fagt er (15): %EiQoxovr\oaxE ovv iavxoig mioxojiovg xal diaxovovg ä£iovg
rov xvgiov, ävdgag ngaslg xal äcpiXaQyvqovg xal äXr]&Elg xal dsdoxijuaojUEVOvg v/ulv
ydg XEixovqyovoL xal avxol xfjv Xsixovgyiav xcöv ngocprjxcbv xal öiöaoxdXajv /ur]
ovv vjiEgidrjXE avxovg avxol ydg eioiv ol XExifxrj [aevoi v/acöv jusxd xcöv Tiqocprjxcov xal 45
dtdaoxdXcov. ®iefe 2öorte finb befonber§ loftbar: 1. gaffen fie Vifcfyöfe unb ©talonen
enge jufammen — bon Vregbtjtern ift Weber (üer nod) übertäubt im Vucfe, bie 9iebe — ,
2. laffen fie burc^) bie Verlnübfung biefer ?ßerfonen mit ber frvola i^re gunltion brimär
aH fultif4)e erfd)cinen (f. I glem.), 3. bestimmen fie il>re Dualitäten fo, bafe man er=
fennt, bafe ib,re gunftioncn fid; aucb, auf berfönlicfyeä SSirlen unb auf ginanjfa^en be= 50
jieb,en, 4. befagen fie, bafe biefe Veamte (im Unterfd;ieb bon Slbofteln, $robb,eten unb
Sehern) bon ber ©emeinbe beftellte finb, 5. lehren fie, bafj ba§ Xoyov XaXslv an ficb,
nid)t ju ib,ren gunftionen gehört, bafe aber biefe Xsixovgyla (bei bem SRangel bon
$robb,eten unb Sebjern) auf fie überzugeben anfängt, 6. enblid) geigen fie, bafi an fid)
ein grofeer 2lbftanb jtoifd) en ^ßrobb, eten unb Sehern eincrfeitä unb Vifd)öfen unb ®iafonen 55
anbererfeitö befielt, bafe man ficb, aber bor Unterfdjä^ung biefer (aU gemähter Veamter)
^ütert foll, ba fie nunmehr ben ©ienft jener, nämlich bie SBortbermaltung, leiften.
2>er Vol^arbbrief ift an bie ©emeinbe ju Vl)ilibbi abreffiert. SBelcb^e Verfaffung
er für ©m^rna an bie §anb giebt, barüber f. fbäter. Qn Vb^ilibbi fe|t er feinen
monardHfcfyen ^ifd^of borauö, fonbern eine fottegiale Vertoaltung. ©rmab^nt Werben juerft 60
528 SScrfoffung
bte Männer (4, 1), bann bie SBeiber (4, 2), bann bie Söittben (4, 3), bann bie ©iatonen
(5, 2), bann bie vecoteqoi (5, 3), bann bie Jungfrauen (5, 3 c), bann bie TiQeaßvregoi
(6). Sei ben vecotsqoi fyeifet e§, bafj fie ben ^re3br/tem unb ©iafonen cog &eco aal
Xqiotcö gefyorfam fein follen. £jier müfcte ber monarctjifcfye Bifct)of genannt fein, roenn
5 e3 einen folgen in ^ßfyilibbt gegeben I)ätte. 2lber aud; bie an bie BreSbfyter genuteten
SJJafmungen fdjliefjen u)n au§; benn biefe Serben al§ eine Megiale (Einheit borgeftellt,
jugleicf) aber in ben gorberungen, bie an fie geftellt werben, al<§ ber ©tanb, ber in faft
aßen benf baren Bedienungen bie gürforge unfc) Bertoaltung I)at; benn reichhaltiger unb
bielfettiger ift leine ber aucb, auf un§ gefommenen Qualitäten=,3ufammenfiellung für
10 ©emeinbebeamte aU biefe (nur ber ©oite§bienft, mcfyt aber bie ginanjbertoaltung feb.lt).
§ödjft auffaüenb aber ift, baj? fie nicfyt „Btfcfyöfe" fyeifsen, bejtü. bafj ber 9came „S3tfct)öfe"
übertäubt in bem ganzen SSrtef febjt (f. bagegen ben Brief be§ ^aulu3 an bie ^fyilibber).
9Jtan rennte berfucfyt fein anjunefymen, bafj bie (Ermatmung an bie Bifd)öfe bor ber an
bie ©iafonen aufgefallen fei, ba bie Boranftellung biefer Ijiöcbjt auffaüenb ift; aber eine
15 anbere (Erklärung liegt näl)er: baburct;, bafj ^olbfarb nad; ben SDiafonen »on ben vecoteqoi
geljianbelt I)at, ij>at er fid; beranlajjt gefefyen (bgl. 1 $ßt., I ßlem.), äße (Ermahnungen, bie
er nun nod) ben Seitenben geben Will, unter ben ©efamttitel „ol Tcosoßvisooi" ju fteKen
(man beachte audj, bafj er bie (Ermahnungen an bie SDiafonen unb bie an bie vecoteqoi
je mit öjuoicog einleitet, bann aber einfad) mit xal ol jiQsoßmsQoi fortfährt). ®a§
20 geilen ber Bif d)öf e ift alfo gufäCtig : fie ftecfen, ^ufammen mit ben Bejahrten unb ben
(Efyrenberfonen überhaupt, in ben jigsoßmegoi. ©in beftimmter 5ßres>br/ier (Balen§) wirb
c. 11 genannt; er b,at einer aus» §abfud;t ftammenben Berfefylung wegen feine ©teile
berloren („qui presbyter factus est aliquando apud vos"). Befiimmtere3 über bie
Berfaffung ergiebt fid; baraug nid;t. ®od; ift es> nid)t gletcfygiltig, bafj ein mit ber olo=
25 nomifdjen Bertoaltung betrauter Beamter — benn ba§ mufj man nad) ber SCrt feiner
Berfebjung annehmen — I)ier „^reäbr/ter" genannt wirb.
hiermit finb bie Wicfytigften Quedenftetten au§ ber ßeit Don Befbafian big £>abrian,
mit 3lu§naf>me ber $gnatiu3briefe, erfcfyöpft.
17. Unmittelbar nad; ber 3eit, in Welche biefe§ bunte unb feineämegl einftimmige
30 Sftaterial gehört, narnlid) in ber fttit be§ ^ßiug unb 3JJarIu§, ift ber monard)ifd;e (Ebiffobat
famt ber beftimmten Drganifation, bie fid) il)m anfd)liefjt, überaß in ber ^ircfye, fotoeit
unfere $unbe reicht, gu fonftatieren, ja für 2lntiod)ien unb Slfien ift er burd) bie $gnatiu§=
briefe bereits für bie $eit um 115 ju ertoeifen. ©aS gefd)td)tlid)e Problem, toeld)e<§ fid;
barau<§ ergiebt, ift gro| unb fdjtoer ^u löfen; benn in bem oben mitgeteilten SRaterial
35 rceift laum ein 3"S btreJt auf bie monard)ifd;e SSerfaffung. 53ei Jö^itiuS ift biefe alfo
geftaltet: an ber ©pt$e jeber ©emeinbe (mit 3lugnab^me ber römifdjen, an bie er fcfyreibt)
fte^jt ein Sifdjof, ber biefen unb feinen anberen tarnen füf)rt. @r ift ber mir!lid)e
5Ronard) ber ©emeinbe, mie e3 fd)eint, in jeber benfbaren 33ejieb,ung. Jn erfter Sinie
aber ift er Seiter be3 ©ottegbienfteö unb ber 33erfammlungen, unb erfte $flid)t eine!
40 jeben Stiften ift, fid) bort ib,m anjufd;Iie|en unb jeben SöinfelgotteSbienft ju bermeiben.
•Jticfyt minber aber mu^ man auf fein Söort, feine Seb^re, tjoren. Überhaupt: „^id^tg
miber ben Sifdjof, ntdjtä of;nc ben 33ifd)of", baö ift bag 21 unb D ber Briefe. Unter
unb neben i§m fte^t ein Kollegium bon ^5re§b^tern (ro jiQEoßvTrjQiov, ol jiQsoßvTEQoi)
al§ ^tatSberfammlung mit befonberen ©bjenfüjen in ber ©emeinbe. ©ie fdjeinen nid)t
45 a\3 ©injelne, fonbern eben nur at§ 9iat§berfammlung ju fungieren (aber i^re ^om))e=
ten^en finb überbautet faum geftreift) unb führen leinen anberen tarnen als „bie $re§=
b^ter" (ib^re ftaty ift nid)t angegeben), ©nblid) folgen bie ©ialonen (unbeftimmte 3a^0,
bie lein Kollegium bilben, fonbern als ©inline in Setracf;t fommen. ©ie finb bie au§=
füf)renben Organe be§ SBifdjofä im ©otteäbienft unb in ber ©emeinbebermaltung unb
50 fielen t^m beöb^alb befonberö nafye (alfo bie aud; fonft beobachtete Slffinität bon S3ifd)of
unb ©talon). ®ie ,,S£t)eorie", bie Jgnatiug au§ biefer Drbnung mad)t, fd)eint ib,r 2öefen
unb ib,re Stürbe bei oberflächlicher Betrachtung exorbitant ju fteigern; in Söabjfyeit
fdjtoädjt fie fie ober offenbart bielmefyr, ba^ bie ganje (Einrichtung tatfäd)Iid) nidjt etmaS
fo @r^abene§ unb red)tlid) geftbegrünbete<8 ift, lr>ie er glauben machen mill. B«11^
55 tourjelt bie Styeorie nod) immer in ber Betrachtung, nad; melier bie (Einjelgemeinbe tyxo>
jeltion ber ©efamtgemeinbe ift. Bon b^ier au§ erllärt e§ ficf), ba^ lonftant broüamiert
wirb, ber Bifd)of fteb^e in ber ©injelgemeinbe an ©teHe ©otte§, bejto. ß^rtftt, bie ^3re§=
b^ter aber an ber ©teile ber SIboftel. SDiefe Beb,autotung befagt red)tltd) gar nidjtS; fie
toürbe ettoaä — unb gtoar biel — befagen, wenn e3 bom Bifcb^of fyiefce, er ftünbe an
eo ©teile ber Slboftel unb fe|e ifyr 2lmt fort. SlUein bag fagt 3gnatiu§ aic^t. 2öa§ er
SBcrfaffuttg 529
fagt, ift iWax nicf)t einfacb, 3tf)etorif — benn e£ liegt il)m bie alte Konzeption beS ^n=
einanber bon ©efamt= unb Sofalgemeinbe ju ©runbe — , ift aber eine Betrachtung, au$
bev fieb, recfytlicfye Kompetenzen ntcfyt ergeben, ©obann ift nicfyt ficfyer erftcbtlict), tote biet
bon biefer SSerfaffung Wirflicfy fcfjon in Slfien eingebürgert War unb Wie biet blofs antiodjenifa)
ift. ©ewifj ift freilid), bafe bie aftatifcfyen ©emeinben, an bie 39™*^ fcfyreibt, in 5
minbeftenS einer £>inficfyt eine monarcfjifcfye ©bi|e Ratten fomie ^reSbtyter unb SDiafonen,
ferner bafj ber an ber ©bitje ©tefyenbe ein berfyältniSmäfjig junger 5Diann fein fonnte
(Magn. 3), alfo bem 2llter nact) nicfyt zu ben $re3br/tern gu gehören brauste. SlHein
Wie fel)r man bereite irren Würbe, Wenn man auf ©runb ber ^gnatiu^briefe für Slfien
bie fcfjarfe terminologifcb)e ttnterfcfyeibung „ber Bifdwf, bie 'preSbr/ter" annehmen wollte, 10
babon überfuhren bie auf Stfiert bezüglichen Urfunben bi§ gum Anfang beS 3. ^afyrljmnbertS
(namentlich 3renaug)- ©ie %eWn *m SBiberfbrudj ju ^gnatiuS, bajj bie monardjifcfyen
Sifcfyöfe aucfy nodj immer „$re^bt)ter ber Kirche" genannt würben. ®ann aber ift e§
aud) Weiter fraglich, ob SgnatiuS Wirflief) in ben aftatifcfyen ©emeinben bereite bie
9Jconarcf)ie eines (Einzelnen in jeber Beziehung burcr)gefül)rt fanb. 2Sa£ er ju fetner 15
greube aucf; bort burct)gefül)rt fal), War, bafj einer, ber ben tarnen „Bifct}of" führte [ob
nur er?], ben ©otteSbienft leitete. SDaran fyat er mit feinen ©rmabnungen unb ©befu(a=
tionen angefnübft. Db aber nicfjt bie 5Pre§bbter tfyatfäctjlicf; nocf) in ganz anberer SBeife
an ber Seitung ber ©emeinbe beteiligt Waren, ab§ e§ nad) feinen Söorten erfcfyeint, barf
man mit gug fragen. Über Wirllic|e Kompetenzen rechtlicher 2trt fd)Weigt er ja boH= 20
fommen. ©a§ Problem ift alfo nicfjt fo grofs, Wie man bei ber erften Betrachtung glauben
muftte. %üx 2fntiocfjien freiließ, Weil für ^gnatiuö felbft, muffen Wir ben monartfüfcfyen
©biffobat im ftrengen ©inn annehmen. Slber totö Wiffen Wir bon ber ©emeinbe in
2lntiodnen unb ben fr/rifcfyen ©emeinben? 35er antioc^enifcfye ©biffobat fann eine 9?acf)=
btlbung ber jerufalemifcb.en 9Jconarcb,ie (2Safobu§, ©imeon) fein (fo $at)n)r aber er fann 25
fieb, aud) — \va$ mir Wal)rfcfyeinlicr)er ift — au$ befonberen Bebingungen entwickelt b,aben,
bon benen Wir fcf;lecr)terbing3 feine Kunbe befiijen. SDie alte antiod)enifd)e BifcfyofSlifte
fnübft an $etru<§ an unb nennt ab§ Vorgänger bei IggnatiuS ben @uobiu§ (f. meine
ßfyronologie I, ©. 70 ff.). ®a§ Problem, foWeit eS lösbar ift, ift übertäubt nur für
bie jtoifcb, en ^fyrfygien unb Som liegenben ©ebiete borb, anben ; benn nur aus biefen 30
ftammt ba§ oben zufammengefteflte Material. Slucb, Slg^ten mu^ au§gefcb,altet Werben;
benn Slngaben über bie ©emeinbeberfaffung bafelbft bor bem ©nbe be3 2. ^a^rfjunbertS
fehlen un§.
2Bie ift nun ba§ Material au§ ber &\t bor ^tul im Sichte ber 2b,atfacb,e ju beur=
teilen, bafe jene ©ebiete feit ber 3^it ber Slntonine monarcbjfcfye S3ifcb,öfe befi^en? (für 35
9tom mafyt e€ bie ©Etftenj einer 23ifcf)of<§Iiftc aul ber ßett be3 ©oter [f. 6b,ronol. a. a. D.]
unb bie au^brücflicb, e ^Bezeichnung bei Slnicet all bei SifcfyofS in einer faft zeitgenöffifcb,en
Ur!unbe geWi^, ba^ ber monarc^ifc^e ©biffobat nicb,t nafy c. 150 tjerborgetreten ift; ber
SJcuratorifc^e gragmentift Wirb alfo im 9iecr)te fein, Wenn er fcb,on ben ^ßiu§ all ben
33tfd)of bezeichnet ; ber Slbfdjluft be§ „§irten" mufe bann aber fbätefteno um 140 erfolgt 40
fein, gür Korintl) bezeugt £egefibb in ber 3ett 3lnicet§ ben Stfc^of 5ßrimu§, bei Euseb.,
h. e. IV, 22 ; monard)ifd)e Sifcb^öfe in ben griecfnfcb, en unb afiatifcf)en ©täbten foWie auf
Greta Werben bon ®ionr/fiu§ 6or., ^olvfratel u. a. bei Euseb. IV, 23 ff. bezeugt, tc. x.).
Sicher finb m. @. folgenbe fünfte: 1. 33i3 über ben Slnfang be§ 2. ^abrfmnbertö ^inauä
b,atte bie Drganifation ber ©inzelgemeinbe übertäubt ntctjt bie @rl)eblicf;feit, bie ib,r fbäter 45
jufam. Wem füllte fieb, al<§ ß^rift ber ©efamtlirc^e angel^örig unb embfanb bie $w-
geb,örigleit zur @inzelgemeinbe, ba fie etWa§ ©tabilierteS, ^rbifeb. eg ift, faft alö etwa<§ 9Jicb, t=
fein=foHenbel, toa$ man babureb, aufbob, bafe man bie ©inzelgemeinbe all „bie in biefer
©tabt al§ ^ßaröfe Woljnenbe exxkrjoia zov &sov" auffaßte. Sei biefer Betrachtung ftanb
bie Regierung bureb, ben ©eift, ftanb bie ganze ©emeinbe ber @rWäl)lten, ftanben enbltcb, 50
bie ßb,ari§men im Borbergrunb, bie alles organifierten, irbifc^^recb, tltcb, e Autoritäten zumeift
ntdbt aufkommen unb auef) bie xvßrjQv^aeig al§ SluSflufe be§ ©eifteS (Wie bie ©loffolalie)
erfahrnen liefen. 2. 2)te ©efamtgemeinbe ift ftreng monarcfytfcb regiert; benn fie bat
S^riftuS zum §irten unb Bifdjof ; fie baut fieb, ferner auf bem untrüglichen SBorte ©otteS
auf, unb biefeS ift als Seljre ber 2lbofteI in lebenbigen Prägern unb 3euSm borb.anben, 55
nämlicb, in ben Slbofteln (^rob^eten unb Seb,rern), unter benen bie 3wö'f *n Der ^Dr=
fteEung ber §eibenfircb,en eine Womöglicb, noeb, Wacb,fenbe Bebeutung erhielten, Wäb,renb
ba§ geiftlicb,e ©etoof)n()eitärecb,t in ben Surfen auS ber ^3rajtS beS 5ßauluS unb ber Wir!=
lieben §eibenmiffionare entftanb. 3. Sie bemofratifcfye ©leiä)b,ett, bie auf bem Boben ber
GbariSmen unb in einem engen Bruberbunbe gegeben War, tonnte baju berfüb,ren, geWiffe go
iReal=<SncDflopäble für Ueologie unb flirebe 3.81. XX. 34
530 Sßerfoffung
freie formen ber profanen ^ultbereine ju rejizieren; aber bort ernftcn (Stiften ift ba§
gemifs nicfyt gefcfyefyen, unb felbft unreife formten fie nicfyt abftcfjtlicb, rejizieren, fonbern fie
maren nur me^r ober meniger mefyrloS gegenüber iljrem ©inftrömen. 9Jtan mufj alfo bie
£r/botfyefen, alte cfyriftlicfje (Einrichtungen auf bie ^ultbereine jurücfjufür/ren, mit fyöcfyfter
5 Surftest aufnehmen; fiteren guftänben gegenüber ift biefer SlefurS mefyr am Pa£e.
4. Son 2Infang an mar für ba3 innere Seben ber Sofalgemeinben ber natürliche Unter*
fcbjeb bon ^reöbbteri unb Sceotert maftgebenb ; gu erfteren gehörten auc&, alle, beren 3Ser=
bienfte (Ehrerbietung unb ©an! crr)eifcr/ten (aueb, SC^oftet konnten „$re3br/ter" ijeifjen). 2Bo
bie $err)ältniffe nidjt fo lagen, bafj bie TOifftonare alle§ SBeitere ber ©orge eines ^3ater=
10 familia§ ober ben r/erborragenbften (Erftbefeb/rten ober ben „2llten" überlaffen fonnten
(mie feiten mag ba§ tt)unlid) gemefen fein, jumal mo bie 93efeb/rung mit relatib grofjen
3ab)Ien einfette!), ba mürben ^Beamte (in ber Siegel bie (Srftbef ebbten) eingefetjt, mar)r=
fdjieinlicb, immer unter ^anbauflegung, aber fonft gemifj nicfyt überall nacb, bem gleiten
9Jlobu3. £>afj ber miffionierenbe Slboftel einfette, mag bie Siegel gemefen fein; aber mie
15 berfd)ieben mufjte fteft, bie ©acfye geftalten, wenn ber ©eift ben 2lnftofj gab ; aueb, ^3ro=
bieten, aueb, bie ©emeinbe fonnte ilm erbitten unb befragen, unb baft ber ©emeinbe nie=
manb aufgebrängt mürbe, bafür fbrid) t noef) bie ^rarte ber fbäteren geit. Sie ^Beamten
— ftet§ finb e§ mehrere — Ratten aud) nic£)t überaß ben gleiten tarnen unb junäcfyft über=
I)aubt ntcfyt einen feften. ©omob,! bort, too bie ©rmagoge borbilblicb, mar, al§ aueb, bort,
20 mo fid) bie neue Drbnung nur al§ ^eftigung ber natürlichen (2tlte — Qunge) barfteHte,
al§ aud) bort, mo etma bie ©tabtberfaffung borgefcfymebt fyaben mag, bot fid) ber 9came
„$re3bfyter" bon feibft. S)urcb, §anbauflegung eingefetjte „2IIte" maren biefe Sitten —
balb in ber Sftenge ber 2llten berfcfyminbenb, balb au§ ib/r t/erbortretenb. 3lucf; „Wirten"
tieften fie (benn nichts lag näl)er al§ biefeg 33ilb) unb SSorfte^er (ol nQöioxdfXEvoi), ein
25 Slame, ber im ©runbe lein 2lmt bejetdmet, fonbern eine tl)atfäd;lidj)e gunftion. $$re
©emalt foßte ganj toef entließ auf it/rem 33orbilb berufen (1 %i 5), mar alfo nidjt recbt=
lieber Statur. 5. SDie gunftionen biefer ^re§br;ter maren, fo lange bie (Erbauung buret) ba§
Söort ber freien Setfmtigung be§ ©eifte<§ überlaffen merben fonnte (in mannen ©emeinben
mag fid) aber ber ©eift bon 2lnfang an in biefer §inficb, t nur fefyr fbärlicb, gezeigt b,aben),
30 biatonaler 9catur. §ier aber ift eine ©ialonie im meiteren unb im engeren ©inne ju unter=
fcb,eiben. %m »eiteren ©inn umfafjt fie fd^lec^t^in aßen ®ienft, ber nict)t 2öortbienft ift
(audb, biefer fyetfjt unter Umftänben „®ia!onia"; boeb, fann babon Iner abgefeiert merben),
alfo aHe§, morauf fieb^ nur irgenb Pflege, ^\x^i unb 5ßorfteb,erfcb,aft begießen fann; im
engeren ©inn umfafjt fie bie beiben nafye berbunbenen ©ebiete ber gürforge für bie
35 2lrmen unb ber ©ienftleiftung in ber ©emeinbeberfammlung. ©omol)l in biefer mie in
jener §inficb,t fommen früb,e für bie s^reSbt)ter bie Sejeicb.nungen „SBifct/öfe" unb „®ia=
lone" auf (mie für ben erbeten ß^riftuä in feinem Sßirlen für ©efamtgemeinbe), fo
jeboeb,, bafe bie 5ßre§bt»ter in ^tnftcfjt auf bie ®iafonie im meiteren ©inn nur am 2lnfang
unb feiten SBifcfyöfe genannt morben finb (aueb, bilbete fieb, auf bem ©ebiete ber att=
40 gemeinen SDiafonie feine gmeiteiligfeit in t)öt)erer unb nieberer gunftion au§). ©agegen
merben bie Sejeiclmungen meb,r unb mel;r jur Stege! für bie ^reöbijter, meiere für bie
3)iafonie im engeren ©inne beftellt maren, b. f/. für bie 2lrmenfürforge unb bie ©ienft=
leiftung in ber ©emeinbeberfammlung (man fottte bei bem Umfang ber Segnung
„imoxoTiog" baö Umgefefyrte ermarten, aber bem ift nief/t fo). ©abei entmicfelte fi($
45 aber balb bie ^3rarj<§, bafj man bie Seamten, bie auf biefen ©ebieten nur auöfüb^renbe,
aber nieb, t füb,renbe maren (bie gmeiteilung ergab fiel) i)ter mit jmingenber ?lotroenbigfeit),
nicb,t meb,r ju ben „^reöbtitern" rechnete (in I Giern, jäfylen fie, merfmürbig genug, nod)
ju ifjnen), aber ilmen ben Slamen „didxovog" lie^. $Damit trat eine SDebotenjierung
biefe§ alten @b,rennamen§ ein (auf bie ein^ßflafter ju legen noeb, ^gnatiuf fieb, bemüht):
so ber „Siafon" mürbe mirflid) nur ein SDienenber, roäfyrenb er anfangt f)öt;er geftanben
b,aben mu|. @ö folgt au§ biefer Darlegung, ba^ in allerfrübefter geh b,ier unb bort
$re§b^)ter unb ©biffoben jufammengefallen finb, fo bafc jeber beftellte ^re§b^)ter aud^
(SbtffojmS fiiefe. 216er fiegreieb, unb rafdj fe^te fic^> ber ©bracf;gebrauc§ burcl;, bafj nur bie
in ber Slrmenfürforge unb in ber ©emeinbeberfammlung tb, ätigen unb fü^renben ^Beamten
55 „33ifcb,öfe" b,ie^en (ob,ne ben Slamen „$re3br/ter" unb ben ^ßla^ im iMegium ju ber=
lieren). ©iefer ©ieg — imaxonog ift ein f)ob,er 9lame unb b,at mob,I urfbrünglicb,
mit bem brofan=ftäbtifcb/en imaxonoi nichts ju tltun, fonbern nur mit bem ©biffobuS
(5b,riftu§ ; fbäter mag man Analogien gebogen |aben, unb biefe mögen Iner unb bort bon
2Bicf)tigteit geworben fein, boeb, nacb,jumeifen ift e§ nid>t — ift offenbar ein 33emei§ bon
60 ber fteigenben Sebeutung ber SCrmenbflege unb be§ ©ienfte§ in ber ©emeinbeberfamm-
«Berfaffuttä 531
lung, ber mefyr unb mel;r jur Seitung bei fid; ftabilifterenben ©otteibienftei tourbe.
VoHenbS aber mufjte fid; bie gunftion ber S3tfd>öfe unb ©iafonen (namentlich aber ber
erfteren) aus ber ber $reibi;ter übertäubt fyerauil)eben,__ toenn beim geblen bon $robI;eten
unb Sehern bie gunftion ber ©rbauung burcfyS SBort (tov Xoyov xov &sov Xaltiv)
unb anberei, tüa§ jene ©eiftträger bül)er getrau Ratten, nunmehr auf fie überging. gtoar 5
am Slnfang unb in mannen ©emeinben getoift längere Qtxt fymburd) fonnte jeber $rei=
bbter mit biefer $unftion betraut toerben, unb g. 33. ber 1. STimotfyeuSbrief fafjt le^rfä^tge
spreöb^ter ins 2luge. 2Iber toie bie ßeugniffe btv ©ibacfye unb bei §ermai geigen,
muffen in fteigenbem 3Jtaf$e bie gunftionen ber 2lbofteI, $robI)eten unb Sel)rer auf bie
Sifcfyöfe (unb SDtafrme) übergegangen fein, ma§ ja aucfy bai -Jcatürltcfye mar, ba fie bie 10
©ienftleiftung in ber folennen ©emeinbeberfammlung Ratten, bie mel)r unb mefyr eine ®ult=
berfammlung tourbe. SDie ©ibacfye fagt, baft bie Bifcfyöfe unb ®iafonen ber ©emeinbe ben
©ienft ber $robI)eten unb Seigrer leiften, unb £>ermaS rücft fie an bie 2lboftel unb Se^rer
b^eran; beibe aber fd)toeigen in biefem gufammenfyang bon ben $reSbfytern. %n unb mit
biefer ©nttotcfelung mufjte aber nottoenbig ein bebeutenber Seil ber fyofyen 2Bertfd)ä|ung 15
jener bneumatifcfyen Sefyrer auf bie Sifcfyöfe übergeben, ©ie ©ibacfye fagt bai mit bürren
Söorten: „fie finb eure ©eefyrten gufammen mit ben ^robfyeten unb Sehern" 2BeId)e
folgen bai für bie 23ifd;öfe gehabt fyat, nacfybem fie monard;ifd;e 93ifd^öfe getoorben
toaren unb in 23ifd;ofift;nobert jufammentraten, toirb fbäter ju geigen fein. 6. ©er fyier
nacfygetoiefene ©ang ber SDinge toirb einem großen Seit bei oben jufammengeftellten 20
Siateriali geredet unb flärt, toie nicfyt erft gezeigt ju toerben braucht, ben fomblerm
©bracfygebraucfy bon ^reibfyter, Bifdtof, ©iafon fotote bie Slffinität bon 33ifct)öfen unb
©iafonen auf. guerft im SIemenibrief nun toirb biefe getoorbene Drbnung ber £ofal=
gemeinbe auf bai altteftl. 3Sorbilb unb auf aboftolifcfye gefet}lid;e 2tnorbnung gurücf=
geführt (2e$terei l;at an ben Sfyatfacfyen einen getoiffen 2lnt)alt, ift aber ali „©ebbt" ber 25
2tyofteI eine berfyängniSbolle gütion). ©ie erhält baburd) ben (SfyaraJter bei 3tec^t§, bei geift=
liefen unb fojufagen bei profanen jugleid). 2öaS ßlemeni unter biefen ßfyaralter fteßt, ift bai
2lmt al§ $ultuiamt (unb in feiner gtoeiteiligfeit), bamit gugleid; bie 5Rottoenbtg!eit (bafyer
aud) bie nottoenbige gortfeijung) bei 2Imti unb bie Unabfeijbarfeit feiner ^nfyaber, toenn
fie fid; tabelloi führen, bef>au^tenb. Db (Stemeni aud) ein ^ntereffe baran gehabt fyat, alle 30
Munitionen ber $re§bfyter — alfo aud; bie, toeldje au^erb^alb bei ^ultui liegen — ebenfo
ju ftabilieren, läfet fid) bireft nid;t feftfteden, aber inbireft ergiebt e§ fid) mit ?JDttoenbig=
feit; benn bie ©emeinbe £?at bie Sllten ju eb^ren unb ben „Seitenben" ju geb^ord;en;
aud) roäfylt fie nid;t bireft, fonbern bie Beamten toerben — toenigfteni in 5tom — befteüt
{xa§ioxdvai) Don eU6yi/uoi ävögsg (b. fy. eben bon ben Seitenben); ber ©emeinbe 35
fommt b^ier nur bai awsvdoxsiv ju. ©0 getoi^ ei nun nicfyt gleichgültig ift, bafj unferei
S5tffeni juerft bie römifdje ©emeinbe biei ali gefe|lid) aboftolifcfye älnorbnung geforbert
b^at, fo loloffal b^at f)ier ©ob^m übertrieben, toenn er im ßlemenibrief ben großen ©ünben=
faß ber ©ntfteb^ung bei Iird)enred)ti fieb^t unb toon ber Verbreitung bei Sriefi bie 33er=
breitung ber neuen 2lnfd}auung ableitet, ^n Äorint^ mu§ bie Majorität ber ©emeinbe 40
bereits toefentUd) äb^nlid) gebaut b^aben unb für bie 9iottoenbigleit bei 2lmti unb bie
Unabfe|barfeit feiner ^nb^aber minbeftenS biiboniert getoefen fein, unb ein einzelner 93rtef
lann übertäubt nicf)t eine foldje Sßirfung b^aben, toie fie ©ob;m biefem ©^reiben beilegt.
216er richtig ift: bie Sofalgemeinbe, eine büfier ber bneumatifd^en ©efamtgemeinbe enb^t)bo=
ftatifd) eingefügte ©rö^e, toirb nun erft eine auf fid) felber, ober bielmefyr auf ib^ren 45
Äultuibeamten ruf>enbe ©röfee, unb nun erft giebt ei ein &ird)cnred)t im eigentlichen
©inne, toeil ber toneumatifdje %attox unb bie ©efamtefllefia auigefcfyaltet ift. ©er llm=
fd;toung ber Betrachtung (Segalität, 2ttooftolicität ber Sßerfaffung ber ßinjelgemeinbe), toie
er in 3tom nad;toeübar, b^at fid; um biefe 3eit ober balb überall toou>gen (aber bei
Sgnatiui ift ber monard)ifd?e ©biffobat früher ali biefer Umfd) toung). 7 %üx bie grage 50
naa) bem Urfbrung bei monard^ifc^en 2lmtei ift toon b^ob^er Öebeutung, ba^ fid; baSfelbe
auf bem Soben bei Drganifationifaftori enttoitfelt b;at, ber burd; bie SMtuSbeamten
(bie jugleicb; bie öfonomifcfy en SSerb^ältniffe unter fid; fyatten unb bie 2lrmenbflege) gegeben
mar, unb bafj biefe Äultuibeamten (93ifcf>öfe unb ©ialonen) fd;on bon ^>aului (^f)i) ge=
nannt finb, Glemeni nid;t nur ib^re @infe^ung auf bie Slboftel jurüd'füb,rt, fonbern aud; 55
bon einer aboftolifcb^ en Stnorbnung in 33e^ug auf bie bleibenbe -ftottoenbigfeit einer folgen
Inioxonr] toeif?, unb §ermai fie mit ben Slbofteln unb Sehern, bie ©ibacfye fie mit ben ^ßro=
bieten unb Sehern berbinbet (bon bem 2tmt ber ^>reibi;ter toirb Stfmltcfyci nid;t gefagt).
©a mir faft bon jeber bireften ^unbe, ben Urfbrung ber ^Jconarcb^ie bei SifcfyofS be=
treffenb, berlaffen finb, finb toir auf §V;botb^efen angetoiefen. Sei biefen mufj man bei 60
:34*
532 SSerfaffung
2öorte§ bon ©almon eingeben! fein: ,,2öenn bie urftorünglicfye ^ircbenberfaffung nicfjt bie
gleiche mar mie in ber $eit be3 $renäu<§, fo mu| fie jum menigften einer inneren @ni=
micMung biSjur fbäteren gorm fäl)ig gemefen fein, unb jmar in ber $orm ruhiger,
allmählicher Änberungen, hervorgerufen burcb, llrfacfyen altgemeiner ^catur" ©iefe gorbe=
5 rung r)aben mir bt§r)er eingehalten; e3 ifi biefelbe, bie man aucb, in 33ejug auf bie nfy
tige ©arftetlung ber ©ntftefmng be<§ 9c23 unb ber aboftolifdjen ©laubemSregel ju
ftellen fyat.
a) Söaljirfcfyeinlidb, r/at e§, mo bie 5Ronard)ie bes leitenben Sfyoftelg Oßrotofyeten ober
£er/rer3) in einer Sofalgemeinbe wegfiel, bon2lnfang an eine 9Irt bon formlofer 9Jconartf)ie
10 gegeben, b. fy. ba§ Kollegium ber leitenben ^Pre3br/ter beburfte wie alle Kollegien eine§
^orfnjenben unb bie ©emeinbe beburfte eines ©rdutibbeamten. 9caturgemäfs fiel biefe
gunftion bem ju, ber am meiften leiftete, alfo nicb,t einem gemöfynlicfyen $reiobr/ter, fon=
bem einem $reSbr/ter=93ifcfyof. b) 2113 ber ©otteSbienft ftefyenbe formen anjunefmien
anfing unb ein Ritual fiel) entmicfelte unb feftigte, mar e§ natürlich, bafs bie Seitung
15 mefyr unb mefyr in bie §änbe eines ©injelnen fam. Quftin unterfcb.eibet beim ©otte3=
bienft (um b. $. 150) ben einen jiqoeoxws unb mehrere didxovoi (Apol. I, 65. 67).
SDaSfelbe gilt für bie fo wichtige ginanjberroaltung ; aucb, fie beburfte, menn Drbnung
fein füllte, eines 33orftef)er3 (^ufttrt I, 67: xö ovllsyöjusvov nagä xcö tiqoeoxcöxi
&7iOTL'&Exai, xal avxög ejiixovqeT ogcpavoTg xe xal xVQm? H(*1 an^ibs näoi xoig
20 iv XQsiq ovoi xrjÖE/ucov yivexai). 3U Ö"!1"1'3 3e^ mögen bie 33orftcber im ©otte3=
bienft nocb, gemecfyfelt fyaben, aber bajj man jebeSmal einen brauste, mar baS üffiicfytige.
c) 2tu(f) ber 3}erleb,r nacb, aufjen berlangte einen iJiebräfentanten unb @efct)äftsfüf)rer ber
©emeinbe, mie e£ in 9tom fcfyon am @nbe be§ 1. ^afyrlwnbertS SlemenS mar, ber ntrfjt
nur ben Srief nacb, ^orintb, im tarnen ber römifcfyen ©emeinbe berfafjt t)at, fonbern bon
25 beffen ^ätigfeit auswärtigen ©ememben gegenüber aucb, .§ermaS er§ät)It. d) SRan mirb
aber in biefem gufammenfyang aucb, nocb, einen befonberen -Jcacfybrucf auf bie £eb,re unb
auf bie Semafyrung ber ©emeinben bor ben gnoftifdjen $rrlef)rem burcb, einen autorita=
üben Sefyrer legen bürfen. 2öir fallen oben, bafj bie Sefyrfunftion unb Sebjautorität ber
Slboftel unb bneumatifcfyen £ef)rer allmär/Iicb, auf bie 33ifd)öfe überging. Sin ftcb, inbolbiert
30 ba3 nic^t bie SJtonard^ie, unb aucb, ben im 2. unb 3. ^afyrfyunbert fo häufigen 33e=
jieb,ungen auf bie xa&eÖQa unb bie nQcoxoxa&sÖQia !ann man fie nicfyt entnehmen;
benn nocb, Drigeneö fa)reibt (in Matth. XVI, 22): ol xäg TiQcoxoxa'&sdQiag nemoxev-
juevoi xov Xaov imoxojioi xal TzgEoßvxsQoi; aber bod) liegt e^ in ber -Jfatur ber
©acb,e, ba| bie cathedra (aucb, ngoEÖgia) meb,r unb meb,r ber 33efi| eine 3 Se^rerg
35 mirb. Teilung ber 3Seranttoortlid)feit für)rt leicht jur 2luflöfung berfelben ; nur einer
lann fie boll übernehmen (bieg gilt aua) bon ber 23emab,rung nacb, aufjen: man bgl.
toa§ ©iontyfiuS ßor. bei Euseb. IV, 23 bon ber Sebeutung be§ monardnfcfyen S8tfd^of§
in 2Itt)ert in einer SSerfolgung^eit berichtet). 3uma" a^er roenn °'e getfttid^e Seleb^rung
Ijau^tfäc^licb, in ben ©otteöbienft fiel, mu^te bie monarcfnfcfye (Sntmidelung berfelben auc|
40 auf bie SRonarcfyie be§ 33ifd)of§ aU be€ Seb^rerä einmirfen (man bgl. mie ^gnatiuö biefe
gunttion be§ 53ifcb,ofä betont), e) $)ic 2luffteUung bon 33ifd^of€ltften (feit bem legten
Viertel beg 2. %ai)xi).: in 3iom, 2lntiorf)ien, torintf) [Euseb. IV, 23, 3 etc.] K.) märe
eine frecbe gälfc^ung, bie and) gar nicfyt f)ätte gelingen ionnen, menn ntcftt bon frühen
Reiten an im ^reöbtjterfollegium fo mancher ©emeinben @iner aU primus inter pares
45 b^erborgetreten märe (in bem ©inne, mie ©lernend im römifcfyen ©abreiben nacb, Uorintb;
als SSerfaffer fjerbortrttt). (Sben beöt)al& ift e3 ganj unmöglicl) ju fagen, mann ber monar=
d)i]d)c (Sbiffobat begonnen bat. @r t)at ficf; in ^Differentialen entmicfelt auf ©runb eines
Slnfa^eS, bem bie Qualität ber Sftonarcfne getbife nocb, ntct)t jufam. @r ift natürlich erft
mirflicr; ba, mo ntdbt mehrere in einer ©emeinbe, fonbern nur nocb, einer „Sifcfyof"
50 Reifet, f) ®ie @ntmic!elung jur SKonarcb^ie fonnte aucb, barum niemals als ein Srucfe,
mit ber Vergangenen erfcbeinen, meil in bielen Angelegenheiten ber S3ifcb,of nacb, mie
bor al§ ©^mbresb^ter ^ufammen mit bem ^relbr/terfoHegium fungierte. SOBie eö bon
SRarcion b,ei^t (Epiphan. 42, 2), bafs er bor bie $re3br/ter in 9fJom getreten fei, fo Reifet
e§ bon 5Jcoetu§, ba| er bon ben 5ßreäbt>tern in ©mr/rna gerichtet morben fei (Hippol.
55 c. Noet. 1), unb ber 5came „^re^b^ter" blieb ben Sifcfyöfen nocb, eine fef)r lange $eit
binburcb (f. o.) unb fonferbierte ficb, nocb, barüber lnnau3 in ber ^3raji§ ber 33ifcb,öfe,
tbre ^5regbt)ter atö ©^mbreSb^ter unb Äoßegen anjureben. S5ie ©ntmictelung jur sJDio=
narcb;ie, bie in biefen Momenten enthalten ift, mar ^afyrjefmte b,inburcb, burc| ben aH=
gemeinen follegialen (5b,arafter beS 2lmte§ aufgehalten, ©ie mu|te aber in bielen ©e=
60 meinben befbrbert merben burcb, bie ©rinnerung an ba§, ma§ cinft ber ©tifter, ber
«erfaffung 533
9)?iffionar (2IbofteI), innert gemefen mar unb mag man äfmlid; feftjufyalten münfd)en
mufjte (aud; bas> tarn nod; immer bor, bafj ber SRiffionar jum 23ifd;of mürbe; f. Orig.
in Num. hom. XI, 4: „sicut in aliqua civitate, ubi nondum Christiani nati
sunt, si accedat aliquis et docere incipiat, laboret, instruat, adducat ad fidem,
et ipse postmodum iis, quos docuit, princeps et episcopus fiat") fomie burd; bie 6
erftrebte Sinologie mit ber ©efamifird)e, bie an 6l)riftu§ ü)r §aubt unb il)ren bifa)öfltd;en
9Jlonard;en befafj. ©olange aber bie $bee ber ©efamtftrd)e burd; einen fie rebräfen=
tierenben aboftoltfdjen 9Jiann nod; eine Realität mar, I)ielt biefe Realität ben 2lbfd;luf5
ber Sofalgemeinbe jur botten ©ouberä'netät nieber (toirlte alfo bofitib unb negattb ju=
gleid)) ; benn ber monard)ifd)e 33tfd^of ift ber @r.bonent ber in ftd) gefd)loffenen unb fou= 10
beränen ©injelgemeinbe. ©ie ®ä'mbfe in biefer #infid;t, bie nid;t gefehlt I)aben fönnen
(f. fdrnn $aulu§ unb bie foriml)ifd;e ©emeinbe), merben burd) ben III. $oI)annegbrief
^>eH beleud)tet. SDaft ber (pdoTzganevcov AiorQeyris fogar ben Sann übt (ix rfjs ix-
xh]öiaq ixßdXXei), ift befonber§ d)araf terifttfd) ; benn [tarier tonnte er feine 2tbfid;t —
§err im £aufe gu fein unb äugleid; fein §au§ gegen bie burd) „ben ^relbtyter" ^ob,anne§ 15
rebräfentierte ©efamtürcbe felbftftänbig $u ftellen — md)t au3brüden. 3)te ©egen=
beftrebungen aber be<§ follegialen 2lmte§ gegen bie 2Ronard)ie müfjten mir lebiglid) boftu=
lieren — benn aud) im §irten be3 §erma3 fann man fie nur unfid)er fonftatieren (bie
gäHe, mo man fitt) um ba§ fd)on beftefyenbe S3tfd)of§amt janft, gehören natürlid; nict)t
bterJ?er : SEbebutiö, Valentin) — , fönnten mir fie nid)t aud; nod; in fbäterer geit, nament= 20
litt) in $artI)ago j. 3. ©tybriamS, noc&, nacfymeifen.
®ie§ ift, mag fid) über bie aUmäl)Itd;e @ntftel)ung be<§ monard;ifd;en (SbiffobatS ber=
muten läfjt; ©enauereg bermögen mir leiber nid)t ju ermitteln. 2öie biefe§ 2tmt ge=
morben ift, ift e<§ eine originale ©d)öbfung — brimär moI)I auf bem 23oben ber fid) immer
mefyr gur kultberfammlung entmidelnben totalen ©emeinbeberfammlung — , eben med e<§ 25
bon aßen ©eiten Gräfte unb formen an fid) gebogen bat. ®ie bon §ieron^mu§, ^fyeobor
u. a. bertretene Meinung, $re§bfyter unb 23ifd;öfe feien urfbrüng(id) ibenttfcb gemefen, ift
ntcbt boEfommen rid)tig. ®ie geit, in ber jeber ^Sre§br;ter aud; ein Sifcbof mar, mar jeben=
faH§ febr lurj, unb mafyrfcbemltd; bat e§ ©emeinben gegeben, in ber bie boße ^bentität
nie beftanben l)at. ©ine gang eigentümliche £I)eorie bon bemllrfbrung be§ monarcbifcben 30
@biffobat<§ l)at £beobor (bon SDiobfb.) in feinem Kommentar §u 1 %i borgetragen, SDie
urfbrünglicbe Qbentität bon 23ifd)öfen unb ^resb^tern in gorm be<8 !oßegialen unb lolalen
©emeinbeamtg annebmenb, fü^rt er au§, bie Drbinationggemalt fyabe urfbrünglid) ntd)t
bei itmen gelegen, fonbern bei ben Slbofteln. ©ieSlboftel alfo (bejm. bie bon ib,nen ein=
gefegten Vertreter, mie SLimotl^eug) feien bon Slnfang ba§ für gange ^ßrobinjen gemefen, 35
mag je|t bie Sifd)öfe für eine einzelne ©tabt feien (nämlid; bie Drbinatoren unb©u)jer=
intenbenten). @3 fyaht alfo bon2lnfang an ein monarcfyifcfyeg 3lmt in ber Strebe gegeben,
an bem bie DrbinationSgemalt baftete; aber ntebt in jeber ©emeinbe mar e§ bor^anben,
fonbern jebe ^robing (be^m. mehrere gufammen) Ratten einen SJlonarcben, nämlid; einen
Slboftel, bejm. einen bon ib,m eingefe^ten Vertreter. 311? aber bie Religion fidb, immer 40
meljr ausbreitete, bie Slboftel geftorben maren unb ibre Vertreter fid) ntebt ftar! genug
füllten, mie Stboftel gu fungieren unb ben Slboftelnamen meiter^ufü^ren, aud; bie 2Sunber=
gaben bermiffen liefen, ba berteilten fie bie Aufgaben unb ätmtgnamen: ben tarnen
„^reöbtiter" überliefen fie ben ^3regb^tern, ben „S3tfd)of" miefen fie bem ju, ber ju or=
binieren befugt fein follte, fo ba| er nun mit ber Seitung be§ ©anjen betraut fei. ©abei 45
nimmt aber %I)eobor meiter an, ba^ fold;e 33ifd)öfe junäd;ft nur menig galblretc^ gemefen
feien — in einer ^robinj gmei ober brei — unb erft aßmäfyltd) jeber ^5Ia| einen 93ifcf)of
erhalten ^aht. Über biefe ledere 33el)aubtung f. u., fie fann nur fefyr bebingt ridjtig fein ;
aber aud; bie brimäre SBefyaubtung, bie ©ntfte^ung be? itionard;ifd;en ©biffobats murale
ganj auSfcblte^Ucb in ber DrbinationSgemalt, fann niebt befteb, en unb ift bom ©tanbbunft 60
einer fbäteren ^eit gemonnen. SSäre bie DrbinatiomSgemalt bie Äraft, bie au§ bem
bluralen 2lmt ein monard)ifd;e3 gemacht ^at, fo müfete bon Infang an bie Siegel ge=
l^errfdjt b,aben, ba^ immer nur einer (unb jmar ein „Ülerifer") einfe^e unb meibe. ©a?
ift aber nicfjt ber gall gemefen. 2lu€ I 6lem. 44 gel)t b^erbor, ba^ iUoyi/ioi ävögsg
ber ©emeinbe ben Söablüorfcblag mad;ten unb augenfd)einlid) aud; ben bon ber ©emeinbe 55
Slbbrobierten einfetten. ©aSfelbe geb^t auö ber Stboft. $£). ^erbor. ®ie „Drbination"
fann urfbrünglid; übertäubt niebt eine fo mistige Siolle gefbielt ^aben. älber al§ fie
tuiebttger mürbe, mag aud; fie jur @ntmidelung be§ monard)ifd;en 2lmte§ beigetragen
b;aben.
18. 3Jlit ber ©ntmidelung be§ monard;ifd;en ©biffobats fommt auä) bie ^enbenj, oo
534 SBerfaffuug
alle Gfyrtften an einem Drt ju einer ©emeinbe $u berbinben, ju tyxzm Slbfcblufe.
Söaren früher noeb, £auSgemeinben gebulbet (ibr urftorünglicks SßerbältniS %ax örtlickn
©emeinbe ift uns ganj bunfel), fo bkten fie jeijt auf (eine ©onbergemetnfcbaft fc^eint
noa) ber ^reis> gemefen ju fein, an ben ber §ekäerkief gerietet ift, f. Stfdjr. f. 3l%l.
6 SBiffenfa). 1,1900 ©. 16 ff. unb ©dnele im Amer. Journ. of Theol. 1905 p. 290ff.).
"üluä) Sßerfuck, mehrere felbftftänbige ftlaooi in einer ©tabt gu etablieren, mögen nick
gefehlt fyaben (f. bie SsnatiuSbriefe), aber fie mürben nun unterbrächt. SRtd^t gam gemifj
ift eS, ob nick nod) nacb, ber geit ber 2luSbilbung bes monarc^ifc^en ©biffopatS $in unb
^er in einer ©tabt gmei ober mehrere S5ifcr/öfe be^m. bifdjöflick ©emeinben maren; aber
io wenn baS aud) in einigen gälten borgefommen fein mag (üftarciffuS unb Slleranber in
^erufalem bei Euseb. VI, 11; übrigens ein befonberer %aü), fo mujj bie $aty biefer
gäHe fek gering gemefen fein unb bermag bie allgemeine ©ignatur ber 33erfaffungS=
berfyä'ltniffe nick ^u änbern. 3Rtd£>t burc^ficb.tig ift baS üßertmltniS ber „©cfmlen" (didaa-
xaMa) gu ber DrtSgemeinbe (f. meine 9JttfftonSgefd;. F, ©. 300 ff. 372 f.). 9cacb>m
iB baS bneumatifck Sekertum allmä'kicb, in baS profane übergegangen mar, bilbeten fiefe,
©cb,ulen, bie man einerfeitS — um bie SIbologetif unb ^5oIemif fräftig ju führen —
nick miffen lonnte, unb bie boeb, anbererfeitS eine ©efak (bureb, ifyre ©elbftftänbigleit
unb burd) bie Sßiffenfcfyaft) baren. SBaS mir miffen (SufiinS ©d^ule, SlatianS, $ks
bong, ^beobotug', ^rajeaS', ©bigonuS' unb ^leomeneS' ©cfmlen in SRom, Übergang ber
20 tkobotianifcktt ©cfyule in Sftom in eine ©emeinbe — baS ift ber intereffantefte gaH
biefer 2lrt, ben mir fennen — , bie $atecfyetenf$ule in Slleranbrien ; ^jibbolfyt nennt fök
nenb bie ju $aHift in ÜRom fyaltenben ©kiften, b. b,. bie Sftajorität ber ©emeinbe, eine
,,©cb,ule", unb ebenfo nennt SR^obon &" Euseb. V, 13 bie marcionitifck ^ircb,e „öi-
daoxaMov" ; bie berfefnebenen gnoftifcb, en ©cfyulen, bie j. %. anfangt geroifj innerhalb ber
25 ©emeinbe geftanben b,aben ; bie ©cb,ule SucianS neben ber $irck in SKntioctnm), reicht
feineSmegS aus, um ein §8ilb ju geminnen; benn über bie SEfyatfack ber ©jiften^ biefer
©cfyulen fyinauS erfahren mir fer)r menig (-ftacb, ben Acta Justini fagt ^uftin, er fenne
feinen anbern gufammentunftSort in 3*lom als ben, mo er feine ©ekle |alte). Qemanb
fönnte berfuckn ju geigen, baf$ in ber 2. £älfte beS 2. ^akkinbertS bk ©efak f«r
30 bie Äirck generell beftanben fyahe, ftcb, überhaupt in „©c^ulen" aufjulöfen. ©in anberer
tonnte eS unternebmen nacb^umetfen, baf$ liier unb bort abficljtlicl) aueb, baö bulgäre
Sktftentum ben ßfyarafter toon f3b,itofo))b,ifc^en ©cb.ulen angenommen I)abe, um fo grei=
kit ju geminnen unb fid^) gegen ben ©taat unb bie feinbfelige ©efeEfckft 3" fcf;ü|en
(ba^ ©inline fo berfaken finb, unterliegt fcljtoerlicb, einem ,3to^fe^ f. meine 5Riffionögefc^.
35 P, ©.307). Seibe mürben 33eacken3merte3 anjufük^n Vermögen, aber ju einem 33emei§
mürbe e§ nia)t reiben, ©obiel ift inbeö getoi^, bafj bie ,,©cl;ulen" eine gemiffe ©efak
für bie etnkitlick bifcbjöflic^e ©emeinbeorganifation bebeutet fyabm (©emetriug unb Dri=
gene§ !), ba| e§ ber SifdkfSftrck aber bereite am Slnfang bei 3. Sak^unbertö gelungen
ift, bie §au|)tgefaken ju befcb,mören. 2öa§ ftcb, neben unb au|er ber 33ifct;oflgemetnbe
40 an einem Drt al§ d^rlftltd^e ©emeinfe^aft auftrat unb leben moHte, mürbe al§ ai'geoig
(1 $o 11, 19; ©a 5, 20; 2 Sßt 2, 1; algetucdg fcb,on %x 3, 10; bie Quben nannten bie
©kiftenkit eine algsois f. 21© 24, 5. 14; 28, 22) gebranbmarlt. ^n jeber ©tabt nur
eine ftrenggefcb,loffene bifc^öflic^e ©emeinbe! ®iefe fo einfache Drbnung b,at fid) als eine
Drganifation bon au^erorbentlic^er ©tär!e bemäkt. greilict; nötigte fie bie ©emeinbe
45 balb, ike antikü>nif(|e ©jflufibität mit t-oller (Schärfe aueb^ gegen folck „Srüber" gu
richten, bie fiel) aus irgenb einem ©runbe bem Sifa^of unb ber ©emeinbe nick unter=
orbnen moßten. ®ie traurige Seibenfdjaft ber Se|erma4>erei — fcfyon bei ben Iircljlia)en
©kiften ks 2. ^ak^unbertg — ift ntdjt nur eine golge ik^S Fanatismus für bie toab«
Seke, fonbern ebenfofek eine golge ibrer gefebjoffenen Drganifation unb ber ^okn^ßräs
so bifate, mit benen fie ftcb, felbft als „Kirche ©otteS" beekten.
19. SGBte in jeber ©tabt nur eine ©emeinbe fein foßte, fo follte, toenn irgenb
möglich, anbererfeitS aueb, jeber noc6 fo Heine Pat$ feine gefc^loffene bifcb, öflic^e ©emeinbe
kben. 5Da^ bieS bie Siegel gemefen ift — menn fie auc| anfangs unb aueb. fonft nick
immer burekükbar mar unb fbäter bureb, ftäbttfd^e 33ifcf>öfe, bie ik urfkünglic^eS ©ebiet
55 auf bem Sanbe ntefet gefcb,mälert fekn tooHten, fomie burcl; anbere ©rmägungen burcb,=
Ireujt mürbe — , Ijabe icb (gegen ®ucb,eSne) 9JciffionSgef$. I2, ©. 3 73 ff. gezeigt, ©ine
Seftätigung bietet bie in c. 16 ff. ber fog. aboftolifcb,en Äirc^enorbnung enthaltene llr=
lunbe (%ü II, 5 ©. 7 ff.): „2öenn menige SRänner finb unb an einem Drt fieb,
leine ^mölf ^erfonen befinben, bie in Segug auf ein SBifcbofSmafyl ftimmfäb,ig finb, fo
öo foK man an bie 3Racb,bartirc^en, mo eine befeftigte ift, ^reiben, bamit Don bort brei auS=
»eifoffung 535
ertoäl)Ite SRänner (bgl. bie iXXöyijuoi ävdgsg I 6km. 43) fycrbeifommen unb forgfäftig
ben, ber toürbig ift, prüfen u. f. to." Sie Urfunbe ift aud; fonft tntereffant, weil fie für
ben 23ifd;of ben guten Stuf bei ben Reiben forbert, bie ©ijeloftgfeit Wünfdjt (Wenn nicfyt
eb>loi, bann einei Sßeibei 9Jtann) unb ferner eine 33ilbung »erlangt, bie ifyn befähigt,
bie ©Triften auszulegen (natürlid; mufj er autfy frei bon £abfud;t fein, tüte bai ftänbig 5
berlangt Wirb). $reibi;ter muffen ei mmbefteni gmei fein (alfo biefe $af)l genügte unter
Umftänben fd)on!), bejahrte Seute (für ben SBifcfyof totrb fyöfyerei 3llter ntcfyt berlangt),
ovfxfivoxm bei 23ifd;ofi. ®iafonen foßen ei (minbefteni) brei fein (bafj man in größeren
©emeinben bie ftaty auf 7 befcfyränfte, ift erft für bai 3. ^a^unbert nad)Weübar unb Wof)l
eine golge bei 2lnfd;luffei an bie irrig auf ®ia!onen gebeutete ©teile 21© 6). Gfyriften 10
auf betn Sanbe Werben im 1. unb 2. 3»a!)rl;unbert ermähnt. 3U(% (Apol. I, 67) erjäfylt,
bafj fie ©onntagi in bie ©tabt gum §aubtgottesbienft lamen. Über ibje Drganifation,
foWeit fie nid)t einfach SJtitglieber ber ©tabtgemeinbe Waren, befugen Wir erft aui bem 3.
unb 4. Qafyrlmnbert urfunblicfye ^acfyridjiten.
20. 3m 2. Qafyrlnmbert fteHt fid) ber Unterfdrieb bon Merui unb Säten atlmäljlid) 15
feft, ber eine natürliche golge ber (SntWidelung ift, aber ierminologifd; ben (Sinfluf? ber
jübifcfyen Unterfdjeibung bon ^ßrieftem unb Xaög aufWeift. 'O Xaixbg äv&gamog xoTg
Xa'ixoXg jxgooxäy/uaoiv dsdsxai, fyeifjt ei fd)on I SIem. 40, 5. §iernad) lieft man in
ber Stboft. ÄD. 7: 6 Xaixbg xolg Xa'ixoXg jxgdyjuaot TieQinsi'&eoßo) vnotaooöfievog
xolg TiaQEÖQEvovoi xcö &vmaoxr]gitp . Clemens Alex. Strom. III, 12 : xav TigEoßuxE- 20
gog t] xav diäxovog xav Xaixog, V, 6 : Xa'ixfj anioxia. Sei 'JertuEian häufig, %. 23.
de fuga 11 : „cum ipsi auctores, i. e. ipsi diaconi et presbyteri et episcopi
fugiunt, quomodo laieus intellegere poterit etc."; de bapt. 17; de praescr. 41;
de exhort. 7 ; de monog. 11; §ibbo!t)t bei Euseb. V, 28, 12: vnb xovg nobag ov
fiövov xeov hv xXfjgco, äXXä xal rcov Xa'ixwv. Ep. Clem. ad Jacob. 5: ovxcog ixdoxco 25
la'ixco äjuagxta laxiv. SDer Saie ift Saie, Weil er nicfyt burd; bie Drbinatton aui bem
„SJotf" fjerauigeljoben ift (f. u.).
9iaa) 21© 1 ift bie erfte Söabl in ber©emeinbe burcijii £oi (xXfjgog) erfolgt. 216er
bie (Erzählung ift ganz fingulär (barum Wol)I gefd;icf;tlicf;) ; bon Ejier aui erllärt ei fid)
alfo nicfyt, baj? „Älerui" ted;nifd) geworben ift. gerner nod; in 1 5ßt 5, 3 ift xXfjgoi fo 30
gebraust, ba| man erfennt, ba§ Söort fönne bamal§ nod) ntcbt ted^tttfcb getoefen fein
(ei bezeichnet an b. ©t. nicb^t Älerifer, mie einige 2tuileger tooHen, fonbern faft bai
©egenteil; benn e§ fteljt frmonfym ju jioijuviov, f. 0.). ©anj neutral ift aud) 21© 17,4:
jiQoosxXrjQob&rioav xqi IJavXcp. ®en Ürfbrung bei tedmifcfyen ($zbxaud)ä erfennt man
in©teßen roie2I© 1, 17 (xöv xkfjgov xfjg diaxoviag). KXfjgog ift bai Soi (im eigent= 35
liefen unb im übertragenen ©inn), burefy meld)ei man etmai geminnt, fobann bai ©e=
toonnene (ein Anteil, ein Pa£, ein 2lmt) felbft, enblic^ bezeichnet ei bie ©rubbe berer,
bie einen 2lnteil (ein 2Imt) erhalten f)aben. 2)ie ©infd^ränlung auf bie Jircfylid)en 33e=
amten ift in ib^rem Söerben erft bureb^ (Slemeni 2lle£.), (^renäui), ^ertußian unb ^ibbolfyt
bezeugt ; noeb^ in bem 23rief bon Sbon (Euseb. V, 1) roirb meb^rmali bom xXfjgog xcöv io
fiagxvQtov gefbroeb^en. 3mme#n <&& le^rt jene Bezeugung, i>a§ fbätefteni um 180
bie Unterfdjetbung (^lerui unb 2aien) fic^ aud) terminologifcb; einzubürgern begann.
Glemeni, Quis dives 42 : xXijgco [fyter nod) nicfyt = ^lerifer] k'va ys xiva xXyjqcoocov
xeov vjxö xov jivevjuaxog or]fA,aivojUEva>v. ^ren. I, 27, 1 : im 'Yyivov e'vaxov xXfj-
qov xfjg Emoxojirjg diaöo%fjg anb xeov änooxoXwv Eypvxog. III, 3, 2 : xi]v hmaxo- 45
nrjv xXrjQovxai KM\pcY\g. III, 3, 3: xbv xfjg imoxcmfjg xXfjgov e%ei 'EXsvß'SQog.
§ibboI. I.e.: ol iv xXfJQCp . . ol Xa'ixoL £>ibboI., Philos. IX, 12: rjgiavxo im-
axonoi xal TiQeoßvxsQoi xal biaxovoi diya/uoi xal xgiyafxoi xa&iaxao^at elg xX>j-
govg (aber nod) im allgemeinen ©inn c. Noet. 1: k'xßXrjxog yhr\xai xXfjgov äyiov).
Seruut, de monog. 12 : „Unde enim episcopi et clerus ? monogami in 50
clerum . allectio in clerum . extollimur et inflamur adversus clerum"
Xeftam. Sebi 8 : xXfjgog jueyag vjieq avxbv ov ysvrjosxai. ©afe $lerui runb = Älerdcr
ift, läfet fid; alfo guerfi für bie römifdje ©emeinbe feftftellen; benn $artl>ago b;at feinen
©brac^gebraueb; bon 5Rom. SDem grted^tfc^> en xXfjgog entfbrieb; t faefe lief) ber lateinifd; e „ordo"
^ertußian braucht bai 2öort in einem weiteren ©inn „(ordo ecclesiae") an mehreren 55
©teilen, g. S8. de monog. 11, aber in ber Sebeutung „clerus" ftebl ei de idolol. 7
(adlegantur in ordinem ecclesiasticum), de exhortat. 7 („ordo et plebs", „or-
dinis consessus", „ecclesiasticus ordo"), de exhort. 13 („ecclesiastici ordines"),
de monog. 12 („ordo monogamorum" [ironifcb] . „ecclesiastici ordines").
$er ^lerui (ordo) grünbet fid; auf bie „Drbination" (Weiterer ©ebraud; im 3JJurat. eo
536 «etfoffuttg
Fragment [„ordinatio ecclesiasticae disciplinae"] unb bei Sertullian) ; ba§ SBort
begegnet in bem engeren ©ebraucb, guerft bei Vertut!., de praescr. 41: „ordinationes
haereticorum temerariae" %lod) 'itertutlian toeifs, bafs ber Unterfcfyieb bon üleru§
unb Säten nicbi auf ßbjiftug ober bie Slbofiel jurücfgefyt, fonbern eine (fbätere) fird)Iicr)e
5 ©inrictjtung ift; de exhort. 7: „Differentiam inter ordinem et plebem constituit
ecclesiae auctoritas et honor per ordinis eonsessum [ba§ auf befonberen ^3lä|en
fi^enbe ^relbtoterfollegtum] sanctificatus" $u liefern „honor" »gl. ba§ ,,ol xexijut)-
jusvoi" in ©ibacfjelö, bie ömXr\ xi/tirj in 1 %\ 5, 17, bie ,,xexi,jur]juevr] XsixovQyia I Giern.
44, 6 unb bie xijurj f\ xa-&rjxovoa 1. c. 1, 3; baju (Stern., Strom. VI, 14, 107 : xexifirj-
10 juevoi xgtxai xe xal dioixrjxai (bon ben lirctyliä; en Beamten), Ign. ad Smyrn.9, 1 : 6
xijucov irnoxonov vnö fteov xsxi^xai etc. gu bem ,,ordo" gehörten nid)t nur 33ifd)öfe,
$re3br/ter unb ©iaionen, fonbern alle, Welche eine Drbination empfingen (Stertull., de
praescr. 41), alfo j. 33. aufy bie Seftoren unb bie angeftellten SöitWen (über bie nieberen
ÜJBeifyen f. u.). Sitte Merüer fyeifeen bei ^Eeriulltan (de fuga 11) aucf) „auctores";
15 bocb, ift biefe3 2Bort fo Wenig tecr/nifcb, geworben tt>te „fjyovfisvoi" (aber f. in SBejietmng
auf Ie$tere§ ben Ilbfterlic^en ©bracf/gebraucl) im Orient).
21. SDas> foIgenfcf/Werfte ^ßräbifat, Welches bie oberen ttrc^Iidjen Beamten erhielten,
War bie Slmtgbejeicb.nung „^ßriefter". £>ie Anfänge fallen nocf) in unfere ^3eriobe. SBeldjen
Söert man urfbrünglidj) auf ba§ allgemeine ^rieftertum gelegt fyat im ©egenfaij zu einem
20 briefterlicljen ©tanb (bei $uben unb Reiben), Wie ftar! man e§ noclj im 2. ^afyrlJMnbert
bem §eibentum gegenüber auigefbielt unb Wie I)eftig e§ 2:ertußian cd§ SJiontanift ber=
teibigt b,at („nonne et laici sacerdotes sumus?"), ift belannt. 2Iu<§ STertullian (de
exhort. 7) gefyt aber aucf; fyerbor, bafj bie ^onfequenjen be£ ©ebanlenS be§ allgemeinen
$rieftertum§ in feinen STagen j. %. nocf/ fortbeftanben („ubi ecclesiastici ordinis non
25 est consessus, et offers et tinguis et sacerdos es tibi solus"; »gl. de bapt. 17,
de monog. 7). £)a§ befonbere ^ßrieftertum ift nicf/t aus» bem bireften ©influft beä 2123,
noct) Weniger abo ©ntleljmung au§ ber jübifcf/en ^riefterberfaffung abzuleiten (anberö biel=
leicht in ^erufalem; f. o. über $afobu$>; bunfel ift bie üftotiz be§ 5ßolr/frate3 bei Euseb.
V, 24, 3 über ben fleinaftatifcf/en ^of/anneg: dg iysvrj'&y kgsvg xb nhakov mcpo-
30 gsxwg; mar er mcf/i bon §aufe au§ ein jübifcf/er ^riefter, ber bie SCracf/t beibehielt?),
älucf) bajj ber (Hemenlbrief bie 23ifcf/öfe unb SDiafonen mit ben 5ßrieftern unb Sebiten
bergleicl)t unb bie ®ibad)e bie ^robb.eten all bie £jol)enbriefter bezeichnet (f. o.), entfcb.eibet
noi| nic^t, fo bebeutfam eg ift. ©nblicb, bie S^atfacfye, bafe in gnoftifcb,en ©elten (f. u.
über bie SRarcianer) fct/on in ber ÜJIitte bei 2. ^ab, rb, unb ert§ ein ^3rieftertum auögebilbet
35 ift, ba§ in feinem tbeurgtfcben ßljaralter beutlicb, f>eibnifcb,en (Sinflu^ auftoeift, ift für
bie lirc^lic^e (Snttoidelung irrelebant; benn bie gro^e Äircfje folgte im 2. ^a^unbert in
folgen ©ingen meber ben ©noftifern nocb, ben Reiben, ©ie 2öurjel be§ fbejififcb,en lircf)=
liefen $rieftertum§ ift bieltnebr ba§ fbejififcb.e Dbfer, wie e3 fieb, in ber 2luffaffung bom
3lbenbmaf)I entt»ic!elte (fefunbär finb aufy bie fieb, friftaHifierenben SSorftellungen bon
40 ©alramenten ju beachten), ©iefe (Sntmicfelung beginnt fcfyon früb^e (f. baö jigoacpe-
geiv xä deoga I ßlem. 44 unb bor allem bie dvola in ®ibacb,e 14; baju finb bann
bie einfcblagenben ©teilen bei 3*enäuS ^u bergleicb.en). 3Son b,ier auö fteßte fic^j ber 93e=
griff be§ §voiaox^Qiov ein, wenn aucf) gunädjft al§ 2:robug, aber fid; atlmä^Iicb, im
©inne bom „lltar" berfeftigenb (bgl. bie aboft. J^D. 2. 7 unb 2öielanb, Mensa unb
45 Confessio, 1906). ©amit fonbergiert ber ©runbfa^, ben fcf/on ^gnatiu§ aulgefbrocjien
b,at (ad Smyrn. 8) : exeivrj ßeßaia ev^agioxia fjyeio&w fj vnb xöv etiioxotiov ovoa
rj co äv avxbg imxQeyn]. SDer Iircl)li(|e ^ßrtefter erfd;eint guerft bei STertuEian, unb
jtoar nennt er ben Sifctfof „summus sacerdos" (de bapt. 17), tooraul folgt, ba^
bamals aucl; fct)on bie ^3re§b^ter al§ ^ßrtefter aufgefaßt tourben, bgl. de exhortat. 7:
50 ,,sacerdotalis ordo", 11; de pud. 1. 21; de monog. 7. 12: ,,disciplina sacer-
dotalis; aber fcfyon früher de praescr. 29. 41: ,,sacerdotalia munera"; de virg.
vel. 9: „sacerdotale officium"; Scorp. 7: „sacerdos"). ©benfo £ibbol., Philos.
praef: cbv rj^ielg diädo%oi xvy%ävovx£g xrjg xs avxfjg %dgixog ^iexe%ovx£g äo%i£Qa-
xdag xal didaoxaUag. SDer Orient folgt ett»a§ fbäter. ®a^ nun bie altteftl. $riefter=
55 gefe|gebung herangezogen mürbe unb bafc anbererfeit§ auc| bie Sinologien mit ben
|eibnifd;en 5ßrieftertümern für bie toeitere ©nttoicfelung toicfjtig Werben mußten, ift felbft=
berftänbliclj. SBicfytig ift, ba^ auf bieSDiafonen ber briefterlicfye 6b,arafter ntc^t übertragen
Worben ift (naef; I 6Iem. 40 ff. Ijätte man eg erwarten lönnen), Wät;renb bie ^3re§bbter
— Weil fie „baS Obfer" leiten burften — ifm erhielten. SDamit traten bie $re§bbter ben
60 Sifcljöfen Wieber (unb bauernb) felbr nafye, nacljbem bie SKonarc^ie bei 33ifcf)of§ eine Äluft
ÜScrfaffmtg 537
jtotfdjen ifym unb innert befeftigt fyatte unb ©efafyr für fie beftanb, fogar unter bie £>ia=
!onen ju fommen. ®er ^rieftercfyarawer bannte biefe ©efafyr für immer, wenn auch, t/in
unb fyer ©iafonen ben faftifcb, größeren (Sinfluß, ben fie befaßen, auf Soften ber *]ßreS=
bbter geltenb ju machen fugten unb in ib,re ©renken ^urüdgemiefen werben mußten. 2lber
aud) baburd) blieben bie '»ßreSbr/ter ben 33ifd)öfen naf>e, baß fie, toie bie ^ßriefterlom^etenj, 5
fo bie biSjiblinäre unb ritterliche .tombetenj behalten (f/icr aber unter ber Oberleitung
ber 33tfc^öfe unb mel)r unb mef>r nur als ibje ^Delegierte). ®ie tfyeoretifcf/e unb ftatu=
tarifd/e StuSbilbung ber 2lbfolutionSgemaIt als einer !IeriM=ricf)ierItcr/en ©emalt, vice
Christi, im ftrengen Sinn fällt erft ins 3. I^al/rr/unbert (Sbbrian) unb machte erft ba=
malS ber neben if/r beftefyenben toneumatifcb^riclterlicr/en ©emalt ber 9)}ärtr/rer, ßonfefforen, 10
bieten unb SJiftonäre ein @nbc. 2lber fdjon lange mar fie neben biefer einb,ergegangen,
unb bie ^3riefter fyaben fie neben ben 33ifd)öfen fteiS aud) fefil/alten tonnen — aus bem
einfachen ©runbe, meil ein ©injelner bttyftfcb, biefer Saft nict/t gemacfyfen mar.
22. SDie $eftfietlung beS monardnfeben ©biffobatS filterte aud) bie flerifcl/en «Stufen
unb ßombetenjen. 2öaS ber 33ifd£jof, maS ber ^3reSbt)ter, maS ber 2)iafon ift unb gu be= 15
beuten b,at, ftanb gegen @nbe beS 2. ^abjtmnbertS feft, unb bie nod) anbauernbe 33er=
mifdmng in einigen gnoftifd/en $trcb,en mürbe als ein 3etct)ert if)rer Illegitimität beurteilt
(JertuII., de praescr. 41). SDer Bifcl/of ift, eben meil fflonaxä) in ber ©emeinbe, in
jeber Begief/ung if>r §aubt unb gunftionär. (Sr bertritt bie ©emeinbe bor ©Ott (beim
übfer unb ©ebet), bor ben ©cr/mefiergemeinben (burd) Briefe unb burd) bie älufnabme 20
ber auS fremben ©emeinben ^ommenben) unb bor ber Slußenmelt, unb er bertritt ©ott
unb GbjifiuS ber ©emeinbe gegenüber, inbem er bie ©aframente fbenbet unb lefyrt. @S
ift baf)er überflüffig, ja unmöglich, bie Steckte unb Munitionen be§ 93tfd£)of§ aufjujäb,len,
ba fie gemiffermaßen fdjranfenloS finb. ®ie mict/tigften finb bereits in ber SDarftellung
umt 2luSbrucf gelommen. 2lber ein Attribut bon ganj befonberem ©emter/t lünbigt fict; 20
im 2tbenblanb bereits am @nbe beS 2. ^afyrlmnbertS ganj beutlid) an, baS ift baS Attribut
ber aboftolifct/en ©ucceffion ber Bifcljöfe. Borfteltungen bon ©ucceffionen maren in jener
@bod)e ber Kultur etmaS ganj geläufiges, unb §mar in ber $orm mbftifd/er Bestellungen
unb als 9ted)tSfiftionen. @S liegt if/nen aber aueb, eine f/ödjft reale Beobachtung ju
©runbe, fofern eS laum etmaS BerbürgenbereS unb geftereS (für bie oberflächliche Bor= 30
ftellung) giebt, als bie $ette regelmäßiger sJiacf/foIgerfcr/aftett in einem 2lmt ober Beruf
ober bei ber Überlieferung einer ©d?ullel)re, bie mie ein SDebofitum gilt. 5Rotroenbig
bilben fidj r/ier ©emofynfieiten, 3roanSe un^ S^^S^^^^^nS^ au§/ bk fomob,! auf
bie 2tuf5enfter)enben, als auc^ auf bie Präger beS 2lmteS, bejm. beS 3)ebofitum einmirlen
unb ib,nen mit einer 2lrt bon character indelebilis bie ©timmung unb baS Slnfeb^en 35
beriefen, als fei jener erfte, bon bem bie ganje $ette ausging, gleic^fam in ib^nen in=
farniert. llnb mo man fo lebbaft unb ftrilt ntajt embjtnbet unb urteilt, ba fd)eint boeb,
burc^) bie ßette minbeftenS bie ©arantie gegeben ju fein — freilief) ein großer 5^«m,
benn bem umbilbenben 2BirIen ber $e\t bermag fid) nid)tS SebenbigeS ju entjieb,en! — ,
baß b,ier aßeS unberänbert bemabrt fei. 2llIeS 2tutoritatibe fteßte fia; bamals in ©uc= 40
ceffionen bar, bie bie materielle Prüfung beS bon ber Autorität ©emotlten unnötig
matten unb berboten. @ben barauf fam eS aber an. ®ie römifcf)e 3Serfaffung unb baS
9?edE)t ruhten auf ©ucceffionen, unb bie ©d;ulbb,iIofobl)ien beS fyxtaltexZ nid^t minber.
3lber aueb, baS ^ubentum blatte feine ©ucceffionen. Sänge bebor ber ©ebanle ber abofto!ifcb,en
©ucceffion ber Bifd^öfe erfaßt mar, fyatte man aueb, fdjon in ber ^ircf)e ©ucceffionen nämlicb, 45
bie ©ucceffion ber diddoxakoi, bie einft ^a&rjrai älterer didäonaloL (bis hinauf ju ben
3lbofteln) gemefen toaren, unb bie ©ucceffion ber ^robbeten (im montanifttfd;en ®ambf fbielt
ba§ eine SRoUe, f. mein Sebjbucf) ber ©ogmengefcb,. I3, ©. 395). 28ie unbermeiblicb, ber
©ebanle ber ©ucceffion beim 33efv§ eines SefyrbebofitumS mar, geigen aus ältefter ftzit bie
^Saftoralbriefe einerfeitS (f. g. 33. 2 STi 2, 2 : a yjxovoag nag' ijuov dtä nollmv juag- 50
tvocov, xavxa naQä'&ov xiiozoig av&gamoig, oiuveg Ixavol soovrat xal eregovg di-
dd^ai), bie gnoftifd)en ©eften anbererfeitS, bie auf bie diado%ai ibrer Seb,rer bis ju ben
Ibofteln b,inauf baS größte ©emicb,t legten (jab,Ireicb,e ©teilen, f. bef. Ptol. ep. ad
Floram bei Epiph. h. 33, 7: f\ äjioaxoXixrj nagadooig, rjv ix diadop'jg xal f/jusTg
naQEdrjfpauEv). Unter folgen Umftänben ift eS berit-egen, bie aboftolifcbe ©ucceffion 5:.
ber 33ifci;öfe auf bie SBeeinfluffung burd; römtfdt)=rect)tlicr)e ©ebanlen jurüdjufübren (2fd)irn,
3tfo)r. f. &®. XII, ©,220—231), mögen fie immerhin als ein ftarfeS ^ebenmoment mit=
getoirlt b,aben. SBar ber agdög Xöyog -deov bie ^>aubtfacl;e in ber $ircfye, auf ber fieb alles
auferbaute, unb maren bie monarcfyifcben Bifdiöfc ju beSbotifcb,en Rubrem unb £eb,rern
(Übergang ber Sebrfunftion auf fie, f. 0.) gemorben, fo braucht man nicht erft gu fragen, uo
538 aSerfaffung
rooljier unb warum ber ©ucceffton<sgeban!e auf fie übertragen toorben ift. @r muftte ficb,
bon felbft einftellen, unb auct) bie 5£fyatfacr)e, baf? er febj balb auäfcfyliefjlicb, nur an ben
23ifcfyöfen haftete unb alle anberen ©ucceffionen bab^nfcfyroanben, Verlangt feine ©rflärung ;
benn fie ift nur ein Spezialfall in ber allgemeinen ©ntroicfelung be3 ©bi)fobate<§, ber äße
5 anberen SJtibalen befiegt. ©ine ©rflärung forbert lebiglicb, bie ^Beobachtung, bafj ber
älboftolat in ber gorm be§ 3möIfaboftolat<§ ^er a^ oa3 $unbament ^er ©ucceffion<§=
leite eingeführt ift. ©iefe ©infüb/rung fe|t ba§ Slbfterben be§ allgemeinen 3lboftoIat3
unb jugleicb, bie burcb, ben gnoftifcfjen ^ambf abgerungene Nötigung borauS, alle3 in
ber $ird)e auf bie Stugenjeugen jurüd^ufür/ren unb ben aboftolifcr)en SBemeilabbarat mit
io ber ju bemeifenben ©adpe (bie Anbetung be<§ gefreujigten unb auferftanbenen ©ottmenfcfjen)
ju berfnübfen (5Räb,ere§ über bie ©ntmicMung ber 3SorfteEungen bom 3tbölf=2lboftoIat
f. in meinem Seljrbucb, ber ©ogmengefd)icfyte, Sb I). ©ie S£f>efe, bafj bie 23ifct/öfe per
suecessionem bie ebangelifcfje 2Bab, rb, eit al§ ©b, artSma bon ben Slbofteln empfangen Ijaben,
bafj fie beSljialb al§ £el)rer in ifyrem ©efamtjeugnig ben Slboftolat (nämlicb, ber S^ölf,
15 ^Saulu§ läuft nur mit) barfteHen unb bafj nur auf biefe 2öeife bie veritas in ecclesiis
custoditur, b, ätte ficb, bielleicfyt aucb, ob, ne ben gnoftifcb, en $ambf eingeteilt ; fie b, at ficf; aber
fafttfcb, infolge biefeS ^ambfe§ entmicfelt. ©ie begegnet un3 juerft bei Qrenäuä (III, 2, 2 ;
III, 3, 1. 4; III, 4, 1 ; IV, 26, 2. 5; IV, 33, 8) unb Sertult. (de praesc. etc.). ©te
%b,efe blieb aber — abgefefyen babon, bafj fie ficb, auffaltenb langfam burdjgefe^t t)at —
20 infofern nocb, lange eine fcbillembe, al§ ber einzelne 93ifct)of fie nict)t otme weiteres für
ficb, geltenb machen tonnte, ©elbft bie bifdjöflicfyen ^nb^aber bon 2tboftelftül)Ien, obgleich
fie ein immer größeres ©etoidjt erhielten, lonnten nic|t ab§ einzelne fagen: „lycb, bin ein
y untrüglicher aboftolifcr)er 2eb,rer, roett ^n^aber eine3 aboftoltfcfyen ©tubjtö"; fie lonnten
bielmeb,r ifyre Stboftolicität unb Untrügltd)feit nur im gufammenfyang unb in Überein=
25 ftimmung mit allen Sifctjöfen geltenb machen.
35orftufen (über ba3 bereite ©ntmicfelte fjmau3) t)atte — hrie jebe§ firdjlicb, e, fdjeinbar
ganj neue DrganifaüonSelement — aucb, biefe Slboftolicität ber Sifcfyöfe. ©ie liegen in
ber guorbnung ber jioijusvsg ju ben Slbofteln, ^ßrobfyeten unb Sefyrern im ©bt)eferbrief,
in ber guorbnung ber emaxojioi %u ben änöoxoXoi im §erma§, unb in ber %$aX\aü)t,
30 bafj ba3 Sebren, roelcf/eS früher bie Stboftel unb Sebjer geübt Ratten, erft auf bie 33ifcf/öfe,
bann auf ben 33ifct)of überging (menn man bei bem aÖen bag toeitere ^aitum im 2luge
behält, bafe bie §od)fcr;ci£ung ber ganzen ©rubbe ber alten Xoyov Xakovvxeg in ber
©rinnerung aUmäflicf) auf bie ^m'iiV\ allein übertragen mürbe). SDie Sorftufen liegen aber
aud) in ben ^ßerfönlicfyfeiten einzelner S3tfct)öfe, beren ^ugenb unb £raft il)nen ein abofto=
35 Iifdpe§ Slnfeb^en berlieb,, baö bann auf ben ganzen ©tanb übertragen rourbe. ©ie ©e=
meinbe bon ©mr/rna befcb^liefet bie ßb,aralterifti! ifyreä 33ifc^of§ 5Polt)larb mit ben ban!=
baren unb ftoljen 2Borten: judgrvg üolvHagnog, iv To7g xa&' ^juäg %govoig didd-
oxalog anooxoXmbg xal Jiqocprjxixog yEvöjuevog, imoxonog xrjg iv 2ju,vQvr] xafio-
foxrjg ixxXf]oiag. Söie gro^ fein 2lnfeb,en bar, gef)t barau§ t)erbor, ba^ bie Reiben in
40 ©mt)rna meinten, bie ©giften mürben nun ben ©elreu§igten fahren laffen unb ben ber=
brannten ^ßol^larj) bereden (ep.Smyrn. 17). @r mar ib,nen toie ein 2lboftel! Slucb. Sucian
in feiner ©cbjift über ^ßeregrinu§ ^5roteu§ berietet bon ber aufjerorbentlicfyen SSereb^rung
ber ©firiften in Sejug auf tl)re Sorftefyer. SDafe bie 33ifcb;öfe aboftolifd^e Qualitäten er=
gelten, ift alfo audj eine golge ib^rer bor^üglicl)en Semä^rung.
45 ©ie SorfteHung bon ber aboftolifcfyen Qualität ber Sifd^öfe blatte bie notmenbige
golge, bafe bie alte unb 3. %. richtige Überlieferung, bie Slboftel blatten bie lircpcfyert
Beamten eingefe^t, ficb, nun fo ftoeplifierte, bie Slboftel (bejto. immer ein Slboftel) Ratten
in ben einzelnen ©emeinben bieSifcb^öfe eingefe^t. ©ie§ na^m man fd^>on am ©nbe be§
2. 3« Wunberts in 2lfien, "Stom unb Stion an unb fafete bemgemä^ bie 33ifd)of3liften.
50 Urfbrünglid^ gä^Ite man aber babei ben einfetjenben 2tbofteI nicfyt aU ben erften Sifcb^of
(fo finbet man e§ noct; in ber alten rbmifdjen S8tfdt)ofSltfte bei ^^enäu§ unb ^m unb |er
aucb, fbäter nod)). Slber fefyr balb (fcb^on um 220) fing man an, ben Slboftel felbft
al§ ben erften 33ifdjof anjufefyen unb ju jaulen. ©a§ ift ein S3ewei§, bafe bie ©Ieia)ung
Slboftel unb Sifcljof nunmehr toerfelt gemorben ift (in Sejug auf ba§ £el)ramt in ber
55 ©emeinbe).
©er ©biflobat erb,ob ficb, burcb. bie Qualität be§ Slboftolatg, bie feine SBürbe Irönte,
l>ocb, über bie ^ßreSb^ter unb brachte fo an überragenbem Slnfet)en fofort toieber ein, mal
ib,m burcb, bie ©leicb,fteHung mit ben ^reSbfytem al§ ^rieftern (benn ber terminus
„Öofyerbriefter" für ben Sifcb, of f)at ficb, nicb,t burd)gefe|t; er blieb merfmürbigerroeife für
60 ©^riftul referbiert) berloren ju geb,en brob,te. ©ie ^ombetenjen ber ^3re§bt)ter blieben
2?crfaffung 539
fyofye, fofern fie aU Kollegium fungierten; benn ^ier behauptete fieb, bie relattbe ©leidjljieit
mit bem 33ifd>of. Setber miffen mir aber Don ber ^ätigfeit ber $re§br/terfoHegien faft
nid)t3. ©ürfen mir un§ iljr Söirlen nad; 2Irt ber ©nergie benfen, bie bag ^3reSbtyter=
foffegium pix ,3e^ ^ex ©ebiSbalan^ naä) bem ^obe be§ gabian in 9tom entmidelt b,at,
jo gemimten mir eine t)ot)e SBorfteüung ; aber ber galt ift roofyl nic^t ju berattgemeinern. 5
2113 ©inline bebeuteten bie $re§bt)ter toa^rfd^emlid^ menig, mo e§ nur eine gotteäbienfU
lidje Skrfammlung an einem Ort gab, aber biet, reo e3 mehrere maren; benn bann
leiteten fie im Auftrag be§ SifcfyofiS ben ©otteöbtenft ber SEeilberfammlungen.
©ie ©iatonen — urfbrünglict/ (nad) I %\m., I ©lern., $erma§ unb £>ibacr)e) bon
ben ©biffoben memg berfc^ieben — bleiben bem $ifd)ofe fo nafye ftefyenb mie einft ben 10
Sifdjöfen ; il)re Sljätigleit unb Kompetenzen finb nun umfcfyrieben burcfy bie bienenbe §ilfe=
leiftung beim ©otteSbienft, bei ber SCrmenpflege unb ber ©eelforge. 23on bi^iplinären
gunltionen Ibnnen ib,nen nur bie nieberen zugefallen fein, mit ritterlichen Ratten fie
nichts §u ti/un. Jn SSerfolgung^eiten mar ib,r 2Imt befonberg ejboniert, ba fie fiel) bem
öffentlichen Söirfen nietet ju entjieljen bermod;ten. ©ie aboftolifcfye Kirdjenorbnung c. 6 15
fagt: 01 xaXcög öiaxovTqoavxeg xal äjuejunrcog tojiov iavTolg neQmoiovvzm tov
xoifienxöv (bgl. 1 %x 3, 13). -Scan fonnte alfo birelt Dorn ©ialonat jutn ©biflobat auf=
fieigen. Sie 9?ad)ricbt ift in Sejug auf bie guftänbe ber fbäteren gett mistig, mo in
einigen ©emeinben (Sftom!) ber 21rct)ibiaIonat bie ficfyerfte üßorftufe für ben ©biflobat ge=
toefen ift unb nid^t ber ^ßresbtyterrat. ©ine nadjmetSbare 23orgefdnd)te befitjt ber 2tr$i=20
biafonat in bem 2. $afyrb,unbert rttdc)t (nod) toeniger natürlich im erften ; 21© 6 gehört
nid)t einmal ibeett bjerfyer); benn bie einzige ©teile (§egefibb bei Euseb. IV, 22:
'Avixrjxog, ov diäxovog rjv'EXev'&eQog), bie man anführen fann, läfjt berfcfyiebene 2tu§=
legungen ju. ©od? ift e§ übermiegenb mafyrfcfyeinlid), bafe eine befonbere Slffinität biefeS
©iafom» ju bem 23ifd)of lj»erborgel)oben merben füllte. Über bie fortmirfenbe allgemeine 25
Slffinität Don 23ifd)of unb SDialon, bie in ber neuen SSerfaffung bureb. bie §tütfc^)en=
gefdjobenen ^reigbr/ter nur bebrofjt, aber nicfyt aufgehoben mar, füllte lein ©treit fein.
Dag 93tfcfeof§amt ijat bei feiner ©ntmidelung zur SRonard^ie fotoob,! bie ^3re§br/ter al§
aueb, bie ©ia!onen bepotenjtert. ^enen entzog eg bie 3Sorfteb,ertoürbe; fie finb nun nicb,t
mef>r oi TiQeoßvxsgoi 01 jiQoiotdjuevoi. ©iefe brücfte e§ bbKig auf bie ©tufe »on 30
Böseren ©ienern b,erab.
©er ordo ift abtt)ärt§ bei ber ©tufe ©iafonen noeb, nict)t abgefcb,loffen. 3toar $ai
e§ im 2. ^a^r^unbert noc^ feinen georbneten clerus minor gegeben (f. über ib,n meine
3lbl>anblung über ben Ursprung be§ 2eftorat§ unb ber anberen nieberen 2öeiben i. b.
£U II, 5; „servus dei minoris loci" bei ^ertußian, de fug. 11, begießt \i<$) nieb, t 35
auf bie nieberen 3Beif)en), unb bie 33eb,aubtung Slbälarbö (ep. ad Hei. 7), bie Kircfye
^abe, toie allgemein belannt, bie ganje Stufenleiter be§ geiftlicjien ©tanbe§ Dom %'i)üx=
liüter bi§ jum SBifcfyof bon ber ©^nagoge übernommen, ift unrichtig; aber al§ bie neue
Orbnung mit bem Sifc^of an ber ©toitje fieb, entmicfelt b.atte, mürben bem ordo bie
viduae (bieHeicb,t auc§ bie virgines, bejto. bie Jungfrauen unter ben 2Bittoen) fotoie in 40
einigen ^robin^en bie SDiafoniffen (mir rennen fie für ba§ 2. Jab,rf)unbert nur auä ber
ep. Plinii ad Traian.) unb bie Seftoren unb ©joreiften b,injugefeHt. %üx bie Seitoren ift
ba§ au§ Juftin, SLertutlian, de praescr. 41, au§ aboft. Äircijenorbnung 3, au<§ 9lücf=
jtt)Iüffen bom 3. unb 4. Jab^fmnbert b^er unb au§ ben 2öeil>egebeten ju ermeifen, unb
ba ber ©joreift lange geÜ ^inbureb, mit bem Seitor guf am mengest, fo ift e3 aud) für 45
biefen gemifj. ©ie merlmürbige ^ufammwf^ß^g b,at ibjen ©runb barin, ba| beibe
utfbrünglicb, al§ d;ari€matifcb,e ^erfonen galten (bie Seltorfunltion bebingte nämlicb. eine
getoiffe Seb,rfäl^igleit). ©a ber ordo fie, bie noeb. befte^enben, niebt ignorieren lonnte,
jo mujjte er fie in fieb, aufnehmen. @§ mar eine 2lrt bon Kabitulation. Söie er biefe
Munitionen fbäter ju Herifd)en Slmtern umgebilbet unb mit anberen ©tufen, bie im so
2. gab, rb,unbcrt fcfytoerltcb. fetjon ejiftierten, lunftboll berlnübft bat, gebort nidt>t mebj bter=
ber. ^u ben Kapitulationen ift e<§ aud; ju rechnen, ba| fiel) ber ordo beranlajjt fab,
bie Konfefforen in feine 3Jlitte aufzunehmen, bejm. ib^nen ein 2lmt ju geben. ®ie ©ban=
nung bon 2lmt§trägern unb §eroen ift natürlich uralt (f. aud) bie Slnbeutungen bei
§erma§). ^ertullian fagt de fuga 11, ber geringe 33ruber foHe Konfeffor merben, „ut 65
maioris loci fieri possit, si quem gradum in persecutionis tolerantia as-
cenderit" §ieran reiben ftdt) biele anbere 3aiömjfe (namentlid) für ba^ Slbenblanb).
£erfelbe 2:ertuHian erjäblt aud;, Valentin l)abe 33ifd)of merben motten, aber ein anbercr
fei xi)tn ex praerogativa martyrii borgejogen morben (adv. Valent. 4). £)ibboIfyt (bei
Euseb. V, 28) berichtet, bafe ber Konfeffor DJataliö in 9tom jum S3ifd)of gemäblt morben 60
540 SBerfaffuttg
fei. 23ifd)öfe tonnten fie natürlich nidjt alle merben, aber bafj fie, menn fic fett ber
ÜJJfttte beS ^afyrlmnberts in ben £IeruS aufgenommen mürben, faft gang unten anfangen
mußten, ift für bie §ö£)e bejeidjmenb, auf ber ber MeruS bamalS ftanb.
©dmn Siemens fyat im ^orintfyerbrief bie ©tufen beS 2tmtS mit ben militärifcr/en
5 SJtangftufen berglicfyen unb fo bie Äircfje mit einer großen 3lrm.ee. 9?ad)bem ein n)ir!=
lieber £leruS gefcfyaffen mar, fcfyeint baS Sötlb, bie SWangftufen betreffenb, nidjt met/r beliebt
gemefen ju fein — btelleicfyt meil eS ju gutreffenb mar. ©eraifj, bie ^irdje mar leine
2lrm.ee, aber bie ^lerifer maren bie Ärieger ©otteS — in biefem ©inn blieb baS SBilb
ftets in $raft — unb maren ein DffijierforbS bon bemunberungSmürbiger ©is^iblin unb
10 gefttgleit. ©er SBifctmf mar jeboeb, nicfyt nur dux, dominus, iudex unb rex, fonbern
in erfter £inie pastor, magister unb sacerdos. Zcottjq aber ift er m. 20. triebt ge=
nannt morben, unb baS mill btel fagen. (SS gab alfo noefy ©renken!
Sieben biefer 2trmee mußten allmä'fyltcr/ bie abfterbenben alten älboftel, ^ßrotofyeten
unb Seigrer bollenbs berfcfyminben. ©ie berfcfymanben in biefer Drbnung : guerft bie
15 Stboftel, aber bann aueb, bie ©bangeliften; fie gingen 5. %. in ben ©tanb roanbernber
bieten über unb l)aben als folctje bielfetdjt eine Sebeutung für baS merbenbe Wlönfy
tum gehabt (f. namentlich) bie bfeubocIemenitnifc|)en Briefe de virginitate). Sie ^ßrobfyeten
folgten ifmen; fie finb in ber großen montamftifdjen $rtfe untergegangen. 2lm längften
fyaben ficr) bie Sefyrer gehalten. 2öir finben fie nod) am Slnfang beS 3. IJafyrljmnbertS
20 als ©emeinbelefyrer in ^3f)rt)gien unb ^faurien (j. SB. in Saranba, IJfonium unb ©imnaba,
f. Euseb., h. e. VI, 19, 18) fomie in ägr/btifcfyen Dörfern, mo fie fogar mit ben
^ßreSbfytem 3ufam.rn.en bie Seiter ber ©emetnben maren (Euseb. VII, 24, 6).
23. ©ie ©tgenfcfyaften, bie man bon ben^Ierifem »erlangte, finb beiläufig fetjon jur
©brache gefommen. 9?ur naefy einer Prüfung (domju.d£eiv) lonnten fie angefteHt merben,
25 unb baS ©uffragium ber ©emembeberfammlung barf aueb, nod) ju biefer Prüfung ge=
rennet merben. ©afj fie nur einmal berfjeiratet feien unb t$r eigenes §auSroefen in
Drbnung fyaben, mürbe auef) berlangt. ©oef; lann bie SRonogamie im ©inne eines ftrilten
Verbots ber fucceffiben ^olr/gamie nicfjt unberbrücfylidjieS ©efetj gemefen fein; baS lehren
bie $ämbfe STertuIltanS unb §ibboIr/tS. 23or ber Slnfieltung bon 9ieobI)r)ten mirb öftere
30 gemarnt. Unter ben Slugenben, mit benen bie $Ieri!er gefcfjmücft fein füllten, mirb bie
©aftfreunbfcfyaft, llnetgennütjiglett, ©anftmut unb SRücfytetnfyeü befonberS fyerborgelmben
(f. ju bem allen fcfjon bie ^aftoralbriefe). ©el>r mistig ift ber ©runbfa|, ber fd)on
im 2. %imotfyeuSbrief ausgebrochen ift, bafc fic§ ber fircfylidje Beamte als ^ricgSmann
©otteS ntd)t in meltlicfye §änbel berflect/ten foÜ. ®amit mürbe ber ©runb ju jener 2lb=
35 !e§r bon bem SBettlic^en gelegt, ber bem $Ieru§ al§ befonberem ©tanb einen feften §alt
gab unb ib,n bon ben Saien loStöfte, f. meine „Militia Christi" 1905. — ©ofern e§
aueb, einen ©emeinbebienft ber grauen gab, mar er bon bem ber 5Ränner ftreng getrennt
(f. gfcfyamad:, £>er ©ienft ber grau in ben erften ^afytfmnberten ber cb,riftl. ^irc^e, 1902 ;
bon ber ©ol£, ©er ©ienft ber grau in ber d^riftlic|en ^ireb^e, 1905; 2. ©tötfer, ©te
40 grau in ber alten SUrcfye, 1907); eine merlmürbige ©teile barüber in ber aboft. J?ircb,en=
orbnung c. 8.
2öo ftcb, ein ©tanb mit befonberen ^flicb,ten entmiclelt, entmid'eln fidb, aueb, ©tanbeS=
rechte. ©a§ oberfte ©tanbeärecfyt ber Älerifer mar ber 2lnfbruct) auf eine befonbere 6b,re
unb auf ©efjorfam (I Giern.). ©a§ jmeite ©tanbeSrecb^t mar ba§ SRed^t, ben Unterhalt
45 au3 bem Slmte ju gteben, b. t). bon ben ©emeinbegltebern ju forbern (f. 0., $aulu§).
©a§ britte ©tanbe§recf)t maren (Sb^renblä^e im ©otte§bienft (für ben Sifcb^of unb bie
^riefter ; fie fafjen, mäf)renb bie anberen ftanben). ©a§ bierte ©tanbeörecb, t mar, ba^ 2ln=
Uagen gegen bie ülerifer erfcfymert maren (f. 0. 1 %\m.). ©ie 33ebeutung be§ Reiten ©tanbe§=
reeb^tö mürbe baburef) noeb, erböt)t, ba§ bie ©emeinbelaffe ganj unter ber ©iäbofition be§
50 33ifct;of§ ftanb (über eine bunlle ©teile, ein lufftcf^recfyt ber ^re^ter betreffenb, f. ju
3lboft. RD. c. 2). 9Räb,ere§ über bie ©emeinbelaffe unb ba§ ©emeinbebermögen b,ier
bargulegen, berbietet fic^, meil bie fbärlicfyen ©teilen, bie mir au§ bem 2. gafyrlntnbert
befi^en, nur im ^ufammenfyang mit ben Duellenftetlen be3 3. ^ab^rb^unbertg be^anbelt
merben fönnen. gefte ©ehalte belogen bie einzelnen ^ircb,enbeamten fo menig mie ber
55 Stfdjof. ^ibbolbt beurteilt e§ al§ eine greuliche Neuerung, bafe bie f^iömatifcb,e ^irttje
ber %i>eobonaner in ^tom ib^rem S3ifct)Df einen monatlichen ©el)alt ausfegte (bei Euseb.
V, 28). Überfcb^lägt man bie allgemeinen ürcfjlicfyen Serb^ältniffe, fo erfahrt biefe SUla^
reget mirllicb, als etmaö feb^r Ungehöriges unb ÜbleS (b^at fic^ ber Sifc^of, ber Dbfer=
miUig!eit ber ©emeinbe mifjtrauenb, bie ©umme garantieren laffen?).
60 24. ©ie $irdj)e als Transformation ber 3«oenlirc£)e unb ber ©tynagoge erhielt eben
SBerfaffmtg 541
baburd) aucb, ben antrieb gu gewiffen 9ied>tSbilbungen fotote ju ben gönnen, in bte fic
bte JRccfytSbilbungen fafete. @ine 9ted>tSbilbung War aber, tote fdjon angebeutet, aucb, ba=
burd) gegeben, bafj bte $ird>e 33efd)Iag auf baS gefamte Seben unb Genien ifyrer ©laubigen
legte (fotoie auf ifyr gefel!fd;aftlid>eS SSerJjältntg guetnanber) unb alles einer feften Drb=
nung 511 unterwerfen fucfyte (bgl. 3. 53. bie fog. „|>auStafeIn" in ben toaultnifcfyen Briefen), b
^nbeffen finb bteS nid)t bie ftärfften SBurjeln ber 9iecIj)tSbilbung. ©ie liegen auf einem anberen
Soeben (f. meine 2lbb,anblung „®ird)e unb ©taat bis jur ©rünbung ber ©taatSftrd)e"
in ber „Kultur ber ©egenWart" 1905). 2)ie $ird>e fab, fid) einem l>od)fultibiertem ©taate
gegenüber, ju beffen 3fad)te fie aber Dom Anfang an ein embeutigeS 3krf)ältniS nidjt ju ge=
tntnnen bermocfyte. §ätte fie itm in jeber 33ejieb,ung negiert, fo Wäre fic balb bon il)m 10
jertrüntmert Worben. £>ätte fie einfad) auf il)n eingeben lönnen, fo Wäre eS 31t einer
eigenen ÜRecfytSbilbung nur in fefyr befdjetbenem Umfang gekommen. @ben Weil ifyr 3Ser=
IjältntS ju if)tn ein lombli^terteS mar, »eil fie fid) jugleicb, tfym unterorbnete 0iö 13)
unb t£>n befämbfte (3io=2lbl, k.), ifyn ftcb, unbewußt gum $orbt!b nafym unb if;n
negierte, fam eS gu bauemben 5ted)tSbtIbungen in il)rer 3JJitte. ^ßrinjibiell bat ©ob,m 15
9iecf)t: bie Negation ber 2Belt, bie ÜberWeltlidtfett, bie brüberlicfye ©letd)l)eit unb baS
Semufjtfein cbariSmattfcfyer Seitung bulbeten eigentlich; überlaufet leine 9fed)tSbilbung.
2teft man j. 33. £>ermaS, Simil. 1 f. unb berWanbte ©teilen, fo mufj man ju bem ©lauben
lommen, biefe $ird>e berWerfe mit bem $ribatbefv| überhaupt jebe StecfytSorbnung ; aber
nicfyt einmal bei £>ermaS ift eS fo gemeint — 23efi£ plus 2lImofengeben ergeben 20
aua) nacb, ifym einen erlaubten 3u[tano — / uno °'e SR^r^ab,! ber ßfyriften erlannte
bte getnorbenenen 9ted)te beS ©tanbeS unb SefitjeS als geftattete ©üter an (trotj aller
2)etlamattonen gegen baS bon ber Idololatria bürdete Saeculum) unb bemühte ficb,
fefyr balb um eine fcfyrtttWeife SSerbefferung. könnte man als graSfreffenbeS unb nadteS
£ier in ben Sergen leben, ruft QjrenäuS aus (IV, 30, 3) — nur bann märe man be= 25
recfytigt, mit bem 23efit5 aucb, aßen §anbel unb Söanbel unb bie ftaatlicfyen Drb=
nungen beS griebeng, Welche baS Stecht fdjafft, als Unrecht ju negieren; aber ein %b?al
ift ü)m baS nidjt!
SaS lird>Iid)e 'tRtfyt (im weiteren ©inn) entftanb alfo fyaubtfäcfylicb, aus ber 9?ot=
toenbigfeit, für bie Steckte unb 9ted)tSorbnungen, bie im ©taate galten unb bie man nid;t 30
anerfennen lonnte, anbere analoge ju fubftituieren unb bie, meldte man anerlennen
fonnte, ju »erbeffern. @§ entftanb burd;aug nid)t alg ein ^ringi^ieHeg Unternehmen,
fonbern enttoidelte ficb, langfam, fo ju fagen bon gaE ju gaH. ^n ber erfteren ^id;:
tung ift fd)on ^aulug t^ätig geroefen, toenn er e§ ben ß^riften unterfagt, bor ben melt=
liefen ©ericb,ten 3ted)t ju fudjen, unb fie anmeift, fidj an befähigte cbriftlicb,e trüber §u 35
toenben (1 Äo 6). 2tber bie gange ©cfyöfefung ber fird^lic^en 3Serfaffung mit ib,ren Se=
amten bi3 jur ©nttoidelung be§ monard)ifd;en ©biffobatä in jeber Solalgemeinbe ift al§
eine 3f?ecb, t^bilbung aufjufaffen, bie entftanben ift, weil man bie beftefjenbe 3Serfaffung mit
iBren Beamten nur feb,r bebingt unb in engen ©renken anjuerlennen bermoc^te. ©ie
ßtrd;e, bon ber Drbnung unb geftigung be§ §aufe§ unb ber Silbung Heiner ©efinnung§= 40
gemeinfcb,aften au^gelienb, febrettet fo bis jur ftäbtifcfjen SSerfaffung bor unb fcfyiebt fid;
allmäb^ltd; in biefe ein. ®ie lolale Drganifation : ber S3ifd)of, ba§ 5ßre§b^ter!oHegium,
bie ©iafonen u. f. W. — Wirft fofort als 9ftbale ber ftäbtifd)en SSerfaffung, Wenn fie
aurf) Wab,rfd;einlid; ofjne biefe bewußte 2tbfid?t unb nid;t aU 9iad)bilbung entftanben ift.
316er bafe fie ber ftäbtifd;en SSerfaffung fo äfjnlicb. Würbe, ift bod) lein bloßer gujaü. 45
2luf biefer Sinie ift bte (SntWidelung fortgefdiritten jur ?ßrobinäialberfaffung (f. u.) unb
toeiter jur 3f?eicb,§berfaffung, immer b^alb negierenb, fyalb guftimmenb, aber eben beöb,alb
bureb ^aegaf^mung ober 5Rejebtion biefer gormen fie im unb am ©taate negierenb —
bie fid)erfte 9JtetI)obe, um ben ©taat gugleicb, au§juf)öb,len unb ju unterminieren. Stuf ber
anberen Sinie aber (3Serbefferung ber ftttlid^recfytlidjen öffentlichen Drbnungen) gebt bie bo
^irebe bielfad) ber ftaatlicben 9tecb,t6entWtdelung beg 2.-4. ^afjr^unbertö (©llabenrecf)t,
Scf)u| ber @be, 33erfcb,ärfung ber Sl^nbung ber gefd^Ied^tlidjen ©ünben unb üBerbredjen,
2lrmengefe|gebung, 2luggleid) ber ©tänbe u. f. W.) boran unb läfct ib,n, feitbem fie felbft
(Witte be3 3. %at)xfy.) als grofee öffentliche 3)cac6,t ficb, enthüllt f>at, als rüdftänbig er=
feinen. 2luct) bier bringt alfo bie ©ntmidelung beä 9ted)tg in ber $ird;e ben ©taat 53
in eine Zwangslage, au$ ber er fid) nur burd} Slnerlennung unb .^rtbilegierung ber
ßird§e ju retten bermag. ®aS alles fiebt man fcfyon im 2. ^al^rb,unbert ficb, anbahnen,
in Welkem bte Äirdje bereits fo su fagen bie ©tabt erobert fyat, bie Eroberung ber ^robinj
Beginnt unb bem Matfer unb bem 5Reid) bureb, iljre 2Kbologeten mitteilt, bafe il>nen nid;tS
übrig bleiben Wirb, als ficb, bte geiftlid^e unb fittlidje §ertfcb, aft bcr^irdje gefallen ju laffen. co
542 SJerfaffung
Qn bie Sibilftanb3gefe|gebung be§ ©taate§ fyat juerfi ber römifd)e SBtfd^of SMtft fd)arf
eingegriffen burd) bie Söeftimmung, bie §tbbo!r;t (Philos. IX, 12) fo toiebergegeben fyat :
Tvvai^lv EJietQEyjEV, el ävavdgoi ehv xal fjhxiq ye ixttaioivxo ävag~lq f/ savxcöv ä^iav
/ui] ßovXoLvro xa&aigelv diä tö vojuljucog yajurj&fjvai [e§ fyanbelte ficb, alfo um bornet/me
5 cfyrtftlicfye Jungfrauen, bie einen cfyrtftltdjen sJftamt gleichen ©tanbe<§ nicfyt bekommen
i onnten, einen fyeibnifdjen nidjit nehmen, aber aucb, tfyren ©tanb ntcfyt burcb, eine SReSaßtance
Verlieren füllten], e%eiv l'va ov av aiQrjaoovxai ovyxoixov, ehe olxetrjv, eIxe eXev-
&eqov, xal xovxov xqivsiv ävxl ävÖQÖg [Ar) vofxco ysyajurj/UEvrjv. ©er Sifcfyof
fcfyafft alfo @I)en, bie bie $trcf;e anerfennt, toäbjenb fie bor bem ftaatlicfyen gorum un*
10 gilfig finb !
®a3 fircfylicfye ÜHecfyt (im engeren ©tnn) = ius ecclesiasticum (f. meine 2(br;. i. b. ©i£.=
33er. b. Ä. $reuß. SKob. b. Söiff. 1903, 26. gebr.) gefyt in feinen SInfängen aucb, fa>n
in baS 2. J^rb,unbert gurücf. Sie SSorftellung, baß bie fötrcfye „iura" bejto. ein „ius"
beft|e, ift älter als ber ^ierard^ifct)e ^trcfyenbegrtff ; fie ift u. 20. juerft bon SfortuEian
15 auf berfcfyiebene Munitionen ber ^trdje, bor allem aber auf bie potestas clavium ange=
toenbet toorben. SDiefe ift ber $Urd)e bon @I)rtftu§ gegeben. SDie f^egififd^e 33orftellung
eine§ „ius eeclesiae" ift an ber ©cfylüffelgetoalt ertoacfyfen, unb bie 2lu3bUbung be§
SöußberfafyrenS, toeldjeS bem ^rojeßberfatjren bertoanbt ift, fyat naturgemäß biefe 3?or=
fteEung gur ©nttoicfelung gebracf/t unb gefräftigt (bie ^ßrtefter erlernen als iudices;
20 alfo »erfahren fie nad) einem „ius"). $n 2lfrifa fotoof)l tote in 9iom ift bie potestas
ligandi et absolvendi bas> ius ber Äircfje unb totrb aucb, fo genannt (S£ertuHian, de
pudic. 21). 2lußerbem brauet 1£ertullian ba£ SÖort „ius" „iura" Don ber $ircf/e,
toeil ifyr genoffenfcfyaftlicfjer Gfyaralter julommt, fotoie im ©inne beS 33eamtenrecb,tl: ©er
33rubername, ber „triebe", bie ©aftfreunbfcfyaft finb „iura" in ber $trcf;e (de praescr.
25 20). ©ie ^trdjien „miscent (inter se) unius institutionis iura" (1. e. 27). ®en
grauen fommt baS ius docendi nicfyt gu (de bapt. 1). £>as> „ius baptizandi" r/aben
ber Sßifd^of, bie 5llerifer bejto. aucb, bie Saien (1. c. 17). Sie §äretiler „nullum ius
capiunt Christianarum litterarum" (de praescr. 32).
25. 2Xuf bie Skrfaffung f)äretifcf)er ©emeinfd^aften unb ber 9Jtontaniften muß ibtcr
30 nocb, ein 33liä getoorfen toerben, toenn es aucb, nur SöenigeS ift, toaS toir »on tfynen
toiffen. ©otoeit jene in ber gorm bon bloßen ©deuten ejiftierten (SlertuHtan, de praescr.
42 : „plerique nee ecclesias habent"), bieten fie in biefem ßufammenb, ang fein Jntereffe ;
fie finb tote $t)ilofobI)enfcf;ulen, manche mit einer faft abgöttifa)en SSerefyrung be§ SQleifterS
(f. b. ^arbofratianer unb ©Ilefaiten), grubbtert. Slber anbere toaren in ber gorm^bon
35 äircb.en, anbere in ber gorm bon ^fterienbereinen organifiert (für beibe fbielte bie Über=
lieferung eine ebenfo große StoEe toie in ber großen ^ird^e). @rftere§ gilt fieber bon ben
SRarciomten ; aucb, bie ©egner b^aben nid^t geleugnet, baß fie eine ^irebe finb unb ^irc^en
fjaben (^Eertullian, adv Marc. IV, 9: „faciunt favos et vespae, faciunt ecclesias
et Marcionitae"). @g toar nidbt ju leugnen; benn fie Ratten nid?t nur ib^re gabjreicfyen
40 3)lärtt)rer (Euseb. V, 16, 21 unb fonft), fonbern aud) if)re SBifc^öfe unb ^re§b^ter (93ei=
fbiele Acta Pionii 21, Euseb., de mart. Pal. 10; ^3re3br/ter aucb, auf einer marcio=
nitifcb,en^ircf)engebäube=3nfcb,rift au§ ber 3lät) e bonS)ama§fu§; ba§©ebäube ^eißt auf ber
Jnfcb,rift merttoürbigertoeife „Zwayrnyi)"), tf)re ©laubigen unb Äatedjumenen. 5Ratt)
2lbamantiu§ (p. 1 6) nannten bie SRarcioniten ben SJlarcion if>ren SBtfdbof. Slber obgleich
45 fte fomit bieleö mit ber fircr/Iicfjen Drganifation teilten, toaren fie toeniger ceremonieß toie
biefe, unb bie Drbnungen toaren abfict)tlic^ niebt fo fefte. ©ie ©cb,ilberung ber fyärettfcfyen
3Serfaffung bei 2:ertutttan, de praescr. 41 f. gel)t nac^)toei§bar fyaubtfäcpcb, ober au&
fc^lteßltcb, auf bie 3Jcarcioniten. §ier aber beißt e§: „Non omittam ipsius etiam con-
versationis haereticae descriptionem, quam futilis, quam terrena, quam humana
50 sit, sine gravitate, sine auetoritate, sine diseiplina, ut fidei suae congruens.
imprimis quis catechumenus, quis fidelis, incertumest; pariter adeunt, pariter
audiunt, pariter orant, etiam ethnici, si supervenerint simplicitatem volunt
esse prostrationem diseiplinae, cuius penes nos curam lenocinium vocant.
ipsäe mulieres haereticae quam procaces! quae audeant docere, contendere,
55 exorcismos agere, curationes repromittere, forsitan et tingere. ordinationes
eorum temerariae, leves, inconstantes. nunc neophytos collocant, nunc saeculo
obstrictos, nunc apostatas nostros itaque alius hodie episcopus, cras alius ;
hodie diaconus qui cras lector, hodie presbyter qui cras laicus ; nam et laicis
sacerdotalia munera iniungunt ceterum nee suis praesidibus reverentiam
60 noverunt" ©iefe ©cbjlberung toirb bon @btbf>antu§ unb £>ieronr;mu<3 % %. beftätigt.
SBcrfaffung 543
fetter jagt (h. 42 p. 304): fivaxtJQia nag' avxco enireXeirai xcöv xaxrjxov/uivmv oqojv-
%(ov (bgl. 305), unb biefer bemerft, -Karcion fjabe ficb, für bie $ermifct)ung bon fideles
unb catechumeni auf @a 6, 6 berufen (xoivcovshco 6 xaxrjxov/uEvog xöv Xoyov xo~J
xaxt]%ovvxi iv jiäoiv äya§oXg). SDie bun!(e Angabe beS Sedieren (ep. 133, 4):
„Marcion Romam praemisit mulierem, quae decipiendos sibi animos prae- 5
pararet") belräftigt eS, bafj grauen in biefer Kircfye lehren burften. 23gl. EbibfyaniuS
(p. 305) : didaioi xai inixQ07ir\v yvvatg~l ßdnxio/ua didövai, ©Snil : „3ftarcion 'ging fo
tocit, bafs er felbft ben grauen fogar anempfahl ju taufen, WaS feiner ber früheren £ä=
retiler au tlmn Wagte . leiner lieft fonft bie grauen gum ^rieftertum gelangen" ®ie
ibeale Kirche War für 9Jkrcton eine l)oI)e $oteng (®a 4, 26 las er fjxig ioxlv /urjxtjQ 10
fjucov ysvvcöoa slg f]v ijrrjyyEiXdjuE&a ayiav ixxXtjolav), aber ben ftärler fid) ent=
toicfelnben JtitualiSmuS ber grojjen Kirdje berfd)mä!)te er CüDocft, fyatte er aua) feinen
SRitualiSmuS, Wenn er j. 33., Wie meljrfadb, bezeugt, feine jünger am <£>abbafy faften liefe, um
ben $;ubengott ju trogen), ^kobfyeten unb $robt)eiinnen gab eS bei -iDtarcion, Wie eS frfjeint,
nicfit, Wof)l aber bei 2XpeHeö, ben Söafilibianem, äRarcianern u. a. ©aS ©egenbilb gur 15
loderen SSerfaffung ber marcionitifcfyen Kircfye btlbeten bie als 9)ZbJterienberetne organifierten
cr)riftlicf)en ©elten. 2lm heften lennen Wir bie SRarcianer (Iren. I, 13 f.). §ier f>at
man mutatis mutandis ben fbäteren fatfyolifcfyen Sifctjof, ber im ftanbe ift, baS ge=
IjeimniSboHe Dbfer ju bollgiefyen, an beffen Sßerfon Gräfte ber ©nabe gebunben finb —
bie ©benbeformel lautet: /btsxadovvai 001 -diXa) xrjg ijufjg x&Qixog Xdjußavs utt' 20
i/uov xai ÖC e/aov %&qiv ... laße jtag' ijuov xöv vvfxcpiov, bann bon ber Empfängerin :
evyagioxei Mdgxco zw smdidovxi xfjg idiag yaQixog avxfj — unb burcfy beffen Set1
miüelung allein man gur Bereinigung mit ©ott gelangen lann. ©ie äjioXvxQcooig (I,
21, 1) wirb nur bom 9Rtoftagogen erteilt. 2tE>nIid^eg in ben lobtifd^gnoftifcfyen ©Triften.
Slber aucfy bei ben SSalentinianern verfielen bie „/ua'&rjxai" in jünger begebener ©rabe; 25
ftufenmäfeig ftieg man gum Anteil an ben fyöcfyften Erlenntniffen auf (f. bie ep. Ptole-
maei ad Floram). llmgeleljrt torollamierte EbibfyaneS, ber ©oljm beS ÄarbolrateS,
über $Iato fnnauSgef)enb, ben Kommunismus unb bie 2lbfdjaffung jebeS menfcfylidjen
©efet$eS (bei dlem., Strom. III, 2, 6 f. : r) löioxrjg zcov vofioov xyjv xoivcoviav xov fieiov
v6/j.ov xaxexsuev xai naQaxQdbysi). Db in ber ©elte bie 2lnarcb,ie iüirflicb, burdjgefüljrt 30
toar, roiffen mir nicf)t.
2luS ber Drganifation ber montaniftifc^en ©emeinben in ?ߣ)rr;gten auf alte ©tufen
ber allgemeinen ftrcfylicfyen Drganifation gurücfjufd^lie^en, ift nicb,t mob,l ftattfyaft. ®aS
gilt aud? bon ben Sterten, bie fie ben grauen einräumten ; benn fo roeit ift auch, bie
ältefte ^ird^e nie gegangen (Epiphan. h. 49,2: Inioxonoi nag' avxölg ywalxEg xai 35
iiQEoßvzsQoi ywalxEg, xai xä akla dbg jutjÖev öia<p£QEtv <pvaiV iv yäg Xqioxco
'L]oov ovxe üqqev ovxe dfjlv, bgl. Slmbrofiafter ju 1 %\ 3, 11). 2Bir b,aben jmei
©rubben bon ^acfmdjten über bie montaniftifc^e Drganifation; bie eine begießt fid^ auf
bie aUerfrübJie, bie anbere auf eine fbäte 3eit. ©ort I)etf$t eS, bafe SKontanuS — er
fcfyaltete als SBerljeug beS ^ßaralleten (^ufammen mit ben beiben $robb,etinnen) mit un= 40
bebingter Autorität — bie ©täubigen nacf; ^ebuga (in bieSöüfte) geführt t)ab(, um ba=
felbft ben mieberfeb,renben ßfyrtftuS ju ertoarten. Um bie ©emeinbe ber ^eiligen gu
toergröfeern (unb ju ernähren V), fteHte er 3JJänner an, bie bei feinen Slnfyängern ©oben 31t
jammeln Ratten (Euseb. V, 18, 2 : 6 jigaxxfJQag xaxaoxrjaag ö ett' övo/xaxog
nqoacpoQcbv xyjv dwQokrjipiav EJiiXE%v<x>[A,Evog, f. 18, 7), bie auct] gur SBefolbung ber 45
^robaganbabrebiger bienten (d aaXdgta xcogrjycöv xölg xrjQvxxovoiv avxov xöv Xoyov).
Sicherlich; ift biefe Drganifation eine ganj borüberget)enbe gemefen unb b,at aufeerbem in
ben jugebttligten ©e^ältern lein altertümliches Element, ©obann berietet §ieronbmuS
(ep. 41, 3): „apud nos apostolorum locum episcopi tenent ; apud eos episcopus
tertius est; habent enim primos de Pepusa Phrygiae patriarchas, secundos, 50
quos appellant cenonas, atque ita in tertium i. e. paene ultimum locum epi-
scopi devolvuntur" ©iefe Drganifation ift augenfcfyemlicb, jung unb wirb gu ber
■3«t, ba ^teron^muS fdjrieb, in ben montaniftifcb,en ©emeinben $B,rtygienS bcftanben
fyäbm. ^ntereffant ift fie bor allem baburcfy, bafe fie leine monarcb,ifcb,e ©bi^e b.at unb
H bie Sifcl)öfe an britter ©teile ftefyen, b. b,. biefe Drganifation beftätigt eS, bafe ur= 55
frrünglicb, etmaS gang 9c"eueS gefcb,affen Werben foßte, nämlid) eine Uniberfalorganifation
ber Äircb,e in ^ebuja. ©ab, er lonnten bie lolalen Sifcb, öfc, fomeit fie bie neue ^robt;etie
anerlannten, nur als älnncje angeheftet Werben, nad)bem man Wol)l ober übel gezwungen
fear, mit itmen gu rechnen. ®ie „Patriarchen" Werben Wob^l bem StRontanuS unb ben
Beiben ^ßro^etinnen entfbrecb,en füllen (aber fd;on ber sJJame befagt, ba| fie fdbh>erlid& 60
544 aScrfnffung
urfprünglicb, fo genannt morben fiitb), unb bie „ßenone<3" (= xoivojvoi) mafyrfcl)einlicf)
ben erften ©enoffen ber ^ropljeten, bte ja aucf) eine grofee Siolte gezielt Ratten. 9Jlan fyat
alfo roofyl bie ältefte Drganifation ber ©efte lopieren wollen. SRätfel^aft ift bie Eingabe Bei
©pipfyaniug (h. 49, 2): noXkäxig iv rfj avrcöv ExxXfjaiq sIoeqxovtcu XafxnadrjcpoQOvom
5 EJixd TLveg Jiag&svoi 2,ev%£iju,ov£g, dfj-dev ig^ö/uevai iva jiQoqptjtevocooi zw kacö. (Sine
ftänbige ©inricfytung feinen biefe fiebert Jungfrauen nid;t getoefen %a fein, ©pipfyaniuä
f>at Wofyl felbft nicfyt gemufjt, i»a§ bie abgeriffene $unbe bebeuten follte.
26. 9codj) ein Wichtiger $unit in ber Drganifation ber Äircfyen in ber älteften geit
bebarf ber 2lufmerifamteit. @3 tft in bem erften S£eil biefer SDarftettung rcteber^ott bie
10 funbamentale Antinomie unb ©panramg betont morben, meldte bie ©nttoicfelungsgefd^icb, te
ber SSerfaffung beb, errfc^t: bie ©emeinbe al§ 3ftiffion3gemembe, abS ©djöpfung eines
2Ipoftel3, als fein 3Ber! (llniberfalorganifation), unb mieberum bie ©emeinbe ab§ in ficb,
gefcbJoffeneSofalgemeinbe (alSfolcfye aber aucb Slbbilb unb 2lu3toiriung ber fyimmlifcfyen ^ir$e).
&tö ©cfyöpfung eineä apoftolifcfyen 9Jiiffionar3 ift bie ©emeinbe ifyrem ©tifter t)eranttoort=
15 lid), ift bon il)m abhängig unb tterpflicfytet, bie ©runbfätje einzuhalten, bie er bei
feiner gemeinbeftiftenben %|ättgfeit überaß befolgt unb bie in ber allgemeinen $ird)e
gelten. 2113 gefcbjoffene Solalgemeinbe ift fie Weniger unb mef)r — einerfeitS ettoa3,
toa§ in feiner fonfreten irbifcfyen ©rjften^ unb Vereinzelung nicf)t fein füllte, anbererfeitS
aber SluSWirlung beä ©an§en im Seil; in biefer £>inficfyt trägt fie bie Verantwortung
20 felbft unb fyat niemanben über fid^> als> ben §immlifcb,en $fyrio§. ©urd) ifyren irbifcfyen
©tifter ift bie ©emeinbe eine unter anberen ©emeinben; al§ ixxkrjoia -&eov ftefyt fie
für fiel), unb jebe S3e^ieb,ung ju anberen ©emeinben liegt in ber ©pt)äre ber ^retwtlltgi'eit.
Vaulu§ f)at SBeibeS getooßt, bie 2lbb,ängig!eit ber ©emeinbe unb Ü)re ©elbftftänbig!eit
jugleidj. ©arin liegt bie älntinomie.
25 2Iber in biefe ©pannung unb jroifc^en ben ©egenfa| ber llntberfal= unb ber £ofal=
organifation fcfyob ficb, bon 2tnfang an ein britter gaitor ein, erft faft unmerllicb,, bann
immer beutlid^er — nur borübergefyenb mar er in ber ©ruppenbilbung ber bon einem
unb bemfclben Slpoftel gegrünbeten ©emeinben gegeben — : ba§ mar ber innere unb
äufjcre gufammenfyang ber in einer Vrobinj liegenben ©emeinben. 93erett§ bie paulimfcfyen
30 33riefe, bie Stpoftelgefd^ic^te unb bie 2lpotalr;pfe bieten bafür bie ^Belege. ©em 2lpoftel
$aulu3 glieberte fiel) fein 9ttiffion§gebiet ebenfo nacb, ^robinjen, toie nacb, ber 2lpoftel=
gefaxte $ubäa, ©amaria, ©t^rien, ßilicien jc. al§ dE>rtftItd^>e 'jprobinjen erfc^einen. ©ein
Ibllettenrceri betreibt ber Slpoftel, inbem er bie ©emeinben je einer ^robinj gufammen=
fa^t; er faf$t J^orintb, unb Sld^aja jufammen, bie galatifcfyen ©emeinben, bie afiatifcl)en
35 unb macebonifc^en, ebenfo tüte Jofyanneg bie afiatifc^en. 2luc^ toeiter finben mir -e§ fo.
Jgnatiuä forgt nic^t nur für bie antiocfyenifcfye, fonbern mit i^r awfy für bie ffyrifcfye
^ireb^e. ©ion^fiug bon Hortntf) fc^reibt an bie ©emeinben auf ^reta unb an bie ©e=
meinben im ^3ontu§. 3Son S^on au$ fc^reiben bie 33rüber an bie 33rüber in 2lfien unb
^3rpgien, unb bie Älrcfyen 2lfien§ fteben bem JtfnäuS als eine gefcfyloffene ©in^eit bor
40 Slugen. gaft immer ift bte §auptftabt ber beb^errfc^enbe 5Rittelpun!t audj» ber fircb,lic^en
^robinj getoefen. 3erufa^m — fo longe ee beftanb — 2lntiod>ien, üorintl^, Stom,
^artfyago unb Sde^anbria greifen aber noefy über bie näd^fte 5)3robinj l^nauS, fomo^l
traft iljrer Sebeutung al<3 ©rofeftäbte, als aufy traft ber energifcfyen d^riftlic^en ^ätigfeit,
bie fie entfalteten, gür Jerufalem unb 3tom brauet ba§ rttc^t erft ermiefen ju toerben.
45 2lntiocf)ien griff nacb^ 6ilicien, 9)iefopotamien unb ^ierfien über, J?art^ago bi§ nac^ SDtaure=
tanien, ällejanbria in bie ^entapoIiS. @pb,efu§ ift freiließ lange $eit ^tnburej» nicb,t bie
Iird£)Ud^e SRetropole 3lfien allein gemefen — ©mt)rna unb anbere ©tobte ribalifierten mit
ifym — , aber aueb, ba<§ toar nur bie natürliche golge ber politifd)en Verfaffung 2tfien§.
©in ^Doppeltes bar bie golge biefe^ 2:i)atbeftanbe<§. ©rftlid) getoann bie ^3robinjial=
50 einteilung be§ 9teicb,§ unb mit ib,r ber probinjiale ©eift auf bie Äircfye (Stnflufe. 3ni,em
fie buret) natürliche Itmftänbe genötigt mürbe, auf fie einjugefyen, entmicfelt ficb, nid)t nur
ein probinsialeg (Sfyriftentum, fonbern aueb, ein probinjiale^ JUrcfyentum, b. fy bie ^irc^e
mujj i^re Drganifation, bie bom olxog gur jiöhg aufgeftiegen mar, volens nolens jur
enaQiia entmicteln. ^mifcfyen bie mel^r ober meniger ibeale ©efamtfircfye unb bie £otal=
55 tircfye feb^iebt fic^ bie ^rooinjialttrc^e. (SSorübergeb^enb unb am Slnfang beefte ficb, bie bureb,
einen Slpoftel öertretene ©efamtttrd^e mit ber burefy benfelben Stpoftel bertretenen $rot)injial=
jircfye, unb beibe gelten bie felbftftänbige 2lu§bilbung ber Sofalfird^e nieber, bgl. bag
Söirten be§ Job,anne§ in Slfien). 216er aueb, bie 5ßrobinjiaIfircjie meift faft fcb,on im
Momente ib^rer @ntftef)ung über ficb; felbft fnnau§ auf bie ©iöcefan= ober $atriar$al=
aSerfaffuttg 545
ttrcfye, Weil Slntiodnen nicfyt nur bie fbrifcfye ©tabt, fonbern aud) bie orientaltfd)e,
3ller,anbrten nid;t nur bte ägr)btifd;e ©tabt, fonbern aua) bte libfyfcfye k., 9tom nidjt nur bte
ttalienifcfye ©tabt, fonbern aud; bte abenblänbifd)e, ja bte ölumenifdje ift. ^WeitenS a&er
gewann ber Sifcfyof ber ^ßroütngtal^auptftabt einen junädjft faftifdjen, balb aber burcfy recb>
lid;e Attribute fixierten ©utoremat in ber ^ßrobinj. ©egen ©udjeSne l)aU iö) 9JiiffionSgefd;. I2, 5
S. 373 ff.) gezeigt, bafe er biefen ©ubremat nidjt als ber urfbrünglid) einzige ^rouinjiaI=
bifdjof gewann — als fyätte eS im Slnfang nur je einen 33ifd)of in jeber ^robinj ge=
geben — , fonbern als SDcetrotoolit neben unb über anberen 23ifd)öfen (borbefyalten bleibt,
bafj fyter unb bort am 2lnfang nur ein 23ifd;of in einer ^robin^ War, Weil bie Heine
$ai)l bon Stiften weitere ©emembegrünbungen junäcfyft nid;t äultefjen; Vorbehalten bleibt 10
aud; bie befonbere Drgantfation in Slgfybten, Wo fid^ ber monardjifdje ©piffobat roal)x-
fcfyeinlid; überhaupt erft fbät entwidelt t)at unb, nacfybem er für Slleganbrien gewonnen
War, langfam bon bort aus in ben fd;on berfyältniSmäfjig großen, bisher foltegial ber=
halteten ©emeinben eingeführt Würbe; ber alejanbrtnifdje 33ifd;of ift Wirflid; eine 3ett=
lang ber 53tfd;of 2tgr/btenS, Weil ber einige, geWefen unb f)at bafyer aud; in ber §olge= 15
jeit als -äJcetrotoolit eine befonberS grofje ©eWalt befeffen ; umgefefyrt geigt baS fonferbterte
■Red;t ber aleranbrinifdjen $reSbr/ter, ben SBtfcfc/of ju Wählen unb ju Weisen, nod) immer
bie alte SSerfaffung). ®ie 9Jcetrobolttanberfaffung mit ben 23orred;ten beS 9JcetroboIiten
lünbigt fid; rttd^t nur im 2. $al)rlmnbert an, fonbern ift in beutlidjen 3uSen/ toenn auc^
redjtlid) nod; nid;t firjert, bereits borfyanben. Sie 33orred;te beS Metropoliten Weifen aber 20
ebenfo über ftd; felbft InnauS auf ben umberfalbtfdjof, ben episcopus episcoporum
(Wie tf;n fd)on SEertuEtan nennt) b. f>. ben römifcfyen 23ifd)of, Wie bte fird;lid;e 5Retro=
politanberfaffung als ^robinjialberfaffung auf bie künftige fird;lid;e SRetdjSberfaffung
Weift.
5Räd)tige ©tü|en embftng bie 2)cetroboIitattberfaffung burd) bie $rarjS, bafj bie 25
SSifdjöfe ber ^robinäialfyauptftäbte ben brieflichen SSerle^r unb SluStaufd; ber ©emeinben
untereinanber leiteten, unb burd) bie (Einrichtung ber ©tonoben. ©afj biefe in Stfien
(montanifttfd)e Eämbfe, Dfterftreit) aufgelommen finb, ift nicfyt zufällig, fonbern in ben
bortigen politischen 33erl)ältmffen begrünbet. ©ben beSfyalb ift eS aber aud; nidjt Wafyr=
fd;einlid;, bafj fie ftd; btreft auS ben alten unb fortbeftefyenben ©emetnbeberfammlungen 30
entmidelt fyaben (©ofym). 216er ein 3ufammenl;ang ift Wofyl anjunefymen, ba bie ^raji§,
Slbgefanbte frember ©emeinben jur ©emeinbeberfammlung ^eranjujieb^en, nachweisbar ift.
3lud) ba§ ©elbftbeWu^tfein unb ber Slnfbrua), bie ©emeinbeberfammlung bürfe be§ Sei=
ftanbeS beS r/l. ©eifte§ fieser fein unb lönne in feinem tarnen fbred^en (f. 0.), ift auf
bie ©bnoben übergegangen. Über ii)re Aufgaben f. Euseb. V. 16, 10; Tertull, de 35
ieiun. 13 : „Aguntur per Graecias illa certis in locis concilia ex universis ec-
clesiis, per quae et altiora quaeque in commune traetantur, et ipsa repraesen-
tatio totius nominis Christiani magna veneratione celebratur" ; de pudic. 10 :
„[Pastor Hermae] ab omni concilio ecclesiarum inter apoerypha et falsa iudi-
catus" Urfbrünglicf; Wal)rfd)einlid) — gewifj ift baS nidtt — auefy Saien ju tb,ren 9Jcit= 40
gliebern gäEjIenb (f. Euseb., 1. c), Würben fie balb 23ifd)ofsftmoben, Wenn aud) bie
übrigen älerifer nid)t auSgefd)Ioffen Waren. 2)en Sanbtagen äbnltd?, aber biefe unnü^en
SBerfammlungen balb Weit hinter fidj laffenb, erhielten fie buret) baS©eWid)t ber fragen,
bte ber^anbelt Würben, bie Dödjfte Sebeutung (nidjt im Slbenblanb, unb ba§ ift Wieber
ein SeWeiS, Wie ftarl ^ter aßeS bon ber bolitiftt)en Drganifation abhängig ift; benn im 45
Slbenblanb fbielte bag 2anbtag§Wefen feine Wichtige Soße). $Die „repraesentatio totius
nominis Christiani" mufete ba§ SeWu^tfein, bie (Stätte be§ 6,1. ©eifteS ju fein, nod)
fteigern. @S ift eine grablinige ©ntwidelung, bie bon fjier ju ben ©iöcefanf^noben
(Orient, 3. ^aljrfyunbert) unb gur 3teic^»ftmobe für/rt unb bie biefer bie Dualität ber
Unfehlbarst berlie^en ^at. älber biefe @ntwidelung mufete mit ber ©ntwidelung ber 50
SSJJetrobolitanberfaffung gur Wlonaxfyk notWenbig in Honflift geraten, unb bie Unfein
barfeit ber ©tonoben fe^te biefer ©ntWtdelung gunäct)ft eine unüberfteiglid;e Karriere
entgegen.
^n ber 33erfaffung§gefd)id;te ber Hird;e in ben erften beiben £al)rlmnberten finb be=
reitö alle Elemente ju finben, bie in ber geigelt eine 3toHe gefbielt unb fid) auSgeftaltet 66
l;aben, ja fie finb bereits fämtltd; Wirlfam geWefen. älud; ber fattifd)e ^ßrtmat 3iomS ift
unberfennbar (f. mein 2el)rbud) ber ©ogmengefd). I3, ©. 439 ff.). @tne 9?ebolution, um baS
ju erreichen, roa$ im 4. unb 5., im 9. unb 11., im 16. unb 19. ^afyrfyunbert gewonnen
Werben follte, War nie nötig. ^mmer konnte man auf bereits SorbanbeneS ^urüdgretfen ;
man brauchte eS nur in ben 93orbergrunb ju Rieben, ju „entwideln" unb recfjtlid; ju 60
SReaUiSactjClopaMe füt Ideologie unb Jfir«e. 8. 81. XX. 35
546 Scrfoffung Scrgcrto
filteren. 216er fet/r berft^tebene „©ntroicfelurtgen" maren möglief;, diejenige, roelcfce ftct)
burcr)gefei}t fyat, fonnte in feiner $ertobe or/ne (Entrechtung, bafyer aud) niemals ofyne
gtftionen, um biefe (Entrechtungen ju berfcbleiem, burcf)gefe|t werben. Som^Iijierter
ift nid)r» geroorben — fonrplijiert toaren bie 9Ser|>äItntfje atn, Anfang — , bielmebr ift
6 in 2öabrr/eit eine immer größere Vereinfachung eingetreten; ba§ 2iuf$erlicf;e freiließ erlernt
in größerer SSielgeftaltung. (Einen Srucb. r/at nur bie Deformation betrogen, ©ie r/at
an biefem fünfte, ber Drgamfation, ber 33erfaffung unb be3 ütrctjenrecbtg, tiefer in bie
©efebter/te unb tEjre §ert>orbringungen eingegriffen ab§ an irgenb einem anberen. ©ie
Ijat nicr/t nur bie mittelalterliche Äircr/enoerfaffung bei fiel; jerftört, fonbern fte befi|t auef;
io feinen gufammenr/ang mer/r mit ber ^ircr/enoerfaffung be§ 2. unb be§ 1. £;ar/rr/unberr».
©ie r)at fiel; afö lutfyerifdje Deformation auf ben einigen ($kunbfa| gurücfgegogen , ben
fie allerbing§ au§ ben älteften llrfunben ju begrünben toermag unb mit bem fie ba§
SBicf/ttgfte trifft, bafj ba<§ Sßort ©otteg oerfünbet toerben muffe unb bajj ein 2lmt für
biefe SBeriunbigung nief/t fehlen bürfe. Slbolf £arttaif.
15 SSergerto, $ietro $aolo, geb. 1497/98, geft. 4. Oft. 1564. — ©eine ©ebriften:
2>a§ erfte iBerjetctmiS gab 92keron in ben Hommes Illustres (t. 38, p. 69 ff.) in 55 9?um=
mern ; bi§ auf 89 fommt bann ©ijt (f. u.) ; barüber beträd)tlid) binauS SSetler im Serapeum XIX
(1858) unb XXVI (1866). 2113 ttollftcinbig fann bie Ueberfic^t be^eidjuet werben, weldie §ubert
(£te publi^'t. Stjätigfett SergerioS, ©öttingen 1893, S. 259 ff.) in 171 Wummern bietet.
20 3)ie Ergänzungen gegenüber ©euer berufen jumeift auf bem Material ber einzigartigen
Sammlung in ber Guicciardiniana in Florenz (f. 33enratb, Dcb,ina, 2. ?luf(. 33orrebe S. VII
[93raunfd]meig 1892]). Sgl. teufet), Snbej 93b I nebft «Regifter zu 33b II (1883-85). ®ie
in Tübingen bei SRorbarb 1563 begonnene SammelauSgabe ift nict)t über ben Primus tomus
Operum IjinauSgefommen; einiget ift in ber Biblioteca della Riforma neu gebruett Würben
25 (Dodici Trattatelli, fotnie Storia di Fr. Spiera) Florenz 1883. lyener 1. 33b entl)ält : Secre-
tarii Pontif. Actiones tres — Consilium quorimdam Episcoporum de Emend. Eccl. — Ad
sereniss. Sigismundum regem . Epistola — L'ialogi Quattuor ad versus Hosium —
Postremus Catalogus Haereticorum 1559 — De Idolo Lauretano; Lud. Vergerius latine
vertit — Scholia in binas Pauli IV. literas (1556) — Quod Papa celebrans Concilium
30 Srrtümlid) würbe 93. jugefdirieben ba% lyuan 33albe§' Lac Spirituale in ber 9lu§gabe üon
Äolbemett 1864 (ben nmtjren 33erf. nennt bie 2. 9Ut3gabe, £eilbronn o. Q.).
93riefe: (80) SBriefe an 33uüinger in beffen Korrefponbenz 93b I (Duellen zur @cb,tüeijer=
geidncfjte 93b XXIII); o. SauSter unb ©tfjott, 93.§ 93riefwecbfel mit Herzog Stjriftopt), ©tutt=
garter Sitt. SSerein (Tübingen 1875); (43) SBriefe 93.§ an £>erzog 2ltbred)t üon «ßreufjen
35(1556—63) au§ bem KönigSberger 2lrcf)iu, gebrueft bei ©ij.t, 33. (f. it.); 9hmtiaturberid)te au§
3)eutfcfjlanb 1533 ff. (ed. g-riebenSburg 1892); SBriefe 33. § unb an 33. finben ftd) ferner b<™b=
fdjriftl. in ber SKarfuSbibliotbet (S3enebig), im ?lrd)in in Sßantua, in ben Vadiana ber ©t.
©aller fowie in ber ©imlerfcljen Sammlung in 3ünd), im SRarburger 9lrcl]iü (f. §ubert
©. 17 unb 135), in ber ©taatäbiblkübet in ^Ründjen (Camerarius VIII, 9Jr. 4) u. a. 9lud)
40 gebruclt finb fold)e in üerfd). Sammlungen, 5. 93. in Lettere volgari an SSittoria ©alonna
(97b, 99b, 125b), vion CttoneHo 33iba an' 33. ebb. 109b, an gontarini 126b, mie benn in ben
SRegeften Eontariniö (f. Suttrid) ebb. 9fegifter s. n.) nid)t roentge. g-ünf 33riefe 93.§ an feine
©diroefter 9lnna bei gerrat, $rojeft, Arch. stör. it. 1S85, V, ©. 165—169; weitere in:
Monum. stör, pubbl. della Deput. di Storia patr. Scr. IV, vol. V, 33enebig 1887
45 ©cfjriften über 33. I. allgemeine ©arftellungen: ©leibanu«, De Statu Kel et
ßeipublicae (pass. in p. I— III, f. Qnbej.- in ber 9lu8g. üon 1786 [grantfurt]); Sattle,
Dictionnaire s. n. (nod) nid)t in ber 1. 9(u§gabe); Salig, §tft. ber Slugeb. Sonf. II,
S. 1148—1200; Sdielfiorn, Apologia pro P. P. V (gegen befla Eafaä Snoehiue, bie bei
Salig II, S. 1184 abgebrueft iit) 1754 (1760); 9Kei)er, euang. ©emetnbe in Socarno, 2 93be,
50 Bund) 1836, passiru, f.3?egifter; Sijt, 93. % 93, piipftlidier «RimtiuS it. f. tu-, 2. 9luäg. 1871;
§rieben§burg,9hintiaturberr. aus ®eutfd)lanb 93b I (1533ff.), ©ottja.1892, allg. Einleitung; 33enratb,
©efd). ber «Ref. in 93enebig (1887) ©. 45 ff.; Eoinba, i Nostri Protestant! II, S. 395—476,
fatbolifdierfettä: Eantü, Italiani illustri II, 1875; berf., Gli Eretici d'Italia, I— III (1865 f.)
passim; StancüUid), Biografie Istrichue, Capodistria 1888 (2. ?luft.); »gl. bie Stjarafteriftif
55 33ergerio§ in ber Einleitung ^tv Äorrefp. 93utlinger§ (Duette jur Sdimeisergefd). XXIII [1902])
unb ben 3nbej ^u Ealuin? Opera im CR XXII.
II. Spezielles: Heber fein Seben bi§ 1549 giebt 33. felbft 9Iu§funft in: Di un libro
di fra Ippolito Chizzuola (1563), bei §ubert 3Jr. 169, ögl. 171; über feine Sbätigfeit al§
^untiuä ngl. 33aumgarten, Sari V., 93b III (1892); über 'bie Epifobe bei ©piera in 33aboüa
60 f- La Historia di M. Franc. Spiera (Hubert, S?r. 18). 3)en ^Srogejs bebanbeln Eomba (Riv.
Crist. 1873, £>. 8—10) unb fterrai (Arch. Stör. Ital. 1885 disp. 2—5); anbere ©pegtalia f.
bei 93enraü), SRef. in 33enebig ©. 119 f. ®ie ©cene f. 93egegnung mit Sutber ift auf ©runb
ber 93eröffentlid|ung griebenSburgä (f. 0.) mebrfad) bargeftelit mörben. ©embri^tt bat feine
erfte fReife nad] 9ßo(en (unb Königsberg) tnftruttto bebanbelt (Stltpreufj. «tonat§fd)rift 1890).
Sergerto 547
@3 gtebt unter ben 3;tafterIC,;n "*>& 16. ^abjb, unberti, Weld)e ju Vertretern ber
Deformation geworben finb, feinen, über ben fdwn bie jjeitgenöfftfcfyen Urteile jo fefjr
auieinanber gefjen Wie über ben, beffen beutfcfye 93iograbb,te ben Xitelbermerf trägt:
$äbftli$er Duntiui, falb, olifcfyer Vifcfyof unb — 33orlämbfer bes ©bangeliumi. Söenn bie
einen feine UmWanblung au§ berleljter ©itelfeit ober unbefriebigtem @f)rgeij ober noeb, 5
Schlimmerem ju erllären bei ber §anb finb, fo berfagen bie anberen feiner eigenen SSer=
fidjerung nicfyt ben ©lauben, bafj ein tiefer gefyenbei ©tubium ber 1)1. ©cfyrift, ein ge=
nauerer (Sinblic! in ba§ Wiberd)riftlicl)e Sßefen ber römifcfyen $trd)e, befonberi aber bie furcb>
bare ©rfafyrung am ^ranlenbette ©bierai (f. u. ©.548,27) ifyn getrieben l>abe, mit feiner
Vergangenheit ju brechen. 2Iber aueb, nadjbem bieg erfolgt mar, lautet bai Urteil auf 10
broteft. ©eite über it)n noeb, berfdbjeben; ei Wirb erforberlidb, fein, aueb, ba genauer auf bie
Duellen jurücJ jugefyen, um ib,n in ben fielen bie er fid) fe|t unb ber 2lrt, wie er fie ber=
folgt, ya Würbigen, per ^ßaolo 33ergerio — ber „jüngere" (f. §ubert in ber 93ibliogr. 3lx. 1),
weil ein gleichnamige^ ©lieb feiner gamilie fd)on in ber Sitteratur bei 15. ^afjrfmnberti
begegnet — mar in (Sabobiftria geboren, ftubierte in ^abua, Wo er 1518 ben juriftifcfyen 15
SDoftorgrab erworben I)aben fotl unb wo mir ilm 1521 nod) finben. Von bort aui lief?
er bura) Vurffyarb ©d)enf, bem er bei ber 93eforgung bon Reliquien für ben ^urfürften
griebrid) bon ©ad}fen befnlflicb, mar, ©balattn feinen 2öunfd) bortragen, nacb, SBittenberg
(nid)t „äBürttemberg" Wie gerrai meint) ju weiteren ©tubien ju fornmen. Slbcr ber
$lan mürbe nidjt realifiert unb aui Vabua 1. 9M 1522 batiert bei V. erfte Vublt= 20
lation (£>ubert, Vibliograbfyte Dr. 1), ber im %afyvt 1526 eine zweite folgte — jenei
eine jurtfttfd^e Vorlefung, bie er „Patavii in amplissimi jurisconsultorum scholis"
gehalten t)at, biefei eine Slbfyanblung in ©efbrädjiform über bie benetiamfcfye ©taati=
berfaffung (ebb. Dr. 2 : De Republica Veneta über primus). $n braftifcfyer %fy ätig=
teit finben mir 35. bann in Verona, Vabua unb Venebig — bort fcb,lof$ er Vejiefmngen 25
ju leitenben Verfönltcbjeiten, mibefonbere bem Patriarchen bon Stquileja, Dtartno ©rimani,
unb trat mit ©iana (Sontarini 1526 in bie ©fye. 33et ber Veglüdmünfcfyung bei jum
Äarbinal ernannten ©rimani 1528 b,ielt 33. eine Debe (ebb. Dr. 3), bie ein fiarfei fireb^
liebet ^ntereffe erfennen läfjt, unb fdwn im nädjften $al)re folgte in „tre libri volgari"
(ebb. Dr. 4) an ben Äöntg bon granfreieb, gerichtet, eine 93etambfung ber $e|erei. ©er 30
93erluft feiner ©attin nacb, fur^er @b,e, bielletcfyt aueb, ber 33ltd auf feine fdmell ju b,o^en
Stellungen in bem lira^lic^en ©tenfte gelangten 33rüber — bei Vifc^ofg ©tob. 33attifta
unb be§ bäbftlicb,en ©efretärS Slurelio — lt>at 93. beftimmt, felbft biefe 2aufbab,n ein=
jufdjlagen. @r t^at e§ mit fo rafcfyem Erfolge, bafe mir ib,n fcljon 1533 al§ bäpftlicb.en
9tuntiu§ bei ^önig gerbinanb in Angelegenheiten bei bom Äaifer berlangten ^onjilg 35
tb,ätig fefeen (bgl. ©leiban, Comment. lib. VII, 1. 1, p.395 [$ran!furt 1775]), unb ba|
$aul III. tt>rt alibalb mieberum nacb, ®eutfcf)Ianb entfanbte. 3Benn bie Äurie mit ber
Berufung be§ $onjil3 jögerte, fo ftef)t 33. nicljt auf ib,rem ©tanbbunfte; er brängt barauf
unb er tbut aueb, in ©eutfcfylanb toa§ er lann, um ein ^onjil borjubereiten. „@r meinte
toobl einmal" (§ubert, ©. 6), „bie ^onjilgfadje fei in fetner geit bon folcfjer SBicb.tigfeit, 40
baf$ ftdt) jeber, ber ben ©lauben an &fyriftu3 liebe, immermäljrenb bamtt befcl)äftigen
miiffe" $Da§ ^onjil aber muffe umfaffenbe Deformen borneb,men (f. gmkn«^111^
©. 393, 396). 9Jlit biefem ©eban!en ging er über ba§ l)inau§, ma€ bie Deform=
lommiffion unter $aul III. im $. 1536 in ib,rem Consilium de Emendanda Ec-
clesia nieberlegte. ©3 ift anjuerfennen , bqfj b, ter ba§ berf online ^ntereff e fyinter bem 45
facb,licb;en gurüdEtrttt (wie griebenöburg ©. 32 ff. treffenb au€füb,rt). ®ie Dunbreife bei
9iuntiu3 Weift nun bie merfwürbige (Ebifobe einer j>erfönlicb,en Begegnung mit £utb,cr
(ftöftlm, Sutb,er 5. Slufl. II, 370 ff.) auf (7. Dob. 1535), über bie bereits VaEabicini
(1. III, c. 18) gegen ©arbi (1. I, § 74) geb,anbelt bat.^ 3Ba§ btefer ledere mitteilt, ift
allerbingS, Wenn man lebiglidb, ben je^t zugänglichen Vertaten bei DunttuS (bei Sämmer, 50
Analecta Romana 128 ff. unb bei grtebenlburg, Duntiaturberr. I, 539 ff.) ©lauben
fdjenft, ntcf)t ganj entfbrect>enb, fofern 33. Weit Weniger bon etwaiger Dücfiefyr Sutb,crö
jur fatb,olifcb,en Strebe al§ bon bem ^onjil gefbroetjen fjaben Witt. 2Berin aber V. mit
biefem ©ebanfen bei ben beutfdjen ^roteftanten Wenig erreichte, fo ift bie§ ntdt)t einem
Mangel an @ifer ober an ©eriebenb,eit jujufdb,reiben. ©a§ b,at aud; $aul III. erfannt, 55
ber 93., nad)bem er it)n bureb, ÜberWeifung bei 33t3tum<§ 3Hobru§ä in Kroatien, bann bei
b,eimatlid)en ßabobtftria belohnt b,atte, nod; jWeimal über bie Silben fanbte. ©od; begab
33. fid> ^unäd^ft in feinen ©prengel. 1540 tritt er Wieber fjerbor — bei bem 9teligioni=
gefpräcb in 2öormi, Wo er in fran^bfifd;em 9luftrage erfebien , Wie er benn aud) in ber
33orrebe ber ©cf)rift „Ad oratores Principum Germanorum qui Vormatiae con- 60
35*
548 Sergeno
venerunt" (f. §ubert, 93ibIiograbI?ie %lv. 9) ftd) an ben ®önig $ranj I. »enbet. Sknrt
er bie ©d)rtft betitelt „De Unitate et pace Ecclesiae", fo ift e§ ber ©ebanle eines
allgemeinen Honjils, ben er al§ Heilmittel befürmortet. ©emiffe ^on^effionen — bafj
3>iijßbräud^e borfyanben feien unb bafs man aucfy in 3tom an beren 93efeitigung ju gelten
5 fiel) anfd)ide — gaben feinen ©egnern ©elegenfyeit jum Singriff (bgl. ©leiban III, 151).
@r felbft aber, über 9tegcn3burg 1541 in bie §eimat äurüägetefyrt, befcfylofs, nun burd)
einbringenbe ©tubien ficb, ju mahnen. SDafe bamit bie 33rüde befdjritten mar, auf ber
ber Anfang feines Übergangen jur etoangelifd^en ^irdje gu fud)en tft, aljnte 35. nidjt ; nod)
überfcfyritt er nidjt bie Sinie ber innerfircfylicfyen -Jleformberfudje, mie Sontarini u. 21. fie
10 eingehalten b,aben (bgl. Hubert, ©. 13 f. fomie meine ©efd?. ber 9ief. in SSenebtg, ©. 47).
StEein nad) bem ©iege ber Igntranftgenten in ber ^urie, benen juerft (lontarini jmm
Dbfer fiel, mar audjt ba§ berbädjtig. Unb als nun eine ®enun§iation (burd) grä 93ona=
bentura au3 3ara 13. ©ej. 1544, abgebrudrt in Eivista Crist. 1873, p. 301 ff.) Slnlajj
§um ^ro^efs bor bem 33enetianifd)en I^nquifitionSgericfyt gegeben unb 93. aHerbing§ frei*
15 gelaffen, aber nod) nicfyt in boller $orm abfolbiert morben mar, bebiente ficfy ber ^arbinal
bon ©anta ßroce ((Serbini) biefeS SRittelS, um 33. — fo lange bie ©adje nicfyt feitenö
ber l)öd)ften ^nftanj erlebigt fei — bon ber ^eilnab,me an bem ^rienter Äonjil ab--
galten. 33. blieb in 3Uba abmartenb, lehrte bann aber ttefgefräntt jurücf. 3CRit einem
Hirtenbriefe an feine ßabobiftrier bom ©ebtember 1546, ber uns> nicfyt mel)r borliegt (bei
20 §ubert 9cr. 12), beginnt nun bie bubli^iftifd)e %f)ättgfett, meldte ficb, meb,r unb meb,r gegen
bie Slurie menbet. 33on feiner Slbmeifung bom konyd an fyat 33. fbäter feinen $ßroteftan=
tilmuö batiert (bgl. Hubert, 5lr. 160 B 7); einer ber näcfjftfolgenben ©Triften, ber oft
gebrückten ©efcfncfyte ©bieraS (Hubert, 9fr. 18), fyat er ben fcfyneibenb fcfyarfen ©d?eibe=
brief an ben ©uffraganbifdmf 9tota bon SDiantua beigegeben (f. ©üjt V, ©. 161 — 170).
25 9Zod) el)e biefer erfdjiien, b,atte fdmn SJcu^io in ben Vergeriane (gebr. 33enebig 1550; ber
beigefügte 33rief batiert bom 13. Januar 1546) feinen SanbSmann offen be§ „£utl)er=
iumS" angellagt. ®af$ beffen Söanblung aber erft burcfy bie Erfahrungen an ©bieraS
Sager (f. b. 2Irt. ©biera 33b XVIII, ©. 648 f.) befinitib geworben, mirb bon 33. felbft
juberläffig berficfyert; bie 12 3lbb,anblungen, beren Slbfaffung mofyl in biefe geit fiel unb
30 bie er unter bem 1. Januar 1550 bann in 33afel erfreuten liefe (Hubert, 9ir. 26), geben
über feine bogmatifcb,e ©teHung genaue 2lu§funft (bgl. m. Reform, in 33enebig ©. 52 f.).
^njmifcfyen maren nad) bem erfolgten 93rucfy mit ÜRom aucfy nod) anbere ©d)riften
erfdjienen (Hubert, 9er. 19 — 25), mäbjenb bon feiten ber ©egner ber ^rojefj mieber auf=
genommen morben mar. ®ag Material aucb, biefe§ jtoeiten ^rojeffeä liegt in boHem
35 Umfange im Archivio de' Frari in 33enebig bor ; ba aber ber 2lbf d)lufe eines ^ßro^eff eS
gegen einen 33ifdj)of ber römifc^en Äurie borbeb, alten bleibt, fo ift aua) bort baS Urteil
gefbrod)en morben unb jmar im Stonfiftorium bom 3. ^uli 1549, in meinem bie 3lnllage
in 34 ^3untte jufammengefafet unb 33. feinet 3lmte§ entfe^t unb ber ^reiljeit berluftig
er!lärt mürbe (33rebe bei 9?a^nalb, Ann. Eccles. ad a. 1549 § 23). gmei 9JJonate
40 borljer mar 93. aus Italien geflüchtet, bor bem 15. 2ftai befanb er fiel» in ßb^iabenna
(9)iainarb an 93uUinger unter biefem ©atum f. ^orrefb. I), @nbe ?0tai in ßf)ur ; bort unb
in ^3ofd)tabo fyat er bie näd)ften SRonatc jugebracfjt, bann reifte er nad) ©t. ©allen unb
33afel (®ej. 1549); im Januar 1550 folgte er einem 3iuf al§ Pfarrer in 33icofobrano.
®ie legten grücf)te bolemifdjer ©d)rtftftellerei au^ Italien brachte 93. nod) mit — fein
45 93a3ler ©aftfreunb ßurio gab fie IjerauS: Le otto difensioni etc. (bei Hubert, -Jlr. 31),
ein ©egenftücf ju ben „12 trattatelli" ,
®ie jpolemifdjen ©Triften be§ 93. finb fo jab^Ireicb, unb mannigfaltig, bafe aud) nur
eine 2lufjäf)lung berfelben fiel) Iner berbietet. Qn^em er bom 3lu^Ianbe au§ auf bie
görberung ber et>angelifct)ert 33emegung in Italien einjumirlen fucj)t, berfafete er bie meiften
50 in italienifcfyer ©brache: ba§ ^abfttum, fein Urfbrung, feine ^3olitif, bie lireb, liefen 33ü^er=
berbote, bie Jubiläen, ber Heilig«"' unb 9Wiqutenbienft u. bgl. bilben ben ©egenftanb;
burd) au§gebef>nten 93riefmed)fel mit flüchtigen ober im 93aterlanbe berfolgten Italienern,
burd() Slnfnübfert ftet§ neuer 33e3ieb,ungen bient 93. bem gleiten gtoeä. 5Roc| einmal,
1557, ift er bon ©örj aus> menigftenä bis an bie ©renje be§ benetianifdpen ©ebieteS
55 borgebrungen — aber ben 33oben Italiens b,at er nta)t me^r betreten. 33i§ 1553 mirlte
er in 93icofobrano, aud) in ^3ontrefina, Safaccia unb ©amaben; in ^ofcb,iabo errichtete
er eine ©ruclerei. ©oeb, befriebigte i^n bie befd)eibene amtliche 'Sfyätigleit nid)t. ©ie ber
©emeinbe fieb, anfdjiliefeenben Italiener maren ob,neb^in in fragen beS ortb,obojen 33elennt=
niffeS nid;t fid)er unb brachten biel Stumor — 33. b,at älnftanb genommen, boeb, ntct)t
eo au3 bogmatifd^en ©rünben, bie 1553 aufgeteilte rb.ätifc^e ^onfeffion ju unterfeb^reiben ;
23ergerto 549
fdjäblid), ja unleiblicb erfaßten ifmt bie Konzentration ber gefamten Stromleitung in ber
einen §anb beS ©imobalborftefyerS. SRan berftefyt eS aucfy, baf? 33. Kräfte in fid) bracb"
liegen füllte, ©o fyat er mit greuben einem Sufe beS £erzogS @I)rtftobl) bon 2öürttem=
berg golge geleitet (1553); je$t erhielt er, in Tübingen Wol)nf;aft, bert SLitel eines SateS
unb batte im £)ienft beS £erzogS Überfe^ungen zu machen, Korrefbonbenzen befyufs ^n= 6
formationen ju führen, Seifen zu unternehmen unb aEeg zur 33efeftigung unb SluSbreitung
ber ebangelifdjen 2eb>e ju tfyun (©djott in ber 2. 2lufl. ber ©ncr/flobäbie 33b XVI,
©. 354). ®egt)alb unterftütjte dm ber Herzog reidjltcb aucb" bei ber Verausgabe fernerer
jal)lreidKr ©Triften. „@in unftäteS Söanberleben führte 33. aucb" in biefem legten Xetle
feinet SebenS. 33einafye fein %ab,x bergtng, of)ne bafj er eine größere Seife unternommen 10
jjätte. $m Dftober 1554 befugte er in Strasburg ©leiban, bem er Wichtige unb inter=
effante Materialien für fei* ©efd)td)tSWerf geliefert fjatte (»gl. §ubert, ©. 150 ff.) ; im
sibril unb 3JJai 1555 War er Wieber in ©raubünben, befonberS um ben ausgezeichneten
^uriften ©ribalbi für Tübingen zu gewinnen" (f. oben 33b VII, 159, 49). ©eit 1556
toenbete er feine 33Iide nad) ^3oIen; bie erfte Seife borten führte il)n junäc^ft in berfön= ib
lid)e 33ejieb^ungen zum §erjog Sllbredjt bon ^reufjen; am 20. %ul\ gleich nacfy ber 2ln=
fünft fcfyreibt er an 9Jieland;tfyon (©iaatSbibl. in 9Jtündjen, Camerar. VIII, Sr. 4).
2)em §erjog berbanfte er, baft bie bei^ubert bezeichneten ©Triften Sr. 113 ff. in Könige
berg gebrudt Worben finb. ©eit bem gleiten I^afyre batieren bie bei ©ir.t gebrückten
33rtefe an 2Ubred)t. ®er eigentliche gielbunft ber Seife mar jeboct) ^3oIen felbft unb bie 20
görberung unb 33erteibigung ber ebangelifdjen 33eWegung, bie big in bie SQtitte ber
fünfziger ^abje bebeutenbe ©rfolge erhielt batte (f. b. 2lrt. ^olen, 33b XV, ©. 519 f.).
£>aj} 33. 23 $at)re borfyer in Söien bie je|t mit bem Könige ©igiSmunb II. in zweiter
(Stye bermäblte Katharina bon Öfterretcr) auS ber SCaufe gehoben blatte, berfcfyaffte ifym am
£>ofe ßugang, Wie er benn and) mit bem 33efd)üt$er ber 5ßroteftanten, bem dürften 25
SabziWiß in SJBilna, in 33ezielmng trat (bgl. Duae Epistolae, bei §ubert, Sr. 114,
ebb. 115). ©einen §aubtztoecf, ben ©cfyadjzügen beS SuntiuS Sibomano zu begegnen,
b,at er im ganzen erreicht (bgl. bie Korrefbonbenz mit Herzog GI)rtftobl) unb §ubert,
33tbIiograbb> Sr. 124, 124a, 126). $m §erbft 1559 reifte er, nacfybem feine ©treit=
fcfyrift gegen ben 33ifcbof §ofiuS bon ©rmlanb (§ubert, Sr. 131, 140) erfdiienen War, 30
Zum zweitenmal nad) $olen. %n oer gWifdjenzeit War er 1557 in Söien, um SOlajimilian II.,
mit Welkem Herzog Gfyriftobl) in bertrautem 33riefWed)fel ftanb, in feiner ebangelifierenben
Stiftung zu beftärfen; 1558 trat er mit (Sltfabetl) bon (Snglanb in Korrefbonbenz, bie
mbeffen nid)t zu bem bom Herzog borgefdjlagenen ©djut$= unb 5£rut$büttbniffe führte.
33ei bem SEobe $ranz I. bon §ranfretd) (®ez. 1558) Würbe tfmi bie 33itte borten zu 35
reifen abgefcfjlagen, auc§ bem Seligionggefbräd; in ^3oiffV (f. oben 33b XV, ©. 497)
burfte er nictjt beiwohnen, „Wofür er fid} in fnabenfyafter 2Beife rächte" (f. 33aum, S3ega II,
419 ff.); ,,aucb^ bie Hoffnung bei bem 1560 Wieber zufammengetretenen Konzil in Orient
gegenwärtig fein zu 'tonnen, fcfylug feb^I" (©cb^ott, a. a. D. ©. 356 f.). 3n ©raubünben
ftnben Wir ib^n Wieber 1561, 1562, 1563, 1564, teils fircfylid) teils bolittfd) befdjäftigt. 40
„Sin WefentIid;eS 33erbienft erwarb fid) 33- um baS 3uftanoe^Dmmen oer 33ibelüberfe^ung
in baS ©übflabifdie (©lobenifcfye); im Dezember 1554 traf er mit ^3rimu§ SEruber (f. b.
31. oben ©.136) zufammen, überWanb bie 33ebenflid)teÜen beS befd^eibenen Cannes, ftellte
ben ©cfyu$ unb bie SEeilnab^me §er3°3 ß^riftobb^S bei bem SBerfe in 2lu3fid)t unb ber=
Iprad; aud) fonft ©elbbeiträge zu bef^affen" (©cb>tt, ©. 356). 45
^n all biefen $af?ren fe^te 33. mit (Stfer feine bolemifcb^e ©d;riftftellerei fort: bie
berfcblebenften fragen 6at er Weiter befyanbelt, bie Konzilsfrage ftefyt babei in erfter Seib^e.
9Bie ein OriftlidjeS Konzil befd;affen fein muffe, baS legt er ben ^reunben im 33eltlin in
einer feiner legten ©cfjriften im ^ab>e 1562 nocfy bar (§ubert, Sr. 168); Binter biefer I;at
baS 33erzeic£miS nur nocl; bie SlntWort auf ben Singriff beS %xa Gfyizzuola in italienifcb; bo
unb lateinifd) (Sr. 169, 171), foWie ben erften (einzigen) 33anb ber „Opera" (f. 0.),
ju beffen Verausgabe 1563 33. 200 ©ulben bom Herzog 3llbrecb;t erhalten f)atte. 9fltt
biefen 9SeröffentUcr)ungen fct)Iie^t feine Iitterarifd;e 2:i;ätigleit ab. ©eit grur)j|at)r 156:>
tränfeite 33., am 4. Dftober ftarb er. ®er §erzog Wies tt)m feine le^te Sub^eftätte in
ber ©eorgenfircfje an — ein ib> geWibmeteS @bitabl;ium mit el)renber llnterfdrift ift :»5
1636 auf 33etreiben ber ^efutten entfernt worben unb, obgleich; fbäter Wieber eingefe^t,
finbet eS fid; je^t nicbt mefyr.
„(Sine geredete 3Bürbigung biefeS Cannes" fagt ©d)ott a. a. D. ©. 357, „ift bei
fetner 33ielfeitigfeit unb feinem bielbeWegten Seben au^erorbentlid) fcf)Wiertg. ®a^ Som
in bem übergetretenen 33ifd;of nur ben SIbofttaten \ai), ift begreifltcf) ; rcblid) b^at 33. bie 2ln= so
550 Skrgerto SJermigli
feinbungen, roelcbe er oon bortber erfuhr, beimgeäablt — fein broteftantifcber ©laube ift
mit einer guten Seigabe £>ajs gegen baS ^ßabfttum unb feine Vertreter gemixt. Über
feine mafjlofe ©itelfeit, über feine unangenehme SSielgefcbäftigieit unb feine ©ucbt, fid) in
alles ju mengen, Ratten aucb. bie ^jroteftanten fefyr ju flagen, .offene ebrlicfee ©infacbfyeit
5 barf man bei ibm nid)t fucben. Slber fein SSerbienft bleibt, ben Übertritt ju einem anbern
©tauben, ju toelcbem ibn ©eroiffen unb äufjere 33erb/ältniffe trieben, roirflid) ausgeführt ju
b,aben, bor bem 33rud) mit fetner ®ircbe unb feiner §etmat nicbt jurücfgefcbrecft p fein,
toäbrenb bie metften feiner SanbSleute nod) im legten Slugenblid umfebrten. £>arin liegt
aber baS S£ragifcf)e feines SebenS, bafj er biefen ©d)ritt tr)at %u einer geit, als bie ©acbe
10 ber Deformation in Italien f$on fefa üM ftanb, unb bafj 31, ber biefen 3uftano to°H
Jannte, bod) burd) feine roeltlicben Vorteile fiel) befttmmen liefe, ßatfyolif unb 33ifd)of ju
bleiben, bürfen toir il)m fidler ju bober @bre anrechnen." SSetuatlj.
«erflärung f. b. 21. ©eligleit 33b XVIII ©. 179.
23erlöbm§ 1. bei ben Hebräern f. b. 21. gamtlie bei b. §. 33b V ©. 741, 21,
15 2. bei ben (griffen f. b. 21. ©bereebt 33b V ©. 218, 38.
SBermigli, pietro SUlartire, italienifcber Reformator, geb. 1500, geft. 1562. —
©eine ©Triften: Una semplice dichiarazione sopra i dodici articoli della Fede cristiana
(1542), 9?eubrud in : Biblioteca della Eif. It. Firenze 1883, tat. al§ „Catechismo" in ben
Loci Communes (f. u.). — Se gli Evangelici siano scismatici per essersi separati dai Papisti,
20 ebb. 1884, ift eine ttal. SSearbeitung ber betr. 9-lu§fiif)rungen in bem tat. Kommentar ju ben
S3üc6evn ber Könige (f. u.) unb ift unter bem Xitel: Trattato della vera Chiesa cattolica e
della necessitä di vivere in essa, dell' eccellente teologo M. Pietro M. Vermigli feparat 1573 er=
fcfjienen. — Defensio doctrinae veteris et apost. de sacr. Eucharistiae contra Steph. Gar-
diner 0. D. u. 3. — Defensio ad Smythei libellos de coelibatu et votis, 33afe( 1559.
25 — ®te Sitten ber Djrf orber ®i§üutation: Tractatio de Sacr. Euch., nebft Disputatio de eodem
sacr Londini 1549 (Siiricf, 1552, 1557, Sonbon 1562), engliftf) frj. 1562. — Dial. de
utraque persona in Christo (3üric&, 1561 u. ö.). — In selectissimam S. Pauli priorem ad
Cor. epistulam (ßbirmrb VI. geroibmet), ßiirid^ 1551. — In epist. 8. Pauli ad Romanos,
ebb. 1561. — In librum Judicum, ebb. 1565. — In duos libros Samuelis, ebb. 1564, 1567,
30 1595. — Regum libri duo cum Commentariis, ebb. 1571. — In primum 1. Mosis qui
Genesis dicitus Commentarii, gürid) 1569, 1572, 1579, §etbelberg 1606. — Preces sacrae
ex Psalmis Davidis desumptae, ßiirid) 1564; frj. 1565; engl. 1599. — Comm. in Coment.
Jeremiae, 3ürid) 1562; 1629. — Dialogus de utraque Christi natura, ßürid) 1562 u. ö. —
Loci Communes D. Petri M. V- (ed. TOoffon), Sonbon 1576; 2. SluSg (ed. ©ualtfjer) güritf)
35 1580, 1587; §eibei6erg 1593, 1613, 1622; ©enf 1624; Stmfterbam 1656; engl, 1583. 33riefe
in: Zürich Letters, passim. — Sitteratur: ©imler, Oratio de vita et obitu D. P M.,
gürtd) 1562; ©djloffer, Seben be§ ££>. Seja unb be§ % <33t. SS., £ieibelberg 1807; ©cbmibt,
?ß. SR. 33., Seben unb au§gett>. ©diriften, 1858. Hist. de exhumatione Catharinae D. P.
Martyris conjugis (Argentor. 1561). Sfadi 30Ciäcu§, De vita Oporini bat biefer gebrudt:
40 De Catharina Vermilla P. Martyris uxore historia. Ötrype Annais of the Ref. I, 1 ;
SBoob, Hist. Univ. Oxon. I. SSgt. ben Qnber. ju ben Opera Calvini (CR) XXII.
„©er gelebrtefte" unter ben italienifcben ^roteftanten beS 16. $abrbunberts toarb
in $Ioren$ geboren am 8. ©ebtember 1500. frommer ©inn fübrte ben 16jär;rigert
gegen beS 33aterS SßiHen in baS unfern ber ©labt unter giefole gelegene Softer ber
45 ßborberren bom r)l. 2luguftin. ©eine ©tubien ooHenbete er in $abua; bort bat er bie
©ialeftif tbeoretifcf) unb praftifd) fennen gelernt unb fid) mit ber ariftotelifd)en ^bilofop^ie
grünblid) bertraut gemacht, bat er boeb, in fyäteren Qabren nod) bie nicomacbifcfje @t^)if
feinen 35orlefungen über bie ©ittenlebre jum ©runbe gelegt unb felbft einen Kommentar
ju berfelben berauSgegeben. ®aS ©ried)ifd)e ftubierte er fd)on in ^J3abua, ^ebräifd; lernte
so er bon einem jübifc|en 2lrgte in Bologna, ^ngtütfd^en Balten ibn feit 1525 bie Oberen
als gaftenbrebiger auSgefanbt, toäbrenb er in mebreren ß'löftern SSorlefungen über alte
Sitteratur unb ^ßbilofotobie bielt. ^raftifcb roirffam finben toir ibn juerft in ©boleto,
t»o er als „Reformator" beS DrbenS in baS bertoeltliihte ^lofter eine beffere 3ucbi ein=
fübrte unb bureb feine ^ßrebigten bie (Sintraiit unter ben 33ürgern roieber berfteßte. 33.
55 febien ju ben böcbften SBürben beftimmt. %la<fy brei ^abren gum ^ßrior beS großen
^lofterS S. Pietro ad Aram in Reatoel ernannt, l)at fieb bort fein ©dncffal entf Rieben.
SDiefer hochbegabte 5Rann, ben ein ßontarini niebt b^oeb genug rübmen lonnte (bgl.
Sämmer, Monun. Vatic. [1861] ©. 301), trat bem um ^uan 3SaIbeS (f. b. 2lrt. oben
©. 380 ff.) fid) fammelnben Greife bei. ©ie ebenfo tieftourjelnbe toie abgellärte 3]albeSfd)e
ÜBcrmiglt 551
Ideologie unb grömmigfeit traf in tfym ben regten 23oben — aucb. Ddjino (f. b. 2lrt.
33b XIV, ©. 257), ber feit 1538 in 92eabcl, totrfte unb bei bem ficfy bort ber UmfdjWung
borbereitete, f)at ©influjs auf 23. geübt, 2lfynüd} Wie biefe fyat er je|t biblifcb. gelehrt
unb gebrebigt, ofyne bod? in offene Dbbofition ju bem hergebrachten ju treten, hrie ba3
benn übertäubt in bem 33albe"<§fdj)en Greife nic£)t üblich War. 9u)d) 1541 übertrug tl>m 6
ber $onbent ba3 mistige 2lmt eineg 33ifitator!§ im Drben, ba§ ib,n freilief) bon Neapel
entfernte. 3m folgenben 3al)re finben mir ifyn als ^ßrior bon ©an grebtano in Succa.
§ier ging 33. beftimmter reformatorifcb, bor, jWang bie 6f;orf)erren jum Seben nad) ber
$egel (bgl. ©tinarb, Lucques et les Burlamacchi [1848] ©. 306) unb legte ben
größten -Jiacfybrucf auf bie 33orbiIbung ber ÜJcobt^en. ©inen ßelfo -JÄartinengo aus 33re§= 10
cia, ^aolo Sacifio auö 33erona , ©manuele SEremeHio (f. b. 2trt. oben ©. 95 ff.) be=
rief er, bie f laffifcfyen ©brauen unb ba§ §ebräifcb, e ju lehren ; bor allem unterftü^te feine
Seftrebungen Selio ©econbo ßurione (f. b. 2trt. 33b IV, ©. 354, 57 ff.); 33. felbft «Härte
ben Sömerbrief. ®ie 1542 berfaftte ©djrtft „Una semplice dichiarazione" (f. 0.)
jeigt feine ebangelifcfj=tl;eologtfci)en Sttnftdjten, )t)ie er fie in 92eabel unb auf ©runb bon 15
reformatorifdjen ©Triften au§ SDeutfd)lanb gebilbet Ijiatte. ®em State ber ©tabt, ber
fdjon 1525 ein SDelret gegen Ie|erifd)e ©Triften erlaffen b,atte (f. SLommafini, Som-
mario della storia di Lucca im Arch. stör. ital. 33b X [1847], Docc. ©. 162),
machte ber Äarbinal ©uibiccione, 33ifct)of bon Succa, im ^uni 1542 SInjeige; bann
Würben acfyt „lutfyerifcfye" ©äije bes> $J3rebiger3 S5on Gonftantino benun^iert, ber entflog 20
— enblicf) 33. felbft angellagt, ber bor ba3 DrbenSfabitel nad) ©enua citiert würbe. @r
jog e§ bor, fein 3kterlanb ju berlaffen — in ^Sifa feierte er mit ben oben (benannten
ba3 2lbenbmabJ nact; ebangelifcfyer Söeife; mit ib,m jog ©iulio ©anterenjiano , ber big
jum (Snbe fein treuer ©efäfyrte geblieben ift. ^n bem Reiten ^nbej bes> ©enateS bon
Succa (1545) befam bie SlbfdjnebSfcfyrift 33.3 Cgnfyalt f. bei ©cfymibt, ©. 37 ff.) eine b, erbor= 25
ragenbe ©teile angewiefen.
Über ^lorenj, Wo 33. mit Ddnno jufammentraf, 33oIogna unb gerrara, Wo bie
^erjogin Renata ib,n gütig aufnahm, unb 93erona gelangte er nadj ßüricfy, 33afel, bann
(Strasburg; fyier übernahm er bie ^Srofeffur be3 2123. 2ln bie ©efinnungSgenoffen in
Succa richtete er ein ©^reiben, Weld)e<§ lateinifd) (De fuga in persecutione) in ben 30
Loci communes abgebructt ift. 33ier Qab,re lang b,at 33. fein SBiffen unb fein Sel)r=
talent mit großem ©rfolge in©traf$burg bewährt (Statuts etc. [f.u.j ©.32 f. u. passim).
Waa) bem fct/malfalbifcfyen Kriege folgte er rote anbere ber ©inlabung Sranmer3 unb
übernahm eine ^rofeffur in Djforb 1547 ©eine 33orträge über ba§ 2lbenbmab,l führten
ju einer mehrtägigen 3)i§butation im SOJai 1549 (f. 0. bie Sitten) ; in ba§ englifcfye 35
©lauben§be!enntni§ bon 1552 tourben bie §aubtleb,ren bon ©rbfünbe, ©nabentoa^l unb
Rechtfertigung nacb, feiner Formulierung aufgenommen, unb bafj bie anglilanifc^e ^irc^e
bon Xrangfubftantiation ntd)tg toiffen toiH, toirb bem ©rgebniffe ber SDi^butation mit ber=
banlt. SZad^bem 33. noct) mit 33u^er an ber 2luffteHung ber neuen Siturgie (Book of
Common Prayer bon 1552) beteiligt getoefen War, erreichte i^rt, obi»of)l Waxbad) ba= 40
gegen toirfte, eine ©tnlabung jur 9tüdfe|r in bie alte ©trafjburger ©teße (bgl. Statuts
et Privileges des Univ. franc. [Strassbourg] bon gournier, $ari3 1894, ©. 203 f.)
— nacb, ber SEfyronbefteigung ber blutigen 9Jcaria 1553 gab er bem 9toum. 3n3toif^cn
toar in Djforb feine ©attin geftorben, mie borf)er audf? 33u^er unb gagiu§. 2ln tbjer
aller Seiten l)at bie grabfcfyänberifdjie 2But ber ganatiler ficf betätigt (f. 0. Historia 45
vera, bon ilonrab Hubert berfa^t unb meljrfacfy in Indices libr. proh. bergeid^net;
bgl. 9teufd^, ^nbej I, ©. 420).
2ll§ bie 3laä)xid)t barüber lam (1556), War 33. in feieren litterarifc^en ^ambf ber=
toidelt unb jtoar über bie 2lbenbmal)I§Iel>re gegen S©eftpt)al (f. b. 2lrt. unb ©c^mibt, 33ermigli
S. 178 ff.). — @r batte ©trafeburg, wo bie alte 2Beitb,erjigfeit einem engherzigen üon= 50
feffionaliämug ^3la| gemalt batte (f. b. Strt. 2Jcarbacb„ 33b XII, ©. 245, 64, 246, 18 unb
©c^mibt a.a.O. ©.169 ff.) Wieber berlaffen, um in Zuriet) bie legten ^ab^re imgrieben unb
in gefegnetem SBirfen ^u berbringen. -ftoct) bon ©trafeburg auö §atte 33. an bie bon
ber ^nquifition fjart bebrängten @bangelifc^gefinnten in Succa ein ©^reiben jur ©tärfung
gerietet (lat. burc^ %. ®uno, Loci com. p. llOOsq., Slu^ug bei ©c^mibt ©. 160 ff.); 55
biele entwichen feit 1555, meift nacb ©enf, wo Wir bann 33ertreter ber gamilien 33albani,
33urlamaccb,i, (Salanbrini, ßattani, ©iobati, SDiic^eli, SOlinutoli, Xurretini u. a. finben (bgl.
©aliffe, Refuge ital. deGeneve [1881]. 2lucb in ben Dften richtete er, beranlafet bura;
SiSmanin, ber 1556 bei il)m unb^anc^i (f.b. 21.) in Strasburg erfebien, feinen 33lid: fein
©^reiben an bie Sßolen, Welc^eg bie bon ©tancaro (f. b. 21. 33b XVIII, ©.752) jur 33e= eo
552 SSernttglt SSerfiJfjttmtg
fbrecfyung gebraute $rage "«^ bem 23erbienfte be3 ^obeSletbmS (SJjriftt berfyanbelte, bom
14. gebruar 1556 batiert, finbet ficr) in ben Loci communes ©. 1109 ff. @§ finb ba=
rin aucb, beacfyten§merte 2Binfe für bie ®urcf;für)rung ber Deformation unb bie @inricfy=
tung ebangetifdjen ^ircfyenmefenS gegeben.
5 ©o finben mir benn 35., nadpbem er Berufungen nad) ©enf unb nad} §eibelberg
abgelehnt blatte, mit Dd)ino in gürtcb, bereinigt ; mit einer bebeutenben Sefyrtfyätigf eit ber=
banb fidj umfangreiche tb/eologifcbe ©cfyriftfteßerei — abgefefyen bon ©uralten unb ga^I=
reiben jbrrefbonbengen j. 33. mit Wtland)Ü)on, (Salbin unb englifcfyen Geologen, b,aben
mir bon ifym al§ größere SGBerfe an§ ber geit bie Defensio gegen ©arbiner (f. o.) 1559,
10 fomie bie gegen ©mitt; (f. o.) ; aucb, einige in Drjorb gehaltene 33orIefungen gab er je|t
r/erau§. 2lbgefefyen bon erneuerter 33ermar;rung in ber 2lbenbmaf)I$>frage finb il)m, ber mit
ßalbin entfdEnebener ^ßräbeftinatianer mar, bogmatifcfye Hämbfe aucb, in Qüx'vfy ntdjt er=
fbart geblieben — bafs ber über ben freien SBiflen lajer lel)renbe 33iblianber 1560 quie<§=
giert mürbe, mar burd) ein ©utadjten bon 93. entf Rieben morben. 33ei bem burcfy
15 33reng (f. b. 21. 33b III, ©. 386, 36 ff.) fyerborgerufenen ©treit über bie Ubiquität trat er
mit bem Dialogus de utraque natura in Christo (f. o.) ber ubtquttiftifdjen Sefyre
entgegen, ofyne baft ifym (unb 33uHinger) bie Söfung ber fcfymiertgen $rage gelungen märe.
(Srgebnigreid^er fdjien feine SÜJittoirfung bei bem ©efbräcfye ju ^ßoiffb. 1561 (f. b. 2trt.
33b XV, ©. 498 ff.), mo er als £anb§mann ber Königin ficf; r/öd)ft ebrenbotter 2tufnar)me
20 erfreute, ju merben; allem ba3 ©efbräcr) blatte ba<§ ©cfyicffal ber meiften — e§ blieb of)ne
$rucr)t, bie becfenbe gormel mürbe bon ber ©orbonne bermorfen (über 93.§ Slnteil f.
©cfymibt, ©. 254ff.). ©en mit einem anerlennenben ©^reiben ber Königin nacfy
3ürid) $uxM$eUfyxtm (ÜJcob. 1561) fanb fdmn Qanfyi bor, ber ftcr) §ilfe im ©treit mit
9Jtarbacfy gu r/olen fam — ba3 ©uralten, melcfyeS bie güricfyer in biefem ^5räbeftination§=
25 ftreite auSgefteüt b,aben, ber an ben S£ag braute, mie fefyr bie lutr/erifcfyen Geologen
felbft bon ber ©teÖung, bie einft t^r SReifter gegen @ra§mu§ berfocfyten I)atte, abgemuf en
maren, ift bon 93. berfajjt aU feine bor!e|te ©cfyrift; e§ finbet fid? in ber Opera Zanchii
[1619] 33b VII, 1, 72 ff. unb beutfct, teilmetfe bei ©d)meijer, Sentralbogmen I, 454 ff.
$n ber legten ©cfyrift, bom 2lbril 1562, äußerte er ficfy gutadjtenb über bie fetteng ber
so granlfurter (reformierten franjöfifd>en) ©emeinbe ifym borgelegte $rage: ob e§ angängig
fei, angefid)t» be§ SSerboteS eigenen ©otteSbienft ju Ratten, alfo in Ermangelung eigener
©eiftlicben, bie ®inber bon lutfyerifcfyen ^ßrebigern taufen ju laffen? — unb gmar: lieber
gar ntd^t al§ bon biefen, ba SLaufe jur ©elig!eit nio)t notmenbig ; aber SHebertaufe unter
feinen Ümftänben! ©cf;on fjatte fic| 33. ju einer neuen 2lntmort auf einen Stngriff bon
35 33renä' ©eiten angefducft, im ©ommer 1562, ba ergriff ib,n eine ebibemifd^e ^ranffyeit;
baö @nbe bor 2lugen, traf er gürforge für feine jmeite ©attin, bermad^te feine 33üo)er
unb Sftanuffribte bem treuen ©anterenjiano unb ftarb am 12. ®ejember 1562 im feften
©lauben an „$efum ßb.riftum, ben ber SSater aU einzigen §eilanb ben SRenfd^en gegeben
Ijat". ^ofia§ ©imler, fein 9tad£)foIger, l)telt ib,m bie afabemifd^e ©ebäcfytniSrebe (Oratio
40 f. o.), anbere ^reunbe fdjrieben fein £ob in Iateintfdfc)en SSerfen nieber, eine filberne ®en!=
münje mit feinem 33ilbe mürbe gebrägt; feine einige 2;ocr)ter, erft an einen Italiener
berfyeiratet, mürbe fbäter ^Pfarrfrau in Stfyalmil. ©eine Kommentare ju ben 33üd^ern
©amuelfö unb ber Könige, fomie gu einem ^eile ber ©enefi<§ unb ben ^lageliebern (f. o.)
u. a. gaben bie greunbe b^rauS — fein bebeutenbfteS lüterarifdjeg ®enlmal bleiben bie
« bon 9Jiaffon (in Sonbon 1575, fbäter nod) mel^rfad^) gebrudten Loci communes, um=
faffenbe 2Xu^üge unb gange ©Triften ent^altenb. SSenrat^.
Sßcrontca f. b. 21. Sf)riftu§bilber 33b IV ©. 71,8. £ur Sitteratur ift nacbjutragen :
b. ®obfd^ü|, 6§riftu§bilber. Unterfud^ungen gur fyx. Segenbe, Seibjig 1899; 6. ©. 31.
be 23oot)<§, De middelnederlandse Legenden over Pilatus, Veronica en Judas.
60 Tijdschr. v. Nederl. Taal- en Letterk. XX, 1901 ; be 3öaal, SDie antifen Deliquiare
ber ^eterglird^e, DD© VII 1893 ©.253; S. 6uft u. b. ®obfdjü|, The Likeness of
Christ in The Burlington Magazine, 1904 ©ebt.
SBerföIjnttng. — %. (£^r. S. ü. §ofmann, ®er ©cfiriftbeweiS, 2. 31. 1857—60 unb @d)ufe=
fcE»vtftert für eine neue SSeife, alte agarjrtjeit p lehren I— IV, 1856—59, b%u E. SKeisfäder,
55 8b2^ 1858; 9T. SRitf^f, ®ie djr. fie^re Hon ber 3JecE)tfertigung u. SBerföftnung, 3.91. 1888/89;
®. SreiBig, ®ie Sßcrfö^nungSle^re auf ©runb be§ d)v. SewufetfeinS, 1878; ttj. §äring, Qum
begriff b. ©ü^ne, SEI) ©tS 1888 unb gur SerföfmungSleEjre, 1893; «öl. tarier, ®ie SBerfö^nung
burtf) S^riftuS, 2.9t. 1907 unb ®ogmatifcf)e ßettfragen II, 1899; ©. % gr. ©cHin, ®er^eü§=
wert be8 Sobe§ ^efu, 1888 unb (Srlöfung unö SSerföfjnung, 1903 ; f. SS. Siegler, S)ie Sßer=
2$erföl)nuttg 55:3
föfjnimg mit ©ott, 1902; D. Äirn, 2ie 53erföl)nung burd) (SfjriftuS, 11)02; £. SBenfoiu, 2i:
Üefire üon ber SSerföbnung, 1904 ; 'iß. SKejger, 2a3 ®reu-$ (Sbrifü unb ba§ moberne 2enfen,
1907. — 3-rcmj 2eti£fd), Kommentar pm ftebriierbrief, 1857, ?lnt)ang; 21. 3tirfd)J, De ira Dei,
1859: ??. SSeber, SSom Borne ©ntteS, 1862; ©. gitefmt, 2er SSegriff ber <Süb,ne im 9(2, 1877;
91. SdimoHer, 2a§ SBefen ber ©iifine in ber altteftamentlidien Gpfertbora, 2t)Stf 1891 ; 5
l£. u. Crettt, ßinige altteftamentlidje ^ßrämtffen jur neuteftamentlidien 33erförmungelef)re, ßfSBS
18S4; S. .perrmann, 2ie 3bee ber ©üfme im 912, 1905; @. tü{)I, 2te £eit§bebeutung beö
lobe* ßfjrifti, 1890; 21. (Seeberg, 2er 2ob ©Ijrifti in feiner 33ebeutung für bie Erlo'fung,
1S95; ©. A>ttmann, 2ie SSebeuturtg be§ 2obe§ 3efu, 1901.— fr Sfrr. Säur, 2ie dir. Sebje
nun ber SJerföIjnung in ifjrer gefcfjiditlidjen @nttt>idelung, 1838; @. üöuftmann, Sie §eü§= 10
bebeutung Eljriftt bei ben cipoftolifdien Tätern, 1905 ; 3- ©ottfd)icf, 2lugufHn3 9lnfd)auung »on
ben ISrlöferroirfungen ßbjifti, 32t)S 1901 unb ©tubien jur 5Berföfmung3leljre be§ 9M.,
3S© XXII— XXIV; £>. (Sdjeel, 2ie 9lnfdiauung 9luguftin§ über Sbriftt ^erfon unb äßevf,
1901; £>. Gremer, 2ie SBur^eln beä 9lnfelmfd)en ©atiSfaftionäbegriffä, 2£)StS 1880; 2er
gevmanifdje SatiSfaftionäbegriff in ber 33erfüfmung§Iebje, ebb. 1893; £. ©djuljj, 2er fittlidie 15
Segriff be§ SBerbtenfteS unb feine 9lnlnenbung auf baS 2Berf (Sf)rifti. 2£)@t& 1894; 91. Sraufj,
2a3 9JttttIeramt nad) bem ©d)ema be§ munus triplex, 3&2b 93b 17 ; über SuttjerS 3Serföfj=
nungSlebre: 3. f öftlht 2.91. 1901, 2£). &arnacf 1862/86 unb ©ottfcfjicf, Propter Christum,
3Jf)S 1897 — 2ie ältere ßttteratur finbet fid) bei 33aur u. 3vitfd)I Uer$eid)net. 9luf3erbem
bie bogmatifd)en 2arfteHungen üon (sdjleierniadjer, S. 3. 9ciftfdj, 2fjomafiu§, pn'tippi, 3- 2. 20
Secf, SB. &r. ©ef3, 3. 2t. 2orner, granf, Sutrjarbt, 3. Saftan, 2f,- £anng, bie bib!ifd)=t£)eo= .
logifdien oon Dealer, §. ©cbuf£, 2iHmcmn, Sßarti, ©tabe, 58. 3Bei|, §ottsmann, SSerjfctjiag,
bie bogmengefd)id)tlid)en tton 91. Igamad, SoofS, 9i (Seeberg.
1. Unter ben Gegriffen, toeld)e bie Sluffyebung ber ©ünbe be^eidmen, I)at 33erföl)nung
einen engeren ©Kielraum als ©rlöfung. ülöäfyrenb bie festere ebenfo baS Serfcfyminben 20
ber aus ber ©ünbe folgenben Übel toie baS ber gotttoibrigen 2Billens>rid)tung felbft unb
ber mit ib,r berbunbenen ©d^ulb au§brü(fen lann, toirb 33erfDb,nung nur bon ber 2Seg=
nannte ber an ber ©ünbe baftenben ©cb,ulb gebraucht. ®iefer 33erfelbftftänbtgung be§
©d)uIbmomcntg liegt bie @rlenntni§ ju ©runb, baf3 bie ©eftctltung be§ perfönlid^en
93erb,ältntfje§ jtoifcfjen bem 9Henfcr)en unb ©ott bie eigentliche £eben^frage ber Sreligion 30
bilbet. yiifyt alle b,öb,eren Religionen, bie ficb, burcb, bie befyerrfcfyenbe ©tettung ber @r=
lofung in ibrem 3fe^en!rei§ al§ ©rlöfung^reltgtonen cf/arafterifieren (bgl. 21. ©rlöfung,
Sb V ©. 461 f.), teilen btefe @r!enntntö. ©ie entfielt nur ba, Wo bie ©ünbe, bon
aller Hofs tobtojifcfyen Unreinheit unb natürlichen Unb0ßfommenb,ett unterfcf;teben, alä
2öittenggegenfa^ gegen ©ott gefaxt unb ©ott felbft als bie perfönlicfie Slutorttät gebaut 35
toirb, bie ba§ ftttlic|e ©efe| gtebt unb toa^rt. 2)ann entfteb,t nottoenbig bie Slufgabe,
aud) bie ©rlöfung an einer etfyifdjen Jlorm ^u orientieren, alfo ba§ religiöfe Verlangen
natt) ber fcfyütjenben §ulb ber ©ottf)ett mit ber ©eltung einer fittlic^en Drbnung au§=
einanberjufe^en, bie in ber ÜRicl)tung be§ göttlichen 3ßiKen§ begrünbet ift. ®iefe ma|=
gebenbe ©teile pat ber ©ebanle ber 3Serfölmung nur in ber cbriftlicfyen Religion ; aber 40
er gewinnt fie in fteigenbem 9Jtaf$e aud) fd)on in ib,rer t§raelitifd)en, fpejiell brobfyetifcfyen
SSorftufe, toorin bie gefc^icb.tlid^e Kontinuität ber beiben biblifcf)en Religion^ftufen am
beutlicbjten b^erbortritt. Seibe erfennen ba§ tieffte religiöfe Problem in ber grage, tüte
tro| ber in ifjrer umfaffenben 3Sir!lid)!eit anerfannten unb als toillenSmäjjiger 2Biber=
fprud) gegen ©ott getoerteten ©ünbe bie befeltgenbe ©emeinfd;aft mit ©ott möglieb, ift, 4-.
unb fie feb,en in feiner Söfung burcb, ©otteS offenbarere %t>at ben b,öd)ften (Srioeiö feiner
Siebe. 3n htm 3Serföf)nung§gebanlen begegnen fid) fo bie ©el)nfuc^t beS nad^ ©ott ber=
langenben ^er^enS unb ber ©rnft beS ©enriffenS, bem ©otte§ ©egenfa| gegen bie ©ünbe
mit fcbmer^licfeer Klarheit betou^t ift. 3ln ber 5RögIic§Ieit unb 2Btrutdjfett ber 33erföl)nung
^ängt barum f)ier bie 2ftöglicr;ieit unb 2öirflid)feit ber ©rlöfung überfwubt. ©iebt eS eine u<
mit ber fittlicf/en Drbnung ^ufammenftimmenbe Stuffyebung ber ©cf)ulb, eine Vergebung
ber ©ünben, bie rötrfltd) atö ^fwt beS ^eiligen ©otteS feftftef)t, fo ift aud) jur 2luf|ebung
ber ben SöiHen fneeb^tenben ©ünbenmac^t unb be3 Iebenbebrob,enben Übels burd) bie gött=
lid)e Siebe ber 2öeg gebahnt. ®arau§ erhellt, toie feb,r gerabe im "iserfölinungSglauben
bie @igentümlid)feit beS ß^riftentumS fieb, auSbrägt. Qn ib,m finbet bie a)riftlicf)c 2luf= 55
faffung bei 33erl)ältniffeS bon Religion unb ©ittlicfjfeit, bon ©otteS Söefen unb Sb,rifti
2Birfen, bon ber Sebeutung ber ©ünbe unb bem Sßert ber ©nabe ib,ren beftiinmten 3luS=
brutf tüte il^ren feften §alt.
2lucb, in anberen Religionen fbielen bie Segriffe ÜGerföfmung unb füb,nen eincRoHe;
aber if»r ©inn ift ein cf)aratteriftifci) berfcbjebener. ©ofern bie ©ottf;eit immer geroiffc 60
^orberungen minbeftenS !ultifcb,er 2lrt an ib^re Sereb,rer fteüt, ift mit ber Sftöglicbfeit
if)rer abfid)tlid)cn ober unabfict)tlid)en Ü^erle^ung ju red;nen, roelcfje bie Ungunft ber ©ott=
554 Serfüfynung
fyeit fyerborruft unb in ber Verfügung bon ülßofyltfyaten ober Verfyängung bon plagen
fbürbar Wirb, ©old^e Verfehlungen gilt eS bann ju füfynen b. fy. burcfy ein beftimmt
borgefcfyriebeneS Mtifcfy=tecfynifcfyeS, bielfacfy recfyt mecfyanifcfyeS Verfahren (gauberfprücfye,
Steinigungen, Opfer) zu befettigen ober auszugleiten. 2luS ber auf baS Wibrige Vor=
6 fommniS felbft belogenen ©üfynung folgt bann bie Verfolgung ber ©ottfyeit, bie Um=
Wanblung ifyrer Ungunft in neue ©unft, beren 2Bert namentlicfy in ber SSBegnafyme ifyrer
plagen unb ber SBieberaufnafyme ifyreS SBofyltfyunS erblicft Wirb, ©üfynung unb Ver=
fbfynung finb fyier menfcfylicfye Veranftaltungen, ju benen ficfy bie ©ottfyeit bafftb, jebenfallS
rezebtib berfyält. 2ßo man bie ©ottfyeit felbft um ©üfynung angebt (fo 2lgni in ber in=
io bifd^ert Religion — Olbenberg, Sfteltg. bes Veba 291 — ober 2lbotlo in ber griecfyifcfyen
— Sfyantebie be la ©auffafye II3, 381 — ), fyängt bieS bamit jufatnmen, baß fie als
reinigenbe -Katurmacfyt ober als fyöcfyfte briefterücfye ^nftanj gebaut ifi £jm Unterfcfyieb
babon friert fcfyon baS 212: bie füfynenbe SSiriung beS ObferS auf göttlicfye (Stiftung
Zurücl Se 17, 11 unb baS 31% Weiß nur bon einer Verföfynung, bie ©ott felbft aus
15 freien ©tüclen boßziefyt unb barreicfyt 2 Äo 5, 19. (Sine Weitere ©ifferenz liegt barin,
baß auf fyeibnifcfyem Voben eine Verföfynung nur bon %aü zu %aU notWenbig Wirb, wenn
befonbere, baS menfcfylicfye 2BofyI beeinträcfytigenbe ©rfafyrungen auf eine Ungnabe ber
©ottfyeit Anbeuten, wäfyrenb fie nacfy cfyriftlicfyer 2luffaffung bie unerläßliche unb beftänbige
©runblage alles Wafyren, ben Hemmungen ber Söelt entnommenen SebenS bilbet. ©arum
20 finbet fyier baS religiöfe Verlangen aucfy nur in einer alle Veziefyttrtgen unb Momente beS
menfcfylicfyen ©afeinS umfaffenben Verföfynung SHu^e. @nblicfy gilt fcfyon bem 212 feine
bloß mecfyanifcfy4ultifcfye Seiftung als fyinreicfyenb, um fcfywerere Verfcfyulbungen auszugleiten.
©aS 31% bodenbet biefe Verinnerlkfyung beS VerföfynungSgebanfenS, inbem eS nur baS
ftttltcfy boMommene 2fyun unb Seiben beS fünblofen ©otteSfofyneS als Wiriticfye ©üfyne
26 gelten unb nur ben reuebotlen ©lauben an ifyrer ©eltung 2TnteiI gewinnen läßt.
©ie 2öorte Verföfynung unb berföfynen bereinigen in unferer beutfcfyen Vibel bie Ve=
beutungen bon üdoxeo&ai, eine Verfehlung untoirlfam machen bezW. Verzeihung für fie
auSWirlen unb xaiaMäooeiv, entzweite Varteien bereinigen, entfrembete Verfonen in ben
griebenSfianb berfetjen (bgl. $äfyler, ©ogm. geitfragen II, 3 ff.). Veibe VorfteHungen
30 finb infofern berfcfyieben orientiert, als üdaxsa^ai auf gefcfyefyene Verfehlungen gefyt unb
©acfye beS menfcfylicfyen VriefterS ift, wenn fcfyon auf ©runb unb im Sfafymen einer gött=
liefen Drbnung, Wäfyrenb bei xaraUdoosiv ©Ott immer baS fyanbelnbe ©ubjelt ift,
niemals baS Dbjeft, auf baS geWirlt Wirb. ©arauS barf man rttct)t folgern, baß bie
Verformung im ©inn beS 31% bloß Umftimmung ber fünbigen Sffcenfcfyen fei. ©ie 3loU
35 Wenbigleit einer georbneten 2luSgleicfyung ber ©ünbe für ©otteS Urteil Wirb fcfyon ba=
burd) im VeWußtfein erhalten, baß eS auf ttaojuos abgielenbe §anblungen giebt, an bie
ber ©rfolg ber KaxakXayrj gefnübft ift (bgl. 9tö 3, 25; 1 ^o 4, 10). Offenbar aber liegt
baS unterfa^eibenbe 9teue ber cl;riftlict;en 2lnfc§auung nieb^t barin, baß eS füljmenbe 2llte
für begangene Verfehlungen giebt — in biefer Veziefmng Wirb eS nur barauf anfommen,
40 an Welche Vebingungen man bort unb b/ier bie göttliche Verzeihung ge!nübft beult —
fonbern barin, baß eS eine ©elbftbeWegung ber ©ottfyeit giebt, bie barauf abzielt, baS
geftörte Verhältnis wieberf)erzuftellen.
©iimiologifcl) fcfjeint füf>nen — abb. fuonen, ml)b. füenen — , Wobon berföfynen b^er=
flammt, fo biel Wie IjerfteUen, ausgleiten, fei eS buref) gerichtlichen ©bruet), fei eS buref)
45 frieblicfje ©inigung über einen entfbredjenben @rfa| zu tebeuten (f. bie 2BVV. bon §er;ne
unb Äluge).
2. ©er ©laube beS altteftamentlidjen frommen, baß eS für ben ©ünber einen 2öeg
Zur Verfolgung mit ©ott giebt, Wurzelt in ber ©runbüberzeugung ber iSraelitifcfyen 9?eli=
gion, Wonacl) baS Verhältnis ©otteS zu feinem VoH auf erbarmenber Siebe beruht. 2luS
so Siebe b^at ^ab^We ^Srael erwählt §o 11, 1, of)ne baß beffen Vorzüge babei ins ©eWicbl
gefallen Wären ©t 7, 7 f.; 9, 4f. ^n Siebe bleibt er if)m barum auef; zuget^an ^«f 49,
15f., benn er ift „barmherzig, gnäbig, langfam zumßonx unb reieb^ an|mlb unb^reue"
@E 34, 6 f. SDttt berfelben ©ouberänität, mit ber er ben Vunb gefcb^loffen fy at, b^ alt er
ib^n aufrecht. SBenn er bergiebt, tfjut er eS „um feinetwißen" gef 43, 25, auS freier
55 eigener VeWegung. @S giebt barum b;ier leine ©ott abgerungene Verfolgung; fie lann
nur baS freie ©efctjenl feines SrbarmenS fein, ©arauf grünbet fiel) ebenfo bie ©emut
Wie bie guberfidjtt beS altteftamentlict/en §eilSg!aubenS. Unb ba fieb; biefer 6f)arafterzug
beS iSraelitifcfyen ©otteSbegriffS in bem Veftanb unb ber ^eftigfeit beS VunbeSberfyält=
niffeS auSbrägt, lann aucfy ftatt©otteS ©rbarmen bie SEfyatfacfye beS VunbeS als ©eWäfyr
eo feiner Vereitfcfyaft zur Vergebung genannt Werben Vf 106, 45; W\ 7, 20. 3ft aber^SraelS
Ü>erföljmtng 555
Ü8erbinbung mit $a!j)We fein Raturberljiältnig, fonbem eine Stiftung feinet ©otte§, fo
beftimmt betreibe äöille, ber ben 33unb aufgerichtet fyat, auty feine Drbnungen. SDiefe
fonnen nur ftttlidje Drbnungen fein. ®enn ^a^toe§ ©mnbeigenfdjaft, bie £jeiligfeit, ift,
Wenn audb, nid)t bon Slnfang an, fo jebenfafe in brobfyetifcber ^eit Wefentlicf) als fitt=
lidje (Erhabenheit gebaut, bie ba§ S3öfe ahmfyxt unb bemicfytet (bgl. 31. §eiligfeit 33b VII 5
©. 571 f.). Säfytoe bulbet barunt leinen grebel in feiner Räb/e Vf 15. (Sin fünbigeS
Sßol! fann nur fo lange im 23unbesberl)älini3 mit ifym fteBcn, al§ fein (Eifer rege bleibt,
fittlicfie ©reuel auS feiner 9Kitte ^u entfernen unb bie ifym bureb; ©ottes (Erwägung auf=
gegebene ^eiligleit b. f). fittlidjie ©leicfyartigieit mit ©ort ju berWirflicfyen. ^ft barum
©ott bermöge feiner Sarm^erjigleit jur Vergebung bereit, fo fann biefe boef; nur im io
Ginflang mit feiner §eiligfeit erfolgen unb jebe 3lrt bon©üfyne mufj biefer fittlicb, en 33e=
bingtljeit ber göttlichen §ulb genügen, ©egen abfid)tlicf)e unb grunbfä|Iicb,e 3SJit^ad>tung
ber 33unbe3bfltcf)t reagiert ©otte<§ £eiligfeit als ^orn, Se 10, lff.; Ru 11, 1; c. 16; 21,
5 ff., ber fieb, aud) gegen bie ©emeinbe Wenbet, Wenn biefe fid) bureb, fcfylaffe Racfyfiefyt
mit bem ©dmlbigen feines grebelS teilhaftig mattet 3>of c. 7 3Bie anbertoäriö fo wirb 15
auef) in %äxad bie SSorfteßung Dom ßorn ©otteS junäctjft bureb, auffaüenbe (Strafgerichte
erregt, Stilein mit ber Vertiefung be§ ©ünbenbetoufetfeinS erweitert unb berfeinert fid)
bie SBorfteEung. ®er ©ebraud) beS SSortS in ben $falmen 3. 33. 6, 1—8; 38, 2—15;
102, 10 f. läfjt erfennen, bajj gule^t jebe untergebene ©ctmlb als ©egenftanb beS gött=
liefert ,3omS gilt, ©iefem SLfyatbeftanb Wirb RitfcblS £l)eorie (Rechtfertigung unb 20
33erjöb,nung II, 130 ff.) bon bem aümäbjidjien Verfcfywinben ber ßomeSerfafyrung aus
bem aftuetten Vetoufjtfem ber §eilSgemeinbc unb bon ber auSfdjliefsücfyen Vcrfnübfung
beS gomS m'li ^em @nbgericf)t nid)t gerecht, ©agegen mufj anerkannt Werben, baf$
ben $robb)eten unb Vfalmfängem IgafyWeS gom ni^Jt als eine il)n bel)errfd)enbe ©e=
finnung gilt, bie feine Siebe aufgeben bermöd)te, fonbem als eine je unb je ju 25
menfcr)Ucr)er (Erfahrung lommenbe 33etf)ätigung feiner ^eiligfeit. £>arum liegt aud) im
3orn ©otteS leine ©djranfe ber Verjeib/ung, bie rttcEjt in feiner §eiligfeit fd)on enthalten
toäre. 33ejeid)net bie ^peiligleit bie fittlicfye Vollfominenl)eit ©otteS naef) iljrem bringibtellen
SBefen unb barum aueb, in ib,rem feb^arfen ©egenfatj gegen ba§ menfc^Iicfje SSer^alten, fo
brücft bie ©erecb,tig!eit t^re mit menfcfylidjiem %fyun bergteicb,bare @rfd)cinung in ©otte§ 30
^errfc^ermalten au§. ©ie ift bie ftdt) felbft gleite Stormgemä^eit unb unbebingte ©acb,=
gemäfe^eit be3 göttlichen Regimentg. 93or einer 93efcbränfung be^33egrip auf bie§anb=
babung ber ©träfe mufj un§ fdjon bie (Erinnerung Warnen, bafj ber Drient unb ba§
Altertum übertäubt leine abftrafte ©Reibung bon rict)tertber unb berWaltenber SLbätigleit
fennt. ©0 b,at aueb, ©otte§ ©erecb,ttgfeit tt)re 9corm an bem ©efamtinb^alt feineö 2BiUen3, 35
an ber ^eiligleit Wie an ber erbarmenben Siebe. ®em entfbrecf)enb erfcb,eint fie ebenfo
ftrafenb in feinem ©eridjt über bie ©cfyulbigen 3ef 5, 16; 10, 22 f.; 28, 17; «ßf 7, 12,
toie Betlfcfeaffenb in feiner Rettung ber Unterbrächen ?Pf 7, 9—11; 9, 5 ff.; 76, 10 unb
in ber ^wberung ber i^m bertrauenben frommen $f 31, 2; 71, 2. 15f. ; 103, 17f. ;
116, 5. SDe^tjalb fteb,t ©otteS ©erecb,tigfeit, Weit entfernt bie Vergebung ju ^inbern, bie 40
in Reue bei i|m gefugt Wirb, in einer feb/r nat)en S3ejieb,ung ju bem §etl, ba§ ^Srael
bon ib,m erhofft. DbWob/l Wir nun ntct)t erwarten bürfen, ba$ bie beiben in ber alt=
teftamentlictjen ©otte^ibee enthaltenen 93eftimmungen ber ber^ei^enben Siebe unb ber bie
©ünbe abwebrenben §eiligfeit bon Slnfang an auf allen fünften fiel) bereinigen, fo
ftreben fie boeb, jufammen unb in ber iprobtjetifdien gut Werben fie fo berfnübft, bafe 45
bie ©nabe bie beb,errfcb,enbe ©teßung gewinnt, Wäb,renb bie §eiligleit, ol>ne jene äu|erlic|
ju befcb,rän!en, 5Jcafe unb gorm ber göttlichen ©ünbenbergebung beftimmt, alfo bie
„©dmtjWefyr ber Siebe", richtiger noeb, t^re immanente fittlidie Drbnung ift. ©ies tritt
namentlicb, in ber §eil3brebigt ©eutero=^efaiag b,erbor, bie ©otte3 ©nabe §ugletcf> ate bie
ÜKacfyt fittlid}er (Erneuerung ber!ünbigt. 50
2öie faft alle Religionen, fo fennt aueb, bie iöraelitifcl)e eine ©ülmung mcnfcb,lid;er
33erfel)lungen bureb, Dbfer. 93efonber§ berbinbet fiel) biefe 3Bir!ung mit ben blutigen
Cbfern. Über ben urfbrünglid)en ©inn biefer religiöfen §anblung unb bie mannigfacben
ÜlbWanblungen it)rer S3ebeutung erlaubt ber b)eutige ©tanb ber religionggefd)id)tlid)cn
§orfc£)ung faum ein Urteil. 2Ba<§ bie ledere bigfyer gegeigt bat, ift bor aUem, bafe 55
fct;Werlicf) einer ber fbejiellcn ©eficf)töbunftc, buret) bie man bag Rätfcl ju löfen berfud;t
l)at, ju feiner bollen Sluffycllung §uretct;t. ältere, ftar! finnlidje Vorftellungcrt berfd;meljen
mit jüngeren, geiftigeren ju einem fd)Wer analt;fierbaren ©anjen. ®a§ füf)nenbc Tbfer
fbe^iell ift Weber blofj §ulbigung^gefd)enf, nod) au§ ber £>erftcllung einer S3Iute;gemein=
fcb,aft mit ber ©ottfyeit ju erüärcn. ©ber bürftett Vorftcllungen bon 33efd;Wörung ober 60
556 SSerfö^uung
bon Sefcfytoicfttigung ber ©ottfyeit bürdet eine gef)eimm§bolI=fcr;aurige ©abe im §inter=
grunb fielen (bgl. SB. 2Sunbt, SßöIterbtycf,oIogte II, 2 ©. 334—342). Stucb, bie 2In=
nafyme, bafj beim ©üljmobfer eine ©ubftitution beS ^lierS für ben ber ©träfe ber ©ott=
fyeit berfaßenen SJienfcfyen ftattfinbe, ift für eine früfye Seriobe laum auSjufcfyliefcen (bgl.
5 21. SeremiaS, £>aS 2l£ im Sichte beS alten DrientS, 2. 21., ©. 368 unb 3. §errmann,
Qbee ber ©üljme 102). Ob ber le^tere ©ebanfe bem iSraelitifcfyen Setbufjtfein in bibli=
fcfyer geil nocfy beutlicb, getoefen ift, macfyt freiließ baS rituelle Verfahren jtoeif elljaf t ; für
bie b, errfettenbe religiöfe Sorftellung ift baS D^fer lein ©trafgerief/t, fonbern baS 9Jtittel jur
2lbioenbung eines folgen. 2tucf) bie ©runbbebeutung be§ SBorteS '"f 3, baS bie wieber=
10 fyerftellenbe Sßirfung beS D^ferg begegnet (bebeden ober abtoifd)en?), fteb,t feineStoegS
fo feft, baf$ aus itir fiebere ©cfylüffe ju gießen toären. %üx baS religiöfe Problem ber
SSerföfynung auf bem 33oben ber iSraelitifcfyen Religion finb aber bie fragen nacb, ber
23ebeutung beS fultifcfyen DbferS nur bon untergeorbnetem Gelang. ®aS Dbfer fmt fner
einen beftimmt begrenzten ©Kielraum, ©inmal »eil eS, toie fdjon bemerft, nicfyt baju
15 bient, bie göttliche ©nabe tjerbor^urufen, bielmel)r bon biefer geftiftet ift. ©obann toetl
eS Dbferfüfme nur für untergeordnete Verfehlungen giebt, benen baS -JRerlmal ber 2tuf=
lefynung tüiber 3afytoe W* Wu 15, 30; 1 ©a 3, 14. Gmblicb, weil für bie brobr/etifd)e
2lnf$auung baS Dbfertoefen hinter bie gorberungen beS ftttlicfyen ©efjorfamS jurücftritt
3er 7, 21ff. ; $ef 1, 17 ; §06,6. ®arum finbet aucb^otteS berjeifyenbeS ©rbarmen
20 ba, too ber SBtrlungSberetcf) beS DbferS aufhört, leineStoegS eine ©renje. 2lud) bei
fcf)tr>eren SSerfc^ulbungen, bie fein Dbfer ausgleiten fönnte, läjßt er Sergeifyung eintreten
auf eine %f)at fittlicb,en (Stferg 9cu 25, 13, ober auf bie gürbitte eines treuen unechtes
b,in @r. 32, 30 ff. ober im Slicf auf bie frommen Säter ober ©lieber beS Solls Se 26,42;
2)t 9, 27 ; 1 % 11, 12 f. 32; 15, 4f. ; 2 tg 8, 19; 19, 34. tiefer ©ebanle finbet feinen
25 frönenben 2lbfcb,luf$ in ber SöeiSfagung Dom leibenben ©otteSlnedjt ^ef 53. ©ein fcb,ulb=
lofeS unb gebulbigeS Seiben unb ©terben fd^afft bem Soll ©üfme unb eröffnet il)m eine
neue gufunft Deg .§etls. §ier ift — gleictjbiel tote man ben ^necfyt ^afytoeS beuten mag
— an bie ©teile ber fultifi|en ©üfyne eine etfyifcfye getreten, bie ntct)t im Setben als
folgern liegt, fonbern buret; bie religiöfe $raft unb ftttlicfye Streue bebingt ift, in ber eS
30 getragen toirb. ©ofern nun aber biefe Sftotibe ber göttlichen Vergebung, inöbefonbere
ber SSunb mit ^ärael fortmir!enb ju benlen finb, giebt e§ auef) eine Verjeib.ung ber
©cfiulb ob,ne befonbere füfynenbe §anblungen, h)o man in 23ebrängni3 unb Trauer ©t
4, 29ff.; 3er 3, 21 f., in @rlenntni§ ber ©cf)ulb Qer 14, 20, mit jerfnirfc^tem §erjen $f
51, 19; 3cf 57, 15, in bemütigem Vertrauen §0 6, 1 ; Qef 63, 16 ju ©Ott feine ßufCud^t
35 nimmt unb ernftlicf) auf feine 2öege um!eb,ren totH (£5 18,31; 33, 11. SDiefe Um!eb^r
gilt aber ber $rop|ette nicb.t als eine menfcb.Iicbe Seiftung, fonbern atö eine grucb,t ber
@rsieb,ung ©otteS unb feineg ©eifteg 3er 31, 18; ®% 11, 19f.; 36, 26 f.
3. ®ie ^rofj^etifc^en ©ebanlen über be§ SJfenfcljen ©cf)ufb unb ba§ ©rbarmen be§
^eiligen ©otte§ mirlen aueb, im 31X fort. ®aö ^eue ift, bafe nun bie ©eftnf#eit ber
40 göttlichen 23unbe§gnabe eine jugleicf) umfaffenbere unb feftere ©runblage in @b,riftug unb
feinem §eil§tobe empfängt, ©ie ©ebanlengänge, in benen fid) biefe ©elt)iBb,eit aufragt,
folgen in meitgeb,enbem 2JJa§ ben ©puren be<§ 21SI 23unbfcb,Iiefeung unb Opfer, bie 35er=
tretung ber Ungerechten burc^ ben ©ott Wohlgefälligen ©eredjten, ber füb/nenbe Söert un=
fcfmlbigen Seiben§, aß ba§ Ief)rt in 2tnioenbung auf Sb,rifti $eil§werl tnieber. DJcan b,at
45 eg nun freilieb, auffaHenb gefunben, ba^ in ben ftmoptifcfyen ©oangelien nur jmei SBorte
3efu über bie berföfmenbe Äraft feines %ob& überliefert finb, fcon benen ba§ eine biefen
als Söfegelb bejeic^net, bureb, bas> bie 5ßielen fcb,ulb= unb ftraffrei roerben 9Jlc 10, 45, baS
anbere ifn als Dbfergabe jum ßmec! einer neuen 33unbeSfcb,lie^ung beutet 9Jft 26, 28 (in
Slnlelmung an baS 33unbe§opfer @e 24, 3—11). Seibe SluSfagen laffen ber genaueren
50 2luSlegung einen toeiten ©toielraum. ^lar ift jeboef), bafs ba§ Xvxqov nicb.t junäcb,ft fitt=
Iicb,e Erneuerung, fonbern ©ctjulbbefreiung mir«, a!fo©ünbe gutmacht unb Ungnabe ab-
toenbet, unb ba| ^efu %oh als baS ©emeinfcb.aft mit ©ott erfcbjiefjenbe unb oerbürgenbe
Dbfer ben 2Bir!ung§freiS ber lultifc^en Dbfer toeit überfcb,reitet. ®em SBort bom Söfegelb
liegt ofyne ßtoeifel ber ©ebanfenlreiS bon ^ef 53 ju ©runbe, t»aS fcb.on au§ ber h>eit=
55 geb, enben ©ntfbrecb^ung ber leitenben Segriffe Xvxqov = üt5$f &VT\ noXXcbv — ^ ^^ NPt1
|erborgeb,t. ®er ©runb, ber 3«f" ®ienen bis jum 2obe biefe Söirlung giebt, toirb meb,r
angebeutet als ausgebrochen. @r lann aber im ©inllang mit 3«fu fonftiger 3Serfünbigung
nur barin gefugt toerben, ba^ feine ^Ereue bis in ben £ob bie fittlicb,e Sebingung erfüllt,
unter ber ©otteS allezeit bereite berjeiljenbe ©nabe an ben „Sielen" roirlfam merben
60 lann. SDie fc^einbare 3foIierung biefer ©teilen, bie ju 33eben!en gegen ü)re ©^eit
a$erföl)mtng 557
äfofafe gegeben Ijat (%. (Sbj. Vaur), berfdjminbet, roenn man fieb, beutlicb, macfyt, bafs aueb,
bie fonftige Verrunbigung $efu fein meffiamfcfyeS auftreten als ben 2lnbrucf) einer $eilS=
3ett Sc 4, 21; 2Jct 11, 5f. 25ff.; 13, 16f. unb bie Vürgfcb/aft einer nafyen göttlichen
StettungStfjat Mt 5, 4 ff.; 16, 27f.; Sc 18, 7 f. bejeitfmet. SDiefe rettenbe (Srtoeifung ber
göttlichen Siebe, bie mit feinem -JBirten begonnen §at, erreicht tbje boltenbenbe ©bi£e in .-,
bem neuen Vunb, ben fein %oi befiegelt. Slm roenigften barf man aus bem ©leiclmiS
bom Verlorenen ©ofm Sc 15 bie ©ntbefyrlicr/feit einer ©üfyne folgern. @S fbric£)t nur bon
bem legten ©runb ber Verjeiljmng, ber Vaterliebe ©otteS, otme ben 2ßeg it)rer gefct;icb>
liefen Vermittlung mit befcfyreiben ju rooHen. llnb fein Israelit roufjte eS anberS, als
bajj ©otteS Vergebung ben Veftanb feiner VunbeSgnabe borauSfe^e, bie hinfällig roerben 10
muffe, toenn ©otteS §eüigieit mifjacfytet roerbe.
$DaS übrige 31% bezeugt übereinftimmenb, bajj eS Vergebung ber ©ünbe unb roab/r=
b/afte ©emeinfcfyaft mit ©Ott nur burefy Vermittlung ßljrifti für uns gtebt. SDie einzelnen
Scfyrbegriffe unterfcfyeiben ftcfy aber barin, bafj ^auluS biefe §eilStoirfung auSfcfyltepd) an
ßfyrifti %ob fnübft, ber aber in biefer §tnficr;t bon ber 3luferfter/ung nicfyt getrennt roerben 15
lann 9tö 4, 25, roä'Ipnb bei Sinnes 3efu ^erfon als folcb/e baS §eil berbürgt 1 %o
2, 2, olme ba| freiließ ein befonbereS Moment feines SCobeS für bie |>etlSbermtttIung bei
ibm fehlte %o 6, 51 ; 12, 24. ®er §ebräerbrtef läfst baS SDiittleramt (tfyriftt, gu bem fein
Dbfertob toefentlict) gehört 9, 15 ff., erft mit feinem ©ingang in baS fytmmltfcfye Heiligtum
gum 2lbfcf;Iufe fommen 9, 24. Darüber roie ßf/rtfti Stob baS §etl befcfyafft bat, finben 20
fieb, bei ben neuteftamentlicfyen ©cfyriftftellem im roef entließen 5 VorfteHungen, bie fiel)
freiltcb, nicb4 immer beftimmt gegeneinanber abgrenzen laffen. 1. ©ie folgen ber 2Ina=
logie beSDbferS 1 Vt 1, 2; £br. 9, 14. 26; 10, 10; 1 So 1, 7; 2Ibl 5, 12; 7, 14. Dabei
toirb beffen fünbentilgenbe SBirfung ntcfyt erficht, fonbern borauSgefetjt, roeSfyalb mir ben
betreffenden ©teilen aueb, roefentlid) nur bie 2luSfage beS ©rfolgg entnehmen fönnen. 20
^auluS berroenbet bie Dpferborftellung nur gelegentlich 1 So 5, 7 ; (Ebb, 5, 2 unb olme
fie lebhaft gu betonen, wofern man nicfyt üaoriJQiov 9iö 3, 25 als ©ülmobfer berfieb/t,
wogegen manches ftoricfyt. 2. 6I)rifti 5£ob Wirb als bie Erfüllung ber gefepcfjen ©traf=
forberung aufgefaßt, bie bem Söalten ber ©nabe im 2öege ftanb. DaS ift unber!ennbar
©a 3, 13 ber galt. Man bergifct aber ben 5Rab,men, in bem biefe ©teile ftcf) finbet, toenn 30
man fie jur ?Jorm aller anbern baulinifdjen ©rflärungen ergebt, ©te gehört einer Slr=
gumentation gegen bie fortbauernbe ©ültigleit beS altteftamentlic^en ©efeijeS für bie
^riftengemetnbe an. Unb ber baulmifcfye ©ebanfe bon ber blofj ^eittoeiligen ©eltung
be§ ©efetjeS ©a 3, 19 ; sJfö 5, 20 mu| uns babon abgalten, bie in ^efu %oi befriebigte
©efe^eSborfc^rift mit ber unberbrücblic^en fittlicb,en 9lorm beS göttlichen §anbelnS ju 35
ibentifijieren. 3. %t\u SEob ift als fittlicb.e %fyat bon unbergleic^Iic|er Steinzeit unb ©rö|e
geeignet, bie ©ünbe beS 3Jcenfcb;engefctjIec^tS gutzumachen unb bie gegriffene ©emeinfcfyaft
mit ©ott toieberb/erguftellen 9tö 5, 19; ^3b,i 2, 8; l p 2, 22; §br 7, 28; ^o 10, 17.
'JieS entfbricfyt ber altteftamentlic^en 2tnfc|auung, ba^ ber gortbeftanb beS VunbeS ©otteS
mit feinem Volf bureb, ben ©eb,orfam feiner treuen ^necf;te ermöglicht roerbe. Überboten 40
toirb biefe aber baburclj, bafs eS b,ier ber eigene ©ofm (?Rö 8, 32) ift, öeffen fel»llofe S5oH=
fommenb,eit unb Iüc!enIofe äreue ben bon ifym mit Erbarmen umfaßten ©ünbern ju gute
fommt. ©abei fann (roie in 3)cc 10, 45) ber SEob als §ör;ebuntt beS fittlicr/ett ©e|or=
famS mit beffen borauSgeb, enber Vetbätigung jufammengefafet roerben ; eS lann aber aueb.
4 ber Stob Sfyrifti unter ben befonberen ©eficb;tsi)unlt geftellt toerben, ba^ er als mißigeS 45
Seiben beS ©djwlblofen baS Verberben gum ©tißftanb bringt unb fo bie ©cf/ulbigen rettet.
^iefe2tnfa)auung bom ©ünbetragen beS ©erecfjten, bie in ^ef 53 ib,r Vorbilb b,at, ift ftct>er
nief/t im 3tecb, tsleben ju §aufe. Viel et)er berbinben fieb, in it)r uralte religiöfe VorfteÖungen
bon ber füfmenben Ätaft unfcb,ulbigen VlutS mit jüngeren etfnfcr/en ©ebanfen über bie
Kraft ^eiligen SeibenS, ©otteS ©rbarmen auf fieb, ju §tet;en unb menfcbjicfye ©eroiffen ju m
erfcfmttem. ^m 31% begegnet fie uns namentlich 1 Vt 2, 22 f.; $o 1, 29; maf)rfcf)einlicb;
liegt fie aber aueb, ba ju ©runbe, too ^efu ^ob als Söfegelb ober Kaufpreis bejeitt;net
rotrb ©a 1, 4; 1 Äo 6, 20; 7, 22. 5. 9cocb, tiefer greift ein anberer ©ebanfengang, ben
namentlich ^auluS auSfbric^t. 6b, riftuö ift bon ©ott gum Anfänger einer neuen 9){enfcb/=
l)eit beftimmt, ber groeite Slbam. ^nbem er, bem göttlichen Auftrag geborfam, bon ber 55
fteinbfcbaft ber gottmibrigen 255elt ben %ob erleibet unb bureb ©otteS 9Jiacr;t aufertoeeft
tbirb, jiebt er bie 3J}enfd()beit, bie fiel) burd) ilm beftimmen läfet, in bie gleiche ©rfa^rung
hinein, ^n biefen großen 2;b,atfac^en feines 3)UttleramteS ift bie Umler/r ber 3Jtenfcf)f)eit
auS einem Seben mtber ©ott ju einem Seben für ©ott nict)t nur abgebilbet, fonbern an=
gebahnt unb geroäbjleiftet. Darum ift fein £ob ibr %ob unb feine Stuferfteb/ung it)re 60
558 Sßerföfinttttg
Serfejjung in ein neue§ ©afein: 2 Ho 5, 14 ff.; 9tö 5, 12 ff.; 6, 3—10; @a 2, 19 f. unb
in befonberer 2lntt>enbung auf bie Sefeitigung be3 @egenfa£es> Don Quben unb Reiben
@bf; 2, 14 ff. £)a§ Unterfcfyeibenbe biefer ©ebanfenreifye gegenüber allen früheren liegt
barin, baf$ fie nict)t in befonberen altteftamentlicfyen Sorausfetjungen, fonbern ganj in ber
b 2tnfcf;auung ber gefcf;icf;tlicf;en Offenbarung unb in ber cf;riftlicf;en ©Iauben3erfaf/rung
tourgelt, ätucf; fie bebarf aber ber (Ergänzung burcb, ben jofyanneifcfyen ©ebanfen, ba|
ber 9Jienfd)fyeit neues Seben nur bura) ben 'Sob unb bie 2fuferfief;ung beffen lommen
fonnte, ber bon Anfang an ba§ Seben in ftcf; trug unb fief; barum mit immer toacf;fenber
SDeutIicb,feit als ber Sürge ber ©nabengegentoart ©oiteS offenbaren lonnte. ©iefe
10 mannigfach, berfcf)iebenen 2Beifen, ben SLob ßfrifti auflegen, treffen aber jule|t bocf; in
einem gemeinfamen ©ebanfen jufammen, bafs nämlicf; bie bergebenbe ©nabe ©ottes> eine
fyeilige Drbnung in fief; trägt, bie balb mefyr äufjerlid;, fultifcf; unb gefeijlicf;, balb mef;r
innerlicf;, etfnfcf; unb religiös berftanben toirb. 3mmer behält fie ettoaS ©efyeimniäbolleg,
baS menfcf/licf;e ©ebanfen nur annäfyernb enträtfeln. 2lm toenigften lann bie§ einer juri=
15 fttfcfjen ©eutung gelingen. Slucf; fcfyon ber ©ebanfe ber ©tellbertretung, ben manage
©teilen jtoetfelloS an bie |>anb geben 2 Ho 5, 15; 1 $t 3, 18 ift ju meefjanifcf; für ben
kaufet) ber Siebe, um ben e<§ ftd£> fyanbelt, unb für ben toei3f;eit<3boIIen 9Beg ©otteS, ber
freiefte SiebeStfyat unb er^ier/enben (Srnft berbinbet. (Eine Serföljmung aber, ber biefe§
9Jcoment ^eiliger Drbnung fehlte, toäre mit bem ©otteäbegriff ber biblifcf;en Religion tote
20 mit ifyrem Urteil über bie ©ünbe unberträglicb,.
üftur ^auluS bertoenbet für ben ©rfolg be<§ füljmenben (Eintretens Gfyriftt ben gu=
fammenfaffenben Segriff ber Serföfmung, y.axaXkayr] 3?ö 5, 10 f.; 11,15; 2 Ho 5, 18— 20.
2ln feinen ©bracfygebraucf; f;at fief; barum auef) bor^ugStoeife bie (Erörterung über ben
©tnn biefeS Segriff 3 in ber bibltfcfyen Religion angefct/loffen. Offenbar berftefyt er barunter
25 bie (Einigung getrennter Parteien (1 Ho 7, 11), bie §erfteßung eines» bleibenden grtebenS=
bunbeS gtoifcfien ©ort unb SJtenfcfy. SDabei toaf;rt er burcfjauS ©ott bie £$nitiatibe, inbem
er mit bem Serbum xaxaXXdaaeiv immer ©Ott als ©ubjeft, ben 9Jtenfa;en als Objeft
berbinbet. ©otteS jum 3Seräeit;ert bereiter SiebeStoifle ift ü)m SorauSfetjung, nicfyt erft @r=
folg ber Serföfmung. ©arauS barf man aber nicfyt folgern, bafj bie letztere bei ^auluS
30 in einer Umftimmung ber 5CRenfcf;en aufginge. 2Senn er aufy begreiflicfyertoeife bie auf=
ju^ebenbe „geinbfcfjaft", too er genau rebet, nur bem 5Renfcf;en jufdjreibt, dtö 8, 7 ; Hol
1, 21, fo ift bocf) feine Meinung bie, bafj auef) auf ©otteS ©eite ein £inbemiS ber ©e=
meinfcf;aft ju übertbinben toar. ®arum fagt dtö 3, 25 f., baft e§ nur unter (Srweifung
ber göttlichen ©erecf;tigfett ju einer Rechtfertigung be§ ©ünberS fommen fonnte. 3lber
35 biefe ©erecf;tigfeit ift auef; f;ier nid;t an feiner §eiligfeit attein fonbern jugleicf; an feiner
©nabe orientiert; nur unter biefer Sebingung fonnte ber 2lu§gang fittlicf) neufa)affenbeS
§eil fein, ^n ber y^erföl;nung erfcf)eint ©otteS Siebe 5tö 5, 8 in unbebingter @inf;eit mit
fetner bie ©ünbe berurteitenben §ciligfeit 9tö 8, 3, beren fcf)öbferifcf;e 3Racf;t aber nicfyt
auf bie blo|e 2ßab,rung ber gefeilteren Orbnung eingefcf;ränft merben barf. ^n biefer
40 (Einheit bon Siebe unb ©ruft ift ©otte§ ©nabe erjie^enb, fittlicf; förbernb Sit 2, 12
xägig Jicudsvovoa. ©er Umfang be§ in (Ef;rtftu§ gefcf)Ioffenen grieben^bunbe§ erftreeft
fief; ber göttlichen 2lbficf)t naef) auf ba§ gan^e SiJfenfcfjengefc^lecfjt 2 Ho 5, 15. 2tber nur
bie ©laubenben treten löirflitf; in if)n ein 9tö 3, 25, ba er an bie gugefyörigfeit ju
6f)riftu§ gebunben ift 2 Ho 5, 21. ©te 3Serföf/nung ift objeftib, fofern fie in Slpftuö
45 gefcl)icf)tli(f; bolljogen ift, unb bebarf bocf; ^ugleicl; fortgeb,enber fubjeftiber 3Sertoirflicf;ung
in ben ©liebern feiner ©emeinbe 2 Ho 5, 20.
4. 33on biefen btblifcb,en ©ebanfen ift junäcbjt überrafcfjenb menig im Setou^tfein
ber älteften Hircfje lebenbig geblieben, fotoett fief; biefe§ in ber Sitteratur fbiegelt. S3efort=
ber§ im 9Jcorgenlanb tritt für lange 3e^ oer beftimmte ©ebanfe ber 2Serföb,nung fymter
50 ben affgemeineren ber ©rlöfung gurücf. ®ie6 ift unberfennbar barin begrünbet, bafj man
in ber ©ünbe mef;r bie iserberben^macf;t als bie ©cfjulb erfennt unb roürbigt. Sefu^
ift barum auef; rttcr)t fo fefjr ber Befreier bon ©cfmlb al§ ber 3Sieberb,erftefler be§ bon
ber ©ünbe angerichteten ©cf;aben§. ©eine §eiföbebeutung liegt mef)r in feiner 3}ienfcf;=
toerbung unb Sefyrmirffamfeit ai§> in feinem Hreujeötob. ^"fti" täfst fiel; jtoar burcf;©a
55 3, 13 baran erinnern, bafs 6l)riftu3 ben glucf; aller auf fief; genommen f;abe (Dial. c.
Tryph. 95); aber er toeifs biefem ©ebanfen feine betonte Stellung in feiner ©efamt=
anfcfiauung ju geben, lieferen (Einfluß üben bie baulinifcl;en ©ebanfen auf ^enäu§.
Sei if;m toirb bie parallele bon 2lbam unb Sf)riftug toieber lebenbig; beibe finb 33er=
treter ber gefamten S[Renfcf;f;eit unb beftimmen in entgegengefe^ter SBetfe if;re 2lrt unb
60 iljr Sog. 6f;riftug bilbet in fetner $erfon einen neuen ^eiligen 2lnfang ber 3Jlenfcf;f;eit,
2krfijf)nmtg 559
er mad)t burcb; feine geftigfcit in ber Verfügung ben llngefyorfam 2lbamS roieber gut
unb eröffnet fo ber abgeirrten 9Renfd)l)eit aufs neue ben SBeg jur Bereinigung mit ©ott
unb ju unbcrgängltcfyem Seben. 216er eS ift fcb/roer %u fagen, wie fid) in biefer 9terabi=
tulation bfyr/ftfcfye •■Regeneration unb SÖanblung beS religiöfen Verb/ältniffeS ju ©ott p*
einanber behalten. Sie fbätere griecfyifclje Geologie r)at fie roefentlid) als ^ö^eren 3tatur= 5
borgang berftanben, ber in ber Sftenfctjtoerbung jum entfdjeibenben Vollzug fommt. Sie
©egenmart beS SogoS in ber 9JZenfd)l)eit tocrge^rt alles ©d;lect)te unb fd;ü|t bor bem
Serberben (©regor bon 9}r/ffa, ßtyrilt bon 2Iler,anbrien). ©abei it)atte man aber bod) baS
VebürfniS, für bie auffaflenbe Sr/atfacfye beS Sfreu^eStobeS, bie in biefer ©rlöfungSlebre
fo wenig £id)t cmbfing, eine ©rflärung ju geben, ©ie fanb man lange gz'it barin, b'afj 10
man u)n als Vefriebigung eines 2tnfbrud)S beS Teufels beutete. -JJcarcion fyatte juerft ge=
meint, ber ©ott ber ©üte l)abe bie ^reilaffung bvc fünbigen 9Jienfd)en bon bem ©emiurgen,
bem Vertreter ber garten 9}ed)tSorbnung, nur burcf) biefeS gugeftänbniS an fein ©efetj
erlangen tonnen. $n biefer 2lnfd)auung fonnte barum etroaS Veftect/enbeS liegen, weil
fie ber Erinnerung entfbrad), bafj ^efu %oi bon ben gefe^licfyen Vfmrifäern ausging ; fie 15
entbleit überbieS, roenn aud) in unflarer unb miberfbrucijSbotler 2Beife, bie 2ll)nung, in
^efu Job l)abe eine 2tuSeinanberfe£ung mit einer bon ber ©nabe ju unterfcb/eibenben
Crbnung ftattgefunben. ®arauS erflärt ftd£> baS Vefireben, fie unter möglicfyfter Tilgung
tr)re§ bualiftifdien §intergrunbs auf ben Voben ber äirdje ja berbflanjen. ^jrenäuS tfmt
bieg, inbem er ein eigentliches Sfted^t beS SLeufelS auf bie 9Jcenfd)en ablehnt, bielme^r in 20
©otteS 5Rüc!ficr)trta^me aud) auf biefen fcb/lecf/i begrünbeten Slnfbrud) eine befonbere Vißig=
leit fiel)t (adv. haer. V, 1, 1) unb auS $efu baffiber Eingabe an bie ©emalt ber apo-
stasia einen altiben ®ambf gegen fie mad;t (V, 21, 3). DrigeneS ift tf)m barin gefolgt;
Spätere tüte ©regor bon Sibjfa fyaben barauS einen Vctrug beS Teufels gemacht, ber fid)
außer ftanbe fal), ben fünblofen ©otteSfobm feftjufwlten. ®aS fittlid; Slnftöfjige fucfyt er 25
baburd) 5U befeitigen, bafe er in biefem göttlichen Vetrug bie gerechte Vergeltung für ben
teuflifdjen Vetrug fielet, burcl) ben bie 2Renfd)en um il)re ©eligfeit gelommen toaren.
3lud) im2lbenblanb berfd)mäf)te man biefe eigentümliche 2el)re nid)t; felbft 2luguftin
fyat fie in mannigfachen formen ausgeführt (bgl. ©d)eel ©. 298 ff.) unb nocf) 2tnfelm
mufj fid) ben 2öeg jur GsntrcicMung feiner eigenen ©ebanfen bahnen, inbem er il)re Un= 30
möglid)Ieit barlegt, ©ine fird)lid) aner!annte £I)eorie über ben ©inn beS SeibenS (Efyrifti
giebt eS für bie erften d)riftücr)en Qa^rljunberte ntc^t. ©regor bon HRajtang fbrid;t bieS
bireft auS, inbem er fagt, man fönne in ber ©eutung beSfelben olme ©efab^r irren
(Orat. 33). @S finben fid) mob^l 2Infä^e ju einer ^f)eorte, of>ne bafe biefe iebod) lon=
fequent unb einheitlich burd^gefüb^rt mürben. ©0 bertoenbet DrigeneS ben Dbferbegriff, 35
oljme il)n freilict) nä^er ju erflären; SEertullian unb 6t)brtan enttoitfeln im Slnfcfyluf an
bie 2lnfd}auung bon ber Sufee juriftifc^e ©ebanlen. SCÖte getoiffe freimiUige 2eiftungen
für fiel) angefel?en 33erbienfte finb, gegenüber begangenen Verfehlungen aber ju ©atiS=
faftionen roerben, fo §at auc§ S^rifti %oh bie J^raft, ©ott für bie ©ünbe ber ajienfc^b^eit
genugjutf)un. 2JmbroftuS unb §ilariuS folgen biefer ©bur, inbem fie in ßb^rifti %ob ein 40
ju ©unften ber TOenfcfyen unb in Erfüllung einer göttlichen gorberung übernommenes
freiroilligeS ©trafleiben fefjen.
3Sie mannigfach bie ©ebanlengänge fieb^ freuten, jeigt bie intereffante altfircr/ltd)e
parallele ju 2lnfelmS Cur Deus homo, bie ©cbjift beS 2ltf>anafiuS Ilegi hav&Qoo-
xi'joecds Xoyov. 3§re £>aubtgebanfen finb folgenbe: sJJacf)bem burd) bie ©ünbc ber %cfo 45
eine redjtmäfsige §errfct)aft über bie 5Renfd;§eit erlangt b^at, giebt eS nur baburd; eine
2luSgleid)ung ber göttlichen 2Saf)rf)aftig!eit, meldte bie 2tnerlennung biefeS 3tecb,tS3uftanbS
forbert, unb feiner @f/re, meiere bie Vereitelung feines ©ct/öbfungSblanS nicf)t jugeben
fann, bafj ber %öt) feine §errfc£)aft an bem 9Jienfcr;enleib beS SogoS auswirft.^ ©iefer
f)at bermöge beS if>m einroof)nenben SogoS folgen Üöert, bafj er als Xvtqov, xaidUrj^ov, 50
üv/ua für aüe gelten fann. SDamit ift bie ©d)ulb aller bejaht, ber giucf) bureb^ ben
ftlucr/tob beS ^reu^eS getilgt, ber Xob auSgelöfc^t. Stuf ben £ob beS SrlöferS folgt not--
toenbig feine 3tuferftel)ung, benn ber Seib, in meinem baS 2ßort 2Bob>ung gemacht f)atte,
tonnte roeber bertoefen, noebj burfte er im ©rabe bleiben. @r follte bielmeb,r baju bienen,
bie ©nabe ber Unfterblid)teit ju offenbaren. ®iefe Reflexionen tommen bem ©ebanten 55
ber Verfolgung nab^e unb boc| erreichen fie il)n nid)t ganj, ha aud) f>icr nict)t auf bie
Sdmlb ber 9iad?bruct fällt. sJcid)t ber §eiligfeit ©otteS, fonbern bem sJted)tSanfbrucf) beS
löbeS gefd^ieb^t bureb; baS Äreuj ©enüge. ©0 biel barum aueb bon ber .ßwedmäfeigfeit
beS 'JobeS ^efu unb feiner einzelnen Umftänbe bie Rebe ift, im ftrengften etb.ifd^cn oinn
nottwenbig ift biefer Sßeg bod) nicfjt. 2ltt)anafiuS fann aud; bon ber ©rlöfung burd; 60
560 äJerföfjmmg
ßfyrifti SefyrWirffamfeit ober burcb, bie metabfyr/fifcfye ;Jceufcl)öbfung ber 9Jcenfd$eit reben,
ofme bafj in biefen ©ebanfengängen ber ^reujeätob eine notWenbige ©teile £>ätte. 2tua)
er fielet auf bem Soben ber fyerfömmlidjen ©rlöfungllefyre, bie aucb, für feine d)riftologi=
fcfyen ©ebanfen mafjgebenb ift; bie biblifdje Qbee ber 23erfölmung fyat er nur geftreift.
5 2lucb, 2luguftin3 ©ebanfenarbeit ift für bie 23erföfynung3lef>re nict/t fo förbernb ge=
Wefen, Wie man, aix§ feiner Setonung beö ©egenfaljeg bon ©ünbe unb ©nabe folgernb,
erwarten möchte. @r fyat ^War bie ©ünbe inäbefonbere im 9fal)men ber Sujjlefyre al§
SBeleibigung ©otte<§ geWürbigt unb ntc^t feiten bem ©djmlbgefül)! tüte bem grieben§=
Verlangen be§ ÜKenfcfyenfyerjeng tiefen 2tu3brud; berliefyen. 9Jian lann aucb, au§ feinen
10 $uf$erungen eine SRet^e wetterfüfyrenber ©efid^bunfte jufammenfteßen, bie auf eine etb,i=
fcfye §eiMeb,re, Wenn fdjion mit ftarf juriftifcfyem (Sinfcfylag Anbeuten. (®ie3 tlmt namentlich,
©ottfcfyicf in 3%b,® 1901). ©otteS Siebe ift ©runb be<§ SerföfmungSWerfS unb brauet
nicfyt erft burcfy eine füljmenbe Seiftung fyerborgerufen %u Werben (in Joann. ev. 110, 6).
©^riftuS ift SRittler bermöge feiner menfdjlicfyen Statur (Conf. X, 43). 2ll§ fünblofer
15 ^Renfa) bringt er ba§ füljmenbe D^fer feinet 2obe§, er bejafylt bie ©cfyulb, bulbet ftett=
bertretenb bie ©träfe unb befreit un§ baburcb, bon ©träfe unb ©d)ulb (Serm. 171, 3).
@r ergänzt biefe Seiftung burtt) feinen aftiben ©efyorfam unb erfeist bamit unferen SRangel
(Contra Faust. 19, 7). $n aü bem ift er bas> §aubt ber ©emeinbe, für bie er twnbelt
unb leibet. 2Iber neben biefen an bie fbätere 3ÜerföI)nung3lel)re StnfelmS unb ber 3lefor=
20 matoren anHingenben Elementen ftefyen ganj anbere, bie fie berbunfeln unb burcfylreujen.
©ine ftrenge ©urd)fül)rung ber Skjielmng bes> %obe3 6f)rifti auf ©otteä fittlicfye Drbnung
fjinbert fdwn bie bon 2tuguftin feftgefyaltene SSorftetlung, baft biefer %ob ein Söfegelb an
ben Teufel ift (de trin. XIII, 15, 19). @r begießt ©otteS ^orn nid)t auf bie ©djulb,
fonbern nur auf bie ©träfe ber ©ünbe (Enchir. 33, 10). @r grenzt ßfyrifti aftiben
25 ©efyorfam rttd^t gegen ben ©ebanfen be3 23orbüb<§ ab. @r nimmt Weiterinn aucr; bie
griednfcfye 2lnfd)auung auf, Wonacfy fdjon bie SRenfcfyWerbung erlöfenb ift, toag bie 33e=
beutung ber gefcfyidjtlicfyen Seiftung 6I)rtfti minbeftenS einfcbjänft. tlnb fdjliefslict; fcfywädjt
er bas> ©etoicfyt ber Skrföljmung überhaupt baburcb, abr bafj er in ber ©ünbenbergebung
nur bie Vorbereitung unb ben 2tnfang bes> §eilö fief>t, Wäfyrenb erft bie Mitteilung ber
30 Siebe rea)t mit ©ott bereinigt (de fide et symb. 9, 19 : non reconciliamur nisi
per dilectionem). ©o ift ber Geologe Sluguftin troij mancher fruchtbaren 2Infä&e bocb,
ber metab^r/fifdiien unb eubämoniftifcfyen §eil3lel)re ber ©rieben näfyer geblieben, al3
manche feiner berfönlia^en ßeugniffe erroarten laffen (bgl. namentlich ba§ SBucb, i)on ©d^eel
unb beffen 2lbb,anblung %t)Sm 1904).
35 5. 9Jcit 2lnfelm bon ßanterbur^i beginnt nicfyt nur ein neuer 2lbfd?nitt in ber ©e=
fcb,id9te ber äkrföfymmgglefyre, er ift übertäubt ber erfte, ber fie in ftrengem gitfaNun^
jjang enttüicfelt. SDtinbertoertige St^eorien toie bte bon einem Söfegelb, ba§ bem Teufel
bqafylt toorben märe, b,at er enbgiltig befeitigt. ®ie Slbfidjt feiner ©a)rift Cur Deus
homo ift, nidjt blofs bie 2Ingemeffenb,eit, fonbern bie ftrenge -Kotmenbigteit ber 3Jlenfc^=
40 roerbung au$ ib,rem fttoeä, bem %ob be£ ©ottmenfcb,en barjutb,un. @r übernimmt bie
grcei^aturenlebje, aber er löft fie au$ bem ^ufflm^w^ang mit ber metabfyr/fifcfyen §eil^=
Ieb,re, in bem fie urfbrünglicb, fte^t, ^»erauä, inbem er ben ^Eob atö ben £öl?ej)unft beS
^eilgmerfö, bie SJcenfrfjtoerbung al§ ib,re blo^e Sorau§fe|ung beb,anbelt. 3a er ifoltert
ben %ob ßb,rifti aucb, gegenüber ber boraulge^enben 2Birffamleit feinet Sebeng, inbem er
45 biefe aU bflic^tmäfeig, ben %ob al§ freiwillig unb aufeerfyalb ber göttlichen gorberung
liegenb bejeitt)net. 35amtt fc§afft er fio) bie 9Jtöglitt}!eit, ib, m einen fcb,lecb, tb,in einzigartigen
unb unbergleicf)licf)en 2öert jujufcr/reiben, ben nid)t§ in ber Söelt fonft b,aben fann. 2öes=
b,alb eine folct/e Seiftung erforberlicb, mar, ergiebt fic^) au§ ber Sluffaffung ber ©ünbe unb
be§ 3]erl)ältniffe§ ©otteö ju if)r. ©ie ©ünbe ift 23erfagung be§ ©ott gefd^ulbeten ®ienfte§
50 unb — auf bie 3öiHenlricl)tung gefeb,en — 33erle|ung feiner @l)re. ^m le|teren 9Jio=
ment Wurzelt borne^mlicf» if»re ©d^ulb (1, 11). ©oK fie aufgehoben »erben, fo genügt
nia)t bie (Srftattung be§ ©efa)ulbeten, e§ mufe baju al^ @rfa| für bie ^ränlung eine
satisfactio lommen, bie ber Seleibigte feftfe^t. S^un fcb.eint b,ier bem ^Belieben be§ ©e=
fränlten ein ©bielraum ju bleiben, ber aud) ben gän^lic^en 3Serstct)t auf bie satisfactio
55 benlbar macb, t. 3lllein für ©ott ift ein foldjer 3Serjic|t auägefa^loffen. Söürbe ©ott ob,ne
©enugtb,uung berjeib,en, fo Wäre bie Drbnung feiner Sßelt geftört unb bie Ungerechtigkeit
embfinge einen greibrief. @§ bleibt nur bie Süternatibe : satisfactio aut poena (1, 12.
15). 25amit ftet)t bie ^cotWenbigleit ber satisfactio feft, Wenn bie poena, b. b,. bie 3Ser=
bammnte be§ Menfcfyengefcbjecfytio abgetoenbet Werben foü. 9lun gilt e<S, i^re §öb^e ju
60 beftimmen. SDiefe bemi|t ficb, nact) ber mensura peccati. SRenfd^Iic^e Seiftungen Wie
Serföljnttng 561
Weue, (gntfagung, ©eljorfam, 2öerfe ber S3arm^ergtg!eit lönnen fdjon barum nidjt in 33e=
tradjt fommen, weil fie oljmeljun geforbert finb, alfo feine gutmacfyenbe $raft für Unter=
laffungen unb Verfehlungen fyaben lönnen. @3 lann aber übertäubt nur eine satisfactio
genügen, bie größer ift als bie ganje 2öelt. ©o gewichtig ift bie ©ünbe (Nondum
considerasti, quanti ponderis sit peccatum I, 21). 5Zun Will aber ©ott bergen; 5
fonft Würbe er bcn $Wed aufgeben, ^u bem er bie -äRenfdjien gefcfjaffen f>at, unb bieg
ftritte gleichfalls ioiber feine (Sbre. Samit ift eine satisfactio geforbert, bie größer ift
aU alles, toaS außer ©ott erjfitert unb bie bod) bon ber 9Jcenfdjl)eit ausgeben muß, bie
ben @rfa§ fdmlbet. Siefer Vebingung fann nur ber ©ottmenfd) entfbredjen (II, 6). Sie
®abe, bie er bringt, mu| er felbft fein, aber er muß fie auf eine Söeife barbringen, bie „,
bon feiner Vflicfyt nid)t umfaßt Wirb. sJZun ift er tote alle Vernünftige Kreatur ©ott ben
©efyorfam feinet SebenS fcfyulbig; ben ^ob bagegen fdjmlbet er als ber ©ünblofe nid)t
(II, 10 f.). 9?ur in ber freiwilligen SebenSfyingabe beS ®ottmenjd)en lann barum bie
verlangte satisfactio gefunben Werben. Sie unvergleichliche ©d)Were ber ©ünbe berer,
bie U)n töten, offenbart ben unbergleicfylidjen 3>3ert biefeS SebenS. $n fetner Eingabe ]5
liegt ein Verbienft bon einzigartiger ©röße, baS ©ott ntct)t unbelofynt laffen lann (II, 19).
Ser ©ob,n lann freilieft, für fid) felbft leine Velolmung empfangen, ba er alle ©üter be=
fi§t unb leinet 'JcacfylaffeS bebarf; aber Wenn er bittet, fie ben 9Jtenfcfyen juWenben ju
bürfen, bie er unbermögenb fiefyt, fieft felbft ju befreien, fo Wirb tfym baS ber Vater nic^t
abfragen, ©mbfänger biefeS ©efeb enls lönnen freilicb, nur biejenigen fein, bie ^efu Vor= -_>0
bilb nachfolgen, il)re ©ünbe belennen unb fid) beffem (II, 19 bgl. 16). ©o erweift fict)
uns ber Slob beS ©ottmenfdjien als bie einzig mögliche aber aueb, für bie ©ünben ber
gefamten 9Jienf<ftt)eit überfcfymänglicb, jureicfyenbe ©atisfaltion unb Wir fel)en in biefem
Verfahren ber §eilSftiftung ben bellen ©inllang ber 33armf)erjigleit ©otteS mit feiner
©erecfjtigleit (II, 20). 9ceben bem fyier »erfolgten ©ebanlen^ug fbielt aueb, bie macb> 2r,
boEe ÜberWinbung beS Teufels eine nebenfäcf)lid)e, mebj ebifobifcfye 9toEe (1,22. II, 19).
§. Gremer glaubte biefe 2tnfelmfd)e ©attSfaftionSitjeorie nur bom Voben germanifcfyer
ffledjtSanfcfyauung aus erllären ju lönnen. §amad, SoofS, ©ottfdjud u. a. Ijaben auf bie lircb, =
licfje Vußlefyre als if)r gunbament berWiefen. Saß l)ter eine, btelleicr/t bie entfdjeibenbe 2ln=
Inübfung liegt, ift unbeftreitbar ; ob fie aber allein ausreicht, ift boct) fraglich. Sie Slrt, roie 30
Slnfelm bie ©ati^faltion bon bem Urteil be§ ©elränlten abhängig macf)t, nact) beffen ©tetlung
bemifet unb auf bie ©ibbe be§ fie Seiftenben befcfiränlt, fd^eint boeb, auf germanifc^e 5tect) iS--
gelrof)nf)eiten jurüdjutüeifen. 2ßie man inbeffen über bie £>erfunft ber 5£beorie urteilen mag,
beutlicb, ift, bafe 2lnfelm in 6f>rifti SEob nid)t ben VoEjug einer ©träfe fiet)t ; biefe lommt
bielmebj in SBegfall, inbem ein freiwilliger ©rfa| für «Schaben unb ^ränlung angeboten 3-,
unb angenommen wirb. W.S folcb^er ©rfa| lann nur eine Seiftung gelten, bie an fieb,
meriturn ift, fofern fie bon bem Seiftenben nict/t geforbert werben lann. 2tuf bie auf=
jut)ebenbe Verfehlung bejogen Wirb fie jur satisfactio (bgl. §. ©dmttj, ^{»©t^ 1894,
205 ff.; ©ottfd)icl, £&© XXII, 389 f.; 3. Seibolbt, £&©tÄ 1904, 300ff.). Sf)rifti ^ob
ift bemnacb, jWar eine fteUbertretenbe Seiftung, aber lein ©trafleiben. 2Barum jeboef) ber 1(1
SBert biefeä 2eben^ für ©ott gerabe burd) feine Eingabe in ben 2ob jur ©eltung lommt,
Wirb nid)t au^brücllicb, begrünbet. §ier fd^roebt bem Verfaffer WobJ ber ©ebanle bor,
bafe ber aSergict)t auf irbifelje ©üter immer ebler unb berbienftlid)er ift al<S if?r ©ebraucl),
ein ©ebanle, ben er aueb, ftißfcf)Weigenb mit bem Dbfer in Vcrbinbung gebraut fyaben
mag (bgl. II, 18 bie parallele mit ber Verbienftlicb^leit ber Virginität). 5Kur Wenn man 45
annimmt, ba^ bureb, folcb^e fyeroifdje ©ntfagung immer ©Ott geehrt Wirb, entfielt ein
^toecfjufammen^ang gWifcb^en biefer %l)at unb ber @f»re ©otteä. ^e au§fcb,Uefelict)er nun
aber Slnfelm einen einigen ©eficb^töbunlt berfolgt, bie gmetfmäfjigfeit be« freiwilligen
unb berbienftlicfien 2;obeg Sfjrifti ?ur ^erftellung ber beriefen ©b^re ©otte§, befto mefyr
©ewicfjt fällt barauf, ob er ben ©runbgebanlen ber cb,riftticb,en Religion entfbrid)t. ®aö B0
ift nad) nur einer ©eite ber $atl, fofern bie ©ünbe ernftlicf) al<§ ©ct)ulb geWürbigt Wirb.
^Dagegen bleibt fein ©ebanle bon ©ott Wie bon Gfjrifti Söerl unb beffen Söirtung hinter
ben ma^gebenben ©ebanten beg %IX jurücf. ©ott erfcf)eint in bem Vorgang ber Ver=
följnung birelt nur auf bie Sßafjrung feiner @b,re bebaetjt. Sarin liegt eine Veräufjer=
lid;ung be« biblifcf)en Vegrip feiner ^ciligleit unb eine ßurücfftellung ber göttlichen Siebe. 65
^aulu6 fieb^t biefe in ßbjifti ^eil^Werf unmittelbar Wirlfam, Wäb^renb fie bei 2lnfclm nur
ba§ berborgene, erft buref) sJteflejion ju ermittelnbe 2lgen§ beö §eil^werlö ift, ja gleic£)fam
b\S ju beffen Vollenbung fu^enbiert bleibt. Sie Trennung, bie 2lnfelm jWifd;en bem
2öert be§ 'Jobeg (5t>rtftt unb bem ©eb,alt feine! Sebeng bornimmt, lann fid; jWar auf
^3aulu§ einigermaßen ftü^en, entftoriciit aber leineSWegö bem ©anjen ber neuteftamcnt= u„
Üf!eot=®nct)rtopäbie für Ideologie unb Stit«e. 3. 8t. xx. ^y
562 Serfiifynttttg
lidjen 2lnftf;auung unb ber ©eftcr/tgbunft be§ a§letifd)en 3Serbienfte§ läfet aud) nicfyt einmal
ben etilen ©elwlt biefeS $£obe§ felbft, bie in tfym bewährte gembeäliebe, gur ©eltung
lommen. 2lm aÖerWenigften aber macfyt 2Infelm ben SSerfucfy, au§ ber £>eil<§tij>at gefu
neben t^rer SBebeutung für bie §erftellung ber göttlichen ©b,re eine tiefergreifenbe SBtrlung
5 auf ba§ 9Serb,alten ber SRenfcf^ett abzuleiten. @r erwartet jtoar, baft bie SDtenfdjen ftd)
an $efu 33erb, alten ein 33orbilb nehmen unb fieb, beffern Werben; allein, aud) Wenn man
zugeben Wollte, bafj eine fo einzigartig bebingte Seiftung Wie feine satisfactio überhaupt
nac^geabmt Werben fann, fo berfäumt er bodj ganz ben bfr/djologifdjen antrieb zu biefer
©inne§änberung aufzuzeigen. ®iefe etfyifdje Unfrucfytbarfeit ift, braftifcb, angefefyen, bieU
10 leidet ber fcbjimmfie SOJangel ber ^eorie. ®afc 2lnfelm gelegentlich in feinen Orationes
aud; ben ©efic^t^unft be§ fteKbertretenben ©irafleibenS aufnimmt (bgl. 33b I ©. 569
unb ©ottfdnd 3£l>® 1901, ©. 186 3lnm. 1), füll nicfyt unerwähnt bleiben.
2tlg birelter 2lntibobe älnfelmS bflegt 2lbälarb z« gelten. SDa§ ift audj infofern
richtig, al§ er ben %ob Sfyrifti bor allem unter ben ©eficfytlbunft ber fyöcfyften Siebet
15 Offenbarung fteHt, bie un§ %uv ©egenliebe ertoedi unb bamit bie ©ünbe bertreibt. SDamit
bringt er ben bei Slnfelm zurMgebrängten religtöfen ©runbgebanlen ber d)rtftlid;en §eil<§=
Iel)re Wteber zu fräfiiger ©eltung. allein barüber barf nidjt bergeffen Werben, bafj er
@fyriftu§ nidjt blofj eine Söirlung auf un3, fonbern and) eine Seiftung für un§ an ©ott
Zufdjreibt. 6b,riftu§ erfüllt burd) bie Siebe, bie er übt, ba3 ©efe£ ©otte§ in boHfommener
20 Söeife, er ergänzt bamit unfern Mangel unb fann bor ©Ott unfer gürfbredjer fein. Senlt
fdjon biefer ©ebanlengang in bie gewohnten auguftinifcfyen Sahnen z^üd, fo ift bte<§
nod) mefyr ber gaß, wenn Slbälarb bon ßbjiftuö fagt, bafj er bie ©träfe ber ©ünbe un=
fdjulbig unb freiwillig getragen, bamit unfere ©träfe in SSegfall gebraut unb uns ben
§immel geöffnet §abe (bgl. ©ottfdnd, Qm XXII, 400— 429). SBaS bon eigentümlichem
25 bei Stbälarb übrig bleibt, ift bemnad) nur, bafs er ben %on auf bie göttliche £iebe<Boffen=
barung legt unb bafj er barüber bie auf ©utmadjung ber ©ünbe zielenbe ©ebanfenreil>e,
bie er feineSWegä au§fcpefjen Will, gelegentlich, faft bergeffen lann. ©ine anbere Differenz
bon SCnfelm, bie 2lu3bel)nung ber §eil<§bebeutung 6I)rifti auf fein gefamte§ Seben, teilt
Stbälarb mit feinem ©egner Sernfyarb bon Slatrbaur.. 33on letzterem ftammt ba§ fbäter
30 oft Wteberfiolte äSort, bafj ßfmftt Seben eine actio passiva, fein Stob eine passio activa
getoefen fei (Sermo de pass. Dom. MSL CLXXXIII, 268 f.).
2)ie weitere ©efdncfjte ber SBerföfynung^Ieljre in ber mittelalterlichen Geologie bebarf
laum einer eingefyenben ©arfteHung, fie ift im Wefentlicfyen ^üdtefyr ju ben unbeftimm=
teren unb lofe berbunbenen auguftinifrf;en SBorftetlungen. SDer bon Slnfelm au§gefct)Ioffene
35 ©eficf;t§bunlt ber ©trafübernab,me toirb feit betrug £ombarbu§ toieber ein fte^enbe^ @le=
ment ber Sefyre. 2lber ©ottfdjic! bürfte barin 3ted)t b,aben, ba^ bie mittelalterlichen 2:b,eo=
logen barunter ntct)t eine 9tecl)t§ftrafe im ftrengen ©inn, fonbern eine btefe abtoenbenbe
toeinlicfye Seiftung ab, nltct) ben in ber 93ufje übernommenen berfteb, en (bgl. Sernf) . b. ßlairb.
MSL CLXXXIII, 389: Mihi ineumbit sustinere poenam, poenitentiam agere
40 pro nomine quem creavi. Thom. Aquin. in sent. 3, 20, qu. 1, a. 3 ; Soof§4,
560). %t)oma$ bon 2tquino bringt biefe ©ebanf'en in eine 2trt bon ©^ftem. hieben
bem befyerrfcfyenben ©efict)töbunlt be§ meritum für ba3 Seiben 6b,rifti nimmt er ben
(bei $etr. Somb. fe^Ienben) ^Begriff ber satisfactio mieber auf. ©r berftel)t tb,n in bem
aEgemeinen ©inn einer freimütigen Seiftung, voelcfje bie ©ünben ber SKenfcb, t>eit auftoiegt,
45 unb begrünbet biefen Sffiert be§ %ob(§ 6brifti mit ber SBürbe be§ ©ottmenfdjen, ber
©rö^e feiner Siebe unb bem Umfang unb ©rab ber bon il)m erbulbeten ©dnnerzen. ®a=
neben befagen bie Segriffe be<3 Dbfer§ unb be§ SöfegelbS nid;t§ fbezififcf) 5Reue^. ©ine
beutlidje Unterfc&eibung ber SSerfö^nung aU ber SKanblung be§ berfönlid)en 33erb,ältniffeö
Zu ©ott unb ber (Srlöfung bon ©ünbenmacf)t unb ©ünbenftrafe bürfen mir bei %fyoma§
50 ntdtt erwarten, am menigften bie 3SoranfteHung unb Überorbnung ber erfteren. 2llS erfte
grucb,t ber ^affion nennt er z*»ar bie ©ünbenbergebung, aber biefe ift ifym an bie @r=
toedung ber Siebe gefnübft unb barum felbft fcb,on eine habituelle 3Seränberung be§ ©ün=
ber§, toäb,renb bie S5erfö^)nung mit ©ott erft an bie bierte ©teHe zu fte^en lommt. ®ie
Sßirfung ber ©enugtb,uung Sf)rifti für bie gefamte SJlenfdjfyeit begrünbet 2:^oma§ auf
55 bie ©tellung 6b,rifti ab§ i^re§ §aubte§, ba§ mit feinen ©liebern eine persona mystica
bilbet (Summa III, qu. 48).
§atte fcb,on £fj>oma§ für biefen Söeg ber §eil^ftiftung nict)t me^r bie SRottbenbigleit
beraubtet, bie 2lnfelm zu erWeifen berfucfyt b,atte, fonbern fieb, mit feiner 3lngemeffenf)eit
begnügt, fo geb,t X>un§ ©cotu§ auf biefer 33aljm Weiter. @r erüärt bie ©ünbe, bereu
eo Unenbltcf)feit St^omaS nod^) bebingungöWeife gelten Iie|, für enblid), folgert auö bem
#erföf)ttuttü 563
auguftinifct/en ©a£, baß ber ©ottmenfd) nad) feiner menfcr/licb/en üftatur Mittler ift, bie
(Snblicfyfett aud) feinet Verbienfteä unb läßt beffen 2lnnabme bon fetten ©otteg nicfyt
auf einer feften Rorm, fonbern auf beffen freier ©cfyätnmg berufen. 2Ba§ fomit bon ber
Sßerfbfmungllefyre übrig bleibt, ift bte Vorfteßung Don einer berbienftlidjen, fünbentilgen=
ben Seiftung ßfyriftt, bte bon ber Eirdje gelehrt mirb, beren innerer ©runb aber ber 5
Vernunft unerfennbar bleibt unb beren Söirfltcfyfeit nur mbireft aul ber Sefäfytgung ju
3t!ten be§ neuen Seben3 feftgefteßt Serben fann. ®amit fear ber Ijor) e 2lnfbrucb, 2lnfelm3,
bie Nationalität be§ 1)ogma3 nacbjumeifen, grünblid) aufgegeben, aber e<§ mar aud), unb
ba3 ift bte erfreulichere ^efyrfeite, für eine Don Vorurteilen freie SSerfenfung in bie %fyaU
fac^e be<§ ^reuje§ ßbrifti Raum gefdjafft. ©ine foIct)e fyatte bie 9Jcr/fti! immer geübt, 10
obne barum fretltcb, bie gefdjidjtlidje £>eib§tlj>at in il)rem bie ©nabe berbürgenben SOöerte
boß ju erfaffen.
6. $)a§ neue £eil<§berftänbni<§ ber Reformatoren get)t ntct)t bon ber grage nacf; ber
objelttben öeilSbegrünbung, fonbern nad; feiner fubjeftiben Vermirtltcf/ung au§. ©aß
man ba3 §eil nur im ©lauben, in biefem aber ba§ boHe §eil empfängt, ift tbre ©runb= 15
tfyefe. ®aß bon I)ter au3 aud) eine neue 2luffaffung ber ©rlöfung unb Verfolgung
felbft gefordert mar, trat erft aßmäfjlicf; tn§ Veroußtfein. ©arum erfcfyeint aud) in ben
Sefenntniffen bte Verföf-mung metft nur im .gufammenfyang ber Red;tfertigung§lef)re. ^n
jtoei fünften mußten freiltd) bon Stnfang an bie ^onfequen^en ber Red)tfertigung3lel)re
|erbortreten. ®ie SluSfcbJießlicbJeit ber 9J?tttlerfd)aft ßfyriftt unb il)re ba§ ganje Seben 20
beö Gfyriften umfaffenbe Vebeutung mußte in ein I)eßere3 Sid)t treten, toenn e§ fein
menfcf/Iicfyeg Verbienen be§ §etl<§ gab, unb e3 aud; für bte ©eltung be3 (Gerechtfertigten
bor ©ott allezeit auf ben ©lauben allein antam. Unb fobann forberte ber 9^acr;brucf,
ben je£t bie ©ünbenbergebung als 3utt,en^un0 ^vc göttlichen ©nabengefinnung (gratia
= favor Dei) gewann, eine Harere Itnterfcfyeibung gmifcfyen bem (Srlaß ber ©dmlb unb 25
ber inneren llmroanblung, bie aus> ber ©otte^rmbfcfyaft unb bem ©eifteäbefttj folgte, ^jetjt
erft toirb barum entfd;ieben bte Verfolgung ber füfyrenbe begriff, ber bie ©bi|e be§ @r=
Iöfung3tberfS be^eidmet.
8utl)er§ Sluffaffung ber Verfolgung ift bor allem burcb, feine ernfte SBürbigung ber
©ünbe befttmmt. SDtefe ift in tl)rem tiefften 2Sefen §aß unb 9Jtißtrauen gegen ©ott. 30
©ie rietet ftd) alfo in ib/rer ©bi|e gegen Um unb macfyt bor il)m fdjmlbig. ©ünben=
bergebung ift barum ba§ große, in feinen ^onfequenjen aße3 umfaffenbe ©ut, ba§ mir
Gf)riftu§ berbanlen. darüber, toie ficb, bie ©etotfjfyeit unferer SBerföl^nung an 6b,rtftug
fnübft, trägt £utb,er mannigfache ©ebanlen bor, ofme um ib,re Sermittelung unb 2lu3=
gleict)ung alljufeljr beforgt gu fein, Wenn fie nur in ifjrem @rgebni§ : ßf;rtftu§ ber Mittler 35
aller ©nabe jufammentreffen. ^Jcanc^e ©teilen lauten fo, al§ tbäre ©otte§ ©nabe ber
bon ©tbigleit t)er für un§ berettliegenbe ©cba§, ben 6l)riftu§ nur ju erfcfyUefeen unb au§=
^teilen brauste (@2t 18, 312 ff.; 50, 76 f. 89f. op. exeg. 26, 459). ©otteS 3öefen
toirb fo ganj mit ber Siebe ibenttftjiert, ba^ neben xi/x ber 3Drn feinen Raum ju ^aben
fcb,eint, fonbern %u einer blofe menfcfjlic^en aSorfteßung fyerabfinft (2Ö21 14, 448 ; @2l 40
18, 317 f.; op. exeg. 5, 179). 2lßein Iüo Sutfjer bte §inberniffe ermägt, bte biefer
©etbtfef)eit ber ©nabe entgegenfteb,en, ba fbric^t er bocb, regelmäßig unb mit großem SJacb/
brudE babon, baß ßtmftug aßein ung bie Vergebung ertoerben, ttn^ bon ©otteS 3Drn
unb ©träfe, bon ©eric^t unb 2:ob befreien fonnte. SDabei iann er bei bem aßgemeinen
©ebanfen fteb,en bleiben, baß ßfyrifti fünblofe ©erec^tigfeit, fein ©ott roob,lgefäßige<§ Ver= 45
galten un§ju gut geredmet Werbe (©a 2, 164; op. lat. var. arg. 4, 130. 5, 497 f.). 2lber
biel öfter grünbet er bte §eil§getbtßb,eit auf bie '^b.atfaclje, baß &b,riftu<§ in feinem Seiben
unfere ©ünbe auf fiel) genommen (@2l 50, 179), bie ©träfe erbulbet, ben ^orn be§
Vaters getragen unb berfofynt b,at (@2l 7, 310 ff.; 12, 44 ff. 188. 453). ®abet bleibt
GfyriftuS für fidt> felbft nicfyt bloß justus, fonbern aud) beatus ; aber feinem ©efüb,! ift 50
biefer Sefi§ entzogen (2B21 5, 602 f. 611 f.). £>tefeS 9Rebeneinanber bon ©ered)tigleit unb
©träfe, 255ol)lgefaßen unb glucb, ju benfen, erleichtert Sutb,er ficb, — ät)nltdt) toie ^5aulu§
— baburef), baß er ba<S ©träfe forbernbe ©efe^ nicfyt aB ben eigentlichen, boßen unb
enbgiltigen 2Bißen ©otteg berftel;t. SDaburd) bleibt Raum für bie hinter bem ©erieb^t
ftebenbe Siebe, beren 2lbfid)ten aueb, bag opus alienum be§ ©efe^e§ bienen muß (@2l 66
op. exeg. 5, 179). %a Sutljer fann aueb gerabe^u ba« ©efe^ alö eine ©ott gegenüber
felbftftänbige ©röße barfteßen, bie ficb, an GfyriftuS, il)rem £erm, bergreift unb bamit
if)r Red)t an tf>n unb bie ©laubigen berliert (©a 2, 152). £>er b^errfd)enbe ©cbanfe ift
aber boeb, ber, baß <5E>rifiuö burd) fein eintreten für un<S bie gorberung ©otteö an un§
befriebigt. Sutl)er liebt baö ffiort satisfactio nief/t, mctl e§ einer bon ibm ab3 falfd) eo
36 :
564 i*erföl)nuttg
erlannten Sufjlelp angehört (21© 11, 307); aber er Behält e<§ bod) Bei, Weil e§ bie un=
zweifelhafte Sefriebigung her göttlichen gorberung au§brüdt. ®iefe ©enugtlmung ift fo
ü&erreid), bafj fie alle ©rgänjung burd) menfd/lidje ©atiSfatttonen ausliefet (©31 11,
306f. 317. 324). ^ommt in ber eben »erfolgten ©ebanlenreiBe ber SJtttiler nad) feinem
5 llnterfcBJeb bon ©ott in S3etrad;t, fo fcf/aut i^n Sutfjer in feinem .geilSWerf aueb, gerne
mit u)m jufammen, inbem er ifyn als ben Kämpfer unb gelben barfteßt, ber alle geinbe
unfereS §eil§, ©ünbe, %ob, §öße unb SEeufel ü&erWinbet unb in feiner 2tuferfier)ung
ü&er fie triumphiert (©2145, 315); ja biefe 23 etrad)iung fann er gerabeju al§ bte fyör/ere
unb genügenbere Bejeidmen (@2l 11, 324). §ier fommt jum Slusbrud, bafj ©ott tatest
10 foWoBl ber ©mbfänger ber Seiftung ©fyrifti ift, fonbern i^r SSeranfialter unb ©tifter.
Sringt man biefe 2lnfcb/attung Don ber Verfolgung auf einen lurjen 2lu§brud, fo lann
man fagen: Sutl)er orbnet ©otte§ Siebe feiner ©erecfytigleit über, er Befaßt ©I)rifti 2Birfen
unb Seiben unter ben etBifdBen ©eficfytSbunr't bes> ©eBorfamS unb ber SiebeSübung. ©r
berftefyt bas> Seiben im Unterfdjieb bon Slnfelm als Wirllicfye Übernahme ber ©träfe unb
15 biefe gehört i£)m jur boßgiliigen gorm ber SBerfblmimg, aBer fie ift bod; nur ein 9)coment.
in biefer Veranftaltung ber göttlichen Siebe.
®ie erfte fbjtematifdje 2lusfüBrung ber 33erföb,nungSleB,re auf broteftanitfdjiem Soben
enthält bie Institutio GalbinS. ©ie Wenbet juerft baS bon ©ufeBiuS ($© 1, 3) ange=
beutete ©d)cma bes> breifad;en SlmtS auf baS 2Ber! ©Brifti an, olme bod; in ber ©injel=
i'o auefüBrung babon maßgebenben ©ebraueb, ju machen. ^M^ if1 an ©albinS 2)ar=
fießung bemerkenswert, bafj er jeben ©ebanfen an eine Umftimmung ©otteS bom 3om
$ur ©nabe fernhält, ber ja aueb, fcfyon burd) feine gaffung ber Vräbeftinatton auSgefcfyloffen
Wirb. ©otteS Siebe ift nid)t ©rfolg, fonbern ©runb ber Verföfmung. ©Brifti gefd)id;t=
Itcr/eS SBerf B)at feine Vebeutung barin, bafj e£ ein §>inberni§ für bie ©rWeifung ber
25 göttlichen Siebe befeitigt. ©3 befielt in feinem ©efyorfam üBerfyaubt, bod; fo, baß feinem
freiwilligen Seiben unb ©terBen, in bem fid) jener boßenbet, eine Befonbere ^eilSBebeutung
jufommt. ©ein Stob erWeift ftd; burd; bie befonberen llmfiänbe, unter benen er erfolgt
(bie gericf/ilicBe Verurteilung beS Unfd;ulbigen, baS iiylud^olj be§ Sfre^eS u. a.) all ein
fragen ber ©träfe unb beS glucp unferer ©ünbe. ©r ift barum bie satisfactio, bie
so mir ber richterlichen ©ered;tigfcit ©otteS fd)ulben. $Daju lommt bie innerliche ©erid;t3=
erfafyrung, bie ber ÜRuf ber Verlaffenfyeit Bezeugt unb auf bie ©albin aueb, ben des-
census ad inferos beutet. ©leid)rooBl ift ß^riftu^ nid)t ©egenftanb eine^ ib,m gclten=
ben roirflid;en 3orneg getoefen; er Ba^ nur omnia irati et punientis Dei signa
erfahren (II, 16, 11); fein ©ulben ift barum ein Seiben um frember ©ünbe willen,
it.-, nicb,t 3Drne®ftrafe m bollen ©inn. ®ie grudjt be€ %ob?§ ©B,rifti ift unfere So^fbrec^ung
bom glucB, bie ^Befreiung bon %ob unb ©ünbenmadjt. ®ie Uluferftel)ung madjit ben ^eilstoert
feines Stobeg erfennBar unb ergänzt ib,n burd; bie 9JcitteiIung be§ neuen Sebenö. 33on einem
Serbienft 6B,rifti barf unb mu| in bem ©inne gefbroeben Werben, ba§ eS bem ©nabenWtllen
©otteS nid;t entgegengefe^t, fonbern untergeorbnet Wirb, ©ott felbft ift ber ©tifter ber
40 SerföBnung, aber ©fyrifti SBcrbtenft ift baä unerläßliche Mittel für unfere ©d;ulbbefreiung
unb 33efeligung (II, 17). ^roblematifcB, bleibt in biefer Äonftruftion, bie fieb, burd) il)re
©efd;loffenBeit auszeichnet, bor allem bie 23ereinBarfeit ber ewigen ©rWäBJung ber ©injelnen
mit ber greiwilligleit unb Söirlfamfeit beS gefcfoid)tlicben SBerf'S ©Brifti, foWte ber ©traf=
d)aralter feine« Xobe§, Wenn bod; an einen SBiUen ©otteö, ifm ju ftrafen, nid^t gebaut
t5 Werben fotl.
%üx bie SluSgeftaltung bcS ®ogma§ auf lutf) erifd) er ©eite Würben bie Slufftellungen
2lnbreaS DfianberS bon Sebeutung. 2Bä'Brenb man Bisher baS gefdjid^tlidje 2Ser! ber
Sjerföf)nung unb feine Aneignung an ben ©injelnen in ber 9}ed)tfertigung nid) t ju trennen
bflegte, forbert er beren genaue llnterfd;eibung. ®er Mittler berB,anbelt mit Beiben
5o Parteien gefonbert ; feine VerB,anblung mit ©ott ift bie redemtio ober propitiatio,
fein §anbeln mit ben 9Jcenfcb,en bie justificatio. SBeibe lönnen nid)t jufammenfaHen,
benn bie SSerföBnung ift bor 1500 Safyren gefdjel^en, e^e bie ©B,riftenBeit ber ©egenwart
leBte, bie Rechtfertigung lann nur an bem gefeiten, ber glaubt, alfo aU ^nbibibuum
ej,iftiert. ®ie SSerföBnung Bat ©Briftu§ boHbracB,t, inbem er bie ©träfe trug, bie Wir
55 nacb, göttlichem 9iecbt ju leiben Blatten (oboedientia passiva), unb gleid)faߧ mit fteK=
bertretenber Söirlung burcB feine unenblicfye Siebe ba§ ©efe^ erfüllte (oboedientia activa).
S)amit bat er Bei ©ott bie Sereitfdjaft Begrünbet, benen ^u bergeBen, bie an i&n glauBen.
©o ift für baS aSerBältniS ber ©läuBigen ju ©ott ein neuer ©runb gelegt Worben unb
er gilt aud) für biejenigen, bie noeb. niebt geboren finb. ®ie RecBtfertigung bagegen Wirft
60 ßb,riftu3 an ben ©meinen, inbem er bureb, 33ermittelung be§ glaubenwedenben äußeren
SBerfityrntug 565
2Bertg al§ bag innere 2Bort in ifmen 2öofmung mafyt (Von bem einigen Mittler, ^efu
(5E>riftD 1551.) Söäfyrenb Dftanberg Nedjtfertigungglefyre lebhaft befämbft Würbe, fjat
feine Untertreibung bon Verfolgung unb Necf/tfertigung bie fünftige Scbjentwicfelung nad)=
b,altig beftimmt, if>r freiließ aueb, bie Aufgabe gefteHt, toon ber berechtigten begrifflichen
llnterfcfyeibung ju ber toon il)m felbft berfäumten lebenbigen Verfnübfung biefer beiben 5
©röfjen fortzugeben.
Vebenfen erregte fd)on frühzeitig bie ftellbertretenbe Vebeutung beg aftiben ©eb,or=
famg. ©eorg ßarg fanb eg Wiberfbrucr/gboll, bafj gleichzeitig bie ©rfüllung beg ©efetjeg
geleiftet unb feine Nichterfüllung beftraft Werbe. @r beforgte überbieg nachteilige ftttlicbe
folgen, fofern man aug ber ©tellbertretung 6l)rifti in ber Erfüllung beg ©efetseg bie in
eigene ©ntbinbung t>on biefer Vflicfyt folgern f'önnte. SDie F. C. ftellt begfyalb bie firdtlicfye
Slnfcfyauung bafnn feft, bafj allerbingg ber ganze ©efyorfam 6t;riftt, ben er agendo et
patiendo, in vita et morte sua geleiftet, ung ^ur ©ered)tigfeit gerechnet Werbe, ©ie
begrünbet ben fiellbertretenben Söert beg aftiben ©efyorfamg nod) fbeziell buref) ben ©e=
banfen, bafj ber ©ottmenfeb, für fieb, felbft zur ©efe^egerfüllung nicfjt berbflid>tet War 15
(R. 684 f.). @ine parallele baju bilbet in ber reformierten Äircfye bag auftreten ^ob,ann
$igcatorg unb bie — freiließ biel fbätere — fircfylicfye ©ntfdjeibung in ber Form. Cons.
Helvet.
®ie Iuir)erifd;e ^trdjenler/re bon ber Verfolgung ift bureb, bie Vefenntnigfcbriften
felbft nur in einigen §aubtbunften feftgelegt. SDie 2luggb. ^onf. fagt, bafj ßfyriftug 20
fid) felbft jum Dbfer für bie Sünbe gegeben unb babureb, ben Sßater berföfynt b,at (a. 3)
unb unmittelbar barauf, bafj er burd) feinen Stob für unfere ©ünben genug getf/an r/at (a. 4).
Die Slbologie beftimmt bieg näfyer alg fünblofeg fragen ber ©ünbenftrafe R. 93. 190
unb nennt ßfyrifti Stob ein Dbfer zur ©tillung bes göttlichen gomeg R. 254. 2lucb, ber
©r. $at. fbridjt bon ber ©tillung ber llngnabe beg zu*nenben ©otteg unb ber 6r= 25
Werbung feiner ©unft R. 494. SDie F. C. enblicb, bezeichnet Gfyrifti ©efyorfam im Stfmn
unb Setben (685) alg bie boHfommenfte ©enugtfyuung unb ©üfme %ux Vefriebigung ber
ewigen unb unwanbelbaren göttlichen ©eredjtigfeit R. 696. SDie aufgeführte Seljre ber
Dogmatifer befyanbelt bie Verföb/nung im Nahmen bei breifadjen 2Imteg (S^rifti alg feine
briefterlidje gunftion. SDag brobfyetifd)e 2lmt bient teilg ber Vorbereitung teilg ber SDeu= 30
tung unb Verfünbigung beg ^eilgWerfg, bag föniglicfye bezeichnet feinen bleibenben ©rtrag,
obWobl eg nicfyt immer tnnerbalb ber ©renzen beg §eilgWerfg entwicfelt wirb. SDer briefter=
licfye Veruf begreift in fieb, Dbfer unb gürbitte; bem entfprecfyenb gelten satisfactio unb
intercessio alg bie beiben SEetle beg munus sacerdotale. SDte satisfactio fällt ganz
in ben ©tanb ber ©rniebrtgung, fie bilbet ja beren eigentlichen fttozä, bie intercessio 35
reicht hinüber in ben ©tanb ber @rb,ör)ung. Vergebung ob,ne ©atigfaftion mürbe ber
©erecfytigfeit unb 9Bab,rb,aftigfeit ©otteg roiberfbrecb,en, ber ein ©efe^ gegeben unb beffen
Übertretung mit ©träfe bebrob.t b,at. SDie fomit unumgängliche ©atigfaftion mufe aber
unenblicb, fein, toeil bie ©ünbe gegen ©otteg SJcajeftät gerichtet ift. %üx ben ÜJcenfcfjen
ift fie barum unerfc^minglicb,; nur 61)riftug, ber göttliche unb menf$Iic6;e Natur ber= 40
binbet, !ann fie leiften. SDabei !ommen zwar zunäefeft 2lfte unb .ßuftänbe feiner menfc^=
liefen Natur in Vetrac^t; aber bie göttliche ift an ib^nen in ber i^r zu^ommenben 2Beife
mit beteiligt (genus apotelesmaticum ber communicatio idiomatum) unb fie be=
ftimmt ben ffiert berfelben. SDie ©atigfaftion erforbert nämlicb, ein ®obbelteg: 1. @r=
füllung ber ©efe^egforberung, oboedientia activa unb 2. Verbü^ung ber gefe|Iicb,en 45
©träfe, oboedientia passiva. Veibe formen beg ©eb,orfamg finb gleichzeitig zu ben!en,
ba ßljrifti Seiben mit feinem (Sintritt in menfdjlidje Niebrigleit beginnt; bod) fällt auf
ben Xob ein befonbereg ©etoicb,t. Seibe finb fteßbertretenb in bem ©inn, bafe 6b,riftug
für fid) zu ibrer Seiftung nietjt berbflicb,tet War. Vermöge feiner ©ottf>eit ftanb er niebt
unter, fonbern über bem ©efe£ unb bermöge feiner ©ünblofigfeit brauchte er feinen glucb, nieb^t 60
Zu tragen. SDarum fonnte er in beiben an unfere ©teHe treten, üftit biefem bobbelten
©eb,orfam ift bie ©enugtb,uung im ftrengften unb genaueren ©inn geleiftet; eg bebarf
feiner Nacb.fidjt ©otteg mit irgenb einem Mangel berfelben. Neben ber satisfatio fteb,t
bie satispassio. 2Bollte man bie älquibalenz ber lederen mit ber ewigen ©träfe, bie
ber ©ünbe gebührt, Wegen ber Stuferftermng Gfyrifti am britten 2ag beftreiten, fo ift zu tr,
entgegnen, bafe bie ©ottb,eit 6b,rtfti ben Sßert beg bon feiner menfd>Iict)en Natur bergoffenen
Slutg zu einem unenblicb,en macb,t. 2luf bie geleiftete ©atigfaftion grünbet ftcb, 6b,rifti
Serbienft. SDer Vegriff beg meritum erfcb,eint in ber altbroteftantifcfjen ©ogmatif meift
ntdt)t Wie in ber mittelalterlichen alg Voraugfe^ung, fonbern alg Ertrag ber ©atigfaftion.
Die genugtb,uenbe Seiftung ßb,rifti ift bie ©runblage feiner fortgeb,enben Qnterceffion. co
566 2krföl)tmng
©iefe Bat jWar fcfyon auf @rben begonnen in ^efu gürbitte für feine geinbe, fie ift aber
bocb, t>orjug3Weife ber ^jnfyalt be3 bjmmlifdjen ^rteftertumJ be§ @rl)öfyten. gürbittenb
beim 33ater Wenbet er ben einzelnen 9Renfcf)en fein 33erbienft ju. ©ie alte Dogmatil
Will babei nicf)t bloß an bie fortwirfenbe ^raft be§ gefcfyicfytlicfyen $eil§Werf<8 gebaut
5 Wiffen, fie betreibt bie intercessio au^brüctlicr; al3 eine berf online g-unftion be§;JJcittIer§.
©er broteftantifct)en ^olemil bient bie 23erWeifung auf fie al§ entfcfyeibenbe<3 Argument
gegen bie 2lnrufung ber ^eiligen, ©urdb, biefe Sitte be€ fyofyebrtefterlicfyen 2Imte§ ift bie
33erfölmung ber 3Belt boHgogen. ©ie ©träfe ift gebüßt, ©otte§ ßoxn ift abgeWenbet,
Vergebung unb eWige§ Seben finb für alle erworben. @3 bebarf barum nur be<§ ©laubemS,
10 um in ben 33efi| biefer ^eüSgüter einzutreten (borjug^toeife nacfy Buenftebt, Theol.
dicl.-polem.).
©a§ bleibenb SBertbolle biefer bogmatifdjen ^onftrultion liegt in bem 33eftreben,
ben Xroft ber ©ünbenbergebung fo in Gfyrifti Söerf gu begrünben, baß er mit bem
ernfteften Urteil be§ ©eWiffenö über ©otte§ ©egenfatj gegen bie ©ünbe gufammenbeftefyt.
15 ©ie 3tnfelmfdje SLfyeorie ift barin fortgebilbct, baß neben bem Seiben Gfyrifti aud) fein
§anbeln in ba§ SkrfölmunggWerf mit aufgenommen unb bie ©atigfaftion nicfyt auf
©oites> @I)re, fonbern auf feine fittlidje §eiligfeit unb gerechte SÜßeltorbnung belogen Wirb,
^nbem bie altbroteftantifcf/e ©ogmatif nun aber ben 93oHgug ber ©träfe in bie genug=
t^uenbe Seiftung einrennet, gerät fie auf bie 23al)n einer juufüfcfyen S3etra^)tung, meldte
20 bie biblifcr)en ©ebanlen berlürgt unb bei bem 93erfudj einer fonfequenten ©urcfyfüfyrung
in unlösbare ©d)WierigMten berWiclelt. ©ie faßt bie ©ered)tig!eit ©otteg einfeitig als
2lu§füb,rung eines S^ec^tgftatutg, ibentifijiert bie ©nabeninfiüution beS D^fex§ mit ber
gerichtlichen ©träfe unb erreicht f o nur auf Umwegen ben ©ebanfen ber in Gfyrifti $eil3=
tob offenbaren Siebe ©otteS. ©ie bermag ben fteffberiretenben Söert be§ altiben ©eI)or=
25 famS 6I)rifti, nur burd) bie unbiblifcf/e 2lnna£>me feiner ejemten ©teHung gegenüber bem
©efeij, bie Stquibalens feines %obe§ mit ber ewigen 33erbammni3 aller nur tunftltcb, unb
Wenig überjeugenb ju begrünben. Slm Wenigfien aber gelingt e§ ib,r, jWifd)en ber al<§
33erföb,nung ©otteS berftanbenen §eil3ftiftung unb ber religiö§=fittlicf)en (Erneuerung ber
9Jcenfcr/f)eii eine innere 33erbinbung fyerjufteKen.
30 7. 9cod) efye bie Iird)Iicr/e Sefyre ifyre bolle 2lu3bilbung erreicht ^atte, mar eine 33e=
ftreitung ifyrer ©runbgebanlen auf ben ©d)aubla| getreten, ©ie im ©ociniani3mu«S ber=
förderte rationaliftifcfye Sluffaffung beg (EfmftentumS lenlt im ©runbe ganj in bie Sahnen
ber elementaren gried)ifcr/en ©rlbfungSlefyre jurüc!. ©aS Sebeutfame in $efu gefcfyicfytlicfyer
©rfd)einung, bie fiel) nur burd) ©ünblofigleit unb gemiffe elftatifc^e @rlebniffe über ba3
35 allgemeine 9Jienfcf)enma^ ergebt, ift nicfyt fein ^£ob, fonbern feine Sefyrroirffamfeit unb
feine 3luferftel)ung. ©a3 ^riefterlic^e 2lmt finlt ju einem leeren %\td b,erab. ßb,riftu§
offenbart ©otte§ ^eilgratfd^lu^, ber im ©runbe nur ein neuer ©efetjeäbunb ift, unb be=
fiegelt i^n burcl) fein fünblofeS Seben, feine Söunber unb feinen SEob. @ine ©atigfaition
ift nicf)t notoenbig, ba ©ott jeber^eit bie greib,eit b,at, bie ©ünbe ungeftraft ju laffen.
40 9Jtan barf bielmeb,r mit gutem biblifc£)em ©runb beb,au^ten, ba| ©ott bußfertigen 9Jienfct)ert
ofjne ©ati§fa!tion üerjeifyt. ga ob,ne biefe 2lnnab,me Verlieren bie 2Borte Sarm^erjtgfett
unb ©ünbenbergebung allen ©inn; benn fein SJiecfyt einforbern ift lein ©rbarmen unb
eine ©cfyulb, bie beja^It ift, fann nicfyt mel)r erlaffen werben, ©ie behauptete ©ati§faf=
tion ift aber aueb, unmöglid), Weil buret) bie 33eftrafung eine§ Unfc^ulbigen bie ©erect)tig=
45 fett nic§t befriebigt mirb, ©efe|e^erfüllung unb ©träfe nicfyt ju gleicher 3ett geforbert
fein lönnen unb ©teEbertretung bei berfönlic^en ©trafen toie bei fittlid^en 33erbflidjtungen
unftattb,aft ift. 6f)riftug ^at tfyatfäcfilicr; auef) gar nid)t geleiftet, toa§ er nad^ biefer
2;b,eorie i)ätte leiften muffen, ©ein iob ift Weber ber ewige, noct) ber^ob atter geWefen
unb bie göttliche ^Katur lonnte feinem Seiben nidjtö b,in^ufügen, ba fie ja nid)t in ba§
50 Seiben eingebt, ß^rifti altiber ©eb,orfam aber War für ifm felbft pflia^tmäßig, lonnte
alfo leinen Überfcfmfs für anbere ergeben, ©djliepd) Wirb ber 33orWurf erhoben, bie
©atföfaItion§lel)re gefä^rbe bie SJtoral, fofern fie bie aSerbinblicfyfeit ju einem frommen
unb recfytfcfyaffenen SBanbel auffjebe ober boeb, abfcfyWädje (D. %od, ©er ©ocinianilmu§ II,
615 ff.; 33aur 371 ff.; 9titfd)I I, 320 ff.), ©iefe Uritil l)ält fid? nur an bie 33egriff§=
55 form ber lürcfyenlefyre, olme ib,rem tieffinnigen ^nb.alt gerecht ju Werben, unb ber @rfa£,
ben fie für biefen bietet, ift oberfläcfylicf). Slber eine? muß man i^r boc^ jugefteb,en: in=
bem fie bie rechtlichen ©eficb,tötoun!te ber Äircfyenleljre in i|re ^onfequen^en berfolgt, geigt
fie in ber %fyat beren ttnburcb,füb,rbarleit.
2Bäf)renb bie lircb,Iicf)en ©ogmatiler fic^ meift auf eine biblifcb, motibierte 2lbWeb,r
60 biefer ©inWänbe befcb.ränlten, b,at fieb, §ugo ©rotiuS um eine gufammenb^ängenbe 3ted)t=
»erfiUjmtttg 567
fertigung bei SDogmai Bemüht. 2Bai er bertetbtgt, ift freilief) eine bort ber $ird)enlef)re
ert)eblid) berfd)iebene ^eorte. Sor allem legt er @eWid)t barauf, bafj ©ott im SBerf
ber Serfölmung nid)t ali ber Seleibigte, aber aud) nid)t ali ber 9iid)ter gebad)t Werbe,
fonbern ali bai Dberl)aubt einer gamtüe, einer ftttlidjen ©emeinfd)aft. ©inern fo!d)en
ftet)t ei ju, fatfi bai allgemeine ^ntereffe ei erforbert, bie gefepct)e Sorfd)rift ju er= 5
mäßigen unb tnibefonbere ©trafbeftimmungen aufeer Äraft gu fetten. @r Wirb bieg aber
im ^nterefje ber Slutorität bei ©efetjei nur aui gewichtigen ©rünben unb Womöglid) fo
tt)un, bafj für bie unterbleibenbe ©efeleiboüftredung eine Äommutation eintritt. -iTcad)
biefer allgemeinen Siegel berfät)rt ©ott. @r Iä§t bie ©d)ulbigen ftrafloi, um bie 9ftenfct)=
t)eit nid)t ju »ernteten, unb läfjt äugleid) eine ^ombenfation eintreten. @r überträgt 10
bie Strafe auf feinen ©ot)n, inbem er t^n um unferer ©ünben mitten bie äujjerften
dualen erbulben läfjt. ©ine fold)e Übertragung ber ©träfe ift Weber im Söiberfbrud)
mit ber ©d)rift, bie eine £>eimfud)ung ber ©ünbe aud) an retatib Unfclmlbigen fennt,
noct) mit ber allgemeinen 9ted)tianfct)auung — man benfe an bie Stellung bon ©eifeln
unb bai Serfaljren mit ifmen im %all bei Sertragibrud)i ober an bie SDejtmierung einei 15
auffiänbifd)en Dtegimenti — , noct) enblid) mit bem Segriff ber ©träfe. 3um lederen
gehört nur, bafc fie ein auf ©runb bon Übertretung bert)ängtei Übel ift. 6t}rifti @in=
treten an unfere ©teile Wirb burd) bie mystica conjunetio ermöglicht, bie jWifct)en
it)m unb uni beftef)t. ©ein Seiben unb ©terben ift fo ali insigne exemplum severi-
tatis Dei ju berftet)en, bai ©ott im ^ttf^ffe ber ©emeinfd)aftiorbnung ftatuiert. @ine 20
älquibalenj ber ©träfe, bie Wir berbient b,aben, unb berjenigen, bie 6f)riftui erleibet, ift
nict)t erforberltct) ; Wie bai ©ubjeft, fo fann aud) bai Dbjeft ber Seiftung bertaufd)t
iüerben; bann tritt ber %aü ein, bafj non solum alius solvit sed etiam aliud.
SDai ift bann satisfactio anftatt ber im ©efe| gunäct)ft borgefet)enen solutio. Sei
biefer 2Infd)auung bon ber ©atüfaftion bleibt bie ©ünbenbergebung boll beftet)en ; biefe 25
empfängt (bm tfjre red)tlid)e 9Jcöglid)feit burd) bai Soranget)en jener. 2)ie Slutorität
bei ©efetjei ift aufi neue befeftigt, fofern bai ©trafer.embel bon fünftigen Übertretungen
abfd)redt. Som tätigen ©et)orfam 6t)rifti ift nur gelegentlid) bie Rebe, für bie eigent=
Itd>e ©atiifaftion fommt er nid)t in Setrad)t (Defensio fidei cathol. de satisf. Chr.
1617, ed. $oad). Sänge 1730). Son ber $ird)enlet)re entfernt fiel) biefe £t)eorie bor 30
aEem barin, bafc in it)r bie ©atüfaftion nid)t in ©ottei 3Befen begrünbet unb notWenbig,
fonbern aui bem fttotü ber ©emeinfd)aft abgeleitet unb barum aud) nur gWedmäjjig ift.
2)amit t)ängt bai SBettere jufammen, bafj fie fielt) nid)t auf bie begangenen ©ünben,
fonbern auf bie Serf)ütung !ünftiger begießt. Sie eigentlichen ©d)wierigleiten ber ©atii=
faftionilefyre Werben aber aud) burd) biefe t)albe $orreftur nid)t befeittgt. $Der Slnfto^ 35
ber ©trafübertragung bleibt befielen unb ein gemilberte§ Sfteetjtsiberfafyren ift nod) Weniger
geeignet, ba<§ fittlid)e SBeltregiment ©otte§ gu rebräfentieren aU bie ftrenge ®urd)füt)rung
be§ ©efe^e§. ^Dagegen barf e§ al§ ein £id)tbunft ber ©rotiu§fd)en 5l|eorie be^eid)net
roerben, bafe er bie Sluffaffung ©otte§ unter bem ©d)ema bei 9f{id)terg für ungulänglid)
erflärt. ©amit lenlt er juin bibltfd)en Segriff ber ©erect)tigfeit jurüd, Wenn er aud) 40
bie Äonfcquenjen biefeS ©d)rittg nidt)t berfolgt.
©in neuer ©egner entftanb-ber ^ird)enlet)re in ber 2lufflärung bei 18. ^at)rt)unbert§.
$t)r Dtotimi3mu3 lehnte bie d)riftlid)e ©d)ä|ung ber ©ünbe ab unb meinte einen biel
rationelleren 2Beg gu ber getroften ©timmung px Wiffen, Weld)e bie Reformatoren au§
bem Serföt)nung§glauben gefd)öbft t)atten. 3$r erfter Angriff galt bem julet^t feftgefteHten va
$unft be§ 'Dogmas, bem tt)ätigen ©et)orfam 6t)rifti. Zöllner erllärt feinen ftellbertretem
ben 2öert für unmöglid), ba 6t;riftu§ ©ubjeft bei ©efjorfami nur al§ 9Jeenfd) fein fonnte,
al§ fold)er aber ju allen it)m möglichen guten ^anblungen berbflid)tet War, alfo nid)t
erfet^en fonnte, Wa§ anbere berfäumten. Die 2tnnat)me einei aftiben ©e|orfam§ cd§
berföbnenber Seiftung ift aber aud) auf jWet ©rünben entbet)rlid) : einmal, Weil ber 60
leibenbe ©et)orfam, Wenn er un§ bon Übeln befreit, aud) im ftanbe ift, bie it)nen ent=
gegengefe^ten ©üter b. t). bie ©eligfeit $u bermitteln unb fobann, Weil ©ott nid)t met)r
bon uni forbert, al§ Wir leiften fönnen, mitt)in aud) einen unbollfommenen, aber auf=
richtigen ©et)orfam gelten läfet. §infid)tlid) bei allein noct) übrig bleibenben leibenben
©et)orfam§ 6t)rifti folgt SLöKner ber 2:t)eorie bei ©rotiui, inbem er annimmt, bafj aud) 55
bie an einem anberen boll^ogene ©träfe abfd)redenb unb moralifd) beffernb Wirfen fönne
(Unterfud)ungen üb. b. tfätigen ©eb,orfam 6t)r. 1768). Sin bie ©teile bei biblifd)cn
Segriffi ber göttlichen Siebe unb ©erecfytigfeit tritt t)ier ein SOiittlerei jWifd)en beiben, bie
Siffigfeit, bie mit unboQfommenen Seiftungen sJiad)ftd)t t)at unb fid) begnügt, bon ben
fittlidjen gorberungen Wenigftens einiget burd)jufet)en. Sei biefem ©otteibegriff mufjte 00
568 Scrfö^nmtg
aber früher ober fbäter auefe, ber nod) befeaubtete leibenbe ©efyorfam ßfyrifti feine 9?ot=
Wenbigfeit unb feinen £>alt berlieren. ©er fbäteren Slufflärung Wirb benn aud) bie 93er=
föimungglefyre immer unberftänblicfeer. ©teinbart berficfeert, ifer feinen mit ber menfcfelicfeen
©ittlicfefeit ober ©lücffeligfeit Vereinbaren ©inn abgewinnen $u fönnen. ®ie tofytyftfcfyen
5 folgen unferer ^janblungen fönnen nicfet aufgehoben Werben unb t^re moralifcfee 9lüdE=
Wirfung auf unfer ©elbftgefüfyl ift nur r)eilfam. 2öa§ Gferiftuä um§ burcfe, fein 2Berf
erworben l;at, fönnte alfo nur ber (Erlafj Wißfürlicfeer ©trafen für bie©ünbe fein. 2lßein
an folcfye ju benfen ift ein jübifcfyer Saturn. 6feriftu§ feat un§ barum aud) nicfyt bon
ifenen befreit, Wofyl aber bon bem SBalm, als ob e§ fold^e geben !önnte (33aur 507 ff. ;
io Stitfcfel I, 405 f.). Söffler erflärt bie Sluffyebung ber begangenen ©dmlb für unmöglich
unb berWeift auf bie SBefferung al§ ben einzigen 2Beg, ba§ böfe ©ewiffen loa ju werben
(Säur 5 1 5 ff . ; StitfcfeJ I, 408f.). 2Iber aucfy ber ©ubranaiuralilmug Wagte nur einzelne
^3ofitionen ber alten Sefyre ju berteibigen, fo bie Scottoenbigfeit einer ©ünbenbergebung,
bie ber Sefferung borangebe; in ber Segrünbung biefer fam er meift nid^t über bie
15 Sfyeorie bon ©rotiuS ljinau<§ (»gl. 2trt. Tübinger ©dmle, ©. 153 f. biefe§ 33anbe§).
8. @§ ift ein Serbienft $ant§, bie 2Iufmerffamfeit Wieber auf ben tiefen ©efyalt ber
ortfyobojen 3krföfenung§Iefere gelenft gu fyaben. @r tb,at bie§ bor allem baburd), bafj er
bie unberbrücfejtcfye §eilig!eit bc§ fittlicfeen ©efe|e§ Wieber in ben ©eficfyt§frei§ rücfte unb
bon b,ter au$ %u einem ernften Segriff bon ©ünbe unb ©d^ulb fam. Söenn er e§ aud)
20 ablehnt, in bem geregten ©ottesfofen, ber für bie ©ünbe ber SJienfcb^eit genugtfyut, mebj
als ein ibealeS Silb ju fef?en, fo fyat er bodj gezeigt, Wie Weit auefe, eine SDenfWeife, ber
bie ©efcfyicfete ctl£ fold^e nichts galt, ficfe, mit ben ©runbibeen be§ 6l>riftentum§ befreunben
lonnte. ©acfylidj) bat er freiliefe, mit ber fircr/licfeen 3ßerföb,nungsle£>re nur bie S3rämiffen
gemein, bafe ber SJcenfdb, bon Statur in grunbf ablief) em ©egenfatj ju feiner fiitliefyen 33e=
25 ftimmung ftefyt unb bafe e§ bor ©ott bejto. bor jebem toaferl)aft moraIifd)en gorum auf
abfolute fittltcfee Sauterfeit anlommt. £)ie bl>iIofobf)ifd)e parallele, bie er ber $ircfyen=
Iel)re an bie ©eite ftellt, lommt auf ben rationaliftifefeen ©a£ fnnau§, bafj fid) mit bem
— freiliefe, unbegreiflichen — @ntftefe,en ber guten ©efinnung and) bie Befreiung bon
ber llnfeligfeit be£ ©cfeulbgefüfylg berbinbe (Stetig, innerfe^. ber ©renken ber bl. Sern. 3. ©tücf).
so $Die tfe,eologifcfe,en Kantianer finb entmeber mie 2;ieftrun! bem cfe,riftlid)en SDogma nod;
näfe,er gefommen, toofern fie bie ©trenge ber ßantfdjen SJioral feftfe,ielten, ober mie
©täublin ju ben relatiben SRa^ftäben ber 2lufflärung 5urüdfgeleb,rt.
gerner al§ ^ant§ moralifefee ^nt^toretation ftefe,t bem eigentlichen ©efe,alt be§ ©ogma§
§egel§ fbe!ulatibe Deutung beöfelben. ©ünbe ift nad) ib,m ba€ fd)merjlicfe,e Setoufetfein
35 be§ enblicfe,en ©eifte^ bon fetner ©nblicfyfeit. 2lber bicfc§ mürbe gar nicfe,t entfielen
lönnen, toenn ber SRenfcfe, nid)t tro^ feiner @nblid)leit ©eift wäre unb be§I)alb im ©runb
feinet 3öefen§ ein§ mit ©ott. ©a3 ©ünbenbeWufetfein ruft barum mit -föottoenbigfeit
auefe, biefe anbere ©eite be§ 2:b,atbeftanbeg xn§ SeWu^tfein. Gt§ folgt ife,m bermöge einer
inneren SDialeftif ba§ Qnnemerben ber @infe,eit mit ©ott, bie 3Serföb,nung. SferiftuS ift
40 bie gefd)icfe,tlicb,e @rfd)einung biefer etoigen 9Baf)rfe,eit; obmofe,l biefe bon feiner ^ßerfon an
fiefe, unabhängig ift, bient er baju, fie auefe, ben ftum^feren ©eifiern anfd^aulicfe ju machen,
©ein ^ob fe,at babei bie befonbere Sebeutung, bie ©emeinbe bon ber finnlicfyen ©rfci^eU
nung jur geiftigen $bee emborpfüb,ren (Sorlefungen über bie $fnl. b. Stelig. II). Stuf
biefer ©runblage fe,at nacfemal§ Siebermann baS cb,riftlicfec ®ogma entmiclelt unb bei aller
45 Semüfeung, ber ^ßerfon ßfe^rifti ein innerlicfeeg unb bleibenbeS Serb,ältni§ ju unferer @rlöfung
unb äkrföimung jujufcfe,reiben, boefe, nur ben ©ebanfen einer erlöfenben ^bee unb eines
fie beranfd;aulic|enben unb ife,re Aneignung erleid)ternben 3Sorbilbe§ erreicht (Sfe,r. 5Dogm.
II, § 815—835). 3nMfen fotl niefet geleugnet Werben, bafj ber erfte neuere ©efc^id)t§=
fd)reiber unfere€ ©ogma§, g. ßb,r. 33aur, bon ber §egelfa)en 5ßfe,iIofobfe,ie au§geb,enb bie
so auf bem ©egenfatj bon ©ünbe unb ©nabe berub,enbe innere ©ialeltil be§ ©ogrnaö
energifefe, ju Wahren bemüht ift.
9. ©ine Steugeftaltung be§ ®ogma§ unter religiöfen ©efidjtsbunften fe,at ©d)Ieiermad;er
angebahnt (bgl. S3b XVII, 605 f.). 3f* auefe, feine ©arftellung beö SßerfS 6fe,rifti Wefent=
lid; nur eine 33efefe,reibung ber (Srlöfung, Welche bie ©emeinbe erfäfert unb in beren
55 ^onfequenj auefe, ba§ Serfcfywinben ber Übel für ba^ gelräftigte ©otteSbeWufjtfein liegt,
fo enthält fie boefe, eine Steige metfeobifefe Wertboßer unb fruchtbarer ©eficfe|t§bun!te.
S^riftu§, ber Präger be§ fcfe,Iecfetfein bollfommenen ©otteäbeWufjtfeinS teilt feiner ©emeinbe
feine SoHIommenfeeit unb ©eligfeit mit. ®iefe SBirfung ift niefet an befonbere SJJomente
feinet £eben§ gelnübft, fie berufet auf bem allezeit gleiten ©efealt feiner ^erfon. Qeber
co SJioment, in bem bie fcfelec^tfe,inige Kraft feinet ©ottesbeWu^tfein§ feerbortritt unb be=
SScrfityttung 569
fcfyämenb unb anrcgenb auf anbere Wirft, gehört mit §u feinem (Möferbcruf. Man barf
barum aud) bon feinem Seiben unb %ob nidjt befonbere Söirfungen ableiten, bie nur bon
il)nen Ratten ausgeben fönncn. -Jcur infofern ift ßfyrifti Seiben bem ©lauben bon be=
fonberem äöert, als fidb, in ifym beutlid^er cd§ fonft irgenbWo bie ©tärfe feiner ©eligfeit
unb beren ©runb, bie $raft feinet ©otteeibeWuJ3tfein<§ offenbart, ©agegen ift ei unftatt= 5
fyaft, Weit bffydjologifcl; unwahr unb bem dmftlicfyen ©otteibegriff Wiberftreitenb, bon einer
gomeierfatirung ober ©traferbulbung be<§ leibenben (MöferS ju fprecfyen. ©eine ©mbfin--
bung gegenüber ber ©ünbe fonnte nur bie bei -äJiitgefübli unb fein S3ert)ältnti ju ben
©trafübeln nur bai ifyrer 2Segnafyme fein. Übertäubt Will IJefu Seiben nicbt ali ?ßaffi=
toität, fonbern al§ aftibei Strogen unb ÜberWinben berftanben fein. Sefonberei ©eWicfyt 10
legt aber ©d)Ietermad>er barauf, baj? Wir uni Gfyrifti erlöfenbe Stbätigfeit als! Wirffam
auf bie ©emeinbe benfen. ©ein ©ef>orfam ift erlöfenb nur, fofern er ttjaterjeugenb Wirb
in uni (§ 100, 1) unb feine ©eligfeit ift berfölmenb nur, fofern fie un£ befähigt, in
feine ©teUung ju ben Übeln mit einzutreten. ©0 ift ßbjiftui ba£ §aubt einer neuen
9)cenfd)beit, ber berfönlidje Mittler ber ©inWolmung ©oitei in if?r. 93etradf>tet man bie 1.-,
gefa)id)tlicf;e Söanblung, bie er herbeiführt, sub specieaeternitatis, fo fann man fagen,
bafe ©ott bie ©emeinbe (bie aber guletst bie gange SJJenfd^^eit umfaffen fotl), nur in il)m
ftebt unb il)r um beiWillen bie Stellung einräumt, bie ib,rem Raubte pfommt (§ 104, 3).
®iei allei aber ift für uni erfaßbar nur in ber §orm bei gefd)id)tlid)en ^rojeffei, ber
bie ©emeinbe in Sfmfii ©otteibeWufjtfem btneinWad)fen läfet (($t>r. ©laube § 100—105). 20
9Jcan wirb an biefer 2luffaffung bielei bermiffen, bor altem, ba| fie bie SSerföfmung hinter
bie ©rlöfung gurücfftettt, fie auf bie Übel ber 9BeIt begießt unb bamit bai entfdjeibenbe
©etoicf)t ber ©ünbenbergebung berfennt, weiter, bafj ei il)r nicfyt gelingt, ben neutefta=
mentlidjen ©ebanfen über ben ^eiliWert bei S£obei ^efu geregt $u Werben. SBertboU
bleibt aber immer bie ftrenge dinfyeitlicbfett, mit ber ßfyrifti ^erfon unb 2öerf, SEfyun 25
unb Seiben bei ©rlöferberufi, bie gefd)idjtlid;e §eilsftiftung unb iftre f origeb, enbe Sßirfung
berfnübft Werben. SDamtt l>at ©djleiermadjer bie ifolierenbe Betrachtung ber einzelnen
©eiten bei ^eitiWerfi, bie in ber SDogmatif fyerfömmlid) War, überWunben unb jur 23e=
grünbung ber 23erföfjmungilel>re auf innere (Erfahrung unb gefd;id)tlid;e 2lnfd)auung ben
2lnftofj gegeben. 30
2Bar ©cf)Ieiermacb,er burd) Sieflerjon über bie cfyriftlicfye @rfab,rung gu feiner 3luf=
faffung gelangt, fo War ei bebeutfam, baft anbere Geologen auf bem SBeg biblifdjer
gorfdmng ju ber ©rfenninü famen, bie ©djriftfebre bon ber 23erföfynung becfe fid) nidjt
mit bem überlieferten SDognia. ©0 bat ©. 9Jcenfen mit ^Rac^brucE barauf b,ingeWiefen,
bafj bie b,I. ©cb,rift nicb,t bon einer ^erfblmung ©otte§ mit ber 2ßelt, fonbern ftetö bon 35
ber 33erföb,nung ber Söelt mit ©ott fbrecfye, bafe fie ba§ 33erföb,nung§Werf au§ ©otte§
Siebe herleite unb in 6f)rifti ©eb,orfam, ntct)t in einem ©trafleiben bollbrac^t feb,e.
(Sbenfo fyat S^ubolf ©tier mit ejegetifcben ©rünben ben ©trafd;arafter be§ Seiben€ ßb.rifti
beftritten. 3- *£• See! Will jWar ein-JRecbtsberfa^ren ©otte§ in ber ©übnung ber ©ünbe
feftijalten; er orbnet e§ aber ber göttlichen Siebe unter unb Witt jWifcfyen bem ©traf = 41 1
leiben be§ ©cb,ulbigen unb bem rettenben Siebe^Ieiben Sb,rifti unterfcb,ieben Wiffen. (3Sor=
Iefungen über bie rf^riftl. ©laubenel II, 570—589.)
Seibe Sinien, bie ftrengere ©ijftematif ©cfjleiermac^erS unb ber (Ertrag einer felbft=
ftänbigen ©djriftau§Iegung, treffen in §ofmann§ Serföb,nung§lel)re gufammen. ©ie Will
ben biblifcfjen ©ebanfengängen folgenb ba§ ^neinanber bon Siebeioffenbarung unb 45
§eiIigfeit3erWeifung im gefcfüdjtlicfyen ©ang unb Söerf be§ (Srlöferg beuten, ba§ freilieb,
leichter in ber 2lnfcb,auung al§ in ber ©brache be§ Segrip Wieberjugeben ift. ©ie
5STienfcb,b,eit ift, bureb ben ©atan jur ©ünbe berfüb,rt, ein ©egenftanb be§ göttlichen
3ome§ geworben. SDiefer Wirb al§ ein bleibenbeö, in ber nunmehr geworbenen ©eftalt
be§ 9)cenfcf)b,eitöleben§ au§gebrägteö 33erbängni§ gebaut, ba§ ber 3Kenfrf) in ber 2tu3= 50
breitung ber ©ünbe felbft, in mancherlei Übeln unb in ber 9Jiacb,tübung be§ ©atanS er=
fäb,rt. %xo§ biefem 30m beftebt aber bei ©ott ber SiebeSWille, bie 3D^enfdl)^ett ju be=
feiigen. ®iefer SBiltc ift bie fd)Iecb,tbin übergeorbnete äsorau§fe|ung ber gefcb,icbtlicb,en
SSerföbnung. ®a§ SBerf ber rettenben Siebe beginnt mit ber 3Dienfcb,Werbung bei ©ob,nei.
-Durd; fie entftef)t in ber 9Jienfd)beit c<» berfönlicbei Seben, an bem fid) ©ottei Siebei= ».
gemeinfcb,aft berwirflicb,en fann. SDamit ift innerhalb ber abamitifeben sDcenfcbbeit ein
neuer Slnfang gefegt. 3ur (Srftredung biefer Siebeigemeinfcbaft auf baö 9Jtenfd;en=
gefcb,Iecbt fann e<§ aber nur fommen burd) baö SBerf bei §eilimittlcx§. @i bebarf baju
ber Söfung eineö bobbelten 9Biberfbrud)ä; ©otteö ^orn mu| fieb, auiWirfen, obne bie
njcenfdjb^eit ju bernidjten unb fein ©efe^ mufj erfüllt Werben tro| ber bie 'DJienfcf^eit bc
570 Sßerföfyttmtg
fitedjitenben ©ünbe. SBeibeg leiftet Sf>riftu§ in feinem Serufggelwrfam. 3ni:,em er W
inmitten ber abamttifcfyen SJtenfdjifyeit nidjt nur bon ©ünbe rein erfyält, fonbern audj be=
rufgmäfjige ©egenWirfung gegen bie ©ünbe übt, tritt er in ©egenfa| $u feinem 93oI£,
Wirb bon il)m berWorfen unb getötet. ©iefeS Seiben, bas> xfyn in feinem 33eruf trifft, ift
5 gefcbjcbjlidj angefef>en ein SöiberfafyrmS, if>m cmgeifmn bon ber geinbfcfyaft ber Söelt.
©er gefcbjd)tlic|e Verlauf entfbricfyt aber einer göttlichen ÜRotWenbigfeit. SDie geinbfdjaft
ber 2Belt, in le^ter Sinie ber §afj be§ ©atan§ ift bie gefcfyidjtlidje SBermittelung be§ gött=
liefen 3orn3, bem er fieb, mit feinem (Eintritt in bie 9Kenfcb,b,eit unterbeut |at. Db,ne
bie ©rbulbung be§ Slufeerften, toag bie ©otte§feinbfcl)aft iljm antb,un lonnte, tonnte ber
10 auf ber 9J{enfcb^eit laftenbe 3orn ni$t äum @n^e kommen. £)abei ift aber eine sWetfacfye
©eftalt be3 göttlichen ßornS %u unterfcfjeiben. @r gilt anberä ben ©ünbern, bie pim
#eü beftimmt finb, anberS benen, bie ©otteg §eil§Werf berWerfen. ®er 3orn, i>en
(5fyriftu3 erfährt, lann nur ber gorn im erften ©inne fein, ©ein Seiben ift nicfyt bie
Übernahme ber ©träfe, meiere bie fünbige SSftenfcb^eit fyäiie erleiben muffen, fein Slob b,at
15 mit ber 33erbammni<8 nicf)t<§ ju tfyun. ©ein ÜRuf ber 3Serlaffenb,eit fagt nicfyt, bafj tl>m
ber Sater feine ©emeinfcjjaft, nur baft er il)m feine bjlfreiclje 5Rä^e entjiefyt. SDer ©ob,n
ift alfo nidjit ©egenfianb ber ftrafenben ©erecfytigteit be§ 3Sater§. SDa§ £eiI§Werf ift biel=
mefyr auf jebem ^uült gemeinfame %fyat be3 3Sater^ unb be3 ©ofmeS §ur 23erWirJiid)ung
be§ bie ©ünbe l>affenben göttlichen Siebe§miEen3. $Darum fbridjt man richtiger bon
20 einem ©rbulben ber ©ünbenfolgen, ba§ Vermöge ber $reil)eit, mit ber ftdj 3efu§ ib,m
unterteilt, jur ©üfjme, jur ©utmacfyung Wirb. Vermöge biefer 3lltibität bilbet ba§
Seiben be§ £>etl3mittler§ jugleic^ ben Slbfcbjufs feine§ fiufenmäfjig fortfdjreitenben ©efyor=
fam3, ber mit ber SRenfc^toerbung beginnenb ben 2BiKen ©otteiS erfüllt unb fo bem
9JcenfcijengefcfyIecl)t ©erecfytigfeit erwirbt. S3on fteßbertretenber Seiftung babei ju reben, ift
25 unangemeffen, ba ßfyriftuS nieb, t ein anberer ift neben ber Sftenfcfyfyeit, fonbern ber jWeite 2tbam,
ib,r ©lieb unb Don ©ott beftimmte§ £>aubt. ©o befcfyafft fiel) ©ott burdj bie 5ftenfc^=
Werbung be§ ©ob,ne§ bie 2ftöglic§!eit, feinen §afi gegen bie ©ünbe ju erWeifen unb bodj»
jugleicb, Siebe gegen bie 2Renfcf)I)eit gu bleiben. $Da§ 3SerI)ältm3 be§ 3Sater§ jum ©olm
ift ein SSerfyältniS ©otte€ ju ber im ©oI)n neu beginnenben SRenfcfyljeit geworben, baö
30 nicb,t meb,r bureb, bie ©ünbe, fonbern bureb, bie ©erecb,tigfeit beö ©ob,neg beftimmt ift.
2öer an ben §eil§mittler glaubt, ben fieb,t ©ott al§ ©lieb ber 3)tenfcl)^eit an, bie an
6l>riftu§ bie ©ü^nung if)rer ©ünbe unb ib,re ©erec^tig!eit fyat. (5ßgl. ©cb.riftbeweig unb
©c^ulfc^riften.)
$I)r unberlennbarer biblifcf)er ©eb,alt unb fittücfyer @rnft b,at biefe Seb,re nicfyt »or
35 lebhafter Seftreitung gefd)ü^t. (Sie Sitteratur fieb,e bei SBeber unb Senfoto.)it S^re
2lbmeic^ung bon ber bogmatifc^en "^rabition ^at £>ofmann nic§t berl^e^It, i^re Überein=
ftimmung mit ber ©runblefyre ber Deformation unb mit bem religiöfen ©eljalt be§ S3e=
Ienntniffe§ mit Decfyt beraubtet. Qb,r §aubtberbienft liegt barin, bafj fie bie fruchtbaren
©ebanlen ©cbJeiermacfyer'S bewahrt, fie in ben ^ufanim.enfyang einer h)ir!lic^en SBer=
40 föfmungSlebje einfteHt unb mit reifem biblifc^em ©eb^alt erfüllt. Über u)re innere ©e=
fc^loffenf)eit wirb man nicf)t ebenfo günftig urteilen fömten. ©ie Umfe|ung be§ gott=
fernblieben §affe§, ben 6b,riftu§ erfährt, in ben 3^™ ©otte§ über bie ©ünbe ift eine
gewagte 3Sertaufc|ung, bie nid)t überzeugt. Unb bafj e§ nicf)t angebe, bie (Srbulbung be§
göttlichen 3om^ nacljbrücüicl) ju beraubten, aber ba§ ©rleiben ber ©träfe bureb, 6I)riftu3
45 ju beftreiten, fjaben feb^on feine jeitgenöfftfeb^en ©egner (3. 33. granj $DeIH$f$) geltenb ge=
mac^t. @g War barum nur fonfequent, Wenn granf, ber auf §ofmannfcb,en ©runblagen
Weiterbaut, bie ©rbulbung be§ göttlichen ©trafberfyängniffe§ ober be§ ©efe^eöfluc^S in
feine ^fyeorie Wieber aufnahm, Wä^renb er aßerbings> mit öofinann bie Qbentität ber bon
Sl>riftu§ erbulbeten ©träfe mit ber 33erbammni§ftrafe al§ ein „fcfyriftlofeä Stb,eologumenon"
50 ablehnt (©bjt. b. cb,r. 2öaf>rb,eit § 35). ^m übrigen fann gerabe feine SBefyanblung be§
©ogma^ geigen, baf$ eö ber einheitlichen ©eutung be<8 §eil§Werl§ nicfjt bienlic^ ift, Wenn
bie ^Dogmatil alle neuteftamentlicf)cn ©ebanfenformen ((frbulbung beä ©efefeegfluc^ö, So§=
laufung, üambf mit bem ©atan, briefterlidje ©elbftbarbringung) o^ne älbftufung ber=
einigen Witt. Qn bie 9läfye §ofmann§ gehört aueb, bie 2lnfc^auung bon 20. %x. ©efe.
55 2luct) er Will nict)tg bon einer Umftimmung ©otte§ buxfy ba§ £>eilgwerf Wiffen, betont
bie SerWanbtfc^aft be§ ©ü^nen§ Sfjrifti mit feiner gürbitte unb le^nt ben ©ebanfen ber
©traffati^faltion ab. @r fieb^t aber in (Sbjifti Seiben ba§ fragen be§ ©ünbenfluc^S, baö
jWar bon leinem ©djmlbgefül»! begleitet War, aber bureb, bie Slnerlennung ber ©ered)tig=
ieit be€ göttlichen ©eric^tg über bie 2Renfcf)bieit§fünbe unb bureb. Willige Beugung unter
60 biefe§ ©ericfyt bie Sebingung erfüllte, an bie ©otteS ^eilige Drbnung bie ©ünben=
i*erfüf)UHttg 571
bergcbung gefnüpft $at (Gfmftt ^erfon unb 2Berf III; gbSty 1857/58; ZfätR 1889).
£ie gletc^faCCä berWanbte Slnfcfyauung 3JI. $äf)lerS ift beffer an Röterer ©teEe gu be=
£en legten, nachhaltigen Slnftofj ju neuer Durcharbeitung ber ÜBerfölmungSlebje bat
bie brotcftanttfdje Geologie bureb 3t. SRitfd^Iö SBerl: „SDie cbrtftlicfye Sefyre Don berRecb> 5
fertigung unb Sßcrföbnung" empfangen. 2öenn er ber 33erfölmung tfyre ©teile hinter ber
Rechtfertigung anweift, fo Und er bamit bor allem auSbrücfen, bafj er fie ntc^t als 33er=
föfynung ©otteö, fonbem beS Sftenfcfyen berftefyt. ©te ift nad) ibm ber fubjeftibe ©rtrag
ber Rechtfertigung ober ©ünbenbergebung, bie 2lufljebung beS aftiben SöiberfbrudjS gegen
©ott. ©eine Drbnung ber begriffe erflärt fid) aber noefy Wetter barauS, bajj er bie io
Rechtfertigung nicf)t auf ben einzelnen ©laubigen, fonbern auf bie ©emeinbe begießt, Wo=
bura) fie mit bem gefcbjcfytlidjen §eilSWerf in bie engfte Verbinbung tritt unb jum brin=
gießen 2IuSbrucf für bie Stellung ju ©ott wirb, in bie SfyriftuS feine ©emeinbe ein=
füfyrt. ©a Ritfd)I aber aud) bie SSorauSfetjungen ber Rechtfertigung in weitem Umfang
erörtert, gefjt feine Unterfucfyung auf alle fragen ein, meldte bie 2el)re bon ber SSerfölmung is
(im hergebrachten ©inn beS SöorteS) jju befbrecfjen pflegte (©otteSbegriff, fittlicfjc 2öelt=
orbnung, §eilSWerf Gfyrifti). £atte bie biSfyerige bogmatifdjte Strbeit immer Wieber bor
ber ©djwiertgfeit geftanben, bafj ber ©ebanfe ber ©traffaiisfaftion ftcfy als unburd)füf)rbar
ertoieS, fo bejeidjnet Ritfd;! als ben legten ©runb biefer ©d)Wicrigfeit bie Unbereinbarfett
bon Recfyt unb Religion, ©behielt mit ber (SrfenntniS bon ©ott, bie wir GljriftuS ber= 2"
banfen, ift nur eine eil)ifd)e, nid)t eine juriftifcfye 33egrünbung ber ©ünbenbergebung ber=
einbar. @S finb barum alle SSorftellungen fernzuhalten, Weldje auf gefe^Uct)e ©enug=
rbuung ober fteöbertretenbeS Seiben binauStommen ; aber and) ber ©ebanfe beS gorneS
©otteS barf in bie Sel)re bom üffierf ©bjtftt nic^t eingemifdjt Werben. ©otteS SKefen, Wie
e§ im Gfyriftentum offenbar ift, Wirb burd) ben begriff ber Siebe erfcböbfenb auSgebrücft 25
(III, 260). ®ie §eiligfeit begetd^rtet bie Unnafybarfeit ©otteS unb tritt barum im gort--
febrttt feiner gefcbtc^tlic^en Offenbarung bon felbft prücf. ®er gorn ©otteS bat in ber
enbgültigen 2Infcf)auung beS %l% feine ©teile im Rafymen beS ©nbgertdjtS; er gilt alfo
nur ben 9Jtenfd)en, bie ber ©rlöfung Wiberftreben. ®ie Deutung ber biblifd)en ©eredjtig=
fett im ©inne einer bobbelten Vergeltung ift (Eintragung eines b e Hentfcbert SRafjftabS ; 30
bie 1)1. ©cfyrift fennt nur eine ©eredjtigfeit im ©inne ber lonfequentcn güfyrung jum
§eil. @S bebarf aber aueb, feiner (Ergänzung beS ©a|eS: ©ott ift Siebe bureb, Setfügung
bon Seftimmungen, Welche bie fittlicfye Drbnung feines §anbe!nS betonen, benn Siebe ift
immer görberung beS Bbd^ften, alfo be§ fittlicb,en gtoeefs bon ^ßerfonen unb ©otte§ Siebe
ift unä offenbar in tfjrer Richtung auf bie ftttlidje ©ememfcfyaft beg Rcid)e§ ©otte€. ^
iap. fommt noeb, ergän^enb, ba^ RitfdjlS Seb,re bon ber ©ünbe borWiegenb ibre religiöfe
Seite, ben SRangel an Vertrauen betont unb ba<§ Moment ber UnWiffenb,eit für bie
üRögltd^Iett tbrer Vergebung in 2lnfcb,Iag bringt (bgl. Sb XIX, ©. 148). @3 ftef)t barum
rttebt fo, ba^ man bie ©ünbenbergebung in erfter Sinie auö ©otte§ Siebe abzuleiten, ba=
neben aber noef) anbere Momente in Rechnung ju fteHen b,ätte; bielmeb,r ift bie ©ünben= ^o
bergebung ganj unb au§fd)lte^lid) ba§ Söerl ber göttlichen Siebe, bie bureb, fein Red;t3=
gefe|, burd; feine au§ einem anbern ^xin^ib ftammenbe fittltdje Drbnung befcbrättJt Wirb.
2)amit ift jeber ©ebanfe an eine Umftimmung ©otteS bom 30m Sur ©nabe, ober an
bie Sefriebigung einer bie ©nabe fyemmenben ©erecb,tigfeit au§gefd)loffen. S)ie ^erfö^nung
ift burcb,au§ Offenbarung, b. f). gefd^tc^tltcbeg SBirffamWerben ber göttlichen Siebe. Run ^
toiU aber Ritfclil eg boeb, bermeiben, ba§ bie ©ünbenbergebung al§ etWa§ ©elbftberftänb=
licf;e§ erfd)eine. ©ie gilt ib,m alg ba§ ©ut, mit bem @lmftu§ feine ©emeinbe auSftattet
unb niemanb fann ib,rer anberS geWife Werben als bureb, if)n. Sb,riftu§ übt in bem ge=
famten ©toff feines berufsmäßigen 2SirfenS bie gunftionen beS ^robb,eten, ber ©otteS
Siebe offenbart, unb beS ^3riefterS, ber bie SJtenfcb^eit bor ©ott bertritt, ©eine fönig= ^
Iid)e SBürbe brücft nur ben unbergletdjlidjen Sföert unb umfaffenben (Erfolg feiner 2Btrf=
famfeit in beiben Richtungen auS. 33on biefen beiben ©ebanfen ber Offenbarung ©otteS
unb ber briefterlidjen Vertretung ber 9JJenfcb,beit mufe ber erfte ber übergeorbnete fein, ba
nur fo ber 3luSgang ber ©ünbenbergebung bon ©otteS Siebe ficf)ergeftellt ift. Scfuä
offenbart alfo burdb, fein berfönltdjeS ^anbeln, baS er felbft ein ©ienen nennt unb beffen ■">■"»
3h>ecf bie ©tiftung beS Reimes ©otteS ift, ©otteS Siebe unb fofern bieS Reicb, ©ünbern
angeboten Wirb, feine berjeif)enbe Siebe. @r rebräfentiert aber aud; in all bem bie
SSJcenfcb^eit, bie bereit ift, ben ßWecf ©otteS ju if>rem eigenen ju macfjen. ©ein S3erufS=
geb,orfam ift baS Mittel, bureb, baS er fiel) felbft in ber Siebe ©otteS beraubtet unb feiner
©emeinbe ben 3u9anS iu '^m erfeb, liefst. ®enn er leiftet biefen ©efyorfam nicfjt nur für 60
572 3?erföf)tMttg
ftd;, fonbern in bcr StbficbJ, feine 3un9er uno bk 3Renfd;I;eit übertäubt in biefetbc
©tettung ju ©ott fyinemäujieljen. ©ie ©bhje feme§ 23eruf§geI)orfam<g ift fein %ob, in
bem barum aud; ber Söert feiner ^ßerfon für ©Ott fid) jufammenfafst. 2Iud) er mufs
unter ben bügelten ©eftcfytSbunft ber Offenbarung unb Vertretung geftellt toerben. gür
5 ben letzteren bietet ftd), ba red;tlid;e StuSbrüde ungeeignet finb, ber religiöfe Segriff be§
DbferS als bie entf!pred)enbfte 33orfteltung3form bar. ©enn ba§ Dbfer I)at in ber att=
teftamenilid;ert Religion nid;ts> mit Stecht unb ©träfe ju tl)un, e3 ift eine ^nftitution ber
©nabe jur Stufrecfyterfyaltung ber Sunbelgemeinfdjaft mit ©Ott. Unter bem ©efid;t§=
buntt be3 Dbfer§ I)at ßbriftus fetbft ben $eil3toert feinet S£obe§ gebeutet unb- auty bie
10 neuteftamenilicfyen ©cfyriftfteüer Ijaben im Dbfergebanfen ti)r religiös orientiertes 9Serftänb=
ni§ be<o IpetlS niebergelegt. @r befagt, bafs GI)riftu§ burd; feinen im £ob bemalten
ÜBerufägefyorfam feine ©emeinbe in bie ©otte§näI;e berfeijt unb einen neuen SBunb mit
©ott für fte geftiftet I)at, beffen ©ut ©ünbenbergebung ift. ©abei ift aber bie gteid;=
artige Sebeutung be§ Seben§ Qefu "i^1 au§gefd;loffen, fonbern borau§gefe£t. ©o toenig
ij toie bei ©d;Ieiermad;er fott bei 9fttfd)I an einzelne Slfte unb Seiftungen Gfyriftt ober einen
au3 biefen fttefjenben fad)lid)en 3öert, ein bon feiner ^3erfon ablösbare^ 33erbienft
gebadet toerben. älud; ^ter ift ßfyriftus bcr (Möfer burd) ben ©el)alt feiner ^ßerfon, nur
bafj SRttfd;! biefe im llnterfdneb bon ©d)Ieiermad)er in ifyrer freien etf)ifd;en Seben§=
entfaltung anfd)aut. ©ie ©emeinbe, bie biefen 2Sert @!)rifti unb feine§ ©eI)orfam§ ber=
20 fiel)t, tbeifj ftd) barum im ©lauben gerechtfertigt, unb fofern ber ©taube 2Bitten3alt ift,
ber bie bargebotene ©emeinfd)aft mit ©ott bejaht, meif? fte fid) jugleid) im ©inftang mit
©otte§ @nbjtoed b. I). berfbfynt. (9ied)tf. u. 53erf. III; Unterr. in ber dir. Religion.)
©iefe ^onftruftion ber 23erföI)nung§IeI)re fü^rt in energifd)er ©ebanfenarbeit eine SLenbenj
burd;, bie feit bem @rtoad;en einer fetbftftänbigen ©cfyriftforfdmng unb eine§ ftrengeren
25 ffyftematifcfyen ©enfen§ in unferer $ird>e immer toieber I)erborgetreten ift. ©ie fteHt ben
©ebanfen ber SiebeSoffenbarung ©otte3 in 6I)riftu!o in ben Sftittelbunft unb erfe^t bie in
ba3 ©ogma eingebrungenen 9ted;r»borftetlungen burd; fitttid)e ©efid)t§buntte. ©inen
©d;ritt in biefer !Jtid;tung bejeid;nen im ©runbe aud) bie arbeiten bon ©d)letermad)er
unb 5Renfen, SBed unb §ofmann, ©ef$ unb granf; altem 9titfd)l giebt biefer Senbenj
:» ben rüdI)altIofeften unb fütmften 2tu3brud unb berfolgt bie ^onfequenjen, bie ftd; au§
feinen 2tnfä£en ergeben, burd; bal gan(^e bogmatifd)e ©Aftern tünburd). ©arm liegt baö
£ef»rreid;e feiner Strbeit. 2lber bie äüb^nb^eit unb ©efcbloffenfyeit ift aud) b^ier burd; eine
unleugbare @infeitig!eit erlauft. $Ritfd;I I)at ba§ religiöfe Problem ber ©ünbenbergebung
in einer SBeife berlürjt, bie toeber bem biblifd)en ©otte^begriff, nod) bem d;riftlid;en
35 ©ünben= unb ^eilsbetoujjtfein gered)t iüirb. ^nbem er au$ bem ©otteöbegiff ba§ Moment
ber |>ei(ig!eit au^fdjlie^t unb bie ©ered;tig!eit auf ©otteä l^eilfd)affenbeg XI)utt befd)rän!t,
berb^üHt er ben fdmeibenben SBiberfbrud; ber menfd)Ud;en ©ünbe mit ©otteS et^»ifd;em
2Befen. 3noent er ferner ben £ob ^efu nur unter bem ©efid)t3bunft ber 33etoäl)rung
feine§ SerufSgeb^orfamS auffaßt, (ä|t er feine Se^iefyung auf bie @ntl)üttung unb 35er=
40 urteilung ber ©ünbe aujjer ad;t, bie im 31% fo reid;Iid; unb nad)brüdUd) betont ift.
3titfd)I berfäumt groar nid;t ju fagen, ba^ „im (Sfyriftentum fid; mit ber ©ünbenbergebung
bie gortbauer be§ früheren ©d)ulbgefül)l3 in ber (Erinnerung unb bie ©d;ärfung be§
©d;ulbgefü^)I§ über bie 3i»ifd;eneintrctenben gälte bon ©ünbe berbinbe" (3ted;tf. u.
3Serf. III, 514), aber er unterläßt eS, biefer ©djärfung be§ ©d)utbgefüb^tS in ber ©eu=
45 tung be§ SobeS Qefu eine fefte ©runbtage ju geben. ®arum mu| man bezweifeln,
ob SRttfd^lS gaffung ber d;riftlid)en §eilslef)re bem (Srnft ber ©d)utb genugtb^ut unb
beren Stufb^ebung auf eine für ba§ d;riftlid) gefd)ärfte ©etbiffen überjeugenbe Söeife
begrünbet.
@ine gortarbeit auf bem bon !JUtfd;t gelegten ©runb ift borjugStoeife in ber 9ttd)=
so tung erfolgt, bafe man ob^ne bie Segrünbung ber ©ünbenbergebung in ©otteS Siebe ju
berbunfetn, im ©otteSbegriff ba<8 SRoment ber §eiligfeit unb entfbred;enb in ber ©eutung
beS %obe§ 3efu °^ Moment be§ ©erid;t§ über bie ©ünbe, ber ©ül)ne in trgenb einem
©inn jur ©eltung brachte, ^n biefer Sinie betoegen fid; namentlid; bie arbeiten bon
%\). ^äring (3ur S3erföb>ung3leb> 82 ff.; ©er d;r. ©taube 414f.); aber aud; ^- Loftan
55(©ogm. § 56, 3. 4), 333. £errmann (Serfe^r be§ 6b;riften mit ©ott 4. 21. 112 ff.)
unb 3Jt. SReifd^Ie (ßb^r. ©lauben§Ieb;re 2. 3t. § 94—96), bertreten in ber ©eutung beS
$reuje§ Gfyrifti ©ebanlen, bie über 9litfd;I I;inau<§geb>n.
ßute^t t)at W. Äät)ter auf ©runb einbringenber er.egetifd;er ©rörterung unb unter Se^ug=
nab; me auf bie neueften bogmatifdjen 33erb^anbtungen eine ©nttoidelung ber 33erftJ^nung§te^re
60 gegeben, bie aU eine gortbilbung ber §ofmannfd;en Stuffaffung bejeid;net toerben barf. @r tbitl
Ükrföljnmtg 573
cbenfo bie falfd^e Dbjeftibität ber überlieferten SefjrWeife übertoinben, tote bie falfd^c ©ubjeftibi=
tat ber mobernen SLr/eorien bermeiben unb in betbem bie biblifdjen ©ebanfen botlftänbiger zur
©eltung bringen. %n erfterer £unfid)t macfyt er geltenb, bafj bie 33erföfynung nad) bem
v3ti in ©ottcs unWanbelbarem Siebeswillen begrünbet, barum leine ümftimmung ©ottes,
fonbern bie ©rmöglidmng eines neuen Verhaltens feiner Siebe gegenüber ben Sünbern 5
ift. ^n ber zweiten §inftd)t betont er, baf? bie Verformung leine blofje ümftimmung ber
üftenfcfyen, fonbern bie gefd)id)tlid;e 2BanbIung bei Verb/ältniffes ©ottes ju ifynen ift unb
baf} fie neben ber ©rWeifung ber ©nabe aud) ben Vollzug eines ©eridjts, ja einer ©träfe
enthält, ©ie 2tnWenbung bei lederen Vegriffs auf Gfyrifti Seiben ermöglicht aber boct;
nur eine feb,r Weite ^Definition besfelben; „©träfe ift ein Verfahren zur Vefyaubtung einer m
Drbnung im Seben bon Verfonen" (Sogm. ßettfr. II, 393). 9cimmt man ben boßftänbigen
Segriff ber ©träfe jum 9Jcaf$ftab, Wornacb, fie bie 3)urd>fe£ung ber Autorität bei ©efe^es
an ber Verfon bei ©cfyulbigen ift, fo würbe ber §eilsWert bei Stöbet ^efu jutreffenber
burcr) ben Segriff ber ©ütme bezeichnet, bem ®äbjer felbft eine zentrale ©teEung zuweift
(2ßiff. b. #r. Sebje, 3. 21. § 411—431, namentlich 428). 15
10. Überblid't man bie neuere ©efd)icr/te ber Verfölmungslebre, fo fann man fid)
bem @inbrud nicf/t berfdjliefjen, bafs geWiffe ©runbgebanfen ju Weitreicf/enber älnerlennung
gelangt finb. ©ie gefyen borWtegenb auf ©d)leiermad)er, §ofmann unb 9titfcf/l jurüd,
finb aber mefyr nod; baburd; einflufjreid) geworben, baf? fie ftcb einer unbefangenen unb
metbobiftt^en ©djriftforfdmng aud; ate bibltfd) begrünbet erWiefen fyaben. ©ab/in barf 20
man rennen 1. bie Überzeugung, bafj bie Verföfynung nid)t als Ümftimmung ©ottes ju
benfen ift, fonbern bon bem unWanbelbaren SiebeswiHen ©ottes ausgebt, ©ie ift für
ben ©lauben unerläfdid), wenn er in ber göttlichen Verzeihung einen fieberen 3lnfergrunb
finben foH. 9ftcf)t eine in ber geit entftanbene, nur eine ewige unb in ©ott felbft be=
grünbete ©nabe !ann bie ©eltung ber ©ünbenbergebung unbebingt ficfyerftellen. Unb 25
menn Wir im Sichte ber djriftlicben Offenbarung unb bes bon il)r erleucfyteten ©etoiffens
genötigt finb, biefe Siebe als ^eilige ju ben!en, fo fielen bod) Siebe unb §eiligfeit nicb,t
im ©egenfatj, fo baf? fie einanber ausfd)Iief$enbe 9Rotibe bei göttlichen §anbelm> werben
fönnten, fonbern in ewiger ©inr/ett. 2. Unfere Verföfynung beruht auf 6b,rifti Verfon
unb bollziefyt fieb, bureb, fein gefamtes Söerf, fofern e§ in %i)un unb Seiben ©ottes Siebe ?,o
offenbart unb bie bem Sßillen ©ottes entfbrecbenbe 9Jcenfd)f)eit barfteßt unb berftellt. 3lux
menn Sbriftus ber Präger göttlichen Sebens für bie 9Jcenfd)I)eit unb bamit ifyr bollenben=
beö §auj)t ift, lann er ifyr ©ottes ©nabe Verbürgen unb fie al<§ fd)öbferifd)er Urheber
i£>rer gottgemäfeen Sebenägeftalt bor ©ott bertreten. 3. SDaS Xobe^leiben 6b,rifti Wirb
jtoar bon feinem altiben ©eb,orfam mit umfafjt unb bilbet bie ©bi^e feiner ©ott offen= 3.1
barenben unb bie 9Jcenfd)r/eit bertretenben SSirffam!eit. ©3 t)at aber bie befonbere 33e=
beutung, ba§ 2Roment ber §eilig!eit in ©otte§ Siebe einjubrägen, bamit ba§ d}riftltd;e
Urteil über ©ünbe unb ©cb,ulb ju normieren unb bie 9teue ju Weden, oljme welche ber
©laube an bie ©ünbenbergebung falfd;e ©elbftberubigung Wäre. 4. §infid;tlicr; ber
fpeuellen Sluffaffung biefer göttlichen ^>eilig!eitierWeifung in 6b,rifti S£ob befielt aueb, in= 40
fotoeit Übereinftimmung, ba| !einer ber neueren ©ogmatifer an Übertragung ber ©träfe
im boHen ©inn mit dinfcblufe bei ©d^ulbgefübfö auf bie $erfon bei @rlöfer§ benft.
©8 botljiebt fid) an il;m entWeber ber |)af3 ber 2öelt ober ber ©brud; be§ ©efe^ei ober
bas um ber ©ünbe Willen über bie 9Jcenfcbr/eit berbängte Übel, ^mmer aber Wirb ein
birefter auf ben ©olm belogener ©trafbefd)lufe be§ SSateri abgelehnt unb ebenfo ba<§ @r= 4.-»
leiben g^riftt felbft bureb, bie ©inräumung, ba^ e§ ol^ne ©cb,ulbbewu|tfein War, bon ber
eigentlichen ©träfe unterfebieben. Db man für biefe Sebeutung bei "Sobeä ßbrifti bal
2Bort ©ü^ne gebraucht ober niebt, ift besr)alb meb,r eine grage ber Terminologie; aud)
too ber Segriff ber ©traferbulbung beibehalten Wirb, mufe er erft bureb, eine genauere
Umgrenzung gegen 9Jcif3berftänbni<g fid)ergeftellt Werben. 5. (Snblicb, b^errfd)t aud) barüber 50
ein toeitgebenbeS ©inberftänbni'3, ba^ e§ gelte, in ßl)rifti §eil§Wer! nict)t nur bie Grmög=
licb,ung, fonbern ben Vollzug ber Serfölinung ju fetjen. ©iefelbe Seiftung 6f)rifti, Weldje
©ottes Serjeifjung auf fittücbe Söeife begrünbet, gcftaltet jugleid) Wirffam baö Seben ber
iDlenfcbbeit um. liefern ©ebanfen entfbricb,t eö, wenn ftatt bon ©tellbertretung, bie
feinen §inWei§ auf bie Äonfequenjen beö 3;aufd)ö für ba§ innere Seben ber sJJcenfcbr/eit -,.-,
enthält, meift lieber bon Vertretung ober Sürgfd;aft gefbroeben Wirb. Sarin liegt, bafj
Ebnftu§ al€ bas £aubt ber 9Jienfcbbeit für biefe in einem ©inne bcmbelt, ber fie ebenfo
bon ibrer ©d)ulb entlaftet, Wie eine ^Pflicbt ju entfbreebenber ^iacbfolge auf fie legt.
J)urd) biefe Kombination ift zugleich, ber Übergang gefunben bon bem Xroft ber ©ünben=
oergebung jur Söfung ber neuen Sebensaufgabe, bie bor bem Segnabigtcn ftel)t. w
574 $erföljimnij
SDamtt tritt aber bte eigentliche @ntfd)eibung§frage in unferen ©efid;tgfrei3, bie im
legten ©runbe bie ©eftaltung ber Serföb,nung3lel)re beftimmt, unb bon bereit Seant=
toortung aucb. ber ©inn abfängt, ben mir mit bem Segriff ber ©üt/ne ju berbinben
fyaben. ©ie lautet nicfyt: Se^ielrt fieb, bie Seiftung ßfyrtfti nur auf ©Ott ober begießt fie
5 fid; nur auf bie 9Jienfcf)en v. — beibeS Wäre nia;t toirflicfye Verfolgung, nid;t SSftittlerfcfyaft,
fonbem eine ©ienftleiftung enttoeber nur nacb, ber einen ober nur nad) ber anberen
©eite — , fie fyeifjt bielmeljr: Qft ber Söert be§ ,£>eiIsWerf€ Gfyrifti für ©Ott olmc -iRücffidjt
auf feine 2öir!ung innerhalb ber 9Jtenfd;fyett ju begrünben ober fönnen wir ifm nur nad;
SRajjgabe ber letzteren berftefyen? 2ln biefer $rage fdjeiben fid; fyeute nod; bie Söege ber
10 bogmaiifcfjen Konfination.
gunäcbjt fbricfyt ofyne gtoeifel bieleS für ba3 erfte ©lieb ber 2Ilternatibe. Stuf feiner
©eite ftefyt nicfjt nur bie übertoiegenbe gafy ber biblifcfyen unb fircfylidjien ^eugntffe, feine
Sejalmng fdjeint aufy allein ben ©ebanfen einer am Kreu^ gefdjtcfytlicf) bollenbeten ©üljme
unb bamit bie bolle ©ntlaftung ber ©eWiffen fic^erjufteßen. Sfäcbtg it>as> roir tfyun mögen,
15 ßfyrifti Sßerf allem Verbürgt ©ottes> ©nabe unb e<§ gilt für bie gefamte SDcenfdjfjeit, aud)
fürbiejenigen, bie nod) nid;ts> bontI)m Wiffen ober felbft ntc^tö bon i|m Wiffen Wollen. ®urd)
biefe unbedingte Dbjeltibität ber Seiftung SI)rifti fcfyeint ber griebe ber ©eWiffen allein Waf)rr)aft
gefiebert ju fein. 5Run barf man fid) aber rttd^t berl)el)len, ba| für biefen rein objeftiben Söert
be<§ 2öerJ§ Sbjifti ein etnWanbfreter 2Iu§brucf ferner ju fmben ift unb bon ber heutigen
20 SDogmatif laum bargeboten Wirb. $Die altbroteftantifdje SeI)rform glaubte einen folgen
ju befitjen ; aber bie rechtlichen Kategorien, bie fieb, eben al3 Sluöbrucf bollfter Objeltibität
embfabjen, erWiefen fta) aU unburd)fül)rbar. @3 läfet fiel) Weber beutlid) machen, inWie=
fern ber aftibe ©elwrfam @I)rtfti, rein ab§ berf online Seiftung betrachtet , bie ©efe|ei=
erfütlung aller bertreten fann, nod; ift für ben objeftiben Söert be§ Seiben3 SI)rtfti ein
25 ©efid)t3bunft gefunben Worben, unter bem e§ all boKgenügenbe 2öieberl)erfteüung ber
fittlicfyen Drbnung ftd) barftettte. ®er ©efid)t§bunft ber ©träfe bermod;te bieg in ber
ftrengen Raffung, bie tf)m bie alte Dogmatil gab, nict)t ju leiften; er bermag e§ nod;
Weniger in ber abgefct)wäd)ten ©eftalt, auf bie fid; — aus> burd)au<§ anerfennen3Werten
©rünben — bie teueren meift gurücfjiefyen. Sermeibet man aber ben Segriff ber
30 ©träfe ganj unb fiel)t man ben 3Bert bei Seibenl ß^rifti in ber 2lnerlennung ber ©e=
recf)ttgfeit beö göttlichen ©ericb.tS burd; ben bulbenben ©rlöfer, fo bleibt immer ber 3ln=
ftofe, ba^ biefe 3lner!ennung bon bem ©c^ulblofen geleiftet fein foE, für ben bie @nt=
fbrecfmng bon ©ünbe unb Übel eben nicfyt zutrifft, mä^renb bie 2lnerfennung jenei
3ufammenf)angl feiten^ ber ©cfmlbigen, für bie fie allein Söafyrfyeit b,at, aufeerb,alb be§
35 SerföfmungäbegriffiS fallen foß. @§ fragt fid; aber auef) meiter, ob bie 33orfteßung bon
ber fittlicfjen SÖeltorbnung, bie biefer rein objeltiben X^eorie ju ©runbe liegt, ber bib=
lifeben Qbee ber ©erecb,tigfeit ©ottel gemäfe ift. ^nbem biefe, rote oben gezeigt, ebenfo
bureb^ ©otte§ ©nabe mie bureb, feine §eilig!eit beftimmt ift, enthält fie eine ftrenge 33er=
geltunglorbnung boeb, nur für bie Unbufsfertigen, bie in if)rer ©ünbe berb,arren, tbäb,renb
40 fie für bie jur llmfefjr SBilligen eine üäterlicfje (Srjieljunglorbnung ift. 2tu§ ber fitt=
lid)en 2öeltorbnung, bie im (Sbangelium offenbar ift, ergiebt fid) barum laum eine anbere
Sebingung ber göttlichen SSergeibung als eine roab.r^aft in bie Siefe geb,enbe 2öißen§=
um!ef)r, bie fid) in Unterwerfung unter bie göttliche Slutorität, 9ieue unb äLütHigfeit jum
©el)orfam betf)ätigt. 3ln einer fo gearteten fittlicljen Drbnung gemeffen roürbe ber Soß=
45 jug einel ©erictitl, ba§ aufeerb,alb bei ©ettnffenS ber ©cf)ulbigen bleibt, fid; toeber all
unbebmgt nottoenbig, nod; al§ unbebingt roertboll au^meifen fönnen. (Snblicb, läfst ber
Segriff ber 33erföfmung, gerabe wenn er in feiner bobbelfeitigen Sejieb,ung alä grieben§=
ber|ältniö ©otteö jur SJcenfcfjb.eit berftanben toirb unb eine llmfttmmung ©otte§ au&
gefci)loffen bleiben foll, feine foldjie Dbjeftibität ju, bei toelcfyer ba§, roa§ er befagt,
so aud; o§ne ba§ @inge|)en bei 93Zenf<ben in ©otteg §eil§rat berfeft tbäre.
SBerben mir fo barauf £)ingemiefen, bie Umgeftaltung ber ^Jcenfcb^eit in ben Segriff
be§ Serföi;nung3toerf§ mit aufzunehmen, fo toirb es> vm§ obliegen, nunmehr ba§ jtoeite
©lieb unferer Sllternatibe auf feine Tragweite unb grucfjtbarfeit ju brüfen. Qnbem
mir ben SBert bei SöerfS ©f>riftt bor ©ott auf feine Sßtifung innerhalb ber 3Ucenfcf)l)eit
r.ö begrünben, b,aben mir unleugbar einen fefteren, erfab,runggmä|igen Slulgangöbunft. ©a=
mit berbinben fieb, aber aud; nid;t ju berfennenbe Sor^üge für bie ©efd;loffenf;eit ber
bogmatifcb,en Konfination. 6l)rifti Seiftung gilt bter infofern al<§ Vertretung ber 9Jcenfd;=
fyeit bor ©ott, toeil fie mit ber Söecfung be§ Vertrauend auf ©ottei ©nabe gugletcb bie
Seugung unter feine §eiligfeit berbürgt. 6f;riftu3 ftellt in feinem ©eb,orfam bie 3Kenfcb,=
eo l;eit, bie fieb, burd) ibn beftimmen laffen wirb, gerecht bar bor ©Ott. SDal entfebetbenbe
SSerfÖJjnung 575
©eroicfyt faßt aber aud) fiter auf feinen $reuje3tob. @r ift nid)t nur ber f>öcbfte, bas
Vertrauen unerfdmtterlidb, begrünbenbe (SrmeiS ber im (Möfer fyanbelnben göttlichen Siebe;
er (liebt jugfeid^ bic mit Gl)riftu3 berbunbene 9Jlenfd;fyeit in ba3 ©terben tbreS natürlichen
SffiefenS, in bie tieffte unb umfaffenbfte Buße hinein. ®amit gemäfyrletftet er ben 2In=
brud; eine! neuen 23erf)ältmffe<§ jmifcben ©ott unb bem 9Jienfdj)engefct)Ied)t, in bem ©otteS 5
Siebe fdjranfenloS malten fann unb il)r ber bertrauenbe ©efyorfam einer neuen Kreatur
anttoortet. £>amit ift ber fittlid)en Sßeltorbnung genügt, bie ©nabe unb §eiügfett in
ginem ift. 2lud) bebarf eS nicbt erft ber 2luffud)ung meiterer SDUttelglieber, meldte bie
bottjogene SSerfob, nung für bie 9Jcenfd;b, eit in ßraft fe|en ; biefe ift an ficb, felbft ber 3tuf=
gang eines neuen SebenS für bie 2Mt. 10
SDiefe 2tnfd>auung, bie in 6f)nftuS ben Bürgen ebenfo ber ber^ei^enben Siebe ©otte»
für bie ÜJtenfdjIjett, mie ber fortgefyenben unb bis jum gottgeftedten giel ficb, bollenbenben
äBiEcnSumfefyr ber 9Kenfd)f;eit für ©ott _ftef)t, ift aucb, feineStoegS bon ben beftätigenben
^eugniffen ber ©djrift bcrlaffen. ©ie bilbet bie ©bitje ber altteftamentlicfyen ^robfyette
toie ber neuteftamentlicfyen SDeutung beS 2Berf3 Sbjifii. £>a<§ Seiben beS ©ered)ten :^ef 53 15
ift barum fübnenb, meil e§ bon ber fünbigen ©emeinfdmft als ©eridjt über ibje ©ünbe
berftanben wirb unb fo bußfertige Umfefyr wirft 08. 5). Unb bie baulinifdjen äluSfagen
über baS §eü3merf gibfein in ber $bee beä 2Ritfterben3 unb 9Jtitauferftet)en§, bie feinet
toegS nur ber moralifdjen Stntoenbung ber §eilSgefd)id>ie angehören, fonbern ibje tieffte
unb infyaltbollfte religiöfe SDeutung enthalten. 3ERüßte fct)on biefer Umftanb bie borge= 2»
tragene 2lnfd;auung bor bem SSerbadjt fc^ü^en, als fönnte fie bie brotefiantifdje ©runb=
lefyre bon ber Rechtfertigung gefäfyrben, fo mag in biefer Beziehung nocb, golgenbeS be=
merft fein. ®ie Red)tfertigungSlel)re forbert ein ®obbelieS: 1. baß eS mirflicb ßfyriftuS
ift, um bcffen mitten bie ©cfyulb erlaffen icirb unb 2. baß eS mirflicb, ber ©laube ift,
ber bie Vergebung empfängt. Run ift eS aber in ber borgetragenen ©ebanfenreifye meber 20
unfere unboHfommene Reue, nocb, unfer unbollfommener ©laube, bie ©ott baS neue,
feinem SöiUen gemäße Seben feiner ®inber berbürgen, fonbern lebiglid) GfyriftuS, ber
biefeS Seben fdjafft unb fortgefyenb beftimmt. ©otteS Urteil ber Red;tfertigung rufyt
barum auf (Sfyrifii 2öerf allein, ©ben barum toirb aud) ber gutritt gu biefem öeil nie=
manb berfberrt, ber feine Reue unboHfommen unb feinen ©efyorfam mangelhaft ftefit, 30
toofem er nur bem §aubt ber neuen Sftenfcbjeit im ©lauben anfängt.
2Bie aber ber %ob Sfyrifti bei biefem BerftänbniS ber 33erföl)nung feine centrale
Stellung behält, fo geftattet fie aucb, feine 2tuferfiel)ung in einheitlichem gufammenljang
mit ib,m ju mürbigen. ®iefe ift nicfyt bloß ©otte§ 3lntmort auf bie bollbracfyte ©ül>ne,
fie ift ber letjte ©cb^ritt auf bem 2Beg ber §eil^ftiftung felbft. Qn ifyr giebt ©ott ber 35
3Jienfct)l)eit ben jum lebenbigen unb belebenben £>aubt, ber fie jubor burc| fein ©terben
in ben %ob ib^reS gottentfrembeten ©inneg hineingeführt b^at. Unb e§ bleibt bann nicfyt
erft eine grage, ob ba<§ 2öerf ber SoStaufung, an bie 61j>riftu3 fein 93lut gefegt l)at,
aucb einen mirflicb^en ©rfolg fyaben mirb, e§ berbürgt unb fcfjafft felbft btefen ©rfolg,
e§ ift bie Segrünbung einer neuen gottgemäßen 2Jienfd)]()eit, bie beftimmt ift, ba§ ganje 40
©ef4)lecbt in ficb, aufzunehmen. ®arin bemäbrt ficb, un§ auf§ neue bie grud)tbarfeit be§
t)ier berfolgten ©eficb,t^bun!t§.
Rocl; mürbe aber ein berechtigter ©intoanb gegen biefe ^Deutung be§ 2Bcrl€ ßfyrifti
übrig bleiben, menn fie un3 nötigte, bei einer bloß menfcb, lieb, =embirifc§en Betrachtung be€
%ob?$ 6f)rifti, bei feiner Verleitung au§ menfcb,lic^er geinbfcb,aft fielen ju bleiben. (&§ v>
toürbe bann jtoar möglieb, fein, an biefen b,iftorifcb,en 2lu§gang beö SebemS ^efu finnige,
religiös unb moralifcb, fruchtbare Setracbtungen anjutnübfen, aber mir bitten tfjrt niä»t
all ben innerlid) notmenbigen 33olljug beg göttlichen §eil§rat§ berftanben. 3lllein ber 2luSgang
öon ber fubje!tiben @rfab,rung be3 Triften nötigt ung nieb, t, bei biefer bloß blmnomenalen
Setracbtung ber §etlggefcb,iclb,te ftefjen ju bleiben. 2Bir bürfen unb muffen bon bjer auö r,o
bietme^r ju bem Urteil fortgeben: ©ott felbft f)at e^ fo georbnet, baß bie in ber Äreu=
jigung Sbrifti bollenbete ©ünbe, bie ben ^eiligen 2)ulber felbft \vx b,öcb,ftcn ?3etoäb,rung
feinet ©eb,orfam§ unb feiner Siebe füb,rt, als unberfennbare ©cb,ulb auf baS §aubt ber
©ottentfrembeten jurücffädt, fie jur (SrfenntniS beS mab,ren SÖefenS ber ©ünbe fübjt
unb fo ben ftär!ften unb tiefften antrieb jur Umfeb^r barbietet, ^n biefem ©inn ift r,-,
auet) bie fubjettib gebaute ©übne ^ugleicb objeftib, bon ©ott georbnet unb boeb, ift fie
ba mirffam, too ber göttlichen Drbnung bie Slnerlennung berfagt morben mar. Cb man
feie ©emäf)rleiftung foldjer bußfertigen Umfeb,r ©üb,ne nennen mill, ift eine ^rig^ »on
untergeorbnetem Rang. Slllein toenn ber altteftamentlid;e ©änger zerbrochene Merjen
ein Dbfer genannt fyat, baS ©ott gefällt (^]f 51,19), fo barf man auf neuteftamcnt= «>
576 $erföf)nuttg $erföl)mmg£iag
Itd)em 33oben bie 23erbürgung ber 33uf$e aud) bie ©übne nennen, bie ©Ott fyaben
null £>. Sün.
35erföl)nttng§tag. — Sitter atur: S)er £raftat goma mürbe mit Erläuterungen ^er=
ausgegeben üon ©beringfjam Sonbon 1648; neuerbtng§ üon Hermann S. ©trad, 2 9(. 1904
ö mit Sinmertungen unb ©loffar); eine beutfcfje tteberfetmng be§ SEraftatS mit 9tnmertungen
oon $aul &iebig 1905. Sie 2£)üfap^ta ju biefem jroftot ift abgebruc!t in Ugolini Thes.
ant. sacr. vol. XVIII, p. 153 sqq., ebenba bie jerufatemlfd)e ©emara baju. Sie ^ßefitta be§
Sab Stabana junt 33erfot)nung§tag f. in 23ünfd)e3 Biblioth. Rabbin. Sfg. 31. 32, ©. 243 ff.
3Sead)ten§nierte 9coti$en enthalten $f)rtoä ©d)rift de septenario unb ba§ neu gefunbene ©tüd ber
io ©drriftde victimis; f. «ßaul SBenblanb, 9ceu entbedte Fragmente ^3i)tluä 1891, ©. 11 f., 9(u§g.
Don Sofjn V, p. 45. Sen trabitionetten 3titu§ be§ 33erföbnung§tage§ befdjreibt 9Jtatmonibe3,
hajad hachasaka, überfegt bei Seti|3fcb, Hebriievbrief (1857), ©. 749 ff. 83on älteren dirift=
lidjen 3Berten finb ju ermähnen: Stgbtfoot, Ministerium Templi c. 15 (opp. ed. II, vol. I,
p. 744 sqq.); ßarpjoü, Apparatus historico-critieus antiquitatum sacri codicis (1748),
!5 p. 433 sqq. ; Sunb, ^übtfdje Heiligtümer (Hamburg 1738), ©.1161 ff. ; Sy. 9t. San^, Functio
pontif. m. in adyto anniversaria bei 9Keu8d)en, Nov. Test, ex Talmud, illustr. (Lips.
1736), p. 912 sqq.; Seuling, De ingressu summi pontif. Observat. (Lips. ed. 3, 1737),
p. 175sqq. ; Ott)0, Lexicon rabbin. phil. (Genevae 1675), p. 182 sqq.; 3>ob- 93cet)er, De tem-
por. sacr. Hebr. in Ugolini Thes. Tom. I. — Son neuerer Sitteratur ift ^ernorjubeben:
■20 S5ät)r, ©nmbolif be§ mofaifdjen SultuS, II, ©. 664 ff.; bie ard)äologifd)en §anbbüd)er üon
be 2Bette=Dtäbiger (4.9t., ©.313 f.); (Sroatb (9Utertbümer, 3.91., @. 477 ff.); Seit (Sibi. 9trtf)äo=
togie, 2 91., ©.420 ff.); 28. «Rorcad, £e6r. 9lrd)äol. II (1894), ©. 184 ff.; 3. «einiger, |>ebr.
9trd)äot. (1894), ©.477 f.; g. £. ®ur£, Ser attteftam. DpfercultuS (1862), ©.355 ff. unb bie
§anbbütf)er ber altteftam. Geologie oon H- @d)ut£, 5 91. 1896, ©. 256f. 282 ff.; ©. fjr. Deuter,
05 3 9t. 1891, ©.498 ff. 522 ff.; 91. Siümann 1895, ©.457; 93. ©tabe, S3ibl. 2t)eol. be§ 912; I
(1905); üRartt, ©efd). b. tör. Sftcl., 5 91. 1907, ©.256 ff.; 91. Söljter, Stbl. ©efd|. be§ 912 I
(1875), ©.445 ff. — mit 23epg'auf bie frittfaie grage fietje Selitlfd), 3f3BS 1880, ©.173 ff.;
S3enjinger, Sa§ ©efej? über ben großen SßerföbnungStag, gaflB 1889, ©. 65 ff.; Siümann,
(£reg. §bb. p ©robu§ «. Seüit. 3 91. 1897; £.©trarf, Sur^gef. Äoritm. ju ©en, ®£, £e u.
30 9cu 1894; SJr. SBäntfd), Hanbfontm. ju (£$, Se, 9cu 1900; 91. Serttjokt, furjer §anbtomm.
pm Se 1901; 9?. «Jeffef, Sie Sompofition u. Se 16, 3at98 1907, ©. 1 ff. £ur (Sntftebung
u. SSebeutung beS 93erfö()nung8tag§ ügt. ©. 9tb(er, ßat'B 1883, 178 ff. — ©iet)e aud) bie
SSörterb iidier üon 2Btner, ©dientet (©tetner), Mki)m (Setitifdi), ©uttje; Hamburgers (jnct)=
tlopäbie be§ 3ubentum§ I unter SSerföbnungStag; Encycl. Bibl. unter Atonement. lieber
•-55 ba§ fpätere gubentum ügf. 3- 5"- ©dirb'ber, ©aßungen unb ©ebräucfye be§ talmubifd)=rabbi«
nifeben SubentumS (1S51), ©. 130 ff. — 3u 9l;,aje( »gl. nod) §an§ S)uf)m, Sie böfen ©eifter
im 9tS 1904, ©.55 ff. unb au8 ben 9JJibrafd)im 2Bünfd)e, 9tu8 3§raet§ Se^rtjaüen I (1907),
©. 7 ff. : ©cberndjcijat u. 9ljajel.
33erjö^nung§tag, f>ebr. n^z-- er £e 23, 27 f., im ^almub aud) fd)led)ttt>eg $'p\
40 ber %a$ o£)ne ©letzen, bulgär bebrätfd) jöm kippur, roirb ber gro^e ©übntag genannt,
ber unter ben t3raelittfd)en geften eine befonbere ©teße einnimmt. ®te gefe|ltd;en S3e=
fttmmungen über ifm finben fid) £e 16, 1—34 (bgl. % 30, 10); 23, 20—32; 9Ju 29,
7—11 (P). £>a btefe 2lnorbnungen tro| tfpr relativen äßettläufigfett ntd)t au§reid)en, um
ben bod)ttüd)ttgen 5Ritu§ in allen ©tn^elb^eiten ju befttmmen, mufete b,ter tüte in anberen
45 ©tücfen eine ergänjenbe 2:rabition befielen. 2öa§ in biefer §infid)t jur ta(mubifd)en
3eit über ben 9ittu§ be^ feiten Xempel§ überliefert tourbe, gtebt ber mifd)ntfd)e Xrahat
%oma (j. oben), ber ganj bon biefem SEage banbelt. — SDa6 §au})tgefe| über ben SSer=
föb,nung§tag £e 16, 1 ff. fniüpft an bie (Irjä'fylung bom blö^ltd)en ^ob grüeier ©öb,ne
3laron§ (2e 10, lf.) bte Slnorbnung, ber ?ßvtefter bürfe ntd)t ju beliebiger $t\t in ba3
so ^ßerb^etligfte gefjen, fonbern nur nad) ber erforberlidjen ceremontellen Vorbereitung unb
in bejonberer SluSrüftung. 2lte fotd)e totrb aber 2S3. 4 ff. nid)t ein bei jeber Gelegenheit
ju befolgenbe^ Ritual, fonbern ba3 d)aralteriftifd)e beö v^erföb,nungätage§ befdnueben.
®a§ ©atum be§ le^tern toirb benn auo) 35^. 29 angegeben, ift aber bier offenbar bei ber
@infd)ärfung be§ gaften§ nur roicberbolt (bgl. ©r. 12, 2 f. u. 13); biefelbe ^eitbefümmung
55 niufj urfbrünglid) fd)on an ber ©toi^e beS ©efe^e^ geftanben b,aben. ©ie ift bort bei
ber Slnimitofung an jene Gegebenheit £e 10,lf.berloren gegangen, roeld)e e^mit fid) brad)te,
bafs juerft f)erau§ge$oben rourbe, roag an biefem ßeremoniell jum ©d)u^ be3 im Heiligtum
fungierenben ^iriefterö bient. ©ab,er rühren aud) einige anbere Unebenheiten. ®iefe @r=
flärung bünft un§ biel annebmbarer aU bie 3tnfid)t, ba^ 33^. 1—28 jroei boneinanber
60 ganj unabbängige 93erorbnungen jufammengefd)oben feien, bon roeld)en bie eine bom
©tntritt ins Slöerbeiügfte, bie anbere bom 9Jerföb,nung^tag banble, roie nad) 33enjtnger '
mana)e teuere (©trad, 33äntfd), 33ertt>olet) meinen. 9ieueften§ (1907) berroirft aud) ,'
ÜJteffel 93enjingerö 21nall9fe bon 33g. 1—28, unb nimmt ebenfatte ben 2lugfaK einer ^eit= ,
$erföl)mtng§tag 577
beftimmung bor bem ©efetje an. ©od) erflärt er biegen aus ber bloßen Vermutung,
e» bürfte bort ber erfte ftatt be§ 10. %i\ä}x\ geftanben fyaben. 2)ann fyätte boa) mofyl ber
Überarbeiter einfach bie gage^afyl umgefcfyrieben, ftatt bte ganje Zeitangabe ju [treiben.
Slucf; bie weitere Slnaltyfe Steffels, ber brei berfdnebene ©dritten in bem ©efe| auSftnbig
macfyt, rooju nod;bterten§ ab§2lnfyang 33^. 29 — 34 fäme, bünft un§ ju fubjeftib, um eine s
ganje ^ultuSgefdücfyte be<3 $efte3 barauf ju bauen.
2Il§ 3eit für biefe jäbjlio)e ©ülimfeier wirb beertet ber 10. Sag be§ 7 9)Zonat3
(Se 16, 29; 23, 27; 9iu 29, 7). £>er 7. 9flonat fc^Iofe bie feftlt<$e ^at;rest)älfte fotoie baS
öfonomifcfye %at)x ah ; er braute audj (bom 15. Sage an) ba§ grofje £erbftfeft. liefern
feeitern SDanffeft feilte ber ernfte ©ülmtag borauSgefyen ätmlicfy toie ber Übertritt bem io
geft ber ungesäuerten 33rote. ©otool)! ba<§ Sftoment be3 bertobifd>en 2tbfd)IuffeS, ba<8 bem
7. sD?onat eignete, all ba<§ ber beborftefyenben großen £>anffeier legten nafye, gerabe gu
biefer 3eit ben ©üfyneaft bor^unefmten. 3)ie .ßelmäafyl ift neben ber ©ieben fyier toie oft
in ber Stbora bebeutfam. 2tn eben biejem 10. %ag foÜte, toenn bie Qobelberiobe um mar,
naä) Se 25, 9 baS ^obeljafjr unter sßofaunentyatt angelünbigt werben. 3Da3 gemeinte ^af)r 15
Würbe burdj ben allgemeinen SSerföfynunggaft aufg fd^önfte eingeleitet. — %üx bie ©e=
meinbe fyatte ber 33erjöfynung§tag gu gelten al§ $od)fabbatI) (-pra-:; red Se 16, 31),
an meinem jebe Slrbeit bei Slnbrofyung ber 2lu3roitung(23,27ff.) berboten mar unb bie
©emeinbe fieb im Heiligtum berfammeln fotlte (wrp snp/: 23, 27). ©benfo ftreng aber ift
allgemeine^ gaften für biefen %aa, borgefcfyrieben — ber einige %aü biefer Sirtim mofaifdjen 20
©efe£! ®urd> biefe^ gaften, ba3 „Sfteberbeugen ber ©eele", follten bte ©emeinbeglieber
fia) in bie bem ernften ©ülmeafte angemeffene 23uj$fiimmung berfe|en. ®er SLag Reifet
bafier ber gafttag fd)Ied)tl)in : rj ifjg vtjareiag fjjusQa ($of. Ant. 14, 4, 3, wo aber toie
14, 16, 4 ber „britte SJZonat" ©etytoierigfett mad;t) ober rj vrjoxeiag eoqxi] Oßl)ilo, De
septen. p. 296 M ; anbere S. 31. ©ol)n V, p. 134, 1) ober einfad; fj vrjaxeia (SßEjilo 25
ebenb. 278 M; V, 96, 9 C; 2t© 27, 9), bei ben 9iabbinen aud) n^ ti^ im Unterfctüeb
bon ben nad) bem ©rjl ^injugefommenen Safttagen. ®er im Sanbe anfäfftge grembling
mar gleichfalls gehalten, bon ber 2lrbeit ju ru§en, bagegen toirb il)m baä haften nid;t
jur «Pflicht gemalt (Se 16, 29).
©er im Heiligtum borjuneb^menbe briefterlid^e 5ittu<§ ift Se 16, 3 ff. betrieben. Slaron, 30
bejm. ber §o|ebriefter, foH juerft ein grünblicb, reinigenbe§ Sab nehmen, bann bie jum
©üfmrituS borgefd)riebene ganj toeifje linnene Hleibung anhieb, en; z§ ift bieS jmar nid;t
eine Süfjertracfyt, aber bod; eine fold;e, bie ftd) burd; feb, mudlofe (ginfad)^ eit bon ber fonftigen
3lmtgtrad)t be§ §ob,enbriefter§ unterfcb, eibet ; ba^ fie bollfommen roetj} unb rein fein fod,
toirb geforbert burd; bie 2tnnäb,erung an ben im SllterfyeiUgften mofinenben ©Ott, bie ber 35
^riefter gerabe jetjt boEjie^ en f oll. darauf folgt $g. 5 ff. bie gwieb, tung eine§ bobbelten,
ja bierfadjen DbferS, ba er für ftd; felbft unb für bie ©emeinbe je ein ©ünbobfer, naa)=
b,er aber für beibc ^eile je ein Sranbobfer barjubringen b,at. 5Die ©ü^nafte gel)en
natürlid; borau§, unb §rcar b,at ber für ben ^riefter unb fein §au§ ju boEjieb.enbe bem
ber ©emeinbe geltenben boran^ugeb, en ; benn efye ber ^3riefter biefe mit ©ott berfbfmen 40
fann, mu^ erft feine eigene 23erfd;ulbung gefü^nt fein, ©ine befonbere SSeranftaltung
erforbert bie gitricfytung ^e§ ©ünbobfer§ für bie ©emeinbe, inbem biefe ^roei ,3^Sen&öde
ju ftellen f)at, bon benen nur ber eine jum eigentlichen ©üb,nobfer für ben §errn bureb, ba§
2o§ bom ^obenbriefter begeid^net mirb, toä^renb ber anbere, auf welchen ba§ So§ „bem
äljajel" fällt,' eine anbere SSertoenbung finbet. gür ftd) felbft nun unb fein §au§ ^atte 45
ber §oI)ebriefier bor allem einen jungen garren, natürlich auZ eigenen Mitteln (^of. Ant.
3, 10, 3) jum ©üb^nobfer barjubringen. Scacb, beffen Stbfcfylacljtung trug er 08$. 12) eine
Pfanne mit ©lut bom Sranbobferaltar ing 2tHerb,eiligfte b,inein unb roarf bort 9kua)=
toer! barauf, bamit eine ifm fcb,irmenbe Söeifyraucfymolfe entfte^e, getoifferma|en ber gött=
lieben 2öolfe (33b VI, 61, 19) nacfygebilbet, ba ©ott fieb, nidjt unberliüllt fetten laffen mill 50
(9Sg. 2). ©obann befbrengte er ba§ 2IHerb,eiligfte mit bem Slute beg garren. ®ie
2;rabition 0St. %oma 5, 1. 3) ergänzt bor SSg. 14, ba^ er rüdmärtS auS bem 2IKer=
fyeiligften tretenb nad; turjem ©ebet im ^eiligen, fid; jum Sranbobferaltar jurüdbegeben foH,
um bag S3Iut ju f)olen, ba§ unterbeffen bon einem ^ßriefter gerührt morben mar, bamit
e§ nic§t gerinne. ®ie SRauc^bfanne liefe er ma^rfc^einlid) im 3lllerb,eiligften fteben, bamit 55
fieb, ber 3Raucb, meiter berbreite, big er e§ ^ule^t berltefe, tbie aueb 3)c. 3oma 7> 4 bor=
augfe^t. SDte Slutfprengung gefc^ab, nacb, Se 16, 14 mit bem ginger, unb gtear einmal
„über bie Äabboretb^ (33b III ©. 554) bornb,in", b. b,. nacb, beren bftlidjer 93orberfette,
unb barauf ftebenmal bor ibr, nämlid; auf ben 33oben, fo bafe baS ©eräte felbft unb
inlbefonbere ber 3taum babor berührt mürbe. ®arauf in ben 3Sorf)of jurüdgefeb^rt, 60
mtaUfrmt)tlopübU für Ideologie unb Sirdje. 3. 81. XX. gy
5?8 äScrfityituttgStoa
fd^Iad^tete ber .gofyebriefter ben jum ©ünbobfcr für bag S3oII befttmmten 33ocf, braute
aud) beffen S3Iut ing 2lHerlj>eiligfte unb bolljog bort biefelben (Sprengungen ju ©unften
beg Sollet tüte Dörfer für ficb, unb fein £aug (33g. 15). ©arauf folgt bte ©ntfünbigung
„beg ©tiftgjelteg, bag unter ifynen too^nt" (331. 16), b. b,. fner beg ^eiligen, ba biefeg ben
s |>aubtbeftanb ber §ütte bilbet, meiere inmitten beg SoHeg metlenb, ber Verunreinigung
burcb, bie fünbigen SJtenfdjen auggefetjt ift. ©iefe lurje 33orfct>rift mirb in SSe^ug auf
ben 9?äud)eraltar näb,er f^ejifijiert @j 30, 10. ©nblicb, fommt ber 33ranbobferaItar 33g. 18 f.
an bie 9?eu)e: juerft mirb bag 33lut an feine §örner geftricfyen, bann fiebenmal auf 'ii)v
gef^rengt. Slugbrücflicb, mirb I)ier gefagt, ba§ bie 33efbrengung fomobj mit bem ©tier=
io d§ mit bem 33ocfgblut erfolgen foll, mag fiel) aucb, im ^eiligen bon felbft berftefyt. 9?ad)
ber Sxabition (3Ji. Qoma 5, 4, 9Mmon. 3, 5) füllte babei ba§ 33lut beg ©tiereg in bie
©cfyale mit bem 33ocfgbIut gegoffen merben; jebenfatlg fbricfjt SS§. 18 bafür, bafj bag 33Iut
gemifcf;:, nicf)t tote im Merfyeiligften fucceffibe appliziert mürbe. — SDie jübifcfye unb dj>rift=
lidje £rabition berftefyt übrigens 33g. 18 bom ^äudEjeraltar, fo aucb, ©eli^fcb, 3!2B2 1880,
15©. 117 f. unb ©tratf. 9Kan lann ftcb, bafür auf Se 4, 18 berufen, mo biefer 2lltar
fbejieß Reifet „ber bor bem SCngeficfyte beg §errn", mogegen in unferem ®ab. 93g. 12
nicfyt burdjaug entfcf)eibct. 2Iber mafsgebenb ift unfereg ©racfyteng bie ^Dreiteilung 33g. 20
unb 33, mo neben bem „Heiligtum" (= SlHerfyeiligften) unb bem „©tiftgjelt" (= ^eiligen)
ber „2lltar" nur ber $aubtaltar, nicfyt ber innerhalb beg gelteg befinblicfje fein fann.
20 ©ie Übergebung beg 33ranbobferaIiarg mürbe ob,nel)m befremben. SCucb, ber natürliche
gortfcfmtt ber 33efd)retbung mirb geftört, menn man Nifn 33g. 18 »om §eraugfommen
aug bem Slller^eiligften ing ^eilige berftel)en foll.
•Jiacfybem an ben brei Abteilungen beg £eiligtumg bie ©ülmung in 33ejug auf bie
33erunreinigungen burcb, ^J3riefterfcr)aft unb ©emeinbe mar bot^ogen morben, mürbe ber
25 $xv ©ntfenbung nacb^ ber SOBüfte beftimmte 33ocf, ber nod) im Sßorfyofe cor ©ott ftanb
(33g. 10), mit ben 33erfct;ulbungen beg 33ol!eg belaftet, inbem ber $ol)ebriefter beibe |)änbe
auf fein §aubt ftemmte, über if)m alle jene 33erfd)ulbungen u. f. to. bekannte unb fie auf
fein §aubt legte, morauf ein in 33ereitfd)aft ftefyenber 9ftann iim. nad? ber SBüfte, unb
^mar einem unzugänglichen ©trid) berfelben, entführte (33g. 21 f.). $eneg ©ünbenbefennt=
30 nig giebt bie Xrabition (Wl. ^oma 6, 2) nur in fummartfdjer gorm : „D ©ott, gefehlt,
gefünbigt, gefrebelt l^at bor bir bein 33olf, bag §aug 3§r««l; a(^ ®°tt> f^flff« i">^
©ü^nung für bie 33ergeb,ungen, 33erfünbigungen unb grebel, bie fie bor bir begangen, ge=
fünbigt unb gefrebelt |aben, mie in ber %l)oxa SJJofeg, betneg ^necb.teg, gefcb,rieben fielet
£e 16, 30" SBCCfetrt ba^ ein eingefyenbereg 93e!enntnig mit 93ejug auf bie ©ünben beg
35 ^afjreg abgelegt mürbe, ift baburcf) namentlich für bie ältere ,gät nicb,t auggejcbjoffen. ^n
meinem ©inne aber ift bag SBegtragen ber ©ünben burtf) biefen jmeiten 33ocl' gemeint,
ba biefelben bocb, fc^on burcb, bag 33Iut beg erften gefüb,nt fein feilten ? 2)te beiben 33bde
geboren tb,atfäcb,lic| jufammen (bgl. 33g. 5) unb fteHen gu ftärterer 33erbeutlicl)ung jtoei
ÜRomente bar, melcfye fonft beim ©ünbobfer bereinigt finb, ber erftere bie fülmenbe ©eefung
40 beg ©ünberg bor ©ott buref) bag 33lut, ber jmeite bte gänzliche SB egf Raffung ber ©ünbe
unb ber baburefy bemir!ten Unreinigfeit aug bem 33ereic^ ber ©ott gemeinten ©emeinbe.
Sllg Slnalogie ju bergleidjen finb bie beiben 33bgel beim Steinigunggrttug beg bom Slugfatj
geseilten (33b II ©. 298, 30) unb aueb, bie beiben 33tfionen ©aef) 5, bon benen bie erftere
bie rtd£)tenbe 9Bir!ung beg göttlichen glud}eg an ben Sdmlbigen (entjbrecb.enb ber ©üljnung,
45 bie foldje 2Sirlung l)inbert), bte le^terc bte 2ßegfd}affung ber ©ünbe ing ferne müfte
§eibenlanb barfteßt. 9la<fy bem ©efagten ift bie 33orftellung nid;t jutreffenb, ba^ am
Zmeiten 33ocf bie ©träfe, meiere &xad treffen foHte, boUjogen mürbe; erft bie fbätere
Üeberlieferung (9JZ. ^oma 6, 6) melbet, bafj ber S3oc! bon einem gelfen fei gefc^mettert
morben; aßein menn an if)m ein folc^eg §alggericb,t follte boßjogen merben, mü|te bieg
60 im ©efe£ augbrücf'lic^ gefagt fein, ©tatt beffen berlangt eg nur, bafc er in bie äöüfte,
näb,er in rm -pN fomme, mag mob,l nicf)t blof? eine öbe, fonbern eine abgefefmütene
©egenb bebeutet, aug melier bag %m nieb, t zurüäleb,ren fonnte (LXX yfj äßaxog). 3)ort,
im ©ebiete beg unreinen 3Büftenbämong (3tgagel) foH bie ©ünbe, ferne bom 33olfe ©otteg
bleiben, mie ©acb, 5, 1 1 im 2anbe ©inear. Über 2lgagel fie^e bie berfcb,iebenen 2lnficb,ten
55 33b II ©.321 f. ©er ^af)be gegenübergefteßte Stame fü^tt auf ein berfönlicb,eg Sßefen;
eg ift ber unfaubere SBüftengeift, ber fcb,on gu SKofeg gelt bem in 3^aeb§ Sager malten=
ben ©ott gegenüberftanb. ©in Dbfer an biefen Sämon, ben oberften ber ü-n^iü (Se
17,7; bgl. ©t 32,17) mar ber 33oct natürlict; nid)t; er ^at feine &abi ju bringen,
fonbern eine unfelige Saft bon $grael ri megzufcfyaffen unb feine Unreinigfeit bon ttym abju=
so Jonbern, ^n fbäterer Qiit mar bie Örtlufieit, mol;in er gebracht mürbe, eine feftfte^enbe,
ebenfo ber ÜÖeg bafjin, an Welchem glitten angebracht Waren, um ben 9Jtann ju erfrifd;en ;
unb fobalb ber 23od ang $\d gekommen, melbete man bieg burd; §öbenftgnale nad;
^erufalem, bamit bie Weiteren ^ultugfmnblungen il)ren Slnfang nehmen tonnten (9Jt. %oma
6,4—8). Sgl. jum Ort ber §anblung ©d;id in 3b$23 III, 214 ff.
9iun crft fonnte fid; ber §ob,ebriefter anfcfyidcn, aud; bag zwiefache 23ranbobfer für r,
fid) unb bag SSolf barjubringen. $u biefem ©nbe Irin legte er im 1)1. gelte feine toeifje
Hletbung ab, bie bort aufbewahrt werben follte, unb reinigte fid) burd; ein neueg Sab,
Worauf er feine 2lmtgtrad)t anlegte (33g. 23 f.). ©ann braute er bie beiben 233. 3 unb 5
genannten 2Bibber bar. 2lud) bei biefem 23ranbotofer beg Sageg (bgl. über ben allgemeinen
(^araiter ber rkv 23b XIV ©. 392) trat bag e£biatorifd;e Moment nad; 23s. 24 a. @. 10
befonberg f;erbor; aud; Würbe bamit jugleid) baggert ber früher gefd;Iad;teten ©ünbobfer=
tiere auf bem 2tltar berbrannt (23g. 25). dagegen bag Fleifd) ber lederen mit §aut
u. f. f. mar aufjerl)alb beg Sagerg bem Feuer %u übergeben 23s. 27 f.; bgl. £e 6,23;
1,11 f. 20 f., Wag 9tiel)m barauf beutet, bafe an biefen l)od)grabigen ©ünbobfem ber
bernid;tenbe Feuereifer ©otteg jum Slusbrud fomme (%f)'&tk 1877, 3. 70 ff.). — ©rft 15
nad) biefem Dbferaft folgten, Wie bie Srabition I)erbori)ebt, bie 9tu 29, 7—11 aufgezählten
Feftobfer, biefelben, meldte am erften Sage beg 7. StRonats barzubringen Waren. 23ierteid)t
finb aber biefe 3u^a^°^fer eine faätere 23ereid;eruug beg 9litug. fiukfy tarn nocb bag
gewohnte täglidje 2lbenbobfer, bag bon ben Feftoöfern nicfyt berbrängt ju Werben pflegte.
Ueber bie früher biel benttlierte Frage, wie oft ber ^ofy ebriefter an biefem Sage in<§ sMer= 20
fieiligfie hineingegangen fei, fiel)e ©ebling, De ingressu summi pontif. in ben Obser-
vat. II, p. 183, unb ®anj bei Sfteuscfyen ©. 954 ff. — £br 9, 7 »erlangt natürlich, nid;t
blofj einmaliges 23etreten jenes Raumes; bei 5pfnlo legat. ad Caj. M. II, 591 bagegen
fte^t in einem 23riefe bes §erobeg Slgripba, eg fei bei Sobegftrafe bem §of;enbriefter ber=
boten gewefen, an einem Sag breimal Ijineinjuge^en ; bod) ift bie ©d)tf)eit btefer Quelle 25
Zweifelhaft, ©er biblifcbe Sßortlaut mürbe auf breimaliges ©intreten führen, unb nad;
33t. $oma 7, 4, ÜJtatmon. 4, 2 a. ©. Wäre ber §obebriefter fogar nad) bem 2lbenbobfer
nod;mals (jutn biertenmal), unb tfvax in ben Weifjen Kleibern, hineingegangen, um bie
5taucfygefäie jurüdjuf)olen.
2Bas bag Sllter biefes %c\U unb Faf^a0e^ anlangt, fo beftreitet bie neuere Ärtttf 30
nicfyt nur feine mofaifcfye Slbfunft, fonbern bielfacb fogar feine borerjlifcbe ©riftenj. ®ie
letztere Wirb nacfy bem 23organg bon 23atfe (23iblifc§e ^l)eoIogie I, 548) unb ©eorge (§efte
S. 300 ff.) bon ©raf, 2Sefif>aufen, üuenen, 5teu§ u. a. geleugnet, ©abei beruft man fid)
barauf, bafe in borerdifcfyer fielt biefes geft au^er bem ©efeij P nirgenbs erwähnt Werbe,
autt} ba nidit, Wo man eS erwarten follte. ^n ber Stl^at ift auffällig, ba^ eine ©rWäf)= 35
nung biefeö bebeutfamen 3^ages Weber in ben geict)id)tlid)en nod» in ben brob^etifdien
■Sdiriften ber borejilifdjen $e\t fid) finbet; bies gilt aber ebenfogut bon ben nad)erdifd;en,
bie fbäte ©bronil nid}t ausgenommen, fo ba^ bas argumentum e silentio fid) als un=
juberläjfig beWeift, Weldjes minbeftens big ing 2. ^al)rl)unbert b. 6b,r. binabfül)ren Würbe,
too 3«fns ben ©ira &. 50 ben am 23erföbnunggtag fungierenben §ol)enbriefter ©imon befingt. 40
2lugbrüdlid) genannt ift bag geft erft bei $f)i!o, 3ofetof)ug unb im 91% (f. 0.). 2lud; bie
(irwägung, ba^ bag ^fingftfeft in ben auf$ergefet$tid)en Xejten ein einjigegmal beiläufig
genannt ift (2 (tf)r 8, 13), mufs bor Überfc^ät^ung jeneg 2lrgumentg Warnen. Man ber=
mi^t freilief) bie Nennung beg 23erjöf)nunggtageg an fbejiellen ©teilen, Wo er, Wie man
meint, unumgänglich erwähnt fein müfjte, Wenn er übertäubt im ©ebrauefy War. ©0 bei 45
ber S£embelWeil?e ©alomog 1 % 8, 2. 65. SlHein bag neu geweifte Heiligtum beburfte
nod; nid)t ber reinigenben ©üb,nung. ©g ift aber gerabe bebeutfam, ba^ ©alomo bie
ih>eif;c in bem 3JJonat bornal)m, Wo fonft bie ©üfjnung ftatt^atte. Über bie jWei Fef1=
U)od)en ©alomog bgl. übrigeng ©eli^fd; gßßJS 1880, ©. 173 ff. — ©gr 3, 1—6 begreift fid;
bag ©titlfcfymeigen über ben 23erfötmunggtag leidjt, ba bor ber §erftellung beg ^embelg 50
feine geier ntdjt möglid; War. — 9ie§ 8 fann bagfelbe eb,er überrafd^en, jumal 3teb 9 am
24. Sag beg 7 SRonatg ein Sufjtag angefe|t Wirb. 2ltlein btefer b,attc einen über ben
gefeilteren gottegbtenftlidjen ©ütjntag I)inauggreifenben momentanen ©runb; aud; mochte
bag geilen ber 23unbeslabe bie reguläre geier begfelben in FraSe iu ^cn fd?einen.
Sebenfatlg ift gerabe f)ier im ^al)re 444, Wo nad; ber neueften Svritif ©gra ben ^3riefter= 55
fobej fotl beröffentlid;t unb eingeführt Ijaben, bie Übergebung beg 23erföl;nunggtageg biel=
mebr ein geugnig, bafj er nid)t je^t erft eingeführt Würbe ; eine nod; fbätere ©tnfd;altung
begfelben an3unef)men (fo auet; 2ßed;gler in ©eigerg jüb. gtfcfyr. 1803, II, 113 ff. ; fiebe
bagegen 2). §offmann im 3Jig für SBft b.^ubentl). 1876, ©. lff.) gel;t aber ebenfowenig
an, wenn man bebenft, baf? jeneg ^3rieftergefe^ mit Beziehungen auf biefen Sag burd)= eo
37*
580 2krföi)ttuttg§tag
floaten ift, inbem bie ganje @tnricr;tung bes Heiligtums barauf abhielt. Übertäubt ftefyt
mit ber btbüfdjett ©arftetlung ber Sfyätigfeit bes „©dn-iftgelefyrten" @sra bte Stuffaffung
in biametralem äBiberfbrucl;, meldje tf;m bte tecfe ©infüfyrung neuer, felbfterfunbener 3titen
olme rcetteres gufd^retbt. — 83efremben mag ferner, baß (§gecf)iel in feinem 3ufunfts=
5 gemälbe t>om israelitifdjen ©ottesbienft ben jöm hakippurim nid)t berroenbet. @r be=
ftimmt gtoei ©ülmtage 45, 18 — 20, Don benen ber eine auf ben erften Sag bes erften
SRonats (-JcHfan), ber anbere auf ben 7. bes SRonats, beffer auf ben erften Sag bes
7 5Ronats (LXX) fällt, älßein G^ecbjel bewegt ficb, aucb, gegenüber bon ^eiligen @in=
ria^tungen, bie nacfytoeisltcb, §u feiner ßeit längft befianben, aHju frei, als baß feine Wa-
io toeitfmng Don einer „mofaifcfyen" Drbnung genügte, um biefe als nid)t borfyanben bar$u=
tfyun. 3- 33- ertoäfyni er bas alte ^fingftfeft nic^t; aucb, rebet er ntcfyt bom §oI)enbriefter.
Sinbererfeits beachte man, baß er fein ©eftdjt bom künftigen ©ottesftaat nacb, 40, 1 am
Saturn unferes geftes embfing, an bem Sag, mo bas ^obelja^r mit bem SBerfölmungstag
feinen Slnfang nafym (2e 25, 9)! — $m rtad^e^tltfd^ert ©acfyarja berwetft man auf bie
15 ©rörterung über bie Safttage aap. 7. 8, wobei ber ©üljmtag nicfyt genannt Werbe. 2lHein
jene an bie (Einnahme ^erufalemg ficb, fcbjießenben $aft= unb ©ebenftage finb ja ganj
anberer 2lrt. Db ifyre 6tnl)altung fortjufe^ert fei, tonnte man im gWeifel fein, nicfyt aber
in Setreff ber geier eines altmofatfdjen geftes.
Sludb, bie fonft gegen bas Sllter bes Sierfbfmungstages borgebracfyten ©rünbe fönnen
•je mir nicfyt als ftidjfyaltig anerfennen. @s ift ein Vorurteil, unb jWar ein irriges, Wenn man
ficb, bie alten gefte ber Hebräer nur als Weitere Sfotionalfefte benfen Wiß, neben welchen
ein fo ernfter ©üfyntag leinen 9taum gehabt fyätte. ©erabe bie -JiotWenbigJeit ber blutigen
©üfmung aller ©a)ulb unb $ef)le ift bem leeren Altertum fefyr bewußt unb gehört bei
ben Israeliten ju ben ©runbgebanfen jener Drbnung, bie man mit boHem Stecht als
25 mofaifcb, be^eicfmet. $Die ©imtfyefe $Wifcr)en Safere, bem ^eiligen ©ott unb 3§rael, bie ficb,
burdb, 9ftofe boll^ogen l>at, führte mit -JiotWenbigfeit ju einem ©Aftern bon ©ül)nungen,
welches am ÜBerföfmungstag feinen SRittelbunft b,at, Wo bie ftufenweife 2InnäI)erung bes
fünbigen Zolles an ben ^eiligen ©ott ifyre E>öd^fte fultifcfje S3erWitflidntng finbet. ©aß
aber bie gan^e £>anblung an ber S3unbeslabe gut 33oftenbung lommt, auf beren aßfälliges
30 geilen !einerlei 5Rücfftd)t genommen mirb, ift gegen nacb/er.ilifcf;en Urfbrung biefe§ ©efetjes
betoeifenb. ©benfo roeift ber Söüftenbämon 2ljajel (ftatt beffcn man in fpäterer $eit biel=
meb,r ©atan bem ^afybe gegenübergefteKt erwartete) auf bie mofaifcfye Qdt bes 2öüften=
aufent^altes jurüd 2lud) ©tabe (Sibl. Sb,eoI. 343) giebt ju: „9Zeuja^rstag unb 3Ser=
föl)nungstag gefjen freilief) auf alte ä3räud)e jurüd: unb finb fcfyon bon ©ged^iel berüdEftd^tigt
35 @j 40, 4; 45, 18. 20, jeboct) erft naa) 6sra in ben offiziellen gefttalenber aufgenommen
toorben." 6f)er läfet fiefr; aus jenem 3«rüc!treten bes SSerfbfmungstages in ber Sitteratur
fdgliefeen, bafj berfelbe in ber borejtltfclten gär nid^t fo ins SSolfsbemu^tfein unb bas
3Solfsleben überging, tbie bie brei großen g-efte ^affab, ^fittgften, £aubb,ütten. @s toar
ein geft, bas fic^ meb,r auf ^riefterfdmft unb Heiligtum bejog unb bab,er mob,l nur am
40 SRittelbunlt bes legitimen ©ottesbienftes ftrenger beobachtet mürbe. Qn nact;ejilifcl;er 3e^
tourbe bies anbers, too bas jerufalemifclje Sembelleben bas SBolf weit mefyr bebierrf$te.
33eacl)tensiüert ift bas Zeugnis $l)tIos über bie ^uben feiner $eit: ,,©en gafttag am
10. bes Senate! befleißigen fiel) nic^t nur foldje ju begeben, bte ficb, eifrig um grömmig=
leit unb §eilig!eit bemühen, fonbern aucb, bie, meiere ficb, fonft im Seben ntcljts aus
15 religiöfert §anblungen maef^en. Stile finb eben bon feiner belügen 2Bürbe übertoältigt unb
betroffen, unb bie minber g-rommen Wetteifern mit ben (Srnfteren roenigftens ju biejer 3e^
in ©ntb,altfamf'eit unb gutem betragen" (Opera V, p. 45 C ; SBcnblanb, 5Reu entbeclte
Fragmente ©.11). Übrigens §eigt ficb, auc|> i>a noeb., baß tro| ber borgefcfmcbenen ©elbft=
fafteiung bas $olf an biefem Sage für freubige Unterhaltung 9taum ju fcb,affen mußte.
50 3Ji. Saanttb, 4, 8 b,ören wir, baß am 3Serföb,nungstag (ob,ne 3^«if^ abenbs, nacf)bem ber
geftalt boßjogen unb ber §ob,ebriefter ju feftlic^er Setoirtung in fein £>aus gegangen
toar, obtoob,! ber Salmub biefe Sefc^ränlung niebt enthält) bie 3}iäbcb,en meiß gelletbet in
bie Sffieinberge um bie ©tabt ^ogen unb ba unter roetteifernbem ©efange tankten, inbem
fte bie gegenüberfteb,enben Jünglinge ju guter 2öal)l ber Sräute aufforberten. ©ieb,e
55 folcb,e Sieber bei ©eli|fcb„ 3ur ©efcbjcfjte ber jüb. ^ßoefte, 1836, ©. 195 f. Sie ©emara
finbet foldje greube ganj in Drbnung an einem Sage, mo Israel ©üfmung ju teil
mtrb. — ^ftacb, ber gerftörung Qerufalems mürbe bie geier bes 33erföb,nungstages fort=
gefegt, obtoob,l bie legalen Dbfer ntefet meb,r bargebracb,t, bte mefentlicb,en 9ftten nieftt meb,r
boßjogen roerben tonnten, ©as großartige geft Batte ficb. mit feinem ^eiligen @rnft §u
eo tief bem Setoußtfein eingebra'gt unb fam einem ju ftarf embfunbenen SSebürfnis entgegen,
SBcrföJjniuigötag 581
als bafj man feiner fyätte entraten fönnen. ©iefye über bie fpäteren ©ebräucbe Oraoh
Chajim, überfe^t bon SöWe ©. 150 ff.; 33ur.torf, Synagoga Judaica, Aap. 25 f.;
©gröber ©. 130 ff. ^m allgemeinen finb in ber ©pnagoge bie ©üfyngebete (mrrbo) an
bie ©teile ber fülmenben SCempelopfer getreten. $mmerbjn wirb an biefem S£age ba3
2Uiff)ören be§ Dpferbienfte§ am meiften beflagt. Unb in einem ©ebraud) b,at ba§ populäre 5
23eWufetfetn, unbefriebigt burcb, bie Unterfdnebung blofjer ©ebete ftatt fonfreter §anb=
Jungen, fid; ein Surrogat be§ alten ©üfmopferS gefcfyaffen: $n bieten Seilen @uropa§
wirb bon ben ortf;obor.en $uben am 35orabenb be§ jöm kippur ein §al;n geopfert. SDer
£au§bater fd)Wingt ba3 Stier, e§ an ben Seinen fyaltenb, um ben Äopf mit ben SBorten:
„SDieä ift mein «Stellvertreter bie§ ift meine SluSWecfyfelung, bieg ift mein ©üfmopfer. 10
tiefer Halm gefyt in ben S£ob, \d) aber möge eingeben ju einem langen unb glüdlidjen
Seben unb jum ^rieben" (Sbenfo Wirb für bie grau eine Henne bem Stöbe gemeint.
£iefe Stiere foEen ben 2lrmen jufallen, ober Wenigftem» il;r ©eibwert biefen gegeben werben.
93gl. and) 21. SSünfdje, SDie Seiben be§ 3Jfeffia§, 1870, ©. 18 ff.
SDafj bem 33erföl)nung£>tage eine fyerborragenbe Sebeutung jufommt, ereilt baraug, 15
bafs ber §ol)epriefter felbft ljuer ber beftänbige Siturg ift unb bafj feine umftänblidjen 33er=
ridjtungen ficfo, au§na!)m§Weife aufs SHJerfyetligfte erftreden, ferner au$ ber fyoben 23eftim=
mung biefer ^anblungen, bie auf (Sntfünbigung ber priefterlidjen Organe be§ 33ol£e3 fo=
tüte ber ganzen ©emeinbe abfielen, unb ebenfo bie faframentalen Heiligtümer, bie Äapporetb,,
bie SBofmung ©ottesi, ben Slltar bon ben SBeflecfungen reinigen follen, bie ifmen burcb, 20
Sdjulb be3 SSoIfeS ober feiner ^ßrtefter im Saufe be§ ^ab,re§ jugefto^en fein mod)ten. Um
bie StragWeite biefer allgemeinen ©ntfünbigung richtig ju fetten, mujj bie $rage auf=
geworfen werben, auf welcherlei ©ünben fid) biefelbe erftrede. SDa gilt nun im aUge=
meinen natürlid) ber ^anon, ber überhaupt l)infid)tlid; ber ©ünbopfer gegeben ift, bafj
nur ©d)Wad}fyettS= unb ^rrtum^fünben (bgl. §br 9, 7), nidjt foId;e, bie mit erhobener §anb, 25
b. b,. in bewußter, berwegener Sluflelmung gegen ©Ott begangen Worben, burd? Dpferblut
fid? füfynen laffen 33b XIV, 395 f. üftur finb in ber erfteren Kategorie nid)t blofj Un=
h)iffenl)eit§fünben, fonbern überhaupt bie, Welche bon ber ©d)Wad)l)eit be§ gleifdjeg I)er=
ruberen, einbegriffen; and) ift md)t ju bergeffen, bafs biefer Unterfd}ieb überhaupt ein
relatiber, bie llnterfcfyeibung nicfyt ein= für allemal gegeben War (f. meine 23emerfungen 30
£I28£ 1884, ©. 179). @3 ift and) bie SBirfung be§ Verföfmung§tage§ Weber auf unbe=
fannt gebliebene unb beSfyalb nid; t gefüfynte, nod) auf blo^ lebitifdie 33erftö^e ^u befd}rän!en,
toobei man Se 16, 21. 30 nid>t geredet Würbe, unb auä) bie Steigerung be3 33erföl}nung§:
ritu§ fid) nicb,t erllärte. 33ielmel;r foß biefe ©eneralfülme überhaupt bon ©otte§ 3Solf
toegfdjaffen, \oa$ an if)m unb mittelbar an feinen Heiligtümern bon unreinem, gott= 35
toibrigem §abitu§ fangen geblieben War. 3Beniger bie einzelnen S5erfcb,ulbungen !amen
b,ier in Setradjt, bie, Wofern fte erfannt Würben, anberWeitig gefülmt Werben mußten,
al§ bie 9)ii^fätligfeit bor ©ott überhaupt, bon Welker tro^ aller einzelnen ©ü^nafte ftet§
leidjt etWa§ prüdblieb unb bie fid) bor ©otte3 2lugen ben Heiligtümern mitteilte, fo baf;
bie Süb,ngeräte, beren Integrität bie Sorauäfe^ung ber einzelnen ©üfynfyanblungen War, 40
felber ber ©üfmung beburften. tiefem 6bara^er einer g*ünblid)ften ©äuberung bon
Sünbe, ©d}ulb unb Unreinig!eit entfprid)t benn and) ber aufg b,öd;fte gefteigerte 9?ttuä
an biefem SEage. @§ gipfelt barin ber gefamte Dpferbienft, fofern l)ier bie größte fultifd;e
Slnnä^erung be<B burd} feinen §ob,enpriefter bertretenen $olre§ an ben in feinem Hedigtum
toob,nenben ©ott ftd) bolljte^t.' ^n S3ejug auf feine 2Sir!ung aber bringt biefer ©ütmaft 45
alle älmlidien ©ntfünbigungen beä ^af)re§, fie jufammenfaffenb unb boEenbenb %um 2lb=
fd}Iui Über bie älrt, Wie ber Segriff ber ©ü^ne ftcfy an ba§ blutige Dpfer !nüpft, f. b.
3lrt. £pferlultug 23b XIV befonberS ©. 395. — ®in gefunbe« Urteil über ba§ «Wafe ber
SBirfung bei aSerföb,nungötage§ unb beren et^tfd^e Sebingung geigt nod) bie SCrabition
ÜR. Soma. 3lm ©cb,Iuffe biefeg S£ra!tate§ finben ficb folgenbe Regeln in biefer Hinfielt: so
„3)er Sob unb ber 33erfölmung<3tag beWirfen ©üb,nung, Wenn Sefefyrung (• ^'^~) ba=
bei ift. ©ie SBele^rung bewirft ©üb,nung für leiste Übertretungen ber ©ebote unb Ser=
böte; unb bei ben fcfyWereren bewirft fie einen Sluffcfyufe, b'& ^tx aSerföf)nunggtag fommt
unb ©üb,nung bewirft, ©agt @iner: %d) Wiß immerbin fünbigen unb mieb. bann be=
feieren, bem Wirb nidjt ©elegenfjeit gegeben Werben, feine Sefeb,rung ju boUgte^en. Dber 55
fagt er: icb, Will fünbigen unb ber 23erföbnung§tag Wirb3 gut machen, fo leiftet ib,m ber
SSerföbnungStag feine ©übnung. Sergebungen beg 9Jtenfd)en gegen ©ott füfmt ber Ser=
föfmungötag ; bagegen Vergebungen be§ 3JJenfd»en gegen feinen 3ttid)ften füb,nt er nicb,t, bi§
jener fid; mit feinem 9täd)ften aulgeföbnt b,at" — ^m bleuen Steftament fommt ber Ver=
fölmungStag als SE^puS in Setrad)t. 2&e überhaupt ber mofaifd;e DpferfultuS borbilblid) so
582 2Serföf)nHng§tag Sßerfudmng
ift für eine boMommene fünftige Verfolgung, fo inSbefonbere biefer %üq, an roelcfyem bie
fultifcf;en ©nabenmittel be§ alten 33unbe§ t^re bollfte Vertoenbung finben, inbem ba§ ge=
meiste $aubt ber Vriefterfcfyaft ben allerr/eiligfien Drt jur Vornahme ber fyodjr/eiligften
£anblung betritt. S3efonber§ ber Verfaffer be§ £ebräerbriefe§ b,at bte parallele gebogen
5 jnrifdien bem mit Dbferblut in<§ 2lllerr;eiligfte tretenben .goftenbriefter unb Qefu ßljrifto,
bem SSerfö^ner be<§ neuen 83unbe§, freiließ fo, bafs er fofort ba§ Ungleichartige ^erborl^ebt,
um ben überfd)roengIid)en Vorzug be§ neuteftamentlicfyen .gofyenbriefterS ju renn^eidmen,
ber nicfyt mit bem SBIut bon Vöden unb Halbem, fonbern mit feinem eigenen in§ §eilig=
tum gegangen ift, unb jtoar ntd)t in ein irbifdjeS, fonbern in§ f/tmmlifdje, nid^t ju einem
10 2lfte, melier ber SBieberfyolung bebürfte, roa§ eine Unbollfommenfyeit in fid) fdjlöffe,
fonbern ju einmaliger enbgilttger Verfolgung, toeldje ben fünbigen 3Renfd)en freien ,ßu=
tritt jum Slller^eiligften eröffnet, ©iefye bef. |>br 9, 7. 11 ff. 24 ff. Vgl. aueb, Varnaba3=
brief Hab. 7 t>. Oteüu
«ßerftoefung f. b. 21. SerminiSmuS Vb XIX ©. 524.
15 Verfilmung. — gr. Softer, Sie biblifde 2et>re tion ber SSerfudjung, 1859; ^otuef,
Sie SBergrebe, 5. 9lufl., <B. 394; fatnbfjaufen, 2)a§ ©ebet be§ öernt, Slbfcbn. 7; 33ubbet, In-
stit. theologiae moralis, 1711, p. 1, c. 2; ^mrleß, Sfjriftltctje dtljif, § 26f.; Hilmar, S£ijeo=
logifct)e SOioral, § 13. — ®ie 9(nfd)auungen, meldje ber fotgenben 3lu§füljning p ©runbe
liegen, ftnb pfanintenbängenb bargelegt in metner SBiffenfdjaft ber djriftltdjen ßeljre, 3. Sluft.
20 § 317—327. 334—346. 3. S. 0. SSerföfjnung, <S. 431 f.
Verfucfyung ift }e|t in ber fird)lid)en Stebetoeife bie aUgemeinfte Vejeicrmung für jeben
2TnIaf3, melier ju einer @ntfd)eibung be£ 3ftenfd)en, befonberS be3 Stiften in fünbiger
Sprung rei^t; bgl. Buddei institutiones Theol. dogm. 1724, 3, 2, 30. 3)iefe fd)arfe
2lu§brägung be§ ©bracfygebraudieS fyängt ftoax mit ber biblifdjen Vertoenbung be§ 2Borte§
25 jufammen, liegt inbe§ in ber ©djrift nid>t fo beftimmt bor; jener befonbere ©ebraudj mufj
beSI)alb juerft mit bem biblifd)en berglid)en unb babei ber bortiegenbe 2lu§brud gegen bie=
jenigen anbern abgegrenzt foerben, weldje berroanbte Segriffe bejeid)nen.
Suifyer fanb ba§ 2öort bereite im beutfd)en Vaterunfer bor unb behielt eS eben beS=
|alb in biefer Vebeutung bei, 2Serfe @2t Vb 21, ©. 219. $n ber Vibel braucht er e§
30 übertoiegenb 1. jur Sßtebergabe bon ^$-r jieigd&iv unb 2. für "f?, §i 7, 18; 23, 10;
34, 6 ; 9M 3, 5, reo in LXX berfd)iebene gried)ifd)e 5ßofabeln bertoenbet finb, unb ty\
26, 2; 66, 10; 81, 8, roo man bei LXX doxi/udCetv lieft; bieg überfein er 2 Ho 8, 8
ebenfo, toär/renb er fonft jeneg fyebrcufdjie unb biefeö gried)ifd}e äöort bureft, „brüfen" toieber=
giebt. 33eibe ©imonr/men=$aare geben bon ber Sebeutung „broben" au§, unb fo erflärt
35 fid) ü)re 9?ebeneinanberfteHung ?p( 26,2; 2 Ho 13,5, bgl. Dp. 2,2; bod) bleibt ein
Unterfd)ieb unb bilbet fid) in ber SSerjjtoeigung toeiter au§, bgl. ßremer, 33ibl. tfyeolog.
Söörterb. s. v. 7ieiq6.'Qeiv unb doxijuä^etv. „prüfen" Reifet einen S^atbefianb feftftellen,
fei e§, inbem man i^n erfennt, ober um ilm anjuerfennen, fei e§ fo, bafj feine teeitere
S3efeftigung beranla^t toirb; foEte ber S£f)atbeftanb ein fittlid) berroerflid}er fein, fo toürbe
40 boeb, in ber Prüfung nid)t ein Slnreij nad} biefer (Seite mitgebad)t, fonbern lebiglid} bie
<gerau§ftellung ber ©ad)Iage; übrigen^, mie ba§ ©ubftantib Prüfung übertäubt nid}t in
ber ©dmft begegnet, b,at aud) ber Slulbrud ^rüfung^leiben (Dealer, Sr/eol. b. 21SES § 247)
leinen 2lnl)alt in il)rer Stebetoeife, fyöcbjtemg ber anbere: Seroä^rungSleiben 1 p 1, 7. 8.
„3Serfucb,en" bebeutet einfad; einen Serfucb, machen unb ^toar mit Sluftoenbung bonHraft;
45 bamit berbinbet fid) bann in ber Slntnenbung auf berfönlid)e ©egenftänbe ber SRebenbegriff
be§ g-einblid)en, roenn aueb, mit mef)r ober roeniger ©d)ärfe, 1 % 10, 1; ©i 13, 14. ©0
toirb e§ im WZ bon bem toed)felfeitigen aSerr)aIten jtotfd)en ©Ott unb bem 33unbe§bolfe
gebraucht. 2ln bie Vorgänge bei SRaffa unb Wlaiha ©e 17 unb an -Jiu 14 Jnübft fid;
bie Sorfteaung bon bem „©Ott berfud)en" fetteng ber 3Jlenfd>en, ®t 6, 16 ; Sßf 78, 18.
50 41. 56; 95, 9; 106, 14; aufeerbem ^ef 7, 12, bgl. 9M 3, 5. ©ie ftetten ©Ott auf bie
^ßrobe, inbem fie e£ an bem bemütigen ©lauben an iljm fehlen laffen, unb bamit forbern
fie feine ©egenmirlung fyeraug; bie (Srbrobung feines Hönneng unb 2BolIen§ gereift fo
baju, feine ©ebulb auf bie ^robe ju ftellen. ©a§ erfdt)etnt al§ eine ©eite an ber ©runb=
fünbe 3§rael§, an feinem ungläubigen ©igenfinn, roe!cb,er bie Vergeltung b, erabruft; ib/re
65 borbilblid;e Sebeutung roirb 1 Ho 10, 9; §br 3, 7 f. in ©rinnerung gebracht, toie awfy
21© 15, 10 baran mafynt. ^efug braucht bie ©teile au§ 35t, 3Rt 4, 7; Sc 4, 12; unb
21© 5, 9 tritt für ^efyobat; (35. 4) fein ©eift ein. 2lnbererfeit£S toerben biefelben Vorgänge
als Mittel angefeb,en, burd; bie ©Ott i>a$ Vo« auf bie Vrobe geftettt l;at, «ßf 81, 8; 35t
S5erfMd)ttt!g 583
33, 8, unb in biefem ©inne ift öfter im ^entateud; babon bic Siebe, bafj ©ott burd)
feine $üb>ung baS 33olf beifügte, b. fy. prüfte, @r. 15,26; 16, 4; 20, 20; $Dt 4, 34;
7, 19; 8, 2. 16; 13, 3, bgl. 9« 2, 22. 3)aS grunblegenbe Seifpiel 2lbraf)amS ©en 22, 1,
bgl. £br 11, 17f.; Sub 8, 18. 19; 6h; 44, 21; 1 2M 2, 52 getgt, ba£ ber ©eljorfam
erprobt werben foK, bal)er bie Späteren biefe Fügungen mit Stecht ben ©ersten gegen= 5
überfallen, ^ir 4, 19; 2öei 11, 9. §ier fann mithin bon geinblicbleit ©otteS ntdt)t bie
Siebe fein ; nur 2 Gfyt 32, 21, mo ©ott §is!ia berläfjt, bamit feine ©laubenSlofigfeit ju
Sage fomme, ift eine bebingte Söenbung nad) jener Stiftung gu erfennen. ©iner berfu<|=
Iid)en Sage olme eine berfudjenbe ^erfon ermähnt meinet SBiffenS baS )ä% mit biefen
SBenbungen nidjt; bieS ift bagegen im 31% öfter Der %aü, unb bemgemäfj tritt I)ier ber io
©ebraud; beS ©ubfi. neigaa/xog entfpredjenb in ben SSorbergrunb. ®aS fettf bann eben
bie beftitnmtere ^rägung beS Begriffes „Slnreijung gur ©ünbe" borauS, bie im %% nod;
mct)t borliegt; fie ift im 31% burd; ben ©ebraud; borbereitet, tbenn bie ©egner ^t\u
fudjen, tfyn in ben SBedjfelreben ju einer berberblidjen 2tuf$erung ju berleiten.
geigt nun ber neuteftamentltdje ©ebraud; bon nsigdCsiv ben terminus technicus 15
in ber Silbung begriffen, fo fc&liefjt bie beutfdje Mircfyenfpradje biefe ah, inbem fie S5er=
fudmng beftimmt bon Prüfung unb Serfüb^rung unterfdjeibet. ®ie fittlidje Siid;tung im
9Jtenfd;en, namentlich ber ©laube, roirb geprüft, bamit er jur „Skmäfyrung" gelange, unb
baju bienen namentlich Seiben, befonberS Seiben um beS ©laubenS mitten, %at 1, 12. 2 f.;
1 tyt 1, 6 f.; Siö 5, 3 f.; 2 $0 8, 2. ^Dagegen ber bewegliche SöiCCe roirb berfudtf mit bem 20
möglichen (Erfolge, baß er fid) bem Söfen jutoenbe, ja, wenn bon 2lbficr;t bie Siebe fein
fann, mit bem 2lbfef>en barauf, bafj er fid; bem 33öfen juroenbe. Söeil aber jener ©rfolg
nic£)t notmenbig ift, unb meil er, fo lange man ibtn bon 23erfud)ung fprid)t, nicf;t roirflid;
toirb, unterfd;eibet man biefe bon ber 33erfüt)rung ; bei biefer mag bann nod) befonberS
bie erkennbare ^lanmäfjigfeit £)erborget;oben fein; bgl. SJit 24, 4. 5. 11. 24; 2 %\ 3, 13; 25
ßpf) 4, 14; Dffb. 2, 20; 12, 19; 20, 10 unb bef. 2 Äo 11, 3 ; 1 2t 2, 14.
^m 33aterunfer ftellt ber §err baS gefamte 3Serl)äItnt§ jebeS SJienfd;en jur ©ünbe
unter bie beiben ©eficfytSpunfte ber ©d)ulb unb ber 33erfud;ung, Sf 11, 4; baburd; totrb
ber legten eine umfaffenbe 93ebeutung jugemiefen. @rfd;eint bie künftige ©ünbe buret) bie
3Serfuc|ung Vermittelt, fo ift jene nid; t golge eines groangeS, aber fie ift beranlafjt. Sffiorin so
liegt nun bieg 35eranlaffenbe? 3ia<fy bem 31% nid)t immer in ber erfennbaren §anblung
eine§ berfudjenben SBefenS, fonbern fdjon in einer Sage, in roeldje ber SJienfd) hineingerät,
^a 1,2; ?Dlt 26, 41 ; 1 ?ßt 4, 12. SlllerbingS bemifet fid; beren ©efäb;rlid;leit nac| ber
Sefct)affenr)eit be§ betroffenen, unb fo ift guerft feftjufteEen, men SSerfucbung treffen !önne.
3m 31% ift felbftberftänblid; nur bon Jüngern 3«ju bie Siebe; aber fdjon bie angeführten 3j
^uSfprüd;e be§ 3Jieifter§ fe|en feinenfafis borau§, bafj fie al§ „Söiebergeborene" im bog=
matifd;en ©inne biefeS 2Bortei &u faffen feien. Unb toenn 3>arobu§ 1, 13—15 fd;ilbert,
toie bie 3Serfud;ung, in ber man ftefyr, burd; bie SSerlodung ber eigenen Regier jum böfen
Sluögange lommt (b. §ofmann, ©ie ^1. ©c^rift 31%$, 7, 3, ©. 23 f.), fo leib/t er bem
Vorgänge burd;au§ feine fonberlid; d;rifüid;en 3üge, unb 1 ito 10, 1—13 fief)t ^3. offenbar 40
bie ^uben als 5Sorbilber ber berfucblen Triften an. ©egenüber biefen Berufungen auf
burd;auS allgemein 9)ienfd;lid;e§ barf man eS 2öiH!ür nennen, wenn Hilmar, %i)wl 3Jloxal
©. 162 nur „ben Seil ber 3Jienfd;entoelt, ber in ©ott feft ftetjt", als ©egenftanb ber
3Serfud;ung anerfennen miß. ©eroi^ mad;t baS servum abitrium ben SluSgang ber
33erfudmngen im atigemeinen ^u bem felbftberftänblid; üblen ; allein bod) niebt gleichmäßig 45
bei bem Siingenben mie bei bem Safterb^aften unb nid;t in allen einzelnen fallen, ßum
Setoußtfein toirb ber Vorgang aKerbingS erft bei ertoedtem fittlid)en Setoußtfein lommen;
bie 33ejeid;nung tentatio ertoedt befonberS bie 5ßorftelIung beS 2öiberftanbeS unb beSb^alb
bie Neigung, bon 2?erfud;ung im ftrengen ©inne nur bei ben SßiberftanbSfäfyigen, eben
ben erneuerten Stiften ju reben, toie bei Subbe a. a. D. 3)aS ©rlebnis ber erften eitern 50
nennt bie SBibel aud; nirgenb eine 3Serfud;ung, bielme^r (f. oben) 33erfüf) rung ; eS tritt
eben ber berI;ängniSboKe drfolg in ben SSorbergrunb. Unb bod; betrautet man jiemlid;
allgemein unb geroif} mit ©runb it)ren gaH unb bie 3Serfud;ungSgefd)id;te ber fi;noptifd;en
Überlieferung als urbilblid; für SSerfucbung überhaupt. — 33ergleid;t man nun bie 33er=
fua;ungen beS erften unb beS legten 2lbam mit jener ©d;ilberung beS 3^obuS, bann er= 55
bebt fiel) bie 5ra9e- °^ »irflid; allgemein, ob aud; ifynen gelte: jeber wirb bon ber eigenen
Segierbe berfud;t ; mit anberen Söorten, ob bie Skrfudmng nur bie ©ünbe ju 2age bringe,
roelcbe fct)on bor ber ©ünbenl;anblung ba ift, 3iö 7? SBeber ©en 2, 3, nod; Siö 5 12,
nod; 3Eftt 4 unb Sc 4 legen bie 2lnna|me nab^e, bafj eine bcrfcfyrte Segierbe baS innere
ber S3erfud;ten beftimme unb beflede, unb jebenfaüs mirb für %e\u Seben alles, maS ©ünbe 60
584 Sßcrfurfjung
Ijetfjett barf, berneint, ©od) roirb bie 23orau!fe$ung ber Schrift, bafj bie ©ünbe in leinem
©inne Don ©Ott flamme, folglicb. aud) nidjt nottoenbige 2Birfung ber Anlage bei enbltcfyen
2Befen! fei, nur bogmaiifd; feftgeftellt werben fbnnen; aud; $efu ©ünbloftgfeit ift ja
©ogma. $m übrigen ift bie aufgeworfene $rage eine muffige, ba für alle Slbamlftnber
5 mit Slulnafyme bei einen bie ber SBerfudmng entfbred;enbe löbernbe eigene 33egierbe unb bie
©d;toäd;e bei gleifcfyel borauljufeijen ift.
©ie Regier entfbridjt einem angebotenen ©ute, toäfyrenb bie 9lebe ^efu bon ber
©djtüätfje bei gletfdjel Sftt 26, 41 ifyrem 2lnlaffe nad) an ba! berfudjenbe Seiben erinnert ;
bie berfuct/enbe 5?raft ber Seibenllagen ift im 31% befonberl betont, Sc 22, 40. 46, »gl. 28 ;
10 8, 13, bgl. 2Rt 13, 21; 21© 20, 19 (©a 4, 14); 1 5ßt 1, 6; 4, 12; ga 1, 2. 12; bod;
geigt fogleid; bte urbilblid;e SSerfudjung bei 9Jtefftal, bafc bie anbere 2trt bei Steige! nidjt
gurüdftritt, namentlich, ©innenluft unb §abfud)t berfd^tebener Stiftung, »gl. nod) l£o7,5;
10, 6 f. ; 1 %i 6, 9. ©amit finb mir bei ben berfud)enben Slnläffen, unb in biefen
fünften ift auct) bie Stntnübfung für ben berfudjenben 2lnreig in folgern gatle gu er^
15 lennen, roo it)m leine fünbltd^e Anlage entgegentame. ©ie (Einteilung in 23erfud)ungen
burd; Suft unb in foldje burd; Seib ift alfo berechtigt; nidjt aber, ioenn SButfe (§anbbudj
ber d;riftlid;en Sittenlehre, § 221) für bie erften bie allgemeine 2kgeid;mmg beibehalten,
bie anberen Anfechtungen fyeifjen will, ©er biblifdje ltrter.t madjt feinen folgen Unter=
fd;ieb, unb Sutfyer ebenfotoenig a. a. D. ©. 220—3 ; übrigeng »gl. unten. — ©iefyt man
20 nun »on bem Übel unb ber Verfügung burd) Seiben, Weldje! bie SSirlung ber ©traf=
orbnung über „biefe 2BeIt" ift, einstweilen ab, fo liegt geWifj in ber 2Röglic|!eit für bie
Aneignung eine! ©ute! unb in bem embfunbenen Steige bagu an ficb. leine Abfdjüffigleit
gum Söfen ; unb fo ift benn aud; in ber ©d;rift bie Verfügung ber ©rftgefd^affenert nid;t
au! ber bloßen Sage abgeleitet, fonbern als» Verführung bargefteHt, unb biejenige bei
25 anbern Abarn fettf ntdjt nur bie „©ünbe ber 2Belt" boraul, fonbern fommt bon bem
„Verfucfyer" §ier tritt alfo gu ber anreigenben ©abläge nod) ©inWirfung ber pborI)an=
benen Unfittlid;!Eeit bjngu. ©ag für)rt gunäcbjt auf bie biblifd;e Anfd;auung bom Ärgernis.
■^k.":- unb -^ nebft ben ©eribaten finb in LXX abtoetfjfelnb mit jiQÖoxojujua unb
oxävdakov überfeist (bgl. über biefe Sßortfamilien Gremer a. a. D. s. v.); ebenfo t»edj=
30 feit Sutfyer gWifdjen „Anftofe" (bgl. Se 19, 14; $r 4, 12) unb bem häufigeren „Ärgernis"
(2 So 6, 3 für jiqooxoth]). ©a! ©);nont)m nayig 1 %\ 6, 9 in feiner Weniger berWifd;ten
SBilblicfyfeit geigt, bafc ber SEon l)ter burd;aug auf bem (Ergebnis, auf bem %aü, liegt (bgl.
(Sremer s. v. oxavd). ©a§ 212 nennt fo bie berfüfjrenben Vorgänge, t»ie ©ö|enbienft,
j. 33. @£ 23, 33; ^f 106, 36. 2öo Sefuö ben 2luSbrucf brauet ÜJtt 18, 6f., bgl. 13, 41,
35 ba richtet er ben Slicf juerft auf bie 2Mt ober ba§ fünbige ©efamtleben ber ^Jcenfcfyen,
innerhalb beffen bie berfüf)renben Slnläffe nid;t aulbleiben fbnnen. ©aju ioirb i^m felbft
jener S^at bei ^ßetrul, ber ib,n bon ber Seibenlba^n ablenfen möchte, roäb,renb fie bocf)
feine Seruflaufgabe bilbet, 9)U 16, 23. Söenn bie ebelften Seftanbteile bei menfcpcfyen
Sebenl ju berfül>renben Heilmitteln roerben !önnen, 9JJt 18, 8 f., fo ift babei bie innere
40 Sereitb, eit, nämlia; 33egierbe unb gleifd; boraulgefe^t, bgl. Wlt 5, 28 f. ^nbel unter ber
SBertotrrung bei Urteils fann aucl; an fid; berechtigte! %i)un einem anberen gum Slnftofe
werben, toenn el ib,n gur 9fcadjab,mung beranla^t, roäb^renb el ib^m all bermerflicb. gilt,
1 Äo 8, 9—13; 10, 28f., ober i»enn el übertäubt bem ©lauben ein §emmni! ober eine
©ct)t»äd;ung bringt, ^a^ 33egeicl)nenbe für biefe Slnfcfyauung ift mithin, ntct;t bie anlöxr\q
45 auf ber ©eite bei ©eärgerten unb bte Hücfficttfllofigfeit auf ber bei Sirgernben (^almer,
1. 2lufl. biefel 3Ber!el), bielme^r neben bem atigemeineren Segriffe ber ißeranlaffung jur
©ünbe ber Umftanb, bafc bal bon ber ©ünbe beftimmte Seben bem unfitfjeren 3Jienfc^en
überaß folcfye ©elegenl)eiten jum %aü entgegenträgt, man ficfy barum aud; olme befonbere
2Ibfia)t toec|felfeitig in gemeinfame ©d>ulbberb,aftung hineinbringt. Db „gegebenel" ober
60 „genommene!" Ärgernil, e! ift §intoeil auf bie ©olibarität be! menfdjlicb. en Söfen ; bal)in
gehören namentlicl) aud; bie gäEe, roenn einerfeitl (Srlebniffe ober 33erl)alten bon Sbjiften
anberen gu ^emmniffen bei ©lauben! roerben, ©a 4, 14, fomie roenn bie richtig beur=
teilte ©ünbe eine! anbern boct) beranlaffenb auf unl roirit, ©a 6, 1 ; $ub 23.
©a! füfyrt bann nod; roeiter gurücE auf bie etroaigen berfönlid;en Urheber ber SSer=
55 fud)ung. ©er anbere 2lbam ^at el in feiner grunblegenben 3Serfua)ung mit bem Teufel
gu t^)un gehabt, roie aud; in feiner legten Seibenl^eit, Sc 4, 13; %o 14, 30; £br 2, 14. 15.
©erfelbe ftel)t hinter ber berfüfyrenben ©erlange im ^5arabiefe, 2 Ro 11, 3; Dffb. 12, 9;
20, 2. ©er SSiberfad>r ober Anlläger (Dp. 12, 10) ift bie treibenbe üfiad;t bei ben
bie Gbriftenljeit treffenben berfud)Iid;en Verfolgungen, 1 ^t 5, 8. 9, bgl. 4, 12; 1 %$ 3,5;
60 Dffb. 2, 10; bgl.3,10; 3Kt24,9f. 21f.; fein 3)Jad;tmtttel ift bie berfuebenbe £obe!furd;t, §br
Skifurfjung 585
2, 14. 15. 18, tüte bie ftnnlicfye Segter, 1 Ko 7, 5; feinem Sieidjc gilt ber Sßiberftanb im
Kampfe ber ©laubenSbeWäbjung, @bl) 6, 10 f. §n a^in erwähnten Sieden ift aber nie
bon einer unvermittelten (SinWirfung auf ba§ 3nnere/ ü0" einer Eingebung bie Siebe;
überall erfennt man bie auf bie ©eele toirfenben Sermittelungen fo gut tote im Sud;e
£iob. Son %ut>a$ nimmt ©atan nid)t bel)uf3 ber Serfucfyung, btelmefyr nad) gelungener 5
itofüfn-ung burd> ©eig, fortfdjreitenb Sefi|, %o 12, 6; Wlt 26, 14f.; ^o 13, 2. 21f. 2ß0
biefe le|te berfucfyenbe Wlad)t ermähnt Wirb, ift bon bem ©lauben3= unb ©ebetlleben bie
ftebe; ba treten bie tiefften ©egenfä|e in ba§ ©eficfytffelb, übrigeng aber Wirb bureb, biefen
3(u§blid nur ber gufawmenfyang bex SSelt boller 3lrgerniffe beutlid;er bor ben 33ltdE ge=
fteßt unb bamit atterbingg ber (Srnft ber ©abläge eingeprägt; benn in biefem 3ufammen= 10
fcange ber iHnfedjtung be§ ßr/riftenleben€ ift 5ßlan unb ©efcbjd, 2 Ko 2, 11; ©tob, 6, 11.
ireffenb ift ba§ für bie 6tb,i! I)erauSgef)oben burd) b. Dettingen, 61)riftl. (Sittenlehre, § 10.
£)od; mürbe e§ bem Serfaf/ren ber 1)1. ©d)rift Wiberfbredjen, Wenn man nun mit Silmar
©.161 f orbern Wollte, bei aller Serfuct/ung ftcb, il)ren fatanifcfjen llrfbrung bor jub, alten;
fie richtet ba§ 2luge bodb, jumeift unb mit 5Rad)brud bielmet/r auf bie bermittelnben SRetge. 15
Mein alle ©elegenfyeiten gur ©ünbe, and) btejenigen, beren fict) ber Serfud)er be=
bienen mag, fielen unter ber Slßmact/t bes> lebenbigen ©otteg, unb gerabe bem Sefenner
liegt e§ nafye, ba3 Serfudjenbe feiner Sage auf bie Sorfefmng jurüd^ufüb/ren unb baburd)
bie SerantWortung für ben etwaigen %aü abjufd;ieben, %a 1, 13. Sie altteftamentlidje
3tebe bon ber Serfucfyung burd) ©Ott fommt nun b,ier nicfyt mel)r in Setradjt, benn bort 20
ift bon einem „prüfen" bie S^ebe; aßerbing§ Wirb man nid)t überfein bürfen, bafj and)
im 31% fid) bie Segripfdjeibung noeb, nicfyt böHig gefeftigt I)at. ©od; Wirb e§ al3 grunb=
legenbe ©etoifjfyeit gelten bürfen, bafe ©ott nicfyt Urheber bes> Söfen ift unb behalt) and)
nidjt berfucfyt, Wiefern bei Serfudjung ein 2lbfel;en auf guftanbefommcn be<§ Söfen ob=
toaltet. ©0 ift ifym nirgenbä mefyr bie Sfyätigfeit be§ Serfud)en3 jugefdnueben, fonbern 25
nur ba§ hineinbringen in bie bon felbft gegebene berfudjenbe Sage, Sc 11, 4. Serfudmng
unb Ärgernis finb nidjt bon ©ott I)er Qa 1, 13; „©ott Reifst mit liebeln unbertoorren, Weil
ba§, toa§ bon ib,m fyerfommt, nicfyt mit ©djlimmem berflocfyten fein lann, ba<S un<8
jum Söfen reijt" b. §ofmann a. a. D.) ; boeb, ftnb fie in ber äöelt, bie unter ©otte§
Drbnung unb Senfung befte^t. @g ift nun ©acb,e ber fog. SEr)eobicee, barjutb,un, wie 30
biefe 2b,atfacb,e mit ber ct/riftlidjen ©otte§erfenntni§ au§jugleid)en fei, unb bas> !ann b,ier
nidit nebenbei abgemalt Werben. 3noe^ $ oaran ju erinnern, ba§ bie Sßermittelung ber
£ünbe bureb, 3Serfud;ung fie bebingtertoetfe entfd)ulbbar macb,t unb be§fyalb bie @rlö§=
barfeit be§ ©ünber§ mitbebingt; ber Segriff ber 33erfudnmg ertoeift fiel) atö ©renjbegriff
einerfeitg gegen ben 2)etermini§mu§ unb anbererfeitö gegen einen ^effimi§mu§, ber bie 35
©ünbe sur Soweit unb $ur ©rfinbung be§ 5Dtenfcb,en mad)t. ^ro^bem bleibt bie ©d)toierig=
feit, ba| 3efu§ lefyrt, bie unbermeiblid;e 5ßerfud)ung fieb, ju berbitten, bgl. ^E^olud, ®ie
Sergrebe, 5. Slufl., ©. 398 f. 2Ran barf ja mit bem 2lboftel lehren, jene Sagen feien in
U)rer berfud;enben SBirfung ntct)t übermächtige Fügungen bon ©ott b,er, bielmel)r bon ib,m
nacb, menfdjlid;=fittlid)er $raft bemeffen, unb fie fielen bergeftalt unter ber 3Sorfeb,ung 40
©oüe§, ba^ eben b,ierburd) eine unroiberfteljilidje Söirfung in malam partem au^gefdjloffen
bleibt unb im äufeerften $a& e§ bem 6b,riften nidjt an befonberer 2lus>I)ilfe feb,lt, 1 ko 10,
13; 2 ^5t 2, 9 ; §br 4, 16. Söenn aber fo ber drfolg in ber 33etoäb,rung befielt, fo be=
greift fid; um fo Weniger, Wie man unternehmen bürfe, ©otte^ ©cb,u| bagegen ju erflehen.
Slllein jene 3uberftcb,t auf bie göttliche gü^rung barf bod) nur ber Wacb, fame Seter biegen ; 45
ber Seidjtfertige berfäUt bem glucke be§ 3u^ammm^an8g oer ©"^e, 1 Ko 10, 12 ; 9Jct
26, 41, bgl. Sc 22, 31 f. Unb gerabe ber Sufjfertige, Weldjer feine ©d)ulb bor fict> [teilt,
toirb fieb, jugleicb, borb, alten, Wie aueb, er eigentlid) biefem glud; e berfallen, unb ferner, Wie
gering feine SöiberftanbSfraft unter bem Sänne ber 3uftanb3fünbe fei; e§ ift in ber=
neinenber gorm bie Sitte um SeWabjung bor bem, \va§ in ber berfud;enben Sage bie eigent= 50
lidje Serfucb,ung au3inad)t, bie ber @rb,örung geWiffe Sitte barum, bafj ©ott eben niebt
julaffe (1 Ko 10, 12), baft bie Sagen ju Serfudmngen über ba§ Sermögen ioerben (bgl.
b. §ofmann a. a. D. ©. 286 f.; Kamb^aufen, ®aö ©ebet be3 §errn, 7 2lbfd;n.). greilieb,
ift biefeö ©ebet ber 2lu§brud eineä fittlicfsen SeWu|tfein§, Weld^eg fieb, über ©dmlb= unb
Sünbenmacfit nict)t furjWeg f;inau§geboben Weife, bem bielmefyr bie ©ünbe ber Ser= 55
gangenfjeit unb ber ^«^"ft noc^ ?m *oid;tigfte§ anliegen in feinem Serfebje mit ©ott
bilbet.
£er Segriff ber iserfudjung gehört mithin guerft in bie Sogmatif, näfyer in bie ct)rift=
licfje fiebere bon ber ©ünbe; ib^m fommt bie Sebeutung 31t, bafj er bie CSntfteljung ber
©ünbe innerhalb ber StRenfcb.^eit übertäubt unb bann in jebem einzelnen 3)^enfct)en unb 60
586 §ßerfnd}mtg SBcrjütfung
galTe fo erflärt, bafj fie triebt aU Sonett erlernt, rnelmebj aU öergebbare Verfehlung,
ofme bafj bodj ifyre Veranttoorilicrjfeit aufgehoben mürbe, ©iefe @inficr)t erflärt mor;l, bafc
bei $ul. SDtüßer biefe 2r)atfacr)e gang in ben £intergrunb tritt, benn ir)m faßt aße§ ©e=
iüirfjt auf bie unbebingte Verfcfyulbung. 3)ie c§riftoIogifdje ober foterologifcfye $rage fann
5 nur in bem gufammenfyange ber ©ogmatif (SBiffenfcr;. § 380. 384) ober be§ fog. Seben
$cfu ifyre Erörterung finben. sJttct)t minber roictjtig ift fobann bie @rfenntni3 ber Ver=
fucfyung für bie tfyeologifcfye ©tfyif', wenn biefe fid) nicfjt ber Sftüdftd^t auf ba§ mtrflidje
Seben für entbunben fyält. SDenn einerfeitS fe|t ber bolle @rnft be§ KamtofeS eben 2öiber=
ftanb§fäfytgfeit »orau3 unb anbererfeitg toeifj ber fein Vaterunfer betenbe Sfyrift fid) am
10 menigfien über ben ©trett f)inau§. 3Ran mag e<§ einfeitig bogtnatifd) gebaut freiten,
toenn §arle| in ber ©tfyif gar nid)t über bie |>etlsberoafvrung f)inau£>fommt unb Vilmar
nur eine ©enefung§gefd)ict/te ju geben meifj ; boct) eine ©ntmicfelung d)riftlict)er ©tttlicttfeit,
für meiere ber fortgefyenbe Äambf au§ bem ©efict/tSfreife fiele, läge bon ber biblifct)=nü<r)=
ternen Betrachtung ber 2öirHicr)feit weit ah ; mit gutem ©runbe befyanbelt bal)er r>. Dettingen
15 al§ eine befonbere ©eite be§ 4>rtftli4)en Seben<§ ben Kampf be§ neuen 9Jcenfcr)en mit bem
alten, a. a. D. § 82 f. ©er 2lnret§ jum Stücffall in ba§ fünbige treiben liegt nun für
ben fiefy befefyrenben (Stiften, — unb ein folcfyer bleibt er nad) ebangelifcfyer Raffung fein
Seben lang — innerhalb be3 ganzen UmJretfe§ feiner SebenSbejiefyungen, menn aueb, jeber
je nad) feiner ^nbibibualität unb Vilbung feine befonber§ gefährlichen Vereisungen I)at
20 unb fennen lernen mufj. SBenn bie (Stfnf eine Slobif ber ©ünbengattungen entfaltet, toie
3. V. Vilmar<§ 1. SEeil unb 2Buttfe§ 2. SEeil, fo bietet fie in berfelben jugleid) eine atl=
gemeine Orientierung für ben ßtmftenfambf unb »ergegentoärtigt bie 9cotmenbigfeit ber
nüchternen SBadjfamfeit ; afö ©egenmittel fann inbeS allem bie jufammengefafjte Slrbeit
an bem d)riftlid)en 6t)arafter, bie ©elbfterjieb,ung ober 2l3fefe gelten, ob,ne bie aud) bie
25 2Bad)famfeit nicr,t oorfyanben fein fann (2öiffenfcf). § 669f. 681). Unb ifyre ©eele ift bie
Vefeftigung in bem fid) betfyätigenben ©lauben. Unter biefem ©efidjtlbunfte werben bie
Verfügungen im ttefften ©runbe ©laubemianfecfytungen, unb, mag man infonberfyeit fo
genannt l)at unb nennen mag, bie 3weifel, toelc^e bie c^riftlid^e Überzeugung ober bie
Ijeifögewifjfyeit be§ ©injelnen in§ SBanfen bringen, treten unter ben fittlictjen ©efid) Mtounft,
so inbem fie ben ©tanbbunft be§ ©treitenben untergraben, ©ben aud) bafür ift bie Ver=
fucfyung Qefu tr/bifd), in ber e3 auf bie Verleugnung bemütigen ©Iauben§ abgefefyen mar;
jugleid? tritt babei b^erbor, ba^ eö für bie ©otte<8rmber aueb, in if)rem ^inbeöftanbe befon=
bere (Gelegenheiten jum Stocffall in b,abfüd)tige .'poffa^rt giebt. üDaran fcb,lie^en fieb, bann
bie Verfügungen, bie au§ ber ©icb,erf;eit bes> ©icger§ ermac^fen, SDtt 12, 43f., bgl. 1 ^0
35 10, 12. SDiefeg innerfte Kampfgebiet beS 6b,riftenftanbe§ ift e§, beffen (Srfcfyeinungen man
in befonberem ©inne bie SBejeidmung „2lnfed;tungen/y giebt, ^mar ofyne genügenben 2ln=
b,alt in ber 33ibelfürad)e, auc| ber beutfetjen, unb bod) in Slnle^nung an Sutfyer, ber bie
33ejeid)nung feinen Seb,rmeiftern in ber Tii)\t\t entlehnt b,at, bgl. gering, ®ie 3Jlbftif
SutberS 1879, ©. 116f.; 3. Äöftlin, Sutb,er^ Geologie, befonber^ 2, ©. 465 f., 2. 2lufl.
40 2, ©. 108; boeb, bleibt e§ babei, bafj eben jebe Verfügung aud) 2lnfecb,tung toirb, unb
b,ier roirb nur fyerborgeboben, mie fiel) tf)re ©toi|e gegen ben Veftanb be§ cfyriftlidjen Seben§
richte. ©egb,alb ift aueb, bei ben Verfügungen bie ©Iauben3bemäl)rung i>a§ 2Befentlid;e,
Sa 1, 2f.; 1 «pt 1, 6f.; 5, 12. 13; £br 2, 18; 4, 15, bgl. 3, 19; Sc 8, 13; 22, 31. 32;
@bl) 6, 16. Um fo berftänblid)er toirb bann ber 9iücfblid; auf ben biabolifa)en §inter=
45 grunb, auf ben „bofen geinb", beffen ©inn auf bie ©cfyäbigung beg ©otte^reieb^eg unb
bie 2lblbfung feiner ©lieber gerietet ift, fflt 13, 39. 41; 2 lo 2, 11; 1 %i) 3, 5; 1 5ßt
5, 8 f. — ©a§ ©inline biefer Verb, anbiungen ift bie ©acfye einer Kafuiftü, bie, auf einer
cr>angelifd}en @tb,if grünbenb, bemüht ift, fid) felbft überflüffig ju machen, roie bie alt=
broteftantifd^e unb »ietifttfdje, ober ber lebenbigen Äafuiftif, nämlicb, ber ©eelenbflege ober
50 ber ebartgelifcfyen Veicb,tübung. 9Ji. Ml)fer.
VerWani»tfd)oft f. b. 21. @^ered?t Vb V ©. 209,9.
5Bei-manbtf^oft, getftltdje, f. benfelben 21. ©. 211,33.
SBcrjütfimg, @ntf)ufia§mu§, ©cb,roärmerei. — üitteratur: ®te 319t. in ben
m VII ®x257, I9ff. genannten üeiita; ber 91. S^eoloqte, mVjfttfctje 93b XIX ©. 631 ff.;
55 3ffeint)arb, ©ijftem b. etniftl. SKorat, I, 51814, ©. 441 ff., mo aud) ältere Sitt. angegeben;
91. ©dilatter, 3Sa§ ift rettgiöfe ©d)tüänneret? 93ortrag, 1883; SS. SBaUljer, ®tn SKerftnat be§
©d)radrmergeifte§, Sortvag, 1898; berf., ®aä 3eugni§ be§ E»eil. ©eifte§ naeö, Suttjer unb nad)
SScvjütfuttfl 587
ntoberner ©d)tuärmerei, Vortrag, 1899; Mantego^a, Sic Gfftafen beo lljeiifdien. 9(u5 beut
Qtaf. »• STeufdier, 1888; ilhirifier, Les maladies du sentiment religieux, 21903, ©. 7 -72:
L'extaso; 2t). 9ld)eft§, Sie ßfftafe in i£)rer fulturellen SSebeutung, 1902; SBorbrobt, 3ur;iieU=
qkm§pfr,cf|otogie: ^rin.ypien unb ^attjologie, ££)@tS 1906, ©. 237—303; 33erf, S)ie Efftafe.
Gin Beitrag pr $fl}d)ofogie u. SSblferfunbe, 1906; ffisunbt, S35Iferpfl)d}o(ogie, 2. 53b : 9Jh)tf)u§ 5
unb Seligton, 1. Seü, 1905, ®. 397—408: gfftatifd)e Jnn^e; 2. Seil, 1906, ©. 94—109:
SSifion unb ©ffrafe, SSadpifion unb £rtutmr>tfion, Sie '•ßropbetie, Webi^inmann u. ©diamane,
3). ©ffrafe at§ ^Befreiung b. Seele oom Körper. — $eli£fdi, ©ijftem b. bibt. «ßirjdjologie, 21861,
©285. 354 ff.; ©tabe, S3i6L S£jeo(. b. 912, I, 1905, 9Iegifter; ^ffeiberer, 9teiigion3pf)tk>fop£)ie
auf gefd)id)tl. ©runbtage, 31896, bef. ©.679 ff.; SameS, ®. retig. (Srfatn'img in iöver Mannig* 10
faltigfett. 3n3 2eutfd)e übertr. n. SBobbermin, 1907; ©toll, ©uggeftion unb £>t)pnoti*mu§
in ber S3ölferpft)cf)oIogie, -1904; Soft), $ft)d)ofogic beteiligen, lle'berf. u. <J5(etI, 1904; ftenrn
fflJeige, Les Poss£d6es des Dieux dans l'art antique. Nouv. Iconographie de la Salpetriere,
1894. Eine „@e}tf)id)te ber nridjttgeren religiöfen SSifiunen" bei ?X. Metjer, Sue Stuferftefjung
Gfjrifti, 1905, ©.217—272; bafetbft ©.272-290 eine «ßftdfjologie unb $atf)oIogie ber 15
Sßifionen unb ©. 364 f. ntebt§tnifcf)e Sttteraturangabe; 2tj. Sraun, Sie retigiöfe ' 9JSaf)n=
bilbung, 1906.
3u 9?r. 2: 23aentftf), $atf)oIogifd)e 3üge in 8§rael§ ^rop^etentum, 8tt>2& L, 1907, 52
bt§ 81; Sßouffet, Sie «Religion beä gubentumS int neuteft. Zeitalter, 21906; SSeinel, ®. 23ir=
fangen be§ ©eifteö unb ber ©elfter im nad)apoftoüfd)en geitatter bi§ auf 3renäu§, 1899; 20
ftolf, gntt)ufia§mu§ unb 93ufjgemalt beim gried)ifd)en Münd)tum, 1898; ©rafj, 2. ruffifcben
Seften, I, 1907; «Jkeger, ©efditdjte b. beutfdjen Mttftif im Mittelalter, 3 33be, 1874, 81, 93;
Stöcfl, ©efdjidite ber $f)tfofopt]ie be§ Mittelalters, 3 S3be, 1864—66; tropalfdiecf, ®. ©d)rift=
prin^ip ber (utt). ft'irdie, I, 1904; ©rüßmadier, Sßort unb ©eift, 1902 ; Rödler, .?t§fefe unb
9JJönd)tum, 2 Sßbe, 1897; gletfd), Sie moberne ©emeinfd)aft§beroegung in Seutfdjianb, 21906. 25
1. 2Iu§ ber ©efcfyidjte be§ ©brad)gebraud)§. £utb,er gebraust „entjüdt
toerben" an ben brei ©teilen be§ $1%: 2t© 10, 10; 11, 5; 22, 17, too sxazaoig nid)t
toie fonft im %l% „@ntfe|en" (Sutfyer), fonbern benjenigen guftanb bebeutet, für toelct)en
„Serjüdung" üblicher getoorben ift al3 „©ntjücfung" (Vulg. l)at excessus [unb Stupor]
mentis). (Sdart fagt an einer berühmten ©teile (f. 33b V ©. 154,17) „inzuek" unb 30
„zuck" (ed. Pfeiffer ©. 553/4) für ein @riebni<§ tote ba§ Paulus' 2 ®o 12, 2. 4, too
«utt)er§ „ent^ücft" Serben „entrücft" toerben bebeutet (bgl. j. S. 2Ö2B SB2I XV, 37, 3),
alfo aQjidCeo'&ai genau totebergiebt. 2luf «ßaulu§' berartige ©rlebniffe fd)eint i^earrjjuev
2 $0 5, 13 ju gelten, toäf)renb 9Rarfu§ bei egsorr] 3, 21 nicf)t an ©erartigeS, fonbern
toor/I an ejcentrifd)e§ Söefen gebad)t toiffen toiH (Don feiner Queue toar btetleid)t 35
nur ber SSortourf gemeint, ba§ 3efu§ au€ £>eimat, gamilie, Seruf „fortgelaufen" fei;
anberS ©^itta, ^ur ©efd). unb Sitt. be§ Urä)riftent. III, 2, 1907, 130 ff.). "Exaraoig,
exorfjvat, 33erpifung brücken aug, bafe bei bem betreffenben @rlebni§ ein „heraustreten"
ftattfinbet. „®er im f^äteren ©ebrauct) fef)r abgefd)toäd)te unb abgegriffene Sluibruct ift
urfprünglid), toie fia) bon felbft toerftefyt, eigentlich gemeint, um einen ,2Iu§tritt' ber ,©eele' 40
aug tyrem Seibe ju bejeid;nen", Sterbe, $fi$e 2II, 192); 603), toeld)e§ Sßer! (f. Gegiftet)
ben reIigiDn§gefd)id)tIid)en §intergrunb bon Exazaan; barfteHt: ®iont)fo§reIigion unb 3n=
fbiration^mantif. ®er 2Iu§tritt ber ©eele fyat jum Hombtement ib,r ©tngeb, en in bie ©Dtt=
t)eit, it)r ©in^toerben mit biefer. %üx ba§ „Slu|erfid)geraten" im %l% gilt im allgemeinen
nicfyt ettoa nod) bie 3SorfteUung ixxög xov oco/uaTog 2 ß'o 12, 2, fonbern bie abgefd)toäa> 45
tere, fubtilere, baf? bie ©eele au§ ifyrem natürlichen, ^eilftnnigen (oaxpgovovfiEv 2 $0
5, 13) ^uftanb in ben üneumatifd)en entrüelt toirb, yereofim lv nvevjuau Utb! 1, 10; 4, 2.
®iefe gormel, bag Jbmtolement ju ev ixordosi in ben ©teilen ber 21®, ift ber einfacbjte
Slusbrud für bie ^uftänbe, auf bie ber $unftau§brucf ber gried)ifcf)en Äultfprad)e iv&ov-
otaajuög (bgl. Sb IX ©. 187, 26 f.) angetoenbet toirb, f. 9?^obe a. a. D.; ©rubbe, ©rted;. 50
•Biologie unb 3f{eIigionägefc^icf)te, II, 1906, 3tegifter; ®ieteric^, @ine 9)JitI)ragIiturgie,
1903, 97 f. @r bejeicf)net, ba^ ber ©ott in ben 3Kenfd)en gefahren, biefer „be§ ©otte§
boB", bon ib,m „befeffen" ift. ^m tlrcfjriftentum finbet fid) für ben ju fxoTfjvai unb
hftovoiuv S)isbonierten fieoepogog (^gnatiuä init.; bgl. d-eocpogoi, xQLorocpogoi Eph.
9,2 unb Evdeov Tral. 8, 2 Sigrjtfoot), Tirsv/uarocpogog (§erma§ mand. 11, 16) unb 65
ju Äorintb einfach nvEVfiaTixog, „begeiftet" (Söei^fäcler), 1 $0 12,1; 11,37. [Tc5\
^vEvjuari gelingt naä) 1 ,Uo 14, 2. 15 f. getoiffen Triften ba§ 3unÖenre^cn (f- *>• ^-)-
fV Tivet'/iaTi -&EOV treibt ^efu^ nad^ 3Jlt 12, 28 bie Dämonen au§. 211^ 2Birfungen
einer ben ^ienfdjen au^er bem getoöfmlid)en Seelenleben entrüctenben Segeiftung gelten
bie @rfd)einungen, für bie man „clftatifd/' unb „entJ)ufiafttfd;" gebraucht. -Sflan bertoenbet wi
biefe SLermini nid)t nur für biejenige 33egeiftung, toeld)e ©efidjte unb Offenbarungen
Vermittelt, toorum cS fid; in jenen ©teilen ber 21© unb 2 ih banbclt. 2)e§b,alb ift ber
588 SBeräüÄung
blofs fyierbon abftra^ierten @renierfd)en 93efttmmung ber btbtifrf>cn ©fftafe in 33b IX
©. 186/7 etwa bie £ol|mannS (@ut^e§ 23ibelmörterbucb, ©. 159) borzuzieljen: „9Ser=
feijung auS bem natürlichen in einen l?i%ren guftanb Zum 23elmf ber Mitteilung befon=
berer Offenbarung ober Vorbereitung auf grofje Seiftungen" ©enn eS gelten bodj aucb,
5 ©eifteSgaben toie eben Z- 93. baS ^ranfenfieilen (f. ©. 587,5b) als efftatifcr;=entfw=
fiafiifd). 2Benn fo befanntlid) feit bem Altertum aud) nidjtreligiöfe ©tfcfyeinungen, j. 93.
baS fünftlerifdje ©djaffen (man bgl. bef. 9?ie|fd)eS fefyr mertboEe ©djnlberung ber @!ftafe,
in ber er ben garatfyuftra fd)uf, 2lutobiograb§ifcf;e ©fijjen, §erbft 1888) ober r/öcbjt=
gefteigerte 2lffefte, bezeichnet toorben finb, fo muf? man ben religiöfen §intergrunb babon
io nidjt überfein : bie f onftante Neigung beS SRenfcb, en Don ben ©öttern ober SDämonen
bidjrterifcfye „23egeifterung", £iebeS„befeffenfyett" u. f. ir>. herzuleiten (»gl. 33b IV ©.409, 27ff. ;
2BeHb,aufen, ÜRefte arab. §etbent.2 ©. 156. 163: »a^nfinnige Seibenfcfyaft rüfyrt bon ben
©inn fyer).
2luS bem fircb, liefen ©bracfygebraudj ift ju notieren, bafj ber SftontamSmuS (f. 3lx.2)
15 nicr)t baju ausgereicht t)at, bem Söort „dlftafe" einen Übeln ©inn zu beriefen ; erft neue=
fienS mag eS einen folgen für bie fyaben, benen fcfyon bie grage $ein macfyt: „2Bar^efu6
(Sfftatüer?" dagegen fyeifcen „©ntfmfiaften" bie 2JceffaIianer (f. 33b XII ©. 661), nacb,
%f) eoboret (hist. ecel. IV, 10, MSG 82, 1144 A): „daljuovög xwog ivegyeiav eigde%6-
/uevoi xal jcvsvjuaTog ayiov nagovoiav ravrrjv vjroXa/ußävovrsg"
20 ©iefe (üntb, ufiaften berbammt SCRelanc^t^on als fanatiei spiritus in ber Augustana
variata 21. 5 unb Apol. 203, 13. 2lud) in ben ©cfymalMbifcfjen 2121. (©. 321 f.) unb
ber Äonforbienformel (21. 2 ; 525, 13 : „@ntr)ufiaften fyeifjen, bie ofyne bie ^ßrebigt ©otteS
SöortS auf f/immlifcfye (Erleuchtung beS ©eifteS märten") ift ©ntfyuftaften ein $e|emame
(bgl. WlüM ©. 879). 23etanntltd> b,at Sut&er a. a. D. (t>gt. 2Ö2B @2i op. lat. var. arg.
25 VII, 176) gefagt: „Da§ ^abfttum aucb, ein eitel @ntr)uftaSmuS ift" u. f. tr>. SSgl. aud;
2irnolbS Äircb/en= unb $e£erf;tfiorie, 2. Seil, SRegiftet unb 23b XVI ©. 357, 4. ©eit £ar=
nacfS ©ogmengefdjidjte fbricfyt man biel bon urc^rtftlic^em (SntfyufiaSmuS unb meint bamtt
eima alles baS, maS mir in ÜJlr. 3 zur „©cfymärmeret" werben reimen muffen.
©rimmS Söörterbucr) unterfcfyeibet bei fdjmärmen, ©cfymärmer, ©cfymärmerei, fcr)mär=
30 mertfd), im geiftigen ©inne, bom irgenbmie ab-, auSfcb>eifenben ©ebanlen= unb ©emütS=
leben gebraust, brei 23ebeutungen. ®ie erfte, im 16. $afyrl)unbert unb fbäter, bef. bei
Sutfyer (aber nirgenbS in ber 23tbe0, ift immer bie religiöfe, auf ^rrgläubigfeit jielenb.
®er gtoeite ©inn ift ber toeltltcfye unb allgemeine : e§ finb fcb,arfe SCuSbrüle für ungezügeltes,
unbernünftigeS, bermirrteS geiftigeS ©ebaE)ren. ®er britte, milbere ©ebraud) zur 93ezeicb,=
35 nung einer übertoiegenben |5b,antafie unb 93egeifterung ift erft feit bem legten ©rittel beS
18. ^a^^unbertö auSgebtlbet. 23ei Cutter mürbe „©ditoärmer", ,,©cb,marmgeift" ein
gegen mehrerlei getoenbeter 23egriff. $uerft riebtete er fieb, gegen ba§ „©türmen unb
©c^märmen" miber 23tlber unb ©aframente, gegen ben ungeftümen, bon ber öffentlichen
Drbnung abfcfyweifenben, 2lufrub,r mac^enben Umfturj bon 5tultu§= unb 23erfaffungSeinricb.=
40 tungen (bgl. 2B2B 2B21 15, 221, 1; 345, 20; 393, 18 ff.; 395, 7. @2l 29, 143. 147. 150.
168). Sßeiter meinte Sutfyer bamit ba§ e!ftatifcb,=entb,ufiaftifcb/e2lbfi$meifen ber neuen „b,imm=
Itdjen ^robfjeten" bon ber ©cfjrift auf ben ©eift, ba§ innere 2Bort, unb ba§ rational
fierenbe 2lbfd)meifen ber ,,©a!ramentfc^änber" bom ©d)riftter.t in ber 2lbenbmab/lSlebyre;
bgl. ©21 63, 387 gegen ©ebaftian granef: „$)a b.öreft bu mobl, bafs er ben 33uc£)fiaben
45 ber ^eiligen ©cb,rift (ba§ ift mein £eib) feinb ift unb nicfyt allein ein ©d;märmer ober
©aframentfe^änber, fonbern mie gefagt (©. 386) ein ©elfter unb ©ntlmftaft ift, ber nid;t
miß unter ©otteS ÜBort ober ber ^eiligen ©d)rift, fonbern SJic^ter unb SDteifter über fie
fein au§ bem ©eift" SBefanntlid) ^)ie^ £utb,er aud) Stoingli einen ©c^toärmer.
2. flöten jur ©efd)id;te ber cb;riftlid)en efftatifcb/=entb;ufiaftifcb/ = fcb, toär =
so merifcb,en @rfd;einungen, ber 2b,eorien über fie unb ifyrer ©eltung. $u
ben gefd)id;tlic^en 23ebingungen gehört ba§ 5probb,etentum be§ 212: (f. b. 21. 23b XVI, bef.
©. 91,20—52) unb bie jübifcb,e 2tbofaIr,bttf (f. b. 21. unb 23b XVI ©. 232, i 7 ff.). Sie
2fyotalr;btiter tonnten bie „^neumattfer be§ SubentumS" genannt merben (23albenfberger,
33. ©elbftbeitmfjtf. ^efu3, I, 207). SDafj bneumatifd)e @rfcb,einungen im ©bätjubentum
55 nidjt ganz festen, zeigt 23ouffet a. a. D. ©. 452 ff. §ier finbet fid) ©. 516 ff. aud; baS
93efte über bie immenfe ^RoHe ber ©{ftafe bei ^ßlnlo, bei bem fie als ein bößiger ©egenfa|
Zum betoufjten ©eifteSleben (bgl. 3ftob,be a. a. D. II, 20 ]) unb 23b IX ©. 186, is ff.) unb
als ber einzige 2Kkg zur abfoluten 2ebenSgemeinfcb,aft mit bem ©inen toafyrfyaft ©etenben
gilt. Über bie bureb, baS %l% bezeugten bneumatifcb, en 2Bir!ungen bgl. 5Rr. 3. 2Bie Iräftig
eo fold)e im 2. $ab,rr;unbert noeb, maren, b,at Sßeinel a. a. D. bargefteßt. 2lber bafj bie fird;=
SSer^üdung 589
liefen Autoritäten ©d^rift, Ambition, 2lmt (bgl. j. 33. 33b XVI ©. 7/8) bem „©eift" an
©eltung borangelommen roaren, geigte bte Slu^djeibung be3 SRontantSmug (f. b. 2t.
33b XIII, Bef. ©■ 120, ss ff.). Stybifd) för „©cBroärmeret" ift Bei iB, m baS Seifammen
ber Berufung auf neue Offenbarungen, ber gekannten ©rroartung unb 2lu3malung be§
nafyen @nbe<§ unb ber antilircBItcBen 33efämbfung ber Söeltförmigfeit burcB gefe^Itd^eä 93or= 5
f^reiBen a§fettf<f)er unb ^erotfd^er Seiftungen. ÜBer bte ©Iftafe fcBrieBen bamalä 9Jitl=
tiabeS (f. XIII ©. 77) unb SertuUian (f. 33b XIX ©. 542, 36 ff.). 33emerfengroert ift „ßbbrian
als ©ntBufiaft" (hierüber §arnad 3nt2B III, 177 ff. [bgl. 33b IV ©. 370, 20], ©. 186:
„@. ift burcB feine SSerBinbung bon (SbijfobaliSmuS unb (SntBufiaSmuS fojufagen ber erfte
s}>abft getoefen"). 2lugufttn Banbelt oft üBer bte ©tftafe (f. 2Ö2Ö ^nber), Bef. in de ge- 10
nesi ad litteram lib. XII (CSEL 28). aö2ß MSL 40, 129 befiniert er fie: „mentis
alienatio a sensibus corporis (»gl. 36, 834), ut Spiritus hominis divino spiritu
assumptus (bgl. 38, 102 ; 37, 1492) capiendis atque intuendis imaginibus vacet"
Sie roar feinem grömmigfeitSibeal ntc£)t gänglid) fremb — ein Csinflujj beS -yieublatoni^
muS (f. b. 21. 33b XIII, Bef. ©. 778, 33 ff.), in bem bte antife §od)jcBä|ung ber ©fftafe 15
ben §öfyebunft erreicBte. SDionbfiuS 2lreobagita (f. b. 21.) toagt ju fagen, bafe fogar ©ott
in fetner SIllieBe e£co eavxov yivezai (de div. nom. IV, 13 MSG 3, 712 A). ©rofj
ift bic 33ebeutung, bie (SntBuftaSmuS unb 9)iönd;tum für einanber gehabt BaBen. ©er
©egenfa$ jroijcBen ©eift unb 2lmt (f. Q. 1) feBrt in ber föirdjengefcBicBte immer roieber
in ber DeiBung jmifcBen bem felBftftänbigen ©eift ber 23irtuofen efftatifdjer 6jtrafrömmig= 20
feit unb -fittlicBIeit unb ber Orbnung ber bertueltlicBenben 9ßriefterIircBe. SJtit ber 7;-ort=
bflanjung be§ (SntBuftaSmuS burcB baS ÜJJöndjtum im 4. 3j<*B*Bunbert ^ängt aud; ber
$ri3ciHian3(f.XVI©.59) gufammen unb ber ber ©ntBufiaften (f.-Jir. 1), Bei benen efftatifdje
Xänje borfamen. 2ftan I)at bermutet, bafj Big auf fie bie ruffifcBe «Seite ber ©ottesleute
ober S&Iüften juTücJaufü&ren fei, f. 33b XVI ©. 440 f. unb ©rafc a. a. D., Bef. ©.264 25
big 304: „©ie ©fftafe". 35iefe ftetyt Bei bielen ruffifcBen ©elten ber ©egenroart im
SJiittelbunft. äftit bem (SntBuftaSmuS, ber ficB ettoa feit @nbe beS 4. $aBrI)unbert3 ber=
folgen lä'fjt, mag aucB nod} heutige 2Rönd)gfrömmigfeit in ber orientalifd,)en $ird)e gu=
fammenBängen, f. 33b XIII ©. 226,6— so unb ben 91. ©imieon 33b XIX, Bef.©. 217/8.
3öte bie ©efdndjte beS SRöncBtumS fo fünbet fortgefeijt einerfetts bie S?e|ergefd)icBte, 30
anbererfeitS bie ©efcBicBte ber ^eiligen bon ben ©Iftatifern, 93ifionären, SBunbertBätern,
$nfbirierten im Sbriftentum. 33eifbiel$>roeife einiget aus» bem 12. Qabrbunbert: ber2lnfbrud)
auf ^nfbiration Bei Standern (f.b. 21.), Soadnm (f. 33b IX ©.229, 25 ff.), fbäter Bei granj
(f.$au«f,Ä© ©eutfdjl. IV, 368 f.; üBer feine Söunbmale f. §ambe §£ 1906, 385 ff.); ber
6btrituaIiSmuS ber Drtlieber (f. b. 21. 33b XIV ©. 501,25 unb §aucf ©. 873 f.); bie 35
SSifionert §ilbegarb<§ (f. b. 21.); bie eestasis (SlifaBetBS bon ©d)tmau (f. b. 21.) unb ber
33eguinen (j. 33b II ©. 518, 10 ff.; III ©. 468,25 ff.); bie SKunber 33emBarbS unb feine
(f. 33b II ©. 636, 40 ff.) unb ber SSiftortner SEBeoriwi üBer bie ^ontemblation. 2)ie
3fttc&arbö (f. b. 21.) unb bie 33onabentura3 (f. b. 21.) fü&rt Stöcfl a. a.D. I, § Ulf. II,
§ 241 bor. 3m Mittelalter feien nocB B^öorgeBoBen 33irgitta (f. b. 2L), bte doctores 40
„ecstatici" ©ion^fiug (f. 33b IV ©. 699, 7 ff.) unb 9tur,§BroecE (f. 33b XVII ©. 269, is),
bie 23oIf3ebtbemien ber Xänjer (f. b. 21. unb 33b VIII ©. 418, 54 f.) unb ©eitler (f.
33b VI ©. 435). 2Bie ba3 (Sfftatifd}=@ntBufiafttfd)e in ber fog. beutjd;en «Dtyfitf bie äußeren
2lutorttäten untergräBt, jeigt fidj j. 33. Bei iauler, f. 33b XIX ©. 459, 4 ff.
33on ungeheurer 33ebeutung, bgl. -Kr. 3, war bie ©Reibung ber Deformation bon 45
ben ,,©a)toärmern", bgl. Bef. bie 2121. SlnaBabtiften, Senf, gamiltften, granef ©eBaftian,
Öoffmann SRelcBior, ^orig, Karlftabt, SRennoniten, fünfter SBtebertäufer, jünger, ©djroend=
felb. 23on ben 33b XIX ©. 640—643 aufgellten SW^ftilem feien als für biefen 21.
befonberg roicBtig ^erborge^oben Slerefia, ^eterfen, bie Qnfbirierten (bgl. aucB 33b VII
S. 600/1 unb X ©. 638), Sabater. SÜeiter geBören Bieter Maria 2llacoque (f. 33b VII 50
S. 777,29ff.), bie ßamifarben (f. b. 21.), bie Dualer (f. b. 21.), bie ©Bafer£ (f. b. ?(.).
3Son ben Urteilen füBrenber ©eifter im 18. Qa^rBunbert über ©cBtoärmerei ift Be=
fannt tbre 33erteibigung in ©oetbeä „33rief be§ ^aftor3" ^ant§ 33egrtpbeftimmungen,
bte teBrreicB ftnb, aud; roeil fie an ben bamaligen ©brad;geBraucB anlnübfen, f. in 9JtcHin3
Gncbfl. SSörterBud; ber fritifdjen ^i)Ho\. unter „©d)roärmerei" unb „©ntBufiagmug" 55
SBielanb bifferenjierte im „SeutfcBen Merlur" 1775 ©d;toärmerei, ganatiämuS, @nt^u=
ftalmug, 33egeifterung (2ÖS115 ed. §embel 32, 369 ff.). 1776 fteßte er eBenba bie grage
„ÜBirb burd) bie 33emüBung laltBlütiger ^ßbilofo^ben unb £ucianifd)er ©eifter gegen ba§,
toa§ fie (SntBufiaämug unb ©d;roärmerei nennen, meBr 33öfe§ als ©uteö geftiftet?" ©a=
burd; roar §erberg 2Iuffa£ ,,^3^ttofo^»E>et unb ©cBroärmerei, jtoo ©d)tt>cftern" beranlafet, 60
590 SJerpcfung
2B2B ed. ©ubljian IX, 497 ff. 2lucb, Seffing unternahm eine frtttfd^e 33eteucr;tung her
grage, 2B2Ü ed. Sa^mann 3XVI, 293 ff.; »gl. aufy „SDie (Sräiebung beS 9Jcenfcl)en=
gefcfylectytS" § 90. 9Rit Sejfing berührt ftcj^erber in einer fdjarfen Recenfton ber®utten=
fjoferfcljen „©efdfj. ber ReIigionSfcb>ärmereien in ber dbjiftl. Äircfye" (I, 1796), 2B2B XX,
5 277 ff. ; manches ©tnfcfylägtge finbet ficb, in „33om (Steift be§ ßfyrifientumS", ebenba, bef.
©. 42 ff. eine Untcrfcfyeibung gtoifdjjen ebler 33egeifterung ober ©ntlmfiaSmuS bei £|efuS,
^auIuS unb fanattfcfyer ©cfytoärmerei; bgl. aucb, über ben Sßert ber ©efüt)le im ßfyrtften=
tum „^robinjialblätter" 2Ö2Ö VII, 258 ff. unb gegen 9Jcr,fticiSmuS unb SDcetfyobiSmuS
„Briefe, b. ©tubium b. £b/eoI. betr." 2S2Ö X, 357 f.
io 3m 19. ^ab, rl)unbert beeinflußte bie Romantif baS Urteil über ReligionSfcfymärmerei
in günftigem ©inne. ^m 3. ^a^rje^nt würbe biet barüber gefcfyrieben; bie bamaligen
^Definitionen f. bei §afe, Hutterus redivivus § 6, 2lnm. 1. %üx bie §odjfcr;ä|ung
biefer ©inge bei ben SLfyeofobljen ift tr/bifcb, §ambergerS 21. „Skr^üctung" in ber 1. unb
2. 2lufl. biefer R@. ©aß in ber römifd)en 5lirct)e bie ©tigmatifationen (f. b. 21. 33b XIX
15 ©. 45) unb Sffcabonnenbtfionen (bgl. 33b XII ©. 330, io ff.) nicfyt aufhören, ift berannt. ®ie
e?ftatt{d^=ent|)ufiaftifc^-fd)lt)ärmerifd^en @rfd)einungen auf broteftantifcb/em $ircr)engebietc Rängen
meiftenS ^ufammen mit ben immer neuen „@rWecfungS"=33eWegungen, bie in ben legten
jWei ^a|»rb,unberten ^SietiSmuS (f. b. 21.) unb SRetr/obiSmuS (f. b. 21.) fyerborgerufen fyaben,
bgl. j. 53. 33b V ©. 727, 18 ff.; f. aucb, 33b XIX ©. 58, io ff. ©egenWärtig fommen in
20 bielen Sanben (SfjriftuSbifionen, gungenreben, religiöfe ^ranfentteilungen bor. $m ©ommer
1907 t/at eS bie moberne ©emeinfct)aftSbeWegung aucb, in ®eutfct)lanb baju gebraut,
f. gfyronif ber (Sfyriftl. SBelt 1907 Rr. 41: ,,©cr,Warmgeifterei im ^onfiftortalbe^ir! flaffel"
Heber „träume unb ©efid)te in ber SJiiffion" f. %. 33üttner, ©bang. 3Jiiffion§=5Ragagin,
Rg, ed. ©teiner 1900, ©. 420 ff. 473 ff.
25 3. Quv 33egriffSbeftimmung unb 33eurteilung. ®ie ©fftafe fdjieint p allen
Religionen ^u gehören. 33efonberS in ber ReltgionSforfclmng ber (Ethnologen wirb fie be=
rücfficf/tigt. ©ie figuriert ba meift gegenüber ber SSorfteHungSfette ber Religion mit 33e=
jungen gur brafttfd)en (Kultus unb Räuberei) auf ifjrer ©efüfylSfeite : als unmittelbarer
Skrlefyr mit ben übermenfd)lid)en S!Jiact)ten eine SSorftufe ber 3Rt)ftif. 5>n ber ©tlmologte,
30 aber auct) in allen anbern 3Biffenfd)aften, wirb bie 33ef>anblung ber ©Eftafe baburd) beein=
flußt, baß auct) bie ^}fr/ct)iatrie fie als ©eifteSftörung lennt. hierüber bgl. 33orbrobt a.a.O.,
ber ficb, aud) mit 2läpeli3 auSeinanberfetjt. ©ie neuefte, gebanfenreidjie 9Jconograbfyie 33ed;S
(bie SRertmale ber ©fftafc feien baS geilen beS 33eWußtfeinS beS ©egenfa^eS bon Iget)
unb Außenwelt, beS 33eWußtfetnS bon $eit uno g^auni/ a[(er 33orfteßungen unb 33egriffe)
35 fyat ficb, ju einfeitig am ©rfrem ber SRtyftif orientiert. @§ ift beaö^tengmert, baß j. 33. Ru^=
broec! (f. b. 21. 33b XVII ©. 271, m ff.) ©eficfyte unb ©fftafen noa) unter ben b,b#en
3uftanb fteEt. ©a§ aHgemeingiltigere SUefen ber ©fftafe befd^reibt 2Bunbt§ 3}öl!;erbfr/d)0=
logie. Reißen gewiffe 3uft«nbe abnorm gefteigerter ©efamterregung beö feelifd^en SebenS
bifionär=elftatifd), fo gel)t „efftatifcg" auf feinen ganzen Umfang, bon bem bie „23ifion;/
40 nur bie in bie ©^äre ber ©innesfunftionen fallenbe ©eite herausgreift, ©anj befonber§
dparafterifieren ben efftatifc^en 3uftanb feine emotionalen 33eftanbteile, bie ©efüb,le unb
2lffefte; fie bebingen es, baß er in gtoei entgegengefe^ten formen ficb, äußert, ber exaltierten
unb ber apat&ifdjen @!ftafe. ^n bem *Jort „@fftafe" fief)t 3Sunbt afö wefentlic^eg (?)
SRcrimal be§ bifionär=efftatifd)en ßuftanbeS bie ©ntrüdung be§ 33etoußtfein§ in bie fernen
45 beä Räumet unb ber grit l)erborgeb,oben. @r bcnü^t c§ jur Unterfd^eibung ber elftati=
fegen jffiacb.bifion bon ber %raumbifton. Qene toirb auf iprtmitiben ©tufen bur^) ^ult=
tänje (bgl. 33b XIX ©.379, lof. 47 ff.) unb erregenbe unb betäubenbe ©ifte (bgl. 33b XVI
©. 101/2) erzeugt. 2luf b, oberen ©tufen finb e<§ rein innere, religiöfe unb nationale 3Ro-
tibe, bie ben eJftatifcr)en Söac^bifionär, ben eckten ^robfyeten erzeugen, ber bon bem ©eifte,
so ben er in ficb, wohnen glaubt, untoiberftefylicb, l^ingeriffen wirb, fo t)a^ er ficb, in bem
»acfyen §anbeln unb Reben feines" btfionären 3uftan^^ felbft afö ein anberer füb,lt, als
ber er im getobfmlicfyen öeben ift: er fbricfyt unb l)anbelt fo, als roenn er ber ©eift felbft
märe, ber bon feiner ©eele 33efi| ergriffen b,at, ofyne baß baburcb, bocb, fein eigenes ©elbfi=
betoußtfein getrübt ju fein braucht/ ©iefe entl>ufiafttfcb,e 33orfteHung bilbe freilieb, felbft
55 einen 33eftanbteil ber ^Hufionen unb §aßucinationen, bie jum 33egriff beS bifionär=e!ftati=
fcb,en ^uftanbeS gehören.
treten mir nun an baS @lftatifcb/=@ntb/ufiaftifcb,=©ct)toärmerifd9e im Gbjifte.ntum b,eran,
fo ift bie erfte $rage, ob eS im ©efaintleben ber 6b,riftenb,eit ein b,äufigeS ober neben
anbern SebenSäußerungen boeb, felteneS ©efcb,eb,en ift. 3m allgemeinen wirb feine §äufig=
60 feit unterfdjätjt. ©ennoeb, fann eS als relatib feiten unb untergeorbnet erroiefen werben.
Serjütfuttg 591
9£>etter erfennt man Don 58öll!erbfr/d)ologie unb ^Sfr/cfyiatrie aus, baß and) cfyriftlidje @ffta=
tifer unb 33iftonäre Betrüger, berufsmäßige SEecrjnirer fünftltcfyer (Slftafe, ©bilebtifer, £r/fte=
rifd^e, (minbeftenS temporär) 93errücfte getoefen finb. 2öo berartigeS auSgefcfyloffen, 'giebt
eS nod) folgenbe (SrflärungStoeifen. Sie rein rengionStoiffenfcfjaftticfje bleibt babei freien,
baß bei gemaltigen religiösen ©rlebniffen aud) geiftig ©efunbe nad) ^fv^^^fiotogtfd^en 5
©efe^en b,atlu^inieren. £>ie tfyeologifcfye bertritt ben Offenbarungsglauben, baß ein
größerer ober feinerer Seftanbteil beS mit ber religiöfen (Erregung beginnenben ^ßro^efje§
nid^t obne befonbereS SRitmirfen ©oiteS ablaufe. Söie bie ganje SC(?eoIogte ober Offen=
barungSglaubenStoiffenfdjaft bon ©ott unb ben göttlichen fingen, fo toirb freilieb, aud;
ibr Segriff „objeftibe SSifion" als mdjt totffenfcfyaftlicb, bejeidmet. ©ine getoiffe S8ermitte= 10
lung jtoif4)en biefen beiben ©rflärungStoeifen bebeutet bie je|t fefyr Verbreitete (bgl. 3. 23.
^arneS a.a.O. ©.462) (Einführung beS unterbewußten Seelenlebens, auf baS einerfeits baS
£inburd)toirfen einer metapfyr/fifdKn 2ßeltbotenj, anbererfeitS baS bfbcljologifcb, 3lußerorbent=
licfye ber efftatifd}=bifionären guftänbe belogen toirb.
£aS @fftatifcb, e im ßfyriftentum ftubieren mit Vorliebe bie religionSgejdncfytltdien STr)eo= 15
logen. Wad) £>ub,m (£). ©ef)eimniS in b. Religion, 1896; bgl. aud) feine 33emerfungen
über ©fftafe in bem Vortrag: 2). ©ottgetoeifyten in b. äföltcfyen Religion, 1905) foll man
ja bie Religion an ben ©efyem, ben ©fftatifem ftubieren. Qn ben Anfängen ift bei
$auluS ein^ufe|en. ®ie Senbenj, feinen (SnttmfiaSmuS (2 $0 5, 13 ; 12, 1 ff. ; 1 $0 14,
18; 14, 37; 2 £0 13, 3) gu übertreiben, nimmt fd)on ab. 3n \imex GfyriftuSmr/ftif toirb 20
ber ©eift „aus einer unperfönlidjen Sfaturfraft in ben gefcfyicf/tlicfyen (!) (Einfluß ber $erfon
$efu umgefe|t"; in SBegug aufS (Slftatifdje „giebt er inbireft ju berftefyen, baß biefe ßr=
Meinungen nichts fbejififcf) ßfyriftlidjeS finb. %n ber tyat gehören fie faft mebr ber aU=
gemeinen 3teligionSgefcfnd)te als ber ©efd)id)te ber Religion ,^efu an" (SBernle, Anfänge '',
©. 189—191). Wad) §einrici (bei «Dieser, 2 Ro, 1900, ©. 53) ift foggr in 33ejug auf 25
bie ©emeinben bie Sfabe bom „(EnttmftaSmuS" beS UrcfyriftentumS eine Übertreibung.
2tber ift baS (Efftatifcfye toirflieb, ber Religion ^efu eigentlich fremb? „2Bar ^efuS
(Sfftatifer?" betitelte O. §ol|mann 1903 eine llnterfucb.ung, toorin er biefe bon anberen
aufgetoorfene $rage toeber boüftänbig bejafyt, nod) bollftänbig berneint, ^m Urdjriftentum
galten ©eficfyte unb Segeiftung nid)t als $u menfcbjicb, für SejuS, f. Tic 1, 10—12. 3, 30
29 f.; mt 12, 28; Sc 4, 14. 18. 10, 18. 21 ; 21© 1, 2; ^o 1, 51. 3, 34. SDaS toirb jur
©efa)id)te ftimmen: er toirb toirflicb, nid)t olme eine 23erufungSbifion fein 9JceffiaSbetoußi=
fein getoonnen unb and) fbätere „Überlieferungen" ©otteS (9)ct 11, 27) in SBifionen er=
galten b, aben ; ferner toirb er bei feinen Kranfenl)eilungen eine reale (Einheit mit ©ott als
toaffibeS Organ feines ©eifteS erlebt b, aben, f.^ieme, ®ie cprtftl. SDemut, 1,1906, ©.121 f. 35
142. 144. Sößeiter galt im Urcfyriftentum ein %e\l ber toneumatifcfyen ©efcf)ef)niffe als ein=
geführt bom irbifcb,en &\u$, f. 3Jit 10, 1. 8. 17, 1—9. 3lnbererfeitS überlieferte man aueb,
neben Sc 10, 19 baS ben dntlmftaSmuS bämbfenbe 2Bort v. 20. (Über bie Beurteilung
ber gitruriftSanfbrüclje ^efu als ,,©d;toärmerei" bgl. §ol|mann, ^c^licb.e Geologie I,
S. 337 2; baß %t\u3 feine gnoftifcfje ober mbjtifcfye Serfcb^meljung mit ©ott erftrebte, be= 40
tont ©glatter, %e\n SDemut, 1901, ©. 80.)
5DiefeS 2Öort fyeht ben originalen ^ern ber Religion ^efu bon ettoaS nicfyt fbejififcb,
ß^rtftltd^em ab. Sllfo ift $auluS 1 Äo 13 nicfyt über feinen SKeifter hinausgegangen.
SiefeS Äabitel ift „ber 3Jtarfftein, an bem ftd) ©efte unb Sttrcf/c trennen" (©einel a. a. C.
'S. 150). Slber aueb, SlatfjoliciSmuS unb Deformation! S5gl. §arnacf, SD. SSebeutung ber 45
Deformation innerhalb b. altg. DeligionSgefcb^icb.te (Deben unb 2luffä|e, 33b II). Sutb,er
i)abi baS, toaS man bisher für baS äöefen ber Religion ^ielt, (SntlmfiaSmuS unb toett=
flüchtige ^eiligfeit, als borübergel)enbe ober felunbäre ober gar als bebenflic^e ©rfeb^einung
betrachtet, unb er fydbe baS, toaS bisher als abgeleitete 2ßirfung ber Religion galt, als
il>r g^efert beurteilt: ben ©rlöfungS= unb Sorfel)ungSglauben, bie SSerbmbung ber Religion 50
mit bem ©ittlic^en. @S toar baS ^aubtftüc! in ber SSerlünbigung ^efu unb in berMircfyav
gefcljic^te bie hinter ben ©Iftafen unb SDogmen rub,enbe Kraft, tourbe aber erft bureb, Sutb^er
baS gimbament einer religiöfen ©emeinbe. 9Jtan muß nur mit biefer ©efcfyicfytSbetracfytung
unb ber @inficb,t, baß bie bon Sutb,er abgeftoßenen ©cb.toarmgeifter in bielem ber £att)o=
lifa^en ©tufe beS SfyriftentumS angehören, bie anbere berbinben, baß aßer (intb^ufiaSmuS 55
in ber Iirc^engefcf;id?te, !atl)olifcb,=fircl)licl;cr (nur ber bäbftlicfye ausgenommen) unb fe£tiere=
rifcb,er, bis ju einem getoiffen ©rabe legitimiert ift t>nxd) bie fird;lict/e ©eltung beS 9c2:,
bie audE) beffen entfyufiaftifcfye ©eite mit aufregt erhält. 9Jtag fie nicb,t baS .s)auptftücl, fon=
bem untercfyriftlirf) fein — bie b,tftorifcb,=fritifd)en 9Jcetf)oben, bieS ju ertoeifen, 3. 33. Sutb^erS
fritifetje ©nttoertung ber Slbl als unteraboftolifcb,, finb noc^ nict)t einmal in feiner eigenen 60
592 aScrgürfwng
$ircr}e fircbjict/. SBefolgenSWert ift fein tolerantes ©ingeftänbnis, baß feine Sfritif aucb, relt=
giöS4nbibibuaIiftifcb. fei: man füllte bon jener ©eite beS 91% bis ju einem geWiffen ©rabe
jebermann galten laffen, „WaS U)m fein ©eift giebt", unb „niemanb an fein ©ünfel ober
Urteil berbunben f>aben" Wollen (2B2Ö @2I 63, 169f. Über ©fftafe bei Sutfyer bgl.
5 SoofS ©@* ©. 961). 2öem fein ©eift giebt, j. 33. 1 ®o 14, 39 Iwcb. ^u galten, bem
fann WenigftenS fein ftreng Sibelgläubiger untercfyriftlicfyen ©inn borWerfen.
3US offenbarungsgläubiger tytftortfdj=früifcr)er Geologe Wirb man etwa folgenbermaßen
urteilen, ©ie efftatifc|=bifionären ©efcfyefyniffe im Seben ^efu Waren „objeftib" b. f). fie
gef4>at)en nidjt olme befonbereS 3JtitWirfen ©otteS. ©aS tft natürlich ein ©laubenSurteil
10 nur berjenigen, welchen berfönlicb, 2>efuS §err unb §eilanb geworben. 33on ber berfön=
liefen Unterwerfung unter SyefuS einesteils r)ängt baS Urteil über bie bneumatifcfjen ®reig=
niffe bei Jüngern unb Urcfyriften ab. ©enn fyat er felbft baran geglaubt, baß ©ott Wie
mit ir)m, fo aucb, mit folgen fei unb fein Werbe, bgl. j. 33. Sc 10, 19; ÜJtc 13, 11; 9Jct
10, 20, fo Wagt man bei jener Unterwerfung nicfyt baran ju jWeifeln. 2lnbernteilS Ijiängt
15 jenes Urteil babon ab, ob man berfönlicb. baS 9J£aß reIigiöS=fittlid)en ©eifteS j.S.in^auluS
fo groß fcfyäfct, baß fein ©laube an etwas ObjeftibeS in feinen toneumatifcfyen (Mebniffen
zutreffen muffe. 2öer bereit ift, bei einigen babon an ©otteS SDtttWirfen ju glauben, muß
beSljalb nicfjt für alle, 3. 33. baS $ungenreben, tnit ^auluS ©ott banfen (f. 1 $0 14, 18).
©ogar ein 'JpauIuS lann als antifer Sftenfcf; nicfyt ftoegififer) cr;riftlicf;e -Jcebentoirfungen beS
20 ©etriebenWerbenS bon bem neuen religiöS=fittlict;en Gl)riftuS=©eifte als etwas unmittelbar
©örtliches nod) überfcr)ä£t fyaben. Unb ben ganzen antifen ©ubranaturaliSmuS feiner 33or=
ftellungen bon biefem ©etriebenWerben muß man aud) md)t mel)r teilen, ©djon bom ur=
itrcf/Iicljen SntljmftaSmuS ift baS meifte nadj) jenen beiben anbern ©rflärungSWeifen (f. 0.)
ju beurteilen, ©ie greifen erft red)t für bie ©ffiafen unb 33iftonen in ber ftoäteren ^ird)en=
25 gefäjicfyte $la|. SIber erftenS barf man niebt bon bomr/erein befdjließen, baß jebeS objef=
tibe Minimum in biefer untergeorbneten 9iebenftrömung beS cfyriftlicfyen ©efamtlebenS
gän^Iia) auSgefcfyloffen fei, unb §WeitenS foll man fiel) burefy baS ©efäfyrliclje barin nicfjt bie
greube berberben laffen an ber oft barm fbrubelnben Sebfyaftigfeit unb ©tärfe ber grömmtg=
feit, £ja, man gönnt fogar (griffen Wie §ilbegarb bie „ungewöhnliche blaftifctje Slraft i^rer
30 ^>l)antafte" (§aucf, H© ©eutfcf)l. IV, 400) unb brotefiiert nur bagegen, baß il)re 5ßl)an=
taSmen DffenbarungSWert für anbere fyaben follen.
©amit berühren Wir baS 23ert)ältniS beS (SntlmftaSmuS jur gefdjicr)tlicr)en Offenbarung.
9)iag eS in ben außerorbentlict)en ©rlebniffen einiger (Sfftatifer ein böEig unfaßbares objeftibeS
3Jlinimum geben ober nicfjt, geWi§ ijat man an ein objeftibeS SJtarjmum in ber (Sntfte^ung
35 beS religiöS=fittlid)en SebenS aller Triften ju glauben: jeber einzelne fyat baS innere ©rlebniS
feiner (Srlöfung burd; 6b,riftuS einer unmittelbaren ^nneWirfung ©otteS in feinem ©emüt
ju berbanfen. 2lber biefe DffenbarungStf;aten ©otteS im Saufe ber Jftrcb,engefcfojcj)te rechnet
man nicf)t jur fog. gefd)icl;tlicl;en Offenbarung. ®iefe ift bergangen, fie ift bie primäre
Offenbarung, bon ber jene fortgel)enben DffenbarungStljaten in ben ©emütern fic^ als
40 fefunbäre Offenbarung unterfd)etben. Slber in ifiren gefa)id)tlicr;en S'Jac^Wirfungen (ber ©e-
meingeift ber ßfjriften^eit, i^re Überlieferung bon GfyriftuS, befonberS if)re 25ergegenWärtigung
beSfelben bura) baS 31% unb bie ©aframente) ift bie brimäre Offenbarung baS äußere
SJlebium, unter beffen (Smfluß ©ott bie ©emüter fte^en läßt, Wenn er fia) in i^nen fefunbär
offenbart. 2luS biefem SRebium allein quellen bie Haren, geWiffert, gemeinfamen @rfennt=
45 niffe ber einjelnen ßljriften bon ©ott unb feinem 3teicf;e. Qu bem allem berfyält fid) nun
ber ect;te @ntf)ufiaft fo, baß er baS il>m mit ben anbern an Stimmungen unb @rfennt=
niffen ©emeinfame, bie allen gewährte fefunbäre Offenbarung, ityve äußeren Jirc^tid^en
3Jlebien, ja bie bergangene DffenbarungS= unb §eilSgefd}icf)te mel;r ober Weniger gering
fdjä|t unb eine fbejieQe, in i^m bom ^eiligen ©eift ol)ne äußere 9Jiebien geWirfte @rleua)=
50 tung als neue, aflgemeingiltige Offenbarung ober WenigftenS als neue, aßgemeingiltige
Auslegung ber alten Offenbarung fanatifcf; geltenb mad;t. SJtan fiefjt, baß baS Urteil
über ben (SntlmfiaSmuS erft bann feftftänbe, Wenn bie fct;Weren Probleme: Religion unb
©efd)icfjte, QnbibibualiSmuS unb ©emeinfcf;aftsleben gelöft Wären. SRit ber 2lbwenbung
beS (Snt^ufiaSmuS bon ben gefährlichen 9Räa)ten unb feinem ©treben nacb, @elbftftänbig=
55 feit fyängt jufammen, baß er bie Saien emanjibiert nicfjt nur bon ben „Pfaffen", fonbern
auef; bon ben ,,©ele|rten", ben 2l)eologen. ©er irgenbwie ^iftorifet; oerfal)renben %tyv-
logie fetjt ber entfiufiaftifctje £atettdt)rtft feine angeblicb, infbirierten SlugenblicfSgebanfen
entgegen. %üx feine ©ct;riftau§legung ift ber WiHfürlidje 2öea)fel jWifcljen Wörtlichem
3SerftänbniS unb fbiritualifierenber Umbeutung unb bie WiHfürlidje Kombination offen=
60 barungSgefd)ic^tIicfj abgeftufter ©cft,riftinl)alte baS 6^)arafteriftifd;e.
aScräücfuttg 33e§toafmtt 593
©g tt>irb immer mefyr 3Jiobe, ,,©ntr)ufia3mu§" unb ,,©d)it>ärmerei" ofyne Unterfct/ieb
ju gebrauchen. älUH man fie augeinanbert>alten, fo follte als jener tjau^tiäc^Iid; ber mit
allem ©efd>icl)tlid;en gekannte Snfbtratton&mfprud; gelten, al§ biefe bie Übertreibung ber
Religion auf il)rer emotionalen unb braftifcfyen ©eite. (Sine aßgemeingütige Slbgrenjung
be§ Übertriebenen bom ©efunben unb ^idjtigen ift nicfyt möglieb,: fd)on $aulu§ f)at ba§ 5
HeocpQovelv nid)t Verboten, ol;ne bie ^nbtbibualität ber oaxpQoavvrj (ber moxig, ber
aweiörjaic:) %u betonen (bgl. meine (Srflärung bon 9tö 12,3 3nt2ö 1907, ©.28 ff.).
Wem meine aucr) toeber, bajj fiel) bie berfdjiebenarttgen fcb,hmrmerifd)en Steligtongfe^ler aHe
au3 einem ©runbfef)ler ableiten laffen müßten, nod) baft eine ganj beftimmte SBoQga^t bon
integrierenben 3J?erfmalen jum SLbbuS be§ ,,©d)tbärmer3" gehöre, ©old)er J?onftru!tionen 10
Rottet befonberS bie abnorme Religion. $Da3, toofür man einen geläufigen eigenen S3e=
griff f)at — wir benfen an „$anati3mu3", an „©eftiererei" (f. 93b XVIII ©. 159, lff.)
— fotl man au§ bem 33egrifföumfang ber ©djmärmeret ioeglaffen. @ttoa folgenbeS ge=
hört binein.
ßuerft ber @ntl) uftaSmuS, ben man feit Surfe,« bod) mof)l am feäuftgften mit ,,©d) roar= 15
merei" tabeln will. C?c ift mit feinem $ocr)en auf ©bejialoffenbarungen übertriebener reli=
giöfer ©ubjeftibiämuS. 3n ^er mobernen ©emeinfdjaftsberoegung ift entt)ufiafttfd^e Über=
fbanntfeeit 3. 33. bas> Sauen auf unvermittelte ©eifteäleitung, ba§ bie 5ßrebtgtborbereitung
berbönt unb ba§ ©rfeb^einen be§ 33latte3 „©ottegtfyaten" nict)t „bom SCalenber", fonbern
„bom §errn" abhängen läfjt. Qn ber mobernen Geologie fommt @ntl)ufia§mus> bor, wo 20
man ben unenblicfeen ©el)alt ber gefct)id;tlid)en Offenbarung unterfd)ä|enb bie $rage bejaht
„«raupen mir neue Offenbarungen?" (SB. Seit 1901; bagegen ©ottfdnd, Sbjiftl. Siklt,
1899, ©. 1086 ff. unb Rattenbufd) Q%^ 1905, ©. 142 ff.) unb mit 33onu§ urteilt, ba§
^>robt)etifd>e in ber Religion gehöre ntefet blofs ber Vergangenheit, fonbern auet) ber ©egen=
toart an. 2öie ber ©ntfeufiaSmuS auf unbermittelte ©eiftesleitung baut, fo überfbannt 25
eine jtoeite 2trt bon ©d)toä'rmerei ben ©lauben an bie 33orfelmng, inbem fie bon tbr ein
unbermittelte^, rein tounberbareS Söirfen begehrt, ©ie gebraucht j. 33. ntebt ben 3trgt (roo=
gegen fcb,on ©i 38, lff., bgl. ©glatter, SD. ©laube im %l%\ ©. 30ff. 51 f. 283/4), fon=
bem übt, Urd)riftlid)e<§ fobterenb, ^anbauflegung unb ©efunbbeten ; bgl. b. 31. Slberglaube
33b I ©. 81,2iff.; ©. 82, 26 f. Safe ©ott nief/t nur burd) ba3 SBunber, fonbern auet) 30
bureft natürliche unb menfd)lid;e Sjermittelungen §eil giebt, berlennt aud) britteng bie Über=
treibung be3 ©laubenS an bie 33efe^rung. 3Ran überfdiäijt bie blöi3Üd)en „©rtoedungen",
bie nict/t burd) bie natürlichen, alTmäfylicf; totrlenben Sebenöberfyältniffe gefügt finb. 2)a3
ift ba§ SJietfeobiftifcfye in ber neuzeitlichen ©d)toärmerei, ba3 belannte ©efüfyfeeraltationen
unb ©ebetäbraftiten im ©efolge t>at, bgl. j. 33. b. 21. 33u£e 23b III ©. 590,9— 591, u. 35
$u ben älteften unb bebarrli^ften SEenbenjen be^ ©jtra= unb Übercb,riftentum§ gehören
biertenö biejenigen, für meldte auf bie 212t. „2lbiabfyora", „21§!efe", „Heiligung" (33b VII,
bef. ©. 576, 26 ff.), „peti§mu3" bermiefen »erben fann. Sutt;erifcbe§ 35ogma miber ej=
tremeö 93oHfommenb^eitöftreben ber ©d^märmer, bag „im ©runbe anberS nid;t§ benn eine
neue 9Jcönd)erei" fei, bietet ber 12. 21. ber Äon!orbienformel (©. 558, 5. 9. i2ff. 25). 2lber 40
aud; nacb, lut&ertfcfcem SDogma erttfebetben nur inbibibuelle ^nftan^en barüber, ob etit>a§
(Sjtrafittlid)e§ bod; riebtig ober fd)tüärmerifcb, ift, f. meinen 21. Consilia evangelica
33b IV ©. 277- ©nbltcb roirb man al§ ein cbaralteriftifdjeg §aubtmerfmal ber ©d)it)är=
merei nod) fünfteng nennen muffen, baj$ bie legten ®inge eine übergroße 9JoHe fbielen.
3)ie§ ift meift Saienbibliciömu§ unb ift fefotoer ju tabeln ob^ne l)iftortfd!=rntifcl)e SLbeologie «
unb ol)ne bafj man ©otte§ 2luffd)ub beg @nbe§ al$ eine ©rgänjung ber gefcf)id)tlid)en Offen=
barung tr-ürbigt (bgl. 33b V ©. 452/3).
llnfere 2lu§toal)l bon fünf §aubtmer!malen ber ©djtbärmerei beanfbrucb,t burd}au§
feine 21llgemeingiltigfeit. @<3 lä^t fid) meber f;iftorifcf) nod) f^ftematifcl) betoeifen, ba^ ge=
rabe fie ade unb gar feine anberen fonftitutib finb. 5Rid)t3 Innberte, baS ©gtrabagieren 50
in ber ^efuöltebe (f. b. 21. ßinjenborf), in ber 35erb,errlid}ung beä SeibenS, in dE>rtfttidt>=
fojialen 23eftrebungen u. f. fo. jur Sd}toärmerei ju rechnen. 2lud) nad) „^ftictömu»"
unb „DtfultiSmuS" b,in liefen fid; bie 33egriffggrenjen öffnen, ©tatt unfere 2lu§tt)ab,l ju
berteibigen, berteibigen roir nur nod) bie ©d)n>ärmer gegen ben 23erbacr/t, ba^ befonber^
fie baö 6l>riftentum biöfrebitieren. (Sx berget bie £>bberortl)oboren unb bie §ierard;en. &&
St. 'Iljicmr.
93e§baftan, rÖmifd;er $aifer 69 — 79. — Prosopographia imperii Eomani ed.
3)effau II, p. 77. 3)ofelbft aud) baS ©tentma be§ flauifdjen §aufe§; SEillemcmt, Ilif-toire des
.emp. II, ©. lff.; §erm. ©cljiHer, ©cfcl)id)te ber römifdjen Waiferjcit I, 2, Wottja lSs:i,
ntaU<Znt\)ttopiii>lt für S^eologte unb Sllrdje. 3. 81. xx. ;jy
594 SBcS^ofton SBcS^cr
@. 499 ff.; SS. m. Sftamfab, The church in the Roman empire befor A. D. 170, Sonboit
1893. — 8um jübtf^en Kriege (£. ©cfjürer, ©efd)td)te be§ iübtfdjen SBolfeS im geitalter ^efu
Stjrifti I, Seidig 1901, @. 610 ff. unb bie bort üerjeidjnete weitere Sitteratur.
£$n bert Blutigen ©irren unb llfurbationen nacr) bem Sobe -JceroS riefen bie Segtonen
5 im Dften, guexft in 2lgr/bten am 1. %uÜ 69 ben $elbl)erm unb Seiter be3 jübifcfyen
Krieges 23e3baftan alä i^aifer au§. ©eine Offiziere eroberten ib/m Italien, mo 3StteHtuS
bie §errfcbaft an fiel) geriffen t)atte. 3m ®ejember mar bie ©ac|e bereits entfcfyieben.
©er Staifer übertrug feinem ©obW %\tu§ bie Fortführung be§ Kriege? unb begab fieb,
nacb, dtom.
10 S£iiu§ glabiu§ 2$e3bafianu3 ift i. $. 9 n. ©I)r. in einer Ileinen fabinifcr)en Drtfcbaft
au§ einer gamilie geboren, in ber ber Sater nieberen ©tanbes>, bie -Kutter bagegen bor=
nefjmer 2Ibtunft mar. DbtoobJ er ^ob,e bürgerliche Stmter befleibete, lag feine eigentliche
Neigung unb Begabung im SJUlitärifcfyen. ®en militärifcfyen ©eift übernahm ber 60jär/rige
in bie güfyrung ber Regierung, ©ine nüchterne ^Jiatur, ging er ben 2öeg geraber ^flicbt=
15 erfüßung. ©in 9)Zann ber Drbnung unb ber 5Di§ji^Iin, führte er auf berfcbjebenen @e=
bieten ber Bermaltung Reformen bureb,. ©eine Btlbung mar eine berl)ältm3mäfeig gute.
SRan embfanb Don ifym ben ©inbruef einer gerechten, pflichttreuen unb mob/tmollenben $er=
fönltcr)fett, bereu fefte §anb ba3 Steter; aus> ber Zerrüttung ber Vergangenheit neu auf=
gubauen berftanb. SDoct) ift aueb, feine ftarle ©tnnlicttfett nieb, t unbeachtet geblieben, ©eine
20 Religion mar bie bon $to eifetn unberührte r>äterlicr)e. ©r mar bermäljlt mit glabta
©omttiHa; au§ biefer ©^e entfbroffen %itu$, ©omitian unb glabia ©omitiHa.
SBeldje Haltung 33e3baftan in ber 6t/riftenfrage einnahm, miffen mir nicfyt. ®te
SSorte ©uetonS (Vesp. c. 15): neque caede cujusquam umquam [laetatus est et]
justis supplieiis inlacrimavit etiam et ingemuit — b,at man in biefen .ftufammem
25 b, ang bringen unb baraus> fcfyliefeen motten , ba^ bie Sfebreffionen gegen bie ßb,riften in
gorm ber ©oercition unter if/m anbauerten (3tamfab. ©. 257). Sie SJftjglicbJeit befielt.
©3 ift aud) benlbar, bafe unter ben ©abibiben, bie S3e3baftan auffbüren unb fyinricfyten
liefe (Euseb. H. E. III, 12), ftcb, ©giften befanben, aber in biefem §aUe maren bie
5Dcotibe rein bolitifcfye, unb ba§ rfjrtfiltd^e 33efenntni3 fdjetbet gänjlicb, au§. dagegen fehlen
30 fixere SRartr/rien. S)ie ©rabfebrift jeneg ©aubentiuS , be3 angeblichen ©rbauerg be3
$oloffeum<§, ift eine $älfcf;ung.
Um fo bebeutungSbotler maren biefe $ar;re für bie ©efcb,icb,te bei jübifef/en SSolteS.
9Jocb, i. $. 69 mar e§ SSeSbafian gelungen, fieb, in ben S3efi§ bon gang ©aliläa ju feiert,
unb borfiebtig mürbe nun bie Belagerung $erufalem<§ borbereitet. £>ie ©rb/ebung auf Den
35 ^aifertbron unterbrach bie Cberationen, balb aber nafym fie, mie fcf)on ermähnt, SEituö
mieber auf. 9?ocb. eb,e bie Umfcbltefeung ber Ijeiligen ©tabt boHenbet mar, gog bie 6b,riften=
gemeinbe auf göttliche SBeifung b,in au§ unb liefe fieb, in ^eEa nieber (Euseb. III, 5,3;
Epiph. haer. XXIX, 7; de mens, et pond. § 15). 3>m ©ebtember 70 bemächtigten
fic| bie Körner enblicb, auä) ber Dberftabt. ^erufa^m ^ax: nun eine ^Erümmerftätte. §arte
40 SRaferegeln folgten b^nterfyer. 33e§bafian unb 2;ituS feierten gemeinfam in ÜKom ben
■Jriumb^, an ben b,eute noeb, ber £itu3bogen am gorum erinnert.
SßeSbafian ftarb am 23. ^uni 79 in feinem 70. Seben§jab,re, „raftloS bi§ ju feinem
le|ten Sltemjuge, felbft noeb, in feiner ©terbeftunbe ein energtfcb,er ©olbat"
Sßictor Srf)uUje.
45 SSeSper. — S. Säumer, @efd)td)te beä Sreuierä, grei6urq 1895; % SBatttffol, Histoire
du Breviaire, ^ari§ 1893; ©. «Rietfdiet, Sefjvbud) ber Stturgif I, Berlin 1900, ©. 169;
©menb, ®ie eücmg. beutfdjen «Dceffen, ©ötttngen 1896; dl. ü. iiiliencron, Sttt. muf. ©efd)icf)te
ber euang. ©otteSbienfte, 1523—1700, @d]te§ro. 1893; 9Irmfned)t, ®ie alte 9Jcatuttn= unb
SSeSperorbnung, ©ottingen 1856; ©engelmann, S3e§pergtocfe, Hamburg 1855; Gu. Sird)en=
60 jeitung 1861, ©. 349 ff. 487 ff. unb bie bafelbft befprocfjene ©cfjrtft uon ^aftor ^engftenberg :
lieber SSeSpergotteäbienfte, Berlin 1861; be§gt. 3. S)iebrid), Sreluartum, b. i. ffltatutmen unb
SSeSpern burd) baZ gan^e 3a^r, für Äirclje, ©d)ule unb ^au8, SSeriin (o^ne Qatjr); $erolb,
Sßeeperale ober bie %ad)mittage unfrer 5-efte unb t£)re gotte§bienfttid)e SBeretdjerung, 9?örb=
lingen 1875 f., 2. Sluft. 1885 — nebft anberen ©djriften beSfelben SSerf.g (§. SB. fiiturg.
66 SSeäper auf b. geft ber f irctjtoeitje, 1884 «.).
Vegber beifet berjenige SEeil bei !anonifc!b,en ©tunbengebetl , ber bei einbrecb,enbem
2lbenb, um bie $t\t be§ ©onnenuntergangeS ober be§ Sicl)teranjünben§, remitiert tbirb.
©tjnontjm mit vespera, officium vespertinum, ift bab,er ba§ altfircb,licb,e lucernarium
(Xvxvixov, f. Coric. Constantinop. a. 536 bei Labb. t. V, col. 212; auef) C. Oonstpl.
60 a. 691, can. 90), b. b. bie jur geü be§ Stc^tanäünbeng (ber Xvyvoxma, lucernarum
#c8j>e* 595
accensio) ju fyaltenbe 3tnbad)t. 23gl. Const. app. VIII, 35 (ro eojrtoivov); 33aftliu§
de Spir. Scto. ad. Amphiloch. c. 29; @bij)l)antu<§ Exposit. fidei s. finem;
(5bjtyfoftomu§ ju ^ßf 118; Sftbor b. ©ebifla Reg. Monach. c. 6; aud) §ierontymu§
Ep. 107 ad. Laetam, c. 9: „Assuescat accensa lucernula reddere sacri-
ficium vespertinum" ; unb Cassian. Inst. coen. III, 3, Wo bie 3eit biefer Slbenbanbacfyt 5
mit ber elften ©tunbe fält 20, 6) bergücfyen unb als hora lucernalis bejeidmet Wirb.
3Inbere abenblänbtfd;e Sejeidtttungen finb nocb, lucernarium (f. $feubo=.£>ieron., Breviar.
in Pss. ju Ps. 119 ad fin.), foWie lucernarii (sc. psalmi) nad; 2lnalogte bort
matutini, nocturni u. f. f. (f. bte Regula magistri in Hülsten. Cod. regull.
c. 33. 31). 2$rer 33ebeutung nacb, backte man bte äleSber aU entfbrecfyenb bem täglichen io
SlbenbD^fer beS altteftamentlidjen 3Mtu§, tüte j. 33. ^fibor De officiis eccles. I, 20,
mit 33egiel)ung auf ^Pfalm 141, 2 (elevatio manuum mearum sacrificium vesper-
tinum) ausführt; bgl. fcbon 2lmbrofiu§ De virginibus III, 4, 18. gugleitf) fteUte
man fie in öejietwng ju ber Mreujabnatyme be3 (MöferS, gleichwie bie tfyr junäcbjt bor=
fyergefyenbe 9?one (um 3 UI)r nachmittags) be£ %obe§, bie auf fie folgenbe (Somblete ber 15
©rablegung gu gebenden bat, nacb, ben alten 5ftemorialberfen über bte horae canonicae :
„Matutina ligat Christum, qui crimina purgat;
Prima replet sputis; causam dat tertia mortis;
Sexta cruci nectit; latus ejus nona bipertit;
Vespera deponit; tumulo Completa reponit." 20
©ine britte mbjtifdjie Sebeutung enthielt ba3 23e3bergebet baburd;, baft e3 ungefähr um
bte $eit ber @infe£ung beS fyl. 2tbenbmal)l3 faßt; bgl. ©regor Don 5Jajtanj Orat. 42 in
Pascha; ^ft00* <*■ a.D.; Conc. Aquisgr. a. 816, c. 127, foWte ®uranbu§ Ratio-
nale divin. officior. V, 9.
Die SSeg^cr ift bte erfte ber täglichen ©ebetgftunben , Welche ju ben urfbrünglicfyen 25
bret: ber SLerg, ©ert unb 9?one (Da 6, 11; 21© 2, 15; 3, 1; 10, 9), beren Giemen^ bon
2Ileranbria (Strom. VII, 7), XertuHian (de orat. 25) unb 6t)brtan (de dorn. orat. 34)
allein gebenden (t>gt. aud) Did. 8) allmäbltct) fymjuramen. (SfyrtyfoftotnuS unb §ieronr/mu3
fennen fünf tägliche ©ebet^eiten, jene bret, bie ÜDiatuttn unb bie Selber f. (S|rbfoftomu§
Expos, in ps. 140. ©agt §ieront>mug, ep. 22 ad Eustoch. c. 37 : „Horam ter- 30
tiam, sextam, nonam, diluculum quoque et vesperas nemo est qui nesciat",
fo ift mit diluculum et vesperae nidjt ber eine Segriff ber 3lbenbgebet§jeit bobbelt
ober per hendiadyoin auSgebrüdt, fonbern diluculum meint bte SJiatutin; baS gebt
barauS berbor, bafs §teronr/muS an einer anberen ©teile, Wo er alle bei Sag unb bei
91att}t ftattftnbenben ©ebete cbriftlicber 9Wtgtofen aufgä^It, eines gcüfygebet» bor ber ^erj 35
gebeult. „Mane", jagt er Ep. 108 ad Eustoch., c. 19, „hora tertia, sexta, nona,
vespere, noctis medio per ordinem psalterium cantabant". Diefelbe ßafyl 0°"
fedjs ©ebetöftunben, bret bei 'Sage unb bret näcbtlicben, ertoäbnt (Saffian, Inst. coen. III,
3 f., als in ben orientalifd;en unb occtbentalifdjen Möftern beS angebenben 5. $abr=
bunberts übliche Cbferbanj; man finbet fie aud> in ber bem 2ttbanaftu§ jugefcbriebenen 40
©cbrift de virgin. 12, 16, 20. Die (Somblete (baS completorium) als ein fbätereS
Ibenbgebet, welcbeS man erft um 9 Ubr ober unmittelbar bor bem ©cblafengeben ju
Balten bflegte, fam erft im Saufe be<§ 5. QabrfmnfcertS but^u (wieWofyt fcbon StmbrofiuS
[de virgin. III, 4] einmal auf biefe ©itte als bon ©injelnen geübten Sraud) anfbtelt);
fie madjte bie ©tebenjab,!, ober (wenn man obenbrein aud) bie ÜJiorgenanbadjt in gtoei 45
§oren: bie 3Jlatuttn um 3 unb bie Sßrim um 6 Ub.r früb, ^erlegte) bie Slc^tjab,! ber
Ianonifd}en ©tunben bolljäb,lig. 33i§ ju biefer ßabt feb^en wir ha§ ^nftitut ber §oren
angemadjfen in ben 3Könd;lregeln Senebiftö bon 3Jurfia (c. 16), (SolumbanS (c. 7),
3ftbor3 (c. 7) unb ber meiften übrigen 9Jlönd)gfd;riftfteaer be3 6. unb 7. ^af)rf)unbertg.
£ie 33esber toirb bon biefer geit an Wobt nid;t meb,r erft nacb, ©onnenuntergang, Wie bo
früher (f. 3. 33. 33afiliuS M., Regul. fusius disput. c. 37), fonbern fd>on bor bemfelben,
ober aud) genau um 6 Ufyr abenbä, Wie nod> je^t in ber römifa)en Üircb,e, gefeiert
toorben fein.
3Baö bie Slrt ber SSesberfeier ober ben liturgifd;en ^ni)alt bcö Officium vesper-
tinum äunäcbjt in ben Softem betrifft, fo War e§ in ber älteften gä^ b. b,. fo lange 55
nodb. nid)t bie ßomblete aU bejonbere 3lnbad)t babon abgetrennt War, üblid;, 12 ^§falmen
jur Selber abjufingen; eine toitte, bie naa) (Saffian bon ben ägbbtifd)en 5!Jiönd)äbätern
auf unmittelbare göttliche Söeifung eingeführt Worben fein foHte (Cass. Instit. coenob. II,
1, 5; bgl. Concil. Turon. a. 567, c. 19). ©bäter berringerte man biefe jWölf ^falmen
auf fteben, unb teilte babon bicr ber 23eSber unb brei bem Sombletorium ju (Reg. S. eo
38*
596 Se^er 2SiceIttm§
Benedicti c. 17). 2Iufjer biefen toter antibfyonifd) p fingenben $falmen fd)reibt Senebtft
bie Seftion eineg ^abitefe an§ ber fy. ©cbrift, ein (fürgere§ ober längeres) Sfafbonforium,
ben ambrofianifcben Sobgefang famt zugehörigem aSerfifet, ba§ ■Jftagnifit'at (ober „Can-
ticum de Evangelio", wie Senebilt e§ nennt), Sfyrie, ^aternofter unb ©cblufjgebet
5 (missae, oollectae) al<§ ftänbige ©lemente be§ flofterlid)en SSe^ergotte^bienfteS rbor
(f. ©maragbu3, SCurrecremata, Marlene u. a. 2tu§leger jur Reg. Bened. c. 17). $tlm=
lid) ift ber Sau ber Selber in ber nicbtHöfterlic&en Siturgie ber abenblänbifd)en Kirche
befcbaffen, nur bafj fyier fünf Jahnen ftatt blofj bieren borgefcbrieben finb, mit SSejug auf
bie fünf ©inne be<S 9Jcenfd)en, tüte SDuranbuS im Rat. 1. c. bemerft. SDenn roät/renb für
10 bie 9Jcöntf)e atö bie SBoQfommeneren bie SSierjab,! genüge, muffe bie weniger bollfommene
SBeltgeiftlicbreit unb Saientoelt notroenbig fünf ^fatmen remitieren, „ut videlicet quod
per quinque sensus corporeos commissum est, per quinque psalmorum can-
tationem penitus dimittatur". ©aö römifd)e 33rebier betreibt bie SSeöber al§ ba§
genaue ©egenftücf ber 2aube3: fünf $falmen mit 2Intibbonen; ein föabitel auä ber
15 ©cbrift; ein £r;mnu3; ein Skrfifel famt Stefbonforium ; ein Ganticum, nämüd) ba§
Sftagnifitat, famt 2tntitobone; enblid) bie täglichen Sftrcbengebete (Sitanei, Skterunfer jc),
nebft ben ftd) gelegentlich anfcbliefjenben ßommemorationen, ©uffragien unb $rece§. 33gl.
Sllarb. ®a$äu§ ju Gaffian Instit. III, 3, p. 35 sq.; ^of). 33ona, De diivna Psal-
modia, cap. 10, p. 757 sq. ; 9Jiartene, De antiquis monachor. ritibus 1. I, c. 10,
20 p. 96sq.; ^otfyam, 2lrt. „Officie, the divine", in ©mitb, unb @heetf)am, Diction.
of Chr. Antiquities, II, 1444 sq. (forote ben 2Irt. „Hours of Prayer", ebenbaf.
I, 792 ff.).
35ie älteren reformatortfcfyen ©otte£bienftorbnungen behielten bielfad) bie tägliche Sftette
unb 33e§ber bei (f. b. angef. 2Berf b. ©menb). Sefonber<8 roünfcfyte Sutber, bafj bie
25 Pfarrer „auf einen iglicben SRorgen ein ^falmen unb ein fein Stefaonforium ober 2lnti=
bl)on mit einer ßolleften orbnert. ©er 2lbenb§ aud) alfo, nacf) ber Sektion unb Sluölegung
effentlia) gu lefen unb jit fingen" (2Ö2B @2t XXII ©. 156). ©ocb, finb biefe ©otte^
bienfte überaß abgenommen. Qm 19. I^afnfmnbert I)aben ftcb, jar/lreiihe unb geroicfytige
©timmen für üöiebereinfü^rung bfalmobierenber 33esbergottesbienfte an ©onn= unb geier=
30 tagen nacb, altfircblicbem unb altlutberiffhem SSorfcilbe bernefymen laffen. 2tud) I)at man
biefe§ ©efiberium bereite an manchen Orten nicl)t ofme glücklichen (Erfolg ju berroirflicfyen
geroujjt. S'oäUx f.
$BtCelt«U§, geft. 1154. — Helmoldi Presbyteri Chronica Slavorum. MG Script.
33b XXI, 1 — 99. ©unbevauSgabe taut £j. ^erU, £>annotier 1868. 93eec£, Analecta ad historiam
35 Novimonasterii, entf).: 1. Versus de vita Vicelini unb Epistola Sidonis, 2. De translacione
Vicelini, 3. Versus de venerando Vicelino, 4. De venerabili Vicelino, 5. Ordo praepositorum
nostri monasterii, in „Gueflenfammimtg ber ©ejettfdmft für ©d)Ieowig=.£)olfr.=£auenb. ©e)d)id)te"
iöb IV., 127—204, ^iel 1875. Urfunben &ei <ß. §affe, @cf,le«mtg=Wlft.=2auenburgtfcf)e9tegeften
unb Urfunben S3b I, §am6urg=Setp(^g 1886; $t. öaupt, ®ie «ijeiinSfircIien, Siel 1884; S. ©iefe=
40 brecht, SBenbtfdje ©efd)irf)ten 33b IL III; 9?ottrotl), ?lu§ ber SBenbenmiffion, %aüe 1897;
91. SBötimer, SStceliti. "3to\t. S)iff. 1887, (p £)elmdb »gl. aud) nod) bie burd] ®ct)irren§ 9ln=
griffe entftanbene Sitteratur bei 38altenbnd), 3)eutfdilanbö @efd}id)tgquellen6 33b II, 338 ff.);
3enfen, 6d)(e§tuig=.&oIft. fiird)engefd)tcl)te 33b I, 196 ff. ; £>aucf, Kird)engefd)td)te ®eulfd)(anbö
33b IV, 599 ff.
45 S)ie §auptqueBen für ba§ Seben beS ^eiligen 25icelmu§ (beutfei) SStjelin), be§ 91pofte(§
ber SGSagvier, finb, nnct)bem ^ehnolbä Streue juemlicfj allgemein wieber anerfannt werben ift,
beffen ©Inbendjronif, bie uon 33eecf herausgegebenen ©d)riftbenfiuä(er unb einzelne Urfunben.
Eine Vita Vicelini in etegi(d)en SSerfen fdjeint oerloren gegangen ju fein, bod) bieten
bie genannte« D-ueflen SRatertal genug, um bis auf wenige sweifeltjafte fünfte ein giemlict)
50 ooIIftänbigeS SebenSbilb bee treuen eifrigen SUtffionarS ber SSenben entwerfen ju tonnen.
35icelin rourbe gegen @nbe be§ 11. 3a^Wn^ert§ Su §am^n an oer 9Befer geboren
(Duernb,amele bei §elmolb I, 42). ©eine ©Itern toaren einfache Seute. ©a er fie früb,
berlor, roar feine ■ Qugenberjieb ung nur böcbft mangelhaft, toenngleid) er einigen Unterricht
am ©om feiner 33aterftabt genoffen b,at. 2lfö er auf Slbroege fam, nabm fic| bie ©cblo|=
55 berrin ber 33urg ©berftein bei ^oljminben feiner an, boa) bertrieb ibn ein beifeenbeä
©cberjroort be§ ©cbloPablang über feine Untbiffent)eit balb toieber. 2lber fein @^rgeij
roar ertr>ad)t. @r ging nad) ^aberbom unb ergab fieb, mit fold)em (Sifer unter Seitung
SDtagifter |>artmann3 bem ©tubium, ba| er balb beffen ©ebilfe an ber 5?lofterfd)uIe
rourbe. ©in Dl)cim bon ibm, namenS Subolf, roar ^3riefter in bem naben guljlen (geule),
go ein 5Rann bon frommer ©efinnung, ber auf ben Neffen einen root)Itb,ätigen ©tnflu^ al§
SBtceltnuS 597
^eidjtbater aueübte. SDer 5?uf SSiceIm§ als tüd&ttger Sefyrer brachte ib/m einige ^afyre
fbäter feine (Smennung jum ©ctmlborftefyer in SBremen ein. SDtit größter ©trenge ging
er |iier, toofyl ber eigenen Qugenb eingebend, gegen bie ©dmler bor, bie ficr) aui Seicfytfmn
bem Unterricht entjogen unb lieber ini Söirtiljaui ftatt gum ©otteibienft gingen. Wan
bat ifym fogar ©raufamfett gegen biefe faulen ©lemente borgetoorfen. Um fo größeren 5
Vorteil aber Ratten bie gleifjigen unb Süchtigen bon feinem Unterricht unb feiner @r=
üefmng.
©in Aufenthalt in granfreidj) nadj ber Bremer geit, bon bem £>elmo!b berietet, ift
in feiner Sljatfäcpd&Jeit längere Seit fefyr angefochten toorben, boct) ift nicfyt ein^ufe^en,
warum §elmolb einen folgen, ber bamali burdjaui nicfyti Ungetoöfynlicf)e§ mar, glatt er= 10
funben baben foUte. Sicher falfcfy ift nur bie Angabe £elmolbi, Sßicelin fjabe in §ranf=
reid) ben 2lnfelm bon Saon gehört, benn biefer ftarb im 3<#e 1117, unb Sßicelini Steife
fallt ber Chronologie nad) in bie geit jtt)ifcb,en 1123 unb 1126.
Kurj i)tmaö), toafyrfcfyeinlicr; nocb, 1126, ift er bon ©rjbifcfyof Norbert bon 9flagbe=
bürg, bem ©rünber bei ^rämonftratenferorbeni, jum ^ßriefter getoetb/t morben. 2öai ifm 15
ju Norbert nach, SRagbeburg trieb, ift nidjt mit ©icf)erl)eit feftjuftetten, toafyrfcfyeinticr), tote
£auct (Ä© ©eutfct)lanb§ 23b IV, 600) meint, ber Stuf feiner aifetifd&en £eiligteit, ba toir
£ enben^en in biefer 9ttct;tung bei Vicelin fct;on in feiner Sremer 3^it begegnen. 2lber er
fdjeint bon ber $evfönltcr)fett bei ©rjbifd^ofä entläufst getoefen ju fein, benn nacb, furjer
Seit lehrte er in fein 33remer ^anonifat jurüd unb fner l)at itm bie Berufung getroffen, 20
bie für fein ganzes fbäterei Seben entfcfyeibenb tourbe. @r^bifcfe,of Slbalbero gab ii)m ben
Auftrag, unter ben SBenben bai Gfyriftentum ^u brebigen. 3Bir finb nicfyt barüber unter=
richtet, tooburdb, Abalbero gerabe auf SSicelin berfallen ift. §elmolb erflärt, Sßicelin F/abe
bem @r$btfcr)of feinen Söunfcb, mitgeteilt, in bie 2öenbenmiffion einzutreten. Aber fein
3ug in bem bisherigen 2d>tn bei S5iceltrt beutet barauf bjn, toie er auf biejen ©ebanfen 20
geführt fein foUte. 2öir werben bafyer annehmen muffen, bafj ©rjbifcfjof Abalbero, ber bie
Sage im 3öenbenlanbe jebenfatli beffer überfcfyaute, ali ber befctjetbene Bremer ^lerifer,
ben Moment für einen neuen SJtifftoniberfuct; im 2ßenbenlanbe errennenb, ben 33icelin
„cognito bono zelo eius", für feinen Sßlan getoonnen unb ini SBenbenlanb aui=
gefanbt E>at. 30
Sie Situation im nörblidjen ©labenlanbe, bai jur §amburgifcf;en ^irctjenbrobing
gehörte, toar bamali in ber Sfwt nicb,t ganj ungünftig. 9facl) bem bureb, ben 2öenben=
aufrufyr berunglüdten ßfjriftianifierungiberfucb, bei dürften ©ottfcbal! (ermorbet 1066, fiefye
ben Artifel „5ffienbenbeleb,rung") unb einer längeren 3toWenre8^run9 beä b,eibnifcb,en
2Bagrterfürften Uruto, beffen §errfcb,aft fia) aufy über ben größten SEetI be§ Dbotriten= 35
gebtet§, bei heutigen SJiecflenburg, erftrecfte, toar e§ ettoa im %at)te 1093 bem ©ob,ne be§
erfcf)lagenen ©ottfcfyalf unb ber ©änin ©tgrib (SEodjter bei ^önigi ©toen @ftritl)fon), ^einrieb,,
gelungen, ba§ @rbe feinei 23ater§ toieber ju erobern unb bureb, bie ^raft feiner eignen
getoaltigen ^erfönlic^Ieit toie bureb, bie Unterftütjung ber ©acljfenb, erlöge au§ bem 33illunger=
^aufe aueb, ju beraubten. 30 ^jafyre b,errfcl)te er toie ein $önig (vocatus est rex in 40
omni Sclavorum Nordalbingorum provincia, §e!molb I, 36) über bas> ganje
Cbotritenlanb bon Söagrien bi§ nacb, 3Sor^ommem, fein unrub,igeg SSolf bürdet lluge ©e=
fe|e be^äfymenb unb bureb, mannigfache gelb^üge gegen Dften befdb^äftigenb. ^^Ww ^m
unb ben benachbarten cftriftlid^en dürften beftanb ein feb^r freunblic()ei Serb;ältni§, befonberi
ju ben ©acb.fenfjerjogen. 2lber obtool)l er felbft 6f)rift toar unb in Slltlübecf, feiner 45
5Refibenj, eine Äirctje unb einen §au3fablan befafe, folgte er bem S3orgeI)en feinei miffioni=
eifrigen SSaterS burd)au§ nid^t, to ab, rfcb, einlief in Erinnerung an feinen traurigen Unter=
gang unb ber 33eforgnii bor einem älmlicfyen ©cb,i(ffal, bor aßem toob,l aufy in bem ©e=
füf>l, bafs fein getoaltigei §errfcf)aft§gebiet auf bie SDauer boeb, nicb,t toürbe beftefyen !önnen.
3mmerb,in aber toaren ei troij be§ baffiben 3Ser§alteng bei Dbotritenfürften jtoei 'SfyaU w
fachen, bie in @rjbifcl)of 2lbaIbero ben ©inbrud b,erborgerufen f)aben toerben, bafj ber
Moment jur ©rneuerung ber 2Benbenmiffion günftig fei: bai freunbfcb,aftlicb,e i5erb,ältnii
bei dürften ju feinen ctjriftücf/en 9Jacb,barn unb ber griebe im SBenbenlanb, ben er mit
ftarfer gauft aufredet erhielt.
©0 glaubte er ei toagen ^u fönnen, bafe er ben SSicelin mit ^toei anbern ^rieftern, 05
ben Canonici Subolf bon Serben unb ^ubolf bon §ilbei|ieim, ju ^»einrieb, ini ©laben=
Ianb fanbte. ©er ilönig naf>m bie brei 9Jftffionare freunblicb, auf unb übertrug ifynen
bie toaf>rfcf)einlicb, gerabe bertoaifte Äircf)e ju 2l(tlübedl ali ©tütjbunft ib,rer ©enbung.
Äaum aber finb fie nacb, §aufe jurüd!gefeb,rt, um ibje Angelegenheiten bafjeim ju orbnen
unb toeiterc Vorbereitungen für bie SJciffion ju treffen, aU ade ibje freubigen Hoffnungen 60
59S »icelimtS
burd; §einridj)s> blöttficfyen, toaf>rfd)einlicb. getoaltfamen 5Eob toieber böHig in $rage geftettt
unb balb böHig »erntetet toerben (1227). Son ber $eit an ift ba§ ganje Seben Stce=
Iin§, ber troijbem an feiner ©enbung fefibielt, faft 30 $al)re fyinburcb, nur nocfy ein fefyn=
füd)tige3, aber auäfi$r»lofe3 ^offen getoefen, ein fortgelegter Äambf be§ eifrigen, reblicfycn,
5 aber bocr) nid)t gerabe mit einem lüctfidjtölog burcfygreifenben ßfyaratter begabten 3ftanne§
mit ber Ungunft ber Serb/ältniffe getoefen, bie alle feine toieberfyolten Senkungen ju
©cfyanben machten.
@in geringer 2xoft war e<3 für ifyn, bafe if>m ber ©rjbtfdjof furje $tit t/ernad) (tote
Sommer, Sicelin ©. 34 ff. nad)getoiefen b,at) bie bertoaifte ^irdje $u SBibentfyorb, bei
10 §eImolb galbera genannt, ba§ heutige 9ieumünfter, übertrug. @§ gefct;ar) auf Sitten ber
dintoofmer, bie ben ©r^bifcfyof gelegentlich einer Sifitationireife in feinen norbelbifcfyen
©brengel ju Sftelborf auffucfyten. SDafj ber neue Söolmfitj Sßicelirtö nab,e ber 2Bagrier=
grenze gelegen toar, toar ein §aubtgrunb für bie Ernennung gerabe bei Sßtcetin jum
Pfarrer Don 2öibentf)orto (§elmolb I, 47). ©einen 9Jciffionieifer aber fonnte er fd)on an
15 feinen Sßfarrrmbew felbft erproben, benn obtoofyl bem tarnen nacf) (Stiften, toaren fie
bocb, nod) gang in f)etbnif<b,en ©ebräucfyen unb 2Infdjauungen befangen. Slufjerbem toar
$olftein feit ben unfeligen Reiten bei Sßenben $ruto immer nod) faft toüfte, unb bem
Sicelin eröffnete fic^> l)ier eine Stfyätigfeit »on toeittragenber Sebeutung. SJtit bem ÜReu=
bau ber Verfallenen ®irdj)e unb eifriger ^ßrebigt unter ben Reiften gingen bie nädjften ^a^re
20 t)in. ©a§ unfcr/einbare 5Rännd)en Tratte eine feltene ^prebigtgabe. Son toeitl)er famen
bie Seute, ifyx ju fyören. 2lucl) mehrere ^ßriefter gefeUen ft<$ §u if/tn, Don benen er ben
Subolf unb Solctoarb unter ber bem Gljrifientum gleichfalls nicfyt abgeneigten §errfcb,aft
3toentt^oId)§, bei älteften ©olmei §einric|i »on Dbotritenlanb, nocfymali nacfy Sübect fenbet.
Son ber bortigen Meinen Kolonie beutfcfyer ^aufleute toerben fie freubig aufgenommen,
2ö aber bie 3Benbenmiffion lommt aud) bieimal nid)t in ©ang, benn fdjon im ^afyre 1128
überfalten bie alten geinbe Sübecfi, bie 9?ügener, toieberum bie ©tabt, jerftören fie gänj=
lieb, unb Vertreiben bie beiben $riefter, bie müljifam nacb, 2Bi:pentI)orb entfommen. ^n ben
mannigfachen kämpfen, bie fid) mit bem Untergang Don §etnrict)§ ©efcbjed)t enttoicMn,
toar für Sicelini Hoffnungen »otlenbi nictjti %u ertoarten, obtooI)l fid? ber »on ^aifer
30 Sotfyar etngefe|te Regent bei Söenbenlanbei, ber ®änentortn;$ Änut Satoarb, feljr freunb=
lieb, ju Siceltn fteHte unb häufig feinen 3iat fuctjte. Unter ifym ift bie Sübecfer Sltvc^e
nocr)mal3 getoei^t toorben, aber toieberum ofme bauernben ©rfolg.
Qm ^ab,re 1134 gelang e§ bem Sicelin, Slaifer 2otb,ar für bie Söenbenmiffion gu
intereffieren. 9(uf fein Setreiben tourbe auf bem Dilberg im toeftlicr)en SBagrierlanbe ein
35 ÄafteE erbaut , ju bem bie beiben fyeibnifdjen ©enbenfürften, bie nacb^ iRnut SatoarbS
fcf>mät;Itcr)er ©rmorbung bureb, bie eigenen Sertoanbten SBagrien unb Dbotritenlanb ge=
toonnen Ratten, ^ribiilato unb ÜJttflot, tro^ aKer 3lbneigung felbft Saumaterial fyerbeifet/affen
laffen mußten. @§ erhielt ben tarnen ©igebercl) (©egeberg) unb foHte ein ©tü^unft
für bie 9Jciffion fotoob,! tote für bie 33erteibigung ^olfteini gegen toenbifcfye Slaub^üge fein.
40 Sern ^ribislato tourbe bie pflege ber Sübecfer .Uircfie einbringlicb, jur ^flicb, t gemacht.
Unb fo festen e§ je|t enblicb,, alg ob man im ©laoenlanbe tourbe Soben getoinnen
fönnen.
2lber noeb; einmal mufete Sicelin feine Hoffnungen ju ©rabe tragen: toie feb^on bei
§einricb,S be§ Dbotriten 3;ob, bei bem feiner ©öfme, bei ber ©rmorbung $nut Satoarb^,
45 fo je^t bei bem plö<3lid)en 2lbfcf)eiben Slaifer SotfyarS, bai bie feb^toeren ^äm|3fe jtoifcb^en
§o|enftaufen unb helfen im ©efolge blatte. 5laum toar ber Mfer geftorben unb ©acb^fen
bureb, bie ©treitigfeiten jtotfcljen ^einric^ bem ©tollen unb 2llbrecb,t bem Sären in 2ln=
f^ruefe, genommen, alö ^ribiilato feine Gelegenheit erfab^ unb ba<§ berb^a^te ©egeberg an=
griff, baö ©täbtcb.en am gufee ber Surg gerftörte unb ba§ bort »on Sicelin abauti Älofter
so in 2lfd)e legte, toobei ein ÜÖiöncr; erfragen tourbe , toäb^renb bie übrigen fiel) naefy S^eu:
münfter retten lonnten. Sa gleicfjjeittg toäbjenb ^rtbiilatoi 2lbtoefenb,eit feine Stefibenj
Sübect oon feinem ©egner, bem itrutonen 9^ace, ^erftört unb bie (Stiften »erjagt tourben,
toar ganj Söagrten toieber bom ©influ^ bei 6b,riftentumg frei getoorben, §olftein eine
3eit lang toeb^rlofe Seute ber blünbernben 2Benbenfcf)aren. Sicelin unb bie ©einen
55 toarteten im feften ©tifte 9ceumünfter faftenb unb betenb auf beffere Reiten (^elmolb I, 55).
^m ©egenfa| gu ben forttoäfyrenben SRi^erfoIgen ber SBenbenmiffion blatte fid) baö
©tift 3Reumünfter in ben legten ^ab^ren beträc^tltdE) fonfoltbiert, bant ber raftlofen St|ätig=
teit Sicelini unb ber Unterftü|ung , bie ib,m »on @r^bifcb.of Slbalbero unb 5?aifer 2otf>ar
^uteil tourbe. ©cb,on 1136 tourben bem Sicelin unb feinen ©enoffen »om @r^bifcb.of bie
eo greil)eiten unb Sefifeungen bon 2Bibentl>orb mit bem ®orfe ®agereitf)orb neu beftätigt
Stcdiuu« 599
unb mafyrfäieinlicr; ju berfelben geil »on Haifer Sot^ar meitere ©naben hinzugefügt (§affe,
iRegeften 33b I, 27 f.). 3Me (Stiftung bon ©egeberg braute eine beträt^tltdje SBefi{$=
ertoeiterung. 1139 mürben biegelmten uno 9?eubrua)Säef)nten in ber 2öilfter= unb ftrember
marfct) bem Mofier ju beliebiger 33ermertung berliefyen. 23enngleicb, mir annehmen muffen,
bafj bei ben bamaligen i)öcf)ft unruhigen gufiänben i« §olftein manche biefer ©naben= 5
ertoeijungen menig realen ©eminn brauten — gan$ abgeben bon ber Unedjtfyeit einzelner
Urfunben — fo ift boeb, fobiel fieser, baj? baS Mofter, baS ftcfy nadf) ber Siegel beS
3tugufttn organifiert I?atte (nicfyt ber ^rämonftratenfer, maS aueb, ein SBemeiS für SßicelinS
Srudb, mit ©rgbifd^of Norbert ift) fcfyon um ba§ $af)r 1140 einen berfyältntSmäjjig günftigen
SBermbgenSftanb befafj. SSicelin felbft erhielt 1141 fcfyon ben^itel eines ^ßrobfteS, 1142 bie 10
auSbrütflicfye 33eftätigung biefeS Titels.
Unb um biefclbe $eit begann nun aueb, baS erfebnte giel feines SebenS, bie 2öenben=
miffion, beffere 2luSficf)ten ju geigen, greilieb, in etmaS beränberter ©eftalt. ^»einrieb,
bon 33abercibe, bon 2tlbredt>t bem 23ären jum ©rafen bon §olftetn ernannt, gebt mit ber
größten (Energie gegen bie Staubfc^aren beS ^3ribiSlam bor. ®ie §olften üben S^acfee für 15
lange erlittene Unbill, bringen im äöinter 1138 auf 39 in Söagrien ein, beribüften baS
gange Sanb. $m näcbjten ©ommer gie&en fie nochmals auf eigene gauft aus, erobern
baS fefte $lön, einen £aubtftüt$bunft menbtfcfy er SOtacfet, fyaufen fctjlimmer als bie ©laben
felber unb fefyren omni terra eorum in solitudinem redaeta nact) §aufe jurüc!
(£elmolb I, 56). üftur im äufjerften Sorben fyaben fieb, einige wenige Söenben erhalten, 20
unter ilmen ^ribiSlam, je|t nur noeb, ein größerer ©runbbefüjer, benn aueb, ber Sieft feinet
©ebieteS, baS ^ßolabenlanb, ift ib,m burd) ben granffurter ^rieben 1142 genommen unb
an ^einrieb, bon SBabemibe als ©ntfdjä'bigung für baS berlorene §olfiein gegeben morben
(©raffebaft Dieburg). Sßagrien unb ^olabten mürben ber beutfdjen SMonifation er=
febjoffen. §olfteiner, Söeftfalen, ^riefen beftebelten bie beröbeten ©ebiete unb balb erfyob 25
fia) bier ein neues, jetjt beutfdjeS $irct)engebiet, baS gugtetcb als ©tü^bunft für 23iceIinS
SöenbenmiffionSbläne bienen fonnte. 3Son -Jieumünfter aus fyat er unter bcreitmilliger
gbrberung bei ©rafen 2lbolf an bem lirdjlid^en 2tufbau biefer neuen SanbeSteile mit=
geholfen, teils bureb $ird)engrünbung, teils bureb ©ntfenbung bon Pfarrern. 9Rod) fyeute
lönnen mefyr als 20 Äirc^en in jenem ^eile §olfieinS ibre ©rünbung auf 3SiceIin gurücf= 30
führen. ©in meiterer ©tüt$bunft mürbe baS neu erbaute beutle Sübecf. ©in freunb=
fcb,aftlia)eS 3Serb,ältniS jmifc|en ©raf Slbolf bon ©cb,auenburg unb bem noeb, immer im
Dbotritenlanbe b,errfcb,enben dürften ^illot getoärleiftete tro^ 9U!lotS Abneigung gegen baS
6b,riftentum aufy rub,ige äöeiterarbeit für baS menbifdje SReSlenburg. §au3 (^© S)eutfc^=
lanbs 23b IV, 604) bätt eS für niebt unruafcrfcbeinlict;, ba^ eS fcb,on bamalS in ©cb,toertn 35
©briften gab.
©iefe ruhige SSeiterenttoicfelung aber mürbe blö^Itcb, geftört bureb, ben tböriebten
SBenbenfreu^ug bom $al>re 1147, ber ben forgfam gurücfgefyaltenen menbifd^en §a|
gegen baS d|riftentum noc§ einmal in l;eöen glammen auflobern machte, ob,ne irgenb
einen braftifcfyen ©rfolg für bie ÜMffion ju b,aben (bgl. ben 2lrt. „aBenbenbeleb.rung"). w
^m ©egenteil Ratten bie neuen beutfe^en ©iebelungen in SBagrien bureb, einen lüf)nen
Dffenfibftojj 9JillotS ferner ju leiben, $icelin unb bie ©einen Ratten aße §änbe boÜ ju
t^un, um bie 9Jot p linbern (§elmo!b I, 66). 2ln eine frieblidje Überführung beS
SBenbenbolfeS gum dfyriftentum mar fe|t niebt meb^r ju ben!en. tlnb boeb. gab Stceltn
bie 20 ^al>re lang gebegte Hoffnung nid)t auf. Um ifyretmitlen naf)m er fogar noeb, baS 45
Soa) bifcfyöflicijer SBürbe auf fic^. Slber aueb. bamit fjatte er, eine menig jum Äir<f)en=
fürften fic^ eignenbe 5Ratur, fein fonberlicfyeS ©lue!. SDenn eS jog tbn in ben ^nbeftitur=
ftreit jmi(cf)en feinem ©rgbifcfiof unb bem meltlicf)en §errn beS SanbeS binein. 3taa)
2lbalberoS, feines treuen ©önnerS, %o\> im ^ab^re 1148 mäfylte baS Sremer ^abitel ben
^'robft §artmig bon ©tabe jum ©räbifcfyof, einen bebeutenben SDiann mit boebfliegenben 50
planen unb eifrigen ©egner §emricfyS beS Sömen bon ©acljfen. ©eine erfte ib.at mar
bie 3Bieberb erfteQung ber Hamburger ©uffraganbiStümer im 2Benbenlanb. 2lm 25. ©ebtember
1149 mürben 3Sicelin pxm Sifdmf bon DIbenburg (in §olftein) unb (Smmcfyarb jum
Si[a;of bon 9Jtecflenburg gemeint, ob.ne ba^ fid? §artmig mit bem Honig ober _ mit ^einrieb
bem Sömen barüber auSeinanber gefegt bätte , mop eine formelle 9}otmenbigteit freiließ 55
niebt borlag. SDamit aber geriet SSicelin mie ein Söei^enforn jmifa^en jtoei febr b^arte
SD^üblfteine. ^»einrieb ber Söme erllärte, bie ^nbeftitur ber 33ifc£)öfe im Sßenbenlanbe ge=
bore if)tn, als £anbeSb.errn, liefe burcl) 2tbolf bon ©cb^auenburg bem neuen 33tfdr)of fofort
ben 3«b"^n fberren unb berlangte, er folle bon ifym bie Qnbeftitur nehmen, ©in SRecbt
baju batte er jmeifelloS niebt, aber einen ^einrieb ben Sömen foebt baS menig an, mo eS 60
600 SBiceliimS Sektor I., ^apft
galt, jtoei ©egnem gugletd^ einen ©cfyaben ju tfmn, bem König als bem rechtmäßigen 2>n=
^aber be3 Qnbeftiturrecljtä unb §arttoig, auf beffen gteiijeit er baburcb, feljr nadjbrüdlid;
^emmenb toirfen fonnte.
©mmefyarb fdjeint bor btefert ©djtoierigfeiten gurüdgefdjrecEt ju fein unb fein 23i§tum
6 SÖZedlenburg gar nidjt angetreten zu fyaben. ©er treue 33icelin toar baju ju eifrig, benn
er fyoffte, baß il>m burd; feine bifd)öflicr)e Stellung bocb, nocb, meljr ©elegenfjeit zu ber er=
feinten -Eknbenbefefyrung gegeben toerben tourbe. Korreft Don ©efinnung, toie er toar,
toeigerte er fid^ aber zunäcbjt, ber gorberung §einridj)g be3 Sötoen nachzugeben, unb fo
tourbe feine bifcfyöflicfye Xfyättgfett bon bem §erjog unb ©raf 2lbolf böHig lahmgelegt.
10 ©einen Sifdjofsfit} Cibenburg fonnte er nid)t antreten, faum bafj bie toenbifdjen Stetoolmer
eine Keine fyölzeme Kabelte am 2Baß be3 DrteS bulbeten. ©ie Kirdien, bie Sßicelm fonft
in biefer geit erbaute, waren burd>toeg an beutfd;en Koloniftenorten gelegen unb für
®euifd)e beftimmt. $Da er auf biefe SBeife nicf/t toeiter fam unb ir;m bie braftifcfye SE^ättg=
fett in feinem ©torengel mel)r am ioerjen lag, als ba§ SDurdjfecfyten prinzipieller Kompetenz
15 ftreitigfeiten, gab er fcfyließlicr; ben SBünfdjen §einrid)<§ be<§ Sötoen nad; unb ließ ftcb, Don
tb,m 1150 zu Süneburg inbeftieren. 3Xber ba§ mar ein fernerer geiler, benn toenn er nun
aud; bon bem §erjog feine ©djtoterigfeiten mein- ju leiben fyatte, biefer tfym bielmefyr
„villam Buzoe" (Sofau) a£§ bifd)öflid)e3 ©ut jutoieS unb ©raf Slbolf ifym ben falben
Reimten betoißigte, fo beraubte er ftcf) anbererfeits jeber Unterftüijung be<§ i;öd}ft erzürnten
2u ©rgbifd^ofö §arttoig. Qmmerf)in begann er, toeil Dlbenburg für ilm unzugänglich blieb, ben
33au eine£ SÖifdjofsfitjeg in bem tym verliehenen Sofau, „initia vero episcopatus erant
in magna teneritudine", tote §e!molb (I, 71) felbft eingeftefyt.
%la<$) Konrabs III. ütobe berfudjte (Srzbifdjof §arttoig bei bem neuen König griebrid;
Rotbart abermals bie ungerechtfertigten 2lnfbrüd)e §erjog §einrid)g jur ©brache zu
25 bringen. $icelin mußte ilm nacfc, SRerfeburg zum 9tei<|£>tag (1152) begleiten unb tourbe
bon bem ©r5&ifd^of aufgeforbert, bie ^nbeftitur ficf; bom König erteilen ju laffen. 2lber
3llter unb Kranftjeit Ratten ben 33ifdt)of ber Sffiagrier allmählich, mürbe gemacht. .ßagfyaft
fürchtete er ein neues Entbrennen be£ ©treiteg unb toeigerte fid), bem üffiunfd) §arttoig§
nachzugeben, ©o fam bie ©adje nid^t zur ©ntfdjeibung. 3SiceIin fef)rte in feine ©iöcefe
3ozurücf, too er ju feinem ©cfymerze feinen langjährigen greunb Slfnetmar nictjt mefjr am
Seben antraf. Salb barauf erfranfte er felbft nacb, einem Sefucb, in 33ofau burcb, einen
fcf^toeren ©djlaganfall. ©eine ganje rechte Körberl}älfte tourbe gelähmt, aud) bie 3un9ef
bie fo oft mit ifjrer einbringlicb,en 33erebtfamfeit ba§ SSolf erbaut l)atte, berfagte iljren
©ienft (©ommer 1152). 3toeiun^ctn^a^eg Sa^r mußte ber ©rei§ nod) auf bem Kranfen=
35 bette zubringen, aber trotj aller ©d;merzen unb Unbequemlicf)feiten — er fonnte toeber
rect)t fi^en nod) liegen — blieb er jufrieben unb getroft. ®ie toagrifc^en Kirdjen bertoaltete
für il)n ber ^riefter Subolf, fein alter ©efäl;rte im Kambfe gegen ben toenbifdien Un=
glauben, mitfamt ber ^robftei ju ©egeberg. 2lm 12. ©ejember 1154 ftarb Sicelin unb
tourbe z" 9teumünfter im Seifein beS neuen IWatjeburger 33tfd;ofö ©bermob beigefe^t. ©ein
40 9iad;foIger im Dlbenburgcr 33istum tourbe ber Kablan §einrid;§ be§ £ötoen, ©erolb.
®enn mittlertoeile t;atte §einrid) feinen SBiUen z^ar ntd}t gegen ben König, toofyl aber
gegen ©rzbifdjof ^arttoig burd;gefe|t: 1154 fyatte il)m griebricb, I. bie Qn^eftitur im ßanbe
jenfeitö ber @lber jebod; „im tarnen beS Könige" übertragen. SDer ßrzbifdiof gab feine
2lnfbrüd)e nid)t auf, unb fo blieb aufy nad) Sßicelinö Sobe bie Sage ber Kirdje in Dft=
« ^olftein unb an ber 2Bcnbengrenze red;t unbefriebigenb.
@3 ift, toie toir feiert, ein Seben boß 3Jiüb,fale unb ©nttäufcfyungen getoefen, bai bem
^icelin fein ©ntfcfyluß, ben SBenben ba§ (Sfyriftentum zu berfünbigen, gebracht l)at. ©einen
eigentlichen 3^ed tjat er fo gut toie garnidjt erreid;t, aber toir bürfen il)m bie ©d)ulb
bafür nic^i zumeffen, benn an ©ifer unb Slufobferung f)at er e§ nid£)t fehlen laffen. 2lber
50 bie 3eitberf)ältniffe burd)freuzten jebeSmal feine ^Släne unb aU er e3 fdjließlid; %uv ber=
bienten fyödjften fird)lid)en 2Bürbe im Söenbenlanb brachte, toar feine Kraft berbraudjt, fo
baß er bei aller firc^licb, treuen ©efinnung nid)t meb,r imftanbe toar, ben ungerechtfertigten
Slnfbrüd;en beö rüdficb^tslofeften 9Jcanne§ feine§ ^afn-lrnnbertä SBiberftanb zu leiften. %\t
bamit aud) feine bifd)öflid)c 3:b,ätigfeit zur ©rfolglofigfeit berurteilt getoefen, fo bleibt ib,m
55 bod} immer ber 9tulmi, bie fird}lid}e Drganifation be£ ehemals toenbtfdjen ä"ßagriergebiete§
unb be§ öftlid;en §o!ftein fo geförbert zu b,aben, baß ib,m mit Stecht ber sJJame beS
„2lboftel§ bon SBagrien" beigelegt toorben ift. * g. Schäfer.
Sßidor I., 5ßabft 189—199. — Eusebius hist. eccles. 5, c. 22— 28. Catalogus
Liberianus bei §imiQcf, e^ronologte ber attct)üftl. Üittevatur 1, 6. 146. Liber pontificalis
Sßictor I., SJSapft 601
ed. SKommfen l, p. IS ed. 2md)e«ne 1. 93b. Qoffö 1-, ©.Uff.; 3- Saugen, ©efclüdjte bei
vom. .ftirdie bis jum Spontiftfate SeuS 1., @. 179, 182 ff. ; .§arnacf, 3>er pfeubocljprian tfctje Xraftat
de aleatoribus, bie filtefte latcintfdje d)riftiid)e ©drrift: ein SBert beö riimifdien 33ifd)of3
Sßictor I-, XU 5, 1, @. 110 ff.; berf., ©efcf)td)te ber altdjriftl. Sitteratur 1, ©. 595 f.; 2, 2,
©. 370—381; ?tlfreb ©djöne, ®ie 3£e(td)ronif beö ßufebiug ■ in itjrer Bearbeitung burd) f»tero= 5
nMmu* @. 181-201.
Sßictor I. ift ber erfte römtfcbe S8ifd)of, beffen 33tlb fid) ntd)t gartj im SRebel ber
Segenbe berliert. ®afe er Sateiner bort ©eburt geWefen fei, melbet erft £teronbmu§, baß
er au3 2lfrila geftammt I)abe, erft ber Liber pontificalis. %üx biefe letztere SKngabe
fbricbt nicbtS. £>ie erftere finbet in bem tarnen Sßictor eine freiließ fel;r fcfywacbe ©tütje. 10
9J}it größerer ©icfyerfyeit lann man jebenfafl§ au3 bem tarnen fd)Iteßen, baß aud) biefer
römifc|e SBifdwf, rote SBJug I. unb ßallift I. bon §erlunft ein ©flabe ober greigelaffener
war. 3)ie Slngaben über feine 2lmt^eit lauten berfd)ieben: ber catalogus Liberianus
beregnet bafür 9 $abre 2 SDJonate 10 Sage bon 186—197, (Sufeb 10 Satyr tum 190—200.
§ält man fid) an bie erfte, Wol)l bon 2lfrilanu§ übernommene, giftet @ufeb§ unb jäb/lt 15
man bon bem erften feften ®atum ber rbmifd;en Sifte — Seffton SßontanS 28. ©ebtember
235 — jurüd, fo gewinnt man bie oben angegebenen 3al)len 189—199. — 2leußerlid)
mar bie Sage ber römifcfycn ©emeinbe, afö Victor an ifyre ©bi|e trat, fef)r günftig. 9JJarcia
ioar je$t im Malaiin fo mäd)ttg, baß fie Sßictor eines SEageö rufen unb bon il)m eine
Sifte ber nacb, ©arbinten beförderten ßtyriften berlangen lonnte, um benfelben greifyett 20
unb 3rüdfer)r p berfdjaffen. S>lud) finanziell ftanb fid) bie ©emeinbe fo gut, baß
Sßictor in ber Sage mar, einer mißliebigen SJWfon, bem ©Haben ßattift, ein Qa^rgebatt
auSjufetjcn unb tf)n baburd) bon 9tom fernzuhalten, Hippolytus Refut. 9, 12. 9Jiarcia3
Einrichtung änoerte hieran md)ts>. ©ebtimtui ©eberu«? bulbete (Stiften ntcfot nur unter
feinen ^ofbeamten, er gewährte aud) bem Gl)rtfien SBroculu3 Söobnung unb Unterhalt im 25
Sßalatin. SBab^fcfyemlid) fanb baber fetyon Sßictor ©elegenfyeit, jenes> xoijurjTiJQiov ju
erwerben, ba§ un§ unter gebfybrin a^ e*n it>oI)lgeorbneter Sßefi| ber ©emeinbe be=
gegnet. 9ftd;t fo frieblid; fab e§ jebod) im $nnem ber ©emeinbe au§. £>er SBre§br/ter
§Iorinu§ erregte unltebfame3 2luffer)en burd) ©Triften, bie bewiefen, baß er „in ben
Irrtum Sßalentin§ ftd) Blatte berftriefen laffen" Sßictor Warb barauf, roie e§ fd)eint, 30
erft burd) ^renäuä aufmerffam gemacht, ^renäu§ fragmenta syriaca nr. 28 ed.
färbet; 2, p. 457, unb mußte fidt) entfd)ließen ben angefel)enen SJcann, ber einft am !aifer=
lid)en §ofe „eine glänjenbe SJtolIe fyatte" unb bie(leid)t je^t nod) fbielte, au§ ber ©emeinbe
ju flößen, @ufeb 5, c. 15, 20. Ungefähr gur felben $e\t trat ber 5ßre3bfyter S8laftu§
mit ber SBefyau^tung auf, bag Dfterfeft muffe nacb, bem ©efe^e 2Rofi§ am 14. Sage be<o 35
9Jconat§ Jcifan gefeiert roerben, SBfeubotertußtan adv. haereses c. 8. 2)a S8taftu§ fidt) auf
bie SßraEtö bieler fleinafiatifctyer ©emeinben berufen fonnte, fo fanb er in 9tom folgen Söei=
faß, baß barob tinoyjojua, eine©baltung in ber ©emeinbe entftanb, @ufeb 5, c. 15,20;
SrenäuS, fragm. syriaca nr. 26. p. 456. 9tun fbracben fid) ^toar bie ttaUfcben Sßifdjöfe,
bie Sßictor ju einer Konferenz nad) sJtom berief — bie erfte römifd;e ©t)nobc, bon ber *o
toir työren — für bie bisherige römifd;e ^Brartö au§. Silber §err roerben fonnte Sßictor
ber ©baltung boeb; erft, roenn e§ tb,m gelang bie SHeinaftaten jur 2lnnab,me beö rbmifeben
Sraucb,e§ ju bewegen. @r ging babei ntebt ungefd}idt §u 2öerfe. Überzeugt, baß bie
Heinafiatifc|e SPrap§ einen SiüdfaÖ in jübifctye ©ejei$ltd)feit bebeute, SPfeubotertulIian a. a. C,
brobte er, roie e§ fdjeint, ben Hleinafiaten gleid; mit SHbbrud) ber Äird}engemeinfcb,aft. Sa er 45
aber borauSfeben jonnte, baß biefe mächtige ©emeinbegrubbe burd) eine foldje ©ro^ung fid)
ntebt einfd) üebtern laffen merbe, fud) te er burd) moralifcb en ®rud gu erf e|en, mag ib m an
ibirflieber 3Jcad}t gebrad;, inbem er fämtltcbe anbere ©emeinben ber „koivy\ svcooig", be§
altfatb^olifd^en ©emeinbebunbeS, ber bamalö ?um erften SRale aU eine greifbare ©rößc in
6rfa)einung tritt, burd; 9tunbfd)reiben aufforberte, fid; gutacfjtlid) über bie grage ju äußern, so
£ie ©utad}ten fielen fämtltcb fo au§, roie er e§ wünfcfyte, aber aud; bie üleinafiaten ant=
toorteten auf feine ©rol^ung gan^ fo, mie er eö erwarten lonnte. @rft banacb, Wagte er
ben entfd)eibenben ©djrttt, ber allein in SRom ben grieben WiebertyerfteHen lonnte : er bracb,
mit ben Äteinafiaten bie ^iretyengemeinfebaft ab unb ftieß fie au3 ber ,,xoiv>] evcoaif",
b. i. er erllärte in einem SJ{unbfd)reiben, baß er jene ©emeinben, Weil fie beterobor. feien, 55
nid)t mtfyx aU ©lieber ber xoivij Uvwaic, betrad)ten unb beb,anbeln Werbe. 9cid}t äße
SBifd^öfe bittigten biefe @rllärung. @intge tabelten Sßictor nacbbrütflict). Sa ^renäu« bon
S^on berfuetyte afö jyübjcr unb ©bred;er ber ^ifdjöfe ©allienö eine gemeinfame IHltion ber
33ifd)öfe gegen ba^ sj(unbfd)reiben gu ftanbe ju bringen unb baburd; Sßictor moralifcb, ju
Jtbingen, fein SMnatfyema ju Wiberrufen. Slllein eö berlautet nicbtS babon, baß biefer Sßerfud; 60
602 Sßtctor I., ^utft Sßtctov II., ^atfi
geglücft fei. ©ie Äraftyrobe, bie SSictor geioagt I/atte, fcbiug bielmefyr ju ©unften ber
romifcfyen ©emeinbe auS. 3$re Hegemonie in ber xoivr) evcoatg mar im Kampfe gegen
ifyre angefefyenften Äonfurrenten jetjt §um erften SRale öffentlich feftgefteHt unb jugleic^»
t)atk S3ictor roar/rfcfyeinlicb. auet; ben näcbjten .ßroeef ber ganzen Slftion erreicht : bte Oj?=
5 ponenten, bie ifym unter ber güfyrung beS S3lafiuS in ber eigenen ©emeinbe baS Seben fauer
matten, roaren nun böHig aufS Sjaupt gefcfylagen. — SIber balb fam eS p neuen 3JJi|=
Helligkeiten, ©er Seberfyänbler £r/eobotuS auS 33^anj fucfyte für feine (tfyriftologie 2ln=
ganger ju geroinnen. SSictor fttefj tfm, roeil er (5l)riftu§ „ju einem blofjen ÜDcenfcfyen machte",
aus ber ©emeinbe, aber er fonnte nicfyt berfnnbem, bafj ber Stnfyang beS SfyeobotuS fid^>
10 nun auefy ju einer Strt ©emeinbe jufammenfdilof?, bie in ber golge fogar berfuet/te, einen
eigenen 93ifct)of- aufstellen. — Dh bagegen SS. mit bem rbmifet/en S3tfcbof ibenttfef; ift, ber
nad? SEertulltan adversus Praxeam c. 1 bereit mar, ftd? für bie SDiontaniften ju er=
Hären, bann aber burd) ben fleinafiatifcfyen Äonfeffor 93rar.eaS ftd) beftimmen lief?, bie
Bereits ausgefertigten litterae pacis %a rotberrufen unb aud) in ber (5t)riftoIogie ben
15 ©tanbpunft beS ^SrajeaS fiel) anzueignen, ift eine feb/r berfef/ieben beantwortete Streitfrage.
%üx Victor fbridjt jebenfallS 1. bie allgemeine ©rroägung, bafj gerabe ib/m, ber im üampf
mit ben fatfyolifdjen ^leinafiaten ftanb, eS befonberS nab,e liegen mufjte, fieb, mit ben bon
biefen ausgeflogenen 9ttontaniften ju berftänbigen, 2. bie SEb/atfadje, bafe S3rar.eaS fieb, bon
ÜRom nacfyroeiSlid) nad) Äartfyago roanbte, bort bon Xertuttian bekämpft mürbe unb fid) für
20 befiegt erflärte, roaS faum lange bor 200 gefdjefyen fein fann. ©benfo ftrittig ift, ob SSictor
mit bem SSictortnuS tbenttfet) ift, ber nacb, 33feubotertuIIian a. a. D. bie §ärefie beS S3rajeaS
in 9tom in Sluffdjroung ju bringen fud)te. §eft ftefyt nur, bafj er bie ßfyrtftologie ber
br/namiftifd)en 9Jlonard)ianer unbebingt ablehnte unb bon biefen felber nidjt als 9Jcobalift
betrachtet rourbe, Heines £abr/rintl? (Sufeb 5, 28, 6. ©aS fctjltejst bie 2lnnafnne aus, bafj
25 ber 3KobaliSmuS unter i^m „offizielle römifd)e fiebere" geworben fei. Sr>at ^renäuS !Jted)t
mit feiner SSermutung, ba| SSictor bon ben fe^erifcfyen 33ücb,ern unb bem feijerifdjen ©tanb=
punft glorinS nid)tS roufcte, el)e IgrenäuS ifm barauf aufmerf Jam machte, fo mürbe auebj SS.
bie alte 23eobad) tung betätigen, bafj bie Geologie nie bie ftarfe ©eite ber römifd)en S3ifd)ofe
mar. — 9cacf) §ieron^muS' de viris illustribus c. 34, 53, Sfyrontf ad a. 2209 blatte SSictor
30 feb^on bor JertuEian in lateinifcb, er ©^racb,e gefc^riftftellert unb nicfyt nur super quaestione
paschae, fonbern aueb, alia quaedam opuscula ober, rote eS in ber ßfyronu* fyeifst,
medioeria de religione volumina berfa^t. ^m ^inbltdEe barauf t/at §arnac! 1888
SSictor ben ^feubocl;prtantfcr)ert Straftat adversus aleatores jugefeb^rieben. ©tefe §t)^o=
tb^efe i)at eine ganje Sitteratur b^erborgerufen, ber^eicHnet bon .§arnacf, ©efeb, . ber altc|riftl.
35 Sitteratur 2, 2, S. 370, SInm. 3. ©a aber §amacf felber fie nieb^t mel)r aufredet erhält,
fo genügt eS barauf fytnjuroeifen, ba^ bie Slutorfcb^aft SSictorS auSgefcb,Ioffen unb auf bie
Slngaben beS §ieront;muS aueb, in btefem %aüe fein 3Serla| ift. SRäfyer liegt eS, baS
SRuratorifc^e gragment in S3ejiel;ung ju SSictor ju fe^en, ebenb. ©. 333. ©er 2luSbruct
„reeipimus" unb äb,nftct;e Formeln meifen barauf |in, ba^ ber SSerfaffer im tarnen
40 einer ©emeinbe rebet unb baS 3ftecE)t I)at, im tarnen einer ©emeinbe ju reben, unb ber
^nl)alt toeift auf 3tom. SlKein wenn bie 2lutorfcl;aft eines römifdjen S3ifcfyofS aucl;
toab^rfc^etnlicf; ift, fo läfjt ftcb, bod; gerabe für SSictor fein auSfcbJaggebenber ©runb an=
führen. ^. spö^mer.
BktOt II., $ a p ft 1055—1057 — Liber pontificalis ed. SucfjeSne 2 ; 2Bot=
45 tevtd), Pontificum Romanorum Vitae I; Jaffö l3, @. 549 — 553; Anonymus Haserensis
c. 34—41 SS 7, p. 203 ss. ; W. Sefflob, SRegeften ber S3tfd)öfe Hon (£icf)ftäbt Slbt. 1, ®ictj=
ftäbt lSvl; 8. Dtie^er, ©efd)td)te Sönljernä 93b 1 ; berf., lieber bie §erfunft ©ebfjarb§ I. üon
eictjftöbt in 8-b© S3b 18, @. 534 f,; guliitS @qj, 3)te SSifdjöfe unb «Retcf|§fürften öon (£icf|=
ftäbt, Satib«liut 1884, 1, 6.39—43; Dt. ^öfter, ©efd). ber beutfdjen «JSäpfte 2, ©.208—268;
BO 2Sia, SBictorll. als ^apft unb beutfdjer «Reict)§t.ent)efer in S£)OS 44, @. 185; 5R. Sai'mann,
®ie «ßolttif ber Zapfte 2, @. 252—262: Sangen, ©efd)td)te ber römtfetjen fitrd)e tum 3?ifolau§ I.
bis ©regor VII.; Stetnborff in 5lb33 39, ©. 670—674; ßauef, Sird)engefd)td|te ®eutfd)=
lanbS 3. 93b.
Stuf bem §oftage ju ©oSlar Söetfmadjtcn 1042 empfal)! SBtfc^of ©ebb^arb bon
55 SregenSburg üönig ^einrieb, III. feinen tropft J^uno angelegentlicb, jum Jcadjfolger beS
berftorbenen 33ifcb,ofS ©ogmann bon ©icb^ftäbt. ©er Äönig ftimmte §urtäct)ft ju, nab^m
aber feine $ufage jurücf, als er erfuhr, ba^ Äuno ber ©o|n eines 53rtefterS fei. ©arauf
fcb,Iug ber S3ifcf)of einen anbern SSertoanbten bor, gegen beffen §erfunft fid? nicfjtS ein-
roenben lie|: ©ebljarb, ben ©olm beS ^arttoig unb ber S3alija, naef; fpäterer @id}ftäbter
60 Überlieferung aus bem alten ©efcljledjte ber ©rafen bon ©oEenftein unb £>irjd}berg, baS
Victor IL, yatft 603
fotool)l im fcfyiuäbifcfyert 2lnteil ber ©iöcefc (Stdbjtäbt toie im bai;ertfd;en 9?orbgau begütert
War. ' 2lber biefer Stanbibat ersten bem $önig toieber toegen feiner großen ^ugenb nidjt
annehmbar. ^nbel liefe er ftd; bod; nod; burd) bert alten @rjbifd;of 33arbo bon 9Jiatnj
beftimmen, ben jungen 9J?ann für ©icbjtäbt ju inbeftteren. Dbtoofyl, tote el fdjetnt,
nodj jünger all ber 1017 geborene ßömg, geigte fid^> ber neue SBifdjof feiner Aufgabe 5
böUig gctoacfyfen. ©eine Serebfamfeit, feine ungetoöl;nlid;c SKeditlfenntnil unb ©e=
fd;äftlgetoanbtl)eit berfd)afften it;m balb 2tnfeben aud) aufeerfyalb feiner ©iöcefe. Slber
am £ofe erfcfyeint fein ©tnflufe erft mafegebenb, all el ib,m 1052 gelang, ben Honig gu
bewegen, bal §eer, bal ftd) jur Unterftü^ung Sabft Seol IX. gegen bie Normannen
bereits in SJtarfd) gefegt blatte, jurücfgurufen. ©eitbem ftieg er raftf) Don ©tufe gu 10
Stufe, ©ebon 1053 toarb er für ben unmünbigen ^einrieb, IV. Sertoefer bei £>ergog=
tuml Sabern. 2111 fold)er toaste er im Kampfe mit bem abgefegten §erjog Sfonrab,
23ifd;of ©ebfiarb bon iWegenlburg unb ben aufrüf)rerifd;en ©rafen bon ©d;ei;em mit
ßluglieit unb (Snergie bie Siebte bei ^teicfyel. Qm ©ebtember 1054 toarb er bann auf
einem -fioftage ya 3JJainj bon $etnrid) III. jum Sabfte beftgniert. %la<fy ber Überliefe^ 15
rung blatte bie römifcfye ©efanbtfd;aft, an beren ©bitje §ilbebranb ftanb, ben Haifer fjierju
beftimmt. 2fber allem 2lnfd)eine nad; fyat ber ^aifer felber für ©ebfyarb enifcfyteben.
S)enn er fonnte für feine ttalienifd)e Solitif ftd) feinen genehmeren 2Rann an ber ©bi£e
bei Sabfttuml toünfdjen, all btefen bewährten, flugen, reid)ltreuen Sifcfyof, ber bem boli=
tifa)en ©fyrgeig £eol IX. fo energifd; entgegengetreten mar. Mein ©ebfyarb gögerte über 20
ein fyalbel ^ai/t, bie neue Söürbe an^une^men, unb all er ftd; enblicb, im 9Jtärj 1055 auf
bem §oftage gu ÜRegenlburg baju entfd)lofe, tfyat er el nur unter ber 23ebingung, bafe er
fein beutfcfyel Siltum unb bamtt feine ©teßung all beutfcfyer 9ieid;lfürft beibehalten bürfe,
unb bafe ber Maifer bem 1)1. ©tufyle einige Siltümer unb Surgen gurüdgebe unb bamit
für eine Slufbefferung ber burd} Seol IX. 9?ormannengüge ftarf angegriffenen bäbft= 25
liefen ginanjen forge. ©0 embftng er erft am 13. SIbril 1055, faft ein $ai)r nad; bem
Sobe &eol IX., in 9iom bie SBei^e, toobet er ben tarnen 23ictor II. annahm, ©eine
@rl)ebung bebeutete gtoar nict)t eine @nttäufd)ung ber bamaligen fird)Iid)en 9teformbartei,
beren 33eftrebungen er, mie aud) $ier ©amiant aner!ennt, burd)au§ förberte, aber eine
2lbfeb,r bon ber weltlichen @Ebanfion§bDlttü, Wie fie Seo IX. mit 3uflimm"n0 mancher 30
greunbe ber Sieform betrieben b,atte, unb jugleid) eine Wefentlidje Serfiärfung ber boli=
tifcb,en ©teEung be<§ Äatferg in Stali«"- ®f«n aud) all ^abft blieb ber 33ifd)of bon
@id;ftäbt ber borner)mfle 23ertrauens>manrt unb Reifer bei Äaiferl, fo bafe ber Rangier ber
römifcb,en 5?ircb,e griebrtet) bon 2otb,ringenr ber S3ruber be§ aufrüf)rerifd;en §erjogS ©ott=
trieb, allbalb für gut fanb, fidt) all SDiöncb, nact) SSJJonte ßaffino jurücfjujteb,en. 3Rit bem 35
ßaifer jufammen l)ielt SSictor ^fingften 1055 eine grofee 9teformfb,nobe in glorenj unb
überliefe babei bem ^aifer, toie e§ fd)eint, fogar ben äßorfüj, für bie 9tecf)te be§ üaiferg trat
er mit lebhaftem Xabel ein, al§ bie 9ftönd)e bon 9Jionte ßaffino olme S^üd fidit auf ^einrid;
einen 3lbt mahlten, mit bem ^aifer orbnete er aud; bie bolitifd^en 33erfyättniffe 9Jiittel=
italienl. ^a er fanb fein 9lrg barin, au§ ber §anb be§ Äaiferl ba§ §erjogtum 40
S^oleto unb bie ißlaxt germo ju fielen ya nehmen, fo bafe er nunmehr aud) in Italien
als dux et marchio Seb,en§mann bei Äaiferl War. @§ toäre begretflidj, bafe bie Körner
einem ^labfte, ber fo fef)r in ben ©efinnungen bei reid)§treuen beutfd;en gürften=
ftanbeS lebte, ©d)roiertgfetten matten, toie ber 33erfaffer ber Sita Sietbertl bon Gambrai
beb,aubtete. ^ebenfallg entfd;lofe fief; Sictor fd;on im ©ommer 1056, toteber nacb, SDeutfci)= 45
lanb ju reifen. 2lm 8. ©ebtember tourbe er glänjenb in ©oslar embfangen. 2lm
5. Oftober ftanb er in Sotfelb mit am ©terbebette bei fSatferl unb embfing bie legten
2Bünfcb,e bei Sterbenben. $n ben näcb^ften 9Bocb,en geleitete er ben Seidmam §einrid;l
jur Seftattung nad) ©beter, bolljog bann in 2lad)en bie Stl)ronerf)ebung bei neuen Äbnigl,
legte barauf auf einem §oftage ju töln im SDegember bie lotl)rtngtfd;en SSirren bei unb so
orbnete im Januar 1057 auf einem Sage ju 9fogen!burg aud; bie bab,erifcl)en Serb,ält=
niffe. @rft nacfjbem er bergeftalt £einrid) IV. in ®eutfd}Ianb ben Sbjon gefiebert, bracb,
er im gebruar 1057 toieber naef; Italien auf. SDocf; aud; l)icr fud;te er im Qntereffe bei
9teid;el ju toirfen. ®em mächtigen ©ottfrieb bon Soi^ringen ju Siebe berfd;affte er beffen
Sruber Jriebrid; bie 3lbtet Tlonk Safftno unb erb,ob biefen einftigen ©egner fogar sum 55
ßarbinalbrtefier bon ©t. (5l>rt)fogonul. Slber auet; feine Sage toaren gegäfylt. 2111 er im
©ommer 1057 in Sosfana bie fircb,licb,en S3ert;ältmffe orbnete, ereilte if)n am 28. 3"^
nad; feb,r furjer St'ranffyeit ^u 2lre^o ber Sob. ©ein bcutfd;cl ©cfolge tooßte iljn im
®ome gu ©icfjftäbt, beffen ~&au er berftänbnilboll geförbert blatte, beftatten. ülllcin auf
bem 2Bege in bie §eimat tourbe iljncn ber Seidmaut, toie cl Reifet, bon ben ^Bürgern ro
604 Victor II., ^npji SStctor III., ^opft
9iat>enna§ entriffen. ©o fanb SStctor boct; ein ©rab auf ttalienifcr)em 93oben, aber an
einer ©tätte, bie feiner toürbig roar: in ber £ird)e ©t. Waxia !Wotunba, bem ©rabmale
£f>eobertcr;S beS ©rojjen. £. ä3ijfjmer.
Victor III., $a$>ft 9. 2ftai bis 16. ©e^ember 1087. — Opera ed. ^abtHon,
5 Acta Sanctorum ordinis S. Benedicti IV, 2, p. 425 ss. MSL 149. Aime de Mont-
Cassin, L'ystoire de li Normant 1. 3, c. 49 ed. Q. Selarc, Sternen 1892. Leonis Marsi-
cani et Petri Diaconi Chronica monasterii Cassinensis 1. 3, SS 7, p. 698 — 754. Alfani
versus de situ etc. monasterii Cassinensis ed. Ojanant, Documents inedits p. 261 — 268;
berf., So6flebicI)t auf 2)efiberiu3 9J9(. 10, S.356; Sßetru§ 2)iaconuä, Liber de viris illustribus
10 Cassinensibus, ed. SDturatori SS 6 p. 32 ss.; Softt, Storia della Badia di Monte Cassino
t. 1; @d)iila, Senfmciter ber Sirene be§ 9ftittelalter§ in Unteritalien 33b 2; 9t. ßaraüita
I codici e le arti a Monte Cassino 1 — 3, 1869/70; 2. Don £>einemann, ©efd). ber Normannen
in Unterttalien unb ©i^lten 1. S3b (1894), @. 172 ff.; g. £irfd), ®efiberiu§ Don 2Jtonte
Gafino qI« $aüft SSictor III. in gorfebungen jur beutfäien @efcf)ict)te 7, ©. 1—103; Raffel2,
15 @. 655 f.; SBatterid], Eom. pontificum Vitae 1, p. 310ss.; Sangen, ©efefj. ber römifd^en
Sirdje Don SKifoIauä I. <B. 162 ff.; §a«cf, Sträiengefdjicfjte 2)eutfä)ianb§ 3. 23b, ogt. aud) bie
«ttteratur oben 93b 7, ©. 96 ff.
©aufer ober ©aufari, ber einige ©oI)n eines nid)t regierenben ©liebet beS alten
lombarbifcben §erjog§b,aufe§ bon 33enebent, geb. 1026/27, roar fcfyon als $nabe ent=
20 fcfyloffen, StJiönd) ^u roerben. 2lber eS roarb il)m nid)t leidet biefen (fntfd)luf$ auszuführen.
(Srft berfagte ber 3Sater ib/m bie ©rlaubnis baju, bann als ber SSater 1047 im Kampfe
gegen bie Normannen gefallen roar, jroangen ü)n bie üßerroanbten fid; ju bermäbjen unb
polten il)n, als er noeb, am §od)jeitStage in bie ©infiebelet beS ©antart flof), mit ©eroalt
jurücf. 211S er barauf ein jroeiteSmal 1048 nad) £a Gaba bei ©alerno entroid), jog
25 fein Setter gatrft Sanbulf felber auS, um ifm nad) Senebent jurüc!jufüf)ren. ©od; ge=
jtattete er jetjt enblid) bem I)artnädigen 2ISfeten in ©. ©opl;ia in 33enebent unter bem
tarnen ©cfiberiuS bie Äutte ju nehmen. 2tber ©. ©optna roar bem jungen 9Jiönd)e nid)t
ftreng genug, barum begab er fid; 1051/52 nad; bem QnfelHofter 2remite=©an 9ticok>
im abriatifd)en SJteere, unb ba er aud) r)ier ntd)t ganj fanb, roaS er fud)te, 2tnfang 1053
30 in bie 2lbru^en gu ben ©remiten ber üJiajeHa. ^ebod) im 2Jcai rief tl)n ein 33efeit)I
SeoS IX. nach, bem ©üben. 2öaS £eo bon ib,m tooEte, ift nidjt überliefert. Slber ba ber
^5a^ft batnabS eben gegen bie Normannen ju gelbe jog, fo liegt bie 2lnnab;me nal)e, bafj
er ben angefel)enen benebentanifd;en ^rinjen, ber bereits burd) §umbert unb griebria)
bon 2otI)ringen für bie lircblict^e 9ieformpartei geroonnen ioar, in ^oIitifd)en ©efd)äften
35 ju berroenben gebad)te. 3ll§ er bann am 23. ^uni aU ©efangener ber Normannen nad;
Senebent !am, roar ®eftberiug 8 Sftonate b,inburd;, roie er felbft berichtet, faft immer um
Um. @S ift baf»er roob^l möglid), ba^ ber ^3a^ft aueb, feine ©ienfte bei bem grieben§=
fdjlufs mit ben Normannen (3J?är^ 1054) in 2lnfprucb, nab^m. Qebenfallö lebte fid) S)eft=
bero bamalS böHig in bie ^been ber fireb, lid)en 9teformpartei ein. 91ad) bem SLobe 2eo§ IX. plante
40 er junäcbjt eine 2öaQfab,rt nacb, ^erufalem, begab fid) aber bann im 2tyril/9)lai 1055 nad)
glorenj, um mit bem neuen Sßapft 3Stctor II. über ba§ öd}idfal SeneuentS ju ber=
I;anbeln, unb begleitete barauf im Dltober 3Sictor, ber itm, roie e§ fcfjeint, in feinen
©ienft ju jieb,en *fud)te, in bie römifd)en 9^ar!en. §ter bot i^m eine 9J{öncl)§gefanbtfd;aft
bon StRonte ßaffino im ©ejember 1055 enblid) einen erroünfdjten älnla|, fid; bon ber
45 $urie ju trennen: er erbat unb erhielt bie @rlaubni§, in SSTionte ßaffino aU 9)Jönd) ein=
jutreten. Slber er blieb in SRonte ßaffino borerft nur ein ^al)r. 23ereit§ um bie 2Benbe
ber ^afjre 1056/57 begegnet er un§ als ^ropft in bem 3Jtonte ßaffino geb^örenben SenebiItuS=
üofter ju ßapua. 2lm 30. Dcobember 1057 roarb er bann bon $apft ©tepfyan IX. jum
2lbte beS 9ftutterflofter3 befigniert, aber alsbalb als pctyftlid)er ©efanbter nad; S^anj aB=
so georbner, um ein ÄrtegSbünbniS jroifd)en ber üurie unb bem gried;ifd)en §ofe gegen bie
Normannen ^u ftanbe ju bringen. ®a er bereits 9?id)arb bon Slberfa feb/r nab,e ftanb unb
überbieS &\t feines SebenS jeben Serfud), bie £olitifd)en ©d)roierigfeiten in Unteritalien
mit bem ©d>roerte gu löfen, oerabfeb/eute, fo roar biefer Auftrag fdjtoerüd) ganj nad) feinem
©efd;made. @r atmete bab^er roa^rfd^einlid; erleichtert auf, als er am 12. 2tyril 1058 nod)
55 furj bor ber 2lbfab,rt in 93ari bie Äunbe Oon bem 2lbleben beS ^SapfteS erfuhr, ©ofort
gab er bie SBeiterreife auf, eilte nad; Kompanien unb ergriff am 19. Slpril 33efi^ bon
bem 2tbtftut)le in 30fonte (Sajfino. — ©te Stiftung beS |l. Senebilt mar bamalS lein
3Jcufter!lofter. ©ie 3ucf)t ber Tlönfyt lie| fel)r ^u münfd;en übrig, £eo 2, c. 91. 92. ©ie
Saulicb^letten waren in traurigem guftanbe, ber 33efi|ftanb unb bie äußere ©id)erb^eit ber
60 Slbtei ftänbig burd; bie räuberifd;en unb unruhigen Qnfaffen ber benachbarten ÄafteHe ber
»ictor III., ^ft 605
©rafen bort Sfqutno unb SLrajeflo urtb burcf; bas roilbe Solf bort gratte urtb 9Jitnturnä
bebrofyt. 21E biefe Übelftänbe rourben burcf) ben neuen 2lbt grünblicf; beseitigt. Gr erroarb
burd; Äauf, Saufd; unb ©cfjenfung faft alle jene für bte SIbtet gefährlichen $Iä|e, er=
neuerte faft alle jtloftergebäube, barunter aud; bte beiben Mofterftrcfyen, für bte er ©äulen,
Kapitale, Safen unb bunten -äftarmor nad; altbewährtem Sraud;e aus ben Ruinen Storni 5
in reichlicher SRenge beforgte, ftattete bte $ird)en unb bas üabitell)aus mit einer in jener
Reit unerhörten $rad;t aus unb grünbete im Mofter gu biefem $roede fogar eine förmliche
Kunftfdmle. ©teicfejeitig bermefyrte er ben ©runbbefi| bes fölofters roenigftens um bie §älfte
feinet bisherigen Seftanbes. Grregte fdjion biefe Sauluft unb Äunftliebe 2luffer)en, fo nocf;
mebr ber Gifer, mit bem ber 2lbt für bte ©tubten forgte. %üx bie Sibtiottjef errichtete er 10
ein eigenes §aus unb bermcf;rte ifnen Seftanb um 73 Gobices. Unb roie er felbft ficf) als
Sßerfififator unb SdjriftfteHer berfucf)te, fo legte er, obgleich er mit 2lbftcf;t feine eigentliche
©cfmle grünbete, fonbern nur gelegentlich einzelne Dblaten unterrichten lieft, 2öert barauf,
bafe feine SRönd^e aud; mit ber geber ir/ren Gifer für bie Gf)re bes 1)1. Senebift betunbeten.
©0 entftanb in 5Ronte Gaffino bamals eine Heine ©cf;rtftfteflerfd)ule. Sruber 2lmatus 15
erfreute ben 2lbt burd) eine treffliche ©efd;id)te ber Normannen, Sruber Slonftantin aus
Cartf/ago, ber 39 IJar/rc in Sagbab bei ben Arabern ftubtert fyatte, burd; eine SDcenge
Überlegungen mebijinifct)er Söerfe ber 2fraber, Sruber ^anbulf burcb, fleiftige Süd)er
über Slftronomte unb Chronologie, Sruber 2llberid; burd) ein fcf;arfes Sud; gegen Serengar
bon SEours (über de corpore et sanguine Domini 1079), burcf) eine energifcbe (Streit» 20
fdjrtft gegen fö'aifer §etnricf) IV unb bor allem burcf; ein breviarium de dictamine,
eine Anleitung jum Srief= unb llrfunbenfcfneiben, bie als erftes Hilfsmittel biefer 2trt
alsbalb in ganj Italien bie gröftte Verbreitung erlangte. Söieber anbere fucfytcn als
versificatores unb als Mombilatoren er,egetifcf;er unb f)omiIetifd;er SOBerfe ben Seifall bes
lernluftigen 2lbtes ju erroerben. 2lber über ber ©orge für bie ©tubien bergaft ©efiberius 25
niefit bie ©orge für ben ©ottesbienft unb bie ,3U(^t- ®'e ^btei roarb baber unter feiner
£eitung berühmt im gangen römifcfyen Reiche, ©te $at)l ber 3Jtönd;e ftieg angeblid) in
jroei ^fl^en auf 200 flöbfe. ©elbft ©eutfcfje unb grangofen tieften ftd; einfleiben unb
audj fromme Saien ftrbmten bon nat) unb fern gerbet, um ficf) an bem Slnbltcf bes
SJlufterHofters unb bes SRufterabtes ju erbauen, ja einzelne jener Saien, toie bie ßaiferin 30
2lgnes (1073), nahmen ju biefem Setmfe tDof)l für ÜIRonate in bem ^alattum ber Slbtet
2Bof)nung. Slber ©eftbers reformatorifcf;e S£t)ätigfeit befd)ränfte ficf) nicbt auf Sftonte
Gaffino: bie bem 1)1. Senebift gleichfalls gefybrenben Älöfter ©an Siberatore in ben 3lb=
rujjen unb ©t. Senebift in Sabua fteHte er gleichfalls äufterlid) unb innerlicf) roiebcr t;er,
in Sabua unb bei gonbt grünbete er jtoei neue g-iltalflöfter. Slufterbem reformierte er als 35
toäbftücfyer SiEar für bas ^lofterroefen in ©übttalien bie 2lbteien ©ubiaco, ^remite u. f. ro.,
unb enblict) machte er aucf) auf Söunfcf; ber „Könige" bon Soguboro unb (Sagliari einen
freilief) junäcbjt roenig ausfidjtsbollen Serfud), auf ©arbinien bas Äloftertum neu ju be=
grünben. — S)iefe ©rfolge als ^lofierfürft unb möncb,ifcf;er Reformator berbanfte ®efiberius
niebt jule^t feiner fircf)licf;en unb bolittfcfjen SLl)ätigfeit im ©ienfte bes bäbftlicf)en Stuhles. 40
Seretts am 6. Wäx^ 1059 roar er bon sJ?ifolaus II. -mm S^arbinal bon ©. (Säcilia in
Sraftebere erhoben roorben. 2lls folcf;er toof;nte er im Slbril ber berühmten Sateranf^nobe
bei. ^m 3un' embfing er ben ^>abft in Sftonte ßaffino unb geleitete ifm bon ba
im ^ult naa) Welfi. ©ort botlbracfite er bie fotgenreicbjie Xf;at feines Sebens: er beroog
bie Normannen, 3xic£;arb bon Gatoua unb Robert ©uisfarb tbre jum Xeil nod) nicf)t einmal 45
bößig eroberten Territorien bon bem f)l. ^etrus ju fielen gu nehmen, ©eitbem galt er
in Rom unb anberroärts als eine unbebingt bcrtäftlicfye ©tü|e ber bäbftlicfyen Partei.
Iber es famen Slugenbltcfe, mo aucf; biefe ©tü|e bebenflief; roanfte. ©ein 3Ser=
f)ältnis ju Rifolaus II. unb 2tler,anber II. toar ausgezeichnet, fein 3Serf)ältnts ju §tlbe=
branb roar fcf;on bor beffen @rf;ebung jeitroeilig fef)r gefbannt. 3(ls bann ber dominus so
papae enblict; dominus papa rourbe, roagte er es in offenficbtlidbem ©egenfa|e gegen
bie bäbftficfje ^3olitiE nict)t nur für ben ^rieben unter ben normännifdjen gürften ju rotrfen,
fonbern aucf; fo roeit bas Qntereffe feiner SCbtet es gebot, mit ben ©cbannten ju beriefen.
@rft als gürft 3°^«" ^on ßabua sJ)ionte ßaffino läftig tüurbe, näherte er ficf) 10^8 bem
^abfte roieber, benn nun fonnte beffen Slutorttät if)m nü^en, unb bemühte ficf) ernftlid; 55
unb erfolgreich um ein Sünbnis jtoifcf;en ©regor unb Robert ©utsfarb (^uni 10S0
triebe bon Geberano). 2lls bann aber balb banaef; ^einrieb IV in Stalten erfebtert unb
^orban bon Gabua für ficf) geroann, l;ielt aucf; er es nad; langem 3^0crn f"r Se=
raten, 1032 Dftem mit bem ©ebannten ju ällbatto gu feiern, !perfönltd; mit if>m %u ber=
f;anbeln unb fdjlieftlict) in ^etnrid;s auftrage als griebensbermittler nad; Rom ?u geben. 60
606 Victor III., ^opft Sictor IV., $<tyfl
@r batte bamit borerft Bei ©regor !ein ©lud. Sto^bem War er allem 2tnfd;ein nad; nod;
im 5Robember 1083 in ©emeinfcBaft mit §ugo bon ßtuni in gleichem ©inne in Dtom
tfyätig. @rft als aud; biefer zweite SSerfud; fd;eiterte unb juglei^ Stöbert ©uisfarb Wieber
auf bem $lane erfa;ien unb u;m Den 3tücfen becfte, nafym er Wieber mit ©nergie für
6 ©regor gartet, ofyne jeboct) mit feiner Meinung über bie bolitifd;en gefyler beS alten
greunbeS jurücfäufjalten : er Beherbergte ben 33efiegten eine $eit lang in SRonte ßaffino,
er gehörte ifym unb feinem §ofe auS ben reiben (ginfünften feiner 2lbtei bie Mittel zum
Unterhalte, er befanb fid; aud; unter ben wenigen ©etreuen, bie am 25. 9Jcai 1085 in
©alerno am (Sterbebette beS ^abfteS ftanben. öS ift bal>er WobJ möglich , bafj ber
10 ©terbenbe iljm mit unter ben ^erfonen nannte, bie er für bie 5ftact)folge im $abfttum
für geeignet fyielt. ^ebenfaH^ Warb er fdjon bei ben 23orbefbred;ungen @nbe SSM 1085
in 9Cftonte ßaffino als einzig möglicher Äanbibat genannt. SXber itm felbft gelüftete eS
burdjauS nicfyt nad; ber in biefem 2tugenblide fo ü&erauS bornenbollenllöürbe. @r entzog
fid; mit ©efd;id baf)er jeber Weiteren 33erl;anblung unb bewirüte bergeftalt, bafj erft @nbe
15 3ftai 1086 in Storn bie SBafyl ftattfinben tonnte. 2Bie zu erwarten ftanb, würbe er nun
bod) nod) trotj feines ©träubenS gewählt unb als 33ictor III. immantiert. Slllein als er
bter Stage fbäter auS 3tom mit ben Sforbinälen bor bem faiferlid)en ©tabtbräfeften fliegen
mufjte, legte er nod; auf ber glud)t bie bäbfilid;en Qnfignten ah unb ging Wieber
als 3tbt nad; 9)ionte Saffino. SRärz 1087 berief er bann als aboftolifd;er SSifar bie
20 gregoriantfd;en Üarbinäle ju einer neuen 2öal)l nad; Gabua. 2lud; bei biefer 2BabJ erflärte
fid) bie Majorität olme Weiteres für tlm, aber eine f leine üRinorität, beren ©bredjer ber @rj=
bifdwf §ugo bon Sfyon War, forberte, er foße fid) erft Wegen feines 33erfeb,rS mit £>einrid; IV.
rechtfertigen, unb bezeichnete iljn gerabeju als ein anrüchige 5ßerfon. ©ntrüftet berliefj ®efiber
fogleid; bie ÜBerfammlung. %nbt§ am näcbjten Stftorgen, 21. SRä'rg, erfd)ien er in bä'bft=
25 licfyem Dmate. ©enn fo . fefyr er ftd) freute, ber 9iad;foIger ©regorS VII. ju Werben,
ben Ultragregorianern Wollte er baS SJJabfttum nid)t laffen. Um jebod; ein ©djiSma in
ber arg bejimierten Partei zu bereuten, mufjte er beftrebt fein, bie ©regorianer borerft
ju beruhigen, zumal £mgo bon Styon fortfuhr, il;m ©cfywierigfeiten zu machen unb fogar
bie ©räfin 3CRatE>itbe gegen ib,n aufzuwiegeln fud)te. ©arum beftätigte er alsbalb ben
30 Sann über £>einrid; IV. unb erneuerte im 2tuguft 1087 auf einer ©rmobe zu SSenebent
in fd;ärffter gorm baS Verbot ber Saieninbeftttur. ©letcfymobj Waren bie Ultras nid}t in
gtoetfel, ba^ er bie ^jßoIittE ©regorS VII. in einem entfd^eibenben fünfte nidjt fortjufe^en
gewittt fei. @r gab offenfid)tlid) baS ©treben nad) ber 2ßeltb,errfd)aft auf unb liefe fid;
bab,er nicb,t einmal bon ben normannifd)en dürften UnterttalienS ben 2ef)nSeib leiften.
35 9cur auf ben 33efi^ StomS lonnte aucb, er nicb,t bergtc^ten. Ülber 9iom War in ben §änben
beS ©egenbabfteS. ©ifulf bon ©alerno unb ^orban bon ßabua mufjten erft bie Seoftabt
ftürmen, als Victor in ©t. ?ßeter ficb, intbjontfieren laffen Wollte (9. 3)tai), unb laum
War baS gefd)eb,en, fo erneuerte ber ©egenbabft bom anbern Siberufer auS feine 2tn*
griffe, bis er am 20. 3«n' w§ ©t- ^ei^r wieber erobert fyatte. §ätte 3Sictor nicb,t bie
40 2lBtSWürbe in SRonte ßaffino Beibehalten, fo Wäre aucb, er Wie ©regor im ©rjle geftorben:
benn bereits am 16. ©ebtember 1087 befcfylofj er, längft franf unb fa)Waa), fein tb,aten=
reiches Seben. ©o !urj fein ^pontififat War, fo War eS bod; auS jWei ©rünben epoa}e=
mac^enb: 1. Weil eS ben 33rud) mit ber Weltlichen ^olitil' ©regorS VII. einleitete, 2. Weil
eS ben 33eWeiS erbrad;te, bafe baS ^abfttum im ftaube fei, buret) fein blofjeS 2ßort bie
45 cfyriftlicfyen SSölEer jum Äambfe gegen ben ^Slam aufzubieten. 3Jod) furj bor feinem 1£obe
blatte nämlid; Victor bie ©täbte unb dürften Italiens aufgerufen, gegen bie 9Jlauren in
■Jiorbafrtfa ju giepert. ®iefer 3«9 ^r» ™fy feinem Xobe aucb, Wirflid; ju ftanbe. (Sin
§eer bon ©enuefen, ^tfanern, Römern unb Slmalfitanern ging nod; im ^ai/xi. 1087 über
©ee, entrife ben SRauren gtoei ©täbte unb nötigte ben 23eto. bon SEuniS, bie ßfyriftenfHaben
so freijugeBen unb ^ugleid; bem 1)1. ^ßetruS Tribut ju berfbred;en. — 3Son ben ©d;riften
Victors finb brei Öücb,er ©ialoge über bieSSunber DeS ^l. Söenebüt im ©tile ber®ialoge
©regorS beS ©rofjen erhalten, in benen fid; aud; manche Sftitteilungen über feine eigene
3eit finben, Weiter eine boetifd;e ©rabfcb.rift auf ben 2tbt SlboHinariS, enblicb, 33ericb,te
über zwei 3Bunber SeoS IX. ©ie finb alle in einem einfachen, flaren ©tile getrieben.
55 ■§. Sommer.
Stctor IV., 3tame itoeitv ©egenbäbfte 1138 unb 1159 — 1164. —
3affe l2, 6. 919. — 2°-, @. 418—426; Üleuter, ©efdE). 9üeranber§ III.2, 93b 1, 2; Sangen,
©e|d). ber rötn. Strd;e üon ©regor VII. bi§ Srtnocenj III., ©.439 ff. ; §auc£, Sivd)engefcf|tcf)te
®eutfd)fanb§ 93b 4, ugl. oud) oben b. ?(. 9tlej;anbei- III. 93b 1, @. 340.
SStctor IV., $aj)ft SBictor Don &<q>m 607
23ictor IV nannte fid; ber Karbinal ©regor Gonti, ber Wtik SfJtärg 1138 bon ben
^ierleoni in diom jutn 9iad;folger Slnatler» II. gewählt Würbe, aber bereits am 29. 9Jtot
beweiben %at)xt$ fid; auf Setrieb Sernfyarbö bon Glairbaus ^nnocenj II. unterwarf unb
auf feine 3Bürbe berjicfytete.
©enfelben tarnen nafym ber Karbinal bon ©. Gäcilia Dftabtan an, aU er am 5
7. ©ebtember 1159 bon bier ober fünf Karbinälen, bem KleruS bon ©t. ^3eter unb bem
römifdjen S3olfe jum ^abfte gemäht Würbe. DItabian I)atte manches bor feinem ©egner
Slleranber III. borauS. @r ftammte aus einer ber mäcfr/ttgften römifcfyen gamilien (©rafen
bon SLuSculum? GiaconiuS), geborte fdjon feit Slbril 1138 jum KarbinalstoHeg, war in
9bm fel)r beliebt Wegen fetner greigebigtat unb Seutfeligfeit. $or allem aber glaubte er 10
auf bie Unterftü^ung Kaifer griebrid;S I. unb ber Seutfcfyen rechnen ju bürfen. SDer
Kaifcr fyatte fid; jebod; bei ber 2Bat)I böllig neutral behalten unb behaute aucb, je|t für!
erfte bei biefer $olittlL Grft auf bem bon il)m berufenen Konzil bon ^abia erflärte er
ftdE) im gebruar 1160 für SSictor unb fucfyte beffen Slnerfennung nun aud) in granf=
reid; unb ©nglanb burd}jufe|en. 216er nidjt einmal in ©eutfdjlanb fonnte er bieS ,ßiel 15
böllig erreichen, ©ett ©ommer 1163 bemühte fid; ba^er Sllejanber III., SDeutfcfylanb für
fid; ju geroinnen. SSäfyrenb biefer SScr^ anbiungen ftarb SSictor, ber injWifcfyen meift in
berSombarbei refibiert twtte, am 20. 2lbril 1164 ju Succa. £. SBötjmer.
SBtctor, ^ßre§bt)ter bon 2Intiod;ien, nid;t bor 550(?). — 9Iu§gaben: ßr=
flürungen ju geretnia in bem 3eremta§fommentar bzi sJOctd)ae( @b>Meriu§, 3 23be, 2t)on 20
1023. ®er SRarfuSfomntentar (itmrbe (perft ebiert bon ^. $of|tnu§, 9vom 1673, bann oon
6f)r. 3-r. SJcattfjäi, SöcoSfau 1775, juleiit in 3.91. SramerS Catenae Graec. Patr. I, Djforb
1840, ©. 259—447. — ßitteratur: Sfft. gaulfjaber, 3)ie ^ropt)eten=ßatenen natf) röntifcf)en
£anbfdmften (83t61. ©tub. be§ ftrdjenfitft. ©eminarS SMndjen, 33b IV, 2. 3), gvetburg 1899,
©. 107 ff. 133; £. r>. ©oben, 5)ie ©Triften be§ 9?£§ in tfyrer erreichbaren cilteften SEer> 25
geftalt, Berlin 1902 ff., I, 574 ff. 826 ff. 888 ff.
„3Bob,l fein ©jeget ber batrifiifcfyen ^ßeriobe t)at bis je|t fo Wenig 33eacf)tung ge=
funben", bemerkt gaull;aber ©. 108 über 3Sictor bon Slntiocfyten. SRid^t nur bie frühere
Auflage ber 9tealencbJlobäbie unb aud} bie 2. Slufl. beS fatl)olifd;en HirdsenlerjfonS, fon=
bem aud; fogar ba§ Dictionary of Chr. B. gebenden feiner nid;t. Unb bod) „gebort 30
er ju ben beften ©jegeten ber batriftifcb,en geit" @aull)aber). ©ie 3af)lreid}en unb gleid)=
tnäfsig über bie ganje Qeremiacatene berteilten Scfyolien unter feinem tarnen jeigen, baf3
bem SSerfaffer jener ßatene ein boHftänbtger Kommentar be§ 33ictor gum 3^«m'a öor=
gelegen fyaben muf3, bon bem er aber nur äluSjüge bietet. ®er Kommentar jum 5tRarfu^=
ebangelium ift in berfdjiebenen ^Recenfionen erhalten, bie aber alle auf einen Uralm jurücf= 35
geb,en; b. ©oben ©. 578 „Sine 9kfonftruftion biefeg Kommentars auf ©runb einer
Konfrontation ber brei ^tebaftionen ^at fixere 2lu£fid;t auf gutes ©elingen" (bgl. ©. 827).
gtoar ift gerabe in ber beften 9tebaftion (bei Gramer) ber Kommentar 6t)riH bon Sllej.
jugefd;rieben, aber eS bleibt bod; ftdjer, baf) bielmeb,r SStctor ber SSerfaffer ift. ©eine
©elbftftänbig!eit ift freilid; zweifelhaft. @r fagt felbft im $rolog, baf^ er bie ©rflärungen 40
ber beWä^rteften £el)rer i)abt jufammenfaffen Woüen (©. 263 oweidov xä xaxä fiegog
y.al onoQadrjv eig avzö [2)JarluSeb.] eiQt]/ueva nagä tcöv didaoxäXojv rfjg ixx/.ij-
oiag ovvayayelv xal ovvtojuov eQfirjveiav ovvrägai). ^m einzelnen finb feine 33e=
jie^ungen ju älteren ©d^riftfteßern nod} nid)t unterfud;t. 2luf Wörtlidje Übereinfttmmungen
mit (Sfjr^foftomuS, §teront)muS, ©eberuSfd;olien unb Dl^mbtoborfdjolien im ^eremiaS= 45
lommentar fyat gaul^aber (©. 109) IjingeWiefen. @S f)errfd;t bennoef) eine Wefentlicb, ein=
beitliclje 9)?et|)obe in ber@jegefe beS SStctor, unb jWar ift eS bie ber antiodjenifc^en ©cb,ule.
3)afier gef)t fein ^ntereffe junädift auf grammatifd) ^tftorifc^e ©jegefe, feine Scnbenj ift
jugletcb, eine bralttfd; moralifcb,e. 9Jitt St^eoboret fd;lief3t er bie Allegorie ntd;t böllig auS.
Sm Unterfdjieb aber bon jenem trägt er feine 2tnfid;t mit Sefttmmt^eit bor. 9?äb,ereS so
Wirb ficb, jebodb, erft fagen laffen, Wenn feine ©djriften in ib,rem aSert^ältniS ju ben Duellen
genauer unterfucl)t fein Werben. — £)ann biirfte fid; aud; Wo^l bie ßeit SictorS eher be=
ftimmen laffen. Stelletcfyt gehört er bod; nod; ber ,3eit um 550 an. W- SBomuctftf).
Victor, 53ifd;of bon Sabua, geft. 554. — Uqfteßi, Italia sacra VI (od. seeunda
Venet. 1720), p. 306 sq.; 3. »an .freefe, ASS, Oct. VJII (Brux. ISO:'.), p. 81 sqq.; 3. 2.65
3aco6t, 3eitfrf)r. f. djriftt. 3Siffeufd)aft unb cliviftt. Sebett, Berlin 1H54, ©.246 ff. ; vi.B.^itrn,
Spicileg. Solusm. I (■"Parte 1852), p. Lsqq., 2(15 *<\<\. 287. 296; ßaljn, 3-orfd)ungen ,v ©efcl).
b. ntt. fianon§ I (Erlangen 1881), ©. lff.; berf., ©efd). b. ntl.ftanou* II, ©. 535 ff.; beif.,
Patrum apostolic. opera cd. ©ebljnvbt, ^arnaef, .;{n[)u ii (Lips. 1S76), p. XLVIIsq.
608 Sßictor bon (Sapna
©ie Seben^ett 5Sictor§ tft nadj bem terminus ad quem beftimmt burd) bte nod)
erhaltene ^nfd^rift feinet mjtotf^en aßerbingS berfcfyottenen ©rabfteineg (CIL X, 4503 ;
bte äußere g-orm toar offenbar biefelbe, tote bte bei ber ©rabfdirift be3 ^robinu<§, bte nocfc,
erhalten tft ib. 4517). ©iefe $nfd)rift lautet: Vir beatissimus Victor episc. sedit
5 ann. XIII. dies XXXVIII depositus sub die IUI non. April, ann. XIII. PC.
Basilii V.C. indictione secunda. ©a SafUiu3 541 n. Sfyr. jum erften 9Jtale Slonful
toar, entfbricfyt ba§ 13. ^onfulat bem %ai)xe 554, toomit aud) bte ^nbtftton^af)l ftimmt.
21m 2. 2l!prtl 554 tourbe bemnacb, SStctov betgefe|t, nad;bem er ba3 'Bistum ßabua 13 $al?re
unb 38 Sage regiert I)atte. ©ein 2Imt3antrut ift alfo auf ben 24. gebruar 541 ju
10 fe^en. ©er ©rabftein toar nad; Ugfyelli (Italia Sacra2 VI, p. 306 C) in aedibus quae
Joannis Hieronymi de Capua prope sedile de Antimario dictum gefunben
toorben; toie berfelbe ©cb.riftfteUer nad) ber ^lofterdjronit beg 23incentiu§ 3Seraj berietet
(p. 307 A), fanb man 33ictor§ ©ebeine am 27. $uli 1480 unter bem §aubtaltar ber^irdje
be3 lUofterS be3 Mons Virginis. Über bie ^ßerfon unb bie 3Ser^äItniffe SStctorS ift nid)t§
15 toeiter befannt. ©as> Martyrolog. Roman, ertoäfynt ibn unter bem 17. Dftober unb
nennt ii)n eruditione et sanctitate conspicuus. ©ie berfdjiebenen 9tad)ricf;ten 6,at
2;ritb,emiu§ ju folgenbem • Geriet; t jufammengefafet (de Script, eccl. 182 bei $abriciu3,
Bibl. eccl., Trith. p. 51): in scripturis sanetis eruditus, et in saecularibus lit-
teris sufficienter imbutus, theologus et computista egregius, acer ingenio et
20 eloquio clarus in sacris uoluminibus fertur nonnulla scripsisse opuscula, sed
paucissima eorum ad notitiam meam peruenerunt. ©iefe Slngaben geigen, bafj
STrittenfyetm eigentlich nid)t§ toeiter bon SSictor toufjte als bafj er ber Skrfaffer ber ©cfyrift
über ba3 ^ßafdja unb ber Harmonie fei.
33on 3Sictor§ ©Triften ift nur toenig erhalten, ©ie SBemertung SLrtttenI)eim§, bafj er
25 ein gelehrter Üombutift getoefen fei, gefyt auf bie Semerfung 33eba§ jurüd, -ber in feiner
©cfyrtft de ratione temporum 49 (Opera II, p. 159 ed. Basil. 1563) eine ©teile
au<§ einer gegen ben Cursus Paschalis be<? SictoriuS gerichteten ©cfyrift de pascha
anführt, ©iefe ©djrift mufs Slnfang 550 gefdjrieben fein unb jtoar $u bem $toed, um
nacbjutoeifen, bajj im ^a|r 550 ba3 Dfterfefi am 24. 2tbril unb nicfyt am 17 gefeiert
30 toerben muffe, toomit 93. übrigeng im Unrecht toar. Slufjer bem bon 33eba cttierten 2ln=
fang ift bon biefer ©ct/rtft nicfytg erhalten. (Sine 2lnga|)t Don ©cfyolien t/at $itra au§
einer ^ßarifer §f. (lat. 388 [s. X]) beröff entließt, bte 33ictor, toie e§ fcfyeint, au§
einer grted;ifd;en ^atene überfeijt l;at; fie betreffen $olr/tarb, DrigeneS, 23afiliu§, ©iobor
b. £arfus>, ©eberianu3 bon©abala unb ein ©eronttfon (Spicileg. Solesm. I, p. 265 sqq.).
35 2Iu3 berfelben £f. flammen einige Fragmente au§ einem Sud) mit bem %itd : Reticulus
seu de arca Noe OJMtra 1. c. 287 sqq.). Sfäcfyts» mefyr erhalten ift bon ben capitula
de resurrectione domini, bie noeb, im 9. I^afyrfyunbert borfyanben getoefen ju fein
fdjeinen (f. 'ptra 1. c. p. LIII). @tne ^atene ju ben bier ©bangelien, bie geuarbent
(Irenaei V libri Paris. 1639, 9bte ju III, 3 p. 240 sq.) in einer alten §f. bon ÜBerbun
40 unter bem tarnen be§ Victor bon Sabua gefunben ju b,aben beraubtet, ift toa^rfdjeinticb,
ibentifd) mit ber ©djrift, au§ ber ^3itra feine ©djolien ebiert fyat unb bie in ber ^3arifer
§f. ben tarnen beö Qo^anne'S ©iaconuö trägt.
9Btd;tiger aU biefe ©djrtftftetlerei, über beren S^arafter wir au§ ben !ümmerlid)en
Stcften fein red)tc3 Urteil getoinnen tonnen, ift feine SBemüfmng um eine lateinifdje ©bans
45 gelien^armonie, bie feinen 92amcn mit ber ©efdtidite be3 ©iateffaronS untrennbar ber=
fnübft b,at (j. b. 1. „tebangeIienb,armonie" Sb V ©. 657,eoff.). ®ie ältefte §f. bilbet
ben toertboßften ©cfyat? ber Sibliotl^ef ju gulba ; fie ift bon Victor felbft in Auftrag ge=
geben unb bor bem Qaljre 546 bollenbet toorben (f. @. -Kante, Codex Fuldensis, 5Rar=
burg_ 1868, p. VIII). ©ie ltnterfd;rift lautet (9iante p. 462) : Victor famulus Christi
50 et eius gratia episc. Capuae legi apud basilicam Consta ... ianam d. XIII. Kai.
Maias Ind. Nona q . n p. c. Basilii u. c. Cos. iterato legi ind. X. die prid.
Iduum April. ©a3 erfte ©atum = 19. 2lbril 546, ba§ jtoeite = 12. Slbril 547 Dh
fid) bie Semertung auf eine ©iortfyofe begießt, lä^t fid; ntdjt mit ©icfyerfyeit erfennen, ift
aber H3ar)rfd)emltct). (Sine äbnttcbe 33emertung finbet ftd> aud; hinter ber 21© (Diante p. 398,
55 2.3JJat546). ©ie gutbaer §f. enthalt: 1. eine ©bangelienfyarmonie, 2. bie $aulinifd;en Briefe
einftt^liepd; be§ §ebräerbriefe§, 3. bie 21®, 4. bie £anonifd;en Sriefe, 5. bie 2lbf. 33on
biefen ©tüden ift ba§ erfte ba§ toid;tigfte, ba e§ bem 21benblanb bie J^unbe bon SlatianS
©iateffaron bermittelt b,at. Victor berietet in bem ©ingang ber 33orrebe (JRanfe p. 1):
Cum fortuito in manus meas ineideret unum ex quattuor euangelium con-
60 positum et absente titulo non inuenirem nomen auctoris, diligenter inquirens
SBictor bon ®apm 609
quis gesta uel dicta domini et saluatoris nostri euangelica lectione diserta in
quo se consequi uidebantur, non minimo studii labore redegerit, repperi Am-
monium quendam Alexandrinum etc. SDarauS ergiebt ftcb, bafj Bictor bte §armonie
anonym borgefunben fyat, bafj er toerfui^te, ibren Urheber ju ermitteln unb bafj er babei
nur jmei äbnlicb geartete Söerfe ermäbnt fanb, unb jhjar betbe bon @ufeb, nämlicb ben 5
Slleranbriner SlmmoniuS, bon beffen Slrbeit ficb SSictor au§ ©ufebS Brief an Sarbian eine
falf<|e Borftellung macbte, unb Satian, über ben er ©ufebS $@ einfab. Beibe Quellen
bat er in ber Borrebe beutücb angegeben. Über baS, maS er bei (gufeb borfanb, gebt
feine Kenntnis ntdbt binauS. £>em gegenüber ift eS ganj müjjig, fid) ben Kobf barüber ^u
gerbredben, tüte er ju ber SeSart dia pente als %itd bon SatianS Harmonie gefommen ift ; 10
benn biefe SeSart bat feinerlei banbfcbriftlicbe ©emäbr, meber in ben griedbtfdbert |>ff. beä Sufeb,
nod) in benen ber lateintfcfyen Überfe^ung. ^ubern W Victor ©riediifd; genug gerannt,
um ju mtffen, bafj ber Stiel nur SDiateffaron fein tonnte. SSictor giebt nun weiter in ber
vi<orrebe felbft an, bafj fein 355er! eine Überfe^ung ift. @r fcbreibt (p. 2, 15 ff.): Verum-
tamen uel si iam heresiarces huius editionis auctor extitit Tatianus, uerba do- 15
mini mei cognoscens libenter amplector interpretationem ; si fuisset eius propria,
procul abicerem. ®amit ift llar unb berftänblicb gefagt, bafj Bictor eine editio bor=
fanb, bie er für tatianifct) f)ielt, unb bafj er fiel) mit tbrer Überfe^ung befafjte, weil er
in ibr bie Söorte beS §eilanbs ernannte. @r bätte ftcb mit ir)r nid)tg ju febaffen gemalt,
wenn er in ibr bie Sporte beS $äretiferS gefunben bätte. SDarauS ergtebt ficb, bafj bie 20
editio grieebifeb mar, unb bafj Victor in ber %t)at als Überfeiner ober bielmebr Bearbeiter
ber Harmonie ^u gelten bat. ^nbem gafyn biefe flare SluSfage ignoriert, fommt er ju
ber Befyaubtung, bafj SSictor nichts babon fage, er fei nur Überfeiner.
ßabn bat, bon feiner Sbefe auSgefyenb, baf$ Satian baS ©iateffaron ffyrtfdb abgefafjt babe,
BictorS ttermemtltcbeg ©cbmeigen fo gebeutet, bafj er eine lateimfcbe Arbeit borgefunben unb 25
biefe rebigiert babe. SDafj biefer Sateiner baS 2)iateffaron SatianS in feiner Kombofition,
niebt aber in feinem 3Sortlaute rebräjentiere, mar ^meifelloS gemorben, feit man bureb ©bbrämS
Kommentar unb bie arabifebe Überfettung beffen ©truftur genauer lernten gelernt t)atte.
Slber menn eS fid) mirflid) um eine lateinifcfye Arbeit gefyanbelt b/ätte, bie Btctor borfanb, fo ift
ferner begreiflieb, bafj er ofme ein SSort barüber ju fagen, auf SlmmoniuS ober Satian 30
al§ Berfaffer berfallen ift, ba if>m bod) ntebt unbefannt mar, bafj biefe griecfnfcb getrieben
batten. ^bm obtv dm Bearbeitung be<§ griecb,ifcben Satian zutrauen finb mir berede
tigt, feitbem bie bureb, ^ßitra beröffentlicbten Fragmente befannt finb, in benen er fid? al§
ein be§ ©rieebifetjen genügenb mächtiger Überfe^er ertoeift. ®al)er befteb,t aueb, in biefer 9tid)=
tung feine ©d}ir>ierigfeit, ib,m aueb eine latctntfcbe Bearbeitung be§ ®iateffaron jujufcbreiben. 35
35amit mürbe aEerbingg ber Vermutung QafynZ, ba^ ba§ ®iateffaron ein urtyrüngltcb
ftirifd) abgefafete^ 33ud> gemefen fei, ber Boten entzogen. ®enn ba^ Bictor ber ftjrifcben
©bradje ntdbt mäd)tig gemefen ift, berftebt fid; bon felbft.
2)ie Slrbeit BictorS beftanb bemnacb, barin, ba§ grteebifebe Original burd) bie Iatei=
ntfdbe Überfe|ung be§ §ieron^mu€ roieberjugeben. 9^ur ein SJlann mit ausgebeizter Btbeb 40
!enntni§ unb ausbauendem gleife fonnte eine foldbe Arbeit unternebmen. ®a^ eö Bictor
nidit an ben nötigen ^enntniffen fehlte, barf niebt bejmeifelt merben, ba Beba, ber bod)
trobl urteilsfähig genug gemefen ift, feine ©elebrfamEeit auSbrücflicb, bezeugt, ©in 3eu9n^
beS ^leifeeS ift bie Übertragung ber eufebtanifdbert ÄanoneS auf bieS Söerf, bie aEerbtngS
anbererfeits aueb, mieber bie Slrbeit erleichterten; ba| bie Arbeit mübeboE mar, fpriebt Bictor 45
felbft au§ (Stanfe p. 2 domino iuuante Studium laboris inpendi, ut memoratos
numeros per loca congrua diligenter adfigerem). So ift lein ©runb einjufeben,
auS bem mit einiger ©icberfyeit gefolgert merben fonnte, bafj Bictor nicfyt, morauf feine
2lnfüf)rung bon 2lmmoniuS unb Satian unb feine Berufung auf ©ufebiuS fd)Iie|en laffen,
felbft eine griednfebe §armonie, nämlid; eben biejenige beS Sgtian, lateinifd; bearbeitet 50
tjohi. ©abei bat er freilieb faum angebeutet, ba^ eS nur eine Überfetjerarbeit mar, bie er
geleistet bat. äCber tbatfäcblicb mar eS ja aueb Eeine fold)e. @r ^at bielmebr bie Bulgata
ber Gbangelien in ©tücfe ^erteilt unb biefe ©tücfe nacb einem ibm borltegenben 9)tufter
neu jufammengefügt. SSarum er fict) nidbt beutüdber über feine Slrbeit unb bie bon ibm
benu^te Borlage auSgelaffen t)at, barüber mit ibm ju redeten märe mü^ig. ?tur ein @in= 55
toanb märe noeb etma ju erbeben, oa^ nämlid) ein Bifcbof bon ßabua in ben ^abren, in
benen in ©übitalien bie milben Kämpfe BelifarS gegen bie Dftgoten tobten, ju einer fo
gelehrten unb jeitraubenben SXrbcit feine Sdtufee gefunben baben merbe. ^iat berfelbe ÜJiann
in biefen bemegten Reiten 5Rube ju Unterfucbungen über bie DfterfanoneS gefunben unb
bat er maneberlei ejegetifebe Sirbetten bollenbcn fönnen, fo mufj man eben annebmen, ba^ 60
8)ea(=(Snc^fIot)äMe für SEöeoloßie unb Siit«e. 3. 21. XX. 39
610 Stctor tum &apua Stctor toon ßortcnno
il)n bic $riegs>unrub,en bod) nicfyt in bem SJia^e bort fetner toiffenfdjaftlicf/en SEbätigreit
abzogen, tote totr ba§ ettoa bon unferm ©tanbpunft aus für felbftberftänblicb, galten tonnten.
2ftag bem nun fein, tote ibm tooEe, jebenfaES f/at SStctor ein anwerft berbtenftltcbeS 2Ser!
bamit getl^an, bafj er bie mür/fame Slrbeit £atian§ für ba3 2lbenblanb rettete. 2öie bie
5 ©fyrer fo l)aben aud) bie ©eutfeben ba§ ©bangelium in tbrer ©bracbe juerft in ber ©eftalt
biefer Harmonie rennen gelernt, ba bon 23ictor3 Arbeit fpäter eine aItbocj)beutfd)e Ueber=
fefcung angefertigt toorben ift. ©rwin ^reuftfjen.
Victor tum ©ortenna, 5. $ab,rl). — Quellen u. Sitteratur. I. Gennadius presbyter
Massiliensis de viris illustribus, c. 77, ed. Bemoulli in ber ©uftciu ®rügerfd)en Sammlung,
10 9Jr. XI [1895], ©. 87 — betä «Büdjlem laut bem ©cblufefapitel bem <£apft ©elafiuS I. (492
Bis 496) geroibmet! — einzige, aber unantafibare Queue. Sie fdpn balb nadj 483/84 ent=
ftanbene „Notitia provinciarum . et civitatum Africae", ed. Petschenig ad calceru beS Victor
Vitensis im SBtener Corpus VII =1881, @. 115 ff. 117. 128 f. ift nur ergänjenb.
II. D. Bödter (f!), Slrt. Vict. Cart. in biefer pt@2, XVI, ©. 446; Saoe, Hist. patr.
15 lit. I, 2. 360; ®u $in, Nouv biblioth. des auteurs eccles. III, 2, ©. 180 f.; SiHemont,
Memoires etc. XVI, ^artS 1712, ©.611 f.; 9Jtarat§, Hist. des Wandales, *ßariS 1836, »gl.
j. 58. im Seit @. 185 f., 189 nebft 9?ote (9, @. 35; f. aud) bie 9?oten ©. 18. 36 f.); $apen=
corbt, ©efd). ber tmnbatifdjen §errfd)aft in Slfrifa, SBerlin 1837, »gl. j. 33. SSerbefferungen,
@. 441—444, ©. 242 Slnm. 2 imb 3, ©. 243 Slnm. 1, ©. 246 Slnm. 2 p ©. 245, ©. 251
20 ?(nm. 4, ©. 253 Sinnt. 1, ©. 254 Slnm. 3, ©. 261 Slnm. 1. 3, ©. 262 Sinnt. 2. 6, ©. 263
Slnm. 1, ©. 267 Sinnt. 1, ©. 293 nebft Slnm. 1 baf., ©. 300 nebft Slnm. 2 je; «ßott^aft,
Biblioth. hist. II2, ©. 1090; geltr. ®afm, Könige I, p. XV XVI, @. 240 Slnm. 5;
£f). SRommfen unb Emil £übner in ©93SI 1861, @. 529 f. Slnm. 1; ©corg 3Sai|, Seutfdie
S3erfaffungSgefd)id)te I2, ©. 166 f. Slnm. 3; berf., Sefprediung r>on ®aljn, Könige I unb II,
25 ©gSl 1861, ©tuet 50, ©. 1992; Sflirfdjl, SeCjrbud) ber «Jäatrol. unb «ßatrtft. III, ©. 319 f.
Slnm. 6; ßubro. ©dimibt, ©efd). ber SBanbaten, ©. 198; SS. SSattenbact), SeutfdjlanbS ©e=
fd)id)t3queüen (I7, ©. 91 f., Slnm. 4).
Enblid) üerroeife idj mit SRücfftdjt auf ben mir pgeiuiefenen überaus fnappen SRaum
luegen aller Ginjetbeiten auf bie auSfübrlidie ©lubie t>on ^ranj ©örreS, 3>er ed)te unb ber
30 fatfdie Sictor öon Gartetma, ßmZf) 1906, ©. 484—494.
2Ran mufj, um btefe§ ftr$engefcbid)tlid)e unb patrifttfebe 9iätfel ju löfen, jtoifd)en
bem eckten unb bem falfd)en Sartennenfer auf§ forgfältigfte unterfd)eiben. 25er ed)te SStctor
unb feine ©Triften finb nur burd) ©ennabiuS bezeugt. §iernad) toar er Söifcbof bon
ßartenna in SJiauritanien, unb jtoar im cäfarienfifdjen laut ber „Notitia", öerfa^te eine
35 2lpologie ber Drtboborje gegen ben 2Iriam3mu§, bie er einem ©eiferid) (reg. 427 bejto. 429
— 25. Januar 477) ju überfenben, ben aner!ennen§toerten 3Jtut befafj. SBeiter febrieb
er ein SBucb, über bie öffentliche ^'irc^enbu^e, richtete ein SLroftfdireiben an einen getoiffen
SSafiltuö, toorin er it)n in feinem ©djmerje über ben SBerluft beö ©ob,ne§ mit ber £>off=
nung auf ein 2öieberfer/en im ^enfeit§ aufzurichten fud)te, unb Veröffentlichte enblid) aud)
40 eine ©ammlung öon ^5rebigten. ®ie „Notitia" ertoäbnt al§ Dberfjirten »on ßartenna
um 484 einen SucibuS; ba§ toar toob^l unfere§ Victor unmittelbarer -Jcacfyfolger. Seiber
finb fämtlid^e SBerfe beö 6artennenfer§, aud) feine getoi^ toertboEe, an ben getoaltigen
3knbalenl)errfd)cr gerichtete, Slpologie be§ ltatbolici§mu§ fd;on längft gänjlt^ berfc^oEen,
unb aEe 33erfud)e, toenigftenö @inige§ aU geiftigc§ Gigentum be§ Slutorö ju „retten",
45 laffen fid) enttoeber auf 9JciJ5berftänbni§ unb ^rrtum ober gar auf eine grobe fbanifd)e
gälfd)ung au§ fef)r fpäter &\t jurücEfütjren. Gabe unb ©u ^in nehmen an, bie ©d)rift
„De poenitentia publicani" fänbe fid) ^utoeilen inmitten älterer 2lu3gaben be§ 2Imbro=
fiu§ bon 9J?ailanb berftedt, unb feine Jroftfcbrift füb,re in bereinjelten älteren ©bitionen
SSafiltug' be§ ©rof5en ein befdjaulicfyeS ©afein! 2öag nun ^unöct/ft „de poenit." betrifft,
50 fo toiE SiEemont biefeä Dpu§ mit meb/r Siecbt bem bekannten Victor Tonnonnensis ju=
toeifen, ber feine Gr/ronif erft 567 abfc^lo^, alfo ungleid; jünger al§ ©ennabiuö ift. Se=
jügiid) ber angeblid; unter bie Söerie eineö 33afiliu§ geratenen £roftfd)rift ift 5oIgenbe§
einjutoenben: @rften§ ift e§ per se eine gan^ ungeheuerliche 3Sorau^fe|ung, eine ©d)rift
be3 lateinfebreibenben abenblänbifd)en 33ifcb,of§ Victor b,ätte, toenn aud) nur in einer
55 Überfettung, in ben SBerten be§ gried)ifd)en 5ßrälaten Slufnab^me gefunben ! gUmte-"*) : 3tur
au§ bem beifpiellog naiben ©runbe, toeil ber 3lbreffat unfereg Victor aud) SafiliuS bief^,
fönnte bielleid)t ein Untoiffenber ba§ 9)cad)toerf ben äöerfen be§ großen ßabbaboKerg eingereiht
baben. ©ritteng enblid) : ©ogar in ber SRauriner 2lu^gabe be§ Basilius M. finbet fid)
freilid) tom. II, ^aril 1722, ©. 697 ff. abgebrudt bie ©cr/rift: s. Basilii de con-
60 solatione in adversis, incerto, sed antiquo interprete [ ! ! sie !]. ©ie ift aber fid)er
ntcEjt ibentifd) mit bem Xroftfcbreiben be» ßartennenferg, infofern barin jebe Sejiebung ^um
Victor Uon (Sotrtcnntt SBtctor bon £umtemtft 611
2lbreffaten 33afiliu3, ber nict/t einmal genannt toirb [!], gänjlid) feBtt. sDtarcu3 citiert unb
bernxnbet für feine „Hist. des Wand." fogar als eine §aubtquelle ben Vict. Cart. in
ber angeblichen 2lu3gabe bon Mientras, Schediasmata antiqua Madriti 1645 (alias
1653) 4° unb toitl biefeS fragliche Dpu§ zuSDijon in ber 23ourgogne benutzt fyabcn! $lnn
folgt fflabifcb. in ber häufigen 93ertr>enbung ^abencorbt, obgleich er feine Sebenfen i)at. 5
Sefcterer felbft, £>al)n, @mil §übner unb ©. 2Bau) r/aben inbeB obne ben geringften @r=
folg bem angeblichen Mientras in aßen größeren eurobätfdjen 23ibliou)ei'en nad)gefpürt.
Subto. ©d)mibt, ^ßottfyaft unb SSattenbad) begetdmen alfo mit 5fted)t ben ^ßfeubo=23ictor
bei Mientras all eine plumpe ftoanifd)e gälfd)ung au<§ fefyr fbäter ^eit.
(Rödler f) $ra«s <$$öm§. 10
Victor, 6Iaubiu§ SfftariuS, geft. ca. 125. — Sie Siteren ausgaben Don ©agneiuö,
iDiorel, gabriciuS finb ganj unbrauchbar. ©§ fonrnit nur in 33etvad)t CSEL 16 «on @d)enft.
— äitteratur: 2>ie Einleitung üon ©üienfl; sKJaurer, De exemplis quae Cl. M. V tn
Alcthia secutus sit, 9)iar6urg 1896 (3)tff.); ©cunber, Le livre de la Genese dans la poesie
latine du V siecle, $ari§ 1898; gbert, ©efcf). b. ßttt. b.«Dc?I, I, <S. 354 f.; SJcamtiuss, @efcl). 15
b. d)riftl.=tat. ^oefie, ©tuttg. 1891.
Über 33. baben wir nur bie lurje 9iottj Don ©ennabiuS vir. ill. 41, monad) er
Styetor in 9Jcaffilia gemefen unb Theodosio et Valentiniano regnantibus, alfo ^toifd)en
425—450, geftorben fei. 3)er ^came lautet in ben §bf. 23iftor, bei ©ennabiug 33iftoriu§
ober 93i!torinu§. 'Sag unter feinem tarnen überlieferte 2öerf ift ein biblifd)e3 ©bog, 20
Alethia betitelt, freie Dcac^erjä^lung ber ©enefiS in .§>erametem. Vermutlich auf 12 23üd)er
angelegt, gebt eS jetjt in 3 33üd)ern bi<3 jum Untergang ©oboms>. ©ennabiuS läfst ben
SSerf. fein Söerf feinem ©otm 3itberiu3 mibmen. 2(u3 bem ©ebtd)t felbft gebt fyerbor,
bafj bie 2lbfid)t be<§ Verf. mar, ben ©dmlen biblifdjen Sefeftoff in flafftfdjer %oxm zum
©rfa| ber b,eibnifd)en Jftaffifer ju liefern. @§ ift infofern ein bebeutfameS Eulturgefd)icb> 25
Itcfyeä ©enfmd, aber aud} an ftcb, nid)t otme boetifcf)e§ Verbienft. 2Jl§ 4. 33ucb, featte
©agneiuS bem 3Ber! 33. § ba3 „(Epigramm" eine§ unbekannten ^)3aulinu§ angehängt, ba3
nun ebenfalls Don ©cfyerdl a. a. D. neu herausgegeben würbe. (§3 ift bermutlid) um
408 gefdjrieben, eine in gorm einer fletnen boetifd)en @rjäb,Iung gefleibete 23uf$brebtgt,
toeld)e beflagt, bafj man in ©allien nad) ben Vermüftungen be§ Vanbalen= unb 2llanen= 30
einfaßt lieber bie SBeinberge toteber cmbaw unb bie jerfcblagenen Schüren unb g-cnfter
toieber b,errid)te, al§ bie ©efilbe ber ©eele unb bie 9tatr;ciufer beg §erjenl. Ol. Sdjmiö.
S5ictor, 23ifd)of bon ^unnenna (^onnonna?, 'Sonnenna?, ^unna?) in ber^]robinj
Afriea proconsularis, geft. nad) 565. — SUtSgaben fetner ©f)rorttf MSL 68, MG Auctt.
ant. XI, 1 (üon sJ3lontmfen), p. 184—206. 23gt. aucb bie Prolegomena bort p. 178 ff.; $apen= 35
corbt, ©efrf)id)te b. uanbat. ^errfcbaft in 2lfrt£a 1837, 359—365; ü. ©statoiuSfi, Sftbor unb
3tbefon§ als 2iterart)iftorifer 1898, 62—64.
Unter ben $ortfet$em bon ^rofper§ begto. §ieront)mu§' 2Mtd)ronif t)erfteb.t eg b!o§
biefer Slfrüaner, ben Sefer aucb, menfcb^licb, p feffeln. ©ein ©efid)t§frei§ ift befd)ränft, —
älfrüa, Itonftantinopel unb, für bie letzte ^eriobe, 2llejanbrien — , e3 paffieren ib,m arge 40
d)ronologifd)e S3erftöfee, unb er fd)reibt all ftrd£>Itd^er ^]arteimann. 3Sir f;aben fein 35>erf
ntd^t met)r bollftänbig bor un§; erhalten ift feine ßb,ronif bon 444—566 (567), — aber
Stüdbertoeifungen in biefem 3lbfd)nitt betoeifen, mal Isidorus Hisp. vir. ill. 38 (bgl.
Chronic. MG XI, 424 unb Etymol. V, 38, 6 f.) beftätigt, bajj 33ictor3 9Ber! aucb, mit
ber ©d^bbfung ber SBelt begonnen t)atte, natürlid) nur ©ingel^eiten in ben Vorgängern 45
ergänjenb. ©ie felbftftänbige Strbett begann mit bem ^al>re 444: 23ictor3 ©scmblar bon
^rofber reid)te bemnad) blof, U§ 443. — 33ictor ift einer ber tabferften ©treiter gegen bie
Xb^eologie ^uftinianä unb für bie brei Äabitel getoefen. ÜBir berbanfen ib, m eine SRenge ge=
nauer Zotigen au§ ber ©efcl)ic§te biefe§ Äampfel, feine eigenen ©dndfale geboren mit in
biefe 3fteib,e. 3um Qab^re 555 bermerüt er, bafe er mit einem anberen afri!anifd;en 33ifd;of, 50
£I)eobor, nacb 2llejanbrien exiliert mürbe; er l;atte bamafe aber fd)on bielfad)e Verfolgungen
hinter fid;. SnStgtybten med)felte er baö ©efängnig; 564 fd?afftc man ib,n nad^^t^anä,
too ber ^3atriarcb @utt)d;iu§ unb ber Äaifer felber fid) bon feiner Unbeugfamfeit überzeugten.
6r tourbe in einem ber bortigen Softer interniert unb fab feinen greunb Ifyeobor gleid)=
zeitig mit bem ft'aifer ^uftinian am 14. 9cobember 565 fterben; mit bem 3icgierungl= 55
antritt ^uftinS II. fd}lie^t er feinen 33erid;t, ber fd;tr>erltc6 biel fbäter aU 566 bollenbet
toorben ift. 93on einer ib,m burd) ben neuen Äaifer bermiKigtcn sJtüdfel)r in ^eirnat unb
Sigtum fagt er nidjtSj.cr mirb mob^l in V^anj geftorben fein, nad)bem er bort bie jum
größten %t\l fd)on in IHg^bten aufgefegte ©bronif an feine Aicunbc jur iscröffcntlidutng
39*
612 Victor t»on Sunttcnna Sßictor bon SStta
übergeben t)atte. Die ©acfye, für bie er lebenslang gefämbft Ijatte, mar berloren, bgl.
barüber 6b,. Diel, l'Afrique byzantine 1896, 434—449.
©djon öftbor Ijat bon SStctor nichts weiter geteuft, als maS er in SSiftorS (Ebronit
IgS, ^ritfyemiuS bietet ibm noeb, einige anbere Sßerfe an. (Sine bünne r/anbfcr;riftlicr)e
5 Überlieferung bringt ben bfeuboambrofianifer/en Straftat de poenitentia MSL 17, 1059 bis»
1094 mit ib/nt in SSerbinbung, mäb/renb ber erfte Herausgeber an SSictor bon ßartenna
gebaut t/atte. ©djabe, bafj bie Überfcbjtft ber 2 alten SobiceS: ineipit über s. Victoris
de lapsis Tonensis episcopi historiographi, bie nur unfern 33. bon SLunnenna meinen
fann, bem SSerbadjt nid;t entzogen ift, eine miHfürlicfye ^bentififation beS am ©ct/luf$ blofs
10 feinen üftamen SSictor nennenben SSerfafferS barjuftetten. Die blüfyenbe S^etorif jenes
SraftatS unb feine eigenartige Ungegenftänblidjifeit paffen fcfyledju ju bem 9JJärtr/rerbifcfyof
Victor. ' 9tb. Sütttljet.
SSictor, S3ifcr)of bon 3Stta (irrtümlich früher Urica!) in ber ^Srobinz Sr/jacena,
um 484. ■ — 9(u8gaben feiner Historia persecutionis Africanae provinciae : MSL 58 (be=
15 achtenswert nur noef) wegen beS au§ %'). 5)?uinart§ Historia persecutionis Vandalicae über=
nomntenen Apparats), MG Auctt. ant. III, 1 (üon G. £>atm) 1879 unb CSEL VII (bon
m. <ßetfcbenig) 1881. — «Di. ^etfcbemg, Sie Ijanbfcfjriftlicfje Ueberlieferung beS Sßictor ü. SStta,
©3391 pt)it.=titft.Slafie XCVI (1880), ©.637-732, (bie befte Ginfütjnmg auet) in bie litterar=
gefd)itf)tluten fragen); ^apencorbt, ©efefj. b. oanbalifcben ßerrfeftaft in Stfrifa, 1837, ©. 366 ff.;
20 2t. Stuter, SSictor t>on 'Sita in §iftorifd)e Unterfucbungen, 91. ©ct)äfer gemibmet, 1882, @. 253
bi§ 275; 23. $ögfcb, 95. Don Sita unb b. ftircbenüerfoigung im SSanbalenreicbe, 3)öbetn 1887,
42 ©,4°; ftr. ©örre§, 9(. d^riftenoerfotgungen in ÄrauS/3ft(S b. ebnftt. Altertümer I, ©.259
6iö 262. 279, 1882; 9t. Scfpnfetber, De Victore Vit. ep. 33re§tau 1899.
Unfer 2öiffen um bie ^erfon unb bie litterarifcfye 5£b,ätigi:eit biefeS SStctor ift beinahe
25 auSfcfyltefjlicr) auS bem einigen uns bon if>m fnnterlaffenen ©efct)icr;tS werfe gefc^öpft. Dies
Sßerf enthält eine Darfteilung ber Seiben ber Äatfyolifen unter ben banbalifcfjen §errfcf)ern
©eifertet) unb §unnerict;. ©efd)rteben ift eS unter bem frifcfjen ©inbruef ber ©eroalttfyaten,
bie in ben legten 2 Qafjren @unnericr;S 483 unb 484 leiner (Steigerung metjr fälng er=
fdjienen. Der SSerf. glaubt ftcb, I, 1 im 60. $af)r feit bem Übertritt ber SSanbalen auf
30 afrifanifdjeS ©ebiet ju befinben. Diefe Qafyl brauet nicfjt ganj genau %u. fein, aueb, mag
fieb, ber Stutor über baS Datum beS 9Sanbalen=©inbrua)S (429 !) im ^rrtum befinben. Dafj ber
©cfylufjjbaragrapl) III, 71, bie Siacbjicfyt bon bem graufigen @nbe §unnericf)S im Dezember
484 unb über baS wenig fpäter an bem Stpoftaten 9acaftuSM boltftrecfte (Strafgericht ein
fpäterer $ufatj ift, wirb allgemein anerkannt, allein audt) bie 2luf$erungen über |)unnericf;S
35 ©cbjcffale in II, 12. 17 führen über baS %al>x 484 fyerab. 9Bat;rfct)einItct) t)at Victor
baS Söerf noef) bei Sebjeiten Hunnericb.S gefebrieben, aber erft nacr) feinem ^£obe, früt»e=
ftenS 485 unb rratenfaÜS fpäter als 489 Veröffentlicht, ^n biefem gatt tonnte jener ©cfylufj
aueb, bon feiner rebigierenben §anb ^errü^ren, unb ber Prolog mürbe bann berftänblic|
als bie Sßibmung feiner befo)eibenen SRaterialienfammlung an einen, leiber ungenannten,
40 greunb Itrcf;engefct)tct)t![tdt)er ©tubien, einen ©cr;üler beS berühmten Sifcb.ofS Diaboa)uS
(auS ©toiruS ca. 450), in bem SStctor einen neuen StimotfyeuS unb SufaS jugteieb, erbltcft.
SStctor b,at fein 9Berf in 3 S3üct)er geteilt, bie alten SluSgaben fyaben meift 5, einzelne
aueb, 4 unb 6 33ücf/er barauS gemacht. Suc^ I beb,anbelt bie StegterungSjeit ©eifericb;Sr
33ucb, II unb III bie 8 %ai)xt |mnnericb,S. SStctor möchte bie cb,ronologifa)e Drbnung bei=
45 behalten, eS gelingt U)m inbeS nid)t immer, unb roieb, ttger ift ilmt bie SSoßftänbigteit fetneS
S3erict)tS fotoie bie erfebnte Söirfung, Zeitigen ßorn aßer fatr)oüfct;en Sateiner gegen bie
graufamen 2lrianer=33arbaren in Slfrifa %a entflammen. Die fpracblic&e 33ilbung SSictorS
ift gering, auef) feine DarfteKungSgabe nidt)t glänjenb, immerhin beibe j. 33. oon $ct=
fdjentg unbillig t)art emgefd>ä|t; fein tljeologifcfyeSSBiffen entfprtc^t bem Durcb, fetmitt. SSor
50 aÜem aber ift er rüafyrfyettSliebenb, im allgemeinen guöertäffig unb menigftenS für bie geü
§unnericf)S nicb,t blo^ mit SIEtenftüden roie löntglicben ©bitten unb tatb, olifc^en ©laubenS=
betenntniffen auSgerüftet, fonbern in ber Sage als Slugenjeuge ©elbfterlebteS ju berieten.
@r mar Sifcb, of bon SSita (rr>abrfd) einlicb. feiner SSaterftabt), er toeife aber aueb, in ßartl;ago
ausgezeichnet S3efcb.eib: nur über bie ©renken älfritaS reicht fein 33licf taum irgenbroo
55 b,inauS. Über bie bolitifcb,en, religiöfen, S3ilbungS= unb ©otteSbienftberl)ältniffe beS ban=
baltfct)en Slfrifa um 480 erfahren mir bei SStctor biel SSertbodeS.
Da^ er ben SSanbalen ntd)t gerecht mirb, bei ben Äatb.olifen bie geiler befcb,önigt,
berfteb.t ftcb, mob,l bon felbft. S3etou§te gälfcb,ungen bon 3;b,atfacb.en fommen bei u)m
aber nidt)t bor.
SStctor Don JBita StctorimtS, ßajuiS 3Jtoriusi, 2lfer 613
Unter 33ictorS tarnen läuft nod; eine, tote in ben £anbfcbriften fo nun aud) in ben
©ruefen, feiner historia angehängte Passio VII monachorum, eine 3ftärtr;rergefcr;id)te
aus bem ^abre 483 ober 484, bie aber mit ifym nichts ju tfmn b>t. ^Dagegen bilbet eine
f)od;irtd^ttgc (grgän^ung feines1 33ucb> bie nur noct) in einer £anbfd)rift erhaltene Notitia
provinciarum et civitatum Africae ; ein 33eräeicbm§ aller i. %. 484 amtierenben fatfyolifcben 5
Ötfd)öfe aus1 ben 7 ^robinjen be§ bamaligen SBanbalenreicb^, bie ben 33efebl erhielten, am
1. gebruar fid) in ßartfyago jum SReligionägefbräct; einstellen. Unter biefen begegnet als
9ir. 44 in SB^acena Victor Vitensis mit bem gufatj : non oecurrit. Offenbar fjanbelt
cä fieb, um ben ©efd;i$tßja)reiber, er ift ber Sabung alfo niebt gefolgt. Sei anberen wirb
burd> ben ßufafc fugit ettoa§ Stfynlicfyes' angebeutet, toeit häufiger finb bie 23ermerre in io
exilium, Corsica, metallo u.bgl., au§ benen toir erfeben, toie_ber König bie ©igenftnnigen
beftraft fyat. §inter 90 5Ramen finbet ftd) ein rätfelb,afte§ prbt, ba§ aud) bie Bearbeiter
be§ Thesaurus latinae linguae toieber in presbyter (!) auflöfen, tro^bem e§ ftefe, um
eine SBifcbofslifte ^anbelt, unb tro^bem am ©eblufj ber £ifte fämtlid)e 466 Seilnefymer
jerlegt toerben in eine ©ru^e berer, Sie perierunt, unb berer, bie permanserunt. §ier fann 15
es1 fid) aber aud) ntcfyt um am Seben bleiben ober umfommen fyanbeln, benn ein_„passus"
itylt ju benen qui permanserunt. ©d)on ©ibbon ab,nte ba§ 9frcr/tige: prbt bebeutet
peribat = er fiel ab. Unb toenn jenes1 wortfarge 3tegifter 88 gefallene 33ifc|öfe bermelbet,
fo er!ennen toir, bafc bie fatt) olifcf) e Kird) e im %af)xt 484 niebt ganj fo glorreicb, beftanben
b,at, toie 33ictor e§ toünfcb,te unb uns1 glauben macb.cn toiH. 20
Sei ber ungeheuren £>äufigfeit bes1 Samens SStctor, befonbers1 in 2lfrila, toagen toir
niebt, ben 33itenfer mit irgenb einem anberen Victor jener 3eit ^u ibenttfijieren ; toir be=
gnügen un§ feftjufteHen, bafj er al§ 23ifcbof bon 33ita toobl fcb.cn bor 477 unb nod) nad)
484 funltioniert unb feine ganje Kraft im unermüblicben Kampf gegen ben banbalifdjen
2lriani§mug in feiner §eimat ber^ebrt bat. 2li>. 8ültrf)er. 25
$ictortmt§, SajuäSttartus1, 2lfer, geft. ca. 363. — ©Triften: De generatione
verbi div., adv. Arium, hymni de trinitate nad) älteren Einjelbrucfen gefamrrtett bei ©aHanbi
8, BM 4; bie Komm, ju @a, SJSIjt, @pb juerft bei 5Kat, Nova collectio 3, aHe§ pfammen
nebft einigem gmeifettjaften MSL 8; Ars grammatica Seil, grammatici lat. 6; Komm, ju
Cicero de inventione ßatm, Ehetores latini min., Seidig 1866; de definitionibus ©taugt, 30
Tulliana et Mario- Victoriniana, 9Jtünrf)en 1888. — Sitteratut: Soffmane, De M. V. phi-
losopho Christiano, Breslau 1880 (®iff.); ©erger, W. 58. ein neublat. ^titlofopb, «Ketten
1888/89 (Programm): ©ore DchB 4; £arnacf S© III, ©.31 ff. 1. u. 3. Stuft.; berf., Giefct).
b. 2ef)re non ber ©eligfeit allein b. b. ©tauben, 32t}® 1891; 3t. ©cfjmtb, SR. SS. unb feine
Schiebungen j« ?luguftin, Siel 1895 ($tff.) ; «öiöüer«ü. ©ebubert, S® I, ©.505; Siran 35
WMex, |)anbb. b. Haff. 3ittertutn§roiff. 33b VIII, %l 4, 1 ffiündien 1904, ©. 137 ff.
©ie 9cad)ricbten über 35. [rammen bon §ieron^mu§ unb 2luguftin. ©emnaef) toar
er geborener Slfrifaner unb toirfte al§ berü|mter ^rofeffor ber D^betorif in 9^om big
362. ©eine §au»tbebeutung bat er al§ Vertreter ber neub(atonifd)en ©cb^ulbbilofobb^ie,
3lnl)änger unb D^acbfolger^loting unb ^ßorbbt;rg in -Korn, SSerfaffer bon Kommentaren unb 40
Überfettungen ariftotelifcb.er unb neublatonifcber ©Triften — bermutlidj aufeer ^orbbtjr
aueb^ $lotinö ©nneaben, bgl. ©ranbgeorge, St. Augustin et le neoplatonisme, ^arig 1896.
(Sie „blatonifcb,en Dialoge" SJtülIer ©. 141 finb ein Saturn.) 2)aber erregte e§ großes
3luffeb|en, al§ er (bor 357) offen jur cbriftlicb,en Htrd)e übertrat, naebbem er fcb.on längft
innerlich d)rtfttid) gefinnt getoefen toar. ©ofort trat er aU eifriger ©treiter für bie eebte 45
meänifebe Drtbobojie auf mit ben an ben 2lrianer ßanbibug gerichteten ©Triften de gen.
verbi div. unb ben bier 33üd)ern adv. Arium. ®ie SEenbenj gebt eigentlict) noeb mebr
aU gegen bie 2lrianer gegen bie .^omöufianer unb fbejiell bie jtoeite firmifd)e gormel
bon 357. Semnadb; muffen bie ©ebriften 357—58 gefebrieben fein. 2)er ungenannte
Sifdjof adv. Ar. I, 28 f., ber „bon ben Beamten gelungen aU 93erteibiger feineö 50
Verrats fommt", 33riefe an bie Orientalen febreibt, ut ejiciant a s. ecclesia ojuoovoiov,
unb bie Seute, mit benen er früher ©emeinfcljaft gehalten, je^t berbammt, ift obne ^toeifel
SiberiuS bon 9iom (f. b. 31. 33b XI ©. 451). Söann 23. bie Kommentare ju ben 5ßauluS=
briefen gefebrieben fyat (e§ toaren toobl meb,r als bie brei erhaltenen), läfet fieb^ niebt feft=
[teilen. 2)a§ ©bift Julians gegen bie 2lu3übung be§ SebramtS burd) (Sänften beranlafete 55
ib,n jur ^Kieberlegung ber ^rofeffur. ®a er bei feinem Übertritt fdjon im böct)ften ©reifen*
alter ftanb, ift er bermutlicb balb barauf geftorben. 35te 93efebrungggefcb,icbte be§ be=
rübmten Sanb^manng bat auf 2luguftin fbäter einen großen (Sinbrucf gemacht, um fo
mebr, al§ i^m bie neup!atonifd)en Überfettungen beS 33. fcb,on fo toiebtig für feine eigene
ßnttoicfelung getoorben toaren (Aug. conf. VIII, 3. 4). 33on ben bieten bfnlofobfufdjen en
614 SSictortttuS, 6ajuS SRariuS, 3lfer äHctormug torm ^ettan
unb t^eologifd^en ©driften beS 35., bie fid^ auS feinen eigenen unb fremben Angaben bcr=
muten faffen, ift nichts erhalten als baS oben angeführte. 9Jlel)rere ©ebicfyte ftnb ifmt mit
Unrecht gugefdrrieben roorben.
33. lebt gang in griednfdjer ^ßr/ilofobfne unb Geologie, Wie fd^on fein eigentümliches
5 ©bracf/gemifcf; betrat. 3JJit ber bogmatifdjen 33etbegung ber legten ^abjgefynte ift er genau
bertraut, Iitterarifd)e Regierungen gu SltfyanafiuS ftnb toaljrfdjeinlict). @r ift aber aucfy als
ßl)rift $r)iIofobr/ geblieben, ber baS gange ^lotinifd/e Softem faft unbewußt in feinen
bogmattfcfyen ©ireitfcbjiften cntrotdelt, unb mit feiner §ilfe baS nicänifcfye SDogma fbefu=
latib gu ertoeifen fuc^jt. ®ie feltfame 93erbinbung bon echtem ^eublatoniSmuS unb
io fanatifdjer, nocb, Weit über ältfyanafiuS fnnauSgefyenber 93egeifterung für baS SBort
öjiwovoiog, al§ bie Söfung aller 2öelt= unb SebenSrätfel, ift benn aud> rect/t rotberfbrud)§=
botl ausgefallen. Slber er ift ein roirllicfyer genfer: gelten mit SSorten, roo ©ebanfen
fehlen, genügt ii)m ntct)t. ®ie Kommentare gu p. finb ber erfte berartige 33erfucb, in
lateinifcfyer ©brache. SDa fie ejegetifd) efyrlid) unb tro| eingemifdjter ©befulatton einfach
15 auf (Ermittelung beS SöortfinnS gerietet finb, fo fommt 93. gu bieten bogmatifd) beben!=
liefen ©bi|en, g. 93. über ^BetruS unb Paulus, bie 93erbienftlicb,feit ber SSBerfe, sola fides.
$ungfraufd)aft ber SRaria. Slbcr gerabe bie Üufjerungen über sola fides, mereri etc,
(§arnad a. a. £.) fielen im ©angen ber ©ebanfenroelt beS 93. böEig ifoliert, bejro. finb
fie gang unbaulimfeb, gu beuten. ©S r)at aueb rocbjl Wenig ©inn, ben SRann einen
20 Augustinus ante August. (§amacf) gu nennen, ber fd)reiben fonnte: non omnino
peccare peccatum est, sed in peccato perseverare (MSL 8 ©. 1281 B) ober
anima facile virtutem suam tenebit et erit perfecta in Christo (1239 D).
Sitterarifctje ^cadjWirfung l)aben bie t^eologifcfjen ©Triften nid)t gehabt; bie Kommentare
Wo!)l Wegen ber erwärmten gefährlichen, an Qobinian unb £>elbibiu§ erinnernben 9iebenS=
25 arten, ©ie SlrinitätSleljre aber War gu fbefulatib unb gu Wenig bogmatifcb, forreft, um
SRacl)foIger gu locfen. gubem h>urbe fie fofort burd) bie SBenbung ber bogmatifd)en
Terminologie überbolt unb unbrauchbar (93. let/nt noeb, bie Untertreibung gWifcljen ovoia
unb vjioaraoig ah, obwohl er Weifj, baf$ einige ©rieben ben Unterfcfyteb machen, er t)at
für „^ßerfon" übertäubt feinen SlerminuS, Myog unb ©eift fallen ib,m immer Wieber
30 gufammen). 3)ab,er b,at bie fiegretd/e Drtf)obor.ie einen tr)rer eifrigften 93orfämbfer fo
giemlid) totgefdjWiegen. §ieront)muS Warnt ejtra bor ir)m; Sluguftin erWätmt ifyn als
djrifilidjien ©d}riftfteHer nur einmal mit tarnen. ®er ©tnflufs feiner Geologie auf
2luguftin ift eine gänglicb, unbeWiefene ©rftnbung bon ©ore. W. <5d)mii>.
23tciorimt§, 33 tf d^of bon^ettau, SRärttyrer 304. — JlnbreaS 9{iiunu§, Sanctae
35 Reliquiao duum Victorinorum, Pictaviensis unius ejiiscopi martyris, Afri alterius Caii
Marii, Gothae 1652; SlnbveaS ©aHonbi, Bibliotheca ueterum patrum tom. IV, Venetiis
1768, fol. 49 — 64; SJJartinus Q^fepEjuS 9lout{), Reliquiae Sacrae, ed. II, vol. III, Oxonii
1846, p. 451—483. — MSL V. 281—344. eine neue fritifd)e 9lu§gaBe im CSEL vols
XXXXIX Befinbet ftc£> im ®vucf.
40 g. be Siaunot), De Victorino episcopo et martyre dissertatio, Paris. 1653, -1664 (abge=
brueft in Joannis Launoii opera omnia, Coloniae Allobr. 1731, II, 1, 634 — 649,). S)te 9lb=
I)anbhing t)at ben abfd)lieöenben SJadiroetS gebracht, bafj SßtctovhmS nid)t SBtftt^of bon $oitier§
(Pictaviensis), fonbern »on ^ettau (Petavioncnsis) mar. — eine grünb(id)e gufaminenjtellung
ber sJ»iact)vtct)tert über SStctorinu§ in AS, Novembris tom. I, Parisiis 1887- fol. 432—443 ;
45 9K. SJabotntf, ®er ^1. S8ictorinu§, 93ifd)üf bon «ßettau, Äircl)enfd)rtftfteüer u. SDifirttjrer, SBten
1888 (floüenifdi); Otto SBarben^etuer, ©efdiidite ber altftrd|Iid)en Sitteratur, jroeiter S3anb,
3-reiburg 1903, @. 593—598; Stbolf ^arnacl, ©efdiidjte ber aitdjriftlicfjen Sitteratur 6i§
SufebtuS, erfter SCeif, Seipjig 1893, ©. 731—735 unb gireiter Seil, gtnetter SSanb, 1904,
©. 426—432; Martin Scfjanj, (in Sman non «D?üHer§ ^anbbud) b. tlaff. SUtertum§roiffenfct)aft
50 53b VIII), ©efd). b. vom. Sitteratur, britter Seil, gtoeite Slufl., 3Künd)en 1905, @. 437—439.
3- ^au^Ieiter, ®ie Sommentare beS SßtctortnuS, SiconiuS unb fiierontjmuS jur 3(bo=
falljbfe, eine Iitteravgefd)td)t(id)e llnterfud)ung, 3t2BS VII, 1886, @. 239—257; berf., ®er
2tufbau ber aitdjriftUdien Sitteratur, SSerlin 1898, @. 35—37; berf., Beiträge gur SSürbigung
ber Offenbarung be§ ^obanne§ unb ibreS älteften Iateinifd)en ?(uSleger§, ©reifSmalb 1900
55 (g-eftreben ber llniö. ©retfSroalb 9h\ 9); gerbinanb ftattenbufd), ®a§ apofto!ifd)e ©f;mbot,
erfter SSanb, Seidig 1894, ©. 212—215 („©iebt e§ fidjere ©buren be§ ©t)mboI§ be§ 33tctorinu8
$etabionenft§?"); SSalbemar SRadioIg, (Spuren Binitarifdjer S)enfloeife im 9lbenblanbe feit
Sertuüian, Sena 1902 (§atlifd]e Sicenttatenfdjrift), ©.16-20; Seontjarb Sl^berger, ©efd). b.
cbriftlicben esdjatologie tnnerbalb ber nornicänifdien geit, greiburg 1896, ©. 566—573;
go 2BiIf)eIni SBouffet, 3)te Offenbarung SofjamüS, ©öttingen 1906, ©. 53—55.
§ierom)muS roibmet im 74. Äabitel feines 93ud)e8 de uiris illustribus bem älteften
@r,egeten ber Iateintfd)en Kirche, 93ictorinuS, ben er nact; bem 2ller.anbriner 2lnatoliuS (unter
SBtctorinnS Don tyütan (i15
ben ftaifcrn VrobuS 276 — 282 unb GaruS 282—284) unb bor bem VreSbtyter VambbiluS
(9flärtr/rer in ber Verfolgung beS SRarjminuS 16. $ebruar309) befyanbelt, folgenbe 2öorte :
VictorinuS, Petabionensis episcopus, non aeque latine ut graece nouerat. Vnde
opera eius grandia sensibus uiliora uidentur compositione uerborum. Sunt
autem haec: commentarii in Genesim, in Exodum, in Leuiticum, in Esaiam, 6
in Ezechiel, in Abacuc, in Ecclesiasten, in Canticum Canticorum, in Apo-
calypsim Johannis, aduersum omnes haereses, et multa alia. Ad extremum
martyrio coronatus est (MSL XXIII, 683). $)aS 3Jiartr/rium faßt in bie £eit ber Ver=
folgung unter ^liofletian unb tfvat laum in bte erften 5ftonate, fonbern bocb, Wobjl wie
ettv>a baS üftartbrium beS VifcbofS 3re"äuS Don ©irmium in Vannonien (25. 3Jiärj 304) io
in ben Verlauf beS %cfyxeä 304, SDie 3ttartt)rologen, guerft 2lbo, (Srgbtfctyof bon Viennc
(c. 870), geben baS SDatum beS 2. SDejember an.
©cfyon im 18. Kabitel feines ©ctjriftftellerfatalogS b,atte £ieronr/muS bei Vefbrecfyung
be§ s}>abiaS ben VictorinuS als ©Ejiliaften gefennjeidjnet. „VabiaS fotl bie jübif^e %xa~-
bition (dsviEQCooiv) ber 1000 ^afyxe bertreten fmben. %fym folgten Qtenäu§, 2lpoIItnart§ is
unb bie anbern, Weld;e beraubten, ber §err Werbe nad) ber 2lufertoedung im gleifcb, mit
ben ^eiligen regieren. 2lud) SEertuöian in feinem Vucb. über bie Hoffnung ber ©laubigen
(de spe fidelium), VictorinuS bon Vettau unb SactantiuS finb im ©d)lebbtau biefer
Meinung" (MSL XXIII, 637). «Kit biefer ©teile berührt fid) eine älmlid;e Slufjä^Iung
im elften Sud; beS ©äecr/ielfommentarS, Wo §ieronr/muS „biele ber Unfern" als Vertreter 20
jübijcber gabeln (devTsgioaEtg) namhaft mad)t. @S werben ermähnt SertulIianS eben
genanntes Vud), beS SactantiuS fiebenteS Vud), beS VictorinuS gat>lret<^e Ausführungen
(crebrae expositiones) — et nuper Severus noster in dialogo cui Gallo nomen
imposuit (MSL XXV, 339). @S finb bie AuSfagen über 5Rero unb ben 2Inticbnft
gemeint, meiere im Reiten Dialog bei ©ulbiciuS ©eberuS mit einem gaßifcben SJiöncb, 2 ■
Äato. 14 bem 3flartinuS bon SourS in ben^unb gelegt werben (MSL XX, 211 u. 212).
©ie Angaben beS §teronr/muS über VictorinuS bebürfen ber ©rläuterung unb @r=
gän^ung.
©ajj VictorinuS ntc^t Vifdjof bon ^ßoitierS, Wie man früber bielfacb, annahm, fonbern bon
$ettau (jetjt in ©teiermarf) war, bebarf nacb, ben Ausführungen $. *>e Saunor/S a. a. D. 30
feines Weiteren VeWeifeS mebr. 5ßoetobio (baS ift bie Schreibung ber ^nfcb,riften) War eine
am ©rau gelegene ©tabt in ber rbmifdjen Vrobing Vannonia ©uberior an ber ©ren^e ber
^Srobins 9Joricum, ju ber fie nach, ber $eit SbnftantinS geregnet Würbe, ©ie Wirb erft=
malS bon SacituS (hist. III, 1) jum ^abre 69 unferer geitredmung erwähnt unb trägt
auf IJnfdjriften ben botten tarnen colonia Ulpia Trajana Poetovio. $n ber bon 3&
Trojan folonifierten, mit Römern bebölferten ©tabt mar baS ÜBinterlager ber legio XIII.
gemina; ein faiferlid)er ^alaft lag aufjerfyalb ber dauern. ®ie 9?acbrid}ten über bie
©tabt b,at SRommfen im Corpus inscriptionum lat. vol. III, 1 (1873), p. 510 boß=
ftänbig gefammelt; auf p. 511 — 520 werben bie in Voetobio unb ber Umgegenb gefunbenen
Snfdjriften sjjr. 4015—4098 mitgeteilt. SDie ©ntftefyung einer djriftlicben ©emeinbe in 40
$oetobio liegt im Sunfel; fie tritt mit bem Vifcr)of VictorinuS in bie ©efcf/id)te ein.
@S Werben bann im 4. gabjfyunbert web, jWei Vifdjbfe genannt. Aprianus de Peta-
bonione Pannoniae erfd;eint unter ben Vätern beS ÄonjitS ju ©arbica (343); er ge=
borte 3U ben Vifd}öfen, bie ben Vrief beS 2ltb,anafiuS an bie SJlareotifcfyen ©emeinben in
Unteräg^bten unterjcfyrieben (MSL LVI, 57 unb 852). ®ie Väter ber ©i^nobe bon ^
Slquileja (381) rühmen in ib,rem ©djreiben an bie ^aifer ©rattan, Valentinian IL unb
£I?eobofiu§ ben Vifdjof SRarcuS unb Ilagen ben 2lrianer ^ulianuS Valens an, ber Peta-
vione superpositus fuerat saneto uiro Marco, admirabilis memoriae sacerdoti
(MSL XVI, 943).
SarauS, ba£ VictorinuS „nicb,t ebenfo lateinifd; Wie gried;ifd) berftanb", brauet ntdjt 0°
gefdiloffen ^u Werben, bafj er bon ©eburt ein ©riecfye War. ©eine ^eimat fann rea)t
t»ot)t in Vannonien geWefen fein; auf einer 3tetbe bon $nfd>riften in ben beiben Vrobinjen
(inferior unb superior) begegnet ber 9tame VictorinuS. 2lud; gried)ifd)e tarnen lommen
bor Wie ©fyrfyferoS (XQyoEQcog) ober Vf)iIabefbotuS {(PdadEonoxog), bgl. bie sJJr. 4018
unb 1032. ©aS Urteil: non aeque latine ut graece baftt genau auf bie Llrnen= 65
infcbjift Wx. 4075. lurelier, ©emetriuS unb gelicitaS (bie 5Ramen finb mit gried)ifd)en
33ud)ftaben gefdjrieben) Wibmen Evma'&iiw) xavxa qui uixit Ann. II M(enses) VIII
D(ies) VIII . yovsTs vhß yvrjoko. 3Rur ber 9Watibfa| ift lateinifd), aßeS anbere
griedjiifdi. @S tritt biet ein ftarfer @infcblag gried)ifd)er Vilbung ju SEage, Wie er auet)
bei VictorinuS angenommen Werben mufj. 3n feinen Kommentaren jetgt er fieb, als M cnner m
616 SBtctortmtS toott ^tttan
unb Benü|er griecbifcfyer 2Ber£e mie beS $abia§, bor allem be§ DrigeneS, bann audj be§
$renäu§ unb be§ feipipofyt. Über ba§ Berfyältni§ be3 Bictorinuö gu |jibbott)t treibt
§ieront)tnu§ : Hippolyti martyris uerba ponamus, a quo et Victorinus noster
non plurimum discrepat (ep. 36, 16 ; MSL XXII, 460). ©ie Begielmngen gu
5 Drigene§ ermäfmt §ieronr)mu3 an einer Steige bon ©teilen (ep. 61, 2 unb 84, 7; adu.
libros Rufini III, 14; comment. in Eccles. gu 4, 13; bgl. MSL XXII, 603 unb
749, XXIII, 467 unb 1050, 1051). SÜJan erhält ben ©inbrucf, bafe Bictorinu3 bie
Vorlagen be§ Drigenes» in freier Bearbeitung miebergegeben fyat, ofyne fid), tüte fein 6t)ilia3=
mu3 bemeifi, tfyeologifcb, ftreng an il)n gu binben. Sie ftilifüfdje $orm ber Bearbeitung
10 mißfiel bem §ieronfymu§. @r billigt bem Bearbeiter in biefer Begtelmng ir>oE)I eruditionis
uoluntatem, nicfyt aber eruditionem gu; 9Stctortnu§ fbnne feine Sfteimmg nicfyt orbentlid)
ausbrächen; e§ gelte bon il)m ba§ Söort 2 Ko 11, 6: etsi imperitus sermone, non
tarnen scientia (ep. 70, 5 unb 58, 10, Prolog gum ^efajafommentar; bgl. MLS XXII,
668 „unb 585, XXIV, 20. 21). ^n ber Stfyat geigt ba§ Sateinifcfye be§ Bictortnu§, mie
15 bie Überrefte feiner ©djrtften bemeifen, neben einem ftarfen @infd)Iag bon ©räci^men ba§
©ebräge fcfymerfäHiger Unbebolfenfyeit. ©af$ er, bebor er Bifcfyof mürbe, 3tebner gemefen
fein füllte, mie @affiobortu§ annahm (Victorinus ex oratore episcopus, bgl. MSL
LXX, 1117 unb 1119), ift au§gefdjloffen. (&§ liegt eine Bermecfyglung mit bem au§
2lfrita ftammenben 9tt)etor S. 9JJarius> Bictorinus> in ber SJlitte be§ 4. 3ab,rl)unbert§ bor,
20 ber aufy e£egetif$e ©Triften berfafjt b,at, bon benen Kommentare gum ©alater=, Bf>ilibber=
unb ©bfyeferbrief erhalten geblieben finb (abgebrucft bei 21. 9ftai, Scriptorum veterum nova
collectio, tom. III, pars II, Romae 1828); bgl. ben borauägeb, enben Slrtüel ©. 613,53ff.
§ieront)mu§ gä^It im ©c-jriftfteßertatalog neun Kommentare be§ Bictorinu3 auf, acfyt
altteftamentlidje unb einen neutefiamentlicfyen. ©te 2lufgäI)Iung ift aber nidjt boßftänbig;
25 §ieront)mu§ felbft ermähnt anbermärtg gmetmal einen aucb, bon SaffioboriuS bezeugten
9ftattfyäu§fommentar biefe<§ 2lutors>, ben er mit bem bes> §ilariu§ bergleicfyt (praeterea
commentarios uiri eloquentissimi Hilarii et beati martyris Victorini, quos in
Matthaeum diuerso sermone, sed una gratia Spiritus ediderunt, post paucos
dies ad uos mittere disposui, ne ignoretis, quantum nostris quoque homi-
30 nibus sanctarum scripturarum quondam Studium fuerit — MSL XXVI, 220;
bgl. ebenba ©. 20), unb au§ bem er bie Sluffaffung mitteilt, bie BictorinuS bon ben
„Brübern be3 £>errn" fyatte (adu. Heluid. 17: fratres propinquitate, non
natura — MSL XXIII, 201). 2Benn 2Tb. §arna<f fd^reibt, bie 2lu3mabl geige, ba| Bic=
torinuä bie 1)1. ©cfjrift in U)ren §aubtteilen ben Sateinern burcb, er.egetifcfye Bemühungen
35 fyabe nahebringen wollen, nur an $aulu3 Ijabe er ftcb, nicfyt gemagt (a. a. D. ©. 428), fo ift
ber tetjte ©aij gubeanftanben; ermatte bocb, I)ier ebenfogut mie bei ben altteft. Kommentaren
ficb, an bie arbeiten be3 DrigeneS anlehnen tonnen, ©ie ©rünbe ber 2Iusmab,I, bie Bic=
torinuS getroffen fyat, bleiben im ©unfein.
Bon ber gangen 2Iu§Iegung3arbeit be£ Bictorinu§ ift un§ nur ber 2Ibofalfybfe=
40 fommentar erhalten geblieben, ©enn ber ebenfalls erhaltene Straftat de fabrica mundi
(bei^Routb, a. a.D. ©.451—461), ber in einer §anbfcf)rift ber Sonboner Sambetbbtbliotb, e!
(3Rr. 414) au§ bem 10. ober 11. ^afyrbunbert borliegt, ift nid^t etma ein Beftanbteil be§
©enefisfommentar§, fonbern eine freie Slb^anblung über bie ©cb,öbfung§tt>odj>e, bie Königin
aller 2Bo<f)en (omnium septimanarum regina im berbefferten Sejt), toobei namentlitt)
45 bie Bebeutung ber ©iebengal)l eingeljenb b,erborgel)oben mirb. SDer mab,re <BabbaÜ) ift
ba$ fiebente ^a^taufenb, in meinem ßbriftu§ mit feinen 2lu3ermäl?lten b,errfd;en toirb.
©er cb,iliaftifcb,e ©tanbbunft mie bie fpradjlic&e gorm be3 ©d^riftftücfö ergeben feine ©c^t=
fyeit über aKen ^h'^f-
SDie neue 2lu§gabe be§ 3lbofaI^bfefommentar§ mad^t ben Berfucl), bie ^öc^ift Ieb,rreiöi)e
so ©efd)ict)te ber Überlieferung unb Bearbeitung be§ Kommentars in allen ib,ren einzelnen
©tabien gur Slnfdjauung gu bringen, ©er ed^te %?& be§ Bictorinu§ liegt in einer jungen
^anbfdjrift ber batifanifdpen Bibliotb,eI, im codex Ottobonianus lat. 3288 A au$ bem
15. ^aljrbunbert, bor. @§ ift biefelbe §anbfdj>rift, ber 21. 9M bie oben ermähnten Kom=
mentare be§ (E.9)tariug Bictorinu§ entnahm ; bie gange §anbfd)rift ift mit Victoriana angefüßt
56 (bgl. bie Betreibung 21. 2Jiai§ a. a. D. ©. 147). ©en mertbollften Steil ber §anbf4)rift
erfannte 21. 9J?ai um fo meniger, al§ bem 2lboMt)bf^oiumentar ber Brolog be§ §ieron^mu§
borauSge^t, ber bie Umarbeitung befcfyreibt, t>ie ber Kird)enmann mit bem c^iliaftifcben SBerfe
borgenommen fyatte; aber gleid^mob,l folgt nidjt ber Stejt biefer Umarbeitung, fonbern ber
urfbrünglicbe Kommentar. §ieron^imu§ b,at, mie man nun fiebt, nirfjt nur ben d)iliaftif($en
60 ©auerteig auSgufegen berfud^t, fonbern aucb anbere ©buren fcbd^ften 2lltertum§ getilgt, ©o
93tdortmtS bon tytttaü 617
folgte 3. 33. Victorinus in ber Verteilung ber Sierfr/mbole 2Ibl! 1, 7. 8 auf bie toter
(ibangeliften ben ©buren be§ $renäus, bex 33erbinbungslinien ätotfcfyen bem Sötoen
unb ^of)anne§, bem Srinb unb Sufas, bem Sftenfcfyen unb Wlatfyäü§, bem 2lbler unb
slTiarfus gebogen fyatte. SDiefelben Verbinbungen finben mir in bem eckten Stert be<§
isictortnuS, nur mit anberer Reihenfolge ber ©bangeliften (3oI)annes, 2Ratt^äu§, 2uta§, s
OTarfus), tote fie ber alt^ägt/btifcfyen Drbnung bei Drigene§ unb anbern 3e«ße« entfbrtcfrt.
,ftierom;mus bagegen korrigierte bie ifym geläufigen SBerbinbungen in ben 33ictorinuster.t
finein unb berbanb 9flarfus mit bem Soften, $oI)anne<§ mit bem Slbler. ®abei tilgte er
bie bem 2Berfe bes ^ßabtas entnommenen Söorte bes 33ictorinus: Marcus interpres Petri
ea quae in munere docebat commemoratus conscripsit, sed non ordine. 10
tylan begegnet bei genauer Sßergleicfyung einer ganzen Steige Don Keinen 2lnberungen. S)ie
bebeutenbfte ift bie 33efeitigung bes cfnliaftifcfyen ©djlufjabfdmittes, in bem Victorinus ein
brad)tboIIe6 ©emälbe ber ©nbjeit, jumeift mit 33ertoenbung altteftamentlicfyer ^ßro^^eten=
toorte, entmorfen b, arte (bgl. bie borläufige Mitteilung im £f)£33 1895 9er. 17, ©b. 193—199
unb $. dt. §arri3, A new patristic fragment, The Expositor 1895, ©. 448—455). 15
2)ic burcfygängige ^Betonung ber inneren ©tnljeit unb bes toefentlicfyen ^ufammenfjangeä
jtoifd^en 2lltem unb 9ieuen SEeftament gehört übertäubt gu ben fyerborftecfyenben @igen=
rümlid)feiten be§ Kommentars, ber, obme jemals SERarcion bei Sternen gu nennen, in leb=
t)after 33eftreitung marcionittfdjier Slnftcbten ben richtigen ©ebraueb, bes altteftamentücfyen
<Sa)rifttr>orteg gu geigen bemüht ift. 20
©em urfbrünglict/en %ttt tritt bie Bearbeitung be3 §ieron^mu§ gegenüber, bie in
einer 9?eib,e bon §anbf driften unb in einer ^arifer ©rftausgabe Dom ^afyx 1543 (ab--
gebrudJt in ben älteren 33äterbibIiotb,efen, j. 33. in be la 33igne's Bibliotheca SS.
Patrum, tom. VI, 713—730, *>parts 1575 unb in ber Maxima Bibliotheca
veterumj Palrum, Ludg. 1777, tom. III, 414—421) borliegt. 2öie ber Prolog 25
mitteilt, fyat §ieronr/mu3 auf Sitten eines ibm befreunbeten 2Inatolius bie nicfyt
leiste, mit ben ©efäfyrlicfyfeiten einer 9fleerfal)rt bergleid)bare Arbeit unternommen,
bas 2öerf be§ egregius uir, beffen (Sfyiliasmus fcfyon früber bon Vabia3 in §tera=
bolis unb bem ägr/bttfdjien 33ifd)of 9cebos (bgl. 93b XIII ©. 710) bertreten toorben
fei, bon ben bucbjtäblicfyen dbiliaftifd>en 2tuslegungen ju reinigen unb an ©teile ber 30
getilgten 2lbfd)nitte richtige Deutungen einjufe^en, bie §teronr/mu§ „maiorum libris"
entnommen gu baben bekannte. 2Bie ftd) fyerausftellt, bat er im tbefentlid)en ben
2lboraIbbfefommentar be§ SDonatiften Sticoniu§ geblünbert. SDer SSergleia) gVütfd^en ber
editio Victorini unb ber recensio Hieronymi, bie aufeinanber gegenüberftebenben
(Seiten abgebrueft toerben, getoäfyrt einen lehrreichen ©inblicf in bie 2lrbeitstoeife beä 35
3Jianne3. 33alb glättet er ben ungefügen ©til be§ fct)tecr>ten Satemerg, balb nimmt er
ü>ologifcr;e Korrekturen bor. ©er fdbtüäcbfte Seil ber Slrbeit ift ber fbiritualiftifcb, ber=
»Offerte ©cblufeabfcbnitt, ber in ben bolemifcfyen ©a| ausläuft: Ergo audiendinon
sunt, qui mille annorum regnum terrenum esse confirmant, qui cum Cerintho
haeretico sentiunt. ©o mufjte alfo 33ictorinu§, beffen tarnen ber Kommentar nad^ mie ^
bor trug, fidE> felber berfe^ern.
3lui) nad) §ieroni^mug blieb ber 33ictorinu§fommentar im glufj be§ 303erben§. ©a§
näcbfte ©tabium feiner ©nttoicfelung toirb burefe, bie oft recb,t medjanifdje, gu üielfac&en
Sßteberb, olungen füfjrenbe §injufügung eine§ botleren, toenn aud) nict)t bollftänbigen
2lbofalbbfetejte§ gefenn^ei^net. ©aju fommen bann noeb, mand)erlei anbere 3ufät3e, j. 33. «
ber SSerfucb, auf ben 33tctorinu€ unb and) §ieront)mu§ noeb berjid)tet batten, ben bureb,
bie 3ab,l 666 bezeichneten gufunftönamen be§ 2Xnticb.rift§ burd^ Angabe beftimmter tarnen
ju beuten, ©iefe erweiterte Rejenfion ift in einer Reifye bon §anbfcf)riften erhalten; fie
lag aueb, bem fbanifcb,en ^resb^ter 33eatu§ bon Sibana (bgl. über ib,n 33b I ©.181, ^ff.)
bor, als er bie lombilation feines 2lbo!al^bfe!ommentars (gebrueft 9JJabrib 1770, opera 50
et studio Henrici Florez) berfteßte. ^n fetbftftänbigem ®rucf ift fie bisher nod) niebt
erfd)ienen.
(Sin roeiteres ©tabium ber fortfebreitenbert Überarbeitung toirb bureb, ben 2;ejt be=
Seiebnet, ben bie £anbfcb,rift CCXLVII ber Bibliotheca Casinensis au§ bem 11. ober
12. $at)rlmnbert barbietet, ©ie ift in bem bem 5. 33anbe ber Bibliotheca Casinensis 65
(1894) beigegebenen Florilegium Casinense p. 1—12 abgebrueft unb liegt aueb,
bem £ert ju ©runbe, ber fieb, in ber überaus feltenen 33olognefer ©rftausgabe bes
Basilius Millanius Monachus Casinas (Bononiae 1558), in ber Väter*
bibliotbef bes Slnbreas ©aüanbi a. a. D. unb MSL V, 317—344 finbet. ®er 33e=
arbeiter b,at eine aus ben berfcbjebencn Überlieferungsformen gemifcb.tc Xejtgeftalt 6°
618 SBtctortmtS tum ^tttau
fyergeftellt, eine in ber Überlieferung frübjeitig burd> SSlätterberfteuung eingetretene unb
bann r;errfd)enb geworbene Unorbnung befettigt unb im SBiberfbrucb, mit ber Urgeftalt beS
Kommentar! mancherlei tTeinere llmfteHungen borgenommen, um ben Kommentar in
böHigen ©inllang mit bem fortlaufenben 2IbofaIr;bfeter,t ju bringen. ®aS ©treben nacb,
5 (Erweiterung b,at aucb, itm ju einer Steige bon 3ufä|en beranlafjt. ©o ift ber ermähnte
©djlufjfatj beS §ieront)muS nun mit ber SBegrünbung berfefyen: Nam regnum Christi
quod nunc est sempiternum erit in sanctis, cum fuerit gloria post resur-
rectionem manifestata sanctorum. Sine ausführliche (Erörterung ift ber Qafyl 666
geroibmet. @S werben nic^t nur bie 9?amen Teitan (§uerft bei Irenaeus adu.
10 haereses V 30, 3) unb Diclux (UmfteHung ber lateinifcfyen gat/Iäetdjen DCLXVI) be=
fbrocljeu, bie ber^ejt ber Reiten ©tufe ber Sßictorinusbearbeitung barbietet, fonbern aucb,
bie S)entungen afrifanifcfyen UrfbrungS angeführt, bie nad) ber ftt'xt beS §ieronr;muS als
©loffeme in bie im übrigen feine Bearbeitung barbietenben §anbfd)riften eingebrungen
waren: "Avte/uog id est honori contrarius (bgl. ben Kommentar beS ^rimafiuS,
15 MSL LXVIII, 884) unb revorjQixos = ©enferid}, 33anbalenfönig unb Verfolger
ber !at^oIifcr)en Hird^e in Slfrifa (bgl. Sb XX ©. 428, 9 ff.). 2Rit biefer britten 9fejenfion
ift bie ©efcbjctjte ber gortbilbung beS 33ictorinuSfommentarS abgefcfyloffen.
®aS fixere (Erbe auS ber litterarifcfyen §interlaffenfcf;aft beS SSictorinuS ift mit ber
SBefbredmng beS SlbofalfybfefommentareS unb beS XraftateS de fabrica mundi um=
20 fcfyrieben. @S bleibt nocb, übrig, einige ©driften ju ermähnen, mit benen ber 9>came beS
•JRärtr/rerbifcfwfS in eine feftere ober lofere, in feinem $aHe aber jWeifelSfreie 3Serbtnbung
gebraut roorben ift.
§ieronr;muS fyat bem SMctorinuS ein SBerf aduersum omnes haereses jugefcb.rieben,
unb in Übereinftimmung bamit ftefyt bie Bemerfung beS DbtatuS bon 9Jctlebe: Marcion,
25 Praxeas, Sabellius, Valentinus et ceteri usque ad Cataphrygas temporibus
suis a Victorino Petavionensi et Zephyrino Urbico et a Tertulliano Car-
thaginiensi et ab aliis adsertoribus ecclesiae catholicae superati sunt (de
schismate Donatistarum I, 9, bgl. MSL XI, 898 unb 899). 3)aS für berloren
geltenbe SBerf märe Wiebergefunben, wenn, tüte manche gorfcfyer anjunefymen geneigt finb,
30 baS unter ben SBerfen beS SEertuHian ftefyenbe, ben Sßräffribtionen angehängte 33ücfelein,
baS benfelben Xitel trägt, mit ifym ju ibentifi^ieren märe (bgl. befonberS 21b. §arnacf
a. a. C. ©. 430—432). 2fflein ber ©til biefeS BücbJeinS geigt nicr)t bie 2luSbrucfSWeife
beS SStctortnug. ©in bergleicfybareS Slbofalfybfecitat (2, 6) bat abWetcfyenben Söortlaut.
3Sor ädern aber mürbe SJcarcion, menn man bie ^ßolemif beS ^bofalfybfefommentarS in
35 Betraft jieftt, anberS dbarafterifiert fein, als es in bem libellus ber %aü ift. Sßenn
DbtatuS bon 9JliIebe unter ben ^»äretifern an erfter ©teile SJcarcion unb unter ben fieg=
reiben üßerteibigem beS fat^oltfcben ©laubeng an erfter ©teile 33ictorinuS nennt, fo ftefit
er eine Sejiefmng gtoifc^en ben beiben f)er, bie burcfyauS bem ©acfyberfyalt entfbrtcfyt, Wie
er im Kommentar fyerbortritt. 2lber in bem libellus ift bon biefer befonberen S3ejieb,ung
40 nict)tS nu merfen.
2ßa§ ben antimarcionitifcfyen 6b,arafter betrifft, fo mürbe baS bfeubotertuHianifcb,e ©e=
bittet aduersus Marcionem libri quinque (bgl. 33b VI ©. 406 unb 407) bortreffltcb,
ju ber bolemifcfyen Senbeng beS 2Ibofalt)bferommentarS ftimmen. $cr) h,ahz 3^202 VII
(1886) ©. 254—256 an einer 9teif)e bon ©teHen einen folgen 3ufammen^anS oer
45 ©ebanfen unb Söorte nacljgemiefen, roie er fonft nur in berfcfjiebenen Söerlen eines unb
beSfelben SRanneS borjulommen pflegt. Ob bie 2lnnal)me einer gemeinfamen Duelle,
nämlicfj be§ griecfjifcfjen 2lbo!alt)i)fefommentar§ §ibbolr/t§, jur ©rtlärung ber Überein=
ftimmung r)inreicf;t, bleibt nod^ ju unterfuc^en. §ang 2öai^ l)at in ber ©ct)rtft: ©aS
bfeubotertuHianifd)e ©ebicb,t aduersus Marcionem (1901) ben 9cac^rcei§ ju führen ber=
50 fud^t, bafj ber Siebter 6ommobian noa) im 3. $ab,rr;unbert ba§ ©ebicb.t in 2lfru*a ge=
trieben f)abe. ^Dagegen fyabe ic§ im 2;b,eologtf4en 2itteraturberid)t XXVI (1903)
©. 225 unb 226 entfdjeibenbe ^nftanjen borgebracf;t, unb überbieS ift bie ganje Som=
mobianfrage _ bureb, ba§ 33ucb, bon ^einrieb, Sremer S.J. über Sommobian (^ommobian
bon ®a%a, ein Strelatenftfdjer £aienbicb,ter aus ber 9Jcitte beS 5. Qab,rb,unbertS, 5)3aber=
55 born 1906 = VI. 33anb 1. unb 2. §eft ber gorfdjungen jur cb,riftlicb,en £itteratur= unb
SDogmengefclntfjte, herausgegeben bon Dr. 21. ©bjbarb unb Dr. % ^. ^irfcb^) in ein bßHig
neues ©tabium gerücft. Sreroer berfbricb,t, bei artberer Gelegenheit ju geigen, bafj bai
©ebicb,t um bie üüßenbe beS 4./5. ^a^rb^unberts entfianben ift unb einen ganj anberen als
Gommobtan jum 3Serfaffer b,at (©. 18 3lnm. 1).
60 Qm 11. §eft ber Studi e Testi beröffentlicb,te ©. SJcercatt Anonymi chiliastae
$tctt>rtmt§ Don ^ettnn 2?teI)3U(f)t 619
in Matthaeum c. 24 fragmenta (9lom 1903, p. 23—45), unb 3lb. §amad toar ge=
neigt, bem Urteil SRercatiä juzuftimmen, bafj bie 33rud)ftüde bem SStctormuS jujutoeijen
feien, ©agegen r;at 31. ©outer in einer eingebenben Unterfudjung ben 23eroei§ geliefert,
bajj ber 33erfaffer be§ gragmcnt§ unb ber fog. Slmbroftafter in engfter 33ertoanbtfcf;aft mit=
einanber ftel)en (The Journal of theological studies, vol. V, p. 608—621). 5
3ule|t t>at Dr. % ^"ftinu€ SKöfyrer in ber ©cfyrift „©tubien zu 9ftariu§ SStctortnuä"
(iöilfycring 1905) in ben ©renzftreit ber 3Sictoriner ju ©unften be3 33ifcb,of<§ Don s}>ettau
einzugreifen berfudjt. SSon ben fiebert ©Triften, bie ber ©. 616, -a erbarmte codex Otto-
bonianus lat. 3288 A enthält (1. 3ltoofau)bfefommentar, 2. Kommentar zum ©alaterbrief,
3. Mommentar jum $r;ilibberbrief, 4. Über bie 2öorte ber ©dnuft: factum est uespere 10
et mane dies unus, bgl. MSL VIII, 1009 — 1014, 5. Ad Justinum Manichaeum
contra duo principia Manichaeorum et de uera carne Christi, bgl. MSL VIII,
999—1010, 6. Kommentar jum ©bfyeferbrief, 7. De physicis, bgl. MSL VIII, 1295
i\§ 1310) moct/te Sööfyrer aufser ber erften aucb, bie bierte, fünfte unb fiebente bem
23ictorinu§ bon ^ettau jutoeifen (a. a. D. ©. 38—42). Mein ber ©til biefer ©djrtften 15
unterfcfjeibet fid> fefyr bon ber 2luSbrudSmeife beö 23ifcbofg Don fettem, unb aud) bie ©e=
banfen ber bierten ©d)rift geigen feine S5erroartbtfct)aft mit bem £raftat de fabrica
mundi. Überbieg roirb ber bierten unb fünften ©djrift fcfyon bureb, it)re .ßroifcbenftellung
Ztoifef/en bie Kommentare zu baulintfd)en Briefen, bie eigene bem „^fyilofotoben" 3Sictortnu§
b. f>. bem Sl^etor 6. 2Rariu3 33ictortnu<§ Slfer gugefd;rieben finb, bie gleiche §er!unft ju= 20
gefbrocfyen Ob bie in ber anonymen 3lbi)anblung de physicis borltegenbe 23erteibigung
be3 biblifd)en ©cböbfung^beridjteö aucb, biefem $0} etor angehört, mag bezweifelt roerben;
ber 23ifd;of bon getrau t;at in feinem %aUe etraaS mit ib,r ju tlmn. Wlan brauet nur
ein baar ©ä|e zu lefen, um fid) babon ju überzeugen. ^otjattneS $aufcleiter.
S8ieI)Slld)t Bei ben ^eBräcm. — Sttteratur: ®ie üerfdjiebetiert £mnbbüd)er ber 25
?(rd)äologte unb bie SSibeltübrterbüctier unter: 93iet)äuc(jt, ©djaf, Qtege h. ; 2. Slnberlinb, Wcfer=
bau unb SBie^ä«ct)t in ©grien, inSbef. in <ßat8ftina 3b$« IX, 1886, ©. 1—73.
1. $n ©irrten unb bem £mterlanb finb in erfter Sinie bie SRomaben ber fgr.^arab-
©tebbe 33ief) züdjtcr bon S3eruf b. f). fo!d)e, bie bon SBiefijucf/t leben unb roenig ober feinen
3lderbau baneben treiben. Vereinzelte ©tämme, z- 23. bie Slebi, leben allerbingS bon ber $agb; 30
aber ba§ ift eine 2tu§nal)me, unb aueb, fie treiben nebenher bie SSiebjucf/t fo gut roie bie
anberen, fie f/aben wenigftens> il)re *ßferbe unb Kamelljerben. £>ier in ber ©tebbe ift ba3
Siomabenleben unzertrennlich mit ber Viebjucbt berbunben unb bie einzige mögliche $orm, fie
ju betreiben. ®te gerben muffen ir/re 2öeibeblä£e unb %ränfblä|e je nad) ber %afyv&
jeit unb ben Sßafferberfyältniffen roed)fe!n. 3n Zroeiter £m^e ^ aber au^) ^^e 3Sie^8««^t 35
beg $ulturlanbe§, too bie anfäffige 33ebölferung lebt, ju aßen Reiten eine bebeutenbe ge=
roefen. $ai)lvt\<i)<! Sanbftrid)e 5ßaläftma§ finb faum ober gar nid)t für ben Slderbau,
loob^I aber red)t gut für bie 3Sie^ud)t in irgenb einer gorm geeignet. 2In bieten 93erg=
abhängen be3 ganzen £anbe§, roo fein äkuer meb,r bflügen fann, aud; feine aerraffierung
möglid} ift, roädjft bod) nacb, bem Siegen genügenb ©ra€ für manche §erbe, ba§ bie 40
fletternben 3^Sm wreid)en fönnen. ®a3fetbe gilt bon au^gebe^nten ©trieben ber ©tebbe
^uba, zum Soten 3JJeer b,in, too ©ngebi nod) b,eute feinen tarnen „^iegenqueüe" trägt.
$)a§ ^ügellanb be§ 5Regeb ift in ber ^aubtfadje fiet§ 2öeibe(anb geroefen, bort too^nte
Z- 33. ber reiche §erbenbefi|er 5KabaI (1 ©a 25, 2 ff.). SInbre ©triebe be^ äöeftjorban=
lanbö finb für ben Slderbau nid) t geeignet, med fie zu feucht unb fumbfig finb, fo in ben 45
©benen ©aron unb Qegreel ; fie bieten fette 2BeibebIäie für bie 9tinberb,erben. 3Som
Oftjorbanlanb gilt im 31X S3afan als borzüglicb, geeignet für $Rinberzud)t (2lm 4, 1),
unb bie grofee §od}ebene ber ^oabiter unb 3lmmoniter, bie in bie fl;rifcb,=arabifcb,e ©tebbe
übergebt, ate SBeibelanb für ©cb,afe unb Biegen (f. u.). %n allen biefen 2anbftrid)en ift
felbft in ber Seit größter Kulturblüte ^aläftmaS ftetg eine SBie^ud^t treibenbe 33ebölfe= 50
rung getoefen, nur barf man biefelbe nicfjt otme meitereö fieb, aU reine 9?omaben nad;
bem isorbilb ber Sebuinen benfen. 3SieImeb,r finb bie großen §erbenbefi^er ber Statur
ber ©adj>e nacf> aud} gugleict> bie ©rofjgrunbbefitser ; benn auf frembem Sanbe fönnen fie
bod) ib,re gerben nid}t immer roeiben laffen. 3um Söeiben be§ 33iel)§ fjaben fie ir/re be=
jablten ober leibeigenen §irten, fie felbft tbobnen im SDorf ober in ber ©tabt alö an= 55
gefe^ene unb reiche 33ürger berfelbcn.
©0 mar e3 bor ber ©intoanberung ber Qgraeliten in Kanaan unb fo blieb c3 nad)=
ber. Sic (Srgäfylung be§ U% fdnlbert un§ bie ?|3atriard;en aU foldtje £irten großen
©db.Iagö, bie atlerbingg nod) unter gelten leben. 2lbcr fie läfet fie bod; nicf)t im ganzen
620 SBteljsitdjt
Sanb fyerumirren, fonbern ftc Bleiben an einem beftimmien Ort. 2113 Ritten unb 33ieij>=
güd^ter toerben bann !3afob<§©öfme unb üftacPommen bem ^ßljarao gegenüber bejeiclmet unb er=
galten aU Stufent^altgort ba3 Jöeibelanb ©ofen (®en 46, 32—34). ^ebenfalls lamm
bie Israeliten als Sfomaben unb Sieb^ücfyter in baS Sanb Kanaan mit feiner 1)0$=
5 enttoicfelten Kultur, ©ie gingen fyier in ber §aubtfacl;e jum anfäffigen Seben unb gum
2lcferbau über, ein Srojeß, ber fid) natürlich langsam unb namentlich) ungleichmäßig
in ben berfdjiebenen ©egenben bei SanbeS bolljog. 2lucf] im SIcferbaulanb mar ein großer
Unterschieb , ob fie in einem SDiftrift mit biäjter ^anaanäifcfyer 33ebölferung 2lufnaf>me
fanben ober in einem nur fbärlidj) befiebelten unb nod) nid?t angebauten Sanbftrid). 9Sor
10 allem aber gab e§, toie fcfyon ertoäljmt, in Satäfiina Vuette Sanbftrecfen, bie nur für 33iel;=
jucfjt geeignet toaren. ^n biefen fyat fid^> natürlich allezeit ba§ §irtenleben erhalten. 2öir
fefyen im ©üben j. 33. Siabal als großen §erbenbefi£er (1 ©a 25, 2), SDabib toirb hinter
ber £>erbe toeggefyolt (1 ©a 16, 11 f.), 2tmoS bejeicfynet ftd) als §irten b. I). $erbenbefit5er
aus Zijdoa (2lm 7, 14). £)aS ©ebiet ber oftjorbamfdjen ©tämme Stuben, ©ab, -JMbJr
15 toirb als Sßeibelanb bejeicfmet CJJu 32, 2 ff. ; 32,40; 2)t 3, 15 ff.), unb fein Sieb! wirb
bom SrobI)eten 2lmoS gerühmt (2lm 4, 1). £>ie Könige felbft I)aben bebeutenben §erbcn=
befi£. SDabtb b,at feine befonberen Beamten für bie 2Iufftcf)t über feine berfdjiebenen
gerben (1 6b,r 27, 29—35), 2lbfalom feiert bie ©cfjur feiner ©cfyafe all große! geft
(2 ©a 13, 23), unb inSbefonbere toirb öon Ufta ergäbet, baß er feinen gerben in ber
20 ©cfyebfyela unb in ber ©bene große ©orgfalt jugetoenbet, §erben=Stürme (f. u.) in ber
©tebbe für fie erbaut unb ©ifternen auSgefyauen l;abe (2 Qfyx 26, 10). 33on melier 33e=
beutung bie 33ieb^ucf)t ftets für baS SSoIfSganje toar, fiefjt man barauS, baß im ©egen
unb in ber 23erfyeißung baS ©ebenen unb bie 9KeI)rung ber £jerbe nic^t fehlen barf
(®t 8, 13; 28, 4; ^er 31, 27; 33, 12f. u. b.). Sabfreicfye Silber unb Söenbungen
25 ber ©pracfye finb bom §irtenleben hergenommen : bie dürften beS Solls toerben feine
§irten genannt (2 ©a 5, 2; 7, 7; Qer 23, 2—4 u. a.), ' ^Srael ift bie £erbe 3al)toe3
(©acfj 10, 3) unb ^ab,toe§ liebenbe gürforge für bie frommen fann mit feinem ferneren
33ilb gejeic^net toerben als mit bem beS treuen §irten (Sf 23). $Die ©efeijgebung , bie
(Eigentumsrechte betreffenb, nimmt auf bie 33erf)ärltniffe ber Sieb^ucfjt befonbere 9iücffuf;t
30 (f. u. § 5). £)aß außerbem ber 2tderbauer ficfy feine Mnber jur Slrbeit, feine ©cfyafe
unb $iegen toegen Wdlfy unb Söolle b,ielt, je nad) feinem Vermögen, berftefyt fid^
öon felbft.
@S ift, toie gefagt, bie anfäffige 33ebölferung, toelcfye biefe Sief^udjt betreibt, ©aß
in ben ©egenben, too fie ju §aufe toar, alfo befonber§ im ©üben unb im Dftjorbanlanb,
35 ba§ 9Zomabenleben unb 9?omabenfitten fid) länger erhalten b,aben, ift begreiflich. Qft es>
boc^ je|t noc^) fo, baß bie ©täbtebetoofmer jener ©egenben, 3. 33. bon Äeraf k., fjalbe
33ebuinen finb in %va<fyt, ©f>rad)e unb ©ebräuc^en. ©^ejieU bon einem ©tamme aus
bem ©üben, bem jubäifcl)=!alebitif(f)en ©tamme ber Stelabttett (1 6b,r 2, 55), toiffen toir,
baß er noc^ h\§ in bie ^\t ^ebul beim 9fomabenleben geblieben ift. 2lu§ i^m ift bann
40 bie ©efte ber ÜMabiten getoorben, bie bon ibjem ©tifter ^onabab hin 9i[e!ab, ber unter ^eb,u
lebte (2 % 10, 15 ff.), bie ©a^ung erfrielt, aufy fernerhin ate ?Jomaben in gelten ju Raufen
unb feine Käufer ju bauen, bon ber Sieb^ucfyt ju leben, unb toeber 2tcfer gu bebauen
nocf; Söeinberge anzulegen, ein au! ben 33erb,ältniffen jener $eit ficb, erflärenber Sroteft
gegen äße Kultur unb für bie gute alte fromme ©itte Qex 35).
45 2. ©en §aubtteil be! 33ieb,beftanbl (mikneh ^:p" = 33efi|) bon Saläftina bilbet in
alter unb neuer $eit ba§ ^Ieinbie|) (son ]N2t). ^n toelcfyem Umfang e! nod; fjeute ge=
galten toirb, geigt beifbielStoeife bie amtliche ©tatiftif be§ Stegierungöbejirf! 3erufa|tem
(2000 qkm), bie nacf; mehreren 3flb,ren berlteerenber 33ieb,fcud;e nod) immer 90000 ©tücf
auftoeift, alfo 45 auf ben qkm (in ©eutfcb.Ianb 18 ©cfyafe unb 6 Biegen — 24 ©tücf).
50 S)abei toiffen e§ bie 93auern ber ©teuer toegen fd)on fo einzurichten, baß nid)t aEe§ ge=
nau aufgefcb.rieben toirb (9ftu9c3)$33 1905, 65 f.). Überbieg ift ber 33egir£ nid)t ber
reicbjte an Äleinbieb,, eb,erber ärmfte; bag Dftjorbanlanb unb bie ^ejreelebene finb nocb, b,eute
biel reifer. Seiber ejiftiert feine 3«^"»9 *& ©roßbiel;§. ^m Slltertum toar ber Sie^=
ftanb natürlid) biel bebeutenber. 2Benn bie Israeliten bon ben 5Dtibianitern 675000 unb
55 bon ben §agritern 250000 ©tücf üleinbieb, erbeuten (5Ru 31, 32; 1 6b, r 5, 21), ober
toenn ©alomo 120000 ©tücf beim £embeltoeif)feft obfert (1 % 8, 63), fo finb biefe
gabjen natürlich nacb, oben abgerunbet. 2lber bie Slngaben, baß §iob 7000 ©cfjafe
unb 1000 gtinber befeffen (§i 1, 3), 9cabal 3000 ©cfjafe unb 1000 Riegen (1 ©a 25, 2),
baß J^bnig 3Kefa bon 3Jtoab jäb,rlicf) 100 000 Sämmer unb bie SSolle bon 100000 ©c^afen
60 als Tribut gegafft (2 % 3, 4), galten fiel) ganj in ben ©renken be§ 2öab,rfct;einlicf;en.
»tefoud)* 621
£aS paläfttncnftfc^e ©d;af (seh ©d;af; *ajil Sßibber; rächel 9Jcutterfd)af ; kar gett=
lamm; täleh junget 3Jtild?Iamm ; kebes ober keseb baS ältere £amm, einjährig unb barüber)
ift in ber §aubtfad;e baS gu ben gettfdjmängen gehörige breitfdjmängige ©d;af (ovis laticau-
data ober platyura, s. Tristram nat. hist. of the Bible 143). @S ift bort mittlerer
©rbfje, f)at einen ftarfen £eib, aber bünne Seine, fd;öne Iraufe $aare, eine fy oI)c geMmmte &
9?ammSnafe unb breite fcbjaffe Dfyren. ©eine SBotte ift in ber Siegel meift, feltener gc=
fbrenfelt unb bunlel föef 1, 18 ; SDa 7, 9; $ßf 147, 16; ©en 39, 32. 35 u. a.). SDer2ötbber
bat gebogene ober aud; einfach, rüdmärtS gelehrte £jörner, bie roeiblicfyen "Xiere finb un=
gehörnt. SDaS c^arafteriftifc^e SfterJmal ber Stoffe ift ber gettfctymanj, ber 10—15 $funb,
ja in einzelnen gälten bis gu 30 ^3funb ferner ift. 2öaS §erobot bom arabifcfyen ©d;af io
ergäbt! (III, 113), bafc bie §irten feinen gettfd^Voang auf ein fTeineS SBägeldjen legen,
bamit er ntcr)t beim 9("ad;fd)Iebben befcfyäbigt roerbe, gehört natürlid; gu ben berühmten
fyerobotifdjen gabeln, aud; für bie langfd;roängige Stoffe 2lrabienS, bon mo er eS berietet.
Sie ßeit beS SBurfS ber ©d?afe ift SDegember unb Januar ; eine SJcinberfyeit Stiere mirft gmeimal
im Safere, im SDegember bie grüfylinge, im Quni bie ©bätlinge, morauf aber im näcbjten iß
3al)r bann nur einSöurf erfolgt. 2öie man glaubte, burd) gemiffe Manipulationen ge=
fbrenfelte unb bunfelfarbige Scactjfommenfcfyaft erzielen gu lönnen, crgä^It ©en 30, 34—43.
^m Sorben beS £anbeS finbet fid; nod; Ijeute eine bem 9Jcerinofd)af älmlicfye 3lrt ofyne
gettfcfymang bor. £)b eS biefe fd;on in alter 3eit im Sanbe gab, miffen mir nicbt. SDa=
gegen finb bie breitfcfymängigen ©d;afe fd;on auf afft;rifc£)en SteliefS abgebilbet unb ben 20
llaffifdien Scaturforfdjern OßlimuS k.) mof)I befannt. 2tuS ben Dbferbeftimmungen beS
iSraelitifcfyen ©efetjeS erfefyen mir mit aller SDeutlidjfeit, baf$ eS fid) ftetS um gettfdjmänge
I)anbclte. Unter ben gettftüden, bie bom Dtofertier ^af)tt)e gufallen, ift beim ©d;af ftetS
ber gettfd;mang ('aljä -;bN) genannt (@r. 29, 22; £e 3, 9; 7, 3; 8, 25; 9, 19).
SDie ©djafe ober bie männlichen Sämmer maren baS gembfynlicfyfte ©d)lad;tbiel; gu 25
allen Reiten (i <ga 25, 18; 2 ©a 12, 4; 3lm 6, 4 u. ö.), bod) mar gleifcfmafjrung ja in
alter 3?it etmaS ©elteneS unb ift eS nod; I)eute für ben gellacfyen. Stur bie Steigen
natürlid; unb bor allem bie SLafel beS föniglidjen §ofeS brausten tägtid; xi)x gleifd;
(bgl. 1 % 4, 23). SDemcntfbred;enb maren bie ©djafe aud) bie am b^äufigften bargebradjten
Dbfertiere (1 ©a 7, 9; ^ef 1, 11 u. a.); in alter $«1 toar ja jebeg ©d;lacl)ten gugletct) 30
ein Dbfern. ^acb, bem ©efeij toerben fie geopfert beim täglichen 9Jlorgen= unb Slbenbobfer
(®E 29, 38 ff. ; 9?u 28, 3 ff., je ein einjähriges männlid}e§ Samm), atö Sranbobfer (2e 1, 10,
männliche SEiere), SDanfobfer (£e 3, 7, männlid; ober roeiblid)), 3teinigung§obfer (£e 12, 19).
SBeiblidie ©d)afe finb befonberö borgefd)rieben beim ©ünb= unb ©d;ulbobfer (£e 4, 32 ff.,
5, 6) unb beim 9teinigung§obfer ber 3tu3fä|igen (£e 14, 10). S)er Söibber gilt al§ be= 35
fonberg toertboHeg ©d;lad;ttier (@e 39, 18) unb Dbfertier, bag namentlid; bei ben grofjen
geftopfetn (Sceumonb, 3^u28, 11; 5ßaffa$, Scu 28, 19; 2Sod;enfeft, ?cu28,27; 9ceujab,r,
3lu 29, 27; SerfbfymmgStag, 9cu 29, 8; £aubb,üttenfeft, 9?u 29, 13 ff.), fotoie für ©d>ulb=
obfer (£e 5, 15. 18. 25) unb SteinigungSobfer be§ 9Zafiräer§ (5Ru 6, 14) borgefc£)rieben ift.
— ^eben bem gleifd) ift bie 3RH& bie fett ift, <ää ^ab^rung gefd}ä|t. 40
SDie gegerbten ©d)affeHe bienen noc^ bleute afö SJcantel unb DberHeib. 2luo) bei
ben alten Israeliten mar ba3 manchmal bie %xa<fyt ber einfachen £eute, befonber§ ber
§irten, unb ber SJiantef au§ gelten ift fo gur ^ßrobl)etentrad}t getnorben (bgl. 3DU 7, 15
mit 2 % 1, 8; <Bad) 13, 4). ^ngbefonbere aber biente bie Söolle ber ©d)afe gur 33e=
Iletbung, au§ if>r mürben bie midjtigften unb gebräud)lid;ften JlleibungSftüde ^ergeftellt 45
(fie 13, 47 f. ; £>ef 34, 3 ; §i 31, 20 u. a.). ©0 mar bie ©djur ber ©d)afe ein l)erbor=
ragenbeä greubenfeft unb ber Sefi^er ber §erbe beranftaltete feinen §irten unb ©euerem
ein fröblidjeS ©elage (1 ©a 25, 4; 2 ©a 13, 23 f.). SDie geü ber ©d;affd)ur ift meift
Snbe 2lbril ober Slnfang 9Jcai, menn bie märmere ^afyre^eit begonnen' l?at. ©ie ift beS=
^alb aud; in ber (Ebene früher als auf bem ©ebirge. bo
^n ber biblifd;en 33ilberfbrad)e finb eine Steige bon ©leidmiffen bon ben ©d;afen
genommen, ©eine gutmütige ©ebulb, bie fid) rubtg gur <Bd)iad)tbanl führen läfet,
(3« 11, 19; ^ef 53, 7) unb feine £ilflofigieit, menn bie |»erbe if)ren §irten berlorcn b,at
OJcu 27, 17; 1 % 22, 17; @g 34, 5 u. a.), ober menn eS fid; bon ber §erbe meg ber=
irrt fyat (^ef 53, 6; «ßf 119, 176; 3Jct 18, 12f.), maren ftoricfymörtlid;. aSibberb^örner 55
bilbeten, menigftenS in ber Seit bon 700 b. 6t)r. ab ben ©d;mud be§ 3lItarS, — borl^er
bürften eS ©tierfybmer gemefen fein — , bgl. ben bon ©cßin in SEacanaf ausgegrabenen
SRäudjeraltar CD enff giften ber faif. 2tfab. b. Söiffenjd;. in 2Bien, b^il.=f)ift. Klaffe 1904
IV, 76 ff., 100 ff., SafeIXII, XIII), maS im übrigen natürlid; nid;t mit ber ©d;afjud)t
äufammenf)änflt, fonbern bielleicf/t bamit, ba^ im 8. x3cu)rl;unbert bie grüb,jaf)rS}onnc in 60
622 aStefßtt(f|t
ba§ 3e^en ^ 2ÜHW>er3 trat, unb bamit nad) altorienta!ifd)er 2Beltanfd)auung ein neues
Söeltjeitalter begann. 2lucb, Wenn im Sud)e ^Daniel (8, 3 ff.) ba§ ^erftfd)e Steicfy burtf)
ben 2Btbber ffymboltftert Wirb, ift natürfid) baS £ierfrei3$eicr)en gemeint.
3. 5Reben bem ©d)af ftefyt bie $iege als für manche SanbeSgegenb nod) mistiger.
5 Senn fie fommt in gebirgigen unb wafferarmen ©egenben auct) ba nod) fort, wo man
ferner ©d)afe gießen fann; fie lann an ben fteilften Sergabf)ängen flettem unb baS
f^tärlid^e ©raS unb Sufd)Werf bort abfreffen, Wo fein ©d)af mefyr bjufommt. %fyx ©ebiet
ift beSfyalb bor allem bie Wilbe ©tebbe bon 3>uba (f. o.) unb äb,nlid)e ©egenben. Qm
StS Wirb fie fefyr b,äufig mit bem ©d;af unter ben gemeinfamen tarnen sö'n jufammen=
10 gefaxt (f. o.), aber eine $ReiI)e bon Sejeidjmungen, bie nur ib,r julommen, geigt t^re
2Bicr,ttgfeit in ber iSraelitifd)en Siebet: w £iege, ^, tw?, "nsto, Tss ber $iegen=
bod (sä'ir Wirb faft auSfdiliefelid) bom Dbfertter gebraucht), ^ baS Södd)en. $n
^ßaläftina finb jtoet Slrten bon Riegen ^eimtfd^ : bie gewöhnliche 3^eSe ift bk capra
mambrica, beren cfyaraftertfttfcljieS Berfmal bie ca. 20 cm langen, fdilaff b,erabb,ängen=
15 ben Dbjen ftnb. SDaS ©el)öm ift glatt unb ftcfyelfbrmig gurüdgefrümmt, baS £aar in ber
iWegel glängenb fct/Warj, lang unb bid)t. ©ine anbere 2lrt, ebenfalls fdjWarj, aber mit
fürjeren Dfyren fommt in ben nörblidjen ©egenben beS SanbeS bor. ©ine brüte ©biel=
art am Sibanon l)at größere fyorigontal ftefyenbe §örner (Tristram, Nat. hist. of the
Bible 93). SlUe biefe Strien finb größer als unfere eurobätfd)e ifjauSgiege. ©efledte
20 ©semblare bilben eine 2luSnab,me (®en 30, 32 ff.), ©tWaS mefjr als bie §älfte ber Riegen
werfen im SDejember unb ^^nuar, in ber für bie jungen SLiere geeignetften $eit, benn
nad) jtoeimonatlidgen ©äugen finben fie reicr)Ucb,e grübjafyrSWeibe, bei ber fie grof? unb
Mftig Werben. ©tWa 20°/0 Werfen im grübjalir, etwa Bitte gebruar bis SCRttte 2IbriI,
biefe l)aben jWar nod; reidjlid) Buttermilch, aber nad)t)er nidjt mel)r fo biel ©raS.
25 Söeitere 10°/0 Werfen im ©ommer, etwa £juni unb ^uli; fie bleiben fcfywädrtid; unb Hein,
ba fie Weber bei ber Butter fyinreicfyenb Bild) nod) auf ben Sergen genügenb ©raS
finben. ©aSfelbe gilt bom §erbftWurf im Dftober unb 9?obember, ber bon ben reftlid)en
10°/0 ftammt, Welche baS erftemal abortierten ober ifyre 3un9en fofort burd) ben £ob
berloren.
ao SDie Riegen würben nod) f)eute meift mit ben ©d)afen gufammen geWeibet. SDod)
galten fid) bann bie beiben gerben etwas getrennt, bie Riegen Iteben eS an ben Serg=
abhängen in bie §öb,e $u flettem unb namentlid) ba, Wo SufcfyWerf ift, biefeS gu benagen,
Wäfjrenb bie ©djafe bei bem furzen ©rafe bleiben. 2lud) bei Stockt, Wenn beibe jufammen
lagern, unb am Brunnen bei ber Slränfe fonbern fid) inftin!tib bie 3ie9en un^ ©c§afe
33 boneinanber. ®ie QkQtnböäz , bon benen man in alter 3^it je einen auf 10 3ie9en
ju galten bflegte (©en 32, 14), finb bie ftattlidj etnberfdjreitenben Seiter ber^erbe ($r30, 31;
^er 50, 8).
S)ie§ unb anbre @igenfd)aften geben ben ©tdjtern reid)licb,en ©toff ju Silbern, ©en
Sööfen ju bergleicfyen finb bie dürften als Seiter be§ Solfeä (^ef 14, 9; ©ad) 10, 3), ib,r
40 unb ber SSibber geWaltt§ätige§ Söefen, unter bem bie 3'e9m un^ ©d)afe ju leiben
b,aben, Wirb jum Silb ber rücEfic^tglofen SRacfytfyaber im 3ioß (©§ 34, 19). ©o Werben
bie Söcfe jur Sejeid)nung ber Söfen, bie ©d)afe jur S3ejeid)nung ber ©uten in ber ÜRebe
^efu§ bom jüngften ©erid}t (Bt 25, 32 f.). Söenn bei 5Daniel ber giegenbod; a\§ ©^m=
bol bon ©fyrien erfd)eint (2)a 8, 5 ff. ; 2llesanber lommt al§ §err bon ©fyrien in 93etrad)t,
45 f. SBincller in Orient. Sit. Rettung 1904, ©b. 96), fo ift natürlid) ber Soc! im ^ierlrete
bes> §immel§ gemeint unb nid)t ber ftbfjige §erbenbod;. S)em glänjenbfd^Warjen £aar ber
Riegen, bie am Serge lagern, bergleicfyt ber ©änger ba3 Soden^aar feiner ©eliebten
m 4, 1 ; 6, 6).
giegenfleifcf; (Wie ©d)affleifd)) War gefd)ätjt, meb,r al§ je^t, Wo ©d)affteifd) bie
so häufigere gleifcfyfbeife ift. SefonberS beliebt War ba3 junge Söc!d)en (©en 27, 9 ,
Sub 6, 19; 13, 15; 15, 1; 1 ©acb, 16, 20 u. a.), ba§ Bleute in Bild) gelod)t für be=
fonberS gart gilt; ben Israeliten War biefe 3"&eieitung§art berboten (@j 23, 19 u. a.).
Ban e^rt ben ©aft mit einem gefcfylacfyteten Söd)d)en (^ub 6, 18 f. u. a.), unb man bringt
als WiUfommeneö ©efdjenl ein IebenbeS Söd;d)en jum ©d)ladj)ten (^ub 15, 1). — 3ie9en=
55 mild) Würbe biel getrunfen (5ßr 27, 27). ®ie 3iegenb,äute fanben unb finben bor allem
Serwertung gur £erfieHung bon ©d)Iäud)en, in benen man Söaffer unb SBein, autf; Bild)
aufbewahrte. ®ie 3i«genf)aare Würben bon ben grauen gewoben unb gaben einen raupen
©toff, ber für baS Srauergetoanb, ben ©ak, SerWenbung fanb unb bor allem für bie
geltbecfen geeignet War, ba er beim 9iegen berfiljte unb Wafferbid^t würbe (©j 35, 36;
eo «Ru 31, 20 u. a., bgl. 3Irt. gelt).
»tefjättty 623
£er häufigen SerWenbung als ©cbjacfyttier entfbricfyt bie Sebcutung als Obfertier.
£as männliche %kx ift als freiwilliges Sranbobfer geftattet (£e 1, 10; 22, 19), beibe,
baS männliche unb Weibliche, als £>etlSobfer (2e 3, 12; 17, 3; 9cu 7, 17 88; 15, 11).
Sor ädern finbet bte .ßtege SerWenbung beim ©ünbobfer. ©ie tft baS gewöhnliche Bier=
bei bom ©efe£ geforberte lier: beim ©ünbobfer beS dürften ein giegenbod (ge ^ o;; ; 5
9(u 7, 16. 87), beim gemeinen Wann eine Weiblidje Siege (2e 4, 28; 5, 6; 9cu 15, 27),
als ©ünbobfer ber ganzen ©emeinbe an ben gefien: bei SlaronS SBei^e ein SBodf
(Diu 9, 15 ; 10, 16), am SerföfmungStag ätoet Söcte (2e 16, 5), an ben 9ceumonben, am
$affaft, am $eft ber ©rftlinge, an ^ceujafyr, an Saubfyütten immer ein giegenbocl (9cu 28,
15. 22. 30; 29, 5. 16 u. a.). @S ift fcfyon oben bemetft Worben, bafe bie $iege als 10
Dbfertier ftctö als """f , als bie „paarige" bejeidjmet Wirb. SaS ift nid)t jufäHig,
eben als baS „paarige" %m fyat eS befonberen religiöfen ßfyarafter. SaS SJcotib ber
„paarigen" gehört im altorientalifdjen SRrjtfyuS jum ©üben unb jur Unterwelt, behaart
ift bie ©ottfyeit ber Unterwelt unb bie „paarigen" finb bie fcfylimmen SDämonen ber
oben 2Büfte, ju benen ber SerföljmungSbod: am ©ülpefeft getieft Wirb, ©aju ift 15
fcfytoarg bie garbe beS ©aturn — Wergal. £)ab,er bie Söcfe = bie Söfen, ber §ölle
Serfallenen. ©od) lann I)ier biefen mt>tf)oIogifcI)en 3ufammenl)ängen nid)t Weiter nacfy=
gegangen Werben.
-1. 9?inbbieb, gud^t ift nicfyt ©ad)e ber ^comaben ber ©tebbe, fonbern beS anfäffigen
Sauern. SDaS 9Unb berlangt, Wenn bie $uü)t im großen betrieben Werben foH, gute 20
SBeibeblät^e mit genügenbem Söaffer. ©olcfye bieten in ^3aläftina bie größeren unb
fleineren in baS Serglanb eingeftreuten Ebenen, bie ^üftenebene, bie ßbene ^e^reel, baS
^orbantljal unb bie grofee |>auranebene. Safe le^tere, baS alte Safan, feb, on in alter ^eit
als §eimat ftattlicfyen SieI)S gerühmt Wirb, ift jd}on oben erwähnt. 2tlS -ftutjtier, baS
ber Sauer in einzelnen @Ecmblaren I)ält, ift eS natürlich über baS ganje 2anb Verbreitet. 25
Safe im Stltertume meb,r Sftnbbieb, gehalten Würbe als fyeute in ^aläftina, ergiebt fieb,
aus ben ;Jcad;rtct)ten beS %%.
SaS §ebräifct)e b,at gab, treibe 33ejeicb,nungen für baS Sftnbbieb, : ^prs ift bie allgemeine
folleltibe Benennung, baS einzelne ©tue! ob,ne 9tüä'fidj>t auf baS Sllter (@e 22, 29;
£e 22, 27) ift -nd, ein 2Bort, baS meift nur bom männlichen Siel) gebraust Wirb; ^ be= 30
jeic^net ba§ sJiinb als ^ab, me§ $au3tier (Bommel, ©äugetiere 224) ; "f ift ber junge au&
getoacbjene ©tier (aueb, noeb, ber fiebenjäfyrige, %\ii 6, 25), Wie er namentlich gum D^fer
geeignet ift; ba§ Femininum babon ^f?, ift bie gewöhnliche Benennung ber Äub;; -"'"'
fem. ri^y ift bas" ^alb, be^ie^ung^Weife ba§ junge £ier, 5. 33. ba§ breijäb^rige; enblict)
bia)terifc^ "^n ber ©tar!e, für ben ausgeworfenen ©tier. 35
35ie Stinbbiel^raffe be§ heutigen ^5aläftina ift im ©üben ber ©bene %z%xwl Hein,
unanfeb,nlicb, unb ftrub|)ig, meift fcfywarj ober braun. 3n ©aliläa finb bie Stiere größer
unb b^Uer gefärbt; biefe oft recb,t ftattlicb^en 2;iere Werben al§ armenifebt bejeic^net. ®ie
inbifa)en Süffel mit langen Römern (bos bubalis), toon benen man im ^orbant^al eine
2lrt trifft, finb erft in berb,ältmsmäf$ig ftoäter, nac|biblifcb,er ^ett borten gelommen. ®a= 40
gegen Wirb bon ben 9caturforfcb,ern bie gewöhnliche Slinbbiel^raffe al§ uralt in ^ßaläftina
bejeicb.net (Sortet, La Syrie d'aujourd'hui 153).
gür ben Sauern War ba§ 9tinb ba§ unentbehrliche 2lrbeit§tier jum pflügen unb ®refcb. en
(f. 21. Verbau Sbl©. 136, 6). 3luct) alsßugtier Würbe eg benüfet (3cu7,3. 7f.; I©a6,7;
2 ©a 6, 3. 6). ^m swfeen tourbe e§ gejücb,tet um ber -Kcilcfy Willen, unb bor allem als" 45
©cfylacb, ttier. Safe beim Sauern ba§ ©d>lac|tert eines 9tinbe§ etwas b,öcb,ft ©elteneS War,
liegt in ber -Jcatur ber ©acf>e; ba§ SEier War für il)m ju f oftbar, au$ gu grofe für feinen
§aus1)alt. Slber fonft galt eS als etwas befonberS geineS, Wenn ein gemäfteteS ^alb
ober 3tinb gefcbjad?tet Würbe föef. 22, 12), als grofee @b,rung eines ©afteS (©en 18, 7 ;
1 ©a 28, 24; bgl. noeb, £c 15, 30), als tabelnSWerte Übbigfeit ber Sorneb^men unb bo
9teia>n (2lm 6, 4). 2tn ber löniglicfjen SCafel burften gemäftete 9ünbcr unb junge 2Beibe=
od^fen ntct)t fehlen; ©alomoS 2;ifcb. erforberte naef) 1 % 5,3 täglicb. 10 9Jcaftocb,fcn unb
20 2öeibeoclb,fen, 9?el?emia als (Statthalter brauet täglich einen Dcfyfen (9ceb. 5, 18). —
Sementfbrecfjenb ift ber Ddjfe aueb, baS borneb^rnfte unter ben Dbfertieren. ©aS üalb ift
bom 8. SLag naef) ber ©eburt an obferbar (@j 22, 29; 2e 22, 27). Unb jWar Werben 65
fie ju allen Dtoferarten, ausgenommen baS ©cb,ulbobfer, genommen. 21IS gröfeteS unb
befteS Dbfertier Wirb ber ©tier beim ©ünbobfer beS JpoftenbriefterS unb beS Solls (2e 4,
3. 14; 16, 3. 6. 11), beim ©ünbobfer ber $riefter= unb SebitenWeib^e (@j 29, 1. 11. 36;
2e 8, 2. 14 u. a.), beim ©ünbobfer ber 2lltarWeib.e (ßic 43, 19) u. bgl. gefefy lachtet ; für
baS Sranbobfer finb gleichfalls nur männliche Siere geftattet (2e 1, 3), fieben garren ift eo
624 Stellt
ba§ regelmäßige gefttagSbranbobfer (3iu 23, 1 ff., 11. 29), unb gange §efatomben fallen
im Semtoelbienft bei befonberen (Gelegenheiten (1 % 8, 63; 2 tyx 5, 6; 7, 5; 29, 32 f.
u. a.). 3um §etlSopfer finb Spiere beiberlei ©efcblecbtS brauchbar (2e 3, 1; 17, 3). ®ie
Slfcbe einer roten Auf) bient jur Steinigung bei Verunreinigung burcb einen Seidmam
5 0lu 19, 2).
©eWbbnlicb blieben bie Siinber^erben ba§ gange 3ab/r über auf ber freien Sßeibe
0lu 22, 4; 1 % 5, 3; $ef 7, 25). ©iefeS Söeibebieb oerWilbert auf biefe Söeife mancb=
mal unb Wirb bem Söanberer gefäbrlicb 0Pf 22, 13); ba<§ ©efe$ fteflt auäbrücflicr) feft, in
meinem %aü bie Rötung eines» ©ritten burcb ein 9ünb ben (figentümer jur £aft fällt
io (@e 21, 28 ff.). 33on biefem SSeibebtel) Wirb unterfcbieben ba§ 2Raftbieb, ba§ man im
©tatl bält, abgefeben bon ber £eit ber grübjabrStoeibe (2 6b,r 32, 28 ; 1 % 5, 3 u. a.).
Sieben bem ©ra<§, bas> im £>erbft nicfyt mebr ausreichte, gab man §äclfel, b. b. ba§ beim
©reffen in Heine ©tücfe gerriffenc ©trob gu freffen ($ef 11, 7; 30,. 24; 65, 25).
5. Um bie Verbältniffe ber Seute, bie im $H% al§ §trten (Q"1?'"!) begeicbnet werben,
15 gu toerftel)en, muß man ftcr) bergegenWärtigen, baß im ^ulturlanb, abgefeben bom ^Bauern,
ber feine paar ©tücfe ©roß= unb ^leinbieb, f)ält unb i^re 3ucbt nur als! Siebenberuf be=
treibt, bie 5Rtnbt>iet}§ud^t ftetS bie formen be§ ©roßbetriebsi annehmen muß. Seim 23e=
buinen ber ©tetobe, Wo bie üffieibeblätje unb Quellen ©tammeSeigentum finb, unb e§
leinen ^ribatbefitj an Sanb giebt, fann aucb, ber Slrme feine wenigen SEiere mit ber §erbe
20 besl ©efcblecbtsi weiben lafjen. 3m ^ulturlanb finb bie 2SeibebIä£e nicfyt frei, fo baß
jeber fein 33ieb grafen laffen lönnte, roo er miß. §ier fetjt ber 33eft| einer §erbe einen
entfbrecbenben ©runbbefüj borauS, be§b,alb finb nict)t bie Keinen, fonbern bie großen
Seute girren b. b- §erbenbeft^cr im 212, toorab bie Könige, ber 2lbel, reiche Bürger ber
©tabt Wie 9M>al. ©iefe #erbenbefr|er üben ben 33eruf beS §irten, bie eigentliche 3luf=
25 ficljt über bie §erbe k. triebt felbft au§, böcfyftenS baß fte ab unb gu nacb ber £>erbe
far/en, ibre Söeiber unb $inber etwa mit ben §irten febieften unb ba§ §eft ber ©ebaffebur
mitfeierten, ©onft bitten fte ibre angeftetlten §irten, in ber Siegel gemietete freie $ned)ie
(WenigftenS fe£t baS ©efeij fotd^e boraus), feltener ©Haben, ©ebon im alten babt/lonifcben
Stecht ift bie ©teHung be§ §irten gum §erbenbefi|er genau geregelt (Cod. Hammurabi
30 § 261—265, 57 f.). £>aß bie gleiten !JtecbtsigeWobnfyeiien auty in $aläftma beftanben,
ftebt man noeb aus» bem SunbeSbucb : aucb Ijter ift ber §irte, ber fein 5Bieb auf fremben
gelbern Weiben läßt, haftbar für ben ©cbaben (@r. 22, 4; ber §irte erfebeint ^ier gugleicb
al§ SSiefybefitjer, bgl. Cod. Hamm. § 57. 58); \va$ bon ber §erbe geftoblen Wirb, muß
ber §irte erfe^en, fommt fonft etwa! abbanben ober Wirb befc^äbigt, fo Wirb er frei,
35 Wenn er feine Unfcbulb befcb, Wören lann ; Wenn Wilbe Xiere ein ©tue! zerreißen, muß er
ben 93eWeiS bafür beibringen, um frei gu Werben (@j 22, 9— 12; bgl. 2lm 3, 12 ;
©en 31, 38 f.; 1 ©a 25, 7; Cod. Hamm. § 261. 266). 2lu3 ©en 31, 38 febeint aueb
ju folgen, baß ber §irte für richtigen 9iacbWucl;S berantwortlid; War, Wie im baty--
lonifcben Stecbt (Cod. Hamm. § 264 f.).
40 S3ei aliebem War ba3 Seben unb ber Seruf ber §irten red)t müfyfam. ,,©eS SEageS
berging icb bor §i^e unb beS TiacbtS bor groft; lein ©eblaf fam in meine 3lugen"
(©en 31, 40). (Is galt bie ^iere beifammenjufyalten, ba§ öerlorene unb berirrte ju fueben,
ia§ Iranfe ju pflegen, ba§ berWunbete ju oerbinben, baS ermübete Samm ju tragen
(©en 31, 38 ff.; @j 34, 3—16; Qef 40, 11). 2luS ben (Sifternen mußte ber §irt um bie
45 SJUttag^eit SBaffer für bie £iere in bie ^ränfrinne feböpfen (©en 24, 20 ; 29, 2 ff.) unb
3anl unb ©treit mit anberen §irten War babei ntctyt feiten (©en 21, 25; 26, 19 ff.;
@E 2, 16 f.). 9Jcit Wilben Vieren gab e§ ju fämpfen (1 ©a 17, 34 ff., bgl. 3er 49, 19),
unb ftefcS War ein WacbfameS Sluge auf bie §erbe ju baben. 2lm 2lbenb Würben bie §erben
in Würben, 5pfercbe getrieben (rr*? 3Jci 2, 12, n-ri?. 9?u 32. 16. 24. 36; 1 9to 24, 4;
60 3er 49, 3 ; ^e 2, 6, k^sk §ab 3, 17 ; «ßf 50, 9 ; 78, 70, ^?^f? ^ub 5, 16; ©en 49, 14),
bie au$ roben ©teinmauern errichtet Waren unb gegen bie Wilben Stiere ©cbu| boten.
SDie reieberen §erbenbeft|er erriebteten in ber §ürbe „^erbentürme" (©en 35, 21; 2 %
17, 9; 18, 8; W\. 4, 8; 2 Gbr 26, 10). 93iacbtlog freilieb Waren bie Wirten gegen bie
©tretffcfyaren räuberifeber Siomaben (§t 1, 14. 17). S3eim 2luS= ober Eingeben in bie
55 §ürben Würben bie gerben ge§ät)tt, baS Hleinbieb ließ ber §irt babei unter feinem §irten--
ftab burebge^en (2e 27, 32; 3er 33, 13; @r. 20, 37). ®er §irte felbft fcblief unter freien
§immel ober unter einem leichten §irtengelt (Qef 38, 12).
SDie 2Iu§rüftung be§ §irten War eine febr einfache : eine Keine ^irtentafdje, in ber
er feinen fbärlicben ^ßrobiant u. a. trug (1 ©a 17, 40), Wobl Wie fyeuti einfacb bie ent=
60 baarte §aut eine! ©cb,af= ober ßtegenlammeS ; ber ©cbäferftab (Wi 7, 14), beute ganj
SBtefjsudjt «icrntc 625
bcrfelbe tote bie aud; fonft gebrausten ©töde mit einem $afen ftatt be§ ©riffs, jugleidj feine
§aubtmaffe; unb eine ©cfyleuber (1 ©a 17, 40, bgl. 33b XI ©. 115, 30), bie unentbefyrlid/e
Hirtenflöte ntcr/t gu bergeffen (SHi 5, 16). §irtenfyunbe Ralfen ifmt bei ber £mt (§i 30, 1).
SÖßaS ber £irte an 2oI)n betam, erfahren mir nidjt. £)er Cod. Hammurabi
(§ 261) beftimmt ifym 8 ©ur $orn im ^ar/r (natürlich aufeer ber 9iab,rung), b. \. 5
ebenfobiel mie einem ©äemann (§ 257), meb,r als einem Dcr/fentreiber, ber nur 6 ©ur
befommt (§ 258), unb ba§ SDobpelte be3 9Riet3breife3, ber für einen Dcf/Jen gezahlt rotrb
(§242). 3ad> 11, 13 fbricfyt bon einer Se^lung in ©elb, au<§ (Ben 30, 28 ff. barf
man bielleicrjt fd)liej$en, bafs fie manchmal einen %til ber Sämmer ber §erbe befamen.
SBertätttger. 10
ÜStcnne, ^on^ilien bafelbft. — Sttteratttr pr ©tjnobe non 1311. (Sine Stnjaljl
auf fie bejügl. päpft(. (Srlaffe bei Mansi XXV, <B. 367 ff.; SBructjftiicEe ber Sitten bjSgeg. non
eWe im 2WS© IV, 1888, ®. 361; Regestum Clementis V. ed. cur. m. 0. s. Bened.,
«Rom 1884-1888, 10 33be; ©cfiottmüder, 3)er Untergang be§ SempIerorbenS, Berlin 1887,
2 23be; fttnfe, ^apfttum unb Untergang be§ Semplerorbenä, SKiinfter, 19)7; 33eritf)te über 15
bie Sbnobe bei Baluzius Vitae pap. Aven. I; £>efek 6®. VI'2, 1890, S. 515 ff.; Snöpfler
im ft.«y XII-, 1901, <S. 938 ff.; «K. öeber, ©utadjten unb 9teformuorfd)täge für baS SSienner
©eneraltonjU 1311— J 312, Seipj. Stffert. 1896.
23ienne ift neben £r/on ber ältefte ©uj beS ßf)riftentum§ in ©aHten. ^u ben 9flär=
tbrern bon 177 gehörte ber bortige ©ialon ©anctuS (Eus. H.e. V, 1, 17); gemeinfam
mit ben ©laubigen in Styon berichteten bie ßfyriften in "ßienne über biefe Verfolgung 20
(Eus. H. e. V, 1, 3). 33ifdmfsfit3 mar SSienne bamalS, nod) nid)t. ®er erfte 33ifd)of,
beffen $eit nacrjroetelicf; ift, mar 23eru§, ber als "Seilner/mer ber ©r/nobe bon 2lrle3 befannt
ift (»tief an ©ilbefter b. Rom, CSEL 26, ©. 206). ©eit 445 mar SStenne fircfylicfye
gjletro^ole (f. 93b II ©. 58, 11). ©eitbem fanb eine 9teir/e bon ^onjilien in 33ienne ftatt,
bon benen aber bie meiften olme Sebeutung für bie allgemeinen Ser^ältniffe gemefen finb 25
ober bod) feinen tieferen ©influf; auf bie ©ntmidelung berfelben gehabt I)aben. 3)a§
erfte fott um ba§ ^ab/r 474 gehalten morben fein unb e§ foHen auf ib,m bie bon 33. Wa-
mertuS bon SMenne eingeführten Rogationen fanttioniert morben fein. Slber bie angeb=
lid)e ©tmobe fd)eint niemals ftattgefunben §u I)aben. 9frct/t nur meifj Stbo bon 3Sienne
in feinem 6I)roniton nid)t bon il)r, fonbern bie 23ericr/te beS ©iboniuS 2tbollinari3 ep. V, 30
14 ©. 87 unb VII, 1 ©. 103 f. unb beä 3Uc. 2lbitu§, Hom. in rogat. ©. 108 ff.
fd)liefjen bie 2tnnab,me aus. ©in anbcreS Slongtt (im JJafyre 870) betätigte bie einem
^lofter berlieb,enen 5Red)te, Mansi XVI ©. 562, mäfyrenb ba§ britte, meldtet im Qafyrc
892 unter bem 3]orfi^e ber Segaten beä ^apfte§ 5ormofug gehalten mürbe, bie 2üeltlid}en
mit bem 33anne belegte, meldje 5lird;engüter trolj erhaltener Slbma^nung jurüdbe^alten, 35
Älerifer berftümmeln ober töten, Hirnen ob,ne ^"fttfnwung ber 93ifd}öfe bergeben, ben
93efü) !ran!er ober berftorbener 33ifd}öfe beriefen mürben, XVIII, ©. 121 f. 3m 3a^re
907 beranftaltete ber , @rjbifd}of 2lleranber bort 33ienne ein ü'onäil bafelbft, meld)e§ einen
jmifd)en ben beiben 2lbten 2lribert unb 33arnarb über S^loftereinlünfte obmaltenben ©treit
beilegte, XVIII, ©. 259. Unter RifolauS II. fanb im ^afyre 1060 eine bon feinem *>
Segaten ©tefan geleitete ©tjnobe ftatt, metebe 93efd)lüffe gegen ©imonie, ^riefterefje 2c.
fafete, XIX, ©. 925. 9Bid)tiger mar baS Hon^il, melcb,e§ ber @r^bifcb,of ©uibo, ber fbätere
^abftMijt II., im^ab/relll2 abhielt. Qm ©egenfa# ^u bex augenblidlid;en 3Rad)giebig=
fett be§ ^3abfte§ ^ßafd;ali§ II. erflärten bie frangöfifdjen 93ifd)öfe fid) b,ier fef>r entfd)ieben :
jebe ^nbeftitur bureb, 2aien fei §ärefie, ba§ 3ug.eftcmkm<§ beg $a^>fteg bon 1111 fei ab-- 45
genötigt unb be<Sl)alb nid)tig, §einrid) V. fei megen ber gegen ben $abft gebrauchten ©e=
toalt mit 93ann unb 2Inatr/ema belegt, Mansi XXI, ©. 73 ff. 2)ie ©efd^id^tlidif'eit ber
©r/nobe, meldte ^ßabft ©elafiu§ II. !urj bor feinem ^obe im Januar 1119 in 93ienne
gehalten b,abm foll, ift beftritten, XXI, ©. 317. 33on einem anberen lonjile, metd)eS
ber @rjbifd}of ^etruö bon 33ienne an feinem ©i^e auf 93eranlaffung beg *ßabfte>3 Äalijt II. 50
im ^ab;re 1124 b,ielt, miffen mir nur, bafe e3 bie 2öab,rung ber 33efi^ungen ber rörni*
fd;en üircb,e bejmedte, bie bei ©träfe ber @rJ;ommunifation ni<|t angetaftet merben füllten.
33ejeugt ift bie ©r/nobe nur bureb, ©ffef). Chr. j. 1119, Scr. VI, ©.254; bagegen finbet
fieb; anbermärtS bie 9iacb,ricb,t, bafe ©elafiuö eine ©tmobe ju galten beabficb,tigte, aU er
bom Sob überraf^t mürbe (Ann. Fatherbr., ©. 136). (SS ift nicb,t unmab,rfcb,einli*, m
bafe auS biefer 2lbfid}t bie©^nobe gemorben ift. lym^abre IUI fanb mieber ein^onjil
ju 93ienne ftatt, XXI, ©. 571; eS befcl)äftigte fid) mit' ber 2öab,t cine§ neuen 33ifd)ofS
für Salence. ^m ©treite griebrieb,^ I. mit ätlejanber III. l;ielt Rainalb bon Jlöln im
©ommer 1164 in "iUenne eine ©ttnobe bcS burgunbifd;en @]pifJobatS, um ib,n für bie
fReaI=®ncl»Ho)>äbte für Geologie unb mrij&e. 3. 81. xx. 40
626 SBieime
2lnerf ermutig beS faif erliefen ©egenbabfteS ?ßafd?alx§ III. ^u gewinnen. 2lber olme jeben
(Erfolg (Söatterid?, Rom. pontif. Vit. II, ©. 538 f.). 2lm 14. Januar 1200 beran=
ftaltete ber Ifarbinallegat ^etruS emÄongil gu 93icnne, um über ^ßf)ilibb 2tuguft bon $ranf=
reid? ben 33ann &u berfünbigen, ben fpa^ft ^nnocen^ III. über ben dortig behängt fyatte,
5 Weil er feine ©emafylin 2>ngeburg berftofeen unb eine neue @t?e mit 2IgneS bon hieran
eingegangen blatte, XXII, ©. 707. Sßon einer SSienner $robmä.=©tynobe im %af)xe 1289
ift nur bie 3^atfad?e ber 2lbl?altung belannt (Mansi XXIV, ©. 1063).
(Eigentliche 2öid?tigfeit unb 33ebeutung t?at bemnadj nur baS ßonjü ju 93tenne,
Weld?eS im 3at)re 1311 unter (ElenienSV gehalten werben ift. (ES gilt als baS 15. ofu=
to menifd?e Äongil. ®ic an bie gürften unb Prälaten gerichtete 33erufungSbutle Regnans
in coelio, Reg. 3626 ff., ift Dom 12. 2luguft 1308 batiert; bon ben legieren Waren nur
bie @rjbifct)öfe unb aus jeber SUrcfyenbrobinj 2—3 33ifd?öfe gelaben. ®ie ©fynobe foEte
nad? Verlauf bon jWei ^aljxm am 1. Dftober 1310 eröffnet Werben. $Dod? mürbe bie
Eröffnung burd? eine neue, am 4. 3lbril 1310 erlaffene 33utte bis jum 1. Dftober 1311
15 berfd?oben ; ber ©runb lag in ben äkrfjanblungen mit Äönig ^3I?ilibb, bie fict) teils auf
bie bon biefem geforberte 2lufl?ebung beS %embelI?errenorbenS, teils auf bie bon u)m ber=
langte (Einleitung eines SerbammungSbrojeffeS gegen 33onifatiuS VIII. belogen, ^ßl?tlibb
liefe enbltdj bie le^tere gorberung fallen unb ftellte bie auf 23onifattuS fid? be§iet?enbe
3lngelegenl?eit ber (Entfcfyeibung beS SßabfteS unb beS allgemeinen ÄonjilS ant)eim. 211s
20 bie £aubtbunfte, auf meiere fid? bie S£t?cüigfeit beS ÄonjilS erftreden follte, Waren in
ber SerufungSbuUe begeidmet: 1. baS Urteil über ben fernerer 33erbred?cn angesagten
Slembelfyerrenorben ; 2. bie bem gelobten £anbe ju leiftenbe §ilfe, 3. bie Reform
ber ^irc^enbiSjiblin. 3uÖ^e^ §atte $abft ßlemenS bie jum Äonjile fommenben 33ifd?öfe
unb Prälaten aufgeforbert, il?re 2lnfid?ten über bie einer Reform bebürftigen fünfte nieber=
25 gefd?rieben mitzubringen. 33on ben ©utact)ten, bie auf bieje SSeife jur Vorlage famen,
ift ber Sraftat beS Söilfyelm SDuranbuS, 33ifct?ofS bon 3Renbe (geft. 1331), de modo
celebrandi generalis concilii (f. Tractatus illustrium Jurisconsultorum, T.XIII,
Pars 1, Venet. 1584, 331. 159 ff.) erhalten unb Wegen feiner freimütigen älufeerungen
merf Würbig. (ElemenS begab fid? im ©ebtember 1311 bon 2lbignon nad? 93ienne unb
30 eröffnete baS ^onjil am 16. Dftober in ber 5Reirobolitanfird?e ber ©tabt mit einer 9tebe,
in ber er ben Q\oeä beS ÄonjilS nochmals auSfbrad?. 1)ie 3^1 ber berfammelten 23i=
fd?öfe wirb berfdneben angegeben ; Wat)rfd?etnlid? richtig ift bie bon 2öilt)elm bon ÜKangiS
angegebene ftabl bon 114 33ifd?öfen, aufeer ben älbten unb ^ßrofuratoren (Bouquet,
Recueil XX, ©. 604), wäl?renb bie 3a^l 300 fd?on angefidjts ber (Sinlabungen biel ju
35 bod; ift. 9iad) ber (Eröffnung Würbe in einer 5teu)e bon Äonferenäert, bie fid) bis in im
3Dtonat sDJärj 1312 auSbet^nten, bie ben Drben ber 2embelt)erren betreffenbc ^rogc^fad^e
berfyanbetr, f. hierüber 93b XIX ©. 508, 59. 3jad}bem ©lemenS in einem geheimen ^on=
fiftortum am 22. 3Jtärj 1312 bie 2(uff)ebung beS DrbenS per provisionis potiusquam
condemnationis viam auSgejbrocbcn blatte, Wieberf)oIte er biefe ©rflärung in ber ^Weiten
40 ©i|ung beS ^onjiilS am 3. 3(j)ril 1312 in ©egenWart beS Königs 'JP^ilibb, feiner brei
©öfme unb beS ^ringen ßarl bon 33alotS. 25>af)rfct)einUd> in bcrfelben ©Usung erflärte
ßlemenS feinen Sßorgänger 33onifatiuS VIII. für einen legitimen 5ßabft unb für frei bon
ben gegen it)n laut geworbenen 2lnfd)ulbtgungen. ©ie britte ©i^ung, Weldje am 6. SDiai
1312 ftattfanb, befcfylojj baS Äonjil mit einer feierlichen ^ublifation beS 2lufbebungS=
45 befreteS beS SembeltjerrenorbenS, aud) geftanb ber $abft Wat)rfcf)einlict) in biefer ©i^ung
ben Königen bon granfreid}, (Snglanb unb 9?abarra ben 3et)nten, jum 3^cde eines neuen
^reujjugS, auf fect)S Qat)re ju. ®afe auf ber ©imobe eingeb^enb über bie fird)lid)en 33e=
fd)Werben unb über bie ^Reform ber ©itten berljianbelt Würbe, b^aben bie bon @I)rIe ber=
öffentltdjten 33ruct)ftüde gegeigt. Sie %xudjt biefer arbeiten finb bie auf bem ^onjile
60 erlaffenen bqro. borbereiteten betrete, Weld)e in bie fog. (SIementinen aufgenommen unb
bon Sofyann XXII. bubli^iert Worben finb. ®od; läfet fid? nid?t feftfteßen, ob äße 3)e=
frete, bie in ben Glementinen als concilio Viennensi erlaffen bejeid?net Werben, Wirflid)
biefer ©tmobe angehören, ebenfo Wenig ob alle il?re ©efrete in bie ßlementinen 2lufnab^me
gefunben fyaben. ©id?er gehört baju bie Honftitution Exivi de paradiso, bie ben 2Ir=
55 mutsftreit im gramisfanerorben beben follte, 9ieg.=^r. 8873, f. 33ern. ©uib. bei Baluz.
I, ©• 7 ff.
©nblid? ift nod? im $al?re 1557 ein ^onjil gu 33ienne gehalten Worben. @S erliefe
mehrere auf bie ^irdjenbiSjiblin fict) bejief)enbe 33efttmmungen, fbrad? fid? über bie S3e=
lel?rung beS 35olfeS burd? bie ^ßrebtgt aus, berbot bie 3"Iafl""S frember ^rebiget, um
eo bem ©inbringen ber Äe^ereien ju Wehren, forberte bie Strtgeige bon Äe^ern, unterfagte
Steitne Sierfürft 627
©bicle, Idnjc unb anbere unjuläffige Vergnügungen an gefttagen, ferner ben Um=
gang mit berbäcbtigen ^erfonen, gab Veftimmungen über bie £onfur unb Äleibertracbt,
berbot ÜDcöncben unb Tonnen bte Softer ju berlaffen u. f. ro., f. Thesaurus novus
Anecdotorum T. IV. studio et opera Edmundi Martene, $ari§ 1717, ©. 4-1 G f.
(^eiibctter +) £autf. 5
JBierfürft, 3:etrard). — Sitteratur: ©tepbanuS' Thesaurus unb bie Seiko, befom
bevo bie alten uon £)arrmf ratton, ^SfjotioS, ©uibaS; Etymologicum magnum ; Corpus glossa-
riorum latinorum ed. Soeme u. ©oe{5 VII, 2, 346; 9Jiefe, ©alatien unb feine Setrardjen,
3ff)- 3K»f- 38, 1883, 583—600; ßrointfdjer, De Galatarum tetrarchis, 1892; Scbürer, ©e=
fcbid)te be§ jübifrfjen SBoifeS3 1,423 f.; II, 197; III, 77 f.; SD. £>oI&nwnn, 9fStic()e Beitgefcf). 2 10
51. 89. 111. 122.
®ie beftbe^eugte gönn ift rf7o<io///,- neben Dereinjeltem TSTgnöägxv?', bie im 922; Don
Sifdjenborf, W-H, SSeift, Sfteftle u. a., nad) einigen ägvjpttfcfcjen Sejrtjeugeit aufgenommene
©djreibung reigadg/y;, bie 2Biner=©d)miebel § 5, 24b unb 83(a(j 5, 1 nl3 unjufammen=
gezogene g-ovm evflären, unterliegt bem 9Serbncf)t, nad) fopttfdjer Analogie gebetint ju fein. 15
Setrard) bejeicbnet in ber tnüitarifcben ©bracbe ben 2lnfübrer einer Steiterfcbtoabron
bon 4 $ügen {Xoyoi) ober 64 Wann ; 2 Setrarcbien bilben eine %ax\§ (^aftiter ; ©uiba§).
$n ber Vermaltungsjfbradje ift Sletrarcbie ber felbftftänbige Verirr1 ober $reis>, %i-
trard) beffen Vorfteber bejto. $ürft. ®er sJ?ame entfbricbt junäcbft ber ©inteilung ber
Sanbfcbaften in Viertel, bte altgriecbifcber brauch ju fein fcfyeint (bgl. bie 4 Vielen 2lttica3 20
in ber %üx bor 0etftfyene3) ; fie ift befonber§ für 'Sfyeffalien bezeugt (@urip. 2tlc. 1154;
3lriftotele3 unb ^beotoomb bei £>arbofration ; ©emoftb,ene<§ Vf)tl. III, 26; ©trabo IX,
5, 3). [2lbnltd) bei ben Vurgunbern, bgl. Sidon. ep. V, 7.] 2lud) bei ben tleinafiati=
fd)en Gelten (©alatern) ift bon einer Teilung ber 3 ©tämme in je 4 ©aue mit je einem
SEetrarcben an ber ©bi£e bie 9?ebe : bie 12 fcbmoljen bann nad) bem mitbrabatifd) en 25
Kriege auf 3 jufammen, fbäter auf 2, bi3 julefct ©ejotarue allein bie ©efamtberrfcbaft
an fid) bracbte (©trabo XII, 5, 1 ; ^liniuS h. n. V, 146, bgl. Vb X, 555). 2)er Xitel
%etxaxd) blieb; er tonnte bleiben, roeil ber begriff Vierfürft (qui quartam partem
regni tenet) längft nicbt mebr mitflang : e3 btefj nur noch Xeilfürft, ßtleinfürfi, £ributär=
fürft (subregulo, xEXQaQxai 01 ßaodeig, §efbcb). 30
@o roirb e<§ bon ber römifcben Verwaltung für bie biclen ^leinfürften ©r/riens ge=
braucbt, bie oft auf einer ©tufe mit ben ©täbten rangieren. VltniuS V, 74—82 nennt
eine gange Slnjabl folcb, er Xetrarcbien ; bgl. bie fanaanäifcben ©tabtfönige ©en 14, 2, bie
unter ägtybtifcber §errfcbaft nur gürften (amelu) beiden (Seil 2lmarna=Vriefe), roäb,renb
ifmen bie 2lff^rer ben Ä'öniggtitel gugefteben (KAT 3I, 170. 193). 5Rur bie berbor= 35
ragenbften merben bon ben Römern offiziell al^ rex ßaodevg anerfannt, mäfyrenb aEe
fid} felbft bon if)ren llntert^anen gern fo nennen laffen.
©a3 beftc Seifbiel bieten bte §erobäer: fd)on 41 erhielten §erobe§ unb feinSruber
^b^afael bon 2lntoniu§ biefen gürftentitel Setrarct) (Sofebbug, arch. XIV, 326 = b. j. 1, 244) ;
tnäb,renb $erobe§ 40 ju^iom ben Äönig^titel embftng(382=:282), tourbe 20 fein jüngerer 40
Sruber V'berora§ jum Setrarcf) bon Veräa ernannt (XV, 362 = 483); bgl. Vb VII,
760 ff. yiaify §erobe^' %o'i> 4 b. Sbr. rourbe fein Sanb unter feine ©bfme berteilt: 2lrd)e=
lao§ erb/ielt ben Vorrang, aber nur ben fdb>n bon ben §aämonäern geführten 2;itel
@tb,nard; ; ber HönigStitel roinfte ibm bei guter gübrung (bgl. Vb V, 559) ; feine Vrüber
Slntipaä (Vb I, 596) unb VfyüibbuS (Vb XV, 337) rourben STetrarcfien (XVII, 317 =46
II, 93). ©agegen erhielt Slgribba I bon ßaligula 37 mit ben 2;etrard)ien be§ Vf)ilitobu§
unb £bfania§ fofort ben ^önigStitel (XVIII, 237 = 11, 181; 21© 12, 1); fein ©obn
Slgribba II tr>ar bereite ^önig bon SballiS (feit 52), als er jene beiben £etrard)ien ba^u
ehielt (XX, 138 = 11, 247; 31© 25, 13. 24; 26. 13. 26. 30) ^nt^ite rourben biefe
geinbeiten ber Titulatur nicbt beamtet; ba§ geigt ba3 31%: 2Rt 2, 22 läfjt 2lrd;elaoä so
ßaodsveiv an feinet Vaters ftatt; SJlc 6, 14 ff. unb Wt 14, 9 nennen £erobe§ 2lntiba§
ßaodevg, ebenfo Vt=@b. 1, 2 ; nur ber §iftoriograbb Su!a€ f/at bie eja!te Titulatur: 3,1.
19; 9, 7; 21© 13, 1. §ierburd} ift ?Dct 14, 1 beeinflußt (ob 2lutor ober ^obift, ftebt
bab,in). 5)ie u. a. bon Ärenfel bertretene Vebau))tung, 2uta§ i)ab(, bie abgefd)liffene 33e=
beutung beS zeTQaQxüv bertennenb, ben £r/faniaS bon 2lbilene auö QofebbuS berborgefud) t, 66
um bie Vierjal;l bolläumad)en, bürbet einem roofjlunterrid) teten 2lutor moberne UnfenntniS
auf; aufeerbem ift ber SfyfamaS beS 2utaS infcb,riftlicf) nadigeroiefcn, f. Vb I, 100. 5\'r
Strtum beginnt erft bei ©ufebiuä, ber £t)faniaä jum 4. ©obn be3 §crobe§ mad)t (chron.
ad a. Abr. 2020 g).
40 +
628 $ierfürft üBtgtlanttuS
©er %itd S£etrard) berliert ftd) f^äter, toät/renb ©tlmard) (t>ieHetd)t nad) ägttotifct/em
33orbilb, f. 33b V, 558) auf ben 33orfi§enben be3 Db ergertcfjbg. überging (and) patriarcha,
Rabban genannt). oo« 2>obftf|ülf.
S5igUantiu§, aquitanifd)er ^3re§bbter um 400. — Quellen: £rieront)mu§ ep.
5 53 unb 58 ad Paulinum, ep. 61 ad Vigilantium, ep. 109 ad Riparium , apologia adv.
libros Rufini 1. III c. 19, contra Vigilantium 1. unus, comm. in Isaiam 1. XVIII, c. 65.
Paulinus Nolan. ep. 5 ad Severum. Gennadius de vir. inlust. c. 36 unb de dogmat. eccl.
c. 40 (73). Isidorus Hisp. de haer. c. 63 unb feine Slusfdireiber (Cetjler, Corpus haereseo-
log.I, ©.308 f. 319. 331).— ßitteratur: SEillemont, Memoires XII, 191— 196, 266— 269,
10 287—289; SfBnlcf), £iftorie ber Sejereien III, 673—704 (1766); Sinbner, De Joviniano et
Vigilantio purioris doctrinae IV" et V° saeculo antesignanis 1839; ©Uli), Vigilantius and
his times 1844 (feEjr eingefjenb, aber ber SSerf. leibet an Ueberfidjtigieh) ; 28. ©djmibt, Sßig., fein
33ert)ättni§ 5. bl. £)ieronttnut§ 1860 (fonfeffionell befangen, wie Sinbner); O. Rödler, §teroM)=
mu§ 1865, 303—310, 419 f.; SuciuS, Sie Anfänge be<3 £eiligenbtlt§, 1904, ©. 327—29.
15 3ßie toir au<§ ber Streitfd)rift be3 §ieronr/mu<§ gegen 38. erfefyen, blatte biefer gaHifd)e
©eiftlicb/e „33üd)er" beröffentlid)t (e.3 MSL23,341; c. 6 ift bloß bon commentariolus
tuus bie Sxebc, bod) fönnte fid) ba<§ auf eine frühere Scbrift begießen, toenn nid)t aud)
e.3 libello tuo mit de libellis illius c. 10 toed)felte), beren „SSIagpfyemten" ben §iewty=
mu<§ auf§ äußerfte empörten, ^ieronfymug I)at feine ©egenfcfyrift in einer 9Jad)t bütiert,
20 toeil ber 33ote, ber fie in ba§ Slbenblanb mitnehmen foHte, feine 2lbreife unertoartet
befd)Ieunigte. @r nennt fie felber dietatiuneula mea (c. 3, bort aud) ju beachten ber
©egenfaij: una lucubratiuncula — bgl. c. 17 — illius naeniis respondebo).
gmmerr/in finben fid) bei ib,m in bem 2Suft pöbelhafter Sdrimpftoorte unb billiger
Söttje, toie bie 33ertoanblung beS 9iamen§ 33. in Dormitantius, fo biele fad;Iid)e @in=
25 toänbe unb felbft toörtlid)e Mitteilungen au3 bem SSerf be§ ©egner§, baß mir beffen
2lnfd)auungen einigermaßen ernennen fönnen.
33. batte gegen ben I)errfd)enben Märtyrer* (§eiligen=)Äultu3 feine toamenbe Stimme
erhoben, ©ie 33eref)rung ber Märtyrergräber, bte Slnbetung il)rer Reliquien, ber 33au
befonberer Märtyrerfird)en unb ber ßubrang ju biefen, bie «Sitte, bie Märtyrer burd)
30 Äerjenfpenben ju ebren, 33igilien an tyren ©räbern abgalten unb babei ba3 §alleluja toie
in ber Dftemacf/t ju fingen, ba3 alleö erfd)eint ibm als Äonjeffion an ba3 £eibentum. 9tid)t
bloß übermäßige @l)re, gerabeju Slboration ertoeift man einem §äuflein 2lfd)e, pulvis-
culum nescio quod, in modico vasculo pretioso linteamine circumdatum, oscu-
lantes adorant. ©a fei unter bem 33ortoanb ber Religion ein gerabeju r)etbnifct)er
35 33raud) in ben $ird)en eingeführt, gleid)toie bei bem Slnjünben riefiger $erjen am beKert
Xag; unb man merlt nid)t einmal ben Unfinn, feiige Märtyrer mit armfeligen 2Bad)3=
Iid)tern beleuchten jju tooÖen, bie bod) „ba§ Samm" bort auf bem Sfyron mit allem
©lanj feiner £>crrlid)fett beftraf)lt (c. 4)! 33. roiH nid)t genau entfd)eiben, too fid) bor=
läufig bie Seelen ber 2tpoftel unb Märtyrer aufhalten, ob in 2lbrabam3 ©d)oß, ob am
40 Drt ber @rquidung, ob unter bem 2Iltar ©otte§ ; feinenfaßg lönnten fie aber bon tyren
©räbern au§ toirfen unb jugleid) in aller üffielt, too fie nur tooßten, gegenwärtig fein (c. 6).
@r berfpottet bie 33orftelIung, bie Seelen ber Märtyrer liebten tbre 2lfd)e fo, baß fie fie
allezeit umflatterten, um jebem 33eter, ber ba herantrete, fofort ©eb;ör leiben unb bei ©ott
(Störung berfebaffen ju lönnen (c. 8). 3Senn man fid) auf bie in ben Märtyrerfird)en
45 botl^ogenen SBunber berufe, fo fei bagegen einjutoenben, baß biefe einen 9lu§m nur für
bie nod) Ungläubigen bätten (c. 10). 33on ber 33ermeb;rung ber 9Jad)tgottesbienfte füllte
fd)on bie ©efafyr gefcf)led)tlid)er ©jjeffe abgalten (c. 9) ; ba§ ^aKeluja fei bem 5Paffab,feft
borjubefjalten, bamit nid)t bie d)rtftlid)e Menge ben Unterfdiieb jtoifd^en bem @rlöfer unb
erlöften frommen überfielt (c. 1). 2tußerbem toarnt 33. bor einem gebanfenlofen
so SHlmofengeben. @r toill nid)t, baß bie frommen aH it)ve $ahe ju ben Mönchen im l)ei=
ligen Sanb b^in berfd)iden, bie Slrmen in ber §eimat aber barben laffen (c. 13) ; man
foU aua) niebt aUeg auf einmal fortfd)enlen, fonbern, gerabe um anbauernb toofyltyun ju
lönnen, feine 33efi|ungen berftänbig oertoalten (c. 14). ©ie Überfd)ä|ung be3 @infiebler=
lebend ift ib^m unfbmpaty tfd) ; er fragt: 3Benn fid) nun ade etnfd)löffen ober in bie9Mfte
55 gingen, toer foU bann bie ^ird)en berfel)en? 3Ber bie SOBeltleutc belehren? 2öer bie
Sünber jur ^ugenb anhalten '< (c. 15). ©nblid) fd)eint er aud) S3ebenlen gegen bie
„Saften ber ^eiligen" unb ben 3toan9 Sur gefd)Ied)tlid)en ©ntb^altfamfeit geäußert ju
f>aben (c. 1), bod) bermag §ieront)mu§ leine 93etoei»fteßen au3 33. felber beizubringen;
er behauptet nur, baß bie ^ur 93artei be§ 33. gehörigen 33ifd)öfe (c. 17 „socii illius,
60 immo diseipuli vel magistri") bloß 33erl)eiratete ju ©iafonen orbinierten, unb fd)iebt
^igilnnttuä «29
bem Serfyafeten bas gemeine sDJotib unter, er trolle burd; feine Abmahnungen bon ber
Äeufd)fyeit bte gleifdjesluft ber 3u9mb ftetgem (c. 2).
üöann §ieronbmus feine ©treitfdjrift berfafjt r)at, ftel)t„auf5er ^meifel, gegen @nbe
bes ^afjres 406. 2)enn ber 9JJönd) ©ifinnius, ber fie über Ägr/bten nacb, ©aHien bringen
fottte (c. 17), fyat nad) bem Prolog ber commentarii in Zach. MSL 25, 1415 ff. aud) 6
bieg ©tüd ber Auslegung bes nDobefabrobr/eton für ben 33ifd)of ©rjutoerius bon 2ou=
loufe mitgenommen. @r mar im ©bätljierbft in 33etf)IeI)em angekommen unb fyattc bis
jum näcfvften (Sbibfyanienfeft bleiben motten, fid) bann aber (a.a.O. 1455 unb 1497)
berbfltcbtet gefüllt, früher nad) Agr/bten abgreifen ; unb in ber (Einleitung $u Sud) 3 bes
Amos=$ommentars (a. a. D. 1057) teilt £teronbmus mit, bafj bie Abfaffung jener ge= 10
lehrten Arbeiten in bas ^ab,r 406 faßt. $u biefcr geitbeftimmung bafjt benn aud) bie
lebenbige ©ctnlberung ber „nunc" borgenommenen Überführung ber ©ebeine bes feiigen
©amuel aus $ubäa nad; Äonftantinobel (ctr. Vig. c. 5). ©tefe translatio ift für ben
Wal 406 bezeugt burd) bas Chronicon Pasch, p. 308 ed. Paris.
Öieronbmus' ©treitfd;rift fyat aber eine längere Sorgefdpidjte. $n c. 3 unb 18 beifjt es, 10
jtoet $resbbter, 9ftbarius unb SDefiberius, bie ibre ^3arod;ten burd; bie 9Jad}barfd)aft bei 33.
befledt glaubten, Ratten ben ^eiligen bon 33etb,lebem jur Abfaffung feiner Söiberlegung
beranlafet unb ilnu ju bem groed burcf» ©ifinnius bie 33üd;er jugefanbt, quos (V.) inter
crapulam stertens evomuit. SBeiter erfahren mir c. 9, bajj |>ieronr/mus in ber gleiten
Angelegenheit, insbefonbere über bie "isigilienfeier in 5Rärt^rerfird}en fdjon einmal einen 20
furjen 33efd)eib an 3ti»arius gefdndt bat ,,in altera epistola", unb groar bor etwa
2 ^afjren. ©iefer, fomit im SBinter 404/5 abgefaßte, 33rtef ftefjt unter ben ©bifteln bes
^ierontymus als 5ftr. 109. damals lag bem £>ieronbmus nod) nidjt ber SLejt ber Sudler
bei 33. bor, fonbern nur ein furjes Referat bei JRtbarius (c. 4); ber galltfdje greunb
b,atte fyaubtfäcfylid) an ben SEl)efen über S^eliquienbienft, ^erjenfbenbe, 33efua) ber sIRärtt)rer= 25
tirdjen unb 33igilien Anftof? genommen, bon ben altgemeineren ©inmenbungen gegen
falfcfye SJiöndjerei unb unberftänbiges Almofengeben nichts ermähnt. %üx bie Abfaffung
bon 3S.g 33üd)ern — ober einem berfelben? — ift bamtt ber ©ommer 404 als fpätefter
Termin gegeben, unb baft ber 33erfaffer als ^3resbr/ter in einer fübgallifcfyen SDiöcefe lebte,
fagt c. 2 bes 33riefs 109. §ieronr;mus begreift nid)t, bafs ber 33ifd>of, unter bem 33. 30
ftetjt, foldje 2öutausbrücf/e bulbet, ftatt mit biefem 33Iutfd)änber nacb, bem SJiufter
bon 1 ko 5 ju berfabren. Alfo fjatte ber tolofanifcfye ^resbfyter Sftbarius aud) gemelbet,
was im über ctr. Vig. meljrfacf) beftätigt roirb, baft 33. mit biefen fdjlimmen ^been
Seifall fanb, gerabc bei ber gaßtfd)en ©eiftlicfyfeit.
Aufeerbem aber berrät ep. 109, 1 unb 3, bafj ber 301" bes §teronbmu§ auf 33. 35
ftt)on älteren llrfbrung§ ift. „SBicberum" b,at ®ormitantiu§ feinen ftinligen 5Runb geöffnet;
fdjon einmal bat §ieron^mu§ bieg ©cfyeufal gefeiert unb ib,n in feiner 2But mit 3eu9;
niffen ber b,l. ©djrift roie mit §ibbofratifdj)en Letten feffeln tooßen, ba ift er babongelaufen
unb t>at jroifd)en ben gluten ber Abria unb ben toitifcfyen Alpen ,,in nos declamando
clamavit" §ierburd) ift für eine geit, bie um etliche ^ab^re hinter 404 jurüdlicgt, ein 40
Sefud; bei 33. bei §ieront>mui erliefen, beggleid^en nad; bem tolö§lid;en 33erfd»roinben
be§ 33efud)er§ au<§ Se'tlile^em eine fd)riftlid;e gortfeiung ber bamal§ begonnenen Debatten
burcb, 33. 2Bäf)renb biefeg 33efud)g b^at bie ©jene gefbielt, bie ctr. Vig. c. 11 §ieronr/mu3
bogb,aft befdjreibt, mie einmal nad>t§ bei einem ©rbbeben alle au§ bem ©cbjaf ertoedt
tourben unb 33. in feiner Angft fid) bor ben Augen ber anberen fblitternadt betenb fybv 45
toarf. ©a§ ^ab,r bei 33efud;g aug ber ®efd)idb,te ber ©rbbeben erreo)nen ju roollen, ift
berlorene9Jlüb,e; niemanb toei^ ja, ob e<o fid; babei um ein grofjeä unb allgemeine^ @rb=
beben, rnie für 396 eing bezeugt ift, gel)anbelt b.at. SßobJ aber ftel;t nunmehr feft, bafj
ber 33efud? bes 33. bei £ieronr;mus furj bor Abfaffung bon ep. 58 (MSL 23, 586)
ftattgefunben b,at. £)enn jenen 33rief an ben ^resb^ter ^aulinus (bon ^ola) fdjliefet §ie= so
ronr/tnus mit ber Stetig, er fyabe ben ^1. ^re§bt»ter 33igilantius aufs freubigfte auf=
genommen: ben ©runb feiner I)eimlicf;en Abreife lönne ^ieronfymus, ob,ne jemanben gu
beriefen, ntct/t nennen. ^mmerb,in erroartet er bod), bafe 33. einen gustus nostrae
amicitiae empfangen f>at unb über feine ©rlebniffe ©ünftiges an IJkulinus, feinen ©önner,
berieten roirb : bon ^erfucfyen, feine SBut mit Letten ^u bänbigen, fann man nichts ab,ncn. 55
Offenbar fyat fid) erft naditräglid; bie ©timmung bes |)ieronbmus fo ungünftig bertoanbelt,
unb jmar, mie er gleid) beutlid; in ep. 109 unb in bem f rüber an 33. gerid;teten 33rief ep. 61
funbgiebt, infolge einer 3ufd>rift bes 33., bie £>ieronr/mus als Anflage auf origeniftifd;e
Äe^erei beutete. Woä) ef>e 33. mieber in ©allicn angelangt mar, b. b,. auf ber Surcfyreifc
burd) Italien, b, atte er an £>ieronr/tnus einen 33rief gefd;rieben ober eine bon ib, m berfafjte 60
630 äBtgtlitjttittS
2lbl)anblung jur Begutachtung etngefanbt, bie §ieront>muS als Angriff gegen feine Drtfyo=
bojie emtofanb unb in ep. 61 mit unglaublicher ©robfyeit ertoiberte. @r bebauert, ficb,
auf ben embfefylenben 93rief beS ^aulinus berlaffen ju fyaben, trotjbem er fofort bie bäu=
rifc^e ©infältigfeit beS 93., bie ficb, je$t als 2öafynmi£ entfmllt, malgenommen £>a&e; er
b mad)t ficb, luftig über ben neugebadenen ©dmftfteHer, ber nocb, meniger ^u reben als $u
f cfymeigen berftefyi ; ein Dom SCeu'f ei f elbft begangenes ©atnleg ift ifym bie bon 93. an ©a 2
Vorgenommene ©jegefe ((SbjtfiuS = ber aus bem Serge b. f). bom Teufel loSgeriffene ©tein,
benn er fyat aus 2Ibam ben £eib angenommen, um burcb, bie jungfräuliche ©eburt ben
■Kenfdjen mieber bom Teufel ^u trennen). Stber §ieron. erinnert aucb, baran, wie er bamals
io über bie luferftetmng unb Söirflicfyfeit beS SetbeS gebrebigt unb 93. u)m lauten 93eifaß
unb bie 2lnerfenmtng echter Drtfyoborje gefbenbet fyabe. (Sine Slnbeutung über fdmn einmal
gemährte 93erjeilmng c. 4 bleibt bunfel. ©erabe meil bie §rage nacb, feiner Rechtgläubig:
fett tro£ feiner bielfacfyen 93efd>äftigung mit DrigeneS jmifd)en ifm unb 33. bamals ber=
fönlicb, erlebigt ju fein fdjien, ift §ieronbmuS bereit empört, wenn nunmehr 93. ficb, iljm
15 allein als SIngripobjeft ermaßt, nad;bem er Slgtybten unb all bie ^ßroöinjen berlaffen
fyat, in benen biele mit offener ©tim „beute Äetjeret Vertreten" (seetam tuam defen-
dunt). ^a, 93. fyat nacb, £>ieronfymuS ep. 61, 1 einmal eine gormel unterfdjrieben, bie
fe£erifd>en Snfyalt b,at, alle 93eteuerungen feiner Crt^obojie änbern baran nichts.
hiermit giebt ^ieronfymuS ben 93ormurf beS DrigeniSmuS eirtfad) gurüd; unb menn
20 fein 93rief in bie £>änbe 3Ruftn§ gelangt ift, fo begreifen mir, roarum ficb, §ieron.
Apol. adv. 11. Ruf. III, 19 (mof)I 2lnfang 402 gefcbjieben) gegen ben 93ormurf berieü
bigen muft, er fyabe einft bon 93eflecfung beS 93. burcb, l)äretifcf;e ©emeinfcfyaft in 2lleratt=
brien gefbrod)en. ®afj 9iufutuS richtig berftanben t)at, giebt oljme eS ju merfen £iero=
nfymuS felber ju, wenn er fortfährt: „^n 93. fyaht icb, bir bie 2lntmort gegeben, ©emt
25 feine 93orit>ürfe finb genau baS, was bu nadjfyer als greunb lobft unb als geinb mir
bormtrfft. %<fy meift moljl, bon mem er jur 9But gegen mict) aufgebet toorben ift. 3n
feiner S)umml)eit f>at beine 93oSl)eit gegen mict) ein ©bracfyrofyr gefunben" 9iocb, im $.
404 (ep., 109, 3) bringt £»terpntymuS in feinem $Iucfymort: „^Jcöge 93. bon bem 93er=
ntd)ter 9igb,bten§ unter ben Sgfybtem fcb,Iafenb erbroffelt toerben", bie Stgfybter ntcb,t ju=
30 fällig mit 93. in 93erbinbung : e§ finb Rufinuä unb beffen ägfybtifd; e greunbe, bie nacb,
feiner Überzeugung ben 93. infbiriert I)aben. ®iefe Überzeugung tbäre meb,r als finbifcb,,
tbenn 93. bon bornb,erein mit 3Ri|trauen unb 93eforgniS bem Drigeniften §teront)muS
gegenübergetreten unb erft im ©cbjeefen über folcb,e „wiberwärtigen" Slnfc^auungen nacb,
2legbbten gegangen märe, „um I)ier ben DrigeniSmuS an ber Duelle rennen ju lernen."
35 Wm, 93. f)at ben DrigeneS auf feiner 3leife burd; 2lgt)bten unb ^3aläftina, menn nicfyt
früher, fennen unb fdiä^en gelernt, er I)at ja auef) j. 93. beffen §iob--Äommentar felber be=
feffen (Hier. ep. 61, 2), unb er b,at ben ^ieron^muS gelbii toeber in 93etb,Ieb/em münblicb,
noef) f^äter in feinen 2lbb,anblungen auS 2lbfct)eu gegen aUeS Drigentftifcb,e angegriffen,
fonbern er b,at als ein Wann bon eigenem Urteil unb bielleid;t aueb, etmaS @igenfinn
40 bem §ieront)muS mibcrfbrocb,en unb nacb, ber ©itte jener 3eit — mir befinben uns auf
ber §öfye ber origeniftifa^en ©trettigfeiten (f. b. Slrt. 93b XIV ©.489 ff.) — bie Irrtümer
feines ©egnerS in gufammenfyang m\t t,em ebenfo großen l»ie gefährlichen 2el)rer DrigeneS
gebraut, gür §ieront)muS |ätte feb^on bie ^^atfadje, bafj ber jüngere 3Jtann \i)m %u
miberfbreeb^en magte, ausgereist, um u)m ben SJcafel ber §ärefie anhängen!
ab lieber bie $erfönlio5feit bcS 93. erfahren mir fonft burd) |)ieron^muS nid)t biel
33raud;bareS. @r ftammte aus ßalagurris im ©ebiet ber Sonbenae, einem aquitanifd)en
— bon bem fbamfcfyen 6aIaf>orra moI)l ju unterfdieibenben — ©täbtd;en jmifdien ©t.
93ertranb=be=ßommingeS unb 2:ouloufe, an ber©aronne gelegen, in Prov. Aquitan. III
(Novempopulana) f. Itiner. Anton. 457, tt>afyrfd)einlid) baS heutige SJcartreS (f. gorbiger,
so §bb. ber alten ©eograbf)ie b. ©uroba II2, 115 n. 23 unb SDucfyeSne, Fastes episco-
paux de l'ancienne Gaule II, 3. 98). 2BaS $ierontmiuS über ben caupo mitjelt,
reicht faum aus, um ju bemeifen, bafe ber 93ater beS ^li. ©aftmirt mar. 3)aS Söafyre baran
ift: 93. ift ein begüterter 9Jcann in einer boraefymlicfy bom SBeinbau lebenben ©egenb ge=
toefen, f>at alfo gemife aud) SBeinberge befeffen. ©ennabiuS berfi^ert, 93. fjabe als ^)3reS=
55 btyter eine ^ird)e in ber SDiöcefe 93arceIona bermaltet; bann mü^te er fbäter — unb nad;
406 berfcfytoinbet feine ©eftalt für uns auS ber ©efd;id)te — nacb, ©banien übergefiebelt
fein. §ieron^muS fennt ifyn nur als in ber ÜJcad)barfc|aft bon ^berien mob^nenb; nacb,
ib,m b,at 93. feine £>eimat nicb,t berlaffen. @r toar bereits ^reSbtyter, als er mit @mbfeb,=
lungSbriefen bon ^ßauIinuS 9?oIanuS jene Drientreife machte. ®ie 93efanntfcb,aft mit
eo ^ßaulinuS b,at bei bem Slquitanier 93. nichts auffälliges, ba ^3aulinuS 4 ^ab,re lang in
SBtgilantm! 631
Barcelona gemeilt I)atte unb mit bem 2lquitanier ©eberul innige Schiebungen unterhielt.
$n einem 33rief bei ^aulinu! an ©eberul, bem erften au§ 9?ola an tfm gerichteten (um
395?) wirb benn aud) ein 33igilantiul ermähnt (ep. 5, CSEL 29, 1 p. 32). ©eberul
I)at il)tt mit einem ©riefe nad) ^ambanien getieft; offenbar ift er 5, 14 ein Sanblmann
bei ©eberul. 9)Jand)e (3. 33. Sauften, 3al)rbüd;er b. d)rtftl. Eirene unter £f)eobofiul I., 5
©. 464 n. 3) unterfcfyeiben biefen 33. bon unferm ©djriftfteüer; e! fei nur ein getaufter
©flabe. %d) mürbe au! ber Sejeic^nung pueri nostri (e! mar nä'mlid) nod) ein cate-
chumenus in feiner Begleitung) unb au! pueri tui 5, 1 fd)on megen 5, 21 pueri,
filii nostri unb 5,14 conservi nostri, pueri tui) ntct)tg mel)r all einen fbürbaren
2llter!unterfd)ieb gmifd)en ^aulinul unb jenem 33. f>erau!lefen, felbftberftä'nblid) auct), baß 10
er bamall nod> lein geiftlidje! 2lmt betreibet. Unb gmtfdjen ber 2tbfaffung bon ep. 5
bei "^aulinul unb ber Slulftattung bei 33. mit einem @mpfer;Iuttglfd;reiben an §ieront)=
mul tonnte ja $nt_ genug liegen, in ber 33. jum $re!bbter orbiniert morben märe, etma
mie Sßaulmul mit Überfbringung ber 33orftufen. @l fyängt menig bon ber (Sntfd;eibung
ab: bor 370 merben mir bal ©eburtljafyr bei 33. anfe^en muffen, menn er ep. 58, 15
11 bei £ierom)mul „^eiliger ^relbtyter" l)eißt. — ©eine 33tlbung mar gemiß eine gute,
bießeief/t mie bei ^aulinu! bie fbe^iell tf)eoIogifcf)e minber grünblid), fo baß ib,m $iero=
n^mul c. Vig. 6 ben ©ebraueb, bei abofrfybfyen 4. @lra=33ud)l unb einer unauffinbbaren
©alomo=©teUe all fanonifd)er Slutoritäten borrüden barf. ©ennabiul nennt il)n homo
lingua politus, non sensu scripturarum exercitatus, £>ieront;mul fbottet über feine 20
Unmiffenfjeit, ©ummljeit unb feine bäurifd^e 3tebe. ©elbft toenn ©ennabiul aud) mie
mir nur bie baar in £>ieronr;mul' ©cfymäl)fd)rift aufgenommenen ©ät$e bei 33. gelannt
fyaben foKte, mürben mir fein Urteil bem bei ganatiter! §ieront»mul borgen. (Sinige
unborftd)tige 2lulbrüc!e mie bie 33e5eid)nung ber 3Wtquienbiener all idololatrae unb
cinerarii mirb man bem heißblütigen ©alcogner ju gute galten; er I)at aber nid;t ber= 25
fönlictje ^ßolemil getrieben unb nid)t einer Partei ju Siebe, fonbern meit er bie Seligion
in ©efafjr glaubte, jur geber gegriffen.
25a! ift nun bie letjte grage: mal fyat 33. gemollt unb mal erreicht? ©rreid)t jeben=
fall! feb,r menig. 33ei Sebjeiten l)aben feine 2ln|änger ifm nid)t fallen laffen; aud) £ie=
rontymul' heftiger Suf nad; bem genfer f)at ib,m nict)t gefd)abet. 2lber fd) on ©ennabiul 30
roeiß bon 33. laum nod) etmal, mal er nid;t au§ §ieront)mul gefd)öbft b/aben fönnte:
33. ift unfterblicb, gemorben bloß burd) ben ©rimm, mit bem ^ieron^mul il)n berfolgt
I)at. 3m ^etjerfatalog (de eccl. dogm. 40, 73) fteHt ©ennabiul bie 33erel)rung ber
•Dcärtbrerreliquien, ben 33au unb 33efud; ber mit 9Mrtbremamen benannten $ird)en all etma!
GI)riftlid; el feft, mal nur (Sunomianer unb 33igilantianer beftritten ; in fbäteren $et$erfata= 35
logen berfd)minbet ber -ftame bei 33. böKig, unb el bleiben bloß bie 9tyctagel (fo 3ftt>or>
de haer. 63) übrig, bie bie 33igilien bermerfen: natürlid) I)at el nie eine ©efte mit biefer
einen „^rrleb^re" gegeben. (Sin gufcmirnenr/ang bei 33. mit ©unomiul, ber gleicb, falll bal
3öaHfab,ren ju ben 2tboftel= unb ^ncärt^rerürd^en beMmbfte, mirb bon ^ierontjmu! c.
Vig. 8 gerabe fo mill!ürlid) lonftruiert mie c. 1 einer mit Qobinian. (Sine Sefyre bon 40
ber perfectio b,at 33. nietjt borgetragen; er b,at fid) nid;t all SDogmatiler, am menigften
all gnoftifierenber SDualift betb,ätigt. (Sr b,at lebiglidj eine 9?eib,e bon ©cb,äben in bem
religiöfen Seben ber ^ircfye feiner fttit, namentlid) aud) in neu eingeführten gottelbienft=
liefen Übungen mafyrgenommen, offen all fold) e anerlannt unb fcf) onungllo! angegriffen :
bloß in biefem ©inn gehört er unter bie „geugen ber 933ab,rb,eit", bie fid) bem in bie 45
cfyriftlidje ^ird)e befonber! bom 4. So^^w^crt an einbringenben ^eibentum p miber=
feiert fud)ten. Söir miffen nicb,t, inmiemeit feinbfelige Ärttif an bem neuen ^ircb,entum,
i- 33. bon Reiben ober greibenfem jener 3«it, bießeicf)t bon 9Jcanidj)äem, it)rt auf fold)e
©cb;äben aufmerffam gemacht b,at; aud) nid}t, inmiemeit befonberl arge 2lulfd)reitungen
ber neuen £>eiligen= unb ^Köndjlbereljrung in einer bom $rilciHiani!mul angeftedten 33e= 50
böüerung ifn aufregten. ®a er sugleicr) eb,rlid; unb mit einem nüchternen 33erftanb
begabt mar, fonnte er ben ©bott über bie alle ^fyor^eiten ber alten ©ötjenbienerei nad»=
atjmenbeÜberfrömmigEeit bon b,eut nid)t ungerechtfertigt finben. "SiaS mar nad) feiner Meinung
bal fjaubtfäd^lidjfte §emmni! für ben ©iegellauf bei 6b,riftentuml, baß el fict) mit fobiel
©uberftition behängte. (Sr geigt gefunben fittlicb,en ©inn in ber 33eftreitung bon 9Jciß= 56
bräunen im 2ltmofengeben, im 5Ri3ncb,imefen, in ber übertriebenen 3lnbreifung ber
@ntb,altfamleit. Slber er b,at meber bal 3Jtönd)tum, nod; bal 3krbicnft, bal man fid)
burd) 2llmofen berf cb,aff en- f önne, nod; ben 33orjug ber gefd)led;tlicb, en Slbftinenj all folcr/er
befämtoft, fonbern nur bafür forgen moHen, baß bal erftrebte ^beal nid)t burd; eine
gebanfenlofe ^rajil inl ©egenteil umfcb,Iage. gür feine Abneigung gegen ben sDiär= eo
632 $Btgtlattttu§ SSigUten
tfyrerlult fyat er bie ©rünbe nadjträglid; gefugt; bie 'Jfyefe bon ber Unfä^igleit berieten
für uns Sebenbe erfoIgreidE) ju intercebieren, macfyt burdjauS ben ©inbrud einer §ilfs=
fonftrultion. ©enn eine flare 23orfteHung bon bem guftanb ber ©eelen bon 5)iärtt)rern
nad) ii)rem Sob fjat 33. ber ftrcb/Iid; fdjon bamalS remitierten unb religiös lebenSfräftigen
5 nid)t entgegengehen bermodjt. SBafyrfyaft religiös mutet eS bagegen an, Wenn er be=
fürchtet, ba| burd) ben 9Jcärtt;rerfult bie ©röfse beS §eilanbs leibe, toenn er baS §aHe=
luja, bie 23igilien — eigentlich) inftmfequent — fclofc an Dftern bulbet unb bie ^irdjen
nicfyt mit ben tarnen armer 2Renfd;en gegiert feigen miß. Qn feiner ©eringfcfyätjung ber
2lfcfyent)äuf[ein Hingt etWaS wie origeniftifcfyer ©birituaüSmuS burd;. 216er mit fo un=
10 glüdlicfyen @inwenbungen Wie gegen bie Berufung auf bie SBunber an 9J?ärit)rergräbem,
fie mieten nur ben Ungläubigen, läfjt fid) ber ©laube, ber fo!d;e äöunber erlebt, nicfyt
auS bem gelb fdjlagen: nur ein neuer ©ott ober ein neuer §eitanb fonnte ben Iiebe=
bebürftigen §ergen bie SRärtfyrer erfe^en. ©o ift baS ßalagurriS beS 23. berfaßen, unb
bid)t baneben SourbeS aufgeblüht. 23. Würbigte bie religibfen 23ebürfniffe ber cinerarii
15 ju Wenig unb ftanb felber md)t fyod) genug über ifyrer Religion, um bei ber großen
SJcaffe ber fatfyolifcfyen ©Triften aud) nur borübergefyenbe (Erfolge erzielen gu lönnen.
21b. SüUc^er.
SJigtlie«. — Sßgl. SBingftmn, Origg. XIII, 9, 4; Stugufti, Senftrmrbigfeiten au§ ber
c&rtftl. Slrctiäologte I, 131; VII, 170 ff.; VIII, 138 f ; IX, 413; X, 319; Srieg bei Srau§,
20 SR®. II ©951; 3öcfler, «äfefe u. SKönditum I, ©. 1 68 f . ; Mner, £euvtotogie, &rei6urg 1891,
<S. 55, 73 u ö. ; Säumer, ©efrf). be§ SretnerS, greib. 1895, ©. 19 u. 5.
23igilien, vigiliae, pernoetationes, jtavwxidsg, fyeifjen in ber rbmifdjen Eirene bie
23orfefte, urfbrünglid; bie gotteSbienftlicfyen, in '©efängen, ©ebeten, 23orIefungen unb
^ßrojeffionen beftefyenben §anblungen, meiere am 23orabenbe eines großen $ird;enfefteS
25 borgenommen würben ; fie finb bie feftlicfye Vorbereitung jur geier beS §autotfefteS.
sJiäd;iIid)e gotteSbienftlid;e gufammenfünfte ber Gfyriften werben fcfyon fefyr frü^jeitig er=
toäfynt (bie coetus antelucani, nacb, $Iin. Ep. X, 97; SEertutt., De coron. mil. 3;
ad uxor. II, 4). 2lber eS ift unjuläffig, anjunefymen, bafe fid; biefe 5>erfammlungen
burd; bie ganje %lad)t fjinburd; erftredten. ©ie einige bei ©otteSbienft unb unter gaften
30 burd)Wad)te dlad)t im ^ultuSjafyre, beren Urfbrung in bie d;riftlid;e grüb^eit fyinaufreicfyt,
mar bie Dfterbigilie. ©ie galt besfyalb al§ befonberS heilig, Weil man in ifyr ber Üfi3ieber=
!unft ßfirifti jum 2ßeltgerid;te entgegenfab, (Lact. Div. Inst. VII, 19; Greg. Naz. Orat.
19 unb 42 ; Greg. Nyss. Or. 5 de Pasch. ; Hieron. in Mt. 25 K.). StWaS fbäter
beginnt aud) bie ^ßfingftbigilie mit befonberer 2lu£>jeid;nung gefeiert ^u Werben, Weil fie
35 auf bie ©rteilung be^ f)l. ©eifte§ burd; bie 2aufe belogen Würbe. 9Jcit ber Dfterbigilie
Warb aud; bie freier be§ 1)1. Slbenbmab,!^, mit ber ^fingftbigilie bie ber %aufe berbunben ;
nur bie ©laubigen burften an biefen 23igilien teilnehmen, ^m 5. unb 6. ^afyrlmnbert
Würbe bie Dfterbigilie al§ bie feierliche ^ett für bie £aufe unb baS Slbenbmaf)! ange=
feiert, aud; betrachtete man fie al§ bie geeignetfte ßeit für bie Drbination. ^b,r junäd;ft
40 ftanb bie $ftngft= unb bie 2ßeib,nad;t§bigilie, leitete befonberS feit @nbe be§ 6. ^afo
f)unbert§ gu ^ob,em 2lnfeb,en gelangt (bgl. ©regor bon SEour€, De glor. mart. 87).
3!Jacf)bem aus ben Ilöftern namentlicb, feit bem 10. ^afyrlmnbert ein Dffijium ber SRaria
fyerborgegangen, Welches befonberS burd; ^etruS ©amiani, Wenn aud) nid)t ol)ne 2Biber=
fbruef), berbreitet Würbe, Würben feit bem 12. ^afyrlmnbert aueb, ber SRaria 23igiltcn
45 geweift (f. ©iefeler, Sefyrbucb, ber ^irc^engefd»id)te II, 1, 4. Slufl., 23onn 1846, ©.317f.;
II, 2, ©. 470).
©eit bem 4. Qafyrlwnbert b,atte fid; bie geier ber 23igilien überaus glänjenb geftaltet,
aber aud» "iit manchem Unge^iemenben, ja gelegentlich mit (Steffen berfnübft, fo bafe
Weiblichen ^erfonen bie SEeilnabme an tfmen berboten Werben muffte (f. g. 23. Conc.
so Illib. a. 305, can. 35). Wü 9Iad)brud Würben fie bab,er bje unb ba befäm^ft, nament=
lid; um baS %at)t 400 bon 23igiIantiuS bon 23arcelona, bem §ieroni;mu§ als i^r &<fyufy
rebner gegenübertrat (f. b. borigen SCrt. ©. 628, m). ©ie aud; gelegentlich beS ©treiteS ^Wifdien
biefen beiben erwähnte ©itte bon 23igilienfeiern ju @b,ren einzelner 3JJärt^rer fcb,eint fd;on
feit ©nbe beS 4. ^a^unbertS fid; ju beträcb,tlid;em Umfang entWidelt -ui b,aben; bgl.
55 einerfeits GfyrtyfoftomuS hom. de martyr. II, 668 D, anbererfeits ©iboniuS 2ltooßinariS,
23ifd;of bon ßlermont um 475, Ep. V, 17 (©rWäfynung eines in £t;on jum ©ebäd;tniS
beS ajfärtijrerS ^uftuS bon 23ienna gefeierten 23igiIienoffi^iumS). — ^m WitUl-
alter Würben eigentliche 23igiliengotteSbienfte nur nod; in ben klöftern gefeiert; in
ben ^ird;en Würben bie 5Rad)tgotteSbienftc aßmä^Iid; abgefa;afft unb bie 23igilienfeier
»tgtlten SBtgtliuS, Sßatft 633
teils in %tüfy ober 2lbenbgotteSbienfte (SDiatutinen ober äscSpern), teils in haften Per=
toanbelt (»gl. für leiteten ©ebraud) %. 23. bie ©rtoärmung ber ieiunia vigiliarum in
$. ÜKitoIauS' I Responsio ad Bulgaros bei Mansi XV, 420 ; fobann SBinterim, $Denf=
toürbigfeiten V, 2, 156 ff.)- 9cun ging bie Sejeicfjnung Vigilia auf ben Vortag ber
£auptfefte über. SDie meift auf ben Vormittag »erlegte geier ber SSigilien ift in ber 5
römifd)en &ird)e bis «Aux ©egenroart baS 33orb,errfd)enbe geblieben; nur »ereingelt toerben
nod) 9Jiittemad)iSmeffen ju Söeiljmacfyien (ßlmftmetten) foroie Slbenboigilien bor bem
Dfterfefte gefeiert. Nominelle SUgilien fyaben aufjer biefen beiben geften aud) @pipr)anien,
§immelfab,rt, ^fingften, bie gefte 9JJariä 3Ser!ünbigung unb Reinigung, 3;or)anniS b. %., 2lller=
{»eiligen, Sorenj unb bie £age ber SC^oftel SRattfyiaS, $etruS, QubaS, ^alobuS, ©imon, 10
SbotnaS unb 2lnbreaS, nicfyt aber bie jüngeren gefie roie §ronIeid)nam. @S gibt in ber
römifcfyen ®ird)e aud) pribilegierte unb nid)t privilegierte SBtgilien; jene fwben einen
eigenen ©otteSbtenft, mit 2luSnab,me ber SSigilie bor ©pi^tjanien. Söenn mit tfmen ein
geft erften ober Reiten langes jufammenfäßt, fo wirb baS Offizium beS gefteS gefeiert,
bie 23tgilie aber in ben Laudes unb ber SReffe zelebriert ; fungieren jroei ^riefter, bann 15
lieft ber eine bie geftmeffe nad) ber %vc%, bie SBigilmeffe nad; ber 9?one. Sei nid)t prit>i=
legierten SBigilien tritt bloft bie ^ommemoration ber SMgilie ein.
$n ber proteftantifd)en 6r/riftenr)eit b,at man eine 2lrt 3Sigilie in ben bje unb ba
eingeführten ßfyrtftmetten. $n ber 33rübergemeinbe begebt man belanntltd) in gleid)er 233eife
eine 2lrt ^Bigilien am Karfreitage unb Dfterfefte. (ItroaS ben SSigilien »erroanbteS finb 20
aud) bie watch-nights unb protracted meetings ber 9Jietr)obiften.
OKeubetfer t) 3örfter f.
SBtgtltttg, 5ßapft, 537—555. — Quellen: 1. Sie Äunbgebungen be§ «ßabfteS,
giifttnianS unb ber 5. ©rmobe nebft einigen nnberen fteitgenöffifdjen Sofumenten, fämtlid)
bei Mansi, 9. 33b (bie Epp. et Decreta Vigilii aud) MSL 69, 15—178; bie 33riefe Litteris 25
clementiae an guftinian unb Licet universa an 9Kena§, foroie baZ Constitutum üon 553
aucf) in Epp. Tmpp. Pontt. Rom. etc. ed. ©untrer 1, 3Bien 1885 [CSEL Vol. 35] ©. 348—354,
354 ff., 230—320); 2. bie ftarf anetbotenbafte Vita be§ ^SapfleS im Lib. Pontif. (LP), ed.
SudieSne 1, SJJariS 1885, 296—302; 3. bie Angaben bei gocunbuS üon £ermiane (f. b. 91.
99b V, 732 f.), Siberatu§ (f. b. 3t. 33b XI, 440 f.), Sßictor üon Sunnuna unb bem gortfefcer so
be§ 2RorceKtnu§ 6ome§ (Chron. Min. ed. Sb- TOommfen 2, «Berlin 1894 [MGAuct. Antiqu.
Vol. 11]), $rofop üon Gäfarea (f. b. St. 33b XVI, 73), SljeopbaneS (f. b.9l. 33b XIX, 662 f.).
3?gl. bie SRegeften bei gaffe, Eeg. Pontt. Rom.2 1, 117—124. Sarftellungen: £u ben
beim 91rt. Sreifapitelftreit (33b V, 21 f.) angeführten filteren 9Irbeiten üon 9?oriS, ©arnier,
Saldi (aud) 33b 7, 211 ff.) unb ©djrödfj finb nocf) binjupfügen 33aroniu§ unb $agi, foftie 35
i;. be Warca, De Vigilii decreto pro confirmatione V- synodi (abgebr. au§ De concordia
sac. et imp. bei Mansi 9, 419 — 432); 3. 33a§nage, Histoire de l'eglise 1, 3?otterbcim 1699,
617-547; S. ^apebrod) in AS, Propyl. Mail, 615 ff. 617 ff.; 33. gouftant (in ©emeinfdiaft
mit TOoginot unb Suraub), De Vigilii papae gestis apologetica et historica dissertatio {ab-
gebrudt in $itra§ Analecta novissimal, Typ. Tusc. 1885, 370—461) unb 91. Softer, ^>iftorie 40
b. rom. ^äüfte 3, SOtagbeburg unb Seiü^ig 1753, 396—470. 2Son neueren Sarfteßungen finb
p ügl. 3. 5J5unte§, «ßapft 3?. 'it. b. Sreifapitelftrett, m uneben 1864 [nid)tl865]; ß. 3. ü. §efete,
Son^iiiengefd)id)te 22, fyreib. 1875; 3- Sangen, ©efd). b. rom. J?ird)e üon Seo I. big 92ifoIau§ L,
SBonn 1885, 341—382; £. Sud)e§ne, Vigile et Pelage, in Rev. Quest. Hist. 36, 1884,
369—440 (»gl. ba^it %. ßbnmarb a. a. O. 37, 1885, 540—578 unb ®ud)e§ne§ Slntmort 45
579-593); ö. 3)i. ^artmnnn, ©efd)id)te Stauen? im Mittelalter 1, Seip^ig 1897, 382—394;
§. ©rifar, ©efdi. 3?om§ it. ber $äpfte im Mittelalter 1, &reib. 1900, 502-507 u. 574—580.
9lufeerbem bie bei ben 9lrtt- Sreifapitelftrett unb Suftmtan (33b IX, 650) angeführte Sttteratur
unb bie 91rtifet üon S- 33ailel) in DchrB 4, 1144—51; Süpper (Sreifapitelftrett) in ÄS 3,
3022—37 unb gecE (33i_giliu§), baf. .12, 956—959. SaS SEerf üon 35incen^i, In S. Gregorii 50
Nyss. et Origenis scripta etc. nova recensio, beffen 4. 33b (9iom 1865) it. b. S. Vigilii
Pontificis Rom. . triumphus in synodo oecum. V eine üon ber geftbbnlid)en obtftg ab=
tueidienbe Sarfteffting enthalten foll, ift mir unbefannt geblieben (ügl. Slipper 2035 u. $itra
[0. 3. 40] 369).
3>. ftammte aus einer römif d)en ^atrijierfamilie : feinen 3?ater ^o^nneS bejeid)net 55
LP. 296, 1 als ßonful (f. baju 5Dud)eSne, LP 299 Ti. 1) ; fein 93ruber 3fteparatuS war
Senator (Proc. Bell. Goth. 1, 26). Unter «ßapft SonifatiuS II. (f. b. 21. 33b III,
288 f.) exfd)emt er als ®ia!on ber römifd)en 0rd)e, unb eS ift bereits berichtet roorben
(a.a. £. 289, 10 ff.), baf} irm ber ^Japft 531 ju feinem 3^act)folger beftimmte, bie bon
ben Älerifern bereits unterjeid)nete Urfunbe aber im ^abre barauf, Permutlicl) unter 60
3)rudE beS ©otenlbnigS Xtyobatjat, bernid)ten mufete. @S ift roar/rfcbeinlier/, bafe slv ?ur
antigotifeben Dppofition geborte, unb ba^ er, nad)bem er — toermutlid) unter Slgapct I.
634 SJtgiliuS, ^atfi
(f. b. 2t. 33b I, 237 f.), aber fcfiroerlicb, erft bei ©elegenfyeit ber 3ieife biefeS ?ßa^fteg nacb,
ßonftantinobel (fo Sangen 342 u. a.) — zum 2tbofrifiar beS römifcfyen ©tufyleS in
^onftantinopel ernannt toorben mar, bort gegen bie gotifcfye Regierung roirfte. 3la<fy bem
borjettigen iobe 21gabetS (22. 2lbrü 536) fdjnen feine $eit gelommen. SiberatuS (cap. 22
5 MSL 68, 1040) unb LP (Vita beS ©ilberiuS (292, 1 ff.), berieten, unabhängig bon=
einanber unb boeb, im roefentlidjen tbentifd), bafj 23. ber ^aifertn ^eobora fein 2Bort
berbfänbete, im %aü feiner 2Baf)l zum ^abfie gegen bie ©r)nobe bon Gfyalcebon, ben
©tetn beS 2lnfiof$eS für bie grofse monopr/r/fitifcfye Partei am §ofe, gront z" machen
unb für bie abgefegten Patriarchen 2lntr;tmuS, ©eberuS unb SfyeoboftuS einzutreten (f. 21.
10 9Jconotol)tofiten 33b XIII, 394, i ff. 394, i ff.). ®ie Äatfetin folt ir,n, ber balb nacf,
2lgaberS Xobe nad) diom abreifte, mit reiben ©elbmitteln auSgeftattet unb u)m . ein
©cbjeiben an 23elifar mitgegeben fyaben, baS biefen antoieS, für bie SSafyl beS 23. einju=
treten. ^ebenfalls toar 93. ifyr ^anbibat. 311g er in 3tom eintraf, fanb er ben
^anbibaten £l?eobar,atS, ©ilberiuS (f. b. 21. 23b XVIII, 338), bereits im 23efi$ beS
15 ©tur)IeS, unb eS tofiete irm 9Jtuf;e unb ©elb, ben bi^antinifcfyen gelbljierrn, ben er in
Neapel (nic^t in ÜJkbenna [fo Liber.], f. ^affe z- $. 536) getroffen Ijiatte unb ben roo^I
aueb, feine ©attin 2lntonina, Sf/eoborenS greunbin, bearbeitete (Proc. Hist. Are. I, 1
p. 13 unb 16), geneigt zu machen, ben Söunfct) ber ^aiferin $u erfüllen, ^nbeffen fanben
fieb, balb zuretdjenbe ©rünbe in ber bolitifdjen Haltung beS ©ilberiuS (f. baS SJtafyere
20 23b XVIII, 338), unb ber 29. 9Jcärz 537 fab, 33. als $abft (nid^t 22. 9cob.; baS nötige
SDatum ergiebt fieb, aus ber gu aßen 23err/ältniffen paffenben 2lngabe beS Fragm.
Laurentianum [bei SDucfyeSne, LP. 46], roonacb, 23. 18 3>al)re, 2 SRonate, 9 SLage am=
tierte; aueb, wirb er in einer römifcb,en Qnfcf)rift Dom ^uni 537 [be 9iojfi, Inscr. Christ.
1, 482] als beatissimus papa bezeichnet). Über baS @nbe beS ©ilberiuS ift bereite
25 a. a. D. gel)anbelt roorben, boeb, mag r/injugefügt werben, bafj ber S£ob beS ^ßa^fteS fyöcbjt
roafyrfdjeinlid) in ben $u™ 538 (nic|t 540) faßt, unb bajj am 20. ^uni, bem 23egräbniS=
tage (LP. 293, 7), fein ©ebäd)ntS bon ber Hird^e gefeiert roirb. ©in 23rief, in bem er
au§ bem @rjl heraus gemeinfam mit toter 23ifcb/bfen 23. berbammt fyabm folt (Mansi
9, 6 ff.), ift irofe 23aromuS (g. 3. 539) abofrtybb, (f. ^3agi 3. 3. 539, «Rr. 3 u. 4).
30 2Bie fieb, 93. mit feinem ber ^aiferin gegebenen 23erfbrect;en abgefunben fyat, läjjt
fieb, ntebt ficb,er erlennen. 23ei SiberatuS (p. 1041) unb 93ictor bon ^unnuna 0ier aber
erft z- 3- 543) ift ein an bie obengenannten Patriarchen gerichtetes ©cb,reiben überliefert,
in bem fid) ber ^>ap\t unter 2luferlegung ftrengen ©tiKfcb,loeigen§ ju ib,rer ©IaubenS=
roeife befennt. SiberatuS giebt aueb, bie gormel toieber, bie 93. feinem 23riefe beigelegt
35 fyahe, in ber eS unmi^berftänblicb, Reifet : non duas Christum (?) confitemur na-
turas, sed ex duabus naturis compositum . . unum Christum. 3Jcöglicb,er=
roeife fbielt gacunbuS (ctr. Moc. MSL 67, 861) auf einen folcfyen 23rief an, roäb,renb
LP 296, 15 ff. umgeleb,rt ben ^patoft auf ein SJJa^nfctjreiben ber Üaiferin fc^roff ant=
roorten (ä|t: prius locutus sum male et insipienter, modo autem nullo modo
40 tibi consentio ut revocem hominem haereticum et anathematizatum. ©0 fyat
er felbfttoerftänbUcb, rticfct gefcbjieben, aber aueb, bie (Scfytb/eit jenes ©cfyreibenS, jumal beS
23efenntniffeS, ift meb/r als jroeifetb^aft, unb bie ^JRöglicf/feit mu| offen gelaffen roerben,
bafj eS bon gef)äffigen ©egnern bem $abfte untergefö^oben ioorben ift (6r)amarb 557
nennt ben 23rief unter 23erufung auf ben ©til absolument apoeryphe; aueb, SDucb,eSne,
45 Vig. 373 unb LP 300 W. 9 neigt gur 2Innab,me ber gälfcfmng, roenn er fieb, aueb,
nid)t beftimmt äußert). ©icb,er ift nur, bafj ^ab,re »ergingen, ef;e fieb, 93. in ber bog=
matifcb,en grage amtlicb, mit ber Regierung in ^onftantinobel in 23erbinbung fe|te, unb
nunmehr gefcfjab, eS in anberem ©inn. 2ttS ^uftinian bringenb rourbe (CSEL 352, 14),
fab, er fieb, beranla^t, fieb, am 17. ©ebtember 540 in jroei ©^reiben an ben $aifer unb
00 an ben Patriarchen 9RenaS (Litteris clementiae unb Licet universa, f. 0. ©. 633,25)
ju 6b,aIcebon %u belennen unb bie monobr/bjitifcfyen Patriarchen namentlich gu berbammen.
^m übrigen ift aus ben erften Qab,ren feiner SlmtSjeit nicfjt biet befannt geblieben. LP
296, 1 ff. weife ju ergär)Iert, bafe 23elifar ben gefangenen ©otenfönig 93itigeS bor feinem
^ranSbort nacb, Äonftantinobel bem ^3abft borgefüb,rt ^aht, ber ib,n in ber 23afilila ^ulii,
55 bem ©mbfangSfaal im Sateranbalaft (bgl. ®uc|eSne, LP 282, 9c. 5), feiner berfönlicb,en
©icfyerfyeit , eiblicb, berfieb^erte. ^t aueb, bie ^ointe ber (Srgäb,lung niebt erfidjtlicb,, fo lönnte
fiep boeb, 2ib,nlid)eS zugetragen b,aben. S)er ®ia!on 2trator feiert in feiner Epist. ad
Vigilium (MSL 68, 73 ff.) ben ^ßabft roegen feiner 93erbienfte bei ber 23elagerung
9tom§, unb eine bermutlict) (f. Sangen 343) auf biefe ,ßett ju bejiefyenbe ^5nfdc)rtft (bei
60 ©ruter, Inscr. 1171 31 4) greift 93. als 2Bieberb,erftetter ber ©räber ber 9Jlärt^rer 2lleEanber,
»tgiltitS, yntft 635
33ttali§ unb SRartialtS. 33on feiner amtlichen ftr/ättgfeit berichten biet Ur!unben: am
6. 2Rärg 538 beauftragt er ben 33tfd)of 6äfartu<3 Don Strlcö, bem Honig Don äluftrafien
Ifyeubebert feine 3Billen3meinung über bie bom Honig in feiner ©beangelegenfyeit ju
leiftenbe 33ufee lunbjutfcun (Mansi 34 f.); am 29. Sunt 538 erteilt er bem 33ifcfyof ^ro=
futurum (nidd @utf>eriu3) bon 33raga berfcfnebene ^nftruftionen (Mansi 29—33); am 5
18. Dltober 543 fe|t er ben 9?ad)folger be3 GäfariuS, 2luraniu3 bon SlrleS, babon in
HenntmS, bafe er tt/tn ba3 Pallium nid)t jufenben lönne, ob,ne borfyer ben Haifer (nidjt
ben fräntifdjen Honig, wie Sangen 353 bruden läfet) ju unterrichten (Mansi 40 f.). 2)a<3
Schreiben, in bem er ba§ Radium jufagt, ift erft bom 22. 9M 545 battert (Mansi 42 ;
bgl. aud) ba<8 9tunbfd)retben an bie gaKifcr)en 33ifd)öfe unb einen Vetteren 33rief an 10
2luramu3 bom gleiten Sage Mansi 43 f.). 3tujaniu§ amtierte nid;t lange; fcf/on am
23. ätuguft 546 fyat SS. feinem SRadjfolger Slurelian ba<§ ^ßaHtum jugefagt (Mansi 46 f.
u. bgl. 47 f.).
SamalS mar er nid)t meb/r in 9rom. ©enn tnjtnifdben t/atte bie bon £r/eobor
2l3tiba§ entfeffelte 2tftion unb ba§ @bift Haifer SuftmianS bon 543 (fo SDiefamb, Drige= 15
mftifdje ©ireitigfeiten, fünfter 1899, 54) ober 544, in bem ^Serfon unb ©driften
JljeoborS bon SRobfueftia, bie ©Triften SLboboretS bon ßtyruS für sJceftoriu§ unb gegen
GtonH, fotoie ber 33rief be§ %ba$ bon ©beffa an yjlaxtä mit bem 2Inatf/em belegt
tourben, jenen ©treit l)eraufbefc|moren (f. ®reifabitelftreit, 33b V, 21), ber bal ©cfyidfal
aud) beS 33. mürbe, ©eine Situation war bon Anfang an aufeerorbentlict) fcfytoierig. 20
ßinem fo guten Henner ber Sage im Orient fonnte e<§ ntcfyt berborgen fein, bafe ber faiferltcbe
drlafe bie fo notmenbige UnionSbolitil ju beförbern borjüglicb, geeignet fein mufete (f. b. 31.
^uftinian 33b IX, 657, 15 ff.). 2Iud) roar nid)t baran ju jmeifeln, bafe ber ^mberator
feinen SöiHen aud) unter Stntuenbung bon ©emalt burcbjufe^en gebenle. 2lnbererfeit§
toar mit ©icfyerr/ett borau^ufefyen, bafe ba3 ©btft im älbenblanb einen ©ntrüftungSfturm 25
fyeraufbefcrjmören muffe unb bafe e3 für ben rbmifcfyen 33tfdmf berr/ängnisboß toerben
fbnne, menn er tl)m beitrat. SDiefe ©rroägung mufete junädjft im 33orbergrunbe ftefyen.
®er SDiaton ©tebl>anu§, Slbofriftar be3 römtfdjen ©tufyleS in Honftanttnobel an ©teile
beS nad? 3iom jurüctberufenen ^elagiuS, fyanbelte gemife nidjt ol)ne Sluftrag (Facund.
def. trium capp. IV, 4 p. 625 berietet nur bie£fyatfacf>e; bocb, bgl. 33.3 bei Fac. ctr. 30
Moc. p. 862 edierte Slufeerung) al3 er bem fd)toanrenben Patriarchen ÜERenaS ben Etüden
ftärfte unb roenigfteng fo biel burcfyfetjte, bafeSRenaS ba§ @bift nur unter ber 33ebtngung
unterfef/rieb, bafe aueb, bie ^uftimmung be§ 3tömerö eingebolt toerbe. 33alb aber mürbe beffen
Sage frittfefy. Quftinian liefe ib,m ben 33efeb,l gufertigen, berfönlic^ in Honftanttnobel ^u
erfreuten. LP, 297, 1 ff. fdnlbert feb,r lebenbtg, aber in ber SRotibierung falfcb, unb in 35
ben (Sinjelfyetten fdimerlicb, guberläffig, bie Umftänbe, unter benen ber ^abft bon Korn
abreifte, um e<3 nie toieberjufeb,en. 2lm 22. -iJcobember, bem 2age ber ^1. Gäcilia, fei er
in beren Hircfye in ^ra^tebere roä^renb be§ ©otte§btenfte§ aufgehoben unb ju ©cb,iff ge=
bracht roorben. 3ubür erteilte er bem 23olfe ben ©egen; faum aber mar ba§ ©cb,iff
abgefahren, ali i§m ber ^5öbel ©teine, Hnüttel unb Hocb, töbfe nacb^marf unb ben 5ßabft mit 40
Sermünfcfyungen überhäufte, ^ft 33. mirflieb jmang^toeife bon 9iom toegger;oIt morben
(aueb, ©ucb,eäne 383 fe|t 3^^ifel barin unb fbrtd)t bon einer resistance de forme,
bie ber ^ßabft geleiftet fyahe)f fo toirb e§ immer auffallenb bleiben, bafe man tl)m ge=
ftattete, einen fo fangen (Proc. Bell. Goth. 3, 16: kvy%ave twXvv nva %qovov
lv S. diatQißrjv tjav) Slufentfyalt in ©ijilien gu nehmen, mie er iJjrt genommen b^ben 45
mufe. ®enn, mag nun feine älbreife bon 3tom544 (fo nod}3affe, wenn aud) jmeifelnb:
bafür mürbe aueb, je£t nod} bie ^Datierung be<§ ®reifabttelebiltö auf 543 fbred;en, menn
fte fid; alg richtig betoäfyrt) ober 545 (fo Sangen 354 SR. 3 unb 2)ucr,e§ne, LP 300
Tl 12 unter 33erufung barauf, bafe bie 33riefe an 3lurantu§ [f. 0. ©. 635, 5 ff.] noeb, in 9tom
getrieben ju fein fd)einen) erfolgt fein, jebenfalbS ift er erft um bie ^afjregmenbe 546/547 so
in ber sJieid)ßr/aubtftabt angelangt. Sllg fein 33ertreter blieb in 9iom $elagiu§ jurüd,
ber fid) mäf)renb ber 33elagerung 3tomg burd) Xotila um bie ©tabt fel)r berbient machte
(f. b. 2t.^elagiu3 105, uff.). 33. felbft bat bon ©ijilien (LP 297, 15 nennt ßatania als
ätufentfyaltäort ; auf ©runb melcber QueEe ©uebeäne 397 bon ©t;ra!u§ fbrid}t, ift niebt
erftd)tlid)) 5Probiantfd;iffe nad) 9tom gefdjidt, bie freilid; ibr $kl nid)t erreichten (Proc. 55
Bell. Goth. 3, 15); bem Rubrer ber ©rbebition, 33ifd)of 33alentinug, liefe 2otila beibe
§änbe abbauen (1. c). 2tber 3tom trat jurüd, bie bogmatifdje grage nabm alle Über=
legung in Slnfbrucb.. ^acunbu§ (ctr. Moc. p. 862 f.; bgl. Def! 4, 3 p. G23) teilt
©tüde aus einem ©^reiben beö $abfte§ an SDcenaS mit, morin 33. bem Patriarchen
megen feiner Unterfcb.rift fdiloere 33ormütfc mad;t, eS billigt, bafe ©tebt;anu£ bie fird)licf)e eo
636 SigütttS, ^atft
©emeinfdjaft mit xijm aufgehoben fyahz, unb barauf bertoeift, bafj nacf) einet il;m burd)
©aiiul, 33ifd>of bon Sftailanb, ber ilm bon Äonftantinobel aul in ©Milien aufgefucfyt f;at,
geworbenen Mitteilung biele anbere ©eiftlicfye (barunter ©atiul felbft) unb Säten biefem 33ei=
fbiel gefolgt feien (nad) SDucfyelne 399 ift biefel ©d)reiben sans doute [?] erft auf ber
5 üftetfe nad; ^onftantinobel in S£fyeffalonid; [?] abgefafjt roorben). ^njtoifdjen Ratten fidE> bie
Stfrilaner geregt. 2luf eine if)m burd; bie SDiafonen 'ißelagiul unb 2lnatoliul über=
mittelte anfrage bei römifdjen $lerul erflärte fid) gulgentiul gerranbul auf bal ©ntfcbjebenfte
gegen bal (Sbift (f. bal 9Räf)ere 33b VI, 316, 2 b ff.). 2tud; ber 33rtef bei 33ifd?of§ ^ontian
an ben Äaifer (Mansi 9, 45 f.: quid nobis cum mortuis inire bellum, ubi nulla
io invenitur in congressione victoria ? apud judicem verum iam tenentur, a quo
nullus appellat) toirb 33. nicfyt unbelannt geblieben fein. @r felbft fudjte ^uftinian
unter Berufung auf bie abenblänbifcfyen ©timmen brieflieb, ju betoegen, bon feinem 33or=
fyaben abjufter/cn (Fac. Def. 4, 3 p. 623). ®afj ifym 3°^u§» oet: ^ßatriardj bon
2lleranbrien, bie 33otfd)aft bon feiner Unterwerfung unter bal @bift fd;idte, erregte ifm
15 tief (Fac. 1. c. 4, 4 p. 626).
©djliefjlicb, toar längeres 3ögem nicfyt meb)r angängig, %m §erbft 546 brad; ber
Sßatoft bon ©ijilien auf. ©ie Steife führte burd) Serien uni> ÖeEfll (Fac. 1. c. 4, 3
p. 624) ; in ^3atral toar 33. am 14. Dftober (93eftättgung bei 33ifd)ofl SRarjmian bon Stabenna,
f. 2lgnelli, Lib. Pont. Ravenn. MG Scr. Rer. Lang, et Ital. p. 326). Sie 2Jn=
20 fünft in j^onftantinobel fe|t ber gortfetser bei 2RarceIItnul ßomel auf ben 25. Januar
457, LP (297, 18), bem 9)cariul bon 2tband)el (MSL 72, 797) felunbiert (jebod) nur
bezüglich bei ^afyrel; f. aud) ©ucfyelne, LP. 301 9t 19), auf ben 2Seifynacr;tlabenb 546.
®er offizielle @mbfang toar r)öd^>ft efyrenboll ; üaifer unb $abft ioecfefelten Äüffe unb ber=
goffen 5£I)ränen, mie bal bei folgen ©elegenbeiten üblich ift. 2111 Slbftetgequartier biente
25 bie Domus Placidia, bie Söormung bei 2tbolrtfiarl (®ud)elne 400 91 1).
©er @rnft ber ©ituation follte balb offenbar werben, greilid) finb toir über bie
erften ©dritte bei ^abftel nid)t beutlid) unterrichtet. 3^act) einer nic^t ganj burd)fid)tigen
9totij bei Ifyeobfyanel (be 33oor 225, 13 ff.) foll 33. gleid) nad; feiner Slntunft bie brei
ftabttel berbammt Ijaben. SDamlt ftef)t aber in üffiiberfbrud) bie fofort angefcfyloffene 2ln=
30 gäbe, bafj er bem Patriarchen 9ftenal bie ^trebengemeinfefeaft gefünbigt fyabe, meiere 2ln=
gäbe burefy gaeunbul (Moc. p. 862) infofern geftü|t toirb, all biefer bon einer allgemeinen
©jfommunilation ber Unterzeichner rebet, ma§ fbäter ©regor b. ©r. (Ep. 2, 51) jur @£=
!ommunifation audj ber ^aiferin '^b.eobora bergröbert fyat. SRenal, fo fcf)reibt Xljeoblianeö,
t>abe bem ^ßabft mit gleicher 9Jtünje gejault, unb erft am 29. Suni Ratten fieb, bie beiben
35 auf 33emüb^en ber Äaiferin mieber ausgefölint. Qn^tDifcben aber I)abe Quftinian bem
^ßabfte jugefe^t (bgl. audj bei Ä'aifer§ eigene ©arfteUung ber SSorgänge in feinem ©cbreiBen
an bie©tmobe bon 553, Mansi 181f.; Fac. Moc. p. 860 ftetlt 33ebrängung be§ ^3abfte§
entfcfyieben in 2tbrebe) bis ju ber ©rolnmg, il)n berl;aften ju laffen. ©ie§ roieber toirb
buref) bie Slngabe ber italienifcb.en Älertfer (Ep. Cler., Mansi 153) beftätigt, tüonad? 33.
40 fcfjon bamall öffentlich aulgerufen fjaben foll : contestor quia, etsi me captivum
tenetis, beatum Petrum apostolum captivum facere non potestis. ^n biefe
^eriobe »erben aud] bie beiben 33riefe gehören, in benen 33. bem Haifer unb ber Äaiferin
bie 33erbammung ber brei ^abitel jufagt (Mansi 351), bie gunäcbft geheim gehalten
»erben feilten unb bie fbäter in fritifcf>er ©tunbe (f. u. ©. 638, 51) §um 33orfcb,ein lamen.
45 2lucb, bie Qidjfycü biefer ©^reiben ift beftritten toorben (3. 33. bon ßouftant 438—443),
aber abgefe^en bon einer ^toeifellofen monotf)eletifcf)en ^nterbolation enthalten fie faum
angreifbares (f. §efele 2, 818 unb 855 ff.), gum Überfluß fbricf)t aud) gacunbuS (Moc.
p. 360) bon einer oeculta pollicitatio, unb auf ber ©imobe bon 553 berfid)erte ber
33ertreter bei Jlaiferl, ba^ 33. feine 3ufa0e fdjriftltd; unb münbltcb,, fogar in ©egentoart
50 be§ Äaiferl, gegeben l)abe. ®ie ftarle 33etonung ber ©ered;tfame feine! ©tuble§ in ben
33riefen ift offenbar aul ber 3lbfid)t bei ^ßabftel ju berfteb^en, bem @bilt ntebt lurjtoeg
burd) Unterfdmft beizutreten, fonbern feine ©tellungnab^me bureb, befonberen @rla^ funb=
Zutb^un unb bamit ben ©djein ju toafyren, all entfdjeibe er bie <5afy. ^n 2Bir!lid;feit
batte er fid;, toie ®ud)elne (©. 404) rid)tig bemerlt, bie §änbe gebunben. gtoar tbat
55 er allel, um ben ©inbrud einer neuen Unterfudmng b^erborjurufen. %lad) gaeunbul
(Moc. 859 ff.; bgl. Def. Praef. 527) berfammelte er 70 33ifcb,bfe um ftd) unb erörterte
mit ib^nen in brei ©jungen inlbefonbere bie ffia^, ob bal Dreüabitelebift fid; mit
bem ^onjil bon Sb^alcebon in SBiberfbrud) fe^e. 2111 aber gaeunbul, ber feurigfte unb
belefenfte 2tntt>alt ber 33erbammten, ben 33e»eil antreten tooßte, bracb, 33. (ber bie
60 afrtfantfebe 33erebtfam!eit fürchten mochte) bie SSerljanblung ab unb berlangte bon jebem
üßtgtltuS, ^a}jft 637
ber j£eilnef)mcr ein fdjiriftltdjeS @utad)ten. 9caiürlid) feien biefe ©utad)ten unter „mono=
bfybfittfdjem" ®rud fo auggefallen, tote man cS gemünfcf)t l)abe, unb 93. fyabe ©orge ge--
tragen, bafj fie bem $aifer fofort Vorgelegt mürben.
©omit mar bie 33afm flar, benn ber Söiberftanb beS gacunbuS, ber nunmehr feine
Defensio ausarbeitete unb hinter bem bie Slfrilaner ftanben, mar ^mar unangenehm, 5
brauste aber nict)t entfcfyeibenb ins ©emid)t fallen. 3)ud)eSne (©. 402) meint eS be=
{lagen gu fotlen, bafs 33. ben $elagiuS ntd)t jur ©eite gehabt fyabt, ber il>n beffer beraten
fyaben mürbe als feine SDiafonen. Unb gemifj mürbe ^elagiuS feinen ©influjj in ent=
gegengefetjter Sichtung geltenb gemacht fyaben, mie er eS in einem fbäteren ©tabium (f. u.
3. 57) getrau f>at. ^ebenfalls tl)at 33. nunmehr einen entfcfyeibenben ©dniit: am 10
CfterfamStag (Ep. Vig. ad Rust. etc. Mansi 353) 548 überfanbte er SRenaS fein
„ijubicatum", baS eine runbe 93erbammung ber SDreifabitel, baneben freilieb, aud) ein
ebenfo runbeS 93elenntniS jum Sfjalcebonenfe enthielt (f. baS 93rud)ftüd in 3u^nu^
©abreiben an bie ©tmobe bon 553 Mansi 181; §efele 822 ff. fyat richtig bemerlt, bafe
bie im Äonftitutum bon 553 enthaltenen ©ä£e auS einer epistola ad Menam [CSEL 15
316, 4 ff.] bem ^ubicatum entnommen finb). @r felbft I)at fpater (Damn. Theod. Mansi
59) bie &a&)Z fo bargefteHt, bafj er mit feinem ©rlafj ben beunruhigten ©emütern foju=
fagen eine 3JJebi^in fyabe berfdjreiben motlen (aud) in ber Ep. Cler. [Mansi 153] mirb
Don dispensatio gefbrodjen). @r mag aucl) mirHid) fo gebadet fyaben. ^ebenfalls iDa*'
eS if)m |öd}ft unangenehm, bafe fein 9ceffe unb ®iafon SftufticuS, offenftcfytlid) erfreut über 20
ben ©djritt feine§ DnfelS, überaHl>in, auch, an ^ßelagiuS, bon bem mir freilief) nur erraten
Jönnen, mie er bie ©acf;e aufnahm, 2lbfd)riften beS ^ubicatumS berfcbjdte. @r mufj
toieber gehofft fyaben, baf$ ib/tn bie ^olttü möglichster ©efyeimfyaltung (mer Slbfd^rtft l)aben
wollte, fotlte fie fieb, bon SRenaS erbitten, Ep. ad Rust. 353) über bie nächste 3^it meg=
Reifen merbe; mag fbäter gefcfyab/, mod)te fiel; bann finben. 25
®af$ bie 93efanntmadmng beS ^ubicatumg bie übelften folgen für i^n blatte, fofern
fie baS Slbenblanb in gellen Slufrufyr berfe^te, ift bereits im 3ttt. Sreifabitelftreit (93b V,
22, 40 ff.) bargelegt morben. @S maren ja ntdjt nur bie Slfrifaner, bie ftd) empörten,
©ein gaUifdjer 93tfar, Slurelian bon 2lrlcS, mufe il)m einen fel)r befümmerten 93rief ge=
fdjrieben fyaben, unb 93. brauchte biele Söorte, um tfyn ju beruhigen (93rief bom 29. 3l»ril 30
550, Mansi 361 ff.). SDie balmattfcfyen 93ifd>öfe leimten baS ^ubicatum ah (Ep. Cler.
Mansi 153), bie iHt>rifd)en festen gar ifyren SJtetroboliten ab, ber bafür eintrat (Vict.
Turin, j. 3.549). ©elbft auS ber «einen römifcfyen @n!labe (f. Sfyeobafcbjien, 93b XIX,
660,26), bem ffr/tfyifdjm S£omi, fam ein beforgteS Schreiben beS 93ifd)ofS 93alentinian
(f. b. ^ßabfteS Slntmort bom 18. SRärj 550 Mansi 359). Unb nidjt einmal feine eigenen 35
2)ia!onen gelten ©tidj: 3tufticu§ unb ©ebaftian traten jur Dbbofition, unb ber $abft
mufete fie balb barauf eEfommuni^ieren (Ep. ad Rust. etc. Mansi 351—59). @s fdjeint,
ba^ biefe Dbbofition an^ bei §ofe ©inbrud gemacht ftat. Quftinian mürbe fonft bem
$abfte fein ^ubicatum nid}t jurüdgegeben unb fid) ntdjt mit bem ©eban!en bertraut
gemacht fjaben, bie ganje «Streitfrage einer großen ©^nobe borjulegen. 2ln ein Slufgeben 40
be§ Slnat^emg bad)te ber Äaifer natürlich, nid)t; bielmeftr liefe er bem ^ßabfte burd)
Ibeobor SXSfibaS unb ben ^atriciuS ßetl)egu§ am 15. Sluguft 550 einen @ib abnehmen
(Mansi 363 f.), bafe aueb, er bie 93erbammung ber brei $abitel meiter betreiben merbe.
2Bieberum bebang 93. ftdt) au§, bafe biefer @ib geheim gehalten merbe, unb eS gelang il;m,
bei einer berfönüdjen 93erl;anblung mit bem $aifer, ber eine Sinjal)! 93ifd}öfe beimob^nte, 45
baS für \b]n mertbofle ^ugeftänbniS ju erhalten, bafe bie gragc bi§ jum ^ufammentritt
ber ©imobe rubren folle. greilieb, ruljt biefe Angabe nur auf bem 3euÖn^ ^ ^ßabfteS
(Damn. Theod. Mansi 59), unb e<§ ift nid>t recb,t berftänblia), mie eine fold)c @nt=
l)altfamfeit b,ätte bemäfjrt merben lönnen. Xb,atfäd)lid; mad;te fdmn bie Haltung ber
afrtfanifcb,en 93tfcb,öfe, bie ber ©inlabung ^ur ©t;nobe ^olge leifteten — bie tttyrifdjen so
toeigerten fid; (Ep. Cler. Mansi 1 53 ; ber 93rief ber ^leriler ift für biefe ©bifobe §aubt=
quelle) — , fie unmöglich. : fie mußten gemiffen§f;alber bie Obbofitton fcf)üren, unb ib,ren
©egnern mufete baran gelegen fein, fie ju bearbeiten. Überrafcben mag e§ immerhin,
bafe ^uftinian im ©ommer 551 burd} ein neues (Sbift (Mansi 537— 582) ber ©t;nobal=
entfd)eibung borgriff unb bie 93erbammung ber brei ^abttel bon neuem einfd)ärfte. 3e°en= 55
falls fd)lug ber (Srlafe in ber Umgebung beS ^3abfteS mi? eine 93ombe ein. 93ermutlicf) ift
eS $elagiu3 gemefen — er toar um biefe 3eit nad) ^onftantinobel jurüdge!el;rt (f. 93b XV,
105, 3i) — , ber 33. barin beftärfte, nunmehr bie bisher fo forgfältig unb borftd;tig behütete
93erteibigungSftellung aufzugeben unb mit fräftigem 93orfto| gum 2Xngriff überzugeben.
5Rid}t ob,ne ©runb fab, ber ^3abft in Xfyeobor 2lSfibaS ben §aubtgegner, tro^bem biefer 60
638 SBtgütuS, ^atft
fpäter feine ^Beteiligung an ben Vorgängen möglid)ft absufd)Wäcr;en berfucfyt l>at (Mansi
62 f.). 3fm traf nun ber toäbftlidje 33annftraf)l : SÖtitte ^uli fcb>fi ifyn 33. au<S ber
JUrd^engemeinfcfyaft au§. ®ie SlntWort lief? ntcfyt auf ficb, Warten: balb füllte fid) 58.
in ber Domus Placidia nid^t mel)r fieser unb f!o^> mit feinen ©etreuen in bie^3eter§=
5 bafilifa in £ormi§ba (bgl. Iner^u unb jum golgenben ba§ unten [£. 24] erwähnte toäbftüd)e
Stenbf ^reiben unb ben S3rtef ber ^lertler). §ter berfyängte er am 17. Sluguft, umgeben
bon ben abenblänbifef/en 33tfcb,öfen, bie 2Jbfet$ung über Slfyeobor unb bie @r.tommunifation
über feine 2tnb,änger, aueb, SJienag bon ^onftantinobel. Sie aSeröffenttid^ung ber Ur=
lunbe füllte borläufig unterbleiben, um ifyren ©tnbruef beim Uaifer unb ben betroffenen
10 abzuwarten. 2Iber bie (Sreigntffe überftürjten fid) nun. 2Bäb,renb be§ ©otte§bienfte§
erfcfyien 9)cilttär in berJRirdje — bafe e<§ gerabe am 17 2tuguft geWefen fei, Wie ©utfjeSne
411 bramatifd) ergäbt, fagen bie Quellen nid)t, unb e§ ift Wegen ber begleitenben Um=
ftänbe fogar unwafyrfcfyemlicb, — , um ben ^Babft Wegzuführen, ber ben 2Htar umflammert
Jjielt. 2lngefid)t3 ber Haltung be§ 33oIf3 mufjte ber ^Brätor bon feiner 3lbftd)t abfielen.
15 33. l>at bie Äircfje erft berlaffen, nad)bem il)m ^uftinian ©icfyerfyeit für Seib unb Seben
•$ugefd)Woren fyatte, aber er fyielt es> boeb, für rätlid), in ber iRad)t bom 23. jum 24. SDe=
Zember ben ^ßlacibabalaft Wieber $u berlaffen unb ftcb, nacb, Sfyalcebon einjufdüffen, Wo
er ficb, in ber @ubf) emiafabelle fieser füllen burfte. ^mar mar er aud) § ier 33ebrängungen
au§gefe|t: Wenigften3 berlegt ein 33rief be3 römifcfyen 5?leru§ an ben gaUifd^en, beffen
20 Slngaben auf ben $abft f elbft jurüd'gef)en (Mansi 56 ff.), in biefe 3e^ °ie 33erl) aftung
ber ©iafonen $ßelagtu§ unb SLulltan, bie aus; ber $ird)e weggeführt Worben feien, unb
fbrid)t »on tl)ätlicfyer 5SJii^b,anblung be§ $abfte3. 33ermutlicf) mar ba§ bie $o!ge oer
§artnä(Jtg!eit, mit ber 33. allen 2tnnäb,erung€t>erfucb/en $uftinian§ entgegentrat, bie $olge be=
fonberS ber 33eröffentlid;ung feiner 33annbuße gegen Sfyeobor unb feines» 9iunbfcr/retben3
25 bom 5. gebruar ($um Saturn f. §efele 849 3R. 2) 552, in bem er über bie ifym in &on=
ftantinobel ju teil geworbene 33el>anblung fernere ^lage führte (MSL 50— 55). ©o fd)ien
ein @nbe nid)t abjufefyen. £a lenlte bie ©egenbartei ein. Unter nid)t ganj beuüicr)en
Umftänben, fidler aber nid)t olme 9Btffen be§ ^atferö, reichten bie @E!ommunijierten bem
^abfte ein 9ted}tfertigung§fd)reiben mit entfbred)enbem ©lauben§befenntnt§ ein (aufge=
30 nommen in bas Constit. Vig. CSEL 231 f.). Wad] bem %obz be§ 5Renaä (3tuguft
552 ; f. 33b XIII, 396, 20) überfanbte ber neue ^ßatriard) @utt)d)iug am 6. ^emuar 553
ein entgegenfommenbeg SlntrittSfd^reiben (gried;. u. lat. Mansi 185— 88). 33. antwortete
fofort (8. San.) unb erflärte fid) ju fimobaler 33eratung bereit. 2lber er Wollte e3 nur
unter ber 33orau§fetjung tf)un, ba| bie ©ijnobe in Stalten ober ©ijilien gehalten Werbe
35 (f. aud; Constit. Vig. CSEL 234, 22). ©elbftberftänblicb, leimte ber ^aifer bie gorbe=
rung ab (1. c. 234, 27), »erftanb fid) aber baju, eine 3lrt ©cb,ieb§gerid)t borjufd^Iagen.
31I§ aueb, biefer 33ermtttelungöberfud) frud)tlo§ blieb, erging an ben $abft ber gemeffene
33efeb,l, nunmehr jur ©^nobe ^u erfd)einen, Wibrigcnfallä fie ob,ne ifm eröffnet Werben
Würbe. 33. blieb bei fetner Steigerung unb erflärte ben ^ommiffaren beg üaiferS, er
40 Werbe feine Meinung fcr/riftlidj abgeben. 3lm 5. 3!JJai 553 trat bie ©tmobe pfammen.
■Ser ^pabft War Wob,l fd^on längere gett nad) ^onftantinobel jurüc!gefei>rt. Sie
33erb,anblungen feit @nbe 552 fe^en feine 3tnWefenb,eit in ber §aubtftabt borau§. $Da§
Constitutum de tribus capitulis, ba§ er nunmehr aufarbeitete, ift bom 14. 3Jiai 553
auä Äonftanttnobel batiert. (S§ ift eine umfängliche unb gefcb,id't abgefaßte Urlunbe, bie
45 ib,rem 3Serfaffer (Wie Weit ^]elagiu§ baran beteiligt War [f. 33b XV, 105, 35 f.], Wirb fia)
fc^Werlid) feftftetten laffen) alle @b,re mad^t. SDer gan^e 5Rad)bruc! liegt barauf, jebe
©eiftelgemeinfd)aft mit bem SRobfueftener gurüdjuWeifen unb boct) bie 3Serbammung ber brei
^abitel abjulefjnen. ©em $aifer fottte ba^ ^onftitutum am 25. 9M überreicht Werben
(bgl. fttergu unb jum golgenben bie 2llten ber 7 ©i^ung ber ©tonobe). @r nab,m e§
50 nic£)t an. ®a er aber bartn mit ©runb ba§ Ultimatum be§ ©egner§ feb,en mufete, fo
glaubte er fid) nun aller 9iücffid}t überhoben, ©ein ^ommiffar legte ben ©imobalen
jene geheimen, ben ^abft blo^fteßenben 5Do!umente bor, in benen 33. fid) für bie 93er=
bammung ber brei i^abitel au§geftorod)en b,atte. ®amit Würbe ber 33efef)I berbunben,
ben tarnen be§ ^3abfte3 au§ ben 'sDibt^en ju ftretd)en, gugleict) aber bie berub,igenbe
55 33erficl)erung gegeben, ba^ bamit ba§ 33anb mit 3tom nid^t jerfdjnitten fein folle. ©ie
©bnobalen gingen natürlich auf aUeö ein, unb bie in ber achten ©ujung bom 2. ^uni
gefällte ©cfylufcfentenj über bie Äabitel entfbrad) ben faiferlidjen Söünfd^en. T>a% 33. ber=
bannt Worben ift, Wirb man LP. 299, 4 nicf)t ob,ne Weitere ©eWä§r (Marc. Com.
Contin. ad ann. 554 giebt Heine folcfye, ba man l)ier ba<§ exilium bom 21ufentb,alt im
60 Orient übertäubt berftel>en lann) nad)fd)reiben bürfen (fo §efele 905), obwohl feine §al=
»igtlm«, ^atft 639
tung baburd» nodb, berftänbltd^er Werben Würbe. 2>ebenfall§ ü>ax e<3 eine fc^toere grage,
ttne er fid; auf bie ®auer behalten folle. (Serabe jefct fyatte Suftintane; 5Dia^t in
Italien burd) 9>carfeg' ©otenftege ben ^öfyebunr't erreicht, $ür einen renitenten $abft
beftanb leine 2lu3fia;t, jemals Wieber in ben 33efv|$ feines ©tufyleS ^u gelangen. 2tn ber
fretltd) überaus naiben SDarftellung beS LP. 299, 1 ff. bürfte bod; fo Diel richtig fein, 5
bafe man fid; bon 9iom aus um bie Sftidfefyr beS $abfte3 bemüht I;at, unb eS werben
iserb, anbiungen ftattgefunben b,aben. Sötr fennen nur baS -Jtefultat: bie Unterwerfung
bc§ 33. (Er fünbigte fie bem Patriarchen (Euü)d;tu3 mit ©cfyretben bom 8. ©ejember 553
(Mansi 414—420) an unb erläuterte fie am 26. gebruar 554 in einem langen, geWöl;n=
Iid^> als Constitutum Vigilii pro damnatione trium capp. bejeiebneten ©djriftftüd (1. c. w
457—488), beffen (Eingang Wir nidjt beffen unb beffen Sibreffe unbelannt ift. §ier
Reifet eS am ©cfyluffe: quaeeunque vero sive meo nomine sive quorumlibet pro
defensione memoratorum trium capitulorum prolata fuerint vel ubieunque
reperta praesentis nostri plenissimi constituti auetoritate vacuamus (1. c. 488).
(ES Hingt ein biSd)en Wie ^rofanatton, Wenn 33. feinen Slücfjug mit 2IuguftinS 9tetral= 15
tattonen in parallele fetjt (1. c. 415), unb man berftefyt eS, bafe einem fo überzeugten
2tnf>änger ber entgegenftet;enben $oliti! Wie ^elagtuS zornige 2ßorte über biefen gront=
toed;fel in bie geber gekommen finb (f. 33b XV, 105, 44). 2lber IßelagiuS fclbft ift nod;
3u2ebaeiten33.'3 beffen 33eifbiel gefolgt (a. a. 0. 105, 15 ff.), unb 33. eriaufte fid) burd) fein
sJtadigeben bie Siücrlefyr nacb, 9bm. 3)ie bragmatifdje ©anftion bom 13. Sluguft 554, 20
burd; bie ^ufunian bie 33erl;ältniffe beg Wiebereroberten 3taüeng regelte (in bcnStn^ang
beS Cod. Just. als Const. I aufgenommen), Würbe pro petitione Vigilii, venerabilis
antiquioris Romae episcopi crlaffen. Äaifer unb ^3abft f Rieben alfo in gutem (Einber=
nehmen, unb 33. trat bie 3?üd'reife nid)t mit leeren §änben an, WaS für feinen (Empfang
nia)t gleid)giltig fein mochte. Slber er lam nidjt bis 9fom. $m Fragm. Laurent. 25
(LP. 46) Reifet eS: moritur in Syracusis seeunda feria, nocte, septimo idus
iunias, indictione tertia, b. t). am 7 Sunt 555 (Sangeng ß^e'fel 345, % 1, finb un=
gegrünbet). SEobeSurfacfye War baS ©teinletben (LP. 299, 11; Marc. Com. Cont. ad
ann. 544), baS ilm Wol)l fd)on lange quälte. ^elagiuS b,at fid) fbäter bon bem 33erbad)t
reinigen muffen, bafe er beim Stöbe beS ^abfteS feine -panb im ©biele gehabt fyabe (LP 30
303, 5 ff.), liefen Jüatfcf) ernft ju nehmen (Sangen 381, 91 3), finb Wir burd} ntcfctä
berechtigt. Sie 33eifet3ung erfolgte in ber SRarcelluSürcfye an ber 33ia ©alaria (LP
299, 12).
©aS 93erb/ alten nur Weniger unter ben $äbfien in ber älteren gett fy at f 0 biele (Erörterungen
unter Hatfyolifen unb 2lfatl)olifen fyerborgerufen Wie baS33igtlS, fein fd;led;teS geilen ^r ^,a^ 35
toaS bon einem ^ßabft aud; aufeerfyalb ber latb,oüfd)en ©emeinfcfyaft berlangt Wirb. 3BaS man
fid; bon einem orientalifdjen, gefdjweige einem fonftantinobolitanifd;en Patriarchen gefallen
läfet, Wirb einem $abft $ur Unehre angerechnet. 6r foß bon feinen $atrS gerietet
toerben. Unb ba haftet ber 33lid balb an 3)tarttn I. (f. 33b XII, 380 f.), ber in burcb,=
au3 bergleic^barer Sage entgegengefe^t fyanbelte unb für feine Überzeugung in ben Xoh 40
ging. --Run, ein überzeugter üJJann war eben 33. nic^t: 5Rom War ib,m eine 9Jceffe Wert;
ob er fie mit gacunbuS, 9Kenag ober ©eberuS feiern foUte, ba§ Inng bon ben Um=
ftänben ab. Stimmt man ^in^u, ba^ fieb, über Stecht unb Unrecht ber 33erbammung ber
brei Äabitel tfyatfäcfylid) ftreiten liefe, bafe e§ nidjt angebt, baö bogmatifd;e Urteil lebiglicb,
an ber Stellungnahme ber 2tfrifaner unb tb^rer ©efinnungggenoffen abjumeffen, unb ba§ 45
fia) bom fird)enboIitifd)en ©tanbbunlt biel bafür fagen liefe, Xb,eobor ju obfern, um6b,al=
cebon ju erhalten, fo berfteb, t man 23., ob, ne i^n barum rechtfertigen ju muffen : bogmatifd;
unb bolttifd) fd^wanft er Wie ein Sftobj unb ift bie Unjuberläffigfeit in ^erfon. greilid;
erfennt man Wofyl, bafe aud) feine ^3oIitif im legten ©runb baö für einen $abft felbft=
berftänblidje giel berfolgte : bie 9iecf)te feines ©tufyl<§ aud) bor bem 5?aifer ju beraubten, 50
mobern auggebrüdt, ber ^ird)e md)t bom ©taat @efe|e borfc^reiben ju laffen. 2lber e§
festen if)m offenbar alle @igenfd)aften, \id) biefem ßtel anberS al§ auf ©cb^IeicfjWegen
ju näfjern. (Einer ^mperatorcnpoltttf Wie ber juftimanifrfjen gegenüber mag ber gerabe
SBeg freiließ fct)Wer gewefen fein, benn ber fonnte ben Slobf foften. %b,n etnjufcblagcn
^at 33. eine ^eit lang — freilief) unter bem ©influfe beö $elagiu§ — berfuebj : abS er, 56
allen laiferltcljen 93itten unb 2)rol;ungen jum %xo§, ein freiet Üonjil auf abenblänbifd;em
Soben forberte unb feine Xeilnafyme an ber fonftantmobolttamfd)en ©^nobe ftanbi>aft
Verweigerte, War er auf guter 33afm. 316er man fief)t bod) fofort, bafe ifyn feine 33er=
gangenbeit Jjmbert, unb jWeifelt nidjt einen 3lugenblid baran, bafe erumfef>ren Wirb.
So bleibt ba§ ©efamtbilb unerfreulich, unb bie (Sbifobe 33igiliuö in ber s]>a]pftgcfdnd)te 6«
640 SSigütuS, fap$ 2Jigiltu§ t>. 21)<tyftt§
unerqutcflid). Qnbeffen, Wer toeiterblicft, ftefyt in nid)t ju Weiter gerne bte ©eftalt
©regorg b. ©r. auftauten unb finbet aucb, in biefer ©bifobe einen 33eleg für ben <3a$,
bafj bie toäbfilid)e %b?e md)t abhängig ift bon ifyren Prägern. ©. Srügcr.
SStgiliuS, $Bifd)of bon SEfyabfuS (Snbe 5. $!).)• — Sttteratur berjeicrjnet t>on
5 Ul. Ebeüatier, Repertoire des sources historiques au moyen äge. Bio bibliographie, s. v. 28id)tig
ift grotgenbeä : Bernardi Vindingi Augustioiani theologi Criticus Augustinianus castigatus.
Vallameriae, 1621; $. gr. ßfyifffet in fetner 2tu§gabe, f. u. ; OL Seiüier, Histoire generale
des auteurs sacres et ecclesiastiques XV, $ari§ 1748, p. 250—273 (bjertn forgfültige 2tna=
lt)fe ber fünf Siidjer gegen 6uiöct)e3); Siffemont, Memoires pour servir ä i'histoire ec-
10 clesiastique des six premiers siecles XVI, $ari§ 1712, p. 23, 614—621, 801, 802, ügl. IX,
$ari§ 1703, p. 727, X, ^ari§ 1705, p. 738—741 ; ©t. 2t. WorceKt, Africa Christiana I,
Brixiae 1816, p. 307, III, 1817, p. 216,235; DckrB IV, 1887, p. 1143, 1144; g. ftcitten=
bufcfi, ®a§ apoftolifctie gpboll, 1894, @. 145—150, 163, 189 f. II, 1900, 259f., 450, 986;
®. gider, ©tubien ju S3igüiu§ üon £fi,aüfu§, Seipjtg 1897; 3. Quitt in „Sr^antintfcbe
15 ®enfmäter" fierauSgeg. üon 3. @trä»goro§fi III, 23ten 1903, ©. 83—100, Ulf. (nenuenbet
bte ©cfjrtft gegen (£uü)d)e§ jur Gsrftftrung ber SDJofaifen üon @. SSitale in 9tanenna; baju
ug(. §. ©cbenft, ebenba, ©. 111 — 118, ber aud) allgemehtere Söemerfungen ü6er bie titterar=
gefcf)td)ttidie ©teUung be§ SStgiliuS macfjt); £)■ SSarbenberoer, ^ßatrotogte2, ^reiburg 1901,
©. 543, 544; offner im tircbenlerjfon2 12, 1901, 959—962; Sßl. ©djanj, @efd)id)te ber
20 romifctjen Sttteratur bis jnm ©efetsgebungSwerf be8 Äaifer§ Suftinian IV, 1, SJUincfien 1904,
©. 280, 348, 349; §. Seclercq, L'Afrique chretienne II, «ßarte 1904, p. 203. Sttteratur
ju einzelnen Schriften f. u.
©ine ©efamt ausgäbe ber ©djriften, bie er glaubte 5ßigiltu§ üon Stjaüfug auftreiben
$u füllen, bat ber gefuit $. fyv. ßfjifftet ueranftaltet: Victoris Vitensis et Vigilii Tapsensis
25 Provinciae Bizacenae Episcoporum opera. Divione 1664. S)anad) ftnb be§ SStgtlivtS
©cfjriftert abgebructt in BM VIII, p 721 — 807 (mit 2(u§nat)me üon contra Felicianum,
contra Varimadum [BM V, p. 726 — 751], contra Palladium) unb famt(icE) mit Efjiffletä 2tb=
banblungen unb 2tnmertungen in MSL 62, 93—544. (Sine 9?euau§gabe trurb für ba§ CSEL
vorbereitet üon £). ftunnert unb 3- ^ßenjl. 3)ie älteren 21u§gaben unb ®rucfe einzelner
30 ©cfjrtften finb neräeicfjnet üon .3. 21. g-abrictu§, Bibliotheca latina mediae et infimae aetatis,
VI, Hamburg 1746, p. 825—827 (SSigiliuS); IV, 1735, p. 76—78 (3baciu§ SlaruS); V,
1736, p. 870—872 («JJrjoebabtuS).
%n bem 33erjeid)ntä ber fatf)oIifd)en 33ifd)öfe, Weld)e auf §unerid)§ 23efef)I jum
1. gebruar 484 nad) (Sartt/ago lernten (ober fommen feilten), um 5Red)enfd)aft bon tbrem
35 ©tauben ju geben, Wirb als> letzter 33tfd)of ber provincia Byzacena Uigilius Tap-
sitanus genannt (Victoris Vitensis historia persecutionis Africanae provinciae,
rec. S. £>alm in MG, auetores antiquissimi III, 1, 1879 p. 68, 109; rec.
Tl. ^etfc|enig in CSEL VII, 1881, p. 127, 109; t>g(. ba-^u 211. ©djiDarje, Unter=
fud)ungen über bie äußere @nth)icfelung ber afrtlantfct;en c^ird)e, ©öttingen 1892, ©. 160 ff.;
40 2. ©dnnibt, ©efcr;ttt)te ber SBanbalen, Setpjig 1901, ©. 105 ff.). Sn ^er feiner 2luggabe
beigegebenen 2lbbanblung bat ber $efuit 6r;tff(et biefen Vigilius Tapsitanus ibentifigiert
mit bem Vigilius episcopus Tapsensis ecclesiae, ber in bem Liber Mannonis
(§anbfd)rift ber off. Sibliotfyef t>on %xoi}^ 2405, 8./9. 3ab,rb,. ; »gl. Catalogue general
des manuscrits des bibliotheques publiques des departements II, 1855, p. 1001,
45 1002; $r/eimfd)e§ SRufeum 48, 1893, ©. 284f.) afö SSerfaffer bon bret gegen @utöd)eö
(ben @utr;d)iam§mu3) gerichteten §8üd)em bejeiebnet toirb. ©iefer ^benttfi^terung ift bte^er
ntd)t rcttberftorDd)en morben, unb e§ läfjt ficr) aud) au§ ben bamit für 33igüiu<o üon
2:bapfu§ gewonnenen ©d)riften fein entfcr;eibenber ©runb bagegen geininnen. ®anad)
war aSigiltuä 484 33tfd)of üon Zatofug (je|t ©imaS refß. 9iag ®tma§; bgl. Corpus
50 inscriptionum latinarum VIII, p. 11; SEouIotte, Geographie de l'Afrique chre-
tienne. Byzacene et Tripolitaine, Montreuil-sur-Mer 1894, p. 201, 202; SToutain,
Les cites romaines de la Tunisie, Partie 1895 [Bibliotheque des ecoles franc.
d'Athenes et de Rome, fasc. 72], p. 144, 391, 404) in ber afrifamfeben ^robtnj
S^acena. Über feine Sebengfd}icffale baben Wir feine wetteren fieberen ^acfyricfjten unb
65 fönnen auet; ntcbtg bafür au§ feinen ©d)riften entnehmen. ®ie Vermutung liegt nab,e,
er fei nad) bem für bie $atI)olüen ungiütflid)en 2luggange be§ 9Wtgion§geftoräd)e3
bon 484 bon §unertd) be<3 £anbe§ berWiefen Werben; bod) läfjt fie fieb, ntebt genügenb
begrünben, ba niebt atte fat^oltfc^en S3ifcr;öfe bon biefem ©d)icffal betroffen, fonbern alle
nur tbree Slmteö entfernt Worben ftnb (bgl. ©cb,toaräe a. a. D., ©. 162—167). 2)ie 2tn=
60 gäbe, er ^abt feine 33üd)er gegen ©utr;d)e§ in Sbnftantinobel, alfo in ber Verbannung
gefd)rieben, finben Wir erft bei SLbeobulf bon Orleans (de spiritu saneto, MSL 105, 273)
unb bon biefem entnommen bei Slneaä bon ^3ari§ (opus adversus Graecos, MSL 121,
aStgtltuS bon £I)ii}jfu§ 641
717), ohne bafe Wir fagen fönnten, fie Wäre ettoa3 anbereg al§ eine auf bie Seftüre ber
Vücfyer gegen ©uttycfyeg zurücfgefyenbe Vermutung S^cobulfS. ©tWaS 5Räl?ere3 über VigiliuS
äl$ 23ifc|of Wüpten Wir, Wenn er ju ibentifijieren Wäre mit bem älbreffaten be§ ©Treibens
beg (Setfu§ ad Vigilium episcopum de iudaica incredulitate, mit bem ilmi bie lateinifcfye
Überfettung ber diseeptatio Jasonis et Papisci überfanbt mürbe (Cypriani opera 5
rec. gartet III, 3, 1871, p. 119—132). Sanacb, fei er bei feiner unerwarteten 9tücf=
fefyr bon einer überfeeifcfyen peregrinatio blö^licb, unb fcfyleunigft jum Vifd)of erhoben
toorben unb fyabe fo ben in ber ©emeinbe um bie VifcfyofäWal)! entftanbenen ©treitig=
feiten ein @nbe gemacht. Vielleicht barf man ben fct)Wierig ju beutenben Söorten be§
©cfyreibeng entnehmen, bafj er 5Röncb, mar (bgl. p. 131, 15: religiosi; 17: deuotae 10
mentis). ®ie SBafyl fei erfolgt in einer geit, in ber ben 33ifdb,öfen bie ©efal)ren beä
•JRärtfyrertobeä befonberä naf)e ftanben. {Man begießt bie betreffenben SBortc allgemein
auf eine Verfolgungen ; nottoenbig ift biefe Schiebung nietjt; bie ©leicfyung Vtfcfwf —
ÜKarttyrer ift aueb, ofme Siücfficfjt auf ba3 blutige 9Jiartt;rium betrogen werben; bgl. ba=
ju 6. SuciuS, ®ie Anfänge be3 ^etltgenfultä in ber ct)rifilicf)en $ircf>e, l»erau<3geg. bon 15
&. Stnricf), Tübingen 1904, ©. 410-419). 3tber bie ^bentifoierung be§ Slbreffaten
obigen ©^reiben? mit Vigiliug bon SLf>abfu<§ ift ganj unfietjer (bgl. 3B. DJtac^oIj, ©puren
binitarifcfyer ©enfmeife im 2lbenblanbe feit Xertullian, Qena 1902, ©. 6—15, 2lnm.;
2lb. £>amacf, Chronologie II, 1904, ©. 390—393). SDarum finb mir fo gut Wie ganj
auf bie Schriften be§ 9JJanne§ angeWiefen, unb biefe fagen uns über feine äußeren 2ebenS= 20
fcfndfale nicfytS. (R. Hünftle, Antipriscilliana, gretburg 1905, ©. 109 fdjeint an=
junefymen, bajj er Wäbjenb feiner Verbannung in ©banien getoefen fei; aber bafür täjjjt
fieb, noeb, biel Weniger geltenb machen, als für feinen 2tufentbalt in Äonftantinobel.)
SDurcb, ba£ fyanbfclmftlicfye geugniS Werben V. b. %f). libri quinque contra Euty-
chetem beigelegt (MSL 62, 95—154; früher Würben fie bem Vifdjof bon Orient, 25
Vigiliu§, ber unter einem ^onfulat be§ ©tiltdjo 400 ober 405 -äftärttyrer geworben fein foll,
äugefcr)rieben). ®a3 4. Vucb, füfyrt ben ©onbertitel: Defensio epistolae S. Leonis papae ad
Flavinianum Constantinopolitauum ; bas> 5. Vud): Defensio decreti synodi Chalce-
donensis (über ben £itel in ben $anbfd)riften bgl. gtefer a. a. D., ©. 10 ff.). £)er Ver=
faffer fcb,reibt hortatu sanetorum fratrum (MSL 62, 119A); bon ber Beobachtung 30
au3, bafe ber @utr/d)ianigmu§ im Orient im Vorbringen begriffen fei (95 B, 105 D). ^n
erfter Sinie ift feine ©cfmft für griectnfcfye Sefer berechnet; er b,at fieb, bemüht, fo einfach
Wie möglieb, ^u fcfjreiben, bamit eine Überfe^ung feiner ©djirift in§ ©ricc^ifc^e nicb,t nötig
Wäre (104B; baö b,inbert ib,n freiließ nid;t, an ber gezierten ©precf)Weife ber bamaügen
^ett teilzunehmen, Wie fieb, befonber^ an feiner ©ud)t flangbolle 2lntitf)efen gu bilben er= 35
fennen läjst). ^n feiner Söiberlegung be§ @uti^ct)e§ maetjt er bon bem ©runbfa^e ©e=
brauch, ba| bie fatbolifd;e 2öab^rb,eit ben mittleren 9Beg einhalte jwifcb,en ben extremen,
einanber bire!t entgegengefe^ten 2lnfcb,auungen ber §äretifer, unb b,at barum aueb, bie
SSiberlegung be§ 3ieftoriuä aufnehmen muffen, ^m 4. 33ud)e Weift er bie Singriffe eine^
Ungenannten auf Seo§ Sefyrbrief an glabian unb ba^ ßfyalcebonenfe jurütf unb füb,rt 40
einzelne Wörtliche ditate an. @g ift biSfyer noeb, ntct)t möglicf) geWefen, biefe§ ©d}riftftüd
in feinem bollen Sßortlaute nac^juWeifen. ®a§ 5. Sucb, ^at er mit einer ©ammlung
toon 2luöfürücben flaffifd^^irc^licfjer Tutoren auSgeftattet, bie er bon Vabft 2eo über=
nommen §at. ' ©enügenbe 2lnb,alt§bunlte, bie ©c|rift be§ 23igiltu§ ^eitlicb, ju filteren,
b,aben Wir nicfyt; bie Wa^rfd^einlidifte Slnna^me ift bie, baft fie nicf)t allzulange nacb, bem 45
Gfialcebonenfe berfa^t Worben ift (bgl. giefer a. a. D., ©. 20 ff.).
^m 5. Sucfje (2. lab., MSL 62, 136A) Weift ber Verfaffer auf bie 33ücb,er bin,
quos adversus Sabellium, Photinum et Arium sub nomine Athanasii, tanquam
si praesentes cum praesentibus agerent (ubi etiam Cognitoris persona videtur
indueta) conscripsimus ; in iljnen i)ahz er au^fü^rlid) über bie Berechtigung ber £on= 50
jilien, aueb, nict)t in ber ©cb,rift enthaltene Sßorte in ben lirc^lic^en ©bradjgebraucb, ein=
jufü^ren (er meint ba« ö/uoovaiog), gefyanbelt. SDiefe, bor ben Libri contra Euty-
chetem berfa^te ©djrift ift un§ erbalten. 6b,ifflet l>at ib,r ben SEitel gegeben: Contra
Arianos etc. Dialogus. Athanasio, Ario, Sabellio, Photino et Probo iudice
interlocutoribus (MSL 62, 179—238; bret Bücfjer). SDie einzelnen Männer, bie mebr 55
alg bie autbentifeb^en Vertreter einer bogmatifcfyen 2lnfd;auung, benn al§ ^iftorifd^e sl>erfön=
liebfeiten erfebeinen, muffen fiel) gegenfeitig abtfyun, biö 3trtuö unb 2ltl)anafiu3 übrig
bleiben unb Sltbanafiuö ber ©icg bureb „Probus iudex" jugefbrocljen Wirb. Sie bicr
berWenbete gorm beö SialogS unb be§ ©dneb§gerid)t§ ift eine bei fird)lid)en ©cf)riftfteUem
nieb, t feltene ©infleibung, geWäblt im ^ntereffe ber lebenbigeren ©eftaltung ber SeWei3= ^
!R^aI=®nc^ftopäbie für Ifceoloaif «nb S(ft«e. 3. Sl. XX. 41
642 $tgUiu§ tum $()apfu§
füfyrung utib gur ©tärfung ber SDceinung, eine objeftibe Beurteilung muffe bem ortf»o=
borm SefenntniS 9ied)t geben. ®af5 23igiliu§ btefe ©djrift al§ eine ©djrift be3 2(tfya=
nafiuS, unb nicfyt unter feinem tarnen I)abe ausgeben laffen, Wie man au§ ben obigen
SBorten fd^Ite^en tonnte, wirb Wiberlegt burd): bie SBorte ber (Einleitung (180 C):
5 Sabellium ergo, Photinum, Arium, atque ad nostras partes Athanasium in-
troduxi.
33on biefer ©cfyrift ift, bielleicr/t erft in $arolingifd)er ,geit, ein 2Iu^ug gemalt
Worben, ber nur 2lrtus unb 2ltl)anaftu§ berüdftdtfigt unb mit einer nad) 3tuftn§ äirct;en=
gefegte gearbeiteten (Einleitung berfefjen Worben ' ift (MSL 62, 155—180). (Rifflet
io fyat btefen 2lu<^ug für eine erfte 2lu3gabe ber längeren ©cfmft gehalten (bgl. barüber
gtcfer a. a. D., ©.26 ff.).
9Jlit großer Sffiafyrfdjeinlicfyfeit !ann aucb, ber unter bem tarnen 2lugufttn3 gefyenbe
liber contra Felicianum et Arianum de unitate Trinitatis ad Optatum (MSL 62,
333—352; gebrucft aucf> unter ben Söerfen 2luguftin§ MSL 42, 1157—1172) SMgiliuS
15 beigelegt werben. ®a| er nid)t 3luguftin jum SSerfaffer I)aben !ann, ift allgemein an=
erfannt. Söir b)aben fogar nodj) ein l>anbfcr)riftlid)e§ ßeugniS fur b*6 guWeifung an SßigiliuS
(bgl. giefer ©. 77). 35er ©til unb bie tfyeologifdjien Ausführungen fbrecfyen nidjt gegen
33igtliu§. 2luguftinu3, bem ber äkrfaffer feine ©ebanfen in ben Sftunb legt, Will ben
Slrianer nid)t bureb; ©cfyriftbeWeife, fonbem sola ratione Wiberlegen.
20 %lad) biefen ©Triften $u urteilen Ijaben mir in 33tgiliu3 einen tljeologifcb, unb
^iftorifcb, gut unterrichteten Mann gu feiert, ber gWar in feinem fünfte eine felbftftänbige
unb förbernbe tbeologifdje Meinung bertritt, ber aber in gefdudter Sßeife gegen (Sutfycfyianer,
(banbaltfd)e) Slrianer unb anbere §äretiler baS 9ted)t ber ortfyoborm 2Infct)auungen bar=
gelegt Bat. Virtuos fyanbltabt er bie fcfyon bon Seo in feinem Sebjbrief geübte $ra£t§,
25 bie 2luSfagen ber ©cfyrift über ßfyriftuS retrtlicr) ju berteilen auf bie ©ottfyeit unb bie
9Jcmfcf/I)eit Gbjifti. ®afj er bei ber ©rflärung beS 2Ia3 bie SCttegorte unb Str/bologie
retcfylid; anWenbet, fyat er mit allen Geologen feiner gett gemein. üDa ben 2trianern
mit bem ©d)riftbewei§ nic^t mel)r beijulommen War, fo mußten fie burd) SSernunftgrünbe
Wiberlegt Werben. 63 ift felbftberftänbltd), bafj SßigiliuS bon 2luguftinu§ biel gelernt
30 b,at. ©eine fcfyriftfteßerifcfie (Eigenart ift bebingt bureb, ba§ ©treben, ben ©egner bureb,
Selegftellen av.3 ber ©cfyrift ober ben fircfylidjen 2lutoritäten ober burd) 23erftanbe3grünbe
^u festlagen. Ttan lann tl)m eine geWiffe fcb/riftftellerifdje ®unft nicfyt abfbredjen. Söenn
man ifm, Wie $. ^ünftle tfmt (Antipriscilliana ©. 109), ben angefefyenfien Geologen
ber geit nennt, fbrict/t man über ben ©tanb ber bamaligen (afrifanifcfyen) Geologie ein
35 fefjr fyerbeS Urteil aus. 33on einer ©elbftftänbigfeit ber afrifanxfdjcn Htrcfee gegenüber
ber rbmifcfyen finbet fiel) bei il)m leine ©bur meljr.
Verloren finb folgenbe ©Triften:
^n feinem dialogus 1. II, c. 45 (MSL 62, 226D— 227C) teilt SigiliuS ein ©tücf
mit au^ bem liber „quem ad versus Maribadum, nefandae haereseos vestrae
40 diaconum, edidimus". SDiefer 5Raribabu^ ift geWi^ ibenttfd) mit bem $Dta!on 3Dcari=
uabu§, ber bei ^unerid) in aus>nel)menber ©unft ftanb (Victor Vitensis, hist. pers.
Vand. ed. ^Setfd;enig I, 48, p. 21, 8). SDiefe ©cf)rift ift bi€l;er nod; nicfyt gefunben.
(ibifflet f)at fie ofme ©runb Wieber finben ju tonnen geglaubt in ber giterft bon
^ob,. ©idjarbt in feinem Antidotum (Basileae, Henr. Petrus) 1528 herausgegebenen
45 ©cl)rift: Idacii Clari Hispani contra Varimadum Arianum liber et difficillimorum
quorumque locorum de trinitate declaratio (MSL 62, 351—434). @3 giebt
leinen genügenben ©runb, bie ^bentifigterung biefe§ ^baciuS ßlaruS mit bem bon IJfibor
bon ©ebiHa de viris illustribus c. 15 (MSL 83, 1092) genannten 3>taciu§ Slaru§
ju beanftanben (©. b. SjialoWifi, ^f^Dr uni) 3lbefon§ al§ Sitterarl)iftoriIer, ^ird)en=
so gefd;icf)tlid)e ©tubien, fyerauägeg. bon ^nöbfler, ©djrörS, ©brale! IV, 2, 1898, ©. 23
biö 26; über ben tarnen ^tb^aciuS bgl. 3!Jtommfen in MG, Auct. antiquiss. XI,
Chronica minora II, p. 3 3tnm. Slucb, ^. ^ünftle, Antipriscilliana, greiburg 1905,
©. llö £>at biefer ^bentififatiort jugeftimmt). ®ie ©d)rift ift bebeutfam al§ ein gegen
ben 3lriani§mu§ gerichtetes ^ombenbium ber ©djriftftellen, bie bie fird^lidie STrtnttätäle^re
55 beWetfen, unb fyat als folcb,e großen ©influfj auggeübt. (@tnige§ barüber bei $ider ©. 50f.)
©rofee ©tüde finb bon ^ßfeubo=3ftt>0* aufgenommen Worben (bgl. Decretales pseudo-
isidorianae, ed. §infdnu§, p. CXXXII; 99—101; 718—720; 105—107, 713—715,
705 f., 122 f., 189f.; 204f., 80f., 219 f., 88 f.). teuere Unterfudiungen fehlen.
@ine anbere feiner antiarianifeb^en ©dmften erwähnt 33igiliu§ in feinem ^Dialog II, 50
eo (MSL 62, 229. 230). @r fyahe auf bie ©cfyrift be§ arianifcfjen 33ifd)of3 «PaaabiuS, bie
SSigtliuS bon ^tjttpfuö 643
biefer gegen SlmbroftuS (Wie SigiliuS irrig meint nad) beffen Slobe) getrieben Ijabe,
„uno iam libello" geantwortet. (Über ^aUabiuS, SBiftfwf bon diaüaxia in Moesia
superior unb feine 379 »erfaßte ©egenfd)rift gegen SImbrofiuS' de fide lib. I unb II,
bgl. %v. ßauffmann, 3lu§ ber ©cfyule be§ Söulfila, SLejte unb Unterfudjmngen jur alt=
germanifd)en 3ieltgion§gefd)icbte, Serie, I, ©trafeburg 1899, p. XXXI— XXXVI, L— LIII.) 5
2lucb biefe ©d)rift ift nidjt erhalten, ©enn bie libri duo contra Palladium Arianum,
bie Rifflet &igiliu§ ^umieS (MSL 62, 433—468), befielen au3 ben jefct allgemein atö
erfjt anerfannten 2tften be§ ^on^lS bon Stquileja bon 381 (bgl. 23b I, ©. 761, uff. ;
II, ©. 42, 60 ff. unb $auffmann a. a. D.) unb ber je£t geWöfynlid) ©regor bon ©Iiberi3
(f. u.; bgl. 33b XI, ©. 667, es ff.) gugefcfyriebenen ©cfyrift de fide. 10
■Jftit Unrecht I)at (SFjtfflet 23igiliu3 „de trinitate libri duodeeim" beigelegt
(MSL 62, 237—334; bgl. baju Sßal. SRofe, £>ie lateinifcfyen 2Jleerman=£anbfcr,riften beg
©ir Bornas $r/illibb3 in ber königlichen 23ibIiotf>el ju Berlin, Berlin 1892, ©. 145 f.;
gicEer a. a. D.f ©. 53 ff.; ©. SWorin in Revue Benedictine XV, 1898, p. 1—10;
6. §. Turner in The Journal of Theological Studies I, 1900, p. 126— 128; 15
31. & 23urn, ebb. p. 592—599; Ä. Äünftle, @ine Sibliotbe! ber ©bmbole unb %ty&
logifcfyer SLrattate jur 33erämbfung be3 $ri§cilliani§mu3 jc. [gorfeb/ungen jur ßbriftlicben
£itteratur= unb $Dogmengefcbicr;te, l)erau3geg. bon @b,rb,arb unb Jftrfcb, I, 4] SRainj 1900,
©. 100 — 115; ©. Stftorin, Les nouveaux „traetatus Origenis" et l'heritage litte-
raire de l'eveque espagnol Gregoire d'Illiberis, in Revue d'Histoire et de 20
Litterature religieuses V, 1900, p. 145 — 161; berf. in Revue Benedictine XIX,
1902, p. 229—242; & Äünftle, Antipriscilliana, greiburg 1905, ©. 184—187;
2. ©altet, Fraudes litteraires des schismatiques luciferiens aux IVe et Ve siecles,
$ari3, Secoffre 1906). 2tl3 fixeres Siefultat barf angenommen Werben, bafj nur bie
Sücf/er I — VIII jufammengebören ; IX— XII fyaben anbere SBerfaffer unb finb jebeS für 25
fieb ju unterfucfyen. I — VIII ift eine überarbeitete unb ergänze 2. 2Iu§gabe bon I— VII.
Sittgemein anerfannt ift, baft biefe beiben 2Iu3gaben nictSt nacb, 2lfriia, aueb, nict)t nacb,
Italien (bie £ijbotf/efe, @ufebiu<§ bon 23ercelti fei ber 3Serfaffer, ift bon SJiorin felbft jurüc!=
genommen werben), fonbern nac^Sbanien gehören, unb jtoar an ba§ (Snbe be<8 4. (ober
an ben Slnfang be3 5.) 3>ab,rl)unbert<5. $Dem Sljatbeftanb ift ©altet am heften gerecht 30
geworben. @r ibentifvjiert (Wie Sftorin in ber Revue d'Histoire et de Litterature
religieuses V, bgl. oben) ben SSerfaffer bon ^3feubo=2lmbrofut§ de fide (MSL 62,
449—468; gebrueft auef) 17, 549—568; 20, 31—50) mit bem SSerfaffer ber 11. I— VII
de trinitate unb fcbjiefct fid) ber alten unb wofylbegrünbeten Meinung an, ber 3ßerfaffer
bon de fide fei ©regor bon @Iiberi<§ (bgl. oben 3. 9 f., nict)t ^fwebabiuS bon Slgennum), 35
©regorg fieben Sucher de trinitate feien (bor 383) be3 ©abeHianiämuS berbäcfjtigt
Worben; barauf fyaht er de fide berfafst unb bie fieben 33üd)er überarbeitet unb ba<§
acfyte bin^ugefügt. Unb aud) ber libellus fidei (de trinitate 1. IX; er gef)t unter ber=
febiebenen tarnen bgl. gid'er, ©. 74; Äünftle, S3ibIiotb,el ber ©r/mbole ©. 112 f.) mu|
bemfelben äkrfaffer angehören (bgl. aber Äünftle, Antipriscilliana, ©. 46 — 58, 186 f.). 40
Man fann au§ ben neueren gorfcb,ungen erfeben, ba^ biefe 11. I— VIII refb. IX Ur=
!unben faft erften 9knge§ für bie ^ird;engefcb,icf)te ©banienS finb, für beren 3lugnü^ung
Wir erft in ben Anfängen fielen. %l\i)t nur Werben ^äretiler mit tarnen genannt unb
cb.arafterifiert, bie Wir fonft nicfyt !ennen; aud) ber ©egenfa^ jum $rigciEiani^mu§ ift
fcf)arf jum 2lu§bruc! gebraut. 45
(äJlan bat angenommen [fo 3. 33. bie 33aHerini in ben observationes in dissert.
XIV Quesnelli MSL 56, 1074], bie 23üd)er de trinitate feien bon ^baciuS 6laru§
berfafet; er fagt nämlicb, in ber Sßorrebe jur ©cfyrift contra Varimadum [MSL 62,
351]: cuiusdam Varimadi Arianae seetae diaconi propositionibus . respon-
dens in uno corpore simul de unitate Trinitatis libellos digessi. Sejöge er fidb, 50
bamit auf bie b,ier beb,anbelten 11. de trinitate, fo Würbe tr)r 2ßert babureb, nicb,t beein=
träd&ttgt. ©ine genaue Unterfudjung feblt noeb,.)
Über 11. X— XII fehlen Unterfucb,ungen. ®ie «Berührungen bon 1. X mit anberen
©Triften finb aufgezeigt bon gicrer ©. 74 unb Äünftle (Stbliotbet ber ©i;mbole ©. 113).
$a§ ©d^lufeftüc! beg erften unb ba§ beö ^Weiten ^eile§ finbet fidt> Wörtlicb. bei 9ticeta§ 55
bon Stemefiana, de ratione fidei unb de spiritu saneto (ed. 21. @. 93urn, ßambribgc,
1905; bgl. MSL 62, 289 C— 290 C unb 298 mit Sutn p. 15—17 unb 37 f.; boeb
geben bie 53erübrungen noeb, etWaö Weiter, alö Surn angenommen F;at). Über 1. XI
bgl. fidler ©. 75, Äünftle ©. 113 f. 3)ag 12. S3ucb fyaben bie 33enebiftiner ali ein
ccbteS 2Berf be« 2ltbanafiu§ bejeitt)net (aueb, abgebrud't MSG 26, 1191 — 1218); eS ift eo
41*
644 »igiltuS tum $I)a|)fu8 SigHtitS tum Orient
eine ©ammlung bon ©djriftfteßen jum Sefaeife ber ©otiljett be3 1)1. ©eiftel. @<3 ift
jeijt allgemein angenommen, ba$ e§ nicfyt eine Überfe^ung au§ bem ©rtectjifcfyen fein !ann.
Stuf ^Berührungen mit $feubo(?)=2ltl)anafiu3 de incarnatione dei verbi et contra
Arianos c. 9—19 (MSG 26, 981—1028) fyat neuerbingS ©tülden aufmerffam gemalt
5 (Athanasiana, 211 W% IV, 4, 1899, ©. 63 f.; bgl. aud) Äünftle ©. 114f.).
9cod) anbere ©Triften fyat man Sßtgiltug jutoeifen wollen: bie Solutiones obiec-
tionum Arianorum (MSL 62, 469 — 472), bie Collatio beati Augustini cum Pas-
centio Ariano (MSL 33, 1156—1162), bie Altercatio Ecclesiae et Synagogae
(MSL 42, 1131 — 1140), ben Liber contra Fulgentium Donatistam (ber jebenfalt§
10 einen 2lfrifaner jum Serfaffer fyat, MSL 43, 763—774), ben bem 2lrnobiu§ ju=
getriebenen conflictus catholici et Serapionis de deo trino et uno (MSL 53,
239—322; ^euffel, ©efd)id)te ber römifdjen Sitteratur5 § 469, 5ftr. 1) unb einige anbere
(t>gl. gicfer, ©. 6), bon benen bie eine fieser nietet il)m jugefyört (de conflictu virtutum
et vitiorum MSL 40, 1091—1106; ber Serfaffer ift Stmbrofiug 2Iutbertu<o), bie
15 anberen ein beftimmtes Urteil berbieten.
ßaffiobor nennt in feinem 33ucr)e ber institutio divinarum litterarum c. 9
(MSL 70, 1122) einen Vigilius Afer antistes all ben Skrfaffer einer ©cfjrift über
bie 1000 ^ar/re ha 2lbofaIr;bfe unb urteilt: plenissima et diligenti narratione
disseruit. @3 läfjt fidE> nicfyt einmal fagen, Safe ßaffiobor eine 23erroed>felung be=
20 gangen f/abe.
^afct/afiuS Queänel b,at 3>igiliu§ bon SEf>abfu3 für ben Skrfaffer bei Symbolum
Quicunque gehalten (MSL 56, 1062—1068), unb e£ ftnben ftd; in ber SLfyat auo) in
feinen eckten ©djrtften reid^Itcfje 2lnilänge an ba§ Symbol; aber biefe §r;bott)efe ift je|t
allgemein aufgegeben (bgl. 53b II ©. 180, 34 ff.; St Äünftle, Antipriscilliana ©. 204
25 big 243). Dueinel ftü£te fid) jumeift auf $feubo=33tgütu§.
©o unbebeutenb bie bem 23igiliu§ mit 9?ecf;t ober Unrecht beigelegten ©driften jum
2eil fein mögen, um fo bringenber finb in roiffenfd)aftlia)em ^ntereffe bie SDurcbjorfcfyung
ber §anbfd;riften unb forgfältige 2iu3gaben gu toünfcfyen. ©erwarb girier.
SBigtUuS bon Orient (geft. 400). — A. S. Juni Tom. V (?lnttu. 1709) 163 ff.
30 f;anbeit ^mar auSbrücEItct) «ort SB. ; aber ba% btograpfjifdje ffliateriat ift gefummelt unb f rttifd)
unterfingt A. S Maii Tom. VII (?lntlo. 1688) in bem Prüfet de SS. Sisinnio, Martyrio
et Alexandra Martyribus in agroTridentino. — SEtflemont, Memoires X (5J3art§ 1705), 542 — 552.
— ©efyr lefenSmert: SBenebict ©ruf n ÖStormneflt, lieber ben (sattirnuSbtenft tu ben tvibenltntfct)en
?Upen (Beiträge jitr ®efd)id)te Hon 2irol unb Vorarlberg IV (Snnsbrucf 1828) <S. 1—152,
35 Befonbevö <S. 75—104. Weitere Sitteratur bei SBefcer unb SSeite s. v. unb XI (1899) 2023
s. v. Orient.
SDie äBirffamfeit bei SBifcIjofS SSigiliuS bon Orient unb bei irm umgebenben ÄreifeS
ift für bie ß^riftianifierung unb Äatfyolifterung ber rt)ätifd)en 2IIben bon grunblegenber
33ebeutung gewefen. ©ein aU 23ifcf/of bon Irient guerft nad)roeisbarer Vorgänger 2lbun=
40 bantiuS natmi 381 an einem gegen bie 2lrianer gerichteten Stetrobolitanfonjil §u 2Iquileja
teil (3Kanft III, 599; £efele II2, 34 ff.). @r felbft foH mit feiner «Kutter ÜJtajentia
(A. S. April III, 772 ff.) unb feinen Srübern 6laubianu3 (Äonfeffor, A. S. März I,
427) unb 2Jtajoriamt§ ($Rärtr/rcr, A. S. März II, 398) um biefe ^cit (A. S.April III,
772 n.) nad) Orient gefommen fein; genere Romanus, Athenis liberalibus literis
45 eruditus. Dbgleid) erft 20 Qab,re alt, fei er bon bem Slquilejenfer Sifct)of fonfefriert
toorben; aber Slmbrofiul bon SRailanb fanbte ib^m bie ^nfignien mit ber Ambrosii
ep. 29 MSL 16, 982 auf un3 geiommenen 2tmt3einroeifung. 2ln biefen fd)Iofe er fid}
an, erbaute bie bem ©erbafiug unb ^ßrotaftul gemeinte SEribenttner Äird)e unb miffionierte
IraftboH, aud) in ben Siöcefen bon Verona unb Sri^en. ©rofee§ 2luffeb,en erregte
50 i. Q. 397 ber 9JJärtr/rertob feiner brei au<§ ßabbabocien ftammenben ©laubensboten
©ifinniul, 9)jartt)riu§ unb Slleranber (bgl. 2Iuguftinu§ ep. 158 ad Marcellinum
MSL 33, 536; ©aubentiuS bon Srijen, Paulinus vita Ambrosii MSL XX, 964 A
unb XIV). 23igiliu<B tjanbelte bon biefem 3Jiartt>rium in jroei fd)toülftig unb unllar ge=
fd)riebenen Briefen, bon benen ber eine an ben 9Jad)foIger bei 2lmbrofiug, ©imblician
55 bon 5RaiIanb, ber anbere (erft i. 3. 1661 bollftänbig aufgefunbene) an 6b,r^foftomug
naa) Honftantinobel gerichtet ift. ©iefe Schreiben b,aben ibm eine ©teile in ber dmfilidien
Sitteraturgefcb,id>te bei ©ennabiul eingetragen (CLXXIl/ ed. Sernouiai 1895, p. 74).
2lm 29. 5Rai 1176 führte ber SOZiratelglaube an biefe 2Rärtt>rer ben ©ieg ber £om=
barben in ber ©d)Iacr;t bei Segnano b,erbei. Sigiliul felbft fiel aU 9)lärtt)rer am
VtgütuS bon Xvicnt SBifartuS 645
26. 3un' 40°- ®rtJ3 ^m bogmatifcfye ©d;rtften beigelegt Würben, beruht auf Ver=
medjglung mit Vigiltug bon Zatofug, bie anbererfettö pr golge gehabt fyat, bafj bie
2tften be<§ KonjilS ^u 2lqutleja unter befielt SBerfe geraten ftnb. 2lrnoti>.
VtfartuS fyeifjt im allgemeinen jeber, qui alterius vices agit, alfo ein ©tell=
bertreter, im befonberen ber Vertreter in einem 2tmte, gleicfybiel ob baSfelbe ein Weltliches 5
ober geiftlicfyeg ift (man fefye beSfyalb bie ©teilen, Weld)e Du Fresne s. v. vicarius,
vicarius Imperii u. a., Dirksen im manuale latinitatis u. a. mitteilen). ®er 2tu3=
brud Wirb aud) tec^nifc^, äfmlid) wie vicedominus, für ganj beftimmte 2tmter gebraust.
^te 2lbftd)t ber folgenben SDarftellung ift eine gebrängte Überfielt be<§ aSifariatöberb/ält=
niffeä auf allen ©tufen ber Inerardjie. 10
®a§ £aubt ber Kirche ift 6f)riftug felbft. ®ie römtfd;=fatf;oIifcf;e Kird)e berfennt
bieg rttc^t: benn tote füllte fie ben au3brüdlid)en barüber in ber 1)1. ©djrift befinblicfyen
2lu3fbrüd)en Anerkennung berfagen, nacb, benen ßbjiftug, ber felbft ©otteg ift (1 ko 3, 23),
abl Mittler jtoifdjen ©Ott unb ben 9Renfcb,en (1 %\ 2, 5; §br 9, 15; 12, 24 u. a.) bor
©ott, al§ £aubt ber ©emeinbe gefegt ift« (M 1, 18; @bb, 1, 22; 4, 15; 5, 23 u. a.). 15
£ic Kird)e lefyrt aber Weiter, baf? 6fyriftu3 ben 2Iboftel VetruS ju feinem ©tellbertreter
beftimmt f^abe (@b. 2Rt 16, 16—19 u. a.) unb biefe Vertretung bann auf ben Vifttpf
bon 9tom für alle Reiten übergegangen fei. ©cb,on früf; fyeifjt bafyer biefer Vifcfyof balb
vicarius S. Petri, aud) apostolicae sedis, balb vicarius Christi ober vices Dei
gerens in terris (f. ©teilen bei Du Fresne a. a. D.). ®aS trtbentinifebe ©lauben§= 20
befenntniS nennt ben Romanus Pontifex Beati Petri Apostolorum prineipis suc-
cessor ac Jesu Christi vicarius. 2tl§ Sfobräfentant 6i)riftt unb be§ 2lbofteIfürften
befteUt ber Vabft felbft Wieber Vifare be§ aboftolifcfyen ©tub, l§. 2113 folcbe erfd) einen im Weiteren
©inne alle Patriarchen, Primaten, ©rgbifeböfe unb Vtfcfyöfe (f. ßitate bei Gonzalez Tellez
jum cap. 2, X, de officio vicarii [I, 28], no. 5) im engeren ©inne aber bie römifd)e 25
Kurie, foWie bie bäbftlicben Segaten unb Nuntien unb bie für bie SJciffion beftimmten
aboftolifd)en Vifare unb Vifariate, bon Wellen ber für bie ©tabt 9tom beftellte Vicarius
Urbis Wieber berfcbjeben ift, Welkem bie bäbftlidje ^uriäbiltion in ber ©tabt felbft über=
tragen ift (man feb, e Gonzalez Tellez gum cap. 5, X, de officio vicarii [I, 28] no. 6).
3i>te ber Vabft bebürfen auefj feine Vifare Wieber eigener ©tellbertreter unb ©ebilfen. 30
§ür (Srjbifdjöfe unb Vifcböfe erfc^einen als» vicarii in pontificalibus bie 2öeif)btfd)6fe
unb Koabjutoren, bie legieren aber aud) allgemeiner; aU vicarii in jurisdictione
fungieren bie ©eneralbilare unb vicarii foranei (Dffijiale) ober aud) eigene Goßegia,
all Vifariat§= ober ©eneralbifariat^gericb, te. 2113 SSttare unb ©ebjlfen ber Vifd)öfe finben
fieb, früher aud; capellani, 9Jcitglieber ber ©omfabitel ober ber Kollegiatftifte. @tner ber= 35
felben I)iefj summus vicarius domini ober summi altaris vicarius, ©rofjbifar unb
beüeibete bie ©rofebifarte. ©obalb ber bifcb,öflid)e ©iul)l erfebigt ift, übernimmt ba3
Kabitel bie Verwaltung, Welche aber binnen acb,t iagen auf einen ober mehrere öfonomen
unb einen Offigtal ober SStfar (vicarius capitularis) ju übertragen ift. SDie orbent=
liefen 9JiitgIieber ber Kabitel Waren nad; ben älteren ©tatuten berechtigt, fid; felbft beim 40
Gfyorbienfte bureb, befonbere SSüare bertreten ju laffen. ©a3 fbätere 9ted;t b,at bieg ge=
änbert, au^erbem aber für jebe§ Äabitel bie Sefteßung einer geWiffen 2lnjab,I bon SSifaren
lux (Srfyöfmng ber gottegbienftlid)en geierlicb, feiten, inSbefonbere bei officium diurnum
et nocturnum, angeorbnet.
©nblia) giebt eg aueb. Vifare für Vfarrer (vicarii parochiales). £)er mit ber cura 45
habitualis berfel)ene Vfarrer b,at all feinen Vertreter, substitutus, ben ^nfyaber bet
cura actualis, curatus. Qe nacb. Vebürfnig Werben au^erbem vicarii perpetui ober
temporarii ben Vfarrern beigegeben, hierbei ift baran ju erinnern, bafj bie Vertretung
be§ Vfarrerö burd; ben Vifar in manchen Verl)ältniffen nur eine befd)ränfte fein fann,
bafj namentlid) bei ^nftiMen gemifeb^ter ^Jcatur nid)t ob,ne SJiitWirfung ber beiberfeitigen so
Drgane ein Vifariat3berf)ältm§ begrünbet Werben fann. ©0 ift inlbefonbere ba, Wo ben
Pfarrern bie ©cbulauffidjt bon feiten be§ ©taateg übertragen Werben, nur unter be=
fonberer ©enebmigung ber ©taatsbeljörbe, in Vejieb^ung auf biefe gunftion, bie Vertretung
bureb, einen Vifar jutäffig.
Über Vifare übertäubt fefye man nod; bie Kommentatoren ju ben ©efretalen I, 2S 65
de officio vicarii.
^n ber ebangelifcb,en Kird>e erfeb^einen nacb. ber Konfiftorialberfaffung ba§ Konfiftorium,
foWie bie ©uberintenbenten al§ Vifare bei ^nb,aber§ bee> Kircb,enregimentg, inbem fie bie
benfelben jufteb^enben 3fled;te in feinem tarnen fo Weit berWalten, aU er fieb, biefelben
646 aSifarinS 58illegatgm>n
nid)t ju eigener ©ntfebeibung referbiert bat. SStfare ber Pfarrer fommen in berfelben
Sßeife, roie in ber römifcfyen Äird)e bor. ©ie Vefießung erfolgt auf ben Söunfci) be§
Pfarrers, ober im $atfe be<§ 23ebürfniffe§, bon 2Imr§ roegen, borübergeI)enb ober bauernb,
felbft mit bem Stecht ber 9iad)fo[ge. ©er 2lu§brud Viiar roirb in ben $artifularred)ten
6 balb im weiteren ©inne für jeben Vertreter unb ©ebilfen eine§ Pfarrers gebraust, balb
nur für beftimmte Strien berfelben. (Stabile ober ftänbige SSilare fielen felbftftänbigen
©emetnben bor, bie nur au§ bofitiben ©rünben nid)t ju „Varod)ien" erhoben ftnb.
©ie Verwaltung eines Vifariat» al§ Vorbereitung für ein fünftigeS Pfarramt in
ber ebangelifd)en £ird)c ift fcfyon längft aU böcbjt erfbriefjltd) aEgemein anerkannt roorben.
10 gugleid) ift burd) eine berartige Verroenbung ber ^anbibaten bem VebürfniS ber 33er=
mebrung fee!forgerIid)er Gräfte ein niebt geringer Vorfd)ub ju tbun.
(£. %. Sncoifont) Schling.
SBtöegatgnott, Nicolas ©uranb be, geft. 1571. — 3. be 2e"ri), Histoire d'un
voyage faict dans la terre du Brasil 1577, (ateinifd): Historia navigationis in Brasiliam,
15 quae et America dicitur, a Joanne Lerio Burgundo, Genevae 1586, beutfef) : <5d)iffortfj in
SBrafilien in Slmertfa burd) %oi). Serium, gfranffurt 1593: Srefpin, Histoire des martyrs
persecutez et mis ä mort pour la verite" de l'Evangile 1582; SBourquelot, Memoires de
Claude Haton ; copie de quelques lettres sur la navigation du Chevalier de Villegaignon
es terres de l'Amerique oultre l'Aequinoctial iusquez soubz le tropique de capricorne, con-
20 tenant sommairement les fortunes encourues en ce voyage avec les moeurs et facons de
vivre des sauvages du pais: envoyees par un des gens dudict seigneur, $ari§ 1557; 33ejci,
Historia ecclesiastica; Calvini epistulae et responsa, Genevae 1575; §actg, La France
protestante, Slrt SBurcmb, ßfictvtier, 2erö, 9?ictjer; £id)ten6erger, Encyclopedie des sciences
religieuses XII, 385 ff. ; SK. %. Silbe § Sflogueira, ®er «DlöncfjSritter SR. $. b. 58. ®in Beitrag
25 jur Senntni§ fvartäöfifd)=brafiltanifcr)er Sßertjältniffe im 16. Qaljrlmnbert, Seipjig 1887; .f)eitl=
tjarb, V., roi d'Am^rique, un homme de mer au XVIe siecle, SßariS 1897 (ratt).). — SSon
ben äarjh'etcfjen boIemtfd)en (Sdjriften S3.§ feien genannt: Paraphrase du chevalier de V. sur
la r^solution des Sacramens du maistre Jehan Calvin, ministre de Geneve 1560; Lettres
du chevalier de V sur les Remonstrances ä la Reyne mere du Roy, touchant la Religion
30 1561; De consecratione, mystico sacramento et duplici Christi oblacione, adversus Van-
nium, Lutherologiae professorem 1561; De judaici Paschalis implemento adversus Calvini-
logos 1561 ; De poculo sanguinis Christi et introitu in saneta sanetorum interiore adversus
Bezam 1561; Les propositions contentieuses entre le chevalier de V et maistre Jehan
Calvin concernant l'Eucharistie ; De la vraie et reelle assistance des corps et sang de notre
35 Seigneur J. C. au Saint-Sacrement de l'Autel soubs les especes du pain et du vin qui
sont par le prebstre consacrez ä la Sainte Messe 1561 ; Ad articulos Calvinianae de Eu-
charistia traditionis in Francia Antarctica evulgatae responsiones 1562; De Coena Ph.
Melanchthonis iudicium, item de venerandissimo Ecclesiae sacrificio Cöln 1563; Adversus
novitium Calvini, Melanchthonis atque id genus seetariorum dogma de Sacramento Eu-
40 charistiae opuscula tria recens conscripta et in lucem edita 1563.
Nicolas ©uranb, §err bon ViEegaignon (ober ViEegagnon), ift um§ %at)x 1510
aU ©brofj einer berühmten 2tbel3familie ber Bretagne in ^}robtn3 geboren. 9Jcit feinem
tarnen ift eine ber intereffanteften ©bifoben ber franjbfifd)en Deformation berfnübft unb
jugleid) ber erfte 9ftiffion3berfud) , ber au<§ ber ebangelifd)en $irct;e berborging. Von
45 $ugenb auf für bie militärifcfje Saufbafm beftimmt, trat er in ben Stftaltefer Dttterorben
ein. 2113 ©d^tff€offijter machte er im ©ienfte Marls V. u. a. eine ©r,bebition nad) 2lfrifa
mit, über bie roir einen Vericbt au§ feiner geber baben (Caroli V Imperatoris ex-
peditio in Africam ad Arginam, fßartS 1542). ^m $ar)r 1548 führte er HJiaria
©tuart bon ©d)oti!anb nad) granfreid). §einric§ II. ernannte ir)n 1554 jum 3Sige=
50 abmiral ber Bretagne, infolge eines 3ertourfn'ffe^ m^ ^em ©ouberneur bon 33reft ent=
fd)Io§ er fid), ben föniglid)en ©ienft ju berlaffen xmb burd) eine überfeeifd)e Unternehmung
fid) bie berlorne ©unft beä Königs roieber ju geroinnen. ®r richtete feinen SBIicf auf
©übamerifa, unb e§ gelang ibm, ben Slbmiral Solignb, für feinen ^ßlan, bort eine fran=
jöfifd)e Kolonie ju grünben, ju geroinnen, inbem er, ber fid} offenbar ju biefem groeefe
55 ben Reformierten genähert blatte, borgab, baburd; ben berfolgten unb bebrängten ®(auben§=
genoffen eine ßuffod^ftätte jU bereiten, roo fie unangefochten ibreö ©tauben^ leben
tonnten, ©em ^önig t)telt er bor, bafj burc§ bie ^olonifation in jenen Sänbern neben
ben ©baniern unb ^3ortugiefen bie 9Jtad)t unb @bre granlreid)^ geroat;rt roerbe. @§
rourben it;m nun jroei gro^e ©d)iffe unb 10000 SibreS jur 2tu3für;rung feinet Unter=
60 nebmenS ^ur Verfügung gefteEt. ©a er berfid)erte, ba| in ber neuen Kolonie ber ©otte§=
bienft nad) ber ©enfer £ird)enorbnung eingerichtet roerben fottte, fanb er balb Segteiter
genug au§ ben Deinen ber Deformierten; gugletd) aber roarb er aud) eine Stngal^I ©oI=
^iWcgnignon 647
baten unb allerlei Abenteurer an. SetjtcreS muftte SSerbad^t erregen, aber er mufete biefen
burcf; alle möglichen 2luSreben unb aSerftc^erungen ju befcb>icf/tigen.
aöafyrfcfyeinlidb, am 15. ^uli 1555 fctjiffte fidj isitlegaignon in §abre ein unb fam
nacfy einer muffeligen galjrt im Nobember in ber Söat bon ©uanabara (Nio be Janeiro)
an, mo borlp fdmn bie ^ßortugiefen bergeblid) eine Nieberlaffung berfucfyt r/atten. 2öie s
biefen, fo miberfe^ten ft<^> auct) ifym bie eingeborenen SLobinambuS, unb er befcfjlofj bafjer,
auf einer benachbarten $nfel guerft feften gufe ju faffen. @r nannte biefelbe bem 3lbmiral
;,u @f>rcn ßolignb. unb legte alsbalb eine gort an. £>a er aber bei feiner 2luSrüftung
in ber £etmat mefyr für ÄriegSborräte als für Nahrungsmittel geforgt r)atte, fo entftanb
balb eine gtemlidtc Not unter ben Slnfieblern, unb bie ©olbaten unb Arbeiter mürben 10
fcfymierig, mäfyrenb bie reformierten ^oloniften, „gens craignans Dieu, patiens et
benins", Mangel unb 23efcf)ir>erben gebulbig ertrugen. SSiUegaignon, ber fiel; als vl>ije=
lönig geberbete, fann bar/er barauf, bie $at)l ber legieren ju bermefyren, um fie als ©egen=
geroia^t gegen jene jmeifelr/aften (Elemente benutzen gu rönnen. Wü ben jurücHer/renben
©Riffen fanbte er Briefe an Golignr; unb an (laibin, in welken er feinen (Sifer für bie 15
©adje be§ ©bangeliumS beteuerte unb um ^ufenbung bon frommen Seuten unb ^rebigern
bat, meldte einen guten ©influft auf bie Kolonie ausüben fönnten unb jugleicb, befähigt
mären, ben Reiben auf ber $nfel unb bem nafyen geftlanbe baS (Sbangelium pi ber=
lünbigen.
2luf Solignr/S @mbfeb/Iung ging ßalbin auf baS ©efud) ein, unb jmei ^rebiger, 20
^Seter SRid£>er unb 2öill)elm (Efyartier mürben feierlich als bie erften ebangelifdjen 2Jciffion§=
brebiger naa) Slmerifa abgeorbnet. $u ifynen gefeilten fid) nod) elf anbere tüchtige SRänner,
unter ifjnen %zan be Sert), meinem man bie meiften Nachrichten über baS Unternehmen
berbanlt. 3ln bie ©bi£e trat ein fran^öfifcljer ©beimann, $f)ilibb bon Sorguillerar/, §err
bu $ont, ber ftd) in ber Näfye ©enfS niebergelaffen fyatie. Am 10. ©ebtember berliefjen 25
fie ©enf unb lamen nacb, einem 23efucf) bei (folignto, auf (Sfyatillon naef; $ariS, mo ftcr)
ib,nen ein gemiffer ßointa, ein ©orbonnift, anfcr/lofj unb eine größere Anjafyl Äoloniften
fid) mit iljmen bereinigte. Unter bem 33efet)I eines Neffen bon SMegaignon, Namens
33otS le ßonte, fdjtfften fie fid), faft 300 ©eelen, barunter 6 grauen, auf brei ©Riffen
ju £>onfleur im Nobember ein unb famen im Wläx% 1557 bei ÜBillegaignon an. tiefer 30
embfing bie (genfer mit allen (Sfyren, berfbrad), aßeS nad) ber ©enfer Drbnung ein=
Juristen, unb b,ielt ein öffentliches SDantgebet. darauf brebigte Nicker an bemfelben
Sage; eS mar rool)I bie erfte ebangelifcfye ^ßrebigt in Amerifa.
®ie neuen Ankömmlinge mürben fofort ju ben garten SöefeftigungSarbeiten b,eran=
gebogen, ©ie ertrugen eS miliig unb fanben ©tärlung in bem SBorte ©otteS, melcf/eS 35
ib,nen täglidE) gebrebigt mürbe. ©onntagS mürben jmei ^rebigten gehalten. 2tucb, mar
befct/Ioffen, monatlicb, einmal follte baS 2lbenbmal)l gefeiert merben. 2lber gleich bei ber
erften geier beSfelben erhoben fieb, ©treitigfeiten, unb Stllegaignon fing an, in feinem
mabjen Sichte fieb, gu geigen, ©er ©orbonnift dointa, bem eS nidjt gelungen mar, gleich
anfangs fieb, jum ©uberintenbenten aufjumerfen, berlangte, bafj naä) 3eu9niflen Der *°
Äircb,enbäter ber 9Bein bei bem 2lbenbmal^I mit 2öaffer ju mifeb^en fei, ferner bafe eS in
briefterlicf;er ^leibung bon ben ^rebigern ausgeteilt unb baS übrig bleibenbe Sorot auf=
gehoben merbe, u. bgl. SSillegaignon ftimmte ib,m bei; bie ^ßrebiger unb bie ©emeinbe
miberfe^ten fiel) aber mit ©rfolg. SSillegaignon unb ßointa legten bor ber ©emeinbe ein
©laubenSbefcnniniS ab, efye fie gum SEifcfje beS. £>errn traten, unb boll ber beften £>off= 45
nungen fcfmeb Nicker im Slbril an 6albin: „9Bir leben ber getroften Hoffnung, bafe aueb,
biefeS @bumäa ein 33efi|tum 6l)rifti merben mirb" 2lber ber ©treit rub,te nicb,t lange.
•UUt §ilfe beS ©orbonniften braef/te 33ittegaignon neue fragen unb gorberungen, j. 33.
bafe bei ber Saufe DI, ©beicb,el unb ©alj bem äöaffer beigemifcb.t merben foßen. 2llS
ib,m bie ©enfer Äirc^enorbnung entgegengehalten mürbe, fagte er fcb,on, bie ©enfer STixdK 50
fei übel beftellt, unb als bie ^rebiger bie ©acb,e bor bie ©emeinbe unb auf bie Mangel
brauten, mieb er bon ba an ben ©otteSbienft. ®en offenen ^miefbalt berfueb, ten nun
^ßerfonen bon beiben Parteien mieber auszugleiten unb brachten enbltct) folgenben $om=
bromife ju ftanbe. Wan moUe mit ben franjöfiftt^en ©Riffen, meiere bie legten Slnfiebler
gebraut, eine 3lborbnung, mit Sb^artier an ber ©i>i£e, nacb, ©enf jurücffc^icfen, um SalbinS 55
entfcb,eibung einju^olen. Unterbeffen foöe Nieder fieb, ber ftreitigen fünfte auf ber
Mangel enthalten unb bie ©aframente follten bis bafyin fufbenbiert fein. Um beS gnebenS
millen berftanben fieb, bie ©laubigen aueb, ju biefer legten unbiEigen gorberung, unb
nacb^bem noeb, jur Sefiegelung ber (gtntrad^t bie §eirat ^mifcb,en ßointa unb ber Sßaife
eines auf ber ^nfel berftorbenen Neformierten bon Slouen gefeiert mar, berliefjen bie oo
648 SiUegaignou
©<$tffe im ^u™ I55' bk Qnfel. 2lber balb geigte fid), Warum S&tHegaignon bert jüngeren
Gljartier nad; ©enf gefdjidt; mit bem bejahrten Ridjer hoffte er efyer fertig ju werben,
©obalb bie ©dnffe fort Waren, lief? er bie SRasIe faßen. @r erflärte, Salbin fei ein
fcfyänblicfjer ^etjer; er Werbe beffen Gmtfdjieibung nid;t anerlennen, fonbern nur WaS bon
5 ber ©orbonne tarne, unb Verlangte, bafj man bie Sebre bon ber "jEranSfubftantiation an=
nefyme. $u bem, bafj eS d;m nie ein ©rnfi mar mit feiner angeblichen Neigung gum
(Sbangelium, mar nocf) gefommen, bafs er erfuhr, toie man in granfreid; am §ofe über
ifm aufgebracht fei, bafc er ben ^e|ern eine 3uflud)tsfiätte bereitet l)abe. @r unterfagte
nun ben ©otteSbienft, geftattete auä) nicf)t, bafe man fiel) nur ju gemeinfamem (&ehzt ber=
10 fammle. ©ie bebrängten Reformierten fallen fiel) bafyer genötigt, ba fie ber ©emeinfdjaft
beS SBorteS unb ©ebets nid)t entraten fonnten, insgeheim jufammenju!ommen unb feierten
baS 2lbenbmar;I jur S^adjtgett. ^n biefer geit ber Rot fam ein neutrales £>anbelSfcr/iff
an unb eine gro|e gafyl ber Reformierten liefj burct; ben §errn bu ^pont bem S3ille=
gaignon fagen, bafj fie gur Rücffefyr enifdjloffen feien. 21IS biefer ifmen entgegenhielt,
15 bafj fie bei if)m ju bleiben fiel; berbflicfytet Ratten, antmortete ifym jener unerfdjroden, baf$
SBillegaignon ifynen berfbrod;en l)abe, fie ifyreS ©laubenS leben ju laffen, aber bieS 2Bort
gebrochen unb fo felbft ben Vertrag gelöft f)abe. ©arauf b,in trieb 33iI(egaignon fie bon
ber ^rifel, nadjbem er ilmen 33üd)er unb §anbWerfSgeug, baS ilmen gehörte, fomie bie
wenigen SebenSmitiel , bie fie fid) aufgefbart Ratten, nod) Weggenommen. Rad; einem
20 Aufenthalte bon ad)t Monaten berliefjen fie baS gort Solignt) unb jogen ftdj
auf baS fefte Sanb jurüd, Wo fie bon ben SBilben freunbttcr) aufgenommen unb mit
Nahrungsmitteln berforgt Würben. §ier begannen fie, früher als eS in ifyrem urfbrüng=
liefen ^3lane lag, bie SDiiffionSarbett ; £ert), Welker fid) unter ber ftafyl ber 2lbgefd;iebenen
befanb, giebt uns in feiner Reifebefcfyreibung ein fleineS SSörterbud; über bie ©brache ber
25 SLobinambuS, unb Wir fef)en barauS ben föifer ber Seute, bie in fo lurjer .ßeit unb oljme
Hilfsmittel fid) mit berfelben jiemlid) bertraut. gemalt Ratten. 3Son (Erfolgen fann aßer=
bingS in ber geit bon jWei 3JJonaten, bie fie auf bem feften Sanbe gubract)ten, leine
Rebe fein. ©djlte^lid) fafyen fid) bie Reformierten burd) bie Rot gezwungen, fid) jur
^jeimfefyr ju entfd)lie|en unb unterljanbelten mit bem Kapitän jenes bretonifdjen ©c|iffeS.
30 ©u ^ßont Würbe 53ürge für baS gal)rgelb ber ganzen ©efeßfdmft, unb naef/bem baS
©d)iff feine Sabung an garbfyolj eingenommen, Itdjtete eS am 4. Januar 1558 bie Slnfer,
nid)t o£)ne manche ^ßladerei bon SMegaignon erfahren §u b,aben. 2lber laum War baS
©d)iff bei t/eftigem ©egenWinb ac^t i^age gefegelt, als fid) geigte, bafj eS feeuntüd)tig
War. ©od) War ber ©d)iffSf)err nict)t gur Umleb,r ju beftimmen. 2lber er ftellte ben
35 ^affagieren frei umgulel)ren, unb ftellte benen, bie umfefyren Wollten, ein 33oot jur Serfügung.
Sf)rer fünf, $eter Sourbon, ^ob.ann bu 33orbeI, 3J?attf)iaS SSermeil, 2lnbreaS Safon unb
jjafob le SBaÖeur, matten bon bem 2lnerbicten ©ebraud) unb bertrauten fid) bem Keinen
elenben gafyrjeuge an, nad;bem fie etwas SBaffer unb 9Jief)I mit fid; genommen.
2lm achten %aQt einer ftürmifdjen %afyxt gelang eS bem 33oot an einem franjöfifd)en
40 SDorfe beS geftlanbeS anzulegen, we!d;eS bom gort ßolignb, aus gegrünbet War. §ier
befanb fid) gerabe SSiUegaignon, ber ben ©eretteten ben Slufentfyalt geftattete, jebod) unter
ber Sebingung, ba§ fie bei SEobeSftrafe feine religiöfen ©efbräcfye mit anberen führten
unb fieb, überl;aubt borfidjtig benähmen. 58alb aber bemächtigte fid) feiner ber StrgWofyn,
baS ©cf)iff möd)te nid)t nad; granfreid; gefahren fein unb bie Rüdlefjr ber fünf Seute
45 fei nur eine ^riegSlift; biefe feien ©bione unb bie anberen* fyätten einen Überfall in einer
naf)en Sud;t borbereitet. 2Son biefem SlrgWob.n getrieben befcfylof? er ib^ren Untergang.
@r fcbjdte ib,nen ein 5Berjeict)niS bon ©laubensartüeln gu, über Welche fie fieb, binnen
jWölf ©tunben fcb.riftlid) berantworten füllten, ßiner ber fünf ©eretteten fd;eint geflogen
ju fein. ®ie anberen bier aber ftärften fid; im ©ebet unb gingen baran, mit §ilfe ber
50 33ibel bie aufgefteHten fünfte ib,rem ©lauben gemä^ gu erläutern. ®u Vorbei fd;rieb
ib,r SelenntniS nieber, baS bie anberen mit ib,m unterjeidmeten. ©aSfelbe fd)lie^t mit
ben 2Borten: ,,©aS ift bie Antwort, bie Wir auf bie bon @ud; uns gugefanbten fragen
nad; bem Sftajje beS ©laubenS, ben ©Ott unS berliefjen ^at, geben, inbem Wir ©Ott
bitten, baf; eS ifym Wof)lgefalIe, gu Wirfen, bafy berfelbe nid;t tot in uns fei, fonbern
55 grüßte bringe, bie feiner ^irdje Würbig finb, alfo ba^ er uns 2Bacr)Stum unb 33el)arr=
lidileit in bemfelben berleib.e unb Wir il)m bafür £ob unb SDanf bringen immerbar!
2lmen" 21IS eS 33illegaignon gelefen, erklärte er fie für $e§er unb befahl am 9. gebruar,
fie bor if)n ju bringen, ©a fie bei ib,rem S3eIenntniS behauten, Würben fie am fo!gen=
ben SLag fämtlid) getötet.
60 ©aS ©cb,iff mit ben ^einde^renben f)atte unterbeS feine Reife fortgefetjt, „einem
Sytücgatgnon Hilmar 649
maken Sarge gleid)", fagtc ber Slugen^euge be Sex!;. Unaufhörlich fyatte es! mit ©türmen
unb SöeHen gu fämpfen unb unau3gefe|t mußten alle £>änbe an ben pumpen fein.
$>urcb bie Unborfickigfeit eines Sftatrofen kannte ba3 ganje Safelhxrf ah. ©egen @nbe
2lbril Ratten bie 2eben§mittet fo abgenommen, bafj bie Seute auf I)albe Nationen gefegt
werben mußten; 14 SEage barauf mar nid;t§ mek borfyanben; aud; ba§ Söaffer ging 5
au§ unb fie roaren nocb, auf I;o^er ©ee. $n °'efer bezweifelten Sage griff man naa)
allen möglichen -Kitteln. 3JJU menigen SluSnafymen lagen alle fraftlo» auf bem Serbecf
umfier, aU ia$ ©d)iff am 26. 9M in bem §afen bon SSIabet in ber Bretagne einlief,
i^on Sboncr ^aufleuten mürben fie freunblid) aufgenommen unb gereift. 9Jlekere ftarben
ober mürben franf infolge beg @ffen<§, an ba§ ifyr ÜDcagen ntdE)t mek gemör)nt mar. Sie 10
übrigen reiften nacb, einigen SEagen toeiter. $n 9tante§ trennten fieb, biefe unb bie meiften
bon ib,nen !eb,rten gu ibren Familien jurüd. lieber mürbe ^rebiger in la 9xod)etle unb
erlebte nod) bie erfte Belagerung biefer ©tabt. ^ob,anneä be 2err) mürbe Pfarrer einer
franjöfifdjen ©emeinbe unb mar fbäter big %u feinem SLobe Pfarrer in Sern. — 5Rid)t
lange barauf löfte fieb, jene amerifanifd)e Kolonie ganj auf. 33iUegaignon feb^rte naef) 10
granfreid) jurücf. 2)ie ^ortugiefen jerftörten bann ba§ gort, Rieben bie ßurüdgebliebenen
als $e£er nieber unb kad)ten bie Kanonen mit bem franjöftfcfyen Süßabpen im SEriumbb
nacb, Siffabon. (Eointa mar fdwn bor ber 2lbreife ^idjerS bei 33illegaignon in Ungnabe
gefallen unb bon ber ^nfel f erjagt morben; er ift unter ben 2BUben berfdjollen. ÜRocb,
einmal mack fid) SSißegaignon in ber ©efcfyicke bemerflid) : er fdjrieb eine heftige §lug= 20
fckift gegen griebriefy III. bon ber ?ßfal§ , ab§ biefer bie reformierte Sebre in feinem
2anbe einführte, morauf il)m bon $ßeter 33oquinu§ geantmortet mürbe (f. 33b III
©. 321, 34 f.). ©dwn bei feiner ÜRüdfel)r au3 2lmerila galt er nacb, Srefbin al<3 „fol et
perclus de cerveau" Sßerfluck bon ben ^roteftanten, beren Seken er in rabiaten
fontroberlfckiften befämbfte, beracket bon ben ®atI)oIüen jog er ftd) auf bas> ©ut be§ 25
2Ralteferorben§ 33eaubai3 bei 5Remour§ jurüd, mo er am 15. Januar 1571 blötdid) ftarb.
Sie mit feinem 9camen berfnübfte tragifd)e ©bifobe in ber ©efcfytcke be§ franjöfifckn
$roteftanti3mus> bleibt benfmürbig abo ber erfte SRiffion^berfucb, ber ebangelifckn &ird)e,
bor allem aber ab§ i>a§ erfte S'olomfationgunterner/men be§ Galbini3mu3 in- ber neuen
üffielt, ber er tro| biefe3 mifeglüdten SSerfuc§§ fbäter boct) in ikem bebeutenbften ©taaten= 30
gebilbe feinet ©eiftes> ©ebräge gegeben fyat. D. ^^elemann t (@. Sadjenmattn).
aSilmar, 3Iuguft griebrid; 6b,riftian, geft. 1868. — e§ fe^lt an einer er=
fd)öpfenben ©efcfjictjte be§ Seben§ $8Umav§. ©te ift fetoer 31t fetivetben, einmal weil fie jtdj ,^u
einer ®ejcf)icbte be§ geiftiflen, in§befonbere be§ tircblidjen unb polttifdjen Sebeng in Reffen
toäfirenb ber Scitte beS 19. SatjrljunbertS erweitern müfjte, fobann meit ju einer objetttoen 35
SSeurteilung biefer ftavfen 5ßerfönlid)!eit, bie tjeute nod) tote oor 50 3flbren auf ber einen
Seite tiingebenbfte Siebe unb SBemunberung, auf ber anbern Seite -ftärffte Abneigung unb
IeibenfdE)aftlid)en §afj bernorruft, immer nod) nidit bie 3eit gefommen ift. Sie folgenbe ©ti^je
befdiräntt fid) batjer barauf, ein reichliches Shatfadienmateriat jufammenpfteHen , ba§ einer
geredjten Beurteilung jur ©runblage btenen tann. SSermertet finb bor aöent außer ben jaf)(= 40
reietjen SSeröffenttid)ungen SSilmarg feine felbftbiograpbtfdien ?luf,^eid)nungen: ®ie 186)5 ge=
fefiriebene ©elbftbiogra^bie in Dtto ©erlanb§ (haS> SBert g. SBilb- ©trieberö fortfe^enber)
(Srunblage ju einer ^efftfdjen ©elebrten=, ©d)riftfteHer= unb Sünfttergefd)id)te bon 1831 Bis
auf bie neuefte Qeit, erfter S3anb, Staffel 1863, ©. 119-136 (ba§ ©. 136—140 bon isthnar
fetbft aufgehellte ©d)viftenuerjeid)niÄ ift abgebrudt unb bi§ jum 3- 1874 meitergefübrt in ber 45
Sdirift 3- ■&• ßetmbad)§, Stuguft &r. Sbr. SBilntar, nad) feinem Seben unb Sitten bargefteöt,
Öannober 1875, ©. 160 — 166); bann eine Steige bon Mitteilungen, bie SSttbelm £opf, ein
SJeffe unb begeifterter ?lnbänger SBitniarä, in ben bon ttjm fett 6. ^üü 1872 herausgegebenen,
feit 1905 juni Organ ber „®eutfcben iUecbtSbartei" erhobenen „,§effifd)en blättern" berbffent=
ürf)t bat: 9Jr. 167 (1875) Sie Verlegung ber Äurfürftlidien Regierung bon Gaffel nad) 50
SBilbelmäbab 12.— 17. ©eptember I80O ; ' 9?r. 562— 574 (1879) i8rud)ftüde einer ©elbft=
biograpfjte au§ bem SJacblaffe SSihnarS (baju jmölf fet)r d)aratteriftifd)e ©ebidite, in gortj
fü^rung ber fdion im ^afjrgang 1876 in ber ^vobenummer, in 9?r. 229 unb 270, bann 187i
9?r. 305 unb 309, 1878 3Jr. 417, 1879 9?v. 490 unb 539 mitgeteilten @ebid)te); «r. 1544
bis 1550 (1889): JKüdblicI, Umblict, SBorbltct (gefebvteben bon SSttmar im 3. 1864); bie bem 55
lOOjäb.rigen ©ebäditniffe ber ©eburt SSitmarö geioibmete Kummer 2706 üom 21. sJ?obember 1900.
(bnrin SriefauSjüge unb fedis poiitifdie ©onette); Sßr. 3308—3318 (190(1) bie 1S63 ge--
fd)riebenen „Erinnerungen bim 50 ^abren ber au§ einem abgelegenen 2)orfe" (bie 3-ron^ofeiu
äeit bon 1805—1813 u'mfaffenb).
SSon bem reteben S8rieftoed)feI isilntavs ift bis je^t menig üeröffentlidjt. Ein Teil bes 60
Sriefroedifels mit ^nfob ©rimm (bier Briefe SSilmarg unb elf Briefe ©rimms) erfdjien in
G'. ©teugelö ®ert: private unb amtlidje ^e,yet)ungen ber trüber ©rintm tfi Reffen, jloei
650 Silmor
33änbe, Harburg 1886 (abqebrudt in 9?r. 1281—1283 ber iieffifcfjen Slättcv). 3roci int>nlt§=
reiche Briefe an 93. 91. §uber (ugl. über «jn 33b VIII ®. 412—415) t)at ©tjmnafiafbtreftor
Sotbbolj in ©targarb am ©cftlufe eine« „§ur SSürbigung 31. S3itmar§" gefdjriebenen SlrtifetS
im gatjrgang 1874 ber »ort $üEner begrünbeten, Don Dr. @. g. 93t)nefen fortgeführten
5 gRonatSfcrjnf't „®eutfdie 931ätter" mitgeteilt (©otfja 1874, @. 60—64) ; bie S3riefe 6eieud]ten
fctiarf bie (Stimmung SStlmarä bei feiner SSerfetmng nad) Harburg im Satire 1855 unb nadj
ben kämpfen mit ber ttjeologifdien JJfafultät in ben Sauren 1858—1860. Eine retdje g-unb=
grübe für bie innere @efd)id)te £>effeng bilbet ber auggebef)nte, intime SSriefroecfjfet S3ümar§
mit feinem am 7. SDejember 1884 im 81. Sebengjatjr «erstorbenen jüngeren SSruber iyafob
io SSiifjetm ©eorg, bem Melfunger Metropolitan (»gl. über bu§ SSerfjältntS ber beiben an
unb mitetnanber emporgewachsenen SSrüber einen SSortrag be§ SßfarrerS ©djtflmg in 9h\ 7
unb 8 beS Metfunger Miffiongbtatteg com 3- 1885). Mit einzelnen 3lu§jügen au§ biefem
33rtefroed)fel f)at ber intffenfcfjaftlidje Server a. S. ©b. 9tub. ©rebe bie beiben 93üd}er au§=
geftattet: 1 . Sluguft g-r. Sf)r. SSitmar, ßüge aitg feinem £eben unb SSirlen, ©ebentblatt bei
15 ber 100. SBieberfe&r feineg ©eburtgtageg (Saffel 1900, anomjm; „ein mit rootilgememter
SSegeifterung gefcbriebener, aber Hon fenttmeutafen lleberfd)tt)nngltd)feiten, fragroürbigen
9lnefboten unb Ungenautgfeiten nidit freier SSerfud)", ^effifdje Slätter 9}r. 2706) unb
2. 9t. ft. Gljr. SSilmar als Dberbirte ber Siöcefe Saffel ' (Marburg 1904, wertüoE burd)
Mitteilung ber amtlidjen (Srlaffe, foroie einer Slnga^I »on DrbinattonS» unb ©mfüfjrungSreben
20 unb anberer ?tnfprad]en SBilmarg). —
Eine nerftänbniSooIle Sßürbtgung feine? SanbSmanng unb £etjrerS Ijat 9tub. %x. ©rau
(ügt. SSb VII @. 66—70) in bem ©djriftdjen geliefert: SSilmar unb üon Jjpofmann, @rinne=
rungen (©ütergtob, 1879). gür bie eigentümlid]en Sefjrgeftaltungen ber 23tlmarfd)en %$to-
logie tft gretljerr oon §obenberg luteberfjolt eingetreten: S)te SDogmattf ber ßrdunft, j«m
25 SSerftänbniS ber SSilmarfdjen Sttjeologie (Seipjig 1882), 33reglau unb SSitmar, jroet öefte, al§
Manuffript gebrucft (|nibemüt)len 1883). — 3{eben am ©rabe SßilmavS, gehalten am
1. Sluguft 1868 Hon Pfarrer 2Si(t)e(m ftolbe unb $rof. Dr. (f. S. 2b. £eufe, 2. Stuft-, Mar=
bürg 1868. — „qjrof. 91. fr. S. 23itmar§ SSücfjerfcfjafc" (9lbbrud beS tjanbfdjriftticb, fünterlaffenen
Satalogg): S. Sf). 33ölder§ SSücfierauftion in g-ranffurt a. M. Dom 1.— 18. Marj 1869. —
30 9lb23 39. SSb, Seipsig 1895, @. 715—721 (SSippermann), <5. 721—722 (gbtoarb ©cfjröbev).
©a§ fiebert SBtlmarS teilt fuf; in brei beutlid) geforderte StbfdEjnitte. ©er erfte um=
faftt bie 3"Öen^= un^ S^rja^re (1800—1831). ©er jroeite fd^Iief^t bie umfafjenbe ^^ätig^
feit be§ reifen 2Ranne3aUer§ in fid). Waty ber äußeren £eben#ellung toar 33ilmar in
biefer Q?'ü ©^mnafialbireltor in 5Rarburg (1838—1850) unb bann ©uppleant beg
35 @eneralfuj)erintenbentcn ©rnft bon Äafjel (1851—1855). ©er britte StBjdjnttt umfrannt
bie Ie|te Seben^jeit Hilmars, in hxld)er er a(g ^ßrofefjor ber Sinologie in Harburg tfjätig
toar (1855—1868).
I. ^ugenb= unb £e^rjab,re. SSUmar entflammte einem altb.effifc^cn ©efdjled^te.
©eine nädjften Sorfaftren geborten bem ^Pfarrcrftanbe an (bgl. für ben ©tammbaum
40 bie im ©elbftoerlag be§ SSerfafferö erfd)ienene ©cb,rift: ©enealogif^^biografs^ifdje Überfiel
ber Familie 3StImar in §effen, bearbeitet unb herausgegeben bon ©. ^. 21. SBilmar,
Pfarrer ^u Sreitenbad) a.'^>., 1886). ©er ©rofeoater war feit 1752 Metropolitan in
geläberg unb ftarb am 10. ©ejember 1778. ©er 3Sater ^ol)ann ©eorge Hilmar tourbe
1796 Pfarrer ju ©0I5 bei Rotenburg an ber gulba unb Verheiratete fi(^ fyier mit ©u=
45 fanna ©(ifabetb,, einer Xod^ter beg ju S'corbr/aufen bei Äaffel berftorbenen ^ßfarrerg 3>°5
bann ©abib ©ie§Ier; 1816 fiebelte er nacfr, Dberaula über, äluguft griebrid) ßb,rifiian
33tlmar ift al§ ba§ ältefie Don ac^t ^inbern am 21. DRobember (bem ©eburtötage ©(f)Ieier=
mad)er§) 1800 gu ©ol^ geboren roorben.
©ie 33err/äitniffe be€ SSaterr;aufeä roaren im 3ufammenb,ang mit ben 2öeltereigniffen,
50 bie i^re ©chatten aud) in biefen ftiHen Söinfel marfen, toob,! geeignet, ntd^t nur ein Talent
ju bilben, fonbern aud^ eine frühzeitige 6b,ara!terentroideIung ju ermöglidjen. Sieligiöfe
©inbrüde finb fei) r frür) in i^tn gebflanjt roorben ; fie roaren mit feinen gllerfrüb, eften @r=
innerungen unmittelbar toerroacfyfen. „©iefe ©intoflan^ung (fagt er) berbanle \<fy allein
bem SSater, einem 5Ranne bon tief=ernfter unb unmittelbar roabrer grömmig!eit, au§ ber
55 borrationaliftifcben ©d)ule." ^n ber ^trdt)e fiel mef)r als bie ?ßrebtgt ba§ lltargebet bei
ir/m in§ @eroid)t, boHenbS bie Slbfolution unb über ba§ aUeS bie ^ßräfation bor bem
1)1. 2lbenbmal)le; etroag fbäter übte ba3 aboftolifdie ©lauben§befenntni§ eine gleid)=
mä'fuge ©eroalt über ir;n. SCI§ er mit ©d)luf$ be§ 12. Seben^jabrcS anfing, ben Äonfir=
manbenunterricb,t gu befugen, roaren tb^m bereit! bie meiflen Äabitel ber SBtbel bon
so 33er§ ju SSerg genau befannt — ein 3eid)en be3 ftaunengroerten ©ebädjtntffeg, ba§ ib,m
eigen roar.
^n bie frübefte ^inberjeit fielen jroei fcbmer^id»e@reigniffe, meiere fürba§ gange Seben
bon nachhaltigem ©influf^ roaren. ©a3 eine roar ber frür)e %ob einel fel»r geliebten iöruberS ber
mimav 651
Butter (Slbril 1805), ber bem &inb eine erfte übertuältigenbe CSrfa^rung beä SobeSfdjnnerzeS
braute. Nod; tiefer Wirften bie fcfyWeren (Erfahrungen bergran^ofenjeit: ber Untergang beS
alten §effenS, ^aS am l- Nobember 1806 bem Slnbrange Napoleons erlag, bie Not unb
ber Jammer ber ^rembfterrfdEjaft , baS fc^mer^Itcfee Söarten ber Wenigen 'Sreugebliebenen
auf bie enblidje Befreiung. Sitte bie Überzeugungen, bie ben -JRann 33ilmar lennjeidmeten, b
erftbtenen ifym als ein treu bemafyrteS ^ugenberbe aus biefer geit: I)eif$e Siebe jum
beutfdjen SBaterlanb unb zur fyeffifdjen §eimat, unWanbelbarc SLreue gegen bie angeftammte
gürftenfamilie, unbebingte Sichtung beS 5Rec£)teg als einer göttlichen Drbnung beS Sßöl£er=
lebenS unb gänzliche @eringfd)cu)ung beS äußeren, Wenn and) nocb, fo glänjenben (SrfolgS,
bamit aucb, grunbfäijlidje $Berad)iung ber „öffentlichen Meinung" unb tbreä SluSbrudcS, 10
ber 3e^un0ert' toelcfye im großen unb ganzen ben SRantel ftets nad) bem SBinbe Rängen.
©ie gefcfnlberten ^ugenberlebniffe übten eine tiefere 9Strfung aus, als ber Unter=
nd)t bon Sehern, $n Sejug auf baS ungeheure Söiffen, baS fidj SSilmar anfammelte,
mar er Wefentlid) Slutobtbaft. 21IS er auf ber Üntberfität Harburg 1818—1820 fyaubt=
fäcfylicb, baS ©tubium ber Geologie betrieb, fonnte fie in ber ©eftalt beS ©ubranaturaliS= 15
muS unb fubernaturalen Nationalismus, Wie Slmolbi unb gimmermann fie bortrugen,
bie nad) einer „Geologie ber 'iEfyatfacfjen" b,ungernbe ©eele beS eifrigen ©tubenten auf
bie SDauer n\d)t befriebigen. „^cb, lernte (befennt er) mit ber bünltlicfyften ©enauigfeit,
toaS an bem elfterfarbigen Nationalismus ju finben War: ber leibhaftige 3^^fel- S)er
3ir»eifel aber mar mir fett meiner frübeftert iftnbfyeit unauSfbredjlid; Wiberlid». 3lm @nbe 20
meines afabemifcfyen SebenS fab, xd) ein, bafe bom Nationalismus aus ein weiterer Schritt
für einen benlenben $obf unbermeiblicb, mar. SllSbalb nacb, ber UniberfiiätSzeit tb,at icb,
biefen unb einen Reiten unb brüten Schritt mit unerfdjrocfener Äonfequenz, bis icb, bei
bem toöHtgen Nichts anlangte. StuS bem boben= unb troftlofen NtdjiS aber i)abz nidjt id>
felbft mid;, fonbern I)at 6b,riftuS ber £>err midi emporgehoben". 25
Sie |>ier angebeutete entfcfmbenbe llmWanblung im Seben SMlmarS faßt in baS erfte
^abrgebnt nad) feinem UmberfitäiSftubium , befonberS in ben «persfelber Slbfcfmitt biefer
^eriobe. 3Silmar mar ein 3Jcann im ©inne §amannS: er ftubierte ntcbt mit bem $obf
allein, fonbern an allem, WaS er tbat, nafym bie ganze ^erfon teil, ^m Nationalismus
toar baS ©efüfyl gleicfyfam anatfyematificrt. 31IS Hilmar bie Nealität beS ©efüfylS er= 30
fannte, fagte er bem Nationalismus SBalet, um ettoa 1—2 ^afyre lang auf bem felt=
famen ©a|e zu flehen, bie Sßelt fei baS ©efül)l ©otteS. Söetter braute ilm baS ernft=
lidje ©tubium ber Kircfyenbäter. Sluguftin äußerte eine grofje, aber leine entfdjeibenbe
Sßirfung auf ifm, Weil er ficfr, an ber rbetorifc^en SluSfdjmüdung ftiefj. 33alb barauf be=
!am er bie SluSgabe ^EertullianS bon ^ameliuS. „^d; las, ergäbt er, unb laS bieber 35
unb mürbe bon SBetounberung für biefen mit ©adjen, rttcbt mit 3Borten unb leeren Se=
griffen benlenben sJJtann erfüllt; er führte micb, auf ^ufün unb ^gnatiuS, fonrie befonberS
auf ^renäuS. Söenig fbäter belam icb, aud; ©erf)arbs Loci unb arbeitete eine Neu>
2lbfd)mtte mit größter Sefriebigung burd; ; jugletdj madjte id; genauere SBetanntfdjaft mit
Salob unb §oßaj. @tmaS früher lernte id; baS 33ucb, bon ^Eb,oIud lennen: bie 40
fiebre bon ber ©ünbe. ®aS ift mol)l für meine ©ntmicfelung bie entfcbetbenbfte ©d;rift
gemefen."
%lad) aufjerorbentlid) arbeitSreidjen ^ab,ren in Notenburg, mo SSilmar feit bem
8.©ej. 1823 als Neftor bie ©tabtfdmle leitete, unb mo er am 28. 3Jtärj 1826 mit
Caroline ©Ufabetb, SBittefinbt in bie @l^e getreten mar, !am er im 3Jtär^ 1827 als bierter 45
£eb,.rer unb ^ollaborator ans @t)mnafium ^u §erSfelb unb rüdte bort im %at)te 1829
jum britten 2eb,rer bor. ^n ben §erSfe!ber 3>ab,ren fam 3SilmarS innere (Sntmidelung
ju einem feften Slbfcblu^. $DaS SBerftänbniS biefer ©ntmidelung ift cntfd;eibenb für bie
Beurteilung ber ganzen SebenSarbeit 3SilmarS.
Sßilmar ift in biefen ^abjen ju einem lebenbigen ©lauben an Sb.riftuS ben §errn 60
burd;gebrungen. ®ie ©etßifebett beS lebenbigen, toerfönlidjen, gegenmärtigen, im glcifcb,e
erfcfyienenen, barmherzigen ©otteS, bie ©emi^eit ber ewigen ©eligleit bilbete feitbem
ben inneren Kern feiner ^ßerföntidtfeit. @r mar ^u biefer ©eWtfel)eit ntcfet ob,ne bie bef=
tigften ^ämbfe gelangt. 33ilmar breift im Nüdblid auf feine Selel)rung bie ©nabe
beS barmherzigen ©otteS, ber fein zweifd;neibigeS ©d)Wert zur §anb genommen unb ju bö
Wieberb,olten 2Men lurz nadjeinanber ib,m z^ifd'w 9^a^ "^ 33e<n unfe ®ec"e uni
©eift ^inburd)gefd)nitten i)abt, fo bafc er ber Sebenbigfeit unb SMftigleit unb unjWeifel=
b,aften ©emifel)eit feines 2BorteS inne geworben fei. SDiefem SBorte War burcb, eine un=
bergeffene älufeerung beS 3Jlarburger ^rofefforS Slrnolbi bie 33ab,n gebrochen. „®ie alt=
gemeine unb totale ©ünbfyaftigfeit ber SKenfcfien", b,atte ber eb,rWürbige Ökologe mitten üo
652 Silmor
unter ganj futoematuralifiifd;en Slujjerungen gejagt, „ift feine 2e^»re ber Vernunft unb
bon btefer niemals» ju entbeden; fie ift eine Seigre, meld)e eigen§ ber göttlichen Offen«
barung juge^ört unb Don biefer gelernt Werben mu$". SDurd) biefe Su^erung l)at 2lrnoIbi,
fo crgä^It 23tlmar, mir ben ©tacfyel in bas §er^ gefegt, Welcher faft jetyri Jalp ftoäter
5 ebenfo bie Wot)Itt)ätige töblid)e 23erWunbung meines natürlichen §erjens Wie beffen gött=
Iid)e Teilung herbeigeführt l)at. 33oHenbet aber l)at meine 33etel)rung, tüte bie bon bieten
£>unberten unb laufenben feit 300 Jafyren Sutl)ers Sieb „9cun freut eud), lieben (Sfyriften
gemein". @s ift unmöglich, bie tiefe ©eligfeit ju fd)ilbern, meldte idj embfanb, als id)
ben bolten 2tusbrud beffen, was id) gefugt fyatte, in biefem Siebe fanb.
10 2Bir folgen ben ©elbftbetenntniffen Hilmars nod) eine ©tufe Weiter. „2lls id) bon
©ott umgetoenbet morben mar (fdjreibt er am 13. ©ejember 1864), beburfte es eines
geringen „3eÜraum^ um m^ mit größter 93efttmmti)eit ber ^irc^e gujufüfyren, unb jtoar
ber Wirflic|en Hird)e, nid)t einer tl)eoretifd)en, erfbefulierten &ird)e — ein ©öijenbilb, um
meines fyeutjutage fo biete, fonft treue ©f»riften tanjen"
15 SDen Slnfang ju biefem gortfdjritte l)atte bas burd) bie Jubelfeier ber älugsburger
üonfeffton beranla|te ernftlic^e ©tubium biefes SBefenntniffes, foWie ber Sinologie ber
21. St. gemalt. @r erfannte nunmehr — Wie Wenn ein 33lit5 über ein Weites ©elänbe
Ijinfär/rt — bafs alles ©ud)en umfonft fei, Weil fc^on alles ©efud)te längft borr/anben fei.
©ie 21. ü fd)Iof$ ib,m alles bei SlertuHian, Sluguftin, ©erwarb ©elefene boUftänbig auf.
20 „SDie Realität ber ®ird)e ging mir auf: nidjt mit einem SERale, benn manches, j. SB. bie
Realität (er.r/ibttibe SBirfung) ber Slbfolution, bar mir nod) im Jal)re 1837 nid)t boß=
fommen flar; aber etwa im Jaf)re 1840 mar id) in allen ©ingen feft, bie id) fyaht unb
fo ©ott toiH bis an mein @nbe bewahren werbe: wahrhaftige ©egenwart unb toerfönlicfye
bireite Söirlung bes 1)1. ©eiftes mit feinen ©aben, Wal)rf)aftige ©egenWart ßfyrifti, beffen
25 Seib bie j!ird)e ift — nid)t blofj inbirefte goriWirfung bes bl. ©efftes ober 6b,rifti, Wo=
mit man am @nbe bod) mieber auf bas alte SSorbilb unb Skifbiel Gl)rifti in fublimierter
Söeife jurüdlommt — ©ntmidelung ber Üird)e burd; ben 1)1. ©eift, nid)t blofj burd)
menfd)lid)es ©enfen unb Streiten, in organifd)em $ortfd)ritt u. f. W."
2Bir l)aben bie ©ntwidelung Hilmars in il)ren ©runbjügen gefd)ilbert. @s mar ein
30 langjähriges fd)Weres fingen, ber Jafobsfambf eines SHannes bon faft unüberwinblid)er
9catur!raft. Jm altfäd)fifd)en $elianb, einem £ieblingsgebtd)te Hilmars, beffen 2llter=
tümer er in einer bortreffIid)en 2lbf)anblung (2. Slusg., SJiarburg 1862) auseinanber=
gebreitet b,at, giepert bie Jünger bem gemaltigen 33ölferfürften unb g-riebefinb ©ottes
nad; als feine ©efolgfdjaft mit altbeutfcf/er v)Jiannentreue. ©o mutet uns bie Sebens=
35 arbeit Hilmars, ju beren ©diilberung mir uns mcnben, an als ein ununterbrochener
Äam^f im SDienfte feines §errn unb ^eilanbs, als ein $am£f ber einfachen, einfältigen
Streue miber ben argen 3TO^fet urtD flKes, toas er für Untreue unb greifet ]f>tel± , Ün=
tugenben, bie er mit ber ga^en ©tärfe feiner sufammengefa^ten ©eele als ben Jnbegriff
aller Übel unb alles 33öfen l)a^te.
40 II. ®ie 2J[rbeit bes'9J{annesalters. ©er äußere Stammen biefes 2lbfd;nittes
mirb burcb, folgenbe Stngaben ber ©elbftbiogra^b,ie fiergeftellt.
Jm Jab,re 1831 mürbe Hilmar bon ber ©tabt §er§felb in bie neugefdbaffene lur=
b,effifd)e ©tänbeberjammlung gemäl)It. Jm SDejember 1831 mürbe er SRitglieb ber ba=
mals beftellten beiben SRinifteriallommiffionen: ber obern £ird;en!ommiffion unb ber
45 obern Unterrid^tslommijfion. Qm folgenben Jal)re mürbe er fobann bon bem 3Jtinifter
ftaffenbflug als §ilfsreferent ins 9Jcinifterium bes Jnnern berufen (DÜober 1832 bis
@nbe Steril 1833). 3Bäl)renb berfelben fttii mar er jtoeiter Seb.rer an bem ©^m=
nafium gu §anau, ol)ne biefe ©teile jebod) jemals angetreten ju b,aben; benn am
16. 2lbril 1833 mürbe er jum ©ireftor bes ©rjmnafutms ju Harburg ernannt, nad)bem
so il;m jubor fdjon (Sejember 1832) — viro tarn de erudienda iuventute quam de
universa patriae re scholastica optime merito — bas ©iblom eines ©oftors ber
^]f)ilofobb,ie bon ber bl)ilofobl)ifd)en gafultät ju Harburg honoris causa erteilt toorben
mar. (3um SDoltor ber ^lieologie ift 3Silmar niemals Ireiert Werben.) @r blieb ©r/mna=
fialbireltor unb mar gugleicf) (bon 1836 bis 1850) 5ftitglieb ber ©dmKommiffion für
f.5 ©^mnafialangelegenlteiten, bis er unter bem jmeiten SJiinifterium £>affenbflug am 28. %c
bruar 1850 ^um bortragenben Mat im 3Jtinifterium bes Jnnern beftellt Würbe; er erhielt
babei ben %M üonfiftorialrat, ben er, um feinen geiftlid)en ßl)ara!ter ju Wal)ren, bem
it)m angebotenen Sitel Segierungsrat borjog (bgl. 9er. 571 ber §eff. Slätter). 2tu|erbem
funltionierte er bom 9Jiai 1851 bis bal)in 1855 als ©utobleant bes betagten ©eneral=
eo fuberintenbenten @rnft, erhielt am 23. Slbril 1851 bas 9lttterlreu§ bes !urfürftlid)en
mimav 653
£ömen=(nad)l)er SSilr/cImSODrbenS, mar 1852 unb 185:» 9)iitglieb ber fog. (Stfenarfjer
Monferenj unb Warb am 27 Dftober 1855 jum orbentlid;en ^rofeffor ber Ideologie
ju Harburg ernannt.
1. Hilmars 2öirf'en in ber ©cbule unb für bie ©d>ule. lUImar begann
eine meitgreifenbe Söirffamfeit für baS fyejfifcr)e UnterricbtStoefcn, als er in ben ^a^ren 1831 5
unb 1832 im tarnen beS SluSfcf/uffeS für ben Kultus unb ben öffentlichen Unterricht
(bierjefm) 33erid)te an bie ©tänbeberfammlung ju erftatten fyatie. $n ber mannhafteren
unb mirffamften SBeife trat er für §ebung ber SanbeSuniberfität, für ©rünbung neuer
sßrofeffuren, für beffere 2IuSftattung ber miffenfct/aftlicfeen Qnftitute ein. @in befonbereS
anliegen mar ü)m bie ©rriefetung eines tt)eoIogtfcf)ert ©eminariumS, in melcf/em „nad; 10
SSoßenbung ber ftreng wiffcnfcr/aftlicf/en ©tubien ber fünftige ^3rebtger Anleitung bekommen
fottte, fieb gum eigentlichen Sel)rer ber Religion auSgubilben" SaS größte 93erbienft aber
ermarb er ftdb, um bie SZeugeftaliung beS SoIfSfclmlmefenS, namentlich um Regelung ber
©ehaltSberfyältniffe ber Sebjer. 2öaS fobann bie ©immafien anlangt, fo fann SBümar
gerabc^u ber Reformator berfelben genannt werben. 9cid)t allein bie innere Umgeftaltung 15
biefer ©Ovulen mürbe ü)m anheimgegeben, aueb gur ^jerbeijiefyung geeigneter Sebjfräfte
mürben U)m bie nötigen 33oIImad;ten erteilt, Sie neue Drgantfation fyatte bie mobl=
tfyätigften folgen, bie ©tymnaften blühten auf, nidjt am menigften bie Slnftalt, meldte
Hilmar felbft 17 3a^re fettete — baS ©fymnafium in Harburg, weldjeS 1527 gleicbjeitig
mit ber Uniberfttät als afabemifcf/eS ^Säbagogtum gegrünbet Würben mar, beffen enge 3Ser= 20
binbung aber mit ber Uniberfüät fieb längft überlebt r/atte unb nunmehr gelöft mürbe.
Sie aus biefer SIrbeit hervorgegangenen 24 „©cfmlreben über fragen ber ßeit"
(3. Auflage, SRarburg 1886) finb ein bleibenbeS Senfmal über bie 2trt, toie 33ilmar
bie Aufgaben beS ©r/mnafialunterridjtS fafjte. ©efdnd)ilid)e ©rgieljmng im r/ödjften
Sinn foß baS ©r/mnaftum bermitteln. Sie flaffifcbe Silbung, baS ßfyriftentum unb 25
bie ©efdncfyte unfereS 3SoIfeg finb bie §aubterjief;ungSmittel. „Sin biefen ©toffen
lernt bie Qugenb Siebe für baS ©efdjefyene, ©rlebte unb ©rfafyrene, an ifjnen gewinnt
fie bie gäbjgfeit, felbft SebenSerfal)rungen ju machen, auS il)nen fdjöbft fie ©e=
finnung unb (tfyarafter, auS ifmen lernt fie mit einem 2Borte: gu leben" (Srgänjenb
tritt ber Unterricht in ber 9JiatI)ematif bjngu. „SlUe anberen StSgibünen febtveben in 30
©efabj, jur ^alb^eit im üBiffen unb (Srfennen gu herleiten; bie Sftatb/ematif allein rtidt;t.
Sie ift bon Anfang an ein fefteS, gebiegeneS, Wofylgefcr/IoffeneS ©anjeS unb madjt aud
an ben adererften Anfänger fdrnn bie gorberungen einer ©angfyeit unb 3SolIenbung im
2lnfd)auen unb SBtffen, toeldje alte Unbeftimmtfyeit unb Ungeroifefyeit auSfdjIiefÜ"
Sen ©d;ulnacr/ricr/ten beS $al)reS 1846/47 ift ber äufjerft beachtenswerte, bon VM= 35
mar entworfene „allgemeine Sefyrblan beS ©t)mnafiumg" borgebrudt. @r bemeift, mit
welcher Umfielt ber Sireltor ben Unterricht beö ganzen ©t)mnafium§ leitete. Sabei mar
er felbft ein bezüglicher Seb/rer, tote einer feiner ©djüler, §. ©djebtler, in ber ©cfyrift
„Sie Sebeutung SLUImarö für bie fyeffifd&e ^irc^e" (Harburg 1869) ©. 6 unb 7 näb/er
ausgeführt fyat 40
Sitter arifdje 3Seröffentlid)ungen 3SiImarg liegen jum SWigiongunterridjte unb jum
Unterricht in ber beutfd;en ©brache bor. ©igeng für ben beutfdjen Unterricht gefd)rieben
finb bie „2lnfanglgrünbe ber beutfdien ©rammati!" in brei Xeilen, bon benen ber erfte
bie Saut= unb glerjonelcfyre, bie jmeite bie 3kr3lel)re, bie brüte bie 3.isortbilbungelef)re
enthält. 9^ur ber erfte Xeil ift bon Sßilmar felbft herausgegeben morben (1. bis 7 2lufl., 45
Harburg 1840—1871), mäb,renb ber jmeite, ungleich umfaffenbere, mit 33enü|ung feines
)tacr/lafjes bon Dr. 6. SB. 3R. ©rein (1870, jtoeite Auflage bon %x. Äauffmann 1907),
ber britte bon ©. %$. Sitb,mar (1871) bearbeitet morben ift. Über ben Setrieb beS
beutfcfyen Unterrichts ift ferner SilmarS Sorrebe gu ber 3. Auflage bei' 1. Abteilung beS
beutfd;en Sefebucb,eS bon Dr. TOiolauS $8afy (Seidig 1848), fomie ber fct)on ermäbnte 00
2eb,rblan gu bergleicr)en. 9Ramentlicb, geb,t auS legerem b^erbor, mit melcf/er SRüd^tern:
^eit er bie '^b.emata gu ben beutfa)en 2luffä^en mahlte.
iym 3tnfd)Iu^ hieran mögen Hilmars germaniftifcb,e arbeiten fomie bie tuerfyer ge=
b,örenben ©driften für ben SrciS ber ©ebilbeten übertäubt genannt, freiliefe, aueb nur
genannt merben. ©rftere Veröffentlichungen beioeifen, ba§ ifym bie 2lrbeit ber mobernen 55
ffliffenfefeaft, „baS llare, unjmeifell)afte ©rfennen ber %i)at]ad}m im einzelnen, bie SJtettiobe
beS @rforfd)enS ber ©ingelfyeiten, um barauS gu teilen, wenn eS fein fann 311 ©liebern,
toomöglitf) ju einem ©anjen ber (SrfertntniS gu gelangen", burcfjauS befannt unb geläufig
toar. Sie eingeb^enbfte miffenfd)aftlid>e Arbeit bat Hilmar bem §elianb unb bem
Satirifer ^ann 5'fcbart jugemenbet, ju bem itm eine innere 3Bab,lbermanbtfdaft ftinjog. 60
654 3StImar
2lucb, auf biefem ©ebiete folgte SStlntar am liebften bem tf»m eigenen braftifcfyen $uge, *>er
Stiftung auf baS Wirf lieb, e Seben. ©o liefc er ftdb, bewegen, im SBinter 1843 auf 44 23or=
lefungen über bie ©efcbjcfyte ber beutfcfjen -Jcationallitteratur bor gemifcfytem Greife ju galten.
23on bem mit fo bielem unb anfyaltenbem Seifall aufgenommenen 33uct)e, baS auS biefen 23or=
5 lefungen fyerborgeWacfyfen ift, urteilt er felbft, eS fei Wof)l baSjenige, WaS auS feinem
ganzen, ungebrochenen, bollen unb tiefften Innern fo ganj fyerborgegangen fei, wie fonft
leinet feiner ^Srobulte. £)aS Wie bie meiften ber folgenben 23eröffentlic|ungen bei R. ©.
©Iwert in Harburg gebrückte 23ucb. fyat in bem 3e*traum öon 1845 bi§ 1905 26 2tuf=
lagen erlebt; bon ber 22. Stuflage an (1886) fügte 2lbolf ©tern eine gortfe^ung bon
10 ©oetfyeS %o\> biö jur ©egentoart ^inju. $ur Ergänzung bient ber bon ^iberit (1872)
herausgegebene Vortrag über „bie ©enietoeriobe" unb baS tief embfunbene „§anbbücfylein
für greunbe beS beutfcfyen 2ioIfSliebeS", baS Hilmar im SJÖinter 1866 fid^> jtir @rI)olung
jum ©mcf borbereitete, um, wie er fagte, WenigftenS auf ©tunben, auf %a$e ber quälen=
ben ©ebanfen an baS @ntfe|en ber geit überhoben gu fein (3. Auflage 1886). @benfaff§
ib au§ Vorträgen entftanben ift baS föftücfye Suchern über „©oetfyeS %af\o" @ranl=
fürt a. SR. 1869), WeldjeS in baS tieffte 23erftänbmS beS SDicfyterS einführt, Wie anberer=
fetiS bie „jum SSerftänbniffe ©oetfyeS", mSbefonbere beS §auft gehaltenen Vorträge bon
Dr. Dtto SSilmar, ju Welchen ber 3Sater bie 23orrebe fc^reiben mufcte, ba ber u)m fo
äljmlicfye, bielberfprecfyenbe ©ofyn, (%mnafiaüel)rer ju §anau, am SUJorgen beS $ar=
20 freitags 1860 im 32. SebenSjafyre entfcfylafen War (5. 2luflage 1900). @ine Weitere
fcfyätjbare (Ergänzung gur Sitteraturgefcfjicfyte bieten bie „SebenSbilber beutfcfyer Siebter",
1869 bon ^iberit unb 1886 bon Mai $odb, in bermefyrter 2luflage herausgegeben, ©ie
finb ebenfo Wie bie 23iograbb,ien bon „Cutter, iBcelancfytfyon (unb gwingli)" (gran!=
fürt a. 9R. 1869) ein 2tbbruec bon 2Irtifeln, reelle Hilmar für baS ©taatS= unb @efelt=
25 fc^aftSlejifon bon ^ermann Söagener (23 23änbe, 23erlin 1859—1867) getrieben b,at.
(Sine Weitere Steige bon ebenfo fdjätjbaren 2lrtifeln I)arrt noeb, beS SöieberabbrudeS. $cb,
nenne bie anonym gefcfyrtebenen 2luffät$e: Slbenbma^lSftreit, Aberglaube, Abgötterei,
Slmöneburg, 2tboIogie ber 21. $., 2lugSburger $onf. , b. 23aumbac£), iöafyrfyoffer, S3icfeII,
ßaffel, ßafuiftif, 6b,riftentum, ©biffobalfr/ftem , @rbauungSfd)riften, (Sbangel. Äonfeffion,
30 ©efangbücfyer , §affenbflua, §eilig, ^eiliger ©eift, §eilSorbnung, Reffen (33b IX, ©. 383
bis 395), Hierarchie, Üe^er, Maria, Butter ^efu, SDtyftif, Reanber, SRifcfö, ^atofttum,
^ßrieftertum, ^3urgatorium, sJlommeI, 3tofen!reujer, ©t)noba(berfaffung (1869 jugranf=
fürt a.Ti. befonberS gebrueft), ^errttoria(t)ftem, XertuHian, Xfyeofobfyie. ®er für baS
SBagenerfc^e Serjfon gefdjrtebene 2lrti!el über B^^Ö^ würbe nicfyt aufgenommen, aber
3-, bon ^piberit herausgegeben. 2lnf)angStoeifc fei I?ier nodg auf baS „beutfe^e 9?amenbütf)=
lein" (®ie ©ntfte^ung unb Sebeutung ber beutfdjen Familiennamen, 6. Sluflage 1898) unb
auf bie SBieberb, erauSgabe ber iRmberfcfyrtft bon $. 21. 6. Söf)r, Heine Klaubereien (3 53bc^.,
2. Sluflage 1865) aufmerrfam gemacht.
Slucb, baS bon 3Silmar aufgefunbene „2llSfelber ^affionSfbiel", bon bem er in §aubtS
40 Seitfcfyrift für beutfcb,eS 2lltertum 1843 (III, ©. 477—518) Mitteilungen machte, fann
b,ier nur ertüäb,nt Werben, ^acb, einer ^anbfe^rift auS bem ^acfylaffe 3SilmarS b,at
Dr. 21. grefybe in 5ßard9tm ein altes SBeilmacfytSfbiel ins ^eu^ocpbeutfctje übertragen
unb Veröffentlicht (3^ 39. 23b, ©otl>a 1869, ©. 575—604). Muftergiltig für eine
bolfstümlicfye, gefunb=lritifo)e, ebangelifcb.e 23efyanblung echter, mittelalterlicl)er Heiligenleben
■15 ift bie 2lbfyanblung ,,©ie ^1. ©lifabetfy. ©li^e auS bem c^riftltdEjen Seben beS 13. ^ab,r=
b,unbertS bon 21. %. 6. 23ilmar", juerft (anonym) in §engftenbergS @bangelifcf)er Hirdjen=
jeitung 1842 erfcb,ienen unb bann bon D. SBilfenS in üalfSburg befonberS herausgegeben
(©üterSlob, 1895).
Dtuffen Wir uns ^ier begnügen, bie Seiftungen 23ilmarS auf einem ©ebiete, auf
60 Welchem ib,m allgemein bolle 9tteifterfcr;aft jugeftanben Wirb, nur flüchtig angegeben ju
b,aben, fo finb um fo naa^brücflic^er bie 23erbienfte ^erborjub^eben, bie er fiefy um richtige
©eftaltung beS Religionsunterrichtes in ben ©bmnafien erworben b,at. 2luf ©runblage
eigener Erfahrungen b,at er im ^ab,re 1841 in £>engftenbergS @b. $$. in einer 9tei|e
bon 2lrtifeln (3lx. 2—8, ©. 10—62) umfaffenbe SSorfdgläge beröff entließt, Wie im
55 ©inflang mit bem 23eruf ber ©^mnafien, cb,riftlicb,e güb,rer beS 23ollS ju erjieb,en, ber
9teligionSunterricl)t firö^licb.en 6b,arafter gewinnen unb Wie er bie ©r^ielrnng für bie
Hircfye im 2tuge behalten muffe. Um bie 2trtifel allen 9ieligionSleb,rem gugänglicb, ^u
machen, b,at ber Unterzeichnete eine mit Seiträgen bon ftarl Subwig "Stoüj unb 2ln=
merlungen bermeb,rte ©onberauSgabe beranftaltet (21. %. (S. 23ilmar, Über ben eban=
co gelifd)en Religionsunterricht in ben ©timnafien, Harburg 1888).
mmat 655
$>ie Betonung ber göttlichen §eiI<ogefcr;icr;te in ber ©d)rift beä 2t unb 91X3, bic
ÜBilmar ^ur ©runblage be§ gefamten Unterrichte gemalt feiert miß, erinnert an t>. £of=
manne ©ct/rifttfyeologte. Hilmar unb V. £ofmann, Welche $rofeffor ©rau in Königsberg
in ben erWäfmten „(Erinnerungen" (1879) aU „jWei ber geWalttgften geugen ber lutf)e=
rtfcr/en Kirche be<§ 19. ^afyrfyunbertg" rtebenetnanber geftetlt fmt, fwben gleichzeitig unb 5
unabhängig r-oneinanber ftdj bemüht, ben $nlj>alt ber fyl. ©dmft als eine jWifcfyen ©ott
unb ber 3Jtcnfd^eit fiel) begebenbe ©efcfnd)te bar^ulegen — §ofmann mit fr/ftemattfteren=
bem ©etfte, Hilmar in ber itm fenn^tc^nenben praftifd)en SBetfe. @r hoffte, bie ©t)m=
nafien mürben ben notmenbigen gortjdjritt ju lircfylidjier ©ntfdnebenfyeit bolljtefyen, unb
ebenfo Wollte er bie ganje £anbe§fircr)e feiner §eimat au? ber §albf)eit unb 23erWorren= w
fyxt ibjer tnftorifdjen guftänbe f>erau§ ju ber Klarheit unb ©ntfcfyiebenfyeit eines" beraubten
Iutl)erif$en KonfefftonSfianbes1 emporfübjen. ©o erfef/eint Hilmare Söirfen in ber ©djule
borbilblicf; für fein 2öirlen in ber Kirche, ja cS ift felbft fcfyon ein Steil feiner fircr/ltdten
2ßtrlfamfeit unb nur burdi ben Ort, an bem e£ ftd) Vollzog, Von ber im folgenben 2lb=
fdmitt ^u fcr/Ubernben SBirffamfeit toerfd)ieben. 15
2Mig flar Wirb biefer enge gufammenfyang, mm mir an bie junäcfeji burd; ba§
üBebürfnig be§ ©r/tnnafium§ hervorgerufene UluSgabe eines „fleinen eVangeltfdjen ©efang=
bua)es" erinnern (Harburg 1838, 2. Auflage 1860). SBümar trat mit biefem Sudlern
ein „in ben Kampf gegen bie rolje UnWiffenfyeit, ben faben Ungefd^mad unb ben blinben
Unglauben, burd) meiere ba<§ 33olf am @nbe be3 18. ^afyrfyunbertS fein« Kird)en= 20
lieber unb Kirdjenmelobien beraubt Worben mar" @r ftcllte 137 Kernlieber in mögticfyft
treuer alter gorm jufammen, Verfal) fie mit ben alten SRelobien unb orbnete bie
lieber ftreng „nacr) ben fird)licr/en %ai)u§%eitm" . älufcerbem nal)m Hilmar an bem
Kampfe für bie alten ©efangbüdjer teil burd? verfef/iebene 2tuffätse in ber @v. K.3.
(1839—1843), fo namentlich 1839 burd) eine fyeute nod; lefenSWerte SBefprednmg 25
ber (Stierten ,,©efangbud)§not"; enblid; burd; bie fd)on ermähnten 2lrti!el über„©efang=
bücfyer" unb „Kircf/enlieb" Stud; an ber ÜRebaftion bes" Don ber beutfcfyen eVangeltfcfyen
KirdOenfonfereng in ©ifenad) Veranftalteten „beutfdjen evangelifd)en Kircf/engefangbudjeS in
150 Kernliebern" (Stuttgart, ßotta 1855 unb 1871) f)atte er einen bebeutenben Slnteil.
2)ie r)erVorragenben SBerbtenfte Hilmare um „bie 3teftauration be§ eVangelifdjen Kird;en= 30
liebe«?" finb Von bem ©cfyulbireftor a. *£>. Sßr;tlipp SDtets in bem unter biefem Xitel er=
ftt)ienenen umfaffenben Söerfe (Harburg 1903) gefcfyilbert werben, nac^bem bon bem
gleichen Slutor jubor fc^on „Hilmar als* ^^mnolog" unter ßufammenftellung fetner
l^auptfäcbjicbjten 2etftungen auf fjtjmnologifdjem ©ebiet geroürbigt toorben War (9JJar=
bürg 1899). „ 35
®ie jule|t ge[d)ilberte ^ätigfeit i)at un§ ben Übergang Vermittelt gu
2. 3StImar§ 3öirlen in ber Kirche. %ti) beginne biefen Slbfdjmtt, inbem id; bie
©runbanfcfyauung 3Silmar§ bon ber ©ejd;id;te ber Kirche !urj geic()ne, ba fie für fein firefe, lic^eö
SBirfen foroof)! al$ für bie Beurteilung beSfelben al§ ma^gebenb bejeicb,net Werben mu§.
3d) entnehme bie ©runblinien biefer gäcfmung ber ©cf/ulrebe „bon ber 3»funft ber Kirche" 40
(1847) unb bem 1850 gefd)riebenen Slufja^ „SDie ^u!unft be3 e^riftentumg" (abgebrudt
in ber ©ammlung „gur neueften Kulturgefd^id^te SDeutfc^lanbg", granffurt a. SDi. 1858,
2. Seil, ©. 165 ff.).
2>n bem §erm'3efu3 6l)riftu§ ift bie güUe ber göttlichen ©nabe unb 2Ba^rb,eit
leibhaftig erfdjienen. älufgabe beö burd) ilm neugefd;affenen 9Jtenfd}engejcb,Ied;te§ ift, ben 45
gefamten Qn^alt biefer Offenbarung nad; unb nad; in beftimmter Drbnung unter Seitung
be§ b,I. ©eifte§ au§jufd)ö»fen unb nacb,juerleben unb baburd) ber Söieberfunft beö §errn
entgegenjureifen. Unter biefem ©efid^t§ipun!t verfällt bie Kircr/engefd>tcf;te in fieben ^erioben,
innerhalb beren ber §err burd; feinen ©eift bie fieben ©tegel be§ @t>angelium§ öffnet.
^as erfte ©iegel, Welches" ber ß^rtften^eit geöffnet Würbe, War bie @rfenntni3 ©otte«B be3 50
3Sater§, Weldje wä^renb ber erften brei Qar/rfyunberte in ben Kämpfen mit ber f/eibnifd;en
Vielgötterei, mit ben Parteien unb ©eften ber ©noftifer al§ unberlierbare§ ©igentum ge=
toonnen Würbe. ®amit War bie cfyriftlkfye ©emeinbe befähigt, bajj if)r im näd)ften ^a|r=
liunbert nad)einanber ba^ jWeite unb britte ©iegel, bie 3Bal)ri)eit Von ber ©ottfyeit be§
©of^neg unb ©eifte§, eröffnet Werben unb fie bie geugniffe biefer (Srlebniffe nad; bem 55
ferneren Kampfe gegen bie Strianer auf bie c^riftttc^e 9^ad)Welt Vererben fonnte. 2)ann
folgte fcb,nell (im ©treit Wiber bie ^Jeftorianer unb 2J?onopr/r/ftten) bie je^t erft möglieb,
geworbene boUftänbige unb bewußte @r!enntni§ beö §errn ^efu ßf^rifti als Wahren ©otteö
unb Wahren SDJenfcfyen gugleidt;. Um biefelbe 3^it Würbe auef; ber ©t)riftenf)eit ber letjte
unb tieffte ©cfjeibepunft toon altem §eibentum, bie Xiefe ber ©ünbe unb ber ©nabe, ba3 60
656 2?Umar
©efyeimniS ber 33uf$e unb Sefeljrung, ber 2Beg ber Gürlöfung unb bte Drbnung beS £>eilS
aufgefcbloffen. Qux @rfd;öbfung unb §um boUen ©unlieben biefer ©bi|e unb 33lüte
alter Sefyre ber fyl. ©dirift gab ber §err jebocr) ber Gljriftenfyeit ein botteS 3a^rtfluf^^;
benn WaS ber üircfyenbater SlugufttnuS im 5. ^a^rl^unbert Begann, baS gte^t ftd) burd;
5 alle folgenben ^afjrfmnberte als bte Aufgabe beS SebenS ber ßfyriftenWelt t)in unb Würbe
erft in ber Deformation beS 16. ^afyrtmnbertS in ber ebangelifcfyen Kirdje burd) Sutber
boltenbet (bgl. bte Bor treffliche SBürbigung SutljerS bon uniberfaWircfylictjem ©tanbbuntte
in bem fdjon genannten StrtiM 33tlmarS, ber 1883 in ©üterSlot) in ©ebaratbrud er=
fdjienen ift).
10 ©egenWärtig fielen mir am Stnfang einer neuen 3eit; baS fecfyfte ©iegel ift ju
löfen : baS bon ber $ird)e. SDie Stufgabe ber näcfyften unb ferneren gufuhf * befielt barin,
bon ber jetjt borfyanbenen, afynenben ©rfenntnis bon ber Kircfye borjubringen gu einem
freubigen unb geWiffen, mit jubetnber 3uberfid)t borgetragenen Zeugnis »i,Dn i>et @in=
§ett unb @inerleif)eit ber ficfytbaren, äußeren unb ber unfict/tbaren, inneren Kirdjie; bon
15 ber ©emeinfdjaft ber fettigen, Welche einen Seib t)at auf (Srben, als ein 23orbiIb bon
bem SHrdjenleibe ber SSerllärung, bem neuen 3>erufdem" (a. a. 0. ©. 185). @rft nad;
biefem (SrlebniS ber @fyriftenr;eit wirb bie £et»re bon ben legten fingen, bon ber 3Bieber=
fünft beS §errn jum ©erid)t unb bom ewigen Seben aufgefcfytoffen werben. „SSorläufig
lann fein ©inniger unter ben jetjt Sebenben mit nur annät/ernber 33efiimmtt)eit fagen,
20 WaS baS SJiittennium fei ober WaS es nid)t fei" (ipafioraltr/eologifdje SBIätter V, 15, 1868).
StuS fo beftimmter, •■RidjtigeS Wie ©eWagteS mit gleicher Perobt/orie umfbannenber
Slnfdjiauung ergaben fid) für 3?itmar jWei Stufgaben, beren £öfung er mit ber ganzen
SBudjt feine<§ berfönlidjen unb amtlichen ©influffeS betrieb, um bie r)efftfd)e $ird)e auf bie
§öfye ber fircfyengefcfjtcfjtlidjen ©egenWart ju fyeben. SDie eine Stufgabe bejog fid) auf ben
25 SBefenntniSftanb ber fyefftfcfyen Kirche. Söenn bie gufunft °er Kitcfye übertäubt an baS
treue $eftf)alten ber bereits firdjltd) erlebten ^etlStfyatfadjen gebunben ift, fo r)at eine
SanbeSfircfye infonbertjett nur bann teil an foId)er gufunft, Wenn fie mit unberrüdbarer
Xreue auf ben SBetenntniffen ber Kircfye, bom Slboftolifum an bis gur unberänberten
Stuguftana, fteb)t; benn in biefen Söefenntmffen f)at eben bie Ktrcfye t£)re Erfahrungen
30 niebergelegt. Stuf ben s)?act)WetS nun, bafj baS SBefenntmS ber fog. niebert)effifd;=refor=
mierten Kirche bie Augustana invariata fei, unb bafj fie unbeWeglid; auf biefem 33e=
fcnntniSgrunbe flehen bleiben muffe, t)at 33ilmar eine ungeheure Strbeit berWenbet. ®aS ift
bie eine ©eite feiner fircf)licf;en SEfyätigfeit. ®ie anbere ©eite ift fein entfd)iebeneS (Eintreten
für bie greifet ber £ircf;e. Sr faf) ein, bafe, Wenn baS neue (Erlebnis, ju bem bie
35 Sf)riftenf)eit berufen fei, ©eftalt gewinnen folle in ber $ird)e, biefelbe frei Werben muffe
bon fremben, ifyre (Sntwidelung b/emmenben ©ewalten. StlS fold)e erlannte er ben unter
geänderten 3^itberf)ältniffen immer mebr bem ®ienfte ber fircfyenfeinblicfyen 2Bettmad;t
berfallenben ©ummebiftobat ber Sanbesfürften unb bie unter ber gorm ber ©t;nobal= unb
^3reSb^teriaIberfaffung in bie Hirct)e einbringenbe 2öi(lfürl)errfd)aft ber ungläubigen SJkffen.
40 ©egen betbe ©eWalten Wanbte er fid; mit feinem ßmgms bom geifttid;en Slmte, Welkem
um ber ib^m bon 6l>riftu§ übertragenen Munitionen Witten bie Regierung ber Äircf)e, bie=
fctbe als ©emeinfct/aft gefafet, allein §uftet)e.
©ie einzelnen Slbfd>nitte biefer tird)Iid)en Xl)ätigleit tonnen t)ier nur als Äabitel=
überfd)riftcn genannt Werben, guerft ift ju erwähnen 3SitmarS Sleilnafyme an bem fog.
45 „f)efftfd)en ©^mbolftreit" im ^ab^re 1839. @s War burd} eine mit ber DeberSformet ber
an^uftetlenben Pfarrer borgenommene 33eränberung bie SBefeitigung ber ©ettung ber
StugSb. ^onfeffion angebahnt. Sin bem Hambf für bie botle SxecfytSbefiänbigleit ber
StugSb. Honfeffion, ben in erfter Sinte ber Dberabbetlationsgertcfytsrat S3tcfeDt führte, be=
teitigte fid? 3Sttmar mit ber etnfd>neibenben ©ct/rift: „®aS Serb^ältniS ber ebangelifd^en
5oIirc|e in ^ur^effen ju ifiren neueften ©egnern" (Harburg 1839). Unb als in ben
fündiger %at)xm bie f)effifcf/e £ated)iSmuS= unb Sietenntnisfrage baburcf) in ein neues
©tabium trat, baf? §unäd}ft ^rofeffor §einrid; §ebbe (bgt. 33b VII ©. 688, 45 ff.) in ber
©cf)rift „®ie fonfeffionelte @ntwidelung ber t)effifd)en ^ird}e" (granffurt a. 9JI. 1853)
für bas „gute 9ted}t ber reformierten J^ird)e in äurkffen" eintrat unb bann bie tI)eo=
55 logifd)e gafultät in Harburg in einem „amtlichen ©utaditen" ('IRarburg 1855) ben ©e=
brauet) beS ^eibetberger ^ated)iSmuS in ben ©deuten, unb jWar feinem ganjen 3"^^e
nad), als buret; baS bofitibe £urt)effifct)e ^trd;enred;t erforbert b^inftetlte unb bie in bem
t)efftfcr)en Katechismus bargelegte Setjre als reformiert beseietmete, fe|te S3ttmar biefem
©uralten junäd)ft ein Wo|tbegrünbeteS „Sebenfen" (Berlin 1856; bgl. aud; bte ©djrift
go „®a§ Iutf)erifct)e SefenntniS in Dberl»effen", Harburg 1858) gegenüber unb trat bann
Hilmar 657
in feiner „©efdjücfyte bei Konfeffioniftanbei ber ebangelifcfyen Äircfye in Reffen" r))iat=
bürg 1860, 2. bermel)rte 2tuigabc granffurt a. 9Jt. 1868) in grünblicbjter Söeife ben
gefd;id;tlid;en 33eWeü bafür an, baft bie nieberfyeffifdje ®ird;e ben tarnen einer refor=
mierten ^ird^e nicfyt Wegen ber in ü)r giltigen £el)re, fonbern lebiglicb, Wegen ber burd) bie
fog. i'erbefferungipuni'te bei Sanbgrafen Sftoritj it)r im %al)x 1605 aufgebrungenen 5Mtui= 5
formen trage. ®ie Sefyre fei nad) ber Norma docendi in ber ^teformationiorbnung unb
Äonfiftorialorbnung bom $af)re 1610, foWie nad; ber Äircfyenorbnung bon 1657 un=
jWeifelfjaft lutfyerifd;; nur bieg fei zuzugeben, baf? fie, weil nicfyt in bie J?onforbienfcrmcl
auilaufenb, ali eine ber reformierten 2el)re nid}t mit einem damnant, fonbern nur mit
einem improbant gegenüberftel)enbe Sefyre bejeidmet Werben fönne, unb bafj bie ifieo= io
logie in §effen=$affel Wäfyrenb ber legten jWei drittel bei 17 ^^"nkertS in fd;neiben=
bem 2Stberfbrud> mit ber fird)lid)en Sefyre ftreng bröbeftmattanifd) reformiert geWefen fei.
So nafym bie nieberfyeffifdje ®ird)e immerhin einen mfularen ©ianbbunft unter ben
beutfdjen $ird)enrorbem ein. 33ilmar be§Vt>eifeItc, ob ei, Wenn man ben Sfyarafter bei
Scbwanfeni jtoifd^en tarnen unb SSefenntnü beibehalte, ber nieberfyeffifdjen föircfye mbglid) 15
fein Werbe, bai, tüaö fie I)abe, unbcrfefyrt unb unberfürjt auf bie fbäteren ©efcfylecfyter ju
übertragen. SDarum forberte er in ber mit ungeWöfmlicfyem Sorblid in bie gulunft ge=
fcfyriebenen ©cfyrift „Sie ©egenWart unb bie ^""ft oer nieberfyeffifcfyen $ird)e" (9ftar=
bürg 1867) in fcfyarfem ©egenfa^ gegen eine bem l;effifd;en ütrd)en=^]arti!ulari§mug aU=
jufefjr anfyangenbe Stiftung bringenb ba^u auf, ben Äatnbf Wiber bie brofyenbc Union 20
nicfyt auf bie Unberänberli<|feit ber Sltrdjenorbnungen &u (teilen, fonbern biefen ßambf
mit ber ftärfften ^Betonung bei lut§erifd;en Sefenntniffei unb öefenntmirecfytei ju be=
ginnen. SDafs man biefen §iat 33ilmari fo gar wenig beachtet fyat, ift berfyängnüboll für
ben fyefftfcfyen ßirdjenfambf geworben; unb gerabeju tragifd) ift ei, bafj bie f)effifd)=barti=
Mariftifdje ©rubbe ber Renitenten Don bem jüngeren Sruber 33ilmari, bem sIRelfunger 20
$RetroboIitan %aiob Söilfyelm ©eorg Hilmar, einer iperfönlicfyfeit bon gewaltiger ^otefiät,
geführt werben ift. Über bie ©efdncfyie ber renitenten Äircfye 9Rieberl)effeni »gl. 23b XII
©. 1 ju d unb ©. 13—15.
^n ber eben genannten ©cfyrift bom $ab,re 1867 nalnn SSilmar nod; einmal t<m
Hiambf auf Wiber bie £el)re Dorn ©unimebiftobat ber Sanbeifyerren. ,,2Öie ift ei einer 30
$ird;e möglid), fragt er, fid; bei einer Sfcnberung bei bolitifdjen 33efi§ei Wie einen Sali
aui einer §anb in bie anbere Werfen ju laffenV" (©. 34). 33ilmar erneuerte in ber
J)rinjitoiellen Slblelmung bei lanbeifürftltd)en ©umme^iflo^ati, ben er in birettem 2öibcr=
f^rud} mit ber 2tug§b. ^onfeffion (Prolog, 2lrtifel 28, ©pilog) fanb, bai am 14. $ebruar
1849 ju ^eiberg auf einer allgemeinen £onferenj bon 9JZitgliebem unb greunben ber 35
fyefftfcfyen ßird}e ju einer 3«it abgelegte .geugnü, ali bie beutfd>en ©runbredtjte ben Staat
für religioniloi erflärt Ratten unb bie @ntfd}lie|ungen ber Sanbeib,erren an bie ^uftimmung
ber fonftitutioneKen 3Jünifier gebunben werben waren, ^d} berWeife auf bai ^eiberger Ife=
moranbum (Gaffel 1849), bai bie Übergabe bei ®ird)enregimenti an bai geiftlidje 31 mt,
refb. an bie ©uberintenbenten unb ^nfbeltoren erftrebte, unb §teE>e, um bie 2lmtilebre 40
SSilmari lurj ju jeid)nen, nur folgenbe ©teile aui. „Waty bem ju Stecht befteb,enben
©runbbe!enntnü unferer Üird)e Wirb bie geiftlidje ©eWalt ali bom §errn ber $ird>e ben
33ifcb,öfen unb Pfarrern berlie^cn angefe^en. ^RaB ber §err an ©nabengütern feiner ©e=
meinbe auf @rben gegeben b,at, fyat er jur Verwaltung in beren §änbe übergeben, bamit
fie mit £>ilfe beffen bie ib,nen anbertraute ©eelforge auä) Wirlfam auiguübcn bermögen. 40
©tnb nun biefe Sefugniffe aud} nur mit i^rem 2lmte, nid;t mit i^rcr -^erfon berbunben
unb bilben fie eben beib,alb aud} leinen bon ber übrigen ©emeinbe abfolut gefonberten
©tanb, feinen Älerui im römtfdj^at^olifdjen ©inne bei Sßortei, fo l)aben fie bod; emft=
lid) barüber gu Wad;en, ba^ bie i^nen bon ©ott mit il)rem 3lmte gegebenen Steckte unb
Sefugniffe if>nen nid}t Wißfürlid) gefd;mälert unb entzogen Werben . 2lu§ ben Ieben= 50
bigen ©liebem unferer ^fqrrgemeinben follen nad} ber 3tbfid)t unferer baterlänbifdjen
$reibr/teriatorbnungen bie ätlteften Verborgenen, Welche berufen finb, i^rem Pfarrer treue
©cb,ilfen in ber ©eelforge ju Werben, unb infofern an feinem 2lmte unb feinen 23efug=
niffen teilnehmen, fo bafe aud; beren Sfted) te alfo nid;t etwa aui ben Urredjten ber ©emeinben,
fonbern aui bem bifd)öflid;en Slmte ber Pfarrer abzuleiten finb" (©. 17 u. 18 bei ^umtormu 55
bumi). ©0 trat 3Silmar im ©egenfa^ jum Weltlichen ©ummebiffobat für ein geiftlid)=
bifd;öflid}ei ^ird;enregiment in bie ©d)ranlen, befürchtete aber, baft bie SSerfaffungifrage
in näherer ober fernerer ßufunft bie ebangelifd)c Sf>riftenl)eit in jWei fdjarf boneinanber
gefdnebene Sager teilen Werbe. ®cnn überaß ba, Wo bai geiftlic|e 2tmt nur ali ein bon
ber ©emeinbe reffortierenber Auftrag gelte, ali ein 2tmt, Welches bie ©enuinbc aui fid; 60
9!eaI=(S«ct)Hot)äbte ffit SE&eoroQie unb Äirifte. 3. Sä. XX. 40
658 Hilmar
felbft beraub feije, ba fei bie böllig fonfequent burcr)gefüfyrte ^ßrcg£>l;tertal= unb ©rmobal=
berfaffung bte noimenbige unb einjige $orm ber $ird>enregierung.
Dfme grage fyahm auf ba<§ 3eugni§ Hilmars bom geiftlid)=bifcr)öflicr/en $ird)en=
regiment bte alten Drbnungen ber fyeffifcben $ird)e einen toefenilicfyen Güinflufj geübt.
5 9?ad) ber ®ircr}enorbmmg Dom 3>abre 1566 mar ba<3 ©uberintenbentenamt mit faft
bifcböflid)er ©emalt au§gerüftet. Bon ber Bebeutung ber §anbauflegung fann man nid)t
naci)brüdlid)er reben, als eS eben biefe Slird;enorbnung tlntt. £>ie au3 ben Ktrd)en=
orbnungen bom ^<4re 1566 unk I573 hervorgegangene llirdjenorbnung Dom 12. Quli
1657 lann in einem fünfte, ber Drbnung ber öffentltd^en Seilte, gerabeju muftergiltig
10 genannt werben. ®er Sted^beftanb biefer Drbnung mar niemals, aucb, nid)t in ber $eit
be3 loigebunbenften StationaliSmug, erfd)üttert morben. Bilmar benennt, bafj feine 3Ser=
»altung ber ©uberintenbentur Gaffel bon bem einen Bcftreben geleitet gemefen fei, ber
^ird>enorbnung bon 1657 ©ingang in ba<8 fird)lid)e Seben bei Pfarrern unb ©emeinben
gu bereiten.
15 Sie bier %af)xe biefer Bertoefung (1851—1855) muffen als bie §öb^eit im Seben
BilmarS bekämet merben. @r felbft glaubte, nun enblict) feinen eigentlichen Beruf ge=
funben gu baben. 2Ba<§ er bisher in ©dmle unb ©taat erftrebt unb erarbeitet t)atte,
tonnte er nun im innerften Zentrum be£ BolMebenä, in ber Stirdjc, befeftigen unb fo
ben Gürtrag feiner SebenSarbeii für bie .S^unfx fict)ern. ©in baar 2tnbeutungen genügen,
20 bieg näb/er ju erläutern.
lyn ben unmittelbar borauggefyenben ^at)ren (1848—1850) t)atte Bilmar eine fyöcbjt
einflußreiche Sf)ätigfeit auf bolitifd)em ©ebiete entfaltet, ©in Wlaxm bon aIt=fonferbatiber
©efinnung, bem Königtum bei beutfctjen Bolt'es unbebingt ergeben, ba§ er in einer ala-
bemifcl)en geftrebe (SKarburg 1857) ju bem Königtum bei alten SeftamenteS in parallele
25 ftellte, leiftete er nid)t nur feinem Äurfürften in ferneren Sagen ben miri'famften Bei=
ftanb (bgl. ben Bericht Bilmar§ über bie Verlegung ber Regierung bon Gaffel nacb, 2BiI=
r/elm£bab 12. — 17 ©ebtember 1850 in 9k. 167 ber §eff. Blätter), fonbern machte aud;
ben bon il)m 1848 begrünbeten unb big @nbe ^uni 1851 allein rebigierten „§effifci)en
Bclfgfreunb" jum ©ammelblaij ber Sreuen im Sanbc, unbeirrt burct) ben £>afs ber Sie*
so bolutionäre, ber ilm bafür traf. S)ie 2Iuffä£e biefer Leitung, bon benen Bilmar fbäter
einen Seil unter bem Sitel: $ur neueften ^ulturgefd)id}te ©eutfcfylanbg, 3 Seile (§ranf=
fürt a. 2ft. 1858 unb 1867) fammelte, b)aben großenteils» eine mel)r als ;$eitgefd)icbtlid)e
Bebeutung. Bilmar bemühte fid;, bie inneren ©runblagen ber Stebotution aufzeigen
unb ?u bcfämbfen. 3e mer)r er aber überzeugt mar, bafs nur bie üird)e unfer Bolf
35 bon ber embörerifd)en Unjufriebenb,eit unb fclbftjerftörenben Unruhe ^u ftilter ©enügfam=
leit unb fröl)lid;em ©otte^fricben fjin^ufüljren bermöge, befto grbfser muffte feine greube
fein, als er nun in fo b/erborragenbem Siegieramt in ben ©taub gefegt mürbe, auf baö
!irct)Iicf;c Seben cntfd;eibenb einjutoirfen. Unb nod; ein anberer ©efic^tlbunlt beftätigt
unfere 33eb,aubtung.
40 Tlan b,at 3Silmar mit "tRetyl bei §effenlanbeg erften Kenner unb ben feurigften 33e=
munberer unb 33erfed)ter aller feiner Altertümer genannt (Slugöb. SlUg. 3c^iun9 1868>
Seilage 222). (BS gab feinen grünblidjieren Kenner ber fyeffifdjen ©efd)id)te als tt)n : bie
„£)efftfd)e Sfjronil" (Harburg 1855) ift ein beutlici)er Setoeiu bierfür. (Unter ben Heineren
Beiträgen jur b,effifd)en ©efd)ict)te berbient ber in fix. 44 be§ §effifd}en Üirc^enblatteö
45bom Qat)re 1861 erfd)tenene 2Irtilel über 33artt)oIomäu§ Stiefeberg @rmäb,nung. Stiefeberg,
bie treucfte $obie Sutl;er§, mie ibn bie ^eitgenoffen bejeidjnet l;aben, mar ber erfte eban=
gelifd)e ^rebiger in Reffen, tourbe aber nad; lurjer Söirffamfeit in 3mment)aufen am
12. ^uni 1523 bon bem bantalö ber Steformation noct) abgeneigten Sanbgrafen $l)ilibb
gemaltfam entfernt.) ^cidtt tot lag taS reiche 2Biffen Silmari in feinem ©ebäd;tni§ —
50 treuberjig erjäblte er in feinem „fyeffifcfyen ^iftorienbüc^Iein" (Harburg 1842, 3. Auflage
1886) alte t)effifd)e ©efd)id}ten feinem Sßolfe. 3öa§ mar er baneben für ein 58eobad;ter
ber ©egenmart! SBeltlauf unb Söetter — „recb.t berftanben ein unb basfelbe 2)ing, nur
bon ^mei berfd}iebenen ©eiten" — maren ©egenftänbe feiner fortgefe^ten, fd;arfen Seobad;=
tung; er beröffentlid)te im SSolföfreunb (1851) ein „2öetterbüd;lein", ba3 fiel) auf eine
55 mebr als 40jäbrige Beobachtung flutete (6. bermel)rte Auflage SRarburg 1903). 3afyr=
geinte binburd) fammelte er am Söortborrat ber t>effifdt)en 33oIlgfbract)e; im $at)re 1868
lonnte er ein nad) ©d)meHer6 unerreichtem 5ßorbilbe gearbeitete^ „^btotifon bon Kur=
t)effen" ben ©bracb,freunben borlegen (Harburg 1868, neue 'SliiSQaU 1883; baju „munb=
artlidie unb ftammbeitlidje 9cad)träge burd; §ermann bon $fifter" 1886, 360 ©. unb
60 jmei ©rgänjung^befte). 2luf§ eifrigftc förberte er, aueb, burd) eigene Beiträge, bie arbeiten
beS Sßeretng für fyeffifdjc ©efdjidjte unb SanbeShtnbe. Aber unter aßen Altertümern, bic
er bietätSboH pflegte, mar ilmt feines enger mit bem SScftanbc beS Sßolfe^ öerfnü^ft, feines
unentbehrlicher für eine gebeifjlicfie gufunft ^ bie f>effifd>e Sürdjc. ®eren ©uberintem
bentenamt berroaltete er jefct.
äßir miffen, meldte giele er in biefem Amte berfolgte. Unb mächtig mar bie 3Sir= 6
fung, meiere Don biefem tebenbigen Beugen be§ §errn ^efu ßbjiftt ausgegangen
ift. ©ein Zeugnis I)atte ©etoalt über bie ©eifter. ®aS ftellte er als Aufgabe ber
9ßrebigt b/in: fie follte ein bureb, ©ebet Vermitteltes geugnis fein, beftimmt, ben einen
ein ©erud) beS SebenS jum Seben, ben anbern ein ©erueb, beS SEobeS jum Sobe
311 fein — fäfyig, bie ©Reibung ju bemirfen jtotfd^en ®ird>e unb 2Se(t. So r)at 10
er felbft gebrebigt — mir füllen eS ben beröffentlid)ten „^rebigten unb geiftlicfyen
gteben" (Warburg 1876) ab, bie boeb, gelefen ber 5Jcad)t ber münbltd)en 5Rebe
entbebren muffen, ©inige biefer $rebtgten finb an WiffionSfeften gehalten; an ber
SBteberermedung beS WiffionsfinneS in §effen fyatte Hilmar b,eröorragenben Anteil, ^n
feinem -Jiadbjaffe finben fieb, bie ©iSbofttionen ber Anfbracr/en bei 'pfarretnfetjungen. ÜJtit 15
mad)tboHen 2Borten betonte er bic ,§aubtfad)en im geifilidjen Amte. @r fbrad) ettoa
über 1 %\ 1, 12 unb bermanbelte ben ©a£ in ein ©ebet: 2)er §err ^efuS ßfyriftuS
madie btdb ftarl (in ber @inftd)t unb im SSillen) unb treu (gegen $I)n unb gegen bie
Öerbe), auf baf$ bu r)ernaci) ib,m ban!en fönneft. ©eine DrbinattonSreben maren un=
bergepd). SDic lefcte geiftlid>e §anblung mar eine Drbination (am 20. April 1855). 20
®ie Erfahrungen bei $ird;enbifitationen gaben bem ©uberintenbenturbermefer
itoanlafjung ju eingreifenben amtlichen AuSfcfyreiben. ©ie belogen fieb, (»gl. baS
©. 650, 18 angeführte Buct) ©rebeS) auf bie ©eftaltung beS $onfirmanbenuntemd)tS, auf bie
geiftlicfye ©orge für bie auswärtigen ^Sfarrünber (beibc abgebrudt im §eff. BolfSfreunb
1852, ")ir. 6—9 unb 1853 %lx. 11); ferner auf bie ßu^ffung jum $atenamt, Unteres
fagung ber !ircr;lid)en £eicb,enbeftattung, geiftlicb/e Pflege ber ^reSbr/tericn, Brauteramen
unb äb,nlict)e gmeige ^er fbe^iellen ©eelforge. 3)te ©cr/äije ber fyeffifd>en lUrcfyenorbnungen
erftanben auS if/rem ©rabe. @S geigte fid), maS ein Wann bon ber IKegiergabe unb bem
geugenmute eines Hilmar jur öebung beS lircb,Iicb,en SebenS einer ganzen ^iret/enbrobinj
beitragen lonnte. „Wit raftlofer ©nergie, mit imbonierenber ©eifteSgemalt ift er in alle 30
2Bm!el feiner ®iöcefe eingedrungen unb fyat in bem ^aftorat eine Deformation bemirft,
mie fie in fo furjer $rift laum anberSmo ju ftanbe gelommen" (§engftenberg im Bor=
mort ber @b. £3. 1869, ©. 88).
9cad) bem ^obe beS ©uperintenbenten ©rnft mürbe Hilmar bom „©^nobuS" ber
Pfarrer mit 110 bon 124 ©timmen ju feinem Amtsnachfolger gemäf)lt. S)te 2öaf)l 35
unterlag ber Seftätigung beS SanbeSfürften. 2)ie S3eftätigung mürbe »ermeigert. 3)en
ilUbermillen beS lurfürften beftärfte ber 9kt beS ^3rofefforS 2SilbeIm SDfangolb (bgl.
Sb XII ©. 191, lsff.) unb ein eingeholtes ©utadjtcn beS ^ircb,enrecb,tSle^rerS ÄmiltuS
Submig 9ftd)ter. ®er Ie|te ^urfürft bon §effen beftättgte burd} ben ©emaltaft, mit bem
er am 27. Dftober 1855 ben gemähten ©u))erintenbenten als ^ßrofeffor ber Xb,eoIogie 40
nacb. Harburg berfe^te, aufs nad^brüdlicb.fte ba§ 3eu9n^g SBilmar» miber baS IanbeSfürft=
lia)e ^irc^enregiment.
III. Hilmars SebenSabenb. — Beurteilung. 2Sor 21—24 ^aliren märe
Hilmar gerne ^rofeffor ber Geologie gemorben; je|t mufete er gelungen als folcfier
„figurieren" (SS erneuerte fid; ber alte, bon ibm oft beüagte ^miefbalt jttufcfycn Beruf 45
unb Neigung. Um fo erftaunlidjer ift bie umfaffenbe unb tiefgel)enbe Sebrmirffam!eit
SSilmarS in ber aufgejroungenen ©tetlung. 9Hel)r unb meb,r mürbe er ber einflufjreicbjte
Seb^rer ber Uniberfttät. ©ine safylreidje ^üngerfdiar embfing bon ib,m einen „©tofj 31t
emiger Bemegung"
©in beutlict/eS Programm ber tf)eologifd}en £eb,rt^ättgfeit BilmarS enthält bie am 50
Beginn berfelben als „BelcnntniS unb Abmefyr" Veröffentlichte ©c^rift „®ie Geologie
ber Xb,atfad}en miber bie Geologie ber 9ib,etori!" (Warburg 1856, 1. bis 3. Auflage);
berftänblicfyer märe ber SCitel : „tl>eoIogie beS ßeugniffeS bon SLb,atfacb,en miber bte 2beo=
logie ber leeren 2Borte". ^m ©inne biefer ©cb,rift, in ber beutlicb, auSgefbrocb,enen Abftd;t,
burd) fein ßeugnis bon ben T^atfacfyen ber ^eilSoffenbarung ©otteS ^aftoren ju erjieben, 55
bat ber 55jär;rige Wann einen umfaffenben .?treiS bon tfyeologifdjen Borlefungen ausgearbeitet.
Am mäd)tigften mirfte er burd) fein collegium biblicum. ©r füllte bie tfyeologijcbe
Sugenb in einem breijäbrtgen üurfuS bureb, bic ganje b.1. ©d)rift, bon ber ©enefis bis
jur Abofal^bie. Biermal b,at er biefen an beutfc£)en Uniberfitäten einzigartigen ßurfuS
boßenbet. Gin jünger Hilmars, ber Pfarrer ßbr. Wüller ju ^ürfteuau, bat mit tiefem eo
12 f
660 Hilmar
SSerftänbniS fetner älufgabc unter ^eran^iefyen bon ©Triften au§ bein 16. Qafyrintnbert
biefe braftifdje ©rflärung ber ty. ©d;rift herausgegeben (6 33be, 1879—1883, ©üterSlofy,
^Bertelsmann). 2tucb, bie meiften anberen SSorlefungen 23ilmarS finb nadj {einem Sobe
in gleichem Verlage beröffentltd^t toorben — bon ^farrer ^frael bie „tfyeologifd)e SJioral"
5(2 33be, 1871), bon ©bmnafialbireftor Dr. pberit bie „®ogmatif" (2 33be, 1874), bie
SBorlefungen über bie „2tugSburgifcb,e ^onfeffton" (1870), über „d>riftlid)e ^ird}enjud;t"
(1872), über bie „£eb,re bom geiftlidjen 2lmt" (1870), über ,,$ßaftoraltb,eologie" (1872).
Sfußerbem laS 33ilmar über „|)omiletif", über baS „®ird;enlieb" — unb (eine grudjt
feiner ungetoölmltcb, grünbltcfyen Kenntnis be§ 16. ^ab, rfyunberts, inSbefonbere SutljerS)
10 über bie „tfyeoIogifd)e £itterärgefdnd)te beS 9teformationSgettalterS" ©erabe bie legiere
"Isorlefung foüte bem tfyeologifdjen SeferfreiS nidji borentljalten werben, gretlid;, bei einem
Sefyrer toie Sßilmar ift ber Unierfdueb jtoifcfyen bem münblicb, gefbrodjenen, aus ber büßen
^erfönlidjfeit fyerborquellenben 2öort unb bem toten SBucbJtaben ber gebrudten 9>tebe be=
fonberS groß. $n ben 23orlefungen brägte ftd) ber getoicfytige Vortrag unmittelbar bem
15 £>örer ein, toenn „ber marfige Wann mit tiefernftem 2lngefid)t ju fbrecfyen anb,ub, fein
SSort gu biel unb feinS ju wenig, mit einer ©tcfyerfyeit unb einer ©etoißfyett, bie aufy
ben fernften gtoeifel gängltdE) auSfd)Ioffen unb bem gufyörer oa^ ©efüfyl einflößten, baß
ber Sortragenbe mit feiner gangen gemaltigen $ßerfönüd)ieit für jebeS Söort einfiele"
(Qfrael, SSormort jur SDtoral, ©. VII). 9Jcan begreift leidet, toie getoaltig ber ©tnfluß
20 eines folgen sIftanneS auf empfängliche jugenblidje ©emüter fein mußte. Unb nicfyt bloß
auf biefe. @r toar bie ©eele ber lutberifdjen ^ßaftoralfonferenjen beiber Reffen, bie bon
1857 bis 1866 abtoedjfelnb ju SRarburg unb griebberg gehalten tourben. SDiefe $u=
fammenlünfte, über toelcfye ausführliche S3eridf)te im 5. bis 13. ^afyrgang beS £>armfiäbter
„§eff. MirdjenblatteS" borliegen, Ratten große fird)Iicf)e Sebeutung. %a\t alle bie befenntniS=
25 treuen ©eiftlidjen beiber Reffen, bie in ben Stird;enfämbfen ber fiebriger ^ab,re fyerborgetreten
ftnb, b,aben, fo toeit fie nicfyt ofynelnn gu ben ©djülem Hilmars geborten, fyier t^re 2Baffen=
rüftung für bie lommenben Reiten gefebmiebet. $u toeiterer Serftänbigung unb jur ©amm=
lung bertoanbter Greife btenten bie bon SSilmar herausgegebenen „bafioral-41; eologifd) en ^Blätter"
(Stuttgart 1861— 1866, 12 33be). 2öer Hilmar reebi lennen lernen toid, muß feine 2luffä£e
30 in biefen ^Blättern (gefammelt bon Pfarrer SJJüIIer unter bem %xkl: jftrdje unb ülöelt,
2 S3be, ©üterSlob, 1872) ftubieren. Unb toer feine ©tettung §u ben fircfylicben geitfragen
im einzelnen ju erforfcb,en toünfd;:, bem feien feine „Quartalbericfyte" im sJJatf)ufiuSfd;en
SSoIfSblatt für ©tabt unb Sanb (1860—1866) beftenS embfoblen; man finbet fie toieber
abgebrudt in ben ^ab,rgängen 1902—1906 ber „.geffifd/en Slätter" (bon 9er. 2888 mit
■'>=> Unterbrechungen bis Dir. 3265). Hilmar führte an einer S^eifye bon SJBeifbielen ben ©a|
bureb,, baß toir ntd)t in einer $eit ber ©baltungen leben, fonbern in ber 3eü ber
©cfyetbung. @S fei ber unabtoenbbare ©ang ber göttlichen Sßeltregierung , getoeiSfagt
fdjon bor ^a^rtaufenben , baß, toie im Stnfange ber 9)lenfd;engefdnd>te ^ainiten unb
©eisten gefonberte 9Jlenfd;en!reife toaren, fo gegen baS 6nbe ber ©rlöfungSjeit jtoeierlei,
40 innerlid; bis in baS §erj unb DJcarf boneinanber gefd)iebene 9Jlenfd)enarten borb,anben
fein toerben.
%xo§ ber ^üngerfd;ar, bie fid) um ib,n fammelte, füllte fieb, 33tlmar in Harburg
meb,r unb mel)r ifoliert unb etnfam. ©en ©cb,merj über bie ©reigniffe beS ^abreS
1866 b,at er nid)t bertounben. ^obeSgebanfen berlteßen tb^n feitbem feinen %aa,.
45 3ln feinem legten ©eburtstag (21. 9cobember 1867) fbrad) er fie offen aus. SBenige
%aa_z barauf ftarb feine (ätoeite) ©attin Slb,erefe ©ob^ie, geb. greberfing, mit ber er feit
bem 6. Dftober 1833 in finberlofer @b,e gelebt f;atte. @r überlebte fie nicfjt lange. 3lm
SJiorgen beS 30. ^uli 1868 tourbe er nad; einem toieberb,olten ©cb,lagfluß tot in feinem
33ette gefunben; aus bem Stntli§ fbracb, tiefer griebe. 2lm 1. 2tuguft 1868 ift ber mübe
60 £eib ber @rbe übergeben toorben. —
(Sin Äird;enmann in ber Söenbe jtoeier fttiten — fo fann Hilmar aufs fürjefte
bejeicb,net toerben. SUiit betounbernStoerter Sireue ftellte er alle feine reichen ©aben in
ben ©ienft beS £>erm; aber baS toar bie ©efabj biefer bureb, unb bureb, gefdnd;llid)en
9Jatur, baß ib^r baS £>iftorifcb,e, jumal baS ©elbfterlebte unb berfönlid) @rfab,rene ju feb,r
55 als ber einzige unb allein berechtigte SluSbrud" beS nadi ber 3Serförberung ringenben
geiftigen unb geiftlia;en 2ebenS erfd;ien. ©o fam eS gtoa'r, baß er bie feinfte 2öitterung
für aHeS rebolutionäre 3öerben unb ben grünblidjften |>aß bagegen fyaite, ba er nur bon
ber ruhigen ©tetigfeit ber in ben gefd;id;tlid)en Sahnen berl»arrenben ©nttoidelung §eil
ertoartete. 2lber anbererfeits berfannte er boeb, ju leicht, baß aueb, ber tobenbfte, bon
60 toilben SBaffern gefd;toeKte unb feine Ufer überflutenbe gluß berechtigte ©trömungen in
Süttlmnr SBtncent 661
fid; fül;rt, unb baft bafyer ber ftarr entgegentretenbe gelgblod ntdjt nur bie Wilben 2Bogen
fyemmt, fonbern aud; ben tieferen, ruhigen fluten ^um 2tnftofj gereicht. 2lber fo ftanb
ber tiefgegrünbete 2ftann ba — ein unbeweglicher $el§, umbrauft bon ben SBogen einer
aufgeregten, ftürmifcfyen, neue ©eftaltungen fyerborbrtngenben geit. @g ift bieg feine
©röfje. 2Iber neben ber ©tärfe liegt bei ung enblicfyen unb fünbigen 9Jtenfd;en bie 5
©cb>äcr;e, unb eg läjjt fid; ntc^t leugnen, bajj bie (Starrheit beg gelfenmanneg aud;
manchen beflagengWerten 2lnftof$ geboten Ijat.
^d) Will midj jum 33eWeife hierfür rtid^t auf bie bittere älnflagefdjrtft frühen:
„Dr. 21. "isilmar§ unb feiner 2tnl;änger Stellung ju ben Wicfytigften toolitifcfyen unb ftrd;=
liefen geitfragen" (juerft in ©eljerg 9JconatgbIättern unb bann felbftftänbig erfdjienen, 10
granffurt a. 9Jc. 1865; »gl. bie beiben 2lrtifel beg gleiten 33erfafferg, beg Pfarrers unb $ro=
reftorg SKUf). §erm. teurer in Rinteln, im 2tHgemeinen litterarifcfyen Sinniger für bag etoang.
£eutfd;Ianb 33b II 1868, ©. 416—422 unb 33b III 1869, ©. 69—76), gefd)toeige benn,
r>afj bie Don 33ilmar alg $ampfylet bezeichnete ©d;rift fetneg ÜRarburger SMegen ©ilbe=
meifter „^njurtenflage ber tfyeologifdjen gafultät ju SRarburg gegen ben $onftftorialrat 15
Hilmar, granffurt a. M. 1859" bei gällung bei ©efamturteilg in33etrad;t läme. 3)er ^rojefe
b,at ben tarnen Hilmars mit toiel unberbienter ©djmad; bebedt. 2Ber bie sjSrojejjaften
einfdjiliefjlid; ber 23erteibigung beg 2tngeflagten eingeftenb ftubiert r)at, Wirb aufhören, Don
SSilmarg „ungerechtem unb Ieibenfd;aftlid;em 2lngriff" (fo 33b XVI ©. 430, 53) ju reben.
%ify übergebe aud; bie 2Sorte, mit benen ^onfiftorialrat $. Sari in ber ©djrift „33ilmar Wiber 2u
ßbrarb in ©ad}en ©d)Ie§mig=§Dlftein§" (granffurt a. 2R. 1864) bie „djriftlidje" ^olerntf in
$urb,effen getabelt fyat. (Sin 33eifyiel auf tl>eologifd;em ©ebiete genügt jum 33eWeife beg oben
auggefarocfyenen Urteils. £>at man toirflicb, ein dmftlicfyeg unb tf)eoIogifd)eg 3ted;t, bie 2tufb, ebung
ber Seibeigenfdjaft ju bemä'feln unb ju beb, äugten, bafj bie mobtftjterte unb fo ber$abrif=
fned)tfd}aft borjujie^enbe ©infüb^rung ber ©tlatoerei innerhalb d;riftHd;er SMfer nidjt ob/ne 25
äöeiiereg alg undmftlid) bertoorfen werben bürfe — Weil eg an einem hierfür getoäbr=
leiftenben SSorte beg 91%$ fet;Ie?! (SJJoral II, 197). $ann man fid; Wunbern, Wenn
ein ^ßolitifer Wie ^onftantin $ran|, ben freiließ 23ilmar feiner geit 3" ^en „9teboIutions=
ürebigern" geworfen bat (£eff. 33oIfgfreunb 1852, Ta. 73), foldje Sßorte als einen 33eleg
bafür anführt, in toeld; unfreien ^enbengen bie lutb^erifcbe Drtb^obojie nod; bleute befangen 30
fei? (in feinem Söerle: ©^ettinflS ^oftttöe sß^tlofo^te Ill.^eil, £ötfyen 1880, ©.228ff.).
Ser ©d)lu|, ben %xan% jieb^t, ift natürlich falfdj; aber aud) über bie 33egrünbung mufe
man fid) billig itmnbem, mit ber 33ilmar feinen eigentümlichen ©a| berfeb^en f>at. @§
fommt i)kx fein ftarrer Sl^atfacbenbegriff in ©idjt, toenn er für jebe 2ebenäerfd;einung
in ber 6§riftenf>eit ein birelte§ bißigenbe§ ober bertoerfenbeg Söort ber bl. ©djrift borau§= 35
fe^t, unter ba§ man fid; ju beugen fytihi. @§ ift eine ber embfinbücbjten ©teEen ber
33ilmarfd)en Geologie, ba| fie für bie 33ebeutung ber d;rtftlid;en @rfenntni§, burd; roeldie
bie 5U erfafyrenben äb,atfad)en ber inneren 2tneignung unb Verarbeitung gugefü^rt Werben,
fein rcdjteg Sluge b,at. gür ein ©tyftem ber d;riftlid}en ©eWi^eit giebt e§ in biefer
„Slb^eologie ber Sfyatfacfyen" feinen $Raum. ®te ^Iud;t t>on ber @rfenntni§ Weg ju ben 40
Xljatfadjen felber, ba§ t-ermeintlict/e ©ic^^beugen unter bie unmittelbaren S^atfacfjen er=
Hart fid) au§ 93ilmar§ ^meifelgfambf; aber biefe gtud;t rädjt fid;, unb bann am em=
bfinblidjften, Wenn bon ben SEfyatfacfyen, unter toeld)e man fid; beugen foU, nod; un=
genügenbe ©rfenntniS unb @rfab,rung f;errfd;t unb biefelbcn tuelmefyr erft genau ju
ermitteln unb ju erfahren finb. 33ilmar giebt felber ju, bafe bie (Erfahrung über ba§ 45
geifttid;e 2tmt ber ^ird;e nod; beborfteb,e. lim fo toertounberlidjer unb bejeid;nenber ift
eö, ba| bie (Snergie ber 33ilmarfd;en Behauptungen nirgenbg ftärfer ift als ba, Wo er
auf ba3 geiftlid;e 2Imt unb feine ©teüung in ber Uird;e ju fpredjen fommt (bgl. bie
fritifd;e 33eleud;tung ber ©ogmatif 3SiImarg unb infonberfyeit feiner fiebere bon ber ^ird;e
im 69. unb 72.33b ber 3^ 1875 ©. 135 ff. unb 1876 ©. 57 ff. öon ^ßrof. Dr.gr. £. 91. 50
granf). granf erfennt unummunben an, bafe S3ilmar ein SJiann War, ber ein beutfd;eS,
unb mag nod; meb^r fagen Witt, ein d;riftlid;eg §erj in fid; trug, unb beffen ©d;atten=
feiten boeb, nur bie ®ebjfeite beg £id;teg unb beg geuerg Waren, bag in tym glühte
(©. 137). Bugleid; aber erfd;eint ib^m feine Seb,re bon ber ®ird;e unb Wag bamit 311=
fammenfyängt alg ein Söarnungg^eicben bafür, Wie nabe folgen, benen ©ott 5Rad;t 55
über bie ©eifter berliefyen, bie ©efabr liegt, eigenbeliebige Söege einjufd;lagen unb gerabe für
biefe bie gan^e ^raft ifyrer .^erfönlid;feit ein^ufe^en (©. 58). Soljanucs* ^o«fj(citer.
Sßincentr ^acqueg Souig ©amuet, geft. 1837. — I. <3etue ©Triften: Ob-
servations sur l'unit^ religieuse 1 s20 ; Obsorvations sur la voie d'autoriteappliquöe ä la religion ;
662 i*ittceitt
Melanges de religion, de morale et de critique sacree, 1820 — 1824, 10 vols; Vues sur le
protestantisme en France 1829, 2. Sdtfi. 1859; Meditations religieuses 1829, 1839 u. 1863.
II. lieber iljn ögl. bie btograpbtfdien Einleitungen ju ben nadi feinem £ob erfdjienenen
Auflagen ber Vues unb bev Meclitations non gfontcmeS, 91. ©oqueref, ^reüoft^arabol.
5 91. Sßirfjel, S. V son temps et ses opinions, ©trajjburg 1864; g. (Jorbiere, S.V. sa con-
ception religieuse et chr&ienne, ©enf 1873; <3R. SBtcmc, S. V., «iontauban 1890; ©. &üf)ot,
La pensöe religieuse de S. V., äftontcmbcm 1899 ; ßtdjtenberger, Encyclopedie des sciences
religieuses, XII, 393 ff.; S. 9Kaurt), Le reveil religieux ä Geneve et en France, 2 vols,
$ari§ 1892; ©iefeler [^Jcaeber], ®te proteficmtifdje Ätrdje granfreid)§ »cm 1787—1846,
10 ßeipjig 1848.
«Samuel 35., einer ber berbienteften 23orfämbfer beS frangöftfdjen $)3roteftantiSmuS
im erften ©rittet beS 19. I^aljrtmnbertS, i[t am 8. ©ebicmber 1787 in SRimeS geboren,
©er ©roßbater, $aul 23., mar „Pfarrer ber 2Büfte" unb bon 1760 an in Firnes ber
2lmtSgenoffe ^ßaut 9kbautS, mit bem er am 26. gebruar 1761 eine exhortation ä la
15 repentance et ä la profession de la verite an bie Hugenotten bon 3<cimeS unter=
geidmete unb angefid)tS ber Dragoner beS Königs ben Wat gab : „flieget, laffet §auS unb
§eimat, SSater, Butter unb ^inber im ©tid); rettet eure ©eele unb fe|et eucb, ntd)t ber
©efafyr au§, am ©tauben ©djiffbrud) ju teiben, baS ift bie unerläßliche $flid)t beS ßbriften"
©ein ©otm Stbrien 23., ber SSater ©amuetS, mürbe 9xabaut§ 9Rad)fotger in 9cimeS. ©ie
20 ©djreden ber Srebolution, bie 1793 — 1794 in 9cimeS mit befonberer §eftigfeit mutete,
fangen ifjn, eine |$eit lang auf fein Pfarramt ju beraten. 1807 finben mir il)n mieber
als Pfarrer in ©ajan. ©af$ feine ^ugenbgeit in bie trüben Erinnerungen an bie Seiben
ber §ugenottenfird)e unb an bie ©laubenStrübfale feiner eigenen gamilie getauft mar,
fyielt ben jungen ©amuel 23. nid)t ab, aud) feinerfeitS in beS 23aterS unb ©rofjbaterS guf$=
25 ftabfen ju treten. 9cad?bem er bie beeren ©dmlen in UgeS unb -IRontbellier burdjlaufen
fyatte, bcjog er im 9iobember 1806 baS broteftantifcfye ©eminar in ©enf. ©d)on in
SRontbeHier legte er ben ©runb ju feiner fbäteren uniberfaten 23ilbung. ©ein Dortiger
Sefyrer, ©aniel ©ncontre, felbft für feine geit eine tebenbe ©ncr/flobäbte, mag itmt als
$beal borgefcfymebt fjaben, menn er fyäter in feinen „Vues sur le protestantisme" bon
so bem ebangelifd)en Pfarrer berlangt, baß er in allen 2BiffenSgebieten gu §aufe fein muffe.
„2Benn ber d}rift(id;e ^riefter nur bie Geologie fennen miß, bann mirb er nid)t einmal
in ber Geologie ficb, auslennen." 2tud) bie Kenntnis ber ^aturmiffenfcfyaften, ber ^ßt;Uo=
fobfyte unb ber ©efd}id)te, ber alten unb ber neuen ©brachen, ber flajftfcfyen unb ber mobernen
Sitteratur gehören ju feinem unerläßlichen ^üftgeug. 9?acr; breijär/rigem ©tubium in ©enf, mo
35 ber etmaS linfifcfye ©übfranjofe als einer ber fäfngften $öbfe fid) berborget^an b,atte, mürbe er
1809 §itfsbfarrer in feiner 23aterftabt 9Zime§, bie er ntdjt mef>r berlief^, bi§ it)n in feinen
testen Sebenlja^ren !örberltd)e Setben fangen, auf fein Sanbgut in ber üftäfye ber ©tabt ficb,
prüc! jujieb, en ; bort ftarb er am 10. ^uli 1837 SDan! feiner bielfeitigen 23ilbung unb
feinem für alle Sra8en ^Z Seben§ aufgefd)Ioffenen ©inn b,atte fid; 23. eine ©teltung er=
40 rungen, bie feinen S£ob ju einem ferneren 23erluft nid)t nur für feine §eimatftabt unb
feiner ©taubenggenoffen, fonbern für ba3 ganje Sanb merben tief3. „2Beld)er 23ertuft für
ba3 Sanb!" — lonnte gontaneä an feinem ©rab aufrufen — „miebiet ^3tä|e läßt er
leer ! aU SRitglieb be§ ©eneratratö, ber töniglid)en Sllabemie, beö alabemifd)en 9tat<§, ber Se^rer=
brüfung§fommiffion, ber Sanbmirtfdjaftggefedfdiaft, als ^rofeffor, als Pfarrer, alSSanbmirt!"
45 ®ie größten 2]erbienfte aber ^at 23. fid) ermorben als Söieberbegrünber unb ber=
ftänbniSbotler görberer beS tf)eotogifd)en ©tubiumS in ber reformierten SUrd)e granfreid)S,
beren religiöfe, fira)lid)c unb mtffenfd}aftlid)e Notlage ib,m ju §er^en ging unb in itjm
einen unbarteiifd)en unb fdnfinnigen 2)arfteHer fanb. 2tlS bie !leine franjöfifd;e 5Rärt^rer=
itrd)e nad) ber r)unbertjä£;rigen 23erfoIgung unb nad) ben ©türmen ber Siebolution mieber
so jur 9xub,e gelommen mar, geigte fid; batb, baß S^ouffeau unb 23oltaire il/x bieEeid)t mel)r
gefd)abet bitten als Submig XIV unb SxobeSbierre. Staboleon I. berf;alf ib,r mot)l ju
einer forgenlofen ©jiftenj burd) bie 2lufnab,me in baS ^oniorbat bon 1801: neues Seben
bermod)te er ifyr nid)t etnjub^aucben. Sie tfjeologifd^e 23ilbung lag arg barnieber. ©je
Reiten, ba ©ele^rte mie Slmttraut, ©relincourt, ©u 5Roulin, ^urieu unb 33aSnage bie
55 reformierten 2tfabemien gran!reid)S gierten, maren längft borüber. ©ie 2lufl;ebung beS
©btftS bon Nantes Ejaite mit il)nen aufgeräumt unb für bie SRänner, meldte bie fördje
ber 2Büfte als Pfarrer brauchen lonnte, mar toiffenfd)aftlid)e S3ilbung baS le^te @rforber=
niS. ©aS ©eminar in Saufanne, mo fie ifyre 23orbereitung für tE>ren §etbenberuf Rotten,
toar eine ©d)ule für SMrtfyrer, nid)t für ©ele^rte. 21IS aber nad) ber S^üdte^r frieblid)erer
60 Reiten baS jufammengefcbmoljene §äuflein an ben 2Sieberaufbau ber krümmer ibrer Äirdje
fid} magte, ba mad)te fid) ber Mangel miffenfdwftlicb, gefd)ulter Geologen ebenfo fühlbar
SBtttccnt (it>3
wie bic Seltenheit religiös lebenbiger ^erfönlicbjeiten. 23. \mx einer ber erften, bem biefe
9?ot auf bie ©eele brannte. T>em franjöftfdjen *J3rotcftantiSmuS eine frangöfifd^e tfyeologifcfye
Sitteratur ju geben, erfd)ien if>m als baS brirtgenbfte 23ebürfniS ber reformierten Slirdje
unb ein gut £eil fetner SebenSarbeit ift biefem 3iel getoibmet. 3unä$[t 0°^ eö» 21nleb,en
beim broteftantifef/en 2tuSlanb ju machen. 23.S nüd;terner, flarer ©inn füllte fieb, bon ber 5
englifdien ^oralbfyilofoblne angezogen, ©o Veröffentlichte er fdjon im ^afyrc 1817 eine
Überfettung ber SRoralblnlofobfyie bon Sßißiam $aleb unb jtoei %at)te fbäter unter bem
Xiiel „Preuves et autorite de la revelation chretienne" eine üSiebergabe ber ©e=
ban!en 6b,almerS. SDaS Problem ber Autorität lieferte il)m bann aueb, ben ©toff ^u feiner
erften felbftftänbtgen ©d)rift, in ber er mit feinem ©eringeren, als Slbbe be SamennaiS ]"
bie klingen freute. SamennaiS !)atte im erften 23anb feinet „Essai sur l'indifference en
matiere de religion" ben ^3roteftantismuS als bie Quelle aller (Smbörungen unb alles
Unglaubens beräcfytlicb, gemacht unb bie @inl)eit in ©laubenSfadjen als bie ©runbbebingung
audi für baS bolitifcfye Seben geforbert. 23. antwortete irma in feinen „Observations
sur l'unite religieuse" (1820), inbem er nacfytoieS, bafj ber UltramontaniSmuS baS 15
^nbibibuum in ber -JRaffe auflöfe, wäfyrenb baS ßfyriftentum bie greifyeit unb bie 23erant=
toortltdp!eit bcS ©meinen erhalten unb bermefyren toolle. SamennaiS ertoiberte bem „ministre"
auStoeicfjcnb, worauf 23. in ben Observations sur la voie d'autorite appliquee ä la
religion ju einem ^Weiten ©d)lag auSb/otte, ber bie Slufmerffamfeit ber gebilbeten Greife
granfreicf/S auf ben jungen broteftantifctien Geologen richtete. Chacun comprit, fcfyreibt 20
^ontaneS, que nous avions un avocat parfaitement capable de faire triompher
notre cause. 3U9^'4> ^ßtte er burd) biefen Söaffengang mit einem fyerborragenben 23er=
treter ber bamalS in grantretefr, allgewaltigen Eatr)olifcr)en $ird;e ben immer nod) ein=
geflüsterten ^protefianten ber Wlut geftärft, bie §ai)ne ber Deformation bor bem Sanb
ju entrollen, ftatt „ftcr) in tt)re arme Heine &ircr)e ein^ubfererjen" 25
23or allem lag ü)m baran, bie ©cfylagbäume nieberjulegen, bie bisher eine 23erüb,rung
be§ franjöfifd)en ^ßroteftantiSmuS mit bem ©eift ber beutfdjen tr/eologtfdjen 2ßiffenfd;aft
berfunbert Ratten. 2luf ben erften ©eitert beS ^Weiten 23anbeS feiner Vues sur le pro-
testantisme en France (II, 3 ff.) befetjäftigt er fieb, eingefyenb mit ber $rage, ob 93fan=
tauban ober Strasburg ben franjöftfdjen Geologen mel)r ju bieten fyaht. „'jftontauban 30
liegt im ©üben gtanfreidiS, Wo bie reformierte 23eböl!erung am bict)teften ift; Strasburg
liegt ben großen broteftantifdjien ©emeinben ferner. Sie gatultät in 5Rontauban ift
„bäierlicb/'; fie fieb/t bie jungen Seute meb,r in ber 5Zät)e unb gel)t ifynen nad) bis in ifyre
^äu§lid)en 23e-$iei)ungen. ^n Strasburg ift eine folcr)e Übericadjung unmöglid) ; aud)
ift man bort lutb,ertfd) unb fbrtcfyt beutfefe. Sie gafultät in SJtontauban ift auf ftdt) felbft 35
angetoiefen in einer ©tabt, bon ber man, ob^ne ib,r llnredjt ju ti) un, fagen barf: fie ift
nidjt „gelehrt" ; toär/renb ob,ne 3toeifel nad; ^ariS Strasburg bie ©tabt mit bem regften
t»tffenfi|aftlicb,en unb litterarifd;en Seben in granfreid) ift. Strasburg ift eines ber leiber
fo wenigen 23inbeglieber, bie ba§ geiftige Seben ©eutfd)lanbS unb gran!reid)S miteinanber
berfnübfen. Unt> gerabe auf tb,eologifd}em ©ebiet entfaltet SDeutfdjlanb eine fo erftaun= w
Iid;e ^ättgfeit ! ©ort ift fobtel ernfte Arbeit getb,an roorben, bort finb fobiel gute Seb,r=
büdjer, bie bem granjofen gän^Iid) fehlen, jebermann jugänglid), ba^ Mben jungen Seuten,
bie fie befi|en, meb,r als bie §älftc Arbeit ertyart ift" 23on biefer Überzeugung auS ift
bie überaus fruchtbare fdbjiftftellerifcrje SL^ätigfeit 23.S ju toürbigen, bie er an bie geit=
genöfftfdje beutfd)e Geologie gerüdt i)at 3uerft fcb,rieb er in bie 1818 gegrünbeten, bon 45
g. 3Konob geleiteten Archives du ehristianisme. ©eit 1820 gab 23. feine Melanges
de religion, de morale et de critique sacree f/erauS. ®ie je^n 23änbe biefer jeben
9Jionat b,eftmeife erfd;einenben ©ammlung bebeuten einen SRarfftein in ber ©efd;id;te beS
tfyeologifdjen ©tubiumS in ber reformierten ®ircr)e gran!reid;S. WÜ ftaunenStoertem ©eift
unb einer bei bem SluSlänber überrafcr)enben ©ad)IenntniS b,at 23. in biefer 3eitfd)rift 50
atte tütdt)ttgen @rfcb.einungen ber beutfcb,en X^eotogie, bie ©dmftett bon @id;b,orn, ^auluS,
9reinf)arb, ^ßlanl, 23rettfd)neiber, be 2Bette unb bor allem ©cbjeiermadjer ejjerbiert unb
analbfiert. %a\t aCe 21rtifel finb bon ib,m felbft getrieben. 2lu£er beutfd;en 23üd}crn
roerben aueb, engltfdje unb £?otIänbifcr)e ©Triften au$ bem ©ebiet ber Geologie befbrodjen.
StfS bann 1825 (Soquerel bie Revue protestante grünbete, nab,m biefe 3eitfcb,rift bie bon 55
23. begonnene SXrbeit auf unb führte fie in feitjem ©eifte roeiter. %n ber Revue pro-
testante erfd)icnen benn aud; unter ber Überfd;rift Le pasteur reform^ au XIXltm€'
siecle bie erften Kapitel ber ©cb.rift, bie man mit 9ted;t ben gelungenften 23erfud; einer
£t>eorie ber proteftantifdt;ert ^tre^e in fran^öfifdjer ©brad)e genannt b,at, bie Vues sur le
protestantisme en France (1829). Dirne fbftematifcfic Orbnung, retdt) an licb,tbollen un
664 Stncent
apergus, eine unfd;ä|bare gunbgrube für bie ©efd;id)te be3 religiösen £eben§ im heutigen
frangöftfd^en $rotefianti<Smu3 Will eS ben 33etoei§ erbringen für 33.3 £iebling§gebanfen :
„©er s$rotefiantt£>mu§ ift bie Religion ber mobcrnen geit ©er ^ßroteftanti§mu§ ift für
mid; unb für »iele anbere ba§ ©Pangelium, feine gorm bie freie §orfd;ung."
5 Hrfprünglid^ burd)au§ fonferPatiP in feiner bogmatifd;en Überzeugung trat er fpäter
unter bem ©influfj ber beutfcfyen Geologie in bie ÜHälje ©djleiermadjersS, aud* barin ib,m
äfynlid), bafj er mit Wiffenfd)aftlicr)er 25i ettlE) ergigfeit ein Warme§ 33erfiänbnt§ für lebenbige
grömmigleit oerbanb, unbefümmert um ba§ rHrdjIidje ober bogmatifclje ©eWanb, in bem
fie il)m entgegentrat. Strohern er bogmatifcr) in einem ganj anberen Sager ftanb, Waren
10 ii)tn bie Scanner be§ Köveil burrf>au§ nidjt unft;mpatt)ifc^ ; er Wufcte fid; fogar ein§ mit
i^nen im Urteil über ben bamaligen ©tanb be§ inneren £ebem§ in ber reformierten $ircr)e
gran!reid;§. -Kicfyt bon einem ^ßietiften, fonbern bon ©amuel 33. ftammt bie bekannte
©d;ilberung be§ geiftigen S£obe§, ber bor ber (Srtoedung ben fran^öfifc^en $roteftanti3mu3
an ber ©ifwelle be§ 19. $ai)rl;unbert£i in feinem SBanne l)ielt: „©ie ^ßrebiger prebigten,
15 bie ©emeinben fyörten fie an, bie Äonftfiorien Perfammelten fid;, ber ©otteSbtenft behielt
feine formen bei. Sm übrigen fümmerte fid^> fein SJlenfcb, um biefe ©inge. ©ie Religion
I)atte keinerlei @influ| auf baö Seben" (Vues II, 265 f.). ®iefe<§ Urteil, ba3 b\§ Ijieute in
jeber ©arfteßung jener ^ßeriobe fid^ Wieberfyolt, ift freilief) fdjon bamal§ ntc^t unWiber=
fprocfjen geblieben. SERaeber (f. a.D. I, 111) fagt baju: „^ct; Weifc Wafyrfyaftig nid^t, Wo
20 id) bie Slugen gehabt l>abe, Wäl)renb 33..3euge bk\z$ 33erfaH3 geWefen ift; benn id) bin
nicbt§ babon Wafyr geworben. 2IHerbing<§ Waren bie ©puren ber Skoolution noef; ficfytbar
unb Unglauben mar mel)r al§ genug jurüdgeblieben. SWerbingg Ratten politifcfye unb
friegerifdje ©reigniffe einen Seil ber 2lufmerffam!eit be§ 33oIfe§ auf fid) gebogen, unb
manche 33efd)äftigung be§ griebeng in ben ©chatten geftetlt; gegen bie SMigion mar man
25 aber juoerläffig nid^t gleidjgiltiger geworben al§ in unferen erleuchteten Reiten, gretlid;,
Perftefyt man unter Religion ein eWige§ gappeln, ba$ fiel; in Komitees, Konferenzen, $ro=
teftationen, Petitionen, Matfd;erei unb 33erfe|erung %u erlennen giebt, bann mar bie 9(apo=
leonifcfye $eit eine fcfyltmme geit für fie. 3ft e3 aber genug, Wenn in einer Hird)e
©otteöbtenft unb ^eligicnSunierricbt fleißig h^\iä)t Werben, Wenn ber Pfarrer jur ©ott=
30 feligfeit ermahnt, ben Kranfen tröftet, ben Slrmen unterführt, ben ©ünber jurüdfüfirt, ben
^rrenben mit ©d)onung beljanbelt, ber SSitWe ©tü|e, ber äBaifen 33ater ift; Wenn ge=
meinfame 9Ra|regeln zur Teilung alter 9Bunben genommen unb taufenb 33ebürfniffe im
©tiHen befriebigt Werben; Wenn bie ©lieber ber Kirche fiel; bureb, ©ittenrcinl;eit auSzeidmen
unb ber ^uftij Perfyältntemäfsig Wenig ju fdjaffen machen: fo gebührt ber proteftantifcfyen
35 Kird)e granlreidE)3 unter Napoleon eine au^gejeiebnete ©teile in ber ©efdjicfyte, unb e§ ift
unbegreiflich, ba^_ 33. fie fo fcfylecfyt begriffen b,at" 33. teilte barum auef; burct;au§ nict)t
bie Abneigung Pieler Pfarrer gegen bie ^ietiften unb „TOet^obiften" „3ft baö auftreten
be» SRet^obtemuS unter un6 ein ©lud ober ein Unglücf?" — fragt er einmal — (Vues
II, 290). — „3$ lenne Wof)I bie Ungelegenb,eiten unb ©törungen, bie er an mehreren
40 Drten fjerfcorgerufen b,at. 9Jtanef;maI ^at er fidji unerträglicf; gegeigt. 2Iberr Wenn tet) aße§
in allem neb,me, Wenn icfy bie heutigen religiöfen 33erl)ältniffe bergleicfje mit benen Por
12 S<#en, fo !ann id; ntdjt anber§ al§ glauben, ba^ ba§ Sluftreten ber ^etl^obiften un§
Wob,l getb,an b,at 2Benn il>r ba§ ©inbringen ber 9JJetl;obiften in eueren ©emeinben
fürchtet, fo machet fie entbehrlich @uer 33oI! bebarf einer tieferen, lebenbigeren Religion,
15 als! bie ift, mit ber man e<8 big^er genährt b,at, gebet fie ifynen!"
5Rit feinen fircfyenpolü'ifcfyen ^been Wanbelte 33. in ben gufjftapfen 33inetg. @r be=
bauerte bie Slufnabme ber franjöftfd^en ^roteftanten in ba§ Konforbat burd; ba§ ©efe|
Pom 18. ©erminal be§ ^a^res X, Weil bie reformierte Kirdje nad; bem ©eift biefe§ ©e=
f e^e§ nid;t meb,r fein bürf e, toaZ fie einft geWefen fei, eine freie Kird;e, bie fid» f elbft genüge
so unb olme ©taat3auffid;t fid; felbft regiere. 3Benn bie reformierte ^ird;e tro^bem fid; Wol;l
füllte in ber 33erbinbung mit bem ©taat, fo lag für 33. barin ber 33eWei§, ba^ eö ib^r
an Seben feb,le. 9Jcit aÖer ©nergie Perfid;t er bie il;efe, bafj Weber bie Kirche noct) ber
©taat ein Qntereffe an bem burd) ba§ Kon!orbat gefd;affenen 3uflan^ ^a^e- ®^e P^^e=
ftantifd;en ^ird^en PoHenb3 f)aben bei ber Trennung Pon Kirche unb ©taat aße§ gu ge=
55 Winnen unb nid;t3 ju Perlieren. ©od; War 33. ein biet ju lluger unb nüchterner ^ßoli=
tiler, al§ bafe er auf eine getoaltfame ober Poreilige Trennung Pon Kirche unb ©taat
blatte Einarbeiten Wollen. Slber bie ©reigniffe ber legten ^ab,re Ijaben gezeigt, Wie bered;=
tigt feine SUJa^nung War: „Wir Wollen un§ für bie Trennung Pon Äird)e unb ©taat Por=
bereiten; Wir Wollen Wünfd;en, bafj fie balb fid) PerWirlIid;e, aber Wir Wollen fie nid;t
eo befd)leunigen, benn unfere Kirche ift noeb, nid;t bereit"
Vincent SMitcenthtS üo« SBcaubatS 6H5
Igm %df)x 1830, nad) beut thfctjetnen ber Vues, mar 23. ber bebeutenbftc 9Dt'ann in
ber reformierten $irct)e grantreicfyg. ©inen Sftuf nact) 3flontauban unb felbft nact) ©traß=
Burg lehnte er ab. -ftacf) ber ^ebolution Don 1830 mürbe er jutn Sßräftbenten be3 S?on=
fiftorium§ bon Firnes ernannt, nact)bem er jmei Qaljre borfyer roegen feiner rebublifanifd;en
©efinnung Dom 9JJinifterium nid;t beftätigt morben mar. $n bm legten $af>ren gog er 6
fid; Dom 2Imte mef>r unb mel)r prüd. £>a§ ^rebigen mar il)m nie leidet gefallen. Sßom
^ab,r 1831—1833 I)ielt er Sorlefungen über bie neuere Sitteratur in ©banien unb Italien,
©eine freie $eit mibmete er ber Bebauung feines großen SanbguteS, aud) ba beiuieS er
feine ftaunen§merte Begabung burcb, 2(nmenbung neuer 9JJetI)oben unb berbottfommneter
^nftrumente. SSon ben neueften @rfct)einungen über d)emtfd)e, bfyr;ftfa(ifd;e, mineralogifd)e io
fragen nal)m er mit bem gleiten ^ntereffe 9Jotij mie bon ben arbeiten ber Geologen
jenfeitS be§ $tf)c\n$. ^urj bor feinem £obe lag er eine Slb^anbtung über bie 2)ifferential=
unb gntegralredmung.
©amuel 23. l)at in feiner $ircr)e tiefe ©buren fyinterlaffen. $n 9iime3 trägt bie bon
ben Siberalen jur Vorbereitung auf baS ©tubium ber Geologie im ^afyre l892 gegrün= 15
bete ©dmle ben tarnen be3 @rneuerer§ ber broteftantifdjen Geologie in granfreid) (Ecole
Samuel Vincent). engen Sudjenmann.
SBincctttiitS bon $eaitt>at§, franjöfifd^er SDominilaner, Sfyeolog, $ä=
bagog, $oIbI)iftor be<§ 13. Safytfyunbertg. — ©eine ©djrtften f. unten sub 2.
lieber itjn «gl. @d)arb unb Ou6tif, Scriptores ordinis Praedicatorum I, 212. 300 ff. Souton, 20
Histoire des hommes illustres de l'ordre de S. Dominique, $ari§ 1743, I, 186; ®cumou in ber
Histoire litter. de la France S3b XVIII (5J5ari§ 1835), 449—519; 3. 8. 33ourgectt, Etudes sur
Vinc. de Beauv. theol., philos., encycl., $cni§ 1856 ; ®e§6arrciu;t'=33ernctrb, Etüde biblogr. sur
Vinc. de Beauv. 1872 ; 3. g. ©cltjarbt, 9Jad)vtd)t Bon feltenen 93üd)ern ber 33tbIiotf ef ;,u
(Sifenad), Gtfenad) 1775, ©. 31 — 83 ; £mureau, Histoire de la philosophie scolastique II, 1 20
(1880), 186 ff.; «JSrantl, ©efd). ber Sogt! III (1870), 77; ©töcfl, ©efd). b. $£)iiofoü£)te be§
Wä II (1865), 345 ff ; 9K. be SBuIf, Hist. de la pbilos. medievale (1900), p. 381 f.; <Stf)mib,
©efd). b. ^cibugogü' II, 301 ff.; SSattenBad), ©efdjic&tSquellen II6, 463; &olber=egger in MG
scr. XXIV, 154 ff. ; üon Siüencron, SlKgemeine Sßtlbung in bergett ber <Sd)olaftif, SRündjen
1876; 23. ©aß, SS. 0.23. unb ba% Speculum morale in £®@ I, 365 ff.; II, 332 ff. 510 ff.; 30
ü.@d)ulte, ©efd). b. Duellen u. Sitteratur be§ lanonifdien ^editeS II, 120 ff.; D. Sbcfier,
©efd). ber S3e^iebungen gtnifdien Geologie it. 9iaturnnffenfd)aft I (1877), 455 ff.
1. Unfere Kenntnis be§ SebenS beS Vincentius Bellovacensis ift überaus bürftig.
3lte einigermaßen fid)er bürfen folgenbe 3)aten gelten: 1. ben Seinamen Bellovacensis
trägt er, med er SDcönd) in bem 1228—29 ju 23eaubat<§ gegrünbeten ©ominüanerflofter 35
mar. Ob er aud? t)ter geboren ift, nnffen mir nidjt. ©eit bem §1. Stntonin (ca. 1440)
wirb er in ber ©elefyrtengefcfyidjte häufig al§ Burgundus begeidmet, aber biefe $Rottg ift
fbät unb für un§ un!ontroßierbar. 2. (gr gehörte bem ^3rebigerorben an. (§§ ift ma^r;
jct)einltct), baß er feine ©tubien in $ari§ macbte unb ju bem 1218 gegrünbeten ^onbent
bon ©t. ^afob gehörte. 3. S3ifd)of bon 33eaubai§ ift er nid}t gelbefen, ba bon 1175—1312 40
leine 9JJögIid)feit, il)m unter ben 33ifd}öfen bon SBeaubais (Gallia christ. IX, 732 ff.)
einen ^3Iaij gu berf(|affen, offen bleibt. SDagegen mag er, mie Quetif u. ©d)arb an=
nehmen, ibentifd) fein mit einem im $al)re 1246 ermähnten ©ubbrior ber SDominüaner,
33incentiu§, ju 33eaubai§. 4. $m Qaf)re 1244 refb. 1253 (f. sub 3) fyat er fein großem
2öer!, ba§ Speculum maius boHenbet. 5. 3eittoe^i0 *)at er W auc^ 'n üem bon 45
Submig IX. 1228 gegrünbeten ßiftercienferflofter Siobaumont aufgehalten, unb jtoar aU
Se!tor (f. Quetif u. @d)arb, Script, ord. Praed. I, 239). ®ag fann nict/t Reißen,
baß er, ber ©ominüaner, Se!tor bei ben Siftercienfern mar, fonbern er lebte im Älofter,
tnar aber al§ Seftor bei bem ®önig t^ätig, ber in ber 9?äb,e be§ ^lofterö einen £anbfi|
b,atte. @r ^atte, mie mefyrfad) berietet ift, nabe S3e^ieb,ungen ju bem löniglid^en §aufe. 60
Di> er nun SSorlefer unb gelehrter Seirat be§ Königs mar, ober etma ben Unterricht ber
föniglidjen Äinber ju organifieren b,atte, fönnen mir nid^t meb,r feftfteKen. %m Ie|tere§
fbridjt, baß er ein 2BerI De institutione filiorum regiorum s. nobilium berfaßt fyat.
6. Steßeid)t fteJ>t bamit aucb, in gufanmKttfyang bie ^bfaffung eine<§ 2!roftfd)reibenä an
Submig anläßlid) beS Xobe« feinet älteften ©of)neS im ^afyre 1260. 7 SincentiuS 55
ftarb, mie jiemlicf) fieser ift, im £$al>re 1264 (Duetif u. (Scfyarb I, 214). Safür fbrid)t
bie Strabttion feine§ DrbenS, fomie ein ju SalencienneS aufgefunbeneS ©bttabfyium, faßS
beffen le^te ^Berfe: Pertulit ille necem post annos mille ducentos — Sexaginta
decem, sex habe, sex mihi retentos baä ^ai)t 1264 bejeid)nen foEen. |>ierau3 fein
©eburtsjabr ju erfdiließen, ift natürlid) nid;t möglicb,, ba ber ©cr)Iuß, ein "JJiann bon fo tsn
666 SBtncenttuS öon iöeautiais
ausgebreiteter ©elefyrfamfett müfje ein febj fyofyeS 2IÜer erreicht Ijdbm, unfidjer ift, fyat
boeb, ein 9Jtann toie ®unS ©cotuS nur 42 Qa^re gelebt, ©rinnert man fieb, aber, bafe
SSincentiuS im Qafyre 1244 fein 9tiefentoerf boßenbet, fo toirb man immerhin mit
einiger Sßalb^fcfyemlidjfeit feine ©eburt in bie $eit "m H90 Verlegen bürfen. — 2)aS
5 ift alles, toaS ir>ir an fixeren ®aten aus bem Seben beS SS. befugen, ©aju lommt nur
nod), baf? feine ©cbjiften ifyn als einen Biaxin bon ausgebreiteter ©elefyrfamfeit, über=
auS bielfettigen ^ntereffen unb Don einem getoiffen braftifdjen ©inn unb 93lic£ fennen
lehren (f. bie Inhaltsangabe beS Speculum unten); qui libros legit et inunum multa
redegit, toie bie ©rabfdjrift fagt.
10 2. SS. ift ein überaus fruchtbarer ©cfyriftftefler getoefen. Slufjer feinem bekannten
9ftefentoerf befttjen toir nod* eine ÜRetfye — jum %e\l noeb, ungebrudter — SBerfe auS
feiner geber. 3m Safy« 1481 finb bei SXmerbacb, in S3afcl fünf ÜHkrfe in einem SSanbe
gebrueft toorben, nämlicb, 1. Tractatus de gratia dei ober Liber gratiae in toter
33üd>em, bon SS. citiert im Specul. naturale 1.1 c. 1 ; baS SSerf I)anbelt bon ßljirifii
15 eroiger unb jeitltdjer ©eburt, bon feinem geben, ber ^Saffion, ber 3luferfteb,ung unb
Himmelfahrt, ber ©enbung beS ©eifteS unb ber SSerblenbung ber $uben. 2. Liber de
laudibus Virginis gloriosae, eine ©ammlung öon toatriftifcfyen ©jeerbten über SDtaria.
3. De s. Johanne evangelista. 4. De eruditione seu modo instruendorum
filiorum regalium, ber %\td ift in ber fyanbfcfyrtftlicfyen Überlieferung fd)toan!enb (f.
20 ©aunou p. 466), getoibmet ber Königin Margarete; bieS SBerf ift aud) ^Roftod* 1476 ge=
brudt, inS ©eutfcfye übertrug eS g. Sb,r. ©cbjoffer, SS. b. S3eaub. §anb= unb Sebjbudj für
Jöniglidje ^rinjen unb ifyre Seb/rer, gran!furt a. 3JI. 1819. 5. Consolatio pro morte
amici, richtiger: Epistola consolatoria ad Ludovicum Francorum regem super
morte filii eius, toie eS fyanbfdmftlid) nacb, bem ^nfyalt überfebrieben ift (©aunou
25 p. 468). 2tn ber ©cfytfmt biefer ©Triften ju gtoeifeln, ift lein SMafj borfyanben. —
9cur r)anbfct)rift£ter; finb folgenbe Söerle erhalten: 1. Liber de s. trinitate, bon SS.
citiert Specul. nat. 1. 1 c. 1. 2. Expositio orationis dominicae; eS finb toefentltd;
SluS^üge auS anberen Tutoren, bie SS. r)ter ^ufammenftellt. 3. Expositio salutationis
b. Virginis. 4. Liber de poenitentia, eine ausführliche (15 Xeile unb 195 ^abitel)
so ©arfteßung ber SSufjc. 5. De morali prineipis institutione, ein jtoeiteS toäbagogifdieS
SBerf, baS ben Königen Subtoig »on granfreid) unb Xbeobalb bon Jc'abarra getoibmet
ift. 2BaS fonft noeb, an Heineren ©dmften SS. beigelegt wirb, ift enttoeber nacfytoetSbar
unecht ober jtoeifelfyaft. SSgl. Duetif u. ©cfyarb I, 238 ff., ©aunou p. 459 ff.
3. ©aS £)aubttoerf ift baS Speculum triplex. @S ift in bielen §anbfd)riften
:;s erhalten unb oft gebrudt toorben: ©irafjburg 1473, Nürnberg 1483—86, SSenebig 1484.
1493 f. 1591, ©ouai 1624 in bicr goliobänben unter bem Xitel: Venerabilis viri
Vineentii Burgundi praesulis Bellovacensis . Speculum quadruplex, opera
et studio Benedictinorum collegii Vedastini, bie bequemfte StuSgabe, aber leiber
unfritifa), inbem cttoa bie eigentümlichen SeSarten, bie bie citierten Xejte enthielten, bcr=
40 roifcfyt finb, wie ein SSergieid) mit ben älteften ©rud'en jetgt, f. ©aunou p. 470 f. 2)aS
SBer! beS SS. umfaßte brei %e\k, baS Speculum naturale, doctrinale unb historiale.
@rft lange nacb, feinem Xobe, nad) bem ^afyre 1210, ift an bie brüte ©teile ein Spe-
culum morale gefteHt unb fomit baS Sßerl in ein Speculum quadruplex bertoanbelt
tuorben. SDie Unecl)t£;ett beS Speculum morale ift über jeben gweifel ergaben. 2)ie
45 §aubtgrünbe finb folgenbe: 1. bie älteften §anbfa)riften reben im ^rolog c. 17 de
trifaria divisione totius operis (Saunou p. 475), erft feit bem 14. Qafyrfyunbert ift
baS Speculum morale nad)tt)eiSbar, bemgemä^ würbe aueb, in bem ^rolog bie 3Sier=
teilung eingetragen. 2. ^einrieb, bon ©ent (de Script, eccl. 42) fennt nur ein triplex
speculum, nennt freiließ offenbar olme genaue Kenntnis beS SBerfeS, historiale,
so allegoricum et morale. 3. ©aS 33ud; enthält Slnfbielungen auf Sfyatfacfyen, toie bie
Eroberung bon ^tolomais 1291, bie nacb bem Xobe beS SS. gefer^eben finb. 4. @S be=
nü|t ©d}riften, bie nad) bem Xobe beS SS. berfa^t finb. ®aS SBerf ift eine fid) felbft--
ftänbtg geberbenbe armfelige Sombilation auS ber Secunda ber if)eoIogifd;en ©umma
beS XfyomaS (feit 1264 arbeitete %fy. an biefem SBerf), auS ben ©entenjen!ommentaren
55 beS ^SetruS bon Xarantafia (5ßabft ^nnocenj V.) unb beS 9üd;arb bon 3)cibbIeton (ca.
1290), auS einer ©cb,rift beS ©tebb,an be S3orbone De Septem donis spiritus saneti
unb auS einem nidjt bor 1291 gefdjriebenen anonymen Liber de consideratione quatuor
novissimorum. SDaS SSerb,äItniS ju Xb,omaS ift fo befdjaffen, bafe enttoeber biefer ober
ber SSerf. beS Spec. morale Plagiator ift. Siefer Umftanb f)at guerft bie Erörterung ber
eo grage angeregt, aber eS ift felbftberftänblid;, ba^ baS Plagiat nur auf ©eiten beS aueb,
$thiccnHu$ tum JBemttontg ß(i?
fonft mir anbcrc au£fd)reibenben 33erf. be3 moralifd)en ©beculumö Itcgen rann. 5. Da^u
fommt, Wie jeber auf ben erften 33lid fiebt, bafj in bem Spec. morale eine böHtg
anbere SSRetb/obe befolgt Wirb al§ in bem 2ßer! beä 33. Seigerer teilt bofitibe Daten in
ber ©eftalt genau edierter ©jxcrbte mit, erftcrer liefert eine fbjtematifdje Darftellung ber
(S'tbü in ber Söeife, ba$ er anbere Slutorcn, olme fie ju nennen, aufreibt, 33. iottf 5
eine (Sncr/flobäbie fidlerer Daten, ber 33erf. be3 Spec. mor. ein ftyftematifdjeS Söerf ber=
fteßen. @3 ift fomit über jeben gWeifel erb/aben, baft ba<§ Spec. morale mit 33. nichts
ju fc^affert E>at.
@ncr;!Io^äbifd^e Sßerfe Wie bas> Speculum Waren im früheren Mittelalter febr be=
beliebt, es fei an ^5ftbor, Staban, §onoriu3 3htguftobunenfis, §ugo b. ©t. 33iftor erinnert. 10
Ijjfynen fdjltefjt fieb, baS SBerf be§ 33. an, aber es übertrifft fie alle an 33ielfeiiigfeit unb
Umfang, ©er 33erf. ift bieüeid)t ber belefenfte Wann, ben e3 bor ber (Srfinbung ber 33ud)=
brueferfunft gegeben t)at (f. bie bon if) m citierten Tutoren bei Daunou p. 483 f.). Über
bie Quellen feiner Darftellung werben nod) mandje Itnterfudjungen angeftellt Werben
muffen. 2luffaHenb ift bas gebjen bon fonft febr belannten Tutoren, Wie etwa Sbucr/= 15
bibee, ©trabo, $aufama§, Dtoborus ©iculus, Dio 6affiu3, Sibius, Dacitus, §infmar,
3ob)anne§ bon ©alisburr/, betrug 33enerabili3, Otto bon greifing, 2BiIt)elm b. Slubergne,
2llanu6 ab $nfuli3 :c. — %n üem ?$*t>log läfst fid; ber 9Iutor eingefyenb über Slnlafs
unb 2lbfid}t feines» 2Berfe§ aus. (Sr tmt biel gelefen unb lt)at fid) bie Aufgabe gefteüt
bas ©elefene aus^ugsWeife, aber in genauem 2tnfd)luf$ an ben SBortlaut feiner Quellen 20
toieberjugeben. SCrofc ber regen Wiffenfdjaftltdjen Strbeit, befonberg in feinem Drben,
Werben bod) bie historiae ecclesiasticae bemadjläffigt (prol. 2). tiefem 2Rangel Will
er abhelfen bureb, eine gufammenftellung bon allem 2öiffen§Werten, n)a§ feit ©djöbfung
ber 2Belt big jur ©egenWart gefcfyeb/en ift. Der befyerrfdjenbe ©efid)tsbunft ift alfo ber
^»iftorifd^e unb nid)t ber fr/ftematifcf)e, feine Strbeit ift nidjt per modum auctoris, sed 25
excerptoris berfafjt (ib. 7). Die §auj)tqueHe, bie er benü^t, ift bie sacra pagina (11),
aber baneben fommen aueb, bie apoeryphi in 33etracb;t, bie ja fdwn 2 %xm 3, 8 unb
2>ub 14 berWanbt Werben; ilmen fommt freilief) nidjt veritatis certitudo ju, aber fie
bürfen gelefen unb geglaubt Werben, f ofern fie ber fides catholica nid)t Wiberfbredjen (9).
Daju fommen bie Defretalen ber römifdien 23ifcf)öfe, bie canones generalium con- 30
ciliorum foWie bie opuscula ber fanonifierten ober fonft anerlannten $ird)enlel)rer (12).
2Sie aber fdjon Sufas bon §erobes unb 2Iugufiu3 gerebet b)at, fo ift aueb, bon bem
Weltlichen Regiment gu fyanbeln (5), unb bemgemäfj muffen bie 6b,ronifen (Wie ©ufebius,
Öieronr/mus, ^ßrofber, ©igibert, §elinanbu§) unb bie ©efd)icr/t<§fd)reiber (Wie ^ombeju§
Jorguf, Drofiu^, ©ueton, @ufebiu3, Stufin, §ugo gloriacenftö, 6affiobor3 hist. tripar- 35
tita etc.), foWie bie biograbl)ifcben 3Ber!e, bie SRärtr/reraften, bie ©efdiid^te ber heiligen
unb SDcönd^e, !urj innumerabiles historiae r/erangegogen Werben (16). ferner muffen
bie 2Ber!e ber ^b.ilofobfjen unb ®id)ter foWie ber Itird^enfcbriftft eller ejxerbiert Werben,
fotoie aueb, bie ©dmften ber SRaturforfcb, er unb 2trgte bon 2iriftoteIe3, ^3Iiniu§ unb §ibbo=
frate§ an bi§ 2tbicenna, 9ta^i, ^onftantin 2lfrilanug k. (18). ®ag gunbament beg 40
ganjen SBerfeS ift bie ©d)öbfimg§gefd)icbte. ®a aber ber SRenfcb, in ©ünbe gefallen ift,
fo beburfte e§ ber reparatio, biefe erfolgt burd) bie 2Biffenfd)aft unb burd) bie Religion,
bie bas organifierenbe s$rin^ ber ©efdncfyie ift. ©omit verfällt ba§ 2Ber! in brei 'SCetle:
ba§ speculum naturale, ba§ speculum doctrinale unb bas> speculum historiale.
Der 93erf. batte ein 3Berl gefdjaffen, ba§, nad) feiner 33erecb,nung breimal fo grofe aU 45
bie 53ibel unb bab,er gu teuer geworben War. t)ie 33rüber baten ibn, unb fein ^prior
legte e§ il)m alg 33ufeleiftung jur ©ünbenbergebung auf, baö Sud) in librum manualem
ad modum unius bibliae gu berwanbeln. 2lber ba§ ging nicf)t, ob,ne bag SBerf ju
fcljäbigen. SDab/er entfd)Io§ fid; berSlutor, e§ in brei volumina ju teilen. ©0 liegt eö
un§ bor. ©aS in ben SluSgaben an britter ©teile eingefügte speculum morale ift eine 50
/yälfdmng, f. oben.
£>er erfte Seil (speculum naturale) umfaßt 32 23üd;er; er berläuft im ©d)ema
be§ ©ed;gtageWerfeg. Dabei bringt ber 3(utor alle§ an, Was er in ber Sitteratur ge=
lefen fyat über (Enget unb Dämonen, über Sicb/t, garben ober ©biegel (1. 1 u. 2), über
2lftronomie unb 2lftrologie, 5Raum, ßett unb Bewegung, Suft, @d)0, 5Regen, 23lh), sJtebel 65
(1. 3 u. 4), über 9Jccer, (ibbt unb glut, Heilquellen, Minerale, ^Pflanjcn, ©artenbau
(1. ö— 1.1), über SBögel unb gifd>c (1. 16—17), über ©drangen unb Säugetiere unb über
bie Anatomie, ^3^^ftoIogie unb ^3fbd)ologie bes Menfdjen (1. 18—28). Dann Wirb bon
ber ©ünbe (1. 29) unb ber Beugung (1. 31) gebanbelt. Die ©eograbfyie ber brei 2Belt=
teile unb i^rc Sebeutung für bie ©cfd)id)te be§' sIRenfd)en Wirb erörtert. Die (Mefdiidite w>
668 $tucenttu§ bon SBeauboiS
felbft Wirb nacb, bem auguftinifdjen ©djiema ante legem, sub lege, sub gratia be=
leuchtet, babet Serben aber in ©emäfcbeit i,eg ©edjgtagewerfg, fedjg ^ßerioben, Wieber nad)
2lugufttn (de genesi ad Man. I, 23) foWie ben ß^ronilen (^fibor, Seba, graculpfy,
2tbo 2C.) folgenb, angenommen: 1. bie prima infantia, bon Slbam big 9Roab, 2. bie
5 pueritia, big 2tbrab,am, 3. bie adolescentia, big ®abib, 4. bie iuventus, big jum
(Erjl, 5. bie aetas virilis, big Sfyriftug, 6. bie senectus, bon ©bjifiug big jum (Enbe.
©iefe (Einteilung nad) ben 2tltergftufen Wirb motibiert nacb, ber betriebenen ©teßung ju
bem göttlidjen ©efe|. Sag 9JcannegaIter j. S. gebt mit bem (Erjl an, weil je£t bie
9Jfenfd)beit tefp- Qgrael ©Ott unb nicfyt mebj Sftenfcljen fürchtet, bie d>riftlid)e $eit aber
io ift bie beg ©reifenalterg, fofem fie tanquam itura futurorum coneupiscentia trahitur
(1. 32 e. 26). ®iefe möndnfct/e 2luffaffung ber gefd)id)tlid)en ©teßung beg (Ef)riften=
tumg ift intereffant, aber bie ganje Einteilung Wirb in bem Sßerf nidjt burcr)gefüljrt.
(Ein fiebenteg geitalter ift bie ewige requies sanetorum.
©er gWeiie %e\l (speculum doctrinale) giebt in fiebje^n Supern eine ©efamt=
15 encfyflopäbie ber 2Biffenfd)aft. ©a ber (eitenbe ©efid)tgpunft generis humani repa-
ratio doctrinalis ift, fo Wirb einleitenb bon ber ©ünbe unb il)ren folgen gerebet. ®ie
beiben mala originalia finb error unb cupiditas (1. 1 c. 3). (Eg folgen (Erörterungen
über bie (Einteilung unb ben llrfprung ber Söiffenfcfyaften, über Sebjer unb Semen, über
Süd;er unb ©pracfyen (1. 1 e. 10 ff.), fdiliefdid; ein Sofabularium feltener 2tugbrüde
20 (c. 45—67). ®ann Werben (1. 2) bie ©runbjüge ber ©rammatif erörtert (gierton beg
Sionieng unb Serbumg, Stebeteile sc). (Eg folgt ein Slbrift ber Sogif mit (Einfdjlufs ber
^etoril unb ^ßoetif (1. 3). 5Rad)bem fo bie tb,eoretifcb,en 2Biffenfd)aften erörtert finb, gebt ber
2lutor $ur practica scientia über unb beljanbelt babet bie ^ugenben unb bie Religion
(1. 4), bie ^ugenben einzelner ©tänbe unb 2tlterggruppen, de vita sociali (1. 5 c. 38),
25 bie scientia oeconomica (1. 6 : §ocbjeit, (Efyeleben, (Erjiefyung, ©efinbe, greunbe, £>aug,
Siebjudjt, SCderbau mit einem lanbwirtfcftaftlicfyen Jlalenber). (Eg folgt bie scientia
politica (1. 7 : ©taat, gürft, Siedet, 9ted)tgquellen unb juriftifet/e ©runbbegriffe), fobann
de causis et litibus (1. 8), de criminibus (1. 9, bef. über ©imonie, §ärefie, per-
fidia Judaica, Saraceni, Slpoftafte), über SRorb, (Efyebrud), diaub, ®iebftal)l, usurae,
30 de sacerdote tenente coneubinam u. f. W. (1. 10). SDag 11. Sud) l)anbelt de arte
mechanica (Bereitung bon SBoöe unb Äleibung, Sau= unb ©cfymiebefunft, ^rieggfunft,
Sefefiigunggtoefen, de arte theatrica, ©d)tffai)rt, £>anbel, ^agb, Slccerbau jc), bag
12. Sud) de arte medicinae (2lrgte, Körperpflege, geibneputjen, ^inberb,t)giene, §r/giene
ber Steife, Sftanfenbiät, SKebitamente, $urgatibe, SBunbpflege, Hnod)enbrüd;e jc.) bag
35 13. Sud; de scientia medicinae theoricae (bie (Elemente, complexiones, ber (Eoitug,
©eburt, Slbortug, ^ab,regjeiten, 2BoI)nräume, 9?al)rung, Serbauung, ©djlaf, Urin k.), bag
14. Sud) de signis et causis particularibus aegritudinum (j. S. gieber, ©frofeln,
$rebg, giftein, cephalaea seu hemigraena b. b- Stftigräne, (Epilepfie, de passionibus
nervorum, Db,ren=, Sungen=, 9?teren=, §erjleiben, de dyarrhaea, dysenteria, ü)ten=
4o ftruation, 5]3obagra 2C.). SDag 15. Sud} "ift ber naturalis philosophia gcWibmet (bie
prima materia, bie (Elemente, Körper, SRaum, geit, SeWegung, SRineralien, Säume,
ältere, §ifd;e, Sögel, bon allen biefen leiteten Werben alpfyabetifcfye Serjeid}niffe gegeben),
^m 16. Sud) Wirb über Sflatfyematü, SPiufü, ©eometrte, 2lftronomie unb 3JJetapl)t)fiI ge=
rebet. SDag 17 Sud; fprid)t de theologica scientia: ad hanc enim tanquam ad
45 finem reliquae omnes universaliter ordinantur eique tanquam reginae multi-
pliciter famulantur (c. 1). §ier Wirb gunäd)ft bie falfcfye Geologie beb.anbelt. 2)abei
Wirb ein SLeil ber 9tebe beg 5Rad)or aus ber Vita Barlaami et Josaphat, b. b,. aber
aug ber Apologie beg 2trtftibeg, Wiebergegeben (c. 12 — 14; im Specul. historiale Wirb
in bjftorifcfyem 3"fflwmenljang bie ganje Siebe in berlürjter ©eftalt mitgeteilt f. 1. 15
50 c. 33—35). (gg folgt eine (Erörterung ber Duellen ber Wabjen Geologie in $orm
einer SibeHunbe (c. 31 ff.) unb Inapper 3Rottgen über bie berborragenben fird;Iid;en Stutoren,
bie big Sanfranf, Slnfelm, ^bo, Sernb,arb, §ugo unb3?icb,arb bon ©t. Siftor (c.60— 62)
angeführt Werben.
®er britte ^Eeil ober bag Speculum historiale Wirb eingeleitet burd) eine lur^e
55 ©arfteEung ber Sebje bon ©Ott, ber b,immlifd)en §ierard;ie, ber materia informis,
ber ©d)öpfung, bem 9Jtenfd)en, ber synderesis (1. 1 c. 40), bem ©ünbenfaE, ber ©ünbe,
ben 14 ©laubengartileln, ben brei tbeo!ogifd;en unb ben bier üarbinaltugenben, foWie
ben fieben ©aben beg b,l. ©eifteg. S)er ©ünber ift in ignorantia, coneupiscentia, in-
firmitas gefaEen, aber ©Ott giebt ibm Wieber sapientia, virtus, necessitas, b. b,.
60 burd) bie tb,eoretifd)e unb praftifd)e (Erlenntnig foWie bureb, bie 5Dfed)ani! überWinbet ber
SBtncentiuä bon JBeaittintS (j(jy
9Jknfd> bie SBirfungen ber ©ünbc (c. 53). 9Jttt 2tbel beginnt bie ®ircb^ngefcf>id)te(c. 57).
@g toirb nad; ber Sibel bie ©efd)id;te ber Urgeii — ber ©egen 9ioal)g giebt 2lnlafj, bie
alte ©eograbfyie barjulegen — unb ber Patriarchen ergä^lt, toobei bie „Seftamente ber
jtüölf Patriarchen" nad) ©roffetefteg Überfettung mitgeteilt toerben (1. 1 c. 125 ff.). Dann
toirb im 2. Sud; bie igraelitifd;e ©efd)id;te bon SSJioJe big in bie Äönig^eit toieber= 5
gegeben, baju ift bie Mebe bon £erf ule£, bem m trojanifdjen Kriege, Sbiurg, 9iomulug,
ben fieben SBeifen k. Dag 3. Sud) berietet bon Stfobg gabeln, bem %aü SBabelä, §itobiag,
$r/tbagorag, £>eraflit, bann Don @gra unb 9?el;emia, -bann bon ©ofrateg, Slato, 3lrifto=
teleg :c. §ier tüte überaß werben rcid;lid; 2Iu§jüge aug ben Stutoren — befonberg
moralifcfye Sentenzen unb flosculi — mitgeteilt. Dag 4. — 6. Sud; ergä^It bie ©efd)id;te 10
Don $f)Uitob, Sllejanber unb ben Diabod;en an big ju 2Iuguftug unb §erobeg, babei
aud; Don Sergil, Wiax'ia, £oraj, ^ofyanneä bem Käufer berid;tenb. Dag 7 Sud) beginnt
mit SEiberiug unb ift bejonberg ber ©efducfyte (Sfyrifti getoibmet. Dabei toirb aud) bag
belannte geugnig keg IyofebI)ug bertoertet, ebenfo bie Slbgarlegenbe, Songinug, bag $inb=
b>itgebangelium unb bag ÜTufobemugebangeltum. Dann folgt ^ftngften, ©tebfyanug, eine 15
Slnjaf)! t>on Sftarienlegenben unb Sßfyilo. ^m 8. Sud; toirb bann bag Söefen beg GI)riften=
tumg enttoidelt, inbem bie „neuen", b. f). bie fieben fatfyolifcfyen, ©atramente ju genauer
Darfteilung gelangen. Sann ift bon *ßaulu§, ©enela, ^erfiug unb Suöenal bie 9?ebe.
Dag 9. Sud; fbricfyt bon 9?ero, ©imon üftagug (nad) ber Passio Petri), bem rbmifd;en
Primat, (Slemeng (nad; bem Itinerarium Petri b. I). ben ^Pfeuboclementinen, c. 23 ff.), 20
2lbofteIlegenben (nad; ben berfdn'ebenen Acta) unb 5Diärtt>rergefd;id;ten 2c. Dag 10. Sud)
erjäblt bon Sefpafian unb ben üaifern big (Sommobug, bon 3jrcufalem§ Untergang
(nad; ©gefttob), bon ^obanneg, ^gnatiug, piniug, bon Vermag, beffen Sud; ber Serf.
fcnnt, aber bcmerlt: cuius flores excerpere non libuit seu propter prolixitatem
ac verborum simplicitatem seu quia inter scripturas apocryphas numeratur 25
(c. 91), ferner bon ^abiag, $o!r/farb, Suf^n/ ^m btx Serf. mit bem §iftorifer Qufttn §u
ibentiftjieren ntct)t für unmöglich fyält (c. 94), bon §egefibb, Siftor, 3>renäu3, ßlemeng 2llej. jc.
^m 11. Sud; gefyt bie @rjäf)lung fort §u Drigeneg, ber gu fe|r allegorifiere unb quasi
improbare historiae veritatem fd;eine unb in beffen Periarchon maxime eius
haereses inveniuntur (e. 12), ^u SlertuUian, beffen 2tbologeiifum oft bertoanbt toirb, so
■w Gr/brian, unter beffen ©d;riften aud) de aleatoribus unb de duobus montibus unb
anbereg Xlnecbte angeführt toerben (c. 62). Überall fbielen babei 2Rärtt)rergefd;id;ten, bie
aug ben Gesta ergäbt toerben, eine ^aubtrolle. @g folgt in Sud; 12 bie biolletianifd;e
Verfolgung unb in Sud; 13 unb 14 bie ©efc^)id;te ber lonftantinifdjen $e\t, babei toirb
bon ben $ird;enbätern be§ 4. gal)r^unbertg einge^enb geb^anbelt. ®a§ 15. unb 16. Sud^ 35
er^It bon ^nbien (nacb^ bem Sarlaamroman), ^ßerfien, SRom, bem granlenreid^, (gnglanb,
ben Sanbalen, Söeftgoten unb §unnen. 2)a§ 17.— 24. Sud; berichtet bann bie ©efd;id;te
bon S£r/eobofiu3 b\§ gu ben Karolingern, au<fy fyier toerben bie ©djriften ber Säter genau
befbrod;en, j. S. 6I;rt)foftomu§, Sluguftin, Martin, SücajimuS bon Surm, Saffian, ©er=
manu§, ^rofber, ©elafiu^, gulgentiug, Soetl)iug, Saffiobor, ©regor b. %oux§, ©regor b. ©r., i»
Seba, ßäfariu§, 2ll!uin, Diaban je. Som 25.— 30. Sud; toirb bann bie ©efd)id;te bon
§einrid) II. big jjur 3^it be§ Serf. ergä^It. ®abei fällt befonbereg ©etoid;t auf bie
2Jcönd;ggefd;id)te (Semfyarb, Norbert, ©ominicug, ^ran3 Jc-), auf §eiligen= unb 2öunber=
eräät)lungen (3. S. bie \jl. ©lifabetb;), fotoie auf bie ©ct)riftfteller (j. S. Sanfranl, 2lnfelm bon
ßanterburb, §ugo unb 9tid>arb bon ©t. Siftor, §ugo be goEietto, aug beffen claustrum «
animae, einer aHegorifd;en Deutung beg Hlofterlebeng auf bag ganje ßbrtftertleben, biel
mitgeteilt toirb 1. 27 c. 18 ff., Slbälarb, ©ilbert, ^Betrug Sombarbug, $etrug Someftor, ben
Serfaffer ber bon bem2lutor oft benü^ten Historia scholastica etc.). — $Dag 31. Sud;
berietet bann bom üonjil ju St;on 1245, bon ber ©efanbtfd)aft ber SDominilaner unter
^nnocenj IV. an bie Tataren 1245 nad; münblid;en unb fcljriftlidjen Serid;ten ber Drbeng= 50
brübcr beg Serfafferg, bon bem Kreu^ug Subtoigg beg ^eiligen unb feiner ©efangen=
na^me in 3)amiette big jum ^a^re 1250. ®ag le^te 'Datum ift bag 10. ^a^r %n-
nocenj' IV b. l>. 1253 (c. 103). 5Run fd)liefet aber ba§2öerf(c. 105) mit einer genauen
Beitangabe (bag 33. 3al;r griebrid)g II., bag 18. %a§x Subtoigg, bag 2. %afyc ^nnocen^' IV.),
nämlid) bem ^a^r 1244 (biefelbe 2lngabe 1.8 c. 94fin.). ©anad; t>at ber Serf. ur= 55
fbrünglicf) bag SBerl im ^al>re 1244 mit bem 30. Sud; abgefd;loffen unb ^at fbäter im
3ab;re 1253 bag 31. Sud) hinzugefügt. Die ©d;lufenotij beg 30. Sud;eg ift bann ber=
fct)entltct) an bag @nbe beg 31. Sud;eg geraten.
4. Dies ift ber $nl)alt beg großen ©efd)id;tgtoerleg, bag bon 2lbel big ^um ^abre
1253 n. ßbr. reicht unb mit immer gleicher ©orgfalt Slugjug um iHn^jug aug bekannten go
670 JBtncentmS tum 23eaut>at§ ÜStncentiuS üoh ßertmtnt
unb Wenig befannten Quellen aneinanbcr fügt. ®ie sDcetfyobe be§ SSerf. ift folgenbe: er
entlefmt bie ®aten aug ber Gfyronif beS @ufebiu§ ober anbeten cfyromftifcfyen SBerfen,
bann füllt er ba§ fo gewonnene ©eribbe au§ burcf) 33iograbfyien ober fonftige gefcfyicfytüdje
©ctulberungen, bie er ben r/iftorifcfyen SSetfen, ben Gesta großer SJiänner ober ben
5 SRärtr/reraften entnimmt; bie 3Ber!e ber ©cfyriftfteHer Werben nacfy ben befannten ^ata=
logen angeführt, ber 33erf. ift aber aud) bemüht, fie felbft fennen ju lernen unb teilt
Weitfcfncfyiige ©jcerbte au$ itmen mit. 2öa3 fo entfielt, ift eine umfängliche ©ammlung
be3 r)iftorifct;en Materials ; 2tnfä|e ju einer Deutung ber gcfcf;icr;tlid)en dntwicfelung ober
jur @rfenntni§ ber 33ebeutung ber 2$atfad)en finb überaus feiten, ber SSerf. liefert eine
10 ins 9Uefenr)afte auSgebeljnte 6§roni! ober ein grojjeS ^acrjfdbJageWert 2tber nicr)t nur
ber %Ui% fonbern aucf) ein gemiffeS ©efdncf ber (Gruppierung finb aller 2lner!ennung Wert.
©a§ gewaltige 2öerf ift bem gWecf getotbmet, bas gefamte bofttibe Söiffen ber ßeit
gufammen^uftellen. SDie „Kultur ber (Gegenwart" Will ber 2Jutor barlegen, unb e§ bejeicb,net
bie ©cf>ran£e feiner geit, bafj fein 33ucb, bod) Wefentlid; §u einer ©arftellung ber Strbeit
15 ber 2lntile Wirb. SSiele arbeiten be§ 13. ^af)rl)unbert§ l>aben ben $ug in ba§ 9üefen=
f)afte unb SBeltumfbannenbe, ber unfer 2Ber! lennjeic^net ; biefer $ug entfbringt bem
93eftreben ber firdjlicfyen 2Biffenfd)aft, bie Söeltfyerrfcfyaft ber $ird)e mit it)ren Mitteln aß=
feitig ju begrünben, aud; bie 3ßiffenfd)aft foll ©nabenmittel fein, unb bie (MenntntS bie
grömmigfeit förbern. ^n biefem !ird;Iid)en ©inn f)at aud) 33. fein äöerl aufgefaßt.
20 Slber Wäfyrenb feine 3e^Sen°f!ert i^te Ifraft in ber 9tegel ber bialeftifd)en 33egrünbung
ber überlieferten SBafyrfyeit Wibmen, fyat 33. an ber möglicfyft bollftänbigen 3ufammen=
ftellung ber überlieferten ©rlenntnil feine greube gehabt. @r erinnert barin an feinen
ßeitgenoffen unb Drbem>bruber Gilbert. @3 War eine innere "KotWenbigfeit, bafj ber gemaltige
@rfenntni§trieb ber $e\t ficb, junädjft an folcfye Sammlungen größten ©til3 machte, bie
25 fid) $War ben alten ©ammelmerJen be<§ 9JUttelalter3 anfd)(offen, aber fie ben neuen
33ebürfniffen entfbredjenb in bas> Ungebeure erweiterten. ®iefe ©ammlungen boten bann
bie ©runblage bar für bie bialeftifdje 2Irbeit ber ©d/olaftü in ifyrer Slütejeit. Dean
fiebt an bem SBerf be<8 33., Wie umfaffenb bie allgemeinen 33ilbung§intereffen ber ^eit
waren, bie bon ber fd)oIafiifd)en Geologie borau3gefe|t Werben. ®a§ 3ßeif be§ 33. ift
30 eigentlich nid)t ein 33ua) für ©elei)rte, fonbern eine allgemeine 9lealenct)flobäbie für bie
©ebilbeten. ©arin befielt bie fulturgefdncfytticfye 33ebeutung be3 großen 2Berfe3. SDer
33erf. f>at einen gemiffen ©inn für ben 9Bert beö gefcbicfytlicf/en 2Biffenö, aber baö be=
beutet nicfyt, ba^ er, roie ©roffetefte, 3Roger 33acon u. a., bem @mpiri§mu§ ber bialehifc^en
J?unft gegenüber fein Stecht toab,ren Will, ba^u ift 33. p Wenig originell. 9Jur bie§
35 geigt fein 33ud£), Wie ftar! aucb, ber "Stieb nacb, pofitioem SSiffen in ber großen $z\t, in
ber e3 entftanb, geWefen ift; e<§ ift nicb,t nur al§ ein ^ßrobult perfönlic|er Sieb^aberei,
fonbern aucf; al§ 3euSn^ beZ geiftigen 33ebarfe§ feiner 3«t 3" beurteilen. 3t. ©ecöerg.
Sßtncenttu§ gerrev f. gerrer 93b VI ©.48.
Sincenttu§ »on Serinum, ^3re§bt)ter um 440. — Quellen: SluSgaben feine«
40 Commonitorium uon %oi). ©tcljarbuS 1528, @t. 53a[uüiu§ 1684 (3. Sluggabe auf ©runb uon
Hier guten §anbfd)riften), biefe tft abgebntcEt MSL 50, (5H7 — G86 ; Siiticfier 1895 (^eft I, 10
ber ©ammlung ftrd)en= unb bogmengefcf). £lueüenfd)riften I)erau§geg. Don ©. Sritger) unb
W. ÜKaufcfjen, Florilegium patristicum f. 5, 1906. — ©eunabiu§, De vir. ill. 65.
Sitteratur: §arnac£, ®ogmengefd)id)te II3, 1894, ©. 106—109; F. Brunetiere et de
45 Labriolle, La pensee chretienne: St. Vincent de Lerins 1906. 2(l(e ®arfteüungen beS <3emt=
pelagiantomuS, f. oben XVIII, 192 ff., befonberä ©. 197 f. unb aud) II, 188, 31 ff.' 191, 40 ff. —
Siüemont XV, 143—146 unb 859—862; S. g. §efele, SSincentiu§ SirinenftS unb feinÄommont=
toriunt in: Beiträge pr tivdiengefd)., 9lrd]äütogte u. Siturgit I, 1864, @. 145—174 (bort
Uon <B. 157 an genaue 3ntja(t3angabe beg Sßtncenjfcrjen 503erte§); ^oirel: De utroque Com-
50 monitorio Lerinensi, %ancu 1895; $. Sod), St)DS 1899, 396 ff.; berf., Tineen* üon Serin
unb ©ennabiuS in: X\l 3. 9teif)e I, 2, 1907, @. 37—58.
©ennabiug berietet in c. 65 feine§ ©d^riftftellerlatalogS über einen ©allier 33in=
centiuö, ^3reäb^ter im tlofter ber Lerinensis insula (£)eut ©t. öonorat füblicb, bon
Sanneg), er fei in ber £>l. ©cb/rift Wob;l beWanbert unb mit ber tHrdj>ltcr)en ©ogmati! auS=
55 gejeicf)net bertraut geWefen, fyaht aud) gegen bie §äretifer gefcf)rieben unb fei unter
S£f)eobofiu§ (II) unb SJalentinian (III) geftorben. ®ie 3eitangabe berbient Wie bie
übrigen ^ßerfonalien boDleg 33ertrauen, freilieb; lä^t fie ben Zeitraum bon 425 bi§ 450
offen; um 445 bürfen Wir etWa<§ genauer baS 'SobeSbatum ftrieren, Weil in ber 93orrebe
ju @ucb;eriu§' ^nftrultionen 1. 1 (CSEL XXXI, p. 66), bie in biefe JJett fällt, 33. als
SBinccntiuS Don Scrtmtm (j71
nod) lebenb bcEjanbelt it>tvb. £>cr 33ifcr;of @ud)criu£ beglücftoünfdjt feinen ©obn baju,
bafe er, feit bem iq. SebenSjafyr in bie „©infamfeit" geführt, auf ber ^nfel Sermum ju=
erft ben Unterricht be§ jc§igen 33ifcf)of<8 |)ilariu<§ bon StrleS genoffen unb bann feine
33ilbung botlenbet I)abc mit §ilfe ber b,I. 3Jcänner ©albianug unb 33incentiu» „eloquentia
pariter scientiaque praeeminentibus" Sa3 l;ier bem 33. gefbenbete £ob ift nicfyt un= .-,
berbient; er gehört ju ben geiftig bebeutenbften Geologen ber Iateinifd)en iftrcfye, unb
©ennabiuä fagt ntd£>t ^u t>tel, toenn er fein .gaubttoerf eine validissima disputatio
nennt, bie ©arftellungSform als fein unb flar rüfymt: bon gaUtfcf/em ©cfytoulft fyat ftcb,
33. ebenfo tote bon erbaulicher 'jßfyrafeologie frei gehalten.
©cfyon ©ennabtug fannte nur ein einziges Süerf be<o 33. mit bem bfeubonfymen litel 10
Peregrini adversum haereticos. Qn ben $arifer §anbfc^riften b/eif|t e§ tractatus
Peregrini pro catholicae fidei antiquitate et universitate adversus profanas
omnium haereticorum novitates. tiefer ausführlichere Slitel iann minbeftenS ebenfo
alt toie ber furje bei ©ennabiuS fein, fctjon toeil ber -Käme Sßeregrinug barin beibehalten
toorben ift, obgleich, jebermann au§ ©ennabiuS ben toafjren 33erfaffer fannte. 3n ben 15
Srucfen ift feit altera bie Sejeidmung Commonitorium ober Commonitoria borge^ogen
toorben, infofern nicfyt mit Unrecht, als ber 33erfaffer felber innerhalb beS 33ud;e3 bie§
fünfmal mit jenem 9camen belegt. SDie 2Bab/l be3 SßfeubontymS „>)]eregrinu3" (= ein Pilger)
bürfte efjer möndjifcfyer 2Ingft bor toelilidjem JRulmi als ber ^bficfyt, bie £efer irre ju
fübren, entfbrungen fein (bgl. c. I: mihi minimo omnium servorum Deo Pere- 2n
grino); benn im übrigen ^cigt ftet) 33. gar nief/t bemüht, bie toaf) ren 2tbfaffung§berl)alt=
niffe be3 %5ud}$ in SDunfel 51t füllen. dr fießt fieb) uns» in c. I bor ab§ einen Wiann,
ber fieb, nacb, längerem ©enufj ber 2BeIt — saecularis militia bebeutet nid)t ettoa gerabe
folbatifdjen 33cruf — je|t in bie ©tillc eine§ ^lofterg, in portum religionis, gurücf-
gebogen I)abe. ©ein ^Aufenthaltsort, bie Qnfel Serinum, toar für ben intereffierten Sefer 20
bier nicb}t fcfytoerer ^u erraten, als feine ^oerfönlidjr'eit unter ben Serinenfern feftjufteUen.
Offenbar b,at 33. ben fyöb/eren ©tänben angebört; unb toenn er tb^ologifcb,e 2et=
türe erft im £lofter ju treiben begonnen b,at, fo ift baS redjt grünblicb, gefeiten. @r
toeife in ber ©efd?id)te ber fircfylicfjen Sttteratur fefyr gut 33efd)eib, nid)t blof? ber lateintfcfyen ;
bie grage, intoietoeit er beS ©riecfyifdjicn lunbig getoefen ift, mag offen gelaffen toerben. 30
Sie SlbfaffungSjeit ift burd) c. XXIX fieser geftellt, too 33. baS %ai)r beS ebb,e=
fünften ÄongilS genau nacb, ben Jlonfuln be^eidmet unb fagt, ba| eS um ein triennium
tünter ber ©egentoart jurücHiege. 3n 9^om regiere augenblicflicb, ^3abft ©ir.tu§ (III);
einen 33rief bon biefem an ben 33tfc^of ^ob,anne§ bon (üSbr/efuS !ann 33. bereite citieren,
ber am 17. ©ebtember 433 gefefmeben toorben ift: bor 434 toürbe bie Verarbeitung biefeS 35
2Jftenftü<f3 in einem gallifcb.en Softer nicb,t benfbar fein.
ittad) ben Angaben am Slnfang unb ©cfyfujj be§ SSerlS blatte V. e§ nur jur Unter=
ftü^ung feine» fd)rDact)en ©ebäcr;tntffe§ gefcfjrieben, alfo eine 33erbffentlicr;ung ntcr)t in§
Sluge gefafjt. §. Äocb, glaubt benn aueb, ^U 1907 ben boUtoertigen 33etoei§ bafür ge=
liefert ju I)aben, ba^ 33. feine ©cb,rift niebt felber t/erau^gegeben b,at. 2JJein ©inbrutf 40
ift ber entgegengefe|te. 2XHerbingS berficfjert ber 33erfaffer mebrmalS, bafj er bie§ Sucb,
nur für feinen ^rtbatgebraueb, beftimmt fyabe, entfctmlbigt bamit aueb, bie 3Jcängel be3
©til§ — bgl. Clem. Alex. Strom. I, 11, 1; 14, 1—4, bcfonberS auc^ ben ^intoeiö
auf 93ergeffencg bei Clem. 14, 2 mit 33. XXIX (42) licet ordinem fuissemus obliti
— aber eine fo!cf)e Unterhaltung mit fid) felber füf)rt er eben nur. für anbere Sefer. Unb 45
erft rec£>t aU ©djiutjtoefyr gegen unfreunblidje Äritifer ift ba3 ©d;lu|toort ber 33orrebe (c. I)
gemeint, er ftell'e ben ^ßribatcfyarafter feiner ©cb.riftfteßerei auöbrücflicb, feft für ben %aU,
bafe bas SBerf ettoa borjeitig ib,m enttoifebe unb in bie §änbe bon ^eiligen gelange; fte
fäb.en bann, baf$ es bie berb,ei^ene ©tilforreftur noeb, nicb;t erfabren §abt. §ier ift e3
nicfjt genug, bem 2Iutor einen ftißen SBunfd) im tiefften ^erjeneigrunbe ^ujugefteben, too= 50
naef) ba§ 3Büc^Ietn einmal, toenn autb, erft nacb, feinem Sobe, in bie SÖelt binauggeb,en
follte, aueb, liegt toeber „©cbtoinbel" noeb, „ber größte Unfinn" bor, fonbern eine gorm, in ber
ber 33erfaffer bie 3Seranttoortung für getoiffe Mängel feinet 355er!e§ bor bem ^ublifum
ablehnt, eine äljnltdbe 2Iu|erung mönd}ifcl)er 33cfrf)etbcnl;ett toie bie 2Baf)l be§ 9?amenS
$eregrinu§. ®a^ V. bag recf)t träftige 33erlangen b,_atte auf toeitere Greife ju toirfen, 55
bafj er jur geber gegriffen b/at, toeil bie 9fot ber .geit, namentlicb, ber fteigenbc ©influfe
junger Äc^ereien ib,n jum Sieben gtoängen, bat er rttct)t blofe in ber (Einleitung gefagt: um
Slnbere ju überzeugen, nid)t „ju eigenem 3iebetitorium" ift biefe burebauö im lebhaften
'^ortrag§ton gehaltene unb auf (Sffeft berechnete ©d;rift gefd)rieben toorben.
l'dlerbingg bleibt nun norf) ein ^?un!t in ber Überlieferung be3 3Bcrfeg buntel. hinter 60
672 $incenttn8 bon fiertnmu
c. XXVIII mollte ber 93erfaffer, nadjbem baS %b,ema beS erftcn commonitorium er=
lebigi mar, neu anfangen, um auS ber ©efcbjcfyte eines ^ongtI§ — er meint baS 3. öfum.
bon @pb,efuS — feine regula ecclesiasticae fidei ju bestätigen, ©tatt beffen ftefyen
mir in c. XXIX fofort „am @nbe" biefeS jmeiten 9Jterfbud)S, unb bem 93erfaffer liegt
5 blofj nod) ob, baS, maS er in beibenSBücfyem breit ausgeführt fyat — ber ©cfylufsfatj beS
©an^en, c. XXXIII, roieberlmlt btefe gormel — I)ier ganz furz z" rekapitulieren. %<fy
fd)meige babon, baft nad) Jloc(tä §^otf)efe btefe furze gufammenfaffung auS 9?ücfftd)t auf
einen beim Sefer befürchteten Überbrujj an ber SXuSfüfyrltcbJeit ein munberlicfyeS 93er=
fyältniS beS ©djriftftellerS 35. ju feinem ©ebäd)tniS borauSfe|en mürbe; offen ju 'Jage
io Hegt, bafj bie ©djlufjfapitel bon XXIX an jtoei^ommonitorten rekapitulieren, mäb, renb mir
bocb, bi§ c. XXVIII nur ein 3 bon biefen zu lefen befommen b/aben. 2lHe §anbfd)riften
notieren bann aud) an ber betreffenben ©teile, baS zweite Commonitorium fei aufgefallen,
ober bielmeljir eS fei blojj baS ©d)luf$ftücf beSfelben, bie 9te!apituIation, nocb, borfyanben.
tlnb in bem gleichen guftanb fyat bereits ©emtabiuS baS Söerf borgefunben, ber ficb, ben
15 feltfamen ©adjberfwlt fo erflärt: bem 93erfaffer fei ber §auptteil beS jmeiten 93uci)S nod)
im 93routtlon geftofylen toorben, ba tjabe er ben Qnfyaltmtt führen 2Borten jufammengefa^t,
bie neuen Kapitel gleid) binter ben erften Jeil gerücft unb baS ©anze als ein 33ud) er=
flehten laffen. ©d)abe nur, baft bei 93. felber jebe ©pur folcfyer 33egrünbung für bie
Stefapitulatton fefylt; er Imtie bireft gelogen, menn er bon bem „@nbe biefeS zweiten 93ud)S"
20 gerebet b, ätte, obmo| I baS zweite 33ud) gar nid)t mel)r — menigftenS für tf>n borläuftg ntct)t
mefyr — ejiftierte. ©eibifs bürfen mir mit @zapla unb §. &ofy in jener (Srzäfylung beS
©ennabtuS nur eine §bpotr/efe erbtiefen, bie einen rätfelbaften Jfyatbeftanb erflären
follte; gerabe biefe §r/potr;efe mar aber bei 93. nafye gelegt burd) bie oben ermähnte
SSttte an Sefer, bie baS 33ud) erhalten fönnien „si forte elapsum nobis" ©ie
25 ^anbfcfjriften begnügen ftd), ofyne Angabe bon ©rünben, ein 93erfd)minben beS £auptteilS
bon 93ucfj II ju notieren. SDafs jemals jemanb ben berlorenen %exl bon 93.S adv. haer.
gelefett fyätte,* erfahren mir nicfyt. ©letcfymofyl mürbe ein 3toe^^ an °«r Styatf adje, bajj
er etnft ba mar, aber ©Ott meifj mie berlorett gegangen tft, faum aufgefommen fein, menn
eS nict/t ftarl auffiele, bafj bie 9tefapituIation ber beiben 93üd;er, bie mir nocb, befi^en,
30 fid; faft auSfcb(ie|Iid; mit bem ^weiten befcb,äftigt; fie mirb bort fo auSfü^rüd), bafj mir einen
Unterfct)teb bon ber ©arftethmgSmeife im erften ^etl (c. II— XXVIII) gar ntct)t mab,rne^men.
©oCte eS lebiglid; gufaü fein, bafs ber 33erluft eines Sud^S fd;on im borauS burcb, ein ein=
geb,enbeS Sterbt auS bem Verlorenen erfe|t morben mar, mäb,renb mir öon bem erhalten
gebliebenen 93ua) nur ein paar ©ä^e ref apituüert belommcn ? ©a aber in c. XXIX ff. aucb, nid)t
35 etma ein bon einem Späteren gefdEjaffeneS ©rfa^ftüd? vorliegt, bleiben blofe jmet @rIIärungS=
mbgltdjfeiten. ©ntmeber b,at 93. bie SMapitulaüon bon 93ud) I unb II in feinem 93rouißon
borläufig fertig gefteßt, nacb,bem er 33ud; I boHenbet batte, aber ebe er baS jmeite 93ud}
fcbrieb : feine 2(bfid)t, baS ^meiteSSucb, jmifd)en ber erften §älfte unb bem ©cfylufe in IRüfy
auszuarbeiten, r/ätte Äranfb,eit ober ein plö^Iid)er %oh bereitelt. Dber: 33. b,at bie
40 beiben 93ücber fertig gehabt, ebe er bie ©d)lu^abfcb,nitte entroarf, aber borauSgefe^en, bafe
bei ber SluSfüfyrlicbJeit beS jmeiten unb bei ben Waffen bon Slltenmaterial, bie er barin
aufgehäuft b,atte, manche Sefer eS gern überfd)lagen mürben. ®arum gab er für bequeme
Seute einen 2tuSgug mefentlid) blof? auS 33ud) II, meil er für 93ud} I auf gefpannte 2Iuf=
merlfamfeit rennen burfte. Säber eben mit fetner SSorficbt fyäite er ficb, felbft gefcbabet.
45 $n ber 2;b,at fdjrieb man nun 93ucb, I ganj, bon93ud) II bagegen blofß bie ©rjerpte ab: menn
in bem jroeiten 93ua) bielletd^t nod) ^efen aufgeteilt maren, bie unbequem beutlid) in
gemiffe fircbltc^e ©treitig!eiten eingriffen, mäl>renb an bem ©jjerpt nichts auS^ufe^en mar,
fo märe biefe 93e§anblung beS angefeb,enen 9Ber!eS nod; leidster ju begreifen, ©egen
bie erfte 3flögUd>feit fprid;t bie 6b,ronologie; i. ^. 434 bat 93. alles, maS mir bon feinem
so §aupttoer! befi^en, aufgejetc&rtet: menn er um 445 nod> lebte, fyat eS i^m an ber geit,
feine fdbrtftfteKerifc^en ^läne auszuführen, nicfyt gefeblt. ®emnad; mirb eS fein 33emenben
f)aben bei ber ©rflärung, ba^ 93., unb nid;t irgenb ein Sieb, bie Unterbrücfung einer
ijälfte feines SöerlS berfa)ulbet b, at ; 9lbfd)reiber unb Sefer fparten fub, ben attju auSfüb,r=
Itcben 93ericb,t ba, mo i§m ber 93erfaffer felber eine f)übfd)e unb alles 9?otroenbige ent=
55 fyalienbe ^nbaltiüberficbt an bie ©eite gerücft batte.
<Scfott>erIicfe mürbe übrigens baS SJterfbucr/ beS 93. berühmter gemorben fein, menn
eS unberftümmelt auf uns gelommen märe ; benn feine 93ebeutung rub^t auf ber @nt=
midtelung eines ©ebanfenS, bie bereits im erften, un§ boflftänbig borliegenben 93ud; ju ©nbe
geführt ift. 93. fyat ftcb, nid)t bie Aufgabe gefteUt, eine 2lrt bon Äe^erlatalog , 2öiber=
eo legung ber mid)tigeren bäretifcben Meinungen auS jüngfter ßeit, 93erteibigung unb 93e=
$incentm8 bon Scrinum 673
grünbung ber ortboborm $ircf;enler/re ju liefern, obtoobd einzelne älbfcbnitte biefert ©d)em
erWeden. @g fyanbelt fid) ba nur um @r.furfe, bie u)m ab§ 93eifbiele bienen. ßr Will
bielmebj bte ©runbfä$e aufzeigen, nacr) benen im ©treit groifd^en Drtt)obojte unb fte|erei
über 9le^t unb Unred;t entfdneben Werben muf$. ©inen untrüglichen Üanon für bie
Unterfdjeibung jWifcf/en $äretifd)em unb ^att)o(tfd^em gilt e§ ju finben; alle ©injelbi^ute 5
toiber -fteftorianer, ©onatiften, Slrianer, ^oiimaner u. f. W. I)aben fyier blofj ben 3mecf,
bie 23raucf)barfeit, ja bte Unfe^Ibarlett be§ bon 93. empfohlenen $anong ju beftätigen.
9>. glaubt rtid^t etwa, baö gormalbrinjib feiner ®ird)e al<§ erfter entbedt ju b/aben: er
fetjt II (1) unb XXIX (41) alg allgemein anerkannt boraug, bafj ber ©laube jWei
unerfcfyütterlicrje ©tü§en befi|t, bie Autorität ber 1)1. ©c^rift unb bie S£rabition ber fatf)o= 10
Uferen ßtrdje. ®tefe beiben gaftoren foHen burd) "-8. in bag richtige 93erf)ältnig §u ein=
anber gefetjt unb — bieg eigentlich bte ,£aubtfacf;e — eine ©tct)erl)eit für bie richtige 33e=
ftimmung bon beiben geboten werben. 1)er Jlatfyolif barf nie im UnHaren barüber bleiben,
ma3 ©djrift unb Srabition WtrHid) borfdjreiben. 2Bte aber ift biefe Marfyeit ju be=
f Raffen? 15
®afe nur 2Saf)rf)ett unb baf$ aud) alle ung jum §eil nötige ©laubengWafyrfyeit
in ber bl. ©cfyrtft befebjoffen liegt, ift bem 33. felbftberftänblid) ; bie abfolute Slutorität
unb bie ©uffijienj ber 23ibel bebürfen feineg 93etoeifeg. 3tber nicfyt mit Unrecht, fc^on
auf ©runb ber @rfaf>rung Don Wenigen ^fl^^wnoerten, finbet er bie perspieuitas ber
©djrift nict/t eben fo einfact) gefiebert; im ©egenteil nimmt er bei ber (Srflä'rung ber 20
©d^rifthjorte in tfyrer unergründlichen %iefe beinafj fobiel berfcfytebene 2tuglegungen alg
2tuglegcr Wafyr : alle |iäretif er ftü^en fidj> auf 93ibelftellen, nur bafj fie fie falfd) auflegen.
Unb fo mürbe ung bie 1)1. ©cfjrift im Äambf toiber bie £mrefte nicfytg nütjen, Wenn nicfjt
tb,re 2luglegung nad; ber 9Jorm ftrc^>Iicr)=Iatc)oItfd^en ©inneg feftgelegt Werben fönnte.
23. ift lein ganatifer, er läfjt ben toiffenfcf/aftlicfyen ©treit um einzelne fdjtoterige ©teilen 25
%u. Divinae legis quaestiuneulae, bie nid)t ben ©laubenggrunb berühren, mögen t)eut
beffer alg Don ben Sllten gelöft toerben XXVIII (39), nur bei ben gunbamentalftücfen
bei fatfyolifcfyen Sogmag muf; bie 2lutorität beg Iircr/Iid)en 33erftcinbniffeg jur ©d;rift=
autorität fo Einzutreten, bafj lein gtoeifel offen gelaffen Wirb. Unb bie §rage nad) ber
©teile, bie fold) fircr;ltd)eg 93erftänbnig ung eintoanbfrei »ermittelt, beantwortet er mit bem 30
berühmten ©a£ II (3), bafj ma^r^aft unb red^t eigentlich latfjolifc^ bag ift, quod ubi-
que, quod semper, quod ab omnibus creditum est. 2luf biefe ^Definition fübre
fct)ort ber -Warne „fatb^olifct;" b^in. Universitas, antiquitas, consensio entfdjeiben ju
©unften be§ ecfyt ^ircb.lidjen gegen jebe §ärefie. ©rfyebt fieb, irgenbtoo eine neue §ärefie,
fo b,at ber gute ^\tt£)oIi! fid) an bie ©efamtfjeit ber Jürcfyen gegenüber ber einen abmeict)enben 35
ju galten, galig ber 2lbfall an berfd)iebenen ©teKen in ber ^ircfye jugleicb, fieb, jeigt unb
alfo bie universitas (ba§ ubique) »erfagt, fo menbetman fiel) an bte vetustas, unb forfd)t
nad) bem, ma§ über ben fraglichen ^3un!t bisher in ber Utrcb, e gelehrt morben ift ; in ber Siegel
wirb fid> bie §ärefie im ©egenfa^ jur ganzen alten ^irc^e befinben. ©ollte aber felbft
in früheren 3«den ein Geologe ober eine ßirdienprobinj äbntid)e Irrtümer bertreten ^
b^aben, fo mufj al§ le^te ^nftartg bie ®efamtr)eit, b. i). bie übermältigenbe SUlajorität
ber 2ef)rer unb Mirdjjen in ipsa vetustate aufgerufen Werben. — 93. ift efyrlicb, genug,
ben consensus ein Wenig ju befd)ränfen: oranium vel certe paene omnium
sacerdotum pariter et magistrorum definitiones sententiasque sectemur.
9Barum biefe ^Definition be§ gormalbrinjibg ber ratlwltfcfyen ^irct;e bort nicb,t un= 45
eingefdjränfte 93ißigung gefunben bat (f. 2öe|er u. 9BeIte, £ird)enlejifon 122, 987 f.) „haec
Vincentii Lerinensis regula non est unicum dogmatum eriterium nee prae-
cipuum", liegt auf ber |>anb. ®ie bätoftlidje ^nfadibilität bleibt bei ib,m auägefcbaltet ;
ein bifcfjöflicfyeiS Äonjil ift ' bem Slutor jWar all l^unbgebung britter ^nftanj borjüglid)
Willfommen, inbe§ rttd^t unentbeljrlicb, ; am ton^il bon @bb, eful feb, eint er fogar nacb, = 50
geWiefeu ju b,aben, Wie bie borneb, men Hirdjenfürften bort \i)xm consensus au$ ber
Unterfu^ung ber übereinfttmmenben Sebre bon älteren Geologen gewonnen fyaben,
freiltd; bon lauter bifd)öf liefen 2:b,eoIogen, fo ba^ eine ©ef äfy rbung b,ierard)ifd)er2lnfbrüd)e ntebt
gegeben War. 2öol)I aber lief} fid? mit 93J gormel bie Autorität eineö öfumenifd)en
Äonjilg entwurzln, faßg bieg ob^ne 3fiüdficb, t auf bie „2llten" in ©Iauben§fad;en 53efd>lüfie 55
gefaxt l)aben follte. SDer S?atb, olictSmug ift eben über 93. fortgefcfyritten ; baö fireb, lieb, e 53e=
bürfnig b,at einfachere 2Bege jur ©laubenlgeWipett berlangt unb gefunben, aU ben einer
fubtilen Unterfucr/ung, bie o^ne gelebrte Büttel gar ntct)t bol^cgen Werben fonnte. 3lber
für feine ^eit f)at 93. ben ©eift be§ 5?atb,olici§mu§ unübertrefflich jum 3lu«brud gebracht,
^bn bel>errfd)t bag 93ertrauen, bafe bie tatf)oIifd)e ,^trcl)e bon 9lnfang an im 93efii3 ber eo
iReot=(Sttct)fropäbie für S&eologte unb Seltene. 8. 81. XX. 4;]
674 $tncenttu§ bon ßerotum
2Ba^r^eit geroefen ifi, ber gangen gum §eil notmenbigen 2öat)r^ett : bie £e£er finb auS=
nafymSloS, tüte bei lertuttian (de praescriptione haereticorum) teuerer, bie ber
$ircfye einen 'Seil ifyreS 93efi^eä berberben moßen. Haeretica novitas ift bei ib,m ein
2Bea)f elbegriff bon haeretica pravitas; in©laubenSfad)en lann baS 9^eue nie einen
5 gortfcfyritt, no$ Weniger eine Morreftur barfteßen. Siucb; ber ©ebanle einer immer fktreren
©ntmicfelung ber bon jefyer borbanbenen SIBabrfyeiten ift ifym nie gekommen; bielmefyr t/aben
mir bie flarften ©ntfcf/eibungen ftetS bei ben Tätern, ben maiores, gu fucfyen. 93or ben
93ifcf;öfen I)at 93. fyofyen Siegelt, bor ben beiligen ^rieftern beS abofiolifcfyen ©tubjs einen
nocfy gefteigerten ; baS mirb nicfjt blofe in ber 93et)anbtung beS ^ßabfteS ©tebfyanuS in
io ©acfyen ber SBiebertaufe VI (9), fonbern aucb c. XXXII, 43 bei ^Berufung auf bie
gemina apostolicae sedis auctoritas ber beiben legten „^äbfte" ßölefttn unb ©igtuS,
offenbar. 2tber 33. fe|t nic^t aßeS auf eine föarte; er ift fo borficfytig, fcfymerlicf) gang
ofme SJlnlafs, bie unbedingte 2lner!ennung ber maiorum credulitas als baS SRertmal
aboftolifcfyer Autorität gu faffen, nicfyt umgelegt burd) eine aboftolifcfye (alias bäbft=
15 Itdje) Autorität entfc^eiben gu laffen, ibaS ber alte ©laube fei.
93or aßem aber: 93. fyat fein 93ucb, nicfyt aus bem afabemifcfyen ^ntereffe an ber $eft=
fteßung eines latfyolifcfyen ©laubenStanonS getrieben, es Hegt bei ib,m aud) nicfyt blofj ein
9tad)r/aß bor aus ben kämpfen ber legten geit, über bie er ausführlicher berietet, td) meine
bie toelagianifa)e unb bie neftorianifdje Äontroberfe. ©iefe geinbe maren niebergefcfylagen ;
20 bie aufgeregte ©orge, bon ber baS 9Berf beS SerinenferS erfüßt ift, gilt einem femeSroegS
bernicfyteten, btelmefyr einem fiegb/aft borbrängenben geinbe. 9ftemanb begmeifelt fyeut, baf$
baS ber 2luguftiniSmuS mar, bie ^^eorie bon ber 93orf)erbeftimmung ber StuSerroäfylten gum
$eil unter SluSfcfyliefjung jebeS eigenen 93erbienfteS. 3mar wirb 2lugufiinuS nie mit
tarnen genannt, ^klagiuS — unb QuIianuS bon ©clanum — mit Stbfdjeu bermorfen. 2lber
25 ber S£abel, ber ben ^BelagiuS trifft, mie bie an 5Robatian unb ^BriScißian geübte ®ritif
XXIV (34) finb fo gehalten, mie fie lein 3üngrc 2tuguftinS auSfbredjen fonnie, um fo
beffer jeber ©cmibelagianer. SDie ©efliffenilicbjeit, mit ber gerabe bei ben glängenbften
©eiftern, einem SEertußian, einem DrigeneS bie ©röfje ber ©efatjr, bafe ber Teufel fie
berfüfyre, uns borgeb/atten mirb, felbft ber §inmeiS auf ßtybrtanS Qrrtum betreffs Sle£er=
30 taufe, finb borgüglid) angebracht im ^arnbf gegen einen fo ©rofeen mie Sluguftin: bon
Stnfbielungen auf ifm unb feine ^ampfmeife ift baS gange 33u<f) buvdB^ogen. ®ie »erftec! te
2Irt ber Slbtoetjr bei SB. ift leicfyt gu erflären. Sem in ber gangen ^ircfye ^oc^angefe^enen
3J{eifter bon Hippo regius moßte 93. nicfyt nacb, feinem SCobe bie @b,re rauben, fcb,on
barum nennt er niemals feinen tarnen; unb nacfybem ^3a))ft ßöleftin in bem SBrief an
35 bie gaßifdjien 93ifd)öfe (epist. 21) lebhaft auf bie ©eite SluguftinS getreten mar unb fieb,
Angriffe auf biefen berbeten blatte, burfte ein SRöncb, in Serinum feine Sffiaffen nicfjt un=
mittelbar gegen ben©c§ü|Iing beS aJ3oftoüfcb,en ©tubls menben. @r benutze, maS auS ßöleftinS
SBrief für ifm benu^bar mar, baS Programm: desinat incessere novitas vetustatem.
@r ab,nte in ©ijtuS III., bem neuen $apft, einen anberen ©eift als ben beS SBorgängerS,
40 unb fcb,h)ieg flug »on ben (Srfolgen, bie bie novitas bei bem borigen römifcb, en SBifcfyof bereits
errungen blatte. 2lber er mar fieb, ber ©efa^r bemüht; barum rief er bie gange 6b, riften=
b,eit auf, fieb^ gu befinnen, eb/e eS gu tyät fei, unb gab t^r ben $anon in bie §anb, ber
aßerbingS für bie auguftinifc^e Neuerung b,öd;ft unbequem mar: auf melcfye alten SBäter
Jonnten fic§ benn bie ^3räbeftinatianer berufen?
45 3TIfo als Hilfsmittel in bem ^bm unter ben gaßifcfjen 2;b,eologen entbrannten $ampf
um SffiißenSfrei^eit ober ©nabe b,at 93. feinen Äanon ausgebaut, fein S3uct; ausgearbeitet;
unb eS ift lein 3rae'fel ^aB er 3U DCr 3Re^r^eit gehörte, bie im ©egenfa^ gegen ben
^riefter ^ßrof^er, ben ftrengen 3luguftinianer, bie llnentbebjlicfyfeit beS menfc^Ucb,en SBißenS
gleidjmie ber ©nabe ©otteS behaupteten. 9?un finb uns in einem Üeinen 2tuffa| bon
ao^rofper (MSL 45, 1843—50 unb 51, 177—182): pro Augustini doctrina respon-
siones ad capitula objeetionum Vincentianarum 16 ©ä^e erhalten, bie lauter 3tn=
Hagen gegen bie ^räbeftinatianer enthalten, unb gtoar fo gefaxt, mie mir fie bon femi=
belagianifcb^en 93eftreitern erroarten bürfen. 3. 93. 2.: ,,©ott moße nidE>t aße erretten,
felbft menn aße errettet merben iooßten" ; 8. : ,,©ott moße ntrr)t, bafj aße ^atb, olifdjen im
55 fatf>oIifcb,en ©lauben oerb^arrten, btetmeb^r tooße er, ba^ ein großer ^eil bon if)nen ah-
trünnig mürbe"; 15.: „2lße jene ©laubigen unb ^eiligen, bie gum emigen SEob ^räbeftiniert
finb, mürben bon ©ott, nacfybem fie gefaßen finb, fo geleitet, bafj fie burdb, 93ufee befreit
merben meber lönnen noa) tooßen". ®aS finb SlnKagen, bie Sluguftin Unrecht tb>n, bie
aber gegen feine ©dmler immer mieber erhoben morben finb unb bie im ©runbe, menn
60 aucb, mit grober ^onfequengmactyerei, baS entfyüßen, maS nac^) bem ©mbfinben jebeS WvfyU
öincenttuS bon ßtrtttum &incettttu8 Don $jmI 675
2tuguftiner3 in 2luguftin§ SBeltanfdjauung Verborgen lag. ®a ^3rofber biefe ^befen
aU bon 33. aufgehellte beftritten bat, fo roerben mir faum nad) einem anbern 33. als
unferem Serinenfer fud)en; roo unb roie er bie objeetiones publiziert b/at, bleibt aller=
bingS unbefannt. §.®ocb, (£U 1907, ©.44—47) gebührt ba§ 23erbtenft, bie 23ermanbt=
fdjaft jmifeben ben „23ormürfen" unb bem ,,9Jierfbud)" in ber ©ad)e unb befonberS aud; 6
in ber ©i>rad)e aufgegeigt gu fyaben; ben (Smroanb (^ablaS, baß 93. fid; boo) unmöglich
mit fold) ferneren 23ormürfen bloßgefteltt fyaben mürbe, wenn er febon bei bem jurüd'=
fyaltenben commonitorium ftd) hinter einem ^feubontym ju berfteden für gut b, ielt, entfräftet
koö) babureb, baß er bie objeetiones bor bie Stbfaffung be§ comm. rücft. 2Iud)
fie möge 23. niebt gerabe für bie Dffentlicr)feit beftimmt fyaben, aber ein ©jemblar babon io
fei in 5J3rofber3 §änbe gelangt, unb fo, baß er über ben 93erfaffer ntdt>t jmeifelfyaft fein
fonnte. @r miberlegte flugS bie ©inmänbe unb unterste feine Refutation burd) ba§
bäbftlidje 2tner!ennung§fa)reiben für Stuguftin, bon bem fdrnn mefyrfad) bie 9tebe mar.
©egen biefe beiben tunbgebungen fyätte — nun borfid)tiger ! — 23. im comm. remon=
ftriert unb mit befonberem ©efdjid bie 2tutorität beä $rofber=freunblicr;en ^abfieS biel= 15
mel)r auf feine ©eite gebogen.
£ier bleiben bie ©injetbeiten 23ermutung, mie ja aueb, Roty ©. 56 ff. ntd^t magt, ba<S
3Ser^ältntö ber mit ben objeetiones Vincentianae nat)e bermanbten Capitula calum-
niantiumGallorum, auf bie ^roftoer in einer anbern ©cfyrtft gcantmortet fyat (MSL 45,
1835—44 unb 51, 155 ff.) ju 23incenttu3 genau gu beftimmen. @§ bünft ib,m tr>af)r= 20
fd)einlicf), „baß 23incenj aud) bie capitula calumn. Gallorum menn ntct)f berfaßt, fo
boeb mefentlid; infbiriert unb beeinflußt bat" 2)a mir e<§ nun in beiben gälten nicfyt
eigentlich mit litter artfct)en Dbjeften ju itmn b,aben, fonbern mit SEbefen, bie gunäd)ft biel=
leicht nur in ber ^Debatte aulgefbroc^en, bon einem SDritten ju ^3rotofo(I genommen unb bei
ber 2öeiterberbreitung aueb, noeb, beränbert toorben fein fönnen, fo fübrt un£ felbft bie ,gu= 25
ftimmung ju ber 2lnnab,me Äod)§, baß 23. für bie beiben bon ^J3rofber um 431 fo energifd)
jurüdgemiefenen Steigen bon „23ormürfen" im commonitorium aufs SReue gegen ben
2tuguftini3mu€ $u gelbe gog, faum toeiter, als mir e§ buref) bie gefd;icbtlid)e SBürbigung
be3 commonitorium allein fdjon toaren: 23. bon Serinum fmt ju ben entfdjiebenen ©egnern
ber auguftinifeben Neuerung im gallifcben &lerm§ bes> 5. ^ab,rb,unbert§ gebort, ©r mirb 30
fta) bann faum auf ben balb berftedten Sßarnunggruf in feinem SERertbucb befebränft
baben, um bem Umficbgreifen ber in feinen 2Jugen feelenberberblidjen JlEeijerei ju fteuern.
Slber bon antiauguftinifdjen ©treitfebriften, bie er noa) berfaßt baben fönnte, ift nichts
auf un§ gefommen, mar auc§ frfjon jur 3"t "*>& ©ennabiu€ niebts meb,r befannt.
Stttere 23ermutungen, mie bie bon ßaf. Dubin (geft. 1719), baß ber ^ßräbeftinatu§ 35
ein 2Berf unfere§ 23. fei ober bie bon Slntelmi 1693, baß ba3 Symbolum Quicunque
bon ber §anb be§ 23. ftamme, beDürfen b,eut feiner SBiberlegung meb,r; nur bei bbHigem
Überfeben ber f^radbltcben ^Differenzen fonnten fie aufgefteßt merben (f. barüber b. ©ebubert,
®er fog. '-ßräbeftmatug, %U3l)$ IX 4, 1903 ©. 114 unb23urn, The Athanasian Creed
in Texts and Studies ed. Robinfon IV 1, 1896 p. XCIff., too übrigeng bie ßb,araftert= 40
fierung beä 23. al§ eine§ „poet-theologian" menig glücflicb, erfcbetrtt). 2)en ©infaß bon
^3oirel 1895, ba§ über ber ^ßerfon be§ 9Jiariu§ ^Öiercator lagernbe ®unfel burd; feine
©letcbfe^ung mit 23. bon Serinum aufjubelten, bat §. $ocb, in ber Duartalfcf)rift ge=
büb, renb jurücfgemief en ; bier miberfbric^t außer bem ©til aueb, bie ganj berfefnebene
Stellung ju 2Xuguftin. ©tatt folcfjer 23erfünbigungen miber ben ©eift eines ber be= 45
beutenbften SDenfer in ber abenblänbifd;en Slircfye beg 4. 3a^rf;unbertg foßte man fieb,
lieber bie lob^nenbe Stufgabe ftetten, einmal ben Radjmirfungen bon 23.8 ©ebanfen auf
bie fatb,o!ifdb,e Strebe nacfjjugeb.en, bem 23erftänbni§, ba3 er mit feinem ©runbfa| gefunben
b,at, unb ber Dbbofition, bie fia) einftetlen mußte. 2Ba§ bat man bon ib,m behalten unb
ma§ bei feite gefdjoben? 2tn ben ©ctjicffalen ber %i)totk biefe§ Catholicissimus bon Serin" 50
ließe fieb. auä bem ^nnerften fjerauS ein ©tücf bon bem üBefen be8 ^atb,o!ici8mu§ unb
feine SebenSenergie anfcb,autid) jur ©arfteltung bringen. 9lb. ^ültc^er.
ÜMucentiuS bon ^ßaul, geft. 1660. — Slbeth), La vie du venörable serviteur de Dieu,
Vincent de Paul, ^ariö 1664, oft auffleleqt, aucl) in§ ®eutfd)e überfe^t Uon &. 91. ©cfiulg,
SSien 1701 u. ß. 0. ^rentner 1860; Sollet, La vie de St. Vincent de Paul, 1748, beutfd) 55
bearbeitet oon Seopolb ©rof 0. ©tolbevg, fünfter 1818; sKat)narb, St. Vincent de Paul,
sa vie, son temps, ses oeuvres, son influence, 4 vols., ^3ari§ 1860 ss. ; Sougaub, Histoire
de St. V. d. P., 2 vols.. $ariS 1891; tö. be SSroglte, St. V d. P., ."">. 6d. <$aüi 1899;
Lettre^ d<' St. V- d. P., 2 vols., ^ari* 1882; leidet, La minore au temps de la Fronde
iL!'
676 $incentiu§ »Ott ^o«I
et St. V d. P 4. ed. Sßaxi-i 1868; 9?. efiantelaii^e, St. V d. P. et les Gondi, $ari§1882;
§. ©imarb, St. V. d. P. et ses ceuvres ä Marseille, 8i)on 1894; 91. Sott), St. V d. P et
sa mission sociale, $ßari§ 1880.
33incentiuS bon $aul (a ober be ^aulo, rttc^t be faulet) ber ©ttfter ber ©enoffenfd)aft
5 ber $riefter ber 9Jcijfion (yajartftert) unb ber barmherzigen ©cfytoeftem (23incentinerinnen, f. b.
2t. 23b XVIII ©. 82 ff.) tourbe am 24. 2tbril 1576 zu9knqmneS, einem flehten, pr Pfarrei
$oub gehörigen Sßeiler bei SDar, in ber ©aScogne geboren, ©eine ©Item, ^ean be ^3aul
unb Seriranbe, geb. be SJcoraS, waren arme fromme 33auerSleute. -JJcit 12 Jgafyren mürbe
er ben granztSianem in ®aj jur ©rjietmng übergeben, ftubierte bann 1597—1600 in
10 SEouloufe unb mürbe nad) Slblauf biefer ©tubienjeit, bie ilm einmal aueb, ju fürjerem
Aufenthalte nacb, ©aragoffa geführt fyaben foK, zum ^ßrtefter gemeint. Salb trat fein Strieb
ju aufobfembem SiebeSmirfen fyerbor; als er 1605 jur ©mbfangnalmie einer ifjm ju=
gefallenen ßrbfdjaft nad) SRarfeilte gereift toar, fdjenfte er bem ©djulbner, meldet: ifym
biefelbe auszuliefern fyatte, gleut) brei Sßiertel beS 23etrageS, toetl er bemerlte, bafs berfelbe
15 ftcb, in ©elbberlegenfyeit befanb. Sei einer hierauf unternommenen $üftenfal)rt nacb, sJcar=
bonne mürbe er bon ^orfaren gefangen genommen unb nad) SEuniS gebracht, ©r tarn
in bie §änbe eines Renegaten aus 9ii^a, beffen türlifd)e§ Söcib, angezogen bon ber d)rift=
liefen (Ergebenheit beS neuen ©Ilaben, ben SlbfaE bei 9JtanneS bom S^riftentum tabe!nS=
toert fanb. Söirflid) brad)te ber Renegat 23mcenz nad) granfreieb, unb mürbe mieber
20 Gtjrift. Son 2Ibignon, too unter -JRittoirüung bei bäbftlid)en Sijelegaten be SRontorio
bie 23erel)rung unb %aufe biefeS feines bisherigen §errn erfolgt mar, begab SStnceng
ftcb, nad) 9?om, getoann fyier bie ©unft beS ^arbinalS b'Drfat unb mürbe bon biefem
mit einer 5Riffion an $önig ^einrieb, IV (ungetotfj in melier (Bad)i) betraut, ©o fam
er anfangt 1609 nad; $ariS, mürbe fyier nad) berfd)iebenen ©cfyidfalen, u. a. nad)bem
25 er längere 3eit unfdjulbigermeife eines ©elbbiebftafylS in ber ßfmrite (too er freimillige
^ranfenbflege unb ©eelforge übte) berbädjtig gemefen toar, §auSgetftlid; er bei ber Königin
5Rargaretb,e bon 23atoiS unb berfiel gelegentlid) biefer Söirffamleit am Iöniglid;en §of,
bei 23el)anblung eines bon ,3toetfeln gebeinigten Geologen, felbft in länger toäfyrenbe
Slntoanblungen bon religiöfer ©febfiS. @r übertoanb biefelben enblicb, baburd), bafs er
so Sbjtfto gelobte, ib,m fein ganzes Seben jum ®ienfte ber Slrmen ju meinen. SDurcb, feinen
greunb 23eruHe, ber furz jubor feine ©enoffenfd)aft ber peres de l'oratoire de Jesus
geftiftet b/atte (bgl. b. 21. „9ceri" 23b XIII ©. 712 ff.), mürbe Stncenz 1612 Pfarrer ju
(Elidel. ®er (Erfolg feiner "afyätigfeit in @lid)b mar ein betfbtellofer: ,,©aS gute 23olf bon
6lid;^ toar mir fo folgfam, bafj, als id) ib,m embfaj)l, jeben erften ©onntag beS 9JionatS
35 §u ben ©alramenten ju gefien, aud) nicb,t einer babei fehlte". 3m folgenben Qafyre mürbe
er §auSgeiftüd)er unb @rjieb,er ber brei ©öl;ne beS ©rafen ^?l)ilibb ©manuel bon ©onbt),
ber fid), toie feine ©attin granjisla ^argaret^a, geb. be ©iH^i, burd; grömmigfeit nod}
meb,r auszeichnete als bureb, 5Reid)tum. SJincenj erhielt auf ben ©ütern ber gräflichen
gamilie bielfad;en 2lnla^ jur ©eelforge. 2US einft ein 60jäb,riger geachteter SRann il^m
40 feine Seichte ablegte unb babei jabjreicfye berfd^miegene ©ünben, bie ifm bisher gebrüdt
Ratten, jum 23orfdjein famen, ftiftete bie ©räfin 16 000 SibreS ju gweden ber briefter=
liefen ^eife-'Seelforge für ib,re ©üter, anfangs ob,ne bafc ib^re 2lbfid>t bertotr!lid)t toorben
toäre. SJincenj ftrebte auS bem gräflichen |»aufe fort, med bie ©öfyne feiner nic^t meb^r
beburften unb meil ib,m baS gro^e Vertrauen ber ©räfin fo feb,r bebrüdte. 23erulte machte
45 ibn juni Pfarrer in 6l>atilIon4eS=3)ombeS, einem armen, bertoafyrloften ©täbtd)en in
Sreffe, ©rjbtöcefe £t)on (1617). 23alb gelangen ib,m l)ier überrafd)enb 3af)lreid;e 23e=
lefjrungen bon (Salbiniften unb 2Beltmenfd;en, Männern unb Söeibern. @inft als er bie
^anjel befteigen moUte, bat il)n eine grau, eine arme gamilie bem äßob.ImoHen ber ©e=
meinbe ju empfehlen. 211S er nachmittags felbft jene 2lrmen befud;te, fanb er, bap feine
60 3vtb,örer fo biele SebenSmittel ju ber §ütte brauten, bafe er ben guten SBißen in eine
georbnete 23afm ju bringen genötigt toar. @r grünbete fo bie erfte confrerie du charite
ju bleibenber berfönlid;er Unterftüt^ung ber 2lrmen bureb^ grauen, unb bemieS bon born=
herein einen bieHeic^t nie übertroffenen ^aft für bie 2£erfe ber 3"n^«n 3Kiffion, ber er
fein ganzes Seben getoibmet b,at.
55 3nStoHd>«n b,atten ©raf ©oitbr; unb feine ©emab,lin alles aufgeboten, um 23incenj
aus berfönlic|)en ©rünben toieber in tl)r §auS ju §tet)ert. @S gelang ib,nen gegen 2Infang
beS ^ab,reS 1618, nad) fyartem ©eelenlambfe 23incenjS. @r ftiftete nun meb,rer ©a)mefter=
fcb,aften äljmlicb, jenem 23erein bon ßbatiHon, fud)te bie ©efangenen auf, inSbefonbere bie
©aleerenfflaben, bie in einem unfäglicb, elenben ^uf^n^« toaren, grünbete ein §ofbital
60 für fie unb nafmt fieb, iftrer berfönlicl) mit größter 2tufobferung an, fo bafj felbft b|art=
SBtjiccnttuS bon ^Saul H77
nädigc unb Verbitterte ©emüter fid) ber ungetooljmten djriftltcfyen Siebe öffneten. £>er
junge König Souig XIII. ernannte Vtncenj jum aumönier royal des galeres de
France, toobureb berfelbe eine red)tlid; gefieberte ©intoirfung auf äße ©aleeren=©eelforge
erhielt (1619). 2tuf einer Steife fam er burd) 2Jiacon in Vurgunb unb fanb bafelbft
eine auffattenbe 5Qlenge bon Bettlern, bie jugleid) in ben toidjtigften fielen beg ©laubeng 5
untoiffenb toaren. @r blieb ber Vertier toegen eine $eit lang im Drte unb brachte eg
mit Unterftüijung ber geiftlidjen unb bürgerlichen Slutoritäten baf)in, baft fid) eine ©e=
noffenfdiaft beg i)l .Karl Vorromeo gegen ba§ betteln bilbete; balb fab man feinen ber
ungeftümen Vettler mer)r (1623). £)ie ©räfin ©onbfy ftarb 1625, nacb>em enblid) im
borbergebenben %af)xe ein 2tnfang §u ber lange gemünfdjten ■JJlifftonggenoffenfcfyaft gemad)t 10
morben mar. llnterftüijt bom Vruber feineg gräflicben Vatrong, bem Varifer ©rjbifcbof
^ean grangoig be ©onbti (meiner ifym alg erften ©i| ober 2Jcutterb)aug ber neuen S5er=
cinigung bag College des bons enfants gutoieg), fammelte Vinceng im $al)re 1624 bie
erfte, einfttoeilen nur 6—7 9Jlitglieber jäfylenbe ©enoffenfcfyaft bon Vrieftern ber Sttiffion
jur SluSübung bemütiger ©eelforge unter ben 2lrmen unb ©eringen auf bem Sanbe. 3n 15
ber Slugbilbung unb Seitung biefer ©enoffenfdjaft bemäbrte fid) Don ba an bor allem
fein braftifcf^organifaiorifcbeg Talent, jugleid) aber aud) feine tiefe SDemut unb ©elbft=
Verleugnung. Stuf bag ©emütigfte fonnte „er aud) feinen geringften Vrieftern p güfjen
fallen unb fie um Versetzung toegen beg StrgerniffeS bitten, bag er ü)nen gegeben I)abe,
aud) menn nur er biefeg SÜrgemig embfunben tyatte. §ie unb ba fcfyeint er fitfj in jene 20
übertriebene üDemutgagfefe berirrt ju b,aben, toie fie aud) bon mannen anberen ^eiligen
älterer unb neuerer geit geübt tourbe (»gl. Rödler, Krit. ©efebidrte ber2lgfefe, ©.387 ff.).
2Ilg ifm einft ein bornefmter 5Rann auf ber ©trafse befd)imbfte, weil er einen 2lnberen
nid)t ju einer ©teHe embfob,len l)abe, fagte Vincen^ nid)t, bafj im ©egenteil ber 33e-
treffenbe bie ©teile foeben ermatten I)abe, fonbern er !niete alfobalb nieber unb bat um 25
Verjeilmng, alg begehrte er orbentlid) fid) gu berbemütigen. Veleibigungen ftimmten t^n
nur nod; freubiger.
£>ie Anfänge beg Vriefterorbeng toaren gering, nad) jtoei $abren toaren ber 9Jcit=
glieber erft neun. Vinceng 30g gleid) ben anberen aug unb trieb überall fein 2öer!
grunbfäpd; in ©inberftänbnig mit ben Vifdjöfen, benen eine ÜKuftoedung ber »ielen ge= 30
tDbt)nIid)en toten ©eiftlid)en toillfommen mar. Valb fanb man eg nü^lid;, bie jungen
SJlänner, meld)e bie Crbination empfangen foHten, jebnSEage lang juSSincenj unb feinen
©enoffen ju fd;iden ju geiftlicb, en ©jerjitien ; bie grüßte biefer Übungen, roe!d)e bie Siebe
befeelte, blieben nicfyt au§. SDer gange %ag) mar georbnet, jur 3tad)tnd)e bitten fie
7'/, ©tunben, jur Konberfation 2 ©tunben; fie gelten bie fanonifdjen §oren, bei SLifc^e 35
tourbe au3 ber ©d)rift ober au§ einem @rbauung§bud)e borgelefen; täglicb, fanben jtoei
Konferenzen ftatt, bie erfte beleb, renber, bie jtoeite erbaulicher 2trt; bie erfte tourbe nod;
mit einzelnen, nad) ber gä^igfeit gebilbeten ©rubben bon 10—15 burebgearbeitet. ^eber
lag tägltd) eine £>al&e ©tunbe bem füllen ©ebet ob. £)er ©ibfel biefer Vorbereitung mar
bie gemeinfame 2lbenbmab,l§feier. 40
^n Sejug auf bie äußeren 2lngelegenb;eiten ber äJttfftonäbriefterfcfyaft mirlte näd)ft
ber reiben Dotation bon 45000 Sibre§, meldte ber©raf©onb^) fd)on 1625 ib,r gemäbjt
blatte, bie föniglid)e Seftätigung feiten? Soui§' XIII. bom ^ab,re 1627, fotoie roeiterbin
bie »äbftlicb^e ©enefymigung Urbang VIII. 1631 in rotd)tiger SBeife förbernb ein. ^m
lederen ^abre gelangte bie ©enoffenfe^aft in ben 33eft| beö bon ben Kanonifern bon 45
©t. Victor ibnen überlaffenen §aufe§ ©t. Sa^are in VariS, ba§ fortan ju ib^rem ßentral=
fi^ mürbe. %lafy ibm |)ei^en bie 3)iiffion§briefter aufy t»obI „Sajariften" — eine mifc
berftänblicbe 33ejeid;nung€meife, bei melier bie ©efabr einer Sßermecb§Iung mit anberen
©enoffenfdiaften beweiben tarnen? (u. a. jener fcfyon mittelaltrigen Kongregation, über
melcbe gef)r, 2tHg. ©efd}. ber Sflöncb, Sorben I, 421 l)anbelt; be§gl. mit ben ü)ied;itartften w
be§©t.Sa^aro=KIofter§ inVenebig, f. b. 21. „Sftecbüar" XII ©.477 ff.) nabe liegt. — 2ln=
fängltct) maren bie Vriefter ber urfbrünglic^en ©tiftung nadj il)rer Veftimmung meift ju
ben Sanbleuten gefdjidt morben. 2tber Vincenj bergafe aueb, bie ©täbte nid;t. ©inige
feiner Vriefter mußten bie ©olbaten befugen, anbere bie Slinben, bie 3lrmen in ^ad)-
ftuben unb Kellern, bie Arbeiter an großen bauten, bie großen §ofbitäler. grauen, mie 55
bie le ©rag unb anbere big in bie fyöcbften Kreife binauf, unterftü^ten ibn fräftig bei
meiblicl)en ©efangenen, bei ©efallenen, Sßabnfinnigen u. f. W. ©ine munberbare Um=
manblung erfolgte in ber bamalg bon fd)led;tem ©efinbel bemobnten Varifer Vorftabt
©t. ©ermain burd) bie einfache Vrebigt bom Kreu?. 2lucb für Saien tourbe baö §aug
ber ^priefter eine too(;ltbätige Verberge, bie ibnen umfonft Pflege gab. 2öenn biele biefe uo
678 SStncenttuS uon tyanl 23incenttu£ tum Soragoffa
©üte mißbrauchten, fo machte bas" ben b,eiligen ÜDcann mct)t irre, ©egen 800 SERerifc^en
festen im 3;ar)re bort ein. Stucb, ein ©eminar für ben 3Riffions*orben grünbete er, nad)
ben ©runbfä^en ber Qefuitenanftalten äljnlidjer Vefiimmung (1635). — 311« befonbers"
tüchtige, mit 9kd)t betounberte Seiftungen ber Vriefter roäfjrenb ber näcbjten %ab,Tt nad)
5 ifyrer ©rünbung finb bie für bie ©eelforge am §eer unb am königlichen £>of!ager b,erbor=
Zugeben. SDer Krieg an ben beutfcfyen ©renken fyatte befonbers" in Sotfyrtngen fdjredltdje
IJlot im ©efolge. Sie Vriefter barbten ftd^> am SJcunbe ab, um bie (Sienben unterftü|en
ju tonnen, foßeltierten bei ben Vornehmen unb gingen auf bie ©d)aublä|e ber Krieg§=
greuel. 2öäb,renb 10$ab,ren t/at Vincenj mel>r als" 400 000 ^Ir. nact; Sotfyringen gefanbt
10 unb ber Saienbruber Sftattfyäus, ber biefe ©ummen überbrachte, ift in jenen unseren
Reiten nie beraubt roorben.
©s" ift ju unferem groede rtid^t nötig, äße bie einzelnen .ßtüeige aufzuzählen, in bie
ftcb, bes" SStncenj unermüblicfye Sfyätigfeit teilte, wie er bie fürten in ber römifd^en Sam=
i»agna befugen liefj, bie einzelnen ^ßrobinzen in granlreid), ^unig, Sllgier, ^rlanb, ©enua,
15 SRabagaslar, Volen, Korftfa, Viemont u. f. tu. Slucb, feine SBirffamfett als" geiftlidjer
©taatörat, in ber er neben feinen religiös"=fittlid)en ©tgenfcfyaften nod) eine überrafcfyenbe
üJtmfdjenienntmg bemie§, fann fyter nidjt näb,er gefdjilbert roerben. Vefonbere ©rtoäfmung
berbienen nod) bie im JJafyre 1633 bon ibm ins Seben gerufenen SDienStagstonferenzen ber
Varifer fatr)oItfcr)en ©eiftlid)en, aus" melden ja^lreicb.e fyöfyere fircfylidie SBürbenträger (über
20 23 Vifcfyöfe unb ©rzbifdjjöfe) nad) unb nad) fyerborgmgen; bie im folgenben %at}xt ge=
grünbete ©d)roefterfd)aft ber SRatronen jur Pflege ber Uranien im Varifer ©otteS=<§ofbitaI
(Hotel Dieu); ferner bie 1657 erfolgte ©rünbung eines" ©bitals" im gröfjten SSftafjftab
für bie Settelarmen ber §aubiftabt, rooraus" bie ©albetriere fyerborging. — Über bie
einflußreiche unb berüt/mtefte aller bon ib,m geftifteten ©enoffenfcfyaften, ben Drben ber
25 barmherzigen ©djroeftern (1625), f. ben bef. 21. 33b XVIII ©. 82 ff.
2>n aüm biefen arbeiten tburbe V. immer reifer unb milber in ber ^ftacfyfolge Sfyrifti.
Rien ne me plait qu'en Jesus Christ, fagte er. ©s" ift ju berrounbem, tüte fein
fdjtbä'djlicfyer Körber fo lange ben bielen Slnftrengungen getüacbjen blieb, 2)urd) eine be=
f4>rt»erltd^e üffiinterreife, bie er in feinem 74. ^afyxe machte, mürbe feine ©efunbf)eit
30 erfcfyüttert, fo bafj bie nun folgenben 11 $ar)re faft ein beftänbiges" ©iedjtum maren. (Sr
Ilagte nicfyt, fonbern lenfie bas" ©efbräd) fofort bon ftd) felbft ab ju anberen ©egen=
ftänben. $Da§ gefetjdicfye Vrebierlefen berjäumte er leinen %aa,, fo lange er lebte; er ftarb
am 27. ©ebtember 1660. ®ie Veatififation erfolgte burd) Venebift XIII. im ^aljre 1723,
bie §eiligfbred)ung 1737. %n feinem Äanonifationsbrojefi !onnte ber ®o!tor ber ©or=
35 bonne bor allem aud) auf bie großen Verbienfte 33.§ um bie 93elämbfung beö 3anfen^=
mu§ t;intDeifen. @r fyatte fein möglicb.fteg getb^an, um burd) ^Denunziationen in SRom bie
Verurteilung biefer 33et»egung burd)zufe|en, in ber er einen ber gefäfyrlitfjften Irrtümer
fat), bie je bie Kircfye in 23erh)irrung gebracht Ratten. „Comme Dieu a suscite Saint
Ignace et sa compagnie contre Luther et Calvin, il a suscite Vincent et sa
40 congregation contre le jansenisme" ÜDurdj 33rebe bom 12. SRai 1885 berlieb,
£eo XIII. bem ^eiligen ben %\Ul eine« ^atronö aller in ber tatfyolifcfyen 3BcIt befteb^enben,
mit il)tn in irgenb einer 2ßeife jufammenljängenben ©efeEfcf)aften ber djriftlid^en Siebe.
göcHer t (®- Sadjenntann).
33tttcentm§ bon ©oragoffa, § eiliger, geft. toafyrfd&etnltcr) 304. — Sgl. Stöemont,
45M^rnoires etc., 5, Sen 1732, 215-231 unb 673-677; $. 58. @aiu§, Sirctiengefct). Spaniens
1, 3?egen«b. 1862, 376-382; 3. (£. ©tablev unb S. 31. ©inal, SSoflft. ©eiltgenieiiton 5,
?(ug8b. (1882), 705—708; £1. SRolitor, 9lrt. SS. in SS. 12, 1901, 999—1001; §. Skclercq,
L'Espagne chretienne, Par. 1906, 82—85.
©ie Segenbe erjät)h, ba| ber aus" einer borneb,men gamilie ju Döca (§ue§ca) in
so Siragonien gebürtige 23incentiu3, SDialon (bab,er Sebite genannt) be§ 33ifcb,ofg 35aleriu§
bon ©aragoffa, nad) Slugbrud} ber fbanijc^en ß^riftenberfolgung unter ©iofletian, roab,r=
fdjjeinlicf; 303/304, mit feinem 93tfd}of nacb, Valencia berbrac^t tburbe, um fid) bort bor
bem Vräfe§ SDatianus" roegen feinet ©laubeng ju berantroorten. 33aleriu§, ben ein ©brad)=
feb/Ier bef)inberte, überlief feinem SDialon bie Verteibigung bor ©erid;t, unb biefer rebete mit
55 folcb,er Unerfdtrocien^eit unb Überzeugungitreue, ba% er ben 5Ritt)ter in fyödjfte 2But ber=
fe^te. SSäfyrenb man ficb, bei 35aleriu§ mit Verbannung begnügte, würbe V. ben fcfyärfften
5ftartem au§gefe|t: gräfelid)en ^errungen unb Verbreitungen ber ©lieber, getfleifcfmngen
mit fbit(en @ifenmerfgeugen, Verbrennungen mit glüb,enben 3DtetalIftüd'en u. f. to. ß11^^*
toarb V. auf einem glü^enben ©ifenroft gelegt unb feine Söunben mit ©al^ eingerieben.
2*tttcentiu§ tum ©aragoffa 679
2llö aud) biefe Dualen ben ©tanbfyaften rticfyt beugten, liefe SDatian tfm in ein bunfleS
Socb, merfen, entzog ifym bie 9?al)rung unb gab iljm fantige ©leine unb fptije ©gerben
als Sager. ®a erfcfyeinen ifym @ngel: fie bieten ifym f)immlifdj>e ©rquidungen, bermanbeln
fein ©d^merjenSlager in ein meines, buftigeS 33ett, ^u 23Iumen merben bie ©gerben.
Unb nun beginnt 33. ber burcfy bie $unbe bon bem SBunber angelodten 2Jcenge ju pre= 5
bigen. SDatian erflärt fid) für befiegt unb befiehlt ben, ju bem bie ©ottfyeit fid) in fo
auffaEenber 2öeife befannt fyat, auS bem ©efängniS $u tragen unb meid) gu betten. 2113
bann aber SS. ftirbt, entbrennt feine 2öut auf! neue. @r befiehlt, ben Seid^nam beS fieg=
reiben ©egnerS ben milben gieren borjuroerfen, aber ©ngel, ja 9foben befd)üt$en ibn
unb berjagen bie SBölfe unb ©eier. 9cun mirb bie Seirfje ins StReer gefenft in einem in
mit ferneren ©teinen gefüllten Bad, aber fie taucht mieber auf, unb bie 2BeHen- tragen
fie an ein ftdjereS ©eftabe, mo ©laubige fie eI)renboE beftatten unb fpäter burd) ©rrid)=
tung Don 2lltar unb Kapelle bie 33erel)rung ber Reliquien einleiten.
©iefe romanhafte ©efcbjcfyte finbet fid) in ber Passio S. Vincentii, bie am boII=
ftänbigften in ben AS, $an. n/ 394—397 (banacb. bei ÜRuinart, Acta mart. sine, is
Ratisb. 1859, 400—406; 33arianten ber £anbfd)rift [Cod. Brux. 9119] in Anal.
Boll. 2, 1883, 243 Slnm. 2) gebrueft ift, ettoaS berfürjt (auS Cod. Vatic. 1196 unb
5696) in Anal. Boll. 1, 1882, 263—270 (bafelbft 260—262 eine Passio brevior auS
einer nid)t ncrt)er bezeichneten 9Jlailänber §anbfd)rift). @tne anbere SRegenfton beS 3Jtar=
ttyriumS lieft man in einem bormetapfyrafiifdjen (f. 21. @l?rl)arb, gfeftfdjrift j. taufenbj. 20
2jubil. beS beutfdjen Campo Santo in $Rom, greib. 1897, 65), Ser.t MSG 114, 735
bi§ 756 (gried;. unb lat., biefeS nad) ©uriuS, Vitae Sanct. 1, Col. Agr. 1576, 523— 529J;
1617,358—361). 9ciemanb mirb bie 2luSfd}müdungen als ältefte Überlieferung in 2lnfprud;
nehmen motten, aber bafe bie ©efd)id)te fd)on im 4. ^a^unbert in aßem mefentlicfyen
fo erjäfylt mürbe mie in ber Passio, bemeifen bie §inmeife gerabe auf bie munberbarften 25
3üge ber Segenbe, 3. 33. bie 33emafyrung beS SeictynamS in ben gluten beS 9JceereS, bei
Stugufttn, ber bier gefiprebigten (Sermm. 274—277, MSL 38, 1252—68) ju @b,ren
beS s3Ttartt>rer§ gehalten unb babei an eine SSerlefung ber 2llten (Serm. 275, p. 1254)
angefnüpft b,at. ©anj ber Passio entfprecfyenb fyat aud) ^rubentiuS im 5. £>t)tnnuS
feines ^eriftepfyanonS (£>reffel 350—371; MSL 60, 378—411; aueb, bei Suinarta. a.D., 30
406—411), bie Seiben beS 33. berljerrltdit. 2tucb, ^aulinuS bon 9cola gebenlt beS SS.
(Carm. 19 v. 153, £artel 2, 123).
SDie SSere^rung beS ^eiligen blieb nid>t auf ©toanien unb 2lfrifa befcf)rän!t. %xüfy
jeitig begegnen mir ifyren ©puren im granfenreid). ©regor bon 2ourS (Hist. Franc.
3, 29 MG Scr. Rer. Mer. 1, 2, 133) erjagt, bie granleniönige 6b,ilbebert unb 6l)Iotar 35
feien bei ber Belagerung ©aragoffaS burcl>- ben 2lnblicf ber 'Sunila beS ^eiligen, bie
man auf ben 3Rauem herumtrug, berfd^eud^t toorben, unb ber anonyme SSerfaffer beS
Liber Historiae Francorum cp. 26 (fog. Gesta Francorum MG 1. c. 2, 283 f.),
ber aEerbingS erft um 727 fd)reibt, meif;, bafe bie dürften fid) bom S3ifd)of ber ©tabt
baS ©etoanb (er fd)reibt ©tola) §aben fd)en!en laffen. ^ebenfaßg mürbe biefe Reliquie 40
in ber bon ßbjlbebert geftifteten (fo fd)on Greg. Tur. 1. c. 4, 20) SSincen^firc^e in
^ariS bereit. @S ift biefelbe ^ird)e, bie fbäter mit ib^rem ^tofter nad) bem b,I. ©er=
manuS (f. baS ?Jäb,ere in biefem 21. 33b VI ©. 607) genannt mürbe: ©aint ©ermain
be§ $reS. ®en 2eid)nam bei 93. ju befi^en, rühmte fid) feit 864 baS Softer ßaftreS
in 2lquitanien (bgl. 2limoin, Transl. S. Vinc. bei 3JJabiHon, Acta SS. Ord. S. Bened. 45
IV, 1, 606 ff.; AS 400-405; 5Regefte bei (Sbert, 2ltlg. ©efd). b. Sitt. b. 3R3I. im
2lbenbl. 2, Seipj. 1880, 353 f.): ber SDZönd) 2lubalb au§ ßonüttaS b,atte ifyn nad^ neun=
jährigen Bemühungen unter mand)en ^äb.rlidjfeiten bon S3alencia bortfyin ju bringen
beifügt. ®ie 9JJönd;e Dbilarb unb llfuarb, bie 858 aussogen, um ben Seidinam für baS
Älofter ©t. ©ermain ju erobern, lamen ju fbät unb mußten fid) mit ben Seibern ber 60
5)cärt^rer ©eorgiuS unb 2lureliuS aus ßorboba begnügen (f. 2limoin, Transl. SS.
Georgii et Aurelii, 3Jcabitlon 1. c. IV, 2, 45 ff., abgebr. bei glorej, Esp. Sagr. 10,
3Jfabr. 1753, App. VI, 511—523, @bert 355 f.; 3B. 33aubiffin, ©ulogiuS unb 2tlbar,
Seipj. 1872, 147—152). 2lbmeid()enb bon ber caftrenfiftt)en Überlieferung berietet ©te=
pb^anuS, ?ßräcentor bon Siffabon, bafj ber Seib beS 33. im 3ab,re 1175 bon SSalencia 65
nacb, Siffabon berbracbj morben fei (bgl. bie Miracula in AS 408 — 113; bie Trans-
latio mä) einer §anbfcb.rift in SDouab. Anal. Boll. 1, 1882, 270—278). ®afj beri'eid^=
nam im ^jafyre 1145 noeb! in Valencia bereit mürbe, ergiebt fiel) auS ber Epistola
Hermanni Abbatis S. Martini Tornacensis de corpore S. Vincenti diaconi (in
Anal. Boll. 2, 1883, 243-216). £>aS fcbjiefet natürlid) ntdbt auS, bafe Teile feiner eo
680 2Stncettrtn§ öon ©arngoffa Sßiuct
Reliquien aud) an anberen Crten bereit mürben : ba£ £aupt in £e SJtanS, ein 2trm in
äSitri^le^Hmgoiig, ein anberer in 33ari in Simulien u. f. to. (AS 399f. ; »gl. 413 f.).
Söafüifen be§ bl. 3>. nennt fd)on SBenanttuS gortunatuS (Carm. 1, 8. 9 ed. 2eo p. 11 f.).
Qn granfreid) tourben bie ^att)ebralen bon Sf>älon§=fur=©a6ne, Sftacon, 33ibier§ unb
5 ©t. 2Mo nad) ir)m genannt. 9tom b/atte efyebem fünf, je£t nod) brei $ird)en feinet
9camens>. ®as Hab ©t. 33incent ift nad) il)m benannt. 33ereb)rt toitb er befonberS
al§ ^atron geraubter ©egenftänbe, ebenfo in ©efal)ren auf bem 9)?eer; bie 3Binjer
nehmen ©onnenfd)ein an feinem gefttag, bem 22. Januar, als gute 3Sorbebeutung. ©ein
Attribut ift ber SRoft mit SJagelfpitjen (bie beim bl. SaurentiuS fehlen), jutoeilen aud) ber
10 ben £eid)nam fctjüijenbe 9tabe (biefe Zotigen nad) ©tabler 708). ®. Srüger.
bittet, 2llej;anber Rubolf, geft. 1847 — Sitte rat ur über SJinet: ($.9iam=
Bert, AI. Vinet. Histoire de sa vie et de ses ouvrages, 2 vol. 3. edit., Saufanne 1876;
(Sbm. ©euerer, AI. Vinet. Notice sur sa vie et ses ecrits, $ari§ 1853 ; ßf)- 91. ©ainte=3Seuüe,
Port Royal, 8. 6dit., $art§ 1867 (9(nt)ang: l'Academie de Lausanne en 1837); Sbtn. be
15 s$refienf6, AI. Vinet d'apres sa correspondance in^dite avec Henri Lutteroth, $ariS 1891;
Etudes contemporaines, SßariS 1880; Souvestre, Magasin pittoresque 1847; %xet. ßf)a=
uanneS, A. Vinet, notice et memoires, 1847; (Samte=3Benüe, Revue des deux mondes 1837 ;
Derniers portraits litteraires unb Portraits contemporains, 9Bb 2; greb. be 9rougemont, Les
individualistes et r'essai de M. le prof. Vinet etc., 1844; ßbm. be Sßreffenfe, Revue chre-
20 tienne, 1858, ©. 76; berf., Revue nationale 1861, 10e livraison. Chretien evangelique:
Quelques episodes de la vie de Vinet etc., in ben lyabvgängen 1858 — 1861; 9tftie, Esprit
dAlexandre Vinet, 1861, 2 S3be; berf., Lex deux theologies nouvelles dans le sein du pro-
testantisme francais, ^ßariS 1862, ©. 253 ff; ßl)atianneS, Le Lien 1862, 9fr. 9 unb 12;
ßt)arle§ ©ecretan, Revue chretienne, 1861, ©. 783 ff. ; berf., Chretien övangöliquc, 1862,
25 ©. 222 ff.; (£b. ©d)erer, Le temps, 1862, 9h\ 327; $. (gdjmtb, <proteftant. SKonatSblatter
1853, ©. 286 ff.; ©tüljl, Strc&enßerfaffung nad) Sefjre unb 3ied)t ber $roteftanten, 1840,
©.279 ff.; uon ber ©olfc, ^rateftant. 9JJunatsbIätter, 33b 16, ©. 400 ff.: 3. SSibmer, A. Vinet
envisage comme Apologiste, Saufanne 18i5; 9Kar. ifieiebart, 9U. S3inet. 9feue 6t)riftoterpe,
1882; berf., ßbriftltdie SebenSbilber, ©üterSlot) 1889; ftreb. ßbauanneS, A. Vinet considere
30 comme apologiste et moraliste chretien, 1883 ; Krämer, Alex. Vinet als christelijk moralist
en apologeet geteekend en gewaardeerd, 1883, in§ f^ran^öfifetje überjetu uon ©ecrelan, Sau=
fanne 1884 (biefe roie bie »ortge eine §aager $reisfd)rift) ; 3- ßai:t, Chretien evangeL, 1884,
2. 228 ff. ; berf., Histoire du mouvement rel. et ecclesiastique dans le canton de Vaud etc.,
Saufanne 1870—80; S.9ftotine3, Etüde sur AI. Vinet, critique litteraire, $ariS 1890; S3.$8ifd)er,
35 911. SlStnet al§ prafttfdjer Stjeolog in „£alte, roa§ S)u Saft" 1898, Safrrgg. XXI, ©.261 ff. u. 322 ff. ;
3-=S3. %ioX), L'individu et la societe d'apres les prineipaux ouvrages d'Al. Vinet, Sauf. 1893,
@. 91. SSribel, Album Vinet, Collection iconographique relative ä AI. Vinet, Sauf. 1902;
91. ©ebumann, ®a§ «ßrinsip ber Snbinibualität bei 9(1. SSinet (S^©tS 1902, 1); berf., 9lu§=
getnäblte ^Jrebigten k. mit einleitenber SDconograpbte, 55b 12 b. ^reb. b. ftirdje, Seipj. 1890; berf.,
40 911. SSinet, fein Seben, feine ©ebanfenmelt, feine Skbeutung, Seipj. 1907. Sßgl. aud) Chretien
evangel. table des matieres des premieres annees, Saufanne 1885. gerner ebenba 1897 Sßr. 6:
ä la memoire d'Al. Vinet, mit Beiträgen üon ©djröber, Sßorret, ?ßt). Sßrtbel u. (Jug. ©ecretan;
s$£)il. SSribet, L'apologetique de Vinet (Cercle des etudiants protest. de Paris) 1899; Revue
chretienne 1900: Vinet douteur (28. SJconob), Vinet theologien (©. grommel). ®aju bie
45 9lntl)ologten: Comme un phare, 9?eud)ätet 1897; 91. SSautter, Morceaux choisis (mit @in=
leitung), Sauf. 1897; 911. SSinet, ©ebanfen unb S3etrad)tungen, beuorm. üon 9(. 9tüegg, §eil=
bronn 1897; Saura Saue, The Life and Writings of AI. Vinet, 1890.
@ine ber Sebeutung ©d^Ieiermac^erö bergleid)bare ©teHung nimmt 3Sinet im fran=
5öfifd)en $roteftantümu§ ein: er ift nid)t fotoot)! ein Reformator, al§ bielmeb^r ein
so „initiateur religieux", eine religiöfe ®raft bon fauerteigartiger äßirlfamleit, bie in ber
©egentoart faft meb^r aU je fid) fpürbar mad}t. ©eine anbertoeitige 33ebeutung auf ben
©ebteten ber Iitterarifd)en ^ritif, ber franjöfifdjen £itteraturgefd)id)te unb jum SLeil aud)
ber ^3f)i(ofobI)ie, fann f)ier nur infofern in 33etrad)t fallen, al3 aud) t)ier ber originelle
Xljeologe fid) nid)t berleugnet.
55 2tn feinem äußeren SebenSgange ift biel(eid)t bieg bag 2tuffattenbfte, ba^ ber grofje
SOtonn jeitlebeng in befd)eibener ©teHung berblieb, toäfjrenb aKerbingS feine innere @nt=
toicEelung be§ Semerlen^toerten genug enthält, ©eboren am ©enfer ©ee gu Cud)t) bei
Saufanne ben 17 ^uni 1797 toud)§ ber tnabe unter ber ftrengen 3ud)t feineä SSaterö
auf. tiefer, au§ einer franjöfifd)en ^ugenottenfamilie ftammenb, bie feit jtoei ©enera=
60 tionen im SBaabtlanbe fid) eingebürgert, blatte fid) bom SDorffd)uIIeb^rer jur ©teile eineö
erften ©efretärS im toaabtlänbifd)en SDebartement be§ ^nnern emporgearbeitet, inbem er
fid) überaß al§ einen tüd)tigen getoiffenb/aften 3Uiann bom alten ©ebrot unb Hörn crtoie§.
Sind 681
Seine (Strenge im £aufc mürbe gemilbert burd) bie .perjenSgüte bei* sJJiutter. Über 23.S
Begabung fcljcint fid) ber 33ater anfangs getäufd)t ju fyaben, benn er ermartetc biel mel)r
bon feinem jüngeren ©obn £>enri, ber inbeffen früt)e fiarb. SDod) er falt) mit ben ^jafyren
feinen Irrtum ein unb mürbe immer mefyr ber freunbfdjaftlicfye Berater beS aufftrebenben
Slleranber. 3Me Saufanner 23ilbungSanftaIten : ©fyinnafium unb Slfabemie, ftanben ba= 5
mals moI)l beträcbtlicf) b'nter ben beutfdjen jurüd. 3GBoE)I gab eS SERänner unter ben 33ro=
fefforen ber ^beologie, bie mel)r burefy ib,re grömmigleit als burd; if/re 2Btffenfd)aftIid)fett
einen mobjtbätigen ©influft auf ifyre ©tubenien ausübten; aber einen fo reiben ©eift,
wie 33. war, fonnten fie nid)t nad)t)alttg befruchten, tiefer mar bon feinem 3Sater ^um
©tubium ber Geologie beftimmt morben, jeic^nete fid) aber t>ielmer)r burd) feine 33orüebe 10
für bie fcfjöne Sitteratur, ferner burd) feine Seiftungen in Werfen, Sieben unb Sfufjätjen
bor allen feinen Kommilitonen aus. (Sin •patviottfe^eg Steb beS 17jäf)rigen: Lereveildes
Vaudois mürbe unb blieb lange bobulär. Qmmerlnn M er mit anbern eine ©efetlfd)aft
jurn ©tubium ber 1)1. ©d)rift nad) bem ©runbtejt ins Seben gerufen.
©eit bem Jyafyre 1817 finben mir 35. in 33afel, an beffen ©bmnaftum unb 33äba= 15
gogium er auf ©mbfeblung feiner ^ßrofefforen als Sebrer für franjöfifc^e <Spract)e unb
Sitteratur berufen morben mar. 33iel SXrbeit, toenig 2lner!ennung unb bem entfbred)enbe
©emütSftimmung: baS mar ber fdjmere Slnfang beS jugenblid)en ^äbagogen. Stber im
Saufe ber ^afjre mürbe it/m 33afel burd) bie begeifterte Sjerefyrung feiner ©cbüler, treue
$reunbe unb mad)fenbe £)Dd)fd)ät*.ung fettend ber Kollegen fo lieb, baf? erS faum mieber 20
berlaffen lonnte. 1819 reifte er nad) Saufanne, um fein tbeoIogifcfyeS (gramen ju abfol=
bieren unb bie Drbination ju empfangen, unb gleid; barauf begrünbete er mit einer Kou=
fine, ©otob/ie be la 9?ottaj, feinen £>auSftanb. Sie erft 1882 berftorbene SDame fyat bie
SebenSarbeit iljreS ©atten burd) iljre lebenbige 2tnteünabme unb ib,r feinet 33erftänbniS
mie burd) t^re liebenbe gürforge mefentltd) geförbert. 2In Kreuj unb SBefye fehlte eS ber 20
fonft fo glüdlid)en @be ntdjt. ®er 23ater beriefe fiel) fdjon im %afyce 1820 burd) einen
©tof? in ben Unterleib berart, baft er an ben folgen biefeS Unfalles fein Seben lang ju
leiben fyatte unb bon ba an eigentlich feinen gefunben Sag mel)r jai). ©ein einziger ©of)n
blieb geiftig gurüd unb litt an ©toilebfie unb unbeilbarer %aubf)tit. ©eine einzige Slodjter
©tebfyanie ftarb in ibrem 18. SebenSjafyre. Syrern 2lnben!en galt 33.S fd)önfteS Sieb: 30
„Pourquoi reprendre, 0 pere tendre Les biens dont tu m'as couronne" etc.
33.S3Birfen nad) auften mufj jufammen mit feiner inneren ©ntmtdelung ge=
fd)ilbert merben. Über bie ledere fet)lt eS uns mäl)renb ber erfien 3 eit feinet 33afeler 9lufent=
f)alte§ nidt)t an intereffanten ^eugniffen. %n einem 93riefe bom 24. ^uli 1818 (f. Chre-
tien evangelique 1861, ©. 10) flogt er feinem greunbe Sftonnarb, mie febr er bom 35
©fej)tiji§muS leibe. 2tber er tröffet fieb: „9iad)bem man lange genug auf bem 3ftub,e=
fiffen ber „gemachten 2lnfid)ten" gefdjlafen, ift e§ mof)l nötig, bafc man ermad)e unb
unterfucb,e. 3ft ba§ ein Übel? Sd> fann e§ nid)t glauben", bäumte aud) 35. fd)on ba=
maU bem ©efübl bei Aneignung ber religiöfen äöafyrfyett ebenfo großen 3lnteil ein, mie
bem SjitteHeft, fo mar boef) fein ©laube um biefe ßeit noeb, mefentlid; 3lutorität§= unb 10
©emobnbeit^glaube.
Strömungen febr begebener 2lrt führten umg ^abr 1823 in 33.3 innerem
Seben eine (Sntfcfyeibung beerbet. 3" 93afel fanb er jenen $ieti§mu§ bor, beffen fcfyönfte
grudjt bag ^ifftongbauS mar. 33 or jener @ntfd)eibung urteilte ber junge ©elebrte über
le^tereS febr abfd;ä£ig: biefe grömmigfeit mar ib,m ju eng. ®er 1822 nad) 33afel berufene 15
be SBette feffelte tt)n anfangt, er mürbe fein befreunbeter ©d)üler unb erflärte fbäteroft,
bon ibm erft gelernt ^u f)aben, ma§ @£egefe fei. 3Xber eine Religion, meld)e bie Dffen=
barung§tbatfad)en alö bIo-$e ©bmbole auffaßte, befriebigte t^n nid)t. 3m 3Baabtlanbe
r)atte um biefelbe 3eit ber Reveil, eine bom englifd;en 5Retb,obigmu§ f?errüf>renbe 93e=
megung, ©eiftlid)e unb Saien au§ bem bisherigen SatitubinariSmuS aufgerüttelt unb aud) 50
auf einige greunbe 33.§ einen tiefen ©inbrud gemadjt. ©iefer felbft mürbe anfänglid)
babon abgefto^en. 3fber an feinem inneren arbeiteten, mie feine 33riefe unb feine @rft=
Iingöfcf)riften beutlid) berraten, aEe brei ©eifte§rid)tungen gemeinfam, bis bie SJranfbeit
beS ^ab,reS 1823, mo 33. bem £obe na^e mar, bie inneren Kämpfe, bie mir mebr abnen,
als eigentlich, berfolgen fönnen, ^u einem gefegneten 2Ibfd)luf-, braute, ©a 33. ftetS mit 55
jarter ©d)eu fein ©eelenleben ber^ültt bat unb böd)ftenS in 33erfen an feine greunbc
feine ©timmungen funb merben liefe, fo fönnen mir mit ©emifsbeü nur bie Xbatfad)e
fonftatieren, ba| er einer beilfamen 33eränberung gemife ift unb feinem ©rlöfer fein ganjeS
Seben als SDanf einer geretteten ©eele ^um Dtofer bringen mill. ©0 menigftenS bat cr
fid) in einem ©ebid)te jener 3^eriobe auSgefbrod;en, unb ber lag, mo er biefe 33erfe 60
682 Sinct
nieberfdjrieb, fdjetnt ifnn bcfonberS bebeutfam gemefen pi fein, ©ieS ergiebt fia) auS
Lamberts gelungenem 33erfud;, bie gange innere ©ntmidelung 23.3 an feinen Sßoefien als
„bem getreuen ©Riegel feines SebenS" nacr^uroeifen (Vinet d'apres ses poesies, SßariS
1868). ©ie ©cfyrift beS fcb>ttifc£)en Saien %fy omaS ©rSfine, geft. 1870: „SRefleEionen über
5 bie innere ©bibenj ber Söafyrfyeit ber djriftlicben Religion" befeftigte ben ©enefenen auf
ber neuen 33afm. ®er 33erfaffer berfelben ift fpäter ber b^cfygefcfyätjte greunb unb ©e--
miffenSrat 33.3 gemorben.
Qn bie ^a^re 1823 unb 1824 faßt nicf/t nur ber Slnfang neuen religiöfen SebenS
bei 33., fonbem aud> ber eigentliche SSeginn feiner fcfynftfteßerifcfyen Stijätigfeit. 23emerJen3=
10 mert ift ein Strtifel bom I^ar/re 1823 im Journal ber SBartfer ©efeßfdjaft für cf/rifilicr)e
Moral, ber in Briefform fdmn mit aller ©djärfe unb burcbbrungen bon ber neu ge=
monnenen religiöfen Überzeugung ben ©ebanfen ber fpäter erfdnenenen discours ent=
midelte, bafj bie SRoral bom ©ogma unzertrennlich fei. 33. bebutierte alfo als Sßublizift, unb
baS blieb er aud) mäfyrenb feiner gangen fcbjiftftellerifcf/en Saufbaljm. 2ln bem eben ba=
15 malS gegrünbeten liberalen blatte : Le nouvelliste Vaudois beteiligte er ftcr) bon 3lnfang
an als itorrefponbent unb Mitarbeiter.
„Les faits sont les vrais peres des theories" S)ieS 2öort auS 33.3 S£agebud)
finbet aucb, feine SInmenbung auf bie bon il)m berfodjtenen 2tnfd)auungen, mir meinen
Zunäd;ft feine 2Infdjauungen über ©taat unb Äirdje. ®a er mit |eif?er Siebe an feinem
20 engeren 33aterlanbe, ber äßaabt Ijing, fo berfolgte er bie bortigen ©reigniffe mit großem
^ntereffe. $DaS %af)x 1824 fyat in ber ©efcr/idjte biefeS Kantons eine traurige SSerüfymt;
^>ett erlangt, inbem burcb, baS ©efe| bom 20. Mai bie ^ntoterang offiziell gutgeheißen
mürbe. DI?ne bie ^Bewegung, auS ber biefeS ©efe| fyerborgegangen mar, mürbe aber 33.
bieHeidjt nidjt baju gelommen fein, feine &raft unb fein ©enie ber religiöfen $retl)eit
25 mit fold^er ©nergie jujutoenben, roie eS gefeiten. „SBiffen ©ie, fdpeb SB. am 1. März
1824 an SOtonnarb, toobon id) feit einiger gett träume? 33on ©emiffenSfreib/eit. 23i3 ju
gemiffen ©reigniffen, bie mir biefelbe ein menig ju gefät)rben fdnenen, tjabt tcb, menig
baran gebaut; je|t ift baS meine fir.e Igbee, mein SieblingSgebanle". Unb fdmn am
8. gebruar tyatte er an Serefdje gefcfyrieben : ,,©te ©reigniffe in unferem 33aterlanbe fyaben
30 mvfy ju biefen Reflexionen geführt, bie mid) plötdicb, mie ein Sieb, tftrab,! getroffen l)aben . . ."
©ie erfte grudjt biefer Reflexionen, bie zugleich feimartig äße fpäteren ©ebanfen 33.3
über Religionsfreiheit enthält, mar bie futg fyernacb, erfc^ienene glugfcfyrtft : „Du respect
des opinions" Unb balb foHte ber 33erfaffer ©elegenfyeit finben, feine ^been in ein=
gefjenbem gufammenb/ange barzulegen. Qn 2tuSfüb^rung einer legten SBillenSberfügung
35 beS ©rafen SambrecljtS blatte bie ^arifer ©efeEfd^aft für d;riftltcr)e Wloxal einen SßretS
bon 2000 grcS. für bie befte 9Irbeit über bie greib,eit ber ^ulte ausgefegt. Unter ben
29 eingegangenen arbeiten tourbe biejenige 33.3 einftimmig für bie befte erachtet, unb ber
fbätere Minifier ©uijot fpenbete als SBericb,terftatter bem SBerfaffer ein glänjenbeS Sob.
Rur einige SJlilberung bejüglid) ber lat^oIifa;en Religion mürbe für nötig erachtet unb
40 bann bie 2lrbeit gebrudft unter bem %\Ul: ,, Memoire en faveur de la liberte" des
eultes" Rod) mertboller als ber erlangte SBretS maren für 3>. bie berfönlicf)en 33e=
jieb,ungen ju bem ebeln % 21. ©tapfer unb buret) it;n inbirelt ju ben erften ©röfeen beS
bamaligen franjöfifcfjen SßroteftantiSmuS. @r blatte bon ba an bie 2lufmer!fam!eit ber
ebelften gran^ofen auf fict) gelenft (bgl. Lettres I, ©. 90 ff.), ©ein Ruf als SDenfer
45 unb ©a)riftfteller mar begründet unb baS ganj unbefcfyabet feiner für anbere gerabegu
bemütigenben 33efcr)eibenl;eit. „©er ©rfolg, ben tdb, foeben erlangt fyabt, fc§retbt er an
SJtonnarb, ift ber atterunermartetfte; id) bad)te in ber legten 3e^ ni^t einmal baran,
bafj meine Slrbeit iönnte bemer!t merben Stber ©ott moKte mief) ermuntern, ir)m
ju bienen"
50 £>aubtfäd)Iid) bie fortgefe^ten 6b,i!anen, benen bie ©iffibenten in ber 9Baabt breiS=
gegeben maren, beranlaf3ten 33. in ben folgenben ^ab,ren ^u jaf)Ireicb,en glugfd;riften unb
^eitungSartüeln über ReIigionS= unb ©emiffenSfrei^eit. Um beS ^rinjipeS mitten, nio)t
als i^r greunb, na^m er bie Partei ber „9Jlomier3", unb lief? fia) fogar in einen Sßrogefe
bermideln, mobei ib,m eine 33uf5e bon 80 grcS. auferlegt unb alle geiftlidjen gunftionen
55 in feinem §eimat!anton für ein ^ab> lang unterfagt mürben. SBefonberS anftößig mar
bie Slufjerung gemefen: menn baS ©efe| forbere, maS baS ©emiffen mcfjt erlaube, fo
muffe man bem ©efe|e trogen. SDaS unbebingte Rec^t beS inbibibuellen ©emiffenS mirb
in allen biefen aueb, burd) ©tilfd)önb,eit ausgezeichneten ©d;riften mit juneb,menber ^lar=
fjeit unb über^eugenber Serebfamleit berfod;ten. 33gl. ben ©ammelbanb: Liberte reli-
60 gieuse et questions ecclesiastiques. ®ie maabtlänbifdje liberale Rebolution bom
Stnct «83
Dezember 1830 fyat ber litterarifdjen XI)ätigteit "is.ö einen neuen 3;mbulS gegeben. Dod;
Waren feine 2tnftrengungen umfonfi, bafe in ber neuen Serfaffung WenigftenS 5Reltgion§=
freifyeit, Wenn aud) nicfyt Trennung bon ®ird)e unb ©taat, proklamiert Werbe.
S. betätigte fid) baneben fefyr fletfetg als ©dmftftetler aueb, auf bem ©ebiete ber
©brache unb frönen Sitteratur, Wogu er burcfyXalent unb anljialtenbe ©tubien borjüglid; 5
befähigt War. Um feinen ©d)ülern in Safel eine gebiegene 2tuSWaf)I bon Sefeftüden
auS ben franjofifd^en Älaffifern px bieten, arbeitete er felber eine breibänbige ßl)refto=
matfyie aus, bie 1829 unb 1830 erfdnen, unb feitfyer, Wa§ ©efcfymad unb bäbagogifd)e
Sraucfybariett anlangt, laum übertreffen Würbe. Den 3Xbrt^ über bie franjöftfdje Sitteratur=
gefd>ict)te am anfange beS brüten SanbeS nennt ©ainte=Seube ein HtterarifcfyeS 3Jteifter= io
Werl. @S bauerte nidjt lange, fo Würbe S., ber injWifdjen aufeerorbentlid)er ^rofeffor
an ber Safeler Uniberfität geworben, bon ben erften Diestern unb ©diriftfteßern granf=
reid)S, tüte ©ainte=Seube, dfyateaubrianb, Victor £>ugo, Seranger u. a. als ein ^ritifer
gefaxt, auf beffen Urteil fie ben gröfeten 215ert legten, ^jmmer fudjte er bei feiner
föritif hinter bem ©dmftftetier ben 9Jienfd)en unb berbanb mit ber größten ©eWiffen= 15
baftigfeit ben I)öcf)ften fittlidjen @rnft. 'Die 1831 gegrünbete broteftantifdje ^arifer 3eit=
fcbjcift: Le Semeur, fyatte baS ©lud, biefe arbeiten S.S publizieren ju bürfen. „Durd)
ib,n ergriff ber $roteftantiSmuS in granfreid) jum erftenmal baS 2öort in ber Sitteratur
unb erliefe ÜDladjtfbrüdje" (Pressense). ^mm fritifdjen 2tuffä£en reiften fid) foldje über
bie berfcfyiebenften ©ebiete beS SöiffenS an. Unter bem Xitel : Essais de philosophie 20
morale et de morale religieuse gab 33. eine 2lngabJ berfelben gefammelt fyerauS,
inbem fie alle i^re (Sinfyeit in bem ©ebanten b,aben, bafe %t\u$ GI)riftuS ber 2öelt eben=
fofefyr ben ^rieben auf bem ©ebiete beS Deutens bringt, Wie er ber StRittler für §er$
unb Seben ift. Unabhängig bom ©toff brad) fein glänjenbeS Xalent für aftetifcb=rIj>eto=
rifcfye Darftellung überall fyerbor. 20
^n ber franjDfifc^en äird)e gu Safel trat ber Sitteraturbrofeffor um biefe geit fyäufig
als ^ßrebiger auf, unb feine ^ßrebigten matten balb baS größte 3luffeb,en. 2tnfänglicr/
bielt er fid) genau ans üftanuffribt, fbäter aber extemporierte er, weil er erllärte, fein
fd)Wad)eS ©ebäduniS mac^e if>m baS Memorieren unmbglid). ©eine gebrückten ^rebigten
fyat er in biefer Raffung meifienS erft rebigiert, naef/bem er fie gehalten fyaite. Der erfte 30
Sanb berfelben erfcfyien 1831 unter bem Xitel: discours, fbäter boßftänbiger: discours
sur quelques sujets religieux. ©ie finb bogmatifcb/abologetifcfyer 9?atur unb Wenben
ftdj mit Vorliebe an ben Serftanb. Dafe fie in franäöfifcf^brotefiantifcfyen Greifen gerabeju
@bod)e matten, berbanfen fie nid)t nur ibjer flaffifcf/en gorm, fonbern aueb ber unge=
meinten Sereinigung Don lebenbiger 2öärme mit roeit^ergiger Silbung. S. beränberte 35
unb berbefferte fie bei feber neuen Auflage nad) gorm unb 3nV^/ un^ tnand'e finb auf
biefe 2Beife faft ju 2lb|anblungen geworben. Den tb/eologifcben ©tanbbunlt biefer ^3re=
bigten djarafteriftert er felber in einem Sriefe jener ftüt an50Ronnarb: „Wd)t als je bin
ia) im klaren über ba§ entfe^Iidje -Jltdjts beffen, tt»a§ ntdjt ba§ ©bangelium ift; in bem
6t)rtftu§, ben unfere Säter angebetet b,aben, bem (5t)riftu§ ^auli, Sa^calS, £utb,erg, bem iü
6b^riftu§, ber ein ©ülmobfer für alle Wm\d)m ift, bin tdj, ©Ott fei ©an!, friert. Som
9lationaIi§mu§ miß tdj toeber in fcl)macber, noeb, in ftar!er DofiS, meil icb,, menn id) mid;
einmal unterwerfe, mit ©ott nid}t um einige gelehrte Sroden meiner bermorrenen qß^ito=
fobf)eme ftreiten toerbe ." (Chretien evang. 1861, ©. 12).
3u Slnfang ber breifeiger %af)vt feiert roir S. nicb,t nur t^eorettfdje, fonbern aueb, 45
braftifdie «ßolittf treiben. $n bem Slufftanb, ber fdjltefelidj jur Xrennung bon Safelftabt
unb Safellanb füfjrte, trat er nämlid) tro^ feinet SiberaliSmuS feb^r energifcb, für bie ate
ariftofratifd) berfd}rieene ©tabt ein unb liefe fieb, fogar aU ©olbat in bie Sürgermilij ein=
reiben, bi§ bie Regierung fanb, feine geber richte roo^I noeb, meb,r au§, als feine 5''nte/
unb ib,n bem Komitee ^teilte, tt>elcr)e§ baS Weitere ^ßublifum über bie geredete ©acb,e 50
SafelS ju belehren b,atte; aueb, eine bitolomattfcfye 9JZiffion nad> fiaufannc Würbe ib,m an=
bertraut. Die Safeler Regierung f)inWieberum fud)te feine Serbienfte ju Würbigen, inbem
fie um feinetwitlen ben neuen £el)rftul)l ber fran^öfifd^en Sitteratur unb Serebtfamfeit
grünbete. @S War inbeffen ganj natürlid;, bafe man biefen foftbaren SJJann aud) an
anberen Orten nur ju gern gehabt bätte, unb bie berlodenbften 2lnerbietungen bon Saris, 55
9Jlontauban, granlfurt, Sern k. Würben ilmi Wieberbolt gemacht. Xro^bem ib,m Wegen
feiner beftänbig leibenben ©efunb^eit unb Überbürbung mit ©cbulftunben eine Seränbe=
rung WiEfommen geWefen Wäre, fd>lug er alles auS, teils auS Patriotismus, teils Weil
fid) feine Sefd)eibenl)eit ber angetragenen ©teilen nid)t geWadjfen füllte: er Wollte Warten,
bis fein 9JZeifter tb,m ben Jßeg jeige. 1837 Würbe ber 2etn-füu)l für braftifd)C Xb^ologie go
684 bittet
an ber Saufanner Süfabemic frei, unb nun glaubte SB., annehmen ju muffen. SDer 2lb=
fdn'eb bon SBafel fiel ifym jroar unenblicb, feiner, unb in ber erften Saufanner 3e^
machte er fid) bie bitterften SBortoürfe, er fönne ben neuen Slnforberungen nidjt genügen,
©eine greunbe unb ©djmler urteilten jum ©lücf anberl. ®ie Unruhe feiner ©eele
5 mürbe baburd) nod) erb,öf)t, baf? gerabe in biefe geit eine jmar feb)r fdjitter gu fontroHie=
renbc innere $rifis> fiel, beren Stefultat ein immer entfc£nebeneres> grontmact/en gegen bie
Rheologie bei Siebeil mit feinem ^nteMiualilmul unb SJlntinomilmul mar.
©leid) in feiner SKntrittlrebe glaubte SB. ju ber „Srmedung", bie im SBaabtlanbe
tiefe SBurgeln gefdjlagen fyatte, ©tellung nehmen gu f ollen. „2öal I)at bie Sjßrebigt Don
10 ber religiöfen Sßemegung empfangen unb mal lann fie ir)r r/intoieberum geben?" ©o
lautete bal S£f/ema biefer Siebe, in ber bei aller freubigen Stnerfennung ber Sid;tfeiten
an ber neuen SBrebigtmeife bod) auct) ber SRifjbraud; im ^mbrobifieren, ber 9JiangeI an
^nbibibualität, bie SBerfürgung bei SBerftanbel gegenüber bem ©emüte unb bie einfeitige
SBetonung bei £>ogmal auf Soften ber StRoral gerügt tourbe. 21I§ eine grucfyt biefel
15 grontmact)enl gegen ben reveil r)aben totr bie 1841 erfdjttenenen Nouveaux discours
anjufeb^en, bie md)t fotoot)! Sßrebigten, all ©tubien über d)riftlicr)e ©tln! enthalten.
Salb nad) feiner 2lnfunft in Saufanne fyatte SB. all SRitglieb ber ^ommiffion für
eine neue ®irct)enbcrfaffung (Gelegenheit, für bie SBermirfticfmng feiner itrcfylidien lybeale
tfyätig ju fein, greie SBeitrittlerflärung fettend ber ©lieber ber £ird)e unb .ßulaffung ber
20 Saien in bie fircfylidjen S8et)örben, bal toaren bie fünfte, für bie er fyaubtfäcfylicr; feinem
gefcfyidten ©egner SBautb, gegenüber tambfte, mobei er inbeffen, toie er el immer getr)an,
bie gu Siecfyt 6eftet)enbe SBerbinbung bon ©taat unb Äirdje rentierte, 3>n ben folgenben
^Debatten fprad) fidi viUnet entfdneben für SBeibebaltung bei r)elbetifd)en ©Iaubenlbefennt=
niffel aul, inbem er bal SBelannte bem Unbekannten, bal SBofittbe unb fnftorifd; ©e=
25 gebene bem Siegatiben borgog, ofyne jebod; in ber fyelbetifdjen Slonfeffion fein IJbeal bon
einem fircf/licfyen ©laubenlbefenninil gu erbliden. SJfflein fo fein- miberfyrad) fcfyliefjlid)
bal gange 1839 angenommene ®ircr;engefe| feinen 2tnfd;auungen bom SBefen ber Äird)e,
bafj er ein SJaljr fbäter aul ber maabtlänbifcfyen ©eifilicfyfeit austrat, benn in Sßirflicfyfeit
mar ja bie Mircf)e in größerer 2Ibf)ängigfeit bom ©taate, all bort/er.
30 Sie eben gemalten Erfahrungen fcfyeinen einen entfcfyeibenben (Einfluß auf SB. aul=
geübt gu fyaben, benn einbringlicr/er all je brebigte er je£t bie abfolute Trennung bon
Äircfye unb ©taat, ja er gab ben greunben berfelben ifyr flaffifdjel SBucfr, in bie §anb,
inbem er 1842 feinen Essai sur la manifestation des convictions religieuses et
sur la Separation de Peglise et de l'etat, roieberum eine bon ber Sßarifer ®efeßfd;aft
35 für dn:ifilicr)e Floxal gelrbnte SPreiSfd^rift, Verausgab. SDennocfy blieb er, aKem ©ebarati§=
mu§ feinb, ein einfad)e§ ©lieb ber £anbe§lird;e. „SBi§ auf einen neuen SBefeb/l ©ottes"
mollte er nur litterarifd) für bie ©acf)e tl)ätig fein.
3Iua) burd; feine (Stellung ats> S^rofeffor ber bra!tifcb,cn Zr/eologie lie^ er fid; nidjt
berleiten, für feine Siebling§ibeen SBrobaganba ju machen, fo leicht er bieg burdj bie ©e=
40 malt, bie er bermöge feinet Gr/arafter3 unb feiner S8erebtfam!eit über bie jugenblicfyen
©emüter befa^, b,ätte t^un lönnen. Db,ne ben burd) ©cr/leiermacfyer betoirlten gortfd;ritt
in ber braftifd;en S£b,eologie gu fennen, trug er biefe in ü)rem bigberigen Umfange bor.
@r laö ferner über ©efd)icf)te ber franjöfifd)en ^anjelberebtfamfeit unb gab braftifdje @r=
flärungen neuteftamentlicfyer ©Triften. 2luc^> trug er einmal eine „braftifcfye SB^ilofob^ie
45 bei 6b,riftentum§" bor unb bertrat -jJionnarb auf bem Se^rftu^l für frangöfifcfye Sitteratur.
@in ehemaliger ftufyöxcx, ©cfymibt (bgl. l.Slufl. biefei SIÖer!e§) urteilt: „SB.§ SBorlefungen,
bie er teil! borl>er forgfältig aufarbeitete, teill auf ©runblage jufammenfaffenber SBe=
mer!ungen f)ielt unb erft nadj^er nieberfd)rieb, jeid^neten fiel) weniger burd; gelehrten SJn=
f)alt unb fbftematifdje gorm, al§ burd} Sieidjtum unb Urfbrünglid)!eit ber ©ebanfen unb
50 namentlid) bureb, bie 9JJetb,obe an§. ©eine gro^e ®ah^ beftanb bor altem barin, bie
©elbfttb,ätigleit ber gufyöm anzuregen. Sffial aber biefe Sffiirfting b,erborrief, mar nidjt
aEein ber Qnb, alt unb bie SRet^obe an fid;, e§ mar bie gange SBerfönlid^Ieit bei 2Ramte3,
bie unbebingte Eingabe an bie Sffiar/rr/eit, bie STiefe ber Überzeugung, bie bollfommene
9iatürlid}leit unb ju allebem bie mob^Iflingenbe ©timme, bie ungefud}te ©d}ön^eit ber
55 ©brache, ber unmiü!ürlicb, berborbred;enbe ©djmung ber Siebe" „^iiemall, fagt einer
feiner ehemaligen Kollegen, maren bie ©tubierenben bon einer fo gemaltigen unb gugleia)
fo milben 2Rad}t ergriffen unb feftgeb,alten toorben".
SB. mar ber -JJlittelbwrft einer erlaubten ©efellfd^aft bon ebeln ©eifiern, bie bamafö
an ber Saufanner SKfabemie mir!ten. SJlucb, ein ©ainte=SBeube backte mit greuben an ba§
60 §albjaf)r jurüd, mo er bie SBarifer ©alonl mit bem befcb,eibenen Saufanne bertaufd;t.
bittet 685
2Wein bie fcf;öne ßeit foßte nid)t lange mären. $)ie I^efuitenfrage gab anno 18-45 ben
93ormanb, um bte 3Jiaffen gegen alle Drbnung, 33ilbung unb geifttge Inferiorität aufju=
reiben. Söenige bolitifcfje 93eroegungen roaren fo getjäffiger 2trt röte bie maabtlänbifcr)e
gebruar=Rebolution. Ramentlid) manbte fiel) bie SBolförout gegen atteö eoangeIifcr)e Seben.
Qfä mar eine furchtbare Reaftion gegen ben Rebeil, beren güfirer jetjt ans Ruber famen, 5
unb 93.S ebleS ^atrtotifdt)e§ §erj rourbe mit tiefem Kummer erfüllt, ^n groet ^3re=
bigten: Les complices de la crueifixion, machte er feinem ©cf/merje £uft ; unb als
bie Regierung, ftatt nad) 93.S SSorfcfylägen in ber neuen 93erfaffung bie Religionsfreiheit
anjuerlennen, biefelbe nur noeb, iuel)r unterbrüdte, legte er feine tf)eologtfd)e ^rofeffur
nieber (1846). 10
(Eine golge ber Resolution mar bie Sntftelmng ber maabtlänbifdjen greif irdje. (!s
ift aber ein großer Irrtum, roenn man SS. als beren 93ater unb 93egrünber anfiebt. ©ie
ift bielmcfyr ein ®inb ber ^atfacfyen, unb 93. r;at bei ifjrer ©eburt nur §ebammenbienfte
geleiftet. £>ie gumutung ber Regierung, baf$ bie ©etftlidjen bon ber Mangel eine 93ro=
flamatton beriefen füllten, morin bie mm 93erfaffung bem 93olfe jur Annahme embfofylen 15
tourbe, r)atte, ba fie geferjlid) faum ju rechtfertigen mar, ben unmittelbaren Slnftojj gegeben,
bafj etma Ijmnbertfünf §tg ©eiftlidje auS ber ©taatSfirdje austraten. 93. fyat auf biefe @reig=
niffe burdjauS nicfyt pofitib unb bireft eingemirft; bie SDemiffion ging auS unb mürbe am
metften betrieben Don folgen, bie bis balnn feine ©runbfätje entfcfyieben befämbft fyatten.
Slber bie Urfyeberfdjaft ber !Jbee ber greir/eit unb Söürbe, bie ber Stircfye gebühre, roirb boct; 20
jroeifelSor/ne 93. juerfannt merben muffen.
93. mar burdjauS mdt)t mit allen ©dmtten ber SDemiffionäre einberftanben , aber
fdjltefjlid) freute er ftdt) bod) über il)re %i)at unb manbte ib,nen feine bollfte ©tymbatfyie
ju. Gür Ijielt eS aber auefe, für feine $fltd)t, ib,nen bie ^rin^bten bargulegen, bie fie mit
tt)rer .£>anbIungSmeife unbewußt angenommen Ratten, unb er tt)at bieS in einer geiftboHen 25
anonymen ©djrift : Considerations presentees ä Messrs. les demissionaires, inbem
er su geigen fuef/te, baf$ bie greifet! ber &ird)e, meiere bie (Sitte beS maabtlänbifdjen
93oIfeS fo obferfreubig berteibigt, nur in it)rer bölltgen Trennung bom ©taate gemabjt
werben fönne. ©eine bublijiftifc^e SLb,ätigleit in Strtifeln für Leitungen un^ 3ettfd)riften
unb in fleinen 93rofd)üren fcr)ien fief) ju berbobbeln. S)ie reiffte unb burd}bacb,tefte bon 30
allen biefen arbeiten nad) beS 93erfafferS eigenem Urteil erfdnen unter bem %itd: „Du
socialisme considere dans son principe", Geneve 1846 (abgebrudt in l'educa-
tion, la famille et la societe, unb inS SDeutfc£)e überfe|t bon £>ofmeifter, 33erlm 1849).
„Siefe glugfdjrtft bon fiebengig ©eiten, fagt ©euerer in feiner Inftorifcfjen Einleitung gu
93J 9Ser!en (A. Vinet, Notice sur sa vie et ses ecrits, ^3art§ 1853), ift, in giemltcr) 35
engen ©renken, bie gufctmmenfaffung i,er 2tnficl)ten be§ 3ierfaffer§ über 9Jioral unb
Religion, 9Jtenfd^t)ett unb ßr/rtftenium, ©efellfcb.aft unb ^irc^e" ©ie werben un§ liier
auf ib,rer größten §ö^e unb fogufagen in ifyrer größten Slttgemein^eit geboten.
Ricr)t3 ift natürlicher, als ba^ 93. ber balb gegrünbeten greilirdje fidt) al§ SRitglieb
anfd)Iofe, r)äufig in ifyren 93erfammlungen brebigte unb al3 ^ommiffion^mitglteb für bie 40
©imobe an einem 93erfaffung§entrourf berfelben tfyättg mitarbeitete. @r unb fein College
6f)abbuiS legten befonberg ©emic^t barauf, ba^ bie ©emeinbefirebe ben 93orrang ^abi
über bie ©efamtfircb;e, baf$ ber 3Jcitgliebfd}aft eine freie 93eitritt§er!Iärung borangeb,en
muffe, unb bafe bie Saien ntct)t nur 5tRitglieber ber lircb,Iicf)en 93eb,örben werben !önnen,
fonbern baft überb/aubt ber 93egriff be§ geiftlic^en 2lmte§ ein anberer toerbe, ber neben 45
fidt) noeb, anberen Scinifterien Raum gebe, wie in ber erften cfmftlidjen Slircfye. ©rofee
2lufmer!famleit enblicf» roanbte 93. ber richtigen Slbfaffung etneS ©Iauben3be!enntniffe£ ju,
unb reo man ät)nlic£)e Slrbeiten bor r)at, mirb man gut tfyun, feine flaffifcfjen Ausführungen
über biefen ©egenftanb ju beachten (Liberte rel. ©. 638 ff.). Rtct)t ju t^eologifcf) unb
ntdjt au bolemifcb, barf baS ©laubenSbelenntniS fein, fonbern „e§ fod nur btejenigen 50
2Öab,r|eiten enthalten, bermöge beren man Gl)rift ift, au^erb,alb beren man e3 nid}t mer;r
ift ; e3 foH bie neue Hircfye bon fetner anbern ebangeltfcb, en ^£trct)e trennen ; alTcö in bem=
felben foll gum §erjen fbrecb,en unb fidj in einer cfyriftlicfyen ©eele leidet jum §^mnu€
unb Sobgefang umroanbeln ; ba§ ©ebäd;tni§ beS ^inbeS foll eS ob, ne 5Rüt)e behalten unb
ber ©terbenbe foE eS nod) in ber 2:obeäftunbe mieberl;olen lönnen" 55
93. t)atte feine Urfacfye, fidt) über baS fd)Iie^Iicb,e Refultat ber 93eratungen befonberS
ju freuen, unb er machte auef) bffentlid) fein §el)I barauS, bafe fein $b«d öon einer
Kirche nod) lange nidjt erreicht fei.
SBeit entfernt, mit Rieberlegung feiner %ologifd)en ^3rofeffor bie nötige Rul)e gu
finben, mar 9\S if)ätigfeit bis in bie legten 9)ionate bor feinem @nbe eine äu|erft rege. 60
686 »inet
3toar itmrbe er bort ber ©teile eine3 $rofeffor§ ber fran§öfifrf)en Sitteratur, bie er al<S
Diacfyf olger 3J£onnarb§ inne t)atte, burd) ba<3 rabifale ©cr)ulgefe£ bort 1846, ba§ bte Sau=
fanner Slfabemie aller bebeutenben SJiänner beraubte, enthoben, aber er tonnte bem ©rängen
ber jungen £t)eologieftubierenben nid)t roiberftefyen, fonbern lag in einem ^ßribatlotal über
5 franzöfifd)e Sitteratur unb gab braftifcb/tfyeologifdie ©rflärungen einiger $abitel be§ %o-
t)anne§ebangeltum3. gerner fnelt er jur Unterftü^ung einer bon U)m in§ Seben gerufenen
beeren Xöcfyterfdmle eine 3Jeir)e bon Vorträgen für ©amen. ©ie 2Iu§füI)rung einer
ganzen 9ieil)e bon litterarifdjen planen, roie bte „braftifdje $I)ilofobr)ie bes> 6^riftentum§",
bte *Paftoraltr)eoIogie, bie ©efd)id;te ber franzöfifdjen Sitteratur, mürbe tfm, aud) oljme baß
10 er ein 2Xmt befleibete, noci) auf 3a^re bjnau<§ befd/äftigt fyaben.
@§ roar anber§ beftimint. Um 2öeir)nacf/ten 1846 erlranlte ber immer letbenbe
SDtann roieber ernftlict). 3toar frannte er feine Gräfte auf§ äußerfte an unb ging nod;
regelmäßig auf<§ ®atr)eber, roieroot)! er ftd) nad) jeber 33orIefung gleich roteber nieberlegen
mußte. Slber fct)on am 28. Januar fyielt er feinen legten Vortrag über %o 17 v. 4,
15 unb roie eine 2lr)nung burcfyzudten feine gufybrer ftxe ©cf/lußroorte beSfelben : „ÜKöcfyten
rotr alle um? mit 9ted)t btefe SSorte aneignen unb am @nbe unfere«? Sebeng im tiefften
©efür)I unferer 2lbr)ängigfett ju bem 23ater unfern £>erm Qefu (S^rtftt, ber auct) unfer
33ater ift, fagen bürfen: £;d) ^aht biet) berflärt auf @rben unb bollenbet ba§2öeri, ba§
bu mir gegeben t)aft, baß icf; e€ tt)un foHte" 2lm 19. älbril nad) (Staren^ gebracht,
20 überzeugte er ficr) atlmär)lid) bon feinem t)erannat)enben @nbe, roätvrenb er bort)er immer
nod) mit feinen planen befd)äftigt geroefen roar, ja fogar nod) bon feinem Äranlenbette
au§ tbätigen 2lnteil an ben ©r/nobalbert)anbIungen ber freien $ird)e genommen. @3 ift
met)r al§ mar)rfd)einlid), baß er ficr) in feinen legten ©tunben be3 ©bred)en§ bes>t)alb ent=
()ielt, bamit man nicfyt feine Sßorte aufzeichne. Unb it>a§ er nod) fbrad), finb Söorte
25 jener ©emut, bie it)n burd) ba§ ganze Seben ausgezeichnet r)atte. „Sitten ©ie für mid)
um aße ©naben, felbft um bie aHereinfad)ften", fagte er ju einem greunbe. ,,^d) fann
nid)t meb,r benfen", waren bie legten 2Borte bes> großen ©enfer§ bon Saufanne. Dt)ne
eigentlichen £obes>fambf entfd)lief er am 4. 9Jcai 1847 morgend 5 Ut)r, nod) nid)t fünfzig
$at)re alt.
so Überbliden toir bie SebenSarbeit 33.3, fo laffen ficr) toor)l bie berfd)iebenen ©etten
ber 23etf)ätigung biefeg reichen ©eifteS auSeinanber galten : ber 2lboftel ber Trennung bon
$ird)e unb ©taat, ber ^rttiier unb ^iftorifer ber franjöfifd)en Sitteratur unb ber d)rift=
Iicr;e ©enfer; aber er felbft roürbe be§ entfd)iebenften bagegen broteftiert t)aben, roenn
man fie r)ätte au§einanber reißen rooUen. ^n biefen berfdüebenen ©ebieten ift er immer
es unb metft in erfter Stnie Slbologet. ®as ift bte große 3lrterie, burd) bie bei ir)m atle§
Seben ftrömt. £>en mobernen ©eift mit bem ©bangelium ju berföl)nen lag bem Sitterar=
t)iftorifer fo fer)r am §er^en rote bem SSerfaffer ber Discours. 2tuf bem ©ebiet ber fran=
göfifdt)en Sitteratur fa| er eine STt)üre für jene§ SBirlEen offen, ba§ il)m jumeift am §erjen
lag, unb er jögerte nief/t, burd^ fie einzutreten.
40 2ßir erinnern un§, womit ber junge ©dmftfteßer „bebütierte" : mit einer 3trbeit
über ©eroiffengfreir)ett, ein ©egenftanb, bem er fein ©enren immer unb immer roieber
pgeroenbet t)at. Sßir finb alfo ju ber ©rroartung berechtigt, baß er umfaffenbe unb
grünblict)e Unterfud)ungen über baö ©eroiffen angeftellt l)abt, um fo met)r, ba bie ©emtffeng=
fretb,eit ba3 gunbament ift, auf ber feine Siebünggtt)eorie ber Trennung bon ®ird)e unb
45 ©taat fußt. Sllletn rotr fet)en un§ umfonft banad) um : an geiftboUen Slbercüä über
ba^ ©eroiffen mangelt e3 in vls.§ ©d)riften nid)t, iüor)l aber an einer grünblidjen fr/fte=
matifd>en Unterfud;ung. ©a t)eißt e§ 5. 33. : „ba§ ©eroiffen, bieS mtifteriöfe unb gött=
lietje ©lement unfereS 3Befen§, bieg ©lement, ba§ bon unferer 5Ratur unzertrennlich, ift,
bai burd) nict)t§ ertjlärt, aber burd) alle§ bezeugt rotrb, ba§ ©eroiffen ift jenes moralifd)e
50 ^rtnzib, ba§ unä unferer Überzeugung gemäß zu fyanbeln nötigt unb ba§ un§ berurteilt,
roenn rotr in einer äSetfe t;anbeln, bie biefer Überzeugung roiberfbrid)t : eS ift fozufagen
bie ^riebfeber be§ fittlicr)en 5Renfd;en" (Lib. des eultes ©. 287). @3 giebt für ben
9Jcenfd)en nid)tö §öb]ere§, al§ fein ©eroiffen. ®ie Vernunft ift ba§ ^nftrument be§ reli=
giöfen ©efüt;te, ba§ ©eroiffen ift ber ©i| beweiben, ©ie Religion r;at ib,ren ©i^ unb
55 ir)ren ©tür^bunlt im ©eroiffen. lifo ift 5Mtu§ztoang ©erotffenöberle^ung.
©a jebe§ ©eroiffen inbtbibuell ift, fo roürbe 33. roie bon felbft barauf geführt, ba^
SBefen ber ^nbibtbualität zu erforfd)en. @§ b,ält fd)roer, au§ ben unzähligen 2leußerungen
33.Ö über bie ^nbibibualität eine SluSroat;! bon fold)en zu treffen, meiere bie bräzifefte
gaffung mit bem glüdltcbjten lusbrud bereinigen. ,,©ie roat)re J?raft jebe§ 3)tenfd;en,
so fein fittlid)e§ War!, liegt in bem, roa§ er inbibibueüe« t)at" „Sßenn un« bie ©ünbe
»inet 687
bie ^nbtbibualität gelaffen f>at, fo ift bieg baS einige ©Ute, baS fie uns gelaffen f;at"
„9iicf;t mit bet ©efeflfcfyaft, fonbem mit bem ^nbibtbuum ftefyt ©ott in 33erbinbung, unb
faßt baS ^nbibibuum Weg, fo finbet ©ott, Wenn icr; mid; fo auSbrüd'en barf, niemanben,
an bcn er jid) Wenben fann" (L education, la famille et la societe ©.468 ff.)- 9Benn
ber SJienfd;, Wie man gefagt t;at, ein religiöfeS SBefen ift, fo ift er eS nur unter ber 33e= s
bingung, bafj er inbibibueß fei, ba bie Religion nichts anbereS ift, als ein 33erfyältniS
3Wifd;en bem fyödjften ^d; unb bem 2>ct; eines jeben bon uns" (©benba 6. 315.)
216er Wie benft fiel; benn 23. baS 33ert;äItmS jwifd;en ^nbiöibuum unb ©efeüfd;aft,
religiöfer ©efeßfcfyaft ober ^trdjc'c' „2Benn man jWifdiien bem S^iötbuum unb ber ©e=
feßfdjaft bernünftigerWeife einen QBiberfbrud; auffießen fönnte, fo mürben mir feinen 2ln= w
ftanb nehmen, gu fagen, baS ^nbibibuum fei ebler als bie ©efeßfcfyaft. ®aS miß aber
geWifc nid)t fyeifeen, ein ©inniger fei 2lßen bor^ie^en, fonbern nur, bie ©efeßfdjaft fei
für ben 3Renfcf/en gemacht Worben £)ie ©efeflfcfyaft ift für jeben 3D?enfd)en ein
feiner Tfyätigfeit gegebener ©cfyaublat}, eine feinen Tugenben bargebotene ©etegenfyeit,
eine feiner ©elbftfudjt entgegengefetjte ©d;ranfe. 1>aS 33eWunbemSWürbige babei ift, bafj is
er befto mefyr Jperr feiner felbft ift, je mefyr er fid; feinen 93rübem I)ingtebt, bafe er befto
freier ift, je gefeßiger er ift, bafj er befto mel)r embfängt, je weniger er forbert, unb
enblid), ba| er befto mel)r er felbft ift, je weniger er fid) angehört. 2Beit entfernt, fict;
ju fünbern, unterftütjen bie menfd)lid)e $erfönlid;feit unb bie ©efeßfd;aft einanber. SDie
$flid;t ift ber ©djnittbunft beiber Hräfte. ©ie Qnbibibualität unb bie ©ociabilität Wadjfen 20
miteinanber unb berboßfommnen fid; gegenfeitig in ber ©rfüßung unb im SDienfte ber
$flid)t" (Semeur 33b XV ©. 94). £>ie mit ber religiöfen ober bürgerlichen ©efeßfdjaft
berf!od;tene (Seele ift h)ie ein auf ben Dcean I;mauSgefd;leuberieS ^ar/rjeug. SDer Dcean
fann baS gafn^eug berfcfylingen, aber er foß eigentlich nur baS 9JUtteI fein, bamit baS=
felbe lanbe, b. §. bamit ber SJlenfd) feine SSeftimmung erfüße (L'education etc. ©. 465). 2&
3ur 2Barnung toieberfwlt 33. baS ^arabojon: „Dbgleidj Wir aße als Originale geboren
Werben, fterben bennod) bie meiften bon uns als Äobien" (9MangeS ©. 91). ©er33or=
Wurf ber (Sinfeitigfeit, als fomme bei biefer 2luffaffung bie ©efeßfd;aft nid)t ju ibjem
Stecht, mag alfo WoI)l einen Qnbttoibualiftert Wie ^ierfegaarb treffen: auf 93. ift er nicfyt
anwenbbar. so
®aS bejeidjnenbe 3)Jotto ber©d)rift: Du socialisme etc. lautet: „Pour se donner,
il faut s'appartenir". Qnbem 33. feinen ^nbibibualiSmuS auf bie Äircfye anWanbte,
fam er baju, ber begeifterte unb berebte 2lboftel ber Trennung bon $itcr)e unb ©taat ju
Werben. Qu biefer 2:£>eorte berf;ält fid; baS, toa§ er über ba3 ©eWiffen unb bie ^nbi=
bibualität gefagt, Wie bie ^Brämiffen gum ©d)Iu§. 33. ^at biefe feine 2iebling§ibee in 35
äWei Süd;ern, ben einigen bon tym felber herausgegebenen, Welche nid£>t bie gorm bon
aneinanber gereiften Sluffä^en r)aben, äufammenl;ängenb entwidelt. greilid; ift gerabe bie
9)tetfyobe baSjenige, toaä an ben Suchern am Wenigften ju loben ift, Woran aßerbingS
ifyr d^arafter al§ ^)3reiSfd;riften fd;ulb fein mag. ®a§ Memoire en faveur de la
liberte des cultes (recenfiert bon ^agenbad;, %i)<5t® 1829, ©. 418) jerfäßt in jWei 40
Teile: „33eWeife" unb „©bjtem". ®er 33erfaffer, ,,un sectateur decide de la Philo-
sophie de l'Evangile", i)at ei f)aubtfäcl)licl) auf eine SluSeinanberfetjung mit bem ©taate
abgefefjen. @r geigt biefem, bafe ben religiöfen Überzeugungen bie objeftibe „@bibenj"
mangle, bie iijmi baS 5Recbt ju feiner bisherigen ©teßung gegen bie ®ircr/e einräume, fo
fef)r aud; biefelben bie fubjeftibe „©eWi^ett" für fid) I)aben mögen. 2)ie Religion ift 45
eine 3lngelegenf;eit nur gwifdjen ©ott unb SJtenfd;, Wäl)renb ber ©taat aßein bie feciale
'SRoxal ju fd>ü^en Bat. ®iefe fe^t fiel; jufammen aus ben Elementen ber ©id;erf>eit, beS
(Eigentums unb ber ©d;amfyaftigfeit. 3?ur Wenn bie religiöfe ©efeßfd)aft, bie felbft auf
eine ©emeinfamfeit beS ©efüfylS fiel; grünbet, ins ©ebiet ber fokalen 5DIoral hinübergreift,
fyat ber ©taat feine neutrale ©teßung ju berlaffen. S)er ©influfe ber ftircfye auf ben w
©taat tyinwieberum ift ein rein geiftiger. Sie Unterfudjmng füfjrt fdjiiefelicf; ju bem 9?e=
fultate: 3lbfolute Trennung bon religiöfer unb bürgerlid;er ©efeßfd;aft, fo fefyr fie burcl;
bie Strenge beS 93eWeifeS geforbert Wirb, fct)emt bod; bon ber 33orfeb^ung für eine mehr
ober Weniger entfernte ^ufunft aufbehalten. SeS^alb begnügt fiel; ber 33erfaffer, felbft
fein greunb blö^lid)er Stebolutionen, für einftWeilen bie Unabhängigkeit ber botitifd;en &5
JRecbte bon bem religiöfen 33efenntniS ber ^nbibibuen, unb ferner bie SDulbung aßer
©eften innerhalb ber ©renjen ber öffentlichen Wloxal ju berlangen.
®ie 2tnf)änglid;feit ivS gegen bie 9cationalfird>e War fo gro^, bajj er nod) im
3a£)re 1831 fagen fonnte, er b,ege gegen fie biefelbe @f>rfurd;t, wie gegen baS 2tlter
übertäubt, „^d; liebe in ibr eines ber SDebartementS, eincS ber Territorien ber un= 60
688 «iitet
fidjtbaren Rixd)?. 3d> liebe in ib,r, t»a<3 unfere SSäter in tJ>r geliebt fyaben: eine fJreU
fiätte für bie muffeligen unb belabenen ©eelen, eine Verberge für bie Söanberer
naa) ber ©migfeit, ein r>on ber §anb be3 §erm auf mein irbifdjes Vaterlanb geworfene^
9?ef3. 3<^ liebe in xi)t etwas ältere^, atö unfere gange Vergangenheit: nämlia), roa§ fie
5 noer) i)on ber ^trcfye ©bjifti an fid) b,at, ober inelmebj bie $ircr/e ©fyrifti liebe tet; in ib,r"
(Lib. rel. ©. 48). 28ir gtoeifeln, ob 33. fieb, noer; fo Ijätte au§brüden fönnen, al§ er
1842 feinen essai fyerausjgab. ©tefer ift noeb, toiel mefyr al§ ba§ memoire, ba§ „$ro=
bult einer Iirct)Itd^en Ärifi3, entftanben mitten in grofjer ©ärung ber ©emüter" (»gl.
§erjog§ üftecenfion, ^©t$ 1844), tr>a§ man beim 2efen beS 33ucf»e§ mit feiner Ieiben=
10 fcfyafilicfyen ©pradje tt>ot)I im Sluge behalten mu|. ©agfelbe erfaßt in jtoei feb,r un=
gleite %eile, „bon benen ber erfte furze eine fdjöne moralifdje Slbfyanblung über bie
$ßflid?t, feine Überzeugungen barjulegen, ber jtüeite ba3 berebtefte Patbor/er für Trennung
r>on $ird;e unb ©taat ift. 2)ie ©runbanfdjauungen beS SJtemoire finben fid; Ijner t>er=
fdjärft toieber. ^autotfäcfyltcf; toirb ber ©ai$ befämbft, baft ber ©taat ber ganze ■äJtenfd)
15 fei. 9ton, er ftü|t ftcb, nur auf ba£, ft>a3 aßen SRenfcfyen gemeinfam ift, alfo auf bie
^bentität, mä^renb bie religiöfe ©efettfcfyaft auf bas>, ma§ feiner -Katur nacb, nicfyt @emein=
gut Werben famt. auf ba§ ©etoiffen, mit anberen Söorten auf bie Qnbtbtbualttät ©a
ber Verfaffer bie Qnbünbualität a(§ jum innerften Söefen be§ @l)riftentum<§ gehörig an=
fielet, fo wirb u)m bie Verbinbung f>on Ätrdje unb ©taat jur „§ärefie", jur „Süge",
20 bie Trennung hingegen zum ©ogma. 9cur bie Slircfye be§ libre examen mit feinem
„peuple de franche volonte" läfjt er gelten, für jjebe anbere fcfyeinen ifym bie fdfyärfften
2lu§brüde nidpt ju fcfyarf. 2Ib§ ein SRangel ber bezüglichen arbeiten SB.g Wirb e£ be=
Zeichnet Werben muffen, bafj ber 2lutor e3 unterlaffen Jjat, bie ^Begriffe $ircr;e unb
©taat fdjtarf zu toräztfteren. llnfer heutiger ©taat^begriff bedt fieb, fcfyWerlicf) mit bem
25 feinigen.
Sie $rone ber bte§bezüglid>en ©eifteäarbeit 3S.g bilbet bie fdwn meb/rfad) ermähnte
Heine ©d;rift: Du socialisme, beren §auptgebanfen ©euerer (a. a. D. ©.159) treff=
Itd) jufammenfa^t : „®ie 2lnf)änger be£ Slutoritätäc^riftentumä unb bie 9fationaIürcr;en
finben fid> in bie Verteibigung eines> ©r/ftems> bertoidelt, öeffen ^ragtoeite unb 3Ser=
30 jmeigungen fie bei weitem nid}t toafyrnefymen. 3)ie Wlmföfydt ift ^mifcljen jtoei Stiel):
tungen, mie bie Seligion jtotfe^en gtoet Seb.ren geteilt. ®ie ^erfönlicb.feit in ber Religion
giebt als> moralifd)e§ unb ^oiittfd^eg ^rin^ty bie Qnbttoibualttät ; bem 5ßantb, eiömug feiner=
fete entf^ric^t ber ©osiali3mu3. ®er ©o§iali§mu§ ift !eine X^eorte bon geftern, fonbern
eine Stiftung, bie immer bageroefen ift, unb eine ^fjatfaef/e, bie bie ©efcr/icfyte erfüllt.
35 SBie ba§ ^eibentum ^antfjeiftifcb, ift, fo ift e3 aueb, fo^ialiftifd), mäb,renb ba§ (S^riftentum
bie wab,re 2lnfunft ber Qnbibibualität in allen fingen ift" Unb baft ber !ircl)licb,e
9Jationali^mu§ gleic^ertoeife tüte ber ^atb,olici§mu§ ben ©oziali^mug auf bie mirlfamfte
Söeife ^rebigt, inbem er tb^n in ^ßrarj3 fe^t, ba^ ift SS.g §au|3tanllage gegen i^n.
Sela^itulieren roir: „3"erft ^rebigt iv nur 3lcb,tung ber 2lnfia)ten. ®ann fie^t er
40 ein, bajj bie greifyeit nur bann boÜftänbig fein toirb, roenn bie religiöfe ©efeUfcb,aft fic§
ganj unabhängig regiert, älber biefeS self-government ber Äirc^e ift für ib,n nur
ein ^beal, unb tfyatfacfylicb, befdbränJt er fic§ barauf, ©arantien unb allerbingg mit ber
3eit immer ftärfere ju forbern. ®ie 9cott»enbigfeit be^ SSefteben^ ber -Jiationaltircfye er=
fennenb möchte er, baf? fie wenigften§ mit 3Bürbe beftelje. 33alb inbeffen fcb,eint e§ ib,m
45 nottoenbig, ba§ ©r/ftem ber Trennung in ber näcbjten ^ett ju realifieren, unb .um barauf
Vorzubereiten, münfdjt er bie 3Iufnab,me ber Saien in§ Äircfyenregiment, unb ib,nen triebt
nur für VertoaltungSfacb.en, fonbern aueb, für 33eftimmungen ber £eb,re ©i§ unb ©timme
Zu geben; hierauf fief)t er in ber Trennung ba§ §eil ber ^irebe unb ber mobernen ©e=
fellfcl)aft. ©a§ ^rinji^ ber Vereinigung fdbeint if)m mit allen bie ^rtbibibualität bebrob/enben
so 5Räcr;ten, wie ^atfjolictemu^, ©ozialigmuö k., in Verbinbung ju fteben. @r bezeichnet
fie aU ©^ebrueb, unb prebigt bie Trennung aU eine ^ofitib bringlicbe ^ßflicb.t"
(Vinet d'apres ses poesies ©. 191 f.). SDie ©ntwicfelung feiner %bten ift eine orga=
nifefee, au^gel)enb bon ber älutonomie be§ ©eroiffeng, unb jeber neue ©cfjritt fteb,t mit
irgenb einem bureb, baö ©emiffen bebtngten inneren Vorgang be§ ®enfer§ im 3U=
55 fammen^ang.
©em Vrinji^ ber Snbitoibualität, baö V. auf bem praittfcb^fircbjicfjen ©ebiet fo
entf Rieben bureb, geführt bat, begegnen wir toieber, toenn roir nun furz feine Geologie
cb,ara!terifieren. 3mar ift roob,! z" beachten, bafe mir e§ bier niebt mit einem ^lieologen
im tedmifef/en ©inne be§ 2Borte§ zu ^un b^aben. ®aö zu fein; binberte ibn fa)on ber
go Don if)m bellagte 50tangel grünblid;er tbeologifebet Vilbung. ©in ©Aftern b,at er niebt ge=
«inet 689
fcfyaffen. 2Bof)l aber finb grofje gbeen bon ifmt ausgegangen unb für bie Geologie tote
für bie $trcf)e fruchtbar geworben. Wlan fyat oft auf bie 33erwanbtfcf;aft 23.3 mit ^aScal
aufmerffam gemacht, $a3cal mar in ber SEfyat ber 9Jlann, ber ifm am nacb^altigftcn
beeinflußt f>at. Sßäfyrenb ber ©cfptte @r3rme fein religtöfeö Seben getoeeft unb ber
©eutfcfye &ant feine @rfenntm§ bfytlofobr/ifct; begrünbet unb bertieft f)at, fo mar e§ ber 6
granjofe ^]3a§cal, bon bem fic^ feine ^nbibibualität am meiften angezogen füllte, ja er
felbft ift ein $a3cal redivivus geworben, ber freilieft, bie janfemftifcb^!at|oIifcr;en ©lemente
abgeftreift fyat. @<o ift bar um auef; nicfyt zu bermunbern, baf? bie poftlmmen etudes sur
Blaise Pascal ia§ geiftboßfte finb, mag über biefen ^3f)ilofobr)en gefcfyrieben morben.
9tambert Ijält bafür, bafj bie „braitifct/e $I)ilofobl)ie beS ßfjriftentumJ", bie 23. I)erau3= io
Zugeben borfyatte, bor ben Pensees unftreitig ben 33orzug berbienen mürbe. $a3cal mar
Stbologet, unb eben bieg mar auef; 33. im eminenten ©inne be§ 2Sorte<§. 2luf ben ©e=
banlen, mie ba§ ©bangelium ober bie 2öaE)tlt)eit ben 23ebürfniffen be^^erjeng bottfommen
entfbrecfye, legt er ben §aubtnad)brucf in feiner Slbologetü. Sftebj berlangen fnefje mit
Äerjenlia^tern bie ©onne erleuchten motten. Sieben biefer Söafyrfyeit giebt e§ gemif biele 15
anbere, bie mit il)r bergltcf/en it)rcrt unbeftreitbaren SBert b/aben, aber fie finb berlornen
Minbern är/nlicr;, bie ju ifyrer SRutter geführt ju merben begehren. 33. ift unermüblicf),
feine ^been in immer neue Silber einzureiben. „(Srinnert ibj eueb, be§ ©ebrauc£)§ ber
antuen ©aftfreunbfcfyaft v. ©fye man fic$ bon bem grembling trennte, jerbrad) ber §au^=
bater ein tfyönerneS ©efäfj, auf meinem gemiffe ©cf/rtftzüge gebrueft maren, gab ifym bie 20
eine £>älfte unb behielt bie anbere; menn biefe SBrucbjücfe nad) 3>ab/ren einanber mieber
nab/e gebracht unb jufammengefügt mürben, fo ernannten fie fiel) fo^ufagen mieber, be=
mirlten ba§ 2öiebererlennen berer, bie fie fieb, gegenfeitig barboten, unb bilbeten neue
Beziehungen, inbem fie bie alten bezeugten. ©0 fügt fiefy in bem 23u$e unferer ©eele
Zu angefangenen Sinien tl)re göttlicf/e Ergänzung; fo entbeeft tfvax unfere©eele bie3Safyr=25
f/eit nicfyt, aber fie erfennt fie" (Discours ©. 368). 93. ift überzeugt, baft bie ptyä)o=
logifcfye 9JJetl)obe in ber Slbologetil bie mirlfamfte fei, me^alb er fie ben jungen ^rebigem
etnbringlicr; embftefylt. @r felbft menbet fie in feinen eigenen ^3rebigten mit Vorliebe an,
fie ift feine ©tärfe. ©urefr; fie Ijat er ben ©ubranaturaligmuS mirffam beiämbft, inbem
er nad;mie<S, baft ber fyiftorifcfye 23emei3 für bie ©emipeit, beren ber SRenfct) bebarf, un= 30
genügenb unb unzulänglich, fei. Unb ebenfo fetjt er bem SfationaltämuS gegenüber ba§
§erz ober ba3 ©emüt mieber in feine Steckte ein, inbem er geigte, mie bie logtfcfyen 33er=
nunftbebuftionen nicfjt bermögen, eine religiöfe Überzeugung ju ftanbe ju bringen. ®er
befte 93emei§ be§ 6l)riftentum§ liege in feinen Söirlungen.
Slber fo grofje 33erbienfte ftd) 33. buret; feine bf^ologifcb^e 5DIetf)obe ermorben, fo 35
bilbet boeb, gerabe biefe mieberum feine ©c^mäcb^e. ©emife macfyt ber l)iftorifct)e ©laube
nieb, t feiig, aber bie Inftorifcb/en gaftoren, bie äußeren 33emeife, liefen fieb; nid)t ungeftraft
öerrtacr;läf [igen ; man geriet auf bie fcfyiefe ©bene emer rein fubjeftiben ©rlöfung. ©ä^e,
toie biefer: „ba^ ©bangelium liegt auf bem ©runbe jebeS ©emiffen§ berborgen", tonnten
gefäb^rlicb, merben. ®enn menn bas ©bangelium nur baö ift, toa§ bas §erj bebarf, nur 40
ba§ ju Söorte gelommene ©emtffen, fo ift eben ba<§ ©emiffen ber alleinige StRa^ftab für
bie religiöfe 9Baf/rr)ett, unb mir fallen unberfel)en§ in ben berabfef/euten Stationaliämuö.
"SRan b,at aueb, nicb,t berfeb^lt, 33. ben 33ormurf be3 9iationaIigmuö ju machen, unb ber
Umftanb, bafe feine ©cb^üler ai)nl\ä) mie biejenigen ©ct;leiermacl)er§ fieb^ in eine Diente
unb eine Sinfe grubbieren, entfräftet biefen 33ortourf noeb; nic^t. 2Iftie b,at in feiner 45
©cfyrift Le Vinet de la legende et celui de l'histoire (^3axt§ 1882) unfern Slutor
für bie liberale %i)tolog,k u. 21. ßfyaban in ber 33rofcf)üre L'actualite de Vinet (£au=
fanne 1907) für bie mobernfte, ^3fy afe berfelben in 2lnfbrucb, genommen. @3 ift mab,r,
e§ giebt eine gan^e 3lnja^I Witterungen 33.§ in Briefen (bgl. befonberS benjenigen an
©röfine bom 25. SZobember 1844) unb im ^3ribatgefbräc|, bie barauf fcfyüejjen laffen, so
baft feine SLt)eoIogte mit berjenigen ber ftriften Drti)obone fiel) nicb,t meb/r bedt. Stber
if>n jurn Zweifler ju magert, geb^t boeb, nid)t an. ®ic tf)eologifcb:e 2luöbrucf»meife bei
reveil mar feinen fbäteren Überzeugungen nicf)t meb^r abäquat; aber er füllte fiel) nicb,t
berufen, fc§on um ber mangelnben tb;eologifcb,=miffenfcb,aftlicl)en S)urcf)bilbung mitten, ber
Äircfye neue Formulierungen ju geben. Unb ba<8 f)ängt mit ber munberbar garten Crgani= 55
fation biefer übergemtffenb, aften ©eele zufammen. 9JJan lann oft ben 2Bunfä) nict;t unter=
brücfen, bafe er im blieben unb im ©cf/meigen meniger f!rubulöö gemefen fein möchte.
5Da^ bie liberale ©djule im frangöfifcb, en ^roteftantiömuS ib^ren Sluöganglbunlt mit 33or=
liebe bei 33. nimmt, erllärt fieb, aul bem mt)ftifcr;ert ©lement, mit bem feine religiöfe
Überzeugung gefättigt ift. 2Xber einen 33rief, mie ib^n ber auf bem ©terbebette liegenbe w
iReat=(Stici»Uopäbte für Xfteologte unb Striae. 3. W. XX. ^4.
690 Sßtnct
©enfer ä un jeune homme (Lettres II, ©. 385 ff.) gerietet Bat, f)ätie ein liberaler
Geologe bod) n>obJl nicfyt gefcb,rieben.
SBäre 3S.g 33erf)ältni<§ gur Stfmft ein HarereS, fo Itefse ficb, ber33ort»urf be§ Ratio=
naltSmuS um fo eber entkräften. 2tllein baS ift ein äftangel feiner Slbologettf unb feinet
5 t!j>eologifd)en ©tanbbunfteS überltau^t, ber mit bem bereits befbrod)enen gufammenfyängt.
2Ran fann bei 33. eigentlich, ntctjt bon ©cfnüftautorität reben, fonbern nur bon einem
credit de l'Ecriture. hingegen machen mir gu feiner Rechtfertigung barauf aufmerffam,
bafs bie bon il)m betonte Übereinftimmung Don ©emiffen unb ©bangelium eben nocb, nicfjt
^bentität ift. Unb ber Umftanb, baf? 93. in allen feinen ©Triften ben ©ünbenfall unb
10 bie ©rbfünbe, wenn auctj nictjt im fd>olaftifa)en ©inne, ferner bie großen §eil3tb,atfadjen
be§ @bangelium§ famt ben SBunbern beSfelben fo rü(ft)altlo<o unb fa)arf als Realitäten
betont fyat, foHte bie moberne liberale Rheologie allein fäjon abgalten, 33. gu ben irrigen
gu rennen, ©er gange ßfyarafter feiner ©Triften, bie über ben mtojtifdjen ©tanbbunft
be§ 33erfaffer3 feinem gmeifel Raum laffen, geigt ferner gur ©enüge, roie il)m bie£)ffen=
15 barungStI)atfad)en als folcr/e bie abfolut notroenbige 33orauSfet$ung finb. ®aS ßfyriftentum
ift für 33. in erfter Sinte eine ©efdjndjte, eine S£t)atfacfye, unb mufjte eS fein, bamit es
ficb, ©ingang berfcfyaffen fönne. ©eine legten öffentlichen Äunbgebungen in ben nou-
veaux etudes laffen über beS ctiriftlidjen SDenferS dEjrifiltc^e Überzeugung menig
gweifel übrig.
20 $n feinen bogmatifa^en Slnfc^auungen ftrebt 33. bie Einigung beS Dbjeftiben mit
bem ©ubjeftiben an. SDie Igbee ber Harmonie ift unferm ®enfer roefentlicfy. Riebet um=
fonft t)ält er an ber ©ottmenfc£)l)ett ifyrtfti mit aller ©nifcfjiebenljeit feft. SDenn eben
fyier finbet er beibe gaftoren, ben objefttben unb ben fubjeftiben, bereinigt, „SDie ©inigung
ber gangen gülte ber ©ottJ>ett mit ber gangen gülle ber 3!Jienfcfyf>eit in Gfnüfto mar fo=
25 mol)l baS Programm ober baS ©bmbol, als bie ©tütje unb baS SBefen einer neuen
Sebje" (Etudes s. B. Pascal ©. 189). 2Bal)r ift aÖerbingS, bafc 93. mef/r unb gu=
meilen über ©ebül)r ben fubjeftiben gaftor fierborgeb, oben i)at. 2Bie föant baS „®ing an
für)" auf fia) berufen läfjt, fo gieb,t 93. bie DffenbarungStfyatfadjen rticr)t in nähere @r=
roägung ; aueb, er mar lein greunb ber Sfteiabfyr/fif in ber Geologie, ^a, er ift übergeugt,
30 ba| bie tb^ologifcb^ ©befulation gefäb^Iict) fei: „Sie erf)abenften unb notroenbigften ©befu=
lationen über ^efuS 6l)riftuS, fagt er einmal, finb auStrocfnenb unb mörberifcb/' (Etudes
evangel. ©. 56). §at er bie $rage bon ber ftellbertretenben ©enugtfyuung gu erörtern,
fo befcfyeibet er fid; mit bem §inroetS auf baS ©efeij ber ©olibarität : „30ian fann biefeS
©el)eimnis mit einem allgemeineren ©efyeiinnis in .ßufammenfyang bringen, baS mir alle
35 accebtieren, roeü bie ^atfacfjen uns bagu groingen: mit bem ©efleimnis ber ©olibarität.
SDie ©ünbe ift übertragbar: warum foUte eS bie ©erectjtigfeit unter gemiffen 33ebingungen
nicb,t auef) fein? SDaS alle§ erllärt bieEeicfjt nicf)t§; bennoeb, ift ba§ aKe§ nieb, t ob^ne^raft"
(Semeur XV, ©. 443). Söeniger $ant§ al§ bielmefir ^3ascal§ (Sinflufe nehmen mir
toab^r, benn 33. ba3 §erg für ba§ Drgan ber anfcfyauenben unmittelbaren @r!enntni§
4oauSgiebt: „ber 33erftanb er!ennt nur 2lbftra!tionen unb formen, ba§ ©emüt fie^t Söefen
unb ©ubftangen; ber 33erftanb fennt nur ©attungen unb Strien, ba§ ©emüt fieb^t 5ßer=
fönlic^Ieiten ; ber 93erftanb mei^, baS ©emüt fiefyt" (Sb,reftomatf)ie III, ©. 78).
2lud) barin get)t 33. mit $a§cal einig, ba^ er bem SBißen eine brimäre ©teHung
in ber 33ilbung ber religiöfen Übergeugung guteilt. „SDer ©laube beginnt erft ba,
45 mo ber 2BiHe beginnt, too ha§ ©emüt in Slnmenbung fommt, mo, um aHe§ gu fagen,
eine %fyat ftattfinbet. 3)er ©laube ift ein SBerl ober er ift nicfrtg" (Nouv. disc.
©. 96). „8n ber cbjiftlicfyen Religion ift atte§ Wtoxal; bie ©ottb,eit 6b,rifti, bie
33erföb,nung, alle ©efjeimniffe finb im ©runbe Ttoxal ^b^r ^mec! ift ba§ §eil unb
bie Söiebergeburt be§ 2Renfd>en" (Moralistes des XVI0 et XVIP siecles ©. 16). 3Bir
so erinnern un<S bei biefen SXu^erungen ber fc^on in 33.§ (SrftlingSfdjriften brollamierten
@inb,eit bon SJJoral unb ©ogma. ®a§ ©ogrna b,at für ifm nur eine 33ebeutung, fofern
e§ auf§ $anbeln einen @influ£ ^at. „$Der ©laube ift ein 2Berf", ia§ toirb immer mebj
ein SiebIingSfa| 23.§. 3JJan bergleidje inöbefonbere in ben Nouveaux discours bie
beiben Reben: 1'oeuvre de Dieu. %ro| ber ©nabe ift ber ©laube bod) eine ©aa)e be<§
55 SBiaeng, eine fittlicb^e %i)at, unb bie Religion ein „©efyorfam" 33ufee, 33efeb,rung, §ei=
ligung, aHe biefe Ramen begegnen Steile ober Momente einer unb berfelben SLb^atfa^e;
bie Heiligung ift feb^on in ber 33ufse, bie Heiligung ift eine fieb, fortfe^enbe 33e!eb^rung,
bie 33etebjung eine beginnenbe Heiligung, unb ber ©laube fcfylieftt . . alle ©lemente
be§ d£)riftlict>en Sebenö ein" (Nouv. discours ©. 116). 33.3 religiöfe§ Seben felber giebt
60 einen Kommentar gu biefen ^been, benn e§ b,at ben gfyarafter eines 9BerfeS, ba§ nie
»inet 691
jur Rufye tarn. Db c«S Wof>I mit biefer Sluffaffung beS §eilSbro,$effeS jufammenfyängt,
baß V.S ©Triften bort gebilbeten Hattjolilen mit Vorliebe gelefert Würben?
Sei V.3 Seiftungen auf bem ©ebiete ber braf'tifcfyenSLIJKologie fommen nur
boftfmme äßerfe in SBetrad^t, bie olme bon ben gehsö^nltd^en Mängeln berartiger Sitteratur
frei gu fein, trofcbem nocl» rttc^tg weniger al§ beraltet finb. 2tn ber Theologie pastorale 5
(recenfiert bon dienten, SEl)©t® 1852, ©. 467) fyeben Votr Ijerbor, baß bem Verfaffer ber
Unterschieb gVütfd^en ^aftoralt^eologte unb braftifcfyer Geologie nitfjt bewußt War, bafyer
aucb, in ben Vereid) ber erfteren $rebigt unb Hatecfyeje gebogen werben. SluSgegeicfmet
ift baS SBud) namentlich burcfy reiche Verwertung franjöftfcVfatfyolifcfyer Sitteratur, unb
Wie ju erwarten ftefyt, burcb, eine gütte originaler ©ebanfen. SDem ©eiftltcfyen fprid£>t er 10
jeben brtefterlicfyen @l)arafter ab; berfelbe tfyut nur berufsmäßig, WaS bei borfommenben
(Gelegenheiten unb auf ifyre 2öeife äße Stiften tfmn foHten: „Le ministre est le
chretien officiel, c'est l'homme Symbole" (©. 140). Sie Vrebigt nennt er ein SiebeS=
Werl unb ein 9Ktofterium. ^m Religionsunterricht fteljt er einen HultuS. 2)aS 23utf)
bilbet ein ebleS ©eitenftücf bon reformierter «Seite ju bemjenigen bon §armS unb fann 15
bermöge feines feelforgerlicfyen ©IjaraiterS nur mit ©egen gelefert Werben. Stuct) ba tritt
35. mit {»eiligem ©rnfte bor unS als ein „directeur de conscience"
Von feiner §omiletiI (recenfiert b. Genien, 2l)Stß 1858, ©. 581) &at bon^ejftt)^
Wh) geurteilt, fie fei „baS geiftbollfte befte Vucfy ber ?ceujeit" 9Bir Wagen ntd)t ganj
fo Ijod) ju greifen, inbem aucf) allerlei äftängel ber 9Retf)obe Wafyrjunefymen finb. ©er 20
toiffenfcfyaftlicfye ©tanbbunlt berührt fiel) auffafienb mit bemjenigen XfyereminS : bie 5tf)e=
torif ift baS genus, bie §omüetii bie species. ®ie Vrebigt befiniert er als „eine bem
öffentlichen Kultus einberleibte Rebe, bie beftimmt ift, beibeS gugletct) ober WecfyfelSWeife
ben sur cfyriftlicfyen 2öaf)rb,eit gu führen, ber noef) nid)t an fie glaubt, unb fie benen ju
erflären unb auf fie anjuwenben, bie fie bereits erlannt fyaben" (©. 12). ©egen ben 25
lert behält fid) ber Verfaffer ä£?nltcb Wie §armS giemlicb, inbifferent, aud) fijiert er fein
Sfyema, et)e er noeb, ben %qct gewählt. 2Bie ;n ber VrarjS, fo läßt er fiel) auefy in ber
%b[iotk faft auSfdjließltdj bie ftmtfy etifcfye VrebigtWeife angelegen fein. ®ie Vemacfyläffigung
ber $unft rügt er fcfyarf, benn bie Hunft ift eS, bie unS Wieber jur Ratur gurücffübjen
muß. $n ben Giraten beruft er fieb, mit Vorliebe auf bie beutfcfjen S^eoretiler unb auf 30
bie franjbfifcfyen Vrebiger, bie er befonberS eingefyenb ftubiert ^atte. £>ie Siefultate biefer
©tubien finb niebergelegt in bem britten braltifcb^tfyeologifcfyen 2Berl: Histoire de la
predication parmi les reformes de France au dix-septieme siecle, einer Slrbeit
bon großem Wiffenfcfyaftlicfyen SSert. ®enn ba tarn bem Geologen ber feine SttterarfnftorU
fern bortrefflieb, ^u ftatten. 35
©er Vorzug ber eigenen Vrebigten V.S befteb,t neben ber muftergiltigen ©brache
fyaubtfäcljlicfy in ber 9Jceifterfcf)aft, mit ber er feine bfydwlogtfdje SDcetfyobe b,anbb,abt, \oäfy
renb in ber 23emacf)läffigung ber biblifcfjen Vegrünbung ifyre ©djtWäcfye liegt. ©rWälmung
berbient, baß ber Vrebiger feine forgfältige SDiSbofition Wa^rfc^einltcb, aus Üinftlerifc^em
^ntereffe fo biel als möglich ju berbergen fucf)t. 33on ben fünf 33änben f^omiletifc^en 40
6b,aralterS ift nur ber erfte ganj aus toirllicb, gehaltenen 5ßrebigten gebilbet. ®ie übrigen
enthalten bielfacb^ abologetifcb,e ober etljifc^e ©tubien in rb,etorifcb,er gorm, einem ber=
b,ältniSmäßig lleinen Greife bon ©tubierenben borgetragen, ©en außerorbentlicb,en @in=
bruef, ben feine ^rebigten Ijerborriefen, fcfyilbert ein geiftboüer §örer (@bmunb ©cberer)
mit ben 9Borten: ,,©aS ©ebeimniS beS unbelannten ^auberS, unter bem man fiel) füllte, 45
inbem man ib,n f)örte, befteb^t barin: er War bollfommen Wabr. üaum bemerfte man bie
fo bolltönenbe Wob^lllingenbe ©timme, ben angebornen 3lbel ber ©eberbe, bie feine S)ia=
leltif ber Beweisführung, bie gütfe unb llrfbrünglicb,Iett ber ©ebanlen, ben auSgefucbten
©efcb,mac! beS ©tilS unb Vortrags; man War bon etwas §bb, erem unb Mächtigerem
gefeffelt. Man fyatte einen SKann bor fiel), ber bie Hansel beftieg, Weil er etwas ju 50
fagen b,atte; man füllte, baß, WaS er gab, fein Seben, er felber war . 93. riß mit
fia) fort, aber unborfällicb,, burcb, eine ganj religiöfe unb geiftlicfyc ©eWalt; er entlocftc
%i)xänm, aber %b,vänm ber Demütigung; man beWunberte, aber man beWunberte ben
©eift ©otteS unb feine Mafyt; inbem man barüber nacb>acfyte, erlannte man Wofyl, baß
ein fo botlenbeteS SBerf buret) eine bollenbete Slunft eräugt Würbe, aber man War jugleicb, 55
ju ber 2lner!ennung gezwungen, baß biefe Äunft felbft in ber 3lufricf)tig!eit befiele, Welche
ben 2tuSbrudl mit ber ©mbfinbung, bie ^orm mit bem ©ebanlen in Ubereinftimmung
brachte unb aHeS einem ebangelifcf)en $\vtäe unterorbnete" (a. a. D. ©. 178 ff.).
Herren Wir fcb,ließlicb, bon außen Wieber ^um Gentrum jurüc!, ju 93.S innerem 2eben,
fo erfannten Wir bereits bie beutliä)en ©buren babon in feinen ©iditungen. Viele feiner 60
692 »tttet
^ßoefien finb freilief; bürgern«! nid;t für bie Öffentlichkeit beftimmt, unb aueb, nid;t beratt,
bafj Wir 33. unter bie ®id;ter erften 3tange3 einreiben bürften. ^mmerf/in ift mit 9ted)t
eine ganje Stnga^I tief embfunbener Sieber in bie franjöfifc^en ©efangbüct;er übergegangen.
2ln ©tette be§ Ibrifcfyen ©ct)Wunge§ tritt meift bie ruhigere föontemblation. 23efonber§
5 machen Wir auf ba§ $arfreitag£tieb aufmerlfam: „Sous ton voile d'ignominie", mit
3lnflängen an ba§ beutfd^e : „D £>aubt bott SStut unb SBunben"
23.3 geiftige Begabung fann !aum genug t;erborgeI)oben Werben. ©ri)on au§ unferer
tnabben ©arfteÖung Wirb man aber erfefyen fyaben, bajj bei if)m bie geniale ^ßrobuftibität
bei weitem bie Stecebtibität überwog. Unb Wie in feiner Geologie ba§ ©ubjeftib=ett;ifct;e
10 met;r jum 2tu3brud fommt, fo aua; in feiner grömmigfeit. 21H fein ©orgen unb ®enfen
täfjt er im ©ebet ausgingen, Qu ben ©runbjügen feiner grömmigfeit gehören ferner
feine unbebingte, in fcfytoeren |>eimfud;ungen gereifte ©rgebung in ©otieS SBitlen, unb
fobann feine SDemut, bie ftd; in 23efd;eibenr;eit nie genug tr/un lann. ©o machte er 3. 23.
nie ©ebrauet) bon ber 2Bürbe eines £)oftor3 ber Geologie, bie 23afet ifym beim ©Reiben
15 »erliefen, WeSfyalb bie Uniberfttät 23erlin ifm 1846 noct) einmal bamit beehrte; unb oft
erflärte er, bie fran^öfifd^e ©rammatif fei eigentlich ba§ einige, Worauf er fid; berftef;e.
2lnonr;m machte er ftd; Wieberf;ott ba§ Vergnügen, feine eigenen ©d;riften fct)arf ju friti=
fieren. 23on 23.S Werltl)ätiger Siebe unb felbftlofer Eingebung laffen Wir feine 23tograbt)en
erjagen.
20 (Siner ber ebelften ßbaraftere, bon bem ©tröme lebenbigen 2Baffer3 ausgegangen finb
unb nod; ausgeben, ift 23. ganj geWifi. ©3 ift erftaunlid), Wie Wenig beraltet 23.3 Qbeen
unb 2\3 23ücf;er finb. 2lber er t;at eben feine 3eit überragt unb ift it/r borangeeilt.
sIRit $Rect)t t)at man il)n mel)r einen $robt)eten als einen Xbeologen genannt. 3>n £au=
fanne ben!t man mit gutem ©runb an eine 9ieuau3gabe feiner fämtlidjen ©cfyriften, in
25 ber audj bie „brattifcfye 23t;ilofobt;ie be3 Sf)riftentum3" nict;t fehlen Würbe. (Sin retigiöfeS
©enie War 23. ofyne .ßWeifel, e^n 2Ibologet be3 @bangelium3 bon feltener $raft unb ba3
bielteicfjt nod; met;r buret; feine Werfen al3 burd; feine ©Triften. „2Ber ift bod; jener
t;äf$Iid;e SJcenfct), ber fo fdjön Wirb, fobalb er fpricfyt?", fragte einft, auf 23. beutenb,
eine geiftreidje grau. %a, 23. War unb ift fd)bn, fobalb er anhebt gu reben. „®ie Sefyrer
30 Werben leuchten Wie bie ©terne", liefen feine greunbe auf fein ©rab fcfyreiben. 9Bir
fd)Iief$en baran ba3 anbere Söort, ba3 23.3 ©attin ju biefer ©rabfcfmft glaubte b^injufügen
ju muffen: „Unfer Seben ift mit Gr/rifto berborgen in ©ort"
23.3 ©Triften, fact)Iid; georbnet unb mit bem £>atum je ber erften Auflage berfet)en,
finb folgenbe : Discours sur quelques sujets religieux, ^3ari§ 1831 (beutfet) nad; ber
35 ^Weiten Sluflage bon 23ogeI 1835, nad; ber 4. 2tuflage bon 2X. b. 23onin 1847; aud; ins
@nglifd;e unb ^talienifd)e überfe^t). Nouveaux discours sur quelques sujets reli-
gieux, 'ȧartsj 1841. Etudes evangeliques, ^3ariS 1847. Meditations evangeliques,
23ari§ 1849. Nouvelles etudes evangeliques, ^ßariS 1851 (beutfer; bon Seemann
unb 23ogel: @bangelifd;e ©ilberblide 1863, einzelne Sieben fd;on früher überfe^t bon
40 S- ©d;mib). Memoire en faveur de la liberte des eultes, ^ßariS 1826 (beutfet) bon
23oI!mann 1843). Essai sur la manifestation des convictions religieuses et sur
la Separation de l'eglise et de l'etat envisagee comme consequence necessaire
et comme garantie du principe, $ari§ 1842 (beutfet) bon ©bengter 1845; aud; inS
@ngl. überfe|t). Liberte religieuse et questions ecclesiastiques, ^3aviS 1854. Theo-
45 logie pastorale ou theorie du ministere evangelique, 23ariS 1850 (beutfet; bon
§affe 1842). Homiletique ou theorie de la predication, ^|3ari§ 1853 (beutfer) bon
©d;mib 1857). Histoire de la predication parmi les reformes de France au
dix-septieme siecle, 5)3ariS 1860. Essais de philosophie morale et de morale
religieuse, $ari§ 1837. Melanges, ^ariä 1869 (biefer 23anb enthält ba§ eben genannte
50 2öerf, ba^u : etudes litteraires et notices biographiques, unb f ragments inedits
et pensees). Etudes sur Blaise Pascal, ^ßariS 1848. L'education, la famille et
la societe, ^3art§ 1855. Chrestomathie frangaise, ou choix de morceaux tires
des meilleurs ecrivains francais, Bäle 1829. 1830, 3 23be. Histoire de la litte-
rature francaise au XVIIP siecle, 23ariS 1853, 2 23be. Etudes sur la littera-
56 ture frangaise au XIXe siecle, $art§ 1849. 1851, 3 23be. Moralistes des seizieme
et dix-septieme siecles, ^3ari§ 1859. Poetes du siecle de Louis XIV, 23ari<g 1861.
Lettres d'Al. Vinet, 2 vol., Saufanne 1880. 23gl. Catalogue des oauvres d'Ale-
xandre Vinet im 2. 23be ber 33iograbb,ie Lamberts 3. Stuft. (1876), ©. 324—363. ©in
23inet=2tra;ib befinbet ftet) in ber 23ibtiott;et ber tbeot. gafultät ber Eglise libre in
60 Saufanne. «rnoli» SRücßg.
Sßtret 693
»irrt, $ et er, geb. 1511 juDrbe(aBaabt), geft. 1571 juDrt^ea (93öarn). — fiitteratur:
lifjcneutfere, Farel, Froment, Viret, reformateurs religieux, Geneve 1835; 91. ©ottous, Etudes
litter. sur les ecrivains francais de la reformation, Paris. Geneve 1841, 1. 1, p. 181 241;
.Öang, La France protestante t. IX; Dr. g. ©djtntbt, £ekn u. auägem. ©djvtften berSSäter
u. 23egrünber ber ref. tircfje, ©l&erfelb 1861, t. IX, p. 39— 71 ; ein fet>r mertwoßer Seitrog; 5
3. gart, Pierre Viret, Biographie populaire, Saufanne 1864; <ßtj. ©obet, P. Viret. Etüde
litter., Saufaime 1892; (gdjnejjler u. Sarnaub, Notice bibliographique s. P Viret, Sau=
ionne 1905.
^eter 33iret (Pierre Viret), einer ber Reformatoren ber romanifd)en ©cbmeij, marb
geboren 1511 ju Drbe im nörblid)en %t\l bom Danton SBaabt ; fein^ater mar £uc$fd)erer. 10
$n ber ©d)ule feiner 23aterftabt batte er einen tücbtigen unb frommen Sel)rer, Wiaxc
Domain, bon meld)em er in einer feiner ©cbriften mit großem £06 rebet. gum geift=
liefen ©tanbe beftimmt, ftubierte er ju $ari<§; ba§Sefen reformatorifd)er ©cbriften bemog
if>n, bem $atb,oItci§mu3 ju entfagen; er lehrte nad) feiner SBaterftabt ^urüd, mo bereits
ba3 ©bangelium einige 2lnbänger jäfylte. garel, ber 1531 nad) Drbe tarn, meibte ifm 15
jum ^rebigtamt. @r torebigte bort am 6. 9M 1531. ©r berfünbigte nun ba§ 2öort
©otte§ an berfebiebenen Drten, oft gefdjmäfet unb mifjfyanbelt, 3. 33. in Sjßafyeme, mo er
bon einem ^riefter fd)mer bermunbet mürbe, aber obne manfenb %a merben. 1533 be=
gab er fid) nad) ©enf, mo er gareis ©ebilfe it>arb; er teilte beffen ©efafyren unb
©ieg: einer SRagb, meldte burd) bie ^riefter angetrieben mürbe, gelang e§ ©ift in bie 20
©ubbe einjumifd)en. 33iret mürbe fo franf, bafj er fein ganzes Seben binburd) an ben
folgen biefer Vergiftung litt. 3laä) ber ©infübrung ber Deformation in biefer ©tabt
ging er für eine $eit lang nacb Neuenbürg unb bon ba nacb. Saufanne. 3m Oftober
1536 I)ielt er bier ein öffentlid)e§ ©efbrä'd), in bem er einige bon $arel aufgeteilte
%t)tfm mit ©elel)rfamfett unb ©djarffinn bertetbigte ; infolge biefer ^anblung marb ju 25
Saufanne bie föircbenberbefferung befinitib eingeführt. 3Son feinem Äottegen, bem un^u=
berläfftgen Dr. perre ©aroli, be3 2lriani^muö angellagt, legte er bor einer im Sftai 1537
berfammelten ©rmobe ein befriebigenbeä 23efenntni§ ah, morauf ßaroli entlaffen unb
balb barauf mieber fatfyolifd) marb. 2lm 6. Dftober 1538 berbeiratete er fid) mit (Slifabetb,
^urtaj au§ Drbe. 30
Rad) bem ©turje ber gu ©enf ben Reformatoren feinbfeligen Partei mirlte 33iret
in biefer ©tabt bi3 jur Rüdfebr ßalbinS. Sm gebruar 1541 f abrieb er an (Salbin, um
tlm einjulaben, nad) ©enf ^urüdjulommen : „Nihil jam prius habes quam ut te ma-
nibus pedibusque impellam, ut tu te huc mature et quam poteris oeyssime
conferas" (Herminjard, Corr. des reformateurs III, n° 939). $u Saufanne |atte er 35
mit mancherlei ©d)mierigfeiten ju fämbfen, befonberg megen feiner ^Benutzungen, bie
Äird)en^ud)t einzuführen. Stufjer ber SluSübung be§ ^3rebigtamt§ b^ielt er in bem burd) bie
Serner a. 1537 gegrünbeten ©eminar 35orIefungen über ba3 9teue ^eftament unb ber=
fa|te er mehrere ©Triften, lated)etifd)e @r!lärungen ber ^ebn ©ebote unb be§ aboftolifd^en
S^mbolumg, ©enbfcbreiben an ^roteftanten, bie unter ^atbolilen leben, toolemifebe %xah 40
täte über ba§ geiftlicbe 2tmt unb bie ©aframente, fatirifetje ©ialoge gegen ba3 ^5abft=
tum, bie ÜDteffe, ba§ gegfeuer. ©eine Iitterarifd)e ^b^ätigleit fängt 1541 an, feine erfte
gebrudte ©ebrift bat ben folgenben £itel: „Epistre consolatoire, envoyee aux fideles
qui souffrent persecution pour le Nom de Jesus et Verite" evangelique" (Geneve
J. Girard) 1541. 45
@r mad)te berfd;iebene Steifen im ^ntereffe ber Deformation nad) 33ern ju ©unften
ber verfolgten Söalbenfer, nad; Safel um mit Xouffaint über bie Sage ber 2Rümj>el=
garbifd)en ®ird)e ju beraten, nad) ©enf, um Salbin in feinem 2Biberftanbe gegen bie
„Sibertiner" px unterftü^en. $m 3a^re 154=7 ftarb feine grau, einige Monate nad)ber
berbeiratete er fid) mit ©ebaftienne Garrarb geb. be la §arbe au§ Dolle im Sßaabtlanb; 50
am biefer @I)e tourben jtoei ^öebter geboren. 1549 erhielt er einen greunb an 33eja,
ber ju Saufanne al§ ^rofcffor angefteßt marb. ©intge feiner bebeutenberen ©Triften
gehören in biefe^ett: ein®taIog gegen ba§ neu eröffnete ^ribentiner Äonjit: „Du devoir
et du besoing qu'ont les hommes ä s'enquerir de la volonte de Dieu par
sa Parolle, et de l'attente et finale resolution du vray concile, Geneve. J. Girard 56
1551 ; jmei Xraftate über ba§ geiftlid)e 3lmt unb bie ©aframente: 1. De vero verbi
Dei, sacramentorum et Ecclesiae ministerio, Rob. Estienne 1553. 2. De|origine,
continuatione, autoritate, atque praestantiä Ministerii verbi Dei, et sacramen-
torum etc., Rob. Estienne 1554; eine gefcbicbtlifbe ©arftellung ber ©ntftebung beS
^abfttum§: „Des actes des vrais successeurs de Jösus-Christ et de ses apostres go
694 Siret
et des apostats de l'eglise papale etc. . Geneve. Girard 155-i; ferner gtoei
©enbfcfyreiben an junge grangofen, Weldje, bie einen ju Styon, bie anbern ju (Sljamberr/,
nacfybem bie erfteren in Saufanne ftubiert Ratten, bon ber Qnquifition ab§ $e$er ber=
urteilt Würben. 9Jtit ber ferner Regierung, Welcher bamalg bag SBaabtlanb untertt/an
5 war, Ijatte er manchen 3toift; fcfyon 1546 Ijatte man tfyn befrfjulbigt, Sutjerg 2Infid)t
bom 2lbenbmafyl angenommen ju Ijaben, unb erft naa) langen Serfyanbhmgen unb in=
folge eineg 1549 bon il)m übergebenen Sefenntniffeg War er in feinem 2tmte beftätigt
Würben. Sern fab, ungern, bafc ju Saufanne ber ©eift ßalbtng bort)errfcr)enb toar, eg
entftanben ßwiftigfetten balb Wegen beg ®ir$enbanneg, balb Wegen ber ^ßräbeftination.
io Sie $rage beä $ir<f)enbanneg braute ben ©treit auf ben fyöcbjten Sunft. 3Stret Wünfcbje,
bafe man alle, toelcfye alg unWürbig anerlannt Waren, bom 2lbenbmabl entfernte. ®er
ferner Rat beftritt iljim bag Recfyt fo ju fyanbeln. ®a er fiä) weigerte, bag Slbenbmat;!
an 2öeibjtad)ten 1558 ju feiern, festen bie Serner Siret unb feinen Kollegen Qaaueg
Salier 1559 ab. Siret Warb nun ju ©enf alg Srebiger angefteÜt; feine 9JZufje bemühte
15 er jur 2lbfaffung einer ©d^rift über bie Setzen com 2lmte unb ber ^irdje: „Du vray
ministere de la vraye Eglise de Jesus Christ, et des vrais sacremens d'icelle,
et des faus sacremens de l'eglise de PAntechrist", Eivery 1560 unb eineg biba!=
tifdjen Sudjeg : „La metamorphose chrestienne" 1561, eine Umarbeitung einer älteren
©cfyrtft, in beffen erftem Seil er geigte, tüte ber SRenfä) bureb, bie ©ünbe berunftaltet
20 unb burd) ben ©lauben Wteber b/ergeftellt Wirb, im ^Weiten, bie ©cfyule ber Siere, werben
biefe juerft alg Se^rer ber Sftenfct/en bargefteHt, Worauf ber SeWeig folgt, bafj bag, Wag
bie Sftenfcfyen bon ifynen unterfcfyeibet, bag Süb ©otteg ift. — Rocfy biefer geit gefyörenb
nennen mir bag ing ©eutfcfye überfeine Söerf: Familiere et ample instruetion en la
doctrine chrestienne et principalement touchant la divine Providence et pre-
25 destination etc. ... 1559. SDie beutfcfye Überfettung erfefnen 1614 in £)üffelborf. — 1561
Warb Siret naä) Rimeg berufen; alg ju Slnfang beg folgenben Igaljreg bie franjöfifcfjen
Reformierten ben ^atfyoliien tl)re ^itd)en gurücfgeben mußten, riet Siret ben ju tflonU
beEier berfammelten Srebigern ber Srobinj, fid) ju unterwerfen. @r begab fia) felber in
letztgenannte ©tabt, junäd^ft um beren 2tr§te, unter benen mehrere Sroteftanten Waren,
30 wegen feiner gefcb, Wägten ©efunbfyeit ju Rate ju gießen, bann aber audj, um ju brebigen.
Salb barauf folgte er einem Rufe naefy Sfyon; in bem burd? bag Slutbab bon Saffb,
herbeigeführten Sürgerfrieg bemächtigten fia) bie Hugenotten biefer ©tabt; Siret blatte
Tlüty, bie bureb, ben ©ieg aufgeregten ©emüter ju befänftigen. Rad§ bem gri^^n k°n
Slmboife, 19. SRärg 1563, Würbe bie SJteffe Wteber b,ergefteEt, ber ©otte§bienft ber Refor=
35 mierten blieb inbeffen noa) ungeftört. ©en 10. Stuguft bräfibierte Siret a(§ Sorfi^enber
be§ S^oner ^onfiftoriumg bie bierte franjbfifdje Rationalfttnobe. 2tufeerbcm fyatte er mit
italienifcfjen 2lntitrinitariern unb mit Sftöncfyen ju fämbfen; jwei ber le^teren forberten
ib,n ju einer fc^riftlicb.en ©igbutation über einige Slrtifel auf, bie fie ib,m übergaben; er
beantwortete fie in Würbigem SEone. %xo§ juneb,menber ^örberleiben entwickelte er eine
40 aufjerorbentüct/e Iitterarifcb,e ^ättgfeit; in ben $ab,ren 1563—1565 gab er nic^t Weniger
als» neun ©driften b,erau§, barunter fein §aubtWerl: Instruction chrestienne en la
doctrine de la loy et de l'Evangile, et en la vraye philosophie et theologie
tant naturelle que supernaturelle des chrestiens, et en la contemplation du
temple et des images et oeuvres de la providence de Dieu en tout l'univers,
45 et en l'histoire de la creation et chute et reparation du genre humain, ©enf
1564, 3 Vol., fol. SDiefeä 2Berf ift eine§ ber merfwürbigften ©rjeugntffe ber reforma=
torifc^en Sitteratur; bie (gjbofition über bie ge^rt ©ebote ift ein boEftänbigeg ©Aftern ber
5RoraI unb ber ^olitif; ber ber natürlichen unb cfyriftlicfyen SLb,eotogie geWibmete Seil
ift eine 3trt 3lboIogeti! beg Sb,riftentum§, befonberS gegen 2ttb,eiften unb SDeiften, boH
50 tiefer origineßer ©ebanfen; ?u ben fcfyönften Slbfc^nitten gehört ber über bie Unfterblicbjeit
ber ©eele. ©a§ Sua), baö Wie bie meiften anberen Siretä, in bialogifd^er %oxm ab=
gefaxt ift, jeicb,net fieb, au§ bureb, ungemeine !lafftfcb,e unb tfyeologifcfye Selefenb^eit, bureb,
©inbilbunggfraft, grömmigleit, 2BU); biefe (Sigenfdjaften finben fieb, übrigeng in aßen
Söerlen beg Reformator^ aHe leiben aber aueb, an ben nämlichen Mängeln, nämlicb, an
55 2öeitfct)Weifigfeit unb Snforrer'tfyeit, folgen ber großen ©cb^neEigleit feineg Slrbeiteng.
Siret Würbe aud) einer bon feinen geitgenoffen b,ocb,gefcb,ä|ter Srebiger. Sier Srebigten
finb in-extenso erhalten Werben. £)ag 9Kanuf!ribt ift im Sefi§ ber ©enfer Sibliotfyef.
©ie Würben in ben ^afyren 1556—1559 gebrebigt. Stgribba b'2lubigne b,at in feinen
„Memoires" über Siret gefagt: „Lyon a ete gagne plutot par la langue de Viret
60 que par les epees de ses bourgeois."
SBtrct SBirgtl 695
Sein 23riefroecf;fel mit mannen Reformatoren, f/aubtfäcfylid; mit (ialbin, ift fef>r
intereffant unb Ier)rrei<f). Die Briefe 93iretl finb bon 1532—1567 gefcfnüeben roorben.
Sie enthalten manche (Munbigungen über bie ©reigniffe ber geit, foroic anjie^enbe
ginjelb^eiten über 33iretö ^rtbateS Seben (f. für bie Briefe: 23aum unb Gunhj: Calvini
Opera vol. X— XX. Herminjard, Corr. des reform. 9 33änbe). 1565 mufete 23ivet .
2r;on berlaffen ; er ging nacf; Drange unb Don ba an bie 1566 bon 3>ob<*nna bon 2Ilbret
ju Drtb,ej errichtete 3lf abernte, %n bem Kriege bon 1569 mürbe er bon fatfyolifdjen
Krabben all ©efangener weggeführt, balb aber mieber befreit. @r ftarb 5U Crtb,ej
4. 3Jcai 1571 unb roarb in ber ©rabfiätte ber ^ringen bon 23eam beftattet. Sei aßer
ebangelifd^en Sabferfeit mar er ein milber, fanftmütiger 9Jcann; er befafe weniger §euer= io
eifer all garel, Weniger $raft unb Strenge ber ©ebanfen all Galbin, aber ebenfobiel
Xreue all ber eine unb ber anbere. Dal tf;eologifcf;e Softem f;at er nicfyt Wetter ent=
roicMt, fonbern nur ben Saien äugänglicf; gemacht; beiWegen fyat er bie SJiefjrgalrt feiner
Schriften in feiner 3Kutterfbracf;e rebigiert. @r b,at ficf; aucf; in ber 93ertetbigung ber
calbinifttfcfyen Geologie all ein fcfylagfertiger unb f;umorboßer ^ontroberfift gegen $atf;o= 15
Iiien unb ^b,ilofobf;en beraubtet.
Seine gar^Iretc^ert Schriften, toelcb,e in feinem ^afyrr/unbert biele Sefer fanben (bie
grofee ftafyl ber Slulgaben jeugt bafür), gehören alle ju ben größten Ittterarifdjen Selten=
Reiten, ^n Deutfcf;lanb finb Strafeburg (Unib.=33ibliotb,e!), 33rellau (Umb.=23ibl.) unb
Stuttgart ($gl. öffentl. 23ibl.) im 23cfit5 einiger biefer Seltenheiten, $n granfreief; (Bibl. 20
de la Societe de l'hist. du protest. francais, Bibl. Mazarine, Nationale, in ^Saril).
2>n ber Sd)roeij: Saufanne (Bibl. de la Faculte de theol. de l'Eglise libre; Bibl.
cantonale vaudoise), ©enf (Bibl. publique; Musee historique de la Reforma-
tion), pürier; (Stabtbibliotfyef). (<S. ©djmibt f) 6. ©tfnteljler.
aStrgil, 93tf cfeof bon Salzburg, geft. 784. — Duellen finb bie aJotijen in ber 25
örieffammlimg beS ä3onifatiu§, ber Notitia Arnonis unb ben Breves notitiae (Satjburger
m8 I), bie Conversio Bagoar. MG SS XI, @. 6, ein ©ebtdjt 9üfuin§ MG PL I, ©. 340,
9fr. 109, 24; u. bie ©rabfctmft II, <S. 639. SRettberg, m ®.§ II, <B. 223 ff.; £cutcf, m $.3
P, 8. 568 f.; ffrabbo, SSifctiof Birgit «on Salzburg unb feine fo§moIogifct)en ^been, 3R3~©,
XXIV, S. 1 ff. 30
aSirgil mar ein S^änber unk toirfte eine ^xt lang all 2lbt bei Softer! 2lgf)aboe,
in ber jetzigen Queen! ßountb. (ßimmer R21 XVII, S. 211). Die Seit feiner ©eburt
ift ntd&t überliefert, ba er aber fcfjon bor 743 2Ibt War, f;at man an bal jroeite, Wenn
nia)t fcf;on an bal erfte ^af^elmt bei 8. $af;rf;unberil ^u ben!en. 743 berliefe er bie
§eimat unb ging nacf; bem kontinent. @r berbracf;te nun ein $aar $af;re am §ofe 35
$ibbinl, ber ilm wegen fetner ©eler;rfamfeit fetzte, unb ir)n 745 bem ^erjog Cbilo bon
Saiern jufanbte. 9iacf; bem 2obe bei 33. $ol)annel bon Salzburg (ä'roifc^en 746 unb
748) rourbe er, buref; Ernennung bei §erjogl, aber röa^rfcbeinltdt) nact) bem SBunfcb^e
^tbptnl, 33. bon Salzburg. 3SirgiI blatte 33eben!en, ficf; bie Söetlie erteilen gu laffen; er
übernahm jroar bie 33erroaltung bei 33tltuml, aber bie fbejiftfcr; bifct;öflic^en 3lmtlb;anb= 40
lungen liefe er buref; einen fc^ottifc^en Regionarbifc^of 9camenl %uü berric^ten, ben man
feiner grteef;. Sbra4)fenntniffe r)alber ©obbagreeul nannte.
So rourbe ber ®elte 33ifcbof einel bon Sontfatiul organifierten 33iltuml. 'Stö
3}erf)ältnil grotfcBen beiben Männern roar bon Anfang an nid)t glücüic^; el fam ju
allerlei Reibungen. 3JJan r)at bafytnter einen unaulgefbrocb^enen ltrc^ttdr)en ©egenfa^ — 45
Bier bie älteren formen ber felttfcfyen Slixfyt, bort bie formen bei römifdb,en Sr)riften=
tum! — gefugt; aber fcb.roerlicf) mit 9iecf;t. Denn ber S^ü|Iing ^ibbml lonnte fidt>
ni(r)t ber unter pbbinl Scfju^ in ber Durchführung begriffenen bortifattfebert Reform
roiberfe|en. Der @runb bei ^roiefbaltl lag bielmef/r in ber berftt)iebenen ©eiftelart ber
beiben üKänner. SSirgil roar unbebenllicfjer, roenn man miß freier all ber ftetl ju 33e= 50
benfen, gu recbtltcbert ^roetfeln geneigte beutle ©rjbifc^of.
Darüber lam el pxm erften ßufammenftofe. 33onifatiul braute in ®rfal)rung, bafe
ein baierifcfyer ^ßriefter ftet) bei ber laufe ber gormel bebiente, Baptizo te in nomine
patria-et filia et spiritus saneti. Der grammatifcfye gebier febtert i^m geroiditig genug,
bafe buref; if;n bie ©iltigfeit ber £aufe jerftört roerbe; er forberte 23irgil unb feinen ©e= 55
noffen, Siboniul, ben fbäteren 33ifcf;of bon ^affau, auf ben bon jenem ©etauften bie
2aufe bon neuem &u erteilen. Dal bielten biefe für unrichtig; fie legten bie Sao)e bem
$abft ^acf;arial bor unb biefer erflärte ficf; für fie unb gegen 23onifatiu! (ep. 68
5. 336). Der Vorgang fbieltc in ber erften §älfte bei ^af;rel 716 bor ber Ernennung
696 aSirgt! SStfttanttnnen
3StrgtI§ jum SBifcfyof. 2Ran begreift, bafj bieje SBonifatiuS feEjr wenig ertoünfcbt War.
@r er&ob nun (748) feinerfeit<S in 9lom 33efd)roerbe gegen SSirgtltug unb ©iboniu§,
inbem er flagte, bafj fie ben £>erjog Dbilo gegen tf>n aufzubringen fugten unb bafc
fie behaupteten, ber $abft fyahe fie pr ©innafyme bon baierifd)en 33i3tümew berechtigt.
5 Virgiliuä inöbefonbere tourbe befdjulbigt, er begegne bem 33omfatiu<§ barum fernblieb,
Weil berfelbe Um einer fei5erifd)en SRemung überführt babe. SDarüber Reifet e§ im
Briefe be3 $abft3 (ep. 80 ©. 360) : De perversa autem et iniqua doetrina quae
contra Deum et animam suam locutus est, si clarificatum fuerit ita eum con-
fiteri, quod alius mundus et alii homines sub terra sint, seu sol et luna,
10 hunc habito concilio ab ecclesia pelle, sacerdotii honore privatum. Attamen
et nos scribentes praedicto duci evocatorias praenominato Virgilio mittimus
litteras, ut nobis praesentatus et subtili indagatione requisitus, si erroneus
fuerit inventus, canonicis sanctionibus condempnetur. üDie bon SBonifatiuS unb
3ad)aria3 berroorfene 2lnfid)t 33irgils> rourbe lange $eit berfdjieben berftanben : Don ber
15 @rjften3 mehrerer SSelten ober beroobnter ^immeliSförber, bon ber ^ugelgeftalt ber ©rbe
unb bem 3>orb,anbenfein bon 2lntiboben. Ärabbo b,at nun gezeigt, ba| man bei Sf^or
bon ©ebiUa (Etym. XIII, 5, 2 ©. 110, XIV, 1, 1 ; 2, 1 unb 5, 17 ©. 141ff. 2lu§g.
b. Slrebalo) nicbt nur bie 2tnftcbt bon ber Äugelgeftalt ber @rbe finbet, fonbern aud) bie
Slnna^me eines bierten, im ©üben jenfeit<§ be<§ Djean§ gelegenen ©rbieilS, ber ben 33e=
20 rooljmem ber brei alten infolge ber §i£e unzugänglich unb alfo unbefannt fei. Stucb
93eba bertrat bie Set/re bon ber ßugelgeftalt ber @rbe (De nat. rer. 46 MSL 90,
©. 264f.; de temp. rat. 32 ©.437 ff.). ®afs SBtrgil bie ©Triften beiber lannte, ift
nicbt nur mögltd), fonbern aud) toabrfcljteinlid). 93on iljmen roirb er bie Sefyre bon ber
^ugelgeftalt ber @rbe übernommen r)aben, bon Sfibor bie Slnnafjme eine§ alius mundus
25 sub terra ; aud) bie 2Intiboben fanb er bei ib,m. 2)ie 2öorte sol et luna roirb $rabbo
richtig babin erflären, bafj ©onne unb SJionb aud) ben 2lntiboben fd)emen.
2öir roiffen ntct)t, ob bie bon gadjariaä angeorbneten 9Jcaf$regeIn ausgeführt rourben.
^ebenfalls lam ei nicr/t jur Verurteilung SSirgilS. @r blieb Seiter ber ©algburger SDiöcefe.
3Ite folcr)er machte er fid) um bie SBefebrung ber Söenben in ben SKIbenlänbern berbient.
30 ©er in (SI) temfee erlogene §ergog Sb)eitmar bon Üarantanien ftanb ibm berfönltd) nab,e :
totr fyören, bafj er bäuftg ©aljburg unb bie bortigen $ird)en auffucbte. SSirgtl befteßte
für bie SfSenbenmiffion einen eigenen 9tegionarbifd)of Samens SJcobeftuS, ber begleitet bon
bier ^rieftem unb etlichen nieberen ^lerifern ju ben ©laben jog (Convers. Bag. 5
©. 7).
35 SSirgtl trug bei feinen fd)ottifd)en Sanb^Ieuten ben Seinamen „ber ©eometer",
gtmmer 9M XVII, 211. ©ein ^ntereffe galt inbe3 nicbt minber ber ©efd)id)te; er I)at
Slribo bon greiftng jur 21bfaffung ber Vita Corbiniani beranket, unb er fd)uf bag
grofje 23erbrüberung3bud) bon ©t. ^peter in ©algburg (MG Necrol. II), „eine Iiturgifd)e
Slufjeidjnung, bie ben ülöert eines gefcfyicfytltdjen SDenlmalS bat"
40 Tiacb, meb,r al§ ^roanjigjä^riger 2lmt§füF)rung Ite^ fia) SBirgil am 15. ^uni 767 bie
bifdjöfücfye 9Beib,e erteilen. ®a§ 3urvicftretm feiner urfbrünglic^en Seben!en geigt, bafe
au§ bem SJlöna^e ein Sifcfyof gemorben tear. ©ag beroäb^rt fieb, aueb, fonft. 2llg ber
baierifdje ©raf ©untrer ein Softer bei Dtting grünbete, Inübfte SSirgit feine :JJfttroirftmg
an bie Sebingung ber Unterwerfung be£ neuen ^lofter§ unter ba§ 33i§tum; aud) bem
45 §erjog gegenüber roaferte er mutig bag bifdjöflicfye (gigentumgrea^t auf bie 3Jcar.imilian§=
gelle im ^ßongau. $n ©algburg baute er ju 6t/ren Siubertg eine neue ^ircb.e, in bie er
774 ben Seidjnam be§ erften ©algburger SSifc^ofS übertrug, ©ein ©rabfd)rift berietet
bon ber ©rbauung bieler ^ircb,en in ber SDiöcefe.
aSirgilftarb am 27. 9iobember 784 ; ertourbe in berSföubertSfirdjie beigefe^t. ©regorIX.
50 b,at u> 1233 fieilig gefbrod;en, Ann. s. Rudb. MG SS IX, ©. 785. $au<f.
aSifitOtttittttCtt. — ®er im 9?ad)ftef)enben öertretenen ?(uffaffung be§ SBerpltnifjeS
jtüifdien ber grau b. ßljcintal unb grnnj Hort (£ale§ liegt bie ©tubie p ©runbe, bie ber erfte
Bearbeiter be§ 91. in ber $eutfcr.en geitfdir. f. äjriftl. Seben u. f. ». 1856, @. 23—34, <S. 123
bi§ 133 u. ®. 221—227 üeroffenttitf)t £»ot: §erjog, „granj ü. ©ale§ u. grau ü. Scjantal. gin S3ei=
55 trag jur Inttj. 3Rüfttf" lieber bie 1)1. ftrcmfräta tion Etjanial bgl. §. beSKaupag, La vie de la
ven&rable mere Jeanne Frömiot Fran§oise de Chantal, $ari§ 1644 u. ö., beutfd) Bon 3. 9Kel)er,
Supern 1721; Acta beatificationis, et canonizationis, Rom. 1732; Sainte Jeanne Fraiigoise
Frimiot de Chantal, sa vie et ses ceuvres, öd. authentique, publice par les soins des Ke-
ligieuses de la Visitation du premier monastere d'Annecy, $oriS 1874ss., 8 vols; g. 33ou=
60 aaub, Histoire de Ste. Chantal et des origines de la Visitation, 13. e"d. 5ßari§ 1899,
$tfttiutttnneti B9?
2 vols, beutfd) Jyretburg. 1N72; Memoires de la meie de Changy de la vie et des vertus
de Ste. Chantal, beutfd)' 2Bien 1844, 3Sbe; GIctruS, Seben ber beften SRütter unb ©diioeftertt
beS Orben* Don ber .^eimfudjung StarienS, (Sdjafftjaufen 1861, 2 93be; Stubineau, Sie erften
Oberinnen ber ^eimfudiung Scariö, SRegenSburg 1871.
$ur ®efd)id)te be§ DrbenS tigl. auierbem: Gl. SJtenetrier, Projet de l'histoire de l'ordre 5
de la Visitation de N. D., Annecy 1701; ferner bie Hon ben ©alefianerinnen üon ?lnnect)
uevanftaltete Edition complete ber ©diriften be§ f)I. g-ranj öon @ale3, big 1906, 14 SBfinbe
(33b 11 ff. bie SSriefe be§ ^eiligen); £)eitnbud)er, ®te Drben imb S ongreqntionen ber fatbo=
lifdien Sirdje, 2. Hufl. «Paberborn 1907, 93b II, ©. 288 ff. — Sßon proteftantifdier Seite ift
bemerfenSmevt: £eppe, ©efd)id)te ber quietiftifdien SRtyftif in ber fatboltfcfjen Sirdje, 93erün 10
1875, B. 43—58; 9JippoIb, gur gefährlichen SBürbigung be§ OuietiSmuS, Spr^b, 1876.
SJifitantinnen, -Hörnten bon ber £>eimfuct)ung (visitatio), nämlid) bom 23efucf) ber
(Slifabetfy, SRutter beS Käufers, burcb 3Jiaria, SKutter beS §errn (Sc 1, 39), finb ein
meiblicfyer Drben, gefttftet burcb granj bon ©aleS (f. b. 21.' 33b VI ©. 224 ff.), nad)
toeldjem bie 5Ritglieber aud) ©alefianerinnen genannt merben. grang nennt fid) felbft 15
ben SSater ber 23ifttantinnen ; als il)re Sflutter aber begetdmet er if)re eigentliche ©rün=
berin, bie grau bon Cranial. ®ie gmifcfyen beiben ©rünbem beftet/enbe „geiftlicfye @r)e"
(um bereu mitten bie SSifitationSnonnen oft gerabegu als bon it/nen erzeugte Tofyttx be=
jetebnet merben) bebarf bor allem I)ier einer näheren ^Beleuchtung, ba ber mabre ©a<f)=
behalt beim ©ntfteben beS DrbenS fatbolifdperfeitS gefliffentlid; berbunfelt morben ift. 20
guberläffigeS unb ©enaueS barüber erfährt man roeber auS SRarfotttcr, bem 33iograbt)en
beS granj bon ©aleS (bor 33b I bon beffen Oeuvres, ^ßaris 1836, 4 23be), nocb auS
9)?aubaS, bem 23iograbr)en ber grau b. Cranial (f. 0.). ©ie beibe beben nur baS rein
©eiftlidje in jener SSerbinbung fyerbor unb fcfwücfen eS obenbrein mit allerlei mtytbifcfyen
gügen auS. %lai) biefen ©d)riftfteffern t)at grang, ebe er etmaS bon feiner greunbin 25
teufte, im SEraume bie $erfon gefeben, bie i^m in (Stiftung etneS meiblidjen DrbenS
bebilflicb, fein fottte, unb l)at fie fpäter in grau b. Sbcmtal mieber eriannt; biefe bat,
ofyne SEraum, eine @rfcr) einung beSSBifcfyofS gehabt, ber beftimmt mar, ibr geifilicber gübjer
unb greunb ju roerben. Waä) ib,rem ^obe Ratten berfcb,iebene, ib,nen nabeftebenbe ^er=
fönen 33ifionen, betreffenb ir)re unjertrennlicbe Bereinigung ; eine fab^ bie beiben beieinanber 30
unb b,örte bie SBorte: „mir r;aben nur ©in §erj unb @ine©eele in ©ort"; eine anbere
fat), bei bem ^obe ber grau b. Sfyantal, einen glänjenben ©tern am §immel aufzeigen
unb fidt) mit einer großen geuerlugel bereinigen, toorin fie ftdt) gänjlicb, auflöfte, roorauf
alles in einem Speere bon geuer unterging. ®ieS unb anbereS berbient nur infofern 33e=
acbtung, als eS uns jeigt, mie man baS Behältnis jrüifcb,en jenen beiben ^eiligen auf= 35
fafste, baSfelbe ju ibealifieren, ju fanonifieren ficb, bemübte. ®te autbentifd)e 3Sat)rt)eit
barüber fctjöbfen mir auS ber ^orrefbonbenj beS granj bon ©aleS, abgebrucft im britten
33anbe ber genannten SluSgabe feiner 9Berle. Seiber fyat grau b. ©bantal tf>re 33riefe,
bie xi)x ber S3ifd)of lurj bor feinem SEobe jurüdgefteHt blatte, berbrannt, unb anbertoärtS
finb nur menige in^Iöftern aufbehalten morben, fo baf$ bie genannte ^orrefbonbeng beren 1«
nur 12 mitteilt. SDefto gablreictjer finb bie 33riefe bon granj; eS finb beren 139 in bie
genannte ^orrefbonbenj aufgenommen, (übten ^aubtbeftanbteil beS 3«^!^ bilben 2Rit=
teilungen, betreffenb bie cb,riftlid)e 33oßfommenb,eit. grau b. St)antal mirb eingeroeibt in
ben m^ftifcb.en DuietiSmuS unb eignet fidt) beffen ©runbfätje unb Slnfc^auungen an. 9öie
boUftänbig unb mit meinem @ifer baS gefd)ar), baS fei b,ier nur an ^toei §aubtbeifbielen 4.-.
(nad^) SftaubaS 1. c. p. 209 unb 262) erläutert. (Sinft mollte fie für längere ßett fo
fülle im ©ebet fein, bafe fie feinen SötUen mer)r t)aben moHte felbft für bie Ausübung
ber ^ugenben unb bie 33erabfcbeuung ber Safter. Unb als fie fidt) einft boriuarf, ibrem
fterbenben Äinbe bie 2;aufe nid)t berfc^afft ju baben unb fo Urfacbe ju fein, bafe eS emiger
Unfeligfeit berfaHe, erhielt fie bom 33ifcbof, ben fie beSb,alb um aßerjeir/ung bat, bie 2lnt= 50
wort: „SBob, er fommt eS, baft ©ie einen SRücfblicf auf ftd) merfen'* $aben ©ie benn
nocb irgenb eigenes ^ntereffe?" (quelque interet propre). — £>ie 33riefe beS granj
unb ibre eigenen 93riefe roeifen nacb, mie fie nict)t olme fernere ^ämbfe fid; in biefe ©e=
mütsftimmung b^ineinlebte, unb mie ber 33ifd)of fie ju bölliger ©elbftentäufjerung anju=
leiten fudjte, inbem er fie gugleid) mit ben fefteften S3anben an feine eigene $erfon unb 55
feelforgerlicbe Slutorität fettete, fo ba^ fie aufteilen fagte, eS fomme ibr bor, fie bürfe nicbtS
meb^r benfen unb füllen, obne baf^ ibr ©eelf orger eS ibr befehle (315).
daneben geigt fidt) in ibren Briefen etmaS anbereS, baS mir nid)t umbin fönnen,
natürlicbe Siebe ju nennen unb mobei baS ©efcblecbtlid;e mobl nt<Jt)t obne ©influfj mar.
@S märe ebenfo unrid)tig, bieS gu berfennen, als -ut bebaubten, bafe baS gange 33er= w>
bältniS nur eine unter geiftlicf)em ©emanbe berftedtc gefd>lecbtlid;c Siebe gemefen fei:
698 »ifttotititmcti
Dietmar erfdjeint e3 aU eine 2>biofimfrafie bon ©eiftlidjem unb 2Mtltcf;em, bon ©ött=
liebem unb üDienfcfylidjem, morin fid$ un§ ba§ eigenfte SSefen ber fatfyolifdjen SMigion
barftellt. ©3 ifi fd^>tt>er babon ju reben, meil man leidet geneigt ift, ben einen ober ben
anberen gaftor ber Skrbinbung ntcfyt ju feinem 9?eegte fommen ju laffen. ©in näfyereg
5 ©ingefyen barauf erfetjeint aber geboten, »eil Seifbiele folcfyer 23erbinbungen fatfyoltfcfyer
©eiftlidjer mit frommen grauen nid)t ganj feiten finb unb mir fyier an einem ber ge=
briejenften 33eifptele erfefyen fönnen, ma§ bon folgen SSerbinbungen ju galten ift. Vgl.
bie 2lbb^anblung: „grang b. ©ale§ unb grau b. ©Ijiantal. ©in Seitrag jur fatljolifcfyen
Sffibftif" in ber SDeutfcfjen geitjdjrift f. cfyr. Seben jc, 1856. 2öa§ ba§ rein Siograbbifcfye
io betrifft, fo finb fyaubtfäcfylid) bie beiben genannten SBiograbfyen, fomeit if>re Angaben ak
beglaubigt gelten fönnen, bon uns benutzt morben.
2ll§ grang b. ©ale§ (bamal§ 37jäb,rig, bgl. Sb VI, 224) mäfyrenb ber gaften be3
$afyre3 1604 in ©ijon einige ^ßrebigten übernommen fyatte, richteten ftcfy fd)on in ber
erften ^rebigt feine SBItcfe unmittfürlicb, auf eine ®ame, bie mit befonberer Stnbacfyt unb
15 33emegung ifym gujufyören fd)ien. Sfatd) beenbigtem ©ottegbienfte r/atte er nidjtg eiligeres
ju tb,un, als fiefy nact) jener SDame ju erfunbigen. SDie Saronin b. ©I)antal, Beamte
grangoife, SCod^ter beä burgunbifd)en ^arlament§bräftbenten 5Rr. gremiot, fomie ©cfymefter
be§ bamaligen ©rgbifcfyofS bon SBourgeS (geb. ben 28. Januar 1572), mar 2öitme; einige
3ab,re bor^er mar ifyr 9JJann auf ber ^agb bon einem greunbe, ber ifm für ein 2Bilb
20 b,ielt, erfdjoffen morben. ©ie ertrug bieg Unglücf mit bieler gaffung unb §og auf ba3
Sanbgut ifyreS ©djmiegerbaterg mit ifyren bier flehten ^inbern (einem Knaben unb brei
^öcfjtern), toeil ber ©djmiegerbater eS gemünfdjt £>atte. ^n biefem £aufe fyatte fie biel
ju leiben bon einer SRagb be§ alten §errn b. ©fyantal, bie gerne bie §errin fbielte. ®te§
unb ber I)erbe ©d;merj über ba§ Unglücf, ba§ fie getroffen, ermeeften in \i)x ben ©e=
25 banfen, fieb; in bie ©infamfeit gurüdc^ugiefyen. „2Bemt bie bier ^inber mtcb, nid)t gebunben
fyätten, fagte fie, fo märe kb, nact) bem 1)1. Sanbe geflogen, um bafelbft ben 9ieft meiner
Sage ju berbringen" (3)Jauba§ p. 55). ©§ fd;eint, ba| i§r Seidjtbater auf biefe @e=
banfen nicfyt eingeben moKte. ©ie mar übertäubt mit ib,m nic6,t aufrieben, faftete, betete,
gab 2llmofen, um bon ©ott einen ju erlangen, ber ib,r meb,r jufagte. 3ll§ fie jum erften
30 9JiaIe grang auf ber Äanjel fab,, fagte if)r, mie fie fbäter befannte, eine innere ©timme,
bafs er ber für fie beftimmte ©eelforger fei. ®a§ 9?äcb,fte mar, bafj fte beibe einanber
fab,en unb fipracb,en — im §aufe be<3 ^räfibenten gremiot, mo granj bereits eingeführt
mar. ©ie mar entjücft bon allen SBorten, bie au<§ bem 5Runbe be§ 33ifd^of§ flogen.
2lUein fie magte nod^ nicfyt, ib,m i§r §erj ju öffnen: „obmob,! icf; bon Verlangen, bieg
35 %a tb,un, faft berging" (bien que j'en mourusse d'envie, Sftauto. p. 81). ©ie toar
nämlid^) burd^ ba§ 5Berfbre<f;en gebunben, ba§ fie ib,rem 33eicf)tbater gegeben, niemals bon
ib^m ju laffen, niemanden gu fagen, ma§ fte xfym fagte unb mit niemanben über ib,r
^nnere§ ju reben. 2öäb,renb ib,r Seicljtbater um biefe $eit eine fleine 9ieife machte,
geriet fie in fo b, eftige 33erfucb,ungen, bafj fie fürchtete, barüber benSSerftanb ju berlieren.
40 ®a fa^te fie SRut unb öffnete bem Sifdjof ib^r §erj. ©ie empfing bon tb,m fo reiben
Sroft, ba§ fie fagte, eS fei i^r borgefommen, al$ f)abe nidjt ein SRenfcb,, fonbern ein
©ngel mit ib;r gerebet (3)iaub. p. 163). ©ie b,atte aber feine Sftu^e, bis fie ib,m eine
bollftänbige Seilte abgelegt, ©ie fbracb, ib,m bon ib,rem Verlangen, bie JBelt ^u ber=
laffen, ber SBifcb, of fagte junäcb, ft meber ^a nod^ 9iein ; fte brücfte if) m ben SJunfcb, au£,
45 gänjlicb, unter feine Seitung gefteHt ju merben. granj liefe fie Söffen, bafe bieg einft
gefcfyefyen fönne; fie müßten aber beibe ©ott bitten, bafe er ib,nen feinen ffiißen offen»
baren möchte. %)o<fy fcr)on natf; einigen %agen eröffnete er ib,r, bafj e§ ib,m fleine, e§
fei ber Sßitle ©otte§, bafe er fie unter feine Seitung neb, ine; e3 bürfe aber nt<f)t§ babei
übereilt merben, bamit fidE) nicfyt etma§ 3Jlenfd)Iicf;eg in biefe ©acr/e einfd^leid^e. ©arauf
so reifte er bon ©ijon ab, mit bem SBerfbred&en, t^r öfter ju fct;reiben.
©o mar ber 33unb gefebjoffen, ber immer fefter unb inniger mürbe. 3un^ft ^er
fcb;ien bie SBefriebtgung i^reö §erjen§munfcl)e§ nur ibje innere Unruhe ju bermeb^ren. ©ie
machte fid£> Sormürfe barüber, baf? fie fid) unter bie Seitung be<§ Sifdmfg gefteßt; e§
fam tfyr bieg mie eine Übertretung ber firdjlidjen 3Serorbnungen bor, unb befreunbete $er=
55 fönen beftä'rften fie in biefen ©frubeln. granj gelang e§ nicfjt, i^r biefelben auSjureben,
inbem er ib,r ba3 Seifbiel ber f;I. 2;b,erefta borfyielt, bie neben bem orbentlid^en 33eicb>
bater nod; einen befonberen Vertrauten gehabt i)abt. grau b. Sfyantal meinte, ba gran^
nict)t 'ii)x gefe^mäfeiger ©eelforger fei, fo muffe feine SBerbinbung mit iljr auf einer befon=
beren, berfönlicf)en Zuneigung (af fection) berufen ; aber mie blatte fie biefe ob^ne meitereS
eo borau§fe|en bürfen'^ ®er S3ifcb,of nun fann nid)t genug 2Borte finben, um fie feiner
Sßtfttonttnnen 699
$uneigung ju berftd?ern. „So Wie ©ie mir %t)x inneres eröffneten, fcbjieb er am
14. Dltober 1604, gab mir ©Ott eine grofje Siebe ju Syrern ©eifte. 2llS ©ie fid? gegen
mid? nod? näb,er erklärten, mar eS ein fyerrltd?eS Banb für meine ©eele, ^bje ©eele mer?r
unb mel)r ju lieben. %tyt aber, geliebte 2:od)ier, ift eine geWiffe neue @igenfd?aft (une
certaine qualite nouvelle) b,injugefommen, bie fid) nid?t benennen läftt, Wie mir fd)eint; 5
aber ifyre SÖirfung ift eine grofje, innere ©üfeigfeit, bie id) embfinbe, %fynm bie Bott=
fommenfyeit ber Siebe ju ©Ott ju Wünfd?en. Qd? überfd)reite nid^t bie 2öafyrb>it. ^cb,
rebe als bor bem ©ott $l)reS unb meinet ^erjenS. ^ebe Zuneigung M ty^n befon=
beren Gl?arafter, Woburd? fie fid) bon anberen unterfd)eibet. diejenige, bie td? gu ^fynen
fyabe, b,at eine geWiffe Befonberfyeit (particularite), bie mid) unenbüd) tröftet, unb bie, 10
um alles ju fagen, mir äufjerft förberlid? ift" Sod? biefe unb äl)nlid)e ©rgiefjungen
bermod?ten md)t, ifyr böllige diufye unb Befriebigung ju gemäßen, ©ie äußerte jWar
gegen ben Bifd?of nid?t mefyr, bafj fie S^eifel an fetner Zuneigung l)ege, aber fie fd?rieb
ibm als Antwort auf jenen Brief bom 14. Dftober 1604: „@S ift etwas in mir, Was
nod? niemals befriebigt Worben ift, id) Wüfjte aber nid?t ju fagen, Was eS ift" ©o fd?rieb 15
fie aud? bem Bifd?of, fie lomme fid) bor, iüie eine bon Surft ©equälte, ber man ein
©lag ÜJBaffer barreid?t, unb wie fie eS an bie Sibben bringt, um ben brennenben Surft
ju füllen, fyinbert fie eine unbe!annte 9Jiad)t, baS ©laS ju träfen, grang berftefyt baS
atte§ rein geiftlid) unb giebt il?r barauf be$üglid)e Belehrungen, @rmar?nungen unb
Xröftungen. ^n ber %fyat berfcblingt fid) bie ©ad?e in baS ©eiftlid)e. grau b. Gfyantal 20
leibet an ferneren geiftlid?en Anfechtungen: il)r ©laube ift Inanlenb geworben; fie b,at
9)?übe, fid? ber ^iüeifel am ©lauben ifjrer ^trd)e ju erWefyren. %t)xt 2lnbad?tSübungen
gewähren i^r feine Befriebigung mel)r; eS fommt ib> bor, fie effe, finbe aber atte 9cal)rung,
bie fie ju fid) nel)me, fabe unb IraftloS.
Sie ©ad?e läfjt fid) bfi?d)oIogifd) erflären ; eS ift aber fd?toer, bie redeten Söorte bafür 25
ju finben. Senn Wofyer ben richtigen 2luSbrud) nehmen für ©efül?le unb ©mbfinbungen,
bie fid? grau b. 6I)antaI niemals eingeftanben b, at, beren fie fid) ntct)t botlftänbtg beWufjt
loar, obfd)on biefe ©efüb,le unb ©mbfinbungen geWifjlid) in it)rer ©eele fid? regten '< SeS
Bifd?ofS ^Serfönlid)!eit f>at auf fie einen au|erorbent!id)en @inbrud; gemalt unb §at ifyr
ba§ jum 33emufetfein gebraut, bajj etiüaS in ib,rer ©eele ift, ft>a§ nod? niemals befriebigt 30
toorben, bod) ob,ne bafe fie anzugeben toü^te, toaS eS ift. granj ift ib,r nod? ettoaS
anbereS unb meb,r als ^Sriefter unb ©eelforger, unb fie roeifj fid? babon !eine 3fted?enfd?aft
ju geben. @S ift nid?tS 33eftimmteS, eS b^at leinen tarnen, ^mmerbm aber befinbet fie
fid? infolge babon im 2Öiberfbrud?e mit ber ®ird?e. Saljer bie heftigen 33erfud?ungen,
worin fie fürchtet, ben SSerftanb gu berlieren. Sabber aud) bie Autorität unb baS 35
Sogma ber &ird?e in ib^rem ©emüte eine @rfd)ütterung erleiben. Sa bie $erfon beS
$riefterS unb bes> ©eelforgerS überfd?attet Wirb bon etwas anberen, fo ift aud? bie
iird?e, beren ©teEbertreter er ift, mit ib/rem Sogma in :l?rem ©eifte berbunfelt. —
@S ift ifyr ju DJlute, als ob ber §err felbft fid? il?r entjieb^ e ; fie Wagt laum jum §errn
?u beten : „®omm in meine ©eele". ©elbftberftänblid? aber läfst fie barum nid?t ah bon 40
ib^ren 2lnbad?tsübungen unb aSfetifcl)en Söerlen (Wobei nid?t nur ftrenge gaften, fonbern
aud? öftere ©eifjelbis^blinen, bis ju 50 ober 60 Rieben, bie fie nad? granjenS auSbrücfIid?er
SlnWeifung fid? felbft erteilte), fo Wenig Befriedigung fie il?r aud? gewähren mögen, ©ie
giebt aud? ben ©ebanfen nid?t auf, fid) bon ber Söelt jurücijugiefjen. ^a, fie mufjte
buro? bie innere Seere um fo mel)r baju fid) angetrieben füllen, freilid) o^ne 2luSfid)t 45
unb§pffnung, bie innere Seere bamit ausfüllen %u lönnen.
Öfter fbrad? fie mit granj bon ifyrem SBunfd^e, bie Sßelt ju berlajfen. Ser33ifd)of
büelt fie nid?t, Wie borbem, mel?r in suspenso ^Wifd)en gurd?t unb Hoffnung. @r beutet
(feit SDtitte beS ^afyxzZ 1605) ibj Wieberb^olt an, bafe baS Söerf i^>rer inneren 2Bieber=
geburt unb geiftlid)en SReugeftaltung feiner SBoÜenbung nab^e gelommen fei. SSJJebr unb 50
mebr fteHt er als £iel i^reS ©e^nenS, §offenS unb ©trebenS il)r bor 2lugen, bafs fie
einft aEeS berlaffen unb baf$ er fie in gän^Iid?e ©elbftentäu^erung unb 9tad;tb!eit um
©otteS Witten bringen Werbe (3DRaub. p. 110). (SS ftimmt baS gn bem, WaS er ib]r am
6. 2luguft 1606 fd)reibt, Wo er übrigens b,injufügt, er l^abe nod? rtict)t bei fid? auSgemad)t,
ob fie eigentlich 9Ronne Werben folle (p. 122). ^n einer berfönlid?en ^ufammenlunft 66
naf>m er ifyr baS ©elübbe ber Äeufct?^eit unb beS ©eftorfamS gegen il^n ab unb bittigte
eS, bafj fie baran bad?te, ib^re 'iEödjter in Ülöftern ju berforgen. 3U toeld)cr &ü ß ben
©ebanlen fafete, einen Berein frommer grauen unter feiner unb ber grau b. (Sbantal
Seitung ju ftiften, läfet fid? nid?t genau beftimmen; wabrfd?einlid? biel früher, als er eS
ibr unb anberen fagte. (Sr Wollte fie nad? 2lnnect?, bem ©it>e beS Bifd?ofS bon ©enf feit so
700 »tfitonttmtett
ber Deformation, gießen unb ben Serein fo frei geftalten, bafj feine Serbinbung mit
feiner greunbin leinen Abbruct; erlitte, ja, iura) bie Unterorbnung unter ben Sifcfyof
nocr) enger mürbe. ©3 fcfyeint, bafj er im ^afyre 1607 ifyr bie erften bar/in bezüglichen
pofitiben Eröffnungen machte; aber noct; immer b/ielt er bie ©adje geheim, ©inem ^e=
5 futtert, ber ib^m fpäter um AuStunft über fein Sorfyaben befragt blatte, fcfyrieb er am
24. SRat 1610, baf? anbere il)m ben ©ebanfen eingegeben Ratten, unb gtoar erft feit
einem ^afyre (alfo feit 1609), Welches letztere nur in Setreff ber eigentlichen SerWirf=
Itcfyung beg Sorb/abenS Wab/r ift; benn um biefe geit, ba alle§ fcfyon zWifcfyen tfym unb
grau t>. ©b/antal »erabrebet mar, ba fdwn einige gräuIeinS ftd? gemelbet Ratten, um in
io ben herein aufgenommen §u Werben, b/anbelte e§ fiel) nur noct; barum, ba<§ Öfonomifcfye
in Drbnung ju bringen, für ein §au§ u. bgl. gu forgen. grau b. ©fyanial ti)at auef; ba§
irrige, berliefj ben alten Sater, ber au§ ©ram barüber balb ftarb, rifj fiefy bon ifyren
j^inbern Io§, berjicb^tete auf ben größten ^eil il>re3 Sermögeng unb begab fid} im grül)=
jaljre be§ %afyv& 1610 naä) Annecr/, mo gegen ben 2Billen bes SaterS, ber ©ijon bor=
i5 gefct/lagen, ba§ erfte £>au§ ber neuen ©enoffenfcfyaft eingerichtet werben foUte. AI§ Sor=
Wanb bafür blatte granj ben Umftanb geltenb gemacht, bafe grau b. ©b/antal in Annecr;
ifyrer »erheirateten SLocfyter, ber Saronin b. ^oren§, näfyer fein mürbe. ^n cer Wafyt
bor ber ©inWeifmng be§ neuen §aufe§ blatte fie noct) eine grofje Anfechtung ^u befielen,
©ie glaubte, SSater unb ®tnber ju festen, bie (Sott um Dacfye gegen fie anflehten. ©3
20 fam it)x bor, bafe fie ben ©eift be§ granj irre geführt t/abe, — mithin war fie fid) it;res
©influffeg auf ifyn beWufjt, unb bafj fie eigentlich bie tlrfact;e fei, Warum er ben ©e=
banfen ber Stiftung be3 neuen SereineS gefaf t t;abe. SDiefe Anfechtung, bie brei ©tunben
lang Währte, fucfyte fie buref; ©ebet jju überWinben : „©§ mögen meine SerWanbten, meine
Äinber unb tdj felbft $u ©runbe geben, Wenn bu, o ©ott, e3 befohlen t)aft ; ba<§ fümmert
25 mict; rttdt)t (cela ne m'importe). 9Jcein einiges ^ntereffe in biefer geit unb in ber
©Wigfeit ift, bir ju gefyorcfjen unb px bienen" (2>caup. p. 211. 212).
Son nun an Würbe bie Serbinbung nod) Weit inniger, unb neue Anfechtungen, bie
grau b. ©b>ntal §u befteben blatte, riefen bon ©eite beg SBtfd^ofg nur nod) ftärfere ©r=
Ilärungen feiner geiftlict/en Siebe t)erbor. ®a§ bezeugen bieSriefe, bie beibe fief; fcfyreiben,
30 fei e§, bajj beibe in Annecr; finb, fei e§, bafe er in feinen Angelegenheiten ober fie in
Angelegenheiten bei DrbenS bon Annec^) abWefenb finb. ©cf)on längft rebet er fie auf
ifyren ^ffiunfcb^ rttcr)t meb/r „9)fabame" an, er nennt fie ^odjiter, ©cf)Wefter, SRutter; aUe
biefe ÜJcamen giebt er i^»r juWeilen in bemfelben Briefe unb fcfymücft fie mit ben järt=
lict/ften Seiwörtern: „einzig liebe, unbergleicr)ltcr) liebe" u. bgl. @3 befteb^t eine mr/ftifcfye
35 Sereinigung ^Wifc^en beiben ©eelen. ®arum fagt er if>r gerabeju: „SReine geliebte
^oeb^ter, ©ie finb Wafyrfyaftig icl) felbft (vous etes vraiment tout uniquemement et
veritablement moi-meme, 19. Wlai 1612)." — „©ott r)at mic^) mir felbft genommen,
nidjt um mieb^ Qb^nen ju geben, fonbern um mxd) in ©ie ju berWanbeln. (Dieu m'a
öte ä moi-meme, non pas pour me donner ä vous, mais pour me rendre
io vous-meme); fo möge e§ benn gefcfyefyen, ba^ Wir un§ felbft entriffen, in ^fyn ber=
Wanbelt Werben bureb^ bie SoUfommenf)eit fetner einigen Siebe" (8. ©ejember 1612).—
„3Jieine ©eele ftürgt fic^ in öftren ©eift, Wenn anberg jWifc^en ^b^nen unb mir baS 3Kein
unb ©ein am 5)3Ia|e ift, ba Wir ntdE>tö ©etrennte§ finb, fonbern ein unb baSfelbe 3)ing"
(qui ne sommes rien du tout de separe, mais une seule et m§me chose,
45 10. SDtai 1615). ^urje fyxt borb^er b^at er xi)x nact) S^on folgenbeS getrieben, Worauf
fyerborgebl, Wie ernft unb eigentlich er ba€ mt)ftifcb^e @in§fein mit ib> berftanb: „©eb^en
©ie, meine feb> liebe SRutter, Wenn icb^ unfere ^öcfyter (bie Sifitantinnen bon Annecr/)
befuge, Wanbelt biefelben bie Suft an, burcr) mieb^ S'lac^ric^ten bon 3#n«t %u erhalten,
unb Wenn icf> ben Tonnen S^e Sriefe geigen fönnte, fo Würbe ilmen ba§ grofee greube
so bereiten. 9Qun Weife meine TOcb^te Srecfyarb (Welche in AbWefenb^eit ber grau b. ßb^antal
bem $aufe borftanb) fefjr Wof)I, bafe ic^ ©ie felbft bin (que je suis vous-meme);
benn fie b>t Siliere gefeiten, Welche biefe Söafjrfteit bezeugen, boct; b^abe ic^ ib]nen ^fyre
brei legten Sriefe rttd)t geigen mögen" (4. Wläx% 1615). Serfte^t fieb^, bafe feine @r=
Ilärungen, er fei fie felbft, er fein ©in ®ing mit il^r, noeb; öfter Wieberfeb;ren (p. 273.
55 383. 419. 563), fo an biefer legten ©teile : je suis, comme vous savez, vous-meme,
sans reserve ni difKrence quelconque.
©o fagt er ü)r aud), baf$ feine ßuneigung ju tl)r mit gar mdjr» berglicb^en Werben
tonne, baf? fie Weimer benn ber ©dmee, reiner benn bie ©onnc fei (p. 116). @r freut
fiel), 5U ben!en, bafe fie beibe im künftigen Seben boHIommen @in§ fein Werben (p. 89.
eo 101. 238. 504 u. a.). SSie oft benlt er täglicf) an fie! mkmatt lieft er bieSDleffe, ob;ne
üSifttattttttneu 701
tfjrer ju gebenden, ja, er lieft fie r)auptfäd)üd) für feine greunbin (p. 106). 2ln fie benft
er, wenn er baS bJL ©aframent in ber ^rojeffion herumträgt (p. 112), Wenn er baS
2(benbmat)l genießt (p. 88), toenn er auf bem 2lltar baS geweitete ^ücfjlein, baS cor-
porate, ausbreitet, auf Weld)eS er bie geweifte £>oftie nieberlegt, — mit bem 2Bunfd)e,
baß ber §err fiel) auct) fo aii\ it)r §erj nieberfe^en unb in baefelbe feine ^eiligen @in= ö
flüffe einbringen laffe. SDer ©ebanfe an fie burdjlreujt feine ©ebanfen bei allen feinen
religiöfen Uebungen. 2Semt er in it)rer ©egenWart bie sDteffe lieft, fo erfd)eint er it)r als
h>te ein ßngel Wegen feinet glänjenben 2lngefict)teS (I, 246). 9JirgenbS prebigt er mit
fo bieler 2Bärme, Wie in ber Älofterfirdje, Wo fie unter feinen ^ufyörem ift (p. 418). -Kur
für fie f treibt er feinen ^raftat: „23on ber Siebe ©otteS" @r nennt bieSSBud) ebenfoWofjl 10
baS irrige, als baS feine ; bat)er nennt er eS olme Weiteres unfer Sud) (p. 412), um anju=
beuten, baß ber 9>erfet)r mit il)r il)m bie ©ebanfen baju eingegeben, ©o nennt er auct)
Don Slnfang an bie $inber ber grau b. Gfyantal bie feinen, bie unferigen ; er fprict)t bon
unferer jüngften Softer, bon unferen Meinen, bon unferem SeIfuS=23enignuS. ©d)on im
3al)re 1608 l)at er fid) ein ^ettfct)aft nact) bem TOufter beSjenigen feiner greunbin machen 16
laffen (p. 148). Sänge bebor fie als 9?onne feine Untergebene geworben ift, regelt er alle
it)re 2lnbad)ten, it)re arbeiten, il)re äftußejeit; er giebt tl)r S5erorbnungen, betreff enb il)re
©efunbl)eit, mann fie auffielen, mann fie fiel) nieberlegen foll(p. 111). ^ft fie Iran!, fo
beneibet er bie ©d)Wefter, bie ifyrer pflegt (p. 193). SlnberWärtS mact)t er it)r WiU
teilungen über feinen pl)bftfcr)en ßuftanb mit einer 23ertraulid)feit, wie fie faum unter 20
(Regatten größer fein fönnte (p. 311).
9Bie l)ätte grau b. ©fyantal folgen SiebeSergießungen Wiberftel)en fönnen? ©ie über=
t)äuft ben S3tfc^of mit SeWeifen ber §ärtltd)ften ©orgfalt für Seib unb ©eele. ©ie giebt
it)m 3Serorbnungen für feine ©efunbfyeit, bie er fid) befleißigt, getreu gu befolgen; fie
berfertigt für Um fdjöne iRirct)engemänber ; er füt)lt fiel; glücflid), §u prebigen, angetb, an 25
mit Kleibern, bie fämtlici) bon feiner fo liebenSWürbigen SRutter berfertigt finb (p. 498).
©0 l)at fie für il)n aud) eine föftlict)e btfdE)öfli<^>e ßabba gemalt unb barein biele 9Me
bie 33ud)ftaben ^t)i Ijnneingefiicft (p. 502). — ©ie Wünfct):, baß ber 33ifd)of ^ur @l)re
©otteS fie überlebe (p. 110). ©ie Wünfct)t feiner ©eele größere 2Mfommenf>eit als ber
irrigen (p. 126); fie bittet ©ott, baß er auS granj einen großen ^eiligen mact)e (p. 312). 30
hingegen ift bie Siebe ju it)ren Üinbern in il)rem ^erjen bermaßen abgefd)Wäcr)t, baß granj
it)r 3ufprid)t, fie foüe tt)ren ©ol)n, ber fie einft in Slnnect) befugen Wollte, ^er^ltcr) empfangen
(p. 413). SDafyer fie aud) in tl)ren fortWät)renben Einfettungen, bie noc^) öfter einen
fürchterlichen ©rab ber §eftigleit erreichten unb worin fie auf if)re ©eligleit böHig 3Ser=
jia)t leiftete, bod) ben ©ebanfen an ben SBtfd^of nid}t aufgab ; gän^Iic^) abgeftorben für 35
alles, felbft für ba§ Verlangen nad) ber emigen ©eligleit, behielt fie eine Neigung ber
3tüc!fe^r jum 33if(f)of im §erjen, fie füllte fiä) einzig unb allein bagu geneigt, ü)n mieber
ju feb,en, fo baß, Wenn fie fid; borfteßte, wie fie mieber ju feinen güßen Eingeworfen
fein unb feinen ©egen empfangen Werbe, fie bis ju SLljränen gerührt Würbe (29. ^uni
1622). ®enn aud) fie l)at ben ©ebanfen ber m^ftijd^en ©inigung unb 3SerfdjmeIjung 40
mit ber ^erfon beS 83ifd)ofS lebhaft ergriffen: „(SS fommt mir bor, id) feb,e bie jWei
Xeile unferer ©eele nur nocfe, eine bilben" (p. 315). Slud) fie fcbjeibt il>m : ,,©ie Wiffen,
baß icb, ©ie felbft bin" (vous savez que je suis vous-meme, p. 378). ®iefe S3er=
binbung bewährte fid; im Sobe unb nad) bem 3;obe. granj r)atte ifyr berfprocb,en, im
lobe bei ifyr ju fein. 2tlS er in St)on ftarb, am 28. SDejember 1622, befanb fie fid) ge= 45
rabe in ©renoble unb l)örte, als er ben ©eift aufgab, eine ©timme, bie ju iljr fagte:
„er ift nid;t me^r" ©ie Wußte bamalS nocfr, nid^t, baß er geftorben War unb legte ficb,
jene ©timme fo auS: „er lebt nur nod; für ©ort unb um micb, jumSeben in ©ort anju=
leiten" — 9Jtel)rere %afyve l)tnburd) l)atte fie eine geifttge (Srfd)einung (vision intellec-
tuelle) bom Sifct)of auf il)rer redeten ©eite, il)r fußen ®uft unb außerorbentlid)e ©unft= so
Bezeugungen juWel)enb. 211S im ^afyxe 1631 fein ©rab geöffnet Würbe, erhielt fie, Wie
9JtaubaS berietet, bie (Erlaubnis, bie £>anb beS SEoten ju ergreifen, ©ie bücfte fiel), um
biefelbe auf it)ren Stopf ju legen, unb ber 33ifd)of, als ob er nocj£> am Seben geWefen
Wäre, ftreefte bie §anb auS unb brücfte fie in järtlid)er unb bäterlict)er Siebe auf it)ren
^opf; beutlid) Woßte grau b. 6t)antal ben ®ruc! gefüllt fyahm. — grau b. 6t)antal65
ftarb, — nad;bem fie Wäbjenb il)rer legten %ai)xt t)auptfäd)lict) ju Slnnec^ geWot)nt, bon
ba auS aber öftere Steifen jur ©rünbung ober Settung bon Käufern il)reS DrbenS untev=
nommen l)atte — ju 9Jloulin am 13. 'Sejember 1641. ©ie Würbe im %at)xe 1751 bon
Senebift XIV. feiig gefprod)en, unb Siemens XIII. lanonifierte fie 1767.
2SaS bie ©rünbung beS DrbenS bon ber §eimfud)ung betrifft, fo erfolgte biefelbe, «0
702 «ifttanttunen
tote oben bemerft, nact; längerer Überlegung toegen be§ 9Zamen§ unb @f;arafter<8 ber ju
ftiftenben ©enoffenfcfyaft im ©ommer beS ^afyreS 1610. 2lm S£rtmtät3fonntage empfing
grau b. Gfyantal neben gtoeten ©efäfyrtinnen bon gleicher ©efmnung au§ gran^ §änben
i^r Drbett3t;abit ; ^elm toeitere grauen fct)Ioffen im Saufe ber näcfyften Sftonate ftct; ifyc
5 an. Über %va<fyt unb SebenSfüte fcfjrieb gran^ ^unäcfyft einfache 33erorbmtngen bor. ®er
herein foHte fo toenig toie möglich ein flöfterlid;e3 ©epräge fyaben, baf)er feine feierlichen
©elübbe, feine ^laufur, feine befonbere iracf/t; bie Metbung blatte ben getoöl;nlicr)en
©cf;mtt, toar aber bon fdjtoarjer garbe, ben $obf bebecfte ein fdjtoarjer ©d;leter. grau
b. Gfyantal blatte ftct) jtoar fct)on längfi f)arte $afteiungen auferlegt, aber ber 33ifa)of
io fcr)rieb fie bem Sßereine nid;t bor. 2lHe3 foHte auf innere 2lbtbtung bjngielen. 9?ur ba§
fleine officium Mariae foHten bie ©d)toeftem fyerjufagen berbunben fein (p. 295) ; benn
granj blatte ficf; (tote feine ^Briefe geigen) überzeugt, toie mipct; e<§ fei, toenn toeiblicfye
fßerfonen unberftanbene lateinifo^e ©ebete l)erfagen; bar)er toollte er ifmen toenigften? ba§
grofee officium Mariae nicbj auferlegen, grommen toetblicf;en ^erfonen follte ber;uf§
15 if^rer geiftlid^en ©tärfung ber jeittoeilige 2lufentl>alt in ben Käufern be§ 33erein§ geftattet
fein, hingegen lag ben ©ct;toeftem ob, nad) bem Sorbilbe ber SRutter be<o §errn, toelcfye
©lifabetf;, bie 9ftutter be§ Käufers f)eimfuct;te, Äranfe unb 2frme ju befugen. 5Rad; ber
©itte ber älteren ^ird)e foKten alle Käufer ber ©enoffenfcfjaft bem ®iöcefanbifd;of unter=
toorfen fein. (Sine bon ätnfang an eingeführte 23efonberl)eit beftanb barin, bafj alle $al)re
20 bie ©cfytoeftem tl)re ÜRofenfränge, Srebiere, ^rujifire u. a. toecr)felten. ®ie milbe £eben§=
toeife unb ba§ 3tnfel)en, toorin granj ftanb, führte bem Vereine balb eine giemltdje 3a^^
bon SRitgliebem ju. Um aber Unorbnungen unb übeltooHenbem 23erbacfjte borjubeugen,
mufjte granj auf ba§ ©ringen be§ S?arbinaI=@räbifcf;of3 SERarquemont bon £t)on, balb
bie urfbrünglicfye gorm be§ 33eretneä, big bafyin blojs congregation genannt, änbern.
25 ©o tourbe er benn unter ?ßaul V. im ^a^re 1618 afe religion, b. t;. al§ Drben de
visitatione B. V.M. anerfannt unb erhielt eine eigene Siegel, toelcfje ben tarnen 2luguftin§
trug. Sie bon granj aufgefeilten ^onftitutionen tourben nad; feinem %ob? im ^al;re
1626 bon Urban VIII. beftätigt. @§ berblieb babei, bafj ber Drben fein befonbereS
Dberfyaubt erhielt, fonbern ben ©iöcefanbifct;öfen unterftellt tourbe. ©ine befonbere, ber=
30 gleict;§toeife einfache, fdjtoarje %racf;t mit langem, fcfytoarjem ©dreier unb fd^toarjem
©tirnbanbe tourbe borgefdjrieben, bie Älaufur eingeführt, bamit ber SBefucf) ber ^ranfen
unb 3lrmen au§gefd;Ioffen. ©ie agfettfcfyen Übungen tourben nid;t berfcf)ärft, ba§ fleine
officium Mariae beibehalten. SBig jum SLobe be§ 33tfcbof€ toaren bereite 13 Käufer
beö Drben§ entftanben; unter ber Oberleitung ber grau b.Gr/antal, bie gu biefem ^toecfe
35 in berfdjuebenen ©täbten granfreid)§ bertoeilte (namentlid; 1619—22 in ^ßari§), famen
87 neue §äufer baju. SDer f)öd;fte ©tanb be§ DrbenS toar ettoa 200 §äufer im I8.%afyx--
l;unbert. sJJocl; um bie 9Jlitte be» 19. ^al;rf)unbcrt§ befaf? ber Drben ettoa 100 5Rteber=
laffungen mit ungefähr 3000 9)titgltebern in granfreicf;, Italien, ©cf;toeij, Dfterreid), ^ßolen,
Serien, ^orbamerifa. §eute gäfylt ber Drben toieber 164 ülbfter mit ettoa 7000 5Rit=
40 glieber. %n $Deutfcf;Ianb befielen folgenbe sJJieberlaffungen : ©ietram^eE, Seuerberg, QanQ-
berg, ^ielenb^ofen, Dberrol;ning (Sägern), 9Kofeltoeife (9W;einbrobinä), üebem (aSeftfaten)
unb DJletj; in Dfterreid;: 3Bien, ©leinf, %fyurnfelb, 6l;otefd;au; in ber ©d;toeij: grei=
bürg unb ©olotl;urn; in ©banien: Barcelona. 2lnbere Softer befinben fiel; in Italien,
Portugal, ©nglanb, ©tyrien, 9iorbamerifa, toeitauä bie meiften aber in granfreicf;. SDie
45 .^aubtberbienfte beä DrbenS liegen auf bem ©ebiet ber 6rjiel;ung ber toeiblicf)en ^"9^^/
namentlict) ber gebilbeten fatfyolifcfyen Greife. Wlit mebreren ^enfionaten finb £e^rerinnen=
bilbungöanftalten berbunben. — 2Bäl;renb ber janfeniftifcf;en ©treittgfeiten tourben bie
Sifitanttnnen in ba§ berlaffene Hlofter Port-Royal des champs anftatt ber barauö
bertriebenen ßiftercienfernonnen eingeführt, toobei fie fiel; gegen biefe tfjre SSorgängerinncn
so nicf;t fef»r Imman benahmen (f. ^eutt^lin, ©efd;. bon Port-Royal, II. Sb, ©.203). 2ßob>
tf;uenb bagegen berührt bie liebebolle 2lrt, tote bie SSifitantinnen bon SEouloufe ber
jüngeren %o<fytex be3 unglücflicf)en 6ala§ entgegen famen, toeld;e burd; lettre de cachet
bei ifmen untergebracht toorben toar, um fatfoltfcf; breffiert ju toerben. Sluf ber©cf;toelle
btefe§ ?ionnenfIofter§, fann man fagen, erlofcb jener blutbürftige ganati<§mu§, ber bem
55 Sater bei 9Jiäbcf;en§ ben Xoh auf bem 9tabe bereitet batte. diejenige Spönne, toelcl;e be=
fonber§ mit bem Unterrichte ber jungen 6ala§ beauftragt toar, älnne ^ulie graiffe, blieb
auef;, nad;bem bie junge gala§ ba§ Älofter berlaffen, unb obtoobl biefe niemals Neigung
pr2lnnaf;me ber fatr)olifct;en ^Religion gezeigt f)atte, mit tlt)r big ju if)rem %obt in eifrigem
Srieftoecf;fel. 5Die gute dornte beutet in bielen Briefen an, toie fef;r fie toünfcije unb
60 bete, bafe bie junge ßala§ fatbolifcf; unb gar 9Jonne toerbe, aber fie fann nicfjt umf;in,
Sßtfttonttnncn Visitatio liininuin HS. Apostoloruin 703
bem oortrefflicfyen frommen SRäbdjen bte gärtlid^fte greunbfdjaft p bcroeifen. 'Sie be=
iwabrtc ib,r btefelbe aucfy, nacfybem fie ben 5J}rebiger ber fyoüänbifcfyen ©efanbtfcfyaft in
$axx§ geheiratet r)atte. ©. tf>re Briefe bei 2ttb,anafe Soquerel: „Jean Calas et sa fa-
mille" $art<o 1858, im 2lnl)ang. |>er5og f (@. öadjcnmanit).
Visitatio liminum SS. Apostolorum. — Benedict XIV de synodo dioecesana ■">
lib. XIII, cap. 6 sq.; Sangen, ®ie römifdje ®urie ©. 177 ff.; TOejer, Sie römifdje Sturie in
ber 3eitidirift für SRedtjt imb ^olttif ber Strdje «on Sacobfon unb 9tid}ter, .§eft 2; Slngeiu«
Sucibi, De visitatione liminum 1—3, Eomael8782; 3Mj?er§ De canonica dioecesi visitat.
c. appdice de visitatione sacror. liminum, Coloniae 1893; ©ägnuiller, lieber bte visitatio
liminum 6i§ 93onifaj XIII. in Tübinger 1t)Q,& 88, 69. 91. ' io
©er Sefud) ber $trd)e ber r)etligert 2Itooftel, nämlid) be§ ^5etru§ unb ^3aulu§ ju 3tom
unb bamit $ugletd) ber romifd)en ^urte, fann auf ©runb eines ©elübbeg ober bermöge
gefe£lid)er 33orfd)rift erforberlid) fein. ®a§ erftere gefd)ab, im Mittelalter feb,r fyäufig, unb
e§ ift bielfad) bie Siebe bon peregrini qui propter Deum Romam vadunt, Romi-
petae Apostolorum limina visitantes unb anbere, benen befonberer ©d)u£ geroäfyrt 15
roirb ($eugmffe bei ®u Gange in ©loffar. s. v. Romipeta u. a.), inbem utsbefonbere
in ber Bulla In coena domini über btejenigen ber 33amt au3gefbrod)en rourbe, qui ad
sedem Apostolicam venientes vel recedentes ab ea . . . capiunt etc. (Gregor. XII.
a. 1-111 bei 9tarmalb, Annal. ad h. a. nr. 1). 33on folgen ©elübben ju btsbenfteren,
ftanb eigentlich ben 23iftf)öfen ju. SSJUfjbräucfye gaben aber ben Rauften 2lnlaf$, eine 33e= -"
fd}rän!ung eintreten ju (äffen (bgl. $. §. Sommer, Jus eccl. Protestantium lib. III,
tit. XXXIV, § XXVII), unb fo tarn e§ jur (Einführung einer bäbftlidjen ^Referöation
für bai votum peregrinationis ultramarinae (c. 9 X. de voto et voti redem-
tione. III, 34. Innocent. III.) unb bemnäcfrjt ber visitatio liminum SS. Aposto-
lorum (bgl. c. 5 Extrav. comm. de poenitentiis et remissionibus. V, 9. Sixtus IV 2:">
a. 1478). £>te 2lnroenbbarfeit be<§ fcätoftltd)en 9teferbat§ rourbe aber burd) SDoftrin unb
$rarj€ an befonbere SSebingungen gelnübft (gerraris», Bibliotheca canonica s. v. votum
Art. III, nr. 78 ff., nr. 112), rt>eld)e bar/in geführt ju fyaben fd)einen, bafs ben 23ifd)öfen
btefe 2)i3ben3 gang überlaffen mürbe. 3n ^m Gutnquennalfafultäten tft bte toäpfiltdje
Sreferbatton ntcfjt mefyr auSgefbrodjen. 3n
Sonstiger al§ bte visitatio liminum ex voto ift bte ex lege, roelcf/e bon ber
Äurte jum groecfe ber Itrdbltd^ert 33erroaltung eingeführt ift.
®er $abft r)at Vermöge be<§ $rtmat<§ ber ^urtöbiltton aua) baS Stecht unb bte Sßfltdjt
ber b,bd)ften Itrd)Itd)en 2lufftd)t. Um btefe orbnungSmäfjtg ju üben, mufj iB,m jeberjeit
bie genauefte S3efanntfd)aft mit ben 23err/ältmffen ber gefamten Strebe ju ©ebote flehen 36
unb bte getftlid)en Oberen muffen besfyalb baib in ^ßerfon, balb bureb, auöfür)rlicfee 9tela=
tionen bem ^abfte bte tb,m unentbehrliche 2tu3iunft über bie Sage ber $ird)e erteilen.
®te ©runbfä^e, nad) melden bierbei berfafyren roirb, b,aben fidt) erft attmäfylid) au§=
gebilbet.
@ine römifcb.c ©^nobe Dorn $al)re 743 traf in SSegug auf bte bem 35ifd)ofe bon *»
5Rom al§ Metroboltten untergebenen 93tfd)öfe folgenbe Sefttmmung: „Juxta sanetorum
Patrum et canonum instituta omnes episcopi, qui hujus apostolicae sedis
ordinationi subjacent, qui propinqui sunt, annue circa idus maji sanetorum
prineipum Apostolorum Petri et Pauli liminibus praesententur, omni occa-
sione reposita. Qui vero de longinquo, juxta chirographum suum impleant. 45
Qui autem hujus constitutionibus contemptor extiterit, praeterquam si aegri-
tudine fuerit detentus, sciat se canonicis subjacere sententiis" (c. 4. dist. XCIII).
©iefe geftfe^ung get)t jroar junäd^ft auf bie ^f(ia)t ber 58ifd)öfe, ber jäbrlicf^ert ©bnobe
beijutoor/nen, enthält aber bod) jugletd) einen r/erfömmlicf/en 3lft ber Obebienj gegen ben
römifd)en ©tub,I, tnbem bie bemfelben fubjijierten Sifc^öfe fieb, ju einem öfteren 33efud)e 50
berbflid)teten. ©arauf roeift ber liber diurnus cap. III, tit. VII b,in, tnbem e^ in ber
Cautio episcopi fjeiftt: Promitto, me etiam ad natalem Apostolorum, si nulla
necessitas impedierit, annis singulis oecursurum. (5Ran feb^e btefe ©teile mit
älteren geugntffen im liber diurnus opera et studio Garnerii, ^pariS 1680, 4°,
p. 66, ed. Stottere ©. 151 nr. 74, ed. ©id"el ©. 76 nr. 74).
©tefe SSerbflictjtung mürbe feit ©regor VII. allen SRetrotooltten auferlegt unb toon
ib,nen eibltd) übernommen: „Apostolorum limina singulis annis aut per me aut
per certum nuntium meum visitabo, nisi eorum absolvar licentia (c. 4 X. de
jurejurando II, 24. Gregorius VII. a. 1079). ©ie ging bann balb auf anbere
704 Visitatio liiuinum SS. Apostolorum SHtaliatt
Prälaten, tnSbefonbere alle SBtfd^öfe über, wobei gugletd^ mit 9lücfftdE>t auf bie Entfernung
berfelben bon 3tom berfa)tebene griften beftimmt rourben (bgt. ©iefeler, Äircfyengefcbjcfyte,
33b II, 2lbt. 2 (4. aufläge), ©. 234). ©ie toötttge Befreiung bon ber $flicr/t, Welche
einzelne SBifd^öfe burcb, befonbere ^Privilegien erlangt Ratten, rebojterte aber fdjon
5 2lleranber IV. im $afyre 1257 ©enauere Seftimmungen traf ©ir.tu§ V. am 20. ©ejember
1584 in ber 33ulle: Romanus Pontifex (Bullarium Magn. ed. Luxemburg. Tom. II,
fol. 551), roonacb, bie Sifcfybfe Italiens, ber benachbarten ^nfeln, ®almatien§ unb
©rtecb,enlanb3 alle brei %afyxi, £>eutfcf)Ianb<§, granfreicb,3, ©banieng, ^3ortugaI<§, ^Belgiens,
SBöfymenS, Ungarn^, @nglanb§, ©cb,ottlanb<§, Urlaubs alle bier ^o^re, be3 übrigen ©uroba,
10 5Rorbafrifag unb ber Qnfeln bie§feit3 be§ amerifanifcfyen §eftlanb§ aße fünf %at)xt, aller
übrigen Sänber aUe gefm 3>ar/re nad) 9tom fommen foltten, um über ben guftanb ifyrer
$ircb,en ju berieten. Senebilt XIV beftätigte biefe 2lnorbnung in ber Äonftitution :
Quod saneta com 23. 9tobember 1740 (Bullarium cit. Tom. XVI, fol. 11) mit bem
$ufa|e, bafj nic^t nur bie Patriarchen, Primaten unb ©rjbifd^öfe, Wie bie übrigen
15 33ifd)öfe, felbft Wenn fie Äarbinale feien, fonbem aud) 2tbte, ^rioren, ^ßröbfte unb aHe
anberen, meldte fieb, im Sefüje eine3 5Eerrttorium§ befinben unb eine jurisdictio quasi
episcopalis befugen, al<§ Praelati nullius dioecesis (bgl. ben 2trt. ©jemtion Sb V,
©. 688) gur Dbebienj, Sericr/terftattung, unb bafyer autf) visitatio liminum berbflict/tet
feien. ©afj aueb, blofje Sitularbifcfyofe baju gehalten feien, Wirb faft allgemein angenommen
20 (f. gerrartö a. a. D. s. v. limina Apostolorum nr. 7, 41 — 43), bes>gleicl)en ber $oab=
jutor, faH3 mdjt ber $oabjutu§ ber ^flicfyt nadjfommt @errari£ a. a. D. 9ir. 8, 44—45).
Sie allgemeine Sßerbflicfytung Wirb bei ber @ibe§leiftung feist in ber $orm übernommen,
meldte ba3 Pontificale Romanum enthält unb fo lautet: „Apostolorum limina sin-
gulis trienniis personaliter per me ipsum visitabo, ut Domino nostro ac suc-
25 cessoribus rationem reddam de toto meo pastorali officio, ac de rebus omnibus
ad meae ecclesiae statum, ad cleri et populi diseiplinam, animarum denique,
quae meae fidei traditae sunt, salutem quovis modo pertinentibus, et vicis-
sim mandata äpostolica humiliter reeipiam et quam diligentissime exsequar.
et rel."
30 ©ie visitatio liminum foll ju ber beftimmten $eit eigentlich in ^erfon erfolgen;
im galle ber 33ebinberung barf inbeffen ein ©tedbertreter mit ©bejialbollmacfyt gefenbet
werben, ein SOcttglieb be<S $abitel3 ober ein aud; nid^t jum ^abitel gehöriger Prälat, ober
ein fonft geeigneter $riefter be§ ©brengeM
©ie visitatio felbft enthält brei Momente, meiere ba3 geugnig u&er *>erm Erfüllung
35 ausfbricfyt, WelcfyeS bon ber Congregatio super statu ecclesiarum au§gefteUt Ibirb :
„Nos — S. R. E. Presbyter Cardinalis attestamur Rev. Episcopum
Constitution! fei. Sixt. V — cumulate satisf ecisse : nam et sacras beatorum
Petri et Pauli basilicas humiliter et devote praesens veneratus est, et Sanc-
tissimi Dom. N. pedibus provolutus Sanctitati Suae et Sacrae Congregationi
40 ore scriptoque retulit de statu ecclesiae suae" Unter ltmftctnben muf ftcb, bieg
aber faftifcb, änbern, benn unter limina Apostolorum Wirb bie ^ircfye berftanben, in
welcher fiel) ber $abft mit ber Äurie aufhält, fo bajj mit ber Verlegung ber Stefibenj auch,
bie limina Apostolorum Wecfyfeln (gerrartö a. a. D. sJJr. 29).
Über bte relatio de statu ecclesiae, meldte teil3 münblicb,, teils fcfyriftlicfe, erfolgen
45 foH, giebt e§ eine befonbere ^nftruftion, meiere Prosper Lambertini, ber fbätere $abfi
Senebift XIV., aufgearbeitet b,at, gebrueft hinter bem ^weiten 33anbe feineö S3ullarium§,
fowie im 2lnf)ange ju feiner ©cfyrift: de synodo dioecesana, aueb, roieberb,oIt hinter ber
Slu^gabe beg Conc. Tridentin. bon Stifter unb ©cfyulte (Lipsiae 1853).
grüner mußten bte S3erid)te l)äufig bie visitatio liminum erfe|en. 3)ie (Srletd^te=
so rung ber 23er!el>r§tr>ege unb ber Fortfall ber §tnberniffe, welche bon feiten be§ ©taat§
ben Serleb.r ber Sifcfybfe unb be§ s^abfte§ erfdjmerten, t>at eine 33eränberung herbeigeführt,
fo bafj ber berfönlicfie SBefuct) nunmebr orbentltcfjertoeife ftattftnbet.
(§. S-. ^acobfon f) ®. griebfierg.
aSitaliatl, ^abft, 657 — 672. — ^offe I ©. 235—237; Lib. pontif. 9tu§gabe uon
55 aJtommfett I @. 186; S3eba, Hist. eccl. gent. Anglor. IV 1, @. 163. ?tu§ga6e oon Wolter;
2(gnettug, Lib. pontif. eccl. Ravenn. c. 110 ff., MG SS RL @. 349 ff.; Sangen, ©efef). be?
rbtn. ®. üon Seo I. bi§ ^itoIauS I., 33onn 1885, 6. 539.
3Sitalian, Sßabft, rourbe nacb. einer ©ebt^balanj bon beinahe jmei ÜJJonaten im guli 657
ber gRacb.folger beö ^abfteS (Sugeniug I. @r ftammte aul ©egni unb mürbe 30. ^uli 657
Söttoltan äSthiitfla 705
fonfelriert. „1>em §erEommcn gemäfe" geigte er feine ©tufylbefteigung bem ßaifer
ÄonftanS II. an. SDiefe Sinnige bebeutete inbeS mefyr als bie 33eobact/tung einer ber=
fommlid)en gorm. SDenn unter ©ugen I. mar infolge ber ^urüätoeifung ber ©rmobica
beS Patriarchen betrug bon Äonftantinobel (Vit. Eug. ©. 185) bie ®ird)engemetnfd)aft
gmifdjen 9bm unb ^onftantinobel tfyatfäd)lid) abgebrochen morben. %n *>« älngetge lag 6
bie SBieberanlnübfung tro£ beS ©egenfa§eS in ber monotfyeletifcfyen grage (f. ben 2lrt.
«Oconotb, eleten 35b XIII ©. 408, 20—26). Äonftan« nab, m fie behalt fer)r mofytmollenb
auf; er betätigte bie Ißribtlegien ber römifd)en ^ira)e unb fanbte bem ^abfte einen !oft=
baren ©bangelienüober. gum ©efcb>nJ, SBeniger freunblid) geigte er ftd) bei feinem 2Iuf=
enthalte in 9rom i. % 663 ; man marf ib, m bor, bafc er nia)t memgeS bon ben 5Reftert 10
ber römifd^en &unftfc|äi$e geraubt ijabe, aud) bie $ird)en, bie er anbäd)tig befugte, feien
bon feiner blünbernben §anb nid)t berfd)ont geblieben. ®ie Dbert)ot)ett, bie ber ^ßabft
über ben 33ifd^of Naurus bon Stabenna in Slnfbrucfy nafym, bermod)te 33. md)t gur ©eltung
gu bringen. 2öob,I berief er ben 33ifd)of nad) 9tom, bod) Naurus folgte ber Sabung nid)t.
311S er ifyn barauf für abgefegt erflärte unb mit bem 33anne belegte, fbrad) aud) Naurus 15
ben 33ann über 23italian aus. -DcauruS ftarb balb banad). ©eine ©rabfd)rift rüf>mt
bon ib/m: qui liberavit ecclesiam suam de iugo Romanorum servitutis. 2tm
meiften fd)eint 33italian auf ©nglanb ©influfj gehabt gu r)aben, roo ber bon ir)m am
26. 9Jcärg 668 gemeinte @rgbifd)of SfyeoboruS bon Ganterburfy für baS Qntereffe beS
bäbftlicfyen ©tub/IeS t^ätig mar unb eS fid) angelegen fein liefe, ©Ieid)förmigfeit mit ber 20
römifd)en $ird)e fyerguftellen. 33italian ftarb am 27. Januar 672.
9leubecfer f (^ttutf'.
ÜSitrittga, SambegiuS, geft. 1722. — Quellen: 31. SdjuItenS, Laudatio funebris
uom 13. Slpril 1722, abgebrueft oor ber 33a§Ier ?lu§gabe be§ SefajafommentavS ; bie vita
succinete delineata a Theod. de Hase, abgebrueft üor ber Jenaer ?lu§gabe ber Observatt. 25
sacrae (1723) imb in ber Biblioth. ßremensis t. VI, fasc. 4. (gtnen ?lu§jug au§ @ii)ulten8
unb §afe gtebt 9Jicöron in feinen Mömoires t. XXXV, p. 30 ff. SSerfcfjiebene SSeridjtigungen
unb 92ad)träa,e liefert SSufctjing in feinem „£eben§lauf" 83.S in ber beutfeben ^Bearbeitung uon
beffen Sefajafommentar, 93b I, 25 ff., unb 93b II, 7 ff. 3. ffiof, 21rt. „SS." in vaterl. Woorden-
boek t. XXIX; tieftet, 2>a§ 313; in ber djriftl. ^iretje (3ena 1869), @. 436 ff. 30
3)er gefeierte 2luSleger beS 2>efaia mürbe am 16. Sflai 1659 gu Seeumarben in
grteSlanb geboren, ©ein SSater ,£oratiuS 33., bamalS ©e!retär bei bem oberften ©erid)ts=
fjof grie§Ianb§, mirb aU ein r)od)gebilbeter, in ber ©rgieb^ung feiner ®inber äufeerft forg=
fältiger SJtann, feine 2Rutter, 2llbertinc ban §aen aus Dftfrie^Ianb, al§ eine burd) (Seift
unb ©emüt au§gegeid)nete ^rau gerühmt. Unter bem ^Reftorat 9xomberg§, ber üjm einft 35
al§ scholae pars optima nostrae begeid)nete, mad)te fid) 33itringa gu Seeumarben fo
eifrig mit ben ^laffifern, mie mit bem ©runbte^t bei 31 unb 5R^ bertraut, ba^ er be=
reit§ 1675 bie Uniberfität granefer begießen lonnte, um bafelbft unter 2(rnolbi, 3Bitfiu§
unb 9)carcf 5Et)eoIogte, fotbie unter Slnleitung eines 3UDett ^ü sJtabbinen gu ftubieren;
mit meld)em drfolg, begeugt ber 2lu3fbrud) bon 9Bitfiu§: eum sibi visum, cui fessus 40
olim lampada tradere posset. 9?ad)bem er gu granefer brei $Differtationen de origine
monachatus mit großem 33eifaK berteibigt t)atte, fiebelte er 1678 nad) Seiben über, um
griebrid) ©banb^eim, SSittid), le 3Ro^ne unb £mlfiu<§ gu b^ören, bromobierte 1679 mit
brei Simulationen de argumento psalmi II al§ ©o!tor ber Geologie unb ertoarb
1680 bie SBürbe eine§ Candidatus s. ministerii. 9cod) in bemfelben ^ab^re mürbe il)m 45
ber Seb^rftul)l für orientalifd)e ©brad)en gu granefer übertragen; ber feierliche 3Intritt er=
folgte am 11. Januar 1681 mit einer -Rebe de officio probi sacrarum literarum
interpretis. 33ereit<3 am 10. 9Jcai 1683 trat er fobann mit einer Siebe de amore
veritatis aU 5Jad)folger WlaxäZ in bie tr;eologifd)e gafultät ein (bie 33erufung bagu
batierte fcb.on bom 18. ^uli 1682); 1693 übernahm er als 3tad)folger bon $erigoniu3 50
gugleid; ben £er)rftut;l für tird)engefd)icb;te. 5cad;bem 1698 ein äufeerft vorteilhafter SRuf
nad; Utred)t, ben 33. bereits angenommen blatte, mieber rüdgängig gemorben unb infolge
beffen fein ©er)alt gu graneter auf 2000 t^oll. ©ulben erbost morben mar, miberftanb er
fortan au§ $Danlbar!eit allen meiteren 33erIoc!ungen — felbft bann, als if)m Utrecht bei
einer bringenben 3Siebert;olung beS 3RufS 1702 ben 1698 angebotenen ©e^alt im 33etrag 55
bon 8000 ©ulben nacl)gugal)len berfbrad?. ©eine (Srfolge als Se^rer laffen ein fo auf=
fälliges 3Inerbieten mol?l begreiflid) erfdjeinen. S)enn nic^t feiten rootlte eS 23. an 9iaum
für bie gro^e $al)l feiner §örer auS §ollanb, granlreid), ©cfyottlanb, ®eutfd)lanb, Ungarn
unb ^3olen gebred)en. 2Iud) als er meb^r unb mef>r bon ©d)merr)örigfeit geblagt mürbe,
SReal*<Snct)Hot>äbte für I^eologte unb »Irdie. 3. Sl. XX. 45
706 aSttrtttga
pflegte er bod; ben berfbnlidjen 93erfebr mit feinen gufyörern noct; buret; bie äkfbredmng
fdjriftlid; eingereichter anfragen unb Stuffä^e. üJcact) längerem ©iecfytum erlag fein bon
9<caiur jarter unb burd) raftlofeS ©tubieren frübjeitig gefcr/toädjter Körper (ba<§ 93ilbm§
bor 93üfdnng€ 2lu§gabe be§ ^efajafommentarg geigt ein feinet, blaffe<§ 2tntlt| mit ernftem
5 finnenbem 2luge; man fiet)t ii)m an, baß l)ier ein fwl>er ©eift mächtig über ein gebredj=
lic^eS irbtfcfjeg ©efäß gebot) am 31. SRärg 1722 einem ©djlagfluß. ©einem berfönlidjen
6I)araf'ter, feiner ®emut unb aufrichtigen grömmigfeit wirb bon ben gettgenoffen iaä
Ijöcfyfte 2ob gefbenbet; benfelben Embrud gewinnt man au§ ben jafylreidjen, ausführlichen
93orreben feiner Sucher. 93on bem regelmäßigen 93efucf) be3 öffentlichen ©otte3bienfte§
io liefe er fief; au<$) burd) feine fcfyließlidje 3:aubr;ett ntct)t abgalten. 93ermär)It War 93. feit
1G81 mit Sßtlfyelmine ban §eü, einer ^octjter be3 §arlemer ^rebtgerS ©imon ban §ell,
au§ welcher Ef)e bier ©öbne (f. unten am ©djluß) unb eine SEocfyter r/erborgmgen.
©ine geredete 2Sürbigung feiner Wiffenfd;aftlid;en 93erbienfte fyat bor allem ju be=
benfen, baß 9?. ein nieberlänbifcfyer Geologe am StuSgange be<§ 17. ^abrb^unbert§ ge=
15 Wefen ift. 3tl§ foldjer War er ein treuer ©or)n feiner Äircfye, bem reformierten Sefyrbegriff
(inlbefonbere aud; ber Seljre bon ber unbebingten ^ßräbeftination) aufrichtig ergeben unb,
Wo e§ fein mußte, aud; ju fd)arfer 93erteibigung beäfelbert bereit. ®ar)er ftebt auet; feine
©efamtanfcfyauung bon ber fy. ©djrtft unb ber ^nfbiraiion berfelben auf bem 33oben ber
nactjreformatorifdjen 0rtl)oborje. SDod; nimmt er gegenüber ber tejtfrittfdjen Überlieferung
20 eine etWa§ freiere ©teHung ein unb Will nur benen eine Einmifdmng in ben tfyeologifdjen
©treit geftatten, bie fict; burd) grünbItct)eS ©tubium baju befähigt I)aben (bgl. bie fct)öne
3tu§fül)rung bei ©a|es>, baß ©laubenSftreitigfeiten bielfadE) auf UnWiffenfyeit jurüdger/en,
in ber Praefatio ju ben Observv. sacrae p. 4. SDabei Will aber 93. nur bie ©eler)r=
famleit gelten laffen, bie mit 2Bei§I)eit, ©ottfeligleit unb Sefdjeibenkit berbunben fei).
25 SDie 93ebeutung feiner E^egefe liegt bor allem in ber ©orgfalt unb ©rünblicfyfeit, mit
Weldjer er S£ertfritif, ©rammatif, Serjfon, ej;egetifcr)e Überlieferung, übertäubt ben ge=
famten er.egetifd>en Slbbarat in ftaunen3Wertem Umfang auf bie Ermittelung bei sensus
genuinus, be§ geitgefcfyicfytlidjen SlnlaffeS unb §intergrunbe§ bertoenbet. 3»n bxtftx &n-
fidEjt gäJ)It 93. bereite ju ben mobernen Er.egeten, unb biefe§ Urteil wirb aucr) buret) bie
3o bekannten $utaten ju feiner Auslegung, in benen er bie Erfüllung ber ^J3robfyetenfbrüd)e
gelegentlich bi<8 in§ 17. 3;afyrlmnberi berfolgt, nid)t aufgehoben. Übrigeng ift fcfyon bon
©ieftel (©efd>ict)te be§ 2I£3 in ber cfyriftl. Strebe ©. 437) mit 3ied>t bemerlt Worben, baß
ba3 oft nacfygefyrocfyene Urteil bon ©efeniug (^ef. I, 133), 93. fei ber Soccejamfd)en $nter=
bretationSmetr/obe jugetfyan, einer Wefentlidjen SJZobifijierung bebarf. ®aß 93. niebt un=
35 mittelbarer ©dmler be§ 6occeju<§ mar, ergiebt fid) fd;on barau§, baß er bei 6occeju§' SEobe erft
geb^n ^ab,re alt war. 2Iber and) aU mittelbarer ©djmler unb 93eref>rer beö StReifterS War
er bod) feine§toeg€ ein blinber 9cacfybeter berfelben, bielmeb^r läßt er aud; ©rotius fein
3^ed)t toiberfafyren. @r beribirft e§, baß ßoccejuS manche SBeiöfagungen ganj bon bem
jeitgefdMcfytlicfyen 3ufammen^an9 toSlöft unb olme Weitere 93ermittelung auf 6b,riftu€ unb
40 auf nod; fbätere Qe'xten begießt. ®ie fbäteren Erfüllungen ber SöeiSfagung, bie ber erften
borläufigen folgen (in biefer Slnnaljme ift 93. ganj Soccejaner), finb beffer in ben näd)ften
^ab^rb^unberten, al€ im 9Jcittelalter unb ber SReugeit ju fud;en. ©o räumt er tfaav Eoccejul
ein, baß manche ^üge in ^ef 33, lff. auf gerbinanb II. (ober noeb, beffer ^b^ilibb II.),
foWie auf ©uftab Slbolbl) baffen, bleibt aber bod) fd;ließlid; bei ber Begebung be§ „93er=
45 wüfterl" auf 2lntiocIj)u§ Gbibb^aneS fteben. — 9lHe Weiteren S3emer!ungen fnübfen Wir an
an eine Überfielt über
®ie ©Triften 93.1 1. Ejegetifdie SSerle. a) ^um WX. SDag gefeiertfte £aubt=
Werf 93.§, ber Commentarius in librum prophetiarum Jesajae, erfdnen juerft in
gtoei Folianten Leovardiae 1714. 1720; nad;gebrudt ^u §erborn 1715—1722, unb gu
5) Safel 1732. — Eine bon ^faff um 1732 in Tübingen borbereitete 2tu3gabe lam niebt jur
2tu<3füb>ung, bagegen erfebten „Sombegii 93. 2lu§legung ber 9Bei§fagung ^efata" 2luS bem
Sateinifdjen pfammengejogen, überfe^t unb mit 2tnmerfrmgen begleitet bon 31. %. 93üfd;ing.
9}cit einer 93orrebe bon % 2. bon 3Ro§b;eim, §alte 1749. 1751 in jWei 93änben 4° (m'it
9Seglaffung be§ „gar ju Weitläuftigen unb Wortreichen in ben Slbb^anblungen ber einzelnen
55 ©tüde; ber bäufigen SBieberb^oIungen berfelben ©act)e; ber beiläufigen Erllärungen anberer
©d)riftftellen" u. f. W., unb bor allem ber mt)ftifa)en 2tu§Iegungen ber 2Beigfagung).
Slucb; ^. ©. 2eig$§ „Eommentariu€ über ben ^robb^eten ^efaiam" (33raunfd)Weig 1726
bi§ 1734, 6 93änbe 4°) ift nad) SSüfcbing in ber §aubtfad;e eine Überfe^ung au§ 93.,
mit Weüfcb>eifigen, b^omiletifd;=moralifd)en ^utb^aten.' ^Dagegen b^at ^of). ^afob 3tambacb,
eo in feiner „Erllärung beö ^robb;eten Efajä" (£>erau§geg. bon E. ^. Neubauer, güllidmu
»ttritifla 707
1741) nur „bert $em auS bem äBerüc beS (Samp. 33. . gang furj fferauSgejogen"
^n jiemlicfyem Umfang ift 33. and) in ben ©polten StofenmüllerS gum ^efaja ber=
teertet. 33gl. über ben ^efaiafommentar baS Urteil t>on ©elitjfd; [@omm. gu ^efaja4,
p. 31]: ,,©ie ©cfyattenfeiten beS Kommentars pflegen für ben Sefer in ben 93orber=
grunb ju treten, aber je länger man il)n benu|t, befto I)öf)er lernt man ifm fcb,ä|en. b
UeberaÜ tiefe gorftfmng, nirgenbS ber SujuS einer toten ©eleb,rfamreit. ©es 93erfafferS
§erj tft babei. guWeilen ru^ er auf ^em müfyeboften gorfdmngSWege aus unb mad)t
ftd? Suft in Wonnigem 33el)agen" Wad) ber 33ollenbung beS Qefajafommentarä plante 33.
einen großen Kommentar gum ©adjarja ; ber SInfang beSfelben liegt bor in C. Vitringae
commentarii ad librum prophetiarum Zachariae quae supersunt ed. §erm. io
33enema, Leov. 1734 8° (enthält bie ^rolegomena unb ben Äommentar bis IV, 6).
©leicbJaUS auS bem ÜJcacfylaß 33.§ ftammt Commentarius ad cantioum Mosis
Deut. XXXII ed. §. 33enema (mit SInmertungen beSfelben), Harl. 1734. — b) £um
$1%: 'Avdxgioig Apoealypsios Joannis apostoli, Franeq. 1705. 4°, Amstel. 1719.
Leov. 1721 ; nacfygebrucft Leucopetrae 1721. 4" §ür bie Deutung ber SöeiSfagung auf 15
bie berfcfyiebenen ^3t)afen ber Jlirdjengefcfyicfyte bot bie älpofaltypfe natürlid) nocfy mefyr ©toff
bar al§ ^jefaja ; inSbefonbere ift 33. bemübt, bie bon 33offuet auf bie proteftantifcfyen
Äircfyen belogenen ©teilen bielmel)r auf bie fatfyolifcfye anguWenben. — ®te „fdjriftmäßige
©rflärung ber ©bangelifcfyen ^Jkrabolen" beruht auf lateinifcfyen Straten 33.S für feine
gufyörer, mürbe juerft (unter teilWeifer SRitWirrung 33.S ; in bem barauf bezüglichen 20
53rief bom 13. ©ept. 1712 an b'Dutrein ertlärt33.: ,,'xd} fyabt unb behalte allezeit große
%nxd)t, öffentlich an baS Sicfyt %u treten, unb Wenn icb, 33ücf)er ausgebe unb cttoaS bon
bem meinen I)erauSfommt, bin icb, oftmals fo berlegen, baß icb, mit mir felbft ju tfyun
fyabt") fyoßänbifd; herausgegeben (verklaeringe van de evangelische parabolen etc.,
Arast. 1715, 4°) bon Igot). b'Dutrein; enblid; and) E)oc^beutfc^, granffurt unb Seibjig 20
1717, 4°. Slucb, in biefen SluSlegungen berleugnet fiel) ber tppologifcfye Gsifer nidit; bie
Hauptfiguren ber Parabeln Werben immer gugleid) gefcfyicfytlid) gebeutet, 3. 33. ber un=
gerechte §auSl)aIter bon ben Oberen ber ^u^k, ber §err beSfelben gleichfalls bon ben
$uben (unb gWar and) bon benen ber nad)cb/riftlicb/en 3eit); ntcftt minber wirb bei bem
$barifäer unb Zöllner bie fernere 2Babrl)eit biefer ^arabel an ^erfonen ber Äird>en= 30
gef4)id^te erWiefen. 3luS lateinifcfjen SDtftatett 33.S flammen and) bie fyoUänbtfcb, ebierten
(Mlärungen beS ©alater= unb SLituSbriefS (Fran. 1728, 4°), foWie ju Kap. 1—8 beS
3iömcrbriefS (Fran. 1729, 4°). — -Keift eregetifdjen Spalts finb enblicb, audb, Obser-
vationum sacrarum libri VI, einzeln erfebtenen Fran. 1683—1708, 8° (L. I. and) 1689
unb 1700), bann gnfammen 1711, 12. 19; ed. novissima, Jenae 1723, 4°. SDieje 35
Observationes finb großenteils auS öffentlichen ^Disputationen erWad)fen.
2. $ux biblifdjen ©efdjidjte unb 2lrd)äologie: Archisynagogus observationibus
novis illustratus, Fran. 1685, 4°. 93. berfucfyt l)ier bie Slmter in ber älteften cb,rift=
Iia)en $ird)e famt ib^ren tarnen auf ftmagogale 93orbilber unb gtoar auf bie fog. decem
viri otiosi äurüd^ufüfyren. Sern gegenüber geigte S^enferb (Fran. 1686 unb 1687), 40
baß bie decem viri otiosi bielmeljr folcb,e feien, bie fiel) jur Verfügung ftellten, um bie
ju einem ©otteSbienft erforberlic^e gajl bon Teilnehmern bolff ju machen. 33. antmortete
mit ber ©cb,rift de decem viris otiosis (Fran. 1687), Worauf 9^enferb nochmals
(1688 unb 1701) replizierte. ®ie ©cb.mäcfjen beS Archisynagogus, an Welchem aueb,
©djultenS in ber 2eicb,enrebe eine gemiffe Unreife eit anerlennt, b,at 33. nochmals burrf; baS 45
Weit gelegenere Söerl de synagoga vetere (f. u.) bergeffen gemalt. — ©inen anber=
tbeitigen ©treit beranlaßte baS 2öerf „Anleidinge tot het rechte Verstand van den
Tempel, die de Prophet Ezechiel gezien en beschreeven heeft (Fran. 1687,
2 33be 8°). 33. behauptet in bemfelben, baß fieb, ber ^ßlan ©gedjtelS genau bem ©alo-
monifd)en 33orbilb angefcb,loffen unb in bem Tempel beS ©erubabel unb £>erobcS feine 50
genaue 2tuSfüb,rung gefunben i)abt. dagegen erbob fieb, (Amstel. 1692) Qob,. ^einrieb
EoccejuS (ber ©ofyn), Weil 33. bielfacb, bon ben 3Xnfid;ten feines 33aterS abgewichen War.
33. antwortete mit ber ©cfyrift: 't rechte Verstand van den Tempel Ezech. ver-
deedigt en bevestigt, Harl. 1693, 8°, — De synagoga vetere libri tres, quibus
tum de nominibus struetura origine praefectis ministris et sacris synagogarum 65
agitur, tum praeeipue formam regiminis et ministerii earum in ecclesiam
christianam translatam esse demonstratur (Fran. 1694, 4"; ed. alt. emendatior,
Leucopetrae 1726, 8°), näcbjt bem ^efajatommentar baS gebiegenfte 2Berf 33.S. —
Hypotyposis historiae et chronologiae sacrae, Leovard. 1698, 8° (bis auf
Gbrtftt ©eburt), bann Fran. 1708 (a M. C. usque ad finem Saec. L Ae. V ; 60
4 5 '''
708 aSttrtngo Sölfcttofcl
Leov. 1716, 1722, aud) Jen. 1722 unb Kopenh. 1774. — Geographia sacra,
Jen. 1723, als ^Beigabe gur legten SCuSgabe ber Observatt. sacrae, aber aus einer
fehlerhaften $anbfcf;rift unb bon unberufener £>anb ($Dn. ©f. SSerner) herausgegeben.
3. $ur biblifdjen S£b,eologie, ©ogmatü unb ^ßolemil: Doctrina christianae reli-
;> gionis per aphorismos summatim descripta, Fran. 1690, 1693, ed. quarta:
1702, 8°, 1714, ed. 6, Pars I. II, Arnh. 1761, P. III— VIII, Lugd. Bat. 1764
bt§ 1789; aucb, ^oEänbifd) burcfe, ^of/. Softer, ®elft 1696, 1708, 1717. ©ett 1702
ift betgegeben : vtiotvjkook; theologiae elencticae graviores exhibens controversias,
quae super christianae relig. doctrina ecclesiae reformatae cum diversis ejus-
io dem sectis intercedunt. — Geloove der Kercke angaande de geboorte des
Sons ende de tydelicke Dood der Geloovige, Fran. 1695, ©treitfdmft gegen ^oeß,
melier 1689 in einer SDiSbutation ju granefer eine 2ttt Slritr/eiSmuS gelehrt batte unb
bafür bon 93. angegriffen toorben war. 2llS ^toeimal Singriff unb 2lntroort getoedjfelt
r)atte, würbe 5RoeE bon ber 2lfabemie ©tillfdjWeigen auferlegt. ©ennod; berfocfyt er feine
iü SDJeinung 1691 nochmals gegen §ugbeniuS, Worauf SS. obige ©ctmft beröffentlidjte. —
Typus doctrinae propheticae, in quo de prophetis et prophetiis agitur hujus-
que scientiae praecepta traduntur (feit 1708 93eigabe ber hypotyp. histor. et
chron. sacrae). 9Bie SoccejuS nimmt aud) 33. im Slnfdjlufe an bie fieben abofalr/b=
tifc^en ©enbfdjreiben fieben ^erioben im 91 33unbe an, beftimmt biefelben jebod) anberS,
2o als SoccejuS. — Sluf einem $oßegienr/eft beruht: Typus theologiae practicae sive
de vita spirituali ejusque affectionibus (eine SlnWeifung jur redeten Sfadjfolge
Sfjrifti), Fran. 1716, Bremae 1717, 8° (auä) bollänbifcb, burcb, b'Dutrein, 2lmfterbam
1717; beutfcf) „gürbilb ber Wahren ©ottfeligfeit" u. f. W., Bremen 1717; franjöfifcb,
burcb SR. be SimierS, Stmfterbam 1721; ungarifcr) burd) 33afarr)ellr/, granffurt a. D.). —
25 2luS bem üftacfylafs 93 .S erf cfetert : „93etracf;tungen über bie SBunberWerfe &\u Sb/rifti"
(fyollänbifd) mit 93orrebe bon §. Sßenema, gran. 1725, beutfcf) granffurt a. 3JZ. 1727).
93. Weift fner in ber $ird)engefd)id)te bie Srfüllung ber in ben SSunbern Sbrifti bor=
liegenben SEtyben unb SöeiSfagungen nad). 3lngefd}loffen finb Srllärungen bon 2 ©a 23,
1—7; «Pf 8. 45.68.
so 4. 3ur braft. Sbeologie: Oratio de synodis earumque utilitate necessitate
et auctoritate, Fran. 1706 (bei ©elegenl)eit einer ©rmobe in graneler gehalten). —
Animadversiones ad methodum homiliarum ecclesiasticarum rite instituendarum
(urftor. $ollegienr)eft), Leov. 1721, 8°, 1750, Jenae 1722. — Oratio funebris reci-
tata in exsequiis Ulrici Huber (5iob. 1694). Fran. 1700.
:■!•") 93on ben bier ©öljmen 3S.g ftarb ber ältefte, ©imon, an ben folgen eines auS=
fcfjroetfenbert SebenS, ber zweite im jjarteften ^inbeSalter; ber britte ©otm, £>oratiuS,
galt als ein 9Bunber frühreifer ©elefn-famfeit, ftarb aber sunt größten ©cr/inerje feinet
93aterS faum 19jäi)rig (8. Dltober 1704). ©eine „animadversiones ad Job.. Vor-
stium de hebraismis N. Ti." ebierte £. 93oS in ben observatt. miscellaneae,
« Fran. 1707, 1731 (aufy Lips. 1778 burd) g. %. gifcfyer). £)er bierte ©olm, Sam=
begtuS, geb. 23. 3D^ärg 1693 ju granefer, Würbe bereits 1708 ©tubent bafelbft, 1715
Dr. theol. unb aufjerorbentl. ^rofeffor, 1716, nadjbem er einen 3luf nad? gerbft auS=
gefcfjlagen, orbentl. s$rofeffor ber Xbeologic, erlag aber bereits am 11. Januar 172:;
einer Sungenentjüitbung. ©eine Epitome theologiae naturalis, fotoie feine disser-
45 tationes sacrae würben nadnnalS (Fran. 1731, 8°) bon .«perm. 93enema b)erauSgegeben.
Sauljfd).
SBölfertafel. — Sittevatur: 9I6gefet)en Hon ber erften, etmaS getürmten 28teberb>tung
ber SSölfertafei in 1 (£{>r 1, 4—23 finben fid) bie älteften Deutungen im äiudie ber Subiläen
8 f. unb bei 3ofeüt)u§ Antiq. I, 6. 9tu&er ben Kommentaren jur ©enefi§ besiefien fid) bireft
50 auf bie SSöifertafel: Sßoajart, Phaleg et ChanaaD, 1646; 3. S)an. 3JJid)aettä, Spicilegium Geo-
graphiae Hebr. exterae 1769, 1780; 3. ©djulttje^, ®a§ ^äarabteS 1816; (£. g. S. Dtofen;
müüer, §anb6ud) ber bt6lifd)en 3Uterttjum§funbe I, 1 u. 2, 1823 ff. ; 31. Knobel. ®ie SSöIter=
tafel ber ©eitefiS 1850; de Goeje in Theol. Tijdschr. IV, 1870, 233 ff.; ©.Kiepert in Monats-
6end)te ber 3391. gebr. 1859; % be Sagarbe, ©efammelte Stb^anbl. 1866, 254 ff.; 3. £>aleut),
55 Kecherches Bibliques VIII in Rev. des Etudes Juives XIII, 1886, 147 ff. ; ®. ©fafer,
©tiiäe ber ©efd)tct)te unb ©eogr. 9lrabien§ II, 323 ff. 387 ff. — Slufeerbem »gl. gr. Seltfefd),
2Bo lag baö «|5arabie§? 1881; ®b. SKeöer, ©efd)id)te be§ 9Utert^um§ I, 1884; 3B. sjjfar.
SRiiüer, Stfien unb (Suropa nacfi attägtjpttfctjen ®enfm81ern 1893; gr. £ommeI, SDie aitt§rae=
iitifdie Ueberlieferung in infdfrifttidjer 53eleud)tung 1897 ; ©. SBindter, 9tltorientalifdie gor=
00 fd)ungen Iff., 1893 ff.; berf., ®ie üBölfer SäorberafienS 1902; KeiHnfd)riften unb ba§ 912:'
1902; ?I(fr. geremiaS, ®a§ 912: im Std)te be§ alten Orients2, 1906.
aSölfertafel 709
Xte fog. 35blfertafel ©en 10 ift, tote & SM&aufen in feinen Unterredungen über
bie Äombofttion be§ £>erateucb, 1877 fixerer aU anbere bor ifym gezeigt fyat, au$ jtoet
begebenen Seftanbteilcn gufammengefe|t, bie auf bie jab>iftifd)e Quellfdjrift unb auf
ben «PrtefterSobe^ surüdgefyen. ®a fid) bie ©ä|e be§ teueren am teicfyteften fyerau§l?eben
taffen, fo mögen fie borWeg genannt fein; fie entfbrecfyen ftcb. genau. £)er Eingang lautet 5
35. la: ,,©ie§ ift ber Stammbaum ber ©bljme !>ftoat>3, ©em, §am unb ^abfyet" (bgl.
5, 1; 6, 9; 11, 10. 27; 25, 12. 19). £)a§ ©d;ema ber Sarftellung lautet: ®te Söfme
oabfyet3 finb ., bie ©ötyne §am§ finb ., bie ©öfyne ©em§ finb 35. 2, 6. 22 ;
ebenfo für bie Unterabteilungen: ®ie ©ötme ©omerS finb 35. 3 (bgl. 35. 4. 7 23).
2lm ©cfylufj eines jeben ber brei §aubtteile fteb, t ber ©a| : „SieS finb bie ©öfyne . 'S 10
nacb, ifyren ©tämmen, nacb, ifyren ©brauen, bjnftdjtlid? iljrer £änber, ^infi^tli^t ifjrer
35ölferfd)aften" 35. 20 unb 31 (ber berberbte 35. 5 ift banacb. leicht mieberberjufteaen).
£er 2lbfcfyluf5 be§ ©anjen lautet 35. 32 : ,,©ie§ finb bie ©tämme ber ©ölme 9ioabS nafy
ifyren ©ibbfcfyaften, t^ren 35ölfern, unb bon tbnen baben ftcb, bie 3?ölfer auf ber Erbe nad;
berührt abgeneigt" SDemnacb, gehören jum ^riefterlobej: bie35erfe la. 2—7. 20. 22. 23. 15
31. 32. ©eine SDarfteßung ift bon bem 9tebaftor bem ganzen Äabitel ju ©runbe gelegt,
er b,at bie jafytoiftifdjen ©rüde in tljren Stammen eingerannt. 3Rit Sabblet, bem jüngften
©ofyne 3looüß, Wirb begonnen, mit ©em, bem älteften, Wirb gefdjloffen, Weil bie weitere
(Srsäfylung 11, 10 ff. über ib,n ju Jlbrafyam führen foß.
35on ben übrigen 35erfen fügen ftdj einige nid;t in ben gufammenfyang unb geben 20
fid) baburd) al§ frembe§ ©ut ju ernennen. 35. 9 jerretfjt ben gaben gtütfd^en 35. 8 unb 10,
ift alfo nachträglich hinzugefügt, um 5Rimrob§ Silb boßer ju jetdjnen. 35. 21 fafet ben
■Warnen @ber enger afö 35. 21 unb 25 ff.: bort ift er ber Urenfel ©emS, b,ier beffen©ob,n.
Da nun biefe ©enealogie bureb, ben ^Srieftertober. in 11, 10—14 bertreten wirb, fo gilt
35. 24 afö ein auSgleidjenber 3ufa^ bt§ 3ftebaftor§. 3Ba3 übrig bleibt, gehört im aHge= 2:
meinen ber jat)totftifd;en ©cbjcfyt an. ^eboeb, Werben Wir einigen Erweiterungen begegnen,
prüfen Wir nun
1. bie jab, Wiftifcb, en Angaben. SDer Stebaftor giebt erft unter §am 35. 6 — 20
bem ^jattWiften ba§ SBort : „unb Äufcb, erzeugte ben 9iimrob" (35. 8). ©eine Darftellung
Weidet in ber g-orm bon ber be§ •ßriefierfober. ab, infofern bie einzelnen ©röfjen nid)t 30
burd; ba§ 3öort „©ofyn" berbunben Werben, ba§ im §ebräifd;en einen febj allgemeinen,
biel Weiteren ©inn b,at al<§ im ©eutfcfyen (bgl. ©. 713, 2), fonbern bureb, ben beftimmteren
2lu§brud "15?, „er (ber 35ater) jeugte" ober bureb, bie baffibifcfye Jöenbung 35. 21. 25 —
ab, nlicb. Wie ©en 29 f. in breiter (Srgäblung bie ©tämme $3rael§ auf %aiob al§ ibren
„35ater" §urücfgefiit)rt Werben. 2ln bem unten ©. 711, 10 unb 713, 4 ju befbred»en= 35
ben ©inne Wirb jebod) baburd; nid)t£ geänbert. — Sängft ift aufgefallen, baf$ ber
^ab,Wift b,ier 33abel unb 2lffur ju ^ufd) redmet, bag fonft im WX bie Sänber am
oberen -Jcil bejeidmet (bgl. 35. 6), Wäb,renb ber ^riefterfober. 35. 22 2lffur auSbrüdlicb,
unter ©em fteHt. Wian fyat biefen Unterfd}ieb auf einen Irrtum be^ 9lebaftor§ jurüd-
füb.ren Wollen, ber bie in ben $eilinfd;rtften genannten Kas§u, bie ^offäer beö ^5ol^biu§ u. a., 40
bie bon 1500—1250 über 33abel fyerrfdjten, ben afrifanifd)en J?ufcb,iten gleidjgefe^t I)abe.
Seichter unb Wa^rfcb^einlicljer ift jeboeb. bie neuerbing§ burd; §. SBindler bertretene 2ln=
nab,me, ba^ ba§ bon ben Äeilinfcb.riften in Arabien erwähnte ^ufd; mit ber Slngabe be§
3ab,Wiften ju tb,un tyat, fo ba^ ^imrob bon Arabien b,er in baö ©ebiet be§ unteren
(tu^taH) eingebrungen Wäre. Ob man be§b,alb aueb, ba§ Stecb, t b,at, bon einer arabifeb. en 45
3lbfunft beg -Jcimrob ju fbrecb,en, ift eine anbere $rage ; benn Wir toiffen nidb. t, in Welchem
35erb,ältni§ bie ®ufd;iten öftlid; bom 9?oten 9Jceere ju ben fbäteren Arabern fielen. 3U
bem, toa§ über 5Rimrob 35. 8—12 gefagt ift, bgl. bie 2lrt. ^imrob 33b XIV ©. 102 ff.
unb 9cinibe ebenb. ©. 108 ff. 35. 13 f. unterfcfyeiben fieb. in ber ^orm bon 35. 8. ©iefer
fafet Äufcb. unbTOmrob in gleicher SBeife alz ^erfonen auf, 35.13 unb 14 ftellen bagegen bie 50
35öl!ernamen im Plural nebeneinanber. 25ab, er teilt ©unlel biefe beiben 35erfe (unb anbere,
f. unten) einer jüngeren ©cb. i$t beö ^a^Wiften ju. Über tgtybten f. 33b I ©. 203 ff.
35on ben fieben ,,©öb,nen" ^g^bteng finbet fieb, £ub (©ingulqr ju Subim) aud} @j
27, 10; 30, 5; ^ef 66, 19 unb ^er 46, 9 in 35erbinbung mit SlgtybtenS 9Jad;baren. 3ln
S^bien (fo Sutber) ift baber nid;t ju benfen. ©tabe (de populo Javan 5 f.) b, at mit 65
Mtüdfid)t auf 9ca 3, 9 borgefdjlagen, b,ier unb %ev 46, 9 &?b = Sibber 311 lefen. sJlber
biefeg auf ben ägtybtifcben ©enlmälern mit blonben paaren unb blauen Slugen bargefteEte
35oIf, ba§ Weftlid; bom unteren %\)al beS 5RiI§ Wohnte, ift Wab,rfdb,einlicb. burd) bie an
britter ©teile genannten Sebabim bertreten. ^n ben Subim, Wenn man bei biefer Seöart
fielen bleibt, ein 9Zad;barboll ber Jlgtybter ju bermuten, ift geWifj berechtigt. Xaefelbe eu
710 SBMcriüfel
gilt bon ben älnamim, aber über ü)re äöofynfitje läfjt fid) nid;ts ermitteln. Sie ^atfyrufim
33. 14 ftnb olme gtoeifel bte 33etoofyner bon Sßat&rog $ef 11, 11; ^er 44, 1. 15; @&
30, 14, nämltd) bon Dberägfybten; benn ägr/btifcr) pata-res (fobtifcr; pteres) ift baS©üb=
lanb. 33on ^ter auS l)at 21. ©rman baS borljergel^enbe -ftabfytlmdiim ju bestimmen ber=
5 fucfyt. ©a man neben bem ©üblanb baS -Korblanb erwartet, fo benft er an ägr/btifcfyeS
pata-mahi = ^iorblanb unb betrautet f^irD als bie urfbrünglicfye $orm, bie trrtüm=
Itdjertoeife' gu trnrs: entftellt fei (bgl. ^atSß X, 1890, ©. 118 f.). @in ju ÄaSludnm
baffenber SBöIIername tft blöder nic^t gefunben toorben, bie ^abfytfyorim bagegen toerben
neuerbtngS mit junebjuenber Übereinftimmung als bie (Stntooljmer bon Sireta betrautet,
10 ba bie 33esielmng beS ägr/btifd)en kptär auf biefe Qnfel als toafyrfdjeinlicr; gelten barf
(bgl. unter Habfytfyor 33b X ©. 33 ff., too aud) bie bie Sßpfter betreffenbe ©loffe 33. 14
befbrocfyen ift).
33. 15—19 Ijianbeln bon Kanaan. 33. 15 ftimmt in ber §orm genau mit 33. 8
überein, barf alfo auf biefelbe §anb äurüdgefüfyrt toerben. 33eibe 33erfe lehren beutlid),
15 baf? ber 33erfaffer fefyr berfdn'ebene ©röfjen in feiner ©arftellung miteinanber ber=
binbet: $uf<$ 9Rame eine! 33olteS unb SanbeS, 9iimrob ÜRatne einer fagenfyaften
^3erfon, Kanaan 9tame eines SanbeS, ©ibon SRame einer ©tabt, §etr) 3Rame eines
33olfeS. £u Kanaan bgl. 33b IX ©. 732 ff., gu ©ibon 33b XVIII ©. 294, 47, ju §etb,
33b IX ©. 737 f. ©te SluSbefmung beS fyetfyiiifdjen 33oIfeS fyat neuerbingS burd) bie
20 beutfcfyen SluSgrabungen bei 33ogf)aj!Di bftlict) bom §a!r/S, auf bem 33oben beS alten ^ßteria
in $abbabogien (Herod. I, 76), eine neue 33eleud)tung erfahren. 3Jlan fyat bort jab,l=
reia)e fyetfyitifcfye Sljontafeln gefunben, beren ^nfcfyriften bieüeicfyt bermöge ber häufigen
33erül)rungen mit ben Slffyrern einen gangbaren 2öeg ju ifjrer ©eutung eröffnen. 33.
16— 18 a ftnb ein fbäterer gufatj, ber bie fanaanitifcfyen Sßölfer boüftänbig aufjagen
25it)iH; fie nehmen 33.18 b unb 19 bortoeg, beden fid) jebod) mit ibnen infyaltlid;
ntdjt genau unb toeid;en in ber gorm bon bem 33orb,ergeb,enben ab. Über bie $ebu=
fiter bgl. ben Slrt. ^ebuS 33b VIII ©. 637 f., über bie 2Imoriter 33b I ©.459 f. unb
meine ©efd)id)te beS 33olfeS ^Srael8, ©. 45 f. ©ie ©irgafiter unb Berniter finb
unter bem ©ticfyroort Kanaan 33b IX ©. 739 f. befbrod) en toorben, bie 2lr!iter, ©initer,
30 2trtoabiter unb gemariter in bem 2irt. ©ibonier 33b XVIII ©. 292 f. ©ie §amatfyiter
finb bie aramäifd)en 33etooljner ber ©tabt unb beS 9teicf;eS §amat^ am DronteS, über
bie ber 2lrt. Serien 33b XIX ©. 285 ff. ju bergleid;en ift. 33. 18b unb 19 fyanbeln bon
ber 2XuSbreitung t»er ^anaaniter nad; ©üben bis ©erar (f. 33b XIII ©. 693, ;>); fie
fd;lie|en bie 2lngaben beS $al)tbiften über Kanaan unb jugleicfe, über §am ah, t»ie33. 30
35 ben ©cfylufs ber ?Jacb, rief/ten über Loftan bilbet. ©unfel redmet biefe ©ä|e ju ber jüngeren
©d}id)t beS ^a^miften tote 33. 13 unb 14.
$DaS boEftänbigfte -itüd beS ^ab,toiften liegt in 33.21—30 bor; fie geben bab,er
aucl) baS beutlid)fte 33eifbiel für feine ©arfteßung, abgefeljen jebod) bon 33. 22—24, über
bie fdjon oben ©. 709, 10. 22 gerebet tourbe. ©em toirb als ber 33ater aHer ©öb,ne @ber§
40 bejeicb.net, um baburd} feine 33erbinbung mit ben Israeliten, bie ju ben Hebräern gehören,
fyerborjulKben. SDer 3Jame ©ber toirb fyter feb,r toeit gefaxt, inbem bon il)m nid;t nur
bie Sinie beS ^ßeleg, bie ju 2tbral)am füb^rt (©en 11, 18 ff.), fonbern au<S) bie Sinie beS
Loftan abgeleitet toirb. aBa^rfdjeinlid; b^ängt er mit bem Slusbrud ^v3~ "l" ober
^P ^1?. (^ef 7, 20), ber bie Uferlanbfd;aften beS ©ubfyrat bejeid;net, jufammen, ba
45 biefe als bie §eimat beS iSraeIttifd;en 3^etgeS ber Hebräer im 21S£ gelten. 2Xud; für
$eleg ^at man toerfct)tebene gleid}lautenbe tarnen berglid;en; am beften bafet toofyl bon
ib^nen ber Drt $b,alga an ber SUlünbung beS @I)aboraS in ben ©ubb^rat. ©er 33erfaffer
fbielt mit ber 33ebeutung beS SöortS :bz, teilen, fbalten, unb fügt ^ingu, ba^ fid) in ^elegS
^agen bie 9)ienfd)b. eit gefbalten fjabe, inbem er toar;rjd)einlid; bamit bie ©rjä^Iung ©en 11, 1—9
50 im 2Iuge f)at (anberS im 33ud)e ber Jubiläen Rap. 8 f.). Sie Sinie $elegS toirb bjer nieb, t
toeiter berüdfid;tigt, toeil ber 33erfaffer barüber in bem golgenben, toie eS in bem ©tüd beS
^riefterfober. 11, 10 ff. unb in aUen Dueßfd;riften ßab. 12 ff. gefd;tefyt, ausführlicher fbrecb,en
tooHte. ©ab^er toerben bie SRoabiter unb 2lmmoniter ©en 19, bie aramäifd;en ©efd)Ied}ter bon
22, 20—24 (bgl. 11, 29), bie ^eturäer unb ^fmaeliter 25, 1—18 unb bie (Sbomiter Stcty. 36
55 bei feite gelaffen. ©agegen toerben bie -Jcacbjommen beSgtoeiten ©ob^neS beS SberS, nämlid; beS
Loftan, 33. 26—29 aufgejagt. @S finb unter btefem 9Jamen, ber bei ben 3Xrabern kahtän
lautet, 13 fübarabifdje ©tämme aufgellt, bie urfbrünglid; iüobl auf bie üblidje 3toölf=
iaf)l befd>rän!t togren; bod} lä^t fid) nid)t mit ©idpfyeit ernennen, toeld;er 9Jame^fbäter
tiinjugefe^t ift. Über bie 9Jottoenbigfeit ber Unterfcb. eibung jtoifdjen !Korb= unb ©übarabern
60 fotoie über bie 3Bolmfii$e ber einzelnen ©tämme, bon benen nur toenige fid;er nad;getoiefen
»öüertofri 711
Werben tonnen, bgl. b. 2lrt. Arabien 33b I ©. 765 f., juD^tr 93b XIV ©. 400 ff. 2luf5er=
bem unten ©. 714, ig ff.
2lu§ biefer furzen Ueberficfjt über bie jafymtfttfdjen Angaben ergiebt ftcfo, , bajj fie nirgenbS
boEftänbig finb. 2>a3 erfcfywert ifyre Beurteilung fefyr. Unter ©em 23. 21 ff. fefylt ber
Übergang bon ©em ju @ber; über ^a^et ift un§ gar nidjtS bom ^afymiften erhalten. .-,
^Dagegen ftecft ber 2lnfang ber jafywiftifcfyen 23ölfertafel mafyrfcfyeinlidj), tote SBettfyaufen ber=
mutet fyat, in ©en 9, 18 f. unb 10, lb, aufgenommen bie Söorte: „unb $am ift ber
SSater KanaanS" 23. 18, bie auf Kanaan in 9, 20—27 b>toeifen füllen, ^n biefen Werfen,
bie ©unfel ber jüngeren ©cfyicfyt jurecfynet, finben wir biefelbe Drbnung ber 23rüber Wie
im ^rtefterfober. 10,1. ©er jat)Wiftifcfye 23. 10, 21 läßt jebocb, ernennen, bafj ^abbet io
junäc&Jt hinter ©em fielen foß, §am aljo an britter ©teile, ©arau§ ergtebt ficfy, bajj erft
fbäter — ob fd)on burd) einen jüngeren $al)Wiftett ober erft burcb. ben ^riefterfobej? — bie
Reihenfolge ©em, §am unb %apfytt fyergefteltt morben ift. ©ennocb. ift e3 möglich, bafs fd&on ber
ältere 3>aI)Wift©em, ben älteften, an ba3 @nbe fteHte, Weil an iljm bie ©rjoätergefdiicb, te anknüpfte.
28a§ ber ^a^Voift mit feiner SBöIfertafel Will, fagt 9,19 b: er benft ficb. bie ©ntftefmng ber 15
bamall ifym befannten 9JienfdjI)eit wie eine ungeheuere 2tu3befmung unb 23erjtoeigung
einer einigen gamilie, ber $amtlte 9ioab^. ©te oft fo berwicfelten fragen, bie mit bem
Wirtlichen Urfprunge eines 23olfe3 berbunben finb, finb bem 23erfaffer unbekannt; 23ölfer=
funbe ift ifym nur eine gefteigerte gorm ber f^amilt eng ef d^id^te, er fteHt fie besfyalb aucb,
aß ©enealogte bar (»gl. meine ©efdjtdjte be§ 33olJe§ Israel2, ©. 1 ff.). ^coab. fteb,t als 20
23ater ber neuen 9Jcenfcf)I)eit nacb, ber put an ber ©bi£e, unb nacb, feinen brei ©öfmen
teilt er fie in brei grofje .ßtoetge. ®ag ift flttem 2lnfct)ein nacb, eine anbere Stuffaffung
ber ©eftalt 9foafy3 unb feiner brei ©öf)ne, ab§ fie in ©en 9, 20—27 borliegt: bort ber
©tammbater ber 23eWofyner be§ £anbe§ Kanaan, ber 23egrünber be§ 2lcfer= unb 2öein=
bau<§, feine ©öb,ne bie Vertreter ber in Kanaan befindlichen 23ölf er. ©rllären fönnen mir biefe 20
23er?cfuebenfyett ber 2Iuffaffung gegenwärtig md)t. §inficfytlicb, ber ^Weiten, in ber 23ölfertafel
borliegenben Sluffaffung tritt jebocfy flar b, erbor, baft fie ficb, mit ber jeijt üblichen 2Irt, bie
grage ber 23ölferberWanbtfcb. aft nacb, §ertunft unb ©bracfye toiffenfcfyaftlicb. ju unterfucb. en, mct)t
becft. 9cur bon ©em läjst ficb. ungefähr beftimmen, \va§ ficb. ber %afy Wift barunter gebadet fyat,
eincrfeitiS bie b, ebräifcb, en 2300er im Weiteften ©inne 0J3eleg), anbererfeitg bie fübarabtfcfyen 30
©tämme (Loftan). 23ei §am ftofeen mir auf unüberwmblidje ©cb,mierigfeiten. SCBir berfteb^en
nicb,t, baß ber 93erfaffer nicfyt nur bie 3lg^bter unb il)re S'iebenböHer, fonbern aucb, Kanaan,
bie §etb,iter unb fogar bie babfylonifd)=afft)rtfd) en 3f{etcb,e mit ^ufcb, in 23erbinbung bringt unb
fie ade unter §am gufammenfa^t. $Ract) ben 3Jca|ftäben ber <Spxad)- unb Slutbertoanbtfcb, aft
fann ber 33erfaffer babei nid)t urteilen ; e§ bleibt nur übrig anjunel) men, ba^ er nad) 35
gefcb,icb,tlicb,en 33erb,ältniffen (SBanberungsfagen) ober nacb, geograbb.ifcb,en unb bolitifc^en
s-ßerb.ältntffen berbinbet unb Reibet. Db.ne 3lt'e^e'' mob.nt ^^rael ju feiner ßeit in
Kanaan; tro|bem jäfylt er ^grael ju ©em, bie ^anaantter ju §am, obmob,l ^Srael bie
©brache ^anaan§ rebet. Söenn ^ufcb, 23. 8 toirflicb, auf fübarabifcb,e ©tämme ju bejie^en
ift (f. oben ©. 709, 42), fo läfjt ficb, feine Trennung bon ben übrigen 23. 26—29 bießeic^t 40
burc() bie 2lnnal)me begreifen, ba^ i^m eine $unbe über alte SBanberungen bon ©üb=
arabien nacb, 23ab^lonien ju ©ebote ftanb, bie mir nicb,t mein- !ennen. ©er 5Rame §am
mirb im 212 felbft für 2lgi#>ten gebraucht ?ßf 78r„51 ; 105,23. 27; 10G, 22; man fjat
baf>er gemeint, ba^ er bem einfyeimifdjen tarnen 2lg^ten§ kam-t (fobtifcb, kemi, khemi)
entfbrect)e unb in ber 23blfertafel ftarf beraEgemeinert morben fei. ®ocb, ift biefe ©teid)= 45
fe|ung au3 lautlichen ©rünben feb,r bebenflicb,. ©er gtoecf ber ©arfteßung ift ein etfmo=
grab^ifcb^er, fie mill eine Überfielt über bie 23öl!er ber bem 23erfaffer befannten, freilieb,
redjt fleinen 2Selt geben (9, 19b); ba§ geograbb,ifcb,e ^ntereffe macb,t ficb, baneben nur in
befcb;eibener 2öeife geltenb 10, 19. 30. SDocfy ift ber ©toff, ben ber 23erfaffer für biefen
3mecf berbinbet, nicb,t gleichartig: er ftettt eine ^ßerfon mie 9iimrob neben $ufd), ba^ ein 60
Sanb unb ein 23olf bejeicb,net; in 23. 15 finben mir ein Sanb, eine ©tabt unb ein 23oIf
nebeneinanber, unb in ber 9tetb, e ber arabifcb, en ©tämme 23. 26—29 fteeft mob. I aueb, meb. r
all ein 3Rame, ber eigentlich eine ©egenb bejeicb,net (^ajarmabetb;, Dbb. ir, §ebila).
gür bie gett be§ ^a^miften ergeben ficb. folgenbe Stterfmale: @r läfet auf 23abcl
23. 10 9cinebe 23. 11 f. folgen; er gehört alfo ber $eit ber 23orb.errfcb.aft Slffurg an unb 55
toetjj noeb. nidptö bon beffen 3ciebergang im 7. ^afyrtmnbert bura) bie 2lngriffe ber 3fteber
unb 23ab^lonier. ®ie mäcb. tigften Ferren in Kanaan finb ib. m bie ^fjönijier — ©ibonter ;
baö weift minbeftenö auf baö 8., menn nicb.t auf ba§ 9. ^ab.rb.unbert b.in (bgl. ben 2lrt.
©ibonier 23b XVIII ©. 299 ff.), ©ie §ett> iter fyaben für Kanaan noeb. grofee 23ebeutung ;
ber 23erfaffer fennt bab. er xwty ntcftt bie ^eit, in ber ib.rc ©taaten im nörblicb. en ©tirien uo
712 Sßölfcrtofd
burcb, bie Eroberungen ber 2lffyrer (f. 23b IX © 738) aufgelöft Waren. SDie 33eianntfcbaft
mit ben fübarabifdjen ©tämmen 33. 26 ff. tft eine golge ber £anbelgberbinbungen ©alomo§,
bie burcfc, ben greiljeitgfrieg ber ©bomiter gegen %oxam bon S"ba um 845 unterbrochen
unb burcb bie erneute 33efe$ung @Iatf)§ (f. b. 2lrt. 33b V ©.285 ff.) unter Ufia unb^otbam
5 um 750 toieber belebt Würben, big ©latb, um 735 enbgiltig ben IJubäern berloren ging.
Söenn ficb, Äufd) 33. 8 auf Arabien bejie^t, fo fennt ber $ab>ift bie füblidj bon Sgtybten
Wofynenben ^ufdjiten (bgl. ©. 713, 37 ff.) noä) ntcE)t. 9)can barf bcu)er bie iabwifiifcfye
aSölfertafel nicfyt unter bag 8. ^afjrfyunbert hinunter rüden unb mufe jugleid; im 2luge be=
galten, bajj einzelne Ergaben um mehrere ^abjfyunberte älter fein lönnen.
10 2. Sie Angaben beg ^riefterfober.. SDer 3tebaltor f>at über Sab^et allem
ben Sßriefterfober. ju 2Borte fommen laffen, bermutlidj Weil bie Angaben beg $abftnften
für bie fbätere 3eit ntd)t mefyr bauten. 3abb,et Ijat fieben ©blme: ©omer, -JRagog,
9Jlabai, $aban, %i)uhal, SKefedj unb %fyxa§. ©omer entfbritt)t ben ^immeriern ber
Dbbffee (XI, 14) unb beg £erobot (IV, 11 f.; I, 16), ben ©imir ber affyrifctyen Äeit
15 infcfyriften. SDag 33oIf Wolmte urfbrünglicb, im Sorben beg ©d^War^en ÜÜJceereg Weftlicb,
bom S)on, gog im 8. 3<*b*l)unbert nacb, ^rajien unb um 700 mit tb^rajifd;en ©tämmen
nadb, ^leinafien, Wo fie 675 in ^abbabojien auf bie Slffr/rer trafen unb um 650 mit ben
fiebern in 5?ambf gerieten. Sie £r/ber trieben fie aug „2Ifien" (im alten, engern ©inne)
nacb, Dften r;in gurücf, b. I). auf bag §ocfyIanb beg £alfyg. $u ©omer Werben alg „©öfyne"
20 geregnet 2Igfenag, Sftibfyatl) unb Sfyogarma. Unter Slgfenag fyat man meifteng bag bl>rr/=
gifcfje 33oIf ber Stgfanier berftanben, nacb, benen bie Sanbfc^aft um ben heutigen Spiffee
äWijcfyen bem ©angariug unb bem -JJcarmarameer, aber aucb, ber ©ee bon Celaenae
(Apamea) benannt War. §. SBindler bat jebocr) in ben Slltorientalifcfjen $orfd)ungen I,
484 ff. (bgl. KAT3 101) bie Vermutung auggefbroct/en, bafj t:2'wN ein alter «Schreibfehler
25 für ^2ü5n fei, unb biefeg bie ©cfytfyen be§eict)rte, bie auf ben Meilinfdjriften unter bem
tarnen Aschkuza genannt werben, ©a bie ©ctytfyen in ber Reiten §älfte beg 7. Qab,r=
fmnbertg big an bie ägtybtifdje ©renje borgebrungen fein foHen unb mit ben legten %ai)x-
jelmten beg afffyrifdjen 3teicr;g in merfwürbiger 33erbinbung fielen (Herod. I, 103—106;
IV, 1), fo rnödjte man fie fyier Wobl erwarten; aber ein fo!d)er (Schreibfehler (t?^n
30 ti3H?n} t:s^n) ift nicfyt gerabe Wabrfcfyeinlicr;. ®a Slgfenag ^er 51, 27 neben ben arme=
nifdjen Sanbfcfyaften Sirarat unb SJcinni genannt toirb, fo fucfyen anbere feine 2ßob,nfi|e
am oberen @ubi)ratb unb am 2lrar.eS. 3U ^Ri^^atb bergleic^en 33ocb,art unb be Sagarbe
bie Sftibantier am ^lufee 3tiba§ (Pi)ßa?) in 23itf)rmien untoeit beS 33oSboru§, ^ofe^^uö
Antiq. I, 6, 1 fefct fie ben ^ßabf)(agoniern gleirf;. Stb^ogarma, @j 27, 14; 38, 6 'p n",
35 iourbe fa)on bon ben ©elebrten beö 2IItertum§ mit ben Slrmeniern, bie einft big in ben
Naurus unb 2lntitauru§ hinein mo^nten, in 33erbtnbung gebracht, ba ficb, biefe nacb, -äRofeä
bon ßb^orene bon §aif, bem ©ofyne SLb]orgom§, ableiteten, unb bie LXX Oegya/ua unb
Oogya/ua für SEfyogarma fe|en. 3lad) 63 27, 14 lieferte SLfyogarma Stoffe unb 9UcauI=
tiere an ^ru§; nocf; bleute blübt bie ^ßferbegucbt foiüobl in bem tüeftticben als audji öft=
40 lieben ©ebiete be§ alten 2lrmenienl. Db bie aus ben 5leilinfcbriften befannt getoorbenc
©tabt SCilgarimmu in 9JceIitene bamit jufammenb^ängt, ift ungeioife. 2Sir fefeen un<S bureb,
©omer unb feine „©öfme" bemnad; bauptfäcblid^ in bie ©egenb bon Äajpbabogien unb
Armenien getoiefen. ©ab,er berlieren bie 23erfucb,e, einige ber genannten 93öl!er (5Ri^batb,
j. %. 3l§fena§) im roeftlicben 0einafien nacbjuroeifen, an 353 abrf cb einlicb Eeit.
45 SRagog finbet fieb, fieber ^uerft @j 39, 6 (38, 2 ift ber Stejt unfidjer) unb getagt eng
mit ©og jufammen. Über bie Vermutungen, bie bap geäußert finb, bgl. ben 2lrt.
33b VI ©. 761 ff. £u 3Jcabai bgl. benStrt. 3Jcebien in 33b XII ©. 488 ff. ^aban, Worüber
fcb,on 33b VIII ©. 611 gefyanbelt ift, bejetebnet bier bie ©rieben im allgemeinen. ©a§
ergiebt fid) mit ©icb,erb,eit au3 33. 5, ber fie afö baö 33olf beg mittellänbifcb,en SOceereg
60 lennt, obroob,! ^aban Wie @j 27, 13 unb Jgef 66, 19 neben Sb,ubal unb aJcefecb, gefteßt
ifi, unb hrirb beftätigt bureb, bie 33. 4 genannten ©öfyne ^aban§, nämlicb, ©Ufa, 3$arft<g,
bie S^itttter unb ^obaniter (im fjebr. 2ejt unb bei Sutber irrtümlicb, ©obaniter). 3n
bem 2Irt. ©obanim 33b IV ©. 713, 31 ff. finb bie ©rünbe für bie Snberung ber Seäart
unb für ibre ©eutung auf bie 9tfyobier, bie 33eh)ob^ner ber ^nfel 3ib,obuS, angegeben. ®ie
es ßbittiter, Ije&r. C^rs unb ^nzs finb urfbrünglicb, bie 33et»obner ber ©tabt Kkiov ober
Kixxiov (beute Sarnala) auf g^bern, bann bie 33etoormer bon 6t)bern übertäubt (anberg
freiließ 2Binccler, älltorient. gorfcb,ungen II, 422). $$arft8 ift nacb 33b XVII ©. 571
gleid) bem griecbifd)=römifd)en SLarteffug, ber heutigen anbaluftfdjen @bene %\x beiben ©eiten
beg ©uabalquibir in ©banien, unb ßlifa ift natf; 33b IV ©. 712 f. entfoeber ^artbago
60 ober ©ijilien. ffia bie genannten bier 2änber= unb 33ölfernamen urfbrünglicb. in Söegtebung
aSöIfertafef 713
ju bcn ^f)ömjtem fielen, meiftenS fogar aU ifyre Kolonien genannt merben, fo faßt ifyre
Unterorbnung unter ^aüan auf. 2Rit bem 2tu§brucf „©öfme" mirb nadj ^ebräifd^em
©bracfygebraud) (bgl. 6. 709, 31) burd)au§ nidjt immer unb notmenbig bte 2lbftammung,
fonbern im allgemeinen bie gugefyörigfeit bejeidmet, bte £Ij)atfad)e, bafj ber eine unter bem
©influfj be§ anbcren ftefyt unb Don ilyn irgenbmie, fei eö burcfy ben Kultus ober burd) 5
üolittfdje 3Rad)t ober burdj ^anbel unb 33erfel)r, abhängig ift. ©er 33erfaffer be§ ^3riefter=
fobe?: rennet alfo bie in 33. 4 genannten Sänber unb 33ölfer ju bem ©ebiet be§ griecfyifcben
(SinfluffeS: ft>a§ einft bfyönt$ifc§ mar, ba§ ift für feine 3eit ßriecbtfd) gemorben. ®ie
©rieben errangen nad) längerem Sisettftreit mit ben ^fjönijiem, bie burd) bie mieber=
bolten Angriffe ber 2lfft>rer im 8. 3;<#bunbert gefdpmäcfyt mürben, bie 33orfyerrfd)aft im 10
SJtittelmeer. ßbbern unb noa) mefyr 9%bu!8 mürben borfoiegenb fyellenifd;. Unteritalien
unb ©ijilien finb um 700 in ben §änben ber ©rieben, unb im 7. ^a^r^unbert brangen
gried)ifd;e Kaufleute bon ©amoS unb Sßfyofig nad) SCarteffuö bor (f. 33b XVII ©. 571, si).
iftur Karthago blieb bbönigifd) unb trat im 6. ^afyrljmnbert an bie ©bt£e ber bbönijifcben
33etr>egung. SDiefen SSecfyfel ber 33erbältniffe auf bem ÜDtittelmeer fennt offenbar ber 33er= is
faffer nac| 35. 4 f.; beefyalb ift e§ mafyrfcfyeinlid), bafj er unter ßlifa nidjt ba§ bf)öntgifd)e
Karthago, fonbern baS griedjiifcf; gemorbene ©Milien meint.
2$ubal unb SRefea) merben mehrmals im 21SE nebeneinanber genannt (@j 27, 13 ;
:52, 26; 38, 2 f.; 39,1). ©dmn 33ocr,art b,at beibe tarnen richtig beftimmt. %fyuM,
affbrifd? SEabali, finb bie Sibarener, -Ktefed), afftyrifd) 9Jiufo)Ii, finb bie 2Jto3$er be3 20
§erobot (III, 94; VII, 78). 5Ra<$ ben affbnfcfyen Keilinfd)riften be§ 9. gja&r&unbertg
mofmen fie fübmärtg bi§ an bie ©renken SilicienS; §erobot bagegen fet$t fie nörblict)er
an, bie 9Jio3cr)er jmifct/en bem oberen 23I)afi3 unb Ktyrol, Sie Slibarener öftlicft, Dom %fy ermobon
im f^äteren Königreid) $ontu§. ©ie merben entmeber bon ben 2lffbrern ober bon ben Kim=
meriern au§ üpn alten 2ßob,nfi|en berbrängt morben fein, unb ba Kabbabojien fyier burct) 25
©omer unb feine $meige befe^t %u fein fdjeint, fo lennt fie ber ^riefterüober. mafyrfdjeinlid;
fdmn in ben nörblicfyeren ©egenben ober menigftenö auf bem ^üdjuge borten begriffen.
%i)ixa§> mürbe man am Itebften in ir/rer -Jkcf/barfd^aft fucfycn ; aber bi^er finb fie bort
nid)t nadjgemtefen. ®ie ^rfener (SLr/rrfyener), bie man mieberb.olt berglidjen b,at, führen,
gu mett nad) 3Beften. 30
SBela^e SSölfer in 33. 2 — 5 a unter Sab^et suffl1111"6"!?5?0^ werben, ift Kar. ^ie
mob.nen nörblia) bom Naurus unb oftmärt? bi§ 3Jiebien, ferner meftlio) auf ben $nfeln
unb an ben Äüften beg 3Rittelmeere§, mit Stuöna^me bon Ureta 33. 14 (f. 0. ©. 710, 8).
5JJan bermifet bor allem bie Werfer, bie bocb, @j 38, 5 fa)on genannt finb — foHten fie
unter bie üJieber eingefa^Ioffen fein? 3U berfelben grage beranket aua) 23.22 (f. u.). 35
©ine (grllärung bei 5Ramen§ %apM ift jeboo) bisher nio^t gelungen.
Unter §am mirb bom ^3riefter!obeE guerft ^uftt^> „ (bei £utb,er ßb^uö) genannt. 3Jiit
biefem tarnen mirb __ im %% meiftenl ba§ füblia^ an %t)bten grenjenbe (Sanb unb) 33olf
bejeict)rtet, ba§ bie Slg^bter auf ifyren ©enfmälern kösch nennen __ unb in rotbrauner
garbe barfteCen, alfo bon ben Negern beutlid^) unterfcfyeiben. Sut^erS Überfe^ung „SRo^ren, 40
iÖiofyrenlanb" ift baber fad^Itd^ nicb,t richtig. Urfbrünglia^ mobnten bie ^ufc^iten jn bem
golbreia^en Sanbe öftlid) bom 9fil. ©bäter gilt al§ ib,re 3^orbgrenje gegen Slg^bten
©bene (b,eute aswän) @j 29, 10, bte füblicfye ©renge fo^manfte je nad) ben Wlafy--
ber^ältniffen. 2ßei( bie Semofyner ?Jomaben maren, ftanben fie bei ben 2tgtmtern in
geringer SWtjtung; ba§ 33o(f b,at bafyer auf ben ®enfmälern nid)t feiten ben, Seinamen 45
„ba3 elenbe" ©db,on unter ber 12. ®tmaftie (2000 bor 6b,r.) Ratten bie 2tgfybter bie
nörblidjen ©tämme untermorfen, unb pr $e\t be§ neuen 9teict;S mürbe baf Sanb eine
ägbbtifo^e ^robinj. 9Jiit beffen 33erfaH (1000 bor 6^r.) ging e3 für bie tgbbter ber=
loren, ja feit bem anfange be3 8. 3ab,rb,unbert§ brangen bie fufcbjttfcfyen ober ät^)iobtfd;en
Könige, mie mir nad) bem 33organge ber ©rieben ju fagen bflegen, fiegreicb, im Uttltfyal nacb, 50
Sorben bor, bii gegen @nbe beg 8. 3afyr£mnoert§ gan^ Slegbbten ib,nen untermorfen mar.
3b,re fjeimifdje §aubtftabt mar 9tabata am ©ebel 33arfal (beute äRerami am m jmifc^en
bem brüten unb bierten ft'atarraft gelegen), bie ©brad)e unb bie Kultur beö ^eid;ä mar
äg^btifcb,. £u ber 25. (ätb^iobifcben) ©bnaftie, bie bon 710- -664 über Unter» unb Cber=
ägbpten t)errfcbte, merben bier Könige gejjäbjt, nämlid; ©d)aba!o, ©cf/abatafa, "Xafyaxla 65
unb S:anutamon, ber ©ob, n , ©cb, abafos. 2luf ©djabalo (©abafo) bat man ben 2 Kg 17, -1
genannten ©0, König bon atgbjpten, gebeutet, mit bem ber König £ofea bon Qärael in
33erbinbung trat; bod; ift ™fy 2Binc!Ier ber Oberfelbfyerr ©ib'i bc« Königö ^iru bon
^Kusri, eineö ©ebietö im norbmeftücben Slrabien barunter ju berfteben (bgl. meine ©efcbio)te
be8 SSoIfö 38raer, ©.208). £ab,arfa ift ber 2 Kg 19, 9 ermähnte Xb,irb,a!a, ber mit eo
714 «öifertofcl
§i3fia gegen ©anl)erib ein 33ünbni3 fd^to^ unb baburct; einen bergeblidjen $ug ©anfyeribS
bt§ an bie ©renje $gt>bten§ beranlafcte (bgl. 2 Kg 19, 9 ff.; Herod. II, 141). SDlebrere
3lu§fbrü$e beS $robt>eten ^efata Werben ficb, auf btefeS Eingreifen ber Kufc|iten in bie
«Bertyältniffe be§ füblictyen ^aläftina begeben (3ef 18; 30, 1—5; 31, 1—3). 23enn bie
5 neueren 3tnfä|e für bie Könige ber 25. £>tmafti£ richtig ftnb, fo fyat baS Sfteicl) ^Srael
mit ifmen überbautet nid^tö mefyr ju tfmn gehabt, Wofyl aber bie ^ubäer, benen bamals
bie Kufcbjten tote eine neue ©rjcb, einung entgegentraten (bgl. ^ef 18). ©urct) bie Kriegt
jüge SlfarfyabbonS (671) unb SlffurbanibalS (668/7) Würbe bie Dber|errfcf/aft ber Kurilen
über Egtybten bernict)tet. SBteßetd^t l>at ber Quq beS ^erferlöntgS KambfyfeS gegen 2itb>bien
10 um 525 %uv golge gehabt, bafj 9tabata berfiel unb 9Reroe, füblicfy bon ber 3Mnbung bei
Sltbara in ben Ml gelegen, ber ÜRittelbunft ber Kufcbjten mürbe, eine $riefterfyerrfdjaft,
ber ©rgameneS im Anfang be§ 3. 3jö^imbert§ ein @nbe machte. 2)aS Sieicfy bjelt fid?
unter ber §errfcfyaft ber Körner mit toecfyfelnber SluSbefmung nact; Sorben r)trt. ©ie
oberfte ©eWalt lag bei ber Königinmutter, bie ben S£itel Kanbace führte (bgl. 33ion, Fragm. 5
15 bei S. Füller, Fragm. historic. graec. IV, 351; 21© 8, 27 ff.)-
Qu Kufcfy fügt ber ^ßriefterfober, fünf ©ölme unb gWei ©nfel, barunter §ebila unb
<Baha, bie bom ^a^toiften 10, 28 f. als 9cacfyfommen S^tanS unter ©em aufgefü^tr
werben. <Siha, als ns? wofyl ju unterfcfyeiben bon n=v, ift nacb, 3>ofebEm§ Antiq. 1,1
10, 2 l)äuftg mit SReroe (f. oben) ibentifijicrt Worben. Slber nirgenbS ift biefer -Jcame
20 für SDteroe nacfyjutoeifen. SDafyer ift es richtiger, im Slnfcfylufs an ©trabo XVI, 4, 8 unb
$tolemäuS IV, 7, 7 f., bie bon einer §afenftabt <B>aha in ber ©egenb beS gütigen
9Jcaffaua reben, an einen fufcfyitifcfyen ©tamm biefeS Samens ju benfen, ber öftlid) bom
9tf l bis jur Küfte b,in toofmte. §ebila ift Waljrfcfyeinlicr) ein größerer Sanbftrict) im füblicfjen
Arabien, 33. 29 neben Dbfyir (f. ben 2lrt. Sb XIV ©. 400 ff.) genannt, ber im Saufe
25 ber Safyrljunberte berfcbjebene 23eWoImer fyatte unb bal>er 33. 29 p ben $oftaniben, 33. 7
ju ben Kufcfytten gerechnet Werben ift. 9Bir I)aben freilieb, bon einem folgen äöedOfel be=
greiflicfyerWeife feine Kunbe. ®er 9came fct)eint eine ©egenb, nicfyt einen ©tamm ju
bejeieimen — bieHeicfyt b,ängt er mit bin ,,©anb" jufammen — unb ©en 25, 18 einer
im nörbücfyen Arabien befinblict)en £anbfct)aft beigelegt ju fein. 3Rit ©lafer a. a. D. II,
30 323 ff. aber beSl)alb $ebila übertäubt in bem mittleren unb norboftlicfyen S£eil StrabienS
ju fuet) en, embftefylt fieb, nict)t ; ber 3Rame Wirb f oWcb, l im nörblidjen al§ aueb, im füblicb, en
^eil be§ heutigen Slrabteni borgefommen fein. Dh er mit bem xölnog AvaXixy]q unb
ben 'Aßalixai, bie s^tolemäu§, $liniu3 u. a. an ber afrifanifcfyen Küfte bei ber ÜJieerenge
Bäb el-mandeb lennen, jufammen^ängt, läfjt fta) md&t auömad^en. Eahfya Wirb bon
35 ©lafer a. a. D. II, 252 mit ber bon ^toIemäuS VI, 7, 30 erwähnten ©tabt ©abb,tb,a
unWeit ber Weftlicb,en Küfte bei berfifcb,en ©olfs> jufammengefteHt ; anbere jieb,en bie alte
arabifc^e ©tabt ©abbatb,a ober ©abota, ben 9JUttelbunft bei 2Beib,raud)b,anbete, gur 33er=
gleidpung b,eran. 9Bäl)renb über ©abtfyedja nidjti ©icb,ere§ be!annt ift, fyat man Staema
(n^:;-1) neuerbingä auf ben fabäifcb,en ^nfc^riften gefunben, als einen Ort im ©ebiet ber
40 alten 9Jtinäer nörblid) bon SJtarjab, unb bergleicb,t bamit bie bei ©trabo XVI, 4, 24 für
©übWeftarabien aufgeführten 'Pa/ujuavhai. 21I§ 9?aema§ ©öf)ne Werben jum ©d^Iu^
<Saha (NT-lr) unb ©eban aufgefübtt. ©aba bejetcb,net ob^ne gWeifel ba§ im $i% unb bei
ben alten ©eograbb, en oft genannte 33olf ber ©abäer, bie im fübWeftlicb, en Slrabien Wohnten
unb Weithin teils mit ben (Srjeugniffen tbrer §eimat, ©olb unb Sßeibjaucb, (^ef 60, 6 ;
45 @j 27, 22), teils mit fremben 2Baren au§ ^nbien unb 2lfrifa §anbel trieben. S^r« §aub*=
ftabt, <Baha ober !Karjab (bgl ©lafer a. a. D. II, 33), lag brei Süagereifen öftlid) bon
Sancä entfernt. SSie bie jal)lreicr) borb^anbenen Qnfcb,riften beWeifen, War it)re ©j)racb,e
eine femitifcb,e. 33on itjrer ©efdbid^te Wiffen Wir fefyr Wenig. ®ie ©rgäb.Iung bon bem
SBefuct) ber Königin bon ©aba bei©a!omo 1 Kg 10 ift offenbar fagenbaft. ®ie afftjrifcb.en
50 Könige Xb^iglat^bilefar III. unb ©argon embfmgen bon ilmen Tribut. 9Beber über bie
SluSbefynung il)rer ^errfc^aft noö^ über if)r 33erb,ältniS ju ben StRinäern finb Wir bisher
genügenb unterrichtet. 2)afj fie im %% balb ju Kufcb,, balb ^u ©em, balb ju S^fan,
bem ©ob,ne ber Ketura ©en 25, 3, gerechnet Werben, berechtigt burcb,auS nid^t ba^u, brei
öerfebtebene ©tämme ber ©abäer anjuneb,men. Sie abWeicb,enben Slngaben erltären fidb,
55 barauS, bafe fieb, bie 2So^nfi|e unb bie 33erbinbungen beS 33oIfS geänbert f)aben, bajj eS
neben ben fe^aften ©abäern aueb, nomabifierenbe (§i 1, 15) gegeben b,at, bafs fid) enb=
lieb, bon bem ©anjen Heinere ©rubtoen abzweigten unb ein ©onberbafein führten, wie fio;
ba§ bleute an ben ©tämmen SlrabienS bielfaa) beobachten lä^t. Qu ben gälten ber
lederen Slrt Wirb autf» gehören, Wenn b^ier (unb ©en 25, 3) £>eban neben <Baba gefteßt
60 Worben ift. ©eban erfcfyeint im 21X fonft in ber 9?acb,barfd)aft (SbomS ^er 49, 8 unb
©öllertafel 715
jtoar an beffen ©übgrenge (^ 25, 13 ; ber ©cijriftfteller, ber e£ b>r ju 5?uf4> rennet, Wirb
bermutlicf; einen %?\l bon ©eban meinen, ber nacfy ©üben getoanbert ift unb mit ben
©abäern in 33erbüibung fiel>t. ®ie Unterorbnung ber 55. 7 genannten £anbfc§aften unb
©tämme unter Äufcb. Wirb ftdb, überhaupt fo erflären, bajj ber 33erfaffer $ufd; nict)t auf
Slfrüa befdjränl't, fonbem audj auf einen Seil ber Söeftfüfte Arabiens auSbeljmt, beren 6
33eWoI)ner mit bem oberen ©ebiete beS %IH§ in reger 33erbinbung ftanben ober in getoiffer
2Öcife babon abhängig Waren, ©afj er bamit über ifyre ©bract)e nichts auSfagen »iß,
tritt bei ben ©abäern beutlid) fyerbor, unb Wenn er biefe unter 9toema orbnet, fo meint
er geWifj nid^t bie 93lütejeit beS fabäifcfyen Sieid^, fonbern fbätere 33erf)ältniffe beS 33ol!eS.
gwifcfyen Slgbbten unb Kanaan, über bie fcfyon ©. 709 f. gerebet würbe, ift 33. 6 10
$ut genannt. ^Darunter ift ba§ £anb $unt ju berfteljen, ba§ nacfy ben ägfybtifcljen $n=
fünften bie $üfie bftlicb, bom SRil Wafyrfcljeinlicij im Sorben ber ^ufcfjiten bejeitfmet, aber
audj baS gegenüberliegenbe ©ebiet ber arabifcfyen $üfte in fid^> „begreift. 3B. SJtarj Mütter
a. a.D. 113 f. fyält feine 33eWoI)ner für 33erWanbte ber alten Signier, jebotf; mit einem
ftärferen 3ufa$ ^on ^egerblut als biefe. „ 15
SDie 33erbinbung ÄanaanS mit Üufcfy, Slgtybten unb $ut leljrt Wieber, bafj bie fbradj>=
lidje 33erWanbtfcl;aft bon bem 33erfaffer ntd)t als baS 9Jlotib feiner SDarfteÖung benutzt
Wirb. §am umfaßt nacfy ilmt in ber ^autotfadje bie füblicfyen 335Ifer am SRil unb an ben
lüften beS SRoten SReereS. SDie ©. 711,43 ermähnte 2luffaffung §amS im 212 bedt fid) im
allgemeinen bamit. SKkSfyalb er Kanaan bap jäfylt, läfjt fid) ntd^t mit ©icfyerfyett fagen. 20
©er ©egenfa§ $anaan§ gegen Qirael mag ib,n bagu bewogen fyaben, bieHeicfyt audj ber
Umftanb, bajj ju feiner gett (bgl. ©.713, 15) ber 9JütteIbunft ber bfyönijifcfjen ÜDJacf) t Don
ber $üfte ©tyrienS nad) ber Äüfte 2lfrifaS, naty $artl>ago, berlegt Sorben mar. greilid)
bafjt baS jafywiftifcfye ©tücf 33. 15—19 fci;lecr)t bagu. 2Benn bie Einteilung ©em, §am
(ftatt Kanaan), $abfyet erft bom ^ßriefterfobej ^errü^rt, fo liefen ficb. bei ber 33enufcung älterer 25
©tücfe Ungleichheiten unb innere ©egenfäije gar nid)t bermeiben. ®ie 33oranftelhmg bon
ßufcb fällt auf; fie mürbe ben bolitifcfyen 33erf>ältniffen ber 25. ©tmaftie (710— 664) ent=
fbrecb,en. §at ber 3Serfaffer ältere Vorlagen benu|t? Dber nimmt er 2öanberungen an,
bie ung unbefannt finb?
©ie Angaben beö ^riefterJooej; über ©em finb in 35. 22 f. enthalten. Über @lam 30
bgl. ben 2lrt. 33b V ©.278 ff., über Slffur ben Slrt. SRinibel) unb 33abr,Ion 33b XIV
©. 108 ff. 2Jrbfyadjfab p"43^^N) b^at man feit 33oc^art ^temltct) allgemein auf bie £anb=
fcb,aft 'Agganaxing (polem. VI, 1, 2) am oberen gab gebeutet, bei ben Slrmeniern
Stgfybaf, bei ben Würben 2Xlbäf. S)a aber bie legten ^onfonanten hierbei olme jebe
(Srllärung bleiben, fo fyat man biefe Deutung neuerbing§ immer meb,r aufgegeben unb 35
bermutet, mie fcb,on in feiner Sßeife 3ofebb,u§ Antiq. I, 6, 4, in bem Sßorte eine 33ejeicb,=
nung 33ab^lonien§ ober ber ©fyalbäer (lias, bgl. @en 22, 22). %üx bie brei erften $on=
fonanten (s-n) au^ bem Strabifcfyen bie 33ebeutung „©renje, ©ebiet" ju entnehmen, ift
unjuläffig. 6b,e^ne unb Qenfen bagegen gerlegen ba§ SBort, inbem fie ben 2lu§faE
eineg r annehmen, in bie beiben 33eftanbteile %7^ "«^ ^-r- Sn ^em öfteren fieljt 40
ßfyerme mit 9Binc!Ier bie afft)rifd^e ©tabt unb ^robinj 2lrabha meftlicb, bon Slam,
ätotfcfyen bem Tigris unb ben 33ergen bon SJiebien, 3enfen bagegen bie SlrrabacfiitiS be^
$ßtoIemäu§. S)er gtoeite 33eftanbteil iüirb bon beiben ©eleljrten auf bie 6I)aIbäer gebeutet
(3at2ö 1897, 190; 3ettfcb,r. für 2lff^rioIogie XV, 256). £ommeI a. a. D. 212. 258.
293 ff. erllärt Slr^ac^fab al§ gleicb.bebeutenb mit Ur Hafbim ©enll, 28. £ub mirb alt- 45
gemein bon bem fleinafiatifdjen 33ollc ber £^er berftanben, bie unter ber §errfcb,aft ber
9)termnaben um 650 mit ben limmeriern lämtoften, um 590 burcb, 9Jebu!abnejar bor ber
33ernic^tung burcb bie 2fleber gefcb^ü^t unb 546 burcb, bie ^ßerfer unter Slfc>rog untermorfen
tourben. ^b^re 3ierbinbung mit ©em beWeift mieber, ba| fict; ber S3erfaffer burcb,au§ nia;t
bon ber 33ermanbtfd)aft ber ©brauen leiten lä^t. 2luf einem Slffurbanibalcblinber toirb 50
auäbrüctlict; b,erborgef)oben, ba| ficb bie 2b>r ben 2lfft;rern gar ntct)t berftänbltcf) machen
fonnten (®eli|fc^, ^arabieg 257) ; fie rebeten alfo feine femitifd)e ©brache. Qu Slram 33. 22
unb 23 bgl. ben 2lrt. 2tram 33b I ©. 770 ff.
2luö ber Steige ber ©emiten, foenn man fie ate fbracbbermanbte 33öl!er auffaffen
twoHte, Würben (Slam unb £ub obne 3*»eifel herausfallen. @ine bon Dften nacb. 2Beften 55
fortfcb^reitenbe Sluf^ältlung ber 33öller unb £änber barin gu feb^en, befriebigt ebenfalls nid)t,
wenn fiel) aucb. bie Stellung 2lram§ an§ @nbe burc| 33. 23 rechtfertigen lie|e. ÜJJit
eiarn unb namentlich mit £ub finb bie Israeliten «ft fbät befannt geworben, mit £ub
tt)af)Tfct)etrtltcc) nid)t bor ber (Eroberung burcl) bie Werfer im 6. ^af^rb^unbert. i'ub als
Icil beS berfifcl;en 3{eicb.S fyier genannt ju finben, lief,e fiefy bemnacl; berfteben ; bann eo
716 gSölfertafel
fiecfen bic bon mannen in 33. 2 bermifjten Werfer t>teHetd£)t in (Slam, ba beffen £>aubt=
ftabt ©ufa al§ S^efibenj ber ^erferfönige im 212: genannt Wirb (5Reb. 1, 1). ©o wirb
man aucb. ^>ier auf bcn ©ebanlen geführt, bafc ber 33erfaffer jum %til nad) bolttifcfyen
33err/ältntffen bie Sänber unb 33oIfer grubbiert b,at. ©afc bie in ber älteren ©efdjidjte
5 S^aefe befannten ©ebiete unb Stämme ber älramäer 33. 23 nicfyt genannt Werben, Würbe
ju ber fbäteren geit »äffen, in ber bie älteren ©rubben ber Slramäer burcb, bie gefd)icb>
liefen Umwälzungen berfd)Wunben Waren.
©er 5Rame ©em ift fyäufig mit bem fyebräifcfyen ÜBorte cp in ber 33ebeutung
„9Jame, 9tufym" in 33erbinbung gebracht Worben ; 33. ©tabe berfudjte e§ al§ eine 2lb=
io für^ung für 0'*? ■ — = ÜJJamfyafte, @ble, abelige§ £>errenbolf ju faffen. 2lnbere Wollten
barin bie 33ebeutung „§öbe" finben, bie fie enttoeber auf ben §immeI§gott ober auf bie
hochgelegene §eimat ber ©emiten begießen Wollten. %&oü) beliebigen biefe Deutungen
ebensowenig tüte bie bon §am unb 3ja^et:-
©er ©eftd)t§frei§ be§ 5ßriefterfober. reicht fct)on jiemltd} weit: im Sorben b\* an bie
15 Quellen be3 (Subfyratb unb ba§ ©d^War^e SDteer, im SBeften über bie Meerengen bon
©ibraltar b,inau§, im ©üben in bas heutige hübten unb ba§ füblidje Arabien hinein, im
Dften bi§ @lam unb Siebten. 2öa§ Wir bom $ab,Wiften fjaben, §etd^net fieb. in geo=
grabbjfcfyer ^infidjt nur burcb, eine genaue Kenntnis ber fübarabifeben ©tämme bor bem
^rtefterfober. au§. 2lud) ber größere Umfang bes> £ori;$ont§ fbricbj im allgemeinen für
20 ba§ jüngere ällter ber eingaben be§ ^riefterfober. (6/5. ^a^r^unbert). ©ine 33enu|ung älterer
*DJad;rid;ten burcb. ben 33erfaffer ift jeboeb, nid)t au3jufd]lief}en.
©ie 33erfe 20 unb 31 Weifen nad) ifyrem Sföortlaut Har barauf l)in, bafj ber 33erfaffer
in feinen brei ©rubben nicfyt nur berfefnebene ©tämme, Öänber unb 33blfer, fonbern aucb,
berfcbjebene ©brauen miteinanber berbunben I)at. ©eSfyalb fcfyon berbtetet fieb. ber33erfud),
25 ben ©runb gur Sinteilung be3 33erfaffer§ in ber fbracbjidjen 93ertoanbtfd)aft ober 93erfd;ieben=
fyeit ber 33ölfer nacbjuWeifen. ©ie moberne Unterfd)eibung bon femitifcfyen unb I)ami=
tifcr)en ©brachen lefynt fid; jWar an bie 33ölfertafel an, ift aber ein @r^eugni§ ber ber=
gleid;enben ©bract;Wiffenfcf)aft, beren 9Jcaf$ftäbe nicfyt auf ba§ Slltertum übertragen Werben
bürfen. @tWa§ weiter lommt man mit bem ©ebanfen, baf? ber geograbfytfdje ©eftd)t§=
30 bunlt für ben 33erfaffer mafsgebenb gewefen fei : Qabfyet fotl bie 33öl!er be§ 9Zorben§, §am
bie 33ölfer be§ ©übenö, ©em bie ber 3Kitte umfaffen. 2lber tt>ie fommen bann dlifa
unb %fy arfiö unter ^abb, et, Kanaan unter §am, ba§ entfernte £ub unter ©em ? Stucb, ber
^ab,trtift toürbe bie fübarabifeben ©tämme gemi| nid^t unter ©em geftellt traben, tnenn er
in ©em bie 33ölfer ber 5Ritte gefeb,en b,ätte. 3m «injelnen unb beiläufig fyaben geograb^ifc^e
35 9tüdficb,ten ben 33erfaffer gemi^ oft geleitet. 3Xber e§ fd;eint boeb, geboten ju fein, für ben
33erfaffer be§ ^3riefterfobej; noc| meb,r afö für ben ^a^roiften bie Slücfficfyt auf gefcb,id)tndje
unb botitifcb,e 33erb^ältniffe mit in Slnfcb, lag ju bringen, wenn man feine Slnorbnung ber
33ölfer unb Sänber berfteb,en toiH. 9Zad; ftreng toiffenfd)aftlid}en SUlaiftäben ift er ebenfo=
wenig berfab,ren Wie ber Qjafytoift. @r berwenbet ben geograbfyifcben unb ben gefcb,id;t=
40 liefen ©eftcb,t§bun!t, je nacb,bem ber eine ober ber anbere ib,m baffenb erfcb,eint. ©o fe^t
er bie ffeinafiatifcfyen 33bl!er au^ geograbtnfcfyen ©rünben ju Sabblet, £ub aber aus bo!i=
tifd;en ©rünben, wie e§ fcb,eint, ju ©em u. f. W. ©aneben mögen ib,n aud) 5Rad;rid;ten
ober ©agen über bie 2lbftammung ber 33öl!er beftimmt b,aben. Stuf biefem ©ebtete
fönnen mir ben ©ele^rten beö 2lltertum§ aber am Wenigften folgen, iueit ib^re unb unfere
45 SCenntniffe fieb, gerabe ba am mentgften bec!en, ja fid; oft wiberfbrecb,cn.
©d;on oben ©. 710, r>off. ift barauf b,ingetoiefen toorben, baf; bie 33ölfertafel nidjt alle
33öl!er ber bamal§ befannten 3\>ett aufjagen toiE. 5Ran barf bab,er bie 33ötfertafel nicb.t
al§ eine boUftänbtge Überfielt über bie ben ^^raeliten befannten 33ölfer ober gar über
bie 93ölfer ber 2Belt überb,au^)t anfe^en. ©a§ b,aben fbätere jübtfcb.e unb d)riftlid;e ©e=
so lehrte aUerbingS getrau, inbem fie bie ftatjl 70 b^erauSlefen Woßten, 34 für ben ^3rtefter=
fobej, 36 für ben ^ai) toiften (bgl. ba§ jerufal. Xargum ju ©en 11, 8). 2lber abgefeb,en
babon, bafj fieb, bie ftafyl nur fünftlicb, erreichen lä^t, lönnte b,bcb;ftenä babon bic 3tebe fein,
ba| ber -Kebaltor, ber bie beiben QueHfd;riften miteinanber berbunben r)at, biefe Qafyl im
2luge gehabt b,ätte. ©em 3lnfcb,ein nad; b,at er aber nicb,t für biefe Qabl gearbeitet. $ür
55 bie 33eurteilung be<S ©anjen ift bon mefentlid}er 33ebeutung, ba^ man bie ©tüde be§
^ab,toiften unb be§ ^riefterfobej au^einanber b,ält unb fie für fi(| ju berfte^en trautet.
©elb,alb ift aueb, ber 33erfucb, berfeb,lt, bie Slngaben ber 33ölfertafel auf einer üarte
barjuftellen.
^n bem gegenwärtigen gufammenfyang i,er ®enefi§ bilbet bie 33ölfertafel ben Über=
60 gang bon ber ©efcb.icb,te ber gefamten StRenfct/b, eit jur ©efcb.icb.te ber (Srjbäter ^grael^.
»BKertofd «oettuS 717
Me 9ftenfd)en unb Völler gefyen auf einen ©tammbater, %loai) unb 2lbam, jurucf (©en
1, 26; 9, 6; bgl. £i 31, 15); aber bie ©efcbjd&te biefer Völler ift ntdjt bie @'efd)td)te beS
§eilö, baS ©ott unter ber 9Äenfd)I)ett für fie borbereiten Witt. SDaS §eil beginnt mit
ben ©tammbätem $SraelS, um burd) ibje Vermittelung ju einem ©egen für bie Golfer
ju Werben (©en 12, 2 f.). SDiefer gufammenfyang gehört oI)ne ^Weifel bem Vriefterlober. 5
an (bgl. ©en 1 ; 9 u. 17), Wal)rfcr)einlid) aud; bem iefyototftifcfyen Vudje. D6 ber urfbrüng=
licfye %af)\otft fd)on nacb, biefem ©eficbtSbunfte gearbeitet f)at, ift jWeifelfyaft. Ohttljc.
ÜSoethtS, ©iSbertuS, geft. 1. 9i"ob. 1676.— Eorn. ©eittman, Allon Bachat ofte lyck-
predicatie, over de dood van den hoog-beroemden Heere G. Voetius, over 2 öam. 3, BS;
Slnbr. ©|feniu§, Oratio funebris in obitum G. Voetii, Ultraj. 1077; 9(. E. Sufer, School- 10
gezag en eigen onderzoek. Hist.-krit. Studie van den strijd tusschen Voetius en Descartes,
&iben 1861 ; beif., Gisbertus Voetius, I, II, 1. 2 (nod) md)t weiter erfd)ienen), Setben
1897 — 1907; ©. £>. ScimerS, Voetius en de dienst des Woords (Stemmen voor Waarheid en
Vrede, 1879, I blz. 607-624).
(Siner ber einflu^reid)ften unb beruft, mteften Scanner in ber nieberIänbtfcf)=reformterten 15
Äirdje beS 17 ^al>rl)unberts mar ©iSbertuS VoettuS, feit 1634 ^rofeffor ber Geologie
ju Utrecht unb bafelbft im 2>al)re 1676 geftorben. @r Würbe am 3. 5Rärj 1589 (nid)t
1588 Wie cR@2 f. SDufer ©. V. I, 7) geboren ju §euSben in §oIlanb auS einem alten
unb anfefmlid)en Süttergefcbiecbt, baS früher bei Vilberbeef in 2öeftbt)alen Wol)nte. ©eine
©Item, $auluS si>oet unb 5Raria be ^geling, Waren febj adjtungSWürbige Seute, Weld)c 20
burd) ben^rieg grofje Verlufte erlitten Ratten. sJJad)bem il)n ber Steftor beS ©tymnaftumS
feiner Vaterftabt, ber gelehrte Franco Odolphi, für bie afabemifd)en ©tubien bor=
bereitet blatte, Würbe er im Qab,re 1604 nacb. Serben gefdncft, um bort bie Geologie ju
ftubieren.
Unter bie ©itbenbtaten beS ©taatenfoltegiumS aufgenommen, jeid)nete fid) ber 25
jugenblicfye ©tubent, „ingeniomagnus, corpore parvus", fefyr balb burd) einen eifernen
gleifj auS, bem ein ftäfylerneS ©ebäcfytmS ju §ilfe lam ; bort Wolmte er nad) Weiteren
brobäbeutifdjen Vorbereitungen balb ben ti)eologifd)en Vorträgen eines ©omaruS, 2lrminiuS
unb SrelcatiuS jr. bei. @S mar jebod) ganj befonberS ber erfte btefer brei 5Ränner, Welcher
einen entfcfyetbenben @influf? auf bie 9ticf)tung fernes *3)en!enS unb SlrbeitenS erlangte 30
unb in feinen Slugen balb ber „magnus theologus et venerandus praeceptor" War,
beffen „gratus discipulus" er fiel) fbäter nannte. 3ERit betrug VertiuS, bem Regent
beS ©taatenfottegiumS, ber ein 2lnf)änger beS 2trminiuS mar, ftanb er auf gekanntem
%u%. £)urd) feinen ©d)arffinn unb feine ^ütmfyeit im Verteibigen ber ftreng calbiniftifd)en
$räbeftinationSleI)re mad)te er fd)on balb bon fid) reben. %iaö) boEbracfyter afabemifcfyer 35
Saufbaljm erhielt er im %ahxt 1611 bte $rebigerftetle in bem SDorfe ißlijmen, mitten
unter einer jab,lreid)en, römifd)4at^olifd^en Sebölferung, unb fab. feine 33emül)ungen jur
2lu§breitung bei ^roteftantt§mus> in beren 5Ritte mit fo ermünfcfytem @rfolge gefrönt, ba^
fid) bte 3a|l feiner ©emeinbeglieber balb berbobbelt blatte, ^m folgenben ^afyre *>er=
heiratete er fid? mit SDeliana ban SDieft, einer ntd)t unbemittelten 33ierbrauer^tod)ter. 40
?Jad)bem bie reformierte ©emeinbe in Siotterbam iljm bergebeni berufen blatte, nafjm er
im 3jal)re 1617 einen 9luf nad) feiner 3]aterftabt §euöben an, teils aui Slnb^änglid^feit
an biefe; bod) infonber^eit trieb e§ ifm, bem bort mel)r unb mel)r guneb^menben 9iemon=
ftrantümui entgegen ju arbeiten. 3J£it großem @ifer war er im SDienfte am ©bangelio
bort tätig, fo ba| er felbft ad)tmal in ber 2öod)e brebigte unb manchmal jugleid; aud) 45
als Vorlefer unb SSorfänger auftrat. 2lud) mibmete er fid; mit allem gleifj bem ©tubium,
ntebt nur ber Geologie, fonbern aud) befonberS ber arabifc^en ©brache. 3U gletd^er 3eit
trat er als ^3ribatbojent auf in einzelnen gäd)ern ber t^eologtfdjen 2Biffenfcb,aft, in ber
Logica, Physica unb Metaphysica, in ben orientaltfd)en ©brauen, unb ber Unterricht,
ben er gab, tourbe gebriefen als zä)t metf)obifd). ^m ^ab^re 1618 mürbe er als 216= 50
georbneter ju ber SDortrecbter ©^nobe entfenbet, mo er einen bebeutertben @influ| auf ben
©ang ber 23erl>anblungen in biefer ®ird)enberfammlung ausübte unb für bie ^nxcfe ber Montra=
remonftranten mit allen ib. in ju ©ebote fteftenben Wittein eiferte. sJcad) unb nad} beb. nte er,
bon feinem Ileinen ©tanborte auS, feine unermübete Stmtigfett toeiter unb Weiter auS,
fo bafj er ftetS meb^r befannt unb bei Stilen, bie einer ftrengen üRecfjtgläubigfeit ?jugetb,an 53
Waren, geliebt unb gefcfyäfct Würbe, ©rötere ©emeinben begehrten ib^n als $rebiger.
©0 befam er 1626 einen 9luf nad) 'S©rabenb,age unb 1628 nad) §aarlem. @r blieb
aber borläufig in §euSben. @ine 3«it lang brebigte er ju ©ouba, um bort ben in biefer
©emeinbe eingebrurtgenen SlrminianiSmuS mit ©tumbf unb ©tiel auszurotten, unb alo
718 SBoetiuS
im %al)vt 1630 .geraogenbufcb, („baS sJiieberIänbifcfye 9tom") burcb, bic Srubben ber
©eneralftaaten ben ©paniern entriffen toorben, entlebigte er ficb, mit gleicher SEreue ber
ifym übertragenen Aufgabe, in jener ©tabt nämltcb, bie Angelegenheiten ber reformierten
©emeinbe ju orbnen. ©ein fefier ©tanbort blieb inbeffen £>euSben, bis er im Sunt
s 1634 (nict/t 1637 tote 3ftar. ©öbel, @efct)tcr)te beS d)riftt. SebenS in ber 9tyem.=2öeffy&.
©bangel. ^ird^e II, 1, ©. 142 berietet) mit einem ©e&alt »on 1200 ©ulben (2000 ÜRI.)
als ^3rofeffor ber Geologie unb morgenlänbifdjen ©bract/en an ber neugegrünbeten ^uftre^
©cfyule ju Utrecht angeftellt tourbe, nacf/bem ber berühmte ^3rof. b. %fy eol. £>enricuS 2lltmg
au§ ©röningen einen 9tuf abgelehnt r)atte. %n Utrecht follte 93oetiuS nun für ben 9ieft
10 feines SebenS arbeiten unb rampfett. SBäfyrenb feines langjährigen Pfarramtes r/atte er
fid^> um bie $ird)e fe^r berbient gemacht, fo bafj bie klaffe bon ©orincr/em, toorunter
bie ©emeinbe bon §euSben reffortierte, als fie SSoetiuS bimittierte, U)m baS ^ugniS gab
„rev. et doctissimum virum d. Voetium abhinc annos circiter viginti tres classis
nostrae membrum fuisse, ac se continuo praestitisse strenuum doctrinae ortho-
15 doxae propugnatorem, sincerum pietatis ac evragiag ecclesiasticae assertorem,
ipsumque diligenti sua praesentia classicales conventus nostras ornasse, piis
prudentibusque consiliis ac cordatis auxiliis in rebus arduis ad ecclesiae
aedificationem spectantibus fideliter juvisse, onera sibi a classe imposita promte
fortiterque sustinuisse, atque ita industriam suam ac zelum in caussa Dei
20 abunde nobis probasse"
SJlit einer 2lntrtttSrebe „De pietate cum seien tia conjungenda" (herausgegeben
mit feinen Exercitia pietatis, ©orincfyem 1644. £>oH. Überfe^ung bon $. 2öeftert)ui§,
Sreufelen 1902) trat 33oetiuS am 21. Sluguft 1634 in feiner Sßürbe als Sßrofeffor in
Utrecht auf, too fein SöirtungSfreiS ftd) noeb, meb,r ausbeute, als er am 25. gebruar
25 1637 noeb, bagu baS getoöfmitcfye §irten= unb Ser/ramt bei ber lltrecfyter ©emeinbe über=
nafym. ©er/r grofj tourbe befonberS fein ©influfe, als bie 3Qwftee=©d§uIe bon Utrecht im
3ab,re 1636 ju einer toirtlicr/en §oct)fdjuIe erhoben toarb, too SßoetiuS, ber lurj barauf
(13. 2tug. 1636) ju ©röningen, promotore Gomaro, ben ®o!torrang erlangt, berufen
toar, eine anfer/nlicfye ©teile $u beHeiben. @r toei^te am 13. 3Jtärj 1636 bie neue ttni=
30 berfttät ein mit einer ^rebigt im SDom über ben SLer.t Sc 2, 46 („Sermoen van de
nutticheydt der academien ende scholen, mitsgaders der wetenschappen ende
consten die in de selve gheleert werden", Utrecf/t 1636, in 4°; 2. Stufl. Slmfterbam
1655 in 12°). «Mit Unrecht fagt »an Dofterjee (9«S2 XVI, 554), bafc er in bemfelben
^ar/re eine „$robe bon ber $raft ber ©ottfeIig!eit" Verausgab. SDiefer ©d)rift („Proeve
35 vande cracht der godtsalicheyt", Slmft. 1628, 2. älufl. lltred)t 1656) ift bon ir)m
getrieben i. 3- 1627, als er nodj ^3rebiger ju ^euSben toar, unb gerichtet gegen ©antel
itilenuS, ben früheren $rofeffor ber Geologie gu ©eban. ©ie barf jur Sr/aralterifierung
feiner Stiftung t)öcf/ft merltoürbig genannt toerben. ©o fer)r nämltcrj SBoetiuS ein 35er=
teibiger ber fircr/licf/en 3ftecf)tgläubtgfeit toar, ebenfo fet)r toar er jugleicb, bon bem $8e=
40 toujjtfein burcr/brurtgen, baft ein rechtgläubiges SSefenntniS nichts bebeute or/ne einen ©ott
geheiligten 2öanbel. |$ur33eförberung fyierbon r)atte er alS^rebiger ju^euSben baS Sücr);
lein bon %I)omaS a HembtS „de imitatione Christi" unb bie aSfetifcf/en ©Triften beS
^rattifaliften SB. 2eellincf (f. 33b XIX ©. 472), ben er als „theologum ngoKtattbimov"
fyoeb, berebrte, feinen ©emeinbegliebern öfter auSbrüdlicf; empfohlen, unb aud? als ^ßrofeffor
45 iu tttrecbi fuc^te er unter ben ©tubenten ber SEl^eoIogie benfelben braftifer/en ©eift möglidgft
anzuregen, ungefähr in gleicher Sßeife, toie fein 2lmtSgenoffe SlmefiuS biefeS an ber £oc£/=
fcb,ule gu ^raneler tfyat. 3lua) bon ber ^anjel r)erab bestrafte er laut unb Iräftig bie
^trlebre ber ^emonftranten, fotoie bie übrige SebenStoeife ber lltrecf/ter 2triftofratie.
©tufterb,aft inSe^ug auf baftorale Pflege unb ^^ättglett, unterrichtete er fogar bie Meinen
so ßinber in bem 2öaifenb,aufe mit ber aufmer!famften ©orgfalt, fo ba^ er bon ©rojj unb
lllein auf ben £änben getragen tourbe. ©eine JMegen ehrten tr/n, bie -DtagiftratSberfonen
achteten ib,n unb fc^meia^elten tr)m manchmal, obtoo^l feine buritanifö^e „Precysheyt"
(©etoiffenl)aftigfeit) unb fein Sefämbfen bon allerlei ©ünben ib,m ju gleicher geit biele
geinbe machte. 2Ran berglic^) it)rt mit ^et^ro, ber ^Srael in ber 2Büfte jum gü^rer
56 biente, mit Sofebfy, ben feine trüber jtoar r)eftig bekämpften, ben aber ©ott fict)t6ar ge=
ftärlt b,atte. 3Zoct) heutigen SLageS toirb bie ©tra^e, in ber feine im ©ebtember 1907
abgebrochene SÖo^nung ftanb, nact) feinem tarnen genannt, unb fein gut getroffenes
S3ilb, bon 9lembranbt ober einem feiner beften ©ctjüler gemalt, giert baS ©enatSjimmer ber
Uniberfität.
60 @S toar inbeffen nict/t nur feine ^römmigleit, fonbern baubifäcpcr) feine auSgebeb,nte
Soethtg 719
©elefyrfamt'ett, ioeSbalb isoetiuS bon fo Stelen als eine grabe feines Greifes unb ein £icr)t
feines 3>aI)rfyunbertS betrachtet mürbe. (Sin unbegrenzter $orfd;ungStrteb fbomte ifm an,
mo mögltdt) alles ju lefcn, was nur einigermaßen in feinen Sereid; fam, infonberb,eit bon
ber bolemifcfyen Sitteratur feiner Sage, HxSljalb man ib,n, nad; bem Sendete eines geit=
genoffen, einen S8üd)erberfd)Imger (helluonem librorum) ju nennen pflegte, ^n ber 5
ftrengften ^abrcSjeit fonnte man ib,n fdjon morgens um 4 Ufyr in feinem ©tubier^immer
finben, umringt bon feinen 33üd)ern, beren ^rifyatt er feinen afabemifcfyen gufyörem mit=
teilte ober in feine jal)Ireict;en SBerfe aufnahm. 2luf$er ber ©otteSgelefyrtfyeit gab er aucb.
nod) Unterricht im §ebräifd;en, 2lrabifd;en unb ©fyrtfcfyen, nicfyt nur publice, fonbern
aua) privatim, toäfjrenb er nod) aufjerbem bie ©tubierenben burd; SBort unb 33eifbiel 10
ermunterte, exercitia pietatis ju galten, moburd; man in brüberlicfjer gufbracfje uni,
©rmabnung fo biel roie möglief; baS geiftlicf;e Seben untereinanber ju ermecfen unb ju
ftärfen fucbte. 3Son gern unb 9?ab, lamen gubörer jufammen, bie feinen 5Rat unb feinen
Unterricht fugten unb in bem $riftlid;=mtffenfd;aftlicf)en ÄreiS, ber ftd; rtngS um ifm
bilbete, fet)en roir ben unermübeten ^rofeffor Slnbr. ©ffentuS, ben gotteSfürcbJigen ^kebiger 15
unb getftltcfyen Sieberbicfyter ^ob. ban Sobenftein (f. Sb XI ©. 572) unb bie reicfybegabte
unb fromme Jungfrau 2lnna 3Jtaria ban©dmrman alS©terne erfter©röf;e f;erbortreten.
yiifyt meniger als 42 ^ab,re lang war eS if;m bergönnt, feinen ®atf>eber mit @b,re ju
betreten, unerfcf;ütterltcb unb getreu auf bem einmal eingenommenen ©tanbbunfte. SStele
©türme im ©taate unb in ber ®ird)e t)at er entfielen feljen, boct) aucf; bie Stu^e nad; 20
bem ©türme f;at er erlebt. ©0 War eS itmt infonberbeit ein peinlicher 2lugenblid', als
er bie altebrfoürbige ®omftrd;e, in welcher er feit bieten %afyxzn baS ©bangelium ber
Deformation gebrebigt Ibatte, im 3^^1672 bei bem nur lurjen %riumbl)e SubWtgS XIV
über bie bereinigten $robingen eine $eit lang bem römifd)=IatboIifc^en ©otteSbienfte
jurüdgegeben fal). ©ein Vertrauen auf ben §errn blieb aber unerfct)ütterlict) unb baS 25
Söort beS 2ltf>anafiuS : „nubicula est, transibit", War baS StroftWort, baS er öfter
feinen befümmerten greunben jurief. SBirfltd; fab, er benn aucb biefe bunfle SBolfe Wieber
öorbetgieben, er burfte nocf; t)ienieben bie ^Befreiung ber Äircbe unb beS 3SaterIanbeS mit=
feiern. 9iacb, einem Seben reicb. an Sftüfye unb ©treit febnte fic^> ber 87jäb,rige ©reis
nacb. ^rieben unb 9tuf)e unb entfcfyüef ben 1. 9Zobember 1676 mit ben Sßorten auf ben 30
Sibpen : „desidero te millies, mi Jesu, quando venies, ine laetum quando
facies, me de te quando saties?"
SoetiuS ©öfyne SßauluS (geb. 7. ^uni 1619, geft. 1. Sluguft 1667) unb Daniel
(geb. 30. ®egember 1629, geft.29.^uli 1660) finb mit tym $rofefforen gu Utrecht geWefen,
ber erfte in ber 9tecf;tSWiffenfcf;aft, ber §Wette in ber ^fülofoblne. 33eibe fyaben fict) burcf; 35
ib,re Slrbeit unb ©driften berühmt gemalt unb waren bon ähnlicher @eifteSrid;tung tote
ber S3ater. @in britter ©ot;n, TOfoIaS (geb. 1636, geft. 1679) mar $rebiger ju §euSben
unb feit 1677 ju Utrecht, ©ein @nf el ^ob. anneS (geb. 3.Dft. 1647, geft. 11. ©ebt. 1713),
©ofm beS Paulus SSoetiuS, b,at baS juriftifc^e ^ßrofefforat belleibet erft ju §erborn unb
fbäter ju Utrecht. Qtoti 2;öc^ter, 5Diaria unb (SlifabetjE), ftarben unberb^eiratet. 40
@S ift nicbt leidet, über bie £icb> unb ©cfjattenfeiten in ber tfyeologifcfyen 3öirlfam=
feit bon SSoetiuS ein bolüommen unbarteiifcf;eS Urteil auSjufbrectjen. S5aS Urteil mirb
immer berfdneben ausfallen, je nad) ber ©teßung, in ber man felbft ju ber bon tym
be!annten unb berteibigten SfBal>r^eit ftebt. ©0 mar eS fcfyon mäf)renb feines SebenS:
berfelbe Mann, ber bon ben einen bis in ben §immel erhoben mürbe, toarb bon ben 45
anberen bis in ben tiefften Ibgrunb berit>ünfd)t. ältan b,at eine 3)Zebaille ju feiner (Sfjre
gebrägt, aber aucb, getrachtet, ibn gu befcf)imbfen mit bem 2)ifticf)on:
„Voetius odit, alit, fallit, defendit, adoptat,
Pacem, dissidium, patres, absurda, malignos"
SOBem eS jebod) ernft ift mit bem ©brudje: „non ridere, nee ludere, sed intel- 50
ligere", ber muft jubörberft fiel; gang auf bem ©tanbbunit jener 3«it 3U berfe^en
trauten. ®er SlrminianiSmuS fua)te, im 33unbe mit einer mächtigen ©taatSbartei, in
ber nieberlänbifd^=reformierten ISird)e bie einmal gelegten gunbamente ber firdbtidt)en unb
meltlictjen Slutorität fo biel mie möglid; ju untergraben unb unter bem fd;önen SGSaJ>I=
ftorud; ber Siberalität ©runbfä|e einjufübren, meiere naef) 33oetiuS' innigfter Überzeugung 65
ben calbiniftifd;=nieberlänbifd;en Äird;en nid>t nur gefäl;rlid;, fonbern tobbringenb maren.
%n feinem ©emiffen bielt er fidt) für berbflia;tet, biefe ©runbfä^e ofme Slnfe^en ber ^erfon
bis aufS 33lut ju befämbfen. „Cogitabam mihi divinitus dici: hoc age", fcfyreibt
er irgenbioo (Polit. Eccles. I, p. 813), wo er bon ben Semeggrünben fbricl;t, bie ibn
beftimmt Ratten, in feiner 3u9«nD °^n 9luf nafy feiner Saterftabt anjunebmen, unb ^tt 60
720 «octiuS
aßen fetten mar el fein r/ödjfter ©^rgetj, ein lircbjicfyer £>erlulel gu fein, ber ben 3lugial=
ftatf fo fiel tüte möglid) reinigte unb bie greulichen Ungeheuer erlegte, ^Darauf mar
benn auc| fein gangel Seben unb Söirlen gerietet, ©cb,on all ^rebtger in ^eulben
geigte er ficb, al§ ein Iraftboßer unb gu fürcfytenber Selämtofer bei 2Irminianilmul. $n
5 ber großen ©Jmobe gu SDorbredjt 1618/19 blatte er ©i£ unb ©timme unb fat er mit=
gearbeitet, bal Urteil über bie Stern onftranten aulgufbrecfyen, toäbjenb feine oben fd>on ge=
nannte ©ct/rift „Proeve vande cracht der godtsalicheyt" gegen bie Seb, re unb 93rar.il
ber Sftemonfiranten gerietet mar. Slucb, all ^rofeffor gu IXtredjt fe^te er ben ©treit gegen
bie Stern onftranten fort in feinen ©Triften „Thersites heautontimorumenos" (Ultraj.
10 1635) unb „Catechisatie over den Catechismus der Remonstranten" (Utrecht
1641). ^n feinen 23orIefungen unb Stipulationen belämbfte er forttoäfyrenb bie £eb,r=
fcr|e ber 9?emonftranten, meldte um ficb, freffen „Wie ber Ärebl in ben fyeilfamen Söorten
6b,rifti" (SDuier t. a. p. II, 69, 70).
SSoettug @r.egefe War nicb,t barauf eingerichtet, erft nocfy einmal gu unterfud)en, t»a§
15 nad) bem ©ct/rtftWort religiöfe unb cbjiftlicfye SSafjrfyeit genannt Werben füllte, fonbern
um auf ^ilologifcfyem Söege bie 2öabrl)eit bei fcb,on angenommenen lirdjiicfyen ©bjteml
gu beWeifen, bon bem nun einmal lein Xitel nod) Qota fallen burfte. ©o fehlte U?m
oft bei aller ©eleljrfamleit jene ©eiftelfreifyeit unb Unabljängigleit, bie je|t mit Siedet
al§ bie erfte gierbe bei Wiffenfdjaftlidjen 3lullegerl ber fy. ©cfyrift angefefyen Wirb. 31I§
20 ©jeget ftanb er Weit unter ßalbin, bcffen Sefjre er berteibigte. ©eine Dogmatil trug
fotoob,! fyinfidjtticb, ber gorm all bei $nl/altel einen gang fcfyolaftifdjen (Eljaralter, unb
gewiß fat S^olucf nid)t gang Unrecht, Wenn er ficf; ($)al afabemifcfye Seben bei 17. ^ab,r=
fyunbertl II, 216) über bie „barbarifct/e ^unftterminologie" in feinen ©Triften bellagt.
$um SBeWeife fnerbon nennen Wir feine selectae disputationes theologicae (5 tomi,
25 Ultrajecti 1648—1669, fe§r feiten), bon benen befonberl bie brei erften 33änbe all ®ar=
fteüung feine! gangen tfjeologifdjen ©tojteml betrautet Werben lönnen (bie beiben legten
33änbe finb braltifcfyen 3;nl)altel. D. 31. $ut)ber gab D. Gysberti Voetii Selectarum
Disputationum fasciculus b/eraul, Amstelod.1887). üDie gange 5Retb,obe ber 23el)anblung
berrät ben ©cfyolaftilul, ber burcb, enblofe 33egrifflbeftimmungen unb fotofyiftifcfye Unter=
30 Reibungen nicfyt feiten bie ®inge el)er bunller all beutlid) macfyt. ©eine ©bradje ift
nicfytl Weniger all gereinigt, feine SRetfyobe ntdjt fr/Hogiftifcb, fonbern trocfen, unb Wenn
ber Slboftel ^aulul gurüdläme unb bemäfyme bie oft bon SSoetiul mit großer 9Beit=
fct/Weiftgleit befyanbelten fragen, f° würbe er nicfyt angeftanben fyaben, feine SBamung
gegen bie Cyrrjosis xal yevsakoyim xal k'geig xxX. %\ 3, 9 gu mieber^olen. ®iefe
35 ©c^olaftil mar if)m bal »iHIommene §tlflmittel gur 3[5erteibigung einel ftrengen 6al=
binilmul, »on reellem er rtid^t bie geringfte 2lbh)eid)ung bulbete. infolge beffen rourbe
feine Sftcfytung bormiegenb polemtfd), unb bie ariftotelifcfye ^Ijilofob^ie, toie btefe nacb,
unb nad) burd^ bie dttuftlidjie Seb,re mobifigiert unb berbeffert roorben, mar eine ber feften
©äulen feinel ©ebäubel unb gugleic^) bie bemütige SDienerin ber bon if)m borgetragenen
40 unb gelehrten Geologie. 3luf ©runb ber 3lutorität ber fyl. ©c^rift forberte er bon feinen
©c^ülern ein gläubigel 2lnnef)men ber tb, eologifc^en SKtifterien unb unterwarf jebel ©ogma
einer haarfeinen Stnalr/fe, ber allbann eine fd^olaftifdje ©r/ntb,efe folgte. %üx bie gming=
Iianifcb,e ober aud; melanc^t^onifclie Stiftung bieler ^{»eologen feiner 3^t falte er leine
©r/mpatl)ie, aueb, fanben nicr/t allein bie be!annten ©egner, fonbern ebenfo aud? bie falben
45 greunbe unb bergagten iserteibiger aüe§ beffen, toa§ bei ib,m all 2Baf)rl)eit galt, leine
©nabe in feinen 3lugen. i>on bem „^fyilologen" ©rotiul mar er Weniger all biele
Slnbere eingenommen unb ©ralmul nannte er einen Slrianer, ^elagianer, ©oginianer unb
©cebtifer. „Dubitatio non potest dici prineipium sapientiae theologicae, sive
inchoans, sive praeparans aut disponens, sive fundans", mar fein Söa^lfbrucf)
50 (Disp. Sal. III, 831) unb jeber, ber alfo aueb, nur einigermaßen bafür angefeljen Werben
fonnte, ben ©amen bei Zweifel! aulguftreuen, ben blaßte er mit botllommenem §a|.
ßalbinift in ber 2ef>re, War er el aud) in feiner 3Sorftellung bon ber ©tetlung ber ^irdje
gum ©taate. SDelroegen mar er benn aueb, ein heftiger ©egner jebmeben ^3atronatl, bal
ber ©taat über bie^ird;e aulübte (f. feine Politic. Eccles. 2lmft. 1663—1676, 3 tom.
55 in 4 vol., feb,r feiten. D. %. £. Stutgerl unb D. ^b,. ^. §oebema!er gaben Tractatus
selecti de Politica Ecclesiastica b,eraul. 2 fasciculi. Slmft.1885, 1886) unb ftetl brang
er barauf, baß bie Äird^e tt)re geiftlid)en 3lngelegenb,eiten felbft regieren unb u)re SDiener
felbft anfteHen foßte. ©eine Segriffe hierüber tourben bon Subobtcul SJtoIinäul beftritten, ber
ib,n in einer fcfyarfen @egenfcb,rift (Sonbon 1668) ber allgemeinen Skradjtung breilgugeben
60 fucfyte. heftiger noeb; unb anb,altenber War fein ©treit mit bem fambfluftigen ^arefiul,
SSoetiuS 721
^rofeffor unb ^rebiger in £>eräogenbufcfy, fbäter ^rofeffor ju ©röningen (f. 33b XII
©. 298). 2Bie ftarf anti=römifd) 33oetiu§ mar, fyatte er fd)on früher gegeigt in feinet
„Desperata causaPapatus" (Stmft. 1635), einem bicfen23anb, gefcfyrieben gegen benSömener
Sßrof. ßorneltuS $anfemu§, feit 1636 Sifctmf bon 5)bern. ®er Streit mit 9Jiarefiu3 betraf
eine fefyr alte röm.=fatfy. 23rüberfcf)aft (bie 33rüberfcf)aft unferer Sieben grauen) in §erjogen= 5
bufd;, bie bei ber Übergabe biefer©tabt au3 ben^änben ber ©panier in bie ber©eneral=
ftaaten gefront morben mar, bon welcher nun SSoetiug behauptete, fein reformierter
2Ragiftrat bürfe eine foldjie 33rüberfcb,aft, „in se et per se mala, pessima, abomi-
nanda, detestanda", innerhalb ber ©tabtmauem bulben (f. fein „Specimen asser-
tionum partim ambiguarum aut lubricarum, partim periculosarum, Ultraj. 1642, 10
gemöfynlid) citiert al<§ „Conf rater nitas Mariana", ©in ©semblar biefeS äufeerft feltenen
2ßerfe3 ift ju finben in ber 23ibItotf)ef ber Uniberfttät ju Utrecht). 9fteb,r aU 25 3al)re
lang mürbe biefer ©treit Don beiben ©eiten mit abmecfjfelnbem ©lücfe geführt, aud;
anbere fünfte mürben nadj unb nad; in biefen ^arnbf hereingezogen unb bieKeicfyt mürbe
er erft mit bem SLobe einer ber beiben Parteien ein @nbe genommen I)aben, bättert e3 15
ntd^t beibe für nötig erachtet, ftd) bie §anb ber 23erföfynung $u reiben, um bereinigt
einen neuen $ambf ju beginnen gegen ben gemeinfcfyaftlicfyen geinb — ^ofyanneS 6occeju3.
Sob. ©occeju§ (f. b. 21. 33b IV ©. 186 ff.) trat als iöerteibiger einer freieren «Ricfc
tung auf, bie burd) eine felbftftänbige ©jegefe unterftü|t tourbe unb bie $ßrar.i3 be3
©bjiftentumg DteCteid^t ju biel in ben §intergrunb ftellte. llrfacbe genug für 2Joetiu§, 20
bem 2öunfd)e feiner greunbe ju mißfallen unb, mie ein bom ©cfyeitel big jur ©ob,le
geljiamifcbier bitter, gegen iljm in bie ©cfyranfen ju treten. JJm 3a^re 1666 Kefe w
burcb, ben ungarifcfyen ©tubenten ©tebfyanuS ©»^efi eine föisbutation über bie beiben
ffiorte äcpsoLQ unb jidgeoig ä/j,. berteibigen, melden Sßorten ©occejug eine fdfjiarf ge=
fa)iebene 33ebeutung beigelegt batte, nad^bem fdmn einige $af)re früher (1658) fein ©djmler 25
unb 2tmt3genoffe 2lnbrea§ ©ffentuS bie 2lnficfyt be» ©occejuS ^tnfic^tlid^ bes> <£>abbatfy§ mit
allem ■Jtadjbrucf betambft l)atte (33oetiu3 felbft batte fdmn im ^afyre 1627 bie genaue
2>nnefyaltung be§ ©abbatf)3 berteibigt in einer glugfcfyrift „Lacrymae erocodili ab-
stersae"). ®a§ Sebenlen, bafe bie coccejartifcbe göberaltb, eologie fid) in tbrer lonfequenten
©ntmidelung mit einer ftrengen ^räbeftinations>leb,re auf bie 2)auer unmöglich) bereinigen 30
Itefee, trieb 23oetiu§ ju berbobbelter £eftigfeit an. tflad) bem geugniffe <*ßrc feiner greunbe
getoann er fcbon in feiner erften ©egenfd)rift gegen ben neuentbedten $e|er einen glänzen*
ben ©ieg, mäfyrenb bei meitem ber größte ^eil ber Sefyrer unb ©lieber ber ®ircb,e ftd)
auf feine ©eite fdjarten al§ ba§ anerfannte §aubt ber ortf)oboj=buritanifd;en ^icfytung.
^nbeffen and) GoccejuS fdjmieg nicr)t unb fo bxad) ein ©treit Io§, ber eine lange 9teib,e 35
bon ^afyren b,inburd) bie nieberlänbifd}=reformierte ^ircbe bis in ibre ©runbfeften erfdjüttert
bat. 3Bir lönnen ^ier bie ©efd)ici)te biefe§ ©treitel rticbt berfolgen (bgl. Mai ©öbel
a. a. D. ©. 155 ff.), genug, bafe er balb nid?t nur einen tbeologifdpen unb lir^Itdben,
fonbern aucfr, einen bolitifd}en, ja berfönlid;en ßljarafter erlangte, mobei leiber bon beiben
©eiten ba3 ©ebot ber Siebe nur albjufefyr bergeffen mürbe. ®ie ftrengen Soetianer 40
Ratten gemöfmlicb, eine orangiftifcfje, bie (Soccejaner hingegen eine rebublifanifcfje 3ticbtung,
unb erft Qabje nad^ bem SLobe ber erften Äämtofer mürbe bergriebe ob, ne Sluflöfung ber
Äircbe mieberb,ergefteßt, ober memgftenS ein SBaffenftillftanb gefcb^Ioffen, al§ man, niebt
ob,ne ©influ^ be§ ©taateS, gelungen marb, einanber in Siebe ju tragen unb man 3. 33.
in 2Imfterbam befebto^, bei jeber ^Berufung eine^ ^rebigerS abmecfyfelnb unb ber SKetbe 45
nadji, erft einen 25oetianer, bann einen ©occejaner unb bann einen Sambianer (bie braftifd)
a§fetifd}e Stiftung) ju berufen.
§eftig mfonberbeit mar ber ©treit, meldten 33oettu§ gegen bie naefj feiner Über=
geugung mit ber cfyriftlict) reformierten Xbeologte unbereinbare cartefiamfcfye ^3b,ilofobb,ie
geführt b,at. 2lnfänglid) i>ielt er fid} füll, afö (1637—1639) ber 5]ßrofeffor ber $b,iIo= 50
fD^bte ju Utrecht, §enricu§ SleneriuS, bei feinen öffentlichen unb bribaten Jßorlefungen
ber gjletbobe bon ®e3carte<§ folgte. 3IIg aber barauf (1639— 16 42) beffen 9?ad)foIger
§enricu§ Stegiuö (1)e ^Hot;) biefelben gufjftabfen betrat, ftanb 3Soetiu§, bem er teilmeife
feine Slnftellung al<§ „Professor medicinae extra-ordinarius" im 3af)re 1638 ju
berban!en batte, als» Rector magnificus ber b,ob, en ©cfyulc öffentlia) gegen bie neue 55
STtetbobe auf unb liefe berfcf)iebene Siffertationen gegen ib^n berteibigen. @r mufete e§
fogar fomeit ju bringen, bafe 5Regiuö feine bf)ilofobl)ifa)en 33orlefungen einftellen mufete,
obfd;on man ifyn in feinem 2tmte liefe, ©r bebau^tetc bei ©elegen^eit einer bon ifym
bräfibierten ®iäbutation am 24. ©ejember 1641, „bafe biejenigen, meldje ftc£> mit ber alten
fdmlaftifcfyen 3Dietb,obe nid;t bereinigen könnten, fonbern eine neue ^5^ilofobb,ie bon @ar= go
9JeaI=(Jtlc«ffDDäbie füt I&eotoflte unb Ätrcb« ?. Sl. XX. 4(j
722 $oettu§
teftuS erhofften, ben ^uben gleich Wären, bie nod) immer iljiren (SliaS erwarteten, um fie
in alle SBafyrljeit ju leiten" @r Wufjte ein öffentliches Judicium bon ber 3Jlel)rja^I
ber Utredjter ^rofefforen fyerauSjuloden, in Welchem eS Verboten Würbe, bie neuere 3Retf)obe
ber $ßfyiIofobl)ie bei bem Unterrichte §u gebrauchen unb bie Stufte ber £>od)fcf;uIe burcr;
6 einen Angriff auf bie alte ©cfyule ju ftören ; aud; na^m er feinen Slnftanb bie ©runb=
fä$e feiner ©egner bencn beS berüchtigten atfyeiftifcfyen ^SHjtlofo^^en Vanini gleicbjuftelten.
VefonberS füllte er fiel; jeboer; berufen, aud? ßartefiuS felbft ju belämbfen (1642—1647),
ba er ja StegiuS nur als eine „simia mendacis Galli, mendacior ipso" betrachtete.
SDurd) feinen ©editier unb greunb, f^äter einen feiner ^eftigften ©egner, 9JcartinuS ©cfwod,
10 Vrofeffor ber Logica unb Physica ^u ©röningen, lief? er eine ©treüfcfyrift berfertigen
unter bem Xitel: „Admiranda methodus novae philosophiae Renati des Cartes
Traj. ad Rhen. 1643 (auet) unter bem Xitel: „Philosophia Cartesiana" f. SDufer
t. a. p. II, 178). SartefiuS antwortete in einer Epistola ad celeberrimum virum
Gisbertum Voetium (2lmft. 1643), bie er nid;t allein biefem, fonbern auet; bem SJcagiftrate
15 ju Utrecht jufommen liefj unb berentwegen er balb pr Verantwortung bor biefen
legieren gerufen Würbe. VoetiuS feinerfeitS fub,r fort, ßartefiuS als einen »erfaßten
^efuit („Jesuitastrum"), „sub Ignatii Loyolae sidere natum", anjufcfjmärjen, ber
fyeimlid; bon feinem Drben auSgefanbt fei, 3Wift unb gwietradjit in ben nieberlänbifcfyen
©egenben ausstreuen (Über SDeScarteS unb bie carteftanifcfye Vr/iIofobI)ie fdjrieb SSoetmg
20 u.a. in feiner Disputt. select. 1, 815—816, 1154, 1158—1160; II, 1107; III, 642,
847—860 passim; IV, 750—752; V, 121, 260, 426, 429, 434, 470, 476—479,
487—491, 522—526, 579, 645, 713—714,763; in feine Politic. eccles. 111,719— 725
passim; unb in feine Bibl. stud. theol. p. 674—675). 3u0"e^ flellte er jeben 2ln=
teil an ber ©djmft bon ©d)ood, beffen ßartefiuS ir)n berbäcfytigte, mit allem 9cad;brud
25 in 2lbrebe. @r Wufjte eS fo Weit ju bringen, bafj (SartefiuS burd; eine öffentliche 3llte
beS 9JcagiftratS bon Utrecht als Säfterer unb Verbreiter lügnerifdjer ©dpften Verurteilt
mürbe. >Damit mar jebodj ber ©treit nod; nicfyt befinitib beenbet. Sei ber offiziellen
Unterfucfyung ber ©ad^e bureb, ben alabemifdjen ©enat $u ©röningen erllärte ©djood,
bafj er bie „Admiranda methodus" ntd;t nur auf baS gureben ÖDn 3Soetiu§ herausgegeben,
30 fonbern bafj biefer aud? rttc^t Wenig barin jum SRacr/teil bon SartefiuS beränbert fyab?. 2>n=
beffen b,atte aud? GarteftuS bie £>ilfe beS fran^öfifebert ©efanbten angerufen, Welcher fid; an
ben (Statthalter griebrid; §einrid; Wenbete, ber bie Utrecfyter Vrobinjialftaaten erfuebte, bem
SJcagifirat ju befehlen ßarteftuS ©enugtfmung gu geben. ^Deswegen unb infolge ber @r=
flärung bon ©cfyood, Welche VoetiuS bergebenS ju Wtberlegen fucfjte, Inelt ber -JRagiftrat
35 eS für baS befte, baS ausgekrochene Urteil zurücknehmen unb bie ©djmacr; Wieber bon
ßartefiuS ju nehmen, bie ©acbe ferner unberührt ju laffen unb Womöglich ber Vergeffen=
b,eit anheimzugeben. @r berbot beSfyalb am 2. Iguni 1645 baS $Druden, herausgeben unb
Verlaufen bon Vüd;lem unb ©ebriften pro ober contra ßartefiuS. -tlctttlerWeile fufyr
VoetiuS nod; eine $eit lang fort, mit ungefd) Wädjtem 9)iute bie „fanatica et fantastica
40 philosophia Cartesiana" %u be!ämbfen. SDie ©efcfjic^te jener 3eit ift in allen u)ren
©ingelb.eiten genau befcb,rieben in ber intereffanten, freilieb, mit fritifdjer ©icfytung
ju benü^enben Disquisitio bist, theol. de pugna Voetium inter et Cartesium,
Lugd. Bat. 1681. 35or allem ift eS bei ber Beurteilung biefeS ©treiteS nötig, ben
ftrengen fircfylicfyen ©tanbbunlt beS 3Soetiu§ Wol)l im Sluge ju behalten. &§t,
45 nad;bem mel^r als groet Qaf)rb,unberte nad; bem ©treite borbeigegangen finb unb
bie carteftanifebe Vb,ilofobf)ie fd;on ein b^albbergeffeneS ©lieb in ber @nttoidelungSlette
ber neuen $£nlofobf)ie geworben ift, je^t ift eS nid)t febroer, auf u)ren belümmerten
Slntagoniften mit bornef)mer ©eringfcfyätumg als auf einen befcfjränften gtMigft'äcIrter
b^erabjufebjen. @S fei aud; ferne bon uns, beraubten ju Wollen, bafj ber perfönltcbe
50 (Sfyarafter beS VoetiuS fid; in biefem ©treite immer bon einer günftigen ©eite ge=
offenbart habe. Von ber Weifen Vorfct/rift beS §errn: ©eib flug Wie bie ©drangen
unb ob^ne galfd; Wie bie Stauben, bat er nur gar ju oft bie jWeite §älfte bergeffen, unb
aud) fytx b,at eS fid; erwiefen, ba| man aud) ju ber reformierten ^ird;e gehören fann
unb bis ju einem geWiffen ©rabe WenigftenS jenem traurigen ^ßrinjib b^ulbigen: SDer
öö fttotä heiligt bie Mittel. 2lnbererfeitS barf jeboct) nid;t bergeffen Werben, bafj VoetiuS
nacb, feiner Überzeugung meinte, bie ©acf)e beS §errn unb feiner Äirdje meb,r als feine eigene
<Sbre p berteibigen, unb bafj tt)m bei feiner befannten ^nbibibualität unb fd;oIaftifd;=
engbegrenjten 9ftd)tung, nichts fo fdjWer fallen mufjte, als fieb mit boHfommener Dbjef=
tibität auf ben ©tanbbunft feiner ©egner ju berfe^en. ^ein SBunber, ba| er il>m öfter
60 mit einer unfeligen Äonfequenjmadjerei ober infolge eines jämmerlichen 3Jit^berftättb=
9Socttn§ 723
niffeS Sefyaubtungen anbietete, bon benen Gartefiug Wabjlid) nid)t mit Unrecht erklärte,
e3 fd)aubere if>m babor. SSknn er ber ^ßerfon bei ßartefiuS uitb feinen ©d)ülem ent=
gegenarbeitete, fo I)atte er inbeffen ntd)tS anbereS im 2Iuge, aU bie cartefianifcfye ?ßF>ito=
fobfyie felbft gu I)emmen, beren ©runbfä|e unb Siefultate er ol§ bö(Iig unberembar mit
ber bon ifym berteibigten ®ircfyenlel)re betrachtete. SDer SDualiämuS, ber in ber Sftetfyobe 5
unb 2öeltanfd)auung beä ßartefiuS, teilWeife burefy ben übermiegenben GüinfTujj be§ fran=
göfifd)en ©eiftlidtfeit auf feine ©en!ung§art, nod; gurüdblieb, tonnte einem fo fdiarfen
Slide, Wie ber be<§ 33oetiuS mar, fcfymerlid) entgegen unb ebenfo Wenig ©nabe bor ifym
ftnben. @r fab, borau£, bafj, fobalb man ben carte|ianifd)en $bealt3mu§ unb 3fationa=
li§mu§ aud) auf bie Söfung ber tfyeologifcb, en Streitigkeiten angumenben anfinge, ba§ 10
©ebäube ber Drtfyobope nid;t nur untergraben, fonbern böHig gefd)Ieift merben mürbe.
®arum lonnte er auf alle $rieben<§borfd?Iä'ge lebiglicb,, mie fo oft bie römifcfye ®urie,
mit einem non possumus antworten. ®ie fernere ©efd)id)te ber meberIänbifcf)=refor=
mierten $irdf)e unb ba§, wa§ fict) feit 23altl)afar Keffer, Sfoelt unb anberen ßar
tefianern gugetragen, geigt beuttieb, bafj bie böfen ^age, meldte 3Soetiu§ burefy ben 15
SEriumbb, ber bon tb, m beftrittenen ^ringibien fürchtete, nicfyt lebiglicb, in feiner ©inbilbung
beftanben.
SBentger leicht erflärlicb,, als fein (Streit mit 6artefiu§, fcfyeint ber ©treit gu fein,
ben er noety in ben legten SDegenmen feinet SebenS gegen ben berühmten $ean be Sababie
(f. b. 21. 23b XI ©. 191), ben Urheber be§ ©ebaratiSmuS in ber reformierten ßircfye, 20
geführt §at. @r felbft blatte über biefen ?Ulann eine fe^r günftige Meinung gehegt unb
fräftig an beffen ^Berufung bon ©enf naefy 5Ribbelburg in ©eelanb mitgeWirft, in meld) legerer
©tabt er bei ber maHonifcfyen ©emeinbe im $al)re 1666 ^ßrebiger mürbe. 2)as ©treben
be Sababie€, bem in ber nteberIänbifcfy=reformierten Stixd) e I)errfd)enben bürren Drtf)oborj§=
mu3 gegenüber neue§ geiftlid)e3 Seben anzuregen, marb anfänglich bon slWtiu§, ber biet 25
©rofjeS bon il)m ermartete, möglidfyft ermutigt. 2tber febr balb fd)on nal)m bie S£l)ätig=
leit be§ feurigen be Sababie nicfyt einen reformatortfd)en, fonbern bielmefyr einen febara=
tiftifcfyen ßbarafter an, unb er fd)Iof$ fid) mit ben ©einigen auf ed)t bonattftifcfye 2öeife,
al$ eine ecclesiola in corrupta ecclesia unb fbäter extra ecclesiam, gufammen.
§ieran ftief? fid) 23oetiu3 fefyr, ber gmar ©eWiffenfyaftigt'eit unb geiftlid)eö Seben feb,r 30
fcfyättfe, ja in feiner gangen ^beologie ebenfotoob^I eine mt)ftifcb,e, als eine fdjiolaftifcb^e
©eite blatte — aber immer bie Mrcfye in ber $ird)e berbeffern moßte unb gleidj fef)r allem
miberftanb, ma§ über unb unter bem SDtafje feiner Iird)Iid)en 9tecb,tgläubigfeit ober bem
gumiber mar. @r lie| be^alb (1669) unter feinem ^3räfibium gegen be Sababie eine
2)i3butation berteibigen : „De ecclesiarum separatarum unione et syncretismo" 35
(§oII. Überf. 2lmft. 1669), bie gmar burd) be Sababie mit einer fdiarfen ®egenfd)rift
(Nouvelle conviction manifeste des calomnies, 1670) beantwortet mürbe, aber if>m
unb feinem 3tnb,ange boeb, einen embfinblid)en ©cb.Iag berfe^te. £>ie meb^r unb tnef)r
juneb^menbe ©cfymarmerei unter ber neuen Seite trug ebenfate biel baju bei, ben Strger
be§ greifen ^3rofeffor§ gu erb,bb,en, ber fidj in feiner auf ben ©tifter gegrünbeten Hoffnung 40
fo jämmer(i(| getäufd^t fanb. ©icfyerlicfy marb aud) burd) biefe Säufd)ung fein §erj
me^r abgelöft bon ber Sßelt unb bon fo bieten greunben, mit meld)en er früher auf
gleichem ©runbe geftanben blatte, bon meld)en er fid) aber jje^t innerlid) getrennt füllte.
@i mar ib,m inbeffen nid)t bergönnt, nod) bor feinem Sobe ben ^rieben ber &1rd)e mieber
b^ergefteßt gu fef>en. «
aSoetiuä mar mäb^renb feinet gangen SebenS ein aufeerorbentlid) arbeitfamer StRann,
ber an fid) felbft immer I)oIj>e gorberungen ftetlte. @r mufjte bon leiner 3^ub,e. 2Böd)ent=
lid) b,ielt er ad)t öffentliche Sorlefungen, aufeerbem bribate unb ®i§butierübungen, meldte
le|tere bei ©amStagl gebalten mürben, ©jegefe be§ 2llten unb 5Reuen ^eftamentl, ®og=
matü, ©Emboli!, Siturgif, $ated)ettf, 5?ircb^enrecb,t, ba§ maren bie bon if>m beb,anbelten bo
©egenftänbe unb ba§ md)t etma flüchtig, nein augfü^rlid), grünblicb,, bem §örer ntd)tg
erfbarenb. 2111 33ücb,er gur eigenen gortbilbung im ©tubium unb um fie bei 21bf)altung
ber Prüfungen gu benü^en, bureb^arbeitete er: Gomari Theses, Synopsis Professorum
Leydensium, Maccovii Collegium Disputationum, Amesii Medulla, Clutonis
idea, Commentarius Catecheticus Ursini, Mellificum Cat. Diestii. Slufjer feinem 55
^ßrofefforate Wibmete er fid) bem ^rebigtamte an ber ©emeinbe gu Utred)t unb toaste
über bie ^ectjte berfelben, Wo er biefelben bebrofyt erachtete. 3ltö eine tjeilige, bon ©ott
ib,m anbertraute Stufgabe betrachtete er fein Sföerf. 9Ue, fcb,reibt er, fyabe id) Xlnterb,anb=
lungen geführt de stipendio meo, ne quidem de qualitate aut quantitate ejus
directe aut indirecte. Ex vocantibus quaesivi, sed totum hoc illorum curae et «o
46*
724 SoettuS
arbitrio reliqui, ad quos hoc pertinebat (hiermit tft nidjt im SBiberfbrud), Wenn
man eS nur rec£)t berftefyt, WaS ®ufer, ©isb. 33oettuS I. Bijl. CXLII mitteilt), ©oldjie
§od)I?ergigfeit )?at aud) eine weniger angenehme ©eite. ®er Setybenfcfye ^ßrofcffor Slbr.
^eibanuS liefert feinen unebenen Seitrag gur £enn§eid)nung ber ^erjon beS SSoetiuS,
5 wenn er bon ifym fagt : „qui nomen a pede habet, sed ubique se ut caput gerit"
©icfyerlidj liegt in ber 23efcf affenlj) eit biefer ^Serfönlidjif eit bie Urfadje, baß fte fo berfcfyieben
beurteilt, aud; mit ©feottreben nid;t berfcfyont geblieben ift. Surman („Trajectum eru-
ditum", p. 422 sq.) giebt eine Slumenlefe bon Urteilen, bie cum grano salis §u
beurteilen finb. 6. ©ebb (9t@2 33b XVI, ©. 561) flagt: „Sei einem Sergleid) gWifdien
10 SoetiuS unb (SoccejuS bergefje man ntdbt, baS mir in beS letzteren „Opera anecdota"
eine ÜReifye Epistolae finben, beren 3>nfyalt uns Siebe unb dfyrerbietung einfloßt; eine
berartige Duette ftefyt uns bei ber ©cfjilberung beg SebenS unb ber Sötrffamfeit beS
erften letber rittet ju ©ebot" ®iefe Sücfe fyat jebocf) D. 21. 6. ®uler einigermaßen auS=
gefußt burd) bie Verausgabe einiger Sriefe (Eenige onuitgegeven brieven van en
15 aan Voetius, 'S©rabent)age 1893).
$m ©egenfa| ju SoccejuS, ber toirflid) eine ©ct/ule geftiftet I)at, !ann bieg bon
SBoetiuS nidjt gejagt werben. @r ^at SlnB,änger, sJiadE)foIger gehabt; eS fyat Soetianer
gegeben, aber niemall eine eigentlich, fog. ©djule bei 33oettuS. 2)tefeS SJtanneS große
Sebeutung lag in ber brafttfcfyen 2trt feiner Geologie unb in bem @ncr)lIopäbifd£)en feiner
2o t&eologtfd^en 2el)re. 2öaS baS erfte betrifft, fo fann man ficfy ntc^t aßein berufen auf
baS geugntS ^ ^ßrofeffor ©al. ban S£iß, Welcher ben SßoetiuS doctissimum practi-
cum nennt, fonbern bor allem auf bie ausführliche ©cfytlberung, Welche SRitfcfyl uns bon
biefeS SDianneS Xbeologte in feiner ,,©efd)ic£)te beS ^tetiSmuS" I, 101 ff. entwirft, inbem
er babei befonberen ÜKadjbrucf auf ben Einfluß legt, Welcher bon SoetiuS als braftifdjen
25 ©otteSgelefyrten ausgegangen tft. (Sbenfo r)at §ebbe in feiner „©efdn\f)te beS ^ßietiSmuS
unb ber 9Jcr/ftif" ©. 151 mit Siecht beraubtet: „SoeiiuS faf) bie (SrWeccung unb Übung
ber ^3ietaS unter feinen Qufyömn als feine r)eiltgfte SerufSaufgabe an" Um ben SeWeiS
für baS @ncr/fIobäbifd;e feiner Sebre §u liefern, ift eS genügenb, auf bie bieten ©Triften
bon SoetiuS ju Weifen. Slußer ben fd)on in biefem Slrtifel genannten ©cfyriften finb
30 bie borjüglicbjten : Diatribe de theologia (Traj. ad Rhen. 1668), Erpenii Biblio-
theca arabica cum augmenta (ofme feinen Hainen, 1667), unb befonberS Exercitia
et bibliotheca studiosi theologiae (Ultraj. 1644, fbäter Lips. 1688). ®iefe le^te
©cbrift in 12=°gormat (fef)r feiten) umfaßt ungefähr 500 ©eiten; aber bie ä>orrebe,
Welche 200 ©eiten ausmacht, fieFjt mit bem Qnfyalte beS Sucres in feiner bireften iser=
35 binbung. S. ©ebb in feinem Sßerfe „Het godgeleerd onderwijs in Nederland
gedurende de 16e en 17e eeuw" (Über bie tfyeologifcfye fiebere in ben 9Zieberlanben
Wäfyrenb beS 16. unb 17. %crt) rfmnbertS) 1874, II, 156 ff. bat eine Überfielt bon bem
gegeben, WaS biefe Bibliotheca enthält unb Woburcl; fte ftd? empfiehlt, ©ic umfebreibt
ben Umfang be3 ©tubiumS, WeldjeS ein ©tubent ber Geologie innerhalb bier $ai)ren
40 burcl;Iaufen foß ; aber eS ift gu fürchten, baß jeber buref) fo große ^orberungen abgefc^reeft,
ba§ ©tubium ber Geologie wieber aufgegeben f)ätte. ©enn Wer ben 2öeg, Welker
in ber Bibliotheca öorgegetebnet ift, in feinem 2thm unb ©tubium folgen Wollte, ber
bürfte and) niebt eine einige ©tunbe berfäumen, unb müßte bie Qdt um jeben ^reiS
auSfaufen.
45 Überblicfen Wir nochmals baS Seben unb SBirfen beS SoetiuS, fo maebt er auf uns ben
©tnbruef eines StRanneS aus einem ©tücf, Welcher Wußte, m$ er Woßte, unb Warum, ber aber
nidjt immer auf entfbrecfyenbe Söeife gart War in ber Sßafyl feiner SKittel, ber in mancher
§infid9t ein %'ypu$ alt=f)oßänbifd)er ©eleb^rfamfeit unb grömmigfeit genannt Werben barf,
ber aber babei aud) an ben rauheren ©eiten feines SöefenS unb ©treitenS bie 35erWanbt=
50 fcb,aft mit ßalbin ntcljt berleugnete, btelme^r fte ftanbbaft befannte unb offenbarte. ©eb,r
Wenige l)aben größeren ©influß in ber Slirctje auf bie'^ettgenoffen unb Siadjfommen auS=
geübt, als er, unb in Wellen ^unftenm an aud; bon ifym berfdjieben benfen möge, fo Wirb
bod) bie Strebe, Wie bie SSiffenfcfjaft, nietjt fcf)Ied;t babei fahren, Wenn fie biele ©iener
jäblen, bie ein gleiches ©treben an ben £ag legen, Wie es lebenslang SoetiuS getb^an,
55 grömmigfeit unb 2öiffenfcb,aft ju bereinigen. 2Ber in unferer ßeit faft in aßem in
bireftem ©egenfa^e ju feiner ©laubenSüberjeugung fteb^t, ber Wirb iljm fctjWerltd) bößig
Würbigen fönnen, Wer aber mit if)m in bemfelben ©lauben lebt unb für benfelben
©lauben ftrettet, ber l)ält gewiß bie il>m bon feinem SMegen ©ffentuS in feiner 2eid)en=
rebe bargebrad;te §ulbigung nidjt für übertrieben unb Wirb tro£ aßer menfd)Iid;en
60 ©d)Wad)f)eiten unb tf)eologifd?en ©infeitigfeiten baS SKort beS §errn auf ib,n anWenben
aSoctinS Sßogel 725
Jönncn: „idb, fyabe eucB ermäBIet, unb gefegt, baf? i^r BtngeBet, unb grucBt bringet, unb
eure %tu$t bleibe" (%o 15, 16). (3.3. öan Dofterseef) <B. 2>. tmtt «Seen.
(*.) «ogel, ßarl 2TIbrecBt; 10. aRftrj 1822—11. September 1890. — Quellen:
3. ©untrer, SebenSffi^jen bev ^rofefforen ber Uniüerfität !yena 1858, <S. 46; 21. formet),
£eitf)enrebe, SBien 1890; „©uang. .VHrdjenäeitung für Defterreid)" 1890, ©. 312 f.; güang. 5
SSeretnSbfott für £)ber=£)eft." 1890, @. 95; ,,Le' Temoiguage", $ari§ 1890, <S. 339; 9(bS3
40 (1896), 94 (®. gronf). — ftamilienbatotere. ©djriften: Stetig gabrtjunberte. ©e=
fd)id)tötafe(n jum 2tu§tt>enbiglernen, SBregben 1848; De Bonizoni episcopi Sutrini vita et
scriptis, 1850; SRatljeriuS öon SSerono unb bci§ jebnte 3a6,rbunbert, 2 SBbe 1854; $eter 3)a=
miani. ©in Vortrag, 1856; ®er taifer Siotletian. (Sin Vortrag mit 2lnmerfungen, 1857; 10
3u ben ©ebenttafeln, 1858; günf «ßrebigtert, 1859; 3ur luSIegung ber ©teile ©a 3, 20.
Sbött 1865, @. 524—538; Seiträge jur £>erftellung ber alten Iateinifd)en 33i6elü6erfe|ung.
^inei Pf. Fragmente ou§ bem 23ud)e ßäedjiel unb ben ©prüfen ©alotnoä, 1868; (Sine *ßre=
bigt (21© 18, 1—11), 1869; geftrebe bei ber geier be§ öOfäGr. 33efief)en§ ber f. f. eö.=tljeoI.
gafultät in SSien, 1871; ®ie ©emifä'fularfeier ber f. f. eüang.=tt)eot. gafuftät in SBien am 15
25. 2lprii 1871. 1872; $ur Erinnerung an bie 3. eüang. ©eneralfanobe 21®. 31t SBien Dom
14.-27. Sfloti. 1877, 1877; Vortrag über eüang. ©tabttniffion, gel), am 16. 2lbril 1883, 1883.
45 2lrtifel in ben beiben erften Stuflagen biefer ßncljflopäbie. ©ie finb jum Seil aud) ben
2Irtiteln ber 3. 2tuff. ju ©runbe gefegt.
Saut urfunblicB nicBt beglaubigter gamilienüberlieferung roaren bie 23orfaBren 3>.§ 20
infolge be<§ 30jär;rtgen Krieges als ©laubenSerulanten auS Söb,men nacB ©acBfen einge=
roanbert. £>en tarnen fanb tcB im ©tattr/altereiarcb> au ^ßrag bei ©bangelifcben in
Äaaben. ®er ©rofjbater mar ber 3Mer 6b,riftian fieberest, ein Dfyeim ber 9Mer Äarl
ßfyriftian, ber in SInerfennung feiner 23erbtenfte um bie $unft als b. 23ogeIftein geabelt
mürbe (1851. 23rocJBauS, Äoffl>«f.*2eEtf. 14. 31., 16 [1898], 368 f.). £)aS ÄünftlerBIut 25
regte fict) bei SllbrecBt in bem ^ßlan feiner Anfänge, fcBönmiffenfcBaftlicber ©cbriftfteller
ju werben, in einer BübfcbengeicBengabe unb in bidjtettfc&en 23erfud)en, bie fogar in feinem
2Biener 33riefibecBfeI hineinfielen. ®er SSater, Sßilb,. SllBr. %xan% griebricB, $urift, Igl.
fäcf/f. ^of^inanjfefretär, gule^t DBerred&nungSrat in ©reiben, eine gemütbolle, feinfinnige
5Ratur, trot$ ber ©orgen, bie ib,m bei befö^ränlten Mitteln feine grofje gamilie bon bier so
XöcBtern unb fecbS ©öbnen bereitete, fetter unb jufrieben, blieb mit Sllbrecbl in regem
33rieftaufcB ; nocB ein ^weiter ©oBn it>ar Geologe. Sie SRutter, ßbjift. ©orotBea, geb.
Söeijel, leidet öerfc^üd^tert, berftanb e§, SübrecfytS in fid9 gelehrtes ©emüt ju erfd^Uefjen;
fie mufete ib, n erft jtoölfjä^ rig jurüöflaff en ; bocb, fam er aud^ mit ber Stiefmutter in ba§
befte 23err/äitni3. 35
®ie 3lnnen=33ürgerfc()ule unb bas> ^reu§fd9ul:©^mnafium in Bresben bereiteten jum
UniDerfitätgftubium ber Geologie bor. 35on ben bamaligen Seidiger gad^leuten b,aben
einige nocb, b,eute einen Hingenben tarnen, meniger ber §8ulgärrationaIift Singer ober
SDomb, err S'rebl, al§ ber ^5oIt>glotten=^eiIe, ber neuteftamentlic^e ©rammatiler Söiner, ber
^ird^enfiiftorüer Sliebner. Stßein nid^t biefer b^ilofobb^ifc^e ©eift in fd^olaftifd^er gorm, 10
fonbern 9leanber§ 5ßeforaItb,eoIogie ift für 5B.^ Sebenömerl unb ^ric^tung beftimmenb
geworben.
Sfacfybem ber 22j|äb,rige bie erfte tb,eoIogifd^e Prüfung in Seib^ig beftanben unb bi3
Dftern 1846 llnterrid^t in ®re§ben erteilt, ging er ba§ Sommerfemefter nafy 33erlin ju
5Reanber, neben bem X^eremin — „bie b, eilige Serebfamfeit eine ^Eugenb" — unb Dberb.of= 45
brcbiger ©erb,, griebr. ,Slbrab,. ©trauf^ aU S)ojenten ju nennen mären; Ie|terer — mir
galten ba§ Sluge auf Öfierreicb. gerietet — blatte in biblomatifdjer 33üffion beim gürften
3)ietternicr) ben freien 2lbjug ber gittertBaler erroirlt. 3m Dftober jtoeite tI?eologifcr;e
Prüfung in ©reiben; bann jtoetjä^riger Unterrid^t an bortigen ^nftituten — aud) im
3eid(men — , fomie bei bem ^rinjen ^eobor bon %r/urn unb %a&$. 3m 9ieboIution§= 50
jar)re bromobierte ber fter» gut lonferbatibe 35. in $ena pim bb.iiofobBif^en ®oftor unb
begab fkb, im ^ab,re barauf abermals nacb, Berlin, um ficb, auf 9?eanber3 Stntrieb für
bie afabemifcr)e £aufbab,n ju ruften. 2lm 1. ^obember 1850 erwarb er ben 2ijentiaten=
grab, roieberum in ^ena unb habilitierte fid^ Bier alSbalb; 11 ^aBre ertrug er bie oft
fengenben ©traBIen ber immer £?öf>er fteigenben tBeologifcBen ©onne bon &na, bon §auö 55
auö im 2ßiberfiprucB mit biefer ^afefcfyen unb überBaubt ber ^enenfer Sticfytung.
©cBon nad) bier ^aBren erfdnen ba§ ^aubtmerl beö ganzen SebenS, „feinem geliebten
SeBrer 9?eanber gemibmet": 9?atBeriu§ b. Verona (1. Sb: ©efcBiditc beö 3t. unb feiner
3eit. 2. 33b: 33on ben Duellen) „mit möglicBft bollftänbigen 2luSsügen au§ ben ©cBriften",
ba§ iBm nacB jmei $afyxtn im grüBIing ben Xitel eines a. 0. ^rofefforS unb im £erbft <;o
726 Sßogel
ben (gfyrenboftor Don ©reifStoalb einbrachte, bei ©elegenljeit ber 400j ädrigen Unitoerfitäi§=
Jubelfeier.
©ie Dtatfyeriugbarfteöung £>at fia) nun über ein fyalbeS Jafyrljmnbert in ©eltung er=
galten unb ift bon ben gorfdjiera mit ©anl benutjt toorben.
5 ^ein ©eringerer afö §ermann Deuter bezeugte iljiren SSert in feinem SBrtef an V.
Dom 4. ©ejemberl862. @r bat fbäter V. um eine Slngeige feines? 3Ronumentatoer!e§ über
Süeranber III., bie ausführlich in 2#®tÄ (1867, ©.366—379) erfolgte, unb berfoertete
SS.ö 2Ber! etngefyenb in feiner geifiboEen „©efcbjdjte ber 2lufrTärung im 5Jt2l." ©er
fcfybne (Erfolg reifte 33. ju ben weiteren Iirii)engefcf)id)tlia)en arbeiten über ©ioflettan unb
10 ©amian, bie bamalS al§ !ernig, auf grünblid)er Kenntnis berul)enb, lebenbig unb ge=
fdjmacfboll gelobt mürben („©reSbener Journal 1856, DZr. 70. „©armftäbt. Sfyeol. £itt.=VI.
1858, ©. 193 f.).
©a^u lamen bie ja^Ireid^en Strtifel in V$R@, beren Übergang in bie jmeite Sluflage
Verbrufj unb SRüfyfal bereitete; nur beran^elt fonnten fie noa) in ber brüten berroertet
15 Werben, infolge ber 2luäbeb,nung unb Vertiefung ber gorfcfyung. 2Sieberr/olt beteiligte
ficfy V. an ben „Sfofenborlefungen", benen bomefymlicl) burcf) §afe§ Sttufterfiücfe aucf; in
ber Sitteratur bauernber 9tur/m erblühte; über Sluguftin, Vruno bon £öln, ©iofletian,
©regor ben ©rofjen, 3J{öno)tum, ©amiant, Vabfttum ; je einmal mürbe er ju Vorträgen
an ben Sßeimarer unb ben Slltenburger §of gelaben.
20 Vei bem fcfytoiertgen SBettbetoerb mit bem Slltmeifter berbanb er mit ben fircf)en=
gefcfjicfytlicfyen Kollegien neuteftamentlicfye.
©o fonnte er e§ magen, eine ntlicfye Vrofeffur anjunefjmen. 9kcr;bem er für; Wieber=
^>oIt um ©efyalt ju feinem Stiel bemür/t, audj um eine Vrebigerftette, mürbe er in bem=
felben Jafyre, in Welchem ifym bon einem ber „©urcbjaucfytigften 9tutritoren ber Uniberfttät",
25 bem Slltenburger, 300 Xfyaler ausgeworfen Waren unb in meinem ein ®atl)eber in ©iefjen
in 3tugfid|t ftanb, am 8. ©ebtember 1861, in baS ntlicfye Drbinariat an bie !. I. tfyeol.
gafultät in 2Bien berufen, auf Vorfcfylag beS bortigen ^ircfyenr/iftorilerS, beS JenenferS
Dtto. (Sin Wichtiges Jafyr für bie Vroteftanien ßiSleitfjamenS! 2lm 8. Slbril toar ba§
Vroteftantenbatent erlaffen, ber Freibrief für bie fo lange nur „tolerierten", melier ben
30 ©bangelifcfyen für immerWäfyrenbe Reiten bie grunbfä^lidje ©Ieicfyr)eit bor bem ©efeij aud)
in betreff ber Vereisungen ifyrer Äirdje jum ©taat berbürgte; bie ©letcfyberecfytigung aller
anerlannten ^onfeffionen nafy alten 9^id)tungen beS bürgerlichen unb ftaatüdjen SebenS
jur ©eltung braute. 21m 18. Juli fyatte bie feit 1850 jur gaMtät erhobene „2el)r=
anftalt" Vromotion3red;t erhalten.
35 ßtoei Seb.rlanjeln maren an ifyr ju befe|en, für fr/ftematifdjie unb für ntticfye Geologie,
gmet Jenenfer, miteinanber befreunbet, aber berfdjuebener ^idjtung, nahmen fie ein ; 2ib=
fiuö unb V. ©leicr/seitig traten fie am 14. Dltober if)r 2lmt an. Sibftuö erinnerte nacb,
25 Jahren ben^reunb an beffen bamaligeS Ceterum censeo: „@ö mu| alles umge!rem=
beltmerben" unb mac^t ben fnorrigen,3ufa£: /t^ ift mentg genug umgefrembelt morben"
40 VJ nicfyt gebrückte 2lntritt^rebe ^anbelt bon bem erftcn Verfua) einer miffenfdjaftlic^en
2lu§legung3funft (S^oniug) unb ben legten bemeriengmerten 2tu^erungen barüber, nämlic^
ben Drjorber „Essays and Reviews", um mit 2IuffteHung ber eigenen e£egetifcf)en ©runb=
fä|e ju fc^Iie|en. @r bdennt ficb,, afö in 2lnIeB,nung an feine großen Seigrer Sßiner,
5Riebner, SReanber ju ben mict)tigften in bem ©ffab. über ©jegefe au^gefbrodjenen ©e=
45 fe^en. —
©an! bem nun gewonnenen feften Voben lonnte ber ogjä^rige enblia) auf greier§=
fü^en geb,en. @r bermäb,tte fio) am 8. ©ebtember 1863 mit 2lnna, Softer be§ Verlag^
butt)^änbler^ Dr. ph. h. c. Job,, griebr. grommann gu Jena (bgt. J. %. grommann,
©a§ gr. $au§ unb feine greunbe", 3. 21., Stuttgart 1889, I— XXXII). Von ü)ren
50 bier linbern ftarben jmei ©öfyne unb eine Softer gleich nad) ber ©eburt.
Seiber ift V.§ toiffenfcfiaftlic^e fcb.riftfteaerifc^e Arbeit mit bem Übergang nac| 3ßien
faft ganj abgeftf;Ioffen, infolge äußerer unb berfönlidjer Ver^ältniffe, bieüeidjt aua) beg
3Sunfcb,eg ber bamaligen Regierung, bie broteftantifo;en galultiften mögltcr;ft im Verborge=
nen ju galten.
55 3lu|er ben Strtüeln für V3l@ berfafete er nur nod) ben ejegetifrf;en 3luffa| in
S^©t^ unb bie Heine tejt!ritifd;e Vergleic^gftubie jur Vorgängerin ber Vulgata auf
©runb eines ©icfelfcfyen §unbeS ju ©t. Vaul im JMmtner £abanttb,ale (im 3Raa)Ia^
fanben ficb, Vorarbeiten ju einer Ve^anblung ber Vegriffe dixaiog, dixaioovvt] unb dt-
xaiovv).
eo 2lber aufy bie Kollegien befriebigten tyn nicfyt bura;aug. ©agegen erwarb er ficb, Verbienfte
i?ofld 727
um Vertretung ber gaMtät. gunäcbjt in 93e^ug auf ifyrc ©inuerleibung in bie Uniberfttät.
3lux mit SBe^mut — um nicfyt ju fagen ©bott unb Erbitterung — fann man feine
barauf gielenbert Briefe unb geitunggartiM burdjblättew, i)on feinen llnterrebungen mit
2lbgeorbneten, feinen 3tubienjen bei SRiniftem lefen — er bermerft befonberS ben un=
freunblicr)en ©mbfang bei bem broteftanttfcfyen SERinifter^räfibenten (unb Sanbämann) ©raf 5
23euft — , roenn man erwägt, bajj alles berlorene SiebeSmüfye mar, ganj äljmlid) tüte bie
heutigen bermanbten 23eftrebungen, ein SJienfcfyenatter fbäter. SDer öfterreicbjfcfye ©taat ift
eben nocb. immer nicfyt fo meit gereift, um feinen, freiliefe, an $ai>lf aber nid)t an $ultur=
Iraft, geringen ©bangelifcfyen ju gemäßen, roa§ p Sonn, VreSlau, Tübingen, Strasburg
in jroei tljeologifcfjen gaMtäten innerhalb berfelben Uniberfttäten als ganj erträglich bcr=io
mirllicbt ift. Sie ©egnerfdjaft ging 3. %. bon liberalen, fogar broteftantifeljen Sonnten
aus, bie am liebften jebe tr;eologifct)e gafultät auSgemtefen Ratten, eine bobtoelte entfepieben
berabfcb,euten, aueb „bamit niefei gelegentlich £>erobe§ unb ^ßtlatuS greunbe mürben". 2lm
ftärfften ift unb bleibt bie fleritale geinbfct)aft. 3Rod) immer burfte ber gürfterjbifcfyof
bon Söien bie müfyfamften Vorbereitungen mit einem ©riff gu nickte machen, bie $urie 15
bem ©erecfytigfeitggefübj ber 33eb. örben unb 2lbgeorbneten, bem ©ntgegenlommen ber Uni=
berfitätgfoEegen ib,r ,,non possumus" entgegenfebjeubern. Siefer 9Jcif$erfoIg erfdjmerte
e§ 33. nocb, mefyr, fiel; in 3Bien einzuleben; baju feine 33ereinfamung innerhalb ber
gafultät, ba§ menig entmicfelte fircbjicfye Seben, ba3 genuftfrofye SBiener 33Iut; bab,er
bemarb er fieb, nocb, bor Slblauf be§ jur Venfion§berecf/ttgung nötigen ^ab,rje^ntä um 20
eine Vrebigerftelle in tyna, oljme ©rfolg. Safe er bann 1876 an erfter ©teile bon ber
ßöniggberger gaMtät borgefefeiagen mar, erfuhr er fbäter ganj zufällig. 2ll€ 2tbgeorb=
neter ber gafultät ging er jur Uniberfität3jubelfeier nacb, 33onn (1868), mo er bei £>unbe3=
feigen moljmte. gerner entfanbte fie il)n, ba§ bieljäfmge 9Jtttglieb ber fircfjlicfyen
©emeinbebertretung, beS ^ßreSbbtertumg unb ©cfyuIborftanbeS, auf bie beiben ©eneral= 25
fbnoben 1871 unb 1877. Saburcb. mürbe er groölf ^afyre SJtttglieb, babon fecf/3 ^a^re
Dbmann be§ ©bnobalauofcfmffeg, melier legerer bie Aufträge ber ©fynobe aufzuführen
I)at unb einen 23eirat für ben f. I. Dberfircfyenrat bilbet.
$n biefer lirdjlicfyen ©fejenftellung nafym 33. teil an ben §ulbigung§=2lborbnungen
ju bem geft ber ©ilberfyocfyzett be§ ®aiferbaare§ (1879), ber 33ermäbJUmg be§ Kronprinzen 30
(9M 1881), ber lOOjäbjigen Erinnerung bei 5loIeranjbatente§ (Dftober 1881).
Sie 9teib,e be§ Sefanatg traf tr)n jur geier be§ 50jäb,rigen 33efteb,en§ ber galultät
(1871), anlä^Iicb beren er 9iegierung§rat tourbe, toie er bei jener be3 'Joleranzbatenteg
ben Drben ber ©ifernen ^rone (3. ®l.) erhielt. @r machte bon bem bamal§ nocb. giltigen
33orred)t ©ebrauet;, infolge biefer Slu^etcfjnung ftc^ ben 3titterftanb, bon §rommann§b,aufen, 3.3
beriefen gu laffen, mobei bie 9tücfficr;t mitmirlte, auc^ in ber ebang. gamilie 33. ben 2tbel
bertreten ju roiffen, roie in bem fatfyolifcfyen ^toetg. greilieb, gefteb,t ber ©eabelte: „^cb,
f)aU gar menig 5RefbeIt bor ben 2lbeIgbibIomen ; tefe, merbe bafür immer um 9?acb,ficb,t
bitten muffen; icb, bin ber 3Jceb,rb,eit nachgelaufen"
@rft in ber legten geit (1887—90) mar er 33orfi^enber ber Vrüfung§lommiffton m
für ebang. Geologen, ber meift nacb. bem 2lmt3alter ber fämtlicb.en barin bertretenen
Vrofefforen gemä^lt mirb. —
Sie grbfjte ©enugtb,uung gemährte ir)m bie braltifcb.e fircb,licb,e SLb,ätig!eit. Surcf)
einen englifcb.en ©eiftlicjien angeregt, mtbmete er fic^ ben SBerlen ber inneren 3Riffion.
3uerft beteiligte er fiel) an ber in Sßien immer befonberS erfolglofen ^ubenmiffion, 45
bann leitete er bie bon feiner grau im Sutfyerjubeljarjr (1883) in feiner 2Bol)nung ge=
grünoete ©onntagifc^ule in ©rubben, ma§ er mit ber 33orbereitung ber Reifer alg feine
liebfte 33efc^äftigung bezeichnete.
Sa§ mar bolitifc^ ober bolijeilicb, nicb,t ob,ne ©efab,r; einem feiner 3Sorgänger in
biefer Siebelarbeit mar bie ©cfyule mieber^olt gefcb, loffen morben megen ©c^riftenberteilung 50
an fatfyolifdje ^inber; bann mar jebe§malige @rlaubnigeinb,olung bon ber Volijei unb
Stufficfyt buxfy einen 3Sacb,mann berfügt morben.
gerner mar 33. jeitmeife Dbmann bei nieberöfterreicbjfcfyett ^meigbereinö ber ©uftab
Slbolfftiftung unb ermarb fitt) mefentlicbe 33erbienfte bei ber ©rünbung be§ ©uftab 2lboIf=
grauenbereing unb ber ©infüfyrung ber Siafoniffen, obmob,! er juerft Ie|tere in 2Bien 55
niebt für nötig angefeb.en b,atte. ©0 marnte er aueb. bor einfacher Übertragung ber ©tabt=
miffion; bann b,at er boef) eine ftattücfye ©umme für fie geftiftet, bie aber noct) feinen
33oben gefaxt ^at.
^n folgern SBirlen bot fieb, häufig miEIommene ©elegenfyeit ju Slnfbraa^en, beren
fic^) manche im 5Raa)Ia| fanben. „2Benn icb öffentlich reben barf, freue icb, mtd) immer, eo
728 SBogel «ogtljcrr
%<$ glaube, bafj bartn olme grofje ÜJlülje Don mir etroa<§ geleiftet toerben Jönne" ®a=
neben bie Silage : „SJIetne 2lnfbracben finb nüchtern unb fcfymucflog, nur burcb, einen Ieb=
Ijiaften Vortrag fönnen fie über 2Saffer gehalten werben, ©elefen mürben fie gar ju Iang=
to eilig fein."
5 ©ocb, Iteis er einige ^rebigten brucfen mit ber 33egrünbung: „©rabe ber Äitd)en=
fnfiorifer mirb fic^) burcb) feinen Übergang bon ber $ir$engefcbjcr;te %uv ©emeinbebrebigt
ermetfen muffen in feinem ^erjen^ufammenljiange mit ber leibenben, lebenben, fterbenben,
ftrebenben ßfiriftenb/eit". @r beftieg bie Sänket in $ena, ©reiben, Söien, Qor/anniäbab,
Sltterfee; bemunbernb Jann er bon anberer Überlegenheit im ^rebigen fyrec£)en. ©urcb,
10 feine aufjerafabemifcfye 33etf)ätigung Inü^ften ficb, manche 93erbinbung§fäben, bie il)m um
fo mertboßer, al§ er mit feinen Kollegen roentg ftimmte, unb ber t;äuglicfye 93erfet/r in
3öien fefyr gering ift. 21I<§ er tnerfyer fam, fanb er neben bem Corpus apologetarum-
Dito bie Ungarn 9to§foff, ©cfjimfo, ^mant; ; 9to3foff ift weiterhin befannt burcb, feine
„©efcfyidjte be§ Teufels" ; ©cfnmf o, ein lebenbigeg ^ombenbium, fanb über bem ©ammeln
15 bon Suchern, Slltertümem, befonberä 9Jcüngen, bie fdjliefsticb, bei ber lutfyerifcfjen ©emeinbe
§u ^refjburg einen ©tanbort fanben, leine geit jur ©ammlung unb $ux 2lbfaffung eigener
©Triften, itugmanb^ „Seb/rbucb, be§ allgemeinen unb öfterreicb,ifcb,en broteftantifcfyen $ircfyen=
rechts" ift bon bleibenbem ffißert, menn e3 aucb, einer Neubearbeitung unb (Ergänzung
bringenb bebarf . ^ugmanb. ftanb SB. tfe, eologtfcb, näb, ex ; er b, ielt bie 33aurf fy e ©dmle gar
20 für anticfyriftlicr;.
•Jttcfyt gern fab, 93. bie Berufung eine3 neuen ^enenfer§, ©. granl; ja bie beiben
entfrcmbeten ficb, je länger befto mefyr. 9Jiit SibfiuS, ber freilieb, nacb, jroei $af)ren nacb,
$iel ging, blieb bie greunbfcb,aft befreien; 93. beflagte feine Überfiebelung. 2ltlein am
engften fdjlofj ficb, 93. bem ^rofeffor für reformierte SDogmatif an, @b. 93öb,l, (5alöintfc^=
25 $ol>lbrüggefd;er Dichtung, ebenfo gelehrt al§ febroff, obroof)! er beffen 93efetirungen auf
bem ßatb/eber jur eigenen ^onfeffion fefjr übel aufnahm.
©er 93erfet;r mit $ircf)enmärtnem geigt 93. nacb, re<f)t§ aufgefebjoffener al<§ nacb, Iin!§.
©enn neben $rit$ gliebner au§ SOtabrib, bem 31. §. granefe bon 23riftoI ©eorg Füller,
bem ©ireftor ber britifef/en 93ibeIgefeHfcb,aft in SBien SRillarb sen., begegnen wir ?ßl)ilibb
30 SßtülibS au§ SReh? 9)orl, biefem Sefjrer ©anfeb3, be§ 93egleiter§ 9Jioobt)3, unb fogar bem
Qrbingianer Gairb, einem greunb unb ©laubenögenoffen bon $ßrof. ^einrieb, SLb,ierfcb„ bem
„93etter meiner grau"
^ßrof. 5]ßaulug Saffel lam toieberftolt au§ 33erlin nacb, 9Bien, um einige feiner 93or=
träge für mob,Itb,ätige 3h)ed'e ju mieberb,olen. 93. finbet, fet)r liöflicf), fid^ ju nüchtern
35 unb einfadb, angelegt für (S.§ orientalifdje, faft uni)erbaulict)e Slrt ; felbft in ben ^uben=
blättern 9Bien§ fei e^ ferner, einen lobenben Slrtilel über ib,n unterjubringen.
aSeltlicfye 93erüt)mtbeiten fehlten nicb,t; Umgang mit ©oe%3 unter ber Saft ib,re§
Nameng feufjenben @n!eln 9BaItb,er unb 9Mf, nebft ib,rer Butter Dttüie, bie eine ^eit
lang in 9Bien mob,nten; 93erüb,rung mit bem ®ict)ter Slnberfen, ber freilief) in feinen
40 5Rärcb,en angenehmer mar al§ bei $ifcb,.
©en 93erleb,r mie alle 2lrbeit mu^te 93. ficb, meift abringen. @r mar bon §aus
au§ fcb,mäcb,licb„ blatte biel ©cb,merjen p erbulben, bie aucb, fein ©eficfyt burcb,furc|ten,
unb litt faft ftetö an Schlafmangel. 9lugenfcf)mäc^e b,inberte il)n an ftrengem ©tubium.
@r fucb,te in berfcb,iebenen 33äbern Sinberung, Ilmenau, ^ara^b, 93or!um; er träumt
45 einmal bon ber 2lu3ficf)t, ganj gefunb ju toerben; bielmel;r blieb faum ein Drgan ber=
fcb,ont; fcb,Iie|licb, trat jum ©teinleiben 93Iafen!rebg mit entfe|Iicb,en Dualen, ber aucb,
burcb, Operationen nur eine lurje 3eit aufgehalten mürbe. (Srbaulicb, ift ber SebenSfatte
unter feinen £iebling§Iiebern entfcb,lafen. ©iefer leibboEe ^uftanb ift mob,I in 2lnfd)lag
ju bringen, um nicb,t ungerecht ju urteilen. Mn 2Bunber, ba§ ber ©ulber fo unruhig,
so oft äufeerft reizbar, unmirfcb, unb fjeftig mar unb ficb, ju 9Sorten unb ©cb,ritten b,inrei|en
lie^, bie ib,n f)interb,er bauerten, unb bie er mieber gut ju machen ftrebte. Um fo mob,l=
tb,uenber mutet feine 93efcb,eibenb,eit, ja ©emut unb b,erbe ©elbftlritif an. ©ie ^enntniö
unb 93eb,erjigung biefer lörberlid;en unb feelifc^en ^uftänbe blatte tool;! auef) „feine geinbe
mit tl)m au§geföl;nt." ©eorg fioeftfje.
55 SSogtlierr, 9came groeier um bie Deformation berbienter 93rüber. —
Sitteratur: Qu 1. S£>r. §r. 3aco6t, (SJefctiicfjte ber ©tabt unb beS ehemaligen ©tiftä geuc^t=
mangen, 1833; St. ©tei^ele, S)a§ StStum ?lug§burg (1872), 33b III @. 381 ff.; ©tefel im
44. 3afjre§6erict)te be§ f)iftorifd)en SSereinä für TOttelf raufen (1892), Beitrag j. sReformatton§=
gefcf)icf)te oon 3eu(i)twangen ; Ä. @d)ornbaum, Stellung beS 5Karfgrafen Äaftmir o. S3ranben=
SSogt^crr 729
bürg j. reformat. S3ewegung (Nürnberg 1900) inäbef. @. 89, 218 3(nm. 249, 222 ?(nm. 270,
u. o. — 8U -• 9?ittelmetoer, Sie evmngeltfcfjen Strdjenlieberbidjter be§ ßtfaffe§ <5. 26 f.
(3eno 1855); ©oebefe, ©rvmbrifj jttr ©efcfjtcrjte bev beutfdjen ®td)tung (1862), 33b IF
©. 157, 173, 369 u. 1161; ^affatiant, Le Peintre-Graveur (1862), S3b III ©.285 f., 344 ff.;
Magier, föeueö allgemeines S'ünftIer=Sejifon, 83b 20 ©. 501; tarl ©cfjorbad) in ber „2111= 5
gemeinen beutfcfjen 33iograpfjie" 33b 40 @. 192f.; £). Kiemen in 83b VI ©. 274 unb 33b VII
©. 139 ber „S3ettr(ige j. Bauer. Sirdjengefcfjicfjte" — Soweit bie in ben folgenben S3tograpIjten
enthaltenen Säten au§ ber Sitteratur nid)t erftdjtlid) finb, finb fte alten g-amilienfiammbäumen
entnommen. 93gf. ju 1 unb 2 nocb ftr. SSogtt»err, ©efd)id)te b. gamitie 33ogtf)err im Stdjte
be* SMturleBenS, 2. Auflage mit 3Ibbilbungen (9(n§bad) 1908), ©. 23—43 'imb 60—82. 10
1. ®er ältere ber beiben 33rüber, ©eorg SSogt^err, mürbe am 11. 9Jcärg 1487
ju ©cb>äbifcr;=§au' als ©or)n beS ©cfmitt=, 2öunb= unb 2tugenargteS $onrab 23ogtf)err
geboren. @r rotbmete fxd^> bem ©tubium ber Geologie, war aber aud) mit anberen
3Biffenfct>aftert grünbltc^ bertraut. 1517 Würbe er 23tiartuS an bem alten Hou'egiatftifte
ju geucfytmangen in SRittelfranlen. 31I§ im %at)xe 1525 infolge beS 23auemfriegeS, ber is
befonberS in ber Däl)e bon geucfytWangen wütete, bie fämtltd^en -JRitglieber beS ©tifteS aus ber
©tabt geflogen Waren, blieb 23. allein %uxM unb brebigie unter großem Zulaufe unb mit
nachhaltigem ©rfolge bie Set)re beS ©bangeliumS. ^teWegen im ©ommer ober £erbfte 1526
auf ^Betreiben beS Kapitels ju §eud)ttoangen feiner ^ßfrünbe entfeist, mufjte er fid) burcf)
§anbarbeiten unb bie ©efcfyäfte eines DotarS müfyfam ernähren. 2llS SRarfgraf ©eorg 2u
ber fromme im ^afyre 1528 in feinen gürftentümern 23ranbenburg=2InSbadj> unb 23ranben=
burg^ulmbacfy bie Deformation einführte, Würbe bem ©eorg 23. fofort auf IanbeSfürft=
liefen 23efer/I bie ©teile eines ©tiftSprebigerS in $eu$tWangen berliefyen. 1535 Würbe
er alibann jum Dacfyfolger feines ©cl)WagerS, beS nact) SBeinSberg in SfBürttemberg be=
rufenen ©tabtyfarrerS unb erften ebangelifcljen ©uberattenbenten gu geucfytwangen 25
9Jt. 3>oI)ann ©eiling, ernannt, $n biefer ©teffung ftarb er am 18. Januar 1539.
2Iufjer feinem 23erbtenfte um bie 23erbreitung ber ebangelifcfyen Ser/re ift bon ü)m ganj
befonberS fein auftreten gu ©unften ber fürfiltcfyen Slutorttät Wäfyrenb beS 23auemfriegeS
im $ar;re 1525 p rühmen.
2. §einri<| 23ogtb>rr, ber jüngere 33ruber beS 2Sorgenannten, jum llnterfdjiebe 30
bon feinem gleichnamigen ©ofme in ber ^urtftgefct)icr)te „ber Stltere" jubenannt, rourbe
1490 gu ©cr)toäbifd)=,£att geboren. @r War einer ber erften ^ünftler, meiere i£?re Slunft
in ben SDienft ber Deformation freuten, ©eit bem $ar)re 1522 treffen mir itm als 9Mer
in ÜBim^fen am Declar, roo er unter bem ^3feubonr;m §enricu§ ©atra^itanug Victor 1523
jtoei @rbauung§traftate unb 1524 eine glugfc^rift beröffentlicfyte, bie fämtlic^ feinen ent= 35
Rieben ebangelifcb^en ©tanb^unft erfennen laffen; bie glugfo^rift inSbefonbere rietet fict)
gegen rebolutionäre llnterftrömungen innerhalb be§ beutfct;en ^3roteftantiSmuS. ^n
3öim))fen bietete er auc^ 1524 fein erfteS befannteS Sieb, betitelt „iin 9ceüro ©bangelifcr;
lieb au$ ber fd)rtfft gebogen" in bem tb^on „2tuj$ hartem roee !(agt fia) ain fyelb", baS
mit ben SBorten anhebt: „2123| treffet not fester; ict) ju bir: ©ott, roölft bic^ mein er= 40
barmen!"
Dacfjbem §einrtd^ 23ogt^>err 1525 feinen 2öol)nftt5 nac^ Strasburg i. ©. berlegt
r)atte, bietete er in ben Sauren 1525, 1526 unb 1527 noc^bier roeitere ^ira)enlieber, nämltct;
^oetifc^e 23earbeitungen bei 71., 73. unb 139. SßfalmS foroie „(Sin neutoeS ©uangelifa)
Sieb in aüem creurj ^ei3em ©tiftenn gan^ troftttdt), 3(u^ göttlicher fc^rifft gebogen" 45
Sie ^irdjenlieber 23J fanben Slufnab^me in bem „©trafjburger ^ircfjenampt" bon 1525
foroie in tyäteren ©traPurger ©efangbücb^ern bis 1709, in einer 1537 wafyrfcfyetnlicr; bon
3ioacr;im 2lberlin bon ©ermenfdjwiler herausgegebenen 23falmenfammlung, im lllmer ©efang=
büc^Iein bon 1529, im ^onftanjer ©efangbud) bon 1540, in ben GoImarifd)en ©efang=
büc^ern bon 1709—1780, im SSJceininger ©efangbuc^e, enbltcr; im Sftariafirdjer 33crg= 50
bud^ bon 1745. ©amtliche fünf Sieber 23.S finb abgebrueft bei 2Bac!ernagel, ©efd)icr;te
beS beutfttjen ^ircb^enliebeS bon ben älteften geton bis gum anfange beS 17. %ai)T--
^unbertS, 33b III Dr. 556 ff. (©. 504—509). IIS baS fünfte bon itynen, baS auc^>
^eute noct; aße 23erücffidE)tigung berbienen bürfte, roirb roo^I „2tuS tiefer Dot fd)rei xd)
gu bir" anjufe{>en fein. »5
23om Sa^re 1527 an berftummte bie 3)cufe §. 23.S auf lange $eit IiinauS; bafür
t)at i|n bon ba an feine fünftlerifcb^e ^b^ätigleit, bie fid) im ^olgfc^nitte glänjenb beroäb^rte
unb fict) gleichfalls borroiegenb auf religiöfem, bejro. ftrdjltdjem ©ebiete beroegte, um fo
mefir in SXnfbrua) genommen. ©0 finb ifym, roie baS auf bem ^itelblatte befinblt*c
SRonogramm beS J^ünftlerS ergiebt, jroeifelloS bie 23ilber gujufdjretben, tueldjc baS 1527 &>
bei ©rüninger in Strasburg erfdE)ienenc „Deuc ^eftament", herausgegeben bureb, ^afob
730 SBogtljerr SBoW
Geringer Sebtt, fotoie baS 1529 big 1532 ju ©trafeburg bei SB. ßoepibtyl unb in 35urlact)
erfd)ienene „2llte ^eftament" in ber überfe^ung Dr. Waxtm SutfyerS fdjmücfen. 33on
religiöfen Silbern ift nodj ein (Singelblatt „^efuS ber ©rlöfer", bann ein §oIjfc§mtt „25ie
33erfudjmng ber kleinmütigen", erftereS nocjj) auS ber Söimfcfener geit, erhalten.
5 Unbebmgt baS erfolgreiche, jebocf; rein toeltlidje 2ßer! bon §. 33. ift baS 1538 ge=
metnfcfyaftlicr) mit feinem ©ofme herausgegebene „^unftbücfylein", toelcfyeS bis jum ^a^re
1610 eine bleibe bon Auflagen erlebte unb auct) mit franjöftfc^em unb ftoanifdjem Xitel
erfcbjen.
©ett 1536 im Seftije einer ©trafjburger 33ua)brucferei, brudfte 33., ber aud) ein ge=
10 toanbter Slugenarjt war, namentltd) Sucher mebijinifcb,en Qn^altS. geboct; trat er im
$al)re 1539 nochmals mit einer geiftlicfyen 35id)tung I)erbor, unb gtoar mit einem „ßb,rift=
liefen Sofjbud) nacb, orbnung eines 2ltyr)abet§", toeld)eS für) im ©egenfa^e gu ben bon
Italien nad; 35eutfct;lanb ^erübergefommenen toeltlicf/en £ooSbüd)em als baS erfte geift =
lid^e SoSbucb, barfteßt. 25aS in Werfen »erfaßte unb mit fyübfcfyen Sftanbleiften unb
15 Initialen bon ber £>anb 33.S auSgeftattete 23ud), toelcfyeS aus gtoei leiten, einem flehten
unb einem großen §lfyf;abetf), letzteres mit längeren 33erfen, befielt, toiß bie früheren
„fcfyimpfüdjen" SoSbüdjIetn burd) ein b,ei!fameS erfeijen unb einen ©biegel beS djriftlidjen
SebenS geben.
$m $af)re 1550 tourbe §. 33. bon $aifer $arl V als Hofmaler unb §ofaugenarjt
20 nacb, Sßien Berufen, eine Stellung, bie fpäter aud) feinem gleichnamigen berühmten ©ob,ne
ju teil tourbe. ©ort ftarb er im $ab,re 1556. ©ein Sßafylfbrucb, lautete: Soli Deo
gloria — Audentes Fortuna juvat.
Über bie fünftlerifdje Xfyätigfeit ^einrieb; 33.S urteilt 35. 6. bon Süijoto in feiner
„©efcfytdjiie beS beutfdjen $upferftid;eS unb ^olgfdjnitteS" (33erlin 1891) folgenbermafeen:
25 ,,^n ber $erfon ^einrieb, 33ogtf/errS beS älteren greift bie SlugSburger ©cfyule mit ifyrem
lebensfrohen SiealiSmuS noeb, einmal in bie ©trajjburger 33ucb,ißuftration ein. ©eine
^oljfcrmitte ju bem 1527 bei ©rüninger erfdrienenen „Neuen Xeftament" finb gang er=
füllt bon ber bilberreicfyen ©rgäfyhmgSfunft ber 33urgfmairfcf/en ©djmle. SBeite Sanb=
fd)aften, bon ftarJ erf)öf;tem ©tanbbunfte angefdjaut, unb ftolge, im Nenaiffancegefcfymacf
30 befyanbelte 2tra)itefturen bilben bie ©cfyaublätje ber toie ^ßaffionSbramen fid) enttoicfelnben
©genen" Dr. gnebriclj SBogt^err.
33ol<f, 9BiIb,elm, ^Srofeffor ber Geologie in 35orbat, ©reifStoalb unb Noftocf,
geft. 1904. — ßitteratur: £um ©ebäditniö an $rof. Dr. 5). 3Bilfj. SBoicf, Seidig 1904.
SSilfyelm 33oIcf, too£)I ber entfdnebenfte aßet ©cb,üler §ofmannS, §aubtbertreter
35 ber fog. (Manger (b^tlSgefdjicfytlidjen) ©ctmle, tourbe geboren 18. Nobember 1835 in
Nürnberg, ©ein 33ater StnbreaS 33., ^nb,aber einer @fftgfabril, ein SRann bon eb^ren;
feftem S^arafter, auSgefbrocfyen ürc^Iicfjer ©efinnung, ftreng gegen fieb, unb bie ©einigen,
ftanb Söilb,. £öbe na^e, ben er jum Xauftoaten feines ©o|neS ertoä^Ite. @r toar eS
aueb,, ber feinen ©ob,n nacb, 33eenbigung feiner ©innnafialftubien auf bem Slgibieng^mnafium
40 in Nürnberg jum ©tubium ber Geologie beftimmte, toietoof)! beffen Neigungen mel)r auf
bem ©ebiete ber ^pfnlologte lagen. 2luf ber Uniberfität ©rlangen jog 33. bor aEem ber
^ßfjilologe 9?ägeISbad; an mit feiner Stuffaffung ber Slntile als praeparatio evangelii;
religiös trat er bor anbern unter ben ©influfe bon SfyomafiuS; für fein ftoätereS %afy
ftubium bot tb,m bie toicfytigften 2lnregungen granj ®elt|fd), toäfjrenb £>ofmann erft nad;
45 ber eigentlichen ©tubienjeit auf 33. entfeb^etbenben ©influfj getoann. Waty 2lblegung beS
1. tfyeologtfdjen ©jamenS in 3lnSbad; 1857 toar 33. lurje ßeit 33ifar bei feinem Taufpaten £öb,e,
bejog bann auf ©runb eines föniglicfyen unb eines Nürnberger ©tibenbiumS noefy bie Uni=
berfität Seibjig, bor allem um unter gleifdjerS Anleitung orientaliftifd;e ©tubien gu be=
treiben. (Sine grueb^t berfelben toar bie SDiffertation: Calendarium Syriacum auetore
50 Cazwinio. Lipsiae 1859, mit toelcfyer 33. 1859 in Erlangen jum Dr. phil. ^romo=
bierte. ©ie bietet ben Sibfc^nitt aus ber $oSmograbb> beS Sfajtoini, ber über bie geft*
tage ber ct)rtftltct)en ©^rer b^anbelt, im arabifeb^en Xejt mit lateintfdjer Überfe^ung unb
2Xnmerfungen. Nacb^bem 33. bann noeb. einige ^eit in ©rlangen Slbjunlt unb 33ertoefer
an ber Neuftäbter £irä> getoefen, habilitierte er fieb. 1860 in ber tfyeologtfdjen galultät
55 in ©rlangen mit einer ©cfyrift über 35t 32 (Mosis canticum cygneum denuo illu-
stratum 1861). ^n biefelbe gett (1861) fällt feine 33erlobung mit STRalcben ©cb,mib,
Xod}ter beS befannten Äird;enl)iftori!erS. ©d)on 1862 jebod) tourbe 33. als 35ojent, b. i.
au^erorbent!id)er ^ßrofeffor, nad) 35orbat berufen, ein $afyr fbäter tourbe er orbentlic^er
^rofeffor, 1871 D. theol. h. c. bon ©rlangen. 33erb,ältniSmä^ig arm an äußeren @r=
SSolct 731
eigniffen, aber reid^> gefegnet nacb, innen, mar 3S.g Söjäfyrige 2ßirffamteit an ber UnU
berfität ©orbat bon großer 33ebeutung für bie liblänbifdje lutfyerifdfye ^ird^e in tfyeo=
logifcfyer h)ie ItrdEjIid^er £>tnftcfyt, ja für baS ebangelifcfye Seutfcfytum in Siblanb überhaupt.
Surcb, feine afabemifcfye mic braltifcfy=ftrcf;licf)e SLptigleit, burdj ^5rebigten, Vorträge unb
Mitarbeit an ben lutfyerifdjen ©tmoben ber liblänbifdjen SanbeSftrcbe, burcb, ©rünbung 5
eines berufenen ©fymnaftumS, burcb, ben berfönlicfyen ©influß auf eine gange ©eneration
liblänbifcfyer ^aftoren I)at 35. ^afyre b/inburd; fegenSreicb, im ©inne beutfcfy=ebangelifd)en
ßljiriftentumS in Siblanb gemirlt; in ber ^ßeriobe ber 9tufftfijierung ber Uniberfttät mar
eS fein mannhaftes ©intreten für Erhaltung beutfcljer 2Jrt unb feine cr)arafterbolIe ?ßerfbn=
licbjeit, bie bieten einen §alt boten gegenüber biefen 23efirebungen. iu
Sieben feinen tfyeologifcfyen Jfyatte 23. aueb, 23orIefungen über femttifcfye Ätiologie ju
galten. 23on ber $ortfe$ung feiner orientaliftifcfyen ©tubien, benen er zeitlebens mit be=
fonberer Siebe anfing, jeugen bie SluSgaben bon Ibn Mäliks Lämiyat al af'äl mit
23abrabbinS üommentar, 1864/66, unb feine SSJiitarbeit an ber geitfcfyrift ber beutfdjen
morgenlänbifcljen ©efeEfcfyaft. 3n oer flehten ^rogrammfcfyrift : Vindiciae Danielicae, 15
SDorb. 1866, fucfyte er bie Priorität SDamelS bor ©aefjarja ju bemeifen (bie Priorität
bon ©a 7—9 bor ©aö^arja I)at 23. bis jule|t feftgefyalten). (Sngen 2Infd)Iuß an bie
$ofition b. ^ofmannS geigte 23. in feiner 23erteibigung beS 6t)iliaSmuS, fomof)! in etlichen
2lrtifeln ber Sorbater ßeitfcbjift (VII, 153 ff., IX, 142 ff.), als in ber bor allem gegen
$eil gerichteten ©ctjrift: „15er ßfyiliaSmuS feiner neueften 23efämbfung gegenüber", 20
SDorb. 1869. 2BäIj>renb $eil bie §eibenfirc£)e gerabegu an ^SraelS ©teile treten läßt, roiH
23. bie ©onberfteßung unb $rärogatibe ^SraelS als beS erwählten 23oIfeS aueb, für bie
neuteftamentltcfye $eit gemab/rt roiffen, nimmt eine einfüge SBefebjung unb 2Bieberr)erfteKung
^SraelS im 1)1. Sanbe, ferner eine gett ber S^etc^Sr/errlicbfeit ber ©emeinbe auf ©rben
nacb, ber ^arufte ßfyrifti unb bor ber ©nbboUenbung an. 2IuS ber nämlichen geit ift noeb, 25
bie ©cbjtft: de summa carminis Jobi sententia, SDorb. 1869, ju nennen, hierauf
folgt bie eingeljenbe Unterfudjung : ®er ©egen SERofeS, 35t $ab. 33, unterfucfyt unb auS=
gelegt, @rl. 1873. 23. berteibigt Ijier aufs entfcbjebenfte bie mofaifcfye 2tutl)entie unb bie
Integrität beS gangen SlbfcfmittS gegenüber ber bamaligen fritifcfyen 23eftreitung. 2luS
ber nämlichen geit fa noeb, bie 9iebe „über bie 23ebeutung ber femittfdjen spfyilologie für 30
bie altteftamentlicfye ©jegefe", 25orb. 1874, ermähnt. Sem ©ebäcfytniS feines SefyrerS mar
gelbibmet bie ©cb/rift: $ur Erinnerung an 3. ©f)r. $. b. §ofmann, @rl. 1878. 9tacb,
längerer Unterbrechung folgen nunmehr eine 3fteib^e berfcbjebenartiger Veröffentlichungen:
2)ie geftrebe über ben 6I)arafter ber femitifcb,en SSöIIer unb tb,re ©teöung in ber 2Öelt=
unb Multurgefc^icb.te, SDorb. 1884; de nonnullis locis V. Test, ad sacrificia spec- £5
tantibus, ©or^t. 1884; ^nmieroeit ift berSibel QrrtumSlofigleitgugufc^reiben? 25orb. 1885;
Sie 23ibel als ßanon, 1885; 3ur Se^re ^n ^er ^eiligen ©cb.rift, ®orb. 1885; SDie
^ßrebigt: bie rechte geier beS SibelfeftS, ®orb. 1886. 35ie ©cl)rift über bie S^"1"^
lofigleit ber 23ibel rief, tbiewob,! fie einen äufjerft gemäßigten bietätboHen ©tanbbunft ber=
tritt, in ber baltifcfyett Äircb,e, too bie ^ß^ilibtoifc^en 2lnfcb,auungen noeb, borb^errfd^ten, gro|e 40
^Bewegung b^erbor. 2)en Singriffen gegen 23. gegenüber erflärte fieb, jebod^) bie gafultät
mit ib^m folibarifcb,. 2ßenn auc^ biefer ©treit um bie t;l. ©cb.rift bamalS ntci)t ju einem
befinitiben 2lbfd^)lu| !am, fo mar er boef) für bie SBeiterbilbung ber 2lnfcb,auungen ber
liblänbifcfyen ^ireb^e bon großer 23ebeutung. Ttit ben in biefem 3uf«mmenb,ang beb,an=
belten Problemen beschäftigt fieb, aueb, 23.S Beitrag ju 3°^erg C»000^^ : ©ie Seb^re 45
bom ©cfyriftganjen. 9Jcit Dttli gufammen erflärte 23. in ©trad=3ö^er§ Jurjgefaßtem
Kommentar bie boetifd^en §agiograbb,en 1889; ebenfo lieferte er burefy mehrere Auflagen
l;inburcb. bie Neubearbeitung beS ©efeniuSfcfyen SejifonS jum %%. SlbermalS mit bem
©egen TOofeS befc^äftigt ft$ fein Beitrag §ur geftfcb;rift für 21. b. Dttingen, 1898 (£ur
(Srllärung beS mofaifcf)en ©egenS); baneben finb ju nennen: 2BaS lernen mir auS ber 50
©efcfyicfjte ber 2tuSlegung ber ty. ©d>rift? ^urj. 1894; forate bie Vorträge: £>er SReffiaS
im <ä%, unb: S5er 'iEob unb bie gortbauer nacb. bem SEobe nacb, ber Sefyre beS 21STS.
©eine intime Stellung ju §ofmann bezeugte 23. bor allem bureb, bie Verausgabe bon
2Berfen unb 23orIefungen feines SebjerS : 23iblifcbe §ermeneuti! ; ^ufammenfaffenbe Unter=
fucb,ung ber neuteftamentlicfyen ©Triften ; 23iblifd)e ©efd)ict)te; 33tbltfct>e S^eologie beS 55
vJiis; enblict) ber tb,eoIogifcf)en 23riefe ber ^rofefforen 35eli|ifcb, unb b. £>ofmann, 1890/94.
Sie grage nacb, ber Stellung unb 23ebeutung ber b,l. ©cb,rift fyat si<. aua) toeiterbin nod^
mebrfacb beb,anbelt, fo bor allem in feiner ©cfyrift „^eilige ©cb,rift unb ^ritü", (Srlangen
unb Seibjig 1897, auS 2luffä^en ber „9?euen ürd^licljen ^eitfcfirift" ertoacb,fen, fomie in
bem 23ortrag: (Sfjrifti unb ber 2lboftel ©tellung jum 3l£, Seidig 1900. 2luS bem eo
732 33oltf
%af)X 1897 ift nod; ju nennen: SDie Urgefcbjdjte nad) ©en 1—11, Barmen 1897 $m
I^afyr 1898 mufjte 33., ber tnjroifdjen Äaif. ruffifd)er roirflidier «Staatsrat geworben unb
auc| fünft mannigfach ausgezeichnet toorben war, nad) ben UmberfitätSbeftimmungen auS
bem Sefyramt fdjeiben. Äörberlid) tüte geiftig nod) böllig rüftig nafym er gerne baS 2ln=
5 gebot einer .irjonorarbrofeffur in ©reifStoalb an, folgte jebocfy fdjon balb einem Stufe an
bie Uniberfität Sfofiod, Wo er bis ju feinem iobe in boller Kraft unb $rifd)e toteren
burfte. 23on ©ct)riften finb auS biefer legten geit nod) ju nennen: Stltteftamentltdie
£eilSgefd>id)te, überfidjtlid) bargeftellt 1902; ^um Kambf um Bibel unb Säbel, SRoftod
1903; ber Vortrag: Biblifcfyer unb moberner $effimtSmuS; nacb, feinem 2obe erfdnen
10 nocfy, bon §unginger herausgegeben: £ebenS= unb gettfragen im Sichte ber Bibel, 2öiS=
mar 1906. 9cid)t unerwähnt barf bleiben 23.S ^Jiiiarbeiterfdjaft an berfctjiebenen 3eit=
fünften, wie ber „33alttfcr)en 3DiconatSfcl)rift" unb ben „^Zeitteilungen aus ber ebangelifcfyen
Kirche ÜRufdanbS", ferner an ber „2tHg. eb.=lutf). Kirctjenzeitung" ber „^Reuen fird)licf;ert
gettfebrift", an gbm© unb an ber borliegenben ÜRealencttflotoäbte.
15 23.S Sfyarafter unb ^erfönlidjtett 30g aße, bie mit ifym in Berührung famen, un=
WtUfürlid) an. 9Jcan füllte fofort, baf$ man biefem SJcanne unbedingtes Vertrauen
fdjenfen bürfe. 2Bob/lwoIlenbe ©efinnung gegen jebermann, aufobfernbe ^Ereue im Beruf,
ec|te Siebe ju ber anbertrauten ftubierenben 3>u8ent>, $°fe Sluffaffung bon ben ^fltdjten
beS geiftltcfyen SlmtS, felbftlofe Eingabe an bie ©acb.e ber ebangelifdjslutfjertfdjen Kircfye
20 fieberten tfym bon 2lnfang an bie allgemeine Sichtung bei Kollegen, ^ßaftoren unb ©djmlew.
©eine warme 'Jeilnar/me am @rgeb/en anberer, reiche gefellige Talente, ein unbermüft=
lieber §umor mit leichtem fatirifd)em Slnflug berfdwfften ib/m "anfertige Beliebtheit bei
greunben unb Befannten. ©ireit ju beginnen unb unberföfynlicb, auS§ufecb,ten lag 3S.S
6f/arafter fern; aber Wo er um ber 2Bab/rfyeit Willen mufjte, beftanb er unbeugfam auf
25 ber bon ir/m als richtig erlannten ©acb/e unb lannte feine SRenfcfyenfurcfyt.
$n feiner tfyeologtfdjen Stellung blieb 23. ftcfy im Wefentlicfyen bie ganje $eit feines
SebenS gleid). Qm engften ÜKnfcblufj an §ofmann bertrat er bie fyeilSgefcfyidjtlidjie 2luf=
faffung beS 21S£S nacb, rechts rote nacb, UnlS mit gleicher ©ntfct)tebenr)ett, nacb, rechts gegen*
über einer falfdjen QnfbirationStb/eorie, nad) UnlS gegenüber bem falfd^en KrtticiSmuS.
30 ©eine ©ebunbenfyett an bie ©djrift War eine innerliche; fie War fo feft, baf? er brinjibieß
ber b/tftorifcfyen Kriitf am $1% bb'Hig freie §anb laffen fomtte. @r mar feft überzeugt,
bafj unboreingenommene gorfet/ung le^tlicl) boct) ben roefentlid;en ^n^ah ber biblifcb^en
Überlieferung beftätige. 3n fielen Stefultaten ber ^ritil erlannte er nur §t»botb^efen
eines übertriebenen ©lebticiSmuS. ^nfonberf>eit berb^ielt er fiel) ber SöeEenljiaufenfcfyen
35 3luffaffung ber iSraelitifc^en 9ceIigionSgefcb/tcb/te gegenüber burcf>auS abler)nenb. ^n feinem
33ud;e „^eilige ©cb^rift unb ^rttif" l)at er fiel) eingeb^enb mit ber 2öellf)aufenfdj)ett 2ln=
fcb,auung auSeinanbergefe^t. Set aller grei^eit im etnjelnen ftanb ib,m ber ©ang ber
§etlSgefcb;tcb,te im ©anjen nacb, ber ©cfjrift ebenfo unberrücfbar feft roie feinem Seb/rer bon
§ofmann. SDie auf ©. 194—196 beS genannten SucfteS fid) finbenben ^efen d;aral'te=
40 tifieren roob^l am beften 33.S Stellung jur ^1. ©cb^rift. ©ie tft für it)n toie für b. £>ofmann
bon Anfang bis ju @nbe ein organifcljeS ©anjeS, gufammengef/alten burd; ben einc)ett=
liefen ©ang beS beilSgefdndjtlidKn SöirfenS ©otteS, in feiner SBabjtyeit bezeugt burd; bie
SBirlung auf bie ©efcfjidjte ber d)riftlid)en Äird;e unb baS berfönlicfje religtöfe Seben beS
©laubigen. 2BaS fbejiett baS SIS anlangt, fo „brüdt ^efuS 6b,riftuS baS ©iegel ber
45 9öat;rl;eit auf bie Sfyatfacfyen, bon reellen £>ier berichtet toirb, inbem er fid) als bie @r=
füllung ber auf itm l)infüb]renben, roeiSfagenben ©efd;id}te f)iufteHt" ©o ift tb,m bie
©dmft, bie übrigens ftetS unter bem ©efidjtSbunlt ^eiliger ©cb^riftftelleret betrachtet werben
roiK, baS urlunblid;e ®cn!mal ber §eilSgefd;id)te, b. §. ber ©efd)id)te, toeld;e bie in ber
altteftamenilicfyen gtit fid} anbab^nenbe unb in ber neuteftamentltd;en ju tb^rem SMpg
so gelangte ©rlöfung unb £erftel!ung ber ©emeinfd;aft ©otteS unb ber aJtenfd^eti in ©t)rtfto
Sefu su ib^rem ^nf>alt |at. ©urd; bie entfdnebene Vertretung biefer ^been f/at 23. in
©orbat roie in Stoftod baju beigetragen, baS SßerftänbniS für gefd;id)ttid}e Betrachtung beS
2KES ju mehren unb ber ©rfenntnis Serbrettung 511 berfd;affen, ba^ bie Stutorität ber
Sibel unabhängig ift bon ben £fyeorien über ifjre Iitterarifd;e @ntfteb;ung. Übrigens b^at
55 33. allezeit ben §aubtnad;brud auf feine münblidje 3Bir!famfeit, f^ejiell bie Sorlefungen
gelegt; bureb, fie l>at er in ber X^at auf toeite Greife @tnflujß gewonnen unb ftet) bie
©anlbarleit bieter ©cb^üler gefiebert.
^Jcod} @nbe 1902 bermod)te 23. eine fditoere §er§affeItton ^u böKiger ©enefung gu
überroinben. 31IS er jeboef; Karfreitag 1904 bie Kanjel beS UniberfitätSgotteSbienfteS
60 berliefj, meinte er, er fyahe jum le^tenmal gebrebigt. ^n boCer £l>ättgfert fteb^enb, rourbe
SBoltf »oltfommenfjett 733
er an $fingften beSfcI&ert $al)res Don fd)ft>erem Unmofjlfein befallen. $n ben ©tunben
machen 33emuf5tfein<§ orbnete et mit balliger 9tuf)e feine Angelegenheiten. ,,^d) t)ätte
gerne nocb, länger getoirft", mar eines feiner legten 3Borte. Am 29. Wla'i entfcfylief er.
$n ben „Söorten ber Erinnerung jum ©ebä<^>tnt§ an ^rof. Dr. D. 3Bill)eIm 33." fyaben
feine $reunbe il)m ein fd)öne§ ©enfmal gefegt. Söficrlc. 5
2$oßfomtttenf)ett. — Sitteraturangaben f. in Semme, (Sejriftt. (Sttjtf I, ©rofe=SidE(ter=
fetbe 1905, § 58.
^ollfommenfyeit bejeicfynet auf ben berfdnebenften ©ebteten bie reine ©arftellurig ober
Ausprägung ber ^bee in ber S55irllic§!eit, bie Llbereinftimmung ber ©rfcfyeinung mit ber
biefe beluertenben Qbee ; fie fefct alfo ftetS bie erfafyrunglmäfjige 93eobad)tung bon 9JcangeI= 10
b,aftigfciten unb Annäherungen an ba§ burd) bie Urteilskraft aufgeteilte ßiel borauS unb
fddießt bie gorberung ber fyödjften Annäherung an biefeS in ficb,. Auf reUgiöä=fittItdt)em
©ebiet ift fie bie Steinzeit unb ^räftigfeit ber ©otte§gemeinfcr/aft unb beS £anbeln§,
welche bie boße Anerkennung be3 religiöfen unb fittlicfyen SewufjtfeinS finbet. ®arum ift
fubjeftib eingebilbete 33oßf ommentyett bon ber eckten, bie eS nur auf ber b,öd)ften ©tufe ber 15
Sieligion giebt, ju unterfdjeiben. $aulu3 befafs als» ^ßfyarifäer eine ^oQtommenfyeit (®a
1, 14; $f)i 3, 6), beren ^abellofigfeit ü)m bei ®ama§lu3 in krümmer ging, ©o roerben
aufjerdnüftlidje Ausprägungen ber 23oHtommenI)eit bom 6f)riftentum als minbermertig be=
urteilt. @ine auSgebilbete 33oHfommenI)eitSleIp fül)rt ber Subbt) tSmuS ; ja, als 2Jcönd)S=
religion ift ber 93ubbb,iSmuS als fold)er ein 33oß!ommenb,eit§ftanb. Aber unter bem 20
©efid)tSbunft, bafj baS bubbr/iftifdje Jjbeal gänjlicf/er ©tittefteßung beS Seelenlebens erft
allmär/lid) erreicht mirb, ftellt ficb, innerhalb beS möndjnfcfyen SMlfommenfyeitSftanbeS
mieber als befonbere Sjollfommenfyeitsfyöfye bie ©eelenrul)e berjenigen b/erauS, bie auf
Erben fdmn baS Sttrbana erreichen, b. fy. ber ArljiatS; unb in ber 33oMommenb,ett ber
ArfyatS ift mieber bie fyödjfte bie beS 33ubbl)a, in bem bie ©eelenrufye ju abfoluter Abasie 25
gefieigert ift. («Bgl. DIbenberg, 33ubbb,a 1897.) SDaS bubblnftifdje MbndjSibeal ift in
bem religiöfen ©bnfretiSmuS, ber bem EroberungSjuge AleranberS beS ©rofjen folgte,
nad) 9Befien getragen unb b,at befonberS in bem 5Rönd;Sorben ber Effener auf balä=
ftinenfifd)em 23oben unb in ben Eremitenbereinigungen ber ^fyerabeuten auf ägfybtifdjiem
33oben ©eftalt genommen, $n ber griedjüfdjen ^fyilofobr/ie I)at bie ©toa baS ^beal beS 30
tugenbfyaften SSeifen auSgebilbet, ber bie greifet bon ber SBelt in felbftgemiffer äjiä&sia
beit)äb,rt, unb in33ejug auf biefeS baS xa&fjxov, ba§ fittlidjOe^iemcnbe beS SDurctjfdjnittg,
ba§ et^ifd; Normale, ba§ nic^t bon gefd()Ioffener fütUcfyer ©efinnung getragen ju fein
brauet, unb ba§ xazÖQ&w^a, ba§ fittlid; ©ejiemenbe, ba§ fd)Iedt)terbingg fein foC, ba§
©ute im eigentlichen unb fyöcfyften ©inne, unterfd)ieben. ßicero I)at jenes in baS medium 35
commune ber gembi)nlid)en ©urd)fd;nitt§moraI, biefeS in baS perfectum rectum ber
33ortrefflid)!eit be§ Söeifen übertragen. @ine auSgebrägte SSoHfommen^eitSle^re galt im
^ubentum bermöge ber 9Tteffung be§ ©ottgetoodten am ©efe^. ^e nad; bem Sftafj ber
©efe|eSerfüKung b,at ber 9tabbini§muS 33oHIommene, Mittelmäßige unb ©eringe unter=
fd;ieben. ®a bie beiben legieren nid)t ^inreid;enbe 33erbienfte fyaben, um bie ©otteS= 40
gemeinfdjaft ju erlangen, bebürfen fie ber 3Jtittlerfd}aft ber 33ollfommenen. liefen giebt
©ott Anteil an feiner Wafyt unb §errlid?f eit ; nur burd) ib^r 93erbienft tüirb bie 2Belt
erhalten (33erctct;ot!t) 61b). Serben im allgemeinen 33ollommene unb ©eredjte gleid;gefe^t,
fo finb bod; boErommene ©ered^te biejenigen, meldte ba§ gange ©efetj erfüEen (<&<$)ab'
batb, 55a). 33oEfommenb,eit fd)liefet nicb,t ©ünblofigfeit in fid), bod} erlegen fieb, ^eilige, 45
toenn fie fünbigen, bie fd) merfte 33uße auf ; fie finb bie AuSerloäfylten unb für baS etoige
Seben 33erfiegelten, roät/renb bie gemöb,nlid;en ©ered;ten nod; fallen fönnen. (SSgl. SöeberS
Sübifdje Geologie, 2. Aufl. Seibjig 1877, ©. 291.) !ga, ben Tätern ift fogar bie ftett*
bertretenbe ©erecfytigteü überfd}üffiger Seiftungen guerfannt, aus beren <&&)a% ber 3Rangel
an ©eredjtigfeit ©rgänjung finben lann. 50
®en Übergang ber jübifcb.en Anfd;auungen in bie alte ®ird)e burd; 33ennittelung
beS ^ubend^riftentumS beleuchtet bie ßtoölfatooftelletyre (6), meiere im Unterfcf»ieb bon ber
S)urd}fd;nittSfrömmigleit bie 33oHfommenb,eit bem fragen beS ganjen ^od)S beS §errn
jufbrad). 3Benn §ermaS bie SUlorallebre ber altteftl. Abo!rt)bb^en unb $feubebigrabl)en
unbefefjen übernahm, fo mar bom 3. ^afyrfmnbert Ablehnung berfetben nid)t meb,r ?u er= 65
märten: in 6r/brian3 ©cb,rift De opere et eleemosyriis tritt ifyr ©influß ftarf b,erbor.
^nbem AmbrofiuS (SiceroS (de offieiis) abgeblaßte ftoifcfye 2Jtoral de offieiis cleri-
corum cb,rifttanifierte, übernahm er aueb, feine Unterfd)eibung beS officium medium
unb perfectum: bie 33oHfommenb,eit b,at er ob,ne t^eoretifdie J^lar^eit in Anlehnung an
734 SoEfontmcn^ctt
9JW 5, 45 ff. 19,21 gelegentlich emgefdjärft. SaS Stnfc^auungSbilb bon ber 33olIfommen=
fyeit aber Würbe bem Werbenben $atl>olictSmuS geliefert burcb, baS im 4. $afyrfyunbert
fi<4> auSbilbenbe -äJiöncfytum, Wie eS in Dftftorien unter manbäifcr)en -J?acr;Wiriungen (3lfraat)
unb namentlich in Ägbbten unter tl)erabeutifcr/en ^actjmirlungen in 2öect;felwirfung mit
5 2Ranict)äiSmuS unb -tteublatoniSmuS ©eftalt gewann. %lo<fy in ber 3eit beS ©ionbJtuS
fyiefc ber 3Röncr; aucfy SLfyerabeut (hier. eecl. 6). Söenn baS SebenSibeal beSfelben bem
fittlicfyen ©treben baS §bcbjie gtel ftecfte, baS menfcfylicb, erreichbar festen, fo bottjog 2ltr/a=
naftuS bie ©bntfyefe biefeS ^e^muS mii Der 2tüff«ffurtg bom Söefen beS 6r/riftentumS
(©rlbfung = Sßergottung bureb, ben ©ottmenfcfyen) fo, baf? er bie SSergottung in Sßir=
10 ginität unb SlSfefe Wirffam Werben fal). SJiocfyte biefe ©ebanfenberbinbung baS 2Biber=
fbrecfyenbe, bie ©rtöfung unb bie ©elbfterlöfung, miteinanber fombinieren, fo erfaßten bod)
feitbem bem 9JtorgenIanbe baS SDJöncfytum als bie 23ottfommenI)eitSform beS ßfyriftentumS.
$ft für bie morgenlänbifcfye $ird)e cfyarafteriftifcr/, bafc berfdjiebene §eilSWege nebeneinanber
^erlaufen, bie §eilSbefcr;affung ber tultif$=faframentalen |>ierarcl)ie berbunben mit fird^
15 lieber $ra£tS, bie £>eilSaneignung burd) ©rfenntmS (ber baS §anbeln entfbredjen foß) unb
ber SMtberjicfyt möndjifcfyer SlSfefe, fo ift eS S^atfacfye, bajj ber tieffte ®el)alt ber 9ieli=
giofität unb ber Iräfttgfte ©rnft ber Sftoralität, ben bie morgenIänbifct;=ortI)obor.e $ircf)e
übertäubt erzeugt r/at, auf bem Soben beS SJJbncfytumS ertoacfyfen ift.
5Dte (Energie beS abenblänbifdjen SDenfenS geftattete ein folcfyeS -Kebenemanber rtid^t.
20 Unb bod) lag im SBefen be§ mbncfyifcr/en IgbealS bie Segrünbung einer religiöS=etIjnfd)en
Slriftofratie. ®ie ©eltung beSfelben Wirb baburd) beleuchtet, bafj SluguftinS SBefefyrung
mit unter bem ©tnbruef ber ^raftleiftung ber ägt)btifd)en SlSfefe erfolgte: berfelbe, ber
9 %at)xz lang bem SRanicfyciiSmuS angehört l)atte in 33eWunberung feiner electi, objte fta)
ju il)rer ©ntfagung ergeben ju tonnen, fanb in ber $raft ber ©nabe bie $raft ju echter
25 SlSfefe (in feinem ©inne) im Unterfcf/ieb bon jener unechten, ©o biel möndnfcb/aSietifcfye
2lnfd)auungen fieb, nun aueb, bei 2tuguftin finben, fo ift er boeb, bureb, feine eöangelifc^e
©laubenSerfab/rung unb feinen ©ctmftgebraucb, baran berfyinbert, ben 33oHiommenIj)eitS=
begriff in fie aufgeben ju laffen. ®ie ^aubtfacfye War unb blieb ib^m, bafe bie 3Soß=
lommenb,eit ob,ne bie ©nabe unrealifierbar ift, unb (ba ib,m ©ünblofigfeit auf @rben al§
30 unerreichbar galt) ba^ fie tooll erft im Qwfeitg ift ; ferner, ba ib, m ba§ SBefen be§ Sb,riften=
tum§ in ber Caritas beftanb, ba^ ib,r ^ö^e^unlt in ib,rer 33oIIenbung liegt. 3luguftin§
2lnfcb,auung tritt in§ Sidjt bureb, ben ©a^ de natura et gratia 70 : Caritas inchoata
inchoata justitia est, Caritas proveeta proveeta justitia est, Caritas magna
magna justitia est, Caritas perfecta perfecta justitia est, inoju ber möncfyifcb, e $"=
35 fa£ tritt: quae tunc maxima est in hac vita, quando pro illa ipsa contemnitur
vita, unb ber entb, ufiaftifd) e : sed miror si non habet quo crescat, cum de mor-
tali excesserit vita. ©elegentlicb, (Enarr. in Ps. 132) b,at er bie ^oHfommenfyeit
boeb, au^brücHteb, in bie 33ruberfcr/aft be§ gemeinfamen SebenS Verlegt, roelcfye bie boHe
©rfüHung be^ ©efe£e£ ß^rifti bebeuten foöte. 3n *>em ^afee, ^te ba§ SJtönc^tum an
40 Ausbreitung unb ©eltung getoann, mu^te bie ^Eb,eorie fieb, natürlicb, in ©inflang mit ber
$rarj§ fe^en. ®ie t^bifcb,e 3SoKfommenb,eit§Ie^re be<S 2RitteIalter§ entroidEelte ^omaS
Slqu. in ber Summa (II, 2. qu. 184). $nbem er anfnütofte an bie fd)on au§ ber alten
föirdje überlieferte Unterfc^eibung ber ineipientes, proficientes unb perfecti, grenzte
er bie auf @rben erreichbare 33olI!ommenb,eit ah gegen bie abfolute ©otte§ unb bie ber
45 bollenbeten ©eligen: einerfeit§ fcb^lie^t jene bom menfeb, liefen Slffeft aüe§ au§, ma§ in
©egenfa| jur Caritas fteb,t, nämlicb, SLobfünbe, unb in biefer £>inficf)t ift fie b,eil§not=
menbig, anbererfeitg fcb,Iie^t fie bom menfdjlicfyen Slffelt aueb, alles aus, roa§ b,inbert, ba§
fidb, ber jeelifcfye 2lffe!t ganj ©ott gutoenbet, unb ba§ ift bie SSollfommenljeit ber Caritas
in ben ineipientes unb proficientes. ®arin ibab,rte %t)oma§ ben .ßufcunniwfymig. mit
so 2luguftin, bafj er ia§ Söefen be§ ßljriftentumS in ber Caritas fa£>, wobei nie ju bergeffen
ift, bafj auf lat^olifcb.em Soben bei ber Caritas ftetS bortoiegenb an bie Siebe ju ©Ott
gebaut Wirb. ÜJcur babureb, ift e§ ja überhaupt möglieb,, im 3Röncb,tum einen 3SoU=
Iommenb,etoftanb p finben. Stomas tou^te aber noeb,, bafe bie aSretifcfyen ©ntfagungen
unb Übungen urfbrünglicb. nur ben ©inn bon Suchtmitteln jur fittlicb,en ^öb,e Ratten.
55 @r machte barum in ber SSoßfornmenb^eit ben Unterfcf)ieb, ba| fie in ber Caritas (©otte<§=
unb Sföcbjtenliebe) beftet)e (in bem ©inne, bafj nidjtS au§ ber Caritas au§ bem prae-
ceptum hinausfällt) per se unb essentialiter, unb bafj fie seeundario unb instru-
mentalster in ben consilia befiele, inbem bie consilia fic^t auf bie (Entfernung bon
§inberniffen ber Caritas be^iefyen, Wie er fie benn beftimmt als instrumenta prove-
60 niendi ad perfectionem. ®em Saien ift alfo eine getoiffe perfectio erreichbar, ja not=
s-BoUfommeuf)eit 735
toenbig ; bie fybfyere tft aber bie, ju ber man burcfy ein spirituale augmentum gelangt,
©tele Se^re ift bei ber majjgebenben ©teUung, bie £eo XIII. Stomas eingeräumt ijat,
auftorttatib für bie ©egentoart. Unb bocb, geigt ftd^> im Röteren $atf)oltci3mu3 bie
Neigung, bie S>oHfommenl)eit auf ben status perfectionis gugufpt^en, rote fieb, beutlii)
barin befunbet, bafj bie ebangelifcfyen 9tatfcf/läge consilia perfectionis fyeifeen. 9Zacf> 5
bem Tridentinum (sess. VI, 16) ift ber ^ufttfigierte im ©tanbe, ber divina lex, freilieb,
pro hujus vitae statu, aber bocb, plene, satisfacere unb ftd) fo ba§ eroige Seben ju
berbienen; bemgemäft fagt 33eßarmin de justif. IV, 17: Caritas nostra, quamvis
comparata ad caritatem beatorum sit imperfecta, tarnen absolute perfecta dici
potest. 3n biefer 2Ibfoluil)eit ift ber 2tbftanb bon %t)oma§ augenfällig. Unb ebenfo 10
augenfällig ift tro| be<§ 2lnfd)luffe§ an Stomas bie 33eb^anblung be§ status perfectionis,
ber nicf)t befohlen, fonbern angeraten ift, als einer gegenüber ber Saienmoralität anberen
unb beeren SRoralität (Judicium de libro Conc). 2lrmut, ©rttbaltfamfett unb ©e=
Ijorfam finb iljm „bie augenfälltgften unb nüpcfyften Mittel (instrumenta) jur @r=
Werbung ber äMlommenfyeit ; benn um ©ott botlfommen %u lieben, mufj man foroor;! 10
fief; ganj ©Ott übergeben al§ alle §inberniffe entfernen; beibeS erlangen mir burefy biefe
Stugenben"
^nbem bie Deformation bon ber et^tfd^en ©runbanfdjauung au§, bafi bie ©ittlidtfeit
in Däcbjtenliebe fid) betätige, alfo ©emeinfd)afr»bejal)ung fei, ba§ roeliberneinenbe £ebeng=
ibeal berufner 3(§!efe ablehnte, beftritt fte bie Verlegung einer angeblicb, beeren 2M= 20
fommmenb^eit in Seiftungen, roeldje ba3 ^Berufsleben negieren. Conf. Aug. art. 27:
Tarn multae impiae opiniones haerent in votis : quod justificent, quod sint
perfectio christiana, quod servent consilia et praeeepta, quod habeant opera
supererogationis. — „3e|t geben fie bor, ba3 fölofterleben fei ein fold) SBefen, bafj
man ©otteS ©nabe unb grommfeit bor ©ott bamit berbiene, ja e3 fei ein ©tanb ber 25
33oÜtommenlj) eit : unb fe£en<§ anbern ©tänben, fo bon ©ott eingefe^t, roeit bor" 3m
©egenfa^ $u ber bie ßfyriftenfyeit in jroet §älften tetlenben SluffteHung eines befonberen
status perfectionis berlegte bie Deformation bie S3oIIiommeni)eit in ben Seretcb, bei
gemetndprtftltdpen ©laubenSlebenS. Conf. Aug. art. 27: Perfectio christiana est
serio timere Deum et rursus coneipere magnam fidem et confidere propter 30
Christum, quod habeamus deum placatum, petere a deo et certo exspeetare
auxilium in Omnibus rebus gerendis juxta vocationem ; interim foris diligenter
facere bona opera et servire vocationi. In his rebus est vera perfectio et
verus eultus dei, non est in coelibatu aut mendicitate aut veste sordida. ©ie
Senbenj biefer 2tu3fage Hegt in ber 2tnfd)auung, rote fie Sutljer augefbrocfyen I)at, bafj 35
bie 33oÜfommenI)ett ntdjit Sßefiij eines ©tanbeS, fonbern allen Sänften gemein fei: ifyr
©inn ift alfo mefet ber, ©ntroicMung unb ©tufenunterfdjtebe im ©laubenSleben augju=
fcfyliefjen, fonbern bie 23oHfommenl)eü bem d^riftlid^en ©lauben3= unb StebeSleben guju=
roeifen mit äluSfcfylufj einer baSfelbe überfltegenben felbftgeroäbjten §eiligleit. Art. 16:
Damnant et illos qui evangelicam perfectionem non collocant in timore dei et 40
fide, sed in deserendis civilibus offieiis, quia evangelium tradit justitiam aeter-
nam cordis. (33gl. Apol. 17, 61.) Slucb, ^JWancb^ott fyat in ber 33oHfommenfyett baS
SßadjSium bei teligiö&ftttlic&m SebenS betont (Apol. 3, 232 unb 27, 27). 2lber bie
broteftantifdjen £>ogmattfer folgten bem ^ntereffe, audj) an ber fyötfyften auf @rben erreich
baren sanetitas beren UnboHfommenI)eit einjufeb^ärfen, an ber 3Soll!ommenb,eit ber ©rbe 10
alfo gegenüber bem 33oHenbung^uftanb baS 2tnfang3roeife ju betonen. Tlit ben 33e=
ftrebungen beS ^iettSmuS fe|te bie bofitibe Senbenj auf 3MtommenI)eit ein. infolge
beffen mürben SJJänner rote 2t. §. grande bei ^erfettioniSmuS befdjmlbigt, o&ruobl fie
bie 2ef>re feftb^ielten, ba| bie SMrommenfyeit rttct)t flec!enlo§ fei. Subbeul (Instit. theol.
dogm. IV, 5) fnelt bie überlieferte Unterfcb^eibung ber perfectio partium unb per- 50
fectio graduum feft: jene fommt ben tüafyrfyaft SBiebergeborenen ju, tnfofern ifmen
ntdptg feb^lt, toa§ ben neuen SRenfcfyen I onftituiert ; biefe rann ümen bcrgletc^Siüeife in
relatiber Söeife gugefebrteben toerben mit Dücfficfyt auf bie borljanbcnen ©tufenunterfc^iebe.
©djon feit ber alten Äircb,e regte fiefy bie ©Ietd)fe|ung ber SBoöfommenfyett mit ber
©ünblofigfeit (1 ^o 1, 10). ©noftüer fc|rieben fie in gortfe^ung b!atonifcb,=ftoifcb.er Sln= 55
fdjauungen bem $neumatifer ju. 3>Di»man unb feine ©cb,üler ©armatio unb 53arbatian
^aben bie ©ünblofigfeit ber in ber ^Eaufe mit roafyrem ©lauben Söiebergeborenen gelehrt:
mer nadb, ber Saufe fünbige, fyabz nur bie Söaffertaufe, nieb^t bie ©etfteltaufe embfangen.
(Hieron. contra Jov 2. Ambr. ep. 83 ad Verc. Augustini opus imperf. contra
Julianum 1, 98.) ^m Deformation^eitalter erhoben 2lnababtiften mie ©enf u. a. ben 60
736 35oüfommcnt)ctt
Stnfprudj auf fünblofe VoIIfommenfyeit (Conf. Aug. art. 12). ©erfelbe toctr bie ftänbige
SBegleiterfdjeinung ber fett ^ieti<3mu3 unb 3JtetfyobiSmu3 einfeijenben §eiligung3beftrebungen.
(Vgl. §abom, 3)te Heiligung mit befonberer Verüdficfyttgung ber fog. §eiligung<obetoegung,
9?eufir<|en 1902.) @<S liegt aber in ber Statur ber ©acfe,e, baf? biefer Stnfprucb,, mit Je
5 meb,r ©elbftüberfyebung er praftifcb, auftritt, befto weniger fid) litterarifcb, fyerau^toagt.
©o berechtigt, ja nottoenbig bie ©teßung be§ Vegrip ber Volllommenfyeit in ber
d&rtftUd&en @t|t! auf ©runb beftimmter ©cb,riftau3fagen (9Jct 5, 48 ; Hol 3, 14) ift, fo
unjuläffig ift bie ©leidjfeijung ber üsotüommenfyeit mit ber ©ünblofigleit. ®ie ftet§ für
biefe Oertoanbten 2Iu3fagen be§ ^o^anneS (1 8° 3, 6. 9) Dom äöiebergebomen, baft er
io nidjt fünbigt, nicfyt ©ünbe tfmt, nidji fünbigen !ann, ergeben bie gorberung ber ©ünb=
lofigfeit fielet fc|on barum nicfyt, loeil berfelbe 2fyofteI bie Behauptung eigener ©ünb=
lofigfeit 1, 10 für Süge erllärt. SDarum ift aud) bie jofyanneifcfye 2lu§fd)Iief3ung be3
©ünbigenS au§ ber ©ottegünbfcfyaft fo ju Oerfteb,en, bafj ber toiebergebomen ^ßerjönlic^=
feit afö foldjer fünbige 2l!tiOität fern liegt, bajj il)r Oermöge ber gorttoir!ung ber oolq^
iä ©ünbe toiberfafyren lann unb t^atfäd^It^) tüiberfä|rt, baf? biefe letztere bann aber niajt
als mit Söiffen unb SStflen gefdjefyenbe SebemSäufjerung (als ©ünbe SLfyun) be§ ©otte^
!inbes>, fonbem ifym im SBiberfprucb, ju feinem eigenften Seben§iriebe guftofjenbe Waty
iotrfung ber irbifcb,en gletfdjegnatur gu beurteilen ift. ®te in feparatiftifdjen Greifen
gegentoärtig ioeitOerbreitete gorberung fünblofer Voll!ommenf)eit leibet an bem empfinb=
20 liefen HJiangel, bie Voülommenfyeit einfeitig negatio an bem ^icfytljeröortreten auffaltenber
Verfehlungen ju meffen unb tt)re pofttioe ®urcb,füi)rung in ber Vetoäfyrung ber Siebe gu
Oernacbjäffigen, befonberS aber an bem nod; oiel fcfylimmeren Mangel, bie ©elbftbeurtei=
lung gegen Verfehlungen gu Oerblenben, bie al§ folcb,e ntdjt anerfannt »erben bürfen,
toenn ber 2Inft>ruc| auf ©ünblofigleit burcfygefüfyrt ioerben foU. Stacb, biefer ©eite fyin
20 b,at ber VerfeftiSmuä eine getoiffe moralifdje Dberfläcfylicbjett jur regelmäßigen 33egleit=
erfcfyeinung, toogegen ba§ Umfragen in Sibertintörnn», baä ib,m oft oorgetoorfen totrb,
boeb, nur in toenigen fällen (tote bei ©noftüern, aud) bei SBiebertäufem in fünfter)
eingetreten ift.
©afs bie Voll!ommenI)eit nid^t ein allgemein dn-iftlidjeä Vräbüat ift, ba§ ben©lau=
30 benSftanb in feiner breite fem^eiantet, ergiebt ftcb, au§ bem Segriff als folgern toie au§
bem biblifdjen ©pracfygebraucb,, nad) bem im Gfmftenftanbe ber llnterfd;ieb jtoifc^en viqmoi
unb xihioi bem §tt)tfct)en oaQxixot unb Tivevjiianxoi analog ift (1 ^o 2, 6. 3, 1. 14,
20 ; <ipl) 4, 13. 14). S)ie oben berührten 2lu§fagen ber Conf. Augustana unb ber
Sinologie über bie perfectio christiana belegen bie Verbreiterung il)rer 33ejieb,ung auf
35 bag ©laubengleben überf)au^t ntd^t, ba fie nur ber Slenbenj ber £el)rc 2utb,er^ folgen,
bie Slnfcb.auung au^ufcfyliefjen, ba^ bie Volllommenbeit in Veruf unb ©efellfcb.aft negie=
renben SBerfen felbftertoäb,Iter §eiligleit gu fucb,en fei: fie mufc, toenn fie überhaupt
cb.riftlicb, fittlicf)en 6b,aralter unb 2Bert j^aben foll, bem 3ufammen|ang be§ Verfonlebeng
beö ©Iauben§, ber burd) bie Siebe t^ätig ift (®a 5, 6), angehören. 33ejei_cb,net in biefem
40 bie VoHIommen^eit naturgemäß ben ^ö^epunlt ber ®urcf)bilbung ber cfyriftlidjen ^3erfön=
Inlett (3a! 1, 4; 3. 2; Hol 4, 12; @j>& 4, 13), fo ift e3 ioiberfinnig in fic§, in aS!eti=
fcb,en Mitteln ber ©elbfterjieb,ung gu fittlic^er ©efinnung, bie ber Unfertigleit angehören,
alfo groben ber Unbollfommenfyeit ftnb, eine befonbere Volüommenfyeit fc^en ju toollen.
Sie !atb,oIifcb,e ©o!trin !ommt benn aud) nid;t über ben innern SSiberf^rud; fyinauS, in
45 ben mönd;ifd)en Seiftungen ber consilia evangelica einerfeitä opera supererogationis
ju feb,en, toelcb,e bie gemeindjriftlidje Beobachtung be§ ©ittengefe^eg, baä fid; in @otteö=
unb SUcenfdjenliebe jufammenfafet, überfeb^reiten, anbererfeitä in ifmen, toie ba§ ^omaä
jeigte, nur instrumenta jur §erau^arbeitung ber Siebeögefinnung ju fefjen.
^efuö ^at beutlicb, jtoifc^en ber ^üngerfd)aft unb ibjer fittlid)en 53etoäl)rung unter=
so Rieben (Mt 7, 21 ff. 25, 34ff.; Qo 15, 2 ff.) unb $at bag ©Iauben§Ieben bem ©efid;tg=
punlt ber ©nttoidelung unterfteüt (Sc 19, 12 ff.; £o 8, 31 u. f. to.). Unb aud; in ben
apoftoltftfjen Seb,rbegriffen ift ba§ 2ßac§ötum beö ©laubenölebenä bem natürlichen )Ba<$}&
tum oom ßinb (Wt 18, 3) jum 9Jcanne§aIter ((Sbf) 4, 13. 14) Oerglid;en (2 %i 3, 17).
Hol 1, 28 ; (S^b, 4, 13 ift bie VoMommenfyeit in ba§ gereifte SUcanneSalter ber reli=
55 gtö§fittltct)en ©nttoidelung gefegt, ba3 ber VoKommenljeit §f)rifti analog ift. Unb
toenn bte Siebe noeb, 1 Ho 13 ben ^öb^unft ber d)riftlid;en 2luöreifung bejeidmet, ber
felbft ben Oom ^eiligen ©eift getoirlten 6b,ari§men, ja fogar ben f)öc|ften S^arigmen
toett überlegen ift (12, 31), fo tyat Vaulu§ Hol 3, 14 bie d>riftUd>e VoH!ommen=
^ett eben m ber Siebe gefe|en, bie aCen etfüfcfyen ©laubenäbetoäl^rungen (Hol 3, 12 f.)
co erft ü)ren 2ßert unb §alt Oerlei^t. @g entforid;t ba§ burd>au3 ber Se^re ^efu, ber feine
«BoWommenljdt »orbelfaU 737
jünger ju einer ber sßollfommenljeit (Wt 5, 48) be§ an fid^ guten (19, 17) fnmmlifdjen
Katers analogen aSotlfommenljeit führen rooßte, bie in freier, felbftlofer, in fid^ unab=
gängiger Siebe befiele (5, 44 ff.). ®a§ belannte 2Sort an ben retten Jüngling 9Jit 19,21
berlegt benn aucb, bie 33oEfommenIj>eit ntd^t in eine bie göttlichen ©ebote überfd)reitenbe
2BeItbemeinung, fonbern in bie bie ©elbftgerec^tigfeit be§ altteftamentlicfjen ©efe£eSftanb= 6
bunftS hinter fid) laffenbe felbfilofe SiebeSbemäfyrung ber neuteftamentlicfyen 9teic|§gotte§=
gefinnung: bie träge Dufye be3 bie ©ebote I)altenben felbftjufrtebenen Zentners füllte er
burclb, bie ^üngeralttbität ber -ftacfyfolge ^efu erfe|en. ©aS franjiäfanifc^e ^beal beS
^eiligen 33ettel3 unb ber beruf^Iofen 3t3fefe fyat mit ben Slnfcfyauungen ber @bange=
Uen über bie 9cacf;folge 3efu n^t§ ju tlmn, bie feinen Jüngern ein feiner felbftlofen 10
Siebe gleichartige felbftaufopfernbe Siebelbemäfyrung zumuten Qo 13, 12 ff. 34. 35.; 15,
12 ff.). @benfo fab, Qofyanneä bie ^enbenj ber in ßbjtfto offenbaren ©otte§liebe ba au3=
gemirft (1 ^o 2, 5), too in realer ©ottegfinbfcfyaft bie Sruberliebe (5, 1 ff.) nicr/t bf)rafeo=
logifdj), fonbern tfyatfräftig fieb, be!unbet (3, 18 ff.). Unb $afobu3 fanb bie 23oKfommen=
fyeit be§ ©laubenS l)erau§geftetlt in §anblungen (egya), in benen ba§ bottlommene ©efe£ 15
ber greif)ett (1, 25) ober ba§ $ömg§gefe| (2, 8) ber 9cad)ftenUebe jum 33oHjuge lommt
(2, 22). $iernacb, ift bie 33oHfommeni)ett „bie fyöcb/fte auf (Srben erreichbare religiös be=
grünbete 3fu§btlbung ber aftiben ®raft ber realen $reifyeit" be§ ßfyriften. ®a| ju biefer,
ba Slbmefenfyeit berSDemut ben 6l)riftenftanb in ftd) bergiften mürbe, unerläpcf) ba§ nie
auffyörenbe fdjmterjlicf/e ©efüfyl ber eigenen UnboHfommen^eit gehört, fyat ^auIuS in grunb= 20
legenber, bie 2lu3fcbjeitungen be§ ^ßerfeftvomug im borauB berurteilenberSöeife $lü 3,
12—15 ausgebrochen. SSoßlommen^eit im SSolIfinn ift bem 3SoKenbung^uftanb be§
Senfeitl borbefjalten (1 3b 13, 10).
$Die $ntelteftualifierung be§ Sßegrip (§br 5, 11—6, 2), bie bem beuteroianomfcr)en
S^aralter be§ £>ebräerbrief<§ entfbricfyt, berrät ben 3lleranbrim§mu3 biefeS nacfyaboftolifcfyen 25
©enbfcf)retben§. S. Semme.
Voltaire f. b. 31. S)ei3mu8 Sb IV ©. 550, 50.
VSovbtfyttlt, geiftlicfyer. — Sitte rat ur: Sttb. $Ijil. g-rief, De reservato ecclesia-
stico ex mente pacis religiosae eiusque effectibus ac fatis ad pacem Westph., Helmstad.
1755, 4°; berf., De reservato eccles. ex mente Pacis Westphalicae, Helmstad. 1757, 4° 30
Sleltere Sittevatur ferner angegeben bei «ßfeffinger, Vitriarius illustratus seu institutiones
juris publici Romano-Germanici, lib. I, tit. XV, § 26, 1, 14] 5 sq. ; Mütter, Sitteratur beS
beutfa)en Staatsrechts 3, 76 unb ÄIüber§ gortfegung 4, 130. @. ferner S. fJtanfe, gur
beutjeben ©efdj. üom SReligiongfrieben 6i§ junt breifeigjäfjrigen Kriege, Seipgig 1869 ; be3fel&en
$eutfd)e @efd)itf)te im Zeitalter ber «Reformation, SSb V, *Bud) X, taj>. 5; %%. Supefi, Ser 35
(Streit um bie getftltcfjen ©üter unb baS 9faftttutton§ebtft (1629), SBien 1883, @. 12 ff. 77 ff.;
©untrer, Sag fJteftitutiong=(£bitt Oon 1629 unb bie fatt). 3f{eftauration 9t(t=2Bürttemberg§
©tuttg. 1901; ©ebauer, Surbranbenburg unb ba§ SReftitutionSebift, 1899.
3$orbeI)aIt, geiftlic^er (reservatum ecclesiasticum) ift ber in üDeutfdjIanb au§
2tn(af$ ber 9teligion§fbaltung retc^Sgefe|lic^ feftgeftellte ©runbfa|, bafe jeber ber brei 40
9tei$<§fonfeffionen angeb^örige ©eiftlic^e mit bem Uebertritt bon ber einen jur anberen of>ne
meitere§ burej» ben SlonfeffionStoecfyfel 3lmt unb ^ßfrünbe berliert, beibe§ alfo feiner bi§=
Ijierigen Steligion^bartei borbeb^alten bleibt.
©ie grage, mie e§ in bem gebauten gaUe mit 2lmt unb ^Pfrünbe gehalten toerben
folltc, !onnte erft entfielen, aU fieb; bie 3tug3burger ^onfeffionSbermanbten reid^ägefe^Urfje 45
Slnerfennung erlämbft Ratten. SiS jur Deformation mar ein SlonfeffionStoeclfel un=
ben!bar, ber 3lbfaE bon ber allein berechtigten fat^olifc^en Üirc^e bilbete baö !ircb,licb,e
unb ftaatlicb,e aSerbrecb,en ber $e£erei über 3lboftafie unb gog SSerluft be§ Slmteö unb ber
^frünbe, fotoie Segrabation nacb, fieb,. Sei ben Serfyanblungen über ben 2lug§burger
9teligionäf rieben im 3ab,re 1555 (f. 33b II ©. 250) tnurbe bat)er bie grage im 3ufammen= 60
b,ang mit ben Erörterungen barüber, ob ber %xitbe aufy ben fbäter ber SugSburger
ilonfeffton beitretenben ©tänben gu gute lommen foUe, fetteng ber Jtatb, olilen aufgeworfen
unb bon ibnen bie geftfe^ung ber Seftimmung berlangt: ,,®ocb, fußen b/ierin (b. i). bei
ber ©infcfjliefeung in bie friebenSmäfeigen Berechtigungen) bie ©rjbifc^öffe, 33ifcb,öffe, ^3rä=
laten, Sattel, Drben unb anbere geiftlicfyen ©tanb§, fo in ber 3lbminiftration fei^nb ober 65
barin fominen mürben, aufgenommen fet?n, bergeftalt, mo ein §err @r§=S3tfcf)off, 33ifcb,off,
$rälat ober anbere geiftlicb,en ©tanbS bon ber alten Religion abtreten mürbe, bafj ber=
felbe feine! ©tanbg unb Slmtö al^balb ipso jure et facto entfe^t, aueb, ben (iabiteln
unb benen e§ bon gemeinen -Werten, ober ber $ircr/en unb ©tifften ©emob^nf)eit jugeb,ört,
!RtaI=®nct)HoJ>äMe füc Ideologie unb Stirdfte. 3. 81. XX. 47
738 %ot\>ei)att
eine Werfen ber alten Religion »ermanb ju teeren unb ju orbnen jugelaffcn fe^rt, Welct)e
aud) famt ber geiftltdj)en (Sohltet, unb anberen Jftrcfyen unb ©tifft gunbation, ©lection,
^räfentation, (Konfirmation, alten $eriommen, ©eredjtigleit unb ©ütern, liegenb unb
fabjenb, unberr/inbert unb frtebtid^ gelaffen Werben foll" (Sr/r. Seemann, De pace reli-
5 gionis acta publica et originalia, 33ud) I, &ap. X, in ber 2tuSgabe grantfurt a.SEft.
1707, fjfol. 25). dagegen erklärten ftd) bie 2lugSburger $onfeffionSt>erWanbten gegen
bie 2tufnafyme eines folgen 3ufaleg un^ ^emerlten, ein foldjer „Wäre baS J>öcr>fte prae-
iudicium biefeS teils Religion cum infamia, nicfyt allein ^erfonen, bielmeljir princi-
pali causae, biefeS teils cr/riftlidjen ©laubenS unb Sbnfeffton" ©ie matten tfyrerfeits
10 gleichzeitig ben $orfd)lag, bem ^rieben folgenben 2lrtifel einzuverleiben: „@S follen aucr)
bie fyofye 9ieicb>, @r|= unb anbere ©tiffte, Wenn barin bie Religion Wirb toeränbert, ju
feiner Weltlid)en |jerrfd)afft unb ©rbfcfyafft gewanb, Jonbern nad) eines jeben
©rjbifcfyoffS, SifcfyoffS, ober Prälaten Stbfterben ober 9te[tgnation, ber; if)ren @lec=
tionen, Slbminiftrationen unb ©ütern gelaffen, unb bon biefem 2lrtifel in 33ergleid^ung
15 ber faltigen Religion ferner gel>anbelt unb befdjrtoffen Werben, bod; ben Weltlidjen ©tänben
an iljrer §oI)eit unb iperfommen unborgreifflid;" (Seemann a. a. D. Aap. XIII, gol. 28)
unb übergaben bem $öntg gerbinanb ein in biefem ©inne abgefaßtes SBebenfen (a. a. D.
kap. XV). SDer leitete berWarf tnbeffen mittelft ^efolution bom 30. Sluguft 1555
(a. a. D. Äab. XVI) ben Slntrag ber (übangeltfdjen, inbem er eS für billig eracb/
20 tete, „baß $u ©r^altung ber ©eiftlid;en lang hergebrachten Dber= unb ©ered^tigfeiten,
umb Sßerfütung allerlei UnfriebenS unb Söeiterung . ber obberüfyrte Eintrag, Wie er
begehrt Worben, in biefem gemeinen ^rieben verleibt werbe" %xo§ ber ^ortfeimng ber
ÜBerI)anblungen (a. a. D. $ab. XVII) würbe eine Vereinbarung ntdjt erhielt, ©djließlid;
gaben bie (Sbangelifcfyen WenigftenS infoWeit nadj, als fie erflärien, fiel) ben nad)fier)enben
2f 3ufat} sefaßen Iaffen ju Wollen: „Unb nadjbem bei SSergleict/ung biefeS griebenS ©treit
Vorgefallen, Wo ber ©eiftlicfyen einer ober mefyr bon ber alten Religion abtretten mürbe,
Wie eS benn ber bon ib,nen biß bafelbft fyin befeffenen unb innegehabten ©reifer/*
ifyümem unb SBeneftcien falben gehalten Werben foll, WeId;eS \xd) aber beiber Religion
©tänbe mit einanber nicfyt vergleichen fönnen, benmad) fyaben mir auff ber ©eiftlidjen
3n §Bitt in $raft . . ^afyf. SERajeftät Uns gegebenen 3SoHmac^t unb §eimftellung erflärt
unb gefegt , Dh ein ©r^bifdmff ober ein anberer ©eiftlicfyen ©tanbeS bon Unferer
alten Religion abtreten Wirb, baS berfelbige feines @r£=33ifd)tlmmS . aud) $xud)t unb
(SinfommenS, fo er baran gehabt, jebod; feinen (Sb^ren unb SBürben olme ^ac^t^eil ab-
treten, aud; ben (Kapiteln unb benen eS . juge^ört, eine anbere ^erfon ju Wellen unb
35 ju orbnen jugelaffen fein, meiere aud) famt ber ©eiftlid;en ßabitel beb, ber l^irc^e
unb ©tifft gunbattonen gelaffen Werben follen, jebod) lünfftiger . Vergleid)ung
ber Religion unborgreifflid;" (a. a. D. ^ab. XXII). 2Kenn fidj aud) ber ßönig gerbinanb
biefer Raffung im allgemeinen anfc^loß, fo ließ er bod; ben 2lrtilel in einer feinem ©inne
nacb, ju ©unften ber Äatb,oIifen »eränberten ©eftalt in ben SlugSburger 3f(eligionSfrieben
40 einrücten. $n bem legieren lautet nämlid) ber fragliche Slrtifel (18) bafyin: „2öo ein
6r|bifd)off, SBtfd^off, Prälat ober ein anberer ©eiftlid^en ©tanbeS bon unfer alten 9leli=
gion abtretten mürbe, baß berfelbig fer/n ©r^biftumb, Siftumbe, ^rälatur unb anbere
Seneficia, aud) bamit alle grud)t unb ©infommen, fo er babon gebabt, alSbalb ob,n
einige ÜBeränberung unb 33erjug, jebod) feinen @I)ren o^nnadEjtb.eilig berlaffen, aud; ben
45 ßatoituln unb benen eS bon gemeinen Steckten ober ber ^ircfyen unb ©tiffte ©emonb^eiten
juge^ört, ein ^3erfon ber alten Religion toermanbt ju Wellen unb ju orbnen ^ugelaffen
fei^n, meiere aud) famt ber ©eiftlidjen Sabituln unb anbere Jürgen, be^) ber ^trcf;en unb
©tifft gunbationen, ©lectionen, ^räfentattonen, (Konfirmationen, altem §erfommen, ©e=
red)tigleiten unb ©ütern liegenb unb ftefyenb, unberb^inbert unb frieblid) gelaffen Werben
50 follen, jebod; lünfftiger, 6l)riftlid;er, freunblid)er unb enblic^er 33ergleid;ung ber Religion
unborgreifflid)"
Setgelegt unb berglic^en War bamit ber ©treit nicfyt, um fo Weniger als eS nicfyt
aßein religiöfe SRotibe Waren, Welche ber SluSföb^nung ber feinblid;en Parteien entgegen=
ftanben. ®ie SrjbiStümer, Bistümer, ^rälaturen unb 2tbteien Waren in ben §änben
55 ber jüngeren ^rinjen ber Iatb^oIifd;en §äufer unb bienten jur SSerforgung berfelben, bie
^anonüate Würben bagegen faft regelmäßig mit ben jüngeren ©öljmen auS ben ©efc|led;=
tern ber 9teid)Sgrafen unb StetdjSritter befe^t. blieben bie ^roteftanten bon allen biefen
Stürben auSgefd;loffen, fo War bieg für fie ein SBerluft an Sanb, Seuten unb aud) an
reichen @in!ünften. ®ie Äat^oltlm WoHten eS felbfttoerftänbltcr) ib;rerfeits übertäubt t)er=
60 fjinbern, baß biefe 5Rad)tmitteI an bie $roteftanten gelangen fonnten, unb für fie fam
Sorbett 739
roeiter ber Umftanb in Betracht, baß mit ber gulaffung fox ©üartgeltfd^en ju ben er=
malmten äBürben unb geiftlidEjen gürftentümern fid^ ba§ ©timmberfyältniS in ben bret
Kollegien be<§ Deicb^tageS änbem unb bie ebangelifcj)e gartet bie Majorität auf bemfelben
erlangen lonnte.
©dmn gleicb, nacf; @rlaß be3 DeIigion§frieben§ ^roteftterten bie @bangelifcf/en — mie 5
fc^on mäbjenb be§ Deicf/Stageä Don Sftelancfytfyon in einem Bebenlen bon greifteHung ber
Religion geraten mar (CR t. VIII, 477 sq.) — gegen ben 2lrtilel unb erllärten, ben=
felben nict)t beachten ju motten. 2lucb, unterließen fie e<§ nictjt, auf jebem folgenben 3Reic£)g=
tage gegen ben „Ijodpbefd&toerltdjen 3lrtifel, Deformation ber ©tifft unb ^rälatur be=
langenb" ©tnfbrucb, ju ergeben unb beffen Befeitigung ju forbern (mie e<§ in ber 1566 10
$atfer 9J?aj:imilian II. ju 2lug§burg übergebenen Befcfymerbefctjrift, Seemann a. a. £).,
Bucb, 2, £ab. IV, §oI. 101 Reifst) „in Betrachtung, baß mir biefe emige ©djanb unb
SRaclel auf unferer magren Religion nicfyt liegen laffen lönnten, aucb, bafür achten, baß
bielen gutherzigen ©tänben ber anberen Religion folc^er 2lrtilel in u)rem ©etoiffen felbft
befcfytoerlicb, fer/, unb bann @m. $ar/f. 9Jiaj. bor ©otte<§ Strtgefid^t fcfyulbtg fer)nb, ber 15
allein feligmacfyenben SSafyrfyeit ©otteS ifyren ©ang ju laffen, unb burctj folcb, r/oct)bef(r;mer=
Heb, Verbot feinem ©tanb ober feinen Untertanen ben 2öeg gur ©eltgleit ju berfberren
unb abzufinden" gerner Verlangten fie immer mieber bie 2tnerlennung ber „broteftan=
tifef/en Slbminiftratoren" in ben geiftlici^en ©tiftern, fomie bie $ulaffung berfelben ju ben
©iijungen be§ Deicb^tageS. 2öurbe nun ben legieren aucb, ba§ eine ober anbermal au3= 20
nal)"m§meife unb unter Bertoafyrung bie ©effion bemiHigt, fo maren boef) im großen unb
ganzen alle biefe ^5rotefte bergeblid?, faft immer lehrte bie Slnttoort mieber, baß, ba bie
©tänbe ber alten Religion in bie greiftettung nicfyt mittigen mollten, bie ©acfye im
tarnen ©otteS eingeftellt unb berfcfyoben merbe. S^atfäcfylict) beobachteten atterbing3
bie ^roteftanten ben geiftlictjen Borbefyalt nicfyt. 2öo fie, mie im Sorben, bie 3Rac|t 25
Ratten, unb bie Bebblferung ebangelifa) gemorben mar, ba fclm^te ba3 Deferbat bie §ocfy=
ftifter unb bie geiftlid^en ^nftitute nicf)t bor ber Deformation, unb bar/er befanb fieb, ein
SEetl berfelben, namentlich Bremen, Sübeä, 9JUnben, SRagbeburg, §alberftabt, regelmäßig
in ben §änben bon lut^erifc^en Slbminiftratoren au3 ben Käufern §oIftein, Braunfdjroeig,
Branbenburg unb ©acfyfen. £)a fiel) ferner ber geiftlicfye Borbefyalt nur auf bie Deidj>§= 30
nid)t bie lanbfäffigen ©tifter be^og, fo lonnte ber Sanbeöfyerr in biefen gerabe Iraft be§
Deligion3frieben3, fomie Bifd)of unb Äabitel ftcb, gur ebangeltfcf/en Religion belannten,
toie 3. B. in ben branbenburgifcfyen ©tiftern §abelberg, Branbenburg unb 2ebu§, bie
Deformation einführen, unb bagfelbe gefc^af) au<| in anberen ©tiftern, mie in SJJerfeburg,
Daumburg, ^Reißen, Samin unb ©djmerin, mo ftd} toegen einzelner fürftlic^er Deckte im 35
©inne ber bamaligen 3e^ ^ne ©Eetntion ber ©tifter oom Deiche beraubten ließ (f.
eic^^orn, ®eutfd)e ©taatg= unb Dec|tögefcl)icb,te, § 502, 5. 2Iu%, 4, 138). ©elbft in
einzelnen rb^einifc^en ©tiftern lonnte ber Serfucb, gemalt merben, bie Beftimmung beö
DeligionSfrieben? über ben Borbefyalt ju ignorieren, ^n ©traßburg mürben im Beginn
be§ 17. ^atjrlmnbertS (1604) Vereinbarungen getroffen, meiere ben gemifcb,ten DeIigion^= 40
juftanb beg ©tifteö aufregt gelten (ßicf/fyom a. a. D. § 511 n. f. 4, 193; neuere £itte=
ratur bei griebberg, Seljrbucb, bei 3^R. ©. 101, 2lnm. 7); in J^öln unternahm e§ ber
(gr^bif^of ©ebb,arb II. ^ruc^feß (1577—1584) bon neuem, an ben früheren Berfuct)
§ermannö V anlnübfenb, bie Deformation einzuführen, fc^eiterte aber mie biefer gleicb,=
fall§ an bem 2öiberftanb ber Jlatb,olilen unb mußte au§ feinem ©rjbiitum (1583) meinen, 45
meld;eg bon ba cA etma 200 ^ab,re lang eine 2lrt ©elunbogemtur be§ §aufe§ Babern
blieb (f. Bb VI ©. 397). Söeiteren gortfd^ritten traten bor allem bie gefuttert entgegen
(©ugenb,eim, ©efcb.ic^te ber ^efuiten in ^eutfc^Ianb, Bb I, granlfurt a. SR. 1847,
©. 67 ff.; über ibje 2luffaffung bgl. bie bem ^anjler @rnfti bon l^öln, gran^ Burglarb
beigelegte ©cf/rift : De autonomia, b. i. bon greiftellung meb;rlei Deligion unb ©lauben, w
Ü)lüncf)en 1586, 1593, 4°, beren eigentlicher Berfaffer ber Iatferltd£>e Dat unb Deicf;3l)of=
ratifelretär 2lnbreag ©rftenberger ift), unb unter ibjem ©influß berlangten bie latboli=
feiert ©tänbe auf bem Degen§burger Deicb^gtage bon 1613 bie energifetje ©urc^füfirung
ber Borfdmft be« DeIigion§frieben§ über ben geiftlicljen Borbeb,aIt („@m. Äabf. 9Jla\.
merben ju @rb,altung tt)rer uralten Deligion, <ixfy unb ©tiffter, aueb, gteidmtäfftger 55
§anbb,abung bei ©eift(icl)en BorbefyaltS, ob,ne melden ber ©eiftlicb,e ©tanb unb bie latbo=
lifcb,e Deligion im Deicb, gän^licb, ruinirt ift, ^fyren ^fertid;cn @rnft feb,en unb ftoüren
laffen", Seemann a. a. D. Bucb, II, S^ab. XOIII, gol. 289).
Wad) bem 2lu§brucb.e bei 30iä£>rtgen Üriegei fucb,te jebe Partei bie gretftettung ber
Deligion in ib,rem ©inne au^äubeuten. SDie Äatb,olilen betrieben bie ^erftettung ber römi= eo
740 $or6tf)aIt SBorfeljung
fd)en $ircf/e auf baS eifrigfte unb legten ben S^eltgionSfrteben in fcbjoffer, ifyren lyntereffen
bienenben SBeife auS. 21IS bie faiferlicfyen Söaffen im Kriege baS ltbergemid)t erlangt
Ratten, erlief ßaifer gerbinanb II. am 6. SRärj 1629 baS fog. SReftitutionSebift (bgl.
autt) ben Slrtüel „2öeftfälifcr;er griebe"). ©einen Slern bilbete bie ©ntfcfyetbung über bie
5 get[tlt(^en ©üter, meiner bie gorm eines Urteils gegeben mar, unb btefe ging bar/in, bafj
bie fcroteftantifcfyen ©tänbe nia)t baS SRed^t gehabt, nact; bem ^ßaffauer Vergleiche (bon
1552) geiftlicfye Stiftungen, meiere unter ifyrer £ofyeit gelegen mären, einjujieb^en unb
bafj fie fid) im SBiberfyrucfye mit bem getfilicfyen SSorbeE>aIte im 33efi|e bon @rjbiS=
tümern unb ^Bistümern belauftet Ratten; ba| alfo bie @bangelifcj)en im Unrecht
io mären, menn fie bie Stücfgabe ber unrechtmäßig befeffenen geiftlkfyen (Mter bermei=
gerten, bie Uatbolifen bagegen fidj im Siechte befänben, menn fie ben geiftlicfyen 33or=
behalt für giltig erflärten unb bie @infe|ung fatb>lifcr)er ©rjbifcböfe SStfd^öfe unb
Prälaten in ben reicfySunmittelbaren ©ttftem unb Softem beanftorucfyten. 3n oer
©^lujjbeftimmung teilte ber Haifer mit, bafj er, ba bie Verlegung beS 9>MigionS=
15 friebenS in ben meiften gäHen notortfct) fei unb bafyer oljme meitereS 9tecbtSberfal)ren
gleich jur Solution gefcfyritten roerben tonne, eigene Äommiffionen jur Voü^tefyung beS
(IbtfteS in bie einzelnen Greife fenben roerbe (Sonborb, ®er $öngl. ^aiferl. 5Dtajeftät unb
be£ beil. römifdjen Stades Acta publica III, 1047; £I)ebenr/ilIerS Annales Ferdi-
nandei III, 438). %xo§ ber Vroteftattonen ber @bangelif$en mürbe mit ber 2IuS=
20 fübrung beS ©btfteS begonnen unb eine erl?ebltd)e Sln^afyl bon Sfteftitutionen borgenommen.
$)er boöen Durchführung ber 2Jcafercgel fe|te aber bie 9Benbung beS SöaffenglücfeS im
Kriege ein $iel. S)ie befmittbe ©rlebigung beS ©bifteS blieb bafyer bem fbäteren §riebenS=
raerl Vorbehalten (f. b. 2t. Sföeftfälifcfyer griebe). SDer roeftfälifd)e ^rieben (Instr. pacis
Osnabrug. art. V, § 14) fe^te bann als 9?ormaItag für ben Vefvtjftanb ber retd)S=
25 unmittelbaren ©rjbistümer, VtStümer, Vrälaturen unb anberen geiftlidien Stiftungen ben
1. Januar 1624 feft, unb beftimmte in betreff beS geiftlidjjen Vorbehaltes (a. a. D. § 15):
„Si igitur catholicus archiepiscopus, episcopus, praelatus aut Augustanae con-
fessioni addictus in archiepiscopum, episcopum, praelatum electus vel postu-
latus, solus aut una cum capitularibus seu singulis seu universis, aut etiam
30 alii ecclesiastici religionem in posterum mutaverint, excidant illi statim suo
iure, honore tarnen famaque illibatis, fructusque et reditus citra morem et
exceptionem cedant, capituloque aut cui id de iure competit, integrum sit,
aliam personam religioui ei, ad quam beneficium istud vigore huius trans-
actionis pertinet, addictam eligere aut postulare; relictis tarnen archiepiscopo,
35 episcopo, praelato etc. decedenti fructibus et reditibus interea perceptis et
consumptis". ©amit mar ber Vorbehalt jmar aufrechterhalten, aber nunmehr aua) ju
©unften ber ©öangeltfcben retdjSgefepcf) ausgebrochen.
©eitbem bie geiftlirf)en gürftentümer in SDeutfcfylanb befeittgt morben finb, fyat bie
Seftimmung jmar ifyre bolttifd)e ^ragmeite eingebüßt, aber immerinn ift fie in ®eutfc^=
40 lanb in ©eltung geblieben unb ift nod) infofern bon braftifcber Sebeutung, als nact;
ibr bei einem ÄonfeffionSroecf/fel ber ©eiftlicfje ofyne meitereS (ipso jure) 2lmt unb Vfrünbe
berliert. $. |>infc^iu8 t (@- Sfrtcböerö).
Sßorfe^ung. — ©. bie Slrtifet über ©ott, Concursus, Engel, ©ebet, Seiben,
5Bunber. — Sitteratur: Xenop^on, lirro/ivij/nf>rfv/.iara, 6ef. IV, 3; I, 4; Sicero, De na-
45 tura deorum, SSucb II; De Finibus, Sucb III; ©eneca, l'e Providentia; E^ri)joftomu§, nsgi
sifiag(tirr)i xai Jigovoiag, ad Stagir. LL , III; Sijeoboret «Ott Sttru§, neoi jzQovoios, MSG 83,
555—774; SactanttuS, De opificio Dei, MSL 7, 9—78; ©aluianuS, De gubernatione Dei,
MSL 53, 25—158; Sluguftin, De civitate Dei, MSL 41; Stjomag 9tquma§, Summa theo-
logica, Pars I, Qu. 103—117. — ßur Stuffafjuttg ber Reformatoren : 6efonber§ Suttjerä
50 Äatec^i§men, ©rtlärung be§ 1. SlrtifetS be§ Slpoftoüfum; gmingli, De Providentia, 1529;
ßciMn, Institutio I, 16—18. — SSoffuet, Discours sur l'histoire universelle, 1681, bef.
Seil III, cap. 1 unb 8; Setbnij, Essai de theodicee sur la bonte de Dieu, la liberte de
l'hommeet 1'origine du mal, 1710; ©anber, lieber baS ©rofje u. Schöne in ber ftatur 1748,
3Son ber ©üte unb SSets^ett ©otte§ in ber 9?atur 1792, lieber bie »orfe^ung 1801 (4.9luff.);
55 ^erufalem, ^arfjgelaffene Schriften, I. Seil 1792; Joseph de Maistre, Les soir^es de St.
Pötersbourg, ouEntretiens sur le gouvernement temporel de la Providence, 1821. — ©elbft=
üeritänblid} enthalten nHe Sßerfe über 3teligion§^ilofop^ie unb SDogtnatt! einen befonberen
Stöfc^nitt über bie göttlictie Sßorfe^ung. — s2lu§ ber neueren Sitteratur feien noä) ertnä^nt:
Stpfinä, ®te göttltdtje SBeltregierung (Vortrag), 1878; Sreibig, ®ie SRätfel ber göttlichen SSor»
eofebung, 1886; ?8. ©cbtntbt, ®ie göttliche Sorfetjung unb haZ ©elbftleben ber SSelt, 1887;
5BJ. S8ei)fct)lag, 3ur SSerftäubigung über ben ctjriftlictjm S8orfe^ung§glau6en, 1888; <£. &aiUJt,
SBorfcfjung 741
35er cfjriftf. 93orfer)ung§glaube, 93eroei§ b. ©laubenS, 1888; Sipfiu§, £1)393 1888, ©. 360— 366;
1889, 408 ff. ; E. Maillet, La cröation et la providence devant la science moderne, 1897;
C. ftirn, 23orfel)iuig§glaube, unb 9Jaturroiffenfd)aft, 1903; Otto, 9?aturatiftifdie unb reltgtüfe
SMtanfctmuung, 1904; 23. ©cfmtibt, ®et tampf b. SBeltanfcftauungen, 1904; SittuS, SReligton
unb 9Jaturroiffenfct)aft, 1904; SBejJer unb SBelte, Äirdjenlejriion2, 33b 12 (mo bie neuere fatf)o= 5
lijcfye ßitteratur angegeben ift).
33orfeb,ung, au<0) $ürfelmng, gürforge, Sorforge, TiQÖvoia, em/uüeia, Sioixrjoig,
diaxvßegvtjoig, Providentia, gubernatio, cura Dei, begeicfmet im allgemeinen baS
Söalten ber 2lllmad)t, 2öeiSb,eit unb ©üte ©otteS, im engeren ©inne bie §inlen!ung ber
SBelt gu bem ifyr bon ©Ott beftimmten ,3iel. — ©te in ber d)riftlid)en ®ird)e geltenbe 2el)re io
r>on ber göttlichen $orfel)ung entflammt aus bem gufammenroirfen graeier gaftoren, beS
in ben Urlunben ber alt= unb neuteftamentlkben Religion bezeugten ©laubenS unb ber
p^üofopfytfdjen ©Refutation beS griec^fd)=römifd)en Altertums. @S gilt bemnad) junädjft
ben 23orfeI)ungSgebanfen ber anti! flaffifd)en ©tofteme fummarifd) gu geid)nen, hierauf ben
SSorfefyungSglauben ber iSraeIitifd)=iübifcr;en unb ber d)riftlid)en Religion in feiner ©igenart 15
ju fd)ilbem, enblid) ben bogmenb,iftorifd)en ^ßrogefj ber Sebre in feinen roicbtigften 2Benbe=
fünften ju fd)ilbern. ©ine Überfielt ber fritifer/en unb fr/ftematifeben ©rgebnifje roirb ben
©rtrag ber biblifcb^tfyeologifcrjett unb bogmengefd)id)tlic[)en ©ntmictelung feftftelien unb ju=
fammenfaffen.
, I. 2) er SSorfefyungSgebanfe in ber $büofopI)ie beS gried) ifd) = römi= 20
fd)en 2lltertumS. — ©. bie SSerfe üon «Ritter unb greller (iQuetlenfarrtmlung), geller,
Strümpell, 23inbelbanb, ©omper|; |mgo ©rottuS, Philosophorum sententiae de fato et de
eo quod in nostra est potestate collectae partim et de graeco versae, 1648; Kreuzer, Progr. in
quo philosophorum veterum loci de Providentia divina ac de fato explicantur, 1806 ; Alex.
Aphrod., Ammonii, Plotini, Bardesanis et Plethonis de fato quae supersunt, ed. Orelli, 25
1828; ©dmetber, ($l)riftlid)e Klänge au£ ben grtect)ifcf)en unb römifd)en Älaffifern, 1865, bef.
231 — 244; (£. ©piefe, Logos spermatikos, «ßaralTelfteHen jum WS, au§ ben ©cfjriften ber alten
©rieben, 1871, passim; ß. ©d)tnibt, ®ie ©trjtf ber alten ©rteetjen, 1881, I, 63 ff.; E. Maillet,
La creation et la providence devant la science moderne, 1897 (195 — 235: La providence
dans la religion et la philosophie grecques). — ©U in ber grted)ifd)en 33oHSmr;tI)o= 30
logie fief) regenben 2ll)mmgen unb ©ebanfen laffen r)äuftg einen $ug tiefer grömmigfeit
ernennen, roelcbe bie Vorgänge ber 2Mt unb beS 2Renfd)enIebenS unter ben ©djutj unb
bie Seitung ber ©öfter fteßt unb fomit einer tI)eoIogifd)en Statur: unb ©efcf/ubtsbetrad)=
tung ben Söeg bereitet (9}ägeISbad), §omerifd)e Geologie, 28 ff.; 3Rad)b;omerifd)e %tyo=
logie, 45 ff.). $u letzterer bat fid) aber bod) erft mit toacbjenber $larl)eit ber benlenbe ©eift 35
in ber b,ellenifcr)en $I)iIofobfyie erhoben. 23ei §eraflit bon©pf)efuS tritt, nod) eingefüllt
in pl)antaftifcl)e formen, ber ©ebanle einer roeltregierenben Vernunft auf: nid)t ein be=
munter 2öiHe, fonbern eine aus ber Harmonie ber ©egenfätje fid) ergebenbe Drbnung ber
Singe, roeld)e fid) burd) einen nie raftenben UmroanblungSprogefs, burd) ben eroigen $reis=
lauf be<§ ©toffroed)feI§ im llniberfum betätigt; baber be§ 3Jien[ct)en böd)fte§ ©ut bie au§ 40
bem Vertrauen auf bie göttliche Söeltorbnung entf^ringenbe gufriebenfyeit (svageonjots). —
SJtefe Drbnung im SBeltaU, 'bie §erallit in ber ©efetjmäfjigMt ber SSerroanblung unb
Sftücbertoanblung gefd)aut b,atte, begog 2lnajagora§ auf bie Harmonie ber ©eftirne,
ir>eld)e bie ib,nen gemiefene Sab^n ob,ne ©törung in untoanbelbarer ©tetigleit befolgen. 33on
ber georbneten Seroegung ber ^abjlofen SBeltförper, Oon ber fyarmomfcfyen 33eroältigung 40
unb bem gleichmäßigen llmfd)mung ungeheurer 5SJiaffen, bie fid) ju einem fd)önen ©anjen
(xoo/uog) jufammenfügen, fd)Iofe er auf eine jroecfmäfjig anorbnenbe unb bie Seroegungen
beb,errfcb,enbe SSernunft (vovg), bie gugleid) ©enlftoff unb J^raftftoff, als reinfteS, leicb.=
tefteS, mit berSBelt fid) nid)t mifd) enbeS ©lement, immerbin als raumerfüllenbe ©ubftanj,
ntc^t als geiftige ^3erfönlid)feit ju benlen ift. — 3nMfen D^eD ^er bon ^em antuen eo
©ried)entum &um erftenmal gemachte SSerfuct) einer tI)eologifd)en 9iaturer!lärung
junäd)ft auf bie anorganifd)e 2SeIt befcbränlt. 9Jcit ^Diogenes t>on 2IpoIlonia
rourbe bie SEeleologie £ur beb^errfd)enben 2luffaffung aud) für bie organifd)e SSelt er=
b,oben: ber über umfaffenbe pb,i^fiologifd)e 5lenntniffe oerfügenbe ©en!er fucf)te an bem
Sau unb ben gunftionen beS menfd)lid)en SeibeS im (Sinjelnen ein jroecfmäfeig geftal= 55
tenbeS ^ßrinjip nacb.guroeifen. — ©inen roeiteren ©cb.ritt boßgog ©olrateS. äßäb,renb
bie oorfolratifc^en ^aturpb,ilofopb,en bem teleologifct/en ©eban!en auSfcbließlid) eine foS=
mologifebe Sßenbung gegeben b,atten, roieS ©ofrateS auf bie für ben 9Jienfd)en erfprieß=
ticken s^atur5ufammenb,änge bin unk mad)te, roenn roir ber ©arftetlung .\'enopb,onS (bef.
SJtemorabilien IV, 3) ©lauben fcb,en!en bürfen, ben S'hujen beS 3Jcenfcben gum SRafjftab eo
ber 2öeltbetracb,tung. Sie Überzeugung, bafe in ber 2öelt unb in ben ©d)icffalen unfeveS
742 SSorfcIjMng
SebenS alfeS naclj ben beften ^toecfen, mit Ijiöctjfter SBeiSfyeit unb nacfe, einheitlichem Pane
georbnet fei, rufyte auf ber ©runblage eines braftifdjen SRonotbeiSmuS, ben ©ofrateS nie=
mal§ in einen brinjibieUen ©egenfa$ jum ©lauben feme§ 33oIfeS ftellte, burcb, ben er
aber wemgftenS mittelbar bie fyerrfdjenbe SSorftellung ber ©ötterbiellieit für baS religiöfe
5 unb fitilicfye SBetoußtfein feiner geitgenoffen unfctjäbltct) unb gleicfygütig machte. Übrigens
berührte \\<fy biefer fofratifdje ©laube mit ben religiöfen 2lnfd£)auungen ber gried)ifcr/en
SDid^ier, namentlich eines ©obfyofleS, ber bie unberbrüdjlicfye ©erecfytigfeit unb SßeiSfyeit
ber göttlichen 33orfeb,ung burcf) ©efyorfam, S3efd^etbenr)eit unb Vertrauen anerfannt unb
geehrt rotffen wollte. — SDer fubjeftib bebingte, in fittlidjer SBilbung ficb, austoirfenbe
10 Monotheismus beS ©ofrateS mürbe bon $ I a t o ju einer teleologifcf) en 2Retabl;fyfif weiter
geftaltet, bie in ber 3>beenlel)re eine objeftibe ©runblage erhielt: unter ben Jjjbeen, bie als
Örbifber unb ^Wecfurfacljen ber ©rfcfyeinungen ju faffen finb, gilt als bie oberfte $bee,
melier fidj alle übrigen als Mittel unterorbnen, bie $bee beS ©uten, bie mit ber2BeIt=
bemunft (vovg), mit ber ©ottfyett ibertttfd^ ift. ^ft aucf) hierbei weniger an eine geiftige
15 ^krfönlidjfeit als an ben abfoluten fittlicljen SBeltgWecf ju ben!en, braute anbrerfeits ^3Iato
feine teleologtfdje ÜJiaturbetracfytung bortoiegenb in mfytfnfdjier $orm jur ©arftellung, fo
erfyob er ficb, bocb, gu bem ©lauben an eine ©rofjeS unb kleines, jumal in betreff beS
SJlenfcfyen, umfaffenbe3Sorfeb,ung: bem ©ottgeliebten, bem ©erecfyten, toirb alles, toaS i^m
bon ben ©Ottern toiberfäfyrt, jum Beften bienen: reo de fteocpiXel ov% öjuokoy^ooiusv,
20 ooa ys änb fiecöv yiyvsTm, nävxa yiyvea&ai dbg olov rs ägiora; Rep. X, 612E,
cf. II, 379. — ®ie bon Pato in mfytlnfcfyer Sßtlblicpeit entworfene Sleleologie führte
2lrtftoteleS begrifflich burcl;: bon ber ©tetigfeit ber Bewegung in ber SBelt fcfyloß er
auf ein erfteS BetoegenbeS (jiqcötov mvovv), baS felbft ofyne Bewegung, Seiben ober SSer=
änberung feine ivegysia ober $orm, bon allem ©eienben baS b,öcf)fte unb befte, bie ©ott=
25 Ijeit felber ift, bie nichts anberS als ©egenftanb borauSfe|t, fonbern fiel) felbft immer als
gleiten 2>nljalt b,at (ion de vorjoig vor/ascog vorjoig). 3)aburc£), baß 2lriftoteleS ©Ott
als ein »on ber SOBelt berfctnebeneS, felbftbetoußteS SBefen auffaßte, fyat er ben 9Jcono=
tf)eiSmuS Wiffenfcfyaftlicf) begrünbet unb begrifflich formuliert, — eine blnfofoblnfcfye @r=
rungenfd)aft, bie aber um einen teuern peiS bejaht mürbe. SDurcfy unb burcfy abftraft
30 gebaut, be^au^tet ber ©ott 2lriftoteleS' ein böllig äußerliches, bua!iftifcb,eS BerfyältniS jur
Sßelt. Dbgleicb, er als erftbeWegenbe Äraft baS ©efamtWefen ber 9catur in feinem £)afein unb
feiner ©ntwicfelung bebingt, bleibt er bodj in einfamer ©clbftbeiradjtung jenfeitS ber Söelt,
namentlich tritt er mit bem 2Renfc£;engemüt in feine lebenbige Be^ielnutg: ber Warme
BorfeljmngSglaube, ber in ben fdjlicfyten ©efrräc^en eines ©ofrateS unb in ber poetifcfyen
35 ©eban!entoelt eines ^3Iato einen naiben ober großartigen SluSbrucf gefunben, fyat in bem
ariftotelifc^en ©r/ftem, bem jeber religiöfe §aud) fel)It, feine ©teile. — dagegen fyielte
in bem bielgeftaltigen ©ebilbe ber ftoifcf)en ^f;ilofo^ie ber 33orfel;ungSgebanfe eine
Ijerborragenbe Stoße. Sni©egenfa| ^ berftreng antiteleologifcfyen Stiftung ©pilurS, welcher,
um ben rufngen ©elbftgenu| beS Söeifen nicfjt gu ftören, bie ©ötter aus ber 2öelt bannte
40 unb fie ju einem tl;atenIofen (SgoiSmuS berurteilte, faßte bie ©toa bie ©ottfjeit als baS
SebenSprin^i^, baS fid? in bcrgülle ber @rfcl)cinungen entfaltet, als biellrlraft, bie aUeS
©afein unb SBerben bebingt, als bie ^meclboH fcf;affenbe unb leitenbe Vernunft (Myog),
folgltdt) if>rem Söefen nacf) allmaltenbe SSorfef)ung (jigövoia). ®a inbeffen ©ott unb
SSelt ein unb baSfelbe finb unb nur für bie benfenbe Betrachtung auSeinanber fallen,
45 fo geftaltet ficf) baS alles beftimmenbe ©efe| ber SSorfefmng gur alles bejmingenben 9Jfacf;t,
?ur unberbrüd;licl)en 9Rotmenbig!eit {aväyxrj), jum unentfliel)baren ©efd;icf (sl/uag/uevt],
fatum): nacb, biefer unberbrüc|ltcf)en Drbnung toirb jebe einzelne @rfd)einung in ber un=
abänberlidjen Reihenfolge ber Urfac^en unb Söirfungen l;erborgebract)t. ©iefe ©feic^ung bon
33orfelmng unb ©cl)ic!fal fommt in ©cnecaS 3lbbanblung De Providentia, beffen
so toid;tigfte 3luSfüb,rungen übrigens bem Problem ber SEl)eobicee getoibmet finb, ju brägnantem
SluSbrucf (ßab. 1: praeesse universis providentiam, et interesse nobis Deum...
üaty. 5: Fata nos ducunt, et quantum cuique restet, prima nascentium hora
disposuit. Causa pendet ex causa, privata ac publica longus ordo rerum
trahit . Olim constitutum est, quid gaudeas, quid fleas.) ®em greunbe unb
55 ©ewiffenSberater beS SuciliuS fommt eS bor allem barauf an, aus jenen ©runbfä|en
btebraftifcfienl Folgerungen ju giepert (Sab. 5: Ideo fortibus omne ferendum est;
quia non, ut putamus, incidunt cuncta, sed veniunt Quid est boni viri?
praebere se fato. Grande solatium est cum universo rapi. SBgl. Epist. ad Lucil.
76. 107 @S ift befannt, mit welchem ^atb,oS ein ©eneca, ein @biftet, ein ?Karf Slurel
eo bte Unterorbnung beS einzelnen unter baS göttliche 2Beltgefe| forberten unb feierten, unb
Sßorfc^ung 743
in Welchem Umfang bie auf biefer religtöfen 33aft§ gegrünbete £eben3auffaffung ftcb, $u
einer über bte trennenben ©d)ranfen be§ S3oIf3tum§ unb ber ©efeKfdjaft erljiebenben
toajjrfyaft toSmobolitifdjen ^fyilofobbte ber ©rlöfung geftaltete. 3>mmerl)in blieb im 9faf)men
ber ftoifdjien ©dmlen bie nähere ©eltenbmadjung be§ 33orfefmng3glauben3, namentlich bie
2tnWenbung ber S^eleologie mit Mängeln behaftet, bie einen unleugbaren 9tüdfcf;ritt (unter 5
ber großartigen ^onjebtion eineä 2lriftotele§ bebingten. Sßäb/renb biefer überall bie imma=
nente ß^^^mäfeigfeit ber gormgeftaltungen betont b,atte, berloren fiel) oft genug bie
©toifer in pfytltfterfyafte Betrachtungen über ben 9cu^en, ben bie Scaturerfcb.einungen für
bie Sebürfniffe ber Vernunftbegabten Söefen, „ber ©ötter unb 9Jienfd;en" abwerfen (ßicero,
De natura deorum II, 22, 57—64, 162; De Finibus III, 20, 67; De offieiis I, 10
7, 22; De legibus I, 8, 25. Sgl. Sactanj, de ira Dei, kap. 14: vera est sen-
tentia Stoicorum, qui aiunt nostra causa mundum esse construetum : omnia
enim, quibus constat mundus, ad utilitatem hominis aecommodata sunt.
SBefcfyeibener ©eneca, de ira II, 27 : „non nos causa mundo sumus, hiemem
aestatemque referendi; suas ista leges habent, quibus divina exercentur. 15
Nimis nos suseipimus, si digni nobis videmur, propter quos tanta moveantur.
Nihil ergo horum in nostram injuriam fit ; immo contra, nihil non ad salutem).
— Sag ©efüb,! ber ber Söelt unmittelbar imteWofynenben ©otteSfraft, ba§ bie ©totfer
befeelte, ging bem ^eublatonigmuS berloren, melier bie SEranöcenbenj ber ©ottfyeit in
einer noa; über $lato b, mau3gel)enben 2Jbftraftion übermannte, unb bab,er ba<8 Sebürfnü 20
embfanb, ben jWifdjen bem UrWefen unb ben 9Kenfd)en llaffenben 2lbgrunb burd) Mittler
auffüllen, unter benen bie in SlHegorien aufgelöfte ©ötterWelt be§ $olr;tr/ei§mu3 ifyre
Unterfunft fanb, unb Weld)e anbererfeit3 bem d)rtftlid)en SSorfefmngSglauben bienftbare
©elfter jur SSoUftrecfung ber göttlichen Aufträge lieferte. ®ie grtedjnfcfyen, bomer/mlicb,
bie ftoifcfyen ©inflüffe münben in bie abofrr/b_l)ifd)e Sitteratur be<§ %%$, bie eine eigen= 20
tümlifdje ©fyntfyefe tjeftenifcfyer ©ebanlen unb iSraelttifdjer Überzeugungen barftellt.
IL SDer aSorfeb,ung§glaube in ber i<3raelitifd)en unb jübifcfyen 9teli=
gion. — Sitteratur: ®ie 3Berfe ü6er iSraetttifdtie unb jübifdje Stßeotogie unb 3tettgion§=
flefdjidjte f. bef. ©. ©dntlt?5, 1896, $tepenbrina (frans.) 1886, Oeftler3 1891, 3tte$m 1889,
(Smenb 1893, Siumann 1895, S. SRartl 1897, Stabe 1905; SeHin, ^Beiträge pr tSrcelitifdjen 30
unb jübticfjen 9ieligion§gefcfjicrjte, §eft II, 1897; <Sd)ürer, ©efctjidjte beä jübtfdjen SSo(f§ im
Zeitalter Qefu ©ftriftt,3 "S3b II 1898; SBouffet, ®te Religion be§ 3ubentum§ im neuteftament=
ließen Zeitalter, 1903; %. SBeber, (Softem b. altfönagogaleu paläftmenfifcften Ideologie2, 1886.
— ®er Sorfe^unggglaube ber alttefiamentlidjen Steligion t)at eine lange ©ntwidelung
burd)gemad)t, beren ©ang gu fer/ilbem eine ber lotmenbften Aufgaben ber 3teIigion§= 35
gefd)id?te ift. 33i§ tief in bie Hönig^eit fyinab begegnen unS Infcfyauungen, bie ba§ SBolf
mit feinen ©tammgenoffen gemein r/atte unb roeIdt)e eine niebere ©tufe ber ©otte§=
erfenntniä barftetlen. 2Iu§ biefen elementaren unb rof)en, burd) ben 9Jaturboben ber alt=
femitifcfyen 23ölfergrubben bebingten Anfängen erWucfyg ein ©otteäglaube, ben eine reli=
giöfe ©efdjtdjtSbetrad&tung nur al<§ ba§ Ergebnis einer burd; bie natürlichen gaftoren be§ 40
SSoIfStumg b,inburd)mirlenben Offenbarung ©otte§ ju werten bermag. ®ie Präger biefer
Offenbarung, bie ^roipfyeten, 3Kofeg an tbrer ©^i|e, b,aben gunäcb,ft bureb, %fyat unb 2Bort,
bon 2lmo§ ah aua) burd) fct/riftftellerifcfye SBirffamfeit, im Äampfe mit fyeibnifdjen @in=
flüffen bon außen unb mit mancherlei ©cb,toierig!eiten unb §inberniffen bon innen, ben
etbtfcben «Konot^eigmuS 3ärael§ %ux ©eltung unb fcfyliepcfc, jur unbeftrittenen Slnerlennung 45
gebraut, ©in roefentlid^e^ ©lement biefeS burd} ben ©eift ber ^ßrobfyeten befeelten 9Kono=
tb^eiämu€ bilbet ber SBorfelmngSglaube, ber in ben un§ erhaltenen Iitterarifd}en ©en!malen
auf einen oft ergreifenben, einen meitgeb, enben religiöfen ^onfenfu§ funbgebenben 2lu§bruc!
gelangte. 2Iuf berfelben Sinie betoegen fid) bie Stuäfagen ber 2öei^l>eitölitteratur unb ber
flaffifdjen Ur!unbe beö altteftamentlicb.en 3Sorfe&img8ßIau6en8, be§ «pfalterö ; bon ben so
(Sr^eugniffen ber brobl>etifd)en ^nfbiration unterfdjeiben fie fid) l)öd;ften§ baburd}, baß bie
3eitgefd}id;tlid) bebingte unb national gefärbte §ülle hinter bem allgemein menfcf,ltcr)en
Sn^alt ber ©ebanlen jurüdtreten. @g läßt fid} baffer bie ©umme ber tSraelttt^en SWcIi=
gionSgefc^tdjte unfd;n)er gießen unb eine in i^ren roefentlid)en ^ügen einfmtltcfye alttefta=
mentlid}e Sorfefjung^le^re entwerfen. 5B
2öie ©ott §immel unb @rbe burd; fein 2öort in§ ©afein gerufen bat, fo tft aud)
bie gortbauer unb bie gortentroidelung ber 5Raturorbnung bureb. feinen 2Men bebtngt.
Slfe fein unmittelbare^ Sfmn Werben . j. 8. bie atmofbb,ärifd;en Seränberungen angefeben:
er jiebt baS Söaffer in 2Bol!en auf unb läßt e§ in Xrobfen nieberträufeln (§t 36, 27 f.;
38, 25 ff.); @t« entfielt bon feinem 3ltem (#t 37, 10), unb feinSKort fctjmelgt & Wicber .;o
744 SBorfefyimg
(Sßf 147, 18); ber ©onner ift fein 33rüHen (§t 37, 2 ff., $f 29, 3 ff.), unb 331t|e fbrüfyen
au§ feinem STOunbe («Pf 29, 7). 9Md>fter ^toetf biefer !Raturtoirffamfeit ©otte<§ ift bie
(Spaltung be§ Sebenbigen: er tränlt bie ©rbe mit ERegengüffen, bamit SJtoljmng fbroffe
für 9J?enfa;en unb 23ie| (Sßf 65, 10 ff.; 104, 13 ff.), ©o geftaltet ficf; bie fcfyaffenbe unb
5 erljialtenbe SLljätigfeit ©otteS jur gürforge für ba3 in feiner £anb ruljenbe ^Jtenfdjenleben:
©ott ift e§, ber ben 9Jienfd;en au§ 9flutterletbe jiefyt, unb bon Äinbfyett auf behütet
($f 22, 10 ff.); er f/at bem menfcf;Iid;en Seben fein unüberfcfyreitbareS giel gefegt (§i 14, 5);
bie bem 3flenfcf;en jugejä^Iten S£age ($f 139, 6) finb in fein Sud? eingefdjrteben, au§
meinem bie tarnen ber ©ottlofen auSgelöföt* toerben (^f 69,29; @r. 32, 32). 3ft
10 ©otte§ 2tuge audj auf baS gange SJienfdjengefdjIecfyt gerietet, fo rub/i e§ bod^ im aßer=
befonberften ©inne auf bem 3SoIfe Israels unb auf jebem frommen in bemfelben. $§rael
ift ba§ Soll, ba3 ^a^be fid; jum Eigentum auäertoäfjlt, ba3 er au§ Ägr/bien geführt, unb
feiger gefaxt unb getragen fyat (bgl. baSSeuteronomium; §o9, 10ff.; 11, 1 ff . ; $f 105.).
gum ©d)u#e feinet Volles unb jebeS (Sinjelnen im SSoIfe gebietet ©Ott ben sJiaturmäd;ten,
15 b,ält $eft unb fonfttgen Unfall bon ib)m ab 0ßf 91), teilt baS 3Jleer bor bem guge
feinet VoIieS ^er, befeuert ifym tounberbare «Ra&rung (@j 13—15, 16; 9ht 11; ^ßf 105.
106. 107). ©benfo lenft er aufy bie ©emüter ber SJlenfcfyen nad; feinem 2BiHen; er
giebt iljmen (Sntfcbjtefjungen ein, tote fie ju feinen planen taugen; er ertoedt Reiben unb
^ßrobfyeten. Umgefef/rt ift er eS aud), ber bie §erjen berfyärtet unb in ftrafenber 2tbfid;t
20 böfe ©ebanfen eingtebt (@r. 7, 3; 2 ©a 24, 1); aber ba§ übel ©emeinte bermag er fo=
toobjl in feiner Ausübung ju bereitein (*ßf 2) als audj jum ©uten ju toenben (®en 50, 20).
hierbei mufj alles 9tatürlid;e jum Mittel für bie legten großen ftttlicfyen groede ^
©otteSreidjeS auf @rben bienen. grudjtbarfeit unb £)ürre finb ©egnungen unb Quti)U
mittel in ^jaljbeS §anb, bie ^eufcfyredenjüge finb feine §eerfd;aren Qo 2, 11; 2)t 18,
25 13— 17 • 28, 12—23).
©einen §öb,ebunit erreicht ber altteftamenilicfye VorfeljmngSglaube in ber SSorfteHung
bom 9Bunber. ®a inbeffen aud; im getoolmten Saufe ber ®ingc ntcr/t bie 9?ottoenbigfeit
eines 9caturgufammenl;angeS, fonbern baS freie unb abftdjtlicfye £lwn ©otteS angefcfyaut
toirb, fo tritt ber llnterfdjieb beS Drbentlicfyen unb Aujjerorb entließen ober Söunberbaren
30 nur al§ eine relatiber b,erbor. ©ott, ber bei jebem Siegen beS £>immetS $rüge auSgiefst,
liefe ju EKoafyS ßett beffen genfter nur etwas länger offen (§t 38, 37; ©en 7, 11; 8, 2);
in bem geuerregen über ©obom geigte fieb, bie 50lact)t unb ^lanmäfeigleit nur befonberg
ftarl unb beutltct), mit ber ^a^e in jebem ©etoitter feine Sli^e berfenbet (©en 19, 24;
5ßf 18,14; 77, 19; 97, 4; 135, 7; ^er 10, 3; 51, 16; §i 37, 3; 38, 25). — 2)iefe§
35 unmittelbar göttliche %i)\xn lam bem Hebräer ebenfotoo^l in bem Übel, ha§ ber Söeltlauf
mit fid; bringt, al§ in bem ©rfreultdjen, ba§ er bietet, jur 2lnfd;auung. 2lu§ be§
§öcfyften 9JJunbe !ommt baä Übel unb ba§ ©ute (^lagel. 3, 38); er bereitet ©lücf unb
föafft Unglücf (^ef 45, 7) ; lein UnfaC ift in einer ©tabt, beffen Urheber nid;t ^a^be
toäre (2lm 3, 6). @r ift e§, ber ba§ §erj ^b,arao§ unb ber Signier, ©ü)on§ unb ber
4o5lananiter betörtet (@j 4, 21; 14, 17; ®t 2, 30; gjof 11, 20), ber ^toietrad;t ftiftet
3toifd;en ^[bimeled; unb ben ©idiemiten (^ub 9, 23), ber bie ©öb,ne §eliö gum llnge^orfam
gegen ben bäterltcfyen 2BiCen betoegt (1 ©a 2, 29), ber bem $önig ©aul einen böfen
©eift fenbet (1 ©a 16, 14; 18, 10; 19, 9), ber £)abib gegen bie ^SraeUten retgt unb i^m
eingiebt, bie 33oIf^ä^Iung bor^uneb,men (2 ©a 24; 1 ©a 26, 9). — 2)aS Übel berb/ängt
45 ©ott borjüglid; als ©träfe, nict)t blofe über fjetbmfdje 33ölfer, über ©obomiter, Slgtibter,
Skbtylonier u. a., fonbern aud> über ba§ ertoä^lte 33ol! felbft, baS Sanbblagen, toie «ßeft,
§eufd;reden, ©ürre, SKifetoadjg, ferner ^rieggunfäEe, TOeberlagen, &ned;tfcr;aft unb @jil
aU 3üd;tigungen für feinen ober feiner üönige Ungeljorfam gegen ba§ göttliche ©efe^
anjufeb,en r;at (@j 20, 5; £e 26; 3lu 11, 33; 2 ©a 24; ®% 18; %od 1). — 2lu§ biefer
50 2lnfd)auung, bie fieb, in bem ©efe|e ber fittlid)en Vergeltung einen feften Slusbrud gab,
mufjten je länger befto mefyr Anfechtungen ertoad)fen, fofern biefe 23orfefyung§leI)re burd;
bie (Erfahrung Sügen geftraft tourbe unb bamit ba§ ©lue! ober Unglüc! mit ber fittlidjen
Sefcb.affen^eit be§ ©meinen in SBiberfbrucb, trat ober gu treten fdjien. SDen b^ierauä fid;
ergebenben ßtoeifeln unb fragen fonnte bag religiöfe Setoufetfein ^graelg nid)t au&
55 toeidjen. SDie erften Serfudje, bie Äonflüte be§ 3Sorfeb,ungSgIauben§ mit ben täglichen
Sebenöerf ab, rungen gu löfen, liegen in einigen ^ßfalmen bor. ^Jfatm 37 f erlägt einfad;
bie retigiöfen ^toeifel nieber: ba§ ©lue! ber grebler fei unbeftänbig, il)rem ©i|ic!fal fei
ba§ ber frommen bor^ie^en, biefe toerben fd;liefeltd; bod; triumtolneren, jene untergeben.
3lt;rtltcr)e ©ebanfen fbridjt «ßfalm 49 au§, ber bie unterbrächen frommen mit bem 2öof)lftanb
eo ber ©ottlofen ju berföb^nen fud;t: bie reiben ©ottlofen fallen bem Sobe jur 33eute, bie
SSorfeljung 745
frommen bürfen Rettung erhoffen. ^falm 73 tröftet ftdj gleichfalls mit ber 33erfid)erung,
baS Unglüd ber ©eredjten fei nur borübergefyenb unb muffe in bleibenbem ©lüde enben;
neben biefem burd) bie ©rfafyrung immer roieber erfcfyütterten ^oftulat ergebt fid^> aber ber
Siebter gu bem befeligenben Sewufstfein, bafj bie ©emeinfdjaft mit ©ott ein alles melt=
licfye ©lud weit übertreffenbeS unb alles äuf$erlid)e Unglüd reicfylicb, aufmiegenbeS ©ut 5
fei (33. 23—26). — ©teilt uns aud) biefe SluSfage, gu melier fid) ber ©laube trofc alles
©unfein Ijiinburcfyfambft, auf bie £öb,e beS 2llten SßunbeS, fo bietet fie bod) feine mirf=
Itdje Söfung ber Söelträtfel. ®te ©lemente gu foldjer Söfung lieferte bie ©en 50, 20
beurteilte ©efduebie SofebbS (baS Setben als Sftittel für bie 33ertotrfltd)ung göttlicher
£eilSgt»ede) unb baS bem 'Sbeobiceebroblem getoibmete 23ud) §iob. Sßäfyrenb bie Sieben 10
SaljbeS (38, lff.; bgl. 40, 4 ff.; 42, 3 ff.) alle quälenben fragen burd) ben §inroeiS auf
bie unbegreifliche 2Wmad;t ©otteS gum ©cfyroeigen bringen, faffen bie ©lifyureben
($ab. 32 — 37) baS unberfdjulbete Seiben beS frommen als Prüfung unb Seroäfyrung,
bie gugleicb, Säuterung unb güdjrtigung ™ W fdSliefct. $u e'ner anbern «Stimmung, gu
einer roefentlid; beffimiftifcfyen 9foftgnation gelangt ber ^3rebiger, ber gmar ben ©lauben 15
an bie göttliche SBeltorbnung feftbält, aber nidjt im ftanbe ift, bie religiöfe SebenS=
betradjtung mit bem täglichen Sauf ber ©inge in ©inllang gu bringen: ift bod) auf
©rben alles eitel, mübeboll unb babei bod) gtoedloS. „©0 mufj ber ^ßrebiger als ein
enbgiltiger Sßergtd^t barauf begeidmet werben, mit ben Mitteln ber altteftamentlid)en
Religion, b. fy. bor aUem ofyne ben ©lauben an einen jenfeitigen SluSgleid;, bie 5RätfeI 20
beS TafeinS gu löfen" (Jlau|fd)).
Sie bis in bie neuteftamentltdje geit fyineinragenbe ober nadjwirfenbe (Sntmidelung
djarafterifiert ber Qm^ort griecfyifdjer , unb gtoar bortoiegenb ftoifd)er ©ebanlen in baS
religiöS=fitilid)e Seitmfstfein beS jübifd)en 23oIfS. ®ie ÜuSbrüde SiattjQeiv für bie 6r=
Haltung unb nqövoia für bie üßorfelmng übernahmen aus ber ©toa apotrr/pfyifcfye ©d)rift= 25
ftetler Sap. 11, 25; 14, 3; 17, 2; 3 SJtaf 4, 21; 5, 30; 4 9M 9, 24; 13, 18;
17, 22. ©enfelben SEitel tieqi Tigovoiag (Euseb. H. E. II, 18, 6; Praep. evang. VII,
20 fin; VIII, 13 fin.) füfyrt eine ©cfyrift ^S^tloS, bie uns nur armenifd) erhalten unb
bon 2lud;er mit Iateinifd)er Überfettung herausgegeben roorben ift [©djürer, op. cit. III,
531 — 32. @ine eingefyenbe llnterfud)ung ber Quellen unb beS tfyeologifdjen ©tanbbunlteS 30
beS SSerfeS giebt Sßenblanb, tytyltö ©djrift über bie 3Sorfebung, ein Beitrag gur ©e=
fötd&te ber nad;ariftotelifcb,en ^ilofof^ie, 1892 (»gl. bagu SBrunS, %W§ 1892, 616
big 620)]. yiaä) bem 33ud)e ber Sap. Salom. ift ©otteS ewiger ©eift in aUem unb
bält aße§ jufammen (1, 7; 12, 1); burefe, feinen SBiUen befielt alles (11,25); bie gan^e
3Sertoaltung (diolxrjoig 8, 1; 12, 18; 15, 1) unb Senfung (dtaxvßsQviioig 14, 3; bgl. 35
3 9Jtaf 6, 2: xhv näoav diaxvßeQvwv xuoiv) ber SDinge liegt in feiner §anb; er
orbnet atteS bobl (8, 1: Sioixsi ndvxa xQVOTf^> ÖÖ^ 2 ^a^ 15, 2; 3 Wtal 2, 21).
üßkil er geredet ift, orbnet er alles mit ©ered)tigleit, unb fyält e§ feiner 9Jtad;t nict)t
gemä|, jemanb ju berbammen, ber bie ©träfe nid)t »erbient (Sap. 12, 15). ©eine bie
gange ©djöfcfung umfaffenbe 33arml)erjigleit geigt fid; in ber SSergögerung unb SRilberung 40
ber über bie ©ünbe t>erf)ängten ©trafen (11, 23 — 26; 12, 2); allerbingS fyahen festere
nur für ba§ 3Sol! ©otteS bie ©eftalt öäterlidjer .ßücfytigungen (11, 10), bod) gilt gang
allgemein ber©a|: „®u fd)oneft alles, toaS bein ift, §err, ber SebenSfreunb" (ösonözyg
(pdöifvxog, 11, 26). hieben biefem ©ebanlen ber t»on ©ott geübten sXRiIbe bertritt
Sap. aud) bie %$w «iner boßen ©ouberänität beS abfolut frei unb miberftanbSloS mirfen= 45
ben©otteS (11, 22; 12, 8—22; 15, 7; bgl. bie gumeilen bis aufs Söort übereinftimmen*
ben Slufeerungen beS ^auluS 9iö 9, 19—21. hierüber ©rafe, Sfyeol. Slbbanblungen,
6. b. SSeigfäder geroibmet, 1892, ©. 264 f.). — 2Son bem ©iraeiben mirb bie menfd>=
Itdje ^reibeit nad;brüdlid)ft fyerborgeboben: TOemanb barf fagen, bafe ibn ©ott gur ©ünbe
beranlafjt ba&e; bielmeb,r b,at ©ott ben 3Jlenfd)en feiner eigenen freien @ntfd)eibung über= so
laffen (äyrjxev avrov iv xeiqi diaßovliag avxov), er i)at ifym Seben unb ^ob bor=
gelegt, bafc er greifen fann monad) er milt (15, 11—17); anberSroo leitet ber ©iraeibe
baS Söfe mie baS Übel auS bem burd; bie gange ©djöbfung gefyenben ©efe^e beS G5egen=
fa|eS ab {jidvxa öiood, eV xaxevavxi evög, 42, 24—25); mieberum erklärt er: „Tic
SSßerle beS §errn finb aße gut unb fd^affen gu feiner 3eit aßen ?£u|en; unb man barf 55
nid)t fagen: ®ieS ift fd;led)ter, als jenes" (39, 33-44). — 2BaS baS im 23ud)e Äobclctft
ungelöfte Problem ber SLbeobicee betrifft, fo gefd)ab bie gortbetuegung im ^ubentum
in erfter Sinie burd; baS 9Jc"äd;tig»erben beS UnfterbIid;leitSgIaubcnS (2 WM 7, 9. 11. 14.
20. 23. 29. 36—38). —
Tic fefjr umftrittenen ©teilen, in benen SoftyfyuS ben ^arifäern unb ©abbueäern 60
746 3Sorfrf)itng
t>erfcf)iebene Enfcfyauungen über bte göttliche 23orfeb,ung unb bie menfdjilicbe SöillenSfreifyett
auftreibt (B. J. II, 8, 14; Ant. XVIII, 1, 3; XIII, 5, 9), hat ©cb,ürer aroeifelloS
auf ifyren nötigen ©inn jurüägefür/rt : bte genannten SluSfagen tragen sroar ein ftar!
griecfyifcfyeS ©e^räge, laffen aber hinter biefer fremben ^ilofofefytfdjien gärbung ect)t alt=
5 teftamentltcfye unb jübifc^e Slnfcfyauungen erlernten, ©treift man bte griedjtfd^e gorm ab,
fo ergiebt fieb, als Sefyre ber $f)arifäer, bafj alles, roaS gefcbjefyt, bureb, ©otte§ 33orfeb,ung
geworben ift, ba^er auefj bei ben menfcfylicfyen ^anblungen, foroofyl ben guten als ben
böfen, ein SJJittoirlen ©otteS anjunel^men fei. ©er fcfyroäcfyfte ^unft in bem Sericfyt be§
QofeplmS ift gerotfj ber ©d)ematiSmuS, nadj) roeldjem bie ©ffener ein unbcbingteS gatum
io lehren, bie ©abbueäer baS gatum gönntet) leugnen , bie ^ß^artfäer einen 9JcitteItoeg
jtoifdien beiben einfdjilagen. 2lber felbft baran lann ettoaS 2Bat)reS fein. @S mag fein,
bafs in ber 2lnfcf)auung ber ©ffener ber göttliche gaftor, in berjenigen ber ©abbueäer ber
menfcfylidje gaftor im 3Sorbergrunbe ftanb. ^ebenfalls fyaben bie ^fyartfäer beibe ©e=
ban!enreib,en mit gleicher ©ntfcbjebenljeit feftgeb/atten: bte göttliche Slümadjt unb 33or=
l5 feljmng, unb bie menfcl>licr)e greifet unb 23erantrooriIicr)feit (©djmrer, op. cit. II, 392
bi§ 394, 510). 9Str bahm beftimmte geugniffe bafür, bafj baS rabbinifcr)e ^j^ntum
baS Problem ber göttlichen Sorfeb/ung unb menfcf)licr)ett greil)eit jum ©egenftanb feinet
!iftacr)benfenS gemalt hat (Sitteraturnacr)roeife bei ©cfwrer, op. cit. II, 394, 3Inm. 38).
23gl. überhaupt gum Sefyrftücf i>on ber @rl>altung unb Regierung ber 2öelt g. SBeber,
30 op. cit.
III. ©er neuteftamentlicf) e SSorfeb/ungSglaube. — Sitteratur: 2)ie SBerfe
über neuteftamentlttf)e 2&eoIogie üon SSaur 1864, 33. SBeiß 1868 (18955), D. ^fleiberer 1887,
SBettfcfjlag 1891—1892 (18962),- $olfcmann 1897 — englifd): Alexander 1888, Weidner 1892,
Adeney 1894— franj.: E. Reuss 1852 (18643), Blanc-Milsand. 1884, Chavannes 1889,
25 J. Bovon 1893—1894, Fulliquet 1893. — ©etbftoerftänbtid) fommen autf) bie S3eröffent=
litfjungen über einzelne neute|tamentlid)e Setjrbegrtffe in Setradit; enblicf) bie bogmatifcfjen
^Bearbeitungen be§ 6tblifd)=tfjeoiogiftf)en Materials, namentlich, in §ofmann§ <3diriftberoei§
1852—1855 (1857— 18592) unb in ben bogmatiftfjen SSerfen öon Otraujj 1840—1841, fa^iiiä
1874—1875'-, Siebennann 1869 (1884— 18852), Sortier 1879—1881, Sipftuä 1876 (18933). —
30 %n lebenbiger Kontinuität mit ber altteftamentlid)en Religion, aber jugleid) als perfbn=
lidjfteS (Erlebnis unb als originale Offenbarung »erlünbigt QefuS ©ott als ben burd)
unbefd)rän!te ©iite befeelten allmächtigen unb ^eiligen Söttlen, als König, 9tid)ter unb
fittlicfyen ©efe^geber, als gnäbigen, bie gange 9)cenfc|entt)elt mit feiner Siebe tragenben
SSater. Qn biefer religiöfen ©ehnPeit ruurgelt $efu 23orfefmngSgIaube. ©aS 33erI)äItniS
35 feines ©otteS jur SBelt ift ib,m ein burcfyauS lebenSooHeS: ber SBater ift ir)m in 2öab^r=
Ijett ber „§err §immelS unb ber @rbe" (3Jit 11, 25). Derfelbe füb,rt ben ganzen gegen=
märttgen Statur unb ©efeb/ic^te umfaffenben SMt^uftanb bem ibealen SoIlenbungSjiele,
bem ©otteSreicb/, entgegen. 2luf ben aloir omog (Sc 16, 8), ben gegeniüärtigen, unboU=
!ommenen unb böfen Söeltjuftanb , wirb eine neue bottfommene, unvergängliche 2Belt=
40 orbnung folgen, eine nahyyeveaia ^jimmelS unb ber @rbe, bie ben ©egenfa^ beiber auf=
b,eben roirb in ein »ollenbeteS ©otteSreicb) (Wt 19,28; Sc 20, 34— 36). ®ie auf bie
^erftetlung beS 3f{eicl)S b/injielenbe ©cb,ö^fung fafet ^efuS als unmittelbares Dbjett gött=
liefen %b,un$ unb SBaltenS, in beffen Sereicf) alle Vorgänge, aueb, bie geringfügigften
einen göttlichen SöiEenSauSbrucl im ©inne ber §eilSgeban!en beS SaterS bebeuten
45 (5Rt 10, 29 = Sc 12, 6) ; bemnacl; begießt er alles, toaS oon ber 9?atur überb)au))t gelten
foll, auf bie perfönlicfye Kreatur unb roeiter auf bie ju ©enoffen beS © otteSreicb, eS b,eran=
macb/fenben 3Jcenfcb,en: eine ^Jräformation beS bogmatifct;en ©cb,emaS Providentia gene-
ralis, specialis, specialissima (§oI|mann, op. cit. I, 164). $ür baS Seben unb
§infterben ber ©perlinge gilt ber 2tuSbrud „ntd&t ob,ne euern SSatcr" (3Rt 10, 29);
so bagegen ^ofitiö: bei eueb, finb aueb, bie §aare auf bem §au^te alle ge^lt (3Wt 10, 30).
©aS tn ber SluSfage „ib,r feib ja meb,r roert als biele ©perlinge" (3Rt 10, 31 = Sc 12, 7)
enthaltene Sttat bringt ben SBert |3erfönlicb,en SebenS relatib jum 2lusbruc!, roie ibn baS
2öort 301c 8, 36-37 = 3ttt 16, 26 = Sc 9, 25 abfolut b.infteßt. ©er ©ott, ber bie Sögel
beS §tmme!S nä^rt unb bie Blumen beS gelbeS Ileibet (3Kt 6, 25—30), giebt fieb, ^roar
55 tn fetner Scaturorbnung in gleicher Sßeife aEen SJcenfctjen bar, läfjt feine ©onne aufgeben
über Söfe unb ©ute unb regnen über ©erecf)te unb Ungerechte (Wt 5, 45); ben ©liebern
feines 9tetcf)eS erliefet fieb, aber feine Saterb, errlicbjeit in befonberem 3Jca^e: fie leb^rt er
ju ©ott als ib,rem Sater beten (3Kt 6, 9) ; aueb, baS geringfie in ib,rem Seben b&U er
unter feiner Dblmt (Mt 10, 29. 30); tfaem auberficbtltcfjen ©ebet berleib,t er gerotffe @r=
eo l)orung, roenn eS nur recfyt anbauernb ift unb nicb,t ermübet (ÜJit 7, 7—11 = Sc 11
9—13; 3Kc 11, 23—24 = Sc 17, 6; Sc 11, 5-8 = 18, 1—7); er rennt unb füllt u)re
aSorfcfjung 747
Vebürfniffc unb überlebt fie baburd; be§ fjeibntfd^en ©orgenS (9Jct 6, 31—33).
2lucb, barum brausen fte fid; nid;t ju bemühen, roa§ fie reben füllen im fritifcfyen
Moment be3 £eben3, roeil ©otte<3 ©eift t^re Vertretung bor ©ott übernehmen
iuirb (3Kt 10, 19—20 = £c 12, 11—12). SCud& bie Verfügungen, benen fte au§gefe£t
finb, Rängen fdjliepcb, t>on feinem fouberänen SBillen ab: er fann „hineinführen" unb 5
nid;t b,ineinfüf)ren (9Jit 6, 13), er fann fte aud) „abfürjen", bafc fie feinen augerroäfylten
nicfyt übermächtig werben (9Jtt 21, 22). ©elbft bie SBeltübel unb ber 3Mt £afe bürfen
für fie fein Verjagen begrünben; benn wenngleich, bie 9Jienfcf/en ben £eib toten fönnen
unb eS ebentuell aud) unbefnnbert tlmn werben, fo ift bennod; nur bie über jeitltc^esi
unb eroiges» £eben le|tentfd)eibenbe 9Jtad;t ju fürd;ten (SDtt 10, 28). Um bicfer 2Rad;t 10
roiHen barf bie „fleine £>erbe" aller »eiteren gurdjt entfagen, benn es" ift ib,reö Vaters"
2öof)lgefallett, ib,r ba§ 9tad) ju geben (2c 12, 32). SDafj btefe§ S^etc^ ftcb, aud) gegen alle
toibergöttlidjen Söeltmäcfyte fiegretd; burd;fe£en wirb, ift $efu bis" ans" @nbe feftgefyaltener
unb bekannter ©laube. $n biefer $ut>erficr/t läjjt er fid; aud; nicfyt irre machen burd)
bie überlieferte Vorfteßung, baf? ber ©atan afe £>aubt eines" madjtbollen, bie SJcenfdjen 15
beetnfluffenben 'Sämonenreicfyes" ibirffam ift (5Tcc 3, 23—26). SDttt feinem ©eifterblid
fd;aut er es" als" fdjon botlenbete SLf)atfad)e, bafj ber ©atan au§ feiner SJcadjtftetlung
bötlig unb befinittb geftürjt ift, fo bafj leine ©eroalt biefer geinbe irgenb benen etwas"
anbaben lann, beren Sternen im §immel eingefdjrieben finb, b. f>. bie ©ott ju Vürgem
feinet tyimmltfd&en 3teid;es" machen roill (Sc 10, 18—28; bgt. $oel 12, 30), (Sßenbt, 20
©bftem ber d;riftlict;en £eb,re, %. I [1906], 127). ^n ber Überwinbung aller Gr=
Meinungen bes" natürlichen ©lenbs" ebenfo roie ber ftttlidjen Verlegung befunbet ftd; bas"
kommen bes" ©otteäretct)eg (3Rt 12, 28; 11, 2—6). £)iefelbe 3Jiad;t fotl fid> aud; auf bie=
jenigen übertragen, bie als" feine ©efanbten bie frob,e Votfdjaft berlünbigen (9Jct 10, 8).
SDem Vater im §immel, bei bem fein ®ing unmöglid; ift (Tic 10, 27 = Wlt 19, 26 25
= £c 18, 27; Tic 14, 36), mufj bemnad; alles" bienftbar fein, — eine 2lu§fage, in roeldjer
eine braftifdje SEfyeobicee befd)Ioffen War, bie unbefd;abet aller drfenntniä ber unter bie §err=
fdjaft bes" Vöfen gefangenen Söelt, ben fräftigften Dbtimismu§ bes ©Iauben<§ $u bollern
feuern 2tusbrud brachte (§ol£mann, op. cit. I, 166. 129; §. SRonnier, La mission
historique de Jesus 1906, 156—159). $n bemfelben ift e3 aucf) begrünbet, baf$ Sefu^ 30
ber ben gttfammenfyang $on lxj6el unb ©ünbe feine§toeg§ leugnet (5Rt 9, 2), bem 9ttid=
fdjlu^ bon bem ©rabe be§ Übete auf ben ©rab ber ©djmlb aus>brüdlicr) roeb,rt- unb
bie SDrob,ung mit gleicher ©träfe nur al§ ^mbutö für bie ©rfütlung ber göttlichen
gorberung benu|t, £c 13, 1—5 (2öeifc, op. cit. § 32, 31 4). lue in ben 9teben
^efu enthaltenen 2Iu§fbrüd)e über bie Vorfef)ung finb djarafteriftifdie geugniffe bafür, 35
toie lebenbig er ©ott in ber Söelt toaltenb backte. @r flaute biefelbe immer sub
specie aeternitatis, b. b,. im £id)te feiner @rfenntnt§ be3 Vatertoefen§ ©otteö unb be§
eroigen £eben§ im 3fteicb,e ©otte§ (Söenbt, op. cit. 126). ©inen Veftanbteil biefer religiöfen
3ßeltbetrad;tung bilben aud) feine Sßunber; biefelben finb Söerfe, bie ©ott burcb, ib,n
bodbringt unb für bie er ©ott gebriefen b,aben roiH (Wie 5, 19). Dbgleicb, er felbft be§ 40
göttlichen 2öunberfd;u|e§ erforberlid)en gaUeS geroi^ ift (3Jct 26, 53), barf er ifyn nid;t
roitlfürlid; b,eraugforbern (9JU 4, 5 — 7); ja er erbittet bie 3Sunber bon feinem bimm=
lifcfyen Vater (Tic 7, 34) unb breift ib,n für ben i§m gefcb,enften ©egen (9Jit 14, 19). —
®ie au§ bem unmittelbaren ©otte3berouf$ifein Qefu ftammenben religiöfen 2lus>fagen ber=
bieteten fid) im aboftolifdjen unb nadjaboftolifdjen ^eitelter ju tf)eoIogifcb,en ©ä^en , bie 45
mit ben überfommenen 3«ugniffen mandjerlei au§ anbern Quellen b,errü|renbe dlemente
berbanben. ®ie3 gilt bor allem bon ^aulu§. ®ie ©teile 9tö 8, 28—39 bringt ben
religiöfen Äern ber baulinifdjen Vorfel^unggle^re ju il)rem treuften unb ergreifenbften
2lu§brud. gür ben ©laubigen ftellt fein feiger ^uftanb als berföb,nteg ©otte§finb ein
©lieb in ber feftgefügten föette göttlicher ©nabentb,aten bar, roeldje bi3 in bie ©toigfeit 50
be£ §eil§ratfd)Iuffeg ber @rroäf)Iung jurüdgeb,t unb bi§ in bie ©roigfeit bc§ b,errlid;en
Zieles ber ß^riftu§gemeinfcb,aft b, inau§reicf;t ; eben barum, roeil fie an bem freien 2BiHcn<?=
aft göttlicher @rroäl)lung ^)ängt, fann fie burd; feine Wlad)t ber Sßelt unb $e\t ab=
gebrochen unb bereitett roerben (Vfleiberer, llrd)riftentum 1887, 289). ©0 geftaltet fid;
ber ©ebanfe ber Sltlroirffamfeit göttlicher Vorfefyung im religiöfen Verou^tfein bcö 55
©laubigen ju ber bon jebem ©ct;ulbgefüt;I befreienben, alle Sfficltübel überroinbenben ©c=
roi^eit unroanbelbarer Siebe unb bäterlict;er gürforge ©otteö. Qn ber Vlcrobboric biefe§
^eiföglaubenö b,at Vaulu3 fein Vcbürfniä unb finbet feine Veranlaffung auf bie $ro=
bleme einjugeb,en, bie ben t^eorctifcfjen Vctracfytungcn allerlei ©cb,roierigfeitcn bereiten, für
bie g-römmigfeit aber gar nid;t borfyanbcn finb. ©0 crfd;einen bem Slboftcl in ber 2)ar= 60
748 $orfeI)itng
ftetlung unb Begrünbung bei .ipeillftanbel unb bei neuen aul bem ©eifte ftammenben
Sebenl, bie SBtrfung ©ottel unb bie ftttltdje greifyeit unb a3eranttoortlicr;tett bei ©laubigen
beibe all felbfiberftänblicb\ ©inerfeitl gilt uneingefcfyräni't bal 2Bort 9lö 9, 18 ©Ott
erbarmt fict), meldjel er JtjtE, unb berftöfjt, melden er miß (bgl. 9, 11). ^n bem e|
6 avxov xal di avxov xal eis avxov xd ndvxa (9tö 11, 36) lautet bal gtoeite unb bal
britte ©lieb fo unbebingt toie bal erfte. 2)ie SSölfer unb Reiten »erben bon ©ott ber=
fcbloffen unter ben llngefyorfam, bamit er fid) aller erbarme (3tö 11,32). SDer göttlichen
Berufung wirb ba§ ©läubigtoerben gugefcfyrteben (SRö 8, 29; 9, 26) unb ber 3reue
©ottel bie Skmabjung unb Botlenbung ber ©laubigen (1 3b/ 5, 23; 1 üo 1, 8. 9).
10 ©otoofyl bal kommen ber 23erfucr/ung all bal @nbe berfelben r)at ©ott in feiner 9Jiacr/t
(1 $o 10, 13). 2Iucr) bie äußeren S3err)ältmffe feine! Sebenl, felbft bie Slulfüfyrung ober
Vereitelung eine! Sieifeblanel, mact/t $aulul bon bem 2BtHen ©ottel abhängig (9fö 1, 10;
1 Äo 4, 19). Slnbrerfeitl toenbet ficf; ber Stboftel all ^ßrebiger unb ©eelforger an ben
SßiKen bei SRenfdjen. @r ruft bal ©rbarmen ©ottel an, um feinen Ermahnungen @tn=
15 gang gu berfcfyaffen (üftö 12, 1); er forbert bie ©emeinben auf, in einer ifyrem (lf)riften=
ftanb entfbrecfyenben SBeife gu leben unb bietet bamit, all bal ^ugJxäfttgfte 3Jlotib, bie
©anlbarfett gegen ©ott auf (1 3b, 2, 12; Sß$t 1, 27; M 1, 10); er leitet bie geiftige
^Radjbilbung ber urbilblicfjen Siebeltljat Sfyrifti au§ bemfelben SJiotib ber SDanfbarfeit ab
(2 ^o 5, 14 — 15). Dfyne irgenb ein Begehren nacfy reflerjonlmäfjiger Sermittelung gu
20 berraten, fann er mit ber fittlict)en Ermahnung an ber ©eligleit gu arbeiten unmittelbar
ben religiöfen ©ebanfen ber SlUmirffamlett ©ottel (1 $o 12, 6: 6 ivegycöv xd ndvxa
iv jiäoiv) berbinben %\j\ 2, 12—13. SDie erbäte Sebenbigfeit, mit melier folct/el £>anbeln
erfolgt, gilt all Söirfen ©ottel im SRenfcfyen. 2lud) fonft erfcf/eint bal 3fyun bei ©uten
auf feiten bei ©laubigen all ein 3l)un ©ottel in tym. 9cie fteEt ftct) bie ©acb^e fo,
25 bafj nact) bem fbnergiftifd/en ©cr/ema gu ber einen ©rfofg bebingenben $raft bei ©efcf/öbfel
bie göttliche $raft abbiert mirb. (§oI|mann, op. cit. II, 168—170.) — SBal für
ben ^eillftanb unb bal innere Seben bei ©ingeinen gilt, bal trifft aud) für bal gange
5Kenfcr/engefd)lecr/t gu. $n ben Briefen an bie ©alater unb an bie Körner giebt ^ßaulul
in ber brucljftüdlidjen $orm, meiere bie 9iatur unb bie Beftimmung folcfyer Briefe allein
30 guliefs, ©Jiggen einer religiöfen ^^ilofobb^ie ber ©efdjucfyte. SSeldje meltumfaffenben Qix-
rüttungen auet) bie ©ünbe Slbaml angerichtet b^at, ber etoige Siebelratfcb^Iu^ ©ottel, bie
SBelt ju feinem 3Reicl) ju geftalten unb bie 9JJenfcf)en in biefem feiner §errli<|leit teilhaftig
ju machen, toirb babureb; rttd^t aufgehoben (1 &o 2, 7 ; 9lö 8, 29). ®em legten ^iele,
bal ©ottel allmächtiger ©nabenmille feftgefe^t, ftrebt bie gefamte Kreatur, fomo^I bie
35 3Jlenfc§ent»eIt, ^UDen un^ Qtötn, ben $lan göttlicher ©rjieljung ausfüb^renb, all auty
bie bem ©efe£e ber 93ergänglicf»feit unterworfene 91atur ju (SRö 8, 18—23 ; 1 ^o 15,
24—28). — ®ie grofeartigfte ^onjebtion ber toeltregierenben 25erfa^rungimeifen ©ottel
jur Skrmirfltcfyung feinel |>eitl bringt ^3aulul ÜRö 9—11 in einer 2lulfüf;rung jutn 2lul=
brucl, bie Sebfcb;iag mit sJiecf)t all „baulintfc^e X^eobicee" (1868. 18952, bgl. 9^eu=
40 teftamentlicb> Geologie II2 [1896], ©. 112 ff.) be^eicr/net. ®en 2lnlafe jur 2lb>nblung
bitbet nieb^t eine bogmatifeb^e, fonbem eine aul ber gcfcfiic^tlic^en Sage fict; ergebenbe Ion=
Irete grage: wie ift el ju begreifen, bafj ^Irael, bal aulert»äl)ltc ©ottelbolf bei 2131,
je^t in ber eingetretenen neuteftamentücfyen 3eit bem ©bangelium fremb bleibt, roäb^renb
bie §>eibenwelt all Trägerin belfelben erfdjetnt? hierauf antmortet ber Slboftel junäebift:
45 ©ott ift in feiner Steicf/Igefcfncrjte immer fo berfabjen, bafe er na<f) freier ffiab^l ben einen
jum 3räger feiner Offenbarung beftimmte, ben anbern, ber gleite ober h, obrere Slnfbrücb^e
barauf gu b;aben fc^ien, bagegen gurüc!fe|te, — fo ben ^Imael gegen ben ^faal, ben @fau
gegen ben Qacob; unb menn er in ber ©egenwart bie Reiben git Prägern feiner 9ietc^l=
faa)e macfit unb bie ^uben bagegen berftoeft, fo berfäf)ft er mit bemfelben Siebte freier
so ©nabenmal)!, mit ber er ju 35iofil 3eit ^Irael bagu ertoä^It unb bal bfyaraonifclje
Slg^ten berftodt t)<xt. ©iefe berl)ängnilbolle Befangenheit gegen bal ©bangelium ift aber
lebtgltd) ein jeitmeiligel, gef^iditlic^el Verb; ängnil : ©ott I)at bie %uben nirf}t ftraucf,eln
laffen, bamit fie ju gaße lommen, fonbem bamit bal §eil px ben Reiben gelange: wenn
beren güUe eingegangen ift, bann wirb aufy ^Iraell ©nabenftunbe lommen unb „gang
55$!rael errettet Werben" (SRö 11, 11—31; bgl. 2 üo 3, 14—16). ©ie Betrachtung ber
unenbhd}en §ö^e biefer 2Bege ber roeltregierenben Borfel)ung ©ottel gtoingt bem Slboftel
etn Selenntnil anbetenber Berounberung ah (Sftö 11, 33—36; bgl. 1 Äo 1, 19— 31;
2, 6—16). 3m ©lange biefer §errlicf)feit toirb ber ©laubige inne, baf? aueb^ alk feinb=
liefen 2Räcb> ber ®urcf)füb;rung bei göttlichen §eillblanel bienen muffen: an ber ©e=
eo f^te ber ?Otenfcb,b,eit betoäb,rt fieb, balfelbe ©efe^ ber Söeilb,eit unb Siebe, bal ber
SBorfefjung 749
einzelne ©laubige in feinem eigenen Seben Wahrnimmt, jenes Tidvxa oorsgyei elg äyu-
■&6v (diö 8, 28), baS bie fombenbiarifcfyc ^ufammenfaffung beS baulinifcfyen $orfetwngS=
glaubeng barftellt, unb Welches aud) fein berföljmenbeS unb berflärenbeS £id)t auf alles
Seib ber (Srbe unb alle Übel ber SBelt berbreitet: erWeifen fid) bod) biefelben jugleic^
als eine ©cfyule weltüberWmbenber Hoffnung, als ein görberungSmittel jur enbgiltigen §err= 6
lid;feit, als eine (Einführung in bie @emeinfd)aft beS SeibenS unb beS £obeS ß^rifti^ bie
jmr ©emeinfdiaft feinet SebenS unb feiner ■gerrlidjfeit ausfragen Wirb (3Rö 5, 3—4;
8, 18; 2 fio i, 17-18; Sß&t 1, 29; 3, 10—11. 20—21; £o 3, 1—4). — 3fi in ber
nacb/baulintfcfyen Sitteratur bie Sejie^ung beS SkrfelmngSgebanfenS auf ben S5er=
föfmungSglauben aud) rtict)t mit berfelben SDeutltdjfeit Wafyraer/mbar als bei bem 2lboftel 10
(bgl. inbeffen (Sbfy 1, 10 ; 3, 9—12), fo beruht er bod) burcf/gefyenb auf ber 3SorauS=
fe^ung ber väterlichen ©üte unb Siebe ©otteS. 1 ^5t 5, 7 forbert bie ©laubigen auf,
äße ifire ©orgen auf ben §errn p werfen, ber für fie ©orge trägt. §br 13, 5—6
malmt jur ©enügfamfeit, unter §inWeiS auf ben bereits im alten Sunbe (©en 28, 15;
£>t 31, 6; Sßf 118, 6) jugefid)erten Seiftanb ber göttlichen 3Sorfeb,ung. %a 4, 13—14 15
Warnt bor bem fixeren übermütigen ©elbftbertrauen, mit welchem ber eintägige 9Jcenfcr/
feine $Iäne fafjt, ftatt fein ©innen unb §anbeln in bie 2lbf)ängigleit ©otteS gu ftellen. —
£>öd;ft djarafterifiifd; ift eine SluSfage ber älreobagrebe beS SlboftelS ^SauluS in ber 2lbofteI=
gefcfyicfyte; biefelbe läfjt eine ©inmirlung ftoifcfyer ©ebantm beftimmt ernennen : ber bie
Bewegungen ber 33ölf;ergefcr;tcr/te orbnenbe unb leitenbe ©ott giebt allem Sßefen Seben 20
unb 2ttem, unb ift namentlich ben 9Jcenfc^en als ber ©runb tt)re§ SDafeinS unb SebenS
beftänbig nar,e (21© 17, 26—28; »gl. aud; 14, 15—17). — 3luf ©runb beS $orfef>ungS=
glaubend gewinnt ber Gfyrift aucb, bie richtige ©teKung ju ben Söeltübeln, ben Seiben unb
Verfolgungen, Weld>e er erfährt: fie erfcfyeinen il)m als bäterlicfye, r)eilbringenbe güdjtigung
unb ©rjtefmng, naideia (§br 12, 5—11), als 33eWäI)rung beS ©laubenS unb ber ©e= 25
bulb (^a 1, 2—4. 12), ja, Wo fie im tarnen ßfyrifti unb für feine, ©acfye erbulbet
werben, als 33erf)errlid)ung ©otteS (1 %i 4, 12—16). — ©te fyeilSgefdjicfylicfK 33etrad;=
tung ber göttlichen !ßorfef)ung fdjliefjt bie loSmtfcfye SBertfcr/äijung berfelben nict)t aus.
£)ie baS SIC jufammenfyaltenbe £Ij>ätigfeit, Welche im 33ud; ber 2SeiSl)eit bem göttlichen
©eifte gugefd)rieben War, Wirb $ol 1, 17; §br 1, 3, bem ©olme, $0 1, 3 bem SogoS 30
beigelegt. 3n biefelbe Stiftung Weift ber ber ^^tlortifct)en 2lnfa)auung genau entfbrecfyenbe,
bie jübifct)e SSorftellung bom Stufen ©otteS unb infolge beffen baS BabbaÜ) gebot auft)ebenbe
©brud; 6 nm^q juov scog ägn ägyäCerai $o 5, 17. älucf) fonft trägt ber joftanmfdjie
©otteS= unb 33orfelmngSgeban!e alesanbrinifcfyeS ©epräge : fo Wirb ein toofitibeS 93erbältniS
jur 3Belt erft fyergeftefit burd} 2lufnab,me beS SogoSbegriffS in ben ©otteSbegriff 5, 26; 35
6, 57; 1, 4 (§ol£mann, op. cit. II, 391—392). ^n bemfelben SJiafie entfernt fid) ber
SSerfaffer bon ber genuin altteftamentlidjen ^ßofitton. r (Sbenfo Wirb ber jübifd;e, aller=
bingS 5, 14 aud) nod; borauSgefe^te ©runbfa^ bom Übel als ©träfe ber ©ünbe, in ber
ber 5El)eobicee neue Sahnen öffnenben ©teile 3° 9^ 3 O^- H/ 4 uno bereits 2lm 13, 4)
burcfybrocfyen. 40
IV £)te ©efd)id)te ber jßorfel^ungSleb, re in ber d)riftlid)en ^ i r et) e. —
Sitteratur: ®ie bogmengefdiidittic^eit SKerfe non 33aur (2ef)t6ucf) 1847, 18673; SSorfefungen
3 58be 1865 ff.), §agen6act) 1850 (18675), £t)omafiu8 1874—1876 (1886— 18892), g. 9Ji|fd)
1870, ^ornact, 3 «be 1888 ff. (18943ff.), Soofä 1889 (19074), ©eebevg 1895—1898; Älee
(Satt).) 1837 ff.; ©djiuane (Sat^.) 1862 ff., ba^u bie ^onograptjien über bie Geologie ber 45
StrrfjenDäter, Sirc^enle^rer, Reformatoren; bie ©erte über bte ©efdjicbte ber Stjeologte; aua)
bie Verarbeitung be§ bogmeni)iftortfd)en sI>lateriai§ in ben bereits ermähnten ©djvtften oon
Strauß, Äat)ni§, S)orner, Siebermann, — ugl. aud) ben 9lrt. Sßorfe^ung im Sird)enIejifon
uun «Seger unb «Seite, 33b 12. — £>ie Geologie ber älbologeten, bie baS Sfyriftentum als
einzig fixere unb b,eilfame. Weil geoffenbarte 'pr/ilofobfue faffen, giebt ib,ren eigentümlichen, &o
aus ber Kombination biblifdter unb fjellenifd; ^l)ilofobf)ifd)er ©ebanlen erWadjfenen ^nbalt
ganj befonberS in ber isorfefyungSlefyre ju erlennen. SDiefelbe tritt in bewußten ©egenfa^
gegen ben t)eibnifd)en ^olbtb^eiSmuS, ben SDualiemuS ber ©noftiler unb sDJanid)äer, ben
Fatalismus ber @bifuräer unb ©toifer. ®er @ine ©ott ift ber ©cb,öbfer ber älklt, ber
Später, ber Regent beS SSBeltlaufS unb ber Kirche, ber bie 6b,riften ju feinem Soll er= 65
loren, ber in tt)ren §erjen 2öob,nung mad;t unb tt)r Seben leitet, liefen ©ott breifen
bie Slbologeten mit ben üöorten ber griect)ifct)en SöeltWeifen (Ült^enagoraS, Legat. 5. 6;
bgl. 3;b,eobf)iluS bon 2lntiod;ien, Ad Autol. 5; QrenäuS, Adv. haer. 3, 25); aud?
barin tritt bie 33erWanbtfd/aft ib,rer 33orfeb,ungSle|re mit ber antilen ^bilofobb,ie berbor,
bafe fie borWiegenb foSmologifd) intereffiert ift. ®ab,in jielt aucb, bie SSerbinbung ber eo
biblifd;en ©ebanfen mit ber ftoifd;en £el)re bon bem in ber 2öelt Waltenben göttlichen
750 aSorfrijmtg
SogoS. Sltö einjtg Vernünftige unb burd) ba§ Gfyriftentum berbürgte, bilbet bie mono=
tl)eiftifd)e SBelterllärung ein toefentIicf)eS ©lieb in ber Äette ber rationalen, be3f)alb gött=
liefen döyjuaza. ^n bemjelben ©inne erllären fid) bie Vertreter ber nadjfolgenben
aleranbrimfd)en Geologie. 9la<§ Siemens SUeEanbrinuS ift bie Seugnung ber Vorfefmng
s ntdjt nur eine Verleugnung ber ct)rtftlid)en ©laubenSleljre (Strom, i, 11, 52), fonbern fte
fd)Iiefjt aud) bie Seugnung beä ®afein§ ©ottes felbft ein unb berbient bafyer nid)t fo fefyr
Söiberlegung als ©träfe (ib. 4, 15, 122); ja e§ ift firafmürbig, übertäubt Vemeife für
eine fo ebibente 2SaIjri)eit ju forbern (ib. 5, 1, 6). Um bie Söfung beS VroblemS ber
Xfyeobicee bemüht fiel) ©lemenS, mie aud) fein großer ©d)üler DrigeneS unb bie fbäteren
10 gried)ifd)en Väter. $l)rc im (Einzelnen mannigfaltigen S3erfuct)e begegnen fid) barm, bafs
fte emerfeitS bie menfd)licr)e gretl)ett unb VerantmortIid)feit ftarf l)erborl)eben, unb anbrer=
feitS jebe ©djulb ©oiteS an bem Vöfen baburd) auSfd)eiben, baft fie erllären, baS Vöfe
fyaU fein ©ein unb 2öefen, fei nid)ts VofittbeS, fonbern eine reine Negation im b!ato=
nifd)en ©inn (DrigeneS, in Johann, tom. II, c. 7; de princ. II, 9. 2; I, 5. 3;
ij 2ltl)an., contra gentes, c. 6 unb 7; VaftliuS, in Hexaem. hom. 2, 4; ©regor
b. Styffa, Orat. cateeh. c. 6). ,,-äJttt ber ©rlöfung burd) ߣ)riftuS unb mit ber $ird)e
mürbe ber VorfefwngSglaube nid)t in eine fefte Verbinbung gefetjt; benn er galt eben als
VorauSfe^ung berfelben unb als ein ©tüd ber natürlichen ST^eoIogte" (§arnad, ®ogmen=
gefdb. II, 124). SCro$bem märe eS einfeitig unb unbillig ju beraubten, bafj baS Qntereffe
2f ber Vorfel)UngSler)re ber gried)ifd)en Völler ein auSfd)liepd) tI)eoretifd)eS mar. 3n i^ren
baränetifdjen, aSletifd)en unb mora!ifd)en ©Triften betonen fte bielmefyr ben ©lauben an
bie Vorfefmng als ein mirffameS ^Dlottt) lebenbigen ©ottbertrauenS inmitten alfer Ver=
folgungen, frommer Ergebenheit in allen Seiben unb Söibermärtigleiten beS (SrbenlebenS
(@i)rtH bon ^erufalem, Cateeh. 8, 4; bef. Sf)rt)foftomuS, Homil. de statuis; id., tleqi
25 sljuaQjuevrjg xal jigovoiag ad Stagir. LL3; id, de diabolo tentatore hom. 3;
id, über ad eos, qui scandalizati sunt ob adversitates, quae contigerunt; feine
legten Söorte Befamtttid): Sofa tco §e(3 tkxvxcov evekev; bgl. aud) Xfyeoboret bon
@)ruS, ©d)üler beS ßl)rr)foftomuS, tteqi kgovoia? [jefm Sieben]). — £>ie ßuge^Brtglett
ber Vorfel)ungSlel)re jur natürlichen SCbeoIogte beben aud) bie abenblänbifd)en ©d)riftftefler
30 nad)brücflid) fyerbor. ©o nennen ^ertullian unb 9JimuciuS $elir. bie 2luSrufe ber Reiben
quod Deus dederit, Deus videt, Deo commendo, Deus mihi reddet, ein geugniS
ber ©eele für ben ©ott ber Gfmften unb feine atlmaltenbe Vorfetmng (^Eertullian, De
testimonio animae, aud) Slbol. 17; 2RinuciuS gelij, Octav. 18). ®ie ©d)rift beS an
ßicero gefcbulten, eine ©fyntfyefe bl)ilofobt)tfd)er Silbung unb djriftlicfyer ©ebanlen an=
35 ftrebenben £actantiu§, de opificio dei, feiert bie fd)öne unb jmed;mä^ige ©eftaltung
be§ 3Kenfc^en nacb, Seib unb ©eele, unb liefert baburd; einen namhaften Veitrag gur Ve=
arbeitung ber VorfelwngSlefyre. ®ie gelegentliche, oft citterte Slu^erung beö §icront)mu§,
meld)er e3 ungereimt finbet, ba^ bie göttliche Söeltregierung auf ba§ ^leinfte fid) erftreefe
(Comment. in Abacuc 1, 14: Absurdum est ad hoc deducere Dei majestatem,
40 ut sciat per momenta singula, quot nascantur culices quotve moriantur), ift
bogmenfyiftorifct) nid)t roeiter beamtet morben. 3)ia^gebenb bagegen unb lj)öd£)ft folgenreich
tourbe 3luguftin^ Stellung jur §rage. ®urd) bie 3ufammenfaffunÖ biblifc^er, fbejiell
baulinifd)er, unb neubIatonifcf;er ©eban!en gelangt er ju einer beterminiftifd} orien=
tierten Vorfef)ung§Iel;re, bie einerfeit§ gegen bie ©bicuräer unb SJlanicf^äer, anbrerfeitö
45 gegen bie Velagianer ba§ einheitliche göttliche Söalten in ber natürlichen ©d)öbfung
mie in ber übernatürlichen Drbnung ber ©nabe ju toab,ren fudbt. ®er Vegriff
be§ StfaM ift ein ©r^eugni» ber Dberfläd>lid)!eit ober ber Unmiffenlieit ber 9Kenfd)en;
in gBat)rt)ett finb alle in ber ©cfybbfung mir!enben Gräfte ber göttlichen Vor=
feb,ung unbebingt untertfyan (In Ps. 148; De Gen. c. Manich.)- Stuf baS ©inline
so roie auf ba§ ©anje erftredt fieb, ©otteä Vor-feb,ung, bie gerabe in bem Unfcfyeinbarften bie
b,öd)fte Vetounberung berbient (De Gen. ad litt. 3, 14; Serm. 119). 2öie ber Vegriff
be§ gufafte, fo ift aud) ber be§ ©cb,ic!ial§ unjuläffig (De civ. Dei 1, 5). Von b,ier au3
ift aud; bie Definition beö SSunberä al^ eineä nid)t gegen bie in ©otte<§ SöiCen be=
grünbete gjaturorbnung, mob,l aber im Söiberfbrud) mit unfrer befd)ränlten ^atur!enntni§
55 ftattfinbenben Vorgangs (Contra Faustum 26, 3 ; %. 5Ru3fd), 2luguftin§ Seb,re bom
2öunber 1865) ju erllären. ®ie 9tacb,mirfung neublatonifd;er ©ebanlen im 3ufammen=
l)ang ber djriftlidben Sßeltanfd;auung ift befonberS in 2luguftin§ ^eobtcee mafjrneb, mbar :
ba§ Vöfe ift blofse Negation ober $ribation be§ ©uten (Enchir. ad Laurent, c. 11;
de civ. Dei 11, 9. 22; 12, 7; Conf. 7, 12, -«18). $m Organismus beS UniberfumS
60 ift aud) ba§, toaS für fid) unbollfommen erfd)eint, »ol)I berechtigt unb bient baju, bie
SSorfeljttrtg 751
Üsoßfommenfycit be§ ©an^en ju erbten (De eiv. Dei 11, 2:]. 11; de natura boni,
c. 15; epist. 5. 28; Enchiridion ad Laurent, c. 10 ff.)- ®teS fcfyliefjt bie Deutung
be§ Übelö al§ ©träfe rtid^t au§ (In Joann. hom. 55; de civ. Dei !), 3), aber and)
bem ©uteri finb auf äße $äHe §eimfucfmngen fyeilfam vel ad perficiendam vel ad
confirmandam vel ad probandam virtutem (Contra Faustum 22). ®a3 fitt= 5
lieb, 33öfe Witt ©ott niemals bofitib; er Würbe e3 aber audj nidjt einmal plaffen, Wenn
er e3 nicfyt jum ©uten ju lenlen Wüjjte: fo fyat nad; @otte§ ^atfdjlufj ber ©ttrgeij ber
Corner bem 5Heid^e @b,rifti bie 2öege bereitet (de civ. Dei 7, 30). ©o bient jebe 33e=
tfyätigung ber menfcfylicfyen §reib,eit bem Pane ber SSorfefmng (ib. 5, 9). £)ie 23öfen
tonnen, Wenn fie aud) nod) fo fe£>r gegen ©ottes» Söitlen I)anbeln, bie 2lbficf)ten be§ 10
fyöcbjten SSeltregiererS nid)t bereitein (De praedest. sanctorum 16, 33). SDiefe ©e=
banlen finb in ber abologeiifcfyen ©d)rtft de civitate Dei (412—426) ju einem genialen
©tyftem d)riftlid)er ©efcfyicltsptnlofobljne erweitert Worben. — ©leicfyfallso ber Übergang^
geit bon ber römifdjen §errfdEmft jum Einbringen ber Barbaren gehört ©albtanS ©djrift
de gubernatione Dei libri VIII, ein £)enfmal grof^ügiger tfyeologifdiier ©efc^ic^ 15
betradjtung, welche al§ Ie£te§ ©ebetmnts> ber bamals» bie ©emüter erfdjmtternben
3Beltfataftrobb,en baS Urteil au§fbrid)t: bie Sßkltgefdndrte als ©otteS SBeltgericfyt.
— Wti auguftinifcfyem Material operieren alle mittelalterlichen ^irc^ettlebrer , in=
bem aud) biejenigen, bie fid) in Wefentlicfyen fünften bon ifym entfernen, fic^> auf feine
Slutorität berufen. 2lm engften fct)lie$t fid) bem großen $irdj)enbater XfyomaS bon 2tquino 20
an, ber ba§ Sefyrftücf bon ber 3Sorfeb,ung unter bem £itel De conservatione et guber-
natione rerum im erften S£eil ber Summa befyanbelt: bef. Qu. 103—117 SSor itmt
Ratten Slnfelm unb Slbälarb namentlich gum Problem ber 5Lt)eobtcee ©teHung genommen.
Seibe lehrten, ©ott fyabe bie möglicbjt befte Söelt gefdjjaffen, Wie er übertäubt alles fo
gut mad) e, als> e§ nur fein fann (2lnfelm, Dial. de ver. c. 7 : omne quod est, recti 25
est — Slbälarb, bem iimäuS ^3Iato§ jufiimmenb, Introd. ad Theol. III, 5: Deum
nullatenus mundum meliorem potuisse facere, quam fecerit.). 3>m ©egenfa| ju
biefem DbttmtSmuS berWtrft £>ugo bon ©t. Victor bie 33el)aubtung al§ gottesläfterltd;,
bafe ©ott md)t§ anbereS unb nid)t3 beffereS machen fbnne, Weil baburd) ber unenblicfyen
3Jlact)t ©otte§ SDtaf? unb ^iel gefe$t Werbe (Siebner, §ugo b. ©. Victor, ©. 367—368). so
@ine au^erorbentlidje Erweiterung b/at bie äSorfebungSlefyre bei %fyoma§ Stquinag erfahren.
Dbgleid) bie religiöfen Sftottbe unb galtoren ber Sefore beutlid) er!ennbar finb, trägt biefelbe
bod) ein entfd)ieben foSmologifcfyeS ©ebräge unb geftaltet fid) $u einer großartig angelegten
bernünftigen Söelterflärung be§ ßfyriftentumS. ©cfyö'bfung unb Erhaltung finb ibentifd; in
§tnfid)t ber £I)ätigfeit ©otteS, berfcfyieben in §infid;t ber fefunbären ttrfad)en, burd; 35
toeld}e bie S^ätigfeit ©otte§ in ber Erhaltung bermittelt toirb.M ®a§ Normale ift, ba^
bie Äaufalität ©otte§ in ben causis secundis tt)ir!t; ein Überspringen ber le^teren
feiten^ beä aßmäd)tigen SöiHenS ©otte§ begrünbet ein SSunber. 3n Der gubernatio ift
ju unterfd} eiben bie ratio gubernationis unb bie exeeutio ; in erfter äBejiefmng fyanbelt ©Ott
immediate, in ber gibeiten mediantibus causis. ©0 betoegt ©ott Serftanb unb Söillen 40
be§ ÜJtenfd^en, aber sie movendo non cogit voluntatem, quia dat et ejus propriam
inclinationem. ®er ftarf beterminiftifd)e Qua,, welcher bie ©efamtanfd)auung be§ %l)oma§
beb,errfd)t, wirb in ber ^ßrarig burd; ben tirc|lid)en ©emibelagiantemug gemilbert, ber eine
relatibe Slnerfennung bes greib, einbegriffen berlangt. Sreffenb bemerft Soofo, e§ fei für
bie £)ogmengefcr;idE)te bon grofeer S3ebeutung geworben, baf$ %fyoma§ feinen ^ilofobfjifd^en 45
®etermim§mu3 mit ber auguftinifd}=bräbeftinatianifd)en ^rabition fombinierte: 5präbeftination
unb ÜRebrobation finb ib,m lebiglid? ©bejialformen ber göttlichen ^ßrobibenj, b. i). ber
S3ebingtb,eit alle§ ©efct)eb)ertg burc| ©Ott, ber prineipium et finis rerum ift. 2tud) in
ber S^eobtcee, bie im 13. ^cib^imtort gegenüber ben buaüftifcfyen ©e!ten toieber fräftig
bearbeitet tourbe, fcb,Iie^t fict; %fyoma§ enge an 2luguftin an. @r l)at ben ©ebanfen nieb^t bo
gefreut, bafj ©ott quasi per aeeidens bie corruptiones rerum bewirft; benn bie
perfectio rerum universitatis requirit, ut non solum sint entia incorruptibilia,
set etiam corruptibilia; barau3 folge aber, bafs bie perfectio universi SSefen ber=
langt, VoeIcr)e bom ©uten abfallen !önnen, ex eo sequitur ea interdum deficere,
P, I, Qu. 48, art. 2 (£amacl, Sogmengefcb,. III, 450—451). — ®er ©egenfa^ beö 65
©unS ©cotuS gegen ben ©eterminiSmuS bes> SE^omaS bon Slqutno ift mir ein relatiber;
feine ©tärfe liegt bor allem in ber ^ritif (bgl. namentlich bie ^rtti! ber £eb,re SlugufttnS
unb 2lnfelm§ bom malum; äßerner, SDunS ©cotuS, ©. 402 ff.). — £)te in ber mittel*
alterlidjen ©ntmidelung immer meb,r b,erbortretenbe 3luSfcb,eibung auguftinifeber ©ebanfen
rief aueb, im Seretd) ber Sefyre bon ber göttlid;en 3Sorfef)ung 9teaftionen ^erbor, bie ©r= 60
752 $orfrf)ung
Wäljmung berbienen. ©o machte %f)omaä bon SrabWarbina (geft. 1349) bie beter=
minifttfdjen ©ebanfen beS £Ij)omiSmu3 mit @tfer gegenüber ber jüngeren ©djolafttf geltenb.
VefonberS War es> Sßiclef, ber in feinem Trialogus einen entfdjneben beterminiftifcfien
©tanbpunlt bertrat. Omnia quae eveniunt, de necessitate eveniunt. — Deus
5 necessitat ereaturas singulas activas ad quemlibet actum suum (4, 13; 2, 14).
— Qnbeffen, Wie fefyr bie fpefulatibe unb bialeftifcfye ©ebanfenarbeit ber ^atrtfttfd^en unb
fa;oIaftifd)en Geologie ftct) bem Sefyrftüdf: bon ber göttlichen Vorfeljmng jugeWenbet fyatte,
eine firdjlicfye Seb/rentfct/eibung ift im ©djofte beS ^atfyoltciSmuS über biefeS Sogma erft
in neuerer geit getroffen Worben. SaS ^ribentinum §at fidj über bie $rage Weber in
10 feinen Sefreten nocb, „in feinen (SanoneS auSgefprocfyen. dagegen enthält ber römifdje
ÄatecfyiSmuS einige Slufjerungen, bie bem ^totä unb bem (Sfyaralter be§ 2ßerfe§ ent=
fprecfyenb nicfyt in bie ir/eologifcf)en $ontroberfen eingreifen, ben VorfetmngSglauben aber
auf einen populären fafslicfyen ShtSbrucf' bringen. Qn ber ©rflärung be§ 1. 2trtilel§ beS
2lpoftoIicum betont ber $atecr)i§mu3, bafj nicfyt nur ba§ ©afein aller Singe allein burct)
15 bie 2lHmacr;t, 2öei3l)eit unb ©üte ©otteS bewirft Werben fonnte, fonbern bafj aucb, nactj
Votlenbung beS ©cfyöpfungStoerfeS bie göttliche VorfeI)ung äße gefcfjaffenen Singe be=
ftänbig begleitet unb fie mit berfelben $raft erhält, Womit fie in§ Safein gerufen finb;
bafe biefe Vorfelnmg fotoob/l alles ert/ält unb regiert, als aucr) Urfactje aHer VeWegung
unb 2öirffamfeit ber ©efcf,öpfe ift (I, 1, 5, § 47, @b. Sans). Sei ber Deutung be§
20 §errengebetS bringt ber Oatech. rom. ben Segriff mit bem Vatemamen ©otteS in Ver=
binbung: bie Vaterfct;aft ©otteS erfyeHe ex locis creationis, gubernationis et redemp-
tionis (De oratione dominica, c. I, § 730; @b. San^, bgl. c. V, § 747; c. VI,
§ 750). — ©inen gWar rtid^t burcfj Originalität ber ©ebanlen, aber burct) fyinreiftenbe
Rfyetortf ausgezeichneten (SntWurf fau)olifc|er ©eftfjttfjtSpt/üofopbie giebt Voffuet in feinem
25 Discours sur l'histoire universelle (1681). — $m ©egenfa| nid)t foWoljl gegen bie
Seiften beS 18. 3jflfyrb,uttbert3 als gegen ben neueren RaturaliSmuS unb 2ftateriaIiSmuS
gab, nacfy bem bereits burcb, ViuS IX. im ©r/HabuS berfud)ten 2tnfa£ (Verurteilung, ber
prop. II: neganda est omnis Dei actio in homines et mundum), baS Vattcanum
eine ©rllärung ab, welche beSfyalb bon grunblegenber Sötcfjtigleit ift, Weil fie bie erfte
so offizielle burcb, bie fattwlifcr)e ^ircfje aufgeftellte bogmatifcb,e Definition ber göttlichen Vor=
fefyung enthält. Rad) Verurteilung ber berfcljiebenen formen beS 2ttI)eiSmuS mürben bem
urfprünglic^en ©cr)ema ber ^onftitution De Fide, c. I: de deo omnium rerum
creatore, folgenbe ©ä£e beigefügt unb aucb, in ben ■Jejt ber Selrete aufgenommen:
Universa vero, quae condidit, Deus Providentia sua tuetur atque gubernat,
35 attingens a fine ad finem fortiter et disponens omnia suaviter. Omnia enim
nuda et aperta sunt oculis ejus, ea etiam, quae libera creaturarum actione
futura sunt. Surcf) lederen ©a$ foHte nacb, ber (Mlärung beS Referenten (2Mfcf/ofS
©affer bon Vrirm) ber zweifelhaften unb unbeftimmten 2tuSbrucfStoeife getoiffer latb,o=
lifcfyer Geologen (unter anbern ©üntb,erä) bie ©buje abgebrochen, unb bie bogmatifcr)
40 feftfteb,enbe Seb,re bon bem göttlichen Vor^ertniffen aller Singe, aucb, ber gufünftigen
freien §anblungen (futura libera) Har b,erborgel)oben toerben. Coli. Lac. 7, 105,
emendatio 8a; bgl. 85. 99. 109. 1671 (Söefeer unb SBelte. Slircbenlerifon2 12 [1899],
1109).
_ Sie in ber Iatf)oIifcl)en ^ircfie überlieferte Vorfeljmngglefyre iourbe burcb, bie 3Refor=
45 mation nicbt einer mit roof>I ermogener 2lbfic£)t geplanten unb burcfygefüfyrten bogmatifc^en
Umbilbung ober Stebifion unterworfen. 2luf biefem ©ebiete toaren fidj bie Väter ber
ebangelifdien ^ircb,e !einegtoegg bemufet, jur 'Xrabition eine gegenfäpcfye ©tellung ein=
juneb^men. Unb bocb, bebeutet bie Reformation eine mistige (gpoc^e, \a einen entfcb,eiben=
ben SSenbepunft in ber ©ntwicMungSgefcr/icfyte be§ d^rtftlid^ett Vorfe^ung^glaubenS. Ricb,t
so au§ tb,eorettfd;en Vebürfniffen unb Qntereffen, fonbern bom praltifc^en ©eficb^täpunlt be§
mieber Har formulierten ^bealg ebangelifd)er grömmigleit au$ erfuhr jener ©laube eine
SBanbelung, bie in bem grunblegenben ^eugniffe Sutljerö unb in ben flaffifcfyen Urlunben
ber bon ifym ausgegangenen ^irc^enerneuerung mit befonberer ©efoalt unb Seutlicb,!eit
f>erbortritt, aber ebenfalls, wenn aucb, nicb,t immer in berfelben gorm unb in gleichem
55 3ufammen§ang, auf reformiertem Soben Wab,rjuneb,men ift. Siefe tief eingreifenbe Um=
Wanblung liegt in bem ©runbfa| enthalten, bafe bie einfachen fittlicb,en Vflicb,ten bie
oberften ReligionSpfIicb,ten beS Stiften finb, bafj ber Wa^re ©otteSbienft fic| innerhalb
ber natürlichen SebenSorbnungen burc§ bie Siebe jum Ränften ^u betätigen b,at, ba^ bie
©emeinfcb,aft mit ©ott rttc&t jenfeitS ber menfcfylicfyen Seftimmung ju erftreben ift, fonbern
eo auf ©runb ber göttlichen ©nabe unb in ber Straft beS göttlichen ©eifteS im ©etrtebe ber
»orfdjmig 753
2BeIt if>re Sertoirflicbung finbet. SDemnact) liegt ber ©cfytoerbunft beS cfyrtftlicben 5ßor=
fefyungSglaubenS nicfyt in einer £l)eorie ber SBelterflärung, in einem bfyilofopfüfcfyen ober
bogmatifcfyen Skrfucr;, bie in ©ott begrünbete Drbnung ber gefcfyaffenen SDinge ju beuten,
fonbern in ber praftifd) ju erlebenben ©etoipeit ber bäterlidjen gürforge unb Seitung
beS in @I)riftuS uns offenbaren unb auf unfer £>eil gerichteten ©otteS. SDiefe (SrtenntniS 5
aber ift ntc^t ©ad)e ber Vernunft, fonbern beS ©laubeng, benn ©ott in ^erjlic^er $u=
berficfct unb finblidjem Vertrauen als feinen allmächtigen ©cfyöbfer unb (Srfyalter, als
feinen lieben bimmlifd)en SSater anerkennen unb erfaffen, in leiner -ftot an ifym jtoeifeln,
ju ü)m fid) alles ©uten berfefyen, baS bermag nur berjenige, ber Gfyriftum als baS Sßfanb
ber göttlichen ©nabe ergriffen unb in tt)tn Vergebung ber ©ünben, Seben unb ©eligfeit 10
gefunben b^at. ®er fo geartete, auf ben göttlichen §etI§miHen in ßI)riftuS ficb, grünbenbe
3>orfeI)ungSglaube erfd)eittt Sutfyer gerabeju al§ bie tontoenbiarifcbe 3ufammenfaffun0 oe^
gangen SfSriftentumS. „©olcfyer ©taub, ber eS toagt auf ©ott, toie bon il)m gefagt toirb,
eS fei im Seben ober ©terben, ber mad^t allein einen Sfyriftenmenfcfyen unb »erlangt bon
©ott alles toaS er toiH" (^urje gorm . ß% 22, 15). tiefer ©taube eräugt aucf, is
ein SCfyeobicee, inbem er bem Problem be§ Übels eine braftifcfye Söfung giebt, toeld)e bie
©efyeimniffe unb SWätfel nicfyt befeitigt, ben ©Triften aber burcfy bie ©etoifjfjeit einer 9Zot
unb SEob, ©ünbe unb ©ctymer^ übertotnbenben Siebe jur §errfdj>aft über bie Söelt ergebt
(De libertate christiana, Op. lat., @rl. 4, 231; SutfyerS Briefe, be SSette 4, 53;
Cat. major II, 17—23). Qn benfelben Sahnen toanbelt 9JMand)tf)on, fobalb er ficb, 20
nur barum bemüht, ben et>angelifcf)en §eilSglauben auSjufbrecfyen (Loci 1521, ed. $olbe,
©. 176); fjat er bod) aud) ganj im©inne SutI)erS ben 3Sorfe^ungSgIauben in ber 2IugS=
burgifcfyen ^onfeffion als ^ßrobe ber erlebten SSerfölmung getoertet: Jam qui seit se
per Christum habere propitium Patrem, is vere novit Deum, seit se ei
curae esse, invocat eum, denique non est sine Deo, sicut gentes Sine 25
fide (humana natura) non invocat Deum, a Deo nihil exspeetat, non tolerat
crucem, sedquaerit humana praesidia, confidit humanis praesidiis (2trt. XX, 24.37).
@benfo bezeugt bie älbologte §u toteberbolten 9JcaIen, bafj biefer ©taube als res supra
naturam nietjt im Vermögen beS fünbigen SRenfcben liegt (II, 8. 18. 34. 35; III, 14.
46. 182; VIII, 73), btelmebr nur bom berföfynten, gläubigen ßliriften geübt toerben !ann 30
(II, 45; III, 4. 20). — £)ie Sebeutung, toelcfye ber ^ecbtfertigungSglaube für bie Iutt)e=
rtf4>e ^römmigleit fyat, nimmt im ©ebo^e ber reformierten Äircfye ber $räbeftinationS=
glaube in 2Infbrud). SBeiberfeitS bilbet baS religiöfe ^ntereffe ber §eilSgetoif$eit bie ©eele
beS neuen ©laubenSlebenS. S3eftebt bemnad) §toifct)en ber @rtoäI)IungSlef)re unb bem 2el)r=
ftücf bon ber Providentia auf reformiertem Soben ein unleugbarer ßufammenbang, fo 35
liegt gerabe barin ein SBetoeiS unb eine ©etoäi)r für ben eminent braftifd)en ßfyarafter
bei reformierten SSorfefjmngSglaubenS. Sei gtoingli, bem £>umaniften unter ben SSätern
ber reformierten Strebe, berbedt gutoeilen bie bfyilofoblnfd)e Formulierung ber ©ebanlen
bie braftifd) religiöfen SRotibe ber SSorfebungöIebre, fie finb aber aufy unter ber fbelula=
tiben §üEe noeb, beutlicr) erkennbar, ©eine 2lbfyanblung über bie 3Sorfeb,ung, eine feiner *o
gereifteften ©Triften (Op. lat. ed. ©d)uler=©cbultl)ef$ IV, 2, 79 sq.), füfyrt ^oeen aus,
bie er in einer ^ßrebigt bor ^ßfyiübfc bon §effen in Harburg (1529) au§gefbrocb,en blatte,
©ott ift baS ©ein fcl)lecb,tb,in unb baS ©ute fd)led)tl)in, aUeS ©ein unb alles ©ute; btev=
auS folgt, bafj aufeer ib,m nichts erjftiert; aHeS, toaS ift, ift in if)tn unb auS ib,m; ©ott
ift baS Söefen bon allem; @r ift bie einige im boHen ©inne fo ju nennenbe Urfaa^e «
bon altem, bie enblid)en Urfacb,en bagegen finb blofe äftittelurfadpen, nur bie unfelbft=
ftänbigen Organe beS unenblid^en ©eifteS: ja bie 9fatur ift ©ott felbft (a. a. D. p. 90, 87
3SgI. In Luc. VI, a. 619). @S !ann mithin nichts geben, n>aS bon ©ott unabhängig
toäre, toaS nieb^t bureb, bie 33orfeI)ung beftimmt toäre. %\t bod) bie 2Sorfeb,ung perpetuum
et immutabile rerum universarum regnum et administratio (a. a. D. 84). 2öenn ßo
bie 33orfeb,ung unabänberlicb, unb aHtoirlfam ift, fo toirb ber freie Sßille beS 5Renfd)en in
bie göttlid^e SEb,ätig!eit aufgehoben. 2öte foUte bemnad) ber ©laubige baju fommen, ficb,
für frei ^u fjalten? ©lauben Reifet auf fein eigenes SSerbienft toergiebten; ber ©laube,
bon ©ott gefd^enft, lebrt uns, bajj ©ott alles wirft unb toir nid)tS. 2öir finb alfo nur
2Ber!^euge in ber §anb ©otteS; aßeS, toaS toir tbun, ift in le^ter Sejie^ung fein 2öerf, 66
unb bon einer greifyeit, bie ettoaS anberS, als Slb^ängigleit bon ©Ott toäre, lann ntebt
bie 9tebe fein. SDiefer, in feiner Formulierung bureb, ben ©toiciSinuS unb ben 9ieu=
blatoniSmuS ber 3f{enaiffance (^3tcuS bon 9Jciranbula) be|errfd)te ^Determinismus, entfbrang
jtoar in letzter ^nftang einem religiöfen ^rttereffe, bem SebürfniS, bie ©laubenS= unb
^eilSgetoifjfeit auf ©otteS untoanbelbaren Sßillen ju grünben ; er mufjte aber fd)lie^licb ßo
SHeot=®nc^Ho))äbie für Ideologie unb Sir^e. 3. 81. XX. 48
754 aSorfeljuttiJ
©ott felber jum Urheber beS Ü6el§ unb beS SBöfen machen. gmingli fdjridt bor btefer
ßonfequenj nic^t jurüd, beten 2tnftofj er burd; bie @r!lärung ju bef eiligen meint, ber
fittlicfye ÜWafjftab fei nur auf ben unter bem ©efe£ fteljenben 9Jcenfcr)en, ntdjt auf ben
über baS ©efe| erhabenen ©ott antoenbbar. gnnnglis 33orfeI;ungSgebanfe getoinnt erft
5 in bem ©rmäfylungSglauben feine fonfrete S3e§iet>ung unb feine fyeilSgefdncb, tlicfye fbe^fifd;
d;rifilid;e Seftimmtfyeit. — ©in ©Ieicr)eS Icifjt fict), toenn aud; nid)t gang unbebtngt,
bon ßalbtn fagen. StllerbingS erfahren in ber Institutio bie beiben Sefyrftüde, baS bon
ber Providentia unb baS bon ber aeterna Dei electio, eine gefonberte SBefyanblung. QeneS
toirb in ben brei ©djlufjtabiteln beS erften 93ud^eö bargeftellt (c. 16: Deum sua virtute
10 mundum a se conditum fovere ac tueri, et singulas eius partes sua Providentia
regere; c. 17: Quorsum et in quem scopum referenda sit haec doctrina, ut nobie
constet eius utilitas; c. 18: Deum ita impiorum operä uti, et animos flectere ad
exsequenda sua iudicia, utpurus ipseab omni labe maneat); baS ©ribäbJungSbogma
roirb im britten 33ud;e, im ßufammen^ange ber fbejififd; cfyriftlicfyen $eilslel)re, als 33orauS=
15 fe^ung unb ©runblage berfelben enitoidelt (Cap. 21— 24). @S beraubtet inbeffen bereits
im erften 33ud; ber ©ebanfe beS paternus Dei favor eine bominierenbe ©teHe (I,
16, 1), unb ber ©egenfa| jtoifd^en bem carnis sensus unb ber fides, roelcfye aHein bie
specialis Dei cura wafn^uner/men bermag (ib., bgl. I, 17, 6: ^Berufung auf baS
christianum pectus, bie pietatis regula, bie pia sanctaque meditatio) bewegt fid;
20 ganj in ben ©buren ber burd; £utl)erS ©eift befjerrfcf/ten ebangeüfdjen grömmigfeit (bgl.
III, 8, 1). SDaSfelbe gilt bon ber SLbeobtcee (talbinS, bie tbrert fd)önften SluSbrud in
ben 1554 gehaltenen ^ßrebigten über baS 33ud) §iob (CK 23b 33—35) gefunben unb
fid; in bem an 9Jö 8, 36 fid; anfdjliefjenben ©a£ gufammenfaffen läjjt, „Puisque Dieu
nous aime, nous ne serons jamais confus : et tant s'en faut que nos afflictions
25 empechent nostre salut, qu'elles nous seront tournees en aide, et Dieu be-
songnera en teile sorte que nostre salut sera avance par ce moyen-la" (CR
33, 87). 3>n bemfelben ©inn fbricr/t fid; bie gleichfalls mit ßalbin in utfäd)Iid;em $u=
fammenb,ang ftebertbe frangöfifcbe ^onfeffion auS: „Dieu a des moyens admirables
de se servir tellement des diables et des mechants, qu'il sait convertir en
30 bien le mal qu'ils fönt et duquel ils sont coupables Dieu qui a toutes
choses suiettes ä soy, vieille sur nous d'un soin paternel, tellement qu'il ne
tombera point un cheveu de nostre teste sans son vouloir (Slrt. 8). tiefer burd;
ben genuin ebangelifcfyen ©laubenSbegriff bertiefte, aus ber 3Serför)nung burd; (EbriftuS
abgeleitete 33orfetmngSgebanfe gelangt aud) in ber erften $rage beS §etbelberger $atecf)is=
35 muS ju beutltdjem unb berebtem SluSbrud : „äöaS ift bein einiger Sroft im Sebcn unb
im ©terben? ©afj id; mit Seib unb ©eele, beibeS im Seben unb im ©terben, nidjt
mein, fonbern meinet getreuen £>eilanbeS ^efu Gfynftt eigen bin, ber mit feinem teuern
SBIute für alle meine ©ünben boüiommen begablt unb micb, auS aller ©einalt beSleufelS
erlöft fjat unb alfo betoafyrt, bafj ofyne ben 9BiHen meines 33aterS im §immel fein §aar
40 bon meinem §aubte fallen lann, ja mir aud; aßeS ju meiner ©eligleit bienen muft"
©ie fbejieH ber göttlichen 33orfefmng gemibmeten fragen (27 — 28) fiebert baS religiöfe
©rgebniä ber ©laubenSerJenntniS ba^in, „ba^ toir in aller SBibertoärtigfeit gebulbig, in
©lüdfeligfeit banlbar unb aufy julünftig guter ^M^fidjt ju unferm getreuen ©ott unb
aSater fein foHen, bafj un§ leine Kreatur bon feiner Siebe fctjeiben wirb, bietoeil aUe
45 Kreaturen alfo in feiner §anb finb, bafe fie fid; ofyne feinen Sßiüen aud) nidjt regen unb
betoegen fönnen" (3Sgl. aud; Confessio Belgica, art. 14; allgemeinere, gegen bie fbe=
äififd) d;riftlid)e Segrünbung me^r neutrale gaffung Conf. helvetica posterior, art. 6). —
Seiber bermod;te eS bie ebangelifdje Strebe rtiebt, fieb, auf ber burd) bie Deformation er=
reiften ^öb^e ju beraubten. ®ie ©djolafti! ber broteftantifd;en Drttjobojie toufcte ba§
so religiöfe ^ntereffe be<§ reformatorifd;en 3Sorfel)ungSglaubenS nur in geringem 2Jcaf$e ju
toab^ren unb au§jufbred)en. ^nbem fie biefen ©lauben einfad; ^ur natürlichen Geologie
fd;Iug unb ib,n bon ber (Srfaf>rung ber Sßerfö^nung loSlöfte, entleerte fie ifm feines fbejififcb,
d;riftlid;en ^nb,alteS unb etfdjütterte feine im ©bangelium rufjenbe Segrünbung (9titfd)I,
D. u. 33. *I, 181 ff. 348 ff.; ©ef^te beS petiSmuS I, 86; II, 7). ©amit roar aueb,
65 bie Sluflöfung ber in ber §eiIloffenbarung tourjelnben braltifcljen ©laubenSgebanfen in
tbeDrettfcbe ©befulationen über baS SSerbältntg ©otteS jur SSelt gegeben, unb bie IoS=
moIogifd;e £eb,rtoetfe ber großen mittelalterlichen ©cb,o!aftifer erneuert. gragefteKung,
Terminologie, 2öfungSberfucb,e roetfen eine innere 3Sertoanbtfd;aft beiber ©ebanfenmelten
auf. yiaty biefer ©dpltfyeologie gebort bie 3Sorfeb^ungSleb,re ju ben articuli fidei mixti,
60 b. b;. ju ben 3Bab,rb,eiten, bie bereits ber Vernunft jugänglid; finb, aber erft auS ber
$orfeI)ittij} ?55
f;l. ©cljrift in ifyrem öoEen Umfang unb tfyrem legten ©runbe erfannt Werben fönnen.
211S innergöttlicfyeS Xfyun umfajjt bie Providentia brei Sftomente: 1. VKTiQÖyvcoaig,
praevisio, ben 2lft beS gbttltd^en 33erftanbeS, bermöge beffen er borauSerfennt, WaS ben
©efc^öpfen juträglicb, tft; 2. bte TtQÖ&soig, propositum s. decretum, ber 2lft beS
göttlichen 2BiHenS, Vermöge beffen er baS als zuträglictj ©rfannte ins 2öerf ju fe|en be= b
abftcfjtigt ; 3. bie dioixrjon;, decreti illius executio, bte (Spaltung unb Regierung ber
©efcfyöbfe felbft. Severe bilbet bereits ben Übergang jur 33orfet;ung als §anbeln
gegenüber ber 2Selt, bte in t^rem 3Sottjug ein opus ad extra ber ^rinität ift:
beS Katers (> 5, 17), beS ©ob,neS Qo 5, 17; Kol 1, 17; §br 1, 3), beS ty. ©eifteS
Oßf 104, 30). Wafy ber bollenbeten ©eftaltung ber Sefyre feit Quenftebt, ermeift fia) bie io
33orfcf;ung ©otieS näfyer barin, bafc ©Ott 1. baS in ber 2Selt ©efctjaffene erhält (con-
servatio), bafj er 2. bei allem, WaS geftfjiefyt, mitwirft(coop er atio, con cur sus),
unb 3. alles in ber Söelt lenlt unb leitet (gubernatio). 1. 3)ie conservatio ift
bie (Spaltung foWof)! ber einfachen ©runbfubftanjen (im ©egenfa£ jur annihilatio) als beS
SSBeltjufammenb, angS (im ©egenfatj jur destructio). $)a nämlia) bie gefcfyaffenen 2öefen ntd^t 15
in ftd) felbft bie Kraft ifyreS gortbeftefyenS fyaben, mürbe bie 2Mt in baS -JiicfytS jurücffinfen,
Wenn biefelbe ©otteSmacfyt, bie alle SDinge gefcfyaffen t)at, fie nicfyt aucf) allezeit erhielte.
©eSfyalb bie er^altenbe SE^ättgfctt ©otteS auct; als creatio continuata gefaxt mirb.
2. Sft bie erfyaltenbe ©egenWart ©otteS eine aftibe, fo erftrecft fie fiel; aucb, auf alle in
ber 2SeIt borgefjenben S>eränberungen unb §anblungen. 5Rit ber SLfyätigfeit ber enblicfe, en 20
Kraft mirlt bie abfolute Wad)t ©otteS jum gemeinfamen ©rfolg. ©0 geWifj aber ©Ott
in allem WaS gefcljiefyt gegenwärtig unb Wtrffam ift, fo ift boctj bie 2lrt feinet SBirfenS
eine tmcfyft berfcfnebene, je na<fy ber SBefcfyaffentjeit ber mitwirfenben Urfacfyen (causae
secundae). ©0 mirb j. 23. ©ott bei bem üßolljug ber böfen §anblungen nicfyt in eine
innerlich unmögliche äkrbinbung mit bem SBöfen gefegt, benn er wirft nur mit ber 25
§anblung als §anblung, ntdjt mit ber böfen §anblung als böfer; bei bem bfytyfifcfjen
Sft ift ©ott Wirffam mitbeteiligt, aber ntcljt bei ber fittlictjen (ober bielmefyr unfittltctjen)
Sefcljaffenfyeit ber ,§anblung: Deus concurrit ad effectum, non ad defectum, —
ad materiale, non ad formale. — 3. £>aS feinen ewigen 9teicf;Sämed:en entfbred;enbe
regierenbe SBirfen ©otteS betätigt fic§ in bierfacfyer Söeife. 3unäd)ft al§3u"affun9/ 30
permissio (t>on Sutfyer 1525 unb DJJelan^on aU frigidum glossema, toon ßalbin
al§ ©otteSläfterung oertoorfen), ein ©efd)e^enlaffen ber freien §anblungen, benen ©ott
leinen 3roanS antb,un mill, fbejiell be§ Söfen, ba§ er oft bis jum 2;age beS ©e=
rtd^tg unb ber ©träfe bulbet: ©ott überlädt ba§ ermatte SBoIE ben Segierben feinet
§erjen§ (?ßf 81, 13) unb liefert bie §eibenroelt ber fünbigen 9Jlacf)t aus (SRö 1 24, 28). 35
®ann bewirft ©ott bermöge ber §inberung (impeditio), ba| getoiffe ^anblungen
nia)t ju ftanbe fommen, unb beugt baburcb, auc^ ben ebentueUen folgen berfelben bor: er
f)inbert St&tmeled) fiel) an ©ara gu berfünbigen (®en 20, 6), Saban, ^^cob ein 2eibe§ ju
tb,un(©en 31, 24), Sileam, bem SBoIIe S^rael ju fluten (3ium 22, 12 ff.), ben ajfortfc&en
König ©anb,erib, ^wufalem einzunehmen (2 Kg 19, 35). Dber auc^ ©ott giebt bem 2:fwn 40
ber ^ienfe^en eine anbere 9ücl;tung (directio), al§ if)re Stbficfyt mar: läfet er boej)
©uteS au§ Sofern Verborgenen, mie bie ©efcfjic^te 3ofebl;S leb,rt (©en 50, 20), ober, Wie
bei ©aul unb®abib, menfcf)licl)eS St^un einen unbeabftcfytigten ©rfolg ftnben(l ©a9, 17;
10,21; 16, 7 ff.). Dber enbltct) er fe|t ber £eiftungSfäf)igfeit, ben §anblungen unb ben
SOSiberfafjrniffen ber Kreaturen befummle ©renken, innerhalb beren fie fiel; galten muffen : 45
fo Werben ben -Kationen, bie ©ott als ßud;trute gegen ^Srael gebraucht, unüberfteigbare
©cljranfen gefegt (de ter min atio) (^ef 10, 12 ff.). — ®ie 2$orfeb,ung btykfyt ftdE) auf
aßeS, aucf) auf baS ©eringfte («ßf 147, 9; 3Rt 6, 26f. ; 10, 29; £c 12, 6), aber ntc&t auf
alles in ber gleichen SBeife: bie Kreatur übertäubt ift ©egenftanb ber Providentia
generalis ober universalis; bie Providentia specialis geb,t bie SRenfcfyen so
an, jeben ©injelnen, bie 33öfen foWof)l Wie bie ©uten ; bie frommen unb gläubigen SRenfctjen,
um berenwilten bie Sßelt bon ©ott noef) erhalten Wirb, bilben baS Dbjeft ber pro vi
dentia specialissima. ©eroölmliclj tooUgte^t fiel; bie göttliche vi>orfef)ung bureb,
natürliche 3!Jlittelurfacf)en, fie bringt aber aueb, au^erorbentlid)e ÜJttttel, b,öl;ere 2öunber=
fräfte in SlnWenbung: barauf beruht bie Unterfc|eibung ber Providentia ordi-55
naria unb extraordinaria. — SiefeS Jompltgterte ©ebilbe fctjolaftifcf^er 2beoIogie,
in Welchem religiöfe ©laubenSgebanfen mit b£nlofobl)ifd)en ^ntereffen unb Problemen ju
einem oft biSbaraten ©anjen jufammengequält Werben, blieb längere ßeit baS ©emein=
gut ber bogmatifdjen ©cfmlen beiber Konf effionen ; benn bie ^ifferenjbunfte, Welclie bie
lutberifdbe unb reformierte Sebrroeife cbarafterifteren, finb im Hergleicb, jur ©emeinfamfeit eo
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756 »orfeljung
ber ©efamtauffaffung, §ur Wefentlid)en Qbentität ber SCRet^obe, bon untergeorbneter 23e=
beutung. Um bie gelten unb botten klänge beS ebangeltfd)=reformatorifd)en 33orfef>ungS=
glaubeng in jenem Zeitalter bogmatifcb,er Sserljol^ung toieber ju finben, mu| man ftcb, bon
bem ©ebiete ber ©ctjultfyeologte entfernen unb ftcr; ben unmittelbaren @r$eugniffen d£>rift=
5 Iicf)en ©eifteS jumenben, in melden eine lebenbige grömmigfeit bie geffeln ber über=
lieferten ©djmltfyeologie fbrengie unb fict) auf bie tiefften Sßurjeln ibjer ^raft befann.
3m ^irdienlieb unb in ber (SrbauungSlitteratur gelangte ber fbegififcb, djiriftlidjie 93or=
fet^ungSglaube ju Dottern unb reinem 2luSbrud, ber §öf)enlage beS ed)t reformatorifdjen
gfyriftentumS entfbredjenb. £>er Siebter ber flaffifcfyen Sieber „Sefieb,! bu beine Söege",
10 „2öarum fottt' tef) mid) benn grämen", „$ft ©Ott für mid), fo trete", erblidte in ber
©emeinfdiaft mit ©ott burd) GfyriftuS ben mirffamen ©rfenntniSgrunb ber 23orfeb,ung
©otteS unb erfcfylofs in ber 23erföb,nung ben Duett beS religiöfen greifyeitSgefübJs, in
meinem baS ©emüt bie ©eligfeit be§ ©otteStmbeS unb bie $errfcr)aft über bie SBelt er=
lebt, ©aburd) t/aben $aul ©erwarbt unb feine ©enoffen, $. glemming (,,^n atten meinen
15 Saaten"), ©. Neumarf („2Ber nur ben lieben ©ott läfjt malten") ftcr; als bie eckten
jünger SutfyerS ertoiefen (f. bie geiftbotte parallele ber SSorfe^ung^Iieber ©erb/arbtS unb
©ettertS, bei NitfcbJ, Rechtfertigung unb Verformung IIP [1888], 176— 179). — 3«i 3eit=
alter beS PetiSmuS fnübft fieb, an bie Stiftung beS SßaifenfyaufeS in £>atte ein ©treit,
beffen güb/rung unb (Ergebnis auf ben in ben Greifen ber ^ietiften, toieaueb, im Säger
20 ber Drtfyoborje fyerrfcfyenben ©lauben ein belefyrenbeS Sid)t Verbreitet. Über bie erften
jel)n $al)re feit bem 33au be§ £>aufeS berietet grande felbft in „©egenSbotte gufsfiabfen
beS nod) lebenben unb maltenben, liebreichen unb getreuen ©otteS, gur 23efd)ämung beS
Unglaubens unb ©tärhmg beS ©laubenS, entbedet burcr) eine toar/rt/afte unb öerftänbltd^e
9?acr)rid)t bon bem Söaifen^aufe unb übrigen SCnftalien ju ©laucfya bor §atte", too^u
25 noeb, fieben gortfe|ungen ber Nachrichten fommen(1701 — 1709). ®ie ©djrift berjeid^net
alle gur ©rricfytung ber SInftatten gefanbten ©aben, breift bie munberbaren ©ebetS=
erb)örungen unb (Srlöfungen, unb feiert baS ganje 2Berf als ein SDenfmal ber Provi-
dentia specialissima. ®ie gegen biefe ftunbgebung gerichtete ^olemif SS. @. SöfdjerS
(1707) mitt gtoar bem in biefer Stiftung betoäbjten ©ottbertrauen feine 2lner!ennung
30 nid)t borentfyalten, fucfyt aber burd; ben Nachweis ber getoör/nltcfyen 9JcitteI, bie baju auf=
geboten Werben, bie ganje ©act)e aus bem ©ebiete ber befonbern göttlichen gürforge ju
erjniieren unb in ben Sereid) beS rein natürlichen ©efcfyefyenS ju berlegen. £)ie ben
Söfdjerfcfyen Ausführungen ju ©runbe liegenbe 93orauSfe|ung geb, t bab,in, „ba| bie menfd;=
licb,e 33ermittelung bie 33erfnübfung bureb, ©otteS ©egen unb Seitung ausliefet, ba^
35 alfo ettoaä in bem SJiafs au§ bem Umfang ber göttlichen ^ßrobibenj heraustritt, als e§
mit mcnfcfyücfyen Mitteln ju ftanbe gebraut mirb . SöfcfjerS Uritt! ift ber befte 33emei3
bafür, ba§ in bem ©efüge ber luti). Dogmatil bie religiöfe Sffieltanfc^auung auSgetrocfnet
war" (9tttfc$I, ©efeb,. b. ^ietiSmuS II, 278). — ©ie §od)f)aItung be§ SSorfc^ungSglaubenS
ift auet) eine toefentlicfye Signatur beS StationaliSmuS (SHitfd;!, 91 u. 35. III3, 179), ber
40 babureb, nid;t nur feinen bofitiben ^ufammenfjang mit ber ebangelifdjen grömmigfeit,
fonbern aud;, menigftenS in einer namhaften 3^^ feiner Vertreter, feine angeftammte
Sermanbtfdiaft mit bem £>attefd)en ^ietiSmuS !unbgiebt. Itterbingl ift bie gärbung biefeS
©eban!enS in beiben ÜRicfytungen berfdjieben. 93Jo ber Nationalismus nur eine befonbere
©rfdjeinung beS ©ctfteS ber SlufHärung, baS fyetfjt eine ©manjibation ber allgemeinen
45 JMturintereffen auS bem Sann beS Strd^ltc^en ©ubranaturaliSmuS barftettt, geftaltet fieb,
bie Seb,re bon ber ^robibenj gu einem mefentlidien ©tüd ber fog. natürlidjen 2!{)eoIogie,
bie mit ber urfbrünglicfyen gefd)icb,tSlofen 93ernunftreIigion ^ufammenfättt, toie fie in@ng=
lanb bureb, bie ©eiften Jonftruiert, in granfeetd) burd) 33oItaire als abftrafte 33erftanbS=
boftrin borgetragen, burd; 3iouffeau als berfönlid;e Überzeugung mit Innreifsenbem ^atb.oS
50 gebrebigt iburbe (Profession de foi du vicaire savoyard). Slud; SeffingS
befannter 2luffa| über bie „(Sräiefyung beS gJcenfc&.engefc^led^tS" trägt ein borwiegenb
intetteltualiftifcb.eS ©ebräge: fwnbelt eS fict) boct) Weniger um eine Weltregierenbe Xfyäti^
feit ©otteS, als um %oretifd;e Untertoeifung eines SefjrerS, ber feinen ©cljülern, um
ib,nen nad)3ub,elfen, Singe im borauS mitteilt, auf toelcfye fie mit ber 3«^ <w<fy bon
55 felbft geraten mären. ®en cfyriftlidjen J^ern beS 33orfeb,ungSglaubenS beS Nationalismus,
ber fid) in ber güfyrung be§ SebenS oft genug braftifcb, bewährte, barf bie gefc^madlofe
gorm nid)t berbeden, bie biefer ©laube meiftenS annahm, fotool^l bie toeid)lid)e ©enti=
mentalität als aud) bie lleinbürgertic^e Nü^li^feitSlrämerei, bie in ber Sreittretung beS
fog. bb,t)filotf)eoIogifcb/en SetoeifeS für baS ® afein ©otteS fid; nid;t genug tb,un lonnte.
60 3BaS inSbefonbere baS Problem ber STt)eobtcee betrifft, fo fyatte bereits Seibnij bem DbtimiS=
SBorfc^uttg 757
mu§ ber im Zeitalter bcr Aufflärung fjerrfcbenben $obularbbilofobl;ie bie Salm gebrochen in
feinem E ssaide theodicee surlabontedeDieu,lalibertede l'homme
et l'origine du mal, Amfterbam 1710: bie Slbatfäcblicbfeit ber Übel in ber 2BeIt
bilbei feine 3nftanj gegen i^en ürfbrung au<3 allgütiger unb allmächtiger ©d;öbfertf)ätig=
feit. $)a<§ bftyfifdbe Hebel i[t in ber fittlicben Sßeltorbnung eine notmenbige golge be§ s
moralifeben Üebeb3: e§ ift bie natürliche ©träfe ber ©ünbe. ®a3 moralifebe Übel aber bat
feinen ©runb in ber (Enblidbfeit unb Sefcftränftfyeit ber (Siefdbö^fe : biefe ift baS meta=
bfmfifdbe Übel. £>a nun (Enblicfyfeit jum Segriffe be<§ ©efct)öpfeg gebort unb Sefcbränft=
beit ba§ Söefen aller Kreatur ift, märe eine an§ lauter bollfommenen SSefen beftefyenbe
2Belt eine contradictio in adjeeto: eine SBelt ob, ne Übel ift bemnaef) unbenfbar. 10
2lnbererfeit§ unterliegt bieSföelt ber Äategorie beS^ufaßg unb berlontingenj; fie erjftiert
nicht mit metabt)t;fifd;er Rotmenbigfeit, fonbem bureb, eine AuSmalbl unter bielen 5Rög=
liebfeiten. ®ie ©üte unb 2öei§f>eit, mit meiner ©ott biefe 2Sat)l boHjieb^t, bürgt bafür,
bafj unfere SBelt bie befte unter ben möglichen 2BeIten ift. — SDtefer burd) ba§ (Erb=
beben bon Siffabon 1755 gewaltig erfdbütterte Dbtimt3mu<§ (Sütgert, £)te @rfcb,ütterung v>
be§ DbtimigmuS burd; ba§ (Erbbeben bon Siffabon 1755. (Sin Seitrag jur Äritif be§
Sorfelmnggglaubeng ber Aufflärung, 1901) erfuhr burd) SoItaireS Candide (1759) eine
Abfertigung, in welcher irontfebe ^ribolität unb febarffinnige Reflexion jur Segrünbung
einer ffebtifd; beffimiftifcfyen SBeltanfcfjaung einen unheimlichen Sunb fcf;Iiej$en. — SDen
benfbar tiefften $ontraft mit biefer fyölmifcfyen ©timmung bilbet ber eble (Srnft, mit 20
meinem Kant bem tob^fifotfyeologifdben Setoeig feine Slnerfennung goßt, Wenn er tf)m
aueb ebenfoWenig ftrifte Seroeistf'raft jutraut Wie bem fos>mologifd;en unb bem onto=
logifeben. — ®ie Stellung ber neueren Geologen unb ^3biIofob_ben jum SorfefmngSgebanfen
ift felbftberftänblid; burd; tfyren allgemeinen, beiftifeb. en, pantfyeiftifdjen ober tfyeiftifcben ©tanb=
bunft bebingt. ©ine befonbere (Erwähnung berbient ©ebleiermacberg Serfud;, ber im mefent= 25
liefert feine in ber (Einleitung be£ „d)riftlid;en ©Iauben§" ausgekrochene Anficht über
ba§ allgemeine 3Serb ältniS ^nrifcb en ©ott unb SBelt, toie eS im fcblecbtbintgen Abf)ängigfeit3=
gefübl auSgebrüdt ift, mit einge^enber unb umfaffenber Segrünbung borträgt „£>a§ fromme
©elbftbeWufjtfein, Vermöge beffen mir alles, ma§ uns erregt unb auf uns eintoirft, in bie fd)ledb>
Innige Abhängigkeit bon ©ott fteßen, fällt ganj jufammen mit ber (Einfielt, bafc eben 30
biefeS aüeg burd; ben Raturäufammenljang bebingt unb beftimmt ift. AuS bem 3;ntereffe
ber gtömmigfeit fann nie ein SebürfniS entfielen, eine Sübatfacbe fo auf §uf äffen, bafj burd;
tbre Abfyängigfeit bon ©ott tbr Sebingtfein burd; ben SRaturjufammen^ang aufgehoben
toerbe. (Erregungen beS ©elbfibeWufjtfeinS, meiere SebenSfyemmungen auSbrüden, finb
boßfommen ebenfo in bie f(f)le<J;tl)mige Slb^ängigfeit bon ©ott ^u fteßen, wie biejenigen, 35
toeldje eine 2ebem§förberung au^brüden. Dh ba§, mag unfer ©elbftbemu&tfein erregt,
mithin auf un§ eintoirft, auf irgenb einen %eil be§ fog. 5naturmecb,anigmu§ jurüdjufüljren
ift, ober auf bie SCBättgfeit freier llrfadben: ba§ eine ift boEfommen ebenfo mie ba§
anbere bon ©ott georbnet" (SDer d;riftlicb,e ©laube2, § 46—49). ®ie Folgerungen au§
biefen ^3rämiffen b,at ©d;Ieiermad;er in feinem -Jöunberbegriff unb feiner Sluffaffung bom tu
Übel geigen (a. a. D. § 13. 14. 47. 81. 82). $)en ©tanbbunft ber £egelfd;en ©befu=
lation bertritt ©traufs, melier bie SBeltregierung afö „bie ben fo§mifd;en Gräften unb
beren 2Serb,ältniffen felbft immanente Vernunft" bejeicb,net, unb bag ©ebet auflöft in
„Äontemblation", fraft beren ber SRenfcb, „auZ ber §i^e unb Unruhe" ber 'jJagegarbeit
fieb, „in bie füb,lenbe 'Stefe be§ (Einen ©runbeö aller 2)inge berfenft" (Sie cfyriftlicbe 45
©Iauben§leb,re II, 384. 390). — (Sine bb.ilofobb^ifc^e ©runblage für bie £eb,re bon ber
göttlichen 33orfef;ung ftellten bie ÜBemüfyungen um bie Darlegung ber metabfyr/fifcben Se=
beutung ber ^erfönlid;feit im Kampfe gegen ben $antl;ei§mug b,er: in biefer 9?id;tung
mirften 3. £. gid;te, 6b,r. Söeife, ülrici. ®en fd;roPen ©egenfa^ unb bie energifebfte
3teaftion gegen ben burd; ©binoja ober §egel bebingten '»ßantfyeiSmug rebräfentiert auf 30
bem Soben ber ebangelifd;en Rheologie SRUfd;!, ber in bireftem Slnfcblu^ an bie refor=
matorifd;en ©runbgebanfen ben SSorfe^ungsglauben unmittelbar mit bem ©lauben an
bie bureb ßb,riftu§ boübradbte Serföfmung berbinbet unb benfelben al§ bie gunftion
fafet, bie fid; in ber religiöfen ^errfebaft über bie Söelt, in ben ^ugenben ber ©ebulb
unb ber £>emut unb in bem bertrauengbollen ©ebete betätigt (Rechtfertigung unb 3Ser= 65
fölmung III, § 63—66; Unterricht in ber c&ttftlidjien Religion4 1890, t? 17. 18). —
Ueber ben ©tanb ber grage auf blnlofobbjfcbem ©ebiete orientieren bie (Einleitungen in
bie ^bilofobb. ie bon SB. Söunbt, D. Rütye, 3. Solfelt, %. ^aulfen, mie auo^ bie betreffen*
ben Seiträge in ber bon $. §inneberg herausgegebenen Kultur ber ©cgenmart (Jeil I,
Abteilung 5: Siagemeinc ©efo;id)te bei ^ilofob^ie. Abteilung 6: ©t;ftem ber ^ilofobfjie). m
758 SSorfe^ung
V. ßritifdjes unb fr/ftematifdjes (Srgebnis. — £eber 33erfua), bie ct)rtfilid)e
Sefyre bon ber göttlichen SBorfeljmng einheitlich barguftellen unb übergeugenb gu begrünben,
mu| fiel; barum bemühen, ben au§ bem ©bangelium gefd^ö^ften Wefentlicben ©lauben£=
infyalt in feinem religiöfen üem gu erfaffen unb auf feinen reinen unb boHen 2luSbrud
5 gu bringen. 25a£ geugntS bon ber bem an 6I)riftu3 ©laubenben geWiffen SSirflicfyfett
gilt eS bon aßen fragen Io§gutöfen unb frei gu [teilen, bie über ben ©lauben fnnau3=
gelten unb bie nur infofern ein bogmaiifdjeS Qntereffe fyaben, als ifyre falfcfye 33eantWor=
tung geeignet ift, ba§ d^rtftltd^e £>eilSbeWufstfein gu trüben unb bie cfyrtftltdje grömmigfeit
gu gefäfyrben. Qu biefer gragcftellung nötigt uns foWobJt bie in ben Urlunben Sllten
10 unb Sfauen SefiamenteS berfünbigte §eilSoffenbarung als aud) bie treibenben ©runb=
motibe unb baS lebenbige ^ntereffe beS reformatorifcfyen £>eiISglaubenS. (§S ergiebt ftct)
in ber %fyat auS bem obigen biblifo>tf)eologtfd)en SntWurf (Sftum. II— III), bafs über
bie Raffung unb ^Beantwortung beS Problems ber göttlichen 23orfer)ung in ber b,I. ©cfyrift
ein burct)ger)enber religiöfer ^onfenfuS fyerrfcfyt, nad) meiern bie gange $rage nid)t in ben
15 Sereid; ber tl)eoretifcb^toiffenfd)aftIicr)en ©otieS= unb Söelterflärung fällt, fonbern bor baS
gorum ber fubjeftiben, branifcf)ert, teleologifd) orientierten religiöfen ©IaubenSbetraa)tung
gehört. 2lnbererfeitS liegt baS neue, originelle, fruchtbare unb Wafyrfyaft förbernbe unb
toeiterbilbenbe -JJcoment ber ref ormatorifcfyen ätuffaffung (-Jtum IV) barin, bafj fie gtoar nid) t
allfeitig unb boUftänbig, Wor/I aber bringibiell mit bem ^rtteßeltualiSmuS ber mittelalterlichen
20 ©ci)olafiiI gebrochen unb ben toerfönlidjen, ftitlid^=religtöfen ©jarafter beS d^riftlid^en SSor=
feljmngSglaubenS auS ber SBerquicfung mit loSmologifd;en unb metabb^fifcfien Problemen
errettet unb gurüderobert I)at. ®er 3tüdfaH ber broteftaniifcr;=ortfyoborm ©dmltfyeologie in
bie borreformatorifdje 33etrad>tungS= unb 33 efyanblungS Weife barf beSfyalb für bie ©eftaltung
ber ebangelifcfyen SSorfeb/ungSletjre ntct)t mafsgebenb fein; bielmet)r ift eS bie Aufgabe ber
25 ©laubenSler/re, ben in ber 1)1. ©cf)rift gegebenen Slnbeutungen gu folgen unb auf ber
burcb, unfre Reformatoren, bor allem burd? £utr;er, geWiefenen 33ab,n fortgufdjreiten. ÜJcact)
biefem ^anon fyat ftcb, bei ber Formulierung ib/rer ©rgebniffe, bie fritifcfye unb bie fr/ftema=
tifdje 2lrbeit gu rieten. SDie I)ier ausgekrochene drfenntniS ift, nad) ©djIetermadjerS
fruchtbarer, ieboct) nicbt Wiberfbrud)Iofer Anregung, aucb, unter bem kräftigen, oft aber
30 einfeitigen Vorgang 9titfct)lS, bon einer fo beträchtlichen 3tngat)I neuerer Geologen ber=
treten, bafj man, bei aller bogmatifdjen SlbWeicr/ung im ©ingelnen, bod) bon einer fel)r
entfd)iebenen Übereinftimmung eb.=brot. Geologie gu reben berechtigt ift (Ritfcb,!, StbfiuS3,
$. ©ct)ul|, §errmann,&aftan, ^Eröltfcr), §amad,g. 9ci|fcf), 9?eifcl)Ie, Sornemann,£oof§,|)äring,
®enbt, §aubt, ^irn, Kavier, ©eeberg, im toeiten Umfang auc^> 21. b. Öttingen unb ^ßfleiberer).
85 ©ie ©cfeultbeologie ber broteftantifd^en (Sbtgonen fc^manlt unficfyer jtotfd|en ber
teleologifcb^en ober gläubigen unb ber f aufalert ober natürlichen Söeltbetract) tung ; fie über=
ftet)t eS, ba| biefe nur bie unabtrennbar jufammengel)örigen ©eitert einer unb berfelben
SBeltanfict)t barftellen. 2Bof)I feb^It ibr bie ©eroi^ett nicbt, ba^ bie übergreifenbe göttliche
Ideologie fic| aufy beä mecb,anifct;en Raturjufammen^angS al§ eines 9JcitteI§ gur ®urct>
40 füb^rung eines einheitlichen §eil^tbecle§ bebient; aEein eS gelingt ibr nicf;t, biefe ©laubenS=
getoipeit beftimmt unb Kar in ber SBeife gu formulieren, ba^ fie bor ungebührlicher
©rengüberfct)reitung beiber ©ebiete gefcfyü^t bliebe. 2ln ber unKaren SSerquicfung beiber
Setra^tungötbeifen Rängen alle gebier unb SSerirrungen, in meiere bie ortfyobor.e ©cb,o=
laftif, bei aller anerlennenimerten Vertretung ber mefentlid; ct)riftlicr)en ^ntereffen gegen
45 ®eiSmu§ unb $antb,etsmu3, boct} immer tbieber geriet, tiefes foIgenfcf)r»ere 33erfef)tt
geigt fid) bereits in ber allgemeinen ^Definition ber göttlichen Vorfef)ung. ®ie brei Slfte,
in meiere unfere 2llten bie Providentia gerlegen, finb feineSroegS gleichartig: bie begriffe
ber conservatio unb beS coneursus befagen bie laufale 2lbl)ängigfeit beS 2öelt=
gefcb,eb,enS bon ©ott auS; bie gubernatio bagegen ift eine teleologifcfye Äategorie, roelcbe
so bie Einleitung aCer Sffiefen unb §anblungen auf ©otteS ^iele feftfteUt. Slbgefe^en bon
biefem jiqütov ipevdog in ber grunblegenben ^Definition, ertbedt bie bem formalen 3er=
glieberungStrieb ber ©cb^olaftil entftammenbe 33erb,ältni§beftimmung bie ernfteften 93ebenfen.
2öie fönnen bie ©ubftangen erhalten werben, ol)ne bafe ib^nen gugleict) bie üraft gum
SBirlen mitgeteilt ibirb? SSefteb t benn bie 2öirKid)feit ber ©ubftang ni_d)t eben in u>er2öiri'=
55 famleit? 5n anberen SBorten, bie Unterfd)eibung bon conservatio unb coneursus ift
unbegrünbet. SDamit fällt aber aud; bie Unterfdjeibung bon conservatio unb guber-
natio: teerben bodj bie Kreaturen nur in ber 2öeife erbalten, bafj fie gugleiS) fort=
enttoidelt, b. fy. getenlt unb regiert werben. — ©ie fcf)ärffte 5lritil bat inbeffen ber Se=
griff beS coneursus erfabren. ©oUte bamit gefagt fein, baf? alles ©efcber;en gugleid)
60 natürlict) bebingt unb bennod; fd;led;tf)in abhängig bon ©ott gu feiert ift, fo Würbe ber
aSorfcIjuitg 759
SluSbrud; eine unabweisbare SBafyrfyeit ftatuieren. SDte gormel Will aber etwas anbetet
unb nocb angeblich mel>r auSfagen. ©ie begnügt ficb, nidjt, baS baS feftjufteHen, fie be=
anftoruct)t aufy, baS tote gu erklären; fie bleibt nidjt bei bem ©laubenSurteil ftefyn, bafc
ber religio je SJcenfcb, aucb, im Natürlichen feinen ©ott erfährt; fie mafet ficb, an, ju be=
ftimmen, tüte ficb, ber göttliche gaftor jum menfcbjicfyen ber^ätt, unb bleibt bei biefer £>e= 5
finition in einem unerträglichen ©tmergiSmuS ftecfen. — Nicfyt geringere ©cfywierigfeiten
bereitet bie in jene toter ^auptmomente (perraissio, impeditio, directio, determinatio)
jerlegte gubernatio. ©elbft Wenn man zugeben Wollte, bafc ber menfcfylicfye ©eift befugt
unb fäfyig ift, bie innergöttlid^e SöirfungSWeife objeftib ju befcfyreiben, nützte jene 23ier=
teilung als eine burcfyauS unglückliche bejeidmet werben. Qft ntct;t jebe determinatio 10
ifyrem 2Befen nacb, eine relatibe impeditio? 2Birn nicfyt biefe Wteberum befcbjänfenb
unb beftimmenb? Norbert ntd&t ber ©onberbegriff ber permissio, namentlich ber
SBerfucb), baS Verhältnis beS göttlichen SBillenS ju ben böfen ^anblungen ber
3)tenfd)en zu beftimmen, bie Wol)lberecf)tigtfte ®rttif fyerauSV Nufyt bocb, biefer 93erfudj
auf ber VorauSfeijung, bafj mir im ftanbe finb, göttliches unb IreatürtidjeS Söirfen 15
gegeneinanber abzugrenzen unb fcfyliefjlidf) biefe zwei inlommenfurabeln ©röfjen auf ben=
felben Nenner ju bringen, llnb bocb, berfagt E>ier zweifellos jebe tfyeoretifdje faufale @r=
Ilärung. £)er ©laube muf$ ben teleoIogifc|en ©eftcfjtSbunft feftfyalten unb bei ber 2tuS=
fage ftefyen bleiben, baft ©ott aucb, baS SSöfe zu einem Content feiner SiebeSzWecfe madjt
unb %ux SDurcfyfüfyrung feines §eilSzwecfS umbiegt unb berflärt. Sei biefer allein richtigen 20
gragefteßung ift jeber Unterfdjneb jroifdjen julaffenbem unb beftimmenbem SJÖtllen ©otteS
unbesiegbar, benn bie Verwertung beS Übels unb ber ©ünbe gum Vau beS ©otteS=
reiches ift etwas bon ©ott nicfjt ^ugelaffeneS, fonbern ©eWollteS unb VeftimmteS. %n
berfelben Nietung ift bie Sofung beS Problems ber SEI)eobicee ju fucfyen. — 2öie bie
fcfyolaftifcfye Raffung ber in ibren berfdjiebenen (Elementen analbjterten Providentia einer 25
auS ben $ntereffen beS §eilSgtaubenS ertoacf/fenen £riti! nic^t ©tanb b,ält, fo mufj jule^t
aucb, bie trabitionelle (Srflärung ber VermittelungSWeife unb ber ©rabe ber Vorfefyung
ZurüdgeWiefen werben. $toar galten unfere Sitten mit bollern Necf/t an ber 3lnnab,me feft,
bafj bie Vorfefyung nidt)t nur auf ben Söeltgang im ©roften, fonbern aucb, auf baS Meine
unb ©eringfügige ficb, erftrecu: baS Sfflgemeine beftefye ja aus lauter (Einzelnem, eine 2eU 30
tung beS ©anjen fei alfo unbenfbar, wenn baS (Einzelne bem 3ufaH überlaffen bleibe,
©agegen ift bie Unterfctjeibung einer Providentia ordinaria unb extraordinaria eine
fybcbji unglückliche. Sßäre bamit gemeint, bafj ber 2Bunberglaube (prov. extr.) nichts
anbereS ift als ber auf beftimmte llmftänbe beS SebenS unb ber ©efdjtcfyte angeWanbte
lebenbige 23orfeb,ung§gIaube, fo bürfte man biefen ©ebanfen freubig begrüben. ®tc 35
©<fmItr;eotogie berftel)t aber jene Unterfdjeibung im ©inne eines tb,eoretifcb,en ©runbfatjeS
über bie obje!tibe göttliche ©einS= unb SüirfungSWetfe ; fie bergifjt, ba^ baS SBunber ftetS
eine 3luSfage ber religiöS=teIeoIogifd^en Söeltbetrad^tung ift unb bemnacf) nicb,t Wie eine
embirifcfye, b. fy. auf faufalem SSege fonftatierbare %fyat\a<$)t beb,anbelt Werben barf. §at
eS ber religiöfe ©laube immer, aucb, bei bem Mematürlicbjten, unmittelbar mit ©ott gu 40
tb,un, fo fann er ben Unterfdjiieb bon Xb,atfacb,en, bie bem gewöhnlichen SBeltlauf ange=
b/ören unb bon folgen, bie bem Neidje ©otteS bienen, niemals anerlennen; bielmeb,r
ftellt er aHeS, aucb) bie Betätigungen ber Naturgefe^e unb ber menfcfylicb, en greib, eit, unter
bie §errfdt>aft beS SBillenS ©otteS. — 2tuS bemfelben ©runbe ift jebe ©tatuierung bon
©rabunterfcb^ieben in ber %fy ätig!eit ber göttlichen 3Sorfeb,ung gu berurteilen: bie berühmte 45
2lbftufung ber Providentia generalis, specialis, specialissima unterliegt ben bebenl=
liebsten ©cb,Wierigleiten unb DJcifcberftäubnifjen. ©oH fie befagen, bafj ©Ott ficb, nur in
geringerem 5Rajje um bie Sßorgänge in ber Natur ober in ber aufsercfyriftUcb, en sJDRenfcb^eit
lümmere, fo fbricb,t bagegen bie in ben SBorten ^efu (2Rt 5, 45; 6,30; 10,29) ficb,
äufeernbe grömmigleit, Welche niemanb unb nid? tS in ber 2üelt bon bem fbegieUen Spalten 50
©otteS auSfcb,Iiefeen fann unb Witt. @S mu| beSfyalb biefe llnterfcb,eibung barauf jurücf=
geführt Werben, bafe nicb,t aEeS in gleicb, birefter unb unmittelbarer Se^ielrnng jum
©otteSreicb,e fteb, t. Nicfjt baS 2Jcaf? ber göttlicljen Haufalität, nid? t bie ^ntenfität beS gött=
liefen 3Bir!enS, Wobl aber bie Sebeutung unb baS ©db,WergeWicb,t für baS ©otteSreicf) ift
berfcb,ieben. I)er SRenfcb, b,at jum §eilSjiel ber göttlichen SBeltleitung ein engeres 58er= 55
bältniS als bie unberfönlicf)e Kreatur; auef) erfreuen fiefe, bie Stiften nid?t eines ^oberen
SRafteS ber gürforge ©otteS, fonbern fie b,aben nur ben Sorjug, bafj fie biefe gürforge
erfennen unb auf fie als bie fefte 33ürgfcb,aft ib,rer einfügen Sefeligung unb 2Menbung
ju bertrauen bermögen (§aubt, SeWeiS beS ©laubenS, 1888, 219—221; Äirn, ©runb=
rife ber ebangelifcfyen ©ogmatif 1907% 62). w
760 SorfeJjmtg
§aben wir un<8 bureb, biefe an ber überlieferten Sefyre geübte ürtttl ben 2öeg jur
richtigen Stellung unb Söfung ber grage frei gemacht, fo mögen einige, auf bie bibltfcb/
t^eologtfdje ©runblage unb bie reformatorifcfye ^ofitton gurücEtoeifenbe 2lnbeutungen pr
gefiftellung bei fr;ftematifcr;en ©rgebniffel genügen. — $al)lreid? unb bielgeftaltig finb
6 bie 23erfud)e, ben Sorfelmnglgebanfen aul ber embirifcfyen äBeltbetradjtung abzuleiten unb
bie im menfcpdjien 33etouf$tfein ficb, regenbe 2llmung einer jroecffe^enben Vernunft jutn fog.
bfyr/fifotb^ologifcfjen ©ottelbetoeil bl)iIofobr;ifcr; meiterjubilben. 3nMfen toirb £o|el 93e=
merfung zu Jtec^t befteljen, melier au§ ber ©efcfyicfyte fefiftellen Will, baf? eine rein embi=
rtfd)e 93etrad)tung ber Söelt, fofern fie neben ztoecfmäjjtgen, and) jtüedtoibrige unb jmedlofe
10 @rfcf/einungen Wahrnimmt, btel ef>er ^um $olr/tl)ei3mu3 ober jum ©ualilmul führen mufj
afö zum etl)ifd)en -jJconotfyeilmul. 2Bie bem aud; fei, nicfyt auf biefen SBoben begiebt
fid) ber d)rtftltcf;e ©laube; er beratet bielmefyr i>rtngi^iell barauf, bie Überzeugung bon
ber göttlichen 33orfeb,ung mit ben Mitteln ber SSeltbetracfytung ju ftü|en. @r fnütoft
Zunädjft an bie Xfyatfacr;en bei ftttlid)en SeWufjtfeinl an, bie in ben Sereicf; ber %dio=
15 logie fallen. 2lllerbingl ntd^t in bem ©inne, bafj bal Sfyriftentum ben 33orfeb;unglgIauben
auf etilem Söege burd) bie 33ergeltungllef)re ober ben ©ebanfen ber äöürbigfett be=
grünben mürbe. ®iefe in berfcfyiebener gorm unb Slbftufung auf bem 33oben ber alt=
teftamentlic^^übifc^en Religion unb bei ilaffifcfyen 2tltertuml Vertretene ©rflärung entfbrid)t
nicfyt ber §ör/enlage ber burcb, ßljiriftul »ermittelten ©otteloffenbarung. SDiefe Offenbarung
20 Ieb)rt unl, bal burd) %tfn$ ß^riftuö bertünbigte unb in feiner $erfon brobfyetifcr; berWirflidjte
9todfj ©ottel all lüften SöeltgtnedE erlennen, meinem alte irbifdje @rf er; einung unb allel
menfdjilicfye £eben unb §anbeln all Mittel unb 3Berfjeug bienen mufj. 3)iefe braltifcfye
Slnerlennung bei ©ottelreicfyl geftaltet fid) für ben ©ünber gum Vertrauen auf bie ©cfmlb
tilgenbe, fttilicfyel unb natürlich (SIenb ^eilenbe, WeltüberWinbenbe ©nabe ©ottel. 2luf
•25 ©runb ber bem ©lauben geWtffen SLr/atfad)e, baf$ ©Ott feinet eigenen ©ofmel n\d)t ber=
fdjont, fonbern ifm für unl aße babjngegeben f>at (5Rö 8, 32), fann ber 6§rift ben SRut
finben, an bie bäterlicfje gürforge ©otteg für fid? in feinem ganzen £eben z« glauben.
5Der d^rtftltd^e 23orfelmnglgIaube ift bemnadt) ^rudjt unb $robe ber erlebten SSerföfmung
unb ©otteöftnbfd^aft, er faßt jufammen mit ber ©ett)i|b, ett du roTg äycmcboi xbv -&eov
30 Tidvra owegyel eig äya&ov (3tö 8, 28). 3)iefe ©emife^eit b,at ber ßfyrift, im 2Biber=
fbrud^ gegen alle SJiäcfyte ber Söelt, bie ib,r täglich §of)n fbrec^en unb fie ju bernid^ten
brob,en, ju beraubten unb burd^jufelen, nic^t al§ tJjeoretifc^e @r!lärung eineg burd^ bie
Söiffenfdjiaft bargebotenen ^roblem§, fonbern al§ braltifö^e Söfung einer burd^ ba§ Seben
geftellten Aufgabe, ^n ber £raft beö burcb, ba§ ©bangelium getoectten unb au§ bem=
35 felben ftet§ ju beroäb^renben ©laubenä lebt ber ß^rift ber Überzeugung, ba^ alle Vorgänge
unb SDinge, bag (Sinjelne toie ba§ ©anje, £eib unb STrübfal, ja Übel unb ©ünbe,
fäfyig unb beftimmt finb, ein SRoment im ?Ba\i bei überweltlicfyen ©ottegreic^eä ju werben,
^n meinem ©inne ber cfyriftlidje §eilöglaube aCe§ unmittelbar auf ben r/ödjften ©otte§=
jtoec! zurüdffüf)rt unb biefer @rfab,rung eine berfönlicf)e 2Benbung unb Sejiel)ung giebt,
40 |at Sut^er tounberfcb,ön in feiner ©rflärung be§ erften unb britten SlrtüelS bei 2lbofto=
lilumö gegeigt. SDie Set^ättgung biefe§ ©lauben§ in ber SBelt, bie bem g^riften eine
2öelt ©otte§ gemorben ift, bolljie^t fid) religiös in ber banlbaren Slnerlennung ber in
allem ©efcf;ef)en toirffamen göttlichen Siebe unb in ber bemütigen Übung bei ber gött=
liefen ©r^örung getoiffen ©ebets, etfjifd; in ber treuen unb liebeboHen Erfüllung ber
45 au§ ber braltifcf)en Stellung inmitten be§ 2BeIt= unb SOtenfc^enlebeng fid? ergebenben
5ß flickten.
%n biefen ©ä|en finb Snfyalt unb ©runb beg 3Sorfel)ung§gIauben§, mie berfelbe
bem einfacb,ften (Stiften im ©rieben unb erfahren ber (Möfung jugänglicf) ift, auf ib,ren
unmittelbaren unb reinen lusbrud „gebracht. 21I§ braltifc^e, bureb, ba§ (Sbangelium ge=
so meefte unb in bemfelben begrünbete Überzeugung ift ber djriftlidüie Sorfe^ungöglaube einer
tfjeoretifcb.e SDemonftration toeber fäb,ig noc| bebürftig; er ftellt aber ben 2:b,eoIogen, ber
fid) al§ benfenber Greift bei ©laubenSinfyaltg and) buxd) roiffenfd;aftlic6,e 9tefIejion ju
bemächtigen fud^t, bor eine Steige bon ©injelbroblemen, benen er nicfyt au§ bem 2Bege
gelten barf. ®ie Seantraortung ber fyterfyer geb,örenben fragen lann nur burd) Semüb^en
55 um §erfteßung einer cf)riftlid)en 9Jatur= unb ©efcljidEjtgbliilofob^ie erfolgen, b. b,. bureb.
ben Serfud;, bag gefamte SBerben in 9Ratur unb ©efc^icb.te all bal Mittel für ©otteS
etoigen ßmeö; ju berftel>en. ©in folcl)er 33erfucb, erwä<|ft bem SLb,eologen aug feiner
©laubenSerlenntniio all unumgängliche Slufgabe, beren Söfung er in ber 3uberfid)t
anftrebt, bafe ber 3ug ©ottel ju ßb^riftul aueb, in bem Sernunftleben ber S!JJenfcb.en
60 mirlt, bemnaef) ein ein^eitlid; el SSerftänbnil ber SBelt nur auf ber Safil ber in ber cb,rift=
«Borfetjung 761
Itcfyen ©otteSoffenbarung fi<^> bollenbenben religiöfen 2Mtanfd)auung möglid) ifi. Bon
biefem ©efkfytSbunft auS erfahren bie auS bem d)riftüd)en BorfefwngSglauben ficb, er=
gebenben bogmatifcfyen Probleme ifyre richtige Beleucfytung. ©ie fragen nacfy bem Ber=
bältnis ber Borfefyung jur naturgefetdicfyen Drbnung (2öunber unb ©ebet), gur mmfcpdjen
greifyeit (©eterminiSmuS, SnbeterminiSmuS, Beftimmung unb gulaffung), ju ben Sfteali= 5
täten beS Übel§ unb beS Böfen (£I)eobicee) erforbem in biefem ^ufammenfyang eine
fummarifd)eBefbrednmg: 1. ©aS burd; bie matfyemaiifcb^mecfyatttfcfye iytoturtotffenfc$aft ge=
Wonnene SSeltbilb ift eine ^onftruftion unfereS ©eifteS, um ber gegebenen @rfd;einungS=
Welt benlenb §err ju werben. ©emnadj finb bie ^taturgefe^e nict)t objeftibe ©röjjen,
bencn neben unb über ben ©ingen eine reale ©jiften^ jurommt, unb bie ficfy als 10
Sffiiitelglieber jWifd;cn ©Ott unb bie SBelt einfdjieben; fie f»aben nur begriffliche ©el=
tung, als fubjeftibe in unferm ©eifie begrünbete, alfo pft)d)oIogifd) unb logifd) notWen=
bige formen unb formen jur Befi^nafyme ber ©rfcfyeinungSWelt unb jur ©rfenntniS einer
georbneten Sßirflicfyfeit. 21IS ©cfyöbfungen unfereS ©eifteS bürfen fie md)t metap^fifd^e
Bebeutung in bem ©inne beanfbrudjen, als ob unfere Wtffenfcbaftlidje $onftruftion beS 15
SöeltbilbeS bie Totalität ber 2ßirflid;feit barftellte unb alle 9Köglid)feit beS ©eins er=
fd)öbfte (Boutroux, La contingence des lois de la nature, 1896 2). ©obalb bie
Berechtigung unbegrünbet erfcfyeint, baS unentbehrliche gorfdmngSbrinjib ber ^aturWiffen*
fcfyaften in eine abfolut giltige Sffieltanfcfyauung umjufe^en, läfjt fid) bie metabl)tyftfd;e
2JJöglid)feit beS SBunberS nicfyt beftreiten. ©em reltgtöfen ©lauben genügt eS aber rtidjt, 20
9iaum gu f Raffen für Söunber im metabf)t)ftfd;en ©inne; eS ift ib,m bielmefyr bie Über=
jeugung Wefentltdj, baft ber gefamte -ftaturmecljaniSmuS einen göttlichen Qtozä berWirf=
licfyt, bafj bafyer aud) im einzelnen galle SBelt unb 9iatur bem allmächtigen SiebeSWillen
©otteS bient, olme ba| ber ©laubige, wenn er in einem beftimmten ©reigniffe eine gött=
Iid)e $ügung erfährt, fid) anmaße %u erflären, auf welche SSeife bie §ilfe Wie bie Rettung 25
ftattgefunben I)abe. 9JMt bem fo gearteten ©lauben an ben ©ott, ber Söunber il)ut, fällt
bie ©eWtpeit ber ©ebetSerfyörung jufammen (E. Menegoz, La notion biblique du
miracle, 1894, beutfcb, bon ©ef. Baur 1895); bezeugt ftcb, bocb, ber lebenbige Bor=
felnmgSglaube unmittelbar im ©ebet, ^unial im Bittgebet, baS bem ©nabenWillen ©otteS
leine ©efe|e borfdjreibt, il)m aber bie menfdjlidje Bebingung feiner Sßtrlung giebt. — 30
2. ©ie jWeite grage, Wie fid) bie Borfelmng mit ber menfd>lid)en greib,eit bertrage, ift
objeftib unlösbar, fofern göttliches unb lreatürlicb,e§ Söirfen inlommenfurable ©rö^en
finb, bie fdjiledrterbingS nid)t auf benfelben Kenner gebracht Werben fönnen. ^n biefer
Berfdnebenartigfeit beS 2öirlenS ift eS aber aud; begrünbet, bafe bie ©rllärung eines @r=
eigniffeS au§ mnerWeltüdjen ^a!toren uns ftetS geftattet, baSfelbe ©reigniS ganj unter 35
ben ©eficbiSbmtlt beS göttlichen %i)un§ %u bringen. £e^tereS ift aber bie Betrachtung
beS ©laubenS. 2öaS fidj) als ^§eorie Wiffenfcb.aftlic^ nic|t entwirren Iäf$t, bereitet ber
grömmigleit {einerlei ©c^Wierigleiten : ber fromme lann unb WiU feine greib,eit gar
nidjt anberS ben!en als in ©otteS grei^eit, b. i). in eine fyöfyere S'iotWenbigleit unb Drb=
nung eingefdjloffen unb begrünbet. £)aS Wiffenfd;aftlid} Unerreichbare, jugleic^ UnbeWeiS= 40
bare unb ItnWiberlegbare, erfährt unb erlebt ber ßbrift als SBirllidjf eit : gerabe bann,
Wenn er am fräftigften fid; feiner $reil)eit beWufjt ift, embfinbet er am ftärfften bie 2lb=
b,ängigleit bon ©ott unb Weife fid; bon feinem SöiHen umfafet unb getragen. Niemals
aber Wirb er ben ^eiligen ©ott gum Urheber unb 9Jtttfd)uIbigett ber ©ünbe machen; bie
BeraniWortlidjfeit unb ©diulb ber ©ünbe ift aber fein §inbernis bagegen, bafs btefelbe 45
als bollenbeteS ©reigniS fid; bem göttlichen ^piane einorbnete unb im ©ienfte ber Bor=
fefjung nid;t als Mittel jur ®urd;füb^rung beS ©otteSreid;S unb als ©toff gu fittlid;er
Betätigung berWenbet Werben lönnte. — 3. SKaS enblid; baS Problem ber £f>eobicee
betrifft, fo liegt bie ber grömmigfeit allein Wefentlid)e Söfung brin^ibtell im braftifd;en
isorfe^ungSglauben als gunftion beS §eilSglaubenS enthalten. 2luS ben ft'onfliften unb 50
2lnfed)tungen, bie bem Sfjriften bie ©rfa^rung ber ÜMtübel bereitet, ift er bor bem
ßtoeifel unb ber BerjWeiflung nur burd; bie in ©fyrifti BerföbnungStb,at ib,m erfd;loffene
DffenbarungSWab,r§eit gerettet unb gefegt, bafe alle ÜBeltübel unb SebenSbemmungen
in ber £anb beS ^immlifc^en ^aterS Mittel jur ®urd)füb,rung feines ewigen öetlS^
äWedeS finb. S)icfe luSfage ift feine ifyeorettfdje ©rllärung ber quatboöen JiMträtfel 65
buref) baS Genien unb für baS ®enfen, fonbern eine braftifd;c Überwinbung ber feinb=
liefen 2öeltmäcb,te burd; ben ©lauben unb für ben ©lauben. ®ie 9tid)tigfctt biefer
Stellung unb Beantwortung ber grage bewährt fieb an ber Xfyatfadje, bafe bie religiöfe
Söfung beS 'XEjeobtcee^robtentg bem etnfad)ften ßbriften pgänglid) unb berftänblid» fein
mufj. ^n ber Xb,at, baS arme 9Jtütterd)en, baS bie Äreug= unb Xroftlteber ^3. ©erbarbts w
762 SBorfeljmtg Sßorfttug
betet unb auS benfelben ©ebulb, Hoffnung unb Vertrauen fdjöbft, bat tfyatfäcfylicr/ ben
üonflift aufgelöft, ben bie Erfahrung ber SBeltübel fcfyafft. 5ßon biefem praftifcfyen Er=
lebntg beS (S^rtften, ber alle ©inge unb Vorgänge unter ben göttlichen HeilSjmecf §u=
fammenfafjt, finb bie ©befulationen gu unterbleiben, „bie fict; um ben einfachen $ern
5 ber fcfylicfyten grömmigteit unb religiösen Erfahrungen fyerumlegen, unb bie fefyr roor/l
auä) entbehrt merben fönnen, ober bie offene fragen in fid) fd)liefjen tonnen, melcfye bei
aßen ftarlen religiöfen Erregungen jurücftreten hinter bem ©infamen unb unmittelbar
Söirffamen. 2lber fie lönnen nict)t ausbleiben unb merben fid) immer mieber geltenb
machen. 2öir behalten gerabe im ernfteften religiöfen Seben unb SDenten biele offene
10 fragen unb Sxätfel übrig ; aber mir muffen uns !Iar machen, bafj eS fragen unb sJtätf el finb,
unb muffen unfere miffenfcfyaftlicfie ^ßfyantafie auf bie 2öege auSfcbicfen, mo mir annäbernbe
£öfungenfol^er3ftätfelab,nenIönnen"(@.2:rörtfc^,6^iftL3ßeIt, 1907,349-350). liefen 2öeg
b,aben biete in ber Stiftung gefugt, bie ^ßaulfen licfrtboß unb gemanbt gefct/ilbert unb for=
muliert fyat. „Eine 2öelt, in ber eS Sßiberfiänbe unb §emmniffe, SSJUpngen unb Übel gar
15 nid)t gäbe, märe leine Söelt für uns 2Ber Seben unb ©efdncfyte, menf$licr/eS Seben miß,
ber miß aucr) bie SSiberftänbe, miß aucb, baS Übel unb 23öfe, nict/t um ifyrer felbft mißen,
aber als Sebingung menfd)Itcr)er SöißenSbetr/ätigung unb Arbeit, als ÜbungSmaterial für
Gräfte unb SLugenben. gur Übung ber Gräfte $u bienen ift bie 2BeIt beftimmt, nicfyt
jum baffiben ©eniefjen. 2llfo mer bemeifen miß, baf? bie 2BeIt fcf)Ied)t ift, ber mufc be=
20 meifen, bafs fie b, ierju nicb,t taugt . . . Ober roenigftenS müßte er nacbmeifen, bafj eine anberS
geftaltete SSelt biefen unfern legten groecfen Deffer a^ °'e unglüdlicfyermetfe mirflidje
entfbrocf,en r,ätte." (Einleitung in bie ^r/üofobb>, 14. 3lufl. 1906, 351—352. Vgl.
£. ©cr/ul|, ©runbrife ber d)riftlid;en 2IboIogetif, 1902 2, § 10). SDiefe Betrachtungen
fls foßen „gegen ben negatiben ^Dogmatismus einer rein bfjr/ftraltfd^en 2Beltanfctjauung
25 baS Urteil in greib, eit fe|en" ; fie finb nicfyt im ©inne eines jroingenben tf)eoretifd)en
BemeifeS gemeint. „Es giebt leine ^eobicee als 2öiffenfd)aft; aber ebenforcenig giebt
eS eine miffenfcfjaftlic^eSlntit^eobicee. ©er SSerftanb bert)ält fiep inbifferent gegen baS
Problem, ob bie SBelt gut ober fcr,Iecf;t ift" (a. a. D. ©. 352). «ß. Sobftetit.
SßorfHu§, EonrabuS, geft. 29. ©ebtember 1622. — Marci Gualtheri Oratio de
30 vita et obitu C. Vorstii, Frederikst. 1624; !g. S. 9?ogge, Het beroep van Vorstius tot hoog-
leeraar te Leiden (De Gids, 1873,11); 21. ©eßmetjer, Gunrabuä 33orfttu§, Vermittlung b. reform.
Sentralbogmen mit ben focinianifd}en ©tnttienbungen (££)eoI. Igaljrb. 1856, 1857); 5ß. Söaijle,
Dictionaire historique et critique, Amst. 1740. IV, 469 — 474; 6E)i\ (Sepp, Het godgeleerd on-
derwijs in Nederland gedurende de 16° en 17e eeuw. 2 dln., Reiben 1S73, 74 I, 181 — 214;
35 58. ©IcifiuS, Godgeleerd Nederland, 's Hertogenbosch 1851, 56, III, 550—557; $. 9fett§mct,
Honderd jaren uit de geschiedenis der Hervorraing en der Hervormde Kerk in Friesland,
Leeuwarden 1876, blz. 342—362.
^onrab 35orft, arminiamfdp 5£f>eolog, ein sl%nn bon Begabung unb ©elefyrfamfeit,
be!annt burc^) feine mit ariftotelifcfc^cfyolaftifdjen ©bi|finbigfeiten aufgefteßten eigentümlichen
40 SBeftimmungen über ©Ott unb beffen Eigenfdjaften, burc^> feine Hinneigung jum ©ocinia=
niSmuS, bureb, bie ©treitigfeiten unb Verfolgungen, bie er fieb, megen feiner Seb,ren unb
SJceinungen jujog, mar am 19. $uli 1569 ju äöln geboren, ber ©olm römifc^^atljolifc^er
Eltern, ©ein SSater, aus ben 9Rteberlanben b, erftammenb, mar ein gärber unb b^ie| SMeberif
ober SEb,eobor, feine 5Dtutter ©obb,ie ©terl. ©bäterb,in traten feine Eltern jur broteftan=
45 tifcb,en Sftrdje über. 3llS lonrab S>. (als ©elefyrter gemöl)nlid) 3SorftiuS genannt) ben erften
Unterriebt erhalten t)atte, fam er (1583) ju feiner meiteren 2luSbilbung nacb, ©üffelborf,
mo er brei $abre lang blieb, bann begab er fiefi mieber in feine SSaterftabt unb trat im
^ab,re 1587 in baS loßegium St. Laurentii ein. Er beabfvebtigte l)ier 33accalaureuS
unb SpfJagifter gu merben, meil er aber auf baS ^ribentinifcb.e ©laubenSbe!enntni§ nid)t
50 fdjmören moßte, lonnte er feinen gmeef ntdt>t erreichen; er befcfylofj nun, aucB infolge ber
beränberten behmiären 3Seri)ältniffe feiner Eltern, bom gelehrten Stanbe ganj abjufeb,en
unb Kaufmann %u merben. gmei %at)xt lang bereitete er ftd) für biefen ©tanb bor unb
legte fieb, mit Eifer auf baS ©tubium ber 2Iritb,mettf, beS granjöfifd^en unb beS 3taliem=
fcl)en, bann aber änberte er feinen Entfcblufj mieber, manbte fieb, bem gelebrten ©tubium
55 bon neuem ju, ging im ^abre 1589 nad) §erborn unb toibmete fic|> unter ^PiScatorS
Seitung ber Geologie, ber er aueb in §eibelberg, toob^in er im Safyre 1593 als §ofmeifter
einiger junger Seute gelommen mar, oblag, ^m folgenben 3<#e CSuli 1594) bromobierte er
in ^eibelberg als ©oftor ber Geologie, barauf ging er (1595) naefi 33afel unb ©enfr mo
er fieb, buref) feine 5DiSbutationen (de sacramentis unb de causis salutis, Sßafel 1595)
aSorftiuS 763
bereite fo auszeichnete, bafj itwi auf Be^aS Anregung eine öffentliche £el)rerftelle an-
getragen Würbe, ©r lehnte biefen Slntrag ab unb folgte bielmel)r einem Stufe nafy ©tein=
fürt in ber ©raffdjaft Bentl)eim, Wo er (1596) am neugeftifteten ©tomnafium baS tI)eo=
logifd^e Sefyramt übernahm. $ier zeichnete er fid) fo auS, baft neue Berufungen (nact;
©aumur in Jiuli 1602 unb naef; Harburg im ^a^re 1606) an it>n ergingen, bod) ber 5
©raf Don Benttjeim b/ielt irm zurücf.
QnjWifct/en War B. fdjon wegen feiner ©Triften (de praedestinatione; de saneta
trinitate unb de persona et officio Christi; Steinfurti 1597) als ©ocinianer ber=
bäcfyiigt Worben, unb fat) er ftdt) fogar, auf Beranlaffung beS ©rafen bon Bentb/eim, genötigt
(1599), fid) bor ber tr/eologifcfyen gaiultät ju §eibelberg, Wo er ben ®oftor gemalt blatte, 10
$u rechtfertigen unb feine Drtrjoborje nacb^uWeifen. ^acfybem bie gatultät if)m angezeigt
Statte, bafj er einige ©adj)en gelehrt fyatte, Woburdj) er bie ©ocinianer $u begünftigen febjen,
er aber fein Bebauem barüber $u ernennen gegeben unb feinen 2lbfcr)eu bor bem©ocmta=
niSmuS auSgeftorocf/en t)attc, erflärte bie garultät ftdt) aufrieben, liefj tbm ju „ad osculum
pacis" unb gewährte irmt „tesseram hospitalitatis" (bgl. BI). BareuS, Vita Davidis 15
Parei, p. 55 sqq.). 3)ie ©ocinianer jebocl) bemühten fiel) jeijt bielfacf/, ibn für ficf> ju
gewinnen; fie bef(f)toffen (1600), tr)n jur Settung beS Subliner ©fymnafiumS ju berufen
unb liefen ib/tn auef) (1601) eine tfyeologifdje Brofeffur buref; §ieronbmuS SRoScorobiuS
anbieten. @r lehnte aber bie neuen Berufungen ab, unb fein 2lnfeb,en in ©teinfurt ftieg
fo, bafj er f)ier im $al)re 1605 auef) jum Sßrebiger unb Honfiftorial=2lffeffor ernannt Würbe. 20
5Radj> bem ^obe beS 2IrminiuS (1609) erhielt er im ^afyre 1610 auf @mbfel)lung
bon %of}. Sötenbogaert, aber gegen ben 9tat bon ©omaruS, einen 9tuf nadj) Serben, Wo
bie S^emonftranten eine §autotftüi5e in i§m ju erhalten hofften. @rft nacb, längerem Be=
benfen naf)tn er ben 9tuf an unb mit ben günftigften geugniffen berfefyen, ging er nacb,
Serben. 5Run r)atte er aber feine fcljon im Jgafyre 1602 ju ©teinfurt beröffentlict/ten Dis- 25
putationes X. de natura et attributis Dei als Tractatus theologicus de Deo sive
de natura et attributis Dei, decem Disputationibus in Schola Steinfurtensi
publice habitis comprehensus, cum annotationibus ad uberiorem Disputa-
tionum exegesim (Steinfurti 1610) herausgegeben, (^urj jubor, ebenfalls 1610, roar
mit einer dedicatio an bie ©eneralftaaten bom 20. 3^""^ 1610 erfcfyienen feine ©djrift 30
„Anti-bellarminus; hoc est compendiosum examen omnium fidei controversia-
rum quae hoc tempore inter Evangelieos et Pontificios agitantur; prout eas
Rob. Bellarminus Cardinalis IV Disputationum suarum tomis complexus est".)
©cf/on im SRobember 1610 fcfyrieb SBtenbogaert an B.: „libri tui de Deo et contra
Bellarminum studiose a doctis hie Hagae perquiruntur et leguntur" SBegen 35
feiner in btefem Straftat ausgekrochenen 2el)ren über ©ott, über bie ©igcnfcfyaften ©otteS,
über bie Bräbeftinatton unb über GfyriftuS Würbe er bon ben Honiraremonftranten ober
©omariften beS ©ocinianiSmuS unb ber ärgften £>eteroborje angellagt, namentlich machte
man irmr ben BorWurf, baf? er baS bollfommen geiftige üffiefen ©otteS, beffen 6infacr;I)eit,
@Wigfeit, Unberanberlidjfeit unb 2uKgegenh>art, bie ©reieimgfeit, bie berfönlidje Bereinigung 40
beiber Naturen in Gfyrifto, beffen ©ottfyett unb bekommene ©enugtljmung für unfere
©ünben bezweifele unb über bie Bräbeftination irrig Iet)re (bgl. Sepp. t. a. p. blz. 187
— 201). ©ogar ber frühere Seibener Brofeffor 2lbr. ©arabia, ber felbft nicr)t ganj ort^oboj
War, fcb,rieb auS ßanterburto. an 2Btenbogaert: „mirabar in ecclesiis Christi inveniri
theologum, qui adeo impias et absurdas de Dei essentia haberet opiniones", 45
unb Warnte irm bor 33. (9togge, Brieven en onnitgegen stukken van Joh. Wten-
bogaert, Utrecht 1868, I, 193—205). Slucb, bie Geologen bon §eibelberg fbracf)en fieb,
ungünftig über ben ^raltat auS, unb 33. fcf/rieb: Protestatio epistolica contra theo-
logorum Heidelbergensium de traetatu de Deo censuram, Hag. 1610. ©eine
©egner in Serben nahmen ib,n mit §a^ unb Unwillen auf, ja fie Wußten felbft ben $önig bo
^afob I. bon ©nglanb in ben ©treit gegen irm ju jie^en. ©er Honig fertigte felbft ein
BergeidmiS bon 3^Ieb,ren auS bem 'ürattate de Deo beS 33. unb lief* eS bureb, feinen
©efanbten atubolbb, SBinWoob ben ©eneralftaaten übermitteln, mit ber (Mlärung, ba^ er
fiel) als ib/ren geinb anfefyen muffe, fobalb fie einen ®e£er, Wie 33. unter fidt) bulben Würben.
$n Sonbon, Dsforb unb Sambribge Ite^ ber lönig baS Bucb, beS B. berbrennen. tiefer 55
berteibigte fieb, jWar in feiner Christiana ac modesta responsio ad articulos quos-
dam nuper ex Anglia transmissos, Lugd. Bat. 1611, benuoeb, mu|ten bie ©tänbe
ib,n entlaffen, jeboeb, salvo stipendio, unb er fab, fieb, genötigt (ungefähr s])iai 1612),
als BerWtefcner in ©ouba ju leben. B. War fo unbefonnen geWefen, bafe er im $. 1611
eine neue SluSgabc bon ^auft. ©octnuS' Xraftat de auetoritate S. Scripturae beforgte 60
764 aSorfttuS aSofftuS
unb tfm auf bem Stiel anbrieS als „opusculum his temporibus nostris utilissimum,
quem admodum intelligi potest ex praecipuis rerum quae in ipso tractantur
capitibus" 3n bemfelben Qafyre eruiert ju Vicäau eine SluSgabe btefeg SraftateS
mit bem tarnen beS Faustus Socinus Senensis. 33. erklärte toor)I, bafs er nid)t ge=
5 ftmfst r)abe, bajj ©ocinuS ber 33erfaffer toar, aber er konnte unb mufcte bocb, miffen, bafs
biefer Sraftat, tüte $abrtciuS fagt, nidjtS anbereS mar als „ad doctrinam Socinianorum
tacita isagoge" ©urcr) biefe 2luSgabe alfo ^atte er feine ©a$e nid£)t berbeffert. Ununter=
brodjen bauerten benn aucb, bie Singriffe gegen irm fort, bie felbft bon einigen feiner früher
in ©teinfurt, aber jetjt in granefer ftubierenben ©djüler angefaßt mürben, melcfye in grieS=
10 lanb ein anonbmeS ©d)rtftd)en („De officio Christiani hominis, cum privilegio
summi Pontificis et Regis Catholici, Irenopoli, typis Theophili Adamidis")
Ratten erfdjeinen laffen, baS antitrinitarifdje Set/ren enthielt unb an alle reformierten
ilird^en bie 9Jtafynung richtete, ficr) ber allgemeinen ©IaubenSfad)e anjunefymen. $u *>en
§aubtgegnem beS 33. gehörten unter anberen bomebmlicb, goB. 33ogerman, ^rebiger ju
15 Seeutoarben, ber mit feinen Kollegen öffentlich bor tfym roarnte („Waerschouwinghe aen
alle ghereformeerde kercken ende vrome inghesetene van de vereenichde Ne-
derlanden", Leeuw. 1611) unb ©ibranbuä SubbertuS, ^ßrofeffor ju granefer („Decla-
ratio respousionis D. Vorstii", ^ran. 1611 unb „Commentt. ad non agnitos
XGIX errores, Lubberto a Vorstio objectos", %xan. 1613); in einer Steife bon
20 ©treitfcf)rtften (u. a. Catalogus errorum sive hallucinationum D. Sibr. Lubberti,
Steinf. 1611; Prodromus plenioris responsi suo tempore secuturi ad declara-
tionem Sibrandi Lubberti et ministrorum Leovardensium iteratam cautionem,
Lugd. Bat. 1612; Responsum plenius ad scripta quaedam eristica, inprimis
contra Ministrorum Leovardensium commonefactionem ampliorem, Lugd. Bat.
25 1612; Paraenesis ad Sibrandum Lubbertum, Goudae 1613) berteibigte fid) 33.,
meift mit großer ^eftigfeit. (Snbltcb, tourbe er burd) bie ©tmobe bon ©erbrecht (5. Ttai
1619) als $e|cr berurteilt unb aller ©teilen an ber Uniberfität unb in ber ^ircfye un=
mürbig erllärt. 3uS^i^ tourbe er auS bem ©ebiet ber ©eneralftaaten berbannt. (Ir flob,
nun bon ©ouba unb r/ielt fta) bis gum Qafyre 1622 in ber 33erborgenb,eit, meifienS ju
30 lltrecbt ober in ber Jläfye biefer ©tabt, auf. ®a getoäbrte ber §ergog bon ^olftetn ben
Slrminianern eine $uf lucbtSftätte ; 33. fam im 3"^ 1622 nacb, Sönningen, too er franf
mürbe unb fcbon am 29. ©ebtember ftarb. ^n griebricbjtabt mürbe er beerbigt. 2)er
3teftor 9Rarlu§ ©ualtfyeruS r/ielt eine Setcfyenbrebtgt (f. oben), i'iurj bor feinem SLobe
foH er nocb. ein ©laubenSbefenntniS aufgefegt unb ficfy jur fociniantfcr)en Ser)re begannt
35 Ijmben. ©anbiuS (Biblioth. Antitrinitat. p. 98) fagt, bafj er biefeS 33etenntniS gefer/en
fyat, „in qua [Vorstius] haud obscure prodit quae ejus de Deo ac Christo Do-
mino fuerit sententia"
33. bat biele ©Triften herausgegeben, ^jaquot (Memoires, III, 78 suiv.) nennt
meb,r als bierjig Sitel. ©eine nieberlänbifcfyen greunbe gaben neun Qafyre nacb. feinem
40 Sobe feinen Commentarius in omnes Epistolas apostolicas, exceptis II ad Ti-
motheum, ad Titum, ad Philemonem et ad Hebraeos (Amst. et Hard. 1631)
l>erauS. — ©ein ©ofm 2BilI)elm ^einrieb 33. (geft. 1. Oft. 1652) mar feit 1642 ^rebiger
ber ^emonftranten ju Seiben unb ftanb im 33erbad)t beS ©ociniamSmuS. @r mar fei)r er=
fahren in ber rabbinifcfyen Sitteratur unb feine ©elel)rfatnleit tourbe fefyr gerühmt (f. über
45 feine ©Triften SSa^le 1. c. IV, 474). @in anberer ©olm, ©uemeruS 33., mar ebenfaUS
^rebiger ber 3temonftranten, ^atte unter 33arläuS ftubiert, mürbe im ^afyre 1632 ^rebiger
ber Stemonftranten ^u Collum, im %. 1634 gefangen unb bureb, ben |of bon grieSlanb
für fünf ^ab,re gebannt, 1635 jurücfgefefyrt abermals gefangen unb gu berfelben geit
tüteber gebannt, fbäter $rebiger ^u §oom (1641), Seiben (1653), 9?otterbam (1658), too
50 er 1680 emeritiert ift unb im Max^ 1682 ftarb. @r b,at ein naa)gelaffene§ ©c^riftd^en
feines 33aterS herausgegeben: „Doodsteek der Calvinistische praedestinatie" in
einem 33anb mit einer eigenen ©cfyrift gegen §acb,tingtuS „Noodsakelijke censuren"
33tS 1716 b,aben ^ad^fommen beS 33. ber 9iemonftrantifcb,en 5lird£)e in ben Diieberlanben
im ^rebigtamt gebient. 5Reubcrfer t (©. 2). Dan Seen).
55 SSofftu§, ©erarbuS ^o^anniS, geft. 17 Wäx* 1649.— £. Sitten, Memoriae
Phil, decas quinta, p. 96 sq.; .§. SottiuS, Oratio de Gerh. Joh. Vossio, grammatico per-
fecto, Amst. 1778; 3. ©. be Srane, De Vossiorum Juniorumque familia, Fran. 1820; ©
®- 3- @d)oteI, De illustre School te Dordrecht, blz. 43; W. ©iegenbeet, Geschiedenis der
Leidsche hoogeschool, 2 dln.; Seibett 1829, 32, I, 108, II, 110; 'illustris Amst. Athenaei
aSofftuS 765
Memorabilia, ed. 3). g. ücm Sennep, p. 79 sqq. — ©ine ©efanttauScjabe feiner SSerfe erfdjien
in 6 Ücinben Slmfrerbunt 1695 — 1701. ©eine 93viefe mürben u. ci. tum ßoloniefuie („Vossii
et clarorum viroram ad eum epistolae", 9lug§burg 1691) rjercmägegeben.
Stnen mürbigeren Vertreter als SBoffiuS Ijiaben bie litterae humaniores faum gefannt.
@r mar nicfyt einfach ein Mann, ber ftd; beitritt befcfyäfttgt I)at, fonbern ein Vertreter ber 5
artes ingenuae. ©eine Siogratofyen merben feine Sobrebner. @r ift einer ber menigen
Scanner, beren Stur/m eben fo laut bon ben nad)folgenben ©efdjlecfytern als bon feinen
ßeitgenoffen berfünbtgt mürbe.
3n einem ®orfe bei §eibelberg erblicfte er im grüfylinge 1577 baS Sicfyt ber 2SeIt
als ©oljm bon IgofyanneS SBoS unb Gornelta ban Siele, ©ein SBater flammte aus bem 10
füblid)en %t\k ber üftteberlanbe unb mar geboren ju S^oermonb. infolge beS 2luSbrud)S
ber ©laubenSberfoIgungen mar er geflüchtet unb, nad)bem er Geologie ftubiert fyatte,
^rebiger geworben, ©einen Familiennamen l)atte er inSlIobiciuS bertoanbelt. 2öeil er cal=
binifcb, geftnnt mar, berliefj er 1576 bie ^fal^, mo bamalS baS £utb,ertum als fyerrfd)enbe
Wlatyt ftcb, geltenb machte. 2tm 5. 9M 1578 liefj er ftd) an ber furj borfyer gefttfteten 10
Uniberfität ya Serben als ©tubent ber Geologie eintreiben, hierauf toirfte er an ber=
fcfyiebenen Drten, jule^t (feit 1583) in 3)orbred)t, als SDiener beS ©bangeliumS, unb ent=
fdjlief ben 22. gebruar 1586, ©erfyarbuS (beffen SJhttter fd)on 1684 geftorben mar) als
SBaife fyinterlaffenb, ben bieSÜßitme beS SDorbredjter Pfarrers 3jacüDUlg 9Jtylm§ ju ficfynafmt.
SDorbrec^t bot mannigfacb, ©elegenl)eit jur SluSbilbutig ber glüdlicfyen Anlagen beS 20
Änaben; in feinem 17. SebenSjaI)re mürbe er fobann 3bgling ^ f°0- ©taatem^olIegiumS
ju Serben; am 21. ©ebtember 1595 trug er feinen tarnen in baS Sllbutn ber Uniber=
fität ein. 23on allem, maS Serben bem begabten Jüngling bot, l)at biefer roob,! nichts
i>öf>er gemürbigt, als ben greunbfcfyaftsbunb, melden er mit £ugo be ©root (§ugo ©ro=
ttui) fcfylofs, ber ein $al)r früher unter bie 3öglütge ber alma mater aufgenommen toorben 25
mar, ein §reunbfd)aftsbunb, toelcb,er erft Durcb, ben ^ob griffen mürbe ; ebenfo oortrefflid)
als befct)eiben fcfyrieb SßoffiuS bon ©rotiuS: „Quem scirem nihil immerito magnifacere
praeter me unum"
tinter günftigen Umftänben begann 33offtuS feine ©tubien in Serben. SDaS©taaten=
Kollegium mar eben auf einem befferen gufj eingerichtet morben. Sonabentura 23ulcaniuS, 30
$etr. SertiuS (bamalS Unterregent beS ©taaten=3MegiumS), 9tub. ©neßiuS lehrten an ber
.^odjfcfyule bie alten ©brauen unb bie bfyilofotofyifdjen 2ßiffenfd;aften ; granctScuS 3utüug
SucaS ^relcattuS unb granj. ©omaruS bie ©regefe beS 21. unb 9ZSLS. 9Jcit melc^ gutem
(Srfolge er biejen Sehern folgte, geb,t au^ ber bon ib,m im ^jafyre 1597 gu Serben er=
fd)ienenen ©c^rift b,erbor: Oratio panegirica de felici expeditione exercitus foede- 35
ratae Belgieae, duetu Principis Mauritii etc., burefy i^n ge^eietmet mit bem tarnen
Gerardus Vossius Heidelbergensis. ^m Sa^re I598 mürbe er jum Magister Artium
beförbert unb im folgenben %atyxt b,ielt er, unter allgemeinem Setfaß, Sorlefungen über
einige Süd)er be§ 2triftoteIe§.
2öenn e§ nad) bem SÜßunfa) ber Kuratoren ber §od)fd)u!e gegangen toäre, fo mürbe 40
23ojftu3 bie©barte be§ 2iliu§ ©berb, . 3Sorftiu§ in ber $ftoji! übernommen b,aben, melier ba=
mak (1599) jur mebiginifd^en gafultät übergegangen mar. ©oeb, glüdlid)erioeife beriefen ib,n
bie SSorftänbe ber Iateinifd}en ©dmle gu S)orbrecb, t borten, um bas> bafant gemorbene ^e^
torat biefer ©d)ule ju übernehmen, ©eitbem (1600) mibmete er fein Seben böllig bem ®ienfte
ber ^3b,ilologie unb ber b,iftorifd)en S^eologie, guerft als 9te!tor, bann als Seiter (Regent) 45
beS ©taaten=^oHegiumS ju Serben (1615), hierauf als 5profeffor an ber §ocf)fd)ule ba=
felbft (1622), enbltd) als ^ßrofeffor an bem Athenaeum Illustre in Slmfterbam (1632).
%a\t 15 ^a^re mir!te er unb jmar mit bem günfttgften ©rfolge in ®orbrecb,t. §ier gab
er feine Institutiones Oratoriae, libri VI (1606, fbäter bcrmeb,rt unb berbeffert) berauS
unb mürbe ib,m eine ^rofeffur ber Sib,eologie in ©teinfurt angetragen, meiere er ablebnte, 50
ba er, burd) Vermittlung bon ©rotiuS, jum Setter beS Staaten=ÄolIegiumS ernannt mürbe,
meld;e ©teile er bis 1619 belleibete, unter ben mübeboHften Umftänben, meld)e burd; bie
Streitigkeiten gtüifc^en ben ©omariften unb Slrminiartern beranlafet maren; er für feine
9ßerfon ^telt ftd) fo biel als möglieb, bon ibnen ^urüd, feine ©rbauung unb ©emüts=
er^ebung fud)te er in ber ^rebigt unb 2lbenbmab,lSfeter fotoofyl bei Stemonftranten als 55
^ontraremonftranten. 5Den §ei|fbornen jener Xage mar eine fold>e 5Uiäf)igung ein SlrgerniS.
Slud) über fein §aubt entlub fid) ber ©türm. ÜJian übertrug bem Kollegium ber Wura=
toren ber §ocb.fd)ule, baS jum Seil erneuert unb bureb, etlid)c hinzugefügte 3)citglieber ber=
ftärlt mürbe, bie Aufgabe, alles baS ju tb,un, toaS bie Sage unb bie Sebürfttiffe beS
leeren Unterrichtes erforberten; biefeS urteilte, bafj fomob,l ber Regent ^offiuS als ber ©ub= 60
766 SBoffmg
regent ®a§bar 33arläu<§ bon if)ren ©teilen entfernt merben müßten. £>odj fehlte eg nidjt an
Scannern im Kollegium, meiere ben 23offiuS bor einem folgen ©cfyufjal ju bemalen münfcfc
ten. 3Jfan gab ib,mben9Jat, felbft feine ©teile jur 33erf ügung ju ftetlen unb auf biefe Söeife
in gemiffer 33eäiel)ung bem ©cb>ge äuborjufommen. gragt man, mag er nacr) bem ttr=
6 teile ber mafsgebenben ^erfonen, ber Äontraremonftrantenbartei, Übles getfyan blatte, bann
erhält man eine boEftänbige 2Intmort aus ben 33erfyanblungen ber fübb, oßänbifc|en ©rmobe
betreffe ber Angelegenheiten, ©adje unb £ef»re ber Semonftranten, meiere bon Dr. 91 (5.
$tft in bem „Archief voor kerkelyke geschiedenis" Dl. VII mitgeteilt finb.
®ie bureb, SSoffiuS Veröffentlichten „theses theologicae de variis doctrinae christia-
io nae capitibus" (1615) unb bie „Historiae de contro versus, quas Pelagius, ejus-
que reliquiae moverunt, libri VII" (SImft. 1618 unb 1665) mürben angefet/en, alg
2tnfi$ten entfyaltenb, bie ntcfyt mit benen ber ^ontraremonftranten übereinftimmten, roäfyrenb
überbteg begannt mar, bafj 33offiug in einzelnen fünften mit ben 5 2trtifeln ber 9iemonftranten
übereinftimmte. 33offiug roollte in feiner anbern ©igenfdjaft bor ber©imobe erfer) einen, alg in
15 ber eine§ ©emeinbegltebeS ; er mar bod) niemalg ein ^ird)enbiener getoefen. 2lucr; moHte
er in feinem gatte alg eine afabemifcb,e ^Jerfon erfahrnen. 3)aS ledere münzten jeboer)
einige Kuratoren unb ^rofefforen, meld)e mit ü)m für bie Unabfyängigfeit ber ©cfyule
eiferten. ®afj 33offiug feiner ©ntfyebung suborf am, f)atte guten ©rfolg ; bie fircfjIic^enDbrtgfeiten
gemährten fie, nacfybem bie tb, eologtfcle gafultät erflärt blatte, bafj feine tlrfac^e borfyanben
20 märe, bie 9ietf)tgläubigfeit beg 33offtug in Zweifel p jieb, en. ©obalb biefe fircbjidje 33emegung
gegen 23offtug jur SftuI? e gefommen mar, übertrugen bie Kuratoren ber Uniberfität im 3<#e
1622 U)m bie ^ßrofeffur ber 33erebtfamfeit unb ber Chronologie, unb ungefähr 3 %ah]xt
fbäter bie ber griea)ifcr/en ©toradje. SDurcr; biefe 33ermeb,rung feiner SBirffamfeit unb ju=
gletcfe, feineg Gsinfommeng empfing 33offiug einen 33emeig ber ©rfenntlicfyfeit ber Kuratoren für
25 ein Dbfer, meines er gebraut f>atte. (5r fyatte nämlicb, im ^afyre 1624 eine Berufung
an bie Uniberfität ju Gambribge ausgeflogen, meiere im ^abxe 1626 noeb, einmal mieber=
b,oIt mürbe; ein @ntfd)Iu^, melden feine englifcfyen greunbe mit Seibmefen bernafymen,
miemofyl fie tfym tb,r 2BofylmoHen nie endogen. @g mürbe ib,m ein ^anonifat übertragen,
beffen materielle Vorteile tfym alg §au§bater fefyr $u gute famen. Serben fotlte tb,n jebod»
30 nicfyt länger alg big 1632 befttjen. ®er ©inlabung ber Regierung ber ©tabt Slmfterbam,
an bem bafelbft neu errichteten 2ltb,enäum ^rofeffor ju merben, unb jmar unter äufjerft
günftigen 33ebingungen, glaubte er ©et)or geben ju muffen. @r trat biefeg 2lmt am 8. %a-
nuar 1632 mit ber ^nauguralrebe „De historiarum utilitate" an. ©er gut gemähte
©egenftanb mar bei SerfafferS ber „De historicis graecis libri IV" (Seib. 1624; neue
35 2Ut!§g. bon Söeftermann, Seifjj. 1838) unb ber „De historicis latinis libri III" (Seiben
1627) boltftänbig mürbig. 2lu|er über bie aHgemetne ©efcl)icr)te laö er aueb, über bie ber
cfyrtftlicfyen ^ircb,e; er interpretierte gelegentlich Seno^on unb Slriftop^aneä, gloru§ unb
^uftinul. ©amätagö Slbenbl b, ielt er ^rtbatübungen, mobei bie Stnmefenben fiel; im ©til
unb Sortrage übten. $n ben öffentlichen 3Sorlefungen, meiere nid^t nur bon ©tubenten,
40 fonbern aueb, bon 5tRännem reiferen 2llter§ unb ^öfjerer ©teHung befucfe,t mürben, trat
Soffiul infolge auSbrücf liefert Verlangens ber Regierung in einer Soga, 2alar, auf. 2Bie er
feine 3Sorlefungen b, ielt, berietet ©amuel ©orbiere, melcf;er felbft mäbjenb feiner 2lnmefen=
Ijeit in ben 3tieberlanben unter feinen gufyörern fa^. ©tefer fc^retbt (Sorberiana,
p. 229): „tres viros numerabam maximos ex innumeris e Suggestu prae-
45 legentibus, Dionysium Petavium, Vossium et Barlaeum, Heinsium non audi-
verara et Samuelem Petitum — biefer mar fein Db,eim — modeste praeteribam,
quos inter Vossius eminebat, quantum lenta solent inter viburna Cupressi. —
®en 17. 2Jlärg 1649 rief ib,n ber %ob au§ feinem SSirfunggfreife ab unb erlöfte ilm
bon bem ferneren Ä'reuje, meines er al§ ©begatte unb Sater l)atte tragen muffen. @r
50 mar jmeimal »erheiratet, jule^t mit einer Softer beg granjilcu§ ^uniul (©lifabetl;). @r
b,at alle feine ermacfjfenen $tnber (8), big auf eines, naclieinanber ju ©rabe getragen, unb
unter biefen biejenigen, meiere bureb, Talent unb ©eifteSgaben feinem 3tamen einen neuen
©lanj bättert geben fönnen. Senn e§ mar 2Öabrbett, ma§ ©rotiuS fcbevgenb Don ib^m
bezeugte: „Liberis non minus quam libris seculum ornavit, ut dubium effecerit,
56 scriberetne aecuratius an gigneret felicius ?" ©ein ©ob,n ÜKattb, euS 35. (geb. ca.
1610, geft. 20. ^an. 1646) mar ©efd)icb,tfcb.reiber ber ©taaten bon §oßanb unb geelanb;
©iontjfiuS 33. (geb. 11. Wiäx% 1612, geft. 24. Dftober 1633) leimte ftt)on im 3ab,re 1632
eine ^rofeffur ber ©efcb,icb,te unb Serebtfamfeit ju ©ortoat ab unb mürbe im folgenben
Qab,re burc$ ben $önig bon ©cb, meben ju feinem §iftoriograbb, en ernannt ; ©erarbuS 33. jun.
60 (geb. 1619, geft. 27. SSJiärj 1640) gab fa^on in feinem 20. Sebengja^re eine bon ben ©e=
SBofftuS 767
lehrten allgemein gelobte Irtttfd^c 2Iuggabc beg 35ettejug ^aterculuö fyeraug. 3) er einige ©ob,n,
ber bei bem Sobe beg Sjaterg noch, am Seben mar, mar ^sfaac 33. (geb. 1618, gcft.
21. gebr. 1689). @r mar erft 23ibliotbetar ju 2lmfterbam, machte Steifen nach, (Snglanb,
granfreid) unb Italien unb folgte int ^afyre 1648 einem 9iufe ber Königin ©brifttne nad)
©djmeben, ber er ^>ribatunterrid)t im ©riecfyifcfyen erteilte unb beren 23ibliotI)erar er mürbe. 5
©bater (1670) ging er nad) ©nglanb, mo er aU Kanonifug ju Söinbfor ftarb. (*r toar
bon etroag leidstem ©d)lag, unbeftänbig, gleidjgiltig in ©laubengfacfyen, bem Sjater alfo
in bielen ©tüden feb,r unätynlid). 33eiber Sebengbilb ift in einer finnigen ÜSeife gewidmet in:
Memoires pour servir ä l'histoire des sciences et des arts, befannt unter bem
tarnen: Journal de Trevoux, Armee 1713, p. 178 sqq., unb baraug b,erüber= 10
genommen in SRtceronS Memoires XIII, p. 99 ss. 2)urd; hieben bon greunben unb
33erel)rern ift bag £ob beg ©. $. 93offtu§ berfünbigt morben. ©ein 2Imt€genoffe Sllbertug
9tufiug, ^rofeffor juris, fyielt ib,m eine oratio funebris, bie jebod) nid)t im SDrucfe
erfdt)ten. Unter ben 33emunberem ber ^erfon unb ber ©aben beg 23offtug nal)m einen
ber erften $Iäfce ber berühmte bollänbtfdje ©id^ter Qooft ban ben 23onbel ein. 2)ie 2>n= 15
fd)rift, it>elct)e bon biefem einem iöilbniffe beg 93offiug, tüeldt)e§ burcb, ^n Wakv ©anbrart
berfertigt morben mar, beigefe^t mürbe, berliert burd) jebe Überfettung. ®ie ©djlufcberfe
mögen in lateinifdjer ©brache alfo miebergegeben merben :
„Quid chartis hominem cingis, Sandrarde, librisque?
Condita quaeque libris condita habet cerebro." 20
$n ben ^a^ren 1695 — 1701 erfdnen eine boßftänbige 2luggabe feiner Opera in sex
tomos divisa. ©röfjtenteilg gaben biefe Folianten einen 2lbbrud beffen, mag fdmn früher
erfdjtenen mar; nur einzelne ©tüde erfcfyienen b,ier jum erften SDlale im 2)mde. $Dte ge=
nauefte 3Ingabe beffen, mag er gefdjrieben b,at, liefert ber Catalogus biefer Opera bei
■Jiiceron I.e. p. 102 ss., roelcfyer nod;2Ber!e bon23cffiug aufgenommen r)at, meld;e nidjt in 25
ben Opera enthalten finb. $n biefen Opera faßt ung am meiften bag Uniberfette ber
2öiffenfdjaftlid;feit beg SBofftuS auf. 3Jcan fagt, bafj feine Stbliotfyef 24 000 23änbe umfaßt
fyabt, unb man behauptete, bafj ber ^jnfyalt berfelben i^m bottftänbig befannt geroefen fei.
£>te aufjerorbentlid) reidje, biele tr>id)tige, burcb, ifyn felbft überall gefammelte §anbfd)riften
entfyaltenbe SBtbltot^ef beg $}aac 93. mürbe im $al)re 1690 bon feiten ber Itniberfität p sc
Serben angekauft für 33000 ©ulben (55 000 M.).
fragen mir, meldte 23erbienfte©.I3-33offiug fid; begüglid) ber Biologie ermorben t)at,
fo beantmortet ung bieg feine Grammatica Latina, meiere länger alg jtoet ^afyrr/unberte
ben @b^nbla| in feinem SBaterlanbe eingenommen fyat unb in unzählbaren Auflagen neu
gebrudt morben ift, feitbem fie jum erften Sftale im %afyxe 1618 erf dienen mar unter 3e
bem S£itel: Ludolphi Lithoeomi Syntaxis Latina ex recensione Vossii, momit er
bie ©runblage gur fruchtbaren ^Betreibung ber alten ©brache gelegt fyatti. S)en ©tubien
ber lateinifdjen ©brache öffneten feine SSerfe eine reidje Quelle, ©ie lieferten ben Seroeig,
bafe fie bon einem SRanne ftammten, ber in bem, mag er fcfyrieb, bollfommen ju §aufe
mar unb meiner leine 5Rüb,e fbarte, um anbere auf bie §ö^e ju führen, bie er felbft er= 4c
reicht ftatte. ©enialität mag feinen Söerlen fehlen; Iel)rretct) finb fie bagegen auf jeber
©eite. §at er aud; felbft mit ber SLertfritif fidi ntd)t befd)äfttgt, fo b,at er bod; anberen
barin borgearbeitet, bafe er fie beflinieren unb fonjugteren gelehrt unb Urnen bie ©efe^e
ber ©rmtarjg eingefd)ärft ^at. @ben fo I)etl glänjt fein dtü^m aU §iftorifer. 2öag
namentlidj bie r>tftortfc^e Geologie betrifft, fo ift fein 93erbienft, ba| er in einer 3eü» 45
in toeldjer borjuggmeife bogmatifdje arbeiten bie ©eifter beroegten, fein 3Iugenmer! auf
bie ©efd)id;te beg 2)ogmag geridjtet l>at. @g mag roal>r fein, ba| mir über mefyr Quellen
berfügen unb begfyalb in mel>r alg einer Schiebung feine Arbeit berbeffern fönnen, eg
mürbe aber unbanfbar fein, bag, toag er getb,an bat, gering ju fd)ä|en. 33or allem muffen
mir Sterbet unfere SlufmerffamJeit rid)ten auf feine „Dissertationes tres de tribus so
Symbolis, Apostolico, Athanasiano et Constantinopolitano" (3Imft. 1642), toelcfye
alg ^robe einer fritifd)en 93ebanblung biefeg ©egenftanbeg bleibenbe 2lufmerlfamfeit ber=
bienen; nid;t Weniger ift bieg ber gall mit feinen „Libri IV de theologia gentili et
physiologia christiana, sive de origine ac progressu idololatriae deque naturae
mirandis, quibus homo addueitur ad Deum" (Amst. 1642, ed. 2a Francf. 1668, 53
ed. 3a Francf. 1675). sJJiemanb toar ?u einer foldjen Unterfud;ung geeigneter, alg23offiug,
meldjer bie alte Söelt gleid;fam aug ber Mi)t fannte. @r gab feinen ^eitgenoffen bie
grud;t einer aufmerlfamen 33etracbtung bon ©rfd^einungen, bie, mie fefcr fie auö) bon bem
SBege ber SBabrbeit abmeid;en, bod; alg 3eid;en geiftlid;en Sebeng Sead;tung berbienen.
2Benn mir eine s8emerrung ju biefem Söerf machen, bann ift eg biefe, ba^ eg überlaben 60
768 SSoffiu§ SSatfetttogel
unb toenig bfyilofoblnfd; ift. 3m3afyre ^x feinem £obe fyat er herausgegeben „De bap-
tismo disputationes XX" (2lmfi. 1648) unb nac§ feinem %obt finb erfcblenen „Trac-
tatus theologici" (SImft. 1701).
SSon allem, maS SSofftuS unS fyinterlaffen fyat, ift nichts mistiger als feine Epistolae.
5 2)ie ©brad)e ift rein, ebler aber ift nod) baS §erj, baS in biefer ©bract)e fid) offenbart.
©o toie er barin bie 33erbienfte feines ©djtoiegerbaterS granjiScuS QuniuS gegen bie 2ln=
griffe beS ©caliger unb beS be SEfyou (^ctc 2lug. ^fyuanuS) berteibigt, mie er barin über
feine eigenen ©Triften, Sßirffamfeit unb ©tfyicffale fjpricfyt, mit feinen greunben berfefyrt,
lernen mir ifyn nicfyt nur als einen großen 9Jc~ann, fonbern bor allem als einen eblen, tief=
10 religiöfen 3Jcenfd?en lieben. Dr. ©ew f (©. 2>. »an Seen).
SBulgata f. b. 21. «Bibelüberfe^ungen 33b III ©. 36.
w
SSaaMIaub, ftretfirdje f. b. 21. %x ei! treten 33b VI ©. 254, ib.
SBatfernagel, ^Inlibb, geft. 1877 — Quellen xmb Sttteratur: 2)em gol=
15 getiben liegen $u ®runbe be§ Unterzeichneten 3Iuffäge in ber (hmngeltfcben Strcbenäeitung Don
1872, 1875, 1878; in ber Mgemetnen Iut^erifd)en tirdjenjeitung 1878, 3lx. 2 unb 3; unb
ba% au§fü£)rticbe Se6en§bilb : $£)iüpp Sßacfernagel nad) feinem Seben unb SBtrten für ba§
beutfebe SSoIf unb bie beutfebe Strebe. SOlit einem S3ilbni§ üBacfernagelS, Seidig 1879. —
3u »gl. ift nud) bie ®<bnft: SSit^elm SSacternagel, 3ugenbjab,re 1806—1833, Don SKubolf
20 SBacternagel (bem ©ofjne SSti^elmä), SSafel 1885. 9?od) ju ugi. 9lb93 33b 40, 1896 nun ©bro.
©djröber.
$I)ilibb 2ö., ber fyerborragenbfte ^fymnolog beS 19. $abTl)unbertS, ber d;riftltd)e
sßäbagog unb 9Jcttbegrünber beS beutfd)=ebangelifcr/ett Kirchentages, ift am 28. ^uni 1800
ju Berlin geboren. @r war ber SBruber beS als ©ermanift unb Sitterarluftorifer rüfymlid)
25 bekannten 2SüfyeIm 20., geft. am 21. 25ej. 1869 -m Safel. ©er Sater mar Sucfybrucfer,
fbäter Kriminaliommiffar ; boefy mit bem granjofenbruef feit bem KriegSunglücf 1806
mud)S aud) ber Scotftanb in Berlin unb in ber gamtlie. ?ßi). fyat früf), fd)on in ber
©cb^uljett, erfahren, toie föftlid) eS fei, baS %ofy in ber 3u9en^ trogen ju lernen. 3m
Kampf mit ber Not beS SebenS bilbete ftd) bie gefügt«:, ©elbftftänbigfeit, ja §artnäcfig=
30 feit in feinem Sfyarafter aus, meiere nicfyt ofme baS im ©Iternfyaufe maltenbe fromme
©ottbertrauen mit bem allmäfylid; immer tiefer erfaßten ©lauben an feinen £eilanb fid)
berbanb.
2IIS ©cr;üler beS grauen KlofterS in Berlin unter beg älteren Seilermann Direftorat
mar er, um fief) freien ©dmlunterricb; t, teilmeife freie ©cfy ulbücb.er unb ein fleineS £afcfyen=
35 gelb ju berbienen, in ben bamate noeb, bei bem ©r/tnnaftum beftef;enben ©ingec^or, bie
berliner (Surrenbe, eingetreten. Siedet aug eigener ©rfafyrung fcb.ilbert Sß. fbäter in feiner
2lu§gabe bon Sut^erS geiftlidjen Siebern (©. XVIII) biefen burd) nichts ju erfe^enben
©egen für eine ©tabt, melden Hinber unb ©ienftleute, mie bie Bürger mitten in ifyrer
Strbeit embfangen. „2öo bie ßb^orfcb^üler nieb^t meb,r fingen, befommt niemanb ba§ 2öort
40 ©otteS auf ber ©tra|e ^u b,ören." ©omeit e§ bie freie ©d^eit ermöglichte, berfab| er
notf; ©c^reiberbienft bei einem guftijrat. 9iur bie im ©ommer bößig freien Nachmittage
am SQiittmocb; unb ©onnabenb lief? er fieb, rttd^t nehmen. 2ln if)nen „trabte er" InnouS
auf ben 2;urnbla^ ^ab;n§, beS SegrünberS ber SLurnerei in Berlin. 5Diefe ^eit mit ber
leiblichen unb geiftigen @rfrifcb;ung unb Kräftigung unter beffen Seitung gehörte ju ben
45 liebften (Erinnerungen au$ ber ^ugenbjeit.
©er Sater ftarb 1815. (Sin ^ab^r fbäter mufjte ber ©ob,n ba§ ©^mnafium berlaffen,
meil eS ber SUtutter unmöglich; toar, ifyn länger ju erhalten, ©ie ©cb^reibfron mu^te loieber
ertragen merben. ©ureb, %at)n tourbe er an $rofeffor ^ßlamann embfob^len unb bon biefem
al§ Se^rer unb gugteic^ ©ctjüler in fein Qnftitut, meinem fbäter aud; gürft SiSmard an=
so gehörte, aufgenommen. 3Son £)ier au§ machte er nad) brei $afy ren bie Prüfung jum Sefud)
ber Uniberfttät; mäfyrenb biefer 3eit lonnte er feinen JBerfefyr mit 3ab;n auf bem £urn=
bla| ungeb;inbert fortfe^en. 2tud) bie ^Kittel jum alabemifd^en ©tubium foüte er bem
2urnbla|, inSbefonbere feinem treuen gab^n berban!en. ®er fd;lan!e, b^od;gemad;fener
aöatfmtagel 769
elternlos gemorbene Jüngling mürbe burcb, 3>alm an ben ^ßrofeffor ber Mineralogie unb
SBergrat Marl b. Mautner embfofylen. ©eitbem bettrat ber treffliche Mann SSaterfteüe an
$f)ilibb. £>ie fofortige 2lufnaf)me in beffen §au3 nad) Sre^Iau mar für feine gan^e meiterc
Sntmidelung, ja für fein Seben bon beftimmenbem ©influfj. ©eine foeben in ^Berlin be=
gonnenen ©tubien fe|te er mit freiem unb frifdjem Mut bjer fort; er richtete fie nid;t 5
blofj auf bie beutfdje ©brache unb £itteratur, fonbern burcb, b. 9kumer§ berfbnlicben ßin=
ftufe aud; auf Matfyematif unb $Raturmiffenfdjaften, bcfonberg Mineralogie unb ®rr/ftatto=
grabine. 2Iber 28.3 ©ifer auf bem ^urnblats mact/te tlm in ber bamaligen geit ber„®ema=
gogenriecfyerei" ber bemagogifdjen Umtriebe berbäcfyttg, bem „^oltjeiric^ter" fiel fein SLagebud)
nebft allen feinen Siebern, ©ebicfyten unb miffenfd)aftlidjen 3lbb,anblungen in bie §änbe ; 10
er felbft fyatte ein %afyx ©tabtarreft. ©nblicfy mtbmete er ficb,, gleichfalls burd) b. Sftaumer
angeregt, r/r/mnoIogifd)en ©tubien, unb um Um bei biefen feftjuljalten, nafym ib,m berfelbe
baö Skrfbredjen ab, nid)t el)er mieber felbft ju bieten, als bis er feine 2lrbeit am Hird;en=
liebe bollenbet babe.
;£>urd; b. SKaumerS Berufung nad) §atte mürbe 20. beftimmt, fobalb fein ©tabtarreft 15
aufgehoben mar, feine ©tubien in §atte fortjufe|en unb ju boHenben. 3öie bei b. Räumer
bie %rturmiffenfd;aften unb bie ^äbagogif auf bem ©runbe be£ lebenbigen dj)riftlid;en
©laubeng ruhten, fo anä) bei 20. 3113 b. Räumer Dftern 1823, mefentlict; infolge be§
audj gegen ib,n feitenS ber breufjtfrfjen 23el)örben megen feinet (SinfluffeS auf bie Surfcb, en=
fcjwften ausgekrochenen MifjtrauenS, feine ©teile aufgegeben unb eine £eb,rtl)ätigreit an 20
einer ^MbaterjiefmngSanftalt in Nürnberg angetreten f)atte, mürbe im folgenben ^a^re
aud) 3B., ber injroifd^en feine ©tubien bollenbet unb beffen „@eift fiel) gefegt" fyatte, an
biefelbe Stnftalt als Se^rer für Matfyematil; unb 3>iaturmiffenfcr;aften berufen. §ier mirfte
er im fdjönften 33erfeb,r mit gleidt)gefinnten 2lmtSgenoffen (aufjer mit b. Räumer noct) mit
9tanre, bem fbäteren Dberfonfiftorialrat, ©trebel, bem fbäteren Pfarrer unb ©cfymager, u. a.), 25
unb trat mit ben fyerborragenben djriftlid)en ^erfönlidjleiten Nürnbergs mie mit ben be=
beutenbften ©elefyrten beS naf)en unb biel befugten ©rlangen (©d>ubert, ©Delling, ^ßfaff,
$rafft u. a.) in enge 33erül)rung. SDie Slnftalt bermocfyte ficb, troij ber tücfyttgften £efyr=
Iräftc nicfyt ju galten; b. Räumer mufcte fie auflöfen unb folgte fdjon 1829 einem SRuf
nad^ (Erlangen als ^rofeffor ber Mineralogie unb ^äbagogü; 2B., nadjbem er !urj borfyer 30
auf ©runb einer S^eib^e gebrudter miffenfcfyaftlicfyer 2lbl)anblungen mineralogifeijen unb bota=
nifdjen Spalts (gebrückt in ber %\\$ unb in SfaftnerS Slrdjnb) jum Doltor ber ^SbiIo=
]opi)k bromobiert mar, bann ben ©ommer über noa) gefc^riftfteUert l^atte, mar 1829 im
§erbft an bie ftäbttfcfye ©etoerbefcb^ule nac^ Berlin berufen unb nad^ Slblegung feiner
Dberlefyrerbrüfung bafelbft befinitib aU orbenrlicfyer £ef>rer angefteHt. ©eine mineralogifc^en, 35
befonber§ fr^ftallogra^ifcben Slrbeiten, meldte er beröffentlitfjt blatte, jogen bie 2lufmerf=
famfeit be§ berühmten Mineralogen SÖßeifs in ^Berlin auf fic^; er mottle iljm für bie 33er=
liner Uniberfität geminnen ; gubor follte er fic^ jebod^ nod) bura) eine größere miffenfd^aft=
lid)e Arbeit begannt mact;en unb gu beren SBoflenbung eine 9teife nacf> Sonbon antreten,
um bie bortigen ^rbftatte im SBrittfd^en Mufeum gu ftubieren. Seiber mu|te er bie müfyfam 40
erfbarten 3^eifemittel ju einer längeren 93abefur bermenben, um feine fe^r erfd^ütterte ©e=
funbfyeit mieber b^erjuftellen.
Jßieber genefen berlobte er ficb, mit ber ©djmefter be§ bamaligen (Srlanger ^ßrofefforö
ber Geologie 21. §arle|, unb fa)lof$ mit xi)x 1830 ben Sebenöbunb ju einer retet) gefeg=
neten @f>e. ®iefe ^erbinbung mürbe ber 2tnlaf}, ba§ er feine ©tettung in Serlin aufgab, 45
um ju feinem ©cb,mager ©trebel Dftern 1839 nadb, ©tetten in Württemberg ju geb^en
unb an ber unter beffen Seitung ftel)enben @rjieb,u:tg§anftalt alö £ef)rer für Matb^ematif,
^aturmiffenfcfyaften unb beutfd)e Sitteratur ju arbeiten. §ier begannen bie arbeiten an
feinen „Sefebücfyern" für ben beutfcfyen Unterricht, meiere in einer großen ftafyl bon 2luf=
lagen biete Xaufenbe bon fröl)licb,en Sefern unb Sefertnnen ertoorben |aben, unter u)nen 50
für bie Äinber in ben frül>eften Sauren feine „©olbene gibel" 9Joa) bebeutfamer mar
fein „golbene§ 33ucb, ", bie ftaffifcfye 3lbl>anblung : „®er Unterricht in ber beutfcfyen Mutter^
\pxaa)e" (Stuttgart 1843). ^" *>iefer ©tettung berblieb er fünf nicfyt leiste ^abje. 9Zact)
furjer ^urücfgejogen^eit inä ^ribatleben auf ein ftitteä abgelegene^ Sanbgut (©i)lo§ Äal=
tened) jur £erftellung feiner ©efunb^eit folgte er 1845 einem Stuf aU ^rofeffor an baS 65
3tealgt)mnaftum ju SSieSbaben unb 1849 aU ©ireftor an bie 9iealfcf/ule in ßlberfelb.
®er fc^mierige Soben be« Söubbertbale«, bie nicf;t leichten örtlichen ^erbältniffe, namentlich
bei feiner auögebrägten bolitifcb, fonferbatiben unb fonfejftonctt lutbertfcb,en 3iid^tung unb
babei bor allem feine angegriffene ©efunbb,eit, beftimmten tt)n 1861, feine Stellung auf=
jugeben unb ficb; in ben 9tufyeftanb nad; ©reiben jurüdjujiel)en, um ungeb,inbert bura; 60
iReaUffincöHopäbie für X^eorogle unb ffiitdje. 3. a. XX. 4>j
770 äöatfemagd
33erufätf)ätigfeiten feinen lüterarifdjen, jumetft Ijtymnologifd&en Sirbetten, foreeit e3 feine
©efunbfyeit gefiattete, fid^ Eingeben ju tonnen.
3n aKen biefen Stellungen, fo lautet ein fombetenteS Urteil, ragte 20. Ijerbor burcb,
bie SEücfytigMt feinet Unterrichts in ber SBefyerrfdjung be§ ©egenftanbeö, in ber Eingebung
5 an bie ©djüler, in ber Aneignung beS ©toffeS, burcb, ben fittlidjen (Srnft, bie jugenblict;
tumerifd)e 3frtfd)e, roelcfye aud) bie ©biele ber Knaben unb Jünglinge in ifyrer tieferen S3e=
beutung er!annte unb ben SDceifter jugenblicfyer Seroegunggfbiele $ur greube ber ßöglinge
oftmals in ifyre Steigen fteßte.
$n bie $eit f^ner SÖßirlfamfeit ju SBieSbaben fiel ba§ ^ReboIutionSjar/r 1848. 3>n
10 biefer ©djmerjen^eit fd)rieb er fein föfilid)e3 33ü<^lein „Strbfteinfamfett in Siebern" @ranf=
fürt a. 9Jcain 1849) mit ber bon ^eiliger 33aterlanbsliebe unb ©laubenSfreubigfeit glüb,en=
ben 33orrebe, roo e£ f/eifjt: „@§ ift ber ©eift ber Süge, roelcfyer unfer SSolf ber/errfdjt.
■Jlidjt feit geftern, feit jenen fyofyen 3eten ber greifyeit treibt er fein ©biel mit ifym unb
reicht üjm ©lein für S3rot unb ©dränge für gifdj. 2ötr fyaben erfahren, mobon mir fyoffen
15 burften, e§ roerbe bem SluSgang aller -Ekltgefcfyidjte Vorbehalten bleiben, eine Organisation
ber finfteren Gräfte ?um Singriff auf bie ^eiligen ©rbgüter beS 33ol!S, ,eine SSerructjtfyeit,
bie fid) ber ©djtoäctje berer, benen ©Ott bie weltlichen unb !ircf)licf)en Slmter anbertraut,
fürchterlich ju bebienen wußte, ©o feinem tnnerften SBefen, feiner ©efdjtcfyte unb feinem
©lauben entfrembet, ringS umgeben bon ben ^arifaturen beS §eiligften, umftrictt bon
20 ben Sügen unb Sagen feiner geinbe, fyat e£ gule^t, ftatt ber wahren Stebolution, ba alles
aSoIJ fid) ju ©Ott, bem Urquell be§ §eilS, §urücctoenbet, bie mißlungene 9cact;ar;mung ber
fran§öftfd)en %xafy berfelben fid) muffen äffen laffen. — deiner unter benen, bie $u bir
bon ©infyeit, greifyeit unb Söofejf'tanb reben, ruft bir biefeS etoige roafyre Söort ins £>erj:
trad)tet am erften nad) bem 9Jeicf;e ©otteS unb nadj feiner ©ered^tigfeit, fo roirb eud)
25 foIdjeS aßeS zufallen !"
2Bir fyaben abficfytlicfy biefeS Heine ©tücf ber 93orrebe ausgehoben, teil! um auS ib,r
33üb unb ©efinnung beS 3tebenben ju beleuchten, teils um bie ©timmung ju ^eidmen,
auS roeldjer I)erauS für bie $trcf;e ein burd) il)n toefentlicf; geförberteS mistiges Unter*
nehmen ertoacfyfen ift — bie Silbung beS beutfcfyen ebangelif djen Kirchentages. Über ben=
so felben f. Sb X ©. 476.
2Ö.S arbeiten unb SSerbienfte um bie ^äbagogif roie um SKat^ematil, ^aturroiffen=
fd^aften, befonberS um bie ^ftaKograb^ie, gehören nid)t l)terb,er; fie finb in feiner 93io=
grapb,ie einge^enb getoürbigt. §ier fann nur ber bon ü)m bertretene ©tanb^unft lurj
bargelegt roerben.
35 90. trat ber rationaliftifcfyen ^äbagogil mit i^rem gefd)id)tslofen §umani§mu§ !lar
unb fd^arf entgegen al§ Vertreter ber einzig berechtigten, c^riftlic^en, national=beutfct;en @r=
3ieb;ung. 3ur £>eoung beS beutfd)en Unterrid;tg, ber fdjon mit ber erften Untertceifung
burd? bie Butter im §aufe beginnen mufs, unb rooju feine „©olbene %ibd" §anbretd}ung
bieten foHte, gab er feine „SDeutfcr/en Sefebüc^er" unb imSlnfcfyluft an fie ein „mittell)od;=
40 beutfd;e§ Sefebud^", feine „©belfteine beutfd;er ©id)tung unb 2Bei^|eit im 13. ^ab,rl)unbert"
(granffurt a.W. 1857) I)erau£, baju jene borl)er citierte Slbfjanblung „Über ben Unter=
rid)t in ber beutfd^en 50iutterf bradje" ®iefe 3fteform=2lrbeiten, fotoob,! bie ^ßrinäibienlefyre
mie feine Sammlungen, toerben unbergeffen bleiben. 3lu3 gleichem ©eficb,töbunfte roiK
er aud) ben ©efc^)id;töunterrid)t befjanbelt fe^en: bie ©egenroart ift bie %xuä)t unb ba^
45 3tefultat ber Vergangenheit, unb „bie ©d)ule erfaßt le|tere als 9){oment bon ©efdncfyte
unb Söei^fagung" „Sie biblifdje ©efd)id)te muß ben allein richtigen Slnfang unb bie
allein richtige ©runblage aEeg ©efd^idjtgunterric^teS bilben" (Snblicb, aud; für bie9?atur=
roiffenfcb,aften genügte ii)tn leine§toeg€ ber embtrifd)e ©tanbbunlt ber Beobachtung blo^
finnlid)er ©rfcb, einungen ; e§ mu^ aud) auf biefem ©ebiete aHe£ „geiftlid; gerietet" roerben.
50 @r ift nidjt blofe e^alter Q"orfc^er, fonbern auty 9caturtob,ilofobl) mie ©teffenS, ©Hubert,
unb ftefyt mit biefen unb b. 3taumer auf c^riftUd^em ©runbe. ©ein ©runbfa| mar:
„9iaturanfd;auung, aber an ber §anb ber Sßiffenfd^aft" ; er laufcfyte ba^er felbft auf bie
ÜÖMobien in ber 3Ratur unb twrte fie; e§ follte ber Jüngling felbftftänbig erlennen, ahtx
ber (grtrag ber Söiffenfd^aft i^m ju gute lommen. ©eine naturmiffenfd;aftlid;en ©tubien
55 traten fbäter jurüd ©etoiffermafjen al§ SSermad;tnig für feine greunbe b, at er feine §or=
fdmngen auf ben berfd^iebenften ©ebieten jufammenfaffenb bie Harmonie bon Statur unb
Offenbarung im cfyriftUcfyen ©eifte bargelegt in einem Jurj bor feinem Sobe beröffent=
listen, freiltd) nid)t leicht berftänbltcb,en ©d^riftd? en : „Über bie erften unb legten SDinge"
(Seidig 1878).
so SDurcb, 355.S Seben bon feiner $ugenb an gie^t ficb. bie Siebe jum 33olMiebe. ©eine
Söatfewagel 771
©tubien führten ib, n tri bie ©efct)id)te unb befonberS in bie ©bracr)e unb Sitteratur unfereS
3Solfe§ unb fomit auct) ju ben flaffifct)en Siebern beweiben, ©eine geiftlicfje ftrci)licr)e
©laubenSrict)tung liefe it)n nict)t an ben perlen beS SMfSliebeS, ben geiftlicr)en Siebern,
borübergefjen. liefen in ber $ugenb in ber Äurrenbe fo btel gelungenen Siebern mib=
mete er gleichfalls feine gorfcfyungen. SDurct) & b. Räumer, ber gleichfalls folgen ©tubien s
fid^> ergeben fyatte, mürbe er barin geförbert unb beftärft. Sftit bem reiben Söiffen auf
bem ©ebiete ber ©brache, Sitteratur unb beS SBolfSlebenS ging er an biefe feine ©tubien.
^or u)m t)at feiner fo umfangreiche, eingefyenbe, quellenmäßige unb forgfältige metfyobtftfje
©tubien gemacht, feiner fold^e Siebe, feiner fblcfye ©aben biefem ©egenftanbe gemtbmet.
33iö jettf gab eS noct) feine ©efd)id)te be§ geiftlicfyen Siebes, rote er fie fiel) backte : als beS 10
SobeS ©otteS in ^eiliger ^ßoefte, roelcf)e gugleid^ eine ©efct;id)te beS ©eifteS in Siebern, ber
©bradje unb ber $r)ilofobfne ift. Sie p ^reiben, mar bie Slufgabe, meiere er ftcb, geftetlt.
Meiner mar fo berufen baju. ©od; rooHte er eS nicfyt eßer magen, als bis feine arbeiten
einen gemiffen 2lbfcf)luß gefunben. @r fyat fie rttdr)t mefyr boHenbet. Sötr l)aben nur 2ln=
beutungen unb ©efidjtSbunfte in feinen Sßorreben unb 9Jionograbt)ien. @S mirb bte i6
Aufgabe ber gufunft fäni fo 3U toetmerten. ©leicbjeittg berfolgte er aber bei biefen
miffenfct/aftlicfyen ©tubien aud) einen braftifcfyen gmeef: nämlicfj bie fixere SaftS für bie
§erftetlung ber ©efangbücfyer unferer ^ircfye ^u geben, um ber Söillfür auf biefem ©ebiet
ein @nbe ju fetjen — unb biefe ©ct)ä|e unferem SSolfe mieber jugänglicb, ju machen.
2Bir befbrect)en gunäcr)ft feine arbeiten in ber Speisenfolge tfyrer @ntfte|ung. 20
©d)on 1832 fügte er ber bezüglichen „StuSmafyl beutfcljer ©ebtdr^te für l)ör)ere
©cfyulen" in ber jmeiten SluSgabe einen 2lbfcr)nitt „geiftlicfyer Sieber" fnngu. 2Me erfte
reife grucfyt feiner umfaffenben ©tubien mar: „®aS beutfct)e $ircr)enlieb bon tftartin Sutl)er
bis auf DicolauS §erman unb 2lmbrofiuS Slaurer" (Stuttgart 1841). ®aS 2Berf ger=
fällt in jmei Steile, ^m erften giebt es bie Steber dr^ronologifcf; nacb, gemiffen ©rubipen 25
georbnet, im 2tnb,ange eine biblomatifct) genaue 33efd)reibung ber Quellen, auS benen er
fie gefd)öbft: bie alten ©efangbüd)er unb ©efangblätter, baju bie 33orreben jener unb
39 meltlicfye Sieber, meld)e geiftlicb, umgearbeitet morben. Dbgleid; baS ^ircfyenüeb erft mit
ber Deformation feinen Slnfang nat)m, unb eine f5cudr)t berfelben mar, fofern burd) fie erft
ber SSolfSgefang in ben ftrtfjlidjen, gotteSbienftlicljen ©ebrauetj fam, fo liegen bie Söurjetn 30
beSfelben boeb, in bem alten borreformatortfct)en geiftlicljen Sieb, fomol)I bem lateinifetjen
als beutfct)en, auf melcfjeS für baS richtige 3SerftänbntS beS ^ircfjenliebeS jurücfgegangen
merben muß. ®ie borliegenbe ©ammlung bon 850 Siebern nacb, ben il)m jugänglic|en
älteften unb beften Herten beginnt bat)er mit einer ©ammlung lateimfcr;er §fymnen unb
©equenjen (65 unb ^mei im Slnfang) ; bann folgen bie beutfet) en Sieber unb reichen bis 35
auf Suttjer bom 8. ^afyrfyunbert <*n (118, nebft 78 im 2lnl)ang), bann bie ber $ftefor=
mationS^eit, bon Sutijer, ben böt)mtfd)en Srübern, ber reformierten Äircb,e u. a. (536, nebft
19 im 2lnl>ang)r enblid) bie ber älteften fatfyolifctjen ©efangbüd)er (31). — 2Bir t)eben
abfitt^tltd) biefen ©runbrifs beS genannten SöerfeS b,erbor, meil er ber Stammen geblieben
ift, naefj melct)em 2S. fbäter fein 3tiefenmerf ausgebaut t;at. — Qn ber 3Sorrebe entmirft 40
er jugleict) eine ©efcljicijte beS $irct)enliebeS in großen Umriffen unb 3u8en/ unD geigt,
mie fie im einzelnen gelöft merben muß. ©te Ijabe barjuftellen eine ©efc|)icr)te ber erften
@tnfür)rung beS beutfe^en ®ircf;engefangeS übertäubt nacb, Sanbfd;aften unb ©täbten, unb
naa) ben Umftänben, unter benen fie gefcfjab,. ©anacb, bie ©efclncfjte ber Sieber, meiere
eingeführt unb bann geblieben ober mieber abgefcfyafft finb, alfo berbunben mit einer ©e= 45
fdr)idr)te ber ©efangbücfyer ; ba baS Ätrct)enlieb aber erft eine gruet^t ber Deformation ift,
fo ift in beiben teilen feine ©efdjic^te aufs engfte mit ber ber lederen in ben einzelnen
SanbeSteilen unb Drten berbunben unb mit ber ©efcr)id)te beS Slül>enS unb SSerfallenS
ber ©emeinben, tt)rer 2lbfonberung ober iljreS Itrcr>Itdr>en SebenS ju geben, gttsleicb, ift
auf bie ©efangbüct)er, bte 33efenntniSfdjriften beS SolfeS, feines fieb, entmicfelnben ©e= 50
fcfjmacfS, mie ber Aneignung ber Sefyre, im Unterfct;ieb bon ben ©Embolen ber Äircr)e mit
il)rem unberänberlicf) feftftefyenben 3"^lt, unb auf bie ©efangmetfen, bie 5Ucelobien, ju
achten (bgl. baju I. b. Daumer in #p 1841, ©. 120 ff.).
£)ieS ©rftltngSmerf fanb allfeittg bie berbiente Slnerfennung, ^erücfficb,tigung unb
me^rfad; Dacf/folger. SDtit biefem SBerf ift ein äöenbebunft in ber ©efcf;icl)te ber b,r;mno= 55
logifc^en 2öiffenfc|)aft, ber 2lnfangSbunft ber neueren §r;mnoIogie ju batieren. 3Son atten
©eiten mürbe eine ^ortfefcung gemünfcl;t. 2lber roettere Dacb,forfcb,ungen, jebe Detfe ^u
ben beutfcb,en s^tbltotl)efen, führten ib,m eine fo große $üHe neuen, bisher unbenutzten unb
unbefannten SRaterialeS ju, baß er, fet?r balb bon ber Unjulänglid;feit biefeS erften @nt=
murfeS übeneugt, eine böllige Umgeftaltung beSfelben glaubte borneb,men ju muffen. 1)aS 60
49*
772 Söatfcritttgcl
neue SSerf foHie auS 3 Abteilungen befielen: bie Bibliographie, — bie Sieber — bie
©efcbjcbte umfaffenb. %laä) bretje^njä^rtgen gelungen tonnte er baS neue Unternehmen
anfangen.
Bis ba^tn bot er ber^ircfye bret anbere mufierb>fte Seiftungen bar. 1. SDaS immer
5 allgemeiner ausgekrochene Verlangen, bie geiftlidjen Sieber unferer großen SDicfyter in ber=
felben SRetn^ett unb Urfprünglicfyfeit ju I)aben, in melier mir bie $oefien ber weltlichen
®icfyter bureb, bie neueren Wiffenfc^aftlictyen frttifer/en Ausgaben befitjen, unb in melier
§orm ^irc^e unb ©emembe allein if>r anbertrauteS @rbe unb Eigentum erfennen lann.
SDieS BebürfniS beftimmte 35$., junäc^ft eine neue Jrttifdje Ausgabe ber „Sieber ^ßaul ©er=
10 fyarbS" (Stuttgart 1843) getreu nacb, ber bei feinen Sebgeiten erfcfyienenen Ausgabe mieber
abbruclen ju laffen. — 2. gür bie breiljmnbertfte Söieberfefyr beS SEobeSjaljreS Sutb,erS be=
ftimmt, aber erft 1848 bollenbet, ersten eine neue Ausgabe ber „geiftlidjien Sieber 9Jcartin
SutfyerS" mit ben ju feinen Sebjeiten gebräuchlichen ©ingWeifen: nacb, ^nljialt unb gorm,
©ruef unb AuSftattung eine Prachtausgabe, 3b,m fcfyWebte baS Don Sutl)er beforgte
15 „33alentin Bqpftfcfye ©efangbudb/' bon 1545 bor, WelcfyeS neben ber inneren Boßenbung
aueb/ in ben Äujjerlicbleiten beS ©rucfeS benjenigen ©rab bon ©ctybnfmt bieten füllte, ber
bamalS möglieb war. Aueb, 255. lieft bal)er biefe neue SieberauSgabe nicfyt blofj tppogra=
pfyifcfy meifterb.aft r/erfteßen unb auSftatten, fonbern er bermocfyte aueb, ben belannten Sutb,er=
maier, ©uftab $önig, bie Sieber mit ^oljfdmitten ju fetymüden — Wafyre ÄunftWerre,
20 toeld^e bureb ebenfo ernfte als geiftboUe Auffaffung iI)reS erhabenen ©toffeS jebeS tiefere
©emüt anjie^en muffen. — %f)t reifte ftdj) 3. bie mistige Arbeit über ,,^ol)ann §eer=
mannS geiftlicfje Sieber" (Stuttgart 1856) an. @S ift bie erfte boHftänbige Sieberfammlung
biefeS fo hochbegabten unb begnabigten fcb4efifd)en SDicbterS.
©leicb^eitig mit biefen ©pesialftubien ging feine Arbeit an bem neuen Unternehmen,
25 eine gweite Auflage feines erften SSerfeS borjubereiten, toon ftatten. Sie erfte Abteilung
beS geplanten SBerfeS erfcfyien unter bem Xttel: „Bibliographie gur ©efctjttd^te beS beutfcfjen
ÄircfyenliebeS im 16. Igar/rlmnbert" (granffurt a. 2R. 1855). ©cfyon im erften Anfange
beS erften SSerfeS blatte er jum erften -Dcale ben Anfang mit biefem gang neuen gWeige
ber £>ipnoIogie berfucfyt; Wie er ofme Borgänger mar, fo mirb er, maS bie güße beS
30 Materials unb bie ©enauigfeit ber Befmnblung betrifft, aueb, Wob/l feinen 9cacb,foIger Ijaben
fbnnen. damals befcfyrieb er 187 ©efangbücfyer unb ©efangblätter, in biefem 2Berf Waren
eS, ob,ne bie ^cacb, träge, 1148, unb audj biefe ©ammlung WudjS fpäter noef) um 620 ^um=
mern (bgl. Anfang 1877). ^Jcur bei Kennern unb gorfcfyern fonnte folcfye Arbeit Anfprucfy
auf Anerkennung unb 355ürbigung ergeben; unb I)ier ift nicfyt blofj bei ben §pmnologen,
35 fonbern audb, bei ben ©ermaniften eine ©timme.
TOcfytSbeftotoeniger wollte fieb, für fein großes 2öer! — für bie gWeite Abteilung —
lein Verleger bereit finben. ^ac^ jahrelangem Bemühen WiHigte er in ben Sfat einflufe=
reifer unb fad)berftänbiger greunbe, eS auf ©ubffription ^erauSjugeben. ©in bon feinen
greunben, ben f)erborragenbften SLb,eologen unb ^irdjenmännew, fowie ben bebeutenbften
40 ©pracf/forfcfyern (Ub,Ianb, bie ©ebrüber ©rimm) unterzeichneter Aufruf b,atte ben ©rfolg,
ba^ bie 93erIagSl)anbIung bon 93. ©. Seubner in Seidig ben SDrucf übernahm, ©o
ersten benn fcfyon 1864 bie jWeite Abteilung unter bem Xitel: „SaS ßtrcfyenlieb bon
ber älteften ßeit bis p Anfang beS 17. Safyrb, unberts, mit SerüdEfic^tigung ber beulten
fircfylicfyen SieberbidE)tung in Weiterem ©inne unb ber lateinifer/en bon .gilariuS bis ©eorg
45 gabriciuS unb Sffiolfgang AmmoniuS" 3m allgemeinen ift bie Anlage Wie in ber erften
Ausgabe, nur ift bie ©ammlung unbergleicfyltcb, grbfjer, unb aufjerbem bis ju Anfang
beS 17. %afy rfjunberts auSgebeb,nt. ®aS SRaterial ift etwa um baS Acbtfacfye bermeb,rt.
©tatt ber 850 Sieber bort fyaben Wir bier 6783. £>er erfte 93anb bilbet bie ©runblage
SU ben folgenben ; er enthält bie lateinifcfyen ©equenjen, Welcbe fpäteren beutfe^en Siebern
50 ju ©runbe liegen ; ftatt ber früheren 67 finb eS je|t 656. ©ie bilben ben Unterbau für
bie beutfdje unb bis in bie reformatorifcfje 3«t binemrei$enDe lateinische geiftlicb^e ©i4»=
tung. Qn ber ^Weiten Abteilung Wirb bie Bibliographie fortgefe^t. ^m ^Wetten Banbe
(1867) folgt baS beutfcb,e geiftlidje Sieb bis jur 3teformationSjeit auS ben fieben $ar/r=
l)unberten bon Dtfrieb bis §anS ©acb,S, 1448 Sieber (früher 196); biefe bilben bie anbere
65 ©runblage für baS beuifdje $ircb,enlieb, Welches erft in ber Deformation unb bureb fte ge=
boren Wirb; eS finb bie im brüten Banbe (1870) entbaltenen Sieber bon Sutfyer bis §er=
mann (1532—1553) ftatt ber früheren 546 je£t 1487, »on 169 (früher 78) meift
bisher noeb nicr)t befannten 2)icf)tern, jum %e\l bon grofjer Bebeutung. ®er bierte Sanb
(1874) bringt bie Sieber beS ^Weiten ©efcb,Iec^tS ber DeformationSseit, bon $au!uS @ber bis
60 Bartholomäus DingWalt (1554— 1584) in 1587 Siebern, enblicb, im fünften Banbe (1877)
SBntfenmgel 773
bie be§ brüten ©efcf)Iecf)te3, bon 1578—1603; aufjer ben lutfyerifcfyen (790) nodj bie lieber
ber ©cfyWenffelber (232), ber 2GBiebertäufer (126), ber römifcfyen 5?ird^e (457, früher nur 31),
ebenfalls meift bon bisher unbekannten $erfonen.
@3 War bem SBerfaffer bergönnt, bieg ganjeSöerf &um 2Ibfd#uf$ $u bringen; eS fehlte
bem legten Sanbe nur bie orienticrenbe Sorrebe. S)ie Sieber liegen bor nacfr, ben beften 6
Duellen mit ben in ben älteften Xejten enthaltenen Varianten biblomatifd) genau, forreft
unb fdjön gebrucft.
^Dagegen §at 33. bie britte Abteilung — bie ®efcf)icr;te be§ S?ircr)enliebe§ — nidjt mefyr
fdjretben tonnen. Slnbeutungen enthalten bie oft recfyt ausführlichen unb aud) in anberer
Söeäiefmng fe^r Wertbollen unb bebeutfamen Vorreben gu ben bier Vänben. @r bat ber io
Ätrcfye unb nidjt blofc ber fybmnologifcfyen Söiffenfcfyaft einen ©tenft bon bleibenber 33ebeu=
tung geleiftet. 2luf bem bon ifym gelegten ©runbe, ben fbätere gorfcfyungen r/öcbftenS in
(Einzelheiten Werben ju erweitern ober nur ju berichtigen fyaben, b,at bie 2öiffenfcr/aft bie
@efd}idE)te beS ÄircfyenliebeS aufzubauen nad) ben ©runblmien, meldte er gebogen bat.
©dt)Iief$licr; muffen Wir nocfy jmeier feiner arbeiten gebenfen : mit ber einen tft er 15
über bie ©renje ber beutfcf)en Sieberbicfytung hinaufgegangen in feinen „Seiträgen jur
nieberlänbifcfyen ^tymnologie" (granffurt 1867), um auf biefem ftammberWanbten ©ebiet
ju äfmltcfyen $orfd(mngen anzuregen; er befcfyrieb bie alten nieberlänbifd)en ©efangbücfyer
unb bietet bie Sieber ber nieberlänbifd)en Reformierten aus ber geit ber Verfolgung. Qn
ber anberen Arbeit: „©efangbud? für ^ircfye, ©dfmle unb §auS" (Stuttgart 1860) I)at 20
er braftifcb, gezeigt, Wie eine ©efangbud)Srebaftion im ganzen unb einzelnen ju gefcfyefyen
l}ahe. @S ift ^War nur eine fleine ©ammlung bon 223 Siebern, aber eS finb bocb bie
trefflicr/ften Sieber (Wenn aucb, nicfyt alle) in mufterfyafter Neubearbeitung mit ifyren r^tf)=
mifcfyen ©ingWeifen.
2B. b/at alle ©eiten unb gtoeige ber £>bmnologie, man fann fagen grunblegenb unb 25
borbilblicb, be^anbelt. @r fyat biefem $Weige ber Geologie biejenige Sichtung gebietenbe
Stellung erfämbft, meldte fie ben oberflächlichen ©Treibern unb Herausgebern gegen*
über als Söiffenfcfyaft beanfbrucfyen mufj. ©ie gegebene Anregung b, at gute grücfyte gebraut :
wir erinnern an bie bebeutfamen arbeiten bon 9Jtüi$etl, Vacfymann in Verlin, ©cfyneiber,
SEfyilo, ©djiirdrS, ©djauer, ©tib, $ifcf)er, Stnfe, Vad)mann (in 5toftocf), Saujmann, Vobe 30
unb für bie 9Mobien $arl b. Sßinterfelb, ©ottlieb bon Studier u. a.
Slucb, in braftifdjer §inficb,t §at er bie richtigen Vatmen geWiefen unb betreten. „XaS
unWiffenbe ©efcfyrei über ©efangbucr)Snot, nodb, meb,r bie unberufene 3lB^>itfe berfelben for=
bert $u einer freien, bon allen Vebürfniffen abfefyenben Vefyanblung beS ©egenfianbeS auf.
©etoife Wirb nun bie ©efd)icf;te beS ÄirdjenliebeS, bornefymlid) aber bie geftfteüung ber 35
urfbrünglict/en Siebertejte, un§ bor ben @rfinbungen unb Set^örungen jener eitlen (Eiferer,
namentlich, ber Siebter unter irmen (unb b^ier meint er, mie er anber§t»o eingeftel)t : ®nabb
unb ©tier) unb bon iljrem (Einfluß auf bie ©efangbücfyer fid^erfteUen." 3Sir ertüäfjnen
b^ier nur feine SRitarbeit an bem „©Iberfelber ©efangbud)", an bem „@ifenacb,er ©ntiourf"
unb ein Referat auf bem Sremer ^ird)entag bon 1852 „über bie 2lbfaffung eine§ aH= 40
gemeinen beutfcb^ebangelifdjen ©efangbud?e§", eine begeifterte unb begeifternbe SHebe über
ba§ 2Befen be§ beutfd^en ^trd?enliebe§, unb bann ben l>eilfamen (Einfluß, ben feine 2tr=
beiten auf aHe neueren ©efangbücb^er feit 1841 gehabt b,aben: ba§ bon Suffalo (1842),
in 33ar,ern (1555), ©Iberfelb (1857), in ber ^falj (1859), Sernburg (1859), Nb,üringen
(1861), Strasburg (1864), ©tollberg--5Rofela (1866), 3Bernigerobe (1867), ©cb,regftng=£ol= 45
ftetn (1869), 3KecElenburg=©treli| (1872-74), bie Bearbeitung be§ alten ^orftfdjen, beö
9ioftoc!er (1877), bie neueften $robinjialgefangbücb,er in ^3reu^en, ferner im 5?onigreicr)
©ad^fen u. a. 2)iefer ib,m bon Weit unb breit, bis au§ 2Imerifa in ©anf unb 2lnerfen=
nung§fcb,reiben bezeugte ©influjj beftärfte ib,n audb, in ber Ricfjtigfeit feinet 3SerfabrenS,
ba^ e§ „Wob^lgetljan fei, biefem ©egenftanbe feine 3lttfmerffam!eit gujuWenben". 6r War so
in biefer ©acfye nicf;t, wie man WobJ( gefagt, ein echter beutfd^er ^owlift« ber ^eit, tfraft,
äußere Mittel im ©tenfte biefer b^ob^en ©ad^e berse^rte; er b,atte ein eminent braltifa;eg
3iel im 2luge, unb feine Arbeit §at ber ^rasi§, Wie gegeigt, reiche grüc^te gebraut.
23a§ feinen ßfyarafter anlangt, fo b,at er fitt) felbft in bem Silbe gewidmet, Weites
er bon einem §r/mno!ogen rechter Slrt entworfen : „gufammenmirtung beutfd^er Sauterfett, 55
beutfdtjen ©emüt§, beutfct)en Wiffenfa)aftlicben ©inneö, beutfd)er, fage lutfyerifcber Xiefe unb
SLreue" ©eine ecfyt beutfe^e batriotifdie ©efinnung l)at er bon ^ugenb an mit S3egeifte=
rung bezeugt; er fyat berftanben, burd; Söort, SLb^at unb ©cfyrift aud? bie ^ugenb Wie fein
abgefallenes Sßolf für Slönig unb Saterlanb ju begetftem. ©ein Wiffenfd)aftlicr;er ©inn —
feine Sßerle auf fo entlegenen, fonft Wob,l laum je jufammen bearbeiteten unb Wiffen= w
774 Söatfernogel SSneijett, t>. b.
fcbaftlidfj erforfd^ten ©ebieten: SSKtneralogte, IfttoftaHograbbte, Sotantl, 3Jtat&emattf, $äba=
goßt!, beutle ©bracbe unb Sitteratur, Geologie, unb fbegieH §tymnotogie unb Äird&en*
gefönte geben babon Zeugnis, ©ein beutfcfyeS ©emüt liefe ityn in bie ©cbä£e ber beutfeben
$oefte, befonberS beS SBolfSliebeS, ftdE) berfenlen, eS erfaffen unb erfcbliefeen. ©er geiftboHe,
5 fdjarfbentmbe 50tann toar boeb. bon $ugenb an ein treues ©lieb unb freubiger Sefenner
feinet lutfyerifcijen ©laubenS. ©eine lutfyerifdfjie SEiefe unb Streue fbriebt ftcfy nidjt blofe in
feinen SBorreben auS, fonbern ift feinem ganzen SBerf aufgeprägt. Wxt @ntfct)iebenfyeit
bielt er an bem lutfyerifcfyen 23efenntntS feft, als ber 2öaf>r^eit gur ©ottfeltgfeit, unb mit
feiner Sauterleit mar er feinb aller Unflarfyeit unb SSerfc^mommen^eit, alten ©entimenta=
mittäten. SDal)er bon Slnfang an ©egner ber Union, mie energifdjer geinb beS jefuitifeben
S-ftomaniSmuS unb beS g!aubenS= unb gefcbicbtSlofen Humanismus.
Seiblicb. grofe, fcfyön unb ebel in feinem Slngeftdjt, ebenfo geiftig grofe angelegt unb
ebel in feiner ©efinnung. 2BaS er mar, mar er ganj. SDarum energifd^e Eingebung ge=
baart mit gleich energifcfyer 2lbmel)r, inSbefonbere ber ©ünbe beS alten 3JJenfa)en. ©ein
15 Seben ein $ambf bon früfyefter $ugenb an ; feine ^ambfnatur liefe tf)n bielfacb, febjoff er=
fdjeinen, fo bafe er biete abftiefe, ob,ne bafe er eS moßte; noeb meniger wollte er beriefen.
@r mar ein marüger, beeibierter ©eift, frr/ftaUariig, bat>er burcbjicfytig, !Iar, aufrichtig, aber
aud) fcfyarffantig ; eine 9iatur jutn §errfa^en angelegt, bie, mo fie fieb, niebt berftanben ober
gehemmt fab,, mo fie bie eigenen Überzeugungen nid^t jur ©eltung bringen fonnte, lieber
20 bie gefnübften Sejie^ungen abbrach (in ©tetten, @Iberfelb, in ber ©ifenacber ©efangbud)S=
fommiffion). SDiefe gärten traten aueb, in feinen SSorten fyerbor; er b,at manches fdjiarfe
3Bort gerebet, mo er glaubte, bafe eS nur mafyr unb reebt fei, aber ein unreines nie. 2lber
energifaX baljmbrecbenbe ßfyaraftere erreichen ibr $kl nicfyt olme Segeifterung, aber aueb,
nicfyt ofyne ^üdrfid^tSlofigfeit; fie gleichen ben $rt)ftaHen; bie fünften fyaben bie fcfyärfften
25 Tanten unb @cfen. SGBie mefye eS tfym jebeSmal tfyat, menn er meb, e getb, an, miffen nur bie,
melcfye ifym am näcbjten ftanben. Slber nur mer ib,m näfyer ftanb, fonnte bie berborgene
SEtefe feines lauteren ©emütSlebenS erlennen. @r gehörte ju benjenigen Naturen, beren
©inn unb SErieb auf litterarifdpeS ©eftatten ging. £ier beriefen iljm ntcfyt bie ©egenfä^e
ber 2BirfIicb,!eit, meldte fein ©igenmtlle, oft ©igenfinn, niebt ertrug. ®abei blieb er bis
30 in fein Sllter eine ^inbeSnatur im ebelften ©inne.
©ein riefenmäfeigeS rüdfidb, tSlofeS Sirbetten b,atte feb, on frü^ feine fonft fräftige ©efunb=
b,eit untergraben. ©a>n 1873 legte bie „§erjbräune" ben Mm ju feinem Stöbe; 3ltem=
not, §erjleiben mit neuralgifd)en ©cfymerjen begleitete fein unauSgefe^teS arbeiten bie
legten bier ^ab,re. ^n biefen SeibenSjeiten lebte er bon ber gruebt feiner 2(rbeit: „mit
35 meinen Siebern fd^laf td^ ein, mit meinen Siebern macb, idb, auf" SDiit ib,nen ift er aueb,
nad? langen ferneren Seiben jur ©migleit fanft, ob;ne bafe bie ©einen eS ahnten, ein=
gefc|lummert am 20. ^uni 1877 ju Bresben. D. Subw. Srf)ulse.
SSaeijen, 3ob,anneS ban ber, geft. 4. 9?ob. 1701. — Ant. Schultingii Oratio
funebris in obitum Johanüis van der Wacijen, grem. 1702; ß. S. 3Sriemoet, Athenarum
40 Frisicarum libri duo, Leov. 175S, p. 557—577; 33- ©lafiuS, Godgeleerd Nederland, s'Her-
togenbosch 1851—56, III, 570—576; Ebr. Sepp, Het godgeleerd oDderwijs in Nederland,
gedurende de Iße en 17e eeuw, Seiben 1873,74, passim; SB. 33. ©• SSoeleg, Frieslands
Hoogeschool en het Eijks Athenaeum te Franeker, Seeuit). 1878, 89, II, 266—274.
^ocb.geebrt in feinem Seben, ift Qob,. ban ber 2Saeijen b,eute fo gut mie bergeffen.
45 ©ein ©d)üler unb SlmtSgenoffe StuarbuS Slnbala (Oratio funebris in obitum J. van
der Waeijen Fil., gran. 1717) bezeugt bon ib,m: „Audivi ego ipsum per pluros
annos, audivi alios, äudivi Theologos Ultrajectinos, audivi Lugdunenses, sed
si spectem perspieuitatem, facilitatem et soliditatem in docendo, si vim et po-
tentiam, promtitudinem et faeundiam in dicendo, nulluni ei parem audivi,
60 nullibi Waeyenum P[atrem] reperi Hujus fama omnes Europae partes
veloeissime pervagata primum impulsi magno numero hoc confluxerunt ado-
lescentes, juvenes, Viri, etiam eximii, docti, eruditi, non tantum Belgae ex
omnibus Belgii Foederati Provinciis, sed et Germani, Borussi, Poloni, Hun-
gari, Transylvani, et plurimi alii" ©in anberer gettgenoffe (§. S. Sentbem, jfiol»
5ölänbiftt)er för^= unb ©cfyutemStaat, granef. unb Seibjig 1698, II, 304) fagt: „@r b,at
eine berebete $ur\Qt erlanget, unb mufte idb tntdb, über feine gertigfeit im Satein=reben ber=
tounbern. ©iefelbe ift fo grofe, baS er autf) benen gran|ofen, Ungern, ©iebenbürgern unb
$olen, meldte fidj ftubtrenS balber ju granefer aupalten, ^u gute unb ©efatten in Sa=
teinifa^er ©pracb,e brebiget. ©eine erudition mirb bon einer artigen §öfltgleit begleitet;
Söocijcn, b. b. 775
unb f>abe \§ nicfyt biel Theologos in biegen Sanben angetroffen, bie ifyrn hierin gletd^.
©3 fan foldjeS nicfyt tr>oI)I anberS fein, benn er nictjt nur gereifet, Jonbern aucfr; biel ^u
£ofe unb mit großen Seuten umgegangen" §eute fbricfyt niemanb mel)r bon ifym, unb
h>aS er gefd)rieben Ijat, lieft man nicfjt mef)r.
23. b. SBaeijen mürbe am 13. ^uli 1639 ju 2lmfterbam geboren, toofyin feine ©Item, 5
$ac. b. b. 2ß. unb ©eertruib ©Riegel, um beS ©laubenS ftriHen aus Slnttoerben geflüchtet
roaren. 9fadjbem er in feiner ©eburtSftabt bie lateinifcfye ©ct)ule befugt fjatte, ftubierte
er feit gebruar 1655 ju Utrecht unter SSoettuS unb ©ffentuS, bann ju Setben $f)üofobb>
unter 2lbr. §eereboorb unb Geologie unter £>etbanuS, ©occejuS unb ^oornbeef. %m Sunt
1659$robonent geroorben, machte er eine ©tubienreife unb työrte u. a. ju §eibelberg §öt= in
tinger, in ©enf 'SurrettnuS unb in SBafel 33uriorf, Sßetftein unb SSerenfelS. 1602 rourbe
er $rebiger ju ©baarnbam, bon Wo er 1665 nacfy Seeuroarben berjog. §ier toar er
fefyr geartet am griefifcfyen ftattfyalterlidjen §of. $n bem traurigen Satyr 1672 tt)at er
jeittoeife SDienft als gelbbrebiger, unb ^rinj Söilljelm III. fri)rieb eS, näcfyft ©Ott, bor
allem ifym ju, bafe bie ©olbaten baS bebrücfte SSaterlanb fo mutig berteibigt Ratten. ®em 15
blatte er eS ju berbanfen, bajj er 1672 natt) 3Jcibbelburg berufen tourbe, toor)m er im
©ebtember biefeS ^ab^reö jog.
33iSl)er toar er allgemein befannt als SBoetianer. SDafj er feine beften Gräfte angefbannt
b>t, um bie ertoünfcfjte 23erföb>ung gtoifcfyen SSoetiuS unb SJcarefiuS (f. oben ©. 720, 6o)
p ftanbe ju bringen, ftefyt man auS feiner Epistola ad amicum de reoonciliatione ... 20
D. Gisb. Voetii et D. Sana. Maresii (1669). SDajj er fein ©occejaner toar, fefyen mir
auS feiner „Pro vera et genuina Reformatorum sententia, praesertim in negotio
de interprete Scriptura adversus Lud. Wolzogium" (2Imft. 1669), todfyrenb er
autt) bie ©artefianifcfyen 2lnfttt)ten bon SBaltb, . Keffer beftritt (f. Seifert Admonitio sin-
cera et Candida de philosophia Cartesiana, ed. 2a 2lmft. 1693). SRit feinem £eeu= 25
toarber SHmtSgenoffen §erm. SSitfiuS fcfyrieb er gegen bie Sababiften (Ernstige betui-
ginge van J. v. d. W en H. W. aan de afdwalende kinderen der kerke,
tegen de gronden van Labadie, 2lmft. 1670).
gu SRibbelburg fteHte eS fid^> aber l)erauS, bajj b.b. SBaeijen Soccejaner geworben mar.
Slnonbm gab er 1674 eine Heine ©cfyrift fyerauS über „Het lijden van Christus in Gethse- 30
mane" (mehrmals toieber gebrucft), unb im folgenben Safyre eine anbere „Over Ps. XVIII,
24" (Sttibbelb. 1675), bie burcfr; ben Setbenfcfyen §oc£jleIj)rer 2Int. §ulftuS befämbft mürbe,
toorauf b. b. 2ö. feine „Disputatio van Hulsius over Ps. XVIII, beantwoord door
J. v. d. Waeijen" (9)tibbelb. 1675) erlernen lief}. Sluct; anbere SSoetianer traten
gegen ifm auf. ©ein eifriges ©intreten für bie ©arteftanifdj=@occeianifcr)en 2lnfid)ten, bor 35
allem bei ©elegenb^eit ber Ernennung bon 2öißem SJcomma jum ^ßrofeffor in SSJlibbel=
bürg, toar bie Ürfacf)e bafür, ba| er unb SRomma unter bem ©influ^ be§ (Statthalters
SBilb^elm III. burcb^ bie ©taaten bon 3«^lanb am 11. ®ejember 1676 it)rer ^mter ent=
fe^t unb au% 3ee'an^ berbannt tnurben (ftelt)e : J. v. d. Waeijen, Regtzinnige Leere,
en opregt Bedrijf, aan de Gemeente van Middelburg voorgestelt, in en om- 40
trent de beroeping van W Momma, tegen verscheidene Lasterschriften ver-
deedigt, 8tm[t 1678).
©r lie^ fitt) je|t ju Slmfterbam nieber, aber bereits im $erbft 1677 tnurbe er, bor
allem burd; ben ©influ^ beS griefiftt^en ©tattb^alterS §einria) iafimir IL, ber mit ^ßrinj
SBillem III. in gmietracfyt lebte, gum ^3rofeffor ber §ebräifa)en ©brache ju granefer er= 45
nannt. 3uÖ^e^ tourbe ib^m eine tb^eologifc^e ^3rofeffur übertragen, obmofyl in ber tb^eo=
logifcfyen gafultät feine SSafanj mar. 'Sie 3Kitglieber ber ^afultät ^ic. SlrnolbuS,
§. SBitfiuS unb %cfy. ä 9Jiarcf, toaren hierüber feb^r entruftet unb legten gegen biefe
Ernennung ^roteft ein. ©S jjalf il)nen aber nichts, benn am 6. SDejember 1677 trat
b. b. Söaeijen fein 2lmt an mit einer Oratio de ecclesiae ex utraque Babylone &o
exitu et eorum inter se convenientia (gran. 1678 unb in feinen „Varia sacra",
pag. 625 ff.). Shtrj barauf mürbe er jum £ofrat ernannt, in melier @igenftt)aft
er bei §ofe eine nid|t unmia;tige bolitiftt^e SioHe gefbielt b^at, er mürbe jelbft „einer ber
erften Intriganten unb ^äbelSfüb^rer am §ofe be§ griefifo^en ©tattb^alterS" genannt, ©oa)
machte er ftdt) berbient, inbem er bie Serfölmung ju ftanbe brachte jtoiftt^en §einrid) 6a= 55
fimir IL unb äßilfyelm III. ©eine ©teEung in granefer tburbe in mancher >v>infitt;t fel»r
glänjenb. SDer ©enat beförberte il)n 1679 jum Doct. Theologiae. 1680 legte er feine
^rofeffur im £>ebräifdj)en nieber, um fid; ganj bem Unterricht in ber St^eologie ju
mibmen, bei melier ©elegenljeit fein ©efyalt anfeb^nlict; erf>öt>t mürbe. 3m fe^en 3a^r
tourbe er überbieS gum UniberfitätSbrebiger ernannt, toieber mit ©rljölmng beS ©eb^alts. 60
776 SBaeijen, t>. b. SSagctt bei ben Hebräern
1689 mürbe er aud) nod) gum £ifbriograpt>en toon grieSlanb ernannt mit einem ©et)alt
»on 600 fl., mofür er aber nichts gett)an b>t.
©ein ©infittfj mar ingmifd)en ungemötjnlid) grof?. 33. b. 2Saeijen galt als baS £aupt
ber ßoccejaner in grieSlanb unb tuurbe als fold)er fyefttg beftritten, u. a. burct) ben be=
5 lannten £enr. SBrtndE. 33on allen Drten ©uropaS lam man, ifm gu t)ören. 9JMt @ifer
toibmete er ftd^ bem Unterridjt, ben er fo t>ielfeitig mie eben mögltd) gu geben ftrebte. ©ein
9teid)tum fe$te it)n in ©tanb, eine loftbare SBibltot^ieE ansammeln (f. Sentkern a. a. D.
II, 306). dreimal mar er Verheiratet. Waty einem fet)r mirlungSreid)en Seben ftarb er
am 4 9c"obember 1701. @r erlebte eS nod), bafj fein ©otm. (aus feiner Reiten @fye mit
10 ßornelia 33etr))r %o§. b. b. SS. fil. (geb. gu 9tttbbelburg am 20. Oft. 1676, geft. 9. ©eg.
1716) am 29. ©eptember 1701 gum aufjerorbentltdjen ^rofeffor in ber Sfyeologie gu
graneler ernannt mürbe. 1704 mürbe biefer orbentlid)er £od)Iet)rer. -Kur gmei Sieben b>t
biefer ©ot)n herausgegeben, barunter feine ^nauguralrebe „De impotentia hominis
animalis ad capienda ea, quae sunt spiritus Dei" (grau. 1707). @r ftarb, ot)ne
15 Äinber gu t)interlaffen. (©. über it) n : Dt 2tnbala, Oratio funebris in obitum Joh.
van der Waeijen Fil., gran. 1717.)
35. b. aBaeijen b>t btel getrieben, ©ogmatifd)en QnfyaltS finb u. a. feine „Summa
theologiae Christianae, pars prior" ©ran. 1689), mobon äßüfiuS leine ^oI>e Meinung
blatte, laut feiner öffentlichen ©rllärung: „gävisus equidem fuissem, si plura mihi
20 discere licuissetex ea, quamnuper edidit summa theologiae Christianae";
„Theologiae Christianae enchiridion" ©ran. 1700); „Varia sacra" ©ran. 1693),
entfyaltenb Berfd)tebene bogmattjdje unb er.egetifd)e 2lbl)anblungen. — ©eine ©rllärungen
gu t>erfd)iebenen Supern ber 33ibel biteben l)anbfd)rif tlid) ; nur dne „Disputatio con-
tinens analysin, Epistolae ad Galatas" ©ran. 1681, £>oH. Überf. Seeum. 1682) gab
25 er t)erauS. — ^Dreimal mar er Rector Magnificus, unb auS feinen brei SteftoratSreben
„De incremento cognitionis exspectando tempore novissimo" ©ran. 1686), „De
semihorio silentii" ©ran. 1688) unb „De numero septenario" ©ran. 1696, ed.
alt. 1699) rann man tt)n als Stebner lernten lernen. 2BaS er auf r)omiletifct)em ©ebiet
feinen ©d>ülem gab, geigt fein toerbtenftltct)er „Methodus concionandi" ©ran. 1704,
so ed. 2a 1718), nad) feinem Stob burd) feinen ©ofyn herausgegeben. — %n feiner $olemtl
gegen 3lnberSbenlenbe gebrauste er oft grofje 2Sorte unb t)atte er eine fd)arfe $eber, mäfyrenb
feine Argumente meiftenS nid)t fet)r träftig maren. ©egen %. ©panfyetm b. $. gab er
i)erauS: „Epistola apologetica ad Philalethium Eliezerum (Willem Anslaer) adv.
nuperas Frid. Spanhemii litteras" ©ran. 1683); gegen 93altt). S3el!er: „De betoo-
35 verde weereld van B. B. onderzogt en weederlegt" ©ran. 1693); gegen ^ßontiaan
Dan Rattern: „Brief ter wederlegginge van sekere brief bij P. v. H. met een
Voorrede, daar in eenige gedachten, noopensde so genaamde Hebreen." ©ran.
1696; 2lmft. 1733); gegen 3°^- ©lericuS: „Dissertatio de Xoyco, vocabulo non ex
Piatone primum repetito, et in religionem illato" ©ran. 1698); gegen $ßi)tl. ä
4o£imbord): „Limborgianae responsionis discussio" ©ran. 1699); unb gegen 3°^-
©pencer: „Joh. Spenceri Dissertatio de Hirco Azazel excussa, principe, de He-
braeorum ritibus maximam partem ex Aegypto arcessendis, errore, breviter
quoque confutato (in feinen Varia sacra p. 265 — 622).
33. b. SSSaeijen mar mofyl ein fet)r tüchtiger DJcann, aber maS er iunierlaffen l)at, t)at
45 mentg bleibenben Söert. 5Durcr) feinen heftigen %t>n bei ber 33elänmfung eines ©egnerS,
burd) feine Unbeftänbigleit unb burd) feine poIUtfd)e Sfcl)ätigleit madjte er fid) mät)renb
feines gangen SebenS Diele gu geinben. %lafy feinem %obt mürbe er giemlid; fd)neü ber=
geffen. S. $. üon Seen.
SSagen Bei ben £e&räent. — Sttteratur: SöbtitS, De re milit. bei Ucioüno
50 thes. XXVII p. 260 ff.; ®irf)mann^aufen, De curribtis bell, in Oriente usit., Viteb. 1722.—
SBeitere meift »eraltete ©Triften bei Seljrer in ber üorigen Stttff. biefe§ 3Ser!e§ unb bei gabri=
ciu§, Bibl. ant. p. 825 ff.; £>. 91. Sßfitte in §ctftingS Dict. I, 372 s. v. chariot; I, 357 s. v.
cart; ©iegfrieb in @utt)e§ 3SS31 p. 707; SRoSfoff in ©djenlelä S33BS3 V, p. 631 ff. ®ie 9lr=
Zoologien üon Sfoniac! I, Senjinger 2. 91. — Äam)3b,aufen bei SRieljm II2, 91. SeremtoS ATLO2,
55 p. 206; g. (Sengftafe, S)refd)fct|Iitten unb ®refct)wagen in ©Iobu§ LX, 5. — ®ie 9lrtifel in
(äfjetjne u. SSIac! (in ber fgl. SBibliot^ef ju SSerlin nierjt v>ort)anbenü).
Über bie üriegSmagen, »on benen bereits 33b XI ©. 114, 53 ff.; 116,4off. bie
Sftebe mar, tft t)ier nod) folgenbeS nad)gutragen. &tad lannte biefelben offenbar längft,
eb]e eS ben (Mrauct) bei fid; felbft einführte. @j 14, 6 ff.; 15, 4 ermähnt SBagen unb
60 Reiterei gur Qnt ^3f)araoS; !anaanttifd)e §errfd;er gebrauchen fie 3°f H/ ^ff- u^ finb
SBagen bei ben Hebräern 777
babureb. ben Israeliten überlegen 9K 1, 19 bgl. ^of 17, 16ff. ; SK 4, 3. 13; 5, 28. (Snt=
Weber l)anbelte eS ftcf) um eiferne ober mit difen befebjagene ©treitWagen ^of 11,9, rote
fie bie bekannten SarfteHungen auf ägr/btifdjen unb afftyrifdjen Senfmälern uns geigen
(togl. bie Stbbilbungen bei 3üefym). Sie Überfe^ung ber 23ulg. an einigen oiefer ©teilen
currus falcati erWedt falfd^e 23orftellungen, i>a nacb, Xenoph. Cyrop. IV, 1, 27 erft 6
6f;ruS biefe ■äJtorbtoerfjeuge erfonnen r/at. ©eit ©aulS ßeit beginnt ein auSgebefmter
§anbel mit Söagen unb hoffen awifcfyen QSrgel unb ben Sfyetttem unb ©fyrern, baS
meifte berartige Kriegsmaterial aber fdjeint Sigfybten geliefert ju Ijaben. @in ägfyb=
tiföer 2öagen foftete 600 ©ilberfeqel, ein Stoj» 150, bgl. 1 Kg 10, 28f.; 2 Gbj l, 16.
Sie @rfa|frage be^ügner; ber SBefbannung ber Kriegslagen tr»ir!te ju Reiten auf bie 10
Haltung ber «jSoItttf fräftig ein, fo ju QefajaS Seit ^ef 30, 2. 16; 31,1; 36,9. Sie
ganje Karofferie erfdnen als fremblänbifcfyer ^mbort; ©g 17, 15 Wirb bie Sermefyrung beS
$ferbebeftanbeS übet bermerft; ben $robt)eten gilt ber ©ebraudj bon 2Bagen unb Reiterei
als geilen fcf)Winbenben ©ottbertrauenS unb Wacbjenben Vertrauens auf 2ftenfd;en=
fyilfe §o 1, 7 ; 14, 4 u. ö., bafyer Werben Söagen im meffianifd;en 9teidE>e nid)t mebj ge= 15
bulbet werben 3Jit 5, 9 ; ©ad) 9, 10. %n fbäterer geit Werben befonberS bie fbrifdjen
©treitWagen erwähnt Sa 11, 40; 1 3M 1, 17; 8, 6. — $n grieben^jeit War ber ©e=
braueb, beS KriegSWagenS ein befonbereS 33orred;t ber ©roften, bgl. bie ©bjung ^ofe^f>§
©en 41,43; Slbfalom unb Slboniiaf) legen fid) 2öagen, ^ferbe unb Säufer ju, um tf>re
£errfcf,eranfbrücf/e bar&utfmn 2 ©a 15, 1 ; 1 Kg 1, 5, bgl. Qef 22, 18; ^er 17, 25; 22, 4 20
Cb im $1% 21© 8, 28 ein foldjer ^ßrunfWagen gemeint ift (3Bb/ite), ift zweifelhaft, benn
©taatSfriegSWagen pflegten leine ©i£e ju l)aben. — Sie ber ©onne gewibmeten Söagen
Waren Wofyt aueb, KriegSWagen 2 Kg 23, 11 bgl. SeremiaS ATLO2, ©. 106 2lnm., 549;
KAT3, ©. 369 f.; ©utf)e 232KB1 p. 66 unb bie ©teilen £enocf, 72, 5. 37; 75, 4; 2Ibf
33ar. 6. — Über ben bifionären SBagen @g 1 unb bie ©Refutation barüber »gl. ©d)ürer 25
II1, ©. 347 — Sie Söagen für 5ßerfonen= unb ©ütertranSbort finb bon ben
KriegSWagen fel)r berfdjieben. Sie ©egenben bon $ubäa unb 9J}ittelbaläftina finb trotj
einiger fetyon früfj borfyanbener Kunftftrafcen bgl. ÜRu 20, 19; SHt 20, 31; 1 ©a 6, 12 für
einen auSgebefmten 2öagenberfef)r nicfyt befonberS geeignet, ^rimitibe Karren ju Ianb=
Wirtfd)aftlid)en $Weden, auf 2 ober 4 labern taufenb, Wie fie noct) f)eute bort ju finben 30
finb, fdjeinen jeboeb, feit fefyr atter 3e^ ^n ©«braud^ geWefen ^u fein. Siefe, uns auef;
»on äg^btifeijen unb afftjrifdjen Sarftetlungen bekannten ©efäb,rte, beren 9täber batb maffi»,
batb mit 6 ober 8 ©Reichen »erfe^en Waren, Würben meift »on 2 Dcijfen gebogen 3lu
7,3; 7, 7 f.; 1 ©a 6, 7. 10. Siefe Sßagen Werben als i-ftar beseic^net ©en 45, 21.
Ser barauf befeftigte Kaften b,ie^ t.^n 1 ©a 6, 8. 11. 15 (falls barunter nidjt ganj 35
etwas anberes ju »erfteb,en ift bgt. Ktoftermann S3üct). ©a ©. 18). Du er an ber Seicf)fe(
fa^ baS tjöl^erne ^oeb,, baS ben 2 ©tieren ober Küb,en 1 ©a 6, 7 bq\o. ^ferben ober
5KauIefetn ^ef 21, 6 ff. auf ben 3Raö;en gelegt Würbe. Sas eiferne ^oef) St 28, 48; ^er
28, 13 ift nur ein SBtlb beS garten SrucfeS, genau fo Wie 2 Sfyr 10, 11 bie ©fortoion*
beitföpe nieb, t etwa ein äöerf^eug ber Sßagenlenfer War (fo nod; Wieber ©iegfrieb bei ©utb,e), 40
fonbern baS ©cb,röbfinftrument jum ©plagen ber ©d}rötofWunbe, beffen SlnWenbung bie
b,ärtefte ©raufamfeit geWefen Wäre (»gl. Seiträge jur 2lfft)riologie IV, ©. 224). Safs in
^Pf 46, 10 ir::.;' aueb, ben KriegSWagen bejeid&net, ift b^öcf)ft unWa^rfd^einlicr;, »ietmebj
bürfte nad) LXX mit 33aetb,gen riibw jU lefen fein, ^n 9?u 7, 3 foßen bie -? -'■'-{",
auf benen baS b,eilige ©erat transportiert Wirb, nad> b,ergebrad)ter Seutung »erbedte 45
•JBagen fein (LXX: ä/ua^ai la/untjvixai) »gl. ^ef 66, 20 ober auo) ©änftenWagen mit
abnehmbarem unb tragbarem Kaftenteit; bagegen bie anfbred;enbe Vermutung »on Sucb,.
©ra^, Numbers p. 76, bafj ni£ eine in ben Sest gebrungene ©loffe fei; 21: Wäre bann
ein fonft nict)t belegtes Söort ber 3Sulgärfbrad;e unb Würbe gang unb gar bem afftyrifdjen
sumbu entfbred}en. — §ier mögen aueb, nod; bie in 1 Kg 7, 27—37; 3^27,19; 52, 17 50
u. ö. genannten KeffelWagen ©rWäfjnung finben, über Weld;e §ommet in 2tuff. unb 0(6=
ftanblgg. II, ©. 228 (Stlb ©. 226) auSfüb^rlid; geb^anbett tyat, bgt. auä) ©tabc ZAT.
21, ©. 145 ff. — Ser 2tm 2, 13 erwähnte Srefd;Wagen »gl. !gef 2S, 27 Wirb »on 2Bf)tte
als eifenbefd)lagener §oI^rab,mcn befcfyricben, in Welchem 2 ober 3 parallele Collen fabrbar
befeftigt finb »gl. ©engftafe a. a. D. unb bie Slbbilbung bei Scnjinger2 ©. 142. — Jüv 55
ben ^erfonentranSbort War bie rbw entWeber mit 4 ober mit 2 befonberS b, of)en Siäbern
berfefyen. Obwohl für bie 9ieife= unb ©taatsfaroffe biefelbe S3e^ctct;nung s^-: unb ~=?-"9
bortommt, Wirb bod; ber 3ufammenl)ang ftetS entfd;ciben muffen, ob eS fieb. um einen
bruntüofien 2:- banbelt, beffen Senfer unb S3cnu^cr ftanben, ober um einen ^jagen mit
©i^gclegcnb,eit (»gl. 3l(^) 8, 28), ber fonft nbay f,ief5. 9i. 3ci)npfuiib. co
778 SESagenmonn
Söngcnmotttt, $uliu§ Stuguft, geft. 1890. — SRefrolog bon Sefan StfmoHer in
ber Sonntagsbeilage jum <ScfjtDä6ifcfjen SJierfur öom 11. OltoBer 1890; Sfdjaäert in 2lbSQ 40
(1896) ©■ 477 ff. Mitteilungen feiner SEToditer grau «Redjtäanronlt Dr. ®aur.
2B. tourbe am 23. Nobember 1823 ju Sernecf, DSL 9?agoIb, im ©djtoarstoalbfreig
s 2öürttemberg§ geboren, al§ ältefter ©ofm be<§ ^farrerg Mag. Sluguft 20., ber feinen ©o^n
nocb, um 2 ^a|re überlebt fyat. @r befugte guerft bie Sateinfdmle, bann — feit 1837 —
ba3 ©eminar ju Slaubeuren, bem er ftets ein befonber§ IiebebolIe§ SCnbenfen bemalte.
©d)on bamalS 50g ber Steict/tum feinet 2Siffen§ bte 2lufmerffam!ett auf ficb unb getoamt
bte ©djltcfytfyeit unb Siebenstoürbigfeit feine§ 2öefens> il)m bauernb treu gebliebene greunbe.
io ©eit 1841 (big 1845) im ©tift gu Tübingen, löfte er gleicf) im erften ^a^r bie bl)ilo=
logifcfye ^reilaufgabe : „Unterfudjung über bie römifd)e ©atire". Unter feinen Sehern
waren befonberS Säur unb Sanberer Don ßHnfluft auf ifyn ; er enbete al§ @tfter im tb,eo=
logifcfyen ©jamen. -Jiacb, rattern 33i!ariatgbienft würbe er 1846 Repetent am ©eminar in
SBlaubeuren, im §erbft 1849 3?ebetent in Tübingen; al§ foldjer I)ielt er aucb, Sßorlefungen
|5 über toürttembergifdje $ircb,engefcr;icf;te. ©eine Äanbibatenreife führte ib,n im §erbft 1851
baubtfäd)licb, nacb, Berlin, $m ©e^ember 1852 tourbe er Reifer, 5 3>a!)re fbäter Dber=
Reifer in ©Dringen ; l)ier grünbete er 1853 aucb, feinen §au§ftanb. ©o geWiffenfyaft unb
treu er fid) bem Pfarramt toibmete, fo toiefen i|n Neigung unb 33efäl)igung bod) noct)
mefyr auf eine toiffenfcfyaftlidje S^ättgieit; baf>er folgte er gern einem burcb, ©orner§ 3Ser=
20 mittlung unb auf SanbererS ©mpfefylung an il)n gelangten Nuf in bie fircfyengefcfyicfytltcfye
^ßrofeffur ju ©öttingen. §ier la§ er ^irc^engefc^i^te unb ©ogmengefdjjicfyte, aucb, nieber=
fäcb/fifd)e $ircb^ngefcr;td)te, einige SSMe aucb; £eben %tfu. £>ie güHe feines 2Biffen§ trat
überall fyerbor, fie fyemmte felbft in getoiffer §inftcf;t burd) ben 9leicf)tum be<§ Mitgeteilten
ben einheitlichen (Sinbrucf feiner 33orIefungen. Mit erftaunlicfyer ©ebäcfytntgfraft btelt 20.
25 aße§ feft, toaS er gelefen, — unb beffen toar unenbltct; biel auS ben berfdjtebenften @e=
bieten (aud) bem öer $un[t, für bie er ein reicfyeS 33erftcinbni§ befajj). j)al)er „berfügte
er über ein fyiftorifcfyeS SMffen, toie e§ feiten angetroffen wirb: ^erfonen unb 5Efyatfad)en,
gafylen unb 3)aten, 33üd)ertitel unb ©bitionen, ber ganje Slbbarat firdjenluftorifcfyer ©elelj>r=
famfeit toar ib, m in ftaunenerregenber SSoßftänbigfeit gegentoärtig ; er glicb, einer toanbeln=
so ben Nealencr/Kobäbie ber Geologie" (SEfd^acfert ©. 477). «Stets toufjte er 33elel>rung gu
geben, mit toeltt)er grage aud) man an il>n herantrat, unb ftets toar er toiHig baju. ©r
machte auf nod) jal)lreitt)e unerlebigte Probleme ber ürd^enb, tftorifcfr/en gorfdjung aufmerffam,
orientierte über ben ©tanb ber grage, über Quellen unb Sitteratur. — Über ber Sßtel=
feitigleit feines l)iftorifd)en ^ntereffe3 Sam er nid)t jur Konzentration auf ein beftimmteS
35 gorfd^ungSgebiet. @r, ber e§ fo trefflieb »erftanb, anberen ein Sßegtoeifer für totffenfdjafa
liebe Arbeit ju fein, ift felbft nidjt ^ur 2lbfaffung eineg größeren Wiffenfd^aftlic^en 2BerfeS
gefommen. Um fo meb^r burften an ifjn fterantretenbe Aufgaben auf (Erfüllung rennen.
Sie 5Reba!tion ber „^afjrbücfyer für beutfd;e SLb,eologie" F>at er in ber foätem ^eit bis
ju ib,rem eingeben 1878 audj im tarnen ber ?Ocit|erauögeber tbatf abliefe, geführt. Son
40 1870—1878 (aufgenommen 1871) erfcb,tenen barinnen »on if)m ©älularerinnerungen,
bie aße Sab,rb,unberte ber Kird)e umnannten. 1875 (Sb 20, 128 ff.) (Gilberte er „bie
Stiftung ber Uniöerfttät Serben in tlrrer !ird^en= unb fulturb,iftorifcb,en Sebeutung", 1876
„®ie ^uIiuä=Untoerfität §elmftebt unb ifjre Sebeutung für bie ©efcb,id^te ber Geologie
unb Ktrc£)e" (Sb 21, 224 ff.). £n „Strno ber ^eilige, ein beutfdjer 3tct^g!onjIet »or
45 ad^unbert ^ab,ren" (1875, Sb 20, 661 ff.) t-ertrat er im ©egenfa| ju einer 2luf?erung
fetner ©äfularerinnerungen eine anerfennenbere 2luffaffung biefe§ Kirdjenfurften. ©er
2luffa^ über „$ort>l>f/riu<3 unb bie Fragmente eines Ungenannten in ber atbentfd)en SKa»
lartu§b,anbfd)rift" (1878, Sb 23, 269 ff.) gab bie auf ^ort^riuS jurücfgefü^rten ©tetten
tn beutfd)er Uberfe^ung toieber. — ^n borjüglicbem 3CRafe tarn SB.8 Iitterarifd)e 2:b/ättg=
50 fett btefer ^ealencr/Elopäbie ju gut. @r b,at für bie erfte Auflage 67 Slrtifel »erfaßt, für
bte atoeite (unter @inrecbnung bon 42 Um= ober Neubearbeitungen) fogar 144. Unter
ben 2lrttfeln befinben fid? bie über «patriftil unb ©t)tnbolif. ^m übrigen aber finb e§
ltrcb,enbtftorifdb/e ber mannigfadjften 2lrt unb auä atten Reiten: über §abrian unb §t)fta§=
toe§, .öermiaö, gauftuS unb @utt)d}iu§, toie über ^IbefonfuS, ©ottfcb,alf, §ilbebert, über
B5 Stomas, ©uranb unb Dcfam, über ©trigel, ^et)fer unb §afenreffer, über «ß^ilibbiften unb
©t)n!reti§muS, über 9)iarb,einic!e, Nobler, Tübinger ©d)ule unb batilanifcbeS Äonjtl. Mi
2lbbanblungen berufen auf forgfältiger, gut orientterenber 2lrbeit. Nirgenb§ toirb broba=
btliftifcb, berfa^ren; bielmebr ift ftets bie Aufgabe mit ganzem @rnft unb boEer §in=
gebung in Singriff genommen unb mit felbftftänbigem Urteil gelöft. ©erabe folebe 58ei=
eo träge ju einer @ncr/flobäbie cfjaraftertfieren bie toiffenfdjaftltdje 2Irt ib^reS 33exfafferS in
ÜBageuniann SBarjrljeit ?79
borgügltd^cr 2\>eife. gür bie bäbagogifctje @ncr/Hobäbie bort ©ct)mib fcfyrieb er fiebert 2Ir=
tifel, namentlich ben über ^efuitenfcrjulen. 2ln ber 2lHg. beutfcr)en 93iograbf)ie ober iuar er
nict)t nur ein befonberS treuer Mitarbeiter, fonbern aucb, Berater. „föiefe befonbere 2trt ber
©cfyriftfteEerei bar eigentlich nur bie litterarifct)e... 2luSbrägung feiner... SereitroiEigfeit,
aus bem Sct)a| feines 2BiffenS barjureict;en, bamit anberen . . . %a bienen" (©cfymoEer). 6
— Seine ftete SDienfiroiEigfeit, berbunben mit braftifdjem ©efct)icf, liefe ifyn aucb, in ben
toerf ergebenen Aufgaben bei 33ertv>aItungSbetrtebeS ber Uniberfität fieb; betätigen. So be=
forgte er bie greitifer/faetje, mirlte mit in ber aSerwaltung ber $rofefforen=2Öittoenfaffe, ber
23ibliotI)ef u. f. tt>. @r blatte aucb, bie ©efct)icr;te ber ©öttinger Uniberfität feit 1837 im
Auftrag ber UntberfitätSbertoaltung §u fct)reiben übernommen, burd) feine 3Sertrautt>eit mit 10
Dielen Steigen ber 2Biffenfcr;aft oorjüglic^ ba^u auSgerüftet, — aber jur $ernMrflic£)ung
biefeS $laneS ift eS ntd^t mefyr gefommen. — 2lucr/ als qSrofefjor t)at 20. noct) öfters ge=
brebigt. ©eine 9veben im Greife ©tubterenber roaren bon feinem £>umor. ^m ©uftab
2lbolf=33erein mar er feit 1873 2JiitgIieb beS SentralauSfcfyuffeS. Sie Sicentiatenmürbe
r)atte tr)m Tübingen (20. 5Kärs 1861), bie eine! Dr. theol. ©öttingen (8. 9?ob. 1862) 15
erteilt. 1878 erhielt er ben „Sfmrafter" eines EonfiftorialratS.
©cr;on in 33laubeuren berbanb SB. greunbfdjaft mit bem fbäteren 9caturforfcr)er $rof.
Dsfar graaS (mit bem er botanifierte unb ©teine fammelte), mit §er/b, nacr)r)er ©ireftor
ber £anbesbib!iotb,el, mit bem fbäteren Stuttgarter ©tabtbfarrer Sieger, ^n ber fcb>äbi=
fdjen Heimat ftanben ib,m aucb, nafye ^mm. gaifjt, @. gaber (b)ernacb, Sufti^minifter), 20
3ul. Äöftlm unb ÄctrI unb Julius SBetgfäder. 9Jcit gjul. 2Beijfäcfer erneuerte fid> in
©öttingen bie $reunbfct)aft. §ier berfeb)rte er neben ben Kollegen bon ber tt)eologtfd)en
gafültät befonberS mit ©eorg 2Sai|, mit bem $irct)enrecr;tSler/rer §errmann unb in ben
legten ^ab,ren mit bem ©uberintenbenten ©teinme^. ©ein gaftltct)eS §auS an ber 2öeenber
ßfyauffee öffnete fict) aucb, ber ftubierenben Su9eni\ ^mal ben feb, tt)äbifcb,en SanbSleuten 25
tüte iarl 3JiüEer unb 9teifct)le (aber aud? anberen toie Rädert, 2lb23 40, 479). ©ie
alle embfanben ettoaS bon bem ©eift fcf/Iicfyter, roarmer grömmigfeit, ber bort toel)te. 2)er
Heimgang feiner totrtfdjaftlidjen, ftetS freunblid)en grau t)at 28. innerlich, gefnieft. 3I)n
felbft ereilte ber 2ob einige IJjafyre fbäter buret) einen §er^fcb,Iag, als er roie aEjäfyrlicr)
feine §eimat befugte, ju Tübingen am 27 Sluguft 1890; gu Stuttgart tourbe er be= 30
ftattet. %$n überlebten brei ©öb,ne (ber ältefte 93an!bire!tor in 5Rannb,eim, ber jroeite
Dbb,tb,almoIog in Rena, ber britte ©uberintenbent bei Süneburg) unb bier jettf berb,eiratete
Södjter. 9t. «Bonttietfctj.
2Sat)rr)eit, aBar)rI)ofttgfeU. — Sitteratur: 1. (£§ fann ^ter nid)t bie Stufjäblunci
aller erfenntnt§t^eoretifct)en imb bogmatifiljen SSerfe üerfuc£)t »erben, bie trgenb bie 3Sa[jr= 35
r}ett§frage mit Erfolg angefaßt Ijaben. 6§ mvtfe genügen smei SSüdjer anäufü^ren, bie für ben
cutgenbltdiltcben @tanb be8 QntereffeS befonber§ nncfjtig jcbeinen: §einr. 9?ic£ert, ®ie ©renjen
ber naturwtffenfcrjaftltdjen SSegriffgbitbung. Eine logifdje Einleitung in bie ^iftorifctien SBiffen=
fdjoften, Tübingen 1902; ©eorg ©tinmef, ®te Probleme ber @efcf)tdit§pf)tIüfopt)ie, 2. 9luf_f.
ßeipjtg 1905. Sa^u, unabt)ängtg Oon beiben, ©. ®d, Religion u. ©efct)td)te, Tübingen 1907 40
®en 33ert ber 9teligionSpft)cboIogie, rate fie ftd) neuerbtngä melbet, für bie Sa£)rbeit§frage
tann irf) öorlftufig nod) nietjt bocb einfdia^en; fie uermefjrt ba§ SOcatertai, ober biefeS toirb
bann ber erlenntnisfrttifctien Sebanbhmg im ©inne Sant§ bebürfen; über gorberttngen unb
Hoffnungen unterrichtet auf8 befte 3-riebr. ^ittelmeljer, ^frjdjologie unb 9teItgton8roiffenfdjaft,
ef)rtftl/9Selt 1908, Wr. 6 f. 45
2. 3tud) ju 2 fei nur bie Sitt. ermahnt, bie im 9lrtifel auSbrücflicbe ober ftiHfduceigenbe
S3erüdfict)tigung fiubet. @§ ^anbeln felbftoerftanblid) alte profanen unb d)viftlid)en (Steifer
Don ber SBatjrljaftigfeit. — 2>ie Ätnberfe^Ier. 3eitfd]rift Oon Sod), Srüper u. Ufer, Sangenfalja,
feit 1896; SSifl. ©tern, 3.$frjd)of. b. 9lu3fage. GiperimenteUe Unterfttd)- über Grinnerungetreue.
geitfdjr. f. b. gef. ©trafrecfat§iuiffenfd)aft oon Üi-Sjt u. a. S3b 22, ©. 315 ff. Beiträge jur 50
$fl)d)ofogie ber StuSfage, ^eitfdjrift, t)r§g. 0. 2Bid. ©tern, Seipjig, feit 1903; Gljrrjfoftomu«,
l)e sacerdotio (oft gebructl); Sluguftinuö, De mendacio unb Contra mendacium ad Consen-
tium, ed. Migne, 93b 6 = PSL S3&40; Saut, lieber ein üermetnttidieg 9?ed)t, auS Wen)"d)en=
liebe ju lügen, 1797; atief). Dtotfje, Stjeologifctje ©tp, 1. ?luff. 1848, «b 3, ©. 537—602;
GQinger, S)nS 5Bert)ältni§ ber öffentlidien äReinung ju 2Bn£)rbeit u. Süge im 10., 11., 12. 3afjr= 55
bunbert, 1884; fiafd), ^n3 Grmadjen unb bie ©nttoicflung ber r)tftovifdt)en Äritit im ^citte(=
alter, 1887; SRabe, ®ie SBebeutung be§ gefd)id)tlid)en ©tnne§ im ^rotcftantiSmuö, ^IfiS,
10. 3atjrg. 1900: £mrnacf, ®ie <ßfafffcf)en 3renäu§--3-ragmente aUi giüfdjungen ^faff§ nad)=
geroiefen/SU, Stg- 33b 5, fr. 3, 1900; Stetmaruö, ^Ibbanbfungen non ben oornebinften Wabr«
ijetten ber natürlidjen 3teligion, 1754 (SSorrebe); berf., ^ofberidjt jur ©djutifdirtft, ^b'Jb eo
SBb 20, 1850, S. 523; ba^u'bnS erfte Fragment in SeffingS Werfen, .OempclfdieSluSgabe 83b 15,
©.87; a3iid)er, £aö 8ettung§wefen. Äultur ber ©egennmrt, Xeill, ?lbt. 1,1906; 'iS.Herrmann,
780 aSa^cit
gtfjtf 1901, 3. 31. Tübingen 1904; berf., Sie Sage ber eüangettfdien Sogincitit in ber Segen*
wart, S^S 17. Qa^rg. 1907; SS. SoWehnamt, Sritif be8 fitttidien SBetrufetfetnä, SBerlin
1904; berf., Sie (Stfjtf ®ant§. ©ntitmrf su einem Neubau, SSerlin 1907 ; SB. ©ermann,
sRötntfcfje u. euangelifdje ©ittlicfjfeit, 1. 91. Harburg 1900. Sa^u: Slbloff, 3iönnftf)=fatlioIifd)e
5 unb (Suangeltfcrje ©ittlidifeitSforttroüerfe, Satbotifcbe 9fntu>ort, Strasburg 1900; ?Kau3bacrj,
Sie fatljoüfdje SRoral, ifjre üftetboben, ©rimbfätse unb Aufgaben, ®öln 1901. llnb bie ©r=
roibermtg barauf: SB. ©errmann, 3tömifd)e it. eüang. ©ittlictjfett, 3. 9f. Harburg 1903, ©.53 ff.
— Sitteratur unb reid)Itd)e 9(u§fübrungen jur ©adje finben ftcb in ben päbagogifcben §anb=
büdjern. SSgl. in SncüH. ©unbbucr, ber ^äbagogif Hon SB. Dtetn biclrtt. SügeS3b5 ©.672ff.
10 ber 2. 9t. (1906) unb (Sräiefjung sur SBabrfjaftigreit 93b 7 ©. 534 ff. ber 1. 91. (1899), S8ab,r=
bett§gefübl unb SBafjrtjeitSltebe ©. 538 ff. ebenba [in 2. 91. nodj nictjt erfdjienen]. gn ber
(Sncüfl. beS gef. grjtefiungS« unb Unterrid|t§tDefen§ uon ®. 91. ©djmib, 2. 9t. (1887) 93b 10,
@. 208 ff. 9t. SBabrfiafttgfeit.
1. Sßafyrfyeit unb Söafyrljaftigfeü taffen fiel) in einer bem heutigen ©tanb ber 3Btffen=
15 fdjaft entfbrecfyenben Sefyanblung fo Wenig trennen tote fides quae creditur unb fides
quae credit. 9GBat)r^ett erjftiert nur für Wahrhaftige 5Renfct)en. 2öaljrl)aftigfeit fe£t einen
SöiUen gur Sßafjrfyeii borauS. ®er Sßafyrfyeit Wirb baburcb, an ifyrer §of)eit, ©elbftftänbig=
feit unb ©eWif$eit nidjtg abgebrochen; nur ifyre bermemtltcfye $foIiertfyeit I)at aufgehört;
fie ift ein ©ut geworben, bal allein bem gangen 9Jlenfcr)en fiel) erfcfjliefjt, unb ifym nur
20 bann, Wenn er bestimmte 23ebingungen erfüllt.
gür ba§ naibe SeWufjtfein ift unfer (Srfennen ein innere^ 2Ibbilb ber äußeren 2Birf=
licf)feit. 9J2an mufj nur feine fünf ©inne unb feinen 3Ser[tanb beifammen t)aben, fo faßt
einem bie 2Sab,rb,eit be§ ifyatfädjilicfyen bon felber ju. SDagfelbe Vorurteil liegt allen $ben=
titä§ft»ftemen in ber $fyilofobI)ie ju ©runbe, b. i. allen ©internen, bie bie Sjbentttät &on
25 Genien unb ©ein beraubten. @3 ift alfo bie big bor ft'ant fy errfcfyenbe unb aucfy nact)
Äant nocb, nicfyt überWunbene gemeine Meinung. 2lber bie 2ötffenfcf)aft ift feit $ant er=
fenntnigfritifct) geworben, auct) bie Geologie, unb barin unterfctjeibet ficb, nunmehr ba§
toiffenjctjaftlicfye (Mennen Dorn naiben, bafc e§ erfenntniSfrittfcf) ift. $ant fyat mit feiner
$ritif etngefe^t bei ber (Erfahrung, bei ber @rfafyrung§Wiffenfct)aft, bei ber matf)ematifct)en
30 9caturWifjenfc§aft. ©erabe in biefem Sereid) festen bie $bentttät bon SDenfen unb ©ein
felbftberftänblicfy. Sie gange Sogif (unb t>a§ war boef) bie @rfenntm§totffenfc£)aft big $ant,
Wie benn auct) fyeute bie beiben £>tggiblmen noc^) fairer gu trennen finb) toar bi§ bab,in
£ogi! be§ 9Jaturer!enneng. 3" einer Sogt! ber ©efc^icfyte gab e§ nocb, laum Stnfä^e. ©ie
toar ariftotelifcb^e Sogil: xc5 juiv yäg ahqftä n6.vxa ovrädei rä vnäqiovxa (Eth.l, 8),
35 toab^r ift, ti>a§ mit bem Sefteb, enben übereinftimmt. greilid) b^aben bie ©riechen gerabe fic^
mit if/rem bf)ilofobf)ifcb,en ^ntereffe rafet) bon ber 9?atur ah unb bem 9Jtenftf;en jugetoanbt;
©ofrateö („SDte Säume fönnen mief) nichts lehren") ift ber ©ct)b'bfer ber ©tb,i! geworben,
unb Pato§ @tb,if Würbe je länger je mefyr Religion. Slber bie Sogi! be§ 2RittelaIter§
fufete auf Slriftoteleö ; fie Wollte @rfab,runggwiffenfcb,aft fein, unb Wie ernft fie e€ bamit
40 nab, m, geigen ib,re unö fo grote^I anmutenben unb boefy fo grunblegenben «Streitigkeiten
über bag 35erb,ältni§ bon res unb universalia — ein ^roblem, in beffen Söürbigung
gerabe bie heutige @rfenntnigtb,eorie Wieber begriffen ift. Siegt bie SSJa^ett in bem 3ta=
gemetnbegrtffe ? liegt fie im Scfonberen, 3ufäaigen, ^atfäcb, liefen? 2lber bafe 2öa§rb,eit
nur aU Slbbtlb, ©biegelbilb beö 2ßirllicf)en, be§ @rfab,rungäwirllicb,en ba fei, barüber War
45 fein ©treit, unb aueb, atle§ gefcfyicfytlicfje, etljifc^e, religiöfe (Erfennen fafete man logifcb, mit
ben formen einer @rfenntni§, bie bon bem 9?aturerfennen abgelefen War. ^u berSffia^r=
l)eit, beren ©rreieb^ung man bem natürlichen 58erftanbe sufbraef), trat nur im cfyrtftlicfyen
©ogma nocb, eine anbere b,inju, bie aHein buref) übernatürliche Offenbarung jugänglicb.
Würbe: Wie gewaltig ber ^ßor^ug biefer ^Weiten ©rfenntntSqueHe, fo Wenig beränberte ftd|
so ber begriff ber SBaftrb^eit felbft. ©ie blieb 2lbbrucf ber 2Birflicf,feit, unb für ben buret)
SSerftanb unb Offenbarung normal erleuchteten 55ienfcb,en lagen boeb, aü bie ©egenftänbe
ber (Menntni3 bom einfacb^ften finnlicl) Wahrnehmbaren ®ing bi§ jur überirbifcbjten @nt=
Füllung be§ Sogma§ in einer ©ef)linie. @g f;at niemals eine einheitlichere Sßeltanfcf)au=
ung gegeben als bie ber mittelalterlichen ©djolaftif, bie nur bie Wiffenfdjaftltdje ^3rojef=
55 tion beg naiben (MennenS ober ©laubeng ber mittelalterlichen 2Jienfct)l)eit War. ©laube
War bamafö ©rfennen unb ©rfennen ©tauben. @igne Söege ging nur baneben bie 3Jcr/fiif
bie in lontemblation unb ©fftafe befonbere @rfenntnigmittel, befonbere 3JJetl)oben ber
geiftlicfyen @rfab,rung befafj; aber auet; tl)r ©rtrag Würbe nacb, ber ©runbanfietjt, bafe bie
aßab,rl)ett ein Slbbrucf ber 2ßirfticl)feit unb mithin eine im ©runbe einfache ©acb,e fei, in
eo ba8 fonftige 2öeltbilb eingeorbnet. 3Banfenb Würbe biefe ^ofition perft für bie 9tomi=
naliften. Ocfam b,at gelehrt, bafj ber ©laube in ben wic^tigften Sogmen ©ä|e enthalte,
2öaf)rl)cü 781
bie in iljrer ßonfequcnj ben anerfannten ©ä'|cn ber Vernunft Wtberfbrcdjen, 3. 33. bem
©a£e : Dtd)tS fann sugleicb, fein imb ntd^t fein ; ber SEetl ift Heiner als baS ©anje (Centi-
logium concl. 18,13. 33gl. 2Irt. Dcfam, 33b XIV ©. 270 ff.), ©ein ©tfmler Stöbert
§olfot foH ber erfte geWefen fein, ber bie „bobbelte 2ßat)rr)ett" lehrte: eS lönne GttoaS
tfyeologifd) falfcb,, aber blülofoplnfcl) Wafyr fein, unb umgefefyrt. £>ie 2eb,re Würbe in ^etruS 5
$ombonatiuS bom 5. Sateranfon^U 19. SDcjember 1513 berbammt unb bawiber f eftgeftellt :
Cumque verum vero minime contradicat, omnem assertionem veritati illumi-
natae fidei contrariam omnino falsam esse definimus (2abbe=GoIeti, Concil. XIX,
842 ; Mansi XXXII, p. 842). £>ie fattplifcfye Slircfye fmt bamit nicfyt nur etwas gefagt,
Was aud) für uns ^roteftanten felbftberftänbltcb, bleibt, fonbern bielmefyr baS 33erl>ältntS 10
ber übernatürlichen 2öab,rl)eit unb ber natürlichen unter bem ©efkfytSWtnfel feftgelegt, ben
man im SRittelalter innehielt. ®ie SBiebererneuerung beS 'üEfyomiSmuS unter 2eo XIII,
bie unerbittliche 2tblel)nung alles $antianiSmuS unb SJiobermSmuS unter $ßiuS X. finb
nur bie 33eftätigung babon, baft man an bem naiben antifen SBafyrfyeitSbegriff fettend
ber fatfyoltfcfyen Äircfyenleitung mit aller ©nergie feftju^alten gebenft. 15
£utb,er mar nidjt nur Dominalift, Wenn er mit ber SBittenberger ©djule als %fyo-
loge leibenfcfyaftlicb, ©ä£e bertrat toie bie: „Theologus non logicus est monstrosus
haereticus" est monstrosa et haeretica oratio. (Contra dictum commune.)
Frustra fingitur logica fidei. Nulla forma syllogistica tenet in terminis di-
vinis. (S>aju baS „WaS aueb, für uns ^roteftanten felbftberftänbltcb, bleibt", in ber fofort 20
folgenben SLI)efe: Non tarnen ideo sequitur veritatem articuli trinitatis repug-
nare formis syllogisticis.) Si forma syllogistica tenet in divinis, articulus
trinitatis erit scitus et non creditus. Totus Aristoteles ad Theologiam est
tenebrae ad lucem. Error est docere: Sine Aristotele non fit theologus.
(Contra dictum commune.) Immo theologus non fit nisi id fiat sine Aristo- 25
tele. (Simulation bom 4. ©ebtember 1517, 2S. 1, 226.) @S waren Sfyefen, unb manches
barin mochte disputandi ritu (23rief 2utl)erS bom 28. ©ebtember 1520) fcf)roffcr formu=
liert fein; bie £I)efen bebeuteten boct) ben 23rud) mit 2IriftoteleS' 2ogif, unb Wenn nidjt
ber ©türm ber Deformation über 2utfyer unb Sötttenberg gekommen märe, fo Ratten mir
bon bortfyer eine ftiüere bringibiette Umwälzung ber ifyeologifd)en ©rfenntnis erfahren. 30
2utl)er blatte 3luguftin, beutfcfye 3Ditofiifer unb bie 33ibel fennen gelernt unb ju il)rer £>eu=
tung feine ifm ganj auSfütlenbe SSefefyrung bon ber 2Berf= jur ©laubenSgerecljtigfeit er=
lebt. SDtan fann 2utl)erS tfyeologifd)e ©elel)rfamfeit anzweifeln, aber man fann nid)t
umflogen, bafj er ber erfte grofje ©rfafyrungStljeologe ibar, beffen berfönlicfyeS ©rieben unb
33erb, alten einem neuen Sßafyrb, eüsbegriffe baS %fyox ber $eit öffnete. Dcfam unb bie 3Romi= 35
naliften, bie auefj fcfyon an ber alten bemonftrierenben Ideologie irre geworben Waren,
Ratten fid) jur fird)Iid)en unb biblifdjien 2Iutorität geflüchtet, bie fie als eine innere Wiber=
fbrud)Slofe nid^t aufzurichten bermoa)ten. 2Iucf) 2utf)er fanb feinen ^rieben bei ber Autorität
©otteS unb feines Wahrhaftigen SBorteS, aber als einer folgen, bie fidj im Qnnerlicbjten
unb ^ßerfönlicbjien, baS bem 3Kenfcf)en eignet, in feinem ©lauben als ©laubenSerfabjung 40
burcf;fe|t. ®anf SRelancfjt^on, ber ba^Wifc^en bon einer neuen bfnlologifd^fritifcfyen 2lu§=
Qabt be<§ 2lriftoteleg gefcl)Wärmt blatte unb ber ben atä 2utb,erä Straft gelungenen frö>
liefen Slnlauf feiner Loci fbäter felbft Wieber bergeffen machte, ift ber mittelalterliche
SBa^rb.eitsbegriff noeb, einmal aueb, in ber broteftantifcfyen Geologie wieber jur ©eltung
gefommen unb jum ^eil noeb, b,eut nicf;t überWunben. 2utl)er fyat unter ber Unruhe ber 45
braftifcfyen 2lnforberungen, bie bie Deformation an ifm [teilten, bie Dub,e jur Fortführung
feine§ wiffenfcb,aftlicb,en HambfeS gegen 2Iriftoteleg nid?t gehabt unb bamit baS Qntereffe
baran berloren. ®as erfenntni§t|e'orettfcb,e Problem als fo!cb,eS ift if>m aueb, nicb,t flar
geworben. 2lber babei ift er bod; immer geblieben: Qui sine periculo volet in Aristo-
tele philosophari, necesse est, ut ante bene stultificetur in Christo (3B. 1, 355), 50
unb jur „botofeelten ffialjr^eit" b,at er fieb, bis in fein 2llter befannt: Etsi tenendum
est, quod dicitur „Omne verum vero consonat", tarnen idem non est verum
in diversis professionibus. Sorbona, mater errorum, pessime definivit, idem
esse verum in philosophia et theologia. (SiSbutation bom 10. ^a""^ 1539. Sei
£)reWS, 2)iSbutationen©.487.) 2öaS in ber Geologie Wcdjx fei, fanb fein©Iaube in ber 55
©d>ift fo zweifellos flar ausgebrochen, ba| ib,m ba für eraSmifclje 33ebenfen fein Daum
blieb: Non est hoc Christiani pectoris, non delectari „assertionibus", immo
delectari assertionibus debet, aut Christianus non erit. Assertionem autem
voco: constanter adhaerere, affirmare, confiteri, tueri atque invictum per-
severare Absint ä nobis Christianis Sceptici et Academici, assint vero 60
782 3BaI)rl)eit
vel ipsis Stoicis bis pertinaciores assertores (De servo arb. E. v. a. VII,
p. 120 ss.).
Der ^ietiSmuS erneuerte bie ^ofition SutberS, ofyne e§ zu größerer wiffenfd;aft=
lieber Klarheit 31t bringen, unb olme bte Siefe unb Originalität feinet ©laubenS=
5 begriffe ^nätotfe^en enttoanb fid; bte ^fnlofobljie bem Dogmatismus unb Würbe
©mbiriSmuS, ©enfualiSmuS, ©febticiSmuS. t)a nafym Kant baS 2Berf auf unb legte ben
©runb ju einer anbern ©eWif$ett Wiffenfdjiaftlicfyer 2Bafyrb,eü. Sie matbematifdje 9iatur=
Wiffenfä)aft £>atte in Newton eine bis bor Kurzem ungeahnte faum ju überbietenbe ©tct)er=
fjeit erreicht, Kant unterste bie ©runblagen biefeS Betriebes. @r fanb fte bureb. eine
10 fritifcfye 3CnaIfc>fe beS menfcfylicljen ©eifteSlebenS. @r entbeefte ba§ §anbtoerfSzeug ber Sßer=
nunft, mit beffen £>ilfe fie bie 2öelt ber (Srfcfyeinungen befragt, beftimmt unb begreift, in
ben abriorifdjen formen ber ©innliajfeit (^aum unb ^,ät) unb beS 33erftanbeS (ber
Kategorien: Kaufalität !) ; fie machen @rfal)rung, Wiffenfa)aftlid;e (Erfahrung erft möglieb, ,
benn oljme fie gäbe eS eine jufammenb^anglofe jufäüige Jöafymefymung, feine Wirfltcfye
15 (MenntniS. 5Rur bie Sßernunft unb WaS bie Vernunft zur ©rfenntmS mitbringt, ^toingt
bie ©rfcfjeimmgen, bafj toirflid; (SrfenntniS fyerausfomme, bie eben Wegen biefer §erfunft
nitf)t anberS fein fann als Wie bie Vernunft: ftreng gefe^mäfjig, notWenbig unb allgemein.
2ßtr beulen in ber Kategorie ber Kaufalität, alfo fann fein faufallofeS ©efcfyeben uns bor=
lommen. — ÜJlan mag Kants Kritik ber reinen Vernunft (1781) im einzelnen !ritifieren
20 tote man Will: ber alte 2SaI)rbeitSbegriff, Wonaa; 2Baf)rf)eit nichts Weiter ift als baS
feeliftfje Slbbilb einer brausen befinbltct)en ©aa) e, Würbe bureb, ifyn für bie benfenbe 9Jtenfd&=
Ijieit auf immer gerftört. $nbem Kant auf bie allgemeinen geiftigen Sebingungen fyinWeift,
unter benen ©rfenntniS ju ftanbe fommt, berlegt er bie ©rfenntniS aus ben Dingen an
fia;, bie in eine unzugängliche gerne jurütftoeicb^en, in bie eigene Sfyätigfeit beS menfcbjicfyen
25 ©eifteS. 9ftd)t bem embirifcfyen 2jNbibtbuum liefert er fie aus. Die „reine Vernunft"
ift ntd^t baS em^irifebe ©eifteSleben beS ©injelnen. ^enfeitg bon aller inbibtbueHen 2lrt,
bon aller embirifcfyett ^ßfr/a)ologte ergiebt ftcb, auf logifa)em, erfenntnisfritifcfyem 2Bege eine
innere ©truftur beS menfd)Iia)en ©eifteSlebenS mit eigenen gufammenbängen i»on ©efe|en.
SBon bloßem ©ubjeftibiSmuS ober ^nbibibualiSmuS ift alfo ba feine S^ebe, im ©egenteil,
30 erft fo Wirb 2Biffenfdjaft, wirb matfyematifdje 9Jaturtoiffenfc§aft möglia). Denn um biefe
fyanbelt eS fidt) aüerbingS zunäcbjt für Kant in feiner Kritif ber reinen Vernunft, in feiner
^beorie ber (Erfahrung. sJ?oc§ ift bie ©efd)id;te unb bie gefdjicbtlicfye (SrfenntniS einer
gleiten Kritif nid)t unterzogen. 2lber baf? bie religiöfe 2ßabrl>eit an biefer 5£r)eorte einen
beffern ©jbonenten fjaben wirb als an ber Sogif beS 2lriftoteIeS, it)irb alSbalb bei Kant
35 felbft beutlid}. @S fei nur an ^toei luSfbrüdje erinnert. 1763 (alfo nod) bor ber ©e=
burt feines fritifa)en ©fyftemS) fd)liefjt er feine ©cfyrift „Der einzig mögliche SBeWeiSgrunb
Zu einer Demonftratiou beS DafeinS ©otteS" mit ben 2öorten: „(SS ift burcb^auS nötig,
bafe man fia) bom Dafetn ©otteS überzeuge, eS ift aber nia;t ebenfo nötig, bajj man eS
bemonftriere." Unb als er in bem SSorroort jur Reiten Sluflage feiner Kritif ber reinen
40 Vernunft auf biefeS Söerf unb feine 2lbfid)t jurüdfc§aut, 1787 fa)reibt er: „^tf; mufete
baS äöiffen aufgeben, um jum ©lauben ^5la^ %u befommen." Den alten naiben 3Ba|r=
f)eitsbegriff ber ftoefulatiben ^b^ilofobb^ie, ib;re Slnmafjung überfcbrnenglict^er @tnficl)ten mu|te
er ^erfrören, toeil baS §anbtoerfSjeug ber reinen Vernunft nur auf ©egenftänbe möglicher
„@rfab,rung" antoenbbar ift, nicb.t aber auf baS, maS nieb^t ©egenftanb ber (finnlia)=natur=
45 totffenfeb. aftlicfyen) (Erfahrung Werben fann ; auf biefe angetoanbt Würbe eS fcbjiefjltcfy nur
jum Unglauben führen. $on tt)rer 3Bat)rt;eit mu^ man fia) auf einem anbern Söege über=
Zeugen, bem 2Bege beS ©laubenS. Diefer 2öeg zum ©lauben fübjt aber für Kant über
bte SDtoral, über bie Slnerfennung beS ©ittengefe|eS. §aben Wir biefeS j)raftifcr)e 3Ser=
mögen ber Vernunft in feiner Sefonberbeit unb in feinem $runat erfannt, bann finb
50 grabet, Unfterblid)feit( ©ott für unfer (Srfennen biel fefter beranfert, als im 3ufammen=
bang ber äußeren ©rfabrung. 2lutt) t)ier aber getgt Kant baS 2lbriori im menfcbjicf;en
©etfte auf. @r fua)t unb ftnbet eS im Söiaen. Der War in ber alten Sogif ber 9Ma--
bb^bfif böHig zu furz gefommen (ausgenommen im SZominaliSmuS), war für fie ein ©flabe
beS aSerftanbeS geWefen: Slnnafjme ober 9ftd)tamtaf>ine ber Sorftellungen, barin beftanb
55 feine gunftion, unb Stufgeben beS SBiaenS in ber boKenbeten @infid)t, in ber @rfenntniS
ber richtigen Segriffe (beS ©uten!) War baS röiffenfcbaftltcbe (unb moraliftt;e) ^beal. ^eM
befreit Kant ben Söillen aus ber Knea)tfcb,aft beS ^ntetteftualiSmuS unb riebtet t^m
ein eigenes 9teicf) auf, in bem er berrfcfyt, baS Sfleia) ber braftifef/en Vernunft. Qn btefem
3fteicb;e finbet bie fittlicbe S03al)rr)eit tbre unantaftbare ©idjerbeit, unb t)ter fiebelt Kant aueb
60 bie religiöfe 2öabrbeit an als eine ^eiliüabrbett ber fittlicben. Db er baS mit §ilfe
aSutjrljett 783
feiner ^oftulatentfyeorie glüdlicb, bol!brad)t fyat, biefe grage barf un§ f/ier niefjt aufhalten.
©enug, bafj burcb, feine Kritif aud) für bas ftttlicb/e unb religiöfe ©riennen im menfd;=
Iid;en ©eifteSroefen bie £>eimat nadjgennefen Würbe. @rft jefct gewinnt bie Seb/re bon ber
„bereiten Söalnljeit", bie im Siominalismus rafcb, jur Karifatur ftcb, ausWudjs, in Sutfyer
nur als (Energie feinet braltifcb, religiösen ©mbfinbens fid; äußerte, feften prinzipiellen unb 5
metb;obifd>en ©runb. S£ro$ bem SBiberfbrud;, ben fie immer Wieber gefunben r/at, be=
fyerrfdjt fie fyeute Geologie unb ^fyilofopr/ie. Wlan b,at über bie „bügelte S3ud)fübjung"
gemottet, darüber lefe man Sllbert Sänge naty (®efd;id)te bes Materialismus, bei 9teclam
Sb 2 ©.613): „©d)Wa|t mir fyter aber nid)ts bon bobbeltcr Söudjfüln-ung ! tiefer
begriff, bobbelt berWerflicf), fyat erftlicb, einen falfdjen 9tamen, erfunben bon einem ^rofeffor, 10
ber bermutlicb, nie ein faufmännifdies Sucb, gefel)en, unb ber {ebenfalls gang etwas anbreS
meinte, als baS tertium comparationis befagt; fobann aber geb,ört er ber ©acfye nad;
burdjauS in jenes SDämmerungSgebiet fmblicfyer 9JJärcb/enWelt . . (Er entfbridjjt bem ©tant=
bunft bon Seuten, bie infolge angelernter ftnffenfdjaftlicfyer Stfyätigfeit gerabe fo weit ge=
fommen finb, innerhalb tb)reS gadjeS SßafyreS bom galfdjien mit 9Jtetr/obe unb ©emiffen 15
unterfd)ciben ju fonnen, Weldje aber baS ecfyte Kriterium beS SBafyren noeb, nieb, t auf anbre
©ebtete ju übertragen ttriffen "
©eWifj giebt eS nur (Eine 2Bat)rJ)eit. 2Iber bie ift nicfyt fo einfacb, ju fyaben: bort
bie ii>trllic|leit, fyier ein bamit übereinfttmmenbeS ©enfen. ©onbern auf berfef/iebenen
2öegen mit berfeb/iebenen Kräften unb bermöge eines berfdnebenen ^ntereffes bemächtigt 20
fieb, ber menfdjlidje ©eift beffen, WaS ifym an 2öaf)rlf)ett zugänglicb, ift. Unb je nacb, ben
SBegen, bie er gefyt, erlebt er 2Bab,rb,ett beS SßaturerrenncnS, ber SJloral, ber Religion,
ber Kunft. ©ine berfrüb/te Sufaromenfaffung ergiebt nichts Wetter als Verfügung beS
9reid)tumS an (Erkenntnis, ber uns befdjieben ift. Söir erleben bas b,eut an bem bobu=
lären „beutfd)en" SRomSmuS, bem übereilten SSerfucb, einer einheitlichen Söeltanfcfiauung, 20
ben bie $ütle ber ©efid)te, bie bem in baS unterfdnebene (Einzelne einbringenben 2Renfd;en=
geift entgegentritt, täglid) aufs neue ad absurdum füb,rt. ©0 ift uns ja eine ©eite
ber üffiab/rb/eit erft neuerbingS in ib/rer (Etgenb/eit jutn SBeWufjtfein gefommen: bie 2Bab,r=
f>eit ber ©efdricfyte. -Jiacfybem bie Xb/eorie ber ©efcb/icb;te bon ber älriftoieüfcb, en Sogif böllig ber=
nacb,läffigt icorben, mar bie Kanttfcfye feb,r mol)I in ber Sage ib,re Probleme aufzunehmen. 30
2lber äfjnlid; mie erft bie entfbrecb,enbe toiffenfc^aftlicfje ®i§jiblin in 9Jemton unb©enoffen ib,re
(Erfolge erringen mu|te, eb, e Kant feine Kriti! breingab, mufjte erft bie ©efe^ieb, tsforfdmng
unb ©efe^ieb, tsfcb,reibung in 9tanfe unb ©enoffen eine fold)e §öb,e geroinnen, ef)e bie Xb,eorie
folgte. 9hm ift bie tlnterfcljeibung naturtoiffenfcb.aftlicfjen unb gefd^icb^smiffenfcfyaftlicfyen
(SrfennenS unb bie Itnterfucfyung tt)rer ©renken ernftlid; in Angriff genommen. 2)er 35
menfefilictje ©eift fe|t feine Slbbarate anberS in Bewegung, roenn ib,n ber Söille gum
9taturerlennen unb roenn ifm ber SGöttle jur ©efcl)icb,tSforfcb,ung treibt. SDort geb;t es
bom Günjelnen als nur bem @i-emblar einer SSielfyeit ju bem Segriff ber SSieltieit unb
weiter ju bem ©efetj in ber 3Sielb,eit ber ©rfcb, einungen ; jmar auSgeb^enb bon bem 53e=
fonberen, aber im ©runbe boeb; bößig gleicb,giltig gegen bie 33efonberI)eit bringt ber S5er= 40
ftanb bermittelft immer neuer unb ftärferer Slbftraftion §u Ie|tem allgemeinen unb 9iot=
roenbigen bor. §ier im ©eg enteil l)aftet baS^ntereffe am @ingelnen in feiner Sefonberb/eit,
©injigartigleit unb ©inljeit; in fein ©efyeimnis fieb, gu bertiefen, ift bas ©bejiftfdie ber
©eftt^idjte. 9iidE)t um es ju ifolieren (bas tlmt ber 5Raturroiffenfcf)aftler, um ber @rfcb,ei=
nung §err ju werben, im ©Eberiment u. f. tt>.), fonbern im ©egenteil: baS (ginjelne, 45
Unteilbare am Qnbibibuum r;at feine ©inb, eit ja nur im gufarnmenr/ang feiner 33ejier;ungen
als fojialeS ^nbibibuum; aueb, ift unter biefem ^nbibibuum gar nicf)t nur ber einjelne
9Rm\ty, baS ©toffmecb,felinbibibuum gemeint, fonbern ebenfo auet) baS KoHehibinbibibuum :
©taat, EBoIl, ©tanb, Kircb,e u. f. ro. Db JJaturmiffenfc^aft richtig arbeitet, Wirb an ben
(Erfolgen fief/tbar, bie bie angeroanbte ^caturroiffenfdjaft forttoäbrenb in ben tecb,nifcb,en 50
@rrungenfcf)aften erhielt. Dh ©efc^i^tSroiffertfc^aft richtig arbeitet, barauf giebt es feine
fo felbft bem blöben 2luge einleucb,tenbe ^3robe — befanntlicb, lernt man nichts auS ber
Vergangenheit — , aber fcb,Iiefelicf) roirb boeb, im ^ufammenfiang ber ©efamtroiffenfcb,aft
bie ©efcb,icb,tSrotffenfd}aft fieb, baburef) auSroeifen, bafe fie einen ©inn ber ©eföpidjte auf=
getgt, ber ebenfo grunblegenb ift Wie bie roiffenfd;aftltcb,e 9?aturerfenntnis 5U einer aßum= 65
faffenben aSeltanfd;auung. 9iaturroiffenfcb,aft fuct)t baS Stationale ber 2SeIt, ©efd;idns=
roiffenfdjaft bas irrationale beS Sefonberen unb (Sinnigen in ber SBelt ju baden; jum
©anjen ber @r!enntniS, jum ©anjen fcb,on ber ®rfa^rungSroiffenfcb,aft gehören beibe.
®iefe Unterfudjungen über baS gefd;icl)tlid)e ©rlennen gel;cn bie Geologie als
2öiffenfd»aft bon ber Religion feb,r biel an. Denn bie 2Baf>rl;eitsfrage als Jvage nad; go
784 3£ttf)rljett
ber 2Bab/rfyett ber Religion ift für fie fy eutyttage grage nadj ber 2Bafyrb,eit einer gefdnct)t=
lidjen -Migion. ©aS Jjat ©cf>Ieiermad)er im Haren Unterfdneb bon kernt gemufjt, ofyne
bafj er bamit ben fubjeftiben Slnteil beS Sftenfcfyen an ber etf)ifd>=religiöfen 3Bat>rfyeit,
tote kernt ib)n begrünbet t>at, geleugnet fyätte. ^n ber %$at tft Religion unb ©efdjicfyte
6 Ijeute baS ©runbtb/ema ber broteftantifcfyen Geologie (unb aud) ber boranftrebenben
fatfmlifdjen), an bem fie if)r SReifterfiüd machen foll. Sßenn aber in getoiffen Geologen*
unb Saienlreifen barüber Beunruhigung bortjanben tft, fo berfie^t ftd) baS toofyl aus git>et
Urfad)en: 1. fyat aucr) fyier (feit ©emier ettoa) bie tyiftottfdb,=inttfd;e Geologie sunädjft als
toiffenfcfyaftltdje ©iSäiblin eifrig ifyre Slrbeit getfyan, olme bafs eine Itare 2:|eorie über baS
10 BerfyältniS bon Religion unb ©efcfyicfyte it)r jur ©eite gegangen toäre; biefe ift bielmeb/r
erft im Segriff nachträglich erarbeitet ju toerben, ficljer nic|t ofyne bafj bie eigentliche
^iftorifd^e 2lrbeit (bie 5. 53. in bem wichtigen fünfte beS fyiftorifdjen ^efuSbilbeS tro|
©eleb/rfamfeit unb ©cfyarffinn reicfylicb, gerfabjen ift) babon ©etoimt f>aben wirb. Sie
Probleme ber Inftorifdjen Geologie liegen augenblidltd) mefyr in ber Sinie ber ©efcr)id;tS=
15 tf>eorie als ber ©efa)id)tSforfcrmng ; 2. b,at ftd) baS naibe ober trabitioneUe ßbjiftentum
bieler nod; nidjt an ben Anteil getoöljmt, ber gerabe gegenüber bem tnftortfdjen ©toff bem
fubjeftiben gaftor ber gläubigen Aneignung ober ber felbftftänbig ju erringenben berfön=
liefen Überzeugung jufäßt. Sie 3Bat;rt;ett ift nicfyt mefyr baS objeftibe ©Aftern fupra=
naturaler ©rlenntniffe unb ^enntniffe, baS bon ben Geologen namens nicr)t nur ber
20 üirdje, fonbern gugleicb, aueb, ber 2Biffenfct)aft bon ©eneration auf ©eneration „trabiert"
tourbe. ©ie ift aud; nicfyt = ©udjen ber 2öaF>r^>ett (Seffing) ofme 3fJaft nocf> $iel. ©ie
offenbart fieb, aber allerbingS nur bem ©ucfyenben, ber in ernfter ©elbftbefinnung ficr)
um bie 2Ba$rt)ett bemüht. 2Bie jur 9toturtoiffenfcr}aft ein SSille jur iJcaturtoiffenfdjiaft,
fo gehört <mr religiöfen 9Bat)r^ett ein 9öitle jur religiöfen Söab/rfyeit. ©ie religtöfe 2Baf)r=
25 fyeit ift als ^bee ba, getotjj aueb, oljme unfer ©ebet; aber fie ift als 3G3trIttc^Ieit für uns
nur ba, wenn fie trgenbtoie aud) in uns üffiirflidjfeit getoorben ift. ©ie ift aud) als
gefcfyidjilicfyer ©emeinbeftij einer 9teltgionSgefeEfd;aft ba, aber immer nur fofern fie buref)
baS ©rlebnis ber ©meinen neu erfahren unb angeeignet toirb. Unb bie 2lbfoIutI)eit beS
©brifteniumS beruht nicr)t mel)r tote früher auf ber 2trtftoteltfd)en Sogif unb Patonifcfyen
30 SJtyfttf ober ifyren fr/ßogiftifcfyen Slbftraftionen unb it)rer via negativa, fonbern barauf,
ba| eg feit $efu3 S^riftuS fortmäb,renb SJJenfc^en gegeben fyat, bie bem Sb,riftentum ab=
foluten SBert beigemeffen unb ifyr Seben bafür Eingegeben f)aben. 2lbfolutI)eit giebt e§
nur in ber Söelt berfönlic^er ©a)ä|ung unb @ntfcf)Iüffe. Slber meb,r berlangt bie Steligion
aueb, gar nitt)t, alg bafs mir ju if)r fagen: bu bift mal>r. 3Ref)r berlangt ©ott nieb^t, als
35 ba^ mir ifm über aKe Singe fürebten, lieben unb bertrauen. 2Ref)r berlangt 6l)riftu<§
nic|t, al§ bafe er un§ Söeg, ÜBa^r^ctt unb Seben fei. ©er StelatibiömuS ber 9Migion3=
gefc^ieb, te tft nur braftifcb, ju überioinben ; jcbe anbere Söeife toürbe bebeuten, ba^ anbere
ifyn für un§ überminben, unb ba§ märe ber %oi unferer lutr/erfcfyen ebangelifcb^en grömmig;
feit, ©ie einzige fiegreicb,e Slntmort auf ben 3Mattbi3mu3 ber allgemeinen 9ieIigion§=
40 gefcf/id)te ift bie ^eibenmiffion, unb biefe bamit aud; für bie Sr) eorie ber religiöfen 2öa^r=
|eit baä notmenbige ^omiplement jener.
Unter biefen Umftänben b,at ber $rrtum im religiöfen ©Aftern eine anbere ©teHung
gemonnen. @g tft bie nieb/t nur erträgliche, fonbern aU £>urd)gang3bunft notmenbige
©iffonanj in ber Harmonie. 9tid;t jeber 3^tuw, aber ber be<3 ernftlid; fud;enben, um
45 feiner 9ieinb;eit unb ^eblicb, feit miEen jmeifelnben 93^enfd;en. 2tud) Sichtung, Wl^fyug,
©age, jeberlei menfcbjicfye Regung unb Begabung tönnm ©efäfje bon 2öa§rt)ett fein. Db
fie e3 finb, tft im einzelnen gälte immer bie ^atfact^enfrage, bie teils bon 33erftanbe§
megen, teils burd; freie berfönlicb,e @ntfd}eibung be§ fittlid)en 2Renfd)en if)re Slntmort
finben mufj. Bon großer Bebeutung ift in biefem ^ufammenb^ang ber Söertbegriff ge=
50 toorben. ßmar getoifc nieb^t in bem ©inn, als fwttc man je Werturteile an bie ©teile
bon ©einSurteilen gefegt ober bürfte baS (maS ein Unfinn märe), mo^l aber fo, bafj ber
33ienfcb; als religiöS^ittlic^e ^Jerfon jufammen mit anbern Seinesgleichen fiel) inmitten
einer Sßelt bon Sßerten fteb,t, oljne beren ©e^ung unb Befi| er nid;t leben fann, bureb,
beren Bejahung er §alt unb Haltung geminnt. ©er 3Jtenfc| in biefen SSertbe^ieb^ungen
55 ift ber 9Jienfd? ber ©efcfyicfyte (baS ©ubjelt beS gefc^tcr;tltc^en §anbelnS unb baS Dbjeft
ber ©efd^Sroiffenfcfyaft) ; bamit gugtetet) bornet>mlid; aud? ber 5Renfcb; ber Religion.
$a im Unterfct;iebe bon ber 5RoraI, bie man auf ben 2öert= unb ©üterbegriff rticb,t
ftellen follte, fo gemi§ aud; fie in bieS 9}etc6, ber Söerte unb Sffiertbejieb,ungen gehört
(bgl. Bb XVIII ©. 401 ff.), ift bie Religion in ifyrer Begrünbung unb ©emt^eit auf
60 Sßerte unb 2Sertbejiel>ungen in erfter Sinie angemiefen. Söert unb SBat)r^eit finb tt)r
SBaljrijett 785
©tmonfyma. Unb Ejtcr fyat nun aud) baS ^ßräbitat beS Slbfoluten feine .peimat. ^n ber
berfönlid)en 2Sertfd)ä£ung öongte^en toir forttoäf)renb abfolute ©d)ä§ungen ; toer ficb, ba=
bor burcfy ben StelattbiSmuS bergleidjenber SJerftanbeSfritif abgalten laffen tootlte, toäre
lein getftig gefunber 9ftenfd; mel)r. SDem ©Triften, ber toirftid; ßbjtft ift, bleibt baS Gfyriften=
tum bie toafjre Religion, bem ebangelifdjen ßbjiften, ber im (Sbangelium unb feinem 5
reformatorifcfyen 23erftänbniS lebt, baS ebangelifdje Sfyriftentum bie raafjre ßonfeffion.
9Jtit biefem lebenbtgen 28aI)rf)eitSbegriff finb toir über ©cfyolaftif unb Nationalismus toills
©Ott enbgiltig fyinauS.
©0 toenig tütr ertoarten bürfen, baft baS SöafyrfyeitSbroblem für bie 9Jtenfd)en ber
23ibel baSfelbe getoefen ift toie Ijeute für uns, fo betoäfyrt fid) bocb, ber religiöfe 2Bab,r= 10
fyeitSbegriff, ben toir enttotdelt I)aben, aud) an ben flaffifdjen Urlunben unferer Religion.
2)aS Ijebräifdje Söort ™.n für Söafyrfyeit brüdt bor allem geftigleit, SLrcue, ^"berläffigfeit
auS. 'Akrj&eta (bon Xav&äva>) be^eidmet baS, toaS offenbar ift ; immer unb überall im 31%
— bie ©teilen gehören auSfcfyliepd; ben baulinifcr)en unb iof)anneifd)en©ebanfenfreifen
an — ift bie 2öafyrf)eit £>etlS= unb ©eligfeitSoffenbarung, bom Serberben rettenber, jum 15
Seben toedenber 33efifc. Sllfo leine 23eleljrung für ben ^ntelleft, fonbern ein Söert, ben
ber religiöS=ftttlid>e 9Jtenfd; begreifen foll, inbem er fid) il;n aneignet.
■DiefeS ©tdjanetgnen unb begreifen qualifiziert fid) für bie rein menfcfylicfye 23eobad)=
tung als fittltcfye %fyat beS ©udjenben; eS ift aber bie (Eigentümlichkeit beS religiöfen
Urteils, bejto. ber religiöfen ©elbftbeurteilung, bafj ber religiöfe SRenfdj bie ©rlenntnis 20
ber religiöfen 2SaI)rf>ett immer als reine ©otteSgabe, ©otteStfyat, ©otteSoffenbarung fun=
nehmen toirb; als ein ginben ober ©efunbentoerben ofyne 33erbienft: eS liegt nic^t an
jemanbeS 2SMen unb Saufen, fonbern an ©otteS (Erbarmen 5Rö 9, 16; toaS fyaft bu, baS
bu nidjt empfangen EjaftV 1 $0 4, 7
2öenn nacb, aUebem 2öaf>rf)eit keinesfalls ein blofjeS 2lbbilb ber Söirflicbjeit im 25
menfdjlicfyen ©eifte ift, bei bem fid; biefer pafftb berfjält, fonbern unter 33ebingungen gu
ftanbe Jommt, bie in ber ©trultur beS menfcbjidjen ©eifteS liegen, fo läfjt ficb, 2öab,rb,eit
nur aus ben 23ebingungen begreifen, unter benen ber menfd)lidje ©eift fie fdjafft unb fyat.
$mmer tfvax, toenn wir bon SBafyrfyeit reben, meinen toir ettoaS, baS aufjer uns ift, bon
uns unabhängig befielt, eine äufeere SBirflidjfeit (aucb, toenn mir babei auf unfer £5$ refle!= 3c
tieren). 2lber mir fyaben bie 2Baf>rl)eit nur, inbem toir biefe 2StrIlid)feit (toeldje in thesi
bie Söelt ber (Erlernungen unb ber SDinge an ficb, ;$ufammenfd;liej$t) befragen unb er=
fcfyliefjen. Söafyrfyeit lommt baburcb, ju ftanbe, bafe toir bie ©egenftänbe unfereS $ntereffeS
auf uns toir!en laffen. Unter toelc|en 33ebingungen, auf toelcfjerlei Söeife baS gefcb^ieb^t,
ift ©egenftanb ber @r!enntniSfritü. SDiefe ift — je nad) ber 'IRannigfattigfeit unfereS 3e
fragenben ^ntereffeS — ©rlenntniSfriti! ber toiffenfcfyaftütfjen, ber äft^etifc^en, ber mora=
lifd;en unb ber religiöfen 2öafj>rl>ett. Religiöfe 2öat)r^eit ift ber Inbegriff ber ©egen=
ftanbe beS religiöfen ^ntereffeS (beS 2BidenS pr religiöfen 2öaf)rt)eit), fofern fie bem
religiös 28al)rl)aftigen offenbar, b. fy. unter ben bem religiöfen ©rlennen eigentümlichen
Sebingungen ein Seftanbteil feines getftigen 33efi|eS getoorben finb. «
2. 2BafyrI)aftigfeit als SPfltd^t unb als Sugenb ift bon ber -Bioral atter Sölfer unb
Reiten anerlannt. ®af$ gleichzeitig immer unb überall aus felbftfücfytiger £lugb,eit gelogen
toorben ift, toeift ftar! auf ein rabiiateS 33öfe im 5Renfcb,en i)in (bgl. b. 2lrt. Süge 33b XI
©. 679 ff.). ®er ©treit ber ^eorie, ob ber 9Kenfcf) toaf>rl)aftig geboren erft jum Sügner
berbilbet toerbe (Nouffeau) ober lügenhaft geboren für bie 2öar)r^eit erlogen toerben 4f
muffe (Montaigne, 23oubin, ^Berej), i)at als bogmatifcl)er toenig Söert. Um fo toidjtiger
ift baS einbringenbe ©tubium, baS bie Ißäbagogen neuerbingS ben geilem ber ÄinbeS=
natur, infonberb^eit feinem ^fyantafteleben getoibmet f)aben: bgl. g. 33. bie gcttfcfyrift „Sie
ßinberfefyler"- @S giebt bielleicb^t feine (SrjiebungSfrage, bie toictjtiger ift als bie, ob unb
toiefo ein $inb lüge, toenn eS bie Untoafyrfyeit fagt, unb toie eS &ur 3Sat)rb,aftigIeit an= K
jub^alten fei. 2Iud) bie 2tuSfagefäf)igleit ber @rtoacf)fenen ift mit gug unb (Srfotg in ben
Sereicb, ber toiffenfcfyaftlidjen Unterfucb^ung gebogen toorben, bome^mlicb, burd) ben 33reS=
lauer ^b^ilofob^en 2.2öitliam ©tern, ber ein eignes beriobifd; erfd;einenbeS Crgan bafür
gegründet fyat.
3Bab,r|aftigIeit als SEugenb toirb im 21 unb 31% auSbrüdlicb, unb ofme Äautclcn ge* K
forbert, boran Wt 5, 37 ; ^a 5, 12. Um fo auffaßenber ift, in toeld)em 3Jca|e aud; auf dt>rtft=
liebem 33oben nid}t nur bie ^ßrajiS, fonbern aud) bie ®ttyt bis bleute if)rc ©d^toierigfeiten
mit biefer SDiar/tme gehabt b. at. @S ift fdjabe, bafe toir nid)t eine ©efd^iebte ber ©tettung^
nab^me ju biefen ©djtoierigfeiten beft^en. ©ie toürbe &um guten %ül jufammenfallen
mit einer ©efd)id)te ber ©segefe obiger ©dmftftellcn unb anbercr, bie getoiffermafeen als ,*
!R(oI=(Snci)Hot)äMe für l^eologtc unb Stit«e. 3. «. XX. 51)
786 Barett
33eifbielfammlung bienten: ©en 18, 15; 27, 19; <gj 1, 19f.; 1 ©a 19, 14; 20, 28; 2t©
16,3; 21,26 u. f. b. Die lar.e Sluffaffung beä cbriftlicfyen 9JtorgenIanbe3 fommt in
ßfn-fyfoftomuS Ilegl ÜQcoavvr]? (getrieben 387?) 23uct) 1 jum ungenierten SluiSbrucl. @r
bat burcb Säufcfmng ben greunb baljringebract;t, bie $riefterweil)e ju empfangen, ber er
5 felbft fid^ entzog, unb berteibigt nun xfjg anäxrjg xö xegdog, ben 9tu$en trügerifdjen
§anbeln§: 7ioXkr\ ydg f\ xfjg andres loyyg, juovov jurj juexä öoXegäg TiQogayeo'&a)
xfjg 7iQoaiQEOsaig. Sllfo auf bie Jigomgeoig fommt e£ an: /uäXXov de ovde ändxrjv
xb xoiovxov Sei xaXstv, aXX oixovofiiav xivä xal oocpiav xa\ TEyyr\v Ixavfjv TioXXovg
jiogovg iv xoig anÖQOig svqsiv xal 7iXr]/u,jueXeiag ejiavog&cöoai xpv%fjg. Die3 Sob
10 ber pia fraus wirb burcl; nict)t§ eingefcfyränft : ber fttoeä heiligt burcbaug ba§ Mittel ;
bon ©d)ulb ift leine 9tebe; nod; beWunbem mu| man bie Siftigen. SBte ganj anberä,
unb bielleicfyt nicfjt ofyne Kenntnis be<§ 6l;rr/foftomu§, äluguftin in feinen beiben ©Triften
De mendacio (um 395) unb Contra mendacium (um 420). ^eneS ift bie Wiffen=
fcfyaftlicfye älbfyanblung, boH feiner Definitionen unb Difimltionen, biefeS beWunbern§Wert
15 um be§ @mfte§ mitten, mit ber bie fittlicfye gorberung auf einen befonberen $aü ange=
toenbet Wirb. Sonfentiu§ t)at U)m gefa)rieben, bafj bie $ri<ocilltaniften mit £ug unb
§euct;elet ftä) al3 $atl;oIilen geberben unb bafj man nicr)t anberS hinter if>re ©^licb,e
lommen lönne, aU inbem man latfyolifcfyerfettS ein ©Ieicr/e<S tl)ue, ficb, mit 2ug unb
§eud;elei unter fie mifdje unb burd; folgen ©bionenbienft U)re Äetjerei aufbecle. älber
20 ber 9Jcann be§ Coge intrare berWirft ba§ mendacium aucr) ^u fo frommem gWecle
mit einer bratfjtboUen unbebingten ©ict)erfyeit. Darin ift ib/m bie ®ir$e fbäter nicfyt ge=
folgt. 93or allem aucb in ber SLt)eorte nicfyt : man benfe an bie fyaarfbaltenbe unb ben
2Bal)rI)eit3finn ebenfalls bernictjtenbe ®afuifiil, bie im ^robabiligmuS ifyre äufjerften
Folgerungen gebogen I)at (f. bie ätrt. 23b XVI ©. 67 ff. unb 669 ff.), unb ftetfe bem ent=
25 gegen ben Wafyrfyaften ^aäcal (f. ben älrt. 33b XIV ©. 711). älber aucb, auf broteftan=
tifctjem 33oben ftreitet eine rigorofe ($ant, %\<fytt) mit einer milben Sfyeorte (5Rot^e), unb
foWie man fiel; übertäubt in $afuiftil einlädt, Wirb ber ©treit ferner ju fctjlicbjen fein.
$n ber ^3rar.t§ ift burd; ben Sauf ber Reiten ein entfcbjebener $ortfcr)rttt ju berjeid^nen.
gumal in ber Wiffenfcr)aftlicl;en gorfcfyung unb Darftetlung ift ber ©inn für 3Bab,rb,eit
30 unb ber SBille jur 9Baf)rb,aftigleit offenficfytlicb, gemäßen. Der ©ieg ber auffommenben
9iaturtbiffenfct;ah ift gerabeju ein ©ieg ber SSafyr^aftigf eit, unb eg bleibt ein arger 9JlaIel
auf ber ^ircfye, ba^ fie biefen ©ieg tbafyrlicb. nict;t erleichtert ^at, fonbern ba^ er im
^ambfe gegen fie errungen werben mufjte. Der gefdücbiliclje SBa^eitgfinn ^at mit an
ber Söiege ber Deformation geftanben. Sßie t§ im Mittelalter bamit beftellt War, barüber
35 bergletcfye man @Einger unb Safer;. sIRoralifcb, berantWortlic^ machen barf man ben @in=
jelnen für bie Skrtennung be§ b,iftorifd) ^atfäc^lic^en erft feit bem Sluffommen be§
§umani§mu§ unb ber Suc^brucferfunft. 3üie bie Inftorifcfye 2öab,rl)aftigleit aucb bem
$roteftantigmuö feineStoegg in ben ©c^ofe fiel, lann man an Sutfyer ftubieren. ©r War
— tro^ Denifle — eine Wahrhaftiger SJtenfc^, unb er f/at bon ber §iftorie gelernt (bgl.
40 $%ffi 33b X ©. 87 ff.) ; bennoct) lann er bjftorifdjen Stoff Wob, l bergeWaltigen, Wo er
für ba<S tambft, \va$ ifim al§ 2Bat)rr;eit über ade aöar)r^eit feftftefyt, unb ba§ ift für it)n
bie iustitia ex fide. 9Jcan barf babei bebenlen, bafe er nie burcl; bie ftrengere r)uma=
niftifet/e Schulung ^tnburcb,gegangen ift, unb bafc bie @rfcb,ütterung feinet ganzen inneren
SUcenfc^en, bon ber fein 33rud) mit bem 3llten für tf)it begleitet War, bie ^larfyeü feinet
45 33licfS in gelehrten SEbatfac^enfragen unb jumal feine Erinnerung trübte. Die ^ßf^o=
logie ber ©elbftbiograbbjen ift ja ein Äabitel boll intcreffanter 9tätfel. Slber ein Wenig
anberS al§ um ©oeti)e§ Dichtung unb 3Bar)rt)eit fteb^t e<§ um Sutljer bod^. Söenn er
1545 in ber Praefatio in opera sua (E. v. a. 33b I ©. 22 f.) fcf)reiben lann: Oderam
enim vocabulum istud (iustitia 9tö 1, 17) quod usu et consuetudine omni um
so doctorum doctus eram philosophice intelligere de iustitia, ut vocant, formali
seu activa, qua deus est iustus et peccatores iniustosque punit, fo macbi ein
23liä in bie Glossa ordinaria ju 9iö 1, 17, auf bie Sutfyer mmbeftenä feit 1511 auf=
mertfam War (28. 9, 90, 10 ff.) unb bie i^n fieser burcl) fein ©tubium be§ ^aulug weiter
begleitet fyat, un§ mit ber %l>atfacfye belannt, ba| im ©egenteil alle S3äter unb ©cbo=
65 laftiler (mit berfa^Winbenber 3lu§nab,me) bie iustitia dei an biefer ©teile bon bem red;t=
fertigenben ©ott unb feiner redjtfertigenben ©nabe berftanben baben; fc^on SSalafrib
©trabo eröffnet bie ÜReifye ber 3euSm mit SlmbrofiuS: [iustitia] est quae gratis
iustificat impium per fidem sine operibus legis (Migne PSL 114, p. 471). älber
e§ folgen bann boeb. in ber ©loffe bie berbunlelnben Selpn ber ©c^olaftil aucb, unb
w man lann nur fc^lie^en: Wie gro^ mu| bie faltifc^e braltifc^e SSerbunlelung ber in jener
Bafjdjcit 787
©loffe niebergelegten 2öafyrlj>eit für Sutljer in fetner flöfterlicfyen Umgebung geWefen fein
baß er fie erft entbecfen mußte unb entbecft fyat al3 etwas fcfylecbtfyin sJieue3! ©anj
anberS finb bie trügerifcf)en Eingriffe ju beurteilen, bie fbäter bie ©treittI)eologen, unb
gWar gerabe aufy broteftantifcfye, fieb, auf Höften ber SBafyrfyeit in Urlunben unb ;£erje
geftattet fyaben, Wenn e3 fo, Wie e3 ba ftanb, ifjrer Meinung nad) nicfyt gelautet fyaben ■>
tonnte unb fie ba§ bon ifnten für recfyt ©rfamtte einfach in bie Überlieferung b,inein=
korrigierten, feabm bie broteftantifcfyen ©elebjten mit gutem ©eWiffen ba<B Comma
Joanneum Wieber in ben VibelterJ: aufgenommen, ba§ Sutf>er au3 feiner Überfe^ung
ferngehalten fyatte? ©in t)erborragenbe§ Seifbtel gelehrter gälfcfyung b,at §arnacf neuer=
bing§ in ben $renäu§fragmenten btä @l)riftobb, 3Jtattt)äu§ $faff nad)geWiefen. 2lber er 10
läßt e3 baffieren Wie ein (foltertet Vergeben; lürjere unb faum minber fribole gälfcf/ungen
Waren bamab§ an ber SlageSorbnung. ^ülidjer fyat eine gan^e 9teib,e babon gefammelt
unb Wirb fie hoffentlich bemnäcfyft beröffentlidjen. SDiefelbe Seibenfc^aft für bie geglaubte
2Bat)rr;ett, bie ungegarte Geologen Verfolgung unb (Slenb erbulben ließ, fyat aud) folcfye
giftige Vlüten fyerborgebracfyt : fo leicfyt fann ber fcfyönfte SöafyrfyeitSetfer in unfittlid^en 5
ganati3mu§ übergeben. .Kommt man Don biefen (Erwägungen, bann Wunbert man fieb,
rttd^t met>r fo, Wenn aucb, ein 3^eimaru§ ju t)eucfyeln bermag, baß e£ ifym mit fetner
Vemunftreligion auf Sicherung ber Dffenbarung^religion anlomme (Vorrebe ju feinen:
2lb^anblungen bon ben bornefymften 3®a^>rt;eitert ber natürlichen Religion 1754), Wäbrenb
er fcfyon minbeften§ jelm Igafjre früher an ber ©cfyu^fcfyrift für eine ganj anbere Religion ;o
fdjrieb, bie baäfelbe GFmftentum, bem er bort abologetifd) ju bienen borgiebt, auf ba£
fyefttgfte befämpft. 2öie beweglich fieb, bie Klage be§ „efyrlicfyen ÜRanneS" anhört, ber
„fieb, fein ganjeS Seben fyinburcfy ftetlen unb berfteöen muß" (1. gragment, bgl. Vorbericfyt)
— unb ba§ War bie Sage freierer ©eifter unter bem ortfwbojen gWang^fircfyentum — ,
fo &Wang ifm bocb, niemanb fo gu fyeucfyeln Wie in jener Vorrebe. ©er Wahrhaftige 25
Seffing b~at bon biefer Süge bann bie Vitterfeit ju foften gehabt; aber aucb, bon ber
bamal3 üblichen anonymen ©cfyriftftelleret, bie immer etWa<§ UnWaI)rfyaftige§ mit fid)
füfyrt. SBie biel beffer ift e3 feitbem in Söiffenfcfyaft unb Seben geworben! greilicb
nocb, nid)t gut; bie SCnonr/tnität unferer Sagegfdpfiftellerei in ben Leitungen (jum ^Teil
aucfy in ben Kircfyenjettungen) ift nocb, immer ein ftarfe§ ^inberniö ber §errfd)aft ber 30
SBa^rljaftigleit in unferem öffentlichen ^afein; ber 9Jationalölonom Sucher b,at jüngft
Iräftig barauf IjingeWiefen : a. a. D. ©. 503.
Sine SebenSfrage ift bie £)urcf/für/rung ber 9QBaE>rE)aftigfett f>eute für Geologie unb
Kirche. ®ie ©d) Wierigfeit beruht i)kx barin, ba^ bie Kirche afö §üterin etne§ B, iftorifd)en
(Srbe§ i^ren ©liebern, ib,ren ^Beamten unb itjren Wiffenfd^aftlic^en Vertretern feine3Weg3 35
ben ©ebrauc^ jeber neuen @r!enntnis> Don bornf)erein unb fcfylecfytfym freizugeben öermag,
fonbern in jebem gaUe eine Vermittelung ober 2lu§einanberfe|ung be§ ?teuen mit bem
2llten forbert. ©§ ift bann in ber 9xegel ©ac^e beg ©injelnen unb ber Parteien, Wify--
tungen ober ©ruppen öon ©injelnen, ob fie eine lonferbatibe, rabüale ober bermittelnbe
Söfung beborjugen; in geWiffen (S^oc^en aber Wirb bie Kircfyengemeinfcf/aft alä foldEje irgenb 40
ein ga^it biefer inneren unb äußeren Kämpfe gießen muffen. Vermittetnben iWicfyiungen
pflegt bon ib,ren ©egnern ber Vorwurf ber „galfcb.münjerei" gemalt ju Werben. Sarin
liegt bie gorberung, bafe bon ber Überlieferung gegebene SBorte unb gormein immer nur
in ibjem alten ©inn gebraucht Werben, neue VorfteHungen fieb, neuer Söorte unb g-ormeln
bebienen follen. ®a§ ift unmöglieb,. ®er 2Sortfcba£ ber ©^ract)en ift bafür nicb,t reidb, 45
genug, unb ba3 Seben ber lebenben ©prad)e bolljie^t fieb, naturgemäß in einer fort=
Wä^renben Veränberung be§ Vegriffe§ ifyrer SBörter unb Saute, ^ebe neue 2Benbung
be§ Verftänbniffe^ muß fidj unter Senu^ung alten 3Bortoorrat§ burebfe^en. Slbcr aucb
bie lonferbatibfte unb rigorofefte Sead)tung eine§ bi^berigen VefitjftanbeS toon Porten
unb gormein fann ntdjt i)in^xn, baß if)re Sebeutung fieb, für bie 9}ien}cb,en t>erfd)iebt : 50
inbem bie 3Jienfcb,en fic^) änbern, änbert ftdt) aucb, i§r Verb,ältni» ^u ber Überlieferung,
unb Würbe beren äußere ©eltung noeb fo ftreng beljau^tet. Söabrbaftigfeit berfügt
unter feinen tlmftänben über anbereä SBortmateriat jum 2lu§brutf§mittel al§ über bas
einer in ©inn unb Vebeutung fortWäb^renb fieb. Wanbelnben ©brache, ©ie Konfequenjen
babon für ^rebigt, Unterriebt unb ©otte^bienft (Slgenbe!) finb bon ben ebangelifeben 55
ftircfjen noefj ntct;t mit brinjibietler Klarheit unb ©id;erf)eit gebogen Worben, unb aucb
in ber Geologie taftet man meljr an bem Vroblem, al§ baß man in glücflicb,er
Söfung begriffen Wäre. Unb boef) fteb^t biefe unter ben eigentlichen Iircf>Itdt)en Sebenä=
fragen boran.
©agegen ift bie 3ßa^r^eitg= unb 2Bafyrfyaftigfeil3frage fclbft in ©ogmatif unb ßtbif eo
50 ;i
788 SB^rljett SSiilaeitS
roenigftens Don einzelnen ©fyftematitern gebüfyrenb ins gentrum gefreut morben. £>er @in=
flufi unb bas Sintert öon Söilb. £>errmann rufyt bomefymlicf; auf ber (Energie, mit ber
er bie Religion als ©a^e ber perfönlidjen SfBafyrfyaftigfeit toerftefyen leljrt: bgl. feinen 2lrt.
Religion 33b XVI ©. 589 ff. Sluct) ^p^ttofo^^en fonftruierten bie @tr;if neuerbings bom
s begriff ber 3Ba§r^aftigleit aus: bgl. Äobbelmann ct. a. D.
Igebe Definition ber 2BaE>rE)aftigi eit alö ^flicfyt unb SLugenb, bie auf Übereinftimmung
ber 9xebe eines 9?ebenben mit feinem SDenfen hinausläuft, ift tribial unb unbefrtebigenb.
©ie berunglücft alsbalb unrettbar auf ben Untiefen ber ^afuiftif. @s gilt bie 2öaf>r=
fyafiigleit als bie ^ßfltd^t unb SEugenb gu begreifen, h)eld)e bie fittltcfye ^ßerfon felbft
io fonftituiert unb bas Seben in allen feinen ^Beziehungen jur ^erfon mit gleichem ©rnfte
burcf)bringt. ©er wahrhaftige Sftenfcf) ift ir>ar/rr/aftig, aud) wenn er fein Sßort rebet, ober
menn er „unwahre Stebe füb/rt", unb er ift es ntct)t nur für fid), fonbern berbreitet eine
gange ©bf)äre ber Sßabrfyaftigfeit um fid) J^er. 2öte nad) Sutber ber Deus verax ben,
ber an ib/n glaubt, iustificat b. i. rechtfertigt, geregt, mar/rr)aftig mad)t, fo rechtfertigt
16 ber gerechtfertigte unb gerechte SRenfd) bermöge feiner ©ered)tig!eit, &ed)tfcr;affenr;eit,
2öar)rr)aftigfeit Stiles unb Stile, iustificat, iustum, veracem facit proximum (bgl.
De üb. christiana SÖ5. 7,53, 36ff. 69, 1 ff.). Bona opera non faciunt bonum
virum, sed bonus vir facit bona opera (20. 7, 61, 26 f.). ©ies will fagen: ®as
Slufmerfen auf ben SSar/rr/eitsgefyalt unb Sßafyrljaftigfeitsgrab ber Slusfage ift orme Zweifel
20 bon größtem flpäbagogifcf)en ^ntexeffe unb wirb aud) fonft aus befttmmtem SInlafs oft
genug bas moralifdje Urteil auf fid) lenlen. SIber Worauf es für bie ©tabilierung bon
2öal)rr;aftigleit im Gfyarafter unb im SSerfefyr anlommt, ift letjtlid) bod) allein bies, bafj
bie 9Jtenfd)en Wabri)aftige ^3erfonen finb. 25. i. SRenfcfyen, meldte fid) nid)t felbft belügen
unb bie im 3Serfef)r mit ftd) felbft geübte Slufricfytigi'eit nun aud) in ben Segietjungen gu
25 ben -Ulenfdjen unb ben £r)atfad)en bewähren. 5Renfd)en, bie ©Ott nicf/t belügen, unb barum
au<fy fid) felbft unb ben 9iäd)ften nicbt. 3Renfd)en aus (Sinem ©uf$, benen es £ebens=
bebürfnis ift, bie 25inge ju nehmen, Wie fie finb, unb ftd) gu geben, Wie fie finb. Religion
ift Sßar/rfyaftigfeit gegen ©ott, unb bie gange StRoral, menn man bie Religion fo berftef):,
nid)ts als angeWanbte Sieligion. — Über ben Unterfdneb gwifcr/en fatI)oüfd)er unb pxo-
30 teftantifcfyer 5Roral in biefem ©tücfe bergleicfye man §errmanns einfd}lägige ©cfyrift famt
$ontrobersfd)riften. Sttarttn fHobe.
SBaljrfageret f. b. 21. Saubere i.
SöalacuS, Antonius, geft. 9. $uli 1639. — $aquot, Memoires I, 157 ss.;
©. 93ate§, Vitae selectorum aliquot virorum, Sonbnn 1681; (J(jr. Sepp, Het godgeleerd
35 onderwijs in Xederland, gedurende de 16e en 17e eeuw, Selben 1873/74, passim; $. 2).
be Sinb ticin^Sijngaarben, 9lntoniu§ 28ataeu§ (Siffertatton), Reiben 1891; [$. ?(. ©vottje]
Het Seminarie van Walaeus (in ben „Berichten van de Utreclitsche Zendingsvereeniging",
dl. XXIII, Utredjt 1882. ©eine Opera omnia theologica, erfcf)tenen ju Seiben 1647 in
2 vol. fol. (Sßorljer fte^t bie „Vita Antonii Walaei" üon feinem älteften ©o^ne 3o^onne§
40 S3., unb ancb bie „Oratio funebris", gehalten uon 3l^. $uli)anber ä tercl^oüen ju E^ren oou
28aIoeu3, finbet firf) barin.)
©te erften 3ar)r^nbe bes 17. ^af)r^unberts roaren für bie reformierte $ird)e in
ben TOeberlanben febr unruhige. Sowohl bei ben 9xemonftranten roie bei ben $ontra=
remonftranten macbten fiel» bie Setbenfd)aften oft in fd)ärffter 9Beife geltenb. Stuf beiben
45 ©eiten tourbe ber ©treit nid)t immer mit beiligen 2Baffen geführt unb aßgu bäufig gegen
bie brüberlicfye Siebe gefünbigt. Unter ben ^erfonen, bie an biefem ©treit teilnahmen, ift
Slntomus 2Bataeus eine ber fr;mpatbifcbften, ein SDiann, ber ftdE) nic^t febämte, immer ftraft»
boll für feine Überzeugung einzutreten, fid) aber boeb; bon bielen anbern buref; ©anftmut
unb ÜWäfjigung unterfd)ieb.
so Stntoine be Söaele, toie fein 9tame eigentlich lautete, mürbe am 3. Oktober 1573 gu
©ent geboren; er ftammte aus einem alten angefel)enen ©efcfylecfyt. ©eine eitern,
Jacques be Sffiaele unb Sftargaretlja Söagenaers, f^ieften it)n bereits 1581 gur ©rgie^ung ju
feinem Dn!el, bem ^räbifanten Sitius ab ©Ibingen ju Sint Nicolaas, bei bem er ben
erften Unterricht in Satein unb ©rieebifd) belam. 311s feine ©Item 1584 fliegen unb i^re
65 §8efi|ungen jurücflaffen mußten, fonnte er feine ©tubien nid)t fortfe^en, fonbern mürbe
©Treiber auf bem 33ureau eines Notars ju 2Jlibbelburg, mo feine Butter ftd) nieber=
gelaffen batte. @rft 1588 begann er am Unterriebt in ber Sateinfdjule bafelbft teihu=
nehmen, ba er fidt> jum ^räbüanten berufen füllte. @in ©tipenbium ber ©taaten bon
SSalacuS 789
geelanb machte e£ iljmt 1596 möglid?, ftcb, atö ©tubent in Setben eintreiben ju laffen.
£ier maren SufaS SErelcatiuS, granciSfuS ^vmitö unb granciScuS ©omaruS feine Selber,
©er berträglidje Turnus mürbe fein 33orbilb, mäfyrenb ber tägliche Umgang mit@omaru3,
in beffen £>aufe er mofynte, großen ©influß auf iljm ausübte unb ifyn mit ©fyrerbietung
bor bem ©cle^rten erfüllte. 1599 machte er eine Steife ins 21u3lanb. ^n SSienne bot 5
man il)m, auf ©mbfebjung bon $uniu3, eine ^rofeffur an, bie er ablehnte, %n ©enf, mo
er mieberfyolt SBega begegnete, brebigte er eine geit lang regelmäßig unb tüelt Sorlefungen.
$n S3afel leitete er eine $eit lang, mäbjenb ber 2lbmefenlj)eit beS $rofeffor3 ^olanuS ä
$oIan3borf, bie öffentlichen ©iSbutationen. 1601 befugte er aucfy §etbelberg unb anbere
Drte unb gegen ©nbe biefeS Sai)re§ fefyrte er nacb, Seiben äurücf, h>o man ifyn fofort als 10
$rebiger begehrte, lim bitter bei feinen ©Item ju fein, naljmt er 1602 einen SRuf nacb,
$oubeferfe bei üJttbbelburg an. §ier heiratete er 1603 ^aSfcr/ijntjen Dan ^fenb, oubt. 1604 mar
er eine $eit lang §ofbrebiger bon ^rinj 3Rori| unb 1605 mürbe er $rebiger gu 50iibbet=
bürg, 1609 sugleicr) jum ^rofeffor für £>ogmattf bafelbft ernannt. Sßäfyrenb ber remon=
ftrantifct)en ©treitigleiten berfafy er auf Verlangen bon ^rinj STRort^ anfangs 1618 eine 15
3eit lang ben Sßrebtgtbtenft im §aag. (Sine Ernennung jum §ofbrebiger, bie il)m banacfy
angeboten mürbe, fcfylug er aus, meil er fürchtete, bie ©unft beS $ofeS nur auf Soften
feiner 2lufricr)ttgfeit ftcb, erhalten ju fönnen. ©benfo mieS er 1618 einen [Ruf als $ro=
feffor naä) ©eban ab. 211S $rofeffor mofmte er als Vertreter ber ©taaten bon .ßeelanb
ber großen ©imobe bon 2)ortred)t (1618/19) bei. .gier machte er ficr) fefyr berbient. ©r 20
gehörte u. a. ^u ben SSerfafjern ber befannten Canones Dordracenae. ©inen 23emeiS
großen 23ertrauen3 ju feiner grömmigleit unb SßeiSljeit gaben ifym bie ©taaten bon §ol=
lanb, inbem fie ib,n für ben geeigneten gelten, bem jum Slobe berurteilten DIbenbamebelb
in feinen legten 2lugenbltcfen (13. 9M 1619) beijuftefyen. 3>m ie^en 3a^re jum^rofeffor ber
Geologie ju Setben ernannt, trat er am 21. Dftober 1619 bieg 2tmt mit einer %nau-- 25
guralrebe „De reeta institutione studii theologici" an (Opera omnia, tom. II).
9Kit feinen Kollegen ^olfyanber, 9ftbet unb 'üEfyr/ftuS gab er 1625, um ifyre Übereinftim=
mung in ber Sefyre ju bemeifen, bie „Synopsis Purioris Theologiae" (f. b. 2lrt. 3tibet)
heraus, ein noc| immer berühmtes SOBerl, bon bem 6 Auflagen erfdjienen finb (1625,
1632, 1642, 1652, 1658 unb 1881, bie legte beforgt bon D. §. Sabine!). Über ben 30
3lnteil, ben 2Balaeu§ baran gehabt b,at, fiefye feine Opera omnia, tom. II, p. 319 sqq.
2tud) an ber neuen ©taatenüberfe|ung ber SBibel fyat er \\<fy fefyr rotrlfam beteiligt (fiefye
be Stnb b. Sßijngaarben t. a. p. blz. 80 — 89). Ungefähr 20 ^a^re biente er ber §ocf)=
fdjule, b^djgea<|tet. dreimal mar er Rector magnificus. 33iS an fein ©nbe fyat er
getoirft. -Jcact) furjem £ranlfein entfcfyltef er am 9. ^ult 1639. 93on feinen neun ^inbern 35
maren noeb, fieben am Seben. ©ein ältefter ©ofyn ^o^anneö 20. (geb. 1604, geft. 1649)
mar feit 1633 $rofeffor ber 9Jiebi^in ju Seiben. ©in jüngerer ©ob, n SalbuinuS 2S. mürbe
1655 5ßrebiger ju Slrnemuiben unb 1665 ^u Gamben, mo er 1673 ftarb.
2öalaeu§ mar ein fcfyarffinniger unb feb^r gelehrter SRann, beftimmt Äontraremonftrant
unb eifriger Seftreiter ber Strmtnianer, aber äugleicb, ein freunblic^er, gemäßigter unb ber= 40
tragfamer SSJiann, ber u. a. mit §ugo be ©root (®rotiu§) feb^r befreunbet mar, bei aHem
Unterfc^ieb in ib^ren 2Inftcf)ten. ^l§ ®ocent mar er Har unb juberläffig in feinem Unter=
rittet, „tradebat plene, explicabat plane et apposite, probabat solide, efferebat
nervöse". 2lußer aul ber obengenannten „Synopsis" tarnt man feinen bogmatifct)en
©tanbbun!t erlennen au§ einem £>anbbuct) für bie ©laubenöleb,re, ba§ er fetmeb, feinem 45
Enchiridion Religionis Reformatae (Opera omnia, tom. I). „Quam excellens
fuerit Theologus, testabuntur Loci communes Theologici", fagt ^ßolt;anber
(Orat. fun.); boeb, finb biefe Loci ntcl)t boßenbet, fie finb aufgenommen morben in feine
Opera omnia (tom. I, p. 109 sqq.). 2113 ®ambfgenoffe bon 20. Seeüimf (f. ben 21.)
im ©treit für bie ©abbatfyfyeiligung fcf/rieb er feine „Dissertatio de Sabbatho, sive de so
vero sensu atque usu quarti praeeepti (Lugd. Bat. 1628). ©cfyon 1615 trat er
gegen 2ötenbogaert auf auf bem ©ebiete beS 5lircbenrec^t§ buref) Verausgabe feines Sucb, e3
„Het Ampt der Kerckendienaren, midtsgaders de authoriteyt ende opsicht,
die een Hooghe Christelicke Overheydt daer over toecompt" (3!JJibbelburg 1615.
^n ben Opera omnia ift nur bie latein. Überfe^ung aufgenommen). 55
©ebj berbient fyat fieb, 2BalaeuS buro) feine 33emüb,ungen um eine djriftlicfye ©tb^if
gemalt, ^n feinem „Compendium Ethicae Aristotelicae ad Normam Veritatis
Christianae revocatum" (Lugd. Bat. 1627; Amst. 1686; Opera omnia, tom. II,
p. 257 sqq.) entmicfelte er bie ariftotelifcr)e Sittenlehre, geigte aber gußletc^, morin biefe,
bon cbjiftlicfyem ©tanbbunft betrachtet, nicf)t b,inreicb,enb mar. — ©ef>r biel b,at 2ßalaeu« eo
790 SSalacuS 2SaIaI)frtb
für bie 3Jciffton in Dftinbien getfyan burcr) ©rrid&tung eines ©eminarS in feinem £aufe
jur 2lu3bilbung mbtfcf)er ^rebiger im 3ar)re 1622. getm Qa^re ftanb er an ber ©bifee
biefeS ©eminarS; bann Würbe e§ aufgehoben, weil bie 23orfteb;er ber Dftinbifcfyen $om=
bagnie ber 2lnftcfrt Waren, e<§ fei nicfyt met/r nötig. SBalaeuS fyatte aber auctj tner feine
5 Talente benü^t unb feine Siebe pr SluSbrettung bei 9}eid)e3 ©otteS bewiefen. SCudt) burcb,
„baS ©emtnar bon SBalaeuS" bleibt fein ÜJcame in @b,ren. <S. 2>. öon Seen.
SöaJotjfrtb, ©trabo, geft. 849. — $ie ©cEjriften SB.3 finb nadj ben älteren einjel=
bruden abgebructt MSL 113 unb 114; bie Einzelausgaben ftnb im Sterte genannt; Histoire
litteraire de la France 93b V, ©.59 ff.; Söntg, greife. Stöc. ?lrd]. III, 1860, ©.317; XV,
io 1882, ©. 187; 31. (Sbert in ben ©S3 ber ©äctjf. ©b28 1878, ©. 100 ff.; berf., ©efcf,. b. £itt.
be§ 2R9I II, 1880, ©. 145 ff.; ©. Tümmler in feiner 2lu§g. ber ©ebictjte 2B.3, ©. 259 ff.;
berf., 9*91 IV, ©. 270 ff. unb XXI, ©.301 ff.; 9t. tnöpfter in ber ©inteitung feiner 2(u§=
gäbe ber ©d&rift de exordiis; St. £autf, S@ 3)eutfd)Ianbg II, ©.654 ff.; % o. SBinterfelb
in b. 31. 93333 f. b. Haff. Slltert. V ©. 341 ff.; berf., 9M XXII, 1896, ©.755 u. XXVIII,
15 1903, ©.507; ft . $Iat$, SRSt XVII, 1891, ©.263; g». «KanütuS, 9c2l XXVI, 1901, ©.745.
SBalafyfrib mit bem ^Beinamen ©trabo ober ©irabuS, b. i. ber ©djeele ober ©d)te=
lenbe, ift ein nid)t unbebentenber tb,eo!ogifd)er ©djriftftetler ber erften §älfte beS 9. $af;r=
fmnbertS. Sie 3ßacr)ricf;ten über ifm fliegen febj fbärlict) unb finb jum %eü unfictjer. @r
Würbe gegen @nbe ber Regierung $arls b. ©r. um 808 (f. b. Epitaph, v. 5 ©. 423)
20 geboren, unb jtoar in ©cfyWaben, ba er felbft (Praef. V. s. Gall.) fein Skterlanb ter-
ram nennt, quam nos Alamanni vel Suevi incolimus. ©eine gamilie War arm
(c. 76, 31, ©. 414) unb fdjetnt md)t jum Slbel gehört ju fyaben (f. c. 37, 3 obscurus
natalibus); bocfy War fie ofme gtoeifel frei- 5™^'% bem Softer 9teid)enau übergeben,
erhielt er bort bie r)erlommIid)e lateinifdie 33ilbung. ©d)on fünfjefynjärjrig fonnte er im
25 tarnen feines SeI)rerS %aüo metrifd)e 33riefe an @bo b. SWfyeimS unb ben Trierer 6r)or=
bifd)of Segan fcfyreiben (c. 5, 1 u. 2). ©bäter ftubierte er ju $ulba unter ^jrabanuS
3JJauruS (c. 9 ©. 358). 93on bort fam er an ben §of SubWigS b. $r.; er erhielt bie
©teüung eines Fabians ber ^aiferin ^ubitt) unb SrjietjerS if/reS ©olmeS $arl. ^m ^ab,re
838 Würbe ifym bie 2lbtei Sfcicfyenau übertragen (Ann. Aug. MG SS I, ©. 18), er
30 muffte fie aber als 2tnfyänger Sott)arS alSbalb berlaffen, als SubWig b. S. nad) feines
SkterS %ob Sllamannien befehle. 9iact) ber SluSföfmung mit SubWig erhielt er fie 842
prücf. @r ftarb 18. Stuguft 849, Ann. Alam. ©. 50, ©rabfcf)rift P. L. II, ©. 423.
9BaIab,frib t)at mancherlei gefd>rieben. 2öir Woßen feine ©Triften in ber ^ürje flaffen=
Weife anführen. 3unäc^^ ermähnen Wir feine Iateinifd)en ©ebic^te, Wetd)e i§n geWiffer=
35 ma^en unter bie ülafftfer be§ faro!ingifd)en 3eitalter§ feiert laffen. 2Bir finben @bi=
gramme, gefifcfmften, §t>mnen, jWei längere ©ebid;te auf ^eilige; ba§ längfte berietet
bon einer 23ifion, Weld)e ber Wlönd) SSettin bon 3fleicb,enau 824 gehabt, „bie erfte
©arfteHung einer folgen 3Sifton in Werfen, mit Welcher biefe befonbere ©bejie§ mittel
alterltdjer Sichtungen beginnt, bie ib,re ^öd^fte Soüenbung in ®anteö göttlicher Ibmöbie
40 finbet" (@bert ©. 149). SB. war, afö er biefeä ©ebid;t berfa^te, 18 %at)K alt (3Sor=
rebe ©. 303). ^n bie 3«t feines Slufent^altS am §ofe fallen bie Versus de imagine
Tetrici, bie an bie JReiterftatue Sl^eoberid)^ b. ©r. bor bem ^palafte in 2lacb,en anfnübfen
(©. 370). 33on ^ntereffe finb bie jaf)lreict)en (Sbifteln, in §erametern ober 5DiftidE)en, jum
%äl an biegürften, jum %ül an firdjengefdHdjtlicb, befannte ^5erfonen geriditet: 3lgobarb,
45 §raban, ©ottfd)a!f u. a. ©nblicb, mag aucb, ber Liber de cultura hortorum genannt
Werben: er betreibt nicf)t ob,ne Slnmut ben ©arten be§ Serfafferä mit feinen mancherlei
^ftan^en unb beren 5cu^en unb ©igenfctmften. Sic ©ebic^te finb gefammelt in Canisii
lectionibus antiquis T. VI ober T. II, P. 2 ber neuen 2Iu3gabe. Sie Jnfiorifcl)en
fmbet man aucb, bei ben SoIIanbiften unb in batriftifd)en Sammlungen, ©ine fritifc^e
50 2luSgabe berbanfen wir Summier; fie ftelrt in ben MG PL II, 1884, ©.259 ff. ©obann
N SB. bie SBiograbbjen ber ©t. ©aller $bte ©aüuS unb Dtltmar bon SBetti unb ©03=
tert überarbeitet; ba§ geförberte Iateinifcf)e ©brac£)gefül>I nafym an ber ungefügen gorm
ber älteren Segenben Slnftojj. Siefe ©Triften finb gebrucft in Goldasti Scriptt. rerum
allemann. T. 1 unb Mabillon, Acta SS Ord. S. Ben. Saec. II. 9ceue Sluägaben bon
65 SR. 2r,uli, ©t. ©aßer 9Jcitt. j. baterl. ©efcf). XXIV, 1890, ©. 1 ff. unb bon 83. Änifcb MG
SRM IV, ©. 280 ff., bon 3. be 3Itj, MG SS II, ©. 41 ff. unb ©. SW^ct b.Änonau
©t. ©aller «Kitt. XII, ©. 94 ff. 3ln ber beabfid}tigten boetifc^en Bearbeitung ber Vita
s. Galli berf;inberte ifm ber %oi. Sag Söerl Würbe bon einem ungenannten SSRöncb
850 ausgeführt (PL II, ©. 428).
SSaloljfrtb 791
SemerfenSroert ift 2B.S 2öerfcfyen De exordiis et incrementis rerum ecclesia-
sticarum (getrieben 840—842, gebrucft unter 2lnbern in £ittorpS Scriptores de
officiis divinis, ßößn 1568, fotote in mehreren Sibliotfyefen ber Äircfyenbäter. 9ceue
2luSgaben oon 2l.$nbbfler, 3Jlünd)en 1890 unb S. Traufe in b. MGCRF II ©.473 ff.
ÜDton lönnte eS, nad) unferer 2Irt ju reben, ein Compendium ber cfyriftlicfyen 2trd&,äologie 6
nennen, unb mit bem 9Jia|ftabe jener ^eit gemeffen einen nid^t üblen Serfucfy. ^n 32
Kapiteln tyanbelt eS »on Kircfyengebräucfyen, Tempeln, Slltären, ©ebeten, ©locfen, Sil=
bem, Saufe unb 2lbenbmafyl, unb bie babei gelegentlich ausgekrochenen tljeologifcfjen
©runbfä^e ober fytftorifcfyen Semerlungen laffen uns in bem Serfaffer einen gelehrten
unb »erftänbigen 3Jtann ertennen. Gelegentlich füfyrt er aucb, bie gangbaren beutfcben 10
2luSbrücfe an, ftdj beSfyalb ben gelehrten Sateinern gegenüber mit bem Seifpiel ©alomoS
entfdjulbigenb, melcber ja neben ben Pfauen aucb, Slffen an feinem §ofe fyatte. ^n Setreff
ber Silber fucfyt er ben »on fränftfcfyen Geologen empfohlenen SJiittelmeg ^mifc|en über=
triebener unb abergläubifcfyer ^^nolatrie unb griec^if^er Stlberftürmerei feftjub^alten. ^m
Kapitel »om 2lbenbmab,I brüctt er ftdb, in einer äöeife aus, bafj man if)n nid)t als 15
einen 2lnfyänger ber 28anblungSlel)re feinei berühmten geitgenoffen labbert nennen
lann; (Sfjriftuö, fagt er, fyat feinen Jüngern bie ©aframente feines Set6e§ unb SluteS
in ber ©ubftanj beS SroteS unb SöeineS gegeben unb fie gelehrt, biefelben jum ©ebäd^>t=
niffe feines ^eiligen SeibenS ju feiern. (SS tonnte alfo nichts ©cfyicflicIjiereS als biefe ©e=
ftalten (species) gefunben werben, um bie (Sinigfeü beS Raupte! unb ber ©lieber an= 20
jubeuten.
9SaS aber SöalafyfrtbS tarnen am meiften berühmt gemalt fyat unb noeb, jettf
beim Sfücfblicf auf bie geiftige ©ntroicfelung be§ Mittelalters nid)t überfein läfjt, baS
ift bie grofee ej:egetifc|e Kompilation, meiere, wenn ntcfyt auSfcfyliejjltcfy, boeb, tyaupt=
fäcfylicb, bureb, iljm ju ftanbe gerommen ift, unb meiere faft fünf ^ab,rb,unberte lang für 25
einen großen %til beS 2tbenbIanbeS bie toicfytigfte gunbgrube ältefter Sibelmiffen=
fa)aft geblieben ift. £)aS umfangreiche Söerf mar unter bem gangbaren Xitel „Glosa
ordinaria" »erbreitet unb gebraust, unb genofj fcfjon im Seginne ber eigentlich
fog. fcfyolaftifdjen geit eines folgen SlnfefyenS, bafc 3. S. SßetruS SombarbuS fieb, auf baS=
felbe ofyne weiteres als auf bie „Auctoritas" beruft unb ©peitere beffen ÜRanbgloffen 30
als einen gleicb, bem Sibelter.te felbft ju fommentierenben befyanbelten. sJcocb, über baS
14. Qafyrfyunbert tyinauS, too bodj Nie. a Lyra eine neue ©poetye in ber ©regefe be=
jeicb,net, erhielt fidj bie malafyfribifcfye ©loffe im ©ebraudj unb mürbe bann auo) gleicb,
im Seginne beS SücfyerbrucfS bureb, bie treffe »erbrettet unb ga^Iretc^e 2luSgaben folgten
fieb,, tro| beS großen llmfangS, bis inS 17. ^a^r^unbert b,erab. 5Jtan finbet biefelben 35
»oEftänbig bergeidpnet in bem 2Balal)frib getoibmeten 2trtilel ber Histoire litteraire de
la France (T. V.). ©oeb, ift ju bemerfen, ba^ bie Glosa ordinaria nie allein, faft immer
mit Lyra jufammen gebrueft mürbe. SDie ältefte 2luSgabe, o§ne Drt unb Satyr, in 4
goliobänben, beren Urfprung bie Sibliograptyen nietyt ermittelt tyaben, ift eine ber 3iwben
felbft reiferer ©ammlungen. Stacb, ityr, ba tyier bie 2lrbeit SöalabfribS faft ganj allein 41 •
ftetyt, tooÖen mir bem Sefer in ber ^ürje einen Segriff »on ber 9Zatur unb Slnlage beS
SGSerleS geben, ©ine Sorrebe ober (Einleitung, meiere ben gmeef ober bie 3Jiett)obe beS=
felben barlegten, ift nietyt bortyanben; aber ber oberfläcb, tiefte Slicf belehrt uns barüber
gur ©enüge. ©S bietet in ber 3Uiitte ber Slätter, ettoaS gegen ben oberen Sfanb tyin,
ben lateinifetyen Xejt, rtngS tyerum, einen größeren ober geringeren 9taum in 2lnfprucb, 45
netymenb, ftetyt bie „©loffe", b. ty. eine reiche ©ammlung patriftifetyer ©Ecerpte jur @r=
läuterung beS XejteS. .3to'^m oen 8e^ert *>e§ %>?&& fte^en lurge [©polten (Glosa
interlinearis), bie mir aber tyier nicfyt meiter gu berücffictytigen tyaben, ba fie anerfannter=
mafeen erft im 12. ^a^tyunbert »on einem gemiffen inStyelm »on Saon beigefetyrieben
finb. 3BaS nun bie »on SOBalatyfrieb gefammelten 9?anbbemerlungen betrifft, fo ift im 50
allgemeinen gu fagen, bafj fie ben ^ern ber älteren patriftifetyen %egefe fo pmlicb, nacb,
aEen ©eiten tyin barftellen. @S fetylt nämlicb, nidjt an 2öort= unb ©aetyerflärungen, mie
man fie namentlich aus £>ierontymuS nehmen !onnte, aßein ber ÜJtetyrjatyl nacb, bienen bie
9tonbgloffen boeb, ber erbaulichen SKuSlegung, ober mie bie 2Uten fagten, ber m^ftifetyen
(Dielen ift aucb, baS 2öort mistice toorgefcfyrieben), bie belanntlid) bie Xtyeorie beS mef)r= 55
fachen ©ctyriftfinneS ^ur ©runblage blatte unb in ber Kombination geiftlictyer Umbeutung
mit jebem noety fo troefenen Enfiorifctyen ©toffe ityre työcbfte iUrtuofität ju befunben ftrebte.
5Die ©loffen roerben in ber Siegel burety bie SBiebcrtyoIung ber erften 3Bovte beS XejrteS,
auf ben fie fidj Begießen, eingeführt; fo folgen fieb mehrere über benfelben 2ejt, felbft
aus bem nämlictyen ©ctyriftfteller. Sielen ift ber 5Rame beS 2tutorS beigefcfjrieben, auS eo
792 2öaIoI)frtb 2BaIe$
meinem fie gebogen ftnb; am ofteftert begegnen un§ aufjer ben beiben fdmn genannten
©regoriug, Sfiborug bon ©ebilla unb Beba, feltener Slmbrofiug unb (Sfyrtyfoftomug,
treiben festeren man in Überlegung befafj; in einzelnen Suchern fyerrfcfyen anbere tarnen
bor, 3. 33. in ben ^falmen ßaffioborug, in Numeri Drtgeneg, im Sebiticug (Sftciug (b. i.
5 £>eft)d;iug). @§ ftnb aber aud; fefyr biete ©loffen ofyne tarnen unb eg entftebt bie 2Rut=
mafsung, bie|e tonnte 2Mafyfrib |elbfi berfafjt fyaben. dagegen fd^eint aber \u fbredben,
baf$ nid}t unfyäufig, menigfteng im Anfang beg 2öerfeg, aucb, fein 3?ame, unb ^mar in
ber, trenn er felbft fo getrieben l)ätte, fonberbaren Bezeichnung „©trabug" borfommt.
Anbere bauten mofyl an feinen unmittelbaren £ef)rer £rabanug SJtaurug alg Berfaffer,
10 aber aufy biefer mirb öfter mit |einem tarnen genannt. — Über bie gelehrte Segenbe bon
SSalafyfribg Beteiligung an ber angeblichen beutfdjen Bibelüberfe^ung ®arlgb.©r. f.9teufj
in b. Revue de Theol. 1851, San. ©*>• W™% t (§<»«*).
2ßald), gelehrte £I)eoIogenfamiIie beg 18. $al)rfyunbertg.
^ofyann ©eorg 3BaId^ , geft. 13. San. 1775, ber Bater ber Betben folgenben. —
löSttteratut: 3ubelg.ebäd)tni§ bem £>n. D. % ©. SB. wegen be§ üon ifim auf b. Unioerfttät
3ena 50 3at)re geführten öffentlichen SefjramtS geftiftet, Sena 1768; gof). ßrnft Immanuel
SBalct), Seben unb (Sf)arafter be§ wor)lfeeI. £n. £ird)enrat§ D. 3. ©. SB., £ena 1777; Söleufel,
Sejtfou üerftorbener beutfcber ©diviftftefier XIV, 360 ff.; Döring, 2>te gelehrten SEbeoIogen
®eutfcf)tanb§ IV, 630ff. ; ®. $ranf, ®te Senaifcbe £be°Iogie '« tljrer gefctjicbtl. entroicfelung,
2o2eipj. 1858, (S. 71 ff.; Sfcöacfert in S(bS3 40, 650 ff.
$. ©■ 20. mar ©olm beg ©eneralfuperintenbenten ©eorg 2BiIl)eIm 3B. in SDtaningen,
beg Berfafferg „@bangelifd?er £ieber=Betrad)tungen", Sena 1714, bafelbft 17. ^uni 1693
geboren. 1710 bejog er bie üntberfität Seidig, mo ©ottfrieb DIeariug (Bb XIV, 357 f.),
9*ecb>nberg unb anbere feine tfyeologifcfyen Sefyrer mürben, feine Iitterargefd)icl>tlid;e Neigung
25 aber burd) 3Jfen!e, beffen SBtbUot^ef U)m offen ftanb, 9?at>rung unb görberung erhielt unb
bie pf>iIofo}>fyifd>e Anregung burd) Slnbr. Slübiger ifym fd)on bamalg Beranlaffung mürbe
ju bem fyäter abgeführten ©ntmurf feineg ^lofo^tfd)en £er.ifong. SRagifter mürbe er
1713, befcfyäftigte ficb, ^unäc^ft bormiegenb plnlologifcfy, gab beg SeHariug afabemifcfye
©iffertationen, Sieben unb Briefe 1712—1715 f)eraug, ebierte Cbib, Bellejug, ^fyäbrug,
30 aber aucb, fpäter Sactanj (1735), unb fcfyrieb 1716 bie gefcfyä^te Historia critica lat.
linguae. 1718 mürbe er ^ßrofeffor extraord. in ^ena für $I)Uofopf)ic unb Altertümer,
1719 orbentl. ^rofeffor ber Bereblfamfeit, 1721 ^rofeffor ber ©icfytfunft. ^u Bubbeug
(Bb III, 518 ff.) trat er in nalje Bedienungen, beffen einzige Stocktet er heiratete unb
bem er 1729 bie Seicfyenrebe fyielt. ©leid} biefem beteiligte er fidj> an ben ^^ilofo^ifd^en
35 Bemegungen ber ^eit (fd}on 1723: „©ebanfen bom ^Uofo!p^. 5RatureE"). Bubbeug
blatte im „Bebenden über bie ffiolffianifcfje ^fyilofo^ie" 1724 fid^ gegen 2ßoIfg §erab=
fe^ung ber übrigen üblichen Bemeife für ba§ SDafein ©otte§ ju ©unften be§ ©ct)Iuf|e§
a contingentia mundi auf ben a se feienben Söeltorbner erflärt. Stuf 2öolf3 (Entgegnung
antmortete 20. in ben ©Triften: „Befct)eibene 2lntmort auf §n. 6b,r. 2Solfg 2ln=
40 merfungen k." (1724) unb „Befcb^eibener Bemeig, bafe bag Bubbeug|cb,e Beben!en nod)
feftfteb^t", 1725. SmSa^ ^auf gab er fein b^ilofo^ifcfyeg Sertfon b.eraugC 1710, 1 1775),
bag übrigeng aucb, ©egenftänbe ber 9^aturgefd)id;te, iedjni! u. f. m. umfaßt. ®ie 2trtilel
©ott, Geologie unb anbere geigen bie eigentümliche ©teßung, meldte bie natürliche 5£b,eo=
logie bereitg neben ber „geoffenbarten" erlangt I)at. 3war 'f* ^'e natürliche ©otteg=
45 ertenntnig beg gefallenen 5Renfcf)en nid}t fo fräftig, bafc fie eg gu einer magren £ebeng=
Übung bringen fann, bod) giebt fie Anleitung jur Offenbarung, fo bajs ein natürlicher
3Jlenfcf) beren 9cotmenbigfeit erfennen muf3. ©ie fafjt bie ©runbfä|e aller Sieligion in
ficb,, lefyrt bie ^enn^eicfjen, nacb, benen bie ffiafyrfyeit unb ©öttltcl)Ieit einer Offenbarung
gu prüfen ift u. f. m. gür 2B.g ^tlofo^fjifc^e Begebungen bgl. nocb, (Einleitung in bie
50 ^ilofo^ie, 1727 (lat. 1730), unb Observationes in NTi libros, quarum 1. pars
ea continet loca, quae ex historia philos. illustr. 1727. Dbgleict) burd) jene 2luf=
nab^me ber natürlichen Geologie bie alte tb,eoretifcb,e ©runblage ber Drtfyobojie bereitg
burc^brocb^en ift, fo mill bod) 2B. gleicf) Bubbeug bie lutfyerifdje lirdjenle^re feftb^alten,
aber mit jener moberierten ©efinnung, bie bem ^ßietigmug nid}t meljr feinblid) gegen=
56 überfteb,t.
1724 mürbe 20. auf^erorb. ^ßrofeffor ber SLbeologie, 1726 Dr. theol., 1728 orbentl.
^rofeffor; er ftieg in ber tfjeologifd^en galultat toon ©tufe ju ©tufe, big (1750) gum
Prof. primär.; 1754 mürbe er aud) ©ad)fen=aSeim. Äirc^enrat. S" bwfer Stellung
mibmete er ber Geologie neben gab,Ireid)en Borlefungen aucb, eine umfaffenbe litterarifd)e
2$al<$ 793
^citigfeit. gunäcbjt m enSem 2tnfd&Iufj an Subbeug, beffen Institutiones dogmati-
cae bon ifym in Compendium redactae fdjon 1723, fbäter brevibus observationibus
illustratae 1748 fyerauggegeben würben. %üx feine 23orlefungen berfafjte er Äomben=
bien, bie fidb, burdj auögebe^nte SBerütffid^ttgung ber Siiteratur augjeirfmen; fo (Einleitung
in bie d)riftlicfye Floxal (2 1757), in bie bogmatifcfye unb in bie bolemifdje ©oiteggelafjrt* s
fyeit (1752). ^n feiner (Einleitung in bie tfyeologifcfyen 2Üiffenfd;aften, 1737, 2 (fefyr er=
W eitert) 1753, befyanbelt er, oijme eine encr/tlotoäbifdje Drganifation gu erftreben, fyinter=
einanber bie bogmatifcfye , f^mboltfc^e, fatedjetifcfye, ^oiemtfd^e ©otteggetafyrtfyeit, bie
Sittenlehre, bie allgemeine göttliche Nedjtgwiffenftfwft, bie ^ßaftoraltfyeologie unb bie
$ird)enfyiftorie. ®aö Übergeben ber er.egettfcl)en Geologie rechtfertigt er mdjt nur bamit, 10
bafj er über biefe nicfyt lefe, fonbern begeidjmenberWeife aud) bamit, bafj bie fy. 2lug=
legunggfunft „bor feinen ber Geologie eigentümlichen 'Seil angufefyen ift" ©eine fyod;=
öerbtenftticben 33emüfyungen für bie tI)eoIogifd)e Sitterä'rgefcfyicfyte beginnen mit ber£eraug=
gäbe bon Bosii Introd. in notitiam scriptorum eccles., 1723; baran fcbliefjen ficb,
bie nocfy immer WertboHe Bibliotheca patristica litterariis adnotationibus instructa, 15
1770 (neu bearbeitet bon ®anj, $ena 1834), unb bie 4 S3be ber Bibliotheca theo-
logica seleeta, 1757 — 65, ber SBeWeig feiner auf alle ©ebiete ber Geologie ficb, er=
ftredenben litterartfc^en ©eleb,rfam!eit. Stud) beg Sßerbtenfteg feiner 2luggabe ber SBerfe
Sutfyerg (£atle 1740—52, 24 Sbe) ift l?ier jii gebenlen. ^r Söert beruht in ben (Ein=
leitungen, ber 2lufnafyme aud) ga&Iretc^et: ©dmften ber ©egner, bem 2lbbrud bieler refor= 20
mationggefd)icr;tlicr;er ©otumente unb guten Negiftern ; ib,r Mangel ift, bafe alle lateinifdjen
©Triften nur in (nicfyt feiten fehlerhafter) beutfdjier Überfettung gegeben werben, bgl.
33b XI, 721. ((Eine Neuauflage ber 2ö.fdjen Sluggabe erfdjien in 22 Sänben in ©t.Soutg
im Auftrag be§ SJtimfteriumg ber beutfcfyen eb.=Iutf). ©rmobe bon -Hiiffouri, Dbjo u. a.
Staaten, 1880—1904, mit 3. %. felbftftänbiger Neubearbeitung.) (Sbenfo ift feine 2Iug= 25
gäbe beg djriftl. ^onforbienbudjS (beutfd) unb lat. mit fyiftor. (Erläuterungen) 1750 ju
nennen, baju feine Introductio in libros symbol. eccl. luther. 1732 unb fcfyon feine
Commentatio de solida librorum symbolicorurn interpretatione ex historia in-
stituenda, 1725. £)urcb, litterarifc^e Netd^alttgfeit geid;nen ficb, aucb, bie beiben anbern
§aubtWerfe 2B.g aug, feine (Einleitungen in bie tfyeologifdjen (Streitigkeiten. ®er Slnftojj 30
bagu ging bon SBubbeug aug, ber bei feinem Vortrag ber boIemifd)en Geologie bag für
bie Sffienbung ber geit bom bogmatifdjen jum fyiftorifdjien ^ntereffe begeidmenbe SBebürfnig
embfanb, bie ©tubterenben auggebefmter, alg fonft üblid), über bie ©efcfyicfjte ber in ber
^olemif befämbften Irrtümer aufjullären, iljmen „einen atturaten begriff bon llrfbrung,
2Bad)gtum k. einer jeben ©efte, aud) eine richtige Äonnerjon, unb fo biel ficf) tfyun läjjt, 35
ein böEigeg ©r/ftem berer, bie man Wiberlegen miß, beizubringen" ®er ^iftorifc^e ©toff
hmd^ if)m babei fo an, bafj er „enblicb, faft ben falben Sleil beö Collegii au^mac^te".
§ier foHte ein 33ud; aushelfen, beffen 2Iu§fü!(>rung er jebod; feinem „vielgeliebten @ibam"
überlief. 20. behielt Drbnung unb ^Ötetfeobe bon Subbeuä bei, na^m aud) in ber 2Iu§=
fü^rung biele§ au§ beffen Vortrag, fügte aber auc^ @igne§ b,in^u. ©0 erfd)ien junäcb,ft 40
1724 ein 33anb „^^eol. Einleitung in bie borneb, mften 3Migion§ftreitigfeiten au§ §errn
Subbeug Collegio l^eraugg. unb mit 3lnmerlungen 2c." Sn ^er %dQ* erweiterte 9B.
$Ian unb Umfang beg Suc^§, ba§ nun unter bem 'Sitel „§iftor. unb tfycol. ©inleitung
in bie Neligionöftreittgfeiten, toeld^e fonberltd) au|er ber et)ang.4utb,. ^irc^e entfianben",
1733 — 36 in 5Sänben erfcbten. SDer 1. SBanb ift fyier bie 3. überarbeitete Sluflage be§ 45
urf^rünglidjen 2öer!§ unb umfafst bereite bag gange ©ebtet (^a^tften ; Reformierte; 3lnti=
trinitarier unb ©ocinianer; ganatici unb ©ntb^ufiaften ; Steiften, Naturaliften unb ^n=
bifferentiften ; orientalifdje ^irclje; 9)co^ammebaner, Quben unb Reiben); S3b II— V be=
b^anbelt basfelbe ausfüb^rlid} mit bei Weitem reicheren SRaterial ©aneben batte 3B. ganj
felbftftänbig bag äbnlic^e 2Ber! begonnen : „£iftor. unb SEf)eoIog. (Einleitung in bie Neli= bo
gionöftreitigleiten ber ebang.=(ut|). H'irdje", bon ber Reformation big auf feine 3_ett, ba§
bon 1730 bis 39 in 5 33änben erfcb,ien, burcb, forgfältige 2tu<^üge aug ber ©treitlitteratur
unb gewiffenfyafte Seric^terftattung ein nocb, bleute unentbehrliches SSer! 3. S. für bie ©e=
fct;ici)te beg ^ietigmug. 2lufjer ben genannten 9Berfen berbienen nocb. (Ermahnung bie
Miscellanea sacra s. comment. ad hist. eccl. sanctioresque discipl. pertin., 66
Amstel. 1744, feine umfangreiche Historia eccl. NTi variis observationibus illustr.
1744 (big Anfang beg 4. Sa^r^-) unD föm Historia controversiae Graecorum
Latinorumque de processione Spiritus S. 1751.
Neben feiner gelehrten SE&ättgfett bat 20. auo> nicb, t unterlaffen, bäufig gu brebigen ;
feine Stufmerlfamfeit aud^ für bieg ©ebiet geigt feine ©ammlung tleiner ©Triften bon ber eo
794 SBalrf)
gotttoobigefäßtgen 2trt ju brebigen, 1746, eine gufammenfteßung bomtletifcEjer 9latfcE)Iäge
älterer Geologen; bgl. aucb. ^ebenbacfyerS 3lu3g. feiner ©dnnft: £)te gottgefällige Bor=
Bereitung auf bie ^ßrebigt (1733), Stürnb. 1845. Obgleich in jüngeren ^afyren ©bener
geneigt, unb als §iftorifer guten SBtßenS, bei Beurteilung ber SWigionSftrcittgletten ben
5 ©egner rect>t ju berftefyen unb bißig ju beurteilen, beftrebt im SBerfyalten gegen bie „S?e|er"
bie Stitte jtoifc^en ©. SIrnoIb unb 2lBr. @alob einzunehmen, r)at er bocb. in bem auf
Befehl feinet SanbeSfyerm 1747 aufgefegten ©utacfyten über bie „§errn^utifc^e ©ecte",
„ben ^inäenborffcfien Unfug", baS Urteil gefaßt, „bafe ein gütft mit gutem ©eroiffen
biefe ©ecte in feinem Sanbe nitfjt bulben lann", bie 2Bofylfar/rt bon tircfye unb ©taat
10 werbe burcb, fie gefäfyrbet, burcb, ifyren ^nbifferenttSmuS unb ©bnfretiSmuS, it>r 2ieb=
äugeln mit allerlei ©eften, il)re Beratung beS 3l£s unb ©eringfct,ä£ung ber fem*
bolifcfyen Sudler, il>re ^urücffe^ung ©otteS bei BaterS, ifyre ©ebanfen bon ber @t)e u. bgl.
(fyerauSgeg. bon 3. «ßfc. grefeniuS 1751, bgl. granl ©. 73 f.).
1766 berlor 9B. feine ©attin burd} ben S£ob. @r felbft, burd? fatarrr/altfcr)e unb
15 r;r,bocf/onbrifcr)e Seiben angegriffen, überftanb bocb, nod? 1767 (nacf) feinem öOjäEnugen
©ojentenjubiläum 1768) einen %aü bon ber Bücfyerleiter fo Weit, bajj er feine Biblio-
theca patristica 1770 boßenben fonnte (bgl. Borroort); erft am 13. Januar 1775 ftarb
er 81 jährig.
©ein ältefter ©ofyn tft ^ofyann ©rnft Immanuel 2BaI<$, geft. 1.3)ej.l778. —
20 Sttteratitr: ®te ältere fiitt. Derseiclmet forgfältig ü. ®oßfct|üf in 9lbS3 40, 652 ff., ber aud)
bie ®efanat§aften ber pcjitof- gahtltät in Sena benü|en fonnte.
©eboren 29. 3luguft 1725 in ^ena, ftubierte er auf beS BaterS 2ßunfcr) Geologie
unb naö) eigner Neigung befonberS Br/ilologie (aucb, femitifcfye ©brauen), aber aucb, 9tatur=
miffenfct/aften unb 5Ratf!ematit\ 1745 tourbe er in ^ena mit feinem jüngeren Bruber
25 (f. u.) jugleid) üftagtfter, habilitierte ficb. 1746 unb begann mit ejegetifd^en Borlefungen,
machte bann mit bem Bruber eine grojje ©tubtenretfe naü) §oßanb, granlreicb,, ©d^roetj,
Italien (glorenj), lernte an ben Uniberfitäten bie b, erborragenben ©elefyrten ber geit lennen,
fteuerte f)ernacb, aucf) ju ©ort! Symbolae litterariae 1751 eine ÜRebe über bie Anti-
quitates Herculanenses litterariae bei. §>etmgefer/rt fufyr er mit ejegetifd^en Borlefungen
30 fort, als beren grucfyt feine „©inleitung in bie Harmonie ber ©bangeliften" 1749 erfcf/ien,
nod) im ©etft ber ortfyoborm §armoniftif, mögltdjft unter Beibehaltung ber Drbnung
jebeS (SbangeliumS, baljer mit ber 2tnnaf)me, baf? manche Begebenheiten im Seben $efu
in febj äbnlicr/er Steife fid) roteberb/olt Ratten. 1750 tourbe er Brof. extraord., 1755
ordin. für Sogif unb ScetabbMtf, feit 1759 für Berebfamfeit unb ^ßoefic, feit 1768
35©enior ber bbjlofobtnfdjen galultät, 1770 §ofrat; 1778 machte ein SDarmleiben feiner
unermüblicfyen 2lrbett ein @nbe.
©er bielfeitige ©elefyrte t>at feine §aubt!raft erft ber Bfyilologte, feit 1760 ju=
neb,menb ben Staturtotffenfcr/aften (DJiineralogie unb Paläontologie) geroibmet. §ier finb
nur feine tl)eoIogifcfyen arbeiten ju berjeicb,nen, in benen er 3. %. feine toljülologifdjen unb
40 ard^äologifd)en gorfcb,ungen für baS Berftänbni§ ber b, I. ©cb,rift nu^bar ju machen fud)te :
Dissertationes in Acta Apostolorum, 3 %k, 1756—61 unb 1766; Antiquitates
nauticae ex itinere Pauli Romano, Act. 27, 28, 1767; Observationes in Mat-
thaeum ex Graecis inscriptionibus, nad) feinem SLobe 1779 herausgegeben; Anti-
quitates symbolicae, quibus symboli apostolici historia illustratur, 1772 (mit
45 toertboßen ©tubien über bie berfcfjiebenen Bebeutungen bon Symbolum) ; arbeiten über
bie 6b,riftenberf olgungen : Marmor Hispaniae antiquum, vexationis Christianorum
Neronianae insigne documentum, 1750, baju Persecutionis Christianorum Nero-
nianae in Hisp. uberior explanatio, 1753 (je£t beraltet); Christianorum sub
Diocletiano in Hisp. persecutio ex antiq. inscriptionibus illustr., 1751. ^jntereffe
50 für bie Geologie behielt ber fromme, ber Drtb,obojie treu gebliebene 9Jtann bi§ an fein
@nbe. 3U feinen litterarifcb,en planen geborte nocb, eine introductio in N.T. foroie
eine biblifcb,e 5Raturf)iftorie. Über feine Berbienfte auf anbern ©ebieten ber SBiffenfcb, aften
bgl. b. SDobfdjü^ a. a. D. 21lS 3;b,eologe bebeutenber tft
fein jüngerer Bruber Gftrifttan 2BiIb,eIm granj 2BaIcb,, geft. 10. 2Rär^ 1784.
55 öitteratur: §eumann, Dissertatio de haeretico Paulino Tit. 3, 10 (mit einer Vita 9B.§),
1754; ©. ßefe, ®etn Slnbenten beS et>ental. tonftftorialratä Dr. (£. SB. g. ?Bald) »on ber
tt)eoI. gafultät . ., ©ötttngen 1784; S. &. §et)ne, Elogium Vener. Walchii recitatum in
consessu societatis (27. Wäxfr 1784); 3. %. ^ßiitter, 58erfncf) einer cifabem. ©eletjrtertgefctjidfile
üon ber ©eorg. Stuguft. Untö. 1, 121 ff., II, 28 ff. ; £>. ©bring, 2>te gelehrten S|eoIogen
60 2)eutfct|(cmb§ IV, 615 ff.; 2;frf)adert in 5lbS3 40, 646 ff.; 58aur, S)te ©pocfjen ber tirctflt^en
SBaltfj 795
©efcf>id)t<>jcl)rei6img, £übiiia,en 1852, <B. 145 ff. Serjeidmiffe feiner ©dirifren außer bei
ptter in «OieufeiS Certfon XIV, 345 ff.
£>er jftmte ©ofyn $• ©• 2Sal$S unb ber Softer beS 93xibbeug tourbe am 25. 35e=
jember 1726 in $ena geboren. ®ort ftubierte er unter beS Katers Anleitung, tourbe
äugleicb, mit feinem Bruber 1745 SJiagifter, b>lt big 1747 ejegetifcfye, bbilofobbtfcr)e unb 5
fyiftorifcfe/e "Borlefungen, machte bann mit bem Sruber jufammen bie o. ©. 7i>4, 26 ermähnte
große ©tubienreife, auS ber fieb, mancherlei gelehrte Bedungen für ib,n ergaben (mit
ÜJcaffei, ^robft ©ori in poreng u. ct.). 1750 mürbe er baf)etm $rof. extraord. ber
$büofobI)ie ; toäbjenb aber ber SBrubev bauernb in ^ena blieb, folgte er einem 9tof nacb,
©öttingen als orbentl. *ßrof. ber ^feilofobb/ie, mürbe bort 1754 außerorb. Sßrofeffor ber 10
Geologie, unb bon §euinann jum Dr. theol. bromobiert mit einer SDiffertation de obe-
dientia Christi activa. 1757 trat er als orbentl. ^rofeffor in bie tfyeologifdje gatultät
ein, in ber er bis ju feinem SEobe bie umfaffenbfte SEfyätigleit alö SDogent toie als ©<brift=
fteller entfaltete. Mütter f Gilbert 1765 feine Slrbeit als ©ojent, toie er „orbentlicfyer
SBeife" im ©ommer täglich 4, im Söinter täglich 3 ©tunben Borlefungen fyielt: um 8 15
iäglicb, Dogmatil über feines SSaterS bon ib/m herausgegebene Theologiae dogmat.
Epitome tabulis analyticis expressa (1757), um 11 täglicb, ®ircr)enl)iftorie big jum
(Snbe beS 17. Sß^fjunbertg über fein eigne«? Sefyrbucb, (©runbfätje ber $© beS 91%$,
1761, 2 1772— 4, 31792— 4); um 4 teils Sftoral, teils «ßolemtl (nacb, feines SaterS 2eb,r=
bücfyern); außerbem natürliche Geologie (©runbfäije ber natürlichen ©otteSgelefyrtljeit, 20
1760), fr;mbolifcr)e Geologie (Breviarium Theologiae symbolicae Eccl. Luth. 1765),
Äircfyenlnftorie beS 18. $5alrfyunbertS (Compendium hist. eccl. recentissimae 1757);
ferner toenigftenS ein Exegeticum über einen ober mehrere Briefe $auli ober über bie
^affionSgefct/icfyte, aucb, über bie cf/riftliefyen 2lltertümer; bajtoifcfyen privatim bie historia
liter. theol. unb publice bie hist. liter. historiae ecclesiasticae, baS jus publicum 25
ecclesiae, bie tf?eologifd)e ^afuiftif ober über einen ber gried)ifd)en Bäter, 5. B. über 3>"ftin§
Sinologie, ©nblicb, privatissime, toenn eS Verlangt toirb, examinatoria, aucb, tootjl ber=
bunben mit disputatoria über Dogmatil ober über anbere feiner Borlefungen. daneben
finbet er nocfe, geit gu großen gelehrten Slrbeiten unb jal)lreicb,en atabemifct/en ©elegen=
fyeitsfcr/riften, er beteiligt fieb, eifrig an Seitung unb Bertoaltung ber Uniberfüät, feit 1760 30
aucb, als curator aerariorum piorum, feit 1765 als Tireltor beS 5?e£etentenMe=
giumS, ferner an ber ©öttinger ©ocietät ber 2Siffenfer)aftett, bie tb)n 1763 jum orbentl.
ÜDfttglieb ber tol)iIoI.=r)ift. klaffe mact)t. ©0 gehört er in bie rttc^t fleine Qafyl bon ©e=
lehrten beS 18. $al)rl)unberts, bie uns burcb, il)ren Bienenfleiß toie burcb, if)re Bielfeitig=
!eit in ©taunen feiert. 1766 tourbe er Primarius feiner gafultät, 1772 großbritann. 35
Äonftftorialrat. @rft fbät (1763) fanb er $e\t fiel) $a »erheiraten mit ©leonore griberife,
SToct/ter beS ftift3l)iIbeSr)eimifcr)en üonfiftorialratS unb ©eneralfuberintenbenten Grome.
©egen @nbe beS SebenS nab,m feine Söirffamfeit als ©ojent ab. @S „lamen junge
rüftige SRänner it;m jur ©eite; bie Meinungen unb ber ©efc^mad änberten fieb,; ber
SRetg ber ?ceujeit fam baju. ©0 gefcb.af) eS, baß er in einigen Kollegien ben Seifall 40
faft gang, unb in allen biel babon oerlor" (ßitat bei SEfc^acfert a. a. D. ©. 647). ©ein
Stob erfolgte blöpcb, am ©djlagflufc, 10. Wa^ 1784.
2B. gehört ntefet ju ben fctjöbferijcb.en ©eiftern; f)inter SOtoSljeim einerfeits (geft. 1755)
unb ©emier anbererfeitS (1753—96 in §aEe) tritt er bebeutenb jurüc!; aber er gebort
ju jenen unermübüct/en ©eleb^rten, bon beren ©ammeiarbeit mir noeb, banfbar ©ebraueb, 45
machen, ©eine Sebeutung liegt auf bem ©ebiet ber Äircb,engefcb,icbte. 3n fe'ner ^Hi^tung
auf bie ganje Breite r)iftorifct)er ©eleb,rfamleit unb SitteraturfenntniS tritt er in bie guß=
tabfen feines SSaterS unb beS ©rofjbaterS BubbeuS; aueb, in feinem bogmatifeb/en ©tanb=
bun!t fuebt er im allgemeinen eine moberierte lutb,erifcb,e Drtfyoborje gleicb, jenen feftju=
balten ; aber freiliefe, biefe ift, jtoar nict>t feiner grömmigteit, aber feiner Sb/eologie ein 50
totes Dbjelt getoorben, unb um b,iftorifcb,e ©etoifjf/eit brebt fieb, atteS. — ^n feinem noefe
berf)ältniSmäßig frifcb, getriebenen Qugenbtoerf ,,©efd)icb,te ber ebang.=Iutb- Religion als
ein BetoeiS, baß fie bie toafyre fei", 1753, nimmt er ben ©ebanfen auf, baß baS Tafein
unb bolllommenfte Söefen ©otteS <m$ ber ©efcfeitt)te ebenfo ju erfennen fei, toie aus ber
9iaturlebre unb anbern teilen ber aBelttoeiSb^eit, unb bebauert, baß fieb, noef) niemanb 55
unter biefem ©eficfetSbmrfte fo um bie E?tftorifdt;en äöiffenfcbaften berbient gemalt f>abe,
toie 9tteutoentbt (Diester ©ebraueb, ber 2Mtbctracfetung jur ©rfenntnis ber UJcacbt, ^eis=
beit unb ©üte ©otteS, beutfo) $ena 1747) um bie ^b,t?fif. (5r toär)lt fieb,, um biefe
bisber bernacfeläffigtc Arbeit toenigftenö bartiell in Angriff gu nehmen, baS, toie er fagt,
Seicf/tefte au§, benn „bie ©efcb,icb,te ber ebang.=lutb,. Religion ift unerfcböbflieb an 3eug= «j
796 2©ald)
niffen, bajj ©ort ©ort fei" %n ber Sb>t fteHt er manct)eg einer religtöfen ©efd)id)tg=
Betrachtung Förberlid)e I)ier jufammen. 316er äbnlid), wie bie religiöfe Daturbetract)tung
ber bamaligen Geologie über einen im Greife fiel) brefyenben gWedmäfsigfeitgbegriff nidEjt
binaugfommt, fommt eg bei it)m nid)t gu einer frieren religiöfen ©efdnc^tgbfyilofobfyie,
5 fonbern nur ju abologetifctjer Slntoenbung eineg im ©runbe red)t befd)ränften Gorfefyungg=
glaubeng auf ©ntfteljmng unb Fortgang ber Iuit)erif d)en Deformation. Unb fo Wirb benn
bie 2öat)rt)eit ber „Iutr)er. SMigion" aug allem ÜJlöglid)en, nur nid)t aug ber ©ad)e felbft
beWiefen. — Sei feinen fbäteren bebeutenberen firct)enf)iftorifcr)en arbeiten, befonberg bei
feinem big jum 9. 3at)rr)unbert fortgeführten „(Entwurf einer bollftänbigen £>iftorie ber
10 ^e^ereien, (Spaltungen unb Deligiongftreitigfeiten big auf bie gehen ber Deformation",
11 Seile, Seift. 1762—85 (Seil 11 nad) 2B.g Sobe bon ©mittler b>rauggeg.), zeigt ftdt)
2B. tief burd)brungen bon ber $flid)t geWiffenfyafter, alle geugenaugfagen unermübltd)
unb metb>bifd> abfjörenber ©rforfdjung ber 2öat)rt)eit, b. t). beg Wirflid) @efd)eb>nen, unb
man fann in ber Sr)at „bie ©enauigfeit in ber 2lnfüt)rung ber Quellen unb @rläute=
15 runggfd)riften unb ber (Erörterung ber fleinften Umftänbe nidjt I)öj) er treiben, alg er es
getfyan" (©d)rödf>). SDabei warnt er aber nid)t nur bor Seid)tgläubigfett unb franft)after
3toeifelfud)t, fonbern aud; bor ber 2Iugfd)Weifung beg gelehrten 2Bi$eg, „ber ftd) burd)
übertriebene Gegterbe, auf alle«, wag man fragen lann, p antworten, alte Süden augp
füllen unb alle ©unlelfyeiten aufklären, nur gar ju leicht berleiten läfjt, feine (Einfälle
20 unter erWiefene 2SaI)rr)eiten oft unbermerft zu mifdjen unb anftatt beg 2Sat)ren nur 9Jtög=
Iid)eg ju erjagen" (Ärtttfc^e Dact)ricr)t bon ben Duellen ber $ird) ent)iftorie 1770, ©.4ff.).
„Glojj (Erfahrung, langwierige (Erfahrung lehret uns I)ier S)emut, unb ber einige, rec^t
pI)ilofobt)ifd)e ©ebanle, bie §iftorie i)abt in U)rem Umfang nt d$t eine notWenbige
2BaI;rr)eit, fonbern nur zufällige Geränberungen zufälliger ®in ge, Wirb
25 uns babor bewahren, Gegebenheiten burd) ©d)Iüffe ba ju erWeifen, Wo feine r)iftorifd)en,
b. t>. burd) geugniffe ettoiefenen GeWeife bort)anben finb" (ebb.). SB. berWafyrt ftd) gegen
3Rifebeutung biefer d;arafterifttfd)en ©ä$e unb Will natürlich aud) für ftd) bag Ded)t,
Folgerungen aug bem ©egebenen ju mad)en, Wo „br)r/ftfd)e ober moralifd)e 9loiWenbig=
leiten" borliegen, in 2lnfbrud) nehmen, I)at aud) offenbar ben berechtigten Sßiberfbrucl)
30 gegen eine ganze ©attung bon |>r/bort)efen im ©inne ; aber be^eid)nenb ift bod), bafj er
bie Gered)tigung eineg t)öl)eren fombinatorifd)en (Elementg in ber §iftorie, rufyenb auf
ibeetler ®urcb^bringung beg ©egebenen, gar nid)t ing 2luge fafjt. ®er 9JJangel einer bie
tieferen geiftigen 3ufammenl)änge rebrobujierenben organifd)en Stuffaffung, bie fid) bamit
nict)t begnügen !ann, bag (Einzelne nur in ber gufäfligfeit feineg ©efcfyefyeng brotoloßarifd)
35 genau aufzunehmen, madjt fi<| embfinblid» geltenb. 3n e'ner &ü> ^>° 5Dtog^eim fo 33e=
beutenbeg aud) für 2)ogmengefd)id)te geleiftet, unb Wo ©emier mit 5Rad)brud auf bie
33eränberungen in Sef)rbegriff unb Seb^rart b,inWteg, fafet jWar aucb] 2B. bie Sebeutung
ber ©efcfyidjte für (Sntfteb^ung unb Slugbilbung beg Sel)rbegrip ing Sluge („©ebanlen bon
ber ©efd)idj)te ber ©laubengleb^re" ,- 1764), aber er benlt nur baran, ba^ biele 5ra9e=
40 ftellungen unb Formulierungen nic^t ob]ne gefd)id)tlid)e ^enntnig ber ©treitigfeiten ber=
ftanben Werben fönnen. Söie Wenig eine organifcfye Sluffaffung ber Seb^rentWidelung aucr;
nur berfucb^t Wirb, §eigt fd)on ber naibe (gingang ber ^e|ergefd)icb> (I, ©. 3): „2öenn
biejenigen, Weld)e fid» jur Religion $efu ßb,rifti be!annt b^aben, nie bon ifyren beiben
|>aubtteilen, ber 3öal)rf)eit unb Siebe, abgewichen Wären, fo Würben Wir ber SRüfye
45 überhoben fein fönnen, ben größten Seil ber S3üd;er, Welche bie ©efcfyicfyte ber c§riftlid)en
Religion bortragen, mit ©rjäfylungen bon Äe^ereien, ©baltungen unb ©treitigfeiten an=
Zufüßen. 2tHein ba eg ber ewigen 2öeigl)eit unferg breigWürbigen ©rlöferg gefallen, Wie
bie Verfolgungen unb llnterbrüdungen feiner Sefenner bon au^en, alfo eine SDtenge
bon 3wietrad)t unb Uneinigfeit bon innen jujulaffen, fo ift nunmeb>o bie ^enntnig ber
so baburdj entftanbenen Gegebenheiten ein unentbehrlicher Seil ber ^ird)engefd»id)te." ^War
Will er nun bragmatifd> Urfad;en unb Duellen ber Gegebenheiten aufbeden unb über
ledere begrünbete Urteile abgeben, ätber Urfad;en unb Duellen fudjt er teilg in ben ^er=
fönen felbft, i^ren gäf)igfeiten, Vorurteilen, ©emütgrid)tung, teilg in ben äußeren ju=
fammenwirfenben Umftänben. Unb bie Beurteilung geb,t fadjlid^ auf bie Frage, Weldjer
55 Seil bie äöafyrfyeit bertrete, Wobei gelegentlid; beibe Seile Unrecf/t befommen fönnen; be=
treffg ber ftreitenben ^erfonen aber auf tt>r moralifdieg Verhalten. ®ie ©elegenf>eit ju
einer folgen moralifdien Stburteilung läfit er fid; feiten entgegen mit Du^anWenbung auf
bie ©egenWart, um flugeg Verhalten bei entftefyenben Uneinigfeiten ju lernen unb fid;
ebenfo bor ben 2tugfcb>eifungen ber 3SerfoIgunggfud)t Wie bor Qnbifferentigmug gu I>üten.
60 Gei biefen Mängeln bleibt il)m bod) bag Gerbienft, Weld;eg feine Ke|ergefd;idjte nod) bleute
SBald> äöaliieif^tjrmont 797
gu einem unentbehrlichen Hilfsmittel macr)t, ba§ Serbienft einer mit „mebj aU tixfytn-
fyiftorifcfyer ©ebulb" (©pittler) unb mit gemiffenl)after streue ofme Srmattung burct/=
geführten mett/obifcfyen ©rfcfyöbfung ber Quellen unb Hilfsmittel, wenn aucr) bie 3erftücfe=
lung beS ©top unb bie bamtt berbunbene 2öeitläuffgrett bie Senkung fybcfyft ermübenb
macfyt. SDieö ©treben nach, metr/obifcf/er ^Durcharbeitung unb ümfbannung eines befttmmt 5
abgegrenzten ©ebietS, WeIa)eS ilm 3. 33. ©emier gegenüber auszeichnet, mact)t aud) feinen
„(Entwurf einer boüftänbigen §ifiorte ber römifcfyen $äbfte" 1756, 21758, unb nocb, mef)r
feinen „(jntWurf einer bofiftänbigen §iftorte ber ^ircfyenberfammlungen", 1759, Wertboll.
2lucb, fonft gef>t er auf möglicfyft boUftänbige ©ammlung gleichartigen ©toffeS aus, fo in
ber Bibliotheca symbolica vetus, 1770. ©in är/nlicfyer ©eftcf/tSbunft liegt aucb, ber 10
bon if>m unter SJittmirfung Slnberer herausgegebenen „9?eueften SfteügionS^efcr/icfyte", 9 Xle,
1771—83 ju ©runbe. älucb, eine feiner legten ©Triften, bie mit bolemifcfyer ^ücfficr/t
auf ©emier unb befonberS auf Seffing (©treit über ©cfyrtft unb SErabttion) abgefaßte
„üritifcfye ünterfudjmng bom ©ebraucb, ber b,I. ©cfyrift in ben 4 erften ^afyrljwnberten"
1774, ift alö SRaterialienfammlung nocb, brauchbar, obgleich fie alles anbere efyer als 16
„rritifcr;" ift unb feine böHige Unfähigkeit geigt, ben Äern beS ©tretteS aucf) nur ju faffen.
23on ben übrigen ©cfyriften 2Ö.S feien nocb, genannt: Antiquitates pallii philo-
sophici veterum christianorum, 1746. Historia Canonisationis Caroli Magni,
1750. 2Bab,rb,aftige ©efcfejcbte ber fei. grau ®atb,arina b. 23ora . wiber @ufebii
(SngelfyarbS 9Jcorgenftem ju SBittenberg, §alle 1751, 21752— 54. ©eutfa)e 9reicI)Sl)iftorie, 20
1753. Historia Adoptianorum, 1755 (fyemacb, überarbeitet in 33b IX ber $etjer=
gefdncfyte). Historia Protopaschitarum, 1760. Disputatio adv. Tindalium, justis
Jesum auxilio venisse temere negantem, 1771. De symboli Athanasiani
particulis, quibus necessitas fidei cath. commendatur, 1774. WevöonaQaxlrjzojv
historia, 1781. — Scicfyt gu bergeffen feine Wichtige ©ammlung ber Monumenta me- 25
dii aevi, ex bibliotheca regia Hannoverana in 2 voll. (6 gaSjifeln) 1757 — 1564;
aber aua) eine ^üologifcfye 33ibIiot§e! Wirb 1770 ff. bon bem bielfeitigen ©elebrten b,erauS=
gegeben.
£)er SRacfyruf ber ©öttmger tbeol. galultät rühmte feine Sfyarafterfefttgfeit, fein gutes
§erj, feine ruhige ©emütSart, Offenheit, SDtenftfertigfeit unb ©efäHigfeit, feine „ganj 30
unbergleidjilicfye ©ottergebenr)ett unb SDuIbfamfeit" (233. Wlöüet t) ®- Sawcrau.
3Salbetf=^tttrmont, !trct}Itcr; = ftattftifcf;. — prftlicf) walbecfifct)e§ «Regierungsblatt ;
©efe|: u. 33erorbnung§=©ammIung für bie etiang. Ätrdje ber gürftentünter Sßalbect unb $ör=
mont (feit 1896); 8. ßiirtse, Sie fivc£)Iicf|e ©efe^gebung beä gürftentuntS SBatbecf, 2lrolfen
1851; berf., ©efcbicfjte b. enang. ÄHrcbenuerfaffung in bem ^ürftentume Sßatbecf, Streifen 1850; 35
©. Srtebberg, Sie geltenben SSerfaffuncjSgefe^e ber euang. beutfcfjen £anbe§tird)en, gfreib. i. S.
1885, S. 828 ff. u. Supplemente; 3. gretenfen, Staat unb fatt)oIifcf)e Sirene in ben beutfc&en
93unbe§ftaaten, Stuttgart 1901 (in ©tu£, Sirctjenrecfititifie Stbbanblungen, §eft 25/26);
SS. <5d)u(i3e, ^SaIbecItfcE)e [fteformatton§gefc£)itf)te, Seipjig 1902.
25te gürftentümer Söalbecf unb $r/rmont §ät)Iten im ^cfyxt 1905 in einem ©ebiete 40
bon 1120,96 Quabratfüometer 59127 @inmob,ner (1900: 57 918), barunter 56 341
(55285) @bangelifcbe, 1890 (1831) Üatl;oliIen, 629 (637) ^uben, 259 (164) „anbere
Triften", 8 (1) „©onftige unb unbefannt" S)ie ^a^I ber Mifcfyer/en belief fia) @nbe
1906 auf 120 (1905: 122). %n biefen War in 61 (51) fallen bie ^inbererjiebung
ebangelifa), in 35 (45) fat^olifcl), in 5 (3) gemifct)t, in einem gaUe unbeftimmt. 2tuS= 45
tritte jum $atfyo!ici§mu§ fanben nicr)t ftatt, Wol)t aber 3 ju nia)t lanbeöürd^Iic^en ©e=
meinfc|aften, anbererfeitö 1 Übertritt bon ber !atb,olifcb,en jur ebangelifcb,en $ircr)e. ®er
lat^olifd^e 93eftanb be§ 2anbe§ ift l)auptfäc^ricr) baä @rgebni§ einer gewalttätigen ©egen=
reformation bon Mn au§ unb fbäterer (ginwanberung au§ bem benachbarten SBeftfalen,
bie, Wie e§ fc^eint, gu ^robaganbajWetfen abfic^tlicb, geförbert Wirb. 50
2)ie altlutbertfcfye ©ebaration, bie je^t 520 ©eelen umfafjt, fe|te 1864 ein unb er=
langte 1866 ftaatlic&e SlnerJennung. ©ie ©emeinben Werben in ^tirmont unb in Söalbedf
bureb, je einen ©eiftlia)en bebient; baö tfyatfäcf)Iui/e 33erb,ältnig jur £anbeäfircb,e ift ein
freunblict)e<§. Übereifer auf ber einen ©eite unb SureaufratiSmuS ber Jt'ircbcnbefyörben
auf ber anbern ©eite, Welche bamalS bie Trennung berurfacb, ten, gehören beibe ber v^er= 56
gangenbeit an.
©ie ©efamterf Meinung be§ ürc^licb.en unb religiöfen Sebenö ift eine erfreuliche. 9cacb.
bem amtlichen 33ericbt ift im %afyvt 1906 Weber eine Sauf* noef) eine SrauberWeigerung
borgelommen. ®ie 3af?I ber Jbmmunifanten belief fidt) auf 40984 (190« > ; 42 122),
798 aßalbecf^rmottt
barunter 18653 männliche unb 22 331 toetbltdje ^erfonen. Qn biefer £inficr;t ftefyt alfo
2öalbed unter ben beutfd)en Sanbe^ürc^en mit in erfter Sinie, obmofyl ein 9tüctgang ftatt=
gefunben l>at. ®er 5lircr;enbefucf; rub,t burcfygängig nod) auf ben feften ©runblagen ber
Vergangenheit. ®ie djriftltd)e SiebeStfyätigteit betoegt fiel) feit Qafyren in rafc^er ©teigc=
srung; ber @rtrag ber Äotteften toucf)3 in ben S^ren 1900—1906 bon 15 884 SRI. auf
21059 2Ri, toobon ber £aubtanteil ber §etbenmiffion jufäHt (1463 3JH.). tinter ben
2lnftalten ber Siebelt^ätigfett fielen boran ba3 ©obfyienfyeim in Reifen unb ba§ mit einem
großen ^ranfenfyaufe berbunbene £)iafoniffenf)au<§ in Streifen, beibe3 Stiftungen ber im
g. 1888 beworbenen gürfttn Helene. £e§tere3 jctylt je|t (1906) 42 eingefegnete unb
10 32 ^ßrobefd^tüeftem. (Srftrebt wirb bie ©rünbung eines §aufe<§ für berfrütobelte unb
ebilebtifcfye ßinber. ©er Verein bom blauen ßreu^ b,at an begebenen Drten gufj ge=
fafjt, bie cf/riftlidje Mbortage orgamfiert jtdj weiter. Vefonberer Beliebtheit erfreut ficb,
ber ©ufiab 2IboIfberein neben bem neuerbingS audj» ber ebangelifdje Vunb Beachtung ge=
funben b,at.
15 SDer (Sinfhtjj ber ®ir$e auf ba§ ©clmltoefen ift nocb, ein großer. 3)em 9toigion3=
Unterricht liegt ber Äatecf;i3mu§ Sutfyerg ju ©runbe.
2Ba§ ben ÄonfeffionSftanb anbetrifft, fo tritt bie toalbecfifdje £anbe§fir$e bon born=
herein mit Iutf)erifd)em SEt/buS auf unb fdmf ftdj in biefem ©inne 1556 iljre ^irc^en=
orbnung. Sie jtoeite (1640) unb bie britte (1731) rebibierte SluSgabe bezeugen bie
20 2öeiterentftncMung im ©inne be§ ftrengen 2utf>ertum<§, infofern fie bie Verpflichtung auf
ben ganzen ^nfyalt be<§ $onforbtenbudj§ forbern. 2BatbedE b,atte nur eine r/effifct;=refor=
mierte ©emeinbe, aufterbem eine flehte ©rubbe jugetuanberter reformierter gamilien in
2lrolfen unb 2Bilbungen, bie jebodb, am anfange be§ 19. ^afyrfyunberts nur nod) ein
fonfefftonetfeS ©djeinbafein führten. SDer auify in ber roalbecfifcfjen $ircf)enbel)örbe jum
25 ©tege gelangte ^Rationalismus erreichte 1788 bie 2lu3fd)altung ber Äonforbienformel unb
am 23. ^uni 1821 bie @infüf)rung ber Union, obtoob,!, Wie bemerft, bamalS nur eine
fyalbreformterte ©emeinbe mit einigen §unbert ©eelen borfyanben toar. ®a§ in fyödjft
Miliaren 2lu3brücfen abgefaßte ©cfmftfiüd: forbert nur „eine SluSgletdjung ber rituellen
formen", mäfyrenb naib genug ber $onfeffion3unterfa)ieb al§ ntd^t mel)r borfyanben be=
30 jeic^net roirb. ©agegen Inübft § 1 ber ©tmobalorbnung bom $. 1873, Wenn aud) in
borficf/tiger 2Beife, toieber an bie reformatorifcf/en Vefenntniffe an unter au3brücfltcr/er
Nennung ber 2tug3burgifcf;en ^onfeffion.
®ie fircfyltcfye Verfaffung mar bon Slnfang an auf ben lanbe§f)errücl)en ©ummebi=
ffobat gefteßt. SDie Äonfiftorialorbnung mürbe in Verbinbung mit bem ©ummebif!obat
35 ^aubtfäc^licb, burcf) eine §öd)fte Verorbnung bom 2. !0iärj 1853 begrünbet, bie in ifjren
©runbjügen b,eute nocb, ju 9?ed)t befielt. ®a§ Sebeutfamfte im lanbe^fircl)Iicb/en Ver=
faffung§leben ber golgejeit mar bie (Sinfüfyrung ber ©i^nobalorbnung am 18. gebruar
1873, bie fiel; in ber §aubtfac£)e an bie entfbrecfjenben formen in ben beutfdjen 2anbeg=
Eirenen anlehnt. 5Rit ben injtüifd^en borgenommenen Slnberungen mürbe fie am 19.©eb=
40 tember 1901 neu bubliäiert. 2tu3 ber fbätern lircljlic^en ©efe^gebung finb fyerborjufyeben :
^tre^engefe^ über bie Veranlagung unb ©rfycbung ber 2anbeöfircb,enfteuer, 31. SRär^ 1898;
Regelung be§ SDienftein!ommen§ ber ©eiftlicljen, 21. ©ejember 1898; ^enfionierung, 2lb=
junltur, Vüariat 19. ©ejember 1900; Ianbe§lircf)lid)e ©emeinbeorbnung 25. gebruar 1901;
Beteiligung ber ©emeinben bei Vefc^ung ber ^]farrftellen 19. ©ebtember 1901. 9Jtel)rere
45 in ber Sanbeäfimobe 1906 borgelegte ©ntmürfe ju !ltrcf;engefe£en über ©emeinbeorbnung,
ürc^lic^e ®i§jiblin, 3ugef)örigl'eit jur Sanbegürcb.e u. a. finb noef) nicf)t jum Slbfc^Iufe
gefommen.
®a§ l^onfiftorium teilt fic^ in ein engere§ unb meitere§ ; jeneg bilben ein ben Vorfi^
füfyrenbeö toeltlic^eg TOitglieb unb jtoei geiftlicfje SiJütglieber ; biefeg befte^t jur 3eit auä
50 berfelben 2ln§aI>I bon TOitgliebern (ein toeltlic^e§, jtoei geiftlicfye). ®a§ ©efamtgebiet ber
Sanbeöürtt^e ift in 4 ©uberintenbenturen ^erlegt. — £>te Sanbe^nooe fe^t fiel) au3 16
3Jlitgliebern jufammen, bon benen 14 bureb, bie ^rei§fbnoben berufen unb 2 burefy ben
prften ernannt toerben. ©ie tagt alle 3 ^abje. S)ie 5lrei§^noben, beren 3JiitgIieber
bie ©eiftlicb^en be§ betreffenben äirc^enlreifeg unb eine gleiche Stngafyl ber burc^ bie
55 Slircr/enborftänbe geroäb^lten Saien finb, treten jctyrlicf; ^ufammen.
$Den Mrcb^enborftanb bilben ber ©eiftUcfye al§ Vorfi^enber, minbefteng 4 Weltliche
3Jtitglieber, ebentueü ber Patron. 3u aßen lirc^lic^en ©efe^en ift ba3 ^lacet be§ dürften
erforberUd), beffen lanbeg^errlicb.e ^ircb,enl)ob,eit burc^ ben 2lcceffion3bertrag mit ^reu^en
nicf)t berührt mirb. ^m @bangelifcf)en Uircb,enaugfd)ufe ift Söalbecf mit 3lnt}alt unb Sibbe=
60 ©etmolb grubbiert.
2BaIbctf=^rmont SBalbenfer 799
SDie fdjöne inbaltnoüe ©otteSbtenftorbnung ber roalbecfifcl)en ^Reformationstage ift
im Verlaufe beS 19. QafyrlmnberiS burc^) ben bcrftänbni§lofen Nationalismus faft gänglicr)
ausgerottet morben. Dljme fid)tlid)e 2ln!nüpfung baran mürbe 1888 eine Siturgie f>er=
gefteßt, bie jebocf/ in jebem gaße einen gortfd)ritt bebeutet unb ben Äircfyenborftänben
jur ©infür/rung empfor/Icn mürbe, bod) feiger mit nur teilmetfem ©rfolg. 2118 älgenbe 6
erfreut ftd) meiter Verbreitung baS mürttembergifd)e ®trd)enbud), baneben I)at neuerbingS
bie preufjifcf/e 2lgenbe (gingang gefunben. ©S mirb eine mid)tige 2lufgabe ber .ßufunft
fein, biefer 9tegellofigfeit ein ©nbe ju machen unb aus ben reidjen ©d)ä$en ber reforma*
torifcfyen Vergangenheit eine ber firdjlidjen ©igenart ber malbecfifcfyett 2anbeSfird)e ent=
fprecfyenbe 2lgenbe ju fd)affen. ©in neuer exponierter Äated)iSmuS SutfyerS mürbe 1899 10
im ftrd)Iid)en unb VolfSfcfyuIunterricfyt eingeführt. 25aS $al)r 1907 braute ein t>ortreff=
Ud)eS neue§ ©efangbud).
®ie fonfeffionelle ©igenart ber malbecfifd)en £anbeSftrd)e ift tl>atfäd)licf) lutljerifcb,
geblieben, ba bie Union com %ai)xt 1821 toon imaginären VorauSfe^ungen ausging unb
roefentlid) ftd) im 9tar)men ber %v)wm gehalten b, at unb galten fonnte, ba bon ber anberen 15
©eite 2tnfprüd)e fid) nid)t geltenb machten, ©inen mirflicfyen ©d)u| ber £eb,re b,at erft
ein 1906 »or ber SanbeSfrjnobe »err)anbelteS, aber nocb, ntd)t jum 2lbfd)luf$ gelangtes
firct;Iid)eS 3)tSztpImargefe£ aufgenommen, ©ine neue ^rüfungSorbnung für bie $anbi=
baten ber Geologie, meld)e aud) bie SRitwirtung eines SRitgliebeS einer beutfd)en eoan=
geltfcr^tfyeologifdjen gatultät t>orfteb,t, trat am 1. ^uni 1899 in föraft. 20
Sie Iatb,olifd)en Veftanbteile beS urfprünglid) rein et>angelifd)en SanbeS rühren, mie
fd)on bemerft, aus einer partiellen ©egenreformation b,er, meld)e ber ©rjbifdjof fcon&öln
in ben 20er 3al^r«n btS 17. $afyrfmnberts in ben meftlid)en (Grenzgebieten mit bemaff=
neter §anb burcfyfüljrte. .ßujug b)at fie fyemad) berftärlt. $u ^er älteften Iatb,oItfd)en
Vfarrei in ©ppe famen fyernad) bie Pfarrei 2lrolfen unb bie SftiffionSftation Vermont. 25
SiS 1869 ftanben bie ^atb,oü!en beS SanbeS unter ber 2tufftd)t beS ^onfiftoriumS unb
mürben ju IanbeSftrd)ltd)en 2lbgaben unb Saften herangezogen, bie erft aEmäl)lid) nad)=
gelaffen mürben, ^n jenem 2>ab,re ging biefe, aud) jei$t nod) gewichtige 2tufficr;t an ben
SanbeSbireltor über.
NeuerbingS breitet ftd) bie ©emeinfd)aftSbemegung aus unb bient ntd)t feiten feftie= 30
rerifd)en Veftrebungen als ©ecfmantel. mctov ©$uUje.
halben, £f)oma§ Do« f. fetter, %t). 33b XIII ©. 749.
SSalbcttfcr. — £ur ©efcfjicf)te ber gorfcöung. ®er erfte Stutor, ber bie @efcf)tc^te
ber SSatbenfer jum ©egenftanbe gelehrter gorfdiung gemalt Ijat, ift g-lactuS gllt)ricu§ (Cata-
logus testium veritatis 1556). 2)ie erften jufammenlnngenben SorfteHungen biefer ©efct)ic£)te 35
rühren bagegen Hon neumalbettftfcfjen ©eiftlid^en be§ 16. unb 17. galjrljunbertS ^er: 1. ©tro=
latno 9)iioIo (^aftor §u Stngrogna), Historia breve e vera de gl'affari de i Valdesi delle
Valli, «erfaßt 1587, gebrucft im Bulletin de la sociöte d'Histoire Vaudoise 17, p. 26 ss.
(fortan Bulletin cttiert) tti§ ^ran^Bftfct)e Ü6erfej3t 1603 uon Somtnique Stgnartf, Sßaftor non
SSißarS ; 2. ©ciptone Sentolo, Historia delle grandi e crudeli persecutioni fatte ai tempi 40
nostri in Provenza, Calabria e Piemonte, ed. Seofilo ®at), Jorre 1906: Herfafet 1595, gn=
I)att§anga6e xmb 3lu§funft über ben 9lutor, ber 1559—1565 ^aftor ju Stngrogna mar, Bul-
letin 14, p. 45ss. ; 23, p. 104ss. ®tefe betben älteften toalbenfifc^en §iftorifer ge^en über bie
Urgefdjidjte be§ SßatbenfertumS rafcfj tjiniueg. @8 lag aber ben frart^öfifctien ^Reformierten
baran, gerabe uon biefer tlrgefc£)tcfc)te eine genaue, urfunblid)e SarfteHung, bie für bie 45
3roecte ber tonfeffioneßen §tpotogetit unb Sßolemtf fict) eignete, ju befi^en. ®a^er erließ bie
Snnobe ber reformierten ©emetnben be§ S)aupt)tn6 im 3uni 1602 an bie ^Saftoren im ßm=
brunai§ unb SSal Eiufon bie Stufforberung: de ramasser toutes les Instructions, manuscrits,
proces et autres choses, qui pourront servir pour l'histoire de Testat, doctrine, vie et
persecutions des Albigeois et Vaudois, «gl. Bulletin 20, p. 117, ugt. p. 122. ^araufljin 50
fammelte SSignauj im SSot Suferua nnb ?lngrogna eine große gafjt 9Kanuffrtpte, bie fein
©of)n Sean im Cttober 1603 ber synode nationale p @>ap ü6erreid)te. gür bie Bearbeitung
biefeä Wateriateg fanb aber erft bie synode du Dauphine im Wäx^ 1605 eine geeignete
$erfön(id)teit in bem «ßaftor Sean «ßaul Herrin 511 Wtjonä, Bulletin 21, p. 63, 71, 84. 3m
9J?ai 1614 legte ^errin fein SKanuffrtpt ber franäöfiftfjen ^ationalftjnobe ju Sonneinö üor. 55
S)araufb;in mürbe baSfelbe nod) an alle einzelnen ©nnoben ber franjöfifd)en reformierten tirdje
unb an bie Sirene unb UniUerfität p ©enf pr (£tn|icl)t unb Prüfung gefdjicft, Bulletin 23,
p. 56s., 66, 74. ßrft naef) fo grunbltdjer SSorüerettung warb ba§ 9Serf in jroei Sänben
Histoire des Albigeois unb Histoire des Vaudois 1018/9 in ©enf gebrucft. G* entiprtctjt
gan^ bem apologetifcf)=polemifcf)en 3wec!e, ben bie franjöfifc^n-eformierte J?trd)e mit [einer §er= 6o
auSgabe uerfolgte: e§ ift ein SSerjud), bie bereits bei Beja, Wioio unb i'eutolo fid) finbenbe
800 Sföalbenfer
neuwalbenfifdje Segenbe, bafj bk „Walbenfifdje Strctie" ber etjrttmrbige lleberreft einer eoange=
Iifdjen ttrftrd)e fei, urfunbtid) ju beWeifen, ^erring S3eweife begegneten nirgenbS Stoeifet.
3)od) fanb fein Sefireben junädjft feine 9?ad)folger: «JSierre ©tlteg, SSalbenferpaftor jit £orre,
begnügte fid) in feiner treffficfjen Histoire ecclösiastique des eglises reformees recueillies en
6 quelques Valleys de Piemont 1644, neue Sluggabe 'ißignerol 1881, 2 33be (audj rjoHänbifd)
1657) bamit, fdjltdjt ju erjagen, wag er Don feinen SSorfafjren über bie Vergangen (jett feiner
©emeinfdjaft gefjört Ijatte, unb ^ameg 9tofj fdjlofe ftcf) in feiner Pansebeia Sonbon 1653 etnfad)
Herrin an. ©rft al§ bie 2Kafjacre§ Don 1655 bie 9luf merffamfeit ber ganzen proteftantifdjen SSelt
auf bie SSalbenferttjäler in piemont gelenft fjatten nnb in (Snglanb, ^oüanb, in berSdjweis eine
10 glugfdjrift, ein SSucf) nad) bem anberen über bie ©efd)id)te unb bie Seiben ber Sßalbenfer erfdjien,
unternahm e§ ber ehemalige SSalbenferpaftor Qean Seger in feiner Histoire generale des
Eglises övangöliques des Valleys de Piemont ou Vaudoises 2 voll. Leyde 1669, beutfctje
ileberfejjung Don Sd)Weinit>, S3reglau 1750, Ferring SBeroeife nod) ju üerDotlftänbigen. Söger
behauptet in roefentlid)er Ueberetnftimmung mit $errin: bie roalbenfifdien ©emeinben in piemont
15 finb ber lleberreft ber uralten, einft üon ben Ipoftetn $aulu§ ober ^atobug Wmov auf ber SReife
nad) (Spanten geftifteten Stirdje ber 2(tpentl)äter (S3aKenfeg), bie burd) bie galjrljunberte alle
eigentütnlicb,feiten ber eüangelifdjen apoflolifcfjen Urfirdje rein bewahrt c)at. 23on ben 3rr=
tümern ber römifd)en ftlrdje warb biefe Äirdje baburd) gefdjiifct, bafj fie fid) pr 3eit $apft
Silüefterg I. Don fftom trennte. 2ln§ Sicfjt trat ber bamit gegebene ©egenfajj gegen 3vom aber
20 erftmalig, als ber SBalbenfer ElaubtuS (Sräbtfd)of üon Surin mar, f. b. 21. Söb IV @. 136 ff.
3)er Snoner Kaufmann S3albeS war nid)t ber Stifter jener eüangelifdjen Älrdje, fonbern einer
itjrer 2Jciffionare. 2Iud) bie 9teformatton Ijat ben Sßalbenfern fd)led)terbtngg ntdjtS Sfteueg
gebracht, fonbern lebigfid) iljrem uralten ©tauben in einem großen Seile ©uropag jum ©lege
üerfjolfen. Siefe SonftruEtion ift, rote bewerft, nidjt erft üon Herrin unb Seger ad hoc ge=
25 fdjaffen roorben. (Sie ift nur bie weitere Slugfütjrung ber fd)on 1580 üon SSeja in feiner Histoire
ecclösiastique des eglises reformees au royaume de France 1, p. 39 üerfod)tenen Stjefe, bafj
unter ben SSalbenfern feit bem galjre 120 ber reine apoftolifcfje ©taube üom SSater auf ben
Solm fid) immer rein fortgepflanzt Ijabe. Siefe SEljefe, weldje für bie Dieformterten in ber
Volenti! gegen bk Satrjoliten üon großem SSerte war, tjat eine lange unb üerwidelte SSor=
30 gefcfjidjte. (Sie fnüpft an an bie UrfprungSlegenbe ber italienifdjen SBaibenfer be§ 15. 3a(jr=
ijunbertS, bie it)rerfeitS wieber prüdgeljt auf bie alte, fdjon in ber erften§äifte beS 13. ^aijx=
ljunbertg üon ben SBalbenfent übernommene, fattjartfctje Sefyre üon bem Verfall ber römifdjen
tirdie feit ber Sdjenfung taifer Slonftantin§, ügl. ^affauer 2(nont)mu§ c. 4, p. 27 F. ©d)on
bie XBatbenfer be§ au8geb,enben SKVl.S behaupteten banad), ir)re ®ird)e fei ein lleberreft ber
35 apoftolifdjen Ur!ird)e, unb fie Ijabe barum ben reinen apoftolifdjen ©lauben bewatirt, weil fie
jur $dt be§ antidjriftlidjen $apfte§ ©ilüefter I. üon ber römifd)en Sirctje fid) foSgefagt b,abe,
ügl. SIaubiu§ (Setiffef, archep. Taurin., Adversus errores Waldensium c. 1, üerfajjt 1517,
gebrudt 1520. S^eu ift bei ^errin unb Söger alfo nur ber SSerfud], ben Sewei'o für jene
Stjefe S3ejag burd) gelehrte Kombinationen unb urtunblidje Belege im einjelnen'ju erbringen.
40 Sie waren be§ guten ©laubenä fotd)e urfunblidje Selege in reidjer güde in ber fog. walben=
fifdien Sitteratur ju finben. S)a aber biefe Hoffnung trog, fo wagte ^errin juerft einzelne
Stüde biefer Sitteratur burd) wiKtürüdje Datierung uitb fecfe Sej.tfälfd)uttgen für feine
ßwecfe tauglid) ju madjen. So üerfab, er bie walbenfif'die lleberfe^ung eineö SBud)e§ be§ Sufag
üon $rag (geft. 1528) über ben 9Intid)rift ob,ne weiteres mit ber Sabbat)! 1120 unb ftettte
45 au§ einem ftarf üerfälfd)ten SSriefe beä Sorben SKorel, au§ «riefen DefoiampabS unb SBucerS
eine angeblid) uralte rein eüangetifdje confession de foi ber SBalbenfer jufamtnen. Söger
folgte wenigften§ bei ber Datierung ber Belege feinem Seifpiele. Er fefcte j. S3. jene con-
fession de foi furjer^anb in baz Sa^r 1120, bie Srattate del purgatori unb del invocaciou
de li sant, beibe§ Ueberfe^ungen einiger Stapitel ber confessio Taboritarum uon 1431 unb
50 bie interrogacions menors, eine Ueberfe^ung be§ St'ated)i3mu§ ber böljmifdjen 93rüber, in
baS Safir 1100, ügl. §erjog, ®ie romanifd)en SSalbenfer @. 405 ff., bie Stüde felbft mit ben
fatfd)en SDaten bei "äRonaftier, Histoire de l'eglise Vaudoise 2, p. 246 ss. Dbworjl nun fdjon
SSoffuet in feiner Histoire des Variations des öglises protestantes, <ßari§ 1680, 1. 11, t. 2,
p. 119 ss. in t)öd)ft etnbrudSüoKer 2Beife bie (SdjroSdjeu biefer S3ewei§füt)rung aufbedte unb mit
55 großer ©eletjrfamfeit nadjwieS, bafj „les Vaudois d'ä present ne sont pas prödecesseurs,
mats sectateurs des Calvinistes", p. 191, obwohl alle namhaften proteftantifdjen Sird)en=
fnftortfer, 5Dco§l)eim, Hist. eccl. 12. saecl. p. 2, c. 3, § 11; 9?eanber, allgemeine ©efd)id)te ber
d|rt)tltdjen Religion 84, S. 106 ff.; ©iefeler, Se£)rbud) ber Strd)engefd)id)te 2, 2, §86 bie Un=
üeretnbarfett ber ganjen Sonftruttion mit ber edjten Ueberlieferung fiar ernannten unb ber
60 SSifdwf eb.arüas oon 5pineroio in einem eigenen SSudje auf§ umftänbtid)fte ifjre Ungefcb,id)tiid}=
!eit barlegte, Recherches historiques sur la veritable origine des Vaudois, 5ßari§ 1836 (aud)
italtenifd) Sorino 1838), tonnte man bod) be§ £ruge§ nid)t|)err werben, fo lange man nid)t
ba§ S3ewei§material ^errin§ unb Sögerg einer frittfd>en llnterfudjung unterzog. SDajn ent=
fd)Ioffen fid) juerft ^wei englifd)e ©eletjrte: SJcaittanb, Facts and documents illustrative of the
65 history of the ancient Waldenses, Sonbon 1832, unb Sobb, Discourses on the prophecies
relating to Antichrist, ®ubltn 1840 unb British Magazine 1841. SBeiter führte bann bie
llnterfudjung 3. 3. §erjog in bem ^aUtfctjen Programm De Waldensium origine 1848 unb
SSaJbcnfcr 801
in einem 9fuffa£e sur l'origine et les doctrines primitives des Vaudois, Revue de theo-
logie et philosophie chrötienne 1850. 91ber ben SobeSftofj ertjiett bie ganje 93ewei§füf)rung
$errin§ unb SegerS erft burd) 91. SS. Siecffwff in bem epodjemacfjenben 93ud)e : Sie SBalbenfer
im '»Dctttelalter, ©öttingen 1851. §ier würben nid)t nur bie ^älfd)ungen ^errine f(ar be=
miefen, fonbern jugleicf) jum erften 'SRate ber 53erfud) gemacht, au§ ben unjweifelfjaft ec£)ten 6
Quellen, inSbefonbere ben fattjolt^en $o(emifem, aber aud) fdjon au§ btn Urfunben über
bie Pauperes catholici ein jutreffenbeS 93ilb üon ben Setjreru ber mittelalterlichen SBalbenfer
ju entwerfen. Sabet üerfannte a6er aud) Siecftjoff nod) ben urfprünglidjen E&arafter ber
Stiftung be§ 93albe§. ©rft Sari TOitter rote§ in feiner ©ctjrift: Sie SBalbenfer unb ifjre
einzelnen ©ruppen bis pm 9lnfang be§ 14. ^atjrtjunbertä, ©ott)a 1886, überjeugenb nacf), io
baß SBalbeS nidjt eine ©efte, fonbern eine agfetijcfje 93rebigergeuoffenfd)aft geitiftet fjabe.
Samit war adererft bie ©runblage ju einer fjiftorifctjen SBürbtgung be§ SBalbenfertumS ge=
Wonnen, aber bocf) nur bie ©runblage. ÜRidjt üöttig geflärt war cor allem nod) bie 5rQge
nacf) bem Urfprunge ber fog. walbenfifcfjen Sitteratur. ga, biefe einft fo mafsloS überfctiäfete
Sitteratur war trog ber 93emüt)ungen 8- 3- ■&eräog^ ®ie romanifcfjen SBalbenfer, §aHe 1857 16
unb Ed. Montet, Histoire litteraire des Vaudois du Piemont, Göneve 1886, ibren relatiüen
SBert su erroeifen, fo bötlig in äfttfjfrebit geraten, bafe man ifjre SBertlofigfeit gerabeju fd)on
öffentüd) feftftetlen p bürfen glaubte, ügl. Sari SSJcüller, 5tfj88 1888> ^r- 14- ®a oeröffent=
licfjte SBenbelin Dörfler @g9l 1888, 2, ©. 753 eine ©tubie, in ber er e§ fjödjft watjrfdjeinlid)
mad)te, bafs baS berüfjmtefte unb nacf) ber Bulgaren Meinung am ffrupellofeften üerunecfjtete 20
$robuft biefer Sitteratur, bie noblaleycon, nod) im 13. Sarjrfjunberte üerfafjt fei. Samit ift,
obwofjl bie üon görfter toerrjetfeene „tritifdje Unterfucfjung ber gangen Sßalbenferlitteratur unb
enbgiltige Söfung ber SBalbenferfrage" nod) auSfteben, jene $rage bocf) in ein neue§ ©tabium
getreten. ©§ ift wenigftenS foüiel feftgefteHt, baf3 bie walbenfifdjen £anbfd)riften nid)t fjiftorifd)
wertlog finb, fonbern einzelnes au§ ihnen jur ßtjarafteriftif be§ alten SBalbenfertumS benutzt 25
werben barf. — Sie italienifdjen Üteformierten, bie fict) fjeute nod) als SBalbenfer begetcffnen,
unb tt)re englifdjen unb franjöfifdjen ^reunbe tjaben lange gejögert, biefe ©rgebntffe ber
gorfcfjung anjuerfennen. ©rft ©milio Eomba f)at in feiner Storia dei Valdesi avanti la
reforma, Firenze 1880, bamit ben 9tnfang gemadjt. 9lber ganj ift ber alte, au§ Segenbe,
§älfd)ung unb gelehrter Kombination merfwürbig gemifdjte 2tbftammung§mötl)u§ nod) fjeute 30
nicfjt überwunben.
S3ibliograp l)te : 9t. SJtufton, Bibliographie historique et documentaire de l'Israel des
Alpes, $ari§ 1851 (fetjr reicf)t)altig, aöer troßbem unüoflftänbig); 933. 9c. SuDfieu, Essai bibliogra=
phique concemant tout ce qui a paru dans les Pays — Bas au sujet des Vaudois et en leur faveur
im Bulletin de la commission de l'Histoire desEglises Wallonnes t. 4,2 livre, 2a£>al)e 1889 35
(123 Hummern) ; Sobb, The books of the Vaudois, Sonbon 1885 (Ueberficfjt über bie engüfctje
Sitteratur); SB. SKeifle in Bulletin 16, p. 48 ss.: Ueberficfjt über SBalbenferfjanbfdiriften unb
Sßalbenferlitteratur in ber fgl. S3ibIiotf)ef p Jurin ; ^ean galla, Biblioteca Storica Valdese
1848—1898, 1. Autori Valdesi, 2. Autori non Valdesi in Bulletin 15, p. 160ss. (bie beutfdie
Sitteratur untioflftänbig); bie Societe de l'histoire des Vaudois plant fcfjon feit 1884 bie 40
Verausgabe einer tioßftänbigen SStbliograpfjie. S3ericf)te über neue 93ücf)er unb neu entbecfte |)ff.
regelmäßig in if)ren 33uHetm§.
Cluelien. I. sJOcittefalterlid)e geit. A. Urfunben walbenf if cfjer ^»erlunft. S9ibel=
Überfettung a) in franjöfifcfjer unb prooenjalifctjer ©pradie, f. o. 33b III <B- 125 ff. ; ugl. außer
ber bort angeführten Sitteratur ©. SSoigt, Sifctjof 33ertram non 50ce£ in Sabrbuct) ber @efefl= 45
fdiaft für lot^ring. ©efd). 5, ©.51 ff.; b) in walbeufifdjer ©pracbe f. 0. 93b III ©.139; c) in
beutfcber Sprache. Safj bie Ueberfe^ung be§ fogenannten codex Teplensis nicfjt walbenfifdjer
lierlunft ift, ift burd) 3ofte§ über allen Qmeifet' erljoben Worben, ogl. bie Sitteratur über bie
Sontroüerfe oben 93b III ©. 64, 51 ff. 9ceuerbing§ bat 91. (S. ©d)önbad) in feinen ©tubien jur
©efd)id)te ber altbeutfdjen ^vebigt ©SB91 pf)U.=f)ift. klaffe 147 B (1903), ©.128 ff. waf)rfd)ein= 50
lid) ju mactjen gefudjt, baf5 ber in bem Sobej 2684 saec. 14 ber 9Biener £>ofbibliotb,ef über=
lieferte ^falter Eopie einer walbenfifdjen Ueberfegunq fei. 91ber au§ ber 93eobad)tung, bafs
nad) bem ^affauer 91nontjmu§ bie SBalbenfer wie ber 91utor biefe§ ^falterS in $f 67, 31 ftatt
Increpa feras arundinis hirundinis lafen, folgt nur, bafj beibe Xeiie benfelben fdjfectjten
SSulgatatert benu^ten. ©benfowenig ift bie SBeglaffung ber SBorte tradentur in manus gladii 55
in $f 62, 11 fowofjl im (ateinifdjen wie im beutfdjen Xe^t ein fictjerer 93ewei§, ba bie £f.
aud) fonft oon 9fu§laffungen wimmelt. 9Ba§ ber Sobej fonft entljält, bie $t)mnen, baS
symbolum Athanasianum, fowie bie (Sinricljtung be§ Sei'te§ für ben Sfoftergebraucfj wiberfpridjt
bireft ber 9fnnafjme waibenfifdjer £>erfunft. 91nbere Urfunben: ßescriptum heresi-
archarum Lombardie ad Leonistas in Alamannia, üerfafjt nacf) S»cai 1218, ed. ^reger WWH eo
britte (fjtftorifdje) Sfaffe 13, ©.234 ff.; Sbfiinger, ^Beiträge jur ©eftengefdjidjte be§ 9Jcittei=
alter§ 2, ©. 42 ff., Soüation bei Butler. SBalbenfer ©. 22 f., im foigenben citiert nad) ben
93aragrap£jenjafjlen bei ?3reger. 93riefe lombarbifdjer SBalbenfer unb abtrünniger beutfd)er
93rüber üon ca. 1368: 1. 93rief beö Sombarben Sobann unb ©enoffen an bie 93rüber oon
©t. $eter in ber 9tu in Defterreicf), ed. Söttinger 2, ©. 355 ff., in itaüenifdjer lleberfe^ung 65
(Somba in Rivista Cristiana 15, p. 64—68, 120—125. 2. SBofjl biefelben lombarbifdjen
■üJceifter an bie gleidjen 9fbreffaten, überliefert unter bem falfcben Xitel Regula secte Wal-
!ReaI=(5ticöHo|)äbie für Ideologie unb Wit«e. 3. «. XX. 51
802 Salbenfer
densium hereticorum in einem 1870 Oerbrannten ©trafjburger Sftanuffrtpt Don 1404 ed.
Gf).©d)mibt, g^Zt) 22 (1852), @. 239 ff., als «ßelegftücl in einer fatbotifcben ^olemif in einer
&ff. oon Slofierneuburg, ed. Söflinger 2, @. 351 ff. tiefer SSrief ift roofjl älter al§ ber oor=
bergeljenbe. 3. 2lntroort beS abtrünnigen SruberS Sofjann (oon ^Srag? »gl. SDöHinger 2,
5 ©.352; Sodann Sefer ? ebb. @. 351), ungebrudt, nur ein ©tücf bei SUlülIer, SBalbenfer ©.103,
31. 1; 4. Surf) be§ abtrünnigen beutfrfjen Sruber§ ©iegfrieb, (Sitate bei SMller, ©. 118,
3t. 1, 126, 31. 3, ogl. Somba a. a. O. p. 125. — Septem articuli fidei, juerft erwähnt 1387,
Snfjaft unb «Reihenfolge narf) bem ©trafjburger W{. oon 1404, n>albenfifd)e Ueberfe^ung narf)
©enf 208 ed. SRontet, Hist. litteraire des Vaudois p. 198 s. ; ogl. aurf) Bulletin 4, p. 8 ss.
10 Son ben in ben fog. roatbenfifrfjen §anbfd)riften ju Sambribge, ©enf, ®ubtin erhaltenen
©rfjriftftücfen ftammen fidjer au§ öorreformatorifcl)er Reit bie £et)rgebicf)te: 1. Nobla leycon
ed. Herrin, Histoire des Vaudois; ©. "äJcorlanb, History of the Churches of Piemont
p. 99— 118; Seger, Histoire 1, p. 26ss.; fjtatjnouarb, Choix des Poesies des Troubadours
1817, t. 2, p. 73—102; 'iüconafrier, Hist. 2, p. 246ss.; ^er^og, ®ie rontani)'a)en SBaibenfer
15©. 445— 457; gr. Slpfelftebt in ^errtg§ 2trd)io 62 (1879), ©.274-288; ISb. hontet, La
noble lecon, texte original etc., «ßartä 1888, ugl. baju SB. görfter in ©g3t 1888, 2,
©. 753 ff. u. ö.; neue 2lu§gabe für bie D?omanifrf)e Sibliottief angefünbigt oon ®. görfter.
2. La Barca; 3. Lo novel Sermon; 4. Lo novel Confort; Lo payre eternal; 6. Lo des-
preczi del Mont; 7. L'avangeli de li quatre sementz, fämtlirf) jum Seil berauSgegeben Oon
20 fjtaünouarb 2, p. 103—133, oollfiänbig mit einem 8. arg forrumpierten «ßoem L'oraczon nacf)
Sublin Trinity 21, Tab. 5, Class. C oon ©iooanni Salma im Bulletin de la societe de
l'histoire des Vaudois 23 (1906), p. 1—55, neue 2lu§gabe für bie romanifrfje SibliotrjeE an=
gefünbigt oon 28. görfter. Son ben profaifrfien ©tücfen ftammen auS oorreformatorifrfier geit
roofjl nur bie unten unter IV, 2 angeführten fämtlirf) für bie ©efrf)trf)te ber ©enoffenfdmft
25 fetjr wenig ' btetenben Ueberfetsungen fatl). SSerfe. — Srief ber S3ranbenburgifd)-^ommerfrf)en
SSalbenfer an bie SBörjmtfrtjen Srüber au§ bem g-rül)jat)r 1480, erhalten nur in tfd)erf)ifd)er
lteberfet;ung in ber ungebrucften Historia fratrum Slat)o§laü§, beutfrf) bei ©oll, Ouetten unb
Unterfurfjungen jur ©efrfjtdite ber bötmt. Sriiber 1, ©. 121, 9?r. 18 unb SBattenbarf) in 213321
1886, ©. 88 ff. — SSrief be§ Sarben SartfjoiomäuS £ertianu§ Oon TOeana, detta della grossa
30 mano, an bie SBalbenfer be§ SSal $ragela§, ed. s3Jcor(anb, History p. 180 ss.: narf) Herrin
oerfafjt 1375. 2lber bei s3)ciolo, Historia p. 109 figuriert Xertian in ber ßifie ber Sarben fjtnter
©iooanni ©irarbo bi SJJeana, il quäle andö poi a Geneva e fu stampatore, unb Oor $tetro
SKaffone bi Sorgogma, ber 1530 al§ ©efanbter ju garel ging. l£r gehörte alfo bem erften
drittel be§ 16. gabjbunbertS an, ba%u ftimmt ber Qntjalt be§ Sriefs. ®r roeift in feinem
35 $uge über 1507 pvücf, unb über 1533 fjinauo. — 3>a§ anonyme ßibell gegen !ynnocenj IV-
ed. SBincfelmann, Acta imperii inedita nr. 48, 2 p. 520, ift nirf)t beutfrf)er (£>aucf, S'irdien=
gefd)irf)te S)eutfrf)lanb8 4, ©. 822 f.), fonbem italienifrf)er |)erfunft, ogl. bie ^talianiämen
rivalitas, azio, sinceritas, mungere z=. melfen. 2>er ©tit toeift auf bie Sanjlei be§ $eter be
SineiS, nirf)t auf SBalbenfev.
40 B. Quellen f atfjotifrfjer §er!unft. 1- Walteri Map, Liber de nugis curialium
distinctio I, c. 37 ed. 5Brigt)t (Camden Society 1850), p. 64ss., aurf) MG SS 27, p 66ss.,
aufgezeichnet roob,l furj narf) 1179. Chronicon universale anonymi Laudunensis, oerfafd
ca. 1220 oon einem «ßrömonftratenfer ber S)iöcefe fiaon, Sv^ 26, p. 247 — 449. Stephanus
de Borbone, Tractatus de Septem donis Spiritus Sancti c. 342 s., ed. Lecoy de la Marche,
45 Anecdotes historiques tir6s du recueil inödit d'Etienne de Bourbon, $ari8 1877, p. 290 — 297,
c. 349—353, p. 307—314: oerfafet jloifcf)en 1249 unb 1261, benü£t in ber Vita Alexandri III.,
SJJuratori, Rerum Ital. SS 3, p. 447 ss. ©ogenannter $affauer3lnonümu3, früher ^5feubo=9teiner
genannt, gebrucft j. %. bei §laciu§, Catalogus testium veritatis ed. Francofurt. 1666, p. 641 ss. ;
©retfcber, Scriptores contra sectam Waidensem unb Opp. 12, 2, p. 24 ss. b,iernarf) im folgen;
50 ben citieri), BM 25, p. 262 ss; ein ©tuet einer beutfrfjen Üeberfepung saec. XIV- ed.£). §aupt,
3^© 23, ©.87 ff.: oerfafjt um 1266 loafirfrfjeinlid) oon einem 2)omtmfaner ber SDiocefe
«ßaffau (jur Datierung ügi. ^reger in Wm\ 13, ©. 184 ff., 234 ff. unb 18,1, ©.30; berf.,
©efcl)id)te ber beutfrfjen 9Jct)ftit 1, ©. 411ff.; berf., Evangelium aeternum unb 3oarf)hn üon
glorig ©.33 ff.). — Petrus Engelhardi de Pilichdorf (^rofeffor %ü SSien), Tractatus contra hae-
55 resin Waldensium ed. ©retfrfjer, Scriptores contra sectam Waidensem unb Opp. 12, 2,
p. 50ss., BM 25, p. 277 ss., ügl. «ßreger in 3BR21 13, 1, ©. 188f.; ^»uef, ®ogmenf|iftor. S3ei=
trag ju ©. 18 ff., üerfafst. 1395. — 3lu&erbem: Bernardus, abbas Fontis Calidi («ßrämon=
ftratenferabtei gonteaub in ber ®iöcefe sJJarbonne), Tractatus contra Vallenses et Arianos
ed. ©retfdjer, Trias Scriptorum adversus Waldensium sectam unb Opp. 62, 2, p. 196 ss.,
60BM24, p. 1585 ss.: oerfafjt ca. 1188 (bamatg ber 2lutor jule^t ermäbnt, fein 9?arf)folger
begegnet ?,uerft 1193, ogl. Gallia christiana 6, 267, SariaRütter, JSalbenfer ©. 141 f.) ; Alanus ab
Insulis, Summa quadripartita adversus huius temporis haereticos 1. 2, MSL 210, p. 37 1 ss. :
Oerfafst Oor 1202, f. o6en Sb I ©. 284; Ebrardus Bethuniensis, Liber Antihaeresis c. 25 ed.
©retfrfjer, Trias unb Opp. 12, 2, p. 177 ss.: oerfafjt ca. 1210, ogl. feud, ®ogmenb,iftorifrf)er
65 Seitrag ©.22 f. Sie Sriefe 3nnocenä§ III. über bie Pauperes catholici aug ben Rubren
1208—1212 ed. Salute 1. 11, nr. 196—198; 1. 12, nr. 17, 66—69; 1. 13, nr. 63, 77, 94;
1. 14, nr. 92, 90—94, 96, 146; ogl. Burchardi et Cuonradi, Chronicon Urspergense ad
SBolbcnfcr 803
1212/13 ed. $erj3 in SS rerum Germanicum p. 99 s. Ißeter be SSau^ßernat), Historia
Simonis comitis de Monte-Forti c. 2, 6; ed. $ud)e§ne, Hist. Franc. SS 5, p. 557, 5G1.
Guilelmus de Podio s. Laurentii, Super historia negotii Francorum adversus Albigenses
c. 8 s., ebb. p. 672. Caesarius Heisterbac. Dial. 1.5, c. 20: üevfafjt 1220/1. Salvus Burce,
„nobilis laicus, tarnen et litterarum inscius" aitä ^iacenja, Liber qui dicitur Supra Stella! 6
ed. Söttintjer, Seiträge 2, ©. 62 ff. : üerfafjt 1235; Moneta Cremonensis, Adversus Catharos
etValdenses, ed. Ricchini 1753: üerfafjt ca. 1240, rjgl. Scüfler ©. 145 ff. Rainerus Sacchoni,
Summa de Catharis et Leonistis ed. Martene et Durand, Thesaurus novus Anecd. 5,
p. 1775ss.; üerfafjt um 1250.— 2. $ur ©efdjidjte ber frartjöf if d)en ©albenfer: Concilium
peritorum Avinionensium quo declaratur qui dicuntur credentes, ©utad)ten beä 3)ominifaner= 10
prior« Sodann üon Slütgnon unb ©enoffen für einen ^rojefj gegen 23albenfer in 9lrle#, ßff.
SSotfenbüttet 349, Cod. Helmstad. 315f. 228, ügl. Wüüev, ffiaibenfer ©.72: uerfa&t 1235.
$rotofot(e ber gnquifttion be§ *ßeter Sefla üon 1241/2, j. SC. ebiert Bon 2ea, A history of
the inquisition 2, p. 579 ss. Consultatio ad inquisitores be§ ©rjbifcfjofS $eter 91rbelate Don
SEarragona unb feiner ^rolnnäialftjnobe üon 1242, öoßftänbig in ber Doctrina de modo is
procedendi contra haereticos ber Ignquifition Don ©nrcaffonne «nb S£ouloufe üon ca. 1280,
ed. 9Jcartene=®uranb, Thesaurus 5, p. 179 ss., ügl. «Füller, SSalbenfer ©. 72, 142 ff.; 3>ouat§,
Les her^tiques du comte" de Toulouse im Compte rendu du congres international des Catho-
liques, <ßari§ 1891 (S5ertd)t über Msc. 209 ber ©tabbtbltotfjef üon Stouloufe mit 3?act)ricf)tert
über 5638 Se|erüer£)öre im ^abre 1245/6). Consultatio be§ @rabifdjof§ <Jkter 9(meliu§ üon 20
üßarbonne unb ber ©rmobe ber $roüinjen 92arbonne, Slij, 9lrfe§ ju 9tarbonne 1243 ober 1244,
Mansi 23, p. 365 ss., ügi. Mütter ©. 72. — Urfunbenformeln ber ^nquifition ju @ar=
caffonne (?) au§ ber geit üor 1250, $ff. SBolfenbüttel 349 (Helmstad. 315), f. 239 ss., ügl.
9MUer ebb. Slften ber ^nquifition ^u ßarcaffonne, ©nbe bei 13. unb Slnfang be§ 14. 3afjr=
bunbert§, SluSjüge bei SDöHinger 2, ©.lff., 30 ff. ®a§ ©tücf ©. 1 ff. auct) bei «Bcartene» 25
®uranb, Thesaurus 5, p. 1754 ss., ügl. sJ0cüHer ©. 166 ff. — Articuli in quibus errant mo-
derni haeretici, üerfafet ca. 1300 in Histoire du Languedoc ed. Su Saurier t. 3, p. 986. —
9Iu§pge au§ ben $rotofoHen ber Ignquifition im ßangueboc Anfang be§ 14. Sabjbunberr» ed.
SDöHinger 2. ©. 97 ff. — Formulare au§ bem 9lrtf)iü ber Snquifition ju ßarcaffonne, ebb.
©. 286 ff. Liber sententiarum inquisitionis Tholosanae ab a. 1307 ed. a. 1323 ed. al§ 9tnf)ang 30
Simbord), Historia inquisitionis Amstelodami 1692. — Bernardus Guidonis, Practica inqui-
sitionis ed. Souciiä, $cirt§ 1886: üerfafjt ca. 1321, ügl. 'ättüEer @. 160 ff. — 3. gur
©efcfjtcfite ber Iombarbifd) = beutfd)en ©ruüüe: ©alüu§ S3urce, Söconeta, deiner ©acdjoni,
$affauer 9lnonrjmu§ f. o. unter 1. Frater David 0. M. (uon 91ug§burg), Tractatus de
inquisicione haereticorum ed. 9Jcartene=Suranb, Thesaurus 5, p. 1777 ss. nad) einem fd)led)ten 35
unb unüoUftänbigen Sejte, beffer $reger in3MK9t 3. St. 18, 3, ©. 204 ff.; ein ©tücf bei 2)öÜmger
2, ©. 515 ff. ogl. «SMUer ©. 157 ff.: uerfafjt äroifcben 1256 u. 1272. — SSertfyoIb üon Dtegenäburg,
^rebigten gegen bie Äejjer 9tu§äüge bei 91. S. ©djönbadi, ©tubien jur ©efd)id)te ber altbeutfdjen
Sßrebtgt, 2Siener@ij3ung§beridjte, SSb 147, 9Jr. 5. Inquisitio haereticorum facta Chremse (®rem§
in Oberöfterreict)) per dominum Ortolfum Müringarium decanum loci eiusdem, ed. {Jrieß, 40
Defterreid)ifd)e SSierteijcujr§fd)rift für tatf). Sbeologie 11, ©.254 ff., üerfafjt 1315. ©ötraei^er
Fragment üon 1340 ed. Mencik, Vyslech Valdenskych ca. 1340 in ©fe. ber fgl. 33öbm.
©efeHfd)Qft ber 28iffenfd)aftert, WM- klaffe 1891, ©. 280 ff., ügl. §auüt in 3S© 14, ©.lff.
ebb. ©. 15 ff. einige auf bie gleicben ^rojeffe bejüglidje Urfunben. — Hermannusde Schilditz,
O. fr. Aug., Tractatus contra hereticos Leonistas sive Pauperes de Lugduno, ungebrudEt, 45
»gl. £. ^aupt, 9ietigiöfe ©eEten in granfen ©. 21: oerfafet 1342— 1345. 3ot>anne§ Sefer
(ehemaliger SBalbenfer), ©d)rtft gegen bie SSalbenfer, §f. in flofterneuburg, 3lu§jug bei
SDöHinger 2, ©.351 ff., üerfaJ3t ca!"1368. — Slften unb Stufjeidmungen au§ ber ^nquifitton beä
^etru§ gtoicfer O. Coel. unbäicartin üonSlmberg üon ca. 1380 bis ca. 1403: über $rojeffe in
SSranbenburg unb «ßommern 1393/4 Sßolfenbüttel cod. nr. 438, ügl. SB. SSattenbadi, ^e^er= so
gericfjte in $ommern unb ber Sölarl SSranbeuburg ©33Ä 1886, ©.47 ff.; berf., lieber bie
gnquifition gegen bie SSalbenfer in Sommern unb ber äftarf Sranbenburg 91S91 1886, 9fr. 3;
über ^ro^effe in Oefterreid), ©teiermar!, Ungarn: 1. 9cotat über bie Stfteifter ber ©efte im
3abre 1391/2 ed. Briefe in Defterr. SStertelja^räfdjrtft 11, ©.257 ff.; SDöüinger 2, ©. 367 ff.
2. S3erid)t be8 Snquifitor§ $etru§ an bie |)eräöge SMIjelm unb 9llbred)t üon öefterreid) 1395 65
ed. Briefe, ebb. 11, @. 262 ff.; «ßreger «3R91 (3. fif.) 13, ©. 246 ff.; ©ÖHinger 2, ©.305 ff.
3. SSrief ber ^erjöge ?tibred)t unb SBilbrim 1397 ed. grtefj a. a. D. 11, ©.271 f. 4. «ßrojeffe
gegen s38albenfer in Oefterreid) 1398 ed. ®öllinger 2, @. 346 ff. ; §. $aupt, SBatbenfertum unb
Snquifttion ©. 117 ff. 5. Urteil gegen ungarifdje SBaibenfer 1401 ebb. @. 114 ff. 6. Refu-
tatio unb Index errorum ed. ©retfcrjev, Scriptores unb Opp. 12, 2, p. 87 ss.; BM 25,60
p. 302 ss.; in boppelter Raffung SDöüinger 2, ©. 331 ff. 7. Puncta sectae Waldensium ed.
®öQinger in jroei Raffungen 2, @. 304 f. unb ©. 344 f. 8. De examinatione haereticorum
unb anbere Formulare ed. Briefe a.a.O. 17, ©. 252 f., 266— 277; baä erfte ©tuet aud)
3)öllinger 2, @. 301 ff. 9. S3er,5eid}ni§ uon 20 burd) bie beiben ^nquifitoren befehden
Weiftern, SDöHinger 2, ©. 330f. 10. Puncta quaedam haereticis proponenda ebb. ©. 677 ff. 6:,
11. Hec sunt manifesta per conversos de seeta Waldensium Bull. 4, p. 8ss. (f. oben
©.802,7). — 9(u§ berfelben 33erfolgung*äeit: Articuli heresium in Maguntia 1390 ed.
804 SSoIbenfcr
®öumger 2, 6. 620 f. 3trtifel ber 3tug§burger £ärettfer 1393, ebb. ©. 363 f.. auct) Defeie,
Rerum Boicarum SS 1, p. 620. Articuli Petri de Kirn et Conradi Falken 1393 ed. §aupt,
2)er roalbenftfc^e llrfprung beä Äobej £epl 6. 36. Strittet ber ungelaubigen laut, auS ber
®iöcefe (SicEjftätt ed. SBattenbacf) 63331 1887, 6- 519 ff.; ®öuinger 2 6. 613 ff. Factum hae-
6 reticorum, Sitten über bog 23erf)ör ber „SBinfeler" ju 6trafiburg 1400, Sluäjüge £>ei 3ftöt(rtc£|,
mt. au§ ber eoangetifcben Sirctje be3 glfaffeg 1855, 1, 6. 38 ff., t»gl. 9ftüller, SBalbenfer
6.165 ff. Regulae Waldensium ed. Krone, gra SBoIcino 6.201. — Sitten be§ «JärogeffeS
gegen bie SBalbenfer ju gretburg int Uedjtlanb 1430, Sludge bei Dctjfenbein, Slu§ bem
fdjtoetäertfdjen SSolfSleben be§ 15. gat)rt)unbert§ 1881. — ^rojeffe gegen branbenburgifdje
10 SBalbenfer 1458, »gl. SBattenbacf) 63331 1886, 6. 53 ff.; 31333t 1886, 9cr. 3, 6.71—87. —
9?ad)ricf)ten über bie märfifctje SSerfoIgung oon 1479/80 tht>. 6.87—94. — Italien, Saupbine,
^roüence: Tractatus de pauperibus de Lugduno, 6titcf eine§ 3nquifition§protofotl§ au§
einem ©cunmelroerfe über bie Steuer oon 1341, ed. ®öflinger 2, 92 ff., ugl. $reger in SlMSt
3. St. 19, 6. 641 ff.: oerfafjt tooU balb nacfj 1231 (Stugbrucf) ber großen SSerfoIgung in
15 2)eutfcf)tanb unb Stauen) in ber Sombarbei. — 9cotat über SSerfoIgungen in piemont 1297
bei Krone, gra ®olcino 6. 22. — Raynaldi Annales ad 1332 nr. 31; 1335 nr. 63; 1344
nr. 9; 1352 nr. 20 ; 1372 nr. 34; 1375 nr. 26 (päpfttiiiie 33riefe k. über SSerfoIgungen im
Saupfjine); anbere Stftenftücfe bei 9ftufton, l'Israel des Alpes 3, p. 341s. ; 1, p. 53 ss. ;
3fornier, Hist. g6n. des Alpes maritimes 2, p. 211 ss. — Ordre donne par Jacques
20 d'Achaie d'arreter plusieurs heretiques du Val Luserne oon 1354 ed. Sriuoire im Bulletin
7, p. 38 ss. — Comptes financiers presentes en 1366 par Francois Chay, chätelain de
Valcluson etc. ogl. Stjorier, Histoire generale de Dauphine 2, p. 391 ; Sombarb, Pierre Valdo
p. 23 ss. — 6entenj be§ ^nquifttorS SSoreüi gegen £>äretifer Oon 33atpute 2C. 1380, ed.
3- Sbeoalier, Memoire pour servir ä l'histoire des comtes de Valentinois etc. im
25 Bulletin de la Societe dep. d'arch. et de statistique de la Dröme 1895, p. 129 ss. —
Processus contra Valdenses in Lombardia superiori anno 1387 ed. 9lmati im Archivio
Storico Italiano serie terza t. 1, 2, p. 16 — 52; t. 2, 1, p. 1 — 61; jutn Seil aud) bei®öttinger
2, 6. 251 ff. — 33rief be§ 1)1. 33incenj gerrier an ben ©enerat be§ ®omimfanerorben§ üom
17. 2)ejember 1403, Acta SS Aprilis I, p 495. — Errors contra la fe catholica de Ca-
30 tharina Lauba de Thou en Corogna a. 1417 ed. Siöftinger 2, 6. 363 f. — 33erfjör be§
Sßljilipp Degi?, Locum tenens in Val S. Martino ed. SBeitsecfer in Kivista Cristiana 9, p. 364 ss.:
aus bem %at)xe 1451. — Albertus de Capitaneis, Origo Waldensium, ed. Slflij:, Some
remarks p. 207 ss., engltfdje lleberfetmng bei «corlanb p. 215 ss., frcuijöftfcf) bei Söger 2,
p. 23 ss.: »erfaßt 1489; berf., Historiae regum a Pharamundo etc. epitome bei Efjeüafier
35 1. c. p. 84 s. 3tften au§ ber Snquifition be§ Gattaneo Oon 1487/8 ungebrucft, analt)fiert v»on
ßtjeüalier im Bulletin de la Dröme 1895, p. 41 ss., 77 ss. unb öfter. SBertjör be§ Siarben
Martin unb ©enoffen 1492, ed. 91Uijr, Some Remarks p. 307 ss., ogl. Bulletin 12, p. 111 ss.
SSerpre im 33aIentino§ 1492 ed. Solumbi, De rebus gestis episc. Valentinensium et Dien-
sium, Lugduni 1652, p. 200 ss., SSerfjör ber $el)ronnette 1494 ed. Stltir. p. 318ss., ügl. g.
40 31rnaub, Bulletin 12, p. 27 ss., 67 ss. Enquetes sur les Vaudois de Pragelas etc. en 1495,
deux volumes dans la bibliotheque du marquis de Seignelai, benu^t üon 33offuet, Varia-
tions 2, p. 179 ss. Memoire de Rostain d'Ancezune archeveque d'Embrun 1496—1501
ed. Herrin, Histoire 2, p. 140ss. Processus contra Waldenses (ber Stadler greiffiniereä,
(Stufon 2C.) 1506 ed. Söflinger 2, 6- 365 ff. lieber anbere Urfunben berfelben geit unb
45 ©egenb ogt. Strnaub in Bulletin 12, p. 124 ss. — SlaubiuS 6erjffel, ©rsbifdjof oon Surin,
Disputat. adversus errores et sectam Valdensium, Aug. Taur. 1520. — 33rief be§ 33nrben
Morel an Oefotampab au§ bem Qnfjre 1530 ed. Scultetus Annalium evangelii passim per
Europam decimo-quinto salutis partae saeculo renovati dec. II, Heidelbergae 1620, p. 295 ss.;
Siecffjoff, Sie SBalbenfer 6. 363 ff. — 4. 33e*tef)itngen ju ben böfimifdien SSrübern:
60 3tu§äüge au§ bötmufcben Duetten bei ©oH, Quellen unb Unterfuc£)ungen jur ®efcb,id)te ber
böb,mifd)en SSrüber ], 6. 87—140. S3rief ber böfjmifrf)en SSvüber an bie SBalbenfer üom
25. Suni 1533, .£>erminjarb, Correspondance des reformateurs 3, p. 63 ss. Q. ßamerartuä,
Histonca Narratio de fratrum orthodoxorum ecclesiis in Bohemia, Moravia et Polonia
Heidelbergae 1605.
55 IL gjeujeit. 1. 3(nfd)lufe an bie Deformation. — ^erminjarb, Correspondance
des reformateurs 9 voll. ; Salüin, Thesaurus epistolaris, ügt. 3K© 25, 6. 159 ; 3- (Jatne*
rariuS, Lugubris narratio reliquiarum Valdensium et Albigensium Merindolii et in vicinis
«f-ÜU V1DClae itt ber ?(u§9«6e ber Historica Narratio Heidelbergae 1605, p. 303 ss.
33eldiluffe ber6pnobe oon Slngrogna Rivista Cristiana 4, p. 266 ss. ; über bie anberen ©tjnoben
60 ber golgejeit Ogl. Bulletin 20, 21. Srefpin, Histoire des martyrs, nouvelle Edition par
D. Benoit 1885. La campagna del conte della Trinitä, SSriefe, Oröonnan^en it., ed. (Somba,
Bulletin 21 u. 23. Lettere su i reformati di Calabria, Archivio Storico Ia serie 9, p. 193 ss
La confessione di Fede della Chiesa Valdese ed. domba, Firenze 1883 Slnbere 3(ften-
ftude bei ^errin, Seger, ©antuet ?Kortanb, The history of the Evangelical Churches of
65 the Valleys of Piemont, Sonbon 1658; %. 3(Qij, Some remarks upon the ecclesiastical
History of the Ancient Churches of Piemont, Sonbon 1690; new edition., Djforb 1821.
2. 33on 1571 — 1906. — lieber bie glorieuse rentröe: Journal de Fexpedition des
aSalbenfer 805
Vaudois par Raynaudin (?), Bulletin 5, p. 10 ss.; Relation du capitaine Robert, ebb. 9,
p. 2, ss. Henri Arnaud, Histoire de la glorieuse rentr£e des Vaudois dans leurs Valle'es
1710 (£>auptoerfaffer: 9varjnctubm); neue 9lu8gabe pgnerol 1880; cutcfj englifcb 1827, ogl.
Bulletin 5. 9lftenftücle : Raccolta degli editti delli duchi di Savoia promulgate sopra
gl' occorenti delle Valle di Luserna, Perosa, S. Martino etc., Torino 1679. g. ß. o. 9Jcofer, 6
91ftenmäfuge @efcbid)te ber Söalbenfer jc. im ^erjogtum Württemberg tn§befonbere, gürtcr»
1798; SB. Sieterici, ®ie ©albenfet unb rt)re SSertjättniffe ju bem 53ranbenburg=$reufuftf)en
Staate, 53erlin 1831. ©efd)uf)t§biätter beS beutfcben £ugenottenüerein§ über bie 38olbenfer=
lohnten in Seutfcblanb — SBaKborf in &effen=®armftabt 9Jr. 1, 8, 9?r. 8, 9; $erofa in 5Bürttem=
berg unb ®ornbol^aufen am £aunu§ 9Zr. 3, 5, 6, 10; Dtoljrbaä), JBembad), §af)n im 2>arm= 10
ftäbtifcfien 5Rr. 4, 1, 2,9, 10; $ina<f)e in Württemberg 9h\ 6, 3, 4; ©djönenberg in SBürttem«
berg 9cr. 9, 1, 10; SSürttembergifcbe Kolonien im 9tCfgemeinen 9?r. 11, 10; SMbenfer in
Hamburg 9cr. 11, 10; 5Balben§berg im Sfenburgiftfjen 9cr. 12, 4— 6, 9,10; ugt. 91. SRöfsqer in
Württemberg. Sabrbücber für ©tatiftif 1890/1, 53b 2, ©. 137 ff.; 1893, ©.261 ff. SSiel ur=
funblid)e§ Material aucb in ben Proceedings of the Huguenot society, in ber Rivista 15
Cristiana, im Bulletin de la societe" d'Histoire des Vaudois.
Sttteratur: ©efamtbarftellungen : bie älteften f. oben ©.799, 35 ff. baju bie ältefte
beutfcbe: „Watbenfer ßbjonicf, öon bem 1160. bi§ 1655. 3a&r. ©etrucft (p ©cbaffrjaufen) in
bem MDCLV Jgaör" : aud) ^otfänbifcf) Cronick der Waldensen, 9tmfterbam 1656. gerner:
$eter Softer, The History of the Vaudois, Sonbon 1692 (aucb franjöftfcr)) ; 9tteger, ®ie alten 20
unb neuen böf)mifd)en 53rüber, Stuttgart 1734; ?Jc. ©tragen, Historie der Cristenen Waldensen,
§arleml765; g. g. 9Kartinet, Kerkelijke Geschiedenes der Waldensen, 9(mfterbam 1775, 3. ed.
1826; 53re*, Histoire des Vaudois 2 voll., ^ariS 1796. Sie Werfe oon ß. üon SKofer
unb Sietertci oben 3- 5; WiHiam QoneS, History of the Waldenses, 2 voll., Sonbon 1882;
9tntoine äftonaftter, L'histoire de l'eglise Vaudoise, 2 voll, Geneve 1847, Supplement, 26
Soufoufe 1850; aucb, engüfd), Sonbon 1848, unb bottönbifd), 9?otterbam 1851 ; 91fej:i§ «cufton,
LTsrael des Alpes, 4 voll., SJkrtä 1851, 2e eU <ßari§ 1879, and) engiifd), Sonbon 1852,
beutfd) in einem 53anbe, 2)ui§burg 1857, fcbwebifd) in 133b, ©tocffyolm 1865 ; berf., Histoire
populaire des Vaudois, *ßart§ 1862; (5t)r. U. §afjn, ©efdjicbte ber Walbenfer unb oerroanbter
©etten, 2 53be, Stuttgart 1847; g. 53enber, ©efd)id)te ber Walbenfer, Ulm 1850; Amedee 30
Bert, I Valdesi, Torino 1849 ; Hudry-Menos, L'Israel des Alpes, Revue des deux mondes
1867—69, boöänotfcbe lleberfe^ung: Het Israel der Alpen, 2lmfterbam 1870; 3. 91. Wnlie,
History of the Waldenses, ßbinburgb 1880; 91. 53erarb, Les Vaudois, Srjon 1892. 9111
biefe 9lutoren folgen ber neu=toalbenftfd)en Segenbe, finb alfo nur für bie nad)reformatortfcbe
3eit brauchbar. ®ritifd)er: ß. ßomba, Valdo edi Valdesi avanti la Reforma, Firenze 1880, ab
baSfelbe Werf aucb franjöfifcb Florence 1887, englifcb 1889; berf., Storia dei Valdesi,
Torino 1893 (populär); berf., Histoire des Vaudois, 2 voll. Florence 1898, 1901; ©. Salto,
Compendio di storia valdese, Firenze 1902. ©ine allen 9lnfprüd)en genügenbe Sar=
fteuung febjt.
3ur ©efdiidjte ber Walbenfer im SOltttel alter: lieber bie Werfe oon ßbaröaj, 40
®iedboff, §er^og, Sari Söcüöer f. oben ©. 801. $. !ga§, Disputatio academica de Valden-
sium secta ab Albigensibus bene distinguenda, Lugd. Bat. 1834; 33- Sron, P. Valdo,
Pinerolo 1879 (unfritifcb) ; 9t. £au§ratb, Wettöerbefferer im 9Jc9t., 3. 53b, Seipjig 1895; g. 2occo,
L'eresia nel medio evo. ; $r>. ßb- Sea, A History of the Inquisition of the Middles Ages,
3 voll. SSb 1 je£t aud) beutfd), 53onn 1905; &§x. §ud£, ®ogmenbiftorifd)er Beitrag j. ©efd). b. 46
SBalbenfer, greiburg 1897; ^?. SUelia, The origin, persecutions and doctrines of the Wal-
denses, Sonbon 1870: 23. «ßreger, Seiträge jur ©efd). ber SBalbefier im 2R91., 91SU91 3. ft(.
13, 1, ©.179 ff.; berf., lieber ba§ 3?erbältni§ ber Saboriten ju ben SSalbenfern be§ 14. 3arjr=
bunbert§ tbb. 18, 3. kl, 53b 1 ; berf., lieber bie SSerfaffung ber franjöfifcben SBalbefier in ber
älteren 3eit, 91TO91 3. M. 19 (1890), 3.916t.; £. §aupt, ®ie reiigiöfen ©etten in granfen 50
öor ber ^Reformation, geftgabe jur brüten ©äfularfeier ber llnioerfität SBürsburg, 1882 ; berf.,
SSalbenfertum unb ^nquifition im füböftlicben ®eutfrf)Ianb, greiburg 1890; berf., %eue Sei=
träge jur ©efcbicbte be§ mitteialterlicben SBaIbenfertum§, §3 9?g25, ©.39 ff.; berf., §ufitifdje
^ropaganba in ®eutfd)lanb im §iftor. Safcbenbud) 9i. goige, 7. S3b ; berf., Seutfcfcböljrmfcrje
SBalbenfer um 1340 in 3S© 14, ©. 1 ff. ; SSinaö, Vaudois du Bas-Rhin in Bulletin 3 ; 3t. 93reOer in 55
3S©12, ©. 404 ff. (SBalbenfer u. 9trno(biften) ; Sß. SBattenbad), lieber £e£ergeritf)te in «ßommern
unb ber Waxt S3ranbenburg, ©3391 1886, ©.47 ff. SRadjtrctge ba^u ©5391 1887, ©.517 ff.
unb ©5391 1888, tigl. 915391 1886 9?r. 3; 3. ^eibemann, ©efcb- ber 3teformation in ber Warf
53ranbenburg 1889, ©. 54 ff.; ©od, Oueüen unb llnterfucbungen jur ©efcbid)te ber bÖbm.
33rüber, 1. 53b: S)er SSerfefjr ber 53rüber mit ben SSatbenfern, $rag 1878, 2.53b: $eter eo
Ebelcictv unb feine Sebre, «ßvag 1882; ^aurf, Sirijengefcfjtcrite Seutfdjlanbö 4.53b; 91. ß.
©d)önbad) f. 0. ©.801,49; 9c. Eb, orter, Hist. du Dauphine 1.2, 1671; berf., Estat publique
du Dauphine 3 voll., 1671 ; 3. 91. Sbabranb, Vaudois et Protestants des Alpes, ©renoble
1886; S- SSrunet, Les Vaudois des Alpes francaises, $ari§ 1888; 3. ßbeoalier, Memoire
historique sur les herosies du Dauphine, Valence 1890; (£. 91rnaub, Histoire des persö- 65
cutions endur^es par les Vaudois du Dauphin^ au XIIIe , XlVe et XV siecles im Bulletin
le l'hist. Vaud. 12, p. 17— 140; 9r. SüOoire, Les colonies Proveneales et Vaudoises de la
806 3Balbcnfer
Pouille ebb. 19, p. 48—62; beif., Storia dei Signori di Luserna, Bulletin 11, 13, 14,
17,20; W. 91. Dtorenco, Breve narratione dell' introduttione degli Heretici delle Valli,
Torino 1632; 3. %aüa, Notice historique sur le S. Ministere et sur l'organisation ecclö-
siastique des Vallies in Bulletin 14, p. 3 — 22 ; 16, p. 1 ss.
5 lieber bie ro albenfifcfje Sitteratur: ®iedE|off, ^er^og, «JMia f. oben ©.801 u.
805, 46 ; (£. 9Jcontet, Histoire litteraire des Vaudois du Piömont, 3$ari§ 1885. (£bb. p. 1 ss.
eine lleberficfjt über bie §ff. ; über bie berüfjmteften, bie fed)§ in ber University Library in
ßambribge Ogi. 33rabbaro bei £obb, The books of the Vaudois, Sonbon 1865, p. 210 ss ; ©.
r>. 3eäfd)toi£, 35ie Satetf)i§men ber SSalbenfer unb S3bf)m. SBrüber, erlangen 1863; 3. «DWifler,
10 ®ie beutfcben Sated)i§nten ber bbt)mifd)en 33rüber in SetrrbadjS Mon. Germ, paedagogica 4
(1887); n. görfter oben ©.801,19; ©oll, $ie SSalbenfer unb itjre Sitteratur in Mitteilungen
be§ 3nftitut§ für öfterr. @efc£)ttf)t§forfdjung 9, ©.326—351. ©pratfje: 91. SSartt), Saut= unb
Formenlehre be§ Sßalbenfifcben, 3tomanifcf,e gorfcf,ungen 7, £>eft 3, 1893; ©. SRorofi,
L'odierno linguaggio dei Valdesi del Piemonte in Ascoli, Archivio Glottologico Italiano
16 11, p. 309—380 mit jtoei Slnfjfingen über ben 2)ialelt uon @uarbta=$ßtemontefe in Salabrien
p. 381 — 383 unb über ben ®ialeft üon ^eu^engftett unb ^inacf)e=©erre§ in SSürttemberg
p. 393-398 nebft sab,Ireicf)en belegen p. 398—415; 12, p. 28— 32; »gl. aud) SRoque^errter,
Les provencaux dÄllemagne et le langage de Pinache-Serres in: Occitania t. 1.
Sßeueregeit: (5. 9lrnoub, Histoire des premieres persecutions des Vaudois Lutheriens
20 du Comtat Venaissin et de la Provence in Bulletin 8 u. 9; berf., Histoire des protestants
de Provence, $ari§ 1884; (£. ßotnba, L'introduction de la reformation dans les vallees im
Bull, de la sociöte" de l'histoire du protest. francais 43, p. 7 ss. ; Suigi Slmabtle, II santo
Officio della inquisizione in Napoli, Cittä di Castello, 2 voll., 1892; Art. Muston, Giovan
Luigi Paschale, Palermo-Torino 1893; g. §. Stoiber, £>. 9lrnaub2, Stuttgart 1889; Gomba,
25 &■ Slrnaub, 1889; geftfcfjrift pr 200jn^rigem ©ebenffeier ber Glorieuse Rentr^e Bulletin Dr. 6
(1880); 91. be 3tod)a§, Les Vallees Vaudoises, $ari§ 1881 ($rieg3gefdiid)te); g. Socito, Le
guerre Valdesi, Esttrato della rivista militare Italiana 1891 ; SB. SKeiHe, Le reveil de 1825
dans les vallees, Uurin 1893 ; SSiHiam Sterben ©iltl), Narrative of an Exursion to the
Mountains of Piemont, Sonbon 1827; berf., Waldensian Eesearches, Sonbon 1831; 9Jcar;er=
30 ^off, 3)ie SSalbenfer in unferen Sagen, 1834; 91. 3)ei£jmann, SSalbenfer in ber ©raffdiaft
©djaumburg, SEie?baben 1884. SSeitereS fietje Eivista Cristiana unb Bulletin.
I. $te anfange 1176 — 1218. — 1. 9?ame unb llrfprung. Unter bem
tarnen Waldenses, aud) Valdesii, Vallenses, Leonistae, Insabbatati, Sabbatati,
Xabatati, Encabots (bon bem feiner §erfunft nad) bunlelen 2öort sabot = ©cbub,
36 inSbefonbere §o!äfcbub, bgl. SDiej, (StbmologtfcbeS SBörterbud) ber romanifdjen ©brachen
sub voce), Sandaliati, Sotularii, Cotularii befämpfen bie IatboIifd)en ^olemifer feit
ben 80er ^abren beS 12. ^abrtmnbertS einen aSletifcben ^ßrebigerberein, als beffen ©tifter
fie übereinftimmenb ben Sboner Kaufmann Valdes (fo Map) ober Valdesius refb.
Valdexius (fo Rescriptum c. 3, 4, 6, 15; ©albuS 33urce, Moneta) ober Gualdensis
40 (fo S3urce p. 74) begei<r)nen. £>ie 2lngeb,origen beä Vereins felber nennen anfangs nur
bie franjöftfcben ©enoffen societas Valdesiana, socii Valdesii, Rescriptum c. 17, 21,
22, 26; 7, 13—17. 2)er offizielle 9>iame beS Vereins ift bagegen pauperes spiritu, bgl.
Rescriptum c. 1, ©tebfyan bon 33ourbon c. 333 p. 280, ^affauer SInontymuS c. 5 p. 28 C,
fpäter aud) pauperes Christi, bgl. Sitten bon Garraffonne Söüinger 2, ©. 10, ober
46 einfad) Pauperes mit ober ob,ne ben gufafc de Lugduno, refb. de Lombardia, ebb.
unb ©albus SBurce, Moneta. — Über ben ©tifter unb bie Stiftung erfabren roir au§
ben Greifen ber Societas felber feb,r toenig. 2luS ber einigen roalbenfifd^en Urfunbe
bep 13. QabrbunbertS, bem Rescriptum bon 1218, ergiebt fid) nur, bafj SBalbeS im
mm 1218 mcbt meb,r am geben unb ein 3Jlann bon rüdfid)t§lofer (Sntfcbloffenbeit war.
60 Über ferne 33orgefcbid)te unb 33e!el>rung finben fid; einige bürftige 5RacbriciE>ten erft in bem
©cbretben ber Iombarbifd)en 2lrmen ^obann, ©irarb, ^Seter unb ©imon au§ bem 3. 1368 bei
SDolltnger 2, ©. 355 ff., aber biefe 5Racbricbten, alSbalb berroertet bon ben latbolifcben $0=
lemtfern ^ob,ann Sefer, ebb. ©.351 ff., unb 5ßeter bon ^ßilicftborf ed. ©retfcbet Opp
l?' *'JJh ^b «nbrau^^«- 2B« ftnb fomit für bie ©efcbicbte beS 2BaIbe§ ganj auf
66 bte latyoltföen Sertdjterftatter be§ 12. unb 13. ^abrl)unbert§ angeroiefen. SSon biefen
geben nur bret auf bte <Baä)e ein : ber Saoner 3lnonbmu8, ©tepban bon Sourbon unb
ber «ßaffauer 2lnonbmuS.
®er Saoner 2lnonbmu§ berietet jum ^alire 1173 golgenbeS: ber Sboner Äauf«
mann Sßalbeä bort eines ©onntagS (im 9M ober 2lpril beS großen §ungerjabreS — bieg
60 gabr roar baS ^a^r 1176, nicbt 1173, bgl. barüber Robert bon Sturme, Chron. n76
SS 24, p. 241; %x. Surfd)mann, Hungersnöte im 9M. ©. 152 f.) einen fabrenben
©anger (ioculator, joglar) bie ©cblufeftropben beS alten ©angeS bom b,I. SllejtuS bor=
tragen (bte chanson ift in berfd)iebenen gaffungen erhalten, bgl. ©afton ^3ariS, La vie
SBoIbcnfcr 807
de S. Alexis, Bibliotheque des hautes ötudes, Sciences phil. t. 7). %itf ergriffen
nimmt er ben ^oglar mit in fein SQau§, um bie ©efcfyicfyte grünbltd^er fennen ju lernen.
2lm näcbjten borgen aber fucfyt er einen SSJcagifter ber Geologie auf unb fragt benfelben :
„Welches ift ber ficfyerfie unb befte 2Beg ju ©ott?" ®er 9Jcagifter antwortet forreft
fatr/olifcb, mit einem £>inWeife auf bie Serif obe bom reichen Jüngling: „willft bu botI= 5
fommen fein, fo berfaufe alles, k." ^Darauf ift ber @ntfd)Iuf$ bei Söalbeä gefaxt. 3lad)
§aufc jurücfgefefyrt, eröffnet er ber ©attin, bafj er gewillt fei, auf fein Qah unb ©ut ju
beraten, ©ocb, foE bie grau einen Seil be§ SermögenS für fid£> behalten. ®a3 bor=
fyanbene ©elb unb |>au3gerät bertoenbet 2Mbe§ jum £etl bagu, um feine beiben flehten
Stöcfyter in einem Softer ber Tonnen Don gontebreaub einkaufen (ein folcfyeg Älofter 10
b,at ei überbie^ in berSDiöcefe Sfyon nicfyt gegeben), ben Weitaus größeren Steil aber läfjt er ben
Sirmen ju gute lommen. @3 bleibt aber nod) ein Seil be§ ©elbeS übrig, ©iefen ÜReft Wirft
er am geftc SJcariä Himmelfahrt, mit ben SBorten : „niemanb lann gtoei Herren bienen,
©ott unb bem Sftammon", auf bie ©trafje. £ag§ barauf nact) ber 9iücffer;r aus ber
ßircfye bittet er einen feiner greunbe gum erften SRale um „ein 2tlmofen um ©otte§= 15
toiüen" 33alb banacb, leiftet Söalbes ein förmlitt}e§ Strmutägelübbe. $Da§ alle<§ madjt großen
©inbrucf. 3m Saufe be§ näcfyften ^ab,re§ — 1177 — folgen bab,er fcfyon einige anbere
£r/oner Bürger feinem Setfbiele. SD. i. e§ entfielt eine neue, bon SöalbeS geleitete Sruber=
fa)aft, Welche bie Übung ber aboftoltfcfyen Sirmut al§ nädbjten $Wecf betrachtet. 21E=
mäfjücb, beginnen „bie Sirmen" bribatim unb öffentlich) sua et aliena culpare peccata, 21 1
b. i. au§ ber ©efellfcfjaft ber Slrmen Wirb eine ©efellfdjaft armer Srebiger. 3m grülj>=
jaf>rll79 begiebt ficf; bann 2öalbe3 ^u bem Sateranf onjil nad^om. Sabft 2lleEanber III.
beftätigt fein Slrmutggelübbe, aber er berbietet u)m unb feinen ©enoffen ju brebigen,
falls fie nietet bon ben Srieftem auSbrücHicb, baju aufgeforbert werben. SDieS ©ebot
beobachten bie SBalbenfer eine 3eit fa"8- ©rft baburcf), bafj fie baSfelbe übertreten, Wer= 25
ben fie bieten ju einem scandalum et sibi in ruinam. — @ttoa§ anberS lautet ber
Sericfyt ©tebljianS bon Sourbon. SDie erfte llrfaa)e für bie Sefefyrung bei SßalbeS War
nad) il)m eigentlich bie beugter. 2Mbe3 fyört bon ben ©bangelien. @r beranlafjt jWei
Sriefter, tl)m eine Überfe^ung berfelben in bie Sulgärfpracfye gu liefern. 3luf bie gleite
Steife berfcfyafft er fic| fbäter aucb, Überfettungen bon bielen anberen bibltfcf/en 30
Suchern unb bon ©entenjen, b. t. 2Iu§fbrücr)en ber Heiligen. @ine§ SEageS entfc^lie^t er fict;
bann, bie perfectio evangelica in ber Sßeife ber Slboftel ju beobachten. @r berfauft
aEei, tr>a§ er b,at, Wirft ba§ babei erlöfte ©elb in ben ©dj)mu£ unb beginnt auf ben
©trafen ^u brebigen. Stele ungebilbete 9Jcänner unb grauen fcb,Iie^en fic^ i^m an unb
folgen feinem Seifbiele. S)a fie aber alle „^bioten" finb, fo lehren fie manche ^rr= 35
tümer. ©runb genug für @rjbifcf)of ^o^cmn auj Slanc^eg^Dcaing bon £r/on (^ol)ann
Würbe erft 1181 SBifd)of), ben äöalbefiern ba§ ^ßrebigen ju berbieten. Slber bie ^ßrebiger
lehren fid^> mcb,t an ba§ Verbot. $Der ©rjbifc^of belegt fie baf)er mit bem Sann unb
bertreibt fie au§ ber £>iöcefe S^on. 1179 Werben fie nacb, 9tom cittert (conciJium
quod fuit Rome ante Lateranense, b. i. Lateranense IV bon 1215), unb ba fie 40
aud) ba fiel; bartnärfig jetgen, bon bem ^onjil alg ©djiämatüer berurteilt. hierauf ber=
mifcfjen fie ftc^ in ber ^robence unb 2ombarbet mit anbern ^äretifern unb Werben bab,er
ebenfalls für §äretifer erllärt. — 3Seit fummarifc^er lautet ber 33erid)t bei Saffauer
2Inon^mu§, ©reiferer, Opp. 12, 2, p. 28 A: ^n einer Serfammlung ber maiores bon
S^on bricht blö|ltd) ein Wann tot jufammen. §ierbura) erfcf)rec!t, beratet 255albei ju iö
©unften ber 2Irmen auf fein Vermögen, leb,rt bie Slrmen, bie bieferb,alb gu if>m ftrömen,
in freiwilliger 2lrmut ©briftug unb ben 2lbofteln nachfolgen unb beginnt alöbalb, ba er
ein Wenig gebilbet ift, ben %& be§ 31%$ in ber SoIIgfbratt^e bor^utragen.
SSon btefen brei Senaten ift ber erfte unb ältefte ber augfübrlicbfte unb für
SSalbeS günftigfte, ja er ftetlt jum ^eil bie @reigniffe in einem für ifm aE^ugünftigen 50
fitste bar. S3eWei3 ba§ ältefte .ßeugnis, ba§ un§ für bie ©efc^ic^te ber Sßalbenfer*
gemeinfcf;aft gu ©ebote fteb,t: ber Seridjt be§ SBalter 5Rab über bal Serbör ber
Valdesii auf bem fiateranfongil 1179. ©anatt) b,aben bie Valdesii Sabft 2tlepnber III.
ein Surf) präventiert, Weites ben Sfalter unb biele anbere 93ütf;er 21 unb dl%$
in ber gaUifdEjen aSoII^fbrac^e enthielt, unb im §inbticfe barauf bei bem ^abft .v.
um bie ©rlaubnig gur Srebigt nacb,gefuc^t. ®er Sabft beauftragt mit ber Grlebtgung
biefeä ©efucfyeS eine ^ommiffion bon ^uriften unb Geologen. @in 33ifcb,of, ber ber=
felben angehört, forbert 9Jtab auf, mit jWei Valdesii, qui sua videbantur in
seeta praeeipui, ein ©laubenSberfyör angufteaen. Map fragt fie: „©laubt ihr an
©ott ben SSater?" Antwort: 3a. „2ln ben ©ofynV" &■ »21« ^«" ^- ®eiftV" 3a. eo
808 Söalbcwfer
2Tn bie 9J?utter gbjtfti?" %a. ©arob grofjel (Mäct)ter in ber ganzen gelehrten 33er=
fammlung. ©enn biefe le$te Slnttoort betoiel, bafj bte Söalbefier oöHig untoiffenb unb
bafyer jum Brebigem untauglich feien. S5erit)irrt unb bekämt jiefyen fie ficb, jurücf, oI)ne
bie getoünfcljte (Ermächtigung erhalten %ix fyaben. §ieraul ergiebt ficb, 1. Söalbel ift 1179
5 nicfyt mit in 9?om getoefen. 2. ©er Sßapfi f>at ben Söalbeftem aucb, nicfyt in bebingter
gorm bie @rlaubnil jur Brebigt erteilt. $tt ber Gjrjäljlung bei Saoner 2lnonr/mul er=
fc^einen alfo einige für „bie Strmen" befonberl Wichtige Sfyatfadjen ju tljiren ©unften
umgebogen, ©iefe Beobachtung fotoie bie auffällige ©r/mpatfyie, bie ber 2lnontomul
für bie feftiererifdfjen £>umtliaten belunbet, betoeift, bafj ber 2lnont)mul eine aul ben
10 Greifen ber SfBalbenfer ober ber pauperes catholici ftammenbe Überlieferung benutzt
f>at. 2ötr finb mithin berechtigt, biefen Beriet all relatib befiel ßeugnil an bie erfte
©teile ^u fe|en. Slber aucb, ©tepfyan bon Bourbon ift ein relatib guter Beuge. ®mn
er beruft fiel) auf einen ©etoäfn-lmann erften Mangel, ben ^lerifer Bemfyarb bon 2)brol,
ber einft im perforieren ©tenfte bei 2Mbel geftanben blatte. 2öal biefer ÜKann tl)m über
15 feinen SSerfe^r mit -JBalbel ergäbt l)at, barf wollen ©lauben beanfyrucfyen. 3lud) fonft
ift fein Bericht nod) relatib gut unb brauchbar, ©agegen finb bie Beriete bei Baffauer
2lnont/mul unb ber üöalbenfer bei 14. ^afyrtyunbertl nur infotoeit ju gebrauten, all fie
mit ©tepfyan unb bem Saoner Slnon^mul übereinftimmen. §teraul ergiebt ficfy: 1. ©ie
Befeljrung bei SSalbel — bal cognomen Petrus taucht erft 1368 im Briefe bei
20 $ofyann auf, ©öllinger 2, ©. 358 — fällt in ben 2fyril ober 9Jtat bei großen §unger=
jat)rel 1176. 2. Söalbel entfcfyliefst ftcb, juerft ju apoftoIifd)er Sirmut; erft all ftcfy ein
$retl bon ©letcfygeftnnten um ilm gefammelt Ijat, ergreift er ben Beruf bei apoftolifcfjen
SSanberprebigerl unb bertoanbelt feine ©enoffenfcfyaft, meldte ben tarnen bie „2trmen"
angenommen I)at, in eine Bruberfdjaft armer Söanberprebiger. 3. Sßie ftd) ber bamalige
25 ©rjbifc^of Sötcfyarb bon £r/on ju bem Unternehmen fteCte, ift nict)t mefyr mit ©id)erl)eit
ju ermitteln. ©a aber -Kap mit feinem SBorte anbeutet, bafj bieValdesii 1179 bor bal
Sateranfonjil citiert ioorben feien, unb ba nad) feiner aulbrücflicfyen Eingabe über i^r
©efucb, bon bem ^onjil ernftlid) berfyanbelt morben ift, fo liegt bie Vermutung nafye, bafe
SSalbel au§ freien ©tücfen ficfy an bie £ateranfrmobe gemanbt fyat unb erft ©r^bifdjiof
30 ^ofyann aur. Blancb^el^ainl gegen bie neue Bruberfcfyaft einjufd^reiten Wagte. (Steuern
blatte bann ben tarnen bei erften Berfolgcrl ber Straten richtig angegeben unb nur in
ber Chronologie fid) geirrt. 4. ©ie Berb^anblung auf ber £ateranft)nobe 1179 enbete
für bie 2lrmen ungünftig. ©er $a£ft berbot ib^nen toegen defectus scientiae bal
^Prebigen. 5. SErotjbem fuhren bie 2lrmen fort ju btebigen. $ux ©träfe bafür belegte
35fie$apft Suciul III. too^l auf Betrieb bei (Sr^bifcI)ofl ^oltann bon£t>on am 4. ^obember
1184 bon Berona aul mit bem Banne, Qaffe nr. 15109 „Ad abolendam" 2Bab,r=
fd^einlicl) burd^ bie eben bamall in Berona jmifc^en bem ^ßa^fte unb griebrieb, Barbaroffa
getroffenen Bereinbarungen toarb ber @rjbtfc|of in ben ©tanb gefegt, bie Söalbenfer aul
feiner ©iöcefe ju bertreiben, bgl. §aud;, m ©eutfcbjanbl 4, ©. 877 f. ©ie 2lultreibung
40 ber 3lrmen au§ £t)on fäüt alfo h)ab,rfd^einltcb, erft in bal @nbe bei ^ab^rel 1184 ober
in ben Anfang bei %afyc& 1185. 2lber ingmifcljen blatte bie Bruberfcl)aft auf einem
anberen Boben bereitl einen großen Borfprung gewonnen.
2. Bilbung bei lombarbifd) en ^meigel unb 2l|ulbreitung ber 2lrmen.
Ungefähr jur felben ßeit, toie bie frangöfifd^en 2lrmen, grübjafyr 1179, fugten bte Iom=
45 barbifcfyen §umiliaten in 9tom um Betätigung if)rer Drbnungen unb sugleict) um bie
©rmäcfjtigung ?ur $rebigt unb jur 2lbf)altung religiöfer Berfammlungen naefy, Chron.
Laud. SS 26, p. 449s. 2tber aucb, ifjnen warb beliebigen unb bieisornab^me anberer
feelforgerlid^er §anblungen aufl ftrengfte berboten. Bieüeictit toaren bie ©enblinge beiber
@enoffenfcb,aften jcfyon mälirenb bei fiateranlonjill mtteinanber befannt geworben. ^eben=
faUl führte bie Slfmlicfyleit ber Beftrebungen unb bie ©Ieicb,artigfeit bei ©d^idfall all=
balb ju einer gufion steiften §umiliaten unb 2Balbenfern. Db aEe ßumiliaten fieb
2BaIbel anfcb,Ioffen, ob nur ein .Seil, läfet fieb, ntd^t meb,r feftfteEen: bie DueCen erlauben
betbe annahmen, bgl. bie ©elretale £uctul III, ^affe nr. 15109: qui se Humiliatos
vel Pauperes de Lugduno falso nomine mentiuntur. ^ebenfalls aber War el eine
55 nta)t unbeträcb,tlicl)e ga^l, bie 2öalbel all Borfteber anerlannte, ben tarnen pauperes
spintu unb bte apoftoltfd&e £ebenlWeife ber Söalbenfer annahm unb jur a^oftoltWen
s4i5anberbrebtgt fieb, entfcb,lofe. ©od? behielten bie Übertretenben bie (Einrichtung bei
bte all ta§ djarafteriftifcf>e TOerlmal bei alten §umiliatentuml gelten barf: bie ©Ute'
bte Brüber, toelcf)e ?ur $rebigt unb ©eelforge fieb, ntö?t tauglicb, fügten, in alletifcben
eo älrbettergenoffenfa^aften ju bereinigen; f. oben Bb VIII ©. 447 f. 2lrt. §umiliaten
60
9©oIbcnfer 809
$reger 213JZ21 13, ©.209 ff. (fyier ift ber gufammenfyang jmifcfyen lombarbifdjen 2lrmen
unb £umiliaten juerft ertannt) ; Füller, SBalbenfer ©. 56 ff. ©o bilbete fidi in ber
Sombarbei ein jroeiter gmeig ber 2öalbenfertum§. Vorort biefeg gmeigeg mar 9M=
lanb ; Iner jagten fie 1209 meit über 100 ©enoffen unb greunbe, Innocentii III. epist.
1. 12, nr. 17 Dom 3. 2lbril 1209. Söeiter begegnen fie un3 in Sremona, ebb. 1. 15, nr. 146 5
Dom 10. 2tugujt 1210, in Vergamo, Rescriptum c. 3, unb mentgftenS al3 SRiffionare
finb fie anfc|einenb aucb, tl/äüg gemefen in $abia, ©eregno (im Stejt ©aragno) unb
Segnono bei Sftailanb, -JRoItrafio unb ©ongo am ^omerfee (im Tejt 2)ogno), Verona
unb 9J?obena, bgl. ebb. c. 1, 4. gu ber Sombarbei traten bann als weitere 9J?iffion§=
gebiete bie ©tobte Sigurieng, bgl. Qnnocen^ III. 1. 15, nr. 94, Viemont — 1210 in ber io
©iöcefe Stairin bgl. bie Urlunbe Dtto§ IV. bom 25. SJcärj 1210, Monumenta historiae
patriae SS 2, p. 488, grebericq, Corpus documentorum inquisitionis haereticae
pravitatis Neerlandicae I, p. 519 s — unb fbctteftenä feit beginn be3 13. ^ab,r=
fmnbertS bie beutfcbjtorecfyenben ©ebiete beg beutfcfyen SReic^eS, nacfymeigbar finb fie 1211 in
(Strasburg, 1218 in Vaiem unb Dfterreict), 1231 in ber ©iöcefe SErier, im 3Rainjifcb,en, iö
§aud 4, ©. 866 f. ®ie grof$e Äe^erberf olgung, bie bamals burd) ganj -Kittel; unb ©üb=
beutfcfylanb mutete, mar, Alberici Chronicon SS 23, p. 931, in erfter Sinie eine
Söalbenferberfolgung. — ^njmifd)en fyatte aber aud) bie franjöfifcfye ©tammgenoffenfdjaft
ib,r ©ebiet beiräditlicb, ermeitert. ©cfyon 1192 mußte man in Soul, 1199/1200 mWty,
1203 in Sütticb, gegen bie „2öabor/§" etnfcfyreiten, Belege ©. 810, ->o. Anfang be§ 13. ^a^x- 20
fmnbertg geigten fie fid) in glanbern, bgl. bie ©cfyrift be§ @bert;arb bon Setfyune. 2Iber
mistiger mar für bie ^robaganba ber 3trmen ber ©üben. $n ber Sangueboc matten fie
f cfyon in ben 80er Satyr en be£ 12. 2jGf>*fyunbertg ben Vifdjöfen biel ju f Raffen, bgl. bie
©djirift be§ Vemfyarb bon gontcaub. ^icb,t lange barauf erregten fie aud; in 2lragon
unb Katalonien 2luffel>en (@bift bon Seriba bon 1194). %a, %iX uno m ber Sangueboc 25
toaren fie allem 3tnfct)eme nad) um bie Söenbe be§ 12. unb 13. $afytf)unbert<S am ber=
breitetften, jafylreicfejten unb einflußreichen, bgl. ^nnocenj III. Epist. I. 11, nr. 196,
1. 12, nr. 66, 68, 13, nr. 78, an ben @rjbifd)of bon SEarragona unb feine ©uffragane,
15, nr. 82 an ben SBifcfyof bon ©Ina nr. 92 an ben $bnig bon 2lragon, nr. 91 an ben
©rjbifd^of bon SRarfeille, 1. 12, nr. 67, 1. 13, nr. 63 an ben ©rjbifc^of bon 9Jarbonne 30
unb feine ©uffragane ; bgl. aucfy bie tarnen ber gül) rer ber pauperes catholici ®uran
bon §ueica in 2Iragon Vrobinj garagoja, ®uran bon ^Rajac, 2öill)elm bon ©aint
2tntonin, beibe Drte öftlicb, bon 9Jiontauban, $ofyann bon ÜRarbonne, Vemfyarb bon
33ejier§, Staimunb bon ©t. $aul in SouffiUon, ebb. 1. 15, nr. 93, 96; 13, nr. 98;
Rescriptum c. 15 : Berengarius de Aquaviva = Aigues vives SDiöcefe Sorbonne. 35
2öa3 bie ©ebbten anlangt, au§ benen bie 3lrmen fyerborgingen, fo Ratten bon 2ln=
fang an bie Saien bürgerlicher ober bäuerlicher §erlunft unter ib,nen ba^ Übergetoic^t.
'Eod) fehlte e§ nicb.t an Älerilern unb litter ati, bgl. Qnnocenä 1. 11, nr. 196; 1. 12,
nr. 69, baju bie batriftifcfyen ßitate in bem Rescriptum bon 1218. ©elbft s3Jtörtcr)e
fc^einen ficb, l^ie unb ba tynm angefd)Ioffen ju ^aben, bgl. ^nnocenj 1. 12, nr. 69. 3lud) 40
unter ben amici, ben im bürgerlichen Seben berbleibenben 2lnl)ängern ber Slrmen,
finben mir Ieine§meg§ nur Heine Seute. 3n ^er Sangueboc fnelten fic^ j. 33. bie fjfrau
unb bie ©djmefter be§ ©rafen bon %o'vc auf garniere ju i^nen, Guilelmus de
Podio c. 8, in ber ©iöcefe 9Ke£ traten bie 5SJJinifterialen, in Strasburg ein 5Renfcb,en=
alter fbäter ber angefeliene Bürger 3Bann, in ber 3)Zatnjer SDiöcefe felbft ©rafen für fie 45
ein, bgl. .gaucf 4, ©. 868, ja in Saiern glaubten fie ca. 1240 fogar auf bie Zuneigung
be§ §erjog§ Dtto IL (1231—1253) rennen ju bürfen, ®abib c. 27 p. 219; ^iejler,
©efcb,. 33abern§ 2, ©. 227.
3. SDtafjregeln ber ^icrarc^ie unb ber meltlicf)en gürften gegen bie
Ausbreitung ber 2lrmen 1184—1218. ®er bäbftlic^e Sann gab ben geiftlicben 6n
unb meltlicfyen SBe^örben ba§ Sftedjt, bie SBalbenfer au^urotten. 3lber e3 bauerte bocb,
geraume ßeit, efye bie Verfolgung in ©ang fam. ßu energifcb,en Maßregeln entfcblofe
man ficb, borerft nur in ©banien. $ier erliefe ^öntg Sllfonö II. fdjon 1194 bon Seriba
aug ein 2lu§meifunggebift, ba§ alle ^erfonen, bie fie baufen unb fjofen, fbeifen unb
tränfen ober aud) nur ib,re funesta praedicatio anhören mürben, mit ©üterfonfi§fation 55
unb ber ©träfe be§ SRajeftätgberbrecleng bebrof)te unb jebermann geftattetc, ben Zsniai>'-
batati allen ©cb,aben anjutb,un, aufgenommen %ob unb iserftümmelung, abgebrucft bon
$egna in Eymerici Directorium Inquisitorum II, q. 1 comm. 29 ed. Veneta
1607 p. 281. £>iefe Verfügungen mürben 1197 bon Vebro II. auf bem ®onjiI bon
©irona erneuert unb jugleicr; burcb, ben SBefe^l berfd;ärft, bie Söalbenfer, Wo man ib,rer 60
810 SBalbenfer
babfyaft Werben lönne, 51t berbrennen ; es ift bieg bie erfte öffentliche Urlunbc, in ber bcr
geuertob Don ©taatSWegen als ©träfe ber Äe^erei angeorbnet Wirb, bgl. Sßelar/o,
Historia de los Heterodoxos espanoles 1, p. 712 s., Sea 1, p. 179. inwieweit
baS @bift bollfiredt Würbe, ift nod) nidjt feftgeftellt. ^ebenfalls Ratten ürone unb 5ltrc^e
6 in 2lragon aufy fbäter nod) mebrfad) 21nlafj gegen bte 2Irmen einzufd)reiten. ÜJiit ä^nltd)er
(Energie ging man in jener geit nur in 2)eutfd)Ianb bor: f)ier Würben 1211 in ©traft*
bürg etwa 80 SBalbenfer unb 2Balbenfertnnen berbrannt, bgl. Annales Marbacenses ad
1215 SS 17, p. 174. Aber eS fdjetnt, baf? biefe erfte blutige Verfolgung aud) in
SDeutfcblanb borerft bereinjelt blieb. Söeit fd)onenber bebanbelte man bte Armen in ibren
10 beiben £aubtmtffionSgebteten, in granfreicb, unb Italien, ^n ^ailanb begnügte ficb,
@rzbifd)of 5ßb,ilibj), tüte eS fcfeemt, bamit, tf)re schola nieberjureifeen, Innoeentii III.
epist. 1. 12, nr. 17- 3n SEurtn erWtrfte 33ifd)of (Sarifio jtoar 1210 gegen fie ein faifer=
Iid)eS @bt!t, oben ©. 809, 10, aber baS Wollte nid)t biel bejagen. ^n ^inerolo Warb
1220 ben ©intoofmern zur $flid)t gemalt, leine Sßalbenfer aufzunehmen, bgl. c. 54 beS
15 Liber statutorum bon 1220 ed. Augustae Taurinorum 1684, aber biefe 33erorb=
nung fanb, rote bie golgezett let/rt, faft gar feine Veacbiung. — Qm franzöftfd)en ©brad?=
gebiete fd)ritten junädjft nur einige 33tfd)öfe gegen bte Straten ein : ^n Styon »erjagte fie @33.
^ofyann auS feiner ©tabt unb SDiöcefe. 3" ^ex Sangueboc 50g 23ernr/arb bon 5Rarbonne
einige bon tbnen bor ©ertd)t, bgl. Verdarb bon gontcaub p. 196. ^n Sotbjingen
20 befahl Otto bon Sloul 1192 bie 2Babor/S, Wo man tfyrer ^ab^aft Würbe, in Letten zu
legen unb an baS bifcböflicbe ©erid)t auszuliefern, bgl. 3ttartene=1)uranb, Thesaurus I,
p. 1182. ^n 5Kefc griff ^nnocenj III. 1199/1200 berfbnltcb. ein, inbem er ju ibrer
Selämbfung bie Abte bon ßiteauj, 9Jcorimunb unb ßrifta aborbnete. Aber biefe begnügten
fiel» allem Anfd)eine nad) bamit, bie frangöfifeben 33ibelüberfe|ungen, bie in ben Greifen
25 ber Armen turfierten, berbrennen zu laffen, Alberici Chronicon ad 1200, SS 23,
p. 878. ©rtbltct) in Sütttd) orbnete Sifcbof §ugo 1203 bte Auslieferung aller fran=
jöfifc^en unb beutfefeert Sucher über bie 61 ©ebrift an, bgl. grebertcq, Corpus docum.
Inquis. nr. 63, t. 1, p. 63. Aber baS mar alles, WaS borerft gefebab. @rft als in
©übfranfreid) ber grofee Albtgenferfrteg ausbrach, ging man aud) gegen bie SSalbenfer mit
30 SBluturteilen bor: SDte fiebert SBrüber, bie 1214 ju SKaurttlac berbrannt mürben, finb,
fobiel mir Wiffen, bie erftert Armen fran§5fifcl)er §erfrmft, bie i6re Überzeugung mit bem
Stöbe büjjen mußten, bgl. Petrus Sarn. historia Simonis c. 74 — 78, Sea 1, p. 179.
^m erften 9Jcenfd)enalter it)re§ SeftanbeS far) fid) bie ©enoffenfebaft beS 2öalbeS alfo
nur in ©banien ernftlia) get/inbert. AnberWärtS febritten geiftlidje unb Weltliche 33e=
35 körben nur berein^elt gegen fie ein. Um fo eifriger mar man bemüht, fie auf frieblicfyem
Sßege ju gewinnen ober tbenigftenS ib,re ©onberleb,ren ju rotberlegen. 5Bernb,arb bon
gonteaub, SllanuS ab ^nfuliS, @berb,arb bon 33etb,une berfa^ten bamals tt)re ©Triften
gegen bie jünger beS SBalbeS. 3>n ber Sangueboc berfuebte man bura) SteligionSgefbräcb.e
fie mieber mit ber Strafe ju berjöb,nen. SDa§ erfte btefer ©efbräd)e fanb bor 1191 ftatt.
40 SDer Drt ift nicb,t überliefert. %tft ftefet nur, bafc bie 3lrmen förmlicb, baju eingelaben
toaren unb fogar bei ber 2Bab/l beS ©cb,iebSricf)terg mittoirfen burften. SDiefer ©d)tebS=
riebter, SWaimunb bon SOabentria, fbrad) bann freilieb, ben Äatfyolifen ben ©teg ju, bgl.
über bie SCbemata unb ba§ (Ergebnis ber ©ebatte bte ©cfyrift beS Sernbarb bon gonteaub.
@in jtoeiteS ©efbräa) fanb 1206 auf bem ©cfeloffe ^3amierS ftatt. @S batte zur golge,
45 bafc ber aragonifd)e 2lrme >Duran bon §ueSca fia) zur Unterwerfung berftanb, falls man
i^m erlaube, bie SEradjt unb bie SebenStoeife ber 2lrmen beizubehalten, bgl. ben 2lrt.
Pauperes catholici Sb XV ©. 92. Salb faf) fid) bie ^irebe in ber Sage, auS ah
gefallenen SBalbenfern einen neuen Verein armer Vrebiger z« bilben, ber ibr bei ber 23e=
lämbfung ber §ärefie unb beS SßalbeS treffliebe SDienfte z« leiftert berfbrad;. allein bie
so Hoffnungen, melcbe ^nnocenz III. auf bie pauperes catholici gefefet batte, erfüllten fid)
ntebt, a. a. D. ©. 93.
4. ©ezeffion ber Sombarben. SSobl febr frübe finb in ber großen ©enoffen=
fdjaft „ber 2lrmen" Unftimmigleiten grt)ifct>en 2öaIbeS unb ben Sombarben b^borgetreten.
SBalbeS forberte bie 2luflöfung ber lombarbtfcben Slrbettergenoffenfcbaften. ®ie Sombarben
55 Wollten fid) bazu ntdjt berfteben, Rescriptum c. 6. SöalbeS geftattete ben conversi
bet (Eintritt in ben ©tanb ber SCrmen eine febon beftebenbe @be Z« löfen' bie Sombarben
toaren ber Meinung, ba^ bazu bie ^uftimmung beS anberen ©beteilS erforberltd) fei, ebb.
c. 9, 12. Sie Sombarben roünfdjten baS SlbbängigleitSberbältniS z" SöafoeS zu löfen
unb fid) einen eigenen Vorfteber zu mäblen. 2öaIbeS «Härte, bafe er, fo lange er lebe
so lernen anberen Vorfteber neben fid) bulben Wolle, ebb. c. 4. SDie golge biefer 9Jüjj'
SBalbcnfer 811
fyelltgteiten mar eine gefährliche ®rifi3 unb fcr/ließlicb/ eine Spaltung ber ©enoffenfcfyaft.
DB bereits bie SSerföfynung eine? großen Steile ber ^umiliaten mit ber §terarct)te im
^afyre 1201 bureb, jene ©treitiglettcn beranlaßt mar, ift nict)t feftgufteUen. ^ebenfalls
erreichte bie Ärifi§ tbjen £öfyebunft erft einige ^afyre fbäter ca. 1210 (Innocentii 1. 12,
nr. 17: SDuran berfudjt noify 1209 nidjt olme ©rfolg in 9Mlcmb unter ben 2lrmen ju ö
mirlen. @bb. 1. 17, nr. 93 Dom U.^uni 1210: Sernfyarb $rimu8 [f. 33b XV ©. 93, 2 1,
obmofyl feiner £erfunft naef) rr>ar)rfc^einltc£) ein ©übfranjofe, entfcf>Iießt fiel) in ber Som=
barbei einen herein bon pauperes catholici ju ftiften; bgl. ©albu§ Surce bei SDöU
linger 2, ©. 64). SDamate fagten bie Sombarben SöalbeS ben ©eljiorfam auf unb
mahlten fid^ in bem homo idiota et absque litteris QofyanneS bon Stonco (bafyer io
toof)l ber $e£ername ^Runcarii ^affauer 2lnont)mu§ c. 6 p. 70 G) einen eigenen SBorfteber.
(tiefer ^anneS ift bielleicfyt ibenttfdt) mit bem Cannes, ber in ber malbenfifc|en
Überlieferung be§ 14. 2>afyrljmnbertg aU ©enoffe be<§ SBalbeS erfcfjeint, bgl. ben 33rief bei
SDöHinger 2, ©. 357, ^Setcr bon $iIicr>borf a. a. D. p. 51).
SDtit biefen inneren ©trettigfeiten fjängt e<§ mob,! jufammen, bafe bie ©enoffenfcfyaft i5
in jener geit berbältniSmäßig fo geringe 2öiberftanb§!raft gegen fatfyolifdje 33efef>rung<o=
berfucfye ermieg unb eine große ftafyl namentlich t^rer gebilbeten ©lieber bureb, 2lbfaH
berlor. oben jener große 2lbfaß unb ber anfangt nicfyt geringe (Srfolg ber pauperes
catholici Heften aber ben gemäßigteren Elementen in ben beiben fernblieben Sagern eine
SBerfölmung um fo münfebenämerter erfahrnen. SDer Stob ber beiben §äubter, 2öalbe3 20
unb $oI). bon 3?onco, bor 3Jcai 1218, fcfyuf ben griebenSfreunben freie 23ab,n. 2luf
2lntrag ber Sombarben traten beibe Steile §unäcf;ft mieber in fct)rtftlid;en 3Serfeb,r, barauf
erfcfyienen im SSJcai 1218 fect)§ Slbgefanbte ber ©tammgenoffenfcfyaft, barunter bie ber=
jettigen beiben ^räfibenten ^Betrug bon Celano (?) unb Serengar bon Slquabiba (Aigues-
vives, SDiöcefe 9tarbonne), in Italien, um mit fedjg debütierten ber Sombarben in 25
Sergamo ben ©treit beizulegen, ©ie machten babei ben Sombarben fefyr große gu=
geftänbniffe, nur in jtoei fünften lonnten unb moßten fie nicfyt nachgeben, ©ie for=
berten 1. SOBalbeS unb fein fonft unbelannter ©enoffe 3Sibet foHen auet) bon ben Som=
barben all „feiig" anerfannt toerben. SDiefe gorberung mürbe abgelehnt. 2. SDie
Sombarben follen bie eigentümliche 2tbenbmab,l§lefyre, ju ber fie erft jüngft gelangt ftnb, 30
toieber aufgeben. SDie§ Slnfinnen berftimmte jene um fo mefyr, all fie für ibre Seljre
nur SDuIbung, nicfyt allgemeine Slnerlennung beanfbrudjten. SDie Serfyanblungen mürben
bab,er abgebrochen unb nie mieber aufgenommen. 23ielmel)r trat jeljt eine böEige @nt=
frembung ja geinbfdjaft jmifcfyen ber ©tammgenoffenfcfyaft unb ben Sombarben ein. SDie
©cb^ulb an biefem 2tu3gange lag auf beiben ©eiten : beibe Steile fonnten fieb, mit 9iecfyt 35
@ngb^erjigleit bormerfen. Slber bie letjte Urfacfye be§ .gmiefbaltei faß bod) tiefer: in ber
SLl)atfacr;e, baß bie Sombarben febon eine ©enoffenfd)aft mit feften Drbnungen unb au&
geprägtem ©enoffenfcfjaftsbetbußtfein getoefen toaren, all fie mit ben socii Waldesii
fttt) bereinigten, ©rtoägt man ba§, bann berftel)t man aueb, bie abmeifenbe ©cb,roPeit,
mit ber SBaloeS all ib^ren 2öünfcb,en entgegengetreten mar. ©eit 1218 toaren granjofen 40
unb Sombarben gefcfyieben. ©aß einzelne granpfen tro^bem feb^on um 1240 mieber nad)
ber Sombarbei gingen, um ^afyre, \& Sab^elmte lang in ber ©cb^ule ber Sombarben ju
3)cailanb ju ftubieren, bgl. ©tebl)an bon Söourbon c. 330 p. 280 s., baß ber Maior
minister ber granjofen, Joannes Lotaringius, @nbe be§ 13. $alj)rf)unbert§ aueb^ Italien
bereifte, ©öUinger 2, ©. 109, unb baß anbrerfeir» Italiener gelegentlicf) in bie fran= 45
äöfifepe ©tammgenoffenfefjaft eintraten, ebb. ©. 108, unb aueb, in ber Sombarbei ba§
Urteil fieb, aHmäfylicfy ganj ju ©unften bei SMbeS berfcb,ob, bgl. ben 33rief be3 Qo^ann
unb ©enoffen, SDöHinger 2, ©. 355 ff., änbert nicf>t£ an biefer SEb,atfacb,e.
IL ^beal, SSerfünbigung, Serfaffung ber älteften 2KaIbenfer. — ©0
menig mir bon ber ^erfönlict/ieit be§ a©atbe§ miffen, fo feft fteb>, ma§ er erftrebte: 50
9tüc!feb;r jur aboftolifc^en Slrmut, banacb, Erneuerung bei abofto!ifcb,en Sebenä übertäubt
md) Maßgabe beS ©efe|eS ©otte§, inlbefonbere ber 2lboftelregel 9JU 10 unb «ßorat
lelen, oben ©. 807 Dh er bieg propositum aueb. fcb.riftlicf) fixiert b,at, miffen mir nicf)t.
Überfjaubt feb,It e§ un§ fefjr an guten bireften 9cad) rieten über bie Drbnungen, bie er
gefctyaffen b,at. 2üir müßten ba^er berjicf)ten, ein 23ilb bon bem älteften SMbenfertum 55
gu entmerfen, ftänben um8 nieb^t jmei jiemlicb, ergiebige inbirelte Duellen ju ©ebote:
1. bie autl>entifcfyen SDtitteilungen ^nnocen^ III. über bie pauperes catholici, benn
biefe finb nichts anbereS all mieber mit ber ßticfye berföb,nte SBalbenfer, benen ber ^abft,
fomeit e§ angebt, ib,re alte ©itte unb Drganifation gelaffen f)at; 2. bie 23ericbje über bie
franäöfifcb,en unb lombarbifcfyen Slrmen in fbäterer $eit. %lad) 1218 b,at ein regele a>
812 SSalbenfer
mäßiger SSerfe^r jtoifd;en ifynen nid^t mefjr ftattgefunben. 9Jian fann bafyer bett Itanon
auffteßen: aße Qnftttutionen imb ©ebräudje, bie man in ber fbäteren 3eit fotoofyl bei ben
granjofen, foie bei ben Sombarben finbet, gcfyen auf bie geit bor bem ©cftjgma, b. i.
auf bie 3ßtt beg Söalbeg gurüd. 33ead)ten mir bag, bann erhalten mir bon ber societas
5be§ 2öalbeg folgenbeg 33ilb:
1. ^Allgemeiner 6b,aralter ber societas. ©ie societas (bgl. fyier^u Re-
scriptum c. 4, 7, 13, 15, 17, 26) ber pauperes spiritu ift urfbrünglid; nichts toeiter
alg ein agfetifcfyer herein bon Scannern unb fernen, bie ber SBelt entfagt, ftd; burd)
förmliche ©elübbe ju aboftolifd)er 2irmut unb jur 2lugübung beg aboftoIifd;en SBerufeg
10 gemäfj ber lex Christi berbfltcfytet b,aben unb alg äußeres SC6§eid^en bie aboftolifdje
%rad;t tragen. 9?ur biefen ^ßerfonen fommen bie folennen Hainen pauperes spiritu,
fratres, sorores ju; in ber lombarbifd)=beutfd;en ©rubbe nennt man fie fbäter aud)
magistri, magistrae, SReifter, Sfteiftermnen, ja gerabeju Slboftel ober gmölfboten ober
Ferren (bgl. Mta ©. Uff., 101f., §aubt in gm 14, ©. 6). 9?ur fie finb ©lieber
15 ber societas, bie nuper conversi, bgl. Rescriptum c. 5, ober Novellani (Trac-
tatus p. 92) unb bie „greunbe", amici ber societas, toeldje in bie Söelt bleiben, fyaben
leinen SCntetI an ben ^ecfyten unb ^}flid;ten ber trüber, ©ie Werben bafyer aueb, bon
ben latljolifcfyen ^ßolenüfern äunäcbjt nie Valdenses, Insabbatati, Sabbatati, Sanda-
liati, Sotularii, pauperes deLugduno, Leonistae genannt, ©ie ftefyen bielmel)r gu ber
20 societas urfbrünglicb, in bemfelben freien Verfyältniffe, toie ber jafylenbe Slnfyang einer
heutigen SSJliffionggefeHfdwft gu beren ftimmberecfytigten 9JUtgIiebern unb Arbeitern.
Stber baburd), bafc ber Verein aug ber ®trd)e auggeftofjen wirb, änbert ftcb, noeb,
bor bem ©djigma bon ca. 1210 fein ßfyarafter. J^nbem äöalbeg fic^> nod) bor
1210 alg Vifcfyof anerfennen läfet unb für fid) bie gäfyigfeit in 2lnfbrucb, nimmt, bag
25 2lbenbmab,l 511 Jonfelrieren, bereitet er fcfyon felber bie Umtoanbelung feiner Vruberfdjaft
in eine ©efte ober ©egenfircfye bor, Velege f. unten ©. 816, 10. Seförbert Wirb biefe
©nttoidelung in ber golgejeit baburd), baj$ bie amici unter bem ©rüde ber Verfolgung
fid) immer enger alg feftenartige ©emeinfcfyaften jufammen unb an bie societas an=
fd;lief$en. ©djon bor bem ©djigma ift bal)er bie societas nid)t mef)r ein blofjer Verein,
30 fonbern ein 9JUttelbmg gtoifdjen Verein unb ©efte. Sern entfjmdjt eg, bafj ber 9iame
Waldenses aümä^Iid; aud) auf bie amici übertragen toirb, Veifbiele für ©eutfd)Ianb aug
bem ^afyre 1266 ber Vaffauer 2lnonbmug p. 30 E, für granfreieb, äluggabebudb, ßarlg
bon Stnjou für bie Vrobence aug bem ^afyre 1264 bei ©ternfelb, $arl bon 2tnjou ©. 274,
2Htert bon Sarcaffonne bei ©öHinger 2, ©. 12 f.; für bie Sombarbei, Vrobence unb
35 ©eutfd)Ianb Tr'actatus de pauperibus ebb. ©. 92 ff. 2lber bie fatfyoIifd)en Vericb>
erftatter bergeffen bann nie anjubeuten, ba^ bie seeta au§ duo genera befiele, ben
Valdenses proprie dicti ober perfecti, unb ben imperfecti, diseipuli, credentes
ober amici, bie nad) tote bor nicfyt sensu stricto ju ber societas geregnet werben, bgl.
©öCinger 2, ©. 11 ff. ©. 92 ff., aud) bie ^rotofolle ber ^nquifition in ber $)ü>cefe SEurin
40 bon 1387/88 Archivio Storico Italiano serie terza t. 1, p. 33: item in Rocha
Pyaca sunt omnes Valdenses et specialiter domus de Galdinis, ebb. 17: cre-
dentes Valdensibus etc. ®ie SEenbenj, fid) immer mefyr bon ber rbmifdjen £ird)e IoS-
^ulöfen unb mit ifyrem toeltlid^en 21nb,ange eine felbftftcmbige ©egenürdie ju grünben, ift
alfo fd;on feit ber SuCe £uciu<o' III. bon 1184 im ©cfyofje ber societas bor^anben,
45 unb fie beftimmt fcfyon feit jener geit bie ©nttbidelung ber societas fotuol)l auf fran=
Söfifd)em, toie auf Iombarbifd)em unb beutfd;em Soben.
2. 3t egel ber älteften societas. ©ie VorauSfe^ung für ben (Eintritt in bie
societas mar bon Infang an bie conversio im ©inne be3 mönd;ifd;en ©brad;gebraudje§,
bgl. Rescriptum c. 5, b. i. ber Vergibt auf ba£ ^ribateigentum, auf ben toettlic|en
so jöeruf unb ©tanb, bie Söfung einer fdion befteb.enben @b,e, bgl. Siegel ber pauperes beg
©uran, ^nnocenj Epist. 1. 11, nr. 116, Rescriptum c. 1, 12. ©aran fcb>f; fid;
S m *ben er^lm Sauren fofort bie reeeptio in bie societas. 2tber noeb, bor bem
©^t§ma lam allem 2tnfdj)ein nad; ber Sraud) auf, ben nuper con versus ober novel-
lanus etne Seb,r= unb ^robejeit burd;mad;en ju laffen, bie fbäter in granfreieb, fünf big
55 )edi§, tm Iombarbtfd)=beutfd)en ^toeige ein bi§ ^toei Sab.re toä^rte unb bon ben 9?obhen
t>aub^tfa^Itd) ?um Sluitoenbiglernen beg %l%$ unb anberer biblifd;er S3üd)er bertoanbt
tourbe, bgl. Rescriptum c. 5 bie 3Rottg über bie nuper conversi, Tractatus bei
©ollmger 2, ©. 95, ebb. ©. 132 f. @rft nad; biefer ^robe^eit tr-urbe ber nuper con-
versus jum sandaliatus, b. i. er ioarb auf einem commune feierlicb, unter bie fratres
eo et sorores aufgenommen, bgl. Tractatus ©. 95. ©abei gelobte er gu Anfang u,ob,I
SJÖolbcnfer 813
nur bollfommen arm ju fein — „nid)t mefyr für ben fommenben %ag gu forgen, lein
©Über, ©olb ober bergleicfyen aufcer bem täglichen Sßebarf an 9tafyrung unb Reibung
anzunehmen", 2. bie 9}orfd;riften be§ (SbangeliumS ftrengc ju beobact/ten, 3. bie abofto=
lifd;e £rad;t zu tragen, bgl. propositum Durandi. 2Bol)I nocb, bor beut ©duSma ift
baju getreten 4. baS ©etübbe ber J^eufcb^eit, bgl. für ben franzöfifcfyen gtoeig ©ollingcr 2, 5
©. 133, für ben lombarbifd;en Tractatus ebb. 2, ©. 96, Stößig, Sücitteilungen 1, ©. 42.
Später tourben fotboljl bei ben granjofen, 2)öHinger 2, ©. 105, tüte bei ben Sombarben,
SRöfyrid; a. a. D., überhaupt nur unverheiratete ^ßerfonen aufgenommen, ©nblid; leiftete
ber ^otoige 5. aud) ba§ ©elübbe be<§ ®eb,orfam§ gegen bie Oberen, SDöllinger 2, ©. 96,
133. 2öa§ bie apoftolifdje S£rad;t anlangt, fo beftanb biefelbe junä^ft allem 2lnfd>ein 10
nad) nur in einem einfachen wollenen 9tode. ©cfyufye trugen bie älteften pauperes nicf;t,
fie gingen barfufj, bgl. ben SSertd^t Wlapä. 2tber fel)r früfye fcfyon muffen fie fid) ent=
fcfyloffen I)aben, Ireu^toei^ gebunbene, auf bem Stift mit einer eigentümlichen ©djmalle ober
einem ©d;tlbd;en berfel)enen ©anbalen anzulegen. ®enn fdjon 1194 im ©bift bon Seriba
begegnet ber ©biijname, ben biefe ©anbalen ben 2Irmen eingetragen fyaben: Insab- 15
batati, Encabots, Sabbatati, bgl. Sandaliati, Sotularii, Cotularii, bgl. propo-
situm Durandi; Ebrard Bethun. c. 25; über bie Corona ober bas> scutum aud)
SDöEinger 2, ©. 7 unb banad) Bernardus Guidonis p. 245. ©ie f eiber legten, roie
e£ fdj>eint, auf biefeS MeibungSftüd großen SBert, bgl. Petrus Sarn. c. 2 ed. SDud)e§ne
p. 556. SDie Überreizung unb Anlegung ber ©anbalen gehörte bafyer fbäter ju bem 20
folennen 2tufna§meritu§, bgl. Tractatus ©.95 f.: Efficiuntur sandaliati. — ^n biefer
%xa<fyt jogen bie „Slrmen" ju zweien unb jmeien als> 2iknberbrebiger bon ©tabt zu
©tabt, bon Sanb zu Sanb, bgl. 2c 10, 1 unb ben Söericfyt 9JtabS. ^^ren Unterhalt burd)
Arbeit fid; zu berbienen, War ifmen auäbrüdlid; berboten, bgl. SllanuS 2, c. 24, @ber=
Ijarb c. 25 p. 177 ss. 2öa6 fie zu be3 Seibe§ 5Ral)rung unb SRotburft beburften, foEten 25
fie fid; nad; SSorfdjrift beä ©bangeliumS Mt 10, 10 ff., 1. ®o 9, 7 ff., bon ifyren greunben
reiben laffen. ©elbalmofen miefen fie anfangs jurüd, bgl. propositum bes ®uran.
Unter ben ©beifen matten fie feinen Unterfdjneb, aber auf ba§ $aften legten fie bon
Stnfang an großen SBert (bgl. ©berfjarb c. 25 p. 180 f. in ieiunando nobiscum estis),
fie übten e§ fdjon fel)r frübe am SRontag, Sftitttood; unb grettag, bgl. für bie g-ranjofen 30
©öUinger 2, ©. 9, für bie Sombarben ebb. ©. 367. 9cid;t minber ^ocb fdjätsten fie ba§
©ebet, aber aufjer bem S£ifd;fegen gebrausten fie immer nur ein ©ebet, baS 33aterunfer,
ba§ fie bafür um fo häufiger ju fbredjen pflegten, bgl. für bie granjofen SDöllinger 2,
©. 17, für bie Sombarben ^affauer 2Inonr,muS p. 30 E, SDößtnger 2, ©. 339, 345.
©od; gelten fie fid; babei anfangt nirgenbS an bie fanonifcfyen ©ebetSftunben , bgl. bie 35
$lage ^nnoceng III. über bie fölerüer unter ben ©enoffen beS ®uran, epist. 12, nr. 69,
p. 337- ©bäter beteten fie überall be3 SLageS fiebenmal. 9Rur bor bem (äffen fbracfyen
aud) fie ein befonbere§*©ebet, ben SEifdb, fegen, bgl. ben %yct ©ößinger 2, ©. 11 f., Trac-
tatus ebb. ©. 94; für ben franjöfifcben $toeig ift ber ©egen fd)on bezeugt in ber Con-
sultatio Avenionensium bon 1235, für bie Sombarben burd; Tractatus a. a. C, 40
bgl. Dd;fenbein, 2lu§ bem fdjtneij. $olf§Ieben ©. 186. ©eb,r früf)e ift fobann in ber
societas toor;! unter fatb,arifd;em ©influffe ber 23raud; aufgelommen, jeben @ib im §in=
blid auf 3Jtt 5, 34 ff. abjulefynen, jebe Süge al§ eine Xobfünbe ju metben, jebe§ 33lut=
bergiefeen feig aud; in geregtem Kriege, ja felbft bie S3lutgerid)tsbarfeit ju berbammen,
bgl. Mt 5, 21ff., 7, lff., erfter ßeuge 2llanu§ II, c. 15-23. — 2113 ü)re mid;tigfte 45
33eruf^aufgabe betrachteten bie Slrmen bie ^3rebigt, bgl. Söalter ÜJcab, 33ernf)arb bon
gontcaub, 2Inoni;mu§ bon Saon. @rft nacf) ib,rer 3lu^fto^ung au$ ber ^ircfye begannen
fie aud; S3eid)te ju l)ören unb bag Slbenbrnab^I ju zelebrieren, erfter 3eu9e fur beibeS
2llanu§ II, c. 7ss., unb nod; bor bem ©djtema aud; ba3 ©aframent beg Drbo burd;
©ebet unb §anbauf(egung nad; SSovfcbrift „be§ ©efe^el ©otteg" 1 %i, SEit, 2tfta ju so
bolljieb,en, bgl. für bie granjofen SDößinger 2, ©. 109 ff., für bie Sombarben 33rief
5Rorel§ bei SDiedfyoff ©. 364, bie summa brevissima bei ©oll, DaieHcn unb Untcr=
fud;ungen jur ©efd;icb,te ber böb,m. Srüber 1, ©. 118. £)a§ Slbenbmab,! tr-urbe biel=
leicht juerft öfters gefeiert, aber nod; bor bem ©d;iSma fcb,eint man fid) entfdjloffen ju
l)aben, eS nur einmal im galjre, nämlid) am Slbenbe beS ©rünbonnerStageg, burd) einen 55
33ifd)of zelebrieren ju laffen (ältefte geugniffe für gran!reid) Consultatio Avenionensium
bon 1235 bei SRüller ©. 83, ?ßroto!olle beö ^nquifitorS ^etruS Sella bon 1241 2 bei
Sea 2, p. 334 [cena in die Jovis], c. 29, Narbonne 1243,4 Mansi 23, p.j364;
für ben Iombarbifd>=beutfd;en 3meig Slften bon ßarcaffonne bei ©öHinger 2, e. 8;
bestätigt burd; ba3 5Rotat Errores Waldensium bon c. 1395 bei 1>öllinger 2, ©. 3:!',). 60
814 SSoIbeitfer
2)er 9?itu§ ebb. ©. 7 f.). 33ei ben granjofen toar e§ toofyl bon Slnfang an üblicl), ^
bei ber geter aufeer ungefäuertem Orot unb älßein auct) gifcb, genoffen tourbe, bgl.
©öUinger 2, ©. 116. Consultatio Avenion. 1235 Bei SDiülIer ©. 84, gormein bon
Sarcaffonne 5Hr. 8 ebb. ©. 85 n. b., ^rotofolle be§ $etru<§ Seffa bon 1241/2 bei Sea 2,
5 p. 579 ss., unb jenen beim 2lbenbmabJ gereichten ©Reifen fcfyeint man bann fyier fdjon
frü^e bie Kraft gugefcfyrieben ju fyaben, Kranfe gefunb ju machen. SDieä ergiebt ftcb, al§
eigentliche 23ebeutung be3 panis signatus ober benedictus flar au§ ben ^ßrotofoHen
be§ betrug ©eHa, bgl. 2lften Don (Sarcaffonne ©öHinger 2, ©. 8.
3. 33erlünbigung unb Slnfcb, auungen ber Slrmen. ©ie ^rebigt ber
10 Sirmen toar fel)r einfach ©ie befianb in ber Siegel nur in Ermahnungen jur 93ufce
(„culpare sua et aliena peccata", Saoner 2lnonbmu§) unb Stejitation längerer 2tb=
f4>nitte au§ ber 1)1. ©d)rift in ber SBoIfSfbracfje („firmans eis evangelia", ©tebl)an
bon Sourbon p. 291). 23efonberen 5Racb,brucf legten fie babei fpätefteng feit beginn be§
13. Qab,rf)unbert§ auf ba<§ Verbot be§ @ibe§, ber Süge, beS SBlutbergiefjenS in ber S8erg=
i5brebigt, 3Ät 5, 21 ff., 24 ff.; 7, 1 ff-, erfter Beuge 2llanu3 II, c. 15ss. 2)ie £ärefien,
bie il)nen babei nact) bem Urteil ifyrer fatbolifcfyett ©egner unterliefen, bienten nur $ur
(Sinfcfyärfung ber Sufcbrebigt ober jur üßertetbigung if)re3 Unternehmend gegenüber ben
Slnfbrücfyen ber §ierarct)ie : 1. ©eelenmeffen, ©ebete, 2Ilmofen nü|en ben Soten nichts
meb^r, Semfyarb bon gontcaub c. 9, propositum ber pauperes catholici, ettoa<§ anber3
20 2llanu3 2, c. 12—14. 2. ©in gegfeuer giebt e§ md)t. 2llanu§ ertoäfmt biefe Stnfic^t
nicf)t au3brücflicr/, aud) ntct)t bte Siegel ber pauperes catholici, aber bie letztere fe|t fie
boct) borau§, 33eml)arb giebt c. 10, 11 an, bafj bie haeretici barüber fia) nod) ber=
f Rieben äußern; fidler bezeugt ift fie als gemeinfame Überzeugung aller alten 3Balbenfer
burd) Rescriptum c. 15, bgl. ©tebl)an bon Sourbon c. 343, ©. 295, 2llten bon
25 ©arcaffonne bei ©öHinger 2, ©. 107, ^affauer 3lnonbmui c. 5, p. 30 D. 3. ®ie bifct)öf=
liefen Stbläffe finb ungiltig, Planus 2, c. 11, ©tebb,an c. 343, ©. 296, $affauer 2lno=
nbmu3 c. 5, p. 29 E. 4. sJtur ben guten ^rieftern, toeld)e ba§ Seben ber Stboftel führen,
ift man ©efyorfam fcfmlbig, 2llanu§ II, e. 5— 14. 5. Magis operatur meritum ad
consecrandum vel benedicendum, ligandum et solvendum quam ordo vel
30 officium. Dbgletcb, bie 2lrmen !eine fatfyolifcfyen 2öetl)en befugen, bürfen fie bal)er fegnen,
fonfefrteren, binben, löfen, ebb. c. 8, propositum ber pauperes catholici. $on I)ier
aus ergaben ficb, nottoenbig 6. gtoeifel an ^er SBirEfamEeit aller bon untoürbigen !atbo=
Uferen ^ßrieftern belogenen ©aframente, inSbefonbere beö 2lbenbmab,I§, bod) toaren bie
Slrmen nod) 1218 über biefen 5Pun!t ju leiner einhelligen Meinung gelangt, Rescriptum
35 c. 16 ff. 3luffälliger ift, ba^ ficb, in t&rer 2)iitte, toof)l unter fatb,arifa)em @influffe, ba=
mal§ aueb, fcb,on 23eben£en gegen bie 9cottoenbigleit ber 'Saufe, ber i^inbertaufe im bc=
fonberen regten. 2lHein biefe Sebenfen tourben borerft niebergefebjagen, bgl. ebb. c. 8, 12,
^affauer 3lnon^mu6 28H. Söeiter lehrten fie: 7. ba§ ©ebet im Kämmerlein ift toirl=
famer aU baä ©ebet in ber Kirche, 33ernb,arb bon gonteaub c. 12, unb beftritten über=
40 l)aubt bie befonbere §eiligfeit ber fircf)licl)en Kultftätten. gür all biefe fieberen unb für
all ib,re befonberen ©ebräucb,e unb Drbnungen fugten fie bon 3lnfang an einen fbrm=
liefen ©c£)riftbetoeig ju führen, ©o beriefen fie' ficb, für ba§ Stecht ber Saienbrebigt auf
3a 4, 17; Slbl 22, 17; ÜERc 9, 38 f.; W U 15, SRu 11, 29; für bie £ulaffung ber grauen
3um s^rebtgtamt auf Sit 2, 3 f. unb ba§ Seifbiel ber §anna Sc 2, für bie 3Sertoerfung
45 beä $egfeuer§, ber ©eelenmeffen unb anberer Seiftungen ju ©unften ber Soten auf
So 12, 35; 2 Äo 5, 10; 6, 2; ©a 6, 10; ^rb 9, 11; $[ 105, 1 u.f.to., bgl. Sernb,arb
bon gonteaub. ©elegentlicb, berfcb,mäb,ten fie eS nicb,t, aueb, latb,o!ifcb,e 2lutoritäten für fta)
anäufüfjren, bgl. Sernb,arb c. 4 unb bie ©täte au§ ß^brian, §ieront;mu§, Qnnocenj I.,
©regor bem ©rofeen in Rescriptum c. 24. Mein bie 53ibel ftanb ib,nen bon Anfang
50 an fo i)oä)r bafe bie Sombarben bereit 1218 ben ©runbfa| aufftettten: jebe credulitas
unb jebe consuetudo muffe aperte per scripturam divinam betoiefen toerben, bgl.
Rescriptum c. 14 unb bafj alle 2lrmen, aud) bie granjofen in ber ^rarte bem 33ucb,=
ftaben ber 93tbel big tng ©injelnfte gerecht ju toerben fucb,ten. ®arum beteten fie nur
ba§ SSaterunfer, erllärten ba§ ©ebet im Kämmerlein für totrlfamer, alg ba§ ©ebet in ber
55&trcr,e, feierten 3lbenbmab,l nur am Slbenbe be§ ©rünbonnergtagg, nannten ficb, felbft
pauperes spiritu unb ib^re 33orfteb,er maiores, bgl. 9Jct 20, 26 u. f. to. ^b,r Siblicig=
muö mar alfo unbebingt unb mürbe im Saufe ber 3eit bei ber lombarbifcb,=beutfcben
©rubbe immer unbebingter, aber er toar boeb, gut mittelalterlicb,. 2)ie Sibel galt ib,nen
genau fo tote ib,ren latb^olifcb^en ©egnern als ©efe|buc^ unb tourbe burcb,au§ al§ ©e efe=
eo bueb, bon tb,nen gebraust. ©leicb,toob,l beftanb boeb, gerabe in btefem fünfte ein großer
2©albettfer 815
Unterschieb zwifcfyen ifmen unb tfjren ©egnern. ©ie Kircfye betrachtete bie SBenuijung ber
S3ibel gerabe^u aU ein 9teferbatrecbt ber £>ierard)ie, 9Mbe§ ber Säte aH ein 3tecfyt unb
eine $flid)t aller (Stiften. %üx bie §ierarcf;ie War bie SBibel nie allein maßgebenb, für
bie SSalbefier Warb fie fdwn im erften SRenfcf/enalter ifyrer ©efcf/id)te bie unica norma
docendi et vivendi. SDarum legten fie bon Anfang an fo großen 2Bert barauf, bie 5
Sibel in ber 23olf3fbrad>e ju befi£en. 2öalbe§ felbft befaß Wafyrjdmnlid) fcfyon 1179 faft
bie ganje 33ibel in brobenjalifdjer Überfefcung, bgl. bie Angaben StRabS unb ©tebb/an3
Don 33ourbon. ©iefer probenjalifc^en Überfe^ung Werben fid) feine jünger Wofyl aud> in
Katalonien unb 2Iragon, in 9corbfranfreia) unb Sotfyringen unb bielleid)t felbft in ' ber
Sombarbei bebient fyaben. 3« ©eutfcfylanb mußte man fieb, bagegen entfcf/ließen , bie 10
bl. Sücber aufd neue ju überfein, bgl. fcfyon ben Sefefyl $ifcf/of £ugo3 bon Sütttcf/, alle
frangöfi^en unb beutfcb/en Sucher über bie 23ibel ausliefern, au3 bem ^abre 1203,
grebericq, Corpus documentorum, nr. 63, 1, ©. 63, bie Trierer ©tmobe bon 1231
bei §arfcbeim, Concilia 3, ©. 539, Sßaffauer 2(nonr/mu§ c. 3, p. 26 H: novum et
vetus Testamentum vulgariter transtulerunt. ©abei toaffterten ben Strmen 15
freiließ manche 2)cißberftänbniffe. 2tHein baß fie ben £er.t md)t immer richtig ber--
ftanben, b/inberte fie nid)t gange biblifcfye Südjer Wbrtlicb, au^Wenbig ju lernen unb
Wörtlicb, aueb ifyren gufybrern einzuprägen, ©elbft unter it)ren greunben fanben fid;
bafjer bälb Seute, Welche obme lefen unb fd^retbert ju rönnen, bie SBorte ^efu, bie
40 ©onntagiebangelien, ja ba3 gange Sud) §iob unb alle trier ©bangelien Wörtlicb 20
auffagen tonnten, t>gl. ^affauer 2Inonr/mu§ a. a. D. unb c. 8 p. 41 E, ©tebfyan bon
SBourbon c. 349 ©. 308. ©d)on bie Kinber begannen ba§ (Sbangelium unb bie (Sbifteln
gu lernen, SDabib c. 13, ©. 213, ^ßaffauer 2tnonr/mu3 c. 5 p. 26 E. 3)a3 geigt jur
©enüge, wie neu unb Wie Wirffam biefe 2lrt ber 3Ser!ünbigung mar. 2öa§ 28albe3 an
fieb erfahren, ba§ erfuhren in ber %fyat bureb, feine Sun9er \ty gum erften 9Jtale im 25
DJtittelalter Weite Greife ber SaienWelt : „Welcb, ein unbergleicb/lid)e<§ religiöfe<§ ©enfmal bie
Sb,riftenb,eit in ber SSibel befitjt", bgl. Qauä, Kirdjengefd;. ©eutfdjlanbs 4, ©. 869.
4. ©er 9Jliffion§ betrieb, ^n Welcher 2öeife gingen bie Slrmen nun bei ib/rer
älrbeit im einzelnen bor? ©ie gogen gunäcbjt öffentlich in ifyrer atooftolifcf;en ^racfyt um=
fyer unb brebigten auf ©traßen, $lä|en unb felbft in ben Kirdjen, bgl. ©tebfyan c. 342, 30
©. 292 ff. $n ^er Sangueboc fonnten fie an biefem 33raucb,e bi§ tief inl 13. %at)x-
b,unbert feftb, alten, bgl. bie 2lu<^üge au§ ben ^nquifition^aften be§ ^ßetru^ ßella bon
1241/2 bei Sea 2, ©. 759 ff. 2lnberroärt§ Würben fie fd}on frül)e burd; bie Verfolgung
genötigt, bie aboftolifdje ^Eracb,t abzulegen unb it)re Arbeit im ©eb,eimen gu betreiben,
letzte ©pur ber apoftoIifd)en Xract/t: gormein ber ^rtquifition bon ßarcaffonnc ca. 8 au§ 35
ben Igafyren 1250 — 60 bei Sftülter ©. 91. ©ie erfd}ienen bann in allen möglichen SSer=
fleibungen, alg ^ilger, 33üfeer, Sarbierer, ©djufter, ©rntearbeiter, §aufierer, ja fie fügten
Wob,I Wie bie Wanbernben $ogIar<§ berfctjiebene Kleiber bei fid), um nacb, 33ebarf balb in
biefer balb in jener ©eftalt auftreten gu !önnen, bgl. ©tebb,an c. 342, ©. 393, 279,
©. 231, SDabib c. 8, ©. 210, Tractatus de pauperibus de Lugduno ©öllinger 2, 40
©. 97 ©lüdte e§ ifmen irgenbWo ©e^ör gu finben, fo fugten fie mögliebft eine ober
bie anbere ^ßerfon bon ber 3BeIt ju belehren, b. i. jum (gintritt in ben ©tanb ber con-
versi ju bewegen, au§ bem fie bann cbentueE in ben ©tanb ber „2lrmen" übertreten
fonnte, bie übrigen amici ober 2lnb,änger leiteten fie an fieb, regelmäßig ju scholae,
Konbentüeln, ju berfammeln unb in itjren Käufern ehrbar, orbentlicb, unb fleifeig ju leben, 45
namentlicb, aber bor bem ©d)Wören unb 33lutbergiefeen fieb; ju fluten, bgl. propositum
ber pauperes catholici; Rescriptum c. 6; Qnnocenj 1. 11, nr. 198. ^n ber £om=
barbei beranlafcten fie bie „greunbe" junädjft WobJ meift, in eine ber ag!etifcr/en 2lrbeiter=
genoffenfd}aften einzutreten, bie bamalä in SRailanb unb anberWärtö beftanben, Re-
scriptum c. 6, 7 (©aß e<3 fieb, b;ier Wirilid) um 2lrbeitergenoffenfd;aften b^anbelt, nid;t 50
um bloße 33erbänbe ber amici, $auä 4, ©. 865 n. 3, folgt nict;t nur au3 bem 2luö=
brude congregaciones laborantium, fonbern aud) au$ ben 2öorten c. 6: si aliqua
persona consilium pauperum petierit, volens in terreno labore manere,
detur Uli consilium seeundum Deum et eius legem, si sola manere voluerit
vel jüngere se cum pluribus). üDiefe congregaciones laborantium unb 56
scholae, bie bisweilen ein eigene«? 3}erfammlung3lofal fieb, bauten (fo in JRailanb,
^nnocenj 1. 12, nr. 17), bilbeten anfangt bie feften Stationen ber 9Jciffion. ©aju traten
nod) im 13. Safyrfmnbert im lombarbifd;=beutfd)en ©ebiet bie hospitia ober studia, bie
^Prebigerberbergen, in benen gugleic^ bie conversi b,erangebilbet Würben, bgl. 2)abib c. 8,
p. 210, ©tebban bon 33ourbon c. 330, p. 280s., Tractatus bei Söllinger 2, ©. 93 f. 60
816 SSalbcnfer
@in ford^eö „©tubium" befanb ficb. im 13. ga^unbert j. 33. in 9JlatIanb, ©tebf>an
a. a. D., bgl. $reger in 2ÖJJ21 19 3. at&t. Slber bie congregationes toaren, fotrsett
fie auä ber ©rünbungSgeit flammten, toie e§ fdjeint, fcfyon 1218 berfcfytounben (bgl.
Reseriptum c. 6: que tunc temporis erant in Italia) unb fyaben fcfytoerlicb, feEjr
5 lange beftanben. ©enn fie erregten naturgemäß am leicfrteften ben Slrgtoofyn ber 35er»
folger. ©ie scholae unb studia bagegen beftanben fort. ©ocf) bertoanbelten ficb, bie
erfteren allmäljilicb, überall in geheime JRonbenttfel unb fanben nicrjt meb,r ju beftimmten
Reiten unb an beftimmten Drten ftatt, ©abib a. a. D.
5. Sie 33erfaffung. ©ie Regierung ber societas lag bi§ jur ©ejeffion ber
10 Sombarben naturgemäß in ben §änben bei 2Mbe§. SIEein nad) einer Überlieferung ber
Sombarben fyätte man fdjon früt>e bafür geforgt, baß biefe toatriarcr/alifdje ©teHung be<§
«Stifters eine recf/tlicfye ©runblage erhielt. ©ie universitas fratrum, fyeißt e§, übertrug
•JöalbeS ba§ regimen omnium, inbem fie it)n ^um praelatus (SSorftefyer) unb gugletdj
gum pontifex omnium (33ifcfjof) ertoäl)lie, Moneta 1. 5, c. 1, § 4, p. 402 ss. Db
15 ein foltfjer 2öat)[aft — man müßte annehmen bei bem Stnfcfyluffe ber Sombarben an
bie ©tammgenoffenfcfyaft — toirfltct; ftattgefunben b,at, ift mefyr al<§ zweifelhaft. $n bwc
Siegel behaupteten na<f)tbei§Iicb, audj bie Sombarben, 2Balbe3 fyabz feinen ordo, fein
33tfcb/ofs>amt wie 2Rofe<§, ^ßauluS unb alle anberen 2ltooftel nicfyt bon 3JJenfcf;en, fonbern
bon ©ott, Moneta 1. c. ^ebenfalls ergiebt ficb, aber au§ ber ©teile: 2öalbe§ ift nad)
20 lombarbifdjer Überlieferung nicfyt bloß praelatus, praepositus unb rector, fonbern
äugleicf/ 33ifcf;of ber Jlrmen getoefen unb h,at afö folcfyer bie gälrigfeit befeffen, für bie
2lrmen aud) $re3br/ter unb ©tafonen ju Weisen. ©a nun fbäter nadjroetglicb, fotoob/l bie
gran^ofen, bgl. bie SHten bei ©bllinger 2, ©. 97 ff., toie bie Sombarben, bgl. Moneta
1. c, $affauer 2lnonr;mu<§ c. 5, p. 306, c. 3, p. 276, Sifcfyöfe, $re3br;ier unb ©iafonen
25 befaßen, fo r)aben toir anjunefjmen: bie societas t)at nacfy 1184 (Datum be§ bäbftlicben
33anne3), aber nocb, bor 1210 (©ejeffion ber Sombarben), ficb, entfcf/loffen, bie brei ordines
be§ 33ifcfyof§, $re§br/ter§ unb ©iafonen in ifyrer Witte neu ju begrünben. ©ie fyat ba=
mala 2Balbe3 aU Sifcfyof anerfannt unb biefer f>at bann anbere 2trmen ju $re<§bt;tem
unb ©iafonen getoeifyt. ©er 33etoeggrunb ju biefem ©cfiritte, burd) ben fict) bie societas
30 bon ber rbmifcfyen $ird)e fd&jeb, toar Wob,! ba§ Mißtrauen gegen bie faframentalen §anb=
lungen ber fatfyolifdjen ^rtefter. ©aß man aber gerabe nur jene brei ordines neu er=
richtete, ift toobj barauf jurücf jufür)ren, baß „baä ©efe$ ©otte<§", bie 33ibel, nur ihm bie
brei fennt. — 2tber in toelcfyem 33erb,ältniffe ftanb baö 33ifcf)of3amt ju bem Slmte be§
praepositus ober rector, ba§ Reseriptum c. 4 auSbrücflict) bezeugt ift? 3lu§ ber
35 oben angeführten ©teile bei Moneta barf man fcb/ließen , baß äBalbeg bis jur ©ejeffion
ber Sombarben bie ganje societas al§ praepositus unb Sifc^of regiert ^at. ©anad)
b,aben bie Sombarben erft Cannes bon Stonco (f. o.), bann einen getotffen Dtto bon
3{amajeIo(?) jum rector geioäfjlt, bgl. Reseriptum c. 1 : 6. O. de R. Dei gratia conf rater
pauperum spiritu. ©ie fjaben alfo an ber monarcfyfcfyen ÜBerfaffung feftg ehalten, fie
40 bitten big @nbe beg 15. ^afjrfyunbertg einen summus pontifex, ber feit ber 2. §älfte
be§ 14. ^afjr^unbertg in 2lbulien ober in Wittelitalien refibierte, bgl. 2lften ber Muriner
Snquifitton bon 1387/8 im Archivio Storico Italiano serie terza t. 1, parte 2,
p. 39 (in atbulia), Serfyör be§ ^^ilibb 9?cgiä 1451 Riv. Crist. 9, p. 364 ff. (in
SKanfrebonia), beg Sarben Martin au3 bem ^a^re 1492, Bulletin 12, p. 112 (ca. 1470
45 m ©ambro (V) in territorio papae), Origo Waldensium 1469 bei SRorlanb p. 215
(m 2lqutla). £ro£bem b,ören toir um 1266 bon mehreren episcopi ber Sombarben in ber
Sombarbet tote in ©eutfd&Icmb, ^affauer Inon^mug c. 3, p. 27 C, c. 5, p. 30 C. %n
granfretd) tft um 1218 ein monaref/tfeber Hefter nicf)t nad)toeigbar, fonbern nur 2iäbrlic&
toejfelnbe ^roluratoren, Reseriptum c. 15. 216er @nbe beö 13. ^ab,rb,unbertg begegnet
"°r inoW ? f et" au^Sebm^«tt fungierenber maior minister, Stften bei ©öttinger 2,
b. 108, baneben jebod? anbere episcopi ober maiores, bie stoar Drbinationen bor=
nepen, aber lerne regtmcntR^en Sefugniffe ausüben, a. a. D. §ieraug folgt: bifcböf=
uc^er ürbo unb «Reftorat galten bon Anfang an bei ben äöalbenfera nid)t alö nottoenbig
?ufammengeb,ortg. ©er Drbo toarb ertoorben burc^ bie Drbination, ber SReftorat bureb
55 einen äiial)lalt beg commune f. u. ©. 818, 20 unb bie Sefc£)reibung ber 2Bab,I unb
• vx >? e?e§ maior minister ©öOmger 2, ©. 98. ©er Drbo berlieb, ein Charisma
namUd) bte übernatürliche Sefäl)tgung, bie ©alramente gu bertoalten; biefe gäb,igfeit aalt
vi ™ ^,rt.!at^oU^en Äirtt^e, für unauglöfdjlicb,. ©er Söabjaft berlie^ feine übernatür'
UX ^?ay.l9un9. fonbern eine red)tlicb,e 33efugni§, aB beren aSerIeit;er bag commune
so galt, namltcf) bte Befugnis, bie societas ju regieren, ©emgemäß lonnte ba§ commune
äöalbenfcr 817
aucfy ba3 ?R(d)t in 2lnfbrucb, nehmen, über bie 2lrt ber Verwaltung unb bie seitliche ®auer
biefer VefugniS ju bestimmen, ©o erflärt e3 ficfy, bafj baS commune ber granjofen
1218 ben Sfaftorat bureb, 2jäl)rltcb, iüec^felnbe Vrofuratoren berWalten lieft, fbäter aber bieg
3(mt toieber einem einzelnen 33ruber auf Seben^eit übertrug, unb fo berftefyt man aucb,
baf? ba§ commune ber Sombarben fieb, für befugt fyielt, 2Balbe§ ca. 1210 ben 9Mtorat &
über bie Sombarben ju entjiefyen unb einen eigenen Kelter ju mahlen. 2lber Wenn man
aucb, VifdjofSamt unb Seftorat Wofyl unterfdjneb, fo legte man bocb, Sßert barauf, bafj ber
3te!tor bie 33ifd;of3toeifye befuge, bgl. SDößinger 2, ©. 98 unb ©. 108, unb fo Wirb aua)
in berSombarbei ber Steltor ftet§ jugleicb^ SBifcfyof geWefen fein, bgl. oben ©. 816, 40 über
ben summus pontifex in Julien. — Über bie gafultäten unb Sefugniffe be<§ Dteftor= io
bifcfyofS, ber Vtfcfyöfe, VreSbr/ter unb ©iafonen erhalten mir erft in franjöfifd&en Duellen
au3 bem @nbe be§ 13. unb Slnfang be§ 14. ^afyrfyunberts genauere äluöfunft, 2lften bei
©öüinger 2, ©. 8 f., 97 ff., Bernardus Guidonis 3, c. 35, p. 136 ff. 216er ba bie
gran^ofen notorifc^ bie fonferbatibfte ©rubbe ber SBruberfcfyaft maren, fo merben bie r/ier
beftfjriebenen ©ebräucfye unb Regeln in ibjen ©runb^ügen fd&on au3 ben Anfängen ber 15
societas ftammen. ®ie Stnberungen, bie im Saufe beS 13. ^ab,rb,unbertg erfolgt finb,
laffen fid), foWeit fie für bie ÜBerfaffung ber societas Wefentlicb, finb, leicht als folcfye er=
iennen. 2)er SDiafon, and) minor unb in ©eutfcfylanb iunior genannt, ift banacb, nichts
Weiter al<§ ber Wiener ber Vre§br/ter, SBtfd&öfe unb Gefroren, bgl. SDbUinger 2, ©. 109.
SBenn bemnacf) bie 2lrmen nacb, ber SSorjd^rift be3 ©bangeliumS immer ju jtoeien Wanbern 20
unb auftreten, fo ift ber eine ber jWei in ber Siegel ein ©ia!on, ber anbere ein Vre§br/ter,
bgl. ba§ 9totat an§ ber beutfcr/en Verfolgung bon 1391, SDöllinger 2, ©. 398. Urfbrünglicb, l>at
aucb, ber ©iafon baS Stecht gehabt, ju brebigen unb Veicfjte ju §ören. ©bä'ter ift WenigftenS in
granfreicb, bieS 3tec§t ben ©ialonen entzogen Worben. 2)er ^reSbr/ter r)at ba3 Stecht in
bem U)m bon bem Stefior angeWiefenen 93egivle ju ^rebigert, Seichte &u I)ören, aucb, ben 25
;Eifa)fegen ju f!prec6en. $n fbäterer geit gilt er aucfy, faÜ<8 23ifcr)öfe nicf)t borr)anben finb,
für befugt, bie VifcfyofSWeifye ju erteilen. SDarauS folgt, bafj man ber Vre§br/ter= unb
33ifcf)of<oWeir)e im ©runbe bie gleite $raft beimaß. %a, bei ben Iombarbifcr)=beutfcl)en
Srübern 6at ftcr) im 15. ^ß^unbert ba3 VeWufjtfein babon, bafs äWifcfyen beiben Sföei^en
ein Unterfcb, ieb beftefye,*tobEig oerloren, bgl. ben Sörtef be§33öb,men 9Jticb,ael bei ©oll, Quellen 30
unb llnterf. 3. ©efcfj). b. b. 33. 1, ©. 105. ®er 33ifcb,of, in granfreicb, ftoäter Maior
ober Maioralis genannt, »gl. bie Eatt)arifct;en Maiores, fyat aufeerbem fraft feiner 2öei6e
bie Sefäfyigung, bag 2lbenbmab,l ^u jelebrieren unb ©ialonen, ^ßre^b^ter unb 23tfcr/öfe ju
orbinieren. SDer rector, praepositus, in granfreict; füäter Maior omnium ober Maior
minister genannt, I)at aufjer ben bifcljöf liefen gafultäten ba§ 9tect)t, bai jäljrlicb, ein= 35
ober ätoeimal gufammentretenbe commune ju berufen unb ju leiten. ^n Sranfreicb, ift
er fbäter auef) befugt, überall ju brebigen unb bie 2lbfolution ober ba§ melioramentum
ju fbenben. 5Der 3^itu§ ber Drbination ift bei aEen brei ©raben fefyr etnfact) : ©ünben=
belenntni§ be§ Drbinanben (feb,It in ben lombarbifcb,=beutfcb,en Quellen), ©ebet be§ 3Sater=
unfer§ unb Übertragung be3 ordo bureb, §anbauflegung, ogl. für granfreic^ ©öHinger 2, 40
©. 97 ff. (für bie Sombarben ift bie §anbauflcgung erft bezeugt bureb, SRorel bei ©iecf=
l)off ©. 364; Tractatus p. 76 unb iRöfyxid) 1, ©. 42 geben nur an, bafe ber 9?obije
fieb, niebertoirft, barauf bon ben Srübern aufgehoben unb bureb, baäosculum pacis al§
Sruber anerlannt wirb). $n ^anfreieb, befafeen um 1320 alle pauperes jum minbeften
ben ©rab be§ 2)ialonen, ©ößinger 2, ©. 103, Bernardus Guidonis p. 137 s. Ob 45
biefer SBraucb, auf bie geil be§ SöalbeS §urüdEge6t, ift nicb,t feftäuftetten. — 3" liefert
oerfcb,iebenen klaffen ber Sörüber trat nun noeb, bie klaffe ber ,,©cb,meftern", boeb, toaren
bie ©cb,toeftern faum je fefyr gaEjlreid^. Qn granfreieb, entfcb,lofe man fieb, ettoa ju Seginn
be§ 14. ^ab,rb,unbert§ ©cb,meftern nicb,t mef)r in bie societas aufzunehmen, toeil fie feinen
geiftlicb,en ©rab erlangen lonnten, ®ötlinger 2, ©. 117, 144. Qm lombarbifcb,=beutfc^en w
©ebiete lebten fie fet/on @nbe be§ 13. ^ab,rb,unbertS nacb. 2lrt ber Seginen in ber
hospitia jufammen, Ratten alfo bie 2Banberbrebigt aufgegeben, Tractatus bei Töllinger
©. 93 f., »gl. Wtoxtl bei ®iec!b,off ©. 364. 3tm commune ijabm fie fcfyloerlicb, jemals
teilnehmen bürfen, togl. Tractatus ©. 95. — Wad) bem Rescriptum mar eS jtüifcr)cn
Sombarben unb gransofen noeb, über bie 2lnfteHungSoerb,ältniffe einer jmeiten klaffe bon 56
©emeinfcb,aftäbeamten ^um ©treite gekommen, ber fog. ministri. Man einigte fieb, aber
ju 33ergamo über folgenbe fünfte: 1. $Die ministri foßen bon bem commune entioeber
auS ben 9leib,en ber nuper conversi ober ber amici in rebus permanentes getoäblt
Werben. 2. @S fott bem commune freiftetjen, fie auf Scbenöjeit ober auf $t\t anjufteHen.
daraus folgt: 1. %me ministri übm ben ai)oftolifcb,cn 33cruf nicb,t auS. 2. Unter jenen «>
8ieaI=tenct)Hopäbte für Xt»eologte unb fiit«e. 8. 31. XX. 52
818 äBalbenfer
ministri fönnen bemjufolge aucb, nict/t bie SDiafoncn, Vresbr/ter tmb Vifcböfe ber
societas gemeint fein. 3. ®ag älmt, bag jene ministri betleiben, nm| ein 2lmt fein,
bag ifmen erlaubt, einen feften 2öoIjmfi£ ju behalten, ©emnacf) Waren 4. jene ministri
33eamte ber societas, it>eld^e im Stuftrage unb alg Vertrauengmänner beg commune
5 feig auf 3eit, feig auf Sebengjeit bie scholae ober regelmäßigen Verfammlungen ber
amici eineg Drteg ober bie 2lrbeitergenoffenfct)aften, Wo foldje nodb, beftanben, leiteten
unb ben wanbernben Stbofteln ebentuell jur £anb gingen. ®ieg (Srgebnig Wirb beftätigt
burcb, bie Veobacfyiung, baß bie nuper conversi alg befonberg tauglich für bieg 2lmt
angefe^en werben, alfo Seute, bie noa) nict/t berechtigt Waren, bie aboftolifct/e SStenbertorebigt
10 auszuüben, aber Wot>I geeignet erfct/einen fonnten, einen Verirauengboften ju befleiben. ^ene
Notig beWeift mithin, baß man fct/on bor 1218 berfuct/t t/at, bie amici ober credentes ju
organifieren. inwieweit biefer Verfud) geglücft ift, entgiet/t fict/ unferer ßenninig. 2lber
Wir bürfen annehmen, baß faft überall ba, Wo ung scholae ber 2Mbenfer begegnen,
ein bon bem commune gemähter „Wiener" bort/anben mar, ber, faUg eg an einem
15 2lboftel fehlte, bie ©rbauungsbcrfammlung ber amici leitete unb bie Wanbernben 2lboftel,
faCg fie bag betreffenbe ©ebtet berührten, mit SFtat unb Stt/at unterführte. SRajor,
Vifct/öfe, Vregbi/ter, SDiafonen Ratten leinen feften SBot/nfüj. Slber ein= ober jWeimal
im %at)xe berfammetten fict/ allem 2lnfcf>eine nact/ bon Stnfang an alle ober boct/ alle
älteren SJcitglieber ber societas ober bie sandaliati, Tractatus p. 94, jum commune
20 ober §ur ©eneralberfammfung, bon ben fatl/olifct/en Volemifern concilium ober capi-
tulum genannt, ©o lange S&albeg auty bon ben Sombarben alg Dbert/aubt anerfannt
war, Wirb bag commune r/inter bem Maior ebenfo gurücf getreten fein, wie im 9)cinoriten=
orben bor 1221 bie Vfingftfabitel an ber Vortiuncula r/inter ber Verfon beg grangtgfug.
©eit bem ©ct/igma aber nat/m eg in ber Sombarbei unb nacfy bem %obe beg 2öalbeg
25 auct/ in granfreict/ in ftarfem SRaße teil an ber Regierung ber societas. @g ent=
fdjieb 1. über bie 2lufnar)me neuer Vrüber unb ©ct/Weftem. @g Wählte 2. bie Vorftefyer,
3. bie „^Diener" ber scholae. @g beftimmte, 4. Welche ^ßerfonen ju ©iafonen, $regbr/tern,
Vifcf/öfen gemeint Werben feilten. @g übte 5. auct/ ©erict/tgbarfeit unb erfannte ebentuell
auf Stugftoßung aug ber societas. @g bert/anbelte 6. de statu omni sectae unb
so forberte bon jebem ©enoffen Verict/t über ben ©tanb ber Slrbeit in feinem 3Rifftong=
be^trfe. @g entfct/ieb 7. in fbäterer 3eit auct/ über bie VerWenbung ber gefammelten
Stlmofen unb Beiträge ber amici, bgl. Rescriptum c. 4ss., Tractatus de pauperibus
©öllinger 2, ©. 95 f. unb banact) Bernardus Guidonis p. 249. 2llg bie 9JUffion
ber societas fiel) augbetmte, fab, man babon ah, alle Vrüber regelmäßig jum commune
35 ju berufen. 9Jcan war aufrieben, Wenn aug ben entfernteren ©ebieten brei ober bier ®clc=
gierte erfet/ienen, bgl. Tractatus de pauperibus ®öttinger 2, ©. 95. 2tber bie @in=
ridjitung beg commune felber beraubtere fict) tro£ ber Verfolgungen in bem fran^öfifet/en
Wie in bem lombarbifd^beutfcfyen gWeige &§ jum Untergänge beg Söalbenfertumg. ^br
b,atte eg bie societas nict)t jule^t ju berbanlen, baß fie tro^ tt)rer gerftreuung unb ber
40 geinbfeligfeit ber offiziellen Hircb,e fo feft 3ufammenl)ielt unb fo einheitlich bei ifyrer 2lrbeit
bürgeren fonnte.
Stug allebem ergiebt fiel): 1. ®ag Söalbenfertum 1/at fcf)on im erften 3)tenfcb,en=
alter feiner ©efc^ic^te feinen 6b,ara!ter böllig geänbert. UrfbrüngUcb, ein agletifcr/er
Verein innerhalb ber römifcb,en Äirct/e, entwickelt eg fieb, feit 1184 ju einer 2lrt Äircb.e
45 in ber ^ircfye, ja ju einer 2lrt ©egenfirc^e. S)ie ©rrict/tung ber brei ordines, bie ^n=
anfbrucb,naf)me ber SußgeWalt, ber gäb^igleit, bag 3lbenbmab,I ^u jelebrieren unb ben
ordo ju übertragen, bie ftf)ärfere Unterfa)eibung jWifdjen conversi (novellani) unb
2lrmen (perfecti), ber Verfug, bie amici fefter ju organifieren, bie Verwerfung beg @ibeg,
beg Sügeng, beg Slrieggbienfteg, ber Vlutgericfytgbarfeit, ja felbft, Wie eg fd)eint, ber ©c=
öobraueb, ber ©anbalen, bag atteg ftnb Neuerungen ber ^afyre 1184— ca. 1230, in benen
fief; beutlid) fcb,on bie atlmär/licr/e UmWanblung beg Vereing in eine ©efte fbiegelt.
2. 9Jlancr/e biefer Neuerungen, bie Verwerfung beg @ibeg, beg Sügeng, beg Slrieggbienfteg,
ber Vlutgertcb,tgbarleit, aber aueb, eine ganje 5Heit)e ben 3lrmen bon jet)er, Wie eg fdjeint,
eigentümlicher ©itten unb Vorfteßungen, bie ^oeb/feb^ung ber 2lrmut, bie Veobac^tung
55 breter Wöchentlicher gafttage, bie Vefolgung ber Slboftelregel 5Dct 10, bie Verwerfung alter
Stiftungen ju ©unften ber Soten, bie Seugnung beg gegfeuerg, ber bäufige ©ebraueb, beg
Vaterunferg (bgl. Bernardus Guidonis 5, 20, p. 239 ss.), ja felbft ber Name pauperes
(bgl. Evervini Steinfeldensis epist. ad Bernardum ed. Wabillon, Vetera Analecta 5
p. 452: nos pauperes Christi) finben fiel) fdwn bei ben ^att/arem. ^ufäüig lann eine fo
&i toeitge^enbeUbereinftimmung ntdjt fein. 2tber anbererf eitg tann boeb, aueb, ber Verein begSöalbeg
äöalbenfcr 819
nicfyt bfofj alg eine 2lbfbaltung beg Katfyarertumg betrautet merben: er ift bielmeln- fidler
auf firdjlic^em Voben entftanben unb eine felbftftänbige Vilbung, rote fcfyon bie alten
fatfyolifcfyen Volemifer immer Ijerborfyeben. S)ann bleibt nur bie Stnna^me übrig, bafj
bie 2lrmen fcfmn ju äöalbeg' £eit nacb, ber 2lugftofjung aug ber Kirche biel bon ben
Katfyarern übernommen fyaben, fo fcfyon ©tebl)an bon Vourbon. Namentlich mirb bag 6
bon jenen oben genannten Neuerungen gelten. Nod) mefyr fyaben bann nad) bem ©cfjigma
bie Sombarben bon ben Katt/arern gelernt. ©Ieicb,roofyl fyaben bie Firmen fid> alg ©egner
ber Katfyarer geroufjt unb roenigfteng in granfreict) bie Katfyarer betambft, bgl. bie 3lften
bei Sea 2, ©. 379 ff., unb ftnb autfj bon ber Kircfye unb ben Volemifern ftetg bon ben
Sparern unterfefneben roorben. 3. £)ag eigentlich Neue unb Originelle in ber 33er= io
lünbigung unb religiöfen ^rarjg ber Sßalbenfer mar ber ftrenge Siblicigmug, ju bem
fcr)on 2Mbeg felber gelangt fein mufj, bgl. Semfyarb bon gonteaub. 2Sag fie fonft an
©runbfä^en, ^bealen unb 3Jtetf>oben befafjen, bie §odj)fcfyä|ung ber 2lrmut, beg abofto=
lifcfyen Verufeg, ber 2lgfefe unb anbereg mein-, mar bagegen roeber neu noch, originell,
fonbern meb,r ober weniger ©emeingut all ber bielen religiöfen Neubilbungen beg §oa> i6
mittelalterg. ®em entfbricfyt bie Skbeutung beg Viblicigmug für bie ©ntrotcMung ber
Vruberfcfyaft. ©ie berbanlte Ü)m mcfyt nur iljre großen 9Jtiffiongerfolge, fie roarb burd)
u> im Saufe ber geit aueb, immer mefyr in ©Ute unb 2tnfd)auung bon ber römifcfyen
Kircfye Innroeggebrängt. @r mar alfo gerabeju bie treibenbe Kraft ib,rer ©ntroicfelung.
Slber er mar noefy mebj: er mar jugleicb, ein neueg religtöfeg ^rinjib, beffen ©influfe feit= 20
bem in ber religiöfen ©ntroicfelung immer mieber Ijerboriritt, bgl. ben gefe^lidjen 23ibli=
cigmug ber SBicIifie, beg 'Säufertumg, beg Neformtertentumg, Quäfertumg. ©0 roenig
man 2Balbeg alg einen Vorreformator bejeicfynen barf, fo mirb man ib,n im §inblicre
barauf boeb, alg 2lnfänger einer neuen eigentümlichen religiöfen Nietung betrauten muffen,
bie foroobj mit ber fatI)olifcr)en mie mit ber broteftantifcfyen §eifeleb,re ftet) berbinben 25
lonnte unb berbunben fyat, aber bod) am beften alg eine befonbere ©rfcfjeinung bon bem
Katfyolictgmug unb Vroteftantigmug untergeben mirb.
III. £)te 2lltmalbenfer. Sie 2lltmalbenfer blieben nacr) ber enbgiltigen ©cfyet=
bung bon ben Sombarben im $afyre 1218 befc^ränlt auf tt)re alten 9Jcifftonggebiete in
2lragon, Katalonien, granfreidb, unb Sotfyringen. $n ben erfteren beiben Sänbern mürben 30
fie nacb, mie bor bon Kircr/e unb Krone gugleid^ berfolgt. Verneig 1. bag ©bift bon
Xarragona bom 7. gebruar 1233, ed. ^3elat>o, Historia de los Heterodoxos 1,
p. 715 s., 2. bie consultatio Tarraconensis ad inquisitores bon 1242, f. oben
©. 803, u. ^n btx consultatio regelt ©rjbifcb.of $ebro 2Irbelaie bon Slarragona unter
Seirat be§ Kanoniften Naimunb be ^ßennaforte 6P bag SSerfa^ren ber ^nquifitoren gegen 35
Katb,arer unb SBalbenfer. 3Ba§ Krone unb Kirche hierbei erftrebten, marb, mie e§ fc^eint,
fct)on im 13. 3ab,rf)unbert erreicht. ®ie Slrmen berfeb^manben fj)urlo§ au§ ©banien.
2öeld)e Semanbtnil e§ mit ben SSalbenfern ^at, bie 1433 blöllicb, auf SJiattorca auf=
laufen, Sea 2, ©. 177, ift noct) nicfyt feftgeftettt. SSielleic^t ^anbett e§ fia; babei gar nic^t
um 2trme bon Stion , fonbern um §ejen unb gaiibmv, bgl. SDuberger, La Vauderie 40
dans les etats de Philippe le Bei, 3lrra<§ 1885. — 2Iud) in granfreieb, b^aben bie
Slrmen feit 1218 neue ©ebiete, mie e3 fcb,eint, nicb,t erobert. $n Sotb, ringen unb %lan=
bem berliert ftö§ i§re ©bur feb^on im 13. $afy rb,unbert, le^teg 3eu9mg: ^er Name be^
maior minister, ber um bie SÖenbe be§ 13. unb 14. Qab,rb,unbert^ an ber ©bitje ber Strmen
ftanb, Joannes Lotharingius, ©öUinger 2, ©. 108. ®ie Valdenses, benen 1459/60 45
gu 2lrrag ber ^rojejj gemalt mürbe, grebericq Corpus docum. 1, p. 345 ff.,
maren angebliche §ejen unb tauberer, bgl. ©uberger a. a. D. ®enn Valdesia be=
beutet im ©bracb, gebrauche beg 15. %afy r^unbertö fobiel mie Räuberei: aueb^ ^eanne
b'2lrc mürbe megen Valdesia berurteilt. Sänger behaupteten fiel) bie 3lrmen in ber
grancfye ßomte, in ber 'ißrobence unb Sangueboc. %n ber grancfye Gomte maren fie so
noefy 1248 fo ja§lretd§, bafj ©raf ^ob,ann bon Surgunb ifyrer nur Durc^ bie ^nquifition
§err merben ju fönnen glaubte, Sea 2, ©. 147. 3m SklentinoiS unb in ber ^robence
matten fie big in ba§ ahmte Viertel beö 14. ga^unbertö ber Kirche ju Raffen, ebb.
©. 150f., Slrnaub im Bulletin 12 (1895) p. 22 ss. Slber il;r §aubtmiffion3gebiet mar
big ing erfte Viertel beg 14. 3ab,rb,unbertg bie Sangueboc. §ier mar noeb, um 1240 55
tro| mancher Verfolgungen nichts bon einem Nücfgange ib,reg Söerfeg ju merfen.
@g bereitete il;nen f>ier aud; feine ©cfymierigfeiten, it)re amici unb credentes
feft jufammenjut)alten. Diefelben bilbeten b,ier mie in ber ^robence je^t bigmeilcn
förmliche fleine ©emeinben mit eigenen $riebl>öfen, alfo mit eigenem Vermögen, unb
jaulten mab,rfcb, einlief regelmäßige Beiträge für bie reifenben Vrebiger, bgl. bie Slu^ügc 00
820 SBalbenfcr
auS Mscr. 21 ber Collection Doat bei £ea 2, ©. 579 ff., aud> Bernardus Guidonis
p. 249. (©ofcfje gemeinbeartige Serbänbe gab eS j. 33. Wabjfcfyeinlicb, in Sllontauban,
SDfamtcucq unb ©ourbon; bort Begießen ficb, bon 252, ref^>. 84, 219 $e|erbrogeffen 1241/2,
175, 44, 55 auf Valdesia, £ea 2, 6. 145 ff.) Qnfolge beffen Würben jefct awfy in
5 granlreicb, gelegentlich bie amici als Valdenses begeidjmet, erfier Beleg : SluSgabebud)
beS Roxi Don Slnjou für bie ^robence bon 1264, oben ©. 812,32. Slber feit ber 3>n=
quifition beS ^Seter Geßa 1241/2 Würben aucb, in ber £angueboc bie Ernten unb ifyre
greunbe allmäpcb, auSeinanbergefbrengt. ßu beginn beS 14. QafyrlmnbertS Waren fie
aucb, b,ier eine geheime ©efellfdjaft geworben unb im Saufe beS 14. ober 15. ^abjr/unbertS
10 finb fie bann aud) fyier auSgefiorben: bie Einrichtung ber ©infteblerin Äatljarina ©aube
gu ÜDcontbellier im $ab,re 1417 Wegen Walbenfifcfyer 2ef>ren, togl. £ea 2, ©. 157, ift bie
lefcte ©bur beS SlltWalbenfertumS im gangen ehemaligen 9JciffionSgebiet ber frangöfifdjen
©enoffen. Slber biefc ©bur ift fd?on gang unfidjer. 5Denn eS ift febr Wobl möglich, bafj
Jfotfyarina in feinem gufammenfyange mefyr mit ber alten ©enoffenfcbaft ftanb, ober bafe
15 fie al§ §eje berurtetlt mürbe. — Über bie inneren guftänbe ber alten ©enoffenfcfyaft in
ber $ett i|reS 9iüdgangS unb Untergangs finb mir burd) bie ^Srotofolle ber ^nquifition
unb Bernardus Guidonis berbältniSmäfjig feEjr gut unterrichtet. 2öir erfeben barauS,
bajs fie nad; 9DcögIid)fett bie ©itte unb Drbnungen ber älteften ßeit beWabrt f>at. ©Ieid)=
toofyl ift ber Sfambf mit ber $trd)e unb mit bem Ä'atfyarertum ntcbt fburloS an ibr
20 ©enoffenfcfyaft borübergegangen. 1. ©ie aboftolifcbe %xa<fyt ift berfcb,Wunben. ®ie ©enoffen=
fcfyaft ift gu einer geheimen ©efellfdjaft geworben, bie il)r Sßerl gang im Verborgenen treibt,
bgl. ©öllmger 2, ©. 10—12, Bernardus Guidonis p. 249s. 2. 25er @egenfa£ gegen
bie rbmifdje ®ircbe b,at ficb, er^eblicf/ berfdmrft. 3)ie römifdje Jürcfye gilt aufy ben 2llt=
Walbenfem je£t rttd^t met/r als bie eeclesia Christi, fonbern als bie ecclesia malig-
25 nantium unb baS £auS ber Süge, Weil fie ibren ©liebern geftattet, gu fdjtoören unb
bon ifyren ^ßrieftern nicfyt Beobachtung ber abofiolifct/en Sirmut forbert, bgl. SDößinger 2,
©. 8 f., ©. 107 unb öfter. Slud; fie fbrecfyen ifyr baber jeijt ftrifte baS Stecht abr gu
bannen unb ©efyorfam gu beifügen, bgl. g. S. Liber Sententiarium p. 263 (129), ja
fie beftreiten ilpn ^rieftern bie Befugnis, bie ©aframente gu berWalten, SDöllinger ©. 9, finb
30 aber bor ©ertcfyt ftetS bereit, in biefem fünfte ^ongeffionen gu machen: ein Beweis, bafc
fie hierüber ju einer ganj Ilaren unb bestimmten Slnfa^auung nid)t gelangt waren, bgl.
bie in ifyrer Unflar&ett b,öd>ft d)aratteriftifd;en SluSfagen beS 3kr/tnunb be 6ofta, ber
überbieg fid) als rebellus suo maiori geriert, ebb. ©. 100, 113, 126 ff. 3lud) fie
leugnen weiter jeijt bie SBunber ber ^eiligen, glauben niebt an bie ^ürbitte ber ^eiligen,
35 berwerfen ben gangen §eiligenbienft, aber nia)t ben 9Jtarienbienft, unb galten eS für unnötig
anbere geflta8e W f^ern als bie ©onntage, bie SJcarientage unb bisweilen audb, bie Xage
ber Slboftel unb ©bangeliften, ebb. ©. 9. SEro|bem gefjen fie fleißig jur ^irc^e, fuc^en bei
Sllerilern unb SRöncb.en i'ia) lieb Hinb gu machen unb l)inbern ifyre amici niebt, bei
Iatr)oIifc^en ^rieftera gu beichten. Slber baS gefd)ief)t nur, um feinen 2lrgWol;n ju er=
40 regen, ©tngtg unb allein ber Seilnafyme am fatr/oIifcf)en Slbenbmaljle fud}en fie fid;,
Wenn eS irgenb angef)t, ju entjieb,en, Bernardus Guidonis p. 257. SluS atlebem
folgt 3. aud; bie frangöfifdje ©tammgenoffenfdjaft ift je|t niebt mefjr blo^ eine ^rebiger=
gefeHfct)aft in ber l?ircf;e, Weldie in ber 5lircbc innere SRiffion treibt, fonbern eine ©efte,
eine ©egenürd>e, bie nur burd) bie Ungunft ber Berljältniffe berf)inbert Wirb, fid; böllig
45 bon ber römifdien Strebe loSjufagen unb als böllig felbftftänbige ©emeinfa)aft ju fon=
ftttuteren. Sern entfbridjt eS, ba^ aud; bie amici fe^t bielfad} als Valdenses begetebnet
unb bafe nur foldbe ^erfonen in ben ©tanb ber perfecti ober Slrmen aufgenommen
Werben, Welche bon 3Sater= unb SJeutterfeite ber bon „©laubigen" abftammen, ©öllinger 2,
©. 132; Wetter 4., bafj je^t bie SluSbilbung ber Slrmen feft geregelt ift, ebb. ©. 117,
so 132 P (erft 5 bis 6jäbrtge fierngett, bann ©iafonatSWeu)e, hierauf gortfe^ung bcS SernenS
ber „Geologie", bei 9iar/munb be 6ofta 3. B. nod; 9 ^a^re, fo bafe feine SluSbilbung
tm gangen 14 ^a^re bauert); 5. bafe ber (gintritt in ben ©tanb ber Sinnen je|t immer
tmt ber ©tafonatSWei^e berbunben ift unb bie SBeibe je|t für Wefentlidjer gilt als bie 215=
legung ber ©elübbe, ebb. ©. 103; 6. bafe grauen nid}t meb,r in ben ©tanb ber Slrmen
55 aufgenommen Werben, oben ©. 817, 48 ; 7 bafe bie Sefugniffe unb bie gafultäten
beS Maior minister, ber Maiores, ^reSbt)ter, ©iafonen je^t genau feftgelegt finb, oben
©. 817,io. ©d}on erwähnt ift 8., bafe an ber ©bi£e je|t Wieber ein auf SebenSgeit
gewagter Maior minister fteb/t. ®em tarnen nad; befannt finb brei biefer Maiores •
Joannes SotaringiuS, lebte noeb, ca. 1303 unb feine 9cacr,f olger ßriftinuS, ein idiota'
60 bor 1320 unb ^acobuS, ebb. ©. 108, 116, 144. 2ßaS 9. bie Berlünbigung anlangt
SSalbenfer 821
fo b/atte man bafür eine 2lrt Äatecf/ignutS sufammengefteHt, beftefyenb au<3 7 Slrtifeln
über bie ©ottfyeit, 7 über bie 9Jlenfd?I)eit, ben 10 ©eboten, ben 7 Söerfen ber Sarm=
^erjtgfeit, ebb. ©.11 unb banacf) Bernardus Guidonis p. 250. 21ber biefer ®atecbi§=
muä Würbe bielletcf/t nur münbltcb, bon ©efcfylecfyt gu ©efcfylcd&t überliefert.
IV ®er lombarbifcf)=beutfcI)e 3 tt>eig bis jur Deformation. 1. 2Iu§ = 5
brettung. A. Italien, gunäcfyft brangen bie Sombarben mit ©rfolg immer weiter in
Stalten, ®eutfcb,lanb, Söhnen, «ßolen unb Ungarn bor. ^n Italien blieb SMailanb borerft
t^r §aubtquartier, Annales Marbac. ad 1231, SS 17, p. 176, ©tebfjan bon Sourbon
c. 330, p. 280 s., bie Sombarbei if>r Wtc£)tigfte<§ 3Jiiffionggebiet, bgl. ©albug Surce p. 75:
2lber al§ Surce fdfjrieb (1235), blatte aucf) in ber Sombarbei bereite bie Jle^erberfolgung in 10
großem ©tile begonnen, bgl. ty. ©cfymibt, Histoire et doctrine des Cathares 1,
p. 156, Gomba, Histoire I, p. 132 ss. inwieweit bie 2lrmen babon betroffen würben,
ift uns nicr)t überliefert. 1266 War jebenfaEte ifyre Organifation nocl> nicb/t jerftört, bgl.
$affauer 2lnonr,mug c. 5, p. 30 C, ja toot)! nocfy um biefe ßeit fonnten häufiger, al§
anberSWo, in ber Sombarbei bie communia abgehalten Werben, Tractatus bei 15
SDöUinger 2, ©. 95. 2tber au§ SDeutfcfylanb fam bamab? fdjon ba<§ meifte ©elb für ben
Unterhalt ber Sifcfyöfe, ^re<§br/ter, SDiafonen, ebb. ©. 96, b. i. bie beutfcr)e SBruberfcfyaft
War bamal<§ fdwn jabjreicfyer unb mächtiger al<§ bie lombarbifcfye. ^m Saufe be3 14. 3ar)r=
ljunbertS finb bann bie Sirmen in biefem ib/rem alten ©tammgebiet, Wie e3 fcfyeint, aH=
mäbjicr, auSgeftorben. ^br le^tel Seben^eicfyen ift ber Srief ber Slbofiel ^ob,ann, ©irarb, 20
betrug, ©imon an bie abgefallenen beutfcfyen 23rüber in ©t. 'ißeter an ber Slu bom
$af)re 1368, oben ©. 801,64; er berrät fctjon eine ftarfe Entmutigung unb flagt fel)r
beweglich, über bie ©d)recfen ber Verfolgung, bgl. ©. 359 unb 362. 2lber fct/on im
13. ^afyrfmnbert Ratten bte 2trmen in ben Sllbentljälern be<§ Weftlicfyen ^ßiemont unb be3
benachbarten £)aupr/ine ein 2tft)I gefunben. Sffiie fie bafnn gelommen finb, barüber gefyen 25
bie Meinungen Weit auSeinanber. %la<fy ber Watbenftfcfyen ^rabition Wären bie 2lrmen
bon Söeften b)er in ba§ %f)al ber SDurance unb in ben raupen, fcfyWer gugängüdjen
©ettentfyälem btefeä Flußgebietes, bem SSal ^raffiniere, 3Sal 3lrgentiere unb 3?at
Souife ober 3SaI $uta eingebrungen. 3Son bort feien fie über ben Sftont ©enebre unb
bie anberen Sßäffe ber fottifdjen Silben in ba3 %fyal ber £>ora Dtbaria unb in bie fog. 30
3öalbenfertb,äler bon ^ßiemont 33al Suferna, SM 3lngrogna, 33al Sßerofa, 33al ©an
SJJartino, sßal ^ßragelato, alle füb= unb norbWeftlid} bon ^ßinerolo, eingebrungen. 2ltlein
gegen biefe ^rabition fbricfyt 1. ber Umftanb, bafj fie erft im 15. gctf^unbert auftauet,
erfteS 3eugni§ Origo Waldensium, SRorlanb, p. 215; 2. bie Slfyatfacfye, bafj bie
ü&albenfer jener Xfyäkv in ©Ute unb 21nfct/auung nict)t bem fran^öfifcfyen, fonbern bem 35
lombarbifö^^eutf^en 3toet3e oer ©enoffenfcb^aft folgten, fte^e unter nr. 2 ; 3. bie XE)atfad)e,
bafj biefelben mit ben lorrtbarbifcr;=beutfd)en 2lrmen in Verleb,r ftanben, f. unten. ©a=
raug folgt: jene Srabition ift eine Segenbe. 3lu§ ber Übereinftimmung ber genannten
SBalbenfergemeinben mit ben Sombarben ift bielmebj ju fcb,Iiefeen, ba^ biefelben ©laube unb
©emeinbeorbnungen bon Dften, bon ben Sombarben erhalten b, aben, bafs alfo bie ^5roba= 40
ganba gerabe in umgefe^rter Stiftung fid^ bolljogen b^at. SDamit ift fcb, on angebeutet, ba^ biefe
SBalbenfergemeinben nic|)t burcb, ©inwanberung entftanben finb, fonbern burcb, S5efeb,rung ber
b,ier bon altera b,er anfäffigen Dftbrobenjalen jum Walbenfifd()en ©lauben, mögen aucb,
einzelne lombarbifcb^e Flüchtlinge im Saufe be£ 13. unb 14. 3afytf)u"kert3 fiel) fyier an=
gefiebelt fyaben. SeWeig baö fog. ©cfyriftWalbenfifd), b. i. bie ©^racb;e ber Walbenfifcf; en 45
^anbfe^riften be<§ 15. unb 16. Sa^^"ni>ert§. „SDieö ©^riftWalbenfifcb, b^at mit bem Sr/oner
©ialeft, Wie felbft Domaniften früher fabelten, nic^t? ju Raffen. @3 ift mit ben 9}?unb=
arten auf ben beiben 2lbf)ängen ber fottifcfyen Silben auf ba§ aUerengfte berWanbt unb
fteb^t ju ifynen in bemfelben 23erb,ältniffe, Wie eine ©cfjriftfbracfye ju bem urfbrünglicb^en
@injelbialefte, au§ bem fie fieb/ entwickelt §at," @§ gehört einfach ju ben oftbrobenjalifctjen 50
SJiunbarten, bgl. bie ebocr/emacfyenben llnterfucb.ungen bon Sßenbelin görfter in ©g2l
1888, 2, ©. 757 ff., baju ©. SJlorofi unb 31. Sart§ f. oben ©. 806, 12. graglkb, ift
nur, Wann bie Walbenfifcb^e 9Riffion in ben Xb^älern biegfeitö unb jenfetts ber fottifd^en
Silben begonnen l>at. ®a§ erfte fixere ®atum für baö Sorb^anbenfein Walbenfifcb^er ©e=
meinben auf ber ^iemontefifc^en ©eite ift ein 35ermerl in ben Decfmungigbüd^em be^ ©rafen 66
$I)ilibb bon ©abotjen über einen Seitrag ^u ben Soften ber Qnquifition im inil ^erofa
aug bem ^afyre 1297, bei Ärone, graSDoIcino unb bie ^3atarener ©. 22, für Tl'albertfer
im ®aubl>ine ein 33rief ^3abft ^of)ann§ XXII. an ben ^nquifitor bon 3J?arfeiUe bom
8. Suli 1332 bei 9Jai?nalbu3, Annales ad 1332 n. 31, aber e<§ ift möglid;, bafe be=
rcitä unter ben §äretitem, bie 1238 unb 1290 in ber SDiöcefe (gmbrun bcrfolgt Würben, 60
822 2öalbenfcr
ülöalbenfer gu berftefyen finb, bgl. Gb,abranb, Vaudois et Protestants des Alpes p. 34.
^ebenfalls War bie ©elte fcfyon um bie Sßenbe be§ 13. unb 14. QafyrbunbertS in ben
%i/äkxn bieSfeitS unb jenfettö beS 3ftont ©enebre Weit berbreitet. Slber fie War in
pemont junäcbjt feineSWegS auf bie fog. 2öalbenfertf)äler befd^ränJt. Söir finben fie im
6 legten Viertel beS 14. lyafjrlmnberts aucb, in ben ja^Ireic^en Drtfcfyaften beS %fyal§ bon
©ufa, im %fyal beS ©angone unb in ben ©täbten beS angren^enben glacb,IanbeS, $ia=
ne^a, ßaftagnola, SJioncalieri, ßarmagnola, (Stiert u. f. W., bgl. Archivio Storico 2, 1,
p. 36 s., freilieb, erfa)eint fie gerabe fyier fefyr ftarf mit fatfyartfdjen (Elementen bermtfcfyt,
f. unten ©. 826, 54. — Qu ben lottifcfyen Silben traten im Saufe beS 14. ^afyrlmnbertS
10 aber nod; gtt>et füblicfye JblonifationSgebiete, bie Söalbenferorte in ^alabrien unb Slbulien.
3Me elfteren jecfyS an ber gafyl — Sorgo b'Dltremontani, ©an ©tfto, SSacartffo, Slrgen=
tina, ©an Sincenjo, ©uarbia $iemontefe — füllen nadj ber Walbenfifcfyen ^rabition be§
16. unb 17. ^afyrljmnbertS um 1315 (fo ©illeS, Histoire ecclesiastique 1, p. 27 ss.)
ober um 1370 (fo $errin) auf betrieb eines falabrefifdjen ©belmannS bon SÖalbenfern
15 ber Jottifd^en Silben gegrünbet werben fein. Slber bafc in einem biefer Drte, ©uarbia
$ßiemontefe, fyeute nod? malbenfifd? gefbrotfjen Wirb, bgl. ©. SCRoroft in Ascoli, Archivio
Glottologico 11, p. 281 ss., beWeift nur, bafc bie falabrefifcfyen SBalbenfer auS ben
lottifd^en Silben eingeWanbert finb. äöann unb unter melden llmftänben bie @inwanbe=
rung erfolgt ift, unb ob jene fedjS Drte Wirflid) alle Walbenftfcfye ©rünbungen finb, ift
20 jur $eit nod? rttd^t feftgefteüt. 9Jur bei ©uarbia ^temontefe unb Sorgo b'Dltremontani
betoeift fdjon ber ÜRame, bafj fie ben 2öalbenfem ifyr ®afetn berbanfen, bgl. %u „Oltre-
montani" als tarnen ber SBalbenfer ben Srief eines ^alabrefen bon 1561 in Narracioni
e documenti sulla storia del regno di Napoli in Archivio storico, Serie Ia,
t. 9, p. 195. SRtdjt beffer finb mir über bie Söalbenferfolonien in Simulien unterrichtet.
25 üftacb, unferm älteften ©eWäfyrSmann, ©iHes a. a. D., Wären erft um 1400 einige 2Sal=
benfer auS ber $robence bor ben Äe^errtcfytern $abft 93omfaj§ IX. nacb, Slbulien geflogen
unb b,ätten bort bie bier gefebjoffenen b. i. auSfcfjliepa) bon SBalbenfem bewohnten Drte
3Jionteleone, gaito, GeHa unb Ia üDiotta 9Jtontecorbino bei Slriano gegrünbet. Um 1500
fei bann toieber einmal ein StuS^ug auS ben 2Mbenferil;äIern erfolgt unb aucb, bie ©tabt
so Solturara fübtoeftlid; bon Sucera bon SBalbenfern befiebelt Worben. Slllein $. Siiboire
b,at Bulletin 19 (1902), p. 49 ss., gegeigt, bafj jtoei biefer Drte, Gella unb gaito, fcfyon im
12.^a^rb,.eEiftierten,unb bafjfid) in ilmen jtoav 1345 unb 1347 nachweislich ^robenjalen an=
geftebelt §aben, aber ntdjt Söalbenfer, fonbern brobenjaIifcl)=franjöfifd? fpredjenbe 9iacb>mmen
ber brobenjalifdjen Moniften ßarlS bon Slnjou, bgl. ©. 9Jiorofi, II dialetto franco-
35 provenzale di Faito-Celle in Ascoli, Archivio Glottologico 12, p. 33—96. £). i.
auef» jene Srabition ift alles anbere efyer als guberläffig. £war bajj e§ im 14. ^a^r=
b,unbert bereits in Slbulien Sßalbenfer gab, unb bafe bie bortigen 2BaIbenfer an 3af)l unb
(Einfluß mit ü)ren Srübern fo)on bamalö toetteifern fonnten, ftef)t feft. 9^efibierte boc^
fcfyon ca. 1380 in Slbulien ber summus pontifex ber ©efte, an ben bie in ^iemont
40 gefammelten ©eiber nod^ 5Ritte beS 15. ^a^Ijunbertg abgeliefert Würben, bgl. Archivio
3a serie 2, 1, p. 29 s., 33erf>ör beS Sarben $f>ilibb SRegtS bon 1451 Rivista Cristi-
anta 9'.P-/365- attein bafe jene 2BaIbenfer auo) in Slbulien neue Drte gegrünbet
KT*1' 'ßJr'W «ntoa^rfd&emli^, unb tool)er fie flammten, ob au§ ben Walbenfiftt)en
ftolonten ÄalabnenS (fo ^Riboire a. a. D.), ob au§ ben Tälern ber Iottifd)en Silben, ob
45 totrKto aus berjßrobence, Wie ©iHeS beraubtet, ift ganj ungetoife. Stuf ibjen Söanberungen bon
Salabrten unb Slbulten nacb, ben Sllbentb,älern berfueb, ten bie toalbenfifd^en Slboftel Waljrfc^ein^
Ür aud?r]n/J»ttelttraIten W mtffionieren. ©o finb bermutlid) bie niebt Wenigen Walbenfifcben
©emetnftt;aften entftanben, bie uns im lö.Sab^unbert im Rtrd^enftaate, in Umbrien, in
per Jtomagna, tn ^oSfana begegnen. SefonberS ga^lreicb, Waren fie allem Slnfcbein nacb
60 SS TraÄm e^°letD' *r°n Vm ftammten 14 refb. 15 ber Sarben, Welche ber Sarbe
ajatttti 1 1492 namhaft mad)t, bgl. Bulletin del'hist. Vaud. 12, p. 111 ss. Slber aueb in ber
Maxi ßamermo auf ben Sergen ber 9Jkrf Slncona, in Perugia, Sologna, Succa, glorem
9«ben, tote eS fa)etnt, «eine toalbenfifdje Äonbentilel bamals beftanben, ebb. ©icber be=
Ä tf tbt.e Wen» eine« folgen in 9fiom burefe, SulaS bon 5ßrag im %afyct 1498, bal
SaftctuS bei ©oü, QueEen 1, ©. 137 f. dagegen Waren bie Ronöenttfel, bie fieb ba=
malS • iv i ©enua unb anbern Drten SigurienS befanben, Bulletin 12, p. 112, Origo bei
JJcorlanb p. 215, bielleicbt 3ftefte ber alten lombarbifcb.en 2Jliffion. ©anacb, begreift man
t Jmr 5V 3aWuni)«rt ca^ Dberb,aubt ber ©efte gelegentlich aufy in Slquila refibierte'
unb ba^ aueb, bte Verfolger auf baS treiben ber Slboftel in SDlittelttaKen aufmerlfam Würben'
60 bgl. bteSRotate bei ©öEinger 2, ©.304, 345 unb bap §aubt in §3 %l% 25, ©. 57, Slnm 3'
55
SBalbcufcr 823
SnbcS ber auffälligfte Scroeiö für ben 9Jiiffion€eifer unb bie (Snergie ber italienifdjien
2öalbenfcr ift, bafj fie im Saufe beS 14. unb 15. ^afyrlmnbertg aucb, in ba§ ehemalige
9Jiiffion3gebiet ber franjöfifdjen 2lrmen einbrangen. £)en erftcn Slnlaf; ba^u gab btet=
leicht ber Umftanb, bafe bie Sarone SBouIierö, bie Sefi|er ber §errftf;aften Scniallo,
9fioccaf^aücra unb SDcmonte in ber 3JlarIgraff$aft ©alug^o einige Walbenfiftfjc gamilien 5
bon ©alu^o in ben Sergen bon Suberon am 5Rorbufer ber ©urance jtoif^en ©ifteron
unb 2tbignon al<3 Moniften anfiebelten, fo £>onore S3ouc^e bgl. Bulletin de l'hist.
Vaud. 8, p. 44 n. 1 (anberS Se^a, Hist. ecclesiast. t. 1, p. 52, $ari3 1883 unb
©ille3, Hist. eccles. p. 27). SDcn ©^uren ber Momften folgten felbftberftänblicb, bie
„Slboftel" ©0 ift e<§ bielleidjt ju erftären, bafe bie Sarben ber Sllbentfyäler unb 10
StbulienS im 15. Safyrlmnbert in ber ^robence, im Salentinoiä, Sibarai3, Senaiffin, aber
aucb, in ber 2lubergne, im Simoufin unb SorbelaiS miffionierten. Dh unb inwieweit fie
babei auf SRefte ber alten fran^bfifc^en @emeinfcf)aften fließen, ift nicfyt ju ermitteln,
^ebenfalls gelang e<§ iljmen namentlich in ber Slubergne, im Salentinotö unb bei Xreoour,
nörblicfy Don Sbon eine ganje SRet^e bon ^onbentiMn ju fammeln, bgl. bie 2lusfage be§ 15
Farben Martin bom ga^te 1492 Bulletin 12, p. 119, bie Slften au3 ben Sauren 1492
big 1494 ebb. p. 27 ss. $a am 31. 3M 1492 konnten fie e<§ wagen in ber ©tabt be§
i\>albe§, in Sr/on, eine 2trt commune ^u galten, bgl. 3tu<Sfage bei SRartin ebb. p. 119.
B. SDeutfcfylanb, Söfymen, $o!en, Ungarn. $Deutf<f>Ianb b,at 1211 bie erfte
Waffenjnnrtdjtung Don SfMbenfem gefeiten, oben ©. 810, 6, ei fal) 1231—33 bie erfte große 20
allgemeine SBalbenferberfoIgung. ^n SRittelbeutfct/Ianb fyört man feitbem lange geit t)in=
burd) nichts mef)r bon ben Slrmen. 2Iber in Dberbeutfdjlanb matten fie balb Wieber
bon ficb, reben. $n ^ortftan^ lam man ilmeu 1243 auf bie ©bur, in ©cr/Wäbifcf)=.£)all
Wagten fie 1248 fogar öffentlich für ben gebannten Kaifer il)re ©timme ju ergeben unb
$abft ^nnoceng IV. al§ ^etjer ju bejeicfynen, bgl. §aucf 4, ©. 867, unb in Satern, 25
Dber= unb 9tteberöfterreicr) breiteten fie fid) iro£ fortbauernber blutiger Verfolgung fo
xa\d) au3, baß um 1260 bie ^nquifition in 42 $ßarod)ien Dber= unb 9ltcberöfterretcr)3
Söalbenferfdjmlen entbecfte unb $toar in 10 ^ßarodjien (Sengenfelb, ©tratjing, ©rofenborf,
3lnjbaa), Dtler§bac§, ©t. Sßeter in ber 2lu in Sfaeberöfterreidj), ©teier, sjieub,ofen, @n§,
Kammer in Dberöfterreicb,) in mehreren, in ber Pfarrei ^ematen bei ^eufyofen in Dber= 30
öfterreicr; fogar in 10 eingebfarrten Drten, bgl. für Saiem ben Straftat SDabibg, für
Deftertetd? ben ^affauer 2lnonr/mu§, ber and) bie tarnen ber betr. ^arocfcjen mitteilt,
befter S£er,t bei ^ßreger 219M 13, ©. 241 f., baju §aubt, SBalbenfertum unb ^nquifition
im füböftlicfyen SDeutfcb,lanb ©. 14, 2lnm. 2. Qn ben näd^ften ^a^rje^nten fnelt ber 2luf=
fcb,toung noc^) an: in 9fteberöfterreic&, fanb man 1315 in bem !leinen Sejir! jmifdjen 35
©t. gölten unb STraiölir^en in 36 Drten $e£er, unb im gangen §er^ogtum Defterreicb,
beregneten bie 2trmen felber bamal§ bie .ßar/l i^rer Slnl^änger auf über 80 000, bgl.
ben Sericfyt eine§ $remfer ©eiftlic^en über bie ^nqutfitton bon 1315 ed. grief? in
Öfterreidjtfdje Siertelja^rSfcfjrift für Geologie 11, ©. 254 ff. ^njtoifc6,en maren bie2lrmen
aber and) in Söofymen, 3Jiäl^ren, ©cfjlefien, ÜJJei^en, Sranbenburg, Sommern unb ^3olen 40
eingebrungen, bgl. für Sö^men unb 3Jtäb,ren bie SuHe ^abft ^0^«"^ XXII. bom
1. JKbril 1318 bei SDubil, Iter Bomanum 2, ©. 136ff., für Sranbenburg unb^ommem
2ßattenbadj ©Sl 1886, ©. 48 unten über bie ^nquifition bon 1393/4; für 2Jteif$en,
©Rieften, ^olen aufeerbem bie bäbftUdjen Süllen bom 1. SRai 1318 im Codex dipl.
Moraviae 6, p. 101—106. Qn Söb,men unb 9Mb,ren toar nacb, 3tu§fage be§ 1315 ju 40
Limburg füböftlicb, bon 9Bien berbrannten SBalbenferbifcb,of§ 9?eumeifter bie $at)l feiner
©laubenögenoffen fcfyon bamali „unermeßlich", bgl. Dfterr. Sierteljafyrgfcfyrift 11, ©. 266.
^n ©cbjefien toaren fie bor allem in SreSlau, 3Reiße, ©cb,meibni| %n finben: in bem
Keinen ©c^tr>eibni| würben 1315 allein ifyrer 50, barunter auc| grauen unb Äinber,
berbrannt, bgl. ©rünfjagen, ©efc^. ©d)lefien§ 1, ©. 162 unb 2lnb,ang 63. ^n 5ßolen 50
machte man um 1330 einer großen £ar/l ben ^ro^efs, glaciug, Catalogus p. 638, baju
^Breger 2lOJi2l 18, ©. 6 unb £aubt, 2Balbenfertum ©. 28, 2lnm. 3. Qn Ungarn Waren
fie bielleirf;t fcb,on um 1260 bon Meberöfterreicb, au§ eingebrungen, bgl. ^afjauer 2lno=
ntomug c. 3 p. 27 (StRüUer, 2SaIbenfer ©. 148), je^t lamen fie aucb, über bie bolnifd;e
©renje in« 2anb, bgl. bie SuUe^abft 3ob,anneg XXII. bom 16. Mäx^ 1330 bei St^einer, 55
Vetera monumenta historica Hungariam sacram illustrantia 1, p. 511 ss. 6nbe
be§ 14. ^ab,rb,unbertö finben Wir fie bafyer in einer ganzen 9leib,e bon q3Iä^en, in ©ün3,
Dfen, in ber 3Räf)e bon Dbenburg unb felbft in Siebenbürgen, bgl. bie 3?aa>eife bei
§aubt, Söalbenfertum ©. 28 ff., 77—79 unb Seilage I, ©. 184 ff. 50 £abre fbätcr fam
man ber ©efte aucb, jum erften Wale im §erjogtum ©acf)fen=SBittenberg unb im 3JJagbe= eo
824 SBalbenfcr
Burgifcben auf bie ©pur, ebb. ©. 65 f. unb Wieber 20 Igabre f^äter fogar im heutigen
9JJe<flenburg=©cbWerm, SBattenbacb ©333t 1887, ©. 518. 2ßte berbreitet unb feft ein=
gewurzelt fie in all biefen ©ebieten War, babon geben bie bürftigen Überrefte ber Siliert
über bie Verfolgungen be3 14. ^a^rbunbertS eine amtäbernbe 33orfteHung. $n ©üb=
5 bödmen bilbeten fie um 1340 in ben beutfcben Kolonien bei -fteu^auS förmlicb, gefcbloffene
©orffcbaften, bgl. 9J?encif oben ©. 803, 42, 33rief 33enebifi§ XII. an Ulria) bon 9?eubau<§
3$© 14, ©. 15. $n 3ftäbren Waren fie fo ga^Iretc^, bafj bie föircbe faft baran ber=
jWeifelte, ibrer §err Werben ju fonnen, §aubt, SBalbenfertum ©. 55, Str. 1. Qn 33ranben=
bürg, ^Sommern unb 2JJecfIenburg Würben 1393/4 nicbt weniger al§ 443 ^erfonen wegen
10 walbenfifcber $e£erei gur Verantwortung gebogen, barunter nicbt Wenige, bie bereite in
ber $e|seret geboren waren. 313331 1886, 3, ©. 90. ©benfo ftanb e3 aber in ben anbern
beutfcben Momallänbem. 3Iuä ber bamal§ px Waü?n m 3SotglIanbe blübenben ®e=
meinbe finb uns nicbt Weniger afö brei ÜJJceifter befannt, £aubt, SSalbenfertum ©. 97 ;
unb in Dfterreicb Würben toäbrenb ber Verfolgung fo biele ^erfonen berbbrt, bafs bie
15 barüber aufgenommenen 3lften im Softer ©arften brei bicfe 33änbe fußten, bgl. glacius;,
Catalogus p. 852. SDanacb barf man toobl beraubten : bas 2öalbenfertum War eine
ftänbige 33egleiterfcbemung ber beutfcben ^olonifation be3 13. unb 14. $afyrbunbert<§. Slber
im inneren ©eutfcfylanb War bie ©efte barum nicbt mit geringcrem ©ifer tbätig. SDa€
geigte ficb beutlicb bei ber oft genannten großen Verfolgung ber legten ^abjgefmte be§
20 14. ^abrbunbertg. £>amal§ entbecfte man SBalbenfergemeinben unter anberem : in ©rfurt
(bgl. ba§ STCotat bei ©bßinger 2, ©. 330) in SRaing — (Chron. Moguntinum ad 1389
ed. £egel, ©eutfcbe ©täbtecbronifen 18, ©.221; Verhör ber ©trafjburger 2Binfeler bei
9tö$rid& ©. 65; Simburger ßbronif ad 1388 ed. 2ör/f$ ©. 81), in fingen (Articuli
Petri de Kirn et Conradi Falken, berbrannt 1393, bei§aubt, ®er Walbenf. Urfbrung
25 be§ Äober. lepl, ©. 36) in SBürjburg — bort War bie ©efte minbeftenS fcbon feit
50 ^abren betmifcb (£aubt, SReltgtöfe ©elten in granfen ©. 18 ff.), im 33i§tum unb
gürftentum Bamberg (ebb. ©. 26f.), in Nürnberg — bort ift eine ©emeinbe fcbon 1332
nachweisbar (Gbronifen ber beutfcben ©täbte «Nürnberg 1, ©. 362 ; 3, ©. 297; 4, ©. 136 f.;
£aubt a.a.D. ©.4, 18ff.; berf., Sßalbenfertum ©.28, 62 ff.), im 33iätum ©tcbftätt
30 (3trtilel ber Ungläubigen Saut SDöOmger 2, ©. 615) in 9tegen§burg (9?öbricb ©. 47,
63; £aubt, SSalbenfertum 60 ff.), in ber SDiöcefe $affau baierifcben SlntetlS — bort
fam man ber ©efte aüerbingg erft 1410 auf bie ©bur (£>aubt ©. 61 f.), in ganj Dber=
unb 9?ieberöfterretcb, in©aljburg unb in ©teiermarf (ebb. ©.27, ©.90 f.). ^nScbWaben
War Stugdburg ein alter ©tanbort ber ©efte (Defeie, SS rerum Boicarum 1,
35 p. 620ss.), Weiter ©onauwörtb, Wo 1393 10 SDcänner unb 16 grauen hingerietet Würben,
SDinfelSbübl, Wo im felben ^afjre 2, unb Söembing, Wo 10 Verfonen ba§ gleite ©cbicffal
traf (ebb.), ferner £>eutacb bei SonauWörtb — bier Würbe 1401 grtebricb Steifer al*
©obn eineg 3Jteifter§ geboren (£aubt, ©eften in granfen ©. 44), £)tfcf,ingen jwifd;en
Werbungen unb ©iEingen (diöl)x\ä) ©. 56, 57, 60), Ulm (©d}elf>orn, Amoenitates
«literar. 8, p. 514ss. ju 1385). 3tm Dberrb,ein ift bie ©efte befugt in ©betyer (ffiifynä)
©. 48), in 2Beifeenburg (ebb. ©. 54), in §agenau — bafelbft beftanb eine ©ctjule (ebb.
©. 49), m ©trafeburg — bafelbft beftanben 1400 ntcfyt Weniger afö bier ©a>len (ebb.),
in Dffenburg unb £al)r in ber Drtenau (ebb. ©. 25, 3lnm. 3) ; enblicb, in ber ©cf)Weig :
tn JBafel, ©olotb^urn unb ©t.©aEen (ebb. ©. 46, 60, 62, 71, 74, SDöOmger 2, ©. 367;
45 Dd)fenbem, 3tu§ bem f^Weiäerifeen VoIMeben ©. 220), in 33ern — bafelbft Würben
1399 über 130 Verfonen „im „Unglauben erfunben" (^uftinger ßf)ronif ad 1399, SDöllinger
2, © 367), tn gretburg im Uc^tlanb, bafelbft Würben im felben ^abre 53 Söalbenfer
brojefftert (Dd&fenbein ©. 96 f.), in ©d)Warjenburg, ^un, @rlacf; im Danton 33cm, in
^euM^atel, tn 33rüntörieb, SKaggenberg, (Menberg unb anberen Drten be§ ßantonS
so öretbutfl aber autf; in Saufanne unb, wie e3 fcfmnt, felbft im Jlanton 2Ballig (ebb.
©. 158, 166, 168, 170, 181, 182, 366). ©anaef) War bie ©efte @nbe beg 14. °tabr*
b_unbertg tn faft gang Dberbeutfcb,Ianb, ?DJitteIbeutfcf)Ianb, Dfterreicb, 33öf)men, Mrm
©tt)leften, Ungarn, Volen, 3«eifeen, 33ranbenburg, SJlecflenburg, Sommern berbreitet. @§
fehlen Belege borberb,anb nur für ^Ltrol, baö 9tbieintb,al nörblicb bon 33ingen mit feinen
55 ©ettentbälern, TOeberfacbfen, grieälanb, §olftein. Slucb, in ben TOeberlanben ift bi§Iana
ferne ©bur bon ibr gefunben Worben.
3Ba§ bie ©efeüfcbaftlfreife anlangt, au§ benen bie SBalbenfer ftammten, fo über-
wogen unter ibnen noeb immer bie fleinen Seute. ^n Dberbeutfcblanb Ratten fie befonberg
unter ben ^uebmacbern großen Strang, SSergetct;rttg berSEReifter beiSößinger 2, ©.330f
367, bte Sifte ber ©trapurger Sßinfeler bei SfJöbricb ©. 73 f., Dcbfenbein ©. 130 ff @g
60
aSalbcnfcr 825
tarn bal)er gelegentlich fogar bor, bafj Sucfymacr/er SKalbenfer mürben, nur um Arbeit
bort ir/rert ©eroerfcggenoffen ju erhalten, bgl. Döfyrid) ©. 63. ©eiftliclje begegnen un<§
je$t unter ben „guten Seilten" nur ganj Vereinzelt, bgl. gormelbud) be§ SDomfyerm Ämolb
bon $ro|an, Codex diplom. Silesiae 5, nr. 64 ein @eiftlict/er an ber Sreölauer
$omürd)e in ben Safyren 1301—19, nr. 95 SRagifter 9DJirisIau3, Slrdjibiafon bon ©logau, 6
DifoIauS fallen, $riefter %u Singen, §aubt, Söalbenfer Urfbrung ©. 36, ein Pfarrer ber
^affauer SDiöcefe ca. 1397, bgl. bie ©entenj bei §aubt, ebb. ©. 34. 3Rtrf>t häufiger finb
bie litterati, bie ©ebilbeten (bie ^toei SJkgifter ju Singen 1393, ebb. ©. 36, bie ÜDlagtfter
$eter, griebrid), DifoIauS bon ber SDreSbner ^reujfdmle, bgl. bie ©teilen bei C 9Jlel§er,
Sie ireujfcfyule in ©reiben bis pr Deformation 1885, ©. 54 ff., SRagifter £agen in 10
3Bür?burg, £aubt, ©ef ten in grant en ©. 20f., bgl. aud) äöattenbad) in ©S21 1886,©. 51).
©ar nicfyt feiten treffen mir aber aud; jettf no<| unter ifyren ©önnern unb Anhängern
Seute ritterlichen ©tanbeS ober ^öt)ere Beamte, ^m 3SaI ^erofa Vermittelte j. S. 1387
ber föanjler beg ©rafen 2Imabeu<§ bon ©abotyen, ^ofyann bon Sratyba, jur großen Snt=
rüftung be§ ^nquifitor§ einen Vertrag jmifd;en ben SBalbenfern unb feinem §errn, 15
Archivio Storico 1, 2, p. 51. ^n ber 9Jlarfgraffd}aft ©alu^o, in ber 9flontagne bu
Suberon, in 2Ibulien unb Äalabrien erfreuten fitf) bie Armen alö tüchtige Arbeiter unb
Moniften ebenfalls ber offenen ©unft ber ©runbfyerren, f. ©. 822 f.. 216er freilieb,
biefe ©önner roaren nur ©bnner, feine greunbe. Sod) fehlen aud? unter ben greunben
bie Sowefymen nidjit. ^n Strasburg mar ber Ditter unb fbätere ©tabtfdjreiber ^oljann 20
bon Slumftein um 1400 gerabeju ba<§ $aubt ber ©emeinbe, bgl. Döfyrid) ©. 27- ^n
Nürnberg mürben 1332 u. a. aud) brei ©lieber ber gamilie Studier als 2Balbenfer ber=
haftet, §aubt, ©eften in granfen ©. 18 f. Übertäubt fttelten fid) in ben ©täbten ©d)tr>aben§,
$ranfen§, SaiernS fo biele „Steige" ju ben Armen, bafj ein argroöfynifdjer ßl)ronift auf
bie Vermutung lommen fonnte, bie Urfact/e ber ganzen Verfolgung fei ber junger ber 25
Äirdjie nad; ben ©ütern ber Deinen, AugSburger Sfyronif bei Defele, SS 1, p. 620s.
Unb nicfyt anber§ mar e§ um 1400 in Sern unb greiburg im Üd)tlanbe, bgl. bie Dad)=
meife bei Dd)fenbein ©. 121, ©. 115 ff. Aber gerabe unter ben Seitern ber ©efte, ben
•ätteiftern, Ratten jebenfaüS bie Seute bäuerlicher unb bürgerlicher §erlunft ba§ Übcrgemidjt.
2. innere ©ntmidelung. Sei ben Iombarbifd)en Armen boßjieljt fieb, bie Um= 30
roanblung au§ einer aSfetifdjen ^ßrebigergefetlfcbaft in eine ©egenlirdje ober ©e!te
minbeftenS ebenfo rafd) foie bei ben granjofen. ©dmn um 1260 bilbet aud? in Seutfcf)=
lanb bie societas mit ben toeit berftreuten scholäe ifyrer amici eine fet)r lofe, aber
braftifcf) organifterte ©er;eimlircb,e, bie ben tarnen ^ireb^e ßb^rifti augbrüdlid) al§ nur if)r
aEein juftefenbe Sejeid^nung in Slnfbrud; nimmt, bgl.^Dtoneta 1. 5, c. 1, § 3 s., p. 401 ss. 35
$affauer 2lnonr/mu§ c. 5, p. 28 B 0, ben ©intritt in ifyren Serbanb gelegentlich gerabeju
alg bie mab^re ^aufe feiert, ®abib bei ®bltinger 2, ©. 328 unb bamit implicite ben
im 14. ^afyrf/unbert cmd? explicite au^gefbroeb^enen ©runbfa| auffteßt; aufeerb^alb unferer
Rixö)i !ein .geil, bgl. für ^iemont Archivio 1, 2, p. 39 s., für ©eutfdjlanb ®öHinger
2, ©. 310, nr. 85, 86. SDiefe Söanblung finbet aueb, barin einen 2lu<obrucf, bafe je|t 40
aueb bie „greunbe" bon ben ©egnern al<§ Seoniften bejeic^net merben, erfter 3euSe
^affauer ^non^mu§ c. 5, p. 30 C: c. 7, p. 40, unb bafe innerhalb ber ©efte aHmär/ücb.
bie ©itte auffommt, bie ©laubenSgenoffen at§ bie „^unben", b. i. ©ott allein befannten,
bie Sktfyoüfen afö bie „gremben" ober „bie 2üelt" ju bejeiebnen, erfte geugniffe auä
bem @nbe be3 14. ^ab^rb,unbert§ ©öüinger 2, ©. 310, Dr. 87 ff., jur Sebeutung be§ 45
Stu^brucfS bgl. Dcbjenbein ©. 208, Dr. 14, anbere ©teilen bei Mütter ©. 109, 1. Sem
entfbricfyt bie böHig ableb^nenbe Haltung ber Sombarben gegenüber ben Slnfbrücben unb
bem gangen b,ierarc|ifc§en unb fultifcben ©tiftem ber römifd)en 5?irct)e. ©ie be^nen bie
römifeb^e ^irc§e feb^on ca. 1240 al<§ bie babt)Ionifcb,e £ure, al§ ba§ grofee "Jier ber 2lbo=
faltibfe, al§ bie $ird)e ber Übeltb^äter, bie feb^on bamabä, al§ ^abft ©ilbefter, ber erfte bo
2tntic^rift, bie ©c^enfung $onftantin§ annahm, aufgehört f>abe, bie ßirebe Gt>rtftt ju fein,
3Jtoneta a. a. D., ^affauer Stnont»mu§ c. 5, p. 28, fie nennen ben $abft bal §aubt
ber Irrtümer, bie Söeltflerifer ©d)riftgelef)rte, bie^öneb^e q3^artfäer, ^ßaffauer 2tnonbmu§
ebb. ©ie broteftieren gegen atte @^renrect;te, ©tanbe€abjeicb,en, ^ribtlegten beö Älcrug,
gegen bie Sitel 5ßabft unb Sifcb^of, gegen bie 2lu§ftattung ber ^ircfjen unb ßlbfter mtt 65
Degalien, Seben, jinöbflicbtigen ^interfaffen, geinten unb anberen nu^baren Deuten,
gegen bie Aufteilung ber Sänber in ©iöcefen unb Pfarren unb gegen ben ^far^mang,
gegen bie Äonjilien unb ©b,noben unb gegen alle fonjiliaren unb bäbftlicfjen ©a^ungen,
gegen ba§ ganje firdjlicbe ©eric£)tg= unb ©traff^ftem, gegen bie fird}Iid)en Seftimmungen
über bie ebebjnberniffe, gegen ben ^rieftercölibat u. f. m., fo fcf)on ber ^affauer 2lnonb= eo
826 SÖalbenfer
mug a. a. D. ©te bertoerfen weiter, fbätefteng feit bem 14. Qafytfjmnbert, bag IJKöndjtum
in allen feinen formen, SDöttinger 2, ©. 341, bag fircbiicfye Unterricfytsmefen, e&b. ©• 340,
bie bon ber ^trd^e gebilligte mbjtifc^e Sluglegung ber fy. ©cfjrtft, '■ßaffauer gfotontymuS
e. 5, p. 29 F ©ie berbammen ferner alle Soeben, Kulte unb Juttifc^e ©itten, bte ntcfyt
5 burcb, bag ©efe£ ©otteg berorbnet ftnb: bas firctyltcfye haften unb bie fircpdiien gefte,
mit 2Iusnatyme beg ©onntagg unb bigtoeilen aucb, beg 6fyriftfefteg, beg Dfterfefteg, §immel=
fabrigf.efteg, $ftngftfefteg unb ber 2Ibofteltage, bgl. 3trti!el ber Ungläubigen bei ©öllinger
2, ©. 614; 3tör,ricb, ©. 38, ©3321 1886, ©. 52, Archivio 1,2, p. 23, Stugfage ber
$ebronnette Bulletin 12, p. 380, bag 2Beil>en Don bergen, gleifcf), Halmen, DI, geuer,
10 2lf<|e, ©alj, Leibern, Söaffer unb ben ©ebraucb, foldjer gefreiten ©adpen, bag Söetben
unb ©infegnen bon Kirnen, $ir#öfen, pilgern, 2ööd)nermnen, bie 2SaHfar,rten, $ro=
jefftonen unb Bittgänge, bie Orgeln, ©locfen unb Kirchtürme, bag fanonifcfye ©tunben=
gebet, bag erft ©regor b. ©r. erfunben fyabe, bte gange lateinifdje Siturgte unb toag fonft
jum äußerlichen 2Ibbarat beg ©otte§bienfte§ gehört, ^affauer 2tnonr/mug ebb. ^r/rer
15 Abneigung gegen biefe tufserltcfjieiten aber geben fte nict)t feiten einen feJ>r berben 2lug=
brucf, «Paffauer 2Inonr,mug ebb., ©ößinger 2, ©. 335 ff., ©3321 1886, ©. 53, Dfterr.
aSierteljafyrgfd&rift 11, ©. 261. ^ocb, mein- ©inbrucf machte eg, bafj fte aucb, ben33tlber=,
3Miquien=, £etligen= unb 3Jtartenbienft bertoarfen, 2trtifel ber Ungläubigen ®öCinger 2,
©. 615, Dfterr. Sjierteljaljrgfcfyrift 11, ©.259 f. 2Iber am meiften berbacfyte man Urnen
20 ib,re fdjarfen Urteile über bie fircpcfyen ©aframente. Um 1240 flehten aucb, bie 9tabi=
lalen unter ifynen nur erft bie SBtrffamfeit ber bon fd^Iec^ten $rieftem boßjogenen
©aframente beftritten ju b,aben, 3D<ioneta 1. 5, c. 5, § 111, p. 433 ss., unb babei ftnb
bie ©emäfjigten namentlich unter ben greunben bermutlicb, ftefyen geblieben, Archivio 1,
2, p. 24, 2Iugfage ber Katharina Sauba SDöIIinger 2, ©. 362 f., aber bie 9iabifalen jogen
25 aug ber ^ßrämiffe, bafs aHe fatfjolifcfjen ^riefter fcfjlecfjte 5ßriefter feien, algbalb ben ©cfylufc :
bie römifcfje 2aufe ift unnötig, bte Kinbertaufe nu£log, ba bag Kinb nod) „unb erft änbltcb,
ift", 2lrtilel ber Ungläubigen ©öllinger2, ©. 613, bie Konfirmation unb bie le£te Ölung
finb überflüffig, bie ftrcb,ltcf)e (Sudpariftie, ber fircfylicfye Drbo unb bag ftrcfylidjie 33uf3=
faframent untotrffam, ^affauer 2lnonr/mug ebb., ©ößinger 2, ©. 339 ff., 2lugfage beg
30 33arben 'ptlibb 9iegig Rivista crist. 9, p. 366, bei 33arben Martin Bulletin 12, p. 116.
2Iber bie „greunbe" folgten aucb, in biefem ©tücfe burdjaug nicfyt immer ber 2lnfcb,auung
ber „DJieifter", SöUtnger ©.309, 5Rr. 55— 62, ©. 379, 9ir. 79; Dd)fenbein ©.212.
5Da§ märe unerflärlicf/, fjätten bie 9Jteifter ben ©alramentSglauben al§ folgen angetaftet.
©o weit fcfyeint fte i^re Kriti! aber nur gan§ feiten geführt ju b,aben. 1)ie 33eb,aubtung
35 ©abibö bon 2Iug§burg, bafs bie ©efte biofj an eine f^mbolifd^e ©egentoart be§ Seibeö
6b,rifti im 2tbenbmab,le glaube, c. 5, p. 207, beruht bieÖeicb,t auf einem SflifjberftänbniS.
9^ur bie jwei 3Kagifter $eter bon Äirn unb Konrab galten fomie ber ^ßriefter 9tifoIau§
bon 33ingen, bte alle brei 1393 in 33ingen berbrannt mürben, fd)einen fo toeit gegangen
p fein, bgl. Articuli heresiarchum Falconis etc. nr. 8—10 bei £>aubt, ®er malbenftfcl)e
40 Urfbrung be§ ßober. Stebl ©. 36 f. ©onft märe e§ ja aucb^ laum' gu berfte^en, bafj fie
ben 33raucb, ber Drbination beibehielt unb nic^t barauf ber^ict)tete, immer neue „33rüber"
ju meinen. 2Bie ftnb bie lombarbifdjen 5Retfter nun berb,ältntgmäf5ig rafcb, ju fo rabifalen
Urteilen über ba§ ganje !ircb,Iid?e ©tjftem gelommen'^ Offenbar fjat ba^u ber @inftufj
ber Katb,arer bag meifte beigetragen. 23on ben Katb,arern fyahtn fie bie 2tnfcf;auung über=
45 nommen, bafe bie Hirct)e feit $abft ©ilbefter berberbt unb ©ilbefter ber 2lnticl)rift fei,
bon ben Katarern bie Segenbe bon ber Ilagenben tyimmlifcfyen ©timme in ber 9cacr;t
nacb, ber ©c^enlung Konftanting, 33rief beg ^ofjann unb ©enoffen bei ©öllmger 2,
©. 356, bon ben Äatfyarern meift mörtltd) all jene gerben Urteile über bag ^abfttum.
bte §ierard)ie, bie ©aframente, bag gan^e recfjtlidge unb iultifcf,e ©Aftern ber Kirche, bgl.
soAlanus 1.1. liber 1, c. 29— 62, 66—71; Ebrardus Flandrensis liber antihaeresis
ed. ©reiferer p. 117 ss., befonberg c. 4, 6, 8, 10—12, 17, 19. 33on ben Katarern
ftammt felbft bie SSertoerfung ber allegorifcfyen ©jegefe, bgl. ebb. c. 24 mit ^affauer
2lnont)mug c. 5, p. 29 F, unb, wie eg fc^eint, fogar ber ©runbfafc: toag im (gbangeltum
ntcljt geboten ift, barf ein (Sbjift nief/t tb,un, bgl. Ebrardus c. 4, p. 134 H. ftanad)
55 tounbert man ftd) nicb,t, bafj eg t)ie unb ba ju einer förmlichen ißermifdgung jtoifc^en
Äatfyarem unb Söalbenfern ram. @in intereffanteg 33eifbtel bafür ift bie ©efte beg
2ftartmug be ^ßregb^tero aug 33icug in ^iemont (Sßtu an ber ©tura?), bie in ben2lften
ber totemonteftfclien ^nquifition bon 1388, Archivio 2, 1, p. 1 ss. eine fo grofje 3?0ae
fbielt, bgl. ßomba, Erano Valdesi? a proposito de aleuni eretici antenati deBalbi
60 e dei Cavour in Rivista Cristiana 4, p. 169 ss., 217 ss.
Üöalbenfer 827
Allein in ber Berfünbigung ber Armen trat baSSogma nacb, mie bor jurüd. Steift
Begnügten fie fid) bamit, ifyren ^ufyörem einprägen: ©djtoören, Sügen, $riegfül)ren,
SobeSurteile fällen ift SLobfünbe. ®ie SReffen, bie ©ebete, Dbfer nütjen ben Stoten
nidjtS mefyr. SDenn eS gtebt lein gegfeuer: eS giebt nur jtoei Sßege, jiüifdjen benen
ber SRenfcb, ju toäfylen bat, ben 2öeg bcr §ötle unb ben Söeg beS BarabiefeS, erfter 5
$euge für biefe gormel ^J3affauer Anonr/muS c. 5, p. 30 D, bgl. für ©eutfcf/Ianb aujjer=
bem: Rbbjicb, ©. 41, ©552t 1886, ©. 53; für Italien Archivio 1, 2, p. 24, 32, 39,
40, 46; 2, 1, p. 9; Nobla leycon v. 18ss. ; Burce v. 81 ss., 154 ss. 2)a biefe Sefyre
„bon ben beiben 2öegen" in ben Berl;ören fefyr l)äuftg als erfteS unb £>aubtftüd ber
toalbenfifdjien Berf ünbigung bejeidmet ibirb, fo fonnte bie Vermutung auffommen : bie 10
2Balbenfer I)ätten nocb, bie fog. Urbibacb/e, ben KatednSmuS bon ben beiben Söegen benutzt,
lumal ber lateimfdje Xer.t ber fog. Urbibacfye in jtoei öfterreidjifcfyen §ff., alfo in einem alten
§aubtmiffionSgebiete ber Sßalbenfer, ans Sidjt trat. Allein an feine/ ber Dielen ©teilen, an
toeldjen bie toalbenfifcfye fiebere bon ben jtoei Söegen begegnet, berrät fid) Beianntfdjaft
mit ber Urbibacfye, bielmefyr ift biefe Sefyre, toie Nobla leycon v. 18 ss. bemeift in bireltem 15
Anfdjluffe an fflt 7, 13 f. entftanben. ©od) fyaben it)ir fixere Kunbe, bafj man fotoofyl in
©eutfd)(anb tote in Italien aufjer ber Bibel nocb, folgenbe ©d;riften bei ber Berfünbigung
unb pim Unterrichte ber SReifter unb $reunbe benutze: 1. Verba ss. Augustini,
Hieronymi, Ambrosii, Gregorii, Chrysostomi et Isidori, alfo ©entenjenfammlungen,
©ötlinger 2, ©. 329, 5Rr. 25, bgl. ©. 309, 3Rr. 72. ©ine folcfye ©ammlung befafj bereits 20
ÜIBalbeS, oben ©. 807, 31, jtoei folcfyer ©ammlungen, beren Vorlage bielleid)t auf SöalbeS jurücf=
gefyt, finb in toalbenfifdjer ©brache erhalten : Vergier de consollacion (©arten beS StrofteS)
unb Doctor (ber Setjrer), beibe nod) nict)t gebrucft, groben bei 2Rontet, Hist. litteraire
des Vaudois p. 58 s. 2. Liber electorum, citiert in bem Briefe bon ^ofyann unb
©enoffen aus bem $al)re 1368 bei ©öHinger 2, ©. 368, bielleid)t ibentifcb, mit bem in 25
biejem Brieftoecfyfel ebenfalls ermahnten liber justorum, 3JJüKer ©. 127. 3. „Sie
30 ©tufen AuguftinS", ein Straftat über bie "Sugenben unb Safter ; in SDeutfcf/Ianb fdjon
im 13. 3<*b,rr;unbert in einer Bearbeitung in beutfcfyen Berfen im ©ebrauct), ©abib c. 5,
p. 209, ungebrudt, über Überlieferung unb ^nb,alt bgl. §ergog ©. 66 ff.; SRontet p. 5,
8, 68—76, toofelbft aud) einige groben mitgeteilt finb. 4. Septem articuli fidei, 30
Snfyalt unb Reihenfolge mitgeteilt in einem Verbrannten ©trafjburger 5Ranuffribt bon
1404, ber %t# felbft aucb, Söalbenfifd) Mscr. 208 Don ©enf, »gl. hontet p. 198 s.,
bezeugt erftmalig 28. Abril 1387, Archivio I, 2, p. 38, Dfterr. ^nquifition Don 1392,
Dfterr. BterteliabjSfdjrift 11, p. 258; bielleidjt ibentifd) mit ben fieben Slrtifeln ber fran=
göftfd^ert SSalbenfer über bie ©ottlieit, oben ©. 821, 1. 3)iefe 2lrtifel tourben aber 35
bielleidn' bis in§ 15. ^ab,rb,unbert nur münblicb. überliefert. 5. ©ine regula, bie auch,
Angaben über bie @ntfteb,ung ber ©elte enthielt, ©ie tourbe mab, rfd)einlicb ebenfalls nur
münblicb, ben angel) enben SReiftern eingeprägt, bgl. baS ßitat aus bem Briefe beS ©eutfd;en
^ob^anneS bei 9Jtüller ©. 127, 1: vestra eciam regula narrat, ut ego memorie
mee tradidi. 2lu|ierbem lurfierten unter ben beutfd)en2Balbenfem fd;on im 13.^0^=40
b^unbert beutfcb,e Sichtungen, beren ©d)bnb,eit aucb, 3)abib oon SlugSburg anerfannte c. 5,
p. 209. SDiefe ^ßoefien finb aber mafyrfdjeinlicb, nie aufgezeichnet morben. Sßeiter be=
nu|ten bie beutfd;en 2Balbenfer im 15. ^rlrnnbert aud) SluSlegungen ber ©bangelien unb
Briefe *$aul\ in beutfcfyer ©brache, Dcf)fenbein ©. 220. £>ajj biefe „Auslegungen" bon
einem 2Mbenfer berfafet gemefen feien, wirb jebod) nid;t gefagt. 2öab,rfd;einlid) fyanbelte 45
eS fid} um baS Söert eines fatljolifc^cn älutorS unb nur um eine Auslegung ber fatf;o=
lifdjen ^eriloben. $Die italienifd)en SBalbenfer Ilagen 1368: multoties perducti
sunt libri quasi in nulluni, ita ut vix sacram possemus paginam reservare.
©ie b/aben alfo manche Büdner befeffen, b,atten aber 1368 babon laum mebj gerettet als
bie Bibel unb ben liber electorum, Brief beS ^ofyann, £>bümger 2, ©. 358 f. ©leid;= 50
ttjobl finbet fid) bei ben Söalbenfem ber lottifd^en Silben im 16. unb 17. ^abrfmnbert
eine förmliche bibliotheca Waldensis. ©ie ©ntftefyung biefer bibliotheca ift nocb, nid?!
böCig aufgebieüt. geft fteb^t jebod), bafe nur ein feb/r Heiner %t\l babon aus borreformatorifd)er
3eit b,errüb,rt. 9Jitt einiger ©id)erl)eit fann baS nur bon folgenben ©Triften beraubtet
tberben : 1. Straftat Vertucz. 2. Doctor. 3. Vergier de consollacion, f. oben 3- 22. 55
4. Glosa pater noster, eine Auslegung beS BaterunferS, gmeifelloS Übertragung einer
Iatb,olifd;en Borlage, bgl. hontet p. 45, 76. 5. Cantica, Fragment, beutfde Uber=
fe^ung bon §erjog in ßb^b 31 (1861), ©. 486—592, Überfe^ung eineS fatbolifcben
MommentarS jum ."oofyrx Siebe in fieben Büdnern (baS erfte feblt) mit berb,ältniSmäfeig
Wenigen eigentümlia)en ^ufä^en ,^u 2, 4, 16; 3, 7 ; 4, 4, 8; 5, 2 prologus ; 5, S, 9 ; 60
828 SSoIbenfer
6, 2, 3, 7, 8, 9; 7, 12, 14 ©<$Iufj, bgl. §erjog a. a. D. ©. 493 f., 505, 575, 528,
534, 548 f., 557, 559, 565, 568, 579, 585, 589, 590 ff. ®aS Silb, baS fid) auS
biefen gufätjen bort ber gleysa de.li paure de Christ ergiebt, ftimmt ju ben 5Rit=
teilungen 9JiorelS in bem »rief an Dfolambab, bie ©bradje roetft ebenfalls ins 16. 2>afyr=
6 fyunbert. golglicb. ift baS Söerf Wafyrfcfyeinlicb. erft @nbe beS 15. Qabjfmnberts in ben
fottifcfyen ällben ober in ber Vrobence entftanben, »gl. bie 21nfbielungen auf bie 33er=
folgungen unb ben 3fJüdfgang ber „®ird;e" 2luS berfelben ßett rühren bieHeid)t aucb,
nocb, anbere Überfettungen fatfyolifcfyer Vorlagen ber: Penitenca, Pecca u. f. W. 3. Nobla
leycon, ein ©ebid)t in freien Kraben bon 479 12ftlbigeu Werfen. ®er ®id)ter,
10 ber fidler einige tfyeologifcfye Silbung befafj, giebt barin einen Überblick über ben %n--
fyalt ber Sibel unter bem ©efidjtSbunft ber brei ©efe|e ©otteS, ber lex naturae,
ber lex Mosis, ber lex Christi. ®ie ältefte ber brei §anbfcbriften, Weld?e baS ®ebid)t
bollftänbtg bieten, ftammt aus bem 15. ^ab,rbunbert. tiefer $ett gebort alfo ber ältefte
uns erregbare SEerJ beS ©ebidjtS an. Slber baS ©ebicfyt felbft ift biel älter. $n ben
15 biel befbrod)enen Werfen 6, 7 beifet eS (nad) £ff. ©enf 207 unb Dublin Trinity 6,
5, 21): Ben ha mil e cent ancz compli entierement / Que fo escrit: „Oratz !
car sen al derier temp" (forrigtert nad) ©milio Sron, l'epoca della composizione
della nobla Leicon, Bulletin de l'hist. des Vaudois 21 [1906], p. 32 ss.). Qn
ber #f. ßambrtbge Dd XV, 31 ftebt bagegen mil e CCCC anz unb in ßambribge
20 Dd XV, 30 ift nacb, mil e bie ßiffer 4 auSrabiert, f. bie gaffimilia bei 2JJelia, The
origin. 2IuS biefer ÜRafur f)at man gefdjloffen, bafs mil e quatre cent ancz bie
urfbrünglicfye Sefung unb bie Sefung mil e cent ancz gefällt fei. 916er bie legiere
Sefung wirb burcb, baS Metrum geforbert, 2S. görfter in ©g2t 1888, 2, ©. 783 ff.
£)arauS folgt: ber £>id)ter beraubtet, bafj ju ber geit, ba er bietet, gut 1100 Qafyre
25 berfloffen finb, feit baS %l% getrieben Würbe. 3Jtan barf biefen 2luSbru<f geWijj nid)t
breffen, aber man Wirb jugeben muffen, bafj biefe 2öorte beffer auf baS 12. unb 13. ^abr=
Imnbert baffen als auf baS 14. unb 15. 2)a ber Verfaffer borauSfeijt, bafj bie Söalbenfer
heftig berfolgt werben, fo ift baS 12. ^afyrbunbert auSgefcfiloffen. bleibt alfo als
terminus post quem nur bie gett nad) 2luSbrucb, ber großen Verfolgungen: ca. 1231.
30 2tls ©ntftelmngSort ergiebt ficb, auS v. 18 ff. (Sefyre bon ben 2 3öegen) falls biefelben
ed)t finb, baS ©ebiet ber fottifdjen 3llben, benn nur bier gab eS bamalS brobenjalifcb,
fbred)enbe Söalbenfer, meiere ber lombarbifdjen Dbferbanj folgten, ©einem ^nbalte nad)
ift baS ©ebtd)t eine 3Irt -äftifftonSbrebigt in Werfen, Welche bie „3lboftel" bielletd)t nad)
bem Stftufter ber SoglarS bortrugen, Sie anberen oben ©. 802, 10 erwähnten Sebjgebtcfyte
35 gehören bielleid)t audj nod) bem 13. ^a^rbunbert an. ©afs ber 33erSbau in 3lx. 4, 5, 7
fef)r biet lünftlicfyer ift, aU in ber Nobla 'leycon unb bafe ber SSerfaffer bon %lx. 5 einige
tfyeologifcfye J?enntniffe berrät, fbrtd}t nidjt gegen, fonbern für biefen 2tnfa£. ®er $ßor=
fteßungSlreiS bafet ju bem ber nobla leygon.
£>em entfbrid)t e§, bafe bie (Ermahnung gur Sufee in ben feftfte^enben ©eban!en
40 unb gormein ber Sebre bon ben betben äöegen unb bie Erteilung beS ÜBufjfaframenteS
meb,r unb me^r al§ micfytfgfte Aufgabe ber 3Keifter betrautet mürbe, bgl. für Italien bie
3llten Ar chi vio 1, 2, p. 16 ss., für SDeutfcblanb inSbefonbere Siöfyricb. ©.32, 41, 53, 68.
©a§ Slbenbmab,! würbe aud) in ®eutfd>lanb im 14. ^abrfmnbert einmal im ^a^e am
©rünbonnerStage gefeiert, Dfterr. Siertelja^rSfdjrift 11, ©.255, 33erid)t bon 1392 ebb.
« ©. 260. 2lber e§ gab 1392 bereits biele g«eifter, bie biefen Sraud? „berabfd)euten", ebb.,
unb tm 15. Sabjfmnbert finbet fieb, babon auf beutfcb,em ©oben feine ©bur mef)r, bgl.
bte ^retburger 2l!ten bei Ddjfenbein. <£>a bie ^eier jubem immer nur einmal im ^abre
ftattfanb, fo traten bie SKeifter in £)eutjcb,lanb in ber Siegel Weiter nid)ts, als 33eid)t=
Joren 3lber eS Wirb ftets b,erborgeb,oben, bafe fie pgleicb, brebigen unb Ieb,ren, boümbS
so m fte gerabe^u „bihter" genannt Werben feien, wie fonft SKeifter, 2tbofteI, «Wölfboten,
Ferren, Füller ©. 106, finbe id) nirgenbs befugt. Sei ben Söalbenfern ber fotttfeben 2llben,
tn ber ^robence, 2lbulien, ^alabrien, gJUttelitalien b^at fieb, bie jelbfiftänbige 2lbenbmablS=
feter langer erhalten, ja eS ift nicb,t auSgefcb,Ioffen, bafe fie @nbe beS 14. ^abjlmnberts
tetlwetfe aud) an anberen Sagen als am ©rünbonnerStag baS ©alrament genoffen, bgl
56 bte ©teilen über panis benedictus Archivio 1, 2, p. 18, 21, 22; 2, 1, p, 20, 30
•vSm 15. ^ab,rb,unbert gingen fie in ben iottifcb,en 2Ilben unb in SJtittelitalien jebenfatts
md)t meb,r alle pix fatb,o!ifd)en Kommunion, fonbern embfingen ftatt beffen baS bon ben
Sarben getoeibte »rot, 3luSfage beS »arben Martin, Bull. 12, p. 116. 3lltetn bie
grofee Verfolgung ber ^ab,re 1487—94 fe^te bem aud; bter ein ßiel. ©eitbem embfingen
60 bte ©laubigen überall bie ©alramente bon rbmifdjen Vrieftern, Vroje^ gegen bie 2öct(=
SBotbenfcr 829
benfer be<§ ©autogne bon 1506 ©öllinger2, ©.366, Srief SRorelS bei SDiecffjoff ©.366.
sJiur bei ber Sarbenmeil)e roarb, mie e§ fcfyeint, bon ben baju berfammelten Sarben bie
©ucfyariftie nocfy im 16. Jafyrljmnbert in alter 2öetfe gefeiert, ebb. ©. 364.
3>n ber SSerf af f ung ber ©efte trat im 14. Jafyrlmnbert infofern ein bebeutfamer
2Banbel ein, als ftd) bie beutfcfjen Srüber bon bem rechtlichen Serbanbe ber italifd;en &
2trmen Io3lbften. ©ie b,atten mofyl bon jefyer iljre eigenen capitula gehalten, auf benen
fie bie Siobijen orbinierten, benn eS ift fefyr untt>at)rfc|etnltc^, bajj fie biefelben gu biefem
Sel)ufe erft nacb, Italien Rieften, Je$t Porten fie aufy auf, ©elb nad) Italien ju
fenben unb mit ben Sifcfyöfen unb bem 9te!tor ber Italiener offiziell ju berfebjen. Jtjre
gemeinfamen 2tngelegenl?eiten orbneten fie feitbem auf ibjen eigenen Habitein ober com- io
munia, bie fie mit Vorliebe in ben grofjen ©täbten ^ur gett ber Jabjmärfte abhielten,
Seritfjt bon 1382 ©öKtnger 2, ©. 368. ©leicljmofyl blieben beibc Seile miteinanber in
Sßerfefyr. ®a bie Slutorität be§ Steftorö in SDeutfcfylanb mol)I immer feb,r fcfymact) ge=
roefen mar, fo fügten bie lä'ngft an felbftfiänbige<§ §anbeln gemöl)nten SJceifter fyier auch,
nicfyt baS Sebürfnig, ftd) einen eigenen 9te!tor ju mahlen, ebenfo wenig fam eS, mie e§ i&
fcfyeint, jur ©ntfteljwng eme3 alle 3Jteifter be£ beutfcfyen 3Rtffiongebiete§ umfaffenben com-
mune. 63 fehlte fyier alfo, fo biel mir iuiffen, feit bem 14. gafyrfmnbert bößig an einer
centralen Drganifation : bie capitula, bon benen mir fjbren, maren allem 2lnfc|eine naefy
nur ^ßrobinjialberfammlungen. ©leicfymol)! beftanb aber boc£) gVüifcr)ert allen Äonbentileln
be£ gangen ungeheueren ©ebiete§ ein fefyr lebhafter Serfebj. — Jn bem italienifd)en 20
9)Jiffionögebiete befyaubtete fiel) bagegen bie alte centrale Drganifation big in bie 9lefor=
mationSjeit, Sftorel bei ©tedboff ©. 364 f. 2öa§ bie einzelnen 2(mter anlangt, fo gab
e<8 big in ben beginn beö 14. JafyrlmnbertS foroofyi m Italien mie in SDeutfd)lanb
nadjmeiSlidj S3tfdt)öfe unb aua) $re§btoter unb SDiafonen (in $)eutfa)lanb ift be=
jeugt 1266 ein episcopus ju Slnjbaa) bei 9?eulenglacb, in Db erb fterreief) ^affauer 25
2lnonfymu§ c. 3, p. 27 0, 1315 ber Jieumeifter, ber fcfyon feit ca. 1265 in Cefterretd)
amtierte, berbrannt 1315 ju §imburgbei SSien, $remferSerid)t Dfterr. Sierteljafyrsfcbj. 11,
©. 256; ber „Sifdjof" ©tebfyan in Dfterreicb,, berbrannt ca. 1470 in 2öien, oft ermähnt
in ben ©Triften ber bbfymifcfyen Srüber, bgl. ©oll, Quellen unb Unterfudmngen Sb 1
sub voce, barf bagegen faum at<§ Sifcfyof im alten ©inne gelten, er fyeijjt fo aud) nur 30
bei ben böf>mifd)en trübem), ir$m 15. Jafyrlmnbert toeifc man bagegen £)ier mie bort
nicr)tä bon jenen Inerardnfdjen Slmtern mefjr. Man fennt nur eine 2öeil)e, bie 2öeif>e,
bie jeber Srüber bei ber 9tejebtion empfängt. 3nner^a^ oe§ ^eifeg ber ©emeib,ten
aber ift ber 9fang be§ einzelnen etnfacB buref) bie 2lnciennität beftimmt, felbft ber 9teftorat
macb,t mob,I leine 2tuSna&,me bon biefer Siegel. (Sr gef)t mab,rfcb,einlidb, immer auf ben jemeilS 35
alteften SD^eifter über, ©oeb, entfbric^t bie ©tellung ber juniores etrna ber ©teQung ber
SDiafonen, bie ©tellung ber seniores ber ©tellung ber presbyteri in ber frangöfifebert
©tammgenoffenfdjaft, ©öEinger 2, ©. 367 ff. ; 3Korel ©. 364. ^n ©eutfc^Ianb i)ei|en
bie ©emeifyten alte 3Retfter, in Italien feit bem 15. ^ab,rb,unbert Sarben bon barba
oftbrobenjalifcb, = Db,eim, erfter ßeuge ^b^ilibb $Regi§ 1451 Riv. Crist. 7, 364 ss. ^n 40
Italien erhalten alle 33rüber bei ber Drbination feit eben jener geit bon bem
Drbinanten einen neuen tarnen, 2lu3fage be§ Farben SJJartin, ber eigentlich granj
©ironbin f)iefe, Bull. 12, p. 112, 117 s. 2luö meinem ©runbe ba§ gefcb.al), ift nict)t
überliefert. ®ie Seben^teeife ber 33rüber ift im toefentlicb,en bie alte. ©iesilu3bilbung
jum Sruberamte ift überall geregelt. $n ®eutfcb,lanb mirb ber ©cfyüler erft ein ober 45
gtoei ^af)re bei einem 3Jteifter in bie £eb,re getb,an, bann mirb er gleicb, orbiniert, mufj
aber noeb, fedbg bx§ neun ^al)re alö unfelbftftänbiger ©efelle im SDienfte eine§ 3Heifter§
arbeiten, ef)e er Seilte b,ören barf, £)öllinger 2, ©. 368 f. ^n Italien rekrutieren fieb,
bie fünftigen -äJkifier im 15. Qa^rb,unbert meift au§ bem ungebilbeten Sanbbolf. ©ie
muffen bab,er erft brei ober bier %afyxe in je groei 2öintermonaten bei einem SJteifter Iefen 50
lernen unb fieb, bie ©bangelien SJiattb, äi unb grannig unb eine3lngal;l ber neuteftament=
liefen Sriefe mörtlicf) eintragen. 2)ann fcb^iclt man fie für ein ober jmet %at)r in eineö
ber ©cb^toefternljäufer, mo fie aber rtic&t nur lernen, fonbern aud) allerlei ^anbarbeit leiften
muffen, ©arauf merben fie orbiniert, fyaben aber noeb, ^ab^re lang al§ ©efjilfen einem
ber älteren Sarben Ju dienen, 3S)foreI ©. 364, unbeutlicfy ber Sarbe Martin Bull. 12, 55
p. 112. SDie ©ct)meftem merben in ®eutfd;Ianb noeb, im 15. $alE>rfmnbert, wie eö
|cf;eint, im $>ienfte ber 3)tiffion bermenbet, Dcbjenbein ©. 185. ^n Italien finb fie bamalS
in leiner Söeife meb,r an ber SSerlünbigung beteiligt, fonbern leben al<3 gottgeroeibte
Jungfrauen in ben Käufern unb ^ofbijen, bie ben Sarben unb Sarbenfcfyülern aU
Stefugium bienen, 9JioreI ©. 364, bg'l. SDöllinger 2, ©. 93 f. Sieben biefen ©emetyten eo
830 SBalbenfer
Begegnen unl aua) je£t nocb. im ©ienfte ber ©efte einzelne Säten ober amici : in ©eutfdp
lanb fcfyeinen biefelben nur all „©ammler bei ©elbl", b. i. all ßoüeftanten für bie
ÜJieifter befestigt geWefen ju fein, üRöfyricb, ©. 67, unb ben öfter ermähnten ,,©cW
ber Äonbentifel aufbewahrt ^u tyaben, ©332t 1886, ©. 49. Qn Italien ift bie @rb,ebung
5 ber talea, ber freiwilligen ©teuer, jWar aua) t^re bornefjmfte Aufgabe, außerbem tyaben fie
aber aucb, all locumtenentes ber Sarben in ifyrem 33ejirfe gelegentlich Seichte ju tybren
unb %u „prebigen", »gl. bte2lulfage bei Vfyilipp Negil, ber felber c. 1450 locumentenens
im 33al ©. SDtartino mar, Riv. Crist. 9, p. 364 ss. StRan wirb faum feljlgef)en, Wenn
man in btefen Satengefytlfen bie Nachfolger ber ehemaligen ministri scholarum er=
10 blicft, unb bie Vermutung Wagt: baß aud) jene! Wichtige ©tücf ber alten Crganifation
burd) bie ^ab^nmberte fic^> erhalten fyA. — %üx ben Unterhalt ber 9Jceifter ober
Sarben Würbe bon ben ©laubigen immer aufl befte geforgt. Bull. 12, p. 31 ; SRorel
©. 364; 9ft>l>rtc6, ©. 54, 62. 2lußerbem pflegten bie ©laubigen fpäteftenl feit bem
14. ^afyrfjunbert ilmen bei jeber Seilte feil in ©elb, feil in Naturalien einen
15 33eicf)tbfenmg p entrichten, Bull. 12, p. 30 s., 42, ©5B21 1886, ©.52; Dcbjenbein
©. 194, 305, 346, Enquetes de Pragelas bei 33offuet, Variations 2, p. 181, unb
fie im legten 2BiHen mit einem Segate ju bebenfen, 2trttfel ber Ungläubigen SDößinger
2, ©. 616, ©332t 1886, ©. 52 ; Morel ©. 64. Unb enbltcfy Würbe aud) nod? fleißig für
fie lolleftiert. $n ©eutfcfylanb gab el im 14. $af)ri)unbert WobJ nicfyt-nur in ©traßburg,
20 33ranbenburg, Sommern, DftfdjWaben, fonbern in jeber größeren ©tabt unb jeber Sanb=
fcfyaft einen ©d?at$ ober eine „©rube" ber SJceifter unb einen „©ammler bei ©elbl",
Nöfyricb. ©. 67, ©3321 1886 ©. 49, 2lrtifel ber Ungläubigen a. a. D. ^m itattenifajen
SJUffionlgebiete befaß man im 15. $al)rlmnberte genaue Verjetdjmiffe ber ©laubigen,
libri barbarum, mit beren §ilfe bie Satenbiener bie talea erhoben, Vfyittyp Negil Riv.
25 Crist. 9, p. 314 ss. Sßelcf; ftattlicfye ©ummen babet gufammenfamen, geigt bie Nad)ricfyt,
baß um 1450 allein im SSal ©. Sftartino, Wie el fcfyeint, bie talea ftc| jär/rlicfy auf
300 ©ufaten belief, Negil ebb. p. 365. 2lußerbem befaß l)ier bie ©enoffenfcfyaft r/ie unb
ba, j. 33. in ©enua unb $Iorenj, §ofpije für bie reifenben 33arben, ©iUel 1, p. 31s.,
bie Woljl immer jugleicb, ben ©d)Weftem unb 33arbenfcf)ülern all äi'otmung bienten, Morel
30 ©. 364. — 2)ie Metfyobe ber Verfünbigung blieb im Wefentücfjen unberänbert.
©ie 33rüber fyörten nie auf ÜHknberprebiger ju fein. ^n ©eutfcfylanb Wecfyfelten fie 6nbe
bei 14. 3^4un^erlg a^e ein bil gWei, in Italien nod) 1530 ade jWei bil brei $ab,rc
ib,r ©tanbquartter, ©öllinger 2, ©. 369; Morel ©. 364. 33ilWeilen aber Waren fie
^aljre lang unterWegl. ^mmer jebocf; jogen fie ju gWeien unb oerfammelten fidE> regel=
35 mäßig einmal im Qa^re ju einem commune. Verfammtungcn gelten fie in ©eutfc^
lanb faft immer gur Nacfytgett in einem Vribatfyaufe, einer ©cfyeime u. bgl. SDabib
c. 9 p. 210, Dfterr. Vierteljatyrlfcbjift 11, ©. 255f., ©3321 1886, ©. 51, ©ötlinger 2,
©. 331. 2tll (Srfennunglgeicfyen biente ilmen 2lnfang bei 14. Qafyrfmnbertl in Dfterretcf)
ber ©rufe: „©rueg biet), ber berftoßen ift." Sautete bann bie 2lntWort: „Son bir, bem
40 ©eWalt gefcfyefyen ift", fo War ber 2lngerebete ein ©laubiger, ^n ben !ottifcf)en Silben
berfammelten ficb, bie ©laubigen (Snbe bei 14. ^afyrlwnbertl ebenfaül meift nad^tl unb
hinter berfcb,loffenen ^b,üren. ©er Sßalbenfergrufe War Ijier für Männer unb grauen t>er=
fcl)ieben. ^n ©eutfdilanb, in Simulien, in Halabrien unb ben anbern Kolonien ber ^3ie=
montefen befugten bie ©laubigen regelmäßig ben fatf>olifcf,en ©ottelbienft, Stöbricb ©. 39,
45 53, 68; ©3321 1886, ©. 51 ff.; Dcbjenbein ©. 187, 216f., 219, 250, 252 u. ö.;
Bull. 12, p. 41; ©öllinger 2, ©. 365 ff. Nur ba, Wo bie ©efte bie Dberf>anb f>atte,
Wie m ben fotttföen Sllpen, Wagten im 14. ^ab,r^unbert nic^t nur bie 33rüber, fonbern
aucb, emjelne eifrige greunbe ^afyre lang nict>t bei bem fattyolifcfyen Pfarrer ju beizten
unb su fommuntäteren unb Iatb,olifc£)e ©ottell)äufer gan& ju metben, Archivio 1, 2,
so p. 35-2, 1, p. 40 s. 2lber nafy ber fd)Weren Verfolgung bon 1487—94 gelten aucb,
7-? ^teJESalben^er äufeerltct; fic§ jur römifa)en ^ird)e unb ließen fid> fogar burcb toäbft=
Itc^e 33ullen ib,re 9lecf)tgläubigleit befcb,einigen, Morel ©. 366, unten ©. 833, 40.
3. Sie Verfolgungen, ©iefe gange innere ©ntwicfelung ber ©e!te ift nicbt su
begreifen ob,ne ftete 33erücrficl)tigung ber ^^atfac^e, baß fie feit 1231 in ©eutfc^lanb wie
55 m stalten für bogelfrei galt unb jeberjeit auf eine neue Verfolgung gefaßt fein mußte
sJcacl) ber großen Verfolgung toon 1231 lam el borerft, Wie el fcfyeint, nur 1260 ju einer
Io!alen Verfolgung in 33aiern, Öfterreic^i unb bieaeid)t aucb, in 33ör,men, Mähren unb
ben angrenjenben SBejirlen Ungarnl. ßu 33eginn bei 14. Safyrf)!. fe^te bie Verfolgung
in ben gleichen ©ebieten bon neuem ein, griff aber 1313 aucb, bereit! hinüber nacb
so ©cb,lefien. SBäb,renb rjter nocf) ber ®arm?f fortwährte, begann man um 1330 aud) in ^olen
Söalbenfer 831
unb Ungarn, in Vranbenburg, Sfyüringen unb granfen gegen bic ©efte gu gelbe gu
gießen. 3lber ben Stnftofe gu einer allgemeinen, gang ®eutfd)Ianb, bie ©cf/roeig, Vöb/men,
2Jtär/ren, ©cfylefien, Voten, Ungarn umfaffenben Verfolgung gab erft roieber $abft ©re=
gor XI. 1370—78. 21I§ Qnquifttoren fungierten babei in Völjmen, Dfterreicr), ©teier=
mar!, Ungarn, Vaiem, granfen, £r/üringen, ^urmaing, Vranbenburg, Sommern big in B
ben Veginn be3 15. ^abrbunbert§ borner/mlicf/ ber SJtagtfter VetruS ^toicfer au§ 2öorm=
biften in Vreußen, bi€ 1381 ©cbulreltor in ^iitau, bann Vrior be§ ßöleftinerflofterä
Dr/bin in ber Dberlauf% unb ber baierifcr)e Vriefter Martin bon Slmberg. liefen betben
Männern t)at e3 bie $irct;e in erfter Sinie gu banfen, baß fie in jenen ©ebieten feit
1400 für immer ober bocb, für einige ^a^gefynte bor ben SBalbenfern Stufye fyatte. (Srft i<>
in ben 20er ^jä^rt be§ 15. ^a^r^unbertS wagten ftcr) bie ©ememfcfjaften, reelle bie
große Verfolgung überbauert Ratten, roieber ettr>a<§ mefyr ^erbor. §ier unb ba, toie g. V.
in greiburg in ber ©cfyroeig, Wo 1429/30 eine große 3ar;l ^tx ©laubigen berurtetlt
würbe, fcfyeinen fie bagu nur burd) bie lange ©cf)ongeit ermutigt werben gu fein. 3tnber=
roärti fam burct; bie r/uffttifdje Vrobaganba in fie roieber Seben unb Veroegung. ^n is
Vör/tnen, 5Rär)ren unb ben angrengenben ©ebieten DfierreicbS fcbjoffen fie fid) roolil gum
guten S£etl olme 9Beitere§ ben §uffiten an. ®oct) gaben fie babei ifyre eigentümlichen
3lnfcf)auungen ntdc)t auf, brachten biefelben bielmefyr aucb, in rein b,uffitifcf)e Greife unb
betoir!ten fo, baß ficb; aus! ber großen lmffitifcf/en Bewegung allmäl/lict) eine befonbere
©rubbe augfcfyieb, in beren ©Ute unb 2lnfcb,auung bie äßiclifie mit bem bolfötümlicf)en 20
i^Jalbenfertum untrennbar berfcr)moIgen erfc^eint: bie ©rubbe ber bör/mifdien Vrüber,
©oll, Duellen unb Unterfudjungen gur ©eftf). ber böb,mifcf)en Vrüber 2, ©. 37 ff. ®teje
©rupbe berfudjte bafyer aud) naturgemäß — rote eS fcr)eint fcfyon bor 1467 — alle Söalbenfer,
bie in Dfterreicr;, 2Räf)ren, Vöfymen bamal3 nocb, borfyanben Waren, an fid) r/erangugief)en.
Slber ber Verfucf; gelang nicfyt gang. (Sin S£etl ber Söalbenfer toollte felbft bamalS noct) 25
nid)t bon ber äußerlichen Verbinbung mit ber römifcr/en ®irct/e laffen, ©oH a. a. D. 1,
©. 30 ff. £)ie ©bur biefer lonferbatib ©efinnten berliert ficb, nact; ben Verkantungen
mit ben böfymifcfyen Vrübern im ^afyre 1467- ©te werben attmäfylid) auSgefiorben fein.
£>er Ie|te öfterreicbifdje Söalbenfer, bon bem mir fyören, teilte ib,re ©efinnungen jeben=
faH3 ni'djt: e§ ift jener „Vifcf/of" ©tebfyan, ber nad) 3M 1468 ba§ Vrieftertum ber 30
böb, mifcb,en Srüber beftätigte unb bor 1471 gu 3Bien berbrannt rourbe, bgl. über ib,n
©oß a. a. D. (fein 'Job roirb guerft ermähnt in bem ©^reiben an §errn 3llbred)t ebb.
©. 21 ff.). $n ©c^roaben unb granfen fugten fc^on um 1425 ber fäcfyfifcfje (Sbelmann
3ob,ann SDränborf au§ ©blieben, §tm§ §ergberg, berbrannt 1425 gu 2Borm§, unb ber
©beierer ©ct;ulre!tor Veter bon Surnau, berbrannt 1426 gu ©beier, bie „®unben" für 35
ben 2lnfct/Iu§ an bie §uffiten gu geroinnen. 2lber größere ©rfolge batte bamit erft ber
bielgenannte griebricb, Steifer, bgl. über if/n ^ung in ber geitfcfyrift Jimotb,eu§ 2 (1822),
©. 37 ff.; 2B. 33öb,m, gr. Seiferg Deformation beg 5?aifer§ ©igmunb 1876; %aupt,
©eitert in granfen ©. 44ff. ©eboren 1401, feit 1420 roa!benfifcb,er „Slboftel", geriet
Steifer 1430 in bie ©efangenfct)aft ber §uffiten, ließ fidt) 1433 bon bem taboritifcb,en w
Sifa^of 9cifoIau§ Vilgram in Vrag gum ^riefter unb 1434 in Vafel bon einem ber
gum ßongil bebutierten b,uffitifc|)en Vifcb.öfe gum 93ifd;of roeifyen unb roir!te feitbem al§
„gnebricb, bon ber ©nabe ©otte§ Vifdiof ber ©laubigen in ber römifcb,en ^ird)e, roelcbc
bie ©c^enlung Honftantinä berroerfen" in gang ^Deutfc^fanb für eine Vereinigung ber
2Mbenfer mit ben §"fHte"» btö er 2lnfang 1458 in ©traßburg ergriffen unb berbrannt 45
rourbe. ©aß er nicfyt bergeblicb, arbeitete, beroeifen bie 2l!ten feines Verl)ör§ unb bie
2lften ber Söalbenferbrogeffe, bie 1458 in Vranbenburg ftattfanben, bgl. aSattcnbaa) in
©V21 1886, ©. 55 ff., 319331 1886, ©. 71 ff. ftanacb, b,aben ficb, unter feinem ©influffe
bie äöalbenfer in Nürnberg, £>erolb<§berg, SBürgburg unb Umgebung, ©c^roetnfurt,
2Btnböb,eim, §eil§bronn, ©traßburg, Vafel, SXngermünbe unb anberer Drte ber Ucfer= 50
unb Scumarf roenigftenS gum guten £etle entfa)loffen, bie §uffiten al§ Vrüber angu=
erfennen. Slber „gmffiten" finb fie barum nicb, t geworben, fo SBattenbacb, a. a. C, benn
ibr §uffitentum befielt nur barin, baß fie 2öiclif, §u§, ^ieron^muS bon Vrag aU cfmftlicr/e
Seb^rer in ®t)xtn galten, bon Steifer unb bon Stiiolauä Vtlgram in Vöb,men ficb, Vriefter
meinen unb bon biefen Vrteftern ficb, ba§ Slbenbmab,! in beiberlei ©eftalt reichen laffen, ö:>
alfo roieber eine eigene ©arramentSberroaltung eingerichtet f)aben. Slber bon ibren etgen=
tümlict)en Slnfc^auungen baben fie tror^bem ntd)t ba§ ©eringfte aufgegeben. 9teifer§ $ro=
baganba bat alfo, nur bon ber entgegengefe^ten ©eite aug, gu gang bemfelben @rgebni§
geführt rote bie $robaganba Veter§ Sbelcicf^i unter ben §uffiten. ©ucb, te biefer &uffüen
für urfbrünglicl) roalbenfifcb^e 3lnfcf)auungen gu gewinnen, fo roirlte jener unter ben beut= 60
832 SBalöenfcr
fd^en SSalbenfem für Slnerfennung gemiffer buffitifdjer Slnfcbauungen unb 2lnfcr)Iufe an
bie |mfftten. 2>aS ^efultat mar in beiben gälten baäfelbe : eine Verfdjmtelsung l!)uffittfd)er
unb malbenfifd)er älnfcfyauungen unb batnit bie aftöglidjifeit einer böHigen, auct) äußeren
Sereinigung gmifcfyen böbmifdpen Srübern unb 2öalbenfern. SD. i. ber roett jerftreute
5 malbenfifcbe ©enoffenfcfyaftSfreiö SRetferS mar ein Vruber, unb gmar ein älterer ©ruber
ber unitas fratrum. ©em entfbricfyt e£, bafe bie böbmifcr)en Vrüber ficb. bemühten, nicbt
nur bie böb,mifd;en, mäfmfcr;en, öfterreid)ifd;en, fonbern feit ben 70er %afyxm aud; bie
beutfd)en äöalbenfer für fta) gu getoinnen. ©o unterhielten fie j. §8. mit ben 2öalbcn=
fern ber Uder= unb -Reumarf einen regen Verfefyr. SlIsS baber 1479 in biefen (gebieten eine
io neue Verfolgung augbract;, entfcfyloffen fict) bie märfifdjen 2Mbenfer 1480 jur 2lu3man=
berung nacb, Söhnten unb2Räfyren. 3^oc^ 1480 erfcbjen auf il)ren £ilf eruf unter güfyrung
%i)oma$' be3 SDeutfdjen eine ©efanbtfcbaft ber böfymtfdjen Vrüber in ber 9Rarf, meldje
bie Verfolgten über ba§ (grggebirge führte, morauf fie ficb, jum %t\l in gulnel unb 2öei|=
Itrdjen (§ranice) in Wiäfyxm, jum Steil in Sanbgfron in Vöfymen meberliefjen, bgl. ben
15 ©rief ber märftfd&m Söalbenfer bon 1480 bei ©oll 1, ©. 121 2lnm. 18, ebb. 6. 122
aucb, anbere Belege (ber geitjnmft ber märfifcr)ett Verfolgung ergiebt ficb, einerfeitä au3
bem ©einreiben ber märfifdjen Söalbenfer : banacb, begann biefelbe, al§ ber ^urfürft Stlbredjt
2ld^tUe§ nad) bem gelbguge gegen Sommern fid) mieber nad) granlen jurücfgejogen fjatte
— ©ommer 1479 — anbererfeitS au§ bem ©abreiben be<§ ^urfürften an feinen ©olm
20 unb Statthalter SRarlgraf 3°^ann DOm !■ Se&ruar 1480 bti SRafyer, £ofyengollemfcr)e
gorfd)ungen 7, 2, ©. 39). ©ieje branbenburgifd)e Verfolgung ift bie Ie£te 2öalbenfer=
Verfolgung, bon ber mir auf beutfdjem Voben t)ören. 2Bir t)ören feitbem überhaupt in
SDeutfcbJanb nid)t§ mer)r bon SSalbenfem. sJtur Vermuten lönnen mir, bafj bie ©efte
bamalS im ©gerlanb unb Voigtlanb nod) ntct)t ausgerottet mar, bgl. bie 2iufjerung be3
25 SRattfytaä bon ßemnat bei §aubt, ©eften in granfen ©. 48 f. 2lber biefe Ie|te ©bur
ift gang unfidjer. ©leidjmob,! märe e§ falfct), ju beraubten, bafj ia§ Sßalbenfertum bie§=
feits ber Silben berfcfymunben märe, olme eine bleibenbe 9?ad)roirfung gu fytnterlaffen.
1. £at e§ fortgelebt in ber ©itte unb Slnfdjauung ber böbmifcfyen Vrüber. 2. £>at
e§ in gang Dberbeutfct/lanb unb Öfterreicb, bem SEäufertum als Vorfrucht gebient. ©eb,r
30 biele für ba§ SCäufertum d)arafteriftifa)e güge, bie Vertoerfung be§ @ibeö, be§ Sriege§,
bie 2lbleb,nung obrigMtlid^er tmter, bie Slbfonberung bon ber „2Mt", mobei 9öelt ganj
fo berftanben mirb mie bei ben Sßalbenfern oben ©. 825, 41, bie bünftlicfye Vefolgung
beg ©efe|eö ©otteg, bgl. bie 7 Slrttlel bon ©d^Ieit^eim bon 1527, ja felbft bie Ver=
toerfung ber 5?inbertaufe finben fidj fcb,on bei ben beutfcfyen äBalbenfern, bgl. Slrtifel
35 ber ungläubigen Saut SDöüinger 2, ©.613. 2lud) toenben \\<fy in jenen ©ebieten gerabe
bie Greife ben Käufern gu unter benen über 200 3ab,re bie il^albenfer für baS ,,©efc^
©otteS" getoirlt Ratten: bie Ileinen Seute. $Da§ SEäufertum ift fomit in manchem Ve=
traute ein le^ter Erfolg unb eine gortfe^ung beg Sijalbenfertumg. ®ie abo!al^btifd)en unb
m^ftifd)en ßüge, burd) bie eg bon bem SBalbenfertum fid; unterfd)eibet, finben fid; nur
40 bet einzelnen täuferifd)en ©rubben. SDie toalbenfifd)en 3üge finb allen gemetnfam.
9n ber Sombarbei nabjn bie Verfolgung 1231 if)ren 2lnfang. ^b,r ßiel erreichte
fte erft (gnbe be§ 14. 3ab,rb,unbertg. SDer Vrief ber Slboftel 3ol)ann, ©imon unb ©e=
noffen aus bem ^ab,re 1368 ift b,ier baS le^te £eben^eid)en ber Sinnen. Qn ben SEfyälem
amDftabb,ang ber iottifdjen Silben begann bie Qnquifition ü)re2lrbeit fbätefteng (gnbe
45be§ 13. %al) rb,unbert§, in ben Stfmlern ber SÖeftfeite' im (Smbrunaig unb VriangonnaiS
tourben bte 2lrmen fd)on um 1289 brangfaliert, fcb,ärfer fe^te aber bie Verfolgung erft
1332 em. ^abft ©regor XL gab bann aueb, b,ier ben Slnftofe ju einem aCgemeinen 2ln=
griff .^n ben frangöftfdjen STb,äIem mar bie ©eele beweiben ber TOinorit Xxam
Vorellt, ber am 1. ^uli 1380 auf einmal 169 Verfonen berbrennen liefe. %r\ ben
so btemonteftfd)en SE^älern, in benen bie Sttamfition in ben ^änben ber ®Dminifaner
lag, mar bte 3ab,l ber Dbfer nid)t fo grofe, ja b>r machten bie meltlicb,en Vebörben
ben Verfolgern gmn SEetl ernftlidje ©d)mierigleiten. ^ebenfaEg gelang e§ fotoobl bier
tote lenfetts be§ 9Jlont ©enebre ben Söalbenfern, fid) gu beraubten. @benfo bergeblid)
rft rrx a^H beg franif^e« ®omini!anerg Vincenj ferner im ^a^re 1403 bureb
aboftoltfd)e äbanberbrebigt bie ©intoo^ner ber XI) äler Souife, Slrgenttere unb gretff intereä
toteber für bte Htrcb,e ju gemimten. 1412 begann bab,er bie Slutarbett ber Qnauifition
?,on "e"e.m uni> S^ar mieber borne^mlid) in ben £b,älern be§ 3Beften§, mo fie aber bier
%™ atufgabe ntet/t ju genügen friert, trat je|t fcb,on j. V. 1434 in Varbonnedje, Oulr
fönUeg unb anbermärts ba§ meltlidje ©erid)t an ib,re ©teEe unb ba§felbe arbeitete glei|
so beim erften SOlale fo grünblid;, bafe bie SBalbenfer bielfacb, au^manberten unb j. V in
55
SSalbettfer 833
Srjtleg an ber ©ora äße £äufer big auf 15 beröbeten. $n ber golgegeit tarn eg im
©autogne ben Söalbenfem °gu gute, bafe bag fran§öftfd^e Königtum bemüht War, bie
9Btrffamfeit ber geiftlid)en ©ertöte aller 2Xrt gu befd)rä'nten. 211g bafyer einer ber ^nqut=
fitoren, bie im 2luf trage beg @rgbifd)ofg bon ©mbrun feit 1459 Wieber im ©mbrunaig
unb Vrianconnaig arbeiteten, ber 3JJinorit ^ean Vebieti, feinem (gifer gar gu fel)r bie 5
ßügel fd)iefeen liefe unb bie VeWofmer gum Seile fid^> flagenb an ben $ömg Wanbten,
erliefe SubWig XI. am 18.9M 1478 eine Drbonnang, Welche benSeuten bon SSal Souife,
Val 2Irgentiere unb Val gretffiniereg alg guten Äatfyolilen feinen föniglidjen ©cb>$ ge=
toäljrleiftete. 21I§ bag Parlament bon ©renoble fo breift mar, biefe Drbonnang gu mife=
achten, fdjärfte er am 31. SJJärg 1479 unb 8. 2lbril 1480 nod) einmal biefelbe ein, 10
worauf bann bag Parlament Hein beigab. 2tHem bor ben Sfyifanen beg fnerburd) ferner
gereigten ©rgbifd)ofg bon ©mbrun unb ber in il)rem brobingtalen ©elbftgefüfyl ftari ber=
legten Vefyörben beg SDaubblne tonnte er bie SBalbenfer nid)t fdjütjen. 2lud) trat fcfyon
1483 an feine ©teile ein gang anberg gefinnter §errfd;er, ber Äe^erfeinb $arl VIII.
©o lam eg benn fd)on 1487 gu einer neuen Verfolgung, bie an Umfang unb ©raufam= 15
fett aßeg übertraf, tüag bie SBalbenfer ber fotttfd)en Silben bigfyer gu erbulben gehabt
Ratten. SDenn je|t gum erften 9Me Warb gegen fie auf 2lnorbnung Vabft Qnno=
cengg VIII. (Vulle Id nostri cordis bom 26. $vm\, bgl. SSJlorlanb ©. 197 ff.) biegfeitg
unb jenfeitg beg 3Diont ©enebre bag Äreug gebrebigt unb unter ben 2tufbigien beg2lrcb>
btalong 2Ilbert be (Sattaneo bon ßremona, bäbftlicfyen Segaten für bie Territorien Itarlg I. 20
bon ©abotyen, bie SDiöcefen Vienne, ©Uten u. f. W., gleichzeitig in Vtemont, in ber
SJiarlgraffdjaft ©aluggo unb im SDaubbjne ber ®ambf eröffnet. $n Viemont unb ©aluggo
Würbe ber $rieg jebod} giemlid) lau geführt. Igm ^a" 2lngrogna leifteten bie Söalbenfer
aufeerbem mit ©rfolg ülßiberftanb. ©egen gafylung ber $rieggloften liefe fid) bafyer $arl I.
bewegen, auf einer äonfereng gu Vinerolo bie Verfolgung 1488 ober 1489 gu ftftieren. 25
©röfeer Waren bie ©rfolge im SDaubfyine. §ier belehrte bag bon bem Parlament bon
©renoble aufgebotene ^reugfyeer, unter güfyrung beg ©eignem: £>ugo be la Valub feit
9Jtärg 1488 mit ©etoalt bie 2Mbenfer beg Val Vragelag, beg Val (Slufon, ber Sedier
greiffiniereg, Souife unb 2Irgentiere. 2)ie Verfolgten leifteten nur gum Seil 2Biberftanb.
Steift unterwarfen fie fid) nod) in letzter ©tunbe. ®ie ©tanbljaften fugten gum Seil 30
eine guflud)t in ben §od)tl)äIem bon Dulr. unb Varbonned)e, jum "jEetl festen fie, fo=
balb ftd^ ber ©türm gelegt blatte, fyeimlidi) toieber gurüd;; eg !am bab,er fd)on 1495 im
^ragelag unb 1506 aucfy im Val 2lrgentiere, greif finiereg ju neuen aBalbenferbrojeffen,
Enquetes sur Pragelas bei Voffuet, Variations 2, p. 179 ss. unb Processus contra
Waldenses bon 1506 bei ©öEinger 2, ©. 365 ff. — @in fleineg ^Rad^fbiel f)atte ber 35
^reujjug 1509 in ber 9ftar!graffcfyaft ©alu^o. §ier bertrieb bamalg 3JJargaretl^e goir,
bie SSittoe 3)tarlgraf Subtbigg, bie Sßalbenfer aug bem oberen Votfjale. 2lber bereitgl512
festen bie Vertriebenen jurüc! unb fo fefyr toufeten fie ftdj bei ben ^atfyolif en in ©abreden
ju fe|en, bafe man fie feitbem rub,ig getbäl)ren liefe, gumal eg ib^nen gelang, fid) bon
Vabft Seo X. 2lbfolution p berfd^affen. Quellen unb Sitteratur gu bem 3lbfd?mtt f. 0. 40
©.804,io unb 805,6i. 3m£)aub^ne mar nur ein Xb>I, Val Souife, grünblia) bon ben
Söalbenfern gefäubert. %n ben S^älern 2lrgentiere, greiffiniereg, ßlufon, Vragelag blühte
bie «Seite bagegen balb in aller ©tille. 3" Viemont blatte fie fid) fiegreid? beraubtet,
©nblid) in ib;ren Kolonien in ber Vrobence, Äalabrien, 2lbulien, in 9JlitteIitalien blatten
bie Verfolger fie übertäubt nirgenbg aufgefbürt. Sn ^er Sombarbei bagegen mar bie 45
©efte bötlig auggeftorben, nörblid) ber Silben in ®eutfd)lanb, in ber ©cb>eiä, Ungarn,
Volen gang ober fo gut wie gang bernid)tet. — 2)ie gafy, ber Walbenfifd)en SJlärttyrer
läfet fid? aufy annäf>ernb ntdjt berechnen, ^ebenfallg aber War fie feb,r beträd)tlid). ©röfeer
ol§ bie Qaljl ber ©tanbb,aften War jebod), namentlid) unter ben geunben, bie gafjl ber
2lbtrünnigen. 2lber Wie in altd)riftlid)er geit festen biefe Slbtrünnigen meift balb _ju so
il)rem alten ©lauben gurüd. ®ann mufeten fie freilid) auf bag ©cblimmfte gefafet fein:
gaft ade Sobegurteile, bie ung begannt finb, begießen fid) auf fold)e 9lüdfätlige, ein Se=
Weig, Wie häufig ber 2lbfall, aber aud) Wie ftarl bie 2lnf)änglid)feit ber „Äunben" an
ib^ren ©lauben war. 9ßie bie Jlatbarer bergafeen bie Söalbenfer in ber 3^*..^^ Verfol=
gung oft bag fonft fo ftreng remitierte ©ebot, ®u foEft nid)t töten. %n Dfterreid} er= 55
morbeten fie ca. 1265 in ^ematen unb 9?öd}ling bie Pfarrer unb einen ©d)olaren, Cfterr.
Vierteliabjgfdmft 11, ©.257; §aubt, 2öalbenfertum ©.18, um 1336 „mehrere Älerifer
unb 9Jlönd}e, Annales Mellic. ed. 1338, SS 9, p. 512; 1393 ftedten fie bag $ßfarr=
baug guSBolfern in§8ranb, Wobei ber Pfarrer famt aßem ©efinbe umlam, Dfterr. Viertel*
jafyrgfdjrift 11, ©.266, anbere Belege bei $axl Mütter ©. 129. $n ben fotttfd}en 2llpen eo
8tea(=*ncöflopäbie für a^eotogte unb Sir«e. 3. Sl. XX. r,o
834 Bdbettfer
rourbe 1374 einer ber $nqutfitoren, ber ©omintfaner Stntort Vabo be ©abigliano, bon
2SaIbenfern ermorbet, Archivio 1, 2, p. 29 ss. häufiger nod; roanbte ficf; aber bie
Stacke ber Verfolgten gegen bie abtrünnigen 3JJeifter unb greunbe, St>elct)e ficb. nicfyt ent=
Wobeien, ber ^nquifttion als ©bione unb 2lngeber %u bienen, ©öflinger 2, ©. 330,
5 trieft, ©. 28 ff., £aubt, SBalbenfertum ©. 85, 1, SKorel ©. 367. SDfom fte&t: ganj
ofyne moralifa)e ©inbufee fyaben aueb, bie Sßalbenfer bie furchtbaren Verfolgungen nicr)t
überftanben. 3lucb, baS berftedte tjeimlidje äöefen unb bie aufjerorbentlicle efficacia
deeeptionis, über bie ftd) bie bö^mifdjen Vrüber fo febj rounberten, als fie bie italieni=
fc^en SBalbenfer fennen lernten, gehört ju ben üblen Weiterungen beS langen SlamtofeS,
10 bgl. SaftciuS, Historia fratrum bei ©oü a. a. D. 1, ©. 138. ©agegen ift bieStnfang
beS 16. ^afyrl)unberts md)t ganj einroanbSfreie Haltung ber Farben bejügltd) beS 6. ©e=
boteS, »gl. 3florel a. a. D. ©. 364, Cantica überfe^t bon §erjog ©. 557, unb ibje bon
ben bbfymifdjen Vrübern lebhaft getabelte §abgier md)t ber Verfolgung jujufdEjreiben,
fonbern ein beutlicfyer Vetoeis bafür, bajj aueb, baS Söalbenfertum 2luegang beS 9Jlittel=
15 alters jütlid) nicfyt meljr auf feiner alten §öb,e ftanb.
4. £>ie italienif d)en 2Balbenfer unb bie böljmifcfyen Vrüber. 2tuf ber
©uet/e nacb, ©emeinfcfyaften, „meiere ju <St)riftu§ ficb, befennen, aber bem 5patoft mcfyt ge=
f)or$en", VlafyoSlab Summa bei ©oü 1, p. 112, lamen @nbe 1497 ober Slnfang 1498
SufaS bon Vrag unb ber ehemalige SBalbenfer Stomas ber ©eutfdje aueb, nad? Italien.
20 %n ber Domagna unb ÜRom trafen fie mit ttalienifcfyen SBalbenfern jufammen, bon benen
fie beim 2lbfd)iebe nacb, ßamerariuS, Hist. fratrum, p. 171 groei, nacb, VlalroSlab
a. a. D. p. 674 bier Vriefe erhielten, barunter eine epistola ad Wladislaum = eine
Vittfdjrift in ©ad)en ber böfymifcfyen Vrüber an $önig 2ÖIabiSlauS bon Vöf)men=VoIen:
erhalten jum Sleil in toalbenftfcfyer Überfettung, bgl. ben I^nr/alt bei §enog ©. 298 ff.,
25 SRontet p. 152 ss., Gomba, Histoire p. 194 ss. Dh biefe Vittfd)rift roirnieb, auf Vitien
ber betben Vrüber bon lateinfunbigen italienifdjen Varben aufgefegt werben ift, SaftciuS
a. a. D., erfd)eint feb/r groeifelb/aft. %n ber golgejeit — rooI)l 1499 — finb ttalienifcfye
Varben im Sluftrage U)reS commune einmal in Vbr/men geroefen, bgl. ben Vrief ber
Uniiät bei §erminjarb, Correspondance 3, p. 66 bom 25. ^uni 1533: ante mul tos
30 annos. 2lber ba bie Varben ftd) nicfyt baju berftanben, fidE) offen bon ber rö'mifct/en
Äirdje lossagen, VlafyoSlab an ©eorg $Srael bei ©oll 1, ©. 122, fam eS roeber ju
einer Union nod? $u einem Verfefyr unb ©dpftenauStaufcb, jmifctien ben beiben ©emein=
fdjiaften. (SS blieb borerft bei biefer einmaligen flüchtigen Vcrüb^rung, bgl. ben Vrief
ber Unität a. a. D. ©. 64.
35. V. ©ie romanifeb^en Sßalbenfer feit ber Deformation. 1. Übergang ber
©emeinben ^um Deformiertentum 1526—1571. ©eit @nbe 2tbril 1523 Jr>ir!te
SSilb^elm garel in feiner §eimat ©ab im SJaublnne' eine ^ett lang für bie ebangelifd;e
©acf)e. (Sr tourbe jtoar balb mieber bertrieben. 2lber bie Vetoegung, bie er ^erborgerufen,
bauerte fort, unb ergriff alSbalb auef) bie Söalbenfer ber benachbarten fottifcfyen Stlpert.
40 ©o gefdjal) es, bafe er eines SLageS im Saufe beS %af) res 1526, als er bereits ju l'2iigle
(2lelen, Danton SBalliS) ebangelifiertc, burd) ben Vefuct) eines Varben namens 3Dkrtin
©onin aus Slngrogna überragt mürbe. 3)er grembling bat um 3(uSlunft über bie neue
fiebere unb um Vüd)er. ®ann berfet/toanb er roieber. 2Xber er roirfte feitbem fo eifrig
für bie ebangelifcfye ©acb,e, ba^ eS in ben näcfyften ^ab^ren, inSbefonbere unter ben
45 Söalbenfera ber Vrobence, jur @ntfteb,ung einer ebangelifcfjen Partei lam. Qm 2luf=
trage btefer Partei gingen im ©ommer 1530 roieber 2 Varben, ©eorg SDcorel auS GI)an=
teloub tm Val greiffinieres unb Vierre 3Jtaffon auS Vurgunb, über bie 2llben, um mit
$arel ju berf)anbeln. ÜJlorel blatte auf Soften feiner ©laubenSbrüber eine beffere Vilbung
embfangen, Veja, Hist. ecclesiastique (nouvelle edition par Baum et Cunitz) 1,
so p. 53. @r fbrad; unb fefirieb ein gutes Satein unb blatte fcljon mancherlei bon Sutber
unb (SraSmuS gelefen, blatte aber nod) mancherlei Vebenlen gegen bie 5Recb,tfertigungS=
unb erroaWungSlel)re. @r lonferierte in Kurten unb Neuenbürg mit $arel, in Vern mit
Vertreib §atter, in Vafel mit Dfolambab, in Strasburg mit Vucer unb Gabito SDer
Vrtef mtt bem er ftd)„in Vafel unb Strasburg einführte, ift noeb, borfjanben, beSqleicben
55 bte 2IntrDortfd)reiben DfoIambabS unb VucerS. dagegen feb^It jebe nähere Slngabe über
ferne Verfianblungen mit garel. ©od) fteb^t feft, ba^ garel nacb, roie bor bie mafegebenbe
Slutontat für bie ebangelifcb,=gefinnten 2öalbenfer blieb. 2luf ber §eimreife roarb ^ierre
JJcafjon in ©ijon behaftet unb eingeferlert, GamerariuS, Lugubris Narratio p. 305
yJcorel aber erreichte glüdlidb, fein ©tanbquartier SUcerinbol an ber ©urance unb arbeitete
so nun m ben näcb,ften 3Jlonaten im Verein mit ©onin (ertränft am 26. 2tug. 1536 ju Sbon
3Öalbcitfet 835
Grefbin, Hist. des martyrs 1, p. 317ss.) fo eifrig für bie ebangelifcfye <5ad)e, bafe bie
@bangelifcfy=©efinnten ben ©ntfcfylufj fafjten, 1532 auf bem commune ifyre gorberungen
beibringen unb ba^u garel unb anbere ©bangelifdje ber frangöftfc^en ©cfytoetj eingu=
laben, garel leiftete in ber %fyat mit 2lnton ©aunier, jur ^eit Vrebiger in ^eterlingen
($aberne), unb Robert Dlibetan ber (Sinlabung golge. @r (teilte fid^> am 12. September b
1532 in 2lngrogna jur (Eröffnung be<§ commune ein, unb er beberrfdjte bie $erfamm=
lung. ©aS geigen bie Sefcb/Iüffe, bie nadj> fecfy3tägiger Sertyanblung Don ber Majorität
angenommen iourben, Rivista Crist. 4, p. 266 ss. ©arin wirb aufgehoben 1. ba§ @ib=
berbot, 2. ba<? Verbot ber SlutgericfytSbarreit, aber nocfy nicfyt ba3 Verbot be3 ®rieg3=
bienfteS, 3. ba3 obligatorifcfye gaften, Seien, Seilten, 4. ber obItgatorifa)e DituS ber 10
Sarbenmeil)e bura) §anbauflegung, 5. bie Verpflichtung ber Varben jur @l)clofigfeit,
Slrmut, Söanberbrebigt, 6. bie Verpflichtung ber „©djimeftern" gur Vtrginität. @3 mirb
toeiter offiziell angenommen bie alte gemein=ebangelifcfye Sefyre bon ber ©rmäfylung unb
bie ebangelifct;e Selp bon ben 2 faframentlidjen „geidjen" in ber gaffung ber Dber*
beutfct)en ober $minglianer. 2tHe§ fbegififc^ 2BaIbenfifa)e — mit 2lu3nalmie beö 3Scr= is
boteS be§ ®rieg§bienfte§ — mirb I)ier fomit aufgegeben. Sie SSalbenfer frören faftifcfy
auf 2Mbenfer ju fein, ©ie fcpefjen ftcb] ber oberbeutftt)=fo)meijerif(^en ©rubbe ber
©bangeltfcfyen an.
allein bie Vefcfylüffe rearen feine§t»eg§ einmütig gefaxt morben. ©ie näo)fte golge
ber langen Sagung mar bafyer nid^t bie allgemeine Slnnabme ber Deformation, fonbern 20
bie ©baltung ber SBalbenfer in eine ebangelifcfye unb altgläubige Partei. 3n t>tn fottifcfyen
Silben bominierten bie @bangelifd^©eftnnten, bie altgläubigen getrauten ftct; nidfjt rea)t berbor.
$n ber Vrobence Ratten bie ©bangelifcfyen auo) ba§ Übergemicr;t, aber bie altgläubigen
liefen e§ fyter nicfyt bei bloßen Vroteften betoenben, jumal bie Verfolgungen, meldte ber
^nquifitor 3>ean be Stoma feit Dftober=Dobember 1532 über bie ©emeinben beringte, all 25
i£>re Vebenfen gegen bie Vefcfylüffe bon Slngrogna ju beftätigen fcfjienen. 2)oct) füllten fie mol)l,
bafj fie oI)ne frembe §ilfe nicfyt im ftanbe feien, bie teuerer ju übertoinben, fonbern gegen
bie 2lutorität garel3 eine anbere Autorität aufbieten müßten. Qn biefer @r!enntni§
matten ftct; bie beiben Varben SDamel bon Valence unb Qean be 9Jioline3 um bie 2Benbe
ber Qaljre 1532/3 ofyne förmlichen Sluftrag auf nact) Vö^men, um fid) be§ VeiftanbeS 30
ber böbmifcfyen Vrüber, beren älbgefanbte fie 1498 lennen gelernt Ratten, ju berficbern.
©ie Vrüber empfingen bie beiben grembltnge freunblio), beherbergten fie über ein fyalbe»
Satyr unb gaben tlmen jum Slbfö^ieb ein «Schreiben „an bie Söalbenfer" mit, ba§ ganj
ben 2Bünfa)en ber Slltgläubigen entfbract), #erminjarb, Correspondance 3, p. 63 ss.,
bgl. 3Jtiolo, Historia Breve Bulletin 17, p. 108 s. Slber bie ^nterbentton berfe^lte 35
gänglid^ il>ren fttveä. Stuf einem commune im 2M ©an -Etartino am 15. Stuguft 1533
toarb jmar ber 33rief beriefen, aber ba er auf einer unjutreffenben 2tnfd)auung ber <5ad)--
lage beruhe, alSbalb ad acta gelegt. Dagegen beftätigte bie Serfammlung auSbrücfUd?
bie Slrtifel bon 2lngrogna, ©iHe§ 1, p. 56 s., bgl. aua) ben SSeric^t ©aunierl bom
22. ©ebtember bei §erwinjarb 3, p. 80 ss. ©aniel bon 35alence unb ^ean be 2Mme3 40
gogen fi(f> barauf berftimmt jurüd, bie ebangelifa)e Partei aber jögerte nun nia)t mel>r bie
Deformation aßentr/alben buro)jufü^ren. @ö berftel)t fic^ bon felbft, bafe fie babei immer im
engften (Sinbernefymen mit garel fyanMti unb fia) ganj ber Seitung bon gareis ©e=
finnungggenoffen, ben ©uißerminö, anbertraute. 2Iber bie ©uiUerminä berbienten bie§
Vertrauen auc^. ^toei bon ifynen, älntoine ©aunier unb Dobert Dlibetan, toaren fc^on 46
im DItober 1532 auf bie Sitte ber Sßalbenfer na^ «ßiemont jurüdEgefeH um in aller
Verborgenheit für ba§ ©bangelium ju arbeiten, unb namentlich ©aunier leiftete biefe
Slrbeit mit b>oifct/er Sreue, b\§ er im. Sluguft 1535 in 3lngrogna behaftet mürbe. @r
entrann nur baburcfy bem fixeren Slobe, ba^ ber Dat bon Sern i^n alö feinen ©iener
bon bem §erjog bon ©abotjen reflamierte. Slua^ fbäter afö ^rebiger unb ©a^ulreftor 60
5u ©enf (1536—39) unb als ^3aftor im 2öaabt na^m er ficb, mit größer Slufobferung
ber 2öalbenfer an. Unb neben garel traten al$ tätige ©önner alSbalb groment, i^tret,
ßalbin. ©ie alle betrachteten bie Unterftü^ung ber SSalbenfer aU eine ©brenbflta^t ber
©bangelifcben fran^öfifcber ßunge. — 2lm rafcfyeften fe^te fid$ ber neue ©laube burcb; in
ben Kolonien ber ^robence unb be§ Senaiffin. @tma 10 000ebangelifcl)e23albenfer waren 55
r)ier, erfd;öbft bura) bie Verfolgungen ber $ird)e unb ßrone, f4>on 1535 bereit, nac^) bem
ebangelifcben ®eutfct)lanb auö^utoanbern, Srief ber 9Mbenfer an bie beutfo^en $roteftanten,
$i)T.i), Dg 22, ©. 250 ff. ©ie galten ade bei ben ®e&crrtcb>m aU Sutberaner, maren
aber faftifcf; Slnbänger ber ©cbmei^erifcben Dichtung: Setoeig baö Sefenntniö, baö fie
1541 bem Parlamente bon 2lir. überrettt)ten, Sejrt 6amerariu§, Lugubris narratio eo
836 aSnlbenfer
p. 365 ss. @ben ifyre entfcbjeben ebangelifcfje ©efmnung aber fyatte jur golge, baß ber
$räfibent be§ Parlament«, Qcan attatmter, ©eigneur b'Dbbebe, Slbril 1545 Stufen
gegen fte aufbot unb 22 Drtfdjiaften jerftoren, 4000 ©laubige jeben 3Hter§ unb @e=
fa)Iea)teg mafjalrieren liefe, dlux etm 4000 gelang e§ nacb, ©enf unb SDeutfcfylanb ficb ?u
5 retten. — 3n ben fottifdjen Silben befc^Ioffen bie ©emeinbebertreter bereits" 1532 unter
©amtiert ©influß bie Bibel brucfen gu laffen, aber nid^t in malbenftfcfjer, fonbern in
franjöfifc^er ©brache, ließen bann bura) Dlibetan ben %<& ber franjöfifcf)en Bibel
£efebre§ rebibieren unb enblicb. ba§ Söerf auf frangöfifcfyem Boben ju ©erriereä bei
9feufct;atel 1535 brucfen. ©ie fünften bamit ben frangöfifd^en @bangelifcr)en, obmob,!
io fte felber nic^t franjöfifc^ fbrad)en, if)re erfte Bibel. $n ber golge erhielten fie bon ber
2lfabemie ?u Saufanne aua) Vaftoren frangöftf c^er £erfunft. ®iefe organifierten aß=
mäbjicb. ben ÄuItuS ganz nacb, ©enfer Borbilb, betrogen fie feit 1555 eigene £trcr,ert=
gebäube ju errieten, grübjafyr 1556 6000 an ber Qai)l gu SCngrogna ba§ 2lbenbmar;l
in beiberlei ©eftalt ju empfangen unb 1559 in £urin ein ber confession de foi Galli-
iö cane natf;gebilbete§ Befenntniä einzureichen. ©amü erft maren aucb, lüer bie Befd)Iüffe
bon Ingrogna bollftänbig burcfygefübjt. Mein bie ©emeinben fafyen fiel; abobalb ge=
nötigt, ifyren ©lauben ju berteibigen. 9?acr> ber 3iücfgabe Pemonts" an ben §erjog @ma=
nuel Vr/tlibert, infolge ber Beftimmungen be§ grieben§ bon Gateau=ßambrefi§, gab
ifjre Steigerung, fatb>lif$e Vrebiger anzunehmen (@bift bon^a bom 15. gebruar 1560),
■><> bem Ijetjog ben ermünfcr/ten Bortranb, im Siobember 1560 ein £>eer gegen fie aufzubieten.
atffetn fie maren im $leinfrteg ben gefeilten ©olbaten fo fefyr überlegen, baß dmanuel
Vfulibert im ^rieben bon Gabour am 5. ^uni 1561 ben (Sbangelifcfyen in einer ^etfye
Drte ber %fyakx Suferna, ©an Martine, Verofa eine befcfyränlte Toleranz jugeftanb.
©anacb, fonnten ftcf; bie ©emeinben ber %fyälvc Suferna, ©an SZartino, $erofa, ßlufon
25 unb be§ 2Jtorquifat§ ©alujjo auf ben ©rmoben px Slngrogna am 15. ©ebtember 1563
unb %a Biliar am 18. 2fyril 1564 befinitib nact) ben ordonnances etablies ä Ge-
neve organifieren, Bulletin 20, p. 96 ss. ®a aber neue Bebrücfungen nief/t ausblieben,
berbflidjteten ftd) am 11. 9?obember 1571 bie ©emeinben ber feiler buref/ eine 2lrt co-
venant, bie fog. Union des Vallees, abgebrueft z- B. Seger 2, p. 46s., ju gemein=
30 famer Bertetbigung gegen alle Verlegungen be£ griebens" bon ßabour. — TOc^t fo glücHicb,
ging e§ ben malbenfifc^en ©emeinben in ^alabrien unb Julien, ©ie liefeen fic^ lange
^a^re burdj ebangelifc^e 3^eife^rebiger berforgen. (£rft feit 1556 toagten eö bie Äalabrefen
einige ^ßrebiger bauernb anjufteEen unb eigne ©aframentöbertoaltung einzurichten, gur
©träfe bafür mürben fie 1560 bon fpanifcfyen Sru^en unter ben Stuf^ijien beö ©roß=
35 inquifitor§ 9Jttd)ele ©^islieri (f^äter alg ^ßapft $ius" V.) förmlich ausgerottet, ^n
11 £agen mürben allein im ^uni 2000 3JJenfd)en Eingerichtet, 1600 ^um Sterler, noeb,
anbere gu ben ©aleeren berurteilt. ©ie Simulier Ratten fid) bi€ bab,in Hug gurücfgefyaltcn.
^e^t flogen fie in großer ^af)I nacb, ©enf. Wux einige toenige mürben hingerietet. SDie
meiften ließen ftcfy, eingefd^üd^tert bureb, ba§ Slutbab in ^alabrien, mieber in ben ©d)oß ber
40 römifef/en 5ltrd^e aufnehmen. ' Von ben alten malbenfifcfjen ©emeinfd^aften im ©ebiete
be3 heutigen Italiens beftanben mithin 1571 nur nod) bie ©emeinben in ben fog. 2öal=
benfertfmlem unb in ber ^Jtarfgraffdjaft ©alu^o. Slber aud) biefe ©emeinben foaren feine
malbenfifd;en ©emeinben meb,r, fonbern mie ib,re ©cf)meftergemeinben im ®au^b,ine unb
in ber Vrobence längft ©lieber ber ßalbinf^en Äird;e.
45 m r 2" ®ie ^^flläubtgen unb bie malbenfifcb, c Sitteratur. Slls Daniel be
Valence unb Qean be SKolineg nafy bem entfcf>eibenben Commune bom 15. 2luguft
1533 fieb, surücfzogen, pour vivre en leur particulier, berfäumten fie nad? ©ißeg 1,
p. 57 nitt)t leur mecontement et indignation au prejudice des Eglises des
Valees et circonvoisines !unbjutb,un. Specialement ils egarerent ce qu'ils peu-
60 rent des manuscripts et memoires anciennes des Vaudois quis nous eussent
peu servir et ä la posterite. 2öir fwben feinen ©runb, btefe Slngabe ju besmeifeln.
JUJtr mtffen, baß bie beiben Sarben litterarifcb, gebilbet (33Iab,oslab, Summa bei ©oC 1,
p. 125), unb fönnen noeb, nad)meifen, baß fte aueb, litterarifcl; intereffiert traten. Qn ben
^°Si to(^ber!W^en §ff- finb«n wit nämlicl) eine gan^e SRet^e ^raftate, bie unjtreifel^aft
65 naa) tfcb,ect;ifd)en Vorlagen gearbeitet finb: 1. Ayczo es la causa del nostre departi-
ment de la gleysa Romana = Bearbeitung ber ©c|rift be§ £uta§ bon 5prag, „bon
ben ©tünben ber Trennung". 2. De li sept sacrament, 3. Purgatori, 4. Dejuni
5. De las invocacions de li sant: fämtlicb, Bearbeitungen einzelner 5labitel ber Con-
fessio Taboritarum bon 1431, bgl. ©ieef^off ©. 377 ff. 6. De la potesta dona a
eo li vicari de Christ (§ragment) = mörtlicb,e Ueberfe^ung eineä ©tücfeS auö §us' Trac-
SSoIbcnfcr 837
tatus de ecclesia, bgl. SERontet p. 172. 7. Las interrogacions menores = $ear=
Bettung beä ®atecr;i<§mu€ ber Bö^mtf^en trüber, Sitteratur f.D.©. 802,5; 806,5. 8. Straftat
üBer ben 2lnticBrtft, Fragmente Bei Herrin 2, p. 253 ss., Seger 1, p. 71 ss. = 23ear=
Bettung einer ©cfyrift beö Sufag bon $rag, bgl. hontet p. 173. 9. Stellet djt aud) bie
epistola al Lancelau, falls biefel&e nid^t urfbrünglicb, lateinifcb, bon einem italienifcfjen 5
SBalbenfer, fonbern tfdjedjtfd) bon einem böfymifcr/en Sruber (StfyomaS bem SDeutfcfyen ?) ber=
fafjt fein foCCte, Wofür ber ^nB,alt burd)au§ fjmcfyt, f. oBen ©. 834, 22. 3lx. 1, 7, 8
fönnen nur bon $perfonen berfafjt fein, bie äugleidj tfcfyedjifcr; unb Walbenfifcb, berftanben.
üftr. 1 berrät aufserbem Kenntnis bon ber (Schrift be§ SaurentiuS be 2Ma üBer bie
©djenfung ®onftantin<g, bgl. Montet p. 161, bie erft 1518 burd) §utien3 Sluggabe in 10
weiteren Greifen Belannt geworben ift. SDa nun SDaniel be SSalence unb $ean be Wlo=
lineS fid) nadjweiSlicr; ein fyalbeS ^ofyv in 33öB,men aufgehalten fyaBen, ba fie nacf/Weiälicf;
bie einigen romanifcfyett SSalbenfer finb, bon benen bieg Belannt ift, ba fie fomit ©e=
Iegenf)eit Ratten tfcr/edinfcb, gu lernen, unb üBerbie<§ tfcfyecfyifcB, lernen mußten, Wenn fie mit
ben Böfymifcfycn Srübern intimer beriefen Wollten, ba fie enblicfc, nacfytoeiSlicfe, litterarifcb, 15
geBilbet Waren, fo ift ber ©cfylufj unbermeiblicb, : Daniel be 2klence unb $ean be 9Mine3
finb bie ÜBerfe^er unb SBearBeiter alt ber genannten Straftate, jum minbeften aBer ber
9lx. 1, 7, 8. $ünf biefer Straftate finb un§ nun aBer ntcJjt gefonbert überliefert, fonbern
als integrierende 33eftanbteile ber boluminöfen ^ombilation Tresor e lume de fe, bie
uns in breifacfjer ÜRebaftion borliegt, ©enf Mscr. 208, ßamBribge D, SDublin C, 5, 20
22. @3 gehören baju aufjerbem nocr) bie Straftate Articles de la fe, Li comman-
dament, Penitenca, De l'oracon dominical. SDaS erfte Formular ber Articles ift
nacfytoeiSltcb, nid)t Bofymifctjer, fonbern Walbenfifdjer §erlunft, oBen ©. 802, ?, bie %oxU
fe^ung beS Straftat^ unb ber Straftat Li commandament ftammen nacfyw eislief; aus
ber Somme le Roy beS SDominifanerS SaurentiuS, bie in üJlf. ßamBribge B faft 25
boUftänbig borliegt. SDarauS folgt 1. in ber ßombtlation Tresor e lume de fe finb
Straftate böt)mifd?er §erfunft mit ©tücfen aus ber fatfyolifcfjen Somme le Roy unb
ben altWalbenfifcfyen Articles de fe jufammengearBeitet. 2. SDie Urheber biefer ®omtoi=
lation r/aben roat>rfct)emItcr) ba<§ W\. (SamBribge B Benufct. Run lefen mir Bei ©iUeS,
bafj SDaniel bon Salence unb $ean be SMineS fobiel SUlanuffribte, als fie nur fonnten, 30
Bei feite gefcfjafft B,a6en. SDanacb, bürfen mir Wofyl bie Vermutung Wagen: 1. bie jungen
ßobien SDublin C 5, 22 unb 25 unb ©enf 208 geB,en ^urücf auf 9Jiff. <*"* ber©amm=
lung ber Beiben Sarben, 2. baS 9)If. Sambribge B gehört Wafyrfcfjeinlicf; ju ben 3Jiff.,
bie fie Bei feite gefcr)afft fyaBen. 3. SDie brofaifcr/en 2öerfe in Walbenfifcljer ©bracf/e finb
ju einem fet)r Beträchtlichen Steile erft nacb, Sluguft 1533 entftanben. SDaniel unb ^ean finb 35
toafyrfc&einlicr; ib,re Urheber. 4. SDie ©ammlung unb (Spaltung ber älteren ÜRefte Walben=
ftfd^er Sitteratur ift Wa^rfcfjeinlicf; ganj ober größtenteils jenen Beiben fct)tgmatifdc;ert SarBen
ju berbanfen, bie mit ©ifer aller Reliquien be§ alten 2öalbenfertum§ fi(^ ju Bemächtigen
fugten. SDenn bie 9fleugIäuBigen Ratten nacf^weiglid), foWeit fie einige Silbung Befafeen,
für Walbenftfcf;e ©bradje unb Sitteratur junädjft fein ^ntereffe. ©ie ftanben bon 2lnfang 40
an unter bem junäd)ft gerabegu überwältigenben ©influffe be§ frartgö ftfd^en ÜRefor=
miertentumg. @rft al§ bie neue ßircfje in ben fottifd)en 2llben fid} böEig eingelebt I)atte,
Begannen il»re geiftigen güfjrer ib,re 3lufmerffamfeit aurf; auf bie Überlieferungen unb
9tefte ber alten £eit ^u richten, aBer guttäc^ft nur, um fie in bogmatifd)em ^ntereffe ju
geBraud^en ober richtiger $u mi^Braud)en, oben ©. 799 f. «
3. SDie reformierten Söalbenfer bon 1571 — 1848. SDie ©efd;icBte ber re=
formierten Söalbenfer im SDaubl;ine unb in ber ^robence gehört in bie ®efcf;icf>te ber
reformierten ßirdpe granfreid)§. 9?ur bie ©ntwicfelung ber reformierten ©emeinben in
^ßiemont, bie ben tarnen 2Salbenfer beibehalten fyaben, ift ^ier nod? banufteßen. — SD er
triebe bon ßabour gewährte ben Reformierten nur in einigen genau Bezeichneten Drten ber &o
SEB,äler Suferna, ©an SRartino unb ^erofa freie ReligionöüBung, ntcbt aBer ib,ren ©IauBenä=
genoffen in ben anbern Steilen $iemont§. 2lu§ ben Stfyälern SDu Que^rag, Barcelona,
3Jlattia§ unb 5iKeana Würben biefelBen bafyer attmäl)Itcb bertrieBen, beögleicb,en 1603, al3
©alujjo bon ©abotjen anneftiert Warb, au§ ben 8 Drten, bie fie in biefer 2Rarfgraffcr/aft
inne Bitten. SDie StB,alIeute fucfjte bie Regierung injWifc^en burrf; bie fünfte ber ^?ro= 55
baganba mürbe ju machen. 3llg ba§ nid)t§ B,alf, fdjrttt Äarl ©manuel II. enbltcb 1655
offen jur ©eWalt. SIEein bie SBebrängten fcblugen bie einrücfenben franjöfifc^en l:rubben
in mehreren ©efed^ten unb bie babei bon ber ©olbateSfa berübten ©reuel festen bie
ganje broteftantifcf^e Söelt in fo lebhafte Bewegung, bafe gjlajarin auf Setrieb 6romWellg
ben £erjog beranlafete, im Straftat bon pnerolo Stuguft 1655 ben 2öalbenfern ^rieben eo
838 SBfllbcnfcr
unb 2lmneftie ju getoäfyren. ©er griebe toarb jebocb. febr fcblecfyt gehalten. QnfolgebeS er=
boben ftcb, bie S^alleute f<t)on 1663 mieber, unb mieber fönten fie fo glücllicb,, bafe ber
■gerjog am 14. gebruar 1664 innert bte Sergünftigungen beS Straf tateS bon pnerolo
feierlia) betätigte. SlHein ber $Ian jur SluSrottung ber Heueret mar in SLurin bamit
5 nicbt aufgegeben, ßurge 3ett nacb. ber 3lufb,ebung beS @btft§ bon Nantes, 31. Januar
1686, erliefe audb, ^erjog SStftor 2lmabeuS II. im SinberftänbntS mit Subtoig XIV- ein
•MigionSbatent, meines bie 2luSübung ber reformierten Religion in aü feinen <StaaUn
unterfagte, ben reformierten $rebigem unb Sehern gebot, binnen 14 SEagen baS £anb
ju räumen unb ben fatfyolifcfyen $leruS ermächtigte, alle reformierten ßinber toieber ju
10 taufen unb im fatljolifctjen ©lauben gu ergießen. ®ie SBalbenfer griffen barauf alSbalb
ju ben SBaffen. 2lber bieSmal mar baS ©lud: ib,nen nidftf bolb. SD^e^r als 3000 tfyrer
©treuer famen im gelbjuge um, über 5000 mürben gefangen, alle iljjre $irct;en nieber=
geriffen unb iljre 33eft|ungen fonfiSjiert. Qtttoa 2500 ber jur ©aleere ober jum Werfer
»erurteilten ^Perforiert geftattete ber £erjog auf SSertoenbung ber broteftantifcfyen 3Räct)te
15 @nbe 1686 au^utranbern. ©ie fanben jum größten SEeile 2lufnab,me in ©eutfcblanb:
etma 700 braute ber ßurfürft bon Sranbenburg in ©tenbal, 33urg unb©banbau unter,
150 formierte er ju einer neuen Äombagnie feines §eereS. (Einige 100 fcfjloffen ficb, ben
franjöfifcfyen ©emetnben in granffurt, §anau, Scfytoabacf), ©rlangen an. SföeitauS bte
SRebrgabl liefe für) aber borläufig in ben bfäljtfd^en Stmtern äfloSbacb, unb Bretten, bann
20 al§ 1689 bte ^ranjofen in ber 5ßfalj einbrachen, in einigen 30 ^Dörfern in ber Um=
gebung bon 9ftbba unb banacb, enbltct) im 5Raffauifcr)en, §effen=®armftabt, §effen=$affel,
|>effen=£omburg nteber, ber 3teft blieb in ber ©d^meij. $>amit fdbien baS 2Mbenfertum
in ^iemont bemidjtet. Stffem bie 2Balbenfer felber r/atien burdjauS nocb, ntct)t bte §off=
nung aufgegeben, i^xe alten 2Bofynft£e toteber ju gewinnen, ©cbon im ©ommer 1689
25 fammelte ber $rebiger §enrt Slrnaub im ©inberftänbniS mit Sßilfyelm III. bon Dramen
800—900 roor)Iberoaffnete 2BaIbenfer unb Hugenotten im Söalbe bon 9tyon am ©enfer
©ee unb im 2Iuguft 1689 marfcbjerte er mit biefer ganj militärifcb, organtfterten ©cfyar auf
abgelegenen SBegen mitten burcr) baS fernbliebe ©abor/en na*) ^iemont. ®aS tollfülme
Unternehmen gelang über ©rtoarten gut. @nbe 2luguft erreichte 2trnaub baS 33al ©. 3Jtor=
30 ttno unb führte nun in ben %f) älern unb Sergen gegen eine oft 50facr)e Übermalt einen
überaus gefegten ßleinfrieg. ®er ©inbruef auf ben ^er^og roar fo grofe, bafe er, als
er fein SünbntS mit granfreicr, Ibfte unb ber grofeen SlCianj beitrat, 4. ^uni 1690 an=
orbnete, atte 2öalbenfer unb frangöfifc^en 3iefugieS toieber ungel)inbert in ben Tälern ju=
julaffen unb atten ib,ren noeb, im Werfer ober auf ben ©aleeren fdjmadOtenben ©laubenS=
35 genoffen bie grettyett fcb,enfte. 2luf bie ^unbe babon ^ogen alsbalb aueb^ bie naef, ©eutj^*
lanb auSgemanberten 2öalbenfer in ber m^aty toieber nad? ^iemont. Dbroob,! nun
bte ßurüdfe^renben in ben genügen ber ^ab,re 1690—93 bem §er^oge bie gröfeten
Stenfte letfteten unb bab,er bureb, ein ®bift bom 23. Wai 1694 auSbrücfUcb, roteber in
alle u>e 9ted?te eingefe|t rourben, toar baS gute Ser^ältniS ju bem Muriner §ofe boeb
40 nur bon furjer SJauer. bereits am 1. Qult 1698 erfcf)ien auf Setrieb SubtoigS XIV.,
mit bem ber §erjog injtoifc^en griebe gefcljloffen, ein b^oglicb^ patent, toeldjeS ben
Reformierten ber 2:^äler gebot, in gteligionSfad^cn feine ©emeinfd)aft mit franjöfifc^en Unter*
tränen ?u bflegen unb aEen franjöfifcb.en 9{efugieS, bie ber£erjog boeb, 1690 fclbft gerabem
tut SUteberlaffung etngelaben, b, atte, befahl, binnen 2 Monaten bag Sanb ut räumen. SICe
45 ^ßrotefte fruchteten md&ö. Über 2500 Reformierte mufeten 1698/9 bie 2:bäler berlaffen.
©te fujten unb fanben faft alle in ©eutfcbjanb Slufna^me. $effen=SDarmftabt fiebelte
etmge §unbert auf ben ©omänen Ro^rbacf), gßembacb, unb $ab;n an, MfenWmburg
nabm etmge gamtlten tn SDomboI^aufen unb in ber franjöfif'cben Kolonie griebriebsborf
auf §effen=Ja fei gemähte einer 3ln3abl Familien in §erSfelb, ber ©raf bon ^sfenburg
50 anbern^lucbtltngen tn Dffenbacb SSofmfi^e. ®er ledere grünbete aufeerbem für bte
gefugtes nod? etne eigene Kolonie 2öalbenSberg (Serg ber 2öalbenfer). 2lucb Saben=
Surlacb, rief ju Söelfcb.^eureutb, eine ©tunbe bon ßarlSru^e eine folebe Kolonie ins
Üben unb braute einige gamilien in «Pfor^eim unb Slmterbacf) unter. SßeitauS bie
yjiebrgaf)! ber glücbtlmge aber fiebelte fiel) nacb febtoierigen Unterb, anbiungen in2ßüttem-
55berg an. £ter entftanben bamals bie 9 toalbenfifcb,en Kolonien: ©ürrmen^ ober ©u
üuet)ra§ (Vorort) mit ben Filialen ©d)önenberg, SorreS, ©engacb, — bafelbft roirfte
§enrt 2lrnaub als Pfarrer, geft. 8. ©ebtember 1721; ©rofe= unb <Rlein=2SiaarS ; ©oebs-
ST' $mac^e=(Smeä; Sßurmberg ober Suferna; 5Rorbbaufen; ^almbacb nebft ^utfcbel-
bacb; ^ßerofa bet §eimSbeim; ©immojb.eim, fbäter ^eu=öengftett genannt, ©iefe Kolonien
60 btlbeten etnen eigenen bolitifeben Serbanb unter ber 2ßalbenferbebutation gu Stuttgart
SSoIbcnfcr 839
unb fcb>ffen ficr) firdjlidj mit ben Kolonien in ^effen^armftabt, Offenbar u. f. W. imb
ber franjöftfcfyen Kolonie ju Sannftabt ju ber ©tmobe ber Sßalbenferfircfyen in ©eutfcb/
lanb Rammen, bie 1716 inSgefamt 14 ©emeinben mit etwa 4000 «Seelen umfaßte,
worunter ca. 2500 in Söürttemberg. 3>n Viemont bauerten m^Wt^en, ob^War e§ nur
in bem 1713 bon granfreicb, erworbenen 'tyak VragelaS ju ferneren ©eWalttfyaten fam, 5
bic Vebrüchmg ber ©öangelifd^en tro$ ber lebhaften VorfteEungen ber broteftantifajen
9Jläc£)te fort. 3tm 20. ^uni 1730 berorbnete ber §erjog, bafj aEe Verfonen, bie bor
1686 fatfyolifcb, geboren ober getauft ober nacb, 1696 latfyolifd), aber bann Wieber
rücffäEig geworben, entWeber in 6 Monaten fatljoltfcr) werben ober auSWanbem füllten.
£>arauff)in entfcb>ffen fid^ wieberum 850 ©bangelifcfye jur 2Iu§Wanberung. @tWa 400 10
Wanbten ficb, nacb, ijoEanb, bie übrigen fanben in ber frangöftfd^en Kolonie SBaUborf in
§effen=£)armftabt unb anberen franjöfifc^en ober toalbenfifcfien Kolonien in £)eutfd;Ianb
tufna^me. — 35te frangöftfdje Eroberung unb bie naboleonifcfye §errfct)aft braute ben
Söalbenfern 1799 borübergefyenb fcfyon bürgerliche ©leicfyberecfytigung mit ben iktfjolifen.
9<caboleon I. fefcte fogar tfyren ©eiftlicfyen eine Dotation bon einem jäbjlicfyen drtrage 15
bon 13 000 Sire au§. 2Iber feit ber dtMhf)x ber casa di Savoia mar e3 mit ber
greüjeit Wieber borbei. $önig Viftor (Smanuel I. erneuerte fcfyon im Januar 1815 all
bie befcfyränfenben alten ©bitte unb entzog ben ©emeinben bie bon ÜNaboleon gefcfyenften
®otation§güter. ®oc£> berftanb er ficb, 1816 baju, Wentgfteng einige ber brücfenbften Ve=
ftimmungen ber alten ©efetje aufgeben unb ben ©eiftlicfyen als @rfa| für bie Dotation 20
einen jäfyrltdjen ©el>alt bon je 500 Sire ju bewilligen. Slber ben bauernben ©enujj ber
Bürgerrechte gewährte ben ^alleuten erft bie ©manjibationlalte $arlo 2llberto§ bom
17. gebruar 1848. — SDie ©efcfyicfyte ber Söalbenfer in bem ganzen Zeitraum bon 1526
big 1848 ift mithin ein ftänbiger $ambf gegen bie Ijiarte 3JeIigion§boIitif be§ £aufe£
©abotyen. SDafj fie in biefem Kampfe nicfyt untergingen, berbanlten fie nid^t nur ib,rer 25
fyelbenmütigen ©tanbb/aftigfeit, fonbern aueb, ber lebhaften 2lnteilnafyme ber gangen
proteftantifcfyen Söelt unb ber energifcfyen gürfbracfye ber broteftantifcb, en SERädjite, inäbejonbere
@nglanb£, ber ©eneralftaaten, ber ebangelifdjen Kantone ber ©cfyWeij. EromWeE rettete
nia)t nur burcb, feine ^nterbention 1655 ba§ Söalbenfertum bor böEiger Vernichtung,
er beranftaltete aueb, in (Snglanb unb 2öale§ eine ®oEefte ju ©unften ber Verfolgten, 30
meiere bie für jene $eit gang aufjerorbentlicbe ©umme bon 38097 Vfunb einbrachte, barunter
2000Vfunb bon (SromWeE felber, bgl. 3Korlanb p. 583 ss. 2Bilf)elm III. bon Dranien
folgte aueb, in biefem Vunfte feinem Veifbtele. @r nafym 1689 mit 5tat unb Ifyat
teil an ber glorieuse rentree, unb bewtrtte, bafj bie $rone bon (Snglanb feit jener
geit bü jur franjöfifdjen Stebolution für 12 walbenfifcCje ©emeinben bie Vrebiger unb 35
Sefjrer bellte. ®agu brauten ©nglanb unb bie Siieberlanbe aueb, fernerhin immer
neue ^oEeften auf — bie Vrobing §oEanb aEein 1731 j. SB. 308 199 fl., unb jugleicb, ber=
Rafften bie beutfd^en dürften mit j. %. fe^r Beträchtlichen ©elbobfern ben Vertriebenen in
ibjen Territorien §au§ unb §of. ^od) in ber erften §älfte bei 19. ^afyrlmnberts traten
bie broteftantifdjen Söcäc^te im Vunbe mit gar SKlermtber I. j. V. auf bem ftongrefj bon 40
Verona für bie Söalbenfer ein. 3>n bex 2Salbenferfacb,e geigt ficb, mithin in ber brote=
ftanttfdjen 9Mt feit bem 16. ^a^^unbert feb^on ein feb,r bemerlenätoerteä ©emeingefüf)!.
3Jcan barf fagen: bie SSBalbenfer waren tfyre gan^ befonberen Sieblinge unb ©d)ü£linge.
Unb Warum? SBeil fie in ib^nen aEgemein bie einigen Überrefte ber angeblichen ebange=
lifcfyen llrcljriften ber aboftolifcb^en ßeit far), bie ju erhalten eine ^eilige Vflia)t fei. — San! 45
biefer tfyatfräftigen gürforge lonnten ficb, bie Sfyalleute bon aEen Verluften immer Wieber
erholen. Vei Sluöbruct; ber großen Verfolgung im ^afyre 1654 jagten fie in 33 Drt=
Soften 14 ©emeinben mit 14 Vaftoren unb etwa 16000 ©eelen, 2eger 1, p. 10 s.
10 3af>re nacb, ber glorieuse rentree, 1699, belief ficb, bie ftaty ber ©emeinben unb
Vaftoren nur auf 13, bie ©eelenjabl auf 5—6000, Bullettin 21, p. 87 ss. 1763 War 50
bie ©eelengab,! in biefen 13 ©emeinben auf 13 000, 1816 auf 16975, 1829 auf 19710
geftiegen, ©ieterici ©.9 ff., 3Jcufton (beutfcb,e Sluggabe) ©. 467 £>ie Verfaffung entfbracb,
im roefenttieften bem ©enfer Vorbilbe: oberfte§ 3tegierung§organ mar bie ©imobe._ ^te
3wifcb,enregierung jWifd)en ben einzelnen ©^noben führte bie 'Jafel, ein auä 3 ©eiftlidjen
befteb,enber 3lu8f$u§, beffen Seiter ben %M 9)ioberator führte. @rft feit 1823 Waren 66
aueb, bie Saien buret) 2 debütierte in ber "Safel bertreten. ©ine eigene Siturgie erhielten
bie ©emeinben erft 1829. Vorder Waren berfd)iebene ©d§Weijertfcb,c Formulare in 0e=
braueb- ©te ^ultu§fbracb,e War urfbrünglicb, ber oftbrobenjalifcb,e ©ialeft ber lottifcben
Silben. 2tls aber 1630 bie SRe^rjabl ber einb,eimifcb,en Vaftoren an ber Veft ftarben
unb granjofen an ib,re ©teEe traten, Warb bag granjöfifcb,e aueb, im ©ottelbienft ma^= 60
840 Söalbenfer SBalbljaufen
gebenb. ©cfwlen befianben 1699 Bereits in allen ©emeinben. 2Iucb. ein Sateinlefyrer toar
bamalS Bereits bortyanben, ber bie für baS geiftli^e 2Imt geeigneten Änaben für bie
beeren ©acuten in (Senf unb Saufanne borbereiten fotfte. 2tn ©teile biefeS einen £atein=
lebmS trat im 18. ^abjfyunbert ju Sorre eine ftänbige SateinfcHe, bie feit 1759 bon
sber tballonifctyen ©rmobe in ben üftteberlanben unterhalten rtmrbe. 2Bie anberroa'rtS,
fo ging aucb. in ben Sfjälern im Zeitalter ber Slufllärung baS religtöfe SeBen ftarf
prücf. @rfi feit ben 20er Qa^ren beS 19. 3ab,rb,unbertS geigte fid) ein neuer 2luf=
fdjtoung. gtoei begeifterte englifct)e Söalbenferfreunbe, ber ©eneral SBedrmtB, unb ber 5Ue=
rtJer SöiHiam ©tebl)an ©iflt), grünbeten neue 9fläbcf/en= unb 5?naBenfa)uIen unb einige
10 beffere ©deuten jur 2luSbilbung ber fünfttgen ©eiftlicfyen. gur fel&en 3«t (feit 1825)
tarn eS imä) ben DBerlin ber fottifct/en Silben, ben ehemaligen airtillerierjaubtmann $elir,
grjaeff aus Qüxiä) aud) b,ier ju einer ©rroecfung, bie jroar mancherlei ©treit unb @nt=
jtoeiung mit ficr) Braute, aber aucb, bie toten ©emeinben mächtig aufrüttelte.
4. 33 on 1848 big jur ©egenroart. SDaS (SmanjibationSbatent gab ben ©e=
15 meinben nict)t nur bie greib,eit, eS ftellte fie aud? bor eine gülte neuer Aufgaben. ©dEjon
bie ©^nobe Dom 1. bis 4. Sluguft 1848 fafste bie ©bangelifation Italiens inS 2luge unb
Befcbjofj bemgemäfj im Unterricht unb ÄuItuS aHmäfylicr) bie italienifcfye ©bracf/e einju=
führen. 1854 rourbe bie ©rmobe jum erften 9Me mit einer italienifdjen ^Srebigt eröffnet,
1855 in Sorre Sßellice eine eigene tr)eoIogif$e ©cfyule, baS Sßalbenferfoßeg, gegrünbet,
20 baS 1860 nad) glorenj berlegt würbe. $)xm borläuftgen 2lbfdjluf$ erhielt bie neue £)r=
ganifation auf ber ©rmobe Don 1855 burcb, bie ^Reatlibierung beS ©laubenSbefenntniffeS
bon 1655 unb eine neue ß'onftitution. SBeitereS f. oben 3Bb IX ©. 521. 2öaS bie
©rmobe bon 1848 anftrebte, ift jeijt im toef entließen erreicht: bie 2ßalbeuferftrd)e ift eine
italienifdje $ird)e geworben unb ebangelifiert in gang Italien, ja fogar unter ben italie=
26 nifd)en 2luSroanberem in ber neuen SßSelt.
Sie 3BalbenferloIonten in 3)eutfd)lanb b, orten bagegen balb auf 2öalbenferfoIo=
nien gu fein, ^n SöalbenSberg toarb febon 1815 baS ©eutfcfye als IfultuSfbracf/e ein=
geführt, 1818 fcf/Iofj fidj bie ©emeinbe an ben 3Serbanb ber übrigen ^Sfenburgifcben
Kirnen an. $n §effen=©armftabt »erboten Regierung unb Kammer 1820/1 ben ©eift=
30 liefen unb Sefyrern ber Kolonien ben ©ebraud) ber franjöfict/en ©brache, ba „niemanb
biefelbe mel)r rect/t berfteljie." 3jn Württemberg traten fämtlicb, e SBalbenfergemeinben 1823
ber lutfyerifdjen 2anbeSürcb,e bei. 5Rur in SDowfyoI^aufen am SaunuS behauptete fiefy
baS grangöfifc^e noeb, bis ins letzte SRenfdjenalter als Unterrtcr/tSfbracfye : erft 1884 ber=
fcb,manb eS aueb, b,ier. ©oeb, b,at fieb, in 2 Söürttembergifcfjen Orten, ^inad)e=©erreS unb
35 9cm=£engftett, bei ben fog. „Skiffen" ber walbenfifcb.e 5DiaIeft gum Seil bis auf ben
heutigen Sag erhalten, bgl. Ulaiber in (Sb.^Sutb,. Äircb^engeitung 12, ©. 49 ff., 9Korofi
im Archivio Glottologico Italiano 11, p. 393 ss. £. Sö^mcr.
3B(tft>I)CUtfe»t, ^onrab bon. — Sitteratur: 1. Quellen. 3ufammenfterriingen beS
OueKenftoffeg f. bei 3t. Snc&mann, ©efd)tcf)te »5t)men§ II, 147; g. Sofcrtti, .V>u* unb ffitetif
40 <B. 42; ß. fltcnion, Zpräva o ceste po knihovnäch v Rakousku a Nöraecku cte (3Jeife=
berirf)t au§ öfterretc^ifetjen unb beutfdjen Sßibliotfjefen) im 2. S3b ber atab. Seitfdjrift Vöslnik
ceske akademie etc., ®. 63 ff.; Qi6rt, Bibliografie hist. ceskö II, 1117, 1118 unb $atoctU,
Sie Vorläufer be§ §ufitentmnä tn »i^men. 9?eue ?luggabe, ^rag 1869, ©. 16, 17. 3loü)
fetjlt e8 an einer ©efamtauägabe ber Sffierfe Sonrabg, üor "aDeiu ber <Prebtgten, bie feinen 3tuf
45 begrünbeten, toeite Serbrettung fonben unb in me£)rfad)en Bearbeitungen üorlteqen. 2Benn mir
llnbebentenbeg augfd)eiben (f ffilietnon @. 64), fommt für unfere Bmecte außer ben «ßrebigten
ferne Styologte in SSetracbt, bie in einem leiber burci) bie fettfamften Sefefet)Ier oerberbten SDrucf
(Apologia Konradi in Waldhausen ed. Softer im 2. S3b ber ©efd)id)tSfd)reiber ber bufitifetjen
Setoegung [Fontes rer. Austriac. 2. VI.] <B. 17—39) üorliegt. SBag bie Sorrefponbens SonrabS
50 betrifft, finben ftet) in ber unten genannten ©ctjrift Don Meneif 16 Slftenftücte unb Briefe
<5. aueb, Sücman <S. 67/8. '
2. S3earbeititngen. ^aladt), ®ie Vorläufer wie oben; berf., ©efc£). bon SSöbmen III
1- 161—164; Sßeanber, 910g. ©efd)icbte ber diriftlicben Religion unb Äirc^e, 3. 9iUfi. 1856'
II, 2. 772; Setf)ter, S^ann öon SSicItf unb bie 33orgefd)icbte ber Deformation II, m« .'
55 Somd, Dejepis Prahy (®efd). üon $rag) III, 286 ff.; ft. ^Kencit, Konrad Waldhauser, mnich
radu svat6ho Augustina (t. SS3. 9)cöncfj beg Stuguftinerorbeng). 9tbt)anblungen ber Igl. ßbbm
©efeüfdiaft ber 28iffenftf)aften VI. golge, XI. 33b, «ßrag 1882. ©onftige Sitteratur bei S3aa>
mann wie oben.
Sie Sebeutung ^onrabS bon SBalbb.aufen für bie ©efd)id)te ber böb,mifd)en Kirche
eo im laroIinifcb,en Zeitalter läfet ftd) auS bem glängenben grtad^ruf ermeffen , ben ibm ber
greunb iarlS IV. unb ©efdjicb.tSfcbreiBer 23ör/menS Senefc^ Irabice bon Sffieitmü^l in
SSölbljattfett 841
fetner ßfyrontf ber ^rager ßtrd&e unmittelbar nacfy Jetnem Abfd&etben gemibmet 6,at.
ßonrab mar fein gebürtiger 33öfyme. @r ftammt auS Ofterretcb unb trägt [einen tarnen
bon bem ßlofter ber Auguftinercborfyerren %a Sßalbfyaufen in Oberbfterreiclj, bem er an*
geborte (professus in Walthuss). Über feine erften SebenSberbältniffe, $ugenb unb
(Erhebung ift menig belannt. %n frühen ^abjen mufe er ins Softer eingetreten fein. 6
©ort erhielt er mobjl aueb. feine erfte AuSbilbung. Um 1343 mürbe er jum ^riefter
gemeint. güfyrte u)n fein (Eifer für bie 2Biffenfcf;aft nad) Bologna (1349), fo bot tfym
baS 3u&eIial^r 1350 ©elegen^eit SRom ju feiert, 9?acfy ber §eimat jurücfgefeljrt, mibmete
er fic| an berfcbjebenen Drten, gumeift in 2öien, feinem geiftlitfjen Berufe, bor allem bem
Sßrebigtamte, für baS er eine fyerborragenbe Begabung belunbete: benn eine munberbare io
Äraft ber Sftebe, bie ifyre 2öirfung niemals berfefylte, ftanb ü)m ju ©ebote. ©cf)on als
er in Öfterreicb £rebtgte, b,at er baS 33olf, fo fagten feine ©egner mit bämifcfyer 3mei=
beutigfeit, in Stufregung berfe^t unb als er fbäter feine ^rebigten in $rag in ber ©aüuS=
fircfye abhielt, bermoebte fie nicfyt alle Sufybrer ju faffen, fo bafe er genötigt mar, auf
freiem ÜJJiarfte $u torebigen. ©eine 'Jfyätigfeit braute ibn in bie 9cäf)e beS öfterreicbifdjien i&
£>ofeS unb in nähere Regierungen ju ©ottfrieb (II.) bon SSetffenecf, bem Sifcfyof bon
ftoffau. ©eine 33erebfamfeit erregte bie Sewunberung ®arlS IV., ber ü)n bei feinem
Aufenthalt in SBien 1357 fennen gelernt fyaben mochte. SDurcb. SSermittelung be§ mäcb=
tigen fübböfymifcben £>errenl;aufeS beS 3tofenberg jog if)n ber $aifer nacb $rag, mo er
in Dftern 1358 bie ©teile eines Pfarrers bei ©t. ©alluS in ber Altftabt erhielt. §ier 20
begann er feine S^ättgfeit als ^3rebiger unb ©tttenriebter, bie gleich, anfangs grofeeS
Auffegen erregte. gurcfytloS unb bon ebangelifcbem @ifer befeelt, geißelte er bie ©itten=
lofigleit, bie in ben bomebmen unb reiben Greifen ber §aubtftabt ^errfd^te, ifyren £>ocf)=
tuut, ifyre Übtoigfeit unb §abfud)t. ©eine großen (Erfolge beunruhigten bie 2Jcenbifanten,
bie ilm anfänglich millfommen gel)eifeen Ratten, je|t aber um il)ren (Einflufe beforgt maren 25
unb ftdj nun, miemofyl fie borbem untereinanber uneinS gemefen, gegen ben füfmen
gremblmg berbünbeten, als er gegen il)re ©imonie eiferte, bie au§ ber SBeftattung in
Mircfyen unb Äreujgängen ein ©efcfyäft machte, als er ibje unerfättlicfye §abfucf)t ebenfo
geißelte, mie baS llnmefen, baS fie mit ben Reliquien trieben, ober ben bummen ©tolj,
mit bem fie ftd) auf bie §eiligfett ibrer ©tifter fteiften, enblid) tfp Verlogenheit unb bie 3°
fcfjamlofe Ausbeutung beS armen SßodeS. ©afür fcbalten fie ifm einen griebenSftörer
unb Abtrünnigen feines DrbenS, ber (maS ben Sfyatfadjien nidjt entfbracb) ob^ne SiSbenS
eine meltlidje Pfarre annehme. Vergebens berfuc|te ber ©eneral beS ^ßrebigerorbenS,
©imon bon SangreS, ben ber ^abft, wie eS febeiut auf Sitten üarlS IV., naef) ^rag
gefanbt blatte, ben (Streit beizulegen. 3f?ocb roäfyrenb bie Unterfucb^ung im ©ange mar, 36
fufyr ^onrab in feinen fcfyarfen Angriffen fort, unb bie 3Jciffion ©imonS blatte leinen
©rfolg. ©ie Fortführung beS ^rojeffeS tourbe bem ©rjbifdjof überlaffen. S)ie Settel=
möncfye fteßten nun 24 Artifel toiber tonrab gufammen, bie ben ©inn feiner hieben frei=
lieb, böttig entfteEten. SDer @rjbifcf)of liefe im $erbfte 1360 bie ^lagebunlte an bie Zfyoxe
jmeier Softer anheften unb forberte jebermann, ber gegen Ibnrab etmaS borjubringen 4lJ
i^aht auf, bor ifym ju erflehten. Sie Wönfye lamen gtoar, lonnten if)re Anflogen aber
nicf;t bemeifen. ^e|t begannen bie grüßte ber S£fyätigfeit HonrabS gu reifen; fo grofj
fein (Eifer ift, fo ftarf ift ber Zulauf ju ib,m unb fo mächtig fein (Erfolg. Da geben
2öucf;erer ibren ungerechten ©eminn f>erauS, merben berbubjte Sebemänner ju fittfamem
Söanbel geführt, legen grauen ib,re f oftbaren ©dreier, bie mit ©olb unb perlen befehlen «
©etoänber ab unb einfache SEracb^t an, ja fcfyon finbet ^onrab unten ben ©etfthdjen
felbft 9toc§a^mer: nur bafe biefe jumeilen übertreiben unb ben JlleruS übertäubt in 9Jctfe=
frebit bringen. 1361 33orftanb ber Äird^e bon ©t. %b,oma§ auf ber ßleinfeite, toanbte
er f«j^ 1362 an ben Sifcbof bon ^3affau um Unterftü|ung feiner Seftrebungen : Die
Quelle alles Übels liege in ber £mbfucbt Unb ©inneSluft ber ©eiftlicbjeit. 1363 erhielt »
Äonrab bon Äarl IV. bie Pfarre ju AEerb^eiligen in Seitmeri|, burfte jeboeb mtt (Stn=
roittigung ber Oberen in ^rag berbleiben. Aufs 9ieue ergeben fieb, bie 9}Jenbifanten, um
ibn ju berbrängen, galten ibm geminnfücbtige üKottbe für fein Verbleiben in $rag bor,
galten ilm Anticb^rift u. f. m. ^mmer febärfer merben ibre Anfcbulbigungen unb 23er=
leumbungen, unb biefe finben fdjliepcb ben 9Beg in HonrabS §eimat unb gelangen ju 55
ben Obren §erjog 3duboIfS IV. bon Öfterretd?. AIS ber §er^og im 9)Jai 1364 in $rag
bermeilte, fonnte er fieb freilieb leicht über bie böKtge ©runblofigfeit folclter An=
fcbulbigungen Aufflärung berf^affen. Die 3Üicffebr nacb"2öien lehnte l^onrab im §m=
blief auf fein SSerbältniS jum S^aifer, ber ibn ju berfebiebenen ©efd;äften bertoenbete, ab,
unterliefe aber ntctyt, feine SanbSleute über bie 2Racbenfc§aften feiner ©egner aufjuftären. 6°
842 SBoIb^oufcn Waltet Don <gt. mttov
gu biefem 3med fcbrieb er feine ältoologie gegen bie 24 ßtagebunfte ber ÜWnd;e. 3U
beginn 1365 jum Pfarrer an ber großen Sebnfircbe in $rag ernannt, bebnte er jein
reformatorifcbeg Söirlen mit Erlaubnis be§ $abfteg nicbt blofj über b'ie bö^mif^e unb
faljburgifcbe ©r^biöcefe au3, fonbem fud^te aucb ben ®aifer ju fraftbotlem ©infd^retten in
6 bte berrotteten SBer^ältntffe ^talieng gu betoegen. %n feiner 2bätigfeit als ^rebiger fab,
er ficb aucb, je|t nocb burcb feine alten ©egner bebjnbert. 2113 er am 1. SRai 1365 in
<Saa$ brebigte, fingen bie 9Jiinoriten, um feine (Stimme ju übertönen, mit allen ©lüden
ju läuten an. ©er ^arnbf gegen bie SDtenbilanten ging aucb in ben näcbften Saftren
meiter. Äonrab fanb feinen Slroft in ber greunbfcbaft gelehrter SRänner, Don benen
10 einzelne tbie 2lbalbertu3 Fanconis mit ibm in Äorrefbonbenj ftanben, anbere mie SRiliifcb,
bon $remfier bon ilim ibre ftärfften Anregungen erhielten. Seiber finb jene ^rebigten,
burd) bie er in fo erfdjütiernber 2öeife auf feine gubbrer mirfte unb um berentmiHen
man ib,n ben fog. Vorläufern beä £>uf3 gu^ujäf^len bflegt, nicEjt erhalten. 2Ba§ mir be=
fiijen finb ^ßrebigten, bie er bor ©tubierenben gehalten bat unb au§ benen ange^enbe
15 5ßriefter Anregung unb ©toff für ben eigenen Vortrag erhalten füllten. SDiefem gmede
als ©djulbrebigten baben fie nod; biele Qat)r§e^nte nacb, bem am 8. SDe^ember 1369 er=
folgten 2bbe i|re€ Verfaffer§ gebient. Söenn man ibn ju §uffen§ Vorläufern redmet, ift
ju betonen, bafs ftcb feine 2;b,ätigfeit augfcbliefdicb auf bie §ebung ber geiftlid)en gucfyt
richtete unb bie Sebre unb Verfaffung ber ßirdje unberührt liefj. ©eine «ßerfönlidjleit
20 mufj jmetfellog eine bbcbji bebeutenbe getoefen fein, ba e§ ib,m al§ 2tu3länber gelang, fo
mächtige ©rfolge ju erzielen unb bie Erinnerung an it;n nabe^u ein balbeg ^abrfyunbert
lebenbig blieb. Safj §ufj fic& mit feinen ©Triften befd;äftigte , bafür ergeben fid) leine
2lnbaliäbunfte. fiofertlj.
SBoHfo^rtctt f. b. 2t. ^ömifcbe &ird;e Vb XVII ©. 123,56.
25 2Sailitt $. £)., f. b. 21. ßircbenlieb Vb X ©. 442,54.
2öafyurgi§, geft. bor 786. — Miracuk s. Waldburgis Monheimensia auctore
Wolfhardo Hasenrietano in ben AS gebr. III ©. 523; 9tuä§üge Hon $oiber=l£ggcr in ben
MG SS XV <B. 535; SSolftjarb, SKöndj in Verrieben bei 2tn§bad), fdjrieb unter 'S9tfdE>of ©r=
cbanbalb (882—912). lieber jüngere SStograpfjien f. ^ottfiaft, Bibl. <B. 1630; Otettberq, Ä©
30 S>eutfälanbä II @. 359; §aucf, St© ®eutfd)tanbö I @. 537 ff.
2öalburgi§, Sßalbburgte, SSalburga mar bie ©cbmefter ©tHibalbS, be$ erften VifcbofS
tn bem bon Sonifattuä gegrünbeten ViStum @id>ftätt, unb 2ßr/nncbalb<S, beS erften älbtö
bon ^eibenbeim. ©ie folgte ib,ren Vrübern auö ©nglanb nad; ©eutfdjlanb. g^t ©eburtg=
\al)x tft md;t belannt. Wafy ®eutfd)lanb mirb fie crft um 750 gelommen fein; benn
35 um 751 grünbete SBtonnebalb ba§ Älofter §eibenb,etm, ein TobbeHIofter, beffen Tonnen
unter SBalbburgö Seitung ftanben. 3118 Sl>bnnebalb 761 ftarb, ging ber Vefifc be$ flloftetg
an äßalbburg über (Vita Wynneb. 13 ©. 116). a\Jie lange fie lebte, miffen mir niebt.
©od) tft e§ md)t unmab,rfd;einlid;, ba| fie bor Sßitlibalb (geft. nad; b. 8. DIt. 786) ftarb.
^re «Reliquien mürben bon Vifdjof Dtgar (817-880) nacb, @id)ftätt übertragen,
40 7=^ l' 5 f- 5^0; Ul bem ®ra6 bc^ §eili9en entftanb nun baä «anoniffenfttft
©t %alburg, ba§ im 11. ^ab^unbert bon V. Heribert (1021—1012) in ein 9Jonnen=
flofter umgeftaltet mürbe (Anon. Haser. 30 f. MG SS VII ©. 262). ©in Xetl ber
Reliquien tarn 893 burd; V. @rd>anbalb bon @id)ftätt nacb, bem «Iofter ÜKonbeim,
n0lS2fn,R.Dnau^- Mirac- :» 7 @-541- 2ßäb,renb 3B.3 ^eiligfeit, if)re Semut
45 unb ^acjftenltebe btelfad) gerühmt unb gebriefen merben, mei^ bod) bte Segenbe au§ ibrem
Sebenfelbft lerne Sbatfadien aufzuführen, bureb, meldte jene Sugenben anfdaultd) bar=
gefteUt mürben; befto meb,r rebet bie Srabition bon ben Söunbern, bie fie berrtebtete
namentltcb *>on tounberbaren Teilungen unb ©ebetSerb/örungen, bie bureb ibre Fürbitte
Betotrft morben fein fotten. ^t ju (Sbjen mürben meiere ^efte gefeiert, nämHcb ber
so 4. Sluguft, als gefttag tbrer Slbretfe auö ©nglanb, ber 25. gebruar als ibr loieStaa
unb ber 1. 3M, beffen Sejiebung ju 2ö.g Seben aber nid;t aufgellärt ift. ö
(9teubetfer t) ^autf.
SBolter Don ©t Siftor, ^arifer ^beologe be§ 12. Sa^unbett«. — Umfänali*,.
a3tuc£)ftucfe au§ feiner ©aiiptf^rift (f. unten) finb abgebrueft bei SBulaeu«, Historia univpr«
tatis Parisiensis II, 200. 629—660 unb MSL 199, 1130 ff.; über bie alte ßanbfcfirift i.nS
55 «alters Wtettjobe f. ®entfie 91SS© I, 404—417 ; 91. ^temef, Ueöer bie ©djrift be§ kaitf
■o- ©t. SSütor Contra novas haereses in 2f)@tS? 1844, @. 823—864. Histoire litt rlt i
France XIV, 549 ff.; §. iReuter, ©efd). b. Sluftlarung im Wü II, 15 ff. ' e la
23alter tum @t. mitov 843
1. Über baß geben Söalters toiffen hur nichts, außer baß er Sßrior, nicfyt 2Ibt, bon
<5t. Sßiftor tt>ar unb eine Ieibenfcr)aftlicl)e bolemifcfye ©ctjrift mtber bie moberne Xr)eoIogte
bes 12. Sa^unbertS berfaßte. ®iefe ©cfyrtft trug ntd)t ben tarnen Contra quatuor
labyrinthos Franciae, tüte oft angegeben wirb. SDiefe Segnung entflammt einem
©a| ber (Anleitung (23ul. 200), bie biet Sabr/rintfye finb bie fielen 2lbälarbs, bes Petrus 5
Sombarbus, bes Sßetrus £ßictabinus unb ©ilberts. Sabr/rmtfye werben fie genannt, toeil
in ib.nen ber SJttnotaurus ber §ärcfie rootmt. SDas erfte 33uct) ber alten §anbfct;rift
(Sßarifer 2lrfenalbtbl. n. 379) trägt bie Überfcbjift: Incipit liber magistri Walteri
prioris sancti Victoris Parisius contra manifestas et damnatas etiam in con-
ciliis haereses, quas praedicti sophistae libris sententiarum suarum propo- 10
nunt etc. (Sul. 629. £>enifle 406). £>te fbäte ÄDpie biefer £anbfcr,rift (Cod. Paris.
17187) fyat ben Slitel Walteri prioris sancti Victoris contra novas haereses
libri IV (Sßland; 824). SlHein erfteres ift lein richtiger %\td unb legeres ift toobjl nur
nad) bem ^jnfyalt fyergeftellt. ®ie 3eit ber 2lbfaffung läßt ficb, einigermaßen fidler be=
ftimmen. $m 2. 23ucr) (93ul. 632) b,eißt es: nuper in concilio, quod D. Eugenius 15
papa Remis celebravit, es ift bie ©r/nobe bom 3- 1148. Ebenfalls im 2. Sud}
(58ul. 634): in concilio, quod nuper Turonis celebravit Alexander papa, gemeint
ift bie ©r/nobe Dom 3. 1163. ^n ber Einleitung jutn 1. Surf) ftefyt (®enifle 406):
quod Alexander papa nuper in concilio Romano paraverat nominati illius
(Lombardi) sententias damnare, bas gefyt auf bie 3. Sateranfimobe Dom % 1179 20
(f. oben 33b XI, 640). SDagu fommt bie @rtoäb,nung bes ©Treibens 2lleranbers an
SBtl^elm Don 9tyetms bom 3. 1177 (SDemfle 407 cf. Chartular. univ. Par. I, 8 f.).
%>anafy ift fidler nur bas ©ine, baß 2B. nacb. bem 3. 1179 feine ©djrtft berfaßte,
baß bies balb nact) 1179 gefcf/efyen ift, läßt ftcb. aus bem „nuper" nicf/t erfcpeßen, bas
ja aucr) bei ben ©imoben bon 1148 unb 1163 ftefyt. Tian toirb alfo etma bie ßeit 25
bon 1180—1190 für bie 3lbfaffung bes SSerfes offen galten muffen. — SGon ben fonft
SS. beigelegten ©Triften lann ernftbaft nur in grage fommen ber bon ber Hist.
litt. XIV, 550 erroätmte: Magistri Walteri dialogus quaerens quid sentiat Hugo
de anima Christi.
2. 2B.S ©cf/rift ift ein lehrreiches ©olument aus ber ©efcbjcf/te ber ßämbfe, bie 30
burcb. bas 2tuffommen einer toiffenfdjaftltdjen , nacb. bialeftifct/er 3JZetr)obe arbeitenben,
Geologie (f. oben 33b XVII, 710 f.), unter ber pfyrung bes 1)1. £3eml>arb entfeffelt
toorben finb. @s finb jmei anliegen, bie 20. mit £eibenfc|aft berfolgt. ^n ber 6b,rifto=
logie feiner ©egner erblicft er bie neftorianifdje £ärefie, bon ber er im toefentlicr/en ein
richtiges ȟb fyat (Sul. 647). SDie roiffenfcfyaftlicjien Geologen embfanben roieber bie 35
«Probleme, bie ber begriff ber „50cenfd)toerbung" aufgab, fie berneinten bie 2JcögIicbfot einer
Seränberung ber ©ottfyeit unb meßten bab,er nur babon reben, baß ber Sogos ben
9Jienfcr/en ^efus angenommen fyahe; fie b/atten aber aucb, 33ebenlen fyinficf/tlicb. bes 3ttenfa>
feins bes Sogos, bie menfcpcfye Statur erfaßten itmen ftrie ein ©eroanb, bas ber Sogos
jum ßroecf ber Offenbarung angenommen t)ahe, babei gingen einige bis jum fog. 40
SRipantemuä fort (oben 33b X, 639 f.). ®ie fd)tbanlenben unb nid)t immer Haren
©ebanfen biefer Geologen ibaren SB. ein ©reuel. ^b,m fa)ien alles überaus Hat ju
fein, iuenn man mit ben Tätern bon una persona unb duae naturae fbracb,, ober
jagte, baß tüte ber 3Kenfc$ aus jmei Seftanbteilen — bem Seib unb bem btefem fbater
eingegoffenen ©eift — einer mirb, aud) ©brtftug als ©ott bom Sßater unb als Wlmfä 45
bon 5öiaria geboren unb bod^ einer ift. ©0 hah^ man eine ^Berfon unb bocb, roirfhcb, ben
©ott unb ben 9Jcenfd)en, mäfjrenb bie ©egner tbeber ©ott nocb, Genfer;, fonbern nur em
monstrum mit ibjer 2)ialefti! ju ftanbe bringen (S3ul. 655. 656. 657). SB. ntmmt
aud? Slnfelms ©atisfa!tionstb,eorie in ü)ren ©runbjügen an (Sul. 659). Serengars
2lbenbma^Isleb,re, aber aueb, jebe 3lnfcb,auung, bie es ju umgeben berfuebj, baß e^mh 50
Seib mit §änben unb 3äb,nen ergriffen merbe, iüirb megen be§ „hoc est corpus
meum" berbammt (33ul. 647. 648). Slucb, bie fünblofe ©eburt ber 3)carta totrb gelehrt
unter Berufung auf bie geier ifyres ©eburtsfeftes unb auf Stnfelm unb Sernbarb,
bie aber in 2öirflid)leit biefe Seb,re nict)t bertreten b.aben (oben Sb XII, 322);
b,öb,nifd) mirb babei nescio quis Ioannes Damascenus abgemiefen (33ul. 648 f.). — &ß
SHber mebr nocb als an ben einzelnen Seigren liegt SB. an ber ©runbanfcb,auung. irr
tottt nichts rotffen bon ^Uofo^^te unb ©ialeltif, fie flammen bom 2cufel_ unb fubren
ju ib.m. X>ie miffenfdjaftlicben %t)?oloa,m fiebt er uno aristotelico spiritu afflatos,
dum ineffabilia sanetae trinitatis et incarnationis scolastica levitate traetarent,
multas haereses olim vomuisse et adhuc errores pullulare (Senifle 406). Gr 60
844 Sßalter tum <©t. SStltor 2Saltf)er, gerb.
meint bon ifynen: quodlibet dicunt, non iam dialectici , sed haeretici proprio
iudicio condemnantur, nos tarnen illorum atomos (SBilljelm bon @onri;e<§) et regulas
philosophorum et quid et aliquid et cetera huiusmodi ridicula contemnimus
et excommunicamus (23ul. 659). 2Bte #ugo, bon beffen geiftiger Greift 28. im
5 übrigen nid}t§ fyat, mill er alle Probleme burd; bie Blofee „Autorität" entleiben.
20. ift ein Drtfyobor.er ber unangenefymften ©attung: recr;tr)aberifcb, unb fyöfynifcl;,
aber ob,ne jebe§ tiefere 2Serftänbni§ feiner ©egner, unfolib in feiner Strbett, aber gum
„aSerbammen" jebergeit bereit, aufgeregt unb leibenfc^aftltct), aber unfähig unb unllar. ©o
fann er feinen ©egnern btemeilen ba§ ©egenteil beffen jufd^reiben, ma§ fie meinen (33eifbiele
10 bei ®entfle 416), ober bie gang unabälarbifcb, gebaute ©djrift Sententiae divinitatis
(über biefe f. ©enifle ©. 407 ff.) in bem 2. SBucb, feines 2Berfe§ als Eigentum 3tbälarb§
aufreiben, ober Slnfelm unb Sernfyarb in irrefüfyrenber 2Öeife bertoenben (f. oben).
23or allem aber geigt er feine geiftige Inferiorität barin, bafj er ber großen getfttgen 33e=
megung feiner geit objte jebe§ 3Serftänbni§ gegenüberftefyt unb für feine alte Geologie
15 nieftf biel meb,r al§ ©brücke ber Später angufüfyren meiß. 20. gehört gu jenen ©eiftern,
bie an ber alten Sefjre bor allem ba3 Pumbe unb Äraffe embfinben. 9Jian muß ©erfyoI)3
2Ber! De investigatione Antichristi, ba§ biefelben Stenbengen tote 20. »erfolgt, mit bem
2Berf be§ teueren Dergleichen, ober fieb, aueb, ber arbeiten be<§ ^Bütorinerö §ugo erinnern, um
bie ©a)ranlen 2Ö.3 gu ernennen. $Die 2lrt, toie SB. feine ©aa)e fü^rt, geigt, baß fie berloren mar.
20 ifi. ©eeöerg.
28altl)er, gerbt nanb,geft. 1887. — Sitteratur: 9lußer ben im 9lrtifel genannten
©Triften Sßaltfcerä „Suttieraner", „Set^re unb 23ef)re" Dr. S. g. SB. SBaltfjer, Sebenäbilb, entworfen
öon SKarttn ©untrer, ©t. Sout§, 9Jio. 2ut£>erifcf)er Soncorbta=33ertag 1890. Sie ©efct)ic£»te ber
@u.4utlj. 2Kiffouri=@rmobe in üftotbatnerifa unb ifjrer £et)rtcimbfe üon ber fäd)fijcf)en 9lu§r
25 wonberunci im galjre 1838 an 6i§ jum ^ai)xt 1884 bargefteüt üon ©fjr. §od)ftetter-®re§ben.
^einrieb, Naumann, 1885. SSBUtjelm 2i5f)e§ Seben. 9tu§ feinem fdtjriftüd)en 9?ad)(afj p=
fammengefteKt. Srttter 23anb. ©üterSlot) S. S3ertel§mann 1892. Kummer, ©tepban unb bie
©tebljainften. SIrttfel in ber ^erjogfeben D?eaIertct)(Iopäbie, erfte 9luff., 33b XV, ©.41—61;
berf., Sutt)ertfcf)e f trtfie in Worbamertfa, $9t®2, 2. 9LufI., 93b XVIII, @. 687—696.
30 $arl gerbinanb SBtlljelm Sßaltljer, Dr. theol., al§ ©rünber unb Seiter ber ©tmobe
bon 5Riffouri eine ber fyerborragenbften ©eftalten ber Sutb,erifd;en $trcr)e in ÜJiorbamerita,
ftammte au§ einem rechten ^aftorengefdjlecljt. Urgroßbater, ©roßbater unb 3Sater toaren alle ge=
achtete lutb, erifcb,e ^ßaftoren geroefen. ©rmar geboren am 25. Oftober 1811 in Sangenctjur^
borf bei ÜJBalbenburg, gürftentum ©cf)önburg=2ßalbenburg, Äönigreicb, ©acljfen. ©ein um
35 bie §eranbilbung feiner $inber treu beforgter Sßater gab ifym eine fe^r ftrenge ©rgiefyung.
^m %afyx 1819 trat er in bie ©tabtfcfmle ju §ob,enftein bei Sf)emni§ ein, gioei I^afyre
fbäter in ba§ ©tjmnafium gu ©cl;neeberg im ©rjgebirge. ©eine Haltung al§ ©^mnaftal=
fcfjüler mar eine fo mufterljafte, bafe er bei feinem 2lbgang auf bie Uniberfität ben afa=
bemifcl;en Sehern alö „mürbig unb bebürftig" auf§ bringenbfte embfofylen mürbe. %xo§ ber
40 rationaliftifcfyen Umgebung unb ©inflüffe feiner ^ugenbgeit mar ib,m bod^ naef; feinem
eigenen geugniä ber „^tftorifd§e ©laube" aUejeit geblieben unb „begleitete i^n al§ ein
ßngel ©otteö burct;3 Seben".
©eine urfbrünglid)e 3lbfid)t mar, ntdjt 2;b,eologie gu ftubieren, fonbern fiel; gang ber
SDiufif gu mibmen. ^n bie 33iograbb]ie öon ©untrer finb einige 5!ombofitionen bon ib^m
45 aufgenommen, bie ben cfyarafteriftifcr; meinen, faft fentimentalen SLon ber §aHefc^en Sieber
(greilingl>aufen) anfragen. @rft buref) bie Seitüre ber Dberlinbiograblne bon ©djubert
tourbe fein ©ntfcfylujs beftimmt, fief; bem Pfarramt gu mibmen. 2luf ber Uniberfität
Seibgig, bie er im ^afyr 1829 begog, mu^te er fiel; feb,r fümmerlicb, burcb.fcb.Iagen. @in
SEfyaler ber 2öocf)e mar aHe§, roa§ if)m fein SSater gum ©tubium gufommen laffen fonnte.
so Sänge geit mar er nicb,t einmal im ftanbe, fieb, eine Sibel angufcb.affen. Unter feinen
^ßrofefforen bertrat befonber§ 2lug. §ab,n, befannt buref) feine fcf;arf antirationaIiftifcf;e
§abiIitierung§biffertation, eine bofttibe ©lauben^ricl;tung. ©er junge 3öaltb,er fd^Iofe fiel;
an einen £rei§ gläubiger ©tubenten an (barunter fein Sruber Dtto ^ermann 2öaltf)er,
3>. %. Jünger, 33rob,m, gürbringer), bie regelmäßige ©rbauungsftunben miteinanber gelten,
55 bie ©Triften bon Qo^. 2trnbt, granefe, ©bener unb ©cb,abe gufammen lafen, babei me^r
ein „gefe^Iid;=büfteres" afö ein „ebangelifct;=fröb,licb/e§'/ eb,riftentum bflegten unb in faft
metb;obiftifcf;er Söeife auf bie @rfa^rung ber fcf>merften Sufefämbfe unb ©efe|e§fa)rec!en
brangen. 2lucl; 2öaltb,er ging bamals bura) heftige innere Äämbfe unb Anfechtungen, in
benen er fdjliejjttcty bei bem ^ßaftor ber böb,mifc^en ©emeinbe in ®re§ben, Martin
eo ©tebb,an folgen ^roft unb ©tärlung fanb, baß e3 t^m nacb, ©urd^lefung feinet 33riefe§
Söoltljer, Jerb. 845
War, „als fei er blbpcfy auS ber §öHe in ben §immel berfe^t". ©eine ©tubien Würben
burd; eine ernftli^e ^ranf^eit fecfyS 3Jconate lang (1831—1832) unterbrochen. ®ie un=
freiwillige 3Rufejeit berWenbete er auf bie Seftüre Don SutI)erS ©Triften. Sin Dftern 1833
abfolbierte er bie Uniberfttät unb beftanb im ©ebtember beSfelben 5$af)reS fein ©rarnen
pro licentia concionandi. ©er bamalige 23eI;enntniSftanb ber fäcfyfifdfyen 2anbesitrd)e machte 5
ib>n große Seoenfen ^mftdjtftd) feines Eintritts inS regelmäßige Pfarramt. 2Bar bod) eben
ju ber $eit allen ©rnfteS ber Slntrag gefteHt toorben, ein geiftltcfyeS SMegtum ein^ufe^en,
baS baS SDogma ber fünftigen fäcfyfifctjen $?ircb> entwerfen füllte, „wie eS bei ben ©e=
bilbeten beS SßolfeS ben meiften ©ingang finben bürfte" SSon Dftern 1834 bis ÜJZobember
1836 befleibete er eine £>auSleI?rerftelle bei bem 3fat griebemann gö^er m ga^ ymm: 10
bürg. üftacfybem er fein gWeiteS ©ramen beftanben, Würbe er bon bem frommen ©rafen
bon ©infiebel an bie $atronatSbfarrei 93räunSborf berufen, Wo er am ^Weiten ©btbb,anien=
fonntag 1837 orbiniert Würbe. Sie Erfahrungen, bie er in biefem feinem erften $ßfarr=
amt machen mußte, führten ü;n fcfjon im folgenben ^afyre baljrin, fein 2lmt nieberjulegen
unb ftd) ber SluSWanberungSgefeUfcljaft beS $aftorS ©te^an anjufcfyließen. ®er ©tanb beS 15
©IjriftentumS in feiner ©emeinbe machte ben trübften unb betorimierenbften ©tnbrucf auf ifyn.
„©in eigentlich geiftlicfyeS Seben" fcbjieb er an ben ^patronatSb/errn, „ift Wob/l in feinem ©liebe
berfelben borb/anben" ©eine geWiffenb/aften 23emül;ungen, baS geiftlict/e Seben gu l)eben,
fließen auf heftigen 2Biberftanb bon feiten ber 33efyörben, berWicfelten il)n in wiebert)olte
Äonflifte unb gegen ifym mefyrfacl; Stügen unb ©trafen %u. ©eine 33efcfjWerben gegen bie 20
rationaliftifd)en Slgenben, ©efang= unb ©cljulbüd)er fruchteten nid)tS. ^Dagegen mürbe irmx
ber©ebraud) ber alten StbfolutionSformel unb bie Übung ber 23eict;tanmelbung unb 2lbenb=
maf)Iljucf;t aufs ftrengfte unterfagt.
2lm 3. JJobember 1838 fufyr er als ©lieb ber ©tebfyanifttfdjen 2IuSWanberung bon
JSremerfyaben auf bem ©djiffe „^oljann ©eorg" naef) -itteu=DrleanS ab, Wo er am 25
5. Januar 1839 antam. Qm $ebruar traf bie etwa 800 ©eelen §ät)Ienbe 2luSWanberer=
gemeinbe inSRiffouri ein; ein ^etl blieb in ©t. SouiS, bie anbern fiebelten fiefy in ^ßerrt;
(Sountr;, 9Jliffouri an. ©d)on im 9Jiai 1839 fam eS jur ©ntlarbung bon ©tebb^an, ber
bis balnn bie ©emüter feiner Slnb^änger in unglaublicher 2Mfe bezaubert unb gefriedeter
blatte unb nun wegen feiner ©ünben gegen baS fecljfte ©ebot, berfcfywenberifcfyer 3Ser= 30
untreuung fremben ©uteS unb falfctjer £eb,re abgefegt unb erjornmuniäiert Würbe.
©er furchtbare ©cfylag erfcfyütterte alle beteiligten, jumal bie ^ßaftoren unb Söaltb^er
boran, aufs atlertieffie. 3lße ©runbfäulen fd)ienen ju Wanfen. 3Sor ben bekümmerten
©eWiffen ber armen £eute, bie Söfye „bie ebelften hinter unfrer $ircb> in Jiorbamerifa"
nennt, tauften fragen auf roie biefe: ,,©inb unfre ©emeinben ct;riftlut£)erifc^e ©emeinben? 35
ober finb fie Motten? ©eften? §aben fie Sftacfyt gu bocieren unb ju bannen? ©inb mir
^afioren ober md)t? ©inb unfere 3Sofationen giltig? §aben mir l)ier !önnen göttlich
berufen fein, ba mir unfern beutfcfyen göttlichen Seruf berlaffen l)aben unb naefy unferem
falfd()en ©emiffen babon gelaufen finb? ©ollen un<§ bie ©emeinben nicfyt ie|t abfegen, ba
fie erft je|t mit un§ einfetten, meines große SlrgerniS mir gegeben fyaben? SOBäre e§ nict;t 40
beffer, wenn bie ©emeinben un§ menigftenS entließen, eine Qtit lang fiel; bloß buret; bie
Übung be§ geiftltd^en ^3rieftertum§ ^u erhalten fugten unb bann entmeber bie alten ober
neue ^aftoren fict) erwählten?" (Srief aß3altt)erg an feinen Sruber. 4. -JJcai). S)a galt eS
Prüfung, Klärung unb ©icb^tung bis gum ©runbe unb 2öaltt)er bor allen ift eS ju banfen,
baß baS jerfcb,lagene ^äuflein auS ber ferneren 3lnfed)tung fiegreic§, erneuert unb geftäfylt 45
l^erborging. SDieS gefc|al) befonberS bureb^ SßaltljerS ©enbfcf;reiben, ba§ in ad)t Seitfä^en
bom 2Befen ber Äirc^e gibfeite, in flarem Umriß fcf;on feine ganje künftige Sel)rftellung,
befonberS in ben Slrtileln bon Äircb^e unbälmt enthielt unb bei ber ©iSbutation gu 3tlten=
bürg fiegreieb, bon ib^m bertreten mürbe (Slbril 1841).
^m gebruar beSfelben ^a^reS mürbe 2öalt£)er an bie ©emeinbe ^u ©t. SouiS, 5Rif= so
fouri berufen, als 9fkd)foIger feines im Januar beworbenen SruberS Dtto Hermann 2ö.
2lm ^ubilatefonntag ^telt er feine SlntrittSbrebigt. 33iS bie ©emeinbe tb,re ©reieinigfeits=
firebe einmeiben burfte (35ej. 1842) b>lt fie ib,re ©otteSbienfte in ber ©biffobalen Christ
Church m ©t. SouiS. ©uro) feine gewaltigen ^ßrebigten bon tiefem, reid)em £eb;r=
gebalt, feine treue ©eelforge, unb ganj befonberS burd? feinen ©influß in ber Seitung ber 66
©emei'nbeberfammlungen unb ber Scljrbejbrecrmngen, bie babei bie ©eele beS ^ufammen--
feinS bilbeten, — über ^emata, Wie: Steckte ber ©emeinbe, ^rebigtamt, 2}erbinbltcf)fett
ber .Üirdbenorbnungen, ^atec£)iSmuS=©Eamina, 33rüberlid)e Seftrafung u. bgl. — r)at er ftcr>
eine inteüigente, Wob,I gefeilte Mrcb.engemcinbe herangezogen, bie für bie ganje 3JJiffourt=
f^nobe borbilblicb; geworben ift. <*o
846 äöaltljer, gerb.
£jm ©etotember 1844 begann er bte Verausgabe beS „SutfyeranerS", um ein unmifc
berftänbltcfyeS öffentliches geugniS Don bem abzulegen, „maS eigentlich Sut^erifd^e SUrße
unb maS eigentlich ifyre Seigre fei"' ©ie finanzielle SSeranttoortung "trug borerft feine ©e*
meinbe. SDer näßfte ©cfyrttt, ju bem „ber £utl)eraner" naturgemäß ben Söeg bahnte,
5 inbem er ein (SinberftänbniS unb eine Sammlung gleich ©eftnnte* borbereitete, toar bte
©rünbung ber SDWfourifbnobe. 5ftatt)bem eine Konferenz ju gort SBabne im Qat)r 1846
bie einleitenben ©dritte getfyan, mürbe am 26. 2lbril 1847 in. Chicago bie erfte Äonben=
tion ber SDeutfcfyen @bangelifcb^£utl)erifßen ©bnobe bon 3ftiffouri Dfyo unb anbern ©taaten
eröffnet. 2lu<$ fyter, mie bei ber ^onftituierung ber ©t. SouiSgemeinbe, offenbarte ficb,
10 SSalttyerS aufjerorbentlißeS organifatorifßeS Talent, aber aucb, bie ©ebulb unb 2ßeiSb>t,
momit er unter bem 5?reugfeuer einer fßarfen ^ritif bie Sebenlen feiner eignen ©emeinbe
gu überminben berftanb, bie in ber ©rünbung eines ©imobalförberS fyierarcfiifcfye ©elüften
unb ©efabjen witterte. ®ie ©bnobe übernahm bie Sefyranftalt ^u Slltenburg unb befßlojj
im ^afyr 1849 fte nacb, ©t. SouiS ju »erlegen. SDieS führte felbftberftänblicb, bagu, bajj
i5aBaltb,er gum leitenben Sßrofeffor beS ttyeologifßen ©emmarS erteilt tourbe. ©eine
©emeinbe broteftierte erft mit allem @rnft bagegen, gab aber bocb, fcfyliepcb, if>re @in=
mißigung unter ber Sebingung, bafj er breije^nmal im ^afyxt brebigen, ben ©emeinbe=
unb 33orftel>erberfammlungen beitoo^nen, unb übertäubt bie Dberaufficfyt über bie ©emeinbe
führen foHte.
20 2tn ber ©rünbung ber ©bnobe bon 9Jfiffouri Ratten fiß bie früher mit 9Jlidngan
unb Db,io berbunbenen ©enblinge SöfyeS in fo!dt)er 2ln§af)l mitbeteiligt, bajj fte anfangs
in ber 3Jie|?rgal>I fia) befanben, mäfyrenb ilmen bie fäc^fifdt)en ^aftoren an tfyeologifcfjer
©ßulung unb atabemifdjer 23ilbung überlegen maren. Sölje felbft fyatte feine ©enblinge
gum 2tnfc§luf} an bie ©acfyfen aufgeforbert, obtoobj er in ben fragen bon 5lircfje unb2lmt
25 ganj anbern 2lnfßauunge_n Ijmlbigte als 2M%r. gtoar toar er meit entfernt bon ben
^oc^fird^ltd^en, ja fyierarßifßen ©ebanfen, bie ©rabau, ber güfyrer ber breujjifcfyen einge=
manberten £utl)eraner bertrat, mit bem 2BaItI)er fdmn 1850 in Ijeifjen Äambf bertoiclelt
mürbe. 2lber er bermifjte in ber ©bnobalberfaffung -UliffourtS baS ebiffobale ©lement.
S)ie böllige ©leidmrbnung ber ©emeinbebebutierten mit ben ^ßaftoren erfcfyien if)tn bebend
30 licfy. @r fanb fte „bemolratifierenb unb ameritanifierenb" @r fab, in ber bon 2ßaltb,er
betretenen 2luffaffung bon $ird)e unb 2lmt nicfyt eine abgesoffene ©bmbollefyre beS
Iutf>ertfßen SßefenntniffeS, fonbern ein £1) eologumenon, über baS anerfannt lutfyerifcfye £efyrer
berjßiebener 2lnfid)t gemefen. ©o fd)rieb er benn an ©ifyler (Dft. 1846): „3$ ftfjätje
bie ©inigfeit biet fyöfjer als bie 2luSfüI)rung meiner liebften ©ebanfen in biefer ©ac§e. @S
3B ift mein boUfter @rnft, bafj bie ©inigfeit auf ©runb — nicf)t aller 2Sorte Sutl>erS (benn
bie föircfye ift iljm nicb,t in allem unb jebem gefolgt) — aber auf ©runb ber Slonforbia
bon 1580 bie §aubtfacb,e fei. SDeSroegen entbinbe vfy aucb, alle meine greunbe, meiere
gegen bie neue ©bnobalberfaffung einige 33ebenfen tyaben, hiermit einer jeben magren ober
geglaubten ^erbinblic^feit. . ©ie fönnen meines SrmeffenS mit boller ©eelenrufye ber
40 ©bnobe beitreten, unb, märe id) brüben, id) mürbe aucb, beitreten"
Slber bie 2eb,rbifferenj jtoifcb,en 2Baltb^er unb Söfye beftanb fort. Unter bem getoal=
tigen ©inbrud bon 2BaItb,erS ^erfönlicb,feit unb feft gefcfyloffener £eb,rftellung mürben biele
ber Sollen ©enblinge aUmätjltc^ ifyrem geiftlid)en 3Sater entfrembet. Wiaxx füllte, eS
mu^te ettoaS gejcb,el)en, um mo irgenb möglich ju einem ©inberftänbniS ju lommen, maS
45 auf bem SSege brieflicher ^orrefbonbenj ficb, nicb,t erzielen lie|. ©o entfebjofe fid^) bie
5Dftffouri^nobe, ib,re b,erborragenbften Männer, 2öaltb,er unb Sßbnefen, als Delegaten nacb,
©eutfcb,lanb ju fenben, um „aßeS abjumenben, bafe feine Trennung gefcb,e^e", unb um
2öb;e, „ben alten treuften greunb ber lutb,erifcb,en Äircb,e 3RorbamerifaS, ben berebteften $ür=
bitter berfelben" mit ©otteS §ilfe mieber ju gewinnen unb jugleicb, mit ben begebenen
so lut^erifdjen Greifen ©eutfc^lanbS innigere Serbinbungen anplnübfen (1851). Söb^e mar
für bie ©enbung ber griebenSboten bon §erjen bantbar. ,,^n ber %^ai", fcb,reibt er
barüber, „ein (»eiliger unb ebler ©inn, ber lutb,erifcb,en 5^trct>e mert, ein 33emeiS, bafe ber
redete ©ott ju ßion ift. SBo man bei borfyanbenen ^Differenzen nid)t boneinanber fliegt,
fonbern jueinanber eilt, ficb, gegen ben ©atan, ber pfeift anfaßt unb ben angefaßten ^u
55 einem mächtigen brennenben geuer maßen miH, babureb, meb,rt, bafe man bie Srüberfycmbe
fefter ineinanber fdjlägt, — mo man ficb, nißt ©tröme, Söälber unb ^rärien, nid)t ben
D^ean b,inbern läfst in folßem %$m; ba ftoridjt gefuS ©egen unb griebe. @r ftiftet
^rieben im §erjen, el)e noeb, baS 5BerftänbniS unb (SrlenntniS einträchtig gemorben ift,
— unb hiermit ift faft baS SSefte fdmn gefcb,eb,en"
eo ^n ©eutfßlanb befudjten bie Delegaten aße b,erborragenben Geologen ber luße=
2SaItf)er, gerb. 847
rifcr)en Kird;e, tüte §ofmann, $£I;omafiu§, $öfling, ©djmib, ©uertfe, £>arle&, Kannte
unb ©eli^fd;. 2BaIt|er f>ielt ftd; befonberS in (Srlangen auf, tt>o er nocb, Material für
fein Sud; fammelte, baS er im Auftrag ,ber 9Jttffourifr;nobe gegen ©rabau unb bie
SSuffaloftjnobe berfafete: ©ie ©timme unferer Kird;e in ber grage bon &ird;e unb 2Imt,
beffen fiebenter Seitfaij bornefymlid; ba§ fyeilige ^prebigtamt befinierte, aU „bie bon ©ott 5
burd; bie ©emeinbe als Qnfyaberin be§ $rieftertum§ unb aller Kirctjengemalt über =
tragene ©emalt, bie Siedete beS geiftlid;en Sßriefiertumg in öffentlichem 2tmte bon ©e=
meinfdjaftgmegen auszuüben"
Qm Dl tober 1 851 traf Söaltfjer mit £öb)e zufammen unb e§ fanb ein SJleinung^
auslaufet) ftatt. Über feine berfönlicfyen dinbrücfe unb ba§ 9tefultat ber ftattgefyabten Se== 10
fbrect)ungen t)at ftd; 2Baltl;er fet)r eingeljenb au3gefbrod;en. %n feinem SlbfcbJebSbriefe an
Söfye fagt er: „$$ fann unb mufj 3#nen benennen, baf$ bie unfeligen Vorurteile, mit
roeld;en id; nod; $f;r §au§ betrat, bei mir gänglicr) gefd>munben finb, bajj id; ein berzlicfyeä
Vertrauen ju $I;rer lautern Streue gegen unfere geliebte lutf;erifd;e Kirdje unb bie Ieben=
bigfte Überzeugung Don ber ©inigfeit im ©eift mit tyinroeg neljme. 9ftein fyeifjefter Sunfd; 15
ift nun, bajj, mo e3 möglid; wäre, aud; nod; bie tr>enn aud; nidjt bebeutenben Differenzen
in ber ©ntmtdelung ber Seb^re, meiere etma nod; borfyanben finb, ftct) burd; ©otteS ©nabe
ausgleichen, unb, fo ba§ nia;t möglid; ift, biefelbigen bod; nie bie ©inigfeit im ©eifte .
ftören nod; einen 2lnlafj baju geben mögen, bafj baä gemeinfame treiben be§ 9Berfe§ be3
§errn trgenbmie gefyinbert werben fönne. . %<$) barf ©ie nidjt erft barum bitten, aUeS 20
Zu tlnm, ma§ £#nen 3#r ©eroiffen nur geftattet, bamit unfere berroaifte Kird;e in2lmerifa
fid; fort unb fort ber innigften ©emeinfdjaft gerabe mit $#nen ^or aller 2öelt rühmen
fönne" 2lud; im „Sutfyeraner" (1852 9k 20) fbrid;t 2öaltb> nod; fel>r fyoffnungSboH
bon bem ©rgebnii ber Serfjanblungen. @r giebt zu, bafe namentlich in ber £ef)re bon
ber Drbination fid; bis jetjt nod; unüberminblid;e ^Differenzen gegeigt. Slber, fagt er, „bie 25
borfyanbene Differenz fonnten unb burften mir beiberfeitS für lein ^inbernis anfeljen, bafj
mir uns nid;t tro| berfclben bie Sruberfyanb reiben unb nod; ferner gemeinfdjaftlid; baS
2ßerf beS £erm treiben füllten", ^m fbäteren Serlauf ber ©efd;id;te l>aben fid; biefe
frönen grieben^gebanfen unb Hoffnungen nid;t bertoirflid;t. ®ie tiefere unb eigentlich
!ird;entrennenbe ^Differenz lag rooI)l fd;on §ier, tbte fbäter bei ber bon 2öaltb^er ber= 30
tretenen Seb^re bon ber ©nabentoa^l barin, ba| ein geroiffer £el)rtrobu§, für ben fid;
ja freilid; feb^r getbid;tige ©timmen ber b^erborragenbften Se^rer, jumeift bon Sutfyer
felbft, beibringen liefen, jur fertig abgefd;loffenen ©^mbolleb^re erhoben mürbe, beren
SSertoerfung bann natürlid; fonfequentermeife gur 2luf^ebung ber ^ird;engemeinfd;aft führen
mufjte. 35
lim ben ©emeinben einen juberläffigen Sutb^ertejt ber 1^1. ©d;rift gu fid;ern, grünbete
2BaItl»er im $al;r 1853 bie 33ibelgefedfd;aft ber ©t. Souifer ©emeinbe, beren 33orfi|er
er big ju feinem £obe getoefen, unb bie im ^af>r 1887 ib^r roertbolleg ©igentum an bie
©rmobe übertrug. ©d;on im ^^re 1853 regte er bie §erau§gabe einer tb^eoIogifd;en
3Jlonat§fd;rift an, bie aber erft gtoei Qafyre fbäter unter feiner Siebaltion a!3 „Seigre unb 40
2öet)re" in§ Seben trat, tlm bie Vertreter ber berfd&iebenen Iutt)erifct)en 5lird;engemein=
ftt)aften in Slmerifa einanber näb^er ju bringen, regte Söaltb^er im 9Sortoort be§ Reiten
^ab,rgangg bon „Sebje unb Söeb^re" ben ©ebanlen freier Konferenzen an, bie bon 3eit
Zu 3eit gehalten merben foHten.. ©erabe um bie ^eit, ba ber güfyrer be§ „amerifanifd;en
SuttyertumS", Dr. ©. ©. ©djmucfer bon ©etti;sburg, in feiner „Definite Platform" bie 46
2lugöburgfd;e ^onfeffion einer „9*ecenfion" untertoarf, bie bie roid;tigften Iutf)erifd;en
Unterfd;eibung§lel>ren ausmerzen foHte, fanben unter 2Baltf>erS gü^rung mehrere freie 5bn=
ferenzen ftatt, in benen biefe§ SBefenntniS bon Slrtüel zu 2lttilel burd;befbrod;en rourbe,
fo zu Golumbug, D. (1856), Z" ptfcSburgl; (1857), zu ©lebelanb (1859), unb 311 gort
2öat;ne (1859), mo aber SBaltb^er burd; Kranf^ett am Seifein berfyinbert mürbe. Sei ben 50
hricpgen Koßoquien, bie im 8ab> 1866 mit ber Suffalofi;nobe unb im %afyv 1867 mit
ber ^otoafbnobe gehalten mürben, mar Sffialtfyer ber SSortfüb^rer ber 2fttffourier. ©a§
erftere enbete mit einem burcbjcblagenben ©ieg ber bon it;m bertretenen 2lnfd;auungen. ®a=
gegen lam e§ in ben Serb^ anbiungen mit ben ^omaem auf bem Kolloquium z« 5DiiImaufee
ZU feinem 23erftänbni<§. ©egenftanb ber Sefbrea)ung mar bor ädern bie Serbinblicfyfeit 55
ber ©t/mbole gegenüber ber fog. „Offenen fragen". 9Jlan einigte fitt; bafyin, ba§ äße in
ben ©bmbolen enthaltenen ©lauben§leb.ren, aber nid) t bie fog. Probleme fbmbolifd;=berbinb=
lid; feien. 2luf bem ©ebiet ber @€cb.atologie beftanb SBalt^er barauf, ba^ „ber ^abft ber
2lntid;rift ift", unb bafj, mer biefe fiebere nicb.t glaubt, nio)t aU £utf)eraner gelten fann.
©agegen legte ^oma «ßroteft ein. eo
848 SBaltljer, gerb. SSalton JBrton
3n ben Sauren 1868 unb 1869 leitete er bie Konferenzen mit ber Dfyio=, 2SiSconfin=
unb QUinoiSftmobe, bie zur Slnerfennung ber firdtficfyen ©emeinfcfyaft mit tiefen Körpern
führte. Qm %afyv 1872 burfte er bei ber erften 33erfammlung ber ©imobalfonferenz, _i"
ber fid) bie mit SKiffouri übereinftimmenben toeftlicfyen Sutfyeraner gufammengef4)lDfien'
6 bie ©rbffnungSprebigt galten unb tourbe jum erften Sßräfibenten btefeS größten allgemeinen
Körpers ber Iutlj)erifd)en Kirche in üftorbamerifa erraäbjt. 2lber fcfyon naä) wenigen Sa^ren
mürbe bie (Sinigfeit ber ©imobalfonferenz burd) ben ©treit über bie ©nabenWafyl geftört,
ba Söaltfyer ben „in früherer Qtit gebulbeten Reiten SefyrtropuS", ber in bem „Intuitu
Fidei" ber alten SDogmatifer repräsentiert ift, als femipelagianifd)e unb rationaliftifd)e
10 Qrrlebje berWarf. ®ie grojje 9Äef)rja^I ber Sftiffourifbnobe ift aud) in biefem Kampf
ifyrem alten güljrer unerfdjüiterlid) treu geblieben. 5Kur einzelne tüchtige 3Känner traten
au§. 2lber in ber ©tmobatfonferenz laut eS zum 33rud)e, nadjbem ein SSerfud) unter ben
gafultäten ber begebenen tfyeologifdjen ©eminare eine Einigung zu erzielen (SKilWauiee
1881) fefylgef plagen War. Sie ©imobe bonCfyio unb bie $RorWegifd)e ©rmobe berliefjen
15 bie ©Imobalfonferenz.
«Jieben feiner umfaffenben Sr/ätigfeit auf ber Kanzel, Wobei er feine ^rebigten immer
auf§ minutiöfefte aufarbeitete unb memorierte, als Sßaftor, Sebafteur, Seiter bon ®emeinbe=
berfammlungen, Konferenzen unb ©imoben, ^rofeffor am tr/eologifdjien ©eminar ift 2öaltb,er
aud) nod) als ©d)riftfteHer äujjerft fruchtbar getoefen, Wobei fein §auptbeftreben mar, bie
20 Don tt/m betretenen ©runbanfdjauungen in flarfter, licfytboHer Söeife ins praftifcfye Seben
ber Kirche unb it/rer ©emeinben einzuführen. 2Bir nennen unter feinen ^ßublifationen als
bie Wid) tigften : Sie ©timme unfrer Kirche in ber grage bon Kirche unb 2Imt. 1852 unb
fpäteren Stuflagen. Sie rechte ©eftalt einer bom ©taat unabhängigen eö ang elif c^ = tut^ e =
rifcfyen DrtSgemeinbe, 1863. amertfanifd)=2utr;erifcf)e ^aftoral^^eologie bom ^afyr 1872
25 (eine 3ufammenfteHung ber in „Sefyre unb2BeI)re" bon 1865 — 1871 erfdnenenen paftoraI=
tb,eoIogtfd)en 2luffä|e); eine neue Auflage bon SaierS Compendium Theologiae Posi-
tivae 1879 unb tue berfdnebenen ^rebigtfammlungen : 3lmertfanifd)=2utb/erifd)e 6bangelien=
«Poftiae, 1871. 2lmerifanifcb/=2ut^erif^e @ptftel=$of"ße, 1882. £utb/erifd;e Srofamen,
1876. Kafual^rebigten unb Sieben auS jeinem fcfyriftlidjen ÜKacbJafj gefammelt, 1889.
30 2lnfprad)en unb ©ebete, gefprod)en in ben 3Serfammlungen ber eb.=lutr). ©efamtgemeinbe
unb ifyreS 33orftanbeS, ©t. SouiS 1888.
«Ractj längerem ©ied)tum ift er am 7, 9Kai 1887 imgrieben entfcfytafen, als eben bie
allgemeine ©rmobe bon 9Jtiffouri in gort SBabne berfammelt War. 2luS allen Seilen ber
lutr/erifäen Kirche in ber neuen äi>elt unb in ber alten ift bei feinem Sobe baS £eugniS
35erllungen: ©in ©rofeer in ^Srael ift gefallen. „£>ie 9Riffourifbnobe mit ifyrer gewaltigen
Ausbreitung, tf>ver feftgefügten Drganifation, i£>rer raftlofen nrdjlicr/en Xlmtigfeit ift im
eminenten ©inne fein 2Serf, ber er ben ©tempel feine« ©eifteS in allen ^Beziehungen
aufgebrüdt b,at unb in ber tfw bie Serwirflidmng ber ©ebanlen feine« SebenS nod) mit
fernen eigenen 2lugen ju fefyen befa)ieben fear, ©ie felbft bjntoieberum, bie bon i^m ge=
40 grünbete ©t)nobe, fab, in tym if)re 2Rad}t gleicf)fam berförpert unb eS bürften nur wenige
gälte fidb, nad)toeifen laffen, in benen eine b^erborragenbe ^erfönlid)feit einen gleid; tief
gretfenben unb alles beljerrfcfyenben (Einfluß ausgeübt ^at" (Kirdjenblatt ber gotoa^nobe,
1. Sunt 1887). @r war in ber SLfwt eine @pod)e macfjenbe «ßerfönli^fett, bon beren
äStrlen für bte £uib,eraner aßer Söeltteite mächtige ^mpulfe ausgingen. „%% beuge mein
45 graues §aupt in ©emut bor if;m", fagte ber qßräfibertt ber allgemeinen Sutf>ertfd^en
Konferenz, Dr. Kliefotf) bon it)m, bei ber Serfammlung in Hamburg 1887. ®aS
fe^arafterbilb, baS Dr. ©ü)ler naa) feiner erften Begegnung mit 2Baltl>er (1846) bon tym
entmarf, totrb t)eute nod; in aCem 2öefentlid)cn aud^ bon feinen tfyeologifdjen ©egnern als
rta)ttg anerfannt «erben: „@in «Kann, ber fcurd) eine ^ei^e ©d^ule nad> innen unb aufeen
so gegangen, burd) anbäc^tigeS unb fleißiges gorfd)en in ber ty. ©d^rift, in ben ©djriften
2utb,erS unb ber folgenben eblen Se^rer unfrer Kirdie aus ben Sanben beS ©tepbaniSmuS
nad) aUen ©eiten boHlommen befreit, auf ben gefunben !ird)lid)en ©tanbpunft gelangt
nttt borzügltd^er ©a)ärfe beS SerftanbeS unb praltifc^em SKd, Jotote mit ber &aht ber
Rettung ber ©emeinbe trefflid) begabt, burdjauS lauter, aufrichtig unb einfältig in feiner
55 gefamten ^erjenSgefinnung, felbftberleugnenb unb aufopfernb, roo eS bie @b,re be§ §errn
unb baS §eil ber Kird)e gilt, feft unb flar im Selenntniffe unb beffen praftifdjen Konfe=
quenjen, Jüb,n unb fdjarf toiber mutwillige gälfd) er ber Söa^rb, eit, gebulbig unb langmütig
toiber UnWiffenbe unb ^rrenbe" Slbotyl) <Bpätif.
Baiton «Btiott f. b. 21. ^oltyglottenbibeln 33b XV ©. 532, si.
2öamtt)o§ 849
38amttm8,9?eopf>r;toS (Bd/ußag), neugriecbjfcfyer SEfyeolog, geft. 1855. — Sitteratur:
3. SSenger, SSeiträge jur Kenntnis beö gegenwärtigen ©etfte§ unb 3»ftcin')e§ i)er grtedufdjen
Äirdje in ©riedjenlanb unb ber Surfet), 93erlm 1839; 2t. $. 2öreto§ (Bqetöq) Nsoellrjvixrj
<l>äoloyia /isgog B', ?Üf)ett 1857, <&. 242; ®onftantitto§ Defonomo§, rä am'QofXEva EK-.drjaia-
ouxä ovyyQafxaaxa t6/^oq B', SU^en 1864, <5. 48—50, 300—307, 383—388; ©eorgio§ @uria§, 5
Sftebe auf 3B. in ber navScbqa rö/xog IT. ®. 9?. ©atfja§, NsosUrjvixt) $doXoyla, Sitten
1868, @. 728—730; fü. Nicolai, ©efd)td)te ber neugrietf)ifd)en Sitteratur, Seidig 1876, @. 128;
91. SiomebeS ®t)riafo§, ©efcf)td)te ber ortentaltfcfjett firmen üon 1453—1898, üöerfe^t «ort
®. Staufd), Seidig 1902. 9lrtifel über neugried)iftf)e a3ibelü6erfe|ungert Sßb III @. 118;
0efonomo§ 93b XIV, @. 299; $£)armaftbe§ SBb XV, @. 293. 10
©ein Seben f?at einen einfachen ©ang gehabt, ©eboren in ©^toä erhielt SB. bort
auä) feinen erften Unterricht. 2Sie fo üiele tüchtige ©rieben roirb er junäc^ft 3Jlönd^,
wafyrfcfyeinlia) in tyatmo§, teerte bann nac^ @b>S jurücf, roo er nun bei 2ltl)anafioS
^arioS, ber in^tüifd^en ©ireftor beS bortigen ©fymnafiumS geroorben mar (33b II, ©. 205),
fyöfyere Silbung empfing. 3Jiit bieten §öl>erftrebenben geljt er nadj $artS. £>ort gewann 15
ßoraiS beftimmenben ©influß auf ib,n. ©eine ©tubien maren namentlich auf $l)itofopIjte
unb 9Raturtoiffenfdjaften gerietet. Stuf ©mpfebjung bei ßoratS erhielt er 1813 bie 2ln=
ftellung an bem ©fymnafium ju SfyioS, toa^rf^einUa) als Stacfyfolger beS 3ltlj>. SßarioS, ber
1813 geftorben mar. 21IS ber $reü)eitSfampf auSbraa), ftelltc aui| 20. ftdj in ben SDienft
bei SBaterlanbeS. ÜRamentltdj tl)ot er SDienft als ©efretär beS gürften SemetriuS $pfU 20
lantiS. SDod) roanbte er fic&, fa)on 1828 feinem Se^rberuf roieber ju. @r ift bann in
torfu an ber iomfdjien 3tfabemie unb 1833 in ©tyra geroefen, bis er 1837 an ber neu=
gegrünbeten Unioerfttät in 2Itb,en als ^rofeffor SlnfteHung fanb. ®iefe b,at er big ju
feinem ^obe innegehabt.
20. gehört mit DefonomoS unb $l)armafibeS in bie Steige ber SRänner, bie nacb, 33e= 25
enbigung ber greifyettStämpfe an bem inneren 2tufbau bon §effa§ gearbeitet fyaben, baljer
aucfy in bie lebhaften kämpfe ber Qa^re 1830—1860 toertoicfelt finb; $I)armaftbeS unb
SS. bie Vertreter eine? mefyr ober minber gemäßigten SiberaltSmuS in ©taat unb $irdj>e,
DefonomoS als ber Vertreter ber ^epriftination, politifd) gugleicfe, geftüijt burcb, ben ftarfen
©nfluß StußlanbS. Ob 20. am @nbe feines £eben§ ftö§ auc^ für 9iußlanb gewinnen 30
ließ, wie 33reto§ anbeutet, möge bafyingefteKt bleiben. 9Jlan t>at bei griec^ifc^en ©C9rift=
fteÖern befonberS mit ^artei^olitiftt^er Befangenheit gu rennen.
3m 3lbenblanb ift ber SQame be§ 255. baburc^ belannter geworben, baß er in bie
kämpfe ber britifdjen SibelgefeUfcftaft um ib,re ©Eiftenj in ©riea)enlanb öertoiöcelt mar.
@§ ift be!annt, baß biefe ©efeüfd^aft im 2. ga^rje^nt be§ abgelaufenen ^a^r^unbertS 35
fio?) bafür entfa)ieb, ba§ %% of)ne bie Sfyofrttyfyen ju bruclen, eine ©ntfdjeibung, bie nic^t
nur in ber ort$obor.en ^irtt^e, fonbern aucb, in lut|erifc^en ©ebieten ber Verbreitung ber
Sibeln jener ©efeEfc^aft biel gefdjabet ^at. %üx ba§ ©ebiet ber griecfyifcb, rebenben Drt£>o=
bogen foEte ba§ 21^ au§ bem Urtext überfe^t tnerben unb jmar in bie griecfyifcfye S5olfe=
frrac^e. 2ln biefer Arbeit nun mar SB. beteiligt unb gtoar als ©räjift. ®er engliföge 40
$reSbi^ter £eebe§ Vermittelte bie Übertragung aus bem §ebräifcfyen. 3Bäb,renb bie 2lrbeit
bis 1833 nocf) außerhalb §ellaS, nämlid) in bem bamalS englifc^en ßorfu, roo ja 9S.
angefteUt mar, il>ren 93Ia^ blatte, trat fie, als 20. naa) ©r;ra überfiebelte, in baS ©ebiet ber
I)euenifc9en ®irä> ein. Sn ^^ S«^ l833 fäIIt auc^ bie Unabr/ängtgteitSerJlärung ber
bieHenifttjen ^irc^ie. 2)er § 11 iljreS ©tatutS oer^flic^tet bie ©rmobe jum 9Bacb.en über 45
bie reine 2el)re unb jum ^am^f gegen ben $rofelt)tiSmuS. @s b,ätte an baS 2öunber=
bare gegrenzt, menn unter biefen Umftänben ficb, nia)t balb ein ©türm erhoben Ijätte
gegen baS ©rfc^einen einer Überfe^ung beS 21^, bie bie Slutorität ber Janonifd^en ©e^itua=
ginta untergrub unb burcb, baS geilen ber 2fyofr$>b,en ficb, als unooaftänbig barfteEte. 3lußerbem
lönnen bie ©rieben in ber %fyat mit 3le^t fagen, baß Sibelüberfe|ungen ins 33olISgried)ifd9 50
für fie ein ©efa)en! fcon jmeifel^aften Söerte finb. ©ie rooCen baS SBoH ^um 3Serftänb=
niS ber ©eptuaginta unb beS %l% im Urtejt ergießen, mie benn bie ganje ÄuItuSfpradjte
bie Sibel nur in biefer gorm citiert. £>ie Sibelüberfe^ungen im Vulgaren ©riecbjfcb, gießen
bie eble ©^racpe ber Sibel in ein 9Jibeau, baS teineSroegS für ben SluSbrudc beS religiöfen
unb fittlicben SebenS günftige 2luSftcb, im bietet. @nblio) mittern bie ©rieben f>inter aEen ber= 55
artigen ©aben ber Slbenblänber ^rofelvtenmac^erei. ©ie täufdjen barin ficb. nicbt immer.
©0 begreift eS ficb,, baß fcfyon balb ber auSbredjenbe 5?am^f gegen bie 1834 erfdjeinenbe
neue 33ibelüberfe|ung, bie übrigens fefyr lesbar ift, fd^arfe formen annahm. SDie erfte
abfäßige Ärttif erfcb,ien in Soter. 3B. rechtfertigte bie 2trbeit in ber Athena (Dd. a. a. D.
© 300). ®ie Drtb, obo^en grünbeten fofort ein eigenes Slatt für SSeiterfüfyrung beS 60
^am^feS gegen f amtlichen abenblänbifcfyen (Einfluß auf lircb, liefern ©ebiet, bie be!annte
»eoI=®ttc9Ho»)äbie für S&eotoBte unb mtä>t. 8. 81. xx. -^
850 SBamtoaS
EvayyeXixr) odXmyg~, rebigiert bon bem Söibncfje ©ermanog, bem ©troljmann be§ £)w°s
momog. 3#re SRebeWeife erinnert b,äuftg an bie ber £engftenbergtfd)en ^ird^enäettung.
3tuf tyren ßambfegruf #n Wanbte ficb. Bereite im ©ebtember 1834 bie ©tmobe an we
fjeHenifcfje ©taatgregierung jur §ütberung ber SKifjftänbe (Defon. a. a. D. 301-—30&;.
5 ©in litterarif^er ©tteit gh>tfc^en bem Sßfeubonr/tnog ^ofebb, Sftifobemu unb bem @nalaiü>«
Seet>e§ (SBenger a. a. D. ©. 154—232) fbielte bie ©ad&e fd&on ing «ßerfönlt4>e übet : ut»
30g aller Saugen auf ben gtoift. 3Rit SRed&t »erbot nun bie Regierung bie neuen Über*
jungen für ben ©ebraucfy in ©cb,ule unb ßircfje (2tbril 1835). ©0 War bte ©ebtua*
ginta aucb, Wieber an ifyren Sßla| gefegt. £>ocb, bag genügte ber ortljoborm gartet ma)t.
10 Son Slnfang an tyatte fie ifyren «ambf gegen bie gefamte broteftanttfcfye Qnoafion gertcpw.
©em giebt fd&r getieften Slugbrucf ber Slnonbmug Z. JJ. P. in feinem offener t -W«
an II. K. M. über bag £f>ema Tig 6 vnoxEXQv^hog oxonog xcöv eig xrjv ,^a ,??
IsganooroXcov xrjg ßißXixfjg haigiag xxX- aug S£arig batiert bom 3a$re 183J ^ÜV®
teiltoeife bei SBenger ©. 252—265). §ier Wirb SB. als §aubtüberfe£er ber ©nglanDer
15 benunjiert, ib^m foWofyl Wie ben SBibelgefeHfdjiaften @igennu£ oorgeWorfen ba^u Wtro ote
©ebtuaginta in ©d)u§ genommen gegen eine Überfe^ung, bie felbft bor Unätemucbfetten
nid&t zurücffdjeue (3fafd?ar Wirb ©en 49, 14 alg övog dwarög be^net, ^ajrenb toe
©ebtuaginta xb xaXbv biedvfirjaev überfe|t). ©egen biefen bogfyaften Slngrtff liefe ms.
feine f leine, trefflich t>erf afjte ©trettfcfyrift ergeben : ^vvxojusg ändvxrjöig ngbg xov yno-
20 xqvtixo/xevov VTib xov Z. II. P. naxsQa xrjg ngb öXiyov diado&eiorjg ävaiaxvvtov
smoxoXfjg tzeqi xov x'ig 6 vjioxQivöjusvog xxX, Sitten 1836 (in meinem Seftfc, beutfety
bei SBenger ©. 266-278). grei unb offen befennt ficb. SB. afö Mitarbeiter an ber
Überfe^ung, bertetbigt bann bag Unterneb, mett aug religiöfen unb Wiffenfa)aftltd)en ©runben
unb Weift energifdj auf bie furchtbaren ÜJcifeftänbe in ber ortt)oborm ßircfye, namentlich,
25 auf bie Unbilbüng beg Äleruä b>. infolge beffen blatte er fid? cor ber ©r,nobe : ju red^t=
fertigen für feine angeblichen Angriffe gegen bie ©eptuaginta. ©eine ©c^rift Zvvxo/xog
xxX wie aua) eine Dom %at)xe 1839: liegt xrjg veoeXXr/vixrjg exxXrjoiag Würben bon
ber ©^nobe gemipiUtgt. ©oeb, gelang eg biefer nieb^t, bie ©taatäregierung gegen 5B.
jum @info;reiten ju »eranlaffen. 2öie feb^on oben bemerlt, blatte i^n biefe bielmebj 1837
30 an ber Unioerfität al§ ^ßrofeffor angefteßt. §atte ber ganje ©treit für bie 33ibeIgefeE=
feb^aft fomit feinen günftigen 2lu§gang gehabt, fo b,at er boa) ba§ ©ute bewirft, ba^ ein
regeres ©tubium ber ©cf;rift burd; ib,n angeregt ift.
2Tud? auf anberm ©ebiete ber Geologie fyat SB. (StnWirfung gehabt. SÄbgefe^en
bort feiner ©cfyrift um bie Qnfbtratton ber t)eiligen ©Triften (mir unzugänglich) feb^rieb
35 er ein iv%eiQiöiov xrjg xov Isqov ä/ußcovog Qr\xoQixr)g 1851. 2lm befannteften aber
finb feilte 2xoi%£Ta rj&ixfjg avvxayßhxa vtieq ryg (piXojua-dovg veoXalag, juerft er=
fct)ienen 1818, 4. Auflage,. 2ltt)en 1860 (in meinem 93efi|). 2)a3 SBerf ift in meb,rfacf;er
Sejie^ung intereffant. @§ enthält eine DWigiongbfyilofoj^te unb (St^if im ©inne ber
2lufflärung. (&$ enthält aueb, flammenben SPatriotiömuö, ber fict) hinter bem @t^ifct}en
40 berbirgt. Wlan fann Wob,! annehmen, ba§ bie oxo%Eia ben £>eüenen in trübfter Qt\t auty
mit ben nötigen fittlicb,en Stücf^alt gegeben t)aben. 9?acf; ben Sßrolegomenen WiH bie ©tb, if
Iet)ren, näg vä xvßegvä (si. 6 äv&Qamog) xä 7iävx)j avrov xal vu xavovlCf] xäg
ngd^Eig xov, did vd bidyr] xiuieog xal evdai/iurog rrjv nagovoav ^corjv, xal va
EXfj iXmdag äya&dg jisqI xfjg fieXXovai]g (©. 5).„ 2Ilg befonbere @tf)ifer alter unb
45 neuer #eit erftt)einen ib,m ^oroafter, üonfuciuö, 2lfob, ©ofrateS, Spiaton, 2lriftoteIe§,
SEljeob^raft, ßteero, ©eneca, SplintuS ber jüngere, ©giftet, Spiutard?, Ware 2turel. SBon
ben neueren erwähnt er S]3a3cal unb 5Ralebrand)e. 'Sie ©toifer ftet)en it)m am näcb,ften
@r fennt jtoei Xeile ber @tt)if, einen allgemeinen unb einen fbejiellen. 3n leichter gorm
ftellt SB. bei jebem Sßroblem bie entfcfyeibenbe grage, feine ©rörterungen finb burc^Weg
50 mufterb^aft flar gefd)rieben. SBiele SSeifbiele auö ber $rap^ erläutern ba<§ ©efagte. Sei
ben etbjfcfyen ^ßrinjibien nennt er juerft ©Ott, ber r) jiQcbxrj xal dvEtjdQzrjxog drjjuovg-
yixr] aixla ndvzcov xcöv ovxojv, 7iavdya§og, Tiavdyuog, XQixrjg, ddsxaoioog xä>v
Xoyix&v avxov xxia/udxoov genannt Wirb (©. 27). 2tl§ jWeiteö SPrinjib erfeb^eint bag
©ewifjen be3 3)ienfcb,en. 2luf ©runb be§ ©etoiffemS, ba§ ft^ an bem SBillen ©otteg orien=
55 tiert, mufe ber ÖQ&bg Xoyog bie §anblungen be§ SKenfcb^en beftimmen. 5Der fbe^ieHe
^£eil enthält eine SPflicb^tenlelire, ber am @nbe bie Sifte ber Verfehlungen gegen bie $flic|ten,
eine Slrt ©ünbenlel)re entgegengeftellt Wirb. SB. teilt bie Späten ein tn folc&e gegen
©ott, gegen fid) felbft unb gegen bie Menden (©. 83). Sie Sßflicb,ten gegen ©ott Werben
mit ben SeWeifen für ba§ SDafein ©otteg eingeleitet. £u ben «PfR^ten gegen ©ott, bie
60 in äufcere Wie innere verfallen, gehört aufy bie SßaterlanbSliebe, bei beren ©arftellung ber
SBamtoaS StcouiuS 851
gange ©tolg beS ©tiefen ficb, geigt (85). Sei ben «ßffid&ten gegen fic^ felbft beginnt
2B. mit ben 33eWeifen für bie llnfterblicfyfeit ber ©eele. Sie Sefyre bon ben «Pflichten
gegen bie 3flenfcf;en nimmt t^ren 2lu§gang bon ber Se&re über bie menfcbjtcfje ©emein=
fäaft. §ter tote überall biel airiftoteltfc^eS. SDann Werben bie ^fltcbten ber einzelnen
©tänbe burd)gegangen. SDen 9tetd)en Wirb namentlich aucr, ibje aSer^fltrfjtung gur £ilfe 5
in ben 9cöten beS SkterlanbcS borgeljalten. ©ie £eb,re bon ben ©ünben fd)liefet mit ber
avehuoia, ber £offnunggIoftgfett ober 23ergWeifIung, aucb, bier nid)t ofme Slnfbieluug
auf bte boltttfäen 3uftänbe beS SanbeS. $tefe groben ergeben, bafe 2B. unter ben
entfern beS neuen ©ried)enlanb§ jebenfaUS feinen %la% beraubtet.
©ie ©Triften be<§ SB. auf anberen ©ebieten finb bei <5atya$ bergeicbnet. io
$(). 2Het)er.
$tconttt§ ober 2r/contuS, blühte um 370—390. — g. e. SBurfitt, The Book of
Kules of Tyconius, ßambribge 1894 (•= Tests and Studies, edited bv J. Armitage Robinson,
vol. III, Nr. 1); bunt) biefe fritifä)e Ausgabe tft ber Abbrucl MSL 18, <Bp. 15—66 weit
überholt.— gerbhtanb ^ibbecf, ®onatu§ u. AuguftimtS, gfberfetb 1858, ©.198—206; «Martin ^
©cfjang (in ^loan oon TOüIIerS £anbbuc£) ber Haff. AttertumSttnffenfcbaft 93b VIII), ©eftf). b.
röm. üitteratur, m'erter Seil, sjKüncfjen 1904, ©. 350—353; $. ^aufeleiter, SDie Kommentare
beS S3ictorinuS, SiconiuS unb £teronl)muS gur Abofalöbfe, eine Ittterargefct)tc£)tltcrje Unter=
fudiung, 3fSSS VII, 1886, @. 239—257; berf., Sie latetnifcbe ApoMötofe ber alten afrtfa=
nifdjen Ktrdie, in %$. 3atmS gorfdmngen gur ©efd). beS neuteft. K anonS unb ber altfird)!. 20
Sttteratur, IV Seil, 1891, ©.1—224.— ®en einge^enbften SSerfuct), bie tßeologifdje @efamt=
anfdjauung beS StcontuS unb feine Seljre oon ber Kirdje ju jetctjnen, Ijat Sraugott §aljn in
ber Schrift unternommen: £t)comuS=©tubien, ein Settrag jur Kird)en= unb ®ogmengefd)icfi,te
beS 4. gatjrtjunbertS, Seipgtg 1900 (in ben oon 9f. SSonmetfcb, u. 0?. ©eeberg herausgegebenen
©tubien jur ©efd)id)te ber Stbeologte u. ber Ktrdje, 6. 33b, 2. §eft). Set bem nocb, unfertigen 25
©tanb ber Dtefonftruftion beS AporalnpfetommentarS tft bte anregenbe Arbeit in ben ®etail*
auSfütjrungen bod) nod) »erfrüljt. |>atm fonnte SB. S3ouffet§ unveröffentlichte Iritifcfie llnter=
fud}ungen über ben £tconiuS=Kommentar oertoerten; ogt. 33ouffet3 Ausführungen gur ©e=
fdjtdjte ber Auslegung ber Apofalttpfe in feinem Kommentar g. Offenbarung S"^anni§ (= §.
Aug. mit). SKenerS frttifaVejeget. Kommentar über ba§ 9c£, 16. Abt., 6. Aufl.), ©ötttngen 30
1906, @. 56—60, bagu «ftacfjtrag ©. 461 (Ser Kommentar be§ SicontuS) unb @. 65—72
(®ie 9?ad)foIger be§ SiconiuS). — ©S bleibt eine loljnenbe Aufgabe, ben ©puren beS ßin=
ftuffeS nad)äuget)en, ben StcontuS auf AuguftinuS geübt f)at. „Sollte nictjt im (Sinflufe be§
SiconiuS ber ©d)lüffel ju fo manchem Eigentümlichen im Ktrcb,enbegriff AuguftinS liegen?"
($abn @. 116.) 35
S£tcomu§, ein afrifantfdt)er Sonatift (bgl. 33b IV ©. 795, i 7— 48), tft in btefem2lr=
tilel al§ tfyeologtfcfyer ©cfjrtftfteUer gu mürbtgen. Sie ©djhnertgtetten beginnen fc^on bei
ber Schreibung beg S'cameng. @g finb fyanbfdjrtftltd) (bgl. 33urfitt ©. 103) bie formen
Xicontuö, ^iconiug, ^coniui, S^coniuS, Sic^Dniu§, ^c^oniui überliefert; aße mit
SCuonafyme ber erften geigen eine unberechtigte 2lnnä^erung an irgenb ein griccfjifcrjeg 3Sort. 40
Überbieg ift SLtconiuS bie eingige Schreibung, bte ficb, ^anbfc^rtftlic^ fotool^l in ber Über=
lieferung beg Liber regularum alg bei 2luguftinu§ unb ^rimafiug finbet. 3n bie Steige
ber firdjlicfyen ©cb,riftfteEer tft er nid)t bon §terbn^mu§, in beffen ©cfyrtft de uiris illu-
stribus er fefy It, fonbern bon bem gortfetjer be§ ^atalog§, ©ennabiu§ bon 9J?affiIia (um
492), eingefügt toorben. ©rtüirbbort im 18. ^abitel gtbifc^en 3f{ufinu§ (geft. 410) unb ©ul= 45
bictuö ©eberu§ (geft. nafy 420) befyanbelt. ©ennabiu§ fagt bon ib,m (bgl. bie 2Iu§gabe
bon 6arI2«brec^t33ernouai, gretburg i. 93. 1895, ©. 68 u. 69 unb §abn a. a.D. ©. 116):
,,^iconiu§, bon ©eburt ein 3lfrifaner, mar too^I betr-anbert in ber ^.©cb.rift, in ber ©efcfyidb, te
genügenb unterrichtet, tbie übertäubt nid^t o^»ne $unbe ber toeltlic^en Söiffenfd) aften ; babet
war er in Iird^Iidt)en Angelegenheiten boller @tfer. @r frfjrieb 33üd)er de bello intestino unb 50
expositiones diuersarum causarum, in benen er gur 33erteibtgung ber ©einigen alter
©rmoben gebenlt. 2lu§ atte bem get)t ^»erbor, bafe er Sonattft getoefen ift. @r berfafjte
auc^) fieben in einem 93ucb,e gufammengefa^te Regeln (ber überlieferte 2er.t giebt irr*
tümltd) bie 3ab,l octo an) gur @rforfcb,ung unb Sluffinbung beg ©inne§ ber ©Triften.
@r bat audb, bie Offenbarung be§ SobianneS boaftänbig ausgelegt, mobei er nichts in ibr 55
fleifcpcf/, fonbern alles geiftlicb, beutete. ©0 b,at er in biefer SluSlegung bebaubtet, ba^
ber Seib ©tanbort ber ©ngel fei (angelicam stationem corpus dixit esse), ©ie Sin*
nabme eines fünftigen taufenbjälirigen 5Reicb.eS ber ©erecf)ten auf ber @rbe nad) berSluf*
ermectung b, at er befeitigt (suspicionem tulit = sustulit) ; eS fönne, geigt er, übertäubt
ntcbt bon einer bereiten fleifcb,licb. en Slufertoecfung, erft ber ©erecfyten, bann ber Un= 60
gerechten gerebet Werben, fonbern eS gebe nur eine einmalige Slufertoedung aller, bei ber
852 StcomuS
aucb. bie Stfifjgeburten unb ÜJlt^geftatteten Wieber erflehen Serben, bamit nicbt§ bom
menfcpd£)en ©efcbiecbi, aucb. Wenn e<§ mifjgeftaltet War, gu ©runbe gebe, nac^bem e§
einmal in feinem Söefen befeelt War (animatum in substantia). @r finbet alfo ben tinter5
fcbjeb ber gWei 2(uferWecfungen barin, bafj bie erfte, bon ber bie 2tbofaft)bfe aU bon ber
5 SluferWecfung ber ©erecftfen rebet, je£t im 2öad}§tum ber $irct)e bor fiel» gebe, tot> bie
burcfy ben ©lauben ©erecfjtfertigten bon ber SobeSgeftalt i^rer ©ünben burcf; bie Saufe
gumSDienfte be§ ewigen SebenS erWeclt Werben; unter ber gWeiten 2luferWecfung aber t»cr=
fteljt er gang allgemein bie 2Iufertoecfung aHe§ menfcbjidjen gleifcbeg. tiefer 9Kann bat
gleia)geitig mit StufinuS geblüht unter ber Regierung be§ Sbeobofiug unb feiner ©öbne."
io2tl3 ©renge feines SebenS erfcfietnt bamit etwa baS ^af)x 410; bie litterarifcbe SBetbätU
gung fc^eint in bie 3eit bon 370 big 390 berlegt Werben gu muffen (bgl. §aljm a. a. D.
©. 5 unb 6). 33on ben fbäteren ^ortfe^ern be§ ©ennabiuS l?at §onoriu§ bon 2Iutun
(de scriptoribus ecclesiasticis lib. II cap. 18) nur einen 2lusgug auS ©ennabiui
geliefert; ^o^ann Sritb,emiu3 aber (1462 bis 1516) giebt ein erweitertes 23ergeict)mS
15 ber ©Triften beS SiconiuS, inbem er bon bem Söerf de bello intestino brei Sudler
aufgäbt unb epistolas plures ad diuersos et alia multa gu nennen Weifs (de scrip-
toribus ecclesiasticis cap. 92, bgl. in ber Bibliotheca ecclesiastica beS $o. 2llb.
$abriciuS, Hamburg 1718, 2. Seil ©. 81 unb 3. Seil ©. 27).
33on ben ©Triften beS SiconiuS ftebert bie mebrfacfj I)artbfc^rtftltd^ überlieferten
20 fte&en f?ermeneutifcr;en Regeln im beÜftert Sicfyt; fie finb überbieS bon 2luguftin am
©cbjufj beS britteS 33ucljeS de doctrina cbristiana (III, 30—37, »gl. MSL 34,
©b. 81—90) auäfübrlicb mitgeteilt unb einer fritifcfyen Sefbrectmng untergogen Worben.
©aS 2lnfeb,en 2luguftinS fieberte ben Regeln eine langanbauernbe SiacfyWirfung (bgl. bie
Angaben SurftttS p. XVIII— XXIV); nocb, Seba na&m fie in ben 2SibmungSbrief auf,
25 ben er feiner explanatio apocalypsis boranfteßte (opera ed. Giles, vol. XII, p. 338,
Londini 1844 ober MSL 93, ©b. 130—132). £>ie erfte Siegel (de domino et
corpore eius) fefct auSeinanber, Wie man, Wenn §aubt unb Seib ober 6briftu§ unb
bie ßircfye unter einer ^ßerfon borgefteßt Werben, mit ©eWij$eit beftimmen fönne,
Was bon bem einen ober bon ber anbern gefagt fei. ©o ift g. 53. £)a 2, 35 unter bem
30 ©tein, ber baS SBitb ber SSeltreictje gerfctjlug, gbjtftuS, unter bem 23erg, gu bem er Würbe,
unb ber bie gange @rbe ausfüllte, bie ©emeinbe gu berftefyen. „SDenn eS ift nicfit fo, Wie
etliche beraubten gur ©cf>macb, beS SietcfyeS ©otieS unb beS unüberWinblicfyen (SrbeS Cbjifti
(Was üb, nicfjt objte ©cfymerg fage), bafj ber §err bie gange 2Mt nur burcb, feine Wlafyt
unb nid)t burd^ bie güHe feines £eibe§ in 33efi^ genommen fyahe" Tiefer uniberfali=
35 ftifd^e ©ebanle Wenbet fidj gegen ben engen ^ircfyenbegriff beS bulgären S)onati§mug. ®ie
g Weite Siegel banbelt de domini corpore bipertito, b. b,. bon bem gWeifacb, geteilten
Seibe be§ §errn, ber aug einer redeten unb linfen ©eite beftef)t. SSenn cS im §£ 1, 5
bon ber ©emeinbe beifet: $$ bin fc^Warg unb lieblid? (fusca sum et decora), fo gelten
beibe ^ßräbilate nicfyt bon ber gefamten ©emeinbe, fonbern ba§ erfte bon ib^rcr linfen, baS
40 gWeite bon ibrer redeten ©eite. 2lber and) bie Itnfe ©eite gebort jum Seib ; non possu-
mus dicere tabernaculum Cedar praeter ecclesiam esse, fieberen ©ebanlen be=
ftritt SluguftinuS; ba3 gehöre nid^t gum Seib beS §errn, toaä nid^t in @Wig!eit mit ib,m
fem Werbe. SiconiuS f ätte alfo fdb,reiben foüen : de domini corpore vero atque per-
mixto ober simulato, ober aud) de permixta ecclesia. £te britte Siegel (de pro-
45 missis et lege) befestigt fieb, mit ber Söfung eines bibIifcb,4b,eologifd)en Problems. 3lk
\)at jemanb au§ Werfen beS ©efe^eö gerechtfertigt Werben fönnen. SlnbererfeitS b^at e<3 nie
an folgen gefegt, bie ba§ ©efe^ erfüßten unb gerechtfertigt Würben. SBie bereinigen fidb
bte betben ©cb,riftauSfagen? „©olange femanb im gleifc^ ift b. b- ben ©eift ©otteS
ntctjt bat, berrfcfyt über ibn ba§©efe|; Wenn er fid? aber ber©nabe übergeben bat, ftirbt
60 er bem ©efe£, unb ber ©eift erfüüt in ib,m ba§ ©efe|, inbem ba§ gleifcb tot ift, baS
bent ©efe^ ©otte§ nicb,t untertb,an fein lann" (Surlitt ©. 17, 6—10). 2tuguftin berWeift
auf bie Seb,anblung be§ Problems in feinem Sucfe. de spiritu et littera; er fcbjäqt
baneben ben Xitel bor de gratia et mandato. @r lobt bie atuäfü^rung be§ Stconius
b,alt fie aber rttebt für bollftänbig, ba fie bor ber 3eit ber bureb. bie belagiamfdje §ärefte
55 gefd^ärften 2lufmer!fam!eit auf bie ©nabe ©otteS gefcb.rieben fei ; man bürfe, Wenbet er
ein, nidjt fagen, baf$ bie SSerfe Selo^nung be§ ©laubenS feien, unb feinen gtoeifel
barüber laffen, bafe ber ©laube ©efd)enf ©otte§ fei (bgl.@bb, 6, 23). SDie bierte Siegel
(de specie et genere) bebanbelt bie ©ct;rtftaugfagen, in benen ein oft Wenig merflieber
Uebergang bon ber Slrt gur ©attung ober umgelegt ftattfinbet. Siamentlicb bie Sßei§=
60 fagungen ber altteftamentlidjen ^ßrobl)eten baben, Wie Siconiug geigt, balb einen engeren
£tcouui8 853
balb einen Weiteren §origont, ber bie ©efcbJciOte ber Kirdjie umfbannt, unb e§ gilt bei
ben einzelnen Söorten genau auf ben SSecfyfel beS ©efi$t§!reifeS gu achten, ©te 2öeiS*
fagung @g 37, 11— 14 erfüllt für; je$t fcfyon, inbem Wir burcb. bie Saufe auferftefyen,
unb nicfyt erft Bei ber legten Sluferftejmng beS gleifdfjeS. Stuf beibe Stuferftefmngen
gielt ba§ äöort beS §errn 3° 5, 24— 29; bon ber erften, geiftlicfyen ift bie Siebe, 5
Wenn eS f/eifjt: Mortui qui audierint uiuent, bon ber gWeiten mit ben Söorten:
Omnes qui in monumentis sunt exient. ©ie fünfte Siegel (de tempori-
bus) Will geigen, tote man teils burcf; Seacfytung beS SrobuS ©imefbocb> teils burcr;
Serücfficfytigung ber formelhaften $at)Un (legitimi numeri) baS mfyfttfcfye SJlafj ber
geit tn ber ©äjrift finben fann. ®te ©teile 9JU 12, 40 fe|t bie geü gWifcben 10
Sob unb SCuferfte^ung 3efu auf bxzi Sage unb brei 3^äcr)te feft. Sei biefer 33e=
recfynung tritt ber Seil für baS ©ange ein, Wie fonft audf) baS ©ange für ben 'Seil,
©ie ©tunbe, in ber ber §err begraben mürbe, fteijt für ben gangen Sag mitfamt ber
borauSgef/enben Stacht, unb ebenfo bie ©tunbe ber SlacbJ, in ber er auferftanb, für bie
gange Slacfyt mit ©infcbluf? beS folgenben SageS. ©agwifcfyen liegt ein Dotier Sag, unb 15
fo fommen brei Sage unb %lää)U berauS. $u oen legitimi numeri gehören bie
ftablm 7, 10 unb 12, bie unb beren Duabrate ober germfacfye entWeber bie Vollenbung
ober baS ©ange com Seile au§ ober bie einfädle ©umme begeicrmen. 3jn 2Ibf 9, 15 ftefyt
©tunbe, Sag unb SJlonat je im ©inne bon %afjx (= 31/« %ai)ve). dagegen 2tbr 11, 3
bebeutet ein Sag 100 Sage unb ein SJlonat 100 SJlonate; e§ fyanbelt ftcr) bei ben 20
1260 Sagen ober 42 SJlonaten um einen geitraum bon 350 Sauren. ©ie fecf)fte Siegel
fyanbelt bon ber SBieberfyolung (de recapitulatione). gn mannigfacher Söeife, fo fü^rt
er auS, Wirb ber Sfnfc^ein erWecft, als fyanble e§ fta) um eine gortfe§ung ber ©rgäfylung,
Wäfyrenb bie ©rgafylung auf früher Übergangenes gurücHommt ober auc| lünftige 2t^n=
umleiten anbeutet. ©0 fagt ber£>err9Jlt24, 15. 16: SBenn ifyr fe^en werbet, WaS gejagt 25
ift bura) ben $robr/eten ©aniel, bann f ollen bie, bie in^ubäa finb, auf bie Serge fliegen,
unb bann füfyrt er baS @nbe ein (25. 29 ff.). 2öaS aber ©aniel gefagt r/at, gefdrieljt je|t
in älfrüa, unb bod^ ift nidjrt gu gleicher ^eit baS @nbe ba. 2tber Weil baS künftige,
Wenn aucf; nid^t im geitbunft, fo bod? im Beiden beg @nbeS fte^t, barum r)at er „bann"
(tunc) gefagt, baS Reifet, mann über ben (SrbfreiS t/in in är/nlicfyer 2ßeife „ber älbfaE 30
unb bie Offenbarung be§ SJlenfcb>n ber ©ünbe" (2 Sfy 2, 3) gu Sage tritt. ©en $rei§
fa)Iie|t bie fiebente Siegel ab, beren Überfctyrift „00m Seufel unb feinem Serbe" (de
diabolo et corpore eius) an bie Überfct/rift ber erften Siegel erinnert. $n ät)nltd^er
2öeife mie bort in 33egug auf ben §errn unb feinen Selb mirb aud^ fyier bie Slottoenbig=
leit betont, in jebem emgelnen %aU gu prüfen, ob ba§, roa§ miber ben Seufel gefagt ift, 35
ib> felbft ober ob e§ feinem Selbe gilt. 2tn einer langen 3leib> altteftamentlid^er ^3ro=
^etenfteÜen Wirb ber für bie 2Xu§Iegung ergiebige ©ebraudj», ben man bon biefer Siegel
gu matten fyat, aufgegeigt.
©ine praltifdjie SlnWenbung biefer Siegeln b>t SiconiuS in feinem Styotalr/pfefommens
tar geliefert. Seba (bgl. MSL 93, ©. 132—34) cb^aralterifiert irm al§ eine lebenbige, ja 40
rechtgläubig latljolifc^e 2Xu§legung, big auf bie ©teilen, in benen SiconiuS ba§ ©a)i§ma
feiner Partei, b. I). ber ®onatiften, gu fc-erteibigen ftcb^ bemüht I»abe. ®ie Verfolgungen,
bie fie al§ §äreti!er öon bem religiöfen ^aifer SSalentinian (bem ©rften 373, bgl. in biefem
Sanbe ©. 393, 40) gu erbulben Ratten, inbem ib,re ^irc^en unb ©emeinben, §äufer unb
Sefi|ungen ber §anb ber ^atb^olüen übergeben unb bie $riefter toerbannt Würben, beflage 45
unb beweine er unb nenne fie SJlarttyrien, unterlaffe aber nia)t b,erborgur/eben, ba^ fie
eben in ber SltoofaliWfe gubor geWeiSfagt Werben feien.
®er Kommentar War noch; im 9. $al)rf;unbert in ber Älofterbibliotfyef gu ©t. ©allen
toorr/anben; ber ältefte Katalog nennt unter Sir. 242: expositio tichonii donatistae
in apocalipsim vol. I vetus (bgl. ©uftab 33ec!er, Catalogi bibliothecarum antiqui, 50
33onn 1885, ©. 48). 2Bor;m biefe §anbfcf;rift gelommen ift, ift gur ßeit unbekannt.
SJlan ift gur Slefonftruftion be§ Kommentars auf bie arbeiten fbäterer 2luSleger an=
geWiefen, bie ib,n meb,r ober Weniger auSgefdjrieben l)aben ; benn lein Kommentar b,at auf
lange Reit ^inau§ bie 3Xu§Iegung ber Slbolalt^bfe fo fe^r bel)errfcl)t unb fo febr bie S3ab;n
ftreng fbiritualiftifeper ©eutung feftgelegt Wie bie Slrbeit be§ SiconiuS. @§ lommen fol= 55
genbe Tutoren unb Auslegungen in Setracfit:
1 ©er in fünf Süctjer geteilte 2lboIal^bfe!ommentar beS S3ifcf)of§ ^rimafiuS bon
§abrumetum (MSL 68, ©b. 793— 936); über fein Verhältnis gu SiconiuS bgl. 33b XVI
© 56, 8—46.
2. ©ine teilweife ©rgängung bietet ber umfangreiche Kommentar beS SlmbrofiuS 2lut= 60
854 £icoitro§
bert in je$n mä)ixn (BM XIII, p. 403—657); bgl. 33b II ©. 309,2—6. 33on 2Iw=
brofiuä 2tut^ert ftnb SHIubt (MSL 100, ©b. 1086—1156) unb §aimo bon ßafterftabt
(MSL 117, ©b. 937—1220), bon legerem toieber bie Glossa ordinaria beä Sßalafrtb
©trabo (MSL 114, ©b. 710—752) abhängig.
6 3. SBeniger 2lu§beute getoäb,ren be§ ©affioboriuS furje complexiones in epistolas
et acta apostolorum et apocalypsin (bgl. 33b III ©. 750,37); er bertnetft bie eine
bollftänbigere 33elebrung toünfibenben Sefer auf StconiuS (bgl MSL 70, ©b. 1410 C unb
1411 B; ber 2lbofaIbbfeIommentar wirb aufjerbem nocb ©b. 1122 B, bie libri regula-
rum ©b. 18 A unb 1122 D ertoäbnt).
10 4. Söertboll ift 33eba§ fa)on ertoäbnte explanatio apocalypsis (MSL 93, ©b. 130
bt§ 206; 2lu3gabe bon ©ile3, vol. XII, Londini 1844) befonberä baburcb, bafj an
einer 3tetbe Don ©teilen bie Auslegung be<§ £icomu§ unter Slnfü^rung feinet Samens
borgetragen totrb; man gewinnt fo unanfe^tbare ©tü^bunfte für Weitere ©djlüffe.
5. $n 33etrad^)t fommt aucb bie Umarbeitung, bte §ieroni?mu<§ mit bem Kommentar
15 be3 33ictorinu§ borgenommen ^at, bei ber er einige ©tütfe bem 2:icomu§ entnabm ; bgl.
barüber in biefem 33anb ©. 617, 21— 41.
33on mafjgebenber 33ebeutung ftnb aufjer bem $rimafiu3rommentar unter üftr. 1 bie
nun folgenben Hummern 6 — 9):
6. Sie bfeuboauguftinifcben £omi!ien jur Slbofafybfe, beren 2lbbrucf bei MSL 35,
20 ©b. 2415—2452 ba§ 33ebürfni§ einer Iritifc^en SluSgabe beutlicb. fyerbortreten läjjt, ftnb
ein mit Slnleiben au§ 23ictorinu3 bermebrter 2tu§jug au§ STiconiug, unter ^orreftur beS
bonatiftifcben ©tanbbunfteS, fo bajj 3. 33. bie falsi fratres burcfyge^enb in haeretici unb
schismatici bertoanbelt werben.
7. $m Spicilegium Casinense tom. III, pars I (typis archicoenobii Montis
25 Casini 1897) Werben f. 261—331 Tyconii Afri fragmenta commentarii in apocalipsim
hactenus deperditi nunc primum ex cod. Taurinensi F. IV I. olim Bobiensi
N. 62 in lucem prolata $u ßab. 2, 18—4, 1 unb ßab. 7, 10—12, 6 mitgeteilt. SDie
Hoffnung, in biefen 33rucbftü<Jen ben ed^ten iejt beS SEiconiuS gefd^enlt ju erhalten, bat
fid^ alg ^infätttg ertoiefen. 2lucb biefer iejt bat bie §anb eines 33earbeiterS erfahren, ber
30 bie auSgefbrocben bonatiftifcben ©tücfe abgefcfytoäcbt ober ausgemerzt fyat. ©0 bewiesen
nur bie Fragmente in banfenStoerter SBeife ba3 ÜJJlaterial jur 9<tef onftruftton beS urfbrüng=
liefen Wertes.
8. ^n berborragenbftem 9Jiafje gilt ba§ lefctere Urteil bon bem grofeen ©ammelbedfen,
baS bie berfd)iebenften guftröme ber älteren lateinifcben 2lbofaIfybfeauSlegung in ficb, auf=
35 genommen unb bereinigt bat. @3 ift bie§ ber im 3. 776 gefcfyriebene Kommentar beS ©banierä
33eatuS, 5ßregbbter§ bonßibana (bgl. über ibn 33b I ©. 181, 8 ff. unb 33b XX ©. 617,49).
©eräufjerft f eltene ©rucf (9J?abrib 1770), benigne leiber ntd^t in feine ©ammlung auf=
genommen b,at, finbet ficf) in ber SUlüncfyener fgl. 33ibliotbef unb auf ben Uniberfttät^
bibliotbelen ju ©öttingen unb £alle. 33eatu§ mar ein 2lbf<breiber bon ^rofeffion. @r
40 nennt in ber SBibmung feine§ äSerleS an ©tberiu^ al« bon tym benü^te Tutoren §iero=
n^muö, 2luguftinuö, Slmbrofiug, gulgentiu^, ©regoriuö, ^tconiuö, ^renäuS, Sictorinug,
2lbringiu§ unb ^fiborug. ©er lange 3eit ganj unbefannte Kommentar beö 2lbringiu§
ober 2lbringiuö, 33tfcbyofg bon 33eja, ber ^ur Seit beö 2Beftgotenfönig§ geübte (531
bt8 548) gefdjrteben tft, liegt nunmebr in einem Slbbrucf au§ einer ftobenI)agener
45 §anbfd^rift bor: Bibliotheque patrologique publice par Ulysse Chevalier I:
Dom Marius Ferotin, Apringius de Beja, son commentaire de l'apocalypse, tyaviä
1900. ©er 33eitrag biefer DueQe lann nun alfo genau beftimmt unb in 3lbgug gebraut
toerben. 3lber ein Umftanb mad§t bag ©efcfyäft ber QueEenfd^eibung bei 33eatug iu
einer fauren unb mübeboEen Slrbeit. §. 2. gtamfai? (33atl), ®otonftbe=2IbbebJ bat
60 in einem SIrtifel über ben 33eatu§lommentar, ben er in ber Revue d'histoire et de
litterature religieuses, tom. VII, $ari§ 1902, p. 419—447 beröffentlid)t i)at, burcb
fritifcbe Unterfu^ung ber anfdjeinenb felbftftänbig gefd^riebenen 2öibmunggjufc^rift an
@tberiu§ ben 5Rad^toei§ geliefert, bafe tf>re 2tu§brücle unb SBenbungen faft fämtlid) aug
Sftbor entlebnt finb, bafj aber mebrere ©Triften 3fibor§ babei in S3etrad?t fommen
55 33eatu3 bat alfo feine (Srcertote gemiftbt unb giebt baber bem fritifc^en 33etrad?ter Mihi
genug ju raten auf. ÜberbieB ift burdj einen §intoeig j. 33. auf SfiborS Etymologia-
rum libri bie Duellenfrage md)t erlebigt; man ift nur bon einem jüngeren Äombtlator
ju einem älieren borgebrungen (bgl. 33b IX ©.452,24 9teifferfcbeib§ Urteil über 3fibor:
negligentissimus breviator, diversissimas res diversissimosque auctores con-
60 fundens). ©ie grage, ob Qfibor aufy bie ©Triften be« SicomuS e^cerbiert bat, unb
£tc0ttiu§ 855
ob gemiffe ^Berührungen gttnfcfjen SP0* un^ SSeatuS auf bie gemeinfame SLicontu3=
Duette aurücfgeben, ift noc| gar ni$t emftfyaft gefteßt, gefcb, toeige benn beantwortet toorben.
9. (gnblicb, toirb ber 9lei(^tum ungelöfter fragen unb 2lrbetten burcb, eine 23eobaa>
tung bermebrt, bie icb, fyier Vortrage, um ba§ @efc|äft ber Stefonftruftion be§ S£icomu3s
Kommentars nod) melj>r ju fornbligieren unb bocb, aud) ju erleichtern. 3Me au<3 bem ^a^r 5
785 ftammenben fonfufen 33ücb,er, bie ben tarnen tragen: Etherii et Beati aduersus
Elipandum lib. I et II (Henrici Canisii lectiones antiquae ed. a Jacobo Bas-
nage, tom. II, Antverpiae 1725, fol. 297—375 unb BM XIII, fol. 353—403 ober
MSL 96, ©b. 894—1030) finb nicb,t nur mit SBrucbJtücten au§ bem Kommentar be§
Skontos, fonbern audb,, wie eS ftt)eint, au§ beffen SG3erf de bello intestino auSgeftattet; 10
namentlich in SBejug auf le$tere fonft gang unbekannte ©d)rtft ift eine fritifcfye ®urd?=
arbeitung ju empfehlen. SBeatuS nabm feine ©ebanlen, too er fie fanb. „@r füllte
fia) berechtigt, bon allem ju reben, roaS er hmfcte, aber nidjt berbfltcfytet, bon bem ju
ju fyanbeln, mag jur ©ac|e gehörte" (31. §aucf, ^irdj>engefa)icfyte SDeutfcblanbS, 2. %e\l,
Seidig 1890, ©. 260). Söenn er für bie ©treitfcfyrift gegen ©libanbuS 2lnleib,en beim 15
Slbofaltobferommentar beS SlicomuS machte, fo ift bie ^a|rfcb,einlicbfeit um fo gröfjer,
bajj er aucb, baS Söerl de bello intestino er,cerbierte, ba§ für ben 2lu§bau einer gelehrt
fein foßenben ©treitfcb,rift nocb, bequemeres Material barbot. ®ie 33enü|ung be§ £ico=
niu§=ÄommentarS liegt aber an einer Steige bon ©teilen, offen gu STage.
©0 tbirb j. 33. (bgl. MSL 96, ©b. 987 ff.) ber gange 2Ibfd)mtt 2tbf 13, 11—17 20
citiert unb bann folgenbe StuSlegung borgetragen: Aliam bestiam dixit (cf. Apoc.
13, 1), sed pro officio, pro actione: sed tarnen una bestia est, quia totum
corpus diaboli unum corpus est. Bestia enim omnis omnino populus est, tarn
pagani quam mali Christiani, qui Christi ecclesiae aduersantur. Nam pagani
aperta fronte recedunt a Christo; Christiani uero, siue boni siue mali, una 25
ecclesia nuncupantur. Sed ipsa quae una uidetur ecclesia, tres partes sunt,
id est, una pars ipsa ecclesia, quae imitatur Christum ; ceterae duae partes
sunt quae contra ipsam ecclesiam pugnant, id est haeretici et Christiani
mali. Diabolus enim, qui draco dicitur, caput est his (SRigne bietet für baS
Söort his ber anberen &er.te in) tribus partibus, id est incredulis et paganis et 30
Christianis malis atque haereticis. Nam sicut incredulus, paganus siue Ju-
daeus, fide recedit a Christo, sie Christianus malus opere a Christo. Quia
sicut ille publice negat Christum esse deum, sie iste publice facit opera mala
quae non placent Christo. Et cum una pars fide recedit, altera opere, utra-
que ab uno Christo separatur. Et quia a Christo separantur, unum corpus 35
capitis diaboli efficiuntur, et eunvunum corpus efficitur, una bestia dicitur.
Tertia pars est de Antichristi corpore, id est haeretici, quae longe ab illa
bestia distant in religione. Uli adulteri sunt, isti uirginitatem et castitatem
Simulant Uli intus et foris lupi sunt, isti deforis agni et intus lupi sunt.
Hos habet diabolus prophetas suos, quos constituit in ecclesia de corpore suo; 40
hos habet sub nomine Christi, qui Christum praedicare simulent et corpus
diaboli fiant (ju lejen ift wob,! faciant) etc.
©iefe 2IuSfübrungen, bie auf ben folgenben ©eiten fieb, nocb, weiter erftreefen unb
im 2lbofaIr/bfefommentar beS SBeatuS ©. 426—428 in äjjjmlicber SBeife borgetragen
Werben, enthalten ofyne Zweifel ©ebanlen beS 'SiconiuS. £>ie ©djwierigfeit ber 9tefon= «
ftruIttonSaufgabe befielt barin, feftjufteHen, Welcher ber bergleicfybaren SCejte jeweilig am
treuften niebt nur bie ©ebanlen, fonbern aueb, bie 20 orte be§ ^iconiuS barbietet. Safe
inbeS bie neue Duelle, auf meiere bie Slufmerffamfeit gelenft ift, niefet übergangen werben
barf, l>at Wofyl febon bie mitgeteilte $robe bargetb,an. 3oljanne§ # «pleiter.
Vev$exd)nis
ber im gtDanstgften Sanbe enthaltenen Slrtifel.
93e=
Hrtitel: SBerf äff er :
Soorenenbergen bau Seen .
Sorgauer Slrtifel f. b. St. Slug§b,
fenntniS 93b II @. 243, 12.
Sorgauer 93udj f. b. St. Sonforbienforntel
93b X @. 741,40.
©eite:
1
Souffain, Saniel
SSi6not
Souffain, $eter
23tenot
Srad)oniti§
©utfie
SractuS
£)aud .
Srabition
Sfcfjacfert
Traditores f. b. 81. Sabft 93b XI ©. 285, «
Srabuciani§mu§ f. b. 3131. Sertuttian
93b XIX ©. 549,u; ©ünbe 93b XIX
@. 139,4; SßetagiuS SBb XV ©.751,46
Sräume bei b. |iebr. b. OreHt . .
Srajan @d)ut|se . . .
Sraftartani3ntu§ 93ubbenfieg . .
Sraftatgefettfdjaften SRaljlenbecf . .
Sranto^fer f. b. 3t. Dpferfuttuä 58b XIV
©. 390,eo.
Sran§fubftantiation
(©tetjj' f) $atten=
bufd)
Sacfjenmann . •
Srapbiften
Srauer unb Srauer=
gebraute b. b. §e=
bräerrt ßetmpfunb . .
Stauung f.b.SI. (SJ)ered)t93b V@.200,43ff.
Sraüerfari Slmbrogto f. 3lmbrofiu§ 6a=
matbutenfiS 93b I @. 443.
SregeHeg
SremefliuS
Sribur
Srienter Sonjil
Srter, erjbigtutn
Srtgtanb
anrittst
Srinitarierorben
Srinitatiäfeft f. b.
©. 55, 56 unb
©. 398,i.
Srtätjagion
Sritfjeiftif d)er (Streit
Sritl^emiuS
SriuinpIjuS
Srondjtn, Subttrig
Srondjtn, Sljeobor
Sruber
Srubpert
13
15
18
55
79
83
93ertt)eau . .
90
9cet) ....
95
Serler f • •
98
Sfdjadert . .
99
§aucf ....
106
»an 93een . .
107
S irn ....
111
(Sceubeder |) §aud
l 123
3131. gefte 93b V]
Sirdjenjafir SBb X
Srea>§ . . .
. 125
Seibolbt . . .
. 129
(Slipbelt) §aitdE
. 132
©djntib . . .
. 134
S3onet»3Rautt) .
. 135
93onet=93caurü .
. 135
©tje f . . .
. 136
Serler f . . .
. 143
HrtHel: SBerfoffer:
SruHanifrfje ©intoben (Sßeubetf er f) §aucf
SrngobfjoruS ©djuttje . . . .
Sfdjedjen, Uebertrttt jum Ebjiftentum
f. b. 3131. 93en*et b. £. unb Slbatbert
bon $rag 33b I ©. 153 f.
Sud) 9Ü)ffet f . . . .
SübingerSdjule,ält. Sauberer f (Sirn)
Sübinger ©djute, neue, f . b. 3t. 33aur 93b II
©. 467.
Surfet, ©fjriftentum in ber, f. b. 8(31.
DrientaHfdje.ttirdje 93b XIV S.444,*;
8legrjpten, ba§ neue 93b I S. 217,«;
Slrntenien 93b II ©. 85, m; ©urifdje
Äirdje 93b XIX ©. 305, 10.
Sugenb Mälzer . . . .
Sunfer f.b.SI. 93abtiften 93b II 6.389, 26.
Suotito f. b. 8t. St. ©allen 93b VI
©.348,2.
Surlupinen Sadjenmann . .
Surnoro GofjrS ....
Surrecremata, ^ofjanneS be f. %uan be
Sorquemaba 93b IX ©. 545.
Surrettini (SfjoniaS f) ßtjoifl)
Sroeften £>einrtci . . . .
Snrin (Somit, Silin), ©ijnoben in f.b. 8(.
Slrntenien 93b II £. 79, 2.
Sl)comu3 f. am ©djlufj beö 93anbe§.
Snnbat (Sinbale), SlMlliatn f.b.SI. 93ibet»
übevfejiungen 93b III ©. 98,24.
Sl)iu3 f. b. St. ©ibonier 93b XVIII
©. 284, »7.
Sj|d)irner Sjfdjirner j . .
U.
Ubertino be Eafale f. b. 3t. granj üon
Slffifi 93b VI ©. 211,54.
llbiquitöt ^unjinger . . .
liebet f. b. 81. Seiben 93b XI @. 360.
©eite:
143
145
146
148
llgotini
tli)lfjora
lltrid), Seberedit f.
93b XI ©. 466,u
Ulfila, f. SButfila.
llltniann
Utrirf), S3ifd)of
Uttrantontani§ntu§
©trad ....
llb,l6,orn ....
b. 81. Std)tfreunbe
93eb|d|Iag f .
(93ogel f) §aud
93enrat6, . . .
159
164
165
165
171
178
182
196
197
204
211
213
fßtx^däfniS ber im ^ttiatt^tgften 35anbe enthaltenen Slrttfel
857
SlrHfel: SSerf affer: Seite:
Umbreit tantpfjaufen . . 225
Unber*@toc! ©oeterä .... 228
Unfefjlbarfeit beS $afcfte§ f. b. 9t. 33ati=
langes SongU.
Ungarifdje Sonfef=
fionen SWüEer .... 234
Ungarn (93aIog5) gföti&ä . 235
linierte Orientalen f attenbufcf) . . . 245
Untformität§afte f. b. 2f. 2tngtifanifcfje
Äirdje Sb I ©. 528, w «nb 529, i.
UnigenitvtS, S3utte f.b. 21. Sanfen 33b VIII
©. 597,i9.
Union, ftrdt)ücE)e §aucf ...... 253
Unitari§mu§ (£>erjog f) ,3öcf(er f 261
Universalismus hypotheticus f. b. 81.
$elüetifd)e fonfenäformef 93b VII
@. 647,«2.
Uniöerfitäten |>ora 266
Unreinheit f.b. 2t. [Reinigungen 33b XVI
©. 564,42.
Unfcfjufbige tinber Rödler f) ©a"Ä • 282
Unfterbfict)feit 3tunge .... 282
Unterrid)t§= u. 93if=
bung§tt>efen,tf)eot. ßof)r§ .... 301
UnterfcfjeibungSjafjr f. Si§fretion§jafjr
93b IV ©. 708.
llr f. b. 2t. 2lbraf)am 33b I 106,8.
Urban L, ijßapft §aucl
Urban II., " '
Urban III.,
Urban IV.,
Urban V,
Urban VI.,
Urban VII.,
Urban VIII.,
©. 475,4.
UPer
Ufteri
318
318
321
322
323
324
326
326
328
336
342
|mucf
fjaucf .
f>aucf .
fiaucf .
§aucf .
93enratb,
93enratf)
Uritn unb Summim ®au|fcf)
Urtgperger, 3- 21. 2lnftein
UrlSfoerger, Samuel ®ocij .
Urfaciü§, 93ifcfiof f. b. 21. 2lriani§mu§
93b II @. 33,24.
UrfinuS, ©egenöapft gütiger ....
Urfinug, '3ad)aria§ Ster, 348
Urftanb f. bie 2121. ©erecfitigfeit, ur=
fprüngticfje 33b VI ©. 546 unb (£ben=
bilb ©otte§ 93b V ©. 113 ff.
Urfuta (3öcffe'r f) '©aud .
Urfutinerinnen ©rütjmacrjer . .
Uruguay ©ö£
Ufia {. gsrael, ©efdj. bibt. 33b IX
346
354
357
360
93ubbenfieg ...
©über f . ■ • •
UfuarbuS f. b. 2t. Acta martyrum 33b I
©. 147,i2.
Üterifjetm 33ifcf)er . . • •
Utraquiften f. b. 2t. £mfs 33b VIII
@. 487,22.
Utttenbogaert f. 9Btenbogaert.
25.
23abian f. Sßatt.
93äter, Hpoftolifäe f. 33b I ©• 741. _
93äter ber cfirifrt. Sefjre f. ©oftnnarter
93b II ©• 765.
360
368
370
Stttitet:
SSäter be§ guten
©terbeng
93äter (93rüber) be§
£obe§ ■
9Saganten
93aib6§, be
33aten§, 93ifrf)uf f.
33b II @. 33,24.
9Men§, ßatfer
9Menttnianu§ I.
93atentinianu§ IL
93alentinianu§ III.
SSerf affer Seite:
©rit&madjer . . 376
©rü&madier . . 377
(Sortier f) §aurt . 378
33oefi/mer t (33en=
ratf)) 380
b. 2t. 2triani§mu§
@cf)u(£e
©d)ut£e
©cf)ul|e
©djwlfe
9Satentinu§, ©noftif. $reufcf)en . • .
93atentin, b. fjeilige (Rödler f) &auä
33atentinu§, $atoft fiaucf . . . .
SJalerian r>on ßeme=
tium
9Satertanu§
93atefiu§
SSaßa
f-
2trnoIb .
©djufge .
ßaubmann
SBagenmann
(93enratf>) . ■ . .
93affombrofo, Drben üon f. b. 81. ©uat=
bert 93b VII @. 221.
93anbalen (Ärafftf) ©örre§
Dan Sit f. %ü 93b XIX ©. 775.
33ariata f. b. 21. 2lug§b. 33efenntni§
93b II ©.249, io.
93ariation§recf)t' (^acobfon f) @er>
ting
Vasa sacra f. b. 21. ©efäjje, gotte§btenft=
tiefte 93b VI @. 412—415.
93atabtu§ ©traef .
SBaterimfer Imufjfeiter
93atifanifct)eg Sonsit Wirbt .
93eefenmetoer Sotbe . .
93egfje ©cfjutje .
SSeltlin (Samentfcf)
93enanttuä gortunatuS f. gortunatu§
33b VI @. 131.
33enatoriu§ Sotbe . ... .
93enema oan 33een . . .
33eneäueta ©b^
33erbefferung§öunftc (§affencamp f)
Wirbt . . . .
33erbammni§ f. b. 21. §öffenftrafen
93b VIII ©. 199.
93erben, 33i§tum §auä . . ■ . . .
93erbienft • Sunje . . . .
SSerein«, fircblicbe, f. b. 919t. SKiffton,
innere, SUlifftott unter ben Reiben,
Wiffion unter ben Suben 93b XIII
©• 90 ff., fflntberf (fcaften 93b III ©. 434,
^iuSuereine 93b XV @. 464 ff.
93erfaffung, fircfjt. ^aruaef . . . .
3Sergerio 93enratt) . . . .
33erftärung f. b. 91. ©eligfeit 33b XVIII
©. 179.
SSerf öbni§ 1. bei ben Hebräern f. b. 9f.
gamitie bei ben §. 33b V ©. 741, 21,
2. bei ben gtjriften f. b. 9t. (Sfierecbt
33b V ©. 218,38.
33ermigti SSenvatr) . . . .
93eronica f. b. 9(. e^riftuSbitber 93b IV
©. 71,8.
93erfütjnung ttrn
391
393
394
395
395
417
418
418
420
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491
493
493
499
500
508
546
550
552
858
$8etztid)niä bcr im ätoon^tgften JBrmbe enthaltenen Wvtitel
«rtffel: »erf affer: (Seite:
SßerjotjmmgStag ü. Dreßt ... 576
Sßerftocfung f. b. 91- £ermtnt§mu§
S3b XIX @. 524.
SBerfudjmtg Mtjler .... 582
Sßerroanbtf'cfiaft f. b. 21. gtjeredjt S3b V
@. 209,».
Stfermanbtfdjaft, geifttidje, f. benfetben 91.
@. 211,23.
aSerjiidung Stieme .... 586
SeSpafmn @tf)ulge .... 593
Sße§per 3ödEfer f ... 594
3?icetinu§ Schäfer .... 596
Sßtctor L, $apft Sommer .... 600
Victor II., „ Sommer .... 602
Sßictor III., „ Sßötjmer .... 604
Sßtctor IV., „ Sommer .... 606
Sßictor ü.9tntiod)ien Sßonroetfdj ... 607
Sßtctor öon Kapua $reufcfjen . . . 607
Sßtctor oon (Sartenna (Rödler f) ©örre§ 610
Sßtctor, eiaubtu§3R. ©cfjmib .... 611
Sßtctor ü. Sunnenna Sülictjer .... 611
Sßtctor oon Sßita Sültdjer. .... 612
Sßictorinu§, 6aju§
9Kartu§, 9tfer ©djmib .
SßictortnvtS o. SBettau Ijaufjleiter
Sßiefjjucfjt bei b. £>ebr. Sßenjinger
Sßienne
Sßierfürft
SßigttantiuS
SStgtlten
Sßtgitiu§, qßapft
SßtgitiuS t>. 2Eiapfu§ Steter
Sßigitiu§ pon Srient 9trnotb
(SJeubecterf) feaud
0. 2)obfd)ü& . .
Sülidjer ....
(92eubecfer f)
ßöctter f ...
Krüger ....
Sßirartu§
SStllegatgnon
Sßilmar
Sßincent
SßincentiuS u. 33eau=
oat§
SSincenttuS fterrer f. gerrer SBb VI @. 48.
SßincenthtS o. £eri=
num SüHdjer ....
SSincentiuä ü. «jäoul Rödler f (2ad)en=
mann) ....
SßtncentiuS ü. Sara=
(^acobfon f) @et)=
Itng
Stjetemann f
(Sadjenmann) . .
Imu&Ieiter . . .
Öadjenmann . .
©eeberg
goffa
SBtnet
Sßtret
Sßirgil, S3ifd)of
Sßtfttanttnnen
firüger ....
SRüegg ....
(Sdjmibt f)
©tfjnejjler . . .
feauä
Iierjog f (Sad)en--
mann) ....
613
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695
696
SSerfoffer :
C3acoöfont).3frieb*
berg ••••.;
9?eubecfer j ii^üä)
Saufcfd)
©ut^e • -
(»an Dotierte V
Dan Sßeen
Soefdje .
Sßogt^err
Roberte .
Semme
Slrttfer:
Visitatio liminum
SS. Apostolorum
Sßitaltan
Sßitrtnga
Sßölfertafel
S8oettu§
(ö.) Sßogel
Sßogtt)err
Sßolct
SßoHfotttmentjeit «uimu ...
Sßoltaire f . b. 91. S)ei§mu§ SBb IV @. 550 so
SBorbetjatt §infdjiu3 t (gneb
Berg) ....
Sßorfet)ung Sobftein . . .
SßorftiuS 9?eubecfer f (Dan
Sßeen) ....
SSofftuS <Seüöt (öon Sßeen)
SSuIgata f.b.9t. SBibetüberfekunqen SSblH
<S. 36.
2B.
SSaabttanb, greif ircfje f.b.9l. greif ircfien
S8b VI <S. 254,».
©elte:
SSarfernagel
v£>aetjen
SBagen bei ben |>e=
bröern
S&kgenmann
9BaI)rfjett, 2Bat)r=
Ijaftigfeit
SBatjrfagerei
23alaeu§
SBalatjfrib
Sffiald)
Sdjulje .
oan Sßeen
gefjnpfunb
Sßontnetfd)
Sü?albed=^l)rmont
halben, SfjomaS
SRabc
b. 21. 3Qnberei.
Dan Sßeen
SRettc f (£">aurf) .
^Koller f (Samerau)
©djulfce ....
«on f. 9?etter, Xh.
SBb XIII '©. 719.
SSalbenfer SBöfjtner . . .
3BaIbbanfen Sofertb, ....
^aüfnlirten f. b. 9t. töömifdie Sltrcbe
i^b XVII @. 123, «e.
Gattin 3. 0., f. b. 3t. Äir^enlicb S8bX
e. 4-i2,6*.
SBalpurgtä (9?eubedfer t) .&ouc!
SBattcr o. @t. Sßiftor ©eeberg ....
Sü?altl)er Statt) " . . . .
SßJalton SBrian f. b. 9(. ^olvigtottenbibetn
SBb XV ©. 532, 3i.
SSSamtnaS SSJletier ....
703
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£icontu§
§aufjteiter
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Xlad}tväge unb Berichtigungen.
3. SSanJ» : @. 725 3. 46 I. garüou ft. ©arügoü.
5. SBoitb: ©. 780 3. 46 füge bei: ®om SKortn Ijat Rev.BeneU XV (1898), 481 ff. gegeigt
(ugt. Sünftle £§ü© 82 [1900], 193 ff.), bafe nitf)t 2tgriroIa, wie (Sa§üari o.a. D. meint,
fonbern gaftibiu§ ber 35erfaffer ber üon 6a§pari ebierten fünf Briefe ift, inbem ber
erfte berfelben ber üon @ennabiu§ namhaft gemalten ©cEjrift be§ gaftibiuS entfürtdjt.
Sie üon 6a§üari für gaftibiu§ beanfüruebte üfeubo=auguftinifcl)e (Schrift De vita
christiana ftfjeint üielmeb,r t^atfäcfilid^ ben $elagtu§ jitm SSerfaffer ju rjaben.
SSonwetfrf).
6. Sanb: ©. 259 3. 14 u. 3. 22 I. ginbel ft. gfindl.
@. 370 3. 16 I. Begräbnis S3bII ©.531, 57 ft. Srauergebräudje.
12. S3onb ©. 550 ff., SJJelbemuS, 3tuüertu§. Ser war)re$ftame be§ 3Serfaffer§ ber ParaeDesis
votiva ift sßeter SR eib erlin; biefer nannte ftdj lateinifd) Petrus Meuderlinus unb
bureb, eine ttmftettung ber 33ud)ftaben ift au§ biefer gorm be§ 9iatnen§ ber Sßame
5ftuüertu§ 9Mbeniu§ entftanben. $eter SKeiberlin ift im Qa^re 1582 p Oberacfer
bei 3JjauIbronn al§ ©otjn eineg gleichnamigen $farrer§ geboren unb ftarb ant 1. Qult
1651 ju 9lug§burg. S8on 1612—1650 war er ©pfjoruS be§ eoEegiumä bei @t. 2lnna
in 3lug§burg; nur wäljrenb ber Igaljre 1630—1632 Ijatte er ben Sftactjfteü'ungen ber
Äatljolifen weisen muffen, ©eine Paraenesis foH natf) ben Angaben in 93eitt)§ Biblioth.
Augustana im Saljre 1626 ju SRottenburg in nur 500 (Sjemülaren gebrueft fein; bafj
bie im Sfrtüel üerfudgte Datierung (@. 551, 38: 1627—1629, unb @. 552, 20: fpäteftenS
1628), bie auf ©ctjlüffen au§ btm Sntjatt ber ©djrift beruht, ju biefer Angabe ftimmt,
ift beutlid). Slucb, toa% wir weiter üon ben ©cfjicffalen unb über ben ©barafter S0ieiber=
Iin§ pren, ftimmt nöffig ju bem, wa§ wir über ifjn au§ ber Paraenesis lernen, lieber
ifjn ift ju Dergleichen ba§ Programm üon Dr. Subwig Sauer, M. $eter SDteiberlin,
(S^oruS be§ ÄoHegiwnS bei ©t. 2Inna u. f. f., StugSBurg 1906. Stuf biefe§ Programm
mad)te mieb, freunblidjermeife D. ©. SSoffert aufmer!fam unb ber SSerfaffer batte barauf
bie ©ute, e§ mir ppfenben. gn einer 4. Slufl. ber $3tQ5 wirb auf 3JJeiberItn§ $er jön=
licfjfeit noef) etwa§ me|r einzugeben fein. 53ertl)eau.
18. S3onb: @. 16 3. 39 ff.: Sie 9?ad)rict)t, bafj ©eorg «ßiftor im 9Kai 1534 feine§ 3lmte§
entlaffen worben fei, berurjt auf bem SlifjüerftänbniS einer ©teile in einem üon
3- ©djneiber in ber 3eitfd)r. für ©efeb. be§ OberrtjeinS 34,229 mitgeteilten Briefe
©djwebeR Cand. min. g. ^ung au§ 3weibrücten weift in einer mir tjanbftfjriftlicb,
üorliegenben 9lbt)anbtung über „3. ©c£)Webel§ Samüf mit bem Säufertum" nacb,,
bafj «ßiftor noct) nad) 1534 in ©rnftweiter blieb, ©r febeint fidj aber, feit im SUcai
biefe§ %ai)Xt% ein Sßiebertäufer au§ bem ^erjogtum 3weibrüc!en auSgewiefen worben
War, mef)r jurüctge^alten ju tiaben unb infolge beffen nodg eine 3eit lang im 3lmte
belaffen worben ju fein. S«t %afyict 1539 war 5|Siftor nietjt metjr Pfarrer in ©rnft=
Weiler. 9iel).
©. 73 3. 17 füge bei: §err $rof. D. 9Juelfen in Serea (D^io) b,atte bie ©üte mir
mitjuteiten, bafj bie ©emeinbe ber ©dgwenctfelber (»gl. ©. 812, 40) nod) bleute
ejiftiert unb naef) ber neuften ©tatifti! ber SSer. Staaten für 1906 20 ©emeinben mit
213 Äommunifanten unb 17 $rebigern jätjtt. ©teiögjeitig maebt er aufmertfam auf
bie ©ebrift üon §. SS. triebet, „The Schwenkfelders in Pennsylvania" unb einen
Strtitel üon g. S!B- Soetfd)er, „Schwenkfeldts Participation in the Eucharistie Contro-
versy of the 16 Century" in The Princeton theological Eeview July et Oct.
©in „Corpus Schwenckfeldianorum" Published under the Auspices of The
Schwenkfelder Church Pensylvania and The Hartford Theological Seminary (Editor
C. D. Hartranft) beginnt foeben in Seipjig bei S3reitfoüf unb §ärtel p erfdgeinen.
SR. £. ©rü^ntoi^er.
©. 625 3. 51 füge bei : Sofeüb. 3eHer, «J5aulu§ ©peratuä. ©eine §erfunft, fein ©tubien=
gang unb feine Sbätigfett BtS 1522. Stuttgart 1907. (Enthält eine neue OueDe jur
§ugenbgefd). be§ %. ©V-) ^ad) biefer ©dgrift begegnet ©üeratu§ 1512, Sej. 20, als
artium "magister, laif. unb üäüftl. Sßotar in ©aljburg, 1514 at§ ^rebiger im @alj=
burgifd)en, nacfjbem er injwifäjen [auf ©runb feiner ©ebiä)te??] bie Sluäjeidjnung
860 5Rddpr%c" ttttt» eertdJMmtgen
eine§ päüftlidjen unb fat'ferltc&en fSfarägrafen erlangt ^atte; 1516 al§ ©omFrebiae^i"
. ■ faljburg; p «nfang 1520 aU $ rebtger an ber @tabtöfarrfird)e *u SDintetSbübl* ®n^
• $uli 1520 al§ Somörebiger in SSürgburg, bann bafelbft ftanonifuä am ©tift 9«»-
münfter. 2lm 21. 9?od. 1521 entwirf) er öon bort über ©ahburq nad) SSien. w? er
am 12. Sanitär 1522 im ©te^anSbom frebigte. «ß. Sfctyatfeit.
19. SSanb: @. 350 R- 4—7 ift ber ©a|5: „aSieffeic^t ftammt — ©.183" ju ftretrfjen.
SSoHiiifft«.
<S. 541 3. 33 I. berfafet ft. berufet.
„ 55« „ 17 I. S3b XVI @. 253 ft. XV @. 553.
„ 585 „ 50 I. Senmcafa ft. «enincofa.
„ 595 „ 53 I. ftormofuS ft. gormoftuS.
„ 613 „ 40 I. aber ft. über.
„ 662 „ 26 «. 28 I. 58b IX ft. 93b X.
„ 701 „ 5 I. bbjlologifdje ft. bbjtofobbifdie. nI1 ,oin ,n
^ 768 „ 49, @. 770, 8- 30 u. 38, @. 771, 8- 17 «. 19, ©. 772, 8- 8, 19 u. 59,
'©. 773, 8.4 I. ©ifforb ft. £ibbert.
„ 813 3. 37 I. in ft. tnne.
„ 837 „ 49 I. 555 ft. 455.
20. SSttitb: '15.43. 47 unb 57 I. Subwtg VI. ft. IV.
S. 16 3. 6 I. ba8 ft. be§.
„ 26 „ 14 füge nad) „berftanb" ein: §u Seibe.
„ 33 „ 8 I. mebr ft. weniger.
„ 81 „ 50 I. gerügt ft. genügt.
„ 113 „ 41 L 2 fto 3 ft. fto 3.
„ 150 „ 55 I. 1750 u. 1753 ft. 1730 u. 1733.
„ 164 „ 36 I. XI. ft. IX.
„ 214 „ 37 füge bei: TOrbt, Sie £at^. tljeoL gafultä't ju Harburg, Harburg 1905;
2. ft. @ö|, ftlerifaltSmuS unb Sam§mu§, granffurt a. 5K. 1906.
„ 216 8. 11 I. 231 ft. 331.
„ 225 „ 50 füge bei: «ll§ ber 9(rt. „UItramontani§mu§" Bereits gebrucft war,
erfd)ienen jWei bäbftiicfje Slftenftüde gegen moberne SRidjtungen innerhalb unb aujjer*
f)alb ber römtfd)en fttrd)e (@t)Habu§ unb @ncl)flifa bon 1907), weldje etngefjenbere
Seacfjtung erforbern. ®a e8 nirfjt tbunlid) erfd)etnt, ib,nen im 9iabmen ber „9?ad)=
träge unb 93erid)tigungen" biefelbe ju teil werben ju laffen, fo erübrigt borberbanb
nur, barauf ju berweifen, bafj geplant ift, nadi ?lbfd)lufj ber 9tealencr)flobäbte ein:n
(5rgänjung§banb ^erau^ugeben, in welchem aud) biefer umfaffenbere 9tod)trag f'.nc
©teile finben fofl. SBcnro^.
„ 309 3- 30 I. providentiae divinae ft. providentia diviniae. *
„ 310 „ 35 ff. 2>ie erwähnte Prüfung ift in ?tnf)alt liingft abgefdjafft, ugl. bie Sii,mif=
tion für tfjeol. ftanbibaten im $>erjogtum Slnbalt bom 10. ?luguft 1889 § 8, wonad)
alle jwei Safjre bom 2. Safere nad) bem 2. ©jainen an eine freigewtiljlte wiifenfd)aft=
liebe 5lrbeit etnjureidien ift bis jur SSerwenbung im ftirdjenbienft." Dr. 3clntj>fuub.
„ 333 3. 27 I. 9lbfid)ten ft. Slbfidien.
„ 326 „ 59 I. U. VIII. ft. U. III.
„ 377 „ 56 füge nad) gemalten" ein: 1906 entwenbeten.
29. Februar 1908.