Skip to main content

Full text of "Bernhard Riemann's Gesammelte mathematische Werke"

See other formats


^  BERKELEY 

i   LIBRARV 

UNIVERSITV    OF 


3;IATH/STATi, 


''^ra/STAT. 


BERNHARD  RIEMANN'S 

GESAMMELTE 

MATHEMATISCHE  WERKE 

UND 

WISSENSCHAPTLIOHER  NAOHLASS. 


HERAUSGEGEBEN 


UNTER   MITWIRKUNG   VON   R.  DEDEKIND 


H.    WEBER. 


LEIPZIG, 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  B.  G.  TEUBNER. 

1876. 


MATH-STAT. 


1^5 


MATH.. 

STAT. 

UfiRARY 


Vorrede. 


Das  Werk^  welches  hiermit  in  die  Oeffentlichkeit  tritt,  ist  die 
endhche  Ausführung  eines  seit  lange  geplanten  Unternehmens.  Bei 
der  Bedeutung,  welche  die  grossen  Schöpfungen  Riemann's  für  die 
Entwicklung  der  neueren  Mathematik  haben,  gehören  die  meisten  der 
Riemann'schen  Abhandlungen  zu  den  unentbehrlichsten  Ilülfsmitteln 
des  Mathematikers,  und  eine  Sammlung  seiner  Werke  dürfte  daher 
einem  allgemein  gehegten  Wunsche  um  so  mehr  entgegen  kommen, 
als  die  meisten  derselben  im  Buchhandel  nicht  oder  nur  schwer  zu 
erhalten  sind.  Es  kommt  dazu  die  dringende  Pflicht  gegen  die  Wissen- 
schaft, die  im  handschriftlichen  Nachlass  noch  verborgenen  Unter- 
suchungen und  Gedanken  der  Oeffentlichkeit  nicht  länger  vorzuenthalten. 

Schon  im  Frühjahr  1872  war  daher  unter  mehreren  Freunden 
Riemann's  der  Plan  zu  einer  solchen  Sammlung  entstanden  und  Clebsch 
hatte  mit  seiner  ganzen  Thatkraft  die  Leitung  des  Unternehmens  in 
die  Hand  genommen,  und  sich  mit  Dedekind  vereinigt,  in  dessen 
Besitz  nach  Riemann's  Wunsch  der  handschriftliche  Nachlass  nach 
des  Verfassers  Tod  gekommen  war,  und  der  bereits  mehrere  Abhand- 
lungen aus  demselben  herausgegeben  hatte. 

Durch  den  beklagenswerthen  und  unerwarteten  Tod  von  Clebsch 
gerieth  leider  das  Vorhaben  in^s  Stocken  und  blieb  längere  Zeit  gänz- 
lich liegen.  Als  mir  im  November  1874  Dedekind  im  Namen  der 
Frau  Professorin  Riemann  den  Vorschlag  machte,  die  Leitung  der 
Herausgabe  zu  übernehmen,  bin  ich  nicht  ohne  schwere  Bedenken 
darauf  eingegangen.  Denn  obwohl  ich  von  dem  Umfang  der  damit 
verbundenen  Arbeit  damals  noch  keine  richtige  Vorstellung  hatte,  war 
ich.  mir  der  zu  übernehmenden  Verantwortung  wohl  bewusst.  Nur 
die  Erwägung,  dass  im  Falle  meiner  Weigerung  die  Ausführung  aber- 
mals auf  lange  Zeit  hinausgeschoben  zu  werden,  wenn  nicht  gänzlich 
zu  scheitern  drohte,  half  mir  meine  Bedenken  überwinden,  und  so  ent- 
schloss  ich  mich,  was  an  mir  läge,  zu  tliun,  um  das  Unternehmen  zu 
einem  befriedigenden  Abschluss  zu  bringen,  da  Dedekind  mir  die 
Versicherung  gab,  mich  bei  der  Arbeit  nach  Kräften  zu  unterstützen, 
ein  Versprechen,  welches  er  treulich  gehalten  hat. 


iw7-775£;5 


IV  Vorrede. 

Die  von  Rieinann  selbst  oder  nach  seinem  Tode  bereits  veröffent- 
lichten Arbeiten  wurden  revidirt,  hin  und  wieder  durch  einen  im  Nach- 
lass  aufgefundenen  Zusatz  bereichert,  und  in  kleinen  Ungenauigkeiten 
verbessert,  sonst  aber  in  unveränderter  Form  aufgenommen.  Nur  die 
Abhandlung  über  die  Flächen  vom  kleinsten  Inhalt  hat  in  Folge  einer 
von  K.  Hattendorff  auf  meinen  Wunsch  ausgeführten  Ueberarbeitung 
einige  wesentlichere  Aenderungen  erfahren. 

Von*  den  im  Nachlass  enthaltenen  Entwürfen  fanden  sich  einige 
in  fast  druckfertiger  Form  vor,  andere  aber  in  einem  so  fragmentari- 
schen Zustande,  dass  die  Verknüpfung  und  Darstellung  erhebliche 
Schwierigkeiten  machte.  Von  der  grossen  Menge  nur  Formeln  ohne 
Text  enthaltender  Pa2)iere  war  wenig  für  den  Druck  zu  verwerthen. 
Besonders  hervorzuheben  ist  unter  den  ersteren  die  Arbeit  über  den 
Rückstand  in  der  Leidener  Flasche,  welche  liiemann  schon  im  An- 
schluss  an  die  Mittheilung  in  der  Göttinger  Naturforscher- Versammlung 
zur  Publication  vorbereitet  hatte,  ferner  die  in  lateinischer  Sprache 
geschriebene  Beantwortung  einer  Preisfrage  der  Pariser  Akademie  über 
isotherme  Curven,  welche  besonders  deshalb  von  hohem  Interesse  ist, 
weil  darin  Kiemann's  Untersuchungen  über  die  allgemeinen  Eigen- 
schaften der  mehrfach  ausgedehnten  Mannigfaltigkeiten  in  den  Grund- 
zügen niedergelegt  sind  und  eine  merkwürdige  Verwendung  finden. 
Die  Darstellung  in  dieser  Abhandlung  ist  eine  äusserst  knappe,  und 
die  Wege,  auf  denen  die  endlichen  Resultate  erhalten  wurden,  finden 
sich  darin  nur  im  Allgemeinen  angedeutet.  Von  der  Ausführung  einer 
beabsichtigten  zweiten  eingehenderen  Darstellung  des  Gegenstandes 
wurde  Riemann  durch  seinen  Gesundheitszustand  abgehalten.  Dass  ich 
im  Stande  bin,  diese  schöne  Untersuchung  in  der  letzten  von  Riemann 
herrührenden  Redaction  zum  Abdruck  zu  bringen,  verdanke  ich  der 
Güte  des  beständigen  Secretärs  der  Pariser  Akademie,  Herrn  Dumas, 
welcher  auf  ein  namens  der  Göttinger  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
von  Herrn  Wo  hl  er  an  ihn  gerichtetes  Ansuchen  mit  der  dankens- 
werthesten  Bereitwilligkeit  mir  das  Originalmanuscript  zur  Verfügung 
stellte. 

Von  Riemann^s  Untersuchungen  über  lineare  Differentialgleichungen 
mit  algebraischen  Coefficienten  liegt  der  erste  Theil  in  ziemlich  druck- 
fertiger Form  von  Riemann's  Hand  vor  und  war  vermuthlich  zu  der 
Publication  bestimmt,  die  in  der  Abhandlung  über  AbePsche  Functionen 
angekündigt  ist,  aber  nicht  zur  Ausführung  kam.  Ein  zweiter  Theil, 
der  die  wahre  Verallgemeinerung  der  Theorie  der  hypergeometrischen 
Reihen  enthält,  fand  sich  nur  im  ersten  Entwürfe  vor,  jedoch  so,  dass 
der  Gedankengang  vollständig  hergestellt  werden  konnte. 


Vorrede.  V 

Ferner  ist  hier  noch  der  in  italienischer  Sprache  geschriebene  An- 
fang zu  einer  Untersuchung  über  die  Darstellbarkeit  des  Quotienten 
zweier  hypergeometrischer  Reihen  durch  einen  Kettenbruch  zu  erwähnen, 
deren  Bearbeitung  H.  A.  Schwarz  in  Göttingen  übernommen  hat, 
dem  ich  hierfür  sowie  für  manchen  Rath  an  anderen  Stellen  hier 
meinen  Dank  ausspreche. 

Obwohl  die  Vorlesungen  Riemann's  dem  ursprünglichen  Plane  nach 
von  dieser  Sammlung  ausgeschlossen  sind,  so  habe  ich  mich  doch  zur  Auf- 
nahme zweier  kleinerer,  in  sich  abgeschlossener  Untersuchungen  über  die 
Convergenz  der  p-fach  unendlichen  Theta-Reihe  und  über  die 
AbeTschen  Functionen  für  den  Fall  2^  =  3  entschlossen,  bei  deren 
Bearbeitung  ein  von  G.  Roch  geführtes  Vorlesungsheit  zu  Grunde  ge- 
legt werden  konnte,  theils  wegen  des  grossen  Interesses,  welches  die 
Gegenstände  haben,  theils  weil  eine  zusammenhängende  Veröffentlichung 
dieser  Vorlesungen,  wie  es  scheint,  vorläufig  nicht  in  Aussicht  steht. 

Ich  erwähne  hier  noch  die  den  Anhang  bildenden  naturphilo- 
sophischen Fragmente,  welche  wenigstens  eine  ungefähre  Vorstellung 
von  dem  Inhalt  der  Speculationen  geben  können,  denen  Riemann 
einen  grossen  Theil  seiner  Gedankenarbeit  widmete  und  die  ihn  viele 
Jahre  seines  Lebens  hindurch  begleitet  haben.  Diese  Bruchstücke 
dürften  trotz  ihrer  Lückenhaftigkeit  und  Unvollständigkeit  geeignet 
sein,  auch  in  weiteren  Kreisen  Aufmerksamkeit  zu  erregen,  wenn  sie 
auch  nicht  viel  mehr  als  die  Anfänge  und  die  allgemeinsten  Grundzüge 
einer  eigenthümlichen  und  tiefsinnigen  Weltanschauung  enthalten. 

Eine  willkommene  Beigabe  für  die  Freunde  und  Verehrer  Rie- 
mann's wird  endlich  die  biographische  Skizze  sein,  welche  Dedekind 
auf  meinen  Wunsch  auf  der  Grundlage  von  Briefen  und  anderen  Mit- 
theilungen der  Riemann 'sehen  Familie,  unterstützt  durch  seine  eigenen 
Erinnerungen  verfasst  hat. 

Was  die  Anordnung  des  Stoffes  betrifft,  so  ist  in  den  beiden 
ersten  Abtheilungen  die  chronologische  Reihenfolge  streng  inne  ge- 
halten worden;  in  der  dritten  Abtheilung,  welche  den  Nachlass  enthält, 
konnte  diese  Anordnung  nicht  ganz  consequent  durchgeführt  werden, 
theils  weil  sich  die  Entstehungszeit  hier  nicht  immer  vollständig  fest- 
stellen Hess,  theils  weil  die  mehr  ausgeführten  Untersuchungen  dem 
Fragmentarischen  vorangestellt  werden  sollten. 

Königsberg,  im  März  1876.  H.  Weber. 


VIII  Inhalt. 

-«  ^  ^  Reite 

indefini  pour  qu'un  t^ysteme  de  courbes  isothermes,  a  un  instant  donne, 
restent  isothermes  apres  nn  teraps  qnelconque,  de  teile  sortc  quo 
la  temperature  d'un  point  puisse   s'exprimer  en  fonction  du  temps 

et  de  deux  aiitres  variables  independantos."     (1861.) 370 

Anmerkungen  zur  vorstehenden  Abhandlung 384 

XXIIT.  Sullo  svolgimento  del   quoziente  di  dne  serie  ipergeometrichc  in  iVa- 

zione  coutinua  infinita.     (1863.) 400 

XXIV.  Ueber  das  Potential  eines  Ringes 407 

XXV.  Gleichgewicht  der  Electricität  auf  Cylindern  mit  kreisförmigem  Quer- 
schnitt und  parallelen  Axen 413 

XXVI.  Beispiele  von  Flächen  kleinsten  Inhalts  bei  gegebener  Begrenzung    .  417 

XXVIl.  Fragmente  über  die  Grrenzfälle  der  elliptischen  Modulfunctionen.  (1852.)  427 

Erläuterungen  zu  den  vorstehenden  Fragmenten 438 

XXVIIl.  Fragment  aus  der  Analysis  Situs 448 

XXIX.  Convergenz  der  ^^-fach  unendlichen  Theta-Reihe 452 

XXX.  Zur  Theorie  der  Abel'schen  Functionen  für  den  Fall  p  =--=  3  .     .     .     .  456 

Anhang. 

Fragmente  ])hilosophischen  Inhalts. 

I.  Zur  Psychologie  und  Metaphysik 477 

IL  Erkenntnisstheoretisches 489 

III.  Naturphilosophie 494 

Bernhard  Riemann's  Lebenslauf 507 


Erste  Abtlieihmg. 


Riemann's  gesammelte  mathematische  Werke.    1. 


I. 

Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie  der  Functionen  einer 
veränderlichen  complexen  Grösse. 

(Inauguraldissertation,  Göttingen,  1851.) 

1. 

Denkt  man  sich  unter  z  eine  veränderliche  Grösse,  welche  nach 
und  nach  alle  möglichen  reellen  Werthe  annehmen  kann,  so  wird, 
wenn  jedem  ihrer  Werthe  ein  einziger  Werth  der  unbestimmten  Grösse 
tv  entspricht,  w  eine  Function  von  z  genannt,  und  wenn,  während  z 
alle  zwischen  zwei  festen  Werthen  gelegenen  Werthe  stetig  durch- 
läuft, lü  ebenfalls  stetig  sich  ändert,  so  heisst  diese  Function  inner- 
halb dieses  Intervalls  stetig  oder  continuirlich.  (^) 

Diese  Definition  setzt  offenbar  zwischen  den  einzelnen  Werthen 
der  Function  durchaus  kein  Gesetz  fest,  indem,  wenn  über  diese 
Function  für  ein  bestimmtes  Intervall  verfügt  ist,  die  Art  ihrer  Fort- 
setzung ausserhalb  desselben  ganz  der  Willkür  überlassen  bleibt. 

Die  Abhängigkeit  der  Grösse  %ü  von  z  kann  durch  ein  mathe- 
matisches Cjfesetz  gegeben  sein,  so  dass  durch  bestimmte  Grössen- 
operationen  zu  jedem  Werthe  von  z  das  ihm  entsprechende  iv  gefunden 
wird.  Die  Fähigkeit,  für  alle  innerhalb  eines  gegebenen  Intervalls 
liegenden  Werthe  von  z  durch  dasselbe  Abhängigkeitsgesetz  bestimmt 
zu  werden,  schrieb  man  früher  nur  einer  gcAvissen  Gattung  von 
Functionen  zu  (functiones  continuae  nach  Euler's  Sprachgebrauch); 
neuere  Untersuchungen  haben  indess  gezeigt,  dass  es  analytische  Aus- 
drücke giebt,  durch  welche  eine  jede  stetige  Function  für  ein  gege- 
benes Intervall  dargestellt  werden  kann.  Es  ist  daher  einerlei,  ob 
man  die  Abhängigkeit  der  Grösse  %v  von  der  Grösse  z  als  eine  will- 
kürlich  gegebene   oder   als    eine   durch   bestimmte    Grössenoperationen 

1* 


4  I.     (jirundlug(,'ii  i'ür  oiiw;  all^n'HM'iiic  'l'hcoric 

bodin^fic  clofiniri.  Heide  IJoj^riife  .sind  in  I^dj^c  dci-  crwillinlcn  'riicorcnic 
(;(>ngnieni. 

And(^rH  verhält  es  sich  aber,  w(>nn  die  Veriindcrlichkeit  der  Gröase 
z  nicht  auf  reeUe  Werthe  beschränkt  wird,  sondern  auch  coinjdcxc 
von  der  Form  x  +  yi  (wo  i  =  ]/ —  1)  zugelassen  werden. 

Es  s(5ien  x  +  yi  und  x  -\-  yi  -\-  dx  +  dyi  zwei  unendlich  w<'ni^' 
verschiedene  Werilie  der  (J rosse  ^,  w(dchen  die  Werthe  n  -f-  vi  und 
n  -f"  '''"  H~  '/"  +  '^'"'  ^^''1'  (lirösse  w  entspnichen.  ALsdjinn  wird,  wenn 
di(^   Abhiln^'igkeit   <ler   (irösse  iv  von  z   ein«;    willkürlich   anj^enoniinejH' 

ist,    das    Verhältniss   ',      ,    ',    .  sich   mit  d(^n    Werthen   von   dx   und  dti 
(Ix  -|-  (lyi  •' 

allgemein   /n   reden   ändern,  indem,  wenn  man  dx  -f-  dyl  --^  tc/i"'  setzt, 

(In  -f-  (l ri 
tl.i-  -f-  (/  i/i 


.       .      \"()u  dv       ,       /"()V       ,      ^W\     .   "1 


(lyi 
dyi 


2  (/)  i 


wird.  Anl'  weh'he  Art  aber  auch  tv  als  l^'unction  von  ä'  durch  Ver- 
bind nn<^'    der    einfachen    (irössenoperationen    bestimmt    werden    möge, 

immer  wircl   der   VVerih    des   Ditferentialquotienten  -j-^   v(m    dem   beson- 

dcMii  Werthe  des  Ditferentials  dz  unabhängig  sein*).  Offenbar  kann 
also  auf  diest^ni  Wege  nicht  jede  beliebige  Abhängigkeit  der  complexen 
({ rosse  w  von  der  com])lexen  («riksse  s  ausgedrückt  werden. 

Das  oben  hervorgehobene  Merknuil  aller  irgendwie  durch  Grössen- 
operationen  bestimmbaren  Functionen  werden  wir  für  die  folgendem 
llnlersuchung,  wo  eine  solche  Fuiu'tion  unabhängig  von  ihrem  Aus- 
drucke betracht(»t  werdiui  soll,  zu  (Jrunde  legen,  indem  wir,  ohne  jetzt 
dessen  Allgemeingültigkeit  vmd  Zidänglichkeit  für  dcMi  Hegriff  (uuör 
durch  (irijssenoperalionen  a,usdrückbar<Mi  Abhängigkeit  zu  beweisen, 
von   folgender   Oeliniiion  ausgehen: 

♦)  Diese  HeliaupUnig  iwt  olVeiibiir  in  allen  Fällen  jjfcreclitftu-iigi,    wo  sieh  aus 
dem    Ausdrucke   von  w  durch  z   luittelst  der   Regeln   der  Diilereuliatiün   ein  Aus- 
druck von  -  *^  durch  z  finden   läsHi;   ihre  streng  allgemeine  Ciültigkoit  bleibt  für 
dz 

j(»t/t  dahin  gestellt. 


(Ici-  l''imcl,i(»ii<'ii  einer  vciTindcrlicIicii  cuin|il<'\eii  ( .' ir»^s^e  5 

Eim;  vcniri(l(^rlicli('  (*()Mi|>l(3xe  (fr()Hse  lO  lioissl   ciin;   ImiiicUoii    cjucr 


[iiiderii  vorilrulorli(;hoii  coinploxen  drösHO  <£?,   wenn   sie   mit   ihr   .sich   ho 
jidert,  (hiss  der  Worth  dos   Diffcreiit 
dcuii   VVerthc  des  DiHerentiiils  dz  ist. 


ilndort,  (hiss  der  Worth  dos   Diffcrentialquotienten  -y^   unabhängig   von 


2. 

Sowold  die  (jlrösse  0,  als  die  (irnssc;  tu  werdcMi  als  vorändcrliclio 
(u'üssen  hotnif'litet,  die  jodcai  cornploxon  Worth  aiinelinion  können. 
Die  Aultassung  einer  solchen  Veränderlichkeit,  welche  sich  auf  ein 
zusammenhängendes  (lebiet  von  zwei  Dimensionen  'erstreckt,  wird 
wesentlich  erleichtert  durch  eine  Anknüpfung  an  räumliche  Anschau- 
ungen. 

Man  denke  sich  jeden  Werth  x  -\-  yi  der  Grösse  z  repräsentirt 
durcli  oiiion  Punkt  0  der  E})ene  A,  dessen  rechtwinklige  Coordinaten 
,r,  y/,  jeden  Werth  u  -\-  vi  der  Grösse  w  durch  einen  Punkt  Q  der 
l^'ibeno  ]i,  dessen  rechtwinklige  Coordinaten  u,  v  sind.  Eine  jede  Ab- 
hängigkeit der  Grösse  iv  von  ^  wird  sich  dann  darstellen  als  eine 
Abhängigkeit  der  Lage  des  Punktos  Q  von  der  des  Punktes  0.  Ent- 
s{)richt  jedem  Werthe  von  z  ein  ])estimniter  mit  z  stetig  sich  ändern- 
der Werth  von  w,  mit  andern  Worten,  sind  ^i  und  v  stetige  Functionen 
von  X,  y,  so  wird  jodom  Punkte  der  Ebene  A  ein  Punkt  der  Ebene  IJ, 
jeder  Linie,  allgemein  zu  roden,  eine  Linie,  jedem  zusammenhängondon 
l^^lächenstücko  ein  zusammenhängendes  Flächenstück  entsprechen.  Man 
wird  sich  also  diese  Abhängigkeit  der  Grösse  w  von  z  vorstellen  können 
als  eine  Ab})ildung  dor  Ebene  yt   auf  der  Ebouo  J>. 

3. 

Es  soll  nun  untersucht  worden,  welche  Eigenschaft  diese  Abbil- 
dung erhält,  wenn  iv    eine  Function    der    complexen   Grösse  z,  d.  h. 

wenn  von  dz  umibhängig  ist. 

AVir  bezeichnen  durch  o  einen  unbestimmten  Punkt  der  Ebene  Ä 
in  der  Nähe  von  0,  sein  Bild  in  der  Ebene  7>  durch  r/,  ferner  durch 
•^'  +  //^  +  (^^'  +  (^y^  und  u  -{-  vi  -\-  du  -\-  dvi  die  Werthe  der 
Grössen  z  und  w  in  diesen  Punkten.  Es  können  dann  dx,  dy  und 
dit,  dv  als  rechtwinklige  Coordinaten  der  Punkte  o  und  q  in  l^ezug 
auf  di^  Punkte  0  und  Q  als  Anfangsj)unkte-  angesehen  wenhai,  und 
wenn  man  dx  -\-  dyi  =  se'P'  und  du  -\-  dvi  =  rjc'^"'  setzt,  so  werden 
die  Grössen  £,  cp,  y],  i^  Polarcoordinaten    dieser   Punkte   für    dieselben 


6  I.     GiuiHllageu  für  eine  allgemeine  Theorie 

Anfangspunkte  sein.  Sind  nun  o'  und  o"  irgend  zwei  bestimmte 
Lagen  des  Punktes  o  in  unendlicher  Nähe  von  0,  und  drückt  man  die 
von  ihnen  abhängigen  Bedeutungen  der  übrigen  Zeichen  durch  ent- 
sprechende Jndices  aus,  so  giebt  die  Voraussetzung 

du    -}-  dv'  i du"  -\-  dv"  i 

dx'  -\-  dy  i        dx"  -{■  dy"  i 
und  fol<jlich 


du     -{-dv'i     __    7]        (,;.'_, ^"),-     _    dx   ;\-J.y'i    _  l      .(,p'_,p"), 

7         /»  1  T        ff     .     />     O       '  '  T        ff'       ,'  -,'   "ff    '.     ff     ly     '  ' 

du     -\-  dv    t        7]  dx    -f-  dy   i        s 


woraus  -L  =  —   und    ijj'  —  ^"  =  cp'  —  (p" ,   d.  h.   in    den    Dreiecken 

dOo"  und  q'Qq"  sind   die   Winkel  o'Oo"  und   q'Qq"   gleich   und   die 
sie  einschliessenden  Seiten  einander  proportional. 

Es  findet  also  zwischen  zwei  einander  entsprechenden  unendlich 
kleinen  Dreiecken  und  folglich  allgemein  zwischen  den  kleinsten  Thei- 
leii  der  Ebene  Ä  und  ihres  Bildes  auf  der  Ebene  1»  Aehnlichkeit 
Statt.  Eine  Ausnahme  von  diesem  Satze  tritt  nur  in  den  besonderen 
Fällen  ein,  wenn  die  einander  entsprechenden  Aenderungen  der  Grössen 
z  und  tv  nicht  in  einem  endlichen  Verhältnisse  zu  einander  stehen, 
was  bei  Herleitung  desselben  stillschweigend  vorausgesetzt  ist*). 


4. 

Bringt  man  den  Differentialquotienten  ^-^ — T  *    .  in  die  Form 

ö  .  -^  dx  -\-  dyi 

(du    ,    ^«^    A    7       ,     (dv         ?u  .\    7    . 
\cx   ^    ex    j  \py       (^y    J 

dx  -\-  dyi  ' 

so  erhellt,  dass  er  und  zwar  nur  dann  für  je  zwei  Wertlie  von  dx 
und  dy  denselben  Werth  haben  ward,  wenn 

du  Cü  -,     €V    C^l 

dx        dy  dx  dy 

ist.  Diese  Bedingungen  sind  also  hinreichend  und  nothwendig,  damit 
iv  =  II  -\-  vi  eine  Function  von  z  =  x  -\-  yi  sei.  Für  die  einzelnen 
Glieder  dieser  Function  fliessen  aus  ihnen  die  folgenden: 


*)  Ueber  diesen  Gegenstand  sehe  man: 
.^Allgemeine  Auflösung  der  Aufgabe:  die  Thcile  einer  gegebenen  Fläche  so 
abzubilden,  dass  die  Abbildung  dem  Abgebildeten  in  den  kleinsten  Theilen  ähnlich 
wird,  von  C.  F.  Gauss.  (Als  Beantwortung  der  von  der  königlichen  Societät  der 
Wissenschaften  in  Copeuhagen  für  1822  aufgegebenen  Preisfrage",  abgednickt  in: 
,, Astronomische  Abhandlungen,  herausgegeben  von  Schumacher.  Drittes  Heft. 
Altona.     1825.")     (Gauss  Werke  Bd.  lY,  p.  189.) 


der  Functionen  einer  veriindcrliclien  complexen  Grösse. 


^z  -r  fy2  —  0,^,-Y  ^-i  —  0, 

welche  für  die  Untersucliung  der  Eigenscliaften,  die  Einem  Gliede 
einer  >solclien  Function  einzeln  betrachtet  zukommen,  die  Grundlage 
bilden.  Wir  werden  den  Beweis  für  die  wichtigsten  dieser  Eigen- 
schaften einer  eingehenderen  Betrachtung  der  vollständigen  Function 
voraufgehen  lassen,  zuvor  aber  noch  einige  Punkte,  welche  allgemei- 
neren Gebieten  angehören,  erörtern  und  festlegen,  um  uns  den  Boden 
für  jene  Untersuchungen  zu  ebenen. 


5. 

Für  die  folgenden  Betrachtungen  beschränken  wir  die  Veränder- 
lichkeit der  Grössen  x,  y  auf  ein  endliches  Gebiet,  indem  wir  als  Ort 
des  Punktes  0  nicht  mehr  die  Ebene  A  selbst,  sondern  eine  über 
dieselbe  ausgebreitete  Fläche  T  betrachten.  Wir  wählen  diese  Ein- 
kleidung, bei  der  es  unanstössig  sein  wird,  von  auf  einander  liegenden 
Flächen  zu  reden,  um  die  Möglichkeit  offen  zu  lassen,  dass  der  Ort 
des  Punktes  0  über  denselben  Theil  der  Ebene  sich  mehrfach  er- 
strecke, setzen  jedoch  für  einen  solchen  Fall  voraus,  dass  die  auf 
einander  liegenden  Flächentheile  nicht  längs  einer  Linie  zusammen- 
hängen, so  dass  eine  Umfaltung  der  Fläche,  oder  eine  Spaltung  in  auf 
einander  liegende  Theile  nicht  vorkommt. 

Die  Anzahl  der  in  jedem  Theile  der  Ebene  auf  einander  liegen- 
den Flächentheile  ist  alsdann  vollkommen  bestimmt,  wenn  die  Begren- 
zung der  Lage  und  dem  Sinne  nach  (d.  h.  ihre  innere  und  äussere 
Seite)  gegeben  ist;  ihr  Verlauf  kann  sich  jedoch  noch  verschieden 
gestalten. 

In  der  That,  ziehen  wir  durch  den  von  der  Fläche  bedeckten 
Theil  der  Ebene  eine  beliebige  Linie  /,  so  ändert  sich  die  Anzahl  der 
über  einander  liegenden  Flächentheile  nur  beim  üeberschreiten  der 
Begrenzung,  und  zwar  beim  Ue bertritt  von  Aussen  nach  Innen  um 
-f-  1,  im  entgegengesetzten  Falle  um  —  1,  und  ist  also  überall  be- 
stimmt. Längs  des  Ufers  dieser  Linie  setzt  sich  nun  jeder  angrenzende 
Flächentheil  auf  ganz  bestimmte  Art  fort,  so  lange  die  Linie  die  Be- 
grenzung nicht  trifft,  da  eine  Unbestimmtheit  jedenfalls  nur  in  einem 
einzelnen  Punkte  und  also  entweder  in  einem  Punkte  der  Linie  selbst 
oder  in  einer  endlichen  Entfernung  von  derselben  Statt  hat;  wir  kön- 
nen daher,  wenn  wir  unsere  Betrachtung  auf  einen  im  Innern  der 
Fläche  verlaufenden  Theil  der  Linie  l  und  zu  beiden  Seiten  auf  eiuej) 


8  I.     Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie 

liiiireiclieiid  kleinen  Flliclienstreifen  beschränken,  von  bestimmten 
angrenzenden  Flächentheilen  reden,  deren  Anzahl  auf  jeder  Seite  gleich 
ist,  und  die  wir,  indem  wir  der  Linie  eine  bestimmte  Richtung  bei- 
legen, auf  der  Linken  mit  a^,  a^^  ...  an,  auf  der  Rechten  mit  a/,  a/, ...  d  n, 
bezeichnen.  Jeder  Flächentheil  a  wird  sich  dann  in  einen  der  Flächen- 
theile  d  fortsetzen;  dieser  wird  zwar  im  Allgemeinen  für  den  ganzen 
Lauf  der  Linie  l  derselbe  sein,  kann  sich  jedoch  für  besondere  Lagen 
von  /  in  einem  ihrer  Punkte  ändern.  Nehmen  wir  an,.dass  oberhalb 
eines  solchen  Punktes  ö  (d.  h.  längs  des  vorhergehenden  Theils  von  l) 
mit  den  Flächentheilen  a\,  a\^, .  .  .  d n  der  Reihe  nach  die  Flächen- 
theile  a,,  c?^,,  .  .  .  «,,  verbunden  seien,  unterhalb  desselben  aber  die 
Flächentheile  a«i,  aa.>y  •  •  •  ««„;  wo  «i,  «^,  .  .  .  a^  nur  in  der  Anordnung 
von  1,  2, ..  .  .  n  verschieden  sind,  so  wird  ein  oberhalb  (5  von  %  in  d^ 
eintretender  Punkt,  wenn  er  unterhalb  6  auf  die  linke  Seite  zurück- 
tritt, in  den  Fläch  entheil  «„i  gelangen,  und  wenn  er  den  Punkt  6  von 
der  Linken  zur  Rechten  umkreiset,  wird  der  Index  des  Flächentheils, 
in  welchem  er  sich  befindet,  der  Reihe  nach  die  Zahlen 

1,  r^i,  «„1,  .  .  .  ^,  dl,,  ... 

durchlaufen.  Tn  dieser  Reihe  sind,  so  lange  das  Glied  1  nicht  wieder- 
kehrt, nothwendig  alle  Glieder  von  einander  verschieden,  weil  einem 
beliebigen  mittlem  Gliede  «^<  nothwendig  ^  und  nach  einander  alle 
früheren  Glieder  bis  1  in  unmittelbarer  Folge  vorhergehen  5  wenn  aber 
nach  einer  Anzahl  von  Gliedern,  die  offenbar  kleiner  als  n  sein  muss 
und  =  m  sei,  das  Glied  1  wiederkehrt,  so  müssen  die  übrigen  Glieder 
in  derselben  Ordnung  folgen.  Der  um  ö  sich  bewegende  Punkt  kommt 
alsdann  nach  je  m  Umläufen  in  denselben  Flächentheil  zurück  und 
ist  auf  m  der  auf  einander  liegenden  Flächentheile'  eingeschränkt, 
welche  sich  über  ö  zu  einem  einzigen  Punkte  vereinigen.  Wir  nennen 
diesen  Punkt  einen  Windungspunkt  m  —  1  ster  Ordnung  der  Fläche  T. 
Durch  Anwendung  desselben  Verfahrens  auf  die  übrigen  n  —  m  Flächen- 
theile werden  diese,  wenn  sie  nicht  gesondert  verlaufen,  in  Systeme 
von  w^,  m^,  ...  Flächentheilen  zerfallen,  in  welchem  Falle  auch  noch 
Windungspunkte  m^  —  Ister,  m.^  —  Ister  Ordnung  in  dem  Punkte  ö 
liegen. 

Wenn  die  Lage  und  der  ♦Sinn  der  Begrenzung  von  T  und  die 
Lage  ihrer  Windungspunkte  gegeben  ist,  so  ist  T  entweder  vollkom- 
men bestimmt  oder  doch  auf  eine  endliche  Anzahl  verschiedener  Ge- 
stalten beschränkt;  Letzteres,  in  so  fern  sich  diese  Bestimmungsstücke 
auf  verschiedene  der  auf  einander  liegenden  Flächentheile  beziehen 
können. 


der  Functionen  einer  veränderlichen  complexen  Grösse.  9 

Eine  veränderliche  Grösse,  die  für  jeden  Punkt  0  der  Fläche  T, 
allgemein  zu  reden,  d.  h.  ohne  eine  Ausnahme  in  einzelnen  Linien  und 
Punkten'^)  auszuschliessen,  Einen  bestimmten  mit  der  Lage  desselben 
stetig  sich  ändernden  Werth  annimmt,  kann  offenbar  als  eine  Function 
von  X,  y  angesehen  werden,  und  überall^  wo  in  der  Folge  von  Functionen 
von  X,  y  die  Rede  sein  wird,  werden  wir  den  Begriff  derselben  auf 
diese  Art  festlegen. 

Ehe  wir  uns  jedoch  zur  Betrachtung  solclier  Functionen  wenden, 
schalten  wir  noch  einige  Erörterungen  über  den  Zusammenhang  einer 
Fläche  ein.  Wir  beschränken  uns  dabei  auf  solclie  Flächen,  die  sich 
nicht  längs  einer  Linie  spalten. 

6. 

Wir  betrachten  zwei  Flächentheile  als  zusammenhängend  oder 
Einem  Stücke  angehörig,  wenn  sich  von  einem  Punkte  des  einen  durch 
das  Innere  der  Fläche  eine  Linie  nach  einem  Punkte  des  andern  ziehen 
lässt,  als  getrennt,  wenn  diese  Möglichkeit  nicht  Statt  findet. 

Die  Untersuchung  des  Zusammenhangs  einer  Fläche  beruht  auf 
ihrer  Zerlegung  durch  Querschnitte,  d.  h.  Linien,  welche  von  einem 
Begrenzungspunkte  das  Innere  einfach  —  keinen  Punkt  mehrfach  — 
bis  zu  einem  Begrenzungspunkte  durchschneiden.  Letzterer  kann  auch 
in  dem  zur  Begrenzung  hinzugekommenen  Theile,  also  in  einem 
frühern  Punkte  des  Querschnitts,  liegen. 

Eine  zusammenhängende  Fläche  heisst,  wenn  sie  durch  jeden 
Querschnitt  in  Stücke  zerfällt,  eine  einfach  zusammenhängende,  andern- 
falls eine  mehrfach  zusammenhängende. 

Lehrsatz  I.  Eine  einfach  zusammenhängende  Fläche  A  zerfällt 
durch  jeden  Querschnitt  ah  in  zwei  einfach  zusammenhängende  Stücke. 

Gesetzt,  eins  dieser  Stücke  würde  durch  einen  Querschnitt  cd 
nicht  zerstückt,  so  erhielte  man  offenbar,  je  nachdem  keiner  seiner 
Endpunkte  oder  der  Endpunkt  o  oder  beide  Endpunkte  in  ah  fielen, 
durch  Herstellung  der  Verbindung  längs  der  ganzen  Linie  ah  oder 
längs    des   Theils   ch    oder    des    Theils    cd    derselben    eine    zusammen- 


*)  Diese  Beschränkung  ist  zwar  nicht  durch  den  Begriif  einer  Function  au 
sich  geboten,  aber  um  Infinitesimalrechnung  auf  sie  anwenden  zu  können  erfor- 
derlich: eine  Function,  die  in  allen  Punkten  einer  Fläche  unstetig  ist,  wie  z.  B. 
eine  Function,  die  für  ein  commensurables  x  und  ein  commensurables  y  den 
Werth  1,  sonst  aber  den  Werth  2  hat,  kann  weder  einer  Differentiation,  noch 
einer  Integration,  also  (unmittelbar)  der  Infinitesimalrechnung  überhaupt  nicht  un- 
terworfen werden.  Die  für  die  Fläche  T  hier  willkürlich  gemachte  Beschränkung 
ird  sich  später  (Art.  15.)  rechtfertigen. 


w 


10  I.     Gruiidlageu  für  eine  allgcmeino  Theorie 

hängende  Fläche,  welclie  durch  einen  Querschnitt  aus  Ä  entstände, 
gegen  die  Vorraussetzung. 

Lehrsatz  IL  Wenn  eine  Fläche  T  durch  ?2^*)  Querschnitte  q^  in 
ein  System  T^  von  7)1^  einfach  zusammenhängenden  Flächenstücken 
und  durch  n^  Querschnitte  q.^  in  ein  System  T.^  von  m.,  Flächenstücken 
zerfällt,  so  kann  7io  —  m.^  nicht  >  n^  —  m^  sein. 

Jede  Linie  ^o  bildet,  wenn  sie  nicht  ganz  in  das  Querschnitt- 
system q^  fällt,  zugleich  einen  oder  mehrere  Querschnitte  q.^  der 
Fläche  T^.     Als  Endpunkte  der  Querschnitte  g^'  ^^^^  anzusehen: 

1)  die  2n2  Endpunkte  der  Querschnitte  q.^,  ausgenommen,  wenn  ihre 
-  vt     Enden  mit  einem  Theil  des  Liniensystems  q^  zusammenfallen, 

2)  jeder  mittlere  Punkt  eines  Querschnitts  q.^,  in  welchem  er  in 
einen  mittlem  Punkt  einer  Linie  q^  eintritt,  ausgenommen,  wenn 
er  sich  schon  in  einer  andern  Linie  q^  befindet,  d.  h.  wenn  ein 
Ende  eines  Querschnitts  g^  mit  ihm  zusammenfällt. 

Bezeichnet  nun  ^,  wie  oft  Linien  beider  Systeme  während  ihres 
Laufes  zusammentreffen  oder  auseinandergehen  (wo  also  ein  einzelner 
gemeinsamer  Punkt  doppelt  zu  rechnen  ist),  v^,  wie  oft  ein  Endstück 
der  ^1  mit  einem  mittlem  Stücke  der  g.2,  v^,  wie  oft  ein  Endstück 
der  q.,  mit  einem  mittlem  Stücke  der  g^,  endlich  v.^,  wie  oft  ein  End- 
stück der  q^  mit  einem  Endstücke  der  q.^  zusammenfällt,  so  liefert 
Nr.  1  2  »2  —  '^2  —  "^^3?  Ni'-  ^  f^  —  '^i  Endpunkte  der  Querschnitte  gV? 
beide  Fälle  zusammengenommen  aber  umfassen  sämmtliche  Endpunkte 
und  jeden  nur  einmal,  und  die  Anzahl   dieser  Querschnitte  ist  daher 

-  '^       ^^      Js  -r  ^ ^  ^_  ^^^  _|_  ^      Durch  ganz    ähnliche   Schlüsse   er- 

giebt  sich  die  Anzahl  der  Querschnitte  q\  der  Fläche,v^T^,  welche  durch 
die  Linien  q^  gebildet  werden,  = — ^- — J'"^         ^ ,  also  ==  ^^^ -f"  ^"• 

Die  Fläche  1\  wird  nun  offenbar  durch  die  n.^  +  s  Querschnitte  q^  in 
dieselbe  Fläche  verwandelt,  in  welche  T.j  durch  die  w^  +  s  Querschnitte 
q\  zerfällt  wird.  Es  besteht  aber  T^  aus  m^  einfach  zusammenhän- 
genden Stücken  und  zerfällt  daher  nach  Satz  L  durch  n.^  +  6* 
Querschnitte  in  ni^^  +  n^  +  ^  Flächenstücke-,  folglich  müsste,  wäre 
m.^  <  m^  +  ^2  —  '*h>  ^i^  ^^^^  ^®^  Flächenstücke  jf^  durch  n^  -\-  s  Quer- 
schnitte um  mehr  als  n^  +  s  vermehrt  werden,  was  ungereimt  ist. 

Zufolge  dieses  Lehrsatzes  ist,  wenn  die  Anzahl  der  Querschnitte 
unbestimmt  durch  n,  die  Anzahl  der  Stücke  durch  m  bezeichnet  wird, 


*)  Unter  einer  Zerlegung  durch  mehrere  Querschnitte  ist  stets  eine  successive 
zu  verstehen,  d.  h.  eine  solche,  wo  die  durch  einen  Querschnitt  entstandene 
Fläche  durch  einen  neuen  Querschnitt  weiter  zerlegt  wird. 


der  Finictionen  einer  veränderlichen  coraplexen  Grösse.  11 

n  —  ni  für  alle  Zerlegungen  einer  Fläche  in  einfach  zusammenhängende 
Stücke  constant;  denn  betrachten  wir  irgend  zwei  bestimmte  Zer- 
legungen durch  Wi  Querschnitte  in  m^  Stücke  und  durch  n.^  Quer- 
schnitte in  Wcj  Stücke,  so  muss,  wenn  erstere  einfach  zusammenhängend 
sind,  Wg  —  ^Wy  <  »^1  — tnj^,  und  wenn  letztere  einfach  zusammenhän- 
gend sind,  %  —  m^'^n^  —  ni^y  also  wenn  Beides  zutrifft,  n.^  —  mg 
=  n^  —  m^  sein. 

Diese  Zahl  kann  füglich  mit  dem  Namen  „Ordnung  des  Zusam- 
menhangs" einer  Fläche  belegt  werden;  sie  wird 

durch  jeden  Querschnitt  um  1  erniedrigt  —  nach  der  Definition  — , 

durch  eine  von  einem  innern  Punkte  das  Innere  einfach  bis  zu 
einem  Begrenzungspunkte  oder  einem  frühern  Schnittpunkte  durch- 
schneidende Linie  nicht  geändert  und 

durch  einen  innern  allenthalben  einfachen  in  zwei  Punkten  endenden 
Schnitt  um   1  erhöht, 

weil  erstere  durch  Einen,  letztere  aber  durch  zwei  Querschnitte  in 
Einen  Querschnitt  verwandelt  werden  kann. 

Endlich  wird  die  Ordnung  des  Zusammenhangs  einer  aus  mehreren 
Stücken  bestehenden  Fläche  erhalten,  wenn  man  die  Ordnungen  des 
Zusammenhangs  dieser  Stücke  zu  einander  addirt. 

Wir  werden  uns  indess  in  der  Folge  meistens  auf  eine  aus  Einem 
Stücke  bestehende  Fläche  beschränken,  und  uns  für  ihren  Zusammen- 
hang der  kunstloseren  Bezeichnung  eines  einfachen,  zweifachen  etc. 
bedienen ,  indem  wir  unter  einer  n  fach  zusammenhängenden  Fläche 
eine  solche  verstehen,  die  durch  n  —  1  Querschnitte  in  eine  einfach 
zusammenhängende  zerlegbar  ist. 

In  Bezug  auf  die  Abhängigkeit  des  Zusammenhangs  der  Begren- 
zung von  dem  Zusammenhang  einer  Fläche  erhellt  leicht: 

1)  Die  Begrenzung  einer   einfach  zusammenhängenden   Fläche   be- 
steht nothw endig  aus  Einer  in  sich  zurücklaufenden  Linie. 

Bestände  die  Begrenzung  aus  getrennten  Stücken,  so  würde  ein 
Querschnitt  q,  der  einen  Punkt  eines  Stücks  a  mit  einem  Punkte  eines 
andern  h  verbände,  nur  zusammenhängende  Flächentheile  von  einander 
scheiden,  da  sich  im  Innern  der  Fläche  längs  a  eine  Linie  von  der 
einen  Seite  des  Querschnitts  g  an  die  entgegengesetzte  führen  .Hesse; 
und*  folglich  würde  q  die  Fläche  nicht  zerstücken,  gegen  die  Voraus- 
setzung. 

2)  Durch  jeden  Querschnitt  wird  die  Anzahl  der  Begrenzungsstücke 
entweder  um  1  vermindert  oder  um  1  vermehrt. 

Ein  Querschnitt  q  verbindet  entweder  einen  Punkt  eines  Begren- 
zungsstücks a   mit  einem  Punkte    eines   andern  h,  —  in  diesem    Falle 


12  1.     Urundhigcn  für  eine  allgejueiue  Tlicorie 

bilden  alle  diese  Linien  zusammengenommen  in  der  Folge  Oj  (j,  h,  q 
ein  einziges  in  sich  zurücklaufendes  Stück  der  Begrenzung  — 

oder  er  verbindet  zwei  Punkte  Eines  Stücks  der  Begrenzung,  — 
in  diesem  Falle  zerfallt  dieses  durch  seine  beiden  Endj)unkte  in  zwei 
Stücke,  deren  jedes  mit  dem  Querschnitte  zusammengenommen  ein  in 
sich  zurücklaufendes  Begrenzungsstück  bildet  — 

oder  endlich,  er  endet  in  einem  seiner  früheren  Punkte  und  kann 
betrachtet  werden  als  zusammengesetzt  aus  einer  in  sich  zurücklaufen- 
den Linie  o  und  einer  andern  ?,  welche  einen  Punkt  von  o  mit  einem 
Punkte  eines  Begrenzungsstücks  a  verbindet,  —  in  Avelchem  Falle  o 
eines  Theils,  und  «,  l,  o,  l  andern  Theils  je  ein  in  sich  zurücklaufen- 
des Begrenzungsstück  bilden. 

Es  treten  also  entweder  —  im  erstem  Falle  —  an  die  Stelle 
zweier  Ein,  oder  —  in  den  beiden  letzteren  Fällen  —  an  die  Stelle 
Eines  zwei  Begrenzungsstücke,  woraus  unser  Satz  folgt. 

Die  Anzahl  der  Stücke,  aus  welchen  die  Begrenzung  eines  wfach 
zusammenhängenden  Flächenstücks  besteht,  ist  daher  entweder  =  n 
oder  um  eine  gerade  Zahl  kleiner. 

Hieraus  ziehen  wir  noch  das  Corollar: 

Wenn  die  Anzahl  der  Begrenzungsstücke  einer  nfach  zusammen- 
hängenden Fläche  =  n  ist,  so  zerfällt  diese  durch  jeden  überall  ein- 
fachen im  Lmern  in  sich  zurücklaufenden  Schnitt  in  zwei  getrennte 
Stücke. 

Denn  die  Ordnung  des  Zusammenhangs  wird  dadurch  nicht  ge- 
ändert, die  Anzahl  der  Begrenzungsstücke  um  2  vermehrt;  die  Fläche 
würde  also,  wenn  sie  eine  zusammenhängende  wäre,  einen  w fachen 
Zusammenhang  und  n  -\-  2  Begrenzungsstücke  haben,  was  unmöglich  ist. 


7. 

Sind  X  und  Y  zwei  in  allen  Punkten  der  über  Ä  ausgebreiteten 
Fläche  T  stetige  Functionen  von  x,  y,  so  ist  das  über  alle  Elemente 
clT  dieser  Fläche  ausgedehnte  Integral 

wenn  in  jedem  Punkte  der  Begrenzung  die  Neigung  einer  auf  sie  nach 
Innen  gezogenen  Normale  gegen  die  x-kxQ  durch  5,  gegen  die  y-Axe 
durch  fj  bezeichnet  wird,  und  sich  diese  Litegration  auf  sämmtliche 
Elemente  ds  der  Begrenzungslinie  erstreckt. 

Um   das  Integral    /   -^dT  zu  transforiniren,   zerlegen    wir    den 


der  Functionen  einer  veränderlichen  complexen  Grösse.  13 

von  der  Fläche  T  bedeckten  Tlieil  der  Ebene  A  durch  ein  System  der 
x-KnQ  paralleler  Linien  in  Elementarstreifen,  und  zwar  so,  dass  jeder 
Windungspunkt  der  Fläche  T  in  eine  dieser  Linien  fällt.  Unter  dieser 
Voraussetzung  besteht  der  auf  jeden  derselben  fallende  Theil  von  T 
aus  einem  oder  mehreren  abgesondert  verlaufenden  trapezförmigen 
Stücken.  Der  Beitrag  eines  unbestimmten  dieser  Flächenstreifen, 
welcher  aus   der  y-Axe   das  Element  dy  ausscheidet,  zu   dem  Werthe 

von  I  ^-;  (IT  wird  dann  offenbar  =  cly  j  0—  dx^  wenn  diese  Inte- 
gration durch  diejenige  oder  diejenigen  der  Fläche  T  angehörigen 
geraden  Linien  ausgedehnt  wird,  welche  auf  eine  durch  einen  Punkt 
von  dy  gehende  Normale  fallen.  Sind  nun  die  unteren  Endpunkte 
derselben  (d.  h.  welchen  die  kleinsten  Werthe  von  x  entsprechen) 
0^,  0^^,  0^^^,  .  .  .,  die  oberen  0',  0'\  0"\  .  .  .  und  bezeichnen  wir  mit 
X^,  X^^,  ....  X\  X",  ...  7  die  Werthe  von  X  in  diesen  Punkten, 
mit  ds^,  ds^^y  ....  ds'j  ds\  ....  die  entsprechenden  von  dem  Flächen- 
streifen aus  der  Begrenzung  ausgeschiedenen  Elemente,  mit  ^^,  |^^,  .  .  .  . 
5',  5";  .  •  •  •  die  Werthe  von  |  an  diesen  Elementen,  so  wird 


j 


.     dx==  —  X  —  X  —X 

ex  '  "  ' 


+  X'  +  X"  -f  X"  .... 

Die  Winkel  %  werden  offenbar  spitz  an   den   unteren,   stumpf  an   den 
oberen  Endpunkten,  und  es  wird  daher 

dy  =        cos  Ids^  =       cos  ^jls^^ .... 

=  —  cos  ^'ds  =  —  cos  ^''ds'  .... 

Durch  Substitution  dieser  Werthe  ergiebt  sich 


y^d  X 
j-  dx  ==—  UX  cos  ^dSy 


wo  sich  die  Summation  auf  alle  Begrenzungselemente  bezieht,   welche 
in  der  ^-Axe  dy  zur  Projection  haben. 

Durch  Integration  über  sämmtliche  in  Betracht  kommende  dy 
werden  offenbar  sämmtliche  Elemente  der  Fläche  T  und  sämmtliche 
Elemente  der  Begrenzung  erschöpft,  und  man  erhält  daher,  in  diesem 
Umfange  genommen, 

I  j^dT=  —  I  Xcos  ^ds. 

Durch  ganz  ähnliche  Schlüsse  findet  man 


14  I-     Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie 

und  folglich 

8. 

Bezeichnen  wir  in  der  Begrenzungslinie^  von  einem  festen  Anfangs- 
punkte aus  in  einer  bestimmten  später  festzusetzenden  Richtung  ge- 
rechnet, die  Länge  derselben  bis  zu  einem  unbestimmten  Punkte  Oo 
durch  5,  und  in  der  in  diesem  Punkte  Oo  errichteten  Normalen  die 
Entfernung  eines  unbestimmten  Punktes  0  von  demselben  und  zwar 
nach  Innen  zu  als  positiv  betrachtet  durch  jü,  so  können  offenbar  die 
Werthe  von  x  uud  y  im  Punkte  0  als  Functionen  von  5  und  p  an- 
geseheü  werden,  und  es  werden  dann  in  den  Punkten  der  Begrenzungs- 
linie die  partiellen  Differentialquotienten 

ex  j.       cy  ex  ,  ^2/         -r  fc 

T^—  =  cos  t,     "—-  =  cos  79,     -7^—  =  +  cos  ri,    -F^  =  +  cos  \. 

wo  die  oberen  Zeichen  gelten,  wenn  die  Richtung,  in  welcher  die 
Grösse  ,s'  als  wachsend  betrachtet  wird,  mit  p  einen  gleichen  Winkel 
einschliesst,  wie  die  x-Axe  mit  der  ^-Axe,  wenn  einen  entgegen- 
gesetzten, die  unteren.  Wir  werden  diese  Richtung  in  allen  Theilen 
der  Begrenzung  so  annehmen,  dass 

ex         cy  1    p  1   T  1       ^y  ^^ 

-r—  ==  -K^     und   folsjlich      ,  "^   =  —  .— - 
CS  cj)  CS  öp 

ist,  was  die  Allgemeinheit  unserer  Resultate  im  Wesentlichen  nicht 
beeinträchtigt. 

Offenbar  können  wir  diese  Bestimmungen  auch  auf  Linien  im 
Innern  von  T  ausdehnen;  nur  haben  wir  hier  zur  Bestimmung  der 
Vorzeichen  von  dp  und  dSj  wenn  deren  gegenseitige  Abhängigkeit  wie 
dort  festgesetzt  wird,  noch  eine  Angabe  hinzuzufügen,  welche  entweder 
das  Vorzeichen  now.  dp  oder  von  ds  festsetzt;  und  zwar  werden  wir 
bei  einer  in  sich  zurücklaufenden  Linie  angeben,  von  welchem  der 
durch  sie  geschiedenen  Flächentheile  sie  als  Begrenzung  gelten  solle, 
wodurch  das  Vorzeichen  von  dp  bestimmt  wird,  bei  einer  nicht  in 
sich  zurücklaufenden  aber  ihren  Anfangspunkt,  d.  h.  den  Endpunkt, 
wo  s  den  kleinsten  Werth  annimmt. 

Die  Einführung  der  für  cos  |  und  cos  t]  erhaltenen  Werthe  in  die 
im  vorigen  Art.  bewiesene  Gleichung  giebt,  in  demselben  Umfange  wie 
dort  genommen. 


der  Functionen  einer  veränderlichen  complexeu  Grösse.  15 

9. 

Durch  Anwendung   des  Satzes   am  Schlüsse   des   vorigen   Art.  auf 
den  Fall^  wo  in  allen  Theilen  der  Fläche 

dX'  ,    dY 
dx    '     cy 

ist,  erhalten  wir  folgende  Sätze: 

J.    Sind   X  und    Y  zwei    in    allen   Punlvten   von    T  endliclie    und 
stetige  und  der  Gleichung 

dx  "'     dy 

genügende  Functionen,  so  ist,  durch  die  ganze  Begrenzung  von  T  aus- 
gedehnt, 


Denkt  man  sich  eine  heliebigc  über  A  ausgestreckte  Fläche  T^  in 
zwei  Stücke  1\,  und  T.,  auf  beliebige  Art  zerfällt,  so  Ivann  das  Integral 


/(^g +>-;;) 


ds 


in  Bezug  auf  die  Begrenzung  von  1\>  betrachtet  werden  als  die  Differenz 
der  Integrale  in  Bezug  auf  die  Begrenzung  von  T^  und  in  Bezug  auf 
die  Begrenzung  von  T.^^  indem,  wo  T^  sich  bis  zur  Begrenzung  von 
1\  erstreckt,  beide  Integrale  sich  aufheben,  alle  übrigen  Elemente  aber 
einem  Elemente  der  Begrenzung  von  T.^  entsprechen. 
Mittelst  dieser  Umformuner  ersieht  sich  aus  I. : 


IL    Der  Werth  des  Integrals 


durch  die  ganze  Begrenzung  einer  über  A  ausgebreiteten  Fläche  er- 
streckt, bleibt  bei  beliebiger  Erweiterung  oder  Verengerung  derselben 
constant,  wenn  nur  dadurch  keine  Flächentheil  dein-  oder  austreten, 
innerhalb  welcher  die  Voraussetzungen  des  Satzes  I.  nicht  erfüllt  sind. 
Wenn  die  Functionen  X,  Y  zwar  in  jedem  Theile  der  Fläche  T 
der  vorgeschriebenen  Differentialgleichung  genügen,  aber  in  einzelnen 
Linien  oder  Punkten  mit  einer  Unstetigkeit  behaftet  sind,  so  kann  man 
jede  solche  Linie  und  jeden  solchen  Punkt  mit  einem  beliebig  kleinen 
Flächentheil  als  Hülle  umgeben  und  erhält  dann  durch  Anwendung 
des  Satzes  IL: 


IG  I.     Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie 

IlL    Das  Integral 


o 


J    \      cp    '         dp) 


in  Bezug  auf  die  ganze  Begrenzung  von  T  ist   gleich   der  Summe  der 
Integrale 


C3^ 


J\ 


^S+i-g)"' 


in  Bezug  auf  die  Umgrenzungen  aller  Unstetigkeitsstellen,  und  zwar 
behält  in  Bezug  auf  jede  einzelne  dieser  Stellen  das  Integral  denselben 
Werth^  in  wie  enge  Grenzen  man  sie  auch  einschliessen  möge. 

Dieser  Werth  ist  für  einen  blossen  Unstetigkeitspunkt  nothw endig 
gleich  0,  wenn  mit  der  Entfernung  q  des  Punktes  0  von  demselben 
zugleich  qX.  und  ()  F  unendlich  klein  werden;  denn  führt  man  in  Be- 
zug auf  einen  solchen  Punkt  als  Anfangspunkt  und  eine  beliebige  An- 
fangsrichtung Polarcoordinaten  q,  (p  ein  und  wählt  zur  Umgrenzung 
einen  um  denselben  mit  dem  Radius  q  beschriebenen  Kreis,  so  wird 
das  auf  ihn  bezügliche  Integral  durch 

0 

ausgedrückt  und  kann  folglich  nicht  einen  von  Null  verschiedenen 
Werth  7t  haben,  weil,  was  auch  oi  sei,  q  immer  so  klein  angenommen 

werden  kann,  dass  abgesehen  vom  Zeichen  IXi^  -\-  Y ^\  q  für  jeden 
Werth  von  qp  <  —  und  folglich 

27t 


/(^S+^ll)^"^<'< 


wird. 

IV.  Ist  in  einer  einfach  zusammenhängenden  über  A  ausgebrei- 
teten Fläche  für  jeden  Flächentheil  das  durch  dessen  ganze  Begrenzung 
erstreckte  Integral 


oder 


/(^lf-^lf)'^«  =  '' 


so  erhält  für  irgend  zwei  feste  Punkte  Oo  und  0  dies  Integral  in 
Bezug  auf  alle  von  0,,  in  derselben  nach  0  gehende  Linien  denselben 
Werth. 


der  Functionen  einer  veränderlichen  complexen  Grösse.  17 

Je  zwei  die  Punkte  0,,  und  0  verbindende  Linien  5^  und  5^  bilden 
zusammengenommen  eine  in  sich  zurücklaufende  Linie  s.^.  Diese  Linie 
besitzt  entweder  selbst  die  Eigenschaft,  keinen  Punkt  mehrfach  zu 
durchschneiden,  oder  man  kann  sie  in  mehrere  allenthalben  einfache 
in  sich  zurücklaufende  Linien  zerlegen,  indem  man  von  einem  belie- 
bigen Punkte  aus  dieselbe  durchlaufend  jedesmal,  wenn  man  zu  einem 
frühern  Punkte  zurückgelangt,  den  inzwischen  durchlaufenen  Theil 
ausscheidet  und  den  folgenden  als  unmittelbare  Fortsetzung  des  vor- 
hergehenden betrachtet.  Jede  solche  Linie  aber  zerlegt  die  Fläche  in 
eine  einfach  und  eine  zweifach  zusammenhängende;  sie  bildet  daher 
noth wendig  von  Einem  dieser  Stücke  die  ganze  Begrenzung,  und  das 
durch  sie  erstreckte  Integral 


/(^If-^H)^^ 


wird  also  der  Voraussetzung  nach  =  o.  Dasselbe  gilt  folglich  auch 
von  dem  durch  die  ganze  Linie  s.  erstreckten  Integrale,  wenn  die 
Grösse  s  überall  in  derselben  Richtung  als  wachsend  betrachtet  wird; 
es  müssen  daher  die  durch  die  Linien  6\  und  Sg  erstreckten  Integrale, 
wenn  diese  Richtung  ungeändert  bleibt,  d.  h.  in  einer  derselben  von 
0„  nach  0  und  in  der  andern  von  0  nach  0«  geht,  einander  auflieben, 
also^  wenn  sie  in  letzterer  geändert  wird,  gleich  werden. 

"Hat  man  nun  irgend  eine  beliebige  Fläche  7]  in  welcher  allgemein 
zu  reden 

dx  "'"  dy 
ist,  so  schliesse  man  zunächst,  wenn  nöthig,  die  Unstetigkeitsstellen  aus, 
so  dass  im  übrigen  Flächenstücke  für  jeden  Flächentheil 

ist,  und  zerlege  dieses  durch  Querschnitte  in  eine  einfach  zusammen- 
hängende Fläche  T*.  Für  jede  im  Innern  von  T*  von  einem  Punkte 
Oa  nach  einem  andern  0  gehende  Linie  hat  dann  unser  Integral  den- 
selben Werth;  dieser  Werth,  für  den  zur  Abkürzung  die  Bezeichnung 


fC^yi-^M)'^' 


gestattet  sein  möge,  ist  daher,  0„  als  fest,  0  als  beweglich  gedacht, 
für  jede  Lage  von  0  abgesehen  vom  Laufe  der  Verbindungslinie  ein 
bestimmter  und  kann  folglich  als  Function  von  x,  y  betrachtet  werden. 
Die  Aenderung  dieser  Function  wird  für  eine  Verrückung  von  0  längs 


eines  beliebigen  Linienelements  ds  durch 

ütbmann's  gosaiiuuelte  niatlieniatische  Werke.    I. 


18  I.     Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie 

ausgedrückt,  ist  in  J'*  überall  stetig  und  längs  eines  Querschnitts  von 
T  zu  beiden  Seiten  gleich  5 


V.    das  Integral 


bildet  daher,  0,,  als  fest  gedacht,  eine  Function  von  x,  y,  welche  in  T* 
überall  sich  stetig,  beim  Ueberschreiten  der  Querschnitte  von  T  aber 
um  eine  längs  derselben  von  einem  Zweigpunkte  zum  andern  constante 
Grösse  ändert,  und  von  welcher  der  partielle  Differentialquotient 

-TT-  =  J: ,   -—  =  —  A  ist. 
ex  '    cy 

Die  Aenderungen  beim  Ueberschreiten  der  Querschnitte  sind  von 
einer  der  Zahl  der  Querschnitte  gleichen  Anzahl  von  einander  unab- 
hängiger Grössen  abhängig;  denn  wenn  man  das  Querschnittsystem 
A<ückwärts  —  die  späteren  Theile  zuerst  —  durchläuft,  so  ist  diese 
Aenderung  überall  bestimmt,  wenn  ihr  Werth  beim  Beginn  jedes 
Querschnitts  gegeben  wird;  letztere  Werthe  aber  sind  von  einander 
unabhängig.  (^) 

10. 

Setzt  man  für  die  bisher  durch  X  bezeichnete  Function 

du           r  du         ■,       du  ,  du 

u  -, li    TT—    und  %i  ^ n    ^— 

dx  ex  cy  dy 


für   Y,  so  wird 

dJX 

0 


dx  '^  dy  ~~'^  \dx'  ■+"  dy')        "    \dx'  "^  cy^  ' 


wenn  also  die  Functionen  u  und  u'  den  Gleichungen 

d'^u  _|    d'^u  d/'u     I    d'^u  

dx'    '    dy"'  '  dx'     '    dy' 

genügen,  so  wird 

dX    ,    dY 

dx    ^     dy  ' 

und  es  finden  auf  den  Ausdruck 
welcher 


der  Functionen  einer  veränderlichen  complexen  Grösse.  19 


/V     du  ,  du\    . 

—J  \    dp  cp) 


wird,  die  Sätze  des  vorigen  Art.  Anwendung. 

Machen  wir  nun  in  Bezug  auf  die  Function  ii  die  Voraussetzung, 
dass  sie  nebst  ihren  ersten  Differentialquotienten  etwaige  Unstetig- 
keiten  jedenfalls  nicht  längs  einer  Linie  erleidet,  und  für  jeden  Un- 
stetigkeitspunkt  zugleich    mit    der  Entfernung   q    des  Punktes   0   von 

demselben  p  ^-    und    p  0-  unendlich  klein  werden,  so  können  die  Un- 

^  ex  oy  ' 

Stetigkeiten  von  u  in  Folge  der  Bemerkung  zu  III.  des  vorigen  Art. 
ganz  unberücksichtigt  bleiben. 

Denn  alsdann  kann  man  in  jeder  von  einem  Unstetigkeitspunkte 
ausgehenden  geraden  Linie  einen  Werth  li  von  q  so  annehmen,   dass 

du dudxj^      du  öy 

^  d  Q        "dxdQ~^^dydQ 

unterhalb  desselben  immer  endlich  bleibt,  und  bezeichnet  U  den  Werth 
von  n  für  ^  =  7?,  31  abgesehen  vom  Zeichen  den  grössten  Werth  der 

Function  q  ^—  in  jenem  Intervall,  so  wird,  in  derselben  Bedeutung 
genommen,  stets  u  —  Z7  <  Jf  (log  q  —  log  R)  sein,  folglich  Q  (U —  U) 
und    also   auch   qu  mit   q    zugleich   unendlich    klein   werden;    dasselbe 

gilt  aber  der  Voraussetzung  nach  von  q  t-  und  q  >- -  und  folglich, 
wenn  u'  keiner  Un Stetigkeit  unterliegt,  auch  von 

(du  ,  (  ii\  ,        /du  du\ 

u  r,      —  u    .     I    und    p  1  u  r—  —  u  7.—  1; 
ex  ex)  "^  \     cy  cy)^ 

der  im  vorigen  Art.  erörterte  Fall  tritt  hier  also  ein. 

W^ir  nehmen  nun  ferner  an,  dass  die  den  Ort  des  Punktes  0 
bildende  Fläche  T  allenthalben  einfach  über  A  ausgebreitet  sei,  und 
(lenken  uns  in  derselben  einen  beliebigen  festen  Punkt  Oo,  wo  ?/,  a;,  y 
die  Werthe  w«,  Xo,  j/o  erhalten.     Die  Grösse 

i  log  (^{x  —  Xof  +  (2/  —  l/of  \  =  log  r , 

als  Function  von  x,  y  betrachtet,  hat  alsdann  die  Eigenschaft,  dass 

d  -*  log  r  _,    ^ ^  log  r 


dx"^        '        dy'' 

wird,  und  ist  nur  für  x  =  Xo,  y  =  yo,   also   in  unserm  Falle  nur  für 
Einen  Punkt  der  Fläche  T  mit  einer  Unstetigkeit  behaftet. 

Es  wird  daher  nach  Art.  9.,  IIL,  wenn  wir  log  r  für  n    setzen 


JY    t/'logr       ,  du\    .. 

(  u  — -r^ log  r       )  ds 
\       cp  -     cpj 


2* 


20  I-     Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie 

in  Bezug  auf  die  ganze  Begrenzung  von  T  gleich  diesem  Integrale  in 
Bezug  auf  eine  beliebige  Umgrenzung  de^  Punktes  Oo  und  also,  wenn 
wir  dazji  die  Peripherie  eines  Kreises^  wo  r  einen  constanten  Werth 
hat,  wählen  und  von  einem  ihrer  Punkte  in  einer  beliebigen  festen 
Richtung  den  Bogen  bis  0  in  Theilen  des  Halbmessers  durch  (p  be- 
zeichnen, gleich 

J*    ^  log  r      -,    .      ,  [*'cu    -j 

u-^^^-rdcp-logrJ  ^^ch 

0 

oder  da 


ts, 


ü 

welcher  Werth,    wenn  u  im  Punkte   Oo  stetig  ist,  für  ein  unendlich 
kleines  r  in  —  iio27t  übergeht. 

Unter  den  in  Bezug  auf  u  und  T  gemachten  Voraussetzungen 
haben  wir  daher  für  einen  beliebigen  Punkt  Oo  im  Innern  der  Fläche, 
in  welchem  u  stetig  ist, 

1      /Vi        ^  «*  ^  log  r\  j 

in  Bezug  auf  die  ganze  Begrenzung  derselben  und 

2  TT 

0 

in  Bezug  auf  einen  um  Oo  beschriebenen  Kreis.    Aus  dem  ersten  dieser 
Ausdrücke  ziehen  wir  folgenden 

Lehrsatz.  Wenn  eine  Function  ti  innerhalb  einer  die  Ebene 
Ä  allenthalben  einfach  bedeckenden  Fläche  T  allgemein  zu  reden  der 
Di  fferentialgleichung 

d^u    ,    d^u  

senügt  und  zwar  so,  dass 

1.)  die  Punkte,  in  welchen  diese  Differentialgleichung  nicht  erfiVllt 
ist,  keinen  Flächentheil, 

2.)  die  Punkte,  in  welchen  ?/,  ^-,  t^-  unstetig  werden,  keine  Linie 

''  ^  '  c x^  0  y  ^ 

stetig  erfüllen, 
3.)  für  jeden  Unstetigkeitspunkt  zugleich  mit  der  Entfernung  q 

des  Punktes  0  von  demselben  die  Grössen  o  ^r-,  o  .—   unend- 

^  ox^  ^  cy 

lieh  klein  werden  und 


clor  Functionen  einer  veränderlichen  complcxen  Grösse.  21 

4.)  bei    u    eine    durch    Abänderung    ihres   Werthes    in    einzehicji 
Punkten  hebbare  Unstetigkeit  ausgeschlossen  ist, 
so   ist   sie  nothwendig  nebst  allen  ihren  Difterentialquotienten  für  alle 
Punkte  im  Innern  dieser  Fläche  endlich  und  stetig. 

In  der  That,   betrachten  wir  den  Punkt  Oo  als  beweglich,   so  än- 
dern sich  in  dem  Ausdrucke 

nur  die  Werthe  log  r,  —^^,     ^      •    Diese  Grössen  aber  sind  für  jede« 

Element  der  Begrenzung,  so  lange  Oo  im  Innern  von  T  bleibt,  nebst 
allen  ihren  DifFerentialquotienten  endliche  und  stetige  Functionen  von 
Xoy  lloj  da  die  Differentialquotienten  durch  gebrochene  rationale 
Functionen  dieser  Grössen  ausgedrückt  werden,  die  nur  Potenzen  von 
r  im  Nenner  enthalten.  Dasselbe  gilt  daher  auch  für  den  Werth 
unsers  Integrals  und  folglich  für  die  Function  Uq.  Denn  diese  könnte 
unter  den  früheren  Voraussetzungen  nur  in  einzelnen  Punkten,  indem 
sie  unstetig  würde,  einen  davon  verschiedenen  Werth  haben,  welche 
Möglichkeit  durch  die  Voraussetzuug  4.)  unsers  Lehrsatzes  wegfällt. 

11. 

Unter  denselben  Voraussetzungen  in  Bezug  auf  u  und  T,  wie  am 
Schlüsse  des  vorigen  Art.  haben  wir  folgende  Sätze: 

I.  Wenn  längs  einer  Linie  u  =  o  und  p-  =  o  ist,  so  ist  u 
überall  =  o. 

Wir  beweisen  zunächst,  dass  eine  Linie  A,  wo  u==  o  und  ^  =  o 

'  dp 

ist,  nicht  die  Begrenzung  eines  Flächentheils  a,  wo  u  positiv  ist, 
bilden  könne. 

Gesetzt,  dies  fände  statt,  so  scheide  man  aus  a  ein  Stück  aus, 
welches  eines  Theils  durch  A,  andern  Theils  durch  eine  Kreislinie  be- 
grenzt wird  und  den  Mittelpunkt  dieses  Kreises  nicht  enthält,  welche 
Construction  allemal  möglich  ist.  Man  hat  dann,  wenn  man  die  Polar- 
coordinaten  von  O  in  Bezug  auf  0^,  durch  r,  (p  bezeichnet,  durch  die 
ganze  Begrenzung  dieses  Stücks  ausgedehnt 

^logy 


J*i         du    -,  i*    clos 


(h 


also    in    Folge    der  Annahme    auch    für    den    ganzen    ihr  angehörigen 
Kreisbogen 


/  udcp  +  \ogr  ri^^fJs  =  o, 


22  I-     Crrundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie 

oder  da 

dp 


j 


ds 


ist, 


i   ud(p 


0, 


was  mit  der  Voraussetzung,  dass  y(  im  Innern  von  a  positiv  sei,  un- 
verträglich ist. 

Auf  ähnliehe  Art  wird  bewiesen,  dass  die  Gleichungen  u  =  o  und 

du 

^  =  0  nicht  in  einem  Begrenzungstheile  eines  Flächenstücks  b,  wo  a 

negativ  ist,  stattfinden  könne. 

Wenn  nun   in  der  Fläche  T  in  einer  Linie  u  =  o  und  -^---  =  o  ist 

und  in  irgend  einem  Theile  derselben  u  von  Null  verschieden  wäre, 
so  müsste  ein  solcher  Flächentheil  offenbar  entweder  durch  diese  Linie 
selbst  oder  durch   einen  Flächentheil,   wo  u  =  o  wäre,   also  jedenfalls 

durch  eine  Linie  w^o  u  und  75—  ==  o  wäre,  begrenzt  werden,  was  noth- 

wendig  auf  eine  der  vorhin  widerlegten-  Annahmen  führt. 

IL  Wenn  der  Werth  von  u  und  0—  längs  einer  Linie  gegeben 
ist,  so  ist  u  dadurch  in  allen  Theilen  von  T  bestimmt. 

Sind  Wj  und  Wg  irgend  zwei  bestimmte  Functionen,  welche  den  der 
Function  u  auferlegten  Bedingungen  genügen,  so  gilt  dies  auch,  wie 
sich  durch  Substitution  in  diesen  Bedingungen  sofort  ergiebt,  für  ihre 
Differenz  tf^  —  U2.  Stimmten  nun  ttj^  und  ti^  längs  einer  Linie  nebst 
ihren  ersten  Differentialquotienten  nach  p  überein,  in  einem  andern 
Flächentheile   aber   nicht,   so   würden   längs   dieser   Linie   ii^  —  U2  =  0 

und  — M; ==  0    sein,    ohne    überall   =   0    zu    sein,    dem    Satze   I. 

öp  '  ' 

zuwider. 

III.  Die  Punkte  im  Innern  von  T,  wo  u  einen  constanten  Werth 
hat,  bilden,  wenn  u  nicht  überall  constant  ist,  nothwendig  Linien, 
welche  Flächentheile,  wo  u  grösser  ist,  von  Flächentheilen,  wo  ti  kleiner 
ist,  scheiden. 

Dieser  Satz  ist  aus  folgenden  zusammengesetzt: 

u  kann  nicht  in  einem  Punkte  im  Imiern  von  T  ein  Minimum  oder 
ein  Maximum  haben; 

it  kann  nicht  nur  in  einem  Theile  der  Fläche  constant  sein; 

die  Linien,  in   denen  ii  =  a  ist,  können  nicht  beiderseits  Flächen- 
theile begrenzen,  wo  ti  —  a  dasselbe  Zeichen  hat; 


der  Functionen  einer  veriinderliehen  coniplexen  Grösse.  23 

Sätze,  deren  Gegentheil ,  wie  leicht  zu  sehen,  allemal  eine  Verletzung 
der  im  vorigen  Art.  bewiesenen  Gleichung 


2  n 

~Jnd<p 


oder 

I  (ii  —  U(^)  d(p  =  o 

herbeit'iihron  uulsste  und  l'olglich  unmöglich  ist. 

12. 

Wir  wenden  uns  jetzt  zurück  zur  Betrachtung  einer  veränderlichen 
complexen  Grösse  tv  =  ii-\-vi,  welche,  allgemein  zu  reden  (d.  h.  ohne 
eine  Ausnahme  in  einzelnen  Linien  und  Punkten  auszuschliessen),  für 
jeden  Punkt  0  der  Fläche  T  Einen  bestimmten  mit  der  Lage  desselben 
stetig  und  den  Gleichungen 

du  d  V    du  dv 

dx        dy^  dy  dx 

gemäss  sich  ändernden  Werth  hat,  und  bezeichnen  diese  Eigenschaft 
von  10  nach  dem  früher  Festgestellten  dadurch,  dass  wir  w  eine 
Function  von  z  ==  x  -\-  yi  nennen.  Zur  Vereinfachung  des  Folgenden 
setzen  wir  dabei  im  Voraus  fest,  dass  bei  einer  Function  von  z  eine 
durch  Abänderung  ihres  Werthes  in  einem  einzelnen  Punkte  hebbare 
Unstetigkeit  nicht  vorkommen  solle. 

Der  Fläche  T  wird  vorerst  ein  einfacher  Zusammenhang  und  eine 
allenthalben  einfache  Ausbreitung  über  die  Ebene  A  beigelegt. 

Lehrsatz.  Wenn  eine  Function  lu  von  z  eine  Unterbrechung  der 
Stetigkeit  jedenfalls  nicht  längs  einer  Linie  erleidet  und  ferner  für 
jeden"  beliebigen  Punkt  0'  der  Fläche,  wo  z  =  z  sei,  iv{z  —  /)  mit 
unendlicher  Annäherung  des  Punktes  0  unendlich  klein  wird,  so  ist 
sie  nothwendig  nebst  allen  ihren  Differentialquotienten  in  allen  Punkten 
im  Innern  der  Fläche  endlich  und  stetig. 

Die  über  die  Veränderungen  der  Grösse  w  gemachten  Voraus- 
gesetzt wird,  für  ii  und  v  in 


Setzungen  zerfallen, 

wenn  z  - 

-Z    =Qc'f' 

die  folgenden: 

1) 

du         d  r 
dx         dy  ' 

und 

2-) 

du    .du 
dy  "•"  dx  ~ 

24  ^-     Grundlagen  für  eine  aligemeine  Theorie 

für  jeden  Theil  der  Fläche  T;  3.)  die  Fimktioiien  ti  und  v  sind  nicht 
längs  einer  Linie  unstetig;  4.)  für  jeden  Punkt  0'  werden  mit  der  Ent- 
fernung Q  des  Punktes  0  von  demselben  q  u  und  q  v  unendlich  klein ; 
5.)  für  die  Functionen  u  und  v  sind  Unstetigkeiten ,  die  durch  Ab- 
änderung ihres  Werthes  in  einzelnen  Punkten  gehoben  werden  könnten, 
ausgesclilossen. 

In  Folge  der  Voraussetzungen  2.),  3.),  4.)  ist  für  jeden  Theil  der 
Fläche  T  das  über  dessen  ganze  Begrenzung  ausgedehnte  Integral 

,/'(« li  -  *  S)  ''* 

nach  Art.  9.,  III.  =  o  und  das  Integral 


/  M^  ^  —  ^  ^1  (^s 


erhält  daher  (nach  Art.  9.,  IV.)  durch  jede  von  Oo  nach  0  gehende 
Linie  erstreckt  denselben  Werth  und  bildet,  Oo  als  fest  gedacht,  eine 
bis  auf  einzelne  Punkte  noth wendig  stetige  Function  U  von  x,  y,  von 
welcher  (und  zwar  nach  5.)   in  jedem  Punkte)  der  Differentialquotient 

cU  dU 

-^-  =  n  und  -7^—  =  —  V  ist.     Durch  Substitution  dieser  Werthe  für  u 

ex  cy 

und  V  aber  gehen  die  Voraussetzungen  1.),  3.),  4.)  in  die  Bedingungen 
des  Lehrsatzes  am  Schlüsse  des  Art.  10.  über.  Die  Function  U  ist 
daher  nebst  allen  ihren  Differentialquotienten  in  allen  Punkten  von  T 
endlich  und   stetig  und  dasselbe  gilt  folglich  auch  von  der  complexen 

Function  tv  =  -^^--  —  .^—  i  und  ihren  nach  s  genommenen  Diö'erential- 

quotienten. 

13. 

Es  soll  jetzt  untersucht  werden,  was  eintritt,  wenn  wir  -unter 
Beibehaltung  der  sonstigen  Voraussetzungen  des  Art.  12.  annehmen, 
dass  für  einen  bestimmten  Punkt  0'  im  Innern  der  Fläche  {2  —  /)  w 
=  Qe^'  IV  bei  unendlicher'  Annäherung  des  Punktes  0  nicht  mehr 
unendlich  kkin  wird.  In  diesem  Falle  wird  also  w  bei  imendlicher 
Annäherung   des   Punktes  0  an  0'  unendlich   gross,   und   wir  nehmen 

an,  dass, -wenn  die  Grösse  iv  nicht  mit     -  von  gleicher  Ordnung  bleibt, 

d.  h.  der  Quotient  beider  sich  einer  endlichen  Grenze  nähert,  wenig- 
stens die  Ordnungen  beider  Grössen  in  einem  endlichen  Verhältnisse 
zu  einander  stehen,  so  dass  sich  eine  Potenz  von  q  angeben  lässt, 
deren   Product   in  iv  für   ein   unendlich   kleines-  q   entweder   unendlich 


df'i-  Functionen  einer  veränderlichen  coraplexen  Grösse.  25 

klein  wird  oder  endlich  bleibt.  Ist  ^  der  Exponent  einer  solchen 
Potenz  und  n  die  nächst  grössere  ganze  Zahl,  so  wird  die  Grösse 
(z  —  z'Y  w  =  q'^  e'"^'  IV   mit    q    unendlich    klein,    und    es    ist    daher 

(z  —  zy~^  w  eine  Function  von  z  (da  ^^— ^~      ^^  von  dz  unabhängig 

ist),  welche  in  diesem  Theile  der  Fläche  den  Voraussetzungen  des  Art.  12. 
genügt  und  folglich  im  Punkte  0'  endlich  und  stetig  ist.  Bezeichnen 
wir  ihren  Werth  im  Punkte  0'  mit  ün—i,  so  ist  {z  —  zy~  iv  —  a„_i 
eine  Function,  die  in  diesem  Punkte  stetig  und  =  o  ist  und  folglich 
mit  Q  unendlich  klein  wird,  woraus  man  nach  Artikel  12.  schliesst,  dass 

(z  —  /)"       IV  —  -^—7  eine  im  Punkte  0'  stetige  Function  ist.     Durch 

z  —  z 

Fortsetzung  dieses  Verfahrens  wird  offenbar  w  mittelst  Subtraction 
eines  Ausdruckes  von  der  Form 

«1        ,  a.>  ein  —  1 

7Zr7  + 


in  eine  Function  verwandelt,  welche  im  Punkte  0'  endlich  und  stetig 
bleibt. 

Wenn  daher  unter  den  Voraussetzungen  des  Art.  12.  die  Aenderung 
eintritt,  dass  bei  unendlicher  Annäherung  von  0  an  einen  Punkt  0' 
im  Innern  der  Fläche  T  die  Function  iv  unendlich  gross  wird,  so  ist 
die  Ordnung  dieses  unendlich  Grossen  (eine  im  verkehrten  Verhältnisse 
der  Entfernung  wachsende  Grösse  als  ein  unendlich  Grosses  erster 
Ordnung  betrachtet)  wenn  sie  endlich  ist,  noth wendig  eine  ganze  Zahl; 
und  ist  diese  Zahl  =  m,  so  kann  die  Function  iv  durch  Hinzufügung 
einer  Function,  welche  2  m  willkürliche  Constanten  enthält,  in  eine  in 
diesem  Punkte  0'  stetige  verwandelt  werden. 

Anm.  Wir  betrachten  eine  Function  als  Eine  willkürliche  Constante  ent- 
haltend, wenn  die  möglichen  Arten,  sie  zu  bestimmen,  ein  stetiges  Gebiet  von 
I5iner  Dimension  umfassen. 

14. 

Die  im  Art.  12.  und  13.  in  Bezug  auf  die  Fläche  T  gemachten 
Beschränkungen  sind  für  die  Gültigkeit  der  gewonnenen  Resultate  nicht 
wesentlich.  Offenbar  kann  man  jeden  Punkt  im  Innern  einer  beliebigen 
Fläche  mit  einem  Stücke  derselben  umgeben,  welches  die  dort  voraus- 
gesetzten Eigenschaften  besitzt,  mit  alleiniger  Ausnahme  des  Falles, 
wo  dieser  Punkt  ein  Windungspunkt  der  Fläche  ist. 

Um  diesen  Fall  zu  untersuchen,  denken  wir  uns  die  Fläche  T  oder 
ein  beliebiges  Stück  derselben,  welches  einen  AVin(]ungsi»unkt  w- Ister 
Ordnung  0',  wo  z  =  z  =  x  +  y  i  sei,  enthält,  mittelst  der  Function 


26  1.     U  rund  lagen  für  eine  allgemeine  Theorie 

^  =  (^  —  ^')'*  ^^^f  einer  andern  Ebene  yl  abgebildet,  d.  h.  wir  denken 
uns  den  Wertli  der  Function  g  ==  J  -f  i^  i  im  Punkte  0  durcli  einen 
Punkt  &,  dessen  rechtwinklige  Coordinaten  |,  t]  sind,  in  dieser  Ebene 
vertreten,  und  betrachten  @  als  13ild  des  Punktes  0.  Auf  diesem  Wege 
erhält  man  als  Abbildung  dieses  Theils  der  Fläche  T  eine  zusammen- 
hängende über  J  ausgebreitete  Fläche,  die  im  Punkte  @',  dem  Bilde 
des  Punktes  0'  keinen  AVindungspunkt  hat,  wie  sogleich  gezeigt  wer- 
den soll. 

Zur  Fixirung  der  Vorstellungen  denke  man  sich  um  den  Punkt  0' 
in  der  Ebene  A  mit  dem  Halbmesser  B  einen  Kreis  beschrieben  und 
parallel  mit  der  x-Axe  einen  Durchmesser  gezogen,  wo  also  z  —  / 
reelle  Werthe  annehmen  wird.  Das  durch  diesen  Kreis  ausgeschiedene 
den  Windungspunkt  umgebende  Stück  der  Fläche  T  wird  dann  zu 
beiden  Seiten  des  Durchmessers  in  n,  wenn  R  hinreichend  klein  ge- 
wühlt wird,  abgesondert  verlaufende  halbkreisförmige  Flächenstücke 
zerfallen.  Wir  bezeichnen  auf  derjenigen  Seite  des  Durchmessers,  wo 
y  —  y  positiv  ist,  diese  Flächenstücke  durch  a^,  «2  •  •  •  •  ^^^n,  auf  der 
entgegengesetzten  Seite  durch  a\,  d^  ....  «'„,  und  nehmen  an,  dass 
für  negative  Werthe  von  z  —  s  a^,  a^  ....  an  der  Reihe  nach  mit 
a\,  d^  ....  ci  nj  für  positive  dagegen  mit  a'„,  a\ dn—i  ver- 
bunden   seien,    so    dass    ein    den  Punkt   0'  (im    erforderlichen   Sinne) 

umkreisender  Punkt  der  Reihe  nach  die  Flächen  a^,  a\^  a^^d.^ a„,  d n 

durchläuft  und  durch  d „,  wieder  in  a^  zurückgelangt,  welche  Annahme 
offenbar  gestattet  ist.  Führen  wir  nun  für  beide  Ebenen  Polarcoordi- 
naten  ein,  indem  wir  z  —  /  ==  Qe^\  g  =  Oe"  setzen,  und  wählen  zur 

Abbildung  des  Flächenstücks  a^  denjenigen  Werth  von 
1  1    f/)  . 

{z  —  /)"*==  ^  '*  e  ^   ,  welchen   letzterer   Ausdruck  unter  der  Annahme 

o<9)<7r  erhält,  so  wird  für  alle  Punkte  von  a^  a<:^Il'^  und 
ö<^<  —  5  ^iß  Bilder  derselben  in  der  Ebene  v4  fallen  also  sämmtlich 

in  einen  von  ib  =  o  bis  ib  =  —  sich  erstreckenden  Sector  eines  um  ®' 

^  ^  n 

1 

mit  dem  Radius  II ''  beschriebenen  Kreises,  und  zwar  entspricht  jedem 
Punkte  von  «^  Ein  zugleich  mit  dem'selben  stetig  fortrückender  Punkt 
dieses  Sectors  und  umgekehrt,  woraus  folgt,  dass  die  Abbildung  der 
Fläche  a^  eine  zusammenhängende  einfach  über  diesen  Sector  aus- 
gebreitete Fläche  ist.    Auf  ähnliche  Art  erhält  man  für  die  Fläche  d^  als 

Abbildung  einen  von  i/;  =  —  bis  ih  =  — ,  für  a^  einen  von  ip  =  —  bis 


der  Functionen  einer  veränderlichen  conii>lexen  Grösse.  "21 

w,  =  — ,  endlich  für  a»  einen  von  t  =  "^^^     ;r   bis   i/^   =   '27t    .sich 

erstreckenden  Sector,  wenn  man  cp  für  jeden  Punkt  dieser  Fläcljen  der 
Reihe  nach  zwischen  7t  und  2:r,  2;r  und  3;r  ....  (2n — l)7t  und  2nÄ 
wählt,  was  immer  und  nur  auf  eine  Weise  möglich  ist.  Diese  Sectoren 
schliessen  sich  aber  in  derselben*  Folge  an  einander,  wie  die  Flächen 
a  und  a\  und  zwar  so,  dass  den  hier  zusammenstossenden  Punkten 
auch  dort  zusammenstossende  Punkte  entsprechen;  sie  können  daher 
zu  einer  zusammenhängenden  Abbildung  eines  den  Punkt  0'  ein- 
schHessendcn  Stückes  der  Fläche  T  zusammengefügt  werden,  und  diese 
Abbildung  ist  offenbar  eine  über  die  Ebene  A  einfach  ausgebreitete 
Fläche. 

Eine  veränderliche  Grösse,  die  für  jeden  Punkt  0  einen  bestimmten 
Werth  hat,  hat  dies  auch  für  jeden  Punkt  &  und  umgekehrt,  da  jedem 
0  nur   ein  &  und  jedem  0  nur  ein  0  entspricht;  ist  sie  ferner  eine 

Function  von  2,  so  ist  sie  dies  auch  von  J,  indem,  wenn  -j-  von  cZ^, 

auch  ^.-  von    cl^   unabhängig    ist,    und    umgekehrt.     Es    ergiebt   sich 

hieraus,   dass   auf  alle  Functionen   iv  von  z  auch  im  Windungspunkte 

O'  die  Sätze   der  Art.  12.   und   13.   angewandt   werden  können,    wenn 

1 

man  sie  als  Functionen  von  {z  —  z) "  betrachtet.  Dies  liefert  folgen- 
den Satz: 

Wenn  eine  Function  w  von  z  bei  unendlicher  Annäherung  von  0 
an  einen  Windungspunkt  n- Ister  Ordnung  ()'  unendlich  wird,  so  ist 
dieses   unendlich  Grosse   nothwendig  von   gleicher   Ordnung   mit   einer 

Potenz  der  Entfernung,  deren  Exponent  ein  Vielfaches  von     -  ist,  und 


m 
n 
Ausdrucks  von  der  Form 


kann,   wenn  dieser  Exponent  =  —        ist,    durch  Hinzufügung    eines 


^-r  +  — ^^ 


{z~zY        (z—Z)"'  {z  —  z')" 

WO  «i,  «5,  ....  6//,,  willkürliche  complexe  Grössen  sind,  in  eine  im  Punkte 
0'  stetige  verwandelt  werden. 

Dieser  Satz  enthält  als  Corollar,  dass  die  Function  w  im  Punkte 

(/  stetig  ist,  wenn  (z  —  /)  "  iv  bei  unendlicher  Annähei*»uig  des  Punktes 
0  an  0'  unendlich  klein  wird. 


28  I-     Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie 

^       15. 

Denken  wir  uns  jetzt  eine  Function  von  z,  welche  für  jeden  Punkt 
0  der  beliebig  über  A  ausgebreiteten  Fläche  T  einen  bestimmten  Werth 
hat  und  nicht  überall  constant  ist,  geometrisch  dargestellt,  so  dass  ihr 
Werth  w  ==  h  -{-  vi  im  Punkte  0  durch  einen  Punkt  Q  der  Ebene  B 
vertreten  wird,  dessen  rechtwinklige  Coordinaten  w,  v  sind,  so  ergiebt 
sich  Folgendes: 

I.  Die  Gesammtheit  der  Punkte  Q  kann  betrachtet  werden,  als 
eine  Fläche  S  bildend,  in  welcher  jedem  Punkte  Ein  bestimmter  mit 
ihm  stetig  in  T  fortrückender  Punkt  0  entspricht. 

Um  dieses  zu  beweisen,  ist  offenbar  nur  der  Nachweis  erforderlich, 
dass  die  Lage  des  Punktes  Q  mit  der  des  Punktes  0  sich  allemal  (und 
zwar  allgemein  zu  reden  stetig)  ändert.  Dieser  ist  in  dem  Satze  ent- 
halten : 

Eine  Function  iv  =  u  -\-  vi  von  s  kann  nicht  längs  einer  Linie 
constant  sein,  wenn  sie  nicht  überall  constant  ist. 

Beweis:  Hätte  iv  längs  einer  Linie  einen  constanten  Werth  a-^-hiy 

so  wären  u — a  und  — -^s ^,  welches  =   o-,  für  diese  Linie  und 

dp     '  cs^ 

d^{u — ä)      ^^    d^{u  —  a) 

72  I 


überall  =  o;   es  müsste   also   nach  Art.  IL,  L  u  —  a  und  folglich,  da 

du  d V    du  d V 

dx         dy^  dy  cx^ 

auch  V  —  h  überall  ==  o  .sein,  gegen  die  Voraussetzung. 

IL  In  Folge  der  in  I.  gemachten  Voraussetzung  kann  zwischen 
den  Theilen  von  S  nicht  ein  Zusammenhang  Statt  finden  ohne  einen 
Zusammenhang  der  entsprechenden  Theile  von  T;  umgekehrt  kann 
überall,  wo  in  T  Zusammenhang  Statt  findet  und  tv  stetig  ist,  der 
Fläche  S  ein  entsprechender  Zusammenhang  beigelegt  werden. 

Dieses  vorausgesetzt  entspricht  die  Begrenzung  von  S  einestheils 
der  Begrenzung  von  T,  anderntheils  den  Unstetigkeitsstellen;  ihre  inneren 
Theile  aber  sind,  einzelne  Punkte  ausgenommen,  überall  schlicht  über 
B  ausgebreitet,  d.  h.  es  findet  nirgends  eine  Spaltung  in  auf  einander 
liegende  Theile  und  nirgends  eine  Umfaltung  Statt. 

Ersteres  könnte,  da  T  überall  einen  entsprechenden  Zusammen- 
hang besitzt,  offenbar  nur  eintreten,  wenn  in  T  eine  Spaltung  vor- 
käme —  der  Annahme  zuwider  — ;  Letzteres  soll  sogleich  bewiesen 
werden. 


der  Functionen  einer  veränderlichen  complexen  Grösse.  29 

Wir  beweisen  zuvörderst,  dass  ein  Punkt  ^/,  wo  .  endlich  ist^ 
nicht  in  einer  Falte  der  Fläche  S  Hegen  kann. 

In  der  That,  umgeben  wir  den  Punkt  0',  welcher  Q'  entspricht, 
mit  einem  Stücke  der  Fläche  T  von  beliebiger  Gestalt  und  un- 
liestimmten  Dimensionen,  so  müssen  (nach  Art.  3.)  die  Dimensionen 
desselben  stets  so  klein  angenommen  werden  können,  dass  die  Gestalt 
des  entsprechenden  Theils  von  S  beliebig  wenig  abweicht,  und  folg- 
lich so  klein,  dass  die  Begrenzung  desselben  aus  der  Ebene  B  ein  (/ 
einschliessendes  Stück  ausscheidet.  Dies  aber  ist  unmöglich',  wenn  Q' 
in  einer  Falte  der  Fläche  S  liegt. 

Nun  kann    ,— ,    als    Function    von    2,    nach    I.    nur    in   einzelnen 

dz  ^  ' 

Punkten  =  o,  und,  da  iv  in  den  in  Betracht  kommenden  Punkten  von 
'T  stetig  ist,  nur  in  den  Windungspunkten  dieser  Fläche  unendlich 
werden;  folglich  etc.  w.  z.  b.  w. 

III.  Die  Fläche  S  ist  folglich  eine  Fläche,  für  welche  die  im  Art.  5. 
für  T  gemachten  Voraussetzungen  zutreffen;  und  in  dieser  Fläche  hat 
für  jeden  Punkt  Q  die  unbestimmte  Grösse  z  Einen  bestimmten  Werth, 

dz 
welcher  sich  mit  der  Lage  von  Q  stetig  und  so  ändert,   dass  -r—  von 

o  c.  o  ^  diu 

der  Richtung  der  Ortsänderung  unabhängig  ist.  Es  bildet  daher  in 
dem  früher  festgelegten  Sinne  z  eine  stetige  Function  der  veränder- 
lichen complexen  Grösse  ic  für  das  durch  S  dargestellte  Grössengebiet. 

Hieraus  folgt  ferner: 

Sind  0'  nnd  Q'  zwei  entsprechende  innere  Punkte  der  Flächen  T 
und  S  und  in  denselben  z  =  /,  w  =  iv\  so  nähert  sich,  wenn  keiner 
von  ihnen   ein   Windungspunkt  ist,  bei  unendlicher  Annäherung  von 

0  an  0'  - — -,-  einer  endlichen  Grenze,  und  die  Abbildunor  ist  daselbst 

z — z  •'  '^^ 

eine  in   den  kleinsten  Theilen  ähnliche;  wenn  aber  ()'  ein  Windungs- 
punkt M-lsier,  (/  ein  Windungspunkt  Wi - 1  ster  Ordnung  ist,  so  nähert 
1 

sich ~   bei  imondlicher  Annäherung  von  0  an  0'  einer  endlichen 

^z  ~  z'Y' 
Grenze,  und  für  die  anstossenden  Flächentheile  findet  eine  Abbildungs- 
art Statt,  die  sich  leicht  aus  Art.   14.  ergiebt. 


30  I.     Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie 

16. 

Lehrsatz.     Sind   a   und   ß  zwei   beliebige   Functionen   von   Xy  y, 
für  welche  das  Integral 

2n 


/[(g."»y+ (15 +?'.)■ 


dT 


durch  alle  Theile  der  beliebig  über  A  ausgebreiteten  Fläche  T  aus- 
gedehnt einen  endlichen  AVerth  hat^  so  erhält  das  Integral  bei  Aenderung 
von  a  um  stetige  oder  doch  nur  in  einzelnen  Punkten  unstetige 
Functionen,  die  am  Eande  =  o  sind,  immer  für  eine  dieser  Functionen 
einen  Minimumwerth  und,  wenn  man  durch  Abänderung  in  einzelnen 
Punkten  hebbare  Unstetigkeiten  ausschliesst,  nur  für  Eine. 

Wir  bezeichnen  durch  l  eine  unbestimmte  stetige  oder  doch  nur 
in  einzelnen  Punkten  unstetige  Function,  welche  am  Rande  =  o  ist 
und  für  welche  das  Integral 


-=/((£)■+©>- 


über  die  ganze  Fläche  ausgedehnt  einen  endlichen  Werth  erhält,  durch 
CO  eine  unbestimmte  der  Functionen  a-\-  ky  endlich  das  über  die  ganze 
Fläche  erstreckte  Integral 

durch  5i.  Die  Gesammtheit  der  Functionen  l  bildet  ein  zusammen- 
hängendes in  sich  abgeschlossenes  Gebiet,  indem  jede  dieser  Functionen 
stetig  in  jede  andere  übergehen,  sich  aber  nicht  einer  längs  einer 
Linie  unstetigen  unendlich  annähern  kann,  ohne  dass  L  unendlich  wird 
(Art.  17.) 5  für  jedes  l  erhält  nun,  o  =  a  -\-  l  gesetzt,  u<i  einen  end- 
lichen Werth,  der  mit  L  zugleich  unendlich  wird,  sich  mit  der  Gestalt 
von  l  stetig  ändert,  aber  nie  unter  Null  herabsinken  kann;  folglich 
hat  5i  wenigstens  für  Eine  Gestalt  der  Function  co  ein  Minimum. 

Um  den  zweiten  Theil  unseres  Satzes  zu  beweisen,  sei  u  eine  der 
Functionen  09,  welche  ß  einen  Minimumwerth  ertheilt,  h  eine  un- 
bestimmte in  der  ganzen  Fläche  constante  Grösse,  so  dass  ii-\-  lik  den 
der  Function  oj  vorgeschriebenen  Bedingungen  genügt.  Der  Wertli 
von  5i  für  a  =  u  -\-  hkj  welcher 


der  Functionen  einer  veränderlichen  comp! exen  Grösse.  31 

niuss  alsdann  für  jedes  X  (nach  dem  Begriffe  des  Minimums)  grösser 
als  3/  werden,  sobald  h  nur  hinreichend  klein  genommen  ist.  Dies 
erfordert  aber,  dass  für  jedes  X  N=o  sei;  denn  andernfalls  würde 


2  Nh  +  Lh''  =  Lh'  (l  +  ^j\ 


negativ   werden,  wenn  h  dem  N  entgegengesetzt   und  abgesehen  vom 

Zeichen  <    ^    angenommen  würde.     Der  Werth  von  Sl  für  «  =  i(  +  A, 

in  welcher  Form  offenbar  alle  möglichen  AVerthe  von  co  enthalten  sind, 
wird  daher  =  M -\- L,  und  folglich  kann,  da  L  wesentlich  positiv 
ist,  Sl  für  keine  Gestalt  der  Function  o  einen  kleinern  Werth  erhalten, 
als  für  CD  =  i(. 

Findet  nun  für  eine  andere  ii  der  Functionen  a  ein  Minimum- 
werth  31'  von  Sl  Statt,  so  muss  von  diesem  offenbar  dasselbe  gelten, 
man  hat  also  M'  <:iM  und  M<^ÄL\  folglich  M  =  M' .  Bringt  man 
aber  n  auf  die  Form  u  +  A',  so  erhält  man  für  M'  den  Ausdruck 
M-]-L'j  wenn  IJ  den  Werth  von  L  für  k  =  k'  bezeichnet,  und  die 
Gleichung  M  =  M'  giebt  L'  =  o.  Dies  ist  nur  möglich,  wenn  in 
allen  Fläch  entheilen 

cx'  dx' 

cx  '  dy 

ist,  und  es  hat  daher,  so  weit  A'  stetig  ist,  diese  Function  nothwendig 
einen  constanten  und  folglich,  da  sie  am  Rande  =  o  und  nicht  längs 
einer  Linie  unstetig  ist,  höchstens  in  einzelnen  Punkten  einen  von 
Null  verschiedenen  Werth.  Zwei  der  Functionen  co,  welche  Sl  einen 
Minimumwerth  ertheilen,  können  also  nur  in  einzelnen  Punkten  von 
einander  verschieden  sein,  und  wenn  in  der  Function  u  alle  durch 
Abänderung  in  einzelnen  Punkten  hebbaren  Unstetigkeiten  beseitigt 
werden,  ist  diese  vollkommen  bestimmt. 

17. 

Es  soll  jetzt  der  Beweis  nachgeliefert  werden,  dass  A  unbeschadet 
der  Endlichkeit  von  L  sich  nicht  einer  längs  einer  Linie  unstetigen 
Function  y  unendlich  annähern  könne,  d.  h.  wird  die  Function  A  der 
Bedingung  unterworfen,  ausserhalb  eines  die  Unstetigkeitslinie  ein- 
schliessenden  Flächentheils  T'  mit  y  übereinzustimmen,  so  kann  T' 
stets  so  klein  angenommen  werden,  dass  L  grösser  als  eine  beliebig 
gegebene  Grösse  C  werden  musg. 

Wir  bezeichnen,  .s  und  ^)  in  Bezug  auf  die  Unstetigkeitslinie  in 
der  gewohnten  Bedeutung  genommen,  für  ein  unbestimmtes  s  die 
Krümmung,  eine  auf  der  Seite  der  positiven  p  convexe  als  positiv  be- 


32  I-     Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie 

trachtet,  durcli  x^  den  Werth  von  p  an  der  Grenze  von  T'  auf  der 
positiven  Seite  durcli  p^,  auf  der  negativen  Seite  durch  2h  ^^^  ^i^  ent- 
sprechenden Werthe  von  y  durch  y^^  und  y.^-  Betrachten  wir  nun 
irgend  einen  stetig  gekrümmten  Theil  dieser  Linie,  so  liefert  der 
zwischen  den  Normalen  in  den  Endpunkten  enthaltene  Theil  von  T', 
wenn  er  sich  nicht  bis  zu  den  Krümmungsraittelpunkten  erstreckt,  zu 
L  den  Beitrag 

Jäsj'dp  (1  -  ^p)    [  (gy  +  (gy --^^]; 
der  kleinste  Werth  des  Ausdrucks 


Pi 

bei   den  festen  Grenzwerthen  y^   und  y.^  von  A  findet   sicli    aber  nach 
u  j^^bekannten  Regeln  ( J^ ^^. } 

log  (1  —  HP2)  —  log  (1  —  ^i\y 

und  folglich  wird  jener  Beitrag  nothwendig,  wie  auch  X  innerhalb  T 
angenommen  werden  möge, 

^  J  log  (1  —  «P2)  —  log  (1  —  -^Vv)' 
Die  Function  y  wäre  für  p  =  0  stetig,  wenn  der  grösste  Werth,  den 
(^1  ~~  y^^  füi'  J^i  >i>i  >  ö  und  iJTg  <P2  <  ö  erhalten  kann,  mit  it^  —  Tt.^ 
unendlich  klein  würde;  wir  können  folglich  für  jeden  Werth  von  s  eine 
endliche  Grösse  m  so  annehmen,  dass,  wie  klein  auch  it^ — JTg  an- 
genommen werden  möge,  stets  innerhalb  der  durch  J^i>1>i^ö  und 
^2  <  P2  <  ö  (wo  die  Gleichheiten  sich  gegenseitig  ausschliessen)  aus- 
gedrückten Grenzen  Werthe  von  p^  und  p.^  enthalten  sind,  für  welche 
[y^  —  y^^'^  >  m  wird.  Nehmen  wir  ferner  unter  den  früheren  Be- 
schränkungen eine  Gestalt  von  T  beliebig  an,  indem  wir  ^h  ^^^^  1\ 
bestimmte  Werthe  P^  und  P^  beilegen,  und  bezeichnen  den  Werth  des 
durch  den  in  Betracht  gezogenen  Theil  der  Unstetigkeitslinie  aus- 
gedehnten Integrals 

m%ds 


ß 


\0g{i  —  yiP,)-l0g{l~'>lP,) 

durch  a,  so  können  wir  offenbar 


/. 


(yi  —Y^y^ds 


>  c 


log  (1  _  X  j?2)  —  log  (1  ~  Tip,) 
machen,  indem   wir  p^   und  p.^  für  jeden  Werth   von   8  so  annehmen, 


dass  den  Ungleichheiten 


der  Functionen  einer  veränderlichen  complexen  Grösse.  33 


Pi  < —- --y  Ih  > ^-T ^  und  {y,  -  y^) 


^  ^  m 


genügt  wird.  Dies  aber  hat  zur  Folge,  dass,  wie  auch  X  innerhalb 
T'  angenommen  werden  möge,  der  aus  dem  in  Betracht  gezogenen 
Stücke  von  T'  stammende  Theit  von  L  und  folglich  um  so  mehr  L 
selbst  >  C  wird,  w.  z.  b.  w.  (^). 

18. 

Nach  Art.  16.  haben  wir  für  die  dort  festgelegte  Function  n  und 
für  irgend  eine  der  Functionen  l 

,Y=  r\(p  _,  |i\ |i  +  ci^  +  m lii  dT 

J    \_\o^        cyj  dx    '     \öy    '    cxj  öt/J 

dutch  die  ganze  Fläche  T  ausgedehnt  =  o.  Aus  dieser  Gleichung 
sollen  jetzt  weitere  Schlüsse  gezogen  werden. 

Scheidet  man  aus  der  Flüche  T  ein  die  Unstetigkeitsstellen  von 
ti,  ß,  A  einschliessendes  Stück  T'  aus,  so  findet  sich  der  von  dem 
übrigen   Stücke   T"   herrührende  Theil   von  N  mit  Hülfe  des   Art.  ^,/  L./« 

wenn  man  (i -—-]  X  für  X  und  (:, hl  ^  für   Y  setzt, 

\öx       öyj  \cy    ^    cxj  ' 

In  Folge  der  der  Function  X  auferlegten  Grenzbedingun^  wird  der  auf 
das  mit  T  gemeinschaftliche  Begrenzungsstück  von  T"  bezügliche 
Theil  von 

gleich  0,  so  dass  N  betrachtet  werden  kann  als  zusammengesetzt  aus 
dem  Integral 

in  Bezug  auf  T"  und 

/[(^i  -  g)  i + ® + S)  ig -^^ +/(S + i)  ^«^^ 

in  Bezug  auf  T\ 

Offenbar  würde  nun,  wenn  ö— ä  +  ö— 5  ^^  irgend  einem  Theile  der 

Fläche  T  von  0  verschieden  wäre,  N  ebenfalls  einen  von  0  verschie- 
denen Werth  erhalten,   so   bald  man  X,  was  frei   steht,  innerhalb  T' 

gleich  0  und  innerhalb    T"   so    wählte,    dass   X   (t-^  -\-  ^-^  |    überall 

Kiemann's  gcsumrnelto  niatheuiatische  Werke.     1.  3 


34  I.     Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie 

dasselbe  Zeichen  hätte.     Ist  aber  ^  +  q-^  in  allen  Theilen  von  T=o, 

so  verschwindet  der  von  T"  herrührende  Bestandtheil  von  N  für  jedes 
A,  und  die  Bedingung  N  =  o  ergiebt  dann,  dass  die  auf  die  Unstetig- 
keitsstellen  bezüglichen  Bestandtheile  =  o  werden. 

Für  die  Functionen  0—  —  A  b-  +  ^  haben  wir  daher,  wenn  wir 

ex        öy^  cy    ^    ex  ' 

erstere  =  X  und  letztere  =  Y  setzen,  nicht  bloss  allgemein  zu  reden 
die  Gleichung 

—  -4-^=0 
c  .r   ~^    vy  ^ 

sondern  es  wird  auch  durch  die  ganze  Begrenzung  irgend  eines  Theils 
von  T  erstreckt 


/(^?f+^^5 


ds 


in  so  fern  dieser  Ausdruck  überhaupt  einen  bestimmten  Werth  hat. 

Zerlegen  wir  also  (nach  Art.  9.,  V.)  die  Fläche  1\  wenji  sie  einen 
mehrfachen  Zusammenhang  besitzt,  durch  Querschnitte  in  eine  einfach 
zusammenhängende  T*,  so  hat  das  Integral 


m + ä)  ■' 


für  jede  im  Innern  von  T*  von  Oo  nach  0  gehende  Linie  denselben 
Werth  und  bildet,  Oo  als  fest  gedacht,  eine  Function  von  x,  y,  welche 
in  T*  überall  eine  stetige  und  längs  eines  Querschnitts  beiderseits 
eine  gleiche  Aenderung  erleidet.  Diese  Function  v  zn  ß  hinzugefügt, 
liefert  uns  eine  Function  v  =  ß  -\-  v ,  von  welcher  der  Differentialquotient 

cv  du        ■,   cv         du  .  , 

TT-  =  —  ^^-  und  K"  =  y.—  ist. 
ex  cy  cy         ex 

Wir  haben  daher  folgenden 

Lehrsatz.  Ist  in  einer  zusammenhängenden,  durch  Querschnitte 
in  eine  einfach  zusammenhängende  T*  zerlegten  Fläche  T  eine  com- 
plexe  Function  a-\-  ßl  von  x,  y  gegeben,  für  welche 


/    \_\dx         eyj     "^   \ey     '    dxj 


dT 


durch  die  ganze  Fläche  ausgedehnt  einen  endlichen  Werth  hat,  so 
kann  sie  immer  und  nur  auf  Eine  Art  in  eine  Function  von  z  ver- 
wandelt werden  durch  Hinzufügung  einer  Function  ft  + 1/  ^  von  x,  y, 
welche  folgenden  Bedingungen  genügt: 

1)  ft    ist    am  Rande  =  0   oder   doch   nur  in   einzelnen   Punkten 
davon  verschieden,  v  in  Einem  Punkte  beliebig  gegeben, 


der  Functionen  einer  veränderlichen  complexen  Grösse.  36 

2)  die  Aenderungen   von  ft  sind   in  T,   von  v  in   T*  nur  in  ein- 
zelnen Punkten  und  nur  so  unstetig,  dass 


,/[(:■)>  cm '"'-/[(:;■)'+©' 


dT 


durch  die  ganze  Fläche  erstreckt  endlich  bleiben,  und  letztere 

längs  der  Querschnitte  beiderseits  gleich. 
Die  Zulänglichkeit  der  Bedingungen  zur  Bestimmung  von  ^  -\-  vi 
folgt  daraus,  dass  ^,  durch  welches  v  bis  auf  eine  additive  Constante 
bestimmt  ist,  stets  zugleich  ein  Minimum  des  Integrals  Sl  liefert,  da, 
II  =  a  -\-  ^  gesetzt,  offenbar  für  jedes  l  N  =  o  wird ;  eine  Eigenschaft, 
die  nach  Art.  16.  nur  Einer  Function  zukommen  kann. 

19. 

Die  Principien,  welche  dem  Lehrsatze  am  Schlüsse  des  vorigen 
Art.  zu  Grunde  liegen,  eröffnen  den  Weg,  bestimmte  Functionen 
einer  veränderlichen  comj)lexen  Grösse  (unabhängig  von  einem  Aus- 
drucke für  dieselben)  zu  untersuchen. 

Zur  Orientirung  auf  diesem  Felde  wird  ein  Ueberschlag  über  den 
Umfang  der  zur  Bestimmung  einer  solchen  Function  innerhalb  eines 
gegebenen  Grössengebiets  erforderlichen  Bedingungen  dienen. 

Halten  wir  uns  zunächst  an  einen  bestimmten  Fall,  so  kann,  wenn 
die  über  Ä  ausgebreitete  Fläche,  durch  welche  dies  Grössengebiet  dar- 
gestellt wird,  eine  einfach  zusammenhängende  ist,  die  Function 
w  =  n-\-vi  von  z  folgenden  Bedingungen   gemäss   bestimmt   werden: 

1)  für  li  ist  in  allen  Begreuzungspunkten  ein  Werth  gegeben, 
der  sich  für  eine  unendlich  kleine  Ortsänderung  um  eine  un- 
endlich kleine  Grösse  von  derselben  Ordnung,  übrigens  aber 
beliebig  ändert*); 

2)  der  Werth  von  v  ist  in  irgend  einem  Punkte  beliebig  ge- 
geben; 

3)  die  Function  soll  in  allen  Punkten  endlich  und  stetig  sein. 
Durch  diese  Bedingungen  aber  ist  sie  vollkommen  bestimmt. 

In  der  That  folgt  dies  aus  dem  Lehrsatze  des  vorigen  Art.,  wenn 
man,  was  immer  möglich  sein  wird,  a-\-ßi  so  bestimmt,  dass  a  am 
Rande  dem  gegebenen  Werth  gleich  und  in  der  ganzen  Fläche  für 
jede  unendlich  kleine  Ortsänderung  die  Aenderung  von  a -\-  ß  i  unend- 
lich klein   von  derselben  Ordnung  ist. 

*)  An  sich  sind  die  Aenderungen  dieses  Werthes  nur  der  Beschränkung  unter- 
worfen, nicht  längs  eines  Theils  der  Begrenzung  unstetig  zu  sein;  eine  weitere 
Beschränkung  ist  nur  gemacht,  um  hier  unnöthige  Weitläufigkeiten  zu  vermeiden. 

3* 


36  I-     Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie 

Es  kauu  also,  allgemein  zu  reden,  u  am  Rande  als  eine  ganz 
willkürliche  Function  von  s  gegeben  werden,  und  dadurch  ist  v  überall 
mit  bestimmt;  umgekehrt  kann  aber  auch  v  in  jedem  Begrenzungs- 
punkte beliebig  angenommen  werden,  woraus  dann  der  Werth  von  u 
folgt.  Der  Spielraum  für  die  Wahl  der  Werthe  von  w  am  Rande  um- 
fasst  daher  eine  Mannigfaltigkeit  von  Einer  Dimension  für  jeden  Be- 
grenzungspunkt, und  die  vollständige  Bestimmung  derselben  erfordert 
für  jeden  Begrenzungspunkt  Eine  Gleichung,  wobei  es  indess  nicht 
wesentlich  sein  wird,  dass  jede  dieser  Gleichungen  sich  auf  den  Werth 
Eines  Gliedes  in  Einem  Begrenzungspunkte  allein  bezieht.  Es  wird 
diese  Bestimmung  auch  so  geschehen  können,  dass  für  jeden  Begren- 
zungspunkt Eine  mit  der  Lage  dieses  Punktes  ihre  Form  stetig 
ändernde,  beide  Glieder  enthaltende  Gleichung  gegeben  ist,  oder  für 
mehrere  Theile  der  Begrenzung  gleichzeitig  so,  dass  jedem  Punkte 
eines  dieser  Theile  n — 1  bestimmte  Punkte,  aus  jedem  der  übrigen 
Theile  einer,  zugesellt  und  für  je  n  solcher  Punkte  gemeinschaftlich  n 
mit  ihrer  Lage  stetig  veränderliche  Gleichungen  gegeben  sind.  Diese 
Bedingungen,  deren  Gesammtheit  eine  stetige  Mannigfaltigkeit  bildet 
und  welche  durch  Gleichungen  zwischen  willkürlichen  Functionen  aus- 
gedrückt werden,  werden  aber,  um  für  die  Bestimmung  einer  im  Innern 
des  Grössengebiets  überall  stetigen  Function  zulässig  und  hinreichend 
zu  sein,  allgemein  zu  reden,  noch  einer  Beschränkung  oder  Ergänzung 
durch  einzelne  Bedingungsgleichungen  —  Gleichungen  für  willkürliche 
Constanten  —  bedürfen,  indem  bis  auf  diese  sich  die  Genauigkeit  un- 
serer Schätzung  offenbar  nicht  erstreckt. 

Für  den  Fall,  wo  das  Gebiet  der  Veränderlichkeit  der  Grösse  z 
durch  eine  mehrfach  zusammenhängende  Fläche  dargestellt  wird,  erlei- 
den diese  Betrachtungen  keine  wesentliche  Abänderung,  indem  die  An- 
wendung des  Lehrsatzes  im  Art.  18.  eine  bis  auf  die  Aenderungen 
beim  Ueberschreiten  der  Querschnitte  ebenso  wie  vorhin  beschaffene 
Function  liefert  —  Aenderungen,  welche  =  o  gemacht  werden  können, 
wenn  die  Grenzbedingungen  eine  der  Anzahl  der  Querschnitte  gleiche 
Anzahl  verfügbarer  Constanten  enthalten. 

Der  Fall,  wo  im  Innern  längs  einer  Linie  auf  Stetigkeit  ver- 
zichtet wird,  ordnet  sich  dem  vorigen  unter,  wenn  man  diese  Linie 
als  einen  Schnitt  der  Fläche  betrachtet. 

Wenn  endlich  in  einem  einzelnen  Punkte  eine  Verletzung  der 
Stetigkeit,  also  nach  Art.  12.  ein  Unendlichwerden  der  Function,  zuge- 
lassen wird,  so  kann  unter  Beibehaltung  der  sonstigen  in  unserm 
Anfangsfalle  gemachten  Voraussetzungen  für  diesen  Punkt  eine  Function 
von   z,   nach    deren    Subtraction   die  zu   bestimmende  Function   stetig 


der  Functionen  einer  veränderlichen  complexen  Grösse.  37 

werden  soll,  beliebig  gegeben  werden;  dadurch  aber  ist  sie  völlig  be- 
stimmt. Denn  nimmt  man  die  Grösse  «  -J-  ßi  in  einem  beliebig  klei- 
nen um  den  Unstetigkeitspunkt  beschriebenen  Kreise  gleich  dieser 
gegebenen  Function,  übrigens  aber  den  früheren  Vorschriften  gemäss 
an,  so  wird  das  Integral 

/((K-if)'+(g+i9")" 

über  diesen  Kreife  erstreckt  =  o,  über  den  übrigen  Theil  erstreckt 
einer  endlichen  Grösse  gleich,  und  man  kann  also  den  Lehrsatz  des 
vorigen  Art.  anwenden,  wodurch  man  eine  Function  mit  den  verlang- 
ten Eigenschaften  erhält.  Hieraus  kann  man  mit  Hülfe  des  Lehr- 
satzes im  Art.  13.  folgern,  dass  im  Allgemeinen,  wenn  in  einem 
einzelnen  Unstetigkeitspunkte  die  Function  unendlich  gross  von  der 
Ordnung  n  werden  darf,  eine  Anzahl  von  2n  Constanten  verfügbar  wird. 
Geometrisch  dargestellt  liefert  (nach  Art.  15.)  eine  Function  w 
einer  innerhalb  eines  gegebenen  Grössengebiets  von  zwei  Dimensionen 
veränderlichen  complexen  Grösse  z  von  einer  gegebenen  Ä  bedecken- 
den Fläche  T  ein  ihr  in  den  kleinsten  Theilen,  einzelne  Punkte  aus- 
genommen, ähnliches,  B  bedeckendes  Abbild  S.  Die  Bedingungen, 
welche  so  eben  zur  Bestimmung  der  Function  hinreichend  und  noth- 
wendig  befunden  worden  sind,  beziehen  sich  auf  ihren  Werth  entweder 
in  Begrenzungs-  oder  in  Unstetigkeitspunkten;  sie  erscheinen  also 
(Art.  15.)  sämmtlich  als  Bedingungen  für  die  Lage  der  Begrenzung 
von  S,  und  zwar  geben  sie  für  jeden  Begrenzungspunkt  Eine  Bedin- 
gungsgleichung. Bezieht  sich  jede  derselben  nur  auf  Einen  Begren- 
zungspunkt, so  werden  sie  durch  eine  Schaar  von  Curven  repräsentirt, 
von  denen  für  jeden  Begrenzungspunkt  Eine  den  geometrischen  Ort 
bildet.  Werden  zwei  mit  einander  stetig  fortrückende  Begrenzungs- 
I)unkte  gemeinschaftlich  zwei  Bedingungsgleichungen  unterworfen,  so 
entsteht  dadurch  zwischen  zwei  Begrenzungstheilen  eine  solche  Ab- 
hängigkeit, dass,  wenn  die  Lage  des  einen  willkürlich  angenommen 
wird,  die  Lage  des  andern  daraus  folgt.  Aehnlicher  Weise  ergiebt 
sich  für  andere  Formen  der  Bedingungsgleichungen  eine  geometrische 
Bedeutung,  was  wir  indess  nicht  weiter  verfolgen  wollen. 

20. 

Die   Einführung    der  complexen   Grössen   in  die  Mathematik  hat 
ihren  Ursprung  und  nächsten  Zweck  in  der  Theorie  einfacher*)  durch 

*)  Wir  betrachten  hier  als  Elementaroperationen  Addition  und  Subtraction, 
Multiphcation  und  Division,  Integration  und  Differentiation,  und  ein  Abhängigkeits- 


38  i-     GruDdlagtMi  für  eine  allgcnioinc  Theorie 

Grössenoperationeii  ausgedrückter  Abliängigkeitsgesetze  zwischen  ver- 
änderlichen Grössen.  AVendet  man  nämlich  diese  Abhängigkeitsgesetze 
in  einem  erweiterten  Umfange  an,  indem  man  den  veränderlichen 
Grössen,  auf  welche  sie  sich  beziehen,  complexe  Werthe  giebt,  so  tritt 
eine  sonst  versteckt  bleibende  Harmonie  und  Regelmässigkeit  hervor. 
Die  Fälle,  in  denen  dies  geschehen  ist,  umfassen  zwar  bis  jetzt  erst 
ein  kleines  Gebiet  —  sie  lassen  sich  fast  sämmtlich  auf  diejenigen 
Abhängigkeitsgesetze  zwischen  zwei  veränderlichen  Grössen  zurück- 
führen, wo  die  eine  entweder  eine  algebraische*)  Function  der  an- 
dern ist  oder  eine  solche  Function,  deren  Differentialquotient  eine 
algebraische  Function  ist  —  aber  beinahe  jeder  Schritt,  der  hier  ge- 
than  ist,  hat  nicht  bloss  den  ohne  Hülfe  der  complexen  Grössen 
gewonnenen  Resultaten  eine  einfachere,  geschlossenere  Gestalt  gegeben, 
sondern  auch  zu  neuen  Entdeckungen  die  Bahn  gebrochen,  wozu  die 
Geschichte  der  Untersuchungen  über  algebraische  Functionen,  Kreis- 
oder Exponentialfunctionen,  elliptische  und  AbeFsche  Functionen  den 
Beleg  liefert. 

Es  soll  kurz  angedeutet  werden,  was  durch  unsere  Untersuchung 
für  die  Theorie  solcher  Functionen  gewonnen  ist. 

Die  bisherigen  Methoden,  diese  Functionen  zu  behandeln,  legten 
stets  als  Definition  einen  Ausdruck  der  Function  zu  Grunde,  wodurch 
ihr  Werth  für  jeden  Werth  ihres  Arguments  gegeben  wurde;  durch 
unsere  Untersuchung  ist  gezeigt,  dass,  in  Folge  des  allgemeinen 
Charakters  einer  Function  einer  veränderlichen  complexen  Grösse,  in 
einer  Definition  dieser  Art  ein  Theil  der  Bestimmungsstücke  eine  Folge 
der  übrigen  ist,  und  zwar  ist  der  Umfang  der  Bestimmungsstücke  auf 
die  zur  Bestimmung  nothwendigen  zurückgeführt  worden.  Dies  ver- 
einfacht die  Behandlung  derselben  wesentlich.  Um  z.  B.  die  Gleichheit 
zweier  Ausdrücke  derselben  Function  zu  beweisen,  musste  man  sonst 
den  einen  in  den  andern  transformiren,  d.  h.  zeigen,  dass  beide  für 
jeden  Werth  der  veränderlichen  Grösse  übereinstimmten;  jetzt  genügt 
der  Nachweis  ihrer  Uebereinstimmung  in  einem  weit  geringern  Umfange. 

Eine  Theorie  dieser  Functionen  auf  den  hier  gelieferten  Grund- 
lagen würde  die  Gestaltung  der  Function  (d.  h.  ihren  Werth  für  jeden 
Werth  ihres  Arguments)  unabhängig  von  einer  Bestimmungsweise  der- 
selben durch  Grössenoperationen  festlegen,  indem  zu  dem  allgemeinen 
Begriffe  einer  Function  einer  veränderlichen  complexen  Grösse  nur  die 


gesetz    als    desto    einfacher,    durch   je    weniger   Elementaroperationen    die    Ab- 
hängigkeit bedingt  wird.     In  der  That   lassen   sich  durch  eine    endliche  Anzahl 
dieser  Operationen  alle  bis  jetzt  in  der  Analysis  benutzten  Functionen  definiren. 
*;  D.  h.  wo  zwisclien  beiden  eine  algebraische  Gleichung  Statt  findet. 


der  Functionen  einer  veränderlichen  complexeu  Grösse.  31) 

zur  Bestimmung  der  Functiuii  iiothw endigen  Merkmale  hinzugefügt 
würden,  und  dann  erst  zu  den  verscliiedenen  Ausdrücken  deren  die 
Function  fähig  ist  übergehen.  Der  gemeinsame  Charakter  einer  Gat- 
tun<»-  von  Functionen,  welche  auf  ähnliche  Art  durch  Grössenoperationen 
ausgedrückt  werden,  stellt  sich  dann  dar  in  der  Form  der  ihnen  auf- 
erlegten Grenz-  und  Unstetigkeitsbedingungen.  Wird  z.  B.  das  Gebiet 
der  Veränderlichkeit  der  Grösse  z  über  die  ganze  unendliche  Ebene  A 
einfach  oder  mehrfach  erstreckt,  und  innerhalb  derselben  der  Function 
nur  in  einzelnen  Punkten  eine  ünstetigkeit,  und  zwar  nur  ein  Unend- 
lichwerden, dessen  Ordnung  endlich  ist,  gestattet  (wobei  für  ein  un- 
endliches z  diese  Grösse  selbst,  für  jeden  endlichen  Werth  z    derselben 

aber  ,  als  ein  unendlich  Grosses  erster  Ordnung  gilt),  so  ist  die 

z  —  z 

Function  noth wendig  algebraisch,  und  umgekehrt  erfüllt  diese  Bedin- 
gung jede  algebraische  Function. 

Die  Ausführung  dieser  Theorie,  welche,  wie  bemerkt,  einfache 
durch  Grössenoperationen  bedingte  Abhängigkeitsgesetze  ins  Licht  zu 
setzen  bestimmt  ist,  unterlassen  wir  indess  jetzt,  da  wir  die  Betrach- 
tung des  Ausdruckes  einer  Function  gegenwärtig  ausschliessen. 

Aus  demselben  Grunde  befassen  wir  uns  hier  auch  nicht  damit, 
die  Brauchbarkeit  unserer  Sätze  als  Grundlagen  einer  allgemeinen 
Theorie  dieser  Abhängigkeitsgesetze  darzuthun,  wozu  der  Beweis  er- 
fordert wird,  dass  der  hier  zu  Grunde  gelegte  Begriff  einer  Function 
einer  veränderlichen  complexen  Grösse  mit  dem  einer  durch  Grössen- 
operationen ausdrückbaren  Abhängigkeit^)  völlig  zusammenfällt. 

21. 

Es  wird  jedoch  zur  Erläuterung  unserer  allgemeinen  Sätze  ein 
ausgeführtes  Beispiel  ihrer  Anwendung  von  Nutzen  sein. 

Die  im  vorigen  Artikel  bezeichnete  Anwendung  derselben  ist,  ob- 
wohl die  bei  ihrer  Aufstellung  zunächst  beabsichtigte,  doch  nur  eine 
specielle.  Denn  wenn  die  Abhängigkeit  durch  eine  endliche  Anzahl 
der  dort  als  Elementar  Operationen  betrachteten  Grössenoperationen  be- 
dingt ist,  so  enthält  die  Function  nur  eine  endliche  Anzahl  von  Para- 
metern, was  für  die  Form  eines  Systems-  von  einander  unabhängiger 
Grenz-  und    Unstetigkeitsbedingungen,  die   zu  ihrer  Bestimmung  hin- 


*)  Es  ^vi^d  darunter  jede  durch  eine  endliche  oder  unendliche  Anzahl  der 
vier  einfachsten  Rechnungsoperationen,  Addition  und  Subtraction ,  Multiplication 
und  Division,  ausdrückbare  Abhängigkeit  begriffen.  Der  Ausdruck  Grössenopera- 
tionen soll  (im  Gegensatze  zu  Zahlenoperationen)  solche  Kechnungsoperationen 
andeuten,  bei  denen  die  Commensurabilität  der  Grössen  nicht  in  Betracht  kommt. 


40  I-     Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie 

reichen,  den  Erfolg  hat,  dass  unter  ihnen  längs  einer  Linie  in  jedem 
Punkte  willkürlich  zu  bestimmende  Bedingungen  gar  nicht  vorkommen 
können.  Für  unsern  jetzigen  Zweck  schien  es  daher  geeigneter,  nicht 
ein  dorther  entnommenes  Beispiel  zu  wählen,  sondern  vielmehr  ein 
solches,  wo  die  Function  der  complexen  Veränderlichen  von  einer  will- 
kürlichen Function  abhängt. 

Zur  Veranschaulichung  und  bequemeren  Fassung  geben  wir  dem- 
selben die  am  Schlüsse  des  Art.  19.  gebrauchte  geometrische  Einklei- 
dung. Es  erscheint  dann  als  eine  Untersuchung  über  die  Möglichkeit, 
von  einer  gegebenen  Fläche  ein  zusammenhängendes  in  den  kleinsten 
Theilen  ähnliches  Abbild  zu  liefern,  dessen  Gestalt  gegeben  ist,  wo 
also,  in  obiger  Form  ausgedrückt,  für  jeden  Begrenzungspunkt  des  Ab- 
bildes eine  Ortscurve,  und  zwar  für  alle  dieselbe,  ausserdem  aber 
(Art.  5.)  der  Sinn  der  Begrenzung  und  die  Windungspunkte  desselben 
gegeben  sind.  Wir  beschränken  uns  auf  die  Lösung  dieser  Aufgabe 
in  dem  Falle,  wo  jedem  Punkte  der  einen  Fläche  nur  Ein  Punkt  der 
andern  entsprechen  soll  und  die  Flächen  einfach  zusammenliängend 
sind,  für  welchen  Fall  sie  in  folgendem  Lehrsatze  enthalten  ist. 

Zwei  gegebene  einfach  zusammenhängende  ebene  Flächen  können 
stets  so  auf  einander  bezogen  werden,  dass  jedem  Punkte  der  einen 
Ein  mit  ihm  stetig  fortrückender  Punkt  der  andern  entspricht  und 
ihre  entsprechenden  kleinsten  Theile  ähnlich  sind;  und  zwar  kann  zu 
Einem  innern  Punkte  und  zu  Einem  Begrenzungspunkte  der  entspre- 
chende beliebig  gegeben  werden;  dadurch  aber  ist  für  alle  Punkte  die 
Beziehung  bestimmt. 

Wenn  zwei  Flächen  T  und  R  auf  eine  dritte  S  so  bezogen  sind, 
dass  zwischen  den  entsprechenden  kleinsten  Theilen  Aehnlichkeit  Statt 
findet,  so  ergiebt  sich  daraus  eine  Beziehung  zwischen  den  Flächen  T 
und  JR,  von  welcher  offenbar  dasselbe  gilt.  Die  Aufgabe,  zwei  belie- 
bige Flächen  auf  einander  so  zu  beziehen,  dass  Aehnlichkeit  in  den 
kleinsten  Theilen  Statt  findet,  ist  dadurch  auf  die  zurückgeführt,  jede 
beliebige  Fläche  durch  Eine  bestimmte  in  den  kleinsten  Theilen  ähn- 
lich abzubilden.  Wir  haben  hiernach,  wenn  wir  in  der  Ebene  B  um 
den  Punkt,  yfo  w  =  o  ist,  mit  dem  Radius  1  einen  Kreis  K  beschrei- 
ben, um  unsern  Lehrsatz  darzuthun,  nur  nöthig  zu  beweisen:  Eine 
beliebige  einfach  zusammenhängende  A  bedeckende  Fläche  T  kann 
durch  den  Kreis  K  stets  zusammenhängend  und  in  den  kleinsten  Thei- 
len ähnlich  abgebildet  werden  und  zwar  nur  auf  Eine  Art  so,  dass 
dem  Mittelpunkte  ein  beliebig  gegebener  innerer  Punkt  0„  und  einem 
beliebig  gegebenen  Punkte  der  Peripherie  ein  beliebig  gegebener  Be- 
grenzungspunkt 0'  der  Fläche  T  entspricht. 


der  Functionen  einer  veränderlichen  complexen  Grösse.  41 

Wir  bezeichnen  die  bestimmten  Bedeutungen  von  s;  Q  für  die 
Punkte  Oa,  0'  durch  entsprechende  Indices  und  beschreiben  in  T  um 
Oo  als  Mittelpunkt  einen  beliebigen  Kreis  0,  welcher  sich  nicht  bis 
zur  Begrenzung  von  T  erstreckt  und  keinen  Windungspunkt  enthält,. 
Führen  wir  Polarcoordinaten  ein,  indem  wir  z  —  Zo  =  re^'  setzen,  so 
wird  die  Function  log  {0  —  z,,)  =  log  r  -{-  cpi.  Der  reelle  Werth  ändert 
sich  daher  im  ganzen  Kreise  mit  Ausnahme  des  Punktes  0„,  wo  er 
unendlich  wird,  stetig.  Der  imaginäre  aber  erhält,  wenn  überall  unter 
den  möglichen  Werthen  von  cp  der  kleinste  positive  gewählt  wird, 
längs  des  Radius,  wo  z  —  z,,  reelle  positive  Werthe  annimmt,  auf  der 
einen  Seite  den  Werth  o,  auf  der  andern  den  Werth  2;r,  ändert  sich 
aber  dann  in  allen  übrigen  Punkten  stetig.  Oftenbar  kann  dieser  Ra- 
dius durch  eine  ganz  beliebige  vom  Mittelpunkte  nach  der  Peripherie 
gezogene  Linie  l  ersetzt  werden,  so  dass  die  Function  log  (z  —  Zo) 
beim  Uebertritt  des  Punktes  0  von  der  negativen  (d.  h.  wo  nach 
Art.  8.  I?  negativ  wird)  auf  die  positive  Seite  dieser  Linie  eine  plötz- 
liche Verminderung  um  27t i  erleidet,  ü1)rigens  aber  sich  mit  dessen 
Lage  im  ganzen  Kreise  0  stetig  ändert.  Nehmen  wir  nun  die  com- 
plexe  Function  a  -{-  ßi  von  x,  y  im  Kreise  S  =  log  (z  —  Zo),  ausser- 
halb desselben  aber,  indem  wir  l  beliebig  bis  an  den  Rand  verlängern, 
so  an,  dass  sie 

1)  an  der  Peripherie  von  (:)  =  log  (z  —  Zo)j  am  Rande  von  T 
blo*ss  imaginär  wird, 

2)  beim  Uebertritt  von  der  negativen  auf  die  positive  Seite  der 
Linie  /  sich  um  —  2jtt,  sonst  aber  bei  jeder  unendlich  klei- 
nen Ortsänderung  um  eine  unendlich  kleine  Grösse  von  der- 
selben Ordnung  ändert, 

was  immer  möglich  sein  wird,  so  erhält  das 

/((K-K)"+(g+?4r)" 

über  ®  ausgedehnt  den  Werth  Null,  über  den  ganzen  übrigen  Theil 
erstreckt  einen  endlichen  Werth,  und  es  kann  daher  «  +  ßi  durch 
Hinzufügung  einer  bis  auf  einen  bloss  imaginären  constanten  Rest 
bestimmten  stetigen  Function  von  x,  y,  welche  am  Rande  bloss  imaginär 
ist,  in  eine  Function  t  =  m  -\-  nl  von  z  verwandelt  werden.  Der  reelle 
Theil  m  dieser  Function  wird  am  Rande  =  0,  im  Punkte  0«  =  —  00 
und  ändert  sich  im  ganzen  übrigen  T  stetig.  Für  jeden  zwischen  0 
und  —  00  liegenden  Werth  a  von  m  zerfällt  daher  T  durch  eine  Linie, 
wo  m  =  a  ist,  in  Theile,  wo  m  <Ca  ist  und  die  0^  im  Innern  enthal- 
ten,  einerseits    und    andererseits    in   Theile,   wo  m  >  a  ist   und   deren 


42  1.     Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie 

Begrenzung  theils  durch  den  Rand  von  T,  theils  durch  Linien,  wo 
ni  =  a  ist,  gebildet  wird.  Die  Ordnung  des  Zusammenhangs  der 
Fläche  T  wird  durch  diese  Zerfiiilung  entweder  nicht  geändert  oder 
erniedrigt,  die  Fläche  zerfällt  daher,  da  diese  Ordnung  =  —  1  ist, 
entweder  in  zwei  Stücke  von  der  Ordnung  des  Zusammenhangs  o  und 
—  1,  oder  in  mehr  als  zwei  Stücke.  Letzteres  aber  ist  unmöglich, 
weil  dann  wenigstens  in  Einem  dieser  Stücke  m  überall  endlich  und 
stetig  und  in  allen  Theilen  der  Begrenzung  constant  sein  müsste, 
folglich  entweder  in  einem  Flächentheil  einen  constanten  Werth,  oder 
irgendwo,  —  in  einem  Punkte  oder  längs  einer  Linie  —  einen  Maxi- 
mum- oder  Minimumwerth  haben  müsste,  gegen  Art.  11.,  III.  Die 
Punkte,  wo  m  constant  ist,  bilden  also  in  sich  zurücklaufende  allent- 
halben einfache  Linien,  welche  ein  den  Punkt  Oo  einschliessendes  Stück 
begrenzen,  und  zwar  nimmt  m  nach  Innen  zu  nothwendig  ab,  woraus 
folgt,  dass  bei  einem  positiven  Umlaufe  (wo  nach  Art.  8.  s  wächst)  n, 
soweit  es  stetig  ist,  stets  zunimmt,  und  also,  da  es  nur  beim  Ueber- 
tritt  von  der  negativen  auf  die  positive  Seite  der  Linie  l  eine  plötz- 
liche Aenderung  um  — 2%"^)  erleidet,  jedem  Werth  zwischen  o  und 
2%  Einmal  von  einem  Vielfachen  von  2%  abgesehen  gleich  wird. 
Setzen  wir  nun  e^  =  tv,  so  werden  e"*  und  n  Polarcoordinaten  des 
Punktes  Q  in  Bezug  auf  den  Mittelpunkt  des  Kreises  K.  Die  Ge- 
sammtheit  der  Punkte  Q  bildet  dann  offenbar  eine  über  K  allenthalben 
einfach  ausgebreitete  Fläche  S:  der  Punkt  Qo  derselben  fällt  auf  den 
Mittelpunkt  des  Kreises;  der  Punkt  Q'  aber  kann  vermittelst  der  in  n 
noch  verfügbaren  Constante  auf  einen  beliebig  gegebenen  Punkt  der 
Peripherie  gerückt  werden,  w.  z.  b.  w. 

In  dem  Falle,  wo  der  Punkt  Oo  ein  Windungspunkt  m- Ister  Ord- 
nung ist,  gelangt  man,  wenn  nur  log  (^  —  ^o)  durch     -  log   (^  —  0^) 

ersetzt  wird,  durch  ganz  ähnliche  Schlüsse  zum  Ziele,  deren  weitere 
Ausführung  man  indess  aus  Art.  14.  leicht  ergänzen  wird. 


22. 

Die    vollständige    Durchführung    der    Untersuchung    des    vorigen 
Artikels  für  den  allgemeinern  Fall,  wo  Einem  Punkte  der  einen  Fläche 


*)  Da  die  Linie  l  von  einem  im  Innern  des  Stücks  gelegenen  Punkte  bis  zu 
einem  äussern  führt,  so  muss  sie,  wenn  sie  dessen  Begrenzung  mehrmals  schneidet, 
Einmal  mehr  von  Innen  nach  Aussen,  als  von  Aussen  nach  Innen  gehen,  und  die 
Summe  der  plötzlichen  Aenderungen  von  n  während  eines  positiven  Umlaufs  ist 
daher  stets  =  —  2n. 


der  Functionen  einer  veränderlichen  complexen  Grösse.  43 

mehrere  Punkte  der  andern  entsprechen  sollen,  und  ein  einfacher  Zu- 
sammenhang für  dieselben  nicht  vorausgesetzt  wird,  unterlassen  wir 
hier,  zumal  da,  aus  geometrischem  Gesichtspunkte  aufgefasst,  unsere 
ganze  Untersuchung  sich  in  einer  allgemeinern  Gestalt  hätte  führen 
lassen.  Die  Beschränkung  auf  ebene,  einzelne  Punkte  ausgenommen, 
schlichte  Flächen,  ist  nämlich  für  dieselbe  nicht  wesentlich;  vielmehr 
gestattet  die  Aufgabe,  eine  beliebig  gegebene  Fläche  auf  einer  andern 
beliebig  gegebenen  in  den  kleinsten  Theilen  ähnlich  abzubilden,  eine 
ganz  ähnliche  Behandlung.  Wir  begnügen  uns,  hierüber  auf  zwei 
Gauss'sche  Abhandlungen,  die  zu  Art.  3.  citirte  und  die  disquis.  gen. 
circa  superf.  art.  13.,  zu  verweisen. 


1  n  h  a  1 1.  0 

•  Seite 

1.  Eine  veränderliche  complexe  Grösse  ic  ^^  u  -\-  vi  heisst  eine  Function  einer 
andern  veränderlichen  Grösse  z  =  x  -\-  yi,  wenn  sie  mit  ihr  sich  so  ändert, 

dass   -—  von  dz  unabhängig  ist.     Diese  Definition  wird  begründet  durch 

die  Bemerkung  dass  dies  immer  stattfindet,  wenn  die  Abhängigkeit  der 
Grösse  iv  von  z  durch  einen  analytischen  Ausdruck  gegeben  ist.      ...       3 

2.  Die  Werthe  der  veränderlichen  complexen  Grössen  z  und  tu  werden  dar- 
gestellt durch  die  Punkte  0  und  Q  zweier  Ebenen  Ä  und  B,  ihre  Ab- 
hängigkeit von  einander  als  eine  Abbildung  der  einen  Ebene  auf  die  andere.       5 

3.  Ist  die  Abhängigkeit  eine  solche  (Art.  1.)  dass  -^  von  <?^  unabhängig  ist, 

U/  Z 

80  findet  zwischen  dem  Original  und  seinem  Bilde  Aehnlichkeit  in  den 
kleinsten  Theilen  statt 5 

4.  Die  Bedingung,   dass  ^—  von   dz  unabhängig  ist,   ist  identisch  mit  fol- 

T        du       cv      du  dv        .        ..  _-  c^^u    .    d'^u 

genden:  -  =  _  ,  j_  =  _  g_  .     Aus    ihnen  folgen    —  +  ^  =  0, 

^  +  ^  =  0 6 

5.  Als  Ort  des  Punktes  0  wird  für  die  Ebene  A  eine  begrenzte  über  die- 
selbe ausgebreitete  Fläche  T  substituirt.    Windungspunkte  dieser  Fläche.      7 

6.  Ueber  den  Zusammenhang  einer  Fläche ,     ....     9 

I*  /d  X       d  Y\ 

7.  Das  Integral     I    1  -^^—  +  ■^—  |  d  T  durch  die  ganze  Fläche  T  erstreckt, 

ist  gleich  — f  {X.  cos  |  -}-  Ycos  iq)  ds  durch  ihre  ganze  Begrenzung,  wenn 
X  und  Y  beliebige  in  allen  Punkten  von  T  stetige  Functionen  von  x 
und  y  sind 12 

8.  Einführung  der  Coordinaten  s  und  p  des  Punktes  O  in  Bezug  auf  eine 
beliebige  Linie.     Die  gegenseitige  Abhängigkeit  des  Vorzeichens  von   ds 

V  X  (j  11 

und  dp  wird  so  festgesetzt,  dass  —  =  -^  ist 14 

9.  Anwendung  des  Satzes  im  Art.  7.,  wenn  in  allen  Flächentheilen 

ex    '    üy 

ist 15 

10.    Bedingungen,    unter    welciien    im    Innern    einer    A   einfach   bedeckenden 
Fläche  T  eine  Function  u,   welche,  allgemein  zu  reden ^   der  Gleichung 

^—2  -j-  -K—^  =  0  genügt,  nebst  allen  ihren  Difi:erentialquotienten  überall 

endlich  imd  stetig  ist 18 


^)  Diese  Inhaltsübersicht  rührt  fast  vollständig  von  Riemann  her. 


Inhalt.  45 

Seite 

11.  Eigenschaften  einer  solchen  Function 21 

12.  Bedingungen,  unter  welchen  im  Innern  einer  A  einfach  bedeckenden  ein- 
fach zusammenhängendeu  Fläche  T  eine  Function  w  von  z  überall  nebst 
allen  ihren  Difterentialquotienteu  endlich  und  stetig  ist 23 

13.  Unstetigkeiten  einer  solchen  Function  in  einem  inneren  Punkte  ....     24 

14.  Ausdehnung  der  Sätze  des  Art.  IS.  und  13.  auf  Punkte  im  Innern  einer 
beliebigen  ebenen  Fläche 25 

15.  Allgemeine  Eigenschaften  der  Abbildung  einer  in  der£bene  A  ausgebrei- 
teten Fläche  T  auf  eine  in  der  Ebene  B  ausgebreitete  Fläche  aS',  durch 
welche  die  Werthe  einer  Function  iv  von  z  geometrisch  dargestellt  werden.     28 


16. 


Das  Integral    j    \{ß^  - -^)    '^  [diji  ^  Wx)  ]    '^^'    ^"^^^'    ^'"^    ^^"^^^ 


Fläche  2'  erstreckt,  erhält  bei  Aenderung  von  a  um  stetige  oder  doch 
nur  in  einzelnen  Punkten  unstetige  Functionen,  die  am  Rande  =  0  sind, 
immer  für  Eine  einen  Minimumswerth  und  wenn  man  durch  Abänderung 
in  einzelnen  Punkten  hebbare  Unstetigkeiten  ausschliesst,  nur  für  Eine   .     30 

17.  Begründung  eines  im  vorigen  Art.  vorausgesetzten  Satzes  mittelst  der 
Grenzmethode 31 

18.  Ist  in  einer  beliebigen  zusammenhängenden,  durch  Querschnitte  in  eine 
einfach  zusammenhängende  T*  zerlegten  ebenen  Fläche  T  eine  Function 
a  -]-  ßi  von  X,  y  gegeben,  für  welche 

durch  die  ganze  Fläche  endlich  ist,  so  kann  sie  immer  und  nur  auf  eine 
Art  in  eine  Function  von  z  verwandelt  werden  durch  Hinzufügung  einer 
Function  ^i  -\-  vi  von  .t,  y  welche  so  bedingt  ist:  1.)  /*  ist  am  Rande  =  0, 
V  in  Einem  Punkte  gegeben.  2.)  Die  Aenderungen  von  ^  sind  in  T, 
die   von  v  in   T*    nur   in   einzelnen   Punkten   und  nur  so  unstetig,  dass 

/[Ö^+fö1  ^'^•-  /[Ö^+fö]  "^  ^"-  ^^« 

ganze  Fläche  endlich  bleiben  und  letztere  an  den  Querschnitten  beider- 
seits gleich 33 

19.  Ueberschlag  über  die  hinreichenden  und  nothwendigen  Bedingungen  zur 
Bestimmung  einer  Function  complexen  Arguments  innerhalb  eines  gege- 
benen Grössengebiets 35 

20.  Die  frühere  Bestimmungsweise  einer  Function  durch  Grössenoperationen 
enthält  überflüssige  Bestandtheile.  Durch  die  hier  durchgeführten  Betrach- 
tungen ist  der  Umfang  der  Bestimmungsstücke  einer  Function  auf  das 
nothwendige  Mass  zurückgeführt    .,..- 37 

21.  Zwei  gegebene  einfach  zusammenhängende  Flächen  können  stets  so  auf 
einander  bezogen  werden,  dass  jedem  Punkte  der  einen  Ein  mit  ihm  stetig 
fortrückender  Punkt  der  andern  entspricht  und  ihre  entsprechenden  klein- 
sten Theile  ähnlich  sind;  und  zwar  kann  zu  Einem  inneren  Punkt  und  zu 
Einem  Begrenz ungspmikt  der  entsprechende  beliebig  gegeben  werden. 
Dadurch  ist  für  alle  Punkte  die  Beziehung  bestimmt 39 

22.  Schlussbemerkungen 42 


Anmerkungen. 

(1)  (zu   Seite  3.)     In  Riemann's  Papieren  findet  sich  der  folgende  an  diese  Stelle 
gehörige  Zusatz: 

„Unter  dem  Ausdruck:  die  Grösse  w  ändert  sich  stetig  mit  z  zwischen  den 
Grenzen  z  =  a  und  z  =^  b  verstehen  wir:  in  diesem  Intervall  entspricht  jeder 
unendlich  kleinen  Aenderung  von  z  eine  unendlich  kleine  Aenderung  von  w 
oder,  greiflicher  ausgedrückt:  für  eine  beliebig  gegebene  Grösse  s  lässt  sich 
stets  die  Grösse  a  so  annehmen,  dass  innerhalb  eines  Intervalls  für  z,  welches 
kleiner  als  cc  ist,  der  Unterschied  zweier  Werthe  von  2u  nie  grösser  als  s  ist. 
Die  Stetigkeit  einer  Function  führt  hiernach,  auch  wenn  dies  nicht  besonders 
hervorgehoben  ist,  ihre  beständige  Endlichkeit  mit  sich/' 

(2)  (zu  Seite  18.)     Zur  Erläuterung  dieser  im  Ausdruck  etwas  dunkeln  Stelle  kann 
folgendes  Beispiel  dienen: 

_  _  In  der    beistehenden  Figur   ist   T 

eine  dreifach  zusammenhängende 
Fläche,  (ah)  sei  der  ersteQuerschnitt 
(/i,  (cd)  der  zweite  q.^.  Man  hat  hier 
drei  verschiedene  constante  Werth- 
differenzen  der  Function 


Z 


,/■( 


X 


dy 


■) 


ds 


zu  unterscheiden.   Diese  seien:  ander 
=      Strecke  («c) :  ^,  an  der  Strecke  (cb):B^ 
^      an   der  Strecke  (cd)  :  C.    Durchläuft 
man  also  zuerst  (cd),  so  kann  hier  C 
irgend   einen   Werth   haben.      Durchläuft  man    hierauf  (6c),    so   kann  hier  B 
einen  andern  beliebigen  Werth  haben.    An  (ac)  ist  aber  hiernach  die  constanie 
WerthdifFerenz  Ä  der  Function  Z  völlig  bestimmt,  nämlich   (wenn  die  Vor- 
zeichen passend  bestimmt  werden)  A  =^  B  -\-  C.    Auf  ähnliche  Weise  schliesst 
man    allgemein,    dass,    so    oft    beim    Rückwärtsdurchlaufen    des   Querschnitt- 
systems ein  schon  durchlaufener  Querschnitt  einmündet,  die  Aenderung,  welche 
die  constante  Werthdifferenz  der  Function    dadurch  erfährt,   vollkommen  be- 
stimmt ist. 
(3)  (zu  Seite  33.)    Die  folgenden  Bemerkungen  sind  fast  wörtlich  den  in  Riemann's 
handschriftlichen  Nachlass  gefundenen  Entwürfen   zu  Art.    17.   entnommen   und 
dienen  theils  zur  Erläuterung,  theils  zur  Ergänzung  der  Untersuchung. 

Von  den  Werthen  Pj  und  P^  kann  auch  einer  überall  =  0  genommen 
werden,  wenn  nur  T'  eine  endliche  Breite  behält,  wodurch  unser  Beweis 
auf  den  Fall  anwendbar  wird,  wo  die  Unstetigkeit  längs  eines  Theils  der  Be- 
grenzung einträte,  oder  durch  Abänderung  von  y  längs  einer  Linie  im  Innern 
entstanden  wäre.  Für  m  ist  deshalb  nicht  geradezu  der  kleinste  Werth  von 
(Vi  ~  72^  ^^  d^i^  angegebenen  Intervall  von  j^i  ^^^  P2  gesetzt,  damit  der 
Beweis  auch  auf  den  Fall  anwendbar  ist,  wo  y  unendlich  viele  Maxima  und 

Minima,  also  z.  B.  in  der  Nähe  der  Unstetigkeitslinie  den  Werth  sin  — ,  hätte. 

In  ähnlicher  Weise  lässt  sich  zeigen,  dass  L  über  alle  Grenzen  wächst,  wenn 


Anmerkungen.  47 

X  sich  einer  Function  y  unbegrenzt  nähert,  die  in  einem  Punkt  0'  so  unstetig 
wird,    dass  in  einem  Theil  einer   mit   dem  Radius  q   um   0'    beschriebenen 

Kreislinie    o  ,     ,    0  ,       für  ein  unendlich  kleines  p  sich  einer  endlichen  Grenze 

nähern  oder  unendlich  werden. 

Es  lägst  sich  in  diesem  Fall  ein  Werth  B,  von  q  so  annehmen,  dass  unter- 
halb desselben 


^i\p:!^m]'^ 


u 
nicht  0  wird.     Bezeichnen  wir  den  kleinsten  Werth  dieser  Grösse  in  diesem 
Intervall  durch  a,  so  wird  der  Beitrag  eines  zwischen  q  =  B  und  9  =  r  (wo 
r  <i  li)  enthaltenen  Kreisrings  zu  L 

R  2Jt      ^  R 

f'''J'  [®'  ■*"  ©1  "^^  ^/^  ''"  ^  "  *'"^  ^'  ~  ^"^  '' 

/•  U  r 

und  folglich,  wenn  man  r  =  lie     "    annimmt    ^  C.      Wählt    man    also    zur 

_  c 

Begrenzung  von  T'  einen  Kreis,  wo  9  <^  lie  ",  so  wird  der  aus  dem  übrigen 
T  stammende  Theil  von  L  und  folglich  L  selbst,  wie  auch  l  im  Innern  des 
Kreises  angenommen  werden  möge,  ]>  C. 

(Diese  Untersuchung  bezieht  sich  zwar  zunächst  auf  einen  Punkt,  der  kein 
Winduugspunkt  und  kein  Begrenzungspunkt  ist,  erleidet  aber  eine  wesent 
liehe  Aenderung  nur  für  einen  Begrenzuugspunkt,  wo  die  Fläche  eine  Spitze, 
d.  h.  ihre  Begrenzung  einen  Kückkehrpunkt  hat.  Die  Bestimmung  eines 
Grades  der  Unstetigkeit,  welchen  X  nicht  erreichen  kann,  beruht  indess  auch 
hier  auf  denselben  Principien  und  wir  begnügen  uns  daher  mit  der  Andeu- 
tung dieses  Falles.) 

Es  liefert  also,  wenn  der  Flächentheil,  wo  X  und  y  verschieden  sind,  un- 
endlich klein  wird,  im  Fall  einer  Unstetigkeitslinie  T'  selbst,  im  Fall  eines 
Unstetigkeitspunktes  der  übrige  Theil  von  T  einen  unendlichen  Beitrag  zu  X, 
und  unsere  Behauptung  ist  daher,  wenn  die  Unstetigkeit  den  hier  voraus- 
gesetzten Grad  erreicht,  gerechtfertigt.  Ihre  Gültigkeit  in  diesem  Umfang 
genügt  für  uns  und  in  der  That  wird  sie  für  leichtere  Unstetigkeiten  unrichtig, 
wie  z.  B.  wenn  y  in  der  Entfernung  q  des  Punktes  O  vom  Unstetigkeitspunkt 

^=  (log  — )     und  iti  <<  i  ist.     Wir  geben  daher  dem  ersten  Theil  des   Satzes 

im  Art.  16.  folgende  Beschränkung:  Das  Integral  Sl  hat,  a  =  cc  -\-  X  gesetzt, 
entweder  für  eine  der  Functionen  X  ein  Minimum,  oder  X  nimmt,  während  Sl 
sich  einem  kleinsten  Grenzwerth  nähert  doch  nur  in  einzelnen  Punkten  eine 

Unstetigkeit  an,  bei  welcher  die  Ordnung  von  0— ;»  0— »  wenn  sie  unendlich 
werden,  die  Einheit  nicht  erreicht. 

Eine  Unstetigkeit  der  Function  co,  die  durch  Abänderung  eines  Werthes  in 
einem  Punkt  hebbar  ist,  muss  z.  B.  eintreten,  wenn  in  der  Fläche  irgendwo 
ein  Stich,  also  ein  einzelner  Begrenzungspunkt,  wo  /l  =  0  sein  müsste,  an- 
genommen würde. 


IL 

lieber  die  Gesetze  der  Vertheilung  von  Spannungselectricität 
in  ponderabeln  Körpern,  wenn  diese  nicht  als   vollkommene 
Leiter  oder  Nichtleiter,  sondern  als  dem  Enthalten  von  Span- 
nungselectricität mit  endlicher  Kraft  widerstrebend 
betrachtet  werden. 

(Amtlicher  Bericht  über  die  31.  Versanimhmg  deutscher  Naturforscher 
und  Aerzte  zu  Göttingeu  im  September  1854.  *) 

Mittelst  der  sinnreichen  Werkzeuge  für  Spannungselectricität, 
welche  Herr  Prof.  Kohlrauscli  in  der  gestrigen  Sitzung  dieser  Section 
erwähnte,  hat  derselbe  auch  die  Bildung  des  Rückstandes  in  der  Ley- 
dener  Flasche  und  in  andern  Apparaten  zur  Bindung  von  Electricität 
untersucht.  Diese  Erscheinung  ist  im  Wesenthchen  folgende:  Wenn 
man  eine  Leydener  Flasche,  nachdem  sie  längere  Zeit  geladen  gestan- 
den hat,  entladet  und  sie  dann  eine  Zeit  lang  isolirt  stehen  lässt,  so 
tritt  nach  einiger  Zeit  eine  merkliche  Ladung  wieder  auf.  Sie  führt 
zu  der  Annahme,  dass  bei  der  ersten  Entladung  nur  ein  Theil  der 
geschiedenen  Electricitätsmenge  sich  wieder  vereinigte,  ein  Theil  aber 
in  der  Flasche  zurückblieb.  Den  ersten  Theil  nennt  man  die  dispo- 
nible Ladung,  den  zweiten  den  Rückstand.  Die  Genauigkeit  der 
Messungen,  welche  Herr  Prof.  Kohlrausch  über  das  Sinken  der  dis- 
ponibeln  Ladung  und  über  das  Wiederauftreten  des  Rückstandes  an- 
gestellt hat,  reizte  mich,  an  derselben  ein  aus  andern  Gründen  wahr- 
scheinliches Gesetz  zu  prüfen,  welches  eine  in  der  bisherigen  Theorie 
der  Spannungselectricität  vorhandene  Lücke  ausfüllt. 

Bekanntlich  beziehen  sich  die  mathematischen  Untersuchungen 
über  Spannungselectricität  auf  ihre  Vertheilung  in  vollkommenen  und 
völlig  isolirten  Leitern;  man  betrachtet  also  die  ponderabeln  Körper 
entweder  als  absolute  Leiter  oder  als  absolute  Nichtleiter.    Eine  Folge 

davon  ist,   dass  nach   dieser  Theorie    sich   beim  Gleichgewicht  die   ge- 

<♦ 

*=)  Vortrag  gehalten  am  21.  Sept.  1854. 


II.    Ueber  die  Gesetze  der  Vertheilung  von  Spannungäelectricität  etc.       49 

saminte  Spannungselectricität  nur  an  den  Grenzflüchen  der  Leiter  und 
Isolatoren  ansammelt.  Zugestandenermassen  aber  ist  dies  eine  blosse 
Fiction.  In  der  Natur  wird  es  weder  einen  Körper  geben,  in  welchen 
durchaus  keine  Spannungselectricität  eindringen  kann,  noch  einen  Körper, 
in  welchem  sich  die  gesammte  Spannungselectricität  auf  eine  mathe- 
matische Fläche  zusammenziehen  kann.  Man  muss  vielmehr  annehmen, 
dass  die  ponderabeln  Körper  dem  Aufnehmen  oder  dem  Enthalten  von 
Spannungselectricität  mit  endlicher  Kraft  widerstreben,  und  zwar  ist 
die  Annahme,  deren  Consequenzen  sich  der  Erfahrung  gemäss  zeigen,  die, 
dass  sie  nicht  dem  electrisch  Werden  oder  dem  Aufnehmen  von  Span- 
nungselectricität, sondern  dem  electrisch  Sein  oder  dem  Enthalten  von 
Spannungselectricität  widerstreben.  Das  Gesetz  dieses  Widerstrebens 
ist,  je  nach  der  dualistischen  oder  unitarischen  Vorstellungsart,  folgen- 
des. Nach  der  dualistischen  Vorstellungsart,  nach  welcher  die  Span- 
nungselectricität der  Ueberschuss  der  positiven  Electricität  über  die 
negative  ist,  muss  man  in  jedem  Punkte  des  ponderabeln  Körpers  eine 
Ursache  annehmen,  welche  mit  einer  der  Dichtigkeit  dieses  Ueber- 
schusses  proportionalen  Intensität  die  Dichtigkeit  der  Electricität 
gleichen  Zeichens  —  derjenigen,  welche  im  Ueberschuss  vorhanden  ist 
—  zu  vermindern  und  die  der  entgegengesetzten  zu  vermehren  strebt. 
Nach  der  unitarischen  Auffassungsweise,  nach  welcher  die  Spannungs- 
electricität der  Ueberschuss  der  in  dem  Körper  enthaltenen  Electricität 
über  die  ihm  natürliche  ist,  muss  man  in  jedem  Punkte  desselben  eine 
Ursache  annehmen,  welche  mit  einer  der  Dichtigkeit  dieses  Ueber- 
schusses  proportionalen  Intensität  die  Dichtigkeit  der  Electricität  zu 
vermindern  oder  bei  negativem  Ueberschuss  zu  vermehren  strebt.  Ausser 
dieser  Bewegungsursache  hat  man  nun,  wenn  keine  merklichen  ther- 
mischen oder  magnetischen  oder  voltainductorischen  Wirkungen  und 
Einflüsse  stattfinden,  und  die  ponderabeln  Körper  gegen  einander 
ruhen,  nur  noch  die  dem  Coulomb'schen  Gesetz  gemässe  electromoto- 
risclie  Kraft  in  Rechnung  zu  ziehen.  Unter  denselben  Umständen  kann 
man  für  die  Abhängigkeit  der  erfolgten  Bewegung  von  den  Bewegungs- 
ursachen Proportionalität  zwischen  electromotorischer  Kraft  und  Strom- 
intensität annehmen. 

Um  diese  Bewegungsgesetze  in  Formeln  auszudrücken,  seien  x,  ?/,  z 
rechtwinklige  Coordinaten  und  im  Punkte  (:r,  y^  z)  zur  Zeit  i  die  Dich- 
tigkeit der  Spannungselectricität  (),  und  u  der  4:nrte  Theil  des  Poten- 
tials der  gesammten  Spannungselectricität  nach  Gaussscher  Definition, 
nach  welcher  das  Potential  in  einem  bestimmten  Punkte  gleich  ist  dem 
Integral  über  sämmtliche  Massen  Spannungselectricität,  jede  dividirt  durch 
die  Entfernung  von  diesem   Punkte.     Die   dem  Couldmb'schen   (resetz 

KiEMANN'ä  gesainmelto  muthomatiscbe  Wi-rke.     1.  4 


50       n.    Ueber  die  Gesetze  der  Vertheiiuug  von  Spannungselectricität  etc. 

gemässe  electromotorische  Kraft  ist  dann,  nach  den  Richtungen  der 
drei  Axen  zerlegt,  proportional 

du  du  du 

dx'~~dy  '  "Wz  ' 

die  von  der  Reaction  des  ponderabeln  Körpers  herrührende  proportional 

d^    dg^    dg 

d x^        dy  ^        dz' 

Die  Componenten  der  electromotorischen  Kraft  können  also  gleich 
gesetzt  werden 

^J*    (32  '^±        ^J*   „    /?2  ^        _     ^  _    /i2  ^ 

ex        P    dx'         dy         ^   dy  ^       'dz         P    dz  ^ 

wo  /3-  nur  von  der  Natur  des  ponderabeln  Körpers  abhängt.  Diesen 
sind  nun  die  Componenten  der  Stromintensität  proportional,  sie  sind 
also  =  a^,  arjy  a^,  wenn  man  durch  i,  rj,  t,  die  Componenten  der 
Stromintensität  und  durch  a  eine  von  der  Natur  des  ponderabeln  Kör- 
pers abhängige  Constante  bezeichnet. 

Verbindet  man  hiermit  die  phoronomische  Gleichung 

'^dt  ~^  dx~^  dy  '^  dz  ' 

welche  man  erhält,  indem  man  die  in  das  Raumelement  dxdyds  im 
Zeitelement  dt  einströmende  Electricitätsmenge  auf  doppelte  Weise 
ausdrückt,  und  die  Gleichung 

d'^u  j,    d^u  j_  d^u 

W''^  dy'^'^  dV^~~  ~  ^^ 

welche  aus  dem  Begriffe  des  Potentials  folgt,  so  erhält  man,  indem 
man  erstere  mit  a  multiplicirt  und  für  ^,  t],  t,  ihre  Werthe  setzt,  die 
Gleichung 

Diese  giebt  für  ti  eine  partielle  Differentialgleichung,  welche  in 
Bezug  auf  t  vom  ersten ,  in  Bezug  auf  die  Raumcoordinaten  vom 
vierten  Grade  ist,  und  um  von  einem  bestimmten  Zeitpunkte  an  u 
innerhalb  des  ponderabeln  Körpers  allenthalben  vollständig  zu  bestim- 
men, werden  ausser  dieser  Gleichung  in  jedem  Punkte  desselben  Eine 
Bedingung  für  die  Anfangszeit  und  für  die  Folge  in  jedem  Ober- 
flächenpunkte zwei  Bedingungen  erforderlich  sein. 

Ich  werde  nun  die  Consequenzen  dieser  Gesetze  in  einigen  beson- 
deren Fällen  mit  der  Erfahrung  vergleichen. 

Für  das  Gleichgewicht  (in  einem  System  isolirter  Leiter)  ist 


II.    (Jeber  die  Gesetze  der  Vertbeilung  von  Spaunungselectricitixt  etc.     51 


oder 
oder^  da 


1^    ,    >32  ^9  _  0,  ^"  +  ß'l^  =  0,  ^^  +  ß'  ?^  =  0 
tt  +  /3-()  =  Const., 

»-^^(C  +  ??  +  S)=Const. 

Für  die  Stromausgleichung  oder  den  Beharrungszustand  der  Verthei- 
hmg  (im  Schliessungsbogen  constanter  Ketten)  ist 

dt        ^ 
oder 

Wenn  nun  die  Länge  ß  gegen  die  Dimensionen  des  ponderabelu 
Körpers  sehr  klein  ist,  so  nimmt  u  —  Const.  im  erstem  Falle  und  q 
im  zweiten  von  der  Oberfläche  ab  sehr  schnell  ab  und  ist  im  Innern 
überall  sehr  klein,  und  zwar  ändern  sich   diese  Grössen   mit  dem  Ab- 

stände  ])  von  der  Oberfläche  nahe  wie  c  K  Dieser  Fall  wird  bei 
den  metallischen  Leitern  angenommen  werden  müssen;  wird  /3  =  0 
gesetzt,  so  erhält  man  die  bekannten  Formeln  für  vollkommene  Leiter. 

Bei  der  Anwendung  dieser  Gesetze  auf  die  Rückstandsbildung  in 
der  Leydener  Flasche  musste  ich,  da  Angaben  über  die  Dimensionen 
der  Apparate  fehlten,  annehmen,  dass  die  Dimensionen  derselben  gegen 
den  Abstand  der  Belegungen  als  unendlich  gross  betrachtet  werden 
dürften.  Mit  der  Ausführung  der  Rechnung  wage  ich  die  verehrten 
Anwesenden  nicht  zu  ermüden  und  begnüge  mich  das  Resultat  dersel- 
ben anzugeben. 

Aus  den  Messungen  des  Herrn  Prof.  Kohlrausch  hatte  sich  erge- 
ben, dass  die  disponible  Ladung,  als  Function  der  Zeit  betrachtet, 
nahe  durch  eine  Parabel  dargestellt  wird,  dass  jedoch  der  Parameter 
der  Parabel,  welche  sich  der  Ladungscurve  am  nächsten  anschliesst, 
langsam  abnimmt,  so  dass  wenn  man  die  anfängliche  Ladung  durch  Zo, 

die  zur  Zeit  t  durch  Lt  bezeichnet,      "   ^  ^^   eine   Grösse    ist,   welche 

"j/T 

mit  wachsendem  i  allmählich  abnimmt. 

Dasselbe  ergab  sich  auch  aus  der  Rechnung,  wenn  angenommen 
wurde,  dass  sowohl  a  als  /3^  beim  Glase,  wie  dies  von  vorn  herein  zu 
erwarten  war,  sehr  gross  sei  und  als   unendlich   gross  betrachtet  wer- 

4* 


52       II.     lieber  die  Gesetze  der  Vertheilung  von  Spannungselectricität  etc. 

(leu  dürfe,  während  ihr  Quotient  endlich  bleibt.  Eine  schärfere  Ver- 
gleichung  der  Rechnung  mit  den  Beobachtungen  habe  ich  nicht  ange- 
gestellt, namentlich  aus  dem  Grunde,  weil  mir  Angaben  über  die 
Dimensionen  der  Apparate  und  überhaupt  alle  Mittel  fehlten,  die  wegen 
der  Abweichungen  von  den  Vorraussetzungen  der  Rechnung  nöthigen 
Correctionen  zu  bestimmen.  Es  wäre  eine  solche  namentlich  zur  Be- 
stimmung der  electrischen  Constanten  des  Glases  zu  wünschen.  Doch 
halte  ich  das  hier  aufgestellte  Gesetz  für  die  Vertheilung  der  Span- 
nungselectricität für  vollkommen  durch  die  Messungen  des  Herrn  Prof. 
Kohl  rausch  bestätigt. 

Ich  darf  wohl  noch  in  der  Kürze  die  Anwendung  dieses  Gesetzes 
auf  einen  andern  Gegenstand  besprechen. 

Bekanntlich  wird  die  Fortpflanzung  der  galvanischen  Ströme  in 
metallischen  Leitern  und  die  in  Folge  derselben  stattfindende  Strom- 
ausgleichung bei  Constanten  oder  langsam  sich  ändernden  electromo- 
torischen  Kräften  durch  die  dabei  auftretende  Spannungselectricität 
bewirkt.  Dieser  Vorgang  ist  wegen  seiner  ungemein  kurzen  Dauer 
und  den  hinzukommenden  thermischen  und  magnetischen  Wirkungen 
nur  in  seinen  Resultaten  der  experimentalen  Forschung  zugänglich, 
und  die  einzigen  experimentellen  Bestimmungen,  welche  wir  darüber 
haben,  sind  die  Messungen  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  in  Tele- 
graphendrähten und  die  Ohm 'sehen  Gesetze  der  Stromausgleichung. 
Eine  genauere  Analyse  der  Ohm' sehen  Gesetze  führt  indess  ebenfalls 
zu  der  hier  gemachten  Annahme,  und  ich  wurde  in  der  That  dadurch 
zuerst  auf  sie  geführt. 

Ohm  bestimmt  die  Stromvertheilung  bei  der  Stromausgleichung 
durch  folgende  zwei  Bedingungen: 

1)  Um  die  den  wirklich  erfolgten  Stromintensitäten  proportionalen 
electromotorischen  Kräfte  zu  erhalten,  muss  man  zu  den  äussern  electro- 
motorischen  Kräften  Kräfte  hinzufügen,  welche  die  Differentialquotienten 
Einer  Function  des  Orts,  der  Spannung,  sind. 

2)  Bei  der  Stromausgleichung  strömt  in  jeden  Theil  des  pön- 
derabeln  Leiters  eben  so  viel  Electricität  ein  als  aus. 

Ohm  glaubte  nun,  dass  die  Spannung,  diese  Function  des  Orts, 
von  welcher  die  inneren  electromotorischen  Kräfte  die  Differentialquo- 
tienten sind,  von  der  Spannungselectricität  so  abhingen,  dass  sie  ihrer 
Dichtigkeit  proportional  sei,  welche  Annahme  in  der  That  das  Zu- 
standekommen beider  Bedingungen  erklärt.  Aber  es  haben  schon,  fast 
gleichzeitig; Herr  Prof.  Weber*)  und  Kirchhoff**)  darauf  aufmerksam 


*)  Abhandlungen  d.  k.  sächs.  Ges.  d.  W.  1852,  T.  S.  293. 
**)  Poggendorifs  Annalen.     Bd.  79,  S.  506. 


II.    Ueber  die  Gesetze  der  VerÜieilung  von  Spannungselectricität  etc.       53 

gemacht,  dass  dann  die  Electricität  im  Gleichgewicht  sein  müsste, 
wenn  sie  den  ponderabeln  Körper  mit  gleichmässiger  Dichtigkeit  er- 
füllte, während  sie  doch  der  Erfahrung  nach  beim  Gleichgewicht  auf 
der  Oberfläche  vertheilt  ist.  Die  Spannung  muss  eine  Function  sein, 
welche  beim  Gleichgewicht  im  ganzen  Leiter  constant  ist,  und  also 
vielmehr  dem  Potential  der  Spannungselectricität  proportional  sein, 
und  diese  innern  electromotorischen  Kräfte  sind  mit  den  dem  Coulomb'- 
schen  Gesetz  gemässen  identisch. 

Diese  Ansicht  über  die  Spannung  wurde  auch  von  den  meisten 
Forschern  angenommen.  Dabei  aber  blieb  es  ununtersucht,  durch  welche 
Ursachen  bei  der  Stromausgleichung  die  zweite  Bedingung  hergestellt 
wurde,  dass  in  jedem  ponderabeln  Körpertheil  die  Electricitätsmenge 
constant  bleibe. 

Nach  der  dualistischen  Auffassung  muss  sowohl  die  positive  als 
die  negative  Electricitätsmenge  constant  bleiben;  dass  kein  merklicher 
Ueberschuss  Einer  Electricität  sich  bilde,  scheint  man,  wenigstens  so 
lange  man  auf  die  Grössenverhältnisse  nicht  näher  eingeht,  aus  der  An- 
ziehung der  entgegengesetzten  Electricitäten  nach  dem  CoulomVschen 
Gesetz  erklären  zu  können,  und  man  muss  dann  noch  eine  Ursache, 
dass  die  neutrale  Electricität  in  jedem  Körpertheil  constant  bleibe,  also 
einen  Druck  des  Ponderabile  auf  sie,  annehmen.  Diese  Annahme  habe 
ich  auf  Anregung  des  Herrn  Prof.  AVeber  schon  vor  mehreren  Jahren 
der  Rechnung  zu  unterwerfen  gesucht,  ohne  zu  einem  befriedigenden 
Resultat  zu  gelangen. 

Nach  unitarischer  Auffassung  bedarf  es  nur  einer  Ursache,  welche 
die  in  einem  ponderabeln  Körpertheil  enthaltene  Electricitätsmenge  con- 
stant zu  erhalten  strebt.  Man  wird  so  geradeswegs  zu  der  obigen 
Annahme  geführt,  dass  jeder  ponderabele  Körper  Electricität  von  be- 
stimmter Dichtigkeit  zu  besitzen  strebt  und  sowohl  einem  grösseren 
als  einem  geringeren  erfüllt  Sein  widerstrebt.  Das  Gesetz  dieses  Wider- 
strebens kann  man  so  annehmen,  wie  es  sich  für  das  Glas  durch  die 
Erfahrung  bestätigt  hat. 

Diese  Betrachtungen  führen  also  dazu,  die  ursprüngliche  Franklin'sche 
Auffassung  der  electrischen  Erscheinungen  als  diejenige  anzunehmen, 
welche  man  für  das  tiefere  Eindringen  in  den  Zusammenhang  dieser  Er- 
scheinungen unter  sich  und  mit  andern  Erscheinungen  zu  Grunde  zu 
legen  und  der  weitern  Aus-  und  Umbildung  nach  den  Geboten  und 
Winken  der  Erfahrung  zu  unterwerfen  hat. 

Möchten  sie  in  dem  Kreise  bewährter  Forscher,  vor  denen  ich  sie  zu 
entwickeln  die  Ehre  hatte,  einer  nähern  Prüfung  werth  gefunden  werden. 


III. 

Zur  Theorie  der  Nobili 'sehen  Farbenringe. 

(Aus  Poggendorffs  Annalen  der  Physik  und  Chemie.    Bd.  95,  28.  März  1855.) 

Die  Nobili 'sehen  Farbenringe  bilden  ein  schätzbares  Mittel,  die 
Gesetze  der  Stromverzweigung  in  einem  durch  Zersetzung  leitenden 
Körper  experimentell  zu  studiren.  Die  Erzeugungsweise  dieser  Ringe 
ist  folgende.  Man  übergiesst  eine  Platte  von  Platin,  vergoldetem  Silber 
oder  Neusilber  mit  einer  Auflösung  von  Bleioxyd  in  concentrirter 
Kalilauge  und  lässt  den  Strom  einer  starken  galvanischen  Batterie 
durch  die  Spitze  eines  feinen  in  eine  Glasröhre  eingeschmolzenen  Platin- 
draths  in  die  Flüssigkeitsschicht  ein  und  durch  die  Platte  austreten. 
Das  Anion,  Bleisuperoxyd  nach  Beetz,  lagert  sich  dann  auf  der  Metall- 
platte in  einer  zarten  durchsichtigen  Schicht  ab,  welche  je  nach  der 
Entfernung  vom  Eintrittspunkte  des  Stroms  verschiedene  Dicke  besitzt, 
so  dass  die  Platte  nach  Entfernung  der  Flüssigkeit  New  tonische 
Farbenringe  zeigt.  Aus  diesen  Farbenringen  lässt  sich  dann  die 
relative  Dicke  der  Schicht  in  verschiedenen  Entfernungen  bestimmen 
und  hieraus  mittelst  des  Far ad ay 'sehen  Gesetzes,  nach  welchem  die 
Menge  der  abgeschiedenen  Substanz  der  durchgegangenen  Elektricitäts- 
menge  allenthalben  proportional  sein  muss,  die  Stromvertheilung  beim 
Austritt  aus  der  Flüssigkeit  ableiten. 

Der  erste  Versuch,  die  Stromvertheilung  durch  Rechnung  zu  be- 
stimmen und  das  gefundene  Resultat  mit  der  Erfahrung  zu  vergleichen, 
ist  von  E.  Becquerel  gemacht  worden.  Derselbe  hat  vorausgesetzt, 
dass  die  Ausdehnung  der  Flüssigkeitsschicht  gegen  ihre  Dicke  als 
unendlich  gross  betrachtet  werden  dürfe,  der  Strom  durch  einen  Punkt 
ihrer  Oberfläche  eintrete  und  sich  nach  den  Ohm 'sehen  Gesetzen  in 
derselben  ausbreite.  Er  glaubt  nun  bei  diesen  Voraussetzungen  ohne 
merklichen  Fehler   die  Strömungscurven  als  gerade  Linien  betrachten 


111.     Zur  Theorie  der  Nobili'Hchen  Farbenringe.  55 

zu  können  und  leitet  aus  dieser  Annahme  das  Gesetz  ab,  dass  die 
I^icke  der  niedergeschlagenen  Schicht  dem  Abstände  vom  Eintritts- 
punkte umgekehrt  proportional  sein  müsste,  welches  Gesetz  er  experi- 
mentell bestätigt  habe. 

Herr  Du-Bois-Reymond  .hat  dagegen  in  einem  vor  der  physi- 
kalischen Gesellschaft  zu  Berlin  gehaltenen  Vortrage  gezeigt,  dass  bei 
Voraussetzung  gerader  Strömungslinien  die  Dicke  der  in  ihrem  End- 
punkte abgeschiedenen  Substanz  vielmehr  dem  Cubus  ihrer  Länge  um- 
gekehrt proportional  sich  ergiebt  und  dadurch  Herrn  Beetz  zu  einer 
Reihe  von  dem  Anschein  nach  bestätigenden  Versuchen  veranlasst, 
welche  in  Poggendorffs  Annalen  Bd.  71,  S.  71  beschrieben  sind  und 
viel  Vertrauen  erwecken. 

Die  genaue  Rechnung  indessen  lehrt,  dass  die  Voraussetzung 
gerader  Strömungslinien  unzulässig  ist  und  ein  ganz  falsches  Resultat 
liefert.  Allerdings  sind  die  Strömungslinien,  wenigstens  bei  grösserer 
Entfernung  ihres  Austrittspunktes  (da  sie  zwischen  zwei  sehr  nahen 
Parallel-Linien  liegen  und  höchstens  einen  Wendepunkt  besitzen),  in 
dem  mittleren  Theile  ihres  Laufes  in  beträchtlicher  Ausdehnung  sehr 
wenig  gekrümmt;  hieraus  aber  darf  man  keineswegs  schliessen,  dass 
sie  ohne  merklichen  Fehler  durch  gerade  von  ihrem  Eintrittspunkte 
nach  ihrem  Austrittspunkte  gehende  Linien  ersetzt  werden  können. 
Ich  werde  zunächst  die  bei  genauer  Rechnung  aus  den  Voraussetzungen 
der  Herren  E.  Becquerel  und  Du-Bois-Reymond  fliessenden  Fol- 
gerungen entwickeln  und  schliesslich  auf  die  Versuche  des  Herrn  Beetz 
zurückzukommen  mir  erlauben. 

Ich  nehme  an,  dass  der  Eintritt  des  Stromes  in  die  durch  zwei 
horizontale  Ebenen  begrenzte  Flüssigkeitsschicht  in  einem  Punkte  statt- 
finde, und  bezeichne  für  einen  Punkt  derselben  den  Horizontalabstand 
vom  Einströmungspunkt  durch  r,  die  Höhe  über  der  unteren  Grenz- 
fläche durch  s,  die  Erhebung  seiner  Spannung  über  die  Spannung  an 
der  oberen  Seite  dieser  Grenzfläche  durch  n.  Ferner  sei  die  Stärke 
des  ganzen  Stromes  S,  der  specifische  Leitungswiderstand  der  Flüssig- 
keit w,  im  Einströmungspunkt  z=  a,  an  der  Oberfläche  z  ==  ß.  Es 
muss  nun  ii  als  Function  von  r  und  z  bestimmt  werden;  die  Strom- 
intensität im  Punkte  (r,  ö),  welcher  nach  dem  Faraday'schen  Gesetz 
die  gesuchte  Dicke   der   dort  niedergeschlagenen   Schicht  proportional 

sein  muss,  ist  dann  gleich  dem  Werthe  von    -  ,.—  in  diesem    Punkte. 

^  ^  lü  dz 

Wird  zunächst  vorausgesetzt,  dass  die  Ausdehnung  der  Flüssigkeits- 
schicht  gegen  ihre  Dicke  als  unendlich  gross  betrachtet  werden  dürfe, 
so  sind  die  Bedingungen  zur  Bestimmung  von  n 


56  111.     Zur  Theorie  tler  Nobili'schen  Farbenringe. 

(1.)  für  —  oo  <  /'  <  ^,  ()<Z<  ß, 

(2.)  für  —  oü  <  >•  <  oo,  ^  =  0,  w  =  0; 

(3.)  für  -  oo<r<oo,  ,  =  ß,  ||  =  0; 

(4.)  für  r  =  ■^-  oo,  0  <s  <  ß,  u  endlich; 

(5.)  für  r  =  0,  0  =  a, 


u  = 


4=71   -j/,.^  -f  (0  —  a)2 

oder     = -===^::^ 

27t  y  rr  -\-  {z  —  af 


-j-  einer 


stetigen  Function  von  r,  z,  je    nachdem   der  Einströmungspunkt   im 
Innern  oder  in  der  Oberfläche  liegt. 
Diesen  Bedingungen  genügt 

„  =  fi^  y  ( _  1)».  (  ___L_  -  ' \ 

oder  wenn  man  zur  Vereinfachung  S= —  annimmt: 

„  =  y  ( -  1)»  U ^ _ ' "> 

—  CO ,  CO 

Setzt  man  u  =  a^  sin  -^  +  «2  sin  2  ^  +  %  sin  3  ^    +  . . ,  so  wird 
für  ein  gerades  n  der  Coefficient  an  =  0  und  für  ein  ungerades 

2/! 


^an===j\inn^^{-\)-(^ 


dt 


y  rr  +  (^  +  2mß  —  «) 

—  CO,  CO  ■'  '  ' 


a)'V 


y  rr  +  (^  -I-  2mß  + 


j  (sin  n  f^  (t  +  a)-  sin  n  ^^  {t  -  «))^ 


+  it 

.V.  71  a      i'  nt  dt  c^     •  71  a      / 

2  sm  n  --    /  cos  n  ---tt  — rr=z  ==  2  sm  w  -^    / 


n 

CO     n  -^  ti 

71 1  dt  ^    .  71  a     /'e     "'^     cZ^ 


]/rrH-^^ 
In  letzterem  Integral  kann  statt    1    auch  2    /  geschrieben  werden. 

—  CO  ri 

Führt  man  für  t  als  Veränderliche  tri  ein,  so  erhält  man 


111.     Zur  Theorie  der  Nobili'schen  Farbenringe.  57 


ilso 


u  =  E  sin  n 


\  Hin  n     ^  a    1»      ^  ~  ■' ' 
n 


2ß"/'e     ^^     dt 


n'^        ^ 


e      \P     dt 


über  alle  positiven  ungeraden  Werthe  von  n  ausgedehnt. 

Nimmt  man  an,  dass  die  Flüssigkeit  bei  r  =  c  begrenzt   sei   und 
zwar  beispielshalber  durch  einen  Nichtleiter,  so  muss  für  /•  =  c    >-  =  0 

werden  und  also  zu  dem  oben  erhaltenen  Werth  von  tij  der  durch  u' 
bezeichnet  werden  möge,  noch  eine  Function  tt"  hinzugefügt  werden, 
welche  folgenden  Bedingungen  genügt 


(2.) 

für  —  c  <  /•  <  6',  0  <  ^'  <  ß, 

c'u" 

für  —  6'  <  r  <  c,  z  =  0, 

+ 

1 
r 

?u" 

dr 

'     cz'             ' 
«"  =  0; 

(3.) 

für  --  c  <  r  <  c,  z  =  ß, 

^  =  0^ 

(4.) 

für  r  =  ±c,  0<z<  ß, 

d  u"              c  u 
dr   ~         dr  ' 

und  überall  stetig  ist. 

Den  Bedingungen  (1.)  bis  (3.)  zufolge  muss  u"  ebenfalls  in  der  Form 

^i  sin  ^  ^  +  6,  sin  3  —  ^  +  ?>5  sin  5  ^  ^  +  .  .  . 

darstellbar  sein,  und  zwar  Hiesst  aus  (1.)  für  hn  die  Bedingung 

d'^bn     i^    1    dbn  nnrnc  -.     ^ 

Ir^  '^  T  Ir  T^  ^^  ^  ^' 

Eine  particuläre  Lösung  dieser  Gleichung  ist,  wie  schon  bekannt, 

7t 

e       ^      dt 

—j=i:zr^\    eine   andere   erhält  man,    wenn    man   dasselbe    Integral 

zwischen  —  1  und  1  nimmt;  die  allgemeinste  ist  also,  wenn  c„  und  y^ 
Constanten  bedeuten. 


J 


,  fe      'l'     dt    ,  /'e       'I'     dt 


oder  wenn  man 


58  111-     ^vir  Theorie  der  Nobili'scheii  Faibeiiiiiige. 

r-^_=:_z^=r  durcli  fiq).    1  ^,-z=r::  diirch  wiq) 


bezeichnet: 

hn  =  Cnf(n  j^  r^  +  yn(p  (^n  ^^  r^ 

Die  Entwicklung  nach  steigenden  Potenzen  von  q  giebt 

0,  a> 

es  wird  also  f(g)  für  ^  =  0  unendlich  und  damit  ti"  für  r  =  0  stetig 
bleibe,  muss  c„  =  0  sein;  yn  ergiebt  sich  dann  aus  (4.)  gleich 


mithin 


.      4  sin  n  ^^ «  ,  .  ,  \  /'  (^  T«  ^) 

«  =  Z-  sm  »  ,^  .  --p-^  j  /  (n  ^-p-  ,•)  -  ^  («  j-p-  ^j-^-^ 

über  alle  positiven  ungeraden  Werthe  von  n  ausgedehnt. 

Zur   Berechnung   von  /"  ($)  und  (p  (q)   können   für   grosse    Werthe 
von  q  die  halbconvergenten  Reihen 


/■(g)  =  e-^  y^^-  2"  (-  1)"*  - 


3  .  .  .2m  —  1)' 


9  (g)  =  e^'^     ^ ^^  2;    "    mT(i6g)- 

benutzt  werden,  welche  indess  ihren  Werth  nur  bis  auf  Bruch theile 
von  der  Ordnung  der  Grösse  e~^'i  geben;  genügt  diese  Genauigkeit 
nicht,  so  ist  es  wohl  am  zweckmässigsten  die  Entwicklungen  nach 
steigenden  Potenzen  von  q  anzuwenden. 

Für  hinreichend   grosse  Werthe  von  -^    erhält  man  also  mit  Yer- 

nachlässigung  von  Grössen  von  der  Ordnung  der  Grösse  e~   2^^ 

.     .     na 
4  sin 


„_,i„-       ^ß  -./TJ,.-?-:^a-3...2m-i)= 


2ß  ß 


|/i  .-^'2'^----)^^(_^) 


IJl.     Zur  Theorie  der  Nobili'schen  Farbcuringe. 

2^  (^  •  -^  •  •  •  2w -"^1)'^  (2  m  +  1)  / ^\  '"  ' 
m!  (2m  —  1)~      '       \      Änc) 


59 


y  (1  .  3  .  .  .  2m  —  1)'  (2m  4-  1)  /    ß 

^  m!(2m—  f) 


\47rc/ 


Uli 


d  die  Dicke  der  Schicht  proportional  (j-)    oder  proportional 


Ttr 

2ß 


e     -'^"S^l  (1  ■  3 


2m  —  1)' 


2m  —  i: 


'^ 


"^  (1  ^^^  2m  —  1)^  (2m  -f  1)  / ß_\ 

-^  "  m~!  (2  m  —  1)  "      \       47rc/ 


2^^ 


2m  —  1)2  (2?/i  + 


\43rc/ 


m!  (2m  —  1) 

Dieses  Resultat  bleibt  im  Allgemeinen  auch  richtig,  wenn  statt 
des  Einströmungspunktes  eine  beliebige  Umdrehungsfläche  als  Kathode 
angenommen  wird;  denn  für  Werthe  von  r  zwischen  c  und  demjenigen 
VVerthe,  bis  zu  welchem  die  Bedingungen  (1.)  bis  (3.)  gültig  bleiben, 
muss  n  auch  dann  durch  eine  Reihe  von  der  Form 


H  =  EKn  sin  n 


f 


dargestellt  werden.  Eine  Ausnahme  würde  nur  eintreten,  wenn  ^^  =  0 
würde. 

Die  von  Herrn  E.  Becquerel  gemachte  und  von  Herrn  Du-Bois- 
Reymond  im  Wesentlichen  beibehaltene  specielle  Voraussetzung  ist 
die,  dass  die  Kathode  ein  Punkt  der  Oberfläche,  also  «  =  /3  sei;  in 
diesem  Falle  ist,  wie  die  geführte  Rechnung  zeigt,  die  Dicke  der  Schicht 

für  grosse  Werthe  von  —  weder  der  Entfernung  vom  Einströmungs- 
punkte, wie  Herr  Becquerel,  noch  ihrem  Cubus,  wie  Herr  Du-Bois- 
Reymond  gefunden  hat,  umgekehrt  proportional,  sondern  sie  nimmt 

mit  wachsenden  —  vielmehr  al>,  wie  eine  Potenz  mit  dem  Exponenten 


GO  iU-     >^ur  Theorie  der  Nobili'schen  Faibeuriimt 


"^"^{^l 


— ,  so  dass ^t^wJ.  ^^^j^  einem  festen  Grenzwerthe  —  —■  schliess- 
lich bis  zu  jedöm  Grade  nähert.  Dagegen  ist  das  Gesetz  des  Herrn 
Du-Bois-Reymond  nicht   bloss    näherungsweise    für  grosse   Werthe 

von   — ,  sondern  strenge  richtig,  wenn  /3  =  c»  ist,  da  sich  alsdann 


V  (-  1)-  (- ^ -===L=^ 

^  \yrr  -\-{z  +  2mß  ~  af        Vrr  -f  (^  +  2mß  +  a)V 


auf 


und  folglich 


y  rr  -f  {z  —  a)'-^        }/  rr  -\-  {z  -{-  ay 


yrr  -j-  uk 

reducirt.  Die  Vermuthung  aber,  aus  welcher  derselbe  dieses  Resultat 
abgeleitet  hat,  dass  nämlich  die  Strömungslinien  als  gerade  betrachtet 
werden  dürften,  bestätigt  sich  keineswegs.  Die  Gleichung  der  Strö- 
mungslinien ist 

I  (r  1^-  dr  —  r  ö—  dz\  =  v  =  const., 

J   \    dz  dr       ) 

und  zwar  ist  die  Constante,  multiplicirt  mit  --,  wenn  man  das  Integral 

so  nimmt,  dass  es  für  r  =  0  verschwindet,  gleich  dem  imierhalb  der 
Umdrehungsfläche  {v  =  const)  fliessenden  Theile  des  Stromes.  In 
unserem  Falle  also  sind  die  Strömungslinien  die  in  der  Gleichung 

V  =  2 ,  H —  =  const. 

|/  rr  -\-  {z  -\-  aY        Y  rr  +  (^  —  «)' 

enthaltenen  Linien,  welche  Linien  für  alle  grösseren  Werthe  der  const. 
beträchtlich  von  einer  geraden  abweichen.  Da  Herr  Du-Bois-Reymond 
zwar  die  Annahme  macht,  dass  der  Einströmungspunkt  in  der  Oberfläche 
liege,  seine  ferneren  Schlüsse  aber  nicht  wesentlich  auf  diese  Annahme 
stützt,  so  liegt  wohl  die  Vermuthung  nahe,  dass  bei  den  Versuchen  des 
Herrn  Beetz,  welche  eine  nicht  zu  verkennende  Annäherung  an  das  Ge- 
setz der  Guben  ergeben,  die  Forderung  des  Herrn  Du-Bois-Reymond, 
dass  die  Oberfläche  der  Flüssigkeit  durch  den  Einströmungspunkt  gehe, 
nicht  berücksichtigt  wordefi  ist,  sondern  dass  Herr  Beetz,  was  zweck- 
mässiger sein   dürfte,   grössere  Flüssigkeitsmengen  anwandte,   so  dass 

in  der  Reihe  für  (  ö- | 

V  (—  1>  /  2mß-{-a  _  2mß-a  \ 

0,  or> 


III.   Zur  Theorie  der  Nobili'schen  Farbenringe.  61 

die  späteren  Glieder  oder  doch  ihre  Summe  gegen  das  erste  vernach- 
lässigt werden  konnten.  In  diesem  Falle  würden  die  hübschen  Ver- 
suche des  Herrn  Beetz  wirklich  als  ein  Beweis  anzusehen  sein^  dass 
die  Stromvertheilung  nahezu  nach  den  vorausgesetzten  Gesetzen  erfolgt. 
Sollte  aber  diese  Vermuthung  irrig  sein,  so  wäre  aus  Herrn  Beetz 's 
Versuchen  zu  schliessen,  dass  noch  andere  Umstände  bei  der  Berech- 
nung der  Stromvertheilung  in  Betracht  zu  ziehen  sind,  deren  Ermitt- 
lung einer  neuen  experimentellen  Untersuchung  obliegen  würde.*) 


*)  In  einer  späteren  Abhandlung  (Poggendorff's  Annalen  Bd.  95.  p.  22)  ist 
Herr  Beetz  auf  diesen  Gegenstand  zurückgekommen.  Es  ergiebt  sich  daraus  zu- 
nächst, dass  bei  den  Versuchen  von  Beetz  die  Einströmungsstelle  immer  unmittelbar 
an  der  Oberfläche  der  Flüssigkeit  lag  und  mithin  die  Vermuthung  von  Riemann 
irrig  ist.  Es  ist  aber  gleichwohl  nicht  noth wendig,  nach  anderen  Umständen  zu 
suchen,  welche  die  Gesetze  der  Stromvertheilung  beeinflussen  könnten,  da  das 
theoretische  Hesultat  von  Itiemann  mit  den  Versuchen  in  noch  vollständigerer 
Uebereinstimmung  steht  als  das  von  Du-Bois-Reymond,  wie  aus  den  in  der  er- 
wähnten Abhandlung  enthaltenen  Zusammenstellungen  zu  ersehen  ist.  W. 


IV. 

'  Beitrage  zur  Theorie  der  durch  die  Gauss'sche  Reihe 
F  {ci,  j5,  y,  x)  darstellbaren  Functionen. 

(Aus   dem  siebenten  Baude    der  Abhandlungen  der  Königlichen  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  zu  Göttingen.     1857.) 

Die  Gau  SS 'sehe  Reihe  jP(«,  /3,  7,  x),  als  Function  ihres  vierten 
Elements  x  betrachtet ,  stellt  diese  Function  nur  dar^  so  lange  der 
Modul  von  X  die  Einheit  nicht  überschreitet.  Um  diese  Function  in 
ihrem  ganzen  Umfange,  bei  unbeschränkter  Veränderlichkeit  dieses 
ihres  Arguments,  za  untersuchen,  bieten  die  bisherigen  Arbeiten  über 
dieselbe  zwei  Wege  dar.  Man  kann  nämlich  entweder  von  einer 
linearen  Differentialgleichung  welcher  sie  genügt  ausgehen,  oder  von 
ihrem  Ausdrucke  durch  bestimmte  Integrale.  Jeder  dieser  Wege  ge- 
währt eigenthümliche  Yortheile;  jedoch  ist  bis  jetzt,  in  der  reichhaltigen 
Abhandlung  von  Kummer  im, 15.  Bande  des  mathematischen  Journals 
von  Grelle  und  auch  in  den  noch  unveröffentlichten  Untersuchungen 
von  Gauss*),  nur  der  erste  betreten,  wohl  hauptsächlich  desshalb,  weil 
die  Rechnung  mit  bestimmten  Integralen  zwischen  complexen  Grenzen 
noch  zu  wenig  ausgebildet  war,  oder  doch  nicht  als  einem  grossen 
Leserkreise  geläufig  vorausgesetzt  werden  konnte. 

In  der  folgenden  Abhandlung  habe  ich  diese  Transcendente  nach 
einer  neuen  Methode  behandelt,  welche  im  Wesentlichen  auf  jede 
Function,  die  einer  linearen  Differentialgleichung  mit  algebraischen 
Coefficienten  genügt,  anwendbar  bleibt.  Nach  derselben  lassen  sich 
die  früher  zum  Theil  durch  ziemlich  mühsame  Rechnung  gefundenen 
Resultate  fast  unmittelbar  aus  der  Definition  ableiten,  und  dies  ist  in 
dem  hier  vorliegenden  Theile  dieser  Abhandlung  geschehen,  haupt- 
sächlich in  der  Absicht  für  die  vielfachen  Anwendungen  dieser  Function 
in  physikalischen  und  astronomischen  Untersuchungen  eine  bequeme 
Uebersicht  über  ihre  möglichen  Darstellungen  zu  geben.  Es  ist  nöthig, 
einige  allgemeine  Vorbemerkungen  über  die  Betrachtung  einer  Function 
bei  unbeschränkter  Veränderlichkeit  ihres  Arguments  voraufzuschicken. 


*^  Gauss  Werke.    Bd.  111  1866.  S.  207.  W. 


JV.     Bciträg(3  zur  Theorie  etc.  C3 

Betrachtet  man  den  Wertli  der  unabhängig  veränderlichen  Grösse 
X  =  1/  -\-  zi  zur  leichteren  Auffassung  ihrer  Veränderlichkeit  als  ver- 
treten durch  einen  Punkt  einer  unendlichen  Ebene,  dessen  rechtwinklige 
Coordinaten-  y,  z  sind,  und  denkt  sich  die  Function  iv  in  einem  Theile 
dieser  Ebene  gegeben,  so  kann  sie  von  dort  aus  nach  einem  leicht  zu 

beweisenden  Satze  nur   auf    eine   Weise   der  Gleichung   0-  =  ^  ^"^  %^~ 

mäss  stetig  fortgesetzt  werden.  Diese  Fortsetzung  muss  selbstredend 
nicht  in  blossen  Linien  geschehen,  worauf  eine  j^artielle  Differential- 
gleichung nicht  angewandt  werden  könnte,  sondern  in  Flächenstreifen 
von  endlicher  Breite.  Bei  Functionen,  welche,  wie  die  hier  zu  unter- 
suchende, „  mehrwerthig "  sind  oder  für  denselben  Werth  von  x  je 
nach  dem  Wege,  auf  welchem  die  Fortsetzung  geschehen  ist,  mehrere 
Werthe  annehmen  können,  giebt  es  gewisse  Punkte  der  ^-Ebene,  um 
welche  herum  sich  die  Function  in  eine  andere  fortsetzt,  wie  z.  B.  b^ 
|/(a;  —  a),  log  (ic — a),  (x  —  dy^  wenn  \i  keine  ganze  Zahl  ist,  der  Punkt 
a.  Wenn  man  von  diesem  Punkte  a  aus  sich  eine  beliebige  Linie  ge- 
zogen denkt,  so  kann  der  Werth  der  Function  in  der  Umgebung  von 
a  so  gewählt  werden,  dass  er  sich  ausserhalb  dieser  Linie  überall 
stetig  ändert;  sie  nimmt  aber  dann  zu  beiden  Seiten  dieser  Linie  ver- 
schiedene Werthe  an,  so  dass  die  Fortsetzung  der  Function  über  diese 
Linie  hinüber  eine  von  der  jenseits  schon  vorhandenen  verschiedene 
Function  giebt. 

Zur  Erleichterung  des  Ausdrucks  sollen  die  verschiedenen  Fort- 
setzungen Einer  Function  für  denselben  Theil  der  x- Ebene  „Zweige" 
dieser  Function  genannt  werden  und  ein  Werth  von  x^  um  welchen 
herum  sich  ein  Zweig  einer  Function  in  einen  andern  fortsetzt,  ein 
„Verzweigungswerth";  für  einen  Werth,  in  welchem  keine  Verzweigung 
stattfindet,  heisst  die  Function  „einändrig  oder  monodrom". 

L 

Ich  bezeichne  durch  * 

iahe 

eine  Function  von  a",  welche  folgende  Bedingungen  erfüllt: 

1.  Sie  ist  für  alle  Werthe  von  x  ausser  a,  &,  c  einändrig  und 
endlich. 

2.  Zwischen  je  drei  Zweigen  dieser  Function  P',  V\  V"  findet 
eine  lineare  homogene  Gleichung  mit  Constanten  Coefficienten  Statt, 

cP-|-cP    -fc    P     =  (.). 


()4 


IV.     Beiträge  zur  Theorie 


3.     Die  Function  lässt  sich  in  die  Formen 

c,  P(")  +  Ca'  F^"'\  c^  P(/^)  +  Cß'  B^\  cy  F^y^  +  Cy'  F^y') 
mit  Constanten  c«,  Ca'y  •  •  .,  Cy'  setzen,  so  dass 

P(")  (x—a)-",  P^«')  (o;— a)-«' 
für  a;  =  a  einändrig  bleiben  und  weder  Null  noch  unendlich  werden, 
und  ebenso  B^^  {x—h)-i\  B(^'^  {x  —  h)-i^'  für  x  =  h  und  P«^')  (:z;— c)->', 
P^^'^  (:>t'  —  c)~y'  für  .-t'  =  c.  In  Betreff  der  sechs  Grössen  a,  a,  .  .  .,  / 
wird  vorausgesetzt,  dass  keine  der  Differenzen  a  —  a,  ß  —  /3',  y  —  y 
eine  ganze  Zahl  und  die  Summe  aller,  a-{-a-{-ß-\-ß'-\-'y-\-'y'=l  sei. 

Wie  mannigfaltig  die  Functionen  seien,  welche  diesen  Bedingungen 
genügen,  bleibt  vorläufig  unentschieden  und  wird  sich  im  Laufe  der 
Untersuchung  (Art.  4.)  ergeben.  Zu  grösserer  Bequemlichkeit  des  Aus- 
drucks werde  ich  x  die  Veränderliche,  a,  ?>,  c  den  ersten,  zweiten, 
dritten  Verzweigungswerth  und  a,  a-  ß,  ß' -^  y,  y  das  erste,  zweite, 
dritte  Exponentenpaar  der  P-function  nennen. 


Zunächst  einige  unmittelbare  Folgerungen  aus  der  Definition. 
a  1)    c 


In  der  Function  P 


können    die    drei   ersten   Vertikal- 


a  ß   y  X 
d  ß'  y 

reihen  beliebig  unter  einander  vertauscht  werden,  sowie  auch  a  mit  «', 
ß  mit  ß\  y  mit  /.     Es  ist  ferner 

a   h   c     \  ia  V  c 

F    a   ß  y  x\  =  F  \a  ß  y  x 
a  ß'  y     \  [ «'  ß'  y 

wenn  man  für  x    einen  rationalen  Ausdruck  ersten  Grades  von  x  setzt, 
der  für  x  ==  a,  &,  c  die  Werthe  d,  J) ,  c    annimmt. 

Ooül 
Für  F   a  ß  y  x\  ^  auf  welche  Function   sich  demzufolge  alle  P- 

a  ß   y 
functionen  mit  denselben  «,  «',  .  .  . ,  y    zurückführen  lassen,  werde  ich 

zur  Abkürzung  auch  blos  P  (    ,  v^,    ,  x]  setzen. 

\a  ß  y      J 

In   einer  solchen   Function   können   also   von   den   Grössen   a,  «'; 

ß)  ß'i  7^  y    ^^^  Grössen  jedes  Paars  unter   sich,   sowie   auch   die   drei 

Grössenpaare  beliebig  mit  einander  vertauscht  werden,  wenn  man  nur 

in  der  sich  ergebenden  P-function    als  Veränderliche  einen  rationalen 

Ausdruck  ersten  Grades  von  x  substituirt,  welcher  für  die  zum  ersten, 


a           h 

c 

a  +  ö  ß- 

—  d  y  X 

u'+ö  ß'- 

-d/ 

der  durch  die  Gauss'sche  Reihe  F[a,  ß,  y,  x)  darstellbaren  Functionen,      ßf) 

zweiten,  dritten  Exponentenpaar  dieser  Function  gehörigen  Werthe 
von   X  die  Werthe  0,  oo,   1    annimmt.     Auf   diese   Weise   erhält  man 

die  Function  F  (   ,  ^,,    ,  ./)   ausgedrückt    durch  P-functionen    mit   den 

\u  ß  y      J 

Veränderlichen  rr,  1  —  x.  —,  1 ,^—7)   :; und    denselben    Ex- 

'  '    .X  '         »    X  ^  X  —  1 '    1  —  a; 

ponenten  in  anderer  Ordnung. 

Aus  der  Definition  folgt  femer: 

in  h  c      ] 

Wß'v  1  ^    ^ 

also  auch 

a;^  (1-xV  pC^^  A  =  P  ("-^^'  ß-d-.y+.     X 
*     ^^       ^^    ^    \aß'y'-')         ^  \a+d  ^'-d-^t  y  +  e  ■")■ 

Durch  diese  Umformung  können  zwei  Exponenten  verschiedener  Paare 
beliebig  gegebene  Werthe  erhalten  und  als  Werthe  der  Exponenten, 
da  zwischen  ihnen  die  Bedingung  a-\-a-\-ß-{-ß'-\-y-\-y=  1  statt- 
findet, jedwede  andere  eingeführt  werden,  für  welche  die  drei  Difl:e- 
renzen  a  —  a  ^  ß  —  ß'^  y  —  y  dieselben  sind.  Aus  diesem  Grunde  werde 
ich  später  zur  Erleichterung  der  Uebersicht  durch 
V{a-a,  ß-ß\  y-y\x) 

sämmtliche  in  der  Form  x'^  (i  —  xY  F  l    ,  ,,    ,  x  j  enthaltenen  Functionen 

\a  ß  y      / 

bezeichnen. 

3. 

Es  ist  jetzt  vor  allen  Dingen  nöthig,  den  Verlauf  der  Function 
etwas  genauer  zu  untersuchen.  Zu  diesem  Ende  denke  man  sich  durch 
sämmtliche  Verzweigungspunkte  der  Function  eine  in  sich  zurück- 
laufende Linie  l  gezogen,  welche  die  Gesammtheit  der  complexen 
Werthe  in  zwei  Grössengebiete  scheidet.  Innerhalb  jedes  von  ihnen 
wird  alsdann  jeder  Zweig  der  Function  stetig  und  von  den  übrigen 
gesondert  verlaufen;  längs  der  gemeinschaftlichen  Grenzlinie  aber  wer- 
den zwischen  den  Zweigen  des  einen  und  des  andern  Gebiets  in  ver- 
schiedenen Begrenzungstheilen  verschiedene  Relationen  stattfinden.  Zu 
ihrer  bequemeren  Darstellung  werde  ich  die  mittelst  des  Coefficienten- 

systems  S  =  (^^^  ^\  aus  den  Grössen  t,  u  gebildeten  linearen  Aus- 
drücke pt  -\-  qu,  rt  +  SU  durch  (>S')  (t,  ti)  bezeichnen.  Es  möge  ferner 
nach  Analogie  der  von  Gauss  vorgeschlagenen  Benennung  „positiv 
laterale  Einheit"  für  +  /  als  „positive"  Seitenrichtung  zu  einer  ge- 
gebenen Richtung   diejenige   bezeichnet   werden,   welche  zu  ihr  ebenso 

Riehann's  geüainmelte  niatheinatische  Werke.     1.  5 


6G  IV.     Beiträge  zur  Theorie 

liegt,  wie  +  l  zu  1  (also  bei  der  übliclien  Darstellungsweise  der  com- 
plexen  Grössen  die  linke).  Demgemäss  maclit  x  einen  „positiven  Um- 
lauf um  einen  Verzweigungswertli  a",  wenn  es  sich  durch  die  ganze 
Begrenzung  eines  nur  diesen  und  keinen  andern  Verzweigungswertli 
enthaltenden  Grössengebiets  in  einer  gegen  die  Richtung  von  Innen 
nach  Aussen  positiv  liegenden  Richtung  bewegt.  Es  gehe  nun  die 
Linie  l  der  Reihe  nach  durch  die  Punkte  x  =  c,  x  =  1),  x  =  a^  und 
in  dem  auf  ihrer  positiven  Seite  liegenden  Gebiete  seien  P',  P"  zwei 
in  keinem  constanten  Verhältnisse  stehende  Zweige  der  Function  P. 
Jeder  andere  Zweig  P"'  lässt  sich  dann,  da  in  der  vorausgesetzter- 
massen  stattfindenden  Gleichung  c  P'  -f~  ^"  P  +  ^'"  ^  =  ^^  ^'" 
nicht  verschwinden  kann,  linear  und  mit  constanten  Coefficienten  in 
P'  und  F"  ausdrücken.  Nimmt  man  nun  an,  dass  P',  P"  durch  einen 
positiven  Umlauf  der  Grösse  x  um  a  in  (Ä)  (P',  P"),  um  h  in 
(P)  (P',  P"),  um  c  in  (C)  (P',  P")  übergehe,  so  wird  durch  die  Coeffi- 
cienten der  Systeme  (J.),  (P),  {C)  die  Periodicität  der  Function  völlig 
bestimmt  sein.  Zwischen  diesen  finden  aber  noch  Relationen  Statt. 
Wenn  nämlich  x  das  negative  Ufer  der  Linie  l  durchläuft,  so  müssen 
die  Functionen  P',  P"  die  vorigen  Werthe  wieder  annehmen,  da  der 
durchlaufene  Weg  negativerseits  die  ganze  Begrenzung  eines  Grössen- 
gebiets bildet,  innerhalb  dessen  diese  Functionen  allenthalben  einändrig 
sind.  Es  ist  dies  aber  dasselbe,  als  ob  der  Werth  x  sich  von  einem 
der  Werthe  c,  h,  a  bis  zum  folgenden  auf  der  positiven  Seite  fort- 
bewegt, dann  aber  jedesmal  um  diesen  Werth  positiv  herum,  wobei 
(P;  P")  der  Reihe  nach  in  ((7)  (F,  P"),  (C)  (P)  (P',  P"),  schliesslich 
in  {C)  (P)  {A)  {P\  P")  übergeht.     Es  ist  daher 

(1)  (G)(B){Ä)=  (J^J), 

welche  Gleichung  vier  Bedingungsgleichungen  zwischen  den  zwölf 
Coefficienten  von  A,  B,  C  liefert. 

Bei  der  Discussion  dieser  Bedingungsgleichungen  beschränke  ich 
mich,  zur  Fixirung  der  Vorstellungen,  auf  die  Function  P(^,  ^,  ^,  x\ 

also  auf  den  Fall,  wenn  a  =  0,  &  =  oo,  c  =  1,  was  die  Allgemeinheit 
der  Resultate  nicht  wesentlich  beeinträchtigt,  und  wähle  für  die  durch 
1,  cx),  0  zu  ziehende  •  Linie  l  die  Linie  der  reellen  Werthe,  welche  um 
der  Reihe  nach  durch  c,  h,  a  zu  gehen  von  —  oo  nach  +  oo  ge- 
richtet sein  muss.  Innerhalb  des  auf  der  positiven  Seite  dieser  Linie 
liegenden  Gebiets,  welches  die  complexen  Werthe  mit  positiv  imagi- 
närem Gliede  enthält,  sind  dann  die  oben  charakterisirten  Bestandtheile 
der  Function  P,   die   Grössen    P«,   P" ,   P^ ,  PA',   P' ,  P''\  einändrige 


der  durch  die  Gauss'sche  Reihe  F  («,  ß,  y,  ./)  darstellbaren  Functioneu.     G7 

Functionen  von  x  und  sind  bis  auf  constante  Factoren,  welche  von 
der  Wahl  der  Grössen  Cuy  Cu',  ...,  Cy'  abhängen,  völlig  bestimmt, 
wenn  die  Function  P  gegeben  ist.  Die  Functionen  2^",  P"'  gehen 
durch  einen  positiven  Umlauf  der  Grösse  x  um  0  in  P"  e"^'",  P"  e"^"' 
über  und  ebenso  durch  einen  positiven  Umlauf  dieser  Grösse  um  oo 
die  Functionen  P*,  P/^'  in  P/*  el^^^'y  W  e/*'^^'  und  durch  einen  positiven 
Umlauf  um  1  die  Functionen  P>',  Fy'  in  P>'e>'2^',  Py'ey'^""'.  Be- 
zeichnet man  den  Werth,  in  welchen  P  durch  einen  positiven  Umlauf 
von  X  um  0  übergeht^  durch  P',  so  ist^  wenn 

P  =  Cu  P"  +  Ca'  P",  P'  =  c«  e"'-^'"-  P«  +  c«-  e«'-^'''  P«'. 

Diese  Ausdrücke  haben  eine  von  Null  verschiedene  Determinante^  da 
n.  V.  a  —  a  keine  ganze  Zahl  ist,  und  folglich  können  P",  P"'  auch 
umgekehrt  in  P,  P'  also  auch  in  F^,  P'^ ;  py,  py  linear  mit  constan- 
ten  Coefficienten  ausgedrückt  werden.     Setzt  man  nun 

P"  =  «,  Pi^  +  ß ,-  jv  =  a.^  py  +  ay'  py, 

P"'=a.,  P'  +  a\r  P^'  =  «',  ^'  +  «V'  ^'', 
und  zur  Abkürzung  ^^  "";'  1  =  (^);    h'  ""l   1  =  W 

und  die  inversen  Substitutionen  von  (h)  und  (c)  bez.  w.  =  (h)~'^  und 
{c)"'^,  so  ergeben  sich  für  die  Functionen  (P",   P")  die  Substitutionen 

Aus  der  Gleichung  (C)  (P)  (^)  ==  (i'  V)  ^o\gi  nun  zunächt,   da  die 

Determinante  einer  zusammengesetzten  Substitution  dem  Producte  aus 
den  Determinanten  ihrer  Componenten  gleich  ist, 
1  =  Det  {Ä)  Det  (P)  Det  (0) 

_    ^(a  +  a'  +  /^+/^'  +  y  +  y')2^.-      ßct  (6)     Dct  (ft)"^    Dct  (c)    Det(r)-1 

oder,  da  Det  (&)  Det  (&)-i  =  1,  Det  (c)  Det  (c)-i  =1, 

(2)     «  +  «' + /3 +  /3' +  7^  +  /  =  einer  ganzen  Zahl,  womit  die  obige 

Annahme,  dass  diese  Exponentensumme  =  1  sei,  vereinbar  ist. 

Die  übrigen  drei  in  (C)  (B)  (Ä)  =  (p/  ^  )  enthaltenen  Relationen 

geben  drei  Bedingungen  für  (h)  und  (c),  welche  indess  leichter  auf 
folgendem  Wege  gefunden  werden. 

Wenn  x  erst  um  0  und  dann  um  c»  negativ  herumgeht,  so  bil- 
det der  durchlaufene  Weg  zugleich  einen  positiven  Umlauf  um  1.  Der 
Werth,  in  welchen  P"  dadurch  übergeht,  ist  daher 

=  ay  er'"'  Py  +  «y-  c-y'^'"'  Pr  =  (a^^  e-^*^^'  P^  +  ar  r-'^'-'"'  7^')  e-"^-"'. 


68  IV".     Beiträge  zur  Theorie 

Multiplicirt  man   diese  Gleicliuug   mit   einem  willkürlichen  Factor 
f,—ani  ^jj(j  ^\q  Gleichung 

ay  Py  +  c(y'  Py    =  aß  P(^   -\-  a^'  Pi^   mit  c"^^' 
und    subtrahirt^    so    ergieht    sich    nach    Abwerfung   eines    allgemeinen 
Factors 

ay  sm(a  -~y)7iey"'  Py  +  ay'  sm{a  —  'y')7tey''"'  Py'  = 
a.i  sin((?  +  «  +  /3)7rc-(«+/^)'''  P-'^  +  a^'  sm{a  +  «  +  ß')7te-^"+(^'^''^  P^ . 
Aus  ganz  ähnlichen  Gründen  hat  man  auch,  wenn  man  überall  a   für 
a  setzt,  die  Gleichung 

a'y  sin((>  —  y)7tey''^  Py  +  «V  sin  ((7  — /)  :nc  e^'^'  Py    = 
a\i  sin  ((?+«'  +  /3)  ;rß-("'+/^)'''  J-^/^  +  c^^  sin  (a  +  a  +  /3')  ;r e-(«'+/^')'^'  P'^' 
mit   der   willkürlichen  Grösse  a.     Befreit   man    beide  Gleichungen  von 
einer   der   Functionen,   z.  B.  Py ,  indem  man   c  demgemäss   bestimmt, 
so    können    sich    die    resultirenden   Gleichungen    nur   durch   einen   all- 


gemeinen  constanten  Factor  unterscheiden,   da  —~,  nicht    constant  ist. 

Diese  Elimination  von  Py    giebt  daher: 

,^s        uy    a(i  sin  (a   +  ß  +  y')7te—"^i    u^i'  sin  (a   +  ß'  -f  y')ne—""^ 

^   ^       a'y  oi  ß  sin  (a'  +  ^  -|-  y')ne—(^'^i  a  ^-i'  sin  (a'  -f-  |3'  -J-  y')7ce—"'^i 

und  die  ähnliche  Elimination  von  Py 

rt  «y'  a^y  sin  (a    -f-  ß  -|-  y)ne—<^^i     uß'  sin  (ör   -\-  ^'  -\-  y)ne—f^^i 

^    ^       a'y'  cc'ß  sin  (a'  -{-  ß  -{-  y)7re— «'•«■«■  aß'  sin  (a'  -|-  ß'  -f-  y)iie—"'"i  ^ 

welches  die  vier  gesuchten  Relationen  sind.     Aus  ihnen  ergeben  sich 
die  Verhältnisse  der  Quotienten  -?^,  -^,  -^,  ^.     Die   Gleichheit  der 

a  ß^  a  ß'^  uy^  ay' 

beiden   aus   der   zweiten   und  vierten  fliessenden  Werthe  von    -h- :  -r- 

a  ß      aß' 

erhellt  leicht  als  eine  Folge  aus  a-\-  a  -\-  ß -\-  ß  -\' y -{- y  =  1  mittelst 
der  Identität  sinsjr  =  sin(l  —  s)7t. 

Demnach  sind  von  den  Grössen  -r-,  -fi-,  -i^.  -^  durch  eine  von 

a  ß  ^   a  ß'^   ay  ^   a  y' 


ihnen,  z.  B.  -^,  die  übrigen  bestimmt  und  die  drei  Grössen  a  ß'^  a'y,  a'y- 

durch  die  fünf  Grössen  aß,  aß,  aß',  ay,  ay .  Diese  fünf  Grössen  aber 
hängen  von  den  in  P«,  P"',  P^,  P^ ,  P^,  P>'',  wenn  die  Function  P 
gegeben  ist,  noch  von  willkürlichen  Factoren  oder  vielmehr  von  deren 
Verhältnissen  ab,  und  können  durch  geeignete  Bestimmung  derselben 
jedwede  endliche  Werthe  erhalten. 


der  durch  diu  G'auss'schü  iieihe  F  {a,  ß,  y,  x)  darstellbaren  Functionen.      69 

4. 

Die  so  eben  gemachte  Bemerkung  bahnt  den  Weg  zu  dem  Satze, 
dass  in  zwei  P-functionen  mit  gleichen  Exponenten  die  denselben  Ex- 
ponenten entsprechenden  Bestandtheile  sich  nur  durch  einen  constanten 
Factor  unterscheiden. 

In  der  That,  ist  ]\  eine  Function  mit  denselben  Exponenten  wie 
P,  so  kann  man  die  fünf  Grössen  a^,  «^',  «y,  «/  und  a^  bei  beiden 
gleich  annehmen  und  dann  müssen  auch  die  Grössen  a\i-y  a'y,  d y-  bei 
beiden  übereinstimmen.     Man  hat  also  gleichzeitig: 

und 

(P,«,  P."')  -^  [h)  {P/,  P/)  ==  {c)  (P,y,  P,y) 

folglich 

(P«P/ - -P«'P/0  =  üet(&) (P/^ P/ —  P/*'P/)  =  Det(c)  (P>'P/'--P/Piy). 
Von  diesen  drei  Ausdrücken  bleibt  der  erste,  mit  ar'"~"'  multiplicirt, 
offenbar  für  x  =  0  einändrig  und  endlich;  ebenso  der  zweite,  mit 
x^-^l^'  =  ,^— «- «'-/-/+ 1  multiplicirt,  für  :r  =  oo,  der  dritte,  mit 
(l~x)~y''y'  multiplicirt,  für  x=lj  und  dasselbe  gilt  von  allen  drei 
Ausdrücken  für  alle  von  0,  c»,  1  verschiedenen  Werthe  von  x]  es  ist 
daher 

(P«  F/  —  P«  Pi«)  X-"-"'  (l—x)-y-y' 

eine  allenthalben  stetige  und  einändrige  Function,  also  eine  Constante. 
Sie  ist  ferner  ==  0  für  x  =  oc  und  muss  folglich  allenthalben  =  0  sein. 
Hieraus  folgt 

I!lL  —  -^ 

pu'  pa' 


p/ 

i\y 

pY' 

«^P'^-f«/ 
ay  l\y  +«/ 

P/  __   ^\" 
p.^'     ~   p« 

py            Pi" 

py 

ay  py  +  a/ 

py              p« 

p  " 
Die  Function  -~  ist  demnach  einwerthii?  und  muss  überdies  allent- 
p  . 

halben  endlich,  also,    w.  z.  b.  ist,  constant  sein,   wenn  noch  bewiesen 
Avird,  dass  P"  und  P"   nicht  zugleich  für  einen  von  0,  1,  oo  verschie- 
denen Werth  von  x  verschwinden  können. 
Zu  diesem  Ende  bemerke  man,  dass 

Det(,(p.^^_p.-9, 


70  IV.     Beiträge  zur  Theorie 

und  folglich  für  .r  =  0,  oo,  1  unendlich  klein  von  den  Ordnungen 
a-\-  a  —  Ij  ß  -\-  ß' -{-  l  =2  —  «  —  a  —  y  —  y,y~\-  / —  1  wird,  übrigens 
aber  stetig  und  einändrig  bleibt,  so  dass 

eine  allenthalben  stetige  und  einändrige  Function  bildet,  folglich  einen 
Constanten  Werth  hat.  Dieser  constante  Werth  dieser  Function  ist 
noth wendig  von  Null  verschieden,  weil  sonst  log  P"  —  log  P"'  == 
const.,  folglich  « = «'  sein  würde  gegen  die  Voraussetzung;  offenbar 
müsste  sie  gleich  Null  werden,  wenn  für  einen  von  0,  1,  oo  verschie- 
denen Werth   von  x  P"  und  P"'  gleichzeitig   verschwänden,    da  -^-, 

dx 

als   Derivirte    einändrig  und    stetig    bleibender  Functionen  nicht 
dx 

unendlich  werden  können. 

Es  werden  daher  P*^  und  P'^  für  keinen  von  0,  1,  oo  verschie- 
denen Werth  von  x  gleichzeitig  =  0,  und  es  bleibt  die  einwerthige 
Function 

P «         j>  «'         p  [^         p  i^'         p  y  p  y' 

pcc  pa'  p[i  -p^r  py  py' 

allenthalben  endlich,  mithin  constant,  w.  z.  b.  w. 

Aus  dem  eben  bewiesenen  Satze  folgt,  dass  in  zwei  Zweige  Einer 
P-function,  deren  Quotient  nicht  constant  ist,  jede  andere  P-function 
mit  gleichen  Exponenten  sich  linear  mit  constanten  Coefficienten  aus- 
drücken lässt  und  dass  durch  die  im  Art.  1.  geforderten  Eigenschaften 
die  zu  definirende  Function  bis  auf  zwei  linear  in  ihr  enthaltene  Con- 
stanten völlig  bestimmt  ist.  Diese  werden  in  jedem  Falfe  leicht  aus 
den  Werthen  der  Function  für  specielle  Werthe  der  Veränderlichen 
gefunden,  am  bequemsten,  indem  man  die  Veränderliche  einem  der 
Verzweigungswerthe  gleich  setzt. 

Ob  es  immer  eine  jenen  Bedingungen  genügende  Function  gebe, 
bleibt  freilich  noch  unentschieden,  wird  sich  aber  später  durch  die 
wirkliche  Darstellung  der  Function  mittelst  bestimmter  Integrale  und 
hypergeometrischer  Reihen  erledigen  und  bedarf  daher  keiner  beson- 
dern Untersuchung. 

5. 

Ausser  den  für  jedwede  Werthe  der  Exponenten  möglichen  Trans- 
formationen des  Art.  2.  ergeben  sich  aus  der  Definition  noch  leicht 
die  beiden  Transformationen: 


ilur  durch  die  Gauss'schc  Keihe  i''  («,  ß,  y,  .1)  darstellbaren  Functionen.      71 

(Ooo  1      I  f  -1    00    1 

(A)  P      0    ß   y  A   .^V   \y     2ß   y   ^x 

WO  nticli  dem  Früheren  ß -{- ß' -jr  7 -\- V  =  i  «ein  muss,  und 


0  oo  1 

(13)  P  {0  0   r  X 


,2 


=  V  ^y  y  y    Yx 

i  i  r    \  W  y  y 

wo  y  -\-y  =  T»  ^111^  Q  ^^^6  imaginäre  dritte  Wurzel  der  Einheit  be- 
zeichnet. Um  sämmtliche  Functionen,  welche  sich  mit  Hülfe  dieser 
Transformationen  auf  einander  zurückführen  lassen,  bequem  zu  über- 
sehen, ist  es  zweckmässig,  statt  der  Exponenten  ihre  Differenzen  ein- 
zuführen und,  wie  oben  vorgeschlagen,  durch  P(a  —  a,  ß  —  ß',  y  —  /,  x) 

sämmtliche  in  der  Form  x'^  (1  —  xY  P  1   ,  L    ,  ./;)  enthaltenen  Func- 

\a  ß  y      J 

tionen  zu  bezeichnen,  wobei  a  —  «',  ß  —  /3',  y  —  /  die  erste,  zweite, 
dritte  Exponentendiff'erenz  genannt  werden  mag. 

Aus  den  Formeln  im  Art.  2.  folgt  dann,  dass  in  der  Function 

P  (A,  ^,  V,  x) 
die  Grössen  k,  ^,  v  beliebig  in's  Entgegengesetzte  verwandelt  und  be- 
liebig   unter    einander  vertauscht  werden  können.     Die  Veränderliche 

1                  \           \  X 

nimmt  dabei  einen  der  6  Werthe  x,   1 — x,  —.  1 —      , ,         - 

'  ^    X^  X  ^    \  —  x^    x—\ 

an,  und  zwar  haben  von  den  48  auf  diese  Weise  sich  ergebenden  P- 
functionen  je  acht,  welche  durch  blosse  Zeichenänderung  der  Grössen 
A,  ft,  V  aus  einander  hervorgehen,  dieselbe  Veränderliche. 

Von  den  in  diesem  Art.  angegebenen  Transformationen  A  und  B 
ist  die  erste  anwendbar,  wenn  von  den  Exponentendifferenzen  entweder 
eine  gleich  ^  oder  zwei  einander  gleich  sind,  die  zweite,  wenn  von 
ihnen  entweder  zwei  =  J,  oder  alle  drei  einander  gleich  sind.  Durch 
successive  Anwendung  dieser  Transformationen  erhält  man  daher  durch 
einander  ausgedrückt: 
I.  P  (|u.,  V,  i,  x.,\  P  (fA,  2v,  ii,  X,)  und  P  {v,  2^1,  v,  x^\ 

wobei  y  (1  —  rCg)  =  1  —  2^^,  y  fl  —  -    J  =  1  —  2x.^,  also 
^2  =  '^^1  (1— ^i)  =  'i^;'(hll^'  ^^^^^  ergiebt. 


n 


P(v,  V,  V,  X,),  P  (^v,    l-,  i,  x?j,  P  ^|,  2v,  -^,  x,y 

^  (h  V,  \,  x,y,  p  (^,  ^,  \,  x^,  p  (^,  i,  ~,  x^, 


72  IV.     Beiträge  zur  Theorie 

wenn  1  -  i-  --^  f^^'^-t^Y  und  folglich  1  ^  iii -^!l3  d  -  <), 

^4  U      ^,)  -     .7^2-fnr^y,  ^  =    "27^^"(T=^P  5    ferner  nach  1. 

4.,  (1-.,)  =  .,  ==  1^^^.  4^  (1—3)  =  -.  -=  l^i_.,. 
III.  P  (i.,  X.,  i,  x^,  P  (v,  2v,  V,  x,\ 

Avenn  x,  =  \  (2-x,~^^   =  4x,  (1 x,),  x,  =  4x,  (l-^rj. 

Alle  diese  Functionen  können  noch  mittelst  der  allgemeinen  Trans- 
formationen umgeformt  und  dadurch  ihre  ExioonentendifFerenzen  be- 
liebig vertauscht  und  mit  beliebigen  Vorzeichen  versehen  werden. 
Ausser  den  beiden  Transcendenten  II.  und  III.  lässt,  wenn  eine  Ex- 
ponentendiflPerenz  willkürlich  bleiben  soll^  nur  noch  die  Function 
P  {^>  i^  i)  =  P  (y)  1?  v)  eine  häufigere  Wiederholung  der  Trans- 
formationen A  und  B   zu,    welche  indess,  da 

P(^    ^    ^  x]  =  const.  X'  +  const.; 

auf  ganz  elementare  Formeln  führt. 

In  der  That  ist  die  Transformation  B  nur  anwendbar  auf  P  (v,  v,  v) 
oder  P  (^,  V,  \),  also  nur  auf  die  Transcendente  II.;  die  Trans- 
formation A  aber  lässt  sich  häufiger  als  in  I.  nur  wiederholen,  wenn 
entweder  von  den  Grössen  ft,  v,  2ti,  2v  eine  gleich  ^  gesetzt  oder  eine 
der  Gleichungen  ^  =  v,  ^  ==  2v,  v  =  2^  angenommen  wird.  Von 
diesen  Annahmen  führt  ^  =  2v  oder  v  =  2^  auf  die  Transcendente  IL, 
[i  =  Vj  sowie  2^  oder  2v  =  ^  auf  die  Transcendente  III.,  endlich  ^ 
oder  V  ==  ^  auf  die  Function  P  (v,  ^,  ^). 

Die  Anzahl  der  verschiedenen  Ausdrücke,  welche  man  durch  diese 
Transformationen  für  jede  der  Transcendenten  I — III.  erhält,  ergiebt  sich, 
wenn  man  berücksichtigt,  dass  in  den  obigen  P-functionen  als  Ver- 
änderliche alle  Wurzeln  der  Gleichungen,  durch  welche  sie  bestimmt 
werden,  zulässig  sind  und  jede  Wurzel  zu  einem  Systeme  von  6  Werthen 
gehört,  welche  mittelst  der  allgemeinen  Transformation  für  einander 
als  Veränderliche  eingeführt  werden  können. 

Es  führen  aber  im  Falle  I.  die  beiden  Werthe  von  Xj^  und  x^y 
welche  zu  einem  gegebenen  x^  gehören,  auf  dasselbe  System  von  6 
Werthen,  so  dass  jede  der  Functionen  I.  durch  P-functionen  mit  6.3  =  18 
verschiedenen  Veränderlichen  ausgedrückt  werden  kann. 

Im  Falle  IL  führen  von  den  zu  einem  gegebenen  Werthe  von  x^ 
gehörigen  Werthen  die  beiden  Werthe  von  Xq  und  o^^,  die  6  Werthe 
von  ^3  und  von  den  6  Werthen  von  x^  je  zwei  zu  demselben  Systeme 


der  durch  die  Gauss'sche  Reihe  F  {a,  |3,  y,  x)  darstellbaren  Functionen.      73 

von  6  Werthen,  während  die  drei  Werthe  von  x.^  zu  drei  verschiedenen 
Systemen  von  je  6  Werthen. führen.  Es  liefern  also  x^  und  x.j,  je  drei 
und  x.^j  x^,  x^j  Xq  je  ein  System  von  6  Wei-then,  also  alle  zusammen 
6 .  10  =  60  Werthe,  durch  deren  P-functionen  sich  jede  der  Functionen 
IL  ausdrücken  lässt. 

Im  Falle  III.  endlich  liefern  x^j  die  beiden  Werthe  von  x,^^  die 
beiden  Werthe  von  x^^,  und  von  den  vier  Werthen  von  Xi  je  zwei  ein 
System  von  6  Werthen,  so  dass  jede  der  Functionen  III.  durch  P- 
functionen  von  6 . 5  =  30  verschiedenen  Veränderlichen  darstellbar  ist. 

In  jeder  P-function  können  nun  ohne  Aenderung  der  Veränder- 
lichen mittelst  der  allgemeinen  Transformationen  die  Exponenten- 
differenzen beliebige  Vorzeichen  erhalten,  und  also  kann,  da  keine 
dieser  ExponentendifFerenzen  =  0  ist,  eine  und  dieselbe  Function  auf 
8  verschiedene  Arten  als  P-function  derselben  Veränderlichen  dargesteUt 
werden.  Die  Anzahl  sämmtlicher  Ausdrücke  beträgt  also  im  Falle  I. 
8  . 6  . 3  ==  144,  im  Falle  IL  8  . 6  .  10  ==  480,  im  Falle  III.  8.6.5=-  240. 


Wenn    man    sämmtliche  Exponenten    einer  P-function    um   ganze 
Zahlen  ändert,  so  bleiben  in  den  Gleichungen  (3)  Art.  3.  die  Grössen 
sin  {cc   -\-  ß  -\-  y')  7te—"^i       sin  (a   -{-  ß'  -{-  y)  ne—  "^^ 

sin  {cc   -\-  ß  -{-  y)  ttc— «'''*■  ^     sin  («'  -j-  ß'  +  7)  ^re— «'^« 

sin  («   -f  (3  -j-  y)  TTC—  "^i         sin  (a   -\-  ß'  -\-  y)  ne—  «^' 
sin  (a'  -|-  ^  -j-  y)  7ce~"'^i   '     sin  {a   -\-  ß'  -\-  y)  ne—"'^i 
ungeändert. 

Sind  daher  in  den  Functionen  P  ( ^,  ^^,  ^,  x\  P,  (^J  \}  ^l    x]  die 

\a  ß  y      1       '  \a,  ß^y,     ) 

entsprechenden  Exponenten  a^  und  «,  etc.  um  ganze  Zahlen  verschie- 
den, so  kann  man  die  acht  Grössen  («/y)i,  (^V)i?'(^(^')i?  •••  ^^^  ^Q\^i 
Grössen  «^,  a'^,  a^' ^  ...  gleich  annehmen,  da  aus  der  Gleichheit  der 
fünf  willkürlichen  die  Gleichheit  der  drei  übrigen  folgt. 

Nach  der  im  Art.  4.  angewandten  Schlussweise  folgt  hieraus: 
P«  Pi«'-  -V-^-^  =  Det  (6)  (P.^  P/'^  -V^'F^?^)  =  Det  (c)  {F^T;^'^  -  Py  Fj^ ) ; 
und  wenn  man  von  den  Grössen  a  -{-  a\  und  «^  + «',  ß  -\-  ß\  und 
ßi  ~\-  ß)  ?  -\-  y'i  und  7i  -\-  y  diejenigen  Grössen  jedes  Paars,  welche 
um  eine  positive  ganze  Zahl  kleiner  sind,  als  die  andern,  durch  cc,  ß,  y 
bezeichnet,  so  ist 

(P«  F/^  —  P«   Pi«0  ^~"  (1—^)"^ 
eine  Function  von  x,  welche   einändrig  und  endlich  bleibt  für  x  =  0, 
X  =  1   und  alle    übrigen   endlichen  Werthe    von  x,    für  a;  =  oo  aber 


74  IV.     Beiträge  zur  Theorie 

unendlich   wird   von   der   Ordnung  —  a  —  y  —  ßj    folglich   eine   ganze 
Function  F  vom  Grade  —  a  —  ß  —  y.     • 

Man  bezeichne  nun,  wie  früher,  die  Exponentendifferenzen  a  —  a, 
ß  ~~  ß  y  y  —  y  durch  A,  \i,  v.  In  Betreff  dieser  ergiebt  sich  zunächst: 
ihre  Summe  ändert  sich  um  eine  gerade  Zahl,  wenn  sich  sämmtliche 
Exponenten  um  ganze  Zahlen  ändern;  denn  sie  übertrifft  die  Summe 
sämmtlicher  Exponenten,  welche  unverändert  =  1  bleibt,  um 
—  2  («'  +  /3'  +  /),  welche  Grösse  sich  dabei  um  eine  gerade  Zahl  ändert. 
Sie  können  sich  aber  dabei  um  jedwede  ganze  Zahlen  ändern,  deren 
Summe  gerade  ist.  Bezeichnet  man  ferner  a^  —  a\,  ß^  —  ^ ^ ,  y^  —  /, 
durch  A^,  ft^,  v^  und  durch  AI,  A^^  Av  die  absoluten  Werthe  der 
Differenzen  A  —  A^,  \i  —  ft^,  v  —  v^^  so  ist  von  den  Grössen  a  +  «'i 
und  d  +  «1  diejenige,  welche  um  die  positive  Zahl  AX  kleiner  ist  als 
die  andere 

a  -\-  et  ^  "4"  ^'  ~l~  ^1  ^^ 


a  = 


2 
/IX 


also 


a  +  a' 

+  «'  4-  «1 

2 

ß-f  ß'i 

+  ß'  +  ß, 

2 

y  +  y'i 

+  y'  +  y, 

und  ebenso 


—  z/v 

y  ""  T  2 

Der  Grad   der   ganzen  Function   F,  welcher   gleich   der   Summe   dieser 
Grössen  ist,  ergiebt  sich  daher 

^X  -\-  Jfi  -\-  Jv         ^ 

7. 


ei 


Smd  jetzt  pC,  J  l  A  P,  h  J  'l  .),  P.  h  J  'J  .)   dr 

Functionen,  in  welchen  sich  die  entsprechenden  Exponenten  um  ganze 
Zahlen  unterscheiden,  so  fliesst  aus  diesem  Satze  mittelst  der  identi- 
schen Gleichung 

+    P/-   (P«   P/^    —   P«'   Pi«0    =   ö 

der  wichtige  Satz,  dass  zwischen  ihren  entsprechenden  Gliedern  eine 
lineare  homogene  Gleichung  stattfindet,  deren  Coefficienten  ganze 
Functionen  von  x  sind,  und  dass  also 

„sämmtHche  P-functionen,    deren    entsprechende    Exponenten    sich 
um  ganze  Zahlen  unterscheiden,  sich  in  zwei  beliebige  von  ihnen 


der  durch  die  Gauss'sche  Reihe  F  {a,  ß,  y,  x)  darstellbaren  Functionen.      75 

linear  mit  rationalen  Functionen  von  x  als  Coefficienten  ausdrücken 

lassen". 

Eine  specielle  Folge  aus  den  Beweisgründen  dieses  Satzes  ist,  dass 

>icli  der  zweite  Differentialquotient  einer  P-function  linear  mit  rationalen 

\mctionen    als    Coefficienten    in    d§n   ersten    und   die   Function    selbst 

lusdrücken   lässt,    und    also    die   Function    einer    linearen    homogenen 

Differentialgleichung  zweiter  Ordnung  genügt. 

Beschränkt  man  sich,  um  ihre  Ableitung  möglichst  zu  vereinfachen, 
Ulf  den  Fall  y  =  0,  auf  welchen  der  allgemeine  nach  Art.  2.  leicht 
airückgeführt  wird,  und  setzt  F  =  y,  P^  ==  y  ^  P"'  =  v/",  so  ergiebt 
nch,  dass  die  Functionen 

'   dlogx       ^   d  log  X  ^  d  log  x'^  ^         d  log  x'^'^  ^d  log  x  d  log  x^      d  log  x  d  log  x'^ 

mit  x~"'^"'  (1  —  x)~~y''^^  multiplicirt,  endlich  und  einändrig  bleiben 
Tür  endliche  Werthe  von  x  und  unendlich  von  der  ersten  Ordnung  wer- 
len  für  x  =  oo,  und  dass  überdies  das  erste  dieser  Producte  für  ^=  1 
unendlich  klein  von  der  ersten  Ordnung  wird.     Für 

y  =  const.'  y'  -\-  const."  y" 
findet  daher  eine  Gleichung  von  der  Form  statt 

(1  — )  äw^'  -  (^i  +  ^*)  äw.  +  (^'  -  ^'''•)  y  =  0' 

in  welcher  A,  B,  Ä,  J/,  noch  zu  bestimmende  Constanten  bezeichnen. 
Nach  der  Methode  der  unbestimmten  Coefficienten  lässt  sich  eine 
Ijösung  dieser  Differentialgleichung  nach  um   1  steigenden  oder  fallen- 
den Potenzen  in  eine  Reihe 

Ija   X 

n 

entwickeln,  und  zwar  wird  der  Exponent  ^  des  Anfangsgliedes  im 
ersten  Falle,  wo  er  der  niedrigste  ist,  durch  die  Gleichung 

\i\i,  —  A\i  +  J.'  =  0, 
und  im  zweiten,  wo  er  der  höchste  ist,  durch  die  Gleichung 

fift  +  i?iii  +  J5'  =  0 

bestimmt.     Die  Wurzeln  der  ersteren  Gleichung  müssen  «  und  «',  die 

der  letztern  —  /3  und  —  /3'  sein  und  folglich  ist 

A  =^  a  -\-  d ^  Ä  ^=  adj 

B  =  ß  +  ß',  B'  =  ßß', 

und  es  genügt  die  Function  P  (  ,,    ,  xj  =  ij  der  Differentialgleichung 


76  IV.     Beiträge  zur  Theorie 

Es  bestimmen   sich   ferner  die  Coefficienten  aus  einem  von  ihnen 
mittelst  der  Recursionsformel 

MiL in  4-  ß)  {u  +  f^ 

«„  ln-{-l  ~cc)  {n-i-1  -  a'y 

welcher  a.  ==  ^-^_-^-^-_-_^_^^  ^_^^^  genügt. 

Demnach  bildet  die  Reihe 
y  ==  Const.  2: 


77  (n  —  a)    77  (n  -  «')    U  (    -  w  —  ß)    77  (—  ti  —  ß')' 

sowohl  wenn  die  Exponenten  von  a  oder  a   an  um  die  Einheit  steigej  , 
als  auch  wenn  sie  von  —  ß  oder  —  ß'  an  um  die  Einheit  fallen,  ein  ^ 
Lösung   der  Dijfferentialgleichung    und    zwar   bez.  w.   diejenigen    parti 
cularen    Lösungen,    welche    oben    durch   P",    P"',   P;^,   Pi^'    bezeichne!, 
worden  sind. 

Nach  Gauss,  welcher  durch  F  (a,  h,  c,  x)  eine  Reihe  bezeichne  , 
in    welcher    der    Quotient    des    n  +  Iten    Gliedes     in     das    folgend'! 

=  7 — I   ...  ,     ,     !  X  und    das    erste    Glied   =   1   ist,    lässt   sich   dieses 
{n  +  1)  (n  -j-  c)  ^ 

Resultat  für  den  einfachsten  Fall,  für  «  =  0,   so  ausdrücken 


oder 


F  (a,  h,  .,  ^)  =  P«  (J  l^  ,  x). 

\1— che  —  a  —  hj 


Aus  demselben  erhält  man  auch  leicht  einen  Ausdruck  der  1- 
function  durch  ein  bestimmtes  Integral,  indem  man  in  dem  allgemeinen 
Gliede  der  Reihe  für  die  77-functionen  ein  Euler'sches  Litegral  zweiti  i- 
Gattung  einführt  und  dann  die  Ordnung  der  Summati on  und  Litegration 
vertauscht.     Auf  diese  Weise  findet  man,  dass  das  Integral 

von  einem  der  vier  Werthe  0,  1,  — ,  00  bis  zu  einem  dieser  vier  Wertl  e 


auf  beliebigem  Wege  erstreckt  eine  Function  Fi   ,     ,     ,  x\  bildet  m  \ 

bei  passender  Wahl  dieser  Grenzwerthe  und  des  Weges  von  eine  11 
zum  andern  jede  der  sechs  Functionen  P«,  P/*,  ...,  F^'  darstellt.  I^s 
lässt  sich  aber  auch  direct  zeigen,  dass  das  Integral  die  charakterisl  l- 
schen  Eigenschaften  einer  solchen  Function  besitzt.  Es  wird  dies  n 
der  Folge  geschehen,  wo  dieser  Ausdruck  der  P-function  durch  e  n 
bestimmtes  Integral  zur  Bestimmung  der  in  P" ,  P" ,  .  .  noch  willkü  -- 


der  durch  die  Gauss'sche  Reihe  F  {cc,  ß,  y,  .r)  darstellbaren  Functionen.       77 

lieh  gebliebenen  Factoren  benutzt  werden  soll;  und  ich  bemerke  hier 
nur  noch,  dass  es,  um  diesen  Ausdruck  allgemein  anwendbar  zu 
machen,  einer  Modification  des  Weges  der  Integration  bedarf,  wenn  die 

Function  unter  dem  Integralzeichen  für  einen  der  Werthe  0,  1,   -  ,  oo 

so  unendlich  wird,  dass  sie  die  .Integration  bis  an  denselben  nicht 
zulässt. 

8. 

Zufolge  der  im  Art.  2.  und  dem  vorigen  erhaltenen  Gleichungen 

\a  ß  y     J  \a— «/ii+a  +  yy  —  y     J 

Const.  .x"  (1  -  a:y  F  {ß  +  a -^  y,  ß'  -^  a  + y,  a  -  a  +  \,  oc) 

rtiesst  aus  jedem  Ausdrucke  einer  Function  durch  eine  P-function  eine 
Entwicklung  derselben  in  eine  hypergeometrische  Reihe,  welche  nach 
steigenden  Potenzen  der  Veränderlichen  in  dieser  P-function  fort- 
schreitet. Nach  Art.  5.  giebt  es  8  Darstellungen  einer  Function  durch 
J*-functionen  mit  derselben  Veränderlichen,  welche  durch  Vertauschung 
zusammengehöriger  Exponenten  aus  einander  erhalten  werden,  also 
z.  B.  8  Darstellungen  mit  der  Veränderlichen  x.  Von  diesen  liefern 
aber  je  zwei,  welche  durch  Vertauschung  ihres  zweiten  Paares,  ß  und 
/3',  aus  einander  entstehen,  dieselbe  Entwicklung;  man  erhält  also  vier 
Entwicklungen  nach  steigenden  Potenzen  von  Xj  von  denen  zwei,  welche 
durch  Vertauschung  von  y  und  /  aus  einander  erhalten  werden,  die 
Function  P",  die  beiden  andern  die  Function  P"  darstellen.  Diese 
vier  Entwicklungen  convergiren,  solange  der  Modul  von  ic  <  1,  und 
divergiren,  wenn  er  grösser  als  1  ist,  während  die  vier  Reihen  nach 
fallenden  Potenzen  von  x,  welche  P/^  und  P^'  darstellen,  sich  um- 
gekehrt verhalten.  Für  den  Fall,  wenn  der  Modul  von  x  gleich  1  ist, 
folgt  aus  der  Fourier 'sehen  Reihe,  dass  die  Reihen  zu  convergiren 
aufhören,  wenn  die  Function  für  x  =  1  unendlich  von  einer  höhern 
Ordnung  als  der  ersten  wird,  aber  convergent  bleiben,  wenn  sie  nur 
unendlich  von  einer  niedrigem  Ordnung  als  1  wird  oder  endlich  bleibt. 
Es  convergiren  also  auch  in  diesem  Falle  nur  die  Hälfte  der  8  Ent- 
wicklungen nach  Potenzen  von  Xj  solange  der  reelle  Theil  von  /  —  y 
nicht  zwischen  —  1  und  -|-  1  liegt,  und  sie  convergiren  sämmthch, 
sobald  dieses  stattfindet. 

Demnach  hat  man  zur  Darstellung  einer  P-function  im  Allgemeinen 
24  verschiedene  hypergeometrische  Reihen,  welche  nach  steigenden  oder 
fallenden  Potenzen  von  drei  verschiedenen  Grössen  fortschreiten,  und 
von  denen  für  einen  gegebenen  Werth  von  x  jedenfalls  die  Hälfte,  also 


78  IV.     Beiträge  zur  Theorie  etc. 

zwölf  convergiren.     Im   Falle  I.  Art.  5.  sind   alle   diese   Anzahlen   mii 
3,   im  Falle  IL  mit  10,   im  Falle  III.  mit  fünf  zu  multipliciren.     Am 
geeignetsten    zur    numerischen    Rechnung    werden    von    diesen    Reihen 
meistens  diejenigen  sein,  deren  viertes  Element  den  kleinsten  Modul  hat. 
Was   die  Ausdrücke    einer  P-function    durch  bestimmte  Integrale 
betrifft,  die  sich  durch  die  am  Schlüsse  des  vorigen  Art.  aus  den  Trans 
formationen  des  Art.  5.  ableiten  lassen,  so  sind  diese  Ausdrücke  sämmt 
lieh  von  einander  verschieden.     Man   erhält  also   im  Allgemeinen  48, 
im  Falle  I.  144,  im  Falle  II.  480,  im  Falle  III.  240  bestimmte  Inte 
grale,  welche  dasselbe   Glied   einer  P-function   darstellen  und   also   zi 
einander  ein  von  x  unabhängiges  Verhältniss  haben.    Von  diesen  lassej 
sich  je  24,  welche  durch  eine  gerade  Anzahl  von  Vertauschungen  dej 
Exponenten  aus  einander  hervorgehen,  auch  in  einander  transformirei 
durch  eine  solche  Substitution  ersten  Grades,  dass  für  irgend  drei  von 

den  Werthen  0,  1,  cx),  — ;-  der  Integrationsveränderlichen    s   die   neu( 

Veränderliche  die  Werthe  0,  1,  cx)  annimmt.  Die  übrigen  Gleichungen 
erfordern,  soweit  ich  sie  untersucht  habe,  zu  ihrer  Bestätigung  durch 
Methoden  der  Integralrechnung  die  Transformation  von  vielfachen 
Integralen. 


Selbstanzeige  der  vorstehenden  Abhandlung. 

(Göttiuger  Nachrichten,  1857,  Nr.  1.) 

Am  G.  November  185G  wurde  der  königlichen  Societiit  eine  von 
ihrem  Assessor,  Herrn  Doctor  Riemann,  eingereichte  mathematische 
Abhandlung  vorgelegt,  welche  „Beiträge  zur  Theorie  der  durch  die 
Gauss'sche  Reihe  F  {a^  ß,  y,  x)  darstellbaren  Functionen" 
enthält. 

Diese  Abhandluncj  ist  einer  Classe  von  Functionen  gewidmet, 
welche  bei  der  Lösung  mancher  Aufgaben  der  mathematischen  Physik 
gebraucht  werden.  Aus  ihnen  gebildete  Reihen  leisten  bei  schwierigeren 
Problemen  dieselben  Dienste,  wie  in  den  einfacheren  Fällen  die  jetzt 
so  vielfach  angewandten  Reihen,  welche  nach  Cosinus  und  Sinus  der 
Vielfachen  einer  veränderlichen  Grösse  fortschreiten.  Diese  Anwen- 
dungen, namentlich  astronomische,  scheinen,  nachdem  schon  Euler  sicli 
aus  theoretischen  Interesse  mehrfach  mit  diesen  Functionen  beschäftiirt 
hatte,  Gauss  zu  seinen  Untersuchungen  über  dieselben  veranlasst  zu 
haben,  von  denen  er  einen  Theil  in  seiner  der  Kön.  Soc.  im  J.  1812 
übergebenen  Abhandlung  über  die  Reihe,  welche  er  durch  F  (a,  /3,  y,  x) 
bezeichnet,  veröffentlicht  hat. 

Diese  Reihe  ist  eine  Reihe,  in  welcher  der  Quotient  des  (w  +  l)ten 
Gliedes  in  das  folgende 

^  (n  4-  g)  (n  +  ß)   ^ 
{n  +  1)  (n  -f-  y)  -^ 

und  das  erste  Glied  =  1  ist.  Die  für  sie  jetzt  gewöhnliche  Benennung 
hypergeometrische  Reihe  ist  schon  früher  von  Johann  Friedrich  Pfaff 
für  die  allgemeineren  Reihen  vorgeschlagen  worden,  in  denen  der 
Quotient  eines  Gliedes  in  das  folgende  eine  rationale  Function  des 
Stellenzeigers  ist;  Avährend  Euler  nach  Wallis  darunter  eine  Reihe 
verstand,  in  welcher  dieser  Quotient  eine  ganze  Function  ersten  Grades 
des  Stellenzeigers  ist. 

Der  unveröffentlichte  Theil  der  Gauss'schen  Untersuchungen  über 
diese  Reihe,    welcher  sich    in   seinem   Nachlasse   vorgefunden    hat,    ist 


80  V.     Selbstanzeige  der  vorstehenden  Abhandlung. 

unterdessen  schon  im  J.  1835  durch  die  im  15.  Bande  des  Journals 
von  Grelle  enthaltenen  Arbeiten  Kummers  ergänzt  worden.  Sie  be- 
treffen die  Ausdrücke  der  Reihe  durch  ähnliche  Reihen,  in  denen  statt 
des  Elements  x  eine  algebraische  Function  dieser  Grösse  vorkommt. 
Einen  speciellen  Fall  dieser  Umformungen  hatte  schon  Euler  aufge- 
funden und  in  seiner  Integralrechnung,  so  wie  in  mehreren  Abhand- 
lungen behandelt  (in  der  einfachsten  Gestalt  in  den  N.  Acta  Acad. 
Petr.  T.  XII.  p.  58);  und  diese  Relation  ward  später  von  Pfaff  (Disquis. 
anal.  Helmstadii  1797),  Gudermann  (Grelle  J.  Bd.  7.  S.  306)  und 
Jacobi  auf  verschiedenen  Wegen  bewiesen.  Kummer  gelang  es,  die 
Methode  Euler's  zu  einem  Verfahren  auszubilden,  durch  welches  sämmt- 
liche  Transformationen  gefunden  werden  konnten;  die  wirkliche  Aus- 
führung desselben  erforderte  aber  so  weitläufige  Discussionen,  dass  er 
für  die  Transformationen  dritten  Grades  von  der  Durchführung  der- 
selben abstand  und  sich  begnügte,  die  Transformationen  ersten  und 
zweiten  Grades  und  die  aus  ihnen  zusammengesetzten  vollständig  ab- 
zuleiten. 

In  der  anzuzeigenden  Abhandlung  wird  auf  diese  Transcendenten 
eine  Methode  angewandt,  deren  Princip  in  der  Inaug.  Diss.  des  Ver- 
fassers (Art.  20.)  ausgesprochen  worden  ist  und  durch  die  sich  sämmt- 
liche  früher  gefundenen  Resultate  fast  ohne  Rechnung  ergeben.  Einige 
weitere  mittelst  derselben  Methode  gewonnenen  Ergebnisse  hofft  der 
Verf.  demnächst  der  Königlichen  Societät  vorlegen  zu  können. 


VI. 

Theorie  der  AbeT sehen  Functionen. 

(Aus  Borcbardt'ö  Journal  für  reine  und  angewandte  Mathematik,  Bd.  54.    1857.) 

1.  Allgemeine  Voraussetzungen  und  Hülfsmittel  für  die  Untersuchung 
von  Functionen  unbeschränkt  veränderlicher  Grössen. 

Die  Absicht  den  Lesern  des  Journals  für  Mathematik  Unter- 
suchungen über  verschiedene  Transcendenten/  insbesondere  auch  über 
Ab eP sehe  Functionen  vorzulegen^  macht  es  mir  wünschenswerth,  um 
Wiederholungen  zu  vermeiden,  eine  Zusammenstellung  der  allgemeinen 
Voraussetzungen,  von  denen  ich  bei  ihrer  Behandlung  ausgehen  werde, 
in  einem  besonderen  Aufsatze  voraufzuschicken. 

Für  die  unabhängig  veränderliche  Grösse  setze  ich  stets  die  jetzt 
allgemein  bekannte  Gau ss^ sehe  geometrische  Repräsentation  voraus, 
nach  welcher  eine  complexe  Grösse  2  =  x  -{-  yi  vertreten  wird  durch 
einen  Punkt  einer  unendlichen  Ebene,  dessen  rechtwinklige  Coordina- 
ten  X,  y  sind;  ich  werde  dabei  die  complexen  Grössen  und  die  sie 
repräsentirenden  Punkte  durch  dieselben  Buchstaben  bezeichnen.  Als 
Function  von  x  +  yi  betrachte  ich  jede  Grösse  iv,  die  sich  mit  ihr 
der  Gleichung 

.  dw cw  • 

dx        cy 

gemäss  ändert,  ohne  einen  Ausdruck  von  iv  durch  x  und  y  vorauszusetzen. 
Aus  dieser  Differentialgleichung  folgt  nach  einem  bekannten  Satze,  dass 
die  Grösse  w  durch  eine  nach  ganzen  Potenzen   von  z  —  a  fortschrei- 

71=  00 

tende  Reihe  von  der  Form  ZOn  {z  —  «)"  darstellbar  ist,  sobald  sie  in 

der  Umgebung  von  a  allenthalben  einen  bestimmten  mit  z  stetig  sich 
ändernden  Werth  hat,  und  dass  diese  Darstellbarkeit  stattfindet  bis  zu 
einem  Abstände  von  a  oder  Modul  von  z  —  a,  für  welchen  eine  Un- 
stetigkeit  eintritt.  Es  ergiebt  sich  aber  aus  den  Betrachtungen,  welche 
der  Methode   der   unbestimmten   Coefficienten   zu  Grunde  liegen,   dass 

Rikmann's  gosummcUc  mathematische  Werke.    I.  Ü 


82  VI.    Theorie  der  Aberschen  Functionen. 

die  Coefficienten  a^  völlig  bestimmt  sind,  wemi  iv  in  einer  endlichen 
fibrigens  beliebig  kleinen  von  a  ausgebenden  Linie  gegeben  ist. 

Beide  Ueberlegungen  verbindend,  wird  man  sich  leicht  von  der 
Richtigkeit  des  Satzes  überzeugen: 

Eine  Function  von  x -\- yi,  die  in  einem  TJieile  der  (x,  y)- Ebene 
gegeben  ist,  Jcann  darüber-  hinaus  nur  auf  Eine  Weise  stetig  fortgesetzt 
iverden. 

Man  denke  sich  nun  die  zu  untersuchende  Function  nicht  durch 
irgend  welche  z  enthaltende  analytische  Ausdrücke  oder  Gleichungen 
bestimmt,  sondern  dadurch,  dass  der  Werth  der  Function  in  einem 
beliebig  begrenzten  Theile  der  ^- Ebene  gegeben  ist  und  sie  von  dort 
aus  stetig  (der  partiellen  Differentialgleichung 

.  dw        dw 

■  'dx  ~  dy 

gemäss)  fortgesetzt  wird.  Diese  Fortsetzung  ist  nach  den  obigen 
Sätzen  eine  völlig  bestimmte,  vorausgesetzt,  dass  sie  nicht  in  blossen 
Linien  geschieht,  wobei  eine  partielle  Differentialgleichung  nicht  zur 
Anwendung  kommen  könnte,  sondern  durch  Flächenstreifen  von  end- 
licher Breite.  Je  nach  der  Beschaffenheit  der  fortzusetzenden  Function 
wird  nun  entweder  die  Function  für  denselben  Werth  von  z  immer 
wieder  denselben  Werth  annehmen,  auf  welchem  Wege  auch  die  Forf- 
setzung  geschehen  sein  möge,  oder  nicht.  Ln  ersteren  Falle  nenne 
ich  sie  eimverthig ,  sie  bildet  dann  eine  für  jeden  Werth  von  z  völlig 
bestimmte  und  nicht  längs  einer  Linie  unstetige  Function.  Im  letzteren 
Falle,  wo  sie  melirwerthig  heissen  soll,  hat  man,  um  ihren  Verlauf 
aufzufassen,  vor  Allem  seine  Aufmerksamkeit  auf  gewisse  Punkte  der 
^- Ebene  zu  richten,  um  welche  herum  sich  die  Function  in  eine  an- 
dere fortsetzt.  Ein  solcher  Punkt  ist  z.  B.  bei  der  Function  log  {z  —  a) 
der  Punkt  a.  Denkt  man  sich  von  diesem  Punkte  a  aus  eine  belie- 
bige Linie  gezogen,  so  wird  man  in  der  Umgebung  von  a  den  Werth 
der  Function  so  wählen  können,  dass  sie  sieh  ausser  dieser  Linie 
überall  stetig  ändert;  zu  beiden  Seiten  dieser  Linie  nimmt  sie  aber 
dann  verschiedene  Werthe  an,  auf  der  negativen*)  einen  um  27ti 
grösseren,  als  auf  der  positiven.  Die  Fortsetzung  der  Function  von 
einer  Seite  dieser  Linie  aus,  z.  B.  von  der  negativen,  über  sie  hinüber 
in  das  jenseitige  Gebiet  giebt  dann  offenbar  eine  von  der  dort  schon 
vorhandenen  verschiedene  Function  und  zwar  im  hier  l)etrachteten 
Falle  eine  allenthalben  um  2;ri 


*)  Im  Anschlüsse  an  die  von  Gauss  vorgeschlagene  Benennung  positiv  laterale 
Einheit  für  -j-  i  werde  ich  als  positive  Seitenrichtung  zu  einer  gegebenen  Richtung 
diejenige  bezeichnen^  welche  zu  ihr  ebenso  liegt,  wie  -j-  i  zu  1. 


VI.    Theorie  der  Aberöchea  Functionen.  83 

Zur  bequemeren  Bezeichnung  dieser  Verhältnisse  sollen  die  ver- 
schiedenen Fortsetzungen  eine7'  Function  für  denselben  Theil  der 
;::- Ebene  Zweige  dieser  Function  genannt  werden  und  ein  Punkt,  um 
welchen  sich  ein  Zweig  einer  Function  in  einen  andern  fortsetzt  eine 
Verziveigungsstelle  dieser  Function;  wo  keine  Verzweigung  stattfindet, 
heisst  die  Function  cinändrig  o^er  monodrom. 

Ein  Zweig  einer  Function  von  mehreren  unabhängig  veränder- 
lichen Grössen  z,  s,  t,  . .  .  ist  einündrig  in  der  Umgebung  eines  be- 
stimmten Werthensystemes  z  =  a,  s  =  h,  t  ==  c,  .  .  .,  w^enn  allen 
Werthencombinationen  bis  zu  einem  endlichen  Abstände  von  demsel- 
ben (oder  bis  zu  einer  bestimmten  endlichen  Grösse  der  Moduln  von 
z  —  a,  s  —  h,  t  —  c,  ..^  ein  bestimmter  mit  den  veränderlichen  Grössen 
stetig  sich  ändernder  Werth  dieses  Zweiges  der  Function  entspricht. 
Eine  Verzweigungsstelle  oder  eine  Stelle,  um  welche  sich  ein  Zweig 
in  einen  andern  fortsetzt,  wird  bei  einer  Function  von  mehreren  Ver- 
änderlichen durch  sämmtliche  einer  Gleichung  zwischen  ihnen  genügende 
Werthe  der  unabhängig  veränderlichen  Grössen  gebildet. 

Nach  einem  oben  angeführten  bekannten  Satze  ist  die  Einändrig- 
keit  einer  Function  identisch  mit  ihrer  Entwickelbarkeit,  ihre  Ver- 
zweigung mit  ihrer  Nichtentwickelbarkeit  nach  ganzen  positiven  oder 
negativen  Potenzen  der  Aenderungen  der  veränderlichen  Grössen.  Es 
scheint  aber  nicht  zweckmässig,  jene  von  ihrer  Darstellungsweise  un- 
abhängigen Eigenschaften  durch  diese  an  eine  bestimmte  Form  ihres 
Ausdrucks  geknüpften  Merkmale  auszudrücken. 

Für  manche  Untersuchungen,  namentlich  für  die  Untersuchung 
algebraischer  und  AbeU scher  Functionen  ist  es  vortheilhaft,  die  Ver- 
zweigungsart einer  mehrwerthigen  Function  in  folgender  Weise  geome- 
trisch darzustellen.  Man  denke  sich  in  der  {x,  ?/)- Ebene  eine  andere 
mit  ihr  zusammenfallende  Fläche  (oder  auf  der  Ebene  einen  unendlich 
dünnen  Körper)  ausgebreitet,  welche  sich  so  weit  und  nur  so  weit 
erstreckt,  als  die  Function  gegeben  ist.  Bei  Fortsetzung  dieser  Function 
wird  also  diese  Fläche  ebenfalls  weiter  ausgedehnt  werden.  In  einem 
Theile  der  Ebene,  für  welchen  zwei  oder  mehrere  Fortsetzungen  der 
Function  vorhanden  sind,  wird  die  Fläche  doppelt  oder  mehrfach  sein; 
sie  wird  dort  aus  zwei  oder  mehreren  Blättern  bestehen,  deren  jedes 
einen  Zweig  der  Function  vertritt.  Um  einen  Verzweigungspunkt  der 
Function  herum  wird  sich  ein  Blatt  der  Fläche  in  ein  anderes  fort- 
setzen, so  dass  in  der  Umgebung  eines  solchen  Punktes  die  Fläche 
als  eine  Schraubenfläche  mit  einer  in  diesem  Punkte  auf  der  (.r,  y)- 
Ebene  senkrechten  Axe  und  unendlich  kleiner  Höhe  des  Schrauben- 
ganges   betrachtet    werden  kann.     Wenn    die  Function    nach    mehren 

6* 


84  VT.    Theorie  der  Aberschen  Functionen. 

Umläufen  des  2  um  den  Verzweigungswerth  ihren  vorigen  Werth  wie- 

m 

der  erhält  (wie  z.  B.  {s  —  a)  «  ,  wenn  m,  n  relative  Primzahlen  sind, 
nach  n  Umläufen  von  s  um  d),  muss  man  dann  freilich  annehmen, 
dass  sich  das  oberste  Blatt  der  Fläche  durch  die  übrigen  hindurch  in 
das  unterste  fortsetzt. 

Die  mehrwerthige  Function  hat  für  jeden  Punkt  einer  solchen 
ihre  Verzweigungsart  darstellenden  Fläche  nur  einen  bestimmten  Werth 
und  kann  daher  als  eine  völlig  bestimmte  Function  des  Orts  in  dieser 
Fläche  angesehen  werden. 


2.    Lehrsätze  aus   der  analysis   situs   für   die  Theorie   der   Integrale 
von  zweigliedrigen  vollständigen  Differentialien. 

Bei  der  Untersuchung  der  Functionen,  welche  aus  der  Integration 
vollständiger  Differentialien  entstehen,  sind  einige  der  analysis  situs 
angehörige  Sätze  fast  unentbehrlich.  Mit  diesem  von  Leibnitz,  wenn 
auch  vielleicht  nicht  ganz  in  derselben  Bedeutung,  gebrauchten  Namen 
darf  wohl  ein  Theil  der  Lehre  von  den  stetigen  Grössen  bezeichnet 
werden,  welcher  die  Grössen  nicht  als  unabhängig  von  der  Lage 
existirend  und  durch  einander  messbar  betrachtet,  sondern  von  den 
Massverhältnissen  ganz  absehend,  nur  ihre  Orts-  und  Gebietsverhält- 
nisse der  Untersuchung  unterwirft.  Indem  ich  eine  von  Massverhält- 
nissen ganz  abstrahirende  Behandlung  dieses  Gegenstandes  mir  vor- 
behalte, werde  ich  hier  nur  die  bei  der  Integration  zweigliedriger 
vollständiger  Differentialien  nöthigen  Sätze  in  einem  geometrischen 
Gewände  darstellen. 

Es  sei  eine  in  der  {x,  1/) -Ebene  einfach  oder  mehrfach  ausge- 
breitete Fläche  T  gegeben*)  und  X,  Y  seien  solche  stetige  Functionen 
des  Orts  in  dieser  Fläche,  dass  in  ihr  allenthalben  Xdx  -f-  Ydy  ein 
vollständiges  Differential,  also 

^  _  ^  =  0 

dy  dx 

ist.     Bekanntlich  ist  dann 

r  {Xdx  +  Ydij) , 

um    einen   Theil    der    Fläche  T  positiv    oder    negativ  herum  —  d.   h. 
durch  die  ganze  Begrenzung  entweder  allenthalben  nach  der  positiven 


*)  Man  sehe  die  vorhergehende  Abhandlung  S.  83. 


y\.    Theorie  der  Aberschen  Functionen.  85 

oder  allenthalben  nach  der  negativen  Seite  gegen  die  Richtung  von 
Innen  nach  Aussen  (Siehe  die  Anmerkung  Seite  82  der  vorhergehenden 
Abhandlung)  —  erstreckt,  ==  0,  da  dies  Integral  dem  über  diesen 
Theil  ausgedehnten  Flilchenintegrale 


j-(lrr-l9« 


identisch    im    ersteren    Falle    gleich,    im    zweiten    entgegengesetzt    ist. 
Das  Integral 

'\xdx+Y(hj) 


j 


hat  daher,  zwischen  zwei  festen  Punkten  auf  zwei  verschiedenen  Wegen 
erstreckt,  denselben  Werth,  wenn  diese  beiden  Wege  zusammengenom- 
men die  ganze  Begrenzung  eines  Theils  der  Fläche  T  bilden.  Wenn 
also  jede  im  Innern  von  T  in  sich  zurücklaufende  Curve  die  ganze 
Begrenzung  eines  Theils  von  T  bildet,  so  hat  das  Integral  von  einem 
festen  Anfangspunkte  bis  zu  einem  und  demselben  Endpunkte  er- 
streckt immer  denselben  Werth  und  ist  eine  von  .dem  Wege  der  In- 
tegration unabhängige  allenthalben  in  T  stetige  Function  von  der 
Lage  des  Endpunkts.  Dies  veranlasst  zu  einer  Unterscheidung  der 
Flächen  in  einfach  zusammenhängende,  in  welchen  jede  geschlossene 
Curve  einen  Theil  der  Fläche  vollständig  begrenzt  —  wie  z.  B.  ein 
Kreis  — ,  und  mehrfach  zusammenhängende,  für  welche  dies  nicht 
stattfindet,  —  wie  z.  B.  eine  durch  zwei  concentrische  Kreise  begrenzte 
Ringfläche.  Eine  mehrfach  zusammenhängende  lässt  sich  durch  Zer- 
schneidung in  eine  einfach  zusammenhängende  verwandeln  (S.  die 
durch  Zeichnungen  erläuterten  Beispiele  am  Schluss  dieser  Abhand- 
lung). Da  diese  Operation  wichtige  Dienste  bei  der  Untersuchung 
der  Integrale  algebraischer  Functionen  leistet,  so  sollen  die  darauf 
bezüglichen  Sätze  kurz  zusammengestellt  werden;  sie  gelten  für  be- 
liebig im  Räume  liegende  Flächen. 

Wenn  in  einer  Fläche  F  zwei  Curvensysteme  a  und  h  zusammen- 
genommen einen  Theil  dieser  Fläche  vollständig  begrenzen,  so  bildet 
jedes  andere  Curvensystem,  das  mit  a  zusammen  einen  Theil  von  F 
vollständig  begrenzt,  auch  mit  h  die  ganze  Begrenzung  eines  Flächen- 
theils, der  aus  den  beiden  ersteren  Flächentheilen  längs  a  (durch 
Addition  oder  Subtraction,  jenachdem  sie  auf  entgegengesetzter  oder 
auf  gleicher  Seite  von  a  liegen)  zusammengesetzt  ist.  Beide  Curven- 
systeme leisten  daher  für  völlige  Begrenzung  eines  Theils  von  F  das- 
selbe und  können  für  die  Erfüllung  dieser  Forderung  einander  ersetzen. 

Wenn  in  einer  Fläche  F  sich  n  geschlossene  Curven  a,,  Og»  •  •  v  ^« 
zielien  lassen,  welche  weder  für  sich  noch  mit  einander  einen  Tfieil  dieser 


86  VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen. 

Flüche  F  vollständig  begrenzen j  mit  derm  Znzichumj  aber  jede  andere 
(jescldossenc  Ciirve  die  vollständige  Begrenzung  eines  Theils  der  Fläche  F 
bdden  Jcann,  so  heisst  die  Fläche  eine  (ji  +  \)fach  zusammenhängende. 

Dieser  Charakter  der  Fläche  ist  unabhängig  von  der  Wahl  des 
Curvensystems  a^,  a.,,  ..  .,  «„,  da  je  n  andere  geschlossene  Curven 
b^,  bo,  .  .  .;  bay  welche  zu  völliger  Begrenzung  eines  Theils  dieser 
Fläche  nicht  ausreichen,  ebenfalls  mit  jeder  andern  geschlossenen  Curve 
zusammengenommen  einen  Theil  von  F  völlig  begrenzen. 

In  der  That,  da  b^  mit  Linien  a  zusammengenommen  einen  Theil 
von  F  vollständig  begrenzt,  so  kann  eine  dieser  Curven  a  durch  b^ 
und  die  übrigen  Curven  a  ersetzt  werden.  Es  ist  daher  mit  b^  und 
diesen  n  —  1  Curven  a  jede  andere  Curve,  und  folglich  auch  b.^,  zu 
völliger  Begrenzung  eines  Theils  von  F  ausreichend,  und  es  kann  eine 
dieser  n  —  1  Curven  a  durch  6^,  b.^  und  die  übrigen  n  —  2  Curven  a 
ersetzt  werden.  Dieses  Verfahren  kann  offenbar,  wenn,  wie  voraus- 
gesetzt, die  Curven  b  zu  vollständiger  Begrenzung  eines  Theils  von  F 
nicht  ausreichen,  so  lange  fortgesetzt  werden,  bis  sämmtliche  a  durch 
die  b  ersetzt  worden  sind. 

Fine  (^^  +1)  fach  zusammenhängende  Fläche  F  kann  durch  einen 
Querschnitt  —  d.  h.  eine  von  einem  BegrenzungspunMe  durch  das  Innere 
bis  zu  einem  BegrenzungspunMe  geführte  Schnittlinie  —  in  eine  nfach 
zusammenhängende  F'  verwandelt  iverden.  Fs  gelten  dabei  die  durch  die 
Zerschneidung  entstehenden  Begrenzungstheile  schon  während  der  weiteren 
Zerschneidung  als  Begrenzung,  so  dass  ein  Querschnitt  keinen  Punkt 
mehrfach  durchschneiden,  aber  in  einem  seiner  früheren  Funkte  enden  kann. 

Da  die  Linien  a^,  a^,  . .  .,  ««  zu  völliger  Begrenzung  eines  Theils 
von  F  nicht  ausreichen,  so  muss,  wenn  man  sich  F  durch  diese 
Linien  zerschnitten  denkt,  sowohl  das  auf  der  rechten,  als  das  auf  der 
linken  Seite  von  a>i  anliegende  Flächenstück  noch  andere  von  den 
Linien  a  verschiedene  und  also  zur  Begrenzung  von  F  gehörige  Be- 
grenzungstheile enthalten.  Man  kann  daher  von  einem  Punkte  von  a„, 
sowohl  in  dem  einen,  als  in  dem  andern  dieser  Flächenstücke  eine  die 
Curven  a  nicht  schneidende  Linie  bis  zur  Begrenzung  von  F  ziehen. 
Diese  beiden  Linien  cf  und  q"  zusammengenommen  bilden  alsdann 
einen  Querschnitt  q  der  Fläche  F,  welcher  das  Verlangte  leistet. 

In  der  That  sind  in  der  durch  diesen  Querschnitt  aus  F  ent- 
stehenden Fläche  F'  die  Linien  a^,  a.^,  .  .  .,  a^^i  im  Innern  von  F' 
verlaufende  geschlossene  Curven,  welche  zur  Begrenzung  eines  Theils 
von  F,  also  auch  von  F'  nicht  hinreichen.  Jede  andere  im  Innern 
von  F'  verlaufende  geschlossene  Curve  l  aber  bildet  mit  ihnen  die  ganze 
Begrenzung  eines  Theils  von  F\     Denn  die  Linie  l  bildet  mit  einem 


VI.    Theorie  der  Abcri-cheii  Functionen.  87 

Complex  aus  den  Linien  a^,  a,^,  .  .  .,  ein  die  ganze  Begrenzung  eines 
Theils  /"  von  F.  Es  lässt  sich  aber  zeigen,  dass  in  der  Begrenzung 
desselben  ctn  nicht  vorkommen  kann;  denn  dann  würde,  je  nach  dem 
/■  auf  der  linken  oder  rechten  Seite  von  a«  läge,  q'  oder  q"  aus  dem 
Innern  von  /"  nach  einem  Begrenzungspunkte  von  i\  also  nach  einem 
ausserhalb  /'  gelegenen  Punkte,  führen  und  also  die  Begrenzung  von  /* 
schneiden  müssen  gegen  die  Voraussetzung,  dass  /  sowohl  als  die 
Linien  a,  den  Durchschnittspunkt  von  an  und  q  ausgenommen,  stets 
im  Innern  von  F'  bleiben. 

Die  Fläche  F',  in  welche  F  durch  den  (^)uerschnitt  q  zerfällt,  ist 
demnach,  wie  verlangt,  eine  nfach  zusammenhängende. 

Es  soll  jetzt  bewiesen  werden,  dass  die  Fläche  F  durch  jeden 
Querschnitt  ^),  welcher  sie  nicht  in  getrennte  Stücke  zerfället,  in  eine 
iifach  zusammenhängende  F'  verwandelt  wird.  Wenn  die  zu  beiden 
Seiten  des  Querschnitts  p  angrenzenden  Flächentheile  zusammenhängen, 
so  lässt  sich  eine  Linie  h  von  der  einen  Seite  desselben  durch  das 
Innere  von  F'  auf  die  andere  Seite  zum  Anfangspunkte  zurück  ziehen. 
Diese  Linie  b  bildet  eine  im  Innern  von  F  in  sich  zurücklaufende 
Linie,  welche,  da  der  Querschnitt  von  ihr  aus  nach  beiden  Seiten  zu 
einem  Begixuzungspunkte  führt,  von  keinem  der  beiden  Flächenstücke, 
in  welche  sie  F  zerschneidet,  die  ganze  Begrenzung  bildet.  Man  kann 
daher  eine  der  Curven  a  durch  die  Curve  h  und  jede  der  übrigen 
n  —  1  Curven  a  durch  eine  im  Innern  von  i*"  verlaufende  Curve  und 
wenn  nötliig  die  Curve  h  ersetzen,  worauf  der  ßeweis,  dass  F'  wfach 
zusammenhängend  ist,  durch  dieselben  Schlüsse,  wie  vorhin,  geführt 
werden  kann. 

Fine  (w  +  1)  fach  zusammenhängende  Fläche  ivird  daher  durch 
jeden  sie  nicht  in  Stücke  zerschneidenden  Querschnitt  in  eine  nfach  zu- 
sammenhängende venvandelt. 

Die  durch  einen  Querschnitt  entstandene  Fläche  kann  durch  einen 
neuen  Querschnitt  weiter  zerlegt  werden,  und  bei  >i  maliger  Wieder- 
holung dieser  Operation  wird  eine  (ji  -\-  1)  fach  zusammenhängende 
Fläche  durch  n  nach  einander  gemachte  sie  nicht  zerstückelnde  Quer- 
schnitte in  eine  einfach  zusammenhängende  verwandelt. 

Um  diese  Betrachtungen  auf  eine  Fläche  ohne  Begrenzung,  eine 
geschlossene  Fläche,  anwendbar  zu  machen,  muss  diese  durch  Aus- 
scheidung eines  beliebigen  Punktes  in  eine  begrenzte  verwandelt  wer- 
den, so  dass  die  erste  Zerlegung  durch  diesen  Punkt  und  einen  in  ihm 
anfangenden  und  endenden  Querschnitt,  also  durch  eine  geschlossene 
Curve,  geschieht.    Die  Oberfläche  eines  Ringes  z.  B.,  welche  eine  drei- 


88  VI.    Theorie  der  Aberschen  Functionen. 

fach  zusammenhängende  ist,  wird  durch  eine  geschlossene  Curve  und 
einen  Querschnitt  in  eine  einfach  zusammenhängende  verwandelt. 

Auf  das  im  Eingange  betrachtete  Integral  des  vollständigen 
Differentials  Xdx  +  Ydij  wird  nun  die  eben  behandelte  Zerschneidung 
der  mehrfach  zusammenhängenden  Flächen  in  einfach  zusammenhän- 
gende, wie  folgt,  angewandt.  Ist  die  die  (x,  y) -'Ebene  bedeckende 
Fläche  jT,  in  welcher  X,   Y  allenthalben  stetige  der  Gleichung 

y  (^^ 
genügende  Functionen  des  Orts  sind,  ?«^fach  zusammenhängend,  so  wird 
sie  durch  n  Querschnitte  in  eine  einfach  zusammenhängende  T'  zer- 
schnitten. Die  Integration  von  Xdx  +  Ydy  von  einem  festeji  An- 
fangspunkte aus  durch  Gurven  im  Innern  von  T'  liefert  dann  einen 
nur  von  der  Lage  des  Endpunkts  abhängigen  Werth,  welcher  als 
Function  von  dessen  Goordinaten  betrachtet  werden  kann.  Substituirt 
man  für  die  Goordinaten  die  Grössen  .x',  y^  so  erhält  man  eine  Function 

z=  f{Xdx+  Ydy) 

von  X,  y,  welche  für  jeden  Punkt  von  T'  völlig  bestimmt  ist  und  sich 
innerhalb  T'  allenthalben  stetig,  beim  Ueberschreiten  eines  Querschnitts 
aber  allgemein  zu  reden  um  eine  endliche  von  einem  Knotenpunkte 
des  Schnittnetzes  zum  andern  constante  Grösse  ändert.  Die  Aenderun- 
gen  beim  Ueberschreiten  der  Querschnitte  sind  von  einer  der  Zahl 
der  Querschnitte  gleichen  Anzahl  von  einander  unabhängiger  Grössen 
abhängig;  denn  wenn  man  das  Schnittsystem  rückwärts,  —  die  späteren 
Theile  zuerst  — ,  durchläuft,  so  ist  diese  Aenderung  überall  bestimmt, 
wenn  ihr  Werth  beim  Beginn  jedes  Querschnitts  gegeben  wird; 
letztere  Werthe  aber  sind  von  einander  unabhängig. 

Um  das,  was  oben  (S.  85,  86)  unter  einer  ?ifach  zusammenhängenden 
Fläche  verstanden  wird,  anschaulicher  zu  machen,  folgen  in  den  nach- 
stehenden Zeichnungen  Beispiele  von  einfach,  zweifach  und  dreifach 
zusammenhängenden  Flächen. 

Einfach  zusammenhängende  Fläche. 

Sie  wird  durch  jeden  Quer- 
schnitt in  getrennte  Stücke  zer- 
fällt, und  es  bildet  in  ihr  jede 
geschlossene  Gurve  die  ganze 
Begrenzung  eines  Theils  der 
Fläche. 


VI.    Theorie  der  Aberschen  Functionen. 


89 


Zweifach  zusanimenhängende  Fläche. 


Sie  wird  durch  jeden  sie 
nicht  zerstückelnden  Querschnitt 
q  in  eine  einfach  zusammen- 
hängende zerschnitten.  Mit  Zu- 
ziehung der  Curve  a  kann  in  ihr 
jede  geschlossene  Curve  die 
ganze  Begrenzung  eines  Theils 
der  Fläche  bilden. 


Dreifach  zusammeuhäugende  Fläche. 


In  dieser  Fläche  kann  jede 
geschlossene  Curve  mit  Zu- 
ziehung der  Curven  a^  und  a.^ 
die  ganze  Begrenzung  eines 
Theils  der  Fläche  bilden.  Sie 
zerHillt  durch  jeden  sie  nicht 
zerstückelnden  Querschnitt  in 
eine  zweifach  zusammenhän- 
gende und  durch  zwei  solche 
Querschnitte,  q^  und  q.^,  in  eine 
einfach  zusammenhängende. 

In  dem  Theile  cc  ßy  d  der 
Ebene  ist  die  Fläche  doppelt. 
Der  (ii  enthaltende  Arm  der 
Fläche  ist  als  unter  dem  an- 
dern fortgehend  betrachtet  und 
daher  durch  punktirte  Linien 
angedeutet. 


3.     Bestimmung  einer  Function  einer  veränderlichen  complexen 
Grösse  durch  Grenz-  und  Unstetigkeitsbedingungen. 

Wenn  in  einer  Ebene,  in  welcher  die  rechtwinkligen  Coordinaten 
eines  Punkts  x,  y  sind^  der  Werth  einer  Function  von  x  -\-  yi  in  einer 
endlichen  Linie  gegeben  ist,  so  kann  diese  von  dort  aus  nur  auf  eine 
Weise  stetig  fortgesetzt  werden  und  ist  also  dadurch  völlig  bestimmt 
(Siehe  oben  S.  82).  Sie  kann  aber  auch  in  dieser  Linie  nicht  willkür- 
lich angenommen  werden,  wenn  sie  von  ihr  aus  einer  stetigen  Fort-, 
Setzung  in  die  anstossenden  Flächentheile  nach  beiden  Seiten  hin  fähig 


i)()  Vf.    Theorie  der  AbeFschen  Functionen. 

sein  soll,  da  sie  durch  ihren  Verlauf  in  einem  noch  so  kleinen  entl- 
lichen  Theile  dieser  Linie  schon  für  den  übrigen  Theil  bestimmt  ist. 
Bei  dieser  Bestimmungsweise  einer  Function  sind  also  die  zu  ihrer 
Bestimmung  dienenden  Bedingungen  nicht  von  einander  unabhängig. 

Als  Grundlage  für  die  Untersuchung  einer  Transcendenten  ist  es 
vor  allen  Dingen  nöthig,  ein  System  zu  ihrer  Bestimmung  hinreichen- 
der von  einander  unabhängiger  Bedingungen  aufzustellen.  Hierzu  kann 
in  vielen  Fällen,  namentlich  bei  den  Integralen  algebraischer  Functionen 
und  ihren  inversen  Functionen,  ein  Princip  dienen,  welches  Dirichlet 
zur  Lösung  dieser  Aufgabe  für  eine  der  Laplace' sehen  partiellen 
Differentialgleichung  genügende  Function  von  drei  Veränderlichen, 
wohl  durch  einen  ähnlichen  Gedanken  von  Gauss  veranlasst  —  in 
seinen  Vorlesungen  über  die  dem  umgekehrten  Quadrat  der  Entfernung 
proportional  wirkenden  Kräfte  seit  einer  Reihe  von  Jahren  zu  geben 
pflegt.  Für  diese  Anwendung  auf  die  Theorie  von  Transcendenten  ist 
jedoch  gerade  ein  Fall  besonders  wichtig,  auf  welchen  dies  Princip  in 
seiner  dortigen  einfachsten  Form  nicht  anwendbar  ist,  und  welcher 
dort  als  von  ganz  untergeordneter  Bedeutung  unberücksichtigt  bleiben 
kann.  Dieser  Fall  ist  der,  wenn  die  Function  an  gewissen  Stellen  des 
Gebiets,  wo  sie  zu  bestimmen  ist,  vorgeschriebene  Unstetigkeiten  an- 
nehmen soll;  was  so  zu  verstehen  ist,  dass  sie  an  jeder  solchen  Stelle 
der  Bedingung  unterworfen  ist,  unstetig  zu  werden,  wie  eine  dort  ge- 
gebene unstetige  Function,  oder  sich  nur  um  eine  dort  stetige  Function 
von  ihr  zu  unterscheiden.  Ich  werde  hier  das  Princip  in  der  für  die 
beabsichtigte  Anwendung  erforderlichen  Form  darstellen  und  erlaube 
mir  dabei  in  Betreff  einiger  Nebenuntersuchungen  auf  die  in  meiner 
Doctordissertation  (Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie  der  Functionen 
einer  veränderlichen  complexen  Grösse.  Göttingen  1851)  gegebene  Dar- 
stellung desselben  zu  verweisen. 

Man  nehme  an,  dass  eine  die  (x,  y) -Ebene  einfach  oder  mehrfach 
bedeckende  beliebig  begrenzte  Fläche  T  und  in  derselben  zwei  für 
jeden  ihrer  Punkte  eindeutig  bestimmte  reelle  Functionen  von  x,  i/, 
die  Functionen  a  und  ß  gegeben  seien,  und  bezeichne  das  durch  die 
Fläche  T  ausgedehnte  Integral 


j'(("-ifr+e+iö>'^' 


durch  Sl  (a),  wobei  die  Functionen  a  und  ß  beliebige  Unstetigkeiten 
besitzen  können,  wenn  nur  das  Integral  dadurch  nicht  unendlich  wird. 
Es  bleibt  dann  auch  Sl  (a  —  A)  endlich,  wenn  A  allenthalben  stetig  ist 
und  endliche  Differentialquotienten  hat.     Wird  diese  stetige  Function  A 


\'l.     TJieoiio  der  Al)Lr«clien  Functionen.  Dl 

der  Bedingung  unterworfen,  nur  in  einem  unendlich  kleinen  Theile  der 
Flüche  T  von  einer  unstetigen  Function  y  verschieden  zu  sein,  so  w^ird 
^l  («  —  A)  unendlich  gross,  wenn  y  längs  einer  Linie  unstetig  ist  oder 
in  einem  Punkte  so  unstetig  ist,  dass 


jm-^^)'' 


unendlich  wird  (Meine  Inaug.  Diss.  Art.  17 j;  es  bleibt  aber  il  (a  —  A) 
endlich,  wenn  y  nur  in  einzelnen  Punkten  und  nur  so  unstetig  ist,  dass 


j'm+(^:n"^ 


durch  die  Fläche  T  erstreckt  endlich  bleibt,  wie  z.  B.  wenn  y  in  der 
Umgebung  eines  Punktes  im  Abstände  r  von  demselben  =  ( —  logrj* 
und  0  <C  i  <  i  ist.  Zur  Abkürzung  mögen  hier  die  Functionen,  in 
welche  A  unbeschadet  der  Endlichkeit  von  Sl  (cc  —  Aj  übergehen  kann, 
unstetig  von  der  ersten  Art,  die  Functionen,  für  welche  dies  nicht 
möglich  ist,  unstetig  von  der  zweiten  Art  genannt  werden.  Denkt  man 
sich  nun  in  £1  («  —  ^)  für  ^  alle  stetigen  oder  von  der  ersten  Art 
unstetigen  Functionen  gesetzt,  welche  an  der  Grenze  verschwinden,  so 
erhält  dies  Integral  immer  einen  endlichen,  aber  seiner  Natur  nach  nie 
einen  negativen  Werth,  und  es  muss  daher  wenigstens  einmal,  für 
a  —  fi  =  ti,  ein  Minimumwerth  eintreten,  so  dass  5i  für  jede  Function 
cc  —  /i,  die  unendlich  wenig  von  u  verschieden  ist,  grösser  als  il{i() 
wird. 

Bezeichnet  daher  ö  eine  beliebige  stetige  oder  von  erster  Art  un- 
stetige Function  des  Orts  in  der  Fläche  T,  die  an  der  Grenze  allent- 
halben gleich  0  ist,  und  h  eine  von  x,  y  unabhängige  Grösse,  so  muss 
§l{u-\-h(5)  sowohl  für  ein  positives,  als  für  ein  negatives  hinreichend 
kleines  h  grösser  als  ü  (</)  werden,  und  daher  in  der  Entwicklung 
dieses  Ausdrucks  nach  Potenzen  von  Ji  der  Coefficient  von  li  ver- 
schwinden.    Ist  dieser  0,  so  ist 

ß  («  +  ha)  =  Sl  («)  +  l>'J'{0  +  (^_"))  äT 

und  folglich  Sl  immer  ein  Minimum.  Das  Minimum  tritt  nur  für  eine 
einzige  Function  u  ein;  denn  fände  auch  ein  Minimum  für  n  -\-  a 
statt,  so  könnte  Sl  (n  -{-  ö)  nicht  >  Sl(^u)  sein,  weil  sonst 

Sl  (w  +  ha)  <  Sl  (u  +  ö) 

für  /i  <  1  würde;  also  könnte  Sl  (u  -(-  ö)  nicht  kleiner  als  die  an- 
liegenden Werthe  sein.  Ist  aber  Sl  (u  +  (?)==  ü  (w),  so  muss  ö  constant, 
also   da  es   in  der  Begrenzung  0  ist,   überall  0   sein.     Es   wird  daher 


92  Vf.     Theorie  der  Abersclien  Functionen. 

nur  für  eine  einzige  Function  u  das  Integral  il  ein  Minimum  und  die 
Variation  erster  Ordnung  oder  das /^  proportionale  Glied  in  i>l((ii -\-ha), 

J  \V^v         dy)  dx    '     \dy    '     dxjcy) 

Aus^  dieser  Gleichung  folgt,  dass  das  Integral 

durch  die  ganze  Begrenzung  eines  Theils  der  Fläche  T  erstreckt  stets 
=  0  ist.  Zerlegt  man  nun  (nach  der  vorhergehenden  Abhandlung)  die 
Fläche  T,  wenn  sie  eine  mehrfach  zusammenhängende  ist^  in  eine  ein- 
fach zusammenhängende  T,  so  liefert  die  Integration  durch  das-  Innere 
von  T  von  einem  festen  Anfangspunkte  bis  zum  Punkte  {x,  y)  eine 
Function  von  x,  y, 

--/((l^  +  S'^^+fö-S^^) +  --*•' 

welche  in  T'  überall  stetig  oder  unstetig  von  der  ersten  Art  ist  und 
sich  beim  Ueber schreiten  der  Querschnitte  um  endliche  von  einem 
Knotenpunkte  des  Schnittnetzes  zum  andern  constante  Grössen  ändert. 
Es  genügt  dann  v  =  ß  —  v  den  Gleichungen 

dv  du       dv  du      ' 

dx  ~dy^      dy        dx' 

und  folglich  ist  ii  -{-  vi  eine  Lösung  der  Differentialgleichung 

d  {u-\-vi)  .  d  {u-\-vi)   __ 

öy  ex 

oder  eine  Function  von  x  +  yi. 

Man  erhält  auf  diesem  Wege  den  in  der  erwähnten  Abhandlung 
Art.  18  ausgesprochenen  Satz: 

Ist  in  einer  zusammenhängenden  durch  Querschnitte  in  eine  einfacli 
zusammenhängende  T  zerlegten  Fläche  T  eine  complexe  Function  a  +  ßi 
von  X,  y  gegeben,  für  welche 

/((lf-«)'+(|f+av^ 

durch  die  ganze  Fläche  ausgedehnt  einen  endlichen  Werth  hat,  so  Jcann 
sie  immer  und  nur  auf  Eine  Art  in  eine  Function  von  x  +  yi  ^^- 
wandelt  werden  durch  Subtraction  einer  Function  ^-\-vi  von  x,y,  welche 
folgenden  Bedingungen  genügt: 

1)  ft  ist  am  Bande  ==  0  oder  doch  nur  in  einzelnen  Bunhten  davon 
verschieden,  v  in  Einem  B unkte  heliebig  gegeboi. 


VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen.  93 

2)  Die  Anidcrungcn  von  ^  sind  in  T,  von  v  in  T'  nur  in  einzelnen 
FunMen  und  nur  so  unstetig,  dass 


nnd 


durch  die  ganze  Fläche  erstreckt,  endlich  bleiben,  und  letztere  längs  der 
Querschnitte  beiderseits  gleich. 

Wenn  die  Function  a-\-ßi,  wo  ihre  Differentialquotienten  unend- 
lich werden,  unstetig  wird,  wie  eine  gegebene  dort  unstetige  Function 
von  X  +  yij  und  keine  durch  eine  Abänderung  ihres  Werthes  in  einem 
einzelnen  Punkte  hebbare  Unstetigkeit  besitzt,  so  bleibt  Sl(a)  endlich, 
und  es  wird  ^-{-vi  in  T'  allenthalben  stetig.  Denn  da  eine  Function 
von  X  -\-  y  i  gewisse  Unstetigkeiten,  wie  z.  B.  Unstetigkeiten  erster  Art, 
gar  nicht  annehmen  kann  (Meine  Diss.  Art.  12),  so  muss  die  Differenz 
zweier  solcher  Functionen  stetig  sein,  sobald  sie  nicht  von  der  zweiten 
Art  unstetig  ist. 

Nach  dem  eben  bewiesenen  Satze  lässt  sich  daher  eine  Function 
von  x-\-yi  so  bestimmen,  dass  sie  im  Innern  von  T,  von  der  Un- 
stetigkeit des  imaginären  Theils  in  den  Querschnitten  abgesehen,  ge- 
gebene Unstetigkeiten  annimmt,  und  ihr  reeller  Theil  an  der  Grenze 
einen  dort  allenthalben  beliebig  gegebenen  Werth  erhält;  wenn  nur 
für  jeden  Punkt,  wo  ihre  Differentialquotienten  unendlich  werden  sollen, 
die  vorgeschriebene  Unstetigkeit  die  einer  gegebenen  dort  unstetigen 
Function  von  x  +  yi  ist.  Die  Bedingung  an  der  Grenze  kann  man, 
wie  leicht  zu  sehen,  ohne  eine  wesentliche  Aenderung  der  gemachten 
Schlüsse  durch  manche  andere  ersetzen. 

4.     Theorie  der  Abel'schen  Functionen. 

In  der  folgenden  Abhandlung  habe  ich  die  Abel'schen  Functionen 
nach  einer  Methode  behandelt,  deren  Principien  in  meiner  Inaugural- 
dissertation*) aufgestellt  und  in  einer  etwas  veränderten  Form  in  den 
drei  vorhergehenden  Aufsätzen  dargestellt  worden  sind.  Zur  Erleich- 
terung der  Uebersicht  schicke  ich  eine  kurze  Inhaltsangabe  vorauf. 

Die  erste  Abtheilung  enthält  die  Theorie  eines  Systems  von  gleich- 
verzweigten algebraischen  Functionen  und  ihren  Integralen,  soweit  für 
dieselbe  nicht  die  Betrachtung  von  'S- -Reihen  massgebend  ist,  und  han- 


*)  Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie  der  Functionen   einer  veränder- 
lichen complexen  Grösse.     Göttingen  1851. 


94  VI.     Theorie  der  Aberschcn  Functioueii. 

clelt  im  §.  1 — 5  von  der  Bestimmung  dieser  Functionen  durch  ihre 
Verzweigungsart  und  ihre  Unstetigkeiten^  im  §.  6  — 10  von  den  ratio- 
nalen Ausdrücken  derselben  in  zwei  durch  eine  algebraische  Gleichung 
verknüpfte  veränderliche  Grössen^  und  im  §.  11  — 13  von  der  Trans- 
formation dieser  Ausdrücke  durch  rationale  Substitutionen.  Der  hei 
dieser  Untersuchung  sich  darbietende  Begriff  einer  Klasse  von  algebrai- 
schen Gleichungen,  welche  sich  durch  rationale  Substitutionen jn  einan- 
der transformiren  lassen,  dürfte  auch  für  andere  Untersuchungen  wichtig 
und  die  Transformation  einer  solchen  Gleichung  in  Gleichungen  niedrig- 
sten Grades  ihrer  Klasse  (§.  13)  auch  bei  anderen  Gelegenheiten  von 
Nutzen  sein.  Diese  Abtheilung  behandelt  endlich  im  §.  14 — IG  zur 
Vorbereitung  der  folgenden  die  Anwendung  des  AbeTschen  Additions- 
theorems für  ein  beliebiges  System  allenthalben  endlicher  Integrale  von 
gleichverzweigten  algebraischen  Functionen  zur  Integration  eines  Systems 
von  Differentialgleichungen. 

In  der  zweiten  Abtheilung  werden  für  ein  beliebiges  System  von 
immer  endlichen  Integralen  gleichverzweigter,  algebraischer,  2p +1  fach 
zusammenhängender  Functionen  die  Jacobi'schenUmkehrungsfunctionen 
von  p  veränderlichen  Grössen  durch  pfach  unendliche  i^Reihen  aus- 
gedrückt, d.  h.  durch  Reihen  von  der  Form 


%'{t\,  v^,  ...,  Vp)  =  (  V  l  e 


p   (  2;  j    ü/^, ,  i^i'  mfi  m     +2  Hv^,  Wu 

■ —  CO 

worin  die  Summationen  im  Exponenten  sich  auf  ^  und  ^\  die  äusseren 
Summationen  auf  m^,  m^,  ...,  mp  beziehen.  Es  ergiebt  sich,  dass  zur 
allgemeinen  Lösung  dieser  Aufgabe  eine  —  wenn  p  >  3  specielle  — 

Gattung    von    0-- Reihen    ausreicht,    in    denen    zwischen    den  '^—^— 

Grössen  a   —  ~  ^  ß-—-      Relationen    stattfinden,    so    dass   nur   32?  —  3 
1 .  ^ 

willkürlich  bleiben.  Dieser  Theil  der  Abhandlung  bildet  zugleich  eine 
Theorie  dieser  speciellen  Gattung  von  '9'- Functionen;  die  allgemeinen 
'^-Functionen  bleiben  hier  ausgeschlossen,  lassen  sich  jedoch  nach  einer 
ganz  ähnlichen  Methode  behandeln. 

Das  hier  erledigte  Jacob i'sche  Umkehrungsproblem  ist  für  die 
hyperelliptischen  Integrale  schon  auf  mehreren  Wegen  durch  die  be- 
harrlichen mit  so  schönem  Erfolge  gekrönten  Arbeiten  von  Weierstrass 
gelöst  worden,  von  denen  eine  Uebersicht  im  47.  Bande  des  Journ. 
für  Mathm.  (S.  289)  mitgetheilt  worden  ist.  Es  ist  jedoch  bis  jetzt 
nur  von  dem  Theile  dieser  Arbeiten,  welcher  in  den  §§.  1  und  2  und 
der  ersten  die  elliptischen  Functionen  betreffenden  Hälfte  des  §.  3  der 


VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen.  95 

angeführten  Abhandlung  skizzirt  wird,  die  wirkliche  Ausführung  ver- 
öffentlicht (Bd.  52,  S.  285  d.  Journ.  f.  Math.);  in  wie  weit  zwischen 
den  späteren  Theilen  dieser  Arbeiten  und  meinen  hier  dargestellten 
eine  Uebereinstimmung  nicht  bloss  in  Resultaten^  sondern  auch  in  den 
zu  ihnen  führenden  Methoden  stattfindet,  wird  grossentheils  erst  die 
versprochene  ausführliche  Darstellung  derselben  ergeben  können. 

Die  gegenwärtige  Abhandlung  bildet  mit  Ausnahme  der  beiden 
letzten  §§.  2G  und  21,  deren  Gegenstand  damals  nur  kurz  angedeutet 
werden  konnte,  einen  Auszug  aus  einem  Theile  meiner  von  Michaelis 
1855  bis  Michaelis  1856  zu  Göttingen  gehaltenen  Vorlesungen.  Was 
die  Auffindung  der  einzelnen  Resultate  betrifft,  so  wurde  ich  auf  das 
im  §.  1  —  5,  9  und  12  Mitgetheilte  und  die  dazu  nöthigen  vorbereiten- 
den Sätze,  welche  später  Behufs  der  Vorlesungen  so,  wie  es  in  dieser 
Abhandlung  geschehen  ist^  weiter  ausgeführt  wurden,  im  Herbste  1851 
und  zu  Anfang  1852  durch  Untersuchungen  über  die  confornie  Ab- 
bildung mehrfach  zusammenhängender  Flächen  geführt,  ward  aber  dann 
durch  einen  andern  Gegenstand  von  dieser  Untersuchung  abgezogen. 
Erst  um  Ostern  1855  wurde  sie  wieder  aufgenommen  und  in  den 
Oster-  und  Michaelisferien  jenes  Jahres  bis  zu  §.21  incl.  fortgeführt; 
das  Uebrige  wurde  bis  Michaelis  1850  hinzugefügt.  Einzelne  ergän- 
zende Zusätze  sind  an  manchen  Stellen  während  der  Ausarbeitung 
liinzugekommen. 

Erste  Albtheiliiii^. 

1. 

Ist  s  die  Wurzel  einer  irreductibeln  Gleichung  nien  Grades,  deren 
Coefficienten  ganze  Functionen  mten  Grades  von  z  sind,  so  entsprechen 
jedem  Werthe  von  2  n  Werthe  von  s,  die  sich  mit  z  überall,  wo  sie 
nicht  unendlich  werden,  stetig  ändern.  Stellt  man  daher  (nach  S.  83) 
die  Verzweigungsart  dieser  Function  durch  eine  in  der  ,:-Ebene  aus- 
gebreitete unbegrenzte  Fläche  T  dar,  so  ist  diese  in  jedem  l^ieile  der 
Ebene  nfach,  und  s  ist  dann  eine  einwerthige  Function  des  Orts  in 
dieser  Fläche.  Eine  unbegrenzte  Fläche  kann  entweder  als  eine  Fläche 
mit  unendlich  weit  entfernter  Begrenzung  oder  als  eine  geschlossene 
angesehen  werden,  und  Letzteres  soll  bei  der  Fläche  7'  geschehen,  so 
dass  dem  Werthe  .z  =  (x>  in  jedem  der  )i  Blätter  der  Fläche  Ein 
Funkt  entspricht,  wenn  nicht  etwa  für  z  =  (x>  eine  Verzweigung  statt- 
findet. 

Jede  rationale  Function  von  s  und  ,:  ist  offenbar  ebenfalls  eine 
einwerthige  Function   des  Orts   in   der  Fläche  T  und   besitzt  also  die- 


9G  Vr.     Theorie  der  AbeFscheu  Functionen. 

selbe  Verzweigungsart  wie  die  Function  s,  und  es  wird  sich  unten 
ergeben^  dass  auch  das  Umgekehrte  gilt. 

Durch  Integration  einer  solchen  Function  erhält  man  eine  Function^ 
deren  verschiedene  Fortsetzungen  für  denselben  Theil  der  Flüche  T 
sich  nur  um  Constanten  unterscheiden,  da  ihre  Derivirte  für  denselben 
Punkt  dieser  Fläche  immer  denselben  Werth  wieder  annimmt. 

Ein  solches  System  von  gleichverzweigten  algebraischen  Functionen 
und  Integralen  dieser  Functionen  bildet  zunächst  den  Gegenstand  un- 
serer Betrachtung;  statt  aber  von  diesen  Ausdrücken  dieser  Functionen 
auszugehen,  werden  wir  sie  mit  Anwendung  des  Dirichl  et 'sehen 
Princips  (S.  92)  durch  ihre  Unstetigkeiten  definiren. 

2. 

Zur  Vereinfachung  des  Folgenden  heisse  eine  Function  für  einen 
PunJä  der  Fläche  T  unendlich  Mein  von  der  ersten  Ordming,  wenn  ihr 
Logarithmus  bei  einem  positiven  Umlaufe  um  ein  diesen  Punkt  um- 
gebendes Flächenstück,  ili  welchem  sie  endlich  und  von  Null  ver- 
schieden bleibt,  um  2;r^  wächst.  Es  ist  demnach  für  einen  Punkt, 
um  den  die  Fläche  T  sich  ^  mal  windet,  wenn  dort  ,0  einen  endlichen 

Werth  a  hat,  (-e  —  a)'",  also  {dzy\  wenn  aber  ,2^=00,  (--)     unendlich 

klein  von  der  ersten  Ordnung.  Der  Fall,  wo  eine  Function  in  einem 
Punkte  der  Fläche  T  unendlich  klein  oder  unendlich  gross  von  der 
^'ten  Ordnung  wird,  kann  so  betrachtet  werden,  als  wenn  die  Function 
in  V  dort  zusammenfallenden  (oder  unendlich  nahen)  Punkten  unend- 
lich klein  oder  unendlich  gross  von  der  ersten  Ordnung  wird,  wie  in 
der  Folge  bisweilen  geschehen  soll. 

Die  Art  und  Weise,  wie  jene  hier  zu  betrachtenden  Functionen 
unstetig  werden,  kann  dann  so  ausgedrückt  werden.  Wird  eine  von 
ihnen  in  einem  Punkte  der  Fläche  T  unendlich,  so  kann  sie,  wenn  r 
eine  beliebige  Function  bezeichnet,  die  in  diesem  Punkte  unendlich 
klein  von  der  ersten  Ordnung  wird,  stets  durch  Subtraction  eines  end- 
lichen Ausdrucks  von  der  Form 

Ä\ogr-\-  Br-''  -\-Cr~^  +'" 

in   eine   dort   stetige   verwandelt  werden,   wie   sich  aus  den  bekannten 

—  nach  Cauchy  oder  durch  die  Fourier'sche  Reihe  zu  beweisenden 

—  Sätzen  über  die  Entwicklung  einer  Function  in  Potenzreihen  ergiebt. 


VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen.  97 

3. 

Man  denke  sich  jetzt  eine  in  der  ,?- Ebene  allenthalben  nfach  aus- 
gebreitete unbegrenzte  und  nach  dem  Obigen  als  geschlossen  zu  be- 
trachtende zusammenhängende  Fläche  T  gegeben  und  diese  in  eine 
einfach  zusammenhängende  T  zerschnitten.  Da  die  Begrenzung  einer 
einfach  zusammenhängenden  Fläche  aus  Einem  Stücke  besteht,  eine 
geschlossene  Fläche  aber  durch  eine  ungerade  Anzahl  von  Schnitten 
eine  gerade  Zahl  von  Begrenzungsstücken,  durch  eine  gerade  eine  un- 
gerade erhält,  so  ist  zu  dieser  Zerschneidung  eine  gerade  Anzahl  von 
Schnitten  erforderlich.  Die  Anzahl  dieser  Querschnitte  sei  =  2p.  Die 
Zerschneidung  werde  zur  Vereinfachung  des  Folgenden  so  ausgeführt, 
dass  jeder  spätere  Schnitt  von  einem  Punkte  eines  früheren  bis  zu 
dem  anstossenden  Punkte  auf  der  andern  Seite  desselben  geht:  wenn 
sich  dann  eine  Grösse  längs  der  ganzen  Begrenzung  von  T  stetig 
ändert  und  im  ganzen  Schnittsysteme  zu  beiden  Seiten  gleiche  Aende- 
rungen  erleidet,  so  ist  die  Differenz  der  beiden  Werthe,  die  sie  in 
demselben  Punkte  des  Schnittnetzes  annimmt,  in  allen  Theilen  Eines 
Querschnitts  derselben  Constanten  gleich. 

Man  setze  nun  z  =  x-\-yl  und  nehme  in  T  eine  Function  a-\-  ßi 
von  Xj  y  folgendermassen  an: 

In  der  Umgebung  der  Punkte  t^,  f^?  •••  bestimme  man  sie  gleich 
gegebenen  in  diesen  Punkten  unendlich  werdenden  Functionen  von 
x-{-yij  und  zwar  um  £,;  indem  man  eine  beliebige  Function  von  z, 
die  in  6v  unendlich  klein  von  der  ersten  Ordnung  wird,  durch  r,,  be- 
zeichnet, gleich  einem  endlichen  Ausdrucke  von  der  Form 

worin  Ay,  By,  Cv,...  willkürliche  Constanten  sind.  Man  ziehe  ferner 
nach  einem  beliebigen  Punkte  von  allen  Punkten  f,  für  welche  die 
Grösse  A  von  Null  verschieden  ist,  einander  nicht  schneidende  Linien 
durch  das  Innere  von  T' j  von  £,  die  Linie  ly.  Man  nehme  endlich 
die  Function  in  der  ganzen  noch  übrigen  Fläche  T  so  an,  dass  sie 
ausser  den  Linien  /  und  den  Querschnitten  überall  stetig,  auf  der  posi- 
tiven (linken)  Seite  der  Linie  /,-  um  — 2jitAr  und  auf  der  positiven 
Seite  des  i/ten  Querschnitts  um  die  gegebene  Constante  ¥^^  grösser  ist, 
als  auf  der  andern,  und  dass  das  Integral 

durch,  die  Fläche  T  ausgedehnt  einen  endlichen  Werth  erhält.  Dies 
ist  wie  leicht  zu  sehen  immer  möglich,  wenn  die  Summe  sämmtlicher 

Riemann's  gesannnplte  mathematische  Wi^rke.     I.  7 


98  VT.     Theorie  der  Aberschen  Functionen. 

Grössen  A  gleich  Null  ist,  aber  auch  nur  unter  dieser  Bedingung,  weil 
nur  dann  die  Function  nach  einem  Umlaufe  um  das  System  der  Linien 
/  den  vorigen  Werth  wieder  annehmen  kann. 

Die  Constanten  ¥^\  W\  ...,  Wi'\  um  welche  eine  solche  Function  auf 
der  positiven  Seite  der  Querschnitte  grösser  ist,  als  auf  der  andern, 
sollen  die  Feriodicitätsmoduln  dieser  Function  genannt  werden. 

Nach  dem  Dirichlet'schen  Princip  kann  nun  die  Function  a-\-ßi 
in  eine  Function  «  von  x  -f-  yi  verwandelt  werden  durch  Subtraction 
einer  ähnlichen  in  T  allenthalben  stetigen  Function  von  x,  y  mit  rein 
imaginären  Periodicitätsmoduln,  und  diese  ist  bis  auf  eine  additive 
Constante  völlig  bestimmt.  Die  Function  a  stimmt  dann  mit  a-\-ßi 
in  den  ünstetigkeiten  im  Innern  von  T  und  in  den  reellen  Theilen 
der  Periodicitätsmoduln  über  ein.  Für  o  können  daher  die  Functionen 
cpr  und  die  reellen  Theile  ihrer  Periodicitätsmoduln  willkürlich  gegeben 
werden.  Durch  diese  Bedingungen  ist  sie  bis  auf  eine  additive  Con- 
stante völlig  bestimmt,  folglich  auch  der  imaginäre  Theil  ihrer  Perio- 
dicitätsmoduln. 

Es  wird  sich  zeigen,  dass  diese  Function  ca  sämmtliche  im  §.  1 
bezeichneten  Functionen  als  specielle  Fälle  unter  sich  enthält. 

4. 

Allenthalben  endliche  Functionen  cd.   (Integrale  erster  Gattung.) 

Wir  wollen  jetzt  die  einfachsten  von  ihnen  betrachten  und  zwar 
zuerst  diejenigen,  die  immer  endlich  bleiben  und  also  im  Innern  von 
T'  allenthalben  stetig  sind.  Sind  tv^^  tv^j  ...,  iVp  solche  Functionen, 
so  ist  auch 

IV  =  «1  iv^  -\-  a^  u\^  -\-  "  •  -\-  ap  tVp  -\-  const., 

worin  a^,  «g,  ...,  ccp  beliebige  Constanten  sind,  eine  solche  Function. 
Es  seien  die  Periodicitätsmoduln  der  Functionen  ii\,  tt\^,  . . .,  tVp  für  den 
i/ten  Querschnitt  M  ,  ^2\  ■-•,  ^4  •     -^^^  Periodicitätsmodul    von   tv  für 

diesen   Querschnitt  ist   dann   a^  M"^^  +  «2  ^'^^  ~\ \-  (^p  ^^J   ==  ^    ]  und 

setzt  man  die  Grössen  a  in  die  Form  y  -\-  äi,  so  sind  die  reellen 
Theile  der  2j9  Grössen  ¥^^,  ¥'^\  ...,  h'^^^  lineare  Functionen  der  Grössen 
7i7  ?^2?  •••;  yp7  ^1?  ^2)  •••;  ^j"  Wenn  nun  zwischen  den  Grössen  ti\, 
W2,  . . .,  Wp  keine  lineare  Gleichung  mit  constanten  Coefficienten  statt- 
findet, so  kann  die  Determinante  dieser  linearen  Ausdrücke  nicht  ver- 
schwinden; denn  es  Hessen  sich  sonst  die  Verhältnisse  der  Grössen  a 
so  bestimmen,  dass  die  Periodicitätsmoduln  des  reellen  Theils  von  iv 
sämmtlich  0  würden,  folglich  der  reelle  Theil  von  tv  und  also  auch  tv 


I 


VI.     Theorie  der  Abel'schen  Functionen.  99 

selbst  nach  dem  Dirichlet'schen  Princip  eine  Constante  sein  müsste. 
Es  können  daher  dann  die  2p  Grössen  y  und  d  so  bestimmt  werden, 
dass  die  reellen  Theile  der  Periodicitätsmoduln  gegebene  Werthe  er- 
halten*, und  folglich  kann  tv  jede  immer  endlich  bleibende  Function  0 
darstellen,  wenn  ti\,  w^y  ...,  iv^  keiner  linearen  Gleichung  mit  con- 
stanten  Coefficienten  genügen.  Diese  Functionen  lassen  sich  aber 
immer  dieser  Bedingung  gemäss  wählen^  denn  so  lange  ii<Cp,  finden 
zwischen  den  Periodicitätsmoduln  des  reellen  Theils  von 

«1  tv^  -\-  «2  ^^'2  +  •••  +  «/*  ^^>  +  const. 

lineare  Bedingungsgleichungen  statt;  es  ist  daher  '^^7/  + 1  nicht  in  dieser 
Form  enthalten,  wenn  man,  was  nach  dem  Obigen  immer  möglich  ist, 
die  Periodicitätsmoduln  des  reellen  Theils  dieser  Function  so  bestimmt, 
dass  sie  diesen  Bedingungsgleichungen  nicht  genügen. 

Functionen  co,  die  für  einen  Funlct  der  Fläche  T  unendlicli 
von  der  ersten  Ordnung  iverden.     (Integrale  zive'der  Gattung.) 

Es  sei  CO  nur  für  einen  Punkt  e  der  Fläche  T  unendlich,  und  für 
diesen  seien  alle  Coefficienten  in  9  ausser  B  gleich  0.  Eine  solche 
Function  ist  dann  bis  auf  eine  additive  Constante  bestimmt  durch  die 
Grösse  B  und  die  reellen  Theile  ihrer  Periodicitätsmoduln.  Bezeichnet 
t^  {b)  irgend  eine  solche  Function,  so  können  in  dem  Ausdrucke 

t{E)  =  ß  t^  (e)  +  a^  u\  +  a.,  tv._,  -\ 1-  «^  tVp  +  const. 

die  Constanten  ß,  a^,  a.,^  . . .,  ap  immer  so  bestimmt  werden,  dass  für 
ihn  die  Grösse  B  und  die  reellen  Theile  der  Periodicitätsmoduln  be- 
liebig gegebene  Werthe  erhalten.  Dieser  Ausdruck  stellt  also  jede 
solche  Function  dar. 

Functionen  co,  ivclche  für  zwei  Punlte  der  Fläche  T  loga- 
rithmisch unendlich  iverden.     (Integrale  dritter  Gattung.) 

Betrachten  wir  drittens  den  Fall,  wo  die  Function  co  nur  loi^fa- 
rithmisch  unendlich  wird,  so  muss  dies,  da  die  Summe  der  Grössen  A 
gleich  0  sein  muss,  wenigstens  für  zwei  Punkte  der  Fläche  T,  6^  und  f^, 
geschehen  und  Ä.^  =  —  A^  sein.  Ist  von  den  Functionen,  bei  denen 
dies  statt  hat  und  die  beiden  letztern  Grössen  =  1  sind,  irgend  eine 
^^(^u  ^2)7  so  sind  nach  ähnlichen  Schlüssen,  wie  oben,  alle  übrigen 
in  der  Form 

■^  (^o  ^2)  =  '^^(«i;  ^2)  +  «1  ^''1  +  «2  ^^*2  H h  «/>  ^0'  +  const. 

enthalten. 

7* 


100  VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen. 

Für  die  folgenden  Bemerkungen  nehmen  wir  zur  Vereinfachung 
an,  dass  die  Punkte  e  keine  Verzweigungspunkte  sind  und  nicht  im 
Unendlichen  liegen.  Man  kann  dann  r,.  =  2  —  <^v  setzen,  indem  man 
durch  5",  den  Werth  von  s  in  f ,.  bezeichnet.  Wenn  man  dann  to  (s^,  f ^) 
so  nach  ^'^  dififerentiirt ,  dass  die  reellen  Theile  der  Periodicitätsmoduln 
(oder  auch  p  von  den  Periodicitätsmoduln)  und  der  Werth  von  'oT  (f^,  s.^ 
für  einen  beliebigen  Punkt  der  Fläche  T  constant  bleiben,   so   erhält 

man  eine  Function  t(s^)j  die  in  f^  unstetig  wie  737-  wird.  Umgekehrt 
ist,  wenn  t{sj)  eine  solche  Function  ist,     1  t{£j)  dz^,   durch  eine  be- 

liebige  in  T  von  ^^  ß^ch  £3  führende  Linie  genommen,  gleich  einer 
Function  oT  (f^,  £3).  Auf  ähnliche  Art  erhält  man  durch  n  successive 
Differentiationen  eines  solchen  t{a^  nach  z^  Functionen  o,  welche  im 
Punkte  £^  wie  n!  (^  — ^i)~"~^  unstetig  werden  und  übrigens  endhch 
bleiben. 

Für  die  ausgeschlossenen  Lagen  der  Punkte  £  bedürfen  diese  Sätze 
einer  leichten  Modification. 

Offenbar  kann  nun  ein  mit  constanten  Coefficienten  aus  Functionen 
iVy  aus  Functionen  'co  und  ihren  Derivirten  nach  den  Unstetigkeits- 
werthen  gebildeter  linearer  Ausdruck  so  bestimmt  werden,  dass  er  im 
Innern  von  T  beliebig  gegebene  Unstetigkeiten  von  der  Form,  wie  o, 
erhält,  und  die  reellen  Theile  seiner  Periodicitätsmoduln  beliebig  ge- 
gebene Werthe  annehmen.  Durch  einen  solchen  Ausdruck  kann  also 
jede  gegebene  Function  co  dargestellt  werden. 

5. 

Der  allgemeine  Ausdruck  einer  Function  «,  die  für  m  Punkte  der 
Fläche  T,  fi,  f27  •••;  ^m  unendlich  gross  von  der  ersten  Ordnung  wird, 
ist  nach  dem  Obigen 

S  =  ßJl  +  kh-i h  ßra  t.a  +  «i  ^i  +  «2  ^2  H h  «i>  ^^i>  +  COUst., 

worin  U  eine  beliebige  Function  t{£,)  und  die  Grössen  a  und  ß  Con- 
stanten sind.  Wenn  von  den  m  Punkten  £  eine  Anzahl  q  in  denselben 
Punkt  7]  der  Fläche  T  zusammenfallen,  so  sind  die  ^*  diesen  Punkten 
zugehörigen  Functionen  t  zu  ersetzen  durch  eine  Function  t  {rf)  und 
deren  Q  —  1  erste  Derivirte  nach  ihrem  Unstetigkeitswerthe  (§.  2). 

Die  2p  Periodicitätsmoduln  dieser  Function  5  sind  lineare  homogene 
Functionen  der  p  +  m  Grössen  a  und  ß.  Wenn  w>j)+l,  lassen 
sich  also  2p  von  den  Grössen  a  und  ß  als  lineare  homogene  Functionen 
der  übrigen  so  bestimmen,  dass   die  Periodicitätsmoduln  sämmtlich  0 


VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen.  101 

werden.  Die  Function  enthält  dann  iiocli  m  ~  p  -\-  1  willkürliche  Con- 
stanten, von  denen  sie  eine  lineare  homogene  Function  ist,  und  kann 
als  ein  linearer  Ausdruck  von  m  — p  Functionen  betrachtet  werden, 
deren  jede  mir  für  i:>  +  1  Wertlie  unendlich  von  der  ersten  Ordnung 
wird. 

Wenn  m=p  -\-  1  ist,  so  smd  die  Verhältnisse  der  2j)  +  1  Grössen 
a  und  ß  bei  jeder  Lage  der  p  -f-  1  Punkte  e  völlig  bestimmt.  Es 
können  jedoch  für  besondere  Lagen  dieser  Punkte  einige  der  Grössen 
ft  gleich  0  werden.  Die  Anzahl  dieser  Grössen  sei  =  m  —  ^,  so  dass 
die  Function  nur  für  ^  Punkte  unendlich  von  der  ersten  Ordnung  wird. 
Diese  ^  Punkte  müssen  dann  eine  solche  Lage  haben,  dass  von  den 
2p  Bedingungsgleichungen  zwischen  den  i^  +  |u.  übrigen  Grössen  ß  und  a 
^)  -f-  1  —  ^  eine  identische  Folge  der  übrigen  sind,  und  es  können 
daher  nur  2^ — p — 1  von  ihnen  beliebig  gewählt  werden.  Ausserdem 
enthält  die  Function  noch  2  willkürliche  Constanten. 

Es  sei  nun  s  so  zu  bestimmen,  dass  ft  möglichst  klein  wird.  Wenn  s 
|Ltmal  unendlich  von  der  ersten  Ordnung  wird,  so  ist  dies  auch  mit 
jeder  rationalen  Function  ersten  Grades  von  s  der  Fall;  man  kann 
daher  für  die  Lösung  dieser  Aufgabe  einen  der  ^  Punkte  beliebig 
wählen.  Die  Lage  def  übrigen  muss  dann  so  bestimmt  werden,  dass 
p  -{-1  —  ft  von  den  Bedingungsgleichungen  zwischen  den  Grössen  a 
und  ß  eine  identische  Folge  der  übrigen  sind;  es  muss  also,  wenn 
die  Verzweigungswerthe  der  Fläche  T  nicht  besondern  Bedingungs- 
gleichungen genügen,  p-\-\  —  ^  ^  i^  —  1  oder  ft^  ^i?  +  1  sein. 

Die  Anzahl  der  in  einer  Function  s,  die  nur  für  7n  Punkte  der 
Fläche  T  unendlich  von  der  ersten  Ordnung  wird  und  übrigens  stetig 
bleibt,  enthaltenen  willkürlichen  Constanten  ist  in  allen  Fällen 
=  2m—p-\-l. 

Eine  solche  Function  ist  die  Wurzel  einer  Gleichung  n'""  Grades^ 
dere^i  Coefficienten  ganze  Functionen  m'^'*  Grades  von  s  sind. 

Sind  5i,  ^2,  ...,  Sn  die  n  Werthe  der  Function  s  für  dasselbe  z, 
und  bezeichnet  (5  eine  beliebige  Grösse,  so  ist  ((?  —  s^  {6  —  s^J-'-C^  —  ^n) 
eine  einwerthige  Function  von  z,  die  nur  für  einen  Punkt  der  ^-Ebene, 
der  mit  einem  Punkte  e  zusammenfällt,  unendlich  wird  und  unendlich 
von  einer  so  hohen"  Ordnung,  als  Punkte  s  auf  ihn  fallen.  In  der 
That  wird  für  jeden  auf  ihn  fallenden  Punkt  f ,  der  kein  Verzweigungs- 
punkt ist,  nur  ein  Factor  dieses  Products  von  einer  um  1  höheren- 
Ordnung   unendlich,   für   einen   Punkt   £,   um   den   die   Fläche   T  sich 

fimal   windet,    aber   [l  Factoren   von   einer   um   —    höheren   Ordnung. 

Bezeichnet  man   nun  die  Werthe  von  z  in  den  Punkten  f,  wo  z  nicht 


102  VI.     Theorie  der  Abel'sclien  Functionen. 

unendlich  ist,  durch  t^,  ^,,  . . .,  ?,■  und  (^  -  g^)  (^—^  ...  (^—^,,)  durch 
a-^^,  so  ist  0(^(0  —  Si)...(a  —  Sn)  eine  einwerthige  Function  von  s,  die 
für  alle  endlichen  Werthe  von  z  endlich  ist  und  für  ^==00  unendlich 
von  der  m*'"  Ordnung  wird,  also  eine  ganze  Function  m^'''  Grades  von  z. 
►Sie  ist  zugleich  eine  ganze  Function  n'^«  Grades  von  ö,  die  für  ö  =  s 
verschwindet.  Bezeichnet  man  sie  durch  F  und,  wie  wir  in  der  Fol<re 
thun  wollen,  eine  ganze  Function  F  n*"""  Grades  von  6  und  m^'"  Grades 

n     m  n     m 

von  z  durch  F  (0,  z),  so  ist  s  die  Wurzel  der  Gleichung  F  (s,  z)  =  0. 

Die  Function  F  ist  eine  Potenz  einer  un zerfällbaren  —  d.  h.  nicht 
als  ein  Product  aus  ganzen  Functionen  von  a  und  z  darstellbaren  — 
Function.  Denn  jeder  ganze  rationale  Factor  von  F  {a,  z)  bildet,  da 
er  für  einige  der  Wurzeln  s^,  s^,  ...,  Sn  verschwinden  niuss,  für  a  =  s 
eine  Function  von  z,  die  in  einem  Theile  der  Fläche  T  verschwindet 
und  folglich,  da  diese  Fläche  zusammenhängend  ist,  in  der  ganzen 
Fläche  0  sein  muss.  Zwei  unzerfällbare  Factoren  von  F  ((?,  z)  könnten 
aber  nur  für  eine  endliche  Anzahl  von  Werthenpaaren  zugleich  ver- 
schwinden, wenn  die  eine  nicht  durch  Multiplication  mit  einer  Con- 
stanten aus  der  andern  erhalten  werden  könnte.  Folglich  muss  F  eine 
Potenz  einer  unzerfällbaren  Function  sein. 

Wenn  der  Exponent  v  dieser  Potenz  >  1  ist,  so  wird  die  Ver- 
zweigungsart   der    Function    s   nicht    dargestellt    durch    die   Fläche   T, 

sondej-n  durch   eine  in   der  ^- Ebene   allenthalben  —fach   ausgebreitete 

Fläche  r,  in  welcher  die  Fläche  T  allenthalben  i'fach  ausgebreitet  ist. 
Es  kann  dann  zwar  s  als  eine  wie  T  verzweigte  Function  betrachtet 
werden,  nicht  aber  umgekehrt  T  als  verzweigt,  wie  s. 

Eine  solche  nur  in  einzelnen  Punkten  von  T  unstetige  Function, 
wie  5,  ist  auch  -j~.     Denn  diese  Function  nimmt  zu  beiden  Seiten  der 

Querschnitte  und  der  Linien  /  denselben  Werth  an,  da  die  Differenz 
der  beiden  Werthe  von  a  in  diesen  Linien  längs  denselben  constant 
ist-,  sie  kann  nur  unendlich  werden,  wo  o  unendlich  wird,  und  in  den 
Verzweigungspunkten  der  Fläche  und  ist  sonst  allenthalben  stetig,  da 
die  Derivirte  einer  einändrig  und  endlich  bleibenden  Function  ebenfalls 
einändrig  und  endlich  bleibt. 

Es  sind  daher  sämmtliche  Functionen  cj  algebraische  wie  T  ver- 
zweigte Functionen  von  z  oder  Integrale  solcher  Functionen.  Dieses 
System  von  Functionen  ist  bestimmt,  wenn  die  Fläche  T  gegeben  ist 
und  hängt  nur  von  der  Lage  ihrer  Verzweigungspunkte  ab. 


VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen,  103 

6. 

n    7« 

Es  sei  jetzt  die  irreductible  Gleichung  F  (s,  z)  =  i)  gegeben  und 
die  Art  der  Verzweigung  der  Function  s  oder  der  sie  darstellenden 
Fläche  T  zu  bestimmen.  Wenn  für  einen  Werth  ß  von  z  ^  Zweige 
der  Function  zusammenhängen/  so  dass  einer  dieser  Zweige  sich  erst 
nach  ft  Umläufen  des'^  um  ß  wieder  in  sich  selbst  fortsetzt,  so  können 
diese  ^  Zweige  der  Function  (wie  nach  Cauchy  oder  durch  die 
Fourier'sche  Reihe  leicht  bewiesen  werden  kann)  dargestellt  werden 
durch  eine  Reihe  nach  steigenden  rationalen  Potenzen  von  z  —  ß  mit 
Exponenten  vom  kleinsten  gemeinschaftlichen  Nenner  ^,  und  um- 
gekehrt. 

Ein  Punkt  der  Fläche  T,  in  welchem  nur  zwei  Zweige  einer 
Function  zusammenhängen,  so  dass  sich  um  diesen  Punkt  der  erste  in 
den  zweiten  und  dieser  in  jenen  fortsetzt,  heisse  ein  einfacJier  Ver- 
zivelgungsimnld. 

Ein  Punkt  der  Fläche,  um  welchen  sie  sich  ('fi+l)mal  windet, 
kann  dann  angesehen  werden  als  ^  zusammengefallene  (oder  unendlich 
nahe)  einfache  Verzweigungspunkte. 

Um  dies  zu  zeigen,  seien  in  einem  diesen  Punkt  umgebenden 
Stücke  der  ^-Ebene  s^,  s^,  . . .,  s^ij^i  einändrige  Zweige  der  Function  .s 
und  in  der  Begrenzung  desselben,  bei  positiver  Umschreibung  auf 
einander  folgend,  a^,  a^,  ...,  «^  einfache  Verzweigungspunkte.  Durch 
einen  positiven  Umlauf  um  a^  werde  .s^  mit  5^,  um  a.^  s^  üiit  s.^,  ..., 
um  «^  s^  mit  s^<_|_i  vertauscht.  Es  gehen  dami  nach  einem  positiven 
Umlaufe  um  ein  alle  diese  Punkte  (und  keinen  andern  Verzweigungs- 
punkt) enthaltendes  Gebiet 

in  §2,  ^3,  .  .  .,  5^,-1-1,  5i,  über, 

und  es  entsteht  daher,  wemi  sie  zusammenfallen,  ein  /iifacher  Windungs- 
punkt. 

Die  Eigenschaften  der  Functionen  a  hängen  wesentlich  davon  ab, 
wie  vielfach  zusammenhängend  die  Fläche  T  ist.  Um  dies  zu  ent- 
scheiden, wollen  wir  zunächst  die  Anzahl  der  einfachen  Verzweigungs- 
punkte der  Function  s  bestimmen. 

In  einem  Verzweigungspunkte  nehmen  die  dort  zusammenhängen- 
den Zweige  der  Function  denselben  Werth  an,  und  es  werden  daher 
zwei  oder  mehrere  Wurzeln  der  Gleichung 

F(s)  ==  (fo  s''  +  «1  s"-i  H h  ^«  =  ^ 

einander  gleich.     Dies  kann  nur  geschehen,  wemi 


104  VI.     Theorie  der  Aberscheii  Functionen. 

F'  {s)  =  «0  ns"-i  +  a^  n^^l\s'«-2  _| (_  ^^_^ 

oder  die  einwerthige  Function  von  z,  F' {s^)  F' (s^)  . ..  F' {Sy),  ver- 
schwindet. Diese  Function  wird  für  endliche  Werthe  von  z  nur  un- 
endlich, wenn  s  =  <^,  also  a^  ==  0  ist  und  muss,  um  endHch  zu  bleiben, 
mit  öfo"~^  multiplicirt  werden.  Sie  wird  dann  eine  einwerthige,  für 
ein  endliches  z  endliche  Function  von  z,  welche  .für  z  =  oo  unendlich 
von  der  2ni{n — l)ten  Ordnung  wird,  also  eine  ganze  Function 
2m{n  —  l)ten  Grades.  Die  Werthe  von  z,  für  welche  F' {s)  und  F{s) 
gleichzeitig  verschwinden,  sind  also  die  Wurzeln  der  Gleichung 
2m{n — l)ten  Grades 

Q{z)=%''-''nF'{si)  =  0  oder  auch,  da  F' {s^=a^n{Si  —  Si),  (i>i), 

i,  i' 

welche  durch  Elimination  von  s  aus  F'(s)  =  0  und  F(s)  =  0  gebildet 
werden  kann. 

Wird  F(s,z)==0  für  s  =  a,  z  =  ß,  so  ist 

+ , 

^  (*)  =  17  +  ^  (*-«>  +  ä?&   (^-^)  +  - 
Ist   also   für  {s  =  a.  z  =  S)  -—  =  0   und  verschwinden  -k-,  -^-7-   dann 

nicht,  so  wird  s — a  unendlich  klein,  wie  (z  —  ß)^,  und  findet  also  ein 
einfacher    Verzweigungspunkt    statt.       Es     werden    zugleich     in    dem 

Producte   TIJP' (5,)    zwei    Factoren    unendlich   klein    wie   (^  —  ß)^,  und 
t 

Q{z)   erhält   dadurch    den   Factor  {z  —  ß).     In    dem  Falle,    dass    -j- 

d^F  .  .         .  .  ■  dF 

und  -ö-2~  Jiiö  verschwinden,   wenn  gleichzeitig  F  =  0  und  -^ —   =  0 

werden,  entspricht  demnach  jedem  linearen  Factor  von  Q{z)  ein  ein- 
facher Verzweigungspunkt,  und  die  Anzahl  dieser  Punkte,  ist  also 
=  2m(n—l). 

Die  Lage  der  Verzweigungspunlde  hängt  von  den  Coefficienten 
der  Potenzen  von  z  in  den  Functionen  a  ab  und  ändert  sich  stetig  mit 
denselben. 

Wenn  diese  Coefficienten  solche  Werthe  annehmen,  dass  zwei 
demselben    Zweigepaar    angehörige    einfache    Verzweigungspunkte    zu- 


VI.     Theorie  der  AbeFschen  Functionen.  1U5 

sammenfallen,  so  heben  diese  sich  auf,  und  es  werden  zwei  Wurzeln 
von  i^Xcs)  einander  gleich,  ohne  dass  eine  Verzweigung  stattfindet. 
Setzt  sich  um  jeden  von  ihnen  s^  in  i^  und  Sg  in  s^  fort,  so  geht  durch 
einen  Umlauf  um  ein  beide  enthaltendes  Stück  der  ^- Ebene  s^  in  8, 
und  8.2  in  Sg  über,   und   beide  Z^reige  werden  einändrig,  wenn  sie  zu- 

ds      . 
sammenfallen.     Es   bleibt  dann   also  auch  ihre  Derivirte  -r^  einändrig 

und  endlich,   und  folglich  wird  p      =   —    j:   '      ^=  O, 


Wird  F  =  y-  =  ~^-  =  0  für  s==a,  '^  =  {^-,  so  ergeben  sich  aus 
den  drei  folgenden  Gliedern  der  Entwicklung  von  F{s^  z)  zwei  Werthe 
für  ^_a  =  -p,',  (s  =  a,  z  =  ß).  Sind  diese  Werthe  ungleich  und  end- 
lich, so  können  die  beiden  Zweige  der  Function  6',  denen  sie  angehören, 
dort  nich^  zusammenhängen  und  sich  nicht  verzweigen.    Es  wird  dann 

dF 

^    für  beide  unendlich  klein  wie  z — ß,  und  Q(z)  erhält  dadurch  den 

Factor  (z  —  ßf-^  es   fallen  also  nur  zwei  einfache  Verzweigungspunkte 
zusammen. 

Um  in  jedem  Falle,  wenn  für  z  =  ß  mehrere  Wurzeln  der  Gleichung 
_F(s)  =  0  gleich  a  werden,  zu  entscheiden,  wie  viele  einfache  Ver- 
zweigungspunkte für  (s  =  «,  z  =  ß)  zusammenfallen,  und  wie  viele  von 
diesen  sich  aufheben,  muss  man  diese  Wurzeln  (nach  dem  Verfahren 
von  Lagrange)  soweit  nach  steigenden  Potenzen  von  z  —  ß  entwickeln, 
bis  diese  Entwicklungen  sämmtlich  von  einander  verschieden  werden; 
wodurch  sich  die  wirklich  noch  stattfindenden  Verzweigungen  ergeben. 
Und  man  muss  dann  untersuchen,  von  welcher  Ordnung  F' (s)  für 
jede  dieser  Wurzeln .  unendlich  klein  wird,  um  die  Anzahl  der  ihnen 
zugehörigen  linearen  Factoren  von  Q(z)  oder  der  für  (s  =  a,  z  =  ß) 
zusammengefallenen  einfachen  Verzweigungspunkte  zu  bestimmen. 

Bezeichnet  die  Zahl  q,   wie  oft  sich  die  Fläche  T  um  den  Punkt 
(s,  z)  windet,  so  wird  im  Punkte  ( z)  F' (s)  so  oft  unendlich  klein  von 
der  ersten  Ordnung,  als  dort  einfache  Verzweigungspunkte  zusammen- 
fallen, dz      ?  so  oft,  als  deren  wirklich  stattfinden,  folglich  F'  {s)dz  ? 
so  oft,  als  von  ihnen  sich  aufheben. 

Ist  die  Anzahl  der  wirklich  stattfindenden  einfachen  Verzweigungen 
w,  die  Anzahl  der  sich  aufliebenden  2 r,  so  ist 

w  -{-  2r  =  2(w — l)m. 

Nimmt  man  an,  dass  die  Verzweigungspunkte  nur  paarweise  und  sich 
aufhebend  zusammenfallen,  so  ist  für  r  Werthenpaare  (6*  =  7^,,  z  =  $n) 


106  VI.     Theorie  der  Abel'schen  Functionen. 

^  dF  dF  ^         .    c-F    d'F  /d'FV 

.  jj   =  —-  =  ---^  =  0  und 


-V 


ds  dz  dz^      ds'^  ydsdz^ 

rF  ?^V 

nicht  Null  und   für  w  Werthenpaare  von  .s^  und  z  F  =  0,  ^~  =="  ^,  -^ 
nicht  Null  und  -^^^  nicht  Null. 

Wir  beschränken  uns  meistens  auf  die  Behandlung  dieses  Falles, 
da  sich  die  Resultate  auf  die  übrigen  als  Grenzfälle  desselben  leicht 
ausdehnen  lassen,  und  wir  können  dies  hier  um  so  mehr  thun,  da 
wir  die  Theorie  dieser  Functionen  auf  eine  von  der  Ausdrucksform 
unabhängige,  keinen  Ausnahmefällen  unterworfene  Grundlage  gestützt 
haben. 

7. 

Es  findet  nun  bei  einer  einfach  zusammenhängenden,  über  einen 
endlichen  Theil  der  ^- Ebene  ausgebreiteten  Fläche  zwischen  der  An- 
zahl ihrer  einfachen  Verzweigungspunkte  und  der  Anzahl  der  Um- 
drehungen, welche  die  Richtung  ihrer  Begrenzungslinie  macht,  die 
Relation  statt,  dass  die  letztere  um  eine  Einheit  grösser  ist,  als  die 
erstere;  und  aus  dieser  ergiebt  sich  für  eine  mehrfach  zusammen- 
hängende Fläche  eine  Relation  zwischen  diesen  Anzahlen  und  der  An- 
zahl der  Querschnitte,  welche  sie  in  eine  einfach  zusammenhängende 
verwandeln.  Wir  können  diese  Relation,  welche  im  Grunde  von  Mass- 
verhältnissen unabhängig  ist  und  der  analysis  sittis  angehört,  hier  für 
die  Fläche  T  so  ableiten. 

Nach  dem  Dirichl  et 'sehen  Princip  lässt  sich  in  der  einfach  zu- 
sammenhängenden Fläche  T'  die  Function  log  J  von  2  so  bestimmen, 
dass  S  für  einen  beliebigen  Punkt  im  Innern  derselben  unendlich  klein 
von  der  ersten  Ordnung  wird,  und  log  g  längs  einer  beliebigen  sich 
nicht  schneidenden,  von  dort  nach  der  Begrenzung  führenden  Linie 
auf  der  positiven  Seite  um  —  27ti  grösser,  als  auf  der  negativen, 
übrigens  aber  allenthalben  stetig  und  längs  der  Begrenzung  von  T' 
rein  imaginär  ist.  Es  nimmt  dann  die  Function  ^  jeden  Werth,  dessen 
Modul  <  1,  einmal  an;  die  Gesammtheit  ihrer  Werthe  wird  folglich 
durch  eine  über  einen  Kreis  in  der  g- Ebene  einfach  ausgebreitete 
Fläche  vertreten.  Jedem  Punkte  von  T'  entspricht  ein  Punkt  des 
Kreises,  und  umgekehrt.  Es  wird  daher  für  einen  beliebigen  Punkt 
der  Fläche,  wo  z  =  s\  i=t\  die  Function  S  —  5'  unendlich  klein  von 
der  ersten  Ordnung,  und  folglich  bleibt  dort,  wenn  die  Fläche  T'  sich 
(/Lt+l)mal  um  ihn  windet,  bei  endlichem  0' 


VI.     Theorie  der  Abel'schen  Functionen.  107 

bei  unendlichem  z    aber 


J*  dz 

d  log  —,  um  den  ganzen  Kreis  positiv  herum- 

genommen^    ist   gleich  der   Summe   der  Integrale   um    die   Punkte^   wo 

j-r  unendlich  oder  Null  wird,  und  also  =  2;rifw  —  2n).     Bezeichnet  8 
dg  • 

ein  Stück  der  Begrenzung  von  T'  von  einem  und  demselben  bestimmten 

Punkte  bis  zu  einem  veränderlichen  Punkte  der  Begrenzung,  und  (5  das 

entsprechende  Stück  auf  dem  Kreisumfange,  so  ist 

^       dz  ,       dz     .    ,        ds         ,        d^ 

log  ^  =  log  ^  +  log  ^  -  log  ^, 

und^  durch  die  ganze  Begrenzung  ausgedehnt, 

J'dlog^  =  (2p  -  1)  2^i,  Jdlog^  =  0,  -fdlog'^  =  -  2xi, 

also 


/ 


d\og'^  =  {2p  —  2)27ci. 


dt 

Es  ergiebt  sich  demnach  w  —  2n  ==  2  {p  —  1).     Da  nun 

w  =  2  ((n  —  1)  m  —  rV 
so  ist 

j?  ==  (w  — 1)  (m  —  1)  —  r. 


8. 

üer  allgemeine  Ausdruck  der  wie  T  verzweigten  Functionen  s 
von  z,  die  für  m'  beliebig  gegebene  Punkte  von  T  unendlich  von  der 
ersten  Ordnung  werden  und  übrigens  stetig  bleiben,  enthält  nach  dem 
Obigen  m'  —  p  -\-  \  willkürliche  Constanten  und  ist  eine  lineare 
Function  derselben  (§.  5).  Lassen  sich  also,  wie  jetzt  gezeigt  werden 
soll,  rationale  Ausdrücke  von  6'  und  z  bilden,  die  für  m  beliebig  ge- 
gebene, der  Gleichung  jP=0  genügende  Werthenpaare  von  s  und  z 
unendlich  von  der  ersten  Ordnung  werden  und  lineare  Functionen  von 
m  — p -{-  1  willkürlichen  Constanten  sind,  so  kann  durch  diese  Aus- 
drücke jede  Function  s    dargestellt  werden. 

Damit  der  Quotient  zweier  ganzen  Functionen  %  (ßj  ^)  "^^  ^'  fe  ^) 
für  s  =  <x>  und  z  =  oc  beliebige  endliche  Werthe  annehmen  kann, 
müssen  beide  von  gleichem  Grade  sein-,  der  Ausdruck,  durch  welchen 


108  VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen. 

6''  dargestellt  werden  soll,  sei  daher  von  der  Form       ^ '  ~  ,    und   über- 

dies  sei  v^  n  —  1,  ft  >  m  —  1.  Wenn  zwei  Zweige  der  Function  s 
ohne  zusammenzuhängen  einander  gleich  werden,  also  für  zwei  ver- 
schiedene Punkte  der  Fläche  T  z  =  y  und  s  =  8  wird,  so  wird  s  all- 
gemein zu  reden  in  diesen  beiden  Punkten  verschiedene  Werthe  an- 
nehmen; soll  also  i/'  —  s  %  allenthalben  =  0  sein,  so  muss  für  zwei 
verschiedene  Werthe  von  s  ifj  (7,  Ö)  —  s  %  (y,  Ö)  =  0'  sein,  folglich 
X  (.7)  8)  =  0  und  il>  (y,  ö)  =  0.  Es  müssen  also  die  Functionen  %  und 
tl^  für  die  r  Werthenpaare  s  =  yo,  z  =  8q  (S.  105)  verschwinden*). 

Die  Function  %  verschwindet  für  einen  Werth  von  z,  für  welchen 
die  einwerthige  und  für  ein  endliches  z  endliche  Function  von  z 
K(z)  =  a,''x{s,)x(is,)  .  . .  x(sn)  =  0 

ist-,  diese  Function  wird  für  ein  unendliches  z  unendlich  von  der  Ord- 
nung mv  -\-  n^  und  ist  also  eine  ganze  Function  (mv  -f-  n^)ten  Grades. 
Da   für   die  Werthenpaare   (7,  d)  zwei  Factoren  des  Products   n%{si) 

unendlich  klein  von  der  ersten  Ordnung  werden,  also  K{z)  unendlich 
klein  von  der  zweiten  Ordnung,  so  wird  %  ausserdem  noch  unendlich 
klein  von  der  ersten  Ordnung  für 

i  =  mv  -f-  n^i  —  2r 
Werthenpaare  von  ,s'  und  z  oder  Punkte  von  T. 

Ist  V  >  w  — ^  1,  /L6  >  m  —  1,  so   bleibt  der  Werth  der  Function  % 
ungeändert,  wenn  man 

V     jii  V  —  n  jii  —  7n  n      in 

%{s,  z)  +  q{  s,      z  )F(s,  z), 
worin  q  beliebig  ist,  für  %  (s,  z)  setzt*,  es  können  also 

(y    ^    _[_     1)    (^    _    1^    _|_     1) 

von  den  Coefficienten  dieses  Ausdrucks  willkürlich  angenommen  wer- 
den.    Werden  nun  von  den 


*)  Es  ist  hier,  wie  gesagt,  nur  der  Fall  berücksichtigt,  wo  die  Verzweigungs- 
punkte der  Function  s  nur  paarweise  und  sich  aufhebend  zusammenfallen.  Im 
Allgemeinen  müssen  in  einem  Punkte  von  T,  wo  nach  der  Auffassung  im  §.  6 
sich  aufhebende  Verzweigungspunkte  zusammenfallen,  %  und  ip,  wenn  T  sich  um 

1-1 
diesen  Punkt  ^  mal  windet,  unendlich  klein  werden,  wie  F'{s)ds^       ,  damit  die 
ersten    Glieder    in    der    Entwicklung    der   darzustellenden    Function    nach    ganzen 

Potenzen  von  (z/  2)  ^  beliebige  Werthe  annehmen  können. 


VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen.  109 

(>  +l)(v+l)  —  {v^n+  1)  (ji-mA-  1) 

noch  übrigen  r  als  lineare  Functionen  der  übrigen  so  bestimmt,  dass 
X  für  die  r  Werthenpaare  (y,  ö)  verschwindet,  so  enthält  die  Function 
X  noch 

s  =  {fi+l){v  +  l)-{v-n+l)(ß-m+\)-o' 
=  n^  +  mv  —  (n  —  1)  (ni  —  1)  —  r  +  1 

willkürliche  Constanten.     Es  ist  also 

i  —  £  =  (n  —  1)  {m  —  1)  —  r  —  1  =  j?  —  1. 

Nimmt  man  ^  und  v  so  an,  dass  e  >  ni  ist,  so  kann  man  x  so 
bestimmen,  dass  es  für  ni  beliebig  gegebene  Werthenpaare  unendlich 
klein  von  der  ersten  Ordnung  wird,  und  dann,  wenn  m  >  j),  ^  so  ein- 

richten,  dass  -—  für  alle  übrigen  Werthe  endlich  bleibt.     In  der  That 

ist  1^  ebenfalls  eine  lineare  homogene  Function  von  s  willkürlichen 
Constanten,  und  es  lassen  sich  also,  wenn  6  —  i  -\-  m  >  1  ist,  l  —  m' 
von  ihnen  als  lineare  Functionen  der  übrigen  so  bestimmen,  dass  i/^ 
für  die  i  —  m  Werthenpaare  von  s  und  z,  für  welche  x  noch  unend- 
lich klein  von  der  ersten  Ordnung  wird,  ebenfalls  verschwindet.  Die 
Function  ^   enthält  demnach   s  —  i  -\-  m  =  m  —  p  +  1    willkürliche 

Constanten,  und  -  -  kann  also  jede  Function  s    darstellen. 


9. 

Da  die  Functionen  -,--   alt^ebraische  wie  s   verzweigte  Functionen 

dz       ^  ° 

von  z  sind  (§.  5),  so  lassen  sie  sich  zufolge  des  eben  bewiesenen 
Satzes  rational  in  s  und  z  ausdrücken,  und  sämmtliche  Functionen  g) 
als  Integrale  rationaler  Functionen  von  s  und  z. 

Ist  IV  eine  allenthalben  endliche  Function  «,  so  wird  -r-  unend- 
lieh  von  der  ersten  Ordnung  für  jeden  einfachen  Verzweigungspunkt 
der  Fläche  T,  da  dw  und  {dz)^  dort  unendlich  klein  von  der  ersten 
Ordnung  sind,  bleibt  aber  sonst  allenthalben  stetig  und  wird  für 
z  =  oo  unendlich  klein  von  der  zweiten  Ordnung.  Umgekehrt  bleibt 
das  Integral  einer  Function,  die  sich  so  verhält,   allenthalben  endlich. 

Um  diese  Function  -rz  als  Quotient  zweier  ganzen  Functionen  von 

dz 

s  und  z  auszudrücken,  muss  man  (nach  §.  8)  zum  Nenner  eine  Function 
nehmen,  die  verschwindet  in  den  Verzweigungspunkten  und  für  die 
r  Werthenpaare  (7,  d).    Dieser  Bedingung  genügt  man  am  einfachsten 


1 10  '       VI.     Theorie  der  AbeFschen  Functionen. 

durch  eine  Function,  die  nur  für  diese  Werthe  0  wird.    Eine  solche  ist       i 

-p-  =  %ns''  —  ^  +  a^n  —  Is*'~^  +  •  •  •  +  ctn  —  i- 

c  s 

Diese  wird  für  ein  unendHches  s  unendlich  von  der  n  —  2ten  Ord- 
nung (da  üq  dann  unendlich  klein  von  der  ersten  Ordnung  wird)   und 

für   ein   unendliches   ^   unendlich   von   der  mten   Ordnung.     Damit  -y- 

ausser  den  Verzweigungspunkten  endlich  und  für  ein  unendliches  ^ 
unendlich   klein   von   der   zweiten  Ordnung   ist,   muss   also   der  Zähler 

71' —  2     m  —  2 

eine  ganze  Function  (p{  s,"  0  )  sein,  die  für  die  r  Werthenpaare 
(y,  d)  (S.  105)  verschwindet.     Demnach  ist 

n  —  2  711  —  2  n  —  2  m  —  2 

r  (p  {  s,        z  )dz    (vis,        Z  )  ds 

ds  dz 

worin  9  =  0  für  s  =  y^,,  0  =  d^,  ^  =  1 ,  2,  .  .  .,  r. 

Die  Function  cp  enthält  (n  —  1)  (m  —  1)  constante  Coefficienten, 
und  wenn  r  von  ihnen  als  lineare  Functionen  der  übrigen  so  bestimmt 
werden,  dass  cp  =  0  für  die  r  Werthenpaare  s  ==  y,  z  =  d,  so  bleiben 
noch  (m  —  1)  0^  —  1)  —  ^  ^^^^  P  willkürlich,  und  es  erhält  cp  die  E^orm 

«i9^i  +  «2^2  H h  (^P^P^ 

worin  (p^,  (p^,  .  •  .,  ^p  besondere  Functionen  qp,  von  denen  keine  eine 
lineare  Function  der  übrigen  ist,  und  a^,  a.^,  .  .  .,  ap  beliebige  Con- 
stanten sind.  Als  allgemeiner  Ausdruck  von  w  ergiebt  sich,  wie  oben 
auf  anderem  Wege 

a^iv^  +  a^iv.,  -\-  ''•-{-  cCpWp  -\-  const. 
Die  nicht  allenthalben  endlich  bleibenden  Functionen  o  und  also 
die  Integrale  zweiter  und  dritter  Gattung  lassen  sich  nach  denselben 
Principien  rational  in  s  und  2  ausdrücken,  wobei  wir  indess  hier  nicht 
verweilen,  da  die  allgemeinen  Regeln  des  vorigen  Paragraphen  keiner 
weitern  Erläuterung  bedürfen  und  zur  Betrachtung  bestimmter  Formen 
dieser  Integrale  erst  die  Theorie  der  '9'- Functionen  Anlass  giebt. 

10. 
Die  Function  (p  wird  ausser  für  die  r  Werthenpaare   {y,  d)   noch 
für  m  in  —  2)  -\-  n{m  —  2)  —  2r  oder  2{p  —  1)  der  Gleichung  F  =0 
genügende  Werthenpaare  von  s  und  z  unendlich  klein  von  der  ersten 
Ordnung.     Sind  nun 


und 


9,(^)  =  ap<p,  +  am<p,  +  •  ■  ■  +  a,^''<p. 


VI.     Theorie  der  Abel'schen  Functionen.  Hl 

zwei  beliebige  Functionen  cp,  so  kann  man  in  dem  Ausdrucke  ^-j  den 

Nenner  so  bestimmen,  dass  er  für  ^)  —  1  beliebig  gegebene  der  Glei- 
chung F  =  0  genügende  Werthenpaare  von  s  und  z  gleich  Null  wird, 
und  dann  den  Zähler  so,  dass  er  für  p  —  2  von  den  übrigen  Werthen- 
paaren,  für  welche  9)'^'  noch  gleich  0  wird,  gleichfalls  verschwindet. 
Er  ist  dann  noch  eine  lineare  Function  von  zwei  willkürlichen  Con- 
stanten und  folglich  ein  allgemeiner  Ausdruck  einer  Function,  die  nur 
für  2)  Punkte  der  Fläche  T  unendlich  von  der  ersten  Ordnung  wird. 
Eine  Function,  die  für  weniger  als  j9  Punkte  unendlich  wird,  bildet 
einen  speciellen  Fall  dieser  Function-,  es  lassen  sich  daher  alle  Functionen, 
die   für   weniger   als  j)  +  1  Punkte   der    Fläche   T  an  endlich   von   der 

ersten  Ordnung  werden,  in  der  Form  ^^  oder  in  der  Form  t^^,  wenn 

IV ^^^  und  w^^^  zwei  allenthalben  endliche  Integrale  rationaler  Functionen 
von  .s'  und  z  sind,  darstellen. 


11. 

Eine  wie  T  verzweigte  Function  z^  von  z,  die  für  n^  Punkte 
dieser  Fläche  unendhch  von  der  ersten  Ordnung  wird,  ist  nach  dem 
Früheren  (S.  101)  die  Wurzel  einer  Gleichung  von  der  Form 

n       rii 

und  nimmt  daher  jeden  Werth  für  n^  Punkte  der  Fläche  T  an.  Wenn 
man  sich  also  jeden  Punkt  von  T  durch  einen  den  Werth  von  z^  in 
diesem  Punkte  geometrisch  repräsentirenden  Punkt  einer  Ebene  ab- 
gebildet denkt,  so  bildet  die  Gesammtheit  dieser  Punkte  eine  in  der 
<?!- Ebene  allenthalben  V^^fach  ausgebreitete  und  die  Fläche  T  —  be- 
kanntlich in  den  kleinsten  Theilen  ähnlich  —  abbildende  Fläche  T^. 
Jedem  Punkt  in  der  einen  Fläche  entspricht  dann  eiit  Punkt  in  der 
andern.  Die  Functionen  co  oder  die  Integrale  wie  T  verzweigter 
Functionen  von  z  gehen  daher,  wenn  man  für  z  als  unabhängig  ver- 
änderliche Grösse  z^  einführt,  in  Functionen  über,  welche  in  der  Fläche 
Tj  allenthalben  einen  bestimmten  Werth  und  dieselben  Unstetigkeiten 
haben,  wie  die  Functionen  a  in  den  entsprechenden  Punkten  von  T, 
und  welche  folglich  Integrale  wie  T^  verzweigter  Functionen  von 
Zi  sind. 

Bezeichnet  s^  irgend  eine  andere  wie  2'  verzweigte  Function  von 
Zj  die  für  )ii^  Punkte  von  'T  und  also  auch  von  2\  unendlich  von  der 
ersten  Ordnung  wird,  so  findet  (§.  b)  zwischen  .s\  und  Zi  eine  Gleichung 
von  der  Form 


112  ^^-     Theorie  der  Aberschen  Functionen. 

n,       Vit 

-statt,  worin  F^  eine  Potenz  einer  unzerfällbaren  ganzen  Function  von 
s^  und  0j^  ist,  und  es  lassen  sich,  wenn  diese  Potenz  die  erste  ist,  alle 
wie  Tj  verzweigten  Functionen  von  ^^ ,  folglich  alle  rationalen  Functionen 
von  s  und  .z  rational  in  s^  und  J2^  ausdrücken  (§.  8). 

71     in 

Die  Gleichung  F(Sy  ^)  =  0  kann  also   durch   eine  ratiiGmalfi^- Sub- 

stitution  in  -Fi  (s^,  -^i)  =  ^  und  diese  in  jene  transformirt  werden. 

Die  Grössengebiete  (s,  z)  und  (s^,  z^  sind  gleichvielfach  zu- 
sammenhängend, da  jedem  Punkte  des  einen  ein  Punkt  des  andern 
entspricht.  Bezeichnet  daher  r^  die  Anzahl  der  Fälle,  in  welchen 
s^  und  ^1  für  zwei  verschiedene  Punkte  des  Grössengebiets  (s^,  z^  beide 

denselben  Werth  annehmen  und  folglich  gleichzeitig  F^,  —^  und  %r-^ 

gleich  0  und 

ds^^    dz^^         yds^dzi  J 
nicht  Null  ist,  so  rauss 

(Wi  —  1)  {m^  —  1)  —  r^  =  p  =  (n  —  1)  (m  —  1)  —  r 
sein. 

12. 

:  Man  betrachte  nun  als  zu  Einer  Klasse  gehörend  alle  irreductiblcn 
algebraischen  Gleichungen  zwischen  zwei  veränderlichen  Grössen,  welche 
sich  durch  rationale  Suhstitutionen  in  einander  transformiren  lassen,  so 
dass  F{s,  z)  =  0  und  F^  (s^,  z^  =  0  zu  derselben  Klasse  gehören,  wenn 
sich  für  s  und  z  solche  rationale  Functionen  von  s^  und  z-^  setzen 
lassen,  dass  F{s,z)=^0  in  F^{s^,z^  =  0  übergeht  und  zugleich  s^ 
und  z^  rationale  Functionen  von  s  und  z  sind. 

Die  rationalen  Functionen  von  s  und  z  bilden,  als  Functionen  von 
irgend  einer  von  ihnen  t,  betrachtet,  ein  System  gleichverzweigter 
algebraischer  Functionen.  Auf  diese  Weise  führt  jede  Gleichung 
offenbar  zu  einer  Klasse  von  Systemen  gleichverzweigter  algebraischer 
Functionen,  welche  sich  durch  Einführung  einer  Function  des  Systems 
als  unabhängig  veränderlicher  Grösse  in  einander  transformiren  lassen 
und  zwar  alle  Gleichungen  Einer  Klasse  zu  derselben  Klasse  von 
Systemen  algebraischer  Functionen,  und  umgekehrt  führt  (§.  11)  jede 
Klasse  von  solchen  Systemen  zu  Einer  Klasse  von   Gleichungen. 

Ist  das   Grössengebiet   (5,  z)  2p  -\-  1  fach    zusammenhängend    und 


VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen.  113 

die  Function  J  in  ^it  Punkten  desselben  unendlich  von  der  ersten 
Ordnung,  so  ist  die  Anzahl  der  Verzweigungswerthe  der  gleich  ver- 
zweigten Functionen  von  g,  welche  durch  die  übrigen  rationalen 
Functionen  von  s  und  z  gebildet  werden,  2{^  -\-  p  —  1),  und  die  An- 
zahl der  willkürlichen  Constanten  in  der  Function  ^2^  — i^  +  1  (§•  5). 
Diese  lassen  sich  so  bestimmen,  dass  2  ^  —  p  -\-  1  Verzweigungswerthe 
gegebene  Werthe  annehmen,  wenn  diese  Verzweigungswerthe  von 
einander  unabhängige  Functionen  von  ihnen  sind,  und  zwar  nur  auf 
eine  endliche  Anzahl  Arten,  da  die  Bedingungsgleichungen  algebraisch 
sind.  In  jeder  Klasse  von  Systemen  gleichverzweigter  2^+1  fach 
zusammenhängender  Functionen  giebt  es  daher  eine  endliche  Anzahl 
von  Systemen  ftwerthiger  Functionen,  in  welchen  2^ — p -\-  1  Ver- 
zweigungswerthe gegebene  Werthe  annehmen.  W^enn  andererseits  die 
2Qi-{-2) —  1)  Verzweigungspunkte  einer  die  f- Ebene  allenthalben 
ftfacli  bedeckenden  2p -{-  1  fach  zusammenhängenden  Fläche  beliebig 
gegeben  sind,  so  giebt  es  (§§.  3—5)  immer  ein  System  wie  diese 
Fläche  verzweigter  algebraischer  Functionen  von  J.  Die  3^)  —  3 
übrigen  Verzweigungswerthe  in  jenen  Systemen  gleichverzweigter 
fiwerthiger  Functionen  können  daher  beliebige  Werthe  annehmen; 
und  es  hängt  also  eine  Klasse  von  Systemen  gleichverzweigter  2p  -\-  1  jj 
fach  zusammenhängender  Functionen  und  die  zu  ihr  gehörende  Klasse  ' 
algebraischer  Gleichungen  von  3p  —  3  stetig  veränderlichen  Grössen 
ab,  welche  die  Moduln  dieser  Klasse  genannt  werden  sollen. 

Diese  Bestimmung  der  Anzahl   der  Moduln   einer  Klasse   2p)  +  1 
fach    zusammenhängender    algebraischer    Functionen    gilt    jedoch    nur 
unter   der   Voraussetzung,    dass    es    2^ — i^  +  1    Verzweigungswerthe 
giebt,  welche  von  einander  unabhängige  Functionen   der   willkürlichen 
Constanten  in  der  Function  J  sind.    Diese  Voraussetzung  trifft  nur  zu,         ^ 
wenn  p>  1,  und  die  Anzahl  der  Moduln  ist  nur  dann  =  3p>  —  3,  für       ^ 
p  =  1   aber  =  1.      Die    directe    Untersuchung    derselben    wird    indess   v' 
schwierig  durch  die  Art  und  Weise,   wie  die  willkürlichen  Constanten 
in  J  enthalten  sind.     Man  führe   deshalb   in  einem  Systeme  gleichver- 
zweigter 22)  +  1  fach  zusammenhängender  Functionen,  um  die  Anzahl 
der  Moduln  zu  bestimmen,   als  unabhängig  veränderliche   Grösse  nicht 
eine   dieser  Functionen,    sondern    ein    allenthalben    endliches   Integral 
einer  solchen  Function  ein. 

Die  Werthe,  welche  die  Function  tv  von  z  innerhalb  der  Fläche 
T  annimmt,  werden  geometrisch  repräsentirt  durch  eine  einen  end- 
lichen Theil  der  2r- Ebene  einfach  oder  mehrfach  bedeckende  und  die 
Fläche  T'  (in  den  kleinsten  Theilen  ähnlich)  abbildende  Fläche,  welche 

IIikmann's  gesammelte  niathematisclie  Werke.    I.  8 


114  VI.     Theorie  der  Abel'schen  Functionen. 

durch  S  bezeichnet  werden  soll.  Da  tv  auf  der  positiven  Seite  des 
vten  Querschnitts  um  die  Constante  ¥''^  grösser  ist,  als  auf  der  nega- 
tiven, so  besteht  die  Begrenzung  von  >S'  aus  Paaren  von  parallelen 
Curven,  welche  denselben  Theil  des  T'  begrenzenden  Schnittsystems 
abbilden,  und  es  wird  die  Orts  Verschiedenheit  der  entsprechenden 
Punkte  in  den  parallelen,  den  i'ten  Querschnitt  abbildenden  Begren- 
zungstheilen  von  S  durch  die  complexe  Grösse  ä;^^^  ausgedrückt.  Die 
Anzahl  der  einfachen  Verzweigungspunkte  der  Fläche  S  ist  2j9  —  2, 
da  dtv  in  2j)  —  2  Punkten  der  Fläche  T  unendlich  klein  von  der 
zweiten  Ordnung  wird.  Die  rationalen  Functionen  von  s  und  0  sind 
dann  Functionen  von  tv,  welche  für  jeden  Punkt  von  S  Einen  be- 
stimmten, wo  sie  nicht  unendlich  werden,  stetig  sich  ändernden  Werth 
haben  und  in  den  entsprechenden  Punkten  paralleler  Begrenzungstheile 
denselben  Werth  annehmen.  Sie  bilden  daher  ein  System  gleichver- 
zweigter und  2jpfach  periodischer  Functionen  von  tv.  Es  lässt  sich 
nun  (auf  ähnlichem  Wege,  wie  in  den  §§.  3 — 5)  zeigen,  dass,  die 
2p  —  2  Verzweigungspunkte  und  die  2p)  Ortsverschiedenheiten  paralleler 
Begrenzungstheile  der  Fläche  8  als  willkürlich  gegeben  vorausgesetzt, 
immer  ein  System  wie  diese  Fläche  verzweigter  Functionen  existirt, 
welche  in  den  entsprechenden  Punkten  paralleler  Begrenzungstheile 
denselben  Werth  annehmen  und  also  2j9fach  periodisch  sind,  und  die, 
als  Functionen  von  einer  von  ihnen  betrachtet,  ein  System  gleichver- 
zweigter 2p  -\-  1  fach  zusammenhängender  algebraischer  Functionen 
bilden,  folglich  zu  einer  Klasse  von  2p  -\-  1  fach  zusammenhängenden 
algebraischen  Functionen  führen.  In  der  That  ergiebt  sich  nach  dem 
Dirichlet'schen  Princip,  dass  in  der  Fläche  S  eine  Function  von  tv 
bis  auf  eine  additive  Constante  bestimmt  ist  durch  die  Bedingungen, 
im  Innern  von  S  beliebig  gegebene  Unstetigkeiten  von  der  Form  wie 
CO  in  T'  anzunehmen  und  in  den  entsprechenden  Punkten  paralleler 
Begrenzungstheile  um  Constanten,  deren  reeller  Theil  gegeben  ist,  ver- 
schiedene Werthe  zu  erhalten.  Hieraus  schliesst  man  ähnlich,  wie  im 
§.  5,  die  Möglichkeit  von  Functionen,  Avelche  nur  in  einzelnen  Punkten 
von  S  unstetig  werden  und  in  den  entsprechenden  Punkten  paralleler 
Begrenzungstheile  denselben  Werth  annehmen.  Wird  eine  solche 
Function  0  in  w  Punkten  von  S  unendlich  von  der  ersten  Ordnung 
und  sonst  nicht  unstetig,  so  nimmt  sie  jeden  complexen  Werth  in 
9^  Punkten  von  S  an;  denn  wenn  a  eine  beliebige  Constante  ist,  so  ist 
/  d  log  {0  —  a),  um  S  erstreckt,  =  0,  da  die  Integration  durch  parallele 
Begrenzungstheile  sich  aufhebt,  und  es  wird  daher  0  —  a  in  S  ebenso 
oft  unendlich  klein,  als  unendlich  von  der  ersten  Ordnung.  Die  Werthe, 
welche  0  annimmt,  werden  folglich  durch  eine  über  die  ,e- Ebene  allent- 


VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen.  115 

halben  nfach  ausgebreitete  Fläche  repräsentirt,  und  die  übrigen  ebenso 
verzweigten  und  periodischen  Functionen  von  iv  bilden  daher  ein 
System  wie  diese  Fläche  verzweigter  2p  -\-  1  fach  zusammenhängender 
algebraischer  Functionen  von  ^^  w.  z.  b.  w. 

Für  eine  beliebig  gegebene  Klasse  2p  -{-  1  fach  zusammenhängender 
algebraischer  Functionen  kann  man  nun  in  dem  als  unabhängig  ver- 
änderliche Grösse  einzuführenden 

IC  =  a^ii\  +  a.>ii\,  +  •  •  •  +  ((-ptCi,  +  c 

die  Grössen  a  so  bestimmen,  dass  p  von  den  2p  Periodicitätsmoduln 
gegebene  Werthe  annehmen^  und  c  wenn  J5  >  1  so,  dass  einer  von  den 
2p  —  2  Verzweigungswerthen  der  periodischen  Functionen  von  iv  einen 
gegebenen  Werth  erhält.  Dadurch  ist  iv  völlig  bestimmt,  und  also 
sind  es  auch  die  3p  —  3  übrigen  Grössen,  von  denen  die  Verzwei- 
gungsart und  Periodicität  jener  Functionen  von  w  abhängt;  und  da 
jedweden  Werthen  dieser  ?>p  —  3  Grössen  eine  Klasse  von  2p  -\-  \  fach 
zusammenhängenden  algebraischen  Functionen  entspricht,  so  hängt  eine 
solche  von  3p  —  3  unabhängig  veränderlichen  Grössen  ab. 

Wenn  p  =  1  ist,  so  ist  kein  Verzweigungspunkt  vorhanden,  und 
es  lässt  sich  in 

w  =  a^iv^  -\-  c 

die  Grösse  a^  so  bestimmen,  dass  ein  Periodicitätsmodul  einen  ge- 
gebenen Werth  erhält,  und  dadurch  ist  der  andere  Periodicitätsmodul 
bestimmt.     Die  Anzahl   der  Moduln  einer  Klasse  ist  also   dann  =  1. 


13. 

Nach  den  obigen  (im  §.11  entwickelten)  Principien  der  Trans- 
formation muss  man,  um  eine  beliebig  gegebene  Gleichung  F(s,  z)  =  0 
durch  eine  rationale  Substitution  in  eine  Gleichung  derselben  Klasse 

von  möglichst  niedrigem  Grade  zu  transformiren,  zuerst  für  z^  einen 
rationalen  Ausdruck  in  .s  und  ^,  r(s^  z),  so  bestimmen,  dass  n^  mög- 
lichst klein  wird,  und  dann  5,  gleich  einem  andern  rationalen  Aus- 
drucke r{Sj  s)  so,  dass  m^  möglichst  klein  wird  und  zugleich  die  zu 
einem    beliebigen   Werthe   von   s^    gehörigen   Werthe    von  s^   nicht   in 

71,         »J, 

Gruppen  unter  einander  gleielier  zerfallen,  so  dass  F^(s^^  s^^  nicht 
eine  höhere  Potenz  einer  unzerfällbaren  Function  sein  kann. 


Wenn  das  Grössengebiet  (.s^,  z)  2  p  -\-  1  fach  zusammenhängend  ist, 


116  VI.     Theorie  der  Aberscheu  Functionen. 

SO  ist  der  kleinste  Werth,  den  n^  annehmen  kann,  allgemein  zu  reden, 

>  Y  +  1    (§•  ö)   und   die   Anzahl   der  Fälle,    in   denen  s^   und  ^-^   für 

zwei  verschiedene  Punkte  des  Grössengebiets    beide    denselben  Werth 
annehmen, 

=  (^1  —  1)  i^ni  —  l)~p. 

In  einer  Klasse  von  algebraischen  Gleichungen  zwischen  zwei  ver- 
änderlichen Grössen  haben  demnach,  wenn  ihre  Moduln  nicht  beson- 
deren Bedinguhgsgleichungen  genügen,  die  Gleichungen  niedrigsten 
Grades  folgende  Form: 


2       2 

p  =  2,               F{t,  l)  =  0,     r  =  0 

jB  =  2^  —  3,    F(ß,  g)  =  0,     )■  =  (fi  - 

-2f 

p  =  2fi-2,     F(s,  ,?j  =  0,     r  =  (^  - 

-  1)  (f*  - 

-3). 

P>2 


Von  den   Coefficienten  der  Potenzen  von  s  und  0  in  den  ganzen 
Functionen  F  müssen  r  als  lineare  homogene  Functionen  der  übrigen 

so  bestimmt  werden,  dass  -r^—  und  -^—   für   r    der    Gleichung:    F  =  0 

^  OS  öz  ° 

genügende  Werthenpaare  gleichzeitig  verschwinden.  Die  rationalen 
Functionen  von  s  und  ^,  als  Functionen  von  einer  von  ihnen  betrachtet, 
stellen  dann  alle  Systeme  2p  -\-  1  fach  zusammenhängender  algebrai- 
scher Functionen  dar. 


14. 

Ich  benutze  nun  nach  Jacobi  (Journ.  f.  Math.  Bd.  9  Nr.  32 
§.  8)  das  AbeTsche  Additionstheorem  zur  Integration  eines  Systems 
von  Differentialgleichungen;  ich  werde  mich  dabei  auf  das  beschränken, 
was  in  dieser  Abhandlung  später  nöthig  ist. 

Führt  man  in  einem  allenthalben  endlichen  Integrale  w  einer 
rationalen  Function  von  s  und  0  als  unabhängig  veränderliche  Grösse 
eine  rationale  Function  von  s  und  ^,  ^,   ein,   die  für  m  Werthenpaare 

von  s  und  0  unendlich  von  der  ersten  Ordnung  wird,  so  ist   -,—  eine 

m  werthige  Function  von  ^.    Bezeichnet  man  die  m  Werthe  von  tv  für 
dasselbe  5  durch  w'^^\  w^^\  .  .  .,  w'''''\  so  ist 

dl;     '^     dt     '^  ^     dt 


VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen.  117 

eine  einwerthige  Function  von  ^,  deren  Integral  allenthalben  endlich 
bleibt,  und  folglich  ist  auch  fd(w^^^  -|_  ^^c^^  _|-  .  .  .  _(_  ^("O)  allenthalben 
einwerthig  und  endlich,  mithin  constant.  Auf  ähnliche  Weise  findet 
sich,  weim  w^^',  w'^',  .  .  .,  05 ('"^  die  demselben  g  entsprechenden  Werthe 
eines  beliebigen  Integrals  co  einer  rationalen  Function  von  s  und  z 
bezeichnen,  f  d{c3^^^  +  ^^^^  +  *  *  *  +  ^^"'0  ^i^  3,uf  eine  additive  Con- 
stante  aus  den  Unstetigkeiten  von  co  und  zwar  als  Summe  von  einer 
rationalen  Function  und  mit  constanten  Coefficienten  versehenen  Loixa- 
rithmen  rationaler  Functionen  von  ^. 

Mittelst  dieses  Satzes  lassen  sich,  wie  jetzt  gezeigt  werden  soll, 
folgende  jj  gleichzeitige  Differentialgleichungen  zwischen  den  i>  +  1 
der  Gleichung  F(Sj  z)  ==  0  genügenden  Werthenpaaren  von  s  und  z, 

(^1;  ^1);   fe;  ^2);   -■->   fe  +  i;   ^P+i) 

dFjs, ,  z,)     "T-     dF{s,,z,)"  "^  ^  dF{si^i,Zp+i) 

dSi  ds.^  dsp-^i 

für  TT  =  1,  2, .  .  .,  jp,  allgemein  oder  vollständig  (complete)  integriren. 
Durch  diese  Differentialgleichungen  sind  p  von  den  Grössenpaaren 
(6>,  z^i)  als  Functionen  des  einen  noch  übrigen  völlig  bestimmt,  wemi 
für  einen  beliebigen  Wertli  des  letzteren  die  Werthe  der  übrigen 
gegeben  werden.  Wenn  man  also  diese  p  -\-  \  Grössenpaare  als 
Functionen  einer  veränderlichen  Grösse  f  so  bestimmt,  dass  sie  für 
denselben  Werth  0  dieser  Grösse  beliebig  gegebene  Anfangswerthe 
(^'i^  ^1")?  fe^  ^2^)7  •  •  V  (A>  +  h  ^%  +  y)  amiehmen  und  den  Differential- 
gleichungen genügen,   so  hat  man  dadurch  die  Differentialgleichungen 

allgemein  integrirt.     Nun  lässt  sich  die  Grösse  -r-  als  einwerthige  und 

folglich  rationale  Function  von  (s,  z)  immer  so  bestimmen,  dass  sie 
nur  für  alle  oder  einige  von  den  |)  +  1  Werthenpaaren  (s^**,  z^)  un- 
endlich und  für  diese  nur  unendlich  von  der  ersten  Ordnung  wird,  da 
sich  in  dem  Ausdrucke 

^  ^^t{Sf^,  z^^  +  2  «^,«V  +  const. 

die  Verhältnisse  der  Grössen  a  und  /3  immer  so  bestimmen  lassen, 
dass  die  Periodicitätsmoduln  sämmtlich  0  werden.  Es  genügen  dami, 
wenn  kein  ß  =  0  ist,  den  zu  lösenden  Differentialgleichungen  die 
jP  +  1  Zweige  der  p  +  1  werthigen  gleichverzweigten  Functionen  5  und 
z  von  5,  («1,  z^),  (^2,  ^2),  .  .  .,  (5p+i,  ^p  +  i),  welche  für  5  =  0  die 
Werthe  (s/',  ^1^),  fe^  V)»  •  •  •;  (A  +  ijA+O  annehmen.  Weim  aber 
von    den    Grössen    ß    einige,    etwa    die  i>  +  1  —  ^'^   letzten    gleich  0 


118  VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen. 

werden^  so  werden  die  zu  lösenden  Differentialgleichungen  befriedigt 
durch  die  m  Zweige  der  m  werthigen  Functionen  s  und  2  von  J,  (s^,  z^), 
(52,^2)?  •',  {s,a,Zn?)y  welche  für  5  =  0  gleich  (sj^  V);  i^-I",^-^)^  -  -, 
{Sm^,  ^in)  werden,  und  durch  constante  also  ihren  Anfangs  wer  then 
.s'^,_|_i,  .  .  .,  z^pj^i  gleiche  Werthe  der  Grössen  s,n^iy  ^^n+i;  .  .  .;  s^+i,  Zpj^i. 
Im  letzteren  Falle  sind  von  den  p  linearen  homogenen  Gleichungen 


dsn 


für  ;r  =  1,  2,  .  .  .,  i>  zwischen   den   Grössen    ^-p.  '^         i^  +  1  —  »^ 


eine  Folge  der  übrigen;  es  ergeben  sich  hieraus  p  -\-  1  —  m  Bedingungs- 
gleichungen, welche,  damit  dieser  Fall  eintritt,  zwischen  den  Functionen 
{s^j  z^,  .  .  .,  {Sm,  ^7n)  und  also  auch  zwischen  ihren  Anfangswerthen 
(^1^  ^1^)7  •  •  •;  {^m^y  ^^n)  erfüllt  Sein  müssen,  und  es  können  daher  von 
diesen,  wie  oben  (§.  5)  gefunden,  nur  2m — p —  1  beliebig  gegeben 
werden. 


Es  sei  nun 


/ 


15. 

qpTT  (g,  Z)dz 
~dF{s,z) 


const., 


ds 

durch  das  Innere  von  T'  integrirt,  gleich  Wjt  und  der  Periodicitäts- 
modul  von  w^t  für  den  vten  Querschnitt  gleich  'kr^ \  so  dass  sich  die 
Functionen  tv^,  iv^j  .  .  .;  iVp  des  Grössenpaars  {s,  z)  beim  Uebertritt  des 
Punkts  (s,  z)  von  der  negativen  auf  die  positive  Seite  des  z/ten  Quer- 
schnitts gleichzeitig  um  k^'''\  ^2^^^  •  •  •?  ^p"^  ändern.  Zur  Abkürzung 
mag  ein  System  von  p  Grössen  (?>i,  ?>2;  •  •  •;  ^p)  einem  andern 
(«1,  «2  7  •  •  •;  ^p)  congruent  nach  2p  Systemen  zusammengehöriger  Moduln 
genannt  werden,  wenn  es  aus  ihm  durch  gleichzeitige  Aenderungen 
sämmtlicher  Grössen  um  zusammengehörige  Moduln  erhalten  werden 
kann.  Ist  der  Modul  der  ;rten  Grösse  im  ften  Systeme  ==  k^^,  so 
heisst  demnach 

(61,  &2,  •  •  •,  bj,)  £e:  («1,  «27  •  •  -7  CCpJy 

wenn 

hrt  =  «7t  +    ^  W^vÄ^^ 

r=l 

für  7t  =  1,2,  .  .  .,  p  und  w^,  Mg,  .  .  .,  mg^  ganze  Zahlen  sind. 


VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen.  119 

Da  sich  2)   beliebige  Grössen  a^,  «2,  . .  .,  üp   immer  und   nur  auf 

eine  Weise  in  die  F'orm  ((„  =  E  ^^ä;J    setzen  lassen,   so  dass  die  2 1) 

Grössen  ^  reell  sind,  und  durch  Aenderung  dieser  Grössen  g  um  ganze 
Zahlen  alle  congruenten  Systeme  und  nur  diese  sich  ergeben,  so  erhält 
man  aus  jeder  Reihe  congrueriter  Systeme  eins  und  nur  eins,  wenn 
man  in  diesen  Ausdrücken  jede  Grösse  |  alle  Werthe  von  einem  be- 
liebigen Werthe  bis  zu  einem  um  1  grösseren,  einen  der  beiden  Grenz- 
werthe  eingeschlossen,  stetig  durchlaufen  lässt. 

Dieses   festgesetzt,    folgt    aus    den   obigen    Difierentialgleichungen 
oder  aus  den  p  Gleichungen 

y]  (lW;r^f''>  =  0   für   TT  --   \,2,  .  .  .,p 
durch  Integration 

worin  c^,  r^,  .  .  .,  Cj,  constante  von  den  Werthen  (5^,  z^)  abhängige 
Grössen  sind. 

16. 
Drückt  man  g  als  Quotienten  zweier  ganzen  Functionen  von  s  und 
z,  — ,   aus,  so  sind  die  Grössenpaare   (s^,  ^1),  .  .  .,  (5«,  <^„j   die  gemein- 
schaftlichen  Wurzeln    der    Gleichungen    F  =  0  und    ^  =  t      Da    die 
ganze  Function 

x—tt  =  r(s,  z) 

für  alle  Werthenpaare,  für  welche  %  und  1^'  gleichzeitig  verschwinden, 
ebenfalls,  was  auch  J  sei,  verschwindet,  so  können  die  Grössenpaare 
(^'1;  ^\)y  '  •  •;  fe«;  ^"')  ^^^^^  definirt  werden  als  gemeinschaftliche  Wurzeln 
der  Gleichung  F  =0  und  einer  Gleichung  f{s,  z)  =  0,  deren  Coeffi- 
cienten  so  sich  ändern,  dass  alle  übrigen  gemeinschaftlichen  Wurzeln 

constant  bleiben.  Wenn  m<p-}-ly  kann  J  in  der  Form  ^^-  dar- 
gestellt werden  (§.  10)  und  /'  in  der  Form 

Die  allgemeinsten  Werthe  der  den  p  Gleichungen 


df^^W  =^0  für  ;r  =  1,2,  . 


^=1 


120  VI.     Theorie  der  Abel'schen  Functionen. 

genügenden  Functionenpaare  (s^,  ^J,  ...,  (.s^,,  :Sp)  werden  daher  ge- 
bildet durch  })  gemeinschaftliche  Wurzeln  der  Gleichungen  F  =  0  und 
(p  =  0,  welche  so  sich  ändern^  dass  die  übrigen  gemeinschaftlichen 
Wurzeln  constant  bleiben.  Hieraus  folgt  leicht  der  später  nöthige 
Satz,  dass  die  Aufgabe,  j>  —  1  von  den  2})  —  2  Grössenpaaren 
(Si;  5"/),  .  .  .,  (s2p-2,  ^2p-2)  als  Functionen  der  p  —  1  übrigen  so  zu 
bestimmen,  dass  die  j;  Gleichungen 

,ii~2p  —  2 

^  dw„^^^)  =  0  für  7t  =  1 ,  2,  . '.  .,  j> 

erfüllt  werden,  völlig  allgemein  gelöst  wird,  wenn  man  für  diese 
2jj  —  2  Grössenpaare  die  von  den  r  Wurzeln  5  =  7^,,  ^  =  (J^  (§.  6) 
verschiedenen  gemeinschaftlichen  Wurzeln  der  Gleichungen  F  =  0  und 
g)  =  0  oder  die  2p  —  2  Werthenpaare  nimmt,  für  welche  dw  unend- 
lich klein  von  der  zweiten  Ordnung  wird,  und  dass  diese  Aufgabe 
daher  nur  eine  Lösung  zulässt.  Solche  Grössenpaare  sollen  durch  die 
Gleichung  cp  ==  0  verJcnüpft  heissen.     In  Folge  der  Gleichungen 

27J  — 2  2p  — 2  2p  — 2  2p  —  2 

^  dtv„W  =  0  wird  (  ^  w,"-\     ^  to./"\  ...,     ^  ^v„<">) , 

1  111 

die  Summen  über  solche  Grössenpaare  ausgedehnt,  congruent  einem 
Constanten  Grössensysteme  (q,  C2,  .  .  .,  Cp)^  worin  c^  nur  von  der 
additiven  Constante  in  der  Function  iv^  oder  dem  Anfangswerthe  des 
sie  ausdrückenden  Integrals  abhängt. 


Zweite  Abtheiluug. 

17. 
Für  die  ferneren  Untersuchungen  über  Integrale  von  algebraischen. 


2p  -{-  1  fach  zusammenhängenden  Functionen  ist  die  Betrachtung  einer 
^fach  unendlichen  'ö'-Reihe  von  grossem  Nutzen,  d.  h.  einer  j^fach 
unendlichen  Reihe,  in  welcher  der  Logarithmus  des  allgemeinen  Gliedes 
eine  ganze  Function  zweiten  Grades  der  Stellenzeiger  ist.  Es  sei  in 
dieser  Function  für  ein  Glied,  dessen  Stellenzeiger  m^,  m^,  .  .  .,  nip 
sind,  der  Coefficient  des  Quadrats  nif,?  gleich  a^t, ,«,  des  doppelten  Pro- 
ducts m^7n^'  gleich  a^<,  ^' ==  »u,  ^o  der  doppelten  Grösse  m^^  gleich  Vf.iy 
und  das  constante  Glied  =  0.  Die  Summe  der  Reihe,  über  alle  ganzen 
positiven  oder  negativen  Werthe  der  Grössen  m  ausgedehnt,  werde 
als  Function  der  p  Grössen  v  betrachtet  und  durch  ^(y^,  v^,  .  .  .,  Vp) 
bezeichnet,  so  dass 


VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen.  l21 


(1.)  ,^{v„v,,...,v,)-  •    ^-'    -^'^ 


worin  die  Summationen  im  Exponenten  sich  auf  ^  und  ^',  die  äusseren 
Summationen   aui'  m^,  nio,  ...,mjj   beziehen.     Damit   diese   Reihe   con- 

vergirt,  muss  der  reelle  Theil  von  lUj  aft^^im^itn^c    wesentlich    negativ 

sein  oder,  als  eine  Summe  von  positiven  oder  negativen  Quadraten 
reeller  linearer  von  einander  unabhilngiger  Functionen  der  Grössen  m 
dargestellt,  aus  p  negativen  Quadraten  zusammengesetzt  sein. 

Die  Function  %•  hat  die  Eigenschaft,  dass  es  Systeme  von  gleich- 
zeitigen Aenderungen  der  p  Grössen  v  giebt,  durch  welche  log  ^  nur 
um  eine  lineare  Function  der  Grössen  v  geändert  wird,  und  zwar  2j) 
von  einander  unabhängige  Systeme  (d.  h.  von  denen  keins  eine  Folge 
der  übrigen  ist).  Denn  man  hat,  die  ungeändert  bleibenden  Grössen 
V  unter  dem  Functionszeichen  d'  weglassend,  für  ft  =  1,  2,  .  .  .,  p 

(2.)     %•  =  %•  {v^,  +  7t  l)     und 

(3.)     ^  =  /''''  +  ''^'^'Q'iv,  +  «1,^,,  V.,  +  a^,^,,  ...,Vp  -\-  üp,^), 

wie  sich  sofort  ergiebt,  wenn  man  in  der  Reihe  für  0"  den  Stellen- 
zeiger m^i  in  7n^i  -\-  1  verwandelt,  wodurch  sie,  während  ihr  Werth 
ungeändert  bleibt,  in  den  Ausdruck  zur  Rechten  übergeht. 

Die  Function  %'  ist  durch  diese  Relationen  und  durch  die  Eigen- 
schaft, allenthalben  endlich  zu  bleiben,  bis  auf  einen  constanten  Factor 
bestimmt.  Denn  in  Folge  der  letzteren  Eigenschaft  und  der  Rela- 
tionen (2.)  ist  sie   eine   einwerthige  für  endliche   v  endliche  Function 

von  e  ^j  e  '\  .  .  .,  e  ^^  und  folglich  in  eine  pi'Aoh.  unendliche  Reihe 
von  der  Form 


2 


p 
A  p    ^ 


mit  den  constanten  Coefficienten  Ä  entwickelbar.    Aus  den  Relationen 
(3.)  ergiebt  sich  aber 

p 
2  2J ajii,  vt)i,(  -f-  Ol,  V 

■^m^ ,  . .  ._,  wiv  +  1 ,  ...,  mp  ^^  ^m, ,  . .  .,  mv ,  . . . ,  vip  ^ 


folglich 


^m  m    =  const.  e  ,  w.  z.  b.  w. 


122  VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen. 

Man  kann  daher  diese  Eigenschaften  der  Function  zu  ihrer 
Definition  verwenden.  Die  Systeme  gleichzeitiger  Aenderungen  der 
Grössen  Vy  durch  welche  sich  log  %•  nur  um  eine  lineare  Function  von 
ihnen  ändert,  sollen  Systeme  zusmmnengeliöriyer  Verioclicitätsmoduln  der 
iinahhängig  veränderlichen  Grössen  in  dieser  '9' -Function  genannt  werden. 

18. 

Ich  substituire  nun  für  die  p  Grössen  v^,  v.^,  .  .  .,  Vp  p  immer  end- 
lich bleibende  Integrale  u^,  u^,  .  .  .,  Up  rationaler  Functionen  einer 
veränderlichen  Grösse  0  und  einer  2^9+1  fach  zusammenhängenden 
algebraischen  Function  s  dieser  Grösse,  und  für  die  zusammengehörigen 
Periodicitätsmoduln  der  Grössen  v  zusammengehörige  (d.  h.  an  dem- 
selben Querschnitte  stattfindende)  Periodicitätsmoduln  dieser  Integrale, 
so  dass  log  d-  in  eine  Function  einer  Veränderlichen  2  übergeht, 
welche  sich,  wenn  s  und  z  nach  beliebiger  stetiger  Aenderung  von  0 
den  vorigen  Werth  wieder  annehmen,  um  lineare  Functionen  der 
Grössen  u  ändert. 

Es  soll  zunächst  gezeigt  werden,  dass  eine  solche  Substitution  für 
jede  2p  -{-  1  fach  zusammenhängende  Function  s  möglich  ist.  Die  Zer- 
schneidung der  Fläche  T  muss  zu  diesem  Zwecke  so  durch  2  p  in  sich 
zurücklaufende  Schnitte  a^,  «2?  •  •  •?  ci^pj  ^i?  ^2;  •  •  •;  h^  geschehen,  dass 
folgende  Bedingungen  erfüllt  werden.  Wenn  man  u^,  11.2,  .  .  .,  Up  so 
wählt,  dass  der  Periodicitätsmodul  von  Uf^i  an  dem  Schnitte  «a  gleich 
Tci,  an  den  übrigen  Schnitten  a  gleich  0  ist,  und  man  den  Periodicitäts- 
modul von  U/^c  an  dem  Schnitte  hy  durch  a^^y  bezeichnet,  so  muss 
cf'n,v  =  civ,fi   und    der   reelle   Theil    von    E  a^^^'M^ifn^'  für   alle    reellen 

(ganzen)  Werthe  der  p  Grössen  m  negativ  sein. 

19. 

Die  Zerlegung  der  Fläche  T  werde  nicht  wie  bisher  nur  durch  in 
sich  zurücklaufende  Querschnitte,  sondern  folgendermassen  ausgeführt. 
Man  mache  zuerst  einen  in  sich  zurücklaufenden  die  Fläche  nicht  zer- 
stückelnden Schnitt  öfjL  und  führe  dann  einen  Querschnitt  h^  von  der 
positiven  Seite  von  a^  auf  die  negative  zum  Anfangspunkte  zurück, 
worauf  die  Begrenzung  aus  einem  Stücke  bestehen  wird.  Einen  dritten 
die  Fläche  nicht  zerstückelnden  Querschnitt  kann  man  demzufolge 
(wenn  die  Fläche  noch  nicht  einfach  zusammenhängend  ist)  von  einem 
beliebigen  Punkte  dieser  Begrenzung  bis  zu  einem  beliebigen  Begren- 
zungspunkte,  also   auch  zu  einem  früheren  Punkte  dieses  Querschnitts 


VI.     Theorie  der  Aberschen  Functionen.  123 

führen.  Man  thue  das  Letztere,  so  dass  dieser 'Querschnitt  aus  einer 
in  sich  zurücklaufenden  Linie  a.^^  und  einem  dieser  Linie  voraufgehen- 
den Theile  c\  besteht,  Avelcher  das  frühere  Schnittsystem  mit  ihr  ver- 
bindet. Den  folgenden  Querschnitt  h.^  ziehe  man  von  der  positiven 
Seite  von  a.,  auf  die  negative  zum  Anfangspunkte  zurück,  worauf  die 
Begrenzung  wieder  aus  einem  Stücke  besteht.  Die  weitere  Zerschnei- 
dung kann  daher,  wenn  nöthig,  wieder  durch  zwei  in  demselben 
Punkte  anfangende  und  endende  Schnitte  a.^  und  \  und  eine  das 
System  der  Linien  a^  und  63  ^ai^  ihnen  verbindende  Linie  c^  geschehen. 
Wird  dieses  Verfahren  fortgesetzt,  bis  die  Fläche  einfach  zusammen- 
hängend ist,  so  erhält  man  ein  Schnittnetz,  welches  aus  p  Paaren  von 
zwei  in  einem  und  demselben  Punkte  anfangenden  und  endenden  Linien 
a^  und  &i,  a.y  und  h^,  . .  .,  üp  und  hp  besteht  und  aus  i)  —  1  Linien 
q^  (?2,  ...,  Cp-ij  welche  jedes  Paar  mit  dem  folgenden  verbinden.  Es 
möge  Cv  von  einem  Punkte  von  h,.  nach  einem  Punkte  von  a,.|_i  gehen. 
Das  Schnittnetz  wird  als  so  entstanden  betrachtet,  dass  der  2v  —  1  te 
Querschnitt  aus  Cj_i  und  der  von  dem  Endpunkte  von  c,_i  zu  diesem 
zurückgezogenen  Linie  a,  besteht,  und  der  2viQ  durch  die  von  der 
positiven  auf  die  negative  Seite  von  a,.  gezogene  Linie  hv  gebildet  wird. 
Die  Begrenzung  der  Fläche  besteht  bei  dieser  Zerschneidung  nach 
einer  geraden  Anzahl  von  Schnitten  aus  einem ,  nach  einer  ungeraden 
aus  zwei  Stücken. 

Ein  allenthalben  endliches  Integral  tv  einer  rationalen  Function 
von  s  und  z  nimmt  dann  zu  beiden  Seiten  einer  Linie  e  denselben 
Werth  an.  Denn  die  ganze  früher  entstandene  Begrenzimg  besteht, 
aus  einem  Stücke  und  bei  der  Integration  längs  derselben  von  der 
einen  Seite  der  Linie  c  bis  auf  die  andere  wird  fdiv  durch  jedes  früher 
entstandene  Schnittelement  zweimal,  in  entgegengesetzter  Richtung, 
erstreckt.  Eine  solche  Function  ist  daher  in  T  allenthalben  ausser 
den  Linien  a  und  h  stetig.  Die  durch  diese  Linien  zerschnittene  Fläche 
T  möge  durch  T"  bezeichnet  werden. 

20. 

Es  seien  nun  tv^,  W2,  .  .  .,  Wp  von  einander  unabhängige  solche 
Functionen,  und  der  Periodicitätsmodul  von  iV/u  an  dem  Querschnitte 
üy  gleich  Ä^^^  und   an  dem  Querschnitte   hv  gleich  ■B^^\     Es  ist  dann 

fX  f.1 

das  Integral  fiv^idiVic,  um  die  Fläche  T"  positiv  herum  ausgedehnt, 
=  0,  da  die  Function  unter  dem  Integralzeichen  allenthalben  endlich 
ist.  Bei  dieser  Integration  wird  jede  der  Linien  a  und  h  zweimal, 
einmal  in  positiver  und  einmal  in  negativer  Richtung  durchlaufen,  und 


124  VI.     Theorie  der  Abel'sclieii  Fimctionen. 

es  muss  während  ieuer  Integration,  wo  sie  als  Begrenzung  des  posi- 
tiverseits  gelegenen  Gebiets  dient,  für  ti\i  der  Wertli  auf  der  positiven 
Seite  oder  w^i'^,  während  dieser  der  Werth  auf  der  negativen  oder 
Wf^r  genommen  werden.  Es  ist  also  dies  Integral  gleich  der  Summe 
aller  Integrale  f  {tv^t'^  ■ — Wf~)  div^i-  durch  die  Linien  a  und  h.  Die 
Linien  h  führen  von  der  positiven  zur  negativen  Seite  der  Linien  a, 
und  folglich  die  Linien  a  von  der  negativen  zur  positiven  Seite  der 
Linien  h.     Das  Intejyral  durch  die  Linie  a,.   ist  daher 


('•) 


und  das  Integral  durch  die  Linie  Jh 

Das  Integral  f  WjudWin'j    um    die  Fläche   T"  positiv  herum    erstreckt, 
ist  also 

und  diese  Summe  folglich  =  0.     Diese  Gleichung  gilt  für  je  zwei  von 

den  Functionen   w^y  w^,  .  .  .,  Wp   und  liefert   also   - — : — - —  Relationen 

zwischen  deren  Periodicitätsmoduln. 

Nimmt   man  für   die   Functionen  w  die  Functionen   u  oder  wählt 


man 

sie   so, 

dass   ^J;^ 

für 

ein 

von 

f* 

verschiedenes 

V 

gleich 

0 

und 

V 

=  Tti  ist, 

so  gehen  diese  Relationen  über 

in  B''}: 

Jti 

Tii 

=  0 

oder 

in  (^^,i.i' 

=  a^',^. 

21. 

Es  bleibt  noch  zu  zeigen,  dass  die  Grössen  a  die  zweite  oben 
nöthig  gefundene  Eigenschaft  besitzen. 

Man  setze  iv  =  ^  -\-  vi  und  den  Periodicitätsmodul  dieser  Function 
an  dem  Schnitte  a^  gleich  A^"^  =  a^  -\-  y^i  und  an  dem  Schnitte  hv 
gleich  B^^'^  =  /3^  +  d^i.     Es  ist  dann  das  Integral 


j'(0"+©') 

1   Vcxcy        oy  ex]  ^ 


dT 

j    \\cx/      •     \oyi  j 

oder 


*)  Dies  Integral  drückt  den  Inhalt  der  Fläche  aus,  welche  die  Gesammtheit 
der  Worthe,  die  tv  innerhalb  T"  annimmt,  auf  der  ?/?- Ebene  repräsentirt. 


VI.    Theorie  der  Abel' sehen  Functionen.  125 

durch  die  Fläche  T"  gleich  dem  Begrenzungsintegral  f[idv  um  T" 
positiv  herum  erstreckt,  also  gleich  der  Summe  der  Integrale /(fA+  —  ^~)dv 
durch  die  Linien  a  und  h.  Das  Integral  durch  die  Linie  a^  ist 
=  ccrfdv  =  a,  dv,  das  Integral  durch  die  Linie  hy  gleich  ßvfdv  =^  —  ßvyv 
und  folglich 

t/  \  /        f  t=  1 

Diese  Summe  ist  daher  stets  positiv. 

Hieraus  ergiebt  sich  die  zu  beweisende  Eigenschaft  der  Grössen  a, 
wenn  man  für  tv  setzt  u^m^^  +  u.,nk^  +  •  •  *  +  ^h'^^^p-  Denn  es  ist  dann 
j^(v)  ^^  rtivTci,  jB^'^  =  2Ja^,,r%o  folglich  «„  stets  =  0  und 

oder  gleich  dem  reellen  Theile  von  — jcUa^^rmunh,  welcher  also  für 
alle  reellen  Werthe  der  Grössen  m  positiv  ist. 

22. 

Setzt  man  nun  in  der  -O" -Reihe  (1.)  §.  17  für  öf^,,«-  den  Periodi- 
citätsmodul  der  Function  u^  an  dem  Schnitt  hfi'  und,  durch  e^^  e^^  ,..^ep 
beliebige  Constanten  bezeichnend,  Ufj^  —  e^,  für  i;^,,  so  erhält  man  eine 
in  jedem  Punkte  von  T  eindeutig  bestimmte  Function  von  z^ 

^  (jh  —^i,   ^2  —  ^2;    •  •  • ;   ^h  —  ^l)y 

welche  ausser  den  Linien  h  stetig  und  endlich  und  auf  der  positiven 
Seite  der  Linie  h^  (e"~  "  ^^v "~  ^') )  mal  so  gross  als  auf  der  negativen 
ist,  wenn  man  den  Functionen  u  in  den  Linien  h  selbst  den  Mittel- 
werth  von  den  Werthen  zu  beiden  Seiten  beilegt.  Für  wie  viele 
Punkte  von  T'  oder  Werthenpaare  von  s  und  z  diese  Function  un- 
endlich klein  von  der  ersten  Ordnung  wird,  kann  durch  Betrachtung 
des  Begrenzungsintegrals  fdlogd',  um  T'  positiv  herum  erstreckt, 
gefunden  werden;  denn  dieses  Integral  ist  gleich  der  Anzahl  dieser 
Punkte  multiplicirt  mit  2'jti.  Andererseits  ist  dies  Integral  gleich  der 
Summe  der  Integrale /((?  log -0'+ —  rflog-^-"")  durch  sämmtliclie  Schnitt- 
linien a,  h  und  c.  Die  Integrale  durch  die  Linien  a  und  c  sind  =^  0, 
das  Integral  durch  &,.  aber  gleich  —  2fduy  =  27ti,  die  Summe  aller 
also  =  p27ti.  Die  Function  -9'  wird  daher  unendlich  klein  von  der 
ersten  Ordnung  in  p  Punkten  der  Fläche  T\  welche  durch  i^^,  %y  -  -,  Vp 
bezeichnet  werden  mögen. 


126  VI.    Theorie  der  AbeFschen  Functionen. 

Durch  einen  positiven  Umlauf  des  Punktes  (s,  s)  um  einen  dieser 
Punkte  wächst  log -ö-  um  27ii,  durch  einen  positiven  Umlauf  um  das 
Schnittepaar  Ov  und  Z>,.  um  —  27ti.  Um  daher  die  Function  log -O" 
allenthalben  eindeutig  zu  bestimmen,  führe  man  von  jedem  Punkte  t] 
einen  Schnitt  durch  das  Innere  nach  je  einem  Linienpaar,  von  Tjr  den 
Schnitt  ?v  nach  a^  und  hy,  und  zwar  nach  ihrem  gemeinschaftlichen 
Anfangs-  und  Endpunkte,  und  nehme  in  der  dadurch  entstandenen 
Fläche  T*  die  Function  allenthalben  stetig  an.  Sie  ist  dann  auf  der 
positiven  Seite  der  Linien  l  um  —  2jti,  auf  der  positiven  Seite  der 
Linie  ttr  um  gr2%i  und  auf  der  positiven  Seite  der  Linie  &,.  um 
—  2{iiv  ^—  er)  —  hr27ti  grösser,  als  auf  der  negativen,  wenn  gr  und  h^ 
ganze  Zahlen  bezeichnen. 

Die  Lage  der  Punkte  rj  und  die  Werthe  der  Zahlen  g  und  h 
hängen  von  den  Grössen  e  ab,  und  diese  Abhängigkeit  lässt  sich  auf 
folgendem  Wege  näher  bestimmen.  Das  Integral  flog  d- du  i^,,  um  T* 
positiv  herum  erstreckt,  ist  =  0,  da  die  Function  log  d'  in  T*  stetig 
bleibt.  Dieses  Litegral  ist  aber  auch  gleich  der  Summe  der  Integrale 
/(log'0'+  —  log  d--)  dtiu  durch  sämmtliche  Schnittlinien  l,  a,  h  und  c 
und  findet  sich,  wenn  man  den  Werth  von  u^  im  Punkte  7]v  durdi 
«^/'^  bezeichnet, 

=  27ti  ^  V  c:^,(^)  +  Ji^Tti  +    V^,-a,,  ^  —  e^  +  h\ 

worin  Ä:^  von  den  Grössen  e,  ^,  h  und   der  Lage   der  Punkte  rj  unab- 
hängig ist.     Dieser  Ausdruck  ist  also  =  0. 

Die  Grösse  ^^  hängt  von  der  Wahl  der  Function  Uj^i  ab,  welche 
durch  die  Bedingung,  an  dem  Schnitte  ü/n  den  Periodicitätsmodul  Jti, 
an  den  übrigen  Schnitten  a  den  Periodicitätsmodul  0  anzunehmen,  nur 
bis  auf  eine  additive  Constante  bestimmt  ist.  Nimmt  man  für  ti^i  eine 
um  die  Constante  c^^  grössere  Function  und  zugleich  ^^,  um  c^<  grösser, 
so  bleiben  die  Function  '9'  und  folglich  die  Punkte  rj  und  die  Grössen 
g,  h  ungeändert,  der  Werth  von  w^^  im  Punkte  Tjy  aber  wird  a^^''^  -{-  c^. 
Es   geht  daher  h^  in  Ä;^t  —  {jp  —  1)  c^    über    und   verschwindet,    wenn 

c^  =  —~~r  genommen  wird. 

Man  kann  folglich,  wie  für  die  Folge  geschehen  soll,  die  addi- 
tiven Constanten  in  den  Functionen  u  oder  die  Anfangswerthe  in  den 
sie  ausdrückenden  Integralen  so  bestimmen,  dass  man  durch  die  Sub- 
stitution von  M^  —  2^«^/^^  für  V/u  in  log'O'  (v^,  .  .  .,  Vp)  eine  Function  er- 
hält, welche  in  den  Punkten  ri  logarithmisch  unendlich  wird  und,  durch 
7'*  stetig  fortgesetzt,  auf  der  positiven  Seite  der  Linien  l  um  —  27ti, 


VJ.    Theorie  der  Aberschen  Functionen.  127 

V 

der  Linien  a  um  0  und   der  Linie  &,,   um  —  2(iiy  —  Z'ßy^^')   grösser 

1 

wird,  als  auf*  der  negativen.  Zur  Bestimmung  dieser  Anfangswerthe 
werden  sich  später  leichtere  Mittel  darbieten,  als  der  obige  Integral- 
ausdruck für  /i^. 


23. 

Setzt  man  {u^,  i/^,  .  .  .,  Up)  ^  (al^^^  cc.}^\  •  •  • ,  ccj^^^)  nach  den  2p 
Modulsystemen  der  Functionen  ii  (§.  L5),  also 

(r.  ,v,,...,  v„)  ~  (-  2?  <"\  -  'J?  <'''  •  •  • '  -  2?  """* )  ' 

^1  1  1  ^ 

so  wird  -O-  =  0.  Wird  umgekehrt  -O-  =  0  für  v^^  ==  r^,,  so  ist  (r^,  r^, . . .,  r^,) 
einem  Grössensysteme  von  der  Form 

(-2"'"-  2"^'''' ■■■'-2 "'''') 

^1  1  1         ^ 

congruent.  Denn  setzt  mau  V/^^  =  u^i  —  «^/^'^  +  r^,  indem  man  f]j,  be- 
liebig wählt,  so  wird  die  Function  d'  ausser  in  rjp  noch  in  p  —  1 
andern  Punkten  unendlich  klein  von  der  ersten  Ordnung,  und  be- 
zeichnet man  diese  durch  rj^,  i/^,  . .  •;  Vp—h  so  ist 

(-"y  <■>,  -  2?  «^"'  ■■■'-"2 "'''')  -  ^''^'  ''''■•■'  '■''^- 

^1  1  1        ^ 

Die  Function  ^  bleibt  ungeändert,  wenn  man  sämmtliche  Grössen 
V  in's  Entgegengesetzte  verwandelt;  denn  verwandelt  man  in  der  Reihe 
für  ^  {v^,  v^,  .  .  .,  Vp)  sämmtliche  Indices  m  in's  Entgegengesetzte,  wo- 
durch der  Werth  der  Reihe  ungeändert  bleibt,  da  —  m^  dieselben  Werthe 
wie  niv  durchläuft,  so  geht  ^  {i\,  v.^, . . . ,  Vj)  über  in  0'( —  v^^  —  '^2?  •  •  •;  —  '^p)- 

Nimmt   man  nun    die   Punkte    r]^,  ^^  .  .  . ,  rjp  —  i  beliebig   an,    so 

2)  —  1  p  —  1 

wird  d'  (—  2;«i^'>,  ...,  —  2:«/))  =  0  und  folglich,  da  die  Function  ^ 
1  1 

^  —  1  p—i 

wie  eben  bemerkt  gerade  ist,  auch  d' (Uaj^'\  ...,  2JcCp^''>)  =  0.  Es  lassen 

1  1 

sich  also  die  })  —  1  Punkte  rjp^  rjp^i^  .  .  .,  'y]->p  —  2  so  bestimmen,  dass 

p-l  p—l  .  '2p -2  2p -2 

(2^«  <■), . . .,  2' v>)  -  (-  2<''  ■■■'-  2'^"'") 

^1  i         ^        "^       p  p         ^ 

und  folglich 


128  VI.    Theorie  der  AbeVscheu  Functionen. 

2i>  — 2  2JD-2 

^1  1  ^ 

ist.  Die  Lage  der  p  —  1  letzten  Punkte  hängt  dann  von  der  Lage 
der  2^  —  1  ersten   so   ab^   dass   bei   beliebiger   stetiger  Aenderung  der- 

selben   E dan^'">  =0  iüv  %  =-  \,  2,  .  .  .,  p,  und  folglich  sind  (§.  16)  die 

Punkte  1]  solche  2p  ~  2  Punkte^  für  welche  ein  div  unendlich  klein 
von  der  zweiten  Ordnung  wird,  oder  wenn  man  den  Werth  des 
Grössenpaars  (5,  s)  im  Punkte  r;,,  durch  ((7,.,  Si),  bezeichnet,  so  sind 
((?!,  Ji),  ...,  {a2p-2,  S2J0-2)  durch  die  Gleichung  9  =  0  verknüpfte 
Werthenpaare  (§.  16). 

Bei  den  hier  gewählten  Änfangswerthen  der  Integrale  u  wird  also 


2p— 2  2p  — 2 


)  —  2 

^V))-(o,...,o) 

1  "^ 


tvenn  die  Siimmationen  über  sämmtliche  von  den  Grössenpaaren  (7^,  d^)) 
(§.  6)  verschiedene  gemeinschaftliche  Wurzeln  der  Gleichung  F  =  0  und 
der  Gleichung  c-^^^  -\-  c.^cp,^  -^  -  -  •  -\-  CpCp.p  =  0  erstrecld  iverden,  tvohei 
die  Constanten  Grössen  c  heliebig  sind. 

Sind  £^,  £,,j  .  .  .,  Bni  ni  Punkte,  für  welche  eine  rationale  Function  | 
von  s  und  0,  die  m  mal  unendlich  von  der  ersten  Ordnung  wird,  den- 
selben Werth  annimmt,   und  uj'''\  5^<,  Z/n   die  Werthe   von  u^t,  5,  0   im 


m 


Punkte  £^,  so  ist  (§.  15)  (27?(/'"\  ^^2^'^  •  -  -,  27 w^/'"^)  congruent  einem 

11  1 

Constanten,   d.  h.  vom   Werthe   der   Grösse    |    unabhängigen    Grössen- 

systeme  (ö^,  ?>2  7  •••?  ^p)}  ^^^   ^s   kann   dann   für  jede   beliebige  Lage 

eines  Punktes  s  die  Lage  der  übrigen  so  bestimmt  werden,  dass 

m  m 

{^u,'."\...,^u/A^(b„...,b„). 
^1  1  -^ 

Man  kann  daher,  wenn  m=  p,  (u^  —  b^,  .  ..,  Up  —  h^,)  und,  wenn  m  <  j;, 

p—m  p— m 

für  jede    beliebige  Lage  des   Punkts   (s,  z)  und  der  p  —  m  Punkte  ?y 

p—\  p—\ 

auf   die   Form   (—  27  a^^^^  .  .  . ,  —  27 «/'))   bringen,   indem    man   einen 
1  1 

der  Punkte  f  mit  (s,  z)  zusammenfallen  lässt,  und  folglich  ist 

p  —  'ni  jJ  — ?n 


VI.    Theorie  der  Abel'schen  Functionen.  129 

für  jedwede  Werthe  des  Grössenpaars  (s,  z)  und  der  j)  —  m  Grössen- 
paare  (öy,  f,)  gleich  0. 

24. 

Aus  der  Untersuchung  des  §.  22  folgt  als  Corollar,  dass   ein  be- 
liebig   gegebenes    Grössensystem  {e^,  .  .  ,,  Cj)    immer    einem    und    nur 

einem    Grössensystem e    von    der   Form   {Ea^^^'\  .  .  .,  2^«^^*^)  congruent 

1  1 

ist,  wenn  die  Function  d'  (n^  —  c^,  .  .  .,  Up  —  Cp)  nicht  identisch  ver- 
schwindet; denn  es  müssen  dann  die  Punkte  rj  die  j)  Punkte  sein^  für 
welche  diese  Function  0  wird.  Wenn  aber  '9- (w/^'^  —  ^'d  -  -  -7  ^/^'^  —  Cp) 
für  jeden  Werth  von  (Sp,  0p)  verschwindet,  so  lässt  sich 

(«,<")  -e,,...,  «,0')  -  c,)  =  {-^u,('\  ...,  -'^u.f'y) 

1  1 

setzen  (§.  23),  und  es  lassen  sich  also  für  jeden  Werth  des  Grössen- 
paars (sp,  Zp)  die  Grössenpaare  {s^,  z^,  . .  .^  (Sp—ij  Zp—i)  so  bestim- 
men, dass 

^1  1  "^ 

P 

und  folglich,  bei  stetiger  Aenderung  von  (Sp,  Zj),  2Jdtin^''^  =  0  ist  für 

1 

;r  =  1,  2,  . .  .,  jj.     Die  j)  Grössenpaare  (Sv,  Zy)   sind   daher  ^)   von  den 

Grössenpaaren  (yo,  ö\>)   verschiedene   Wurzeln  einer  Gleichung  cp  =  Oy 

deren  Coefficienten  so   sich   ändern,  dass   die  übrigen  p  —  2  Wurzeln 

constant  bleiben.    Bezeichnet  man  die  Werthe  von  ii^  für  diese  j)  —  2 

Werthenpaare  von  s  und  z  durch  Un^P'^^\  uJp~^^\  .  .  .,  Un^'^^~'^\  so  ist 

(^'^■,v'»,...;^v")=(o, ,0) 

und  folglich 

2jo  — 2  2^—2 

{e„  . .  .,e,)  =  (-   Vt(,<",  . . .,  -  ^V»)- 

i>  +  1  p  4- 1 

Umgekehrt  ist,  wenn  diese  Congruenz  stattfindet, 

P  P 

Ein  beliebig  gegebenes  Grössensystem  (e, ,  . . . ,  ep)  ist  also  nur  Einem 

p  p 

Grössensysteme  von   der   Form  {2^cc^^''\  •  . . ,  ^ccp^"')  congruent ^  ivenn  es 

1  1 

Rtfmakn's  gpsanimolte  raatheraatische  Werke.    I.  9 


130  VI.    Theorie  der  AbeFschen  Functionen. 

p-'2  p—2 

nicht  einem  Grössensysteme  von  der  Form  ( —  2Ja^^''\  .  . .,  —  27  a^/*))  con- 

1  1 


grtient  ist,  und  unendlich  vielen,  wenn  dieses  stattfindet. 

Da  d' {u,  —  i;«//'), ...,Uj,  —  hap (^'))  =  ^ (!;«//')  —  Wi , . . . ;  hap (^')  —  Up\ 
1  1  1  1 

so  ist  '^  eine  ganz  ähnliche  Function  wie  von  (s^  'z)  auch  von  jedem 
derj^Grössenpaare  (p^^^  y.  Diese  Function  von  ((J^,,  J^,)  wird  =  0  für  das 
Werthenpaar  {s,  z)  und  für  die  den  übrigen  j;  —  1  Grössenpaaren  ((7,  ^) 
durch  die  Gleichung  ^  =  0  verknüpften  ^)  —  1  Punkte.  Denn  bezeichnet 
man  den  Wertli  von  Un  in  diesen  Punkten  mit  (^jP,  ß/'^\..:,  ßj^''~^\  so  ist 

^    i  1  ^  1  1 

und  folglich  -O-  =  0,  wenn  rju  mit  einem  dieser  Punkte  oder  mit  dem 
Punkte  (s,  s)*  zusammenfällt. 

25. 

Aus  den  bisher  entwickelten  Eigenschaften  der  Function  %-  ergiebt 
sich  der  Ausdruck  von  log  '0'  durch  Integrale  algebraischer  Functionen 

von  (s,  z\  {ö„  Si),  ...,((T^,  y. 

p  p 

Die  Grösse   log  0-  («f/'^)  —  2:«/^'>,  .  .  .)  —  log  '^  (^f/l)  —  2Ja^^^'\  .  .  .) 


ist,  als  Function  von  {a,,,  ^,</)  betrachtet,  eine  Function  von  der  Lage 
des  Punkts  i^^^  welche  im  Punkte  f^,  wie  —  log  (J^,  —  z^),  im  Punkte  f^, 
wie  log  (f^  —  Z2)  unstetig  wird  und  auf  der  positiven  Seite  einer  von 
fj  nach  £2  zu  ziehenden  Linie  um  27ti,  auf  der  positiven  Seite  der 
Linie  hv  um  2  (uiM^  —  u^^^^)  grösser  ist^  als  auf  der  negativen^  ausser 
den  Linien  h  und  der  Verbindungslinie  von  £^  und  62  aber  allenthalben 
stetig  bleibt.  Bezeichnet  nun  arC'0(^£^^  £^)  irgend  eine  Function  von 
((7^,,  S^),  welche  ausser  den  Linien  h  ebenso  unstetig  ist  und  auf  der 
einen  Seite  einer  solchen  Linie  ebenfalls  um  eine  Constante  grösser 
ist,  als  auf  der  andern,  so  unterscheidet  sie  sich  (§.  3)  von  dieser  nur 
um   eine   von  ((j^^,  i^^)   unabhängige   Grösse,   und    folglich    ist    sie    von 

p 

2J'c3rC")  (^£j  ^  ^2)  iiur  um  eine  von  sämmtlichen  Grössen  (ö,  ^)  unabhängige 

1 

und  also  bloss  von  (s^,  z^)  und  (s^,  z.^  abhängende  Grösse  verschieden. 
'üür^")(fi,  fg)  drückt  den  Werth  einer  Function  la  {e^,  e.^  des  §.  4  für 
(Sj  z)  ==  ((?^,,  J,,)  aus,  deren  Periodicitätsmoduln  an  den  Schnitten  a 
gleich  0  sind.     Aendert   man   diese  Function   um    die   Constante  c,   so 

p 
ändert  sich  2;'co^>(£j,  b^)  um  j)C\  man  kann  daher,  wie  für  die  Folge 


VI.    Theorie  der  AbeVschen  Functionen.  131 

geschehen  soll,  die  additive  Constante  in  der  Function  "w  (f^,  fg)  ^^^^ 
den  Anfangswerth  in  dem  sie  darstellenden  Integrale  dritter  Gattung 

p 
so  bestimmen,  dass  log  '9'^''^^  —  log  %'^^^  =  2Jtar^>(£i,  a.^.  Da  -O*  von  jedem 

1 

der  Grössenpaare  {(5,  J)  auf  ähnliche  Art,  wie  von  {s,  z)  abhängt,  so 
kann  die  Aenderung  von  log  '9',  wenn  irgend  eins  der  Grössenpaare 
(s,  £),  ((7^,  Ji),  ...,  {pp,  5^,)  eine  endliche  Aenderung  erleidet,  während 
die  übrigen  constant  bleiben,  durch  eine  Summe  von  Functionen  "aT 
ausgedrückt  werden.  Offenbar  kann  man  also,  indem  man  nach  und 
nach  die  einzelnen  Grössenpaare  (s,  z)^  ((Jj,  ^J,  ...,  {pp,  5/>)  ändert, 
locf  o)"    ausdrücken    durch    eine    Summe    von    Functionen   tsr   und 

log*(0,0,  ...,0) 
oder  dem  Werth  von  log  %^  für  ein  beliebiges  anderes  Werthen- 
system.  Die  Bestimmung  von  log -0"  (0,  0,  .  .  .,  0)  als  Function  der 
3  p  —  3  Moduln  des  Systems  rationaler  Functionen  von  s  und  z 
(§.  12)  erfordert  ähnliche  Betrachtungen,  wie  sie  von  Jacobi  in  seinen 
Arbeiten  über  elliptische  Functionen  zur  Bestimmung  von  0  (0)  ange- 
wandt worden  sind.  Man  kann  dazu  gelangen,  indem  man  mit  Hülfe 
der  Gleichungen 

und   2 


wenn  fi  von  ^'  verschieden  ist,  die  Differentialquotienten  von  log  d^ 
nach  den  Grössen  a  in 

durch  Integrale  algebraischer  Functionen  ausdrückt.  Für  die  Aus- 
führung dieser  Rechnung  scheint  jedoch  eine  ausführlichere  Theorie 
der  Functionen,  welche  einer  linearen  Differentialgleichung  mit  alge- 
braischen Coefficienten  genügen,  nöthig,  die  ich  nach  den  hier  ange- 
wandten Principien  nächstens  zu  liefern  beabsichtige. 

Ist    (so,   Z2)    unendlich    wenig    von    (s^,   z^)    verschieden,    so    geht 
ür(fj,  f^)  über  in  dz^^t^s^),  worin   t  (e^)  ein  Integral   zweiter    Gattung 

einer  rationalen  Function  von  s  und  z  ist,  welches  in  f,  wie un- 

'  ^  z  —  z^ 

stetig  wird  und  an  den  Schnitten  a  den  Periodicitätsmodul  0  hat;  und 
es  ergiebt  sich,  dass  der  Periodicitätsmodul  eines  solchen  Integrals  an 

dem  Schnitte  hy  gleich  2  —r-—  ist  und  die  Integrationsconstante  sich 
so  bestimmen  lässt,  dass  die  Summe  der  Werthe  von  /  (fj)  für  die 
p  Werthenpaare  (c?^,  JJ,  .  .  .,  ((>,;,  ^,',)  gleich  ^^ —  wird.    Es  ist  dann 


132  VI.    Theorie  der  Aberschen  Functionen. 

g^^^      gleich  der  Summe   der  Wertlie   von   t  (rj^a)  für   die    den  p  —  1 

von  (ö/^^,  J^t)  verschiedenen  Grössenpaaren  (öj  J)  durch  die  Gleichung 
cp  =  0  verknüpften  p  —  1  Werthenpaare  und  für  das  Werthenpaar 
(s,  ^)^  und  man  erhält  für 

~f^  dh  +  2j    h,c    '^'^^'  =  ^  ^Qg  ^  > 

einen  Ausdruck,  welchen  Wei erstras s  für  den  Fall^  wenn  s  nur  eine 
zweiwerthige  Function  von  ^  ist,  gegeben  hat  (Journ.  für  Mathem. 
Bd.  47  S.  300 ..Form.  35). 

iDie  Eigenschaften  von  7o  (s^ ,  f^)  und  t  {e^)  als  Functionen  von 
(s^j  2j)  und  (^2,  ^2)  ergeben  sich  aus  den  Gleichungen 

-^  fe;  ^2)  ==  J  (log  ^  0^/-^>  -pth,  .  .  .)  -  log  ^  (V^)  -  pih,  .  .  .)  ) 

welche  in  den  obigen  Ausdrücken  für  log  d'^'^^  —  log  d-^^^  und  — ~ 

als  specielle  Fälle  enthalten  sind. 

26. 

Es  soll  jetzt  die  Aufgabe  behandelt  werden,  algebraische  Functionen 
von  2  als  Quotienten  zweier  Producte  von  gleichvielen  Functionen 
^  {^h  —  ^1;  •  •  •)  ^^^  Potenzen  der  Grössen  e^  darzustellen. 

Ein  solcher  Ausdruck  erlangt  bei  den  Uebergängen  von  {s,  £)  über 
die  Querschnitte  constante  Factoren,  und  diese  müssen  Wurzeln  der 
Einheit  sein,  wenn  er  algebraisch  von  b  abhängen  und  also  bei  stetiger 
Fortsetzung  für  dasselbe  z  nur  eine  endliche  Anzahl  von  Werthen  an- 
nehmen soll.  Sind  alle  diese  Factoren  /iite  Wurzeln  der  Einheit,  so 
ist  die  fite  Potenz  des  Ausdrucks  eine  einwerthige  und  folglich  ratio- 
nale Function  von  s  und  z. 

Umgekehrt  lässt  sich  leicht  zeigen,  dass  jede  algebraische  Function 
r  von  Zy  die  innerhalb  der  ganzen  Fläche  T'  stetig  fortgesetzt,  allent- 
halben nur  einen  bestimmten  Werth  annimmt  und  beim  üeberschrei- 
ten  eines  Querschnitts  einen  constanten  Factor  erlangt,  sich  auf  man- 
nigfaltige Art  als  Quotient  zweier  Producte  von  -ö-- Functionen  und 
Potenzen  der  Grössen  e'^  ausdrücken  lässt.  Man  bezeichne  einen 
Werth  von  xi^  für  r  ==  00  durch  /3^,  und  für  r  =  0  durch  y^^  und 
nehme  log  r,  indem  man  von  jedem  Punkte,  wo  r  unendlich  von  der 
ersten  Ordnung  wird,  nach  je  einem  Punkte,  wo  r  unendlich  klein 
von   der  ersten   Ordnung  wird,   eine  Linie    durch  das  innere  von   T' 


VI.    Theorie  der  Aberschen  Functionen.  133 

zieht,  ausser  diesen  Linien  in  T'  allenthalben  stetig  an.  Ist  dann 
logr  auf  der  positiven  Seite  der  Linie  hy  um  (jy27ti  und  auf  der  posi- 
tiven Seite  der  Linie  a,  um  —  hy2'jti  grösser,  als  auf  der  negativen, 
so  ergiebt  sich  durch  die  Betrachtung  des  13egrenzungsintegrals/logr  fZ«^ 

V 

l'ür  ^  =  \y  2,  .  .  .  ,  p,  worin  r/r  und  hy  nach  dem  oben  Bemerkten 
rationale  Zahlen  sein  müssen  und  die  Summen  auf  der  linken  Seite 
der  Gleichung  über  sämmtliche  Punkte,  wo  r  unendlich  klein  oder 
unendlich  gross  von  der  ersten  Ordnung  wird,  auszudehnen  sind,  indem 
man  einen  Punkt,  wo  r  unendlich  klein  oder  unendlich  gross  von  einer 
höheren  Ordnung  wird,  als  aus  mehreren  solchen  Punkten  bestehend 
betrachtet  (§.  2).  Wenn  diese  Punkte  bis  auf  j)  gegeben  sind,  so 
lassen  sich  diese  p  immer  und  allgemein  zu  reden  nur  auf  eine  Weise 

so  bestimmen,  dass  die  2p  Factoren  e  ,  e       '         gegebene  Werthe 

annehmen  (§§.  15,  24). 

Wenn  man  nun  in  dem  Ausdrucke 

P         —2EhyUy 

worin  P  und  Q  Producte  von  gleichvielen  Functionen  -O-  {n^  —  Z'«/'^, . . .) 
mit  demselben  (s,  z)  und  verschiedenen  ((?,  g)  sind,  die  Werthenpaare 
von  s  und  2,  für  welche  r  unendlich  wird,  für  Grössenpaare  ((?,  g)  in 
den  ^-Functionen  des  Nenners  und  die  Werthenpaare,  für  welche  r 
verschwindet,  für  Grössenpaare  ((?,  J)  in  den  '9' -Functionen  des  Zählers 
substituirt  und  die  übrigen  Grössenpaare  ((?,  f)  im  Nenner  und  im 
Zähler  gleich  annimmt,  so  stimmt  der  Logarithme  dieses  Ausdrucks 
in  Bezug  auf  die  Unstetigkeiten  im  Innern  von  T'  mit  iog  r  überein 
und  ändert  sich  beim  Ueberschreiten  der  Linien  a  und  h,  wie  log  r, 
nur  um  rein  imaginäre  längs  diesen  Linien  constante  Grössen:  er 
unterscheidet  sich  also  von  logr  nach  dem  Dirichlet'schen  Princip 
nur  um  eine  Constante  und  der  Ausdruck  selbst  von  r  nur  durch 
einen  constanten  Factor.  Bei  dieser  Substitution  darf  selbstredend 
keine  der  i)-- Functionen  identisch,  für  jeden  Werth  von  5",  verschwin- 
den. Dieses  würde  geschehen  (§  23.),  wenn  sämmtliche  Werthenpaare, 
für  welche  eine  einwerthige  Function  von  (5,  z)  verschwindet,  für 
Grössenpaare  ((?,  g)  in  einer  und  derselben  O*- Function  substituirt 
würden. 

27. 

Als  Quotient  ztveier  #- Functionen,  multiplicirt  mit  Potenzen  der 
Grössen  6'",  lässt  sich  demnach  eine  einwerthige  oder  rationale  Function 


134  VI-    Theorie  der  AbeVschen  Functionen. 

von  (s,  z)  nicht  darstellen.  .  Alle  Functionen  r  aber,  die  für  dasselbe 
Werthenpaar  von  .s  und  z  mehrere  Werthe  annehmen  und  nur  für  p 
oder  weniger  Werthenpaare  unendlich  von  der  ersten  Ordnung  wer- 
den, sind  in  dieser  Form  darstellbar  und  umfassen  alle  in  dieser  F^orm 
darstellbaren  alö:ebraischen  Functionen  von  z.  Man  erhält,  abgesehen 
von  einem  constanten  Factor,  jede  und  jede  nur  einmal,  wenn  man  in 

p 
für  /i,   und  ^,   rationale  ächte  Brüche  und  Uy  —  Za,M'^  für  Vv  setzt. 

1 

Diese  Grösse  ist  zugleich  eine  algebraische  Function  von  jeder 
der  Grössen  t,  und  die  (im  vor.  §.)  entwickelten  Principien  reichen 
völlig  hin,  um  sie  durch  die  Grössen  z,  ^i,  ...,  ^^^  algebraisch  aus- 
zudrücken. 

In  der  That:  Als  Function  von  {s,  z)  nimmt  sie,  durch  die 
ganze  Fläche  T'  stetig  fortgesetzt,  allenthalben  einen  bestimmten 
Werth  an,  wird  unendlich  von  der  ersten  Ordnung  für  die  Werthen- 
paare ((?!,  Ji),  .  .  .,  {0p,  ^p)  und  erlangt  an  dem  Schnitte  a^  beim  üeber- 

gange   von   der   positiven   zur   negativen   Seite   den  Factor  e  ^        ,    an 

dem  Schnitte  ?>,.  den  Factor  e  ;   und  jede    andere   dieselben   Be- 

dingungen erfüllende  Function  von  {s,  z)  unterscheidet  sich  von  ihr 
nur  durch  einen  von  {s,  z)  unabhängigen  Factor.  Als  Function  von 
((?^,  g^)  nimmt  sie,  durch  die* ganze  Fläche  T'  stetig  fortgesetzt,  allent- 
halben einen  bestimmten  Werth  an,  wird  unendlich  von  der  ersten 
Ordnung  für^das  Werthenpaar  (s,  z)  und  für  die  den  übrigen  ^j — 1  Grössen- 
paaren  ((?,  0  durch  die  Gleichung  ^  =  0  verknüpften  p  —  1  Werthen- 
paare   (^1*^^'^  ^/'"^)j  •••?   i^p^i)   ^p—i)   und   erlangt   an   dem   Schnitte  av 

den  Factor  e  '  ',  an  dem  Schnitte  hv  den  Factor  e  •  ;  und  jede 
andere  dieselben  Bedingungen  erfüllende  Function  von  ((?^,,  ^^,)  unter- 
scheidet sich  von  ihr  nur  durch  einen  von  (ö^,  J^)  unabhängigen 
Factor.   Bestimmt  man  also  eine  algebraische  Function  von  z,  f^,  . .  .,  ^j, 

f{(s,  z)',  {ö„  ti),  ...,  (Op,  tp)) 

so,  dass  sie  als  Function  von  jeder  dieser  Grössen  dieselben  Eigen- 
schaften besitzt,  so  unterscheidet  sie  sich  von  dieser  nur  durch  einen 
von  sämmtlichen  Grössen  z,  J^ ,  .  .  . ,  J^,  unabhängigen  Factor  und  wird 
also  =  Äf^  wenn  Ä  diesen  Factor  bezeichnet.  Um  diesen  Factor  zu 
bestimmen,  drücke  man  in  /'  die  von  ((?^,,  ^^<)  verschiedenen  Grössen- 
paare  (ö,  ?)  durch  (ö^^^\  ^Z^'-*))  •  •  -^  (^y>— i;  ^^i)  aus,  wodurch  e'r  in 


VI.    Theorie  der  Aberschen  Functionen.  135 

übergehe;  ott'enbar  erhält  man  dann  den  inversen  Werth  der  darzu- 
stellenden Function  und  also  einen  Ausdruck,,  welcher  ==  —.-.  sein  muss, 
wenn    man    in   A(j    für    {Ony   ^/O    das    Grössenpaar  {s,  z)    und    für    die 

(irössen paare  (.v,  z)^  (<?/'"\  ^/'"O?  •••?  ^^/— i;  SAO  <^i^  Werthenpaare 
von  {Sy  z)  substituirt,  für  welche  die  darzustellende  Function  und  also 
/*  =  0  wird.  Hieraus  ergiebt  sich  A^  und  also  A  bis  auf  das  Vor- 
zeichen, welches  durch  directe  Betrachtung  der  0-- Reihen  in  dem  dar- 
zustellenden Ausdrucke  gefunden  werden  kann.*) 


*)  üeber  die  Form  clor  algebraischen  Function  f  mögen  noch  einige  Bemer- 
kimgen  folgen.  Ist  n  der  kleinste  gemeinschaftliche  Nenner  der  Grössen  /t»  und 
c^r,  so  ist  die  nte  Potenz  von  f  eine  einwerthige  Function  sowohl  von  (s,  z)  als 
von  sämmtlichen  Grössenpaaren  {g ,  ^)  und  folglich  f  die  n  te  Wurzel  aus  einer 
rationalen  Function.  Diese  rationale  Function  muss  als  Function  von  (s,  z)  so  be- 
stimmt werden,  dass  sie  für  die  j)  Grössenpaare  (a,  ^)  unendlich  von  der  titen 
Ordnung  wird,  und  dass  von  den  n^;  Punkten,  für  welche  sie  unendlich  klein 
wird,  ebenfalls  je  n  zusammenfallen. 

Ist  l  irgend  eine  Function  von  (.s',  z)  welche  an  den  Querschnitten  dieselben 
Factoren  erlangt,  wie  /  und  bezeichnet  l^i  den  Werth  dieser  Function  für  das 
Werthenpaar  ((T^<,  ^f,),  so  ist  f.  l~^  Xi  X.^  .  .  .  Xp  eine  rationale  Function  q  von 
*',   z  und  sämmtlichen  Grössen  (ff,  W) ;  also : 

f=    ^L. 

Aj  A^  ...  Xp 

[Bemerkung  aus  den  in  Kiemann's  Nachlass  befindlichen  Entwürfen  zur  vor- 
stehenden Abhandlung] 


VII. 

Ueber  die  Anzahl  der  Primzahlen  unter  einer 
gegebenen  Grösse. 

(Monatsberichte  der  Berliner  Akademie,  November  1859.) 

Meinen  Dank  für  die  Auszeichnung ,  welche  mir  die  Akademie 
durch  die  Aufnahme  unter  ihre  Correspondenten  hat  zu  Theil  werden 
lassen,  glauhe  ich  am  besten  dadurch  zu  erkennen  zu  geben  ^  dass  ich 
von  der  hierdurch  erhaltenen  Erlaubniss  baldigst  Gebrauch  mache 
durch  Mittheilung  einer  Untersuchung  über  die  Häufigkeit  der  Prim- 
zahlen; ein  Gegenstand,  welcher  durch  das  Interesse,  welches  Gauss 
und  Dirichlet  demselben  längere  Zeit  geschenkt  haben,  einer  solchen 
Mittheilung  vielleicht  nicht  ganz  unwerth  erscheint. 

Bei  dieser  Untersuchung  diente  mir  als  Ausgangspunkt  die  von 
Euler  gemachte  Bemerkung,  dass  das  Product 

1 


n 


1  n^  ' 


wenn  für  p  alle  Primzahlen,  für  n  alle  ganzen  Zahlen  gesetzt  werden. 
Die  Function  der  complexen  Veränderlichen  6^,  welche  durch  diese 
beiden  Ausdrücke,  so  lange  sie  convergiren,  dargestellt  wird,  bezeichne 
ich  durch  t,{s).  Beide  convergiren  nur,  so  lange  der  reelle  Theil  von 
s  grösser  als  1  ist;  es  lässt  sich  indess  leicht  ein  immer  gültig  blei- 
bender Ausdruck  der  Function  finden.    Durch  Anwendung  der  Gleichung 


erhält  man  zunächst 


d^  =  "(^-^) 


n{s-\)i{s)=j  -^ 


i'«  — 1  dx 


VJl.     lieber  die  Aiizalil  der  Primzahlen  etc.  137 


Betrachtet  man  nun  das  Integral 

(—  x)«—i  dx 


f 


ex 


von  -\-  oo  bis  -|-  oo  positiv  um  ein  Grössengebiet  erstreckt,  welches 
den  Werth  0,  aber  keinen  andern  Unstetigkeitswerth  der  Function 
unter  dem  Integralzeichen  im  Innern  enthält,  so  ergiebt  sich  dieses 
leicht  gleich 


(,-.,.  „,.w)J*-r 


- 1  (U 
1 


vorausgesetzt,  dass  in  der  vieldeutigen  Function  ( — xf'^  ^  =(yii—i)\og{—x) 
der  Logarithmus  von  —  ^  so  bestimmt  worden  ist,   dass  er   für  ein 


negatives  x  reell  wird.     Man  hat  daher 


2sin;rs  77 (s  —  1)   S  (^')  =  i  f 


*  ( —  a:)«  — 1  dx 


e^ 


das  Integral  in  der  eben  angegebenen  Bedeutung  verstanden. 

Diese  Gleichung  giebt  nun  den  Werth  der  Function  J  (s)  für  jedes 
beliebige  complexe  s  und  zeigt,  dass  sie  einwerthig  und  für  alle  end- 
lichen Werthe  von  s,  ausser  1,  endlich  ist,  so  wie  auch,  dass  sie  ver- 
schwindet, wenn  ^  gleich  einer  negativen  geraden  Zahl  ist. 

Wenn  der  reelle  Theil  von  s  negativ  ist,  kann  das  Integral,  statt 
positiv  um  das  angegebene  Grössengebiet  auch  negativ  um  das  Grössen- 
gebiet welches  sämmtliche  übrigen  complexen  Grössen  enthält  erstreckt 
werden,  da  das  Integral  durch  Werthe  mit  unendlich  grossem  Modul 
dann  unendlich  klein  ist.  Im  Innern  dieses  Grössengebiets  aber  wird 
die  Function  unter  dem  Integralzeichen  nur  unstetig,  wenn  x  gleich  einem 
ganzen  Vielfachen  von  -j-  2  7ti  wird  und  das  Integral  ist  daher  gleich 
der  Summe  der  Integrale  negativ  um  diese  Werthe  genommen.  Das 
Integral  um  den  Werth  n27ti  aber  ist  =( — n27iiy~'^( — 27t i), 
man  erhält  daher 

2sm7tsn(s—  1)  i{s)  =  (27ty  Un"-'  ({—  iy- '  +  i'~'), 
also   eine   Relation   zwischen   J(s)  und  5(1  —  s),  welche  sich  mit  Be- 
nutzung bekannter  Eigenschaften  der  Function  77  auch  so  ausdrücken 
lässt: 

bleibt  ungeändert,  wenn  s  in  1  —  s  verwandelt  wird. 

Diese  Eigenschaft  der  Function  veranlasste  mich  statt  77  (s  —  1) 

das  Integral    77(4"  — 1)  "^  ^^^^  allgemeinen  Gliede  der  Reihe   ^  - 


138  VII.  -  Ueber  die  Anzahl  der  Primzahlen 

einzuführen^  wodurch  man  einen  sehr  bequemen  Ausdruck  der  Function 
^(s)  erhält.     In  der  That  hat  man 

GO 

J,,  77(:  -  l)  7C'-i^J\-  »«-^7-'  dx, 

0 

also,  wenn  man 

1 
setzt, 

r/S 

^(2   -  1)  ''^  ^  ^  ^'^  =  J  </.(«)  »V-  '  dx, 

u 
oder  da 

2t{j')  +  1  =  ^•~"2-(^2t/.  1^1^  4_  1^^   (Jacobi,  Fund.  S.  184) 

CO  1 

n(~^-l)^-it  (s)  =J  ^(x)xi~\lx+  J\  (i-)  x^  dx 

*1  0 

1 
ü 

00 

=  s(s-i)+  J   ^W(^^'^        +^'    ^'Jdx. 
Ich  setze  nun  6-  ==  ^  +  ^i  und 


SO  dass 

KO  ==  i  —  (^^  +  i)  /  ^  W  -^""^'^  cos  (4- 1  log  ^)  ^^ 
1 
oder  auch 

1 

Diese  Function  ist  für  alle  endlichen  Werthe  von  t  endlich,  und 
lässt  sich  nach  Potenzen  von  ^^  in  eine  sehr  schnell  convergirende 
Reihe  entwickeln.  Da  für  einen  Werth  von  5,  dessen  reeller  Bestand- 
theil  grösser  als  1  ist,  log  ^  (s)  =  —  U  log  (1  ~  p- ')  endlich  bleibt 
und  von  den  Logarithmen  der  übrigen  Factoren  von  J  (t)  dasselbe  gilt, 
so  kann  die  Function  J  (0  ^^^  verschwinden,  wenn  der  imaginäre 
Theil  von  t  zwischen  ^  i  und  —  ^  i  liegt.  Die  Anzahl  der  Wurzeln 
von  I  {£)  =  0,  deren  reeller  Theil  zwischen  0  und  T  liegt,  ist  etwa 


unter  einer  gegebenen  Grösse.  139 

T  ,       7         r 

=         lof*"         — -         : 

denn  das  Integral  f  d\o^^(t)  positiv  um  den  Inbegriff  der  Werthe 
von  t  erstreckt,  deren  imaginärer  Theil  zwischen  \i  und  —  \i  und 
deren  reeller  Theil   zwischen  0  und  T  liegt,  ist  (bis  auf  einen  Bruch- 

tlieil  von  der  Ordnung  der  Grösse   „,)  gleich  (Tlog„ ^)^;  dieses 

Integral  aber  ist  gleich  der  Anzahl  der  in  diesem  Gebiet  liegenden 
Wurzeln  von  5(0  =  ^^  multiplicirt  mit  2JC^.  Man  findet  nun  in  der  That 
etwa  so  viel  reelle  Wurzeln  innerhalb  dieser  Grenzen,  und  es  ist  sehr 
wahrscheinlich,  dass  alle  Wurzeln  reell  sind.  Hiervon  wäre  allerdings 
ein  strenger  Beweis  zu  wünschen;  ich  habe  indess  die  Aufsuchung 
desselben  nach  einigen  flüchtigen  vergeblichen  Versuchen  vorläufig  bei 
Seite  gelassen,  da  er  für  den  nächsten  Zweck  meiner  Untersuchung 
entbehrlich  schien. 

Bezeichnet  man  durch  a  jede  Wurzel  der  Gleichung  |  («)  =  0,  so 
kann  man  log  J(0  durch 

ausdrücken;    denn   da   die    Dichtigkeit   der   Wurzeln   von   der*  Grösse  t 

mit  t  nur  wie  log  — -  wächst,  so  convergirt  dieser  Ausdruck  und  wird 

für  ein  unendliches  t  nur  unendlich  wie  ^logf;  er  unterscheidet  sich 
also  von  log  |  {t)  um  eine  Function  von  tt,  die  für  ein  endliches  t 
stetig  und  endlich  bleibt  und  mit  tt  dividirt  für  ein  unendliches  t  un- 
endlich klein  wird.  Dieser  Unterschied  ist  folglich  eine  Constante, 
deren  Werth  durch  Einsetzung  von  ^  =  0  bestimmt  werden  kann. 

Mit  diesen  Hülfsmitteln  lässt  sich  nun  die  Anzahl  der  Primzahlen, 
die  kleiner  als  x  sind,  bestimmen. 

Es  sei  F(x\  wenn  x  nicht  gerade  einer  Primzahl  gleich  ist,  gleich 
dieser  Anzahl,  wenn  aber  x  eine  Primzahl  ist,  um  \  grösser,  so  dass 
für  ein  x,  bei  welchem  F{x)  sich  sprungweise  ändert, 


F{x)  =  n^' +  0)  +  i^(-^  -  0) 


Ersetzt  man  nun  in 

iogg(.s)  =  —  2: log  (1  —p-^)  =  zp--^  +  ^up-'^  4-  i2:p-''  + 


durch   s 


CC  OD 

I  x~''~^dx,  i>~"^*  durch  s  j  x~'~Ulx^ 


140  VJI.     lieber  die  Anzahl  der  Primzahlen 

SO  erhält  mau 


s 
wenn  man 


logJW  ,.v,.,,-._,,;^ 


=jmx- 


I'Xx)  +  i  F(^)  +  i  Fixi)  +  ■■■ 
durch  f(x)  bezeichnet. 

Diese  Gleichung  ist  gültig  für  jeden  complexen  Werth  a  -\-  hi  von 
6',  wenn  a  >  1.     Wenn  aber  in  diesem  Umfange  die  Gleichung 

0 

gilt,  so  kann  man  mit  Hülfe  des  Fourier 'sehen  Satzes  die  Function  h 
durch  die  Function  g  ausdrücken.  Die  Gleichung  zerfällt,  wenn  h(x) 
reell  ist  und 

g(a  +  hi)  =  g,(h)  +  ig.,{h), 
in  die  beiden  folgenden: 

9i(P)  =  I  ^K^)^~~"  cos  (b  log  x)  ä  log  X, 
«/ 

.     0 

00 

'^Oi^P)  =^  —  ^  I  ^^(^)^~  "  sin  (h  log  x)  d  log  x. 

0 

Wenn  man  beide  Gleichungen  mit 

(cos  (h  log  y)  +  l  sin  {h  log  y)\  dh 

multiplicirt  und  von  —  oo  bis  -{-  (x>  integrirt,  so  erhält  man  in  beiden 
auf  der  rechten  Seite  nach  dem  Fourier'schen  Satze  7tli{y)y—<^j  also, 
wenn  man  beide  Gleichungen  addirt  und  mit  iy^  multiplicirt 

a  -\-  <*i  i 

27tih(y)  =  J9{s)y'ds, 

a  —  Qo  i 

worin  die  Integration  so  auszuführen  ist,  dass  der  reelle  Theil  von  s 
constant  bleibt. 

Das  Integral  stellt  für  einen  Werth  von  y,  bei  welchem  einö 
sprungweise  Aenderung  der  Function  h{jj)  stattfindet,  den  Mittelwerth 
aus  den  Werthen  der  Function  h  zu  beiden  Seiten  des  Sprunges  dar. 
Bei  der  hier  vorausgesetzten  Bestimmungsweise  der  Function  /*(.?;) 
besitzt  diese  dieselbe  Eigenschaft,  und  man  hat  daher  völlig  allgemein 


unter  einer  gegebenen  Grösse.  141 

Für  log  ^  kann  man  nun  den  früher  gefundenen  Ausdruck 
1  log  ;t  -  log  (s  -  1)  -  log  n  (I)  +  Z"  log  (l  +  (-i^)  +  log  1(0) 

substituiren;  die  Integrale  der  einzelnen  Glieder  dieses  Ausdrucks 
würden  aber  dann  ins  Unendliche  ausgedehnt  nicht  convergiren,  wes- 
halb es  zweckmässig  ist,  die  Gleichung  vorher  durch  partielle  Inte- 
gration in 

a-j-  oo  »■ 

r  ^  log  m 

f(oc)  — /       oc'^ds 

'  ^  ^  2ni  log  X   ,y  ds 

a  —  ao  i 

umzuformen. 
Da 

-  log  n(|)  =  lim  (y  log  (l  +  ^)  -  l-  log  m), 

n=l  «  "^ 

für  m  =  oo,  also 

ds  X  >  ds  ' 

1 

so  erhalten  dann  sämmtliche  Glieder  des  Ausdruckes  für  f(x)  mit  Aus- 
nahme von 

a-j-  oo  t 
a  —  00  i 

die  Form 

a  -j-  oo  t 

—  2 Tri  log  .r    «-^  ds 

a  —  00  i 

Nun  ist  aber 


^{\M^~j)) 


1 


dß  {ß-s)ß' 

und,  wenn  der  reelle  Theil  von  s  grösser  als  der  reelle  Theil  von  ß  ist, 

a-j-  CO 


1    /'    x»ds        x^       r  li   ,  j 


2 


142  VII.     Ueber  die  Anzahl  der  Primzahlen 

oder 

X 


0 


je  uaclidem  der  reelle  Tlieil  von  ß  negativ  oder  positiv   ist.     Man  hat 
daher 


A^  l^g-    .  /         --^ .T, ^  X'ds 


;r    '/  '  '  ~~  ds 

a  —  00  / 

^/  -|-  CO    / 


=i 


X 

". dx  -\-  const.  im  ersten 

log  X  ' 


und 


=    /    -1 dx  +  const.  im   zweiten  Falle. 

J      log  -^  ' 

Im  ersten  Falle  bestimmt  sich  die  Integrationsconstante,  wenn 
man  den  reellen  Theil  von  ß  negativ  unendlich  werden  lässt;  im 
"zweiten  Falle  erhält  das  Integral  von  0  bis  x  um  2ni  verschiedene 
Werthe^  je  nachdem  die  Integration  durch  complexe  Werthe  mit  posi- 
tivem oder  negativem  Arcus  geschieht^  und  wird,  auf  jenem  Wege  ge- 
nommen, unendlich  klein,  wenn  der  Coefficient  von  i  in  dem  Werthe 
von  ß  positiv  unendlich  wird,  auf  letzterem  aber,  wenn  dieser  Coef- 
ficient negativ  unendlich  wird.    Hieraus  ergiebt  sich,  wie  auf  der  linken 

Seite  log  ( 1  — -ß)  zn   bestimmen   ist,   damit    die   Integrationsconstante 
wegfällt. 

Durch   Einsetzung    dieser   Werthe   in   den   Ausdruck    von  f(x)  er- 
hält man 

t\x)  =  Li  (x)  -  Z-  {Li  (;2;'^  +  "')  -f  Li  (*f^""0) 


CO 

/ 


1    X  log  X 


'^"       ■   log  1(0), 


wenn  in  2J"  für  a  sämmtliche  positiven  (oder  einen  positiven  reellen 
Theil  enthaltenden)  Wurzeln  der  Gleichung  J  (a)  =  0,  ihrer  Grösse 
nach  geordnet,  gesetzt  werden.  Es  lässt  sich,  mit  Hülfe  einer  ge- 
naueren Discussion  der  Function  ^,  leicht  zeigen,   dass  bei  dieser  An- 


ordnung der  Werth  der  Reihe 


unter  einer  gegebenen  Grösse.  143 

Z  {Li  {x^  +  "')  +  Li  (x"  -  "'■))  log  ./: 


mit  dem  Grenzwerth,  gegen  welchen 


2  TT«    ,/  ds 


x'ds 


])ei  unaufhörlichem  Wachsen  der  Grösse  h  convergirt,  übereinstimmt; 
durch  veränderte  Anordnung  aber  würde  sie  jeden  beliebigen  reellen 
Werth  erhalten  können. 

Aus  f{x)  findet  sich  L\x)  mittelst  der  durch  Umkehrung  der 
Relation 

sich  ergebenden  Gleichung 

worin  für  7n  der  Reihe  nach  die  durch  kein  Quadrat  ausser  1  theil- 
baren  Zahlen  zu  setzen  sind  und  ^  die  Anzahl  der  Primlactoren  von 
m  bezeichnet. 

Beschränkt  man  27"  auf  eine  endliche  Zahl  von  Gliedern^  so  giebt 
die  Derivirte  des  Ausdrucks  für  f{oc)  oder,  bis  auf  einen  mit  wachsen- 
dem X  sehr  schnell  abnehmenden  Theil, 

._i 22;«  ^Q^("^Qg^^)  •'" 

log  X  log  X 

einen  angenüherten  Ausdruck  für  die  Dichtigkeit  der  Primzahlen  + 
der  halben  Dichtigkeit  der  Primzahlquadrate  +  \  von  der  Dichtigkeit 
der  Primzahlcuben  u.  s.  w.  von  der  Grösse  x. 

Die  bekannte  Näherungsformel  F(x^)  ==  Li(x)  ist  also  nur  bis 
auf  Grössen  von  der  Ordnung  x^  richtig  und  giebt  einen  etwas  zu 
grossen  Werth;  denn  die  nicht  periodischen  Glieder  in  dem  Ausdrucke 
von  F(x)  sind,  von  Grössen,  die  mit  x  nicht  in's  Unendliche  wachsen, 
abgesehen: 

Li  (x)  —  i  Li  (x^)  -  i  Li  (x^)  —  l  Li  (.r^)  +  i  L^(x^) 

-^Li{x^)  +  --- 

In  der  That  hat  sich  Lei  der  von  Gauss  und  Gold  Schmidt  vor- 
genommenen und  bis  zu  x  ==  drei  Millionen  fortgesetzten  Vergleichung 
von  Li{x)  mit  der  Anzahl  der  Primzahlen  unter  x  diese  Anzahl  schon 
vom   ersten   Hunderttausend   an   stets  kleiner  als  Li{x)  ergeben,  und 


144  VII.     Ueber  die  Anzahl  der  Primzahlen  etc. 

zwar  wächst  die  Differenz  unter  manclieji  Schwankungen  allmählich  mit  x. 
Aber  auch  die  von  den  periodischen  Gliedern  abhängige  stellenweise 
Verdichtung  und  Verdünnung  der  Primzahlen  hat  schon  bei  den  Zäh- 
lungen die  Aufmerksamkeit  erregt,  ohne  dass  jedoch  hierin  eine  Ge- 
setzmässigkeit bemerkt  worden  wäre.  Bei  einer  etwaigen  neuen  Zäh- 
lung würde  es  interessant  sein^  den  Einfluss  der  einzelnen  in  dem 
Ausdrucke  für  die  Dichtigkeit  der  Primzahlen  enthaltenen  periodischen 
Glieder  zu  verfolgen.  Einen  regelmässigeren  Gang  als  F{x)  würde  die 
Function  f{x)  zeigen,  welche  sich  schon  im  ersten  Hundert  sehr  deutlich 
als  mit  Li  {x)  +  log  |  (o)   im  Mittel  übereinstimmend   erkennen  lässt. 


VIII. 

lieber  die  Fortpflanzung  ebener  Luftwellen  von  endlicher 
Schwingungsweite. 

(Aus  dem  achten  Bande  der  Abhandlungen  der  Königlichen  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  zu  Göttingen.    1860.) 

Obwohl  die  Differentialgleichungen,  nach  welchen  sich  die  Be- 
wegung der  Gase  bestimmt,  längst  aufgestellt  worden  sind,  so  ist 
doch  ihre  Integration  fast  nur  für  den  Fall  ausgeführt  worden,  wenn 
die  Druckverschiedenheiten  als  unendlich  kleine  Bruchtheile  des  ganzen 
Drucks  betrachtet  werden  können,  und  man  hat  sich  bis  auf  die  neueste 
Zeit  begnügt,  nur  die  ersten  Potenzen  dieser  Bruchtheile  zu  berück- 
sichtigen. Erst  ganz  vor  Kurzem  hat  Helmholtz  auch  die  Glieder 
zweiter  Ordnung  mit  in  die  Rechnung  gezogen  und  daraus  die  objective 
Entstehung  von  Combinationstönen  erklärt.  Es  lassen  sich  indess  für 
den  Fall,  dass  die  anfängliche  Bewegung  allenthalben  in  gleicher 
Richtung  stattfindet  und  in  jeder  auf  dieser  Richtung  senkrechten  Ebene 
Geschwindigkeit  und  Druck  canstant  sind,  die  exacten  Differential- 
gleichungen vollständig  integriren;  und  wenn  auch  zur  Erklärung  der 
bis  jetzt  experimentell  festgestellten  Erscheinungen  die  bisherige  Be- 
handlung vollkommen  ausreicht,  so  könnten  doch,  bei  den  grossen 
Fortschritten,  welche  in  neuester  Zeit  durch  Helmholtz  auch  in  der 
experimentellen  Behandlung  akustischer  Fragen  gemacht  worden  sind, 
die  Resultate  dieser  genaueren  Rechnung  in  nicht  allzu  femer  Zeit 
vielleicht  der  experimentellen  Forschung  einige  Anhaltspunkte  gewähren; 
und  dies  mag,  abgesehen  von  dem  theoretischen  Interesse,  welches  die 
Behandlung  nicht  linearer  partieller  Differentialgleichungen  hat,  die 
Mittheilung  derselben  rechtfertigen. 

Für  die  Abhängigkeit  des  Drucks  von  der  Dichtigkeit  würde  das 
Boyle^sche  Gesetz  vorauszusetzen  sein,  wenn  die  durch  die  Druck- 
veränderungen bewirkten  Temperaturverschiedenheiten  sich  so  schnell 
ausglichen,  dass  die  Temperatur  des  Gases  als  constant  betrachtet 
werden  dürfte.  Es  ist  aber  wahrscheinlich  der  Wärmeaustausch  ganz 
zu   vernachlässigen,   und   man   muss  daher  für  diese  Abhängigkeit  das 

Kiümann'ö  gesammelte  mathematische  Werke.     I.  10 


14G  Vlll.     Ueber  die  Fortpflanzung  ebener  Luftwellen 

Gesetz  zu  Grunde  legen,  nach  welchem  sich  der  Druck  des  Gases  mit 
der  Dichtigkeit  ändert,  wenn  es  keine  Wärme  aufnimmt  oder  abgiebt. 
Nach  dem  Boyle'schen  und  Gay -Lussac'schen  Gesetze  ist,  wenn 
V  das  Volumen  der  Gewichtseinheit,  p  den  -Druck  und  T  die  Tem- 
peratur von  —  273^0  an  gerechnet  bezeichnet, 

log  j)  +  log  ^'  =  log  ^  +  const. 

Betrachten  wir  hier  T  als  Function  von  p  und  v  und  nennen  die 
specifische  Wärme  bei  constantem  Drucke  c,  bei  constantem  Volumen  c , 
beide  auf  die  Gewichtseinheit  bezogen,  so  wird  von  dieser  Gewichts- 
einheit, wenn  p  und  v  sich  um  dp  und  dv  ändern,  die  Wärmemenge 

'd^^'^  +  'd^^i' 

oder,  da    ,.—,     —  =    o  i  '^ —  =  1, 
'  ö  log  V  c  log  p  ^ 

T  (c  d  log  V  -{-  c  d  log  _2)) 
aufgenommen.     Wenn  daher  keine  Wärmeaufnahme  stattfindet,   so  ist 
d\ogp  = ,-  dlogv,  und  also,   weim  man  mit  Poisson  annimmt, 

dass    das    Verhältniss    der   beiden    specifischen   Wärmen  —  =  Jq   von 
Temperatur  und  Druck  unabhängig  ist, 

log  p  =  —  h  log  V  +  const. 

Nach  neueren  Versuchen  von  Regnault,  Joule  und  W.  Thomson 
sind  diese  Gesetze  für  Sauerstoff,  Stickstoff  und  Wasserstoff  und  deren 
Gemenge  unter  allen  darstellbaren  Drucken  und  Temperaturen  wahr- 
scheinlich sehr  nahe  gültig. 

Durch  Regnault  ist  für  diese  Gase  eine  sehr  nahe  Anschmiegung 
an  das  Boyle^sche  und  Gay-Lussac'sche  Gesetz  und  die  Unabhängig- 
keit der  specifischen  Wärme  c  von  Temperatur  und  Druck  festgestellt 
worden. 

Für  atmosphärische  Luft  fand  Regnault 

zwischen  —     30«C  und  -f     lO^C     c  -='  0,2377 
+     lO^C     „     +  100«C     c  =  0,2379 
+  lOO^C     „     +  215^0     c  =  0,2376. 
Ebenso  ergab  sich  für  Drucke  von  1  bis  10  Atmosphären  kein  merk- 
licher Unterschied  der  specifischen  Wärme. 

Nach  Versuchen  von  Regnault  und  Joule  scheint  ferner  für 
diese  Gase  die  von  Clausius  adoptirte  Annahme  Mayer's  sehr  nahe 
richtig  zu  sein,  dass  ein  bei  constanter  Temperatur  sich  ausdehnendes 
Gas   nur   so   viel   Wärme   aufnimmt,    als   zur  Erzeugung   der.  äusseren 


von  endlicher  Schwingungsweite.  147 

Arbeit  erforderlich  ist.  Wenn  das  Volumen  des  Gases  sich  um  dv 
ändert^  während  die  Temperatur  constant  bleibt,  so  ist  d\og2^  =  —  dlogv, 
die  aufgenommene  Wärmemenge  T  (c  —  c)  d  log  v,  die  geleistete  Arbeit 
pdiK  Diese  Hypothese  giebt  daher,  wenn  A  das  mechanische  Aequi- 
valent  der  Wärme  bezeichnet, . 

AT  (c  —  c)  d  log  V  =  pdv 

oder 

,  pv^ 

c       c    —  -^,, 

also  von  Druck  und  Temperatur  unabhängig. 

c 
Hienach  ist  auch  Je  =  —  von  Druck  und  Temperatur  unabhängig 

und  ergiebt  sich,  wenn  c  =  0,237733,  A  nach  Joule  =  424,55  Kilogr. 

met.  und,  für  die  Temperatur  O^C  oder  T  =  ;,„-,,  pv  nach  Regnault 

0,d665'  -^  ° 

=  7990^267  angenommen  wird,  gleich  1,4101.  Die  Schallgeschwindig- 
keit in  trockner  Luft  von  O^C  beträgt  in  der  Secunde 


y  7990'",267  .  9^^,8088  k 

und  würde  also  mit  diesem  Werthe  von  Je  gleich  332°^,440  gefunden 
werden,  während  die  beiden  vollständigsten  Versuchsreihen  von  Moll 
und  van  Beck  dafür,  einzeln  berechnet,  332°',528  und  331^,867,  ver- 
einigt 332°',271  geben  und  die  Versuche  von  Martins  und  A.  Bravais 
nach  ihrer  eignen  Berechnung  332°',37. 

1. 

Für's  erste  ist  es  nicht  nöthig  über  die  Abhängigkeit  des  Drucks 
von  der  Dichtigkeit  eine  bestimmte  Voraussetzung  zu  machen;  wir 
nehmen  daher  an,  dass  bei  der  Dichtigkeit  q  der  Druck  cp^g)  sei,  und 
lassen  die  Function  cp  vorläufig  noch  unbestimmt. 

Man  denke  sich  nun  rechtwinklige  Coordinaten  x,  y,  z  eingeführt, 
die  a;-Axe  in  der  Richtung  der  Bewegung,  und  bezeichne  durch  q  die 
Dichtigkeit,  durch  p  den  Druck,  durch  u  die  Geschwindigkeit  für  die 
Coordinate  x  zur  Zeit  t  und  durch  co  ein  Element  der  Ebene,  deren 
Coordinate  x  ist. 

Der  Inhalt  des  auf  dem  Element  w  stehenden  geraden  Cylinders 
von  der  Höhe  dx  ist  dann  adx^  die  in  ihm  enthaltene  Masse  mqdx. 
Die   Aenderung  dieser   Masse   während    des   Zeitelements   dt  oder    die 

Grösse  ca  ~2  dt  dx  bestimmt  sich  durch  die  in  ihn  einströmende  Masse, 
welche  =  —  w  -ß-^  dx  dt  gefunden   wird.     Ihre   Beschleunigung  ist 

10* 


148  VIII.     Ueber  die  Fortpflanzung  ebener  Luftwellen 

■^  +  ^*  ^  und   die   Kraft,   welche   sie   in   der  Richtung  der  positiven 

;r-Axe  forttreibt,  =  —  ^^  «  dx  =  —  (p  {q)  ~  a  dx,  wenn  cp' {q)  die 

Derivirte  von  cp{Q)  bezeichnet.     Man  hat  daher  für  q  und  ii  die  beiden 
Differentialgleichungen 


dg    dgu 

dt  ex 


und  p  (^  +  «  g)  =  -  ,p'(p)  ll  oder 

du    .         du  ,/  s  ^  log  p 

^T  -f-   u  ^T-  =   —   CO  (q)  ~w  -- 
dt     '         dx  ^  ^^^      ex 


und  --^-^^^^  -4-  u  ^^^^  =  _   ^ 

Wenn  man  die  zweite  Gleichung,  mit  +  V^p'^q)  multiplicirt,  zur  ersteren 
addirt  und  zur  Abkürzung 

(1)  fV^J^cUogQ  =  f(Q)  xmd 

(2)  /■((.)  +  «  =  2r,  /'(p)  -  «  =  2s 
setzt,  so  erhalten  diese  Gleichungen  die  einfachere  Gestalt 

^^)         g?  =  -  («  +  i/'P  (9))  g^'  ät  =  -  («-y«?  (e))  a^, 

worin  ?f  und  q  durch  die  Gleichungen  (2)  bestimmte  Functionen  von 
r  und  6"  sind.     Aus  ihnen  folgt 

(4)  ^^  =  ä^  (^^'  ~  (^^  +  V^'((>))^^0 

(5)  c?5  ==  .-^  (c?^-  —   («(  — ]/g)'((>))^0- 

Unter  der  in  der  Wirklichkeit  immer  zutreffenden  Voraussetzung, 
dass  (p\q)  positiv  ist,  besagen  diese  Gleichungen,  dass  r  constant 
bleibt,  wenn  x  sich  mit  t  so  ändert,  dass  dx  =  (u  -{-  y  (p\Q))dty 
und  s  constant  bleibt,  wenn  x  sich  mit  t  so  ändert,  dass 
dx  =  (u  —  y(p\Q))dt  ist. 

Ein  bestimmter  Werth  von  r  oder  von  f^Q)  +  u  rückt  daher  zu 

grösseren  Werthen  von  x  mit  der  Geschwindigkeit  l/qp'(?)  +  ^^  ^^»rt, 
ein  bestimmter  Werth  von  s  oder  von  fiß)  —  u  zu  kleineren  Werthen 
von  X  mit  der  Geschwindigkeit  ycp\Q)  —  u. 

Ein  bestimmter  Werth  von  r  wird  also  nach  und  nach  mit  jedem 
vor  ihm  stattfindenden  Werthe  von  s  zusammentreffen,  und*  die  Ge- 
schwindigkeit seines  Fortrückens  wird  in  jedem  Augenblicke  von  dem 
Werthe  von  s  abhängen,  mit  welchem  er  zusammentrifft. 


von  endlicher  Schwingungsweite.  149 


Die  Analysis  bietet  nun  zunächst  die  Mittel,  die  Frage  zu  be- 
antworten, wo  und  wann  ein  Werth  r  von  r  einem  vor  ihm  befind- 
lichen Werthe  8  von  s  begegnet,  d.  h.  x  und  i  als  Functionen  von  r 
und  s  zu  bestimmen.  In  der  That  wenn  man  in  den  Gleichungen  (3) 
des  vor,  Art.  r  und  s  als  unabhängige  Variable  einführt,  so  gehen 
diese  Gleichungen  in  lineare  Differentialgleichungen  für  x  und  t  über 
und  lassen  sich  also  nach  bekannten  Methoden  integriren.  Um  die  Zurück- 
führung  der  Differentialgleichungen  auf  eine  lineare  zu  bewirken,  ist 
es  am  zweckmässigsten,  die  Gleichungen  (4)  und  (5)  des  vorigen  Art. 
in  die  Form  zu  setzen: 

(1)     '^'- = £  1'^  (-  -  (" + v<^'(o))  0 + ['''■  ^0^  +  0 

(2)  äs  =  |i  \^l  (.  -  (n  -  y,'((.))  i)    -  \ä.  ipfg^  +   1) 


+^^^(-!-^-^m- 


Man   erhält   dann,   wenn   man  s  und  r   als   unabhängige  Variable 
betrachtet,  für  x  und  t  die  beiden  linearen  Differentialgleichungen: 

d  {x  —  (W  +  V(p'{Q))t)  .  /  d  log  l/qp' (9) 


dt 


V       (i  log  9  / 

\      dlogQ  J 


d  {X  —  {u  —  y q>' {q))  t)     ^'        ^  ^<Zlog>/qp'(g)    ^ 


In  Folge  derselben  ist 

(3)  (x  —  (w  +  ycp'io)  )t)dr  ~  (x~  (u  —  V(p'(q)  )  t)  ds 

ein  vollständiges  Differential,  dessen  Integral,  iv,  der  Gleichung 


d'^io  4.  (  ^  log  y^\Q) 

drds 


_      /dlo^V^WL  -   A  =  m  C^  +  'pi 

y      d  log  Q  )  \()r     '     ds J 


i]fenüö:t,  worin  m  =   ^  ,  ,,  ,  ( — ^^^       —   1  | ,    also    eine    Function 
^        ^  '  2  >/95  (9)    \^     r?  log  9  y  ^ 

von  r  -\-  s  ist.    Setzt  man  /*(p)  =  r  +  6*  =  (7,  so  wird  >  qp  '.(^)  =   /loc"' 

./  log  ^ 
folglich  m  =  —  ^     — ^ — -. 

Bei  der  Poisson'schen  Annahme  (piß)  =  ««()^   wird 

^— 1 

fiQ)  =  jrzj  Q   '    +  const. 


150  VIII.     Ueber  die  Fortpflanzung  ebener  Luftwellen 

und,  wenn  man  für  die  willkürliche  Constante  den  Werth  Null  wählt, 


^>^  =={i-  z:3l)  i  =  , 


Jc  —  S 

2  {k  -  1)  (r  +  s) 


Unter  Voraussetzung  des  Boyl ersehen  Gesetzes  (p{q)  =  aag  erhält  man 

f^O)  =  «log  9 

V^\9)  +  w  =  r  —  6'  +  üj  Ycp'^Q)  —  ti^=s  —  r-\-a 

1 

7)1    =    —    -— 
2rt 

Werthe,  die  aus  den  obigen  fliessen,  wenn  man  f(Q)  um  die  Constante 

.    \  ,  also  r  und  s  um  ,      *.  vermindert  und  dann  k  =  1  setzt. 

Die  Einführung  von  r  und  s  als  unabhängig  veränderlichen  Grössen 
ist  indess  nur  möglich,  wenn  die  Determinante  dieser  Functionen  von 

X  und  t^  welche  =  2]/g)'(())  t^  ö— ,  nicht  verschwindet,  also  nur,  wenn 

7^  und  ^  beide  von  Null  verschieden  sind. 

ex  ex 

Wenn  ^=Oist,ergiebt sich  aus  (l)f/r =0  undaus  (2)x — (ti — ycp'{Q) )  t 

=  einer  Function  von  s.  Es  ist  folglich  auch  dann  der  Ausdruck  (3) 
ein  vollständiges  Differential,  und  es  wird  iv  eine  blosse  Function 
von  s. 

Aus    ähnlichen    Gründen    werden,    wenn   t^^  =  0   ist,   s   auch  in 


Bezug  auf  f  constant,  x — (ii -\~  y  (p\q))  t  und  w  Functionen  von  r. 
Wenn  endlich  ,--  und  t^—  beide  =  0   sind,    i 

0  X  d  X  ^ 

der  Differentialgleichungen  r,  s  und  w  Constanten 


Wenn  endlich  .--  und  ^-;  beide  =  0   sind,    so   werden  in  Folge 


Um  die  Aufgabe  zu  lösen,  muss  nun  zunächst  iv  als  Function  von 
r  und  s  so  bestimmt  werden,  dass  sie  der  Differentialgleichung 

und  den  Anfangsbedingungen  genügt,  wodurch  sie  bis  auf  eine  Con- 
stante, die  ihr  offenbar  willkürlich  hinzugefügt  werden  kann,  be- 
stimmt ist. 

Wo  und  wann  ein  bestimmter  Werth  von  r  mit  einem  bestimmten 
Werthe  von  s  zusammentrifft,  ergiebt  sich  dann  aus  der  Gleichung 


von  endlicher  Schwingungsweite.  151 

(2)  {x  -  iii  +  Wi^) )  t)  elf  -  {x  -  («  -  Y¥^) )  i)  eis  =  <hv; 

und  hierauf  findet  man  schliesslich  u  und  p  als  Functionen  von  x  und 
t  durch  Hinzuziehung  der  Gleichungen 

(3)  .  /■((.)  +  «  =  2r,  fiQ)  -  «  =  2s. 

In  der  That  folgen,  wenn  nicht  etwa  in  einer  endlichen  Strecke 
dr  oder  ds  Null  und  folglich  r  oder  s  constant  ist,  aus  (2)  die 
Gleichungen 

(4)  ^-{^^  +  V<p'{9))t  =  ^, 

(5)  x-(„-Y^))t  =  -^, 

durch  deren  Verbindung  mit  (3)  man  u  und  q  in  x  und  t  ausgedrückt 
erhält. 

Wenn  aber  r  anfangs  in  einer  endlichen  Strecke  denselben  Werth 
/  hat,  so  rückt  diese  Strecke  allmählich  zu  grösseren  Werthen  von  x 
fort.  Innerhalb  dieses  Gebietes,  wo  r  =  r,  kann  man  dann  aus  der 
Gleichung  (2)  den  Werth  von  x —  (?«  +  y^Xo))  t  nicht  ableiten,  da 
dr  =  0;  und  in  der  That  lässt  die  Frage,  wo  und  wann  dieser  Werth 
/  einem  bestimmten  Werthe  von  s  begegnet,  dann  keine  bestimmte 
Antwort  zu.  Die  Gleichung  (4)  gilt  dann  nur  an  den  Grenzen  dieses 
Gebietes  und  giebt  an,  zwischen  welchen  Werthen  von  x  zu  einer 
bestimmten  Zeit  der  constante  AVerth  r'  von  r  stattfindet,  oder  auch, 
während  welches  Zeitraums  r  an  einer  bestimmten  Stelle  diesen  Werth 
behält.  Zwischen  diesen  Grenzen  bestimmen  sich  u  und  q  als  Func- 
tionen von  j:;  und  t  aus  den  Gleichungen  (3)  und  (5).  Auf  ähnlichem 
Wege  findet  man  diese  Functionen,  wenn  s  den  Werth  s  in  einem 
endlichen  Gebiete  besitzt,  während  r  veränderlich  ist,  sowie  auch  wenn 
r  und  s  beide  constant  sind.  In  letzterem  Falle  nehmen  sie  zwischen 
gewissen  durch  (4)  und  (5)  bestimmten  Grenzen  constante  aus  (3) 
fliessende  Werthe  an. 

4. 

Bevor  wir  die  Integi-ation  der  Gleichung  (1)  des  vor.  Art.  in  An- 
griff nehmen,  scheint  es  zweckmässig,  einige  Erörterungen  vorauf- 
zuschicken, welche  die  Ausführung  dieser  Integration  nicht  voraus- 
setzen, lieber  die  Function  (p{Q)  ist  dabei  nur  die  Annahme  nöthig,  dass 
ihre  Derivirte  bei  wachsendem  q  nicht  abnimmt,  was  in  der  Wirklich- 
keit gewiss  immer  der  Fall  ist;  und  wir  bemerken  gleich  hier,  was 
im  folgenden  Art.  mehrfach  angewandt  werden  wird,  dass  dann 


152  VIII.     lieber  die  Fortpflanzung  ebener  Luftwellen 

^?~  =  jV(«P.  +  (1  -  «)  ?.)  du,' 

wenn  nur  eine  der  Grössen  q^  und  q^  sich  ändert,  entweder  constant 
bleibt  oder  mit  dieser  Grösse  zugleich  wächst  und  abnimmt,  woraus 
zugleich  folgt,  dass  der  Werth  dieses  Ausdrucks  stets  zwischen  (p\Qi) 
und  9' (92)  liegt. 

Wir  betrachten  zunächst  den  Fall,  wo  die  anfängliche  Gleich- 
gewichtsstörung auf  ein  endliches  durch  die  Ungleichheiten  a  <  .r  <  & 
begrenztes  Gebiet  beschränkt  ist,  so  dass  ausserhalb  desselben  ti  und 
Q  und  folglich  auch  r  und  s  constant  sind;  die  Werthe  dieser  Grössen 
für  X  <ia  mögen  durch  Anhängung  des  Index  1,  für  a?  >  &  durch  den 
Index  2  bezeichnet  werden.  Das  Gebiet,  in  welchem  r  veränderlich 
ist,  bewegt  sich  nach  Art.  1  allmählich  vorwärts  und  zwar  seine 
hintere  Grenze  mit  der  Geschwindigkeit  'Yfp  {q-^  +  u^,  während  die 
vordere  Grenze  des  Gebiets,  in  welchem  s  veränderlich  ist,  mit  der 
Geschwindigkeit  y(p\Q^  —  ^2  rückwärts  geht.     Nach  Verlauf  der  Zeit 

h  —  a 


V^P'  (Qi)  +  V<P'  (92)  +  u,  —  u.^ 
fallen  daher  beide  Gebiete  auseinander,  und  zwischen  ihnen  bildet  sich 
ein  Raum,  in  welchem  s  =  Sg  und  r  =  r^  ist  und  folglich  die  Gas- 
theilchen  wieder  im  Gleichgewicht  sind.  Von  der  anfangs  erschütterten 
Stelle  gehen  also  zwei  nach  entgegengesetzten  Richtungen  fortschreitende 
Wellen  aus.  In  der  vorwärtsgehenden  ist  s  =  Sg?  es  ist  daher  mit 
einem  bestimmten  Werthe  q  der  Dichtigkeit  stets  die  Geschwindigkeit 
w  =  f(Q)  —  2^2  verbunden,  und  beide  Werthe  rücken  mit  der  con- 
stanten  Geschwindigkeit 

vorwärts.  In  der  rückwärtslaufenden  ist  dagegen  mit  der  Dichtigkeit 
Q  die  Geschwindigkeit  —  f(Q)  +  ^^1  verbunden,  und  diese  beiden 
Werthe  bewegen  sich  mit  der  Geschwindigkeit  Ycp'^Q)  +  /"((>)  —  2r^ 
rückwärts.  Die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  ist  für  grössere  Dichtig- 
keiten eine  grössere,  da  sowohl  j/^X^^);  ^1^  fio)  ^^^  Q  zugleich  wächst. 
Denkt  man  sich  q  als  Ordinate  einer  Curve  für  die  Abscisse  x, 
so  bewegt  sich  jeder  Punkt  dieser  Curve  parallel  der  Abscissenaxe  mit 
constanter  Geschwindigkeit  fort  und  zwar  mit  desto  grösserer,  je  grösser 
seine  Ordinate  ist.  Man  bemerkt  leicht,  dass  bei  diesem  Gesetze  Punkte 
mit  grösseren  Ordinateu  schliesslich  voraufgehende  Punkte  mit  kleineren 
Ordinaten  überholen  würden,  so  dass  zu  einem  Werthe  von  x  mehr 
als  ein  Werth  von  q  gehören   würde.     Da  nun  dieses  in  Wirklichkeit 


von  endlicher  Schwingungsweite.  153 

nicht  stattfinden  kann,  so  muss  ein  Umstand  eintreten,  wodurch  dieses 
Gesetz  ungültig  wird.  In  der  That  liegt  nun  der  Herleitung  der 
Differentialgleichungen  die  Voraussetzung  zu  Grunde,  dass  u  und  q 
stetige  Functionen  von  x  sind  und  endliche  Derivirten  haben;  diese 
Voraussetzung  hört  aber  auf  erfüllt  zu  sein,  sobald  in  irgend  einem 
Punkte  die  Dichtigkeitscurve  senkrecht  zur  Abscissenaxe  wird,  und  von 
diesem  Augenblicke  an  tritt  in  dieser  Curve  eine  Discontinuität  ein, 
so  dass  ein  grösserer  Werth  von  q  einem  kleineren  unmittelbar  nach- 
folgt; ein  Fall,  der  im  nächsten  Art.  erörtert  werden  wird. 

Die  Verdichtungs wellen,  d.  h.  die  Theile  der  Welle,  in  welchen 
die  Dichtigkeit  in  der  Fortpflanzungsrichtung  abnimmt,  werden  dem- 
nach bei  ihrem  Fortschreiten  immer  schmäler  und  gehen  schliesslich 
in  Verdichtungsstösse  über;  die  Breite  der  Verdünnungswellen  aber 
wächst  beständig  der  Zeit  proportional. 

Es  lässt  sich,  wenigstens  unter  Voraussetzung  des  Poisson'schen 
(oder  Boyle' sehen)  Gesetzes,  leicht  zeigen,  dass  auch  dann,  wenn  die 
anfängliche  Gleichgewichtsstörung  nicht  auf  ein  endliches  Gebiet  be- 
schränkt ist,  sich  stets,  von  ganz  besonderen  Fällen  abgesehen,  im  Laufe 
der  Bewegung  Verdichtungsstösse  bilden  müssen.  Die  Geschwindigkeit, 
mit  welcher  ein  Werth  von  r  vorwärts  rückt,  ist  bei  dieser  Annahme 

grössere  Werthe  werden  sich  also  durchschnittlich  mit  grösserer  Ge- 
schwindigkeit bewegen,  und  ein  grösserer  W^erth  r  wird  einen  vorauf- 
gehenden kleineren  Werth  /'  schliesslich  einholen  müssen,  wenn  nicht 
der  mit  /'  zusammentreffende  Werth  von  s  durchschnittlich  um 

kleiner  ist,  als  der  gleichzeitig  mit  /  zusammentreffende.  In  diesem 
Falle  würde  s  für  ein  positiv  unendliches  x  negativ  unendlich  werden, 
und  also  für  x  =  -\-  <x>  die  Geschwindigkeit  u  =  -\-  oo  (oder  auch 
statt  dessen  beim  Boyle'schen  Gesetz  die  Dichtigkeit  unendlich  klein) 
werden.  Von  speciellen  Fällen  abgesehen  wird  also  immer  der  Fall 
eintreten  müssen,  dass  ein  um  eine  endliche  Grösse  grösserer  Werth 
von  r  einem  kleineren  unmittelbar  nachfolgt;  es  werden  folglich,  durch 

ein  Unendlichwerden  von  ^,  die  Differentialgleichungen  ihre  Gültig- 
keit verlieren  und  vorwärtslaufende  Verdichtungsstösse  entstehen  müssen. 

ds 
Ebenso  werden  fast  immer,  indem  ö—  unendlich  wird,  rückwärtslaufende 

Verdichtungsstösse  sich  bilden. 


154  VIII.     Ueber  die  Fortpflanzung  ebener  Luft  wellen 

Zur   Bestimmung    der   Zeiten    und    Orte,    für    welche  |^  oder  1^ 

^  dx  d  X 

unendlich  wird  und  plötzliche  Verdichtungen  ihren  Anfang  nehmen, 
erhält  man  aus  den  Gleichungen  (1)  und  (2)  des  Art.  2.,  wenn  man 
darin  die  Function  tv  einführt, 

dx  \dr'  ■+"  \     dlogQ        r  ^jrj  —  i, 
dx\     ds^       \    dlogQ       r  7  7  ~"  ^• 


5. 

AVir  müssen  nun,  da  sich  plötzliche  Verdichtungen  fast  immer 
einstellen,  auch  wenn  sich  Dichtigkeit  und  Geschwindigkeit  anfangs 
allenthalben  stetig  ändern,  die  Gesetze  für  das  Fortschreiten  von  Ver- 
dichtungsstössen  aufsuchen. 

Wir  nehmen  an,  dass  zur  Zeit  t  für  x  =  ^  eine  sprungweise 
Aenderung  von  ti  und  q  stattfinde,  und  bezeichnen  die  Werthe  dieser 
und  der  von  ihnen  abhängigen  Grössen  für  x  =  ^  —  0  durch  An- 
hängung des  Index  1  und  für  x  =  ^  -\-  0  durch  den  Index  2;  die 
relativen  Geschwindigkeiten,  mit  welchen  das  Gas  sich  gegen  die  Un- 

stetigkeitsstelle  bewegt,  u^^  —  ^,  ti^ ~,   mögen   durch    v^  und  ^g 

bezeichnet  werden.  Die  Masse,  welche  durch  ein  Element  co  der  Ebene, 
wo  X  =  ^,  im  Zeitelement  dt  in  positiver  Richtung  hindurchgeht,  ist 
dsimi  =  i\Qj^(Ddt  =  V2Q2^^^  diö  ihr  eingedrückte  Kraft  (^(^J — cp{Q^)codt 
und  der  dadurch  bewirkte  Zuwachs  an  Geschwindigkeit  v^  —  v-^]  man 
hat  daher 

{^{Qi)  —  fp{Q2))  ^(^i  =  fe  —  ^i)  ^\  Qi  ^dt  und  v^  q^  =  v^  Q2, 


woraus 

folgt  t\ 

= 

+ 

Vi 

?1- 

also 

(1) 

dh, 

dt  ~~ 

u, 

± 

Vt. 

-Q9 

=  ih 

1 /_£i_  <3P(gi)  — qp(92) 
^^    92  9i  —  92 

Für  einen  Verdichtungsstoss  muss  q^  —  Q\  dasselbe  Zeichen,  wie 
^1  und  v^^  haben  und  zwar  für  einen  vorwärtslaufenden  das  nega- 
tive, für  einen  rückwärtslaufenden  das  positive.  Im  erstem  Falle 
gelten  die  oberen  Zeichen  und  q^  ist  grösser,  als  q^'-,  ^^  ist  daher,  bei 
der  zu  Anfang  des  vorigen  Artikels  gemachten  Annahme  über  die 
Function  9(9) 

(2)  «,  + 1/9'^  >  II  >  «^  +  y-^j^, 


von  endlicher  Schwingungsweite.  155 

und  folglich  rückt  die  Unstetigkeitsstelle  langsamer  fort  als  die  nach- 
folgenden und  schneller  als  die  voraufgehenden  Werthe  von  r;  i\  und 
t\,  sind  also  in  jedem  Augenblicke  durch  die  zu  beiden  Seiten  der  Un- 
stetigkeitsstelle geltenden  Differentialgleichungen  bestimmt.  Dasselbe 
gilt,  da  die  Werthe  von  s  sich  mit  der  Geschwindigkeit  yq)'(Q)  —  u 
rückwärts  bewegen,  auch  für  6.,  und  folglich  für  q,^  und  Wg,  aber  nicht 

für  s^.  Die  Werthe  von  s^  und  -r-  bestimmen  sich  aus  f\,  q.^  und  u.^ 
eindeutig  durch  die  Gleichungen  (1).    In  der  That  genügt  der  Gleichung 


(3)     2  {.,-r,)  =  /-(p.)  ^  /TP.)  +  y^^-^lSjM^m 

nur  ein  Werth  von  q^^-^  denn  die  rechte  Seite  nimmt,  wenn  q^^  von  q.^ 
an  in's  Unendliche  wächst,  jeden  positiven  Werth  nur  einmal  an,  da 
sowohl  fXQi)  als  auch  die  beiden  Factoren 


l/^  _  l/^  und  y^EM:^TM^ 


in  welche  sich  das  letzte  Glied  zerlegen  lässt,  beständig  wachsen  oder 
doch  nur  der  letztere  Factor  constant  bleibt.  Wenn  aber  q^  bestimmt 
ist,   erhält  man  durch   die   Gleichungen  (1)   offenbar  völlig  bestimmte 

Werthe  für  i(,  und    ,^ . 

'-  dt 

Ganz  Aehnliches  gilt  für  einen  rückwärtslaufenden  Verdichtungs- 
stoss. 

6. 

Wir  haben  eben  gefunden,  dass  in  einem  fortschreitenden  Ver- 
dichtungsstosse  zwischen  den  Werthen  von  u  und  q  zu  beiden  Seiten 
desselben  stets  die  Gleichung 

stattfindet.  Es  fragt  sich  nun,  was  eintritt,  wenn  zu  einer  gegebenen 
Zeit  an  einer  gegebenen  Stelle  beliebig  gegebene  Unstetigkeiten  vor- 
handen sind.  Es  können  dann  von  dieser  Stelle,  je  nach  den  Werthen 
von  iq,  Q^j  11.2,  92}  entweder  zwei  nach  entgegengesetzten  Seiten  laufende 
Verdichtungsstösse  ausgehen,  oder  ein  vorwärtslaufender,  oder  ein 
rückwärtslaufender,  oder  endlich  kein  Verdichtungsstoss,  so  dass  die 
Bewegung  nach  den  Differentialgleichungen  erfolgt. 

Bezeichnet  man  die  Werthe,  welche  ii  und  q  hinter  oder  zwischen 
den  Verdichtungsstössen  im  ersten  Augenblicke  ihres  Fortschreitens 
annehmen,  durch  Hinzufügung  eines  Accents,  so  ist  im  ersten  Falle 
9    >  ()i  und  >  Q^f  und  man  hat 


156  VIII.     Ueber  die  Fortpflanzung  ebener  Luftwellen 

(1) 


(2) 


+  yK 


Q2)  (9(9')  — yW) 


.  9>i 


Q2)  (^(9')  —  9(92)) 


9  92 

Es  muss  also,  da  beide  Glieder  der  rechten  Seite  von  (2)  mit  q'  zu- 
gleich wachsen,  ?f^  —  u.^  positiv  sein  und 

^   ^  '^'^  9i92 

und  umgekehrt  giebt  es,  wenn  diese  Bedingungen  erfüllt  sind,  stets 
ein  und  nur  ein  den  Gleichungen  (1)  genügendes  Werthenpaar  von  u 
und  q\ 

Damit  der  letzte  Fall  eintritt  und  also  die  Bewegung  sich  den 
Differentialgleichungen  gemäss  bestimmen  lässt,  ist  es  nothwendig  und 
hinreichend,  dass  7\  <  r^  und  s^  >  Sg  sei,  also  u^  —  ^%  negativ  und 
{u^  —  ii^'^>__  (fiQi)  —  Z'fe)/-  I^iö  Werthe  r^  und  r^,  Sj  und  s^  treten 
dann,  da  der  voraufgehende  Werth  mit  grösserer  Geschwindigkeit 
fortrückt,  im  Fortschreiten  auseinander,  so  dass  die  Unstetigkeit  ver- 
schwindet. 

Wenn  weder  die  ersteren,  noch  die  letztern  Bedingungen  erfüllt 
sind,  so  genügt  den  Anfangswerthen  Ein  Verdichtungsstoss,  und  zwar 
ein  vorwärts  oder  rückwärts  laufender,  je  nachdem  q^^  grösser  oder 
kleiner  als  Q2  i^^- 

In  der  That  ist  dann,  wenn  Qi>  Q2y 

2(n  —  r^)  oder  f(Q^)  —  /(^a)  +  ^h  —  ^h 
positiv,  —  weil  (u^  —  ihf  <  (f^Q^)  —  f(Q2)f  — ;  ^»^  zugleich 

<  f(vi)—f(Q->)  +  iÄKEräMÄEEr^ 
y  QiQ-2 

—  weil 

/ ,       .,  \2  ^  (9i  —  92)  (y(9i)  — y(92))_ . 

V    1  27     =^  9i92 

es  läs&t  sich  also  für  die  Dichtigkeit  q  hinter  dem  Verdichtungsstoss 
ein  der  Bedingung  (3)  des  vor.  Art.  genügender  Werth  finden  und 
dieser  ist  <^  q^.  Folglich  wird,  'da  /  =  fig)  —  r^,  s^  =  f{Q^)  —  r^, 
auch  s^s^,  so  dass  die  Bewegung  hinter  dem  Verdichtungsstosse 
nach  den  Differentialgleichungen  erfolgen  kann. 

Der  andere  Fall,  wenn  Qi<Q2}  ist  offenbar  von  diesem  nicht 
wesentlich  verschieden. 


von  endlicher  Schwingungsweite.  157 


7. 


Um  das  Bisherige  durch  ein  einfaches  Beispiel  zu  erläutern,  wo 
sich  die  Bewegung  mit  den  bis  jetzt  gewonnenen  Mitteln  bestimmen 
lässt,  wollen  wir  annehmen,  dass  Druck  und  Dichtigkeit  von  einander 
nach  dem  Boyle'schen  Gesetz  abhängen  und  anfangs  Dichtigkeit  und 
Geschwindigkeit  sich  bei  x  =  0  sprungweise  ändern,  aber  zu  beiden 
Seiten  dieser  Stelle  constant  sind. 

Es  sind  dann  nach  dem  Obigen  vier  Fälle  zu  unterscheiden. 

I.     Wenn  %  — 1*9  >  ^)  ^^^o   die  beiden  Gasmassen  sich  einander 

entffeffen  bewegen  und  (— -)  >  ~ —,  so  bilden  sich  zwei  ent- 

gegengesetzt  laufende  Verdichtungsstösse.     Nach  Art.  6.  (1)  ist,  wenn 
4 
"[/- -  durch  a  und  durch  6  die  positive  Wurzel  der  Gleichung 

U,  —  IL,  1 


bezeichnet  wird,  die  Dichtigkeit  zwischen  den  Verdichtungsstössen 
q'  =  09  Yq^q.^,  und  nach  Art.  5.  (1)  hat  man  für  den  vorwärtslaufen- 
den Verdichtungsstoss 

-  =  u.^  +  aae^u   +    -, 

für  den  rückwärtslaufenden 

d^  e  r  a 

dt  ^  a  6  ' 

die  Werthe  der  Geschwindigkeit  und  Dichtigkeit  sind  also  nach  Ver- 
lauf der  Zeit  t,  wenn 

(0  \ 
n^  —  a  — ) ^  <  u"  <  (iL,  -\-  aa 0)  t, 

u   und  q\  für  ein  kleineres  x  n^  und  q^  und  für  ein  grösseres  u^  und  p^- 
IL     Wenn  ii^  —  «^  <  0,  folglich  die  Gasmassen  sich  aus  einander 

bewegen,  und  zugleich 

2 


("^"^)'  >  C^g  t)' 


so  gehen  von  der  Grenze  nach  entgegengesetzten  Richtungen  zwei  all- 
mählich breiter  werdende  Verdünnungswellen  aus.  Nach  Art.  4.  ist 
zwischen  ihnen  r  =  }\,  s  =  s.^,  u  =  r^  —  s^.  In  der  vorwärtslaufenden 
ist  8  =  82  und  X  —  {u  -\-  a)  t  eine  Function  von  ?*,  deren  Werth,  aus 
den  Anfangs werthen  t  =  0,x  =  0,  sich  =  0  findet;  für  die  rückwärts- 
laufende dagegen  hat  man  r  =  ?\  und  x  —  (ti  —  a)  t  =  0.  Die  eine 
Gleichung  zur  Bestimmung  von  it  und  q  ist  also,  wenn 


158  VIII.     Ueber  die  Fortpflanzung  ebener  Luftwellen 


•T 


für  kleinere  Werthe  von  x  r  =  }\  und  für  grössere  r  =  r./,  die  andere 
Gleichung  ist,  wenn 

(t(^  -~a)t  <x  <  (?\  —  s.^  —  a)t,  n  =  a  -{-  --, 

für  ein  kleineres  x  s  =  s^  und  für  ein  grösseres  s  =  s^. 

III.  Wenn  keiner  dieser  beiden  Fälle  stattfindet  und  Qi>  Q2)  so 
entstellt  eine  rückwärtslaufende  Verdünnungswelle  und  ein  vorwärts- 
schreitender Verdichtungsstoss.  Für  letzteren  findet  sich  aus  Art.  6,  (ß), 
wenn  9  die  Wurzel  der  Gleichung 

bezeichnet,  q'  =  60  (>2  und  aus  Art.  5,  (1) 

_  =  w2  +  «e  =«  +  -g- 

Nach  Verlauf  der  Zeit  t  ist  demnach  vor  dem  Verdichtungsstosse,  also 
wenn  x  >  (1(3  -\-  ciQ)  t,  ti  =  u^,  q  =  Q2,  hinter  dem  Verdichtungsstosse 
aber  hat  man  r  =  r-^  und  ausserdem,  wenn 

(«1  —  d)  t  <ix  <C  i}^'  —  o)  t,  u  ==  a  +  -7  ? 
für  ein  kleineres  x  ii  =  u-^^  und  für  ein  grösseres  u  =  u\ 

IV.  Wenn  endlich  die  beiden  ersten  Fälle  nicht  stattfinden  und 
Qi  ^92)  so  ist  der  Verlauf  ganz  wie  in  IIL,  nur  der  Richtung  nach 
entgegengesetzt. 

8. 

Um  unsere  Aufgabe  allgemein  zu  lösen,  muss  nach  Art.  3.  die 
Function  w  so  bestimmt  werden,  dass  sie  der  Differentialgleichung 

,.s  ♦  d^w  (dw    ,     dio\         f. 

und  den  Anfangsbedingungen  genügt. 

Schliessen  wir  den  Fall  aus,  dass  Un Stetigkeiten  eintreten,  so  sind 
offenbar  nach  Art.  1.  Ort  und  Zeit  oder  die  Werthe  von  x  und  t,  für 
welche  ein  bestimmter  Werth  /  von  r  mit  einem  bestimmten  Werthe 
s  von  s  zusammentrifft,  völlig  bestimmt,  wenn  die  Anfangswerthe 
von  r  und  s  für  die  Strecke  zwischen  den  beiden  Werthen  /  von  r 
und  s  von  s  gegeben  sind  und  überall  in  dem  Grössengebiet  (S), 
welches  für  jeden  Werth  von  t  die  zwischen  den  beiden  Werthen,  wo 
r  =  r  und  s  ==  Sj  liegenden  Werthe  von  x  umfasst,  die  Differential- 
gleichungen (3)  des  Art.  1.  erfüllt  sind.     Es  ist  also  auch  der  Werth 


vou  endlicher  Schwingungsweite.  159 

von  tv  für  r  =  r,  s  ==  s  völlig  bestimmt,  wenn  iv  überall  in  dem 
Grössengebiet   {S)   der    Differentialgleichung    (1)   genügt   und   für   die 

Anfangswerthe  von  r  und  s  die  Werthe  von  0^  und  ~    also,  bis  auf 

eine  additive  Constante,  auch  von  iv  gegeben  sind  und  diese  Constante 
beliebig  gewählt  worden   ist.     Denn   diese  Bedingungen   sind  mit  den 

obigen  gleichbedeutend.     Auch   folgt  aus   Art.  3.  noch,  dass  -^  zwar 

zu  beiden  Seiten  eines  Werthes  r"  von  r,  wenn  dieser  Werth  in  einer 
endlichen  Strecke  stattfindet,  verschiedene  Werthe  annimmt,  sich  aber 

allenthalben  stetig  mit  s  ändert;  ebenso  ändert  sich  >,  -  mit  r,  die 
Function  tv  selbst  aber  sowohl  mit  r,  als  mit  s  allenthalben  stetig. 

Nach  diesen  Vorbereitungen  können  wir  nun  an  die  Lösung  un- 
serer Aufgabe  gehen,  an  die  Bestimmung  des  Wertlies  von  iv  für  zwei 
beliebige  Werthe,  /  und  s,  von  r  und  s. 

Zur  Yeranschaulichung  denke  man  sich  x  und  t  als  Abscisse  und 
Ordinate  eines  Punkts  in  einer  Ebene  und  in  dieser  Ebene  die  (/urven 
gezogen,  wo  r  und  wo  s  constante  Werthe  hat.  Von  diesen  Curven 
mögen  die  ersteren  durch  (r),  die  letzteren  durch  (s)  bezeichnet  und 
in  ihnen  die  Richtung,  in  welcher  t  wächst,  als  die  positive  betrachtet 
werden.  Das  Grössengebiet  {S)  wird  dann  repräsentirt  durch  ein  Stück 
der  Ebene,  welches  begrenzt  ist  durch  die  Curve  (/),  die  Curve  {s) 
und  das  zwischen  beiden  liegende  Stück  der  Abscissenaxe,  und  es 
handelt  sich  darum,  den  Werth  von  w  in  dem  Durchschnittspunkte 
der  beiden  ersteren  aus  den  in  letzterer  Linie  gegebenen  Werthen  zu 
bestimmen.  Wir  wollen  die  Aufgabe  noch  etwas  verallgemeinern  und 
annehmen,  dass  das  Grössengebiet  iß),  statt  durch  diese  letztere  Linie, 
durch  eine  beliebige  Curve  c  begrenzt  werde,  welche  keine  der  Curven 
{r)  und  {s)  mehr  als  einmal  schneidet,   und  dass  für  die  dieser  Curve 

angehörigen  Werthenpaare  von  r  und  s  die  Werthe  von  ~  und  ^ 

gegeben  seien.     Wie  sich  aus  der  Auflösung  der  Aufgabe  ergeben  wird, 

unterliegen  auch  dann  diese  Werthe  von  -^  und  -^  nur  der  Bedingung, 

sich  stetig  mit  dem  Ort  in  der  Curve  zu  ändern,  können  aber  übrigens 
willkürlich  angenommen  werden,  während  diese  Werthe  nicht  von 
einander  unabhängig  sein  würden,  wenn  die  Curve  c  eine  der  Curven 
(r)  oder  (5)  mehr  als  einmal  schnitte. 

Um  Functionen  zu  bestimmen,  welche  linearen  partiellen  Differential- 
gleichungen und  linearen  Grenzbedingungen  genügen  sollen,  kann  man 
ein  ganz  ähnliches  Verfahren  anwenden,  wie  wenn  man  zur  Auflösung 


160  VIII.     Ueber  die  Fortpflanzung  ebener  Lnftwellen 

eines  Systems  von  linearen  Gleichungen  srimmtliclie  Gleichungen,  mit 
unbestimmten  Factoren  multiplicirt,  addirt  und  diese  Factoren  dann  so 
bestimmt,  dass  aus  der  Summe  alle  unbekannten  Grössen  bis  auf  eine 
herausfallen. 

Man  denke  sich  das  Stück  (S)  der  Ebene  durch  die  Curven  (/•) 
und  (s)  in  unendlich  kleine  Parallelogramme  zerschnitten  und  bezeichne 
durch  dr  und  ds  die  Aenderungen,  welche  die  Grössen  r  und  s  erlei- 
den, wenn  die  Curvenelemente,  welche  die  Seiten  dieser  Parallelogramme 
bilden,  in  positiver  Richtung  durchlaufen  werden;  man  bezeichne  ferner 
durch  V  eine  beliebige  Function  von  r  und  s,  welche  allenthalben  stetig 
ist  und  stetige  Derivirten  hat.  In  Folge  der  Gleichung  (1)  hat  man 
dami 

über  das  ganze  Grössengebiet  (S)  ausgedehnt.  Es  muss  nun  die  rechte 
Seite  dieser  Gleichmig  nach  den  Unbekannten  geordnet,  d.  h.  hier,  das 
Integral  durch  partielle  Integration  so  umgeformt  werden,  dass  es 
ausser  bekamiten  Grössen  nur  die  gesuchte  Function,  nicht  ihre  Deri- 
virten enthält.  Bei  Ausführung  dieser  Operation  geht  das  Integral 
zunächst  über  in  das  über  (S)  ausgedehnte  Integral 

und  ein  einfaches  Integral,  welches  sich,   weil  sich  -y-  mit  s,   y^   mit 

r  und  iv  mit  beiden  Grössen  stetig  ändert,  nur  über  die  Begrenzung 
von  (S)  erstrecken  wird.  Bedeuten  dr  und  ds  die  Aenderungen  von 
r  und  s  in  einem  Begrenzungselemente,  wenn  die  Begrenzung  in  der 
Richtung  durchlaufen  wird,  welche  gegen  die  Richtung  nach  Innen 
ebenso  liegt,  wie  die  positive  Richtung  in  den  Curven  (r)  gegen  die 
positive  Richtung  in  den  Curven  (s),  so  ist  dies  Begrenzungsintegral 

=  —    j  (v  (^  —  mtv\  ds  +  w  (tt77  +  mtn  dr\. 

Das  Integral  durch  die  ganze  Begrenzung  von  S  ist  gleich  der 
Summe  der  Integrale  durch  die  Curven  c,  (s),  (/),  welche  diese  Be- 
grenzung bilden,  also,  wenn  ihre  Durchschnittspunkte  durch  (c,  /), 
(c,  s),  (/,  s)  bezeichnet  werden. 


/ 


=/+/+/ 


Von  diesen  drei  Bestandtheilen  enthält  der  erste  ausser  der  Function  v 
nur  bekaimte  Grössen,   der   zweite  enthält,  da  in  ihm  ds  =  0  ist,  nur 


von  endlicher  Schwingungsweite.  161 

die   unbekannte   Function   iv  selbst,    nicht   ihre   Derivirten;    der   dritte 
Bestandtheil  aber  kann  durch  partielle  Integration  in 

c,  r 
a' ,  r 

verwandelt  werden,  so  dass  in  ihm  ebenfalls  nur  die  gesuchte  Function 
w  selbst  vorkommt. 

Nach  diesen  Umformungen  liefert  die  Gleichung  (2)  offenbar  den 
Werth  der  Function  iv  im  Punkte  (/,  s'),  durch  bekannte  Grössen  aus- 
gedrückt, wenn  man  die  Function  v  den  folgenden  Bedingungen  ge- 
mäss bestimmt: 

1)  allenthalben  m  b:    ötö"  H — ött  H — ^  =  0 

3v 

2)  für  r  =  r  :  ^ 1-  mv  =  0 

(3)  ^  gl 

3)  für  s  =  5' :  ^ 1-  mv  =  0 

4)  für  r  =  /,  s  ==  s':  v  =  1. 
Man  hat  dann 

c,  s' 


9. 

Durch  das  eben  angewandte  Verfahren  wird  die  Aufgabe,  eine 
Function  tv  einer  linearen  Differentialgleichung  und  linearen  Grenz- 
bedingungen gemäss  zu  bestimmen,  auf  die  Lösung  einer  ähnHchen, 
aber  viel  einfacheren  Aufgabe  für  eine  andere  Function  v  zurück- 
geführt; die  Bestimmung  dieser  Function  erreicht  man  meistens  am 
Leichtesten  durch  Behandlung  eines  speciellen  Falls  jener  Aufgabe 
nach  der  Fourie  raschen  Methode.  Wir  müssen  uns  hier  begnügen, 
diese  Rechnung  nur  anzudeuten  und  das  Resultat  auf  anderem  Wege 
zu  beweisen. 

Führt  man  in  der  Gleichung  (1)  des  vor.  Art.  für  r  und  s  als 
unabhängig  veränderliche  Grössen  ö  =  r  -\-  s  und  u  =  r  —  s  ein  und 
wählt  man  für  die  Curve  c  eine  Curve,  in  welcher  6  constant  ist,  so 
lässt  sich  die  Aufgabe  nach  den  Regeln  Fourier's  behandeln,  und 
man  erhält  durch  Vergleichung  des  Resultats  mit  der  Gleichung  (4) 
des  vor.  Art.,  wenn  r  -\-  s  =  a,  /  —  s  =  ti   gesetzt  wird, 

Riemann's  gesammelte  mathematische  Werke.     I.  11 


162  VIII.     Ueber  die  Fortpflanzung  ebener  Luftwellen 

oo 

V  =  ^  ycos  n  («  —  tl)  ^  (^^  (ö')  t,  ((?)  —  t,  (ö')  ti  (o) )   dil, 

0 

worin   i^^  ((?)   und  ifj^  ((>)   zwei   solche   particulare   Lösungen   der   Diffe- 
rentialgleichung ilf"  —  2mi^'  +  ft^^  =  0  bezeichnen,  dass 

Bei  Voraussetzung    des    Poisson'schen   Gesetzes,    nach    welchem 

m  =  ( -^ 7.  _  . )  — ;  kann  man  ^^  und  ip2  ^^^^i^cli  bestimmte  Integrale 

ausdrücken,    so   dass  man   für  v  ein   dreifaches   Integral  erhält,   durch 
dessen  Reduction  sich  ergiebt 


1        1 


v=  f-  +'\  f(^ ^- ^ ^     1  {r-r){s-s)\ 

Man  kann  nun  die  Richtigkeit  dieses  Ausdrucks  leicht  beweisen, 
indem  man  zeigt,  dass  er  wirklich  den  Bedingungen  (3)  des  vor.  Art. 
genügt. 

a 

— fmdo  > 

Setzt  man  v  =  e  ^'         y,  so  gehen  diese  für  y  über  in 

d^y     I     /dm  \  ^ 

und  y  =  1  sowohl  für  r  =  /,  als  für  s  =  s.     Bei  der  Poisson^schen 

Annahme  kann  man  aber  diesen  Bedingungen  genügen,  wenn  mau  an- 

(^ 4«  \  (ß  ^^  g  \ 

nimmt,  dass  y  eine  Function  von  0  ==  —  } — , — r-^-^—, — >^  sei.     Denn  es 

wird  dann,  wenn  man t — -   durch  A  bezeichnet,   m  =  — ,    also 

dm  X-\-V         j 

^ mm  = 4—  und 

da  6^ 

dsdr  ff'-^   Y^Hog^''*    \  ^/  d  log  z J' 

Es  ist  folglich  V  =  ( — )  y  und  y  eine  Lösung  der  Differentialgleichung 

oder  nach  der  in  meiner  Abhandlung  über  die  Gauss^sche  Reihe  ein- 
geführten Bezeichnung  eine  Function 

■^  [oi  -\-xo  '") 
und  zwar  diejenige  particulare  Lösung,  welche  für  2  =  0  gleich  1  wird. 
Nach  den  in  jener  Abhandlung  entwickelten  Transform  ationsprin- 
cipien  l'ässt  sich  y  nicht  bloss  durch  die  Functionen  P(0,  2A  +  1;  0), 


von  endlicher  Schwingungsweite.  163 

sondern  auch  durch  die  Functionen  P(^,  0,  A  +  i)?  ^(^;  ^  +  i»  '^  +  i) 
ausdrücken;  mau  erhält  daher  für  y  eine  grosse  Menge  von  Dar- 
stellungen durch  hypergeometrische  Reihen  und  bestimmte  Integrale, 
von  denen  wir  hier  nur  die  folgenden 

y^F{i  +  1,-1, 1,4=  ^-1  -  4  J'i-  h  -  h  l,  jfn) 
=  (1.  -5)-'-'-  f{\  +  l,  1  +X,  \,  j^) 

bemerken,  mit  denen  man  in  allen  Fällen  ausreicht. 

Um  aus  diesen  für  das  Poisson^sche  Gesetz  gefundenen  Resultaten 
die  für  das  Boyle'sche  geltenden  abzuleiten,  muss  man  nach  Art.  2. 

die  Grössen  r,  s,  r ,  s  um  y—{  vermindern  und  dann  Ä;  =  1  werden 
lassen,  wodurch  man  erhält  m  ==  —  —  und 


2  a 


(,.  —  r'  -\-s  —  s') 


jLj        n!  n!  {2af" 
ü 


10. 

Wenn   man   den   im   vor.  Art.   gefundenen  Ausdruck  für  v  in  die 
Gleichung  (4)  des  Art.  8.  einsetzt,   erhält  man  den  Werth  von  iv  für 

r==r,  s  =  s    durch  die  Werthe  von  tv,  >,     und  ö—  in  der  Curve  c  aus- 

'  '  or  CS 

gedrückt:  da  aber  bei  unserm  Problem  in  dieser  Curve  immer  nur  t^ 
und  -^  unmittelbar  gegeben  sind  und  w  erst  durch  eine  Quadratur  aus 

ihnen  gefunden  werden  müsste,  so  ist  es  zweckmässig,  den  Ausdruck 
für  Wr',s'  so  umzuformen,  dass  unter  dem  Integralzeichen  nur  die  Deri- 
virten  von  w  vorkommen. 

Man  bezeichne  die  Integrale  der  Ausdrücke  —  mvds  -(-  (y^  +  nivj  dr 

und  l~  +  mv)  ds  —  nivdr,  welche  in  Folge  der  Gleichung 

d'^v     j^   dmv     f^  dmv  ^ 

drds    '      dr       '      ^s 

vollständige  Differentiale  sind,  durch  P  und  2  und  das  Integral  von 
Fdr  -\-  Eds,  welcher  Ausdruck  wegen  ^^  =  —  7nv  =  ^  ebenfalls  ein 
vollständiges  Differential  ist,  durch  «. 

Bestimmt  man  nun  die  Integrationsconstanten  in  diesen  Integralen 

so,  dass  (0,    ~  und  -^  für  r  =  /,  s  =  s    verschwinden,   so  genügt  a 

den  Gleichungen  S-  +  t"  +  1  ==  v,  ^-^  =   —   niv  und    sowohl   für 
^        er     '    CS     ^  'eres 


11 


164  VIII.     Ueber  die  Fortpflanzung  ebener  Luftwellen  etc. 

r  =  r\  als  fUr  s  =  s  der  Gleichung  co  =  0  und  ist,  beiläufig  bemerkt, 
durch  diese  Grenzbedingung  und  die  Differentialgleichung 

sm  +  '"  [IT-  + 11+  1)  =  0 

völlig  bestimmt. 

Führt   man  nun   in   dem  Ausdrucke  von  Wr',s'  für  v  die  Function 
G)  ein,  so  kann  man  ihn  durch  partielle  Integration  in 

c,  s' 

w,.,  =  iv..  ,  +  j  ^g^  +  1)  ^  rf,  _  _  _  dr^ 

c,  r 

umwandeln. 

Um   die  Bewegung    des   Gases   aus   dem  Anfangszustande   zu  be- 
stimmen,  muss   man  für   c  die  Curve,   in  welcher  t  =  i)  ist,  nehmen; 

in  dieser  Curve  hat  man  dann  -;^-  =  rr,  -t^-  =  —  x,    und   man   erhält 

Cr  ^  OS  ^ 

durch  abermalige  partielle  Integration 

c,  .S-' 

Wr'^s'   -■=   1^c,r'    -\-     f(codx    —   X  (Is) , 
c,  r 

folglich  nach  Art.  3.,  (4)  und  (5) 

(2) 

[x    +    (l/9P'((>)    —   ^^)i)r\,'    ==   X,'     —  J    j^   dx. 

Xr' 

Diese  Gleichungen  (2)  drücken  aber  die  Bewegung  nur  aus,  so  lange 

T?  +  (^n^-+  1)  *  ""d  ^  +  \-i^  +  Ij  <  ^'i  Null  yer- 
schieden  bleiben.  Sobald  eine  dieser  Grössen  verschwmdet,  entsteht 
ein  Verdichtungsstoss,  und  die  Gleichung  (1)  gilt  dann  nur  innerhalb 
solcher  Grössengebiete,  welche  ganz  auf  einer  und  derselben  Seite  dieses 
Verdichtungsstosses  liegen.  Die  hier  entwickelten  Principien  reichen 
dann,  wenigstens  im  Allgemeinen,  nicht  aus,  um  aus  dem  Anfangszustande 
die  Bewegung  zu  bestimmen;  wohl  aber  kann  man  mit  Hülfe  der  Gleichung 
(1)  und  der  Gleichungen,  welche  nach  Art.  5.  für  den  Verdichtungsstoss 
gelten,  die  Bewegung  bestimmen,  wenn  der  Ort  des  Verdichtungsstosses 
zur  Zeit  ^,  also  J  als  Function  von  ^,  gegeben  ist.  Wir  wollen  indess 
dies  nicht  weiter  verfolgen  und  verzichten  auch  auf  die  Behandlung  des 
Falles,  wenn  die  Luft  durch  eine  feste  Wand  begrenzt  ist,  da  die 
Rechnung  keine  Schwierigkeiten  hat  und  eine  Vergleichung  der  Resultate 
mit  der  Erfahrung  gegenwärtig  noch  nicht  möglich  ist. 


Xs' 

äx 
or 

Xr' 


IX. 

Selbstanzeige  der  vorstehenden  Abhandlung. 

(Göttinger  Nachrichten,  1859,  Nr.  19.) 

Diese  Untersuchung  macht  nicht  darauf  Anspruch,  der  experimen- 
tellen Forschung  nützliche  Ergebnisse  zu  liefern;  der  Verfasser  wünscht 
sie  nur  als  einen  Beitrag  zur  Theorie  der  nicht  linearen  partiellen 
Differentialgleichungen  betrachtet  zu  sehen.  Wie  für  die  Integration 
der  linearen  partiellen  Differentialgleichungen  die  fruchtbarsten  Me- 
thoden nicht  durch  Entwicklung  des  allgemeinen  Begriffs  dieser  Auf- 
gabe gefunden  worden,  sondern  vielmehr  aus  der  Behandlung  specieller 
physikalischer  Probleme  hervorgegangen  sind,  so  scheint  auch  die 
Theorie  der  nichtlinearen  partiellen  Differentialgleichungen  durch  eine 
eingehende,  alle  Nebenbedingungen  berücksichtigende,  Behandlung 
specieller  physikalischer  Probleme  am  meisten  gefördert  zu  werden,  und 
in  der  That  hat  die  Lösung  der  ganz  speciellen  Aufgabe,  welche  den 
Gegenstand  dieser  Abhandlung  bildet,  neue  Methoden  und  Auffassungen 
erfordert,  und  zu  Ergebnissen  geführt,  welche  wahrscheinlich  auch  bei 
allgemeineren  Aufgaben  eine  Rolle  spielen  werden. 

Durch  die  vollständige  Lösung  dieser  Aufgabe  dürften  die  vor 
einiger  Zeit  zwischen  den  englischen  Mathematikern  Challis,  Airy  und 
Stokes  lebhaft  verhandelten  Fragen*),  soweit  dies  nicht  schon  durch 
Stokes**)  geschehen  ist,  zu  klarer  Entscheidung  gebracht  worden  sein, 
so  wie  auch  der  Streit,  welcher  über  eine  andre  denselben  Gegenstand 
betreffende  Frage  in  der  K,  K.  Ges.  d.  W.  zu  Wien  zwischen  den  Herrn 
Petzval,  Doppler    und   A.  von  Ettinghausen***)    geführt    wurde. 

Das  einzige  empirische  Gesetz,  welches  ausser  den  allgemeinen 
Bewegungsgesetzen    bei     dieser    Untersuchung    vorausgesetzt    werden 


*)  Phil.  mag.  voll.  33.  34.  und  35. 
**)  Phil.  mag.  vol.  33.  p.  349. 

***)  Sitzungsberichte  der  K.  K.  Gos.  d.    W.  vom  15.  Jan.,  21.  Mai  und  1.  Juni 
1852. 


1  Qß  IX.     Selbstanzeige  der  vorstehenden  Abhandlung. 

musste^  ist  das  Gesetz,  nach  welchem  der  Druck  eines  Gases  sich  mit 
der  Dichtigkeit  ändert,  wenn  es  keine  Wärme  aufnimmt  oder  abgiebt. 
Die  schon  von  Poisson  gemachte,  aber  damals  auf  sehr  unsicherer 
Grundlage  ruhende  Annahme,  dass  der  Druck  bei  der  Dichtigkeit  q 
proportional  ^^  sich  ändere,  wenn  h  das  Verhältniss  der  specifischen 
Wärme  bei  constaiftem  Druck  zu  der  bei  constantem  Volumen  be- 
deutet, kann  jetzt  durch  die  Versuche  von  Regnault  über  die  speci- 
fischen Wärmen  der  Gase  und  ein  Princip  der  mechanischen  Wärme- 
theorie begründet  werden,  und  es  schien  nöthig  diese  Begründung  des 
Poisson'schen  Gesetzes,  da  sie  noch  wenig  bekannt  zu  sein  scheint, 
in  der  Einleitung  voranzuschicken.     Der  Werth  von  k  findet  sich  dabei 

=  1,4101,   während   die  Schallgeschwindigkeit  bei  0^  C.  und  trockner 

332m  37 

Luft  nach    den  Versuchen    von  Martins    und  A.  Bravais*)   =  — -,7* — 

sich  ergeben  und  für  h  den  Werth  1,4095  liefern  würde. 

Obwohl  die  Vergleichung  der  Resultate  unserer  Untersuchung  mit 
der  Erfahrung  durch  Versuche  und  Beobachtungen  grosse  Schwierig- 
keiten hat  und  gegenwärtig  kaum  ausführbar  sein  wird,  so  mögen 
diese  doch,  soweit  es  ohne  Weitläufigkeit  möglich  ist,  hier  mitgetheilt 
werden. 

Die  Abhandlung  behandelt  die  Bewegung  der  Luft  oder  eines 
Gases  nur  für  den  Fall,  wenn  anfangs  und  also  auch  in  der  Folge 
die  Bewegung  allenthalben  gleich  gerichtet  ist,  und  in  jeder  auf  ihrer 
Richtung  senkrechten  Ebene  Geschwindigkeit  und  Dichtigkeit  constant 
sind.  Für  den  Fall,  wo  die  anfängliche  Gleichgewichtsstörung  auf 
eine  endliche  Strecke  beschränkt  ist,  ergiebt  sich  bekanntlich  bei  der 
gewöhnlichen  Voraussetzung,  dass  die  Druckverschiedenheiten  unendlich 
kleine  Bruchtheile  des  ganzen  Drucks  sind,  das  Resultat,  dass  von  der 
erschütterten  Stelle  zwei  Wellen,  in  deren  jeder  die  Geschwindigkeit 
eine  bestimmte  Function  der  Dichtigkeit  ist,  ausgehen  und  in  entgegen- 
gesetzten Richtungen  mit  der  bei  dieser  Voraussetzung  constanten 
Geschwindigkeit  Y  cp' (q)  fortschreiten,  wenn  (p(q)  den  Druck  bei  der 
Dichtigkeit  q  und  (p'iß)  die  Derivirte  dieser  Function  bezeichnet.  Etwas 
ganz  ähnliches  gilt  nun  für  diesen  Fall  auch,  wenn  die  Druckver- 
schiedenheiten endlich  sind.  Die  Stelle,  wo  das  Gleichgewicht  gestört 
ist,  zerlegt  sich  ebenfalls  nach  Verlauf  einer  endlichen  Zeit  in  zwei 
nach  entgegengesetzten  Richtungen  fortschreitende  Wellen.  In  diesen 
ist  die  Geschwindigkeit,  in  der  Fortpflanzungsrichtung  gemessen,  eine 
bestimmte    Function   /  ]/  9?' (q)  d  log  q     der     Dichtigkeit,     wobei     die 


*)  Ann.  de  chim.  et  de  phys.     Ser.  III,  T.  XIII,  p,  5. 


IX.     Selbstanzeige  der  vorstehenden  Abhandlung.  167 

Integrationsconstante  in  beiden  verschieden  sein  kann;  in  jeder  ist  also 
mit  einem  und  demselben  Werthe  der  Dichtigkeit  stets  derselbe  Werth 
der  (Geschwindigkeit  verbunden,  und  zvv^ar  mit  einem  grösseren  Werthe 
ein  algebraisch  grösserer  Werth  der  Geschwindigkeit.  Beide  Werthe 
rücken  mit  constanter  (lesch windigkeit  fort.  Ihre  Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit im  Gase  ist  V  (p  {q)j  im  Räume  aber  um  die  in  der 
Fortpflanzungsrichtung  gemessene  Geschwindigkeit  des  Gases  grösser. 
Unter  der  in  der  Wirklichkeit  zutrefl'enden  Voraussetzung,  dass  qp'  (9) 
bei  wachsendem  q  nicht  abnimmt,  rücken  daher  grössere  Dichtigkeiten 
mit  grösserer  Geschwindigkeit  fort,  und  hieraus  folgt,  dass  die  Ver- 
dünnungswellen, d.  h.  die  Theile  der  Welle,  in  denen  die  Dichtigkeit 
in  der  Fortpflanzungsrichtung  wächst,  der  Zeit  proportional  an  Breite 
zunehmen,  die  Verdichtungs wellen  aber  ebenso  an  Breite  abnehmen, 
und  schliesslich  in  Verdichtungsstösse  übergehen  müssen.  Die  Gesetze, 
welche  vor  der  Scheidung  beider  Wellen  oder  bei  einer  über  den  ganzen 
Raum  sich  erstreckenden  Gleichgewichtsstörung  gelten,  so  wie  die 
Gesetze  für  das  Fortschreiten  von  Verdichtungsstössen,  können  hier, 
weil  dazu  grössere  Formeln  erforderlich  wären,  nicht  angegeben  werden. 
In  akustischer  Beziehung  liefert  demnach  diese  Untersuchung  das 
Resultat,  dass  in  den  Fällen,  wo  die  Druckverschiedenheiten  nicht  als 
unendlich  klein  betrachtet  werden  können,  eine  Aenderung  der  Form 
der  Schallwellen,  also  des  Klanges,  während  der  Fortpflanzung  eintritt. 
Eine  Prüfung  dieses  Resultats  durch  Versuche  scheint  aber  trotz  der 
Fortschritte,  welche  in  der  Analyse  des  Klanges  in  neuester  Zeit  durch 
Helmholtz  u.  A.  gemacht  Avorden  sind,  sehr  schwer  zu  sein;  demi  in 
geringeren  Entfernungen  ist  eine  Aenderung  des  Klanges  nicht  merk- 
lich, und  bei  grösseren  Entfernungen  wird  es  schwer  sein,  die  maimig- 
fachen  Ursachen,  welche  den  Klang  modificiren  können,  zu  sondern. 
An  eine  Anwendung  auf  die  Meteorologie  ist  wohl  nicht  zu  denken, 
da  die  hier  untersuchten  Bewegungen  der  Luft  solche  Bewegungen  sind, 
die  sjch  mit  der  Schallgeschwindigkeit  fortpflanzen,  die  Strömungen  in 
der  Atmosphäre  aber  allem  Anschein  nach  mit  viel  geringerer  Ge- 
schwindigkeit fortschreiten. 


X. 

Ein  Beitrag  zu  den  Untersuchungen  über  die  Bewegung  eines 
flüssigen  gleichartigen  Ellipsoides. 

(Aus   dem  neunten   Bande    der   Abhandlungen    der  Königlichen   Gesellschaft   der 
Wissenschaften  zu  Göttingen.    1861.) 

Für  die  Untersuchungen  über  die  Bewegung  eines  gleichartigen 
flüssigen  Ellipsoides,  dessen  Elemente  sich  nach  dem  Gesetze  der 
Schwere  anziehen,  hat  Dirichlet  durch  seine  letzte  von  Dedekind 
herausgegebene  xirbeit  auf  überraschende  Weise  eine  neue  Bahn  ge- 
brochen. Die  Verfolgung  dieser  schönen  Entdeckung  hat  für  den 
Mathematiker  ihren  besondern  Reiz,  ganz  abgesehen  von  der  Frage 
nach  den  Gründen  der  Gestalt  der  Himmelskörper,  durch  welche  diese 
Untersuchungen  veranlasst  worden  sind.  Dirichlet  selbst  hat  die 
Lösung  der  von  ihm  behandelten  Aufgabe  nur  in  den  einfachsten 
Fällen  vollständig  durchgeführt.  Für  die  weitere  Ausführung  der  Unter- 
suchung ist  es  zweckmässig,  den  Differentialgleichungen  für  die  Be- 
wegung der  flüssigen  Masse  eine  von  dem  gewählten  Anfangszeit- 
punkte unabhängige  Form  zu  geben,  was  z.  B.  dadurch  geschehen  kann, 
dass  man  die  Gesetze  aufsucht,  nach,  welchen  die  Grösse  der  Haupt- 
axen  des  Ellipsoides  und  die  relative  Bewegung  der  flüssigen  Masse 
gegen  dieselben  sich  ändert.  Indem  wir  hier  die  Aufgabe  in  dieser 
Weise  behandeln,  werden  wir  zwar  die  Dirichlet 'sehe  Abhandlung 
voraussetzen,  müssen  aber  dabei  zur  Vermeidung  von  Irrungen  gleich 
bevorworten,  dass  es  nicht  möglich  gewesen  ist,  die  dort  gebrauchten 
Zeichen  unverändert  beizubehalten. 

1. 

Wir  bezeichnen  durch  a,  h,  c  die  Hauptaxen  des  Ellipsoides  zur 
Zeit  t,  ferner  durch  x,  y,  z  die  Coordinaten  eines  Elements  der  flüssigen 
Masse  zur  Zeit  t  und  die  Anfangswerthe  dieser  Grössen  durch  An- 
hängung des  Index  0  und  nehmen  an,  dass  für  die  Anfangszeit  die 
Hauptaxen   des  Ellipsoides   mit  den  Coordinatenaxen   zusammenfallen. 


X.     Ein  Beitrag  zu  den  Untersuchungen  über  die  Bewegung  etc.         160 

Den  Ausgangspunkt  für  die  Untersuchung  Dirichlet's  bildet  be- 
kanntlich die  Bemerkung,  dass  man  den  Differentialgleichungen  für. 
die  Bewegung  der  Flüssigkeitstheile  genügen  kann,  wenn  man  die 
Coordinaten  x,  y,  z  linearen  Ausdrücken  von  ihren  Anfangswerthen 
gleichsetzt,  in  denen  die  Coefficienten  blosse  Functionen  der  Zeit  sind. 
Diese  Ausdrücke  setzen  wir  in  'die  Form 


(1) 


X 

= 

l 

3 

«0 

+ 

7n 

+  n 

y 

= 

r 

«0 

+ 

m 

Vo 

+  n 

z 

= 

r 

+ 

m" 

Vo 

+  n 

Zn 


Bezeichnet  man  nun  durch  J,  rj,  t,  die  Coordinaten  des  Punktes  (o;,  y,  z) 
in  Bezug  auf  ein  bewegliches  Coordinatensystem,  dessen  Axen  in  jedem 
Augenblicke  mit  den  Hauptaxen  des  Ellipsoides  zusammenfallen,  so 
sind  bekanntlich  |,  r],  J  gleich  linearen  Ausdrücken  von  x,  y,  z 

i  =  ccx    +  ßy    +  yz 
(2)  rj  =  ax  +  ß'y  +  yz 

%  =  ci'x  +  ß"y  +  y'z 

worin  die  Coefficienten  die  Cosinus  der  Winkel  sind,  welche  die  Axen 
des  einen  Systems  mit  den  Axen  des  andern  bilden,  a  =  cos  ^x, 
ß  =  cos  ^y  etc.,  und  zwischen  diesen  Coefficienten  finden  sechs  Be- 
dingungsgleichungen statt,  welche  sich  daraus  herleiten  lassen,  dass 
durch  die  Substitution  dieser  Ausdrücke 

r-  +  n'  +  ?'  =  x'  +  y'  +  0' 
werden  muss. 

Da  die   Oberfläche  stets   von    denselben  Flüssigkeitstheilchen   ge- 


bilde 

:  wird,  so  muss 

a'  ~   ?>^     '     c'         üo'  ^  b,'  ^  c, 

sein; 

setzt  man  also 

1  =  «^^  +^l^  +j,^ 

(3) 

6            '    «„      '    '^'   *o      '    '^'   Co 

d.  h.  bezeichnet  man  in  den  Ausdrücken  von  — ,  ^,  —  durch  — ,  |^,  — 
welche  man  durch  Einsetzung  der  Werthe  (1)  in  die  Gleichungen  (2) 


170  X.     Ein  Beitrag  zu  den  Untersuchungen 

erhält,  die  Coefficienten  durch  a^,  ß^,  .  . .,  y'/^  so  bilden  diese  Grössen 
^.j  ß.:  '  -  -y  ?'/  ebenfalls  die  Coefficienten  einer  orthogonalen  Coordinaten- 
transformation :  sie  können  betrachtet  werden  als  die  Cosinus  der 
Winkel,  welche  die  Axen  eines  beweglichen  Coordinatensystems  der 
?/7  V,7  5/  i^^it  flen  Axen  des  festen  Coordinatensystems  der  oc,  y,  z 
bilden.     Drückt  man  die   Grössen  x^  y,  z  mit  Hülfe   der  Gleichungen 

(2)  und  (3)  in  ^,  |^,  ^-  aus,  so  ergiebt  sich 

«Q  Oy  C,J 

l  =  aaa  -\- ha  a'  -\- ca" a" 
m  =aaß^'\-  haß^  +  ca' ß^" 
n    =  aay^  -\-  ha  y'  -f"  ca' y'/ 

r  =  aßa^  +  hß'a;  +  c^"«/' 

(4)  m'  =  aßß^  +  hß'ß;  +  cß"ß:' 

n    =  aßy,  -\-  h'ß'y^'  +  cß" v'/ 

l"  =  aya^  -{-  hy  a'  -\-  cy" a]' 
m"  =  avß,  +  hy'ß:  +  cy"  ß'/ 
n    =  ciy/^  -j-  hy  y^   -f-  cy  y^ 

Wir  können  daher  die  Lage  der  Flüssigkeit'stheilchen  oder  die  Werthe 
der  Grössen  l,  m,  . .  .,  n'  zur  Zeit  t  als  abhängig  betrachten  von  den 
Grössen  a,  h,  c  und  der  Lage  zweier  beweglichen  Coordinatensysteme 
und  können  zugleich  bemerken,  dass  durch  Vertauschung  dieser  beiden 
Coordinatensysteme  in  dem  Systeme  der  Grössen  /,  m,  n  die  Horizontal- 
reihen mit  den  Vertikalreihen  vertauscht  werden,  also  l,  m,  n'  un- 
geändert  bleiben,  während  von  den  Grössen  m  und  T,  n  und  l'\  n 
und  m"  jede  in  die  andere  übergeht.  Es  wird  nun  unser  nächstes 
Geschäft  sein,  die  Differentialgleichmigen  für  die  Veränderungen  der 
Hauptaxen  und  die  Bewegung  dieser  beiden  Coordinatensysteme  aus 
den  in  der  Dirichl  et 'sehen  Abhandlung  (§.  1,  1)  angegebenen  Grund- 
gleichungen für  die  Bewegung  der  Flüssigkeitstheilchen  abzuleiten. 


2. 

Offenbar  ist  es  erlaubt,  in  jenen  Gleichungen,  statt  der  Derivirten 
nach  den  Anfangswerthen  ^er  Grössen  Xj  y,  z^  welche  dort  durch 
a,  &,  c  bezeichnet  sind,  die  Derivirten  nach  den  Grössen  ^,  rj,  t,  zu 
setzen;  denn  die  hiedurch  gebildeten  Gleichungen  lassen  sich  als  Aggre- 
gate von  jenen  darstellen-  und  umgekehrt.    Wir  erhalten  dadurch,  wemi 

wir  für  ^^  ,■—,...,  ^r-  ihre  Werthe  einsetzen 


über  die  Bewegung  eines  flüssigen  gleichartigen  EUipsoides.  171 

(1)  ^,2  a    +  ^  ß    -f-  -,,^>  y    =  £  ^ -5— 

worin  V  das  Potential,  P  den  Druck  im  Punkte  x,  y,  z  zur  Zeit  i  und 
£  die  Constante  bezeichnet,  welche  die  Anziehung  zwischen  zwei  Massen- 
einheiten in  der  Entfernungseinheit  ausdrückt. 

Es  handelt  sich  nun  zunächst  darum,  die  Grössen  links  vom  Gleich- 
heitszeiclien  in  die  Form  linearer  Functionen  von  den  Grössen  |,  y\^  J 
zu  setzen,  wozu  einige  Vorbereitungen  nöthig  sind. 

Durch  Differentiation  der  Gleichungen  2)  erhält  man,  wenn  man 
zur  Abkürzung 

dx       \  ^y  o    I  ^'^  fc' 

dx    „    ,    dy  nn    I    cz     „        w 


setzt, 


d^  da       _i      dß       _\      (^7         \     t' 

dr}         da  ,    dß'         ,     dy'         ,       , 

dt  —  dt  '^  ^  dt  ^^  ^  dt  ^  ^  ^ 


und  wenn  man  hierin  x,  ?/,  z  wieder  durch  ^,  rj,  J  ausdrückt 

r^  (da         ,     dß    r.    ^     dy      \   y     ,     /f?«      ^     ,     ^^ß    ry    ,     ^?y       A 

crj  /da  ,     f/ö'    ^     ,     dy'      \   y     ,     (d a       ,     .     d  ß'    3,     ,     dy       A 

?v  =  (;7r  «  +  ;7f  /^  +  ^TT  >-)  ^  +  (<7r «  +  ,Tr  /^  +  rff  2^ )  -J 

,     /da       ,,     ,     (Zß'    ^„     ,     dy       '\  c,    \       > 

+  (d(-''  +dr^  +dr''  )?+•' 

Nun   giebt   aber   die   Diiferentiation    der    bekannteu   Gleichungeu 

«' + /5' +  7' =  1 ,  ««' + /5^' +  ?-/ =  0,  etc. 


172  X.     Ein  Beitrag  zu  den  Untersuchungen 

da     .     ^  dß     ,         dy         ^  ,  d  a'         ^,  d  ß'     .       ,  dy  ^ 

„  da"     .     ri"  dß"     ,       ,,  dy"  ^ 


da 


r  = 

'■5  +  ll-i'? 

r  = 

-q^+pn  +  U- 

a       ,,     .     dß'    r,"     ,     dy       ,,  (da'     ,      ,     dß!'  ^,      ,     dy"     ,\ 

/Q\  <?«"  I     dß"   rt       ,     ^^y"  /t^o:      //     ,      ^^    ü"     \      dy      ,A 

(^)       rfT  «   +  ,Tr  Z'   +  IT  J'  =  -  (-rfT  «    +  TT  ^    +  ^  >'  ) 

und   es  wird  folglich,  weiin  man  diese  letzteren    drei   Grössen   durch 
Py  q,  r  bezeichnet, 


(4) 


Durch  ein  ganz  ähnliches  Verfahren  ergiebt  sich  aus  den  Glei- 
chungen (2) 

(5)        g«'+3/3'+|^/=    '-r  +  t-K 

-gF«    +1F''    +W^    =-'il  +i"!  +^, 

und  aus  den  Gleichungen  Art.  1.  3),  wenn  j)^^  q^,  r^  die  Grössen  be- 
zeichnen, welche  von  den  Functionen  «^,  /3^,  .  .  .,  y''  ebenso  abhängen, 
wie  die  Grössen  p^  q^  r  von  den  Functionen  a,  ß,  .  .  .,  y" 

^- 

a^ y]   t 

et  '  &         ^'  c 


d '' 


(6)  -^-P.^-rL 


Setzt  man  die  Werthe  ||,  I7,  |f  aus  (6)  in  (4)  ein,  so  erhält  man 


über  die  Bewegung  eines  flüssigen  gleichartigen  EUipsoides.  173 

(7)  r/  =  (ar  -  hr)  |  +  f  |  +  (bp,  -  ep)  |- 

r  =  (c,,-«2)i-+(6,>-c;,)|  +  ^|- 

Was  die  geometrische  Bedeutung  dieser  Grössen  betrifft,  so  sind,  wie 
leicht    ersichtlich  ist,   ^',   ?/,   ^'   die  Geschwindigkeitscomponenten    des 

Punktes  x,  y,  z  der  flüssigen  Masse  parallel  den  Axen  J,  r],  J;  -öy,  ^y,  07 

die  ebenso  zerlegten  relativen  Geschwindigkeiten  gegen  das  Coordi- 
natensystem  der  J,  7],  J;  ferner  in  den  Gleichungen  (1)  die  Grössen 
auf  der  linken  Seite  die  Beschleunigungen  und  die  auf  der  rechten 
die  beschleunigenden  Kräfte  parallel  diesen  Axen;  endlich  sind  p,  q,  r 
die  augenblicklichen  Rotationen  des  Coordinatensystems  der  J,  rj,  J  um 
seine  Axen  und  p^,  q^y  f\  haben  dieselbe  Bedeutung  für  das  Coordinaten- 
system  der  ^^,  r}^,  5^. 


3. 

Wenn  man  nun  die  Werthe  der  Grössen  J',  rj',  J'  aus  (7)   in  die 
Gleichungen    (5)   substituirt   und   mit  Hülfe   der    Gleichungen   (6)   die 

ä       n       t        . 
Derivirten  von  — ,  -r ,  —  wieder  durch  die  Grössen  ^,  v,  t  ausdrückt, 

so  nehmen  die  Grössen  auf  der  linken  Seite  der  Gleichungen  (1)  die 
Form  linearer  Ausdrücke  von  den  Grössen  |,  t],  J  an.  Auf  der  rechten 
Seite  hat  V  die  Form 

worin  H^  Ä,  B,  C  auf  bekannte  Weise  von  den  Grössen  a,  h,  c  ab- 
hängen-, und  man  genügt  ihnen  daher,  wenn  an  der  Oberfläche  der 
Druck  den  constanten  Wertli  Q  hat,  indem  man 


^=^^  +  ^(}-^-^-9) 


setzt  und  die  zehn  Functionen  der  Zeit  «,  h,  c\  p,  g,  r;  p^y  q^,  i\  und 
G  SO  bestimmt,  dass  die  neun  Coefficienten  der  Grössen  5,  r;,  t,  auf 
beiden  Seiten  einander  gleich  werden  und  zugleich  die  aus  der  Incom- 
pressibilität  folgende  Bedingungsgleichung  ahc  =  Oq^Cq  befriedigt  wird. 

Durch  Gleichsetzung  der  Coefficienten  von  -,  y,  in  der  ersten  und 
von  —  in  der  zweiten  Gleichung  ergiebt  sich 


174  X.     Ein  Beitrag  zu  den  Untersuchungen 

^  +  2ftrr  +  2cqq,  -  a  (r^  +  r;  +  f  +  ?/)  =  2 1  -  2f  «^ 
<^r         -,  dr^    .    ^  da  n  f^^         \  i    7  o  r\ 


dt  dt    '        t?^  f^* 

dJ) 


«'^-''li  +  2^^-2^r+  «j,,9,  +  hM  -  2cp,q  =  0 


Aus  diesen  Gleicliungen  erhält  man  die  sechs  übrigen  durch  cyclische 
Versetzung  der  Axen,  oder  auch  durch  beliebige  Vertauschungen,  wenn 
man  nur  dabei  beachtet,  dass  durch  Vertauschung  zweier  Axen  nicht 
bloss  die  ihnen  entsprechenden  Grössen  vertauscht  werden,  sondern 
zugleich  die  sechs  Grössen  p,  g_,  -  -  -,  r^  ihr  Zeichen  ändern. 

Man  kann  diesen  Gleichungen  eine  für  die  weitere  Untersuchung 
bequemere  Form  geben,  wenn  man  statt  der  Grössen  J>?,  j?^;  ^,  q/-,  r,  r^ 
ihre  halben  Summen  und  Differenzen 

,         p  —  p  ,         q  —  q  f         r  —  r 

«=--'2--'    «'=S-     «'=-^ 

als  unbekannte  Functionen  einführt. 

Dadurch  wird  das  System  von  Gleichungen,  welchen  die  zehn 
unbekannten  Functionen  der  Zeit  genügen  müssen 


(«) 


{c  —  l)iC^-\-{c  +  l)iP  +  {c  —  a)v'^  +  {c-\-a)v^  —  ^^,==8cC       "" 


dt' 

d^ 

dt'  "^        c 

(5  +  c)^  +  2^^^±^m'  +  (&  — c  +  2a)W  +  (Z>-c  — 2a)v'^t;==0 
(c-^-a)^  +  2'^^'^"[''^^^  +  (c  — a  +  26)W  +  (c— a— 26)^^^ii  =  0 

ahc  ==  a^h^CQ, 

Die  Werthe  von  A,  B,  C  ergeben  sich  aus  dem  bekannten  Ausdrucke 
für  V 


über  die  Bewegung  eines  flüssigen  gleichartigen  Ellipsoides.  175 


worin 


Nach  ausgeführter  Integration  dieser  Differentialgleichungen  hat 
man  noch,  um  die  Functionen  a,ß^...,y'  zu  bestimmen,  die  all- 
gemeine Lösung  0,  9',  G"  der  Differentialgleichungen 

iß)      'Z^  =  ,e'_2e",    '»*;=-,-e  +  ,,e",    ^  =  s6-i.e' 

ZU  suchen,  —  von  welchen,  wie  aus  Art.  2,  (3)  hervorgeht,  a,  a,  a"; 
ßj  ßj  /3"5  Yy  y'y  y"  die  drei  particularen  Auflösungen  sind,  die  für 
^  =  0  die  Werthe  1,  0,  0;  0,  1,  0;  0,  0,  1  annehmen,  —  und  zur  Be- 
stimmung der  Functionen  a^,  /3^,  . .  .,  y['  die  allgemeine  Lösung  der 
simultanen  Differentialgleichungen 


4. 

Es  fragt  sich  nun,  welche  Hülfsmittel  für  die  Litegration  dieser 
Differentialgleichungen  (a),  (/3),  {y)  die  allgemeinen  hydrodynamischen 
Principien  darbieten,  aus  denen  Dirichlet  sieben  Litegrale  erster  Ord- 
nung der  durch  die  Functionen  ?,  m,  .  .  .,  n  zu  erfüllenden  Differential- 
gleichungen (§.  1.  (a) )  schöpfte.  Die  aus  ihnen  fliessenden  Gleichungen 
lassen  sich  mit  Hülfe  der  oben  für  J',  ?^',  ^  gegebenen  Ausdrücke  leicht 
herleiten. 

Der  Satz  von  der  Erhaltung  der  Flächen  giebt 

{l  —  cfu  -[-  (6  +  cfu    =g  =  a  f  +  ß  h'  +  y  h^ 

(1)  (c  —  a:)H  +  (c  +  afv   =Ji==  a  (f  -f  /3'  /^«  +  /  y^ 

(a  —  lyiv  +  (a  +  Ifw  =  l-  =  a(f  +  ß"h^  +  y'W 

worin  die  Constanten  (J\  JiPj  Jc^,  die  Anfangswerthe  von  (/,  h,  A',  mit  den 
Constanten  ^,  ^',  ^''  in  der  Abhandlung  von  Dirichlet  überein- 
kommen; er  liefert  also  das  aus  den  sechs  letzten  Differentialgleichungen 
(a)  leicht  zu  bestätigende  Resultat,  dass.  6  =  ^,  9'  =  h,  9"  =  Je  eine 
Lösung  der  Differentialgleichmigen  (ß)  ist. 

Aus  dem  Helmholtz'schen  Princip  der  Erhaltung  der  Rotation 
folgen  die  Gleichungen 


17G  X-    Ein  Beitrag  zu  den  Untersuchungen 

(h  -  cfu  -  (h  +  cfAi    =g,  =  a^  g^  +  /3^  h^  +  y^  l^ 

(2)  {c  —dfv  -  (c  +  dfv    =  li^  =  «;  ry;  +  /3;  /^^<^  +  y[  h^" 
(a  -  h)hv  -  (a  +  h)Hv  =  Ic^  =  a'/g^  +  ß'/h^  +  y'/h^ 

in  welchen  die  Constanten  g^,  h^,  h^  den  Grössen  BC^,  CA^,  AB^ 
der  genannten  Abhandlung  gleich  sind. 

Der  Satz   von  der  Erhaltung  der  lebendigen  Kraft  endlich  giebt 
ein  Integral  erster  Ordnung  der  Differentialgleichungen  («) 

0)       '    +{h  —  cfu'  +  {c  —  a)h^  +{a  —  hfw'       =  2  flT  +  const. 
+  (/,  +  cftP  +  (c  +  afv'  +  (a  +  hfw''  )    ' 

Aus  den  Gleichungen  (1)  und  (2)  folgen  zunächst  noch  zwei  In- 
tegrale der  Gleichungen  (a) 

(II)  g'  +  h'  +  l'  =  const.  =  «2 

(III)  g;'  -K/^;  +  rf  =  const.  =  «/. 

Ferner  lassen  sich  von  den  Gleichungen  (ß)  zwei  Integrale 

(IV)  e^  +  0'2  +  e"2  =  const. 

(V)  e^  +  Q'h  +  Q'lc  =  const. 

angeben,  wodurch  ihre  Integration  allgemein  auf  eine  Quadratur  zurück- 
geführt wird.  Zur  Aufstellung  ihrer  allgemeinen  Lösung  ist  es  jedoch, 
da  sie  linear  und  homogen  sind,  nur  nöthig,  noch  zwei  von  der  Lösung 
g,  h,  h  verschiedene  particulare  Lösungen  zu  suchen,  für  welchen  Zweck 
man  die  willkürlichen  Constanten  in  diesen  beiden  Integralgleichungen 
so  wählen  kann,  dass  sich  die  Rechnung  vereinfacht.  Giebt  man  beiden 
den  Werth  Null,  so  hat  man 

(3)  e'^  -f  e"/.-  =  -  ge, 

und  ferner  erhält  man,  wenn  man  diese  Gleichung  quadrirt  und  dazu 
die  Gleichung 

multiplicirt  mit  li^  -f-  ]i^,  addirt 

—  (e'/j  -  Q'lif  =  w^e'^ 

folglich 

(4)  67^  —  e'7i  =  öie 

Durch  Auflösung  dieser  beiden  linearen  Gleichungen  (3)  und  (4) 
findet  sich 


über  die  Bewegung  eines  flüssigen  gleichartigen  EUipsoides.  177 

(5)  ö    _----p-^-^— e 

und  durch  Einsetzung  dieser  Werthe  in  die  erste  der  Gleichungen  (j3) 

dg 

1    de  ""  ^  rfT    ,     r^-  -|-  qh 

e  ^  ~  h'  +  /:=^    ■"  Tm^F'"  "^ 

(7)  log  e  =  i  log  (7/^  +  /r)  +  « .•  Jl^J-^.f  ^^^  +  const. 

Aus  dieser  in  (5),  (G)  und  (7)  enthaltenen  Lösung  der  Differential- 
gleichungen iß)  erhält  man  eine  dritte,  indem  man  für  |/ —  1  überall 
—  ]/—  1  setzt,  und  es  ist  dann  leicht  aus  den  gefundenen  drei  par- 
ticularen  Lösungen  die  Ausdrücke  für  die  Functionen  a,  ß^...^  y" 
zu  bilden. 

Die  geometrische  Bedeutung  jeder  reellen  Lösung  der  Differential- 
gleichungen (ß>)  besteht  darin,  dass  sie,  mit  einem  geeigneten  con- 
stanten  Factor  multiplicirt,  die  Cosinus  der  Winkel  ausdrückt,  welche 
die  Axen  der  |,  r]y  J  zur  Zeit  t  mit  einer  festen  Linie  machen.  Diese 
feste  Linie  wird  für  die  erste  der  drei  eben  gefundenen  Lösungen 
durch  die  Normale  auf  der  unveränderlichen  Ebene  der  ganzen  be- 
wegten Masse  gebildet,  für  den  reellen  und  den  imaginären  Bestand- 
theil  der  beiden  andern  durch  zwei  in  dieser  Ebene  enthaltene  und 
auf  einander  senkrechte  Linien.    Die  Cosinus  der  Winkel  zwischen  den 

Axen  und   iener   Normalen   sind   demnach  —  ,    -  ,  -   :    die    Lage    der 

•'  CO    '     OJ    '     CO    '  ° 

Axen  gegen  diese  Normale  ergiebt  sich  also  nach  Auflösung  der 
Gleichungen  («)  ohne  weitere  Integration  und  zur  vollständigen  Be- 
stimmung ihrer  Lage  genügt  eine  einzige  Quadratur,  z.  B.  die  Litegration 

. .  T  To-  dt,  welche   die  Drehuns:   der  durch  die  Normale  und  die 


t 
a 
ü 


J    h'^-i-k'  ^^"^   ö 


Axe  der  |  gehenden  Ebene  um  die  Normale  giebt. 

Ganz  Aehnliches    gilt  von    den  Differentialgleichungen  (y).     Man 
kaim  auf  demselben  Wege  aus  den  beiden  Integralen 

(VI)  6/  +  e;-  +  e;'^  =  const. 

(VII)  e'/j^  -f  e;/^^  +  e/'A-^  =  const. 

ihre  allgemeine  Lösung  und  folglich  auch  die  Werthe  der  Grössen 
a,  /3  ,  .  .  .,  y"  zur  Zeit  t  ableiten,  und  es  wird  dabei  nur  eine  Qua- 
dratur erforderlich  sein.    Es  ergiebt  sich  dann  schliesslich  der  Ort  eines 

RfEMANN's  gpsamraelte  mathematische  Werke.    I.  12 


178  X.     Ein  Beitrag  zu  den  Untersuchungen 

beliebigen  Flüssigkeitstheilcbens  zur  Zeit  t  aus  den  oben  (Art.  1,  1 
und  4)  für  die  Grössen  x^  y,  z  und  die  Functionen  Ij  m,  .  .  .,  n"  ge- 
gebenen Ausdrücken. 

5. 

Wir  wollen  uns  jetzt  Rechenschaft  darüber  geben,  was  durch  die 
Zurückftthrung  der  Difterentialgleichungen  zwischen  den  Functionen 
/,  m,  ...,  n"  (der  Differentialgleichungen  (a)  §.  1  bei  Dirichlet)  auf 
unsere  DifPerentialgleichungen  für  das  Geschäft  der  Integration  ge- 
wonnen ist.  Das  System  der  Differentialgleichungen  (a)  ist  von  der 
sechszehnten  Ordnung,  und  man  kennt  von  denselben  sieben  Integrale 
erster  Ordnung,  wodurch  es  auf  ein  System  der  neunten  Ordnung, 
zurückgeführt  wird.  Das  System  (a)  ist  nur  von  der  zehnten  Ord- 
nung, und  man  kennt  von  demselben  noch  drei  Integrale  erster 
Ordnung.  Durch  die  hier  bewirkte  Umformung  jener  Differential- 
gleichungen ist  also  die  Ordnung  des  noch  zu  integrirenden  Systems 
von  Differentialgleichungen  um  zwei  Einheiten  erniedrigt,  und  man 
hat  statt  dessen  nur  schliesslicli  noch  zwei  Quadraturen  auszuführen. 
Diese  Umformung  leistet  also  dasselbe,  wie  die  Auffindung  von  zwei 
Integralen  erster  Ordnung. 

Wir  bemerken  indess  ausdrücklich,  dass  hierdurch  unsere  Form 
der  Differentialgleichungen  nur  für  die  Integration  und  die  wirkliche 
Bestimmung  der  Bewegung  einen  Vorzug  erhält.  Für  die  allgemein- 
sten Untersuchungen  über  diese  Bewegung  ist  dagegen  diese  Form  der 
Differentialgleichungen  weniger  geeignet,  nicht  bloss,  weil  ihre  Iler- 
leitung  weniger  einfach  ist,  sondern  auch  desshalb,  weil  der  Fall  der 
Gleichheit  zweier  Axen  eine  besondere  Betrachtung  erfordert.  Bei 
Gleichheit  zweier  Axen  tritt  nämlich  der  besondere  Umstand  ein,  dass 
die  ihnen  zu  gebende  Lage  durch  die  Gestalt  der  flüssigen  Masse  nicht 
völlig  bestimmt  ist;  sie  hängt  dann  im  Allgemeinen  auch  von  der 
augenblicklichen  Bewegung  ab  und  bleibt  nur  dann  willkürlich,  wenn 
diese  Bewegung  so  beschaffen  ist,  dass  die  Axen  fortwährend  einander 
gleich  bleiben.  Die  Untersuchung  dieses  Falles  ist  zwar  immer  leicht 
und  bedarf  daher  keiner  weiteren  Ausführung,  kann  aber  in  speciellen 
Fällen  noch  wieder  besondere  Formen  annehmen,  und  die  allgemeinen 
Untersuchungen,  wie  z.  B.  der  allgemeine  Nachweis  der  Möglichkeit 
der  Bewegung  (§.  2  bei  Dirichlet),  würden  daher  wegen  der  Menge 
von  besonders  zu  behandelnden  Fällen  ziemhch  weitläufig  werden. 

Ehe  wir  zur  Behandlung  von  speciellen  Fällen  schreiten,  in  wel- 
chen sich  die  Differentialgleichungen  (a)  integriren  lassen,  ist  es  zweck- 
mässig, zu  bemerken,  dass  in  einer  Lösung  dieser  Differentialgleichun- 


über  die  Bewegung  eines  flüssigen  gleichartigen  Ellipsoides.  179 

gen,  wie  unmittelbar  aus  der  Form  dieser  Gleichungen  hervorgeht, 
jede  Zeichenänderung  der  Functionen  n,  v,.,.jiv'  zulässig  ist,  bei 
welcher  nvii\  nviv,  liviv,  u'viv  ungeändert  bleiben.  Es  können  also 
erstens  die  Zeichen  der  Functionen  ii\  v ,  iv'  gleichzeitig  geändert  wer- 
den, und  dadurch  werden  die  Grössen  a,  ß,  .  . . ,  y"  mit  den  Grössen 
«y?  ß,i  '-•)  y!\  ^^so  in  dem  System  der  Grössen  l,  m,  ...,  w"  die 
Horizontalreihen  mit  den  Verticalreihen  vertauscht.  Zweitens  können 
gleichzeitig  zwei  der  Grössenpaare  t(,ii']  v,V'^  iv,w'  mit  den  entgegen- 
gesetzten Zeichen  versehen  werden,  und  diese  Aenderung  lässt  sich 
auf  eine  Aenderung  in  dem  Zeichen  einer  Coordinatenaxe  zurückführen, 
wobei  die  Bewegung  in  eine  ihr  symmetrisch  gleiche  übergeht.  In 
dieser  Bemerkung  ist  der  von  Dedekind  gefundene  Reciprocitätssatz 
enthalten. 


6. 

Wir  wollen  nun  den  Fall  untersuchen,  in  welchem  eins  der 
Grössenpaare  n,u;  v,V'^  iv,iv  fortwährend  gleich  Null  ist,  also  z.  B. 
u  =  u  =  0;  die  geometrische  Bedeutung  dieser  Voraussetzung  ist 
diese,  dass  die  Hauptaxe  a  stets  in  der  unveränderlichen  Ebene  der 
ganzen  bewegten  Masse  liegt  und  die  augenblickliche  Kotationsaxe 
auf  dieser  Hauptaxe  senkrecht  steht. 

Aus  den  sechs  letzten  DifFerentiiilgleichungen  (a)  folgt  sogleich, 
dass  in  diesem  Falle  die  Grössen 

{^)  (c  —  af  V,  (c  +  af  Vj  {a  —  hf  iv,  (a  -{-  hf  iv 

constant  sind  und  die  Gleichungen 

..  (?>  +  c  —  2a)  viv  +  (?>  +  c  +  2«)  r'  ?<;'  =  0 

"^  {h  '-  c  -\-  2a)  viv  -{-  {b  ~-  c  —  2a)  v'  tu  =  0 

stattfinden  müssen. 

Bei  der  weiteren  Untersuchung  ist  zu  unterscheiden,  ob  noch  ein 
zweites  der  drei  Grössenpaare  Null  ist  oder  nicht,  und  wir  können  im 
Allgemeinen  nur  noch  bemerken,  dass  in  Folge  der  Gleichungen  (fi) 
die  Grössen  /*,  Je,  h^,  h^  constant  sind  und  folglich  auch  die  Winkel 
zwischen  den  Hauptaxen  und  der  unveränderlichen  Ebene  der  ganzen 
bewegten  Masse,  und  dass  dann  ferner  aus  den  Differentialgleichungen 
{§>)  und  {y)  die  Verhältnissgleichungen 

9  '.  h  :  Ix  =  p  :  q  :  r 

folgen,  wodurch  die  Lösungen  dieser  Gleichungen  sich  vereinfachen. 

12* 


180  X.     Ein  Beitrag  zu  den  Untersuchungen 

Erster  Fall.    Nur  eins  der  drei  Grössenpaare  u,u';  v,v']  iv^w'  ist  gleich  Null. 

Wenn    weder  zugleich  v  und  v\  noch  zugleich  w  und  w'  Null    sind, 
folgt  aus  den  Gleichungen  (fi)  und  (v) 

v' 2 (2a—  b  —  c)  {2a  -\-  h  —  c)  /g  —  c\^ 

^    '  w~  (2a  —  &  —  c)  (2«  —  l)  -\-  c)  /a  —  h\^ 

«^  ■""  (2a  +  &  +  c)  {^cT^h^^)  ~  \a-\-h)    ^^^^^*' 

woraus  sich  mit  Hinzuziehung  von 

ahc  '-=  const. 
ergiebt,  dass  a,  h,  c  und  folglich  auch  v,Vy  iv,w    constant  sind. 
Setzen  wir  nun 

01  2  -ji    2 


s 


(2a  +  6  4-  c)  (2a  —  fc  +  c)         (2a  —  &  —  c)  (2a  +  6  —  c) 

«^^^ ^ ^^'      ' ^     /TT 

(2a  +  6 +  c)  (2a  +  &  —  c)         (2a  —  5  —  c)  (2a  —  &  +  c) 

SO  erhalten  wir  aus  den  drei  ersten  Differentialgleichungen  (a)  die  drei 
Gleichungen 

(3)  (4^2  _  2>2  _  3^2)  ^  _|_  (^4^2  __  352  _  ^2)  2^  _  ^^^  __  J_ 


(4) 


Um  hieraus   die  Werthe  von  S,  T  und  a  abzuleiten,   bilde   man   aus 
den  Gleichungen  (4)  die  Gleichungen 


h^T-{-c's='-^  r 


sds 


A  (6^  +  s)  {€'  +  s) 
ö 


rp     I       n  O  £7r     /*  ds 

0 


2b' c'  2  J  A(6^  4-  s)  {c'  4-  s) 

0 

und  substituire  diese  Werthe  in  der  Gleichung  (3) 

^2  2  a'' y 


(4a^  _  ?>^  _  c^)  (T  +  ^)  -  2  (h'T  +  c'S)  =  '^  -  ,^, 


wodurch  man 


/p.  Dg       ^  ?7r    /*  r/s   /2s  +  4a- —  &^  —  c^     ,  1      \ 

^  -^  2a'''52c''^  ~    ^  J     A   \     (6^~4-^)7?"4-  s)    ^  ■1    a^  +  sj 

0 

erhält,  wenn  zur  Abkürzung 

(6)  4  a*  —  a'^  (//"^  +  c^)  +  7/c^  =  D 

gesetzt  wird. 


über  die  Bewegung  eines  flüssigen  gleichartigen  Ellipsoides.  181 

Durch  Einsetzung  des  Werthes  von  a  in  die  Gleichungen  (4) 
findet  sich  dann 

.  bjj-^c;'  /)  S'  =  i^   r       ^^^        (^ay-  cl  +  h^  __      i>^    \ 

^V  ^'-^  --  a'^  2J    A(b''-\-s)\        c'^-s"  a'  +  s) 

u 

CO 

{Q\  ^' ZZJ^'  T)T—^^r      *^^^-     /•*«"  —  b-  -\-  c'  ^\ 

\^)  c2  —  a'  ^  ^  2  J  A  (c^  +  «)  \        b'  +  8  a'  4-  sj  * 

0 

Es  bleibt  nun  noch  zu  untersuchen,  welchen  Bedingungen  a,  h,  c 
genügen  müssen,  damit  sich  aus  den  Gleichungen  (7)  und  (8)  und  den 
Gleichungen  (2)  für  v,  Vy  iv,  w    reelle  Werthe  ergeben. 

Damit  ( — )  und  |  —  j  nicht  negativ  werden,  ist  es  nothwfendig 
und  hinreichend,  dass  die  Grösse 

(4a2  -{h  +  cf)  {Act'  —  Q)  —  cf)  >  0 

sei.     Es  muss  also  a^  entweder  >  (     ^    |    oder  <  / — ^^\    sein. 

Wenn  a  >     ^    ,  müssen   die   Grössen  S  und   T  beide  >  0  sein, 

damit  die  Gleichungen  (2)  für  v^v'j  iv,tv'  reelle  Werthe  liefern.     Man 

b  -\-  c 
kann  nun  aber  leicht  zeigen,  dass,  wenn  a  ^     7^    ,  B  und  die  beiden 

Integrale  auf  der  rechten  Seite  der  Gleichungen  (7)  und  (8)  immer 
positiv  sind.     Man  hat  dazu  nur  nöthig,  D  in  die  Form  zu  setzen 

ä'  (4fr^  —  ih-\-  cf)  +  hc  (2a-  +  hc) 
und  das  in  (7)  enthaltene  Integral  in  die  Form 

QO 

17^»/  '^'  ((^«'  -c')s  +  «^  (4«^  +  V-  e)  -  Vc') 

u 

b  -\-  c      . 
und  dann  zu  bemerken,   dass  aus  a  >  --f—   die    folgenden    Ungleich- 

heiten  fliessen,  4a^  —  {h  -\-  cf  >  0,  4a^  —  c^  >  0,  ferner 

4,a'  ^l'^  —  c'  >(b  +  cf  +  h'  -  c'  =  2h{h  +  c) 

und  folglich 

a-  (4^2  +  W  -  c")  >  2&  (&  +  c)  «2  >  ^  6(6  +  cf  >  h^c\ 

Aus  diesen  Ungleichheiten  folgt,  dass  sowohl  D,  als  das  betrachtete 
Integral  nur  positive  Bestandtheile  hat,  und  dasselbe  gilt  auch  von 
dem  Integral  auf  der  rechten  Seite  der  Gleichung  (8),  welches  aus 
diesem  durch  Vertauschung  von  h  und  c  erhalten  wird.     Lassen  wir 


;[32  X-     Ein  Beitrag  zu  den  Untersuchungen 

nun  a  die  Werthe  von     -^—  bis  oo  durchlaufen,  so  wird,  wenn  h^c, 

T  immer  positiv  bleiben,  >S'  aber  nur  so  lange  a  <Ch.    Die  Bedingungen 

für  diesen  Fall  sind  also,  wenn  h  die  grössere  der  beiden  Axen  h  und  c 

bezeichnet, 

(I)  ^<a<h. 

Für  die  Untersuchung  des  zweiten  Falles,  wenn  a'^  <  l — ^l? 
wollen  wir  annehmen,  dass  h  die  grössere  der  beiden  Axen  h  und  c 
sei,  so  dass  a< — —.  Es  muss  dann,  damit  v,v',  tü,tv  reell  werden, 
jS'  <  0  und  T  >  0  sein.     Da  aus  den  Un^fleichheiten 


I 


¥>(2a  +  cf>Aa'-\-c' 

hervorgeht,  dass  das  Integral  auf  der  rechten  Seite  der  Gleichung  (8) 
in  unserm  Falle  stets  negativ  ist,  so  wird  die  letztere  Bedingung  T  >  0 

nur  erfüllt  werden,  wenn  D  (er  —  ci^)  >  0,  also  c^  entweder  <  —\  .,  ~"   .^    , 

oder  >-  ar  ist.    Dieser  Fall  spaltet  sich  also  wieder  in  zwei  Fälle,  und 

diese  sind,  da  —\^ ^  <  a^    durch    einen    endlichen    Zwischenraum 

getrennt,  so  dass  von  einem  zum  andern  kein  stetiger  Uebergang 
stattfindet.  Da  das  Integral  in  der  Gleichung  (7),  so  lange  c'^  <i  a^ 
ist,  wegen  der  beiden  Ungleichheiten  c^  -\-  s  <i  a^  -\-  s^  Acr  —  c^-\-lß'^h^ 
nur  positiv  sein  kann,  so  reduciren  sich  die  zu  erfüllenden  Bedingungen 

im  ersten  dieser  Fälle  auf  a  <  — - —   oder 

(II)  c£'b-2a  und  c'  <  '''%Zlf^ 
und  im  zweiten  auf 

(III)  a  <  '-^  und    f^'ß^-.  fl^T-l~±^'  -    J^  <  0. 

ü 
Es    ist   leicht    zu   sehen,    dass    das  Integral  auf  der  linken   Seite   der 
letzten    Ungleichheit,    wenn    a    die    Werthe    von    0   bis   c    durchläuft, 

negativ  bleibt,  so  lange  a  <.  -  ist,  während  es  für  a  =  c  einen  posi- 
tiven Werth  annimmt;  die  genaue  Bestimmung  der  Grenzen  aber, 
innerhalb  deren  diese  Ungleichheit  erfüllt  ist,  hängt,  wie  man  sieht, 
von  der  Auflösung  einer  transcendenten  Gleichung  ab. 

In  Bezug  auf  das  Zeichen  von  (7,  welches  bekanntlich  entscheidet,  ob 
die  Bewegung  ohne  äussern  Druck  möglich  ist,  können  wir  bemerken, 
dass  sich  der  oben  gefundene  Werth  dieser  Grösse  in  die  Form        • 


über  die  Bewegung  eines  flüäbigen  gleichartigen  Ellipsoides.  183 


*  'is'  -f  Ga-s  4-  I)    -. 
^"Ä-5 — ' —  ds 


setzen  Hisst,  und  also  in  den  Fällen  I  und  III,  wo  Z>  >  0,  jedenfalls 
positiv  ist,  für  einen  negativen  Werth  von  D  aber,  wenigstens  so 
lange  dieser  Werth  absolut  genommen  unter  einer  gewissen  Grenze 
liegt,  negativ  wird. 

7. 
Ziveiter  FdU.     Zivei  der  Grössenpaare  u,u;  v,v';  w,w'  sind  (jlcich  NuU. 

Wir  haben  nun  noch  den  Fall  zu  behandeln,  wenn  zwei  der 
Grössenpaare  w,  u\  v,  v  \  tv,  iv  fortwährend  Null  sind,  und  also  nur  um 
eifte  Hauptaxe  eine  Rotation  stattfindet. 

Wenn  ausser  u  und  u'  auch  v  und  v'  fortwährend  Null  sind,  so 
reduciren  sich  die  Gleichungen  (ft)  und  (y)  auf 

{a  —  hy^iv  =  const.  =  r  (<^  +  ^fw  =  const.  =  r' 

und  die  ersten  drei  Differentialgleichungen  («)  liefern  daher  die  Glei- 
chuniTcn 


o 


(1) 


{b  -  ay    '    [b  +  a)3         ^  dt' 

d^c 
dt'  ^^^  c 


welche  verbunden  mit 


abc  =  cIq})qC^) 


die  Grössen  a,  &,  c  und  (5  als  Functionen  der  Zeit  bestimmen.  Das 
Princip  der  Erhaltung  der  lebendigen  Kraft  giebt  für  diese  Differential- 
gleichungen das  Integral- erster  Ordnung 

(2)  i  (©^  +  i$i  +  &)  +  '.-w  +  (irw  =  2^^  +  --*• 

woraus  unmittelbar  hervorgeht,  dass  wenn  x  nicht  Null  ist,  die  Haupt- 
axen  a  und  h  nie  einander  gleich  werden  können. 

Ausser  den  schon  von  Mac-L aurin  und  Dirichlet  untersuchten 
Fällen,  wenn  a  =  h,  lässt  noch  der  Fall,  wenn  die  Grössen  a,  h,  c 
constant  sind,  eine  Bestimmung  der  Bewegung  in  geschlossenen  Aus- 
drücken zu.  In  diesem  Falle  erhält  man  aus  (1)  durch  Elimination 
von  c  die  beiden  Gleichungen 


184  ^-     Eiii  Beitrag  zu  den  Untersuchungen 


(3) 


{b-i-ay    ' 

(&  -  ar 

b  J    A    {b-'  -\-s)  {&'  +  s) 
ü 

r'2 

r« 

00 

f7c    /*  ds        {a^  —  c2)s 

(5  +  a)3 

(&  -  ar 

~   «     /    A    («^  +  s)  (c2  +  s) 

{b''-c')s       _^ 


=  Z 


worin  die  Integrale    auf  der  rechten  Seite   durch  K  und  L  bezeichnet 
werden  mögen;  sie  lassen  sich  auch  in  die  Form  setzen 

KV         «^'  "  —  jyj^aY  —    2  J    A    \(a''+  s)  {b'  +  1>)  ab  (c^'sj) 

ü 

/p.N  2  ■'^^  £7t     /*  ds  /  s  —  ab  _L  ^^  \ 

[p)  IV-  ^  -  _  ^^^  ""  ~2"  J     AT  (^(a'^  -f "sH^'~+~s)     '     aö(c2  4-5)"/        ' 


ü 


Nehmen  wir  an^  dass  h,  wie  in  den  früher  betrachteten  Fällen, 
die  grössere  der  beiden  Axen  a  und  6  bezeichne,  so  liefern  diese  bei- 
den Gleichungen  dann  und  auch  nur  dann  für  t^  und  r'^  positive  Werthe, 
wenn  K  positiv  und  abgesehen  vom  Zeichen  grösser  als  L  ist;  und 
es  ist  klar,  dass  die  erste  Bedingung  erfüllt  ist,  solange  c  <,h.  Der 
zweiten  Bedingung  wird  genügt,  wenn  c  =  a  also  L  =  0  ist,  und 
folglich  auch,  da  ^  und  L  sich  mit  c  stetig  ändern,  innerhalb  eines 
endlichen  Gebiets  zu  beiden  Seiten  dieses  Werthes.  Dieses  erstreckt 
sich  aber  nicht  bis  zu  den  Werthen  h  und  0;  denn  für  c  =  h  würde 
r'^  negativ  werden,  für  ein  unendlich  kleines  c  aber  t^,  da  dann 

CO  oo 

K  _  /•  ds  L  /*  ds 

und  folglich  Ly-  K  wird.  Wächst  &,  während  a  und  c  endlich  blei- 
ben, in's  Unendliche,  so  kann  L  nur  dann  kleiner  als  K  bleiben, 
wenn  zugleich  a^  —  c^  in's  Unendliche  abnimmt;  beide  Grenzen  für  c 
sind  also  dann  nur  unendlich  wenig  von  a  verschieden.  Wenn  da- 
gegen h  seiner  unteren  Grenze  a  unendlich  nahe  kommt,  so  conver- 
girt  die  obere  Grenze  für  c,  wo  t'^  =  0  wird,  gegen  a,  die  untere 
Grenze  aber  gegen  einen  Werth,  für  welchen  das  Integral  auf  der 
rechten  Seite  von  (5)  verschwindet.     Zur  Bestimmung  dieses  Werthes 

erhält  man,  wenn  man  —  =  sin  i^  setzt,  die  Gleichung 

(~5-t-2cos2i/;  +  cos4T/;)  {%  —  2ip)  +  10 sin2^  +  2  sin4i^  =  0, 
und  diese  hat  zwischen  ^  =  0  und  jp  =  —  nur  eine  Wurzel,  welche 


über  die  Bewegung  eines  flüssigen  gleichartigen  Ellipsoides.  185 

-£-  =  0.303327  . . 

a  ^ 

giebt.  Für  h  =  a  kann  freilich  c  jeden  Werth  zwischen  0  und  h  an- 
nehmen, da  dann  t^  wegen  des  Factors  6  —  a  immer  Null  wird.  Man 
erhält  dann  den  von  Mac-Lau rin  untersuchten  Fall,  während  sich 
für  iv^  ==  tv'^  die  beiden  von  Jacobi  und  Dedekind  gefundenen 
Fälle  ergeben. 

Der  eben  behandelte  Fall  fällt  für  h  ==  a  mit  dem  Falle  (I)  des 
vorigen  Artikels  zusammen  und,  wenn 


{h  -\-  c  -i-  2a)   [h  —  c  -\-  2a)         (&  -f  c  —  2a)   (b  —  c  —  2a)  ' 
mit  dem  Falle  (III).     Von  den  bisher  gefundenen  vier  Fällen,  in  denen 
das  flüssige  EUipsoid  während  der  Bewegung  seine  Form  nicht  ändert, 
hängen  also  diese  drei  Fälle  stetig  unter  einander  zusammen,  während 
der  Fall  (II)  isolirt  bleibt. 

8. 

Die  Untersuchung,  ob  ausser  diesen  vier  Fällen  noch  andere  vor- 
handen sind,  in  denen  die  Hauptaxen  während  der  Bewegung  constant 
bleiben,  führt  auf  eine  ziemlich  weitläufige  Rechnung,  welche  wir  nur 
kurz  andeuten  wollen,  da  sie  nur  ein  negatives  Resultat  liefert. 

Aus  der  Voraussetzung,  dass  a,  h,  c  constant  sind,  kann  mau  zu- 
nächst leicht  folgern,  dass  ö  constant  ist,  indem  man  die  drei  ersten 
Differentialgleichungen  («),  multiplicirt  mit  a,  h,  c,  zu  einander  addirt 
und  dann  die  Integralgleichung  I,  also  den  Satz  von  der  Erhaltung 
der  lebendigen  Kraft,  benutzt. 

Durch  Differentiation    dieser   drei  Gleichungen    erhält    man    dann 

lerner,  wenn  man   die   VVerthe  von  -7-  ,  ^-r ....  -j-r    aus    den     sechs 

'  dt  ^    dt  ^       '    dt 

letzten  Differentialgleichungen  («)  einsetzt,  die  drei  Gleichungen 
{b  —  c)  u  (vw  —  v'  iv)  +  (Z>  +  c)  u'  {v'  IV  —  vw')  =  0 

(1)  (c  —  a)  V  {wii  —  tv  u)  -^  {c  -\-  a)  v'  (iv' u  —  ivu)  =  0 

{a  —  1)10  (uv  —  u  v')  -\-  (a  -{-  h)  tv  (u'  v  —  uv')  =  0, 

von  denen  eine  eine  Folge  der  übrigen  ist. 

I.     Wenn   nun   keine   von    den   sechs   Grössen  Uju',...jiv'   Null 

ist,    folgt    aus    diesen  Gleichungen   die   Gleichheit   der   folgenden    drei 

Grössenpaare,  deren  Werthe  wir  durch  2a  ,  21)',  2c'  bezeichnen  wollen 

(a-c)4  +  (a+c)^  =  (a-6)4-  +  („  +  t)  i;' =  2a' 
(6-  a)^+  (6  +  «)  J=  (6-c)  ^^  +  (6  +  c)  ^  =  26' 
(c  -  ft)  |-  +  (c  +  i)  :J  =  (c  -  «)  f  +  (c  +  a)  '-  =  2c 


lg(3  X.     Ein  Beitrag  zu  deu  Untersuchungen 

Es  ergiebt  sich  dann  d^  —  h'^  =  a^  —  h'~,  h'"  —  c'^  =  h^^  —  c^,  so  dass  wir 

aa  —  d d  =  hh  —  h'h'==cc  —  c  c  =  Q 
setzen  können,  und  aus  den  drei  ersten  Differentialgleichungen  («) 

27i:a' =  const. ,     2;^?^' =  const. ,     2(>c' =  const. 
wenn    wir    vv   -\-  tviv  j  tviv   -\- uii ,  uu   -\- vv'    zur    Abkürzung    durch 
n,  %,  Q  bezeichnen.     Aus  diesen  Gleichungen  und  der  aus  den  Integral- 
gleichungen II  und  III  leicht  herzuleitenden  Gleichung 

(«2  _    yi^    ^^1  _  ^2)  ^  _(_   (^1   _   ^,2^    (^2  _  ^,2)  y^J^if-   d')  (c^   -  V')  Q 

=   \   (C9-   —   w/) 

folgt;  wenn  nicht  a  =  h  =  c,  dass  0  und  folglich  u^  u' ,  .  .  . ,  iv  con- 
stant  sein  müssen.  Es  ergiebt  sich  aber  leicht,  dass  dann  die  sechs 
letzten  Differentialgleichungen  (a)  nicht  erfüllt  werden  können;  und 
hierdurch  ist,  Avenn  nicht  alle  drei  Axen  einander  gleich  sind,  die  Un- 
zulässigkeit der .  Annahme,  dass  u,  ii,  .  .  . ,  tv  sämmtlich  von  Null  ver- 
schieden sind,  erwiesen. 

Die  Amiahme  a  ==  h  =  c  würde  auf  den  Fall  einer  ruhenden 
Kugel  führen;  u  ,  v' ,  tv'  ergeben  sich  =  0,  ii,  v,  iv  aber  bleiben  ganz 
willkürlich,  was  davon  herrührt,  dass  die  Lage  der  Axen  in  jedem 
Augenblicke  willkürlich  geändert  werden  kann. 

II.  Es  bleibt  also  nur  die  Annahme  übrig,  dass  eine  der  Grössen 
u,  V,  .  .  . ,  tv  Null  ist,  und  diese  zieht;  wie  wir  gleich  sehen  werden, 
immer  die  früher  untersuchte  Voraussetzung  nach  sich,  dass  eins  der 
drei  Grössenpaare  u,u' -^  y^i;';  iv^iv'  verschwinde. 

1.  Wemi  eine  der  Grössen  u' ,  y',  tv' ,  z.  B.  u  =  0  ist,  folgen  aus 
(1)  die  Gleichungen 

{h  —  c)uviü  =  0 ,       (h  —  c)  uv'  iv'  =  0 
und   diese   lassen  nur   eine  von  den  folgenden   Annahmen  zu:   erstens 
die  früher  untersuchte  Voraussetzung,  zweitens   h  =  c,  drittens  v  =  0 
und  tv  =  0  oder   v'  =  0  und  tv  =  0,  was  nicht  wesentlich  verschie- 
den ist. 

Wemi  h=  c,  bleibt  tt  ganz  willkürlich  und  kann  also  auch  =  0 
gesetzt  werden,  wodurch  der  früher  untersuchte  Fall  eintritt. 

Wenn  v  =  0  und  tv'  =  0,  erhält  man  aus  den  Differentialglei- 
chungen («) 

(b  —  c — 2d)uv't4;  =  0y  (c-\-a  —  2h)uv'tv  =  0  ,  {a  —  })-{-2c)HjV  iv=^  ^ 
und,  wenn  man  die  erste  dieser  Gleichungen  zur  zweiten  addirt, 

—  {ci  +  ?>)  tiv'  w  =  ^\ 
es  muss  also  ausser  den  Grössen  tt',  y,  lo    noch  eine  der  Grössen  i«,  y',  tv 
Null  sein,  wodurch  wieder  der  früher  untersuchte  Fall  eintritt. 


über  die  Bewegung  eines  flüssigen  gleichartigen  Ellipsoides.  187 

2.  Wenn  endlich  eine  der  (irossen  w,  v^  w,  z.  B.  u  =  0  ist,  folgt 
aus  den  Gleichungen  (l) 

u  v' tv  =  0 ,  u  vw'  =  0 
und  diese  Gleichungen  führen  entweder  zu  unserer  früheren  Voraus- 
setzung, oder  zu  der  Annahme^  u  =  v'  =  iv'  =  0,  welche  von  der  eben 
untersuchten  «'  =  v  =  iv'  =  0  nicht  wesentlich  verschieden  ist,  oder 
endlich  zu  der  Annahme  u  =  v  =^  iv  =  0.  Unter  dieser  Voraussetzung 
aber  geben  die  Differentialgleichungen  (a)  v'  iv'  =  iv  u  =  xd  v  =  0, 
und  es  müssen  also  noch  zwei  von  den  Grössen  u\  v\  iv'  Null  sein, 
was  wieder  den  früher  behandelten  Fall  liefert. 

Es  hat  sich  also  ergeben,  dass  mit  der  Beständigkeit  der  Gestalt 
nothwendig  eine  Beständigkeit  des  Bewegungszustandes  verbunden  ist, 
d.  h.,  dass  allemal,  wenn  die  flüssige  Masse  fortwährend  denselben 
Körper  bildet,  auch  die  relative  Bewegung  aller  Theile  dieses  Körpers 
immerfort  dieselbe  bleibt.  Die  absolute  Bewegung  im  Räume  kann 
man  sich  in  diesem  Falle  aus  zwei  einfacheren  zusamjnengesetzt  denken, 
indem  man  sich  zuerst  der  flüssigen  Masse  eine  innere  Bewegung  er- 
theilt  denkt,  bei  welcher  sich  die  Flüssigkeitstheilchen  in  ähnlichen, 
parallelen  und  auf  einem  Hauptschnitte  senkrechten  Ellipsen  bewegen, 
und  dann  dem  ganzen  System  eine  gleichförmige  Rotation  um  eine  in 
diesem  Hauptschnitte  liegende  Axe.  Wenn  dieser  Hauptschnitt,  wie 
oben  angenommen,  senkrecht  zur  Hauptaxe  a  ist,  so  sind  die  Cosinus 

der  Winkel  zwischen  der  Umdrehungsaxe  und  den  Hauptaxen  0,  — ,  — 
und  die  Umdrehungszeit     ,  .     Ferner  sind  0,  6  — ,  c    '   die    auf 

die  Hauptaxen  bezogenen  Coordinaten  des  Endpunkts  der  augenblick- 
lichen Rotationsaxe,  und  bei  der  innern  Bewegung  sind  die  elliptischen 
Bahnen  der  Flüssigkeitstheilchen  der  in  diesem  Punkte  an  das  Ellipsoid 
gelegten  Tangentialebene  parallel,  so  dass  ihre  Mittelpunkte  in  dieser 
Rotationsaxe  liegen.  Die  Theilchen  bewegen  sich  in  diesen  Bahnen 
so,  dass  die  nach  den  Mittelpunkten  gezogenen  Radienvectoren  in 
gleichen  Zeiten  gleiche  Flächen  durchstreichen,  und  durchlaufen  sie  in 

der  Zeit 


ys/H-^ 


Wir  kehren  jetzt  zurück  zur  Betrachtung  der  Bewegung  der 
flüssigen  Masse  in  dem  Falle,  wenn  Ujii]  Vyv'  fortwährend  Null  sind 
und  also  nur  um  eine  Hauptaxe  eine  Rotation  stattfindet,  und  bemer- 
ken zunächst,   dass    sich   den  Gleichungen  (l)   Art.  7.,  nach  welchen 


188  X.     Ein  Beitrag  zu  den  Untersuchungen 

sich  die  Hauptaxen  in  diesem  Falle  ändern,  noch  eine  andere  anschau- 
lichere mechanische  Bedeutung  geben  lässt.  Man  kaim  sie  nämlich 
betrachten  als  die  Gleichungen  für  die  Bewegung  eines  materiellen 
Punktes  {a,  h,  c)  von  der  Masse  1,  der  gezwungen  ist  auf  einer  durch 
die  Gleichung  ahc  =  const.  bestimmten  Fläche  zu  bleiben  und  von 
Kräften  getrieben  wird,  deren  Potentialfunction  der  Grösse 

-^  t' - 


{a  —  hy  '  («  +  hy 

dem  Werthe  nach  gleich  und  dem  Zeichen  nach  entgegengesetzt  ist. 

Bezeichnen  wir  diese  Grösse  mit  G,  so  lassen  sich  die  Gleichun- 
gen für  beide  Bewegungen  in  die  Form  setzen: 

(1)  M^^  +  '^^^  +  ^'<'  +  ^(^-^^ 

für  alle  unendlich  kleinen  Werthe  von  da,  8h,  8c,  welche  der  Bedin- 
gung ahc  =  const.  genügen;  und  der  Satz  von  der  Erhaltung  der 
mechanischen  Kraft  giebt 

wonach  der  von  der  Formänderung  der  flüssigen  Masse  unabhängige 
Theil  der  mechanischen  Kraft  =  G  ist. 

Damit  a,  h,  c  und  folglich  Form  und  Bewegungszustand  des  flüssigen 

Ellipsoids  constant  bleiben,  wenn  -j- ,    -- ,  y-  Null  sind,  ist  es  ofi'en- 

bar  nothwendig  und  hinreichend,  dass  die  Variation  erster  Ordnung 
der  Function  G  von  den  veränderlichen  Grössen  a,  h,  c,  zwischen  wel- 
chen die  Bedingung  ahc  =  const.  stattfindet,  verschwinde,  was  auf  die 
Gleichungen  (3.)  oder  (4.)  und  (5.)  des  Art.  7.  führt.  Diese  Bestän- 
digkeit des  Bewegungszustandes  wird  aber  nur  eine  labile  sein,  wenn 
der  Werth  der  Function  kein  Minimumwerth  ist;  es  lassen  sich  dann 
immer  beliebig  kleine  Aenderungen  des  Zustandes  der  flüssigen  Masse 
angeben,  welche  eine  völlige  Aenderung  desselben  zur  Folge  haben. 

Die  directe  Untersuchung  der  Variation  zweiter  Ordnung  für  den 
Fall,  wenn  die  Variation  erster  Ordnung  der  Function  G  verschwindet, 
würde  sehr  verwickelt  werden;  es  lässt  sich  jedoch  die  Frage,  ob  die 
Function  für  diesen  Fall  einen  Minimumwerth  habe,  auf  folgendem 
Wege  entscheiden. 

Zunächst  lässt  sich  leicht  zeigen,  dass  die  Function  immer,  welche 
Werthe  auch  r^,  t'^  und  ahc  haben  mögen,  für  ein  System  von 
Werthen  der  unabhängig  veränderlichen  Grössen  ein  Minimum  haben 
müsse;  es  folgt  dies  offenbar  aus  den  drei  Umständen,  dass  erstens 
die  Function  G  für  den  Grenzfall,  wenn  die  Axen  unendlich  klein  oder 


über  die  Bewegung  eines  flüssigen  gleichartigen  EUipsoides.  189 

unendlicli  gross  werden,  sieh  einem  Grenzwerth  nähert,  der  nicht 
negativ  ist,  dass  zweitens  sich  immer  Werthe  von  a,  h,  c  angeben 
lassen,  für  welche  G  negativ  wird  und  dass  drittens  G  nie  negativ  un- 
endlich werden  kami.  Diese  drei  Eigenschaften  der  Function  G  er- 
geben sich  aber  aus  bekamiten  Eigenschaften  der  Function  H.  Die 
Function  H  erhält  ihren  grössten  Werth  in  dem  Fall,  wemi  die  flüssige 
Masse    die   Gestalt    einer   Kugel    amiimmt,   nämlich   den  Werth  27CQ^y 

wenn  q  den  Radius  dieser  Kugel  also  yabc  bezeichnet;  ferner  wird  H 
unendlich  klein,  wenn  eine  der  Axen  unendlich  gross  und  folglich 
wenigstens  Eine  andere  unendlich  klein  wird,  jedoch  so,  dass,  wenn  h 
in's  Unendliche  wächst,  Hh  nicht  unendlich  klein  wird,  und  folglich 
in  der  Function  G,  wemi  nicht  zugleich  a  in^s  Unendliche  wächst,  der 
negative  Bestandtheil  schliesslich  immer  den  positiven  überwiegt. 

Wenn  r^  nicht  Null  ist,  muss  schon  unter  den  Werthen  von 
a,  hy  Cy  welche  der  Bedingung  h  >  a  genügen,  ein  Werth ensystem  ent- 
halten sein,  für  welches  die  Function  ein  Minimum  wird;  denn  dann 
sind  die  obigen  drei  Bedingungen,  aus  welchen  die  Existenz  eines 
Minimums  folgt,  schon  für  dieses  Grössengebiet  erfüllt,  da  G  auch  für 
den  Grenzfall  a  ==  b  nicht  negativ  wird. 

Man  kaim  nun  ferner  untersuchen,  wie  viele  Lösungen  die  Glei- 
chungen (3.)  Art.  7  zulassen,  welche  das  Verschwinden  der  Variation 
erster  Ordnung  bedingen.  Diese  Untersuchung  lässt  sich  leicht  führen, 
wenn  man  die  Werthe  der  aus  ihnen  sich  ergebenden  Ausdrücke  für 
T^  und  t'^  auch  für  complexe  Werthe  der  Grössen  a,  &,  c  in  Betracht 
zieht.  Wir  können  jedoch  diese  Untersuchung  in  die  gegenwärtige 
Abhandlung  nicht  aufnehmen  und  müssen  uns  begnügen  das  Resultat 
derselben  anzugeben,  dessen  wir  in  der  Folge  bedürfen. 

Wenn  x^  nicht  Null  ist,  lassen  die  Gleichungen  (3.)  auf  jeder 
Seite  von  h  =  a  nur  Eine  Lösung  zu;  die  Variation  erster  Ordnung 
verschwindet  also  auf  jeder  Seite  dieser  Gleichung  nur  für  ein  Werthen- 
system,  und  die  Function  G  muss  für  dieses  ihr  Minimum  haben, 
welches  wir  durch  (r*  bezeichnen  wollen. 

Wenn  r^  Null  ist,  verschwindet  die  Variation  erster  Ordnung 
immer  für  h  =  a  und  einen  Werth  von  c,  der  für  t'^  =  0  gleich  a 
ist  und  mit  wachsendem  t'^  beständig  abnimmt.  Die  Variation  zweiter 
Ordnung  lässt  sich  für  dieses  Werthensystem  leicht  in  die  Form  eines 
Aggregats  von  {da  -{-  öhf  und  {da  —  dhy  setzen,  und  hierin  ist  der 
Coefficient  von  {da  +  dh}^  immer  positiv,  da  die  Function,  wie  aus 
den  früheren  Untersuchungen  bekannt  ist,  unter  allen  Werthen,  die  sie 
für  1)  =^  a  annehmen  kann,  hier  ihren  kleinsten  Werth  hat. 


190  X.     P-^in  Beitrag  zu  den  Untersuchungen 

•  Der  Coefficient  von  (da- —  dhy  aber  ist 

c^ 


FTT     /'rfs  /  s  —  ah  _, 


also  nur  positiv,  wenn  ^>  0,303327  ...und  folglich  t'- <£;r()^  8,64004  ...., 

aber  negativ,   wenn  —  diesen  Werth  überschreitet. 

Die  Function  G  hat  also  für  dieses  Werthensystem  nur  im  ersten 
Falle  ein  Minimum  (G"^'),  und  die  Untersuchung  der  Gleichungen  (3) 
zeigt,  dass  die  Variation  erster  Ordnung  dann  nur  für  dieses  Werthen- 
system verschwindet;  im  letztern  Falle  aber  hat  sie  einen  Sattel  werth; 
sie  niuss  dann  nothwendig  noch  für  zwei  Werthensysteme  ein  Mini- 
mum (6r*)  haben,  und  aus  der  Un?tersuchung  der  Gleichungen  (3) 
folgt,  dass  die  Variation  erster  Ordnung  nur  noch  für  zwei  Werthen- 
systeme verschwindet,  welche  durch  Vertauschung  von  h  und  a  aus 
einander  erhalten  werden. 

Aus  dieser  Untersuchung  ergiebt  sich  also,  dass  in  dem  schon 
seit  Mac- L aurin  bekannten  Falle  der  Rotation  eines  abgeplatteten 
Umdrehungsellipsoids  um  seine  kleinere  Axe  die  Beständigkeit  des  Be- 
wegungszustandes nur  labil  ist,  sobald  das  Verhältniss  der  kleinern 
Axe  zu  den  andern  kleiner  ist  als  0,303327  ...;  bei  der  geringsten 
Verschiedenheit  der  beiden  andern  würde  in  diesem  Falle  die  flüssige 
Masse  Form  und  Bewegungszustand  völlig  ändern  und  ein  fortwähren- 
des Schwanken  um  den  Zustand  eintreten,  welcher  dem  Minimum  der 
Function  G  entspricht.  Dieser  besteht  in  einer  gleichförmigen  Um- 
drehung eines  ungleichaxigen  Ellipsoids  um  seine  kleinste  Axe  ver- 
bunden mit  einer  gleichgerichteten  innern  Bewegung,  bei  welcher  die 
Theilchen  sich  in  einander  ähnlichen  zur  Umdrehungsaxe  senkrechten 
Ellipsen  bewegen.  Die  Umlaufszeit  ist  dabei  der  Umdrehungszeit  gleich, 
so  dass  jedes  Theilchen  schon  nach  einer  halben  Umdrehung  des 
Ellipsoids  in  seine  Anfangslage  zurückkehrt. 


10. 
Wenn  die  mechanische  Kraft  des  Systems, 

welche  offenbar  nicht  kleiner  als  (x*  sein  kann,  negativ  ist,  so  kann 
die  Form  des  Ellipsoids  nur  innerhalb  eines  endlichen  durch  die  Un- 
gleichheit G  K  Sl  begrenzten  Gebiets  fortwährend  schwanken. 


igei 

1  Artikels 

d'a        c   d'c    .cG        ^ 
dt'        a    dt'    '     aa         ^  ' 

dn 

df" 

über  die  Bewegung  eines  flüssigen  gleicbartigen  EUipsoides.  191 

Für  den  Fall ,  dass  Sl  —  G^*  als  unendlich  klein  betrachtet  werden 
kann,  können  wir  diese  Schwankungen  leicht  untersuchen. 

Denken  wir  uns  in  der  Function  G  für  c  seinen  Werth  aus  der 
Gleichung   ahc  ==  «o^oCo    substituirt,    so   giebt    die    Gleichung  (1)    des 

c   d'^c    ■    dG  _  ^ 
h    dt^    '    dh~~  ^  ' 

Die  Werthe  von  a^h,  c  können  nun  stets  nur  unendlich  wenig  von  den 
Werthen,  die  dem  Minimum  von  G  entsprechen,  abweichen,  und  wenn 
wir  die  Abweiclmngen  zur  Zeit  t  mit  da,  d6,  de  bezeichnen  und  die 
Glieder  höherer  Ordnung  vernachlässigen,  so  erhalten  wir  zwischen 
diesen  die  Gleichungen 

^    ,    ^    ,    de  _  ^ 
a   ~^   b     '     c 
,..  d'da         c    d'Sc    ,    c'-G  ^       ,     d^G    .,  ^ 

^   ^  dt'  a     dt'     ^     Ca'  '    cadh 

d'dh         c    d'-dc    ,    c'G   ,,     ,      c'G   ,  ^ 


dt'  h     df      '     oh''  '     fach 

d 

m  nn    - 

dt' 


welchen  man  bekanntlich  genügen  kann,  wenn  man  ~j7r=' — ^  ^^da, 

—jjr  =  —  ^^idh,  also  auch  -jjr  "=  —  ^^öc  setzt  und  dann  die  Con- 

stante  ^^  so  bestimmt,  dass  Eine  eine  Folge  der  übrigen  wird.  Die 
letztere  Bedingung  für  ^^  kommt  mit  der  Bedingung  überein,  den 
Ausdruck  zv/eiten  Grades  von  den  Grössen  da,  ob 
2d^G  —  ^^  (öa^  +  db^  +  öc^) 
zu  einem  Quadrat  eines  linearen  Ausdrucks  von  diesen  Grössen  zu 
machen;  und  dieser  genügen,  da  d^G  und  öa^  -\-  öb^  -{-  dc^  wesentlich 
positiv  sind,  immer  zwei  positive  Werthe  von  ^^,  welche  einander 
gleich  werden,  wenn  Ö^G  und  da^  +  d?>'^  +  öc^  sich  nur  durch  einen 
Constanten  Praetor  unterscheiden.  Diese  beiden  Werthe  von  ^ft  geben 
zwei  Lösungen  der  Differentialgleichungen  (1),  bei  denen  sich  da,  db,  de 
einer  periodischen  Function  der  Zeit  von  der  Form  sin  (ft  ^  +  const.) 
proportional  ändern,  und  aus  denen  sich  ihre  allgemeine  Lösung  zu- 
sammensetzen lässt. 

Jede  einzeln  genommen  liefert  periodische  unendlich  kleine  Oscil- 
lationen  der  Gestalt  und  des  Beweguugszustandes.  Hieraus  würde 
freilich  nur  folgen,  dass  es  zwei  Arten  von  Oscillationen  giebt,  welche 
sich  desto  mehr  periodischen  nähern,  je  kleiner  sie  sind;  es  ergiebt 
sich  jedoch  die  Existenz  von  endlichen  periodischen  Schwingungen  aus 
folgender  Betrachtung. 

Wenn  Sl  negativ  ist,  muss  offenbar  a  einen  und  denselben  Werth 


192  X.     Ein  Beitrag  zu  den  Untersuchungen 

mehr  als  einmal  amielimen,  und  betrachten  wir  die  Bewegung  von 
dem  Augenblicke  an,  wo  a  einen  solchen  Werth  zum  erstenmal  an- 
nimmt,  so  wird  die  Bewegung  durch  die  Anfangswerthe  -,-   -,,   und  h 

völlig  bestimmt  sein;  es  sind  also  auch  die  Werthe,  welche  diese 
Grössen  erhalten,  wenn  a  später  wieder  diesen  Werth  amiimmt, 
Functionen  von  ihren  Anfangswerthen.  Diese  Functionen  wollen  wir 
zusammengenommen  durch  %  bezeichnen.  Die  Bewegung  wird  periodisch 
sein,  wenn  ihre  Werthe  den  Anfangswerthen  gleich  sind.  In  Folge 
der  Gleichung  dbc  =  const.  und  des   Satzes  von  der  lebendigen  Kraft 

müssen  aber,  wenn  h  und  -tt  ihre  Anfangswerthe  wieder  annehmen, 
auch  c,  -^  und  -jr    wieder   ihren   Anfangswerthen   gleich   werden.     Es 

sind  also  hierzu  nur  zwei  Bedingungen  zu  erfüllen;  und  man  kami,  indem 
man  die  Derivirten  der  Functionen  %  für  den  Fall  unendlich  kleiner 
Schwingungen  bildet,  zeigen,  dass  diese  Bedingungsgleichungen  sich 
nicht  widersprechen  und  innerhalb  eines  endlichen  Gebiets  reelle  Wur- 
zeln haben. 

Die  Grössen  a,  h,  c  lassen  sich  für  diesen  Fall  periodischer 
Schwingungen  als  Function  der  Zeit  durch  Fourier'sche  Reihen  aus- 
drücken, in  welchen  freilich  sämmtliche  Constanten,  den  vonDirichlet 
behandelten  Fall  ausgenommen,  nur  näherungs weise  bestimmt  werden 
kömien.  Dieses  kann  z.  B.  dadurch  geschehen,  dass  man  die  oben  für 
den  Fall  unendlich  kleiner  Schwingungen  gemachte  Entwicklung  auf 
Glieder  höherer  Ordnung  ausdehnt. 

Es  schien  uns  der  Mühe  werth,  diese  Bewegungen,  welche  den 
Bewegungen,  bei  denen  Gestalt  und  Bewegungszustand  constant  sind, 
an  Einfachheit  zunächst  stehen,  wenigstens  einer  oberflächlichen  Be- 
trachtung zu  unterwerfen.  Wir  wollen  nun  die  Untersuchung,  welche 
wir  im  vorigen  Artikel  für  den  Fall,  wenn  nur  um  eine  Hauptaxe 
eine  Rotation  stattfindet,  ausgeführt  haben,  auf  alle  der  Dir ichle tischen 
Voraussetzung  genügenden  Bewegungen  ausdehnen. 

11. 
Um  für  diesen  Zweck  die  Differentialgleichungen  («)  in  eine  über- 
sichtlichere Form  zu  bringen,  wollen  wir  statt  der  Grössen  «f,  v,  ...,tv 
die   Grössen  ^,  h,  . . .,  Jc^  einführen   und  die  Bedeutung   von  G   dahin 
verallgemeinern,  dass  wir  dadurch  den  Ausdruck 

h  —  hV  ,   dizzKY 


2£ 


00 


+  s){b'  +  s){c'-\-s) 


über  die  Bewegung  eines  flüssigen  gleichartigen  Ellipsoides.  193 

also   auch  jetzt   den   von   der   Formiinderuno*   iinaldilln<j^it(fMi    'IMhmI    der 

mechanischen  Kraft  bezeichnen. 

Es  wird  dann 

_dG        _da     ,  _dG 

^  ^  dg  '  '^         ?h^'^'  ~  dk 

_dG         _c(r         _dG 

^'~~  dg/  ^'~~  ch/  ^~a/^^ 

und   die   letzten   sechs  Differentialgleichungen  («)  lassen  sich  daher  in 
die  Form  setzen 


dt 

,  dG 
-^^dk- 

-.  dG 

'"dh^ 

dg, 

dt 

K 

dG 

dk^ ' 

-l^ 

dG 
dh^ 

(1-) 

dh 
dt 

-''Tg- 

dG 

dh^ 
dt  ~ 

=  Z; 

cG 
^9. 

-V. 

cG 

dh. 

dl- 
'dt 

cG 

7  cG 
dg  ' 

dh^ 
dt  ~ 

■  (K 

(G 

-^ 

cG 

^9, 

während  die  drei 

ersten  in 

(2.) 

d'-a    f^ 

dG 

da 

2^  =  0, 

a            ^ 

d'-h        ( 
Tf'~^  d 

'i-^ 

6 
b'' 

=  0, 

d'c 
'    dt^ 

+ 

rG 

de 

-2^  = 

C 

=  0 

Über 

gehen. 

Wir  bemerken 

zugleich 

[,  dass 

aus  der  Int^gralgh 

Eichung 

n, 

wenn  co  ==  0,  drei  Integralgleichungen^  //  =  ^^  h  =  0,  h  =  0,  folgen, 
d.  h.,  dass  diese  Grössen  immer  Null  bleiben,  wenn  sie  anfangs  Null 
sind.     Dasselbe  gilt  natürlich  auch  von  den  Grössen  (/,  Ji,,  ]:. 

Aus  den  Differentialgleichungen  (1.)  und  (2.)  ist  nun  leicht  er- 
sichtlich, dass  das  Verschwinden  der  Variation  erster  Ordnung  der 
Function  G  von  den  neun  veränderlichen  Grössen  «,  h,  ...,  l\,  zwischen 
welchen  die  drei  Bedingungen 

ahc  =  const.,      g^  -\-  h^  +  Ic^  =  co\      gj  +  ^^  +  ^-V"  =  ^/" 
stattfinden,  nothwendig  und  hinreichend  ist,  damit 

d^a    d^h     d^c    dg  dk, 

~cW'  d¥^  W'  'dt^  '"^  ~(lt 

Null  werden  und   also   Gestalt  und  Bewegungszustand   des   Ellipsoids 

constant  bleiben,  wenn    ,    ,  -rr,    ,,    Null   sind.      Die    Fälle,    in    denen 

dieses  stattfindet,  haben  wir  früher  vollständig  erörtert.  Es  ergiebt 
sich  nun  aber  auch  hier  wieder  leicht,  dass  die  Function  G  wenigstens 
für  Ein  System  von  Werthen  der  unabhängig  veränderlichen  Grössen 
ein  Minimum  haben  müsse,  da  sie  für  den  alleinigen  Grenzfall,  wenn 
die  Axen  unendlich  gross  oder  unendlich  klein  werden,  gegen  einen 
Grenzwerth  convergirt,  der  nicht  negativ  ist,  und,  wie  wir  schon  ge- 
sehen haben,  immer  für  gewisse  Werthe  der  unabhängig  veränderlichen 
Grössen  negativ  wird,  ohne  je  negativ  unendlich  zu  werden.  Für  den 
einem  solchen  Minimum  entsprechenden  constanten  Bewegungszustand 

Riemann's  gesammelte  mathematische  Werke.    I.  13 


194  X.     Ein  Beitrag  zu  den  Untersuchungen 

folgt  aus  dem  Satz  von  der  Erhaltung  der  lebendigen  Kraft,  dass  jede 
der  Dirichl  et 'sehen  Voraussetzung  genügende  unendlich  kleine  Ab- 
weichung von  demselben  nur  unendlich  kleine  Schvi^ankungen  zur 
Folge  hat,  während  in  jedem  andern  Falle  die  Beständigkeit  der  Ge- 
stalt und  des  Bewegungszustandes  nur  labil  ist.  Die  Aufsuchung  der 
einem  Minimum  von  G  entsprechenden  Bewegungszustände  ist  nicht 
bloss  für  die  Bestimmung  der  möglichen  stabilen  Formen  einer  be- 
wegten flüssigen  und  schweren  Masse  wichtig,  sondern  würde  auch  für 
die  Integration  unserer  Differentialgleichungen  durch  unendliche  Reihen 
die  Grundlage  bilden  müssen;  wir  wollen  daher  jetzt  untersuchen,  in 
welchen  von  den  Fällen,  wo  ihre  Variation  erster  Ordnung  verschwindet, 
die  Function  G  ein  Minimum  hat.  Aus  jedem  von  den  früher  ge- 
fundenen Fällen,  in  denen  das  Ellipsoid  seine  Form  behält,  erhält  man 
zwar  durch  Vertauschung  der  Axen  und  Aenderungen  in  den  Zeichen 
der  Grössen  g,  h,  ...,  h^  mehrere  Systeme  von  Werthen  der  Grössen 
«,&,..., /c^,  welche  das  Verschwinden  der  Variation  erster  Ordnung 
der  Function  G  bewirken*,  wir  können  aber  diese  hier  zusammenfassen, 
da  die  Function  G  für  alle  denselben  Werth  hat  und  in  Bezug  auf 
unsere  Frage  von  allen  dasselbe  gilt. 

Ehe  wir  die  einzelnen  Fälle  betrachten,  müssen  wir  ferner  noch 
bemerken,  dass  die  Untersuchung,  wenn  a  oder  «^  Null  ist,  eine  be- 
sondere einfachere  Gestalt  annimmt,  indem  dann  g,  h,  h  oder  r/^,  h^,  ]c^ 
aus  der  Function  G  ganz  herausfallen.  Die  frühere  Untersuchung  der 
Constanten  Bewegungszustände  giebt  nur  zwei  wesentlich  verschiedene 
Fälle,  in  denen  eine  dieser  beiden  Grössen  Null  wird.  In  dem  im 
Art.  6.  behandelten  Falle  kann  dies  nur  eintreten,  wenn 

w'^ (2a  —  b  —  c)  {2a  —  h  -\-  c)  /a  —  hy 

w^        {2a  -H>~4-  c)  {2a  -\-b  —  c)         \a  -{-  b) 

also  der  Ausdruck 

(3.)  h^c'  +  a'h'  +  a'c'  —  3a^ 

den  wir   durch  E  bezeichnen  wollen.   Null  ist;   und   dann   ergiebt  sich 

in  der  That  o  oder  «^  gleich  Null.     Die  Gleichung  E  ==  0  liefert  aber 

b  -\-  c 
nach  a  aufgelöst  nur  eine  positive  Wurzel,   die  zwischen  — —   und  h 

liegt,  und  kann  also  nur  im  Falle  (I.)  erfüllt  werden.  Ausser  diesem 
Falle  giebt  noch  der  im  Art.  7.  untersuchte  Fall  a  oder  co^  gleich  Null, 
wenn  t^  =  t^. 

Es  lässt  sich  nun  zunächst  zeigen,  dass  in  den  Fällen  (L),  (II.) 
und  (III.)  die  Function  G  keinen  Minimumwerth  haben  kann,  weil 
sich  immer,  während  a,  h,  c  constant  bleiben,  die  Grössen  //,  h,...jJc^ 
so   ändern  lassen,  dass   der  Werth*  der  Function  noch   abnimmt.     Da 


über  die  Bewegung  eines  flüssigen  gleichartigen  Ellipsoides.  19;") 

y  und  (j ^  Null  und  h^h^,  ^'J'^,,  den  Fall  E  ==  0  ausgenommen,  nicht 
Null  sind,  so  finden  zwischen  den  Variationen  dieser  Grössen  die  Be- 
dingungen statt 

dg'  +  2hdh  +  2kdJc  =  0,      d(/;  +  2h^dh^  +  2/.-^dZ;  =  0 
und  die  Variation  von  G  wird* 

oder  da 

dG     dG  7.7.     dG     dG  ^      , 

(4.)   66r  =  I  (^  (    /r-TT  -j   +  (    />  4-  c   )  j  -  ^  W  ^•'^  -  27r  TTT  ^.'^^  • 

Bildet  man  die  Determinante  dieses  Ausdrucks  zweiten  Grades 
von  ög  und  Ög^  und  substituirt  darin  die  aus  Art.  6.  (1.)  sich  ergeben- 
den Werthe 

(5 )       ^ 


und  folf^lich  — ^  =  ^,  so  findet  sich  diese 

__  3  («2  —  ^,2)  (a2  — _c2). 

Sie  ist  also  positiv  im  Falle  (L),  wenn  E  <  0,  und  im  Falle  (ITL),  aber 
negativ  im  Falle  (L),  wenn  E  >  0,  und  im  Falle  (IL).  In  den  beiden 
ersteren  Fällen  kann  daher  der  Ausdruck  (4.)  sowohl  positive,  als 
negative  Werthe  annehmen,  in  den  beiden  andern  aber  entweder  nur 
positive,  oder  nur  negative.  Er  erhält  aber  für  dg=  —  Ög  den 
Werth 


^0'  ((FW  - 


welcher  unter   den  in  diesen  Fällen  geltenden  Voraussetzungen  immer 
negativ  ist,  wie  man  leicht  sieht,  wenn  man  ihn  in  die  Form  setzt 

_  ih^'  -f  C-'  —  2a-)  {b-  +  4?>c  +  c-  4-  2a'0  4-  {4.a'  —  {h -\-  cf)  (4«*  —  {h  —  cY-)       , 

4.{h-\-cYE  ■' 

und  bemerkt,  dass  h^  +  c^  —  2a^  stets  positiv  ist,  wenn  jt' >  0. 

Wenn  eine  der  beiden  Grössen  a  oder  w  ,  z.  B.  ü9=  0  ist,  wird 
die  Bedingungsgleichung  zwischen  dg^,  8h ^^  dl\ 

8g  ^  +  8  h}  +  8  k;' =  0; 

der  Ausdruck  der  Variation  von  G  reducirt  sich  folglicli  auf 


19G  X.     Ein  Beitrag  zu  den  Untersuchungen 


ÖG 


2  h 
und  aus  (5.)  erhält  man,  da  — '  =  0, 

Durch  Einsetzung  dieses  Werthes  ergiebt  sich 

Ar  _  __   ^^'  +  ^')  (^^'  -  (^  +  C)^)  +  (?>  -  C)'^  Jh'  +  4?>C  H-  C'^)    .    , 

also  negativ,   da   5'^  +  c^  —  2a^  und   4a-  —  (?>  +  cY  in  diesem  Falle 
positiv  sind. 

In  allen  diesen  Fällen  hat  also  die  Function  G  keinen  Minimum- 
werth,  und  wir  haben  nun  nur  noch  den  Fall  des  Art.  7.  zu  betrachten, 
wobei  wir  den  siugulären  Fall,  wo  b  =  a  und  t'^  >  fjt^'^.  8,64004. . ., 
ganz  ausschliessen  können.  Wenn  eine  der  beiden  Grössen  o"  oder  C9/^ 
Null  ist,  liefert  dieser  Fall  für  jeden  gegebenen  Werth  der  andern 
Grösse  nur  Einen  constanten  Bewegungszustand,  für  welchen  r-  =  t'-, 
und  die  Function  G  muss  dann  für  diesen  ihr  Minimum  haben.  Für 
je  zwei  gegebene  von  Null  verschiedene  Werthe  von  C9^  und  cof  aber 
liefert  dieser  Fall  zwei  constante  Bewegungszustände  der  flüssigen 
Masse,  die  durch  Yertauschung  von  r"  und  z^  in  einander  übergehen; 
denn  man  kann,  um  t"'  und  t'"  aus  «-  und  af  zu  bestimmen, 


2      ^  2 

setzen  und  dabei  die  Zeichen  von  co  und  cj^  beliebig  wählen. 

Man  kann  aber  leicht  zeigen,  dass  in  dem  einen  Falle,  wenn  a 
und  co^  gleiche  Zeichen  haben  und  also  t-  den  grösseren  Werth  hat, 
kein  Minimum  von  G  stattfindet.  Die  Bedingungen  aus  den  Variationen 
der  Grössen^,  h,  ...,  h^  sind  jetzt 

^^2  _|_  ^/^2  _^  21cöJ>  =  0,     8(j;  +  dh;  +  21  8h^  =  0, 
und  die  Variation  von  G  wird  daher 


Diese  erhält  aber  einen  negativen  Werth,  wenn  co  und  «^  gleiche 
Zeichen  haben  und  8h  =  dJf^  =  0,  ög^  =  —  dg  angenommen  wird; 
denn  es  ergiebt  sich 

.r  —  f  __i 1  __  a_  / L__  _       1      \  ("  +  o^f  ]  ^^.2 

~  \{h  +  cY         {h  H-  ay  "^  \{b  4-  af        {h  -  «)7        4«w      J      '^ 


über  die  Bewegung  eines  flüssigen  gleichartigen  EUipsoides.  197 

und  liierin  ist   j, — . — r^  <  71 tö  und  auch  j-, — ; — r:r  <  t, — i — ^  y    da    für 

{h  -f  ay       (b  —  ay  (b  +  c)-        {h  -\-  ay^ 

c  <C  a  nach  Art.  7.  (3.)  /i-T.-'ys  >  jp^ — ^,  folglich  r'^  >  r-  ist  und  also 

T-  nur  grösser  als  r'"  sein  kann,  wenn  c  >  a. 

Die  Function  hat  also  auch  in  diesem  Falle  Kein  Minimum  und 
inuss  folglich  in  dem  allein  noch  übrig  bleibenden  Falle  ihr  Minimum 
liaben. 

Dieses  findet  demnach  statt  für  die  im  Art.  7.  betrachtete  Be- 
wegung, wemi  T^  <  r'  ^'  (den  oben  angegebenen  singulären  Fall  aus- 
genommen); und  in  diesem  Falle  würde  daher,  während  in  allen  an- 
dern Fällen  die  Beständigkeit  der  Gestalt  und  des  Bewegungszustandes 
nur  labil  ist,  jede  der  Dirichlet'schen  Voraussetzung  genügende  unend- 
lich kleine  Aenderung  in  der  Gestalt  und  dem  Bewegungszustande  der 
flüssigen  Masse  nur  unendlich  kleine  Schwankungen  zur  Folge  haben. 
Hieraus  folgt  freilich  nicht,  dass  der  Zustand  der  flüssigen  Masse  in 
diesem  Falle  stabil  ist.  Die  Untersuchung,  unter  welchen  Bedingungen 
dieses  stattfindet,  würde  sich  wohl,  da  sie  auf  lineare  Differential- 
gleichungen führt,  mit  bekannten  Mitteln  ausführen  lassen.  Wir  müssen 
jedoch  auf  die  Behandlung  dieser  Frage  in  dieser  Abhandlung  ver- 
zichten, die  nur  der  weiteren  Entwicklung  des  schönen  Gedankens  ge- 
widmet ist,  mit  welchem  Dirichlet  seine  wissenschaftliche  Thätigkeit 
gekrönt  hat. 


XL 

Lieber  das  Verscliwindeii  der  Tlieta-Fuiietioiien. 

(Aus  Borchardt's  Journal  für  reine  und  angewandte  Mathematik,  Bd.  18G5.) 

Die  zweite  Abtheilung  meiner  im  54.  Bande  des  matlieniatisclien 
Journals  erschienenen  Theorie  der  AbeTschen  Functionen  enthält  den 
Beweis  eines  Satzes  über  das  Verschwinden  der  O'-Functionen^  welchen 
ich  sogleich  wieder  anführen  werde^  indem  ich  dabei  die  in  jener  Ab- 
handlung angewandten  Bezeichnungen  als  dem  Leser  bekannt  voraus- 
setze. Alles  in  der  Abhandlung  noch  Folgende  enthält  kurze  Andeu- 
tungen über  die  Anwendung  dieses  Satzes^  welcher  bei  unserer  Methode, 
die  sich  auf  die  Bestimmung  der  Functionen  durch  ihre  Unstetigkeiten 
und  ihr  Unendlichwerden  stützt,  wie  man  leicht  sieht,  die  Grundlage 
der  Theorie  der  AbeFschen  Functionen  bilden  muss.  Bei  dem  Satze 
selbst  und  dessen  Beweis  ist  jedoch  der  Umstand  nicht  gehörig  be- 
rücksichtigt worden,  dass  die  '9' -Function  durch  die  Substitution  der 
Integrale  algebraischer  Functionen  Einer  Veränderlichen  identisch, 
d.  h.  für  jeden  Werth  dieser  Veränderlichen,  verschwinden  kann. 
Diesem  Mangel  abzuhelfen  ist  die  folgende  kleine  Abhandlung  bestimmt. 

Bei  der  Darstellung  der  Untersuchungen  über  '^- Functionen  mit 
einer  unbestimmten  Anzahl  von  Variablen  macht  sich  das  Bedürfniss 
einer  abkürzenden  Bezeichnung  einer  Reihe,  wie 

geltend,  so  bald  der  Ausdruck  von  Vr  durch  v  complicirt  ist.  Man 
könnte  dieses  Zeichen  ganz  analog  den  Summen-  und  Productenzeichen 
bilden;  eine  solche  Bezeichung  würde  aber  zu  viel  Raum  wegnehmen 
und  innerhalb  der  Functionszeichen  unbequem  für  den  Druck  sein-,  ich 
ziehe  es  daher  vor 


fm 

ü^,  v^,  .  .  .,  v,a    durch 

\1 

zu  bezeichnen,  also 

-^(t^,  v.^,  .  .  .,  Vj,)      durch     -0- 

(^^  C^.) 

X[.     lieber  das  Verschwinden  der  Theta-Functionen.  199 

1. 

Wenn  man  in  der  Function  d-i^v^j  v.^,  .  .  .,  Vj,)  für  die  p  Veränder- 
lichen 0  die  p  Integrale  n^  —  Cj,  iL,  —  c.^,  .  .  .,  Uj,  —  Cj,  algebraischer 
wie  die  Fläche  T  verzweigter  Functionen  von  z  substituirt,  so  erhält 
man  eine  Function  von  z^  welche  in  der  ganzen  Fläche-  T  ausser  den 
Linien  h  sich  stetig  ändert,  beim  Uebertritt  von  der  negativen  auf  die 

positive  Seite  der  Linie  6,,  aber  den  Factor  e"  "'  ~^*  -f  2  er  erlangt. 
Wie  im  §.  22  bewiesen  worden  ist,  wird  diese  Function,  weim  sie 
nicht  für  alle  Werthe  von  z  verschwindet,  nur  für  x)  Punkte  der  Fläche 
T  unendlich  klein  von  der  ersten  Ordnung.  Diese  Punkte  wurden 
durch  Yi^j  ^^,  . . .,  rip  bezeichnet,  und  der  Werth  der  Function  Uy  im 
Punkte  i^„  durch  «v^"^.  Es  ergab  sich  dann  nach  den  2p  Modul- 
systemen der  -ö"- Function  die  Congruenz 


(1.)     (q,    6',,...,^;,) 


I>  7>  P 

(^«w  +  K„  ^<)  +  K„  . . .,  2'«r  +  K,)  , 
\    1  1  1  / 

worin  die  Grössen  K  von  den  bis   dahin   noch  willkürlichen   additiven 

Constanten  in  den  Functionen  ii    abhingen,   aber  von   den  Grössen  e 

und  den  Punkten  rj  unabhängig  waren. 

Führt  man  die  dort  angegebene  Rechnung  aus,  so  findet  sich 

(2.)  2  Kr  =  ^^    I  (Wv+  +  U~)  Chly'  —  SyTti  —  ^    f],Cl^,,r. 

In  diesem  Ausdrucke  ist  das  Integral  f  (u^:^  +  'fti~)dUv'  positiv  durch 
hy-  auszudehnen,  und  in  der  Summe  sind  für  v  alle  Zahlen  von  1  bis 
])  ausser  v  zu  setzen;  £,  =  +  1,  je  nachdem  das  Ende  von  ly  auf  der 
positiven  oder  negativen  Seite  von  a,  liegt,  und  f',.  =  +  1,  je  nach- 
dem dasselbe  auf  der  positiven  oder  negativen  Seite  von  hy  liegt.  Die 
Bestimmung  der  Vorzeichen  ist  übrigens  nur  nöthig,  wemi  die  Grössen 
e  nach  den  in  §.  22  gegebenen  Gleichungen  aus  den  Unstetigkeiten 
von  log  '0'  völlig  bestimmt  werden  sollen;  die  obige  Congruenz  (1.) 
bleibt  richtig,  welche  Vorzeichen  man  wählen  mag. 

Wir  behalten  zunächst  die  dort  gemachte  vereinfachende  Voraus- 
setzung bei,  dass  die  additiven  Constanten  in  den  Functionen  ti  so 
bestimmt  werden,  dass  die  Grössen  K  sämmtlich  gleich  Null  sind.  Um 
die  so  gewonnenen  Resultate  schliesslich  von  dieser  beschränkenden 
Voraussetzung  zu  befreien,  hat  man  offenbar  nur  nöthig,  überall  in  den 
'9'-Functionen  zu  den  Argumenten  —  7^4,  —  K.,, ...,  —  Kp  hinzuzufügen. 

Wenn  also  die  Function  ^{u^  —  e^,  u.>  —  e.,,  .  .  .,  Hp  —  Cp)  für  die 
p  Punkte  ??i,  Yi.,j  . . .,  rip  verschwindet  und  nicht  identisch  für  jeden  WertJi 
von  z  verschtvindety  so  ist 


200  XI.     Ueber  das  Verschwinden  der  Thcta-Functionen. 

p  p  p 

(e,,  c,,  . .  .,  c,)  HE  (^^  <),  2  «(/'),  ...,  ^  «(/')  ^  . 

Dieser  Satz  gilt  für  ganz  beliebige  Wertlie  der  Grössen  c,  und 
wir  haben  hieraus^  indem  wir  den  Punkt  (5,  z)  mit  dem  Punkte  rj^ 
zusammenfallen  Hessen,  geschlossen,  dass 

P—i  p—i  p—i 

»(-2  <''  -  2  <"'  ■■■,-2 «;;" ) = ^^> 

^1  1  1  / 

oder  da  die  -0^- Function  gerade  ist, 

p  —  1  j^— 1  p — 1 

» {2  <'  2  "'''>  ■■■'2  «i"* ) = **' 

welches  auch  die  Punkte  rj^,  rj.^,  •  .  .,  '^Jp—i  seien. 


Der  Beweis  dieses  Satzes  bedarf  jedoch  einer  Vervollständigung 
wegen  des  Umstandes,  dass  die  Function 

d'(uj^  —  e^,  tk,  —  (?2?  •  • ',  Up  —  Cj) 
identisch  verschwinden  kann  (was  in  der  That  bei  jedem  System  von 
gleich  verzweigten   algebraischen  Functionen  für  gewisse  Werthe   der 
Grössen  e  eintritt). 

Wegen  dieses  Umstandes  muss  man  sich  begnügen,  zunächst  zu 
zeigen,  dass  der  Satz  richtig  bleibt,  während  die  Punkte  y]  unabhängig 
von  einander  innerhalb  endlicher  Grenzen  ihre  Lage  ändern.  Hieraus 
folgt  dann  die  allgemeine  Richtigkeit  des  Satzes  nach  dem  Principe, 
dass  eine  Function  einer  complexen  Grösse  nicht  innerhalb  eines  end- 
lichen Gebiets  gleich  Null  sein  kann,  ohne  überall  gleich  Null  zu  sein. 

Wenn  z  gegeben  ist,  so  können  die  Grössen  e^,  e.^,  . .  .,  e^  immer 
so  gewählt  werden,  dass 

^ (wi  —  q,  %L^  —  e.^j  ...jUp  —  ßp) 
nicht  verschwindet;   deim   sonst   müsste  die  Function  ^(v^^  t\,,  .  .  .,  Vp) 
für  jedwede  Werthe  der  Grössen  v  verschwinden,  und  folglich  müssten 

in  ihrer  Entwicklung  nach  ganzen  Potenzen  von  e"  ^,  e  '^,  . .  .,  c  ^' 
sämmtliche  Coefficienten  gleich  Null  sein,  was  nicht  der  Fall  ist.  Die 
Grössen  e  können  sich  dami  von  einander  unabhängig  innerhalb  end- 
licher Grössengebiete  ändern,  ohne  dass  die  Function 

d^ (u^  —  6'i,  w^  —  e^?  •  •  •?  '^P  —  ^p) 
für   diesen  Werth    von   0   verschwindet.     Oder   mit   anderen   Worten: 
man  kann  immer   ein  Grössengebiet  E  von  2j>>  Dimensionen  angeben. 


XI.    Ueber  das  Verschwinden  der  Theta-Functionen.  201 

innerhalb  dessen  sich  das  System  der  Grössen  c  bewegen   kann,  ohne 
dass  die  Function 

%'{u^  —  Ci,  *^>  —  <'.,  •  •  •,  ^h  ~  Cj,) 
für  diesen  Werth  von  z  verschwindet.     Sie  wird  also  nur  für  p  Lagen 
von  (sj  z)  unendlich  klein  von  tler  ersten  Ordnung,  und  bezeichnet  man 
diese  Punkte  durch  rj^,  rj.^,  .  .  .y  rjjj,  so  ist 

(1.)  {e„  e„  ...,«„)  =  (2  <'"'  2  <''  •  •  • .  5'  «f  )  • 

Jeder  Bestimungsweise  des  Systems  der  Grössen  e  innerhalb  U  oder 
jedem  Punkte  von  E  entspricht  daim  eine  Bestimmungsweise  der 
Punkte  rj,  deren  Gesammtheit  ein  dem  (jrrössengebiete  E  entsprechen-- 
des  Grössengebie^  H  bildet.  In  Folge  der  Gleichung  (1.)  entspricht 
jedem  Punkte  von  H  aber  auch  nur  ein  Punkt  von  E-^  hätte  also  // 
nur  2jj  —  1,  oder  weniger  Dimensionen,  so  würde  E  nicht  2jv  Dimen- 
sionen haben  können.  Es  hat  folglich  H  2x)  Dimensionen.  Die  Schlüsse, 
auf  welche  sich  unser  Satz  stützt,  bleiben  daher  anwendbar  für  be- 
liebige   Lagen    der    Punkte    r]   innerhalb    endlicher    Gebiete,    und    die 

Gleichung 

j) — 1  ji  —  1  p  —  \ 

»(—2  «v",  -  2  «-i"'  ■■■,  -  2  «y."* )  = " 

\       1  1  1  / 

gilt   für   beliebige  Lagen   der   Punkte    y]i,  y]-,)  -  -  •)  Vp—i    ijuierhalb  end- 
licher Gebiete  und  folglich  allgemein. 

3. 

Hieraus  folgt,  dass  sich  das  Grössensystem  (^i,  c^,  . .  .,  e^)  immer 
und  nur   auf  eine   Weise   congruent   einem   iVusdrucke   von  der  Form 

V  l  ^  a^,'^  j    j  setzen  lässt,  wenn  d- 1  v  (uy  —  c,)  j  nicht  für  jeden 

AVerth  von  z  verschwhidet;  denn  Hessen  sich  die  Punkte  tju  *],>,"-,  ^p 
auf  mehr  als  eine  Weise  so  bestimmen,  dass  der  Congruenz 


_^(-))-('^(^«r)) 


genügt  wäre,  so  würde  nach  dem  eben  bewiesenen  Satze  die  Function 
«O-l  V  {ur  —  Cr)  I  für  mehr  als  j>  Punkte  verschwinden,  ohne  identisch 
gleich  Null  zu  sein,  was  unmöglich  ist. 


202 


Xr.     lieber  das  Verschwinden  der  Thcta-Functionen. 


Wenn  '9'  (  v  (^Uy  —  6, )  )    identisch    verschwindet,    muss    man,    um 


V  (c, )  I  in  die  obige  Form  zu  setzen, 


P 


M) 


^UO/v+«l      -^^v      -6V) 


betrachten,  und  wenn  diese  Function  identisch  für  jeden  Werlh  z,  J,,  ^j 
verschwindet,  die  Function 


d' 


1  1  1  / 


-/o 


Wir  nehmen  an,  dass 

A)  ,n  m  —  \ 

Vi  1  1 

(1.)  .    identisch  verschwindet, 

V  (V  «</  +  2-/')   —     y^  uiP-M)    —    Cr  )     1 
1  1  1  / 

aber  nicht  identisch  verschwindet. 

Diese  letztere  Function  verschwindet  dann,  als  Function  von  ^p+i  be- 
trachtet, für  £p—i,  £p—2,  •  .  .?  £p-~my  ausserdem  also  noch  für  p  —  m 
Punkte,  und  bezeichnet  man  diese  mit  rj^y  %,  -  •  -p  '%)—m,  so  ist 

1  p  —  m-}-l  /Ml  / 

und  diese  Punkte  7]^,  rj^,  .  .  .,  r}p—vi  können  nur  auf  eine  Weise  so 
bestimmt  werden,  dass  diese  Congruenz  erfüllt  _wird,  weil  sonst  die 
Function  für  mehr  als  2^  Punkte  verschwinden  würde.  Dieselbe  Function 
verschwindet,  als  Function  von  2p— i  betrachtet,  ausser  für 

Vp-h^}  Vpy  •  •  •;  Vp—»i+i 

noch  für  2^  —  ^^^  —  1?  Punkte  und  bezeichnet  man  diese  durch 

^1  ;    ^2?    •  •  ')    ^P  —  )n—ly 


SO  ist 


P 


Przl 


^(-2;<"'.r^")j-'(l(2'"!"')j'     . 

und  die  Punkte  f^,  c^?  •  •  •?  ^p-m-i  sind  durch   diese  Congruenz  völlig 
bestimmt. 


XI.    Ueber  das  Verschwinden  der  Thefca-Functionen.  203 

Unter   der   gemachten  Voraussetzung   (1.)   können   also,   um  den 
Congruenzen 

und 

(3.) 

ZU  genügen,  m  von  den  Punkten  rj  und  m  —  1  von  den  J'unkten  f 
beliebig  gewählt  werden,  dadurch  aber  sind  die  übrigen  bestimmt. 
Offenbar  gelten  diese  Sätze  auch  umgekehrt,  d.  h.  die  Function  ver- 
schwindet, wenn  eine  dieser  Bedingungen  erfüllt  ist.  Wenn  also  die 
Congruenz  (2.)  auf  mehr  als  eine  Weise  lösbar  ist,  so  ist  auch  die 
Congruenz  (3.)  lösbar,  und  wenn  von  den  Punkten  rj  niy  aber  nicht 
mehr,  beliebig  gCAvählt  werden  können,  so  können  von  den  Punkten  e 
m  ~  1  beliebig  gewählt  werden  und  dadurch  sind  die  übrigen  bestimmt, 
und  umgekehrt. 

Auf  ganz  ähnlichem  Wege  ergiebt  sich,  dass,  wenn 


ist,  die  Congruenzen 

(4.)      ,  (j  ('•■■))  =  (^(S«'," 

(5.)  (^■*^(_,„)J_^'J(^2?«i" 

immer  lösbar  sind;  und  zwar  können  sowohl  von  den  Punkten  y]  als 
von  den  Punkten  e  m  beliebig  gewählt  werden,  und  es  sind  dadurch 
die  übrigen  ^>  —  1  —  m  bestimmt,  wenn 


y  (2' «?"  -.2'  <'  +  '•' ) ) 

1      1  1  / 


identisch  gleich  Null  ist. 


l        1  1 


aber  nicht  identisch  gleich  Null  ist,  wobei  der  Fall  m  =  0  nicht  aus- 
geschlossen ist.  Dieser  Satz  lässt  sich  auch  umkehren.  Wenn  also 
von  den  Punkten  ri  tti  und  nicht  mehr  beliebig  gewählt  werden  können. 


204  XI.     Uebcr  das  Verschwinden  der  Theta-Funetionen. 

so  ist  die  Voraussetzung  desselben  erfüllt;  und  es  können  folglich  auch 
von  den  Punkten  e  m  und  nicht  mehr  beliebig  gewählt  werden. 

4, 
Bezeichnen  wir  die  Derivirte  von 

nach    Vy    mit    0-',,    die    zweite    Derivirte    nach    Vv    und   Vfi    mit 


0-) 

80  sind,  wenn 


l  -O-v,^,  u.  s.  f., 


identisch    für   jeden   AVerth    von   s\    und    J^    verschwindet,   sämmtHche 
Functionen  d^' [  v  {>-,)  \  gleich  Null.     In   der  That   geht   die  Gleichung 


(p 


^\v{ti^^   —   a\'^  +   Tr)   I  =0, 

wenn  s^  und  z^  unendlich  wenig  von  (5^  und  ^^  verschieden  sind,  über 
in  die  Gleichung 


^^;.  (i^  (n)  j  rf««  =  0. 


Nehmen  wir  an,  dass 

sei,  so  verwandelt  sich  diese  Gleichung  nach  Weglassung  des  Factors 


m 


^»,.  (i^(n)j<)p,.(<r„50  =  0; 


und  da  zwischen  den  Functionen  g)  keine  lineare  Gleichung  mit  con- 
stanten    Coefficienten    stattfindet,    so    folgt   hieraus,    dass    sämmtliche 

erste    Derivirten  von  d-(v^y  V2,  . »  .,  Vp)   für  v  Ooy  =  r,)    verschwinden 

1 
müssen. 

Um   den   umgekehrten   Satz   zu   beweisen,   nehmen   wir   an,   dass 

V  {ov  =  Tr)  und  v{vr=tv)  zwci  Werthsystcmc   seien,  für   welche  die 
1  1 


XI.     Ueber  das  Verschwinden  der  Theta-Functionea. 


205 


Function    d^    verschwindet,    ohne    für    v  (?;,  ==  k^^^  —  «^'^  +  r,)    und 

1 

V  (vr  =  H^^^  —  «^^^  +  fv)  identisch   zu    verschwinden,   und   bihlen   den 

1  '  ' 

Ausdruck 


(2.) 


<^  +  /. 


p 


/(i) 


+   ^.0 


Betrachten  wir  diesen  Ausdruck  als  Function  von  z^j  so  erj^iebf 
sich,  dass  er  eine  algebraische  Function  von  z^  und  zwar  eine  rationale 
Function  von  s^  und  z^  ist,  da  Nenner  und  Zähler  in  T"  stetig  sind 
und  an  den  Querschnitten  dieselben  Factoren  erlangen.  Für  z^  =  ^^ 
und  5^  =  (>i  werden  Nenner  und  Zähler  unendlich  klein  von  der  zweiten 
Ordnung,  so  dass  die  Function  endlich  bleibt;  die  übrigen  Werthe  aber, 
für  welche  Nenner  oder  Zähler  verschwinden,  sind,  wie  oben  bewiesen, 
durch  die  Werthe  der  Grössen  r  und  der  Grössen  t  völlig  bestimmt, 
also  von  J^  ganz  unabhängig.  Da  nun  eine  algebraische  Function 
durch  die  Werthe,  für  welche  sie  Null  und  unendlich  wird,  bis  auf 
einen  constanten  Factor  bestimmt  ist,  so  ist  der  Ausdruck  gleich  einer 
rationalen  von  f^  unabhängigen  Function  von  s^  und  z^,  xis^,  z^j 
multiplicirt  in  eine  Consta nte,  d.  h.  eine  von  ^^  unabhängige  Grösse. 
Da  der  Ausdruck  symmetrisch  in  Bezug  auf  die  Grössensysteme  (s^,  z^) 
und  (<?j,  Jj)  ist,  so  ist  diese  Constante  gleich  xio^j  SJ,  multiplicirt  in 
eine  auch  von  t,^  unabhängige  Grösse  A.     Setzt  man  nun 

YAx{s,z)==q{s,  z), 

so  erhält  man  für  unsern  Ausdruck  (2.)  den  Werth 

wo  ^{Sj  z)  eine  rationale  Function  von  s  und  -s  ist. 

Um  diese  zu  bestimmen,  hat  man  nur  nJHhig  ^,  =  ^j  und  a^^  =  .Sj 
werden  zu  lassen;  es  ergiebt  sich  dann 


((>(-^u  ^i))'== 


y^K    {^V(tr))(lu 


i>06 


XI.     Ueber  das  Verschwinden  der  Theta-Functionen. 


oder  nach  Ausziehung  der  Quadratwurzel  und  Wegliebung  des  Factors 


ds, 


(4-) 


9(ßi,  ^i) 


^K  (^(^V))  9^riSn^i) 


^^,  rv(tr)U,(s,,.z,) 


Man  hat  daher  aus  (8.)  und  (4.)  die  Gleichung 


(5-)        { 


Aus  dieser  Gleichung  folgt,  dass 


P 


,(1)       „(1) 


für  jeden  Werth  von  .z^  und  J^  gleich  Null  sein  muss,  wenn  die  ersten 

Derivirten  der  Function  ^{t\,V2^...j  Vp)  für  v(vr  =  r,.)  sämmtUch  ver- 
schwinden. 


5. 


Wenn 


(1-) 


m  m 

identisch,  d.  h.  für  jedwede  Werthe  von  ^  (öu,  t/a)  und  ^  (5^,,  Su),  ver- 

1      '  1 

schwindet,  so  findet  man  auf  dem  oben  angegebenen  Wege  zunächst, 
indem  man  g„,  ==  .z„c,  G,„  =  s,a  werden  lässt,  dass  die  ersten  Derivirten 
der  Function 

P     /  ?/^— 1  m  —  1  V 

-^  {v^,  %\,  .  .  .,  v^;)  für  V  iv,  =  V«!:"^   —    V<"  +  rA 

i  1  1 


XT.     Ueber  das  Verschwinden  der  Theta-Functionen.  207 

sämmtlich  verschwinden,  dami,  indem  man  ^,„_i  —  .?„,— i,  (>,„_i  —  «S»— i 
unendlich   klein  werden  liisst,  dass  für 

p  711  —  2  m  —  2 

1  1    ^  1 

auch  die  zweiten  Derivirten  sämmtlich  verschwinden;  und  offenbar  er- 
giebt  sich  allgemein,  dass  die  Derivirten  nter  Ordnung  sämmtlich  ver- 
schwinden für 

welche  Werthe  auch  die  Grossen  z  und  die  Grössen  J  haben  mögen. 
Es  folgt  hieraus,  dass  unter  der  gegenwärtigen  Voraussetzung  (1.) 

für  V  {vy  =  ?v)  die  ersten  bis  mten  Derivirten  der  Function 

1 

^(x\,  i\,,  ...,  Vp) 
sämmtlich  gleich  Null  sind. 

Um  zu  zeigen,   dass    dieser   Satz    auch    umgekehrt  gilt,   beweisen 
wir  zunächst,  dass  wenn 


Null  sind,  auch 


I  V  (»•,/)  I  säl 


d' 


identisch  verschwindet  und  die  Grössen  '9'^"'M  v(rr)  1  sämmthch  gleich 


identisch   verschwinden    muss  und  verallgemeinern    zu  diesem  Zwecke 
die  Gleichung  §.  4,  (5.). 
Wir  nehmen  an,  dass 

(2)     ,m—l  m  —  l  .\ 


identisch  verschwinde. 


/  P       .     VI  in  .    \ 

aber  nicht  identisch  verscliwinde,  behalten  in  Bezug  auf  die  Grössen  t 
die  frühere  Voraussetzuncr  bei  und  betrachten  den  Ausdruck 


2>08  XL     lieber  das  Verschwinden  der  Theta-Functionen 

P 


(^•) 


?^ 


1       1  1  /Ml  1  / 


n 


^  [  l  {uf   -  c/p  +  f .  )  )   ^  [^  («f  -  ^?'^  +  fv) 


In  diesem  Ausdrucke  sind  unter  den  Productzeichen  sowohl  für  q,  als 
für  q'  sämmtliche  Werthe  von  1  bis  m  zu  setzen,  im  Zähler  aber  die 
Fälle,  wo  Q  =  q'  würde,  wegzulassen. 

Betrachten  wir  diesen  Ausdruck  als  Function  von  ji\,  so  ergiebt 
sich,  dass  er  an  den  Querschnitten  den  Factor  1  erlangt  und  folglich 
eine  algebraische  Function  von  .e^  ist.  Für  0^  =  ^(,  und  s^  =  ö^j  wer- 
den Nenner  und  Zähler  unendlich  klein  von  der  zweiten  Ordnung,  der 
Bruch  bleibt  also  endlich*,  die  übrigen  Werthe  aber,  für  welche  Zähler 

m 
und  Nenner  verschwinden,  sind  durch  die  Grössen  |t  (5,, ,  ^„),  die  Grössen 

2      '       ' 

r  und  die  Grössen  f,  wie  oben  (§.  3.)  bewiesen,  völlig  bestimmt,  und 
folglich  von  den  Grössen  t,  ganz  unabhängig.  Da  der  Ausdruck  nun 
eine  symmetrische  Function  von  den  Grössen  z  ist,  so  gilt  dasselbe 
für  jedes  beliebige  Zu'  er  ist  eine  algebraische  Function  von  0^^,  und 
die  Werthe  dieser  Grösse,  für  welche  er  unendlich  gross  oder  unend- 
lich klein  wird,  sind  von  den  Grössen  g  unabhängig.  Er  ist  daher 
gleich  einer  von  den  Grössen  ^  unabhängigen  algebraischen  Function 
der  Grössen  ^,  x  C^i?  -i'o,  .  .  .,  .^m),  multiplicirt  in  einen  von  den  Grössen  0 
unabhängigen  Factor.  Da  er  aber  ungeändert  bleibt,  wenn  man  die 
Grössen  5^  mit  den  Grössen  ^  vertauscht,  so  ist  dieser  Factor  gleich 
Z  (Su  S27  '  '  '  y  im)y  multiplicirt  mit  einer  von  den  Grössen  ^  und  den 
Grössen  ^  unabhängigen  Constanten  Ä',  und   wir  kömien   daher,   wenn 

wir  Yä  %  (^1,  ^2)  . . .,  0m)  =  ^  ('^17  ^2  7  '  '  ')  ^nt)  sctzcu,  unsemi  Aus- 
drucke (2.)  die  Form 

geben,  wo  z/^  (.e'j,  ^fg,  .  .  .,  P^m)  eine  algebraische  von  den  Grössen  f  unab- 
hängige Function  der  Grössen  z  ist,  welche   in  Folge   ihrer  Verzwei- 

m 
gungsart  sich  rational   in  [i  (s^,  ^^t)    ausdrücken    lassen    muss.     Lässt 

1 
man  nun  die  Punkte  r]   mit   den   Punkten  s   zusammenfallen,   so   dass 
die    Grössen   t^  —  Zu    und    die    Grössen    6u  —  ^>    sämmtlich    unend- 


XL     Ueber  das  Verschwinden  der  Theta-Functionen.  209 

lieh    klein  werden,    so    ergiebt    sich,    wenn    man    die    Derivirten    von 
-O"  (^1,  v.,^  .  . .,  Vp)  wie  oben  (§.  4,  (1.))  bezeichnet, 


(±)'"<::.,...,.„(f^^'^)"«--"« 


{A.)t{z„z,,...,s,„)^+  ,_„  ,_^       ,p       . 

r/2'*'.  «•('>) ''«'" 

WO  die  Summationen  im  Zähler  sich  auf  v^^  v^,  .  .  .,  v,,,  beziehen.  Es 
ist  kaum  nöthig  zu  bemerken,  dass  die  Wahl  des  Vorzeichens  gleich- 
gültig ist,  da 'sie  auf  den  Werth  von  ip  (z^,  z^j  .  .  . ,  Zm)  t  (g^,  ?.,...,&«) 
keinen  Einfluss  hat,  und  dass  statt  der  Grössen  chi^i"\  (h&\  ...,  du^^ 
auch,  im  Zähler  und  Nenner  gleichzeitig,  die  ihnen  proportionalen 
Grössen  cpiisin,  z^i)^  9^2(^/0'^/");  •••?  ^p{^h^  ^/O  eingeführt  werden 
können. 

Aus  der  in  (2.),  (3.)   und  (4.)   enthaltenen   Gleichung,  welche  für 
den  Fall  bewiesen  ist,  dass 


gleich  Null  und 


/p  /W— 1  m— 1  V 

\1      1  1 

-(2'«*'"  -2'<'" +  '•■)) 


von  Null  verschieden  ist,  folgt,  dass 


(P  /  '"  '"  \  \ 


/p 

nicht  von  Null  verschieden  sein  kann,  wenn  die  Functionen  '^^'"^l  v(n) 
sämmtlich  gleich  Null  sind. 

Wenn  also   die  Functionen  '8'('"  +  ')(  v  (vr)  ]  sämmtlich  gleich  Null 


(v{^nr~    2'<'   +''))='^ 


sind,  so  folgt  aus  der  Gültigkeit  der  Gleichung 

für  n  =  m  ihre  Gültigkeit  für  n  =  ni  -{-  1.     Gilt  daher  die  Gleichung 
iür  n  =  0,  oder  ist  ^  I  1/  (/•, )  I  =  0,  und   verschwinden   die  ersten  bis 

Bikuakn'8  gesammelte  matbematiache  Werke.    I.  "14 


210  XI.     Ueber  das  Verschwinden  der  Theta-Fiinctionen. 

fp         \  p 

mten  Derivirten  der  Function  %•  I  v{vy)  )  für  v{vy=r^)  sämmtlich,  die 

Vi        /  1 

{m  -\-  l)ten  aber  nicht  sämmtlich,  so  gilt  die  Gleichung  auch  für  alle 
grösseren  Werthe  von  n  bis  n  =  m,  aber  nicht  für  n  =  m  -\-  1 ;  denn 

fp  /"^ti  vi^l  V  \ 

aus  -O"  (  V  (    >  u[f:'^  —      >  «(-")  +  n  )  I  =  0    würde,    wie    wir    vorher 


v(y]u^l^  —     V«J;'>  +  nj  I  =  0    würde, 
1      1  1  / 


P 
schon  gefunden  hatten,  folgen,  dass  die  Grössen  '^("*+i)  I  v  (r,,)  )    sämmt- 
lich verschwinden  müssten. 

6. 

Fassen  wir  das  eben  Bewiesene  mit  dem  Früheren  zusammen,  so 
erhalten  wir  folgendes  Resultat: 

Ist  '^  (r^,  ^2,  . . .,  Tp)  =  0,  so  lassen  sich  (j)  —  1)  Punkte  i]^^  i].^, . . .,  i]p_i 
so  bestimmen,  dass 

(»•■  ,r,,...,  »g  -  (^«(,."> ,  §«^">,  . . . ,  5«5r>  ) ; 
11  1 

und  umgekehrt. 

Wenn  ausser  der  Function  ^  (i\,  v.^,  .  .  .,  Vp)  auch  ihre  ersten  bis 
wten  Derivirten  für  v^  =  r^,  v^  =  r^,  . .  , ,  Vp  =  rp  sämmtlich  gleich 
Null,  die  {m  +1)  ten  aber  nicht  sämmtlich  gleich  Null  sind,  so  können 
m  von  diesen  Punkten  i],  ohne  dass  die  Grössen  r  sich  ändern,  beliebig 
gewählt  werden  und  dadurch  sind  die  übrigen  p  —  1  —  m  völlig 
bestimmt. 

Und  umgekehrt: 

Wenn  m  und  nicht  mehr  von  den  Punkten  7}^  ohne  dass  sich  die 
Grössen  r  ändern,  beliebig  gewählt  werden  können,  so  sind  ausser  der 
Function  ^  (v^,  v.^,  .  .  . ,  Vp)  auch  ihre  ersten  bis  mten  Derivirten  für 
t'i  =  r^,  v^  =  r^j  , , , ^  Vp  =  Tp  sämmtlich  gleich  Null,  die  (m  -f-  l)ten 
aber  nicht  sämmtlich  gleich  Null. 

Die  vollständige  Untersuchung  aller  besonderen  Fälle,  welche  bei 
dem  Verschwinden  einer  O"- Function  eintreten  können,  war  weniger 
nöthig  wegen  der  besondern  Systeme  von  gleichverzweigten  algebraischen 
Functionen,  für  welche  diese  Fälle  eintreten,  als  vielmehr  desshalb, 
weil  ohne  diese  Untersuchung  Lücken  in  dem  Beweise  der  Sätze  ent- 
stehen würden,  welche  auf  unsern  Satz  über  das  Verschwinden  einer 
'S" -Function  gegründet  werden. 


Z^veite  Abtlieihmg 


14» 


XII. 

lieber  die  Darstellbarkeit  einer  Function  durch  eine  trigono- 
metrische Reihe. 

(Aus  dem  dreizehnten  Bande  der  Abhandlungen  der  Königlichen  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  zu  Göttingen.)*) 

Der  folgende  Aufsatz  über  die  trigonometrischen  Reihen  besteht 
aus  zwei  wesentlich  verschiedenen  Theilen.  Der  erste  Theil  enthält 
eine  Geschichte  der  Untersuchungen  und  Ansichten  über  die  willkür- 
lichen (graphisch  gegebenen)  Functionen  und  ihre  Darstellbarkeit  durch 
trigonometrische  Reihen.  Bei  ihrer  Zusammenstellung  war  es  mir  ver- 
gönnt, einige  Winke  des  berühmten  Mathematikers  zu  benutzen,  wel- 
chem man  die  erste  gründliche  Arbeit  über  diesen  Gegenstand  ver- 
dankt. Im  zweiten  Theile  liefere  ich  über  die  Darstellbarkeit  einer 
Function  durch  eine  trigonometrische  Reihe  eine  Untersuchung,  welche 
auch  die  bis  jetzt  noch  unerledigten  Fälle  umfasst.  Es  war  nöthig, 
ihr  einen  kurzen  Aufsatz  über  den  Begriff  eines  bestimmten  Integrales 
und  den  Umfang  seiner  Gültigkeit  voraufzuschicken. 

Geschiclite  der  Frage  über  die  Darstellbarkeit  einer  wiUkürlich 
gegebenen  Function  durch  eine  trigonometrische  Reihe. 

1. 
Die  vonFourier  so  genannten  trigonometrischen  Reihen,  d.  h.  die 
Reihen  von  der  Form 

«1  smx  +  «2  sii^  -'^"  +  ^3  sin  3^;  -j-  •  •  • 
4"  ^0  4"  ^1  cos.t  +  &2  cos  2x  -\-  h^  cos  3^-  -j-  •  •  • 


*)  Diese  Abhandlung  ist  im  Jahre  1854  von  dem  Verfasser  behuf  seiner 
Habilitation  an  der  Universität  zu  Göttingen  der  philosophischen  Facultät  ein- 
gereicht. Wiewohl  der  Verfasser  ihre  Veröffentlichung,  wie  es  scheint,  nicht  be- 
absichtigt hat,  so  wird  doch  die  hiermit  erfolgende  Herausgabe  derselben  in  gänz- 
lich ungeänderter  Form  sowohl  durch  das  hohe  Interesse  des  Gegenstandes  an 
sich  als  durch  die  in  ihr  niedergelegte  Behandlungsweise  der  wichtigsten  Principien 
der  Infinitesimal- Analysis  wohl  hinlänglich  gerechtfertigt  erscheinen. 

Braunschweig,  im  Juli  1867.  .  R.  Dedekind. 


214  ^1^-     Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function 

spielen  in  demjenigen  Theile  der  Mathematik,  wo  ganz  willkürliche 
Functionen  vorkommen,  eine  bedeutende  Rolle;  ja,  es  lässt  sich  mit 
Grund  behaupten,  dass  die  wesentlichsten  Fortschritte  in  diesem  für  die 
Physik  so  wichtigen  Theile  der  Mathematik  von  der  klareren  Einsicht 
in  die  Natur  dieser  Reihen  abhängig  gewesen  sind.  Schon  gleich  bei 
den  ersten  mathematischen  Untersuchungen,  die  auf  die  Betrachtung 
willkürlicher  Functionen  führten,  kam  die  Frage  zur  Sprache,  ob  sich 
eine  solche  ganz  Avillkürliche  Function  durch  eine  Reihe  von  obiger 
Form  ausdrücken  lasse. 

Es  geschah  dies  in  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  bei  Ge- 
legenheit der  Untersuchungen  über  die  schwingenden  Saiten,  mit 
welchen  sich  damals  die  berühmtesten  Mathematiker  beschäftigten. 
Ihre  Ansichten  über  unsern  Gegenstand  lassen  sich  nicht  wohl  dar- 
stellen, ohne  auf  dieses  Problem  einzugehen. 

Unter  gewissen  Voraussetzungen,  die  in  der  Wirklichkeit  näherungs- 
weise zutreffen,  wird  bekanntlich  die  Form  einer  gespannten  in  einer 
Ebene  schwingenden  Saite ,  wenn  x  die  Entfernung  eines  unbestimmten 
ihrer  Punkte  von  ihrem  Anfangspunkte,  y  seine  Entfernung  aus  der 
Ruhelage  zur  Zeit  t  bedeutet,  durch  die  partielle  Differentialgleichung 

bestimmt,  wo  a  von  t  und  bei  einer  überall  gleich  dicken  Saite  von  x 
unabhängig  ist. 

Der  erste,  welcher  eine  allgemeine  Lösung  dieser  Differential- 
gleichung gab,  war  d'Alembert. 

Er  zeigte*),  dass  jede  Function  von  x  und  t,  welche  für  ^j  ge- 
setzt, die  Gleichung  zu  einer  identischen  macht,  in  der  Form 

f{x  -A-  at)  -\-  (p  {x  —  at) 
enthalten  sein  müsse,  wie  sich  dies  durch  Einführung  der  unabhängig 
veränderlichen  Grössen  ■^"  -\-  at,  x  —  at  anstatt  x,  t  ergiebt,  wodurch 

d ^JL 

d'jj  _  1   d^  .^  4  _i(^±_^o 

dx'^         cccc    dt'^  d{x —  at) 

Übergeht. 

Ausser  dieser  partiellen  Differentialgleichung,  welche  sich  aus  den 
allgemeinen  Bewegungsgesetzen  ergiebt,  muss  nun  y  noch  die  Bedin- 
gung erfüllen,  in  den  Befestigungspunkten  der  Saite  stets  =  0  zu  sein; 
man  hat  also,  wenn  in  dem  einen  dieser  Punkte  ^  =  0,  in  dem  an- 
dern X  =  1  ist. 


*)  Memoires  de  Facademie  de  Berlin.    1747.    pag.  214. 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  215 

/•(«O  =  -<p{-  at),  f{l  +  «0  =  -?'(«-  «<) 
und  folglich 

tXz)  ^-cp(-z)  =  -  q>(l  -  (l  +  z))=f{2l  +  £), 
y  =  f{at  +  x)  —  f{at  —  x) , 
Nachdem  d'Alembert  die§  für  die  allgemeine  Lösung  des  Problems 
geleistet  hatte,   beschäftigt  er  sich   in   einer  Fortsetzung*)   seiner   Ab- 
handlung   mit    der    Gleichung  f{z)=f{2l-\-z)'^    d.  h.   er    sucht    ana- 
lytische Ausdrücke,  welche  unverändert  bleiben,  wenn  z  um  21  wächst. 
Es  war  ein  wesentliches  Verdienst  Euler 's,  der  im  folgenden  Jahr- 
gange   der   Berliner    Abhandlungen**)    eine    neue    Darstellung   dieser 
d'Alembert'schen  Arbeiten  gab,  dass  er  das  Wesen  der  Bedingungen, 
welchen  die  Function  f{z)  genügen  muss,  richtiger  erkannte.     Er  be- 
merkte, dass   der  Natur  des   Problems  nach  die  Bewegung  der  Saite 
vollständig  bestimmt  sei,  wenn  für  irgend  einen  Zeitpunkt  die  Form 

der  Saite  und  die  Geschwindigkeit  jedes  Punktes  (also  y  und  ^)  ge- 
geben seien,  und  zeigte,  dass  sich,  wenn  man  diese  beiden  Functionen 
sich  durch  willkürlich  gezogene  Curven  bestimmt  denkt,  daraus  stets 
durch  eine  einfache  geometrische  Construction  die  d'Alembert'sche 
Function  f{z)  finden  lässt.     In  der  Tliat,  nimmt  man  an,  dass  für 

t  =  0,  y  =  (j{x)  und  ||  =  h{x) 
sei,  so  erhält  man  für  die  Werthe  von  x  zwischen  0  und  l 

fix)  -f{-£)=!)(x),  fix)  +  /■(-  x)  =  ^J  'h  (x)  dx 

und  folglich  die  Function  f{z)  zwischen  —  l  und  ?;  hieraus  aber  er- 
giebt  sich  ihr  Werth  für  jeden  andern  Werth  von  z  vermittelst  der 
Gleichung 

f{0)  =  f{2l  +  ,). 
Dies  ist  in  abstracten,  aber  jetzt  allgemein  geläufigen  Begriffen  dargestellt, 
die  Euler'sche  Bestimmung  der  Function  f(z). 

Gegen  diese  Ausdehnung  seiner  Methode  durch  Euler  verwahrte 
sich  indess  d'Alembert  sofort***),  weil  seine  Methode  nothwendig 
voraussetze,  dass  y  sich  in  t  und  x  analytisch  ausdrücken  lasse. 


*)  Ibid.  pag.  220. 

**)  M^moires  de  Tacademie  de  Berlin.    1748.    pag.  69. 

***)  Memoires  de  l'academie  de  Berlin.  1750.  pag.  358.  En  effet  on  ne  peut 
ce  me  serable  exprimer  //  analytiquement  d'une  maniere  plus  generale,  qu'en  la 
supposant  une  fonction  de  t  et  de  x.  Mais  dans  cette  supposition  on  ne  trouve 
la  Solution  du  probleme  que  pour  les  cas  oü  les  diff^rentes  figures  de  la  corde 
vibrante  peuvent  etre  renfermees  dans  une  seule  et  nieme  equation. 


216  XI] .     Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function 

Ehe  eine  Antwort  Euler 's  hierauf  erfolgte,  erschien  eine  dritte 
von  diesen  beiden  ganz  verschiedene  Behandlung  dieses  Gegenstandes 
von  Daniel  Bernoulli*).     Schon  vor  d'Alembert  hatte   Taylor**) 

gesehen,  dass  7^  ==  aa  ^-^  und  zugleich  y  für  x  =  0  und  für  x  =  l 
stets  gleich  0  sei,  wenn  man  y  =  sin  — j—  cos  — x —  und  hierin  für  yi 

eine  ganze  Zahl  setze.  Er  erklärte  hieraus  die  physikalische  That- 
sache,  dass  eine  Saite  ausser  ihrem  Grundtone  auch  den  Grundton 
einer  ^,  -J,  \,  -  •  -  so  langen  (übrigens  ebenso  beschaffenen)  Saite  geben 
könne,  und  hielt  seine  particuUire  Lösung  für  allgemein,  d.  h.  er 
glaubte,  die  Schwingung  der  Saite  würde  stets,  wenn  die  ganze  Zahl  n 
der  Höhe  des  Tons  gemäss  bestimmt  würde,  wenigstens  sehr  nahe 
durch  die  Gleichung  ausgedrückt.  Die  Beobachtung,  dass  eine  Saite 
ihre  verschiedenen  Töne  gleichzeitig  geben  könne,  führte  nun  Bernoulli 
zu  der  Bemerkung,  dass  die  Saite  (der  Theorie  nach)  auch  der  Gleichung 

y  =  Ea^  sm— y-  cos— ,— (r  —  p«) 

gemäss  schwingen  könne,  und  weil  sich  aus  dieser  Gleichung  alle  be- 
obachteten Modificationen  der  Erscheinung  erklären  Hessen,  so  hielt  er 
siö  für  die  allgemeinste***).  Um  diese  Ansicht  zu  stützen,  untersuchte 
er  die  Schwingungen  eines  masselosen  gespannten  Fadens,  der  in 
einzelnen  Punkten  mit  endlichen  Massen  beschwert  ist,  und  zeigte, 
dass  die  Schwingungen  desselben  stets  in  eine  der  Zahl  der  Punkte 
gleiche  Anzahl  von  solchen  Schwingungen  zerlegt  werden  kann,  deren 
jede  für  alle  Massen  gleich  lange  dauert. 

Diese  Arbeiten  Bernoulli's  veranlassten  einen  neuen  Aufsatz 
Euler' s,  welcher  unmittelbar  nach  ihnen  unter  den  Abhandlungen  der 
Berliner  Akademie  abgedruckt  istf).  Er  hält  darin  d'Alembert  gegen- 
über fest  ff),  dass  die  Function  f{s)  eine  zwischen  den  Grenzen  —  l 
und  l  ganz  willkürliche  sein  könne,  und  bemerktftf),  dass  Bernoulli's 
Lösung  (welche  er  schon  früher  als  eine  besondere  aufgestellt  hatte) 
dann  allgemein  sei  und  zwar  nur  dann  allgemein  sei,  wenn  die  Reihe 

.       XTC       .  .       2X7t       , 

a^  sin  —. — |-  «2  sm  -y — r  *  *  * 

I   ?>0  +  ^1     cos  ''^'^'  +  h^    cos  -y-  -\ 


*)  Memoires  de  Tacademie  de  Berlin.    1753.    p.  147. 
**)  Taylor  de  methodo  incrementorum. 
***)  1.  c.  p.  157.  art.  XIII. 

t)  Memoires  de  Facademie  de  Berlin.    1753.    pag.  196. 
tt)  1.  c.  pag.  214. 
ttt)  1.  c.  art.  111— X. 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  217 

für  die  Abscisse  x  die  Ordinate  einer  zwischen  den  Abscissen  0  und  l 
ganz  willkürlichen  Curve  darstellen  könne.  Nun  wurde  es  damals  von 
Niemand  bezweifelt,  dass  alle  Umformungen,  welche  man  mit  einem 
analytischen  Ausdrucke  —  er  sei  endlich  oder  unendlich  —  vornehmen 
kömie,  für  jedwede  Werthe  der  unbestimmten  Grössen  gültig  seien  oder 
doch  nur  in  ganz  speciellen  Fällen  unanwendbar  würden.  Es  schien 
daher  unmöglich,  eine  algebraische  Curve  oder  überhaupt  eine  ana- 
lytisch gegebene  nicht  periodische  Curve  durch  obigen  Ausdruck  dar- 
zustellen, und  Euler  glaubte  daher,  die  Frage  gegen  Bernoulli  ent- 
scheiden zu  müssen. 

Der  Streit  zwischen  Euler  und  d'Alembert  war  indess  noch 
immer  unerledigt.  Dies  veranlasste  einen  jungen,  damals  noch  wenig 
bekannten  Mathematiker,  Lagrange,  die  Lösung  der  Aufgabe  auf 
'^inem  ganz  neuen  Wege  zu  versuchen,  auf  welchem  er  zu  Euler's 
Resultaten  gelangte.  Er  unternahm  es*),  die  Schwingungen  eines 
masselosen  Fadens  zu  bestimmen,  welcher  mit  einer  endlichen  unbe- 
stimmten Anzahl  gleich  grosser  Massen  in  gleich  grossen  Abständen 
beschwert  ist,  und  untersuchte  dann,  wie  sich  diese  Schwingungen 
ändern,  wenn  die  Anzahl  der  Massen  in's  Unendliche  wächst.  Mit 
welcher  Gewandtheit,  mit  welchem  Aufwände  analytischer  Kunstgriffe 
er  aber  auch  den  ersten  Theil  dieser  Untersuchung  durchführte,  so 
Hess  der  Uebergang  vom  Endlichen  zum  L^nendlichen  doch  viel  zu 
wünschen  übrig,  so  dass  d'Alembert  in  einer  Schrift,  welche  er  an 
die  Spitze  seiner  opuscules  mathematiques  stellte,  fortfahren  konnte, 
seiner  Lösung  den  Ruhm  der  grössten  Allgemeinheit  zu  vindiciren. 
Die  Ansichten  der  damaligen  berühmten  Mathematiker  waren  und 
blieben  daher  in  dieser  Sache  getheilt*,  denn  auch  in  spätem  Arbeiten 
behielt  jeder  im  Wesentlichen  seinen  Standpunkt  bei. 

Um  also  schliesslich  ihre  bei  Gelegenheit  dieses  Problems  ent- 
wickelten Ansichten  über  die  willkürlichen  Functionen  und  über  die 
Darstellbarkeit  derselben  durch  eine  trigonometrische  Reihe  zusammen- 
zustellen, so  hatte  Euler  zuerst  diese  Functionen  in  die  Analysis  ein- 
geführt und,  auf  geometrische  Anschauung  gestützt,  die  Litinitesimal- 
rechnung  auf  sie  angewandt.  Lagrange**)  hielt  Euler's  Resultate 
(seine  geometrische  Construction  des  Schwingungs Verlaufs)  für  richtig; 
aber    ihm    genügte    die    Euler  sehe    geometrische    Behandlung    dieser 


*)  Miscellanea  Taurinensia.    Tom.  I.     Recherches   sur  la   natiire  et    la  pro- 
pagatiou  du  son. 

**)  Miscellanea  Taurinensia.     Tom.  11.     Pars  math.  pag.  18, 


218  XII.     Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function 

Functionen  nicht.  D'Alembert*)  dagegen  ging  auf  die  Euler 'sehe 
Auffassungsweise  der  Differentialrechnung  ein  und  beschränkte-  sich, 
die  Richtigkeit  seiner  Resultate  anzufechten,  weil  man  bei  ganz  will- 
kürlichen Functionen  nicht  wissen  könne,  ob  ihre  Differential quotienten 
stetig  seien.  Was  die  Bernoulli^sche  Lösung  betraf,  so  kamen  alle 
drei  darin  überein,  sie  nicht  für  allgemein  zu  halten;  aber  während 
d'Alembert**),  um  Bernoulli's  Lösung  für  minder  allgemein,  als 
die  seinige,  erklären  zu  können,  behaupten  musste,  dass  auch  eine 
analytisch  gegebene  periodische  Function  sich  nicht  immer  durch  eine 
trigonometrische  Reihe  darstellen  lasse,  glaubte  Lagrange***)  diese 
Möglichkeit  beweisen  zu  können. 


Fast  fünfzig  Jahre  vergingen,  ohne  dass  in  der  Frage  über  die 
analytische  Darstellbarkeit  willkürlicher  Functionen  ein  wesentlicher 
Fortschritt  gemacht  wurde.  Da  warf  eine  Bemerkung  Fourier's  ein 
neues  Licht  auf  diesen  Gegenstand;  eine  neue  Epoche  in  der  Entwicklung 
dieses  Theils  der  Mathematik  begann ,  die  sich  bald  auch  äusserlich  in 
grossartigen  Erweiterungen  der  mathematischen  Physik  kund  that. 
Fourier  bemerkte,  dass  in  der  trigonometrischen  Reihe 

.  .  (  c\  ^inx  +  «2  si^  ^^  +.  •  •  • 

1  i  ^0  ~l"  ^1  ^^^  ^  +  ^2  cos  2x  -\-  '  '  ' 
die  Coefficienten  sich  durch  die  Formeln 

7t  7t 

an  =  —  I  fix)  ^mnxdXj  hn  =  —  f  fix)  cos  nxdx 

—^7t  7t 

bestimmen  lassen.  Er  sah,  dass  diese  Bestimmungsweise  auch  an- 
wendbar bleibe,  wenn  die  Function  f{x)  ganz  willkürlich  gegeben  sei; 
er  setzte  für  fix)  eine  so  genannte  discontinuirliche  Function  (die 
Ordinate  einer  gebrochenen  Linie  für  die  Abscisse  x)  und  erhielt  so 
eine  Reihe,  welche  in  der  That  stets  den  Werth  der  Function  gab. 

Als  Fourier  in  einer  seiner  ersten  Arbeiten  über  die  Wärme, 
welche  er  der  französischen  Akademie  vorlegtet),  (21.  Dec.  1807)  zu- 
erst den  Satz  aussprach,  dass  eine  ganz  willkürlich  (graphisch)  ge- 
gebene Function  sich  durch  eine  trigonometrische  Reihe  ausdrücken  lasse, 


*)  Opuscules  mathdmatiques   p.  d'Alembert.     Tome  premier.    1761.    pag.  16. 
art.  VII -XX. 

**)  Opuscules  mathematiques.     Tome  I.     pag.  42.     art.  XXIV. 
***)  Mise.  Taur.     Tom.  III.     Pars  math.     pag.  221.     art.  XXV. 
t)  Bulletin  des  sciences  p.  la  siDc.  philomatique  Tome  I.     p.  112. 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  219 

war  diese  Behauptung  dem  greisen  Lagrange  so  unerwartet,  dass 
er  ihr  auf  das  Entschiedenste  entgegentrat.  Es  soll*)  sich  hierüber 
noch  ein  Schriftstück  im  Archiv  der  Pariser  Akademie  befinden. 
Dessenungeachtet  verweist**)  Poisson  überall,  wo  er  sich  der  trigono- 
metrischen Reihen  zur  Darstellung  willkürlicher  Functionen  bedient, 
auf  eine  Stelle  in  Lagrange^s  Arbeiten  über  die  schwingenden  Saiten, 
wo  sich  diese  Darstellungsweise  finden  soll.  Um  diese  Behauptung, 
die  sich  nur  aus  der  bekannten  Rivalität  zwischen  Fourier  und 
Poisson  erklären  lässt***),  zu  widerlegen,  sehen  wir  uns  genöthigt, 
noch  einmal  auf  die  Abhandlung  Lagrange 's  zurückzukommen;  denn 
•über  jenen  Vorgang  in  der  Akademie  findet  sich  nichts  veröff'entlicht. 

Man  findet  in  der  That  an  der  von  Poisson  citirten  Stellet)  die 
Formel : 

j,  7/  =  2/y  sin  Xit  dX  X  sin  X7t  +  2jY  sin  2X7i  dX  X  sin  2x7t 
+  2fY  sinSXjTfZXx  sinSj^jr  +  <?tc.  +  2jY  ^mnXndX  ^innxTC^ 
de  Sorte  que,  lorsque  x  =  X,  on  aura  y  =  Y,  Y  etant  Fordonnee  qui 
repond  a  l'abscisse  X" 

Diese  Formel  sieht  nun  allerdings  ganz  so  aus  wie  die  Fourier 'sehe 
Reihe,  so  dass  bei  flüchtiger  Ansicht  eine  Verwechselung  leicht  mög- 
lich ist;  aber  dieser  Schein  rührt  bloss  daher,  weil  Lagrange  das 
Zeichen  fdX  anwandte,  wo  er  heute  das  Zeichen  Z'AX  angewandt 
haben  würde.  Sie  giebt  die  Lösung  der  Aufgabe,  die  endliche  Sinus- 
reihe 

«1  sin  xit  +  (^h  sin  2x'7r  -f-  •  •  •  +  tin  sin  nx7t 

so  zu  bestimmen,  dass  sie  für  die  Werthe 

1  2  n 

n"-f~i ^    '«~+~l  ?   •  •  •  ^   ^r+  1 

von  X,  welche  Lagrange  unbestimmt  durch  X  bezeichnet,  gegebene 
Werthe  erhält.  Hätte  Lagrange  in  dieser  Formel  n  unendlich  gross 
werden  lassen,  so  wäre  er  allerdings  zu  dem  Fourier 'sehen  Resultat 
gelangt.  Wenn  man  aber  seine  Abhandlung  durchliest,  so  sieht  man, 
dass  er  weit  davon  entfernt  ist  zu  glauben,  eine  ganz  willkürliche 
Function  lasse  sich  wirklich  durch  eine  unendliche  Sinusreihe  dar- 
stellen. Er  hatte  vielmehr  die  ganze  Arbeit  gerade  unternommen,  weil 
er  glaubte,  diese  Avillkürlichen  Functionen  Hessen  sich  nicht  durch  oiue 


*)  Nach  einer  mündlichen  Mittheilung  des  Herrn  Professor  Dirichlet. 
**)  Unter  Andern  in  dem  verbreiteten  Traite  de  mecanique  Nro.  323.    p.  638. 
***)  Der  Bericht  im  bulletin  des  sciences  über  die  von  Fourier  der  Akademie 
vorgelegte  Abhandlung  ist  von  Poisson. 

f)  Mise    Taur.  Tom.  III.     Pars  math.  pag.  261. 


220  XII.     üeber  die  Darstellbarkeit  einer  Function 

Formel  ausdrücken,  und  von  der  trigonometrisclien  Reihe  glaubte  er, 
dass  sie  jede  analytisch  gegebene  periodische  Function  darstellen  könne. 
Freilich  erscheint  es  uns  jetzt  kaum  denkbar,  dass  Lag  ränge  von 
seiner  Summenformel  nicht  zur  Fouri  er 'sehen  Reihe  gelangt  sein  sollte; 
aber  dies  erklärt  sich  daraus,  dass  durch  den  Streit  zwischen  Euler 
und  d'Alembert  sich  bei  ihm  im  Voraus  eine  bestimmte  Ansicht  über 
den  einzuschlagenden  Weg  gebildet  hatte.  Er  glaubte  das  Schwingungs- 
problem für  eine  unbestimmte  endliche  Anzahl  von  Massen  erst  voll- 
ständig absolviren  zu  müssen,  bevor  er  seine  Grenzbetrachtungen  an- 
wandte. Diese  erfordern  eine  ziemlich  ausgedehnte  Untersuchung*), 
welche  unnöthig  war,  wenn  er  die  Fourier'sche  Reihe  kannte. 

Durch  Fouri  er  war  nun  zwar  die  Natur  der  trigonometrischen 
Reihen  vollkommen  richtig  erkannt**);  sie  wurden  seitdem  in  der 
mathematischen  Physik  zur  Darstellung  willkürlicher  Functionen  viel- 
fach angewandt,  und  in  jedem  einzelnen  Falle  überzeugte  man  sich 
leicht,  dass  die  Fourier'sche  Reihe  vrirklich  gegen  den  Werth  der 
Function  convergire;  aber  es  dauerte  lange,  ehe  dieser  wichtige  Satz 
allgemein  bewiesen  wurde. 

Der  Beweis,  welchen  Cauchy  in  einer  der  Pariser  Akademie  am 
27.  Febr.  1826  vorgelesenen  Abhandlung  gab***),  ist  unzureichend,  wie 
Dirichlet  gezeigt  hatf).  Cauchy  setzt  voraus,  dass,  wenn  man  in 
der  willkürlich  gegebenen  periodischen  Function  f{x)  für  x  ein  com- 
plexes  Argument  x  -{-  yi  setzt,  diese  Function  für  jeden  Werth  von  y 
endlich  sei.  Dies  findet  aber  nur  Statt,  wenn  die  Function  gleich 
einer  constanten  Grösse  ist.  Man  sieht  indess  leicht,  dass  diese  Voraus- 
setzung für  die  ferneren  Schlüsse  nicht  nothwendig  ist.  Es  reicht  hin, 
wenn  eine  Function  (p{x  -\-  yi)  vorhanden  ist,  welche  für  alle  positiven 
Werthe  von  y  endlich  ist  und  deren  reeller  Theil  für  y  =  0  der  ge- 
gebenen periodischen  Function  f(x)  gleich  wird.  Will  man  diesen 
Satz,  der  in  der  That  richtig  ist  ff),  voraussetzen,  so  führt  allerdings 
der  von  Cauchy  eingeschlagene  Weg  zum  Ziele,  wie  umgekehrt  dieser 
Satz  sich  aus  der  Fouri er'sehen  Reihe  ableiten  lässt. 


*)  Mise.  Taur.     Tom.  III.     Pars  math.     p.  251. 

**)  Bulletin  d.  sc  Tom.  I.    p.  115.     Les  coefficients  a,  d ,  a" ,  .  .  .  etant  ains-i 
determinös  etc. 

***)  Me'moires  de  l'ac.  d.  sc.  de  Paris.     Tom.  VI.     p.  603. 

t)  Grelle  Journal  für  die  Mathematik.     Bd.  lY.  p.  157  &  158. 
tt)  Der  Beweis  findet  sich  in  der  Inauguraldissertation  des  Verfassers. 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  221 


3. 


Erst  im  Januar  1829  erschien  im  Journal  von  Grelle*)  eine  Ab- 
handlung von  Dirichlet,  worin  für  Functionen,  die  durchgehends  eine 
Integration  zulassen  und  nicht  unendlich  viele  Maxima  und  Minima 
haben,  die  Frage  ihrer  Darstellbarkeit  durch  trigonometrische  Reihen 
in  aller  Strenge  entschieden  wurde. 

Die  Erkenntniss  des  zur  Lösung  dieser  Aufgabe  einzuschlagenden 
Weges  ergab  sich  ihm  aus  der  Einsicht,  dass  die  unendlichen  Reihen 
in  zwei  wesentlich  verschiedene  Klassen  zerfallen ,  je  nachdem  sie, 
wenn  man  sämmtliche  Glieder  positiv  macht,  convergent  bleiben  oder 
nicht.  In  den  ersteren  können  die  Glieder  beliebig  versetzt  werden, 
der  Werth  der  letzteren  dagegen  ist  von  der  Ordnung  der  Glieder  ab- 
hängig. In  der  That,  bezeichnet  man  in  einer  Reihe  zweiter  Klasse 
die  positiven  Glieder  der  Reihe  nach  durch 

die  negativen  durch 

—  6i,  —6,,  —  \y  .  .  ., 
so  ist  klar,  dass  sowohl  Ea,  als  Eh  unendlich  sein  müssen;  denn 
wären  beide  endlich,  so  würde  die  Reihe  auch  nach  Gleichmachung 
der  Zeichen  convergiren;  wäre  aber  eine  unendlich,  so  würde  die  Reihe 
divergiren.  Offenbar  kann  nun  die  Reihe  durch  geeignete  Anordnung 
der  Glieder  einen  beliebig  gegebenen  Werth  C  erhalten.  Denn  nimmt 
man  abwechselnd  so  lange  positive  Glieder  der  Reihe,  bis  ihr  Werth 
grösser  als  C  wird,  und  so  lange  negative,  bis  ihr  Werth  kleiner  als 
C  wird,  so  wird  die  Abweichung  von  C  nie  mehr  betragen,  als  der 
Werth  des  dem  letzten  Zeichenwechsel  voraufgehenden  Gliedes.  Da 
nun  sowohl  die  Grössen  a,  als  die  Grössen  1)  mit  wachsendem  Index 
zuletzt  unendlich  klein  werden,  so  werden  auch  die  Abweichungen 
von  C,  wenn  man  in  der  Reihe  nur  hinreichend  weit  fortgeht,  be- 
liebig klein  werden,  d.  h.  die  Reihe  wird  gegen  C  convergiren. 

Nur  auf  die  Reihen  erster  Klasse  sind  die  Gesetze  endlicher  Sum- 
men anwendbar;  nur  sie  können  wirklich  als  Inbegriff  ihrer  Glieder 
betrachtet  werden,  die  Reihen  der  zweiten  Klasse  nicht;  ein  Umstand, 
welcher  von  den  Mathematikern  des  vorigen  Jahrhunderts  übersehen 
wurde,  hauptsächlich  wohl  aus  dem  Grunde,  weil  die  Reihen,  welche 
nach  steigenden  Potenzen  einer  veränderlichen  Grösse  fortschreiten,  all- 
gemein zu  reden  (d.  h.  einzelne  Werthe  dieser  Grösse  ausgenommen), 
zur  ersten  Klasse  gehören. 


*)  Bd.  IV.     pag.  157. 


222  XII.     Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function 

Die  Foiirier'sche  Reihe  gehört  nun  offenbar  nicht  nothwendig 
zur  ersten  Klasse;  ihre  Convergenz  konnte  also  gar  nicht,  wie  Cauchy 
vergeblich*)  versucht  hatte,  aus  dem  Gesetze,  nach  welchem  die  Glie- 
der abnehmen,  abgeleitet  werden.  Es  musste  vielmehr  gezeigt  werden, 
dass  die  endliche  Reihe 

n  n 

—   /  f{a)  sin«r/«  sin.T  -j /  f{a)  sin2«r7a  sin2:r  -{-••• 

—  TT  —TT 

n 

-\ I  f{a)  ^voinaäa  sinw;^ 

7t 

71  n  7t 

~  I  /*W  (^^  ~^  n    I  f^^^  ^^^  ^^^^  cos:r  -) /  f(a)  cos  2ada  cos  2:r  -| 


2 

71 


H /  f(s^)  cosoiada  cosw.^ 


oder,  was  dasselbe  ist,  das  Integral 


.'./Vw 


' .  {x  —  a) 


.    X  —  a 
sin 


da 


-7t  2 

sich,  wenn  n  in's  Unendliche  wächst,  dem  Werthe  f(x)  unendlich  an- 
nähert. 

Dirichlet  stützt  diesen  Beweis  auf  die  beiden  Sätze: 

c 

1)  Wenn  0  <  c  <  y ,   nähert  sich    C (p  (/3)  ^^^"^y^^^  dß  mit  wach- 
sendem n  zuletzt  unendlich  dem  Werth  -^-  9^(0); 

c 

2)  wenn    0  <h  <c^~,  nähert  sich  j'cpiß)  ^^^^^~^^-  dß    mit 

/> 
wachsendem  n  zuletzt  unendlich  dem  Werth  0; 
vorausgesetzt,    dass   die  Function  g)  (ß)  zwischen    den  Grenzen  dieser 
Integrale  entweder  immer  abnimmt,  ocjer  immer  zunimmt. 

Mit  Hülfe  dieser  ^beiden  Sätze  lässt  sich,  wenn  die  Function  f 
nicht  unendlich  oft  vom  Zunehmen  zum  Abnehmen  oder  vom  Ab- 
nehmen zum  Zunehmen  übergeht,  das  Integral 


*)  Dirichlet  in  Crelle's  Journal.     Bd.   IV.   pag.     158.     Quoi  qu'il  en  soit  de 
cette  premiere  Observation,  .  .  .  ä  mesure  que  n  croit. 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  223 


hj'fi'^) 


.    2n4-  1    . 
sm -' {x  ~   a) 


.     X  —  a. 

81  n  — -^ 


offenbar  in  eine  endliche  Anzahl  von  Gliedern  zerlegen,  von  denen 
eins*)  gegen  ^f{x  +  0),  ein  »anderes  gegen  ^f(x  —  0),  die  übrigen 
aber  gegen  0  convergiren,  wenn  n  ins  Unendliche  wächst. 

Hieraus  folgt,  dass  durch  eine  trigonometrische  Reihe  jede  sich 
nach  dem  Intervall  2%  periodisch  wiederholende  Function  darstellbar 
ist,  welche 

1)  durchgehends  eine  Integration  zulässt, 

2)  nicht  unendlich  viele  Maxima  und  Minima  hat  und 

3)  wo  ihr  Werth  sich  sprungweise  ändert,  den  Mittel wertli  zwi- 
schen den  beiderseitigen  Grenzwerthen  annimmt. 

Eine  Function,  welche  die  ersten  beiden  Eigenschaften  hat,  die 
dritte  aber  nicht,  kann  durch  eine  trigonometrische  Reihe  offenbar 
nicht  dargestellt  werden;  denn  die  trigonometrische  Reihe,  die  sie 
ausser  den  ün Stetigkeiten  darstellt,  würde  in  den  Unstetigkeitspunkten 
selbst  von  ihr  abweichen.  Ob  und  wann  aber  eine  Function,  welche 
die  ersten  beiden  Bedingungen  nicht  erfüllt,  durch  eine  trigonometrische 
Reihe  darstellbar   sei,   bleibt  durch  diese  Untersuchung  unentschieden. 

Durch  diese  Arbeit  Dirichlet's  ward  einer  grossen  Menge  wich- 
tiger analytischer  Untersuchungen  eine  feste  Grundlage  gegeben.  Es 
war  ihm  gelungen,  indem  er  den  Punkt,  wo  Euler  irrte,  in  volles 
Licht  brachte,  eine  Frage  zu  erledigen,  die  so  viele  ausgezeichnete 
Mathematiker  seit  mehr  als  siebzig  Jahren  (seit  dem  Jahre  1753)  be- 
schäftigt hatte.  In  der  That  für  alle  Fälle  der  Natur,  um  welche  es 
sich  allein  handelte,  war  sie  vollkommen  erledigt;  denn  so  gross  auch 
unsere  Unwissenheit  darüber  ist,  wie  sich  die  Kräfte  und  Zustände  der 
Materie  nach  Ort  und  Zeit  im  Unendlichkleinen  ändern,  so  können 
wir  doch  sicher  annehmen,  dass  die  Functionen,  auf  welche  sich  die 
Dirichlet'sche  Untersuchung  nicht  erstreckt,  in  der  Natur  nicht  vor- 
kommen. 

Dessenungeachtet  scheinen  diese  vonDirichlet  unerledigten  Fälle 
aus  einem  zweifachen  Grunde  Beachtung  zu  verdienen. 


*)  Es  ist  nicht  schwer  zu  beweisen,  dass  der  Werth  einer  Function  /",  welche 
nicht  unendlich  viele  Maxima  und  Minima  hat,  stets,  sowohl  wenn  der  Argument- 
werth  abnehmend,  als  wenn  er  zunehmend  gleich  .r  wird,  entweder  festen  Grenz- 
werthen f{x  -}-  0)  und  f{x  —  0)  (nach  Dirichlet's  Bezeichnung  in  Dove's  Reper- 
torium  der  Physik.  Bd.  1.  pag.  170)  sich  nähern,  oder  unendlich  gross  werden 
müsse. 


224  XII.     Ueber  die  Daratellbarkeit  einer  Futiction 

Erstlich  steht ^  wie  Dirichlet  selbst  am  Schlüsse  seiner  Abhand- 
lung bemerkt,  dieser  Gegenstand  mit  den  Principien  der  Infinitesimal- 
rechnung in  der  engsten  Verbindung  und  kann  dazu  dienen,  diese 
Principien  zu  grösserer  Klarheit  und  Bestimmtheit  zu  bringen.  In 
dieser  Beziehung  hat  die  Behandlung  desselben  ein  unmittelbares 
Interesse. 

Zweitens  aber  ist  die  Anwendbarkeit  der  Fourier 'sehen  Reihen 
nicht  auf  physikalische  Untersuchungen  beschränkt;  sie  ist  jetzt  auch 
in  einem  Gebiete  der  reinen  Mathematik,  der  Zahlentheorie,  mit  Er- 
folg angewandt,  und  hier  scheinen  gerade  diejenigen  Functionen, 
deren  Darstellbarkeit  durch  eine  trigonometrische  Reihe  Dirichlet 
nicht  untersucht  hat,  von  Wichtigkeit  zu  sein. 

Am  Schlüsse  seiner  Abhandlung  verspricht  freihch  Dirichlet, 
später  auf  diese  Fälle  zurückzukommen,  aber  dieses  Versprechen  ist 
bis  jetzt  unerfüllt  geblieben.  Auch  die  Arbeiten  von  Dirksen  und 
Bessel  über  die  Cosinus-  und  Sinusreihen  leisten  diese  Ergänzung 
nicht;  sie  stehen  vielmehr  der  Dirichlet'schen  an  Strenge  und  All- 
gemeinheit nach.  Der  mit  ihr  fast  ganz  gleichzeitige  Aufsatz  Dirks en's*) 
welcher  offenbar  ohne  Kenntniss  derselben  geschrieben  ist,  schlägt 
zwar  im  Allgemeinen  einen  richtigen  Weg  ein,  enthält  aber  im  Ein- 
zelnen einige  Ungenauigkeiten.  Denn  abgesehen  davon,  dass  er  in 
einem  speciellen  Falle**)  für  die  Summe  der  Reihe  ein  falsches  Re- 
sultat findet,  stützt  er  sich  in  einer  Nebenbetrachtung  auf  eine  nur  in 
besoiideren  Fällen  mögliche  Reihenentwicklung***),  so  dass  sein  Be- 
weis nur  für  Functionen  mit  überall  endlichen  ersten  Differential- 
quotienten vollständig  ist.  Besself)  sucht  den  Dirichlet'schen  Be- 
weis zu  vereinfachen.  Aber  die  Aenderungen  in  diesem  Beweise  ge- 
währen keine  wesentliche  Vereinfachung  in  den  Schlüssen,  sondern 
dienen  höchstens  dazu ,  ihn  in  geläufigere  Begriffe  zu  kleiden ,  während 
seine  Strenge  und  Allgemeinheit  beträchtlich  darunter  leidet. 

Die  Frage  über  die  Darstellbarkeit  einer  Function  durch  eine  tri- 
gonometrische Reihe  ist  also  bis  jetzt  nur  unter  den  beiden  Voraus- 
setzungen entschieden,  dass  die  Function  durchgehends  eine  Integration 
zulässt  und  nicht  unendlich  viele  Maxima  und  Minima  hat.  Wenn  die 
letztere  Voraussetzung  nicht  gemacht  wird,  so  sind  die  beiden  Integral- 
theoreme Dirichlet's  zur  Entscheidung  der  Frage  unzulänglich;  wenn 
aber  die  erstere  wegfallt,   so  ist  schon  die  Fourier'sche  Coefficienten- 

*)  Crelle's  Journal.     Bd.  IV.  p.  170. 
**)  1.  c.  Formel  22. 
***)  1.  c.  Art.  3. 

t)  Schumacher.     Astronomische  Nachrichten.     Nro.  374  (Bd.  16.    p.  229). 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  225 

bestimmung  nicht  anwendbar.  Der  im  Folgenden,  wo  diese  Frage 
ohne  besondere  Voraussetzungen  über  die  Natur  der  Function  unter- 
sucht werden  soll,  eingeschlagene  Weg  ist  hierdurch,  wie  man  sehen 
wird,  bedingt;  ein  so  directer  Weg,  wie  der  Dirichlet's,  ist  der  Natur 
der  Sache  nach  nicht  mJiglich.  , 


Ueber  den  Begriff  eines  bestimmten  Integrals  und  den  Umfang 

seiner  Gültigkeit. 

4. 

Die  Unbestimmtheit,  welche  noch  in  einigen  Fundamentalpunkten 
der  Lehre  von  den  bestimmten  Integralen  herrscht,  nöthigt  uns. 
Einiges  voraufzuschicken  über  den  Begriff  eines  bestimmten  Integrals 
und  den  Umfang  seiner  (nlltigkeit. 

Also  zuerst:    Was  hat  man  unter    /  f(.r^  de  zu  verstehen? 


Jm 


Um  dieses  festzusetzen,  nehmen  wir  zwischen  a  und  h  der  Grösse 
nach  auf  einander  folgend,  eine  Reihe  von  W^erthen  a^^,  x.^,  ...,  Xn—i 
an  und  bezeichnen  der  Kürze  wegen  x^  —  a  durch  d^ ,  x.^  -^  x^  durch 
d\j,  .  .  .,  7>  —  x,i~i  durch  8,^  und  durch  £  einen  positiven  ächten  Bruch. 
Es  wird  alsdann  der  Werth  der  Summe 

S  =  ö,  f(a  +  e,  Ö,)  +  d,  t\x,  +  8,  ^,)  +  8,  t\x,  +  e,  ö,)  +  •  •  • 

+   Ö,i  f  {Xn-l   +   £«  (5«) 

von  der  Wahl  der  Intervalle  8  und  der  Grössen  £  abhängen.  Hat  sie 
nun  die  Eigenschaft,  wie  auch  8  und  e  gewählt  werden  mögen,  sich 
einer  festen  Grenze  A  unendlich  zu  nähern,   sobald   sämmtliche  8  un- 


endlich klein  werden,  so  lieisst  dieser  Werth 


j '/••.'■)  <i'- 


Hat  sie  diese  Eigenschaft  nicht,  so  hat    /  /(./•)  dx    keine    l^eden- 

a 

tung.  Man  hat  jedoch  in  mehreren  Fällen  versucht,  dieseui  Zeichen 
auch  dann  eine  Bedeutung  beizulegen,  und  unter  diesen  Erweiterungen 
des  Begriffs  eines  bestimmten  Integrals  ist  eine  von  allen  Mathema- 
tikern angenommen.  Wenn  nämlich  die  Function  f  {x)  bei  Annäherung 
des  Arguments  an  einen  einzelnen  Werth  c  in  dem  Intervalle  («,  li) 
unendlich  gross  wird,  so  kann  olfenbar  die  Summe  6',  welchen  Grad 
von  Kleinheit  man   auch   den  8  vorschreiben  möge,  jeden  beliebigen 

Bt£MANN's  geKuniiiioIte  inatheiiiatisclit'  Werke.     I.  15 


226  XII.     Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function 

Werth  erhalten;  sie  hat  also  keinen  Grenz wertli^  und    j  f(x)dx  würde 

a 

nach  dem  Obigen  keine  Bedeutung  haben.     Wenn  aber  alsdann 
j'fQ,^dx+J'f{x)dx 

a  c  -f-  a.2 

sich,   wenn   «j    und    cc.^   unendlich    klein    werden,    einer    festen    Grenze 
nähert,  so  versteht  man  unter    /  f(x)  clx  diesen  GreuzAverth. 


J  fi^) 


Andere  Festsetzungen  von  Cauchy  über  den  Begriff  des  bestimm- 
ten Integrales  in  den  Fällen,  wo  es  dem  Grundbegriffe  nach  ein  sol- 
ches nicht  giebt,  mögen  für  einzelne  Klassen  von  Untersuchungen 
zweckmässig  sein;  sie  sind  indess  nicht  allgemein  eingeführt  und  dazu, 
schon  wegen  ihrer  grossen  Willkürlichkeit,  wohl  kaum  geeignet. 


Untersuchen  wir  jetzt  zweitens  den  Umfang  der  Gültigkeit  dieses 
Begriffs  oder  die  Frage:  in  welchen  Fällen  lässt  eine  Function  eine 
Integration  zu  und  in  welchen  nicht? 

Wir  betrachten  zunächst  den  Integralbegriff*  im  engern  Sinne, 
d.  h.  wir  setzen  voraus,  dass  die  Summe  /S,  wenn  sämmtliche  d  un- 
endlich klein  werden,  convergirt.  Bezeichnen  wir  also  die  grösste 
Schwankung  der  Function  zwischen  a  und  x^^  d.  h.  den  Unterschied 
ihres  grössten  und  kleinsten  Werthes  in  diesem  Intervalle,  durch  Dj, 
zwischen  Xj^  und  X2  durch  D2  .  .  .  . ,  zwischen  Xn~i  und  h  durch  D„, 
so  muss 

mit  den  Grössen  ö  unendlich  klein  werden.  Wir  nehmen  ferner  an, 
dass,  so  lange  sämmtliche  d  kleiner  als  d  bleiben,  der  grösste  Werth, 
den  diese  Summe  erhalten  kann,  A  sei;  A  wird  alsdann  eine  Function 
von  d  sein,  welche  mit  d  immer  abnimmt  und  mit  dieser  Grösse  un- 
endlich klein  wird.  Ist  nun  die  Gesammtgrösse  der  Intervalle,  in 
welchen  die  Schwankungen  grösser  als  6  sind,  ==  s,  so  wird  der  Bei- 
trag dieser  Intervalle  zur  Summe  ö^D^  -\-  ö^J).^  -\-  '  '  '  ~{-  ^nJhi  offen- 
bar >  (75.     Man  hat  daher 

^s  <  djA  +  62A  H \-  8„T)n  5  A,  folglich  5  ^  -^- . 

kami  nun,  wenn  6  gegeben  ist,  immer   durch  geeignete  Wahl  von 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  227 

d  beliebig  klein  gemacht  werden;  dasselbe  gilt  daher  von  8,  und  es 
ergiebt  sich  also: 

Damit  die  Summe  /S',  wenn  sämmtliche  ö  unendlich  klein  werden, 
convergirt,  ist  ausser  der  Endlichkeit  der  Function  f{:r)  noch  erfor- 
derlich, dass  die  Gesammtgrösse  der  Intervalle,  in  welchen  die 
Schwankungen  >  ö  sind,  was  auch  (5  sei,  durch  geeignete  Wahl  von 
d  beliebig  klein  gemacht  werden  kann. 

Dieser  Satz  lässt  sich  auch  umkehren: 

Wenn  die  Function  f{x)  immer  endlich  ist,  und  bei  unendlichem 
Abnehmen  sämmtlicher  Grössen  8  die  Gesammtgrösse  s  der  Intervalle, 
in  welchen  die  Schwankungen  der  Function  fix)  grösser,  als  eine  ge- 
gebene Grösse  (?,  sind,  stets  zuletzt  unendlich  klein  wird,  so  conver- 
ffirt  die  Summe  S,  wenn  sämmtliche  Ö  unendlich  klein  werden. 

Denn  diejenigen  Intervalle,  in  welchen  die  Schwankungen  >  a 
sind,  liefern  zur  Summe  ö^]\  +  d\,/>2  +  •  •  •  +  ^nThi  einen  Beitrag, 
kleiner  als  5,  multiplicirt  in  die  grösste  Schwankung  der  Function 
zwischen  a  und  h,  welche  (n.  V.)  endlich  ist;  die  übrigen  Intervalle 
einen  Beitrag  <  (7  (Z>  —  a).  Offenbar  kann  man  nun  erst  6  beliebig 
klein  annehmen  und  dann  immer  noch  die  Grösse  der  Intervalle  (n.  V.) 
80  bestimmen,  dass  auch  s  beliebig  klein  wird,  wodurch  der  Summe 
(3,7),  +  •  •  •  +  8nT>n  jede  beliebige  Kleinheit  gegeben,  und  folglich  der 
AVorth  der  Summe  S  in  beliebig  enge  Grenzen  eingeschlossen  wer- 
den kann. 

Wir  haben  also  Bedingungen  gefunden,  welche  nothwendig  und 
hinreichend  sind,  damit  die  Summe  S  bei  unendlichem  Abnehmen  der 
Grössen  ö  convergire  und  also  im  engern  Sinne  von  einem  Integrale 
der  Function  f{x)  zwischen  a  und  h  die  Rede  sein  könne. 

Wird  nun  der  Integralbegriff  wie  oben  erweitert,  so  ist  oftenbar, 
damit  die  Integration  durchgehends  möglich  sei,  die  letzte  der  beiden 
gefundenen  Bedingungen  auch  dann  noch  nothwendig;  an  die  Stelle 
der  Bedingung,  dass  die  Function  immer  endlich  sei,  aber  tritt  die 
Bedingung,  dass  die  Function  nur  bei  Annäherung  des  Arguments  an 
einzelne  Werthe  unendlich  werde,  und  dass  sich  ein  bestimmter 
Grenzwerth  ergebe,  wenn  die  Grenzen  der  Integration  diesen  Werthen 
unendlich  genähert  werden. 

0. 

Nachdem  wir  die  Bedingungen  für  die  Möglichkeit  eines  bestimm- 
ten Integrals  im  Allgemeinen,  d.  h.  ohne  besondere  Voraussetzungen 
über  die  Natur  der  zu  integrirenden  Function,  untersucht  haben,  soll 
nun  diese  Untersuchung  in  besonderen  Fällen  theils  angewandt,  theils 

16* 


228  ^TI-     Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function 

weiter  ausgeführt  werden,  und  zwar  zunächst  für  die  Functionen, 
welche  zwischen  je  zwei  noch  so  engen  Grenzen  unendlich  oft  un- 
stetig sind. 

Da  diese  Functionen  noch  nirgends  betrachtet  sind,  wird  es  gut 
sein,  von  einem  bestimmten  Beispiele  auszugehen.  Man  bezeichne  der 
Kürze  wiegen  durch  (x)  den  Ueberschuss  von  r?^  über  die  nächste  ganze 
Zahl,  oder,  wenn  ./■  zwischen  zweien  in  der  Mitte  liegt  und  diese  Be- 
stimmung zweideutig  wird,  den  Mittelwerth  aus  den  beiden  Werth(Mi 
-J  und  —  -^,  also  die  Null,  ferner  durch  n  eine  ganze,  durch  j)  eine 
ungerade  Zahl  und  bilde  alsdann  die  Reihe 

l,CO 

so  convergirt,  wie  leicht  zu  sehen,  diese  Reihe  für  jeden  Werth  von  X] 
ihr  Werth  nähert  sich,  sowohl,  wenn  der  Argumentwerth  stetig  al)- 
nehmend,   als   wenn   er   stetig   zunehmend   gleich  x  wird,   stets   einem 

festen  Grenzwerth,  und  zwar  ist,  wenn  x  =  ~-  (wo  Py  n  relative  Prim- 
zahlen) 

f(.  +  0)  =  fU)  _  -L  (1  +  1  +  ^,  +  . . .)  =  m  -  '^^ 

/■(x  -  0) = a.)  +  ^^  (1  +  -t  +  ,v.  +  •■•)= /■(•'■)  +  ^, 

sonst  aber  überall  f(x  +  0)  =  f(x),  f(x  —  0)  =  f{x). 

Diese  Function  ist  also  für  jeden  rationalen  Werth  von  x,  der  in 
den  kleinsten  Zahlen  ausgedrückt  ein  Bruch  mit  geradem  Nenner  ist, 
unstetig,  also  zwischen  je  zwei  noch  so  engen  Grenzen  unendlich  oft, 
so  jedoch,  dass  die  Zahl  der  Sprünge,  welche  grösser  als  eine  ge- 
gebene Grösse  sind,  immer  endlich  ist.  Sie  lässt  durchgehends  eine 
Integration  zu.  In  der  That  genügen  hierzu  neben  ihrer  Endlichkeit 
die  beiden  Eigenschaften,  dass  sie  für  jeden  Werth  von  x  beiderseits 
einen  Grenzwerth  f(x  -\-  0)  und  f(x  —  0)  hat,  und  dass  die  Zahl  der 
Sprünge,  welche  grösser  oder  gleich  einer  gegebenen  Grösse  a  sind, 
stets  endlich  ist.  Denn  wenden  wir  unsere  obige  Untersuchung  an, 
so  lässt  sich  offenbar  in  Folge  dieser  beiden  Umstände  d  stets  so  klein 
annehmen,  dass  in  sä'mmtlichen  Intervallen,  welche  diese  Sprünge  nicht 
enthalten,  die  Schwankungen  kleiner  als  ö  sind,  und  dass*  die  Ge- 
sammtgrösse  der  Intervalle,  welche  diese  Sprünge  enthalten,  beliebig 
klein  wird. 

Es  verdient  bemerkt  zu  werden,  dass  die  Functionen,  welche  nicht 
unendlich  viele  Maxima  und  Minima  haben  (zu  welchen  übrigens  die 
eben  betrachtete  nicht  gehört),  wo  sie   nicht  unendlich   werden,   stets 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  229 

diese  beiden  Eigenschaften  besitzen  und  daher  allenthalben,  wo  sie 
nicht  unendlich  werden,  eine  Integration  zulassen,  wie  sich  auch  leicht 
direct  zeigen  lässt. 

Um  jetzt  den  Fall,  wo  die  zu  integrirende  Function  f(x)  für  einen 
einzelnen  Werth  unendlich  gross  wird,  näher  in  Betracht  zu  ziehen, 
nehmen  wir  an,  dass  dies  für  x  =  0  stattfinde,  so  dass  bei  abnehmen- 
dem positiven  x  ihr  Werth  zuletzt  über  jede  gegebene  Grenze  wächst. 

Es  lässt  sich  dann  leicht  zeigen,  dass  xf{x)  bei  abnehmendem  x 
von  einer  endlichen  Grenze  a  an,  nicht  fortwährend  grösser  als  eine 
endliche  Grösse  c  bleiben  könne.     Denn  dann  wäre 

a  a 

(IX 


I  fix)  (Ix  >  c  I  ~ 


X 


also   grösser   als  c  (log  —  —  log  —\ ,  welche  Grösse  mit  abnehmendem 

X  zuletzt  in's  Unendliche  wächst.  Es  muss  also  xf{x)y  wenn  diese 
Function  nicht  in  der  Nähe  von  x  =  0  unendlich  viele  Maxima  und 
^Minima  hat,  nothwendig  mit  x  unendlich  klein  werden,  damit  f(x) 
einer  Integration  fähioj  sein  könne.     Wenn  andererseits 

f(^\  ^a    _    f(^)dx{l-Ci) 

jyx)x    —         a{xi-") 

bei  einem  Werth  von  «  <  1  mit  x  unendlich  klein  wird,   so   ist  klar, 

dass  das  Integral  bei  unendlichem  Abnehmen  der  unteren  Grenze  con- 

vergirt. 

Ebenso  findet  man,   dass   im  Falle   der  Convergenz  des  Integrals 

die  Functionen 

../  N    1       1            f{x)dx         /./  \     1       1    1       1        1  f(x)dx 

fU)x\og-  =  —^^ ~,  f{x)x\og-  log  log  -^  =         -  -— -  . . ., 

—  6^  log  log-                                                                                  —  dl0gl0gl0g- 
/./  \      1        1    1        1         l            1      „    1    1   1      «    1               f'{x)dx 
/  (x)  X  log  ^  log  log  -  •  •  •  log«-^  -  log"  -  = - 

-.nog^+^i 

nicht  bei  abnehmendem  x  von  einer  endlichen  Grenze  an  fortwährend 
grösser  als  eine  endliche  Grösse  bleiben  können,  und  also,  wenn  sie 
nicht  unendlich  viele  Maxima  und  Minima  haben,  mit  x  unendlich 
klein  werden  müssen;  dass  dagegen  das  Integral  ff(x)  dx  bei  un- 
endlichem Abnehmen  der  unteren  Grenze  convergire,  sobald 

A«)...«i.-..r-.i(..ri)--^aijii^t 

für  «  >  1  mit  X  unendlich  klein  wird. 


230  ^^I-     Uebcr  die  Darstellbarkeit  einer  Function 

Hat  aber  die  Function  f{x)  unendlich  viele  Maxima  und  Minima, 
so  lässt  sich  über  die  Ordnung  ihres  Unendlichwerdens  nichts  bestim- 
men. In  der  That,  nehmen  wir  an,  die  Function  sei  ihrem  absoluten 
AVerthe  nach,  wovon  die  Ordnung  des  Unendlichwerdens  allein  ab- 
hängt, gegeben,  so  wird  man  immer  durch  geeignete  Bestimmung  des 
Zeichens  bewirken  können,  dass  das  Integral  ff\x)  dx  bei  unendlichem 
Abnehmen  der  unteren  Grenze  convergire.  Als  Beispiel  einer  solchen 
Function,  welche  unendlich  wird  und  zwar  so,  dass  ihre  Ordnung  (die 

Ordnung  von  ^    als  Einheit  genommen)    unendlich    gross  ist,  mag  die 


Function 


ixQ,o^e^\ 


1 

=  COS  G    -\ e    sm  e 

I  /VI 


dx  ^     X 

dienen. 

Das  möge  über  diesen  im  Grunde  in  ein  anderes  Gebiet  gehörigen 
Gegenstand  genügen;  wir  gehen  jetzt  an  unsere  eigentliche  Aufgabe, 
eine  allgemeine  Untersuchung  über  die  Darstellbarkeit  einer  Function 
durch  eine  trio^onometrische  Reihe. 


Untersuchung  der  Darstellbarkeit   einer  Function   durch   eine  trigo- 
nometrische Reihe  ohne  besondere  Voraussetzungen  über  die  Natur 

der  Function. 

7. 

Die  bisherigen  Arbeiten  über  diesen  Gegenstand  hatten  den  Zweck, 
die  Fourier'sche  Reihe  für  die  in  der  Natur  vorkommenden  Fälle  zu 
beweisen;  es  konnte  daher  der  Beweis  für  eine  ganz  willkürlich  ange- 
nommene Function  begonnen,  und  später  der  Gang  der  Function  behuf 
des  Beweises  willkürlichen  Beschränkungen  unterworfen  werden,  wenn 
sie  nur  jenen  Zweck  nicht  beeinträchtigten.  Für  unsern  Zweck  darf 
derselbe  nur  den  zur  Darstellbarkeit  der  Function  nothwendigen  Be- 
dingungen unterworfen  werden;  es  müssen  daher  zunächst  zur  Dar- 
stellbarkeit nothwendige  Bedingungen  aufgesucht  und  aus  diesen  dann 
zur  Darstellbarkeit  hinreichende  ausgewählt  werden.  Während  also 
die  bisherigen  Arbeiten  zeigten:  wenn  eine  Function  diese  und  jene 
Eigenschaften  hat,  so  ist  sie  durch  die  Fourier^sche  Reihe  darstell- 
bar; müssen  wir  von  der  umgekehrten  Frage  ausgehen:  Wenn  eine 
Function  durch  eine  trigonometrische  Reihe  darstellbar  ist,  was  folgt 
daraus  über  ihren  Gang,  über  die  Aenderung  ihres  Werthes  bei  stetiger 
Aenderung  des  Arguments? 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  231 

Demnach  betrachten  wir  die  Reihe 

a^  sin  X  +  a.^  sin  2^  +  *  *  * 
ih^  -\-  hl  cos  X  -^  1)2  cos  2x  +  •  •  • 
oder,  wenn  wir  der  Kürze  wegen 
^  ?>^  =  Aqj  a^  sin^;  +  hi  cos  x  =f=  A^^  a.^  sin  2x  +  h^  cos  2x  ==  Ä^, . . . 

setzen,  die  Reihe 

A,  +  A,  +  A,  +  --- 

als  gegeben.  Wir  bezeichnen  diesen  Ausdruck  durch  il  und  seinen 
Werth  durch  fix)^  so  dass  diese  Function  nur  für  diejenigen  Werthe 
von  x  vorhanden  ist,  wo  die  Reihe  convergirt. 

Zur  Convergenz  einer  Reihe  ist  nothwendig,  dass  ihre  Glieder  zu- 
letzt unendlich  klein  werden.  Wenn  die  Coefficienten  a«,  &„  mit 
wachsendem  n  in's  Unendliche  abnehmen,  so  werden  die  Glieder  der 
Reihe  5i  für  jeden  Werth  von  x  zuletzt  unendlich  klein;  andernfalls 
kann  dies  nur  für  besondere  Werthe  von  x  stattfinden.  Es  ist  nöthig, 
beide  Fälle  getrennt  zu  behandeln. 

8. 

Wir  setzen   also   zunächst  voraus,  dass   die  Glieder  der  Reihe  ^ 
für  jeden  Werth  von  x  zuletzt  unendlich  klein  werden. 
Unter  dieser  Voraussetzung  convergirt  die  Reihe 

C  +  6"  X  +  A,  f  -  ^,  -  4^-  -  -^i . . .  =  F  {x) , 

welche  man  aus  ^  durch  zweimalige  Integration  jedes  (TÜedes  nach  x 
erhält,  für  jeden  Werth  von  x.  Ihr  Werth  F{x)  ändert  sich  mit  x 
stetig,  und  diese  Function  F  von  x  lässt  folglich  allenthalben  eine 
Integration  zu. 

Um  Beides  —  die  Convergenz  der  Reihe  und  die  Stetigkeit  der 
Fimction  Fix)  —  einzusehen,  bezeichne   man  die  Summe  der  Glieder 

bis  —  ^-^  einschliesslich  durch  N,  den  Rest  der  Reihe,  d.  h.  die  Reihe 

__       An-\-l Än-{-2      

diircii  11  und  den  grössten  Werth  von  Ä,a  für  m  >  n  durch  e.  Als- 
dann bleibt  der  Werth  von  1\,  wie  weit  man  diese  Reihe  fortsetzen 
möge,  offenbar  abgesehen  vom  Zeichen 

<  ^  \{n  -f  1)^  +  (n  +  2)*-^  "^  )  ^  "^ 

und  kann  also  in  beliebig  kleine  Grenzen  eingeschlossen  werden,  wenn 
man  ri  nur  hinreichend  gross  annimmt;  folglich  convergirt  die  Reihe. 


232  ^11.     Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function 

Ferner  ist  die  Function  F{x)  stetig;  d.  h.  ihrer  Aenderung  kann  jede 
Kleinheit  gegeben  werden^  wenn  man  der  entsprechenden  Aenderung 
von  X  eine  hinreichende  Kleinheit  vorschreibt.  Denn  die  Aenderung 
von  F{x)  setzt  sich  zusammen  aus  der  Aenderung  von  11  und  von  iV; 
offenbar  kann  man  nun  erst  n  so  gross  annehmen,  dass  l{j  was  auch 
X  sei,  und  folglich  auch  die  Aenderung  von  U  für  jede  Aenderung 
von  X  beliebig  klein  wird,  und  dann  die  Aenderung  von  x  so  klein 
annehmen,  dass  auch  die  Aenderung  von  N  beliebig  klein  wird. 

Es  wird  gut  sein,  einige  Sätze  über  diese  Function  F{oi^y  deren 
Beweise  den  Faden  der  Untersuchung  unterbrechen  würden,  vorauf- 
zuschicken. 

Lehrsatz  1.     Falls  die  Reihe  Sl  convergirt,  convergirt 
F{x  4-  «  -f  (3)  —  F{x  -\.  a  —  ß)~  F(x  -  «  -f-  ß)  -f-  F(x  -  g  -  ß) 

4.aß 

wenn  a  und  ß  so  unendlich  klein  werden,  dass  ihr  Verhältniss  endlich 
bleibt,  gegen  denselben  Werth,  wie  die  Reihe. 
In  der  That  wird 

F{x  ^  a-\-  ß)  -  F(x  -{-  K  —  ß)  —  F{x  —  a -\-  ß)  +  F {x  —  a  —  ß) 


4«ß 

■Ä, 

,      ^    sin  n;  sin  ß 

+  Ä, 

sin  2 
2« 

a  1 

äin2|3 
2(3 

+  ^l3- 

in3( 

X  sin3^    . 

3« 

3ß        ' 

oder. 

um 

den  einfacheren 

Fall, 

WO 

ß 

=  «, 

zuerst 

ZU 

erledigen, 

Fix-i- 

•2«) 

-2F{x)-\-Fix- 

-2  a)  _ 

=  A. 

4 

-  A.  1 

^sin  a\  2 

4-  . 

A,  {^^  + 

4o:o:  "     '         ^  \^    «    y      '         ^  \    2k    J      ' 

Ist  die  unendliche  Reihe 

A,  +  A,  +  A,  +  -.-=fix), 
die  Reihe 

A  +  A-\ h  -^^«-1  =  /'W  +  ^ri, 

so  muss  sich  für  eine  beliebig  gegebene  Grösse  ö  ein  Werth  m  von  n 
angeben  lassen,  so  dass,  wenn  n^  m,  f „  <  d  wird.  Nehmen  wir  nun 
«  so  klein  an,  dass  ma  <.%,  setzen  wir  ferner  mittelst  der  Substitution 

1,   OO 

und  theilen  wir  diese  letztere  unendliche  Reihe  in  drei  Theile,  indem  wir 

1)  die  Glieder  vom  Index  1  bis  m  einschliesslich, 

2)  vom    Index  m  -\-  1   bis  zur  grössten   unter  —  liegenden  ganzen 
Zahl,  welche  s  sei, 

3)  von  s  +  1  ^is  unendlich; 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  ^33 

zusammenfassen,  so  besteht  der  erste  Theil  aus  einer  endlichen  Anzahl 
stetisx  sich  ändernder  (llieder  und  kann  daher  seinem  Grenzwerth  0 
beliebig  genilhe\t  werden,  wenn  man  «  hinreichend  klein  werden  lässt; 
der  zweite  Theil  ist,  da  der  Factor  von  £n  beständig  ])Ositiv  ist,  oö'en- 
bar  abgesehen  vom  Zeichen 

^    (  /siri''"^\'^  /sin.Sfv\-' 

|\ma/  \    sa    ) 

um  endlich  den  dritten  Theil  in  Grenzen  einzuschliessen,  zerlege  man 
das  allijfemeine  Glied  in 


und 


(  /sin  (n  —  1)  a-y^         /«in  (n  —  1)  a\^| 
'^  \  [-(n^-ija    )    ~  \  na  )  j 


{   /vsin(H  —  l)of\2  /sin«fv\2l    


sin  (2n  —  1)«  «in  cc 


{na) 
SO  leuchtet  ein,  dass  es 


|(>i —  ly^  aa         nnaai     '  nna 

und  folglich  die  Summe  von  n  =  s  -{-  1  bis  n  =  oo 

welcher  Werth  für  ein  unendlich  kleines  a  in 
ö  \- 1 \     über<i:eht. 

1    7l7t  7^    j 

Die  Reihe 


^        f/sin(n —  l)ff\2  /sinway 

^  ^"  \\{n-  l)a    )    ""  \na~) 


nähert  sich   daher  mit  abnehmendem  a  einem  Grenzwerth,   der  nicht 
grösser  als 

I  TT  717t 

sein  kann,  also  Null  sein  muss,  und  folglich  convergirt 
F{x-\-2a)--  2F{x)-\-Fix—2a) 

welches 

^v  N     I      STT       f  /sin(w  —  1)«\''^         /sinna\2^ 

mit  in's  Unendliche  abnehmendem  «   gegen  f(j:),  wodurch  unser  Satz 

für  den  Fall  ß  =  a  bewiesen  ist. 

Um  ihn  allgemein  zu  beweisen,  sei 
F(,v  +  «  +  ^)  -  21'\x)  +  F(x-ct-ß)  =  («  +  ßy  (fix)  +  <J,) 
F{x  +  a-ji)-  2F{.t^  +  F(x  -«  +  /?)  =  («  -  ßY  (fix)  +  d,), 

woraus 


234  XII.     lieber  die  Darstellbai'keit  einer  Function 

F{x  +  «  +  /3)  —  Fix  +  a  —  ß)~  F{x  —  «  +  /3)  +  F{x  —  a  —  ß) 
=  4.aß  fOv)  +  («  +  ßy  ö,  -  (a  -  ßY  d,. 

In  Folge  des  eben  Bewiesenen  werden  nun  d^  und  d.,  unendlich  klein, 
sobald  ß  und  ß  unendlich  klein  werden;  es  wird  also  auch 

unendlich  klein,  weim  dabei  die  Coeflicienten  von  d\  und  S^  nicht  un- 
endlich gross  werden,  was  nicht  stattfindet,  wenn  zugleich  endlich 
bleibt;  und  folglich  convergirt  alsdann 

F{x-^  ci  -j-J)  -  F{x-\-  ci-  ß)  -  F{x  —  (^  -f  |3)  -f  F{x  —  g  -  ß) 

~4aß~ 
gegen  f(x),  w.  z.  b.  w. 

Lehrsatz  2. 

Fjx-i-  2<^)  +  F{x  —  2a)  —  2F(x) 
2ci        '       ~ 

wird  stets  mit  a  unendlich  klein. 

Um  dieses  zu  beweisen,  theile  man  die  Reihe 

2T    4     /sin na\^ 

in  drei  Gruppen,  von  Avelchen  die  erste  alle  Glieder  bis  zu  einem  festen 
Index  m  enthält,  von  dem  an  An  immer  kleiner  als  £  bleibt,  die  zweite 
alle  folgenden  Glieder,  für  welche  n«<  als  eine  feste  Grösse  c  ist,  die 
*  dritte  den  Rest  der  Reihe  umfasst.  Es  ist  dann  leicht  zu  sehen,  dass, 
wenn  cc  in's  Unendliche  abnimmt,  die  Summe  der  ersten  endlichen  Gruppe 

endlich  bleibt,  d.  h.  <  eine  feste  Grösse  Ö:  die  der  zweiten  <  £  — ,  die 

der  dritten 


Folglich  bleibt 


y  I    nnaa  ccc 

c<  na  , 


^:(iHi_!^_Z|L=-Jj»I^J'Z_W  ,  welches  =  2«  ^A 


<  2  (e« +  6(0  +  1)), 


(sin  no;\2 
na    J   ' 


woraus  der  z.  b.  Satz  folgt. 

Lehrsatz  3.  Bezeichnet  man  durch  h  und  c  zwei  beliebige  Con- 
stanten, die  grössere  durch  c,  und  durch  A  (x)  eine  Function,  welche 
nebst  ihrem  ersten  Dilferentialquotienten  zwischen  h  und  c  immer 
stetig  ist  und  an  den  Grenzen  gleich  Null  wird,  und  von  Avelcher  der 
zweite  Differentialquotient  nicht  unendlich  viele  Maxima  und  Minima 
hat,  so  wird  das  Integral 


durch  eine  trigonometriache  Reihe.  235 


c 

ft ^it   /  F{x)  cos  ft  {x  —  a)  A  (x)  dx , 


wenn  ft  in's  Unendliche  wächst,  zuletzt  kleiner  als  jede  gegebene  Grösse. 
Setzt  man  für  FU^  seinen  Ausdruck  durch  die  Reihe,   so   erhält 
man  für 

c 

^^  I  F{x)  cos  ft  {x  —  a)  l  (x)  dx 

h 

die  Reihe  (0) 

»"f^  /  (  ^^  +  ^'  '^  +  ^"^ü  "t)  cos/i  (j;  —  a)  A  {x)  dx 

Nun  lässt  sich  Ä,i  cos  ft  (^  —  d)  offenbar  als  ein  Aggregat  von 
cos (^a  +  n)  (x — d),  sin {^  +  n)  (x — a),  cos (ß — it)  (x — a),  sin (ß — n) (x  —  d) 
ausdrücken,  und  bezeichnet  man  in  demselben  die  Summe  der  beiden 
ersten  Glieder  durch  Bft^n,  die  Summe  der  beiden  letzten  Glieder  durch 

Bft—n,  SO  hat  man  cos  u  (x  —  a)  An  =  ^5,«+«  +  J^n-nj 

'^!P  =  -(^  +  nf  n:..+..,  ^1^  =  -  (<^  -  nf  B,_^ , 

und  es  werden  l/«-|-n  und  i>\,_„  mit  wachsendem  n,  Avas   auch  x  sei, 
zuletzt  unendlich  klein. 

Das  allgemeine  Glied  der  Reihe  ^ 

c 

—  —  1  Ä,i  cos  /LI  ix  —  rt)  A(,r)  dx 
nnj 

b 

wird  daher 

= ?i!__    r  ^13^  Ur)  dx  4-  ^'  /*  ^^!^^-^  Ar:r^  rf.r 

n'^  (^  _]_  ,,)2  J       a^2      ^i.^)  ii'^  -f-  ,,.  (^  _  ^y  J       ^^.      ^W  rto; 

f>  b 

oder  durch   zweimalige   partielle  Integration,   indem   man  zuerst  A(^'), 

dann  A'(x)  als  constant  betrachtet, 

b  b 

da    A(:r)    und    X\x)    und    daher    auch    die    aus    dem    Integralzeichen 
tretenden  Glieder  an  den  Grenzen  =  0  werden. 

c 

Man  überzeugt  sich  nun  leicht,  dass    /  Bf,±„  k'\x)  dx,    wenn   ^ 


236  ^^^-    Ueber  die  Daistellbarkeit  einer  Function 

in's  Unendliche  wächst,  was  auch  n  sei,  unendlich  klein  wird;  denn 
dieser  Ausdruck  ist  gleich  einem  Aggregat  der  Integrale 

I  cos  (ft  +  ■'OC'^  ~  ^)  ^"(^^  ^^*^'?  /  ^"1  (^  i  'OC-^'  ~"  ^0  ^"(^)  (^-^ 

b  b 

und  wenn  ft  +  n  unendlich  gross  wird,  so  werden  diese  Integrale, 
wenn  aber  nicht,  w^eil  dann  n  unendlich  gross  wird,  ihre  Coefficienten 
in  diesem  Ausdrucke  unendlich  klein. 

Zum  Beweise  unseres  Satzes  genügt  es  daher  offenbar,  wenn  von 
der  Summe 

V 


X )   (ju,  —  n)"^  n- 

über  alle  ganzen  Werthe  von  n  ausgedehnt,  welche  den  Bedingungen 
n  <  —  c,  c'  <n  <  ^  —  c'\  ^  -{-  c^^'  <n  genügen,  für  irgend  welche 
positive  Werthe  der  Grössen  c  gezeigt  wird,  dass  sie,  wemi  ^  unend- 
lich gross  wird,  endlich  bleibt.  Denn  abgesehen  von  den  Gliedern,  für 
welche  —  c  <Cn  <i  c" ^  ^  —  c'"  <  n  <  ft  +  <^^^,  welche  offenbar  un- 
endlich klein  werden  und  .von  endlicher  Anzahl  sind,  bleibt  die  Reihe  0 
offenbar  kleiner  als  diese  Summe,  multiplicirt  mit  dem  grössten  Werthe 


von 

ö 


f  B^i±ri^"  {^)  d'JCj  welcher  unendlich  klein  wird. 

Nun  ist  aber,  wenn  die  Grössen  c  >  1  sind,  die  Summe 


in  den  obigen  Grenzen,  kleiner  als 

1      r         dx 

^  J    ("i  —  x)Kx'^  ' 

ausgedehnt  von 

—  oo  bis  —  — - , bis  1 ,  1  H bis  c»; 

denn   zerlegt  man    das   ganze  Intervall  von  —  oo  bis  -("  ^^  von  Null 

anfangend  in  Intervalle  von  der  Grösse  — ,  und  ersetzt  man  überall  die 

Function  unter  dem  Integralzeichen  durch  den  kleinsten  Werth  in  jedem 
Intervall,  so  erhält  man,  da  diese  Function  zwischen  den  Integrations- 
grenzen nirgends  ein  Maximum  hat,  sämmtliche  Glieder  der  Reihe. 
Führt  man  die  Integration  aus,  so  erhält  man 

i/W^'  =  J  (-  i^  +  r^l^  +  21og  .  -  21og  (1  -  . . )  +  const. 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  237 

und  folglich  zwischen  den  obigen  Grenzen  einen  W<'ri]i.  «h'r  mit  ^i 
nicht  unendlich  gross  wird. 

9. 

Mit  Ilülf«^  dieser  Sätze  lässt  sich  über  die  DarstellbarTvcit  einer 
Function  durch  eine  trigononretrische  Keihe,  deren  Glieder  für  jeden 
Argumentwerth  zuletzt  unendlich   klein  werden,   Folgendes   feststellen: 

I.  Wenn  eine  nach  dem  Tntervall  27t  periodisch  sich  wieder- 
holende Function  f(x)  durch  eine  trigonometrische  lleihe,  deren  Glieder 
für  jeden  Werth  von  x  zuletzt  unendlich  klein  werden,  darstellbar  sein 
soll,  so  niuss  es  eine  stetige  Function  F{;r)  geben,  von  welcher  f(x) 
so  abhängt,  dass 

?L(^_f  _±  ß)  -  F(x  -\-  a  -  ß)  —  F{x  -  «  -{-  p)  -{-  F{x  -  a  -  ß) 

~\iaß  r  f 

wenn  a  und  ß  unendlich  klein  werden  und  diibef  ihr  VerhältnisH  end- 
lich bleibt,  gegen  f(x)  convergirt. 
Es  muss  ferner 

c 

fA  ^  /  F(x)  cos  ^  (x  —  a)  X  (.1")  dXy 

b 

wenn  X  (x)  und  A'  (x)  an  den  Grenzen  des  Integrals  =  0  und  zwischen 
denselben  immer  stetig  sind,  und  A"  (r)  nicht  unendlich  viele  Maxinia 
und  Minima  hat,  mit  wachsendem  ^  zuletzt  unendlich  klein-  werden. 

IL  Wenn  umgekehrt  diese  beiden  Bedingungen  erfüllt  sind,  so 
giebt  es  eine  trigonometrische  Reihe,  in  welcher  die  Coefficienten  zu- 
letzt unendlich  klein  werden,  und  welche  überall,  wo  sie  convergirt, 
die  Function  darstellt. 

Denn  bestimmt  man  die  Grössen  C,  Ä^  so,  dass 

eine  nach  dem  Intervall  27t  periodisch  wiederkehrende  Function  ist 
und  entwickelt  diese  nach  Fourier's  Methode  in  die  trigonometrische 
Reihe 


p       A        A        Ai 


indem  man 


S-J'(F(t)-C't-A„'iyu  =  C 

—  TT 


An 


238  XII.     Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function 

setzt,  so  muss  (n.  Y.) 

n 

A,  =  -  ""j-  /Y^(0  -  ^'^  —  A  y)  cos^^  {x  -  t)dt 

Tt 

mit  wachsendem  n  zuletzt  uiiendlich  klein  werden-,  woraus  nach  Satz  1 
des  vorigen  Art.  folgt,  dass  die  Reihe 

A  +  -1.  +  ^2  +  •  •  • 

überall,  wo  sie  convergirt,  gegen  f(x)  convergirt.(^) 

III.  Es  sei  h<x<iCj  und  git)  eine  solche  Function,  dass  q(J) 
und  Q{f)  für  t  =  h  und  i  =  c  den  Werth  0  haben  und  zwischen  diesen 
AV^erthen  stetig  sich  ändern,  ^"(0  nicht  unendlich  viele  Maxima  und 
Minima  hat,  und  dass  ferner  für  t  =  x  Q(t)  =  1,  Q\t)  =  0,  Q\t)  =  0, 
Q"'(t)  und  Q^^\t)  aber  endlich  und  stetig  sind;  so  wird  der  Unterschied 
zwischen  der  Reihe 

A,  +  A,  +  ---  +  A„ 
und  dem  Integral 

sin    -^-^—  (•'»  —  t) 
ää 

c  .      {X  —  t) 

Sin 


hj^^^) in-^ P»''^ 


2 
h 


mit  wachsendem  n  zuletzt  unendlich  klein.     Die  Reihe 

A,^A,  +  A,-^--- 
wird  daher  convergiren  oder  nicht  convergiren  je  nachdem 


sm -^ {x  —  t) 


dd 


X  —  t 
sm 


1       r  ^^^  "2~  ~ 


2 


sich  mit   wachsendem  n  zuletzt  einer   festen   Grenze   nähert   oder   dies 
nicht  stattfindet. 

In  der  That  wird 

n 

A,  +  Ä,  +  '^'A,,=  l   f  {F(t)-  C't  --  A,*-Pj  ^  -nn  cosn{x-t)df, 

oder,  da 

sm  — — ^ —  (x  -  t) 
dd ^ 


2  X/  — nnc.o^n{x  —  t)  =  2  x, 


.       X  —  t 

sin  — 
d^  cos  71  {x  —  t)  2 


dt'  dP 

l,n  \,n 

ist. 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  239 


•     2n  -f  1 
sin i^.c  —  t ) 


dd 


X  —  t 
Bin 


\-„j{i^(i-)  -  Vi  -  ^„  ;0  ^-^ äu 


Nun  wird  aber  nach  Satz  W  dös  vorij^en  Art. 


•    2n  +  1  , 
sin -! —  ix  —  t) 


dd 


X 

sin 


_1.  j'(j.(0  _  C't  -  Ä„  '{) -^.-^ A(0  ,U 

—  n 

bei  unendlichem  Zunehmen  von  n  unendlich  klein,  wenn  l(f)  nebst 
ihrem  ersten  Differentialquotienten  stetig  ist^  ^"(0  nicht  unendlich  viele 
Maxima  und  Minima  hat,  und  für  t  =  x  X(t)  =  ^^  k\t)  =  0,  k"[t)  ==  0, 
k"\t)  und  k""{t)  aber  endlich  und  stetig  sind.(-) 

Setzt  man  hierin  A{f)  ausserhalb  der  Grenzen  ?>,  c  gleich  1  und 
zwischen  diesen  Grenzen  ==  1  —  (>(0;  ^^^  offenbar  verstattet  ist,  so 
folgt,  dass  die  Differenz  zwischen  der  Reihe  A^  -\-  •  •  -  -\-  An  und  dem 
Integral 

sm -^ {x  —  t) 


dd 


X  —  t 
sin 


1       /*  /  i  t\  — — ~~ 


2 

Iß 


mit  wachsendem  w  zuletzt  unendh'ch  klein   wir<l.     Mail    il])erzeugt   sich 
aber  leicht  durch  partielle  Integration,  dass 


sin -^ {X  —  t) 


dd 


X  —  t 
sin 


\j  {'''*  +  A  ^)- at-^ 9(t)dt. 


2 

h 

wenn   n   unendlich    gross    wird,    gegen    Aq   convergirt,    wodurch    man 
obigen  Satz  erhält. 

10. 

Aus  dieser  Untersuchung  hat  sich  also  ergeben,  dass,  wenn  die 
Coefficienten  der  Reihe  ii  zuletzt  unendlich  klein  werden,  dann  die 
Oonvergenz  der  Reihe  für  einen  bestimmten  Werth  von  x  nur  abhängt 
von  dem  Verhalten  der  Function  /'(a)  in  unmittelbarer  Nähe  dieses 
Wertlies. 

Ob  nun  die  Coefficienten  der  Reihe  zuletzt  unendlich  klein  werden, 


240  XII.     Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function 

wird  in  vielen  Fällen  nicht  aus  ihrem  Ausdrucke  durch  bestimmte 
Integrale,  sondern  auf  anderm  Wege  entschieden  werden  müssen.  Es 
verdient  indess  ein  Fall  hervorgehohen  zu  werden,  wo  sich  dies  un- 
mittelbar aus  der  Natur  der  Function  entscheiden  lässt,  wenn  nämlicli 
die  Function  /'(.r)  durchgehends  endlich  bleibt  uml  eine  Integration 
zu  lässt. 

In   diesem  FaUe   muss,   wenn   man   das   ganze   Tntervall   von   —  n 
bis  Tt  der  Reihe  nach  in  Stücke  von  der  (Irösse 

dl,  (3,,  ().j,  ..  . 
zerlegt,  und  durch  D^  die  grösste  Schwaidvung  der  Function  im  ersien, 
durch  71,  im   zweiten,  u.   s.  \\,  bezeichnet, 

^lA  +  ^i^t  +  ^J\  ^ — 
unendlich  klein  Averden,  so  bald  sämmtliche  ()  unendlich  klein  werden. 

Tl 

Zerlegt  man  aher   das  Integral     //"(./)  sin  y?  (.r  —  rr)  (/./',  in  welcher 

—  n 

Form  von  dem  Factor  —   ab^^esehen   die   Coefficienten   der  Reihe   ent- 

rt  +  2  TT 

halten  sind,  oder  w^as  dasselbe  ist^    /  fU)  sinn  (x  —  d)  dx   von    x  ==  a 

a 

anfangend  in  Integrale  vom  Umfange  — ,  so  liefert  jedes  derselben  zur 

2 
Summe    einen    Beitrag    kleiner    als    — ,    multiplicirt  mit   der   grössten 

Schwankung  in  seinem  Intervall,  und  ihre  Summe  ist  also  kleiner   als 

2  7C 

eine  Griisse,  welche  n.  V.  mit   —  unendlich  klein  wan'den  muss. 
In  dtjr  That:  diese  Integrale  haben  die  Form 


j 


n 

fix)  sin  n{x  —  a)  dx. 


a-\ 'in 


Der  Sinus  wird  in  der  ersten  Hälfte  positiv,  in  der  zweiten  negativ. 
Bezeichnet  man  also  den  grössten  Werth  von  fix)  in  dem  Intervall 
des  Integrals  durch  M,  den  kleinsten  durch  7n,  so  ist  einleuchtend, 
dass  man  das  Integral  vergrössert,  wenn  man  in  der  ersten  Hälfte 
f{x)  durch  M,  in  der  zweiten  durch  m  ersetzt,  dass  man  aber  das 
Integral  verkleinert,  wenn  man  in  der  ersten  Hälfte  /*(,/)  durch  m  und 
in  der  zweiten  durch  M  ersetzt.      Im   ersteren  Falle   aber   erhält  man 

2    ,,^         ..X      .  .      ,    ,  , 2 

n 


den  Werth  ;^  (71/  —  m),  im  letzteren    ^-  {m  —  M).     Es  ist  daher  dies 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  241 

Iiitef^ral    abjü^esehen    vom    Zeichen    kleiner    als    "    { M  —  t)i)    und    das 
Integral 


a-\-2n 


j  fix)  sin  n  (x  —  a)  dx 


kleiner  als 


wenn  man  durch  M,  den  grössten^  durch  m^  den  kleinsten  Werth  von 
fix)  im  5ten  Intervall  bezeichnet;  diese  Summe  aber  muss,  wenn  f(x) 
einer  Integration  fähig  ist,  unendlich  klein  werden,  sobald  n  unendlich 

2  Ä 

gross  und  also  der  Umfang  der  Intervalle  —  unendlich  klein  wird. 

In  dem  vorausgesetzten  Falle  werden  daher   die  Coefficienten  der 
Reihe  unendlich  klein. 


11. 

Es  bleibt  nun  noch  der  Fall  zu  untersuchen,  wo  die  Glieder  der 
Reihe  ü  für  den  Argumentwerth  x  zuletzt  unendlich  klein  werden, 
ohne  dass  dies  für  jeden  Argumentwerth  stattfindet.  Dieser  Fall  lässt 
sich  auf  den  vorigen  zurückführen. 

Wenn  man  nämlich  in  den  Reihen  für  den  Argumentwerth  ^-  -j~  ^ 
und  ./'  —  t  die  Glieder  gleichen  Ranges  addirt,  so  erhält  man  die  Reilie 

2A^  +  2A,  cos  f  +  2  A,  cos  2t  -\ , 

in  welcher  die  Glieder  für  jeden  Werth  von  t  zuletzt  unendlich  klein 
werden  und  auf  welche  also  die  vorige  Untersuchung  angewandt  wer- 
den kann. 

Bezeichnet  man  zu  diesem  Ende  den  Werth  der  unendlichen  Reihe 

C  +  C  X  +  A,    .,-  +  A,  ^^  -A-^ A  — ^-^ 


4 


K\ 


durch  G(t),  so  dass  - '  ^■'  t  A±__LA^';^ überall,    wo   die   Reihen    für 

F(x  +  t)    und    F(x  —  t)    convergiren,    =  Git)    ist,    so    ergiebt    sich 
Folgendes: 

I.     Wenn  die  Glieder  der  Reihe  Sl  für  den  Argumentwerth  x  zu- 
letzt unendlich  klein  werden,  so  muss 


c 

^^  fGit)  co8^{t  —  a)k(t)dt, 
wenn  A  eine  Function  wie  oben  —  Art.  9  —  bezeichnet,  mit  wachsen- 

Biehann's  gesammelte  m-ithematische  Werke.     I.  16 


242  XTT.     Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function 

dem  ^  zuletzt  unendlich  klein  werden.  Der  Werth  dieses  Integrals 
setzt  sieh  zusammen  aus  den  beiden  Bestandtheilen 

c  c 

^^  1    '  ^'^^      cos  ft  (t—  a)  X{t)  dt  und  ^^  l  — ^— —  cos  /i(^  —  a)l{t)cU, 

wofern  diese  Ausdrücke  einen  Werth  haben.  Das  Unendlichkleinwerden 
desselben  wird  daher  bewirkt  durch  das  Verhalten  der  Function  F  an 
zwei  S3anmetrisch  zu  beiden  Seiten  von  x  gelegenen  Stellen.  Es  ist 
aber  zu  bemerken,  dass  hier  Stellen  vorkommen  müssen,  wo  jeder  Be- 
standtheil  für  sich  nicht  unendlich  klein  wird;  denn  sonst  würden  die 
Glieder  der  Reihe  für  jeden  Argumentwerth  zuletzt  unendlich  klein 
werden.  Es  müssen  also  dann  die  Beitrage  der  symmetrisch  zu  beiden 
Seiten  von  x  gelegenen  Stellen  einander  aufheben,  so  dass  ihre  Summe 
für  ein  unendliches  ft  unendlich  klein  wird.  Hieraus  folgt,  dass  die 
Reihe  Sl  nur  für  solche  Werthe  der  Grösse  x  convergiren  kann,  zu 
welchen  die  Stellen,  wo  nicht 

c 

^^  I  F(x)  cos  ft  {x  —  a)  li^x?)  dx 
h 
für  ein  unendliches  a  unendlich  klein  wird,  symmetrisch  liegen.  Offenbar 
kann  daher  nur  dann,  wenn  die  Anzahl  dieser  Stellen  unendlich  gross 
ist,  die  trigonometrische  Reihe  mit  nicht  in's  Unendliche  abnehmenden 
Coefficienten  für  eine  unendliche  Anzahl  von  Argumentwerthen  con- 
vergiren. 

Umgekehrt  ist 

n 

An  =  —  nn  —  I  (G(t)  —  A^  —\  cos nt dt 

u 
und  wird  also  mit  wachsendem  n  zuletzt  unendlich  klein,  wenn 

c 

^^  I  G (t)  cos  ^{t  —  a)  A (t) dt 

für  ein  unendliches  /it  immer  unendlich  klein  wird. 

IL  Wenn  die  Glieder  der  Reihe  ^  für  den  Argumentwerth  x 
zuletzt  unendlich  klein  werden,  so  hängt  es  nur  von  dem  Gange  der 
Function  Git)  für  ein  unendlich  kleines  t  ab,  ob  die  Reihe  convergirt 
oder  nicht,  und  zwar  wird  der  Unterschied  zwischen 

A,-\-A,  +  ..-  +  A„ 

und  dem  Integrale 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  243 


ij 


sin -n_e 

dd =- 

>  .      t 

sin  — 


mit  wachsendem  «  zuletzt  unendlich  klein,  wenn  h  eine  zwischen  0 
und  7t  enthaltene  noch  so  kleine  Constante  und  Q(t)  eine  solche  Function 
bezeichnet,  dass  Q(t)  und  q  (f)  immer  stetig  und  für  /  =  h  gleich  Null 
sind,  Q\t)  nicht  unendlich  viele  Maxima  und  Minima  hat,  und  für 
f  ==  0,  Q{t)  =  1,  Q(t)  =  0,  Q\t)  =  0,  Q"{t)  und  Q"\t)  aber  endHch 
und  stetig  sind. 


12. 
Die   Bedingungen    für    die    Darstellbarkeit    einer  Function    durcii 


eine  trigonometrische  Reihe  können  freihch  noch  etwas  beschränkt 
und  dadurch  unsere  Untersuchungen  ohne  besondere  Voraussetzungen 
über  die  Natur  der  Function  noch  etwas  weiter  geführt  werden.  So 
z.  B.  kann  in  dem  zuletzt  erhaltenen  Satze  die  Bedingung,  dass 
()"(0)  =  0  sei,  weggelassen  werden,  wenn  man  in  dem  Integrale 

.    2n+  1 
sm— „— ^ 

dd 2 

b  .     t 

sm 


1     /*  "'    Y 


71 
0 


G(t)  durch  G{f)  —  ^(0)  ersetzt.     Es  wird  aber  dadurch  nichts  Wesent- 
liches gewonnen. 

Indem  wir  uns  daher  zur  Betrachtung  besonderer  Fälle  wenden, 
wollen  wir  zunächst  der  Untersuchung  für  eine  Function,  welche  nicht 
unendlich  viele  Maxima  und  Minima  hat,  diejenige  Vervollständigung 
zu  geben  suchen,  deren  sie  nach  den  Arbeiten  Dirichlet's  norli 
fähig  ist. 

Es  ist  oben  bemerkt,  dass  eine  solche  Function  allenthalben  in- 
tegrirt  werden  kann,  wo  sie  nicht  unendlich  wird,  und  es  ist  offenbar, 
dass  dies  nur  für  eine  endliche  Anzahl  von  Argumentwerthen  eintreten 
kann.  Auch  lässt  der  Beweis  Dirichlet's,  dass  in  dem  Integralaus- 
drucke für  das  nid  Glied  der  Reihe  und  für  die  Summe  ihrer  n  ersten 
Glieder  der  Beitrag  aller  Strecken  mit  Ausnahme  derer,  wo  die  Function 
unendlich  wird,  und  der  dem  Argumentwerth  der  Reihe  unendlich  nahe 
liegenden  mit  wachsendem  n  zuletzt  unendlich  klein  wird,  und  dass 

16* 


244  XII.    Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function 


/ 


1+''     sin?^±i.(,^_t) 


X 


X  2 

wenn  0  <  &  <  ;r  und  f(P)  zwischen  den  Grenzen  des  Integrals  nicht 
unendlich  wird,  für  ein  unendliches  n  gegen  7r/'(.r  +  0)  convergirt,  in 
der  That  nichts  zu  wünschen  übrig,  wenn  man  die  unnöthige  Voraus- 
setzung, dass  die  Function  stetig  sei,  weglässt.  Es  bleibt  also  nur  noch 
zu  untersuchen,  in  welchen  Fällen  in  diesen  Integralausdrücken  der 
Beitrag  der  Stellen,  wo  die  Function  unendlich  wird,  mit  wachsendem 
n  zuletzt  unendlich  klein  wird.  Diese  Untersuchung  ist  noch  nicht 
erledigt;  sondern  es  ist  nur  gelegentlich  von  Dirichlet  gezeigt,  dass 
dies  stattfindet  unter  der  Voraussetzung,  dass  die  darzustellende  Function 
eine  Integration  zulässt,  was  nicht  nothwendig  ist. 

Wir  haben  oben  gesehen,  dass,  wenn  die  Glieder  der  Reihe  ii  für 
jeden  Werth  von  x  zuletzt  unendlich  klein  werden,  die  Function  7^(.r), 
deren  zweiter  Differentialquotient  f(x)  ist,  endlich  und  stetig  sein  niuss, 

und  dass 

Fix  -f  fx)  —  2F(^)  -I-  F{x  —  g) 
a 

mit  a  stets  unendlich  klein  wird.  Wenn  nun  F'  {x  ■\-  i)  —  F'  ((c  —  f) 
nicht  unendlich  viele  Maxima  und  Minima  hat,  so  muss  es,  wenn  t 
Null  wird,  gegen  einen  festen  Grenzwerth  L  convergiren  oder  unend- 
lich gross  werden,  und  es  ist  offenbar,  dass 


\j\r(x-\-t)~r{x-i))dt  = 


Fix  -f  a)  -  2F{x)  +  F{x  —  (x) 


0 


dann  ebenfalls  gegen  L  oder  gegen  cx)  convergiren  muss  und  daher 
nur  unendlich  klein  werden  kann,  wenn  F' (x  -\-  t)  —  F'(x  —  t)  gegen 
Null  convergirt.  Es  muss  daher,  wenn  f(x)  für  x  =  a  unendlich  gross 
wird,  doch  immer  f{ci  -\-  t)  -{-  f(a  —  t)  bis  an  ^  =  0  integrirt  werden 
können.     Dies  reicht  hin,  damit 

a  —  f  c 

mit  abnehmendem  f  convergire  und  mit  wachsendem  n  unendlich  klein 
werde.  Weil  ferner  die  Function  J^(,/;)  endlich  und  stetig  ist,  so  muss 
F'  (x)  bis  an  ^  =  a  eine  Integration  zulassen  und  (./:  —  a)  F'  {x)  mit 
{x  —  ci)  unendlich  klein  werden,  wenn  diese  Function  nicht  unendlich 
viele  Maxima  und  Minima  hat;  woraus  folgt,  dass 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  245 

und  also  auch  (j;  —  d)f(oc)  bis  an  x  =  a  integrirt  werden  kann.  Es 
kann  daher  auch  ff'(jo)  sinM(x'  —  a)djc  bis  an  x  =  a  integrirt  werden, 
und  damit  die  Coefficienten  der  Reihe  zuletzt  unendlich  klein  werden, 
ist  oti'enbar  nur  noch  nöthig,  dass 


j 


fix)  sin  n  (x  —  a)  dx,  wo  6  <  a  <  c, 

6 

mit  wachsendem  n  zuletzt  unendlich  klein  werde.     Hetzt  man 

f(x){x—  a)  =  (p(x), 

so  ist,  wenn  diese  Function  nicht  unendlich  viele  Maxima  und  Minima 
hat,  für  ein  unendliches  n 

I  f  (x)  sm  n  {x  —  a)dx=  j     _     sni  n  (x  —  a)  dx  =  ' , 

wie  Dirichlet  gezeigt  hat.     Es  muss  daher 

(p{(i  ^  t)  -\-  (p[ii  —  t)  =  fXa  +  t)t  —  f(a  —  0  t 
mit  t  unendlich  klein  werden,  und  da 

/•(«  +  0 + /•(«  -  0 

bis  an  t  =  0  integrirt  werden  kann  und  folglich  auch 

f{a  +  t)t  +  f{a-t)t 

mit  t  unendlich  klein  wird,  so  muss  sowohl  /'(a  +  t)  t,  als  f{a  —  t)t 
mit  abnehmendem  t  zuletzt  unendlich  klein  werden.  Von  Functionen, 
welche  unendlich  viele  Maxima  und  Minima  haben,  abgesehen,  ist  es 
also  zur  Darstellbarkeit  der  Function  f{x)  durch  eine  trigonometrische 
Reihe  mit  in  s  Unendliche  abnehmenden  Coefficienten  hinreichend  und 
nothwendig,  dass,  wenn  sie  für  x  =  a  unendlich  wird,  f{a  -{-  t)t  und 
f{a  —  t)  t  mit  t  unendlich  klein  werden  und  /*(a  -\-  t)  -\-  /'(«  —  0  ^^^ 
an  t  =  0  integrirt  werden  kann. 

Durch  eine  trigonometrische  Reihe,  deren  Coefficienten  nicht  zuletzt 
unendlich  klein  werden,  kann  eine  Function  f{x),  welche  "hiebt  unend- 
lich viele  Maxima  und  Minima  hat,  da 


c 

[L  [i  I  F(x)  cos  ^{x  —  a)  l  (jj)  dx 


nur  für  eine  endliche  Anzahl  von  Stellen  für  ein  unendliches  /t  nicht 
unendlich  klein  wird,  auch  nur  für  eine  endliche  Anzahl  von  Argument- 
wexi;hen  dargestellt  werden,  wobei  es  unnöthig  ist  länger  zu  verweilen. 


246  XII.     Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function 

13. 

Was  die  Functionen  betrifft,  welche  unendlich  viele  Maxima  und 
Minima  haben,  so  ist  es  wohl  nicht  überflüssig  zu  bemerken,  dass  eine 
Function  f{x),  welche  unendlich  viele  Maxima  und  Minima  hat,  einer 
Integration  durchgehends  fähig  sein  kann,  ohne  durch  die  Fourier'sche 
Reihe  darstellbar  zu  sein.  Dies  findet  z.  B.  Statt,  wenn  /'(x)  zwischen 
0  und  2%  gleich 

d  Ix''  cos  —  ) 

, — ,  und  0  <  1/  <  4 

dx  '  ^       ^  / 

ist.     Denn  es  wird  in  dem  Integral    1  t'(x)  cos  n  {x  —  a)  dx  mit  wach- 

0 

senden!  n  der  Beitrag  derjenigen  Stelle,  wo  x  nahe  =  T/—  ist,  all- 
gemein zu  reden  zuletzt  unendlich  gross,  so  dass  das  Verhältniss  dieses 
Integrals  zu 

1  — 2v 

\ sin (2'\/n  —  na  +  ^.\  Yiin 

gegen  1  convergirt,  wie  man  auf  dem  gleich  anzugebenden  Wege  finden 
wird.  Um  dabei  das  Beispiel  zu  verallgemeinern,  wodurch  das  Wesen 
der  Sache  mehr  hervortritt,  setze  man 


/  f(x)dx  =  (p(x)  cos2l^(x) 


und  nehme  an,  dass  9)(j)  für  ein  unendlich  kleines  x  unendlich  klein 
und  4}(x)  unendlich  gross  werde,  übrigens  aber  diese  Functionen  nebst 
ihren  Difierentialquotienten  stetig  seien  und  nicht  unendlich  viele 
Maxima  und  Minima  haben.     Es  wird  dann 

f(x)  =  q)\x)  cosi^(x')  —  (p{x)  i)'(x)  ^mipipc) 
und 

I  t'(x)  cos  n  [x  —  ii)  dx 
gleich  der  Summe  der  vier  Integrale 

i  /  9^' W  cos  (^{x)  +  n  (x  —  a)\  dXy 

—  -kl  9(^)  t'ip^)  sin  Nj(x)  +  >^  (^  —  a))  dx. 
Man  betrachte  nun,  ip(x)  positiv  genommen,  das  Glied 

•—  i  I  (p(x)  f'(x)  sin  fif{x)  -\-  n{x  —  a))  dx 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  247 

und  untersuche  in  diesem  Integrale  die  Stelle,  wo   die  Zeichenwechsel 
des  Sinus  sich  am  langsamsten  folgen.     Setzt  man 

i^{x)  +  n{x  —  a)r=y^ 

so  geschieht  dies,  wo  ^,-,  =  0  ist,  und  also, 

gesetzt,  für  x  =  a.     Man  untersuche  also  das  Verhalten   des  Integrals 

U-f6 


1  /  9^  W  ^'W  ^^^^ydx 


für  den  Fall,  dass  6  für  ein  unendliches  n  unendlich   klein  wird,  und 
führe  hiezu  y  als  Variable  ein.     Setzt  man 

^(«)  +  n{a—-a)  =  ß, 
so  wird  für  ein  hinreichend  kleines  £ 

y  =  /3  +  ^"(«)  ^^^^  +  ■■■ 

und  zwar  ist  i^"(«)  positiv,  da  i/;(^)  für  ein  unendlich  kleines  x  positiv 
unendlich  wird;  es  wird  ferner 

g  =  ^"(rO  (x  -  «)  =  ±  /2?'(«)(2/-^ , 
je  nachdem  x  —  «  ^  0,  und 


—  i  /  9^  C«^)  ^'  {^)  sin  y  dx 


/ 


ü 

Lässt  man   also   mit  wachsendem  n  die  Grösse  e  so  abnehmen,  dass 
il)\a)e£  unendlich  gross  wird,  so  wird,  falls 


0 

welches  bekanntlich  gleich  ist  sinM+Y)  V^ 7    nicht  Null   ist,    von 
Grössen  niederer  Ordnung  abgesehen 


248  XII.     Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function 

-  i  f<p{.c)  i,'(x)  sin  U.{x)  +  n{x-ci))dx  =  -  sin  ^^  +  ^) K«^*>1. 

Es  wird  daher,  wenn  diese  Grösse  nicht  unendlich  klein  wird,  das  Yer- 
hältniss  von 

27t 

j  f(x)  cos  n  {x  —  a)  dx 

0 

zu  dieser  Grösse,  da  dessen  übrige  Bestandtheile  unendlich  klein  wer- 
den, bei  unendlichem  Zunehmen  von  n  gegen  1  convergiren. 

Nimmt  man  an,  dass  (p{x)  und  i^'(x)  für  ein  unendlich  kleines  x 
mit  Potenzen  von  x  von  gleicher  Ordnung  sind  und  zwar  q){x)  mit  x" 
und  ^'{x)  mit  x~^~^j  so    dass  v  >  0  und  f*  >  0   sein  muss,   so  wird 

für  ein  unendliches  n 

rp  ja)  ip'  {u) 

von  gleicher  Ordnung  mit  a  und  daher  nicht  unendlich  klein,  wenn 
/Li>2i'.  Ueberhaupt  aber  wird,  wenn  xil^'(x)  oder,  was  damit  iden- 
tisch ist,  wenn  ~, für  ein  unendlich  kleines  x  unendlich  gross   ist, 

'  log  X  o  ? 

sich  q){x)  immer  so  annehmen  lassen,  dass  für  ein  unendlich  kleines  x 
(p{x)  unendlich  klein, 

q)(x)  -^^1—  = y(-^')  ^  _         y(-^) 

r  dx  ^  (x')         Y  x^  {x) 

aber  unendlich  gross  wird,  und  folglich    I  /*(^)  dx   bis   an   x  =  0    er- 

X 

streckt  werden  kann,  während 

cos  n  (x  —  d)  dx 


J  m 


für  ein  unendliches  u  nicht   unendlich    klein    wird.     Wie    man    sieht, 
heben  sich  in  dem  Integrale  j  f{x)  dx  bei  unendlichem  Abnehmen  von 

X  die  Zuwachse  des  Integrals,  obwohl  ihr  Verhältniss  zu  den  Aen- 
derungen  von  x  sehr  rasch  wächst,  wegen  des  raschen  Zeichenwechsels 
der  Function  f{x)  einander  auf;  durch  das  Hinzutreten  des  Factors 
cos  n  {x  —  d)  aber  wird  hier  bewirkt,  dass  diese  Zuwachse  sich  summiren. 
Ebenso  wohl  aber,  wie  hienach  für  eine  Function  trotz  der  durch- 
gängigen Möglichkeit  der  Integration  die  Fourier'sche  Reihe  nicht 
*  convergiren  und  selbst  ihr  Glied  zuletzt  unendlich  gross  werden  kann, 


durch  eine  trigonometrische  Reihe.  249 

—  ebenso  wohl  können  trotz  der  durchgängigen  Unmöglichkeit  der 
Integration  von  f{x)  zwischen  je  zwei  noch  so  nahen  Werthen  un- 
endlich viele  Werthe  von  x  liegen,  für  welche  die  Reihe  Sl  convergirt. 
Ein  Beispiel  liefert,  {nx)  in  der  Bedeutung,  wie  oben  (Art.  6.) 
genommen,  die  durch  die  Reihe 

""^  {nx) 

1,  oc 

gegebene  Function,  welche  für  jeden  rationalen  Werth  von  x  vorhanden 
ist  und  sich  durch  die  trigonometrische  Reihe 

,^„^9  _  (_  1)9     . 

>   ^ ^inznxTC , 

1,  j^ 

wo  für  B  alle  Theiler  von  n  zu   setzen   sind,  darstellen  lässt,  welche 

aber  in   keinem  noch  so  kleinen  Grössenintervall   zwischen  endlichen 

Grenzen  enthalten  ist  und  folglich  nirgends    eine  Integration  zulässt. 

Ein  anderes  Beispiel  erhält  man,  wenn  man  in  den  Reihen 

^  CnCosnnx,    ^  6'„sinnna; 

0,  00  1,  oo 

für  Cy,  c'i,  6'^,  ...  positive  Grössen  setzt,  welche  immer  abnehmen  und 

zuletzt  unendlich  klein   werden,  während   Hc«   mit  u  unendlich  gross 

1,« 

wird.  Denn  wenn  das  Verliältniss  von  x  zu  2;r  rational  und  in  den 
kleinsten  Zahlen  ausgedrückt,  ein  Bruch  mit  dem  Nenner  m  ist,  so 
werden  offenbar  diese  Reihen  convergiren  oder  in's  Unendliche  wachsen, 
je  nachdem 

^  coaniiXj      ^  ainnux 

0,  «i— 1  0,  m  — 1 

gleich  Null  oder  nicht  gleich  Null  sind.  Beide  Fälle  aber  treten  nach 
einem  bekannten  Theoreme  der  Kreistheilung*)  zwischen  je  zwei  noch 
so  engen  Grenzen  für  unendlich  viele  Werthe  von  x  ein. 

In  einem  eben  so  grossen  Umfange  kann  die  Reihe  fl  auch  con- 
vergiren, ohne  dass  der  Werth  der  Reihe 

dAn 

c'  +  Ä,x-y^, 

welche  man  durch  Integration  jedes  Gliedes  aus  ß  erhält,  durch  ein 
noch  so  kleines  Grössenintervall  iutegrirt  werden  könnte. 
Wenn  man  z.  B.  den  Ausdruck 


'•)  Disquiö.  ar.  pag.  036  art.  356.     (Gauss 's  Werke  Bd.  I.  pag.  44J.) 


2.y»  XIL    üeber  die  Daisteilbailceit  einer  Fnnction  etc. 

wo  die  Logarithmen  so  zu  nehmen  sind,  dass  sie  für  ^  =  0  ver- 
schwinden, nach  steigenden  Potenzen  Ton  q  entwickelt  und  darin 
^  =  e"  setzt,  so  bildet  der  imaginäre  Theil  eine  trigonometrische  Reihe, 
welche  zweimal  nach  ./  düferentiirt  in  jedem  Grössenintervall  unend- 
lich oft  convergirt,  während  ihr  erster  Differentialquotient  unendlich 
oft  unendlich  wird. 

In  demselVien  Umfange,  d.  h.  zwischen  je  zwei  noch  so  nahen 
Argumentwerthen  unendlich  oft,  kaun  die  trigonometrische  Reihe  auch 
selbst  dann  convergiren,  wenn  ihre  Coefficienteu  nicht  zuletzt  unend- 
lich klein  werden.  Ein  einfaches  Beispiel  einer  solchen  Reihe  bildet 
die  unendliche  Reihe  E  ^m(n\  x%),  wo  n\,  wie  gebräuchlich, 

=  1  .  2  .  3  . . .  n, 
welche  nicht  bloss  für  jeden  rationalen  Werth  von  x  convergirt,  indem 
sie  sich  in  eine  endliche  verwandelt^  sondern  auch  für  eine  unendliche 
Anzahl  von  irrationalen,  von  denen   die    einfachsten   sind  sinl,  cos  1 

1 

2  .  ^"T 

—  und  deren  A  iel fache,  ungerade  Vielfache  von  e,       ,--,  u.  s.  w\(^) 


Inhalt. 

Seite 

Geschichte    der    Frage    über   die  Darstellbarkeit    einer   Function    durch   eine 
trigonometrische  Reihe. 
§.  1.     Von  Euler  bis  Fourier. 

Ursprung  der  Frage  in  dem  Streite  über  die  Tragweite  der  d'Alem- 
bert 'sehen  und  Bernoulli 'sehen  Lösung  des  Problems  der  schwin- 
genden Saiten  im  Jahre  1753.    Ansichten  von  Euler,  dAlembert, 

Lagrange 213 

§.  2.     Von  Fourier  bis  Dirichlet. 

Richtige    Ansicht    Fourier's,    bekilmi>ft    vou    Lag  ränge.     18U7. 

Cauchy.     1826 218 

§.  3.     Seit  Dirichlet. 

Erledigung  der  Frage  durch  Dirichlet  für  die  in  der  Natur  vor- 
kommenden Functioilen,    1829.     Dirksen.    Bessel.     1839.     .     .     .  221 
Ueber  den  Begriff  eines  bestimmten  Integrals  und  den  Umfang  seiner  Gültigkeit. 

§.  4.     Definition  eines  bestimmten  Integrals 225 

§.  5.     Bedingungen  der  Möglichkeit  eines  bestimmten  Integrals 226 

§.  6.'  Besondere  Fälle.    .     .     .    ' 227 

Untersuchung  der  Darstellbarkeit  einer  Fimction  durch  eine  trigonometrische 
Reihe,  ohne  besondere  Voraussetzungen  über  die  Natur  der  Function. 
§.  7.     Plan  der  Untersuchung 230 

I.  Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function  durch  eine  trigonometrische  Reihe, 

deren  Coefficienten  zuletzt  unendlich  klein  werden. 

§.  8.     Beweise  einiger  für  diese  Untersuchung  wichtigen  Sätze 231 

§.  9.     Bedingungen  für  die  Dai-stellbarkeit  einer  Function   durch  eine  tri- 
gonometrische Reihe  mit  in'a  Unendliche  abnehmenden  Coefficienten.  237 
§.  10.  Die  Coefficienten  der  Fourier'schen  Reihe  werden   zuletzt  unend- 
lich klein,  wenn  die  darzu.stellende   Function  durchgehends  endlich 
bleibt  und  eine  Integiation  zulässt 239 

II.  Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function  durch  eine  trigonometrische  Reihe 
mit  nicht  in's  Unendliche  abnehmenden  CoetBcienten. 

§.  11.  Zurückführung  dieses  Falles  auf  den  vorigen 241 

Betrachtung  besonderer  Fälle. 

§.  12.  Functionen,  welche  nicht  unendlich  viele  Maxima  und  Minima  haben.  243 

§.  13.  Fimctionen,  welche  unendlich  viele  Maxima  und  Minima  haben.  .  -'•' 


Anmerkungen. 

(1)  (Zu  Seite  238).     Die   unter  II.  aufgestellten   Sätze  bedürfen  einer  Erläuterung: 
Da  die  Function  f\x)  um  27r  periodisch  angenommen  ist,  so  muss 
F{x  +  27r)  —  F{x)  =  cp{x) 
die  Eigenschaft  haben,  dass 

fp{x  -f  tt  -|-  |3)  —  (p{x  -{-  a  —  ^)  —  cp{x  —  a  -\-  ß)  -\-  cp{x  —  a—  ß) 

4:  aß 
unter  der  im  Text  geraachten  Voraussetzung  sich  mit  a  und  ß  der  Grenze  0 
nähert.     Es  ist  daher  q){x)  eine  lineare  Function  von  x,   und   folglich  lassen 
sich  die  Coustanten  C,  ^4^  so  bestimmen,  dass 

^(x)  =  F{x)  —  C'x  —  A^^ 

eine  um  27t  periodische  Function  von  x  ist. 

Nun  ist  über  die  Function  F{x)  weiter  die  Voraussetzung  gemacht,  dass 
für  beliebige  Grenzen  b,  c 


lifi   I  F 


F{x)  coa  ii{x  —  a)l{x)dx 


b 

mit  unendlich  wachsendem  (i  sich  der  Grenze  0  nähere,  wenn  X(a;)  den  im 
Text  angegebenen  Bedingungen  genügt,  woraus  folgt,  dass  unter  den  gleichen 
Voraussetzungen 

c 

(i^   I  0 {x)  cos  ii(x  —  a)  X (x) dx 


'S' 


b 

sich  der  Grenze  0  nähert. 

Es  sei  nun  h  <C  —  Tt ,  c'^  n ,  und  man  nehme,  was  zulässig  ist,  X{x)   im 
Intervall  von  —  n  h\)i  -{-  n  =  1  an,  so  folgt,  dass  auch: 

—  TT  0 

jitfi.    I   ^{x)  coH  (i{x  —  a)  l{x)dx  -{-  ii^i    I   ^{x)  cos/x(a;  —  a)  ?.{x)dx 


1  ^(x)  coH  (i{x  —  a)  l{x)dx  -{-  ii^i   I  c^i 


6  7t 


-\-  li[i  I   ^{x)  coü[i{x  —  a)dx 
n 

Null  zur  Grenze  hat.     Nun  kann  man,   wenn  ft  eine  ganze  Zahl  n  ist,  mit 
Rücksicht  auf  die  Periodicität  von  ^{x)  für  diese  Summe  setzen: 

c  -^-n 

nn   I   ^{x)  C08}i{x  —  a)  ly{x)dx  -j-  nn   j  ^{x)  cosn(x  —  ä)dx 

wenn    in  dem   Intervall    von  h  -\- 'In  bis  n  X^ix)  =  X{x  —  2  7r)   und   in  dem 
Intervall  von  n  bis  c  X^{x)  =  X{x)  ist,  so  dass  X^{x)  zwischen  den  Grenzen 


Anmerkungen.  253 

h  -{-  '2n  und  c  den  Voraussetzungen  über  die  Function  X{x)  genügt.  Demnach 
hat  das  erste  Glied  der  obigen  Summe  für  sich  den  Grenzwerth  0,  und  folg- 
lich ist  auch  der  Grenzwerth  von 

)  cos  w(:r  —  a)dx 


nn   I  ^{x 


gleich  Null. 

(2)  (Zu  Seite  2.^.9).     Hier  scheint  für  die  Function  X{x)  die  Bedingung  hinzugefugt 

werden  zu  müssen,  dass  sie  sich  nach  dem  Tntervall  2jr  periodisch  wiederholt, 

(die  mit  der  nachher  gemachten  Annahme  verträglich 'ist).     In  der  That  würde 

z.  B.  das  in  Rede  stehende  Integral  nicht  sich  der  Grenze  0  nähern,   wenn 

F{t)  —  C't  —  Aq  —  =  const.    und   X{t)  =  (x  —  t)'^   gesetzt   würde.     Dagegen 

lässt  sich  unter  der  Voraussetzung  der  Periodicität  von  l{x)  das  Verschwinden 
dieses  Integrals  durch  Ausführung  der  DiiFerentiation 


dd 


sin {x  —  t) 

sin  \{x  —  t) 


df 
durch  Anwendung  des  Satzes   3,  Art.  8.   und   eines  ähnlichen  Verfahrens  wie 
in  der  Anmerkung  (1)  leicht  darthun. 

(8)  (Zu  Seite  250)  der  "Vyerth  x  =  }  le j   gehört,    wie    Genocchi   in    einem 

diese  Beispiele  betreffenden  Aufsatz   bemerkt  (Intorno   ad  alcune  serie,  Torino 
1875)  nicht  zu  den  Werthen  von  x,  für  welche  die  Reihe   ^^  8in{n!x7i)  con- 

1,  00 

vergirt.    Aber  auch  für  x  ==  -^  ie j   ist    die   Reihe  nicht,    wie  Genocchi 

angiebt,  convergent. 


XIIL 

lieber  die  Hypothesen,  welche  der  Geometrie  zu  Grunde 

liegen. 

(Ans  dem   dreizehnton  Baude  der  Abbandlungen  der  Königlichen  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  zu  Göttingen.*)) 

Plan  der  Untersuchung. 

Bekanntlicli  setzt  die  Geometrie  sowohl  den  Begriff  des  Raumes^ 
als  die  ersten  Grundbegriffe  für  die  Constructionen  im  Räume  als  etwas 
Gegebenes  voraus.  Sie  giebt  von  ihnen  nur  Nominaldefinitionen,  wäh- 
rend die  wesentlichen  Bestimmungen  in  Form  voü  Axiomen  auftreten. 
Das  Verhältniss  dieser  Voraussetzungen  bleibt  dabei  im  Dunkeln;  man 
sieht  weder  ein,  ob  und  in  wie  weit  ihre  Verbindung  noth wendig, 
noch  a  priori,  ob  sie  möglich  ist. 

Diese  Dunkelheit  wurde  auch  von  Euklid  bis  auf  Legendre,  um 
den  berühmtesten  neueren  Bearbeiter  der  Geometrie  zu  nennen,  weder 
von  den  Mathematikern,  noch  von  den  Philosophen,  welche  sich  da- 
mit beschäftigten,  gehoben.  Es  hatte  dies  seinen  Grund  wohl  darin, 
dass  der  allgemeine  Begriff  mehrfach  ausgedehnter  Grössen,  unter 
welchem  die  Raumgrössen  enthalten  sind,  ganz  unbearbeitet  blieb. 
Ich  habe  mir  daher  zunächst  die  Aufgabe  gestellt,  den  Begriff  einer 
mehrfach  ausgedehnten  Grösse  aus  allgemeinen  Grössenbegriffen  zu 
construiren.  Es  wird  daraus  hervorgehen,  dass  eine  mehrfach  aus- 
gedehnte Grösse  verschiedener  Massverhältnisse  fähig  ist  und  der  Raum 
also  nur  einen  besonderen  Fall  einer  dreifach  ausgedehnten  Grösse 
bildet.     Hiervon   aber  ist  eine  nothwendige   Folge,   dass  die  Sätze  der 

*)  Diese  Abhandlung  ist  am  10.  Juni  1854  von  dem  Verfasser  bei  dem  zum 
Zweck  seiner  Habilitation  veranstalteten  CoUoquium  mit  der  philosophischen 
Facultät  zu  Göttingen  vorgelesen  worden.  Hieraus  erklärt  sich  die  Form  der  Dar- 
stellung, in  welcher  die  analytischen  Untersuchungen  imr  angedeutet  werden 
konnten;  einige  Ausführungen  derselben  findet  man  in  der  Beantwortung  der 
Pariser  Preisaufgabe  nebst  den  Anmerkungen  zu  derselben. 


XIII.    Ueber  die  Hypothesen,  welche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen.     255 

Geometrie  sich  nicht  aus  allgemeinen  Grössenbegriffen  ableiten  lassen, 
sondern  dass  diejenigen  Eigenschaften,  durch  welche  sich  der  Raum 
von  anderen  denk1)aren  dreifach  ausgedehnten  Grössen  unterscheidet, 
nur  aus  der  Erfahrung  entnommen  werden  können.  Hieraus  entsteht 
die  Aufgabe,  die  einfachsten  Thatsachen  aufzusuchen,  aus  denen  sich 
die  Massverhältnisse  des  Raumes  bestimmen  lassen  —  eine  Aufgabe, 
die  der  Natur  der  Sache  nach  nicht  völlig  bestimmt  ist;  denn  es  lassen 
sich  mehrere  -  Systeme  einfacher  Thatsachen  angeben,  Avelche  zur  Be- 
stimmung der  Massverhältnisse  des  Raumes  hinreichen;  am  wichtigsten 
ist  für  den  gegenwärtigen  Zweck  das  von  Euklid  zu  Grunde  gelegte. 
Diese  Thatsachen  sind  wie  alle  Thatsachen  nicht  nothwendig,  sondern 
nur  von  empirischer  Gewissheit,  sie  sind  Hyjjothesen;  man  kann  also 
ihre  Wahrscheinlichkeit,  welche  innerhalb  der  Grenzen  der  Beobachtung 
allerdings  sehr  gross  ist,  untersuchen  und  hienach  über  die  Zulässig- 
keit  ihrer  Ausdehnung  jenseits  der  Grenzen  der  Beobachtung,  sowolil 
nach  der  Seite  des  Unmessbargrossen,  als  nach  der  Seite  des  Un- 
messbarkleinen  urtheilen. 

I.     Begriff  einer  nfsiCh.  ausgedehnten  Grösse. 

Indem  ich  nun  von  diesen  Aufgaben  zunächst  die  erste,  die  Ent- 
wicklung des  Begriffs  mehrfach  ausgedehnter  Grössen,  zu  lösen  ver- 
suche, glaube  ich  um  so  mehr  auf  eine  nachsichtige  Beurtheilung  An- 
spruch machen  zu  dürfen,  da  ich  in  dergleichen  Arbeiten  philosophischer 
Natur,  wo  die  Schwierigkeiten  mehr  in  den  Begriffen,  als  in  der  Con- 
struction  liegen,  wenig  geübt  bin  und  ich  ausser  einigen  ganz  kurzen 
Andeutungen,  welche  Herr  Geheimer  Hofrath  Gauss  in  der  zweiten 
Abhandlung  über  die  biquadratischen  Reste,  in  den  Göttingenschen 
gelehrten  Anzeigen  und  in  seiner  Jubiläumsschrift  darüber  gegeben 
hat,  und  einigen  philosophischen  Untersuchungen  Herbart^s,  durchaus 
keine  Vorarbeiten  benutzen  konnte.  - 

1. 

Grössenbegriffe  sind  nur  da  möglich,  wo  sich  ein  allgemeiner  Be- 
griff vorfindet,  der  verschiedene  Bestimmungsweisen  zulässt.  Je  nach- 
dem unter  diesen  Bestimmungsweisen  von  einer  zu  einer  andern  ein 
stetiger  Uebergang  stattfindet  oder  nicht,  bilden  sie  eine  stetige  oder 
discrete  Maimigfaltigkeit;  die  einzelnen  Bestimmungsweisen  heissen  im 
erstem  Falle  Punkte,  im  letztern  Elemente  dieser  Mannigfaltigkeit. 
Begriffe,  deren  Bestimmungsweisen  eine  discrete  Mannigfaltigkeit  bil- 
den, sind  so  häufig,  dass  sich  für  beliebig  gegebene  Dinge  wenigstens 


256     XIII.    Ueber  die  Hypothesen ,  welche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen. 

in  den  gebildeteren  Sprachen  immer  ein  Begriff  auffinden  lilsst,  unter 
welchem  sie  enthalten  sind  (und  die  Mathematiker  konnten  daher  in 
der  Lehre  von  den  discreten  Grössen  unbedenklich  von  der  Forderung 
ausgehen,  gegebene  Dinge  als  gleichartig  zu  betrachten),  dagegen  sind 
die  Veranlassungen  zur  Bildung  von  Begriffen,  deren  Bestimmungs- 
weisen eine  stetige  Mannigfaltigkeit  bilden,  im  gemeinen  Leben  so 
selten,  dass  die  Orte  der  Sinnengegenstände  und  die  Farben  wohl  die 
einzigen  einfachen  Begriffe  sind,  deren  Bestimmungsweisen  eine  mehr- 
fach ausgedehnte  Mannigfaltigkeit  bilden.  Häufigere  Veranlassung  zur 
Erzeugung  und  Ausbildung  dieser  Begriffe  findet  sich  erst  in  der 
höhern  Mathematik. 

Bestimmte,  durch  ein  Merkmal  oder  eine  Grenze  unterschiedene 
Theile  einer  Mannigfaltigkeit  heissen  Quanta.  Bire  Vergleichung  der 
Quantität  nach  geschieht  bei  den  discreten  Grössen  durch  Zählung,  bei 
den  stetigen  durch  Messung.  Das  Messen  besteht  in  einem  Aufeinander- 
legen der  zu  vergleichenden  Grössen;  zum  Messen  wird  also  ein  Mittel 
erfordert,  die  eine  Grösse  als  Massstab  für  die  andere  fortzutragen. 
Fehlt  dieses,  so  kann,  man  zwei  Grössen  nur  vergleichen,  wenn  die 
eine  ein  Theil  der  andern  ist,  und  auch  dann  nur  das  Mehr  oder  Min- 
der, nicht  das  WievieJ  entscheiden.  Die  Untersuchungen,  welche  sich 
in  diesem  Falle  über  sie  anstellen  lassen,  bilden  einen  allgemeinen  von 
Massbestimmungen  unabhängigen  Theil  der  Grössenlehre,  wo  die  Grössen 
nicht  als  unabhängig  von  der  Lage  existirend  und  nicht  als  durch  eine 
Einheit  ausdrückbar,  sondern  als  Gebiete  in  einer  Mannigfaltigkeit  be- 
trachtet werden.  Solche  Untersuchungen  sind  für  mehrere  Theile  der 
Mathematik,  namentlich  für  die  Behandlung  der  mehrwerthigen  ana- 
lytischen Functionen  ein  Bedürfniss  geworden,  und  der  Mangel  der- 
selben ist  wohl  eine  Hauptursache,  dass  der  berühmte  AbeTsche  Satz 
und  die  Leistungen  von  Lagrange,  Pfaff,  Jacobi  für  die  allgemeine 
Theorie  der  Differentialgleichungen  so  lange  unfruchtbar  geblieben  sind. 
Für  den  gegenwärtigen  Zweck  genügt  es,  aus  diesem  allgemeinen  Theile 
der  Lehre  von  den  ausgedehnten  Grössen,  wo  weiter  nichts  vorausgesetzt 
wird,  als  was  in  dem  Begriffe  derselben  schon  enthalten  ist,  zwei 
Punkte  hervorzuheben,  wovon  der  erste  die  Erzeugung  des  Begriffs 
einer  mehrfach  ausgedehnten  Mannigfaltigkeit,  der  zweite  die  Zurück- 
führung  der  Ortsbestimmungen  in  einer  gegebenen  Mannigfaltigkeit 
auf  Quantitätsbestiramungen  betrifft  und  das  wesentliche  Kennzeichen 
einer  ^fachen  Ausdehnunc^  deutlich  machen  wird. 


XIII.    lieber  die  Hypothesen,  welche  der  Geometrie  zu  Oriinde  liege 


Geht  man  bei  einem  Begriffe,  dessen  Bestimmungsweisen  eine 
stetige  Mannigfaltigkeit  bilden,  von  einer  Bestimmungs weise  auf  eine 
bestimmte  Art  zu  einer  andern  über,  so  bilden  die  durchlaufenen  Be- 
stimmungsweisen eine  einfach  ausgedehnte  Mannigfaltigkeit,  deren 
wesentliches  Kennzeichen  ist,  dass  in  ihr  von  einem  Punkte  nur  nach 
zwei  Seiten,  vorwärts  oder  rückwärts,  ein  stetiger  Fortgang  möglich 
ist.  Denkt  man  sich  nun,  dass  diese  Mannigfaltigkeit  wieder  in  eine 
andere,  völlig  verschiedene,  übergeht,  und  zwar  wieder  auf  bestimmte 
Art,  d.  h.  so,  dass  jeder  Punkt  in  einen  bestimmten  Punkt  der  andern 
übergeht,  so  bilden  sämmtliche  so  erhaltene  Bestimmungsweisen  eine 
zweifach  ausgedehnte  Mannigfaltigkeit,  In  ähnlicher  Weise  erhält  man 
eine  dreifach  ausgedehnte  Mannigfaltigkeit,  wenn  man  sich  vorstellt, 
dass  eine  zweifach  ausgedehnte  in  eine  völlig  verschiedene  auf  be- 
stimmte Art  übergeht,  und  es  ist  leicht  zu  sehen,  wie  man  diese  Con- 
struction  fortsetzen  kann.  Wenn  man,  anstatt  den  Begriff  als  be- 
stimmbar, seinen  Gegenstand  als  veränderlicli  betrachtet,  so  kann  diese 
Construction  bezeichnet  werden  als  eine  Zusammensetzung  einer  Ver- 
änderlichkeit von  n  -j-  1  Dimensionen  aus  einer  Veränderlichkeit  von 
n  Dimensionen  und  aus  einer  Veränderlichkeit  von  Einer  Dimension. 

3. 

Ich  werde  nun  zeigen,  wie  man  umgekehrt  eine  Veränderlichkeit, 
deren  Gebiet  gegeben  ist,  in  eine  Veränderlichkeit  von  einer  Dimension 
und  eine  Veränderlichkeit  von  weniger  Dimensionen  zerlegen  kann. 
Zu  diesem  Ende  denke  man  sich  ein  veränderliches  Stück  einer  Mannig- 
faltigkeit Ton  Einer  Dimension  —  von  einem  festen  Anfangspunkte  an 
gerechnet,  so  dass  die  Werthe  desselben  unter  einander  vergleichbar 
sind  —  welches  für  jeden  Punkt  der  gegebenen  Mannigfaltigkeit  einen 
bestimmten  mit  ihm  stetig  sich  ändernden  Werth  hat,  oder  mit  andern 
Worten,  man  nehme  innerhalb  der  gegebenen  Mannigfaltigkeit  eine 
stetige  Function  des  Orts  an,  und  zwar  eine  solche  Function,  welclie 
nicht  längs  eines  Theils  dieser  Mannigfaltigkeit  constant  ist.  Jedes 
System  von  Punkten,  wo  die  Function  einen  constanten  Werth  hat, 
bildet  dann  eine  stetige  Mannigfaltigkeit  von  weniger  Dimensionen, 
als  die  gegebene.  Diese  Mannigfaltigkeiten  gehen  bei  Aenderung  der 
Function  stetig  in  einander  übey;  man  wird  daher  annehmen  können, 
dass  aus  einer  von  ihnen  die  übrigen  hervorgehen,  und  es  wird  dies, 
allgemein  zu  reden,  so  geschehen  können,  dass  jeder  Punkt  in  einen 
bestimmten    Punkt    der    andern    übergeht;    die    Ausnalimsfälle,    deren 

Kikmann's  gtsaiiumltf   matliprnatiselio  Wciko.     I.  17 


258     XITI.    üeber  die  Hypothesen,  welche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen. 

Untersuclmng  wichtig  ist^  können  liier  unberücksiclitigt  bleiben.  Hier- 
durcli  wird  die  Ortsbestimmung  in  der  gegebenen  Mannigfaltigkeit  zurück- 
geführt auf  eine  Grössenbestimmung  und  auf  eine  Ortsbestimmung  in 
einer  minderfach  ausgedehnten  Mannigfaltigkeit.  Es  ist  nun  leicht  zu 
zeigen^  dass  diese  Mannigfaltigkeit  n  —  1  Dimensionen  hat,  wenn  die 
gegebene  Mannigfaltigkeit  eine  wfach  ausgedehnte  ist.  Durch  n malige 
Wiederholung  dieses  Verfahrens  wird  daher  die  Ortsbestimmung  in 
einer  9^fach  ausgedehnten  Mannigfaltigkeit  auf  w  Grössenbestimmungen, 
und  also  die  Ortsbestimmung  in  einer  gegebenen  Mannigfaltigkeit, 
wenn  dieses  möglich  ist,  auf  eine  endliche  Anzahl  von  Quantitäts- 
bestimniungen  zurückgeführt.  Es  giebt  indess  auch  Mannigfaltigkeiten, 
in  welchen  die  Ortsbestimmung  nicht  eine  endliche  Zahl,  sondern  ent- 
weder eine  unendliche  Reihe  oder  eine  stetige  Mannigfaltigkeit  von 
Grössenbestimmungen  erfordert.  Solche  Mannigfaltigkeiten  bilden  z.  B. 
die  möglichen  Bestimmungen  einer  Function  für  ein  gegebenes  Gebiet, 
die  möglichen  Gestalten  einer  räumlichen  Figur  u.  s.  w. 


n.    Massverhältnisse,  deren  eine  Mannigfaltigkeit  von  ^^ Dimensionen 

fähig    ist,    unter    der   Voraussetzung,    dass    die    Xiinien    unabhängig 

von  der  Lage  eine  Länge  besitzen,  also  jede  Linie  durch  jede 

messbar  ist. 

Es  folgt  nun,  nachdem  der  Begriff  einer  wfach  ausgedehnten  Mannig- 
faltigkeit construirt  und  als  wesentliches  Kennzeichen  derselben  ge- 
funden worden  ist,  dass  sich  die  Ortsbestimmung  in  derselben  auf 
n  Grössenbestimmungen  zurückführen  lässt,  als  zweite  der  oben  ge- 
stellten Aufgaben  eine  Untersuchung  über  die  Massverhältnisse,  deren 
eine  solche  Mannigfaltigkeit  fähig  ist,  und  über  die  Bedingungen,  welche 
zur  Bestimmung  dieser  Massverhältnisse  hinreichen.  Diese  Massver- 
hältnisse lassen  sich  nur  in  abstracten  Grössenbegriffen  untersuchen 
und  im  Zusammenhange  nur  durch  Formeln  darstellen;  unter  gewissen 
Voraussetzungen  kann  man  sie  indess  in  Verhältnisse  zerlegen,  welche 
einzeln  genommen  einer  geometrischen  Darstellung  fähig  sind,  und 
hiedurch  wird  es  möglich,  die  Resultate  der  Rechnung  geometrisch 
auszudrücken.  Es  wird  daher,  um  festen  Boden  zu  gewinnen,  zwar 
eine  abstracte  Untersuchung  in  Formeln  nicht  zu  vermeiden  sein,  die 
Resultate  denselben  aber  werden  sich, im  geometrischen  Gewände  dar- 
stellen lassen.  Zu  Beidem  sind  die  Grundlagen  enthalten  in  der  be- 
rühmten Abhandlung  des  Herrn  Geheimen  Hofraths  Gauss  über  die 
krummen  Flächen. 


XIII.    Ueber  die  Hypothesen,  welche  der  rifnuvtri"  zu  rninid«  hV^rcu.     259 


Massbestimmungen  erfordern  eine  Unabhängigkeit  der  Grössen 
vom  Ort,  die  iu  melir  als  einer  Weise  stattfinden  kann;  die  zunächst 
sieh  darbietende  Annahme,  wejehe  ich  hier  verfolgen  will,  ist  wohl 
die,  dass  die  Länge  der  Linien  unabhängig  von  der  Lage  sei,  also 
jede  Linie  durch  jede  messbar  sei.  Wird  die  Ortsbestimmung  auf 
GrJJssenbestimmungen  zurückgeführt,  also  die  Lage  eines  Punktes  in 
der  gegebenen  nfach  ausgedehnten  Mannigfaltigkeit  durch  n  veränder- 
liche Grössen  x^,  x.,j  x.^,  und  so  fort  bis  x«  ausgedrückt,  so  wird  die 
Bestimmung  einer  Linie  darauf  hinauskommen,  dass  die  Grössen  ./■  als 
Functionen  Einer  Veränderlichen  gegeben  werden.  Die  Aufgabe  ist 
dann,  für  die  Länge  der  Linien  einen  mathematischen  Ausdruck  auf- 
zustellen, zu  welchem  Zwecke  die  Grössen  x  als  in  Einheiten  ausdrück- 
))ar  betrachtet  werden  müssen.     Ich  werde  diese  Aufgabe   nur  unter 


gewissen  Beschränkungen  behandeln  und  beschränke  mich  erstlich  auf 
solche  Linien,  in  welchen  die  Verhältnisse  zwischen  den  Grössen  dx 
—  den  zusammengehörigen  Aenderungen  der  Grössen  x  —  sich  stetig 
ändern;  man  kann  dann  die  Linien  in  Elemente  zerlegt  denken,  inner- 
halb deren  die  Verhältnisse  der  Grössen  dx  als  constant  betrachtet 
werden  dürfen,  und  die  Aufgabe  kommt  dann  darauf  zurück,  für  jeden 
Punkt  einen  allgemeinen  Ausdruck  des  von  ihm  ausgehenden  Linien- 
elements ds  aufzustellen,  welcher  also  die  Grössen  x  und  die  Grössen 
(Ix  enthalten  wird.  Ich  nehme  nun  zweitens  an,  dass  die  Länge  des 
Linienelements,  von  Grössen  zweiter  Ordnung  abgesehen,  ungeändert 
bleibt,  wenn  sämmtliche  Punkte  desselben  dieselbe  unendlich  kleine 
Ortsänderung  erleiden,  worin  zugleich  enthalten  ist,  dass,  wenn  sämmt- 
liche Grössen  dx  in  demselben  Verhältnisse  wachsen,  das  Linienelement 
sich -ebenfalls  in  diesem  Verhältnisse  ändert.  Unter  diesen  Annahmen 
wird  das  Linienelement  eine  beliebige  homogene  Function  ersten  Grades 
der  Grössen  dx  sein  können,  welche  ungeändert  bleibt,  wenn  sämmt- 
liche Grössen  dx  ihr  Zeichen  ändern,  und  worin  die  willkürlichen 
Constanten  stetige  Functionen  der  Grössen  x  sind.  Um  die  einfachsten 
Fälle  zu  finden ,  suche  ich  zunächst  einen  Ausdruck  für  die  n  —  1  fach 
ausgedehnten  Mannigfaltigkeiten,  welche  vom  Anfangspunkte  des  Linien- 
elements überall  gleich  weit  abstehen,  d.  h.  ich  suche  eine  stetige 
Fimction  des  Orts,  welche  sie  von  einander  unterscheidet.  Diese  wird 
vom  Anfangspunkt  aus  nach  allen  Seiten  entweder  ab-  oder  zunehmen 
müssen;  ich  will  annehmen,  dass  sie  nach  allen  Seiten  zunimmt  und 
also  in  dem  Punkte  ein  i\Iiuimum  hat.  Es  niuss  dann,  wenn  ihre 
ersten  und  zweiten  Dili'erentialquotienten  endlich  sind,  das  Differential 

17* 


260     XIII.    Ueber  die  Hypothesen,  welche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen. 

erster  Ordnimg  verschwinden  und  das  zweiter  Ordnung  darf  nie  negativ 
werden;  ich  nehme  an,  dass  es  immer  positiv  bleibt.  Dieser  Ditferential- 
ausdruck  zweiter  Ordnung  bleibt  alsdann  constant,  wenn  ds  constant 
bleibt,  und  wächst  im  quadratischen  Verhältnisse,  wenn  die  Grössen 
(Ix  und  also  auch  ds  sich  sämmtlich  in  demselben  Verhältnisse  ändern; 
er  ist  also  =  const.  ds^  und  folglich  ist  ds  =  der  Quadratwurzel  aus 
einer  immer  positiven  ganzen  homogenen  Function  zweiten  Grades  der 
Grössen  rZ.r,  in  welcher  die  Coefficienten  stetige  Functionen  der  Grössen 
X  sind.  Für  den  Raum  wird,  wenn  man  die  Lage  der  Punkte  durch 
rechtwinklige  Coordinaten  ausdrückt,  ds  =  yiJldxy-^  der  Raum  ist 
also  unter  diesem  einfachsten  Falle  enthalten.  Der  nächst  einfache 
Fall  würde  wohl  die  Mannigfaltigkeiten  umfassen,  in  welchen  sich  das 
Linienelement  durch  die  vierte  Wurzel  aus  einem  Differentialausdrucke 
vierten  Grades  ausdrücken  lässt.  Die  Untersuchung  dieser  allgemeinern 
Gattung  würde  zwar  keine  wesentlich  andere  Principien  erfordern,  aber 
ziemlich  zeitraubend  sein  und  verhältnissmässig  auf  die  Lehre  vom 
Räume  wenig  neues  Licht  werfen,  zumal  da  sich  die  Resultate  nicht 
geometrisch  ausdrücken  lassen;  ich  beschränke  mich  daher  auf  die 
Mannigfaltigkeiten,  wo  das  Linienelement  durch  die  Quadratwurzel  aus 
einem  Differentialausdruck  zweiten  Grades  ausgedrückt  wird.  Man  kann 
einen  solchen  Ausdruck  in  einen  andern  ähnlichen  transformiren,  in- 
dem man  für  die  u  unabhängigen  Veränderlichen  Functionen  von  n 
neuen  unabhängigen  Veränderlichen  setzt.  Auf  diesem  Wege  wird 
man   aber   nicht  jeden  Ausdruck  in  jeden  transformiren  können;  denn 

n  -4-  1 
der  Ausdruck  enthält  n    ^    Coefficienten,  welche  willkürliche  Functionen 

der  unabhängigen  Veränderlichen  sind;  durch  Einführung  neuer  Ver- 
änderlicher wird  man  aber  nur  n  Relationen  genügen  und  also  nur  n 
der  Coefficienten   gegebenen   Grössen   gleich  machen  können.     Es  sind 

dann  die  übrigen  n  — - —  durch  die  Natur  der  darzustellenden  Mannig- 
faltigkeit  schon  völlig  bestimmt,  und  zur  Bestimmung  ihrer  Massver- 
hältnisse  also  n  — ^—  Functionen  des  Orts  erforderlich.  Die  Mannig- 
faltigkeiten, in  welchen  sich,  wie  in  der  Ebene  und  im  Räume,  das 
Linienelement  auf  die  Form  Yzdx'^  bringen  lässt,  bilden  daher  nur 
einen  besondern  Fall  der  hier  zu  untersuchenden  Mannigfaltigkeiten; 
sie  verdienen  wohl  einen  besonderen  Namen,  und  ich  will  also  diese 
Mannigfaltigkeiten,  in  welchen  sich  das  Quadrat  des  Linienelements 
auf  die  Summe  der  Quadrate  von  vollständigen  Difierentialien  bringen 
lässt,  eben  nennen.  Um  nun  die  wesentlichen  Verschiedenheiten  sämmt- 
licher  in  der  Vorausgesetzen  Form  darstellbarer  Maimigfaltigkeiten  über- 


XI 11.    [Jeber  die  Hypothesen,  welche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen.     261 

seilen  zu  können,  ist  es  nötliig,  die  von  der  Darstellungsweise  her- 
rührenden zu  beseitigen,  was  durch  Wahl  der  veriinderlichen  Grössen 
nach  einem  bestimmten  Princip  erreicht  wird. 


Zu  diesem  Ende  denke  man  sich  von  einem  beUebigen  Punkte  aus 
das  System  der  von  ihm  ausgehenden  kürzesten  Linien  construirt;  die 
Lage  eines  unbestimmten  Punktes  wird  dann  bestimmt  werden  können 
durch  die  Anfangsrichtung  der  kürzesten  Linie,  in  welcher  er  liegt, 
und  durch  seine  Entfernung  in  derselben  vom  Anfangspunkte  und  kann 
daher  clurch  die  Verhältnisse  der  Grössen  dx^^  d.  h.  der  Grössen  dx  im 
Anfang  dieser  kürzesten  Linie  und  durch  die  Länge  s  dieser  Linie  aus- 
gedrückt werden.  Man  führe  nun  statt  dx^  solche  aus  ihnen  gebildete 
lineare  Ausdrücke  da  ein,  dass  der  Anfangswerth  de^  Quadrats  des  Linien- 
elements  gleich  der  Summe  der  Quadrate  dieser  Aasdrücke  wird,  so  dass 
die  unabhängigen  Variabein  sind:  die  Grösse  s  und  die  Verhältnisse  der 
Grössen  da]  und  setze  schliesslich  statt  da  solche  ihnen  proportionale 
Grössen  .r^ ,  0^2,  .  . . ,  Xn,  dass  die  Quadratsumme  =  5^  wird.  Führt  man 
diese  Grössen  ein,  so  wird  für  unendlich  kleine  Werthe  von  :/;  das 
Quadrat  des  Linienelements  =  Ildx\  das  Glied  der  nächsten  Ordnung  in 
demselben  aber  gleich  einem  homogenen  Ausdruck  zweiten  Grades  der 

n  — ,-—  Grössen  {x^  dx.^  —  X2  dxAj   {x^  dx.^  —  x.^  äx^)^  . . .,    also   eine 

unendlich  kleine  Grösse  von  der  vierten  Dimension,  so  dass  man  eine 
endliche  Grösse  erhält,  wenn  mamsie  durch  das  Quadrat  des  unendlich 
kleinen  Dreiecks  dividirt,  in  dessen  Eckpunkten  die  Werthe  der  Ver- 
änderlichen sind  (0,  0,  0,  .  .  .),  {x^y  x.^,  ^'3,  . .  .)>  (ß^^'u  ^^^2»  ^*^3>  •  •  •  •)• 
Diese  Grösse  behält  denselben  Werth,  so  lange  die  Grössen  x  und  dx 
in  denselben  binären  Linearformen  enthalten  sind,  oder  so  lange  die 
beiden  kürzesten  Linien  von  den  W\^rthen  <>  bis  zu  den  Werthen  x 
und  von  den  W^erthen  0  bis  zu  den  Werthen  dx  in  demselben  FläcUen- 
element  bleiben,  und  hängt  also  nur  von  Ort  und  Richtung  desselben 
ab.  Sie  wird  offenbar  =  0,  wenn  die  dargestellte  Mannigfaltigkeit^ 
eben,  d.  h.  das  Quadrat  des  Linienelements  auf  Edx-  reducirbar  ist, 
und  kcinu  daher  als  das  Mass  der  in  diesem  Punkte  in  dieser  Flächen- 
richtung stattfindenden  Abweichung  der  Mannigfaltigkeit  von  der  Eben- 
heit angesehen  werden.  Multiplicirt  mit  —  ;[  wird  sie  der  Grösse 
gleich,  welche  Herr  Geheimer  Hofrath  Gauss  das  Krümmuugsmass 
einer  Fläche  genannt  hat.  Zur  Bestimmung  der  Massverhältnisse  einer 
nfach  ausgedehnten  in  der  vorausgesetzten  Form  darstellbaren  Mannig- 

faltiffkeit  wurden  vorhin   )i  Finnlinnou   dr«  Orts  nnf1ii<j"  LTcfuTuhM): 


262     XIU.    Ueber  die  Hypothesen,  welche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen. 

weillT  also  das  Krümmiingsmass  in  jedem  Punkte  in  n  -^—  Flächen- 
richtungen gegeben  wird,  so  werden  daraus  die  Massverhältnisse  der 
Mannigfaltigkeit  sich  bestimmen  lassen,  wofern  nur  zwischen  diesen 
AVerthen  keine  identischen  Relationen  stattfinden,  was  in  der  That, 
allgemein  zu  reden,  nicht  der  Fall  ist.  Die  Massverhältnisse  dieser 
Mannigfaltigkeiten,  wo  das  Linienelement  durch  die  Quadratwurzel  aus 
einem  Dilferentialausdruck  zweiten  Grades  dargestellt  wird,  lassen  sich 
so  auf  eine  von  der  Wahl  der  veränderlichen  Grössen  völlig  unab- 
hängige Weise  ausdrücken.  Ein  ganz  ähnlicher  Weg  lässt  sich  zu 
diesem  Ziele  auch  bei  den  Mannigfaltigkeiten  einschlagen,  in  welchen 
das  Linienelement  durch  einen  weniger  einfachen  Ausdruck,  z.  B.  durch 
die  vierte  Wurzel  aus  einem  Differentialausdruck  vierten  Grades,  aus- 
gedrückt wird.  Es  würde  sich  dann  das  Linienelement,  allgemein  zu 
reden,  nicht  mehr  auf  die  Form  der  Quadratwurzel  aus  einer  Quadrat- 
summe von  Differentialausdrücken  bringen  lassen  und  also  in  dem 
Ausdrucke  für  das  Quadrat  des  Linienelements  die  Abweichung  von 
der  Ebenheit  eine  unendlich  kleine  Grösse  von  der  zweiten  Dimension 
sein,  w^ährend  sie  bei  jenen  Mannigfaltigkeiten  eine  unendlich  kleine 
Grösse  von  der  vierten  Dimension  war.  Diese  Eigenthümlichkeit  der 
letztern  Mannigfaltigkeiten  kann  daher  wohl  Ebenheit  in  den  kleinsten 
Theilen  genannt  werden.  Die  für  den  jetzigen  Zweck  wichtigste  Eigen- 
thifmlichkeit  dieser  Mannigfaltigkeiten,  derentwegen  sie  hier  allein 
untersucht  worden  sind,  ist  aber  die,  dass  sich  die  Verhältnisse  der 
zweifach  ausgedehnten  geometrisch  durch  Flächen  darstellen  und  die 
der  mehrfach  ausgedehnten  auf  die  der  in  ihnen  enthaltenen  Flächen 
zurückführen  lassen,   was  jetzt  noch   einer  kurzen  Erörterung   bedarf. 


In  die  Auffassung  der  Flächen  mischt  sich  neben  den  inneren 
Massverhältnissen,  bei  welchen  nur  die  Länge  der  Wege  in  ihnen  in 
Betracht  kommt,  immer  auch  ihre  Lage  zu  ausser  ihnen  gelegenen 
Punkten.  Man  kann  aber  von  den  äussern  Verhältnissen  abstrahiren, 
indem  man  solche  Veränderungen  mit  ihnen  vornimmt,  bei  denen  die 
Länge  der  Linien  in  ihnen  ungeändert  bleibt,  d.  h.  sie  sich  beliebig 
—  ohne  Dehnung  —  gebogen  denkt,  und  alle  so  auseinander  ent- 
stehenden Flächen  als  gleichartig  betrachtet.  Es  gelten  also  z.  B.  be- 
liebige cylindrische  oder  conische  Flächen  einer  Ebene  gleich,  weil  sie 
sich  durch  blosse  Biegung  aus  ihr  bilden  lassen,  wobei  die  innern 
Massverhältnisse  bleiben,  und  sämmtliche  Sätze  über  dieselben  —  also 
die  ganze  Planimetrie  —  ihre  Gültigkeit  behalten;   dagegen  gelten  sie 


Xül.    Uebur  die  Ilypoihoaen,  welche  dgr  Geometrie  zu  Grunde  liegen.     263 

als  wesentlich  verschieden  von  der  Kugel,  welche  sich  nicht  ohne 
Dehnung  in  eine  Ebene  verwandeln  lässt.  Nach  der  vorigen  Unter- 
suchung werden  in  jedem  Punkte  die  innern  Massverhältnisse  einer 
zweifach  ausgedehnten  Grösse,  wenn  sich  das  Linienelement  durch  die 
Quadratwurzel  aus  einem  Differentialausdruck  zweiten  Grades  ausdrücken 
lässt,  wie  dies  bei  den  Flachem  der  Fall  ist,  charakterisirt  durch  das 
Krümjuungsmass.  Dieser  Gr()sse  lässt  sich  nun  bei  den  Flächen  die 
anschauliche  Bedeutung  geben,  dass  sie  das  Product  aus  den  beiden 
Krümmungen  der  Fläche  in  diesem  Punkte  ist,  oder  auch,  dass  das 
Product  derselben  in  ein  unendlich  kleines  aus  kürzesten  Linien  ffe- 
bildotes  Dreieck  gleich  ist  dem  halben  üeberschusse  seiner  Winkel- 
summe über  zwei  Rechte  in  Theilen  des  Halbmessers.  Die  erste  De- 
finition würde  den  Satz  voraussetzen,  dass  das  Product  der  beiden 
Krümmungshalbmesser  bei  der  blossen  Biegung  einer  Fläche  ungeändert 
bleibt,  die  zweite,  dass  an  demselben  Orte  der  üeberschuss  der  Winkel- 
summe eines  unendlich  kleinen  Dreiecks  über  zwei  Rechte  seinem  In- 
halte proportional  ist.  Um  dem  Krümmungsmass  einer  wfach  aus- 
gedehnten Mannigfaltigkeit  in  einem  gegebenen  Punkte  und  einer  ge- 
gebenen durch  ihn  gelegten  Flächenrichtung  eine  greifbare  Bedeutung 
zu  geben,  muss  man  davon  ausgehen,  dass  eine  von  einem  Punkte 
ausgehende  kürzeste  Linie  völlig  bestimmt  ist,  wenn  ihre  Anfangs- 
richtung gegeben  ist.  Hienach  wird  man  eine  bestimmte  Fläche  er- 
halten, wenn  man  sämmtliche  von  dem  gegebenen  Punkte  ausgehenden 
und  in  dem  gegebenen  Flächenelcment  liegenden  Anfaugsrichtungen 
zu  kürzesten  Linien  verlängert,  und  diese  Fläche  hat  in  dem  gegebenen 
Punkte  ein  bestimmtes  Krümmuugsmass,  welches  zugleich  das  Krüm- 
mungsmass der  ?ifach  ausgedehnten  Mannigfaltigkeit  in  dem  gegebenen 
Punkte  und  der  gegebenen  Flächenrichtung  ist. 

4. 

Es  sind  nun  noch,  ehe  die  Anwendung  auf  den  Raum  gemacht 
wird,  einige  Betrachtungen  über  die  ebenen  Mannigfaltigkeiten  im  All- 
gemeinen nöthig,  d.  h.  über  diejenigen,  in  welchen  das  Quadrat  des 
Linienelements  durch  eine  Quadratsumme  vollständiger  Differential ien 
darstellbar  ist. 

Li  einer  ebenen  wfach  ausgedehnten  Mannigfaltigkeit  ist  das 
Krümmungsmass  in  jedem  Punkte  in  jeder  Richtung  Null;  es  reicht 
aber  nach  der  frühern  Untersuchung,   um   die  Massverhältnisse  zu  be- 

stimmen,  hin  zu  wissen,  dass  es  in  jedem  Punkte  in  w  —- —  Flächen- 
richtungen,   deren    Krümmungsmasse    von    einander    unabhängig    sind. 


264     Xlll.    Ueber  die  Hypothesen,  welche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen. 

Null  sei.  Die  Mannigfaltigkeiten,  deren  Krümmungsmass  überall  =  0 
ist,  lassen  sich  betrachten  als  ein  besonderer  Fall  derjenigen  Mannig- 
faltigkeiten, deren  Krümmungsmass  allenthalben  constant  ist.  Der 
gemeinsame  Charakter  dieser  Mannigfaltigkeiten,  deren  Krümmungs- 
mass constant  ist,  kann  auch  so  ausgedrückt  werden,  dass  sich  die 
Figuren  in  ihnen  ohne  Dehnung  bewegen  lassen.  Denn  offenbar  wür- 
den die  Figuren  in  ihnen  nicht  beliebig  verschiebbar  und  drehbar  sein 
können,  wenn  nicht  in  jedem  Punkte  in  allen  Richtungen  das  Krüm- 
mungsmass dasselbe  wäre.  Andererseits  aber  sind  durch  das  Krüm- 
mungsmass die  Massverhältnisse  der  Mannigfaltigkeit  vollständig  be- 
stimmt; es  sind  daher  um  einen  Punkt  nach  allen  Richtungen  die 
Massverhältnisse  genau  dieselben,  wie  um  einen  andern,  und  also  von 
ihm  aus  dieselben  Constructionen  ausführbar,  und  folglich  kaiin  in  den 
Mannigfaltigkeiten  mit  constantem  Krümmungsmass  den  Figuren  jede 
beliebige  Lage  gegeben  werden.  Die  Massverhältnisse  dieser  Mannig- 
faltigkeiten hängen  nur  von  dem  Wt^rthe  des  Krümmungsmasses  ab, 
und  in  Bezug  auf  die  analytische  Darstellung  mag  bemerkt  werden, 
dass,  wenn  man  diesen  Werth  durch  a  bezeichnet,  dem  Ausdruck  für 
das  Linienelement  die  Form 


i  +  f^.^ 


yudx' 


gegeben  werden  kann. 


Zur  geometrischen  Erläuterung  kann  die  Betrachtung  der  Flächen 
mit  constantem  Krümmungsmass  dienen.  Es  ist  leicht  zu  sehen,  dass 
sich  die  Flächen,  deren  Krümmungsmass  positiv  ist,  immer  auf  eine 
Kugel,  deren  Radius  gleich  1  dividirt  durch  die  Wurzel  aus  dem 
Krümmungsmass  ist,  wickeln  lassen  werden;  um  aber  die  ganze  Mannig- 
faltigkeit dieser  Flächen  zu  übersehen,  gebe  man  einer  derselben  die 
Gestalt  einer  Kugel  und  den  übrigen  die  Gestalt  von  Umdrehungs- 
flächen, welche  sie  im  Aequator  berühren.  Die  Flächen  mit  grösserem 
Krümmungsmass,  als  diese  Kugel,  werden  dann  die  Kugel  von  innen 
berühren  und  eine  Gestalt  annehmen,  wie  der  äussere  der  Axe  ab- 
gewandte  Theil  der  Oberfläche  eines  Ringes;  sie  würden  sich  auf  Zonen 
von  Kugeln  mit  kleinerem  Halbmesser  wickeln  lassen,  aber  mehr  als 
einmal  herumreichen.  Die  Flächen  mit  kleinerem  positiven  Krümmungs- 
mass wird  man  erhalten,  wetm  man  aus  Kugelflächen  mit  grösserem 
Radius  ein  von  zwei  grössten  Halbkreisen  begrenztes  Stück  ausschneidet 
und  die  Schnittlinien  zusammenfügt.     Die  Fläche  mit  dem  Krümmungs- 


XIIL    Ueber  dio  Hypoüiesen,  welche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen.    265 

inass  Null  wird  eine  auf  dem  Aequator  stehende  Cylinderfläche  sein; 
die  Flüclien  mit  negativem  Krümmungsmass  aber  werden  diesen  Cylin- 
der  von  aussen  berühren  und  wie  der  innere  der  Axe  zugewandte  Theil 
der  Oberfläche  eines  Ringes  geformt  sein.  Denkt  man  sich  diese 
Flächen  als  Ort  für  in  ihnen  bewegliche  Flächenstücke,  wie  den  Raum 
als  Ort  für  Körper,  so  sind  in  allen  diesen  Flächen  die  Flächenstücke 
ohne  Dehnung  beweglich.  Die  Flächen  mit  positivem  Krümmungsmass 
lassen  sich  stets  so  formen,  dass  die  Flächenstücke  auch  ohne  Biegung 
beliebig  bewegt  werden  können,  nämlich  zu  Kugelflächen,  die  mit  ne- 
gativem aber  nicht.  Ausser  dieser  Unabhängigkeit  der  Flächenstücke 
vom  Ort  findet  bei  der  Fläche  mit  dem  Krümmungsmass  Null  auch 
eine  Unabhängigkeit  der  Richtung  vom  Ort  statt,  welche  bei  den 
übrigen  Flächen  nicht  stattfindet. 

III.    Anwendung  auf  den  Raum. 

1. 

Nach  diesen  Untersuchungen  über  die  Bestimmung  der  Massver- 
hältnisse einer  wfach  ausgedehnten  Grösse  lassen  sich  nun  die  Bedin- 
gungen angeben,  welche  zur  Bestimmung  der  Massverhältnisse  des 
Raumes  hinreichend  und  nothwendig  sind,  wenn  Unabhängigkeit  der 
Linien  von  der  Lage  und  Darstellbarkeit  des  Linienelements  durch  die 
Quadratwurzel  aus  einem  Differontialausdrucke  zweiten  Grades,  also 
Ebenheit  in  den  kleinsten  Theilen  vorausgesetzt  wird. 

Sie  lassen  sich  erstens  so  ausdrücken,  dass  das  Krümmungsmass 
in  jedem  Punkte  in  drei  Flächenrichtungen  =  0  ist,  und  es  sind  da- 
her die  Massverhältnisse  des  Raumes  bestimmt,  wenn  die  Wink^'l- 
summe  im  Dreieck  allenthalben  gleich  zwei  Rechten  ist. 

Setzt  man  aber  zweitens,  wie  Euklid,  nicht  bloss  eine  von  der 
Lage  unabhängige  Existenz  der  Linien,  sondern  auch  der  Körper 
voraus,  so  folgt,  dass  das  Krümmungsmass  allenthalben  constant  ist, 
ujid  es  ist  dann  in  allen  Dreiecken  die  Winkelsumme  bestimmt,  wenn 
sie  in  Einem  bestimmt  ist. 

Endlich  könnte  man  drittens,  anstatt  die  Länge  der  Linien  als 
unabhängig  von  Ort  und  Richtung  anzunehmen,  auch  eine  Unab- 
hängigkeit ihrer  Länge  und  Richtung  vom  Ort  voraussetzen.  Nach 
dieser  Autfassung  sind  die  Ortsänderungen  oder  Ortsverschiedenheiten 
complexe  in  drei  unabhängige  Einheiten  ausdrückbare  Grössen. 

2. 

hn  Laufe  der  bisherigen  Betrachtungen  wurden  zunächst  die  Aus- 
dehnungs-   oder  Gebietsverhältnisse  von  den  Massverhältnissen   geson- 


26(3    Xlll.     Ucber  die  llypoiliCbL'u,  welche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen. 

dert,  und  gefunden,  dass  bei  denselben  Ausdelinungsverhältnissen  ver- 
schiedene Massverhältnisse  denkbar  sind;  es  wurden  dann  die  Systeme 
einfacher  Massbestimmungen  aufgesucht,  durch  welche  die  Mass  Ver- 
hältnisse des  llaumes  völlig  bestimmt  sind  und  von  welchen  alle  Sätze 
über  dieselben  eine  nothwpndige  Folge  sind;  es  bleibt  nun  die  Frage 
zu  erörtern,  wie,  in  welchem  Grade  und  in  welchem  Umfange  diese 
Voraussetzungen  durch  die  Erfahrung  verbürgt  werden.  In  dieser  Be- 
ziehung findet  zwischen  den  blossen  Ausdehnungsverhältnissen  und  den 
Massverhältnissen  eine  wesentliche  Verschiedenheit  statt,  insofern  bei 
erstem,  wo  die  möglichen  Fälle  eine  discrete  Mannigfaltigkeit  bilden, 
die  Aussagen  der  Erfahrung  zwar  nie  völlig  gewiss,  aber  nicht  un- 
genau sind,  während  bei  letztern,  wo  die  möglichen  Fälle  eine  stetige 
Mannigfaltigkeit  bilden,  jede  Bestimmung  aus  der  Erfahrung  immer 
ungenau  bleibt  —  es  mag  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  sie  nahe  richtig 
ist,  noch  so  gross  sein.  Dieser  Umstand  wird  wichtig  bei  der  Aus- 
dehnung dieser  empirischen  Bestimmungen  über  die  Grenzen  der  Beob- 
achtung ins  ünmessbargrosse  und  Unmessbarkleine;  denn  die  letztern 
können  offenbar  jenseits  der  Grenzen  der  Beobachtung  immer  unge- 
nauer werden,  die  ersteren  aber  nicht. 

Bei  der  Ausdehnung  der  Raumconstructionen  in's  ünmessbargrosse 
ist  Unbegrenztheit  und  Unendlichkeit  zu  scheiden;  jene  gehört  zu  den 
Ausdehnungsverhältnissen,  diese  zu  den  Massverhältnissen.  Dass  der 
Raum  eine  unbegrenzte  dreifach  ausgedehnte  Mannigfaltigkeit  sei,  ist 
eine  Voraussetzung,  welche  bei  jeder  Auffassung  der  Aussenwelt  an- 
<»"ewandt  wird,  nach  welcher  in  jedem  Augenblicke  das  Gebiet  der 
wirklichen  Wahrnehmungen  ergänzt  und  die  möglichen  Orte  eines  ge- 
suchten Gegenstandes  construirt  werden  und  welche  sich  bei  diesen 
Anwendungen  fortwährend  bestätigt.  Die  Unbegrenztheit  des  Raumes 
besitzt  daher  eine  grössere  empirische  Gewissheit,  als  irgend  eine 
äussere  Erfahrung.  Hieraus  folgt  aber  die  Unendlichkeit  keineswegs; 
vielmehr  würde  der  Raum,  wenn  man  Unabhängigkeit  der  Körper  vom 
Ort  voraussetzt,  ihm  also  ein  constantes  Krümmungsmass  zuschreibt, 
nothwendig  endlich  sein,  so  bald  dieses  Krümmungsmass  einen  noch 
so  kleinen  positiven  Werth  hätte.  Man  würde,  wenn  man  die  in  einem 
Flächenelement  liegenden  Anfangsrichtungen  zu  kürzesten  Linien  ver- 
längert, eine  unbegrenzte  Fläche  mit  constantem  positiven  Krümmungs- 
mass, also  eine  Fläche  erhalten,  welche  in  einer  ebenen  dreifach  aus- 
gedehnten Mannigfaltigkeit  die  Gestalt  einer  Kugelfläche  annehmen 
würde  und  welche  folglich  endlich  ist. 


XLir.     Uebcr  diu  Hypothesen,  welche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen.    267 


Die  Fragen  über  das  Uiimessbargrosse  sind  für  die  Naturerkläruii^ 
müssige  Fragen.  Anders  verliält  es  sich  aber  mit  den  Fragen  über 
das  Unmessbarkleine.  Auf  der  (ienauigkeit,  mit  welcher  wir  die  Er- 
scheinungen in's  Unendlichkleine  verfolgen,  beruht  wesentlich  die  Er- 
kenntniss  ihres  (Jausalzusar^nenhangs.  Die  Fortschritte  der  letzten 
Jahrhunderte  in  der  Erkenntniss  der  mechanischen  Natur  sind  fast 
allein  bedingt  durch  die  Genauigkeit  der  Construction,  welche  durch 
die  Erfindung  der  Analysis  des  Unendlichen  und  die  von  Archimed, 
(ialliliii  und  Newton  aufgefundenen  einfachen  Grundbegriffe,  deren 
sich  die  heytige  Physik  bedient,  möglich  geworden  ist.  In  den  Natur- 
wissenschaften aber,  wo  die  einfachen  Grundbegriffe  zu  solchen  Con- 
structionen  bis  jetzt  fehlen,  verfolgt  man,  um  den  Causalzusaramen- 
hang  zu  erkeimen,  die  Erscheinungen  in's  riiumlicli  Kleine,  so  weit  es 
das  Mikroskop  nur  gestattet.  Die  Fragen  über  die  Massverhältnisse 
des  Raumes  im  ünmessbarkleinen  gehören  also  nicht  zu  den  müssigen. 

Setzt  man  voraus,  dass  die  Körper  unabhängig  vom  Ort  existiren, 
so  ist  das  Krümmungsmass  überall  constant,  ujid  es  folgt  dann  aus 
den  astronomischen  Messungen,  dass  es  nicht  von  Null  verschieden 
sein  kann;  jedenfalls  müsste  sein  reciprocer  Werth  eine  Fläche  sein, 
gegen  welche  das  unsern  Teleskopen  zugängliche  Gebiet  verschwinden 
müsste.  Wenn  aber  eine  solche  Unabhängigkeit  der  Körper  vom  Ort 
nicht  stattfindet,  so  kann  mau  aus  den  Massverhältnissen  im  (irossen 
nicht  auf  die  im  Unendlichkleinen  schliessen;  es  kann  dann  in  jedem 
Punkte  das  Krümmungsmass  in  drei  Richtungen  einen  beliebigen  Werth 
haben,  wenn  nur  die  ganze  Krümmung  jedes  messbaren  Raumtheils 
nicht  merklich  von  Null  verschieden  ist;  noch  complicirtere  Verhält- 
nisse können,  eintreten,  wenn  die  vorausgesetzte  Darstellbarkeit  eines 
Ijinienelements  durch  die  Quadratwurzel  aus  einem  Diöerentialausdruck 
zweiten  (Jrades  nicht  stattfindet.  Nun  scheinen  aber  die  empirischen 
Regriffe,  in  welchen  die  räumlichen  Massbestimmungen  gegründet  sind, 
der  Regriff'  des  festen  Körpers  und  des  Lichtstrahls,  im  Unendlich- 
kleinen ihre  Gültigkeit  zu  verlieren;  es  ist  also  sehr  wohl  denkbar, 
dass  die  Massverhältnisse  des  Raumes  im  Unendlichkleinen  den  Vor- 
aussetzungen der  (ieometrie  nicht  gemäss  sind,  und  dies  würde  nlan 
in  der  That  annehmen  müssen,  sobald  sich  dadurch  die  Erscheinungen 
auf  einfachere  Weise  erklären  Hessen. 

Die  Frage  über  die  Ciültigkeit  der  Voraussetzungen  der  (ieometrie 
im  Unendlichkleinen  hängt  zusammen  mit  der  Frage  nach  dem  innern 
Grunde   der  Massverhältnisse  des  Raumes.     Bei  dieser  Frage,  welche 


268    XIII.    Uebor  die  Hypothesen,  welche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen. 

wohl  noch  zur  Lehre  vom  Räume  gerechnet  werden  darf^  kommt  die 
obige  Bemerkung  zur  Anwendung,  dass  bei  einer  discreten  Mannig- 
faltigkeit das  Princip  der  Massverhältnisse  schon  in  dem  Begriffe 
dieser  Mannigfaltigkeit  enthalten  ist,  bei  einer  stetigen  aber  anders 
woher  hinzukommen  muss.  Es  muss  also  entweder  das  dem  Räume 
zu  Grunde  liegende  Wirkliche  eine  discrete  Mannigfaltigkeit  bilden, 
oder  der  Grund  der  Massverhältnisse  ausserhalb,  in  darauf  wirkenden 
bindenden  Kräften,  gesucht  werden. 

Die  Entscheidung  dieser  Fragen  kann  nur  gefunden  werden,  indem 
man  von  der  bisherigen  durch  die  Erfahrung  bewährten  Auffassung 
der  Erscheinungen,  wozu  Newton  den  Grund  gelegt,  ausgeht  und 
diese  durch  Thatsachen,  die  sich  aus  ihr  nicht  erklären  lassen,  ge- 
trieben allmählich  umarbeitet;  solche  Untersuchungen,  welche,  wie  die 
hier  geführte,  von  allgemeinen  Begriffen  ausgehen,  können  nur  dazu 
dienen,  dass  diese  Arbeit  nicht  durch  die  Beschränktheit  der  Begriffe 
gehindert  und  der  Fortschritt  im  Erkennen  des  Zusammenhangs  der 
Dinge  nicht  durch  überlieferte  Vorurtheile  gehemmt  wird. 

Es  führt  dies  hinüber  in  das  Gebiet  einer  andern  Wissenschaft, 
in  das  Gebiet  der  Phj^^sik,  welches  wohl  die  Natur  der  heutigen  Ver- 
anlassung nicht  zu  betreten  erlaubt. 


U  e  b  e  r  s  i  c  h  t. 

Seite 

Plan  der  Untersuchung 254 

I.  Begriff' einer  nfach.  ausgedehnten  Grösse*) 255 

§.  1.  Stetige  und  discrete  Mannigfaltigkeiten,  liestinimte  Theile  einer  Man- 
nigfaltigkeit heissen  Quanta.  Eintheiking  der  Lehre  von  den  stetigen 
Grössen  in  die  Lehre 

1)  von  den   blossen  Gebietsverhältnissen,  bei  welcher  eine  Unab- 
hängigkeit der  Grössen  vom  Ort  nicht  vorausgesetzt  wird, 

2)  von  den  Massverhältnissen,  bei  welcher  eine  solche  Unabhängig- 
keit vorausgesetzt  werden  muss 255 

§.  2.  Erzeugung  des  Begriff's  einer  einfach,  zweifach,  .  .  . ,  nfach  ausgedehn- 
ten Mannigfaltigkeit 257 

§.  8.  Zurückführung  der  Ortsbestimmung  in  einer  gegebenen  Mannigfaltig- 
keit auf  Quantitätsbestimmungen.  Wesentliches  Kennzeichen  einer 
/ifach  ausgedehnten  Mannigfaltigkeit 257 

II.  Massverhältnisse,   deren   eine  Mannigfaltigkeit  von  ?i  Dimensionen   fähig 


'')  Art.  1.  bildet  zugleich  die  Vorarbeit  für  Beiträge  zur  aiialysis  situs. 


Uebersicht.  269 

Seite 
ist*),    unter    der   Voraussetzung,   dass  die  Linien  unabhängig  von  der 
Lage  eine  Länge  besitzen,  also  jede  Linie  durch  jede  messbar  ist.     .     .     '258 
§.  1.    Ausdruck  des  Linienelements.     Als  eben   werden  solche  Mannigfaltig- 
keiten betrachtet,  in  denen  das  Linienelement  durch  die  Wurzel  aus 
einer  Quadratsumme  vollständiger  Differentialien  ausdrückbar  ist    .     .     259 
i?.  2.    Untersuchung  der  nfach  ausgedehnten  Mannigfaltigkeiten,  in  welchen 
das  Linienelement  durch  die  Quadratwurzel  aus  einem  Differentialaus- 
druck  zweiten    Grades  dargestellt  werden  kann.     Mass  ihrer  Abwei- 
chung von  der  Ebenheit  (Krümmungsmass)  in  einem  gegebenen  Punkte 
und  einer   gegebenen  Flächenrichtung.     Zur  Bestimmung  ihrer  Mass- 
verhältnisse   ist    es    (unter    gewissen    Beschränkungen)    zulässig    und 

n 1 

hinreichend,   dass  das  Krümmungsmass  in  jedem  Punkte  in  n       ^ 

Flächenrichtungen  beliebig  gegeben  wird 261 

c?.  3.    Geometrische  Erläuterung 202 

§.  4.  Die  ebenen  Mannigfaltigkeiten  (in  denen  das  Kriimmungsmass  allent- 
halben =  0  ist)  lassen  sich  betrachten  als  einen  besondem  Fall  der 
Mannigfaltigkeiten  mit  constantem  Krümmungsmass.  Diese  können 
auch  dadurch  dcfinirt  werden,  dass  in  ihnen  Unabhängigkeit  der  nfach 
ausgedehnten  Grössen  vum  Ort  (Bewegbarkeit  d(n-selben  ohne  Dehnung) 

stattfindet 203 

§.  ö.    Flächen  mit  constantem  Krümmungsmasse 264 

III.     Anwendung  auf  den  Raum 265 

§.  1.    Systeme  von  Thatsachen,  welche  zur  Bestimmung  der  Massverhältnisse 

des  Raumes,  wie  die  Geometrie  sie  voraussetzt,  hinreichen      ....     265 
ij.  2.    In  wie  weit  ist  die  Gültigkeit  dieser  empirischen  Bestimmungen  wahr- 
scheinlich jenseits  der  Grenzen  der  Beobachtung  im  Unmessbargrossen?     205 
§.  3.   In  wie  weit  im  Unendlichkleinen?     Zusammenhang  dieser  Frage  mit 

der  Naturerklärung**)       207 

*)  Die  Untersuchung  über  die  möglichen  Massbestimmungen  einer  7ifach  aus- 
gedehnten Mannigfaltigkeit  ist  sehr  unvollständig,  indess  für  den  gegenwärtigen 
Zweck  wohl  ausreichend. 

**)  Der  §.  3.  des  Art.  111.  bedarf  noch  einer  Umarbeitung  und  weitern  Ausführung. 


XIV. 

Ein  Beitrag  zur  Elektrodynamik. 

(Aus  Poggeudorffs  AnnaleD  der  Physik  und  Chemie,  Bd.  CXXXl.) 

Der  Küiiiglichen  Societät  erlaube  ich  mir  eine  Bemerkung  mit- 
zutlieilen,  welche  die  Theorie  der  Elektricität  und  des  Magnetismus 
mit  der  des  Lichts  und  der  strahlenden  Wärme  in  einen  nahen  Zu- 
sammenhang bringt.  Ich  habe  gefunden^  dass  die  elektrodynamischen 
Wirkungen  galvanischer  Ströme  sich  erklären  lassen^  wenn  man  an- 
nimmt, dass  die  Wirkung  einer  elektrischen  Masse  auf  die  übrigen 
nicht  momentan  geschieht,  sondern  sich  mit  einer  constanten  (der  Licht- 
geschwindigkeit innerhalb  der  Grenzen  der  Beobachtungsfehler  gleichen) 
Geschwindigkeit  zu  ihnen  fortpflanzt.  Die  Differentialgleichung  für  die 
Fortpflanzung  der  elektrischen  Kraft  wird  bei  dieser  Annahme  dieselbe, 
wie  die  für  die  Fortpflanzung  des  Lichts  und  der  strahlenden  Wärme. 

Es  seien  S  und  S'  zwei  von  constanten  galvanischen  Strömen 
durchflossene  und  gegen  einander  nicht  bewegte  Leiter,  e  sei  ein 
elektrisches  Massentheilchen  im  Leiter  S,  Avelches  sich  zur  Zeit  t  im 
Punkte  (.r,  y,  z)  befinde,  e'  ein  elektrisches  Massentheilchen  von  S' 
und  befinde  sich  zur  Zeit  t  im  Punkte  {x ,  y,  /).  Ueber  die  Bewegung 
der  elektrischen  Massentheilch'en,  welche  in  jedem  Leitertheilchen  für 
die  positiv  und  negativ  elektrischen  entgegengesetzt  ist,  mache  ich  die 
Voraussetzung,  dass  sie  in  jedem  Augenblicke  so  vertheilt  sind,  dass 
die  Summen 

Zefipc,  y,  z\  Z^i\x,  y\  /) 
über  sämmtliche  Massentheilchen  der  Leiter  ausgedehnt  gegen  dieselben 
Summen,  wenn  sie  nur  über  die  positiv  elektrischen  oder  nur  über 
die  negativ  elektrischen  Massentheilchen  ausgedehnt  werden,  vernach- 
lässigt werden  dürfen,  sobald  die  Function  /'  und  ihre  Differential- 
quotienten stetig  sind. 

Diese  Voraussetzung  kann  auf  sehr  mannigfaltige  Weise  erfüllt 
werden.  Nimmt  man  z.  B.  an,  dass  die  Leiter  in  den  kleinsten  Theilen 
krystallinisch    sind,    so    dass    sich    dieselbe    relative    VortluMluug    der 


XIV.     Ein  Beitrag  zur  Elektrodynamik.  271 

Elektricitäten  in  bestimmten  gegen  die  Dimensionen  der  Leiter  unend- 
lich kleinen  Abständen  periodisch  wiederholt,  so  sind,  wenn  ß  die 
Länge  einer  solchen  Periode  bezeichnet,  jene  Summen  unendlich  klein, 
wie  cß",  wenn  /'  und  ihre  Derivirten  bis  zur  (n  —  l)ten  Ordnung  stetig 

sind,  und  unendlich  klein  wie  e    '  ,  wenn  sie  sämmtlich  stetig  sind. 


Erfahrungsmässiges  Gesetz  der  elektrodynamischen  "Wirkungen. 

Sind  die  specifischen  Stromintensitäten  nach  mechanischem  Mass 
zur  Zeit  t  im  Punkte  (^,  y^  z)  parallel  den  drei  Axen  ?/,  v,  tv,  und 
im  Punkte  (/,  y,  /)  «',  v\  w\  und  bezeichnet  r  die  Entfernung  beider 
Punkte,  c  die  von  Kohlrausch  und  Weber  bestimmte  Constante,  so 
ist  der  Erfahrung  nach  das  Potential  der  von  S  auf  S'  ausgeübten 
Kräfte 

-  cc  f  f  ""-'+- j'-^—'^dSdS', 

dieses  Integral  über  sämmtliche  Elemente  dS  und  dS'  der  Leiter  S 
und  >S"  ausgedehnt.  Führt  man  statt  der  specifischen  Stromintensitäten 
die  Producte  aus  den  Geschwindigkeiten  in  die  specifischen  Dichtig- 
keiten und  dann  für  die  Producte  aus  diesen  in  die  Volumelemente  die 
in  ihnen  enthaltenen  Massen  ein,  so  geht  dieser  Ausdruck  über  in 

cc  r     dt  dt 

wenn  die  Aenderung  von  r"  während  der  Zeit  dt^  welche  von  der  Be- 
wegung von  £  herrührt,  durch  d,  und  die  von  der  Bewegung  von  a 
herrührende  durch  d'  bezeichnet  wird. 

Dieser  Ausdruck  kann  durch  Hinwegnahme  von 

cc  r     dt 
dt 

welches  durch  die  Summirung  nach  e  verschwindet,  in 

- "(-)  .V  ». 
cc     dt       dt 

und  dieses  wieder  durch  Addition  von 

(I  ZI.        )  r 

cc  dt 

<lf 
welches  durch  die  Suuuuation  nach  t'  Null  wird,  in 


272  XIY.     Ein  Beitrag  zur  Elektrodjaiamik. 

cc    dt  dt 
verwandelt  werden. 

Ableitung  dieses  Gesetzes  aus  der  neuen  Theorie. 

Nacli  der  bislierigen  Annalime  über  die  elektrostatische  Wirkung 
wird  die  Potential  Function  U  beliebig  vertlieilter  elektrischer  Massen, 
wenn  q  ihre  Dichtigkeit  im  Punkte  (,x',  y^  z)  bezeichnet,  durch  die 
Bedingung 

dx^    '    oy^     '     dz-  ^  ^ 

und  durch  die  Bedingung,  dass  U  stetig  und  in  unendlicher  Entfernung 
von  wirkenden  Massen  constant  sei,  bestimmt.  Ein  particulares  Inte- 
gral der  Gleichung 

dx'  ~r  8y-  ~^  dz^  ~     ' 
welches  überall  ausser  dem  Punkte  {a: ,  y  ^  /)  stetig  bleibt,  ist 

yW 

r 
und   diese   Function    bildet    die   vom   Punkte    (ä/,  y\  /•)    aus    erzeugte 
Potentialfunction,  wenn  sich  in  demselben  zur  Zeit  t  diö  Masse  —  fif) 
befindet. 

Statt  dessen  nehme  ich  nun  an,  dass  die  Potentialfunction  V  durch 
die  Bedingung 

dt'  \ox-     '    Oy^     '     cz'/     '  ^ 

bestimmt  wird,  so  dass  die  vom  Punkte  (x,  ?/,  /)  aus  erzeugte  Po- 
tentialfunction, wenn  sich  in  demselben  zur  Zeit  t  die  Masse  —  f(f) 
befindet,  ^ 

r 

wird. 

Bezeichnet  mau  die  Coordinaton  der  Masse  s  zur  Zeit  t  durch 
Xtj  ytj  Zi,  und  die  der  Masse  t  zur  Zeit  t'  durch  ./y,  y'f,  Zf,  und  setzt 
zur  Abkürzung 

(fc  -  xVf  +  (?A  -  y',')'  +  («,  -  ^'.'If^  =  ^--f)  =  F(t,  i'), 
so   wiril  iiacli  dieser  Annaliino  das  l'otential  vou  £  auf  t'  zuv  Zeit  / 


XTV.     Ein  Beitrag  zur  Elektrodynamik.  273 

Das  Potential  der  von  sämmtliclien  Massen  f  des  Leiters  S  -auf 
die  Massen  a  des  Leiters  S'  von  der  Zeit  0  bis  zur  Zeit  t  ausgeübten 
Kräfte  wird  daher 


p=—  I'zzss'fU—  [,ty., 


u 
die  Summen  über  sämmtliehe  Massen  beider  Leiter  ausgedehnt. 

Da  die  Bewegung  für  entgegengesetzt  elektrische  Massen  in  jedem 
Leitertheilchen  entgegengesetzt  ist^  so  erlangt  die  Function  F(tj  f) 
durch  die  Derivation  nach  t  die  Eigenschaft^  mit  £,  und  durch  die 
Derivation  nach  f  die  Eigenschaft,  mit  e'  ihr  Zeichen  zu  ändern.  Bei 
der  vorausgesetzten  Vertheilung  der  Elektricitäten  wird  daher,  wemi 
mau  die  Derivationen  nach  t  durch  obere  und  nach  f  durch  untere 
Accente  bezeichnet,  UUse  F^!^  (r,  t),  über  sämmtliehe  elektrische  Massen 
ausgedehnt,  nur  dann  nicht  unendlich  klein  gegen  die  über  die  elektri- 
schen Massen  einer  Art  erstreckte  Summe,  wenn  n  und  n  beide  un- 
gerade sind. 

Man  nehme  nun  an,  dass  die  elektrischen  Massen  während  der 
Fortpflanzungszeit  der  Krafc  von  einem  Leiter  zum  anderen  nur  einen 
sehr  kleinen  Weg  zurücklegen,  und  betrachte  die  Wirkung  während 
eines  Zeitraums,  gegen  welchen  die  Fortpflanzungszeit  verschwindet. 
In  dem  Ausdrucke  von  F  kann  man  dann  zunächst 


durch 


4-v>^) 


F(t  —  l  ,  r)  —  Kr,  r)  =  —  f  F' {x  —  (T,  t)da 

u 
ersetzen,    da   LEat  Fir^T)   vernachlässigt    werden    darf.      Man   erhält 
dadurch 


I  a 

P  =   CdtZZas    Cr  ix  —  G,  x) 


da. 


oder   wenn    man   die   Ordnung   der   Litegrationen   umkehrt   und   r  -(-  a 
für  T  setzt. 


r 

«  I  -  (T 


P  =  SEea  Cda  rdxF\x,  x  +  o). 

0  —  <f 

Verwandelt  man  die  Grenzen  des  Innern  Integrals  in  0  und  /,  so 
wird  dadurch  an  der  obern  Grenze  der  Ausdruck 

lliEMANx's  gesammelt»'  iiiatluniutisclit>  Werke.    I,  18 


274  X\Y.     Ein  Beitrag  zur  Elektrodynamik. 


H{t)  =  U^Jes'  j'da  CilxF'it  +  t,  ^  +  r  +  a) 

0  —  (T 

hinzugefügt,   und   an   der  untern  Grenze   der  Werth   dieses   Ausdrucks 
für  t  =  0  hinweggenommen.     Man  hat  also 

r 

t  Tt 

F  =  färZZes    Cdar{r,  r -\-  ö)  -  H{t)  +  H{()). 

0  0 

In  diesem  Ausdruck  kann  man  F\t,  t  +  (?)  durch  F'  (t,  t  +  (?)  — F'{r,r) 
ersetzen,  da 


7 

/  r 


EEes  -F\t,T) 

vernachlässigt  Averden  darf.  Man  erhält  dadurch  als  Factor  von  se' 
einen  Ausdruck,  der  sowohl  mit  s  als  mit  s'  sein  Zeichen  ändert,  so 
dass  sich  bei  den  Summationen  die  Glieder  nicht  gegen  einander  auf- 
heben, und  unendlich  kleine  Bruchtheile  der  einzelnen  Glieder  vernach- 
lässigt werden  dürfen.     Es  ergiebt  sich  daher,  indem  man 

F\t,r  +  ö)-  F'{x,  r)  durch  o-j^^ 

ersetzt  und  die  Integration  nach  a  ausführt,  bis  auf  einen  zu  ver- 
nachlässigenden Bruchtheil 

Es  ist  leicht  zu  sehen,  dass  H{t)  und  H(0)  vernachlässigt  werden 
dürfen;  denn  es  ist 

F'(f  +  r.f  +  r  +  a)=    ]{■'+   ^L'-r  +  ^(r  +  a)  +  ■■., 

folglich : 

4(±)            .d-^il-)           .,  dd-(-i) 
rrr.x  ^,.     >  (  rr       \r  /         v       \r  I  _.     r'  \r  I  ^^ 

n{t)  —  Z.A8B  y^^^-Y^        ««^'"TtT^  +  g«^'    dt  dt    "T 

Hierin  aber  ist  nur  das  erste  Glied  des  Factors  von  ff'  mit  dem 
Factor  in  dem  ersten  Bestandtheile  von  P  von  gleicher  Ordnung,  und 
dieses  liefert  wegen  der  Summation  nach  a  nur  einen  zu  vernach- 
lässigenden Bruchtheil  desselben. 

Der   Werth    von    P,    welcher    sich    aus    unserer    Theorie    ergiebt, 
stimmt  mit  dem  erfahrungsmässigen 


XIV.     Ein  Beitrag  zur  Elektrodynamik.  275 

1  cc     dt  dz 

u 

ühorein,  wenn  man  ««  =  Jcr  annimmt. 

Nach  der  Bestimmung  von  Weber  und  Kohl  rausch  ist 

c  =  439450. 10^' ™^*"^f^ 
becunde 

woraus  sich  a  zu  41949  geographischen  Meilen  in  der  Secunde  ergiebt, 
wlUirend  für  die  Liclitgeschwindigkeit  von  Busch  aus  Bradley's 
Aberrationsbeobaclitungen  41994  Meilen,  und  von  F'izeau  durch  directe 
Messung  41882  Meilen  gefunden  worden  sind. 


Dieser  Aufsatz  wurde  von  lliemann  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften zu  Göttingen  am  10.  Februar  1858  überreicht,  wie  aus  einer  dem  Titel 
des  Manuscriptes  hinzugefügten  Bemerkung  des  damaligen  Secretiirs  der  Gesell- 
schaft hervorgeht,  später  aber  wieder  zurückgezogen.  Nachdem  der  Aufsatz  nach 
Kiemann's  Tode  veröffentlicht  worden  war,  wurde  er  durch  Clausius  (Poggen- 
dorffs  Annalen  Bd.  CXXXV  p.  006)  einer  Kritik  unterworfen,  deren  wesentlichster 
Einwand  in  Folgendem  besteht: 

Nach  den  Voraussetzunffen  hat  die  Summe: 


i'  =  -j'zz..'4-;;,  r) 


dz 


einen  verschwindend  kleinen  Werth.  Die  Operation,  vermöge  deren  später  für  die- 
selbe ein  nicht  verschwindend  kleiner  Werth  gefunden  wird,  muss  daher  einen 
Irrthum  enthalten,  den  Clausius  in  der  Ausführung  einer  unberechtigten  Um- 
kehrung der  Integrationsfolge  findet. 

Der  Einwand  scheint  mir  begründet  und  ich  bin  mit  Clausius  der  Meinung, 
dass  Riemann  sich  denselben  selbst  gemacht  und  desshalb  die  Arbeit  vor  der 
Publication  zurückgezogen  hat. 

Obwohl  damit  der  wesentlichste  Inhalt  der  lliemann'schen  Deduction  dahin- 
fallen  würde,  habe  ich  mich  doch  zur  Aufnahme  dieses  Aufsatzes  in  die  vorliegende 
Sammlung  entschlossen,  weil  ich  nicht  zu  entscheiden  wagte,  ob  er  nicht  doch 
noch  Keime  zu  weiteren  fruchtbaren  Gedanken  über  diese  höchst  interessante 
Frage  enthält.  W. 


18' 


XV. 

Beweis  des  Satzes,  dass  eine  einwerthige  mehr  als  2 1/ flieh 
periodische  Function  von  v?  Veränderlichen  unmöglich  ist.*) 

(Aus  Borchardt's  Journal  für  reino  und  angewandte  Matliematik,  Bd.  7.1.) 

.  .  .  Den  Beweis  des  Satzes,  auf  welchen  Sie  neulich  die  Unterhal- 
tung lenkten,  dass  eine  einwerthige  mehr  als  2>^fach  periodische  Function 
von  n  Veränderlichen  unmöglich  ist,  habe  ich  im  Gespräch  wohl  nicht 
ganz  klar  ausgedrückt,  auch  nur  die  Grundgedanken  angegeben;  ich 
theile  ihn  Ihnen  daher  hier  noch  einmal  mit. 

Es  sei  f  eine  2  ^^  fach  periodische  Function  von  w  Veränderlichen 
x^,  X2J  .  .  .,  Xn  und  —  ich  darf  wohl  meine  Ihnen  bekannten  Benen- 
nungen gebrauchen  —  der  Periodicitätsmodul  von  ./',.  für  die  ftte  Periode 
a' .     Es  lassen  sich  dann  bekanntlich  die  Grössen  x  in  die  Form 


X,  =  ^%^,   für  7/  =  1,  2,  .  .  .,  n 


setzen**),  so  dass  die  Grössen  |  reell  sind.  Lässt  man  nun  die  Grössen 
I  die  Werthe  von  0  bis  1  mit  Ausschluss  eines  von  diesen  Grenz- 
werthen  durchlaufen,  so  hat  das  dadurch  entstehende  2 w fach  ausge- 
dehnte Grössengebiet  die  Eigenschaft,  dass  jedes  System  von  Werthen 
der  w  Veränderlichen  einem  und  nur  einem  Werthsysteme  innerhalb 
dieses  Grössengebiets  nach  den  2n  Modulsystemen  congruent  ist.  Ich 
werde,  um  mich  später  kürzer  ausdrücken  zu  können,  dieses  Gebiet 
„das  bei  diesen  2  w  Modulsystemen  periodisch  sich  wiederholende  Grössen- 
gebiet" nennen. 

Hat  die  Function  nun   noch  ein  2n-|-ltes  Modulsystem,  welches 
sich  nicht  aus  den  2n  ersten  Modulsystemen  zusammensetzen  lässt,  so 


*)  Auszug  aus  einem  Schreiben  Riemanns  an  Hrn.  Weierstrass. 
**)  Dies  ist  nicht  immer    der  Fall,  sondern   nur,  wenn  die   2 n Gleichungen, 
durch  welche  die  Grössen  |  bestimmt  werden,  von  einander  unabhängig  sind;  die 
Ausnahmen  sind  aber  leicht  zu  behandeln. 


XV.     Beweis  des  Satzes,  dass  eine  einwerthige  etc.  277 

kann  man  die  einem  Grössensysterae  nach  diesem  Modulsysteme  con- 
gruenten  Grössensysteme  auf  innerhalb  dieses  Gebiets  liegende  nach 
den  2)1  ersten  Modulsystemen  ihnen  congruente  zurückführen  und  da- 
durch offenbar  beliebig  viele  innerhalb  dieses  (iebiets  liegende  und 
nach  den  2n+l  Modulsystemen  einander  congruente  Grössensysteme 
erhalten,  wenn  nicht  zwei  von -den  nach  dem  2n+ Iten  Modulsysteme 
congruente  Grössensysteme  auch  nach  den  2n  ersten  Modulsystemen 
congruent  sind.  In  diesem  Falle  würden  zwischen  den  2n-\-  i  Modul- 
systemen n  Gleichungen  von  der  Form 

,«=1 
worin   die   Grössen  m   ganze   Zahlen   wären,   stattfinden,   und   folglich, 
wie  ich  später  zeigen  werde,  die  2n-\-  1  Modulsysteme  sich  aus  2>?  ^To- 
dulsystemen  zusammensetzen  lassen. 

Man  theile  nun  für  jede  der  Grössen  ^  die  Strecke  von  0  bis  1 
in  q  gleiche  Theile,  wodurch  das  bei  den  2n  ersten  Modulsystemen 
periodisch  wiederkehrende  Gebiet  in  q^"  Gebiete  zerfällt,  in  deren  jedem 

sich  die  Grössen  |  nur  um  —   ändern.      Offenbar    müssen    dann     von 

q 

mehr  als  5^"  nach  den  2n  +  1  Modulsystemen  einander  congruenten  und 
in  jenem  Gebiete  liegenden  Grössensystemen  nothwendig  zwei  in  dasselbe 
Theilgebiet  fallen,  so  dass  sich  die  Werthe  derselben  Grösse  J  in  bei- 
den keinenfalls  um  mehr  als  von  einander  unterscheiden.  Die 
Function  bleibt  also  dann  ungeändert,  während  keine  der  Grössen  g 
um  mehr  als        geändert   wird,  und   ist  folglich,  da  q  beliebig  gross 

genommen  werden  kann,  wenn  sie  stetig  ist,  eine  Function  von  we- 
niger als  n  linearen  Ausdrücken  der  Grössen  ./■. 

Es  ist  nun  noch  zu  zeigen,  dass  sich  2;^+!  Modulsysteme,  zwi- 
schen denen  die  n  Gleichungen 

stattfinden,  aus  2 71  Modulsystemen  zusammensetzen  lassen. 

Man  kann  zunächst  leicht  beweisen,  dass  sich  zu  einem  Modul- 
systeme 

worin  die  Grössen  m  ganze  Zahlen  ohne  gemeinschaftlichen  Theiler 
sind,  immer  2 71  —  1  andere  Modulsysteme  6^,,  63,.  .  . ,  6^,,  so  finden  lassen, 


278  XV.     Beweis  des  Satzes,  dass  eine  eiuwerthige  etc. 

dass  Congruenz  uacli  den  Modulsystemen  a  mit  Congruenz  nach  den 
Modulsystemen  h  identisch  ist.  Es  seien  9^  der  grösste  gemeinschaft- 
liche Theiler  von  m^  und  7n.,  und  K,ß  zwei  der  Gleichung 

ßnij^  —  am.^  =  0^ 
genügende  ganze  Zahlen.     Setzt  man  dann 

a\  nii  +  (fl  m.^  ==  c]  O^ 
und 

aal  +  ßal  =  &;^ , 
so  hat  man 

Es  lassen  sich  also  auch  umgekehrt  die  Modulsysteme  a^  und  a^  aus 
den  Modulsystemen  h^n  und  q  zusammensetzen,  und  folglich  ist  Con- 
gruenz nach  jenen  mit  Congruenz  nach  diesen  gleichhedeutend.  Man 
kann  daher  die  Modulsysteme  a^  und  «^  durch  die  Modulsysteme  q 
und  hon  ersetzen.  Auf  dieselbe  Weise  kann  man  nun,  wenn  Gg  der 
grösste  gemeinschaftliche  Theiler  von  6^  und  m^  ist,  die  Modulsysteme 
c'i  und  «3  durch  das  Modulsystem 

und  durch  ein  Modulsystem  &2«— 1  ersetzen.  Durch  Fortsetzung  dieses 
Verfahrens  erhält  man  offenbar  den  zu  beweisenden  Satz.  Der  Inhalt 
des  periodisch  sich  wiederholenden  Gebiets  ist  für  die  neuen  Modul- 
systeme h  derselbe  wie  für  die  alten. 

Mit  Hülfe  dieses  Satzes  lassen  sich  in  den  n  Gleichungen 

1 

die  2n  ersten  Modulsysteme  so  durch  2n  neue  &^,  h^y  . . .,  h^n  ersetzen, 
dass  diese  Gleichungen  die  Form 

annehmen,  worin  p  und  ([  ganze  Zahlen  ohne  gemeinschaftlichen  Theiler 
sind.     Sind  nun  y^  ö  zwei  der  Gleichung 

pÖ  -{-  ,jy=l 

genügende  ganze  Zahlen,  so  lassen  sich  offenbar  die  beiden  Modul- 
systeme h^  und  «2«+x  durch  das  eine  Modulsystem 

a      ,  b 

'     1     •  2rt+l  p  q 

ersetzen.    Sämmtliche  Modulsysteme,  welche  sich  aus  den  Modulsystemen 


XV.     Beweis  des  Satzes,  dass  eine  einwerthige  etc.  279 

a^y  a.,,  .  .  .y  a2„-\.i  zuHammensetzen  lassen,  können  also  auch  aus  den 
2/1  Modulsystemen  ~,  b.^,  \j  ...,  h^n  zusammengesetzt  werden,  und 
umgekehrt.  Der  Inhalt  des  periodisch  wiederkehrenden  Gebiets  be- 
trägt für  diese   2n  Modulsysteme  nur  —  von  dem  für  die   2n  ersten 

Modulsysteme  a.  Hat  die  Function  nun  ausser  diesen  Modulsystemen 
noch  ein  durch  ähnliche  ganzzahlige  Gleichungen  mit  ihnen  verbun- 
denes, so  lassen  sich  wieder  2n  neue  Modulsysteme  finden,  aus  wel- 
chen sich  alle  diese  Modulsysteme  zusammensetzen  lassen,  und  der  In- 
halt des  periodisch  sich  wiederholenden  Gebiets  wird  dabei  wieder  auf 
einen  aliquoten  Theil  reducirt.  Wenn  dieses  Gebiet  unendlich  klein 
wird,  so  wird  die  Function  eine  Function  von  weniger  als  n  linearen 
Ausdrücken  der  Veränderlichen  und  zwar  von  n  —  1  oder  n  —  2  oder 
11  —  m,  jenachdem  nur  eine,  oder  zwei  oder  m  Dimensionen  dieses 
Grössengebiets  unendlich  klein  werden.  Soll  dies  aber  nicht  eintreten, 
so  muss  die  Operation  schliesslich  abbrechen,  und  man  wird  also  zu 
2n  Modulsystemen  gelangen,  aus  welchen  sich  sämmtliche  Modul - 
Systeme  der  Function  zusammensetzen  lassen. 

Göttingen,  den  26ten  October  1859. 


XYI. 

Estratto  di  una  lettera  scritta  in  lingua  Italiana  il  di 
21  Gennaio  1864  al  Sig.  Professore  Enrico  Betti. 

(Annali  di  Matematica,  Ser.  1.  T.  VII.) 

Carissimo  Amico 
.  .  .  Per  trovare  Tattrazione  di  un  cilindro  omogeneo  retto  ellissoi- 
dale  qualunque,  io  considero,  introduceiido  coordiiiate  rettangolari  x.,  y,  z^ 
il  cilindro  ilifinito  limitato  della  diseguaglianza: 

1  _  ^  _  ^!  >  0 

ripieno  di  massa  di  densita  costante  +1,  se  ^  <  0,  e  di  densitä 
—  1,  se  ^  >  0.  Allora  se  poniamo,  come  e  solito,  il  potenziale  nel 
punto  Xy  y,  z  eguale  di,  V  q 

dv_  ^   dv__  ^   dv _ 

dx   ~"  ■'^'    dy  ~      '   Tz  ~~  ^' 
si  ha  per  ^  =  0,   F  =  0,  X  =  0,  Y=  0. 
Z  e  eguale  al  potenziale  dell'  ellisse: 

colla  densita  2,  e  si  trova  col  metodo  di  Diriclilet,  se  denotiamo  con 
(7  la  radice  maggiore  delF  equazione: 

1 ^ yl —  =  F =0 

a^  -\-  s        h'^  -\-  s         s  ' 


con  I): 


4  r  VFds  ^ 


a 


X  ed   F  si  possono  determinare  dalle  equazioni: 

dz         dx  '    dz         dy 


XVr.     Estratto  di  una  lettcra  acrittu  in  lingua  Italiana  etc.  281 

e  dalle  condizioni: 

X  =  0,   Y=() 
per  z  =  0. 

Per  effettuare  questa  determinazione  conviene  di  sostituire  invece  di 

QO  00 

4    1,2/    esteso  per  il  contorno   intero  di  un  pezzo   del  Piano  degli 

s,  che  contiene  il  valore  ö  senza  contenere  veruii  altro  valore  di  dira- 
mazione  o  di  discontinuitä  della  funzione  sotto  il  segno  integrale.  Se 
denotiamo  le  radici  di  F=0  in  ordine  di  grandezza  con  ö,  a  ,  a", 
questi  valori  sono  tutti  reali  e  in  ordine  di  grandezza: 

ö^  0,  a\  —  Ij'^j  a",  —  a\ 
in  modo  che: 

(?  >  0  >  <?'  >  —  5^  >  (?"  >  —  a^ . 
Posto 


viene 


F=t 
Z=2 


~  ox  ~  J        j)yj    "     ^' 


ax     dz       ^s^.ifs-z^ 


ma: 


ü 

e: 

dt   . 
s  -TT—  ds 
ex 


Dunque  si  trova  per  integrazione  parziale: 

CO 

Se  si  prende  la  via  delF  integrazione  come  nella  espressione  di  Z  ü 
valore  delF  integrale  sodisfa  sempre  alla  condizione: 

ax_az 

dz      dx ' 

ma  puo  differire  di  funzioni  di  a;  e  di  y,  la  funzione  sotto  segno  in- 
tegrale essendo  discontinua  anche  per  ^  =  0.  Dunque  occorre  una 
determinazione  olteriore  della  via  dell'  integrazione. 


282  XVI.     Estratto  di  vitia  lettere  scritta  in  lingua  Italiana  etc. 

Nella  espressioue  di  -^  =  -~  la  funzione   sotto   segno   integrale 

e  continua  per  6'  =  0;  dunque  il  pezzo  del  piano  degli  s,  per  il  ciii 
contorno  Tintegrale  e  esteso^  deve  contenere  6=  (>  e  puo  contenere 
o  no  6=  0,  ma  nessimo  altro  dei  valori  sopra  notati.  Nella  espres- 
sioue di  X  questo  pezzo  deve  essere  determinato  in  modo  che  X  sia  =  0 
per  ^  =  0;  e  al'finche  ciö  avvenga,  dovendo  contenere  s  =  (T,  deve  anche 
contenere  la  maggiore  radice  di  is  =  0  (la  quäle  e  la  maggiore  radice 
di  f  =  0,  se 


ed  e  =  0,  se: 


i-5-|<o- 


1_-    _^>0j 


ma  nessun  allra  radice  di  ts  =  0.  Perche  per  ^  =  0  le  radici  di 
F  =0  coincidono  coUe  radici  di  ^s  =  0,  e  se  la  via  dell'  integrazione 
passasse  tra  due  valori  di  discontinuitä  che  coincidono  per  3  =  0, 
doverebbe  per  ^  =  0  passare  per  questo  valore  in  modo  che  Fintegrale 
nella  espressione  di  X  diverrebbe  infinito  ed  il  valore  nonostante  il 
fattore  s  rimarrebbe  finito.  — 

Vostro  aif"'°  Amico  Riemann. 


XVII. 

lieber  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt  bei  gegebener 
Begrenzung.*) 

1. 

Eine  Fläche  lässt  sich  im  Sinne  der  analytischen  Geometrie  dar- 
stellen, indem  man  die  rechtwinkligen  Coordinaten  x,  y,  z  eines  in  ihr 
beweglichen  Punktes  als  eindeutige  Functionen  von  zwei  unabhängigen 
veränderlichen  Grössen  j)  und  q  angiebt.  Nehmen  dann  j>  und  (£  be- 
stimmte constante  Werthe  an,  so  entspricht  dieser  einen  Combination 
immer  nur  ein  einziger  Punkt  der  Fläche.  Die  unabhängigen  Variabein 
j)  und  q  können  in  sehr  mannigfacher  Weise  gewählt  werden.  Für 
eine  einfach  zusammenhängende  Fläche  geschieht  dies  zweckmässig 
wie  folgt.  Man  lässt  die  Fläche  längs  der  ganzen  Begrenzung  ab- 
nehmen um  einen  Flächenstreifen,  dessen  Breite  überall  unendlich  klein 
in  derselben  Ordnung  ist.  Durch  Wiederholung  dieses  Verfahrens  wird 
die  Fläche  fortwährend  verkleinert,  bis  sie  in  einen  Punkt  übergeht. 
Die  hierbei  der  Reihe  nach  auftretenden  Begrenzungscurven  sind  in 
sich  zurücklaufende,  von  einander  getrennte  Linien.  Man  kann  sie 
dadurch  unterscheiden,  dass  man  in  jeder  von  ihnen  der  Grösse  j) 
einen  besondern  constanten  Werth  beilegt,  der  um  ein  ünendlichkleines 
zu-  oder  abnimmt,  je  nachdem  man  zu  der  benachbarten  umschliessen- 
den  oder  umschlossenen  Curve  übergeht.  Die  Function  j>  hat  dann 
einen  constanten  Maximalwert!!  in  der  Begrenzung  der  Fläche  und 
einen  Minimalwerth  in  dem  einen  Punkte   im  Innern,  in   welchen  die 


*)  Dieser  Abhandlung  liegt  ein  Manuscript  Riemann's  zu  Grunde,  welches 
nach  der  eigenen  Aousserung  des  Verfassers  in  den  Jahren  1860  und  1861  ent- 
standen ist.  Dieses  Manuscript,  welches  in  gedrängter  Kürze  nur  die  Formeln 
und  keinen  Text  enthält,  wurde  mir  von  Riemann  im  April  1866  zur  Bearbeitung 
anvertraut.  Es  ist  daraus  die  Abhandlung  hervorgegangen,  welche  ich  am 
6.  Januar  1867  der  Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  /ai  Göttingen  ein- 
gereicht habe,  und  welche  im  13.  Band  der  Abhandlungen  dieser  Gesellschaft  ab- 
gedruckt ist.  Diese  Abhandlung  kommt  hier  in  sorgfältiger  Ueberaibeitung  zum 
zweiten  Male  zum  Abdruck.  K.  Hatteudorff. 


284  XVII.     lieber  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt 

allmählich  abnehmende  Flache  zuletzt  zusammenschrumpft.  Den  U eber- 
gang von  einer  Begrenzung  der  abnehmenden  Fläche  zur  nächsten 
kann  man  dadurch  hergestellt  denken^  dass  man  jeden  Punkt  der  Curve 
(}-))  in  einen  bestimmten  unendlich  nahen  Punkt  der  Curve  (p  -\-  dp) 
übergehen  lässt.  Die  Wege  der  einzelnen  Punkte  bilden  dann  ein 
zweites  System  von  Curven^  die  von  dem  Punkte  des  Minimalwerthes 
von  p  strahlenförmig  nach  der  Begrenzung  der  Fläche  verlaufen.  In 
jeder  dieser  Curven  legt  man  q  einen  besondern  constanten  Werth  bei, 
der  in  einer  beliebig  gewählten  Anfangscurve  am  kleinsten  ist  und 
von  da  beim  Uebergange  von  einer  Curve  des  zweiten  Systems  zur 
andern  stetig  wächst,  wenn  man  zum  Zweck  dieses  Ueberganges  irgend 
eine  Curve  (]i)  in  bestimmter  Richtung  durchläuft.  Beim  Uebergange 
von  der  letzten  Curve  {q)  zur  Anfangscurve  ändert  sich  q  sprung- 
weise um  eine  endliche  Constante. 

Um  eine  mehrfach  zusammenhängende  Fläche  ebenso  zu  behan- 
deln, kann  man  sie  zuvor  durch  Querschnitte  in  eine  einfach  zu- 
sammenhängende zerlegen. 

Irgend  ein  Punkt  der  Fläche  lässt  sich  hiernach  als  Durchschnitt 
einer  bestimmten  Curve  des  Systems  (p)  mit  einer  bestimmten  Curve 
des  Systems  (q)  auffassen.  Die  in  dem  Punkte  {p,  q)  errichtete  Nor- 
male verläuft  von  der  Fläche  aus  in  zwei  entgegengesetzten  Richtungen, 
der  positiven  und  der  negativen.  Zu  ihrer  Unterscheidung  hat  man 
über  die  gegenseitige  Lage  der  wachsenden  positiven  Normale,  der 
wachsenden  p  und  der  wachsenden  q  eine  Bestimmung  zu  treifen.  Ist 
nichts  anderes  festgesetzt,  so  möge,  von  der  positiven  x-A.'^q  aus  ge- 
sehen, die  positive  ?/-Axe  auf  dem  kürzesten  Wege  in  die  positive 
^-Axe  übergeführt  werden  durch  eine  Drehung  von  rechts  nach  links. 
Und  die  Richtung  der  wachsenden  positiven  Normale  liege  zu  den 
Richtungen  der  wachsenden  p  und  der  wachsenden  q,  wie  die  positive 
.r-Axe  zur  positiven  y-A.xe  und  zur  positiven  ^-Axe.  Die  Seite  der 
Fläche,  auf  welcher  die  positive  Normale  liegt,  soll  die  positive  Seite 
der  Fläche  genannt  werden. 

2. 

Ueber  das  Gebiet  der  Fläche  sei  ein  Integral  zu  erstrecken,  dessen 
Element  gleich  ist  dem  Element  dp)dq  multiplicirt  in  eine  Functional- 
determinante,  also 

wofür  zur  Abkürzung  geschrieben  werden  soll 

J'J'Wd'j). 


bei  gegebener  Begrenzung.  285 

Denkt  man  sich  f  und  g  als  unabhängige  Variable  eingeführt,  so 
geht  das  Integral  über  in  ff  dfdgy  und  es  lässt  sich  die  Integration 
nach  f  oder  nach  g  ausführen.  Die  wirkliche  Einsetzung  von  f  und  g 
als  unabhängigen  Variabein  verursacht  aber  Schwierigkeiten  oder 
wenigstens  weitläufige  Unterscheidungen,  wenn  dieselbe  Werthecom- 
bination  von  /'  und  g  in  mehreren  Punkten  der  Fläche  oder  in  einer 
Linie  vorhanden  ist.  Sie  ist  ganz  unmöglich,  wenn  f  und  //  com- 
plex  sind. 

Es  ist  daher  zweckmässig,  zur  Ausführung  der  Integration  nach 
/'  oder  g  das  Verfahren  von  Jacobi  (Crelle's  Journal  Bd.  27  p.  208) 
anzuwenden,  bei  welchem  p  und  q  als  unabhängige  Variable  beibe- 
halten werden.  Um  in  Beziehung  auf  f  zu  integriren^  hat  man  die 
Functionaldeterminante  in  die  Form  zu  bringen 

dp  Öq 

weil  die  Integration  durch  eine  in  sich  zurücklaufende  Linie   erstreckt 
wird.     Dagegen  ist 


und  erhält  zunächst 


J 


f 


"''■dp 


dp 

in  der  Richtung  der  wachsenden  |)  zu  nehmen,  d.  h.  von  dem  Minimal- 
punkte im  Imiern  durch  eine  Curve  (q)  bis  zur  Begrenzung.  Man  er- 
hält f .  und  zwar  den  Werth,  den  dieser  Ausdruck  in  der  Begrenzung 
annimmt,  da,  an  der  untern  Grenze  des  Integrals  -  =  0  ist.  Folg- 
lieh  wird 


ffW'hi)  -Jf%  <h  =ff'^fi 


und  das  einfache  Integral  rechts  ist  in  der  Richtung  der  wachsenden 
q  durch  die  Begrenzung  erstreckt.  Andererseits  hat  man  nach  der 
eingeführten  Bezeichnung  ((lfdg)  =  —  (dgdf),  und  daher 

ff  Wdy)  =  -  ff  {dg  df)  =  -  fgdf, 

wobei  das  einfache  Integral  rechts  ebenfalls  in  der  Richtung  der  wach- 
senden q  durch  die  Begrenzung  der  Fläche  zu  nehmen  ist. 


28G  XVII.     Ueber  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt 

3. 

Die  Flilche^  deren  Punkte  durcli  die  Cnrvensysteme  (p)^  (q)  fest- 
gelegt sind^  soll  in  der  folgenden  Weise  auf  einer  Kugel  vom  Radius  1 
abgebildet  werden.  Im  Punkte  {p^  q)  der  Flilclie,  dessen  rechtwinklige 
(Joordinaten  x,  y,  z  sind^  ziehe  man  die  positive  Normale  und  lege  zu 
ihr  eine  Parallele  durch  den  Mittelpunkt  der  Kugel.  Der  Endpunkt 
dieser  Parallelen  auf  der  Kugeloberfläche  ist  die  Abbildung  des  Punktes 
{x,  «/;  d).  Durchläuft  der  Punkt  {x,  y,  i)  auf  der  stetig  gekrümmten 
Fläche  eine  zusammenhängende  Linie,  so  wird  auch  die  Abbildung 
derselben  auf  der  Kugel  eine  zusammenhängende  Linie  sein.  Auf  die- 
selbe Weise  erhält  man  als  Abbildung  eines  Flächenstücks  ein  Flächen- 
stück, als  Abbildung  der  ganzen  Fläche  eine  Fläche,  welche  die  Kugel 
oder  einen  Theil  derselben  einfach  oder  mehrfach  bedeckt. 

Der  Punkt  auf  der  Kugel,  welcher  die  Richtung  der  positiven 
x-Axe  angiebt,  werde  zum  Pol  gewählt  und  der  Anfangsmeridian  durch 
den  Punkt  gelegt,  welcher  der  positiven  y-Axe  entspricht.  Die  Ab- 
bildung des  Punktes  (x,  ?/,  z)  wird  dann  auf  der  Kugel  festgelegt 
durch  ihre  Poldistanz  r  und  den  Winkel  (p,  welchen  ihr  Meridian  mit 
dem  Anfangsmeridian  einschliesst.  Für  das  Vorzeichen  von  (p  gilt  die 
Bestimmung,   dass    der  der  positiven  ^-Axe  entsprechende  Punkt    die 

Coordinaten     r  ==-—-,   (p  =  -{-  '     haben  soll. 

4. 

Hiernach  erhält  man  als  Differential- Gleichung  der  Fläche 
(1)  cosrdx  +  sinr  cosg) dy  +  sinr  sincpdz  =  0. 

Sind  y  und  ^  die  unabhängigen  Variabein,  so  ergeben  sich  für 
r  und  (p  die  Gleichungen 

1 

cos  r  ==  -  - 


±T/^+(gr+(ifr 


sm  r  cos  (p  =  —- 


ex 


v^m^m' 


d  X 

Tz 
sin  r  sm  (p  = 


v^^(Sr+(Mf' 


in  welche^  gleichzeitig    entweder    die    oberen    oder   die   unteren   Vor- 


zeichen gelten. 


bei  gegebener  Begrenzung.  287 

Ein  Parallelogramm  auf  der  positiven  Seite  der  Fläche,  begrenzt 
von  den  Curven  (p)  und  (j)  +  dp)^  {q)  und  (q  +  dq)^  projicirt  sich 
auf  der  i/^ -Ebene  in  einem  Flächenelemente,  dessen  Inhalt  gleich  dem 
absoluten  Werthe  von  {dydz)  ist.  Das  Vorzeichen  dieser  Functional- 
determinante  ist  verschieden,  je  nachdem  die  im  Punkte  (/),  q)  errichtete 
positive  Normale  mit  der  positiven  x-Kilq  einen  spitzen  oder  stumpfen 
Winkel  einschliesst.  In  dem  ersten  Falle  liegen  iiemlich  die  Pro- 
jectionen  von  dp  und  dq  in  der  ?/^- Ebene  ebenso  zu  einander  wie  die 
positive  ?/-Axe  zur  positiven  ^-Axe,  im  zweiten  Falle  umgekehrt.  Daher 
ist  die  Functionaldeterminantc  im  ersten  Falle  positiv,  im  zweiten 
negativ.     Und  der  Ausdruck 

(dy  dz) 

cos  r  ^  ^      ^ 

ist  immer  positiv.  Er  giebt  den  Inhalt  des  unendlich  kleinen  Parallelo- 
c'ramms  auf  der  Fläche.  Um  also  den  Inhalt  der  Fläche  selbst  zu 
erhalten,  hat  man  das  Doppelintegral 


''^-ff^A'^i"'-^ 


über  die  ganze  Fläche  zu  erstrecken. 

Soll   dieser  Inhalt   ein  Minimum  sein,   so  ist  die   erste  Variation 
des  Doppelintegrals  =  0  zu  setzen.     Man  erhält 

ex  cöx    ^^  dx  ddx 

und  es  gilt  das  obere  oder  das  untere  Zeichen  vor  der  Wurzel,  je 
nachdem  (dydz)  positiv  oder  negativ  ist.  Die  linke  Seite  lässt  sich 
schreiben 

d 


jj 


^    ( —  sin  r  cos  cp  dx)  (dy  dz) 


-r,-  ( —  sin  r  sin  (p  öx)  (dydz) 
dx  7^-  •( —  sinr  cos 9)  (dydz) 
—  /   /  öx  S-  ( —  sin  >•  sin  cp)  (dydz). 


Die  beiden  ersten  Integrale  reduciren  sich  auf  einfache  Integrale,  die 
in  der  Richtung  der  wachsenden  q  durch  die  Begrenzung  der  Fläche 
zu  nehmen  sind,  nemlich 

/  öx  ( —  sin  y  cos  (p  dz  +  sin  r  sin  cp  dy). 


288  XVI r.     Ueber  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt 

Der  Werth  ist  =  0^  da  iu  der  Begrenzung  öx  =  0  ist.    Die  Bedingung 
des  Minimum  lautet  also 

n'äx  {^^'^"^1  +  g(.inr^siny)\  ^^^^^^  _  ^_ 

Sie  wird  erfüllt,  wenn 

(2)  —  sin  r  sin  cp  dy  +  sin  r  cos  (p  dz  =  d^ 

ein  vollständiges  Differential  ist. 

5. 

Die  (loordinaten  r  und  cp  auf  der  Kugel  lassen  sich  ersetzen  durch 

eine    complexe    Grösse    i]  =  tg  -  e'P'\    deren    geometrische    Bedeutung 

leicht  zu  erkennen  ist.  Legt  man  nemlich  an  die  Kugel  im  Pol  eine 
Tangentialebene,  deren  positive  Seite  von  der  Kugel  abgekehrt  ist,  und 
zieht  vom  Gegenpol  eine  Gerade  durch  den  Punkt  (r,  (p),  so  trifft 
diese  die  Tangentialebene  in  einem  Punkte,  der  die  complexe  Grösse 
2^1  repräsentirt.  Dem  Pol  entspricht  t]  =  0,  dem  Gegenpol  i]  ==  oo. 
Piir  die  Punkte,  welche  die  Richtungen  der  positiven  y-  und  der  posi- 
tiven S'-Axe  angeben,  ist  r]  =  -{-  1  und  resp.  ==  -[-  /. 
Führt  man  noch  die  complexen  Grössen 

7]  =  tg  -  e-'i"',  s  ^=  y  -\-  zi,  s  =  y  —  zi 

ein,  so  gehen  die  Gleichungen  (1)  und  (2)  über  in  folgende: 

(1*)  (1  —  riri)  dx   +  ri  ds  +  7}  ds  =  0, 

(2*)  (1  +  fin)  dii  —  n  ds  +  n  ds  =  0. 

Diese  lassen  sich  durch  Addition  und   Subtraction  verbinden.     Dabei 

werde 

x  +  ^i  =  2X,  ^  —  ji  =  2X' 

gesetzt,  so  dass  umgekehrt  x  ==  X  -{-  X'  ist.    Das  Problem  findet  dann 
seinen  analytischen  Ausdruck  in  den  beiden  Gleichungen 

(3)  ds  —ridX+\  dX  ==  0, 

(4)  ds  +  l  dX  —  ridT'=  0. 

Betrachtet  man  X  und  X'  als  unabhängige  Variable  und  stellt 
die  Bedingungen  dafür  auf,  dass  ds  und  ds  vollständige  Differentiale 
sind,  so  findet  sich 

dX'  '    iiX         ^ 

d.  h.  es  ist  r]  nur  von  A'^,  r]'  nur  von  X'  abhängig,   und   deshalb  um- 
gekehrt X  eine  Function  nur  von  rjj  X'  eine  Function  nur  von  tf. 


bei  gegebener  Begrenzung.  280 

Hiernach  ist  die  Aufgabe  darauf  zurückgeführt,  rj  als  Function  der 
complexen  Variabein  X  oder  umgekehrt  X  als  Function  der  complexen 
Variabein  rj  so  zu  bestimmen,  dass  zugleich  den  Grenzbedingungen 
(ienüge  geleistet  werde.  Kennt  man  rj  als  Function  von  X,  so  ergiebt 
sich  daraus  i]\  indem  man  in  dem  Ausdrucke  von  rj  jede  complexe 
Zahl  in  die' conjugirte  verwandelt.  Alsdann  hat  man  nur  noch  die 
Gleichungen  (3)  und  (4)  zu  integriren,  um  die  Ausdrücke  für  s  und  s 
zu  erlangen.  Aus  diesen  erhillt  man  endlich  durch  Elimination  von  \- 
eine  Gleichung  zwischen  x,  y,  z,  die  Gleichung  der  Minimalfläche. 

6. 
Sind  die  Gleichungen  (P>)  und  (4)  integrirt,  so  lässt  sich  aucli  der 
Inhalt  der  MinimalflUche  selbst  leicht  angeben,  nemlich 

« -JJit-  ^^y'^)  -ff  l^  (''y^')- 

Die  Functionaldeterminante  (dydz)  formt  sich  in  folgender   Weise  um 

^  ^      ^        \cs  ds         CS  CS J   •  ^ 

=»=  —  (dsds) 

i   [     ,  \  \dxdx  f  -j    j  ,■ 

Danach  erhält  man 

i'  i*  fc^cxcx    .     CS  es'    .     CSCS\,j      7   / 

=  2  iTd^'-l  +  V^'".  +  ^'^  {dnH)- 

fj    \drj  örf     '     CT}  cri      *     Crj  orj  J  ^     '      '^ 

Zur  weiteren  Umformung  dieses  Ausdruckes  kann  man  //  aus  Y 
und  Y'j  z  aus  Z  und  Z'  ebenso  zusammensetzen  wie  x  aus  X  mid  A", 
so  dass  die  Gleichungen  gelten 

^=f%^n,  r=J%dn, 
'-fll"n'''=f>^- 

a;  =  X  +  X',    jt  =  X  -  X; 

2/=  }■+  r,  \)i=  y-  r, 


IIikmaxn's  gos.iiuiiH'lto  matluiiiatixtlie  Werk« 


290  XVII.     Ueber  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt 

Alsdann  erhält  man  schliesslich 

(5)  S  =  —  ifJ[{dXdX)  +  {dYdY)  +  {dZdZ')\ 

=  \JJ[{dxdi)  +  iclyd^))  +  {dzdi)\. 

7. 

Die  Minimalfläche  und  ihre  Abbildungen  auf  der  Kugel  wie  in 
den  Ebenen,  deren  Punkte  resp.  die  complexen  Grössen  t],  X,  Y,  Z 
repräsentiren,  sind  einander  in  den  kleinsten  Theilen  ähnlich.  Man 
erkennt  dies  sofort,  wenn  man  das  Quadrat  des  Linearelementes  in 
diesen  Flächen  ausdrückt.  Dasselbe  ist 
auf  der  Kugel  sin  r^  d  log  r]  d  log  7]\ 

in  der  Ebene  der  t]  drj  dr] 

in  der  Ebene  der  X  j-  ■^,  dr]  dt]  / 


in  der  Ebene  der   Y  --  t^"^,  dri  dri , 

0  71   crj        '      '  ' 

in  der  Ebene  der  Z  :ä~  ä~^  ^^V  ^^v\ 


in  der  Minimalfläche  selbst 

,7^2  _,_  ^y2  _^  ^j^2  _  ^^x  +  dxy  +  {dY+  dYf  +  (dz  +  dzy 

=  2{dXdX'  +  dYdY'  +  dZdZ') 


2  1^^  .  ^  4-  ^  ^  4-  ^-^  ^^  dn  dri 

\^7\     cr\   ^^  drj   dri   ^^  dri   cn  j      '      ' 


Es  ist  nemlich  nach  den  Gleichungen  (3)  und  (4),  wenn  man  darin  7} 
und  rj'  als  unabhängige  Variable  ansieht: 

dX  ds  2  '^^' 

'dri  dri  '     cri  ^ 

,  dX'  CS   '2  ^^ 

'     dri'  dri'  '     dri' 

und  deshalb 

dX'  +dY'  +dZ'^  =0, 
dX^-\-dY'"-\-dZ/^=0. 

Das  Verhältniss  von  irgend  zwei  der  obigen  quadrirten  Linearelemente 
ist  unabhängig  von  dr}  und  dri ,  d.  h.  von  der  Richtung  des  Elementes, 
und  darin  beruht  die  in  den  kleinsten  Theilen  ähnliche  Abbildung. 
Da  die  Linearvergrösserung  bei  der  Abbildung  in  irgend  einem  Punkte 
nach  allen  Richtungen  dieselbe  ist,  so  erhält  man  die  Flächenver- 
grösserung  gleich  dem  Quadrat  der  Linearvergrösserung.  Das  Quadrat 
des  Linearelementes  in  der  Minimalfläche  ist  aber  gleich  der  doppelten 


bei  gegebener  Begrenzung.  291 

Summe  der  Quadrate  der  entsprechenden  Lineareleraente  in  den  Ebenen 
der  X,  der  Y  und  der  Z.  Daher  ist  auch  das  Flächenelement  in  der 
Minimalfläche  gleich  der  doppelten  Summe  der  entsprechenden  Flächen - 
elemente  in  jenen  Ebenen.  Dasselbe  gilt  von  der  ganzen  Fläche  und 
ihren  Abbildungen  in  den  Ebenen  der  X,   Y,  Z. 


8. 

Eine  wichtige  Folgerung  lässt  sich  noch  aus  dem  Satze  von  der 
Aehnlichkeit  in  den  kleinsten  Theilen  ziehen,  wenn  man  eine  neue 
complexe  Variable  rj^  dadurch  einführt,  dass  man  auf  der  Kugel  den 
Pol  in  einen  beliebigen  Punkt  (rj  ==  a)  verlegt  und  den  Anfangsmeridian 
beliebig  wählt.  Hat  dann  r]^  für  das  neue  Coordinatensystem  dieselbe 
Bedeutung  wie  rj  für  das  alte,  so  kann  man  jetzt  ein  unendlich  kleines 
Dreieck  auf  der  Kugel  sowohl  in  der  Ebene  der  7]  als  in  der  der  rji 
abbilden.  Die  beiden  Bilder  sind  dann  auch  Abbildungen  von  ein- 
ander und  in  den  kleinsten  Theilen  ähnlich.    Für  den  Fall  der  directen 

Aehnlichkeit  ergiebt  sich  ohne  Weiteres,  dass  -^  unabhängig  ist  von 

der  Richtung  der  Verschiebung  von  t^,  d.  h.  dass  rj^  eine  Function  der 
complexen  Variabein  rj  ist.  Den  Fall  der  inversen  (symmetrischenj 
Aehnlichkeit  kann  man  auf  den  vorigen  zurückführen,  indem  man  statt 
rji  die  conjugirte  complexe  Grösse  nimmt.  Um  nun  rj^  als  Function 
von  rj  auszudrücken,  hat  man  zu  beachten,  dass  i?i  =  0  ist  in  dem 
einen  Punkte  der  Kugel,  für  welchen  rj  =  a,  und  rj^^  =  oc  in  dem  dia- 
metral gegenüberliegenden  Punkte,  d.  h.  für  7]  = ?-    Danach  ergiebt 

sich  rji  =  c  — j- — ^  •  Zur  Bestimmung  der  Constanten  c  dient  die  Be- 
merkung, dass,  wenn  t^^  =  ß  ist  für  ?^  =  0,  daraus  r]^  =  —  -37  gefunden 

1  c 

wird    für    rj  =  oc.      Es    ist    also    ß  =  —  ca    und    —  ~W  ^^  ~f    d.   h. 

ß= — ".     Hieraus   ercriebt    sich    cc  =  1   und   daher   c  =  e^^  für  ein 

reelles  9.  Die  Grössen  a  und  G  können  beliebige  Werthe  erhalten: 
«  hängt  von  der  Lage  des  neuen  Pols,  9  von  der  Lage  des  neuen 
Anfangsmeridians  ab.  Diesem  neuen  Coordinatensystem  auf  der  Kugel 
entsprechen  die  Richtungen  der  Axen  eines  neuen  rechtwinkligen 
Systems.  Es  mögen  in  dem  neuen  System  0*^,  s^,  s\  dasselbe  be- 
zeichnen wie  Xj  s,  s'  in  dem  alten.  Dann  erlangt  man  die  Transfor- 
mationsformeln 


19' 


292  XVII.     Ueber  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt 

(6)  (1  +  aa)  x^  =  (1  -^  aa)x  +  (X-  s  +  as, 

(1  +  aa)  s,  e-^'  =        —     2ax  +      s  —  ah\ 
{\  -\- aa)  s\e^''     =        —    2ax—a"-s-{-      s. 

9. 
Aus  den  Transformationsformeln  (6)  berechnen  wir 

\(^V  J      crii  rj    drj 


oder 


(^^^^-^i)'  F&7  =  (^i^g^)'  aS 


Hiernacli  empfiehlt  es  sich^  eine  neue  complexe  Grösse  n  einzuführen, 
welche  durch  die  Gleichung  definirt  wird 

und  die  von  der  Lage  des  Coordinatensystems  (x^  ?/,  ^)  unabhängig 
ist.  Gelingt  es  dann^  ti  als  Function  von  tj  zu  bestimmen,  so  erhält 
man 

:i^  ist  der  Abstand  des  zu  rj  gehörigen  Punktes  der  Minimalfläche  von 
einer  Ebene,  die  durch  den  Anfangspunkt  der  Coordinaten  rechtwinklig 
zur  Richtung  rj  ==  0  gelegt  ist.  Man  erhält  den  Abstand  desselben 
l^unktes  der  Minimalfläche  von  einer  durch  den  Anfangspunkt  der  Co- 
ordinaten  gelegten  Ebene,   die   rechtwinklig   auf  der   Richtung  ij  =  a 

steht,  indem  man  in  (8)  ^-j_  ^-  e      statt    y}    setzt.      Speciell    idso    für 

a  =  i   und  a  =  i 

+  ¥J'(,z  log ,/)''(''' ~?)'^'"«''' • 


bei  gegebener  Begrenzung.  293 

10. 

Die  Grösse  u  ist  als  Function  von  rj  zu  bestimmen,  d.  h.  als  ein- 
werthige  Function  des  Ortes  in  derjenigen  Fläche,  welche,  über  d'w 
»^-Ebene  ausgebreitet,  die  Minimalfläche  in  den  kleinsten  Theilen  ähn- 
lich abbildet.  Daher  kommt  es  vor  allen  Dingen  auf  die  Unstetig- 
keiten  und  Verzweigungen  in  dieser  Abbildung  an.  Bei  der  Unter- 
suchung derselben  hat  man  Punkte  im  Innern  der  Fläche  von  Be- 
grenzungspunkten zu  unterscheiden. 

Handelt  es  sich  um  einen  Punkt  im  Innern  der  Minimalfläche,  so 
lege  man  in  ihn  den  Anfangspunkt  des  Coordinatensystems  (x,  y,  z), 
die  Axe  der  positiven  x  in  die  positive  Normale,  folglich  die  ^/^-Ebene 
tangential.  Dann  fehlen  in  der  Entwicklung  von  ./'  das  freie  Glied 
und  die  in  y  und  ,r  multiplicirten  Glieder.  Durch  geeignet  gewählte 
Richtung  der  y-Axe  und  der  ^^-Axe  kann  man  auch  das  in  yz  multipli- 
cirte  Glied  verschwinden  lassen.  Die  partielle  Difl'erentialgleichung  der 
Minimalfläche    reducirt   sich   unter   dieser  Voraussetzung   für  unendhch 

kleine  Werthe  von  y  und  z  auf  x  '2  +  ö-i  =  0.    Das  Krümmungsmass 

ist  also  negativ^  die  Haupt-Krümmungsradien  sind  einander  entgegen- 
gesetzt gleich.  Die  Tangentialebene  theilt  die  Fläche  in  vier  Quadran- 
ten, wenn  die  Krümmungshalbmesser  nicht  00  sind.  Diese  Quadranten 
liegen  abwechselnd  über  und  unter  der  Tangentialebene.  Beginnt  die 
Entwicklung  von  x  erst  mit  den  Gliedern  nter  Ordnung  (k  >  2),  so 
sind  die  Krümmungsradien  00,  und  die  Tangentialebene  theilt  die  Fläche 
in  2n  vSectoren,  die  abwechselnd  über  und  unter  jener  Ebene  liegen 
und  von  den  Krümmungslinien  halbirt  werden. 

Will  man  nun  X  als  Function  der  complexen  Variabein  }'  an- 
sehen, so  ergiebt  sich  in  dem  Falle  der  vier  Sectoren 

log  X  =  2  log  1'^  -\-  fiinct.  cont., 
in  dem  Falle  der  2n  Sectoren 

log  X  =  n  log  F  +  1-  c. 
Und  da  luich  (8)  und  (0)  Vt7  =  .-     -  -  ist,    so   bejnnnt   die   Entwick- 

-^  ^    '^  (li  1  —  rjT}  '  " 

hing  von  r]  im  ersten  Falle  mit  der  ersten,  im  zweiten  mit  der 
(n  —  Ijten  Potenz  von  Y.    Umgekehrt  wird  also,  wenn  y  als  Function 

von   r]  angesehen  werden  soll,   die  Entwicklung   im   ersten  Falle    nach 

_i 
ganzen  Potenzen   von  t;,   im  zweiten  nach  ganzen  Potenzen  von  )^'*~* 
fortschreiten.     D.  h.   die   Abbildung   auf  der   j;-Ebene   hat  an   der  be- 
treft'enden  Stelle  keinen  oder  einen  (n  —  2) fachen  Verzweigungspunkl, 
je  nachdem  der  erste  oder  der  zweite  Fall  eintritt. 


294  XVII.     Ueber  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt 

Was  u  betrifft,  so  ersjiebt  sich  -ji — ^  =  -jt— -r^lr,  also  mit 

'  °  d  log  1  d  log  7}    d  log  1  ' 

Hülfe  der  Gleichung  (9) 


/   du  y  _  _  o,  II     ^^     /iiV^ 
l^diogY^  ~      ^^  (^7?  i-7?2\^rfry 


ri' 


oder 


Demnach   ist    in    einem   (n  —  2)fachen  Verzweigungspunkte   der  Ab- 
bildung auf  der  ?^-Ebene 

11. 

Die  weitere  Untersuchung  soll  zunächst  auf  den  Fall  beschränkt 
werden j  dass  die  gegebene  Begrenzung  aus  geraden  Linien  besteht. 
Dann  lässt  sich  die  Abbildung  der  Begrenzung  auf  der  7^-Ebene  wirk- 
lich herstellen.  Die  in  irgend  welchen  Punkten  einer  geraden  Be- 
grenzungslinie  errichteten  Normalen  liegen  in  parallelen  Ebenen,  und 
daher  ist  die  Abbildung  auf  der  Kugel  ein  grösster  Kreis. 

Um  einen  Punkt  im  Innern  einer  geraden  Begrenzungslinie  zu 
untersuchen,  legt  man  wie  vorher  in  ihn  den  Anfangspunkt  der  Co- 
ordinaten,  die  positive  ^-Axe  in  die  positive  Normale.  Dann  fällt  die 
ganze  Begrenzungslinie  in  die  ?/^- Ebene.  Der  reelle  Theil  von  X  ist 
demnach  in  der  ganzen  Begrenzungslinie  =  0.  Geht  man  also  durch 
das  Innere  der  Minimalfläche  um  den  Anfangspunkt  der  Coordinaten 
herum  von  einem  vorangehenden  bis  zu  einem  nachfolgenden  Begrenzungs- 
punkte, so  muss  dabei  der  Arcus  von  X  sich  ändern  um  nit^  ein  gan- 
zes Vielfaches  von  7t.  Der  Arcus  von  Y  ändert  sich  gleichzeitig 
um  TT.     Man  hat  also,  wie  vorher 

log  X  =  n  log  Y  -|-  f.  c. 

log  7]    =(n  —  1)  log  F  -)-  f.  c. 

Dem  betrachteten  Begrenzungspunkte  entspricht  ein  (n  —  2)  facher  Ver- 
zweigungspunkt in  der  Abbildung  auf  der  ?^ -Ebene.  In  dieser  Ab- 
bildung macht  das  auf  den  Punkt  folgende  Begrenzungsstück  mit  dem 
ihm  vorhergehenden  den  Winkel  (n  —  1)  tc. 

12. 

Bei  dem  Uebergange  von  einer  Begrenzungslinie  zur  folgenden  hat 
man   zwei  Fälle  zu   unterscheiden.     Entweder  treffen  sie  zusammen  in 


bei  gegebener  Begrenzung.  295 

einem  im  Endlichen  liegenden  Schnittpunkte,  oder  sie  erstrecken  sich 
ins  Unendliche. 

Im  ersten  Falle  sei  ktc  der  im  Innern  der  Minimalfläche  liegende 
Winkel  der  beiden  Begrenzungslinien.  Legt  man  den  Anfangspunkt 
der  Coordinaten  in  den  zu  untersuchenden  Eckpunkt,  die  positive 
a:-Axe  in  die  positive  Normale,  so  ist  in  beiden  Begrenzungslinien  der 
reelle  Theil  von  X  =  0.  Beim  Uebergange  von  der  ersten  Begrenzungs- 
linie zur  folgenden  ändert  sich  also  der  Arcus  von  X  um  mn^  ein 
ganzes  Vielfaches  von  ;r,  der  Arcus  von  Y  um  an.     Man  hat  daher 


,MogX  =  logr+f.c. 
(l--^)log-'*^'=log>)  +f.  c. 

Erstreckt  sich  die  Fläche  zwischen  zwei  auf  einander  folgenden 
Begrenzungsgeraden  ins  Unendliche,  so  lege  man  die  positive  x-Axa 
in  ihre  kürzeste  Verbindungslinie,  parallel  der  positiven  Normalen  im 
Unendlichen.  Die  Länge  der  kürzesten  Verbindungslinie  sei  Ä,  und 
ccTt  der  Winkel,  welchen  die  Projection  der  Minimalfläche  in  der  yz- 
Ebene  ausfüllt.  Dann  bleiben  die  reellen  Theile  von  X  und^Hog?^ 
im  Unendlichen  endlich  und  stetig  und  nehmen  in  den  begrenzenden 
Geraden  constante  Werthe  an.    Hieraus  ergiebt  sich  (für  y  =  oo,  z  =  cx)) 

X=-.^log,  +  f.c. 

Y=—~  -     +f.c. 

Legt  man  die  i\-Axe  eines  Coordinatensystems  in  eine  begrenzende 
Gerade,  die  rt^-Axe  eines  andern  Systems  in  die  zweite  begrenzende 
Gerade  u.  s.  f.,  so  ist  in  der  ersten  Linie  logi^i,  in  der  zweiten  log  »;^, 
u.  s.  f.  rein  imaginär,  da  die  Normale  zu  der  betreffenden  Axe  der  a\j 

der  X.  u.  s.  f.  senkrecht  steht.     Es  ist  also  iöi-— ' —  in  der  ersten  Be- 

r  log  rjy 

7)  -  * 

grenzungslinie  reell,  i-^-j — '—  in  der  zweiten  u.  s.  f.     Da  aber  auch  für 
ein  beliebiges  Coordinatensystem  {x,  y,  z)  immer 


ist,  so  findet  sich,  dass  in  jeder  geraden  Begrenzungslinie 


296  XVII.     lieber  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt 

ontweder  reelle  oder  rein  imaginäre  Werthe  besitzt. 


13. 

Die  Minimalflilclie  ist  bestimmt,  sobald  man  eine  der  Grössen  ?(, 
rjy  Xj  Y^  Z  durch  eine  der  übrigen  ausgedrückt  hat.  Dies  gelingt  in 
vielen  Fällen.     Besondere  Beachtung  verdienen  darunter  diejenigen,  in 

welchen  -y, eine  algebraische  Function  von  i?  ist.     Dazu  ist  nöthig 

d  log  Tj  ^  '  ^ 

und  hinreichend,  dass  die  Abbildung  auf  der  Kugel  und  ihre  symmetri- 
schen und  congruenten  Fortsetzungen  eine  geschlossene  Fläche  bilden, 
Avelche  die  ganze  Kugel  einfach  oder  mehrfach  bedeckt. 

Im  Allgemeinen  aber  wird  es  schwierig  sein,  direct  eine  der 
Grössen  ii,  t],  X,  I",  Z  durch  eine  der  übrigen  auszudrücken.  Statt 
des^sen  kann  man  aber  auch  jede  von  ihnen  als  Function  einer  neuen 
zweckmässig  gewählten  unabhängigen  Variablen  bestimmen.  Wir  führen 
eine  solche  unabhängige  Variable  t  ein,  dass  die  Abbildung  der  Fläche 
auf  der  i^-Ebene  die  halbe  unendliche  Ebene  einfach  bedeckt,  und  zwar 
diejenige  Hälfte,  für  welche  der  imaginäre  Theil  von  t  positiv  ist.  In 
der  That  ist  es  immer  möglich,  t  als  Function  von  ii  (oder  von  irgend 
einer  der  übrigen  Grössen  t?,  X,  Y,  Z)  in  der  Fläche  so  zu  bestimmen, 
dass  der  imaginäre  Theil  in  der  Begrenzung  =  0  ist,  und  dass  sie  in 
einem  beliebigen  Begrenzungspunkte  (ii  ==  V)  unendlich  von  der  ersten 
Ordnung  wird,  d.  h. 

,  COnSt.  .  r,  .  ,N 

t  ==  -^j-~^  +  f.  c.  {u  =  h). 

Der  Arcus  des  Factors  von  ~-  ^r  ist  durch  die  Bedingung  be- 
stimmt, dass  der  imaginäre  Theil  von  t  in  der  Begrenzung  ==  0,  im 
Innern  der  Fläche  positiv  sein  soll.  Es  bleibt  also  in  dem  Ausdrucke 
von  t  nur  der  Modul  dieses  Factors  und  eine  additive  Constante  will- 
kürlich. 

Es  sei  t  =  a^,  a,2,...  für  die  Verzweigungspunkte  im  Innern  der 
Abbildung  auf  der  7^-Ebene,  t  =  h^,  h^j  ...  für  die  Verzweigungspunkte 
in  der  Begrenzung,  die  nicht  Eckpunkte  sind,  ^  =  q,  Cg,  ...  für  die 
Eckpunkte,  ^  =  6i,  Cg,  ...  für  die  ins  Unendliche  sich  erstreckenden 
Sectoren.  Wir  wollen  der  Einfachheit  wegen  voraussetzen,  dass  die 
sämmtlichen  Grössen  a,  &,  c,  e  im  endlichen  Gebiete  der  ^-Ebene 
liegen. 


bei  gegebener  Begrenzung.  297 

Dann  hat  man 

für  ^  =  a       log  '^^^  =  (~  —  l)  log  (t  —  aj  +  f.  c, 

„    t==h       log|^  =  (;--l)log(^~&)  +  f.c, 

„    t  =  c       log^  =  (y  -  l)  loga  -  c)  +  f.  c, 

„    f=e  ''  =  1/4^  loga-e)  +  f.c. 

Man  kann  die  Untersuchung  auf  den  Fall  n  =  3,  m  =  1  be- 
schränken, d.  h.  auf  einfache  Verzweigungsi)unkte,  und  den  allgemeinen 
Fall  aus  diesem  dadurch  ableiten,  dass  man  mehrere  einfache  Ver- 
zweigungspunkte zusammenfallen  lässt. 

Um   den  Ausdruck  für  -jj  zu  bilden,  hat  man  zu  beachten,  dass 

längs  der  Begrenzung  dt  reell,   du  entweder  reell   oder  rein  imaginär 

ist.     Demnach  ist  l-jj)    reell,   wenn  t  reell  ist.     Diese  Function  kann 

man  über  die  Linie  der  reellen  AVerthe  von  t  hinüber  stetisr  fortsetzen, 
indem  man  die  Bestimmung  trifft,  dass  für  conjugirte  Wertlie  t  und  f 
der  Variabein  auch  die  Function  conjugirte  Werthe  haben  soll.  •  Als- 
dann ist  l-jrj  für  die  ganze  ^- Ebene  bestimmt  und  zeigt  sich  ein- 
werthig. 

Es  seien  a\,  d^,  ...  die  conjugirten  Werthe  zu  a^^  a.^,  . .  .,  und 
das  Product  (t  —  a^)  {t  —  o.,)  .  .  .  werde  mit  n(t  —  a)  bezeichnet. 
Alsdann  ist 

(11)      «  ^  const.  ^jynJE^inW:^^^)  ^0L . 

Die  Constanten  n,  h,  c  etc.  müssen  so  bestimmt  werden,  dass  für 


t  =  e    «=|/i|log(<-c)  +  f. 


wird.  Damit  u  für  alle  Werthe  von  t  ausser  (C,  h,  c,  c  endlich  und 
stetig  bleibe,  muss  für  die  Anzahl  dieser  letztgenannten  Weiihe  eine 
Relation  bestehen.  Es  muss  die  Differenz  der  Anzahl  der  Eckpunkte 
und  der  in  der  Begrenzung  liegenden  Verzweigungspunkte  um  4  grösser 
sein  als  die  doppelte  Differenz  der  Anzahl  der  innern  Verzweigungs- 
punkte  und  der  ins  Unendliche  verlaufenden  Sectoren.     Setzt  man  zur 


Abkürzung 


n(t  —  a)  n(t  —  d)  n{t  —  ?>)  =  ^(0, 


298  XVII.     Ueber  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt 

d.  h. 


=  const.]/^, 


du 

dt  ""^*  V    xit) 

SO  ist  die  ganze  Function  (p(t)  vom  Grade  v  —  4^  wenn  xi^)  vom 
Grade  v  ist.  Hier  bedeutet  v  die  Anzahl  der  Eckpunkte  vermehrt  um 
die  doppelte  Anzahl  der  ins  Unendliche  verlaufenden  Sectoren. 

14. 

Es  ist  noch  rj  als  Function  von  t  auszudrücken.  Direct  gelangt 
man  dazu  nur  in  den  einfachsten  Fällen.  Im  Allgemeinen  ist  der  fol- 
gende Wesc  einzuschlagen.     Es  sei  v  eine  noch  näher  zu  bestimmende 

DO  O 

Function  von  t,  die  als  bekannt  vorausgesetzt  wird.  In  den  Gleichungen 
(8),  (9),  (10)  kommt  es   wesentlich  an  auf  yj ,    wofür    man    auch 

schreiben  kann  ^  -j-, .     Der   letzte    Factor    lässt    sich    ansehen   als 

dv  d  log  7] 

Product  der  beiden  Factoren 

die  der  Differentialgleichung  erster  Ordnung  genügen 

(13)  ^:f-^.f=l- 

sowie  der  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung 


(14) 


1    d'Jc, 


dv^         \  dv^ 


Gelingt  es  also,  die  eine  oder  die  andere  Seite  dieser  letzten 
Gleichung  als  Function  von  t  auszudrücken,  so  lässt  sich  eine  homogene 
lineare  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung  herstellen,  von  welcher 
l\  und  k^  particuläre  Integrale   sind.     Es   sei  Ä  das   vollständige  Inte- 

gral.     Wir  ersetzen  -^-r,  durch  das  ihm  gleichbedeutende 

o  dv-  ° 

dv  d^h        dJc  dH 
dt  dt^         dt  dt' 


/dv\^ 
\dtJ 

und  erhalten  für  7j  die  Differentialgleichung 

^^^)  dt  dt'         dt'    dt         \dt)     Vk,    dv']''' 

Von    der    Gleichung    (15)   seien    zwei    von    einander    unabhängige 
particuläre  Integrale  Z^  und  Zg  gefunden,  deren  Quotient  /C  :  K^  =  H 


bei  gegebener  Begrenzung.  299 

ein  von  Bögen  grösster  Kreise  begrenztes  Abbild  der  positiven  t  Halb- 
ebene auf  der  Kugelfläche  liefert.  Dasselbe  leistet  dann  jeder  Ausdruck 
von  der  Form 

(16)  7]  =  e 

worin  9  reell  und  a,  a    conjugirte  complexe  Grössen  sind. 

Die  Function  v  ist  so  zu  wählen,  dass  für  endliche  Werthe  von  t  die 

1    d^k 
Unstetigkeiten  von  -r-  -r-^-  nicht  ausserhalb   der  Punkte  a,  a,  b,  c,  e 

liegen. 

Setzt  man 
/|.TX  dv  ^^  __^L ^^      1 

so  wird   die  Function  -j  -r^  im  Endlichen  unstetig  nur  für  die  Punkte 

a,  a,  hj  Cy  und  zwar  für  jeden  unendlich  in  erster  Ordnung.  Man 
erhält  nemlich  für  t  =  c 

2yt  —  c 


Folglich : 


(c) 
rj  —  r]c  =  const.  (t  —  c)y. 


und  hieraus: 


^^1  ^  Vj^  ^  ^^°^**  (^  —  ^^0 


1^=1  (yy-i)r(^) 

k    dv~        ^  t  —  c 


Entsprechende  Ausdrücke  erhält  man  für  t  =  a,  a,  h,  in  denen  c  resp. 
durch  a,  a,  hj  und  y  durch  2  zu  ersetzen  ist. 

Eine    ähnliche    Betrachtung    lehrt,    dass    für    t  =  e   die   Function 

T  Si^  stetig  l'leibt. 

Für  ^  =  oo  ergiebt  sich 


/:  c?!;2         \        2   ^  -^y   \2  V^ 


1   (Z^^ 
Demnach  lautet  der  Ausdruck  iTir  -=-  ^-^  wie  fol<:jt: 

1  d--^/j       ,   Vf(yy-  i-)  f'ig) 


k   dv'         ^  ^         {t  —  g)         "■        ^^* 


Die  Summe  bezieht  sich  auf  alle  Punkte  rj  =  a,  a\  hj  c,  und  bei 
a,  a'j  h  ist  2  statt  y  zu  setzen.  F(0  ist  eine  ganze  Function  vom 
Grade  (2v  —  G),  in  der  die  ersten  beiden  Coefficienten  sich  folgender- 
massen  bestimmen.     Man  bringe  dv  in  die  Form 


)00  XVI r.     Uebor  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt 

dt 


-v  +  4 


tt  ,-1+4 


folglich 


oder 


dv  =  =t      '^    dv. 

oder  kürzer  =  a  dv^. 

Dann  ergiebt  sich  durch  Differentiation 

dv'  l\dvj      J   —  «     -  ^^2    l\dv'J      J  "T"  \dvj  dv'"' 

h 

(diM    d'    [fdA-^l  -2  A7^\i    d''    [fdriY^l    .      __A.dHcih 

\dv)    dV'l\dv)      J=.«       V^;     ^   L W      J  +  '^     '     dv^'' 

(driVi    d^    VfdrA-^  _ 
\dvj     dv\    WdvJ       J 

(dri\\    d'     [{^IvY^  _.-2,.  +  8    ^,  iYY-J)r{fj) 
\dvj     dv\    WdvJ       J  "~  ^  ^  "4         J_  g     '- 

Die  Function   auf  der  linken  Seite  ist  endlich  für  t  =  oo.     Folg- 
lich   hat   man    rechts   in   der  Entwicklung  von  f^^''  +  ^  jr(^f;^  ujid   yQj^ 

""'  die  Coefficienten  von   f  und  resp.  von   t  einander  gleich  zu 


2r  +  8     1     d-A-  ^   d''(Kh 

t  -r  -r^>  —  «'  — 7^ 

IC   dv  dv' 

oder 


dv' 

.  ^  d' (a') 

setzen.     Die  Entwicklung  von  a  '^  —rY  giebt  nach  einfacher  Rechnung 


d'ic^h  ,    (         V      .     c,\,^r  +  5d{t-^+'f{t)) 


«'^-i^=n-2+2j^         dt 

Hiernach  bleiben  in  F{t)  noch  2v  —  7  unbestimmte  Coefficienten. 
Es  ist  aber  wichtig  zu  bemerken,  dass  dieselben  reell  sein  müssen. 
Denn  Avir  haben  in  §.  12  gefunden,  dass  du  reell  oder  rein  imaginär 
ist  in  allen  geraden  Begrenzungslinien  der  Minimalfläche  und  folglich 
auch  an  jeder  Stelle  in  der  Begrenzung  der  Abbildungen.  Vermöge 
der  Gleichung  (17)  gilt  dasselbe  von  dv.     Daraus  lässt  sich  beweisen, 

dass   für   reelle  Werthe   von  t  die  Function  -r-  t  •>    nothwendigerweise 

k   dv'  ° 

reelle  Werthe  besitzt. 

Um  diesen  Beweis  zu  führen,  betrachten  wir  die  Abbildung  auf 
der  Kugel  vom  Radius  1  und  nehmen  irgend  einen  Theil  der  Begren- 
zung, also  den  Bogen  eines  gewissen  grössten  Kreises.  Im  Pole  dieses 
grössten  Kreises  legen  wir    die  Tangential-Ebene   an  und   bezeichnen 


bei  gegebener  Begrenzung.  301 

sie  als  die  Ebene  der  7]^.  Dann  lassen  sich  die  Constanten  Grössen 
^u  ^1?  ^1  s^  bestimmen,  dass 

e,  t     H  —  a, 

ist,  und  wir  erhalten  zwei  Funcj^ionen  /c\  =  1/ l^^L  und /j„  =  >/,  l/^'^  , 

die  particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung  (I5j  sind.  Folglich 
haben  wir 

k    dv'^         h      dv' 

Der  eben  betrachtete  Theil  der  Begrenzung  bildet  sich  in  dfr 
1^1 -Ebene  ab  durch  die  Gleichung 

und  wenn  man  dies  in  1c\  einführt,  so  erkennt  man  leicht,  dass  in  dem 
tra<f liehen  Begrenzunt^stheile     ,    -y^  reell    ausfällt.     Folglich  gilt  das- 

o  o  o  ^.       ^-y-'  r>  r> 

l    d'^k 

selbe  von  -y-  y-., ,  und  da  diese  Betrachtung  für  jedes  einzelne  Begren- 

k    dv- '  o  J  r» 

zungsstück  angestellt  werden  kann,  so  ist   ,     ,  .,    reell    in    der    ganzen 

Begrenzung. 

Nun    fallt    aber   bei    einem    reellen   oder   rein    imaginären   dv   die 

Function    ,   -jAl-  auch  dann  reell  aus,  wenn  man  allgemeiner 
/,•     dv^  '  ^ 

setzt  und  den  Modul  ^^  constant  nimmt.  Damit  also  die  Axe  der 
reellen  t  sich  auf  der  Kugel  vom  Radius  1  wirklich  in  Bögen  grösster 
Kreise  abbilde,  muss  für  jeden  Begrenzungstheil  (»j  =  1  sein.  Dies 
liefert  ebenso  viele  Bedingungsgleichungen,  als  einzelne  Begrenzungs- 
linien gegeben  sind. 

Bei  dieser  Untersuchung  ist,  wie  schon  im  vorigen  Paragraphen, 
vorausgesetzt,  dass  die  Werthe  a,  h,  c,  c  sämmtlich  endlich  seien.  Trifft 
dies  nicht  zu,  so  bedarf  die  Betrachtung  einer  geringen  Modification. 

Anmerkung.  Die  Aufgabe  ist  hiermit  vollständig  formulirt.  Im  einzelnen 
Falle  kommt  es  nur  darauf  an,  die  Dittorentialgleichung  (15)  wirklich  aufzustellen 
und  zu  integriren.  Uebrigens  ist  es  nicht  unwichtig,  zu  bemerken,  dass  die  An- 
zahl der  in  der  Lösung  auftretenden  willkürlichen  reellen  Constanten  ebenso  gross 
ist  wie  die  Anzahl  der  Bedingungsgleichungen,  welche  vermöge  der  Natur  der 
Aufgabe  und  vermöge  der  Daten  des  Problems  erfüllt  sein  müssen.  Wir  bezeich- 
nen die  Anzahl  der  Punkte  (t,  h,  c,  e  resp.  mit  J,  i>,  6\  E  und  beachten,  dass 
2^1  +  7i-|-4  =  (7-|-2i/'  =  v  ist.  In  der  Ditterentialgleichung  (15)  treten 
2A  -\-  B  -\-  A:C  -\-  b  K  —  10  willkürliche  reelle  Constanten  auf,  nemlich:  die  Win- 


302  XVII.     Ueber  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt 

kel  y,  deren  Anzahl  C  ist;  die  2^  —  7  Constanten  der  Function  F{t)]  die  reellen 
Grössen  &,  c,  e,  von  denen  man  dreien  beliebige  Werthe  geben  kann,  indem  man 
für  t  eine  lineare  Substitution  mit  reellen  Coefficienten  macht.  Zu  diesen  willkür- 
lichen Constanten  kommen  bei  der  Integration  noch  10  hinzu,  nemlich  G  reelle 
Constanten  in  ?;,  ein  Factor  von  du  und  je  eine  additive  Constante  in  den  Aus- 
drücken für  x^  y,  z.  Die  Lösung  enthält  also  2  yl  -}-  Ji  -f-  4  C  -|-  5  jfc'  reelle  Con- 
btanten  von  unbestimmtem  Werthe. 

Die  Daten  des  Problems  bestehen  in  den  Coordinaten  der  Eckpunkte  und 
den  Winkeln,  welche  die  Richtungen  der  ins  Unendliche  verlaufenden  Begren- 
zungslinien festlegen.  Diese  Daten  sprechen  sich  in  3C-|-  ^E  Gleichungen  aus. 
Dazu  kommen  C  ~\-  iJ  Bedingungsgleichungen,  die  erfüllt  sein  müssen,  damit  die 
Axe  der  reellen  t  sich  auf  der  Kugel  vom  Radius  l  in  C  -|-  JiJ  Bögen  grösster 
Kreise  abbilde.  Wenn  also  die  Zahl  der  Bedingungj^gleichungen  ebenso  gross  sein 
soll  wie  die  Zahl  der  unbestimmten  Constanten,  so  fehlen  noch  ebenso  viele  Glei- 
chungen, wie  Punkte  a,  «',  b  vorhanden  sind.  Nun  ist  aber  die  Differential- 
gleichung (15)  so  beschaffen,  dass  in  der  Umgebung  jedes  dieser  Punkte  das  In- 
tegral einen  Logarithmus  enthalten  kann.  Ein  solcher  ist  nach  der  Natur  der 
Aufgabe  nicht  zulässig,  und  damit  er  nicht  auftrete,  ist  für  jeden  der  genannten 
Punkte  Eine  Bedingungsgleichung  zu  erfüllen. 

In  der  That  ist  hiernach  die  Anzahl  der  Bedingungsgleichungen  ebenso  gross 
wie  die  Anzahl  der  unbestimmten  Constanten  in  der  Lösung. 

Beispiele. 

15. 

Die  Begrenzung  bestehe  aus  zwei  unendlichen  geraden  Linien, 
die  nicht  in  einer  Ebene  liegen.  Ihre  kürzeste  Verbindungslinie  habe 
die  Länge  Ä,  und  es  sei  ajt  der  Winkel,  welchen  dije  Projection  der 
Fläche  auf  der  rechtwinklig  gegen  jene  Verbindungslinie  gelegten 
Ebene  ausfüllt. 

Nimmt  man  die  kürzeste  Verbindungslinie  zur  :r-Axe,  so  hat  in 
jeder  der  beiden  Begrenzungsgeraden  x  einen  constanten  Werth. 
Ebenso  ist  cp  in  jeder  der  beiden  Begrenzungsgeraden  constant.  Li 
unendlicher  Entfernung  ist  die  positive  Normale  für  den  einen  Sector 
parallel  der  positiven,  für  den  andern  Sector  parallel  der  negativen 
x-Axe.  Die  Begrenzung  bildet  sich  auf  der  Kugel  in  zwei  grössten 
Kreisen  ab,  die  durch  die  Pole  i]  =  0  und  7^  =  oo  gehen  und  den 
Winkel  ajc  einschliessen. 


Hiernach  hat  man 


X  =  log  7] 

lÄ     (  \\ 

^  -  -  27^  (^  -  ?  j 

lA     (\  \ 


bei  gegebener  Begrenzung.  303 

folglich  ^  =  -.iJLxog(X). 

2  an  \n  J 

(a) 


-^i^'°g(-.f)' 


worin  man  die  Gleichung  der  Schrauben  fläche  erkennt. 

Der  Inhalt  der  Fläche  ist  unendlich  gross.  Soll  also  von  einem 
Minimum  die  Rede  sein,  so  ist  dies  so  zu  verstehen.  Der  Inhalt  jeder 
andern  Fläche  von  derselben  Begrenzung  ist  ebenfalls  unendlich  gross. 
Aber  wenn  man  den  Inhalt  der  Schraubenfläche  abzieht,  so  kann  die 
Differenz  endlich  sein,  und  die  Schraubenfläche  hat  die  Eigenschaft, 
dass  diese  endliche  Differenz  positiv  ausfällt. 

In  demselben  Sinn  hat  man  die  Minimal-Eigenschaft  immer  auf- 
zufassen, wenn  die  Fläche  unendliche  Sectoren  besitzt. 

16. 

Die  Begrenzung  bestehe  aus  drei  geraden  Linien,  von  denen  zwei 
sich  schneiden  und  die  dritte  zur  Ebene  der  beiden  ersten  parallel  läuft. 

Legt  man  den  Anfangspunkt  der  Coordinaten  in  den  Schnittpunkt 
der  beiden  ersten  Geraden,  die  positive  x-Axe  in  die  negative  Normale, 
so  bildet  jener  Schnittpunkt  auf  der  Kugel  sich  ab  im  Punkte  rj  =  oo. 
Die  Abbildung  der  beiden  ersten  Geraden  sind  grösste  Halbkreise,  die 
von  7^  =  0»  bis  rj  =  0  laufen.  Ihr  Winkel  sei  «;r.  Die  Abbildung 
der  dritten  Linie  ist  der  Bogen  eines  grössten  Kreises,  der  von  r]  =  0 
ausgeht,  an  einer  gewissen  Stelle  umkehrt  und  in  sich  selbst  bis  zum 
Punkte  rj  =  0  zurückläuft.  Dieser  Bogen  bilde  mit  den  beiden  ersten 
grössten  Halbkreisen  die  Winkel  —  ßit  und  yit^  so  dass  ß  und  y  ab- 
solute Zahlen  sind  und  ß  -{-  y  =  a  sich  ergiebt.  Um  die  Abbildung 
auf  der  halben  ^- Ebene  zu  erhalten,  setzen  wir  fest,  dass  f=  <x>  sein 
soll  für  ?2  =  oo,  dass  dem  unendlichen  Sector  zwischen  der  ersten  und 
dritten  Linie  t  =  h,  dem  unendlichen  Sector  zwischen  der  zweiten  und 
dritten  Linie  t  =  c,  dem  Umkehrpunkte  der  Normalen  auf  der  dritten 
Linie  t  =  a  entsprechen  soll.  Dabei  sind  a,  h,  c  reell  und  c^  a  ^  b. 
Diesen  Bestimmungen  entspricht  rj  =  (t  —  ^Y  {t  —  cy.  Der  Werth  a 
hängt  von  h  und  c  ab.     Man  hat  nemlich 

dlog  n  _  ß(<-c)-hy(<-&) 

dt  {t  —  b){t  —  c) 

c6  -4-  by 
und   dieses   muss   für   den  Umkehrpunkt  =  0   sein,  also  a  =    ßT  / ' 

Man  hat  weiter  nach  Art.  12.  und  13. 

,7,,  _  -1  Ai  (7-~6)  iß  -f  y)     {t  -  a)^  dt 
((ff  —   y  27r  "  («_6)(«-c)» 


304  XVIT.     Lieber  die  Fläche  vom  Ideinsten  Inhalt, 

oder  wenn  man  c  —  ?)  =   j    annimmt 

du  1 


Folglich 


\^^nogr;j     ^     ^^ 


r^  = 


(i  -?>)(<-  c) 


W  ?^  =  -  Y  j 


.  r      _dt L  •  r        ^1^ 


dt 


(i'-&)(t'-c) 


17. 

Die  Begrenzung  bestehe  aus  drei  einander  kreuzenden  geraden 
Linien,  deren  kürzeste  Abstände  A,  B,  (J  sein  mögen.  Zwischen  je  zwei 
begrenzenden  Linien  erstreckt  sich  die  Fläche  ins  Unendliche,  Es 
seien  aTt,  ßjt,  yjt  die  Winkel  der  Richtungen,  in  welchen  die  Grenz- 
linien des  ersten,  des  zweiten,  des  dritten  Sectors  in's  Unendliche  ver- 
laufen. Setzt  man  fest,  dass  für  die  drei  Sectoren  der  Minimalfläche 
im  Unendlichen  die  Grösse  t  resp.  =0,  oo,  1  sein  soll,  so  erhält  man 

du         y'cp  (t) 


dt        t{l  —  t) 

(p(t)  ist  eine   ganze  Function  zweiten  Grades.     Ihre  Goefficienten 
bestimmen  sich  daraus,  dass 

d  log 

d', 
dlog 

du 

7/100^(1-^/) 


ffir  t  =  1  -^-'•"--  -  ,=  l/^- 

r    2  TT 


sein  muss. 


Danach  ergiebt  sich 


bei  gegebener  Begrenzung.  305 

Je  nachdem  die  Wurzeln  der  Gleichung  (p  (t)  =  0  imaginär  oder 
reell  sind,  hat  die  Abbildung  auf  der  Kugel  einen  Verzweigungspunkt 
im  Innern  eder  zwei  Umkehrpunkte  der  Normalen  auf  der  Begrenzung. 

Die  Functionen  l\  =  y  t'  ^"^  ^'^-  =  ^  T/t""  werden  nur  für 
die  drei  Sectoren  unstetig,  wenn  man  - .-,  =  (p  (t)  nimmt.  Und  zwar 
ist  die  Unstetigkeit  von  /^  der  Art,  dass 

--  +  - 
für  ^  ==  0  t     ''      '  \ 

^  —  —  L 

für  f  =  oü  r  ^    -  \ 

für  ^  =  1  (1  —  0     '      '  K 

einändrig  und  verschieden  von  0  und  oo  wird.     Zq  und  l\^  sind  particu- 
läre   Integrale   einer  homogenen  linearen  Differentialgleichung  zweiter 

Ordnung,  die  sich  ergiebt,  wenn  man    ,    y-r^  aus  seinen  Unstetigkeiten 

als  Function  von  t  darstellt  und  t  statt  v  als  unabhängige  Variable  in 

-j-r^  einführt.    Hat  man  das  particuläre  Integral  A'^  gefunden,  so  ergiebt 

sich  h^  aus  der  Differentialgleichung  erster  Ordnung 

Das  vollständige  Integral  der  homogenen  linearen  Differential- 
gleichung zweiter  Ordnung  werde  mit 


id)  h  =  Q 


bezeichnet.  Diese  Function  genügt  wesenthch  denselben  Bedingungen, 
die  in  der  Abhandlung  über  die  Gauss'sche  Reihe  F{a^  /3,  y,  x)  als 
Definition  der  F-Functiou  ausgesprochen  sind*).  Sie  weicht  von  der 
P-Function  darin  ab,  dass  die  Summe  der  Exponenten  —  1  ist,  nicht 
+  1  wie  bei  P. 

Man  kann  die  Function  Q  mit  Hülfe  einer  Function  P  und  ihrer 
ersten  Derivirten  ausdrücken.     Zunächst  ist  nemlich 


1  a 

2  2 

a         |3 

2            2 

1  y 

2  2 

1      « 

2      "^    2 

_3      .      ^ 
2      '      2 

1    .   y 

2      "^    2 

*)  Beiträge  zur  Theorie  der  durch  die  fiauss'sche  Reihe  F {a^  ß,  y,  .«)  dar- 
stellbaren Functionen.     (S.  02  dieser  Sammlung.) 

UiEMAN^r's  gesammelte  inaUjornatische  Wirke.    I.  20 


306 


XVII.     Ueber  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt 

cc  —  ß  —  y  —  1 


Setzt  man  nun 


2  2 


Q 


0 


a-\-ß-y-  1 


6  =  P 


0 


a-ß-Y+1 

2 
cc  +  ß-Y-\-l 


SO  lassen  sich  die  Constanten  a,  &,  c  so  bestimmen^  dass 


1_  >L 

2 


(«)  fc  =  r'     ^  (1  -  0^     ''  ((«  +  &0 "  +  c^  (1  -  0  %) 

wird.  In  der  That  hat  man  nur  diesen  Ausdruck  in  die  Differential- 
gleichung (c)  einzusetzen  und  die  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung 
für  a  zu  beachten,  um  zu  der  Gleichung  zu  gelangen 

F{t)  =  a{a  +  CO)  {1  —  t)  +  (a  +  h)  (a  +  b  —  cy)  t 
V^ermöge  der  Eigenschaften  der  Function  6  kann  man  setzen 


''-"a-0'-(-/^-«^.^)  =  i, 


und  folglich  muss  F{t)  =  (p{t)  sein.  Hieraus  ergeben  sich  drei  Be- 
dingungsgleichungen für  a,  h,  e,  die  eine  sehr  einfache  Form  an- 
nehmen, wenn  man 


a+-c=p,     b ^  ^  c  =  q,     a  +  h  —  f 

setzt.     Die  Bedingungsgleichungen  lauten  dann 

2)p  —  aa(p  +  q  +  rf  =  ^ , 

qq-ßß(P  +  Q  +  rf  =  ^. 
rr  —  yy(p  +  q-\-  ^f  =  -^  • 
Mit  Hülfe  der  Function 


c  =  ~  r 


A==P 


a  ß  1           y 

Y  """  2"  Y  ~7  T 

^  1  JL  _j_  -^ 

2  2  2'      2 


deren  Zweige  A^  und  L  ^^^^'  Differentialgleichung  genügen 


bei  gegebener  Begrenzung.  307 

^^  dlogt  '^2  ^log«  ■"  ^' 

kann  man  1c  noch  einfacher  ausdrücken,  neralich 

Es  würde  nicht  schwer  sein,  die  einzelnen  Zweige  der  Function  k 
m  der  Form  von  bestimmten  Integralen  herzustellen.  Der  Weg  dazu 
ist  in  art.  VII.  der  Abhandlung  über  die  Function  P  vorgezeichnet. 

In  dem  besondern  Falle,  dass  die  drei  begrenzenden  geraden  Linien 

den  Coordinatenaxen  parallel  laufen,  ist  a  =  ß  =  y  =  Y'     l^ann     er- 
hält man 

Der  Zweig  A^  dieser  Function  ist 

=  (-^y  yt^  +  ii-  1)*  const, 
und  daraus  ergiebt  sich 
7.-,  =  1/2  t^  (t  -  l/]/<*  +  it-  if     [  p  +  qf  -    l-~  VW-'^)}  - 

Mit  Hülfe  dieser  beiden  Functionen  lassen  sich  dX,  dY,  dZ  folgender- 
massen  ausdrücken 

dX  =  —  i/tj  \  p  (1  _  ^p  ' 

iX  =  ip  +  q-  rf  ]/^4^  +  (-  ]>  +  q  +  rf  ]/'-^ 
+  i (J'  +  3?  +  r)  {p  -  q  +  r)  log' J^A^ , 
{;,)        iY=-(p-q  +  rf  ti  -{-p  +  q  +  rf  f-i 

1    I 

iZ  =  (j,  _  q  +  rf  (1  -  0^  +  (P  +  q  -  >f  (1  —0"  ^ 

+  i  i^p  +  q  +  >')  1-  p  +  q  +  0  log  1  +  v"!  -  ^ 


1  —  V 1  — « 

20* 


308  XVII.     Ueber  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt 

Wenn  p,  q,  r  reell  sind,  so  geben  die  doppelten  Coefficienten  von 
i  in  den  drei  Grössen  rechts  die  rechtwinkligen  Coordinaten  eines 
Punktes  der  Fläche. 

18. 
Die  Begrenzung  bestehe  aus  vier  sich  schneidenden  geraden  Linien^ 
die  man  erhält^  wenn  von  den  Kanten  eines  beliebigen  Tetraeders 
zwei  nicht  zusammenstossende  weggelassen  werden.  Die  Abbildung 
auf  der  Kugeloberfläche  ist  ein  sphärisches  Viereck,  dessen  Winkel 
(CTT,  ßjt,  yit,  Ö7t  sein  mögen.     Es  ergiebt  sich 

. Cdt Cdt 

~  V(t  —  a)  (*  -^'b)  (t  —"c)  {t  —  d)  ~  V^j' 
wenn  die  reellen  Werthe   t  ==  a,  6,  Cj  d  die  Punkte  der  ^- Ebene   be- 
zeichnen, in  welchen  sich  die  Eckpunkte  des  Vierecks  abbilden. 

Soll  die  in  §.  14  entwickelte  Methode  zur  Bestimmung  von  t] 
angewandt  werden,   so   hat  man  hier   speciell   (p(t)  =  1^  %{t)  =  A(^), 

folglich  V  =  j,  und 


-\  /dv  7  -\  /dv 


Die  Functionen  ]i\  und  ^2  genügen  der  Differentialgleichung 

-j       iL  Ka  -j      Cl  fC^  ^ 

^  dv  "  dv 

und  sind  particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung 

±d^^  {ac-i)A'{a)  (_^J^-_i)^' (&) 

/•    dv"  t  —  a  '  t  —  b 

,     iVY  -  i)  A'(c)     ,     {SS  -  i)  A'(^)    ,    . 

H tzr~c- H  '--jz^-TT    +  ^• 

Die  Function  F(t)  des  §.  14  ist  hier  vom  zweiten  Grade,  aber  die 
Coefficienten  von  t"^  und  von  t  sind  gleich  Null,  also  h  eine  Constante. 
In  der  letzten  Gleichung  hat  man  auf  der  linken  Seite  t  als  unab- 
hängige Variable  einzuführen  und  erhält 

_  (auj-  -1)  A>)     ,     {ßß  -1)  A;^:^)     ,     (yy  -  i)  A-Cc)         {öd-i)A'{d)         , 
t-a  "f"  t-b  "•  f—c  "^  t  —  d  ' 

als  die  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung,  welcher  h  Genüge  leisten 
muss. 

Sind  x^  Uj  z  als  Functionen  von  t  wirklich  ausgedrückt,  so  treten 
in  der  Lösung  noch  16  unbestimmte  reelle  Constanten  auf,  nemlich 
die  vier  Grössen  a,  h,  c,  d,  von  denen  wie  oben,  drei  beliebig  ange- 
nommen werden  können,  die  vier  Grössen   «,  /i,  'y,  ö,  die   Grösse  //, 


i 


bei  gegebener  Begrenzung.  309 

ferner  6  reelle  Constanten  in  dem  Ausdrucke  für  rj,  ein  constanter 
Factor  in  du  und  je  eine  additive  Constante  in  x,  y,  z.  Zur  Bestim- 
mung dieser  16  Grössen  sind  16  Bedingungsgleichungen  vorhanden, 
nemlich  4  Gleichungen,  welche  ausdrücken,  dass  die  vier  Begrenzungs- 
linien in  der  Ebene  der  y\  sich  auf  der  Kugel  in  grössten  Kreisen  ab- 
bilden, und  12  Gleichungen,  welche  aussagen,  dass  x,  ?/,  z  in  den  4 
Eckpunkten  gegebene  Werthe  haben. 

In  dem  speciellen  Falle  eines  regulären  Tetraeders  ist  die  Abbil- 
dung auf  der  Kugel  ein  regelmässiges  Viereck,  in  welchem  jeder  Winkel 
=  -|;r.  Die  Diagonalen  halbiren  sich  und  stehen  rechtwinklig  auf  ein- 
ander. Die  den  Eckpunkten  diametral  gegenüberliegenden  Punkte  der 
Kugeloberfläche  sind  die  Ecken  eines  congruenten  Vierecks.  Zwischen 
beiden  liegen  vier  dem  ursprünglichen  ebenfalls  congruente  Vierecke, 
die  je  zwei  Eckpunkte  mit  dem  ursprünglichen,  zwei  mit  dem  gegen- 
überliegenden gemein  haben.  Diese  sechs  Vierecke  füllen  die  Kugel- 
oberfläche einfach  aus.    Es  wird  also  -^^ eine  algebraische  Function 

von  r\  sein.    (^   ÖUa>     ih^juf-.^,^       »X^-v  T^ ) 

Man  kann  die  gesuchte  Minimalfläche  m)er  ihre  ursprüngliche 
Begrenzung  dadurch  stetig  fortsetzen,  dass  man  sie  um  jede  ihrer 
Grenzlinien  als  Drehungsaxe  um  180'^  dreht.  Längs  einer  solchen 
Grenzlinie  haben  dann  die  ursprüngliche  Fläche  und  die  Fortsetzung 
gemeinschaftliche  Normalen.  Wiederholt  man  die  Construction  an  den 
neuen  Flächentheilen ,  so  lässt  sich  die  ursprüngliche  Fläche  beliebig 
weit  fortsetzen.  Welche  Fortsetzung  man  aber  auch  betrachte,  immer 
bildet  sie  sich  auf  der  Kugel  in  einem  der  sechs  congruenten  Vierecke 
ab.  Und  zwar  haben  die  Abbildungen  von  zwei  Flächentheilen  eine 
Seite  gemein  oder  sie  liegen  einander  gegenüber,  je  nachdem  die 
Flächentheile  selbst  in  einer  Grenzlinie  an  einander  stoss^n  oder  au 
gegenüberliegenden  Grenzlinien  eines  mittleren  Flächentheils  gelegen 
sind.  In  dem  letzteren  Falle  köimen  die  betreffenden  Flächentheile 
durch  parallele   Verschiebung  zur  Deckung   gebracht  werden.     Daher 

niuss  ( V,—    )    unverändert  bleiben,  wenn  rj  mit vertauscht  wiril. 

\d  log  Tj/  '  '  Tj 

Legt  man  den  Pol  (r]  =  0)  in  den  Mittelpunkt  eines  Vierecks, 
den  Anfangsmeridian  durch  die  Mitte  einer  Seite,  so  ist  für  die  Eck- 
punkte dieses  Vierecks 


Tti  ;{«» 

.     c     ±-7-     .     c     ±  -T- 


und 


.       C  1/3 


V2 


310  XVII.     Ueber  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt 

Punkte,  denen  entgegengesetzte  Werthe  von  r]  angehören,  haben  die- 
selbe rc-Coordinate.  Es  muss  also  (ji  -  )  bei  der  Vertauschung  von 
Y]  mit  —  y]  unverändert  bleiben.     Hiernach  erhält  man 


/_du    \2  _ 
\d\ogrj)    ~ 


Die  Constante  C^  muss  reell  sein,  damit  du'^  in  der  Begrenzung 
reelle  Werthe  besitze. 

Zu   demselben   Resultate  gelangt  man   auf   dem  folgenden  Wege. 
Die  Substitution 


Xri'  +  ri-'  +  ^ySi  J  V^  +  V 


liefert  auf  der  ^- Ebene  eine  Abbildung,  die  von  einer  geschlossenen 
überall  stetig  gekrümmten  Linie  begrenzt  wird.  Die  Rechnung  zeigt, 
dass  d  log  t  in  der  Begrenzung  rein  imaginär  ist.  Folglich  ist  die 
Abbildung  der  Begrenzung  in  der  ^- Ebene  ein  Kreis  um  den  Mittel- 
punkt t  =  0.     D.er  Radius  dieses  Kreises  ist  =  1.    Den  Eckpunkten 

Tli 

entspricht  t  =  -j^  1;  tlen  Eckpunkten 

—  n 

entspricht  ^  =  -j-  /.  Geht  man  an  irgend  einer  dieser  vier  Stellen 
durch  das  Innere  der  Minimalfläche  von  einer  Grenzlinie  zur  folgenden, 
so  ändert  sich  dabei  der  Arcus  von  dt  um  jr.  Daher  kann  man,  wie 
in  §.  13.,  auch  hier  setzen 

*  du C2 

dt  ~  y(i^  —  1)  (f'  4-  1)  ^ 

und  es  muss  Cl  rein  imaginär  sein,  damit  dti^  in  der  Begrenzung  reell 
ausfalle.     Es  findet  sich  C,  ==  3"|/3C^i 

Dieser  Ausdruck  stimmt  mit  dem  vorher  aufgestellten  für  {  t!,— — )  . 

°  \d  log  7}/ 

Zur  weitern  Vereinfachung  nehme  man 


(^-+4)'  =  "^   v'  +  r' 


2/1 

V"  -t-  A  y  '        ... 

und  beachte,  dass 

/    du    \2    j.  /duy      dX       -., 

Dann  ergiebt  eine  sehr  einfache  Rechnung 


bei  gegebener  Begrenzung.  311 

w  2jV"»gvv     ''/'     ^'      *^J  v'<»(t-<»)(i -?*»)' 

wenn  p  =  —  —  (1  —  i  l/3)  eine  dritte  Wurzel  der  Einheit  Ijezeichnet. 
Die  reelle  Constaiite  C  =  —  6\  bestimmt  sich  aus  der  gegebenen  Länge 

o 

der  Tetraederkanten. 

19. 

Endlich  soll  noch  die  Aufgabe  der  Minimalfläche  für  den  Fall 
l)ehandelt  werden,  dass  die  Begrenzung  aus  zwei  beliebigen  Kreisen 
besteht,  die  in  parallelen  Ebenen  liegen.  Dann  kennt  man  die  Uichtung 
der  Normalen  in  der  Begrenzung  nicht.  Daher  lässt  sich  diese  auch 
nicht  auf  der  Kugel  abbilden.  Man  gelangt  aber  zur  Lösung  der 
Aufgabe  durch  die  Annahme,  dass  alle  zu  den  Ebenen  der  Grenzkreise 
parallel  gelegten  ebenen  Schnitte  Kreise  seien.  Und  es  wird  sich  zeigen, 
dass  unter  dieser  Annahme  der  Minimalbedingung  Genüge  geleistet 
werden  kann. 

Legt  man  die  ::t;-Axe  rechtwinklig  gegen  die  Ebenen  der  Grenz- 
kreise, so  ist  die  Gleichung  der  Schnittcurve  in  einer  parallelen  Ebene 

und  «,  ß,  y  sind  als  Functionen  von  x  zu  bestimmen.    Zur  Abkürzung 
werde 


gesetzt,  so  dass 

dF       .  dF        .         .  dF 

cos  r  =  n  -K— ,  sm  r  cos  w  =  n  -0—  ,    sm  r  sm  op  ==  n  ^— 

ex  ^  ^  cy  ^  ^  cz 

ist.    Dann  lässt  sich  die  Bedingung  des  Minimum  in  die  Form  bringen 

dx        ~^        dy       ~^        dz 
oder  nach  Ausführung  der  Differentiation 

H-4.2(2.'+«--  +  ^''-y)  =  0. 
Schreibt  man  d'  -\-  ß''  —  y  =  ~  q  und  beachtet,  dass  F  =  0  ist, 
so  geht  die  letzte  Gleichung  über  in 


312  XVII.    Ueber  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt 

(0  ^ä^-ä^^  +  2^  =  ö 

und  giebi  nach  einmaliger  Integration 

i  f  +  2  f"-^  +  const.  =  0. 

q    dx     ^         J     q      ^ 

Die  Integrationsconstante  ist  von  x  unabhängig.    Nimmt  man  anderer- 
seits I  —  unabhängig  von  y  und  z,  so  muss  die  Integrationsconstante 

eine   lineare   Function  von  y  und  s-  sein,   weil  —  ,<--  eine    solche   ist. 

^  ^  q    ex 

Man  hat  also 


I-  +  2  /'—  +  2ay  +  2hz  +  const. 

€X     '         J     q      ^  ^     '  ' 


Vergleicht  man  damit  das  Resultat  der  directen  Differentiation  von  F, 
nemlich 


so  ergiebt  sich 


cx  ^ dx    ^  dx    '    dx 


da  dß  , 

dx  ^^    dx  ^ 


und  wenn  man  j  qclx  =  m  setzt: 

•   «  =  —  am  -{-  d,  ß  =  • —  hm  -\-  e. 
Eüernacli  hat  man 

^  =  _  2av  '^'^  —  26^  "^  -4-  ^ 
dx^  "^    '^  dx  '^  dx*    dx'^' 

und  diese  Ausdrücke  sind  in  die  Gleichung  (l)  einzuführen.    Nach  ge- 
höriger Hebung  erhält  man 

^  dx'         dxdx^^^         ^' 
eine  Gleichung,  die   sich   weiter  vereinfacht,  wenn  man  beachtet,  dass 

y-<l  +  ci^'  +  ß'  =  ^1  +f{ni)  -  ^  +  /'W, 
f{m)  =  (a^  +  ¥)  m-  —  2  (ad -{-  he)  m  +  d'  +  ei 

Nimmt  man  hieraus  -^  und  ^-^,  so  geht  die  Differentialgleichung, 

Cl  X  Cl  X 

welche  die  Bedingung  des  Minimum  ausdrückt,  über  in  folgende: 

Zur  Ausführung  der  Integration  setze  man  ^  =  p  und  betrachte 

cl  X 


bei  gegebener  Begrenzung.  313 

q  als  unabhängige  Variable.     Dadurch  erhält  man  für  p^  als  Function 
von  q  eine  lineare  Differentialgleichung  erster  Ordnung,  nemlich 


2  ^    dq 

oder 

q'dip'')—p'diq') 


k  ^  ^?  -  f  +  ^^I  +  '^  («'  +  ^'0  </  ==  0 


21/2 

+ 

2032  — 

qdq 

(a^ 

^^h')q'' 

2y'q 

* 

'  + 

2cq^  — 
rf2 

(«' 

'-\-h^')q:^ 

21/7 

-* 

-M 

qdq 

(a'^ 

+  b')q'' 

Das  Integral  lautet 

(«)  !?  =  7  -  •*  ("'  +  ^'^  2  +  »'•■• 

Darin  ist   für  ^>  wieder  y7  zu  setzen,  wodurch  man  erhält 
dx  =  '"' 

dm  = 
Also  ergiebt  sich 

(0)  m  =  I      , - — —  , 

y  ==  am  —  d  -\- y  —  q  cos  i^, 
s  =  hm  —  e  +  y  —  g  sin  1^. 
Man  hat  demnach  Xj  y,  z  als  Functionen  von  zwei  reellen  Variabein 
q  und  i\}  ausgedrückt.  Die  Ausdrücke  sind,  abgesehen  von  algebrai- 
schen Gliedern,  elliptische  Integrale  mit  der  obern  Grenze  q.  Nach 
der  oben  entwickelten  allgemeinen  Methode  hätte  man  x^  y,  z  erhalten 
als  Summen  von  zwei  conjugirten  Functionen  zweier  conjugirten  coni- 
plexen  Variabein.  Danach  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  diese 
complexen  Ausdrücke  mit  Hülfe  der  Additionstheoreme  der  elliptischen 
Functionen  sich  je  in  einen  einzigen  Integralausdruck  mit  der  Varia- 
bein q  zusammenziehen  lassen. 

Und  dies  ist  leicht  zu  bestätigen.     Man  hat  nemlich  aus  den  For- 
meln für  die  Richtungscoordinaten  r  und  9)  der  Normalen 
aF       ££'  . 
n  ^^    2r/,,-  ^^  dy  "i    dz  ^  ^^  y  -\-  zi  -\-  a  -\-  ßi  ^^    2./W 
V  ?I!  _  I^  •         y  —  zi  -{-  a-  ßi~  ^ 

dy        dz 

Verbindet  man  damit  die  Definitionsgleichung  von  q,  nemlich: 

(i/  +  £  /•  4-  «  -f  ßi)  (^y  -  zi  +  a-  ßi)  =  —  q, 
so  ergiebt  sich 


314 


XVII.     Ucber  die  Fläche  vom  kleinaten  Inhalt 


-1     -1.     .— 


{ij  +  Zi)  +  («  +  ß-i)  =  (-  qf  n'  V 


i)  +  («  -  ßi)  =  (-  5)'  ri    ^  V- 


cotg  r 

oder 
1 


Ferner  hat  man 

dF 

dx 


1/©  +  ©^    ''-' 


p-2aq(:y  +  cc)-2hq{z  +  ß) 


.     r         r 
Sin- COS - 


Auf  der  rechten  Seite  sind  für  y  -\-  a  und  s  -\-  ß  die  eben  gefundenen 
Ausdrücke  in  rj  und  t]  einzuführen.  Dadurch  geht  die  Gleichung  über 
in  folgende: 

|  =  (.-,/[(«  +  ,,)(fy+(«-^oÖ-)-] 

+(-.r-(i/^'-^)- 

Quadrirt   man  beide   Seiten   dieser  Gleichung  und   setzt  für  —,  seinen 


Werth  aus  (m),  so  ergiebt  sich  nach  gehöriger  Reduction 


(P) 


=  Sc-2(a  +  bi)  (V  -^)  -2(a-  hi)(r,  -i,) 


Die  so  gefundene  Gleichung^  welche  den  Zusammenhang  von  q,  rj^  r{ 
angiebt,  kann  man  als  Integral  einer  Differentialgleichung  für  t]  und  ri 
ansehen  und  q  als  Integrationsconstante  auffassen.  Die  Differential- 
gleichung ergiebt  sich  durch  unmittelbare  Differentiation  in  folgender 
Form 

-  V-i  ((«  +  4.)  (0'  -  (.  -  »0  (4)') 


+ 


+  T/-2((«  +  6O(^)*-(«-?'0(fy)' 


Mit  Hülfe   der  primitiven  Gleichung  (j?)  lassen  sich  aber  die  Factoren 

von  —  und  — ?-  anders  ausdrücken.     Man  braucht  nur  die  linke  Seite 
ri  71 


bei  gegebener  Begrenzung.  315 

von  (j))  in  zweifacher  Weise  zu  einem  yollstiindigen  Quadrat  zu  er- 
gänzen, indem  man  das  fehlende  doppelte  Product  das  eine  mal  positiv, 
das  andere  mal  negativ  hinzufügt.     Dadurch  erhält  man 


=  ±  2  ]/[2c  +  (a  +  &i)i  -  (a  -  bt)rij, 

=  +  2  "[/[2c  +  (a  _  Ji)  i,  _  (a  +  6»),']-  ' 

Nimmt  man  die  Quadratwurzeln  mit  gleichen  Vorzeichen,  so  geht  die 
Differentialgleichung  über  in 


0 


[1/2  c-^-ia-^bt)-  —{a  —  h  i)  tj 


2r} 


2>?'l/2c  +  (a  —  hl)  — ,  —  (a  -f-  H)  n' 


Ihr  Integral  in  algebraischer  Form  ist  in  der  Gleichung  (|>)  ausgesprochen 
oder,  was  auf  dasselbe  hinauskommt,  in  den  beiden  Gleichungen 

V-^l  ((«  +  ^  0  n  —{a  —  U)  ri)  =  yrj'[{a  +  hi)  +  2cri—(a—hi)rj''] 

In  transscendenter  Form  lautet  das  Integral 

const.  =    / . ^  ^ — zz  =- 

^^^  J   2y7i[{a-{'bi)-\-2cri-ia-hi)7)'^ 


+ 


J 


dr)' 


2  Vv^[{a  —  bi)  +  2  cV  -  (a  +  bt)  r?"]  ' 
und  die  Integrationsconstante  lässt  sich  ausdrücken 

const.  =    '  ^^ 


/■ 


2Vq[l~+2cq-{a'^b^q']' 
was  aus  der  Gleichung  (r)  leicht  hervorgeht,  wenn  man  rj  oder  rj'  con- 
stant  und  zwar  =  0  nimmt.     Man  erkennt  darin  das  Additionstheorem 
der  elhptischen  Integrale  erster  Gattung. 


XVIII. 

Mechanik  des  Ohres. 

(Aus  Henle  und  Pfeuffer's  Zeitschrift  für  rationelle  Medicin,  dritte  Reihe,  J5d.  20.)*) 

1.  Ueber  die  in  der  Physiologie  der  feineren  Sinnesorgane  anzuwen- 
^  dende  Methode. 

Für  die  Physiologie  eines  Sinnesorganes  sind  ausser  den  allge- 
meinen Naturgesetzen  zwei  besondere  Grundlagen  nöthig,  eine  psycho- 
physische,  die  erfahrungsgemässe  Feststellung  der  Leistungen  des 
Organes,  und  eine  anatomische,  die  Erforschung  seines  Baues. 

Es  sind  demnach  zwei  Wege  möglich,  um  zur  Kenntniss  seiner 
Functionen  zu  gelangen.  Man  kann  entweder  vom  Baue  des  Organes 
ausgehen  und  hieraus  die  Gesetze  der  Wechselwirkung  seiner  Theile 
und  den  Erfolg  äusserer  Einwirkungen  zu  bestimmen  suchen, 

oder  man  kann  von  den  Leistungen  des  Organes  ausgehen  und 
diese  zu  erklären  versuchen. 

Bei  dem  ersten  Wege  schliesst  man  von  gegebenen  Ursachen  auf 
die  Wirkungen,  bei  dem  zweiten  sucht  man  zu  gegebenen  Wirkungen 
die  Ursachen. 

Man  kann  mit  Newton  und  Her  hart  den  ersten  Weg  den  syn- 
thetischen, den  zweiten  den  analytischen  nennen. 

Synthetischer  Weg. 
Der  erste  Wejy  lie«:t  dem  Anatomen  am  nächsten.     Mit  der  Unter- 

Ä  c5  O 

suchung  der  einzelnen  Bestandtheile   des  Organs  beschäftigt,   fühlt  er 


*)  Der  grosse  Mathematiker,  den  ein  früher  Tod  unserer  Hochschule  und  der 
Wissenschaft  entriss,  beschäftigte  sich,  angeregt  durch  die  von  Helmholtz  be- 
gründete neue  Lehre  von  den  Tonempfindungen,  in  seinen  letzten  Lebensmonaten 
mit  der  Theorie  des  Gehörorgans.  Was  sich  darüber  aufgezeichnet  in  seinen  Pa- 
pieren vorfand  und  hier  mitgetheilt  wird,  berührt  allerdings  nur  einen  kleinen  und 
minder  wesentlichen  Theil  der  Aufgabe;  doch  rechtfertigt  sich  ohne  Zweifel  die 
Verööentlichung  dieses  Fragments  durch  die  Bedeutung  des  Verfassers  und  durch 
den  Werth  seiner  Aussprüche,  wie  seines  Beispiels  für  die  methodische  Behand- 
lung des  Gegenstandes.  Den  ersten  Abschnitt  und  den  grössten  Theil  des  zweiten 
hat  der  Verf.  in  Reinschrift  hinterlassen;  der  Schluss  des  ZAveiten,  vom  letzten  Ab- 
sätze auf  S.  326  an,  wurde  aus  zerstreuten  Blättern  und  Sätzen,  in  welchen  R. 
seine  ersten  Entwürfe  niederzulegen  pflegte,  zusammengestellt.  Die  Bemerkung, 
in  welcher  er  sich  gegen  die  Helmholtz 'sehe  Theorie  von  den  Bewegungen  des 
Ohres  erklärt,  würde  erst  durch  seine  eigene  Ausführung  verständlich  geworden 
sein;  Riemann's  gesprächsweise  Aeusserungen  lassen  vermuthen,  dass  die  Ver- 
schiedenheit der  beiderseitigen  Ansichten  erst  bei  dem  Problem  der  Uebertragung 
der  Schallschwingungen  auf  die  Organe  der  Schnecke  hervorgetreten  sein  würde, 
und  dass  R.  das  dabei  zu  lösende  mathematische  Problem  als  ein  hydraulisches 
aufgefasst  habe.  Schering.     Henle. 


XVIII.     Mechanik  des  Ohres.  317 

sich  veranlasst,  bei  jedem  einzelnen  Theile  zu  fragen,  welchen  Einfiuss 
er  auf  die  Thätigkeit,  des  Organs  haben  möge.  Dieser  Weg  würde 
auch  in  der  Physiologie  der  Sinnesorgane  mit  demselben  Erfolg  ein- 
geschlagen werden  können,  wie  in  der  Physiologie  der  Bewegungs- 
organe, wenn  die  physikalischen  Eigenschaften  der  einzelnen  Theile 
sich  bestimmen  Hessen.  Die  Bestimmung  dieser  Eigenschaften  aus  den 
J3eobachtungen  bleibt  aber  bei  mikroskopischen  Objecten  immer  mehr 
oder  weniger  ungewiss  und  jedenfalls  im  höchsten  Grade  ungenau. 

Man  ist  daher  zu  einer  Ergänzung  nach  Gründen  der  Analogie 
oder  Teleologie  genöthigt,  wobei  die  grösste  Willkür  unvermeidlich  ist, 
und  aus  diesem  Grunde  führt  das  synthetische  Verfahren  in  der  Phy- 
siologie der  Sinnesorgane  selten  zu  richtigen  und  jedenfalls  nicht  zu 
sichern  Ergebnissen. 

Analytischer  Weg. 

Bei  dem  zweiten  Wege  sucht  man  zu  den  Leistungen  des  (3rganes 
die  Erklärung. 

Das  Geschäft  zerfällt  in  drei  Theile. 

1.  Das  Aufsuchen  einer  Hypothese,  welche  zur  Erklärung  der 
Leistungen  genügt. 

2.  Die  Untersuchung,  in  wie  weit  sie  zur  Erklärung  noth- 
w endig  ist. 

3.  Die  Vergleichung  mit  der  Erfahrung,  um  sie  zu  bestätigen 
oder  zu  berichtigen. 

I.  Man  muss  das  Instrument  gleichsam  nacherfinden  und  in  so 
fem  die  Leistungen  des  Organs  als  Zweck,  seine  Schöpfung  als  Mittel 
zu  diesem  Zweck  betrachten.  Aber  der  Zweck  ist  kein  vermutheter, 
sondern  ein  durch  die  Erfahrung  gegebener,  und  wenn  man  von  der 
Herstellung  des  Organs  absieht,  kann  der  Begriff  der  Endursachen  ganz 
ausser  dem  Spiele  bleiben. 

Zu  den  thatsächlichen  Leistungen  des  Organs  sucht  man  in  dem 
Baue  des  Organs  die  Erklärung.  Bei  dem  Aufsuchen  dieser  Erklärung 
hat  man  zuvörderst  die  Aufgabe  des  Organs  zu  analysiren;  hieraus  wer- 
den sich  eine  Reihe  von  secundären  Aufgaben  ergeben,  und  erst  nach- 
dem man  sich  überzeugt  hat,  dass  sie  gelöst  sein  müssen,  sucht  man 
die  Art  und  Weise,  wie  sie  gelöst  sind,  aus  dem  Baue  des  Organs 
zu  schliessen. 

H.  Nachdem  aber  eine  Vorstellung  gewonnen  worden  ist,  welche 
zur  Erklärung  des  Organs  ausreicht,  darf  man  nicht  unterlassen  zu 
untersuchen,  in  wie  weit  sie  zur  Erklärung  not h wendig  ist.  Man 
muss  sorgfältig  unterscheiden,  welche  Voraussetzungen  unbedingt  oder 
vielmehr  in  Folge  unbezweifelter  Naturgesetze  nothwendig  sind,  und 


318  XVIII.     Mechanik  des  Ohres. 

welche  Vorstellungsarten  vielleicht  durch  andere  ersetzt  werden  können^ 
das  ganz  willkürlich  Hinzugedachte  aber  ausscheiden.  Nur  auf  diese 
Weise  können  die  nachtheiligen  Folgen  der  Benutzung  von  Analogien 
bei  dem  Aufsuchen  der  Erklärung  beseitigt  werden,  und  auf  diese 
Weise  wird  auch  die  Prüfung  der  Erklärung  an  der  Erfahrung  (durch 
Aufstellung  von  zu  beantwortenden  Fragen)  wesentlich  erleichtert. 

III.  Zur  Prüfung  der  Erklärung  an  der  Erfahrung  können  theils 
die  Folgerungen  dienen,  die  sich  aus  ihr  für  die  Leistungen  des  Organs 
ergeben,  theils  die  bei  dieser  Erklärung  vorauszusetzenden  physikali- 
schen Eigenschaften  der  Bestandtheile  des  Organs.  Was  die  Leistungen 
des  Organs  betrifft,  so  ist  eine  genaue  Vergleichung  mit  der  Erfahrung 
äusserst  schwierig,  und  man  muss  die  Prüfung  der  Theorie  meist  auf 
die  Frage  beschränken,  ob  kein  Ergebniss  eines  Versuchs  oder  einer 
Beobachtung  ihr  widerspricht.  Was  dagegen  die  Folgerungen  über  die 
physikalischen  Eigenschaften  der  Bestandtheile  betrifft,  so  können  diese 
von  allgemeiner  Tragweite  sein  und  zu  Fortschritten  in  der  Erkenntniss 
der  Naturgesetze  Anlass  geben,  wie  dies  z.  B.  bei  dem  Aufsuchen  der 
Erklärung  der  Achromasie  des  Auges  durch  Euler  der  Fall  war. 


Für  die  beiden  eben  einander  gegenübergestellten  Forschungsweisen 
gelten  übrigens  die  Bezeichnungen  synthetisch  und  analytisch  nur  a 
potiori.  Genau  genommen  ist  weder  eine  rein  synthetische,  noch  eine 
rein  analytische  Forschung  möglich.  Denn  jede  Synthese  stützt  sich 
auf  das  Ergebniss  einer  vorausgehenden  Analyse  und  jede  Analyse 
bedarf  zu  ihrer  Bestätigung  oder  Berichtigung  durch  die  Erfahrung 
der  nachfolgenden  Synthese.  Bei  dem  ersten  Verfahren  bilden  die  all- 
gemeinen Bewegungsgesetze  das  vorausgesetzte  Ergebniss  einer  früheren 
Analyse.  

Das  erste  vorzugsweise  synthetische  Verfahren  ist  für  die  Theorie 
der  feinern  Sinnesorgane  deshalb  zu  verwerfen,  weil  die  Voraus- 
setzungen für  die  Anwendbarkeit  des  Verfahrens  zu  unvollständig  er- 
füllt sind,  die  Ergänzung  der  Voraussetzungen  durch  Analogie  und 
Teleologie  hier  aber  völlig  willkürlich  bleibt. 

Bei  dem  zweiten  vorzugsweise  analytischen  Verfahren  kann  die 
Hülfe  der  Teleologie  und  Analogie  zwar  auch  nicht  ganz  entbehrt, 
wohl  aber  bei  ihrer  Benutzung  die  Willkürlichkeit  vermieden  werden, 
indem  man 

1)  die  Anwendung  der  Teleologie  auf  die  Frage  beschränkt,  durch 
welche  Mittel  die  thatsächlichen  Leistungen  des  Organs  ausgeführt 
werden,  nicht  aber  bei  den  einzelnen  Bestandtheilen  des  Organs  die 
Frage  nach  dem  Nutzen  auf  wirft; 


XVni.     Mechanik  des  Ohres.  319 

2)  die  Anwendung  von  Analogien  (das  „Dichten  von  Hypothesen") 
sich  zwar  nicht,  wie  Newton  will,  gänzlich  versagt,  aber  hinterher 
die  Bedingungen,  die  zur  Erklärung  der  Leistungen  des  Organs  erfüllt 
sein  müssen,  heraushebt,  und  die  zur  Erklärung  nicht  nöthigen  Vor- 
stellungen, welche  durch  Benutzung  der  Analogie  herbeigeführt  worden 
sind,  davon  absondert. 

Nach  diesen  Principien  müssen  nun  für  unsern  Zweck  zuvörderst 
die  Leistungen  des  Gehörorgans  festgestellt  werden.  Mit  welcher 
Schärfe,  Feinheit  und  Treue  das  Ohr  die  Wahrnehmung  des  Schalles, 
seines  Klanges  und  Tones,  seiner  Stärke  und  Richtung  vermittelt, 
dieses  muss  durch  Beobachtung  und  Versuch  so  genau,  wie  irgend 
möglich,  bestimmt  werden. 

Ich  setze  diese  Thatsachen  als  bekannt  voraus.  In  dem  Buche 
„die  Lehre  von  den  Tonempfindungen  als  physiologische  Grundlage 
für  die  Theorie  der  Musik ^'  von  Helmholtz,  findet  man  die  Fort- 
schritte zusammengestellt,  welche  in  der  so  äusserst  schwierigen  Er- 
mittelung der  Thatsachen,  die  die  Wahrnehmung  der  Tcme  betreifen, 
in  neuester  Zeit  gemacht  worden  sind  und  zwar  vorzüglich  von  Helm- 
holtz selbst. 

Da  ich  den  Folgerungen,  welche  Helmholtz  aus  den  Versuchen 
und  Beobachtungen  zieht,  entgegen  zu  treten  vielfach  genöthigt  bin, 
so  glaube  ich  um  so  mehr  gleich  hier  aussprechen  zu  müssen,  wie 
sehr  ich  die  grossen  Verdienste  seiner  Arbeiten  über  unsern  Gegenstand 
anerkenne.  Sie  sind  aber  meiner  Ansicht  nach  nicht  in  seinen  Theorien 
von  den  Bewegungen  des  Ohres  zu  suchen,  sondern  in  der  Verbesserung 
der  erfahr ungsmässigen  Grundlage  für  die  Theorie  dieser  Bewegungen. 

Ebenso  muss  ich  auch  den  Bau  des  Ohres  hier  als  bekannt  voraus- 
setzen, und  bitte  den  geneigten  Leser,  nöthigenfalls  ein  mit  Abbildungen 
versehenes  Handbuch  der  Anatomie  zur  Hülfe  zu  nehmen.  Die  Er- 
gebnisse der  neuesten  Forschungen  über  den  Bau  der  Schnecke  und 
des  Ohres  überhaupt  findet  man  dargestellt  in  der  vor  Kurzem  er- 
schienenen dritten  Lieferung  des  zweiten  Bandes  von  He  nie 's  Hand- 
buch der  "Anatomie  des  Menschen. 

Ich  betrachte  es  hier  allein  als  meine  Aufgabe,  jene  psychophysi- 
schen  Thatsachen  aus  diesen  anatomischen  Thatsachen  zu  erklären. 

Die  Theile  des  Ohres,  die  für  unsern  Zweck  in  Betracht  kommen, 
sind  die  Paukenhöhle  und  das  Labyrinth,  welches  aus  dem  Vorhofe, 
den  Bogengängen  und  der  Schnecke  besteht.  Wir  verfahren  nun  so, 
dass  wir  zunächst  aus  dem  Baue  dieser  Theile  zu  schliessen  suchen, 
was  jeder  derselben  zu  den  Leistungen  des  Ohres  beitragen  möge,  dann 
aber  bei  jedem  einzelnen  Theile  wieder  von-  cler  durch  ihn  zu  lösenden 


320  XVIII.     Mechanik  des  Ohres. 

Aufgabe   ausgehen    und    zunächst    die    Bedingungen    aufsuchen,    deren 
Erfüllung  zu  einer  genügenden  Lösung  der  Aufgabe  erforderlich  ist. 

2.    Paukenhöhle. 

Man  hat  längst  erkannt,  dass  der  Apparat  in  der  Paukenhöhle 
die  Wirkung  hat,  den  Druck  der  Luft  auf  das  Labyrinthwasser  ver- 
stärkt zu  übertragen. 

Nach  den  oben  entwickelten  Principien  müssen  wir  nun  aus  den 
in  der  Erfahrung  gegebenen  Leistungen  des  Organs  die  Bedingungen 
ableiten,  welche  bei  dieser  Uebertragung  erfüllt  werden  müssen.  Es 
ergeben  sich  diese  vorzüglich  aus  der  Feinheit  des  Ohres  in  der  Wahr- 
nehmung des  Klanges  und  aus  der  grossen  Schärfe,  welche  das  Ohr, 
zumal  das  unverkümmerte  Ohr  des  Wilden  und  des  Wüstenbewohners, 
besitzt.  Versteht  man  unter  Klang  die  Beschaffenheit  des  Schalles, 
welche  von  Stärke  und  Richtung  desselben  unabhängig  ist,  so  wird 
diese  offenbar  durch  den  Apparat  völlig  treu  mitgetheilt,  wenn  er  die 
Druckänderung  der  Luft  in  jedem  Augenblick  in  constantem 
Verhältniss  vergrössert  auf  das  Labyrinthwasser  überträgt. 

Es  ist  unverfänglich,  dies  als  Zweck  des  Apparats  anzusehen, 
wenn  man  nur  dabei  nicht  unterlässt,  zugleich  aus  den  Leistungen  des 
Ohres  zu  bestimmen,  wie  weit  man  durch  die  Erfahrung  berechtigt  d.  h. 
genöthigt  ist,    die   wirkliche  Erfüllung   dieses   Zwecks   vorauszusetzen. 

Wir  wollen  dies  sogleich  thun,  vorher  jedoch  für  die  Beschaffen- 
heit der  Druckänderung,  von  welcher  der  Klang  abhängt,  einen  mathe- 
matischen Ausdruck  suchen.  Die  Curve,  welche  die  Geschwindigkeit 
der  Druckänderung  als  Function  der  Zeit  darstellt,  bestimmt  die  Schall- 
welle vollständig  bis  auf  ihre  Richtung,  also  auch  Stärke  und  Klang 
des  Schalles.  Nimmt  man  nun  statt  dieser  Geschwindigkeit  den  Loga- 
rithmus von  dieser  Geschwindigkeit,  oder  wenn  man  lieber  will,  von 
deren  Quadrat,  so  erhält  man  eine  Curve,  deren  Form  von  Richtung 
und  Stärke  des  Schalles  unabhängig  ist,  die  aber  den  Klang  vollständig 
bestimmt  und  daher  „Klangcurve"  heissen  möge. 

Löste  der  Apparat  seine  Aufgabe  vollkommen,  so  würden  die 
Klangcurven  des  Labyrinthwassers  mit  den  Klangcurven  der  Luft  völlig 
übereinstimmen.  Durch  die  Feinheit  des  Ohres  in  der  Wahrnehmung 
des  Klanges  halten  wir  uns  nun  zu  der  Annahme  berechtigt,  dass  die 
Klangcurve  durch  die  Uebertragung  nur  sehr  wenig  geändert  werde 
und  also  das  Verhältniss  zwischen  den  gleichzeitigen  Druckänderungen 
der  Luft  und  des  Labyrinthwassers  während  eines  Schalles  sehr 
nahe  constant  bleibe. 

Eine  lanirsame  Veräiiderlichkeit  dieses  Verhältnisses  ist  damit  sehr 


XVIII.    Mechanik  des  Ohres.  321 

wohl  vereinbar  und  wahrscheinlich.  Sie  würde  nur  eine  Veränderlich- 
keit des  Ohres  in  der  Schätzung  der  Schallstärke  zur  Folge  haben,  deren 
Annahme  die  Erfahrung  durchaus  nicht  verbietet.  Würde  die  Klang- 
curve  merklich  geändert,  so  scheint  eine  solche  Feinheit  des  Gehörs, 
wie  sie  sich  z.  B.  in  der  Wahrnehmung  geringer  Verschiedenlieiten  der 
Aussprache  zeigt,  mir  kaum  denkbar.  Die  unmittelbare  Beurtheiluug 
der  Feinheit  der  Klangwahrnehmungen  und  besonders  die  Schätzung 
der  den  Klangverschiedenheiten  entsprechenden  Verschiedenheiten  der 
Klangcurve  bleibt  freilich  immer  sehr  subjectiv. 

Die  Verschiedenheit  des  Klanges  dient  uns  aber  auch,  die  Ent- 
fernung der  Schallquelle  zu  schätzen.  Von  dieser  Klangverschiedenheit 
können  wir  die  mechanische  Ursache,  die  Veränderung  der  Klangcurve  bei 
der  Fortpflanzung  des  Schalles  in  der  Luft  durch  Rechnung  bestimmen. 

Wir  können  indess  dies  hier  nicht  weiter  verfolgen  und  wollen 
von  dem  Uebertragungsapparat  nur  fordern,  dass  er  keine  groben  Ent- 
stellungen des  Klanges  bewirke,  obgleich  wir  glauben,  dass  seine  Treue 
viel  grösser  ist,  als  man  gewöhnlich  annimmt. 

I.  Der  Apparat  in  der  Paukenhöhle  (im  un verkümmerten  Zu- 
stande) ist  ein  mechanischer  Apparat  von  einer  Empfindlichkeit,  die 
Alles,  was  wir  von  Empfindlichkeit  mechanischer  Apparate  kennen, 
himmelweit  hinter  sich  lässt.  ' 

In  der  That  ist  es  durchaus  nicht  unwahrscheinlich,  dass  durch 
denselben  Schallbewegungen  treu  mitgetheilt  werden,  die  so  klein  sind, 
dass  sie  mit  dem  Mikroskop  nicht  wahrgenommen  werden  könnten. 

Die  mechanische  Kraft  der  schwächstöh  Schälle,  welche  das  Ohr 
noch  wahrnimmt,  lässt  sich  freilich  kaum  direct  ii?6hätzen;  aber  man 
kann  mit  Hülfe  des  Gesetzes,  nach  welchem  die  Stärke  des  Schalles 
bei  seiner  Verbreitung  in  der  Luft  abnimmt,  zeigen,  dass  das  Ohr 
Schälle  wahrnimmt,  deren  mechanische  Kraft  Millionen  Mal  kleiner  ist, 
als  die  der  Schälle  von  gewöhnlicher  Stärke. 

In  Ermangelung  anderer  von  Fehlerquellen  freier  Beobachtungen 
berufe  ich  mich  auf  die  Angabe  von  Nicholson,  nach  welcher  das 
Rufen  der  Schildwachen  von  Portsmouth  4  bis  5  englische  Meilen  weit 
zu  Ride  auf  der  Insel  Wight  bei  Nacht  deutlich  gehört  wird.  Wenn 
man  erwägt,  welche  Vorrichtungen  Co  Iladon  nöthig  hatte,  um  die 
Verbreitung  des  Schalles  im  Wasser  wahrzunehmen,  so  wird  man  zu- 
geben ,  dass  von  einer  erheblichen  Verstärkung  des  Schalles  durch  Fort- 
pflanzung im  Wasser  nicht  die  Rede  sein  kann  und  dass  hier  in  der 
That  die  mechanische  Kraft  des  Schalles  umgekehrt  proportional  dem 
Quadrat  der  Entfeniung  und  wahrscheinlich  noch  schneller  abnimmt. 
Da  die  Entfernung  von  4  bis  5  Meilen  etwa  2000   Mal   so   gross  ist 

IliEMANN's  gesammelte  mathematische  Werke.    I.  21 


322  *  XVIII.    Mechanik  des  Ohres. 

als  die  Entfernung  von  8  bis  10  Fuss,  so  ist  die  mechanische  Kraft  der 
das  Trommelfell  treffenden  Schallwellen  hier  vier  Millionen  Mal  kleiner^ 
als  in  der  Entfernung  von  8  bis  10  Fuss  von  der  Schildwache  und  die 
Bewegungen  sind  2000  Mal  kleiner.  Man  muss  zugeben,  dass  bei  den 
Schall-Empfindungen  durchaus  nichts  von  Verhältnissen,  wie  1  zu 
1000  Millionen  oder  1  zu  Tausend  bemerkt  wird.  Nach  den  neueren 
Untersuchungen  über  das  Verhältniss  der  psychischen  Schätzung  der 
Schallstärken  zum  physischen  oder  mechanischen  Mass  der  Schallstärke 
bildet  dies  jedoch  durchaus  keinen  Einwand  gegen  die  eben  erhaltenen 
Resultate.  Wahrscheinlich  ist  dies  Abhängigkeitsverhältniss  gerade  so, 
wie  das  unserer  Schätzung  der  Lichtstärke  oder  Grösse  der  Fixsterne 
zu  der  mechanischen  Kraft  des  uns  von  ihnen  zugesandten  Lichtes. 
Hier  hat  man  bekanntlich  aus  den  Stern -Aichungen  geschlossen,  dass 
die  mechanische  Kraft  des  Lichtes  im  geometrischen  Verhältnisse  ab- 
nimmt, wenn  die  Grösse  des  Fixsternes  in  arithmetischer  Reihe  steigt. 
Theilte  man  dem  analog  die  Schälle,  von  denen  von  gewöhnlicher 
Stärke  bis  zu  den  eben  noch  wahrnehmbaren,  in  Schälle  von  der  ersten 
bis  zur  achten  Grösse,  so  würde  die  mechanische  Kraft  für  die  Schälle 
zweiter  Grösse  etwa  y^^^,,  für  die  dritter  Yj^^;  .  .  •  .,  für  die  achter 
Vio.0000007  ^®^^  ^^^^^  Millionten  Theil  so  gross  sein,  als  für  die  Schälle 
erster  Grösse,  und  die  Weite  der  Bewegungen  würde  für  die  Schälle 
erster,  dritter,  fünfter,  siebenter  Grösse  sich  wie  1  :  y^j :  y^Q^  :  y^o^Q  ver- 
halten. 

Ich  habe  oben  bei  der  Betrachtung  der  das  Ohr  treffenden  Schall- 
wellen vor  dem  Trommelfell  Halt  gemacht,  weil  Einige  eine  Dämpfung 
der  stärkeren  ScHälle  (durch  Spannung  des  Trommelfells?)  annehmen. 
Ich  muss  jedoch  gestehen,  dass  mir  diese  Meinung  als  eine  völlig  will- 
kürliche Vermuthung  erscheint.  Es  mögen  allerdings,  wenn  ein  star- 
ker Knall  die  Membranen  des  Labyrinths  zu  verletzen  droht,  Schutz- 
vorrichtungen wirksam  werden-,  aber  ich  finde  in  der  Beschaffenheit 
der  Gehörseindrücke  durchaus  nichts  Analoges  mit  dem  Beleuchtungs- 
grad des  Gesichtsfeldes  beim  Auge,  und  wüsste  durchaus  nicht,  was 
eine  fortwährend  veränderliche  Reflexthätigkeit  des  M.  tensor  tympani 
für  das  genaue  Auffassen  eines  Musikstücks  nützen  sollte.  Meiner  An- 
sicht nach  hat  man  durchaus  keinen  Grund,  bei  dem  Schalle  in  10  Fuss 
Entfernung  von  der  Schildwache  ein  anderes  Verhältniss  zwischen  den 
Bewegungen  'der  Luft  vor  dem  Trommelfell  und  den  Bewegungen  der 
Steigbügelplatte  anzunehmen,  als  in  der  Entfernung  von  20,000  Fuss; 
aber  selbst  wenn  man  eine  ziemlich  starke  Veränderlichkeit  der 
Spannung  des  Trommelfells  annimmt,  werden  unsere  Schlüsse  dadurch 
nicht  beeinträchtigt.     Wenn  nun  die  Bewegungen  der  Steigbügelplatte 


XVIII.     Mechanik  des  Ohres.  323 

in  der  Entfernung  von  10  Fuss  von  der  Schildwache  wahrscheinlich 
zu  den  eben  mit  blossen  Augen  noch  wahrnehmbaren  gehören,  so  wer- 
den die  Bewegungen  in  der  Entfernung  von  20,000  Fuss  bei  einer 
2000  fachen  Vergrösserung  eben  wahrnehmbar  sein. 

II.  Soll  der  Paukenapparat  so  kleine  Bewegungen  treu  mittheilen, 
wie  er  es  der  Erfahrung  nach  thut,  so  müssen  die  festen  Körper,  aus 
denen  er  besteht,  an  den  Stellen,  wo  sie  auf  einander  wirken  sollen, 
völlig  genau  auf  einander  schliessen;  denn  offenbar  kann  ein  Körper 
einem  anderen  eine  Bewegung  nicht  mittheilen,  sobald  er  um  mehr 
als  die   Weite  der  Bewegung  von  ihm  absteht. 

Es  wird  ferner  nur  ein  kleiner  Theil  der  mechanischen  Kraft  der 
Schallbewegung  durch  anderweitige  Arbeit,  wie  Spannung  von  Gelenk- 
kapseln und  Membranen,  für  das  Labyrinth  verloren  gehen  dürfen. 

Ein  solcher  Verlust  wird  vermieden  durch  die  äusserst  geringe 
Breite  des  freien  Randes  der  Membran  des  Vorhofsfensters.  WUre 
dieser  Rand  breiter,  so  würden  die  Schwingungen  der  Steigbügelplatte 
beinahe  ganz  durch  Schwingungen  dieses  Randes  ausgeglichen  werden, 
und  auf  die  Membranen  der  Schnecke  und  des  Schneckenfensters  nur 
eine  geringe  Wirkung  stattfinden. 

Die  Wirkung  dieses  Membranenrandes  auf  die  Steigbügelplatte 
wird  wegen  der  geringen  Breite  des  Randes  für  die  verschiedenen 
Lagen  der  Steigbügelplatte  während  der  Schallbewegung  sehr  verschie- 
den sein.  Man  muss  daher,  wenn  sie  den  Klang  nicht  entstellen  soll, 
annehmen,  dass  die  Elasticität  der  Membran  sehr  gering  ist,  und  die 
Steigbügelplatte  nicht  durch  sie,  sondern  durch  andere  Kräfte  in  die 
richtige  Gleichgewichtslage  gebracht  wird. 

IIL  Da  die  Theile  des  Paukenapparates,  um  die  erfahrungs- 
gemässe  Schärfe  des  Ohres  möglich  zu  machen,  fortwährend  mit  mehr 
als  mikroskopischer  Genauigkeit  in  einander  greifen  müssen,  so  schei- 
nen Correctionsvorrichtungeu  wegen  der  Ausdehnung  und  Zusammen- 
ziehung der  Körper  durch  die  Wärme  durchaus  unentbehrlich.  Die 
Temperaturänderungen  mögen  innerhalb  der  Paukenhöhle  nur  sehr 
klein  sein-,  dass  sie  aber  stattfinden,  ist  nicht  zu  bezweifeln.  Für  die 
Temperaturvertheilung  im  menschlichen  Körper  gilt,  wenn  die  äussere 
Temperatur  hinreichend  lange  constant  gewesen  ist,  nahe  das  Gesetz, 
dass  der  Abstand  der  Temperatur  an  einer  beliebigen  Stelle  des  Kör- 
pers von  der  Kirntemperatur  propoi-tional  ist  dem  Abstände  der 
äusseren  Temperatur  von  der  Hirntemperatur.  Dieses  Gesetz  ergiebt 
sich  aus  dem  New  ton' sehen  und  der  Voraussetzung,  dass  der  Wärme- 
leitungscoefficient  und  die  specifische  Wärme  innerhalb  der  in  Be- 
tracht kommenden  Temperaturen  constant  sei,  eine  Voraussetzung,  die 

21* 


324  XVIII.     Mechanik  des  Ohres. 

wahrscheinlich  nahe  erfüllt  ist.  Man  kann  durch  dieses  Gesetz  aus 
dem  Abstände  der  Temperatur  der  Paukenhöhle  von  der  Hirntempera- 
tur auf  die  Temperaturänderungen  schliessen.  Wenn  sich  nun  auch 
der  Temperaturunterschied  zwischen  Paukenhöhle,  und  Hirn  nicht  be- 
stimmen lässt,  so  kann  man  doch  aus  mehreren  Gründen,  aus  den 
Communicationen  mit  der  äusseren  Luft  durch  den  äusseren  Gehör- 
gang und  die  Tuba,  auch  wohl  aus  der  Art  und  Weise  der  Blutver- 
sorgung der  Paukenhöhle,  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  schliessen, 
dass  ein  merklicher  Temperaturunterschied  stattfindet. 

Dagegen  hat  der  Pyramidenknochen,  weil  er  den  Can.  caroticus 
enthält,  wahrscheinlich  sehr  nahe  die  Temperatur  des  Hirns,  und  wir 
müssen  daher  annehmen,  dass  die  innere  Auskleidung  der  Pauken- 
höhle ein  sehr  schlechter  Wärmeleiter  und  Strahler  ist. 

Von  den  übrigeu,  die  Paukenhöhle  umgebenden  Knochen  lässt 
sich  freilich  wohl  nicht  behaupten,  dass  sie  eine  so  hohe  Temperatur 
besitzen,  wie  das  Hirn  oder  die  Pyramide.  Doch  enthalten  sie  bedeu- 
tende Wärmequellen  in  Blutleitern,  grossen  Arterien  und  Venen  und 
sind,  wie  die  Pyramide,  durch  Schleimhaut  und  Periost  gegen  die  Aus- 
strahlung in  die  Paukenhöhle  geschützt.  Wir  dürfen  daher  annehmen, 
dass  ihre  Temperatur  merklich  höher  ist  als  die  der  Paukenhöhle. 

Wenn  nun  die  äussere  Temperatur  sinkt,  so  wird  nach  dem  oben 
angeführten  Gesetze  der  Abstand  von  der  Hirntemperatur  allenthalben 
im  Körper  in  demselben  Verhältniss  (auf  das  Doppelte)  steigen,  die 
Paukenhöhle  wird  sich  in  Folge  dessen  merklich,  die  umgebenden 
Knochen  nur  sehr  wenig  abkühlen,  und  die  Gehörknöchelchen  werden 
sich  merklich  zusammenziehen,  während  die  Wände  der  Paukenhöhle 
fast  ungeändert  bleiben. 

Viel  mehr  als  dieses,  dass  die  Gehörknöchelchen  sich  beim  Sin- 
ken der  äusseren  Temperatur  viel  stärker  abkühlen  und  zusammen- 
ziehen, als  die  W^ände  der  Paukenhöhle,  dürfte  sich  über  den  Einfluss 
der  Temperatur  auf  den  Paukenapparat  bei  unserer  gänzlichen  Unbe- 
kanntschaft mit  den  thermischen  Eigenschaften  seiner  Bestandtheile 
nicht  feststellen  lassen. 

IV.  Ich  werde  nun  zunächst  die  Veränderungen  zu  bestimmen 
suchen,  welche  bei  einem  Sinken  der  äusseren  Temperatur  in  der  Lage 
der  Gehörknöchelchen  eintreten,  damit  alle  zur  Berührung  bestimmten 
Theile  des  Apparates  fortfahren,  genau  auf  einander  zu  schliessen.  Der 
Theil  des  Gehörknöchelsystems,  der  am  unveränderlichsten  mit  der 
Wand  der  Paukenhöhle  verbunden  ist,  ist  das  Ambos-Paukengelenk. 
Durch  Abkühlung  werden  alle  Entfernungen  in  festen  Körpern  kleiner, 
also  auch  die  Entfernung  des  Ambos-Steigbügelgelenks  von  dieser  Ge- 


XVIII.     Mechanik  dos  Ohres.  325 

lenkfläche.  Vom  Hammer  ist  wahrscheinlich  das  obere  Griffende  der- 
jenige Theil,  welcher,  wenigstens  parallel  dem  Paukenfellring,  die  ge- 
ringsten Verschiebungen  zulässt.  Da  nun  bei  der  Abkühlung  die  Ent- 
fernung des  Ambos-Paukengelenks  von  dem  am  unveränderlichsten 
befestigten  Punkt  des  oberen  Hammergriffs  im  Paukenfell  nahe  unge- 
ändert  bleibt,  die  Entfernungen  dieser  Punkte  vom  Ambos-Hammergelenk 
aber  beide  abnehmen,  so  muss  sich  am  Ambos-Hammergelenk  der  Winkel 
zwischen  den  nach  diesen  Punkten  gehenden  Linien  etwas  weiter  offnen. 

Bei  diesen  beiden  Aenderungen  in  der  Lage  der  Gehörknöchelchen 
wird  der  Hammer  ein  wenig  in  der  Richtung  vorn-median-hinten  und 
gleichzeitig  (um  das  Gelenkknöpfchen  des  Amboses  in  seiner  Höhe  zu 
erhalten)  sehr  wenig  in  der  Richtung  vorn-oben -hinten  gedreht.  Der 
lange  Fortsatz  des  Hammers  würde  dabei  in  der  Fissur  nach  oben 
und  medianwärts  bewegt  werden,  wenn  er  gegen  Griff  und  Kopf  des 
Hammers  eine  und  dieselbe  Lage  behielte.  Durch  die  Wirkung  der 
Abkühlung  wird  er  aber  stärker  gekrümmt  und  dem  Hammergriff 
genähert,  so  dass  er  sich  während  der  Temperaturänderung  wahrschein- 
lich nur  allmählich  ein  wenig  aus  der  Fissur  herausbewegt. 

V.  Wir  haben  eben  die  Bedingungen  aufgestellt,  denen  die  Lage 
der  Gehörknöchelchen  wahrscheinlich  genügt,  damit  sie  fortwährend 
genau  auf  einander  schliesserr  und  dabei  weder  im  Rande  der  Vor- 
hofsmembran, noch  im  Paukenfell  eine  merkhch  ungleichmässige  Span- 
nung erzeugen.  Wir  fragen  nun  nach  den  Mitteln,  durch  welche 
den  Gehörknöchelchen  jederzeit  die  richtige  Lage  gegeben  und  gesichert 
wird.  (Es  wird  dies  meist  durch  einander  entgegengesetzte  Kräfte 
geschehen,  welche  bei  der  richtigen  Lage  des  Knöchelchens  sich  das 
Gleichgewicht  halten  und  es,  wenn  es  aus  ihr  entfernt  würde,  in  sie 
zurücktreiben  würden.) 

Es  ist  klar,  dass  diese  in  den  beiden  die  Lage  der  Gehörknöchel- 
chen regulirenden  Muskeln,  in  den  Gelenkkapseln,  Ligamenten,  den 
Schleimhautfalten  und  den  beiden  Membranen,  mit  denen  die  Gehör- 
knöchelchen verwachsen  sind,  gesucht  werden  müssten..  Bei  diesem 
Aufsuchen  der  Ursachen  einer  bestimmten  Wirkung  auf  die  Gehör- 
knöchelchen ergeben  sich  jedoch,  namentlich  wenn  man  die  Schleim- 
hautfalten mit  in  Betracht  zieht,  oft  mehrere  Wege  zur  Erzielung  der 
Wirkung  als  möglich.  Um  aus  diesen  verschiedenen  Möglichkeiten  die 
wahrscheinlichste  herauszufinden,  ist  es  vor  allen  Dingen  nöthig,  sich 
durch  anatomische  Untersuchungen  an  frischen  Präparaten  ein  unge- 
fähres ürtheil  über  die  Elasticität  und  Spannung  der  Bänder,  Häute  etc. 
zu  verschaffen,  was  mir  unmöglich  ist.  Man  darf  jedoch  auch  hoffen, 
durch    sorgfältige    Entwicklung    der   Consequenzen   der   verschiedenen 


326  XVIII.     Mechanik  des  Ohres. 

Hypothesen  bei  den  falschen  auf  Unwahrscheinlichkeiten  zu  stossen 
und  diese  so  zu  excludiren. 

Es  ist  ^für  unsere  jetzige  Untersuchung  zweckmässig^  zu  unter- 
scheiden zwischen  dem  lauschenden,  zum  genauen  Hören  adaptirten 
Ohr  und  dem  nicht  lauschenden  Ohr,  und  für  bestimmte  Fragen  zwi- 
schen dem  Ohr  des  Neugeborenen  und  des  Erwachsenen.  Wir  machen 
die  Unterscheidung  zwischen  dem  lauschenden  und  nicht  lauschenden 
Ohr,  wenn  die  Steigbügelplatte  durch  den  Zug  des  M.  tensor  tympani 
ein  wenig  gegen  das  Labyrinthwasser  gedrückt  wird,  so  dass  der  Druck 
im  Labyrinthwasser  ein  wenig  stärker  ist  als  in  der  Luft  der  Pauken- 
höhle; es  werden  dabei  die  Theile  der  festen  Körper,  deren  Berührung 
gesichert  werden  soll,  ein  wenig  gegen  einander  gedrückt.  Diejenigen 
nun,  welche  eine  solche  fortwährende  Spannung  des  Apparates  (das 
Paukenfell  etwa  ausgenommen)  für  unwahrscheinlich  halten,  mögen 
annehmen,  dass  bei  den  Temperaturänderungen  die  Gehörknöchelchen 
durch  die  Wirkung  der  Haft-  und  Gelenkbänder  und  die  allmähliche 
Aenderung  der  Contraction  der  Muskeln  ihre  Lage  ändern,  ohne  gegen 
einander  gedrückt  zu  werden,  weil  wir  gefunden  haben,  dass  nur  dann 
das  genaue  Ineinandergreifen  aller  Theile  des  Apparats  gesichert  ist. 

Es  bleibt  dann  unsere  Untersuchung  für  das  lauschende,  zum 
genauen  Hören  absichtlich  vorgerichtete  Ohr  giltig,  während  daneben 
doch  immer  die  Möglichkeit  bestehen  bleibt,  dass  das  Ohr  (des  Wachenden?) 
fortwährend,  wenn  auch  vielleicht  in  geringerem  Grade,  adaptirt  ist. 

Der  Gehörknöchelapparat  besteht  aus  einem  aus  zwei  Theilen 
(Hammer  und  Ambos)  zusammengesetzten,  um  eine  Axe  drehbaren 
Körper  und  aus  einem  mit  diesem  Körper  articulirenden,  auf  das 
Wasser  des  Yorhofsfensters  drückenden  Stempel  (dem  Steigbügel). 
Das  eine  Ende  der  Umdrehungsaxe,  der  kurze  Fortsatz  des  Amboses, 
ist  mittelst  des  Ambos-Paukengelenks  an  der  hintern  Wand  der  Pau- 
kenhöhle befestigt,  das  andere  Ende,  der  lange  Fortsatz  des  Hammers, 
ragt,  nur  von  Weichtheilen  umgeben,  in  eine  Spalte  zwischen  dem 
vordem  obern  Ende  des  Paukenfellrings  und  dem  Felsenbein  und  legt 
sich  in  eine  Furche  dieses  Ringes.  (Wenigstens  ist  es  so  beim  Ohr 
des  Neugeborenen.) 

Die  Bestimmung  der  relativen  Lage  der  Gehörknöchelchen  gegen 
die  Paukenhöhle  wird  sehr  erleichtert  durch  das  Verfahren  von  Henle, 
die  Paukenhöhle  sich  so  gedreht  zu  denken,  dass  die  Umdrehungsaxe  hori- 
zontal von  hinten  nach  vorn  geht  und  das  Vorhofsfenster  vertical  steht. 

Wird  der  Stiel  des  Hammers  durch  Steigerung  des  Druckes  der 
Luft  auf  das  mit  ihm  verwachsene  Trommelfell  nach  innen  getrieben, 
so   wird  die  Basis   des   Steigbügels   gegen   die  Membran    des   (ovalen) 


XVIII.     Mechanik  des  Ohres.  327 

Vorhofsfensters  gedrückt,  der  Druck  im  Labyrinthwasser  gesteigert  und  da- 
durch die  Membran  des  (runden)  Schneckenfensters  nach  aussen  getrieben. 

Damit  der  Apparat  die  kleinsten  Druckänderungen  der  Luft,  in 
stets  gleichem  Verhältniss  vergrössert,  dem  Labyrinthwasser  mitthei- 
len könne,  ist  es  vor  allen  Dingen  nöthig,  dass  der  Druck  des 
Steigbügels  stets  in  völlig  gleicher  Weise  auf  das  Labyrinth- 
wasser wirke.     Zu  diesem  Ende  muss 

1.)  der  Druck  der  Basis  stets  Eine  und  dieselbe  Fläche  treffen 
und  die  Richtung  der  Bewegung  unveränderlich  sein; 

2.)  es  dürfen  keine  Anheftungen  des  Steigbügels  an  die  Wand  des 
Vorhofsfensters  stattfinden,  wenigstens  keine  solchen,  die  irgend  einen 
merklichen  Einfluss  auf  seine  Lage  und  Bewegung  ausüben  könnten; 

3.)  der  Steigbügel  darf  nie  aufhören,  gegen  die  Membran  des 
Vorhofsfensters  zu  drücken. 

Wie  man  bei  einiger  Ueberlegung  leicht  finden  wird,  würden  die 
Druckänderungen  der  Luft  entweder  gar  nicht  oder  nach  völlig  ver- 
änderten Gesetzen  auf  das  Labyrinthwasser  wirken,  sobald  Eine  dieser 
Bedingungen  verletzt  würde. 

um  die  Erfüllung  der  3.  Bedingung  zu  sichern,  muss  durch  den 
M.  tensor  tympani,  welcher  den  Hammerstiel  nach  innen  zieht,  der 
Druck  gegen  die  Membran  des  Vorhofsfensters  stets  auf  einer  solchen 
Höhe  erhalten  werden,  dass  er  die  grössten,  beim  Hören  zu  erwarten- 
den Druckänderungen  beträchtlich  übertrifft.  Wahrscheinlich  wird  am 
Schnecken-  oder  Vorhofsfenster  eine  Wirkung  dieses  Druckes,  sei  es 
die  Spannung  oder  Krümmung  (Ausdehnung,  Formänderung)  der  Mem- 
bran empfunden  und  durch  den  M.  tensor  tympani  der  für  das  genaue 
Hören  günstigste  Druck  hergestellt. 

Der  Druck  hängt  nur  von  der  Lage  des  Hammerstiels  ab,  und  um 
die  erforderliche  Einstellung  dieses  Stiels  zu  bewirken,  muss  der  Zug 
des  Muskels  gerade  so  stark  sein,  dass  er  der  Wirkung  der  Spannung 
des  Paukenfells  bei  dieser  Einstellung  das  Gleichgewicht  hält.  Ob  die 
Spannung  des  Paukenfells  dabei  grösser  oder  kleiner  ist,  darauf  kommt 
gar  nichts  an ;  nur  muss  sie,  wie  wir  jetzt  zeigen  wollen,  so  gross  bleiben, 
dass  nur  ein  sehr  kleiner  Theil  der  mechanischen  Kraft  der  das  Ohr 
treffenden  Wellen  an  die  Luft  im  Innern  der  Paukenhöhle  verloren  geht. 

Wenn  eine  in  freier  Luft  ausgespannte  Membran  von  einer  Schall- 
welle getroften  wird,  so  entstehen  eine  Schwingung  der  Membran,  eine 
zurückgeworfene  Luftwelle  und  eine  weitergehende  (gebrochene)  Luft- 
welle. Wie  sich  die  mechanische  Kraft  der  Schallwelle  auf  diese  drei 
Wirkungen  vertheilt,  hängt  von  der  Spannung  der  Membran  ab.  Ist 
diese   Spannung  sehr    gering,   so    sind    die   beiden   ersten  Wirkungen 


328  XVJII.     Mechanik  des  Obres. 

sehr  schwach,  und  es  geht  die  Schallwelle  fast  unverändert 'weiter.  Ist 
dagegen  die  Membran  so  stark  gespannt,  dass  ihre  Bewegungen  nur 
sehr  klein  sind  gegen  die  Schwingungen  der  Lufttheilchen  in  der  auf 
sie  trejßpenden  Schallwelle,  so  kann  sie  der  Luft  auf  der  hintern  Seite 
nur  sehr  kleine  Bewegungen  mittheilen  und  folglich  auch  ihren  Druck 
nur  wenig  verändern,  und  es  wird  fast  die  ganze  Druckänderung  auf 
der  vordem  Seite  zur  Spannung  der  Membran  verwandt.  Ausserdem 
aber  entsteht,  wenn  die  Membran  in  freier  Luft  ausgespannt  ist, 
eine  zurückgeworfene  Welle. 

Die  Lage  des  Linsenbeines  gegen  das  Vorhofsfenster  kann  also 
nicht  unverändert  bleiben;  aber  es  kann  durch  Drehung  des  Amboses 
um  seinen  Befestigungspunkt  (das  Paukengelenk)  bewirkt  werden,  dass 
das  Linsenbein  sich  nur  parallel  der  Längsaxe  des  Vorhofsfensters 
verschiebt,  und  also  nur  in  dieser  Richtung  eine  Drehung  des  Steig- 
bügels um  das  Centrum  der  Ambosgelenkfläche  nöthig  ist,  um  die 
Steigbügelplatte  an  ihrem  Platze  zu  erhalten.  Da  nun  nur  für  diese 
Richtung  eine  Vorrichtung  (der  M.  stapedius)  vorhanden  ist,  den  Steig- 
bügel um  das  Ambosgelenkknöpfchen  willkürlich  zu  drehen,  für  die 
darauf  senkrechte  aber  nicht,  so  darf  man  wohl  vermuthen,  dass  die 
letztere  Vorrichtung  eben  dadurch  überflüssig  gemacht  worden  ist,  dass 
das  Ambosgelenkknöpfchen  fortwährend  in  derselben  Höhe  erhalten  wird. 

VL  Dem  Zuge  der  Sehne  des  M.  tensor  tympani  wird  zum  Theil 
das  Gleichgewicht  gehalten  durch  die  Befestigung  des  Hammergriffs  im 
Paukenfell  und  des  Paukenfells  im  Sulcus  tympanicus.  Die  Anheftung 
des  Paukenfells  an  dem  Hammergriff  reicht  aber  (nach  v.  Tröltsch  und 
Ger  lach)  nur  wenig  höher,  als  der  Insertionspunkt  der  Sehne,  und  ihr  End- 
punkt liegt  selbst  schon  höher  als  die  Endigungen  des  Sulcus  tympanicus. 

Offenbar  kann  also  die  Befestigung  des  Paukenfells  im  S.  t.  dem 
M.  tensor  tympani  allein  nicht  das  Gleichgewicht  halten.  Zum  Gleich- 
gewicht des  Hammers  ist  vielmehr  erforderlich,  dass  auf  den  oberhalb 
des  Insertionspunkts  gelegenen  Theils  ein  gleich  grosses  entgegengesetzt 
gerichtetes  Drehungsmoment  wirke,  wie  auf  den  unterhalb  gelegenen  Griff. 
Man  kann  diese  zur  Herstellung  des  Gleichgewichts  nöthige  Kraft  suchen 

L)  entweder  in  der  Verbindung  des  Paukenfells  mit  den  ober- 
flächlichen Schichten  der  Haut  des  äusseren  Gehörgangs, 

2.)  oder  in  der  Wirkung  der  hinteren  Paukenfelltasche, 

3.)  oder  vielleicht  in  dem  Zusammenwirken  der  Anheftungen  des 
Hammerkopfes  an  die  Paukenhöhlen  wand  durch  den  Ambos  einerseits 
und  anderseits  durch  das  Lig.  superius  Arnoldi.  Diese  Anheftungen 
bilden  einen  etwa  gegen  die  Spitze  des  kurzen  Fortsatzes  gerichteten  Winkel 
und  drücken,  wenn  sie  gespannt  sind,  diese  Spitze  gegen  das  Paukenfell. 


Dritte  Abtlieiluiig 


XIX. 

Versuch  einer  allgemeinen  Auffassung  der  Integration  und 

Differentiation.*) 

In  dem  folgenden  Aufsatze  ist  der  Versuch  gemacht,  ein  Ver- 
fahren aufzustellen,  mittelst  dessen  man  aus  einer  gegebenen  Function 
einer  Veränderlichen  eine  andere  Function  derselben  Veränderlichen 
ableiten  könne,  deren  Abhängigkeit  von  jener  ursprünglichen  sich  durch 
eine  Zahl  ausdrücken  lässt  und  die  für  den  Fall^  dass  diese  Zahl  eine 
ganze  positive,  negative  oder  null  ist,  bezüglich  mit  den  DiflFerential- 
quotienten,  Integralen  und  der  ursprünglichen  Function  übereinstimmt. 
Die  Resultate  der  Differential-  und  Integral-Rechnung  vrerden  zwar  als 
Grundlage  hier  vorausgesetzt,  aber  nicht  in  der  Weise,  dass  diejenigen 
derselben,  die  für  alle  Differentiale  und  Integrale,  deren  Ordnung  durch 
eine  ganze  Zahl  ausgedrückt  wird,  gelten,  auch  auf  die  gebrochenen 
Ordnungen  ausgedehnt  würden;  sondern  sie  sollen  nur  einerseits  zur 
Begründung  des  oben  angedeuteten  Verfahrens  benutzt  werden  und 
andrerseits  als  Wegweiser  dienen  dasselbe  zu  finden. 

Zu  diesem  letzteren  Zwecke  wollen  wir  einmal  die  Reihe  der 
Differentialquotienteu  etwas  näher  betrachten.  Es  ist  klar  dass  man 
hiebei  nicht  von  der  gewöhnlichen  Definition  derselben  ausgehen  kann, 
die  sich  auf  ihr  recurrentes  Bildungsgesetz  gründet,  da  mau  ja  durch 
dasselbe  unmöglich  auf  andere  Glieder  der  Reihe,  als  auf  solche,  die 
ganzen  Indices  entsprechen,  gelangen  kann;  man  rauss  sich  also  nach 
einer  independenten  Bestimmung  derselben  umsehen.     Ein  Mittel  dazu 


*)  Diese  Abhandlung  trägt  im  Manuscript  das  Datum  U.  Jan.  1847.  und 
stammt  also  aus  Riemanns  Studienzeit.  Riemann  dachte  ohne  Zweifel  nicht 
an  ihre  Veröffentlichung,  auch  stützt  sich  die  Betrachtung  auf  Grundlagen,  deren 
Haltbarkeit  er  in  späteren  Jahren  nicht  mehr  anerkannt  haben  würde.  Immerhin 
ist  die  Arbeit  für  Riemanns  Entwicklungsgang  charakteristisch,  und  die  Resultate 
sind  bemerkenswerth  genug,  um  die  Aufnahme  in  diese  Sammlung  zu  recht- 
fertigen. 


332  XIX.     Versuch  einer  allgemeinen  Auffassung 

bietet  uns  die  Entwicklung  der  Function,  welche  aus  der  ursprüng- 
lichen durch  Vermehrung  der  Veränderlichen  um  einen  beliebigen  Zu- 
wachs entsteht^  nach  ganzen  positiven  Potenzen  dieses  Zuwachses  dar. 
Denn  da  die  bekamite  Entwicklung 

(wo  %4-Ä)  das  bedeutet,  was  aus  %)  wird,  wemi  man  darin  statt  x 
X  -\^h  setzt)  für  jeden  beliebigen  Werth  von  h  gültig  ist,  so  müssen 
die  Coefficienten  in  derselben  einen  ganz  bestimmten  Werth  haben; 
man  kann  dieselben  also  zur  Definition  der  Differentialquotienten  ver- 
wenden. Demgemäss  stellen  wir  folgende  Definition  auf:  der  nte 
Differentialquotient  der  Function  %)  ist  gleich  dem  Coefficienten  von 
li'^  in  der  Entwicklung  von  %  +  ;o  nach  ganzen  positiven  Potenzen 
von  h,  multiplicirt  in  einen  nach  x  constanten,  nur  von  n  abhängigen 
Factor,  nemlich  in  1.2 n.  Diese  Betrachtungsweise  der  Differential- 
quotienten führt  sehr  leicht  zur  Feststellung  einer  allgemeinen  Operation, 
in  welcher  die  Differentiation  und  Integration  enthalten  ist  und  welche 
wir  (da  die  Bezeichnung  und  Benennung  derselben  als  die  Grenze  des 
Quotienten  verschwindender  Grössen  bei  dieser  Betrachtungsweise  keinen 
Sinn  hat)  durch  ^^  bezeichnen  und  nach  dem  Vorgange  von  Lagrange 
in  der  Benennung  „fonctions  derivees"  Ableitung  benennen  wollen. 

Wir  verstehen  nemlich  unter  d*' z  oder  unter  dem  Ausdruck  „i'te 
Ableitung  von  %)  nach  x^^  den  Coefficienten  von  If  in  einer  nach  Po- 
tenzen von  A,  deren  Exponenten  um  eine  ganze  Zahl  von  einander 
abstehen,  rückwärts  und  vorwärts  in's  Unendliche  fortlaufenden  Ent- 
wicklung von  %_j_Ä),  multiplicirt  in  einen  nach  x  constanten,  nur  von 
V  abhängigen  Factor,  d.  h.  wir  definiren  d^'^z  durch  die  Gleichung 

(2)  ^(^_^,)=^  hjj  h\ 

In  dieser  Definition  muss  nun  natürlich  der  von  v  allein  abhängige 
Factor  h^  so  bestimmt  werden,  dass  für  den  Fall,  dass  die  Exponenten 
von  h  ganze  Zahlen  sind,  die  Reihe  (2)  in  die  (1)  übergeht,  weil 
nur  dann  die  Differentialquotienten  wirklich  als  besondere  Fälle  in  den 
Ableitungen  enthalten  sind-,  sollte  dies  nicht  möglich  sein,  so  wäre 
diese  Definition  unserm  Zwecke,  eine  Operation,  welche  die  Differen- 
tiation als  besonderen  Fall  in  sich  schliesst,  festzustellen,  nicht  ent- 
sprechend, und  wir  müssten  uns  also  nach  einem  anderen  Wege,  ihn 
zu  erreichen,  umsehen. 


der  Integration  und  Differentiation.  333 

Bevor  wir  aber  diesen  Factor  zu  bestimmen  suchen,  wollen  wir 
erst  Einiges  über  die  Reihen  von  der  angegebenen  Form  vorausschicken, 
da  sie,  wie  man  sieht,  die  Grundlagen  dieses  ganzen  Versuchs  einer 
Theorie  der  Ableitungen  bilden. 

Man  hat  wohl  die  Behauptung  aufgestellt,  man  könne  auf  die 
Reihen  im  Allgemeinen  gar  keine  sicheren  Schlüsse  gründen,  sondern 
nur  unter  der  Bedingung,  dass  man  den  darin  vorkommenden  Grössen 
solche  Zahlenwerthe  beilege,  dass  die  Reihe  convergire,  d.  h.  dass  sich 
ihr  (wenigstens  genäherter)  Werth  durch  eine  wirkliche  Ziffernaddition 
finden  lasse.  Nun  können  wir  aber,  wenn,  wie  hier  immer  voraus- 
gesetzt wird,  die  Coefficienten  einem  bestimmten  Gesetze  gehorchen, 
jeden  einzelnen  Theil  derselben  genau  angeben;  sie  ist  folglich  eine 
in  allen  ihren  Theilen  genau  begrenzte,  also  bestimmte  Grösse;  und 
ich  sehe  darin,  dass  der  Mechanismus  der  Ziffernaddition  nicht  aus- 
reicht, diesen  ihren  bestimmten  Werth  zu  finden,  keinen  Grund,  warum 
wir  nicht  die  Gesetze,  die  für  die  Zahlengrössen  als  solche  erwiesen 
sind,  auf  sie  anwenden  und  die  Resultate,  die  wir  dadurch  erhalten, 
als  richtig  ansehen  sollten. 

Um  an  einem  Beispiele  zu  zeigen,  dass  man  für  eine  Reihe  von 
der  Form  (2)  wirklich  einen  Werth  finden  kann,  wollen  wir  durch  ein 
Verfahren,  das  in  vielen  Fällen  für  diesen  Zweck  anwendbar  ist,  die 
Function  x^'  in  eine  nach  gebrochnen  Potenzen  von  {x  —  h)  fortlaufende 
Reihe  entwickeln,  eine  Entwicklung,  deren  wir  ohnehin  im  Lauf  der 
Untersuchung  bedürfen. 

Die  Reihe,  die  .t"  gleich  sein  soll  und  die  wir  der  Kürze  wegen 
durch  z  bezeichnen,  sei 


^c„{x-h)". 


enn  z  =  . 

r^',  so  ist 

§-:=^-"-s 

glich 

dz 

es  muss  also  auch 

^[{ii  -  «)c«  -  6  («  +  1)  c«+i]  (pc.  -hy  =  o 

sein.     Dieser  Bedingung  ist  oö'enbar  Genüge  geleistet,  sobald 

(P'  -  «)  Ca  —  h{a+r)  c„  +  i  =  0. 
Nun  sind  aber  alle  Ausdrücke,  welche  dieser  Differentialgleichung  ge- 
nügen   in    den   verschiedenen  Werthen    von   kxf'    enthalten,    es    musg 


334  XIX.     Versuch  eiuer  allgemeinen  Auffassung 

also  die  Reihe  ^,  in  der  das  Gesetz 

(^  —  a)  Ca  —  h  (a  -{-  1)  Ca-\-i  =  0 
stattfindet,    notli wendig    einem    derselben    gleich    sein;    um    diesen    zu 
finden,  machen  wir 

Ca-l  (X  —  hy-  '   +   Ca  {X  —   hf  =p, 

P  =  c«+i  (.r  -  &)«  +  ^  +  c,.  +  2  {x  -  hY  +  ^ , 

also 

p  -{-  2)'  =  z  =  kx'' ; 
folj^lich 


o 


^^~-^d^  =  ^^  —  ^)^^(^  —  ^y  =  ^^  ^p  —  ^  j|- 

Diese  Differentialgleichungen  haben  zum  allgemeinen  Integral 
—  /  Xx~^~^  dx  +  \  =px^^'  =  Ca{x  —  hyx-^ 

+  Ca-l  (X  —  hy-^X-^' 

/  Xx-^'-^  dx  +  7^2  =px~^'  =  Ca  +  i  {x  —  lY^^  x-^ 

+  Ca 4-2  ix  —  &)«  +  2^-^* 

Substituirt  man  hierin  für  X  seinen  Werth  und  —  für  x.   so   erhält 

V 
man 

px-^'  =  Ca{^  —  a)  h"~^'  Cif-"-^  (1  —  ijY  dij  +  \ 

=  Cah''^'''(l  —  yy  y^'~-"  +  Ca-i'b"-'^~^'{l—yy-^y'''-''+^  +  •• 

PX-'''     =    —    C«  (^     —     ß)  6«-^*      /   y^C-a-1    1^1     _    yY    ^y    _|_    l^ 

=  c«4-i  h"  +  ^-^'-  (1  —  yy  +  ^  y^^-cc-i 

+  Ca  +  2  &«  +  2-^'  (1   —  iy)«  +  2  |/,«-«-2  -I-  .. 

In  dem  Falle,  dass  ^  >  a  >  —  1,  verschwinden  nun  offenbar  die  Aus- 
drücke rechts  bezüglich  für  y  ==  0  und  ^  =  1 ,  und  die  beiden  Inte- 
grale werden  ihnen  also,  das  erste  von  0  bis  y,  das  zweite  von  1  bis  y 
genommen,  genau  gleich  sein,  wenn  dieselben  zwischen  diesen  Grenzer 
continuirlich  sind.  Es  könnte  scheinen,  als  ob  diese  Bedingung  ver 
letzt  wäre,  so  bald  einige  oder  alle  Glieder  einer  Reihe  in's  Positive 
oder  Negative  über  alle  Grenzen  hinaus  wachsen;  daraus  würde  aber 
da  sich  dieselben  gegenseitig  aufheben  können,  nur  folgen,  dass  siel 
durch  eine  wirkliche  Addition  ein  bestimmter  Werth  für  die  Reihe 
nicht  finden  lässt.  Da  wir  nun  den  Schluss,  als  ob  die  Reihe  in  einen 
solchen  Falle  überhaupt  keinen  bestimmten  Werth.  habe,  nach  den 
Obigen  nicht  zugeben,  so  können  wir  die  Continuität  oder  Disconti 
nuität  der  Reihen  px~^'  und  px~^'  nur    durch  die  Betrachtung  dej 


der  Integration  und  Differentiation.  335 

ihnen  gleichen  Integrale  erfahren.*)  Bekanntlich  kann  nun  aber  ein 
Ausdruck  nur  discontinuirlich  werden,  wenn  sein  Differential  unendlich 
wird;  der  Ausdruck  (1  —  ?/)•"- «-^  ?/"  ^^^  ^t>er  für  alle  endlichen 
Werthe  von  y  einen  endlichen  Werth,  wenn  die  Exponenten  ^  —  a  —  1 
und  a  positiv  sind;  die  Integrale  ändern  sich  also  dann  stetig,  und 
aus  der  Betrachtung  der  singulären  Integrale  für  y  =  \  und  ^  =  0 
ersieht  man,  dass  dies  auch  noch  stattfindet,  so  lange  beide  Exponen- 
ten grösser  als  —  1  bleiben.  Es  ist  demnach  für  den  Fall,  dass 
ft  >  «  >  —  1  und  y  endlich  ist,**) 

A-  ==  zx-^'  =poc-^'  +  j/o.—'"  =  (ft  —  ci)Ca  h"-f  /  (1  —  yy-"-^  y"  dy 

u 

(wo  n  das  bekannte  bestimmte  Integral  bezeichnet).  Dies  Resultat 
gilt,  wie  bemerkt,  nur,  wenn  ^  >  «  >  —  1 ;  es  lässt  sich  aber  auf 
alle  Werthe  von  ft  und  a  ausdehnen,  wenn  man  das  FI  einer  negativen 
Zahl  (wie  im   Lauf  dieser  Untersuchung  immer  angenommen   werden 

soll)  als  durch  das  Gesetz  n{n)  =  — -j—-  TI{n  +1)    aus    den   positiven 

abgeleitet  definirt.  Denn  erstens  muss  es  nach  dem  Gesetz,  welches 
angenommener  Massen  zwischen  den  Coefficienten  der  Reihe  stattfindet, 

für  jeden  Werth  von  a  gelten,  wenn  nur  einer  derselben  ^  (^  j  ist;  es 
ist  also,  wenn  fi  positiv  ist 

ft  =  CO 

hx^=y  Ijrr^ — T  ^~"  C^'  —  ^Y 

^  I      n{a)n{(i  —  a)  ^  ^ 

«  = 00 

oder  _ 

n^i  ~  ^   II  {fx  —  a)       n{a)    J 

daraus  aber  erhält  man  durch  ??  malige  Differentiation  nach  x 

n{fi  —  n)         ^  n{(i  —  cc)  "^77 (a  —  n)   ' 
wodurch  das  Gesetz  auch  für  negative  Werthe  von  ^  erwiesen  ist. 

*)  Behandelt  man  die  Integrale  vor  der  Substitution  von  —  statt  ,r,  so  wer- 

y 

den  sie  für  x  =  0  discontinuirlich.  Man  erkennt  aber  auch  unter  dieser  Form 
leicht,  dass  die  ihnen  zugehörigen  Constanten  für  positive  und  negative  Werthe 
von  X  dieselben  Werthe  haben  müssen,  da  der  Werth  der  Integrale  bei  dem 
Uebergange  des  a;  von  -f  oo  zu  —  oo  sich  stetig  ändert. 

**)  Für  den  Fall,  dass  ?/  =  ±  co,  also  x  =  0,  ist  der  Werth  beider  Inte- 
grale CO;  folgHch  l'  =  cc  —  00,  d.  h.  beliebig,  was  offenbar  aus  der  blossen  Be- 
trachtung dieses  Falles  hervorgeht. 


336  XIX.     Versuch  einer  allgemeinen  Auffassung 

Es  ist  also  ganz  allgemein. 


(3) 


Tl{a)  ~  ^   Hill  —  a)       n{a) 


Bemerkenswert!!  ist  es,  dass  man  clurcli  diese  Formel,  eine  Reihe  für 
x^'  nicht  erhält,  wenn  ^  eine  negative  ganze  Zahl  ist,  da  der  Ausdruck 
links  dann  0  wird,  worauf  wir  später  zurückkommen  werden.  Man 
sieht  auch  dass  es  Reihen  von  dieser  Form  giebt,  die  der  Null  oder 
einer  Constanten,  für  jeden  Werth  von  x,  gleich  sind. 

Nach  dieser  Protestation  gegen  das  Verdammungsurtheil,  welches 
man  den  divergirenden  Reihen  gesprochen  hat,  wollen  wir  jetzt  den 
eingeschlagenen  Weg  zur  Feststellung  des  Begriffs  der  Ableitungen 
weiter  verfolgen.  Man  sieht,  dass  der  Zweck,  den  wir  uns  gesetzt 
haben,  dass  nemlich  die  Differentiation  als  besonderer  Fall  in  der  Ab- 
leitung enthalten  sein  soll,  erfüllt  ist,  so  bald  nur  die  Function  ky  für 

alle  ganzen  positiven  Werthe  von  v  =  —- ^ und  für   alle   ganzen 

negativen  Werthe  =0  ist-  denn  dann  geht  die  Reihe  (2)  in  die 
Reihe  (1)  über;  dieser  Bedingung  kann  aber  offenbar  durch  unendlich 
viele  verschiedene  Functionen  von  v  genügt  w^erden-,  man  kann  ferner 
durchaus  nicht  annehmen,  dass  es  nur  Eine  Entwicklung  derselben 
Function  nach  denselben  Potenzen  von  Ji  gebe,  d.  h.  dass  nur  Ein 
System  von  Coefficienten  einer  Reihe  von  einer  bestimmten  Form 
einen  bestimmten  Werth  gebe;  man  muss  vielmehr  unendlich  viele 
verschiedene  Systeme  als  möglich  voraussetzen;  wir  haben  also,  un- 
beschadet unseres  Zweckes,  sowohl  unter  den  verschiedenen  möglichen 
Functionen  von  v  für  äv  als  unter  verschiedenen  möglichen  Systemen 
von  Coefficienten  die  Wahl,  und  es  ist  offenbar  am  zweckmässigsten 
diese  Wahl  womöglich  so  zu  treffen,  dass  die  Ableitungen  noch  meh 
reren  Gesetzen  gehorchen,  die  bei  einer  andern  Wahl  nur  für  Ab- 
leitungen mit  ganzen  Indices  gültig  sein  würden. 

Hierzu  dienen  folgende  Betrachtungen. 

Da  der  Ausdruck  Zh  dlz  h"  alle  in  dieser  Form  möglichen  Ent 
Wicklungen  %  + /,)  umfassen  soll,  so  muss 

ah 
alle  in  dieser  Form  möglichen  Entwicklungen  von  —  "^^^^^  umfassen 
und  ebenso 

dx  "^    dx 


der  Integration  und  Differentiation.  337 

alle  Entwicklungen  dieser  Form  von  — -^?-±-^.  Bekanntlich  sind  nun 
— ^'^j  ^'^  und  — ^1 — ~  identisch;  beide  Ausdrücke  umfassen  also  genau 
dieselben    Reihen;    es    müssen    also    auch     /m-j-i  {v  -\-  \)  Cx      z  und 

/.:,.      /"     genau  dieselben  Werthe  Jiaben,  d.  h.  sie  sind  einander  gleich; 

setzt  man  nun  ky^\  (^  +  1)  = /^v^  was  der  obigen  Hauptbedingung 
offenbar  nicht  widerspricht,  da  für  ganze  Werthe  von  v  vermöge  der- 
selben dies  Gesetz  stattfinden  muss,  so  erreicht  man  dadurch ,  dass 
auch  für  die  Ableitungen  mit  gebrochenen  Indices 


dx 
ist  und  folglich  allgemein,  wenn  n  eine  ganze  Zahl  ist, 

(4)  ^  ^^'  +  %  =  fl^^- 

Aus  dem  angenommenen  Gesetze  für  /Cv  folgt,  dass 

ist,  es  hat  also  die  Function  //(i*)/:,  ,die  wir  durch  Z^  bezeichnen  wollen,  für  alle 
Werthe  von  v,  die  um  ganze  Zahlen  von  einander  abstehen,  stets  denselben 
Werth.  Wir  können  daher  für  die  zweckmässigste  Wahl  der  Function 
Iv  nicht  mehr  aus  der  Betrachtung  einer  einzelnen  Entwicklungsform, 
sondern  nur  aus  der  Combination  verschiedener  Schlüsse  ziehen;  dem- 
gemäss    wollen    wir  versuchen,    ob   wir   sie   so    wählen  können,  dass 

Cx  OxZ  =  Cx         Z  ist. 

Lässt  man  zu   diesem  Zwecke  x  in   der  Formel  (2)  noch   einmal 
wachsen,  und  bezeichnet  man  diesen  Zuwachs  durch  /c,  so  ist 

und  dieser  Ausdruck  bezeichnet  alle  nach  denselben  Potenzen  von  h 
und  h  möglichen  Entwicklungen  von  z^x  +  h  +  k)-     Es  ist  aber  auch 

//  t=  CO      1=  OO  V        u 

Nun  bezeichnet  der  letzte  Ausdruck  (ß)  zwar  nicht  alle  möglichen 
Entwicklungen    dieser    Form    von   z (,r -{- f,  +  k) ,    da  *die    Gleichung    (3) 

RiEMANN-'s  gesammelte  mathematische  Wrrko.    I.  22 


338  XIX.     Versuch  einer  allgemeinen  Auffassung 

nur  Eine  Entwickluntr  von  -  :^ — ■  —  r-  ffiebt,  ohne  dass  dies  die  einziu' 

mögliche  zu  sein  brauchte;  es  müssen  aber  alle  in  ihm  enthaltenen 
Entwicklungen  auch  in  (a)  enthalten  sein;  stellt  man  also  für  die 
Function  l  das  Gesetz  ?(«  +  )>  =l,ilv  auf;  so  werden  alle  Werthe 
von  rl  >  auch  Werthe  von  ri'^l-?  sein^  obgleich  der  letzte  Ausdruck 
auch  noch  andere  Werthe  haben  kann. 
Es'  ist  also 

(5)  ai'a:>  =  a£+"^ 

unter  der  ausgesprochenen  Beschränkung. 

Aus  ?(,,  +  ,,)  =  /(,,)?(,,)   folgt  aber 

?(u-f  r-f-TT)    =  l(u  +  r)l7l  =  luly  Ire 

und  allgemein,  dass  das  Product  der  l  verschiedener  Zahlen  gleich  ist 
dem  /  ihrer  Summe,  oder  wenn  man  die  einzelnen  Factoren  einander 
gleich  setzt  \mv)  =  C)?  so  oft  m  eine  ganze  Zahl  ist;  bezeichnet  man 
nun  —  durch  tc,  so  ist 


1{un    ==  kan)  =  ?'"  =  C     oder  hm\  =  iv  . 

Das  Gesetz  ?(av)  =  fv  ist  also  für  alle  rationalen  Werthe  von  ^,  und 
folglicb  (nach  dem  bekannten  Gesetz  der  Interpolation)  allgemein  gültig. 
Da  nun  für  ganze  Werthe  von  v  Ir  =  1  sein  muss,  so  ist  ?^,  =  V . 
Sollen  demnach  die  Gesetze  (4)  und  (5)  für  die  Ableitungen  im 
Allgemeinen  gelten,  und  die  Differentiation  in  der  Ableitung  als  be- 
sonderer Fall  enthalten  sein,  so  müssen  wir  die  Ableitungen  unter 
denjenigen  Functionen  von  x  wählen,  die  der  Gleichung 

^i^+i>)  —Zj  m^  ^^^  —  Zj  my)  ^^^ 

genügen.  Diese  Wahl  wird  am  zweckmässigsten  auf  diejenigen  unter 
ihnen  fallen,  welche  am  geschmeidigsten  für  die  Rechnung  sind;  ver- 
sucht man  aber  die  Entwicklung  einiger  Functionen  von  x  -\-'h  in 
Reihen,  die  nach  gebrochenen  Potenzen  von  1i  fortlaufen,  so  wird  man 
sehen,   dass   am   leichtesten  und   einfachsten   Entwicklungen   in  solche 

li"  +  ^ 
Reihen  sind,  in  denen  der  Coefficient  von  7:^7 — r-~v  das  Differential  des 

'  U{y  -f-  1) 

Coefficienten  von  ^^7—  ist:  wir  wollen  also  obige  Begrenzung  der  Ab- 
leitungen dahin  beschränken,  dass  das  Zeichen  c'xZ  den  Coefficienten  von 
y=^    nicht   in    allen    möglichen  Entwicklungen    von    ^(r-f-A)   bezeichnen 


der  Integration  und  Diflferentiation.  339 

soll,  sondern  nur  in  solchen,  in  denen  der  Coefficient  von  -^, — ,—,    das 

^  '  /T(v-J-1) 

Differential  des  Coefficienten  von  7=7-,  ist.  *) 

n{v)         ^ 

Hieraus  folgt  zunäclist,  dass  Ein  Werth  von  dlz  nur  einer  Ent- 
wicklung angehören  kann;  denn  gesetzt,  ein  W*erth  von  c^z,  pr,  ge- 
hörte zwei  Entwicklungen,  a  und  h,  an,  so  müssten  diese  beiden  Ent- 
wicklungen in  allen  folgenden  Gliedern  übereinstimmen,  da  diese  durch 
Differentiation  aus  p,,  entstehen.  Bezeichnen  wir  nun  die  vorhergehen- 
den Glieder  in  a  durch  ih — 1,  Pv— 2...,^^  ^  durch  g,.  — 1,  ^»  — 2  • ..,  so 
müssen  p,— 1  und  qv  —  i  beide  zum  Differential  pv  haben;  sie  kön- 
nen also  nur  um  eine  Constante  verschieden  sein,  d.  h. 

qr-l=Pr-l+Ku 

ebenso  muss 

sein.    Die  Entwicklung  h  ist  also 

m  =  l  7i  =  CO  m=l 

—  «  -r  ^  ^rn^  jj^^^  jj(7_^_„,)—  "  1-  ^  ^'«  n{v  -  m)'^ 

m==o  w  =  0  111  =  cc 

nun  soll  aber  für  alle  Werthe  von  (x  -\-  h)  a  =  h  sein,  was  bekannt- 
lich nur  stattfinden  kann,  wenn  alle  Constanten  null  sind;  dann  aber 
sind  beide  Entwicklungen  identisch. 

Ist  py  ein  Werth  von  dlzy  so  ist  j9,.  +  K  yrr— — -^—r  (wo  n  positiv 

und  ganz  und  K  eine  endliche  Constante  ist)  ebenfalls  ein  Werth  des- 
selben; denn  die  Reihe 

"V/  I      7^    x--^-n    \     hv      -^  hv  fx  -\-h)-n 

un(t  es  findet  in  ihr  das  Gesetz  statt. 


,^^^'n(v)  —  %  +  /'; 


*)  Aus  (4)  folgt  zwar,  dass  wenn    ^  ^U-—  eine  Entwicklung  von  Z{x-^/i) 

jiLi         n{v) 

•  i.     'ST?  ^'^x^       /i»-fi 

ist,     >   — - —       — — ^  ebenfalls    eine  Entwicklung  von    :^(.r-f  ä)  ist,  aber  nicht 
M^     dx     n{v-\-l)  ° 

dass  diese  beiden  Entwicklungen  identisch  sind.     Durch  die   gemachte   Annahme 

erreicht  man  auch,  dass  die  Ableitungen  mit  ganzen  negativen  Indices,   die  nach 

dem  Bisherigen  noch  gar  keinen  Sinn  hatten,  mit  den  Integralen  zusammenfallen, 

wie  weiter  unten  bewiesen  werden  wird. 

22* 


340  XIX.     Versuch  einer  allgemeinen  Auffassung 

Den  Inbegriff  aller  Werthe  von  c^^z,  die  sich  durch  Addition  von  Aus- 
drücken  von  der  Form  K  ^, — - — — r  aus  einander  ableiten  lassen,  wol- 
len  wir  ein  System  von  Werthen  nennen;  es  sind  also  alle  Werthe 
von  d^^z,  die  demselben  Systeme  angehören,  in  dem  Ausdruck 

(6)  P'  +  'S'^'i^i^^' 

7?=   CO 

enthalten  (wo  iT«  endliche  Constanten  bedeuten). 

Wir  wollen  nun  einen  We*rth  von  ^'  iS  zu  bestimmen  suchen. 
Bekanntlich  ist 

sobald  5'(j.)  zwischen  den  Grenzen  x  und  k  continuirlich  ist,  setzt  man 
hierin  x  +  h  für  h  und  entwickelt  die  Glieder  der  Reihe  mittels  (3) 
nach  Potenzen  von  h^  so  erhält  man 

'^^"^  ~\^^  ^^(.")  V'^     ^n-  ^)      "^  [ä.vJik)  /T(-  ^  +  1) 

und  in  dieser  Reihe  ist  der  Coefficient  von  -^=pr^  das    Differential    des 

Coefficienten  von    „.    ^--r  •,  er  ist  folglich  ein  Werth  von  ^^'<^,     den 

wir  durch  p„  bezeichnen  wollen.  Differentiirt  man  nach  k,  so  er 
hält  man 

Nun  verschwinden  alle  Glieder  der  obigen  Reihe  für  h  =  X]  das  In- 
tegral wird  also  von  Ic  bis  ^  genommen  =  Pju  sein,  wenn  es  zwischei 
den  Grenzen  continuirlich  ist;  dies  ist  aber,  da  z  zwischen  den  Gren 
zen  X  und  Je  continuirlich  sein  soll  und  —  ^  —  1>  —  1,  offenbar  dei 
Fall  und  es  ist  also 

ein  Werth  von  d'^Zj  sobald  ^  zwischen  den  Grenzen  x  und  Ic  continuirlich  un(( 
ft  negativ  ist.     Der  derselben  Entwicklung  angehörige  Werth  von 


X 


k 


dt. 


der  Jntc'f'ration  und  Differentiation.  341 


Mau  sieht  leicht,  dass,  je  nachdem  man  dem  Ic  verschiedene  Werthe 
giebt,  verschiedene  Entwicklungen  von  ^(.r-f/o  daraus  hervorgehen, 
aber  alle  diese  Entwicklungen  gehören  demselben  Systeme  an.  Denn 
aus  dem  Werth 


geht   offenbar 


k 


ß' 


ij 


X 


7t7=-^-z-i\-  /    (^  —  0   "    '  ^it)cU 


hervor  durch  Addition  von 


da  nun  2  zwischen  x  und  k^  und  also  auch  zwischen  h  und  A^  con- 
tinuirlich  ist;  so  sind  alle  jene  Integrale  endliche  und  ZAvar  nach  x 
constante  Grössen.  Man  wird  demnach  durch  das  angewandte  Ver- 
fahren stets  auf  dasselbe  System  von  Werthen  gelangen;  beschränken 
wir  also  den  Begriff"  der  Ableitungen  auf  dies  System  von  Werthen, 
so  haben  wir  die  Bestimmung  derselben  auf  bekannte  Werthe  zurück- 
geführt und  werden  mittels  dieser  Definition  die  Eigenschaften  der- 
selben und  ihre  Werthe  für  bestimmte  Functionen  ableiten  können. 
Es  ist  demnach 

1.  ^;>  =  f(x  -  0--^  %)  dt  +  2^ir.  ^ 


l  -  v)    ^ 

wenn  Kn  endliche  willkürliche  Constanten  sind,*)  v  negativ,  und  2 
zwischen  den  Grenzen  x  und  Je  continuirlich  ist;  für  einen  Werth  von 
7f  aber  der  >  0  ist,  bezeichnet  ^^^  dasjenige,  was  aus  ^^~'"  ^  (wo  m  >  v) 
durch  m  malige  Differentiation  nach  x  hervorgeht,**)  ein  Werth,  wel- 
cher stets  auch  der  Gleichung 


*)  Alle  diese  willkürlichen  Functionen  wollen  wir  durch  cpv  bezeichnen;  wir 
machen    zugleich    darauf    aufmerksam,    dass    (wenn  w   positiv    imd   ganz)    jede 
Function  q)v  auch  eine  Function  cpv— 71  ist. 
**)  Die  Definition 


^v 


V  /^"^(^ 


/j  =  0 

welche  mit  der  gegebenen  identisch  ist,  würde  zwar  für  alle  Werthe  von  v  gel- 
ten; wir  haben  ihr  aber  die  gewählte  ihrer  grösseren  ^Geschmeidigkeit  wegen  vor- 
gezogen. 


342  XIX.     Versuch  einer  allgemeinen  Auffassung 

n=  CK  «^  „  =  1 

genügen  muss.*)     Hieraus  folgt 

X  {m)  n  =  1 

«-^  n  =  m 

und 

4  ^%  =  ^  ■ 


5. 

ferner 


dx'" 


6.  <^,^  =67/^^  +  9),,. 


Das  Umgekehrte  findet  aber  nur  statt,  wenn  ^  eine  ganze  posi- 
tive oder  V  eine  ganze  negative  Zahl  ist.  In  diesem  Falle  sind  also 
beide  Ausdrücke  identisch.  Aus  der  Definition  folgt  noch  (wenn  c  eine 
Constante  bedeutet) 

7.  dl  (p  +  q)  =  dlp  +  dlq 

8.  Cxicp)  =  cdlp 

9.  dx-\-c^  =  dxZ 

10.  dlxS  =  dlzc~\ 

Zwei  Werthe  von  d^z  und  dxZ,  in  denen  die  Constanten  K,  K^,  etc. 
sämmtlich  einander  gleich  sind,  sollen  correspondirende  Werthe  heissen. 
Alle  derselben  Entwicklung  von  z-^x  +  h)  angehörigen  Werthe  sind  cor- 
respondirende. 

Wir  wollen  nun  zu  der  Bestimmung  der  Ableitungen  bestimmter 
Functionen  von  x  übergehen.  Dabei  kann  es  natürlich  nur  darauf 
ankommen,  einen  AVerth  Einer  Ableitung  zu  finden,  da  sich  aus 
diesem  ihr  allgemeiner  Werth  durch  Addition  der  Function  cp  sofort 
ergiebt,  und  zwar  wird  dieser  Werth,  wenn  die  Umformung  des  Aus- 
drucks 1.  überhaupt  etwas  nützen  soll,  ein  einfacherer,  als  dieser  Aus- 
druck,   also    eine    explicite    Function   von    x   in    endlicher   Form    sein 


*)  Ob  die  obige  Formel  1.  alle  Werthe  enthält  die  dieser  Gleichung  genügen, 
hängt  offenbar  davon  ab,  ob  die  Functionen  cpv  die  einzigen  sind,  welche,   statt 

dxZ  substituirt,  die  Reihe  2.  zu  Null  machen.  Nun  lässt  sich  zwar  ohne  Schwie- 
rigkeit zeigen,  dass  keine  algebraische  Function  von  .t,  die  nicht  in  cpv  enthalten 
ist  dies  leistet;  ob  aber  überhaupt  keine  Function  dieser  Bedingung  genügt,  dar- 
über konnte  ich  bis  jetzt  zu  keinem  Resultat  gelangen. 


der  Integration  und  Differentiation.  343 

müssen.  Diese  Umformung  wird  also  im  Allgemeinen  darin  bestehen, 
dass  man  das  x  aus  dem  Integralzeichen  herauszuschaffen  sucht. 

Betrachten  wir  nun  zuerst  die  Function  a". 

Ist  ^  positiv,  so  ist  x''  für  alle  Werthe  von  x  continuirlich;  es 
wird  also 

x' 
0 

immer  ein  Werth  von  dl{x^')  sein;  dies  Integral  ist  aber 

0 

Da  das  mte  Differential  hiervon  -^, r  xf^~'''~"'  =  dl    "Ux'')  ist, 

71  (jLt  —  V    —   VI)  -^  \       J  7 

(4),  so  ist  für  jeden  Werth  von  v 

Ist  ^  negativ,  so  ist  x^  für  x  =  0  discontinuirlich,  für  alle  andern 
Werthe  aber  continuirlich;  in  dem  Ausdrucke  (1)  müssen  also  x  und  Ic 
stets  gleiches  Zeichen  haben.  Nun  erhält  man  aber  durch  m  malige 
partielle  Integration 

X 

k 

X 

=  77? i^^^lrr,      ■      A    i\^  —  0-'-'-'"  ^+'"  dt  +  9,., 

il(— v  — 1  —  m)n{iL-\-m)  )       '  i    -TM 

h 

so  lange  —  v  —  w  >  0  ist,  wodurch  sich  also,  wenn  —  i^  >  —  ^  ist, 
diejenigen  Integrale  worin  ^  <  —  1  ist,  auf  solche  zurückführen  lassen, 
in  denen  der  Exponent  von  ^  >  —  1  ist;  ist  er  >  —  1,  so  gehört     ^ 

k 

{x  —  t)-''-^-'"  tf'+'^  dt 

0 

zu  den  Functionen  cpv,  und  es  ist  also 


j' 


JT(—  V  —  1  —  m)  n{(i  -\-m)  J    ^  ^  n{^  — 


ein  Werth  von  dl{x^'),  wenn  —  v>  — ft,  welches  Resultat  nach  dem 
dd^z 
dx 
Ist  aber  ^  +  m  =  —  1,  so  ist 


(jesetze  c^     z  =  —^  für  jedes  v  gelten  muss. 


344  XIX.     Versuch  einer    allgemeinen  Auffassung  etc. 

'k  k 

-^-^^— ^ dt+(p,. 

ü 

1 

=]ogxx^'-'  +xf'-'  r'^^'~-~'^  ^^ 

ü 
=  log^  x^'-''  —  {W(}i  —  v)—  W(0)  )  :(f-^ . 
Verallgemeinert  man  auch  das  hieraus  erhaltene  Resultat  durch  Differen- 
tiation, so  hat  man  folgende  Werthe  für  ^.r(^'^'), 

wenn  ^  nicht  eine  negative  ganze  Zahl  ist, 

12.  ?:(,.:'■)  =  ^^-  -^--^  [iog^,r"-' -(1^(ft-,.)-'P(0)>"--]^ 

wenn  ^  eine  ganze  negative  Zahl  ist. 

Es  ist  zu  bemerken,  dass  aus  der  Formel  12.  die  Formel  11.  her- 
vorgeht, sobald  man  nur  die  Constanten,  die  für  diesen  Fall  ~  werden, 
einer  geeigneten  Behandlung  unterwirft,  was  auch  in  dem  Fall  ge- 
schehen muss,  wo  fft  —  v)  und  ^  beide  ganze  negative  Zahlen  sind. 
Man  übersieht  leicht,  dass  die  aus  diesen  Formeln  für  verschiedene 
Werthe  von  v  hervorgehenden  Werthe  correspondirende  sind;  dies  ist 
auch  der  Grund  warum  wir  in  12.  nicht,  wie  wir  es  für  den  Fall  \l  == 
einer  negativen  ganzen  Zahl  konnten,  den  blos  x^'-~^  enthaltenden 
Theil  in  die  Function  (py  einschlössen. 

Wendet  man  ein  ähnliches  Verfahren  auf  e^  an,  so  erhält  man 

X  CO 

13.  -dl{f)  =    i*e\x—t)-'-'  dt  =  ^^__l__  ^^  e-  i\-Uj-^-^dy  =  e. 

—  00  Ü 

Die  Ableitungen  von  log^  ergeben  sich  durch  dieselbe  Methode, 
noch  leichter  aber  und  zwar  sogleich  für  alle  Werthe  von  v  aus  6. 
und  12. 

14.  S(log^)  =ä^^^^-^  =  ^^^)(log^^-^-['J^(-^^)-'P•(0)]^-'•)• 

Durch  Anwendung  der  Regeln  7  bis  10  findet  man  aus  13.  und  14. 
mit  der  grössten  Leichtigkeit  auch  die  Ableitungen  von  sinrr,  cos^,  igx 
und  arc  (tg  ==  x). 

Schliesslich  bemerken  wir  noch,  dass  sich  die  aufgestellte  Theorie 
mit  derselben  Sicherheit  auch  auf  den  Fall  ausdehnen  lässt,  wo  mau 
den  in  Rede  stehenden  Grössen  imaginäre  Werthe  beilegt. 


XX. 

Neue  Theorie  des  Rückstandes  in  electrischen  Bindungs- 
apparaten. *) 

1. 
Vorbemerkung. 

Herrn  Professor  Kolilrausch  ist  es  gelungen,  die  Bildung  des 
Rückstandes  in  electrischen  Bindungsapparaten  scharfen  Messungen  zu 
unterwerfen  und  darauf  eine  den  Beobachtungen  genügende  Theorie 
dieser  Erscheinung  zu  gründen,  welche  in  Poggendorff's  Annalen**) 
veröffentlicht  worden  ist.  Die  Genauigkeit  dieser  Messungen  reizte 
mich,  ein  aus  andern  Gründen  wahrscheinliches  Gesetz  für  die  Be- 
wegungen der  Electricität  an  denselben  zu  prüfen;  in  der  Form,  welche 
ihm  für  diesen  Zweck  gegeben  wurde,  ist  es  auf  die  Bewegungen  der 
Electricität  in  allen  ponderabeln  Körpern  anwendbar,  jedoch  nur  unter 
der  Voraussetzung,  dass  die  in  Betracht  kommenden  ponderabeln  Kör- 
per gegen  einander  ruhen  und  keine  merklichen  thermischen  und 
magnetischen  (oder  voltainductorischen)  Wirkungen  und  Einflüsse  statt- 
finden. Behuf  unbeschränkter  Anwendbarkeit  bedarf  es  noch  einer 
Umarbeitung  und  Ergänzung,  mit  welcher  ich  mich  an  einem  andern 
Orte  beschäftigen  werde. 

Im  folgenden  Aufsatze,  welcher  einem  Schreiben  an  Herrn  Professor 
Kohlrausch  entnommen  ist,  ist  diese  neue  Theorie  des  electrischen 
Rückstandes  indess  nicht  selbstständig,  sondern  im  Anschlüsse  an  Seine 
Theorie  entwickelt  worden;  ich  war  bestrebt,  jene  Theorie,  nicht  ge- 
radeswegs  die  Erscheinungen  auf  sie  zurückzuführen.  Ich  habe  daher 
die  von  Herrn  Professor  Kohlrausch  in  seiner  Abhandlung  gebrauchten 


*)  Die  hier  mitgetheilte  Abhandlung  stammt  aus  dem  Jahre  1854;  ihre  Ver- 
öffentlichung   unterblieb    wahrscheinlich,    weil  der  Verfasser  nicht  gern  auf  eine 
ihm  angerathene  Abänderung  derselben  eingehen  wollte. 
**)  Bd.  91.  pag.  56. 


346  XX.     Neue  Theorie  des  Rückstandes 

Begriffe:  electrisclies  Moment  der  isolireiiden  Wand,  Spannung,  Ge- 
sammtladimg ,  disponible  Ladung,  Rückstand,  überall  durch  die  hier 
zu  Grunde  gelegten  Begriffe  ausgedrückt  und  auch  sonst  in  mancher 
Hinsicht  die  dortige  Betrachtungsweise  berücksichtigt. 

2. 

Das  der  Rechnung  zu  Grunde  gelegte  Gesetz. 

Es  bezeichne  t  die  Zeit,  x,  y,  z  rechtwinklige  Coordinaten,  q  die 
Dichtigkeit  der  Spannungselectricität  zur  Zeit'  t  im  Punkte  {x,  y,  z), 
u  den  47rten  Theil  des  (Gauss'schen)  Potentials  aller  wirkenden 
electrischen  Massen  im  Punkte  (x,  y,  z)  zur  Zeit  ^,  also  die  Grösse 

1      r  Q  dx  dy  dz 

wenn  q  dx  dy  dz  die  Spannungselectricität  des  Elements  dx'  dy  dz  zur 
Zeit  t  bedeutet.     Man  hat  dann 

Die  hier  anzuwendenden  Gesetze  für  die  Bewegungen  der  Electrici- 
tät  im  Innern  eines  homogenen  ponderabeln  Körpers  unter  den  er- 
wähnten Umständen  sind  nun  folgende: 

I.  Die  electromotorische  Kraft  im  Punkte  (x,  y,  z)  zur  Zeit  t 
setzt  sich  zusammen  aus  zwei  Bestandtheilen,  aus  einem  dem  Coulomb'- 
schen  Gesetz  gemässen,  dessen  Componenten  proportional 

du  du  du 

dx'  d  y^  dz 

sind,  und  einem  andern,  dessen  Componenten  proportional  sind 

dQ  dg  dQ 

X  cy  Gz 

so  dass  ihre  Componenten  gleichgesetzt  werden  können 

_fi«_^^|i,  _|^_^^|i,  _|if_^^?i, 

ex        ^^  dx  dy        ^^  dy  dz        ^^  cz 

wo  j3/3  nur  von  der  Natur  des  ponderabeln  Körpers  abhängt. 

IL  Die  Stromintensität  ist  der  electromotorischen  Kraft  propor- 
tional, also 

wenn  a  eine  von  der  Natur  des  ponderabeln  Körpers  abhängige  Con- 
stante  und  |,  rj,  g  die  Componenten  der  Stromintensität  sind. 


in  electrischen  Bindungsapparaten.  3-47 

Mit  Zuziehung  der  phoronomischen  Gleichung 

It  <  fk  f  l'j  +  I?  =  0 

erhält  man  daher  für  u  die  Gleichungen 
und 

oder,  wenn  man  die  Länge  ß  und  die  Zeit  a  zur  Einheit  nimmt, 

a^   ^  ^        \dx^'  ^  cy'^  dzV        ^' 

Dies  giebt  für  u  eine  partielle  Differentialgleichung,  welche  in 
Bezug  auf  t  vom  ersten^  in  Bezug  auf  die  Raumcoordinaten  vom  vier- 
ten Grade  ist,  und  um  von  einem  bestimmten  Zeitpunkte  an  it  allent- 
halben im  Innern  des  ponderabeln  Körpers  zu  bestimmen,  werden 
ausser  dieser  Gleichung  noch  eine  Bedingung  in  jedem  Punkte  des- 
selben für  die  Anfangszeit  und  für  die  Folge  in  jedem  Oberflächen- 
punkte zwei  Bedingungen  erforderlich  sein. 


*)  Hienach  sind  die  Gleichungen  für  das  Gleichgewicht  (in  einem  electrisirten 
isolirten  Leiter) 

dx       ^^  dx  cy  oy  dz        ^^  dz  ' 

oder 


für  die  Stromausgleichung  oder  das  bewegliche  Gleichgewicht  im  Schliessungs- 
bogen  constanter  Ketten 

dt 
oder 

Wenn  die  Länge  ß  gegen  die  Dimensionen  des  Körpers  sehr  klein  ist,  so  nimmt 
u  —  const.  im  ersteren  Falle,  und  q  im  zweiten  von  der  Oberfläche  ab  sehr  schnell 
ab  und  ist  im  Innern  allenthalben  sehr  klein,  und  zwar  ändern  sich  die  Grössen 
mit  dem  Abstände  p  von  der  Überfläche,  so   lange  deren  Krümmungshalbmesser 

gegen  ß  sehr  gross  bleibt,  nahe  wie  e  ^.  Dieser  Fall  wird  bei  den  metaUischen 
Leitern  angenomen  werden  müssen. 


348  XX.    Neue  Theorie  des  liückbtandes 

3. 

Plausible  Auffassung  dieses  Gesetzes. 

Das  Bewegungsgesetz  der  Electricifät  ist  unter  voriger  Nummer  durch  Be- 
griffe, welche  jetzt  in  der  Lehre  von  der  Electricität  gebräuchlich  sind,  aus- 
gedrückt worden.  Diese  Auffassung  desselben  ist  jedoch  einer  Umarbeitung 
fähig,  durch  welche,  wie  es  scheint,  ein  etwas  treueres  und  vollständigeres 
Bild  des  wirklichen  Zusammenhangs  gewonnen  wird. 

Statt  eine  Ursache  anzunehmen,  welche  im  Punkte  {x,  y,  z)  die  positive 
Electricität  in  den  Richtungen  der  drei  Axen  mit  den  Kräften 

und  die  negative  mit  den  entgegengesetzten  treibt,  kann  man  auch  eine  Ur- 
sache annehmen,  welche  im  Punkte  {x^  y,  z)  die  positive  Electricität  mit  dei 
Intensität  §ßQ  zu  vermindern  und  die  negative  zu  vermehren  strebt,  und  diese 
Ursache  kann  man  in  einem  Widerstreben  des  Ponderabile  gegen  das  Ent- 
halten von  Spannungselectricität  oder  den  electrischen  Zustand  suchen. 

Ebenso  kann  man  auch  die  electromotorische  Kraft,  deren  Componenten 

du  du  du 

dx^         d y  ^         dz 

sind,  durch  eine  Ursache  von  der  Intensität  u  im  Punkte  {x,  y,  z)  ersetzen 
welche  die  Dichtigkeit  der  Electricität  gleichen  Zeichens  zu  vermindern  unt 
die  der  entgegengesetzten  zu  vermehren  strebt. 

Es  ist  aber  dann,  um  der  Grösse  q  eine  reelle  Bedeutung  zu  geben,  nich1 
nöthig  zweierlei  Electricitäten  anzunehmen  und  q  dx  dy  dz  als  den  Ueberschuss 
der  positiven  Electricität  des  Elements  dxdydz  über  die  negative  zu  betrach 
ten,  sondern  man  kann  im  Wesentlichen  zu  der  Franklin 'sehen  Auffassung' 
der  electrischen  Erscheinungen  zurückkehren,  am  einfachsten  wohl  durch  fol 
gende  Annahme: 

Das  Ponderabile,  welches  Sitz  der  Electricität  ist,  erfüllt  den  Raum  stetig*) 
und  mit  gleichmässiger  electrischer  Capacität,  welche  seinem  Leitungs- 
widerstände  umgekehrt  proportional  ist,  und  von  welcher  die  Dichtigkeit  de:- 
wirklich  in  ihm  enthaltenen  Electricität  immer  nur  um  einen  unmerklich  klei 
nen  Bruchtheil  abweicht.  Bei  überschüssiger  oder  fehlender  Electricität  (positive 
oder  negativer  Spannungselectricität)  geräth  das  Ponderabile  in  einen  positi' 
oder  negativ  electrischen  Zustand,  vermöge  dessen  es  die  Dichtigkeit  der  in  ihm 
enthaltenen  Electricität  zu  vermindern  oder  zu  vermehren  strebt  und  zwar  mii 
einem  Drucke,  welcher  gleich  ist  der  Dichtigkeit  seiner  Spannungselectricität,  ^ 
multiplicirt  in  einen  von  der  Natur  des  Ponderabile  abhängigen  Factor  (sein 
antelectrische  Kraft).     Ihrerseits  geräth  bei  auftretender  Spaunungselectricita', 


*)  Auf  einem  andern  Blatt  findet  sich  hierzu  fol i, ende  Bemerkung:  Insofern  die 
Ponderabile  (Kupfer,  Glas)  als  Sitz  der  Electricität  betrachtet  und  ihm  eine  be 
stimmte  electrische  Capacität  und  ein  bestimmter  Leitung.^widerstand  beigeleg 
wird,  muss  als  von  ihm  eingenommener  Raum  der  ganze  Raum,  in  welchem  sicl 
die  specifische  Eigenthümlichkeit  desselben  geltend  macht,  nicht  etwa  der  Or 
von  Kupfer-  oder  Glasmoleculen  angesehen  werden. 


in  electrischen  Bindungsapparaten.  349 

die  Electricität  in  einen  Zustand,  Spannung,  vermöge  dessen  sie  ihre  Dich- 
tigkeit zu  vermindern  (oder  bei  negativer  Spannung  zu  vermehren)  strebt  und 
dessen  Grösse  u  in  jedem  Augenblicke  abhängt  von  sämmtlichen  Massen  Span- 
nungselectricität  nach  der  Formel 

1      r  q'  dx  dy  dz 

oder  auch  vermittelst  des  Gesetzes 

d'^u        d^u        d^u  _ 
d^^'^  dj^'^  dV^~  ~  ^ 

und  der  Bedingung,  dass  u  in  unendlicher  Entfernung  von  Spannungselectricität 
unendlich  klein  bleibt.  Die  Electricität  bewegt  sich  gegen  die  ponderabeln  Kör- 
per mit  einer  Geschwindigkeit,  welche  in  jedem  Augenblicke  der  aus  diesen 
Ursachen  hervorgehenden  electromotorischen  Kraft  gleich  ist. 

Uebrigens  müssen  diese  Bewegungsgesetze  der  Electricität,  wenn  deren  Ver- 
hältniss  zu  Wärme  und  Magnetismus  in  Rechnung  gezogen  werden  soll,  vor- 
bemerktermassen  selbst  noch  abgeändert  und  umgeformt  werden,  und  dann 
wird  eine  veränderte  Auffassung  dieser  Erscheinungen  nöthig.*) 


4. 

Behandlung  des  Problems  der  Rüekstandsbildung.     Ausdruck  der 

zu  bestimmenden  Grössen  durch  das  Potential. 

Indem  ich  mich  nun  zur  Untersuchung  der  Rückstandsbildung 
wende,  beschäftige  ich  mich  zunächst  damit,  die  zu  bestimmenden 
Grössen  durch  das  Potential,  oder  vielmehr,  was  die  Rechnung  ver- 
einfacht, durch  die  ihm  proportionale  Function  «  auszudrücken.  Zu 
grösserer  Bequemlichkeit  für  die  an  abstracte  Grössenbetraclitung  min- 
der gewöhnten  Physiker  habe  ich  das  Potential  als  das  Mass  einer 
Ursache,  Spaimung,  betrachtet,  welche  die  Dichtigkeit  der  Electricität 
im  Punkte  (a;,  y,  z)  zu  vermindern  strebt,  und  diese  im  Punkte 
(a;,  2/,  z)  =  w,  also  die  Componenten  der  durch  sie  bewirkten  electro- 
motorischen Kraft 

du  du  du 

d  x"*  dy^         cz 

gesetzt.  Man  muss  dann  als  Spannungseinheit  die  im  Innern  einer 
Kugel  vom  Radius  1  durch  auf  der  Oberfläche  vertheilte  Electricität 
von  der  Dichtigkeit  1  entstehende  Spannung  annehmen  oder  als  Ein- 
heit der  electromotorischen  Kräfte   die  von  der  Masse  4;r  in  der  Ent- 


*)  Dieser  ganze  Artikel  ist  im  Manuscript  durchgestrichen,  wahrscheinlich 
nur  aus  dem  Grunde,  weil  der  Verfasser  durch  die  Eigenthümlichkeit  der  hier 
vorgetragenen  Auffassung,  welche  auf  das  Innigste  mit  seinen  naturphilosophischen 
Principien  zusammenhängt,  bei  den  Physikern  damals  Anstoss  zu  erregen  be- 
fürchtete. 


350  XX.     Neue  Theorie  des  Rückstandes 

fernungseinheit  erzeugte.  Zur  Vereinfacliung  der  Rechnung  ist  fernei 
als  Zeiteinheit  «,  als  Längeneinheit  ß  eingeführt  worden;  macht  mar 
die  Einheit  der  electromotorischen  Kräfte  auf  die  hier  angenommene 
Weise  von  der  electrisehen  Masseneinheit  abhängig^  so  sind  a  und  ßß 

electromotorische  Kraft\ 


die  Maasse  für  den  Leitungswiderstand  ( = 


Stromintensität 

,.         ,-,,•■,      -rr     n,  f  Druck  des  Ponderabile  \    , 

die  antelectrische  Kratt  I  ==  ^.  ,  ,.  ., — r, — -, 5 -, — ,  .  .,..-7  I  de;- 

\      Dichtigkeit  der  fepannungselectricitat/ 

ponderabeln  Sitzes. 

Zur  Discussion  der  vorliegenden  Beobachtungen  genügt  die  Lö 
sung  der  Aufgabe:  die  Aenderungen  der  Spannungselectricität  im  Li 
nern  einer  überall  gleich  dicken  homogenen  Wand  zu  bestimmen^  wem 
die  Oberflächen  mit  vollkommenen  Leitern  belegt  sind^  gleiche  Mengei 
entgegengesetzter  Electricität  empfangen  und  keine  electromotorischt 
Kraft  besitzen  (keine  Contactwirkung  in  ihnen  stattfindet),  und  ihrt 
Dimensionen  gegen  die  Dicke  der  Wand  als  unendlich  gross  betrachtei 
werden  dürfen  (d.  h.  der  Einfluss  des  Randes  und  der  Krümmung  ver- 
nachlässigt werden  darf). 

Legt  man  den  Anfangspunkt  der  Coordinaten  in  die  Mitte  de] 
Wand,  die  x-Axe  auf  ihre  Oberflächen  senkrecht  und  bezeichnet  ihre 
halbe  Dicke  durch  a,  so  wird  der  Ausdruck  für  die  Wand  a  >  ^  >  —  a 
u  eine  blosse  Function  von  x  und 

^  cx- 

folglich 


unc 


J  ^^''-(ji).-(!rX'' 


Die  zwischen  zwei  Werthen  von  x  über  der  Flächeneinheit  enthalten*^ 
Electricitätsmenge  ist  also,  geometrisch  ausgedrückt,  gleich  der  Diffe 
renz  zwischen  den  Tangenten  der  Neigungen  der  Spannungscurv^e,  d.  h 
der  Curve,  deren  Ordinate  für  die  Abscisse  x  gleich  u  ist;  diese  Curv« 
ist  gerade,  wo  keine  Spannungselectricität  vorhanden  ist,  nach  oben 
(oder  für  Orte  mit  grösseren  Ordinaten)  convex,  wo  positive,  nach 
unten,  wo  negative  stetig  vertheilt  ist,  und  gebrochen  für  einen  Wertli 
von  X,  bei  welchem  eine  endliche  Menge  angehäuft  ist. 

Die  durch  eine  Ladung  erzeugte  oder  durch  eine  Entladung  ver 
nichtete  Spannung  wird  daher  stets  dargestellt  durch  eine  Curve  vo] 
der  Form  Ä,  d.  h.  ist  sie  in  den  Belegungen  Ua,  U—a  i-^iifl  folglich  h 
der  Mitte 

Ua  +  U—a  


in  electrischen  Bindungsapparaten. 


351 


SO  ist  sie  im  Innern 


^^)  +  -  («'«  —  ^^o)  • 


Durch  das  Eindringen  der  Electricität  in's  Innere  erhält  die  Spannungs- 
ciirve  die  Form  B.  Für  die  Flächeneinheit  ist  die  Gesammtmenge 
der  geschiedenen  Electricitäten  gleich  der  Tangente  ihrer  Neigung  in 
der  Mitte 


das  electrische  Moment 

+  « 


vJo 


jQXdX  =  Ua  -  U-a  -  «  {^^ ^  +   (^)_^)  =  ««   "  U-a  , 

- — rt 

also  gleich  der  Spannungsdifferenz  der  Oberflächen. 

Durch    eine    Entladung    wird   die    Spannung    in    den    Belegungen 
aufgehoben.     Die   vernichtete  Spannung  ist  daher  in   den  Belegungen 


=  Ua,    II- 


im  Innern 


die  disponible  Ladung  für  die  Flächeneinheit 
die  bleibende  Spannung  im  Innern 

=  U  —  U^  —  ^(Ua  —  %), 

und  für  die  Flächeneinheit  der  verborgene  Rückstand 


=  (-) 


—  —(Ua  —  tQ, 


0  « 

die  der  Oberfläche  (x  =  d)  durch  die  Entladung  mitgetheilte  Electrici- 
tätsmenge 

a 

A  B  C  B 


1)  Spannungscurve  der  Gesammtladung 

2)  „  der  disponiblen  Ladung 

3)  „  des  Rückstandes. 
Gesammtladung:  =  ac,  disponible  Ladung:  ah,  Rückstand 


hc. 


352  ^^-     Neue  Theorie  des  Rückstandes 

5. 

Lösung  der  Aufgabe  im  einfachsten  Falle,  wo  kein  Ab-  und  Zufluss 

durch  die  Oberflächen  stattfindet. 

Nach  dieser  Uebersicht  und  geometrischen  Darstellung  der  ge- 
suchten Grössen  gehe  ich  zu  ihrer  Bestimmung  durch  Rechnung  nach 
dem  angegebenen  Gesetze  über.  Ich  behandle  zunächst  den  Fall,  wo 
anfangs  im  Innern  keine  freie  Electricität  vorhanden  ist,  und  den 
Oberflächen  auf  der  Flächeneinheit  die  Masseneinheit  mitgetheilt  wird, 
später  aber  kein  Ab-  und  Zufluss  durch  die  Oberflächen  stattfindet. 

Die  Bedingungen  zur  Bestimmung  von  tt  sind: 

M^  t>0,  a>  x>  —a         -^^^  —  Q,    —-  -\-  Q  —  —  =  0 

;>0,x=±«  g^  =  0,    g^  +  g^,  =  0 

welche  letzteren  ausdrücken,  dass  in  den  Oberflächen  sowohl  die 
Electricitätsmengen,  als  der  Durchfluss,  und  folglich  die  electromotorische 
Kraft  =  0  sein  soll. 

Diesen  Bedingungen  genügen  zwei  Ausdrücke,  der  eine  für  kleine, 
der  andere  für  grosse  Werthe  von  t  brauchbar. 

Setzt  man  zur  Abkürzung 


J 


und 

00 


J 


so  genügt  erstens 


zweitens 


Die  hieraus  sich  ergebenden  Bestimmungen  sind: 
für  die  Vertheilung  der  Electricität^') 


*)  Vergl.  JacobiFundamenta  nova  theoriae  functionum  ellipticarum.  §§.  61,6o 


in  electrischen  Bindungöappaiaten.  55S 

_  (a(2n-— 1)  — X)»  (a{2n  — l)-|-x)2 


^  =  -  S  =  Ä  2(- ^)"-<«"~^"~- '"^""^ 


für  die  Gesammtladung 
für  die  disponible  Ladung 


2 


TT  TT 


für  den  Rückstand 


e 


*  10  u\ 


du\  Ua  —  1*—  a 


2a 


e  ^^     aa 


Zurückführ iing  der  allgemeinen  Aufgabe  auf  diesen  einfachsten  Fall. 

Um  auf  diesen  einfachsten  Fall  den  Fall  zurückzuführen,  wo  Ab- 
und  Zufluss  durch  die  Oberflächen  stattfindet^  bezeichne  %{t)  den  Aus- 
druck für  die  Spannungsdifferenz  u  —  u^  zur  Zeit  t  in  diesem  ein- 
fachsten Falle;  für  negative  Werthe  von  t  sei  %{{)  =  0. 

Soll  nun  die  Spannung  bestimmt  vrerden,  welche  entsteht,  wenn 
den  Oberflächen  {x  =  +  a)  zur  Zeit  0  die  Mengen  +  ii,  darauf  zur 
Zeit  t'  die  Mengen  +  ^i ,  zur  Zeit  t"  die  Mengen  +  ^" ,  . . .  mitgetheilt 
werden,  so  hat  man 

^  -  ^<o  =  ^xit)  +  iix(t  -  n  +  i^"%(t  -  n  -f . . . ; 

denn    dieser   Werth    genügt    sämmtlichen   zu   seiner   Bestimmung   ge- 
gebenen Bedingungen. 

Findet  ein  stetiger  Ab-  und  Zufluss  von  Electricität  statt,  so  wird 


^'o=fx{t-r)'^d. 


Hif.mann's  gesammelte  matliematische  Worke.     I.  23 


$54  X.X.     Neue  Theorie  des  Rückstandes 

wenn  +  T~  ^^  ^i^  i^  Zeitelement  dx  durch  die  Oberflüche  (x  =  +  o) 
nach  Innen  strömende  Electricitätsmenge  bezeichnet. 

Beide  Ausdrücke  kann  man  zusammenfassen  in  dem  Ausdruck 

t 


''o=    /  %(i'—'^)ä^: 


wenn  man  durch  +  ä^i  die  im  Zeitelement  dx  auf  der  Oberfläche 
(ä"  =  +  a)  hinzukommende  Electricitätsmenge  bezeichnet^  wo  diese 
dann  einen  endlichen  Werth  hat  oder  dx  proportional  ist,  je  nachdem 
eine  plötzliche  Ladung  oder  Entladung,  oder  ein  stetiger  Ab-  oder 
Zufluss  stattfindet. 

Aus  diesem  Ausdrucke  für  die  Spannung  folgt 


Qt 


=  JQf^rd^,    Lt=  l  Lt-td^i,    rt=  Irt-td^. 

Ü  -  0  0 

In  diesen  Formeln  sind  die  Zeiten  in  Theilen  von  a,  die  Längen 
in  Theilen  von  ß  ausgedrückt;  um  bekannte  Maasse  einzuführen,  hat 
man  nur  a  und  x  durch    ,,  ;    ,,  :  t  und  x  durch  —j        zu  ersetzen. 

7. 
Vergleichung  der  Rechnung  mit  den  Beobachtungen. 

Um  nun  die  erhaltenen  Formeln  mit  dem  wirklichen  Verlaufe  der 
Rückstandsbildung  zu  vergleichen,  wie  er  durch  die  in  Poggendorff's 
Annalen  veröfi'entlichten  Messungen  des  Herrn  Professor  Kohlrauscli 
mit  so  grosser  Genauigkeit  festgestellt  worden  ist,  geht  man  wohl  am 
zweckmässigsten  von  der  Thatsache  aus,  dass  die  Ladungscurve  einer 
Parabel  nahe  kommt  mit   allmählich   abnehmendem  Parameter,    d.  h. 

dass  die  Grösse  -'^  ,_,   ^-  langsam  abnimmt. 

yt  ° 

Zufolge  der  für  Lt  abgeleiteten  Formel  ist  L^  —  Lt  für  sehr  kleine 
Werth e  von  t  proportional  yt  und  zwar 

yt  ^  yn  y  aaoc 

Zufolge  der  Messungen  muss  man  annehmen,  dass  diese  Proportionalität 
näherungsweise  noch  während  der  Beobachtungen  stattfindet. 

Man  wird  daher  die  Zeit  ^a  in  roher  Annäherung  aus  den  Be- 
obachtungen bestimmen  können,  und  dann  ist  in  der  That 

t 

7  *  r>«    7* 

■Lo  —  e    lA  


in  electrischen  Bindungsapparaten.  355 

eine  Function,  welche  mit  wachsendem  t  langsam  abnimmt.  Nichts- 
destoweniger würde     ^"     mit  wachsendem  t  zunehmen,  wenn  man 

—  einen  merklichen  Werth  beilegte.     Dasselbe   scheint  sich   auch   zu 

ergeben,  wenn  man  einen  beträchtlichen  Verlust  durch  die  Luft  an- 
nimmt, wenigstens  wenn  man  dafür  das  Coulom bische  Gesetz  zu 
Grunde  legt. 

Man  wird  daher  für  die  erste  Bearbeitung  der  Beobachtungen  die 
Zeit  a  (d.  h.  den  Leitungswiderstand  des  Glases  für  die  dem  Coulom bi- 
schen Gesetz  gemässen  electromotorischen  Kräfte)  unendlich  gross  an- 
nehmen, den  Verlust  durch  die  Luft  vernachlässigen  und  sich  zunächst 
darauf  beschränken   müssen,   zu  untersuchen,   in  wie   weit   sich  durch 

gehörige  Bestimmung  von    -^a  den  Beobachtungen  genügen  lässt. 

Sobald  man  sich  überzeugt  hat,  dass  die  Voraussetzungen  der 
Rechnung  näherungs weise  richtig  sind,  ist  eine  schärfere  Vergleichung 
der  Rechnung  mit  den  Beobachtungen  verlorene  Arbeit,  wenn  man 
nicht  die  Gelegenheit  hat,  die  Quellen  der  Differenzen  zwischen  Rech- 
nung und  Beobachtung  an  der  Hand  der  Erfahrung  aufzusuchen,  um 
die  wegen  der  Abweichungen  von  den  Voraussetzungen  der  Rechnung 
nöthigen  Correctionen  anzubringen.  Da  mir  nun  zu  einem  experi- 
mentellen Studium  des  Gegenstandes  die  Mittel  fehlen,  so  musste  ich 
von  einer  weiteren  Verfolgung  desselben  vorläufig  abstehen. 

8. 

Verhältniss  dieses  Problems  zur  Electrometrie  und  zur  Theorie 

verwandter  Erscheinungen. 

Die  Grösse  -—  ,  bei  der  Flasche  h  etwa  — — ,  giebt  den  Quotien- 
aaa^  2000'   ^ 

antelectrische  Kraft    ,       ^,  i      t^i      i      .       ^       ^    >         nr 

ten  v^" .- — -■ r-    des  Glases   der  Jb  lasche  m  absolutem  Mass, 

Leitungswiderstand 

wenn  als  Längeneinheit  die  Flaschendicke,  als  Zeiteinheit  die  Secunde 
angenommen  wird.  Für  diese  Bestimmung  ist  es  gleichgültig,  wie 
man  die  Einheit  der  electromotorischen  Kräfte  von  der  Einheit  der 
electrischen  Massen  abhängig  macht;  die  Constanten  a  und  ßß  wür- 
den aber  den  Leitungswiderstand  und  die  antelectrische  Kraft  in  einem 
andern  Masse  als  dem  Web  er 'sehen  geben,  wo  die  Einheit  der  electro- 
motorischen Kräfte  durch  die  dem  Ampere'schen  Gesetz  gemässen 
Wirkungen  der  Masseneinheit  festgesetzt  wird. 

Zur. Vergleichung   des   hier   untersuchten  Falles   mit  den  Erschei- 
nungen an  guten  Leitern  kann  die  Betrachtung  des  Beharrungszustandes 


356     X.X.    Neue  Theorie  des  Rückstandes  in  electrischen  Bindimgsapparaten. 

bei  constant  erhaltener  Spannungsdifferenz  der  Oberflächen  (oder  con- 
stantem  Zufluss)  dienen.     Für  diesen  ist 

die  Dichtigkeit  im  Innern:  Q  =  —  ^^^  =  e^'  —  e~^, 

ex 

die  Spannung:  xt  =  u^  —  &"  -]-  e-""  -\-  x  {&'  +  <^~")? 
die  Spannungsdifferenz  der  Oberflächen: 

Ua  —  u-a  =  2  (a(e«  +  e-«)  —  (ß«  —  e"«))  . 
die  Gesammtladung :  (p,  *)    ==  e«  -(-  e— «  —  2, 

\(J  X/  Q 

der  Kuckstand:  I  ^    )    —  — =  — _- —  —  2, 

\c.v/q  2  a  a  ' 

die  in  der  Zeiteinheit  durchfliessende  Menge: 

oder  gleich  proportionalen  Grössen ,  wobei  zur  Vereinfachung,  wie  oben, 
als  Zeiteinheit  a,  als  Längeneinheit  ß,  als  Spannungseinheit  die  Span 
nung   im   Innern   einer   Kugel   vom   Radius   1    bei    auf  der   Oberfläche 
vertheilter  J]lectricität  von  der  Dichtigkeit  1   angenommen  ist. 

Besonders   wichtig   scheint  mir   die  Prüfung   des  vermutheten  Ge 
setzes   und   eventualiter   die  J^estimmung   der  Constanten   a  und  ß  bei 
den  Gasen  zu  sein.   Die  Beobachtungen  von  Riess*)  und  Kohlrausch**), 
nach   welchen    für    den   Electricitätsverlust   an  die   Luft   in   einem   ge 
schlossenen  Räume  das  Gesetz  Coulomb^s  nicht  gilt,  können  vielleicht 
als   Ausgangspunkt    für    diese   Untersuchung   dienen   und   es   wäre   fü  • 
dieselben  wohl  zunächst  ein  System  von  Messungen  über  den  Electri 
citätsverlust  im  Innern  eines  einigermassen  regelmässigen  geschlossenem 
Raumes  zu  wünschen. 


*)  Pogg.  Ann.  Bd.  71.  pag.  359, 
**)  Pogg-  Ann.  Bd.  72.  pag.  374. 


XXL 

Zwei  allgemeine  Sätze  über  lineare  Differentialgleichungen 
mit  algebraischen  Coefficienten. 

(20.  Febr.  1857.) 

Bekanntlich  lässt  sich  jede  Lösung  einer  linearen  homogenen 
Differentialgleichung  nter  Ordnung  in  u  von  einander  unabhängige 
particulare  Lösungen  linear  mit  constanten  Coefficienten  ausdrücken. 
Sind  die  Coefficienten  der  Differentialgleichung  rationale  Functionen 
der  unabhängigen  Veränderlichen  x,  so  wird  jeder  Zweig  der,  allgemein 
zu  reden,  vielwerthigen  Functionen,  welche  ihr  genügen,  sich  linear 
mit  constanten  Coefficienten  in  n  für  jeden  Werth  von  x  eindeutig 
bestimmte  Functionen  ausdrücken  lassen,  welche  freilich  dann  längs 
eines  gewissen  Liniensystems  unstetig  sein  müssen.  Sind  die  Coef- 
ficienten aber  algebraische  Functionen  von  x,  welche  sich  rational  in 
X  und  eine  ft-werthige  algebraische  Function  von  x  ausdrücken  lassen, 
so  gehört  zu  jedem  Zweig  dieser  fi-werthigen  Function  eine  Gruppe 
von  n  von  einander  unabhängigen  particularen  Ijösungen,  so  dass  in 
diesem  Falle  jeder  Zweig  einer  Lösung  der  Differentialgleichung  als 
ein  linearer  Ausdruck  von  höchstens  ^n  eindeutigen  Functionen  sich 
darstellen  lässt,  welcher  aber  von  ihnen  immer  nur  n  einer  Gruppe 
angehörige  enthalten  wird.  Aus  diesen  Vorbemerkungen  wird  man, 
da  sich  jede  nicht  homogene  lineare  Differentialgleichung  leicht  in  eine 
homogene  von  der  nächst  höhern  Ordnung  verwandeln  lässt,  ersehen, 
dass  die  folgenden  Sätze  alle  linearen  Differentialgleichungen  mit  al- 
gebraischen Coefficienten  umfassen. 

Es  seien  y^,  !/2;---)2/«  Functionen  von  x,  welche  für  alle  com- 
plexen  Werthe  dieser  Grösse  einändrig  und  endlich  sind,  ausser  für 
a,  &,  c,  ..,  g,  und  welche  durch  einen  Umlauf  des  x  um  einen  dieser 
Verzweigungswerthe  in  lineare  Functionen  mit  constanten  Coefficienten 
von  ihren  früheren  Werthen  übergehen. 

Zu  ihrer  näheren  Bestimmung  scheide  man  die  Gesammtheit  der 
complexen  Werthe  in   zwei  Gebiete  durch  eine  in  sich  zurücklaufende 


358        XXI.     Zwei  allgemeine  Sätze  über  lineare  Differentialgleichungen 

Linie,  die  der  Reihe  nach  durch  sämmtliche  Verzweigungswerthe 
{g,..j  c,  h,  a)  geht,  so  dass  in  jedem  dieser  Gebiete  die  Functionen 
völlig  gesondert  und  stetig  verlaufen,  und  betrachte  die  Werthe  der 
Functionen  in  dem  auf  der  positiven  Seite  dieser  Linie  liegenden  Ge- 
biete  als   gegeben.     Durch    einen   positiven  Umlauf  des  x  um   a   gehe 

nun  y^  in    E A^l^ji'^    ij^  in  ZÄf^yi,  ...;  ?/„  in  ZA^^^yi   über  und   ähn- 

2  =  1         *  " 

lieh  durch  einen  positiven  Umlauf  am  h  yv  in  UB^py,-,  etc.,  durch 
einen  positiven  Umlauf  um  g  y,,  in  ZG!  yi. 

Bezeichnet    man   nun    zur   Abkürzung   das    System   der   w  Werthe 
(^15  2/2;  ••;!/«)  durch  (y)  das  System  der  wn Coefficienten 

12  n 

j(n)   j(w)    ^  ^  ^   jin) 
1  2       *  *  *        n 

durch  (Ä)j   das  System  der  B  durch  (_B),  .  .  .,   der  G  durch  (G),  und 
die   aus   (i/)   mittelst    des   Coefficientensystems    (Ä)  gebildeten  Werthe 
£Äf\j,-,  2:Af^y,,  ...,  ZA^fy,  durch  {A)(xj„  y,,..,  y„)  =  {Ä){y),  so 
findet  zwischen  diesen  Coefficientensystemen  die  Gleichung 
(1)  {G){F)...{B){A)  =  (p) 

statt,  wenn  man  durch  (0)  ein  Coefficientensystem  bezeichnet,  das 
nichts  ändert,  oder  in  welchem  die  Coefficienten  der  abwärts  nach 
rechts  gehenden  Diagonale  =  1  und  alle  übrigen  =  0  sind.  In  der 
That,  durchläuft  x  die  ganze  Grenzlinie  so,  dass  es  sich  von  einem 
Verzweigungswerth  zum  folgenden  auf  der  positiven  Seite  bewegt,  dann 
aber  jedesmal  um  diesen  Verzweigungswerth  positiv  herum,  so  gehen 
die  Functionen  {y)  nach  und  nach  m{G){ij),  {G)(F)(y),  schliesslich  in 
(G)(F)  ..(B)(Ä){y)  über.  Es  hat  aber  denselben  Erfolg,  wenn  x  die 
negative  Seite  der  Grenzlinie  oder  die  ganze  Begrenzung  des  negativer- 
seits  liegenden  Gebiets  durchläuft,  wobei  (y^,  y^^  ..,  y«)  ihre  früheren 
Werthe  wieder  annehmen  müssen,  da  sie  in  diesem  Gebiet  allenthalben 
einändrig  sind. 

Ein  System  von  n  Functionen,  welches  die  eben  angegebenen  Eigen- 
schaften hat,  werde  durch 

bezeichnet. 

Man  betrachte  nun  als  zu  einer  Klasse  gehörig  sämmtliche  Systeme, 
für    welche    die    Verzweigungswerthe    und    die    um    sie    stattfindenden 


init  algebraischen  Coefficienten. 


359 


Substitutionen  gegebene  der  Gleicliung  (Ij  genügende  Wertlie  haben, 
was,  wie  sich  bald  ergeben  wird,  für  unendlich  viele  Systeme  der  Fall 
ist.  Nach  einem  leicht  zu  beweisenden,  von  Jacobi  vielfach  ange- 
wandten Satze  lässt  sich  jede  Substitution,  allgemein  zu  reden,  in  drei 
Substitutionen  zerlegen,  von  denen  die  letzte  die  inverse  der  ersten  ist, 
und  in  der  mittleren  die  Coefficienten  ausser  der  Diagonale  sämmtlich 
=  0  sind,  so  dass  durch  sie  jede  von  den  Grössen,  auf  welche  sie 
angewandt  wird,  nur  einen  Factor  erhält.     Es  lässt  sich  also  z.  B. 


(Ä)  =  («) 


Ai,  0  ..  0 
0,   A^..  0 


(«)-i 


,  0,  0  . .  A, . 

setzen,  wenn  («)~^  die  inverse  Substitution  von  (a)  bezeichnet.  Die 
Grössen  l  werden  dabei  die  ^Wurzeln  einer  durch  (Ä)  völlig  bestimm- 
ten Gleichung  nien  Grades.  Für  den  Fall,  dass  diese  Gleichung  gleiche 
Wurzeln  hätte,  müsste  man  der  mittleren  Substitution  eine  etwas  ab- 
geänderte Form  geben;  wir  wollen  aber  zur  Vereinfachung  diesen  Fall 
vorläufig  ausschliessen  und  annehmen,  dass  er  bei  der  Zerlegung  der  Sub- 
stitutionen (Ä),  (B), .  .  . ,  (G)  nicht  eintritt.    Die  Substitution  (a)  kann  in 


(«) 


0,  k,..o 


.0,  0,..l„ 

durch  Hinzufügung  einer  nur  multiplicirenden  Substitution  verwandelt 
werden;  in  dieser  Form  aber  sind,  wie  die  Gleichungen,  durch  welche 
sie  bestimmt  wird,  zeigen,  alle  möglichen  Werthe  derselben  enthalten. 
Durch  einen  positiven  Umlauf  des  x  um  a  gehen  die  Werthe  der 
Functionen  y  aus  (Piy  P2j  • -,  Pn)  i^^  {^)(p)  über.  Die  Werthe  der  durch 
die  Substitution  {cc)~^  aus  (y)  gebildeten  Functionen 


gehen  daher  aus  {cc)~^(p)  in 

(«)-'(^)(p)  = 


.,  z> 


0  =  («)-K2/) 


A„0, 
0,  L, 


(ay^(p) 


0,0,  .An 
über,  oder  (z^,  z.,,  .  .,  ^„)  in  {X,2,,  A.^^;  •  '.L^n)- 

Wenn  eine  Function  z  durch  einen  positiven  Umlauf  des  x  um  a 
den  Constanten  Factor  A  erhält,  so  kann  sie  durch  Multiplication  mit 
einer  Potenz  von  (x  —  a)  in  eine  Function  verwandelt  werden,  die  in 
der  Umgebung  von  a  einändrig  ist.    In  der  That  erhält  (x  —  ay  durch 


360        XXI.     Zwei  allgemeine  Sätze  über  lineare  Differentialgleichungen 

einen   positiven  Umlauf  des  x  um  a  den  Factor  cf'^^']    bestimmt  man 

also  ^  so  dass  e^'^'^'  =  A,  oder  setzt  man  ^  ==  ^^,  so  wird  ^(x  —  «)--" 

eine  für  x  =  <i  einändrige  Function.  Diese  Function  lässt  sich  also 
nach  ganzen  Potenzen  von  (x  —  a)  entwickeln,  und  z  selbst  nach  Po- 
tenzen, die  sich  von  ^  um  ganze  Zahlen  unterscheiden. 

Demnach   sind  0^,  z^,  .  .^  Zn  nach  Potenzen   von  x  —  a  entwickel- 
bar, deren  Exponenten  in  der  Form 

logXj     ,  log^2     ,  log^«    , 

Im      '         '     27r^       '         ^  '     27e*      ' 

enthalten  sind,  wenn  m  eine  ganze  Zahl  bedeutet.  Wir  wollen  nun 
annehmen,  dass  die  Functionen  %j  nirgends  unendlich  von  unendlich 
grosser  Ordnung  werden,  so  dass  diese  Reihen  auf  der  Seite  der  fallen- 
den Potenzen  abbrechen  müssen,  und  bezeichnen  durch  ft^,  ft^,  .  .,  fi„ 
die  niedrigsten  Potenzen  in  diesen  Reihen,  so  dass 

endliche  von  0  verschiedene  Werthe  haben.  Offenbar  kann  die  Diffe- 
renz zweier  von  den  Grössen  ^i,  /u,^,,  ..,  ft«  nie  eine  ganze  Zahl  sein, 
da  die  Werthe  der  Grössen  A^,  A^,  .  .,  A„  sämmtlich  von  einander  ver- 
schieden sind;  dagegen  werden  die  Werthe  der  entsprechenden  Ex- 
ponenten bei  zwei  zu  derselben  Klasse  gehörigen  Systemen  sich  nur 
um  ganze  Zahlen  unterscheiden  können,  da  die  Grössen  A^,  A^,  ..,  A„ 
durch  (^)  völlig  bestimmt  sind.  Diese  Exponenten  können  dazu  die- 
nen, die  verschiedenen  Functionensysteme  derselben  Klasse  von  einan- 
der zu  unterscheiden,  oder  doch  sie  zu  gruppiren,  und  es  genügt,  wenn 
sie  bekannt  sind,  statt  (^)  die  Substitution  («)  anzugeben,  da  die 
Grössen  A^,  Ag,..,  A«  schon  durch  sie  bestimmt  sind:  wir  werden  uns 
daher  zur  genaueren  Charakteristik  des  Systems  (2/1,  2/2?  •  •;  2/«)  des  Aus- 
drucks 

a     h    ...  g 
(«)(/3)...(^) 
Q\    H^    v^  ...  Q^   X 


.     y^n     Vn    '"    Qn 

bedienen,  in  welchem  die  Grössen  der  übrigen  Verticalreihen  für  die 
Verzweigungswerthe  h,..,g  die  analoge  Bedeutung  haben  sollen,  wie 
die  der  ersten  für  a.  Es  liegt  dabei  auf  der  Hand,  dass  jedes  System 
als  ein  specieller  Fall  eines  andern  betrachtet  werden  kann,  in  welchem 
die  entsprechenden  Exponenten  zum  Theil  oder  sämmtlich  niedriger  sind. 
Es  ist  nun  nicht  schwer  zu  beweisen,  dass  zwischen  je  n  -(-  1  Sy- 
stemen, die  derselben  Klasse  angehören,  eine  lineare  homogene  Glei- 


mit  algebraischen  Coefficienten.  361 

chung  mit  ganzen  Functionen  von  x  als  Coefficienten  stattfindet.  Wir 
unterscheiden  die  entsprechenden  Grössen  in  diesen  n  +  1  Systemen 
durch  obere  Indices.  Nehmen  wir  an,  dass  zwischen  ihnen  die /?  Glei- 
chungen stattfinden: 

so  müssen  die  Grössen  a^,  «i,  .  .,  ein  proportional  sein  den  Determinanten 
der  Systeme,  welche  man  erhält,  wenn  man  in  dem  Systeme  der 
n{n  +  1)  Grössen  tj  der  Reihe  nach  die  Ite,  2te,  .  .,n  +  Ite  Vertical- 
reihe  weglässt.  Eine  solche  Determinante  E  +  tfl^  yf  -  -  y'^^  erhält 
durch  einen  positiven  Umlauf  des  x  um  ^a  den  Factor  Det.  (Ä)  und 
kann  für  x  =  a  nicht  unendlich  von  unendlich  grosser  Ordnung  wer- 
den; sie  lässt  sich  also  nach  um  1  steigenden  Potenzen  von  x  —  a 
entwickeln.  Um  den  niedrigsten  Exponenten  in  dieser  Entwicklung  zu 
bestimmen  kann  diese  Determinante  in  die  Form  gesetzt  werden 

Det.(«)^±^;^^/;^.^;:^ 

In  letzterer  Determinante  ist  das  erste  Glied 

multiplicirt  in  eine  Function,  die  für  x  =  0  einen  endlichen  und  von  0 
verschiedenen  Werth  hat.  Der  niedrigste  Exponent  in  der  Entwick- 
lung dieses  Gliedes  nach  Potenzen  von  {x  —  a)  ist  daher 

(1)       I  (2)      ,  ,  {n) 

und  hieraus  erhält  man  durch  Permutation  der  oberen  Indices  die  nie- 
drigsten Exponenten  in  den  Entwicklungen  der  übrigen  GHeder.  Offenbar 
ist  der  gesuchte  Exponent  allgemein  zu  reden  gleich  dem  kleinsten  von 
diesen  Werthen  und  jedenfalls  nicht  kleiner.  Bezeichnen  wir  den  klein- 
sten dieser  Werthe  durch  ^,  den  ähnlichen  Werth  für  den  zweiten 
Verzweigungswerth    durch  v,...,  für  den  letzten  durch  p,  so  ist 

eine  Function  von  x,  welche  für  alle  endlichen  complexen  Werthe  ein- 
ändrig  und  endlich   bleibt   und   für  x  =  oo  unendlich  gross  höchstens 

von  der  Ordnung  —  (^  -{-  v  -{ \-  q)  wird,  folglich  eine  ganze  Function 

höchstens  vom  Grade  —  (f*  +  ^  +  •  •  +  (>)•     Diese  Grösse  muss  daher, 


3G2        XXI.     Zwei  allgemeine  Sätze  über  lineare  Differentialgleichungen 

wenn  die  Function  nicht  identisch  verschwindet^  eine  ganze,  nicht 
negative  Zahl  sein. 

Die  partiellen  Determinanten,  welchen  die  Grössen  a^,  a^,  .  .,  a^  pro- 
portional sind ,  verhalten  sich  demnach  wie  ganze  Functionen,  multipli- 
cirt  mit  Potenzen  von  x  —  a,  x  —  b,  .  .,  x  —  g,  deren  Exponenten  in 
den  verschiedenen  Determinanten  sich  um  ganze  Zahlen  unterscheiden. 
Die  Grössen  o^,  a^,..,  a,^  verhalten  sich  daher  selbst  wie  ganze 
Functionen  und  können  in  den  Gleichungen  (2)  durch  diese  ersetzt 
werden,  wodurch  man  den  zu  beweisenden  Satz  erhält. 

Die  Derivirten  der  Functionen  y^yV-iy  *  -y  Vn  nach  x  bilden  offenbar 
ein  derselben  Klasse  angehöriges  System,  denn  die  Dijfferentialquotienten 
der  Functionen  {Ä){\j^,  y.^,  .  .,  ?/„),  in  welche  {y^,  tj.^, .  .,  y^)  durch  einen 
positiven  Umlauf  des  x  um  a  übergehen,  sind 

^    ^  \dx  ^  dx  ^       ^   dx / 
da  die   Coefficienten  in   {A)   constant  sind.     Durch   diese   Bemerkung 
erhält  man  aus  dem  eben  bewiesenen  Satz  die  beiden  Corollare: 
„Die  Functionen   y   eines  Systems  genügen  einer  Differentialgleichung 
nter  Ordnung,  deren  Coefficienten  ganse  Functionen  von  x  sind." 
und : 

„Jedes  derselben  Klasse  angchörige  System  lässt  sich  in  diese  Functionen 
und  ihre  n  —  1  ersten  Differentialquotienten  linear  mit  rationalen 
Coefficienten  ausdrüchen.'^ 

Mit  Hülfe  des  letzteren  lässt  sieb  ein  allgemeiner  Ausdruck  für 
sämmtliche  Systeme  einer  Klasse  bilden,  aus  welchen  man  sofort  sehen 
würde,  dass  die  Anzahl  sämmtlicher  Systeme,  wie  oben  behauptet, 
unendlich  ist;  es  soll  indess  hier  nur  angewandt  werden  zur  Aufsuchung 
aller  Systeme,  in  welchen  nicht  bloss  die  Substitutionen,  sondern  auch 
die  Exponenten  dieselben  sind.  Für  ein  beliebiges  S^^stem  F^,  ¥2,  ...,  Y^ 
mit  denselben  Substitutionen  und  denselben  Exponenten  wie  ^1, 2/2;  ••;  ^n 
hat  man  nach  demselben,  wenn  man  die  Derivirten  nach  Lagrange 
bezeichnet,  w lineare  Gleichungen  von  der  Form: 


Co Y,  =  h^yi  +  hy^  H V'^n-iy^ 

<^o5^2  =  ^o?/2  +  hy'^  H 1-  '^n-iy\ 


(n-l) 


(^o'Yn  =  \yn  +  \y,^  H h  'bn-iy^^    '^ 

wobei  die  Coefficienten  ganze  Functionen  von  x  sind.  Die  Function 
c^  hängt  nur  von  den  Functionen  y  ab,  und  für  den  Grad  der 
Functionen  h  ergiebt  sich  ein  endliches  Maximum,  so  dass  sie  nur  eine 
endliche   Anzahl  von   Coefficienteja  habeji.     Damit  umgekehrt  die  aus 


mit  algebraischen  Coefficienton.  ^    363 

diesen  Gleichungen  sich  ergebenden  Functionen  1\,  Y2J  -f  ^ri  die  ver- 
langten Eigenschaften  haben,  müssen  diese  Coefficienten  so  beschaffen 
sein,  dass  für  die  Verzweigungswerthe  ihre  Exponenten  nicht  niedriger 
sind  als  die  der  Functionen  y  und  dass  sie  für  alle  anderen  Werthe 
von  X  endlich  bleiben.  Diese  Be,dingungen  liefern  für  die  Coefficienten 
der  Potenzen  von  x  in  den  Functionen  h  ein  System  linearer  homogener 
Gleichungen.  Die  Auflösung  dieser  Gleichungen  ergiebt,  wenn  sie  zur 
Bestimmung  der  Coefficienten  hinreichen,  als  allgemeinsten  Werth  der 
Functionen  (Y)  den  Werth  const  {ij),  wenn  dies  nicht  der  Fall  ist, 
aber  einen  Ausdruck  von  der  Form: 


mit  den  willkürlichen  Constanten  A', /ti,  ...^Jim-  Von  diesen  willkür- 
lichen Constanten  kann  man  eine  nach  der  andern  als  Function  der 
übrigen  so  bestimmen,  dass  das  Anfangsglied  in  der  Entwicklung  einer 
der  Functionen  {a)-'(Y),  {ß)-'(Y),  .  ..,{d-)-'{Y)  Null  wird,  wodurch 
die  Exponentensumme  jedesmal  wenigstens  um  eine  Einheit  erhöht 
wird,  so  dass  schliesslich  die  Exponentensumme  wenigstens  um  m  er- 
höht und  die  Anzahl  der  willkürlichen  Constanten  um  ebenso  viel  ver- 
mindert ist.  Auf  diese  Weise  kann  man  aus  jedem  Systeme  von 
w  Functionen  ein  anderes  mit  höheren  Exponenten  ableiten,  welches 
durch  die  Substitutionen  und  die  Exponenten  in  seiner  Charakteristik 
bis  auf  einen  allen  Functionen  gemeinschaftlichen  constanten  Factor 
völlig  bestimmt  ist.  Es  werde  nun  auch  dieser  Factor  dadurch  be- 
stimmt, dass  man  den  Coefficienten  der  niedrigsten  Potenz  von  x  —  a 
in  der  Entwicklung  der  ersten  von  den  Functionen  {cc)~^(y)  gleich  1 
setzt,  so  dass  die  Functionen  y  eindeutig  bestimmt  sind.*) 

Man  hat  dann  nur  nöthig  scharf  aufzufassen,  wie  sich  der  Verlauf  dieser 
Functionen  mit  der  Lage  eines  der  Verzweigungswerthe,  z.  B,  a  ändert,  um 
zu  dem  Satz  zu  gelangen,  dass  die  Grössen  y  ein  ähnliches  System  von 
Functionen  wie  von  x  auch  von  a  bilden  mit  den  Verzweigungswerthen 
h,  c,  d,  .  .  . ,  <7,  .1'  und  Substitutionen  die  aus  (yl),  (B), .  . .,  (F)  zusammengesetzt 
sind.     Für  den  Fall,   dass   es  unmöglich  ist,   die  Functionen  mit  a  so  zu  än- 


*)  Bis  hierher  reicht  ein  vollständig  ausgearbeitetes  Manuscript  Riemann's. 
Da  wo  die  kleingedruckten  Worte  beginnen,  steht  am  Rande  die  Bemerkung  „von 
hier  an  nicht  richtig".  Ich  glaubte  aber  trotzdem  nicht,  diese  Stelle  ganz  unter- 
drücken zu  dürfen,  weil  sie  doch  die  Keime  zu  einer  Weiterentwicklung  der  darin 
angedeuteten  wichtigen  Theorie  enthält.  —  Auf  einigen  Blättern,  welche  Entwürfe 
zu  der  vorstehenden  Abhandlung  enthalten,  finden  sich  die  Grundzüge  zu  einer 
Weiterführung  der  vorstehenden  Untersuchungen,  die  ich  im  Nachfolgenden  in  mög- 
lichst unveränderter  Form  mittheile.  W. 


364    -    XXI.     Zwei  allgemeiue  Sätze  über  lineare  Differentialgleichungen 

dern,  dass  sänimtliclie  Substitutionen  constant  bleiben,  —  weil  die  Anzahl  der 
in  ihnen  enthaltenen  willkürlichen  Constanten  geringer  ist  als  die  Anzahl  der 
hierfür  zu  erfüllenden  Bedingungen  — ,  kann  man  das  System  als  einen  be- 
sonderen Fall  eines  Systems  mit  niedrigeren  Exponenten  betrachten,  in  welchem 
für  diese  speciellen  Werthe  von  a,  b,  ...,  g  die  Coeflicienten  einiger  Anfangs- 
glieder in  den  Reihen  für  («)—!(?/),  (^)— i(y),  .  .  . ,  ('&')— 1(^)  verschwinden. 

In  Folge  dieses  Satzes  bilden  die  Grössen  2/i »  2/2 '  •  •»  2/«  Functionen  von 
p  Veränderlichen  a,  b,  .  .^  g,  x,  welche,  wenn  sämmtliche  veränderliche  Grössen 
wieder  ihre  früheren  Werthe  annehmen,  entweder  die  früheren  Werthe  wieder 
erhalten,  oder  in  lineare  Ausdrücke  ihrer  früheren  Werthe  übergehen,  mit 
einem  constanten  Coefficientensystem,  das  aus  den  j^  —  2  beliebig  gegebenen 
Systemen  (A),  (B),  (C),  ...,  (F)  irgendwie  zusammengesetzt  ist. 

Auf  eine  weitere  Untersuchung  dieser  Functionen  von  mehreren  Veränder- 
lichen und  der  Hülfsmittel,  welche  der  letzte  Satz  für  die  Integration  linearer 
Differentialgleichungen  bietet,  muss  ich  für  jetzt  verzichten  und  bemerke  nur 
noch,  dass  ein  Integral  einer  algebraischen  Function  als  ein  specieller  Fall  der 
hier  behandelten  Functionen  betrachtet  werden  kann,  und  dass  man  durch  An- 
wendung dieser  Principien  auf  ein  solches  Integral  auf  Functionen  geführt 
w^ird,  welche  die  allgemeinen  -^'-Reihen  mit  beliebigen  Periodicitätsmoduln  dar- 
stellen. 

Bestimmung  der  Form  der  Differentialgleichung. 

Es  wird  die  nächste  Aufgabe  der  auf  diese  Principien  zu  gründen- 
den Theorie  der  linearen  Differentialgleicliungen  sein,  die  einfachsten 
Systeme  jeder  Klasse  aufzusuchen,  und  zu  diesen  Ende  zunächst  die 
Form  der  Differentialgleichung  näher  zu  bestimmen.  Verstehen  wir 
unter  den  obigen  Functionen  y''^\  y^^\  ...,  y^^'^  jetzt,  wie  Lagrange,  die 
successiven  Derivirten  der  Function  y  so  werden  die  Gleichungen  (2) 
die  Differentialgleichung,  welcher  sie  genügen,  darstellen.  Der  Grad 
der  ganzen  Functionen,  welche  für  die  Coefficienten  gesetzt  werden 
können,  bestimmt  sich  f olgendermassen :  durch  jede  Differentiation  nach 
X  werden  sämmtliche  Exponenten  der  Charakteristik,  vorausgesetzt  dass 
keiner  eine  ganze  Zahl  ist,  um  die  Einheit  erniedrigt.     Es  bleibt  daher: 

allenthalben  endlich  und  einändrig,  wenn  man 

—  _,  n  .n  —  1—         -^  n  .n  —  1  —         ^  w.n— 1 

ft  =  A: ^i ^ — - ;    V  =-  2.iVi  — -—  ;..*,(>  =  ^iQi ^— 

setzt.  Für  x  =  (x>  wird,  da  die  Functionen  y  endhch  und  einändrig 
bleiben,  ^  +  2/1  ^2^^  "41"  ^^  unendlich  klein  von  der  Ordnung:  n.{n—  1). 
Der  Grad  der  ganzen  Function  Xq  ist  daher 

r  =  (m  —  2) 2 ^ 

wenn  m  die  Anzahl  der  Verzweigungs werthe  und  s  die  Summe  der 
Exponenten  in  der  Charakteristik  bezeichnet. 


mit  algebraischen  Coefficienten.  365 

Wenn  in  dem  System  der  n  .  w  +  1  Grössen  \j  statt  der  letzten 
Verticalreihe  die  w  +  1  —  ^te  weggelassen  wird,  so  muss  die  aus  ihnen 
gebildete  Determinante  allgemein  zu  reden  mit  um  t  höheren  Potenzen 
von  X  —  a,  X  —  h^  . .  .,  x  —  (j  multiplicirt  werden  und  wird  dadurch 
eine  ganze  Function  vom  Grade  r  +  {m  —  1)^  [nur  für  t  =w  ist  dieser 
Grad  r  +  {m  —  2)n\. 

Die  Differentialgleichung  lässt  sich  daher,  wenn  man  das  Product 
(^x  —  a)  (x  —  h)  ..,  (x  —  g)  durch  w  bezeichnet  in  die  Form: 

Xnij  +  coXn-iy  +  '-'Co-X^y'-^  =  0 

setzen,  so  dass  die  Grössen  Xt  ganze  rationale  Functionen  vom  Grade 
r  -\-  {in  —  1)^  sind.     [X„  vom  Grade  r  +  (m  —  2)w]. 

Man  untersuche  jetzt,  welchen  Bedingungen  die  Coefficienten  die- 
ser Functionen  genügen  müssen,  damit  nur  für  die  Werthe  a,  h,...,g 
eine  Verzweigung  eintritt  und  die  Unstetigkeitsexponenten  für  sie  die 
gegebenen  Werthe  haben.  Eine  Verzweigung  findet  so  lange  und  nur 
so  lange  nicht  statt,  als  sich  alle  Lösungen  der  Differentialgleichung 
nach  ganzen  Potenzen  der  Aenderang  von  x  entwickeln  lassen,  oder 
so  lange  die  Entwicklung  von  v/  nach  dem  Mac-Laurin'schen  Satz 
n  willkürliche  Constanten  enthält.  Dies  ist  immer  der  Fall,  wenn  a« 
von  0  verschieden  ist.  Man  hat  daher  nur  den  Fall  ein  =  0  zu  unter- 
suchen.    Setzt  man  die  Differentialgleichung  in  die  Form: 

hy  +  h{oo  —  a)y  +  h,  {x  -  afy'  -\ Ylni,^  -  d)'^y^-^  =  0 

so  müssen,  damit  um  x  =  a  die  Function  y  den  vorgeschriebenen 
Charakter  hat,  ^^,  ^^,,  .  .,  fi„  sämmtlich  Wurzeln  der  Gleichung 

sein.  Dieses  liefert  n  Bedingungen  für  die  Functionen  X  und  erfor- 
dert überdies,  da  alle  Grössen  \i  endlich  und  unter  einander  ungleich 
sind,  dass  ha  für  x  =  a  nicht  0  sei.  Aehnliches  gilt  für  die  übrigen 
Wurzeln  6,  c,  .  .,  ^  von  o  =  0.  Es  kann  sonach  X^  =  0  mit  w  =  0 
keine  Wurzel  gemeinschaftlich  haben. 

Ist  nun  (für  eine  Wurzel  von  X^  =  0)  a,^  =  0,  a„_i  aber  von  0 
verschieden,  so  können  (für  diese)  ?/,  /,...,?/(" ~ 2)  willkürlich  ange- 
nommen werden,   dann  aber  ist  y("-^^  durch   die  Differentialgleichung 

Ony'"^  +  ««-1  ?/"-^^  H h  a^y  =  0 

bestimmt,  so  dass  n  —  1  willkürliche  Constanten  in  den  n  —  1  ersten 
Gliedern  der  Mac-Laurin^schen  Reihe  auftreten,  die  letzte  Constante 
aber  frühestens  im  n+  Iten.  Man  nehme  an,  dass  sie  zuerst  im 
n  -\-  hien  erscheine. 


366        XXI.     Zwei  allgemeine  Sätze  über  lineare  Differentialgleichungen 

Eliminirt  man  dann  aber  in  der  hien  Derivirten  der  Differential- 
gleichung: 

an  2/("  +  '^  +  {ha,  +  a,  _  i)  y(-  +  ^'  "i)  +  •  •  •  =  0    ' 

die  Grössen  ?/(«  +  ''  — 2)^  ....,  yi'^  —  '^)  mittelst  der  vorhergehenden  Deri- 
virten und  der  Differentialgleichung  selbst,  so  müssen  die  Coefficienten 
von  y(«  +  ''  — 1)^  y^"~'^\  y''"~'''^\  •  •}  y  sämmtlich  verschwinden,  da  diese 
Grössen  von  einander  unabhängig  sind.    Man  erhält  also 

hd,  +  an-i  =  0, 
also   d,i  von   0   verschieden   und "  ausserdem   noch   n  —  1    Gleichungen, 
und  es  ergeben  sich  n  Bedingungsgleichungen  für  die  Coefficienten  der 
Functionen  X. 

Man  setze  nun  zweitens  voraus,  dass  a,i  und  a«_i  gleichzeitig 
verschwinden,  an  —  2  aber  endlich  bleibt,  so  dass  die  n  —  2  ersten 
Gheder  der  Mac-Laurin'sche  Reihe  n  —  2  willkürliche  Constanten 
enthalten,  und  nehme  an,  dass  die  folgende  im  n  +  /i  —  Iten,  die 
letzte  im  n  -{-  li —  Iten  zuerst  auftrete.  Alsdann  ergeben  sich,  damit 
y{n-\-h  —  2)  ^j^(j  y{n  +  h'  —  2)  y^^  ^^^^  Wcrthcn  der  niedrigeren  Differential- 
quotienten unabhängig  werden,  die  Gleichungen: 


Cln=^,      -^-^-^ a'n  -\-hdn-l-\r  an-2  =  0, 

-  dn  -\-}ldn-l+.an-2  =  0, 


2 

also  dn  und  d^  —  i  von  Null  verschieden,  und  ausserdem  2n  —  3  Glei- 
chungen. Es  werden  also  zwei  Linearfactoren  von  a«  =  0  und  man 
erhält  2n  Bedingungen  für  die  Functionen  X 

Auf  ähnliche  Art  findet  man  für  den  Fall  wenn  a,,  a^-i,  an  —  2 
gleichzeitig  verschwinden,  a«_3  aber  endhch  bleibt,  und  die  drei  letzten 
willkürlichen  Constanten  zuerst  im  n  -{-  h  —  2ten,  n  -\- li  —  2ten, 
n  + /r — 2ten  Gliede  auftreten,  die  Bedingungen: 

a'n  ==  0 ,    dn  =  0,    al  _  1  =  0 , 

■ r^~-^ ^'^    H lT2~'      "~^      '      han-2   +  On-S  =0 

für  h,  li,  h"  und  ausserdem  noch  3n  —  6  Gleichungen,  so  dass  a«  drei 
und  nur  drei  gleiche  Wurzeln  hat,  und  3w  Bedingungen  erfüllt  wer- 
den müssen.  Durch  Verallgemeinerung  dieser  Schlüsse  ergiebt  sich 
offenbar,  dass  jeder  Linearfactor  von  X^  n  Bedingungen  zwischen  den 
Functionen  X  zur  Folge  hat.*) 


*)  Ueber  das  Verhalten  der  Differentialgleichung  für  unendliche  Werthe  von 
X  findet  sich  im  Rie  mann 'sehen  Manuscript  nichts;  die  Abzahlung  der  Constauten 
ist  nur  angedeutet;  das  Folgende  ist  daher  so  gut  als  möglich  vom  Herausgeber 


mit  algebraischen  Coefficienten.  367 

Für  unendlich  grosse  Werthe  von  x  sind  die  Functionen  y  endlich 
und  stetig  vorausgesetzt;  um  die  hieraus  fliessenden  Bedingungen  zu 
erhalten,  transformire  man  die  Differentialgleichung  durch  Einführung 

einer  neuen  Variablen    .   für  x.     Dadurch  erhält  man: 

+  (<  - 1)  (/ -  2)  ^(^^r'-^  — 5- +  •  •  • 

und  die  Differentialgleichung  erhält  die  Form: 

«„r»  Jl  +  (»  -  1  .».a„r"->  -  «„-il^"'-^)  ^^  + 


dl" 


+  •  •  +  «„2/  =  0 


Nun  ist  da  vom  Grade  r  +  mn^  at  vom  Grade  r  -\-  mn  —  n  -\-  t, 
r/„  vom  Grade  /•  -|-  *ww  —  2m  in  x.  Wenn  man  also  die  vorstehende 
Gleichung  mit  |'+"'«  — 2«  multiplicirt,  so  bleiben  der  erste  und  der 
letzte  Coeflicient  für  1  =  0  endlich  und  dieselbe  erhält  die  Form: 

worin  «,,,  a«-i;  .  .  .,  «0  Functionen  sind,  welche  für  J  =  0  endlich 
bleiben.  Nun  lässt  sich  aber,  wenigstens  unter  der  Voraussetzungr 
dass  X^  nur  ungleiche  Factoren,  und  die  oben  mit  h  bezeichnete  ganze 
Zahl  den  Werth  1  hat,  nachweisen,  dass  «„  —  1  durch  ^  theilbar  ist. 
Dies  ist  bewiesen,  wenn  man  gezeigt  hat,  dass  in  dem  Ausdruck 

{n  —  1)  naa  —  xün-i 
sich  die  (r  +  mn)iQ  Potenz  von  x  forthebt.     Zu  diesem  Zweck  zerlege 
man  die  echt  gebrochene  Function  ^^^— ^  =  — ^  in  Partialbrüche : 


an  to  X, 


an  (o  Xq  y^  I  X  —  a     '      y^  I  X  —  a 

worin  sich  die  erste  Summe  auf  alle  Wurzeln  «,  h,  .  .  der  Gleichuncj 
w  =  0,  die  zweite  auf  alle  Wurzeln  a,  ß,  .  .  von  X„  =  0  erstreckt. 
Nun  muss  in  Folge  der  oben  für  den  Punkt  a  aufgestellten  Bedingungs- 
gleichung für  X  =  a 

ergänzt.  Ich  bemerke  noch,  dass  man  etwas  einfVicher  mid  allgemeiner  zum  Ziel 
gelangt,  wenn  man  von  vorn  herein  einen  der  gegebenen  Verzweigungswerthe  ins 
Unendliche  verlegt.  \Y^ 


368        XXI.     Zwei  allgemeine  Sätze  über  Imeäre  Differentialgleichungen 
an  ~i  (x  —  a)  n  .71  —  1 


an 


—  2J^ 


sein ,    woraus    sich    für    Ä    der   Werth    Ä  =  ~^^-^ 2J^    ergiebt. 

Ebenso  folgt  aus  der  für  den  Punkt  a  gültigen  Bedingung: 

a'n  +  ün-i  =  0  :  A  =  —  1^ 
woraus  man  erhält: 

n  .  n  —  1         ^ 
an 


ttn  X  <  X  —  a  -^1  X  —  a 

Lässt  man  nun  in  — "~^  x  unendlich  werden,  so  ers-iebt  sich,  wenn 
an  ;  o  ; 

man   die   Coefficienten   der  höchsten  Potenzen   von  x  in  a„  und  a„  _.  i 

durch  A„j  Än  —  i  bezeichnet: 

An  —  i               n.n  —  1  .  ^  X 

— . —  =  m .  — r s  —  r  =  n(n  —  1) 

An  2  ^  ^ 

• 

womit  der  Nachweis  der  obigen  Behauptung  geführt  ist. 

Damit  also  für  unendliche  Werthe  von  x  die  Functionen  y  end- 
lich und  stetig  bleiben,  müssen  wir  noch  die  Bedingungen  stellen, 
dass    an— 2   durch    h,^,..,a^    durch   5""~^    theilbar    seien,    deren    Zahl 

~- 1   betragt. 

Hiernach  müssen  die  Coefficienten  der  Functionen  X  im  Ganzen 

(m  -\-  r)  n  -{ '—^ 1   Bedingungen  erfüllen.     Die  Anzahl  dieser 

Coefficienten  beträgt,  wenn  man,  was  freisteht,  einen  derselben  =  1 
annimmt : 

2'V+(»»-2)i+i)+^— ^-1 

t  =  0 

/      ii\/       ii\i/            ^^7i.n  -}-  1     .    n.n  —  1         . 
=  (r  +  l){n  +  Ij  +  (m  —  2) — -^—  -\ ^ 1. 

Es  bleiben  also,  wenn  man  für  r  seinen  Werth  setzt, 

(m  —  2)  n^  —  s  —  n.(m  —  1)  +  1 

von  ihnen  willkürlich.  Nun  involviren  die  Functionen  y,  als  Integrale 
einer  Differentialgleichung  wter  Ordnung  n.n  Integrationsconstanten. 
Von  diesen  kann,  da  ein  gemeinschaftlicher  constanter  Factor  aller 
Functionen  y  unbestimmt  bleiben  muss,  eine  =  1  gesetzt  werden,  so 
dass  im  Ganzen  in  dem  Functionensystem  (y)  {m  —  l)n{n  —  1)  —  s 
willkürliche  Constanten  bleiben,  die  Verzweigungswerthe  und  die  Un- 
stetigkeitsexponenten ,  die  als  gegeben  betrachtet  werden,  nicht  mit- 
gerechnet. 


mit  algebraischen  Coefficienten.  369 

Um  nun  die  Frage  zu  entscheiden,  in  wie  weit  das  Functionen- 
system  (y)  durch  die  in  seiner  Charakteristik  enthaltenen  Grössen  be- 
stimmt ist,  müssen  wir  die  Anzahl  der  dadurch  gestellten  Bedingungen 
bestimmen  und  diese  mit  der  Anzahl  der  verfügbaren  Constanten  ver- 
gleichen. Diese  Bedingungen  bestehen,  nachdem  die  Verzweigungs- 
punkte und  die  Unstetigkeitsexponenten  gegeben  sind,  nur  noch  darin, 
dass  um  die  Verzweigungspunkte  herum  die  gegebenen  Substitutionen 
(«),  (/3),  .  .  .,  (-O-)  stattfinden.  Jede  dieser  Substitutionen  enthält  aber,  da 
man  in  jeder  Horizontalreihe  Einen  Coefficienten  beliebig  wählen  kann, 
n.n —  U  unbestimmte  Coefficienten,  zwischen  denen  in  Folge  der  Re- 
lation (1)  n^  Bedingungsgleichungen  bestehen.  Von  diesen  letzteren  ist 
Eine  eine  identische  Folge  der  Annahme,  dass  s  eine  ganze  Zahl  sei, 
(vgl.  die  Abhandlung  „Beiträge  zur  Theorie  etc."  Art.  3.  S.  67)  und 
demnach  haben  die  in  dem  Functionensjstem  (y)  enthaltenen  Con- 
stanten m.n.^ii  —  1)  —  n  -f-  1  Bedingungen  zu  befriedigen.  Diese 
Zahl  darf  also  nicht  grösser  sein  als  (m  —  l).n.(n  —  1)  —  s,  woraus 
sich  ergiebt,  dass  s  im  Allgemeinen  nicht  grösser  sein  darf  als  n  —  1. 
Für  den  Fall  s  =  n  —  1  ist  die  Anzahl  der  Bedingungsgleichungen 
ebenso  gross  als  die  Anzahl  der  verfügbaren  Constanten. 


a 


lilEMANN*s  gcsamincltc  niatliomatifclie  Wt'rke.     1.  '  24 


XXII. 

Oommentatio  mathematica,  qua  respondere  tentatur  qüaestioni 
ab  111™^  Academia  Parisiensi  propositae: 

„Trouver  quel  doit  etre  Fetat  calorifique  dun  corps  solide  homo- 
gene indefini  pour  qu'un  Systeme  de  courbes  isothermes,  ä  un  instant 
donne,  restent  isothermes  apres  un  temps  quelconque^  de  teile  sorte 
que  la  temperature  d'un  point  puisse  s'exprimer  en  fonction  du  temps 
et  de  deux  autres  variables  independantes."*) 

Et  bis  principiis  via  sternitur  ad  majora. 
1. 

Quaestionem  ab  ill""^  Academia  propositam  ita  tractabimus,  ut 
primum  quaestionem  generaliorem  solvamus: 

quales  esse  debeant  proprietates  corporis    motum  caloris   determi- 

nantes  et  distributio  caloris,  ut  detur  systema  linear  um  quae  sem- 

per  isothermae  maneant, 
deinde 

ex   solutione   generali   hujus   problematis   eos   casus   seligamus,   in 

quibus   proprietates   illae   evadant   ubique   eaedem,   sive  corpus  sit 

homogeneum. 

Pars  prima. 
2. 

Priorem  quaestionem  ut  aggrediamur,  considerandus  est  motus 
caloris    in    corpore   qualicunque.     Si  ii  denotat  temperaturam  tempore 


*)  Diese  Beantwortung  der  von  der  Pariser  Akademie  im  Jahr  1858  gestell- 
ten und  1868  zurückgezogenen  Preisaufgabe  wurde  von  Riemann  am  1.  Juli 
1861  der  Akademie  eingereicht.  Der  Preis  wurde  derselben  nicht  zuerkannt,  weil 
die  Wege,  auf  denen  die  Resultate  gefunden  wurden,  nicht  vollständig  angegeben 
sind.  Von  der  Ausführung  einer  beabsichtigten  ausführlicheren  Bearbeitung  des 
Gegenstandes  wurde  Riemann  durch  seinen  Gesundheitszustand  abgehalten. 


XXIT.     Commentatio  inathematica ,  qua  respondere  tentatur  etc.  371 

^  in  puncto  (x^,  X2j,x^  aequationem   generalem,  secundum  quam  haec 
functio  n  variatur,  hujus  esse  forniae  constat, 

r.  (        du     .  du     .  du\ 


7\(         ^^  _i_  ?ü  _j_  du\ 


^  /         du   _.  ^^  _i_  du\ 

,        "^  r^.l   g^    -t-  ^3,2  g^  i-  ^3,3  ^J    __        g^ 

"^  ^     ~         dx,      '  '~'^dt' 

Qua  in  aequatione  quantitates  a  conductibilitates  resultantes,  h  calorem 
specilicum  pro  unitate  voluminis,  sive  productum  ex  calore  specifico 
in  densitatem  designant  et  tauquam  functiones  pro  lubitu  datae  ipsa- 
rum  x^j  x^y  Xo.  spectantur.  Disquisitionem  nostram  ad  eum  casum 
restringimus,  in  quo  conductibilitas  eadem  est  in  binis  directionibus 
oppositis  ideoque  inter  quantitates  a  relatio 

intercedit.  Praeterea  quum  calor  a  loco  calidiore  in  frigidiorem  migret 
necesse  est  ut  forma  secundi  gradus 

/^l,l?    <^2,2>    ^3,3\ 
\^2,3;    %,1'    ^1,2/ 

sit  positiva. 

3. 


lam  in  aequatione  (I)  in  locos  coordinatorum  rectangularium  Xj^, 


^2}  •^3 


tres   variabiles    independentes   quaslibet  novas  s^,  Sg,  s^  introducamus. 
Haec  transformatio  aequationis  (I)  facillime  inde  peti  potest  quod 
haec   aequatio   conditio   est  necessaria  et  sufficiens,  ut,  designante  du 
variationem  quamcunque  infinite  parvam  ipsius  u,  integrale 

^^^    ^J  J  f^  ^'' '  ^  ^  ^^'  ^^^'  ^^^''  '^  i  ff^^^  ^^  ^^  ^^'  ^^^  ^^'' 

per  corpus  extensum,  solum  a  valore  variationis  du  in  superficie  pen- 
deat.     Introductis  novis  variabilibus  haec  expressio  (Ä)  transibit  in 

{B)    ö  IJJ  ^  b,, ,'  —-  1^  ds,  ds^  ds,  -{-  Cj  hhj^  du  ds,  ds^  ds., 
posito  brevitatis  causa 

y      ^^^  _  j         2 i 

^_^~ds^ds^ds,   —  ^^''»'^     ^^       d_s^  ds,  ds,   —  ^  • 
j^  -     r.r,  dx,^  dx.j  y^i  ^cxi  dx.^  dx._^ 

24* 


372  XXII.     Commentatio  mathematica,  qua  respondere  tentatur 

Quodsi  formarum  secundi  gradus 

(1)        (^^'^^    ^-'2>    ^3,3\  /9\        /^1,1J    ^2,2»    ^3,3\ 

determinantes  sunt  Ä^  B  et  l'oriiiae  adjunctae 

,3N        /«l.l;    «2.2>    «3,3\  /4>^        /ft,n    /32,2;    A.3\ 

V«,,3,    «3,1,    «i,J  VA,3;    A,n    ft,2/ 


invenietur 
et 

ideoque 

et 


.^j  —  ox^  cx.^  dx^ 
i,  t' 


/i  k 


J 

^5  1 


Unde  facile  perspicitur  transformationem  aequationis  (I)  reduci 
posse  ad  transformationem  expressionis  2Ja,^t'dXidXi-. 

Quae  quum  ita  sint,  problema  nostrum  generale  hoc  modo  solvero 
possumus,  ut  primum  quaeramus,  quales  esse  debeant  functiones  6,,,'  et 
h  ipsarum  s^,  s^,?  %?  ^^  ^  ^^  ^^^^  harum  quantitatum  non  pendert; 
possit.  Qua  quaestione  soluta  expressio  Z!  ßt,idSi  dSi'  formari  poteri  \ 
Tum  ut,  datis  valoribus  quantitatum  a,, ,'  et  quantitatis  h,  inveniamu;., 
num  ti  functio  temporis  et  duarum  tantum  variabilium  fieri  possit  tt 
quibusnam  in  casibus,  quaerendum  est,  an  expressio  illa  U ß,,i'  ds,d^.' 
in  formam  datam  transformari  possit;  et  hanc  quaestionem  infra  vid(  - 
bimus  eadem  fere  methodo  tractari  posse,  qua  Gauss  in  theoria 
superficierum  curvarum  usus  est. 

4. 

Primum  igitur  quaeramus,  quales  esse  debeant  functiones  &,,,'et  k 
ipsarum  5^,  5^,  S3,  ut  «*  ab  una  harum  quantitatum  non  pendere  possi.^. 
Ut  denotationem  simpliciorem  reddamus,  quantitates  Sj,  .Sg,  s^  per  cc,  ß,  y 
designemus  et  formam  (2)  per 


\a,  h\  c) 


si  i*  a  ;^  non  pendet,  aequatio  differentialis  erit  formae 

(II)     a  rr-z  +  2c  7-—Fr^  +  ?>--^  +  ^^—  +  /^ö-5-  —  f^öT  =  F  =0 

^     ^  da^    '  oaö^    '        C^^    '        Va    ^    '  d^  dt 


quaestioni  ab  lUma  Academia  Parisiensi  propositae.  373 

posito 

da  j^  de     .    db'  ^^     i    ^_^    i    ^^ f 

Tribueiido  ipsi  y  valores  determinatos  diversos  ex  aeqiiatione  (II) 
inter  sex  quotientes  differentiales  ipsius  ii  obtinebnntur  aequationes 
diversae,  quariim  coefficientes  a  y  non  pendent.  Quodsi  ex  bis  aequa- 
tiouibus  m  sunt  a  se  independentes 

I\  =  0,  ^2  =  0,  . . .,  F,n  =  0, 

ita  ut  caeterae  oinnes  ex  iis  sequantur,  aequatio  JF^  =  0  necesse  est  pro 
quo  vis  ipsius  y  valore  ex  bis  m  aequationibus  fluat  unde  F  formae 
esse  debet 

c,F,  +  c,F,-\ \-c,„F,n 

qua  in  expressione  solae  quantitates  c  a.  y  pendent. 

lam  casus  singulos,  quando  7H  est  1,2,3,4  paulo  accuratius  exa- 
minemus  simulque  aequationes  a  y  independentes,  in  quas  aequatio 
li"  =  0  dissolvitur,  in  formas  simpliciores  redigere  curemus. 

Casus  primus,  ni  =  1. 

Si  m  =  1,  in  aequatione  (II)  rationes  coefficientium  a  y  non  pen- 
debunt. At  introducendo  in  locum  ipsius  y  novam  variabilem  fkdy 
semper  effici  potest,  ut  Z;  fiat  ==  1,  quo  pacto  coefficientes  omnes  a  y 
evadent  independentes.  Porro  introducendo  in  locos  ipsarum  a,  ß  novar 
variabiles  semper  effici  potest,  ut  a  et  &  evanescant.  Hoc  enim  eve- 
niet,  si  expressio  hda^  —  2c  da  dß  -f-  adß'^  (quae  quadratum  expressionis 
differentialis  linearis  esse  nequit,  si  (2)  est  forma  positiva)  in  formam 
mdadß'  redigitur  et  quantitates  a,  ß'  tanquam  variabiles  indepen- 
dentes sumuntur. 

Aequatio  igitur  difi'erentialis  (II)  hoc  in  casu  in  formam 


2  c 


d'^u      ,       du    ,    j,du        du 


redigi  potest  et  in  forma  (2)  a,  h  tum  erunt  =  0,  cl  et  V  functiones 
lineares  ipsius  7,  et  c  a  y  independens.  Caeterum  patet,  teniperaturam 
in  hoc  casu  semper  a  y  independentem  manere,  si  temperatura  initialis 
sit  functio  quaelibet  solarum  a  et  /3. 

Casus  secundus,  m  =  2. 

Si  aequatio  (II)  in  duas  aequationes  a  y  independentes  discinditur, 

ope  alterius  -^  ex  altera  ejici  potest.     Brevitatis   causa   haec  ita  ex- 

liibeatur 

(l)  ^u  =  0 

illa 


374  XXII.     Commentatio  mathematica,  qua  respondere  tentatur 

(2)  ^»  =  ai 

denotantibus- z/  et  A  expressiones  characteristicas  ex  da  et  dji  coniiatas. 
Aequationem  priorem  facile  perspicitur  mutatis  variabilibus  inde- 
pendentibus  ita  transformari  posse  iit  sit  z/ 

vel  =  da 
valoribus  e  =  0,  f  ==  0  non  exclusis. 
Quoniam  sit 

0  =  ^^  ^u  =  zl  dtu  =  /i  Au 

ex  bis  duabus  aequatiouibus  (1)  et  (2)  sequitur 
(3)  zlAu  =  0. 

lam  duo  distinguendi  sunt  casus,   prout  haec  aequatio  (3)  vel  ex 
aequatione  (1)  fluat,  (a),  sive  sit 

JA  =  ®A 

denotante  ®  novam  expressionem  characteristicam,  vel  non  fluat,  {ß), 
novamque  aequationem  a,  ^ii  independentem  sistat. 

Casum  priorem   (a)   ut  saltem  pro   una  forma   ipsius  z/  perscru- 
temur,  supponamus 

^  =^dad(i+eda  +  fdi^. 

Tum  ^  Au  ope  aequationis  ^ii==0  ad  expressionem  reduci  potest, 
quae  solas  derivationes  secundum  alteram  utram  variabilem  contineat 
et  coefficientes  omnes  cifrae  aequales  habere  debeat.  Ponamus,  quum 
terminus  da  dß  continens  ope  aequationis  ^u  =  0  ejici  possit, 

A  =  ad   4-  hd.  A~  cd    -\-  dd. 

formemusque  expressionem 

^A  ~  AzJ. 

In  hac  expressione  quum  coefficientes  ipsarum  d'^,  d.  evanescere  debeant 
invenitur  0-0  =  0,  0—  =  0,  unde  si  casus  speciales  a  =  0^  h  =  0  ex- 
cluduntur,  mutatis  variabilibus  independentibus  effici  potest,  ut  sit 
a  =  6  =  1.  Tum  autem  invenitur  ponendo  coefficientes  ipsarum  d^,  d  . 
in  expressione  reducta  zfA  cifrae  aequales 

unde  poni  potest 


de  n  ^^       ^^ 9^/" 

Fß~'^d^'    d~oi~'^dß' 


quaestioni  ab  Illma  Academia  Parisiensi  propositae.  375 

dm  ^      ,    r^dn 


y/  =  ,7«  +  r^  +  2-^  a„  +  2  ^-^  a^ 


denotantibus  m,  n  functiones  ipsarum  «,  /3  quae  jam  duabus  aequa- 
tionibus  differentialibus  sufficere  debent,  ut  coefficientes  ipsarum  daj  d^ 
in  expressione  reducta  zfA  evanescant. 

Prorsus  simili  modo  in  reliquis  casibus  specialibus  formae  sim- 
plicissimae  ipsarum  J  et  A  inveniuntur  conditioni 

satisfacientes.  Sed  huic  disquisitioni  prolixiori  quam  difficiliori  hie  non 
immoramur. 

Caeterum  patet  in  hoc  casu  temperaturam  semper  a  y  independen- 
tem  mauere,  si  temperatura  initialis  est  functio  quaelibet  ipsarum 
a  et  ß  aequationi  z/if  =  0  satisfaciens;  sequitur  enim  ex  aequationibus 

Ju  =  0 

.  du 

^«  =  ji 

0  =  ®/lu  =  zJ All  = /ictU  =—^j-  et  proin  aequatio  z/if  =  0  sub- 
sistere  pergit,  si  initio  valet  et  functio  u  secundum  aequationem 
All  =  .  variatur.  Tum  autem  satisfit  legi  motus  caloris  sive  aequa- 
tioni F  =  0. 

5. 

Restat  casus  specialis  alter  (ß)  quando  zJ  Au  =  0  a  zJii  =  0  est 
independens.  Ut  simul  et  casus  sequentes  ni  =  3,  ni  =  4:  amplectemur, 
suppositionem  generaliorem  examinemus,  praeter  aequationem  z/w  =  0 
haberi  aequationem  differentialem   quamlibet  linearem  @u  =  0,  ipsum 

^-   non  continentem  et  a  z/u  ==  0  independentem. 

Si  z/  est  formae  dud^  +  e^«  +  fd^ij  ope  aequationis  /du  =  0  ex- 
pressio  0  a  derivationibus  secundum  ambas   variabiles  liberari  potest. 

lam  duo  distinguendi  sunt  casus. 

Si  ex  expressione  0  omnes  quotientes  dififerentiales  secundum 
alteram  utram  variabilem  ex.  gr.  secundum  ß  simul  excidunt,  obtinetur 
aequatio  differentialis  solos  quotientes  differentiales  secundum  a  con- 
tinens  formae 

V 

sin  minus,  semper  elici  poterit  aequatio  diflPerentialis  formae 


376  XXII.     Coramentatio  mathematica,  qua  respondere  tentatur 

(2)  2-1?  =  « 

sive  solos  quotientes  difFerentiales  secuudum  t  continens. 

Nam  in  hoc  casu  expressiones  Au,  J^hi,  A^u,  .  .,  quibus  quotientes 
differentiales  ipsius  u  secundum  t  aequales  sunt,  ope  aequationum 
ziu  =  Q,  @u  =  0  semper  ita  transformari  possunt,  ut  solos  quotientes 
differentiales  secundum  alteram  utram  variabilem  contineant  eosque  non 
altiores  quam  @u.  Quorum  numerus  quum  sit  finitus^  eliminando  ae- 
quationem  formae  (2)  obtineri  posse  manifestum  est.  Coefficientes  a, 
utriusque  aequationis  sunt  functiones  ipsarum  «,  ß. 

Observare  conveniet,  alteram  utram  harum  aequationum  semper 
valere  etiamsi  z/  non  sit  formae  Ca  c^  +  e  c«  +  /'r-y.  Casus  specialis, 
quando  J  =  d^-\-  eca  -\-  fcß  ad  utrumque  casum  referri  potest,  quum 
ope  aequationis  /In  =  0  tum  ex  &Uj  tum  ex  Au  omnes  derivationes 
secundum  ß  ejici  possint,  quo  facto  aequatio  utriusque  formae  facile 
obtinetur.  Si  f  =  0,  hie  casus  sicuti  casus  zi  ==  da  ad  casum  priorem 
referendus  est. 

lam  casum  posteriorem  accuratius  perscrutemur. 

Solutionem  generalem  aequationis 

e  terminis  formae  f(t)e^*  conflatam  esse  constat,  denotante  f(t)  functio- 
nem  integram  ipsius  i^  et  A  quantitatem  a  t  non  pendentem,  facileque 
perspicitur,  hos  terminos  singulos  aequationi  (I)  satisfacere  debere. 
lam  demonstrabimus,  fieri  non  posse  ut  sit  A  functio  ipsarum  x^,  x^,  x.^. 

Sit  Jcf"  terminus  summus  functionis  f{t)  distinguanturque  duo 
casus. 

P.  Quando  A  aut  realis  est  aut  formae  ^  -\-  vi  et  ^^v  functiones 
unius  variabilis  realis  a  ipsarum  x^,  x^,  x.^,  substituendo  u  =  f{t)€^^ 
in  parte  laeva  aequationis  (I)  coefficiens  ipsius  ^«  +  2ß'i<  invenitur 


_  7./^V  'V  du    du 

~^\dJ   2j  ^''''  dx^  dx/ 


Sed  haec  quantitas  evanescere  nequit,  nisi 
du  du  du  ^ 

dx^        dx^        dx^ 

sive  a  =  const.,  quum  forma 

ut  supra  monuimus,  sit  forma  positiva. 


quaestioni  ab  111™»  Acadernia  Parisiensi  propositae.  377 

2\  Quando  k  est  formae  ^i  -{-  vi  et  n,  v  sunt  functiones  inde- 
pendentes  ipsarum  ^Tj,  X2,  x^,  quantitates  ^  -\-  vi  et  ^i  —  vi  pro  varia- 
bilibus  independentibus  a  et  ^  sumi  poterunt  contiiiebitque  ipsum  11 
praeter  terminum  f{t)t^^  etiam  terminum  complexum  conjiigatum 
cp{t)e^^.     Quodsi 

d'^u    ,    7    d^u      ,       d'^u    ,       du    ,     ,.ru 

est;  ex  aequatione  zJu  =  0  substituendo  11  =  f\t)€f'^  et  aequando 
coefficientem  ipsius  ^"  +  ^e"^  cifrae,  obtinetur  a  =  0  et  perinde  c  =  0 
substituendo   u  =  (p{t)c^K     Fnde    ope    aequationis   z/w  =  0   aequatio 

ylii  = -—  ita    transformari    potest,    ut    solos    quotientes    differentiales 

secundum  alteram  utram  variabilem  contineat.     Sed  substituendo 

eoefficiens  summi  cujusque  horum  quotientium  difFerentialium  invenitur 
=  0,  unde  et  hi  quotientes  differentiales  ex  aequatione  Ju  =  yr 
omnos  excidere  debent,  q.  e.  a.,  quum  ii  ex  hyp.  non  sit  constans. 

In  casu  igitur  posteriori  fun^^tio  u  coniponitur  e  numero  finito 
terminorum  formae  f(t)e^-^ ,  in  quibus  l  est  constans  et  f\t)  functio 
integra  ipsius  t. 

In  casu  priori  quando  habetur  aequatio  formae 

(1)  2'-B=«' 

functio  u  erit  formae 


-=2 


^rlh 


denotantibus  Pxi  Ihy  -"  solutiones  particulares  aequationis  (1)  et  gj,  g'g, . . 
constantes  arbitrarias  sive  functiones  solarum  /3  et  t.  Quodsi  haec 
expressio  in  aequatione 

substituitur,  obtinetur  aequatio  formae 

in  qua  quantitates  Q  sunt  quotientes  differentiales  ipsarum  q  ideoque 
functiones  solarum  ß  et  t^  quantitates  P  autem  functiones  solarum 
a  et  ß.  At  tali  aequationi  supra  vidimus,  si  ex  n  terminis  compona- 
tur,  subjacere  ^i  aequationes  Hneares  inter  functiones  Q  ei  n  —  ^  ae- 
quationes  inter  functiones  F,  quarum  coefficientes  sint  functiones  solius 
/3,  denotante   ft    quempiam    numero rum  0,  1,  2,  .  .,  n.     Obtinebuntur 


378  XXII.     Commentatio  mathematica  qua  respondere  tentatur 

igitiir  expressiones  ipsanmi  ^  per  quotientes   diiferentiales   ipsariim  q 

secundum  ß  ab  ipsa  a  liberae. 

lam  casus  singulos  problematis  nostri  ad  Imnc  casum  pertinentes 
perlustremus. 

Quando  m  =  2  et  z/  est  formae  da  d^  -{-  eda  -\-  fdß  aequatio  re- 
dueta  zJylu  =  0,  si  a  quotientibus  differentialibus  secundum  ß  libera 
evadit,  formam  induet: 

dci^     '        Ca^     '        da 

unde  n  erit  formae 

ttj>  -{-  hq  ~\-  c 

denotantibus  a,  hj  c  functiones  solarum  ß  Qi  t,  p  Qi  q  autem  functiones 
solarum  a  et  ß.  lam  in  locum  ipsius  a  variabilis  independens  q  in- 
troduci  potest.     Quo  pacto  obtinetur 

u  =-  ap  -\-  h  a  -\-  c 
ubi  jam  sola  p  est  functio  ambarura  variabilium  a  et  ß.     Substituendo 
hanc  expressionem  in  aequationibus 

/iu  =  0  ,     .    Ali  =  -5:r 
üt 

coefficientium  formae  facile  eruuntur. 

Restat  casus  quando  jam  una  aequationum,  in  quas  aequatio  F'=  0 

discinditur^  formam  (1)  habet,  ideoque  formam 

d'^u    ,       du        ^ 
da^    '        dcc 

Tum  erit  u  ==  ap  +  h  denotantibus  a  ei  h  functiones  solarum  ß  et  f, 
et  p  functionem  solarum  a  et  ß.  Si  in  locum  ipsius  a  variabilis  in- 
dependens x>  introducitur,  prodibit 

u  =  a  K  ~\-  0,         ^2  =  ^'  • 

Invenimus  igitur,   si  m  sit  ==  2   sive    aequatio  F  =  0  in   duas  ae- 

quationes 

z/«f  =  0 

j  du 

Au  =  -oT 

öt 

dissolvatur,  esse  aut  A A  =  SA,  aut  functionem  ti  compositam  esse  e 
numero  finito  terminorum  formae  f{t)e^\  in  quibus  k  constans  et  f{t) 
functio  integra  ipsius  t  est,  aut  formam  induere 

9(ft  0  x(«,  ß)  +  «9>i(A  t)  +  ^,{ß,  t), 

si  m  =  3,  functionem  u  aut  esse   e  numero   finito  terminorum  f\t)e^^ 

conÜatam  aut  formae 

<p{ß,t)a  +  <f,{ß,t). 


quaestioni  ab  111^»  Academia  Parisiensi  propositae.  379 

Casus  denique  m  =  4  nullo  negotio  penitus  absolvi  potest. 

Si  enim  praeter   aequationem  Aa  =  --^  habentur  tres  aequationes 

inter 

d^u       d'^u       d^u     du     du, 

d^''  dVdß\  dß'''  ä^'  Wß' 

aut  prodibit  aequatio  forraae 

du    .      du       ^ 
'Wi  +  '^ß-^ 

et  proin  variabiles   iiidependentes   ita   eligere  licebit^  ut  u  fiat  functio 
imius  tantum  variabilis,  aut 

d^u       d^u       d'^u 

ideoque  etiam  An,  A^u,  ylhi  per  ^^  ^-ö  exprimi  poterunt.     Tum  au- 

tem  emerget  aequatio  formae 

d'^u    .    i^d'^u    .       du        ^ 

unde  u  habebit  formam 

2)6^'  -\-  qe^'^  -\-  r  vel  (/>  -f-  qt)c^-<  -\-  r 

constatque  per  praecedentia  /l  et  ft  esse  constantes. 

lam   sumta  p  pro  variabili  independente  «  et   substitutis  bis  ex- 

du  .         .  . 

pressionibus  in  aequatione  Au  ==  -^  invenitur  fieri  non  posse  ut  q  sit 

functio   ipsius   a,   siquidem  A   et   ft   sint  inaequales.     Ergo  p  et  q  vice 
variabilium    independentium    fungi    possunt.     Praeterea   ex    aequatione 

All  =  ^-   invenitur  r  =  const. 

In  boc  igitur  casu  u  aut  est  functio  ipsius  t  et  unius  tantum 
variabilis,  aut  alteram  utrani  formarum 

ae^*-\-  ße^'^  +  const.     («  +  /3/)e'-'  +  const. 
induet,  valore  ft  =  0  non  excluso. 

Postquam  formae  quas  functio  ti  induere  potest  inventae  sunt, 
aequationes  Fr  =  0,  quas  brevitati  consulentes  perscribere  noluimus, 
facillimae  sunt  formatu.     Unde  in  singulis  quibusqne  casibus  et  forma 

et  forma  adjuncta 

innotescet.     Si  jam    in    expressionibus    Zlß,,i  dSidsi   in    locos    quanti- 
tatum  6'i,  S.J,  ^3  functiones   quaelibet  ipsarum  x^y  x^,  x.^  substituuntur, 


380  XXII.     Commentatio  mathematica,  qua  respondere  tentatur 

manifesto   obtinebuntur   casus   omnes,   in  quibus  tt  functio  temporis  et 
duarum  tantum  variabiliura  fieri  possit.    Unde  quaestio  prior  soluta  erit. 
Superest  iit  quaeramus,  quando  expressio  2J  ß,^i'  dSi  dsi  in  l'ormara 
datam  ÜKi^i  dx^dxi'  transformari  possit. 

Pars  secunda. 

De   transformatione   expressionis  Eh,,i'  dSidSi  in   formum 

i,  i' 

datam  2J  «,.,'  dx^  dxc. 

Quum  quaestio  ab  IIP"*  Academia  ad  corpora  liomogenea  restricta 
sit,  in  quibus  conductibilitates  resultantes  sint  constantes,  evolvamus 
primum  conditiones,  ut   expressio  ^^1)1,1  dSidsc,  aequando  quantitates  0' 

functionibus  ipsarum  x,  in  formam  U  ai,i'  dxt  dXt  y   constantibus  coeffi- 

cientibus  a,,i'  affectam  transformari  possit.     Deinde  de  transformatione 
in  formam  quamlibet  datam  pauca  adjiciemus. 

Expressionem   Ea^^i'dXidXi',   si  est,  id   quod   supponimus,  forma 

positiva  ipsarum  dx,  semper  in  formam   2J  dx^   redigi  posse  constat. 


Unde   si    E  hi^c  ds^ds^'    in    formam    E  a^^i'  dXi  dxi  transformari  potest, 

t,  i        '  i,  i 

redigi  etiam  potest  in  formam  E  dx^   et  vice  versa.     Quaeramus  igitur, 

quando  in  formam  E  dx^  transformari  possit. 

Sit  determinans  E  -V\,^  \^^  .  .  .'bn,n=^  ^  et  determinantes   par- 
tiales  =  /3,,t'-,  quo  pacto  erit  E  ß,^^  &,,,'  =  B  et  E  /3,,i'  ht,i"  =  0,  si  i">i", 

Si  E  hl  t'  dSi  dsi  =  E  dx    pro    valoribus   quibuslibet   ipsarum    dx, 

substituendo  d  -\-  Ö    pro  d   invenitur    etiam   E  h.c  dSt  ösi  =  E  dXt  dxt 

pro  valoribus  quibuslibet  ipsarum  dx  et  dx. 

Hinc  si  quantitates  ds^  per  dXi  et  quantitates  dXt  per  quantitates 
dsc  exprimuntur,  sequitur 

et  proinde 

V 

Unde  porro  deducitur,  quoniam  sit 


quaestioiii  ab  111'"»  Academia  Parisiensi  propositae.  381 


dx  dx        ^  ^,,      'sn  ^^i  ^**'        ^^^ 

B 


(^)     ^  d8^  ds^.  ~  ^'''' '        W     ^  ^  ^  — 
et  (lifferentiando  formulam  (3) 

•^     d'^x      dx    ■     ^7     ^*a;      ^ dh,,i' 

laDi  ex  his  ipsarum 

expressionibus  eruitur 

,^s  2  V     ^'^      ^  =  ^^.i'    ,    ^Ki':_  _  ^^'.r 

et  si  haec  quantitas  per  Pi,i,i"  designatur 

Quantitatibus  p,^ ,-, ,"  iteriim  differentiatis  obtinetur 

<^s^-,  ^s^„  j^    ds^.ds^n    ds^ds^...  ^j  ds^.ds^..,    ds^ds^.. 

unde  tandem  prodit,  substitutis  valoribus  modo  inventis  (6)  et  (4) 
'^'Kr     ,     ^%;r'         ^'Kr'  ^^^^^ 


cs.ds.n     "^   ds,d8,n  CS,.  ÖS.,  csds... 

+  i_^    (i'r,  ,•,."■  iV,,,,"  —  i'v,,,,'"  i>^',  ,■,.")   "5^  =  0 

r,  v' 

Hujus  modi  igitur  aequationibus  functiones  h  satisfaciant  necesse 
est,  quando  Z!h,^,'  dSids,'  in  formam  Edx^  transformari  potest:  partes 

laevas  harum  aequationum  designabimus  per 

Ut  indoles  harum   aequatiomim  melius  perspiciatur,  formetur  ex- 
pressio 

ddy^h,,r  ds,  ds,'  —  2ddy^h,,r  ds,  ds,-  +  dd^h,,,-  8s,  ds,' 

determinatis  variationibus  secuiidi  ordims  d^^  ddj  d^  ita,  ut  sit 

d'V />,,,-  ds,  ds,'  —  ^  V^M'  ds,  d's,-  —  d^h,,,-  ds,  d's,-  =  0 

(5' V ?>,,,'  ds,  dsf  —  2dy]h,^,'  ds,  ö's,  =  0 

(3' V />,,,'  ds,  ds,-  —  2dV ?>,,,■  ds,  d's,  =  0, 


382  XXTT.     Commentatio  niathematica,  qua  respondere  tentatur 

denotante  d'  variationem  quamcunque.  Quo  pactö  liaec  expressio  iu- 
venietur 

(II)      =  ^{^^\  ^"^'")  {äs,  8s,'  —  ds,'  ÖS,)  (dsr  dsr'  -  ds,"  ^v). 

lam  ex  hac  formatione  hujus  expressionis  sponte  patet,  mutatis 
variabilibiis  independentibus  transmutari  eam  in  expressionem  a  nova 
forma  ipsius  U  h,^  i'  ds,  ds,'  eadem  lege  dependentem.  At  si  quantitates 
h  sunt  constantes,  omnes  coefficientes  expressionis  (II)  cifrae  aequales 
evadunt.  Unde  si  U  h,^  ,■  ds,  ds^  in  expressionem  similem  constantibus 
coefficientibus  affectam  transformari  potest  expressio  (II)  identice  eva- 
nescat  necesse  est. 

Perinde  patet^  si  expressio  (II)  non  evaneseat,  expressionem 

^(tt',  t"t"')  {ds^  Ss^.  ~  ds^.  Ss;)  {ds^..  Ss^ ds^,,.  8s^..) 

mutatis  variabilibus  independentibus  non  mutari^  insuperque  immutatam 
manere  si  in  locos  variationura  ds,,  ös,  expressiones  ipsarum  lineares 
quaelibet  independentes  ads,  -\-  ßös,,  yds,  -\-  dös,  substituantur.  Va- 
lores  autem  maximi  et  minimi  hujus  functionis  (III)  ipsarum  ds,,  ds, 
neque  a  forma  expressionis  U  h,^  ,•  ds,  ds,'  neque  a  valoribus  variationum 
ds,,  ÖS,  pe]idebunt,  unde  ex  bis  valoribus  dignosci  poterit,  an  duae 
bujusmodi  expressiones  in  se  transformari  possint. 

Disquisitiones  haece  interpretatione  quadam  geometrica  illustrari 
possunt,  quae*  quamquam  conceptibus  inusitatis  nitatur,  tarnen  obiter 
eam  addigitavisse  juvabit. 

Expressio  Y^h,^i'  ds,  ds,'  spectari  potest  tanquam  elementum  line- 
are in  spatio  generaliore  n  dimensionum  nostrum  intuitum  transcen- 
dente.  Quodsi  in  hoc  spatio  a  puncto  (s^,  s^,  .  .  s„)  ducantur  omnes 
lineae  brevissimae,  in  quarum  elementis  initialibus  variationes  ipsarum 
s  sunt  ut  a  ds^  -\-  ß8s^\  a  ds^  -\-  ßös.^:  .  ,  .:  a  dSn  +  ß^Sn,  denotantibus 
«  et  /3  quantitates  quaslibet,  liae  lineae  superficiem  constituent,  quam 
in  spatium  vulgare  nostro  intuitui  subjectum  evolvere  licet.  Quo  pacto 
expressio  (III)    erit    mensura    curvaturae    hujus    superficiei    in    puncto 

(^O    S,,    ..,   Sn){'). 

Si  jam  ad  casum  w  =  3  redimus,  expressio  (IT)  est  forma  secimdi 
gradus  ipsarum 

ds^  8^  —  J.%  ds^,  ds.^  ös^  —  ds^'^s.^,  ds^  ös^  —  ds.^  ds^ 

unde  in  hoc  casu  sex  obtinemus  aequationes ,  quibus  functiones  h 
satisfacere  debent,  ut  Hh,^,'  ds,  ds,-  in  formam  constantibus  coefficien- 


quaestioni  ab  Illma  Academia  Parisieusi  propositae.  383 

tibus  gaudentem  transforraari  possit.  Nee  difücile,  ope  notionum  modo 
traditarum,  est  demonstratu ,  has  sex  conditiones,  ut  lioc  fieri  possit, 
sufficere.  Observandum  tarnen  est  ternas  tantum  esse  a  se  indepen- 
dentes. 


Tarn  ut  quaestionem  ab  Hl"*  Academia  propositam  persolvamus, 
in  bis  sex  aeqiiationibus  formae  functionum  h,  methodo  supra  exposita 
inventae,  sunt  substituendae,  quo  pacto  omnes  casus  invenientur,  in 
quibus  temperatura  u  in  corporibus  homogeneis  functio  temporis  et 
duarum  tantum  variabilium  fieri  possit. 

Sed  angustia  temporis  non  permisit  hos  ealculos  perscribere. 
Contenti  igitur  esse  debemus,  postquam  methodos  quibus  usi  sumus 
exposuimus,  solutiones  singulas  quaestionis  propositae  enumerasse. 

Si  brevitatis  causa  casum  simplicissimum,  quando  temperatura  u 
secundum  legem 

^^^  Jocf  "T  TxJ  "^  dxi  ~  ^^  'dl 

variatur,  solum  respicimus,  ad  quem  casus  reliquas  facile  reduci  posse 
constat:  casus  m  =  1  tum  tantum  evenire  potest,  quando  w  est  con- 
stans  aut  in  lineis  rectis  parallelis,  aut  in  circulis  helicibusve,  ita  ut 
coordinatis  rectangularibus  0j  rcoaq),  rsinq)  rite  electis,  poni  possit 
a  =  r^  ß  =  .'i  -\-  cp  .  const. 

Casus  m  =  2  locum  inveniet  si  u  ==  f(a)  +  9^(ß),  casus  m  ==  3, 
si  «  =  «e^' + /"(/J),  denotante  A  constantem  realem,  casus  denique 
m  =  4,  ut  jam  supra  invenimus,  si  u  est  aut  =  a&-^  +  ß^^^  +  const., 
aut  =(«-("  ßt)(^^  +  const.,  aut  =  f{ci). 

lam  ut  formae  functionis  u  penitüs  innotescant,  annotari  tantum 
opus  est,  temperaturam  tif  nisi  sit  formae  ac^-^ ,  tum  tantum  functionem 
temporis  et  unius  variabilis  esse  posse,  quando  sit  constans  aut  in 
planis  parallelis,  aut  in  cylindris  eadem  axi  gaudentibus,  aut  in  sphae- 
ris  concentricis.  Si  u  est  formae  «^^',  ex  aequatione  diiferentiali  (1) 
sequitur 

€x^     '     dxl     '     cx^ 

et  perinde  in  casu  quarto  substituendo  valores  ipsius  n  in  aequatione 
diiferentiali  (I),  functiones  «  et  ß  facile  determinantur,  dummodo  ani- 
madvertas,  in  hoc  casu  ac^'  et  ße^'^  esse  posse  quantitates  complexas 
conjugatas.('^) 


Anmerkungen. 

1)  (Seite  382).  Diese  Untersuchungen  hängen  aufs  Innigste  zusammen  mit  der 
Abhandlung  „lieber  die  Hypothesen  welche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen" 
(S.  254).  Die  folgende  Ausführung  Riemann 'scher  Vorschriften,  welche  einen 
Auszug  aus  einer  (umgedruckten)  Untersuchung  R.  Dedekind  über  diesen 
Gegenstand  bildet,  wird  zur  Erleichterung  des  Verständnisses  des  Textes  bei- 
tragen. 

Es  sei  das  Quadrat  des  Linienelements  im  Räume  von  w  Dimensionen 


ds^  =    ^   b,    ,  ds,  ds. 


wenn 


Dann   ergeben   sich   zur  Bestimmung  der  kürzesten  Linien  die  Diiferential- 
gleichungen 

(1)  .v^-.^-i''^2'^?5^ 

.^^      '^  dr  ^J    CS,,     dr    dr 

i  i,  i'         i" 

und 

Vi,  .^^  =  1 

^    •'•  dr    dr 

l,  l' 

=jy^^K,,'ds,ds, 

die  Länge  der  kürzesten  Linie  selbst  von  einem  willkürlichen  festen  Punkt  0 
bis  zu  einen  variablen  Punkt  bedeutet. 

Man  führe  nun  ein  System  neuer  Variablen  ein  vermittelst  der  Substitution 
.T,  =  rci,  a?2  =  rc2,  .  .  .,  x,^  ==  rc^, 
worin  die  Grössen  e<   die  Bedeutung  haben: 

'dt 


\drJo 


so  dass  zwischen  denselben  die  Relation  besteht: 

und  dass    dieselben  längs  einer  jeden,    vom  Punkt  0  auslaufenden  kürzesten 
Linie  constant  sind. 

Ist  nun,    in    den    neuen   Vaiaablon   ausgedrückt,    das  Quadrat    des  Linien- 
elements 

ds^  =  ^^  a^^,  dx^  dx^. 


Anmerkungen.  385 

80  folgt  leicht,  indem   man   längs   einer  von  0  auslaufenden  kürzesten   Linie 
fortschreitet 

(2)  ^ ":'■'•'•■  =  2  <'■''''■  =  '■ 

Drückt   man    die  Differentialgleichungen    der    kürzesten  Linien    in   den  neuen 
Variablen  aus,  so  ergiebt  sich 

t  t,  i  /" 

woraus  folgt 

wenn  zur  Abkürzung  gesetzt  ist 

^ /''''''  ex.    "^     dx^  dx^^  ' 

die  Gleichung  (3)  läset  sich  auch  so  schreiben : 

da,.  ^^r\da 


Setzen  wir  nun  zur  Abkürzung 

i  '  t  ^ 

so  lässt  sich  die  Gleichung  (3')  schreiben: 

Setzt  man  ferner 
so  folgt  hieraus: 

und  hieraus: 

d(o,,         d(o„  .«r-T    ;^     /^o),.         dl 


^  -  —  +  V  —  (^^  -  —\  ^  =  0 


woraus  hervorgeht,  dass  die ö —  homogene  Functionen  der  (—  l)ten 

Ordnung  sind.     Bezeichnen  wir  eine  solche  mit  f{x^^  a;^,  .  .  »t«),  so  hat  man 

f{tx^,  tx.,,  .  .  txj  =  t-^  f{x,,  x^,  .  .  x^). 
Setzt  man  daher  voraus,  dass  die  Coefficienten  a^  ^.  und  ihre  Ableitungen  im 
Punkte  0  bestimmte  endliche  Werthe  haben,  so  folgt,  wenn  man  ^  =  0  setzt, 

c<a  cco^ 

dass  die  Function  /identisch  verschwinden  muss,   dass  also  ö —  =^  - —     i>t. 

^  cXy        c -i-^^ 

Bismann's  gesammelte  mathematische  Werke.    I.  25 


386  XXII.    Commentatio  mathematica  etc. 

Es  ist  also  auch 

r 

und  daraus  ergiebt  sich  mit  Hülfe  von  (3'): 


^^     dar,.       '         .^^    doc.       * 


2 


da,,  ,  'sr-T  da.  .. 


J—L /y    ly  .    ^ 


'.  < 


X,  ^,    =  >       --r— ^ X.X,,    =    0 


und  durch  Integration  der  DiiFerentialgleichungen  der  kürzesten  Linie: 

i  i 

Bedeuten  nun  t^  ^,  ==  t^,  ^  irgend  welche  Functionen  von  x^ ,  x.j,,  .  .,rc^^,  welche 
mit  ihren  Ableitungen  bis  zur  dritten  Ordnung  einschliesslich  im  Punkt  0  be- 
stimmte endliche  Werthe  haben,  und  besteht  die  identische  Gleichung 

i,  i' 
so  folgen  daraus,  wenn  man  dreimal  difFerentiirt,  und  nach  der  Differentiation 
x^  =  0  setzt,  die  für  den  Punkt  0  gültigen  Gleichungen: 

d^ct'     ,    dt^-  .         et    .. 

Setzt  man  hierin  t^  ^,  ==  p    ^  ^, ,  so  ergiebt  sich  für  den  Punkt  0 
^      dPc,t',c-     ,    dp    •,   •.        dp    •    •. 

Aus  der  ersten  derselben  erhält  man  durch  Addition  von  j)^-  ^  j-  =  0 

da,  ,, 

=  0,       im  Punkt  0, 

/    ö'a^  ,.               c'a^  ^„            ö'a^  ^.„  \         d'^a,.  ^„.          d^a^.,,  ^,          d'^a.   ,, 
2  I  ^ \ -iL I i'_i )  = i-ii ] i_ii i i^:*-. 

\dx^ncx^.<.         dx^.„dx^.        dx^.dx^'>J         dx^dx^,        dx^cx^,,         dx^dx^.,, 

Vertauscht  man  hierin   i  und  i ,  addirt  und   bezeichnet  mit  S  die  Summe  der 

d'^a^  ,' 
sechs  Derivirten  von  der  Form  7^^ 7^ ,  so  folgt 

■d^a,.  ,..  d'a. 


(5) 

dx,, 

"  = 

aus  der  zweiten 

/    d^a,  ,. 

d'a, 

d'a 

\dx^dx,         dx^n  dx^;, ) 


und  da  S  sich  nicht  ändert,  wenn  man  t",  i"  mit  t,  l    vertauscht: 


2/,  ;^2, 


(^)  dx^dx,         dx,,dx..,^ 

d''\e        .       ^'«..."       .      d'^a^,,,  d^a 


(7)  '21 I 11: I ''!_  =  L2-' I 1-iI-  -1 "Lil^  =  0 

^  '  dx^..dx^n,    '    dx^,.,dx^,        dx^cx,,        Ix^dx,         cx^cx,,        cx^vx,.,         ' 

im  Punkt  0. 


Anmerkungen.  387 

Nun  ist  das  Quadrat  eines  vom  Punkt  0  aubgehenden  Linienelementes 

t,  i 

Für  ein  vom  Punkt  öx^,  Öx.^,  .  .,  8xn,   der  dem  Punkt  0  unendlich  nahe  ist, 
ausgehendes  Linienelement  haben  wir 

^''-  =  2 «Iv  ''*■. <^^.-  +  2* (4^")/ "■•••■  d^.dx, 


1,1  ,  i  ,1 


Hierin  verschwindet  nach  (5)  das  zweite  Glied  auf  der  rechten  Seite,  und  das 
dritte  Glied  lüsst  sich  nach  (6)  so  schreiben: 

^dd  ^  a^^<  8x^8x^.  =  \dS  ^^  a^  ^dx^dx^. , 

i,  i'  i,  i 

wenn  die  Variationen  zweiter  Ordnung    ddx^,  ddx^,  ddx^^  8dx^  gleich  Null 
sind.     Unter  derselben  Voraussetzung  erhält  man  leicht  aus  (7) 

dd^  a^^^.  dx^dx^,  -\-  2dd  ^  a^  ^.  dx^d  x^    =  0, 

i,  i  i,  i' 

wodurch  sich  ergiebt: 

d  d  ^^  a^^  j.  ö  x^  8  x^. 

=  ^  Idd^a^^^.  8xjx^.  —  2d8  '^a^^^.  dxjx^.  +  8 8  ^ a^  ^.  dx^dxA  , 

welches  wieder  in  die  Form  gebracht  werden  kann: 

|-     >    p-; — ' {dx^8x^..  —  8x^dx^,)  {dx^.  8x^:<   —  8x^^.  dx^-) , 


1,1    ;  l  ,1 


wenn  die  Summe  nur  auf  die  von  einander  verschiedenen  Paare  der  Indices  t,  i 
und  der  Indices  t',  l"  ausgedehnt  wird.     Hieraus  folgt  endlich: 


rf6'2    =    dS,-' 


(8)  .1^       c'a^  ,. 

'^  ^  2j  ä^:ra^^'^^'^^'"  ~  sx^dx^;)idx^.sx^...  -  8x.dx,..). 


1,1   ;  t  ,1 


Werden  nun  an  Stelle  der  Variablen  x^  beliebige  andere  eingeführt,  so 
bleiben  die  Gleichungen  (4),  (5),  (6),  (7)  nicht  bestehen,  noch  werden  die  Variationen 
zweiter  Ordnung  ddx^,d8x^,  8dx^,  88x^  verschwinden.  Wir  müssen  daher  darauf 
ausgehen,  die  Bedingungen,  auf  denen  die  Bildung  des  Ausdrucks  (8)  beruht  in 
eine  Form  zu  bringen,  welche  bei  Einführung  beliebiger  Variablen  ungeändert 
bleibt.  Dies  erreichen  wir,  wenn  wir  an  Stelle  der  Gleichungen  (5),  (6),  (7)  die 
folgenden  setzen: 

dd^a^^.8x,Sx^.  =  8d^a^.dx,dx^.  =  -  2d8 ^a^^^.  dxjx,. , 
i,  t'  i,  i  i,  t' 

woraus  hervorgeht: 

26* 


388  XXII.     Commentatio  mathematica  etc. 

(9) 

'»'■  1,1  1,1 

und  wenn  wir  die  Variationen  zweiter  Ordnung  so  bestimmen,  dass  für  eine 
beliebige  Variation  8'  die  Gleichungen  erfüllt  sind: 

^'^\^'  ^^^^^^'  =  ^\^'  dd'x^Sx,  +  ^a,  ,.  dx^öd'x,, 
1,1  t,i'  i,i' 

(^  2\  c  ^\  ^^V  =  ^\  c  d  8'x^  dx,  , 

^2\c'  dxj'x,  =  ^a^,,  dxjd'x., 
i,  i  t,  i' 

woraus  folgt: 

(10)     S'  ^a^  ^.  dx^8x^,  —  d^a^  ^,  d'xjx^.  —  d  ^ct^  ^,  dx^d'x^,  =  0, 

i,  i'  i,  i'  i,  i 

und  wenn  man  d  ==  d  setzt: 


(11) 


ö'  ^  a^^:  dx^  dx^.  —  2d  ^  a^^.  dx^  8'x^,  =  0 

t,  C  i,  t' 


Die  Bedingungen  (9),  (10),  (11)  sind  für  beliebige  Variable  x^  nach  demselben 
Gesetz  gebildet. 

Aus  (10),  (11)  folgen  noch  für  die  Variationen  zweiter  Ordnung  die  Glei- 
chungen : 

i  t,  i' 

2  2^^.,  ,dSx,==-  ^p,,  ,^  ,  dx^  8x, 
i  t,t' 

2^a,.,  88x^  =  -  ^P,,,,,  dxjx, 
i  i,  i 

woraus  man  leicht  den  Ausdruck  erhält: 

dd^a^  ^,Sx^8x^,  —  2d8 ^a^  ^.  dxjx^,  -f  88  ^a,,,>  dx^dx^. 

i,  t'  i,  i  I,  i 

=   ^  (tt',  ^"^"')  {dx^Sx^.  —  8x^dx^,)  {dx^,,  8x^n,  —  8x^ndx^,.,)^ 
1 1',  i"  t'" 
wenn  das  Summenzeichen  ebenso  verstanden  wird  wie  oben,  und  (ii,  i"  i")  die- 
selbe Bedeutung  hat,  wie  im  Riemann'schen  Text. 

Aus  diesem  Ausdruck  erhalten  wir  nun  das  Krümmungsmaass  unseres  all- 
gemeinen Raumes.     Es  seien  nemlich 


ds  =y  2J^a^^^.  dx^dx^, ,     Ss  =  1/2;«,^^' ^OJ^^rc^. 


Anmerkungen.  389 

zwei  Liuienelemeutc  in  demselben ,  und 


008-9- 


dsds 
der  Cosinus  des  Winkels  den  sie  einschliesyen. 

Der  Flächeninhalt  des  von  denselben  gebildeten  unendlich  kleinen  Dreiecks 
ist  dann 

A  =  V  dsds  sin-Ö" 
und  es  ergiebt  sich 

4A^'  ^^a,,d,r^cLc.^a,,öxJj'^.  -  [^  a^,.  dx^d  x^J' 

,  I,  i'  /.  i'  i,  i' 

^  ^  Ki'  ^c",i ^t\i'(^i,i")  {d^,Sx^>.  —  8x^dx^.<)  {dx^.Sx^ dx^.dx^...), 

t  i",  i  i" 

wi^s  für  das  Krümmungsmaass  den  Ausdruck  giebt: 

d  d    ^  «,    .  8  X,  S  X  . 


dd^^k^    •  bx^8x.   -   'Idd^a^  ^.  dx^Öx,.  +  ^  Ö  ^  a^  ^.  dx^dx^. 
,  t,i'  ,  ■  i,t'  t,  i' 

^a,  ^.dx^dx,  ^a,^.Sx^dx,  -  (^'^ a,  ,  dxj x,y 

i,  i  t,  t'  I,  i 

Es  ist  nun  noch  nachzuweisen,  dass  dieser  Ausdruck  mit  dem  übereinstimmt, 
den  Gauss  für  das  Krümmungsmaass  einer  Fläche  aufstellt,  wenn  wir  eine 
Fläche  betrachten,  welche  von  solchen  kürzesten  Linien  gebildet  wird,  in  deren 
Anfangs  dementen  die  Variationen  der  x  sich  verhalten  wie 

ci  dXi  -j-  ß  ^^i  '  ^  <^^2  +  ß  ^^2  :•..:«  dx^  -\-  ß  ^.r , , 
wenn  a  und  ß  beliebige  Grössen  bedeuten. 

Wir  setzen  wie  oben  x^  =  rc^,  so  dass  die  c^  in  jeder  vom  Punkt  0  aus- 
laufenden kürzesten  Linie  constant  sind,  und  r  die  Länge  dieser  kürzesten  Linie 
bis  zu  einem  unbestimmten  Punkt  bedeutet.     Dann  ist,  wie  oben  gezeigt, 

i,  l'  i,  i 

Legen  wir  nun  zwei  feste  Systeme  der  Grössen  c^  zu  Grunde,  c^^^  und  c-    und 
betrachten  ein  veränderliches  System 

(12)  c,  =  «cf +  ^-;.     ■ 

80  haben  wir  hiernach: 

«2  4-  2aß  co8(/^\  r)  -f  ß-  =  1 
wodurch  die  Grössen  c^  in  Functionen  einer  einzigen  Variablen  übergehen,  für 
welche  wir  den  Winkel  g?  nehmen  können,  den  das  Anfangselement  von  r  mit 
dem  Anfangselement  von  r^^  bildet,  und  der  sich  aus  dem  Ausdruck  ergiebt 


390  XXIT,     Commentatio  mathematica  etc. 

Wenn  sich  mm  die  Grössen  r,  c^  um  die  unendlich  kleinen  Grössen  dr,  de 
ändern,  welche  der  Bedingung  genügen: 

2'«r.o.rfe,  =  0, 

SO  ergiebt  sich  mit  Hülfe  der  Gleichungen  (4) 

^  \  i  c.  ^^.'  =  2^  <!'  ^.  ^^^.'  =  0  . 
'.  t'  t,i' 

Ferner  haben  wir 

dx^  =  r  dc^  -\-  Cj  dr, 
also :  ^ 

rfs^  =   ^  a^  j.  fLr^  <Z.«j.  =  dr'^  +  r=^  ^^  a^^.  dc^dc^.  =  dr^  +  r^fid(p^, 

i,  i  i,  i' 

wenn  zur  Abkürzung 

^  a^  ^dc^dc^,  ^  fidcp'' 
i,  i 
gesetzt  wird. 

Nun  haben  wir  aber: 

cos^  =  y^«W.c^c;?),    -  sintpcZ^)  =  Va;^).c[ö)6Zc. 


t,  t'  l,   t' 

und  aus  (12)  folgt  ein  Ausdruck  von  der  Form 

dc^  =  acf  ^hc^', 

also : 

—  %incp  dcp  =  a  -\-  h  cosqp , 

0  =  a  cosqp  4"  ^• 

Hieraus  durch  Elimination  von  a  und  h: 

sinqp  dc^  =  cZqp  (c^  cosqp  —  cJ^M  • 

Daraus  folgt  weiter 


J(p2  =  ^a;o),(Zc,^c 


und  mithin 


^a^^^'dcjc^. 


i,  t 

Bezeichnen  wir  diesen  Ausdruck  durch  —-,  so  erhalten  wir  die  Form,  welche 
Gauss  dem  Linienelement  auf  einer  beliebigen  Fläche  gegeben  hat,  nämlich: 

ds^^  ==  dr^  4"  in^dcp'^ 

(Disquisitiones  generales  circa  suiDerficies  curvas  art.  19)  und  für  das  Krümmungs- 

maass  ergiebt  sich 

1    d'^m 

m    01 


Anmerkungen.  391 

Ist  nun  die  Oberfläche  im  Punkt  r  ==  0  stetig  gekrümmt^  so  i«t  in  diesem 
Punkt 

dm  c^m 

'"  =  "'  w^''  a77  =  »' 

und  daher  in  diesem  Punkt 

Für  die  Function  ^i  ergiebt  sich  hieraus  für  denselben  Punkt 

Die  beiden  ersten  dieser   Gleichungen   sind  in  Folge  von  (13),  (5)  befriedigt; 
aus  der  dritten  ergiebt  sich 

Vi. 


2„(^^^o''''^''''^''^ 


k = -  ii 


^a^^\dc.dc. 


t, ' 


was  mit  dem  oben  gefundenen  Ausdruck  übereinstimmt. 

2)  (Zu  Seite  383).  Die  vollständige  Verification  der  hier  aufgestellten  Schluss- 
resultate scheint  noch  verwickelte  Rechnungen  zu  erfordern,  die  ich  aus  den 
sehr  unvollständigen  vorhandenen  Bruchstücken  nur  zum  Theil  herstellen  konnte. 
Was  sich  daraus  entziffern  Hess,  theile  ich  hier  mit  in  der  Hoffnung,  dass  es 
bei  einem  erneuten  Versuch,  die  Resultate  vollständig  herzuleiten,  als  Grund- 
lage dienen  könne. 

Wir  beantworten  zunächst  die  Frage,  in  welchen  Fällen  die   Temperatur 
ausser  von  der  Zeit  nur  von  Einer  Veränderlichen  abhängt.     In  diesen  Fällen 
hat  die  Differentialgleichung,  nach  welcher  die  Bewegung  der  Wärme  geschieht, 
die  Form 
.,,  d'^u    ,    T_du       du 

Cci^  Cd         et 

Wenn  nun  die  Coefficienten  «,  Jj  nicht  Functionen  der  einzigen  Variableu 
a  sind,  so  zerfällt  diese  Differentialgleichung  in  die  beiden  folgenden: 
,d'^u.^,du       du  „c'-u    .    j„du 

da^  du        dt  '  Cd'  ca 

worin  a\  h\  a" ,  h"  nur  von  cc  abhängen. 

Durch   Einführung    einer   neuen  Variablen  an  Stelle  von  cc  lässt  sich  die 

zweite  dieser  Gleichungen  in  die  Form    ^  ^  =  ^  bringen,  so  dass  u  die  Form 

erhält  Ui  a  -{-  u^,  wenn  Mj  ,  u.^  Functionen  der  Zeit  allein  sind.     Die  erste  der 
obigen  Gleichungen  nimmt  dann  die  Gestalt  an 

,       .du       du 

{ca  +  Ci)  W--  =  TTT  » 
^    da        et 

worin  c,  q  Constanten  sind.     Daraus  folgt  nun  weiter 

du.  d  u., 

also  hat  u  die  Form  ac^^  -\-  const. 


392  XXII.     Commentatio  m'4thematica  etc. 

Wenn  aber  in  der  Differentialgleichung  (1)  die  Coefficienten  «,  h  schon 
Functionen  von  a  allein  sind,  so  können  wir  unbeschadet  der  Allgemeinheit 
6=0  annehmen  (durch  Einführung  einer  neuen  Variablen  für  a),  und  da  die 
Differentialgleichung  (1)  durch  Transformation  aus  der  Gleichung 

c^u       c^u    ,    d^u f  u 

dV^  "^  Fp  "^  Fz''  ~~  dt 

hervorgegangen  sein  muss,  so  kommt  unsere  Aufgabe  auf  die  folgende  zurück: 
Es  sollen  alle  Functionen  cc  der  Coordinaten  x,  y,  z  gefunden  werden,  die 
den  beiden  Differentialgleichungen  . 

^  =  ä^^  +  ä?  +  ä^  =  ''    ^  =  te) +W +lä7;  =^^") 

zugleich  genügen. 

Wir  setzen  zur  Abkürzung: 

Cd  da  c  cc  .>..>.      9 

c  X      -^  '    oy        -^^    dz  >/      i-ii 

und  haben  nun  vier  Fälle  zu  unterscheiden: 

1.     Wenn  p,   q,  r  von  einander   unabhängige  Functionen  der  Coordinaten 
ic ,  2/ ,  ^  sind ,  so  ist  a  eine  Function  von  m ,  cp  (m) ,  und  wir  können  p,  q,  r  als 


Ul 

labhängige 

Variable 

an 

Stelle  von 

X,  y,  z 

•  einführen.     Setzen 

wir 

so 

s  = 
>  folgt: 

=  K  —  px 

X  = 

— 

qy  —  rz, 

ds 

Tp'  y  = 

ds  = 

CS 

—  xdp 

z  =  — 

—  y  d^.  —  ^ 

ds 
dr' 

■dr, 

a  = 

s  - 

ds 
-^dp- 

CS 

,cs  _ 
dr~ 

cp{m). 

Setzt  man 

s  =  ip{m)  +  i 

und  bestimmt  die  Function  ip{m)  aus  der  Differentialgleichung 

tp{m)  —  2mip'{ni}  =  qp(m), 

so  ergiebt  sich  für  t  die  partielle  Differentialgleichung  erster  Ordnung 

dt           dt  dt 

t  —  p  ^ q- r-^  =  0, 

cp  cq  er 

deren  allgemeine  Lösung  ist: 

wenn  %  eine  willkürliche  Function  bedeutet  und  zur  Abkürzung 


gesetzt  wird. 

Wir  haben  also 


"^       p      '       P 


ds 
X  ^j-  =  2pip'{m)  +  X-  ßx'iß)  —  YX  (y) 


(2)  -  2/  =  1^  =  2q^'{m)  +  xiß) 

eq 

'  ds 
—  z  =  j^  =  'ir^'im)  -\-  x{y) 


Anmerkungen.  393 

Nun  folgt  aus  der  Gleichung 

dx   *   dy   ^   dz 
durch  Einführung  von  j),  Q,  ^  als  unabhängige  Variable 

^^  _^^^   xdz_dx_      d^dz_   .d_x  cy       dy  dx 
dq  dr       dq  dr    *   dr  dp~^  dr  dp       dp  rq~  cp  Wq"^     * 
oder  durch  Substitution  von  (2) 

VI  ( 12  t/;'  {mY  +  16  w  i/;'  {in)  7p"  (?w)) 


und  da  vi,  ß,  y  von  einander  unabhängige  Variable  sind,  so  spaltet  sich  diese 
Gleichung  in  die  drei  folgenden: 

^^  dß'^'ry'^        [dßdy)         {i-fß^-^y^' 

(4)  (^^4-l)e;^  +  2|5y||^+(y^  +  l)J^=^,^^ 

(5)  in  (l2i/)'  (w)^  +  16 m  ip'im)  i/;"(»0)  +  ^'i  "/»^(^t/j'Cw)  +  Am7p"(m))  -f  Z;  =  0  , 

worin    k,  l\    unbestimmte    Constanten   bedeuten.     Führt   man    an    Stelle    der 
Function  x  eine  neue  Function  Xi  ein  durch  die  Gleichung 


so  gehen  die  Gleichungen  (3),  (4)  in  folgende  über: 


(6) 


dß^    dy''        \dßdy/         (i  -^  ß'^ -\- y-^f  ^ 

(T)  iß'^  +  ^)  1^  +  ^^^5f^  +  (y^  +  ^)  ^  =  '- 

Diese  Gleichungen  können  aber  nur  dann  zusammen  bestehen,  wenn  Xi  eine 

lineare  Function  von  ß,  y,  und  folglich  Ä:'  =  0  ist;  denn  betrachten  wir 

^^        P  a^        ^ay'     dß'     dy 
als  rechtwinklige  Coordinaten,  so  ist  (6)  die  Differentialgleichung  einer  Fläche 
mit    constantem  Krümmungsmass,   (7)  die    einer    Mininialfläche,    zwei    Eigen- 
schaften ,  die  bekanntlich  nur  bei  der  Ebene  zusammentreffen. 

Hieraus  ergiebt  sich,  wenn  «,  ö,  c  Constanten  bedeuten,  für  x  ein  Ausdruck 
von  der  Form : 

X  =  a-^bß-\-  cy  -\.  \  k,  yr+ß^~rfy 
und  die  Gleichungen  (2)  gehen  in  folgende  über: 

^A-,  4-  2ymip'{m) 


X  -{-  a  =  — 
y  +  h  =  - 


Vl  +  ß'  +  Y' 


394  XXII.     Commentatio  mathematica  etc. 

-         (u-, +2j/wV(»0)y 

Vi  +  ß'  +  y' 

{X  +  ay  +  (!/  4-  by  +  (^  +  cy  =  (i-/.-,  +  2>^7/,'(m))% 

woraus    folgt ,    dass    die    Flächen    a  =  const.    oder   vi  =  const.    concentrischc 
Kugeln  sind. 

2.  Wenn  zwischen  den  Variablen  p,  q,  r  eine  von  den  Coordinaten  x^  y,  z 
freie  Gleichung  besteht,  so  kann  r  als  Function  von  p,  q  angesehen  werden, 
und  wir  haben 

clr  =  a  dp  -{-  h  dq, 
wenn 

dr  dr       da  db 

~  dp'         ~  dq'      dq  ~  dp 
gesetzt  wird.     Hieraus  folgt: 

dp          dp  ,    ,dp       dq          ^<1    X    i^Q       ^f           dr    ,    ,dr 
cz          dx  dy      dz          dx         dy       dz          dx         dy 
Wenn  nun  nicht 

(8)  p'  -\-  q^  -\-  r^  =  const. 

ist,    so  wird  a  von   denselben  beiden   Variableu  abhängen    wie  p,  q,  r,    und 
daraus  geht  hervor: 

r  =  aj)  -\-  bq 
und  durch  Differentiation: 

da,      db        ^         da,      db 
^  dp          dp  ^  dq  cq 

dadbdadb^^ 

(9)  ^-  TS ^-  ,^  ==  0. 

^  '  dp  cq         dq   Op 

Setzen  wir  nun,  wie  vorhin,  auch  in  dem  Fall,  wo  die  Gleichung  (8)  be- 
steht, 

s  =  (X  —  xp)  —  yq  —  zr , 

ds  =  —  xdp  —  y  dq  —  z  dr  =  —  (^  +  az)  dp  —  {y  -\-  bz)  dq , 
so  folgt,  dass  auch  s  nur  von  p,  q  abhängt,  und  es  ergiebt  sich 

(10)  ^^  =  -(x  +  az),      ||  =  -(;,  +  i.). 

Führt  man  nun  in  der  Gleichung 

dp       di       dr_^ 

dx       dy       dz 
p,  q,  z  als  unabhängige  Variable  ein,  so  folgt 

dp       dq  \dq  dz       dq  dz)  \dp  dz       dp  dz/  ' 

und  daraus  mit  Hülfe  von  (10) 

'  idi^'  +  ^^  -  ''^Kd-^^  Fi)  +  d^^'  +  ''^ 

+  l^o  (1  +  b')  -  2  ab  Ä-  +  1^2  (1  +  et')  =  0. 
'     dp^  cpcq        dq^ 

Da  nun  a,  6,  8  von  z  unabhängig  sind,  so  zerfällt  diese  Gleichung  in  die  bei- 
den folgenden: 


Anmerkungen.  395 

(12)  I«  (j  +  6^)  _  ah  (^  "  +  I*)  +  Ii  (1  +  «■')  =  0. 

^     '  dp  \rq        cp/        oq 

Betrachten  wir  nun  p^  q,  r  als  rechtwinklige  Coordinaten,  so  ist  (12)  die 
Differentialgleichung  einer  Minimalfläche,  welche  nach  (8)  oder  (9)  zugleich 
eine  Kugel  oder  eine  in  die  Ebene  abwickelbare  Fläche  sein  müsste.  Dies 
kann  nur  vereinigt  sein,  wenn  die  Fläche  eine  Ebene  ist,  und  daher  a,  b  Con- 
stanten sind,  die  man  bei  passender  Bestimmung  der  Richtung  der  2-Axe 
gleich  Null  annehmen  kann.     Demnach  ergiebt  sich  aus  (11) 

('«)  S  +  l^  =  «' 

und  ferner  wie  im  ersten  Fall 

m  =  p'^  -f  q'\     r  =  0, 

-  ^  =  1^  =  ^'{m)2p  +  xiß)  -  ßziß). 

ds 

—  2/  =  ^  ==  '/''O'O  2^i  -h  X(ß) , 

wenn  ß  ==  —  gesetzt  wird. 

Aus  (13)  folgt  daher 

_  s 

ym(4rip'{m)  +  4mV'(wO)  +  (1  +  ß')'  x" iß)  ==  0, 

eine  Gleichung,  die  in  die  beiden  folgenden  zerfällt: 

)/m  ^4  if)'  (tu)  -j-  4  m  xp"  {m)j  =  k  , 

X'iß)  =  ^ 


Vi  +  ß^' 

worin  /.;  constant  ist.     Die  Integration  dieser  letzteren  Gleichung  ergiebt,  wenn 
a,  b  willkürliche  Constanten  sind. 


^(ß)  =  kYi  +  ß'  +  ci-\-bß. 

Demnach  haben  wir 

2  ip'  (m)  Ym  -f-  k 


X  -\-  a  = 
!/  +  ?>  = 


yi-\-ß' 

(2ip\7n)ym  -j-  k)ß 


Vi-\-ß' 

(x  +  ay  +  (?/  +  ^y  =  (2  V  ("0  V"^  4-  ^•)'' 

Die  isothermen  Flächen  sind  daher  in  diesem  Fall  Cylinder  mit  kreisförmigem 
Querschnitt  und  gemeinschaftlicher  Axe. 

Der  dritte  Fall,  in  dem  p,  q,  r  Functionen  einer  und  derselben  Variablen 
sind,  kann  nicht  vorkommen.     Ist  nemlich 

so  folgt  aus  den  Gleichungen 


396    ■  XXII.    Commentatio  mathematica  etc. 

dg dr     ,dr* dp      dp       di\ 

dz       dy      dx~  dz^    dy  ~  dx' 

und  die  Gleichung  A  ==  0  liefert 

was  sich  offenbar  widerspricht. 

Es  bleibt  also  nur  der  vierte  Fall,  in  dem  p,  g,  r  constant  sind,  und  daher 
die  Schaar  der  isothermen  Flächen  aus  parallelen  Ebenen  besteht. 


Von  der  allgemeineren  Frage,  wann  die  Temperatur  ausser  von  der  Zeit 
nur  von  zwei  Variablen  abhängig  ist,  lässt  sich  der  erste  Fall,  der  im  Text 
durch  m  =  1  charakterisirt  ist,  in  folgender  Weise  beantworten. 

Wir  haben  in  diesem  Fall  die  quadratische  Form 


\a\    b',    c'/ 


in  der  a,  b'  lineare  Functionen  von  y  sind,  während  c   von  y  unabhängig  ist. 
Ferner  ist  die  Determinante 


0 ,    c',     ?>'  I 

c' ,    0 ,    a\=2ab'c   —  c  c  c 

b' ,   a,    c  \ 

constant.     Die  adjungirte  Form  zu  dieser  ist 

—  {ada  -f  b'dß  —  cdyY  +  2{2ab'  —  cc)dadß , 
in  der  2 ab'  —  cc   von  y  unabhängig  ist. 

Nun  können  wir  durch  Einführung  einer  neuen  Variablen  an  Stelle  von  y, 
welche  eine  lineare  Function  von  y  ist,  diese  Form  in  die  einfachere  trans- 
formiren: 

(ada  -\-  cdyY  -j-  2mdadß, 

in  der  a  eine  lineare  Function  von  y,  c  und  m  von  y  unabhängig  sind.  Es 
sind  nun  die  Fälle  aufzufinden,  in  welchen  diese  Form  in  eine  andere  mit  con- 
stanten  Coefficienten,  oder  speciell  in  die  Form  dx''^  -\-  dy^  -f-  dz^^  transformir- 
bar  ist. 

Zu  dem  Ende  bilden  wir  die  Gleichungen  (tt',  i" l")  =  0  (S.  381),  welche 
in  diesem  Fall  die  Gestalt  annehmen: 

(2.2)  ,nc  {Z\  -  J^)  +  (^  _  |i)  (o  1^  +  .„  1?)  =  0 , 

^  '  ^  \ca^        ccccy/         \dy        da/    \    da  cyl 

/„  ov      ^        /^'"^«^       «  c-m  \    .    ^    dm  (dm  d  a\        m  /dacV       ^ 

(3.3)  2mc  (  2  ^^)  +  4C^  (g^  -  «gjj  -  -  (^)   =  0  , 


Anmerkungen,  397 

/  d*a^  d^ac\    .    ^     de  /   de  da   ,      d a\ 

(2,3)  +2e(c--«^)(^-«^)-2m^^ 

/o  ^v  o        a^ac       ^    dae  dm        ^     de  dae 

(3. 1)  2,»c  ^^  -  2e  -^    -g--  -  2»  ^  ^  =  0  , 

(1.2)  2,„  (20  g^-^  -  .gp- J  +  [c  3p  -  «gp)   =  0. 

Aus  (1,2)  folgt,  dass  c -p-^  —  "  öö^ »    ^^^^  auch  -^-^  von  y  unabhängig  ist;  setzt 

man  daher  a  =  «j  +  yao,    so  folgt  dass  a^  von  der  Form  ist  c /"(«),  und  /"(a) 
von  ß  unabhängig. 
Wir  haben  daher 

{ada  +  edy)'  +  2)ndadß  =  (a^  da  -\-  c  {f{a)da-\-  dy)y  +  2mdadß; 

führt  man  also  statt  y  eine  neue  Variable  y  -|-  j  f{a)da  ein,  so  geht  die 
quadratische  Form  in  eine  andere  von  derselben  Gestalt  über,  in  der  nur  a 
von  y  unabhängig  ist.  Bei  dieser  Annahme  erhält  die  Gleichung  (2,2)  die 
Form 

d^^ e       de  dm 


"'da' 

da   Ca 

US  in  Verbindung 

mit 

(1,1)  hervorgeht: 

aiog 

da 

de 

da 

—  = 

d  logw 

=     7{ 

Ca 

'     ^ß    ^ 

log  m 

^Tß-' 

daraus 

.   ' 

ce 

c  a 

=  mcp(ß) 

cc               ,  , 

Es  sind  nun  drei  Fälle  zu  unterscheiden. 

1)    wenn    cp{ß)  =  tp{a)  =  0    ist,    so    ist    c  =  const.    und    aus    (1,2)    folgt 

^^— '  =  0.     Führt  man  also  an   Stelle  von  y  eine  neue  Variable  cy  -f-  fada 
C  ß  ^ 

ein,  so  erreicht  man,  dass  in  der  quadratischen  Form  a  =  0,  c  =  1  wird,  und 
aus  (3,3)  folgt  dann 

^  =  0,        2.  =  .«.)*(,). 

Führt  man   daher  an  Stelle  von  a,  |3  die  Variablen  J;f(a)  fZa,  J%{ß)dß   ein, 
so  erhält  man  die  quadratische  Form 

dy2  -\-  dadß, 
welche  durch  die  Substitution  a  =  x  -\-  iy ,   ß  =  x  —  iy ,   y  =  z  übergeht  in 

dx'  +  dy^  4-  dz'. 
Die  isothermen  Curven  a  =  const.,  ß  =  const.  sind  also  in  diesem  Fall  parallele 
gerade  Linien. 


398  XXII.     Commentatio  mathematica  etc. 

2)  Wenn   (p{ß)  ==  0,  tp{cc)   nicht  =  0  ist,   so  ist  c  von  a  unabhängig,  und 

aus  (1,2)  folgt,   dass  — -  von  ß  unabhängig  ist.     Auf  ähnliche  Weise,  wie  oben 

erreicht  man  nun^  dass  a  verschwindet,  und  ferner  ergiebt  sich 

1      de  

^  dß~  '"' 
wodurch  die  Gleichungen  (1,1) . .  .  (1,2)  sämmtlich  befriedigt  sind.     Führt  mau 

I   — 7-r ,  c  als  neue  Variable  an  Stelle  von  a,  ß  ein,  so  erhält  man  die  quadrati- 
J    ip{ci)  y  r        1 

sehe  Form  ß-dy-  -\-  daclß,  welche  in  dx^  -j-  diß  -\-  dz^  übergeht  durch  die 
Substitution 

X  +  iy  =  ß,    X  —  iy  =  a  —  ßf,    z  =  ßy. 

Hieraus  kann  man  aber  mittelst  der  Gleichungen  a  ■-=  const.,  ß  =  const.  keine 
reellen  Curven  erhalten.  Der  Fall  ^/^(o;)  =  0,  (p{ß)  nicht  =  0  ist  von  diesen 
nicht  wesentlich  verschieden. 

3)  Wenn  weder  ip{cc)  noch  (p{ß)  verschwindet,    so  führe  man  für  a,  ß  die 

dj^ 

iß) 


neuen  Variablen     /  —r-z^     I  — tt;^  ein,  wodurch  man  erreicht,  dass 


cc  cc  cc       cc 

ida  c  ß  ca        c  ß 


also  c  =  f{u  -\-  ß) ,  m  ==  /'(a  -j-  ß)  wird. 
Nun  folgt  aus  (1,3) 

Ol      cac 


dß         dlogcm 


dß  dß      ' 

und  daraus  durch  Integration 

ac  =  f^(p{cc)  -j-  tp{a) 
durch    Einführung    der   Variabein    y  -{-  l  cp{oc)  da    statt   y   erreicht   man    dass 

qp(a)  =  0  und  mithin  ac  =  i/;(a)  wird.     Dann  folgt  aus  (1,2): 

Pf" 

I^  =  _  ^(«)2. 

Da  nun  die  eine  Seite  dieser  Gleichung  nur  von  a,  die  andere  nur  von 
a  -\-  ß  abhängt,  so  muss  jede  derselben  einer  Constanten  /<;-  gleich  sein,  woraus 
sich  für  die  Function  f  die  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung  ergiebt: 

wonach  die  Gleichungen  (1 , 1) . .  (1 , 2)  alle  befriedigt  sind.     Die  einmalige  Inte- 
gration dieser  Gleichung  ergiebt,  wenn  /^  eine  neue  Constante  bedeutet: 

Setzen  wir  nun  a  =  x  -[-  iy ,  ß  =  x  —  iy ,  und  führen  für  y  eine  neue 
Variable  y  —  ik   j  ^2    ^^^^  ^^  erhalten  wir 

{cdy  -i-  aday  -{-  2mdcidß==  [f  dy  +  j  dyf  +  '^f'idx'  -f  dy-) 
=  f'dy''  +  Udydy  +  2f' dx'  +  l^\dy\ 


Anmerkungen.  399 

Setzen  wir  ferner 

woraus  folgt 

I  =  ~  v^r-k\    r  =  /••?  ^'  +  ~ . 

so  gellt  unsere  quadratische  Form  über  in 

(y  cly  +  k,  dy)'  +  /■•?  a^cZy'-'  +  tZ|^ 
Beziehen  wir  dieselbe  auf  Polarcoordinaten ,  indem  wir  setzen: 

4  =  r,     1;y  =  fp,     /.:,  ?/  +  j'  y  =  .- , 
so  nimmt  sie  die  Form  an: 

Die  Curven  a  =  const.,  ß  =  const.  werden  daher 

r  =  const. ,      0  —  -ry  qp  =  const. 
worin  k  auch  =  0  sein  kann. 

In  dem  Specialfall  A-,  =  0  erhalten  wir  4  =  -j-  und  die  quadratische  Form 

wird 

-  2ki^dy'  -\-  2kdydy  +  dk\ 

oder  indem  wir  an  Stelle  von  ^,  -  — ,  Y —  2kiY  wieder  a,  |3,  y  schreiben : 

y —  2ki 

ady'  -f  dßdy  +  rfa^^ 

welche  in  die  Form  dx-  +  f??/^  +  ^^^  übergeht  durch  die  Substitution 

X  -\-  iy  =  ß  -\-  ay  —  -^y% 

X  ~  iy  =  y  , 

Z  ^  Ci  —   |y2; 

aber  den  hieraus  sich  ergebenden  Gleichungen 

z  -\-  {{x  ~  iyY  =  a  =  const., 
(.r  +  'iy)  —  o^i^  —  iy)  -f  tV  (^  —  iy)^  =  1^  =  const. 
entsprechen  keine  reellen  Curven 

In  den  übrigen  Fällen  ist  es  mir  nicht  gelungen  die  Rechnung  vollständig 
durchzuführen.  W. 


XXIII. 

SuUo  svolgimento  del  quoziente  di  due  serie  ipergeometriche 
in  frazione  continua  infinita.*) 

I. 

Avendo  una  frazione  continua  infinita  della  forma 


«  + 


1  + 


1  + 


che  per  valori  di  x  abbastanza  piccoli  converge  e  rappressenta  la  fun- 
zione  fix),  si  vede  facilmente,  cbe  la  ridotta  m^^"^^  e  uguale  al  quo- 
ziente —  di  due  funzioni  intere  ^^^  e  g,n,  i  cui  gradi   sono   ambedue 

n,  se  m  =  2n  -\-  1,  e  n  e  n  —  1,  se  m  =  2n.  La  diiferenza  tra  la 
ridotta  e  la  funzione  f(x'^,  se  x  e  infinitesimo,  e  infinitesima  dell'  ordine 
jj-^esimo^  Ma  affinche  questo  avvenga,  debbono  essere  sodisfatte  tante 
condizioni,  quante  sono  le  quantitä  ajbitrarie  contenute  nella  funzione 
fratta  uguale  alla  ridotta. 

Dunque  la  ridotta  m^«"»*  puö  determinarsi  mediante  la  condizione 
di  coincidere  nei  primi  m  termini  dello  svolgimento  secondo  le  potenze 
di  X  colla  funzione  da  svolgere  e  mediante  i  gradi  del  numeratore  e 
del  denominatore,  che  sono  per  m  =  2n  -\-  1  ambedue  n  q  n  q  n  —  1 
per  m  =  2n, 

IT. 

Questo  modo  di  determinare  la  ridotta  conduce  immediatamente 
alF  espressione  della  ridotta,  quando  si  tratta  di  svolgere  il  quoziente 
delle  Serie  ipergeometriche 


*)  Die  Bearbeitung  dieses  Fragments,  dessen  Entstehung  in  den  October  1863 
fällt,  rührt  von  H.  A.  Schwarz  in  Göttingen  her. 


XXIII.     SuUo  svolgimento  del  quoziente  di  due  serie  etc.  401 

ove  si  faccia  uso  delle  praprieta  caratteristiche  esposte  nella  memoria 
[Beiträge  zur  Theorie  der  durch  die  Gauss'sche  Reihe  F{ay  ß^y^x) 
darstellbaren  Functionen]. 

Infatti,    poiche    per   x   infinitesimo  77  —  ^^    divieni    infinitesimo 

dellordine  m  e  Qq,,,  delFordine  a,  Tespressione  q,nP  —  2),nQ  diviene 
infinitesima  deirordine  m  -\-  a^  e  si  dimostra  facilmente,  che  questa 
espressione  ha  tutte  le  proprietä  caratteristiche  di  una  funzione 
sviluppabile  in  serie  ipergeometrica  in  modo  che  si  abbia 

q2n+lP—p2n+lQ 

\«— 1  ß —n  y     J  \a —n—1  ß    y     )  ^ 

\a — n      ß — n  y      ) 

dove  Tny  Qn  denotano  ciö  che  divengono  P,  Q,  quando  si  mutano 
a,  a  in  a  -{-  n,  a  —  n.  Ora,  se  facciamo  variare  continuamente  x  e 
le  funzioni  di  x,  in  modo  che  l'indice  del  valore  complesso  x  percorra 
un  giro  intorno  l'indice  di  1,  q,ny  Pm  riprendono  gli  stessi  valori,  mentre 
P,  Q,  Pn,  Qu  si  convertono  in  altri  rami  di  queste  funzioni. 

Dunque:   se   designiamo  con  P',  Q',  Pn,  Q'n  altri  rami  corrispon- 
denti  di  queste  funzioni,  abbiamo  anche 

,    .  q.2n+lP' —p2n-{-lQ'  =  X''Pn^l 

^^  q2nP'-p2nQ'  =  ^«  ft. 

Dalle  equazioni  (1)  e  (2)  s^ottiene: 

«2«+l  QK+1-Q'KW       ^2n  QQn-Q'Qn' 

Dunque,  per  trovare  per  quali  valori  di  x,     -—  e      ^""^^   convergano 

verso*  -^ ,  basta  ricercare  quando  -jPr  e  -j7~  ^^^  crescere  indefinito  di 
X  convergano  verso  zero. 

[IILJ 

A  questo  scopo  conviene  introdurre  Tespressioni  di  P„  e   Qn  per 
integrali  definiti.     Ponendo 

[ —  a  —  ß'  —  y  =  a 

—  d  —  ß  —  y  =  h 

—  a  —ß'  —  y  =c\ 
puö  esprimersi 

Kikmann's  gesammclto  raatheniatischc  Werke.    I.  2G 


402  XXIII.     Sullo  svolgimento  del  quoziente  di  due  serie 

1 

Pn  per   ra-«  +  '»  (1  —oc)y   rs"  +  "  (1  —  s)^  +  «  (1  —  asy-'^ds'] 


0 

1 

<3«  per   nr«  +  «  (1  —  o;)!'   /'s«  +  i  +  «(l  —  5)^  +  «(l  —  rr5)'^-«6?sl. 

0 

Per  avere  il  valore  generale  delle  funzioni  P,^,  Qn  bisognerebbe 
moltiplicare  gli  integrali  per  fattori  costanti,  ma  possiamo  sostituire 
nelle  equazioni  (1)  gli  integrali  comprendendo  i  fattori  costanti  nelle 
funzioni  intere  j^m,  dm-  Quanto  ai  valori  delle  funzioni  sotto  il  segno 
integrale,  e  indifferente  qualunque  valore  si  prenda,  purche  si  pren- 
dano  per  s%  (1  —  5)^,  (1  —  xsy  gli  stessi  valori  in  ogni  integrale. 

[Nun  bleiben  die  Ausdrücke  für  —^  auch   unverändert,  wenn  für 

J-vi 

P',  Q\  Fn,  Qn  dieselben  linearen  Verbindungen  dieser  Grössen  und  der 
Grössen P,  Q, P,„  §« : ÄP+  BP',  ÄQ  +  BQ\  ÄPn+BP;,  ÄQ,+  BQ'n, 
gesetzt  vs^erden,  wo  A  und  B  i^wei  Constanten  bezeichnen,  von  wel- 
chen B  nicht  gleich  Null  ist.  Solche  correspondirende  Functionen  er- 
geben sich,  wenn  die  obigen  Integrale  anstatt  von  0  bis  1  von  irgend 

einem  der  vier  Werthe  0,  1,    7 ,  00  zu  irgend  einem  dieser  vier  Werthe 

und  zwar  alle  auf  demselben  Wege  erstreckt  werden.] 

Dunque  si  possono  prendere  per  Pn,  Q'n  gli  stessi  integrali  estesi 

da  uno  ad   uno  intorno  di  — . 

X 

Gli  integrali  [durch  welche  der  letzten  Annahme  zufolge  P„,  Qn, 
Pn,  Q'n  ausgedrückt  sind,  ändern  bei  einer  continuirlichen  Variation 
des  Weges  der  Integration  zwischen  den  angegeben  Grenzen  ihren 
Werth  nicht]   purche  il  cammino  d'integrazione  non  oltrepassi  Tindice 

di  — ,    e    possiamo    disporre  del   cammino   deir   integrazione  in  modo 

che  si  possa  piü  facilmente  trovare  il  limite  verso  il  quäle  converge  il 
valore  delF  integrale  col  crescere  di  n. 

*  .  s(l  — s) 

A  questo  scopo  -7 7  '  '  ' 

■'■  1  —  xs 

[Hier    bricht    der  Text    ab.     Es    lassen   sich  aber  aus   einigen  Hand- 
zeichnungen und  Formeln   die  Schlüsse,   deren  Riemann  sich  bedient 
hat,  etwa  in  folgender  Weise  herstellen. 
Man  setze:] 

1  —  X8 

[und  betrachte  in  der  Ebene  der  complexen  Grösse  s  die  Curven, 
längs    denen    der  Modul  von  e-^^'^  einen  constanten  Werth  hat.     Für 


ipergeometriche  in  frazione  continua  infinita.  403 

sehr  kleine  Werthe  dieses  Moduls  umgeben  diese  Curven  die  Punkte  0 
und   1   nahezu  wie  concentrische  Kreise  mit  kleinen  Radien.     Für  sehr 

grosse  Werthe  des  Moduls   umgeben  diese  Curven  den  Punkt  s  =  — 

und  den  Punkt  s  =  <X).  In  beiden  Fällen  bestehen  die  Curven  also 
aus  zwei  getrennten  Theilen.  Lässt  man  den  Modul  von  kleinen 
Werthen  an  wachsen,  so  werden  die  getrennten  Theile,  welche  die 
Punkte  0  und  1  umgeben  und  demselben  Werthe  des  Moduls  ent- 
sprechen, einander  immer  näher  rücken,  bis  sie  nur  eine  Curve  bil- 
den, welche  einen  Doppelpunkt  hat.  Für  diesen  Doppelpunkt  muss 
l"(s)  gleich  Null  sein.  Eine  ähnliche  Betrachtung  findet  statt,  wenn 
man  den  erwähnten  Modul  von  sehr  grossen  Werthen  an  abnehmen 
lässt. 

Es  ergeben  sich  folgende  Gleichungen:] 

f(s)  -  log(l  -  s)  -  log(|  -  x)  , 

'    ^^^  ~i  —  S     '      1    _    _    SS  s(l  —  s)  (1  —  xs)  ' 

s 
[Für  f\s)  =  0  ist  also] 

1  — 25  +  ^6--  =  0,  s{l  —  xs)  =  l  —  s,  l  —  2s  +  s'^  =  {l  —  x)s'^  =  {l  —  sy 

-  —  1  =  yi-^  =  1  —  xs 

s  ' 

1  —  s 


1  —  xs 


[Es  werde  nun  mit  yl  —  x  derjenige  Werth  der  Quadratwurzel  be- 
zeichnet, dessen  reeller  Bestandtheil  positiv  ist,  wobei  der  Fall,  dass 
X  reell  und  >  1  ist,  von  der  Betrachtung  ausgeschlossen  wird.  Femer 
mögen  (7,  (?'  die  beiden  Wurzeln  der  quadratischen  Gleichung 

l-~2s  +  xs"  =  0, 

1  ,  *l 

a  = ,-,  7      6  = 


1  4-  yi  —  X  1  —  y  1  —  X 

bezeichnen,    so    dass    der    Modul    von    a   kleiner    ist   als    der    Modul 


von  ö  . 

Dann  ist 


>fio) 


ö' = ( — y — y ,  c/(«') = (?'- = ( — j. — V . 

\i  +  yi-xj  ^  \i-yi-xj 


Man  denke  sich  nun  den  Punkt  s  =  0  mit  dem  Punkte  5  =  1  so 
durch  eine  Linie  verbunden,  dass  dieselbe  den  Punkt  s  =  a  enthält 
und  dass  bei  dem  Fortschreiten  auf  dieser  Linie  der  Modul  von  e^^'^ 
II uf  dem  Wege  von  s  =  0  bis  s  =  a  beständig  im  Zunehmen,  auf  dem 


404 


XXIII.     SuUo  svolgimento  del  quoziente  di  due  serie 


Wege  von  s  =  a  bis  5=1  aber  beständig  im  Abnehmen  begriffen  ist. 
Eine  solche  Linie  kann  als  Integrationsweg  für  die  von  s  =  0  bis 
s  =  1  zu  erstreckenden  Integrale  dienen,  durch  welche  die  Functionen 
Pny  Qn  ausgedrückt  werden. 

Für  diejenigen  Integrale  hingegen,  welche  an  die  Stelle  der 
Functionen  Fn,  Qn  gesetzt  werden,  kann  ein  Integrationsweg  dienen, 
welcher  vom  Punkte  5=1  zunächst  nach  dem  Punkte  s  =  ö'  führt, 
von  dort  nach  dem  Punkte  s  =  1  zurückführt  und  hierbei  den  Punkt 

s  =  —  umschliesst.     Dieser  Integrationsweg  kann  so  gewählt  werden, 

dass  der  Modul  von  e-^^^^  sein  Maximum  auf  dieser  Linie  nur  im  Punkte 
s  =  a'  erreicht. 

In  den  nachstehenden  Figuren,  zu  denen  sich  Entwürfe  von 
Riemann's  Hand  vorgefunden  haben,  sind  die  Integrationswege  durch 
punktirte  Linien  angedeutet. 


Es  handelt  sich  nun  darum,   einen  Ausdruck  zu  finden,  welche] 
den  Werth  des  Integrals 


/ 


ga  +  n(^l   _  gy-\-n(^l  __^gy-nß^g 


für  unendlich  grosse  Werthe  von  n  asymptotisch  darstellt. 
Man  setze 

s«(i  —  sY  {1  —  xsy  =  (p(s), 


so  ist  zu  berechnen 


/  e«/(*')  (p(s) 


ds  für  n  =  oo. 


Diejenigen  Theile  des  Integrationsweges,  welche  nicht  in  der  Nähi 
des  singulären  Werthes  s  =  a  liegen,  ergeben  zu  dem  Werthe  de 
Integrales  einen  Beitrag,  welcher  für  unendlich  grosse  Werthe  von  o 
nicht  allein  unendlich  klein  wird,  sondern  auch  —  weil  der  reelle  Be 
standtheil  von  n  (/"(ö)  —  f(s))  unter  den  angegebenen  Voraussetzungei 
über  jedes  Mass  hinaus  wächst  —  unendlich  klein  wird  im  Verhältnis 


ipergeometriche  in  frazione  continua  infinita.  405 

zu  dem  Theile  des  Integrals,  welches  sich  auf  einen  in  der  Nähe  des 
Werthes  s  =  ö  liegenden  Theil  des  Integrationsweges  bezieht.  Aus 
diesem  Grunde  genügt  es  zur  Auffindung  eines  für  lim  w  =  oo  gelten- 
den asymptotischen  Ausdruckes  für  das  erwähnte  Integral,  die  Sum- 
mation  auf  einen  in  der  Nähe  dea  Werthes  s  =  a  liegenden  Theil  des 
Integrationsweges  zu  beschränken.  Man  setze  daher,  mit  h  eine  Grösse 
bezeichnend,  deren  Modul  nur  kleine  Werthe  annehmen  soll:] 

s  ==  a  -\-  h 

nf{s)  =  nflo)  +  nf^  h'  +  n{h') 


V- 


nf    ''^ 


2 


'*{P 


e«/W  (p (s)  ds  =  e»/^^)  9  (  (^  +  -^-j=^====^  \  e""'  --j^J^^ 


(.  z  \        ^^  dz 


2 


[Wird  nun  der  in  der  Nähe  des  Punktes  s  =  C  liegende  Theil  des 
Integrationsweges  geradlinig  angenommen  und  zwar  so,  dass  der  von 
den  beiden  Tangenten  der  Curve 

mod  ef^"^  =  mod  e-^^"^ 
im  Punkte  s  =  ö  gebildete  rechte  Winkel  durch  denselben  halbirt  wird, 
so  convergiren  für  -lim  n  =  oo  die  Grenzen  der  auf  die  Variable  z 
sich  beziehenden  Integration  beziehlich  gegen  die  Werthe  —  oo  und 
+  oc,  und  es  ist  daher  der  Beitrag,  den  die  in  der  Nähe  des  Werthes 
s  =  a  liegenden  Elemente  des  betrachteten  Integrales  für  sehr  grosse 
Werthe  von  n  zu  dem  Werthe  des  Integrals  ergeben,  asymptotisch  gleich 


Nun  ist 


2 


—  OD  '2 


2 

1 

T(r- 

-ü) 

1 

ft  +  c 

9W== 

<ya  +  & 

(1- 

-X)-'   . 

406  XXIII.     Sullo  svolgimento  del  quoziente  di  diie  serie  etc. 

1 
Es  ist  demnacli  der  asymptotische  Werth  von     /  e''f^'^q){s)ds  gleich 


Durch  analoge  Schlüsse  wird  der  asymptotische  Werth  von  /  e^-^'''^  (p(s)ch 
als  1 


Yn    Vi  -  fl  —xj  ^  ^ 

gefunden. 

Unter  den  angegebenen  Voraussetzungen  ergiebt  sich  also  für  den 
Quotienten  P^  :  P«  der  asymptotische  Werth:] 


[Für  alle  Werthe  von  x,  mit  Ausnahme  derjenigen,  welche  reell  und 
grösser  als  1  sind,  sowie  mit  Ausnahme  des  Werthes  x  =  1,  con- 
vergirt  daher  der  Quotient  Fn  :  Fn  mit  unendlich  zunehmendem  n  gegen 
Null. 

Dasselbe  gilt,  wenn  a  in  a -|-  1  verwandelt  wird,  von  dem  Quo- 
tienten   Qn  :  Q'n. 

Hiermit  ist  bewiesen,  dass  die  Näherungswerthe  des  Kettenbruches 
von  der  in  I  angegebenen  Form^  in  welchen  der  Quotient 

entwickelt  werden  kann,  für  alle  Werthe  von  x,  welche  nicht  reell 
und  ^  1  sind,  mit  wachsendem  Index  gegen  den  Werth  dieses  Quo- 
tienten convergiren.] 


XXIV. 

lieber  das  Potential  eines  Ringes. 

Um  die  Wirkung  eines  beliebigen  Körpers,  dessen  Theile  eine 
Anziehung  oder  Abstossung  umgekehrt  proportional  dem  Quadrate  der 
Entfernung  ausüben,  für  jeden  Punkt  ausserhalb  dieses  Körpers  zu 
bestimmen,  hat  man  bekanntlich  eine  Function  V  der  rechtwinkligen 
Coordinaten  x',  y,  z  dieses  Punktes  zu  suchen,  welche  den  Namen  des 
Potentials  oder  der  Potentialfunction  der  wirkenden  Massen  führt  und 

dV     cV     dV 
deren  Differentialquotienten  0— »  ^— ,    ^       den    Componenten    der    be- 

^  ex     cy      dz  ^ 

schleunigenden  Kraft  im  Punkte  x^  y,  z  gleich  oder  entgegengesetzt 
sind,  je  nachdem  die  Masseneinheit  eine  gleiche  um  die  Längeneinheit 
entfernte  Masse  mit  der  Einheit  der  Kraft  anzieht  oder  abstösst.  Zur 
Bestimmung  dieser  Function,  welche  der  Bedingung 

S2  Y  r,^V  r-V 

Cl)  ^  +  ^  +  ^  =  0 

genügen  muss,  ist  es  hinreichend,  wenn  in  jedem  Punkte  der  Ober- 
fläche des  Körpers  noch  eine  Bedingung  gegeben  ist,  und  es  bietet 
sich  die  Aufgabe  liäufig  in  der  Form  dar,  dass  nicht  die  Vertheilung 
der  Massen  im  Körper,  sondern  gewisse  Bedingungen,  denen  ihre 
Wirkung  in  der  Oberfläche  genügen  soll,  gegeben  sind,  z.  B.  dass  V 
einer  willkürlich  gegebenen  Function  gleich  werden  soll,  also  in  jedem 
Punkte  der  Oberfläche  die  ihr  parallele  Componente  gegeben  ist,  oder 
dass  in  jedem  Punkte  in  Einer  gegebenen  Richtung  die  Componente 
einen  gegebenen  Werth  erhalten  soll.  Das  Verfahren  um  diese  Auf- 
gabe zu  lösen  besteht  bekanntlich  darin,  dass  man  aus  particularen 
Lösungen  der  Differentialgleichung  (1) 

ft,  Q,,  •••,  Q.„  ••• 

einen  allgemeinen  Ausdruck 

a,Q,+a,Q,  +  ---  +  a,.Q„  +  ...  =  R 
mit    den    willkürlichen    Constanten  r/j,  (^^  .  .  .,  iiny  ...  zusammensetzt, 
welcher  ebenfalls  der  Differentialgleichung  (1)  genügt,  und  dann  diese 


408  XXIV.     lieber  das  Potential  eines  Ringes, 

Constanten  so  bestimmt/  dass  die  Grenzbedingungen  erfüllt  werden. 
Die  Ausdrücke  R  convergiren  im  Allgemeinen  nur  für  gewisse  Werthe 
der  Coordinaten  x,  y,  Zj  so  dass  für  jeden  bestimmten  Ausdruck  der 
ganze  unendliche  Raum  durch  eine  Fläche  s  in  zwei  Theile  zerfällt,  in 
deren  einem  dieser  Ausdruck  convergirt,  während  er  in  dem  andern 
allgemein  zu  reden  (d.  h.  von  einzelnen  Punkten  und  Linien  abgesehen) 
divergirt.     So  z.  B.  wird  der  Ausdruck 

X/  ^n  e  ^"^  cos  an  X  cos  ßn  V 

für  eine  bestimmte  auf  der  ^-Axe  senkrechte  Ebene  zu  convergiren 
aufhören.  Führt  man  statt  x,  y,  s  Polarcoordinaten  ein  und  entwickelt 
V  nach  Potenzen  des  Radiusvectors,  wo  dann  bekanntlich  die  Coef- 
ficienten  der  wten  Potenz  sich  aus  den  Kugelfunctionen  niex  Ordnung 
multiplicirt  mit  willkürlichen  Constanten  zusammensetzen,  so  erhält 
man  eine  Reihe,  welche  für  eine  bestimmte  Kugelfläche,  die  den  Pol 
zum  Mittelpunkt  hat,  zu  convergiren  aufhört.  Es  ist  nun  beachtens- 
werth,  dass  einer  bestimmten  Form  der  Entwicklung  M  schon  eine 
bestimmte  Schaar  von  Grenzflächen  der  Convergenz  entspricht  (im 
ersteren  Falle  eine  Schaar  paralleler  Ebenen,  im  zweiten  eine  Schaar 
concentrischer  Kugelflächen),  während  es  von  den  Werthen  der  Coef- 
ficienten  abhängt,  für  welche  Fläche  dieser  Schaar  die  Divergenz 
eintritt. 

OjßFenbar  muss  nun  der  Ausdruck  li  für  das  ganze  Gebiet,  wo  die 
Function  V  bestimmt  werden  soll,  convergiren,  weil  man  nur  dann 
diesen  Ausdruck  in  die  Grenzbedingungen  einsetzen  kann  um  die  will- 
kürlichen Constanten  in  ihm  zu  bestimmen.  Andererseits  aber  lässt 
sich  leicht  zeigen,  dass  ein  Ausdruck,  welcher  der  Differentialgleichung 
(1)  genügt,  nur  da  wo  er  zu  convergiren  aufhört,  eine  willkürlich  ge- 
gebene Function  darstellen  kann.  Folglich  muss  die  Form  des  Aus- 
drucks B  so  bestimmt  werden,  dass  die  Oberfläche  des  Körpers  eine 
der  ihm  angehörenden  Grenzflächen  der  Convergenz  ist. 

Es  soll  zunächst  für  einen  Ring  mit  kreisförmigem  Querschnitte 
diese  Aufgabe  gelöst  werden,  was  für  manche  physikalische  Unter- 
suchungen nicht  unerwünscht  sein  dürfte. 

1. 

Legt  man  die  ^-Axe  in  die  Axe  des  Ringes  und  den  Anfangspunkt 
der  Coordinaten  in  den  Mittelpunkt  des  Ringes,  so  erhält  die  Gleichung 
der  Ringoberfläche  die  Form 

.        (y?+7'  ±  ay  -f  ^2  ==  c\ 


XXIV.     Ueber  das  Potential  eines  Ringes.  400 

Ich  suche  zunächst  statt  x,  y,  z  solche  Variahehl  einzuführen, 
(lass  eine  derselben  in  der  Oberfläche  des  Ringes  einen  constanten 
Werth  erhält  und  zugleich  die  Differentialgleichung  (1)  eine  möglichst 
einfache  Form  behält. 

Führt  man  in  der  {x^  ?/)-Ebe5ie  Polarcoordinateu  ein,  indem  man 
X  =  r  COS9 ,     y  =  r  sinqp 
setzt,  SO  wird  die  Differentialgleichung  (1) 

fi'^V         f]V  ?)^V  r)^V 

•die  Grenzgleichung  von  (p  unabhängig,  nemlich 

und 

(,.  _  af  +  ^^  =  c\ 

also  in  der  (r,  ;s)- Ebene  die  Grenze  durch  zwei  mit  dem  Radius  c  um 

die  Punkte  ( —  a,  0)  und  (a,  0)  beschriebenen  Kreise  gebildet. 

Ich  führe  nun   statt  r  und  z  zwei  neue  Veränderliche  q   und  il? 

ein,  indem  ich  für  r  -\-  zi  eine  Function  einer  complexen  Grösse  pe'^' 

setze , 

r  -\-  zi  =  f{Qe'^') 

und  die  Grösse  ge'^''  als  Function  von  r  -\-  zi  so  bestimme,  dass  ihr 
Modul  Q  in  jedem  der  beiden  Grenzkreise  einen  constanten  Werth  er- 
hält und  sie  ausserhalb  der  beiden  Kreise  allenthalben  stetig  und  end- 
lich bleibt. 

Diesen  Bedingungen  wird  genügt,  wenn  man 

und 


ß  =  —  y  =  Yaa  —  cc 
setzt;  denn  es  wird  dann 

(«+,-+.0(«+---)=^-^— ^fi^-(«  +  .)^' 

Diese  Grösse  wird  von  1^'  unabhängig,  wenn 

und  zwar 

=  (a  +  ry->^  =  (a  +  /3)(«  +  y). 

Ebenso  wird  die  Grösse 

(—  a  +  r  +  zi)  (—  a  +  r  —  ei) 


410  XXIV.     Ueber  das  Potential  eines  Ringes. 

von  i'  unabhängig  und  zwar 

=  (-a  +  ß)i-a-{-y), 
wenn 

Es  entsprechen  also  den  Werthen 


99  = i>     99  = r-^> 

zwei  um  die  Punkte  (—  a,  0),  (a^  0)  mit  den  Radien 


Via  +  ß)(a  +  y),  >/(-  a  +  ß)  (- a  +  y) 
beschriebene  Kreise.     Sollen  beide  Radien  =  c  werden,  so  muss 
{a  +  ß){a  +  y)-{-a^ß){-a  +  Y)  =  Mß  +  /)  =  0, 


also  y  =  —  ß,  aa  —  ßß  =  cc,  also  ß  =  Yaa  —  cc  sein. 

2. 

Die  Umformung  der  Differentialgleichung  (I)  kann  dadurch  er- 
leichtert werden,  dass  man   V==r''^U  setzt,  wodurch 

=  r"  g  +  (2f.  +  1)  r/'-i  |Lf  +  j,j,,.,.-2  j;^ 

und  ^   so   annimmt,    dass   das  zweite  Glied  wegfällt,    also   ^  =  —  4. 
Die  Differentialgleichung  (I)  wird  dann 

Bezeichnet  man  nun  der  Kürze  wegen  die  complexen  Grössen 
r  -\-  si  durch  y  und  ge^'  durch  r]  und  die  conjugirten  Grössen  durch 
1/  und  ri' j  so  erhält  man 

y  -\-  y  •       2/  —  y 


2 

dU 
cy 
folglich 


~"2  \g,.        dzV'       dydy'  ~'^\dr''  ~^  dz'J 
Xdr^     '    c z~  J        ^^    '    ^  J   cycy  ^ 


ferner 


2  5 


XXIV.     UcLcr  das  Potential  eiues  llinges.  411 


oder  (da  tjt]  =  q\  logt?  =  log()  +  ti,  log  V  ==  log()  —  ^/) 
Die  partielle  DifFerentialgleichung  wird  also 

_  _1_  \  2 
9 


2 


3. 

Es  ist  jetzt  leicht,  U  in  eine  Reihe  von  particuliiren  Integralen 
dieser  Differentialgleichung  zu  entwickeln,  welche  gleichzeitig  für  alle 
Werthe  von  g)  und  4*  convergirt  oder  divergirt.  Zu  dem  Ende  hat 
man  nur  diesen  particuliiren  Integralen  die  Form  zu  gehen 

COS^^,    ;     COS 

•    mit    •    n  w , 
sin      ^  sin     ^ ' 

multiplicirt  in  eine  Function  P  von  q^  welche  der  Differentialgleichung 

genügt.     Die   Bestimmung    der    willkürlichen   Constanten  ergiebt  sich 
dann  durch  die  Fourier'sche  Reihe. 
Setzt  man  * 


so  wird 


dP      ^  dP  ^__Q 
d  log  Q         dt  2 


d^P  I  ^  +   9     I     d'^P        ^ 


.  +  -^VT=itt+X)^  +  t 


dlogQ'  \       2       /      dV      '  2  dt  ^        ^     ^    df'     ^         dt 

und  die  Differentialgleichung  (11)  geht  über  in 

U  {fl  +  1)  -^^'  4-  ^3  il'  _  (,,^^^^ff.  _j_  ^^,,  ^_  |)p_  0. 

Diese  Differentialgleichung  enthält  nur  Glieder  von  zwei  ver- 
schiedenen Dimensionen  in  Bezug  auf  t  und  lUsst  sich  folglich  nach 
dem  seit  Euler  bekannten  Verfahren  durch  hypergeometriscli  ■  li'  ili«  n 
integriren.  Die  Lösung  lässt  sich  auf  sehr  mannigfaltige  Art  durch 
andere  hypergeometrische  Reihen  ausdrücken,  nemlich  durch  solche, 
deren  viertes  Element  den  Werth  oder  den  reciprokeu  Werth  folgender 


412  XXIV.    Ueber  das  Potential  eines  Ringes. 


neun  Grössen  liat^ 

-('-•)'. 

('"•)'(;;-::)■=-<-■ 

QQ,     1    - 

1 

V       2       J' 

99' 

(^  -  A'        (1  -  qY     (1  4-  qY 

V  +  9/             49      ^       49      ^ 

und  zwar  giebt  es  nach  jeder  dieser  achtzehn  Grössen  vier  verschie- 
dene Entwicklungen,  welche  der  Differentialgleichung  genügen,  von 
denen  indess  je  zwei  dieselbe  particulare  Lösung  darstellen.  Im  All- 
gemeinen wird  man  nach  der  kleinsten  dieser  Grössen  entwickeln. 
Entwickelt  man  nach  einer  solchen,  welche  für  ^  ==  1  verschwindet, 
so  zeigt  sich,  dass  von  den  beiden  particulären  Lösungen  die  eine  für 
^  =  1  unendlich  wird.  Da  V  endlich  bleiben  soll,  so  muss  in  dem 
Werth  von  P  der  Coefficient  dieser  particulären  Lösung  verschwinden 
und  F  der  für  (>  =  1  endlich  bleibenden  proportional  sein.  Von  den 
verschiedenen  Ausdrücken  derselben  will  ich  Einen  anzuführen  micli 
begnügen  und  durch  ]?^'^  bezeichnen,  nemlich 

p«,m_(i  _  ^p)'^  +  ^2^±^'^J^(n4:m-f|,  n  +  \,  2n  +  1,  1  -  qq). 

Da  sich  in  den  Werth en  der  P"'^  die  ersten  drei  Elemente  der  hyper- 
geometrischen Reihen  nur  durch  ganze  Zahlen  unterscheiden,  so  lassen 
sich  alle  P«'"^  linear  in  zwei  derselben  P^'^,  P^^^  ausdrücken  (Comm. 
Gott.  rec.  Vol.  11*)),  welche  ganze  elliptische  Integrale  erster  und 
zweiter  Gattung  sind**)  und  vielleicht  arg  bequemsten  nach  dem  Princip 
des  arithmetisch-geometrischen  Mittels,  d.  h.  durch  wiederholte  Trans- 
formationen zweiter  Ordnung,  gefunden  werden. 


*)  Gauss'  Werke  Bd.  111.  S.  131.  W. 

**)  Sämmtliche  Pn,m  lassen  sich  durch  ganze  elliptische  Integrale  im  weitern 
Sinne  ausdrücken. 


XXV. 

Gleichgewicht  der  Electricität  auf  Cylindern  mit  kreisförmigem 
Querschnitt  und  parallelen  Axen.*) 

Das  Problem,  die  Vertheilung  der  statischen  Electricität  oder  der 
Temperatur  im  stationären  Zustand  in  unendlichen  cylindrischen  Leitern 
mit  parallelen  Erzeugenden  zu  bestimmen,  vorausgesetzt  dass  im  ersteren 
Fall  die  vertheilenden  Kräfte,  im  letzteren  die  Temperaturen  der  Ober- 
flächen constant  sind  längs  geraden  Linien,  die  zu  den  Erzeugenden 
parallel  sind,  ist  gelöst,  sobald  eine  Lösung  der  folgenden  mathe- 
matischen Aufgabe  gefunden  ist: 

In  einer  ebenen,  zusammenhängenden,  einfach  ausgebreiteten,  aber 
von  beliebigen  Curven  begrenzten  Fläche  >S'  eine  Function  u  der  recht- 
winkligen Coordinaten  x^  y  so  zu  bestimmen,  dass  sie  im  Innern  der 
Fläche  S  der  Differentialgleichung  genügt: 

und  an  den  Grenzen  beliebige  vorgeschriebene  Werthe  annimmt. 

Diese  Aufgabe  lässt  sich  zunächst  auf  eine  einfachere  zurück- 
führen : 

Man  bestimme  eine  Function  t,  =  i,  -\-  7]i  des  complexen  Argu- 
ments z  =  X  -\-  yi,  welche  an  sämmtlichen  Grenzcurven  von  S  nur  reell 
ist,  in  je  einem  Punkt  einer  jeden  dieser  Grenzcurven  unendlich  von 
der  ersten  Ordnung  wird,  übrigens  aber  in  der  ganzen  Fläche  S  end- 
lich und  stetig  bleibt.  Es  lässt  sich  von  dieser  Function  leicht  zeigen, 
dass  sie  jeden  beliebigen  reellen  Werth  auf  jeder  der  Grenzcurven  ein 
und  nur  einmal  annimmt,  und  dass  sie  im  Innern  der  Fläche  S  jeden 
complexen  Werth  mit  positiv  imaginärem  Theil  wmal  annimmt,  wenn 
n  die  Anzahl  der  Grenzcurven  von  S  ist,  vorausgesetzt  dass  bei  einem 
positiven  Umgang  um  eine  der  Grenzcurven  ^  von  —  oo  bis  +  cx)  geht. 
Durch  diese  Function  erhält  man  auf  der  obern  Hälfte  der  Ebene, 
welche  die  complexe  Variable  ^  repräsentirt,   eine  nfach  ausgebreitete 


*)  Von  dieser  und  den  folgenden  Abhandlungen  liegen  ausgeführte  Manuscripte 
von  Riemann  nicht  vor.  Sie  sind  aus  Blättern  zusarameDgestellt,  welche  ausser 
wenigen  Andeutungen  nur  Formeln  enthalten.  W. 


414  XXV.     Gleichgewicht  der  Electricität  auf  Cylindern 

Fläche  Tj  welche  ein  cönformes  Abbild  der  Fläche  S  liefert,  und 
welche  durch  die  Linien  begrenzt  ist,  die  in  den  n  Blättern  mit  der 
reellen  Axe  zusammenfallen.  Da  die  Flächen  S  und  T  gleich  vielfach 
zusammenhängend  sein  müssen,  nemlich  w-fach,  so  hat  T  in  seinem 
Innern  2n  —  2  einfache  Verzweigungspunkte,  (vgh  Theorie  der  AbeT- 
schen  Functionen,  Art.  7.  S.  lOG)  und  unsere  Aufgabe  ist  zurückgeführt 
auf  die  folgende: 

Eine  wie  T  verzweigte  Function  des  complexen  Arguments  t,  zu 
finden,  deren  reeller  Theil  u  im  Innern  von  T  stetig  ist  und  an  den 
n  Begrenzungslinien  beliebige  vorgeschriebene  Werthe  hat. 

Kennt  man  nun  eine  wie  T  verzweigte  Function  lo  =li  -\-  ig  von 
t,j  welche  in  einem  beliebigen  Punkt  a  im  Innern  von  T  logarithmisch 
unendlich  ist,  deren  imaginärer  Theil  ig  ausser  in  £  in  T  stetig  ist 
und  an  der  Grenze  von  T  verschwindet,  so  hat  man  nach  dem  Green'- 
schen  Satze:  (Grundlagen  für  eine  allgemeine  Theorie  der  Functionen 
einer  veränderlichen  complexen  Grösse  Art.  10.  S.  18.  f.) 


2  7t      J  CT} 


dl 


wo   die  Integration  über   die  n  Begrenzungslinien  von  T  erstreckt  ist. 

Die  Function  g  aber  lässt  sich  auf  folgende  Art  bestimmen.  Man 
setze  die  Fläche  T  über  die  ganze  Ebene  ^  fort,  indem  man  auf  der 
unteren  Hälfte  (wo  5  einen  negativ  imaginären  Theil  besitzt)  das 
Spiegelbild  der  oberen  Hälfte  hinzufügt.  Dadurch  erhält  man  eine  die 
ganze  Ebene  J  wfach  bedeckende  Fläche,  welche  An  —  4  einfache  Ver- 
zweigungspunkte besitzt  und  welche  sonach  zu  einer  Klasse  algebraischer 
Functionen  gehört,  für  welche  die  Zahl  p  =  n  —  1  ist.  (Theorie  der 
AbeFschen  Functionen  Art.  7.  und  12.  S.  106,  112.) 

Die  Function  ig  ist  nun  der  imaginäre  Theil  eines  Integrals  dritter 
Gattung,  dessen  ünstetigkeitspunkte  in  dem  Punkt  e  und  in  dem  dazu 
conjugirten  f'  liegen,  und  dessen  Periodicitätsmoduln  sämmtlich  reell 
sind.  Eine  solche  Function  .ist  bis  auf  eine  additive  Constante  völHg 
bestimmt  und  unsere  Aufgabe  ist  somit  gelöst,  sobald  es  gelungen  ist, 
die  Function  g  von  0  zu  finden. 

Wir  werden  diese  letztere  Aufgabe  unter  der  Voraussetzung  weiter 
behandeln,  dass  die  Begrenzung  von  S  aus  ?^  Kreisen  gebildet  ist.  Es 
können  dabei  entweder  sämmtliche  Kreise  ausser  einander  liegen,  so 
dass  sich  die  Fläche  S  ins  Unendliche  erstreckt,  oder  es  kann  ein  Kreis 
alle  übrigen  einschliessen,  wobei  >S'  endlich  bleibt.  Der  eine  Fall  kann 
durch  Abbildung  mittelst  reciproker  Radien  leicht  auf  den  andern  zu- 
rückgeführt werden. 


mit  kreisförmigem  Querschnitt  und  parallelen  Axen.  415 

Ist  die  Function  ^  von  z  in  S  bestimmt,  so  lässt  sich  dieselbe 
über  die  Begrenzung  von  S  stetig  fortsetzen,  dadurch  dass  man  zu 
jedem  Punkt  von  S  in  Bezug  auf  jeden  der  Grenzkreise  den  harmoni- 
schen Pol  nimmt  und  in  diesem  der  Function  f  den  conjugirt  imaginären 
Werth  ertheilt.  Dadurch  wird  das  Gebiet  S  für  die  Function  ^  er- 
weitert, seine  Begrenzung  besteht  aber  wieder  aus  Kreisen,  mit  denen 
man  ebenso  verfahren  kann,  und  diese  Operation  lässt  sich  ins  Unend- 
liche fortsetzen,  wodurch  das  Gebiet  der  Function  5  mehr  und  mehr 
über  die  ganze  ^- Ebene  ausgedehnt  wird. 

Im  Folgenden  bedienen  wir  uns,  um  auszudrücken,  dass  zwei 
Grössen  a,  d  conjugirt  imaginär  sind,  des  Zeichens: 

a    1^  d , 
die  dadurch  ausgedrückte  Verknüpfung  zweier  Grössen  bleibt  bestehen, 
wenn  beiderseits  conjugirt  imaginäre  Grössen  addirt  werden,  oder  wenn 
mit  solchen  multiplicirt  oder  dividirt  wird;   auch  kann  beiderseits  die 
AVurzel  gezogen  werden,  wenn  dieselbe  richtig  erklärt  wird. 

Ist  nun  5  p  g'  und  entsprechen  den  Werthen  J,  g'  die  Werthe 
Zy  z,  SO  ist,  wenn  r  der  Radius  eines  der  Grenzkreise  von  S  ist,  und 
z  im  Mittelpunkt  desselben  den  Werth  ])  hat: 

z  —  p    ^         r 

woraus  sich  ergiebt:  z  A-  b 


wenn  a,  &,  c,  d  Constanten  bedeuten.     Hieraus: 


'^''  cz  -\-d 
ben.     Hi 

dz     ,_  ac  —  6c   dz' 

d^^r  {cz  +dy'dY 

1      ,         1        cz  -i-d 


Setzt  man  also: 


'l/dz         Yad  —  bc  l/dz' 

V  M  y  df 

z       _i_           1  az  -{-  b 

'l/dz     '     Yad  —  bc  l/dz' 

V di  V  dT 


y\ 


\z 

di        ,    r  d^ 

und  bezeichnet  die  Werthe,  welche  y,  y^  für   t,'  annehmen  mit  //,  y'i 
so  ergiebt  sich: 

^    '    yad  —  bc 
^^    '    yad-bc 


416  XXV.     Gleichgewicht  der  Electricität  auf  Cylindern  etc. 

woraus: 

d'y    ,    ^  df  ^"^  dt'' 


(2) 


dt'     '         yad-hc 

„d'y\    .    ,  d^y' 


folgt  aus 

d'y.    ,   " 
dt'  "i~ 

dt''     '    '^  df 

Nun 

Yad  —  hc 

(3) 

z 

V 

durch  Differentiation: 

äy. 

y  dt 

-^^f=l 

oder 

(4) 
und 

(5) 

ebenso: 

y  dt' 
1  dHj 

y  dt' 

1    d^y 

y'  dt'' 

_  1  ,<j'y; 
2/'.  dr^ 

Hieraus 

und 

aus 

(1),  (2)  folgt  weiter: 

(6) 

1 

y 

d'y 
dt' 

1    d^y, 
~  2/1  dt' 

1    1  d^y        1 

d'y\ 

dtr 

Setzen  wir  also 

/r7\  d^y 

(7)  d#  =  «2/ 

SO  ist  s  eine  Function  von  J  die  für  conjugirt  imaginäre  Werthe  von 
S  selbst  conjugirt  imaginäre  Werthe  erhält,  und  die  sich  also  nichi 
ändert^  wenn  man  in  der  Fläche  T  und  ihrer  symmetrischen  Fortsetzung 
auf  beliebigem  Weg  zum  Ausgangspunkt  zurückkehrt.  Mithin  ist  s  eim 
wie  T  verzweigte  algebraische  Function  von  J;  y  und  ^/i  sind  particulär( 
Lösungen  der  linearen  Differentialgleichung  (7)  und  z  ist  das  Verhältnis;- 
derselben.  Nimmt  man  umgekehrt  die  algebraische  Function  s  in  1 
beliebig  an,  jedoch  so  dass  sie  in  conjugirten  Punkten  conjugirt  imaginäre 
Werthe  erhält  und  mithin  für  reelle  Werthe  von  f  reell  wird^  und  nimmi 

irgend  zwei  particuläre  Lösungen  von  (7),  so  liefert  die  Function  0  ==  — 

ein  conformes  Abbild  der  Fläche  T,  welches  durch  Kreise  begrenzt  wird 
Die  dabei  auftretenden  unbestimmten  Constanten  hat  man  dadurch  zi 
bestimmen,  dass  dieses  Abbild  in  seinem  Innern  von  singulären  Punktei 
frei  und  mithin  in  der  ^- Ebene  einfach  ausgebreitet  ist,  und  dass  di* 
Grenzkreise  gegebene  Lagen  erhalten. 


I 


XXVI. 

Beispiele  von  Flächen  kleinsten  Inhalts  bei  gegebener 
Begrenzung.*) 

I. 

Es  soll  die  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt  bestimmt  w^den,  welche 
begrenzt  ist  von  drei  Geraden,  die  sich  in  zwei  Punkten  schneiden,  so 
dass  die  Fläche  zwei  Ecken  in  ihrer  Begrenzung  und  einen  ins  Un- 
endliche verlaufenden  Sector  besitzt. 

Die  Winkel,  welche  die  drei  geraden  Linien  mit  einander  bilden, 
seien  aity  /Jtt,  yn.  Auf  der  Kugel  wird  die  gesuchte  Fläche  abgebildet 
durch  ein  sphärisches  Dreieck,  dessen  Winkel  «jr,  ßn,  yjt  sind,  so  dass 
«  +  /^  +  r  >  1  ist. 

Es  mögen  mit  «,  ?>,  c  die  Punkte  bezeichnet  werden,  welche  in 
der  Ebene  der  complexen  Variablen  t  den  beiden  Ecken  und  dem  ins 
Unendliche  verlaufenden  Sector  entsprechen.  (Ueber  die  Fläche  vom 
kleinsten  Inhalt,  Art.  13.  S.  296.)     Dann  hat  man: 

const.  dt 


f 


oder 


u  =  const.  log 

Nimmt  man,  was  freisteht,  a  =  0,  ?>  =  c»,  c  =  1  an,  so  folgt  hieraus: 

dn  =  const. ;     n  =  const.  loff  — — ^ 

{\  —  1)^1  "  1  -f  vT 


*)  Für  das  erste  dieser  Beispiele  findet  sich  auf  eineni  einzebien  Blatt  in 
Riemann's  Nachlass  das  Resultat  kurz  aber  voUstüiulig  angegeben.  Bezüglich 
des  zweiten  liegt  nur  eine  Bemerkung  vor,  in  der  nicht  mehr  als  die  Möglichkeit 
der  Lösung  ausgesprochen  ist.  Für  die  Ausführung  ist  daher  der  Herausgeber  ver- 
antwortlich. Einige  besondere  Fülle  des  letzteren  Problems  sind  von  H.  A.Schwarz 
behandelt.     (Bestimmung  einer  speciellen  Minimalfläche.     Berlin  1871.^ 

HiEMANN'ä  gesammelte  mathematische  Werke.     1.  27 


418  XXVI.     Beispiele*  von  Flächen  kleinsten  Inhalts 

und  die  letztere  Constante  hat  den  Werth  l/l    ,  wenn  C  den  kürzesten 

V    27r ' 

Abstand  der  beiden  einander  nicht  schneidenden  Linien  bedeutet. 

Setzt  man  nun  nach  Art.  14.  der  genannten  Abhandlung  (S.  298) 

SO  sind  diese  Functionen  in  allen  Punkten  der  ^- Ebene,  ausser  0,  oo,  1 
endlich  und  einändrig,  und  wenn  man  das  Verhalten  dieser  Functionen 
in  der  Umgebung  der  singulären  Punkte  nach  der  an  erwähnter  Stelle 
(S.  299)  angegebenen  Methode  untersucht,  so  erkennt  man,  dass  \,\ 
zwei  Zweige  der  Function 


1          a 

1         ß 

y 

4  ~  ¥ 

4         2 

2 

4^2 

-  +  ^ 

4^2 

+  1 

sind,  und  für  i]  hat  man  den  Quotienten  zweier  Zweige  dieser  Function 
zu  setzen. 

n. 

Die  gesuchte  Fläche  vom  kleinsten  Inhalt  sei  begrenzt  von  zwei 
in  parallelen  Ebenen  gelegenen  geradlinigen  Polygonen  ohne  ein- 
springende Ecken  und  mit  je  einem  Umlauf.  In  diesem  Falle  wird  die 
Fläche  zweifach  zusammenhängend  sein,  und  kann  erst  durch  einen 
Querschnitt  in  eine  einfach  zusammenhängende  verwandelt  werden. 

Die  Abbildung  der  Minimalfläche  auf  der  Kugel  wird  begrenzt  sein 
durch  zwei  Systeme  von  Bögen  grösster  Kreise,  deren  Ebenen  senk- 
recht stehen  auf  den  Ebenen  der  Grenzpolygone,  und  welche  dem- 
nach in  zwei  diametral  entgegengesetzten  Punkten  der  Kugelfläche  zu- 
sammenlaufen. Jeder  dieser  beiden  Punkte  entspricht  den  sämmtlichen 
Ecken  der  beiden  Grenzpolygone.  An  jeder  Polygonseite  findet  sich 
Ein  Umkehrpunkt  der  Normale,  welcher  dem  Endpunkt  des  betrefien- 
den  Kreisbogens  entspricht.  Das  Bild  der  Minimalfläche  wird  also  die 
Kugelfläche  vollständig  und  einfach  bedecken. 

Projiciren  wir  die  Kugelfläche  auf  ihre  Tangentialebene  in  einem 
der  Punkte  in  welchem  die  Begrenzungsbögen  zusammenlaufen,  so  er- 
halten wir  als  Bild  der  Minimalfläche  ein  Flächenstück  ZT,  welches 
die  Ebene  der  complexen  Variablen  t]  völlig  ausfüllt,  und  begrenzt  isi 
einerseits  durch  ein  System  geradliniger  Strecken,  welche  sternförmig 
vom  Nullpunkt  auslaufen,  bis  zu  gewissen  Punkten  C^,  6^,  ...,  Cn- 
andrerseits  von  einem  System  ähnlicher  Strecken,  welche  von  gewissen 
anderen  Punkten   Ci,  C2,  .  .;  Cm  nach   dem   unendlichen  fernen  Punki 


bei  gegebener  Begrenzung.  41 

verlaufen,  und  deren  Verlängerungen  daher  im  0 -Punkt  zusammen- 
treffen (wenn  n  und  m  die  Anzahlen  der  Ecken  der  beiden  gegebenen 
l^lygone  bedeuten). 

Diese  zweifach  zusammenhängende  Fläche  soll  nun  in  der  Ebene 
einer  complexen  Variablen  t  auf  eine  die  obere  Halbebene  doppelt 
bedeckende  Fläche  T^  abgebildet  werden,  so  dass  den  beiden  Be- 
grenzungen die  reellen  Werthe  von  t  entsprechen.  Diese  Fläche  muss, 
damit  sie  zweifach  zusammenhängend  sei,  zwei  Verzweigungspunkte 
enthalten.  Fügen  wir  zur  Fläche  T^  ihr  Spiegelbild  in  Bezug  auf  die 
reelle  Axe  hinzu,  so  erhalten  wir  eine  die  ganze  ^- Ebene  doppelt  be- 
deckende Fläche  T  deren  vier  Verzweigungspunkte  conjugirt  imaginären 
VVerthen  von  t  entsprechen.  Durch  Einführung  einer  neuen  Variablen 
f  an  Stelle  von  t,  die  mit  t  durch  eine  in  Bezug  auf  beide  Variable 
quadratische  Gleichung  zusammenhängt,  lässt  sich  erreichen,  dass  die 

Verzweigungspunkte  den  Werthen  ^'  =  -|-  ^■,  +  -r-  entsprechen,  worin 

fi  reell  und  <  1  ist,  und  dass  ausserdem  einem  beliebigen  reellen  Werth 
von  ^  ein  gegebener  reeller  Werth  von  t'  in  einem  der  beiden  Blätter 
entspricht. 

Wir  haben  also  t  als  Function  der  complexen  Variablen  i]  so  zu 
bestimmen,  dass  sie  in  jedem  Punkt  der  Fläche  H  einen  bestimmten, 
stetig  mit  dem  Ort  veränderlichen,  Werth  hat,  in  den  beiden  Be- 
grenzungen von  H  reell  ist,  und  in  je  einem  Punkt  der  beiden  Be- 
grenzungslinien unendlich  von  der  ersten  Ordnung  wird.  Setzen  wir 
diese  Function  über  die  Begrenzung  hinaus  dadurch  stetig  fort,  dass 
wir  derselben  an  symmetrisch  zu  beiden  Seiten  einer  jeden  Begrenzungs- 
strecke gelegenen   Punkten   conjugirt  imaginäre   Werthe   ertheilen,   so 

hat,  wie  man  leicht  erkennt,  die  Function  —  jf  für  conjugirt  imagi- 
näre Werthe  von  t  selbst  conjugirt  imaginäre  Werthe.  Sie  ist  also 
in  der  ganzen  Fläche  T  einwerthig  und,  einzelne  Punkte  ausgenommen, 
stetig,  muss  mithin  eine  rationale  Function  von  f  und 


z/(<)  =  V{i  + 1')  (1  +  m^) 

sein. 

Bezeichnen  wir  die  reellen  Werthe  von  t,  welche  den  Punkten 
C'i ,  O^, .  .  . ,  C„,  Ci,  CV,  .  .  . ,  C^n  entsprechen,  mit  c, ,  r^, .  . ,  (J„,  c'i,  ci,  .  .,  c;„, 
die  gleichfalls  reellen  Werthe,  welche  den  mit  dem  Nullpunkte,  bezw. 
unendlich  fernen  Punkte  zusammenfallenden  Ecken  der  Fläche  H  ent- 
sprechen, mit  &i,  h^j  ..,  hny  ?>i,  fe,  ..,  Kij  so  muss  ^^^^  iincndlich 
klein  in  der  ersten  Ordnung  werden  für 

r  =  Cj,   ^2,   ..,   C«,  Ci,  C2^   ..,   Cfn j 

27* 


420  XXVI.     Beispiele  von  Flächen  kleinsten  Inhalts 

unendlicli  gross  in  der  ersten  Ordnung  für 

t  =  l\y  h.^,   .  .,  ha,  .  .,  h'ij  1)2,   .  .,  h'm 
und  in  den  Verzweigungspunkten 

'  =  +  '•' ±i- 

Wir  können  demnach  setzen: 

dt       yir-\- 1')  (1  +  F^) ' 

worin  cp  eine  rationale  Function  von  t  und  z/(^)  bedeutet,  welche  unendlicl 
klein  wird  in  den  Punkten  c,  Cj  unendlich  gross  in  den  Punkten  h,  J) 
und  welche  dadurch  bis  auf  einen  constanten  reellen  Factor  bestimmt  ist 
Damit  übrigens  eine  solche  Function  (p  existire,  muss  eine  Bedingungs 
gleichung   zwischen   den  Punkten  c,  c\  hj  h'  bestehen,   vermöge  dereii 
einer    dieser  Punkte    durch    die    übrigen    bestimmt   ist.     (Theorie    de  • 
AbeTschen  Functionen   Art.  8.   S.  107.)     Ueberdies    kann    nach    dem 
oben  Bemerkten  von  den  Punkten  c,  c  ^  h,  l>   einer  beliebig  angenommen 
werden.     Die   zu   log?^  hinzutretende   additive   Constante   ist  bestimmt 
wenn  der  zu  einem  der  Punkte  c  gehörige  Werth  von  ri,  rj^,  gegebeji 
ist,  wonach  sich  ergiebt: 


logi;  —  log  7^0=   /  -y^ 


(p{t,  J(t))dt 


In  diesem  Ausdruck  bleiben,  nachdem  tJq  und  c  festgesetzt  sind, 
noch  2n  +  2m  unbestimmte  Constanten,  nemlich  2n  +  2m  —  2  voii 
den  Werthen  c,  c,  h,  &',  der  Modul  k  und  ein  reeller  constantt  r 
Factor  in  (p. 

Für  diese  Constanten  ergeben  sich  zunächst  zwei  Bedingungei  , 
welche  besagen,  dass  der  reelle  Theil  des  Integrals 

(p{t,  J(t))dt 


/ 


* 


über  eine  geschlossene,  beide  Verzweigungspunkte  i,  -^  einschliessen 

Linie  verschwinden  soll  und  dass  der  imaginäre  Theil  desselben  Int  - 
grals  den  Werth  2;r^  haben  soll.  Für  die  2n  +  2m  —  2  übrig  bh  i- 
benden  Constanten  erhält  man  eine  ebenso  grosse  Zahl  von  Bedingung*  n 
aus  der  Forderung,  dass  den  Punkten  c,  c  die  gegebenen  Punkce 
C,  C  in  der  t^- Ebene  entsprechen  sollen. 

Wir  denken  uns  nun  die  ^-Axe  senkrecht  gegen  die  Ebenen  dir 
beiden  Grenzpolygone  gelegt,  und  untersuchen  die  Abbildung  d  3r 
Minimalfläche  in  der  Ebene  der  complexen  Variablen  X,  nachdem  d  e- 
selbe  durch  einen   von  einer  Begrenzung  zur  andern  gelegten  Sehn  tt 


bei  gegebener  Begrenzung.-  421 

in  eine  einfach  zusammenhängende  verwandelt  ist.  Der  reelle  Theil 
von  X  ist  dann  in  den  beiden  Begrenzungen  und  in  jedem  /u  den- 
selben parallelen  Schnitt  der  Fläche  constant.  Der  imaginäre  Theil 
wächst,  während  man  auf  einem  solchen  Schnitt  herumgeht,  beständig, 
und  zwar  im  Ganzen  um  eine  cpnstante  Grösse.  Daraus  folgt,  dass 
das  Bild  unserer  Fläche  in  der  X- Ebene  von  einem  Parallelogramm 
begrenzt  ist,  welches  die  Ebene  einfach  bedeckt,  von  dem  zwei  Seiten, 
welche  der  Begrenzung  der  Fläche  entsprechen,  der  imaginären  Axe 
parallel  sind.  Die  beiden  andern  Seiten,  die  -den  Rändern  des  Quer- 
schnitts entsprechen,  können  zwar  krummlinig  sein,  kommen  aber 
durch  eine  Verschiebung  parallel  der  imaginären  Axe  mit  einander  zur 
Deckung. 

Dieses  Parallelogramm  muss  sich  auf  die  obere  Hälfte  1\  der 
Fläche  T  so  abbilden  lassen,  dass  die  beiden  der  imaginären  Axe 
parallelen  Seiten  desselben  den  beiden  Rändern  von  1\,  die  beiden 
anderen  Seiten  den  beiden  Ufern  eines  Querschnitts  von  T^  entsprechen. 
Eine  solche  Abbildung  wird  daher  vermittelt  durch  die  Function 

X  =  ic  f—==JL==-  -f  c 

worin  die  Constante  C  reell  ist,  C  beliebig  angenommen  werden  kann, 
wenn  über  die  Lage  des  Anfangspunkts  auf  der  x-Axe  verfügt  wird. 
Ist  h  der  senkrechte  Abstand  der  beiden  parallelen  Grenzebenen,  so 
ergiebt  sich: 

7         .^r  idt 

h 


=-./ 


0 


wodurch  die  Constante  C  bestimmt  ist. 

Hiernach    ist    die   Aufgabe,    abgesehen    von  der  Bestimmung  der 
Constanten,  gelöst,  denn  man  hat  nach  den  Formeln  S.  292 


wodurch    die    Coordinaten    x,  y,  z   der    Minimalfläche    als    Functionen 
zweier  unabhängiger  Variablen  dargestellt  sind. 

Für  die  in  r]  vorkommenden  Constanten  ergeben  sich  noch  zwei 
Bedingungen,  welche  besagen,  dass  die  reellen  Theile  der  Integrale, 
durch  welche  Y  und  Z  ausgedrückt  sind,  über  eine  den  Nullpunkt 
einschliessende  geschlossene  Curve  in  der  j^ -Ebene  erstreckt,  den  Wertb 
0  haben  müssen. 


422  XXVI.     Beispiele  von  Flächen  kleinsten  Inhalts 

Nimmt  man  h  und  die  Richtungen  der  begrenzenden  Geraden  als 
gegeben  an,  so  hängen  unsere  Ausdrücke,  abgesehen  von  den  additiven 
Constanten  in  X,  Y,  Z,  von  n  -\-  m  —  2  unbestimmten  Constanten 
ab,  für  welche  man  die  Entfernungen  der  Punkte  C,  C  vom  Null- 
punkt in  der  ?^- Ebene  annehmen  kann,  zwischen  denen  nach  dem  so- 
eben Bemerkten  zwei  Relationen  bestehen  müssen.  Ebenso  gross  ist 
aber  auch  die  Anzahl  der  Constanten,  welche  die  gegenseitige  Lage 
der  Grenzpolygone  bestimmen.  Man  kann  nemlich,  indem  man  zwei 
Polygonseiten  zur  Fixirung  des  Coordinaten-Anfangspunkts  festhält, 
jeder  der  n  +  m  —  2  übrigen  noch  eine  Parallelverschiebung  in  ihrer 
Ebene  ertheilen. 


Einfachere  Gestalten  nehmen  die  Resultate  an,  wenn  wir  gewisse 
Symmetrieen  in  den  Verhältnissen  der  begrenzenden  Vielecke  voraus- 
setzen. Es  möge  im  Folgenden  der  Fall  betrachtet  werden,  dass  die 
beiden  Vielecke  regulär  seien  und  die  beiden  Endflächen  einer  gerade 
abgestumpften  geraden  Pyramide  mit  regulär -vieleckiger  Basis  bilden. 

Die  Umkehrpunkte  der  Normalen  liegen  in  diesem  Fall  sämmtlich 
in  den  Mittelpunkten  xler  begrenzenden  Geraden,  und  fallen  daher 
paarweise  in  dieselbe  durch  die  Axe  der  Pyramide  gehende  Ebene. 

Legen  wir  die  «/-Axe  senkrecht  gegen  eine  der  begrenzenden  Ge- 
raden, so  wird  in  der  i^-^bene  ein  Punkt  C  und  ein  Punkt  C  in  der 
reellen  Axe  liegen,  auf  welcher  sie  die  Abstände  t^q,  tjq  vom  Nullpunkt 
haben  mögen.  Die  Punkte  0,  bezw.  C  liegen  auf  zwei  concentrischen 
Kreisen,  auf  welchen  sie  die  Ecken  je  eines  regulären  Polygons  bilden, 
und  zwar  so,  dass  immer  ein  Punkt  C  und  ein  Punkt  C  auf  demselben 
Radius-Vector  liegt. 

Da  nun  in  der  Begrenzung  der  Fläche  T  ein  Punkt  beliebig  an- 
genommen werden  kann,  so  mag  festgesetzt  sein,  dass  dem  auf  der 
reellen  Axe  gelegenen  Punkt  C  der  Punkt  ^  =  0  in  einem  der  beiden 
Blätter  von  T  entspreche.  Es  folgt  dann  aus  der  Symmetrie,  dass  das 
zwischen  G  und  C  liegende  Stück  der  reellen  Axe  in  der  ?^-Ebene  in 
der  Fläche  T  einer  Linie  entspricht,  welche  vom  Punkte  ^  =  0  im 
ersten  Blatt  nach  dem  Verzweigungspunkt  t  =  i,  und  von  da  zurück 
zum  Punkte  ^  =  0  im  zweiten  Blatt  längs  der  imaginären  Axe  ver- 
läuft. Demnach  hat  die  Function  (p{ty  ^(f))  für  rein  imaginäre  Werthe 
von  t  selbst  rein  imaginäre  Werthe,  und  dem  Punkte  C  entspricht 
der  Werth  ^  =  0  im  zweiten  Blatt. 

Nun  wird  die  Fläche  H  durch  die  Substitution  rjrj'  =  fJQrjQ  auf  eine 
mit  H  congruente  Fläche  H'  abgebildet  in  der  Weise  dass  die  Punkte  C  in 
die  Punkte  C  übergehen  und  umgekehrt  (nur  in  vertauschter  Ordnung). 


bei  gegebener  Begrenzung.  423 

Hieraus  ergiebt  sich,  dass  den  beiden  in  der  Fläche  H  gelegenen  Punkten 
rj  und  Tj'  ==  ^^  über  einander  liegende  Punkte  in  beiden  Bliiiieni  der 

Fläche  T  entsprechen.  Und  da  d  log  rj  -\-  d  log  rj'  =  0  ist,  so  niuss 
q)(t,  ^(f))  in  übereinander  liegenden  Punkten  beider  Blätter  denselben 
Werth  haben,  ist  also  rational  ih  t  ausdrückbar  und  hat  zufolge  der 
oben  gemachten  Bemerkung  die  Form  til)(t^)y  wenn  ^  eine  rationale 
Function  bedeutet. 

Dies   veranlasst  uns,  die  Fläche  T  auf  eine  Fläche  S  abzubilden 
durch  die  Substitution: 

JL±11.  =  .'^ 

wonach  der  oberen  Hälfte  der  Fläche  T  ein  die  6' -Ebene  einfach  be- 
deckendes Blatt  entspricht,  welches  längs  der  reellen  Axe  zwischen  den 

Punkten  s  =  1  und  s  =  ,  und  zwischen  den  Punkten  s  =  —  1, 
s  ==  —        aufgeschlitzt  ist.     Die    Ränder    dieser    beiden    Schlitze  ent- 

sprechen  den  Grenzen  der  Fläche  H.  Für  X  ergiebt  sich  hiernach  der 
Ausdruck 

~^^J   >/(l  —  s')  (1  —  kH'') 


wenn 

ds 


"=] 


1/(1  -  s2)(l  -k'^s^) 


ist,   während   sich    y]   als    algebraische  Function   von  s  darstellen  lässt. 
Für  eine  Begrenzung  durch  Quadrate  findet  man 


n=^n 


ms)  (1  —  m  s) 


(1  -|-  ms)  (1  -f-  wi  s) 

den  Ecken  des  Quadrats  in  der  einen  Begrenzung  entsprechen  die 
Punkte  s  =  — ,  s  =  --  an  beiden  Rändern  des  Schlitzes,  den  ümkehr- 
punkten  der  Normalen  die  Punkte  6  ==  1 ,  ^  ==  ^-  und  ein  an  beiden 
Rändern  des  Schlitzes   gelegener  Punkt  6'  =      ,  der  aus  der  Gleichung 

— -^  =  0  zu  bestimmen  ist,  und  man  hat: 
ds  ' 

1  >  m  >  w  >  m  >  k.  *) 


*)  Es  lässt  sich  die  vorstehende  Betrachtung  auf  viele  Fälle  ausdehnen,  in 
denen  die  beiden  Polygone  nicht  regulär  sind.  So  behält  der  obige  Ausdruck  für 
7]  seine  Gültigkeit  für  die  Begrenzung  durch  zwei  Rechtecke,  deren  Mittelpunkt^ 


424  XXVI.     Beispiele  von  Flächen  kleinsten  Inhalts 

Für  die  Begrenzung  durch  gleichseitige  Dreiecke  ergiebt  sich: 

/l  —  ms\i  (i  —  ks\l 

^  —  ^\l  +  ms)     Vr-fk's)    ' 

Um  für  diesen  letzteren  Fall  die  Möglichkeit  der  Constanten- 
bestimmung  zu  untersuchen  setze  man  zunächst  s  =  +  l,  wodurch 
sich  ergiebt: 


c^v^.,  vi=i^i^ 


also: 

^0         ^1  +  ^''^     ^1  + 
und  für  den  besonderen  Fall,  dass  beide  Dreiecke  congruent  sind 

^0^0  =  1  ;         C=l. 

Den  Ecken  des  Dreiecks  in  der  einen  Begrenzung  entsprechen  die 

Punkte  s  =  —  an  beiden  Rändern  des  Schlitzes  und  der  Punkt  -5-,  so 

m  Je ' 

dass  ]c  <  m  <  1    sein    muss.     Der    erste    Umkehrpunkt    der  Normalen 
findet  statt  für  s  =  1,  die  beiden  andern  entsprechen  einem  Punkte 

s  =  —  an  beiden  Rändern  des  Schlitzes,  so  dass 

n  erhält  mai 
die  Bestimmung: 


sein  muss.     Für  n  erhält  man  zunächst  aus  der  Gleichung       ,       =  0. 


9         km(m  -\-  2  k) 

u    = i ' j 

2m  +  k       ' 

woraus  für  jedes  Werthsystem  von  h,  m,  welches  der  Bedingung 

0<A;<m<  1 

genügt,  ein  Werth  von  n  hervorgeht,  welcher  zwischen  h  und  m  liegt. 

Man  erhält  aber  zwischen   m^  n,  h  noch  eine   zweite  Gleichung, 

welche  ausdrückt,  dass  für  s  =  —    ri^  =  tjq  werden   soll.     Diese  Glei- 
chung ist: 

/l  —  m\2  1  —  k /n  —  w\2  n  —  k 

\1  -f  m/    1  -j-  ^         \n  -{-  m/    n  -{-  k 
und   wenn  man   aus   diesen  beiden  Gleichungen  n  eliminirt,   so  erhält 
man  folgende  Relation  zwischen  h  und  m: 

'^  \k{l  +  m')  -f  2m)   ~  ^  U  +  2m)  ' 
aus  welcher  k  durch  ni  zu  bestimmen  ist. 


in  einer  zu  ihrer  Ebene  senkrechten  Linie  liegen,  vorausgesetzt  dass  der  Modul 
von  7777'  für  die  Umkehrpunkte  der  Normalen  denselben  Werth  hat.  Dies  findet 
z.  B.  statt  wenn  beide  Rechtecke  congruent  sind. 


bei  gegebener  Begn  ll/un;^^  425 

Für  1c  =  0  ist  die  linke  Seite  dieser  Gleichung  Null,  die   rechte 
~ ,  für  k  =  m  ist  der  Unterschied  zwischen  linker  und  rechter  Seite 

(1  —  my 
m(3  +  m'Y 

also  positiv  für  in  <C  1.  Es  existirt  daher  zu  jedem  Werth  von  m  der 
kleiner  als  1  ist,  eine  ungerade  Anzahl  von  Werthen  von  h  <  m.  Da 
sich  nun  ferner  leicht  ergiebt  dass  die  Function 

zwischen  Ic  =  0  und  it  =  m  nur  Ein  Maximum  hat,  so  folgt,  dass  für 
jedes  m  <  1  Ein  und  nur  Ein  unseren  Bedingungen  genügender  Werth 
von  Ic  gefunden  werden  kann,  und  darnach  ergiebt  sich  auch  nur  Ein 
zugehöriger  Werth  von  n.  Für  die  beiden  Grenzen  m  =  0  und  ni  =  1 
erhält  man  *fc  =  n  =  m. 

Für    die    Functionen  X,   Y,  Z  finden    sich  hiernach,    wenn  man 
über  die  additiven  Constanten  verfügt,  die  Ausdrücke: 

y.  h  /*  llS 


=  A  r 


s2)  (1  —  k^s') 


y  Jl  /• dS / 1_\ 

~^^J  yä  -  s2)  (1  -  kH^)   V       nl 

~        8^J    >/(l  -  s2)  (1  -  k'^s')     V  ~^  n)  ' 
1 

Die  beiden  noch  übrigen  Constanten,  m  und  y'^o^'o  bestimmt  man 

aus   den   gegebenen  Längen  der  Dreieckseiten.     Bezeichnen  wir  diese 

mit  a  und  ?>,  so  ergiebt  sich: 


ds 


VTT  —  s'-»)  (1  -  k^s'') 

1 
1 

m 


("+!) 


1 
In  dem  besonderen  Fall  a  ==  h  ist  rjQrjo  =  1  und  es  bleibt  zur  H' 
Stimmung  der  Constanten  m  die  eine  transcendente  Gleichung 

j_ 

ff» 
a  i       /' ds /       I    ^\ 

Ä  ~  2kJ  y(i  -s''){i  -k^s^)  V        nl' 


426  XXVI.     Beispiele  von  Flächen  kleinsten  Inhalts  etc. 

Lässt  man  in  dem  Ausdruck  zur  ilecliten  ni  von  0  bis  1  gehen,  so 
behält  derselbe  positive  Werthe,  wird  aber  an  beiden  Grenzen  unendlich 
gross.  Er  muss  also  für  einen  zwischenliegenden  Werth  von  m  ein  Mini- 
mum haben.  Daraus  folgt,  dass  es  für  das  Verhältniss  y-  eine  untere 
Grenze  giebt,  jenseits  der  die  Aufgabe  keine  Lösung  mehr  hat,  während 
für  jeden  Werth   von  -^ ,    der   über   dieser  Grenze  liegt,   zwei  Werthe 

von  m,  also  zwei  Lösungen  der  Aufgabe  existiren.  Es  ist  anzunehmen, 
dass  nur  der  kleinere  der  beiden  Werthe  von  m  einem  wirklichen 
Minimum  des  Flächeninhalts  entspricht. 


XXVII. 

Fragmente  über  die  Grenzfalle  der  elliptischen  Modul- 

functionen. 

I. 

Additamentum  ad  g""'  40. 
[Fundamenta  nova  theoriae  functionum  ellipticariim.] 

Formulae  in  hoc  §°  propositae  in  eo  casu,  nbi  modulus  ipsius  q 
unitatem  aeqiiat,  consideratione  satis  dignae  videntur,  quippe  quae 
functiones  unius  variabilis  pro  quovis  argumenti  valore  discontinuas 
praebeant. 

Series  quidem  propositae  magna  ex  parte  pro  niodulo  ipsius  q 
unitati  aequale  non  convergunt^  sed  integrando  series  convergentes  inde 
derivari  possunt;  itaque  primo  integralia  formularum  1  —  7  proponamus 

(48)  j\\ogh  -  log4>/2")  !L2  =  _  41og(l  +  </)  +  -*  lpg(l  +  f) 

0 

-  -g  log  (1  +  q')  +  \^  log  (1  +  a*)  -  .  . 


(40)  J 

ü 

(50)  J'log  ^  iL«  =  4  log  (1  +  2)  +  i  log  (1  +  2^)  ^  ^  ,„g  ( 1  +  g.^  ^ . 

(51)  /(^-  l)^  =  -41og(l-g)  +  ilog(l-3^')-5log(l-5^)  +  . 

0 

-  +  2^l0gr+|.  +  Yl0g^-|^.  +  y  l0gr+,3,  +  - 

(52)  /'^^  dq_  i_+yq  _  4        i+yj^        4         1_+»^^ 

0 

.  .,        1  —  yqi     ,     4t"  1  —  yq^i    ,4t,        t  —  i/o*i     , 

=  4dog^-pp|-.  +  -  log  ^-^.  +  -j-  log  j  ;p-^.  +. 

(53)  J(2^_iyi?_  _41„g(l+^)^4,^g(l^^,)_4,^g(l_^^,^_^. 

0 

=  —  2 i  log— -,-^  +  -«  los  r-r-V-  —  .T  log  ,   ,  -V  +  •  • 


428  XXVII.     Fragmente  über  die  Grenzfälle 

(54)  j'(^i^'-  l)  ^  =  -I  log(l  +  a^)  +  l  log(l  +  ./) 

=  -  Y  log  t  +  ^H  +  T  1°§  T+Yi 
-  T  log  r-TsBi  +  T  l^g  i--|:i«i  ~  ■  ■  ■ 

ubi  logarithmos  ita  sumendos  esse  manifestum  est,  ut  evanescant  positc 
'q  =  0. 

Functiones   eaedem    ad   dignitates   ipsius   q   evolutae   adhibitis   Cl 
Jacobi  denotationibus  hoc  modo  repraesentantur 


(55)/(logfc-log4y2)!^  =  -42'f^,(3^-^-^2 


4.P 

4  16  "^ 

3 


-^a 


Sp 'L^  n^Gp 


64  ^  256 


(56)  J-logr^  =  82'^2^ 

0 

(57)  j'log^^  =  42'5f)(r-|2^^-iä^'-i3'--5!^2-- 

ü 

(58)  /Y^^      iV^^l  V  ^in)a''^'--^'''' 

0 

(59)  r?^  i^  _  8  y 


(4wj  —  1)^ 
(4w  —  l)'^n 

(4w  — 1)'« 


(60)  J(^_l)^.  =  _4  2'^ 


ly'n 


4-  4  V^  ^Wg 

^      2'  +  ^4 


2^"^^(4»i—  1)2« 


(61)      fh_VlK        .\dq___,^^{n)q^'ZT"L 
J    \     ^  /     3    ~~  ^      2(4m-l)2n 

0 

Accuratiori  functionum  propositarum  disquisitioni  tanquam  lemiia 
antemittimus  theorema  sequens  generale. 
Si  series 

«0  +  ^1  +  «2  H 


der  elliptischen  Modulfunctionen.  429 

eo  quo  scripsimus  ordine  summata  summam  habet  convergentem,  functio 
ipsius  r  hac  serie 

«0  +  fh  ^'  +  «■>  ^'  H 

expressa,  convergente  r  versus  limitem  1,  convergit  versus  valorem 
eundem. 

Hinc  facile  deducitur 

Si  functio  f{q)  complexae  quantitatis  q  pro  modulis  ipsius  q  uni- 
tate  minöribus  exhibeatur  per  seriem 

hanc  seriem  pro  valore  q^^  cujus  modulus  sit  unitas,  si  habeat  sum- 
mam, exprimere  valorem  eum,  quem  functio  [(cj)  nanciscatur  conver- 
gente q  versus  q^  ita,  ut  modulus  tantum  mutetur,  i.  e.  secundum 
notam  repraesentationem  geometricam,  appropinquante  puncto,  per  quod 
quantitas  q  repraesentatur,  in  linea  ad  limitem  spatii,  pro  quo  functio 
est  data,  normal i. 

Quamobrem  hos  tantum  valores  functionum  propositarum  hie  re- 
spicimus,  etiamsi  evolutiones  48  —  54  latius  pateant. 

Sit  brevitatis  gratia  U)  aut  absolute  minima  quantitatura  a  quan- 
titate   X  numero   integro  distantium,   aut,   si  x  ex   numero   integro  et 

fractione  —  composita  est,  =^(),  porro  E{x)  numerus  integer  maximus 

non    major    quam   x:    obtinemus    e    48,    attribuendo    ipsi   q    valorem 


(62)   J\\ogh-\og4yq) 


dq 


—  21og4cos~  +  -log4cos-^ log4cos  — 

+  -log4cos-^ 

.       .  /x\     ,    ^7ii/2x\         Ani/3x\     .    Ani /Ax\ 

-  ^^^  12.)  +     4"  (2^/  ~  -T\2^)+W\2n)-' 


vix 
(—  l)"log4  cos 


^2^' T  ^'    [+«2'--^e-:)]- 

Pars  imaginaria  hujus  seriei  convergit,  quicunque  est  valor  ipsius 
X,  pars  realis,  si  ^  est  numerus  surdus,  non  convergit,  sin  minus, 
denotando  literis  m,  n  numeros  integros  iuter  se  primos,  et  ponendo 
—  ==  -    ita  exhiberi  potest 


430  XXVTI.     Fragmente  über  die  Grenzfälle 

1*^  si  n  est  impar,  aequalis  fit, 

2  S        —    1/cOS 2  2 


>  5 —  lose  4  cos r— T,  locf  4 


9i       

Sin 

n 


2^  si  n  est  par,  designante  j9  nunierum  imparem 
2     _i^     2(-lMog4cos 2 

,,  Sm  TT  — 

+ ^  (-  ^)' 0°«  :t?i + '«^« + ^-  2'?^) 

quae    formula    rnanifesto   ita   est    intelligenda,    functionem   propositam^ 
subtracta  functione 


'^(- 1)^10 


si  convergat  q  modo  supra  stabilito  versus  limitem  g^,  convergere  ver- 
sus limitem  finitum,  ejusque  valorem  assignat, 
Perinde  obtinetur 

(63)   J  _logÄ:^=-21ogtg-  — -tg— --logtg— 

+^(©-(l^+i))+- 


1,  <» 


(G4)     /  log— ^==21og4cosy +  -log4  cos-y-  +  -.. 

^  ,     ,      ./a;\     ,    47r^  /SicX     ,    47r*  /5a?\     , 


-   OD,     OO  Ij   <» 


(65)   y'(y^_i)i?  =  _21og4sin-|-^  +  |log4.in2f! 

— -log4sin--  +• 


der  olliptiachen  ModiiU'unctionon.  431 

A      •  {  ^      I     1\     I     4 Tri    /3a;    ,     1\ 

+ ^'^  ((;. + 1)  -  (;: + !)) + T  ((f: + 1)  -  f: + d) 

+  ^(6l+:)-6i^+!))+- 

({\{X\      r^^fcK  dq  ^,       ,     rc2  2  Sx^         2,       ,     5a;'^    , 

^      J    't'  y  =  -  ^i^g^gl  +  3  logtg—  —  -  logtg-  +  . . . 

+4«<(.^)-(f.+i))-*-F(©-e+3)+- 

+  |'logtg(^^)^+... 

+4K(.^+i)-(f,+:))+T(G^+i)-g+i))+- 

(07)  J(?^'_l)l.  =  _21og4cos^^  +  ?log4cos?f' 


—  ^log4cos-^-  + 


=  -  V  log  tg  (-- f^  j    +  2  log  tg  (—f-j 

-i,ogtg(^^r  +  ... 

+f(e+i)-(^+i))-- 

(68)    l'(^ylM  -  l)  1  = log4  cos  ^^  +  *  log  4  cos  3^« 


^  log4cos5a:^  + 


-  i  log  tg  (.r  +  ;)'  +  {  log  tg  (2.;  +  ;)■' 

-;  log  tg  (3^ +  !)>•. 


432  XXVII.     Fragmeute  über  die  Grenzralle 

-f((V'+i)-(~+i))+- 

Posito  X  =  —  27C  fit  pars  iinaginaria  formulae  65 
P  si  n  est  uumerus  par 

Ü,  CO  1,  H— 1 

2^  si  n  est  numerus  impar 

0,00  1.2rt  — 1 

quam  patet  liabere  valorem  finitum,  nisi  w  est  =^  0  mod  4. 


Convergentia  summae 

«0  +   ^1    +   « >   +  «3 

postulat,  ut  data  quautitate  quam  vis  parva  f  assiguari  possit  terminus 
«Ä,  a  quo  summa  usque  ad  terminum  quemvis  a,n  extensa  nanciscatur 
valorem  absolutum  ipso  s  minorem.     lam  posito  brevitatis  gratia 

f « -f  1  =  ^«  + 1 

f «  +  3  =  (In  -f  1   +  «II  -f  2   +  ««  +  3 


functio 

/'(>•)  =  «0  +  ^1  ^"  +  ^2  >''  H 

facile  sub  Lac  forma  exhibetur 

=  «0  +  ^^1  >•  +  ^•>  '•' H h  ^« '""  +  ^^  +  1 C»""^'  -  *'""^') 

Unde  patet  convergente  r  versus  limitem  1  functionem  f(r)  tandem 
quavis  quantitate  minus  a  valore  seriei 

^0  +  «1  +  ^2 

distare.  Summa  terminorum  altioris  gradus  quam  w,  quum  sint  f«-f  i, 
f„  4-ä, .  .  ex  hyp.  omues  omisso  sigTio  <  f ,  differentiaeque  r"  +  *  —  r"  +-  . . 
omues  positivae,  manifesto  evadit  quantitate  absoluta 

<  f  (,.«+1  _  ^.«  +  2)  _|_  f  (,.«+2  __  ,..  +  3)  .  .  . 

summa   autem  terminorum  uon  altioris  gradus  quam  n  est  functio  al- 


der  elliptischen  Modulfanctionen.  433 

gebraica  ipsius  r,  quam  constat  appropinquaudo  r  unitati  summae 

«0  +  «1  +  «2  H h  «u 

quantumvis  appropinquari  posse;   unde  patet  appropinquando  r  unitati 
(lifferentiam  functionis  f{f)  a  valore  seriei 

«0  +  «1  H 

infra  quantitatem  quamvis  datam  descendere. 

Ex  hoc  theoremat^^  quod  CP  Abel  tribueudum  esse  Cl""  Dirichlet 
modo  (1852  Sept.  14)  quum  antecedentia  jam  essent  scripta  monuit, 
facile  deducitur 

IL 

logA-  =  log4)V^  +  2'(-l)%'  7^.      ^  =  r-- 
1)  a;  =5  - — 3r,     n  ungerade. 


0,  X     1,2« 


U       1.2  h 

0       l,2n  '  1,2»« 

u         1,2«  *       1,11  —  1   1,2« 

L^  ==   y  (-  1)  «         r    _  _    1     y  ^  ._ 

'  U.  2«— 1 

0,Ji-l 

1,  »  —  1 

1.  H—  1 

u.«— 1  1,«  — 1 

RiutAXX's  gesammelte  mathematische  Werke.     I.  28 


434  XXVIT.     Fragmente  über  die  Grenzfalle 

2)  X  =  ---TC  j   m,  n  ungerade. 

q  —  q^,  2m^    X  /    .s-  n       °  i  _  «" 


1         . 

—  1 .7  ^     -.2  m« 


1,4/1-1 


=  ^  +  f*-  + 


^      ],4n  1,  4n— 1  0,2«— 1 

=  Ä  +  ^i  +  2.2.i^^(-rr(;!^-E(^,m,^l  mod.2«. 
=  ^  +  -(^^  +  ^,  +  22'^(|^)(-  1)"-  ^^-i^d^jC-  1).) 


l,n — '1  l,n  —  1 


3)   x  =  T7—7t,  m  ungerade. 


low. = ^-^^  ^  y-'  +  ^  locf^+n 

t  .s 

1,8«— 1  ' 

-A+  ^t  +  2J    2,  — ■^,  „2,„,  ^  1  (      1) 


1,8«— 1 

V  —  1  .7  ^     -.2  ?/i  S  ^  — — 

8« 


=  ^  +  f*-  + 


^     1,8«  l,8w-l  0,4«-l 

t  EE  2r7n  +  4w  mod.  8w 


r 


1,4.71-1 

■~{Sn{(-iy-^(r-l)-{-iyr)  +  8n{-m4n-l)) 
=  A  +  ^i  +  2^1og{l-a^"")=^i-iy 


2w+  1,  2n  — 1 


der  elliptischen  Modulf unctionen.  435 

=  A  +  l  i-4^  log  (-  ««"")  ±  (-  1). 

0,  2  n  —  1 

=^+^-4i:(:';:+i)(.',)(-i)'2- 

0,  2  n  —  1 

(x)  =  absolut  kleinster  Rest  von  x. 
1)  x==—Jty  m  ungerade. 

iog7.:'  =  4/y  y--L„_i_ 

0,  00   1,4/i— I  ^^^li)., 

1      ,  ,  2  7rf 

a  =  e 


J21 


}        t  t  1  s  a 

ardx       1  1 


Ji        1,1«  1,4«— 1  0,'J«-1 

1  -  j«^'""        ^    1  - 


ß  „2 //i s a 


^2» 

0,2«  — 1 


ff 
0,  n  — 1 


L_ =  _    V    V?  (yß2m.a^  i   '^„2m» 

0,  2«— 1 

=  ^[l0g(l   +  ««(2.+  1))  _  log(l   +  «-"'(2-+1))] 
0,  «  —  1 


0,  ?t— 1 


2)  ic  =  — ,  n  ungerade.  a  =  e 

°  9  - «.  4«'  ^^      ^     .1     Zj     l-  x«»  1  -  ««"" 


^  + 


^      1,2«  1,2/1—1   0,«  — 1     \  " 


1)  t  =  m(2r  +  1)  mod.  2n 

2)  <^w«(2r+  l)  +  72 

28* 


436  XXYII.     Fragmente  über  die  Grenzfälle 


=  ^  +  8  2*  log  (1  -  «»<-  +  ")  f^  ('-    -^j: 

0,  7t  —.1 

=  yl  +  8  V  K^)  (log(l  — «2»'^+»'")  —  log(l  — «-2"'-'+'"'')) 


n 


••^ 


—  4  V(^-J  (log(l  — «-'"'■^■+('"+i>«)  — log(l  — «-2'»-^+^'«+^)«)) 


'•'^ 


-^  +  4-2'(^)( ) 


7 

m^  EE  1  mod.  ^? 


71  —  1 


=(-i)'»+'fei^+-('^-^-42'^(f+i)); 


'."-i^ 


1)      ri;  =  —  jr,  n  ungerade. 

'  0,  «— 1  ' 

0     1'^"  1,7?  — 1 

=  log|4|  +  22log(l  -  «^'■"')  (-  1)'  i^« 

1,71—1 

-22log(]  -«^'■'"+»)(-  ly^w 


1,  W  — 1 


der  elliptischen  Modulf unctionen.  437 


..•^ 


2ä.- 


2)      x=  —Ttj  )i  ungerade,  m  ungerade,  «  =e*" 
»TT  (Z  —  g'o    ^n'*    '        ^(Zo  —  (Z  .^  .^  4n«  +  s  «2"*«    i    j 

l,4w  — 1  ' 

=  A  + 


1,4«— 1  0,L'«— l 


^     l,4n  1,4«— 1  1,2/1—1 

1)  ^  ^  2nir  mod.  4?^ 

2)  t  =  2mr  +  2n 

=^A-2^  log (1  -  «-''0  ^  (-  ir  (^^)  4n 


l,2w  — 1 


+  2^  log(l  -  «»».'■ +  ^".)  (-  !/•  ('-^^) 

=^-2..2'(-i)'((-^')-p)5V-') 

1,2«— 1  ^ 

l,2  7i— 1 

m\i  ^  1  mod.  2n 

l,n  — 1 

3)      X'  =  ,—  7t ,  m  un<(eracle. 


l,4rt  — 1  ' 

,y     1,2«  '      .  l,4n— 1  1,4«— 1 

=  ^  +  2;ri_2' (-  ly  i^^^-^)  '    '»/'  =  1  «»«d.  4n . 


Erläuterungen  zu  den  vorstehenden  Fragmenten 

von  li.  Dedekind. 

Die  Entstehimgszeit  (September  1852)  des  ersten  der  beiden  Frag- 
mente macht  es  wahrscheinlich,  dass  Riemann  darauf  ausging,  für 
die  Abhandlung  über  die  trigonometrischen  Reihen  Beispiele  von 
Functionen  zu  finden,  die  unendlich  oft  in  jedem  Intervall  unstetig 
werden,  und  es  ist  möglich,  dass  die  zweite  Untersuchung,  welche  sich 
auf  einem  kaum  leserlichen  Blatt  findet,  demselben  Zwecke  dienen  sollte. 
Die  hier  von  Riemann  benutzte  Methode  zur  Bestimmung  des  Ver- 
haltens der  in  der  Theorie  der  elliptischen  Functionen  auftretenden 
Modulfunctionen  für  dei;i  Fall,  dass  das  complexe  Periodenverhältniss 

K'i log  2 

K  ni 

sich  einem  rationalen  Werthe  nähert,  gestattet  aber  eine  sehr  inter- 
essante Anwendung  auf  die  sogenannte  Theorie  der  unendlich  vielen 
Formen  der  'O'-Functionen,  nemlich  auf  die  Bestimmung  der  bei  der 
Transformation  erster  Ordnung  auftretenden  Constanten,  welche  be- 
kanntlich von  Jacobi  und  Her  mite  auf  die  Gauss 'sehen  Summen, 
also  auf  die  Theorie  der  quadratischen  Reste  zurückgeführt  ist.  Dti 
ich  diese  Bemerkung  erst  in  den  letzten  Tagen  vor  dem  Abdruck  ge- 
macht habe,  so  ist  keine  Zeit  übrig  geblieben,  die  Correctheit  dcj 
Riemann'schen  Formeln  in  den  reellen  Theilen  genau  zu  prüfen;  dti 
sie  sich  aber  sämmtlich  aus  der  im  Folgenden  angedeuteten  Unter 
suchung  ergeben  müssen,  so  wird  hoffentlich  ihre  Mittheilung  auch  ohne 
diese  Prüfung  gerechtfertigt  erscheinen. 

Den  Mittelpunkt  der  Theorie  dieser  Modulfunctionen,  welche  mai 
auch  ganz  unabhängig  von  der  der  elliptischen  Functionen  aufstellei 
kann,  bildet  gewissermaassen  die  Function 

—  i. 

riip)  =  l''77(l  -  1-0  =  g^^nil  -  q'^) 

wo  zur  Abkürzung 

gesetzt  ist,  und  wo  das  Productzeichen  sich  auf  alle  positiven  ganze]  i 


Erläuterungen  zu  den  vorstehenden  Fragmenten.  439 

Zableii  V  erstreckt.  Da  diese  Function  der  complexen  Variablen 
G)  =  X  -^  yi,  deren  Ordinate  y  stets  positiv  ist,  im  Innern  des  hier- 
durch bej^renzten,  einfach  zusammenhängenden  Gebietes  nirgends  Null 
oder  unendlich  gross  wird,  so  sind  auch  alle  Potenzen  von  rj((o)  mit 
beliebigen  Exponenten,  und  ebenso  \ogr}{c})  durchaus  einwerthige 
Functionen  von  ta,  sobald  ihr  Werth  an  einer  l)estimmten  Stelle  fest- 
gesetzt ist.     Die  Function  log?^(w)  Soll  dadurch  definirt  werden,  dass, 

wenn  ij  über  alle  Grenzen  wächst,  also  q  =  l     unendlich    klein  wird, 

logi?(«)  — ^'  =  0 
wird.     Nun  ist  bekanntlich  (Fundam.  nova  §.  30.) 


'j(2a>)^(|),(q--^)=l^N(a.)?, 


n-2— ; 

(:)     • 


>  ,1 


"{-2-) 


'    1 


V    n  rj{(o) 


(I) 


also  nach  der  obigen  Festsetzung: 

lüg  rj  (2  co)  +  log  ri  (|-)  +  log  rj  (^--^  ")  ==  ^^'  +  3  log  rj  («) 

log  ]c  =  log  4  +  ""^r'  +  4  log  rj  (2  CO)  — 4  log  yj  (Vte?) 

log//=^  +  41og,(f)-41og,(l4^) 

i^s  V  =  -  T  +  ^  i^g  ^  i^r)  -  2  ^^^'  ^^'^^^ 

wo   die  Logarithmen   linker  Hand   (wie   in  den  Fund,  nova   y<.    1 
einwerthige  Functionen  von  c?  so  definirt  sind,  dass 

log/c  — log4  -  ^'  =  log/.:  —  \og4Yq, 


2K 

los:/:'  und  log^^ 


mit  q  unendlich  klein  werden. 

Aus  diesem  Verhalten  der  Functionen  ergiebt  sich  nun  mit  Hülfe 
der  Transformation  erster  Ordnung  der  0-- Functionen  ihr  Verhalten 
bei  AnnäheruniT   von  w   an    einen   reellen   rationalen  Werth,   also   bei 


440  Erläuterungen  zu  den  vorstehenden  Fragmenten. 

Annäherung  von  q  an  eine  bestimmte  Einlieitswurzel  q^  (die  irratio- 
nalen reellen  Wertlie  gehören  in  gewissem  Sinne  gar  nicht  mit  zur 
Begrenzung  des  Gebietes  der  Variablen  co).     Setzt  man 

00 

=  2  7?(«)l'' sin  ^'jr  77(1  —  l'"''  +  0(l  —  p>'-^') 

so  wird,  wenn  man  die  nach  s  genommene  Derivirte  durch  einen  Accent 
bezeichnet, 

Sind  nun  a^  ß,  y,  d  vier  der  Bedingung 
ad  —  ßy=l 
genügende  ganze  Zahlen,  so  ist  bekanntlich 

wo  c  eine  von  a,  ß,  y,  d  und  der  Wahl  der  Quadratwurzel  abhängige 
achte  Einheitswurzel  bedeutet,  deren  Bestimmung  von  Her  mite  auf 
die  Gauss'schen  Summen  zurückgeführt  ist.  (Liouville^s  Journal, 
Sene  IL  T.  III.  1858.)     Für  ^  =  0  ergiebt  sich  hieraus 

also 

Man  kann  daher,  wenn  ß^O  ist, 

setzen,  wo  die  einwerthige  Function 

so  definirt  werden  soll,  dass  ihr  imaginärer  Theil  zwischen  den  Grenzen 

+ -r-  liegt,    während   log/S''^  reell   zu   nehmen   ist;    dann   wird  h  eine 

durch  a,  ß,  y,  d  vollständig  bestimmte  ganze  Zahl  sein,  welche  die- 
selbe bleibt,  wenn  diese  vier  Zahlen  mit  ( —  1)  multiplicirt  werden. 
Die  vollständige  Bestimmung  dieser  ganzen  Zahl  h  leistet  offenbar  noch 
sehr  viel  mehr,  als  die  Bestimmung  der  obigen  Einheitswurzel  c. 

Um  dies  zu  erreichen,  lasse  man  cj  =  x  -\-  yi  dem  rationalen,  in 

kleinsten  Zahlen  ausgedrückten  Werthe  —^  sich  so  annähern,  dass  mit 
y  auch 


Erläuterungen  zu  den  vorsteheiultii  Kra^'mcntcn.  441 


y 

unendlich  klein  wird,  so  wird 


CO 


«-fßo)    ^    ^        ß(«4-|J«) 


der  Art  unendlich  gross,   dass  q  =  P  '   unendlich  klein,  und  folglich 

\ogri(o) ^  =0 

wird.     Bei  dieser  Annäherung  wird  mithin 

0  =  log^(<o)  +  ^ log-^/    +  j logß-  +  i,p^^q-p-)  +  -,.r  -  T^ 

und   da   alle    Glieder   mit  Ausnahme    der   beiden    letzten    nur   von  den 
beiden  Zahlen  «,  ß  abhängen,  so  kann  man 

hß  —  a  —  d  =  2(-  a,  ß) 
setzen,  wo  2( —  ^^,  ß)  und,  wie  sich  leicht  zeigen  Hesse,  auch  ( —  c(,  ß) 
selbst  eine  lediglich  von  den  beiden  relativen  Primzahlen  «,  ß  abhängende 
ganze  Zahl  bedeutet,  durch  deren  Einführung  der  Annäherungssatz  die 
Form 


1  ,      nw 


lo2 


(II)  .  ^  =  l^^'^K«)  +  r2^^7^^)+2-^       ni 

+  - log  7rH p^V"'"' 

annimmt,  wo  7n.  und  n^O  zwei  beliebige  relative  l^rinizahlcn  bedeuten, 
und   angenommen   wird,  dass  co  ^=  x  -\-  yi  in   der  angegebenen  Weise 

sich  dem  Werth  —  nähert,  nemlich  so,  dass  mit  u  auch 

{nx  —  my^ 

y 

unendlich   klein   wird.     Ersetzt   man   m,  n   durch   —  7/i,  —  w,  so  er- 
giebt  sich 

(III)  (—  m,  —  u)  =  —  (/M,  n) 

ausserdem  folgt  aus  der  obigen  Definition  des  Symbols  ( —  «,  /3),  weil 
h  eine  ganze  Zahl  und  aÖ    -  1  (mod.  ß)  ist,  allgemein 

(IV)  2m{m,  n)^w^+  1     (mod.  n). 

Zugleich  nimmt  die  obige  Gleichung  für  die  Transformation  erster 
Ordnung  der  Function  log>?(ö)  die  folgende  Form  an: 

(V)  'og,a-J--J^)  = 

log.W  +  |log^±f "  +  jlog^^  +  '-^:^}±^^.i. 
Die  Fundamentaleigenschaffcen  des  Symbols  (m,  n)  ergeben   sich 


442  Erläuterungen  zu  den  vorstehenden  Fragmenten. 

nun   auf  folgende  Weise.     Aus   der  Definitiou   von  log?;(«)   folgt  im 
mittelbar 

log  7^(1  +  09)  =  logi?((a)  +  ^' 
Bei  Annäherung  von  a  an  —    nähert    sich    nun    1  +  w    dem    Wertli 
— - — ,  welcher  gleichfalls  in  den  kleinsten  Zahlen  ausgedrückt  ist,  unc 
folglich  wird  nach  dem  obigen  Annäherungs-Satze 

0  =  log  7^  ( 1  +  «)  +  ^  ^    ,  ""^  -  .  +  i  log  "^ '' 
^  '^       '        ^     '     12  7i(nco—  vi)     '     2      ° 


CO  —  vi)     '     2      °       ni 
,     1  1         2    I    2  [ni  +  n ,  n)  —  vi  —  n 
+  I  l°g'*    +  12« ''' ' 

woraus  durch  Vergleichung 

(m  +  ?i,  n)  =  (m,  ?^) 
also  allgemein 

(VI)  (m\  n)  =  {m,  n)  wenn  m  e^  w  (mod.  n) 

folgt.     Aus   dem   allgemeinen  Transformations -Satze   (V)   ergiebt  sie] 
ferner 

lo^^  n  {^)  =  log  n  («)  +  ^-  log  (—  CO  i)  +  1^-L^^  , 

oder,  da  für  co  =  i 

(VII)  (0,  l)  =  (m,  1)  =  0 


folgt, 


log  V  {-^)  =  log  7^(t0)  +  -|  l0g(—  09  0; 


nähert  sich  nun  hierin  co  dem  Werth       ,  also dem  Werth  , 

n  ^  (o  VI 

SO    ergiebt   sich,   wenn   m   ebenfalls   von   0    verschieden   ist,   aus   den 

Annäher ungs- Satze  fll) 

0  =  logT^  I 1  -J-  --^ J_  -loff — 

^  '  \  (o  /     '     12m{nco —  vi)    '     2      ^     covii 

I     1  1           2    1     2(—  n,  vi)  -\-  n      . 
+  -  log  m^  +  -^ 1     AZr_  jj.^. 

durch  Vergleichung    mit    dem   ursprünglichen   Annäherungs- Satze   (II) 

unter  genauer  Berücksichtigung  der  über  die  Logarithmen  gemachten 

Festsetzungen  ergiebt  sich  das  Resultat 

(VIII)         2m{m,  n)  —  2n{~  w,  m)  =  1  +  m^  +  n^  +  ?>mn 

wo  das  obere  oder  das  untere  Zeichen  zu  nehmen  ist,  je  nachdem  mi 

positiv    oder   negativ    ist.      Dasselbe    ist   nur    ein    specieller    Fall    d(  s 

folgenden,  welches  man  erhält,  wenn  man  in  dem  allgemeinen  Tran  - 

formations  -  Satze   (V) ,    die  Variable   co   sich  dem  Werth   —   annähei  ti 
lässt:    Sind  w,  n  und  m ,  n,  zwei  Paare   von  relativen  Primzahlen,  ^t) 


Erläuterimgon   zu  den  vorstchcudcn  Fragment fii.  443 

wird,  wenn 

n'  ==  ntii  —  mn' 

gesetzt  und  m"  durch  die  Congruenzen 

mm'  ^  niy      um"       n      (niod.  n') 
bestimmt  wird, 

2nn{m\  n")  —  27in\m,  «)  +  2nn'{m\  n) 

wo  das  obere  oder  das  untere  Zeichen  zu  nehmen  ist,  je  nachdem 
nun"  positiv  oder  negativ  ist.  Aber  offenbar  ist  der  Werth  des  Sym- 
bols (^)H,  n)  schon  durch  die  Sätze  (VI),  (VIT),  (VIJI)  vollständig  be- 
stimmt, und  man  findet  denselben  durch  eine  Art  Kettenbruch -Ent- 
wicklung. 

Es  ergiebt  sich  ausserdem,  dass  allgemein 

( —  m,  n)  =  —  {m,  w),     (m,  —  n)  =  (m,  n) 
ist;   der   erstere   dieser  beiden  Sätze  kann  auch  daraus  abgeleitet  wer- 
den,  dass  log>^( — (aj  mit  log  »^(oj)  conjugirt  ist,  wenn  Wj  die  mit  co 
conjugirte  complexe  Grösse  bedeutet. 

Man  kann  ferner  ohne  Verletzung  dieser  Sätze  die  Bedeutung  des 
Symbols  (w*,  n)  auch  auf  den  Fall  n  =  0  ausdehnen,  woraus,  da  m 
stets  relative  Primzahl  zu  n  sein  soll,  nt  ==  +  1  folgt,  und  es  er- 
giebt sich 

(±1,Ö)  =  ±1. 

Es  ist  endlich  allgemein 

(nij  n)  =  {m,  n)  wenn  mm  ~.zi  1  (mod.  n) . 

Diese  Zahlen  (v>/,  n),  deren  Theorie  die  Untersuchungen  von  Her- 
mite  über  die  von  ihm  mit  g?(G>),  i/'(w),  xio)  bezeichneten  Functionen 
in  sich  schliesst  (Sur  la  theorie  des  equations  modulaires.  1859),  be- 
sitzen die  merkwürdigsten  zahlentheoretischen  Eigenschaften;  aber  es 
ist  nicht  leicht,  einen  allgemeinen  Ausdruck  für  dieselben  zu  Hnden. 
Mit  Hülfe  der  von  Riemann  in  dem  zweiten  Fragmente  angewandten 
Methode  gelingt  es  aber  einen  solchen  Ausdruck  in  Form  einer  end- 
lichen Summe  aufzustellen. 

Bedeutet  r  einen  positiven  echten  Bruch,  der  sich  der  Einheit 
nähert,  so  kann  man  bei  normaler  Annäherung  von  a  an 


0)  —       =  yi  =  77^^ ,      Q   =  rq;. 


rcc 


setzen,  wo   logr  reell  und  «  =  1 "  =  6'  "    ist.     Gleichzeitig  wird 
log  via,)  =  ^'  +  2"  '"g  ( 1  -  2")  =  ^'  +  2^  '°fc'  ( 1  -  '••«"") 


444  Erläuterungen  zu  den  vorstellenden  Fragmenten. 

wo  die  Logarithmen  rechter  Hand  für  r  =  0  verschwinden,  oder  nac  i 
der  Umformung  von  Jacobi  (Fund,  nova  §.  39) 

WO  V  wieder   alle  positiven  ganzen  Zahlen  durchlaufen  muss.     Näheit 
sich  nun  r  dem  Wertlie  1,  so  wird  nach  dem  Annäherungs-Satze  (11) 


GnMog 


_1_  Hoo-^  -4-  (^^^'  ^^)^^' 
'     4      »47r-  "T"         6w 


WO  alle  Logarithmen  reell  zu  nehmen  sind;   durch  den  Uebergang  zi  r 
conjugirten  Grösse  erhält  man  gleichzeitig 

0  =  —    > ^ +  -  loj]j  lo<?  - 

^         '    ^^  6>rlog  — 


"T"  4      &47r'^  ßn 


fol<»;lich  wird  für  r  =  1 


2^' 


oder 

hm   >  —  =  ^-V-^ —  , 
j^  V  3n       ' 

wo  zur  Abkürzung 

1 ._  1      

gesetzt  ist.     Es  lässt  sich  nun  beweisen,  dass  die  Reihe 

V 

wenn  ihre  Glieder  nach  wachsenden  v  geordnet  werden,  au  di 
noch  für  /'  =  1  convergirt  und  an  dieser  Stelle  stetig  ist,  d.  h.  di  ss 
sie  sich  dem  Grenzwerth 

nähert,  wo  al  den  aus  «,  für  r  =\  hervorgehenden  Coefficienten  1  e- 
deutet.  Durch  Vereinigung  von  je  zwei  Gliedern  a,.,  welche  den  .  n- 
dices  v.=  sn  -{-  6  und  i/  =  (s  +  l)n  —  (5  entsprechen,  wo  0  <  (?  <  ,^ , 
ergiebt  sich  nemlich  leicht,  dass  der  Modul  der  Summe 

Av  =  a^ -\-  a.^ -\-  ' '  -\r  cLv 
für  alle  Werthe  von  r  einschliesslich  r  =  1  unterhalb  einer  von  r  i)  q< 


\ 


Erläuterungen  zu  den  vorstehenden  Fragmenten.  445 

V  unabhängigen,  endlichen  Constanten  bleibt,  woraus  die  obige  Be- 
hauptung nach  einem  Satze  folgt,  den  ich  durch  Verallgemeinerung 
der  Ab  einsehen  Principien  gefunden  habe  (Dirichlet,  Vorlesungen 
über  Zahlentheorie,  2.  Aufl.,  §.  143.  Anm.).     Es  ist  daher 

und  die  Summe  rechter  Hand  liisst  sich  nach  der  von  Riemann  an- 
gewandten, von  Dirichlet  herrührenden  Methode  (liecherches  sur 
diverses  applications  etc.  §.  1  in  Cr  eile's  Journal  Bd.  19)  in  Form 
einer  endlichen  Summe  bestimmen,  weil 

all   =  ür  -I-  „ 

und  (wenn  n  positiv  vorausgesetzt  wird) 

«;'  +  «;'  +  •••  +  K  =  f> 

ist.     Durch  Anwendunsc  der  Gleichung 


1 


—  =    I  x^~^  dx 

0 

ergiebt  sich  auf  diese  Weise 

1 
(w,  n)  7t  i /*     f{x) 

3n       ~  J    1  _  .-r» 


wo 

V 

i,?t 
(resetzt  ist.     Durch   Auflösung  in   Partialbrüche    und   Ausfühnintr   der 
Integration  folgt 

(ü!i|)-' =  _  2"  A«-"")  log  (1  -  «""), 

wo  /  ein  vollständiges  Restsystem  (mod.  w)  mit  Ausschluss  von  /  < ' 
durchläuft,  und  der  imaginäre  Theil  der  Logarithmen  zwischen  +  —, 
also 

zu  nehmen  ist,  wenn  der  Deutlichkeit  halber  der  von  x  um  eine  ganze 
Zahl  abstehende,  zwischen  +  y  liegende  Werth  nicht  mit  (a:),  sondern 
mit  ((.^•))  bezeichnet  wird.     Durch  Anwendung  der  Transformation 


0,n  — 1 


440  Erläuterungen  zu  den  vorstehenden  Fragmenten.  ~ 

erhält  man  den  auch  für  v  =  n  geltenden  Ausdruck 

und  hieraus  folgt  leicht 

/■(«-"")  =  ^«;' «-""'  =  [-']-  [t\  =  -  2m  ((I  -  D) 

wenn  allgemein  mit  [f]  der  in  der  Reihe  6  =  0,  1,  2  .  .  .  (w  —  1)  be- 
findliche Rest  der  Zahl  t  nach  dem  Modul  n  bezeichnet  wird.  Mai] 
erhält  daher,  Avenn,  wie  oben  vorausgesetzt  wurde,  n  positiv  ist, 

(^ = 2'  ( M  -  [-  *^ !  ((t  - 1)) = 2.^  ((1  -  i))  ((^'  -  i)) 

wo  t  ein  vollständiges  Restsystem  (mod.  n)  zu  durchlaufen  hat.  Diesei 
Ausdruck  für  (ni,  n)  in  Form  einer  endlichen  Summe  lässt  sich  nocl: 
umformen  und  bedeutend  vereinfachen,  was  aber  hier  unterbleiben  soll 
Es  sollen  hier  nur  noch  zum  Schluss  die  Formeln  zusammengestelH 
werden,  die  sich  aus  dem  Hauptsatze  IL  und  dem  Formelsystem  I.  füi 

die  Annäherung  von  ca  an  den  Werth  —  ergeben,  woraus  die  Riem.ann' 

sehen  Resultate  folgen  müssen.  In  demselben  ist  zur  Abkürzung  ge- 
setzt 

Ä  =  TTr-T T  J  -^  =  17  log : \-  -  log  M^  . 

Es  folgt  dann: 

0  =  log,(a,)       +2A  +  B  +^  J2(m,  »)  -  m  j 

0  =  logj)(2fi,)    +   ^  +  B  +  llog2  +  ^j(2m,«)-«j 

wenn  n^l  (mod.  2] 

0  =  Yogri{2a,)    +4A  +  B  +  J^  [^ {«'' y)  - ''j 

wenn  n^O      „ 

Ö  =  log,(f)     +    A  +  B  +^J2K2«)-«j 

wenn  m  ^  1 

2 

wenn  m^O      „ 
O  =  logrim^)+   Ä  +  B  +^{2(m  +  «,  2w)-m-wl 

wenn  m  -\-  n  =^1  (mod.  2 

0  =  log,C-±^)  +  4^  +  I?-|log2  +  ^(2(^t^,«)-^^") 

wenn  m  -\-  n^O  (mod.  2^ 


O  =  log^(f)     +4^  +  Ji-ilog2  +  ^{2(f,«) 


Erläuterungen  zu  den  vorstehenden  Fragmenten.  447 

und  hieraus: 

I.  wenn  m  :^  n^  1  (mod.  2) 

2  (2m,  n)  +  (m,  2n)  +  2  ("'  + '\  n)  =  G(m,  n) 
log^  =  V2Ä  -  210.2  +  ':;'  +  ^  |(--±^,  .)  _  (2..,  .)j 
log//  =  12^  -  21og2  +  ^^  [2('"  +  ^  n)  -  (m,  2«)j 

log^^=  -  12.4-2iy+  21og2  +  i;^  \^{m,  n)  -  2('"  +  ^  ^) j 
IL  wenn  ?>i  :   :  0,  n  —^.  1   ( niod.  2) 

2(2m,  n)  +  2(y,  n)  +  (;m  +  n,  2n)  =  Q>(m,  n) 
log/.-  =  '^  +  l[^  {(..  +  n,  2n)  -  2{2m,  n)} 

log//  =  _  12^1  +  21og2  +  ll  jfm  +  »,  2^0  -  2(",  >^)} 


^og  ^  =  —  2i>'  +  If^     (w,  n)  —  (w  +  ??,  2n)\ 


IIL  wenn  w^  EzEE  1 ,  n^^O  (mod.  2) 

4/m,  y)  "I~  (^^''  ^*^)  ~f"  (^^'  +  *^  2w)  =  6(/;/,  m) 
log/;  =-X2A  +  21og2  +,  !^'  +  fi  {(m  +  «,  2«)  -  4(,«,  |)} 

logr=  ,  +|1  [(,„  +  „,  2«)- K2«)j 

log?=  -  27i  +  "^  {(»»,  «)  -  («»  +  n,  2n)j 


XXVIII. 

Fragment  aus  der  Analysis  Situs. 

Zwei  Einstrecke  werden  derselben  oder  verschiedenen  Gruppen  zu- 
gerechnet, je  nachdem  das  eine  stetig  in  das  andere  übergehen  kann 
oder  nicht. 

Je  zwei  Einstrecke,  welche  durch  dasselbe  Punktepaar  begrenzt 
werden,  bilden  zusammen  ein  zusammenhängendes  unbegrenztes  Ein- 
streck und  zwar  kann  dies  die  ganze  Begrenzung  eines  Zweistrecks 
bilden  oder  nicht,  je  nachdem  sie  derselben  oder  verschiedenen  Gruppen 
angehören. 

Ein  inneres,  zusammenhängendes,  unbegrenztes  Einstreck  kann, 
einmal  genommen,  entweder  zur  ganzen  Begrenzung  eines  innern  Zwei- 
strecks ausreichen  oder  nicht. 


Es  seien  %,  %,  ..,  am  m  innere  zusammenhängende  unbegrenzte 
w- Strecke,  welche,  einmal  genommen,  weder  einzeln  noch  in  Verbin- 
dung ein  inneres  n  -\-  1- Streck  vollständig  begrenzen  können,  und 
&i,  &2J  •  '  >  ^m  '^yi  ebenso  beschaffene  ^^-Strecke,  deren  jedes  mit  einen] 
oder  einigen  der  a  zusammengenommen  ein  inneres  n  -\-  1  -  Streck  voll- 
ständig begrenzen  kann,  so  kann  jedes  innere  zusammenhängend« 
w-Streck,  welches  mit  den  a  die  ganze  Begrenzung  eines  inneren  w  +  1 
Strecks  bilden  kann,  dies  auch  mit  den  h  und  umgekehrt. 

Bildet  irgend  ein  unbegrenztes  inneres  w- Streck  mit  den  a  zu 
sammengenommen  die  ganze  Begrenzung  eines  inneren  n -j- 1  -  Strecks 
so  können  in  Folge  der  Voraussetzungen  die  a  nach  und  nach  elimi 
nirt  und  durch  die  h  ersetzt  werden. 

Ein  ^^Streck  A  heisst  in  ein  anderes  B  veränderlich,  wenn  durcl 
A  und  durch  Stücke  von  B  ein  inneres  w  -f-  1  -  Streck  vollständig  be 
grenzt  werden  kann. 

Wenn  im  Innern  einer  stetig  ausgedehnten  Mannigfaltigkeit  mi^ 
Hülfe  von  m  festen,  für  sich  nicht  begrenzenden,  ?^-Strecksstücke} 
jedes  unbegrenzte  n- Streck  begrenzend  ist,  so  hat  diese  Mannigfaltig 
keit  einen  m  +  1- fachen  Zusammenhang  ^^ter  Dimension. 


XXVIII.     Fragment  aus  der  Analysis  Situs.  44'.' 

Eine  stetig  ausgodelinte  zusammenhängende  Mannigfaltigkeit  lieisst 
einlach  zusammenhängend,  wenn  der  Zusammenhang  jeder  Dimension 
einfach  ist. 

Ein  Querschnitt  einer  begrenzten  stetig  ausgedehnten  Maimig- 
faltigkeit  Ä  heisst  jede  im  Innern  derselben  verlaufende  zusammen- 
hängende Mannigfaltigkeit  B  von  weniger  Dimensionen,  deren  Be- 
grenzung ganz  in  die  Begrenzung  von  Ä  fällt. 

Der  Zusammenhang  eines  >i-Strecks  wird  durch  jeden  einfach  zu- 
sammenhängenden u  —  w- streckigen  Querschnitt  entweder  in  der  witen 
Dimension  um  1  erniedrigt  oder  in  der  m  —  1  ten  Dimension  um  1 
erhöht. 

Der  Zusammenhang  fiter  Dimension  kann  nur  geändert  werden, 
indem  entweder  unbegrenzte  nicht  begrenzende  ft- Strecke  in  begrenzte 
oder  begrenzende  in  nicht  begrenzende  verwandelt  werden,  ersteres  in 
sofern  zur  Begrenzung  eines  |u,-Strecks,  letzteres  in  sofern  zur  Be- 
grenzung eines  ^  -f-  1-Strecks  neue  Theile  hinzukommen. 


Abhängigkeit    des   Zusammenhangs    der   Begrenzung    J>   einer   stetig 
ausgedehnten  Mannigfaltigkeit  Ä  von  dem  Zusammenhang  derselben. 

Die  unbegrenzten  innerhalb  B  nicht  begrenzenden  Vielstrecke 
zerfallen  in  solche,  welche  innerhalb  Ä  nicht  begrenzen,  und  solche, 
welche  innerhalb  Ä  begrenzen.  Untersuchen  wir  zunächst,  wie  der 
Zusammenhang  von  B  durch  einen  einfach  zusammenhängenden  Quer- 
schnitt von  Ä  geändert  wird. 

Ä  sei  von  der  ^^ten,  der  Querschnitt  q  von  der  mten  Dimension, 
a  eine  Hülle  eines  Punktes  von  q  von  der  n  —  1  —  m  ten  Dimension, 
welche  q  nicht  schneidet,  p  die  Begrenzung  von  q. 

Der  Zusammenhang  von  Ä  wird  in  der  )i  —  1  —  m  ten  Dimension 
um  1  vermehrt,  wenn  a  innerhalb^'  nicht  begrenzt,  in  der  n  —  wi  ten 
Dimension  um  1  vermindert,  wenn  a  innerhalb  Ä'  begrenzt 


Ä  =  i  _J       j  wenn  a  innerhalb  Ä'  nicht  begrenzt  (a) 
=  (  j  wenn  a  innerhalb  Ä'  begrenzt  (ß) 


*) 


*)  Es  finden  sich  im  Manuscript  hier  noch  uinifje  Zeichen,  deren  Bedeutung 
und  Zusammenhang  ich  nicht  entziffern  konnte. 

ßiKMANN's  gesammelte  matliematisdie  Werke.    I.  29 


450  XXV  in.     Fragment  aus  der  Analysis  Situs. 

Aenderung 
I.  a  innerhalb  A    nicht  begrenzend  ^,q^  ^  ^^^^  _g 

a  innerhalb  B'  nicht  begrenzend       A>;,  +  1\       (n m 1     m  \ 

folglich  p  innerhalb  B  begrenzend.      \_|_x/       \       _\\         +1/ 
IL  a  innerhalb  A'  begrenzend 

a  innerhalb  B'  nicht  begrenzend        (  j         (  _i    1  ) 

folglich  p  innerhalb  B  begrenzend.  "■" 

III.  a  innerhalb  A'  begrenzend 

a  innerhalb  B'  begrenzend  (       i  )  (        i  i    ) 

folglichjp  innerhalb  ^  nicht  begrenzend. 

Zwei  Vielstreckstheile  (Raumtheile)  heissen  zusammenhängend  oder 
einem  Stück  gehörig,  wenn  sich  von  einem  inneren  Punkt  des  einen 
durch  das  Innere  des  Vielstrecks  (Raumes)  eine  Linie  nach  einem 
inneren  Punkt  des  andern  ziehen  lässt. 


Lehrsätze  aus  der  Theoria  Situs. 

(1.)  Ein  Vielstreck  von  weniger  als  n  —  1  Dimensionen  kann  nicht 
Theile  eines  n-Strecks  von  einander  scheiden.  Ein,  zusammenhängendes 
w-Streck  hat  entweder  die  Eigenschaft,  durch  jeden  n —  1- streckigen 
Querschnitt  in  Stücke  zu  zerfallen  oder  nicht.  Den  Inbegriff  der  er- 
steren  bezeichnen  wir  durch  a. 

Wird  ein  unter  a  gehöriges  w-Streck  durch  einen  n  —  2-streckigen 
Querschnitt  in  ein  anderes  verwandelt,  so  ist  dies  zusammenhängend 
und  gehört  entweder  zu  a  oder  nicht. 

Diejenigen  ?^- Strecke  a,  welche  durch  jeden  n  —  2-streckigen 
Querschnitt  unter  die  Nicht-«  versetzt  werden,  bezeichnen  wir  durch  a^. 

(2.)  Wird  ein  Vielstreck  A  durch  einen  |Lt-streckigen  Querschniti 
in  ein  anderes  A'  verwandelt,  so  bildet  jeder  Querschnitt  von  mehr 
als  ^  -\-  1  Dimensionen  von  A  einen  Querschnitt  von  A'  und  um- 
gekehrt. 

Wird  eins  der  w- Strecke  %  durch  einen  n  —  3 -streckigen  Quer- 
schnitt in  ein  anderes  verwandelt,  so  gehört  dies  zu  den  a  (2),  kanr 
aber  entweder  zu  den  a^  gehören  oder  nicht. 

Diejenigen  unter  den  a^,  welche  durch  jeden  n  —  3-streckigei 
Querschnitt  unter  die  Nicht -%  versetzt  werden,  bezeichnen  wir  durch  a^ 

Fährt  man  auf  diese  Weise  fort,  so  erhält  man  zuletzt  eine  Kate 
gorie  an  — 2  von  n- Strecken,  welche  diejenigen  der  an  —  z  umfasst,  die 
durch  jeden  einstreckigen  (linearen)  Querschnitt  unter  die  Nicht-a^«-.; 
versetzt  werden.    Diese  w-Strecke  a„_2  nennen  wir  einfach  zusammen 


XXVIII.     Fragment  aus  der  Analysis  Situs.  451 

I 

hängend.     Die  ?i- Strecke  a^  sind   also  einfach  zusammenhängend,   in 

sofern  von  Querschnitten  von  n  —  ft  —  2  oder  weniger  Dimensionen 
abgesehen  wird  und  sollen  bis  zur  n  —  ft  —  2ten  Dimension  einfach 
zusammenhängend  genannt  werden.*) 

Ein  j^Streck,  welches  nicht  bis  zur  n  —  Iten  Dimension  einfach 
zusammenhängend  ist,  kann  durch  einen  n —  1 -streckigen  Querschnitt 
zerlegt  werden,  ohne  in  Stücke  zu  zerfallen.  Das  entstandene  n- 
Streck  kann,  wenn  es  nicht  bis  zur  n  —  Iten  Dimension  einfach  zu- 
sammenhängend ist,  durch  einen  ähnlichen  Querschnitt  weiter  zerlegt 
werden,  und  offenbar  lässt  sich  dies  Verfahren  fortsetzen,  so  lange 
man  nicht  zu  einem  bis  zur  n  —  Iten  Dimension  einfach  zusammen- 
hängenden gelangt  ist.  Die  Anzahl  der  Querschnitte,  durch  welche 
aine  solche  Zerlegung  des  n-Strecks  in  ein  bis  zur  ersten  Dimension 
3infach  zusammenhängendes  bewerkstelligt  wird,  kann  zwar  nach  der 
Wahl  derselben  verschieden  ausfallen,  offenbar  aber  muss  sie  für  eine 
jrattung  von  Zerlegungen  am  kleinsten  werden. 


*)  In  Ueberein Stimmung  mit  dem  Folgenden  sollten  wohl  die  w- Strecke  a 
ils  zusammenhängend  bis  zur  n  —  [i  —  Iten  Dimension  bezeichnet  sein. 


29' 


XXIX. 

Convergenz  der  jp-fach  unendlichen  Theta- Reihe.*) 

Es  kann  die  Untersuchung  der  Convergenz  einer  unendKchen  Reihe 
mit  positiven  GHedern  immer  reducirt  werden  auf  die  Untersuchung 
eines  bestimmten  Integrals  nach  folgendem  Satlz: 

Es  sei 

«1  +  %  +  «^3  H 

eine  Reihe  mit  positiven   abnehmenden  Gliedern^   ferner  f(x)  eine  iiit 
wachsendem  x  abnehmende  Function,  so  ist: 

a-\-  1 

/■(«)  >Jmdx  >  f(cc  + 1) 

a 

und  mithin: 

«  + 1 

m  +  fW  +  •••  +  /■(»)  >J'f{x)dx  >  /■(!)  +  f(9)  +  ...+  f(n  +  1). 

0 

Die  Reihe 

m  +  /■(!)  +  /'(s)  +  •  •  ■  • 

convergirt  und  divergirt  daher  gleichzeitig  mit  dem  Integral 


Q 


f(x)  dx. 

0 

Ist  nun  f{n)  positiv  und  an  <if{ri),  so  wird  die  Reihe: 

«1  +  »2  +  %  H 

ebenfalls   convergiren,   sobald  jenes  Integral  convergirt.     Daraus  f(  Igt 
der  Satz: 

Ist  an<Cf(x),  sobald  n^x  ist,   so  convergirt  die  Reihe  27««,  so- 

bald  das  Integral  Jf(x)dx  convergirt. 

0 


*)  Diese  und  die  folgende  Abhandlung  sind  einer  Vorlesung  entnomi  len, 
welche  Riemann  in  den  Jahren  1861  u.  1862  gehalten  hat.  Der  Bearbeitung  1  egt 
ein  von  G.  Roch  geführtes  Heft  zu  Grunde. 


XXIX.     Convcrgciiz  der  7>-fucli  uin-adliclieu  Tliotii-iioiho.  453 

Setzt  man  nun  x  =  9O/),  f{x)  =  fiMll))  =  F{y),  so  erhält   man 

J mdx  ^  j' F{y)  <p'iy)dy . 

0 

AVenn  mm  die  beiden  Variablen  x-,  y  gleiehzeiti«,'  ab-  und  zuneh- 
men (und  zwar  bis  unendlich)  so  wird  nach  den  gemachten  Voraus- 
setzungen mit  wachsendem  y  F(y)  abnehmen,  (p(y)  wachsen.  Darnach 
liehen   die   oben  gefundenen  Bedingungen  der  Convergenz  in  folgende 

über: 

Die  Reihe  Za^  convergirt,  wenn  für  n  >  (p(y)  a„  <  l\y\  oder,  was 
ilasselbe  ist,  wenn  für  a„  ^  F{y)  n  <  (p{y)  ist  und  das  Integral 


jF(:y)<p'(y)dy 


(onvergirt. 


Ist  nun  an>F{y)j  so  sind  es  auch  a^,  a.^j  ..,  «n-i.  Ist  also 
'i„^i  <F{y),  so  ist  n  die  Anzahl  der  Keihenglieder,  welche  grösser 
als  F{y)  sind.     Daher  lässt  sich  der  Satz  auch  so  ausdrücken:     • 

Sind  F{i)),  (p  (y)  zwei  Functionen,  von  denen  die  erste  mit  wachsen- 
dem y  abnimmt,  die  zweite  (ins  Unendliche)  zunimmt,  und  ist  die  An- 
zahl der  Glieder  einer  Reihe  mit  positiven  Gliedern,  die  gleich  oder 
grijsser  als  F{y)  sind,  kleiner  als  (p(j/),  so  convergirt  die  Reihe,  wenn 

das  Integral  j  F{y)  (p\y)dy  convergirt. 

ij 

Es  sollen  nun  solche  Functionen  für  die  ^^-fach  unendliche  '9"-Reihe 

p  p  p 

»  \  p  Zi  El'  tti.  i  Wi  mi  4-  2Z»  vit  Vt 
—^^11  '1 

e 


m 


aufgesucht  werden,   in   der  wir,  ohne  die  Allgemeinheit  zu  beeinträch- 
tigen, zunächst  voraussetzen  können  die  Grössen  Wj,  ,•  und  Vi  seien  reell. 
Das  allgemeine  Glied  dieser  Reihe: 

p  p  i> 

Zi  Z\'  cit,  i  Uli  m«'  -+-  2  Zi  nu  Ct 

11  1 

e 

ist  grösser  als  e~''''  wenn 

p      p  p 

1       1  1 

Für   unsern  Zweck   kommt  es  also  darauf  an,   festzustellen,   wie  viele 

Combinationen  der   ganzen  Zahlen  m,,  ;//.,  ..,  in,,  dieser  Ungleichung 
genügen. 


454  XXIX.     Convergonz  der  _2j- lach  unendlichen  Theta-Ileihe. 

Zu  dem  Ende  betrachten  wir  zunächst  das  mehrfache  bestimmt! 
Integral 

Ä  =  I  j  '"  I  dx^  dx^  . .  dXp 
dessen  Begrenzung  gegeben  ist  durch  die  Ungleichung 

1       1 
Das  Integral  wird  immer,  und  nur  dann  einen  endlichen  Werth  haben, 
wenn  die  homogene  Function  zweiten  Grades 

])       p 

^i      J^i  eil,  i  Xi  Xi 

1        1 
in  eine  Summe  von  2>  positiven  Quadraten  zerlegt  werden  kann.    Denn  i^  t 

—  ^  ^  at,  i x,xc  =  i{-\-i\-\ f-  ^1 

so  ist  die  Begrenzung  des  Integrals  bestimmt  durch  die  Ungleichung, 
und  das  Integral  A  wird: 

Die  Functionaldeterminante  ist  eine  endliche  Constante  und  von  den 
Variablen  t  kann  keine  absolut  grösser  als  1  werden. 

Wären  andrerseits  die  t^  nicht  alle  positiv,  oder  würden  einioj 
in  der  transformirten  Form  fehlen,  so  würden  im  IntegralJ.  auch  un- 
endliche Werthe  von  t  vorkommen  und  somit  Ä  selbst  unendlich  werdej  . 

Dieses  Ergebniss  wird  in  Nichts  geändert,  wenn  wir  statt  der  obc  n 
angenommenen  Begrenzung  des  Integrals  Ä  die  folgende  nehmen: 

—  ^ ^a^^i'XcXi'  —  2^  a,x,  <  1, 

t       i'  i 

wenn  die  a^  beliebige  reelle  Grössen  sind.  Betrachten  wir  nun  d  e 
Ungleichung 

i       t'  i 

oder,  indem  wir  -j^  =  Xt  setzen, 

—  ^  ^  ai,  t'  XcXi  —  2^  ~x,<l, 

i      i'  t 

so  folgt  zunächst,  dass  für  jedes  endliche  h  nur  eine  endliche  Anzajil 
von  Combinationen  der  ganzen  Zahlen  m^^m^j  .  .,mp  dieser  Ungleichui  g 
genügen,  denn  die  Xi  müssen  alle  innerhalb  gewisser  endlicher  Grenze  ii 


XXIX.     Convcrgcnz  der  yj- lach  uncmUiuhfn  IMicta -Rnilie.  455 

bleiben,  und  innerhalb  solcher  Grenzen  giebt  e«  nur  eine  entUiche  An- 
zahl rationaler  Zahlen  mit  gegebenem  Nenner  h. 

Es  sei  also  ^u  die  Anzahl  der  zulässigen  Combinatiouen  der 
Zahlen  m. 

Betrachtet  man  nun  die  über  alle  diese  Combinationen  erstreckt« 
Summe 

h  h  h 


~h 


so  ist  dieselbe  für  jedes  endliche  h  endlich  und  nähert  sich  mit  un- 
endlich wachsendem  h  der  Grenze  Aj  von  der  wir  nachgewiesen  haben, 
dass  sie  gleichfalls  endlich  ist,  falls  die  Function  —  ^  ^ai,  «•  Xt  Xc  durch 

y  positive  Quadrate  darstellbar  ist.  Setzt  mau  diese  Summe  daher 
gleich  A  +  /;,  so  ist  Ic  eine  endliche  Grösse,  die  mit  unendlich  wachsen- 
dem h  gegen  0  convergirt.     Es  ist  also 

3*  =  U +  &)/»", 

und  dies  ist  die  Anzahl  n  der  Glieder  der  Theta- Reihe,  welche  >  c'~'*' 
sind.     Es  ist  sonach 

n  <{A-\-  K)hi', 

worin  K  eine  Constante  ist,  der  man,  wenn  man  nur  das  /*,  von  dem 
man  ausgeht,  gross  genug  annimmt,  einen  beliebig  kleinen  Werth  er- 
theilen  kann.  Die  Functionen  i^(7/),  (p{y)  können  also  folgendermassen 
angenommen  werden 

und  da  das  lnte<?ral 


/ 


e-'y\A  +  K)piß-^dy 


convergirt,  so  gilt  das  gleiche  von  der  '9"-Keihe  unter  der  angegebenen 
Voraussetzung.  Hieraus  schliesst  man :  Diej;-fach  unendliche  Theta- 
Reihe  convergirt  für  alle  Werthe  der  Variablen  i\j  v^y..,Vpy 
falls  der  reelle  Theil  der  quadratischen  Form  im  Exponenten 


wesentlich  negativ  ist. 


XXX. 

Zur  Theorie  der  Aber.sclieu  Fiinctioneii  für  den  Fall  p  =  3. 

Es  sei  (c^,  6'2,  ..,  Cp)  ein   Grössensystem,   welches   die  Eigenschaft 
hat,  dass 

ist.  Nach  Art.  23.  der  Abhanclliing  über  die  Theorie  der  Ab  ersehen 
Functionen  (S.  127)  lässt  sich  unter  dieser  Voraussetzung  die  Con- 
gruenz  befriedigen 

fe,  e,,  .  .,  e,)  ^  (V„(;i,  . .  .,  ^'«r)  ^  {-2<'  -'  -T"l') 

11  P  ß 

durch  gewisse  Punkte  i^^,  %,  ..,  y]2p  —  2,  welche  durch  eine  Gleichung 
q)  =  0  verknüpft  sind.  Sind  daher  it^^  nnd  U/,i  die  Werthe,  welche  die 
Integrale  erster  Gattung  U/^i  für  zwei  unbestimmte  Werthsysteme  s,  z 
und  5i;  ^1  annehmen,  so  verschwindet  die  Function 

^(u^  —  u\  —  e^,  .  .  . ,  Up  —  ti'p  ~  Cp) 
als  Function  von  s,  s  betrachtet  für  (5,  £)  ==  (s^,  z^)  und  in  den  j|j  —  1 
Punkten  r]^,  %,--,  yjp  -1,  als  Function  von  5^,  s^  betrachtet  für  (sj^,  2^  =  (s,  z) 
und  in  den  Punkten  rj^^,  .  .,  r]2jj  —  2'  Ist  also  (/i,  /*2,  •  -,  fp)  ein  Grössen- 
system von  denselben  Eigenschaften  wie  (q,  62,  ..,  Cp)  so  wird  die 
Function 
(r\  '9-(Mi  —  u\  —  e,,.  .)  ^{u^  —u\-{-e,,.  .) 

^  -^  -^K  —  w'i  —  /; ,  .  .)  ^K  — "s  +  /;,..)' 

die  sowohl  in  Bezug  auf  s,  z  als  in  Bezug  auf  6\,  z^  rational  ist,  in  je 
einem  durch  eine  Gleichung  cp  =  0  verknüpften  Punktsystem  unendlich 
gross  und  unendlich  klein  von  der  ersten  Ordnung  werden,  und  wird 
daher  darstellbar  sein  in  der  Form 

p  p 

y!  Cv  9 vis,  Z)      ^  C^.  9),,  (Si,  Z^) 

(2) 


^  K  %'  («'  '^)   ^  K  %'  («1 '  ^1 ) 
1  1 

worin  die  Coefficienten  ?>,  c  von  5,  z  und  s^,  z^  unabhängig  sind. 


XXX.     Zur  Theorie   der  Aberschen  Functionen  für  den  i'all  i>  =-  3.      \i}1 
Wenn  nun  die  Grössensysteme  6',  f  die  Eigenschaft  haben,   «las^ 

^'^  (/;,/;,  .•,/•.)-(-/;,  -/., ...,  -f,) 

ist,  so  fallen  die  Punkte,  in  dene;i  die  Function  (1)  oder  (2)  Null  i<'s[). 
unendlich  wird,  paarweise  zusammen  und  wir  erhalten  eine  Function, 
welche  nur  in  j)  —  1  Punkten  unendlich  gross  und  unendlich  klein 
von  der  zweiten  Ordnung  wird.     Hiernach  ist  die  Function 


p  p 

l 1 

1  1 


wie  die  Fläche  T'  verzweigt  und  nimmt  beim  Ueberschreiten  der  Quer- 
schnitte Factoren  an,  welche  =  +  1  sind.  Die  auf  diese  Weise  be- 
stimmten Functionen 


welche  in  j>  —  1  Punkten  unendlich  klein  in  der  ersten  Ordnung  wer- 
den, heissen  Abel' sc  he  Functionen.  Sie  entstehen  aus  den  Functionen 
cp  durch  paarweises  Zusammenfallen  der  0- Punkte  und  ^Vurzelziehen. 
Die  Anzahl  dieser  Functionen  ist  im  Allgemeinen  eine  endliche. 

Es  verlangt  nemlich  die  Congruenz  (ß),  dass  die  GrössensysteniS 
Cj  f  von  der  Form  seien 

K^^  +  i^i^i.iH \-i^pi'p,i,  ••••,  ^p'y  +  ih^ii-p-\ ^i^P^p^p) 

worin  die  s,  e  ganze  Zahlen  bedeuten,  welche  auf  ihre  kleinsten  Reste 
(modulo  2)  reducirt  werden  können.  Die  Bedingung  0- (e^ ,  6'^,  . . ,  Cp)  =  0 
wird  durch  ein  solches  Grössensystem  im  Allgemeinen  nur  erfüllt  wenn 

(4)  f  1  £'1  +  6,  82 -\ h  £jj  4  ^  1     (mod.  2) 

ist.  Solche  Zahlensysteme  s,  s  existiren  aber  2^"~^(2^  —  1),  und  so 
gross  ist  daher  auch  im  Allgemeinen  die  Zahl  der  Abel'schen  Functionen. 
Der  Zahlencomplex 


Au    ^-2,    •',    ^p\ 


.p. 
heisst  die  Charakteristik  der  Function 


V 


p 


und  wird  mit 


{y£c,v.{s,z)) 


458      XXX.     Zur  Theorie  der  Abcrschcn  Functionen  für  den  Fall  p  =  3. 

bezeichnet.  Man  nennt  die  Charakteristik  ungerade,  wenn  die  Cougruenz 
(4)  erfüllt  ist,  sonst  gerade.  Die  Anzahl  der  geraden  Charakteristiken 
beträgt  2^-1(2-^+1)  und  diesen  entsprechen  im  Allgemeinen  keine 
AbeFschen  Functionen. 

Unter  der  Summe  zweier  Charakteristiken  versteht  man  die  Cha- 
rakteristik, welche  durch  Addition  entsprechender  Elemente  entsteht, 
wonach  die  Elemente  immer  auf  0  oder  1  reducirt  werden  können. 
Summe  und  Differenz  zweier  Charakteristiken  sind  daher  identisch. 


Es  soll  nun  zunächst  die  Gleichung  F{s^  z)  =  0  durch  Einführung 
neuer  Variablen  in  eine  symmetrische  Form  gebracht  werden.  Ist 
jj  >  3,  so  existiren  mindestens  drei  von  einander  linear  unabhängige 
Functionen  cp,  und  man  kann  daher  die  Gleichung  F{s,  z)  =^  0  um- 
formen durch  Einführung  der  Variablen 


(falls  zwischen  diesen  keine  identische  Gleichung  besteht,  was  im  All- 
gemeinen nicht  der  Fall  ist). 

Genügen  die  Functionen  cp^,  cp.,^  cp.^  nicht  besonderen  Bedingungen, 
so  gehören  zu  jedem  Werth  von  |  2p  —  2  Werthe  von  ^  und  um- 
gekehrt, da  jede  der  beiden  Functionen 

9^1  —  Wiy  9^2  — V^6 
für  ein  constantes  5,  resp.  t]  in  2p  —  2  Punkten  verschwindet.  Die 
resultirende  Gleichung  i^(J,  rj)  =  0  ist  also  in  Bezug  auf  jede  der 
Variablen  vom  Grade  2p  —  2.  Da  ausserdem  dieser  Grad  erhalten 
bleiben  muss,  wenn  für  |,  rj  irgend  eine  lineare  Substitution  gemacht 
wird,  so  kann  in  dieser  Gleichung  kein  Glied  in  Bezug  auf  |,  rj  zu- 
sammengenommen die  (2p  —  2)te  Dimension  übersteigen.  Die  übrigen 
Functionen  q)  werden,  durch  J,  rj  ausgedrückt,  in  Functionen  über- 
gehen, in   denen  kein  Glied   die  (2p  —  5)te  Dimension  überschreiten 

kann,  wie  man  daraus   erkennt  dass     /  j^rdi]    endlich    bleiben   muss 


dl, 


für  unendliche  Werthe  von  J  und  iq. 

Die  Anzahl  der  Constanten,  die  in  einer  solchen  Function  (2p  —  5)ten 
Grades  vorkommen,  ist  =  (p  —  2)  {2p  —  3).  Bestimmt  man  r  von 
ihnen  so,   dass   die   Functionen   (p   für   die   r  Werthepaare   (y,  d)  wo 

-7^-r- ,  -TT-  zugleich  verschwinden,  ebenfalls  0  werden,  so  müssen  i)  Con- 

stauten   übrig   bleiben,    da   es  p  linear   unabhängige   Integrale   erster 
Gattung  giebt.     Es  ist  demnach 


XXX.     Zur  Theorie  der  Aberbchcn  Functiuucn  für  den  Füll  j>  -=  a.      459 

(i)-2)(2i,-3)=i,  +  r 
und  lolglich: 

r  =  2(2;-l)Cp-  3). 
Zu  demselben  Ergebniss  gelangt  man  auf  folgendem  Wege:     Die 
Function  -^  wird  in  {2]}  —  2)X2p  —  3)  Punkten  unendlich  klein  von 

der  ersten  Ordnung,  und  diese  Zahl  ist  ==  w  -f-  2r,  wenn  w  die  An- 
zahl der  einfachen  Verzweigungspunkte  ist.  Andrerseits  ist  (Theorie 
der  AbePschen  Functionen  Art.  7.) 

w  =  2(n  +i9  —  1),       n  =  22)  — 2 

w  =  2(3i)-  3) 
mithin : 

r  =  (l}--i)  (2p  -  3)  -  i  w  =  2(p  -  1)  (j,  -3). 
Werden  nun  silnimtliche  Functionen  (p  durch  |,  rj  ausgedrückt,  so 
müssen  die  beiden  Gleichungen: 

identisch  werden,  also: 

Es  muss  mithin  eine  Function  9)3  geben,  die  in  Bezug  auf  |,  rj  nur 
von  der  {2p  —  6)  ten  Dimension  ist.  Diese  Function  qp  wird  also  für 
(2})  —  2)  (2p  —  6)  =  2r  der  Gleichung  F  =  0  genügende  Werthepaare 
von  I,  rj  verschwinden  und  wird  demnach  nur  in  den  r  Punktpaaren 
[y,  d)  gleich  Null  werden  können. 

Endlich    geht    durch  Einführung    der    neuen    Variablen    J  =  — , 

z 

rj  = -^  und  Multiplication    mit  ^^^^-^   die   Gleichung  F  ==  0  in  eine 

homogene  Gleichung  vom  Grade  2})  —  2  für  die  drei  Veränderlichen 
X,  y,  z  über: 

F{x'Vj%)  =  0. 


Für  den  Fall^  =  3  ist  die  Gleichung F(i  >?)  =  <^  oderi^\./,y,^)  =  0 
vom  vierten  Grad;  es  ist  r  =  0  und  die  Function  (p.^  reducirt  sich  auf 
eine  Constante.  Keine  der  Functionen  (p  kann  den  ersten  Grad  über- 
steigen und  der  allgemeine  Ausdruck  dieser  Functionen  ist 

(p  =  cl  +  C7]  +€\ 

oder,  wo  es  nur  auf  die  Verhältnisse  solcher  Functionen  ankommt, 

(p  =  ex  -{-  c  y  -j-  c  Zy 
worin  c,  c',  c'  Constanten  sind.     Jede  Function  9  wird  in  vier  Punkten 


460      XXX.     Zur  Theorie  der  Aberschcn  Fuuctioiien  für  den  Fall  j^  =  3. 

uneiidlich  klein  von  der  ersten  Ordnung  und  es  giebt  28  solcher 
Functionen,  deren  Nullpunkte  paarweise  zusammenfallen.  Die  Quadrat- 
wurzeln aus  diesen  sind  die  AbeFsclien  Functionen  und  wir  haben  zu 
untersuchen,  wie  sich  die  Charakteristiken  diesen  28  Functionen  zu- 
ordnen. 

Führen  wir  als  Variable  x,  y,  z  drei  solche  Functionen  tp  ein, 
welche  zweimal  unendlich  klein  in  der  zweiten  Ordnung  werden,  so 
dass  Yx,  Yijy  Yz  Abel'sche  Functionen  sind,  so  hat  die  daraus  hervor- 
gehende Gleichung  F(x,  y,  z)  =  0  die  Eigenschaft,  in  ein  vollständiges 
Quadrat  überzugehen,  wenn  x  oder  y  oder  s  =  0  gesetzt  werden.  Es 
sei  daher 

für  x  =  0   :   F  =  {y  —  azf  {y  —  a  zf 
für  y  =  0  :  F  =  [z  ~  ßxf  [z  —  ß' xf 
für  z  =  0   :  F  =  (x  —  yyf  (x  —  yyf' 
8ind  nun  a,  h,  c  die  Coefficienten  von  x^,  y^,  z'^  in  F(^Xj  y,  z),  so  ist: 

und  folglich: 

(5)  aa  ßß' yy  =  +  1. 

Kennt  man  daher  die  Grössen  a,  a,  ß,  ß\  y,  /,  so  kann  man  alle  Glie- 
der der  Function  F{x,  y,  z)  bilden,  welche  nicht  das  Product  xyz 
enthalten,  und  F  enthält  ausserdem  nur  noch  ein  Glied  xyzt,  worin  t 
eine  lineare  homogene  Function  von  x^y,z  ist. 

Wenn  nun  in  der  Gleichung  (5)  das  obere  Zeichen  gilt,  so  kann 
man  den  ersteren  Theil  von  F  immer  darstellen  als  das  Quadrat  einer 
homogenen  Function  zweiten  Grades  von  x,  y,  z.     Denn  setzen  wir 

/■=  ai^ix^  -f  a2,2r  +  ^^^^^^  +  ^CL2,3y^  +  ''2a3,i^x  +  2ai.2^2/; 
so  ergeben  sich  zur  Bestimmung  der  Coefficienten  a/,;^  die  Gleichungen: 

« «  == ,      a  -f-  a  =  —  Z , 

«2,2  «2,2 

'    '  «3,n  ^  '         '       '  «3,3  ' 

«1,1  '        '      '  «1,1   ' 

welche  immer  befriedigt  werden  können,  wenn  aa  ßß'yy  ==  1  ist. 
Unter  dieser  Voraussetzung  geht  also  F  =  0  über  in 

(6)  p  —  xyzt  =  0. 

Setzt  man  i^  =  0,  so  erhält  man  aus  f^==()  wieder  zwei  Paare  einander 
gleicher  Wurzeln  und  demnach  ist  auch  Y^  ^^^^  AbeFsche  Function 
und  zwar  eine  solche,  dass  Y^V^^  ^ii^^  rationale  Function  von  x^y,z  ist. 


XXX.     Zur  Theorie  der  Aberschen  Functionen  für  den  Fall  />  =  3.     461 

Sind   daher   (a)  (h)  (c)  (d)    die   Charakteristiken    von    |/,/ ,    [/ //,  Yz,  YT, 
so  muss 

(„+.+c.+.)=(r) 

oder 

(d)  =•  (a  +  />  +  c) 

sein.     Es  muss  also  die  Summe  der  Charakteristiken  der  drei  Functionen 

Yxy  YVj  Y^  ®i^^  ungerade  Charakteristik  sein. 

Ist  umgekehrt  diese  Voraussetzung  erfüllt,  und  ist  |/7  diejenige 
Abel'sche  Function,  die  zu  der  Charakteristik  {a  -\-h  -\-  c)  gehörte,  so  ist 
Yxyzt  eine  Function,  die  beim  U eberschreiten  der  Querschnitte  sich 
stetig  ändert  und  mithin  rational  durch  x',  ^,  z  darstellbar  ist,  diese 
Function  kann  al)er  den  zweiten  Grad  nicht  übersteigen,  und  daher 
ergiebt  sich  auch  immer  unter  dieser  Voraussetzung  eine  Gleichung 
von  der  Form  (G).  Diese  Gleichung  kann  nicht  identisch  sein,  wenn 
Y'X,  YVj  V^i  V^  verschiedene  AbeFsche  Functionen  sind. 

Da  es  28  AbeFsche  Functionen  giebt,  so  kann  die  Gleichung 
F  =  {)  auf  mehrere  Arten  in  die  Form  (6)  gebracht  werden.  Wir 
wollen  zunächst  untersuchen,  ob  das  Paar  AbeFscher  Functionen 
]/7,  yt  durch  ein  anderes  Paar  YPi  V~(i  ersetzt  werden  kann. 

Es  möge  also  jP  =  0  durch  Einführung  von  x,  y,  Py  q  in  die 
Form  gebracht  werden: 

i''  —  xypq  =  Oy 
dann   muss,   wenn   ein   constanter  Factor  passend  bestimmt   wird,   die 
identische  Gleichung  bestehen: 

/-'  —  xyzt  =  j^'-  —  xypq 
oder: 

(f  -  t)  {f  +  t)  =  A-lK^t  -  pq). 

Es  muss  demnach  /'  —  i^  oder  f  -\-  t  durch  xij  theilbar  sein  und 
kann  sich,  da  beide  vom  zweiten  Grade  sind,  nur  um  einen  Constanten 
Factor  davon  unterscheiden.     Sei  demnach 

t-f  =  ccxy, 
^  ^  <t  +  f)=-^t.+pq, 

woraus: 

iP  =  axy+f, 

'  ^  2a f  -\-  a^xy  +  ^t  =  PQ- 

Die  linke  Seite  dieser  letzteren  Gleichung  muss  also  in  zwei  lineare 
Factoren  zerfallen:  denken  wir  uns  diese  Function  entwickelt  in  der 
Form 

f'\.\^'''  +  '''-',-'//"  +  fh,:\s'-^  +  2ch,sy^  +  2a3,izx  +  2ai,2iry, 


462      XXX.     Zur  Theorie  der  AbeFschen  Functionen  für  den  Fall  p  ==  3. 

SO  sind  die  Coefficienten  6?,,  ^  Functionen  zweiten  Grades  von  a;  da  aber 
die  Determinante 

'V^h  «1,1  «2,2  0^3,3 

verschwinden  muss,  so  erhält  man  eine  Gleichung  6ten  Grades  für  «^ 
von  der  leicht  einzusehen  ist,  dass  sie  die  Wurzeln  a  =  0  und  «  =  oo 
hat,  entsprechend  den  beiden  Zerlegungen  zt  und  xy. 

Es  bleibt  also  eine  Gleichung  vierten  Grades  übrig,  deren  Wurzeln 
vier  Functionenpaare  p,  q  liefern,  welche  die  verlangte  Eigenschaft 
haben. 

Aus  der  zweiten  Gleichung  (8)  folgt  noch  mit  Hülfe  von  (6) 

pqst  =  zH^  +  2afzt  +  «Y'  =  {^t  +  «/')', 

so  dass  man  die  gewünschte  Form  der  Gleichung  F  =0  auch  durch 
die  Functionen  p,  q,  z,  t  herstellen  kann.  Gehen  wir  demnach  von 
zwei  beliebigen  Abel'schen  Functionen  ]/^,  ]/?/  aus,  so  erhalten  wir 
6  Paare  solcher  Functionen: 

yxy,  yzt,  Vmu  Vm2,  Vms^  VmI: 

welche  die  Eigenschaft  haben,  dass  durch  je  zwei  derselben  die  Glei- 
chung F  =0  auf  die  Form  gebracht  wird : 

p  —  xy^t  ==  0. 
Diese  6  Functionen  müssen  beim  üeberschreiten  der  Querschnitte  die- 
selben Factoren  annehmen,  da  sonst  nicht  das  Product  von  zweien 
derselben  rational  sein  könnte.  Solche  6  Producte  von  je  zwei  Abel'- 
schen Functionen  nennen  wir  zu  einer  Gruppe  gehörig.  Da  die 
Factor ensysteme  an  den  Querschnitten  für  Producte  von  AbeFschen 
Functionen  durch  die  Summen  der  Charakteristiken  bestimmt  sind,  so 
folgt,  dass  die  Charakteristiken  aller  Paare  einer  Gruppe  dieselbe 
Summe  ergeben  müssen,  welche  die  Gruppencharakteristik  heisst. 
Aus  den  Gleichungen  (8)  und  (6)  ergiebt  sich,  noch 

2/"=  ^^^  -  ccxy  =  2V^  yVt, 

woraus: 

pq  =  a^xy  +  2ayicyV^t  +  ^t 
oder: 

(9)  Y^q  =  yVt-\-  aY^j , 

woraus  man  den  Schluss  zieht,  dass  jedes  Product  einer  Gruppe  linear 

durch  zwei  Producte  derselben  Gruppe  ausgedrückt  werden  kann. 

Ordnet  man  sämmtliche  28  Abel 'sehe  Functionen  zu  Paaren,   so 

28    27  n 

erhält  man  — ~ —  ==  G  .  63  Paare,  welche  zu  6  und  6  in  63  Gruppen 


XXX.     Zur  Theorie  der  Abel'schen  Functionen  für  den  Fall  p  =  8.      40;; 

zerfallen.     Jede  der  von  (^^^  verschiedenen  63  Charakteristiken  k;uiii 
Gruppencharakteristik  sein. 

Um  die  Charakteristiken  der  G  Paare  einer  Gruppe  zu  erhalten, 
hat  man  daher  die  betreffende  Gruppencharakteristik  auf  6  Arten  in 
zwei  ungerade  Charakteristiken  zu  zerlegen.    Als  Beispiel  hierfür  diene 

die  Gruppe  mit  der  Gruppencharakteristik  (qqa): 

/001Y_  /101\        /100\  _  /011\        /010\        /111\    ,    /iio\ 

_  /111\      /iio\  _  /oii\      /oio\      /ioi\      /ioo\ 

—  Voio;  -T-  Voio;  — Viio;"T"  Vno;  — vnoy  +  Vnoy* 

Wenn  drei  Paare  AbePscher  Functionen  bekannt  sind,  so  erhält 
man  die  übrigen  Paare  derselben  Gruppe  durch  Auflösung  einer  cubi- 
schen  Gleichung,  und  man  kann  mit  ihrer  Hülfe  sämmtliche  übrigen 
Abel'schen  Functionen  mit  ihren  Charakteristiken  bestimmen. 

Um  dies  durchzuführen,  nehmen  wir  an,  es  seien  l/a;|,  Vyrjy  YJl 
drei  Paare  einer  Gruppe,  so  dass  |,  rj,  t,  als  lineare  homogene  Functionen 
von  X,  yy  z  gegeben  sind. 

Durch  passende  Bestimmung  constanter  Factoren  kann  die  Glei- 
chung (9)  in  der  Form  angenommen  werden: 

(10)     ^  i^  +  -/y^  +  yrj_o, 

woraus  sich  ergiebt: 

zl  ==  x^  +  yr]  +  2yxly7] 
oder 

(11)  4:xiyri  =  {zt,  —  x^  —  yrjf, 
so  dass 

(12)  f^,^^,.^^,,,, 

wird. 

Um  alle  in  die  Gruppe  Yööl,  Yy^l  gehörigen  Paare  zu  finden  hat 
man  nach  dem  Obigen  eine  biquadratische  Gleichung  zu  lösen,  von 
der  aber  eine  Wurzel,  dem  Paare  ]/<^5  entsprechend,  bereits  bekaimt  ist. 
Die  Rechnung  wird  daher  symmetrischer,  wenn  man  zunächst  die  Paare 
der  Gruppe  ]/a;^,  in  welche  auch  das  Paar  ]/?/|  gehört,  aufsucht. 

Ist  Ypq  ein  weiteres  unbekanntes  Paar  dieser  Gruppe,  so  hat  man 
neben  der  Gleichung  (11)  eine  mit  ihr  identische: 

(13)  42/IP3  =  ,p^ 
wenn  (nach  8) 

^=r+2kyl, 

worin  A  eine  noch  unbekannte  Constante  bedeutet.    Hieraus  erhält  luan 


464      XXX.     Zur  Theorie  der  Aberscben  Functionen  für  den  Fall  p  ==  3. 
mittelst  (11)  und  (12) 

und  clemnacli  ist  (von  dem  Factor  X  abgesehen) 

pq  =  ,,;|  +  y^  -  ,jj  +  ^''  +  1>A 
=  (H-{'-)u-  +  A.v)-.?g; 

für  :z;  -j-  A?/  =  0   und   .z  =  0    muss    eine   der  beiden   Functionen  p,  q. 
etwa  p    verschwinden^   woraus,    wenn   ^   einen    weiteren   unbekannten 
Coefficienten  bedeutet^  folgt: 
(14)  p  =  X  -{-  ly  -\-  ^z, 

und  hieraus  weiter,  da  p  und  s  nicht  identisch  sind, 


;  n-  Y  -t-  ^ 

also  mit  Hülfe  von  (13): 


(15)  I  +.;>-  +  i.  =  ._  .2 


,  ,  „  ~     a-p, 


ax  +  «A?/  +  a^^  +  1  +  ^  +  X  =  0, 

oder  indem  man  /la,  ^la  durch  Z>,  c  ersetzt: 

(16)  ax  +  6»/  +  c^  +  I  +  1  +  1  =  0, 

wonach  man,   da   es   auf  einen   constanten  Factor  bei  p  und  q  nich 
ankommt,  erhält: 

,.  =  «a:  +  %  +  c.  =  -(l  +  f  +  |), 

2  =  i  +  l  +  «^  =  -(«*  +  *y  +  l)- 

Da  es   vier  Paare  p,  q  giebt,    so    müssen    sich    vier   Systeme   a,  h,  i 
bestimmen  lassen. 

Um  hierzu  zu  gelangen  berücksichtige  man,  dass  zwischen  dei 
6  Functionen  x,  y,  z,  5,  V}  S  ^^'^i  homogene  lineare  Gleichungen  be 
stehen,  die  wir  durch  w^  ==  0,  Wg  =  ö?  u^  =  0  bezeichnen.  Wir  leite i 
hieraus  mit  den  unbestimmten  Coefficienten  ?i,  h,  l^  eine  lineare  Com 
bination  her: 

\u^  +  l^iL,  +  ^3^3  =  ax-\-  ßy  +  yz  +  «  |  +  ß' n  +  /J  =  0 
worin  «,  /3,  }^,  «',  /3',  /  lineare  homogene  Ausdrücke  in  l^,  l,,  I3  sind 
Diese  Relation  wird  die  Form  (16)  haben,  wenn  die  Bedingungen  er 
füllt  sind: 

aa  =ßß'  =  yy, 

woraus  man  vier  Werthsysteme  für  die  Verhältnisse  1^ :  h :  l^  erhält. 


XXX.     Zur  Theorie  der  Aberschen  Functionen  für  den  Fall  ;;  »=  :).      465 

Man  gelangt  am  elegantesten  zum  Ziel,  wenn  man  sich  die 
Functionen  |;  ^,  f  durch  drei  Gleichungen  von  der  Form  gegeben 
denkt: 

^  +  ?/  +  ^+  i  +  n  +  i  =0, 

(17)  ax  +  ß!/  +  yz  +  ^  +  j  +  ^^  0, 

ax  +  ß'!/+y,+  l  +  -j  +  |.  =  0. 

Dass  die  Coefficienten  in  den  ersten  dieser  Gleichungen  die  Werthe  1 
haben,  kann  man  durch  Hinzufügung  constanter  Factoren  zu  Xy  y,  z^ 
l,  7],  5  bewirken,  wobei  zugleich  die  Gleichung  (10)  ihre  Form  nicht 
ändert. 

Aus  den  Gleichungen  (17)  muss  als  identische  Folge  eine  vierte 
von  der  gleichen  Form  sich  ergeben:" 

(18)  ax  +  fy  +  y"z  +  -K  +  ^..  +  4  =  0. 

Um  also  a\  ß" ,  y"  zu  erhalten,  hat  man  die  Coefficienten  A,  A',  A" 
aus  folgenden  Gleichungen  zu  bestimmen: 

r  «"  =  A'«'  +  A«+1,        il  =  il-i-l+i 

(19)         r/3"  =  r /i'  +  A/?  +  1 ,     J',',  =  I  +  i-  +  1 , 
rf  ^  i'r  +  Aj.  +  1 ,      \,  =  ^  + 1  +  1. 

Durch  Multiplication  zweier  entsprechender  von  diesen  Gleichungen 
ergiebt  sich 

A"^>  =  r'  +  A^  +  a'(A  +  ^)  +  A  («  +  })  +  ;;  («'  +  A)  +  i, 
(20)  r^  =  Z'^'  +  A^  +  AA'(|  +  J)  +  A  (/}  +  -J)  +  r(/3'  +  A)  +  1 , 

^'2  _  ^'.  +  ^.  +  ^^'  (1,  +  V-)  +  A  (r  +  \)  +  r  (/  +  ;.)  +  1 . 

Eliminirt  man  aus  je  zweien  derselben  A",  so  ergeben  sich  für  ,  , 
die  folgenden  beiden  linearen  Gleichungen: 

o=M«+i-^-;)+i(«'+7--/^'-;') 

4.  (iL  I  «  _  _  7'. _  y\ 

woraus  A,  A'  eindeutig  berechnet  werden  können. 

Biemann's  gcaaiuniflte  uiutheinatiscbe  Werke.    I.  30 


466      XXX.     Zur  Theorie  der  Aberschen  Functionen  für  den  Fall  jj  ==  3. 


Aus   einer    der   Gleichungen   (20)   erliillt    man   A"   abgesehen   von  * 
Vorzeichen  und  aus  (19)  endlich  a\  ß",  y    ebenfalls  bis  auf  das  aller 
gemeinschaftliche  Vorzeichen^   welches   der  Natur   der  Sache   nach  un 
bestimmt  bleibt.  *) 

Hat  man  auf  diese  Weise  d' ^  ß",  y",  so  erhält  man  in  der  Gruppe 
Yxr],  Yy^  die  folgenden  vier  Paare  AbeTscher  Functionen: 

yax'+Jij+J^,     y^  +  f  +  r^ 

V^^+ß'y  +  7^,   V^  +  j  +  y^ 
•    

Ycc-x^ßY+y'^,  yi„  +  j,  +  y',. 

Auf   die    gleiche   Weise    ergeben    sich    in    der    Gruppe   Vx^^  Yi^  di< 
Paare : 


y^  + !/  +  ^, 


Y^  +  y  +  ^ 


Yax  +  ßy  +  yz,        y  ~  +  ßy  + 


Ydx  +  ßTy'+r'^,    Y-^.'  +  ß'y  +  y 

und  in  der  Gruppe  Y V^y  V^V  ^i®  Paare: 


Y^  +  y  +  '^,  Y^  +  v  +  ^ 

Y'^^-vw+v^^,    y «^ + y  + 


Ya'x  +  ß'y  +  r^,     ]/dx  +  'l.  + 


Ya"x^J^f+Yi,    l/c/'x  +  l^+K, 


*)  Setzt  man  zur  Abkürzung: 

1,    1,     1 

1 

a 

1 

u 
ßo  kann  man  a",  (5",  y"  aus  den  Gleichungen 


1,  1,  1 

«,  ß,  y 

=  («, 

ß,  y), 

«',  ß\  y 

,  p,  y 
,  (3',  y' 


y  I  etc. 


au  a 


r'  =  («,|3,y)(«,ß.y):(|,    J,7)Q-,|,-;) 


und  den  analogen  Gleichungen  bestimmen. 


XXX.     Zur  Theorie  der  AbeVschen  Functionen  für  den  Füll  ;>  =  3.      4G7 

SO  (lass  ausser  den  gegebenen  (>  Abelsclien  Functionen  10  weitere 
bestimmt  sind.  Um  die  Charakteristiken  derselben  zu  erbalten  hat 
man  nur  zu  beachten,  dass  die  drei  hier  betrachteten  Gruppen  vier 
AbeTsche  Functionen  gemeinschaftlich  enthalten.  Bildet  man  also  die 
entsprechenden  Gruppen  der  Charakteristiken,  so  müssen  diese  vier 
Charakteristiken  gemeinschaftlich  haben  und  diese  hat  man  den 
Functionen  ^'•' 

V^  +  y  +  ^,  y^x+  ]h/  +  yz,  Yaj;  +  ß'i/  +  yz,  ^a'x-^-  ß"y  +  y"z 

in  einer  beliebigen  Weise  zuzuordnen.  Die  Charakteristiken  der  übrigen 
AbeFschen  Functionen  sind  dadurch  vollständig  bestimmt,  weil  sie 
mit  diesen  in  den  drei  Gruppen  in  derselben  Weise  gepaart  auftreten 
müssen,  wie  die  entsprechenden  Abel'schen  Functionen.  Diese  Cha- 
rakteristiken lassen  sich  in  folgender  Weise  symmetrisch  darstellen. 

Es  seien  die  Charakteristiken  der  Gruppen  "[///t,  V-s^S,  Yxrj  resp. 
mit  (p),  (q),  (r)  bezeichnet,  ferner  mit  (d),  (e),  (/),  {g)  die  Charakteri- 
stiken der  vier  Functionen 


y^  +  ?/  +  ^>  y«^  -{■  ßy  +  y^y  V(^'^  +  ß'y  +  r^,  yax  +  P'y  +  y"z 

und   mit  {n -\- p)  die  von  '^x.      Hiernach    erhält    man    folgende    Aus- 
drücke für  die  Charakteristiken: 

(}/,r )  =  (n  +  iO ,  {Vil)=  («  +  <i) ,  {V^  =  («  +  r) 

(^ I)  ^^n  +  q  +  r) ,  iVri)  =  (n  +  r  +  ;.),  (Vi)  =  (n  +  p  +  q) 

(yV^r:fJy--fy,)   =  (c),  (]/ax  +  l  +  I)  =  (p  +  e), 

(yT^^+Ji+Vi)  =  (f),       (l/«'^  +  }  +  7)  =  ip  +  n 
(y^^'+j^r+f^)  =  (.y),       iy^^  +  }  +  f)  =  0' + !», 


(21) 


iV¥+¥+i)       =('z  +  '0,   iVT+n  +  d       =(>-  +  <i), 

{V^+ßi'+j)  =0+'^)'  {VJ+  }+y')  =('•+')■ 

Nehmen  wir  beispielsweise  an: 


468      XXX.     Zur  Theorie  der  Abersclien  Functionen  für  den  Fall  j)  =  3. 

(VI) -uro)'  (y.)=(;^;:)'  (yi)-{\ro) 

was   statthaft   ist,   weil  hiernach   Yx^,  Yj/r],  Y^l  i^    dieselbe   Gruppe 
(ooo)  o^^^ören,  so  folgt: 

00  =  (oio)'     (^i)  =  (oio)^     (0  -  (ooo)^    (^0  -  (llo)  • 

Die  vollständigen  Gruppen  {p),  (</)  sind: 

/0  11\_/100\        nil\        /101\        /110\       /()10\       /OOlN 
VOlOy'  —  \ll())  +  \iOi))  —  \\li))^\10())  —  y)l\)  +  \00l) 

=(i;';)+a:;!)=(;;i)+("'.')=c;i;')+o 

/001\_/100\        /101\        /101\        /100\        /010\    ,    /011\ 

Voioy'  —  viio;  +  Vioo;  —  uioy  +  Viooy  — \^oii/  +  Vooi; 
=  Voiij  +  voüi)  =  vi  11/ +  (io  0=^(111)  + (loi) 

woraus  man  erhält: 

und   die   Charakteristiken   der   in   (21)   zusammengestellten   Functionen 
sind,  in  der  gleichen  Reihenfolge  geschrieben: 

(loi)'  (loc))'  (uo)^ 

/ioo\  /iio\  /ioo\ 
•  viooy'  Vio^^v'  \iit)y' 

/oio\  /ooi\  /oii\  A)oi\ 
voiiy'  vooiy'  \i)i)\)'   \o\\)' 

/ii()\  /ioi\  /'iii\  /'lOiN 
Von/'  \(){)i)'   \i)()\)'   \oi\)' 

/iii\  /ioo\  /iio\  /ioo\ 

Viii;'  Vioi;'  Vioi;'  vmr 

/oio\  /ooi\  /oii\  /ooi\ 
Viiir  \i^i/'  \ioir  VI117 

Es  gilt  nun  von  drei  AbeTschen  Functionen  einer  Gruppe,  von 
denen  keine  zwei  einem  Paare  angehören,  der  Satz,  dass  die  Summe 
ihrer  Charakteristiken  immer  eine  gerade  Charakteristik  ist;  denn  be- 
trachten wir  z.  B.  die  drei  Functionen  "[/a;,  YVj  Y^  ^^^  drücken  %  tj,  J 
linear  durch  x,  y,  z  aus,  so  kann  die  Gleichung  (10)  in  der  Form  an- 


genommen werden: 


XXX.     Zur  Theorie  der  Aberschen  Functionen  für  den  Fall  p  =  3.      409 

yx(ax  +  hy  +  cz)  +  iZ/^«'^  +  6'// +  c'.-j  +  ^^ ziii'j^W y -\- c  £)  =  0. 
Setzen  wir  hierin  der  Reihe  nacli  x  =  0,  \j  =  0,  r  =  0,  so  erhalten  wir 
für  die  Produete  der  Wurzeln  der  quadratischen  Gleichungen,  die  sich 
für  das  Yerhältniss  der  beiden  andern  Variablen  ergeben,  die  Werthe: 

c"  a  h' 

~~ir'      ~  c">      ~    a 

deren  Product  =  —  1  ist.  Dies  aber  ist  nach  S.  4G0,  461  das  Kriterium 
dafür,  dass  die  Summe  der  Charakteristiken  der  Functionen  j/^,  )/*/,  "^ z 
eine  gerade  Charakteristik  sei. 

Gestützt  auf  diesen  Satz  kann  man  beweisen,  dass  die  IG  AbeT- 
schen  Functionen,  die  wir  oben  bestimmt  haben,  verschieden  sind  von 
den  12  in  der  Gruppe  "j/xj  vorkommenden  Functionen.  Denn  ist  Y^ 
ein  in  die  Gruppe  '^ x%  gehöriges  Paar,  so  sind  die  Charakteristikan 

(|/,^)  +  (>/|)  +  {}/p) ,   {Vii)  +  iVn)  +  iVp) ,   (V^)  +  (Vt)  +  iVi') 

ungerade  und  es  kann  nach  dem  soeben  bewiesenen  Satze  yp  in  keiner 
der  drei  Gruppen 

iV^v)  =  (Vyl) ,     (V^i)  =  iV^i) ,     (Vit)  =  (V^) 

vorkommen. 

Die  IG  oben  bestimmten  Functionen  liefern  daher  alle  A  heischen 

Functionen,  die  niclit  in  der  Gruppe  |/.x-|  enthalten  sind,  und  wenn  wir 
die    noch    fehlenden    G  Functionen    dieser    Gruppe    aufsuchen,    so   sind 
damit  sämmtliche  28  AbePsche  Functionen  bestimmt. 
Um  diese  zu  erhalten  setzen  wir 

t  =  x  +  y  +  z,    n==^  +  y]  +  z, 
und  gehen  aus  von  der  Gleichung: 

(22)  VfH=V^  +  Vyi, 

welche  sich  leicht  aus  (10)  und  (17)  ergiebt.    Wir  setzen  die  Functionen 

t,  ^,  y,  ^h  ni  5 
an  Stelle  von 

^,  y,  ^1  ^;  »^  5 
in   der   vorigen   Iktrachtung,    und    erhalten   zunächst  zwischen   diesen 
Variablen  die  Gleichung: 

(23)  ^  -  A'  —  //  -  ?(  +  ^?  +  S  ==  0, 

neben  welcher  noch  drei  andere  bestehen  müssen  von  der  Form 

(24)  ai  +  hx  +  c^  +  du  +  V  r]  +  dl  =  0 

mit  der  Bedingung 

ad  =  hV  ==  cc. 


470      XXX.     Zur  Theorie  der  AbeVschen  Functionen  für  den  Fall  2^  =  3. 

An    Stelle    der  Gruppen  (p  +  5  +  ^);  {p)y  G/)  W  treten  jetzt  die  fol- 
genden :  ^  _ 

{Y'tu)  =  {yx_n)  =  Wy})  =  (0, 

(25)  ■       ^^^) "  ^^y^  ^  ^'^'^^  =  (^'  +  '^  +  '■)' 

iVtri)  =  iVux)  =  (n  +  d+p  +  r). 

In  der  ersten  dieser  Gruppen^  in  (r),  kommen  folgende  Paare  von 
Charakteristiken  vor: 

(r)  =  (n  +  p)  +  {n  -{- r  +  p)  =  {n  +  q)  +  (n  +  r  +  q) 

=  {d)  +  (r  +  d)  =  (e)  +  (r  +  e)  =  (f)  +  {r  +  f)  =  (g)  +  (r  +  g), 
und  aus  der  Gleichung  (23)  erhalten  wir  folgende  AbePsche  Functionen: 

yi^^y^vj,  y^+iTi = v-i 

deren  Charakteristiken  sind: 

(w  +  r),    {n+2^  +  q),    (q  +  d),    (p  +  d), 
die  sich  in  folgender  Weise  in  die  drei  letzten  Gruppen  (25)  vertheilen: 

(p  +  ^  +  ^0  =  (^^  +  ^0  +  (^^  +  p  +  a), 

{n  +  d-\-q  +  r)  =  {n  4-  r)  +  (q  +  d), 

(n  +  d+p  +  r)=={n  +  r)  +  {p  +  d). 
Die  Charakteristiken  der  noch  nicht  bestimmten  AbeTschen' Functionen 
müssen  nun,  wie  oben  bewiesen,  in  der  Gruppe  (p  -\-  q  -}-  '^)  enthalten 
sein.     Bezeichnen  wir  daher  diese  Charakteristiken  mit  (Jc^,  (Jci),  (h'l), 
(^2);  (^''2),  (^"'2),  so  muss  sich  ergeben: 

iP  +  a  +  r)  =  {h  +  h)  =  (A  +  V2)  =  (Jh  +  K) 

und  diese  Charakteristiken  kommen  nicht  in  der  Gruppe  (r)  vor. 

Die  Vergleichung  der  Gruppen  (25)  mit  den  Gruppen  (p  -\-  q  -\-  ^), 
(p)}  Ö)?  W  lehrt  nun  aber,  dass  in  denselben  sämmtliche  ungerade 
Charakteristiken  überhaupt  vorkommen  müssen,  und  ferner  dass  die 
drei  noch  übrigen  Paare  der  Gruppen  (p  -\-  q  -\-  r)^  (^  +  ^  +  ^  +  ^); 
(n  -{-  d  -\-  p  -\-  r)  je  eine  Charakteristik  gemein  haben  müssen. 

Nun  kommt  die  Charakteristik  (q  +  e)  weder  in  der  Gruppe  (r) 
noch  in  (i?  +  ^  +  ^)  vor,  und  daraus  folgt,  dass  man  (Ji\)  so  aus- 
wählen kann,  da.>is  entweder 

ih  +  2  +  c)  =  (n  +  d  +  q  +  r) 
(K  +  i  +  e)  =  (n  +  d+p  +  r). 
Aus  ersterer  Annahme  würde  folgen: 

(fcO  =  (n  +  r  +  d  +  e). 

Dies  aber  ist  nicht  möglich,  denn  wir  haben  in  der  Gruppe  (jp) 
die  Paare: 


XXX.     Zur  Theorie  der  Abel'schen  Functiouon  für  dm  Füll  ;>  -^  ;<        171 

(n  +  r),    (n  +  r+pj 
(d),    (d  +  p) 

(0;    (c  +P) 
und  daher  ist  nach  dem  oben  (S.  4G8,  4(3l))  bewiesenen  Satz 

(n  +  ri-  d  +  e) 
gerade.     Demnach  ergiebt  sich 

{K)  =  (n  +  d+c+p  +  q  +  r), 
und  hieraus: 

Jc.,  =  (n  +  d  +  c). 
Ebenso  schliesst  man: 

(k\)  =  (n  +  d  +  f  +  p  +  q  +  r),     (kV)  =  in  -{- d  +  f), 
(Ici)  =  (n  +  d  +  ij+p  +  q  +  r),     (K)  =  in  +  d  +  g), 

und  es  enthält  die  Gruppe  (n  -\-  d  -\- p  -\-  r)  die  Paare: 

(^■i),  (M  +  e) ;     (/,■;  I,  (q  +  /) ;     (Ä:','),  (q  +  g) , 

woraus  für  die  Gruppe  (n  +  <?  +  (/  +  >)  die  Paare  folgen: 

(Ä^i),  (i>  +  ^0;   (A),ip  +  f)-,   {^'i),{p  +  u)' 

Nach  den  Resultaten  der  früheren  Betrachtung  ergeben  sich  aus 
einer  Gleichung  von  der  Form  (24)  die  vier  AbeTschen  Functionen: 
yat  +  hx  +  cy  =  )/—  {au  +  6'^~+7ij, 

yaT^b'r[+  cy  =  ]/— (a  w  +  ftx -fc'i) , 
Yat  -{-  hx  -{-  c'i  =  Y—  {au  +  Ürj  +  cy), 
deren  Charakteristiken  resp.  sind: 

(K),  (ß^,  (p  +  e),  (q+c) 
und  unsere  Aufgabe  ist  daher  gelöst,  wenn  es  gelungen  ist,  die  Coef- 
ficienten  a,  h,  c,  a,  h',  c    zu  bestimmen. 

Nun  ist  aber  die  Function,  deren  Charakteristik  (p  -f-  e)  ist,  oben 
bereits  bestimmt:  sie  ist: 


1/ 


"  +  1  +  7 


und  wenn  wir 

.  =  «..  +  I  +  }  =  -  (f   +  /?//  +  yz) 

setzen,   so  können   wir   die  Coefficienten  a,  h,  c,  a',  h',  c   dadurch  be- 
stimmen, dass  wir  v  in  folgender  zweifachen  Form  darstellen: 

V  =  at  -{-  h'i]  +  cij  =  —  au  —  hx  —  c^. 
Dies  erreichen  wir  iiuf  folgende  Weise:  mittelst 

ii  =  i  +  t]  +  2  =  —  X  —  y  —  t 
eliminiren  wir  aus  den  beiden  Ausdrücken  von  v  die  Variablen  z  und 
f,  wodurch  sich  ergiebt: 


4r72      XXX.     Zur  Theorie  der  Aberschen  Functionen  für  den  Fall  p  =  S. 

'     y  \  y/     '     |3  y 

V  +  yu  =  -  t,[l  —  y)  +  yi]  —  ßfj. 
Indem  man  hieraus  r]  und  //  eliminirt,  folgt: 

J  —  ßy      '  1  —  ^y  a    1  —  ßy 

nnd  auf  die  gleiche  Weise: 

^,  =  ^ ^  ~  "y  I  ^  P  -  y ^, «(ß  —  y) 

a  —  y    ^^(3a  —  y  "^    a  —  y 


woraus  sich  ergiebt: 

1  —  ory  ,  |5  —  y 

1  —  (3y    ^  (5    o:—  y  ' 

_  aiß  -  y)  ,  _  1    1  -  «y 

a  —  y  al  —  py 

Hiernach  lassen  sich  die  beiden  Abel'schen  Functionen 


yat  -}-  hx  -\-  cy,       Yau  -|-  hx  +  cy 
bilden.     Ersetzt   man   darin  t  und  ii  durch  ihre  Ausdrücke  in  x,  y,  z, 
I,  rj,  l,   so   ergeben  sich  nach  Unterdrückung  constanter  Factoren  für 
die  Function,  die  zur  Charakteristik  (/t^)  gehört,  die  beiden  Ausdrücke : 


-|/.    X  ,         y         ,         z  l/        ^  .  ^  I  ^ 

F     1  -  |3y      '     1  -  ya  "T"  1  -  a^  '  F^    a(y  -  |3)      '      ß(y  -  a)   ""     1  -  a  |3' 

und  für  die  zur  Charakteristik  (Ic^)  gehörige  Function: 

-l/         g  I  ^  ',  g  l/"j^     j 2/__  j L 

V  «(1— ßy)     '     ß(l  — y«)  "f"  y(l—  a|3)  '      K   y  —  ß  "^  y  —  a   "^  y(l  —aß) 

Die  zu  den  Charakteristiken  (//i)^  (/4);  (/^ij,  (/t2)  gehörigen  Functionen 
ergeben  sich  hieraus  sofort  dadurch,  dass  tian  a,  ß,  y  durch  a\  ß\  y 
re'sp.  a  ,  ßl\  /'  ersetzt,  womit  sämmtliche  AbeFsche  Functionen  nebst 
ihren  Charakteristiken  bestimmt  sind.  Die  Charakteristiken  (A^),  (A-g), 
(/c'i),  (Ai),  (/vi),  (74')  würden  sich  bei  dem  oben  gewählten  Beispiel 
folgendermaassen  gestalten: 

(^.)=a;2).  ('.^^)=C19>  ('.^-o^GlS-^ 

Da  nun,  wie  oben  gezeigt,  d\  ß'\  y"  durch  «,  ^,  y^  a,  ß',  y  aus- 
gedrückt werden  können,  bo  sind  hiernach  sämmtHche  AbeFsche 
Functionen  mit  allen  ihren  algebraischen  Beziehungen  ausgedrückt  durch 
3p  —  3  =  6  Constanten,  welche  man  als  die  Moduln  der  Classe 
für  den  Fall  p  =  3  ansehen  kann. 


Anhang. 


Fragmente  philosophischen  Inhalts. 

Die  philosophischen  Speculationen,  deren  Ergebnisse,  so  weit  sie 
sich  aus  dem  Nachlass  zusammenstellen  lassen,  hier  mitgetheilt  sind, 
haben  Riemann  einen  grossen  Theil  seines  Lebens  hindurch  begleitet, 
lieber  die  Zeit  der  Entstehung  der  einzelnen  Bruchstücke  lässt  sich 
schwer  etwas  Sicheres  feststellen.  Die  vorhandenen  Entwürfe  sind 
weit  entfernt  von  einer  zusammenhängenden,  zur  Publication  bereiten 
Ausarbeitung,  wenn  auch  manche  Stellen  darauf  deuten,  dass  Riemann 
zu  gewissen  Zeiten  eine  solche  beabsichtigt  hat;  sie  genügen  allenfaNs 
um  den  Standpunkt  Riemann's  zu  den  psychologischen  und  natur- 
philosophischen Fragen  im  Allgemeinen  zu  characterisiren,  und  den 
Gang  anzudeuten,  den  seine  Untersuchungen  genommen  haben,  leider 
aber  fehlt  fast  jede  Ausführung  ins  Einzelne.  Welchen  AVerth  Rie- 
mann selbst  diesen  Arbeiten  beigelegt  hat,  ergiebt  sich  aus  folgender 
Notiz : 

„Die  Arbeiten,  welche  mich  jetzt  vorzüglich  beschäftigen,  sind 

1.  In  ähnlicher  Weise  w^ie  dies  bereits  bei  den  algebraischen 
Functionen,  den  Exponential-  oder  Kreisfunctionen,  den  elliptischen 
und  Abel'schen  Functionen  mit  so  grossem  Erfolge  geschehen  ist,  das 
Imaginäre  in  die  Theorie  anderer  transcendenter  Functionen  einzuführen; 
ich  habe  dazu  in  meiner  Inauguraldissertation  die  nothwendigsten  all- 
gemeinen Vorarbeiten  geliefert.     (Vgl.  diese  Dissertation  Art.  20.) 

2.  In  Verbindung  damit  stehen  neue  Methoden  zur  Integration 
partieller  Differentialgleichungen,  welche  ich  bereits  auf  mehrere  phy- 
sikalische Gegenstände  mit  Erfolg  angewandt  habe. 

3.  Meine  Hauptarbeit  betrifft  eine  neue  Auffassung  der  bekannten 
Naturgesetze  —  Ausdruck  derselben  mittelst  anderer  Grundbegriffe  — 
wodurch  die  Benutzung  der  experimentellen  Data  über  die  Wechsel- 
wirkung zwischen  Wärme,  Licht,  Magnetismus  und  Electricität  zur 
Erforschung  ihres  Zusammenhangs  möglich  wurde.  Ich  wurde  dazu 
hauptsächlich  durch  das  Studium  der  Werke  New  ton 's,  Euler's 
und  —  andrerseits  —  Her  hart 's  geführt.  Was  letzteren  betrifft,  so 
konnte  ich  mich  den  frühesten  Untersuchungen  Herbart's,  deren  Re- 


476  Fragiiiente  philosophischen  Inhalts. 

siiltate  in  seinen  Promotions-  und  Habilitationstliesen  (vom  22.  u.  2r. 
October  1802)  ausgesprochen  sind,  fast  völlig  anscliliessen,  musste  aber 
von  dem  späteren  Gange  seiner  Speculation  in  einem  wesentliche  i 
Punkte  abweiclien,  wodurch  eine  Verschiedenheit  in  Bezug  auf  sein  3 
Naturphilosophie  und  diejenigen  Sätze  der  Psychologie,  welche  derc  i 
Verbindung  mit  der  Naturphilosophie  betreffen,  bedingt  ist." 

Ferner  an  einer  andern  Stelle  zu  genauerer  Bezeichnung  des  Stan(  - 
punktes: 

„Der  Verfasser  ist  Herbartianer  in  Psychologie  und  Erkenntnis^- 
theorie  (Methodologie  und  Eidolologie),  Herbart's  Naturphilosophie 
und  den  darauf  bezüglichen  metaphysischen  Disciplinen  (Ontologie  und 
Synechologie)  kann  er  meistens  nicht  sich  anschliessend' 


Nee  viea  dona  tibi  studio  diaperta  fideli 
Intellecta  prius  quam  sint,  contemta  relinquas. 

Lucretius. 


I.     Zur  Psychologie  und  Metaphysik. 

Mit  jedem  einfachen  Denkaot  tritt  etwas  Bleibendes,  Substantielles 
in  unsere  Seele  ein.  Dieses  Substantielle  erscheint  uns  zwar  als  eine 
Einheit,  scheint  aber  (in  sofern  es  der  Ausdruck  eines  räumlich  und 
zeitlich  ausgedehnten  ist)  eine  innere  Mannigfaltigkeit  zu  enthalten;  ich 
nenne  es  daher  „Geistes masse'^  —  Alles  Denken  ist  hiernach  Bil- 
dung neuer  Geistesmassen. 

Die  in  die  Seele  eintretenden  Geistesmassen  erscheinen  uns  als 
Vorstellungen;  ihr  verschiedener  innerer  Zustand  bedingt  die  verschie- 
dene Qualität  derselben. 

Die  sich  bildenden  Geistesmassen  verschmelzen,  verbinden  oder 
compliciren  sich  in  bestimmtem  Grade,  theils  unter  einander,  theils 
mit  älteren  Geistesmassen.  Die  Art  und  Stärke  dieser  Verbindungen 
hängt  von  Bedingungen  ab,  die  von  Herbart  nur  zum  Theil  erkannt 
sind  und  die  ich  in  der  Folge  ergänzen  werde.  Sie  beruht  haupt- 
sächlich auf  der  inneren  Verwandtschaft  der  Geistesmassen. 

Die  Seele  ist  eine  compacte,  aufs  Engste  und  auf  die  mannig- 
faltigste Weise  in  sich  verbundene  Geistesmasse.  Sie  wächst  beständig 
durch  eintretende  Geistesmassen,  und  hierauf  beruht  ihre  Fortbilduntr. 

Die  einmal  gebildeten  Geistesmassen  sind  unvergänglich,  ihre  Ver- 
bindungen unauflöslich;  nur  die  relative  Stärke  dieser  Verbindungen 
ändert  sich  durch  das  Hinzukommen  neuer  Geistesmassen, 

Die  Geistesmassen  bedürfen  zum  >l^ortbestehen  keines  materiellen 
Trägers  und  üben  auf  die  Erscheinungswelt  keine  dauernde  Wirkung 
aus.  Sie  stehen  daher  in  keiner  Beziehung  zu  irgend  einem  Theile 
der  Materie  und  haben  daher  keinen  Sitz  im  Räume. 

Dagegen  bedarf  alles  Eintreten,  Entstehen,  alle  Bildung  neuer 
Geistesmassen  und  alle  Vereinigung  derselben  eines  materiellen  Trägers. 
Alles  Denken  geschieht  daher  an  einem  bestimmten  Ort. 

(Nicht  das  Behalten  unserer  Erfahrung,  nur  das  Denken  strengt 
an,  und  der  Kraftaufwand  ist,  soweit  wir  dies  schätzen  können,  der 
geistigen  Thätigkeit  proportional). 


478  Fragmente  philosophischen  Inhalts. 

Jede  eintretende  Geistesmasse  regt  alle  mit  ihr  verwandten  Geistes - 
massen  an  und  zwar  desto  stärker^  je  geringer  die  Verschiedenheit 
ihres  inneren  Zustandes  (Qualität)  ist. 

Diese  Anregung  beschränkt  sich  aber  nicht  bloss  auf  die  ver- 
wandten Geistesmassen ^  sondern»  erstreckt  sich  mittelbar  auch  auf  die 
mit  ihnen  zusammenhängenden  (d.  h.  in  früheren  Denkprocessen  mit 
ihnen  verbundenen).  Wenn  also  unter  den  verwandten  Geistesmasse  i 
ein  Theil  unter  sich  zusammenhängt^  so  werden  diese  nicht  blos  m  - 
mittelbar,  sondern  auch  mittelbar  angeregt  und  daher  verhältnissmässi^* 
stärker  als  die  übrigen. 

Die  Wechselwirkung  zweier  gleichzeitig  sich  bildenden  Geiste>'- 
massen  wird  bedingt  durch  einen  materiellen  Vorgang  zwischen  deii 
Orten  wo  beide  gebildet  werden.  Ebenso  treten  aus  materiellen  Ur- 
sachen alle  sich  bildenden  Geistesmassen  mit  unmittelbar  vorher  gt  - 
bildeten  in  unmittelbare  Wechselwirkung;  mittelbar  aber  werden  alle 
mit  diesen  zusammenhängenden  älteren  Geistesmassen  zur  Wirksan  - 
keit  angeregt,  und  zwar  desto  schwächer,  je  entfernter  sie  mit  ihnen 
und  je  weniger  sie  unter  sich  zusammenhängen. 

Die  allgemeinste  und  einfachste  Aeusserung  der  Wirksamkeit 
älterer  Geistesmassen  ist  die  Reproduction,  welche  darin  besteht,  dai-s 
die  wirkende  Geistesmasse  eine  ihr  ähnliche  zu  erzeugen  strebt. 

Die  Bildung  neuer  Geistesmassen  beruht  auf  der  gemeinschaftlichen 
Wirkung  theils  älterer  Geistesmassen,  theils  materieller  Ursachen,  und 
zwar  hemmt  oder  begünstigt  sich  alles  gemeinschaftlich  Wirkende  nach 
der  inneren  Ungleich artigkeit  oder  Gleichartigkeit  der  Geistesmasse  i, 
welche  es  zu  erzeugen  strebt. 


Die  Form  der  sich  bildenden  Geistesmasse  (oder  die  Qualität  der 
ihre  Bildung  begleitenden  Vorstellung)  hängt  ab  von  der  relativen  B^  - 
wegungsform  der  Materie  in  welcher  sie  gebildet  wird,  so  dass  gleicl  e 
Bewegungsform  der  Materie  eine  gleiche  Form  der  in  ihr  gebildete  ii 
Geistesmasse  bedingt,  und  umgekehrt  gleiche  Form  der  Geistesmas;  e 
eine  gleiche  Bewegungsform  der  Materie,  in  welcher  sie  gebildet  i^t, 
voraussetzt. 

Sämmtliche  gleichzeitig  (in  unserem  Cerebrospinalsystem)  si(  li 
bildenden  Geistesmassen  verbinden  sich  in  Folge  eines  physischen 
(chemisch-electrischen)  Processes  zwischen  den  Orten,  wo  sie  sich  bilde  i. 

Jede  Geistesmasse  strebt  eine  gleichgeformte  Geistesmasse  zu  e  '- 
zeugen.  Sie  strebt  also  diejenige  Bewegungsform  der  Materie  herz  i- 
stellen,  bei  welcher  sie  gebildet  ist. 


I.     Zur  Psychologie  und  Metaphysik.  470 

Die  Annahme  einer  Seele  als  eines  einheitlichen  Trägers  des  Blei- 
benden, welches  in  den  einzelnen  Acten  des  Seelenlebens  erzeugt  wird 
(der  Vorstelhmgen),  stützt*  sich 

1.  auf  den  engen  Zusammenhang  und  die  geg.Mist'iiigt-  Dunli- 
dringung  aller  Vorstellungen.  Um  aber  die  Verbindung  einer  bestimm- 
ten neuen  Vorstellung  mit  anderen  zu  erklären,  ist  die  Annahme  eines 
einheitlichen  Trägers  allein  nicht  ausreichend;  vielmehr  muss  die 
Ursache,  wesshalb  sie  gerade  diese  bestimmten  Verbindungen  in  dieser 
bestimmten  Stärke  eingeht,  in  den  Vorstellungen,  mit  welchen  sie  sich 
verbindet,  gesucht  werden.  Neben  diesen  Ursachen  aber  ist  die  An- 
nahme eines  einheitlichen  Trägers  aller  Vorstellungen  überflüssig  .... 


Wenden  wir  nun  diese  Gesetze  ffeistiger  Vorjjäntre,  auf  welche  die 
Erklärung  unserer  eigenen  inneren  Wahrnehmung  führt,  zur  Erklärung 
der  auf  der  Erde  wahrgenommenen  Zweckmässigkeit,  d.  h.  zur  Er- 
klärung des  Daseins  und  der  geschichtlichen  Entwicklung  an. 

Zur  Erklärung  unseres  Seelenlebens  mussten  wir  annehmen,  dass 
die  in  unseren  Nervenprocessen  erzeugten  Geistesmassen  als  Theile 
unserer  Seele  fortdauern,  dass  ihr  innerer  Zusammenhang  ungeändert 
fortbesteht,  und  sie  nur  in  sofern  einer  Veränderung  unterworfen  sind, 
als  sie  mit  anderen  Geistesmassen  in  Verbindung  treten. 

Eine  unmittelbare  Consequenz  dieser  Erklärungsprincipien  ist.  es, 
dass  die  Seelen  der  organischen  Wesen,  d.  h.  die  während  ihres  Lebens 
entstandenen  compacten  Geistesmassen,  auch  nach  dem  Tode  fortbestehen. 
(Ihr  isoiirtes  Fortbestehen  genügt  nicht).  Um  aber  die  planmässige 
Entwicklung  der  organischen  Natur,  bei  welcher  offenbar  die  früher 
gesammelten  Erfahrungen  den  späteren  Schöpfungen  zur  Grundlage 
dienten,  zu  erklären,  müssen  wir  aimehmen,  dass  diese  Geistesmassen 
in  eine  grössere  compacte  Geistesmasse,  die  Erdseele,  eintreten  und 
dort  nach  denselben  Gesetzen  einem  höheren  Seelenleben  dienen,  wie 
die  in  unseren  Nervenprocessen  erzeugten  Geistesmassen  unserem  eigenen 
Seelenleben. 

Wie  also  z.  B.  bei  dem  Sehen  einer  rothen  Fläche  die  in  einer 
Menge  einzelner  Primitivfasern  erzeugten  Geistesmassen  zu  einer  ein- 
zigen compacten  Geistesmasse  sich  verbinden,  welche  gleichzeitig  in 
unserem  Denken  auftritt,  so  werden  auch  die  in  den  verschiedenen 
Individuen  eines  Pflanzengeschlechts  erzeugten  Geistesmassen,  welche 
aus  einer  klimatisch  wenig  verschiedenen  Gegend  der  Erdoberfläche  in 
die  Erdseele  eintreten,  zu  einem  Gesammteindruck  sich  verbinden. 
Wie  die  verschiedenen  Sinneswahrnehmungen  von  demselben  Gegen- 
stande  sich   in  unserer  Seele  zu  einem  Bilde  desselben  vereinigen,  so 


480  Fragmente  philosophischen  Inhalts. 

werden  sämmtliclie  Pflanzen  eines  Theils  der  Erdoberfläche  der  Erd- 
seele ein  bis  ins  Feinste  ausgearbeitetes  Bild  von  dem  klimatischen 
und  chemischen  Zustande  desselben  geben.*  *  Auf  diese  Weise  erklärt 
sich,  wie  aus  dem  früheren  Leben  der  Erde  sich  der  Plan  zu  späteren 
Schöpfungen  entwickelt. 

Aber  nach  unseren  Erklärungsprincipien  bedarf  zwar  das  Fort- 
bestehen vorhandener  Geistesmassen  keines  materiellen  Trägers ,  aber 
alle  Verbindung  derselben,  wenigstens  alle  Verbindung  verschieden- 
artiger Geistesmassen  kann  nur  mittelst  neuer  in  einem  gemeinschaft- 
lichen Nervenprocesse  erzeugter  Geistesmassen  geschehen. 

Aus  Gründen,  die  später  entwickelt  werden  sollen,  können  wir 
das  Substrat  einer  geistigen  Thätigkeit  nur  in  der  ponderablen  Materie 
suchen. 

Nun  ist  es  eine  Thatsache,  dass  die  starre  Erdrinde  und  alle^ 
Ponderable  über  ihr  nicht  einem  gemeinschaftlichen  geistigen  Processc 
dient,  sondern  die  Bewegungen  dieser  ponderablen  Massen  aus  anderr 
Ursachen  erklärt  werden  müssen. 

Hiernach  bleibt  nur  die  Annahme  übrig,  dass  die  ponderableii 
Massen  innerhalb  der  erstarrten  Erdrinde  Träger  des  Seelenlebens  de]- 
Erde  sind. 

Sind  diese  dazu  geeignet?  Welches  sind  die  äusseren  Bedingungen 
für  die  Möglichkeit  des  Lebensprocesses?  Die  allgemeinen  Erfahrungen 
über  die  unserer  Beobachtung  zugänglichen  Lebensprocesse  müssen 
dabei  die  Grundlage  bilden;  aber  nur  in  soweit  es  uns  gelingt,  sie  zu 
erklären,  können  wir  daraus  Schlüsse  ziehen,  welche  auch  auf  ander? 
Erscheinungskreise  anwendbar  sind. 

Die  allgemeinen  Erfahrungen  über  die  äusseren  Bedingungen  de^ 
Lebensprocesses  in  dem  uns  zugänglichen  Erscheinungskreise  sind: 

1.  Je  höher  und  vollständiger  entwickelt  der  Leben sprocess,  dest  > 
mehr  bedürfen  die  Träger  desselben  des  Schutzes  gegen  äussere  B(  - 
Wegungsursachen,  welche  die  relative  Lage  der  Theile  zu  veränder  i 
streben. 

2.  Die  uns  bekannten  physikalischen  Processe  (Stoffwechsel),  welch  o 
dem  Denkprocesse  als  Mittel  dienen: 

d)  Absorption  von  elastischen  durch  liquide  Flüssigkeiten. 
h)  Endosmose. 

c)  Bildung  und  Zersetzung  von  chemischen  Verbindungen. 

d)  galvanische  Ströme. 

3.  Die  Stoff'e  in  den  Organismen  haben  keine  erkennbare  kri- 
stallinische  Structur,    sie    sind    theils    fest    (sehr  wenig  spröde)   thei  s 


1.     Zur  Psychologie  und  Metaphysik.  481 

gelatinös,  theils  liquide  oder  elastische  Flüssigkeiten,  immer  aber  porös, 
d.  li.  von  elastischen  Flüssigkeiten  merklich  durehdrincrbar. 

4.  Unter  allen  chennschen  Elementen  sind  nur  die  vier  sogenannten 
organischen  allgemeine  Träger  des  Lebensprocesses,  und  von  diesen 
sind  wieder  ganz  bestimmte  Veibindungen,  die  sogenannten  organi- 
sirenden,  Bestandtheile  der  organischen  Körper  (Proteinstoflfe,  Cellu- 
lose  etc.) 

5.  Die  organischen  Verbindungen  bestehen  nur  bis  zu  einer  be- 
stimmten oberen  Temperaturgrenze,  und.  nur  bis  zu  einer  bestimmten 
unteren  köimen  sie  Träger  des  Lebensprocesses  sein. 

ad.  1.  Veränderungen  in  der  relativen  Lage  der  Theile  werden  in 
stufenweise  geringerem  Grade  bewirkt  durch  mechanische  Kräfte,  durch 
Temperaturveränderungen,  durch  Lichtstrahlen;  hiemach  können  wir 
die  Tliatsachen,  deren  allgemeiner  Ausdruck  unser  Satz  ist,  folgender- 
maassen  ordnen: 

1.  Die  Fortpflanzbarkeit  der  niederen  Organismen  durch  Theilung. 
Die  bei  den  höheren  Thierorganismen  allmählich  abnehmende  Re- 
productionsfähigkeit. 

2.  Die  Theile  der  Pflanze  sind  gegen  Temperaturänderungen  desto 
empfindlicher,  je  intensiver  und  je  höher  entwickelt  der  Lebenspjrocess 
in  ihnen  ist.  Li  den  höheren  Thierorganismen  herrscht,  und  zwar  in 
den  wichtigsten  Theilen  am  vollkommensten,  eine  fast  constante  Wärme. 

3.  Die  Theile  des  Nervensystems,  welche  selbständiger  Denk- 
thätigkeit  dienen,   sind  gegen  alle  diese  Einflüsse  möglichst  geschützt. 

Die  zuerst  aufgeführte  Thatsache  hat  ihren  Grund  offenbar  darin, 
dass  die  relative  Lage  der  Theile  desto  eher  von  Vorgängen  im  Linern 
der  Materie  bestimmt  werden  kann,  je  weniger  sie  von  äusseren  Be- 
wegungsursachen bestimmt  wird.  Diese  Unabhängigkeit  von  äusseren 
l^ewegungsursachen  findet  aber  innerhalb  der  lirdrinde  in  einem  weit 
hi')lieren  Grade  statt,  als  es  sich  durch  organische  Eim*ichtuu!i:('n  misser- 
lialb  der  Erdrinde  irgend  erreichen  Hess. 

Unter  den  folgenden  Thatsachen,  welche  wir  im  Zusammenhang 
betrachten,  sind  die  unter  4.  und  5.  zusammengestellten  anscheinend 
unserer  Annahme  entgegen;  in  der  That  würden  sie  es  sein,  wenn 
diesen  von  uns  wahrgenommenen  Bedingungen  für  die  Möglichkeit 
eines  Lebensprocesses  eine  absolute  Gültigkeit  beizulegen  wäre  und 
nicht  bloss  eine  relative  für  unsern  Erfahrungskreis,  (iegen  ersteres 
aber  sprechen  folgende  Gründe: 

L  Man  müsste  alsdann  die  ganze  Natur,  mit  Ausnahme  der  Erd- 
oberfläche   für    todt   halten,    denn    auf   allen    and<'rn    Himmelskörpern 

JKiemann's  gpsainmelte  iiiathematische  Werke.    1.  31 


482  Fragmente  philosophischen  Inhalts. 

herrschen  Wärme-  und  Druekverhältnisse,  unter  welchen  die  organischen 
Verbindungen  nicht  bestehen  können. 

2.  Es  ist  ungereimt,  anzunehmen,  dass  auf*  der  erstarrten  Erdrinde 
Organisches  aus  Unorganischem  entstanden  sei.  Um  das  Entstehen  der  nie- 
dersten Organismen  auf  der  Erdrinde  zai  erklären,  muss  man  schon  ein 
organisirendes  Princip,  also  einen  Denkprocess  unter  Bedingungen  anneh- 
men, unter  welchen  die  organischen  Verbindungen  nicht  bestehen  konnten. 

Wir  müssen  daher  annehmen,  dass  diese  Bedingungen  nur  für  den 
Lebensprocess  unter  den  jetsiigen  Verhältnissen  auf  der  Oberfläche  der 
Erde  gültig  sind,  und  nur  in  soweit  es  uns  gelingt,  sie  zu  erklären, 
können  wir  daraus  die  Möglichkeit  des  Lebensprocesses  unter  anderen 
Verhältnissen  beurtheilen. 

Weshalb  also  sind  nur  die  vier  organischen  Elemente  allgemeine 
Träger  des  Lebensprocesses?  Der  Grund  kann  nur  in  Eigenschaften 
gesucht  werden,  durch  welche  sich  diese  vier  Elemente  von  allen 
übrigen  unterscheiden. 

1.  Eine  solche  allgemeine  Eigenschaft  dieser  vier  Elemente  findet 
sich  nun  darin,  dass  sie  und  ihre  Verbindungen  von  allen  Stoffen  am 
schwersten  und  zum  Theil  bis  jetzt  gar  nicht  condensirt  werden  können. 

2.  Eine  andere  gemeinsame  Eigenschaft  derselben  ist  die  grosse 
Mannigfaltigkeit  ihrer  Verbindungen  und  deren  leichte  Zersetzbarkeit. 
Diese  Eigenschaft  könnte  a,ber  ebenso  wohl  Folge,  als  Grund  ihrer 
Verwendung  zu  Lebensprocessen  sein. 

Dass  aber  die  erstere  Eigenschaft,  schwer  condensirt  werden  zu 
können,  diese  vier  Elemente  vorzugsweise  geeignet  macht,  Lebens- 
processen zu  dienen,  wird  einigermassen  schon  unmittelbar  aus  den 
unter  2.  und  3.  zusammengestellten  thatsächlichen  Bedingungen  des 
Lebensprocesses  erklärlich,  noch  mehr  aber  wenn  man  die  Erschei- 
nungen bei  der  Condensation  der  Gase  zu  liquiden  Flüssigkeiten  und 
festen  Körpern  auf  Ursachen  zurück  zu  führen  sucht.  .  .  . 


Zend-Avesta  in  der  That  ein  lebendig  machendes  Wort,*)  neues 
Leben  schaffend  unserem  Geiste  im  Wissen  wie  im  Glauben;  denn  wie 
mancher  Gedanke,  welcher,  einst  zwar  im  EntAvicklungsgang  der  Mensch- 
heit mächtig  wirkend,  nur  durch  Ueberlieferung  in  uns  fortdauerte 
ersteht  jetzt  auf  einmal  aus  seinem  Scheintode  in  reinerer  Form  zu 
neuem  Leben,  neues  Leben  enthüllend  in  der  Natur.  Denn  wie  un- 
ermesslich  erweitert  sich  vor  unserm  Blick  das  Leben  der  Natur,  wel- 
ches bisher  nur  auf  der  Oberfläche  der  Erde  sich  ihm  kund  that,  wi« 


*)  Vgl.  Fochner,  Zend-Avesta,  I,  Vorrede  S.  V. 


I.     Zur  Psychologie  und  Metaphyt^ik.  483 

unaussprechlich  erhabener  erscheint  es  als  bisher.  Was  wir  als  den 
Sitz  sinn-  und  bewusstlos  wirkender  Kräfte  betrachteten,  das  erscheint 
jetzt  als-  die  Werkstatt  der  höchsten  geistigen  Thätigkeit.  In  wunder- 
barer Weise  erfüllt  sicli,  was  unser  grosser  Dichter  als  das  Ziel, 
welches  dem  Qeist  des  Forschers  vorschwebte,  in  vorschauender  Be- 
geisterung geschildert  hat. 

Wie  Fechner  in  seiner  Nanna  die  Beseeltheit  der  Pflanzen  dar- 
zuthun  sucht,  so  ist  der  Ausgangspunkt  seiner  Betrachtungen  im  Zend- 
Avesta  die  Lehre  von  der  Beseeltheit  der  Gestirne.  Die  Methode, 
deren  er  sich  bedient,  ist  nicht  die  Abstraction  allgemeiner  Gesetze 
durch  die  Induction  und  die  Anwendung  und  Prüfung  derselben  in  der 
Naturerkliirung,  sondern  die  Analogie.  Er  vergleicht  die  Erde  mit 
unserem  eigenen  Organismus,  von  welchem  wir  wissen,  dass  er  be- 
seelt ist.  Er  sucht  dabei  nicht  bloss  einseitig  die  Aehnlichkeiten  auf, 
sondern  lässt  auch  ebenso  sehr  den  Unähnlichkeiten  ihr  Recht  ange- 
deihen,  und  kommt  so  zu  dem  Resultat,  dass  alle  Aehnlichkeiten  dar- 
auf hinweisen,  dass  die  Erde  ein  beseeltes  Wesen,  alle  Unähnlich- 
keiten aber  darauf,  dass  sie  ein  weit  höher  stehendes  beseeltes  Wesen, 
als  wir,  sei.  Die  überzeugende  Kraft  dieser  Darstellung  liegt  in  ihrer 
allseitigen  Durchführung  im  Einzelnen.  Der  Gesammteindruck  des  vor 
uns  aufgerollten  Bildes  von  dem  Leben  der  J^rde  muss  der  Ansicht 
Evidenz  geben  und  ersetzen,  was  den  einzelnen  Schlüssen  an  Strenge 
fehlt.  Diese  Evidenz  beruht  wesentlich  auf  der  Anschaulichkeit  des 
T^ildes,  auf  seiner  grösstmöglichen  Ausführung  ins  Einzelne.  Ich 
würde  daher  der  Fechner 'sehen  Ansicht  zu  schaden  glauben,  wenn 
ich  hier  den  Gang,  welchen  er  in  seinem  Werke  nimmt,  im  Auszug 
darzulegen  versuchte.  Bei  der  folgenden  Besprechung  der  Fechner'- 
schen  Ansichten  werde  ich  also  von  der  Form,  in  welcher  sie  vor- 
getragen sind,  absehen  und  nur  das  Substantielle  derselben  ins  Auge 
fassen,  und  mich  dabei  auf  die  erstere  Methode,  die  Abstraction  all- 
gemeiner Gesetze  durch  Induction  und  ihre  Bewährung  in  der  Natur- 
erklärunsc  stützen. 

Fragen  wir  zunächst:  woraus  schliessen  wir  die  Beseeltheit  eines 
Dinges  (das  Stattfinden  eines  fortdauernden  einheitlichen  Denkprocesses 
in  ihm).  Unserer  eigenen  Beseeltheit  sind  wir  unmittelbar  gewiss,  bei 
Anderen  (Menschen  und  Thieren)  schliessen  wir  sie  aus  individuellen 
zweckmässigen  Bewegungen. 

Ueberall,  wo  wir  wohlgeordnete  Zweckmässigkeit  auf  eine  Ursache 
zurückführen,  suchen  wir  diese  Ursache  in  einem  Denkprocesse;  eine 
andere  Erklärung  haben  wir  nicht.  Das  Denken  selbst  aber  kann  ich 
wenigstens  nur  für  einen  Vorgang  im  Innern  der  pouderablen  Materie 

31* 


484  Fragmente  philosophischen  Inhalts. 

halten.  Die  Unmogliclikeit,  das  Denken  aus  räumlichen  Bewegungen 
der  Materie  zu  erklären,  wird  bei  einer  unhefan«cenen  Zerefliederunix 
der  inneren  Wahrnehmung  wohl  Jedermann  einleuchten;  doch  mag 
die  abstraete  Möglichkeit  einer  solchen  Erklärung  hier  zugegeben 
werden. 

Dass  auf  der  Erde  Zweckmässigkeit  wahrgenommen  werde,  wird 
niemand  läugnen.  Es  fragt  sich  also,  wohin  haben  wir  den  Denk- 
process,  welcher  die  Ursache  dieser  Zweckmässigkeit  ist,  zu  ver- 
legen. 

Es  ist  hier  nur  von  bedingten  (in  begrenzten  Zeiten  und  Räumen 
stattfindenden)  Zwecken  die  Rede;  unbedingte  Zwecke  finden  ihre  Er- 
klärung in  einem  ewigen  (nicht  in  einem  Denkprocess  erzeugten)  Wollen. 
Die  einzige  Zweckmässigkeit,  deren  Ursache  wir  Wahrnehmen,  ist  die 
Zweckmässigkeit  unserer  eigenen  Handlungen.  Sie  entspringt  aus  dem 
Wollen  der  Zwecke  und  dem  Nachdenken  über  die  Mittel. 

Finden  wir  nun  einen  aus  ponderabler  Materie  bestehenden  Kör- 
per, in  w^elchem  ein  System  von  fortlaufenden  Zweck-  und  Wirkungs- 
bezügen vollkommen  zum  Abschluss  kommt,  so  können  wir  zur  Er- 
klärung dieser  Zweckmässigkeit  einen  fortwährenden  eiiiheitlichen  Denk- 
process in  demselben  annehmen;  und  diese  Hypothese  wird  die  wahr- 
scheinlichste sein,  wenn  1)  die  Zw^eckmässigkeiten  nicht  schon  in 
Theilen  des  Körpers  zum  Abschluss  kommen,  und  2)  kein  Grund  vor- 
handen ist,  die  Ursache  derselben  in  einem  grösseren  Ganzen,  welchem 
der  Körper  angehört,  zu  suchen. 

Wenden  wir  dies  auf  die  in  Menschen,  Thieren  und  Pflanzen  wahr- 
genommene Zweckmässigkeit  an,  so  ergiebt  sich,  dass  ein  Theil  dieser 
Zweckmässigkeiten  aus  einem  Denkprocess  im  Innern  dieser  Kih-per  zu 
erklären  ist,  ein  anderer  Theil,  die  Zweckmässigkeit  des  Organismus, 
aber  aus  einem  Denkprocess  in  einem  grösseren  Ganzen. 

Die  Gründe  hierfür  sind: 

1.  Die  Zweckmässigkeit  der  organischen  Einrichtungen  findet 
nicht  in  den  einzelnen  Organismen  ihren  Abschluss.  Die  Gründe  für 
die  Einrichtung  des  menschlichen  Organismus  sind  offenbar  in  der  Be- 
schaffenheit der  ganzen  Erdoberfläche,  die  organische  Natur  mit  ein- 
gerechnet, zu  suchen. 

2.  Die  organischen  Bewegungen  wiederholen  sich  unzählbar,  tlieils 
in  verschiedenen  Individuen  neben  einander,  theils  in  dem  Leben  eines 
Individuums  oder  eines  Geschlechts  nach  einander.  Für  die  Zweck- 
mässigkeit, welche  in  ihnen  für  sich  schon  liegt,  ist  also  nicht  in  je- 
dem Fall  eine  besondere,  sondern  eine  gemeinsame  Ursache  anzunehmen. 


I.     Zur  Psychologie  und  Metaphysik.  485 

3.  Die  organischen  Einrichtungen  erhalten  theils  (bei  Menschen 
iiiul  Thieren)  im  Leben  der  einzelnen  Individuen,  theils  (bei  Pflanzen 
und  Embryonen)  im  Leben  der  einzelnen  Geschlechter  keine  Fortbildung. 
Die  Ursache  ihrer  Zweckmässigkeit  ist  also  nicht  in  einem  gleich- 
zeitig fortlaufenden  Denkprocess  zu  suchen. 

Nach  Abzug  dieser  (organischen)  Zweckmässigkeiten  bleibt  nun 
bei  Menschen  und  Thieren  anerkannter  Maassen,  bei  Pflanzen  nach 
Fechner's  Ansicht,  noch  ein  abgeschlossenes  System  in  einander  greifen- 
der veränderlicher  Zweck-  und  Wirkungsbezüge  übrig-,  und  diese  Zweck- 
mässigkeit ist  aus  einem  einheitlichen  Denkprocesse  in  ihnen  zu  er- 
klären. 

Diese  Folgerungen  aus  unseren  Principien  werden  durch  unsere 
innere  Wahrnehmun««:  bestätit^t. 

Nach   denselben  Principien   aber   müssen   wir   die  Ursache   der   in 
den   Organismen    wahrgenommenen   Zweckmässigkeiten    in    einem   ein- 
heitlichen Denkprocesse  in  der  Erde  suchen  aus  folgenden  Gründen: 
a)  Die   Zweck-  und  Wirkungsbezüge    in   dem   organischen  Leben 
auf  der   Erde   zerfallen   nicht  in   einzelne   Systeme,   sondern  es 
greift   alles    in    einander.     Sie    können   daher  nicht  aus    meh- 
reren  besonderen   Denkprocessen  in   Theilen   der  Erde   erklärt 
werden. 
h)  Es  ist,  so  weit  unsere  Erfahrung  reicht,  kein  Grund  vorhanden, 
die    Ursachen    dieser    Zweckmässigkeiten    in    einem    grösseren 
Ganzen  zu  suchen.     Alle  Organismen  sind  nur  zum  Leben  auf 
der  Erde   bestimmt.     Der  Zustand   der  Erdrinde   enthält  daher 
sämmtliche  (äussere)  Gründe  ihrer  Einrichtung. 
6')  Sie   sind   individuell.     Nach    allem    was  die  Erfahrung  darüber 
lehrt,  müssen  wir  annehmen,  dass  sie  sich  auf  andern  Himmels- 
körpern nicht  wiederholen. 
d)  Sie   bleiben   nicht  während   des   Lebens    der   Erde.     Es   treten 
vielmehr    im   Lauf  desselben   immer  neue,   vollkommenere   Or- 
ganismen auf.     Wir  müssen  also  die  Ursache  in  einem  gleich- 
zeitig zu  höheren  Stufen  fortschreitenden  Denkprocesse  suchen. 
Vom  Standpunkt  der  exacten  Naturwissenschaft,  der  Natur-Erklärung 
aus  Ursachen  ist  also  die  Annahme  einer  Erdseele  eine  Hypothese  zur 
Erklärung  des  Daseins  und  der  geschichtlichen  Entwicklung  der  organi- 
schen Welt. 


„Wenn  der  Leib  der  niederen  Seele  stirbt"  sagt  Fechner,  „nimmt 
die  obere  Seele  sie  aus  ihrem  Anschauungsleben  in  ihr  Erinnerungsleben 


486 


P^-agmente  philosophischen  Inhalts. 


auf.''     Die  Seeleu  der  gestorbenen  Geschöpfe  sollen  also  die  Elemente 
bilden  für  das  Seelenleben  der  Erde. 

Die  verscliiedenen  Denkprocesse  scheinen  sich  hauptsächlich  zu 
unterscheiden  durch  ihren  zeitlichen  Rhythmus.  Wenn  die  Pflanzen 
beseelt  sind,  so  müssen  Stunden  und  Tage  für  sie  sein,  was  für  uns 
Secunden  sind;  der  entsprechende  Zeitraum  für  die  Erdseele,  wenigstens 
für  ihre  Thätigkeit  nach  aussen,  umfasst  vielleicht  viele  Jahrtausende. 
Soweit  die  geschichtliche  Erinnerung  der  Menschheit  reicht,  sind  alle 
Bewegungen  der  unorganischen  Erdriiide  wolil  noch  aus  mechanischen 
Gesetzen  zu  erklären. 


Antinomien. 

Thesis.  Antithesis. 

Endliches,  Vorstellbares.  Unendliches,  Begriffssysteme  die 

an    der   Grenze    des   Vorstellbaren 
liegen. 

I. 

Endliche    Zeit-    und  ßaumele-  Stetiges. 


mente. 


ii: 


Freiheit,   d.  h.   nicht   das   Ver-  Determinismus, 

mögen,  absolut  anzufangen,  son- 
dern zwischen  zwei  oder  mehreren 
gegebenen  Möglichkeiten  zu  ent- 
scheiden. 

Damit   trotz  völlig  bestimmter  Niemand    kann    beim   Handeln 

Gesetze     des     Wirkens     der    Vor-      die   Ueberzeugung   aufgeben,    dass 
Stellungen  Entscheidung  durch  Will-      die   Zukunft    durch    sein    Handeln 
kür  möglich  sei  muss  man  anneh-      mitbestimmt  wird, 
men,  dass  der  psychische  Mechanis- 
mus  selbst   die   Eigenthümlichkeit 
hat  oder  wenigstens  in  seiner  Ent- 
wicklung  annimmt,    die  Nothwen- 
digkeit  derselben  herbeizuführen. 

in. 

Ein    zeitlich     wirkender     Gott  Ein  zeitloser,  persönlicher,  all- 

(Weltregierung).  wissender,  allmächtiger,  allgütiger 

Gott  (Vorsehung). 


I.     Zur  Rsychologic  uiul  Metaphysik. 


487 


IV. 


T  h  e  s  i  8. 
Unsterblichkeit. 


Freiheit  ist  sehr  wohl  vereiii- 
biir  mit  strenger  (Gesetzmässigkeit 
des  Naturlaufs.  Aber  der  Begriff 
eines  zeitlosen  Gottes  ist  daneben 
nicht  haltbar.  Es  muss  vielmehr 
die  Beschränkung,  welche  Allmacht 
und  Allwissenheit  durch  die  Frei- 
heit der  Geschöpfe  in  der  oben 
festgestellten  Bedeutung  erleiden, 
aufgehoben  werden  durch  die  An- 
nahme eines  zeitlich  wirkenden 
Gottes,  eines  Lenkers  der  Herzen 
und  Geschicke  der  Menschen,  der 
Begriff  der  Vorsehung  muss  er- 
gänzt und  zum  Theil  ersetzt  wer- 
den durch 
regier  ung. 


den   Begriff'  der   Welt- 


Antithesis. 
Ein  unserer  zeitlichen  Erschei- 
nung zu  Grunde  liegendes  Ding  an 
sich  mit  transcendentaler  Freiheit, 
radicalem  Bissen,  intelligiblem  Cha- 
rakter ausgestattet. 


Allgemeines  Verhältniss  der  Begriffssysteme  der  Thesis  und 

Antithesis. 

Die  Methode,  welche  Newton  zur  Begründung  der  Infinitesimal- 
rechnung anwandte,  und  welche  seit  Anfang  dieses  Jahrhunderts  von 
den  besten  Mathematikern  als  die  einzige  anerkannt  worden  ist,  welche 
sichere  Resultate  liefert,  ist  die  Grenzmethode.  Die  Methode  besteht 
darin,  dass  man  statt  eines  stetigen  Uebergangs  von  einem  Werth 
einer  Grösse  zu  einem  andern,  von  einem  Orte  zu  einem  andern,  oder 
überhaupt  von  einer  Bestimmungsweise  eines  Begriffs  'zu  einer  andern 
zunächst  einen  Uebergang  durch  eine  endliche  Anzahl  von  Zwischen- 
stufen betrachtet  und  dann  die  Anzahl  dieser  Zwischenstufen  so  wachsen 
lässt,  dass  die  Abstände  zweier  aufeinanderfolgender  Zwischenstufen 
säramtlich  ins  Unendliche  abnehmen. 

Die  Begriffssysteme  der  Antithesis  sind  zwar  durch  negative  Prä- 
dicate  fest  bestimmte  Begriffe,  aber  nicht  positiv  vorstellbar. 


488  Fragmente  philosophischen  Inhalts. 

Eben  desslialb,  weil  ein  genaues  und  vollständiges  Vorstellen  dieser 
Begriffssysteme  unmöglich  ist,  sind  sie  der  directen  Untersuchung  und 
Bearbeitung  durch  unser  Nachdenken  unzugänglich.  Sie  können  aber 
als  an  der  Grenze  des  Vorstellbaren  liegend  betrachtet  werden,  d.  h. 
man  kann  ein  innerhalb  des  Vorstellbaren  liegendes  Begriffssystem 
bilden,  welches  durch  blosse  Aenderung  der  Grössenverhältnisse  in  das 
gegebene  Begriffssystem  übergeht.  Von  den  Grössenverhältnissen  ab- 
gesehen bleibt  das  Begriffssystem  bei  dem  üebergang  zur  Grenze  un- 
geändert.  In  dem  Grenzfall  selbst  aber  verlieren  einige  von  den  Cor- 
relativbegriffen  des  Systems  ihre  Vorstellbarkeit,  und  zwar  solche, 
welche  die  Beziehung  zwischen  andern  Begriffen  vermitteln. 


II.    Erkenntnisstheoretisches. 

Versuch   einer  Lehre   von  den  Grundbegriffen  der  Mathematik  und 
Physik  als  Grundlage  für  die  Naturerklärung. 

Naturwissenschaft  ist  der  Versuch,  die  Natur  durch  genaue 
Begriffe  aufzufassen. 

Nach  den  Begriffen,  durch  welche  wir  die  Natur  auffassen,  werden 
nicht  bloss  in  jedem  Augenblick  die  Wahrnehmungen  ergänzt,  sondern 
auch  künftige  Wahrnehmungen  als  noth wendig,  oder,  insofern  das 
Begriffssystem  dazu  nicht  vollständig  genug  ist,  als  wahrscheinlich 
vorher  bestimmt;  es  bestimmt  sich  nach  ihnen,  was  „möglich"  ist  (also 
auch  was  „nothwendig"  oder  wessen  Gegentheil  unmöglich  ist)  und  es 
kann  der  Grad  der  Möglichkeit  (der  „Wahrscheinlichkeit")  jedes  ein- 
zelnen nach  ihnen  möglichen  Ereignisses,  wenn  sie  genau  genug  sind, 
mathematisch  bestimmt  werden. 

Tritt  dasjenige  ein,  was  nach  diesen  Begritfeii  nothwendig  oder 
wahrscheinlich  ist,  so  werden  sie  dadurch  bestätigt,  und  auf  dieser 
Bestätigung  durch  die  Erfahrung  beruht  das  Zutrauen,  welches  wir 
ihnen  schenken.  Geschieht  aber  Etwas,  was  nach  ihnen  nicht  erwartet 
wird,  also  nach  ihnen  unmöglich  oder  unwahrscheinlich  ist,  so  ent- 
steht die  Aufgabe,  sie  so  zu  ergänzen  oder,  wenn  nöthig,  umzuarbeiten, 
dass  nach  dem  vervollständigten  oder  verbesserten  Begriffssystem  das 
Wahrgenommene  aufhört,  unmöglich  oder  unwahrscheinlich  zu  sein. 
Die  Ergänzung  oder  Verbesserung  des  Begriffssystems  bildet  die  „Er- 
klärung" der  unerwarteten  Wahrnehmung.  Durch  diesen  Process  wird 
unsere  Auffassung  der  Natur  allmählich  immer  vollständiger  und  rich- 
tiger, geht  aber  zugleich  immer  mehr  hinter  die  Oberfläche  der  Er- 
scheinungen zurück. 

Die  Geschichte  der  erklärenden  Naturwissenschaften,  soweit  wir 
sie  rückwärts  verfolgen  können,  zeigt,  dass  dieses  in  der  That  der 
Weg  ist,  auf  welchem  unsere  Naturerkenntniss  fortschreitet.  Die  Be- 
griffssysteme, welche  ihnen  jetzt  zu  Grunde  liegen,  sind  durch  all- 
mählige  Umwandlung  älterer  Begriffssysteme  entstanden,  und  die  Gründe, 
welche  zu  neuen  Erklärungsweisen  trieben,  lassen  sich  stets  auf  Wider- 
sprüche oder  Unwahrscheinlichkeiten,  die  sich  in  den  älteren  Erklärungs- 
weisen herausstellten,  zurückführen. 


400  Fragmente  philosophischen  Inhalts. 

Die  Bikluiig  neuer  Begriffe,  soweit  sie  der  Beobachtung  zugänglich 
ist,  geschielit  also  durch  jenen  Process. 

Es  ist  nun  von  Ilerbart  der  Nachweis  geliefert  worden,  dass 
auch  die  zur  Weltauffassung  dienenden  Begriffe,  deren  Entstehung  wir 
weder  in  der  Geschichte,  noch  in  unserer  eigenen  Entwicklung  ver- 
folgen können,  weil  sie  uns  unvermerkt  mit  der  Sprache  überliefert 
werden,  sämmtlich,  in  soweit  sie  mehr  sind  als  blosse  Formen  der 
Verbindung  der  einfachen  sinnlichen  Vorstellungen,  aus  dieser  Quelle 
abgeleitet  werden  können  und  daher  nicht  (wie  nach  Kant  die  Kate- 
gorien) aus  einer  besonderen  aller  Erfahrung  voraufgehenden  Be- 
schaffenheit der  menschlichen  Seele  hergeleitet  zu  werden  brauchen. 

Dieser  Nachweis  ihres  Ursprungs  in  der  Auffassung  des  durch  die 
sinnliche  Wahrnehmung  Gegebenen  ist  für  uns  desshalb  wichtig,  weil 
nur  dadurch  ihre  Bedeutung  in  einer  für  die  Naturwissen- 
schaft genügenden  Weise  festgestellt  werden  kann.... 


Nachdem  der  Begriff  für  sich  bestehender  Dinge  gebildet  worden 
ist,  entsteht  nun  beim  Nachdenken  über  die  Veränderung,  welche  dem 
Begriffe  des  für  sich  Bestehens  widerspricht,  die  Aufgabe,  diesen  schon 
bewährten  Begriff  so  weit  als  möglich  aufrecht  zu  erhalten.  Hieraus 
entspringen  gleichzeitig  der  Begriff  der  stetigen  Veränderung,  und  der 
Begriff  der  Causalität. 

Beobachtet  wird  nur  ein  Uebergang  eines  Dinges  aus  einem  Zu- 
stand in  einen  anderen,  oder,  allgemeiner  zu  reden,  aus  einer  Be- 
stimmungsweise in  eine  andere,  ohne  dass  dabei  ein  Sprung  wahr- 
genommen wird.  Bei  der  Ergänzung  der  Wahrnehmungen  kann  man 
nun  entweder  annehmen,  dass  der  Uebergang  durch  eine  sehr  grosse 
aber  endliche  Anzahl  für  unsere  Sinne  unmerklicher  Sprünge  geschieht, 
oder  dass  das  Ding  durch  alle  Zwischenstufen  aus  dem  einen  Zustand 
in  den  andern  übergeht.  Der  stärkste  Grund  für  die  letztere  Auf- 
fassung liegt  in  der  Forderung,  den  schon  bewährten  Begriff  des  für 
sich  Bestehens  der  Dinge  so  weit  als  möglich  aufrecht  zu  erhalten. 
Freilich  ist  es  nicht  möglich,  sich  einen  Uebergang  durch  alle  Zwischen- 
stufen wirklich  vorzustellen,  was  aber,  wie  bemerkt,  genau  genommen 
von  allen  Begriffen  gilt. 

Zugleich  aber  wird  nach  dem  früher  gebildeten  und  in  der  Er- 
fahrung bewährten  Begriffe  des  für  sich  Bestehens  der  Dinge  geschlossen, 
das  Ding  würde  bleiben,  was  es  ist,  wenn  nichts  Anderes  hinzukäme. 
Hierin  liegt  der  Antrieb ,  zu  jeder  Veränderung  eine  Ursache  zu  suchen. 


II.     Erkenntoissthcoretisches.  491 

I.  Wann  ist  unsere  Auffassung  der  Welt  wahr? 

„Wenn  der  Zusammenhang  unserer  Vorstellungen  d«'ui  Zusammen- 
hange der  Dinge  entspricht." 

Die  Elemente  unseres  IJildes  von  der  Welt  sind  von  den  ent- 
sprechenden Elementen  des  abgebildeten  Realen  gänzlich  verschieden. 
Sie  sind  etwas  in  uns;  die  Elemente  des  Realen  etwas  ausser  uns. 
Aber  die  Verbindungen  zwischen  den  Elementen  im  Bilde  und  im  Ab- 
gebildeten müssen  übereinstimmen,  wenn  das  Bild  wahr  sein  soll.  Die 
Wahrheit  des  Bildes  ist  unabhängig  von  dem  (Jrade  der  Feinheit  des 
Bildes;  sie  hängt  nicht  davon  ab,  ob  die  Elemente  des  l^ildes  grössere 
oder  kleinere  Mengen  des  Realen  repräsentiren.  Aber  die  Verbindungen 
müssen  einander  entsprechen;  es  darf  nicht  im  Bilde  eine  unmittelbare 
Wirkung  zweier  Elemente  auf  einander  angenommen  werden,  wo  in 
der  Wirklichkeit  nur  eine  mittelbare  stattfindet.  In  diesem  Fall  würde 
das  Bild  falsch  sein  und  der  Berichtigung  bedürfen;  wird  dagegen  ein 
Element  des  Bildes  durch  eine  Gruppe  von  feineren  Elementen  ersetzt, 
so  dass  seine  Eigenschaften  theils  aus  einfacheren  Eigenschaften  der 
feineren  Elemente,  theils  aber  aus  ihrer  Verbindung  sich  ergeben  und 
also  zum  Theil  begreiflich  werden,  so  wächst  dadurch  zwar  unsere 
Einsicht  in  den  Zusammenhang  der  Dinge,  aber  ohne  dass  die  frühere 
Auffassung  für  falsch  erklärt  werden  müsste, 

II.  Woraus  soll  der  Zusammenhang  der  Dinge  gefunden  werden? 
„Aus  dem  Zusammenhange  der  Erscheinungen.^' 

Die  Vorstellung  von  Sinnendingen  in  bestimmten  räumlichen  und 
zeithchen  Verhältnissen  ist  dasjenige,  was  beim  absichtlichen  Nach- 
denken über  die  Natur  vorgefunden  wird  oder  für  dasselbe  gegeben 
ist.  Es  ist  jedoch  bekanntlich  die  Qualität  der  Merkmale  der  Sinnen- 
dinge, Farbe,  Klang,  Ton,  Geruch,  Geschmack,  Wärme  oder  Kälte, 
etwas  lediglich  unserer  Empfindung  Entnommenes,  ausser  uns  nicht 
Existirendes. 

Dasjenige,  woraus  der  Zusammenhang  der  Dinge  erkannt  werden 
muss,  sind  also  quantitative  Verhältnisse,  die  räumlichen  und  zeit- 
lichen Verhältnisse  der  Sinnendinge  und  die  Intensitätsverhältnisse  der 
Merkmale  und  ihrer  Qualitätsunterschiede. 

Aus  dem  Nachdenken  über  den  beobachteten  Zusammenhang  dieser 
Grössenverhältnisse  muss  sich  die  Erkenntniss  des  Zusammenhangs  der 
Dinge  ergeben. 


492  Fragmente  philosophischen  Inhalts, 

Causalität. 

I.  Was  ein  Agens  zu  bewirken  strebt  muss  durch  den  Bcgritf 
des  Agens  bestimmt  sein;  seine  Action  kann  von  nichts  Anderem  als 
von  seinem  eigenen  Wesen  abhängen. 

IL  Dieser  Forderung  wird  genügt,  wenn  das  Agens  sich  selbst 
zu  erhalten  oder  herzustellen  strebt. 

III.  Eine  solche  Action  ist  aber  nicht  denkbar,  wenn  das  Agens 
ein  Ding,  ein  Seiendes  ist,  sondern  nur  wenn  es  ein  Zustand  oder  ein 
Verhältniss  ist.  Findet  ein  Streben  etwas  zu  erhalten  oder  her- 
zustellen Statt,  so  müssen  auch  Abweichungen,  und  zwar  in  verschie- 
denen Graden,  von  diesem  Etwas  möglich  sein;  und  es  wird  in  der 
That,  in  sofern  dieser  Bestrebung  andere  Bestrebungen  widerstreiten, 
nur  möglichst  nahe  erhalten  oder  hergestellt  werden.  Es  giebt  aber 
keine  Grade  des  Seins,  eine  gradweise  Verschiedenheit  ist  nur  von  Zu- 
ständen oder  Verhältnissen  denkbar.  Wenn  also  ein  Agens  sicli 
selbst  zu  erhalten  oder  herzustellen  strebt,  so  muss  es  ein  Zustand 
oder  ein  Verhältniss  sein. 

IV.'  Eine  solche  Action  eines  Zustandes  kann  selbstredend  nur 
auf  solche  Dinge  stattfinden,  die  eines  gleichen  Zustandes  fähig  sind. 
Auf  welche  von  diesen  Dingen  sie  aber  stattfindet  und  ob  sie  über- 
haupt stattfindet,  kann  aus  dem  Begriff  des  Agens  nicht  geschlossen 
werden.  *) 


*)  Diese  Sätze  gelten  nur  wenn  einem  einfachen  Realgrund  das  Wirken  zu- 
geschrieben werden  soll. 

Wenn  zwei  Dinge  a  und  h  durch  einen  äusseren  Grund  in  Verbindung  treten, 
so  kann  entweder  an  die  Verbindung,  das  Verbundensein,  selbst,  oder  auch  an 
die  Veränderung  ihres  Grades,  eine  Folge  c  geknüpft  sein.  Die  einfachste  An- 
nahme ist,  dass  die  Folge  c  an  das  Verbundensein  geknüpft  ist. 

Es  ist  unnöthig,  diese  Betrachtungen  weiter  fortzuführen.  Ihr  Princip  besteht 
darin,  dass  man  den  Satz  festhält:  „Was  ein  Agens  zu  bewirken  strebt,  muss 
durch  den  Begriff  des  Agens  bestimmt  sein",  diesen  Satz  aber  nicht,  wie  Leibnitz 
oder  Spinoza  auf  Wesen  mit  einer  Mannigfaltigkeit  von  Bestimmungen,  sondern 
auf  Realgründe  von  mögliehst  grösstcr  Einfachheit  anwendet. 

Man  pflegt  im  Deutschen  sowohl  actio  als  effectus  durch  Wirkung  zu  übersetzen. 
Da  das  Wort  in  der  letzteren  Bedeutung  viel  häufiger  vorkommt,  so  entsteht 
leicht  eine  Undeutlichkeit,  wenn  man  es  für  actio  braucht,  wie  z.  B.  bei  der  ge- 
bräuchlichen Uebersetzung  von  „actio  aequalis  est  reactioni",  „principium  actionis 
miiiimae."  Kant  sucht  sich  dadurch  zu  helfen,  dass  er  neben  Wirkung,  Wechsel- 
wirkung, den  lateinischen  Ausdruck  actio,  actio  mutua  in  Klammern  hinzufügt. 
Man  könnte  vielleicht  sagen:  „die  Kraft  ist  gleich  der  Gegenkraft",  „Satz  vom 
klciusten  Kraftaufwands"  Da  aber  in  der  That  uns  ein  einfacher  Ausdruck  für 
agere,  ein  auf  etwas  Anderes  gerichtetes  Streben,  fehlt,  so  möge  mir  der  Ge- 
brauch des  Fremdworts  gestattet  sein. 


II.     Erkenninibstheoretisches.  493 

Sehr  richtig  heinerkt  Kant,  dass  durch  die  Zergliederung  des  Be- 
griffs von  einem  Dinge  weder  gefunden  werden  könne,  dass  es  sei, 
noch  dass  es  die  Ursache  von  etwas  Anderem  sei,  dass  also  die  Be- 
griffe des  Seins  und  der  Causaljtät  nicht  analytisch  seien  und  nur  aus 
der  Erfahrung  entnommen  werden  können.  Wenn  er  aber  später 
sich  zu  der  Annahme  geniHhigt  glaubt,  dass  der  Causalbegriff  aus 
einer  aller  Erfahrung  vorausgehenden  Beschaffenheit  des  erkennenden 
Subjects  stamme,  und  ihn  desshalb  zu  einer  blossen  Regel  der  Zeit- 
folge stempelt,  durch  welche  in  der  Erfahrung  mit  jeder  Wahrnehmung 
als  Ursache  jede  beliebige  andere  als  Wirkung  verknüpft  werden 
könnte,  so  heisst  dies  das  Kind  mit  dem  Bade  ausschütten.  (Freilich 
müssen  wir  die  Causalitätsverhältnisse  aus  der  Erfahrung  entnehmen; 
aber  wir  dürfen  nicht  darauf  verzichten,  unsere  Auffassung  dieser  Er- 
fahrungsthatsachen  durch  Nachdenken  zu  berichtigen  und  zu  ergänzen.) 


Das  Wort  Hypothese  hat  jetzt  eine  etwas  andere  Bedeutung  als 
bei  Newton.  Man  pflegt  jetzt  unter  Hypothese  alles  zu  den  Ersc^hei- 
nungen  Hinzugedachte  zu  verstehen. 

Newton  war  weit  entfernt  von  dem  ungereimten  TJedanken,  als 
könne  die  Erklärung  der  Erscheinungen  durch  Abstraction  gewonnen 
werden. 

Newton:  Et  hacc  de  deo;  de  quo  utique  ex  phaenomenis  disserere 
ad  philosophiam  exi)erimentalem  pertinet.  llationem  vero  harum  (ira- 
vitatis  proprietatum  ex  phaenomenis  nondum  potui  deducere,  et  Hypo- 
theses  non  fingo.  Quicquid  enim  ex  Phaenomenis  uon  deducitur, 
Hypothesis  vocanda  est. 

Arago,  Oeuvres  completes  T.  3.  505: 

Une  fois,  une  seule  fois  Laplace  s'elanca  dans  la  region  des  con- 
jectures.     Sa  conception  ne  fut  alors  rien  moins  qu'une  cosmogonie. 

Laplace  auf  Napoleons  Frage,  wesshalb  in  seiner  Mec.  cel.  der 
Name  Gottes  nicht  vorkomme:  Sire,  je  n'avais  pas  besoin  de  cette 
hypothese. 

Die  Unterscheidung,  welche  Newton  zwischen  Bewegungsgesetzen 
oder  Axiomen  und  Hypothesen  macht,  scheint  mir  nicht  haltbar.  Das 
Trägheitsgesetz  ist  die  Hypothese:  Wenn  ein  materieller  Punkt  allein 
in  der  Welt  vorhanden  wäre  und  sich  im  Kaum  mit  einer  bestimmten 
Geschwindigkeit  bewegte,  so  würde  er  diese  Geschwindigkeit  beständig 
behalten. 


III.     Naturphilosophie. 

1.     Molecularmeehanik. 

Die   freie  Bewegung   eines  Systems   materieller  Punkte   m^^,  nk,  .  .  . 
mit  den  rechtwinkligen  Coordinaten  oc^pVi^^i'-)  ^2 72/2? ^2 5  •••  ^^^^  welche 
parallel    den   drei   Axen   die  Kräfte  Xj,  Y^y  Z^\  Xg,  Y>^y  Z.a  ...   wirken 
geschieht  den  Gleichungen  gemäss: 
/■K\  d'-^x^  ^^^Vi  (^'^i 

Dies  Gesetz  kann  auch  so  ausgesprochen  werden:  die  Beschleunigungen 
bestimmen  sich  so^  dass 

dt~  inj      '     V  (Zi^"  ^^ij    -f-  y  ^n2  ^,fj     ] 

ein  Minimum  wird;  denn  diese  Function  der  Beschleunigungen  nimmt 
ihren  kleinsten  Werth  0  an,  wenn  die  Beschleunigungen  sämmtlich 
den    Gleichungen    (1)    gemäss    bestimmt    werden,    d.    h.    die    Grössen 

—rrr, •  •  •  sämmtüch  =  0  sind,  und  sie  nimmt  auch  nur  dann  einen 

d'x^         X^ 

Minimumwerth   an;    denn   wäre   eine   dieser   Grössen,   z.  B.  -7— 

'  ^  dt^  m^ 

nicht  gleich  Null,  so  könnte  man  -,.^    immer   stetig   so   ändern,   dass 

der  absolute  Werth  dieser  Grösse  und  folglich  ihr  Quadrat  abnähme. 
Die  Function  würde  also  dann  kleiner  werden,  wenn  man  zugleich 
alle  übrigen  Beschleunigungen  ungeändert  liesse. 

Diese  Function  der  Beschleunigunc^en  unterscheidet  sich  von 


2».p)" +©)+©) 

nur  um   eine   Constante,  d.   h.   eine  von  den  Beschleunigungen  unab- 
hängicfe  Grösse. 


III.     Naturphilofophio.  49f) 

Wenn  die  Kräfte  nur  von  Anzieluin<^eii  und  Abstossungen  zwischen 
den  Punkten  herrühren,  welche  Functionen  der  Entfernung  sind,  und 
der  tte  Punkt  und  der  t'ie  Punkt  sich  in  der  Entfernung  r  mit  der 
Kraft  ft,i-(r)  abstossen  oder  mit  der  Kraft  — fi,i(j')  anziehen,*  lassen 
sich  bekainitlich  die  Componenten  der  Kräfte  ausdrücken  durch  die  par- 
tiellen Derivirten  einer  Function  von  den  Coordinaten  sämmtlicher  Punkte 


I'=2F,,,(r.,,) 


woriii  F,,i-{r)  eine  Function   bedeutet,   deren  Derivirte  f,,t-(r),   und  für 
L  und  i   je  zwei  verschiedene  Indices  zu  setzen  sind. 
Substituirt  man  diese  Werthe  der  Componenten 

V  _  ^  V  _^  7  —^L 

in  obiger  Function  der  Beschleunigungen  und  multiplicirt  dieselbe  mit 

dt- 

-— ,  wodurch  die  Lage  ihrer  Maxim a  und  Minima  nicht  geändert  wird, 

so  erhält  man  einen  Ausdruck,  der  sich  von 


nur  um  eine  von  den  Beschleunigungen  unabhängige  Grösse  unter- 
scheidet. Wenn  die  Lage  und  die  Geschwindigkeiten  der  Punkte  zur 
Zeit  t  gegeben  sind,  so  bestimmt  sich  diese  Lage  zur  Zeit  t  -\-  dt  so, 
dass  diese  Grösse  möglichst  klein  wird.  Es  findet  demnach  ein  Streben 
statt,  diese  Grösse  möglichst  klein  zu  machen. 

Dieses  Gesetz  kann  man  nun  aus  Actionen  erklären,  welche  die 
einzelnen  Glieder  dieses  Ausdrucks  möglichst  klein  zu  machen  streben, 
wenn  man  annimmt,  dass  einander  widerstreitende  Bestrebungen 
sich  so  ausgleichen,  dass  die  Summe  der  Grössen,  welche  die 
einzelnen  Actionen  möglichst  klein  zu  erhalten  streben,  ein 
Minimum  wird. 

Nimmt  man  an,  dass  die  Massen  der  Punkte  Wj,  m.^y  .  . .,  w/«  sich 
verhalten  wie  die  ganzen  Zahlen  /r^,  h,,  .  .  .,  Z*„,  so  dass  m,  =  Ä*,^,  so 
besteht  der  Ausdruck,  welcher  möglichst  klein  wird,  aus  der  Summe 
der  Grössen 

.  f(("S)"+(.'S)'+(''':-;y 

für  sämmtliche  Massentheilchen  ft  und  der  Grösse  P^  +  j/.  Wenn  man 
also  mit  Gauss  die  Grösse 


496  Fragmente  philosophischen  Inhalts. 

als  Maass  der  Abweichung  des  Bewegungszustaiides  der  Masse  ^  zur 
Zeit  t  +  dt  von  ihrem  l^ewegungsziistand  zur  Zeit  t  betrachtet^  so  er- 
giebt  die  Zerlegung  der  Gesammtaction  in  Bezug  auf  jede  Masse  eine 
Action,  welche  die  Abweichung  ihres  Bewegungszustandes  zur  Zeit 
t  +  dt  von  ihrem  Bewegungszustande  zur  Zeit  t  möglichst  klein  zu 
machen  strebt,  oder  ein  Streben  ihres  Bewegungszustandes,  sich  zu 
erhalten,  und  ausserdem  eine  Action,  welche  die  Ojlrösse  —  P  mögliclist 
klein  zu  erhalten  strebt. 

Diese  letztere  Action  lässt  sich  zerlegen  in  Bestrebungen,  die  ein- 
zelnen  Glieder   der   Summe   EFi^i^Vi^i-)   möglichst    klein    zu    erhalten, 

d.  h.  in  Anziehungen  und  Abstossungen  zwischen  je  zwei  Punkten, 
und  dies  würde  zu  der  «gewöhnlichen  Erklärun«;  der  BeAvegunocs«;esetze 
aus  dem  Gesetz  der  Trägheit  und  Anziehungen  und  Abstossungeji  zurück- 
führen-, sie  lässt  sich  aber  bei  allen  uns  bekannten  Naturkräften  auch 
auf  Kräfte,  welche  zwischen  benachbarten  llaumelementen  thäti«:  sind, 
zurückführen,  wie  im  folgenden  Artikel  an  der  Gravitation  erläutert 
werden  soll. 


2.     Gravitation  und  Lieht. 

Die  Newton'sche  Erklärung  der  Fallbewegungen  und  der  Be- 
wegungen der  Himmelskörper  besteht  in  der  Annahme  folgender  Ur- 
sachen: 

1.  Es  existirt  ein  unendlicher  Raum  mit  den  Eigenschaften,  welche 
die  Geometrie  ihm  beilegt,  und  ponderable  Körper,  welche  in  ihm 
ihren  Ort  nur  stetig  verändern. 

2.  In  jedem  ponderablen  Punkte  existirt  in  jedem  Augenblicke 
eine  nach  Grösse  und  Richtung  bestimmte  Ursache,  vermöge  der  er 
eine  bestimmte  Bewegung  hat  (Materie  in  bestimmtem  Bewegungs- 
zustande).    Das  Maass  dieser  Ursache  ist  die  Geschwindigkeit.*) 

Die  hier  zu  erklärenden  Erscheinungen  führen  noch  nicht  auf  die 
Annahme  verschiedener  Massen  der  ponderablen  Körjier. 

3.  In  jedem  Punkt  des  Raumes  existirt  in  jedem  Augenblicke 
eine  nach  Grösse  und  Richtung  bestimmte  Ursache  (beschleunigende 
Kraft),    welche  jedem   dort   befindlichen   ponderablen   Punkte   eine   be- 


*)  Jeder  materielle  Körper  würde,  wenn  er  sich  im  Ilanm  allein  befände, 
entweder  seinen  Ort  in  demselben  nicht  verändern  oder  mit  nnveränderlichcr  Ge- 
schwindigkeit in  gerader  Linie  durch  denselben  sich  bewegen. 

Dieses  Bewegungsgesetz  kann  nicht  aus  dem  Princip  des  zureichenden  Grun- 
des erklärt  werden.  Dass  der  Körper  seine  Bewegung  fortsetzt,  nmss  eine  Ur- 
sache haben,  welche  nur  in  dem  inneren  Zustand  der  Materie  gesucht  werden  kann. 


III.     Naturphilosophie.  497 

stimmte,  und  zwar  allen  dieselbe  Bewegung  mittheilt,  die  sich  mit  der 
Bewegung,  die  er  schon  hat,  geometrisch  zusammensetzt. 

4.  In  jedem  ponderablen  Punkt  existirt  eine  der  Grösse  nach 
bestimmte  Ursache  (absolute  Schwerkraft),  vermöge  welcher  in  jedem 
Punkte  des  Raumes  eine  dem  Quadrat  der  Entfernung  von  diesem 
ponderablen  Punkte  umgekehrt  und  seiner  Schwerkraft  direct  propor- 
tionale beschleunigende  Kraft  stattfindet,  die  sich  mit  allen  andern  dort 
stattfindenden   beschleunigenden  Kräften  geometrisch  zusammensetzt.*) 

Die  nach  Grösse  und  Richtung  bestimmte  Ursache  (beschleunigende 
Schwerkraft),  welche  nach  3.  in  jedem  Punkte  des  Raumes  stattfindet, 
suche  ich  in  der  Bewegungsform  eines  durch  den  ganzen  unendlichen 
Raum  stetig  verbreiteten  Stofi'es,  und  zwar  nehme  ich  an,  dass  die 
Richtung  der  Bewegung  der  Richtung  der  aus  ihr  zu  erklärenden  Kraft 
gleich,  und  ihre  Geschwindigkeit  der  Grösse  der  Kraft  proportional  sei. 
Dieser  Stoff  kann  also  vorgestellt  werden  als  ein  physischer  Raum, 
dessen  Punkte  sich  in  dem  geometrischen  bewegen. 

Nach  dieser  Annahme  müssen  alle  von  ponderablen  Körpern  durch 
den  leeren  Raum  auf  ponderable  Körper  ausgeübte  Wirkungen  durch 
diesen  Stoff  fortgepflanzt  werden.  Es  müssen  also  auch  die  Bewegungs- 
formen, in  denen  das  Licht  und  die  Wärme  besteht,  welche  die 
Himmelskörper  einander  zusenden,  Bewegungsformen  dieses  Stoffes  sein. 
Diese  beiden  Erscheinungen,  Gravitation  und  Lichtbewegung  durch  den 
leeren  Raum,  aber  sind  die  einzigen,  welche  bloss  aus  Bewegungen 
dieses  Stofltes  erklärt  werden  müssten. 

Ich  nehme  nun  an,  dass  die  wirkliche  Bewegung  des  Stoffes  im 
leeren  Raum  zusammengesetzt  ist  aus  der  Bewegung,  welche  zur  Er- 
klärung der  Gravitation,  und  aus  der,  welche  zur  Erklärung  des  Lichtes 
angenommen  werden  muss. 

Die  weitere  Entwicklung  dieser  ITv])ofhese  /»'rfällt  in  zwei  Tlicile, 
insofern  aufzusuchen  sind 

1.  Die  Gesetze  der  Stoffbewegungen,  welche  zur  Erklärung  der 
Erscheinungen  angenommen  werden  müssen. 

2.  Die  Ursachen,  aus  welchen  diese  Bewegungen  erklärt  werden 
klumen. 

Das  erste  Geschäft  ist  ein  mathematisches,   das   zweite  ein  meta- 

*)  Derselbe  ponderable  Punkt  würde  an  zwei  verschiedenen  Orten  Bewegungs- 
ilndfuunj^en  erleiden,  deren  Ilichtun«^  mit  der  Richtung  der  Kräfte  zusanimenflillt, 
und  deren  Grössen  sich  verhalten  wie  die  Kräfte. 

Die  Kraft,  dividirt  durch  die  Bewcgungsilnderung  gicht  daher  bei  demselben 
ponderablen  Funkt  stets  denselben  Quotienten.  Dieser  Quotient  ist  bei  verschie- 
denen ponderablen  Punkten  vorschieden  und  heisst  ihre  Masse. 

Bikhamn's  gesammelte  mathcmatiacbe  Werke.    I.  32 


498  Fragmente  philosophischen  Inhalts. 

physisches.  In  Bezug  auf  letzteres  bemerke  ich  im  Voraus,  dass  als 
Ziel  desselben  nicht  die  Erklärung  aus  Ursachen,  welche  die  Entfernung 
zweier  Stoffpunkte  zu  verändern  streben,  zu  betrachten  sein  wird. 
Diese  Erklärungsmethode  durch  Anziehungs-  und  Abstossungskräfte 
verdankt  ihre  allgemeine  Anwendung  in  der  Physik  nicht  einer  un- 
mittelbaren Evidenz  (besonderen  Vernunftgemässheit),  noch,  von  Electri- 
cität  und  Schwere  abgesehen,  ihrer  besonderen  Leichtigkeit,  sondern 
vielmehr  dem  Umstände,  dass  das  Newton'sche  Anziehungsgesetz  gegen 
die  Meinung  des  Entdeckers  so  lange  für  ein  nicht  weiter  zu  erklären- 
des gegolten  hat.*) 

I.    Gesetze  der  Stoffbewegung,  welche  nach  unserer  Annahme 
die  Gravitations-  und  Lichterscheinungen  verursacht. 

Li  dem  ich  die  Lage  eines  Raumpunktes  durch  rechtwinklige  Co- 
ordinaten  x^y  x.^,  x^  ausdrücke,  bezeichne  ich  die  dort  parallel  den- 
selben zur  Zeit  t  stattfindenden  Geschwindigkeitscomponenten  der  Be- 
wegung, welche  die  Gravitationserscheinungen  verursacht,  durch  n^y  n^,  ^(3, 
der  Bewegung,  welche  die  Lichterscheinungen  verursacht,  durch  u\,  tv.2y  w^y 
der  wirklichen  Bewegung  durch  v^,  v^y  v^,  so  dass  v  =  u  -f-  w.  Wie 
sich  aus  den  Bewegungsgesetzen  selbst  ergeben  wird,  behält  der  StoflP, 
wenn  er  in  Einem  Zeitpunkte  überall  gleich  dicht  ist,  stets  allenthalben 
dieselbe* Dichtigkeit,  ich  werde  diese  daher  zur  Zeit  t  überall  =  1  an- 
nehmen. 

a.  . Bewegung,  welche  nur  GraYitationsersclieinnngen  vonirsaclit. 

Die  Schwerkraft  ist  in  jedem  Punkte  durch  die  Potentialfunction 

F bestimmt,  deren  partielle  Differentialquotienten  ^7  ^j  ^  ^j^  Com- 

ponenten  der  Schwerkraft  sind,  und  dieses  V  ist  wieder  bestimmt  durch 
folgende  Bedingungen  (abgesehen  von  einer  hinzufügbaren  Constanten): 

1.     dx,  dx.dXo  (tt-t:  +  ^  +  ^-^1  ist  ausserhalb  der  anziehenden 

Körper  =  0  und  hat  für  jedes  ponderable  Körperelement  einen  un- 
veränderlichen Werth.  Dieser  ist  das  Product  aus  —  Ait  in  die  ab- 
solute Grösse  der  Anziehungskraft,  welche  nach  der  Attractionstheorie 


*)  Newton  says:  „That  gravity  should  be  innate,  inherent,  and  esseutial 
to  matter,  so  that  one  body  may  act  upon  another  at  a  distance  through  a  va- 
cuum,  without  the  mediation  of  anything  eise,  by  and  through  which  their  action 
and  force  may  be  conveyed  from  one  to  another,  is  to  me  so  great  an  absurdity. 
that  I  believe  no  man  who  has  in  philosophical  matters  a  competent  faculty  ol 
thinking  can  ever  fall  into  it."     See  the  third  letter  to  Bentley. 


lir.     Naturphilosophie.  499 

demselben    beigelogt    werden    niuss,    und    durch    dm    bezeichnet    wer- 
den soll. 

2.  Wenn  alle  anziehenden  Körper  sich  innerhalb  eines  endlichen 
Haunies  befinden,   sind   in  unenjllicher  Entfernung  r  von  einem  Punkt 

dieses  Raumes  r^ — ,  t-,^—.  r  t. —  unendlich  klein. 

cxy       ex,/     cx^ 

dV 
Nach  unserer  Hypothese  ist  nun  .  —  =  u  und  folglich 

d  V  =  ?<i  dx^  +  iL^  dx.^  -\-  n.^  dx^ . 
Dieses  schliesst  die  Bedingungen  ein: 

^   ^  6*0:3        dx,^  '      dx^        dx.^  '      dx<^        dxi  ' 

(-)  (£;  +  fx  +  W  ^^'  '^^^  ^""^  =  ~  ^"'''"' 

(3)  rii^  =  0,     riL^  =  0,     rti.^  =  0,     für  r  =  oo- 

Umgekehrt  sind  auch  die  Grössen  ii,  wenn  sie  diesen  Bedingungen  ge- 
nügen, den  Componenten  der  Schwerkraft  gleich.  Denn  die  Bedingungen  (1) 
enthalten  die  Möglichkeit  einer  Function  U,  von  welcher  das  Differen- 
tial d  U  =  «1  dXi  +  ^*2  <^*^'2  +  %  ^^^3  u^^^  3-lso  die  Differentialquotienten 

-.7-  =  u,  und  die  übrigen  ergeben  dann   U=  F-)- const.*) 


an 


*)  Diese  Function  U  ist  also  durch  die  Erfahrung  (aus  den  relativen  Be- 
wegungen) mittelst  der  allgemeinen  Bewegungsgesetze  gegeben,  aber  nur  abge- 
sehen von  einer  linearen  Function  der  Coordinaten,  weil  wir  nur  relative  Be- 
wegungen beobachten  können. 

Die  Bestimmung  dieser  Function  gründet  sich  auf  folgenden  mathematischen 
Satz:  Eine  Function  V  des  Ortes  ist  innerhalb  eines  endlichen  Kaumes  bestimmt 
(abgesehen  von    einer  Constanten),    wenn    sie    nicht   längs    einer  Fläche    unstetig 

sein  soll  und  für  alle  Elemente  desselben  1  ^ — 2    '    ~ — 2  "•"  0^2  )  ^'-^i  ^-^'a  ^^-''a » 

\0  X  0  X ^  v  X     1 

der  Grenze  entweder  V  oder  deren  Differentialquotient  für  eine  Ortsänderung  nach 
Innen  senkrecht  auf  die  Begrenzung  gegeben  ist.     Wobei  zu  bemerken: 

oV 

1.  Wird    dieser  Diü'erentialquotient   im  Begrenzungselement    ds  durch    ^ — 

bezeichnet,  so  muss  in  letzterem  Falle    I     >^  ^^-^  äx^dx.,dx^  durch  den  ganzen 

^ — ds  durch  dessen  Begrenzung  sein;   übrigens  aber  können  in 

beiden  Fällen  sämmtliche  Bestimmungsstücke  willkürlich  angenommen  werden  und 
sind  daher  zur  Bestimmung  nothwendig. 

2.  Für  ein  Raumelement,  wo    7^   r; — 7  unendlich  gross  wird,  ist  das  Product 

.^J  cx^ 

beider  durch  —    I    --  rZs  in  Bezug  auf  die  Begrenzung  dieses  Elements  zu ««61260. 
J    ^P 

32* 


500  Fragmente  philosophischen  Inhalts. 

b.    Bewegung,  welche  nur  Lichtersclieiiuiiigeii  yerursacht. 

Die  Bewegung^  welche  im  leeren  Raum  zur  Erklürung  der  Liclit- 
ersclieinungen  angenommen  werden  muss ,  kann  betrachtet  werden 
(zufolge  eines  Theorems)  als  zusammengesezt  aus  ebenen  Wellen^  d.  h. 
aus  solchen  Bewegungen ,  wo  längs  jeder  Ebene  einer  Schaar  paralleler 
Ebenen  (Wellenebenen)  die  Bewegungsform  constant  ist.  Jedes  dieser 
Wellensysteme  besteht  dann  (der  Erfahrung  nach)  aus  Bewegungen 
parallel  der  Wellenebene,  die  sich  mit  einer  für  alle  Bewegungsformen 
(Arten  des  Lichts)  gleichen  constanten  Geschwindigkeit  c  senkrecht  zur 
Wellenebene  fortpflanzen. 

Sind  für  ein  solches  Wellensystem  1^,  Ig?  I3  rechtwinklige  Co- 
ordinaten  eines  Raumpunktes,  die  erste  senkrecht,  die  andern  parallel 
zur  Wellenebene,  co^,  co.^,  co^  die  ihnen  parallelen  Geschwindigkeits- 
componenten  in  diesem  Punkte  zur  Zeit  tj  so  hat  man: 

^  =  0       ^  ~  =  0 

Der  Erfahrung  nach  ist  erstlich: 

«i  =  0, 
zweitens  ist  die  Bewegung  zusammengesetzt  aus  einer  nach  der  posi- 
tiven und  einer  nach  der  negativen  Seite  der  Wellenebene  mit  der  Ge- 
schwindigkeit c  fortschreitenden  Bewegung.  Sind  o'  die  Geschwindigkeits- 
componenten  der  ersteren,  a"  die  der  letzteren,  so  bleiben  die  a  unge- 
ändert,  wenn  t  um  dt  und  ^^  um  cdt  wächst,  die  co',  wenn  t  um  dt 
und  Ij  um  —  cdt  wächst,  und  man  hat  ca  =  co  -\-  co".     Hieraus  folgt: 

(^  +  ^©'^^  =  *^'   (¥-'^0'«  =  «' 

also 

Diese  Gleichungen  geben  folgende  symmetrische: 


3.   Wenn  nur  innerhalb  eines  endlichen  Raumes    y"    77—^  einen    von  0  ver- 

ßchiedenen  Wei-th  hat,  so  kann  die  Grenzbedingung  dadurch  ersetzt  werden,  dass 

dV 
in  unendlicher  Entfernung  E  von    einem  Punkte  dieses  Raumes  .R  tt—  unendlich 

klein  sein  soll. 


III.     Naturphilosophie.  501 

welche,  ausgedrückt  durch  diis  ursprüngliche  Coordiuatensystem ,  in 
Gleichungen  von  derselben  Form  übergehen,  d.  h.  in 

1^  +  1^  +  1^=0, 

Diese  Gleichungen  gelten  für  jede  den  Punkt  (x^,  x^,  x.^)  zur  Zeit  t 
durchschreitende  ebene  Welle  und  folglich  auch  für  die  aus  allen  zu- 
sammengesetzte Bewegung. 

c.    Bcwcjyuug,  welche  beiderlei  Erscheiiiiiiigeii  verursacht. 

Aus  den  gefundenen  Bedingungen  für  ti  und  to  Hiessen  folgende 
Bedingungen  für  v  oder  Gesetze  der  Stoifbewegung  im  leeren  Kaume: 

(1)  l'-^  + 1^  +  f '■*  =  0, 

^  ^  dxi    *    dx.2    '    dx.^  ' 

(?f-c.(a,  +  ^j.  +  ?i))05-^:;)  =  o 
(II)  (,3  _ ,  c  {fx  +  ci  +  ii:))  (g  _  gl)  =  0 

(a-co(^^  +  ^i  +  ^i.))(g-g)  =  o 

wie  sich  leicht  ergiebt,  wenn  man  die  Operationen  ausführt. 

Diese  Gleichungen  zeigen,  dass  die  Bewegung  eines  8toffpunktes 
nur  abhängt  von  den  Bewegungen  in  den  angrenzenden  Kaum-  und 
Zeittheilen,  und  ihre  (vollständigen)  Ursachen  in  den  Einwirkungen 
der  Umgebung  gesucht  werden  können. 

Die  Gleichung  (I)  beweist  unsere  frühere  Behauptung,  dass  bei 
der  HtoÜ'bewegung  die  Dichtigkeit  ungeändert  bleibe;  denn 


( -^  +  ^!~  -\-  -^ )  dx,  dx.,  dx\ dt. 


welches  zufolge  dieser  Gleichung  =  0  ist,  drückt  die  in  das  llauni- 
element  dx^  dx.^  dx^  im  Zeitelement  dt  einstr(")mende  Stoffmenge  aus, 
und  die  in  ihm  enthaltene  Stoffmenge  bleibt  daher  constant. 

Die  Bedingungen  (II)  sind  identisch  mit  der  Bedingung,  dass: 
{cf  —  cc  (ol^  +  cl  +  ei))  (t^i  dx^  +  V.,  dx.,  +  r^  dx^) 
gleich  einem  vollständigen  Differential  dW  sei.     Nun  ist: 

{d}  —  cc  (dl,  +  dl,  +  cD)  {tü.dx,  +  tv.dx,  +  w,dx,)  =  0 
und  folglich 


502  Fragmente  philosophischen  Inhalts. 

dW=  {ct  —  cc (cx^  +  dl^  +  dX))  0*1  doo^  +  1(2  dx2  +  ^3  ^^3) 

oder,  da  (aj,  +  d^  +  ^4) ^^=  0  , 

~^  dt'  ' 


d.    Geiiieinsclijiftlichcr  Ausdruck  für  die  Gesetze  der  Stoifbewcgung  uud  der 
Einwirkung"  der  Schwerkraft  auf  die  Bewegung  der  ponderablen  Körper. 

Die  Gesetze  dieser  Erscheinungen  lassen  sich  zusammenfassen  in 
der  Bedingung,  dass  die  Variation  des  Integrals 

/  [2  m  -  4(6  -  ö"+ te  -  m  (k-m  -. "-  *.  ■« 

+  JV  (^  ^^j dx^  äx.,  dx.^  +  Ait dmj  dt  +  27tJ  dm^  (^y^-j  dt 

unter  geeigneten  Grenzbedingungen  0  werde. 

In  diesem  Ausdrucke  sind  die  beiden  ersten  Integrale  über  den 
ganzen  geometrischen  Raum,  die  letzteren  über  alle  ponderablen  Körper- 
elemente auszudehnen,  die  Coordinaten  jedes  ponderablen  Körperelements 
aber  als  Functionen  der  Zeit,  und  tj^,  7^.^,  7^3,  Fals  Functionen  von^i,^2,:r3 
und  t  so  zu  bestimmen,  dass  eine  den  Grenzbedingungen  genügende 
Variation  derselben  nur  eine  Variation  zweiter  Ordnung  des  Integrals 
hervorbringt. 

Alsdann  sind  die  Grössen  -wj  (=  v)   gleich   den   Geschwindigkeits- 

componenten  der  Stoffbewegung,  und   V  gleich  dem  Potential  zur  Zeit 
t  im  Punkte  (x^,  x^,  x^. 


3.     Neue  mathematische  Principien  der  Naturphilosophie.*) 

Obgleich  die  Ueberschrift  dieses  Aufsatzes  bei  den  meisten  Lesern 
schwerlich  ein  günstiges  Vorurtheil  erwecken  wird,  so  schien  sie  mir 
doch  die  Tendenz  desselben  am  besten  auszudrücken.  Sein  Zweck  ist, 
jenseits  der  von  Galiläi  und  Newton  gelegten  Grundlagen  der  Astro- 
nomie und  Physik  ins  Innere  der  Natur  zu  dringen.  Für  die  Astronomie 
kann  diese  Speculation  freilich  unmittelbar  keinen  praktischen  Nutzen 
haben,   aber   ich   hoffe,   dass   dieser   Umstand   auch   in  den  Augen  der 


Leser  dieses  Blattes  dem  Interesse  keinen  Eintrag  thun  wird. 


*)  Gefunden  am  1.  März  1853. 


III.     Naturphilosophie.  503 

Der  Grund  der  allgemeinen  Bewegungsgesetze  für  Ponderabilien, 
welche  sich  im  Eingange  zu  New  ton 's  Principien  zusammengestellt 
finden,  liegt  in  dem  inneren  Zustande  derselben.  Versuchen  wir  aus 
unserer  eigenen  inneren  Wahrnehmung  nach  der  Analogie  auf  den- 
selben zu  schliessen.     Es  treten  *in  uns  fortwährend  neue  Vorstellun«^s- 

o 

massen  auf,  welche  sehr  rasch  aus  unserm  Bewusstsein  wieder  ver- 
schwinden. Wir  beobachten  eine  stetige  Thätigkeit  unserer  Seele. 
Jedem  Act  derselben  liegt  etwas  Bleibendes  zu  Grunde,  welches  sich 
bei  besonderen  Anlässen  (durch  die  Erinnerung)  als  solches  kuudgiebt, 
ohne  einen  dauernden  Einfluss  auf  die  Erscheinungen  auszuüben.  Es 
tritt  also  fortwährend  (mit  jedem  Denkact)  etwas  Bleibendes  in  unsere 
Seele  ein,  welches  aber  auf  die  Erscheinungswelt  keinen  dauernden 
Einfluss  ausübt.  Jedem  Act  unserer  Seele  liegt  also  etwas  Bleibendes 
zu  Grunde,  welches  mit  diesem  Act  in  unsere  Seele  eintritt,  aber  in 
demselben   Augenblick   aus   der   Erscheinungswelt   völlig  verschwindet. 

Von  dieser  Thatsache  geleitet,  mache  ich  die  Hypothese,  dass  der 
Weltraum  mit  einem  Stoff  erfüllt  ist,  welcher  fortwährend  in  die  pon- 
derablen  Atome  strömt  und  dort  aus  der  Erscheinungswelt  (Körper- 
welt) verschwindet. 

Beide  Hypothesen  lassen  sich  durch  die  Eine  ersetzen,  dass  in  allen 
l)onderablen  Atomen  beständig  Stoff  aus  der  Körperwelt  in  die  Geistes- 
welt eintritt.  Die  Ursache,  wesshalb  der  Stoff  dort  verschwindet,  ist 
zu  .suchen  in  der  unmittelbar  vorher  dort  gebildeten  Geistessubstanz, 
und  die  ponderablen  Körper  sind  hiernach  der  Ort,  wo  die  Geisteswelt 
in  die  Körperwelt  eingreift.  *) 

Die  Wirkung  der  allgemeinen  Gravitation,  welche  nun  zunächst 
aus  dieser  Hypothese  erklärt  werden  soll,  ist  bekanntlich  in  jedem 
Theil  des  Raumes  völlig  bestimmt,  wenn  die  Potentialfunction  P 
sämmtlicher  ponderablen  Massen  für  diesen  Theil  des  Raumes  gegeben 
ist,  oder  was  dasselbe  ist,  eine  solche  Function  P  des  Ortes,  dass  die 
im  Innern  einer  geschlossenen  Fläche  S  enthaltenen  ponderablen  Massen 

T-  I  ^-dS  sind. 

4:7t  J      CP 

Nimmt  man  nun  an,  dass  der  raumerfüllende  Stoff  eine  incom- 
pressible  homogene  Flüssigkeit  ohne  Trägheit  sei,  und  dass  in  jedes 
ponderable  Atom   in  gleichen  Zeiten   stets   gleiche,  seiner  Masse  pro- 


*)  In  jedes  ponderable  Atom  tritt  in  jedem  Auf^enblick  eine  bestimmte,  der 
Gravitationskraft  proportionale  Stottmenge  ein  und  verschwindet  dort. 

Es  ist  die  Consequenz  der  auf  Herbart'scheni  Boden  stehenden  Psychologie, 
dass  nicht  der  Seele,  sondern  jeder  einzelnen  in  nns  gebildeten  Vorstellung  Sub- 
stantialität  zukomme. 


504  Fragmente  philosophischen  Inhalts. 

portionale  Mengen  einströmen,  so  wird  offenbar  der  Druck,  den  das 
ponderable  Atom  erfährt,  (der  Geschwindigkeit  der  Stoff bewegung  an 
dem  Orte  des  Atoms  proportional  sein?) 

Es  kann  also  die  Wirkung  der  allgemeinen  Gravitation  auf  ein 
ponderables  Atom  durch  den  Druck  des  räum  erfüll  enden  Stoffes  in  der 
unmittelbaren  Umgebung  desselben  ausgedrückt  und  von  demselben  ab- 
hängig gedacht  werden. 

Aus  unserer  Hypothese  folgt  nothwendig,  dass  der  raumerfüllende 
Stoff  die  Schwingungen  fortpflanzen  muss,  welche  wir  als  Licht  und 
Wärme  wahrnehmen. 

Betrachten  wir  einen  einfach  polarisirten  Strahl,  bezeichnen  durch 
X  die  Entfernung  eines  unbestimmten  Punktes  desselben  von  einen 
festen  Anfangspunkte,  durch  y  dessen  Elongation  zur  Zeit  t,  so  muss, 
weil  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Schwingungen  im  von 
Ponderabilien  freien  Raum  unter  allen  Umständen  sehr  nahe  constant 
(gleich  a)  ist,  die  Gleichung: 

y  =  f(x  +  «0  +  ^(.'^  —  ^0 
wenigstens  sehr  nahe  erfüllt  werden. 
Wäre  sie  streng  erfüllt,  so  müsste 


dl 
dt 


sein;  offenbar  kann  aber  unserer  Erfahrung  auch  durch  die  Gleichung: 


genügt  werden,  wenn  auch  cp{t  —  r)  nicht  für  alle  positiven  Werthe 
von  t  —  t  gleich  1  ist  (mit  wachsendem  t  —  r  ins  Unendliche  abnimmt), 
wofern  es  nur  für  einen  hinreichend  grossen  Zeitraum  sehr  wenig  von 

1  verschieden  bleibt 

Man  drücke  die  Lage  der  Stoff  punkte  zu  einer  bestimmten  Zeit  t 
durch  ein  rechtwinkliges  Coordinaten System  aus,  und  es  seien  die  Co- 
ordinaten  eines  unbestimmten  Punktes  0  x,  y,  z.  Aehnlicher  Weise 
seien,  ebenfalls  in  Bezug  auf  ein  rechtwinkliges  Coordinatensystem  die 
Coordinaten  des  Punktes  0'  x,  y,  z.  Es  sind  dann  x,  y ,  z  Functionen 
von  x,y,  z  und  ds'^  ==  dx''^  +  dy"^  -\-  dz^  wird  gleich  einem  homogenen 
Ausdruck  zweiten  Grades  von  dx,  dy,  dz.  Nach  einem  bekannten 
Theorem  lassen  sich  nun  die  linearen  Ausdrücke  von  dx,  dy,  dz 

«1  dx  +  /3j  dy  +  Ti  dz  =  ds^ 

«2  dx  +  ft  dy  -\-  y.^dz  =  ds^ 

«3 dx  +  ft dy  -\-y,^dz  =  ds^ 


111.     Naturphilusuphie.  505 

stets  und  nur  auf  Eine  Weise  so  bestimmen,  dass 

dx'  +  diß  +  dz^'  =  Gldsl  +  G^dsl  +  Gldsl 
wird,  während 

ds'  =  dx^  +  dy'  +  dz'  =  dsi  +  dsl  +  di . 
Die  Grössen  G^  —  1,  G2  —  1,  (r.^  —  1   heissen   dann  die  Hauptdilata- 
tionen des  Stofftheilchens  in  0  beim  Uebergange  von  der  ersteren  Form 
zur  letzteren;  ich  bezeichne  sie  durch  A^,  A^,  A3. 

Ich  nehme  nun  an,  dass  aus  der  Verschiedenheit  der  früheren 
Formen  des  Stofftheilchens  von  seiner  Form  zur  Zeit  t  eine  Kraft  resul- 
tirt,  welche  diese  zu  verändern  strebt,  dass  der  Einiluss  einer  früheren 
Form  (caeteris  paribus)  desto  geringer  wird,  je  länger  vor  t  sie  statt- 
fand) und  zwar  so  dass  von  einer  gewissen  Grenze  an  alle  früheren 
vernachlässigt  werden  können.  Ich  nehme  ferner  an,  dass  diejenigen 
Zustände,  welche  noch  einen  merklichen  Einfluss  äussern,  so  wenig 
von  demjenigen  zur  Zeit  t  verschieden  sind,  dass  die  Dilatationen  als 
unendlich  klein  betrachtet  werden  können.  Die  Kräfte,  welche  A^,  A^,  Aj 
zu  verkleinern  streben,  kömien  dann  als  lineare  Functionen  von  Aj,  A^,,  A3 
angesehen  werden;  und  zwar  erhält  man  wegen  der  Homogeneität  des 
Aethers  für  das  Gesammtmoment  dieser  Kräfte  (die  Kraft,  welche  Aj 
zu  verkleinern  strebt,  muss  eine  Function  von  A^,  X.,j  A.j  sein,  welche 
unverändert  bleibt,  wenn  man  A^  mit  A3  vertauscht,  und  die  übrigen 
Kräfte  müssen  aus  ihr  hervorgehen,  wenn  L  mit  A^,  A3  mit  A^  ver- 
tauscht wird)  folgenden  Ausdruck: 

ÖA^  (aAj  +  hX,  +  hl,)  +  ÖL,  (hX,  +  aX,  +  hX,)  -f  ÖX^  {hX,  +  hX,  +  flA3) 
oder  mit  etwas  veränderter  Bedeutung  der  Constanten 

ÖX,  {a  (A,  +  A,  +  A,)  +  M,)  +  d X,  {a  (A.  +  X,  +  X,)  +  W,) 

-^SX,{a{X,  +  X,  +  x;)  +  hX,) 
=  i  d  (rt(A,  +  X,  +  x;f  +  6(Aj  +  a5  +  A3))  - 

Man  kann  nun  das  Kraftmoment,  welches  die  Form  des  unendlich 
kleinen  Stoft'tlieilchens  in  0  zu  verändern  strebt,  als  resultirend  be- 
trachten aus  Kräften,  welche  die  Länge  der  in  0  endenden  Linien- 
eiemente  zu  verändern  streben.  Man  gelangt  dann  zu  folgendem  Wir- 
kungsgesetz: Bezeichnet  dV  das  Volumen  eines  unendlich  kleinen  Stoff- 
theilchens in  0  zur  Zeit  t,  dV  das  Volumen  desselben  Stofftheilchens 
zur  Zeit  t',  so  wird  die  aus  der  Verschiedenheit  beider  Stoflfzustände 
herrührende  Kraft,  welche  ds  zu  verlängern  strebt,  durch 

av  —dV    .    j  ds  —  ds 
dV         '  ds 

ausgedrückt. 


506  Fragmente  philosophischen  Inhalts. 

Der  erste  Theil  dieses  Ausdrucks  rührt  von  der  Kraft  her,  mit 
welcher  ein  StofFtheilchen  einer  Yolumänderung  ohne  Formänderung, 
der  zweite  von  der  Kraft,  mit  welcher  ein  physisches  Linienelement 
einer  Längen änderung  widerstrebt. 

Es  ist  nun  kein  Grund  vorhanden,  anzunehmen,  dass  die  Wirkungen 
beider  Ursachen  nach  demselben  Gesetz  mit  der  Zeit  sich  änderten; 
fassen  wir  also  die  Wirkungen  sämmtlicher  früheren  Formen  eines 
Stofftheilchens    auf  die   Aenderung   des   Linienelements   ds   zur   Zeit   t 

zusammen,   so    wird   der   Werth   von  —jj ,    welchen    sie    zu    bewirken 

streben , 

t  t 

Wie  müssen  nun  die  Functionen  i/^  und  (p  beschaffen  sein,  damit  Gra- 
vitation 
werde  ? 


vitation,  Licht  und  strahlende  Wärme  durch  den  Raumstoff  vermittelt 


Die  Wirkungen  ponderabler  Materie  auf  ponderable  Materie  sind: 

1)  Anziehungs-  und  Abstossungskräfte  umgekehrt  proportional  dem 
Quadrat  der  Entfernung. 

2)  Licht  und  strahlende  Wärme. 

Beide  Classen  von  Erscheinungen  lassen  sich  erklären,  wenn  man 
annimmt,  dass  den  ganzen  unendHchen  Raum  ein  gleichartiger  Stoff' 
erfüllt,  und  jedes  Stofftheilchen  unmittelbar  nur  auf  seine  Umgebung 
einwirkt. 

Das  mathematische  Gesetz,  nach  welchem  dies  geschieht,  kann  zer- 
lallt gedacht  werden 

1)  in  den  Widerstand,  mit  welchem  ein  Stofftheilchen  einer  Volum- 
änderung, und 

2)  in   den   Widerstand,   mit   welchem   ein  physisches   Linienelement 
einer  Längenänderung  widerstrebt. 

Auf  dem  ersten  Theil  beruht  die  Gravitation  und  die  electrostatische 
Anziehung  und  Abstossung,  auf  dem  zweiten  die  Fortpflanzung  des 
Lichts  und  der  Wärme  und  die  electrodynamische  oder  magnetische 
Anziehung  und  Abstossung. 


Bcrnliard  Riomanii's  Lobciislaiif. 


HiEUANN's  gesammelte  mathcmatischo  Werke.    II. 


Die  nachfolgende  Darstellung  von  Riemanns  Lebenslauf  bezweckt 
keineswegs,  die  Bedeutung  seiner  wissenschaftlichen  Leistungen  und 
deren  Verhältniss  zu  dem  früheren  und  gegenwärtigen  Zustande  der 
Mathematik  in's  Licht  zu  stellen,  sie  ist  vielmehr  nur  für  solche  Leser 
bestimmt,  welche  einige  Nachrichten  über  den  Bildungsgang,  den  Cha- 
rakter und  die  äusSerlichen  Schicksale  des  grossen  Mathematikers  zu 
erhalten  wünschen,  dessen  Werke  jetzt  zum  ersten  Male  vollständig 
gesammelt  erscheinen. 

Georg  Friedrich  Bernhard  Riemann  ist  am  17.  September  182lJ 
in  Breselenz,  einem  Dorfe  im  Königreich  Haimover  bei  Damieuberg 
nalie  der  Elbe,  geboren.  Sein  Vater  Friedrich  Bernhard  Riemann,  ge- 
boren in  Boitzenburg  an  der  Elbe  in  Mecklenburg,  der  als  Lieutenant 
unter  Wallmoden  an  den  Befreiungskriegen  Theil  genommen,  war  dort 
Prediger  und  mit  Charlotte,  der  Tochter  des  Hofrath  Ebell  aus  Han- 
nover verheirathet;  er  siedelte  später  mit  seiner  Familie  nach  der  etwa 
drei  Stunden  entfernten  Pfarre  Quickborn  über.  Bernhard  war  das 
zweite  von  sechs  Kindern.  Schon  früh  wurde  seine  Lernbegierde  durch 
den  Vater  geweckt,  der  ihn  bis  zum  Abgange  auf  das  Gymnasium  fast 
allein  unterrichtete.  Als  Knabe  von  fünf  Jahren  interessirte  er  sich 
sehr  für  Geschichte,  für  Züge  aus  dem  Alterthum,  und  ganz  besonders 
für  das  unglückliche  Schicksal  Polens,  welches  sein  Vater  ilmi  immer 
von  Neuem  erzählen  musste.  Sehr  bald  aber  trat  dies  in  den  Hinter- 
grund, und  sein  entschiedenes  Talent  für  das  Rechnen  brach  sich  Bahn; 
er  kannte  kein  grösseres  Vergnügen,  als  selbst  schwierige  Exempel  zu 
erfinden  und  dann  seinen  Geschwistern  aufzugeben.  Später,  vom  zehn- 
ten Jahre  Bernhards  an,  liess  sich  der  Vater  bei  dem  Unterrichte  der 
Kinder  von  dem  Lehrer  Schulz  unterstützen;  dieser  gab  guten  Unter- 
richt im  Rechnen  und  in  der  Geometrie,  musste  sich  jedoch  bald  sehr 
anstrengen,  seines  Schülers  rascher,  oft  besserer  Lösung  einer  An} 
gäbe  zu  folgen. 

Im  Alter  von  dreizehn  und  einem  halben  Jahr  wurde  Bernhard 
von  dem  Vater  confirmirt   und  verliess  darauf  das  elterliche  Haus^   in 


510  B.  Riomann's  Lebenslauf. 

welchem  ein  ernster^  frommer  Sinn  und  liäuslich  angeregtes  Leben 
herrschte.  Die  Eltern  sahen  ihre  Hauptaufgabe  in  der  Erziehung  ihrer 
Kinder;  die  innigste  Liebe  verband  Riemann  mit  seiner  Familie  und 
liat  sich  durch  sein  ganzes  ferneres  Leben  erhalten;  sie  spricht  sich 
in  seinen  Briefen  aus,  die  er  an  die  entfernten  Lieben  richtet,  wo  er 
an  Allem,  was  das  Elternhaus  betrifft,  auch  an  den  kleinsten  Vor- 
gängen das  lebhafteste  Interesse  zeigt,  und  auch  sie  treulich  alle  seine 
Freuden  und   Leiden  theilen  lässt. 

Zu  Ostern  1840  kam  Riemann  nach  Hannover,  wo  seine  Gross- 
mutter lebte,  und  wo  er  zwei  Jahre  —  bis  zum  Tode  derselben  — 
die  Tertia  des  Lyceums  besuchte.  Anfangs  hatte  er,  wie  es  nach 
seiner  bisherigen  Erziehung  zu  erwarten  war,  mancherlei  Schwierig- 
keiten zu  überwinden,  doch  werden  bald  seine  Fortschritte  in  den  ein- 
zelnen UnterrichtsgegenstJlnden  gelobt,  und  immer  ist  er  ein  fleissiger 
und  folgsamer  Schüler.  Namentlich  aus  dieser*  Zeit  sind  zahlreiche 
Briefe  Riemann's  an  die  geliebten  Eltern  und  Geschwister  erhalten,  in 
welchen  er,  oft  mit  glücklichem  Humor,  von  den  Schulereignissen  be- 
richtet. Vorwiegend  ist  aber  die  Sehnsucht  nach  dem  Elternhause; 
wenn  die  Ferien  herannahen,  so  bittet  er  inständig  um  die  Erlaubniss, 
dieselben  in  Quickborn  zubringen  zu  dürfen,  und  lange  vorher  sinnt 
er  auf  Mittel,  die  Reise  mit  möglichst  wenigen  Kosten  bewerkstelligen 
zu  können;  zu  den  Geburtstagen  der  Eltern  und  Geschwister  macht 
er  kleine  Einkäufe  und  ist  eifrig  darauf  bedacht,  sie  damit  wirklich 
zu  überraschen.  Er  lebt  in  Gedanken  noch  ganz  in  dem  häuslichen 
Kreise.  Bisweilen  klingt  aber  auch  eine  wehmüthige  Klage  durch,  wie 
schwer  es  ihm  werde,  mit  fremden  Menschen  zu  verkehren,  und  die 
Schüchternheit,  welche,  eine  natürliche  Folge  seines  früheren  abge- 
schlossenen Lebens,  ihn  zu  seinem  Kummer  auch  den  Lehrern  bis- 
weilen in  falschem  Lichte  erscheinen  lässt,  hat  ihn  auch  später  nie 
gänzlich  verlassen  und  oft  angetrieben,  sich  der  Einsamkeit  und  seiner 
Gedankenwelt  zu  überlassen,  in  welcher  er  die  grösste  Kühnheit  und 
Vorurtheilslosigkeit  entfaltet  hat. 

Nach  dem  Tode  der  Grossmutter  wurde  Riemann,  wie  es  scheint 
auf  seinen  eigenen  Wunsch,  Ostern  1842  von  dem  Vater  auf  das 
Johanneum  zu  Lüneburg  gebracht,  wo  er  zwei  Jahre  in  Secunda  und 
zwei  Jahre  in  Prima  bis  zu  seinem  Abgange  nach  der  Universität 
blieb.  Gleich  in  die  erste  Zeit  seines  dortigen  Aufenthaltes  fiel  der 
grosse  Brand  von  Hamburg,  der  tiefen  Eindruck  auf  ihn  machte,  und 
über  den  er  ausführlich  an  seine  Eltern  berichtete.  Die  grössere  Nähe 
bei  seiner  Heimath  und  die  Möglichkeit,  die  Ferien  in  Quickborn  in 
seiner  Familie  zu  verleben,  trug  dazu  bei,  die  fernere  Schulzeit  zu  einer 


B.  Riemann's  Lebenslauf.  f)|l 

glücklichen  für  ihn  zu  maclicn.  Freilich  war  die  Hin-  und  Herreise, 
die  zum  «^rössten  Theil  zu  Fuss  gemacht  wurde,  mit  Anstrengungen 
verhunden,  denen  sein  Kör})er  nicht  immer  gewachsen  war;  schon  in 
dieser  Zeit  spricht  sich  in  den  schönen  Brieten  seiner  Mutter,  die  er 
leider  hald  verlieren  sollte,  ängstliche  Sorge  um  seine  Gesundheit  aus, 
und  oft  wiederholen  sich  ihre  herzlichen  Ermahnungen,  zu  grosse 
kiu'perliche  Anstrengungen  zu  vermeiden.  Er  wohnte  sjKiter  hei  dem 
(»ymnasiallehrer  Softer,  der  sich  lehhaft  für  ihn  interessirte,  und  an 
dem  er,  wie  aus  seinen  Briefen  hervorgeht,  einen  väterlichen  Freund 
und  Beschützer  gefunden  hat.  Er  hekam  gute  Zeugnisse  auch  in  an- 
deren Fächern,  in  Mathematik  aber  immer  glänzende,  beim  Abgange 
die  Eins.  Seine  grosse  Begabung  für  diese  Wissenschaft  wurde  von 
dem  trefflichen  Director  Schmalfuss  erkannt;  dieser  lieh  ihm  mathe- 
matische Werke  zum  Privatstudium  und  wurde  oft  überrascht  und  in 
Erstaunen  gesetzt,  wenn  Riemann  dieselben  schon  nach  wenigen  Tagen 
zurückbrachte  und  dann  in  der  Unterhaltung  zeigte,  dass  er  sie  durch- 
gearbeitet und  vollständig  aufgefasst  hatte.  Diese  neben  seinen  Schul- 
arbeiten betriebenen  Studien  müssen  ihn  weit  über  die  Grenzen  des 
Gymnasial-Unterrichtes  hinaus  in  das  Gebiet  der  höheren  Mathematik 
geführt  haben;  die  Bekanntschaft  mit  der  höheren  Analysis  hat  er, 
soviel  bekannt  ist,  durch  das  Studium  der  Euler'schen  Werke  erworben; 
auch  Legendre's  Theorie  des  Nombres  soll  er  in  dieser  Zeit  gelesen  haben. 
Im  Alter  von  neunzehn  und  einem  halben  Jahr  bezog  Kiemann 
Ostern  184G  die  Universität  Göttingen.  Der  seinem  geistlichen  Berufe 
von  Herzen  ergebene  Vater  hegte  den  natürlichen  Wunsch,  er  möge 
sich  der  Theologie  widmen,  und  wirklich  Hess  Riemann  sich  am  25. 
April  als  Studiosus  der  Philologie  und  Theologie  immatriculiren;  zu 
diesem  mit  seiner  deutlich  hervorgetretenen  Neigung  und  Begabung 
für  die  Mathematik  nicht  im  Einklänge  stehenden  Entschlüsse  wird 
vor  Allem  die  Rücksicht  auf  die  Mittellosigkeit  der  kinderreichen  Familie 
und  die  Hoffnung  beigetragen  haben,  früher  eine  Anstellung  zu  finden 
und  dadurch  seinem  Vater  eine  Erleichterung  zu  gewähren.  Neben 
den  philologischen  und  theologischen  Vorlesungen  hörte  er  aber  auch 
mathematische,  und  zwar  gleich  im  Sommersemester  über  die  numeri- 
sche Auflösung  der  Gleichungen  bei  Stern,  und  über  Erdmagnetismus 
bei  Goldschmidt,  sodann  im  Wintersemester  1846 — 1847  über  die 
Methode  der  kleinsten  Quadrate  bei  Gauss,  und  über  bestimmte  Inte- 
grale bei  Stern.  Er  sah  bei  dieser  fortgesetzten  Beschäftigung  mit 
der  Mathematik  bald  ein,  dass  die  Neigung  zu  derselben  zu  mächtig 
in  ihm  war,  und  erwirkte  von  seinem  Vater  die  Erlaubuiss,  sich  ganz 
seinem  Lieblingsstudium  widmen  zu  dürren. 


512  B.  Riemann's  Lebenslauf. 

Obgleich  nun  Gauss  seit  fast  einem  halben  Jahrhundert  unbestritten 
den  Rang  des  grössten  lebenden  Mathematikers  einnahm,  so  beschränkte 
sich  seine  zwar  sehr  anregende  Lehrthätigkeit  doch  nur  auf  ein 
kleines  Feld,  welches  mehr  der  angewandten  Mathematik  angehörte, 
und  für  Riemann  war  bei  dem  vorgeschrittenen  Standpunkte  seines 
Wissens  eine  wesentliche  Bereicheruno^  desselben  und  eine  Befruchtuno- 
mit  neuen  Ideen  damals  in  Göttingen  nicht  mehr  zu  erwarten.  Er 
bezog  daher  Ostern  1847  die  Universität  Berlin,  wo  Jacobi,  Lejeune 
Dirichlet  und  Steiner  durch  den  Glanz  ihrer  Entdeckungen,  welche  sie 
zum  Gegenstande  ihrer  Vorlesungen  machten,  zahlreiche  Schüler  um 
sich  versammelten.  Er  blieb  dort  zwei  Jahre,  bis  Ostern  1849,  und 
hörte  unter  Anderem  bei  Dirichlet  Zahlentheorie,  Theorie  der  bestimm- 
ten Integrale  und  der  partiellen  Differentialgleichungen,  bei  Jacobi 
analytische  Mechanik  und  höhere  Algebra.  Leider  sind  nur  sehr  wenige 
Briefe  aus  dieser  Zeit  erhalten;  in  einem  derselben  (vom  29.  Nov.  1847) 
spricht  er  seine  grosse  Freude  darüber  aus,  dass  Jacobi  sich  gegen 
seine  anfängliche  Absicht  noch  entschlossen  habe,  Mechanik  vorzutragen. 
In  einen  näheren  Verkehr  mit  ihm  trat  Eisenstein,  bei  dem  er  in  dem 
ersten  Jahre  Theorie  der  elliptischen  Functionen  hörte.  Riemann  hat 
später  erzählt,  dass  sie  auch  über  die  Einführung  der  complexen  Grössen 
in  die  Theorie  der  Functionen  mit  einander  verhandelt  haben,  aber 
o'änzlich  verschiedener  Meinung  über  die  hierbei  zu  Grunde  zu  legenden 
Principien  gewesen  seien;  Eisenstein  sei  bei  der  formellen  Rechnung 
stehen  geblieben,  während  er  selbst  in  der  partiellen  Differential- 
gleichung die  wesentliche  Definition  einer  Function  von  einer  com- 
]dexen  Veränderlichen  erkannt  habe.  Wahrscheinlich  sind  diese,  für 
seine  ganze  spätere  Laufbahn  maassgebenden  Ideen  zuerst  in  den 
Ilerbstferien  1847  gründlich  von  ihm  verarbeitet. 

Von  dem  übrigen  Leben  Riemann's  während  seines  zweijährigen 
Aufenthaltes  in  Berlin  ist  nur  wenig  aus  den  Briefen  zu  ersehen.  Die 
grossen  politischen  Ereignisse  des  Jahres  1848  ergriffen  auch  ihn 
mächtig;  er  war  Augenzeuge  der  März-Revolution  und  hatte  als  Mit- 
glied des  von  den  , Studenten  gebildeten  Corps  die  Wache  im  könig- 
lichen Schlosse  vom  24.  März  Morgens  9  Uhr  bis  zum  folgenden  Tage 
Mittags  1  Uhr. 

Ostern  1849  kehrte  Riemann,  nachdem  er  noch  die  Ankunft  der  Frank- 
furter Kaiser-Deputation  in  Berlin  erlebt  hatte,  nach  Göttingen  zurück. 
Er  besuchte  in  den  drei  folgenden  Semestern  noch  einige  naturwissen- 
schaftliche und  i^hilosophische  Vorlesungen,  unter  anderen  mit  gröss- 
tem  Interesse  die  genialen  Vorlesungen  über  Experimental-Physik  von 
Wilhelm  Weber,  an  welchen  er  sich  später  eng  anschloss,  und  der  ihm 


B.  Riemann's  Lebenslauf.  51. ^ 

bis  zu  seinem  Tode  ein  treuer  Freund  und  Rathgeber  gewesen  ist.  In 
dieser  Zeit  müssen  bei  gleichzeitiger  Beschäftigung  mit  philosophischen 
»Studien,  welche  sich  namentlich  auf  Herbart  richteten,  die  ersten 
Keime  seiner  naturphilosophischen  Ideen  sich  entwickelt  haben;  dies 
scheint  wenigstens,  soweit  es  sich  nur  um  das  Streben  nach  einer  ein- 
lieitlichen  Naturauffassung  handelt,  aus  einer  Stelle  eines  Aufsatzes 
„lieber  Umfang,  Anordnung  und  Methode  des  naturwissenschaftlichen 
Unterrichts  auf  Gymnasien"  hervorzugehen,  den  er  im  November  1850 
als  Mitglied  des  pädagogischen  Seminars  verfasste,  und  in  welchem  er 
sagt:  „So  z.  B.  lässt  sich  eine  vollkommen  in  sich  abgeschlossene 
luathematische  Tlieorie  zusammenstellen,  welche  von  den  für  die  ein- 
zelnen Punkte  geltenden  Elementargesetzen  bis  zu  den  Vorgängen  in 
dem  uns  wirklich  gegebenen  continuirlich  erfüllten  Räume  fortschreitet, 
ohne  zu  scheiden,  ob  es  sich  um  die  Schwerkraft,  oder  die  Electricität, 
oder  den  Magnetismus,  oder  das  Gleichgewicht  der  Wärme  handelt." 
Im  Herbst  1850  trat  er  auch  in  das  kurz  vorher  gegründete  mathe- 
matisch-physikalische Seminar  ein,  welches  von  den  Professoren  Weber, 
Ulrich,  Stern  und  Listing  geleitet  wurde,  und  betheiligte  sich  nament- 
lich an  den  physikalischen  experimentellen  Hebungen,  obgleich  er  da- 
durch von  seiner  Hauptaufgabe,  der  Ausarbeitung  der  Doctordissertation, 
oft  abgezogen  wurde.  Theils  diesem  Umstände,  theils  aber  auch  der 
fast  ängstlichen  Sorgfalt,  welche  Riemann  auf  die  Ausarbeitung  seiner 
für  den  Druck  bestimmten  Schriften  verwendete,  und  die  ihn  auch 
später  bei  der  Verötfentlichung  seiner  Arbeiten  wesentlich  gehemmt 
hat,  wird  es  zuzuschreiben  sein,  dass  er  seine  Abhandlung  „Grundlagen 
für  eine  allgemeine  Theorie  der  Functionen  einer  veränderHchen  com- 
plexen  Grösse"  erst  im  November  des  folgenden  Jahres  1851  der  philo- 
sophischen Facultät  einreichen  konnte.  Dieselbe  fand  eine  sehr  an- 
erkennende Beurtheilung  von  Gauss,  welcher  Riemann  bei  dessen  Besuch 
mittheilte,  dass  er  seit  Jahren  eine  Schrift  vorbereite,  welche  denselben 
Gegenstand  behandele,  sich  aber  freilich  nicht  darauf  beschränke.  Das 
Examen  war  am  Mittwoch  den  3.  December,  die  öffentliche  Disputation 
und  Doctor- Promotion  am  Dinstag  den  IG.  December.  An  seinen 
Vater  schreibt  er:  „Durch  meine  jetzt  vollendete  Dissertation  glaube 
ich  meine  Aussichten  bedeutend  verbessert  zu  haben ;  auch  hoffe 
ich,  dass  ich  mit  der  Zeit  fliessender  und  rascher  schreiben  lerne, 
namentlich  wenn  ich  melir  Umgang  suche  und  auch  erst  Gelegen- 
heit habe,  Vorträge  zu  halten;  ich  habe  daher  jetzt  guten  Muth." 
Zugleich  entschuldigt  er  sich  in  Rücksicht  auf  die  Kosten,  die  er 
dem  Vater  verursacht,  dass  er  sich  nicht  eifriger  um  die  durch 
Goldschmidf  s  Tod  erledigte  Observatorstelle  an  der  Sternwarte  bemüht 

Kisuanm's  gesammelte  mathematische  Werke.    II.  33 


514  B.  RiemaTin's  Lebenslauf. 

liabe/"^)  und  theilt  mit,  dass  seiner  Habilitation  als  rrivatdoeent  Nichts 
im  Wege  stehe,  sobald  er  die  Habilitationsschrift  fertig  habe.  Es 
scheint  schon  früh  seine  Absicht  gewesen  zu  sein,  zum  Gegenstande 
derselben  die  Theorie  der  trigonometrischen  lleihen  zu  wählen,  allein 
es  vergehen  bis  zu  seiner  Habilitation  doch  wieder  zwei  und  ein  halbes 
Jahr. 

In  den  Herbstferien  1852  hielt  sich  Lejeune  Dirichlet,  dem  er 
noch  von  Berlin  her  wohl  bekannt  war,  eine  Zeit  lang  in  Göttingen 
auf,  und  Riemann,  der  eben  von  Quickborn  dorthin  zurückgekehrt  war, 
hatte  das  Glück,  ihn  fast  täglich  zu  sehen.  Gleich  bei  seinem  ersten 
Besuche  in  der  Krone,  wo  Dirichlet  wohnte,  und  am  folgenden  Tage 
in  einer  Mitta^js^jesellschaft  bei  Sartorius  von  Waltershausen,  in  wel- 
eher  auch  die  Professoren  Dove  aus  Berlin  .und  Listing  gegenwärtig 
waren,  fragte  er  Dirichlet,  den  er  nächst  Gauss  als  den  grössten  da- 
mals lebenden  Mathematiker  anerkannte,  um  Rath  wegen  seiner  Arbeit. 
„Am  anderen  Morgen  —  schreibt  Riemann  an  seinen  Vater  —  war 
Dirichlet  etwa  zwei  Stunden  bei  mir;  er  gab  mir  die  Notizen,  die  ich 
zu  meiner  Habilitationsschrift  bedurfte,  so  vollständig,  dass  mir  die 
Arbeit  dadurch  wesentlich  erleichtert  ist;  ich  hätte  sonst  auf  der 
Bibliothek  nach  manchen  Sachen  lange  suchen  können.  Auch  meine 
Dissertation  ging  er  mit  mir  durch  und  war  überhaupt  äusserst  freund- 
lich gegen  mich,  wie  ich  es  bei  dem  grossen  Abstände  zwischen  mir 
und  ihm  kaum  erwarten  durfte.  Ich  hoffe,  er  wird  mich  auch  später 
nicht  vergessen."  Einige  Tage  darauf  traf  auch  Wilhelm  Weber  von 
der  Wiesbadener  Naturforscher- Versammlung  wieder  in  Göttingen  ein; 
es  wurde  in  grösserer  Gesellschaft  ein  sehr  lohnender  Ausflug  nach 
dem  einige  Stunden  entfernten  Hohen  Hagen  gemacht,  und  am  folgen- 
den Tage  trafen  Dirichlet  und  Riemann  abermals  im  Weber'schen 
Hause  zusammen.  Solche  persönliche  Anregung  war  im  höchsten  Grade 
wohlthuend  für  Riemann,  und  er  schreibt  selbst  hierüber  an  seinen 
Vater:  „Du  siehst,  dass  ich  hier  im  Ganzen  noch  nicht  sehr  häuslich 
gelebt  habe;  aber  ich  bin  dafür  des  Morgens  desto  fleissiger  bei  der 
Arbeit  gewesen,  und  finde,  dass  ich  so  weiter  gekommen  bin,  als 
wenn  ich  den  ganzen  Tag  hinter  meinen  Büchern  sitze." 


*)  Einer  Mittheilung  von  W.  Weber  zufolge  wünschte  Gauss  selbst  nicht, 
dass  Riemann  diese  Stellung  übernähme;  er  zweifelte  zwar  nicht  an  seiner  theo- 
retischen und  praktischen  Befähigung  für  dieselbe,  aber  er  hatte  schon  damals 
eine  so  hohe  Meinung  von  Riemann's  wissenschaftlicher  Bedeutung,  dass  er  be- 
fürchtete, derselbe  möchte  durch  die  mit  dieser  Stellung  verbundenen  zeitrauben- 
den und  zum  Theil  untergeordneten  Dienstgeschllfte  von  seinem  eigentlichen  Arbeits- 
felde gar  zu  sehr  abgelenkt  werden. 


B.  Riemann's  liCbenslanf.  515 

In  jenen  Tagen  schreibt  er  auch  von  seiner  Habilitation  und  von 
dem  Anfange  seiner  Vorlesungen,  wie  von  unmittelbar  bevorstehenden 
Dingen,  und  er  würde  gewiss  auch  viel  rascher  in  seiner  äusserlichen 
Laufbahn  fortgeschritten  sein,  wenn  ihm  öfter  eine  solche  treibende 
Anregung  zu  Theil  geworden  wäre.  Offenbar  fallt  in  den  Anfang  des 
Jahres  1853  eine  fast  ausschliessliche  Beschäftigung  mit  Naturphilo- 
sophie; seine  neuen  Gedanken  gewinnen  eine  feste  Gestalt,  auf  die  er 
nach  allen  Unterbrechungen  stets  wieder  zurückgekommen  ist.  End- 
lich ist  auch  die  Habilitationsschrift  fertig,  und  er  schreibt  an  seinen 
jüngeren  Bruder  Wilhelm  am  28.  December  1853:  „Mit  meinen  Arbei- 
ten steht  es  jetzt  so  ziemlich ;  ich  habe  Anfangs  December  meine 
Habilitationsschrift*)  abgeliefert  und  musste  dabei  drei  Themata  zur 
Probevorlesung  vorschlagen,  von  denen  dann  die  Facultät  eines  wählt. 
Die  beiden  ersten  hatte  ich  fertig  und  hoffte,  dass  man  eins  davon 
nehmen  würde;  Gauss  aber  hat  das  dritte**)  gewählt,  und  so  bin  ich 
nun  wieder  etwas  in  der  Klemme,  da  ich  dies  noch  ausarbeiten  muss. 
Meine  andere  Untersuchung  über  den  Zusammenhang  zwischen  Electrici- 
tät,  Galvanismus,  Licht  und  Schwere  hatte  ich  gleich  nach  Beendigung 
meiner  Habilitationsschrift  wieder  aufgenommen  und  bin  mit  ihr  so 
weit  gekommen,  dass  ich  sie  in  dieser  Form  unbedenklich  veröffent- 
lichen kann.  Es  ist  mir  dabei  aber  zugleich  immer  gewisser  geworden, 
dass  Gauss  seit  mehreren  Jahren  auch  daran  arbeitet,  und  einigen 
Freunden,  u.  A.  Weber,  die  Sache  unter  dem  Siegel  der  Verschwiegen- 
heit mitgetheilt  hat,  —  Dir  kann  ich  dies  wohl  schreiben,  ohne  dass 
es  mir  als  Anmaassung  ausgelegt  wird  —  ich  hoffe,  dass  es  nun  für 
mich  noch  nicht  zu  spät  ist  und  es  anerkannt  werden  wird,  dass  ich 
die  Sachen  vollkommen  selbständig  gefunden  habe." 

Um  diese  Zeit  wurde  Riemann  im  mathematisch -physikalischen 
Seminar  Assistent  von  W.  Weber  und  hatte  als  solcher  die  Hebungen 
der  Neueintretenden  zu  leiten,  auch  einige  Vorträge  zu  halten.  Ueber 
den  weiteren  Fortgang  seiner  Arbeiten  schreibt  er  am  26.  Juni  1854 
aus  Quickborn  seinem  Bruder:  „Um  Weihnachten  habe  ich  Dir  von 
Göttingen  aus,  wie  ich  glaube,  geschrieben,  dass  ich  meine  Habilitations- 
schrift Anfang  December  vollendet  und  an  den  Decan  abgegeben  hätte, 
sowie  auch  dass  ich  bald  darauf  mich  wieder  mit  meiner  Untersuchung 
über  den  Zusammenhang  der  physikalischen  Grundgesetze  beschäftigte 
und  mich  so  darin  vertiefte,  dass  ich,  als  mir  das  Thema  zur  Probe- 
vorlesung  beim   Colloquium   gestellt   war,   nicht   gleich  wieder  davon 


*)  Ueber  die  Darstellbarkeit  einer  Function  durch  eine  trigonometrische  lleihe. 
**)  Ueber  die  Hypothesen,  welche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen. 

33* 


516  B.  Rioiiiann's  Lebenslauf. 

loskommen  konnte.  Ich  ward  nun  bald  darauf  krank,  tbeils  wohl  in 
Folge  zu  vielen  Grübelns,  theils  in  Folge  des  vielen  Stubensitzens  bei 
dem  schlechten  Wetter;  es  stellte  sich  mein  altes  Uebel  wieder  mit 
grosser  Hartnäckigkeit  ein  und  ich  kam  dabei  mit  meinen  Arbeiten 
nicht  vom  Fleck.  Erst  nach  mehreren  Wochen,  als  das  Wetter  besser 
wurde  und  ich  wieder  mehr  Umgang  suchte,  ging  es  mit  meiner  Ge- 
sundheit besser.  Für  den  Sommer  habe  ich  nun  eine  Gartenwohnung 
gemiethet  und  habe  seitdem  gottlob  über  meine  Gesundheit  nicht  zu 
klagen  gehabt.  Nachdem  ich  etwa  vierzehn  Tage  nach  Ostern  mit 
einer  andern  Arbeit,  die  ich  nicht  gut  vermeiden  konnte,  fertig  ge- 
worden war,  ging  ich  nun  eifrig  an  die  Ausarbeitung  meiner  Probe- 
vorlesung und  wurde  um  Pfingsten  damit  fertig.  Ich  erreichte  es  in- 
dess  nur  mit  vieler  Mühe,  dass  ich  mein  Colloquium  gleich  machen 
konnte  und  nicht  noch  wieder  unverrichteter  Sache  nach  Quickborn 
abreisen  musste.  Gausses  Gesundheitszustand  ist  nemlich  in  der  letzten 
Zeit  so  schlimm  geworden,  dass  man  noch  in  diesem  Jahre  seinen 
Tod  fürchtet  und  er  sich  zu  schwach  fühlte,  mich  zu  examiniren.  Er 
wünschte  nun,  dass  ich,  weil  ich  doch  erst  im  nächsten  Semester  lesen 
könnte,  wenigstens  noch  bis  zum  August  auf  seine  Besserung  warten 
möchte.  Ich  hatte  mich  schon  in  das  Unvermeidliche  gefügt.  Da  ent- 
schloss  er  sich  plötzlich  auf  mein  wiederholtes  Bitten,  „um  die  Sache 
vom  Halse  los  zu  werden"  am  Freitag  nach  Pfingsten  Mittag  das 
Colloquium  auf  den  andern  Tag  um  halb  elf  anzusetzen  und  so  war 
ich  am  Sonnabend  um  eins  glücklich  damit  fertig.  —  Lass  Dir  nun 
noch  in  aller  Eile  erzählen,  was  es  mit  der  andern  Arbeit,  die  mich 
um  Ostern  beschäftigte,  für  eine  Bewandtniss  hat.  In  den  Osterferien 
war  Kohlrausch  —  ein  Sohn  vom  Oberschulrath  und  Vetter  und  Schwager 
von  Schmalfuss  —  der  jetzt  Professor  in  Marburg  ist,  auf  vierzehn 
Tage  bei  Weber  zum  Besuch,  um  mit  ihm  gemeinschaftlich  eine  ex- 
perimentelle Untersuchung  über  Electricität  zu  machen,  da  Weber  zu 
dem  einen  Theil  dieser  Untersuchung,  Kohlrausch  zu  dem  anderen 
Theil  derselben  die  Vorarbeiten  gemacht  und  die  Apparate  erdacht  und 
construirt  hatte.  Ich  nahm  an  ihren  Experimenten  Theil  und  lernte 
bei  dieser  Gelegenheit  Kohlrausch  kennen.  Kohlrausch  hatte  nun  einige 
Zeit  vorher  sehr  genaue  Messungen  über  eine  bis  dahin  unerforschte 
Erscheinung  (den  electrischen  Rückstand  in  der  Leidener  Flasche)  ge- 
macht und  veröffentlicht  und  ich  hatte  durch  meine  allgemeinen  Unter- 
suchungen über  den  Zusammenhang  zwischen  Electricität,  Licht  und 
Magnetismus  die  Erklärung  davon  gefunden.  Ich  sprach  nun  mit  K. 
darüber  und  dies  war  die  Veranlassung,  dass  ich  die  Theorie  dieser 
Erscheinung  für  ihn  ausarbeitete  und  ihm  zuschickte.     Kohlrausch  hat 


B.  Riemann'b  Lebeuslauf.  517 

mir  null  jetzt  st'lir  l'rcuiitllicli  geiiiitwürtet,  mir  lUigL'bulL'ii,  meine  Arbeit 
an  Foggontlorff,  den  ILerausgeber  der  Annalen  der  Physik  und  Chemie, 
in  Berlin  zum  Druck  zu  schicken,  und  mich  eingeladen  ihn  in  diesen 
llerbstferien  zu  besuchen,  um  die  Sache  weiter  zu  verfolgen.  Mir  ist 
diese  Sache  deshalb  wichtig,  weil  es  das  erste  Mal  ist,  wo  ich  meine 
Arbeiten  auf  eine  vorher  noch  nicht  bekannte  Erscheinung  anwenden 
konnte,  und  ich  hoffe,  dass  die  Verööeiitlichung  diesel-  Arbeit  dazu 
beitragen  wird,  meiner  grösseren  Arbeit  eine  günstige  Aufnahme  zu 
verschalfen.  Hier  in  Quickborn  werde  ich  mich  nun  wohl  theils  mit 
dem  Druck  dieser  Arbeit,  da  mir  die  Correcturbogen  wahrscheinlich 
zugeschickt  werden,  theils  mit  der  Ausarbeitung  einer  Vorlesung  für 
nächstes  Semester  beschäftigen  müssen." 

Zu  dem  ersten  Theile  dieses  Briefes  ist  noch  zu  bemerken,  dass 
Riemann  die  Ausarbeitung  seiner  Probevorlesung  über  die  Hypothesen 
der  (jleoraetrie  sich  durch  sein  Streben,  allen,  auch  den  nicht  mathe- 
matisch gebildeten  Mitgliedern  der  Facultät  möglichst  verständlich  zu 
bleiben,  wesentlich  erschwert  hat;  die  Abhandlung  ist  aber  hierdurch 
in  der  That  zu  einem  bewunderungswürdigen  Meisterstück  auch  in  der 
Durstellung  geworden,  indem  sie  ohne  Mittheilung  der  analytischen 
Untersuchung  den  Gang  derselben  so  genau  angiebt,  dass  sie  nach 
diesen  Vorschriften  vollständig  hergestellt  werden  kann.  Gauss  liatte 
gegen  das  übliche  Herkommen  von  den  drei  vorgeschlagenen  Thematen 
nicht  das  erste,  sondern  das  dritte  gewählt,  weil  er  begierig  war  zu 
hören,  wie  ein  so  schwieriger  Gegenstand  von  einem  so  jungen  Manne 
])ehandelt  werden  würde;  nun  setzte  ihn  die  Vorlesung,  welche  alle 
seine  Erwartungen  übertraf,  in  das  grösste  Erstaunen,  und  auf  dem 
Rückwege  aus  der  Facultäts- Sitzung  sprach  er  sich  gegen  Wilhelm 
Weber  mit  höchster  Anerkennung  und  mit  einer  bei  ihm  seltenen  Er- 
regung über  die  Tiefe  der  von  Riemann  vorgetragenen  Gedanken  aus. 

Nach  einem  längeren  Aufenthalte  in  Quickborii  kehrte  Riemann 
im  September  nach  Göttingen  zurück,  um  an  der  Naturforscher- Ver- 
sammlung Theil  zu  nehmen;  auf  Webers  und  Stem's  Aufforderung 
entschloss  er  sich,  in  der  mathematisch -physikalisch -astronomischen 
Section  einen  Vortrag  über  die  Verbreitung  der  Electricität  in  Nicht- 
leitern zu  halten.  Er  schreibt  darüber  an  seinen  Vater:  „Mein  Vor- 
trag kam  am  Donnerstag  an  die  Reihe,  und  da  für  diese  Sitzung 
unserer  Section  kein  anderer  angekündigt  war,  so  arbeitete  ich  die 
Sache  noch  den  Abend  vorher  etwas  weiter  aus,  um  die  gewöhnliche 
Zeit  der  Sitzungen  einigermaassen  auszufüllen.  Ich  hatte  anfangs  nur 
das  Gesetz,  welches  ich  mittheilen  wollte,  kurz  angeben  wollen,  wandte 
es  aber  nun  noch  auf  mehrere  Erscheinungen  an  und  zeigte  die  Ueber- 


518  B.  Riemann's  Lebenslauf, 

eiiistimmuiig  mit  der  Erfahrung.  Mein  Vortrag  war  nun  Ireilich  in 
diesem  letzten  Theile  weniger  fliessend,  aber  ich  ghiube  doch,  dass  der 
Eindruck  des  Ganzen  durch  Hinzufügung  desselben  gewonnen  hat;  ich 
sprach  ungefähr  %  Stunden.  —  Dass  ich  bei  der  Versammlung  einmal 
öffentlich  gesprochen  habe,  hat  mir  wieder  etwas  mehr  Muth  zu  meiner 
Vorlesung  gemacht;  doch  habe  ich  zugleich  gesehen,  wie  gross  der 
Unterschied  ist,  ob  man  schon  längere  Zeit  vorher  mit  seinen  Ge- 
danken in's  Reine  gekommen  ist,  oder  noch  unmittelbar  vorher  daran 
gearbeitet  hat.  Ich  hoffe  in  einem  halben  Jahre  schon  mit  mehr  Ruhe 
an  meine  Vorlesungen  zu  denken,  und  mir  nicht  wieder  meinen  Auf- 
enthalt in  Quickborn  und  mein  Zusammensein  mit  Euch  so  dadurch 
verleiden  zu  lassen,  wie  das  letzte  Mal."  Auch  mit  Kohlrausch  war 
er  in  Göttingen  wieder  zusammengetroffen;  nach  einem  weiteren  Brief- 
wechsel entschloss  sich  aber  Riemann,  auf  die  Veröffentlichung  seines 
Aufsatzcis  über  den  Rückstand  in  der  Leidener  Flasche  zu  verzichten, 
vermuthlich  weil  er  nicht  gern  auf  eine  ihm  angerathene  Abänderung 
desselben  eingehen  wollte.  Statt  dessen  erschien  in  Poggendorff's  An- 
nalen  der  Aufsatz  über  die  Theorie  der  Nobili'schen  Farbenringe,  über 
welchen  er  an  seine  ältere  Schwester  Ida  schreibt:  „Es  ist  dieser 
Gegenstand  deshalb  wichtig,  weil  sich  hiernach  sehr  genaue  Messungen 
anstellen  und  die  Gesetze,  nach  denen  die  Electricität  sich  bewegt,  sehr 
genau  daran  prüfen  lassen." 

In  demselben  Briefe  vom  9.  October  1854  schreibt  er  mit  grosser 
Freude  von  dem  Zustandekommen  seiner  ersten  Vorlesung,  zu  welcher 
über  sein  Erwarten  viele  Zuhörer,  etwa  acht,  sich  gemeldet  hatten. 
Der  Gegenstand  derselben  war  die  Theorie  der  partiellen  Differential- 
gleichungen mit  Anwendungen  auf  physikalische  Probleme;  als  Vorbild 
dienten  ihm  der  Hauptsache  nach  die  Vorlesungen,  welche  Dirichlet 
unter  gleichem  Titel  in  Berlin  gehalten  hatte,  lieber  seinen  Vortrag 
schreibt  er  am  18.  November  1854  seinem  Vater:  „Mein  Leben  hat 
hier  jetzt  nach  und  nach  eine  ziemlich  regelmässige  und  einförmige 
Gestalt  angenommen.  Meine  Collegia  habe  ich  bis  jetzt  regelmässig 
halten  können,  meine  anfängliche  Befangenheit  hat  sich  schon  ziem- 
lich gelegt  und  ich  gewöhne  mich  daran,  mehr  an  die  Zuhörer,  als 
an  mich  dabei  zu  denken,  und  in  ihren  Mienen  zu  lesen,  ob  ich  vor- 
wärts gehen  oder  die  Sache  noch  weiter  auseinander  setzen  muss." 
Es  ist  indessen  keinem  Zweifel  unterworfen,  dass  der  mündliche  Vor- 
trag ihm  in  den  ersten  Jahren  seiner  akademischen  Lehrthätigkeit 
grosse  Schwierigkeiten  verursachte.  Seine  glänzende  Denkkraft  und 
vorahnende  Phantasie  Hess  ihn  meist,  was  besonders  bei  zufälligen 
mündlichen   Unterhaltungen    über    wissenschaftliche    Gegenstände  zum 


B.  Kiemiiiin'ö  Lebenslauf.  519 

Vor.sclieiii  kiuu,  sehr  grosse  Scliritie  iielimeii,  denen  man  nichl  so  leicht 
folgen  konnte,  und  wenn  man  ihn  zu  einer  näheren  Erörterung  einiger 
Zwischenglieder  seiner  Schlüsse  aufforderte,  so  konnte  er  stutzig  wer- 
den und  es  verursachte  ihm  einige  Mühe,  sich  in  den  langsameren 
Gedankengang  des  Anderen  zu  fügen  und  dessen  Zweifel  rasch  zu  be- 
seitigen. So  hat  ihn  auch  bei  seinen  Vorlesungen  die  Beobachtung 
der  Mienen  seiner  Zuhörer,  von  der  er  oben  schreibt,  oft  empfindlich 
gestört,  wenn  er,  bisweilen  ganz  gegen  sein  Erwarten,  sich  genöthigt 
glaubte,  einen  für  ihn  fast  selbstverständlichen  Punkt  noch  besonders 
zu  beweisen.  Dies  hat  sich  aber  nach  längerer  Hebung  verloren,  und 
die  verhältnissmässig  grosse  Zahl  seiner  Schüler  ist  nicht  blos  der  An- 
ziehungskraft seines  durch  die  tiefsinnigsten  Werke  berühmt  gewordenen 
Namens,  sondern  auch  seinem  Vortrage  zuzuschreiben,  auf  den  er  sich 
stets  sehr  sorgfältig  vorbereitete,  und  durch  welchen  es  ihm  gelang, 
seine  Zuhörer  über  die  grossen  Schwierigkeiten  hinwegzuführen,  die 
sich  dem  Eindringen  in  die  von  ihm  geschaffenen  neuen  Princii)ien 
entgegenstellen. 

Am  23.  Februar  1855  starb  Gauss,  und  bald  darauf  wurde  Lejeune 
Üirichlet  von  Berlin  nach  Göttingen  berufen.  Bei  dieser  (Jelegenheit 
wurde  von  mehreren  Seiten,  aber  vergeblich  dahin  gewirkt,  dass 
Riemami  zum  ausserordentlichen  Professor'  ernannt  werden  möchte; 
erreicht  wurde  nur,  dass  ihm  eine  Remuneration  von  jährlich  200  Tha- 
ler von  der  Regierung  ausgesetzt  wurde;  so  gering  diese  Summe  war, 
eine  so  wichtige  Erleichterung  gewährte  sie  Riemann,  der  in  dieser 
und  der  nächsten  Zeit  wohl  oft  mit  düsterem  Blick  in  die  Zukunft 
schaute.  Es  begann  eine  Reihe  von  traurigen  Jahren,  in  denen  ihn 
ein  schmerzlicher  Schlag  nach  dem  anderen  traf.  Noch  im  Jahre  1855 
verlor  er  seinen  Vater  und  eine  Schwester,  Clara;  die  alte,  so  innig 
geliebte  Heimath  in  Quickborn  wurde  verlassen,  seine  drei  Schwestern 
zogen  zu  dem  Bruder  Wilhelm  nach  Bremen,  der  dort  Postsecretair 
war  und  von  jetzt  an  die  Sorge  für  die  Erhaltung  der  Familie  über- 
nahm. 

Riemann  wandte  sich  jetzt  mit  erneutem  Eifer  wieder  seinen  schon 
in  den  Jahren  1851  und  1852  begonnenen  Untersuchungen  über  die 
Theorie  der  AbeFschen  Functionen  zu  und  machte  dieselbe  zum  ersten 
Male  von  Michaelis  1855  bis  Michaelis  185G  zum  Gegenstände  seiner 
Vorlesungen,  an  denen  drei  Zuhörer,  Schering,  Bjerknes  und  sein 
College  Dedekind  Theil  nahmen.  Im  Sommer  185(5  wurde  er  zum 
Assessor  der  mathematischen  Classe  der  Göttinger  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  ernannt;  als  solcher  überreichte  er  am  2.  November 
seine  Abhandlung  über  die  Gauss'sche  Reihe  und  schrieb  an  demselben 


520  B«  R-iemann's  Lebenslauf. 

Tage  seinem  Bruder:  „Auch  hoffe  ich,  dass  meine  Arbeiten  mir  Früchte 
tragen  sollen.  Meine  Abhandlung  ist,  wie  ich  Dir  schon  schrieb,  jetzt 
zum  Druck  fertig,  und  vielleicht  wird  sie  die  Societät  in  ihren  Schrif- 
ten drucken  lassen,  allerdings  eine  grosse  Ehre,  da, diese  in  den  letzten 
50  Jahren  nur  mathematische  Abhandlungen  von  Gauss  enthalten  haben. 
Die  mathematische  Section  der  Societät,  bestehend  aus  Weber,  Ulrich 
und  Dirichlet  wird  wenigstens  nach  Weber's  Aeusserungen  wohl  auf 
den  Druck  meiner  Abhandlung  antragen.  —  Mit  meinen  Vorlesungen, 
d.  h.  mit  dem  Besuch  derselben,  bin  ich  ziemlich  zufrieden,  besonders 
bei  der  geringen  Zahl  der  neu  angekommenen  Studenten.  Es  sind  gar 
keine  Mathematiker  unter  diesen  und  das  ist  auch  wohl  der  Grund, 
dass  Dedekind  und  Westphal  ihre  Privatvorlesungen  nicht  zu  Stande 
bekommen  haben.  Die  Anzahl  meiner  Zuhörer  betrug  nun  an  den  vier 
Tagen,  an  denen  ich  gelesen  habe,  erst  drei,  dann  vier  und  die  letz- 
ten beiden  Male  fünf;  doch  war  hierunter  wohl  ein  Hospitant.  Sehr 
lieb  ist  es  mir,  dass  ich  diesmal  auch  einige  Zuhörer  aus  den  ersten 
Semestern  habe,  nicht  wie  sonst  bloss  aus  dem  sechsten  und  späteren 
Semestern,  weil  ich  dies  als  ein  Zeichen  betrachte,  dass  meine  Vor- 
lesungen leichter  verständlich  werden.  Bei  alledem  kann  ich  noch 
nicht  behaupten,  dass  meine  Vorlesungen  zu  Stande  gekommen  sind; 
denn  es  hat  sich  noch  Niemand  bei  mir  gemeldet  und  ist  also  immer 
noch  möglich,  dass  meine  Herrn  Zuhörer  mich  im  Stiche  lassen.  — 
Meine  freie  Zeit  werde  ich  von  jetzt  an  ganz  auf  die  Arbeit  über  die 
Abel'schen  Functionen,  von  der  ich  Dir  erzählt  habe,  verwenden.  Kurz 
vor  meiner  Wiederankunft  hier  in  Göttingen  ist  auch  der  Haupt- 
redacteur  des  mathematischen  Journals,  der  Dr.  Borchardt  aus  Berlin, 
hier  gewesen  und  hat  mir  durch  Dirichlet  und  Dedekind  die  Auf- 
forderung zugehen  lassen,  ihm  doch  so  bald  wie  möglich  eine  Dar- 
stellung meiner  Untersuchungen  über  die  AbeFschen  Functionen,  sie 
sei  so  roh  wie  sie  wolle,  zu  schicken.  Weierstrass  ist  jetzt  stark  im 
Publiciren,  doch  enthält  das  jetzt  veröffentlichte  Heft,  von  dem  Scherk 
mir  erzählte,  nur  die  ersten  Vorbereitungen  zu  seiner  Theorie." 

In  der  That  widmete  er  sich  nun  mit  allen  Kräften  der  Aus- 
arbeitung dieses  Werkes,  so  dass  er  die  ersten  drei  kleineren  Abhand- 
lungen am  18.  Mai,  die  vierte  grössere  am  2.  Juli  1857  im  Manuscript 
nach  Berlin  abschicken  konnte;  allein  durch  die  übermässige  An- 
strengung hatte  seine  Gesundheit  sehr  gelitten,  und  er  befand  sich  am 
Ende  des  Sommersemesters  in  einem  Zustande  geistiger  Abspannung, 
der  seine  Stimmung  im  höchsten  Grade  verdüsterte.  Zur  Erfrischung 
und  Stärkung  seiner  Gesundheit  nahm  er  für  einige  Wochen  seinen 
Aufenthalt  in  Harzburg,  wohin  ihn  sein  Freund  Ritter  (damals  Lehrer 


B.  Riemann's  Lt-ltj-nslaul",  521 

an  dem  Polyteclinicum  zu  lliuiiiuvt'r,  jctzl  ^l«Jlt•^i^s()r  in  Aachen)  aiit 
einige  Tage  begleitete,  und  wohin  ihm  später  .sein  College  Dedekind 
folgte,  mit  dem  er  viele  Spaziergänge  und  auch  grössere  Ausflüge  in 
den  llarz  machte.  Auf  solchen  Spaziergängen  erheitert«  sich  seine 
Stimmung,  sein  Zutrauen  zu  Anderen  und  zu  sich  selbst  wuchs;  sein 
harmloser  Scherz  und  seine  rückhaltlose  Unterhaltung  über  wissen- 
schaftliche Gegenstände  machten  ihn  zu  dem  liebenswürdigsten  und 
anregendsten  Gesellschafter.  In  dieser  Zeit  wandten  sich  seine  Ge- 
danken wieder  der  Naturphilosophie  zu,  und  eines  Abends  nach  der 
Rückkehr  von  einer  anstrengenden  Wanderung  griff  er  zu  Brewster's 
Life  of  Newton,  und  sprach  lange  mit  Bewunderung  über  den  Brief 
an  Bentley,  in  welchem  Newton  selbst  die  Unmögliclikeit  unmittelbarer 
Fern  Wirkung  behauptet. 

Bald  nach  seiner  Rückkehr  nach  (jJöttingeji  wurde  er  am  9.  No- 
vember 1857  zum  ausserordentlichen  Professor  in  der  philosopliischen 
Facultät  ernannt,  und  seine  Remuneration  von  2iK)  Thaler  auf  oOO 
Thaler  erhöht.  Aber  fast  gleichzeitig  erschütterte  ihn  auf  das  Tiefste 
der  Tod  seines  innig  geliebten  Bruders  Wilhelm;  er  übernimmt  nun 
ganz  die  Sorge  für  seine  drei  noch  lebenden  Schwestern  und  dringt 
inständig  darauf,  dass  sie  noch  im  Laufe  des  Winters  zu  ihm  nach 
Göttingen  übersiedeln;  dies  geschah  auch  im  Anfang  März  1868,  aber 
erst  nachdem  ihnen  die  jüngste  Schwester,  Marie,  noch  durch  den  Tod 
entrissen  war.  Nach  so  vielen  Schicksalsschlägen  trug  das  Zusammen- 
leben mit  den  Schwestern  wesentlich  zur  Besserung  seiner  tief  nieder- 
gedrückten Gemüthsstimmung  bei,  und  die  Anerkennung,  welche  von 
nun  an,  wenn  auch  langsam,  seinen  Werken  auch  in  weiteren  Kreisen 
zu  Theil  wurde,  hol)  allmälich  sein  gesunkenes  Selbstvertrauen  und 
Hess  ihn  frischen  Mutli  zu  neuen  Arbeiten  finden.  Schon  vorher  hatte 
er  den  später  viel  besprochenen  Aufsatz  „Ein  Beitrag  zur  Electro- 
dynamik*'  verfasst,  über  weichen  er  seiner  Schwester  Ida  schreibt: 
„Meine  Entdeckung  über  den  Zusammeidiang  zwischen  Electricität  und 
Licht  habe  ich  hier  der  Königl.  Societät  übergeben.  Nach  manchen 
Aeusserungen,  die  ich  darüber  vernommen,  muss  ich  schliessen,  dass 
Gauss  eine  andere  von  der  meinigen  verschiedene  Theorie  dieses  Zu- 
sammenhangs aufgestellt  und  seinen  nächsten  Bekannten  mitgetheilt 
hat.  Ich  bin  aber  völlig  überzeugt,  dass  die  meinige  die  richtige  ist 
und  in  ein  paar  Jahren  allgemein  als  solche  anerkannt  werden  wird." 
Er  hat  bekanntHch  diese  Arbeit  bald  wieder  zurückgezogen  und  auch 
später  nicht  veröffentlicht,  wahrscheinlich  weil  er  selbst  mit  der  in  ihr 
enthaltenen  Ableitung  nicht  mehr  zufrieden  war. 

In  den  Herbstferien  1858  machte  er  die  Bekanntschaft  der  italieni- 


522  B.  Riemann's  Lebenslauf. 

sehen  Mathematiker  Brioschi^  Betti  und  Casorati,  welclie  damals  eine  Reise 
durch  Deutsehland  maehten  und  auch  einige  Tage  in  Göttingen  verweil- 
ten 5  diese  Verbindung  sollte  später  in  Italien  wieder  angeknüpft  werden. 

In  diese  Zeit  fiel  die  Erkrankung  Dirichlet's,  welcher  seinen  langen 
Leiden  am  5.  Mai  1859  erlag.  Er  hatte  von  Anfang  an  das  leb- 
hafteste persönliche  Interesse  für  Riemann  empfunden  und  bei  allen 
Gelegenheiten  bethätigt^  wo  er  auf  eine  Verbesserung  der  äusserliehen 
Verhältnisse  Riemann's  hinwirken  konnte.  Inzwischen  war  des  Letz- 
teren wissenschaftliche  Bedeutung  so  allgemein  anerkannt,  dass  die 
Regierung  nach  Dirichlet's  Tode  von  der  Berufung  eines  auswärtigen 
Mathematikers  absah;  Ostern  1859  wurde  für  Riemann  eine  Wohnung 
in  der  Sternwarte  eingeräumt,  am  30.  Juli  wurde  er  zum  ordentlichen 
Professor  ernamit  und  im  December  einstimmig  zum  ordentlichen  Mit- 
gliede  der  Gesellschaft  der  Wissenschaften  erwählt.  Schon  vorher,  am 
11 .  August,  hatte  die  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften  ihn  zum  corre- 
spondirenden  Mitgliede  in  der  physikalisch-mathematischen  Classe  ernannt, 
und  dies  veranlasste  ihn,  im  September  in  Dedekind's  Gesellschaft  nach 
Berlin  zu  reisen,  wo  er  von  den  dortigen  Gelehrten,  Kummer,  Borchardt, 
Kronecker,  Weierstrass  mit  Auszeichnung  und  grosser  Herzlichkeit 
aufgenommen  wurde.  Eine  Folge  seiner  Ernennung,  welcher  später, 
im  März  1866,  die  Wahl  zum  auswärtigen  Mitgliede  gefolgt  ist,*)  und 
dieses  Besuchs  war  es,  dass  er  im  October  seine  Abhandlung  über  die 
Häufigkeit  der  Primzahlen  der  Berliner  Akademie  einreichte  und  einen, 
nach  seinem  Tode  veröffentlichten  Brief  über  die  vielfach  periodischen 
Functionen  an  Weierstrass  richtete. 

Einen  Monat  später  übergab  er  der  Göttinger  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  seine  Abhandlung  über  die  Fortpflanzung  ebener  Luft- 
wellen von  endlicher  Schwingungsweite. 

In  den  Osterferien  1860  machte  er  eine  Reise  nach  Paris,  wo  er 
sich  vom  26.  März  ab  einen  Monat  aufhielt;  leider  war  das  Wetter 
sehr  rauh  und  unfreundlich,  noch  in  der  letzten  Woche  gab  es  mehrere 
T^ge  hinter  einander  Schnee  und  Hagel,  so  dass  die  Besichtigung  von 
Merkwürdigkeiten  oft  geradezu  unmöglich  war.  Dagegen  war  er  sehr 
zufrieden  mit  der  freundlichen  Aufnahme  von  Seiten  der  Pariser  Ge- 


*)  Bezüglich  der  äusserliehen  Auszeichnungen,  deren  Riemann  theilhaftig 
geworden  ist,  mag  hier  noch  bemerkt  werden,  dass  die  Baierische  Akademie  der 
Wissenschaften  ihn  am  28.  November  1859  zum  correspondirenden ,  am  28.  No- 
vember 1863  zum  ordentlichen  Mitgliede,  ferner  dass  die  Pariser  Akademie  ihn 
am  19.  März  1866  zu  ihrem  correspondirenden  Mitgliede  ernannte;  ebenso  wurde 
er  am  14.  Juni  1866,  kurz  vor  seinem  Tode,  von  der  Londoner  Royal  Society  zu 
deren  auswärtigem  Mitgliede  erwählt. 


B.  Riemann's  Lilxi. J:itif  Fj23 

lehrten  Serret,  Bertrand,  llermite,  Pui.stux  imd  Briut,  hei  welchem  er 
einen  Tag  auf  dem  Lande  in  Chatenay  mit  Bouquet  sehr  angenehm 
verlebte. 

In  demselben  Jahre  vollendete  er  seine  Abhandlung  über  die  Be- 
wegung eines  flüssigen  Ellipsoides  und  wendete  sich  der  Bearbeitung 
der  von  der  Pariser  Akademie  gestellten  Preisaufgabe  über  die  Theorie 
der  VV^iirmeleitung  zu,  für  welche  er  durch  seine  Untersuchungen  über 
die  Hypothesen  der  Geometrie  schon  früher  die  Grundlagen  gewonnen 
hatte.  Im  Juni  1861  sandte  er  seine  in  lateinischer  Sprache  abgefasste 
Lösung  unter  dem  Motto  „Et  bis  principiis  via  sternitur  ad  majora" 
ein;  dieselbe  errang  indessen  den  Preis  nicht,  weil  es  ihm  an  Zeit  ge- 
fehlt hatte,  die  zur  Durchführung  nöthige  Rechnung  vollständig  mit- 
zutheilen. 

Das  in  den  letzten  Jahren  ungetrübte,  glückliche  Leben,  dessen 
Uiemann  sich  erfreuen  durfte,  erreichte  seinen  Höhepunkt,  als  er  sich 
am  3.  Juni  1862  mit  Fräulein  Elise  Koch  aus  Körchow  in  Mecklen- 
burg-Schwerin, einer  Freundin  seiner  Schwestern  verheirathete;  es  war 
ihr  beschieden,  die  bevorstehenden  Jahre  des  Leidens  mit  ihm  zu 
theilen  und  durch  unermüdliche  Liebe  zu  verschönern.  Schon  im  Juli 
desselben  Jahres  befiel  ihn  eine  Brustfellentzündung,  von  welcher  er 
scheinbar  zwar  sich  rasch  erholte,  welche  aber  doch  den  Keim  zu  einer 
Lungenkrankheit  zurückliess,  die  sein  frühes  Ende  herbei  führen  sollte. 
Als  ihm  von  den  Aerzten  ein  längerer  Aufenthalt  im  Süden  zur  Heilung 
angerathen  war,  gelang  es  der  dringenden  Verwendung  von  Wilhelm 
Weber  und  Sartorius  von  Waltershausen,  von  der  Regierung  nicht  nur 
den  erforderlichen  Urlaub,  sondern  auch  eine  ausreichende  Unterstützung 
zu  einer  Reise  nach  Italien  für  ihn  auszuwirken,  welche  er  im  No- 
vember 1862  antrat.  Durch  Sartorius  von  Waltershausen  auf  das 
Wärmste  empfohlen,  fand  er  das  freundlichste  Entgegenkommen  in 
der  Familie  des  Consuls  Jäger,  in  Messina,  auf  deren  Villa  in  der  Vor- 
stadt Gazzi  er  den  Winter  verlebte.  Sein  Befinden  besserte  sich  rasch, 
und  er  konnte  Ausflüge  nach  Taormina,  Catania  und  Syracus  unter- 
nehmen. Auf  der  Rückreise,  welche  er  am  19.  März  1863  antrat,  be- 
suchte er  Palermo,  Neapel,  Rom,  Livorno,  Pisa,  Florenz,  Bologna, 
Mailand;  bei  längerem  Aufenthalte  in  diesen  Städten,  deren  Kunst- 
schätze und  Alterthümer  sein  grösstes  Interesse  erweckten,  machte  er 
zugleich  Bekanntschaft  mit  den  bedeutendsten  Gelehrten  Italiens,  und 
namentlich  schloss  er  sich  mit  inniger  Freundschaft  an  Professor  Enrico 
Betti  in  Pisa  an,  den  er  schon  im  Jahre  1858  in  Göttingen  kennen 
gelernt  hatte.  Ueberhaupt  bildet  der  mehrjährige  Aufenthalt  Riemann's 
in  Italien,    so   traurig  die  nächste   Veranlassung  desselben  auch   war, 


524  B.  lliemaun's  Lebenslauf. 

einen  wahren  Lichtpunkt  in  seinem  Leben;  nicht  allein,  dass  ihn  das 
Schauen  aller  Herrlichkeit  dieses  entzückenden  Landes,  von  Natur  und 
Kunst,  unendlich  beglückte,  er  fühlte  sich  dort  auch  als  freier  Mensch 
dem  Menschen  gegenüber,  ohne  alle  die  hemmenden  Rücksichten,  die 
er  in  Gottingen  auf  Schritt  und  Tritt  nehmen  zu  müssen  meinte;  dies 
Alles  und  der  wohlthätige  Einfluss  des  herrlichen  Klimas  auf  seine 
Gesundheit  stimmte  ihn  oft  recht  froh  und  heiter  und  liess  ihn  dort 
viele  glückliche  Tage  verleben. 

Mit  den  besten  Hoffnungen  verliess  er  das  ihm  so  lieb  gewordene 
Italien,  allein  er  zog  sich  auf  dem  Uebergange  über  den  Splügen,  wo 
er  unvorsichtiger  Weise  eine  Strecke  lang  zu  Fuss  durch  den  Schnee 
ging,  eine  heftige  Erkältung  zu,  und  nach  der  Ankunft  in  Göttingen, 
welche  am  17.  Juni  erfolgte,  war  sein  Befinden  fortwährend  so  schlecht, 
dass  er  sich  sehr  bald  zu  einer  zweiten  Reise  nach  Italien  entschliessen 
musste,  welche  er,  am  2L  August  1863  antrat.  Er  wandte  sich  zu- 
nächst nach  Meran,  Venedig,  Florenz,  dann  nach  Pisa,  wo  ihm  am 
22.  December  1863  eine  Tochter  geboren  wurde,  welche  nach  seiner 
älteren  Schwester  den  Namen  Ida  erhielt.  Unglücklicher  Weise  war 
der  Winter  so  kalt,  dass  der  Arno  zufror.  Im  Mai  1864  bezog  er 
eine  Villa  vor  Pisa;  hier  verlor  er  Ende  August  seine  jüngere  Schwester, 
Helene;  er  selbst  wurde  von  der  Gelbsucht  befallen,  welche  auch  eine 
Verschlimmerung  seines  Brustleidens  zur  Folge  hatte.  Eine  Berufung 
nach  Pisa  an  Stelle  von  Professor  Mosotti,  welche  schon  im  Jahre  1863 
durch  Vermittlung  von  Betti  an  ihn  ergangen  war,  hatte  er  tlieils 
auf  den  Rath  seiner  Göttinger  Freunde,  hauptsächlich  aber  wohl  aus 
dem  Grunde  abgelehnt,  weil  er  die  mit  der  ihm  angetragenen  Stellung 
verbundenen  Pflichten  bei  seinem  angegriffenen  Gesundheitszustande 
nicht  vollständig  erfüllen  zu  können  befürchtete  und  deshalb  sich  ausser 
Stande  fühlte,  die  Annahme  des  Rufes  vor  sich  zu  verantworten.  Das- 
selbe Pflichtgefühl  erweckte  den  dringenden  Wunsch  in  ihm,  nach 
Göttingen  zurückzukehren  und  sich  wieder  seinem  Lehramte  zu  wid- 
men, und  nur  auf  die  ernsten  Vorstellungen  der  Aerzte  und  seiner 
Freunde  entschloss  er  sich  dazu,  auch  den  folgenden  Winter  in  Italien 
zuzubringen,  welchen  er  zu  Pisa  in  angenehmem  geselligen  und  wissen- 
schaftlichen Verkehr  mit  den  dortigen  Gelehrten  Betti,  Felici,  Novi, 
Villari,  Tassinari,  Beltrami  verlebte;  in  jener  Zeit  arbeitete  er  auch  an 
seiner  Abhandlung  über  das  Verschwinden  der  Theta-Functionen.  Den 
Mai  und  Juni  1865  brachte  er  bei  schlechtem  Befinden  in  Livorno, 
den  Juli  und  August  am  Lago  Maggiore,  den  September  in  Pegli  bei 
Genua  zu,  wo  durch  ein  gastrisches  Fieber  eine  bedeutende  Ver- 
schlimmerung seines  Zustandes  eintrat. 


B.  Riomann's  Lebenslauf.  525 

Unter  diesen  Umstünden  konnte  Riemann  .seiinMu  immer  lebhafteren 
Wunsche,  nach  Göttingen  zurückzukehren,  nicht  länger  widerstehen; 
er  langte  am  3.  October  an  und  verlebte  daselbst  den  Winter  bei  er- 
1  rüglich  gutem  Befinden,  welches  ihm  meistens  gestattete,  einige  Stun- 
den tüglicli  zu  arbeiten.  Er  vollendete  die  Abhandlung  über  das  Ver- 
schwinden der  Theta-Functionen  und  übertrug  seinem  früheren  Schüler 
Ilattendorff  'die  Ausarbeitung  der  Abhandlung  über  die  Minimalflüchen; 
er  sprach  auch  öfter  den  Wunsch  aus,  vor  seinem  Ende  noch  über 
einige  seiner  unvollendeten  Arbeiten  mit  Dedekind  zu  sprechen,  fühlte 
sich  aber  stets  zu  schwach  und  angegrifiPen,  um  denselben  zu  einem 
Besuche  in  Göttingen  zu  veranlassen.  In  den  letzten  Monaten  be- 
schüftigte  er  sich  mit  der  Ausarbeitung  einer  Abhandlung  über  die 
Mechanik  des  Ohres,  welche  leider  nicht  vollendet  und  nur  als  Frag- 
ment  nach  seinem  Tode  von  Henle  und  Schering  herausgegeben  ist. 

Die  Vollendung  dieser  Abhandlung  sowie  einiger  anderen  Arbeiten 
lag  ihm  sehr  am  Herzen,  und  er  hoffte  durch  einen  Aufenthalt  von 
einigen  Monaten  am  Lago  Maggiore,  wohin  ihn  ausserdem  grosse 
Sehnsucht  nach  dem  ihm  so  lieb  gewordenen  Lande  trieb,  die  dazu 
erforderlichen  Krüfte  noch  sammeln  zu  können.  So  entschloss  er  sich 
am  15.  Juni  18GG,  in  den  ersten  Kriegstagen,  zu  seiner  dritten  Reise 
nach  Italien;  dieselbe  Avurde  schon  in  Cassel  unterbrochen,  weil  die 
Eisenbahn  zerstört  war,  doch  gelangte  er  mit  Fuhrwerk  glücklich  bis 
Giessen,  von  wo  die  Weiterreise  keine  ferneren  Hindernisse  fand.  Am 
28.  Juni  traf  er  am  Lago  Maggiore  ein,  wo  er  in  der  Villa  Pisoni  in 
Selasca  bei  Intra  wohnte.  Rasch  nahmen  seine  Krüfte  ab,  und  er 
selbst  fühlte  mit  voller  Klarheit  sein  Ende  herannahen;  aber  noch  am 
Tage  vor  seinem  Tode  arbeitete  er,  unter  einem  Feigenbaum  ruhend 
und  von  grosser  Freude  über  den  Anblick  der  herrlichen  Landschaft 
erfüllt,  an  seinem  letzten,  leider  unvollendet  gebliebenen  Werke.  Sein 
Ende  war  ein  sehr  sanftes,  ohne  Kampf  und  Todesschauer;  es  schien 
als  ob  er  mit  Literesse  dem  Scheiden  der  Seele  vom  Körper  folgte: 
seine  Gattin  musste  ihm  Brod  und  Wein  reichen,  er  trug  ihr  Grüsse 
an  die  Lieben  daheim  auf  und  sagte  ihr:  küsse  unser  Kind.  Sie  betete 
das  Vater  Unser  mit  ihm,  er  konnte  nicht  mehr  sprechen;  bei  den 
Worten  Vergieb  uns  unsere  Schuld  richtete  er  glüubig  das  Auge  nach 
oben;  sie  fühlte  seine  Hand  in  der  ihrigen  külter  werden,  und  nach 
einigen  Athemzügen  hatte  sein  reines,  edeles  Herz  zu  schlagen  auf- 
geh(*>rt.  Der  fromme  Siim,  der  im  Vaterhaus  gepflanzt  war,  blieb  ihm 
durch  das  ganze  Leben,  und  er  diente,  wenn  auch  nicht  in  derselben 
Form,  treu  seinem  Gott;  mit  der  grössten  Pietüt  vermied  er,  Andere 
in  ihrem  Glauben  zu  stören;   die  tägliche  Selbstprüfung  vor  dem  An- 


526  B.  Riemann's  Lebenslauf. 

gesichte   Gottes   war,    nach   seinem   eigenen   Ausspruche,   für  ihn   eine 
Hauptsache  in  der  Religion. 

Er  ruht   auf  dem  Kirchhofe  zu  Biganzolo,  wohin  Selasca  einge- 
pfarrt  ist.     Sein  Grabstein  trägt  die  Inschrift: 

Hier  ruhet  in  Gott 

GEORG  FRIEDRICH  BERNHARD   RIEMANN,  Prof.  zu  Göttingen, 

geb.  in  Breselenz  17.  Sept.  1826,  gest.  in  Selasca  20.  Juli  1866. 

Denen  die  Gott  lieben  müssen  alle  Dingre  zum  Besten  dienen. 


PROSPECTUS. 


BepertoriiiiTL 

der  literarischen  Arbeiten  aus  dem  Gebiete 

der 

reinen  nnd  angewandten  Matliematik 

„Originalberichte  der  Verfasser" 

gesammelt  und  herausgegeben 
von 

Dr.  Leo  Koenigsberger  und  Dr.  Gustav  Zeuner. 


Die  grosse  Schwierigkeit,  welche  das  Referiren  über  Arbeiten  An- 
derer auf  dem  Gebiete  der  reinen  und  äuge  wandten  Mathematik  darbietet, 
und  die  Thatsache,  dass  bei  der  überaus  grossen  Ausdehnung  dieser 
Wissenschaften  auch  hervorragende  Gelehrte  selten  im  Stande  sind,  Werth, 
Zweck  und  Ziel  vou  Arbeiten  zu  beurtheilen,  welche  verschiedenen  Dis- 
ciplineu  ihrer  Wissenschaft  angehören,  haben  in  uns  den  Gedanken  angeregt, 
ein  periodisch  erscheinendes  Sammelwerk  ins  Leben  zu  rufen, 

„in  welchem  die  Autoren  über  die  von  ihnen  selbst 
geschriebenen  Bücher  und  Abhandlungen  längere  oder 
kürzere,  sachliche  Referate  geben." 

Wir  brauchen,  um  den  Werth  derartiger  Referate  hervorzuheben, 
nur  an  die  in  den  comptcs  rcndus  gegebeneu  Berichte  der  französischen 
Akademiker  oder  an  die  in  den  „Göttinger  gelehrten  Anzeigen"  von  Gauss 
veröffentlichten  Referate  über  seine  eignen  Arbeiten  zu  erinnern,  um  erken- 
nen zu  lassen,  von  welch  hoher  Bedeutung  es  ist,  von  den  Autoren  selbst 
das  Ziel  ihrer  Arbeiten  dargestellt  und  die  Bedeutung  der  Resultate  der- 
selben hervorgehoben  zu  sehen;  wir  weisen  aber  andrerseits  auch  auf  den 
Werth  hin,  den  es  für  den  Verfasser  haben  muss,  einen  Weg  geöffnet  zu 
sehen,  der  ihm  erlaubt,  durch  eigne  Darstellung  eineu  grössern  Leserkreis 
auf  die  von  ihm  gewonnenen  Resultate,  sowie  auf  Zweck  und  Ziel  seiner 
Arbeiten  aufmerksam  zu  machen. 

Die  Referate  sollen  sich  über  das  ganze  Gebiet  der  Mathematik 
erstrecken,  der  reinen  Mathematik  und  aller  angewandten  Theile  derselben, 
wie  Astronomie  und  Geodäsie,  mathematische  Physik,  analytische  und 
technische  Mechanik,  aller  mathematischen  Zweige  der  Ingenieurwissen- 
schafteu,  der  mathematischen  Statistik  u.  s.  f.   und  überdies  gedenken  wii- 


<lle  Berichte  in  derjenigen  Sprache  drucken  zu  lassen,  in  welcher  sie  uns 
vom  Verfasser  zugehen  und  von  der  sich  annehmen  lUsst,  dass  sie  Gelehrten- 
kreisen aller  Länder  zugänglich  ist,  wobei  wir  neben  der  deutschen,  vor- 
zugsweise die  französische,  englische  und  italienische  Sprache  iiji  Auge  haben. 

Unserm  Unternehmen  wird  wohl  auch  eine  entschiedene  Bedeutung 
in  Rücksicht  auf  die  Geschichte  der  mathematischen  Wissenschaften  zu- 
gesprochen werden  dürfen,  wenn  auch  nur  einigermassen  auf  Vollständigkeit 
in  der  Sammlung  der  Referate  über  mathematische  Schriften  aller  Länder 
gerechnet  werden  könnte;  wir  beginnen  deshalb,  um  unser  „Repertorium" 
erst  hinreichend  bekannt  werden  zu  lassen,  mit  den  Referaten  über  die 
vom  1.  Januar  1875  ab  erschienenen  Bücher  und  Abhandlungen  und  wen- 
den uns  nunmehr  an  alle  Schriftsteller  auf  dem  Gebiete  der  reinen  und 
angewandten  Mathematik  mit  der  ergebensten  Bitte,  über  die  im  letzten 
Jahre  von  ihnen  veröffentlichten  wissenschaftlichen  Arbeiten,  mögen  die- 
selben als  selbständige  Schriften  oder  in  Zeitschriften  erschienen  sein,  recht 
bald  und  über  die  weiteren  Veröffentlichungen  womöglich  unmittelbar  nach 
deren  Erscheinen  Referate  an  die  Unterzeichneten  gefälligst  einsenden  zu  wollen. 

DijKSDEN,  königl.  Polytechnikum. 

Dr.  Leo  Köiiigsberger.  Dr.  Gustav  Zeuner. 


Bezugnehmend  auf  die  obigen  Ausführungen  der  Herren  Heraus- 
geber des  „Repertoriums"  beschränken  wir  uns  darauf  zu  erklären,  dass, 
was  in  unsern  Kräften  steht,  geschehen  soll,  um  dem  Unternehmen  eine 
möglichst  grosse  Verbreitung  zu  geben  und  richten  auch  unsererseits  an 
die  Herren  Autoren  die  ergebenste  Bitte,  durch  eine  recht  grosse,  womög- 
lich allgemeine  Betheiligung  und  eine  regelmässige  Zusendung  der  Berichte 
diesem  Unternehmen  einen  wissenschaftlichen  Werth  zu  sichern,  damit  das 
„Repertorium"  nach  einiger  Zeit  ein  unentbehrliches  Nachschlagebuch  für 
jeden  Forscher  auf  dem  Gebiete  der  exacten  Wissenschaften  werde. 

Wir  werden  das  ,, Repertorium"  zunächst  in  zwanglosen  Heften  er- 
scheinen lassen  und  bitten  die  Herren  Schriftsteller,  ihre  Referate  einem 
der  beiden  Herren  Herausgeber 

Dr.  Leo  Koenigsberger  Dr.  Gustav  Zeuner 

Geh.  Hofrath  und  Professor  der  Mathematik  Geh.  Bergrath  und  Professor  der  Mechanik 

Dresden,  Königl.  Polytechnikum 
gütigst  zukommen  zu  lassen. 

Bestellungen  auf  das  ^^Repertorntm^\  für  welches  ein  möglichst  niedriger 
Preis  gestellt  ^v  er  den  wird,  nehmen  alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Aus- 
landes entgegen. 

Die  Verlagsbuchhandlung 

B.  G.  Teubner  in  Leipzig. 


RETURN     Astronomy/Mathematics/Statistics  Library 

TO^  100  Evans  Hall  642-3381 


L0ANPERI0D1 
7DAYS 

2 

3 

4 

5 

6 

P^EA^^a^fflffiE^mow 


Subiftd  to  rpr^v 


kBR2fe93 


HJKixVfejept 


Udo  1199; 


;OCT  1  8  2001 


MÄlH  LIBRARY 


UCli 


-C-rt- 


4884 


,ftrV  ncn  A/inJri 


2  4  1593 


QCT  Q  ?  1998 


aor;-^,  UC^  A/^Ai 


IIL 


0  8129» 


FORM  NO.  DD3 


UNIVERSITY  OF  CALIFORNIA,  BERKELEY 
BERKELEY,  CA  94720 


kUi% 


CQ3743Ö12Ö 


/    ,' 


><tc 


SöCTH/STAT.