1Ö05
DER FELDZUG
VON ULM
VON
ALFRED KRAUSS
K. U. K. GENERALMAJOR
MIT 32 BEILAGEN, DARUNTER 24 SKIZZEN
WIEN 1912
VERLAG VON L W. SEIDEL & SOHN, K. U. K. HOFBUCHHÄNDLER
I, GRABEN 13
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DER FELDZUG VON ULM
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DER FELDZÜG VON ULM
VON
ALFRED KRAUSS
K. U. K GENERALMAJOR
MIT 32 BEILAGEIs^ DARUNTER 24 SKIZZEN
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WIEN 1912
VERLAG VON L. W. SEIDEL & SOHN, K. U. K. HOFBUCHHÄNDLER
I, GRABEN 13
Übersetzlingsrecht vorbehalten. — Naehdruek verboten.
Druck von Christoph Reisser's Söhue, Wien V.
Inlialt
Seite
Beilagenverzeichnis VII
Vorwort IX
I. Vorgeschichte 1
II. Die IMachtmittel der Kriegführenden (innere Zustände. Finanzen, Heer-
wesen).
A. Frankreich:
Innere Zustände i'2
Finanzen 43
Die französische Armee 44
B. Österreich:
Innere Zustände 72
Finanzen 75
Die österreichische Armee 80
C. Das russische Heer 100
D. Die bayrische Armee . 102
III. Der Kriegsschauplatz ... 103
IV. Operationspläne und Kriegsvorbereitungen.
A. Franzosen 108
B. Die Verbündeten 118
V. Das Kommando der österreichischen Armee in Deutschland .... 143
VI. Der Vormarsch der Österreicher an die liier 177
VII. Der Marsch der Großen Armee an den Rhein '. .218
VIII. Der Rhein-Übergang der Großen Armee 238
IX. Der Vormarsch der Großen Armee an den Neckar 2.Ö7
X. Vom 2. bis 5. Okiober.
Franzosen 267
österi'eicher . 280
— VI —
Seite
XI. Der 6. Oktober.
Österreicher 297
Franzosen 305
Xil. Der 7. Oktober.
Österreicher 310
Franzosen 319
XIII. Der 8. Oktober.
Österreicher 325
Franzosen 333
Das Gefecht bei Wertingen 337
XIV. Der 9. Oktober.
Österreicher 357
Franzosen 361
Das Gefecht bei Günzburg 364
XV. Der 10. und 11. Oktober.
Österreicher 377
Franzosen 386
Das Gefecht bei Haslaeh 402
XVI. Vom 12. bis 14. Oktober.
Österreicher 414
Franzosen 438
Die Einnahme von Metnmingen 455
Das Gefecht bei Elehingen 456
XVII. Die Kapitulation von Ulm 468
XVlil. Die Gefangennahme Wernecks und die Verfolgung des Erzherzogs
Ferdinand 482
XIX. Die Übergabe von Ulm 494
XX. Die Versammlung der französischen Armee zum Marsch nach Wien . 506
Franzosen 513
Österreicher 518
XXI. Verpflegung und Train.
Franzosen 524
Train 526
Verpflegung- 530
Etappenwesen 558
Östen-eieher :
Train 561
Verpflegung 564
XXII. Schlußwort 580
Beilagenverzeichnis.
Beilage 1: Gutachten des Erzherzogs Karl vom 4. März 1804.
2: Berieht des Erzherzogs Karl vom 12. April 1804.
3: Russischer Operationsplan.
4: Betrachtungen über die Vorbereitungen und künftigen Operationen
der verbündeten k. k. und k. russischen Armeen von FML. Maek.
5: Allgemeine Grundsätze, nach welchen die gemeinschaftlichen Kriegs-
operationen der k. k. Armeen in Deutsehland, Italien und Tirol
geleitet werden sollen.
„ 6: Berieht des Erzherzogs Ferdinand vom 8. Oktober 1805.
„ 7 : Skizze des Kriegsschauplatzes.
8: Zur Erläuterung der Operationspläne. BeabsieTitigte Kraftgruppierung
und Verwendung der Gruppen.
„ 9: Marschtableau der österreichischen Armee.
„ 10: Dislokationstabelle der k. k. Armee in Deutsehland vom 18. September.
„ 11: Dislokation der österreichischen Armee nach deui Entwürfe Maeks vom
18. September und am 30. September.
12: Skizze des Marsches der Groben Armee von Boulogne bis Ulm und
München.
„ 13: Skizze der dem General Savary aufgetragenen Rekognoszierung.
14: Gruppierung der französischen Armee am Rhein nach der ersten
Disposition und nach der Änderung vom 30. Augu.st.
„ 15: Dispositionsentwurf vom 15. September.
„ 16: Marsehdisposition vom 17. September.
„ 17: Disposition, vom 20. September.
„ 18: Situation am 1. Oktober, abend.
„ 19 •• „ ., 5-
„ 20: „ „ «.
— VIII —
Beilage 21: Situation ain 7. Oktober abend.
22: Gefecht bei Wertingen.
23: Situation am 8. Oktober abend.
24: Gefecht bei Günzburg.
25 : Situation am 9. Oktober abend.
26: Gefecht bei Haslaeh.
27: Situation am 11. Oktober abend.
28: Gefecht bei Elehingen.
29: Situation am 14. Oktober abend.
30: „ „ 17.
31: Gefecht bei Neresheim.
32: Situation am 26. Oktober abend.
Vorwort.
Mehr als 100 Jahre sind verflossen, seit die alte österreichische
Armee in der „Katastrophe von Ulm" ihre schwerste Niederlage
und, sagen wir es nur offen und ehrlich, eine schmachvolle Nieder-
lage erlitten hat. Schmachvoll, weil ein großer Teil der Armee ohne
Kampf zu gründe gegangen ist.
Alle Hauptpersonen dieses Trauerspieles der Armee sind schon
längst vermodert ; kein einziger Name dieser Hauptpersonen lebt noch
fort, keine einzige hat Nachkommen hinterlassen, deren Pietät verletzt
werden könnte, wenn die Geschichte über ihre Vorfahren richtet.
Was würde aber auch die gröbste Verletzung der Pietät be-
deuten gegenüber der Pflicht gegen die Armee und gegen den Staat?
Gewiß wäre es leichter, angenehmer und dankbarer, einen der
vielen glücklichen und glorreichen Kriege der Armee zu schildern.
Aber gerade der Pflicht gegen die Armee entsprang der Gedanke, die
Geschichte ihres unglücklichsten Feldzuges zu veröffentlichen, denn
— man lernt am besten aus den eigenen Fehlern! Daher sind
rückhaltlose Offenheit und Ehrlichkeit gerade dort am Platze, wo es
gilt, unglückliche Feldzüge oder Ereignisse zu Nutz und Frommen
der Nachwelt zu schildern.
Aber die Armee! — könnte man einwerfen — wird das An-
sehen der Armee dadurch nicht herabgesetzt?
Nein! Die Völker Österreich-Ungarns haben in Hunderten von
Schlachten und Gefechten bewiesen, daß ihre Söhne es verstehen,
Krause. 1805, Der Feldzug von Ulm. D
— X —
für Herrscher und Vaterland zu siegen und zu sterben. Nur ein
Reicher kann einen schweren Verlust offen und ohne Sehaden ein-
gestehen — und die alte österreichische Armee war reich an Siegen
und an Ehren!
Vier Jahre nach der Schmach von Ulm hat dieselbe Armee
ihrem gigantischen Bezwinger auf den blutgetränkten Feldern von
Aspern, Eßling und Wagram Bewunderung abgerungen und der
Welt bewiesen, daß sie bei Ulm ohne ihre Schuld so ruhmlos unter-
legen ist. Daß diese alte österreichische Armee die Franzosen nicht
dauernd überwinden konnte, lag nicht an ihr, sondern nur daran,
daß sie — und vor allem ihr Staat — keinen Führer hatte, der
an Napoleon, den größten lü-iegsmeister und Staatsmann, heran-
reichte. Es bedurfte erst des Aufbäumens ganz Europas, um diesen
Biesen durch die große Übermacht niederzuringerf.'Aber die alte
österreichische Armee ist die einzige, die sich rühmen kann, den
Kriegsgott Napoleon, im Zenith seines Euhmes, allein, ohne fremde
Hilfe auf dem Schlachtfelde bezwungen und ihm den Euf der Un-
besiegbarkeit genommen zu haben.
/ Wenn eine Armee unterlegen ist, finden sich immer Kreaturen,
die die unglückliche, nutzlos verblutete Armee schmähen und be-
sudeln und ihr allein die Schuld an der Niederlage zumessen; und
doch ist die Armee immer nur ein Teil des Staates, so daß man
ruhig sagen kann: Wie der Staat, so die Armee.
Alle Völker haben immer mit Blut gebüßt, wenn sie von un-
fähigen Ministern regiert und von einer schlechten und unfähigen
Bureaukratie verwaltet wurden. Die Geschichte von Ulm zeigt dies
klar und deutlich.
Sumpfpflanzen gedeihen nur im Sumpfe zur vollen Üppigkeit.
An der Niederlage einer Armee sind daher hauptsächlich die
schuld, die sie dahin geführt haben : die Eegierungen und ihre Ver-
waltung und in parlamentarisch regierten Ländern nicht zuletzt kurz-
sichtige Volksvertreter; die Armee — und, weil heute die Armee
ein Volksheer ist, auch das Volk — ist dann nur das Opfer, das
— XI —
mit seinem Blute die Fehler und Sünden wieder gutmaehen oder
verdecken soll ; denn unterliegt die Armee dank den staatlichen Ver-
hältnissen, dann ist der Jammer so groß, daß niemand nach der
tiefsten Ursache forscht, sondern jeder ohneweiters zustimmt, wenn
man das unglückliche Opfer — ^ die Armee — auch noch in den
Schmutz zieht und beschimpft. ^ » -^
Dieses Buch ist ehrlicher Begeisterung für die Armee und den
Staat entsprungen; möge die Geschichte dieses unglücklichen Feld-
zuges zum Nutzen beider gelesen werden, nicht nur in der Armee,
sondern auch an allen anderen Stellen, die für eine Niederlage der
Armee haften.
Die Geschichte des Feldzuges von Ulm konnte geschrieben
werden dank der Veröffentlichung zahlreicher Befehle und Briefe
Napoleons und seiner Marschälle und Generale in „La Campagne de
1805 en Alleraagne" von Alombert et Colin und dank der dem Ver-
fasser zugestandenen Benützung der Akten des k. u. k. Kriegsarchives,
die, wenn sie auch nicht lückenlos sind, doch einen genügenden
Einblick in die Ereignisse und deren Veranlassung bieten.
Die eingestreuten Ansichten des Verfassers vertreten keine Lehr-
meinung und sollen auch nicht als Kritik der Personen aufgefaßt
werden: sie sollen nichts sein als die zum Nachdenken und zum
eigenen Urteil anregenden Ansichten eines einzelnen, der sich dem
Studium dieses Feldzuges mit ganzem Eifer gewidmet hat. Wo
trotzdem Personen in die Beurteilung einbezogen sind, möge man be-
denken, daß alle Handlungen den Charakter der handelnden Personen
tragen, daß also Sache und Person leider nie zu trennen sind.
Wien, im September 1911.
I. Vorgeschichte.
Der Friede von Luneville (9. Februar 1801) hatte dem lang-
jährigen Kampfe Österreichs gegen das revolutionäre Frankreich ein
Ende gemacht. Österreich war aus diesem Kampfe gänzlich er-
schöpft, aber doch ohne besondere Gebietsverluste hervorgegangen;
es hatte zwar die Niederlande verloren, dafür aber die Gebiete der
Venetianischen Republik, also Oberitalien bis an die Etsch, Istrien,
Dalmatien und Cattaro erhalten.
Unermeßlich war aber der Verlust Österreichs an moralischem
Ansehen in Deutschland und in Europa überhaupt. Der Glaube an
die Kampffähigkeit und Schlagfertigkeit Österreichs war ver-
schwunden; und da die verblendete österreichische Politik das In-
teresse Deutschlands immer der unheilvollen italienischen Idee des
römischen Kaiserreichs opferte und durch kleinliche Intrigen den
Mangel an positiver Macht ersetzen wollte, hatte Österreich weder
in Deutschland noch im übrigen Europa einen aufrichtigen Freund.
Dagegen war Frankreich, dank dem Auftreten Bonapartes aus
den langjährigen Kämpfen außerordentlich gestärkt hervorgegangen.
Gegen Deutschland hatte es die Ehein-Grenze erkämpft. Die
neu entstandenen Bepubliken — die Cisalpinische, Ligurische, ßatavi-
sche und Helvetische Republik — erhielten zwar ihre Unabhängig-
keit von Frankreich garantiert, waren aber tatsächlich doch nur
Vasallenstaaten Frankreichs, über deren Machtmittel Bonaparte frei
verfügte. Alle deutschen Fürsten, die durch Abtretung des linken
Rhein-Ufers geschädigt worden waren, und die österreichischen
Nebenlinien Toskana und Modena sollten durch eine Neugestaltung
in Deutschland entschädigt werden, und zwar Toskana durch das Erz-
bistum Salzburg.
Im Laufe des Jahres 1801 schlössen noch Rußland, Neapel,
Portugal und die Türkei mit Frankreich Frieden. Da der am
Krau SS. 1805, Der Feldzug von Ulm. 1
— 2 —
1. Oktober 1801 geschlossene Präliminarfriede auch die Feindselig-
keiten zwischen Frankreich und England beendete, so erfreute sicii
Europa Ende 1801 eines allgemeinen Friedens.
Bonaparte benützte die ßuhe zur Befestigung des Besitzes der
neuen Erwerbungen. Die Batavische Republik wurde durch eine
Verfassungsänderung fester mit Frankreich verknüpft und die Cis-
alpiuische unter Änderung des Namens in „Italienische Eepublik"
und Übernahme der Präsidentschaft durch Bonaparte (Januar 1802)
eigenthch zu einer französischen Provinz gemacht; das gleiche ge-
schah mit der Ligurischen Republik und auch im Scheinkönig-
reich Etrurien schalteten die Franzosen wie in einer französischen
Provinz.
Die ganz allgemein gehaltene Bestimmung des Luneviller
Friedens, daß alle durch Abtretung des hnken Rhein -Ufers an
Frankreich benachteiligten Fürsten in Deutschland zu entschädigen
seien, tat bald ihre Wirkung: jeder wollte für sich möglichst viel
heraussehlagen. Da die beiden deutschen Vormächte, Österreich und
Preußen, sich über die Art der Entschädigung durchaus nicht
einigen konnten, suchte jeder deutsche Fürst Unterstützung im Aus-
lände^). Obwohl Bonaparte erklärte, sich nicht in die inneren Verhält-
nisse Deutschlands einmengen und keine Erwerbungen amrechten Rhein-
Ufer machen zu wollen, warben doch alle deutschen Kurfürsten um
seine Unterstützung. Bonaparte benützte diese Haltung der deutschen
Fürsten, sich den jungen Kaiser Alexander von Rußland günstig
zu stimmen, um dessen Gunst Österreich, Preußen und Frank-
reich gleich lebhaft warben. Er verstand es meisterhaft, diesem
Monarchen durch die geheime Konvention vom 11. Oktober 1801
die Scheinrolle des Schiedsrichters Europas zuzuschieben und dabei
doch seinen politischen Zweck voll zu erreichen: Verfeindung
der beiden deutschen Großmächte und Stärkung der
kleinen deutschen Fürsten^). Bonapartes politischer Scharf-
^) Österreichs Haltung in der Entsehädigungsfrage war höchst unklug und
inkonsequent. Es verzichtete wohl auf eine eigene Entschädigung, wollte aber
auch Preußen keine oder doch nur eine geringe zugestehen; es wollte die geist-
lichen Kurfürsten erhalten, hatte aber doch zur Entschädigung Toskanas schon
im Friedensvertrage der Säkularisation Salzburgs zugestimmt.
^) In dieser Konvention kam man überein, das Entsehädigungsgesehäft
der deutsehen Fürsten und die italienischen Angelegenheiten gemeinsam zu
ordnen (Fournier, „Gentz und Cobenzl", S. 30).
blick hatte es schon damals erkannt, daß der einzige ihm gefähr-
Hche Gegner ein einiges Deutschland wäre^). So begann schon
im Jahre 1801 das erbärmliche Schauspiel, daß bei der Regelung
der inneren Verhältnisse Deutschlands alle deutschen Fürsten in
offenem Gegensatze zu ihrem Oberhaupte, dem römisch-deutschen
Kaiser, standen, daß jeder auf eigene Faust um Unterstützung in
Petersburg und Paris buhlte und dabei den anderen den Rang ab-
zugewinnen suchte. Österreich selbst ließ sich in ähnliche Unter-
handlungen ein; nur die schwankende Haltung seiner Politik ver-
hinderte den Abschluß eines Übereinkommens.
Trotz der mannigfachen Übergriffe, die sich Bonaparte seit
Abschluß des Präliminarfriedens erlaubte, hatte England am
27. März 1802 zu Amiens definitiv Frieden geschlossen, nach dem
England alle seine überseeischen Eroberungen mit Ausnahme von
Ceylon und Trinidad an Frankreich, Holland und Spanien, Malta
aber an den Johanniterorden zurückgeben sollte.
In der deutschen Entschädigungsfrage hatte Rußland Ende
1801 einen Plan in Wien überreichen lassen, der Preußen nach
österreichischer Auffassung zwei Drittel mehr bewilligte, als seine
Verluste betrugen. Der österreichische Protest, der höhnisch ab-
gewiesen ward, hatte nur zur Folge, daß Österreich von den
weiteren Verhandlungen ganz ausgeschlossen wurde.
Am 20. Mai 1802 wurde von Frankreich ein Separatvertrag
mit Württemberg geschlossen.
Am 23. Mai 1802 verhieß Bonaparte in einer geheimen Über-
einkunft Preußen reiche Entschädigung und am 24. Mai schloß er
eine Konvention mit Bayern, in der diesem nebst anderen reichen
Entschädigungen auch ein Teil des Bistums und die Stadt Passau
zugeschlagen wurden, also Gebiete, die bisher als Entschädigung
für den Österreich nahestehenden Großherzog von Toskana bestimmt
waren; bald nachher folgten Geheimverträge Bonapartes mit Baden
und Hessen-Darmstadt.
Am 3. Juni 1802 einigten sich Frankreich und Rußland auf
einen Österreich nachteiligen und es tief verletzenden Entschädigungs-
plan. Das Schmachvolle und Entwürdigende für Österreich bestand
^) ßonaparte hatte aus Italien an das DirektoriiiiTi gesehrieben: „Wenn
der deutsche Keiehskörper nicht existierte, müßte man ihn eigens zu Frankreichs
^lutzen schaffen".
1*
_ 4 —
darin, daß es als deutsehe Großmacht und als Inhaber der deutschen
Kaiserkrone von diesen Abmachungen, die deutsche Fürsten mit
fremden Mächten eingegangen waren, erst aus dem „Moniteur", der
offiziellen Pariser Zeitung, Kenntnis erhielt.
Der Minister des Äußeren, Graf Ludwig Cobenzl, fühlte
denn auch diesen brutalen Peitschenhieb, schob aber, wie es zu-
meist geschieht, die Verantwortung für den Mißerfolg seiner kläg-
lichen Politik auf die Militärverwaltung, die, gezwungen durch die
politische Verwaltung, aus Ersparungsrücksichten die Armee nicht
in schlagfertiger Verfassung erhielt, somit der Politik keinen Bück-
halt bieten konnte^).
Am 29. November 1802 sehrieb Cobenzl an den Minister
Grafen Colloredo:
„Von Türken und Russen haben wir nichts zu befürchten: unser
größter, ja fast unser einziger Feind ist Frankreich. Auch Preußen
steht nur in zweiter Reihe. Und gerade die Seite, wo Frankreich
uns die kräftigsten und fühlbarsten Sehläge beibringen könnte, ist
die, wo wir die wenigsten Truppen zur Abwehr haben. Dreimal-
^) Zur Charakteristik Cobenzls. Cobenzl verfügte über eine große
diplomatische Routine, war aber nur fähig, in den ausgetretenen Bahnen des alt-
hergebrachten Systems zu wandeln. Er paßte sehr gut in das alte Regime, wo
geistreiehelnde Höflinge mit ihrer vollendeten Liebenswürdigkeit den Scliauplatz
beherrschten und den diplomatischen Staatsdienst als angenehme Nebenbeschäfti-
gung ansahen. Aber seine Kraft versagte, als er den Staat in einer so gefähr-
lichen Zeit selbständig leiten sollte; er besaß nicht die Fähigkeit, dem staats-
männisehen Genie eines Napoleon, der auch ein vollendeter Meister der diplomati-
schen Künste war, standzuhalten. So wenig Cobenzl dem französischen Macht-
haber imponieren konnte, so wenig gelang es ihm, sieh am Wiener Hofe Ansehen
und Vertrauen zu erwerben. Seine altfranzösisehe Höflingsnatur entfremdete ihn
dem Kaiser. Seine welschen Manieren, seine allzu brillante Konversation, seine
Genußsucht und etwas allzu leichtfertige Gesinnung mißfielen dem nüchtern
denkenden Kaiser. „Graf Cobenzl", schreibt Erzherzog Karl, „verband Leichtsinn
und Oberflächlichkeit mit Witz." Graf Cobenzl sprach schlecht deutseh, was ihm
der Kaiser, der mit Vorliebe nur diese Sprache gebrauchte, sehr verübelte.
Er war faul und leichtlebig; er hatte am Wiener Hofe nur eine Stütze,
den Grafen Colloredo; aber auch dieser verübelte es ihm, daß er zu sehr nach
dem Seheine der Macht geizte und sich zu stark vordrängte, im Gegensatze zu
Thugut, der sich und seine Tätigkeit nie besonders in den Vordergrund ge-
schoben hatte. Der Franzose Lacuee drückte dies in einem Briefe vom 27. Juli
1802 folgend aus: „L'un (Thugut) veut faire sans paraitre, l'autre (Cobenzl)
eherche plus a paraitre qu'ä faire". (Wertheimer, „Geschichte Österreichs und
Ungarns im ersten Jahrzehnte des XIX. Jahrhunderts", S. 147.)
— o —
hunderttausend Mann bezahlen, dafür alle Geldmittel erschöpfen und
trotzdem vor einem Handstreich zittern zu müssen, ist so empörend,
daß man den Gedanken kaum zu fassen vermag. Ich würde wagen
zu beweisen, daß Bonaparte uns gewiß mit mehr Eücksicht be-
handelt haben würde, hätte er uns in einem Zustand achtbarer
Verteidigung und unsere Kräfte in der Lage gewußt, sich den
seinigen gegenüberzustellen^)."
So sprechen alle schlechten Vertreter der äußeren Politik,
wenn sie in Nöten kommen, nachdem sie es versäumt haben, das
ganze Gewicht ihrer Stellung einzusetzen, solange es noch Zeit war,
die Armee vorzubereiten.
Es ist aber bezeichnend für den Charakter oder für die Un-
wissenheit dieses Lenkers der Schicksale des Staates, daß er von
300.000 Mann sprach, wo die gesamte unter den Waifen stehende
Macht Österreichs, eben der Ersparnisse wegen, nur wenig mehr als
die Hälfte dessen betrug.
„Nur der Drang der Umstände," sagte Erzherzog Karl, „die
wiederholten Befehle, die Vorstellungen der Finanzen, daß sie un-
möglich eine größere Geldsumme aufbringen könnten, als zur Er-
haltung einer solchen Truppenzahl erforderlieh wäre, machten eine
so beträchtliche Herabsetzung des Standes der Armee notwendig,
eine Herabsetzung, die von den übelsten Folgen sein mußte ^)."
Jetzt, da es zu spät war, wollte Cobenzl alle früheren Be-
denken fallen lassen, er wollte sich mit der Entschädigung
Preußens, Bayerns und Württembergs einverstanden erklären, die
geistlichen Fürsten ihrem Schicksal überlassen, die Reichsverfassung
preisgeben, aber nur retten, was noch zu retten war. Der Minister
des deutschen Kaisers erbat sich die Unterstützung Rußlands für
die neuen Projekte, mußte aber die Schmach erleben, daß sie zu-
rückgewiesen wurden, denn „Rußland sehe die mit Frankreich ge-
schlossene Übereinkunft nicht als einen bloßen Vorschlag an,
sondern müsse darauf bestehen, daß sie innerhalb einer bestimmten
Frist zur Durchführung gelange".
In der Verzweiflung wollte man sich auf den deutschen
Reichstag stützen. Der Kaiser stellte die gesetzmäßige Behandlung
des Entschädigungsgeschäftes beim Reichstage in Aussicht und
warnte vor eigennützigen Gewalttaten, die auch die Mächtigsten zu
^) Fournier, „Gentz und Cobenzl", S. 36.
') Angeli, „Erzherzog Karl", III. Bd., S. 7.
— 6 —
gleichen Schritten zwingen könnten. Preußen kehrte sich nicht an
diese Mahnung und )3esetzte am 3. August Münster und Hildesheira.
Als Antwort ward Passau von österreichischen Truppen okkupiert, trotz
des Abratens des Erzherzogs Karl, der klar erkannte, daß dieser
Entschluß zu neuen Demütigungen führen mußte.
Am 24. August 1802 wurde der französisch-russische Ent-
schädigungsplan beim Reichstage in Regensburg überreicht, mit der
Forderung, ihn binnen zwei Monaten durchzuführen.
Alle Anstrengungen Österreichs, die Annahme dieses Ent-
schädigungsplanes zu verhindern, waren vergebens.
Im November 1802 übergab der französische Gesandte in Wien
das Ultimatum Bonapartes, wonach der Großherzog von Toskana
Salzburg, einen Teil von Passau und Eichstädt, Österreich die Bis-
tümer Trient und Brixen erhalten sollten ; dagegen sollte Österreich
den Breisgau dem Herzog von Modena abtreten, die Stadt Passau
räumen und allen seit dem Luneviller Frieden in Italien getroffenen
Änderungen zustimmen.
Österreich mußte sich beugen, weil es alle Welt gegen sich
sah und Kaiser Alexander sogar zu verstehen gab, daß er im Falle
eines Krieges an der Seite Frankreichs gegen Österreich stehen
werde; es mußte am 26. Dezember 1802 eine Konvention ab-
schließen, die dem Entschädigungsplane Frankreichs und Rußlands
Geltung verschaffte und damit der deutschen Kaiserwürde den Todes-
stoß gab.
Auch der Friede von Amiens hatte zu viele der Streitfragen
zwischen Frankreich und England offen gelassen, als daß er hätte
von Dauer sein können. Schon der Machtzuwachs, den Frankreich
während der Friedensverhandlungen erfuhr, hatte bei England keine
Anerkennung gefunden ; es wollte diesen Bestand nur stillschweigend
dulden. Die Bevölkerung Englands, die sich vom Friedensschlüsse
ein Aufblühen des Handels erhofft hatte, war schwer enttäuscht,
als Bonaparte die englische Einfuhr in Frankreich, Holland und
Italien erschwerte. England weigerte sich überdies, Malta zu räumen.
Dies gab Bonaparte den Vorwand, Piemont und Elba Frankreich in
aller Form einzuverleiben. Ein am Anfange des Jahres 1803 ver-
öffentlichter Bericht des Obersten Sebastian! an Bonaparte über die
Verhältnisse in Ägypten strotzte vor Beleidigungen Englands und
kam zum Schlüsse, daß Ägypten ein zweites Mal erobert werden
müsse 1).
Rasch trieben nun die Ereignisse dem Kriege zu. Die angeb-
hchen Rüstungen in den französischen und holländischen Häfen ver-
anlaßten die englische Regierung am 8. März 1803, vom Parlament
die Mittel für die Verteidigung Englands gegen die drohende Laudung
zu fordern. Als ein englisches Ultimatum nicht angenommen wurde,
verließ der englische Gesandte am 12. Mai 1803 Paris. Der Krieg
war erklärt.
Bonaparte begann sofort die großartigsten Vorbereitungen zur
Landung in England, die anfangs für den Herbst 1803 geplant
war. Eine Armee von 150.000 Mann wurde in sechs Lagern an der
Küste Frankreichs und Hollands zusammengezogen. Viele hunderte
flachgehende Schiffe wurden gebaut, umfangreiche Hafen- und Be-
festigungsbauten begonnen und mit ganzer Macht betrieben. Holland
mußte seine Flotte in den Dienst Frankreichs stellen und auch Spanien
und Portugal wurden gezwungen. Bonaparte Heerfolge zu leisten.
Bonaparte hatte die Kriegserklärung Englands, dessen König
zugleich Kurfürst von Hannover war, mit dem Ende Mai erfolgten
Einbruch in Hannovfr beantwortet; im Verlauf einer Woche war
es dem General Mortier mit 12.000 Mann gelungen, sich in den
Besitz des ganzen Landes zu setzen und die hannoverische Armee
zu entwaffnen.
Als sich England an den Kaiser wandte, damit dieser als Ober-
haupt des deutschen Reiches interveniere, lehnte man in Wien unter
dem richtigen Hinweis ab, daß sich die deutschen Fürsten das Recht
angemaßt haben, selbständig Krieg zu führen, und daß die deutschen
Fürsten, Hannover eingeschlossen, den Kaiser im letzten Kriege im
Stiche gelassen hatten, obwohl es ein Krieg des Reiches war. Übrigens
sah man in Wien Hannover lieber in französischen Händen als in
preußischen.
Das „Deutsche Reich" hatte auch für diesen neuen Schimpf
kein Gefühl.
Französische Truppen rückten überdies in Neapel ein und be-
setzten alle Häfen.
0 Ägypten war nacli dem Abzüge der Franzosen von den Engländern be-
setzt geblieben, ßonaparte hatte nun, wahrseheinlicli um Anklagematerial gegen
England zu sammeln, seinen Adjutanten, den Obersten Sebastiani, mit dem Auf-
trage nach Ägypten gesandt, ihm über die Verhältnisse im Lande zu berichten.
— 8 —
England, das sich durch die gewaltigen Eüstungen Frankreichs
ernst bedroht sah und das klugerweise immer andere Mächte gegen
seine gefährlichsten Feinde aufhetzte, setzte alles daran, eine
Koalition der Kontinentalmächte gegen Frankreich zu stände zu
bringen. Seine Bemühungen fielen besonders in Rußland auf günstigen
Boden.
Noch zur Zeit, als Eiißland und Frankreich in der Ordnung
der deutschen Verhältnisse Hand in Hand gegangen waren, hatte
die besonders iu Italien zum Ausdrucke gekommene Willkür Bona-
partes den Mißmut Zar Alexanders erregt. Kaum daß Eußland ent-
scheidend zur scliraachvollen Beugung des deutschen Kaisers und
Österreichs beigetragen hatte, wandte es sich jetzt an diesen Staat,
um im Vereine mit ihm und Preußen Frankreichs Übermut ent-
gegenzutreten.
Schon im Jahre 1802, also zur Zeit, wo Bußland den deutschen
Kaiser und Österreich so tief demütigte, hatten die russischen Staats-
männer gegenüber dem österreichischen Vertreter die Ansicht aus-
gesprochen, daß nur eine Vereinigung Rußlands, Preußens und Öster-
reichs zum Heil Europas führen könne, und schon damals wurde
von den russischen Diplomaten ein Krieg gegen Frankreich ins
Auge gefaßt. Im Frühjahre 1803 äußerte sich Kaiser Alexander
gegenüber dem in Petersburg weilenden Erzherzog-Palatin Josef:
„In der Tat, die Franzosen werden sehr insolent und man wird
genötigt sein, auf Maßnahmen zu sinnen, um sie in Schranken zu
halten. Der Krieg sei allerdings von Übel, aber Eußland sei im
Stande ihn zu führen und er würde augenblicklich den Degen ziehen,
wenn ein glücklicher Erfolg mit einiger Wahrscheinlichkeit in Aus-
sicht stünde."
Bonaparte hatte inzwischen Alexander das Amt eines Schieds-
richters zwischen Frankreich und England angeboten. Alexander
lehnte aber ab; er wollte nur vermitteln. Sein im August 1803 in
Paris und London überreichter Vermittlungsvorschlag war für Na-
poleon unannehmbar und wurde abgelehnt. Der Bruch zwischen
Frankreich und Rußland war unvermeidlich.
Anfang Dezember 1803 äußerte der russische Kanzler Woron-
zoff zum österreichischen Gesandten : Der Krieg sei ein Übel, aber
schwer zu vermeiden. Eußland sei gerüstet und halte 180.000 Mann
bereit. Diese Versicherung verdiente auch Glauben, weil schon An-
fang Oktober eine Truppenaushebung angeordnet worden war.
— 9 -
In einer Denkschrift vom 2. Januar 1804 legte der russische
Kanzler dar, daß Napoleon immer neue Erwerbungen ins Auge fasse.
Die Landung in England stehe nicht im Vordergrunde seiner Unter-
nehmungen, weil sie zu große Schwierigkeiten biete und nicht Vor-
teile genug verspreche, um aus der gegenwärtigen Krise erfolgreich
hervorzugehen. Nur die Verbindung beider Kaiserhöfe, unterstützt
von einer imposanten Truppenmacht, könne dem Ehrgeiz Napoleons
Zügel anlegen. Eußland könne Österreich 90.000 Mann zur Ver-
fügung stellen und ein ebenso starkes Reservekorps bereithalten, um
Preußen in Schach zu halten.
Rußland und Österreich sollten es als einen Angriff, folglich
als Casus belli betrachten, wenn sich der erste Konsul künftig nach
irgend einer Richtung Übergriffe erlauben sollte. Weil angenommen
werden könne, daß dieser Fall im Norden oder im Süden eintreten
werde, so sollte man sich bereithalten, um derartigen Bestrebungen
entgegentreten zu können. Um aber nicht nutzlos rüsten zu müssen,
dürfe man sich nach Vollendung der Rüstungen nicht mit dem eben
ausgesprochenen Zwecke begnügen, sondern den Krieg erklären,
wenn Napoleon nicht alle Anordnungen zurücknehme, die als eine
Überschreitung des Luneviller Friedens angesehen werden müßten.
Das ging den österreichischen Diplomaten wieder zu weit.
Die unentschlossene österreichische Politik scheute den offenen ,
gefahrdrohenden Bruch mit Frankreich; sie wollte sich zwar der
Unterstützung und Freundschaft Rußlands versichern, sie wollte
wohl Frankreichs schrankenloser Expansion entgegentreten, aber
sieh doch nicht ganz in die Arme Rußlands werfen. Daneben wollte
sie von einem Bündnis mit Preußen nichts wissen,- im Gegenteile, sie
wollte Preußen soviel als möglich schädigen und — selbst reichen
Ländergewinn, und zwar nichts Geringeres als Bayern bis zum Inn,
wenn möglich aber bis zur Isar, in Italien alles Land bis au die
Adda und den Po erwerben. Diese sehr schlau scheinende, aber
doch nur schwankende österreichische Politik brachte es dahin, daß
ihr weder Bonaparte noch Rußland trauten. Bonaparte nahm die
Absicht Österreichs auf Bayern so ernst, daß er schon anfangs
1804 mit dem Kriege drohte. Österreich, dessen damalige Politik
nicht mit seinen militärischen Vorsorgen übereinstimmte, mußte den
Rückzug antreten ; es tat dies unter dem Vorwande, zwischen Ruß-
land und Frankreich ausgleichend wirken zu wollen, und machte
sich erbötig, wenn Bonaparte es wünsche, selbst die nach Sehwaben
— 10 —
verlegten zwei Regimenter znrückzuziehen. Ja, als Bonaparte einen
neuen Gewaltstreich gegen das deutsche Eeich führte, indem er
am 15. März 1804 den Prinzen von Enghien auf deutschem Boden
aufheben ließ, warf sich wohl Rußland zum Rächer der Ehre des
deutschen Reiches auf, aber die Minister des römisch-deutschen
Kaisers suchten dem gewalttätigen Konsul durch Anbietung einer
nichtssagenden Entschuldigungsformel einen bequemen Ausweg zu
schaffen. Bonaparte wies diese Hilfe Österreichs stolz zurück und
beantwortete im Vertrauen auf seine Kraft die Note Rußlands am
16. Mai 1804 mit den Worten : Rußland wolle allem Anscheine
nach den Krieg; warum erkläre es dies nicht offen und suche Um-
wege? Napoleon wünsche den Frieden; aber im Vertrauen auf Gott
und das Heer Prankreichs brauche er niemand zu fürchten.
Am 18. Mai 1804 nahm Bonaparte die ihm vom Senat an-
gebotene Würde des Kaisers der Franzosen an. Während Preußen
und mehrere andere Staaten die Kaiserwürde sofort anerkannten,
Rußland klar zeigte, daß es diese Würde nicht anerkenne, schwankte
Österreich wieder aus kleinhchen Gründen hin und her. In Wirk-
lichkeit fürchtete man, bei sofortiger Anerkennung das Mißfallen
Rußlands zu erregen, überdies fürchtete man, daß die Annahme
des Kaisertitels durch Napoleon dem Ansehen der römisch-deutschen
Kaiserwürde Abbruch tun könnte, weil Napoleon mit der Zeit doch
den Vorrang beanspruchen würde. Man fühlte noch nicht, wie nur
die Macht allein und nicht irgend ein beschriebenes Blatt Papier
einem Titel Ansehen geben könne, man fühlte noch immer nicht,
wie nichtssagend, wie leer der Titel eines römisch-deutschen Kaisers
schon geworden war. Erst nach langen Verhandlungen und erst
nachdem Napoleon den Vorrang der römisch-deutschen Kaiserwürde
zugestanden und tiberdies der Annahme des Titels eines „Kaisers
von Österreich" zugestimmt hatte, anerkannte Österreich die fran-
zösische Kaiserwürde (August 1804). Diese lange, vielleicht „diplo-
matisch" sehr fein und geschickt durchgeführte Zögerung zog aber
Österreich den Groll Napoleons zu, ohne Rußland zufriedenzu-
stellen : ja, der Unmut Rußlands ging so weit, daß es sich weigerte,
den Titel „Kaiser von Österreich" anzuerkennen. So brachte das
unentschlossene, zögernde, allzu kluge Verhalten der österreichi-
schen Politik dem Staate nur Schaden. Muß man sich schon
wundern, daß überhaupt eine solche unklare Politik als gut an-
gesehen werden konnte, so muß man dies umsomehr, wenn man
— 11 —
erfährt, daß der klarste und hellste Kopf Österreichs, der tüchtigste
Feldherr und Staatsmann, über den es verfügte, der noch dazu mit
dem ganzen Gewicht eines kaiserlichen Prinzen, eines Bruders des
Kaisers auftreten konnte, daß Erzherzog Karl diese Politik ent-
schieden und rücksichtslos verurteilte. Erzherzog Karl trat für so-
fortige, rückhaltlose Anerkennung Napoleons ein. Er allein sah klar,
daß für Österreich nur ein aufrichtiges Freundschaftsbündnis mit
Frankreich wünschenswert sei. „Mit keinem Staate", schrieb er am
23. April 1804, „könnte Österreich eine so natürliche, auf beider-
seitigen reellen Vorteil gegründete und darum dauerhafte Allianz
schließen als mit Frankreich." Er charakterisierte in klaren, treffenden
Zügen das Bestreben Englands, Rußlands und Preußens, Österreich
fortwährend durch Kriege zu beschäftigen. Er enthüllte die geheime
Politik Englands, das die Kontinentalmächte nur in den Krieg
treiben wollte, um die Gefahr einer Landung abzuwenden und
selbst während dieses Kontinentalkrieges sein Übergewicht zur See
zu stärken und zu erweitern : er zeigte die Ziele Rußlands, die
Türkei allein zu verschlingen, was natürlich nur möglich war, wenn
Österreich anderwärts gebunden oder geschwächt wurde. Er wies
darauf hin, daß Preußen und alle kleinen deutschen Staaten nur aus
der Feindschaft Österreichs gegen Frankreich Nutzen gezogen hatten
und immer noch ziehen würden^). So klar, so überzeugend diese
Ansichten des kaiserlichen Prinzen auch waren, sie waren in den
Wind gesprochen.
Am 3. März 1804 legte Erzherzog Karl dem Kaiser ein Gut-
achten vor — Beilage 1 — in dem er die Aussichtslosigkeit eines
Krieges Österreichs im Vereine mit Rußland gegen Frankreich darlegte
und nachwies, daß ein solcher Krieg für Österreich zwecklos sei.
So treffend dieses Gutachten des Erzherzogs Karl, insbesondere
über den Wert der Unterstützung durch die Alliierten auch war, es
blieb bei der politisch-militärischen Unfähigkeit der Minister fast
wirkungslos.
In einer ausführlichen Note vom 1. April 1804 beantwortete
man die russischen Anträge. Darin wurde behauptet, daß Napoleon
seine Pläne auf Norddeutschland aufgegeben habe und daß vorläufig
von ihm keine Gefahr drohe. Österreich sei zu einem Angriffskrieg
unfähig, weil es kaum 200.000 Mann habe, die überdies fast ganz
') Wertheiuier, „Geschichte Österreichs und ünirarns etc.". S. 197.
— 12 —
in Böhmen, Galizien uud Ungarn lägen, wähi-end Napoleon über
350.000—400.000 Mann verfüge. Napoleons Stellung in Franki-eich
könne durchaus nicht als gefestigt angesehen werden. Eine feste
Verbindung Rußlands und Österreichs würde ihn daher sieher von
weiteren Übergriffen abhalten, aber Eußland müsse auch 200.000
Mann beistellen.
Die lange Zögerung Österreichs hatte den Zaren verstimmt,
noch mehr die wiederholt abgegebenen diplomatischen Ausflüchte.
Die Österreich feindlichen Strömungen hatten daher leichtes Spiel.
Als Österreichs Antwort, auf deren Heschleunigung man in Peters-
burg so sehr gedrängt hatte, endlich am 22. April eintraf, konnte
sie der Gesandte lange nicht anbringen. Als dies endlich möglich
war, wurde sie von den russischen Diplomaten sehr ungnädig auf-
genommen. Diese fanden, daß Österreich nur ein Schattenbild einer
Allianz biete. Man verlange von Rußland, das nur für europäische
Interessen eintrete, ohne selbst bedroht zu sein, ebenso große An-
strengungen, wie Österreich sie biete. Rußland wolle 100.000 Mann
beistellen, mehr nicht.
Eußland, das durch seine Lage ziemlich sicher war, wollte
also einen Angriffskrieg gegen Napoleon führen, um dessen Macht
zu brechen (um sich an seiner Stelle zum Herrn Europas zu machen?),
ohne sich jedoch selbst dazu besonders anzustrengen. In Österreich
dagegen, das die Hauptlast des Krieges tragen sollte, scheute man
vor dem Bruche zurück ; man wollte keinen Krieg, man wollte
Napoleon nur durch das Bündnis mit Rußland einschüchtern und
nur gezwungen zum Sehwerte greifen. Rußland schien fest über-
zeugt, daß Napoleon einen Kontinentalkrieg führen wolle und die
Landung in England nur vorspiegle. In Wien war man gegen-
teihger Ansicht. Alle Nachrichten über Landungen der Franzosen
in Morea, Sizilien und Sardinien erklärte man als grundlose, von
Franzosen und Engländern ausgestreute Gerüchte ; von den Fran-
zosen ausgestreut, um England zum Frieden zu bewegen und deren
Flotte abzuziehen, von den Engländern, um die Kaiserhöfe zum
Kriege gegen Frankreich zu reizen und so eine Landung zu ver-
hindern.
Rußland wünschte also den sofortigen Bruch mit Napoleon,
wogegen man in Wien nur eine Defensivallianz schließen und jede
Provozierung Napoleons vermeiden wollte. Im Gegenteil, man hoffte
in Wien noch immer vermitteln zu können.
— 13 —
In Petersburg ging man jetzt aber uubeküminert um Öster-
reich seinen eigenen Weg. Am 21. Juli 1804 überreichte der
russische Geschäftsträger, ohne daß Österreich vorher verständigt
wurde, in Paris ein förmliches Ultimatum, das die Eäumuni:-
Neapels, die Entschädigimg Piemonts und den Eückzug der Fran-
zosen aus Hannover forderte; wenn die Antwort Frankreichs nicht
zusagend ausfalle, sollte der Geschäftsträger Paris verlassen. Napoleon
gab auf dieses Ultimatum keine Antwort, weshalb Rußland Ende
August 1804 den diplomatischen Verkehr mit Frankreich abbrach.
So groß die Bereitwilligkeit Österreichs war, das Abkommen
mit Rußland auf defensiver Grundlage abzuschließen, so gab es
auch noch im Oktober 1804 zahlreiche Differenzen. In Petersburg
herrschte entschiedenes Mißtrauen gegen Österreich und Österreich
wollte von der Forderung, daß Rußland wenigstens 150.000 Mann
beizustellen habe, nicht abgehen; auch berührte es in Österreich
sehr unangenehm, daß Rußland sich noch immer weigerte, die neue
kaiserliche Würde Österreichs anzuerkennen^).
^) Beer, „Österreich und Rußland in den Jahren 1804 und 1805" (Archiv
für österreichische Geschichte, 53. Bd.).
Wie man in Wien bei Bestimmung der Stärke der russischen Armee vor-
gegangen ist, zeigt eine vom 26. März 1804 stammende Denkschrift: „Be-
stimmung der Stärke eines russischen Auxiliarkorps''.
Diese Denkschrift, die keine Unterschrift trägt, wurde — nach Inhalt und
Stil zu urteilen — von Mack verfaßt. Sie lautet (Auszug):
Französische Kriegsmacht:
394.815 Mann Infanterie, 64.536 Pferde
vompletter Kriegsstand.
Österreichische Kriegsmacht mit Ein.schluß
der Grenzer 258.312 Mann Infanterie, 53.411 Pferde
Angenommen: Frankreich läßt 70.000 Mann Garnisonen zurück, erhält
aber von Italien und von der Schweiz 60.000 Mann Hilfstruppen (gering ge-
rechnet); Österreich läßt 30.000 Mann Garnisonen zurück.
Da die österreichische Kavallerie entschieden besser ist als die französische,
kann man die Überzahl durch die Güte als wettgemacht annehmen, also die
Kavallerie unberücksichtigt lassen.
Daher hat Frankreich 385.000,
Österreich nur 229.000 Mann Infanterie verfügbar.
Unterschied daher 156.000 Mann Infanterie Überschuß für Frankreich.
Festungen erhöhen die Defensivkraft, erschweren den Angriff, fordern
daher eine Überlegenheit beim Angreifer.
Nun haben wir gar keine Festungen gegen Frankreich, dieses aber hat
an seinen Grenzen viele. Daher müssen wir, um angreifen zu können, eben-
— 14 —
In Wien war man nach der Annahme des Kaisertitels durch
Napoleon um das Schicksal Italiens äußerst besorgt. Es war un-
wahrscheinlich, daß die Italienische Republik, deren Staatsform sich
von einer Monarchie tatsächlich nicht viel unterschied, von der
Umwandlun.ii- Frankreichs in eine Monarchie unberührt bleiben
werde. Man besorgte mit Recht, daß die Umwandlung Italiens in
ein Königreich den Wunsch zur Ausdehnung dieses Königi'eiches
über alle italienischen Länder zur natürlichen Folge hal:)en müßte.
Alle Anfragen, die man in Paris über das Geschick der Italieni-
schen Republik stellte, blieben unbeantwortet.
Diese Besorgnis trieb Österreich trotz aller Bedenken immer
mehr und mehr Rußland zu, und die Gefahr, auch die mögliche
Unterstützung Rußlands zu verlieren, veranlaßte endlich Österreich
zum Abschluß einer Defensivkonvention mit Rußland; am 6. No-
vember 1804 wurde der Vertrag über ein Schutz- und Trutzbündnis
gegen Napoleon geschlossen. Man sicherte sich gegenseitig Beistand
zu, wenn Napoleon einen Angriff wagen sollte. Bei dem geringsten
weiteren Übergriff Napoleons sollte eine Macht von 350.000 Mann
unter die Waffen treten, wozu Österreich 235.000 Mann, Rußland
115.000 Mann beistellen sollte. Ein Angriff Frankreichs auf Neapel
sollte als Casus foederis betrachtet werden; Rußland nahm die Ver-
pflichtung auf sich, im Kriegsfalle englische Subsidien für Österreich
zu erwirken. Im Falle des Sieges sollte Österreich Salzburg und
Bayern bis zum Inn, die Adda- und Po-Grenze und die Wiederein-
soviel überlegen sein als uns Franki-eieh jetzt überlegen ist, d. h. wir müßten
um 312.00 Mann Infanterie mehr haben als jetzt.
Da so viel nicht zu erhalten ist, „so will ich annehmen, daß Einsicht
und Erfahrung unserer PeldheiTen sowie die Bravour und Beharrlichkeit unserer
Truppen in der Art den französischen überlegen seien, daß wir hoffen dürfen,
mit geringerer Zahl glücklieh zu sehlagen.
„Hienaeh lasse ich nicht nur die 156.000 Mann Infanterie weg, um die
wir billig stärker sein sollten als Pranki-eich, sondern ich will auch noch von
den 156.000 Mann, um die es dermalen wirklieh an Infanterie stärker ist als
wir, 56.000 absehlagen und annehmen, daß wir es ungeachtet der Vorteile, die
Frankreich das Terrain und die Festungen gewähren, mit einer um 56.000 Mann
an Infanterie schwächeren Armee mit ihm aufnehmen wollen; so müßte dem-
nach der Stand unserer Infanterie um 100.000 Mann vermehrt werden."
Mit Eücksicht auf die eigene starke Kavallerie müßte daher die russische
Hilfsarmee 100.000 Mann Infanterie und 8000 Eeiter stark sein.
(Kriegsarchiv, Mem., 1804, III, 28.)
— 15 —
Setzung des Großherzogs von Toskana erhalten. Beide Teile ver-
pflichteten sich, nicht einseitig Frieden zu schließen.
Mit Abschluß dieses Vertrages war Österreich ganz an Ruß-
land ausgeliefert; das zeigte sich schon darin, daß die österreichi-
schen Diplomaten, die bisher alles getan hatten, den Ausbruch
eines Krieges zu vermeiden — hatten sie doch gerade deshalb so-
lange gezögert, auf die russischen Anträge einzugehen — von nun
ab den Staat mit verblendeter Leidenschaft dem Kriege zutrieben.
Die in Wien herrschende Kriegsstimmung und Unsicherheit
hatte unter dem Yorwand eines Sanitätskordons gegen das gelbe
Fieber Truppenverschiebungen nach Italien, Innerösterreich und Tirol
veranlaßt.
Kaiser Napoleon, der übei: alle Vorgänge in Österreich immer
auf das beste unterrichtet war, sandte auf die Nachrichten von
Truppenansammlungen Österreichs in den westlichen Provinzen im
März, Juli und Dezember 1804 Offiziere nach Tirol, Kärnten, Salz-
burg, Österreich und Bayern mit dem Auftrage, die Verteilung der
österreichischen Truppen zu erheben, bevorstehende Truppenmärsche,
Rekrutierungen, Pferdekäufe zu erfragen und Karten zu kaufen. Am
2. Oktober 1804 gab Napoleon an Berthier den Befehl. Bauholz in
Mainz aufzustapeln; an dem Tage, an dem der Bruch mit Öster-
reich sicher zu erkennen sein werde, sollten 8000 Mann Kastei
gegenüber von Mainz besetzen und 8000 Mann Kehl in Besitz
nehmen, um den Brückenkopf wiederherzustellen. ISJ^poleon schloß
das Schreiben: „Glauben Sie nicht, daß die Voraussetzung dieses
Briefes eintreten muß; aber im Augenblick einer Kriegserklärung
gibt es so viele Dinge zu tun, daß es weise ist, mit den Vorarbeiten
einige Jahre früher anzufangen."
Beim Neujahrsempfange 1805 herrschte Napoleon den öster-
reichischen Botschafter an: „Der Kaiser läßt 40.000 Mann mar-
schieren und verkündet dies durch die Zeitungen; mit Drohungen
richtet man bei mir nichts aus, ich werde 80.000 Mann marschieren
lassen; wenn der Kaiser rüstet, werde ich auch rüsten, wenn er
Truppen in Kriegsbereitschaft hält, werde ich desgleichen tun, mag
daraus werden was da will." Am selben Tage (1. Januar 1805)
teilte Napoleon dem Kaiser Franz brieflich mit, daß er beabsichtige,
seinem Bruder Josef die Krone Italiens zu übertragen. Er bitte
aber den Kaiser zu bedenken, „daß die Bildung der Armeen in
Kärnten und in Tirol ihn zwingen würde, Armeen in Italien und
— 16 —
am Ehein zu sammelu. Diese kostspieligen Maßnahmen", sehließt
Napoleon, „wären vollkommen unnötig, wenn Eure Majestät meinen
Wunsch teilten, den Frieden des Festlandes zu erhalten und sich
vor den Treibereien der Engländer zu hüten, die allein den Willen
haben, ihn zu stören."
Berthier erhielt trotz dieser Friedensversicherungen, der Vor-
sicht halber Befehl, ohne alles Aufsehen Truppen nach Verona zu
senden.
Am 2. Januar wußte Tallejrand schon, daß man in Wien von
der Eückberufung Macks sprach ^).
Am 9. Januar sehrieb Talleyrand: „Die aus Venetien er-
haltenen Meldungen geben immer von großen militärischen Vor-
bereitungen Xachricht. Truppen komjnen im Friaul an. Man bereitet
dort entlang dem Tagliamento Unterkunft für 34.000 Mann; man
versichert, daß durch Tirol 30.000 — 35.000 Mann kommen, um an
der Etsch Stellung zu nehmen. Alle Truppen sollen große Artillerie-
trains mitführen."
Am 17. Januar 1805 hielt der Kaiser im Staatsrat bei Be-
sprechung des Finanzgesetzes eine gegen Österreich gerichtete Eede :
„Seit zwei Jahren hat Frankreich die größten Opfer gebracht. Ein
allgemeiner Krieg auf dem Kontinent würde keine größeren er-
heischen. Ich habe aber jetzt auch die stärkste Armee, eine vollen-
dete Militärorganisation und befinde mich jetzt schon in der Ver-
fassung, in die ich mich sonst im Kriegsfalle erst zu versetzen
hätte. Um nun in Friedenszeiten so viele Kräfte ansammeln zu
können — 20.000 Artilleriepferde und vollständige Trains — be-
durfte es eines Vorwandes, der gestattete, all dies herbei zuschaifen
und zu sammeln, ohne daß die übrigen Kontinentalmächte Verdacht
schöpften. Diesen Vorwand nun lieferte das Projekt der Landung
in England. Vor zwei Jahren konnte ich noch nicht so zu Ihnen
sprechen, aber es war doch immer mein einziger Zweck. Ich weiß
wohl, daß es 30 Millionen beim Fenster hinauswerfen heißt, wenn
man so viel Bespannungen in Friedenszeiten unterhält. Aber dafür
habe ich jetzt auch 20 Tage vor allen meinen Feinden voraus und
werde einen Monat früher im Felde stehen, bevor Österreich auch
nur seine Artillerie bespannt haben wird. Sehe ich, daß die Er-
^) FML. Maek war naeli seiner Fhieht aus der französischen Kriegs-
gefangenschaft beim Kaiser Franz in Ungnade gefallen und blieb ohne An-
stellung. Er lebte auf seinem kleinen Gut in Böhmen.
— 17 —
eignisse in Italien e.s in Bewegung bringen, so erkläre ich ihm
den Krieg, wenn es mit den Pterdeankäufen beginnt^)."
Diese Rede und andere Bemerkungen Napoleons, und zwar zu
Talleyrand im August 1804: „er sei nicht genug närrisch, um über
den Kanal zu setzen, wenn er nicht am Rhein ganz sicher wäre"
und im Jahre 1810 zu Metternich: „Niemals wäre ich töricht genug
gewesen, die Landung in England zu unternehmen, den Fall aus-
genommen, daß eine Revolution in England ausgebrochen wäre.
Die Armee von Boulogne war stets die Armee gegen Österreich.
Ich konnte sie, ohne Verdacht zu erregen, nirgend anderswo auf-
stellen, imd da ich sie doch irgendwo formieren mußte, so erfüllte
sie in Boulogne den doppelten Zweck ihrer Zusammenziehung und
in England Unruhe zu erregen", werden als Beweis angeführt, daß
Napoleon nie ernst an die Landung in England gedacht hat. Diese
Folgerung ist doch zu gewagt. Noch gewagter wäre es. sich auf
Äußerungen und Ansichten anderer Personen zu stützen. So soll
Josef Bonaparte anfangs 1^05 geäußert haben, daß schon beträcht-
liche französische Truppenmassen in Italien angehäuft waren und
daß sich Napoleon auf dem Kontinent schadlos halten wollte, um
von dem Vorhaben gegen England, dessen Ausführbarkeit ihm
zweifelhaft geworden war, abstehen zu können; ja, er würde es leb-
haft bedauern, wenn Wien ihm keinen Anlaß zum Bruche gäbe.
Abgesehen davon, daß Josef Bonaparte durchaus nicht der verläß-
lichste Übermittler und Beurteiler der Gedanken seines Bruders ist,
würde diese Angabe selbst dann nichts beweisen, wenn sie sich
nachweisbar auf gelegentliche Äußerungen Napoleons stützen könnte.
Die „Truppenanhäufungen" erklären sich ganz ungezwungen damit,
daß Napoleon im Januar 1805 auf den Kriegsausbruch in Italien
gefaßt war; hätte aber Napoleon tatsächlich einen Krieg mit Öster-
reich gewünscht, dann hätte er den Anlaß dazu sicher jederzeit
herbeiführen können.
Die im Jahre 1810 gemachte Bemerkung kann ebensogut
eine Beschönigung der mißglückten Absicht sein als eine Ein-
schläferung Englands für die damals sicher noch im Innersten
Napoleons schlummernde Absicht, England wenn möglich doch
noch auf seinem Boden anzugreifen.
Der Bemerkung vom August 1804 steht eine andere gleich-
wertig gegenüber: „Wenn die Landung in England geglückt ist,
0 Memoiren von Miot de Melito, II, S. 245.
Krauss. 1805, Der Feldzug von Ulm. o
— 18 —
genügen die Weiber von Straßburg. um Frankreich vor Angriffen
zu siciiern". Was seine Bede vor dem Staatsrate anlangt, darf man
das nicht so genau nehmen, oder eigentlich besser gesagt, muß man
sie eben genauer ansehen, bevor man ihr ganz traut. Es soll ja
auch heute vorkommen, daß bei Begründung großer Staatsausgaben
die Wahrheit verhüllt in der Ecke steht; auch heute w^ird an solchen
Orten mit Vorliebe zum Fenster hinausgesprochen; das dürfte Na-
poleon jedenfalls auch damals getan haben. Er wollte mit dieser
ßede wahrscheinlich sowohl die Engländer einschläfern und ihre
Angst vor der Laudung, die sie zu den größten Anstrengungen
veranlaßte, herabmindern, als auch gleichzeitig Österreich ein-
schüchtern und es abhalten, seine Pläne zu stören.
Die politische Situation war zur Zeit der Rede vom 17. Januar
äußerst kritisch. Alles war im Januar 1805 auf den Ausbruch des
Krieges gefaßt. Die Kriegsvorbereituugen waren Ende Januar 1805
so weit gediehen, daß dem Kriegsminister Italiens schon die Summen
bewilligt waren, um die Festungen der Lombardei zu armieren und
die Truppen auf Kriegsstand zu setzen. Aber nicht nur diese poli-
tische Situation veranlaßt zu der Auffassung, daß Napoleons ßede
nur politische Zwecke verfolgte, sondern auch die Tatsache, daß
die Angaben der Eede falsch und auf bestimmte Effekte
berechnet waren. Napoleon hatte nie „20.000 Artilleriepferde ge-
halten" und er hatte nie einen „vollständigen Train" kriegsbereit.
20.000 Artilleriepferde hätten genügt, um 200 sechsspännige Züge
für Zwölfpfünder und 4700 vierspännige Züge für die anderen Ge-
schützgattungen und für Munitions wagen beizustellen.
Damit stehen aber die 1805 tatsächlich bestandenen Verhält-
nisse in krassem Widerspruch. Die ganze Armee benötigte nur Be-
spannungen für 40 Zwölfpfünder, 260 andere Geschütze und für
etwa 1900 Artilleriewagen. Für die Artillerie waren daher etwa
9000 Pferde nötig, also kaum die Hälfte des angeblichen Pferde-
vorrates. Trotzdem erging aber am 31. August 1805 der Befehl,
3769 Pferde für die Train bataillone, die die Bespannungen der Ar-
tillerie beizustellen hatten, anzukaufen; am 2. September wurde
weiters die Aushebung von 2750 vierspännigen Landesfuhrwerken
für die Artillerieparks angeordnet. Trotz dieser Vorsorgen waren
aber doch noch beim Rhein-Übergang mehr als die Hälfte aller
Munitionsfahrzeuge der Korps mit requirierten Pferden bespannt
und das Korps Davout mußte sogar 15 Geschütze und 143 Munitions-
— 19 —
und Parkwagen wegen Mangel an Bespannungen in Mannheim
zurücklassen.
Mit den Angaben der Rede steht weiter im Gegensatze, daß
Napoleon bei Beginn des Krieges nicht nur keinen organisierten
Train besessen hat, sondern daß er alle Korps anwies. Landeswagen
als Trainfiihrwerke aufzutreiben, daß er selbst den Befehl gab,
1000 nerspännige Landeswagen für den Lebensmittelpark der Armee
beizustellen und daß mit Ausnahme der Garde kein Korps seine
ärarischen Truppen fuhrwerke mid Ambulanzen hatte, sondern diese
aus Laudesfuhren improvisieren mußte. Es ist mehr als unwahr-
scheinlich, daß Napoleon, den man immer, wenn auch nur infolge
oberflächlicher Betrachtung, als Beispiel und Beweis für die Train-
losigkeit der Armee anführt, durch zwei Jahre 20 000 Artillerie-
pferde und einen bespannten Train gehalten hätte, während mindestens
ein Drittel seiner Kavallerie unberitten blieb.
Bei Napoleon muß man vor allem nach seinen Taten und
Maßnahmen u^rteilen und nicht allein nach seinen Worten, die oft
nur seine Gedanken verschleiern sollten. Nun stehen mehrere Tat-
sachen fest, die einen untrüglichen Schluß zulassen. Ein großer
Teil der Kavallerie der Küstenarmee war zu Fuß formiert; er sollte
erst in England beritten gemacht werden. Die Küstenarmee war
relativ schwach mit Artillerie dotiert, die nicht voll bespannt war;
sie besaß fast gar keinen Train. Napoleon hatte Hunderte von
Millionen für die Verstärkung der Hochseeflotte, zur Herstellung
einer starken Flottille flachgehender Schiffe und zur Vertiefung und
für die Befestigung der Häfen der Lagerorte ausgegeben 0-
Der Befehl für die Formierung der Artillerie der Großen
Armee wurde erst Ende August erlassen, so daß diese Formierung
nur knapp vor dem Rhein-Übergang halbwegs fertig wurde. Napoleon
konnte für den Kontinentalkrieg weder Magazine noch einen ent-
sprechenden Train bereitstellen, obwohl er beide sehr gewünscht
hätte; aber es fehlten ihm das Geld und die Zeit, die er beide in
Boulogne vertrödelt haben soll.
Die Große Armee war tatsächlich — wie es Napoleon auch
später zugegeben hat — nur mangelhaft für einen Kontinental-
krieg ausgerüstet: die ungezählten Millionen, die Napoleon für die
^) In den Einsehiffungshäfen sollen 1339 Kriegsfahrzeuge aller Art mit
3000 Kanonen und 954 Transportschiffe bereitgestellt worden sein („österreichi-
sche militärische Zeitschrift", 1823, 2. Heft).
2»
— 20 —
Vorbereitung- der Landung opferte, hätten aber zur glänzendsten
Ausrüstung der Großen Armee vollauf genügt.
Das alles — die gigantischen Vorbereitungen der Landung
und die Vernachlässigung der Vorbereitung eines Kontinental-
ki'ieges — sollte Napoleon nur zum Zweck einer Demonstration
gemacht haben? Nein! Man ist von Napoleon zwar an Großes ge-
wöhnt, aber eine Demonstration so gigantischer Größe hat selbst
Napoleon nicht unternommen. Sie läge auch gar nicht in seinem
Charakter: Napoleon hat sehr wenig demonstriert, er hat immer
fest zugegriffen. Napoleon hatte zweifellos die feste Absieht,
in England zu landen.
Nach allen Äußerungen Napoleons, nach seinen Vorbereitungen
und nach seinem Verhalten kann man ruhig behaupten, daß er in
den Jahren 1804 und 1805 tatsächlich die Absicht gehabt hat, den
Krieg nach England hinüberzuspielen. Die gegen England ange-
sammelte starke Armee setzte ihn allerdings auch in die Lage, auf
dem Kontinente willkürlich zu handeln.
Von dem Verhalten der Kontinentalmächte und von dem Ge-
lingen der die Landung vorbereitenden Operationen der Flotte
mußte es abhängen, was Napoleon unternahm: die Landung oder
einen Kontinentalkrieg. Das konnte natürlich, wie bei allen ähn-
lichen Unternehmungen, nur der Augenblick entscheiden.
Wie ernst man übrigens damals Napoleon in England ge-
nommen hat, zeigt ein Brief, den Gentz am 26. September 1805
schrieb: „Ein vorgestern angekommener englischer Kurier hat Nach-
richten aus London bis 10. September gebracht. Man war in einem
allgemeinen Entzücken über den Aufbruch des Boulogner Lagers
und über die Perspektive eines nahen Kontinentalkrieges."
Die Äußerung Napoleons gegen Metternich, daß er die für
einen Kontinentalkrieg bestimmte Armee nirgend ohne Aufsehen
bereitstellen konnte als eben nur zum Scheine gegen England,
konnte von Napoleon nicht ernst gemeint sein.
Die französische Armee hatte einenFriedensstand von über 400.000
Mann; bei Boulogne waren höchstens 130.000 Mann konzentriert.
Wie das nebenstehende Kärtchen zeigt, fällt in einen mit dem
Eadius Straßburg-Boulogne um Straßburg beschriebenen Kreis der
größere Teil von Frankreich.
In diesem ganzen straßenreichen Teile Frankreichs hätte die
bei Boulogne konzentrierte Kraft, wenn sie tatsächlich gegen Öster-
— 21 —
reich bestimmt gewesen wäre, ohne jedes Aufsehen in beliebigen
Gruppen zur Schulung vereinigt und für den Krieg bereitgestellt
werden können; bei geschickter Gruppierung hätte ihre Versammlung
am Ehein viel leichter und rascher erfolgen können als durch den
Marsch der versammelten Armee von Boulogne nach Straßburg. Die
Anhäufung der Armee bei Boulogne spricht daher auch für den
Ernst des Planes der Landung in England. Napoleon wollte mit
seiner Äußerung — wenn sie richtig wiedergegeben worden ist —
nur den militärischen Laien Metternich irreführen.
Am 22. Januar schrieb Napoleon an General Pino: „Bis zu
dieser Stunde weiß ich nicht, ob Österreich Krieg führen will; aber
die militärische Lehre fordert, der Gewalt die Gewalt entgegen-
— 22 —
zustellen, und eine vernünftiae Politik fordert, sich von dem Augen-
blick an bereitzumachen, als man von einer flacht bedroht wird."
Die Ende Januar eingelaufene friedliche Antwort des Kaisers
Franz auf den Brief vom 1. Januar veranlaßte Napoleon, die Truppen-
sendungen nach Italien und die Kriegsvorbereitungen einzustellen.
Im Dezember 1804 hatte Erzherzog Karl vom Kaiser den Auf-
trag erhalten, einen Operationsplan gegen Frankreich unter Berück-
sichtigung der Mitwirkung der Russen auszuarbeiten.
Erzherzog Karl kam diesem Auftrage nur widerwillig nach.
Schon lange hatte er seinen ganzen Einfluß aufgeboten, um die
Monarchie vor dem verderblichen Kriege zu l)ewahren. In einer
Denkschrift vom 12. April 1804 — Beilage 2 — führte er dem Kaiser
die Lage der Monarchie in ungeschminkter Darstellung vor Augen.
Cobenzl setzte aber alle Hoffnung auf Rußland, auf die inneren Zer-
würfnisse Frankreichs — eine fixe Idee Oobenzls, Macks und ihres
Anhanges — und auf die unheilbare Eifersucht zwischen den
Generalen Napoleons. Weil aber die Schwächen des Staates und
die Mängel der Wehrmacht selbst diesem optimistischen .Minister
nicht unbekannt sein konnten, schob er leichtfertig die Schuld an
den Mängeln der Wehrmacht auf den Erzherzog Karl, „auf den
einzigen jMann, der noch" — wie der Herzog Albert von Sachsen-
Teschen schrieb — „die Ehre der Monarchie aufrecht erhalten hatte".
Der Widerstand des Erzherzogs Karl wurde durch eine der
häßlichsten Intrigen beseitigt. Man wollte ihn vom Präsidium des
Hofkriegsrates entfernen, um seinen Einfluß zu schmälern.
Um den friedfertigen Kaiser gefügig zu machen, wußte Cobenzl
ihn dahin zu bringen, sieh über die militärische Situation auch von
einer, vom Erzherzog unabhängigen geeigneten Persönlichkeit be-
raten zu lassen. Zum Unglück Österreichs war dieser von Cobenzl
empfohlene ^lann der FML. Mack, der seit seiner Flucht aus
Frankreich (1800) unangestellt in Böhmen lebte. Im März 1804
schrieb Cobenzl schon an CoUoredo über Mack, den er über die
Mobilisierung zu Rate ziehen wollte. Im Herbste 1804 wurden Mack
bestimmte Fragen in seinen Aufenthaltsort zugeschickt; später
wurde er nach Wien berufen. Obwohl er seit seinem Abgang nach
Neapel (1799) keinen tieferen Einblick in die österreichischen
Heeresverhältnisse hatte und ihm das Material und die Daten
fehlten, die gestellten Fragen gründlich und gewissenhaft beant-
worten zu können, kam er doch in allen seinen Denkschriften zu
— 23 —
Schlüssen, die der Kriegspartei in die Hände arbeiteten. Dies und
die Art, wie er in seinen, im Dezember 1804 dem Kaiser über-
sendeten „Freimütigen Betrachtuugen über den alten und neuen
Hofkriegsrat" allen vom Erzherzog Karl ins Leben gerufenen Ver-
besserungen gehässig entgegentrat, wie er mit allgemeinen Phrasen
und nicht ganz der Wahrheit entsprechenden Angaben ein ganz
falsches Bild vom alten Hofkriegsrate entwarf, nur um zum Ur-
teil zu kommen: der Erzherzog habe in leichtsinniger Weise seine
neue Aufgabe in AngriÖ" genommen, zeigt klar und deutlich, daß
sich Mack über seine Rolle in dem Intrigenspiel vollkommen klar
war und daß er sich zu dieser Rolle wissentlich hergegeben hat^).
Während Erzherzog Karl unermüdlich vor dem Kriege warnte,
trieben Cobenzl und Mack dem Kriege zu; Mack, indem er in lang-
atmigen Denkschriften dartat, daß die Mobilmachung und Versamm-
lung der Armee nicht sechs Monate danern würden, wie der Erz-
herzog angab, sondern in viel kürzerer Zeit bewirkt werden
könnten. „Das ganze Ministerium wünschte den Krieg; die Staats-
kanzlei, weil sie in ihrer Geistesarmut keinen anderen Ausweg mehr
kannte, die Finanzen, weil sie es bequemer fanden, auf den Deus
ex machina zu hoffen, und die Hofkauzlei, weil ihr Chef dadurch
hoffte und dachte, dem Monarchen gefällig zu sein." So beurteilte
FML. Fürst Schwarzenberg, der Vizepräsident des Hofkriegsrates
und spätere Sieger von Leipzig, die Tätigkeit des Ministeriums 2).
Der unermüdlichen Miuierarbeit gelang es endlich, den Erz-
herzog aus dem Hofkriegsrate zu verdrängen; er blieb fortan nur
Kriegsminister oder wie er sich selbst ausdrückte: „aus einem wirk-
samen wurde er nun ein bloß begutachtender Minister". Zum
Präsidenten des Hofkriegsrates wurde der alte FZM. Graf Latour
ernannt, von dem der französische Gesandte nach Paris berichtete,
man habe von seinen Talenten nur eine sehr geringe Meinung und
sage, er gebe sich ein wenig zu sehr dem Weingenusse hin.
Mit der Verdrängung des Erzherzogs noch nicht zufrieden,
ruhten die Hintermänner Maeks nicht, bis es ihnen, trotz dem
heftigsten Widerstände des Erzherzogs Karl gelungen war, die Er-
nennung des FML. Mack zum Generalquartiermeister an Stelle des
FML. Duka durchzusetzen (24. April 1805).
^) Wertheimer, „Erzherzog Karl als Präsident des Hofkriegsrates", Archiv
für österreichische Geschichte, Bd. GG.
2) Kriegsarchiv, Mem., IX, 247.
— 24 —
Während Österreich und Frankreich um die Jahreswende nahe
daran waren, sich Itahens wegen zu bekriegen, hatte England bei
der immer drohender werdenden Gefahr der Landung alles daran-
gesetzt, die Kontinentalmächte gegen Napoleon auszuspielen. Zuerst
gelang es ihm, Schweden auf seine Seite zu bringen. Der Vertrag
vom o. Dezember 1804 öffuete Stralsund den Engländern für den
Handel, für die Aufstapelung von Kriegsmaterial und für die Auf-
stellung einer hannoverischen Legion. Als Preußen daraufhin er-
klärte, daß es keinen Angriff auf Hannover von Pommern aus dulden
werde, schloß Schweden am 14. Januar 1805 einen Vertrag mit
Eußland, wonach dieses Truppen in Pommern landen könne. Am
19. Januar 1805 begannen die Verhandlungen zwischen England
und Rußland zum Abschluß einer Koalition. Am 18. Februar 1805
verlangte Pitt im englischen Parlament fünf Millionen Pfund für
den Gebrauch auf dem Kontinente.
Zur selben Zeit, als die Clique Oobenzl in Wien alle Mittel
anwandte, um den einzigen Mann kalt zu stellen, der Österreichs
Lage klar erkannte und dessen kluge Haltung Österreich hätte vor
Unglück bewahren können, faßte Napoleon den Entschluß, sich
selbst die Krone Italiens aufs Haupt zu setzen. Nachdem Talleyrand
am 12. März den Gesandten in Wien beauftragt hatte, das Staunen
Napoleons darüber auszusprechen, daß die österreichischen Truppen
noch immer nicht, wie versprochen, zurückgezogen worden seien
und bekanntzugeben, daß der Kaiser über die Versuche Englands
und Rußlands, Österreich fortzureißen und über die österreichischen
Verhandlungen in Berlin sehr gut unterrichtet sei, teilte Napoleon
in einem Schreiben vom 17. März 1805 dem Kaiser Franz die An-
nahme der italienischen Königskrone mit den friedlichsten Versiche-
rungen als provisorische Maßregel mit; am 24. März wurde dies
auch der österreichischen Regierung notifiziert.
Diese Nachricht versetzte die österreichischen Diplomaten in
Schrecken. Obwohl die Tatsache der Krönung Napoleons an den
Verhältnissen gar nichts änderte — ob Italien Republik blieb oder
Königreich wurde, ob die Krone ein Bruder Napoleons, Napoleon
selbst: oder sonst jemand trug: Italien war und blieb Vasallenstaat
Napoleons, der souverän über alle Hilfsmittel und Kraftquellen dieses
Landes verfügte — stießen sich die Politiker doch an der Änderung
der äußeren Form und sahen erst in dieser die Schädigung Öster-
reichs und die Gefährdung des Friedens. Die innerste Unwahrheit,
— 25 —
Zerfahrenheit und Unfähigkeit der zünftigen österreichischen Poli-
tiker zeigte sich nirgends klarer als daran, daß diese Politiker ihre
Augen vor den tatsächlichen Verhältnissen verschlossen hielten und
Österreich erst in den Krieg hetzten, als diese im Wesen bestehenden
Verhältnisse auch in der Form aller Welt klar gezeigt wurden. Die
österreichischen Politiker ließen nun alle bisherigen Bedenken fallen :
sie wollten jetzt den völligen Anschluß an Eußland, obwohl sie
wußten, daß dieser Anschluß gleichbedeutend mit dem Kriege war.
Nur Erzherzog Karl, der Soldat und Feldherr, war noch mit
aller Entschiedenheit für den Frieden. Er verwies, wie schon so
oft, abermals darauf, daß Österreich ganz und gar unfähig sei, einen
Krieg gegen Napoleon, selbst mit Hilfe Eußlands, mit Erfolg zu
Ende zu führen ; er verwies darauf, daß man sich nie auf Verbündete,
sondern nur auf seine eigene Kraft verlassen könne; daß man daher
alles daransetzen müsse, diese Kraft systematisch und des Endzweckes
voll bewußt zu stärken und zu organisieren, wozu die Sanierung
aller Zweige der Staatsverwaltung nötig sei; er betonte, daß dazu
Jahre ernster, durchgreifender Arbeit nötig seien, also mehrjähriger
Friede; daß Österreich während dieser Zeit leider dulden müsse,
was zu verhindern es nicht die Kraft besitze, mit der Überzeugung,
daß die Zeit kommen werde, wo die wieder gestählte Kraft alles
Verlorene und Versäumte gut machen werde. Die Diplomaten und
deren Anhang, die den Erzherzog Karl haßten, weil dessen Ab-
sichten von allen Staatsbeamten ehrliche, reelle und uneigennützige
harte Arbeit gefordert hätten, wollten sich nicht von diesen ein-
fachen Wahrheiten überzeugen lassen. Aber Kaiser Franz stellte sich
noch auf des Erzherzogs Seite. Demnach fiel die Antwort auf Na-
poleons Anzeige sehr versöhnlich aus.
In Petersburg war man mit dieser Haltung Österreichs sehr
unzufrieden. Im Juni 1804 hatte Österreich erklärt, daß es die Ver-
einigung Italiens mit Frankreich oder selbst die Errichtung eines
Königreiches Italien für einen Bruder Napoleons nicht duldeu könnte.
Jetzt geschah das Äußerste, und Österreich blieb doch untätig.
Am 11. April 1805 war in Petersburg die Allianz zwischen
England und Rußland perfekt geworden, ohne daß Österreich den
Verhandlungen zugezogen worden war, obwohl nur der Beitritt Öster-
reichs diesem Bunde Wert geben konnte und obwohl dessen Beitritt
der Lage nach unausweichlich geworden war. Dahin hatte es aber
die Staatskunst der Cobenzl und Genossen gebracht, daß man Öster-
— 26 ~
reich einfach ignorierte, daß man es immer in eine Zwangslage
brachte und es selbst wider Willen zu einem aussichtslosen Kriege
zwang. England und Rußland konnten bei einem Kriege, welchen
Ausgang er immer nehmen mochte, nur gewinnen; die Rechnung
mußte Öi-terreich allein zahlen. Großmütig stellten sie es Österreich
frei, der Allianz einfach beizutreten, es erhalte in diesem Falle von
England für jedes Jahr 1^4 Millionen Pfund Subsidien und außer-
dem eine fünfmonatige Subsidie = 520.000 Pfund als Mobilisierungs-
beitrag.
Die österreichischen Diplomaten waren zwar für den Krieg,
weigerten sich aber, dem Vertrag einfach beizutreten, weil die Be-
stimmungen des Vertrages weit über die im Novemberabkoramen
festgesetzten Verpflichtungen Österreichs hinausgingen und zweifellos
den Ausbruch des Krieges sofort zur Folge haben mußten. Man er-
klärte, den Krieg nicht vor dem Frühjahre 180G beginnen zu
können. Dem englisch-russischen Übereinkommen nach sollte der
Zar nochmals versuchen, zwischen Frankreich und England zu ver-
mitteln, bevor man zu den Waffen griff. Österreich wurde ver-
ständigt, daß ein Spezialgesandter nach Paris gesendet werde, der
direkt mit Napoleon zu verhandeln habe; er solle Napoleon den leb-
haften Wunsch des Zaren mitteilen, dem Kriege ein Ende zu machen,
aber auch bekanntgeben, daß Rußland mit England und anderen
Staaten energische Maßregeln ergreifen müßte, wenn die Unterhand-
lungen ohne Erfolg blieben. Österreich wurde aufgefordert, die
Aktion dieses Gesandten zu unterstützen. Die österreichischen Diplo-
maten, die zwar zündelten, aber vor dem Brande zurückschreckten,
drangen auf Milderung der in Paris zu stellenden Forderungen, weil
sonst der Bruch zweifellos war; die Unterstützung der Forderungen
in Paris lehnten sie aber unbedingt ab. Sie waren selbst bereit, die
Ansprüche Österreichs in Italien einzuschränken, nur um Napoleon
nicht zu reizen. Dagegen wollten sie die zwischen einzelnen Staaten
abgeschlossenen Verträge, wie die Friedensverträge von Luneville
und Amiens, unter den Schutz des Völkerrechtes gestellt sehen, so
daß alle auch an den Verträgen nicht beteilijrten europäischen
Mächte zu Hütern ihrer Einhaltung berufen wäreu. Wie wenig er-
kannten diese Diplomaten das innerste We^en der Politik als Kampf
der Interessen, der sich, wie jeder Kampf, über alle Schranken des
geschriebenen Rechtes hinwegsetzen muß — wenn kein strafender,
durch Kraft und Macht gestützter Richter hinter dem Rechte steht !
— 27 —
Wie wenig erkannten sie den Charakter Napoleons, wenn sie meinten,
daß er sich durch derartige papierene Schutzwände abhalten ließe,
seine überlegene Macht rücksichtslos zu gebrauchen, wo er doch nur
einer ebenbürtigen, gleich rücksichtslos verwendeten Kraft Achtung
gezollt hätte.
Die zögernde Haltung des Wiener Kabinetts verstimmte den
Zaren tief, ohne ihn abzuhalten, auf seinem Wege fortzuschreiten.
Durch Vermittlung Preußens war der russische Spezial gesandte schon
auf der Reise nach Paris, als ein neuer Schritt Napoleons die üe-
müter Europas in Aufregung versetzte. Parma, Piacenza und das
Gebiet der Ligurischen Republik waren völlig von Frankreich und
vom Königreich Italien umschlossen; eine Selbständigkeit dieser
zwerghaften Staatswesen war unter diesen Verhältnissen wohl aus-
geschlossen. Napoleon, ein Feind jeder halben Maßregel, dekretierte
daher am 4. Juni die Vereinigung dieser Gebiete mit Frankreich.
Nach den Krönungsfeierlichkeilen in Mailand reiste Napoleon
an die Etsch, um die Festungen Verona und Legnago zu besich-
tigen. In Verona wurde Napoleon im Auftrage des Kaisers Franz
am 16. Juni von General Vincent liegrüßt. Nach dem Diner sprach
der Kaiser über die politische Lage in Europa. Er sagte klar und
bestimmt, daß er keinen Krieg auf dem Kontinente wolle, daß er
mit Österreich in Frieden leben wolle und daß Rußland Österreich
wohl zum Kriege treibe, es aber dann im Stiche lassen werde ^).
Aber auch diese Verkündigung der friedlichen Absichten Na-
poleons blieb ohne Erfolg.
Durch eine am 17. Juni in Wien überreichte Note verlangte
Kaiser Alexander eine bestimmte Erklärung, ob Östermch an dem
Kriege teilnehmen wolle oder nicht; er sei des ewigen Zögerns
müde, zöge sich im Weigerungsfalle von Österreich ganz zurück
und tiberließe es auch im Falle eines Angriffes Napoleons seinem
Schicksale. Von Österreichs Entschluß hänge das Schicksal Europas
ab. Wenn es sich der Koalition anschließe, dann müsse Preußen,
ob freiwillig oder gezwungen, mittun. Gleichzeitig wurden in einer
als Operationsplan bezeichneten Denkschrift (Beilage 3) die Besorg-
nisse Österreichs über die unzureichenden Kräfte der Koalition wider-
legt. Auch der russische General v. Wintzingerode, der zur Fest-
^) Nach dem Manuskript von „Napoleons Besuch an der Etseh-Linie im
Juni 1805' von Hauptmann Noumann von SpaUart. Dieser Aufsatz wird in den
„Mitteilungen des k. u. k. Kriegsarchivs'' erseheinen.
— 28 —
legung eines gemeinsamen Operationsplanes Mitte Juni in Wien ein-
getroffen v/ar, drängte zur Annahme der rassischen Anträge. Die
Furcht, sich Rußland für immer zu verfeinden, es zu einer Annähe-
rung an Preußen und Frankreich zu verleiten, uod die Besorgnis,
daß die Unersättlichkeit Napoleons doch in Italien zum Zusammen-
stoße zwischen Frankreich und Österreich führen werde, brachten
die österreichischen Diplomaten und den Kaiser Franz endlich dazu,
sich Eußland ganz anzuschließen. Nach- einem Vortrage Cobenzls
vom 2. Juli gab der Kaiser seine Einwilligung zu den Verhand-
lungen mit Rußland und England. FML. v. Maek erhielt den
Auftrag, mit General v. Wiutzingerode die Verwendung der gemein-
samen Streitkräfte zu vereinbaren. Am 16. Juli führten diese Ver-
handlungen zum Abschlüsse des militärischen Übereinkommens, wo-
nach die russische Armee am 16. August die österreichische Grenze
bei Brody überschreiten sollte.
Am 28. Juli schloß der österreichische Botschafter in Peters-
burg mit der russischen Regierung und mit dem englischen Bot-
schafter Deklarationen ab, wonach sich Österreich der Koalition an-
schloß und von England für das Jahr 1805 3 Millionen Pfund
Subsidien erhielt, wovon die Hälfte sofort als Mobilisierungsbeitrag
auszuzahlen war. Mit diesem Übereinkommen war tatsächlich der
Krieg von den Alliierten beschlossen, denn es konnte keinem Zweifel
unterliegen, daß das Überschreiten der österreichischen Grenze durch
die Russen für Napoleon die Kriegserklärung war. was auch in
Österreich erkannt wurde, weshalb man alle Mobilisierungsvor-
kehrungen auf den Einmarschtag der Russen basierte. Um so auf-
fallender ist es, daß weder in dem Vortrage an den Kaiser vom
2. Juli ') noch in der darauf gefaßten kaiserlichen Resolution ^) vom
Kriege, sondern nur von einer „bewaffneten Demonstration zur
Unterstützung der Friedens- und Mediationsanträge" gesprochen
wird. In beiden Schriftstücken wird auch noch von der Friedens-
mission des russischen Spezialgesandten gesprochen, obwohl dieser,
auf die Nachricht von der Einverleibung Genuas vom Kaiser Alex-
ander rückberufen, schon längst auf der Rückreise nach Peters-
burg war.
Weil nach dem Antrage Macks in Österreich nur insgeheim
und unter den verschiedensten Vorwänden gerüstet wurde, suchte
^) Siehe Fournier, „Gentz und Cobenzl", S. 304.
^) Beer, „10 Jahre österreichische Politiii", S. 496.
— 29 —
man noch durch Verhandlungen Zeit zu gewinnen. Cobenzl sandte
gegen Ende Juli eine Deklaration an Frankreich, Preußen und Ruß-
land, in der die Rüstungen Österreichs als Folge der Rüstungen
Napoleons bezeichnet werden, so daß Österreich nur gleichen Schritt
mit Frankreich halte; gleichzeitig wurde um Aufklärung über die
jüngsten Maßnahmen Frankreichs in Italien ersucht und die Ver-
mittlung zwischen Rußland und Frankreich angetragen. Cobenzl be-
zeichnete selbst als Zweck der Deklaration, Napoleon in Sicherheit
zu wiegen bis zu dem Zeitpunkte, wo dieser den Marsch der Russen
erfahre. Aber Napoleon war zu gut über die Vorgänge in Österreich
unterrichtet, um sich täuschen zu lassen.
Am 23. Juli schrieb Napoleon an Eugen Beauharnais :
„Ich hoffe mit Grund, daß der Krieg nicht stattfinden wird :
aber Österreichs Vorbereitungen sind derart, daß ich mich in Be-
reitschaft setzen muß."
Am 24. Juli wiederholte er an Eugen :
„Ich denke nicht, daß Österreich so unklug wäre, Krieg zu
führen . . . ., aber solange der Friede mit England nicht geschlossen
ist, ist es gut, bereit zu sein;"
und am 27. schrieb er ihm:
„Sie sagen, daß alle Gerüchte vom Kriege sprechen. Es ist
nicht nötig, diese Gerüchte zu bestreiten. Was übrigens Österreich
macht, tut es wahrscheinlich aus Furcht; übrigens könnte ich wohl nicht
dulden, daß Österreich sich vorliereitet, und müßte es überfallen,"
und am 31. Juli an Talleyrand :
„Die aus Italien erhaltenen Meldungen sind alle kriegerisch
und Österreich beachtet wahrhattig gar keine Mäßigung mehr."
Anfang August läßt Napoleon dreimal an Österreich, das letzte-
mal am 16. August, die kategorische Aufforderung richten, nicht
mehr allein Friedensversicherungen zu geben, sondern auch darnach
zu handeln ; er verlange Abrüstung und daß alle Truppen in ihre
Friedensgarnisonen zurückkehren ; er fordere weiters von Österreich
strikte Neutralität in seinem Kriege mit England und lehne jede
Vermittlung zwischen Frankreich und Rußland ab.
Am 13. August scheint in Napoleon, der ja schon lange mit
der Möglichkeit des Krieges mit Österreich rechnete, die Krisis
im Entschluß eingetreten zu sein. Man glaube ja nicht, daß selbst
ein im Entschlüsse so starker Mensch wie Napoleon einen großen,
folgenschweren Entschluß blitzartig faßt oder daß er einen solchen
— 30 —
Entschluß ohne Sehwanken in jahrelanger Vorbereitung unverändert
festhält.
So blieb auch der Gedanke der Landung nicht unverändert
im Laufe der Zeit bestehen. Napoleon mochte wirklich eine Zeitlang
die Absicht gehabt haben, nicht selbst nach England zu gehen,
sondern einen seiner Generale mit der Führung zu betrauen ; er
mochte zeitweise wirklich nur eine Revolutionierung Irlands be-
absichtigt haben, ja manchmal nahe daran gewesen sein, den Plan
der Landung ganz aufzugeben und dafür Englands voraussichtliche
festländische Verbündete zu bekriegen; immer und immer kam er
aber wieder auf den Plan der Landung zurück, immer war das Re-
sultat seines Grübelns, daß ihm dieser Plan unter gewissen Voraus-
setzungen und im Vertrauen auf seinen Stern glücken konnte. Gab
ihm doch die, trotz Nelson und trotz der großen Distanz von
2800 hn gelungene Überschiflfung nach Ägypten das Recht zur
Hoffnung, bei guter Vorbereitung auch den nur 50 km breiten
Meeresarm bei Boulogne zu überwinden.
Solche wechselvolle Phasen macht ein Entschluß in jedem
Hirne durch, , selbst bei Napoleon ; in diesem Beispiel allerdings in
riesigen, den Mitmenschen kaum verständlichen Dimensionen. Hatte
aber Napoleon einen Entschluß einmal klar gefaßt, dann folgte die
Tat wie ein stürzender Bergstrom, alles mit sich fortreißend, was
sich ihm entgegenstellte.
Viele Geschichtsschreiber behaupten, gestützt auf die durch
nichts begründete eigene Ansicht der ündurehführbarkeit einer
Landung in England, daß Napoleon schon seit Anfang 1805 oder
noch früher zum Kriege gegen Österreich entschlossen war und nur
durch seine Politik das Odium des Kriegsbeginnes von sieh abwälzen
wollte, daß er also diesen Entschluß politisch bis zur Reife vorbe-
reitete, und dann, als er glaubte, daß Österreich nicht mehr zurück-
könne, durch die systematische Steigerung in seinen Noten, wie bei
einer dramatischen Handlung, Österreich die Rolle des Friedens-
brechers zuschob. So zeigt mau mit dem Finger darauf, daß er die
Durchführung der Landung immer wieder verschob und daß er
über die voraussichtliehe Dauer der Übersehiffung zu verschiedenen
Zeiten verschiedene Angaben machte, daß er somit über dieses
Unternehmen keine klare Vorstellung hatte oder nur flunkerte.
Mit mehr Sicherheit ist zu behaupten, daß Napoleon schwer
an diesen Entschlüssen gerungen hat, daß er oft und oft alle Chancen
— 31 —
seines Lieblingsgedankens, seinen Todfeind im eigenen Lande anzu-
fallen, erwogen hat, daß er oft optimistisch auf glücklichen Aus-
gang hoffte, oft aber an der Ausführbarkeit selbst zweifelte, denn
sicher erkannte niemand die Bedingungen für das Gelingen so gut wie
Napoleon. Die kleinen Nebenhandlungen, wie die Krönung zum
König von Italien und die Annexion Genuas, standen sieher nicht
mit diesen Plänen in direkter Verbindung; sie sollten nicht den
Zweck verfolgen. Österreich zum Kriege zu reizen, denn sonst hätte
Napoleon diese Handlungen sicher ganz anders in Szene gesetzt.
Wozu hätte Napoleon Österreich Anfang Januar 1805 beruhigende
Versicherungen über das Schicksal der Italienischen Republik ge-
geben, wenn er tatsächlich den Krieg wollte? Doch nicht, um sich
dann später den Schritt zu erschweren und sich durch den Bruch
des Versprechens selbst ins Unrecht zu setzen! So unlogische Hand-
lungen darf man Napoleon am wenigsten zumuten. Nein, seine
Anfang Januar 1805 gegebenen Versicherungen waren ehrlich ge-
meint und er wollte sie damals auch sicher einhalten. Als aber die
Weigerung Josefs, auf die Nachfolge in Frankreich zu verzichten,
und die spätere Weigerung seines Bruders Ludwig, die Krone Italiens
für seinen Sohn anzunehmen, seine Pläne störten, und als auch alle
anderen Kombinationen Napoleons scheiterten, also erst nach monate-
langem Überlegen und Erwägen, faßte er den Entscliluß, selbst die
Krone Italiens anzunehmen. Am Wesen änderte dieser Entschluß
nichts. Jeder König von Italien wäre ein Vasall Frankreichs gewesen,
genau so wie es der Fürst von Piombiuo und der König von Etrurien
waren. Wozu hätte Napoleon, der über die Unfähigkeit Österreichs
zum Kriege Anfang 1805 vollkommen unterrichtet war, Österreich
Zeit gelassen, sich zu rüsten, wenn er zum Kriege entschlossen war;
wozu hätte er Österreich durch die Mitteilung beschwichtigt, daß
sein Entschluß nur eine provisorische Maßregel sei, wenn er Öster-
reich provozieren wollte? Aber Napoleon mißachtete das kraftlose
Österreich zu sehr, um durch dessen Verstimmungen seine Pläne
stören zu lassen. Am 13. April 1805 sehrieb er an den italienischen
Kriegsminister, General Pino: „. . . . Es will mir nicht in den Sinn,
daß sich das Haus Österreich bloßstellen wollte, ohne etwas erhofiFen
und alles verlieren zu können .... Es ist übrigens unmöglich, daß
Österreich den Krieg eher beginnt als 3 Monate nachdem es seine
Absicht klargemacht hat. Die Pferdekäufe, die großen Park- und
Trainbewegungen wären sichere Anzeichen des Krieges." Man muß
— 32 —
sich nur in die Situation eines Ciiarakters wie Napoleon hineindenken
und dabei berücksichtigen, daß ihn ein unbegrenztes Selbstvertrauen
oder, besser gesagt, ein klares Erkennen seines Könnens stützte, um
alle seine Handlungen, Worte und Schriften aus dieser Zeitperiode
psychologisch zu erfassen und zu verstehen. Man darf sich da nicht
zu sehr auf Ansichten und Auffassungen von damaligen Diplomaten
(wie Luchesini. Metternich, Cobenzl etc.), Sekretären, Politikern und
Hofdamen stützen, um Napoleons innerste Gedanken ergründen und
sein Verhalten auslegen zu w^ollen. Wo immer man sich in die Ge-
schichte jener Zeit vertieft und für die fast unerklärliche Haltung
der europäischen Mächte, für die Entschlüsse ihrer Staatsmäüner
und Feldherren Gründe zu erforschen sucht, immer trifft man auf
die völlige Verständnislosigkeit, mit der man damals in Europa
diesem Charakter, dieser gewaltigen, dämonischen Persönlichkeit
gegenüberstand. Diese Diplomaten, diese Soldaten, die in einer
langen systematischen, an Formalitäten und Traditionen überreichen
Schule aufgewachsen waren, maßen diesen Mann nach ihrem engen
Gesichtskreis und unterlegten seinen Handlungen ihre eigenen, nich-
tigen Motive und Anschauungen; dazu kam noch, daß ihr ohnedies
kurzer Blick durch einen unversöhnlichen Haß gegen diesen giganti-
schen Mann, der sie alle als Nichtigkeiten erscheinen ließ, getrübt
wurde. Hat doch selbst der mit politischem und militärischem
Scharfblicke begabte Erzherzog Karl Napoleon zu dieser Zeit
durchaus noch nicht richtig gesehätzt; wie jämmerlich haben sich
aber Mack, Cobenzl, Gentz und viele andere in ihrem Eigendünkel
und in ihrem Haß in der Beurteilung dieses Mannes getäuscht:
und jetzt sollte sich die Nachwelt vorzüglich auf das Urteil und
die Angaben solcher Zeitgenossen stützen, um Napoleons Größe zu
ergründen ! ^)
') Es ist nicht der Zweck dieser Studie, die Entschlüsse Napoleons in der
Zeitperiode 1802 bis August 1805 zu ergründen und dafür Beweise zu suchen. Dazu
würde ein eigenes Buch nötig sein. Die Vorgeschichte sollte nur zeigen, wie die
verkehrte österreichische Politik den schmählichen Ausgang des Krieges selbst
verschuldete, und dazu ist es gleichgültig, welche Absichten Napoleon tatsächlich
hatte. Es wäre schwer zu entscheiden, in welchem Falle die österreichische Politik
als ungeschickter zu bezeichnen wäre: wenn Napoleon tatsächlich zur Landung
in England ernst entschlossen war oder wenn er damit nur flunkerte und Öster-
reich in einen Krieg locken wollte. Im ersten Falle war es sicher ungeschickt,
Napoleon von England auf sich zu ziehen, anstatt ihn anzufallen, wenn er mitten
in diesem riskanten Unternehmen steckte, und im zweiten Falle wären die öster-
— 38 —
Am 13. Aug-ust dürfte also, wie erwähnt, der Entschluß zum
Krieg gegen Österreich das erstemal in Napoleon entstanden sein,
aber noch nicht als einziger feststehender Entschluß, sondern erst
als gleichwertig neben der Absicht der Landung in England. Für
diese Ansicht sprechen die einzigen untrüglichen Zeugen: die Hand-
lungen Napoleons von diesem Tag angefangen. Hätte Napoleon,
wie es vielfach behauptet wird, von diesem Tag an oder sogar
schon früher (7. August) die Landung endgültig aufgegeben, dann
hätte Napoleon schon von diesem Tag an für den Kontinentalkrieg
gearbeitet, was aber nicht geschehen ist; immer noch blieb die
Armee vor allem für das Landungsunternehmen organisiert und dis-
loziert. Am 13. August schrieb Napoleon an Cambaceres: „. . . Tat-
sache ist, daß Österreich rüstet; ich will, daß es abrüstet; wenn es
das nicht tut, werde ich ihm mit 200.000 Mann einen Besuch ab-
statten, an den es sieh lange erinnern wird .... In der Tat, man
muß ein ganzer Narr sein, um mir den Krieg zu erklären. Sicher!
es gibt in Europa keine schönere Armee als die, die ich habe." Und
am selben Tage schrieb er an Talleyrand: „Mein Entschluß ist ge-
faßt, ich will Österreich angreifen und vor dem künftigen November
reiehisehen Politiker der napoleonisehen Finte gründlieh aufgesessen ; in beiden
Fällen aber dienten sie fremden Interessen.
Merkwürdig ist nur, wie die Gesehielitssehreibung diesem Manne gar nichts
glaubt und alles zu seinem Nachteil auslegt. Die Häufigkeit seiner Friedens-
beteuerungen gegenüber Österreich wird als Zeichen angesehen, daß seine Friedens-
liebe nicht ehrlieh ist, daß er daher wohl vom Frieden spricht, aber Krieg ineint;
hätte er keine Friedensversicherung abgegeben, wäre der Schluß derselbe gewesen.
Wenn er dem Admiral Villeneuve im August 1805 den Befehl gibt, gegen den
Kanal vorzugehen, aber ihm auch für den Fall ungünstiger Verhältnisse die
Freiheit läßt, nach Cadix zu gehen, ein Befehl, der dem selbständigen Flotten-
führer nur die nötigste Entsehlußfreiheit wahrt, so wird das als Beweis dafür
angesehen, daß ihm das Unternehmen nicht ernst war! Selbst sein Zorn, seine
Erregung, in die er kommt, als er erfährt, daß Villeneuve von dieser Freiheit
Gebrauch gemacht hat, sind vor dem Forum der Geschichte unecht, berechnet.
Napoleon, der im Bewußtsein seiner Größe, seine Pläne, seine Absichten oft
Monate, ja Jahre voraus laut hinausrief, so daß Ohren, die hören wollten, sie
vernehmen mußten, der soll in allem eigentlich nichts anderes als ein großer
Schauspieler gewesen sein — ein „Theaterkaiser", wie Gentz ihn nannte? Der
gewaltigste Kaiser, den es vielleicht je gegeben, ein Theaterkaiser!
Begreift man denn den Charakter eines Mannes nicht, der, obwohl tief
unten im Volke geboren, den römischen Papst zur Kaiserkrönung nach Paris
beordert und ihm dann die Krone aus der Hand nimmt, um sie sich, hoch auf-
gerichtet, selbst aufs Haupt zu setzen!
Krauss. 1805, Der Feldzug von Ulm. O
— 34 —
in Wien sein, um den Russen entgegenzutreten, wenn sie kommen
sollten, oder ich verlange, daß die österreichischen Truppen nach
Böhmen und Ungarn zurückkehren und daß man mich ruhig Krieg
mit England führen lasse." Am selben Tage befahl Napoleon, dem
österreichischen Botschafter in Paris eine Art Ultimatum bekannt-
zugeben. Talleyrand sollte ihm alle Meldungen über die österreichi-
schen Eüstungen zur Einsicht geben und, nachdem er sie gelesen, sagen:
„Sie haben soeben eine große Zahl von Briefen gelesen; ich
weiß nicht, welchen Eindruck diese Briefe auf Sie gemacht haben;
aber welchen Eindruck glauben Sie, haben sie auf den Kaiser der
Franzosen gemacht, als er sie in Boulogne las, inmitten seines Lagers
und ganz beschäftigt mit seiner Operation gegen England? Schon
hat er die Ausführung seiner kriegerischen Pläne verschoben, da er
eingesehen hat, daß er nicht mit 150.000 Mann nach England über-
gehen kann, wenn seine südlichen Grenzen bedroht sind. So hat
denn der Kaiser von Deutschland schon eine Diversion zu gunsteu
Englands gemacht! Wohlan, Ihr werdet den Krieg in einem Monat
haben; ja, in einem Monat, ich sage es Ihnen mit Schmerz!
„In Österreich muß alles in die Ordnung zurückkehren, wie sie
vor drei Monaten bestand, oder Ihr werdet den Krieg in einem
Monat haben. Der Kaiser ist nicht so einfältig, den Eussen die Zeit
zu lassen. Euch zu Hilfe zu kommen; Ihr werdet den Krieg haben
genau dort, wo Ihr nicht genug Truppen habt, oder dort, wo sie
noch nicht versammelt sind .... Wenn Ihr Herr den Krieg will,
wohlan; aber sagen Sie ihm, daß er Weihnachten nicht in Wien
feiern wird; nicht, daß Ihr nicht eine zahlreiche und starke Armee
habt, aber 300.000 Mann rasch in Bewegung setzen, das
kann nur ein einziger Kopf tun; ein Kabinett kann das im
Yergleich dazu nur langsam machen. Und wenn Frankreich sieht,
daß Österreich uns auf Anstiften Englands angreift, wird der Kaiser
der Franzosen 600.000 Mann finden. In 14 Tagen, bei Rückkehr
des Kuriers, muß der Kaiser der Franzosen nicht nur volle Sicherheit
haben, sondern auch sehen, daß der Kaiser von Deutschland wirklich
in Frieden mit Frankreich leben will; wenn nicht, wird er alle Lager
aufheben, seine Reservearmee einberufen und dann wird der Konti-
nent in Flammen stehen .... Wenn Frankreich in Frieden mit
England wäre, würde es kaum bemerken, wenn 25.000 Mann in
Tirol stünden; oder es würde sich den Anschein geben, nichts zu
bemerken und sich damit begnügen, 100.000 Mann ins Elsaß zu
— 35 —
senden. Aber nochmals sei wiederholt, der Kaiser Napoleon kann
heute nicht 100.000 Mann nach Elsaß senden, ohne den Krieg zu
beginnen .... Frankreich kann, wenn es in Italien bedroht wird,
kaum rechtzeitig hinkommen, um dort dem Feinde zuvorzukommen;
aber es wird seine Truppen den Ehein passieren lassen, um den
Feind im Herzen seiner eigenen Staaten aufzusuchen."
Ob Tallejrand dies dem Botschafter tatsächlich sagte, kann wohl
nicht ermittelt werden, aber Fournier gibt in „Gentz und Oobenzl"
(S. 176) an, daß der französische Gesandte in Wien um diese Zeit
eine ähnliche kategorische Anfrage stellte ^).
Am 16. August ermächtigte Napoleon Talleyrand zum Abschluß
des Vertrages mit Bayern. Die Verhandlungen hatten schon im
März begonnen. Am 9. August hatte der französische Gesandte in
München den Entwurf eines Vertrages eingereicht, den Napoleon
jetzt annahm. Der Vertrag wurde dann tatsächlich am 24. August
geschlossen ; dem Kurfürsten von Bayern wurde nicht nur sein
Besitz garantiert, sondern auch eine Vergrößerung seines Landes
versprochen; Bayern verpflichtete sich dafür, ein Korps von 20.000
Mann zu stellen.
Am 22. August erhielt Talleyrand den Auftrag, mit Preußen
energisch zu verhandeln. Napoleon biete als Preis für ein Bündnis
Hannover an, aber Preußen müsse sich bald entscheiden: „Das ist
ein Anerbieten, das ich in 14 Tagen kaum wiederholen dürfte;
denn wenn ich einmal meine Lager an den Küsten aufgehoben haben
werde, kann ich nicht mehr stehen bleiben ; ich müßte mein Projekt
der Landung ganz aufgeben, und dann gewänne ich nichts mehr,
wenn ich Hannover an Preußen abträte. Ich verlange eine bestimmte
Antwort, denn ich kann mich auf dem Kontinent nur gesichert
^) Ein Brief des Staatsrates Faßbender vom 12. August an den beurlaubten
FML. Fürsten Sehwarzenberg beweist, daß das Verhalten Napoleons zu dieser
Zeit auch in Wien so beurteilt wurde, daß er keinen kontinentalen Krieg wollte.
Faßbender, der den Fürsten über die politischen Verhältnisse in Wien
orientiert, erzählt, daß die österreichische Regierung eine Deklaration an Napoleon
und an alle europäischen Kabinette versendet, welche Deklaration auch nicht den
entferntesten Schein einer Drohung enthalte. Faßbender sehreibt dann:
„Kurz, die Deklaration ist in der Art abgefaßt, daß sobald kein Krieg zu
besorgen ist, denn aus dem ganzen bisherigen Verhalten des Napoleon ist zu
ersehen, daß er es nicht in seinem politischen Interesse erachtet, dermalen Krieg
auf dem Kontinent zu haben."
Kriegsarchiv, 1805, Deutsehland FA, VIII, 32.
3*
— 36 —
fühlen durch ein festes und ernstes Bündnis mit Preußen oder durch
eine Armee von 200.000 Mann am Rhein ^)." Napoleon hoffte also
noch immer, sich durch Preußen den Rücken decken zu können. Am
selben Tage, am 22. August, schrieb Napoleon an die Admirale
Villeneuve und Gautheaume : „Stechen Sie in See, kommen Sie in
den Kanal, und England ist unser! und sechs Jahrhunderte voll
Schimpf und Schande sind gerächt." Daß diese Sprache echt war,
geht daraus hervor, daß erst am nächsten Tage die erste Maß-
nahme für den Kontinentalkrieg angeordnet wurde: die Sicher-
stellung von Zwieback in Straßburg und Mainz.
Mit dieser Maßregel und mit anderen materiellen Vorsorgen
hätte Napoleon sicher nicht gewartet, wenn er schon vorher fest
zum Kriege gegen Österreich entschlossen gewesen wäre.
In . dem Briefe vom 22. August erhält Talleyrand noch den
Auftrag, dem österreichischen Gesandten alle aus Bayern, Dresden,
Salzburg und Italien eingelaufenen Nachrichten zu zeigen und zu
sagen: „Herr v. Oobenzl, wenn all das nicht bald ein Ende nimmt,
wird der Kaiser von Deutschland in Ereignisse gestürzt werden, die
er verdient haben wird, weil zwei Experimente, deren Resultat so
traurig für ihn war, ihn nicht auf vernünftigere Gedanken bringen
konnten." Der Gesandte in Wien erhielt den Auftrag, sobald irgend
eine österreichische Truppe in Bayern einmarschiere, seine Pässe zu
verlangen.
Am 23. August ist der Kaiser scheinbar schon zum Kriege
gegen Österreich entschlossen; er schreibt an diesem Tage von
Boulogne an Talleyrand: „Je mehr ich über die Situation Europas
nachdenke, desto mehr sehe ich, daß es dringend ist, einen ent-
scheidenden Entschluß zu fassen. Ich habe in Wahrheit von der
^) Dieses Schreiben und der Brief, den der Marschall Duroe nach Berlin
mitnahm (s. S, 38) beweisen, daß die noch oft gelehrte Ansicht, Napoleon
habe Preußen Hannover angeboten, um sich dessen Neutralität zu siehern,
falsch ist. Napoleon hat Hannover an Preußen als Preis für ein Bündnis ab-
treten wollen.
Das spätere Verhalten Preußens und Napoleons beweisen übrigens, daß
Napoleon nur ein Bündnis mit Preußen angestrebt hat. Preußen war tatsächlich,
ohne Hannover anzunehmen, neutral geblieben, und Napoleon hat die Neutralität
Preußens, die er nach der falschen Ansicht durch Hannover erkaufen wollte,
durch den Marsch Bernadottes durch Ansbach selbst schwer verletzt. Es ist
übrigens klar, daß Napoleon mit der Neutralität Preußens nicht gedient war,
und daß nur ein Bündnis für ihn Wert haben konnte.
— 37 —
Aufklärung Österreichs nichts zu erwarten. Es wird mit scliönen
Phrasen antworten und Zeit gewinnen, damit ich diesen Winter
nichts unternehmen könnte; sein Subsidienvertrag und seine Koali-
tionsakte werden diesen Winter unter dem Vorwand einer be-
waffneten Neutralität unterzeichnet werden und im April würde ich
100.000 Russen und Polen, ernährt von England, mit bespannter
Artillerie etc., und 15.000—20.000 Engländer in Malta, 15.000 Russen
in Korfu haben. Ich befände mich dann in einer kritischen Situation.
Mein Entschluß ist gefaßt.
„Meine Eskader ist am 14. August mit 34 Fahrzeugen von
Ferrol ausgelaufen; sie hat keinen Feind vor sich. Wenn sie ihre
Instruktionen befolgt, sich mit der Eskader von Brest vereinigt und
m den Kanal einläuft, ist es noch Zeit: ich bin der Herr von
England. W^enn aber meine Adtnirale zögern, schlecht manövrieren
und nicht ihre Aufgabe erfüllen, habe ich keine andere Hoffnung,
als das Ende des Winters abzuwarten, um mit der Flottille auszu-
laufen.
„Die Operation ist gewagt; sie wäre es noch mehr, wenn
mich die politischen Ereignisse unter dem Drange der Zeit zwängen,
von hier im April auszulaufen.
„Bei dieser Sachlage eile ich zum Dringendsten: ich hebe meine
Lager auf, ersetze meine Bataillone erster Linie durch die 3. Ba-
taillone, was mir immer eine genug beträchtliche Armee bei Boulogne
bietet, und am 23. September bin ich mit 200.000 Mann in Deutsch-
land und mit 25.000 Mann im Königreich Neapel. Ich marschiere
nach Wien und lege die Waffen nicht eher nieder, bis ich Neapel
und Venedig erobert und den Besitz des Kurfürsten von Bayern so
verstärkt habe, daß ich nichts von Österreich zu fürchten habe.
Österreich wird auf diese Weise sicher im Laufe des Winters zum
Frieden gezwungen werden . . . ."^)
Am selben Tage — 23. August — betraute Napoleon den
Marschall Duroc mit der Aufgabe, den König von Preußen zum
') Dieser Brief und der Befehl an Marmont vom 23. August (S. 115) lassen
erkennen, daß Napoleon die Absieht der Landung in England selbst mit dem
Abmarsch der Armee von Boulogne nicht fallen gelassen hatte. Er wollte nach
Beendigung des Kontinentalkrieges im Frühjahr 1806 auf seinen Lieblingsplan
zurückkommen. Erst die Vernichtung seiner Flotte bei Trafalgar am 21. Oktober
1805 nahm ihm die Hoffnung, seine Absieht in den nächsten Jahren wieder
aufnehmen zu können.
— 38 —
Anschluß an Frankreich zu bewegen. Am 28. August schrieb
Napoleon an Duroc:
„. . . . Die Armee von Hannover hat noch keinen anderen
Befehl, als sich nach Göttingen zu begeben. Wenn ich mich mit
Preußen vergleiche, brauche ich nicht mehr an Hannover zu denken ;
wenn ich mich mit ihm nicht vergleiche, werde ich in den festen
Plätzen Lebensmittel auf ein Jahr, einen guten Kommandanten und
einige Artillerie lassen; und wenn jemand käme sie zu belagern,
werde ich, bevor die Trancheen beendet sind, über die belagernde
Armee herfallen. Diese Nachricht kann für Sie wichtig sein, weil
man glauben könnte, ich hätte mehr Interesse, Hannover zu ver-
äußern, als es zu behalten. Es wären nur 3000 Mann, die mich die
Absage Preußens kosten würde, d. h. die Garnison von Hameln."
Duroc, der erst am 30. August abreiste, nahm auch ein
Schreiben Tallevrands an den Gesandten in Berlin mit, in dem
es heißt:
„Das Bündnis mit Preußen soll den Frieden von Deutschland
garantieren und das Gleichgewicht in Europa erhalten. Preußen soll
dazu bedeutend vergrößert werden. Frankreich verlangt von Preußen
nichts und gibt ihm alles. Wird Preußen angegriffen, dann ist der
Krieg gemeinsam. Das Bündnis ist gegen niemand gerichtet: nicht
gegen England und selbst nicht gegen Österreich."
Preußen blieb gegen die Lockungen Napoleons ebenso taub,
wie es den Bemühungen Österreichs und den Drohungen Eußlands,
die den Anschluß an die Koalition wünschten, widerstand. Der
König von Preußen hoffte trotz des Ijevorstehenden europäischen
Krieges strikte Neutralität bewahren zu können, eine Hoffnung, die
Preußen mit der Niederlage im Jahre 1806 bitter bezahlen sollte.
Vom 24. August abend an beginnen die Befehle Napoleons
über das Zusammenziehen von Truppen aus dem Innern Frankreichs
am Ehein, und am 26. August beginnt der Abmarsch der Großen
Armee von Bouiogne. Damit ist der Kaiser im Kriege gegen die
dritte Koalition.
Was Napoleon veranlaßt hatte, sich im August 1805 zum
Kriege gegen Österreich zu entscheiden, geht aus einem späteren
Auftrag des Kaisers klar hervor.
Am 11. September gab Napoleon dem in Berlin weilenden
Marschall Duroc Direktiven für die Verhandlungen mit Preußen.
Der Kaiser gab dem Marschall bekannt, daß Talleyrand einen Brief
— 39 —
an ihn senden werde, und fährt fort: „. . . . Ich habe Herrn Talley-
rand alle Gründe mitgeteilt, die es klar machen, daß es, um einen
großen Krieg zu vermeiden, nötig ist, den Krieg rasch zu
beginnen, und daß, wenn wir das Frühjahr abwarten wollten,
wir unfehlbar zu einem langen und schweren Kriege geführt
würden . . . ."
Österreich hatte indessen, dem Plane Macks entsprechend, unter
allerlei Vorwänden die Bereitstellung seiner Truppen in Italien, Tirol
und in Oberösterreich im Lager von Wels betrieben. Am 8. Sep-
tember überschritten 30 Bataillone und 30 Eskadronen den Inn, um
Bayern zum Anschluß an Österreich zu zwingen und als Vorhut
an die Hier vorzueilen. Damit hat auch Österreich den Krieg tat-
sächlich begonnen.
Englands Politik hatte ihr Ziel erreicht. Heller Jubel herrschte
in London, als dort die Nachricht von der Aufhebung der Lager
bei Boulogne eintraf. Mit Geld hatten die klugen Kaufleute ihre
Sicherheit erkauft und damit ihrem Vaterlande unzählige Menschen-
opfer und ungezählte Millionen erspart — um schnöde 3 Millionen
Pfund und der verhängnisvollen italienischen Leidenschaft wegen
hatten die österreichischen Diplomaten den Staat im fremden Interesse
in leichtfertiger Weise in einen ganz aussichtslosen Kampf gestürzt.
Das ist die Beurteilung der englischen und österreichischen Politiker.
Erzherzog Karl hatte alles getan, um Österreich vor diesem Kriege
zu bewahren. Noch am 23. Juni 1805 schrieb der Erzherzog, als
ihm die Akten über die Verhandlungen mit Rußland zur Kenntnis
und zur Begutachtung zugestellt wurden, an den Kaiser: „Die erste
Frage, von deren Entscheidung die Bestimmung aller übrigen ab-
hängt, besteht darin: Muß man aller Möglichkeit entsagen,
mit Frankreich in gutem Einvernehmen zu bleiben? Ist es
erwiesen zwecklos oder gefährlich, dieses zu versuchen?"
So fragte — leider vergebens — der beste Soldat des Kaiserstaates.
Er hatte darauf hingewiesen, daß es gerade für ernste, den Krieg
nur halbwegs kennende Diplomaten ein Gebot der einfachsten Vernunft
gewesen wäre, Napoleon in seinem gefahrvollen Unternehmen gegen
England ja nicht zu stören. Selbst nach gelungener Landung hätte
der Kampf mit der zur äußersten Tatkraft angespornten englischen
Nation Napoleon gebunden und vielleicht sogar — wenn der An-
schlag mißlang — ihn auf den Weg zum Abgrunde geführt. Dann
— 40 —
war der richtige Augenblick für das Eingreifen des durch zielbewußte
Arbeit gekräftigten Österreichs gekommen. Die Sache lag so einfach,
daß es nicht wundernehmen kann, wenn auch da von Bestechung
gesprochen wurde. Aber der vollständige Mangel an militäri-
scher Bildung und die grenzenlose Leichtfertigkeit der öster-
reichischen Diplomaten erklärt deren Verhalten auch ohne Be-
stechung. Daß auch ein General vom Range Macks sich in den
Dienst dieser Politik stellte und diese mit seiner Autorität stützte,
ist nur durch den Charakter dieses Mannes erklärlich ').
Daß der harte Vorwurf, die österreichischen Diplomaten seien
leichtfertig gewesen, zutrifft, könnte an vielen Tatsachen bewiesen
werden. Als besonders deutlich nur folgende:
GM. V. Mayer, der 1805 kurze Zeit Generalquartiermeister des
Erzherzogs Ferdinand war, erzählt :
„Zum Generalquartiermeister einer Armee ausersehen, traf ich
Mitte Juli in Wien ein und erwartete meine Ernennung. Endlich
nach 14 Tagen eröffnete mir General Maek das Geheimnis des
Krieges — das Konferenzprotokoll mit dem russischen General
Win tzin gerode ....
„Der Staatsrat Collen bach kam bei dieser Gelegenheit zum
FML. Mack, wo er mich mit ihm bekanntmachte. Das Gespräch
kam auf das Geschäft der Kriegsvorbereituug, wo vorzüglich auf den
elenden Zustand der französischen Armee, auf das innere Miß-
vergnügen im Lande, auf die dermalige einzige Beschäftigung der
französischen Armee, zu desertieren, auf Revolution, auf den Anhang
in allen Teilen der europäischen Welt, auf die Allianz von Rußland,
Preußen, Schweden, vom römischen Reich, Neapel und darauf, daß
die Armee an der Küste durch Krankheiten in elenden Stand gesetzt
sei, gerechnet wurde; Bayern würde man gleich mit Zwang zur
Allianz bringen, und daß also der Vorteil außerordentlich für uns
sei und wir nicht geschwind genug gegen Prankreich vorrücken
können, da die französische Armee zu einem Landkrieg gar nicht
gefaßt sei und Napoleon nicht die mindeste Spur habe, daß wir uns
zum Kriege rüsten, sondern glaube, daß wir bloß Lager wegen des
neuen Exerzierreglements zusammenstellen. Wie mir bei allen diesen
') Cobenzl begründete u. a. den Entschluß zum Kriege damit, daß man
alles aufbieten müsse, um die. Landung Napoleons in England zu hindern, und
daß man daher an Eranki-eieh den Krieg erklären müsse. (Angeli, „Erzherzog
Karl", III, S. 21.)
— 41 —
diplomatischen Annaiimen uud militärischen Berechnungen zumute
war, kann ich nicht beschreiben, aber ich verlor keinen Augenblick,
allen diesen diplomatischen Gründen solche militärische Vorkehrungen
und Bewegungen von Seite des Napoleon entgegenzustellen, daß
ich keinen einzigen als solid annehmen könnte. Durch diese
Diskussion verlor ich nun gleich das Zutrauen von Mack und von
CoUenbach, welches ich in eben diesem Augenblicke handgreiflich
merken mußte, und man war gleich einverstanden, mich auf eine
gute militärische Art zu entfernen. Nach zwei Tagen ließ mich der
FML. Mack kommen und sagte mir, daß ich bestimmt sei, der
russischen Armee nach Brody entgegenzugehen^)."
„^Aus diesem Abschnitte der österreichischen Geschichte kann
man die Lehre ziehen, daß den führenden Diplomaten hohe
militärisehe Bildung nötig ist. Es genügt durchaus nicht, wenn
sie über die Uniform und über die militärischen Kenntnisse eines
Leutnants in der Eeserve verfügen. Napoleon konnte eine so durch-
greifende Politik treiben, weil er die militärischen Verhält-
nisse vollkommen beherrschte. Auch Bismarck verdankt seine
politischen Erfolge zum großen Teile seinen militärischen Anlagen
und Kenntnissen.
Anderseits sollten die militärischen Führer und der Generalstab
über das Wesen der Politik orientiert sein. Mit vollem Eecht über-
nimmt man in Deutschland mit Vorliebe Offiziere mit hoher militäri-
scher Bildung in den diplomatischen Dienst.^
') Kriegsarehiv, Mem., III, 68.
IL Die Maclitmittel der Kriegfiilirenden (innere
Zustände, Finanzen, Heerwesen).
A. Frankreich.
Innere Zustände.
Unter der kraftvollen und zielbewußten Leitung Napoleons,
dessen klarer, alle Gebiete der Staatsverwaltung beherrschender Yer-
staud iü allem und jedem schöpferisch und anregend wirkte, er-
holte sich Frankreich verblüffend schnell von den anscheinend
furchtbaren Wunden, die ihm die Revolution geschlagen hatte.
Napoleons Feldheirngenie hatte Frankreich wesentlich vergrößert
und ihm die Hilfsquellen der reichsten Teile Europas (der Nieder-
lande, Italiens) dienstbar gemacht.
An Stelle der Willkür und Unordnung, die unter den Gewalt-
habern der Revolution geherrscht hatten, trat eine feste, geregelte
Verwaltung. Die rechtlichen Verhältnisse und die Sicherheit der
Person kamen wieder zur vollen Geltung; das neue Zivilgesetzbuch
— Code Napoleon — an dessen Herstellung Napoleon persönlich
mitgearbeitet hatte, bildet noch jetzt ein Denkmal seiner Verwaltung.
Die Religion wurde wiederhergestellt und die Geistlichkeit, die
wohl erkannte, daß ihre Zukunft nur von dem neuen Machthaber
abhing, stellte ihren großen Einfluß ganz in seinen Dienst. Unter
der „Tyrannei" Napoleons genossen die Franzosen eine persönliche
Freiheit und eine feste Staatsordnung wie nie zuvor.
Der Unterricht wurde in zweckmäßiger Weise reorganisiert.
Neue Straßen wurden gebaut, die alten in guten Stand gesetzt ; das
Netz optischer Telegraphen wurde wesentlich ausgebaut; das Fluß-
netz wurde durch Anlage von Kanälen ausgestaltet, die Sicherheit
der Handelsstraßen durch Ausrottung der zahlreichen Räuberbanden
wieder hergestellt. So hoben sieb, dank dieser zielbewußten Arbeit,
Handel, Verkehr und Industrie zusehends.
— 43 —
Die Zertrümmerung der allzu großen adeligen Grundbesitze in
kleinere Besitztümer hatte eine intensivere Bearbeitung des Bodens
mit sieh gebracht.
Die Anlage neuer Steuerlisten, die Regelung der Steuern und
die Sorge für ihre pünktliche Abstattung brachten Ordnung in den
Staatshanshalt.
Der Kriegsdienst lastete nicht besonders schwer auf der Be-
völkerung, besonders der Bürgerstand, der als Urheber der Revo-
lution anzusehen war, war vom Kriegsdienste fast ganz befreit und
stellte nur Freiwillige zur Armee, die dort Ruhm und Ehren zu
•erwerben hofften. So kam es, daß eigentlich die Hauptmasse des
Volkes mit der Regierung Napoleons sehr zufrieden war. Nur die
Emigranten und deren wenige Anhänger wünschten eine Änderung
der Regierung herbei. Die große Masse des Volkes sehnte sich
nach Ruhe und Ordnung und fühlte, daß ihm diese niemand sicherer
bringen konnte als der geniale Soldat, der Frankreichs Ruhm und
Macht an die erste Stelle Europas gebracht hatte. Alle Gerüchte
über die Unzufriedenheit und Gärung in Frankreich waren nur
den Wünschen und Äußerungen der Emigranten entsprungen. Bei
der vorzüglichen Polizeiorganisation mußte übrigens jeder von außen
nach Frankreich getragene Anschlag auf das Leben des Herrschers
oder auf die staatliche Ruhe dasselbe klägliche Ende nehmen wie
die Verschwörung Pichegrus.
Finanzen.
Die Finanzen waren trotz der durch die Revolution verur-
sachten Zerstörung vieler Werte und trotz der langjährigen Kriege
eigentlich in guter Ordnung. Die Bank von Frankreich, die im
Jahre 1800 errichtet worden war, diente der Regierung als Stütze
ihrer finanziellen Maßnahmen. Bei einem jährliehen Budget von
über 500 Millionen Franken betrug die Staatsschuld im Jahre 1803
etwa 1000 Millionen Franken. Nach einem im k. u. k. Kriegsarchiv
erliegenden Situationsbericht aus dem Jahre 1804 waren die Ein-
nahmen und Ausgaben 1803 mit 589 Millionen Franken bilanziert,
so daß also kein Defizit vorhanden war. Die Staatsschuld wurde
nach demselben Berichte auf 1000 Millionen geschätzt^). Nach „La
Campagne de 1805 en Allemagne" von Alombert und Colin wies
1) Kriegsarehiv, Mem., 1804, XVII, 21.
— 44 —
das Budget für das Jahr XIII (23. September 1804 bis 22. Sep-
tember 1805} folgende Angaben auf:
Im Jahre XI (:^3. September 1802 bis 'l^l. September 1803)
wurden nebst dem Budget von 589 V2 Millionen Pranken noch 30 Mil-
lionen für außerordentliche JMilitärkredite bewilligt und verwendet.
Im Jahre XII (23. September 1803 bis 22. September 1804)
wurden der Regierung 700 Millionen Franken zur Verfügung ge-
stellt, wovon 71 Millionen für die Staatsschuld, 268 Millionen für
das Heer, 180 Millionen für die Marine und die Kolonien, 181 Mil-
lionen für die Staatsverwaltung verwendet worden sind.
Für das Jahr XIII war ein provisorischer Kredit von 400 Mil-
lionen auf die Einnahmen des Jahres XIII bewilligt worden.
Die gewaltigen Vorbereitungen Napoleons für den Einfall in
England hatten die Staatseinkünfte der Jahre 1803 — 1805 voll-
ständig aufgezehrt. Obwohl also die Finanzwirtschaft noch in Ord-
nung war, fehlte es dem Kaiser doch bei Beginn des Feldzuges
von 1805 an den nötigen Barmitteln. Die Soldzahlung der Armee
war im Rückstände, die zum Ankaufe der Pferde, zur Beschaffung
der Verpflegung, zur Auszahlung der Landesfuhren nötigen Summen
waren nicht mehr aufzutreiben, so daß schon auf die Staatsein-
künfte des Jahres 1806 gegriffen werden mußte und einzelne Liefe-
ranten nur mit Staatsdomänen bezahlt werden konnten. Da Napoleon
kein Papiergeld ausgeben wollte, mußte er zu anderen Mitteln greifen,
um sich bares Geld zu verschaffen. Der Finanzminister forderte die
Bank von Frankreich auf, den größereu Teil ihrer Barmittel aus-
zufolgen und am 28. August forderte der Kaiser den Generalschatz-
meister auf, ihm 10 Millionen Münze durch Realisierung von Kassen-
scheinen zu verschaffen.
Dieser Geldmangel war die Hauptursache der mangelhaften mate-
riellen Ausrüstung der Großen Armee; er verhinderte es, die Armee
in den Zustand zu versetzen, den sich Napoleon für den Kontinental-
krieg gewünscht hat; vor allem litt darunter die Komplettierung des
Pferdestandes der Kavallerie und Artillerie und die Trainausrüstung
der Armee.
Die französische Armee.
Die „Große Armee", die Napoleon Ende August 1805 gegen
die dritte Koalition in Bewegung setzte, wurde von ihm als die
schönste Armee bezeichnet, die Europa je gesehen. Inwieweit sie
- 45 —
diese Bezeichoung nach heutigen Begriffen verdiente, sollen die
folgenden Angaben über diese Armee dartun :
Mannschaftsraaterial.
Nach dem Konskriptionsgesetze vom 21. August 1798 war
jeder waffenfähige Franzose ohne Ausnahme für den Fall kriegs-
dienstpfiichtig, wenn das Vaterland in Gefahr erklärt wurde ; sonst
war aber das jährliche Rekrutenkontingent beschränkt, und zwar im
Frieden auf 30.000, im Kriege auf 60.000 Mann, die den 20—25
Jahre alten Waffenfähigen entnommen wurden. Weil die Zahl dieser
Waffenfähigen bei einer Bevölkerung von ungefähr 32 MilHonen viel
größer war als das gesetzliche Eekrutenkontingent, wurden die
Rekruten ziemlich willkürlich ausgehoben, und weil Loskauf und
Stellvertretung gestattet waren, entzogen sich vor allem die besitzenden
Klassen der Wehrpflicht. Daß ein großer Teil der also ziemlich will-
kürlich ausgewählten Rekruten nur mit Unlust diente, ist begreiflich^).
In den Kriegsjahren 1802 — 1805 wurden tatsächlich über
200.000 Mann ausgehoben Für das Jahr 1805 bewilligte der Senat
80.000 Rekruten und überdies noch 100.000 der nicht ausgehobenen
Tauglichen früherer Jahrgänge.
Das Mannschaftsmaterial der Armee war nach Provenienz und
Ausbildung sehr verschieden. Neben den Franzosen standen Söhne
der erst vor kurzem einverleibten Gebiete. Ein großer Teil der
Mannschaft kannte den Krieg aus Erfahrung. So zählte die Armee
der Küsten bei einem Stande von 120.000 Mann 52.000 Soldaten,
die mindestens einen Feldzug mitgemacht hatten. Ein Viertel der
Armee stammte noch aus der Zeit der königliehen' Armee und aus
den ersten Jahren der Republik, hatte daher all die zahlreichen
Kriege der Republik mitgemacht. Man muß demnach zugeben, daß
die praktische Kriegserfahrung in dieser Armee in hervorragendem
Maße vertreten war. Dies hatte aber auch schwere Nachteile zur
Folge. Dieser wertvolle Stock der Armee war wenig unterrichtet,
weil während der Kriegsjahre keine Zeit oder keine Lust zur ein-
gehenden Schulung der Mannschaft vorhanden gewesen ist. Das
mag auf den ersten Blick lächerlich klingen. Wer aber zu ermessen
vermag, was ein gut geschultes Unteroffizierskorps für die Aus-
bildung junger Mannschaft ist, und wer bedenkt, daß Hundert-
*) Die Bevölkerung Frankreichs mit den ihm angegliederten Ländern (den
italienischen Staaten, Holland, der Schweiz) betrug über 40 Millionen.
— 46 —
tausende von Eekruten lediglieh auf die von den alten Soldaten
erhaltene Instruktion, auf die Friedensausbildung verwiesen vrar,
der wird auch erkennen, wie schwer dieser Mangel ins Gewicht
fallen mußte. Die Klagen über die mangelhafte Eignung der Unter-
offiziere zur Ausbildung der Rekruten waren allgemein. Alombert
und Colin führen zahlreiche Beispiele aus den Rapporten inspizierender
Generale an, die sich alle über die mangelhafte Ausbildung be-
klagen. Beim 59. Infanterieregiment hatte man z. B. durch In-
struktionsstunden das Gedächtnis der nur leidlich ausgebildeten, aber
sehr routinierten Unteroffiziere auffrischen wollen ; einige Tage nach
dieser Schulung, als der Adjutant einen alten Sergeanten zur Aus-
bildung der Rekruten bestimmte, antwortete dieser in seinem pro-
ven9ahschen Akzent: „Je ne suis pas dans le cas, Monsieur.
L'exercice, je ne la sais pas ; si je la savais, on ne me la montre-
rait pas; si je ne la sais pas, je ne peux pas la montrer."
Diese alte Mannschaft war auf die Truppenkörper sehr ver-
schieden verteilt. So zählte z. B. ein Bataillon des 5. Grenadier-
regiments bei einem Stande von 785 Mann 622, das zweite Bataillon
dieses Regiments bei gleichem Stande nur 112 vor dem Feinde ge-
standene Mannschaften.
In den Stamm altgedienter Soldaten kamen daher oft viele
Hunderte von Rekruten, die in den Jahren 1800 — 1805 ausgehoben
worden waren und ausgebildet werden mußten.
Das Ergänzungssystem und die geringe Instruktion, die die
jungen Soldaten erhielten, waren die Ursache, daß die Disziplin in
der Armee nach heutigen Begriffen nicht besonders gut war. Einen
Maßstab dafür liefert die in geradezu erschreckendem Maße vor-
gekommene Fahnenflucht. Alombert und Colin sagen darüber auf
Seite 173 des I. Bandes:
„Seit drei Jahren desertierten jährlich etwa 50 Mann von
jedem Bataillon. Es gab Regimenter, wie das 34. Linien-, das 6. und
das 17. leichte Regiment, die 330—350 Deserteure in 10 Monaten
des Jahres XIII der Republik zählten; das 18. Linienregiment wies
gar 678 Deserteure in diesem Jahre aus — fast ein Drittel seines
Standes."
Meist desertierten die Rekruten. So desertierten bei den Linien-
regimentern Nr. 3. 14, 30 und 96 ein Drittel, beim 17. Linien-
regiment nahezu die Hälfte, beim 39. Linien- und beim 4. leichten
Remment mehr als die Hälfte aller Rekruten und beim 34. leichten
— 47 —
Regiment desertierten von 319 ßekriiten 282, also nahezu QO^/o
aller Rekruten. Alier auch altüediente Leute hatten das Bedürfnis, sich
zeitweise der militärischen Zucht zu entziehen. Nur kehrten diese
in der Regel nach einigen Monaten wieder zu den Fahnen zurück.
Das Offizierskorps.
Die Revolution hatte im Offizierskorps der französischen Armee
eine gründliehe Umwälzung herbeigeführt. Die fast durchgehends
adeligen Offiziere des aneien regime waren verschwunden und an
ihre Stelle waren im Staate der unbedingten Gleichheit die Tapfersten
der Tapfern getreten. Wie es um deren Wissen bestellt war, dar-
nach fragte in dieser Zeit ewiger Kämpie kein Mensch,
So setzte sich das Offizierskorps der Infanterie und Kavallerie
aus den verschiedensten Elementen zusammen. Auf 5000 solcher
Offiziere entfielen z. B. :
ungefähr 100 ganz junge, aus der Schule von Fontainebleau
hervorgegangene Offiziere (17 — 21 Jahre alt), die sich, sehr gut
unterrichtet, in kürzester Zeit bei der Truppe eingewöhnten und zu
den besten Hofi'nungen berechtigten;
500—600 jüngere Offiziere, die seit 1795 freiwillig oder als
Konskribierte in die Armee getreten waren und wegen ihrer her-
vorstechenden Bildung, ihrer sozialen Stellung oder wegen hervor-
ragender Waffentaten bald Offiziersstellen erhielten. Hievon waren
etwa 30 bereits in höheren Chargen (Stabsoffiziere, Capitains), die
Hauptmasse war noch in den Leutnants- und Unterleutnantschargen ;
zum Best zählten ältere Offiziere, die vor dem Jahre 1794 in
die Armee eingetreten waren : nur ein versehwindend kleiner Teil davon
trug die Epauletten schon in der königlichen Armee; die große
Masse dieser älteren Offiziere verdankte die Beförderung zum Offizier
ihrer Tapferkeit oder bestand aus ehemaligen Unteroffizieren der
königlichen Armee, die freiwillig wieder eingetreten und wegen ihrer
militärischen Vorljildung bald Offiziere geworden waren.
Weil nur die Hervorragendsten dieser Art es zu höheren Stellen
gebracht hatten, zeigte sich im Durchschnittsalter des Offizierskorps
der französischen Armee ein eigentümliches Bild: junge Generale
und Oberste, alte Subalternoffiziere. Das mittlere Alter war: Unter-
leutnants 32 Jahre, Leutnants 37 Jahre. Kapitäne und Stabsoffiziere
39 Jahre. Etwa 90 Subalternoffiziere hatten das 50. Lebensjahr
überschritten. Dagegen waren von den 141 Generalen der Großen
— 48 —
Armee 106 jünger als 45 Jahre. Der jüngste, ein General der
Artillerie, zählte erst 29 Lebensjahre.
Das Alter der Korpskommandanten schwaükte zwischen 31 und
48 Jahren. Es zählten:
Bernadotte (diente seit 1780), 41 Jahre;
Marraont (trat 1790 als Unterleutnant in die Armee), 31 Jahre;
Davout (1788 Leutnant), 35 Jahre;
Soult (1785 Infanterist. Offizier seit 1792), 36 Jahre;
Lannes (1792 als Feldwebel eingetreten), 36 Jahre;
Ney (1788 als Gemeiner in ein Husarenregiment eingetreten),
36 Jahre;
Augereau (trat nach abenteuerlichem Leben 1792 in die fran-
zösische ßevolutionsarmee), 48 Jahre:
Berthier. 52 Jahre;
Bessieres (trat 1792 als gemeiner Soldat in die Armee),
37 Jahre;
Murat (trat 1787 als Jäger zu Pferd in die Armee), 34 Jahre.
Das Offizierskorps der Artillerie und Genietruppe war bei
weitem gleichmäßiger ausgebildet als das der Infanterie und Kavallerie
und entsprach seiner Stellung vollkommen.
Diese Entstehungsgeschichte des Offizierskorps, das Empor-
wachsen auf den Schlachtfeldern mußte dieselben Folgen haben wie
bei der Mannschaft: den Mangel an Instruktion. Nur war dieser
Mangel beim Offizierskorps von noch höherer Bedeutung. Er konnte
die Manövrierfähigkeit der Truppenkörper in Frage stellen^).
Alombert und Colin führen auf den Seiten 182 und 183 des
I. Bandes zahlreiche Qualifikationsbeschreibungen von Offizieren an,
in denen die Ausdrücke „peu instruit" und „point instruit" ab-
wechseln. Es war durchaus nicht selten, daß Stabsoffiziere als un-
fähig, ein Bataillon taktisch zu führen, beschrieben waren.
So kam es, daß die Truppenkommandanten stets trachteten, sich
einer größeren Zahl dieser „braves gens. ayant bien fait la guerre, mais
Sans instruction et sans moyens pour en acquerir" zu entledigen.
^) „. . . nos ehefs etaient gene'ralement paresseux; les exereices ordinaires
faits tant biens que mal" (Pelleport).
„Le regiment fut rarement reimi pour nianoeuvrer en ligne. Point d'eeole
de tirailleurs point d'eserime a la baionnette" (Fesensae).
„L'instruction et les manoeuvres laissent quelque chose ä desirer" (In-
spizierungsberieht des Generals Leval).
— 49 —
Die Zusammensetzung des Offizierskorps aus jungen, tüchtigen
Generalen und Obersten und aus alten, routinierten Subalternoffi-
zieren sicherte der französischen Armee eine kräftige und geschickte
Führung voll Elan und Wagemut und eine ungewöhnliche Voll-
kommenheit in den Einzelheiten des Kampfes und des Felddienstes
und gab der Truppe ihre Erfahrung und ihre Festigkeit.
Der Generalstab.
Ohne eine besondere einheitliche Vorbildung zu erhalten,
wurden junge, intelligente und gebildete Offiziere, meist nach Wahl
der Kommandanten, in den Generalstab versetzt. Das Verbleiben in
dieser Verwendung hing lediglich von der praktischen Verwendbar-
keit ab. Berthier entzog seinen Bedarf einfach den Korps, was zu
manchem Konflikte führte, weil die Beschaffung des Ersatzes sehr
schwierig war.
Der Mangel eines technisch geschulten Generalstabes hatte zur
Folge, daß alle Befehle durch Aufnahme zahlreicher, heute selbst-
verständlicher Details weitschweifig und umständlich werden mußten.
Die mangelhafte Ausbildung des Generalstabes trat z. B. besonders
deutlich beim 6. Korps Ney hervor, wo mancher Führungsfehler nur
diesem Mangel zuzuschreiben war.
Der Generalstab mußte in allen Zweigen des Felddienstes be-
wandert sein und seinen Dienst von der Verfassung der Befehle und
deren Überbringung, vom Dienst in den Bureaus der höheren Kom-
mandos bis zur Leitung von Requisitionen, Führung von Verpflegs-
trains und Beaufsichtigung von Fassungen erstrecken.
General Thiebault sagt in seinem Manuel general du Service
des etats-majors : „Neben dem kommandierenden General ist es der
Generalstabschef, der durch seine Fähigkeiten das beste leisten kann,
oder der durch seine Unzulänglichkeit das größte Übel anrichten
kann. Er muß allen Bedürfnissen der Truppe die lebhafteste Sorgfalt
widmen, kein Bedürfnis darf ihm fremd sein."
Diese Universalität des Generalstabes ist auch heute noch eine
unbedingte Forderung. Nur ein Generalstab, dessen Offiziere alle die
mannigfachen Glieder kennen, aus denen eine moderne Ai'mee be-
steht, und die wissen, was diese Glieder leisten können, wie sie zu
verwenden sind, was man von ihnen fordern kann und muß, wird
ein verläßliches Hilfsorgan der höheren Kommandanten sein können.
Es geht nicht an, daß sich der Generalstab gewissermaßen über das
Krau SS. 1805, Der Feldzug von Ulm. 4
— 50 —
Detail des Armeegetriebes hinaushebt und förmlich in den Wolken
schwebend sieh nur die Gefechtsleitung und die sogenannte operative
Leitung vorbehält, sieh aber sonst auf die Fachorgane verläßt und
sagt: Das ist Sache der Intendanz, des Pioniers, des Eisenbaha-
offiziers. Der Generalstab muß die Einheitlichkeit unter all diesen
zahlreichen Spezialfächern herstellen, er muß jedem seinen Platz in
der großen Maschinerie zuweisen: er muß jederzeit bestimmen,
welchem der Armeebedürfnisse momentan die größte Wichtigkeit zu-
kommt: er muß darauf di'ingen, daß sich alle Spezialisten dem großen
operativen Ziel unterordnen. Dazu ist unbedingt notwendig, daß der
Generalstab alles, was für die Armee nötig ist, beherrscht und über-
blickt. Es darf keine Spezialisten im Generalslab geben, sonst
verdiente dieser Stab nicht mehr den Namen Generalstab. Das
heißt natürlich nicht, daß jeder Generalstal »softizier ebensogut mit
dem Gewehr wie mit der Kanone und Haubitze schießen können,
daß er selbst den Bau von Kriegs- und anderen Brücken leiten, daß
er selbst eine zerstörte Bisenbahn wiederherstellen können müsse
u. dgl. ra. Aber er muß über das Wesen aller dieser Zweige ein
reifes, reelles Urteil haben: er muß nicht nur wissen, wie man die
Waffengattungen verwendet, sondern muß beurteilen können, was er
von jedem Kriegsmittel erwarten, was er von allen Spezialisten der
Armee verlangen kann und was nicht; sonst kann er mit diesen
nicht disponieren. Er darf von ihnen nicht Unmögliches verlangen,
er darf aber ebensowenig gleich den Rückzug antreten, wenn der
Speziahst sagt „es geht nicht". Ein Generalstabsoffizier, der von
einem Pionieroffizier fordern würde, etwa über die Donau bei Krems
ohne Störung der Dampfschiffahrt in beschränkter Zeit eine halb-
permanente Brücke zu schlagen und dabei an eine in 14 Tagen her-
stellbare Jochbrücke denkt, wäre ebenso unbrauchbar wie ein General-
stabsoffizier, der sich damit zufrieden geben würde, wenn ein tech-
nischer Offizier ihm meldet, daß es unmöglich ist, mit Kriegsbrücken-
material, Lokomotiven und beladene Eisenbahnwaggons zu über-
schiffen.
Jeder Spezialist ist meist ein einseitiger Mann: ihm ist die
fachtechnische Vollkommenheit seiner Arbeiten das Höchste und
ihm fehlt meist, gerade wegen seiner eingehenden Spezialausbildung
und Spezialbeschäftigung, der Einblick in die großen operativen For-
derungen und Verhältnisse, denen sein Spezialfach gerecht werden
soll und muß. Fachtechuische Musterleistungen erfordern aber viel
— 51 —
Zeit und viel Arbeitskraft; es wird bei ihnen also gerade das kost-
barste für die Armee wenig beachtet: Die Zeit. Für die x\rmee
kommt es vor allem darauf an, daß jedes fachtechnische Hilfsmittel
möglichst schnell wirksam werde. Ein fachtechnisehes Kunstwerk,
das erst nach Monaten nutzbar wird, ist für eine Armee im Felde
meist weit weniger wert als ein improvisiertes Flickwerk, das nach
2 — 3 Tagen in genügendem Maße brauchbar wird.
Dieses notwendige, reife, gediegene und selbständige Urteil in
allen, also auch in technischen Fächern, muß der Generalstab haben,
sonst ist er weder fähig, mit den Kriegsraitteln richtig zu dispo-
nieren, noch in der Lage, die Ausbildung aller Spezialisten in die
Bahnen zu leiten, die sie zu gut brauchbaren Dienern der operativen
Ideen machen. Werden die Spezialisten aber in ihrer Ausbildung
sieh selbst überlassen und fühlen sie, daß der Generalstab von ihrem
Metier nichts oder nicht viel versteht, dann wird ihr Fach, das sich
nicht in den Organismus des Ganzen einzufügen versteht, das nicht
die Befehle vom Generalstab empfängt, sondern diesem das Gesetz
diktiert, zum Selbstzweck.
Allerdings verlangt die Aneignung dieses ürteiles lebhaftes
Interesse für alle Bedürfnisse der Armee und ein unausgesetztes,
gründliches und eingehendes Studium.
Dem erwähnten Grundsatz entsprechend unterlagen bei der
Großen Armee alle Anstalten, alle Magazine und Spitäler der steten
Überwachung durch den Generalstab, aber auch der Überwachung
durch die Divisions- und Korpskommandanten selbst.
Infanterie.
Im August 1805 zählte die französische Infanterie 113 Ee-
giraenter mit 375 Bataillonen ; davon waren 87 Linieninfanterie-
regimenter zu 3 — 4 Bataillonen mit den Nummern von 1 bis 112
(25 Regimenter bestanden nicht mehr) und 26 leichte Infanterie-
regimenter zu 2 — 4 Bataillonen mit den Nummern von 1 bis 32
(6 bestanden nicht).
Jedes Infanteriebataillon hatte 9 Kompagnien, und zwar bei der
Linieninfanterie p Füsilierkompagnien und 1 Grenadierkompagnie,
bei der leichten Infanterie 7 Chasseurkompagnien, 1 Voltigeur- und
1 Karabinierkompagnie.
4*
— 52 —
Die Grenadier- und Karabinierkompagnien hatten einen Kriegs-
(Friedens-) Stand von 3 (3) Offizieren und 83 (75) Mann, alle anderen
Kompagnien aber 3 (3) Offiziere und 123 (Füsiliere 75, Ohasseure 68,
Voltigeure 123) Mann.
Einschließlieh der Stäbe sollte ein Eegiment von 2 Bataillonen
einen Stand von 38 (36) Offizieren und 2162 (1375) Mann, ein Ee-
giment zu 3 Bataillonen einen solchen von 42 (39) Offizieren und
3234 (2054) Mann haben.
Auf ein Bataillon im Eegimentsverbande kann man daher
rechnen: Friedeusstand 700, Kriegsstand 1100 Mann.
Die Bataillone waren im August 1805 meist stark unter "dem
Stande und wiesen sehr verschiedene Stärken auf. Es gab Bataillone
von 300 bis 400 Mann, andere dagegen hatten den vollen Kriegsstand.
Von vielen Eegimentern wurden einzelne Bataillone al)getrennt
verwendet. So hatten 10 Infauterieregimenter je 1 Bataillon d'elite
als 4. Bataillon im Stande. Diese Bataillone wurden abgetrennt und
je 2 in ein Grenadierregiment vereint. Diese 5 Eegimenter zu 2 Ba-
taillonen bildeten die Grenadierdivision Oudinot.
Ein Bataillon von jedem Eegimente blieb auch im Krieg als
Ersatzbataillon im Depot.
Außer den regulären Truppen l)estanden noch zahlreiche irre-
guläre Korps, wie z. B. die Tirailleurs du Po (1 Bataillon), leichte
korsische Infanterie (5 Bataillone), Fremdenbatailloue (2) etc., dann
Auxiliartruppen (1 Schweizer Eegiment zu 3 Bataillonen, polnische,
hannoverische und batavische Truppen).
Der Gesamtstand der Intanterie war ungefähr 300.000 Mann.
Die Infanterie war mit großkalibrigen (16"5 mm) Vorderlad-
gewehren mit Feuersteinschloß, eisernem Ladstoek und ständig ge-
pflanztem, langem Bajonett bewaffnet^). Die Grenadiere führten neben
dem Bajonett nocb den Infanteriesäbel. Die Offiziere der Voltigeurkom-
pagnien, die Zimmerleute, Hornisten und Tamboure hatten den Kara-
biner. Die Wirkung der Gewehre war auf 200 m gut ; darüber
hinaus war der Schuß unsicher und von rasch abnehmender Wirkung.
Die Feuersehnelligkeit betrug bei Beginn des Feuers und bei mittel-
mäßig geschulter Mannschaft zwei Schuß in der Minute ; bei längerem
Schießen konnte man aber im besten Falle mit einem Schuß in der
Minute rechnen.
^) Das Gewehr war ohne Bajonett l'ö m lang und 4i'4:kg schwer; das
Bajonett war 47'4 cm lang, das Geschoß 31 g schwer.
— 53 —
Jeder Mann hatte 50 Kartuschen Taschenmunition; in den
Parks waren für jedes Gewehr abermals 50 Kartuschen vorhanden i).
Eine besondere Sorgfalt wendete der Kaiser der Besehuhung
der Infanterie zu. Er forderte, daß jeder Fußsoldat wenigstens drei
Paar gute Schuhe haben müsse. Im Lager von Boulogne hatte jeder
Mann zwei Paar; vor dem Abmarsch bekam jeder noch ein drittes
Paar und vor dem Übergang über den Rhein sollte jeder Mann als
Ersatz ein viertes neues Paar erhalten. Zwei Paar hatte der Mann
im Tornister zu tragen.
Die Stabsoffiziere und die über 50 Jahre alten Hauptleute
waren beritten, alle anderen Offiziere der Infanterie waren unberitten.
Taktik. Die Grundformation — Schlachtordnung — war die
dreigliedrige Linie.
An sonstigen Formationen gab es bei der Kompagnie (Peloton)
die Eeihenkolonne, durch einfache Seitenwendung formiert (später
wurde die Eeihenkolonne die Hauptmarschformationl, dann die
Kolonne (= offene Halbkompagniekolonne). Die Aufmärsche erfolgten
durch die Ziehung. Die Kolonnen wurden sowohl nach vorwärts als
nach der Flanke formiert.
Im Bataillon bildeten je 2 Kompagnien eine Division. Neben
der Linie kamen an Formationen beim Bataillon in Verwendung
die Pelotonkolonne (= offene Kolonne mit Kompagnien) und ge-
schlossene Kolonnen mit Pelotons und Divisionen; die geschlossenen
Kolonnen wurden auch „en masse" genannt.
Die Aufmärsche waren durch die Forderung kompliziert, daß
das 1. Glied immer vorne zu stehen komme; in. der Praxis wurden
sie aber wesentlich gegenüber dem Eeglement vereinfacht. Die wich-
tigsten Übungen waren der Frontmarsch in Linie und rasche Front-
veränderungen.
In größeren Verbänden wurden neben der Linie alle For-
mationen verwendet, die durch Aneinanderreihung mehrerer Bataillone
in offener oder geschlossener Kolonne mit Pelotons oder Divisionen
neben- und hintereinander entstehen.
'■) Napoleon ließ über die Munitionsversorgung der Infanterie am 8. Sep-
tember an General Songis sehreiben : „Sie wissen, daß unsere Soldaten viel davon
verbrauchen; daß man fast in allen unseren Kriegen in den wichtigsten Augen-
blicken Mangel litt; das darf uns nicht wieder geschehen." Napoleon befahl daher
daß über die erste Dotierung (100 Kartuschen für jedes Gewehr) noch zehn
Millionen Kartuschen bereitzustellen seien.
— 54 —
Der Marschschritt „pas de route" betrug nach dem Eegleinent
nur 90 ^ in der Minute, Schrittlänge 2 Fuß = (35 cm. Der Schnell-
scbritt wurde bei Angriffsbewegungen angewendet ^).
Dem Schießen wurde bei der Ausbildung hohe Bedeutung
beigelegt. Das Scheibenschießen wurde auf 50 Toisen (130^) be-
gonnen und je nach der Geschicklichkeit bis auf 150 Toisen (390 '^)
erstreckt. Die besten Schützen erhielten Schützenabzeichen, Die
Feuerarten waren die Salve (Kompagniesalve), das Gliederfeuer und
das Einzelfeuer. Im Gefechte herrschte in der Anwendung der For-
mationen die größte, aus der Erfahrung hervorgegangene Freiheit.
Die Linie wurde dabei mit Kolonnen und mit der zerstreuten Ge-
fechtsart kombiniert. Dem Elan der Franzosen entsprach der nach
kurzer Feuervorbereitung durchgeführte Bajonettangriff. Als Grund-
satz war allen Soldaten eingeprägt, daß „die, die am längsten
aushalten, die Schlachten gewinnen".
Märsche. Die französische Armee leistete unter Napoleons
Führung Großartiges im Marschieren, ümsomehr muß das Detail, das
über die Marschtechnik bekannt geworden ist, interessieren. Die Wichtig-
keit, die den Märschen beigelegt wurde, kommt in dem Generalstabshand-
buche von Thiebault, das fast den Charakter eines Dienstbuches
trug, klar zum Ausdrucke: „Die Märsche sind der schwierigste
und wichtigste Teil des Krieges."
Für die Durchführung der Märsche bestanden keine bindenden
Bestimmungen. Jeder Korpskommandant erließ die nötigen Detail-
anordnungen nach seinen Erfahrungen.
Allgemein gültig waren die Bestimmungen über die Sicherung
durch eine Vorhut, durch Kavallerie in den Flanken und durch
eine Nachhut.
Als Marschformationen dienten je nach der Breite der Straßen
und nach der Beschaffenheit des Terrains neben den Wegen die
Sektions- oder die Pelotonkolonnen. Breite: Sektionskolonnen 10 bis
20 Mann, Pelotonkolonnen 20—40 Mann bei einer Kompagniestärke
von 60 bis 120 Mann. Neben diesen reglementären Marsch formationen
begann sich aber auch die Eeihenkolonne von 4 bis 6 Mann Breite
einzubürgern.
Die Distanzen in der Marschkolonne waren ziemlich groß;
Bataillonsdistanzen bO^, ßegimentsdistanzen 150 '^, Brigadedistanzen
^) Bei Märsehen machten die Franzosen etwa 4"5 km pro Stunde, hielten
also nahezu unser heutiges Marschtempo ein.
— 55 —
320 ^ ^). Das Einhalten dieser Distanzen wurde von Generalstabs-
offizieren und Adjutanten überwacht. Der normale Tagesmarsch be-
trug 30 km.
Zum Weitergeben von Befehlen waren Unteroffiziere bestimmt
und geschult, die immer an derselben Seite der Marschkolonne blieben.
Nur diese durften einen Befehl übernehmen und weitergeben.
Marschall Davout gab für sein Korps folgende Detailanord-
nungen aus:
Distanz zwischen den Bataillonen 100 '^. Es ist in zwei ge-
trennten Reihen zu marschieren, die Mitte des Weges freilassend.
Die Generale haben darauf zu achten, daß die Tete derart mit ver-
haltenem Schritt marschiert, daß die Truppen in der Stunde nicht
mehr als eine Postmeile (= 4*5 hm) machen können. Nach jeder
Meile (= Stunde) ist eine Rast von wenigstens fünf Minuten
zu halten, ohne Rücksieht auf die Rasten, die die Nachhut durch
Trommelschlag verlangen kann. Nach drei Viertel des Weges ist
eine Rast einzuschalten ; Dauer je nach Länge des Marsches, wenigstens
aber eine halbe Stunde.
Die von Davout augeordneten stündlichen kurzen Rasten sind
von höchstem Wert für die Marschdisziplin und damit für die Marsch-
leistungen der Truppe. Sie verhindern das Austreten und Nach-
laufen der Leute. Gerade die Nachzügler stellen aber meist die
marschmarod abfallenden Leute.
Kavallerie.
Im August 1805 bestand die französische Kavallerie aus zwei
Karabinier-, 12 Kürassier-, 30 Dragoner-, 24 .Chasseur- und zehn
Husarenregimentern. Alle Regimenter hatten 8 Kompagnien in vier
Eskadronen formiert. Karabinieri und Kürassiere waren die schwere,
Chasseure und Husaren die leichte Kavallerie. Die Dragoner bildeten
ein Mittelding, eine Art berittener Infanterie.
Der Kriegsstand sollte betragen:
Bei den 56 Eskadronen der schweren Kavallerie 172 Reiter,
bei den 136 Eskadronen der leichten Kavallerie 212 Reiter und bei
den 120 Dragonereskadronen 176 Reiter und 104 ünberittene.
Die ganze Kavallerie sollte somit 59.600 Reiter zählen.
Nach dem Standesausweis vom 3. August hatten aber 14 Es-
kadronen nur 52—97 Pferde im Stande, 10 Eskadronen leichter
\) ä 75 cm.
— 56 —
Kavallerie und 21 Dragonereskadronen hatten überhaupt keine Pferde.
Auch der Mannschaftsstand war bei weitem nicht vollzählig-.
Der tatsächliche Stand der Kavallerie betrug am 3. August
nur 57.000 Mann und 38.000 Pferde; ein Drittel des Standes war
also unberitten, die ganze Kavallerie aber mit 22.000 Pferden unter
dem Kriegsstande.
Mit Rücksicht auf die geplante Landung in England waren bei
jedem Dragonerregiment und bei einer Anzahl leichter Regimenter
nur 3 Eskadronen zu Pferd, die 4. aber zu Fuß formiert; diese
sollten in England durch requirierte Pferde beritten gemacht werden.
Die leichte Kavallerie wurde in Divisionen ä 4 Regimenter
den Korps zugewiesen, die schwere Kavallerie und die Dragoner
wurden in selbständige Kavalleriedivisionen vereint.
Als der Kontinentalkrieg sicher bevorstand, gab der Kaiser
am 24. August den Befehl, die Karabinier- und Kürassierregimenter
mit 4 Eskadronen auf den Stand von wenigstens 500 Reitern, die
Dragonerregiraenter in 3 Eskadronen auf 400 Reiter, in der 4. un-
berittenen Eskadron auf 300 Mann zu bringen. Obwohl alle in den
Depots vorhandenen ausgebildeten Mannschaften und Pferde heran-
gezogen und bei den Dragonern zahlreiche Rekruten eingestellt
wurden, blieben doch viele Regimenter weit unter diesem Stande.
Zur Zeit des Rhein-Überganges hatten 21 Dragonerregimenter
weniger als 400 Reiter (245—396 Reiter), die Kürassierregimenter
378 — 500 Reiter und die leichten Kavallerieregimenter 331 bis
457 Eeiter ').
Die leichte Kavallerie war wohl vorwiegend zur Aufklärung
bestimmt, wurde aber von den Korps mit Vorliebe für den Kampf
zusammengehalten. Die schwere Kavallerie war eine reine Schlachten-
kavallerie und wurde gar nicht zur Aufklärung verwendet. Ja selbst
die Dragoner scheinen hierzu wenig geeignet gewesen zu sein, da
Napoleon nach dem Donau-Übergange bei Donauwörth zwei leichte
Regimenter des Korps Lannes an Murat überwies, „damit er auf-
klären könne".
Die Zuweisung der ganzen leichten Kavallerie an die Korps
hatte — wie später dargetan wird — manchen Nachteil.
Bewaffnung. Die Kürassiere hatten Brust- und Rücken-
panzer und Pistoleü, die Karabiniers, die Husaren und Chasseurs
leichte kurze Karabiner, die Dragoner lange leichte Gewehre mit
') Alombert et Colin, II, S. 165.
— 57 —
Bajonett und Pistolen. An blanken Waffen führten alle Regimenter
nur den Säbel (Pallasch). Die Dragoner waren auch für den Fuß-
kampf ausgebildet.
Die Kavallerie war schlecht beritten und im Reiten schlecht
ausgebildet. Ein großer Teil der Dragoner hatte überhaupt keinen
systematischen Reitunterricht erhalten. Aber diese Kavallerie hatte
einen großen Vorteil vor der gut berittenen und gut geschulten
österreichischen Kavallerie: Sie ward von Generalen und Obersten
befehligt, die ihre Truppen geschickt in Flanken und Rücken des
Feindes zu führen verstanden und im rücksichtslosen Drauflosgehen
die beste Anwartschaft auf den Erfolg erkannten. So kam es, daß
die weit bessere, aber mit zu viel Erwägungen und Bedenken ge-
führte österreichische Kavallerie oft, bevor sie sich noch in Be-
wegung gesetzt hatte, überrannt worden war. Dieses Drauflosgehen
war auch gegenüber der damaligen Infanterie- und Artilleriebewaff-
nung einzig richtig. Im Kampfe gegen Infanterie zwang sie diese
zur Bildung von Karrees und hielt die Infanterie, wenn sie nicht
selbst einbrechen konnte, bis zum Eingreifen eigener Infanterie fest^).
Artillerie.
Die französische Armee besaß 8 Regimenter Pußartillerie a 22
und 6 Regimenter reitender Artillerie ä 6 Kompagnien. Jede Kom-
pagnie war zur Bedienung einer Batterie von 6 Geschützen bestimmt.
Der Effektivstand der Artillerie betrug 38.000 Mann. Außer der
Feldartillerie bestanden noch 100 Kompagnien Küstenartillerie und
28 Kompagnien Artillerie der Nationalgarde.
Die Mannschaft der Fußartillerie war mit Infanteriesäbeln und
mit dem Dragonergewehr (mit Bajonett) bewaffnet, das während der
Geschützbedienung quer über dem Rücken getragen wurde. Die
reitende Artillerie hatte Kavalleriesäbel und Pistolen.
^) Es wäre wohl vollkommen verfehlt, wenn man daraus für die heutige
Kavallerieverwendung die Lehre ableiten wollte, ebenfalls so anzugreifen. Gegen-
über der jetzigen Infanterie- und Artilleriebewaffnung wäre das mit der Opferung
der kostbaren Kavallerie gleichbedeutend, die in der Aufklärung von jeher ihre
wichtigste Aufgabe hatte. Diese Aufgabe, die eine äußerst geschickte Führung ver-
langt, und bei der das einfache Drauflosgehen nichts nützt, ist heute noch mehr
im Vordergrunde, weil die früher oft ausschlaggebende Rolle der Kavallerie im
Gefechte fast ganz weggefallen ist. Kavallerie darf heute nur dann gegen Infan-
terie und Artillerie eingesetzt werden, wenn deren volle Überraschung möglich
ist oder wenn der Gefechtserfolg auch die volle Opferung der Kavallerie wert ist.
— 58 —
Seit dem Jahre 1803 war ein neues Geschützraaterial in Ein-
führung, dessen Fabrikation aber bei Kriegsbeginn zu wenig vor-
gesehritten war, um die Artillerie mit dem neuen Geschütz aus-
rüsten zu können. Diese zog daher noch mit dem alten Geschütz-
material, Modell Gribauval, ins Feld. Es waren dies glatte Vorder-
lader, Zwölf-, Acht- und Vierpfünder und sechszöllige Haubitzen ^).
Die Zwölfpfünder waren mit 6, alle anderen Geschütze mit 4 Pferden
bespannt. Jeder Vierpfünder hatte 1, jeder Aehtpfünder 2, jeder
Zwölfpfünder und jede Haubitze 3 vierspännige Munitionswagen.
An Munition befanden sich beim Geschütz (im Protzkasten
und in den Munitionswagen):
beim Vierpfünder 118 Kugel- und 50 Kartätschenschüsse,
„ Aehtpfünder 139 „ „ 60 „
„ Zwölfpfünder 153 „ „ 60 „
bei der Haubitze 151 Kugel- und 9 Kartätsehenschüsse.
Eine gleiche Munitionsmenge wurde für jedes Geschütz in
den Korpsparks und im Großen Park nachgeführt, so daß die ge-
samte mobile Munitionsdotation pro Geschütz 320—426 Schuß be-
trug, eine für die damalige Bewaffnung sicher sehr reiche Manitions-
ausrüstimg.
Die reitende Artillerie hatte sechsspännige Aehtpfünder und
sechsspännige Haubitzen zu 6 Zoll. Die Bedienungsmannschaft war
beritten, ein Teil der Munition wurde auf Packpferden fortgebracht.
Totalgewicht der Geschütze: Zwölfpfünder 1616 hg, Aeht-
pfünder 1184 hg, Vierpfünder 678 leg und Haubitze 969 hg.
Die größte wirksame Schußweite betrug nach dem „Manuel
de l'artilleur" von General Dartibie beim Zwölf- und Aehtpfünder
500 Toisen = 975 m, beim Vierpfünder 450 Toisen = 880 m,
bei der Haubitze die größte Schußweite, bei 45" Elevation 1193 Toisen
= 2325 m. Kartätschen bestanden zwei Gattungen ; die Kartätschen
für große Distanzen enthielten 41 große Füllkugeln, die anderen
112 kleine Füllkugeln.
Die Wirkungsweiten der Kartätschen mit großen Füllkugeln
waren :
Zwölfpfünder 780 m
Aehtpfünder 680 „
Vierpfünder 580 „
^) Zwölfpfünder = 121 cm, Aelitpfünder — lO'ö cm, Vierpfünder = 8'4 cm,
sechszöllige Haubitzen = 16"5 cm Kaliber.
— 59 —
Die Wirkungsweiten der Kartätschen mit kleinen Füllkugeln
waren bei allen Geschützen um 100 m geringer.
Nach Morvans „Le soldat imperial 1800—1814" war die
Wirkung des Geschützfeuers bis 600 m sehr gut, bis 1200 m ge-
nügend, bis 1800 m zweifelhaft und darüber hinaus nur mehr Zu-
fall ^). Die Kartätschen wurden auf Entfernungen bis 400 m ver-
wendet. Gewöhnlich begann das Feuer beim Vierpfünder auf 600 w?,
beim Zwölfpfünder auf 800 m. Feuerschnelligkeit 2 Schuß in der
Minute, bei sehr geschickter Bedienung auch 3 Schuß.
Der Artillerie waren der Artillerietrain, 15 Arbeiterkompagnien
und die 2 Pontonierbataillone angegliedert.
Die Vorräte an Geschützmaterial, Handfeuerwaffen und Munition
waren außerordentlich reich. Am 23. September standen zur Ver-
fügung: 9664 Belagerungsgeschütze, darunter 4640 schweren Ka-
libers, 3730 Feldkanoneii und 866 Haubitzen verschiedenen Kalibers
mit je 5Ü0 Schuß pro Geschütz.
Außerdem 450.000 Eeservegewehre, 42.000 Reservekarabiner
und 131,500.000 Gewehrkartuschen. Die Pulvermagazine enthielten
8600^ Pulver und 4000 t Blei.
Die Große Armee war relativ viel schwächer mit Artillerie
dotiert als die Armeen in früheren Kriegen. Napoleon rechnete nur
1-74 Geschütze auf 1000 Mann. Bei einem Präsenzstande von 211.000
(einschließlich der Bayern) besaß die Große Armee 58 Zwölfpfünder,
146 Aehtpfünder, 52 Sechspfünder, 56 Vierpfünder, 12 Dreipfünder.
2 Einpfünder, 58 sechszöllige, 6 vierundzwanzigpfündige und 6 sieben-
pfündige (bayrische) Haubitzen; im ganzen 396 Geschütze recht
mannigfaltigen Kalibers.
Technische Truppen.
Es bestanden: 2 Pontonierbataillone ä 8 Kompagnien, 5 Sappeur-
bataillone ä 9 Kompagnien und 9 Mineurkompagnien. zusammen
5660 Mann.
Bewaffnung. Dragonergewehr mit Bajonett und Korpssäbel
(Faschinenmesser).
Der Brückentrain bestand aus hölzernen Schilfen, die auf zehn-
spännige Hakets (Brückenwagen) verladen waren, dann aus Balken.
Bohlen. Werkzeuo- etc. Der Brückentrain bestand aus 63 solchen
^) Als Ziele jedenfalls große Massen, in Linien und Kolonnen formiert, an-
genommen.
— 60 —
Hakets, aus 13 sechsspännigen Hakets (mit Kähnen) und aus 288 vier-
spännigen anderen Wagen, also zusammen aus 307 Wagen mit
1588 Zugpferden. Überdies bestand noch eine Seilbrückenequipage
mit 28 vierspännigen Wagen und eine Bockbrückenequipage be-
stehend aus 20 vierspännigen Wagen.
Das gesamte Brüekenmaterial der Pontonierbataillone wurde in
Straßburg konzentriert. An requirierten Schiffen waren Mitte Sep-
tember eine Equipage von 60 Schiffen in Straßburg, eine zweite
Equipage in Neubreisach und 45 große Ehein-Schiffe auf Wagen
verfügbar.
Train.
Die Geschütze, die Munitions wagen, die Munitionsanstalten
und die wichtigsten Teile des Armeetrains sollten von den 16 Train-
bataillonen, die der Artillerie angegliedert waren, bespannt oder auf-
gestellt werden. Es waren aber außer den Munitionswagen weder
brauchbare Wagen noch Pferde vorhanden. Infolgedessen wurde mit
Dekret vom 2. September die Beistellung von 3500 vierspännigen
Wagen aus den östlichen Departements angeordnet, wovon 2500 für
den großen Artilleriepark, 1000 für den Lebensmittelpark der Armee
bestimmt waren. Kutscher und Pferde erhielten die Verpflegung,
Außerdem sollten die Kutscher täglich 0"75 Franken und für jedes
Pferd 1^2 Franken Entschädigung erhalten.
Der gesamte Train der Armeekorps — Bagagen, Verpflegstrains
und Ambulanzen — bestand aus requirierten Landesfuhren ohne
festgesetzte Zahl, so daß die Trains der Korps sehr verschieden or-
ganisiert waren. Als Eichtschnur galt, daß die Korps jederzeit mit vier-
tägigem Brotvorrat und für 4 Tage mit Zwieback ausgerüstet sein
mußten. Pferdefutter sollte nicht mitgeführt werden; trotzdem
müssen aber alle Korps auch ziemliche Mengen Hafer mitgeführt
haben. So führte z. B. das Korps Ney beim Marsch von Stuttgart
über Heidenheim Hafer für etwa 8 Tage mit sich.
Die Truppen hatten keinen eigenen Truppentrain: auch sie
mußten sich mit requirierten Landesfuhren behelfen. Für ein
Infanterieregiment waren gestattet: 5 vierspännige Bagagewagen und
1 Marketenderwagen, dann für jedes Bataillon 1 Ambulanzwagen,
2 Marketender und 2 Wäscherinnen mit je 1 Packpferd. Die Wagen-
zahl wurde sehr oft stark überschritten, von einzelnen Korps-
kommandanten, wie z. B. von Davout, dagegen noch mehr restrin-
— 61 —
giert. Die Regimenter nahmen außer ihrem Train meist noch einige
leere Landesfuhren für Marschraarode und Kranke mit. Der Truppen-
train war somit gering und bestand nur aus wenigen leistungs-
fähigen Wagen.
Ungemein reich war die Gebühr an Bagagewagen und Pferden
zum persönlichen Gebrauch der Generale, Offiziere und Beamten
bemessen. So gebührten :
einem Marschall 18 Reitpferde, 2 vierspännige Wagen und
10 Packpferde, zusammen 36 Pferde ;
einem General als Korpskommandanten 18 Reitpferde, 1 vier-
spänniger Wagen und 6 Paekpferde, zusammen 28 Pferde;
einem Divisionsgeneral 8 Reitpferde, 1 vierspänniger Wagen
und 6 Packpferde, zusammen 18 Pferde;
einem Brigadegeneral 6 Reitpferde, 1 vierspänniger Wagen
und 6 Packpferde, zusammen 16 Pferde;
einem Obersten (Generalstab und Kavallerie) 4 Reitpferde und
3 Packpferde, zusammen 7 Pferde;
einem Obersten (Infanterie) 3 Reitpferde und 3 Packpferde,
zusammen 6 Pferde;
einem Bataillonskommandanten 2 Reitpferde und 1 Packpferd,
zusammen 3 Pferde;
einem Generalintendanten 8 Reitpferde, 4 vierspännige Wagen
und 6 Packpferde, zusammen 30 Pferde;
einem Korpsintendanten 4 Reitpferde und 1 vierspänniger
Wagen, zusammen 8 Pferde;
einem Intendanten 3 Reitpferde und 2 Paekpferde, zusammen
5 Pferde;
einem ünterintendanten 2 Reitpferde.
Diese Gebühr konnte nicht reluiert werden; Futter und Ver-
pflegung gebührte daher nur für die tatsächlich verwendete Anzahl
Pferde und Diener.
Zur Geleitung der Trains wurde die Mannschaft der Train-
kompagnien verwendet, die mit Dragonergewehren samt Bajonett
und mit Kavalleriepistolen und Kavalleriesäbeln bewaffnet war.
Armeekörper.
An höheren Verbänden bestanden Brigaden, Divisionen und
Armeekorps. Diese Körper waren aber nicht in unserem heutigen
Sinne gleichmäßig und bleibend organisiert, sondern ihre Zu-
— 62 —
sammen Stellung wurde vom Kaiser fallweise festgesetzt, wobei er
ihre Stärke und ihre Dotierung mit verschiedenen Waffengattungen
ganz nach den jeweiligen Verhältnissen und oft nach der Persön-
lichkeit des Kommandanten bestimmte.
Der Kaiser ließ sich nie abhalten, den höheren Verband je nach
dem Bedarfe zu ändern, vorübergehend Gruppen zu biiden, immer aber
trachtete er. den alten Verband möglichst bald wiederherzustellen.
Die Infanteriedivisionen bestanden nur aus Infanterie,
Artillerie und technischen Truppen.
Sie waren verschieden stark: 6 — 11 Bataillone mit 5600 bis
9000 Mann Infanterie. Jede Division konnte in zwei Brigaden ge-
teilt werden, wozu beim Divisionsstabe zwei Brigadegenerale ein-
geteilt waren. Trotz der verschiedenen Stärke sollten alle Divisionen
die gleiche Anzahl Geschütze besitzen, und zwar je 2 Zwölfpfünder,
Vierpfünder und Hauljitzen und 6 Achtpfünder, zusammen also
12 Geschütze. Jeder Infanteriedivision waren zwei Kompagnien Ar-
tillerie, Train und eine Abteilung technischer Truppen zugewiesen.
Das Kommando führte ein Divisionsgeneral, dem 3 Adjutanten
zugewiesen waren.
Dem Divisionsgeneral stand der (leneralstabschef (eommandant-
adjutant) mit 2 Generalstabsoffizieren zur Seite. Im Divisionsstabe
befanden sich noch die 2 Infanteriebrigadiere mit je 2 Adjutanten,
der Artilleriekommandant mit 1 (Tehilfen, 2 Genieoffiziere, 1 Muste-
rungsinspektor und 2 Kriegskommissäre. An Administrativpersonale
waren je ein Organ zur Beschaffung des Brotes, des Fleisches, des
Pferdefutters, des Brennholzes, der Bekleidung und Unterkunft, je
ein Organ zum Bau von Backöfen, zur Verwaltung des Spitals, zur
Leitung des Sanitätsdienstes und für den Postdienst und drei Or-
gane für die Verwaltung der Trains (je eines für die Transporte,
für die Verpflegstrains und für die Ambulanz) vorhanden.
Die Kavalleriedivisiou. Die Kavallerie war in Brigaden
und Divisionen formiert. Jede Brigade bestand aus 2 Regimentern;
2—3 Brigaden lüldeten eine Kavalleriedivision (schwere, Dragoner-
und leichte). Jeder Division war eine reitende Batterie von 3 bis
4 Geschützen Ijeigegeben.
Die Divisionskommandos waren ähnlich wie die Infanterie-
divisionskommandos zusammengesetzt.
Alle leichten Kavalleriedivisionen waren bei den Armeekorps
eingeteilt.
— 63 —
Das Armeekorps war die kleinste Einheit, die aus allen drei
Waffen zusammengesetzt war.
Die Armeekorps bestanden aus 2 — 4 Infanteriedivisionen,
einer leichten Kavalleriedivision, einer Artilleriemannschaftsreserve und
einem Artilleriepark (Geschütze und Munition). Alle anderen Trains des
Korps — \'erpflegstrains, Ambulanzen und Bagagetrains — waren,
wie schon erwähnt, aus Landesfuhren gebildet. Auf diesen Trains
wurden fortgebracht: ein Vorrat an Schuhen. Sanitätsmaterial, das
nicht vom Manne getragene Brot, der Zwieback und das Mehr-
ergebnis der täglichen Requisitionen.
Dem Korpskommandanten stand ein sehr reiches Personal zur
Verfügung.
Der Korpsstab bestand aus : 6 Adjutanten des Korpskomman-
danten, einem Divisionsgeneral als Generalstabschef und dessen Ad-
jutanten (2 — 3), aus 10 — 18 Generalstabsoffizieren, 1 Divisions-
general der Artillerie mit 3 Adjutanten, 1 Brigadegeneral der Ar-
tillerie mit 2 Adjutanten und 3 Generalstabsoffizieren der Artillerie,
1 Brigadegeniegeneral mit 2 Adjutanten und 5 — 6 Genieoffizieren,
1 höheren Gendarmerieoffizier als Chef der Feldpolizei mit einer Gen-
darmerieabteilung von 1 Offizier und 98 Gendarmen, 1 General-
wagenmeister (Hauptmann oder Major), 1 Revueinspektor, 1 Chef-
kommissär, l Kriegskommissär und 4 Kanzleibeamten. An Admini-
strativpersonal waren vorhanden: je 1 höheres Organ für die Brot-
verpflegung, für den Bau der Backöfen, für Fleiscliverpflegang,
Futterbeschaffung und für die Verwaltung der Spitäler, 1 Chefarzt,
1 Chefchirurg, 1 Chefapotheker, je 1 Organ für die Bekleidung und
Unterkunft, für Brennmaterial, für die Briefpost, 1 Kassenbeamter und
3 Verwalter der Trains (Transporte, Lebensmittel und Ambulanzen^).
Jeder Korpskommandant hatte überdies 1 Divisionsgeneral mit
3 Adjutanten und 2 — 3 Brigadegenerale mit je 2 Adjutanten zu
^) Welcher Dienst diesen Organen zukam, vor allem dem Organ für die
„Transporte", konnte nicht ermittelt werden. Nach Alombert et Colin, „La Cham-
pagne de 1805 en AUemagne", I (Doeuments annexes et eartes), S. 44 — 94, hatte
jedes Korps und jede Division unter dem Administrationspersonale zugewiesen:
{Transports: 1 inspeeteur ou ehef de division;
Vivres: 1 sous-direeteur, sous-inspecteur ou eondueteur;
Ambulance: 1 direeteur, eapitaine ou eondueteur.
Da bei einigen Korps Generalwagenmeister und Wagenmeister zur Führung
der Trains ernannt worden sind, hatten diese Personen scheinbar nichts mit der
militärischen Führung der Trains zu tun.
— 64 —
seiner Disposition. Der gesamte Korpsstab zählte, abgesehen von
dem Dienerpersonal und von den Fuhrleuten, 160 — ^170 Personen.
Die Stärke der Korps war sehr verschieden: sie schwankte
von 14.000 bis 40.000 Mann: trotz dieser verschiedenen Stärke
hatten doch alle Korps die gleiche Kavalleriekraft zugewiesen:
eine Division zu 4 leichten Eegimentern.
Die Garde.
Außer den erwähnten Truppen bestand noch seil Juli 1804
die kaiserliche Garde. Sie war nach dem Befehl Napoleons vom
1. September 1805 folgend organisiert:
Infanterie: Grenadierbrigade zu 4 Bataillonen! ,, , , ^^
, . , , I allea4Kompao-nien
Jägerbrigade .,4 „ , ir,mv/r "
T,v • u ü- j o zu 120 Mann;
Italienische Brigade ..2 ,, )
Kavallerie : Grenadiere zu Pferd . . 6 Eskadronen 1
Jäger zu Pferd 6 „ ,k 150 Reiter ;
Mamelucken 1 Eskadron j
Gendarmerie 1 „ zu 100 Beiter ;
Artillerie : 3 Batterien reitender Artillerie zu 8 Geschützen (4 Acht-
pfünder, 2 Vierpfünder und 2 Haubitzen).
Jede Batterie besaß 2Q Munitionswagen, 2 Munitionskarren
und 4 andere Wagen.
In die Garde wurden die tapfersten Mannschaften übersetzt.
Um die Truppen aber nicht zu sehr auszulaugeu. wurde ein Teil —
die Veliten — direkt in die Garde eingereiht. Es waren dies Frei-
willige oder Konskribierte, die 200 Franken jährlich Zulage von
ihrer Familie erhalten konnten.
Der Oberbefehl.
Den Oberbefehl führte der Kaiser; rJs sein Stellvertreter hatte
Murat zu gelten.
Als Chef des Generalstabes und erstes Hilfsorgan des Kaisers
fungierte Marschall Berthier mit dem Titel „Le ministre de la guerre,
major general. expediant les ordres de Tempereur" ^). Er stand an der
Spitze des Generalstabes des kaiserlichen Hauptquartiers. Ihm waren
drei Divisionsgeneraie heigegeben. Der Dienst wurde im Kabinett des
Ministers und in sieljen Bureaus versehen, und zwar :
^) Berthier behielt auch während des Krieges den Titel und die Würde
des Kriescsministers.
— 65 —
1. Für Bewegung-, Situationen, Verteilung der Truppen, Ge-
saratstand ;
2. Innere Details und administrative Verfügungen;
3. Unterkunft und Dienst im Hauptquartier;
4. Tagesbefehle, allgemeine Korrespondenz;
5. Verkehr mit der Marine;
6. Eapporte und Tagebücher;
7. Topographisches Bureau.
Nebst dem Generalstab gehörten zum Hauptquartier : der General-
artillerieinspektor, der Genera] genieinspektor, der Generalintendant,
der Generalmusterungsinspektor und der Generalwagenmeister, der
oberste Chefarzt, der oberste Chefchirurg und oberste Chefapotheker,
der Generalzahlmeister, die Chefs der Verwaltungszweige (für Brot,
Fleisch etc., wie beim Korps), der Telegraphendirektor, der General-
direktor der Post und eine fahrbare Druckerei.
Neben diesem zahlreichen Personal des Armeekommandos hatte
aber der Kaiser auch viele hohe Funktionäre in seiner unmittelbaren
Umgebung. Außer den neun Adjutanten im Generalsrang hatte er
noch den General Clarke bei sich, dessen Stellung wohl der eines
Generaladjutanten entsprach, der aber neben diesem Kaiser nur die
Rolle eines ersten Sekretärs spielte. Der Oberstallmeister Caulaincourt,
der Obersthofmarschall Duroc mit fünf Adjutanten, der erste General-
intendant Daru und viele andere waren im Hauptquartier anwesend.
Da alle diese hohen Funktionäre zahlreiche Hilfsbeamte, Diener,
Pferde und Wagen mit sich führten, war der Troß des Haupt-
quartiers riesig. Das kaiserliche Hauptquartier zählte mit den zur
ständigen Bewachung bestimmten Truppen 400 Offiziere, 5000 Mann
und 500 Kavalleriepferde. Die Gesamtzahl der Pferde muß weit mehr
als 2000 betragen haben.
Man hätte also in dem Beispiel Napoleons einen Trost für die
auch jetzt übergroßen Armeekomraandos — wenn diese Folgerung aus
dem Beispiele nicht falsch wäre.
Napoleon überragte seine ganze Umgebung so gewaltig, er be-
herrschte das ganze Getriebe des Hauptquartiers und der ganzen
Armee derart, daß einzig nur das geschah, was er wollte. Alle
anderen waren nur seine Werkzeuge, seine Handlanger. Er war Ein-
flüsterungen, Beeinflussungen unzugänglich ; bei ihm gab es keine
Hintertüren und keine Hintertreppen, daher fehlte auch die auf
diesen betriebene Politik, Bei ihm schadete dieser Troß hoher Funk-
Kraus s. 180f), Der Feldzug von Ulm. 5
— G6 —
tionäre nichts oder doch nicht viel, genützt hat er bestimmt auch
nichts. Übrigens eilte der Kaiser mit engerem Stabe immer voraus
imd nach dem Falle Ulms blieb ein großer Teil des Hauptquartiers
in Augsljurg zurück.
Die Anwesenheit von Generaladjutanten. Ministern, Obersthof-
meistern und ähnlichen hohen Funktionären beim Oberkommando der
Armee im Felde ist nicht nur ganz überflüssig, sondern, wie das Bei-
spiel von 1870 vielfach zeigt, sogar schädlich.
Im Felde ist der Monarch vor allem Feldherr. Das ganze
Schicksal des Staates hängt allein vom Erfolge der Armee ab. Die
Leitung der Armee, ja des ganzen Staates muß daher einheitlich
und auf den Sieg gerichtet sein; keine Nebeneinflüsse, und wären
sie sachlich noch so richtig, dürfen den Feldherrn irre machen. Er
soll daher, wenn er eben kein Napoleon ist, nur einen Berater, nur
einen Vertrauten haben, durch den alles, was die Armee und
die Politik betrifft, zu gehen hat und dem daher alle Personen
des Hauptquartiers unterstehen müssen: den Generalstal)schef.
Die Anwesenheit des Kriegsministers, des Chefs des Militärkabinetts,
des Ministers des Äußern und ähnlicher hoher Funktionäre im großen
Hauptquartier hat 1870/71 nur Friktionen erzeugt; sie hat dem
König und dem Generalstabschef das Handeln nur schwerer gemacht.
Es ist unmöglich, daß so hohe und einflußreiche Funktionäre im
Hauptquartier, wo sie in ihrem Wirkungskreis eigentlich nichts zu
arbeiten haben, untätig bleiben und sich nicht mit unberechtigten
Eatschlägen oder selbst mit Intrigen in die Führung einmischen^).
Wenn dann der Minister des Äußern selbst ein zweiter Bis-
marck und ebenso ein geborener Soldat wäre, wie Bismarck es ge-
wesen ist, vs^enn der Kriegsminister selbst die Eigenschaften eines
Eoon hätte, würden diese hervorragenden Männer mit ihrer Ein-
mengung nur schaden, so wie auch Bismarck und Roon 1870 im
Hauptquartier nur geschadet haben. Diese Funktionäre gehören in
die Heimat. Dort ist das Feld ihrer Haupttätigkeit, dort allein können
sie für die Armee nützen. Der Telegraph, das Automobil und die
Eisenbahn machen es jetzt erst recht möglich, diese Funktionäre zu-
rückzulassen, da die genannten Mittel zur Verbindung mit dem Mon-
archen und Armeekommandanten genügen ; ist einmal die Anwesen-
^) Vergleiche in dieser Hinsieht den Einfluß des FML. Duka im Haupt-
quartiere Schwarzenbergs 1813. Karl Graf Vitzthum, „Die Hauptquartiere im Herbst-
feldzuge 1813 auf dem deutsehen Kriegsschauplätze", S. 14.
— 67 —
heit dieser Funktionäre im Hauptquartier nötig, dann können sie
bei den heutigen Verbindungsmitteln rasch und bequem für 1 — 2 Tage
dahin gebracht werden.
Interessant ist die Art, wie der Kaiser im Felde arl^eitete:
Sobald das Hauptquartier das Marschziel erreicht hatte, mußte
das topographische Kabinett des Kaisers in dessen Arbeitszimmer
sofort die Karten auflegen und darauf die Situation der eigenen
Truppen und, soweit sie bekannt war, die des Feindes mit Nadel-
fähnchen bezeichnen. Oft ließ sich der Kaiser von besonders wich-
tigen Punkten nach den Karten Landschaftsskizzen herstellen. Im
Jahre 1805 benutzte Napoleon für den Feldzug von Ulm General-
karten von Deutschland von Chauchard und von Sotzmann (1803),
die Karte von Schwaben 1 : 86.400 von Bohnenberger (60 Blätter)
und einen Abdruck des Entwurfes der ■ Karte von Schwaben von
Moreau 1 : 50.000 (56 Blätter), die Karte von Hessen-lJarmstadt
1 : 30.000 von Haas (25 Blätter) und eine Karte der Umgebung von
München. Die Generalkarten waren nur Übersichtskarten sehr kleinen
Maßstabes. Der große, noch dazu ungleiche Maßstab der anderen
Karten mußte bei den großen Räumen, um die es sich handelte, die
Übersicht außerordentlich erschweren. Vom 12. Oktober an wurde
auch eine im Maße 1 : 300.000 hergestellte Karte von Schwaben ver-
wendet^). Die Karten mußten wegen des großen Maßstabes auf dem
^) Trotz der weitreichenden Vorsorgen Napoleons war die Ausrüstung der
Armee mit Karten sehr gering. Schon im Jahre 1800 war unter der Leitung des
Generals Moreau mit der Aufnahme von Schwaben begonnen worden. Im folgenden
Jahre wurde mit dem Kurfürten von Bayern ein Übereinkommen geschlossen,
wonach die französischen Kartographen im Vereine mit den bayrischen arbeiten
sollten. Der Entwurf der Karten wurde im Maße 1 : 50.000 hergestellt, der dann
auf 1 : 100.000 reduziert werden sollte ; in diesem Maßstabe sollten die Karten
graviert und vervielfältigt werden. Nach dem ersten Entwürfe der Karten war
überdies noch eine Übersichtskarte im Maße 1 : 300.000 herzustellen.
Der Entwurf der Karte von Schwaben sollte Ende 1805 fertig werden.
Als im August 1805 der Krieg immer wahrscheinlicher wurde, erhielt der Chef
des De'pot de la guerre, General Sanson, den Auftrag, die Arbeiten zu beschleu-
nigen. Er meldete, daß die Karte von Schwaben 1:50.000 fertig, daß aber die
Übersichtskarte 1 : 300.000 erst begonnen worden sei. General Sanson ließ nun
einen Abzug der Karte 1 : 50.000 für den Kaiser herstellen und die Arbeiten an
der Übersichtskarte beschleunigen. Trotz aller Anstrengungen konnte aber diese
Übersichtskarte erst am 12. Oktober an einige Generale ausgegeben werden;
wenigstens sandte an diesem Tage Napoleon eine der Karten an Murat.
Die Arbeiten in München waren noch nicht beendet, als die Österreicher
in Bayern einmarschierten. Die französischen Topographen mußten daher ebenso
5*
— 68 —
Fußboden des Ziramers ausgebreitet werden. Der Kaiser lag nun —
wörtlich genommen — oft stundenlang brütend über den Karten.
Die Entfernungen maß er mit emem auf mehrere Wegstunden ge-
öffneten Zirkel mit erstaunlicher Schnelligkeit ab. Dabei oder im
Auf- und Abgehen diktierte er seine Befehle einem seiner Sekretäre
so schnell ein, daß dieser nur mit einer Art Schnellschrift folgen
konnte. Die Sekretäre mußten das Eindiktierte sofort ins reine
schreiben. Der Kaiser las die Eeinschrift durch und unterfertigte sie.
Gewöhnlich richtete Napoleon seine Befehle schriftlich an den in einem
nahegelegenen Zimmer arbeitenden Berthier ; öfter aber sandte er auch
direkte Befehle an einzelne Korpskommandanten. Die Befehle des
Kaisers waren, wenn auch oft ins Detail eingehend, so doch sehr
bestimmt und kurz. Berthier mußte nun auf Grund dieser Befehle
die Ausfertigungen an alle betroffenen Stellen herstellen lassen, die
meist von Berthier unterfertigt expediert wurden. Über das An-
geordnete mußte endlich Berthier einen Bericht an den Kaiser vor-
legen.
Der Ausdruck der kaiserlichen Befehle ist immer außerordent-
lich scharf, bestimmt und klar ; abgesehen von beizufügenden Details
und Erklärungen, ließ sich daran nichts ändern, ohne nicht den
ganzen Sinn zu stören. In den Reinschriften des Generalstabes finden
sich auch alle charakteristischen Sätze des Kaisers wörtlich wieder.
Da der Kaiser seinen Entschluß allein faßte, da er diesen Entschluß
auch selbst klar als Ausdruck seines Willens zu Papier brachte.
wie der französische Gesandte nach Würzburg flüchten. Die von dort nach Paris
gesandten fertigen Kartenblätter von Bayern kamen zu spät an; sie erreichten
den Kaiser erst in München.
Die französischen Generale und Truppen erhielten keine Karten des Kriegs-
schauplatzes. Jeder mußte sieh mit den Karten behelfen, die er sich selbst ver-
schaffen konnte. Wie es in dieser Beziehung bei der Armee ausgesehen haben
mag, läßt ein Brief des rührigen Marsehalls Davout schließen. Davout schrieb am
24. September aus Speyer an den Kriegsminister: „Ich habe die Ehre, Euer
Exzellenz zu bitten, den Generaldirektor des Depot de la guerre zu ermächtigen,
mir Karten des Landes zur Verfügung zu stellen, das der Schauplatz des Krieges
in Deutschland sein wird. Die Händler des Landes bieten in dieser Hinsieht
wenig oder gar keine Mittel. Euer Exzellenz wissen, wie dringend es ist, daß mir
diese unentbehrlichen Hilfsmittel zukommen."
Leider fehlt die Antwort auf diesen Brief. Davout dürfte aber nichts er-
halten haben. Die französischen Truppen dürften daher den Feldzug fast ganz
ohne Karten durchgemacht haben. Sie haben sieh jedenfalls mit Führern und
mit Rekognoszierungen durchgeholfen.
— 69 —
blieb dem Generalstabschet wirklich nur das zu tun übrig, was sein
Titel ausdrückte: „expediant les ordres de l'erapereur". So viel Frei-
heit auch Napoleon seinen Korpskommandanten in der Führung ihrer
Korps ließ — er bezeichnete ihnen gewöhnlich nur. wo er sie haben
wollte und was sie zu tun hatten, das „Wie" überließ er ihnen ganz
— so wenig Freiheit ließ er dem Generalstabschef. Die Art und
Weise, wie Berthier aber diesen Dienst versah, die große Geschäfts-
kenntnis, der Überblick über alle Zweige der Arraeeversorgung. die
seine Befehle erkennen lassen, die Präzision, Schnelligkeit und Gründ-
lichkeit seiner Arbeit zeigen, welch wertvolles Hilfsorgan er selbst
für den Kaiser Xapoleon gewesen ist.
Dasselbe sollte für die Stellung der Korps- und Divisions-
generalstabschefs gegenüber ihren Kommandanten gelten. Im XVIII.
Jahrhundert und besonders in den Revolutionsarmeen hatte sich in
der französischen Armee infolge der meist überlegenen militärischen
Bildung und Energie der Generalstabschefs die Gepflogenheit heraus-
gebildet, daß die Generalstabsehefs untereinander und direkt mit
dem Minister koiTespondierten. Napoleon stellte diese Gepflogenheit
sehr energisch ab: „Le principe est bien certain que le chef d'etat
major est l'homme du general en chef pour transmettre ses ordres
ä l'armee^)."
Hier sei noch erwähnt, daß Generalstabschefs, Generalstabs-
offlziere und Adjutanten in der französischen Armee grundsätzlich
auf Vorschlag des Kommandanten ernannt worden sind.
Die kaiserlichen Befehle wurden mit unbedingtem Gehorsam
ausgeführt. Obwohl viele Marschälle weit länger als Generale ge-
dient hatten als Napoleon und obwohl sie auch meist älter an Jahren
^) Dieses Prinzip steht wohl für alle Zeit fest. Auch dort, wo der General-
Stabschef durch seine überragende Persönlichkeit selbst der geistige Leiter eines
Kommandos ist, sollte von diesem Grundsätze nicht abgewichen werden. (Ver-
gleiche in dieser Beziehung das mustergültige Verhalten Gneisenaus als General-
stabsehef Blüchers. Vitzthum. „Die Hauptquartiere im Herbstfeldzuge 1813", S. 51.)
In den Jahren 1866 und 1870/71 sehen wir dagegen neben den offiziellen, an die
Armeekommandanten gerieJiteten Befehlen auch auf die Operationen sieh beziehende
Direktiven Moltkes an die Generalstabschefs der Armeen ergehen. Da alles im
großen ganzen glatt abgelaufen ist und weil kein Unglück das Verfehlte dieser
Maßregel so recht hervortreten ließ, ist man jetzt gern geneigt, dieser Art Unter-
strömung als mustergültige oder anzuempfehlende Art der Verständigung das
Wort zu reden. Es ist aber nicht einzusehen, warum diese Direktiven und Er-
läuterungen nicht an das Kommando selbst gerichtet werden. So aber könnte sieh
leicht eine Art Nebenführung durch die Generalstabsehefs entwickeln.
— 70 —
als der Kaiser oder gleichalterig mit diesem waren, fühlten doch
alle die unbedingte Ülierlegenheit dieses Genies und erkannten sie
ohne Neid und Mißgunst, selbst unterwürfig an. Alle trachteten,
nur die Zufriedenheit ihres Meisters zu erringen : und drückte dieser
einmal seine Unzufriedenheit mit einem seiner Generale aus, dann
war der Getadelte tief betroffen und setzte alles daran, die Scharte
bald wieder auszuwetzen.
Verpflegung.
Die ersten Befehle Napoleons für den Kontinentalkrieg betrafen
die Sieherstellung der Verpflegung am Rhein für den Operations-
beginn. Die Kürze der Zeit, der Mangel an Geld und die Schnellig-
keit des Operationsbeginnes — die beabsichtigte mehrtägige Ruhe-
pause am Eh ein ließ Napoleon ausfallen — verhinderten die volle
Ausführung dieser Befehle. Der Mangel eines gut organisierten Trains
hätte überdies die Ausnützung großer, am Rhein angesammelter
Verpflegsvorräte kaum möglich gemacht. So bUeb die Armee
während des Vormarsches ganz auf die Mittel des Kriegsschau-
platzes angewiesen. Diese Mittel genügten vollkommen zur Er-
nährung der etwa 200.000 Mann starken Armee.
Das zahlreiche Verpflegspersonal der Divisionen und Korps,
die Geschicklichkeit der Truppe im Requirieren und der Befehl
Napoleons, daß in den Ijefreundeten Ländern alles grundsätzlich zu
bezahlen sei, konnten bei dem Reichtume des Landes hoffen lassen.
daß die Verpflegung keine Schwierigkeiten bereiten werde. Die Er-
eignisse werden zeigen, wie wenig diese Hoffnung in Erfüllung
ging, und was die Ursachen dafür waren.
Diese lagen gewiß nicht in der geringen Beachtung, die in
der französischen Armee der Verpflegung geschenkt- wurde. Welche
Wichtigkeit diesem Dienste zugemessen wurde, mag folgendes aus
dem Generalstabshandbuche des Generals Thiebault dartun:
Der Generalstabschef hat sämtliche Anordnungen für die
Fassung 2 — 4 Tage im vorhinein zu erlassen. Jedes Regiment ent-
sendet zur Passung ein Handlangerkoramando, geführt von Ad-
jutanten und Fourieren und geleitet von einem bewaffneten De-
tachement. Die Reihenfolge der die einzelnen Artikel, wie Brot,
Fleisch, Reis, Salz, trockenes Gemüse, Branntwein, Wein, Essig,
Fourage, Stroh etc., fassenden Truppenkörper ist jedesmal genau
zu bestimmen.
— 71 —
„Von der Menge der Verpflegung hängt die Kraft
der Menschen und der Pferde, von der Güte der Verpfle-
gung deren Gesundheit und von der Ordnung und Eegel-
mäßigkeit dieses Dienstes die Ordnung und Disziplin in
der Armee ab.
„Man kann daher nicht genug für die ßegelmäßigkeit der
Fassungen tun.
„Die Intendanten haben dazu die Magazine und Fassungen zu
iospizieren, um jeden Mii3brauch abzustellen.
„Die Ärzte haben die Verpflegung auf ihre Güte zu unter-
suchen.
„Die Offiziere der Truppe haben darauf zu sehen, daß die
Truppe ihre Gebühr erhalte.
„Außer dem allen hat neben dem Offizier du jour noch ein
Generalstabsoffizier bei jeder Fassung anwesend zu sein,
um auf die strengste Einhaltung der Vorschrift zu achten."
Über die Requisition sagt das Handbuch:
In den Ort, wo requiriert werden soll, werden — wenn es
ohne Gefahr möglich ist — ein General Stabsoffizier, ein Intendant
und ein Offizier der Truppe mit einem Detachement geschickt.
Die Verpflegstrains müssen in der Nähe des Feindes unter
Eskorte und unter Kommando eines fähigen Offiziers marschieren.
Dieser Offizier wird meist der Truppe entnommen; indessen können
wichtige Verpflegstrains von Generalstabsoffizieren geführt
werden.
Man sieht, in diesen aus der reichsten Kriegserfahrung ge-
schöpften Bestimmungen des Generalstabshandbuches kommt das
heute so beliebte Schlagwort „Schonung der Truppe" nicht in dem
Sinne zur Geltung, daß die Truppe durch ein künstliches Verptiegs-
system der Fassungstätigkeit enthoben werden soll; im Gegenteil,
die Schonung der Truppe kam bei den Franzosen dadurch zur
Geltung, daß sie mit ganzer Kraft zu ihrer Verpflegung
selbst mitwirkte und daß sich selbst der Generalstab nichi
scheute, Dienste zu leisten, deren Bedeutung für das Wohl und die
Leistungsfähigkeit der Truppe, mithin für den Verlauf der Operationen
heute nicht überall entsprechend gewürdigt wird.
— 72 —
Am '6. August 1805 waren die französischen Truppen und
deren Hilfstruppen folgend verteilt:
Küstenarmee (bei Boulogne) 171.300 Mann, 22.136 Pferde
im Innern Frankreichs 170.500 „ 16.475
eingeschifft und in den Kolonien.... 18.000 „ — „
in Holland 15.000 „ 1.507 „
„Hannover 21.000 „ 3.516
„ Italien 51.000 „ 8.650 „
Summe... 446.800 Mann, 52.284 Pferde
(außerdem in Italien noch 10.000 Italiener).
B. Österreich.
Innere Zustände.
• Während Frankreich sich unter Napoleons Leitung aus den
Trümmern des alten Eegimes rasch und kräftig erholte, versank
Österreich nach der leider nur zu kurzen ßegierungszeit Josefs des IL,
dessen Ideen von seinen Völkern meist nicht einmal begriffen worden
sind, in den alten Sumpf einer verrotteten bureaukratischen Ver-
waltung.
Die Leidenschaftlichkeit, mit der die unfähige, zünftige Diplo-
matie an der italienischen Politik festhielt und der daraus ent-
springende tibermächtige Einfluß der römischen Kirche hatten es
verhindert, daß Österreich im Vereine mit Preußen das zerklüftete
Deutschland zur rechten Zeit neu ordnete; die daraus entstandene
Nebenbuhlerschaft der zwei größten deutschen Mächte, deren dau-
ernde Entfremdung und spätere blutige Kriege waren die Folgen
dieser kurzsichtigen Politik.
Das starrsinnige Festhalten der österreichischen Diplomatie an
der alten Weltordnung, als sich in Frankreich der Anbruch einer
neuen Zeit gewaltsam und schrecklich ankündigte, verwickelten
Österreich in eine lange Eeihe kostspieliger und unnützer Kriege.
Sie sollten es schließlich an den Rand des Verderbens und selbst
um die Früchte dieser jahrelangen, wiederholt mit dem Siege en-
denden Kämpfe bringen. Europa erlaubte sieh dieser Politik gegen-
über eben alles. Der schließliche Trost der Diplomaten, daß Öster-
reich allein uneigennützig für Europas Wohl gekämpft hätte, ist das
beste Urteil, das sie über sich selbst sprechen konnten, denn es
— 73 —
gibt für einen Staat nichts Unsinnigeres als idealer Zwecke wegen
aussichtslose Kriege zu führen.
So wie die Leitung der Politik, so lag auch die Leitung aller
Zweige der Staatsverwaltung in den Händen Unfähiger. Die Urteile
über diese Männer lauten sowohl in Briefen von Zeitgenossen als
auch in späteren auf ihre Leistungen gegründeten Beurteilungen
meist vernichtend^).
Erzherzog Karl schrieb 1802, daß „Männer zu Ministern er-
nannt werden, um die Monarchie en niveau mit den Fortschritten
anderer Staaten zu bringen, welche Männer sich öflfentlich rühmen,
in 30 Jahren weder ein Buch noch eine Zeitung gelesen zu
haben".
Es ist klar, daß solche Chefs einen ihrer würdigen Beamten-
stand hatten; mußte doch jedes wirkliche Talent, als für sie ge-
fährlich, unschädlich gemacht werden.
So erschienen Beschränktheit verbunden mit Servilismus,
Liebedienerei und glatten Manieren als die besten Eigenschaften, um
Karriere zu machen.
Ein scharfes Urteil hierüber fällte Erzherzog Johann (der
Bruder des Kaisers) in seinem Tagebuch im Februar 1804:
„Die verschiedenen Departementschefs, meist Leute von grober
Unwissenheit, daher auch mit allen jenen schädlichen Eigenschaften
begabt, die diese mit sich führt, stemmen sich gegen alles, was
Neuerung ist. Sie gehen ihre alten gewohnten Wege und diese oft
^) Siehe Fournier, „Gentz und Cobenzl", S. 13, 106— 117. und Wertheimer,
„Geschichte Österreichs und Ungarns im ersten Jahrzehnt des XIX. Jahrhunderts".
Unwissend, beschränkt, unfähig, träge und schwerfällig sind die gewöhnliehen
Beurteilungen, und wenn hohe Funktionäre, wie der Minister des Äußern Graf
Trautmansdorf (Nachfolger Thuguts und Vorgänger Cobenzls), als „wenig orien-
tiert und unerfahren, interessieren ihn seine Vergnügungen mehr als seine Ge-
schäfte", oder wie der Minister des Innern Graf Kolowrat als „altersschwach
und gebrechlich" geschildert wurden, muß man das noch als vorzügliche Sitten-
note ansehen. Vom Hofkammerpräsidenten (Chef der Finanzverwaltung) Grafen
Ziehy sagt Fournier in „Gentz und Cobenzl", S. 116: „War es ihm gelungen,
ein paar Millionen aufzutreiben, um die notwendigsten Ausgaben zu decken, so
meinte er alles getan zu haben, und da es ihm an den notwendigsten Kenntnissen
gebrach und an der Lust, sich dieselben anzueignen, so nahm er seine Zuflucht
zu den Bankiers", und der frühere Minister des Äußern, Thugut, sehrieb am
25. Februar 1805 an den Kanzler Grafen CoUoredo: „Obwohl Ziehy einen Augen-
blick der Muße, die ihm die Tafel und das Spiel übrig lassen, zu Studien ver-
wendet?"
— 74 —
sehr unrichtig, und scheuen jene, da sie wohl einsehen, daß sie
nicht im stände sind, das zu leisten, was man mit Eecht von ihnen
fordern könnte. Alle diese halten fest zusammen und bilden eine
mächtige Opposition gegen jeden talentvollen Mann. Sobald einer
durch seinen Verstand sich auszeichnet und ihnen Verdacht gibt,
jemals mit ihnen in die Schranken treten zu können, wird er unter-
drückt und dadurch aller Eeiz zum Dienst und alle guten Talente
abgestumpft und abgeschreckt^)."
Alles war nur bestrebt, sich zu bereichern und vom Staate
persönlichen Nutzen zu ziehen. So schrieb Thugut an Colloredo am
8. September 1798:
„ . . . Das ist fürwahr eine empörende Sache, diese Gier, mit der
ein jeder sich Hoffnung macht, die Güte Sr. Majestät zu miß-
brauchen und sich alles mögliche anzueignen, ohne Eücksicht auf
die äußerste Notlage des Staates. . . ^)."
Kein Wunder, daß sich unter solchen Verhältnissen selbst der
Vorwurf der Bestechlichkeit lautmachte.
Erzherzog Johann schrieb in seinem Tagebuch:
„In den unteren Stellen, besonders wo keine Aufsicht ist,
herrscht Bestechlichkeit, Veruntreuung, Willkür, kurz alles jene,
was im stände ist, das Volk zu bedrücken; daher kein Wunder, daß
Provinzen, welche in Ansehung ihres Bodenreichtums sieh empor-
schwingen sollten, seit Jahren nicht allein. nicht fortgeschritten sind,
sondern Eückschritte gemacht haben ^)."
Die innere Verwaltung entsprach dieser Beamtenschaft. Erz-
herzog Johann urteilt darüber;
„Die Geschäfte des Innern werden durch Männer geleitet,
welche teils dem Geschäfte nicht gewachsen sind, teils in Ansehung
ihrer Kenntnis manchen Zweifeln unterliegen. Durch einen lang-
samen Geschäftsgang werden die Länder verwaltet, nichts verbessert,
nichts erfunden^)."
Aus der Bevölkerung kommende wichtige Anregungen blieben
jahrelang unerledigt. Der Staatsabschluß des Jahres 1793 wurde
erst im Jahre 1799 überreicht, das Staatspräliminare wurde meist
erst dann fertiggestellt, wenn es keinen Wert mehr haben konnte.
^) Fournier, „Gentz und Cobenzl", S. 118.
^) Vivenot, „Vertrauliehe Briefe des Freiherrn v. Thugut", II, S. 120.
^) Fournier, „Gentz und Cobenzl", S. 118 und 119.
— 75 —
Erzherzog Karl, der im Jahre 1802 alle österreichischen Pro-
vinzen bereist hatte, um sich persönlich über die herrschenden Zu-
stände zu orientieren, sagt in seinem Bericht über das Gesehene,
daß in allen Provinzen Niedergeschlagenheit, Mißmut und Unzu-
friedenheit herrschten, besonders in Galizien, wo noch so wenig zur
Förderung der Landeskultur und der Industrie geschehen war, daß
sich die Landesbewohner unter der österreichischen Herrschaft viel
schlechter befänden als unter der früheren polnischen Verfassung.
Die Straßen waren so verwahrlost, daß sich selbst der russi-
sche Unterhändler darüber beklagte, da ihr schlechter Zustand
seine Eeise stark verzögerte. Für die Flußschiffahrt wurde gar nichts
getan; die wenigen Kanäle verschlammten und versandeten.
Handel, Unterricht und Justiz standen auf gleich niedriger
Stufe. Mit Polizei und Eeligion sollte das in Unwissenheit erhaltene
Volk regiert werden.
„Es sind demnach", sagt Erzherzog Karl, „alle bestehenden
Zweige der inneren Staatsverwaltung gänzlich desorganisiert und
so viele in den meisten Staaten mit dem größten Vorteile für den
inneren Wohlstand, die Glückseligkeit und Bequemlichkeit einge-
führte öffenthche Anstalten sind m Österreich unbekannte Dinge^).'"
Finanzen,
Daß bei dieser Verwaltung auch die Finanzen schlecht
standen, ist klar.
Schon die Kriege mit Preußen hatten der Monarchie schwere
Opfer gekostet; trotzdem konnte man 1768 noch mit einem Über-
schusse von 7 Millionen Gulden rechnen. Die späteren Kriege
brachten den Staatshaushalt wieder ins Schwanken. 1781 begann
das Defizit chronisch zu werden. Anfangs betrug es zwar nur
1 Million Gulden jährlich, stieg aber bald auf 4 Millionen. 1787 bis
1790 betrug es schon ca. 20 Millionen jährlich und stieg in den
Kriegsjahren 1793—1798 bis auf 90 Millionen in einem Jahre.
Die Gesamtausgaben betrugen in diesen sechs Jahren 808 Millionen,
denen nur 451 Millionen Einnahmen gegenüberstanden. Das Defizit
betrug daher in sechs Jahren 357 Millionen Gulden. Das Gleich-
gewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben konnte anfangs nur
durch Anleihen und durch spezielle Kriegssteuern erhalten werden,
^) Wertheimer, „Gesehiehte Österreichs und Ungarns" etc., S. H7 — 91.
— 16 —
die, 1788 eingeführt, iDfolge der Eevolutionskriege nicht mehr auf-
gehoben wurden. Ais im Jahre 1799 lieine Anleihe mehr gehngen
wollte, mußte der Staat allerhand bedenkliche Auswege suchen, um
Zahlungsmittel zu erhalten. Die Silbermünzen waren schon seit
Jahren stark minderwertig; seit 1799 wurden selbst die Kupfer-
münzen unter dem Werte ausgemünzt. Das alles genügte aber nicht.
Die Bankozettel — ein vollkommen unbedecktes Papiergeld — mit
deren Ausgabe 1762 in bescheidenen Grenzen begonnen worden
war, wurden jetzt in Massen ausgegeben, so z. B. im Jahre 1799
allein 148 Millionen Gulden.
Der Schuldenstand mußte bei diesen Verhältnissen groß sein.
Die meist hochverzinsliche Staatsschuld stieg 1804 über 654 Millionen
Gulden Konventionsmünze; an Bankozetteln waren 424 Millionen
Gulden in Umlauf. Diese Masse unbedeckter Noten mußte den Wert
des Geldes drücken und im Kreditwesen Verwüstung anrichten. Die
Bankozettel wurden 1804 nur mit 35 "/o Disagio genommen.
Nach einem russischen Berieht aus dieser Zeit besaß der
Papiergulden nur einen Wert von 45 Kreuzer Kupfer und bestanden
selbst die umlaufenden Scheidemünzen fast nur in Papier und. in
wenig Kupfer^).
Anstatt aber dieser derouten Finauzwirtschaft durch Hebung
der Leistungsfähigkeit des Landes, durch Erhöhung der Steuerkraft
aufzuhelfen, suchte die unfähige Verwaltung das Heil im Ersinnen
neuer Steuern, in der Ausgabe neuer Noten und in ähnlichen
Mitteln -}.
Die Entwertung des Geldes hatte eine fort steigende Teuerung
der Lebensmittel zur Folge. Die Hofkanzlei und die Kommissionen
sahen die Ursache dieses Übels der Teuerung in der Übervölkerung
der Hauptstadt, weshalb man dieser steuern müsse. Es nützte nichts,
daß Einsichtsvolle darauf verwiesen, wie unsinnig diese Behauptung
sei, da Wien schon zu früheren Zeiten mehr Einwohner hatte als
damals, ohne daß eine Teuerung eingetreten war. Mit Dekret vom
^) Beer, „Die Finanzen Österreichs im XIX. Jahrhundert".
-) Siehe Foiirnier, „Gentzund Cobenzl", S. 116—118. Die Steuern wurden
mit der Begründung erhöht, daß eine geringe Belastung ohnehin für ein Volk
schädlich sei, indem sie dem Müßiggange Tür und Tor öffne und die Betrieb-
samkeit erschlaffe. Man zog auch das letzte Kupfer aus dem Verkehr, um es
anderweitig zu verwenden, und kam selbst auf die absurde Idee, zur Aufbesserung
der Finanzen den Besuch des Praters zu besteuern.
— 77 —
30. April 1804 wurde angeordnet, daß innerhalb eines Umkreises
von vier Meilen keine neue Fabrik, innerhall) eines Umkreises von
zwei Meilen kein neues Gewerbe errichtet und vorhandene möglichst
aus der Stadt entfernt, die Beschränkung der Ehen aber ernstlich
überlegt werden sollte^).
Hand in Hand mit diesen finanziellen Maßnahmen sollten auch
Ersparungen gemacht werden. Bei der herrschenden Kurzsichtigkeit
war es nicht zu verwundern, daß diese Ersparungen trotz des Wider-
spruches des Erzherzogs Karl hauptsächlich an der Wehrmacht ge-
macht werden sollten. Ausgedehnte Beurlaubungen schwächten den
Friedensstand ; die Truppen, vor allem die Kavallerie, wurden in die
billigeren östlichen Provinzen verlegt, alle Artilleriepferde wurden
verschleudert, so daß nicht eine Batterie bespannt war. Diese Maß-
regeln wären unanfechtbar gewesen, wenn man damit die äußere
Politik in Einklang gebracht hätte: Der Wehrlose muß sich eben
dem stark Bewehrten widerspruchlos fügen. Das von Rußland,
Preußen und Frankreich bedrohte entwaffnete Österreich hätte sich
zum Vasallen und Schutzbefohlenen des mächtigsten Mannes Europas
erniedrigen müssen, es hätte also die Politik der kleinen deutschen
Staaten (Bayern, Baden, Württemberg) zu seiner machen und Frank-
reich unbedingte Heerfolge leisten müssen, bis durch gute Ver-
waltung der Staatsorganismus so weit gestärkt gewesen wäre, daß
man mit einer starken Wehrmacht wieder selbständige Politik hätte
treiben können ^). So aber standen Wehrmacht und Politik nicht im
Einklänge; das ohnmächtige, schlecht verwaltete Österreich, dessen
Bevölkerung so unzufrieden war, daß es in Wien wiederholt zu
blutigen Unruhen kam, wurde von allen Mächten mißachtet und vom
selbstsüchtigen England nur als Puffer vorgeschoben, um die Schläge
Napoleons von sich abzuwenden.
Ein Mann stemmte sich mit ganzer Kraft gegen diese selbst-
mörderische Staatsverwaltung. Erzherzog Karl war dieser Mann;
durch Geburt zunächst dem Throne stehend, als sieggekrönter Feld-
herr der Stolz der Armee, verehrt vom Volke als der hellsehende.
'■) Fournier, „Gentz und Cobenzl", S. 116 — 118.
^) Daß selbst neutrales Schweigen und Dulden nichts Gutes gebracht hätte,
lehrt das Beispiel Preußens. Napoleons entschiedener Charakter kannte eben keine
Neutralität, er kannte nur Freund oder Feind. So rechnete er Preußen, als
es trotz seiner Werbungen neutral bleiben wollte, einfach zu seinen Feinden. Mit
welchen Folgen für Preußen, hat die Zeit 1806—1812 bewiesen.
— 78 —
liberal denkende Patriot, geachtet in ganz Deutschland, geschätzt in
ganz Europa ^j ; daß alle Anstrengungen dieses hervorragenden Mannes
vergebens waren, daß er den Intrigen der Regierung und ihrer An-
hänger weichen mußte, zeigt, wie tief die Übel im Staatskörper
saßen. Zwei Gründe verursachten die gegen Erzherzog Karl gerich-
teten Intrigen: weil er den gemütlichen Schlendrian bekämpfte, der
die Signatur aller Ministerien war und damit die bequem Dienenden
ängstigte, ihre ßuhe zu verlieren, denn sie sollten ja wirklich und
ehrlich arbeiten — und weil er, der siegreiche Feldherr, die Kriegs-
politik der Regierung mißbilligte und bekämpfte.
Nach dem Frieden von Lunneville rückte Erzherzog Karl vor
allem dem Schlendrian in der Verwaltung der Armee an den Leib.
Er erwü'kte beim Kaiser die Aufhebung des Hofkriegsrates als selb-
ständige leitende Stelle und seine Einordnung in das neuerriehtete
Kriegsministerium. Erzherzog Karl stand als Kriegsminister und
Präsident des Hofkriegsrates an der Spitze der Heeresverwaltung.
Seine erste Sorge war, Ordnung in die beispiellos nachlässige Ge-
schäftsgebarung zu bringen. Gab es doch damals in der Hofkriegs-
buehhaltung 154.000 rückständige Rechnungen und 33.000 uner-
ledigte Eingaben ^ ).
Man wußte nie. ob Millionen von Gulden, die den Beamten
anvertraut waren, auch tatsächlich verrechnet wurden, ob alle Ein-
nahmen des Staates auch tatsächlich eingelaufen waren. Bei solcher
Unordnung waren Unterschleife an der Tagesordnung.
Erzherzog Karl klagt darüber:
„So aber mußte auch der redlichste Beamte bei dem Anblick,
daß alles ungescheut und unbestraft sich mit Geldern des Staates
bereichert, ohne daß die Hofkriegsbuchhaltung nur ein Zeichen ihrer
Existenz gegeben hätte, sich zu unerlaubten Handlungen verführen
lassen^)."
Erzherzog Karl verwies aber auch darauf, daß es vergebens
wäre, nur in der Heeresverwaltung allein Ordnung zu schaffen; dies
mußte in allen Zweigen der Staatsverwaltung geschehen. In zahl-
reichen Denkschriften und Berichten an den Kaiser zeigte der Erz-
herzog, welcher Weg zur Gesundung Österreichs einzuschlagen
^) So sehrieb der französische Gesandte Champagny an Talleyrand (Wert-
heimer, Geschichte „Österreichs und Ungarns" etc., S. 97).
^) Wertheimer, „Erzherzog Karl als Hofkriegsratspräsident", S. 27.
^) Wertheimer; „Erzherzog Karl als HolTcriegsratspräsident", S. 26.
— 79 —
wäre: unbedingt friedliche Politik, um die Zeit und Mittel zu ge-
winnen, durch gründlichste Reformen im Innern den Wohlstand
des Landes zu heben, die Staatseinkünfte zu vermehren, die Finanzen
zu regeln und das Heer auf eine hohe Stufe der Kriegsbereitschaft
zu bringen. Erst dann, wenn das alles geschehen war, sollte Öster-
reich wieder versuchen, in die Geschicke Buropas einzugreifen. Er
wollte daher eine Zeit gründlichster Arbeit und Sammlung ge-
winnen; eine feste, friedliche Politik und ein starkes, gutgeschultes
Heer, das die Nachbarn zur Achtung Österreichs zwang, sollten
diese Zeit schaffen^).
Vergebens wehrte sich der Erzherzog gegen die Reduktion
der Armee; weil die Verwaltung unfähig war, das Einkommen des
Staates zu erhöhen, mußten Ersparungen gemacht werden. Mit Mühe
verhinderte der Erzherzog die Auflösung von Truppenkörpern; nur
starke Beurlaubungen gestand er zu. So sank der tatsächlich vor-
handene Stand der Armee auf ein Minimum. Die verbrauchten
Kriegsvorräte waren noch nicht ersetzt, die Grenzen ungeschützt.
Der Staat war bei vollster Anspannung aller Kräfte kaum im stände,
die Armee auf den vollen Priedensstand zu bringen; die Versetzung
auf den Kriegsstand war ausgeschlossen. Mitte April 1805 erhielten
der Generalquartiermeister FML. Duka und FML. Mack den Auf-
trag, sich über einige Fragen der Mobilisierung zu äußern. FML. Duka
wies in seinem Gutachten nach, daß bei der Armee selbst in dem
Falle, als sie nur mit ihrem Friedenstand ins Feld rücken sollte,
und wenn man fürs erste Kriegsjahr nur 50.000 Mann Ersatz
rechnete, 92.000 Mann Abgang vorhanden war, dessen Deckung
von Ungarn und Siebenbürgen hätte übernommen- werden müssen.
^) Nicht nur Erzherzog Karl sah so klar. Tiirst Karl Schwarzenberg
äußerte sieh, allerdings später, im selben Sinne: „Dem französischen Gouverne-
ment wollten wir uns nicht nähern, Preußen konnten wir in keiner Hinsicht
Vertrauen einflößen und Rußlands Gesinnungen wuren dazumal nicht sehr gün-
stig, wie es der .letzte Reiehsrezeß beweist, wo das Petersburger Kabinett keine
Gelegenheit unbenutzt ließ, wo es sieh darum handelte, das Ansehen des Wiener
Hofes herabzusetzen. Von mächtigen, keine Stütze gewährenden Nachbarn um-
geben, was blieb uns für ein Rettungsmittel? Ein einziges! Rastloses Streben,
die Armee auf den höchstmöglichen Grad von Vollkommenheit zu bringen und
sodann durch ein kluges diplomatisches Benehmen jeden fühlen zu lassen, wie
nützlich und wie schädlich man ihm werden könnte, ohne sich jedoch auf irgend
eine Seite zu sehlagen, bis nicht die tiefen Wunden des Staatskörpers vernarbt
waren." (Kriegsarehiv, Mem., IX, 247.)
— 80 —
welche Länder aber zur Abstellung von Mannschaften nicht ver-
pflichtet waren. Die Erreichung des vollen Kriegsstandes erschien
daher ausgeschlossen.
An Kavallerie besaß die Armee nur 37.000 Reiter gegen etwa
60.000 der Franzosen. Wenn die Kavallerie auf vollen Stand ge-
bracht werden und die Armee mit dem nötigen Fuhrwesen aus-
gestaltet werden sollte, so waren 83.000 Pferde nötig. Nach der
Konskription vom Jahre 1803 waren aber in den Erbländern, die
allein zur Abstellung der Pferde verhalten werden konnten, nur
23.000 taugliche Pferde vorhanden.
So lagen die Verhältnisse, als die Leichtfertigkeit der öster-
reichischen Politiker den Staat in den Kampf trieb. Es kann daher
nicht wundern, daß der Zusammenstoß mit dem Soldatenkaiser —
und wie Gentz spöttelte, mit dem Theaterkaiser — ein so schreck-
liches Ende nahm.
Die österreichische Armee.
Ergänzung.
Seit dem Jahre 1781 war in den österreichischen Erbländern,
deren Bevölkerungszahl etwa 13 Millionen betrug, die Konskription
eingeführt. Bei den Konskriptionen wurden alle Wehrfähigen er-
mittelt und ihre Namen in Listen eingetragen, die jährlich über-
prüft und evident gehalten wurden. Jeder Staatsbürger war wohl
zum Kriegsdienst verpflichtet, aber die gebildeten Stände wurden
nicht zum Waffendienst herangezogen; auch Loskauf und Stellver-
tretung waren gestattet.
Jedes Infanterieregiment hatte seinen ständigen Ergänzungs-
bezirk, der nach den Füsilierkompagnien in Kompagniebezirke ge-
teilt war. Die Grenadierkompagnien wurden aus den Ftisilier-
kompagnien ergänzt. Nach der Erwerbung Galiziens hatte jedes
deutsche Regiment dort einen Aushilfsbezirk erhalten. Nach dem
Verlust der Niederlande und der Lombardei bekamen die walloni-
schen und italienischen Regimenter Ergänzungsbezirke in Galizien
und nur einige deutsche Regimenter behielten ihre Aushilfsbezirke.
In Ungarn und Siebenbürgen, die ungefähr 9 Millionen Ein-
wohner hatten, blieben die Truppen hauptsächlich auf die Werbung
beschränkt; jedes der 15 ungarischen Infauterieregimenter hatte
seinen ständigen Werbebezirk. Seit Ende des XVIII. Jahrhunderts
stellten auch dort die Stände fallweise Rekruten bei.
— 81 —
Die anderen Waffengattungen erhielten itire Eekruten aus be-
stimmten Infanteriebezirken. Die Infanterieregimenter sollten in
ihren Ergänzungsbezirken garnisonieren.
Die Pferde wurden bei den Konskriptionen klassifiziert und im
Kriegsfalle gegen Bezahlung assentiert.
Die Stellungspflicht währte vom 17, bis zum 40. Lebensjahre.
Die eingereihten Inländer mußten lebenslänglich dienen, Ausländer
konnten auf 6 — 10 Jahre kapitulieren.
Bei jeder Kompagnie konnten 60 Mann geworbene Ausländer
sein. Weil der Friedensstand der Kompagnie 100 Mann betrug,
mußten bei jeder Kompagnie wenigstens 40 Inländer eingereiht werden.
Überdies mußten zur Ergänzung auf den Kriegsstand der Kompagnie
40 Inländer assentiert sein, die aber im Frieden beurlaubt werden
konnten.
Im Jahre 1802 wurde die lebenslängliche Dienstzeit aufgehoben.
Auch die Inländer hatten von da an nur eine etwa 10jährige Dienst-
zeit. Eeengagierung der Ausgedienten war gestattet.
Ein charakteristisches Merkmal der Organisation der öster-
reichischen Armee war ihre geringe Beständigkeit. Die Organisation
aller Waffen- und Truppengattungen war im beständigen Wechsel
begriffen. Fortwährend fanden Neuaufstellungen, Auflösungen, Um-
wandlungen und Wiederaufstellung eben aufgelöster Truppen statt.
Manche Truppen wurden kaum ein Jahr nach ihrer Aufstellung auf-
gelöst oder umgewandelt, um nach einiger Zeit in anderer Form
wiederaufgestellt zu werden.
Infanterie.
Die Infanterie bestand Anfang 1805 aus 62 Infanterieregi-
mentern und aus 17 Grenzinfanterieregimentern.
Die Infanterieregimenter Nr. 1 — 63 ^) bestanden aus je 3 Ba-
taillonen ä 6 Füsilierkompagnien und aus 2 Grenadierkompagnien.
Das Infanterieregiment Nr. 64 (Tiroler Jäger) hatte 3 Bataillone zu
6 Kompagnien, die Grenzregimenter 2 Bataillone zu 6 Kompagnien.
Jedes Regiment sollte im Krieg ein viertes (drittes) Bataillon
als Reservebataillon aufstellen.
^) Die Regimenter Nr. 5 und 6 waren Garnisonsregimenter (in Galizien),
die nicht ins Feld rückten.
.Krau SS. 1805, Der Feldzug von Ulm. 6
— 82
Nach einer Verordnung vom Jahre 1802 sollten die Eegimenter
folgende Stände aufweisen:
Friedens- Kriegs- Artillerie-
stand stand " mannsehaft
Mann Mann ^ewehre ^^^^
ein deutsches Regiment zu 20
Kompagnien 3347 3900 3476 100
das Tiroler Jägerregiment 2585 2585 2340 —
ein ungarisches Regiment (20
Kompagnien ^ ) 4067 4160 3836 100
ein Reservebataillon — 937 — —
Der komplette Friedensstand der Infanterie sollte daher 217.500
Mann betragen. Anfang 1805 fehlten aber auf diesen Stand etwa
20.000 Mann; außerdem waren ungefähr 96.000 Mann auf unbe-
stimmte Zeit beurlaubt. Der Kriegsstand sollte einschließlich der
Grenzer und der Reservebataillone ungefähr 360.000 Mann betragen.
Die Infanterie sollte seit dem Jahre 1800 mit einem leichten
Gewehr (Modell 1798) bewaffnet werden. Weil aber das Geld zur
Beschaffung der Gewehre fehlte, ging die Infanterie noch mit dem
alten Gewehr (Modell 1784) in den Krieg, das dem französischen
Gewehr ungefähr gleichwertig war^). Die Unteroffiziere und Grena-
diere hatten nebst dem Bajonett noch den kurzen Infanteriesäbel.
Jeder Mann hatte 60 Patronen Taschenmunition.
Die Taktik der österreichischen Infanterie war der französischen
nachgebildet und dieser daher im allgemeinen ähnlich. Nur waren
alle reglementären Bestimmungen viel verwickelter und umständ-
licher. Die Franzosen hatten die an und für sich einfacheren Evolu-
tionen ihres Reglements in der Praxis noch wesentlich vereinfacht,
wogegen die Österreicher ihre Bxerzierformen starr einhielten. Die
Ausbildung war wegen der zahlreichen Beurlaubungen, die auch
kaum ausgebildete Reki'uten traf, recht mangelhaft^).
^) 46 Regimenter ergänzten sieh in den österreiehiselien Provinzen („deut-
sche" Regimenter), 15 Regimenter in Ungarn, 2 Regimenter waren Garnisons-
regimenter.
^) Nur ein Teil der Regimenter hatte Gewehre, die nach dem Muster 1784
neu erzeugt waren. Die Mehrzahl führte Gewehre Muster 1754, die mit den Ver-
besserungen des Musters 1784 versehen worden waren.
^) Kriegsarehiv, Mem., IX, 247, „Erinnerungen des FM. Fürsten Sehwarzen-
berg".
— 83 —
Wie es mit der Ausbildung der österreichischen Infanterie im
Schießen stand, wird am besten durch den Generalbefehl gezei,2:t,
den Erzherzog Ferdinand am 1. Oktober aus Mindelheim erlassen hat:
„Da viele zugewachsene Mannschaft der Infanterie im Feuer
noch nicht geübt hat, bewillige ich, daß sechs scharfe Patronen pro
Kopf jener, die noch keine Übung haben, verfeuert werden."
Ein Bericht des Erzherzogs Karl über die Inspizierungen der
Truppenlager im .Jahre 1804 läßt erkennen, daß man damals viel
mehr auf eine den Friedensansprüchen nachkommende Ausbildung
•der Truppen hielt, als auf die für das Feld. Er bemühte sich alle
zu weitgehenden Formalitäten, wie die Chargenrichtung, die Ba-
taillonsdecharge bei Beginn des Feuers und derartige Friedensscherze
abzustellen. Dagegen forderte er mehr Fertigkeit ini Laden.
Mit dem Manövrieren war er nicht zufrieden. Er vermißte
Flinkheit, Geschlossenheit und Korrektheit in den Bewegungen. Die
Folge dieser Mängel war eine vom Erzherzog Karl in seinen Be-
richten über die Lagerübungen wiederholt gerügte Steifheit und
Langsamkeit in allen Bewegungen der Infanterie, welche Schwer-
fälligkeiten auch mit Ursache gewesen sein mögen, daß die öster-
reichische Infanterie überall von den flinkeren und beweglicheren
Franzosen angegriffen und in die bloße Abwehr gedrängt worden ist.
Über die Feldmanöver hebt der Erzherzog das überhastete, die
Ordnung und den Zusammenhang lockernde Nachstürmen hervor,
das wohl manchmal richtig, meist aber selbst einem geworfenen
Feinde gegenüber gefährlich sei.
Bei den meisten Offizieren hat er wenig Aufmerksamkeit und
wenig richtiges urteil gefunden, so daß sie oft Fehler machten, die
bei Männern, die so viele Kampagnen gemacht haben, nicht zu er-
vrarten waren ^).
Unter diesen Verhältnissen regte FML. Mack sofort nach seiner
Ernennung zum Generalquartiermeister nicht nur die Vereinfachung
der Evolutionen im Bataillon au. sondern auch damit im Zusammen-
hange, trotz des bevorstehenden Krieges, die vollständige Neuorgani-
sation der Infanterie.
Er beantragte am 18. Mai, die Infanterieregimenter bei gleich-
bleibender Zahl der Kompagnien in 5 Bataillone, und zwar in
') Kriegsarchiv, Mein., VI, 188, „Erzherzog Karl, Bemerkungen über die
Lager bei Turras, Pesth ete."
6*
— 84 —
1 Grenadierbatailloa und in 4 Füsilierbatailloue zu 4 Kompagnien
zu formieren. Zur selben Zeit beantragte er aber Vorsorgen gegen
einen befürchteten Überfall durch die Franzosen in Italien. Erzherzog
Karl nahm gegen diese Eeorganisation, der er sachlich zustimmte,
Stellung, indem er dem Kaiser schrieb: „Jeder, der diese beiden
Schriften liest und nur mäßige Kriegseinsichten und daraus gezogene
Folgeschlüsse kennt, muß sich billig wundern, wie der Verfasser
(Mack) in so auffallende Widersprüche und Paradoxen verfallen
konnte und wie es Männer und Soldaten geben kann, denen solche
nicht augenblicks beifallen. Ich bin der Meinung, daß man in einer
Epoche, wo man einen nahen Krieg, ja wohl gar einen Überfall zu
befürchten glaubt, keine Veränderung in der Organisation der Truppen
machen soll, weil man sonst Gefahr läuft, in einem Augenblicke in
das Feld rücken zu müssen, wo die vorige Ordnung der Dinge über
den Haufen geworfen und keine neue eingeführt oder konsolidiert
sein wird." Unbeachtet verhallte diese so selbstverständliche Wahr-
heit. Am 14. Juni genehmigte der schon im Banne Macks stehende
Monarch den Antrag. Bis 1. August sollte die Neuordnung überall
durchgeführt sein. Am 3. Juli folgte die Anordnung, daß auch die
Grenzregimenter in 3 Bataillone zu 4 Kompagnien (anstatt 2 Ba-
taillone zu 6 Kompagnien) zu formieren sind. Es ist einleuchtend,
daß die Neuorganisierung zu einer Zeit, wo viele Eegimenter schon
im Marsch in die Lager waren, nicht glatt vor sieh gehen konnte.
Zur selben Zeit wurde auch die Vereinfachung des Exerzierregle-
ments durchgeführt.
Diese Maßregeln mußten bei den damaligen komplizierten
Manövern selbst bei einer sehr gut und gleichmäßig durchgebildeten
Mannschaft die Verwendbarkeit der Truppen im Gefechte sehr nach-
teilig beeinflussen. Wie groß mußte der Nachteil erst bei der Zu-
sammensetzung der österreichischen Bataillone werden! FML. von
Werneck gibt an, daß alle Regimenter schon unter dem Kriegsstande
aus den Garnisonen abrückten und daß meist nur junge Leute
und Rekruten da waren^).
Die geringe Übung der Offiziere und Mannschaft in den immer
noch sehr komplizierten vereinfachten Manövern macht vor allem die
geringe Widerstandsfähigkeit der österreichischen Infanterie gegen
die feindlichen Kavallerieangrifife erklärlieh.
1) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland EA, X, 188&.
— 85
Kavallerie.
Tra Jahre 1801 wurde die Kavallerie, die Napoleon selbst den
„Stolz der österreichischen Armee" genannt hatte (1800), gründlich
reorganisiert. Die 42 Kavallerieregimenter zu 6 — 8 Eskadronen wurden
auf 34 Regimenter zu 8 Eskadronen und 1 ßegiment zu 6 Eska-
dronen (Szekler Husaren) vermindert. 1805 bestand die österreichische
Kavallerie aus :
8 Kürassierregimentern |
6 Dragonerregimentern / schwerer Kavallerie
und aus
6 Ohevauxlegersregimentern j
12 Husarenregimentern l leichter Kavallerie.
3 Ulanenregimentern j
Je 2 Eskadronen bildeten eine Division.
Im Kriege hatte jedes Regiment eine ßeserveeskadron auf-
zustellen.
Priedensstand Kriegsstand
^^^"*^®* Mann Pferde Mann Pferde
schweres Kavallerieregiment 1531 1391 1485 1429
leichtes Kavallerieregiment 1813 1487 1767 1710
Die Eskadron sollte im Felde bei der schweren Kavallerie 172
Reiter, bei der leichten 200 Reiter zählen.
Auch die Kavallerie war dem Sparsinne der Finanz Verwaltung
zum Opfer gefallen. Zahlreiche Beurlaubungen und die Verminderung
des Pferdestandes brachten die Kavallerie auf einen so schwachen
Stand, daß sie nicht mehr rechtzeitig ergänzt werden konnte. An-
fang 1805 haben nach einer Standesübersicht für Ende Januar
14.000 Pferde auf den kompletten Friedensstand gefehlt; etwa 6400
Pferde waren undienstbar. Es fehlten daher mindestens 27.500 Pferde
auf den vollen Kriegsstand der Kavallerie^).
Bewaffnung. Kürassiere mit Pallasch und Pistolen (nur
16 Mann der Eskadron hatten Karabiner); Dragoner mit langem
Karabiner ohne Bajonett (die Einführung eines Bajonetts war pro-
jektiert), Pistolen und Pallasch; Husaren und Chevauxlegers
mit Karabiner und Säbel; Ulanen mit Lanze, Säbel und Pistolen.
^) Angeli gibt den Abgang an Kavalleriepferden für diese Zeit in „Erz-
herzog Karl", III. Bd., S. 10, sogar mit 37.000 Pferden an (bei einem Gesamt-
sollstand von 55.916, mithin etwa zwei Drittel).
— 86 —
Die Kavallerie war bis zum Jahre 1805 in 3 Gliedern ran-
giert. Mack regte gleichzeitig mit der Reorganisation der Infanterie
die Rangierung der Kavallerie in 2 Gliedern an. So zweckmäßig
diese Maßregel an sich war, so verfehlt war der Zeitpunkt ihrer
Durchführung. Die Kavallerie, die während der Märsche gar keine
Zeit hatte, die neue Formation einzuüben, kam somit ungenügend
geschult vor den Feind. Die neue Vorschrift langte z. B. beim
Generalkommando in Padua erst am 30. August 1805 ein.
Erzherzog Karl war bei seinen luspizierungen der Lager be-
sonders mit den Offizieren der Kavallerie nicht zufrieden. Er fand
ihre Reitausbildung nicht genügend. VeriiachJässigter Sitz und
wenig Führung des Pferdes waren die häufigsten Fehler.
Er verlangte bei den Übungen häufige lange Front- und
Kolonnenmärsche.
Artillerie.
1805 bestanden 4 Artillerieregimenter ä 16 Kompagnien; der
Stand einer Kompagnie betrug 174 Mann, der eines Regiments
2815 Mann.
Diese Regimenter waren nur aus der Bedienungsmannschaft
formiert, die an einigen Übungsgeschützen ausgebildet wurden.
Die Geschütze, die in den Zeugsdepots verwahrt waren, wurden erst
im Kriegsfalle bei der Formierung der Batterien ausgegeben: die
Bespannung der Geschütze stellte das Fuhrwesenkorps bei. Die zur
Ergänzung der Bedienungsmannschaft nötigen Handlanger wurden
im Felde der Infanterie entnommen^). Daß diese zusammengewür-
felte Truppe, die wenig oder gar keine Gelegenheit hatte, in Ver-
bänden zu üben, im Felde wenig leisten konnte, war nur natürlich.
An Geschützen waren in Verwendung: einpfündige Gebirgs-
kanonen, drei-, sechs- und zwölfpfündige Feldkanonen und sieben-
pfündige Haubitzen. Die österreichischen Geschütze hatten kleinere
Kaliber als die aller anderen größeren Armeen Europas^).
Aus Sechspfündern und Haubitzen wurden auch Kavallerie-
batterien formiert. Diese Geschütze unterschieden sich von den
^) Ein Generalbefehl vom 29. September ordnet z. B. die Abgabe von
18 Offizieren, 58 Unteroffizieren und 1444 Mann der Infanterie als „Handlanger"
zur Eeserveartillerie an (Kriegsareliiv, 1805, Deutsehland, PA, XIII, 131).
^) Das Kaliber war: Dreipfünder = 7"4 cm, Sechspfünder = 9 2 cm, Zwölf-
pfünder = 11-6 cm, siebenpfündige Haubitze — 14"7 cm.
— 87 —
Feldgeschützen durch den Wegfall des Protzkastens und durch die
bessere Bespannung. Die Bedienungsmannschaft dieser Geschütze
wurde teils auf dem Geschütze (Lafettenschwanz), teils auf den
Munitionswagen fortgebracht. Diese Batterien waren daher im
Gegensatz zu den reitenden Kavalleriebatterien der Franzosen nur
leichtere fahrende Batterien.
Die Dreipfünder und die Feldhaubitzen waren zweispännig.
die Sechspfünder und die Kavalleriehaubitzen vierspännig, die
Zwölfpfünder und die sechspfündigen Kavalleriekanonen sechs-
spännig.
Munitionsdotierung.
Dreipfünder beim Geschütz (in der Protze und in 1 zwei-
spännigen Karren) 168 Schuß, im Munitionspark 74 Schuß,
Summe 242 Schuß;
Sechspfünder beim Geschütz (in der Protze und in 1 vier-
spännigen Karren) 194 Schuß, im Munitionspark 90 Schuß,
Summe 284 Schuß;
Zwölfpfünder beim Geschütz (in der Protze und in 1 vier-
spännigen Karren) 102 Schuß, im Munitionspark 98 Schuß,
Summe 200 Schuß;
Haubitze beim Geschütz (in der Protze und in 1 vier-
spännigen Karren) 90 Schuß, im Munitionspark 60 Schuß,
Summe 150 Schuß;
Kavalleriesechspfünder (auf dem Geschütz, auf 4 Pack-
pferden für jedes Geschütz und auf 1 Munitionswagen für je 4 Ge-
schütze) 118 Schuß, im Munitionspark 32 Schuß, Summe 150 Schuß:
Kavalleriehaubitze (auf dem Geschütz, auf 4 Packpferden
für jedes Geschütz und auf 1 Munitionswagen für je 4 Geschütze)
60 Schuß, im Munitionspark 8 Schuß, Summe 68 Schuß.
Im Park waren für jedes Infanteriegewehr 36, für jeden Ka-
rabiner (Pistole) 24 und für jeden Jäger 200 Schuß vorhanden.
In einem Munitionsdepot hinter der Armee sollte für jedes
Geschütz eine zweite Dotation hinterlegt werden, so daß der totale
Munitionsvorrat bestehen sollte:
für jeden Infanteristen CO Taschenmunition, 36 Park, 36 Depot,
Summe 132 Schuß;
für den Dreipfünder 242 bei der Armee, 242 im Depot,
Summe 484 Schuß;
für den Sechspfünder 284 bei der Armee, 284 im Depot,
Summe 568 Schuß;
für den Zwölfpfünder 200 bei der Armee, 200 im Depot,
Summe 400 Schuß;
für die Haubitze 150 bei der Armee, 150 im Depot,
Summe 300 Schuß;
für die Kavalleriekanone 150 bei der Armee, 150 im Depot,
Summe 300 Schuß;
für die Kavalleriehaubitze 68 bei der Armee, 68 im Depot,
Summe 136 Schuß.
Die Gesamtdotierung der Geschütze muß somit im Vergleiche zur
heutigen Dotation unserer Artillerie als reich, die mobile Munitions-
menge aber im Gegensatz zur damaligen französischen Artillerie als
gering bezeichnet werden; die Hauptgesehütze hatten
bei den Franzosen : Achtpfünder 398, Zwölfpfünder 426 Schuß
„ „ Österreichern aber Sechspfünder 284, „ 200 „
mobil im Bereiche der Armee.
Die österreichischen Geschütze hatten geringere Schußweiten
als die längeren französischen Kanonen.
Die Wirkung reichte
beim Dreipfünder: Kartätschen bis 300 m, Kugeln von 300 bis 900 w
„ Sechspfünder: „ „ 450 w, „ „ 400 „lOOOw
„ Zwölfpfünder: „ „ 525m, „ bis 1200m
bei der Haubitze : „ „ 500 m, Grauaten bis 1500 m
Wurf von 450 bis 1200 m
Über 1000 m war eine Wirkung nur gegen sehr große
Massen und tiefe Kolonnen, von 900 w an war bei langsamem, gut-
gezieltem Feuer noch genügende Wirkung zu erwarten. Die größte
Wirkung ergab sich beim Zielen übers Metall (ohne Aufsatz), also
bis 400 ml).
Verwendung der Artillerie. Während die Franzosen ihre
Artillerie ausschließlich den Infanterie- (Kavallerie-) Divisionen und
den Korps zuwiesen, also mehr zusammenhielten, war bei der öster-
reichischen Armee noch die Eegimentsartillerie üblich.
Jedem Infanterieregiment waren sechs Liniengeschütze, und zwar
Dreipfünder (Italien) oder Sechspfünder (Armee in Deutschland)
') Diese Wirkung ist gegen die damaligen Ziele gemeint, also gegen lang-
gestreckte geschlossene Linien.
— 89 —
oder Dreipfiinder und Eiopfünder (beim Korps in Tirol) zugeteilt,
die von einem Artillerieoffizier iiommandiert wurden und die einige
Kanoniere und Handlanger vom Eegiment zur Bedienung erhielten.
Die Grenzregimenter führten bei 3 Bataillonen 4, bei 2 Bataillonen
2 Liniengeschütze. Weil für je 2 Geschütze 1 Artillerieunteroffizier
eingeteilt war, mußten die Geschütze immer paarweise verwendet
werden. Die enge Verbindung der Geschütze mit der Infanterie,
welche Verbindung natürlich auch im Gefechte bis zum letzten
Augenblicke bestand, hinderte die zweckmäßige Placierung. Vereini-
gung und Wirkung der Geschütze und riß diese nur zu häufig in
den Wirbel des Infanterienahkampfes, was die Hauptursache der
starken Gefechtsverluste der Österreicher an Geschützen war.
Jedes Korps und jede Armee erhielt eine Artilleriereserve
(sechs- und zwölfpfündige Kanonen und Haubitzen) zugewiesen. An
diese Reserve war der Munitionspark angegliedert.
Anfang Januar 1805 war keine einzige Batterie bespannt.
Alle zur Artiileriebespannung bestimmten Pferde waren Ersparungen
halber seit Jahren verkauft worden.
Fürst Schwarzenberg gibt an: „Das ganze Fuhrwesen und die
Artilleriebespannungen wurden fast ganz aufgelöst und die Pferde,
wie natürlich, verschleudert i)."
Die Ausbildung der Artillerie konnte daher nicht kriegs-
gemäß sein.
Technische Truppen.
An technischen Truppen bestanden 1804 ein Pontonierbataillon
zu 5 Kompagnien, je ein Sappeur- und Mineurkorps zu 4 Kompagnien
und das Tschaikistenbataillou. Das während der Eevolutiouskriege
bestandene Pionierkorps war aufgelöst worden. An Brückenmaterial
waren 200 hölzerne Pontons in Klosterneuburg, 100 in Prag und
25 in Krakau vorhanden.
Im Juni 1805 wurde eine sechste Pontonierkompagnie errichtet
und im August 1805 erging der Befehl, zwei Pionierkorps aufzustellen:
eines zu 2 Bataillonen ä 4 Kompagnien für Italien und ein Bataillon
zu 6 Kompagnien in Linz für Deutschland. Die Aufstellung des für
Deutschland bestimmten Pionierbataillons ging aber so langsam von
statten, daß es an dem Feldzuge von Ulm nicht teilnehmen konnte.
^) Kriegsarehiv, Mem.. IX. 247.
— 90 —
Jeder Armee wurden ein Laufbrückentraiu (24 sechsspännige und
10 vierspännige Wagen) mit Material für eine 205 m lange Brücke,
ein Brüekentrain von 100 Pontons auf Landesfuhren und 3 Pontonier-
kompagnien zugewiesen. Die schweren Pontons konnten aber dem
Gewaltmarsche der Truppen an die Hier nicht folgen, so daß sie
bei München zurückblieben. Spät erst wurde der Pontontrain über
Mindelheim vorgezogen, kam aber nur zum Piückzug des Korps
Jellachich nach Tirol zurecht. Die nach Deutschland bestimmte
Tschaikistenkompagnie kam überhaupt nicht dorthin. Der Lauf-
brücken geschieht nirgends Erwähnung. Sie kamen nicht in Ge-
brauch.
Die technischen Truppen konnten daher bei den Operationen
auf dem flußreichen Kriegsschauplatze und bei den Kämpfen um
befestigte Orte (Ulm, Memmingen) gar nicht verwendet werden.
Train und Verpflegung.
Während der Eevolutionskriege hatten die kaiserlichen Ar-
meen meist einen übergroßen Troß, der als Ursache angesehen
worden ist, daß ihre Operationen so schwerfällig und langsam er-
folgten. Obwohl der Troß sehr viel zur Langsamkeit beigetragen
haben mochte, lag die eigentliche Ursache dazu wohl immer in den
handelnden und führenden Personen selbst: sie hätten auch ohne
Troß nicht schneller operiert, sondern hätten im Gegenteile die
Operationen wahrscheinlich ganz eingestellt. Als dann die jungen
energischen Eevolutionsgenerale, allen voran Bonaparte, ihre train-
und ausrüstungslosen Horden gleichen Armeen mit ungewohnter
Schnelligkeit zum Siege führten, da schob man die Schuld an den
Niederlagen dem Troß zu und suchte die Ursache der Schnelligkeit
der französischen Armeen nicht in der Energie und Tüchtigkeit
ihrer Führer, sondern im Fehlen jedes Trosses. Daß diese Folgerung
grundfalsch war, kann man mit dem einfachen Hinweis auf Friedrich
den Großen dartun, der in der Zeit des schwerfälligsten Trosses
und zur Blütezeit der Magazinsverpflegung mit einer Schnelligkeit
operierte, die auch Napoleon nicht oft überboten hat.
Wenn man der Sache auf den Grund geht, findet man aber,
daß das Armeefuhrwesen dieser Zeit durchaus nicht übermäßig groß
war. Im Jahre 1799 zählte z. B. die Armee in Italien 107.000 Mann
und 19.000 Pferde und davon fielen nur 1557 Mann und 2726 Pferde
auf das Fuhrwesen, was wohl nicht übermäßig viel Train ist.
— 91 —
Der „effektive Stand des Fuhrwesens" der Armee in Deutseh-
land betrug Ende August 1800:
7 Kavallerie-
36 leichte / Artillerie-
1 schwere J
4 Pontons-
1 Laufbrücken-
3 Backöfen-
27 Transports-
5 Proviant-
i 84 Divisionen mit
> Divisionen l 12.886 Mann und
l 18.947 Pferde.
Zieht man die 44 Artilleriedivisionen, die zur Bespannung der
Geschütze dienten, ab, so bleiben 40 Divisionen oder etwa 6000 Mann
und 9000 Pferde als Armeetrain der Armee in Deutschland^).
Nach einer im Kriegsarchiv erliegenden Zusammenstellung des
Bedarfes der ganzen k. k. Armee an Fuhrwesen — Truppentrain
und Armeetrain — für den 1805 bevorstehenden Krieg waren
folgende Mengen an Fahrzeugen und Pferden nötig:
an Truppentrain 232 zweispännige, 1764 vierspännige Wagen
und 7332 Packpferde ^) ;
an Armeetrain 793 zweispännige, 3226 vierspännige, 505 sechs-
spännige Wagen und 650 Packpferde.
Das gesamte Fuhrwesen — Truppentrain, Artillerietrain,
Brückentrain, Backofentrain und Verpflegstrain — war daher mit
6672 Wagen (mit 25.572 Zugpferden) und 7982 Packpferden ver-
anschlagt, was bei einem Stande der Armee von 325.000 Mann
(auf diesen Stand rechnete man vor Kriegsbeginn) gewiß nicht als
übermäßig bezeichnet werden kann.
Was in früherer Zeit den Troß so ungeheuer anwachsen ließ,
war die große persönliche Bagage der Offiziere und der die Armeen
mit Eeeht oder widerrechtlich beoleitenden Personen und die um-
1) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, VII, 2.
-) Die zahlreichen Paekpferde waren zum Transport der Zelte und Koch-
geschirre bestimmt. Da ein Pferd höchstens ein Viertel dessen trägt, was
es ziehen kann, ist die Verwendung von Packpferden und Tragtieren höchst un-
rationell; sie sollte auf das Gebirge beschränkt bleiben und auch dort nur zur
Verbindung der abseits fahrbarer Kommunikationen vorgehenden Kolonnen mit
ihren fahrenden Trains dienen. Die Einstellung von Paekpferden in die normale
Trainausrüstung ist daher höchst unpraktisch, sie kompliziert überdies den Train
und dessen Ausrüstung.
— 92 —
fangreiche Anwendung von Packpferden anstatt Fuhrwerken. Jeder
Offizier führte mehrere Packpferde mit seinen persönlichen Bedürf-
nissen mit, die höheren Offiziere mehrere Wagen und zahlreiche
Packpferde. Den Armeen folgten Marketender, Händler, Wäscherinnen,
liederliche Weiber u. dgl., die alle, weil sie meist ihr ganzes Hab
und Gut mit sich führten, Wagen und Pferde brauchten 0- Das
überreiche Ausmaß der gebührenden Brot- und Futterportionen läßt
erkennen, wo die Ursache des übermäßigen Trosses lag. (Siehe
Tabelle auf S. 95.) Dieser persönliche Troß, der nur dann etwas
nützte, wenn er nahe dem Besitzer bheb, wenn er sich also bei
der Truppe befand, und der sich überdies, ebenso wie das meist
gedungene Fuhrwesen, jeder strengen Disziplin entzog, war die Ur-
sache der größten Unordnung in und hinter den Marschkolonnen,
und diese gewohnheitsmäßige Unordnung war es wieder, die im
Laufe der Jahrzehnte die in ihr aufgewachsenen Generale zu rascher
Führung untauglich gemacht hat.
Oberflächliche Naturen urteilen nur nach Äußerlichkeiten, sie
gehen den Erscheinungen nie auf den Grund. So war bei diesen der
Train die Ursache der Langsamkeit, sein Fehlen die Ursache der
Schnelligkeit der Franzosen. Eine solche oberflächliche Natur war
auch FML. Mack. Ohne tiefer in die Sache einzugehen, wollte er
als Generalquartiermeister unter Hinweis auf das Beispiel der Fran-
zosen und unter Berufung auf seine Erfahrung den halben Train
entfernen und die Armee gleich den Franzosen auf die Eequisition
verweisen -).
^) In der kaiserliehen Verordnung, mit der im Jahre 1798 die Herabsetzung
der Bagagen angeordnet worden war, heißt es auch u. a. : „Niemand vom Kom-
mandierenden bis zum letzten Offizier und Beamten darf seine Frau mit ins
Feld nehmen", was annehmen läßt, daß dies usuell war.
^) Am 7. Juli 1805 sehrieb Maek an den Minister Grafen Cobenzl:
„Ich maehe traurige Entdeekungen über die Frage wegen Verminde-
rung des Fuhrwesens, der Paekpferde etc. Der Erzherzog hat unsere
beiden würdigen Kriegspräsidenten schon ganz für sieh gestimmt. Haiiptsäehlieh
dadurch, daß er ihnen vorlamentiert, wie bedenklich es wäre, den wichtigen
Dienst der Verpflegung Gefahren auszusetzen. Diese fragen darüber ihre Ver-
pflegsbeamten, mithin gerade diejenigen Menschen, welchen es daran gelegen ist,
recht viel ärarisehes Fuhrwesen zu haben, weil sie dies bequemer finden, als
sieh aus den anliegenden Provinzen damit zu versehen. Mehr als jemals bin ich
überzeugt, daß es beim alten bleiben wird, wenn Seine Majestät nicht alle Zweifel
und Einwendungen damit beantworten,- ,daß, wenn die Franzosen durch so viele
— 93 —
Erzherzog Karl, der über alle Erscheinungen früherer Kriege
gründlich nachdachte und sich nicht durch Äußerlichkeiten bestechen
ließ, hatte im Jahre 1803 die Wichtigkeit eines guten, militärisch
geschulten Fuhrwesens hervorgehoben; er wies darauf hin, daß
lediglich die geringe Schulung des wenig zahlreichen Trainpersonals
und die Disziplinlosigkeit des gedungenen Fuhrwerkes die steten
Unordnungen verursachten, die den Armeen so schweren Schaden
brachten; daß es daher verfehlt wäre, diese Unordnung dem Fuhrwesen
an und für sich zur Last zu legen, sondern daß man die Grundursachen
dieser Unordnungen beheben müsse. Man schaÖ'e daher, sagte der Erz-
herzog, wenn es auch kostspielig ist, ein zahlreiches, gut geschultes
und gut organisiertes militärisches Fuhrwesen. Ein solches Fuhr-
wesen sei für die Armee unentbehrlich, ja, viele Bewegungen könnten
nur mit Hilfe eines guten Fuhrwesens ausgeführt werden^).
Wie es aber gewöhnlich geht: die nüchternen, tiefdurch-
daehten Darleguno-en Erzherzog' Karls blieben unberücksiehtio:t und
Feldzüge den Beweis gegeben, wie es ohne alle solche Anstalten möglieh sei,
Armeen leben zu machen, ohne dabei im geringsten der Behendigkeit ihrer Opera-
tionen zu schaden, es bei Ihren Armeen um so eher möglich sein müsse, wenn
AUerhöehstdieselben die Hälfte des bisherigen bewilligen, und daß Sie die
Obervei-pflegsbeamten, die es nicht verständen oder verstehen wollten, wegjagen
und durch bessere zu ersetzen wissen würden'. Es ist höchst notwendig, daß
Seine Majestät den so wichtigen Gegenstand bei der nächsten Konferenz in Laxen-
burg zu entscheiden geruhen. Wenn Seine Majestät dabei erst viele Diskussionen
veranlassen, wenn mich Allerhöchstdieselben in die Notwendigkeit versetzen, erst
lange Verteidigungsreden darüber halten zu müssen, so werde ich neuerdings ge-
hässig und Grott weiß was aus mir und meinem Einfluß werden wird. So verhält
es sieh mit der leichten Infanterie. Wenn Seine Majestät nicht bestimmt
befehlen, daß von Freikorps keine Frage mehr sein soll, daß Sie aber ein
leichtes Bataillon bei jedem Regiment haben wollen, so ist alles umsonst und
mir wird nichts übrig bleiben, als im Stillen über das Unglück zu seufzen, daß
Seine Majestät wegen Verhältnissen, die Sie nicht ändern können, in die traurige
Notwendigkeit versetzt sind, Allerhöchst Ihre eigenen Überzeugungen und mit
diesen das Beste Ihres Dienstes aufzuopfern.
Morgen ist die Konferenz mit Wintzingerode. Nach diesen in einigen Tagen
wäre es sehr nötig, daß Seine Majestät jene in Laxenburg abzuhalten geruhten.
Mäck. "
Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, VII, 27.
^) Der preußische Oberst Massenbaeh schreibt in ,,Beti*aehtungen und Auf-
schlüsse über die Ereignisse der Jahre 1805 und 1806" :
„Was setzte Friedrieh II. in den Stand, so beschleunigte Märsehe zu
machen, so plötzlich von der Defensive in die Offensive überzugehen? Lag die
— 94 —
die großsprecherisch und oberflächlich, aber um so sicherer vor-
gebrachten Tiraden Macks fanden auch, dank der von ihm erwirkten
Unterstützung Oobenzls, Anklang.
Mit Armeebefehl vom 27. August 1805 genehmigte der Kaiser
die Verminderung des Trains. Mit demselben Armeebefehl wurde
auch die Bagagegebühr der Subalternoffiziere um ein geringes
herabgesetzt. Die Packpferdegebühr dieser Offiziere wurde aufge-
hoben, dafür wurden jeder Kompagnie zwei Packpferde für die
Offiziersbagagen (75 Pfund =^ 37'5 leg pro Offizier) zugewiesen. Um
das Halten der ßeitpferde bei der Infanterie einzuschränken,, wurde
die Eeluierung der Futterportion mit 10 Gulden gestattet. Die radikale
Durchführung dieser Maßregel, deren Prinzip nur gebilligt werden
kann, auch bei den Generalen und Stabsoffizieren, wäre viel zweck-
mäßiger gewesen als die Verminderung der Verpflegstrains.
Der Train eines Infanterieregiments wurde vermindert von
2 zwei-, 20 vierspännigen Wagen und 86 Packpferden auf 2 zwei-
spännige, 12 vierspännige Wagen und 50 Packpferde (30 Zelt-
und 20 Kesselpackpferde); der Train eines Kavallerieregiments von
2 zwei-, 8 vierspännigen Wagen und 26 Packpferden auf 2 zwei-,
5 vierspännige Wagen und 12 Zeltpackpferde (Husaren und Ulanen
hatten keine Zelte, daher auch keine Packpferde). Der Offizierstroß
eines Infanterieregiments zu fünf Bataillonen betrug 1805: 7 zwei-
spännige Wagen und 216 Eeit- und Packpferde; der gesamte Pferde-
stand eines Eegiments betrug daber einschließlich der 56 Pferde
der Eegimentsartillerie 388 Pferde. In dieser übermäßigen Anhäufung
von Pferden bei den Truppenkörpern, somit in den Kolonnen lag
der größte Nachteil der Trainorganisation der österreichischen Armee
und der Mangel dieses Trosses bei den Franzosen bedingte ihre
große Überlegenheit im Marschieren.
Nebenstehende Tabelle zeigt die Brot- und Futtergebühr und
somit die Größe des Offizierstrosses vor 1798, nach 1798 und im
Kriege 1805.
Ursache nicht in seinem immer auf 18 Tage hinreichenden Brot- und Mehlvorrat
und dem dazu vorhandenen vortrelfÜeh eingerichteten Fuhrwesen?
Wenn das viele Gepäek der Gresehwindigkeit in den Bevyegungen einer
Armee hinderlieh ist, die vollständige Anzahl von Backöfen und Proviantvfagen
aber die Geschwindigkeit ihrer Bewegungen befördert, so hätte man das unnötige
Gepäck vermindern und das nötige Proviantfuhrwesen vollständig aus-
rüsten sollen."
95 —
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— 96 —
Der Armeetrain der Armee in Deutschland wurde von 33 vier-
spännigen Transportdivisionen ä 50 Wagen, 50 sechsspännigen Back-
ofenzügen und 25 vierspännigen Reqiiisitenzügen auf 4V2 Transport-
divisionen, 2 Backofenzüge und 1 Eequisitenzug restringiert.
Die Truppen wurden in den Kriegen des XVIII. Jahrhunderts
nur durch Nachschub verpflegt. Die Requisition war ebenso streng
verboten gewesen wie das Kantonieren. So kam es, daß die Truppen
oft neben großen reichen Ortschaften im Begen lagerten und hun-
gerten. Der Verpflegszuschub spielte sieh folgend ab : Die Proviant-
wagen der Truppen holten in zwei abwechselnd verwendeten Partien
jeden zweiten Tag Verpflegung vom Kolonnenmagazin ab. Die zwei-
tägige Fourage wurde den Truppen auf gemieteten, den Kolonnen-
magazinen angeschlossenen Wartwagen zugeführt.
Die leeren Wagen der Kolonnenmagazine und die nicht be-
nützten Wart\^agen blieben stehen und erwarteten den Zuschub aus
den Nachschubmagazinen. Nach Übernahme der Vorräte hatten die
Kolonnenmagazine der Kolonne in forcierten Märschen zu folgen.
Nur bei längeren Stillständen konnten die Kolonnenmagazine
auch dazu verwendet werden, Brot aus den nächstgelegenen Bäckereien
abzuholen.
Dieses steife Nachschubsystem mit wiederholtem Umladen
der Vorräte konnte allerdings nicht klaglos funktionieren und war
nicht im stände, eine rasch vorrückende Armee zu versorgen; es
hatte bisher aber doch immer, wenn auch kläglich, funktioniert.
Nun wurde plötzlich das Fuhrwerk der Truppe und des
Armeetrains auf die Hälfte reduziert. Die Truppe sollte requirieren.
Man glaubte, das ließe sich einfach dekretieren; es genüge eine
Verordnung oder Vorschrift, um eine bisher geknebelte, zu jeder
Selbsttätigkeit unfähige Truppe zu vermögen, es einer jahrelang ge-
schulten Truppe gleichzutun.
Man wußte nicht, daß die Requisition nicht im einfachen
Wegnehmen, im Rauben und Stehlen bestehe, sondern daß sie,
sollte sie ihren Zweck erfüllen und nicht die Disziplin vollkommen
zerstören, eine streng geregelte und geordnete Tätigkeit sein müsse.
Man beachtete nicht, daß daher vor allem zur Leitung der Requi-
sition ein zahlreiches gutgeschultes und geübtes Personal nötig sei,
wie es die Franzosen bei ihren Divisionen und Korps besaßen. Da
weder dieses leitende Personal vorhanden, noch die Truppen in der
Durchführung der Requisition geübt waren, verstanden sie es —
— 97 —
so lächerlich das klingen mag — gar nicht, zu requirieren. Sie
fanden nichts und hungerten in Eäumen, in denen nach ihnen die
Franzosen recht gut lebten und reichlieh Verpflegung fanden. Die
Eequisition lieferte also den Österreichern nicht viel und das stark be-
schränkte Fuhrwesen konnte den Nachschub nicht leisten. So hun-
gerten die Truppen nicht nur, sondern fühlten auch sicherlich, daß
dies die Schuld der Führung war, und weil die forcierten, zweck-
losen Märsche die Kräfte der Truppe rasch verzehrten und den
Stand erschreckend verminderten, kam bald eine hoffnungslose, an
jedem Erfolge verzweifelnde Stimmung über die Truppe, wodurch
aliein deren schlechte Haltung in den wenigen Gefechten erklärt
werden kann. Dahin hatte es die grenzenlos oberflächliche und ge-
wissenlose Kriegsvorbereitung Macks gebracht^).
Nebst der Bespannung und Führung aller Trains oblag dem
Fuhrwesen auch die Bespannung aller Geschütze. Weil das Fuhr-
wesen im Frieden nur Ausmusterpferde der Kavallerie erhielt, keine
einzige Batterie bespannt und daher der Pferdestand des Fuhr-
wesens im Frieden sehr gering war, der Kriegsbedarf an Pferden
aber nach der Berechnung des Generalquartiermeisters FML. Duka
(s. S. 80j durch die Pferdeabstellung der Erbländer nicht gedeckt
werden konnte, kann man sich vorstellen, auf welche Schwierig-
keiten die Aufstellung des gesamten Fuhrwesens stoßen mußte; man
sieht aber auch, wie richtig Napoleon die Kriegsbereitschaft der
österreichischen Armee beurteilt hatte.
Armeekörper.
Die österreichische Armee kannte keine feste Gliederung der
ßegimenter in höhere Verbände; diese wurden^ ganz nach den je-
*) Oberst Massenbaeli sehreibt in „Betrachtungen und Aufschlüsse etc."
über 1806:
„Was den Vorsehlag, über Nieden zu marschieren, vereitelte, war der
Hunger, der uns nach Prenzlau hindi'ängte.
Dieser Hunger war sehr sehneidend; eine Armee, die seit 60 Jahren an
den regelmäßigen Organismus der Verpflegung gewöhnt ist, muß untergehen,
wenn dieser Organismus vernichtet wird. Unsere Kurzsiehtigkeit und übel ange-
brachte Sparsamkeit hatten uns vor der Schlacht bei Jena nur sechs Baekofen\
und ein unzureichendes Proviantfuhrwesen zugeteilt. Der Organismus des Requi-
sitionssystems hatte bei uns nichts weniger als einen gewissen Grad von Voll-
kommenheit erreicht. Das Wort requirieren hatte man beständig im Munde;
aber die Art, wie requiriert werden müsse, verstanden wir nicht."
Kraus s. 1805, Der Feldzug von Ulm. I
— 98 —
weiligen Verhältnissen oder Bedürfnisseo des Arraeekommandanten
gebildet. Infolgedessen wurde der Wert der höheren Verbände nicht
besonders hoch angeschlagen; sie wurden häufig geändert oder in
der Verwendung zerrissen. Aber auch der Eegimeutsverband wurde
oft nicht gewahrt. So wurden die Grenadierbataillone fast immer
von ihren Regimentern getrennt und in eigene Brigaden vereinigt.
Bei Zusammenstellung von Detaehements wurde die nötige Ka-
vallerie oft divisionsweise mehreren Regimentern entnommen.
Der Bezeichnung nach kannte man in der österreichischen
Armee Brigaden, Divisionen und Korps, ohne unter diesen Namen
Körper einer bestimmten Zusammensetzung und Stärke zu ver-
stehen. Nur bei der italienischen Armee waren von Erzherzog Karl,
der den Wert einer klaren, festen Organisation erkannt hatte, diese
Körper gleichartig und bleibend formiert worden. Dort bildeten je 2 Re-
gimenter zu 5 Bataillonen eine Brigade und 2 Brigaden eine Division.
Bei der Armee in Deutschland gab es neben Brigaden, die
aus 2 — 3 Infanterieregimentern, aus 4 — 6 Grenadierbataillonen oder
aus 2 Kavallerieregimentern bestanden, auch Brigaden, die aus In-
fanterie und Kavallerie zusammengesetzt waren. Es gab Divisionen
verschiedenster Stärke, nur aus Infanterie oder nur aus Kavallerie
bestehend, oder aus Infanterie und Kavallerie zusammengesetzt.
Oft hatte ein Generalmajor nur ein Infanterie- oder ein
Kavallerieregiment unterstellt; in einem Korps kommandierte z. B.
ein Generalmajor eine Brigade zu 6 Bataillonen, ein zweiter General-
major eine Brigade, bestehend aus einem Inlanterie- und einem
Kavallerieregiment, während wieder ein aus 2 Infanterieregimentern
bestehender Körper einen Generalmajor und überdies noch einen
Feldmarschalleutnant vorgesetzt hatte.
Ebenso war unter „Korps" nicht ein gegliederter organischer
Heereskörper, sondern nur ein größerer, willkürlich zusammen-
gestellter Körper zu verstehen, der meist aus einigen Infanterie- und
Kavalleriekörpern (Divisionen, Brigaden) und aus einer Geschütz-
reserve formiert wurde. Eigentümlich war, daß innerhalb der Korps
meist eine Division in Vorhut und Reserve zerrissen wurde.
Von der Zuweisung eines Erhaltungsapparates an die Korps
^oder Divisionen der deutschen Armee war keine Rede.
Diese willkürliche, oft launenhafte Bildung der höheren Ver-
bände konnte die Führung und die Befehlgebung in keiner Weise
erleichtern und begünstigen.
— 99 —
Im Gegensatze zur italienischen Armee, wo wegen der blei-
benden Organisation und der strengen Ordnungsliebe des Erzherzogs
Karl sowohl im Hauptquartier als auch bei den Heereskörpern eine
straffe Geschäfts- und Dienstordnung bestand, herrschte in der
ganzen deutschen Armee die größte Unordnung.
Im Armeekommando bestanden zwei selbständige Geschäfts-
gruppen :
der General quartiermeisterstab (Operationsabteilung), dem die
Verfassung der Dispositionen und Befehle für die Operationen ob-
lag, und
die Generaladjutantur (Detailabteilung), die den inneren Dienst
der Armee (Kommandierungen, Stand etc.) zu regeln und die Aus-
fertigung und Absendung der operativen Befehle und Dispositionen
zu besorgen hatte.
Wie wenig diese Zweiteilung entsprach, hat sich bei der Armee
in Deutschland, besonders aber am 13. und 14. Oktober gezeigt.
Zur Entlastung des Armeekommandos von administrativen
Diensten wurde bei jedem Armeekommando ein Armeegeneralkom-
mando errichtet. Chef war gewöhnlich ein Feldmarschalleutnant, der
zugleich Generaldirektor aller Yerpflegsgeschäfte war.
Sein Wirkungskreis umfaßte:
1. das Kommissariats-, Kassen-, Transport-, Montur- und Aus-
wechslungsgeschäft ;
2. das Verpflegs-, Fuhr- und Packwesen;
3. Lieferungen und Prestationen (Leistungen);
4. das Landeskommissariat;
5. die Sanitätsanstalten und
6. die Eeehtspflege.
Das Armeegeneralkommando hatte in allen diesen Dienst-
zweigen direkt mit den Truppen und mit dem Hofkriegsrat zu
verkehren.
Die österreichische Armee war, nachdem schon im Dezember
1804 aus Böhmen 2 Infanterieregimenter nach Innerösterreich,
2 Regimenter nach Oberösterreich verlegt worden waren, Ende
Januar 1805 folgend verteilt:
7*
v\
— 100 —
Österreich unter
und ob der Enns. 8 Infanterieregimenter, 1 Kavallerieregiment
Schwaben und Vor-
arlberg 2 „ 1 „
Tirol 3 „ — „
Innerösterreich.... 8 „ 1 „
Böhmen 10 „ 4 Kavallerieregimenter
Mähren 9 „ 3 „
Galizien 4 „ 9 „
Ungarn 7 „ 12 „
Siebenbürgen 2 „ 3 „ .
Kroatien, Slavonien,
Banat und Sieben-
bürgen 17 Grenzregimenter — „
Italien 7 Infanterieregimenter 2 „
Dalmatien 2 „ — „
C. Das russische Heer.
Da das russische Hilfsheer im Feldzuge von Ulm nicht in
Aktion trat, genügt es hier, die Stärke der gesamten Heeresmacht
Eußlands anzuführen, um beurteilen zu können, in welchem Maße
Eußlands Politik mit den in Aktion gebrachten Streitmitteln über-
einstimmte.
Die russische Armee war am Anfange des XIX. .Jahrhunderts
fortwährenden Organisationsänderungen unterworfen, so daß es schwer
ist, ihre Stärke und Zusammensetzung verläßlich anzugeben. Da alle
Bücherangaben differieren, werden hier nur zwei nahezu überein-
stimmende, also wahrscheinlich richtige Quellen aus jener Zeit an-
V geführt.
Im Kriegsarchiv erliegt ein, offenbar von einem nach Euß-
land gesandten Offizier stammender Bericht aus dem Jahre 1804
(Mem., XVIII, 18) über die russische Armee. Darnach bestanden:
' " *^ Infanterie:
1 Gardeinfanterieregiment,
\;' 90 Linieninfanterieregimenter | ] jedes Bataillon
20 Jägerregimenter j zu 3 Bataillonen i etwa 600 Mann
94 Garnisonsbataillone J stark.
101 —
Kavallerie:
6 Kurassierreffimenter - -r^ ■, n ]
■ zu o Eskadronen _„„ „ , ,
26 Dragonerregimenter j I 300 Eskadronen zu
10 Husarenregimenter j f 120 Reitern.
4 Ulanenregimenter | ^" ^^ Eskadronen |
Artillerie:
10 Regimenter zu 2 Bataillonen zu 4 Kompagnien = 80 Kom-
pagnien mit je 12 Kanonen.
Kosaken:
50 mobile Regimenter zu 500 Reitern.
Die Bataillone sollten einen Stand von 800 Mann haben, waren
aber stark miter dem Stande. Die Kavallerie war sehr gut beritten.
Die Armee sollte immer marschfertig sein, weil alle Regimenter die
ganze Ausrüstung und alle Bespannungen bei sich haben sollten.
Die Ausbildung der Truppen war gering; sie umfaßte nur Kasern-
dienst und Paraden.
Anfang September 1805 war der Stand der russischen Armee
den Franzosen aus einer deutschen Zeitung wie folgt bekannt (Alom-
bert et Colin, II, S. 211).
Garde:
4 Gardebataillone und 4 Gardekavallerieregimenter, zusammen
etwa 12.000 Mann
13 Grenadier- \
77 Musketier- | Regimenter, zusammen ungefähr . . 219.000 „
20 Jäger- )
6 Kürassier-
26 Dragoner-
20 Husaren-
4 sonstige Kavallerie-
19 Garnisonsregimenter „ „ 70.000 Mann
Artillerie, Pioniere, Pontoniere und Genie „ „ 43.000
Summe der regulären Truppen ungefähr 408.000 Mann
Dazu an Irregulären etwa 100.000 „
so daß die gesamte Wehrmacht Rußlands mit .... 500.000 „
angenommen werden konnte.
Regimenter, zus. beiläufig 50.000 Reiter
— 102 —
D. Die bayrische Armee.
Die bayrische Armee bestaüd im August 1805 aus 12 Infan-
terieregimentern zu 3 Bataillonen, 6 leichten Infanteriebataillonen
und 6 Kavallerieregimentern zu 4 Eskadronen.
Von den Bataillonen jedes Infanterieregiments hatte eines
beim Ausmarsche des Eegiments als Ersatzbataillon zurückzubleiben.
Die Artillerie bildete ein eigenes Korps, das im Felde in vier
Batterien geteilt wurde. Jede Batterie bestand aus 12 Geschützen
(2 Zwölfpfünder, 8 Sechspfünder und 2 Haubitzen).
Die bayrische Armee konnte somit 30 Bataillone zu 700 Mann,
6 Kavallerieregimenter zu 460 Eeiter und 48 Geschütze, also 21.000
Mann Infanterie und 2760 Eeiter ins Feld stellen.^)
Die Infanterie war mit alten, schlechten Gewehren verschiedener
Gattung und Kaliber bewaffnet^). Das Kaliber der Geschütze war
trotz der gleichen Bezeichnung von dem der französischen ver-
schieden. Munition war in genügender Menge vorhanden.
Im September 1805 wurde ein freiwilliges Jägerkorps — 1035
Mann zu Fuß und 171 Eeiter — aufgestellt.
Das bayrische Korps bestand im Oktober 1805 unter Kom-
mando des GLt. Deroy aus 6 Brigaden (zu 2 Infanterieregimentern,
1 leichten Infanteriebataillon, 1 Kavallerieregiment und Va Batterie.
Der Train des Korps bestand aus 512 Wagen mit 1763 Pferden.
Der Verpflegsstand betrug 26.231 Mann und 4746 Pferde.
^) Am 1. Oktober 1805 wurde wohl das 13. Infanterieregiment aufgestellt,
dafür erscheint aber das 11. Infanterieregiment nicht in der Ordre de bataille
des Korps.
^) Nach Heilmann, „Der Feldzug von 1805 in Bayern, Tirol und Mähren ;
Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine", 62. Bd., S. 14. Nach einer
Meldung des französischen Kapitäns Dessalles an den General Songis hatten die
bayrischen Gewehre das gleiche Kaliber wie die französiehen (Alombert et Colin,
„La Campagne de 1805 en AUemagne", I, S. 522). Kapitän Dessalles, der zur Ein-
holung von Informationen über die Bewaffnung und Munitionsvorräte der bayri-
schen Armee nach München gesandt worden war, wußte daher nichts davon, daß
die bayrische Infanterie mit Gewehren verschiedener Kaliber ausgerüstet war.
IIL Der Kriegsscliauplatz.
(Beilage 7.)
Der Schauplatz des Feldzuges von Ulm war der zwischen
Ehein, Main, Eegnitz und Isar gelegene Teil von Süddeiitschland.
Ziemlich dicht bevölkert und von einer rührigen, Ackerbau
und Viehzucht treibenden Bevölkerung bewohnt, bildete das ganze
Gebiet einen günstigen Eaum für die Verwendung großer Armeen^).
Nur zwei Bodenerhebungen Vioten der Bewegung großer Heer-
massen bedeutende Schwierigkeiten: der Schwarzwald und die
Eauhe Alp.
Der Schwarz wald, vom Ehein-Knie bei Basel bis Durlach-
Pforzheim reichend, steigt steil in der Linie Freiburg, Kenzingen,
Mahlberg. Oflfenburg, Achern, Bühl. Durlach aus der Ehein-Ebene
empor, die er schon in 10 hm Entfernung vom Gebirgsfuß um
700 — 1000 m überragt-). Dagegen senkt sich der Schwarzwald
gegen Osten nur so allmählich zum schwäbisch-bayrischen Hoch-
plateau, daß er nach dieser Eichtung nicht den Eindruck eines
hohen Gebirgszuges macht.
Trotz seiner geringen Breite — von Freiburg bis zur Wutaeh
60 hm und zwischen Durlach-Pforzheim 30 hm — war der Sehwarz-
wald 1805 wegen seiner geringen Besiedlung und seiner Wegarmut
halber ein beträchtliches Hindernis für den Vormarsch einer großen
Armee vom Ehein zur Donau. Nur drei durchlaufende Kommuni-
kationen übersetzten damals das Gebirge : die Straßen Alt-Breisach,
') Die Bevölkerung dieses Gebietes und der Viehstand haben sieh seit
Beginn des XIX. Jahrhunderts verdoppelt. In Württemberg entfielen 1802 auf
den Quadratkilometer 78 Einwohner, 5 Pferde, 40 Kinder und 80 Schafe.
'') Die Rhein-Ebene liegt östlich Sehlettstadt 170 w, bei Rastatt 124 m und
bei Karlsruhe 117 m über dem Meere.
— 104 —
Freiburg, Neustadt, Blumberg, Engen, Stoekach und Offenburg,
Haslach, Hornberg und von dort entweder über Eottweil oder über
Villingen nach Tuttlingen, und die Linie Oberkireh, Oppenau (Straße),
dann Fahrweg über den Kniebis nach Freudenstadt, von wo eine
Straße über Pfalzgrafen weiler nach Nagold führte. Auf dem Kniebis
standen noch mehrere aus den früheren Kriegen stammende Schanzen.
Eine Armee, die den Schwarzwald in östlicher Richtung durch-
schreiten wollte, konnte daher nur diese drei Wegiinien benützen,
die beim Austritt aus dem Schwarzwald eine Frontbreite von 80 hm
bedingten. Die nördlichste Kolonne wäre beim weiteren Vormarsch
gegen Osten durch die Eauhe Alp von den südlichen Kolonnen ge-
trennt gewesen.
Die Rauhe Alp begleitet die Donau auf ihrem nördlichen
Ufer bis an die Wörnitz bei Nördlingen und Donauwörth. Sie ragt
als Hochplateau im westlichen Teil etwa 300 m über das Donau-Tal
empor, nimmt aber gegen Osten stetig an Höhe ab. Die aufgesetzten
Höhenzüge erreichen im Westen eine Höhe von 800 bis 1000 tn,
nördlich von Ulm 600 — 700 m und östlich der Brenz nur mehr 500
bis 600 in.
Die Eauhe Alp fällt in der Linie Eeutlingen, Göppingen,
Aalen steil und reich gegliedert gegen Norden ab, das niedrige Vor-
land um 400—500 m überhöhend. Gegen die Donau nimmt die
Höhe des Plateaus ab; die Begleithöhen der Donau dominieren das
Tal durchschnittlich um 100 m.
Südlieh der Donau ragen zwischen Stockach und Eavensburg
von den Zuflüssen des Bodensees vielfach durchbrochene Bergzüge
bis zu 750 m Höhe auf, die rasch gegen den etwa 400 m hoch
liegenden Bodensee abfallen. Die diesen Bergzügen im Norden vor-
gelagerten Bodenerhebungen nehmen gegen die Donau stetig an
Höhe ab, so daß die zum Donau-Tal abfallenden Höhen dieses höch-
stens um 50 on überrageu.
Der nördlich des Schwarzwaldes, der Eauhen Alp und der
Donau abwärts Donauwörth gelegene Teil des Kriegsschauplatzes
gehört dem schwäbisch-bayrischen Hochplateau an. das in seiner
ganzen Ausdehnung reich bewaldete Hügel- und Bergketten auf-
weist. Die absolute Höhe dieser Bergketten erreicht nirgends 600 m.
Die Flußtäler sind tief eingeschnitten und eng; ihre Begleithöhen
überragen die Talsohle überall um 100 — 150 m, so daß der Auf-
stieg auf die steil abfallenden Höhen schwierig und mühsam ist.
— 105 —
Im Journal der Division Friant (Korps Davout) wird über den
Marsch der Division am 2. Ol^tober erzählt: Die 2. Division mar-
schierte über Möckmühl nach Pfitzhof. Der Marsch war sehr stark
und wir hatten nur meist schlechte und enge Hohlwege; um 10''
abend fehlte noch eine große Zahl von Nachzüglern. Der lange Ab-
stieg nach Möckmühl ist so steil und so mit großen Steinen be-
deckt, daß die Eeiter absitzen und ihre Pferde führen mußten. Der
Aufstieg auf der entgegengesetzten Seite ist steil und schlecht. Auf
dem Plateau mußten wir mehr als zwei Meilen auf sehr schlechten
Waldwegen marschieren; die Artillerie hatte Mühe fortzukommen,
obwohl eine Sappeurkompaguie und die Sappeure der Regimenter
hier den ganzen Tag gearbeitet hatten. Alle diese Wege wären im
Winter und bei schlechtem Wetter unbenutzbar.
Über den Marsch am 3. Oktober enthält das Tagebuch dieser
Division: Wir kamen in Ernsbach an der Kocher auf sehr schlechten
Wegen an. Die Höhen, in Wirklichkeit unbedeutend, liegen alle
senkrecht zum Wege, so daß sie viele Anstiege und Abstiege er-
fordern. Der Abstieg nach Ernsbach ist sehr steiP).
In dem ganzen Räume nördlich der Donau ist nur ein größeres
Flachland vorhanden, die etwa 20 hm lange und breite sogenannte
Ebene von Nördlingen zwischen Nördlingen, Öttingen und Wemding.
Der Raum südlich der Donau beiderseits der Hier bis an die
Isar zeigt den Charakter eines niederen Hügellandes. Zwischen den
breiten und flachen Flußtälern liegen niedere, reich bewaldete Hügel-
landschaften, deren höchste Erhebungen die Talsohlen um 50 — 70 m
überhöhen. Die Gewässer durchzogen ihre breiten Täler entweder
in vielen Windungen oder in zahlreiche Arme geteilt. Die Talsohlen
waren daher an vielen Stellen naß oder selbst versumpft; bei an-
haltendem Regen waren sie leicht Überschwemmungen ausgesetzt.
Die Naturwege dieses Gebietes waren somit bei nasser Witterung
recht unverläßliche Verbindungen.
Flüsse. Die Donau fließt bis Sigmaringen in einem engen
Gebirgstal. Unterhalb Sigmaringen wird das Tal stellenweise einige
Kilometer breit. Abwärts von Ulm ist das Donau-Tal sehr breit ; zur
Zeit des Krieges waren große Teile dieses Tales Moorboden oder
versumpft. Nur bei Neuburg treten die Höhen wieder nahe an beide
^) Pfitzhof, wo die Division am 2. abend war, liegt etwa 190, Ernsbach
beiläufig 186 m hoch. Die zwischen beiden Orten liegenden Höhen haben eine
absolute Höhe von etwa 310 m. Die Entfernung Pfitzhof— Ernsbach beträgt 5 lim.
— 106 — y
Ufer heran. Die großen Weichlandstrecken waren das ülmer Ried
zwischen Ulm, Kirchl)erg an der Hier nnd Burlafingen, das Douau-
moos nördlich des Flusses zwischen Langenau und Gundelfingen,
das Donauried südlich der Donau von Gundelfingen bis Donau-
wörth und das Donaumoos südlich Ingolstadt. Bei trockener Witte-
rung waren diese Talböden gangbar und auf zahlreichen Wegen
passierbar; bei längerdauerndem Eegen, wie gerade zur kritischen
Zeit im Jahre 1805, waren sie aber weithin tiberschwemmt und
dann nur auf den Chausseen zu durchqueren.
Die Donau floß bis Ulm in einem geschlossenen Flußbett ; ab-
wärts von Ulm teilte sie sich aber in mehrere Arme, flache, be-
waldete Inseln bildend.
Bei Ulm war die Donau 65 m breit und 3 m tief, bei Donau-
wörth 130 m breit. Sie wurde bei Ulm schiffbar.
Brücken bestanden bei Ulm (Steinpfeiler), Thalfingen, Elchingen,
Leipheim, Günzburg (2), Eeisensburg, Offlngen, Lauingen, Dillingen,
Steinheim, Hochstädt, Gremheim, Münster, Donauwörth, Neuburg
(Stein) und Ingolstadt.
Die Hier wurde von Kempten an für Flöße und Kähne fahr-
bar. Von Aitrach abwärts fließt die Hier in einem breiten Tale; vor
ihrer Regulierung bildete sie in diesem Tale zahlreiche Windungen,
ihre Ufer waren flach und an vielen Stellen sumpfig. Die Breite der
Hier betrug an ihrer Mündung in die Donau etwa 30 m. Die Hier
war bei Aitrach (westlich Memmingen), bei Steinheim, Kellmünz,
Hlertissen, Oljerkircbberg und Unterkirchberg überbrückt.
Der Lech wird bei Schongau schiffbar. Unterhalb Landsberg, wo
seine Ufer flach werden und der Fluß in das breite Lechfeld tritt,
teilt er sich in zahlreiche Arme. Der Fluß war 30 — 150 m breit;
unterhalb Augsburg nahmen Breite und Teilung des Flusses in Arme
so zu, daß er bei Niederwasser an mehreren Stellen furtbar war.
Brücken waren bei Füssen (2), Schongau, Landsberg, Kaufe-
ringen. Augsburg und Rain.
Der Neckar fließt in einem ständig engen, von steil abfallen-
den Höhen eingeschlossenen Tal; er wird von Kannstatt an schiff-
bar. Hier ist er etwa 30, bei Heilbronn 60 m breit. Der Neckar war
1805 an zahlreichen Stellen überbrückt. Seine Nebenflüsse Kocher
und Jagst sind 15 — 20 m breit, fließen in sehr engen und steil-
randigen Tälern und waren an vielen Stellen überbrückt. Im Jahre
1805 fehlten durchlaufende Talwege.
— 107 -
Die Wörnitz war bei jeder an ihr gelegenen Ortschaft über-
brückt.
Die Beilage 7 zeigt die zur Zeit des Feldzuges von Ulm vor-
handenen Straßen und guten Fahrwege des Kriegsschauplatzes.
Innerhalb der Maschen dieses Straßen- und Wegnetzes waren nur
minderwertige Naturwege vorhanden.
Die Skizze zeigt die politischen Grenzen so weit, daß die Ge-
biete Österreichs, Frankreichs und seiner Verbündeten und die Ge-
biete neutraler Staaten (Preußen, Schweiz) zu erkennen sind.
Die preußischen, also neutralen Fürstentümer Ausbach und
Bayreuth sperrten den Eaum zwischen der Donau und dem Main
bis auf zwei schmale Durchgänge — an der Donau, über bayrisches
Gebiet und über das Gebiet von Eichstädt, und über Nürnberg —
ganz ab.
Von Würzburg konnten somit französische Truppen, ohne
Preußens Neutralität zu verletzen, entweder nur zwischen den Fürsten-
tümern Ansbach und Bayreuth (über das Gebiet der Eeiehsstadt
Nürnberg) oder nördlich um das Fürstentum Bayreuth herum durch
sächsisches Gebiet Böhmen erreichen.
IV. Operatioiispläne und Kriegsvorbereitimgen.
A. Franzosen.
Wie früher erwähnt, war Napoleon der einzige Führer der
Armee. Seinem Kopf allein entsprangen alle Gedanken und Ent-
schlüsse, er allein gab alle Befehle, er holte dazu niemandes Eat
ein; niemand hatte Gelegenheit, dem Kaiser seine Ansicht über die
zukünftigen Operationen, ihren Schauplatz und die dazu angesetzte
Kraft auszusprechen.
Infolgedessen war Napoleon nicht genötigt, irgend jemand
einen fertigen, wohl begründeten Operationsplan vorzulegen. Er kannte
daher diese voluminösen, mehr oder weniger tief begründeten Denk-
schriften nicht, die man gewöhnlich unter dem Ausdruck Opera-
tionsplan versteht. Er hatte somit gar keinen „Operationsplan" in
diesem Sinne.
Frühzeitig entstand im Kopfe Napoleons der richtunggebende
Gedanke für einen bevorstehenden Krieg, das von ihm angestrebte
Ziel seiner Operationen. Nur durch eine gelegentliche Äußerung,
durch eine seinen Feinden zugeschleuderte Drohung erfährt man
diesen Gedanken, an dessen Durcharbeitung und Vervollständigung
Napoleon unausgesetzt zu arbeiten schien. Neue Auslassungen weisen
darauf hin, daß dieser Gedanke immer fester wird, daß er immer
klarer, immer vollkommener ausgearbeitet im Kopfe Napoleons be-
steht, daß der Gedanke nach und nach erst das wird, was man einen
Plan nennen kann. Aber dieser Plan umfaßt nur die Hauptziele des
bevorstehenden Krieges, den Verlauf der Operationen in großen
Zügen. Deren Details, wenn er sie auch dank seiner außerordent-
lichen Phantasie eingehend in allen möglichen Varianten durch-
dachte, faßte er nie zu einem starren Plane zusammen. Nur das
große Ziel des Krieges, das Leitmotiv der Operationen bleiben un-
— 109 —
verändert fest; alles Detail und alle Bewegungen modelt der Kaiser
unausgesetzt, immer paßt er sie der momentanen Situation an. Nie
schämt er sich, einen Irrtum einzugestehen^), nie klammert er sich
daher an eine einmal gefaßte Idee, aber nie auch läßt er das einmal
festgesetzte Ziel des Krieges aus dem Auge. Oft sind mündlich über-
brachte Nachrichten Ursache der Änderungen in den Operationen.
Leider ist der Inhalt vieler dieser von Napoleon persönlich in Empfang
genommenen Nachrichten verlorengegangen, so daß dann nicht
mehr festzustellen ist, was ihn zu einer plötzlichen Änderung seiner
Maßnahmen veranlaßte; ob eine Nachricht und welche, oder ob nur
eine neue, oft blitzartig auftauchende Beurteilung der Lage. Es heißt
daher die Geistesarbeit und Tätigkeit Napoleons als Feldherr voll-
kommen verkennen, wenn man die Angabe des Generals Grafen
Segur glaubt, daß Napoleon schon Mitte August den genauen detail-
lierten Plan für den Feldzug von Ulm fertig hatte und daß sich die
Ereignisse auch tatsächlich nach diesem Plan abspielten-).
Von allem Anfang an hatte Napoleon den Krieg in Deutsch-
land vor Augen: nie dachte er daran, die Hauptoperation nach
Italien zu verlegen. Schon am 27. November 1803, als Preußen die
Anerkennung der Neutralität Deutschlands in einem Kampfe Frank-
reichs gegen Österreich verlangte, sagte Napoleon zum preußischen
Gesandten: „Ein Feldzug an der Etsch ist nicht günstig für die
französischen Armeen, so sehr er auch den Operationen in Deutsch-
land als Ablenkung dienen mag; auf dem Wege^ der von Straß-
burg nach Wien führt, müssen die Franzosen die Öster-
reicher zum Frieden zwingen und diesen Weg wollen Sie ihnen
untersagen!" Und am 30. November 1803 schreibt Talleyrand in
*) In einem Briefe vom 25. August an Talleyrand schreibt Napoleon : „Ich
habe die Österreicher nicht für so entschlossen gehalten, aber ich habe mich
schon so oft in meinem Leben geirrt, daß ich darüber nicht erröte."
^) Segur, „De 1800 ä 1812. ün aide de camp de Napoleon".
Auf Seite 159 (der Ausgabe von 1891:) erzählt Segur: Auf die Nachricht
vom Einlaufen der Flotte Villeneuves in den Hafen von FeiTol ließ Napoleon
Daru rufen (am 13. August) und befahl ihm zu schreiben. „Und sodann diktierte
er sogleich, ohne Übergang, ohne Nachdenken und Zögern in seiner bündigen
Ausdrucks weise, kurz und gebieterisch den Plan des Peldzuges von Ulm bis
Wien." Aus den folgenden Erklärungen geht heiTor, daß damit der ganze Ver-
lauf der Ereignisse gemeint ist, den Napoleon vorhergesehen haben soll.
— 110 —
Übereinstimmung mit dieser Unterredung an den französischen Ge-
sandten in Berlin: „Was kann Österreich in Italien fürchten? Daß
man ihm Venedig nimmt? Aber alles wohl erwogen, was bedeutet
Venedig für Österreich? Am Inn liegt seine schwache Seite,
dort muß ein gut geführter Angriff das Herz der Monarchie
treffen." Am 3. März 1804, als nur die leisesten Anzeichen dafür
vorhanden waren, daß Österreich sich England anschließen könnte,
läßt Napoleon Talleyrand an den österreichischen Gesandten in Paris,
Grafen Philipp Cobenzl (Vetter des Ministers des Äußern Grafen
Ludwig Cobenzl) schreiben:
„ Wenn also diese ersten Anzeichen (der Annähe-
rung Österreichs an England) durch die Aufrechterhaltung der in
Österreich angeordneten militärischen Maßregeln sich bestätigen
würden, sähe sich der erste Konsul in die Notwendigkeit versetzt,
selbst mit Bayern Vereinbarungen zu treffen, wonach er seine Truppen
in dieses Land einmarschieren lassen könnte, um es mit Nachdruck
gegen die drohende Invasion zu schützen." Am 7. März sandte Na-
poleon emen Offizier in die schwäbischen Besitzungen Österreichs,
dann nach Tirol und Salzburg, um die Maßnahmen Österreichs aus-
zukundschaften und am 18. Juli den General Sebastiani mit der
gleichen Aufgabe. Dieser „wird über Konstanz, Lindau, Kempten
längs dem Inn bis Innsbruck, Brixen, Villach, Salzburg, München
und Passau reisen. Er wü'd die Ufer des Inn durcheilen, sich nach
Nürnberg begeben und das Eegnitz-Tal durcheilen. Er wird Kenntnis
von der Situation der österreichischen Truppen nehmen, über die
Vorbereitungen, die sie machen könnten ; er wird die besten Karten
kaufen und Eekognoszierungen durchführen, um mich über alles zu
unterrichten, was mich in politischer und militärischer Hinsicht inter-
essieren könnte."
Am 2. Oktober 1804 befahl Napoleon Vorbereitungen in Mainz
und Straßburg an, um sich im Kriegsfalle sofort der Brückenköpfe
Kastei und Kehl zu bemächtigen (S, 15).
Am 30. Dezember 1804 sandte Napoleon den General Eoraieu
zu einer neuen Eekognoszierung nach Konstanz, Lindau, Schwaben,
Innsbruck, Bozen, Villach, Klagenfurt, Graz, Laibach, Görz und Triest.
Am 27. Mai 1805 ließ Napoleon an den Gesandten Otto in
München anläßlich des Beginnes der Allianzverhandlungen mit
Bayern schreil)en: „Der Kurfürst kennt seine Lage zu genau, um
zu fühlen, daß er nicht neutral bleiben kann, sobald der Krieg
— 111 —
zwischen Frankreich und Österreich entbrennt. Diese Neutralitiit
wäre so sehr zum Nachteil Frankreichs, daß wir es vorziehen würden,
Bayern zum Feinde zu haben. Der natürliche Kriegsschauplatz
Frankreichs liegt am Ehein.
„Der Kaiser könnte seine Grenze gegem Deutsehland nicht ent-
blößen, um 300.000 Mann an die Etsch zu werfen, während es
Österreich sehr passend w^äre, seine Armeen nach Friaul und Tirol
zu bringen und die Etsch-Grenze anzngreiten. So muß der erste
an der Etsch fallende Kanonenschuß am Inn sein Echo
finden und aus diesem Grunde hatte der Kaiser so viel Interesse
daran, Passau nicht an Österreich fallen zu lassen."
Mitte August 1805 ließ er dem Gesandten Cobenzl u. a. durch
Talleyrand sagen:
„ Frankreich kann, wenn es in Itahen bedroht wird,
kaum rechtzeitig hinkommen, um dort dem Feinde zuvorzukommen;
aber es wird seine Truppen den Ehein passieren lassen, um den
Feind im Herzen seiner eigenen Staaten aufzusuchen." (Siehe S, 35.)
Diese Angaben beweisen deutlich genug, daß Napoleon den
nächsten Krieg mit Österreich in Deutschland zu führen beabsich-
tigte; sie zeigen auch, daß sich Napoleon als geographisches
Ziel seiner Operation Wien, die feindliche Eesidenzstadt, auserkoren
hat. An diesem Operationsziel hält Napoleon auch fest, als die
Koalition Österreichs mit Eußland immer sicherer hervortritt. Seine
Operationsidee gestaltet sich immer mehr aus. Die Kooperation der
Österreicher mit den Bussen steigert in ihm nur die Energie der
beabsichtigten Kriegshandlung. Wien will er erreichen, dort will er
dem Kaiser den Frieden diktieren, und da die Vereinigung der
Österreicher mit den Bussen ihm dies schwieriger macht, so will er
die Österreicher schlagen, bevor die Bussen herankommen, ja er will,
wenn möglich, Wien vor den Bussen erreichen. In seinem Geiste
setzt sich — gewiß erst, nachdem er tagelang über den Karten ge-
brütet, nach gewissenhaftem Abwägen von Baum und Zeit — der
Wille zur größten Energie in der Kriegführung, d. h. zur größten
Schnelligkeit fest.
Im Februar 1805 äußerte schon Napoleon, daß er Österreich
nicht fürchte: eine neue Koalition halte er für unmöglich; Bußland
wird Österreich keine große Hilfe gewähren, übrigens werde er früher
in Wien sein und im Bette des Kaisers schlafen, ehe eine beträcht-
liche russische Truppenmacbt in der Nähe erscheinen werde.
— 112 —
Am 20. März befahl er dem in Hannover kommandierenden
Marsehall Bernadotte, Spione in die polnischen und russischen Pro-
vinzen zu senden, um ständig über die Bewegungen und Marsch-
bereitschaft der russischen Truppen orientiert zu sein.
Am 16. April 1805, also fünf Tage nach Abschluß des eng-
lisch-russischen Bündnisses, schrieb Napoleon an Talleyrand:
„Herr Larochefoucault (Gesandter in Wien) kann vernehm-
lich sprechen und zu verstehen geben, daß, wenn der Wiener Hof
uns glauben läßt, er w'oUe den Krieg. ich wohl den öster-
reichischen Truppen nicht die Zeit lassen darf, sich mit den Eussen
zu vereinigen und zu marschieren."
Ende April meldete der Wiener Gesandte, daß eine russische
Armee von 50.000 Mann in Podolien bereit stehe, sie erwarte nur
die Ankunft des Großfürsten Konstantin, um zu marschieren.
Anfang Mai kam eine Meldung aus Salzburg über Truppen-
bewegungen nach Tirol, über die Formierung der Tiroler Mifiz —
10.000 Mann schon formiert — daß die Rekrutierung in Österreich
im lebhaften Gange sei, daß 10.000 — 15.000 Pferde angekauft werden
und daß Mack zum Generalquartiermeister ernannt worden sei. Die
Kriegsgerüchte woUtcH in Salzburg nicht verstummen. Mitte Mai
kam die Nachricht, daß die Urlauber einberufen worden seien.
Am 2. August meldete der Gesandte in München: In Tirol
erwartet man außer den 5 Regimentern, die schon dort sind, noch
4 Infanterie- und mehrere Kavallerieregimenter. Man errichtet dort
Spitäler und Bäckereien. Im Lager von Pettau stehen 10 Infanten e-
und 5 Kavallerieregimenter. Die polnischen Regimenter sind nach
Mähren vorgezogen worden. Die Kavallerie ist in Lagern bei Kaschau
und Krakau vereinigt. Artillerie- und Munitionstransporte sind unter-
wegs nach Italien und Tirol. Die Arbeiterzahl in den Arsenalen wurde
verdoppelt, Pferde werden gekauft. In Tirol, wo Erzherzog Johann
kommandieren soll, sind jetzt — nach einer Wiener Nachricht — mehr
als 7 Infanterie- und 2 Kavallerieregimenter. Diese Armee kann aber
leicht durch das Lager von Pettau verstärkt werden. In Tirol sind ein
Artilleriepark und eine Batterie leichter Artillerie, vorhanden.
Am 10. August meldete der Wiener Gesandte : Bei Budweis
wird ein Lager von 30.000 bis 40.000 Mann gebildet. Truppen sind
dahin auf dem Marsche. Bei Brück an der Mur soll ebenfalls ein Lager
errichtet werden. Bei Minkendorf ^) ist ein Lager für die Wiener
^) Heute Münehendorf genannt, liegt südöstlich von Wien.
— 113 —
Garnison und vier Kavallerieregimenter errichtet. 150 Geschütze sind
auf dem Wene nach Italien, ein anderer starker Train nach Oberöster-
reich. Auch bei Wels soll ein Laoer errichtet werden. In Deutsch-
land soll der Kaiser persönlich kommandieren, in Tirol der Erzherzog
Johann, für Italien ist noch niemand bestimmt. Erzherzog Karl hat
schon Pferde für seine Ausrüstung gekauft.
Diese Nachrichten und noch viele andere, die Napoleon im
Laufe des Monates Juli und Anfang August erhielt, brachten ihn
zum Entschlüsse, wenn nötig, Österreich anzugreifen.
Am 13. August schrieb er an Talleyrand:
„Mein Entschluß ist gefaßt, ich will Österreich angreifen und
vor dem nächsten Monat November in Wien sein, um den Bussen
entgegenzutreten, wenn sie eintreffen." Dem Botschafter Cobenzl ließ
er am selben Tage sagen : ,.Der Kaiser ist nicht so einfältig, um den
Russen Zeit zu lassen, euch zu Hilfe zu kommen", und fügte pro-
phetisch bei: „Sagen Sie dem Kaiser, daß er Weihnachten nicht in
Wien feiern wird."
Am 16. August endlich beauftragte er den Münchener Ge-
sandten, den Kurfürsten von Bayern zum Abschluß des Vertrages
zu drängen und zu sagen :
„ wenn Österreich nicht Tirol räumt und abrüstet,
werde ich meine Küstenlager aufheben und gegen Österreich mar-
schieren : der Kurfürst selbst soll Vorstellungen machen und fragen,
warum Österreich so viel Truppen in Tirol aushebt, obwohl es mit
seinen Nachbarn im Frieden ist? Daß ich den größten Teil der
Armee von Hannover herabziehen werde und daß • ich selbst drei
Wochen nach der Antwort Österreichs, wenn es nicht abrüstet, mit
200.000 Mann in Bayern sein werde."
Aus diesen Äußerungen Napoleons läßt sich seine Operations-
idee klar erkennen : Er wollte seine gesamte momentan verfügbare
Kraft, das waren die Küstenarmee, einige Truppen aus dem Innern
Frankreichs und das Korps in Hannover, so rasch als möglich nach
Bayern werfen und so schnell nach Wien vorrücken, daß er die
Österreicher vor dem Eintreffen der Bussen niederwerfen könne.
In Italien sollte nur eine schwache Gruppe den Einfall der Öster-
reicher abwehren. Seine Absicht war also, die Österreicher und
Bussen getrennt zu schlagen. Wie das geschehen sollte, konnte
er allerdings nicht voraussagen, das hing von dem Verhalten der
Österreicher und Bussen ab. Wie die Schilderung der Operationen
Kr au SS. 1805, Der Feldzug von Ulm. 8
— 114 —
zeigen wird, hat er dieses Leitmotiv seines Handelns unausgesetzt
festgehalten, immer tragen seine Anordnungen diesem Grundge-
danken und der augenblicklichen Lage Eeehnung.
Sein Kriegsziel war nicht wie bei allen seinen Gegnern ein
beschränktes ; nicht die Eroberung einer Festung, nicht die Einnahme
einer Stellung, nicht die Besitznahme einer Provinz war sein Ziel,
sondern die völlige Niederwerfung seines wichtigsten Feindes
und somit die Vernichtung der Armee dieses Feindes. Wien war
nur sein Direktionspunkt; er hoffte auf dem Wege dahin den
Hauptfeind, die österreichische Armee, sicher zu treffen. Er wußte,
daß er Italien an der Donau erobern werde. Daher die Konzen-
trierung seiner Kraft in diesem Eaum und gegen den wichtigsten
Feind. Das ist so leicht und einfach zu begreifen und doch ward
so viel und so oft dagegen gesündigt. Wir haben Venetien im Jahre
1805 trotz des Sieges von Caldiero bei Ulm und Austerlitz verloren
und im Jahre 1866 trotz der Siege von Custoza und Lissa bei
Königgrätz. Gegen den wichtigsten, entscheidenden Feind
und auf dem wichtigsten entscheidenden Kriegsschau-
platze muß die Hauptkraft, am besten die ganze Kraft,
energisch angesetzt werden, wenn man deshalb auch in minder
wichtigen Eäumen und gegen minder wichtige Feinde Nachteile in
Kauf nehmen müßte. Je großartiger, je rücksichtsloser man diese
Kraftkonzentration durchführt, desto besser. Gerade für Österreich-
Ungarn, das von allen Seiten umlauert ist und das von jeher auf
mehreren Kriegsschauplätzen zu kämpfen hatte, gilt das ganz be-
sonders; und gerade Österreich- Ungarn könnte aus seiner Geschichte
in dieser Hinsicht genug gelernt haben.
Am 23. August erging, wie bereits erwähnt, der erste Befehl,
der als Vorbereitung des Krieges gegen Österreich angesehen werden
kann. An diesem Tage befahl Napoleon dem General Dejean, Minister
der Kriegsverwaltung, in Straßburg 500.000 und in Mainz 200.000
Portionen Zwieback herstellen zu lassen. Der Generalartillerieinspektor
erließ an die Artilleriedirektoren in Straßburg, Metz, Mainz und
Neu-Breisach den Befehl, Artilleriematerial und Munition in stand
zu setzen.
Seit dem 20. August hatte überdies Berthier erhoben, wie
weit die Vorräte der Festungen an der Ostgrenze genügten, um die
Armee mit Artillerie und Munition auszustatten, oder ob die
Artillerie der Küsteuarmee an den Ehein mitgenommen werden müsse.
— 115 —
Am 23. ergingen auch die vorbereitenden Befehle an den
Kommandanten in Holland, General Marmont, und an den Marschall
Bernadotte in Hannover. Marmont erhielt den Auftrag, sich bereit
zu machen, um auf den nächsten Befehl hin sofort mit 20.000
Mann und mit soviel Gespannen als möglich nach Mainz aufzu-
brechen : „Die Jahreszeit ist zu weit vorgeschritten und der Winter
zu nahe, um etwas von den Engländern befürchten zu müssen und
im Frühjahr werden Sie mit ihrer Armee wieder in Holland zu-
rück sein. Es genügt, wenn die Grenzen bewacht sind.
„Ich empfehle Ihnen, über all das das tiefste Geheimnis zu
bewahren; denn wenn dieser Fall eintritt, will der Kaiser mit
300.000 Mann im Herzen Deutschlands sein, bevor man sich dessen
versieht."
Bernadotte erhielt Befehl, den größten Teil seines Korps bei
Göttingen zu sammeln und dort 100.000 Portionen Zwieback her-
stellen zu lassen.
Am 24. August gab Napoleon weiter Befehl, die vier Dragoner-
divisionen und die Division der Dragoner zu Fuß zu formieren, damit
sie bereit seien, wenn nötig, am 27. August abzumarschieren.
Diese Befehle scheinen die Folge eines am 13. August von
München abgesandten Briefes zu sein, in dem der dortige Gesandte
auf verläßliche Nachrichten hin meldet, daß bei Budweis ein Lager
von 30.000 Mann gebildet werde, daß von Wels 100.000 Mann
nach Braunau am Inn abmarschiert und daß einige neue Regimenter
nach Tirol auf dem Marsche seien. Ein Brief aus Straßburg vom
21. August meldete, daß die Österreicher große Ankäufe an Getreide,
Hafer, Heu und Stroh in Schwaben durchführten.
Trotzdem Napoleon schon dem Kriege gegen Österreich vor-
arbeitet, bleibt er dennoch bereit, sofort die Landung zu versuchen,
wenn seine Flotte im Kanal erscheinen sollte. Geschütze und Be-
spannungen und ein Teil der Pferde der leichten Kavallerie waren
eingeschifft, ebenso ein Teil der Infanterie. Der Befehl zur Aus-
schiffung erging erst am 26. August.
Am 25. August hoffte Napoleon noch den Österreichern in
Schwaben zuvorkommen zu können. „Es handelt sich darum, 20 Tage
zu gewinnen und zu verhindern, daß die Österreicher den Inn über-
schreiten, während ich an den Bhein marschiere", schrieb er an
Talleyrand, den er beauftragt, kundzutun, daß er nur 25.000 Mann
an seine entblößten Grenzen sende.
8*
— 116 —
Am 25. August entsandte er den General Bertraud und den
Marschall Murat zu Rekognoszierungen nach Ba^^ern,
Bertrand erhielt den Auftrag, den Inn, die Sa) zach, den Lech
und besonders Füssen, dann die Donau bei Donauwörth, bei Ingol-
stadt und bis Passau, besonders aber die Straße auf dem linken
Ufer zu rekognoszieren. Er sollte die Beschaffenheit der Verbin-
dungen von Passau nach Prag und die Möglichkeit ermitteln, mit
einer Armee den Inn auf dem nördlichen Donau-Ufer zu umgehen
und über Freistadt nach Mähren vorzurücken; auch sollte Bertrand
die Enns und Traisen rekognoszieren und erkunden, ob und wo die
Österreicher Befestigungen anlegen. Er hatte Ulm genau zu reko-
gnoszieren, und zwar Bevölkerung, Lage, militärische Wichtigkeit
und die Verbindung Ulm — Rastatt zu erkunden, ßertrand sollte
auch erheben, von wo an die Donau schiffbar war.
Murat hatte zu rekognoszieren : den Main, Würzburg, die Ver-
bindungen von dort an die Donau nach Ulm, Ingolstadt und Re-
gensburg, dann Bamberg und die Verbindungen von dort nach Eger
und Böhmen und an die Donau, den Böhmerwald, die Regnitz und
Donau bis Passau, den Inn bis Kufstein, Ulm, Stockach und die
Sehwarzwald-Ausgänge. Murat sollte den Charakter des Landes, die
Kommunikationen, die Breite der Flüsse erkunden. Wenn die Öster-
reicher den Inn schon passiert hätten, sollte er achtgeben, nicht in
ihre Hände zu fallen.
Vom Kurfürsten von Bayern, dem er sagte, „Ihr Interesse for-
dert, daß sich meine Armee nicht in Ihren Staaten aufhält; es ist
daher nötig, daß ich sie diesen Herbst rasch durchziehen könne",
forderte er je 500.000 Zwiebackportionen in Würzburg und Ulm und
die Lieferung von 2000 Zugpferden.
Talleyrand erhielt an diesem Tage den Auftrag zum Abschluß
von Verträgen mit Baden und Hessen-Darmstadt, welche Länder
nicht neutral bleiben dürfen. Baden soll verhalten werden. 3000,
Hessen-Darmstadt 4000 Mann beizustellen.
Man sieht, Napoleon denkt an alles! Obwohl er hofft, den
Österreichern zuvorzukommen und rasch durch Bayern an den Inn
vorrücken zu können, läßt er doch alle wichtigen Plußlinien und
alle wichtigen Orte und Straßen Bayerns für den Fall rekognoszieren,
wenn es schon in Bayern zum Zusammenstoße kommen sollte. Er
denkt an die Ausgänge des Schwarzwaldes, an die seine Flanke be-
drohenden Ausgänge aus Tirol, er denkt auch schon unter Hinweis
— 117 —
auf den Feldzug des Marschalls Belle-Isle^) an die Möglichkeit eines
Einmarsches nach 'Böhmen, einer Vorrückung nach Mähren (gegen
die Russen?) und nach Wien: er denkt aber auch an die Bedürf-
nisse seiner Armee, an Zwieback und an Zugpferde.
So vertieft er sich immer mehr und mehr in die Vorbereitung
des Krieges gegen Österreich ; seine Energie wird durch die an
seinem Geiste vorüberziehenden Möglichkeiten immer höher auf-
gestachelt. Als daher neue ^Meldungen über die österreichischen
Maßnahmen eintreffen, setzt er den Abmarsch um einen Tag früher
fest und schreibt am 25. an Berthier: „Alle Nachrichten, die ich
durch meine Kuriere erhalte, lassen mich den Entschluß fassen,
nicht einen Tag zu verlieren. Ich wünsche daher, daß der Marsch
der Dragoner von morgen an beginnt, daß die Dragoner zu Fuß
gleichfalls morgen abmarschieren, daß General Oudinot^} ebenfalls
morgen abrückt, und übermorgen, den 27.. will ich den Abmarsch
meiner ganzen Armee beginnen. Der entscheidende Augenblick ist
gekommen. Ein Augenblick der Verzögerung wird uns die größten
Nachteile bringen."
Berthier und sein Stab müssen Tag und Nacht arbeiten, um
der drängenden, rastlosen Energie Napoleons gerecht zu werden^).
Wann Napoleon die Meldung erhielt, daß Admiral Villeneuve
mit der Flotte nach Cadix gesegelt sei. ist nicht zu finden. Als er
die Nachricht erhalten hatte, soll er bei Tisch das Glas, das er in
der Hand hielt, vor Erregung zerbrochen und ausgerufen haben :
„Wohlan, da man schon darauf verzichten muß, werden wir die
Weihnachtsmette in Wien hören."
Die weiteren Kriegsvorbereitungen fallen schon mit dem Marsch
der Armee an den Ehein überein. Sie werden bei Besprechung dieses
Marsches erwähnt werden. Hier seien nur noch Vorbereitungen für
die Ausrüstung der Armee erwähnt.
Am 31. August wurde der Ankauf von 3769 Artilleriezugpferden
angeordnet. Am 2. September erließ Napoleon ein Dekret, wonach
die östlichen Departements 3500 vierspännige Wagen beizustellen
hatten, wovon 2500 für den großen Artilleriepark, 1000 für einen
Lebensmittelpark bestimmt waren. Am 19. September wurde die
^1 Im Befehl an Murat.
^) Kommandant der Grenadierdivision.
^) Der Abmarsch der Armeekorps beginnt trotz diesem Befehle erst am
28. August.
— 118 —
Lieferung von weiteren 250 solcher Wagen für die Artillerieparks
der Korps ausgeschrieben.
Nach Itahen zog Napoleon nur etwa 10.000 — 15.000 Mann.
Dem Marschall Massena, dem er das Kommando in Itahen anver-
traute, schrieb er am 18. September: „Sie müssen nahe an
60.000 Mann unter Ihrem Befehl haben; das ist ein Drittel mehr,
als ich jemals hatte. Ich kann Ihnen nicht genug empfehlen, sich
nicht zu sehr zu zersplittern. Nach meiner Auffassung hätten Sie
eine vorzügliche Defensivstellung, wenn es Ihnen gelänge, sieh
Veronas zu bemächtigen." Am 23. September schrieb er ihm nur
noch, was er an seiner Stelle in Italien täte. Sonst ließ er ihm ganz
freie Hand.
B. Die Verbündeten.
Im Gegensatze zu den Verhältnissen auf französischer Seite
finden wir bei den Verbündeten alle Vorbedingungen zum Entstehen
monströser Operationspläne. Verschiedene Personen erhielten vom
Kaiser Franz den Auftrag, ihre Ideen für den bevorstehenden Krieg
zu äußern oder selbst Operationspläne zu verfassen. Diese Operations-
pläne mußten erst nun mit den Eussen beraten werden, die natür-
lich auch ihre Ansichten zur Geltung bringen wollten. Es ist damals
unmäßig viel geschrieben worden.
Schon im November 1804 scheint Erzherzog Karl einen Ope-
rationsplan für den Fall des Krieges mit Frankreich dem Kaiser
überreicht zu haben. Wenigstens läßt dies die Stilisierung des Hand-
billetts schließen, mit dem der Kaiser im Dezember 1804 dem Erz-
herzog Karl den Auftrag gab, einen für Österreich und Eußland
gemeinsamen Operationsplan zu entwerfen. „Euer Liebden werden
aus den gedachten Mitteilungen ersehen haben, daß Ich Mich an-
heischig gemacht, dem Kaiser Alexander einen gemeinschaftlichen
Operationsplan vorlegen zu lassen, daß man von dorther in Mich
dringt, dieses sobald als möglich zu tun und daß es wirklich in
mancherlei Eücksicht vorteilhafter zu sein scheint, hierüber nicht
erst die russischen Vorseh läge abzuwarten, sondern vielmehr selbst
die ersten Einleitungen an die Hand zu geben. Indem Ich nun in
dieser Eücksicht den von Euer Liebden bereits entworfenen
Operationsplan neuerdings erwogen, habe Ich in selbem mit Ver-
gnügen jene Einsicht und Klugheit in Auswahl der Mittel bemerkt,
wodurch Euer Liebden so oft Mir und dem Staate ebenso wesent-
— 119 —
liehe Vorteile, als durch deren Ausführung verschafft haben ; die in
gedachtem Plane angezeigten Maßregeln haben daher auch Meinen
vollsten Beifall. Allein da in Gemäßheit der letzten Verabredungen
und namentlich des VIII. Artikels, von vs^elchem hier eine Abschrift
beifolgt, es nun darauf ankommt, die Operationen Meiner Truppen
mit jenen der Eussen in Übereinstimmung zu setzen und zu einem
gemeinsamen Endzweck zu leiten, so sehe Ich Mich in dem Falle,
Euer Liebden zu ersuchen, auch diese neue Ausarbeitung zu über-
nehmen, um selbe dem ersten Plane beizufügen^)."
Im November 1804 trat auch schon Mack auf den Plan. In
einer von Mack eigenhändig geschriebenen Denkschrift „Betrach-
tungen über die Vorbereitungen und künftigen Operationen der Ver-
bündeten k. k. und k. russischen Armeen" kommt Mack zu dem
Schlüsse, daß die russische Armee gemeinsam mit einem englisch-
schwedischen Korps Hannover zu erobern hätte, was dann wohl zur
Eroberung der Niederlande und der westlich des Eheins gelegenen
ehemaligen deutschen Provinzen führen würde. Das wäre das ein-
zige, was hier gesucht werden könnte, weil die ganze Strecke von
Basel bis Düsseldorf „als unangreiflich betrachtet werden muß".
Die Österreicher hätten je eine Hauptarmee in Deutschland und in
Italien, ein Korps in Tirol zu verwenden ; die Armee in Italien hätte
Mantua und Peschiera zu belagern und, wenn es geht, gegen Mai-
land vorzudringen ; das Korps in Tirol hätte in die Schweiz vorzu-
dringen und die italienische Armee zu unterstützen ; die Armee in
Deutschland hätte durch Bayern gegen den Bodensee und dann gegen
die Schweiz zu operieren.
Hochinteressant im Zusammenhalte mit seinen späteren Hand-
lungen sind die Äußerungen Macks in dieser Denkschrift über die
inneren Verhältnisse Prankreichs und über den Wert englischer
Landungen in Frankreich.
Die Denkschrift, die die Macksche Eigenart, besonders im
Verein mit späteren Schriften, gut zum Ausdrucke bringt, ist in
Beilage 4 wörtlich aufgenommen.
Ende Januar 1805 überreichte Erzherzog Karl den Operations-
plau für die Verwendung der verbündeten Armeen.
Ebenso wie Mack, hatte auch Erzherzog Karl die Verwendung
der österreichischen Armee in drei Gruppen geplant: die Haupt-
armee in Italien, eine schwächere Nebenarmee in Deutsehland und
^) Beer, „10 Jahre österreichische Politik 1801—1810", S. 481.
— 120 —
ein Korps in Tirol. Ebensowenig wie Mack, hatte er sich von der
Übertragung taktischer Wahrheiten in die Strategie und somit von
der damals herrschenden Ansicht freimachen können, daß von der
Beherrschung der hoch, also dominierend gelegenen Schweiz der
Besitz der anschließenden Länder, Italien und Süddeutschland, abhänge.
Ebenso wie Mack, hielt auch Erzherzog Karl den Angriff über den
Rhein für aussichtslos. Auch er, der wirkliche Feldherr, konnte sich
demnach nicht ganz frei machen vom althergebrachten gelehrten
Wust und von der falschen Ansicht, daß Italien für Österreich der
entscheidende Eaum sei. Aber Erzherzog Karl wollte doch wenigstens
in diesen Räumen die Konzentrierung der gesamten Kraft der Verbün-
deten, er wollte jede weitere Zersplitterung der Kraft vermieden sehen ;
daher sollten nach seinem Plan alle russischen Kräfte in Süddeutsch-
land vereint mit der schwächeren österreichischen Armee kämpfen.
Der Erzherzog war nur mit Widerwillen an die Verfassung des
Operationsplanes gegangen. In allen seinen Denkschriften und Be-
richten, in allen Besprechungen und Konferenzen hatte Erzherzog
Karl den Kaiser davor gewarnt, sieh mit den Russen einzulassen.
Er wies auf die Erfahrung hin, daß die russische Hilfe für Öster-
reich immer sehr unverläßlieh und ungenügend war, daß Rußland
sich meist im entscheidenden Momente zurückzog und Österreich,
das es in den Krieg gehetzt hatte, einfach im Stiche ließ. Er konnte
daher auch jetzt das Gefühl kommenden Unglückes nicht unter-
drücken. Um aber Österreich vor der Wiederholung der Erfahrungen
mit Suworow zu bewahren, bezeichnete er als Grundbedingung jedes
Bündnisses, daß sich die in Süddeutschland verwendete russische
Armee ganz dem österreichischen Oberkommando unterordnen müsse.
Zur Begutachtung der Mackschen Ideen aufgefordert, wies der
Erzherzog in seinem Berichte vom 25. Februar an den Kaiser nach,
daß Mack Operationen vorschlage, die nur England nützten und mit
den Lieblingsideen des russischen Hofes übereinstimmten, daß er
die Streitkräfte Frankreichs und der Verbündeten unrichtig einschätze,
auf die Beschaffenheit des Kriegstheaters wenig Bedacht genommen
und alles außer acht gelassen habe, was die Sicherheit und Erhal-
tung der Monarchie betreffe. Der Erzherzog erklärte, daß er in
diesem ganzen Plane Macks nur die Tendenz erblicke, „das Heil
der österreichischen Monarchie dem englischen Interesse und der
Eigenliebe der Russen hintanzusetzen"^).
') Wertheimer, „Gesehiehte Österreichs und Ungarns", S. 287.
— 121 —
Trotz dieser scharfen und berechtigten Kritiis wurde Mack be-
kanntlich am 24. April zum Generalquartiermeister ernannt.
Mack hatte vorgeschlagen, die österreichische Armee nach und
nach unter allerlei Verwänden zu komplettieren und gegen Westen
zu verschieben und die russische Armee während dieser Vor-
bereitungen, die unter fortwährenden Friedensversicherungen erfolgen
sollten, in (ializien einmarschieren zu lassen. Erzherzog Karl be-
kämpfte diesen Plan als völlig verfehlt und gefährlich. Er schätzte
Napoleon viel richtiger ein als Mack und bezeichnete es als un-
sinnig, einen Mann wie Napoleon, der jede Bewegung Österreichs
genau beobachte, so täuschen zu wollen. Am 2. Mai 1805 schrieb
er an Kaiser Franz: „So wird unser Zweck auf alle Art verfehlt.
Der Krieg wird sicher ein unglückliches Ende nehmen, weil wir
dadurch, daß wir uns nach und nach rüsten, nur immer unvoll-
kommen zubereitet, immer zu schwach sein werden, um dem Feinde
zu widerstehen, und wir werden überall als die Urheber des Krieges
erscheinen^)."
Auch diese prophetischen Worte verhallten ungehört. Am 8. Mai
erging eine geheime, von Mack verfaßte Instruktion des Kaisers an
den Hofkriegsrat: „Die dermalige bedenkliche Lage mit Frankreich
erfordert Veranlassungen, die nach dem Maße der Gefahren, wovon
wir bedroht sind, zum Teil gleich augenblicklich vorgekehrt, zum
Teil aber solcherart fürgekehrt werden müssen, daß bei Vermehrung
der Gefahren die wirkliche Veranlassung ohne allen Verzug ge-
schehen könnte." Diese Vorkehrungen waren die Einberufung aller
Beurlaubten, die Aushebung von etwa 25.000 Eekruten, um den
Friedensstand am Ende des Jahres 1805 zu komplettieren, die Ver-
sammlung von 9 Infanterieregimentern und 2 Kavallerieregimentern
in einem Lager bei Pettau, die Ansammlung von Verpflegung bei
Pettau für 100.000 Mann auf 1 Monat, die Aufstellung von zehn
Fuhrwesendivisionen unter dem Vorwande der Verfrachtung dieser
Verpflegung, eigentlich aber zur Artilleriebespaniiung, und die Be-
schaffung der Pferde für den vollen Friedensstan«! der Kavallerie.
Ende Mai wurde überdies die Zusammenziehung eines Lagers
bei Görz-Udine angeordnet.
Inzwischen war dem russischen Hof der vom Erzherzog Karl
entworfene Operationsplan zugesandt worden. Weil dieser Plan den
Bussen nicht ganz konvenierte, begannen jetzt neben den diplomati-
*) Wertheiraer, ..Geschichte Österreichs und Ungarns", S. 261.
— 122 —
sehen Verhandlungen, die Österreich zum Ausehkiß an die Koa-
lition bewegen sollteo, auch die militärischen Verhandlungen über
den Operationsplan.
Im Laufe des Monates Juni langte in Wien als Antwort auf
den Plan Erzherzog Karls ein Schriftstück ein, das als „General-
skizze" des russischen Planes bezeichnet wird und nach dessen An-
nahme durch den österreichischen und englischen Hof ein detail-
lierter Plan verfaßt werden sollte. Dieses Schriftstück ist als
treifendes Beispiel des damals üblichen „Planemachens" in Beilage 3
aufgenommen.
Mitte Juni fanden die diplomatischen Verhandlungen mit
Eußland unter Ausschluß des Erzherzogs Karl statt. Erst am
20. Juni wurden diesem die Verhandluogsakten zur Kenntnis ge-
bracht.
Unterm 23. Juni wendet sich der Erzherzog abermals mit
seinen ernsten Mahnungen an den Kaiser. Er sagt, der Krieg sei
unvermeidlich, sobald die russische Armee die österreichische
Grenze überschreite. Napoleon werde das sicher als Kriegsfall an-
sehen. „Ich wiederhole es mit dem Ausdrucke der lebhaftesten
Überzeugung: Alle halben Maßregeln sind schädlich. Ist einmal
das unvermeidliche Los geworfen (d. h. ist man entschlossen, die
russische Armee demnächst in Galizien einmarschieren zu lassen),
so ist keine Anstrengung zu groß und die verlorene Zeit unersetzlich.
Eine Armee ist unbrauchbar, wenn ein einziger ihrer Bestandteile
fehlt oder unvollkommen ist." Erzherzog Karl redete also der plan-
mäßigen, geregelten Mobilisierung das Wort, entgegen den par-
tiellen und halben Maßregeln, die von Mack vertreten wurden und
die nach Erzherzog Karls Ansicht doch nur zu einer unvollständig
ausgerüsteten und überhastet zusammengezogenen Armee führen
konnten. Wie recht Erzherzog Karl hatte, sollten die Ereignisse
zeigen. Erzherzog Karl setzte dann fort: „Eurer Majestät ist aber
aus dem unterlegten Operationsplane bekannt, daß wir durch die
geographische Lage unserer Grenzen gezwungen werden, bei Anfang
der Feindseligkeiten unsere Hauptkraft gegen Italien zu konzen-
trieren und eine nur unbeträchtliche Armee in Deutsehland zu ver-
wenden. Wenn wir daher nicht Gefahr laufen wollen, in Deutsch-
land unglücklieh zu sein, so muß wenigstens die 1. russische
Armee mit 50.000 — 60.000 Mann ganz mit der unsrigen vereinigt
zwischen der Donau und dem Bodensee operieren."
— 123 —
Als Kaiser Franz Anfang Juli sich zum Anschluß an die
Koahtion entschlossen hatte, bekam Mack den Auftrag, mit dem
russischen General Freiherrn v. Wintzingerode die militärischen De-
tails des Bündnisvertrages festzustellen ^j. Am 16. Juli wurde das
Protokoll in der Schlußsitzung unterfertigt, der noch FML. Fürst
Schwarzenljerg und der österreichische Staatsrat v. Collenbach, ein
intimer Freund Macks, zugezogen waren.
An diesem Protokoll ist merkwürdig, daß Wintzingerode
scheinbar ohne Vollmacht war Bestimmtes abzumachen, weil er
immer nur hoffte, daß der Zar zustimmen werde, daß er über
manches gar nicht orientiert war und daß trotz alledem Mack für
Osterreich feststehende Verbindlichkeiten übernommen hat. Die
Hauptbestimmungen des Protokolles waren:
1. General Wintzingerode gibt zu, daß 50.000 Mann für die
1. russische Armee nicht zureichend seien. „So zweifelt derselbe
nicht, von Seiner russischen kaiserlichen Majestät zu erwirken, daß
Allerhöchstdieselben für die 1. Armee 60 Bataillone, 40 Eskadronen,
dann 16 Kompagnien Artillerie, 3 Eegimenter Donkosaken, 500 Pio-
niere und Pontoniere bestimmen werde." Jedes Musketierregiment
hat einen ausrückenden Stand von 2216 Mann, jedes Jägerregiment
1385 Manu, jede Eskadron 165 Eeiter. Der ausrückende Stand der
1. russischen Armee werde daher 54.918 Mann und 7920 Pferde
betragen, der Verpfiegsstand 66.000 Mann und 19.500 Pferde.
„Was die Vollzähligkeit der Eegimenter betrifft, darüber gibt General
Wintzingerode die bestimmtesten beruhigenden Versicherungen,
indem Seine Majestät stets mit der größten Sorgfalt darüber zu
wachen geruht hätten, diese vor langer Zeit zum Ausmarsch be-
stimmten Eegimenter komplett zu erhalten", heißt es im Protokoll.
2. An Artillerie erhahe diese Armee 200 Geschütze. Über die
Munitionsvorräte war Wintzingerode nicht orientiert. „Jedoch glaubt
er sich unzweifelhaft überzeugt halten zu dürfen, daß auf jedes Ge-
schütz wenigstens 200 Schuß mitgeführt werden würden. Ebenso
^) General Ferdinand Freiherr v. Wintzingerode entstammte einem würt-
tembergisehen Adelsgescblecht. Er hatte zuerst in der österreichischen Armee
gedient und war dann in russische Dienste getreten. Die Schematismen der
österreichischen Armee von den Jahren 1802—1806 führen Wintzingerode als
Generalmajor mit dem Eange vom Jahre 1802 an mit der Bemerkung: „In
russisch-kaiserlichen Diensten." Der Schematismus vom Jahre 1807 führt ihn
wieder in österreichischen Diensten als Brigadier in Keszthely an.
• — 124 —
glaubt er auch in Absicht der Elintenmunition zuverlässig an-
nehmen zu dürfen, daß außer den 60 Patronen, die jeder Soldat in
der Patrontasehe mit sich führt, noch wenigstens 60 pro Kopf als
Reserve angetragen wären."
3. Die von Wintzingerode angegebene Trainausrüstung war
sehr reichlich.
4. Als Tag des Aufbruches der Armee und des Einmarsches
in Galizieu bei Brody wurde der 16. August festgesetzt. Die Armee
sollte in sechs Kolonnen mit je 2 Tagen Distanz marschieren; die
erste Kolonne sollte am 16. Oktober, die letzte somit am 26. Oktober
bei Braun au am Inn anlangen.
5. „Es ist von Seiner Majestät nach Äußerung des Generals
Wintzingerode allerdings zu hoffen, daß Allerhöchstdieselben in Er-
wägung der gemeinschaftlichen Wohlfahrt keinen Anstand nehmen
werden, Ihre in Deutschland auftretende 1. Armee vollkommen in
diejenige Abhängigkeit von dem kommandierenden k. k. General zu
setzen, welche für die Einheit und Verbindung aller Operationen so
höchst wichtig und unentbehrlich ist; jedoch halte er sich zu dieser
Versicherung nur unter der Voraussetzung berechtigt, daß die k. k.
Armee in Deutschland durch Seine kaiserliche Hoheit den Erzherzog
Karl oder Seine k. k. Majestät in Höchsteigener Person kommandiert
werden würde."
6. Wegen der 2. russischen Armee „zweifelt General von
Wintzingerode keineswegs, Seine Majestät würden den Wunsch des
Wiener Hofes, diese 2. bei Brest aufgestellte Armee nur um fünf
Tage später, mithin am 20. August aufbrechen und bei Terespol
die österreichisch-galizische Grenze passieren zu lassen, in Erfüllung
zu setzen, keineswegs Anstand nehmen." Über deren Marschrichtung
könne er nichts Bestimmtes sagen, weil diese Armee bei der beab-
sichtigten Demonstration gegen Preußen mitwirken solle.
7. Über das russische Korps auf Corfu hat General v. Wintzin-
gerode keine Instruktion ; es sei ihm nur bekannt, daß es bei Aus-
bruch der Feindseligkeiten im Königreich Neapel landen solle.
Es ist schwer zu entscheiden, welchem der beiden Unter-
händler die Palme der Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit bei
diesen Verhandlungen zuerkannt werden soll.
Schon 1803 hatte der russische Kanzler hochtrabend ge-
sprochen, Rußland sei zum Kriege bereit und halte 180.000 Mann
marschfertig; Wintzingerode, der nun Mitte 1805 über die Verwen-
— 125 —
düng- dieser Armee verhandeln sollte, war über die wirkliche Ver-
fassung der russischen Streitkräfte gar nicht orientiert und hatte
anscheinend keine Vollmacht.
Macks Verhalten wird am besten durch eine Äußerung des
Erzherzogs Karl charakterisiert. Am 10. Juli hatte Maek das Pro-
tokoll der bisherigen Verhandlungen mit Wintzingerode dem Erz-
herzog tiberreicht. Dieser informiert den Kaiser am selben Tag über
die unklaren und wenig präzisen Bestimmungen dieses Protokolls
und schreibt u. a. : „Über die meisten Gegenstände finde ich zwischen
unserem und dem russischen Delegierten eine sehr verschiedene
Sprache: unsere ist durchwegs sehr verbindlich, feierlichst zu-
sagend, unabänderlich; seine fast überall evasive: er hofft, er
wünscht, er zweifelte nicht u. s. w. Er verbindet sich zu nichts, sein
Souverän behält volle Freiheit, zu tun und zu bestätigen was er will.
Ich finde unsere Sprache zu sehr unter der Würde, die man sich
selbst schuldig ist; wir reden vertraut zu unseren Alliierten, aber
wir haben von ihnen keine Gnade zu erbitten')." Wintzingerode
selbst äußerte, Maek habe sich so entgegenkommend gezeigt, daß
er mehr erreichte, als er zu hoffen wagte '0-
Tatsächlich macht auch das Protokoll im Vereine mit den
späteren Briefen Wintzingerodes an Maek den Eindruck, als ob es
sieh um einen gegenseitigen persönlichen Dienst und nicht um eine
so wichtige Staatsaktion gehandelt hätte. Das außerordentliche Ent- ,
gegenkommen Macks dem Eussen gegenüber steht im schreienden
Gegensatze zu der schroffen und unnachgiebigen Haltung, die er in
jeder Beziehung gegen Erzherzog Karl an den Tag gelegt hat.
Um die Leichtfertigkeit dieser Verhandlungen zu charakteri-
sieren, soll hier vorgreifend erwähnt werden, wie sich die Unter-
stützung durch die Eussen in Wahrheit gestaltete.
Am 6. August schrieb Wintzingerode an Maek, daß er leider
die Verstärkung der 1. Armee nicht erreichen konnte; sie werde
daher nur aus 54 Bataillonen bestehen. „Daß dieser kleine An-
stand (!) keinen widrigen Eindruck macht, daß Du einen solchen
*) Dieser Berieht des Erzherzogs Karl weckte derartige Besorgnisse beim
Kaiser, daß dieser am 12. Juli den Erzherzog beauftragte, wohl darauf zu achten,
daß mit Wintzingerode nichts abgeschlossen werde, was nicht vollkommen klar
und ordnungsgemäß sei, ein Auftrag, der natürlich mit der Maek gegebenen Voll-
macht nicht übereinstimmen konnte und kaum ausführbar war.
*) Wertheimer, „Geschichte Österreichs und Ungarns", S. 263.
— 126 —
aus allen Kräften zu verhüten suchen wirst, dafür bürgen mir Deine
mir bekannten Gesinnungen.'"
Die 1. russische Armee sollte bekanntlich am 16. August bei
Brody in GaUzien einrücken.
Am 23. August befahl Kaiser Franz, die Vorsorgen für die
Bussen zu verschieben, da „noch nichts bekannt ist, ob und an welchem
Tage die russischen Truppen in meine Länder einrücken werden".
Erst am 4. September, also mit einer 19tägigen Verspätung,
überschritt die 1, russische Kolonne die Grenze bei Brody.
Am 9. September schrieb Wintzingerode aus Lemberg an Mack:
Die 1. russische Armee zählt 54 Bataillone ä 600 Mann, somit
32.400 Mann Infanterie und 40 Eskadronen ä 120 Eeiter, also 4800
Eeiter. „Du wirst mir natürlich sagen, daß auf diese Art außer-
ordentlich viel von 50.000 abgehet; aber einige Eegimenter haben
die Kriegskomplettierung noch nicht erhalten, andere haben viele
Kranke zurückgelassen, die meisten Kommandierte, so daß diese,
Artillerie, Pioniere und Kosaken, welche nachkommen werden, alles
gerechnet nichts an 50.000 Mann fehlen wird. Alle unsere kleinen
Gebrechen, werter Freund, wkst Du gewiß mit Nachsicht ansehen
und mir Deinen freundschaftlichen Rat nicht verweigern, ihnen so
gut als möglich abzuhelfen." Er müsse aber Mack bitten, viel Muni-
tion für die Infanterie sicherzustellen, da jeder Mann leider nur
75 Patronen hat. Aber die Magazine waren zu entlegen und die Zeit
zu kurz (!), um die Munition noch rechtzeitig transportieren zu
können.
Nach einer Meldung des der 1. russischen Armee zugeteilten
Generals Strauch vom 21. September aus Andrichow (1 Marsch öst-
lich von Bielitz — Biala) betrug der Totalstand (Verpflegsstand) der
Infanterie dieser Armee nur 30.254 Mann.
Obwohl die Infanterie von Mistek an mit Wagen transportiert
worden war, war die russische Armee erst am 20. Oktober am Inn
versammelt, aber ohne Kavallerie, ohne Artillerie, ohne Munition
und ohne Train, also in komplett operationsunfähigem Zustande^).
^) FZM. Graf Latour an Erzherzog Ferdinand, Wien, 7. Oktober: „Die
russische Armee kommt am Inn ohne Bagagen, ohne Artillerie und ohne Munition
an, daher muß dies alles für sie vom österreichischen Armeekommando vorgesorgt
werden." (Kriegsarchiv, 1805, Deutsehland PA, IX, 56 Va-)
GM. Strauch meldete am 14. Oktober aus Braunau dem FZM. Grafen
Latour : Der erste russische Artillerietransport tritft am 19. hier ein, der letzte am
27. Oktober. Die Munitionsausrüstung der Russen ist gerins:. Sie haben nur
— 127 —
Die 6. Kolonne der Armee Kutusows war so stark zurück-
geblieben, daß sie am 24. Oktober Dembiea in Galizien, am 16. No-
vember Krems an der Donau und erst am 17. Dezember Dachau
erreichen sollte.
Die 2. russische Armee sollte, ebenfalls 50.000 Mann stark,
am 20. August bei Terespol in Österreich einrücken.
Am 31. August meldete der dieser Armee attachierte k. k.
General Weyrother aus Lemberg. daß sie 28.000—30.000 Mann In-
fanterie und 20.000 Pferde stark am 13. oder 17. September bei
Terespol passieren werde.
Am 30. September meldete derselbe General aus Pulawy:
„Über Aufbruch und Marschrichtung der 2. russischen Armee
konnte ich nichts erfahren, aber General Wintzingerode sagte, daß
sie durch preußisches Gebiet vorrücken werde."
Diese Armee ist unter Kommando des Generals Buxhöwden,
30 Bataillone und 55 Eskadronen stark, tatsächlich erst Anfang
Oktober bei Terespol und Dubienko auf österreichisches Gebiet ein-
gerückt. Am 9. Oktober meldete das Generalkommando Brunn, daß
die 2. russische Armee noch immer bei Pulawy stehe^).
Die 2. Armee sollte Preußisch-Schlesien in der Linie ßeutheu —
Troppau, in fünf Tagesstaffel gegliedert, durchschreiten. Aber erst am
19. Oktober gab die preußische Regierung die Bedingungen für den
Durchmarsch der 2. und 3. russischen Armee durch preußisches Gebiet
bekannt. Die 3. Armee stand um diese Zeit noch östlich Grodno.
Zur Zeit, als die österreichische Armee bei Ulm kapitulieren
mußte, standen die russischen Armeen, alle tief unter dem verein-
150 Schuß für jede Kanone, weshalb Munition erzeugt werden muß. Der Mann
hat nur 10 Patronen bei sieh. In den Munitionswagen folgen noch 30 pro Kopf.
Das ist zu wenig. Daher mußte Munition von den durehmarsehierenden Munitions-
transporten genommen werden. Das Kaliber dieser Munition sei zwar für die
russischen Gewehre zu klein, es sei aber doch besser, diese Munition zu haben,
als die Truppen ganz ohne Munition zu lassen.
Hof- und Staatsarehiv, Kriegsakten, 484.
1) Im Jahre 1805 bildete der Bug die Nordostgrenze Österreichs. Pulawy
(heute Nowa Alexandria) liegt an der Weichsel, 50 km nordwestlieh von Lublin.
Dubienka liegt am Bug, 100 km östlich von Lublin, Terespol am Bug, westlieh
Brest Litowsk (140 km von Pulawy entfernt).
Wenn man das russische Bataillon selbst mit einem Gefeehtsstande von
800 Mann, die Eskadron mit 150 Eeitern annimmt, ergäbe sich der Stand der
ganzen 2. russischen Armee mit 24.000 Mann Infanterie und 8000 Reitern.
— 128 —
harten Stande, noch weit entfernt: Die 1. Armee war operations-
iinfähig am Inn über 250 hm von Ulm, die 2. Armee an der Weichsel
nahezu lOOü hm vom Kriegsschauplatze, die 3. Armee bei Grodno
— über 1200 hm Luftlinie von Uhn entfernt.
Wie recht hatte Erzherzog Karl mit seinem Urteil über den
Wert des Bündnisses mit Rußland!
Was soll man aber über einen Chef des Greneralstabes sagen,
der auf die unsicheren Angaben und Versprechungen Wintzingerodes
den ganzen Plan der Bereitstellung der österreichischen Kräfte und
den Beginn der Kriegshandlung aufbaute!
Am 23. Juli ging der „Hauptentwurf aller vorläufigen Bisposi-
tionen, welche wegen Zusaramenziehung, Ausrüstung und Verpflegung
der Armee zu treifen wären", zur Genehmigung an Kaiser Franz.
Dieser Entwurf stammt von FML. v. Mack. Der folgend skizzierte
Inhalt entsprach seinen, vom Erzherzog Karl als Halbheiten gekenn-
zeichneten Ansichten^). Als Grundsatz wurde hingestellt, die Armee
solle gleich nach dem Bekanntwerden des Einmarsches der Eussen
in der Läse sein, allen möglichen Unternehmungen Napoleons die
Spitze zu bieten, daher war nötig:
„1. Die Truppen derart in die Nähe ihrer künftigen Bestim-
mung zu bringen und zu sammeln, daß nach aufgehobenem Ge-
heimnis in kürzester Zeitfrist jede Armee auf ihrer Operationslinie
gesammelt und mit allen Kriegserfordernissen ausgerüstet stehe.
„2. Daß die Armee in Deutschland nebst ihrer Zusammen-
ziehung soviel Terrain als möglich vorwärts gewinne, mit Über-
legenheit in Bayern einrücke, dieses Land in Besitz nehme, die bayri-
schen Truppen in Respekt halte und auf jeden Fall dem Einmärsche
der französischen zuvorkomme."
Hiezu sollten die Truppen in Lagern versammelt werden, und
zwar für Italien bei Laibach (anstatt Pettau) 50 Bataillone, 24 Eska-
dronen bis 28. August; von dort, wenn möglich, gleich Weiter-
marsch nach Italien.
In Tirol in mehreren Lagern (Bregenz, Neumarkt, Innsbruck,
Bozen, Trient) 68 Bataillone, 16 Eskadronen.
^) In dieser Zeit wurden viele Entwürfe, die von Maek herrührten und mit
deren Inhalt Erzherzog Karl nicht einverstanden war, von diesem unterfertigt
weitergeleitet. Er hatte den Kampf gegen das Verhängnis Österreichs schon zum
größten Teil aufgegeben. Um das einzige zu tun, was dieser Situation ent-
sprochen hätte: seine Demission zu geben, dazu war Erzherzog Karl zu sehr
Patriot und Pfliehtmenseh.
129
Für Deutschland
bei "Wels 39 Bataillone, 40 Eskadronen '
„ Budweis 17 „ 8 „
„ Iglau 13 „ 8 „ i bis 26. August.
„ Minkendorf — „ 24 „
„ Eaab — „ 32 „
Die bei Wels versammelten Truppen waren bestimmt, zuerst
nach Bayern einzumarschieren.
Als Tag des russischen Einmarsches wurde der 20. August
angegeben^). Nach diesem Zeitpunkte wurden die Aufbruehtage der
Truppen so festgesetzt, daß die Nachricht vom Aufbruche nur gleich-
zeitig mit der Nachricht vom Einmärsche der Russen in Wien und
Paris eintreffen konnte.
Nach diesen Aufbruchzeiten sollten die Armeen in fünf
Epochen versammelt werden. Es sollten versammelt sein : ^)
in Italien
I
in Deut
sj bland
in Tirol
bis
BataiUone 'Eskadronen!
1
Bataillone Eskadronen
1
Bataillone Eskadronen
5. September
64
16
29
40
.
15. „
104
40
46
48
25.
139
64
59
56
42
10
5. Oktober
151
80
59
80
15.
166
96
64
112
25.
169
96
80
142
,
Anfang
November
88
148
•
Die Pferdebeschaffung, die Rekrutierung und die Ausschrei-
bung eines viermonatigen Verpflegsbedarfes sollten erst nach dem
Fall des Geheimnisses beginnen.
Leichte Bataillone sollten erst im Frühjahre 1806 aufgestellt
werden.
*) Also schon ein späterer Termin als im Protokoll vom 16. Juli.
*) Die Verteilung der Truppen auf die Armeen wurde im Detail öfter ab-
geändert. Für die Beui-teilung der Operationspläne genügt aber diese Angabe
vollkommen. Für die deutsehe Armee wird die tatsächliche Truppenstärke später
angegeben werden.
Krauss. 1805, Der Feldnug von Ulm. 9
— 130 —
Alle diese Anträge wurden vom Kaiser genehmigt. Sie zeigen
deutlich, daß mau damals, trotz den Erfahrungen in den Jahren
1796 und 1800, Napoleons Eigenart nicht erfaßt, ja nicht einmal
begriffen hatte. So recht gemütlich wie bisher gegen die Türken,
stellte man sich die Versammlung der Armee vor und glaubte noch,
weiß Gott was für großartige Leistungen zu vollbringen. Kann es
da verwundern, daß der eiserne Wille Napoleons zur größten
Schnelligkeit allein schon den Erfolg brachte! Muß man nicht
staunen, daß man diese Absicht Napoleons, die er ungescheut und
laut in alle Welt hinausposaunte, nicht erfuhr oder nicht glaubte,
daß man nicht wußte, wie kriegsbereit seine Armee war? ^)
Es sollten somit verwendet werden:
in Italien 110.000 Mann und 10.000 Eeiter
„ Tirol 33.600 „ „ 1.200 „
( 57.200 „ „ 15.800 „ Österreicher und
„ Deutschland 42.700 „ „ 8.300 „ Bussen
zus. 100.000 Mann und 24.000 Reiter
Überdies sollte die 2. russische Armee von 50.000 Mann,
im Verein mit einer Armee in Lithauen, Preußen zum Anschluß an
die Koalition veraulassen und dann durch Schlesien und Böhmen vor-
gehen:
ein russisch-schwedisches Korps von 32.000 Mann in Pommern
gegen Hannover angesetzt werden und ^
ein russisches Korps von 23.000 Manu in Neapel landen.
Seit Ende Juli waren alle Regimenter der österreichi-
schen Armee mit ihrem Priedensstand ohne die zahlreichen noch
nicht eingerückten Beurlaubten, ohne Artillerie, ohne Trainbespan-
nungen, kurz, ohne jede Kriegsvorbereitung auf dem Marsch in die
verschiedenen Lager.
Erst am 27. August erging der Armeebefehl, die Armee auf
den Kriegsfuß zu setzen und die Reservebataillone und Reserve-
eskadronen zu errichten: erst am 29. August lieginnt die Pferde-
^j Am 4. August 1805 schrieb der. Geheime Eat Faßbender an den beur-
laubten Hofkriegsrats-Vizepräsidenten FML. Fürsten Schwarzenberg: Der Krieg
ist unvermeidlich; in Italien wird Erzherzog Karl, in Deutsehland Erzherzog
Ferdinand unter der Oberleitung des Kaisers kommandieren. „Wenn Bonaparte
nicht gleich losschlagen will und kann, da er seine Truppen nicht zusammen
hat, so wird er sieh begnügen wollen, militärische Positionen am rechten Rhein-
Ufer zu nehmen."
— 131 —
Stellung. Beurlaubte, Eekrutentransporte, Artillerie und Bespan-
nungen suchten in zahlreichen Transporten die vorausgegangenen
Regimenter zu erreichen.
Welche Folgen das hatte, zeigt der Bericht des Erzherzogs
Karl vom 29. September über den Zustand, in dem er seine italieni-
sche Armee gefunden.
„Der Armee fehlt es an Geld, Brot, Pferden, Verpflegung und
Menschen. Ich greife zu den äußersten Mitteln, aber bisher ist ihr
Erfolg noch wenig befriedigend und ich kann ihrer Wirkung nur
in jener Zeit entgegensehen, wo sie vielleicht zu spät sein wird.
„Sowie die Armee gegenwärtig an allem Not leidet, ist es
meine Pflicht zu erklären, daß sie immobil ist, und daß ich mich
glücklich schätze, wenn ich es dahin bringe, dem Feinde meine
Schwäche zu verbergen, damit er es nicht versuche, zum unüber-
sehbaren Nachteil des Staates, meine Verlegenheit zu benützen."
Die Bataillone der Armee in Italien, denen noch alle Urlauber
fehlten, deren Ergänzungstransporte oft zu anderen Zwecken zurück-
gehalten worden waren, zählten Ende September nur 300— 400 Mann,
anstatt 900. Der Artillerie fehlten noch 2000 Pferde; von der
ganzen Artilleriereserve waren nur 4 Geschütze bespannt. 24 Ge-
schütze konnten mit Puhrwesenpferden notdürftig bespannt werden.
251 Geschütze und 732 Munitions- und Parkwagen waren noch un-
bespannt oder mit Vorspannpferden auf dem Anmärsche nach Italien;
den Eegimentern fehlten die Trainbespannungen und die Packpferde
zum größten Teil.
Cobenzl schrieb nach der Katastrophe von Ulm — also nach-
träglich, am 1 . November 1805 — an den Grafen Colloredo :
„Und wie sind wir durch den Verlust von 50.000 Mann um
unsere schönen Hoff"nungen betrogen worden. So enorm auch dieser
Verlust ist und noch mehr die Fehler, die ihn verursacht haben, so
ist nicht zu glauben, daß aus allem hervorgeht, daß sich die Ge-
samtzahl unserer Frankreich entgegengestellten Truppen auf höchstens
130.000 Mann beläuft.
„Die Armee ist auf dem Friedensfuß in den Krieg getreten,
sie hatte noch nicht alle bestimmt Beurlaubten eingezogen, noch
weniger die auf unbestimmte Zeit Beurlaubten. Die Bataillone hatten
statt 1000 Mann nur 500. Die zwei Armeen in Italien und Deutsch-
land ohne Tirol hatten 257 Bataillone, denen 128.000 Mann fehlten.
die nicht getötet oder gefangen sein können. Die Einberufung er-
9*
— 132 —
folgte im Monat August, wir sind Anfang November; wo sind diese
128.000 Mann?!)"
Das zeigt deutlich, welche Folgen der Vorgang Macks für die
Armee hatte.
Welcher schwindelhafte Taumel damals aber die leitenden
Kreise in Wien erfaßt hatte, geht aus folgender Mitteilung hervor,
die Gentz am 27. August einem seiner Freunde schrieb: „Die
ganze österreichische Armee ist an die Grenzen vorgerückt. Über
100.000 Mann stehen zwischen Klagenfurt, der Etsch und Venedig,
ungefähr 40.000 in Tirol, nahe an 100.000 bei Wels (!) ....
Mack hat Wunderdinge getan in seiner Sphäre. Eine Armee zu
bilden, mit Ordnung und Methode zu einem Feldzuge Vorbereitungen
zu machen, gute Pläne entwerfen, das versteht er wie vielleicht
jetzt keiner in Europa; aber ausführen kann und weiß er uicht^)."
In welchem Zustande die italienische Armee tatsächlich noch
Ende September war, zeigt der vor kurzem zitierte Bericht des Erz-
herzogs Karl. Bei Wels waren Ende August höchstens 20.000 Mann
versammelt, der Best der deutschen Armee war aber noch bis
Schlesien und Ungarn echelonniert.
Am 24. August erstattete Mack, der einen immer größeren
Einfluß auf den Kaiser gewonnen hatte, folgende Vorschläge:
„1. Am 29. August, mithin wenige Tage nach eingelangter
Nachricht vom russischen Einmarsehe, die längstens bis 26. kommen
^) Kurze Zeit vorher hatte Cobenzl allerdings ganz anders geurteilt. Am
10. September 1805 sehrieb er an Maek: „leh kann Ihnen nicht genug danken
für Ihre Aufmerksamkeit, mir über Ihre beiden an den Kaiser gerichteten Be-
richte Kenntnis zu geben. Man erkennt in allem, was von Ihnen stammt, diese
Tätigkeit in der Durchführung, diese Ordnung und diesen Scharfblick in den
Maßnahmen, die, ich hoffe es, so wesentlich beitragen werden, uns des Erfolges
in dem großen Kampfe zu versiehern, der sieh vorbereitet und in dem Ihre ersten
Schritte schon die Bewunderung und das Staunen von ganz Europa erregen.
Niemand hätte an die Möglichkeit geglaubt, uns so bald wieder und mit solchen
Machtmitteln auf den Kampfplatz treten zu sehe^. .Diese Meinung über uns allein
kann es erklären, daß Napoleon nach dem ,Monitem- noch am 27. seine Truppen
im Lager von Boulogne übte." Es ist nicht zu wundern, daß das schließliehe Er-
wachen aus dieser Selbsttäuschung schrecklich war. (Kriegsarehiv, 1805, Deutseh-
land FA, IX, 82.)
^) Nachträglich, am 3. November, urteilt der Napoleon-Hasser Gentz aller-
dings anders: „Maek war ein schwacher, weinerlicher, fast niederträchtiger
Charakter, eine Seele ohne wahre Energie, ein Kopf voll schiefer und halber Ge-
danken."
— 133 —
muß, hätten beide Armeekommandanten samt ihren Generalqaartier-
meistern zu ihren Armeen abzugehen.
„2. FML. V. Mack reiset eben am 29. August ab, eilet bei
Tag und Xacht nach Wels und trifft dort die Dispositionen zum
Aufbruch und Marsehe der ersten bei Wels versammelten 30 Ba-
taillone und 30 Eskadronen solchergestalt, daß sie am 5. oder 6. Sep-
tember den Inu in zwei oder mehreren Kolonnen (wie es die Nach-
richten über die bayi'ischen Truppen erheischen werden) passieren
können.
„Er selbst eilet nach München und unterhandelt gemeinsam
mit dem Gesandten über die Mobilmachung der bayrischen Armee,
wozu eine Million in Wechseln und Kreditbriefen unbedingt
nötig wird.
„3. Erzherzog Ferdinand bleibt in Wels, versammelt und
ordnet die dort einrückenden Truppen und erwartet die Eapporte
des FML. v. Mack wegen ihrer Nachrückung nach Bayern.
„4. FML. V. Mack muß um Vollmacht bitten, alles, was zu
unserer Verteidigung am Inn, bei Salzburg oder anderwärts nötig
sein dürfte, anzuordnen und in Vollzug setzen zu lassen.
„5. Da es nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich
ist, daß Bonaparte seine Hauptmacht nach Deutschland verwenden
werde, um hier vor der Ankunft der Bussen einen entscheidenden
Streich auszuführen, weil er in Italien vorderhand sich auf seine
Festungen verlassen kann, so ist nötig, daß Seine königl. Hoheit
der Erzherzog Karl schon dermalen von Seiner Majestät vorbereitet
werde, die über Klagenfurt marschierenden 5 Regimenter W. CoUo-
redo, Kerpen, Schröder, Mitrowsky und Lindenau gegen Salzburg
zu dirigieren, die von Wien abrückenden 2 Eegimenter Erzherzog
Karl und Auersperg aber ebenfalls gegen Bayern einzuleiten."
Am 29. August fand beim Kaiser eine Konferenz statt, in der
ein endgültiger Operationsplan festgesetzt wurde^). Erzherzog Karl
hatte dem Kaiser „Allgemeine Grundsätze, nach welchen die ge-
meinschaftlichen Kriegsoperationen der k. k. Armee in Deutschland,
Italien und Tirol geleitet werden sollen", vorgelegt. Nach längeren
^) An der Konferenz nahmen teil : die Erzherzoge Karh Johann und Fer-
dinand, FZM. Graf Latour, die FML. Mack. Fürst Sehwarzenberg, Zaeh und
Graf Grünne, GM. v. Mayer, die Minister Graf Colloredo, Graf Cobenzl und der
Staatsrat CoUenbaeh.
Das Konferenzprotokoll ist leider nicht vorhanden.
— 134 —
Debatten wurden diese Grundsätze vom Kaiser genehmigt und jedem
Armeekommaudo zugestellt. Diese „Allgemeinen Grundsätze" — Bei-
lage 5 — setzten fest, daß in Italien mögliehst bald eine entschei-
dende Sehlacht zu suchen, dann Peschiera und Mantua zu nehmen
seien. In Deutschland hätte die Armee sofort soweit als möglich
vorzudringen und sich in Schwaben festzusetzen. Die Armee darf
sich aber vor Vereinigung mit den Eussen in keine Schlacht ein-
lassen, sondern muß einem Gefecht ausweichen.
Der Stil dieser Grundsätze und ihr Inhalt lassen vermuten,
daß sie von FML. Mack stammen und daß Erzherzog Karl nur
seinen Namen zur Unterschrift hergeben mußte. Für diese Auf-
fassung spricht auch folgendes Schreiben des Erzherzogs Karl, das
am 22. September aus Italien an den Herzog Albert von Sachsen-
Teschen abging:
„Ich habe wenig Hoffnung auf einen Erfolg unserer Armee
in Deutschland; trotz der kläghchen Situation Napoleons und der
wenigen Mittel, die er hat — nach dem, was man sagte, als ich
noch in Wien war, kann er nur über 60.000 Mann disponieren —
glaube ich, daß er uns dort bald vernichtet haben wird, besonders
nach der Dummheit, die wir gemacht haben, ihm entgegenzugehen
und ihn zu reizen, wo die Eussen noch so weit von uns entfernt
sind." Erzherzog Karl war also offenbar gegen das isolierte Vor-
gehen in Bayern gewesen.
Am 29. August reiste Mack nach Wels ab. Am 31. wurden
mit kaiserlichem Handschreiben die Kommandoverhältnisse geregelt :
Die Hauptarmee in Italien kommandierte Erzherzog Karl mit
FML. Zach als Generalquartiermeister;
die Armee in Deutschland Erzherzog Ferdinand mit GM. von
Mayer als Generalquartiermeister;
in Nordtirol FML. Freiherr v. Auffenberg.
FML. Mack blieb als Generalquartiermeister beim Kaiser, der
sich den Oberbefehl vorbehalten hatte.
Der Vergleich der operativen Absichten Napoleons und der
Verbündeten läßt eine der großen Ursachen der österreichischen
Niederlage erkennen. Die Beilage 8 stellt diese operativen Absichten
graphisch dar. Napoleon rechnete mit etwa 260.000 Mann. Er will
— 135 —
die Österreicher und Bussen getrennt sehlagen; dazu will er Wien
noch im November vor den Eussen erreichen. Um rasch operieren
und die Österreicher auch mit Sicherheit vernichtend schlagen zu
können, nimmt er den weitaus größten Teil seiner mobilen Kräfte,
200.000 Mann von 260.000, nach Deutschland und überläßt einer
kleinen Armee von 60.000 Mann die Sicherung Oberitaliens; Han-
nover räumt er bis auf die Festimgen ganz, ja er bietet es sogar
den Preußen als Preis für ein Bündnis an.
Es ist ihm gleichgültig, wo die Österreicher ihre Hauptkraft
anfangs haben, er wird sie schon auf dem Wege nach Wien linden.
„Ich zweifle nicht," schrieb er am 18. September an Massena, „daß
der Feind, der bald die Entfaltung meiner Kräfte in Deutschland
erkennen wird, gezwungen sein wird, seine Armee in Italien zu
schwächen, um Wien zu verteidigen. Die Russen, die in Galizien
einmarschieren, sind noch sehr weit; ich hoffe, bedeutende Erfolge
vor ihrer Ankunft errungen zu haben ^)."
Massieren seiner Hauptmacht auf dem wichtigsten Kriegsschau-
platze, energisches rasches Vorgehen auf die feindliche Hauptstadt,
getrenntes Schlagen der feindlichen Verbündeten sind die Haupt-
züge seiner operativen Absichten.
Demgegenüber zersplittern die Verbündeten ihre 384.000 Mann,
also ihre in Summe weit überlegenen Kräfte derart, daß sie nur in
Italien eine Übermacht aufbringen. Dazu kommt noch, daß Napoleons
Hauptarmee durch den Anschluß der Bayern, Württemberger und
Badenser um mehr als 30.000 Mann zunahm, die Kraftgruppen der
Verbündeten aber nirgend die erhofften Stärken erreichten.
Mack sagt in einer Schrift: „Merkwürdige Data", die er nach
dem Feldzuge dem üeneral Wintzingerode übersandte: „Ganz hätte
das Unheil vermieden werden können, wenn wir nicht in den un-
heilvollen Irrtum geraten wären, daß der Feind große Verstärkungen
nach Italien schicke und dort seine ersten entscheidenden Streiche
führen werde, wenn wir also nicht- unsere Hauptkraft nach Italien
angetragen hätten, während der Feind seine in Deutschland hatte."
Diese Äußerung des Hauptregisseurs von 1805 zeigt, daß selbst eine
so blutige Erfahrung oft nicht hinreicht, verkehrte Ansichten zu
beheben und die Erkenntnis der Wahrheit zu bringen. Nicht in der
Verteilung der Kräfte lag die Grundursache des Unglückes, sondern
im Willen, im Kriegsziel. Die Kraftverteilung ist nur eine
*) Korrespondenz Napoleons, Nr. 9233.
— 13G —
Folgeerscheinung dieses Willens. Die Verbündeten hatten schon
im Plane keine Initiative oder doch nur eine sehr nebelhafte; sie
forschten und fragten, so wie auch Mack noch in der oben zitierten
Stelle, vor allem: Was macht der Feind? und kamen daher dazu,
sich überall zu decken. Die Worte „Offensive in die Schweiz" und
alle ähnlichen waren nichts als Aufputz. Napoleon sagte aber klar
und deutlich: „Ich will." Es war ihm gleichgültig, wo die Öster-
reicher sind, er wird sie schon treffen.
Hätte -Mack den gleichen festen, klaren Willen gehabt wie Na-
poleon und diesen Willen ebenso energisch ausgedrückt: „Ich will
noch im November im Bette des Kaisers in Paris schlafen", dann
wäre es ihm nicht eingefallen, an Italien zu denken, dann hätte er
alles getan, um 300.000 Mann in Deutschland anzusetzen, dann
hätte ihn der Ehein samt seinen Festungen nicht gestört, und dann
hätte er auch die Worte gefunden, um Wintzingerode und den Zaren
zum Au Schlüsse der ganzen russischen Kraft an die österreichische
Hauptarmee in Deutschland zu bewegen. Bei gleichem energischen
Willen wären dann die beiden Hauptkräfte in Deutschland aufein-
andergetroffen. Was hätte es andernfalls den Verbündeten geschadet,
wenn die Franzosen ihre Hauptkraft in Italien gehabt hätten und
300.000 Verbündete energisch über Straßburg gegen Paris vor-
gedrungen wären mit dem Willen, mit dem Ziel, dem Kaiser Na-
poleon in Paris, wo man ohnedies auf eine Eevolution hoffte, den
Frieden aufzuzwingen ? Daß die Unangreifbarkeit der Rhein-Grenze nur
Einbildung war, hätte man allerdings erkennen müssen, man hätte sich
ebenso wie Napoleon von all den alten Anschauungen freimachen
und ähnlich handeln müssen wie alle früheren großen Feldherren.
So aber hatte man keinen positiven, durchgreifenden Willen!
Die italienische Armee sollte allerdings den Feind zuerst schlagen,
dann aber sofort in der Belagerung von Mantua und Peschiera ver-
sumpfen; die deutsche Armee sollte allerdings nach Bayern voreilen,
dann aber warten oder zurückgehen: ja Mack ließ sogar in der Zeit
vom 8. bis 12. September 1805 durch den FML. Fürsten Schwarzen-
berg bei Kaiser Franz anfragen, ob kein politisches Bedenken dagegen
obwalte, längs dem Neckar bis Heidelberg und von dort bis an den
Main bei Miltenberg einen Kavalleriekordon aufzustellen^). Die anderen
^) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland PA, XIII, 173. Die Gründe für die
Aufstellung eines Kavalleriekordons wurden von FML. Sehwarzenberg mündlieh
übermittelt und sind somit leider verloren gegangen.
— 137 —
Arraeesplitter hatten lauter nichtige Aufgaben, wie Hannover nehmen.
Neapel befreien u. dgl. ra. Aber nicht nur der positive, durch-
greifende Wille fehlte, der die Hauptkraft von selbst auf dem rich-
tigen Orte zusammengehalten hätte, sondern mao trennte noch dazu
im entscheidenden Eaum, in Deutschland, die ohnedies ungenügende
Kraft in zwei weit hintereinander folgende Gruppen, von
denen die eine in unbegreiflicher Selbstverblendung dem übermäch-
tigen Feind entgegeneilte, somit dessen operativer Absicht entgegen-
kam und deren glänzende und vernichtende Durchführung erst er-
möglichte.
Diese Fehler, die zum Teil auch einem Heerführer vom Eange
des Erzherzogs Karl zur Last fallen^), sind so schwer und für uns
scheinbar so unbegreiflich, daß man versuchen muß, ihre Gründe
zu erforschen ; denn nur die Erkenntnis des Zusammenhanges der
Ereignisse mit den Zeitverhältnissen und mit dem Charakter und
dem Werdegange der handelnden Personen kann uns davor be-
wahren, in ähnliche Fehler zu verfallen.
Die jahrhundertalten unglückseligen römisch-italienischen Be-
strebungen der deutschen Kaiser hatten sich derart zur Tradition
ausgebildet, daß kein österreichischer Herrscher und kein österreichi-
scher Politiker sich davon freimachen konnte; es ist eben ein
charakteristisches Merkmal der meisten Menschen, daß sie mit Vor-
liebe ausgetretene Pfade benützen, daß sie fast nie Erkenntnis und
Mut genug haben, etwas Althergebrachtes als schlecht zu erkennen
und über Bord zu werfen ; im Gegenteile, sie verbeißen sich meist
desto mehr in diese Ideen, Schulen u. dgl.. je mehr Mißerfolge sie
dabei errungen haben ; jeder kleine vorübergehende Erfolg stachelt
ihre Hartnäckigkeit auf und erhöht die Verblendung. So waren alle
österreichischen Politiker in das italienische Problem verbissen ; er-
höht wurde diese Verbissenheit durch die langjährigen erfolglosen
Kämpfe auf italienischem Boden und durch die endliche Erwerbung
der alten venetianischen Republik. Man tat zwar nichts, um diese
Neuerwerbung an den Staat zu kitten, aber man zitterte unaufhör-
lich für ihren unsicheren Besitz, man sah Truppenanhäufungen, man
fürchtete Überfälle, wo von all dem keine Rede war. Diese politische
Stimmung mußte natürlich auch die Heeresleitung in Mitleidenschaft
') Erzherzog Karl war auch für die Teilung der Kräfte in drei Gruppen.
Vgl. S. 119.
— 138 —
ziehen, wenn der zum Feldherrn ausersehene Mann nicht die Kraft
uod nicht den Einfluß hatte, ihr mit Erfolg entgegenzutreten. Dazu
kam nun noch, daß Napoleon bisher nur in Italien gekämpft hatte,
daß man also glauben mochte, er werde den Streit um Italien mit
Österreich auch dort auskämpfen: die Ereignisse des Feldzuges 1797
lagen noch zu frisch im Gedächtnisse, wo nach dem Falle der starken
Festung Mantua das französische Heer unaufgehalten durch die
Alpen nach Wien zog; jetzt besaß man zwischen der Etsch und
Wien gar keine Festung ; man glaubte also Napoleon gegenüber auf
eine Wiederholung von 1797 gefaßt sein zu müssen. Die Politik und
die Furcht vor der drohenden feindlichen Offensive, also der Hang
zur Abwehr, zur Defensive, der fast in jedem Menschen steckt, ver-
anlaßten, die Hauptkraft dorthin zu senden, wo man den Feind am
meisten fürchten zu müssen glaubte, und nicht dorthin, wo man
dem Feind im kurzen Ausfalle das Schwert in den Leib rennen
konnte.
Zu all dem kam noch die „militärische Schule". Die staunens-
werten Erfolge, die Friedrich der Große in langdauernden Kriegen
gegen seine übermächtigen Feinde errungen hatte, schrieb man nur
dem Charakter seiner Kriegführung und den Formen zu. die er bei
seinen Operationen benützt hatte. Man erkannte nicht, daß Friedrich
durch die Verhältnisse zu dieser Kriegführung gezwungen worden
war und daß sie nur dank der Unfähigkeit und Zerfahrenheit seiner
Feinde zum Erfolg geführt hatte. Seine geniale Defensive und seine
weise Selbstbeschränkung in den Kriegszielen und in den Operationen,
zu denen ihn die Beschränktheit seiner Kriegsmittel zwang, die aber
nur seinen Feinden gegenüber zu bleibenden ErfoUen führen
konnten, machten Schule; mit dem Aufgebote spitzfindigen Geistes
und großer Gelehrsamkeit wurde darauf ein ganzes Lehrsystem der
Kriegführung aufgebaut. Eaum und Zeit waren in der Schätzung für
kriegerische Handlungen an den Extremen angelangt : der Besitz
gewisser Eäume galt alles, die Zeit nichts.
Die hohe politische und militärische Schätzung gewisser
Eäume und Lokalitäten hatte zur Folge, daß ganze Feldzüge zur
Behauptung oder zur Eroberung solcher Eäume oder Punkte
(Festungen) geführt wurden. Dadurch vernachlässigte man die Zeit
und damit auch die Schnelligkeit der Bewegungen. Auch die Er-
kenntnis ging verloren, daß die Niederwerfung der feindlichen
militärischen Macht, wo immer sie erfolgt, das gründlichste, aber
— 139 —
auch einzig verläßliche Mittel ist, den Feind zu zwingen, die For-
derungen zu erfüllen, somit den eigenen politischen Willen durch-
zusetzen. So entstand die schleppende Kriegführung, bei der man
immer von allem Anfang an schon mit mehreren Feldzügen
rechnete. (Siehe Operationsplan der Russen.)
Der systematische Kampf um Räume und Punkte mußte folge-
richtig das Erkennen, Ergründen und Begründen des militärischen
Wertes der Räume zu einer förmlichen Wissenschaft ausbilden.
Eine Wissenschaft aber, der jeder wirkliche Untergrund fehlt, muß
sich in nebelhaften Lehrsätzen, in Phrasen und Trugschlüssen er-
gehen, sie muß daher zu dem führen, was man mit einem treffenden
Ausdrucke „Wolkenschieben" nennt. Sie führt zum glatten Wider-
sinn, der aber im Gewände der Gelehrsamkeit selbst gescheite und
klare Köpfe verwirrt. So übertrug man, wie schon einmal erwähnt,
die taktische Bedeutung der Überhöhung, des Dominierens, die ja
auch nicht unbedingt ist, auf geographische Räume und bildete so
den Satz, daß der Besitz der Schweiz den Besitz der Nebenländer
bedeute. Solche Sätze brauchen zu ihrer Stütze natürlich andere
„unbedingte Wahrheiten" und so stützte oder steigerte man die
Bedeutung dieses Satzes durch die einfache Behauptung, daß die
Rhein-Linie von Basel bis Düsseldorf unangreifbar sei, dort daher
jede Offensive ihr Ende erreichen müsse. Die Überschätzung des
Raumbesitzes führte zur übermäßigen Bedeutung des Festungskrieges,
diese wieder zur fälschlichen Übertragung von Begriffen und Grund-
sätzen der Befestigungskunst auf operative Verhältnisse. Wenn man
etwas hundertmal hört und gar gedruckt liest, wenn man dasselbe
in jungen Jahren von Lehrern gehört hat, die als bedeutende
Männer galten und unter den anderen Beschränktheiten ja auch
wirklich bedeutend erscheinen und selbst Erfolge aufweisen konnten,
dann gehört schon ein hohes Maß an einfachem Naturverstand, an
Erkennungsvermögen, Urteil, Auffassung und an energischem Mut
dazu, sich auch in der verantwortungsvollen Stellung als Führer im
Kriege über diese allgemeine Auft&ssung hinwegzusetzen. Das zeigt
sich deutlich selbst bei Erzherzog Karl, der all diesem gelehrten
Wust unterworfen blieb; es zeigt sich auch bei anderen anerkannt
tüchtigen und gebildeten Generalen. So wimmelt es in einer Denk-
schrift des Generalquartiermeisters des Erzherzogs Ferdinand, des
GM. V. Mayer, von gelehrten Kunstausdrücken. Auch das Ein-
fachste, Selbstverständlichste wird in kunstvoll entwickelten Ge-
— 140 — «
dankenreihen ausgedrückt; der Inn wird als „natürliche Kurtine des
Bollwerks Tirol" bezeichnet, der Haiiptrücken der Alpen als Kapital-
linie des Bollwerks: die Operationslinie reicht vom Inn höchstens
bis Stoekach. weil dann alle Tiroler Eingänge direkt gedeckt sind;
wenn aber der Feind am linken Donau- Ufer bei Ulm steht, dann
ist höchstens Memmingen als äußerster gesicherter Punkt
der Operationslinie zu betrachten u. s. f. Dann fuhr eine ener-
gische Faust, geführt von einem einfach denkenden klaren Kopf, in
all diesen Krimskrams — und Bollwerk und Kurtine erwiesen sich
nur als papierene Kulissen^).
Diese Entwicklung der damaligen militärischen Wissenschaft
muß man beachten, wenn man die Handlungen aller Feldherren
dieser Zeit beurteilen und wenn man die ganze Größe Napoleons
erfassen will, der sich aus sich selbst heraus über all diese schein-
bare Gelehrsamkeit erhoben hat.
Heute sind wir nach dreißigjährigem Frieden wieder in einer
Epoche, wo die Neigung besteht, mit nicht voll und klar präzi-
^) Die Aiisdrueksweise in dieser Denkschrift des GM. v. Mayer ist so
eharakteristiseli i'ür die damals allgemein üblichen oyierativen Ansichten, daß
einige Stellen hier wörtlich angeführt werden.
„Die Verteidigungslinie, welche zugleich die Basis ist, auf welcher die
Operationen der am rechten Donau-Ufer aufgestellten und gegen den ßhein
operierenden Armee, gegründet werden, kann man nach der geographischen Lage
der Provinzen, nach den vorteilhaften Lokalitäten und nach dem höchst nötigen Zu-
sammenhang mit der Armee in Italien nicht anders als in der Linie des Inn-
Flusses von Kufstein über Braunau bis Passau als der natürlichen Kurtine an
dem Bollwerk (Tirol) finden.
„Hinter diesem Pluü besteht noch die letzte Möglichkeit, das Verteidigungs-
gebäude der Monarchie mit dem westliehen und nördlichen Tirol zu erhalten . . .
„Von dieser aufgefundenen Verteidigungsbasis an dem Inn-Flusse geht die
Operationslinie über München, Landsberg, Mindelheim, Memmingen, höchstens
liis Stockaeh, wo das Maximum zur Verteidigung des nördlichen Tirol erreicht
wird, weil die nördlichen Eingänge nach Tirol gänzlich gedeckt sind. Falls aber
die feindliehe Armee am linken Donau-Ufer bei Ulm stünde, so wäre Memmingen
als der äußerste und sicherste Punkt dieser Operationslinie zu betrachten . . .
„Da keine der beiden Operationsbasen (in Deutschland und Italien) auf
Sicherheit gegründet ist, weil keine einzige Festung vorhanden ist, so folgt ganz
natürlich, daß die von selben ausgehenden Operationslinien nur problematisch
sind, keineswegs mit einer Konsistenz fortgehen, sondern bloß aus einer Pro-
gression glücklicher Ereignisse zusammengesetzt werden müssen, deren nach-
teilige Ungründliehkeit sich im zusammengesetzten Verhältnis beim weiteren
Vorrücken vermehrt ..." (Kriegsarchiv, 1805, Deutschland FA, XIII, 106,
Beilage 5).
141
sierten und erfaßten Fachausdrücken zu anscheinend wissenschaft-
lichem Aufputz Schlagworte zu schaflfen, die dem Erkennen des
Wesens des Krieges nur hinderlich und schädlich sind. Je weniger
positives, reelles Wissen man hat, desto mehr wirft man mit Worten,
wie Basisraum, Zwisehenbasis, Basis verschieben, sich neu basieren.
Echiquier, strategischer Überfall u. dgl. herum, ohne die Mühe
aufzuwenden, sich darüber klar zu werden, was man heute darunter
verstehen soll, wie die Sache wirklich aussieht, welche iVrbeits-
mittel, Arbeitsleistung, Befehlgebung nötig sind, um z. B. eine Basis
einzurichten und zu verschieben oder wie ein Echiquier unserer Ar-
meen im allgemeinen aussehen wird; man tut eben die ganze Sache,
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S üdgegner
ff /
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ohne darüber nachzudenken, mit der "möglichst hochtrabend vorge-
brachten Floskel ab und überläßt die Durchführung anderen, meist
ebensowenig gründlichen Personen. Ein gutes Beispiel der Wirkung
solcher packend gewählter Schlagwörter gibt das „Aus zwei Fronten".
Man sollte jetzt glauben, daß die wahre Kriegskunst damit erst
entdeckt worden ist: alles schwelgt in „zwei Fronten". Niemand will
mehr „umfassen", sondern alles greift ,,aus zwei Fronten" an; sogar
bei Kompagnien wird diese hohle Phrase angewendet. Man glaubt,
nur das „aus zwei Fronten" aussprechen zu müssen, um schon ein
Anrecht auf Erfolg zu haben oder seinen Zuhörern zu imponieren,
und glaubt in jedem Falle, ob es Sinn hat oder nicht, nur über-
haupt zwei Fronten haben zu müssen.
Wäre es — um nur ein krasses Beispiel zu geben — nicht
höchst verfehlt, den Aufmarsch der beiden Korps des Südgegners
bei a und h nur deshalb ohne Eücksicht auf die feindliche Armee
— 142 —
und auf die Beschaffenheit des feindlichen Landes anzuordnen, weil
die beiden Korps „aus zwei Fronten" in den beschränkten Eaum R
vordringen können, um sich dann natürlich gegenseitig im Wege
zu stehen? Dieses Vorgehen hätte aber auch dann keine Berechti-
gung, wenn die Grenze durch Plußhindernisse gebildet wird; es
hieße die taktischen Regeln für den Flußübergang einfach auch
auf die operativen Verhältnisse übertragen, also denselben Fehler
begehen, wie er in der napoleonischen Zeitepoehe mit der Schweiz
begangen worden ist. Den Unterschied, der da zu machen ist, hat
Clausewitz in seinem Werke vom Kriege, I. Teil, 15. Kapitel
„Geometrisches Element", hervorgehoben.
Es kann daher nicht genug davor gewarnt werden, sich solcher
tönenden Phrasen in oberflächlicher Weise zu bedienen; geht man
aber gründlich vor, dann braucht man solche Ausdrücke nicht. Je
einfacher wir Soldaten sprechen, desto besser werden wir uns ver-
stehen und von anderen verstanden werden, und das ist doch die
Hauptsache. Werden aber solche Phrasen weiter gezüchtet, nehmen
sie als Quintessenz militärischer Wissenschaft überhand, dann kann
die Folge eine ähnliche werden wie im Jahre 1805.
V. Das Kommando der österreicliisclieu iVrmee
in Dentscliland.
Bei Beurteilung aller Ereignisse im Jahre 1805 ist zu beachten,
daß Mack seit seiner Ernennung zum Generalquartiermeister, also
seit Ende April in militärischer Beziehung die maßgebende Person
der österreichischen Monarchie war, daß sein immer wachsender
Einfluß auf den Kaiser selbst den Einfluß mehrerer kaiserlichen
Prinzen, vor allem den des kaiserlichen Bruders, Erzherzog Karl,
ausschaltete, und daß Mack diesen Eiüfluß rücksichtslos gebrauchte,
wo es zu seinem Yorteil und Nutzen war.
Wie bekannt, hatten sowohl der Erzherzog Karl als auch
Mack bei allen Operationsentwürfen immer die Ansicht geäußert.
daß die Hauptaktionen in Italien stattfinden würden, daß daher dort
die Hauptmacht der Österreicher verwendet werden müsse. Ebenso
ist bekannt, daß Erzherzog Karl bei den Verhandlungen mit den
Eussen immer die unbedingte Einheitlichkeit des . Oberbefehles in
Deutschland gefordert hat und daß Mack seinen Freund Wintzin-
gerode bei den Verhandlungen nur dazu brachte, diesen Oberbefehl
zuzugestehen, wenn in Deutschland Erzherzog Karl oder der Kaiser
Franz das Kommando führe.
Erzherzog Karl hatte sich vor der Ernennung des FML. Mack
zum Generalquartiermeister energisch dagegen verwahrt, daß Mack
diese Funktion bei ihm zu versehen habe.
Mack hatte es bald erreicht, daß er mit Umgehung des Kriegs-
ministers, Erzherzog Karl, oft allein zum Vortrage beim Kaiser er-
schien, so daß er diesen unbehindert beeinflussen konnte.
Weil nun dem FML. Mack die Stelle des Generalquartier-
meisters beim berufenen Oberkommandanten der Armee verschlossen
war, kam es ihm darauf an, sich eine andere, Ruhm und Macht
— 144 —
versprechende Stelle zu verschaffen. Seinem Range nach konnte er
nicht auf ein Armeekommando rechnen, unter einen anderen Kom-
mandanten wollte er sich aber nicht beugen. Er mußte daher den
Kaiser Franz, der selbst nicht den Beruf zum Heerführer in sich
fühlte, dazu bringen, wenigstens nominell das Oberkommando zu
führen; üeneralquartiermeister beim Kaiser war dann der Posten,
den sich Mack vorbehielt. Frühzeitig schien er daher den Kaiser
beeinflußt zu haben, den Erzherzog Karl, den hervorragendsten Feld-
herrn der kaiserliehen Armee, dort zu verwenden, wo die Hauptent-
scheidung fallen und aller Voraussicht nach auch Napoleon sein
werde, wenn dieser überhaupt ins Feld ziehen sollte, also in Italien^).
Die Bestimmung im Vertragsprotokoll vom 16. Juli, daß sich die
Eussen nur dem Oberkommando des Erzherzogs Karl oder des Kaisers
unterwerfen, war dann die Handhabe, den Kaiser zur Übernahme
des Oberbefehles in Deutschland zu bewegen ; als Kommandanten
des österreichischen Teiles der Koalitionsarmee in Deutschland suchte
sich Mack einen, wie er hoffte, recht gefügigen, daher sehr jungen
Prinzen aus, den erst 24jährigen Erzherzog Ferdinand. Seine Äußerung
vom 11. Oktober 1805: „Seine königliche Hoheit möge sich ja
nicht einbilden, kommandierender General zu sein, da er noch zu
jung und unerfahren wäre und dieses nicht vorstellen könne" ^),
zeigt klar, wie Mack über den von ihm selbst ausgesuchten Armee-
kommandanten gedacht hat.
Man muß es Mack lassen, daß er bei der ganzen Frage der
Armeekommandos sehr schlau vorgegangen ist, wie er überhaupt
ein Meister der Intrige gewesen zu sein seheint.
Schon am 24. Juli gab Erzherzog Karl unter dem Siegel der
Verschwiegenheit dem Erzherzog Ferdinand bekannt, daß Erzherzog
Karl in Italien kommandieren, der Kaiser aber zur Armee nach
Deutschland gehen werde, deren Kommando dem Erzherzog Fer-
dinand zugedacht sei. Einige Tage später machte FML. ]\Iack dem
Erzherzog Ferdinand die gleiche Mitteilung^).
Am 4. August konnte der pensionierte Rat Faßbender diese
Nachricht dem FML. Fürsten Schwarzenberg melden. Von der Ver-
^1 Ein Beweis dafür, wie falseli man damals Napoleon beurteilt hat, war
die Ansieht, daß der „Kaiser" Napoleon nicht ins Feld ziehen, sondern die
Führung seiner Armee einem seiner Marschälle übertragen werde.
2) Siehe S. 382.
8) Kriegsarchiv, 1805, Deutschland FA, XIH, 106.
— 145 —
wftndung Macks verlautete aber noch immer nichts. Wahrscheinlich
erst am 20. August kam diese Frage beim Kaiser zur Entscheidung,
sicher nicht ohne entsprechende Vorbereitung durch Mack; wenig-
stens schreibt GM. v. Mayer, daß ihm Mack schon Ende Juh mit-
geteilt habe, er (Mack) werde beim Kaiser bleiben und Erzherzog
Johann (später Erzherzog Ferdinand) werde die Armee in Deutseh-
land führen^).
Ein Bericht Macks vom 21. August an den Kaiser beginnt:
„Euer Majestät unterlege ich alleruntertänigst den Entwurf
des Handbilletts, das mir Eure Majestät gestern aufzutragen geruht
haben. Ich hielte für das beste, solches au den Hofkriegsratsprä-
sidenten zu richten, weil dann nur dem Erzherzog eine Abschrift
mit einigen Zeilen eigenhändiger freundschaftlicher Begleitung zuzu-
senden wäre. Der Erzherzog würde es in diesem Falle keineswegs
übel finden, wenn Eure Majestät ihm selbst zu sagen geruhten, daß
Sie mir die Redaktion dieses Handbilletts aufgetragen haben.
„Seine königliche Boheit fragten mich gestern, gleich nachdem
ich von Hetzendorf zu Höchstdemselben zurückkam, ob denn Eure
Majestät mir meine künftige Bestimmung nicht eröffnet hätten; ich
antwortete : Ja ! Seine Majestät haben mir bedeutet, daß Sie mich
als Generalquartiermeister bei Ihrer Allerhöchsten Person verwenden
würden und daß^ich mich von nun an alle zweiten oder dritten Tag
bei Allerhöchstdemselben einzufinden hätte. Seine Majestät — sagte
ich — setzten auch hinzu, daß, wenn Sie jemals bemüßiget sein
sollten, die Armee auf lange Zeit zu verlassen und also Eure könig-
liche Hoheit die Oberdirektion tibernehmen sollten, ich diese Dienst-
leistung bei Eurer königlichen Hoheit fortzusetzen haben würde."
So hatte sich Mack für alle Fälle den Posten des General-
quartiermeisters beim Oberkommando gesichert.
Zum Generalquartierraeister des Erzherzogs Ferdinand war
GM. V. Mayer bestimmt worden.
Trotzdem somit ein vollständiges Armeekommando für die
österreichische Armee in Deutschland aufgestellt worden war, trotz-
dem das Oberkommando erst in Aktion treten konnte, sobald einmal
die Russen in Bayern angelangt waren, veranlaßte Mack mit seinen
Anträgen vom 24. August (s. S. 132) durch das Vordrängen seiner Person
einen schweren Eingriff in die Befugnisse des Armeekommandos ;
*) Vergleiche auch den Antrag Macks vom 15. August, S. 156, P. 4.
ErauKs. 1805, Der Feldzug von Ulm. 10
— 146 —
da bei Mack nicht vorausgesetzt werden darf, daß er sich dessen
nicht voll bewußt war, kann man diesen Antrag nur als den ersten
Versuch bezeichnen, die tatsächliche Führung des Armeekommandos
an sich zu reißen. Ja, es läßt sich selbst der Verdacht nicht von
der Hand weisen, daß Mack nur deshalb nicht von der wahnwitzigen
Idee des Vorstürmens an die liier abzubringen war, weil er eine
Situation schaffen wollte, die ihm erlaubte, das Armeekommando an
sich zu reißen. Es ist köstlich, welche ßolle dieser Mann da dem
ernannten Armeekommandanten zuschiebt. „Erzherzog Ferdinand
bleibt in Wels, versammelt und ordnet die dort einrückenden Truppen
und erwartet die Rapporte des FML. v. Mack wegen ihrer Nach-
rückung nach Bayern." Er scheut sich nur, anstatt „Eapporte" offen
und ehrlich „Befehle" zu sagen! Da FML. Mack mit dem Dienst
in einem Armeekommando ganz vertraut war, kann man mit vollem
Eechte sagen, daß er der verantwortliche Urheber der späteren
schweren Konflikte im Armeekommando war und daß er somit
wissentlich das Interesse der Armee und des Staates seinem per-
sönlichen Ehrgeiz, seiner Eitelkeit, seinem Strebertum opferte. Man
muß nur staunen, daß Kaiser Franz diese Unmöglichkeit sanktio-
nierte. Es ist nicht glaublich, daß ihm die Einsicht dazu fehlte; da
man ebensowenig annehmen kann, daß er einem hypnotischen Ein-
flüsse Macks unterlegen sein sollte, so bleibt nur eine Erklärung:
politische Einflüsse von innen und von außen her.
Wie schon in der Vorgeschichte erwähnt wurde, war Mack
das Werkzeug der österreichischen Diplomaten zur Verdrängung des
Einflusses des Erzherzogs Karl. Diese Diplomaten, die in die Fähig-
keiten Macks unbegrenztes Vertrauen setzten, scheuten kein Mittel,
ihn beim Kaiser zu unterstützen^).
Mack, selbst Ausländer, hat es in allen seinen Stellungen und
immer durch sein Entgegenkommen gegenüber den Wünschen der
Verbündeten verstanden, sich deren Wohlwollen und deren Unter-
^) Der französische Gresandte in München, Otto, sehrieb am 28. August an
Talleyrand:
„General Mack, der eifrigste Anhänger des Krieges, hat schon seit langem
versichert, daß der Krieg unvermeidlich sei. Die Österreicher haben eine so hohe
Meinung von diesem Offizier, daß er in ihren Augen für sieh allein eine Armee
aufwiegt."
Vergleiche noch die Briefe Oobenzls, S. 132 (Fußnote i), Gentz', S. 154 (Fuß-
note 2), und Collenbachs, S. 194 (Fußnote 2).
— 147 —
Stützung seiüer persönlichen Wünsche zu erwerben. Nur so läßt
sich auch das große, von Erzherzog Karl gekennzeichnete Entgegen-
kommen bei den Unterhandlungen mit VVintzingerode erklären.
Die unberechtigte Einmischung fremder und eigener Diplomaten
in die rein militärische Frage der Kommandoführung bei den öster-
reichischen Armeen trug — wie immer — auch hier schlechte
Früchte. Für diese Einmischung unberufener Personen muß Mack
die Verantwortung zufallen, da er sie als militärischer Berater des
Kaisers nicht zurückwies, sondern begünstigte und für sich aus-
nützte.
Die desolaten Kommandoverhältnisse bei der Armee in Deutsch-
land, die im Verlaufe der Operationen soweit als nötig dargelegt
werden, lassen somit zwar das traurige Ende dieser Armee begreif-
lich erscheinen, können aber durchaus nicht zur Entlastung
Macks ausgenützt werden, weil er sie allein verursacht und ver-
schuldet hat.
Zum vollen Verständnis dieser Vorgänge müssen die beiden
Hauptpersonen, der FML. Mack und der Armeekommandant, GdK.
Erzherzog Ferdinand, charakterisiert werden.
FML. Karl Mack Freiherr v. Leiberich.
Mack stand 1805 im 54. Lebensjahre^).
Zur Beurteilung des Einflusses seiner Person auf die Ereignisse
des ünglücksjahres 1805 ist es ganz gleichgültig, was Mack in
^) Maek, geboren am 25. August 1752 zu Nennslingen in Franken (Bayern),
trat 17 Jahre alt als Fourier (Schreiber) beim 2. Earabinierregiment ein, wo
sein Onkel, Rittmeister v. Leiberieh, diente. Nach zwei Jahren wurde Mack
Korporal, (iewandt mit der Feder, machte er sieh in der Adjutantur nützlich,
wurde bald Unterleutnant und vier Jahre später Oberleutnant. Als der Regiments-
inhaber, FM. Graf Lacj' einen Offizier verlangte, der im Dienst erfahren, ge-
schickt mit der Feder und im Situationszeiehnen sei, wurde ihm Mack genannt.
Maek wurde Sekretär Laeys und machte mit diesem den \ftrriri:«eh£n, Krieg 1778
mit, wurde 1781 Hauptmann im Generalquartiermeisterstab und 1789 als Plügel-
adjutant im geheimen Militärkabinett des Kaisers angestellt. Bei der Belagerung
Belgrads machte sieh Maek als Generalstabschef Laudons besonders verdient,
wofür er das Ritterkreuz des Maria-Theresien-Ordens erhielt und mit dem Prä-
dikat „V. Leiberieh" in den Freiherrnstand erhoben wurde.
1792 wurde Maek dem Armeekommandanten Prinzen Josua Koburg als
Generaladjutant beigegeben und machte den Krieg in den Niederlanden mit.
1794 leitete er als General quartiermeister des Kaisers den Krieg in den Nieder-
10*
— 148 —
früheren Jahren geleistet hat. Nicht eine Lebensgeschichte soll hier
gegeben werden, sondern nur sein Charakterbild, soweit es sich
nach so langer Zeit feststellen läßt. Es liegt vollkommen ferne,
Mack schlecht zu machen oder schlecht erscheinen lassen zu wollen;
er ist eine der Unglücksgestalten, die das Schicksal in schweren Zeiten
auf falsche Posten gestellt hat. Aber betont soll sein, daß er mit
seinem Unglücksgenossen Benedek nicht verglichen werden darf.
Abgesehen von kleinen Charakterschwächen, wie sie jeder Mensch
hat, steht Benedeks Heldengestalt rein und klar vor uns. Sein Ver-
hängnis war nur der leuchtende Glanz seiner Heldentaten, der aller
Augen geblendet hatte und vermuten ließ, er sei auch der berufenste
Heerführer.
Mack aber hat sein Unglück selbst verschuldet. Nachdem
ihn die politischen Umtriebe einer Intrigantenclique aus dem Dunkel
hervorgezogen hatten, drängte er sich selbst an die Spitze und ge-
brauchte seine Ellbogen in der rücksichtslosesten Weise, um den
einzig Würdigen und von der ganzen Armee Verehrten von der
höchsten Stelle zu verdrängen. Ihn hat das verdiente Schicksal er-
reicht, aber nicht ohne den Staat, dessen leitende Stellen seinen
wahren Unwert nicht rechtzeitig erkannten, in härtester Weise mit-
zutreflfen.
landen. Im Jahre 1796 sollte er über Betreiben der Engländer zum Oberkomman-
danten in Portugal ernannt werden. Bevor dies aber geschah, wurde er im Ok-
tober 1796 als Peldmarsehalleutnant zum Generalquartiermeister der Rhein-Armee
ernannt.
Im August 1798 wurde Mack, wieder über Betreiben der Engländer, zum
Oberkommandanten der neapolitanischen Armee ernannt. Anfang Oktober kam
er in Caserta an. Ende November 1798 übersehritt er mit 38.(X)0 Mann die
Grenze und marschierte auf Eom. Da sieh die Franzosen unter General Cham-
pionet ohne Widerstand zurückzogen, konnte der König von Neapel am 29. No-
vember in Rom einziehen. Als aber nun Maek den Franzosen, in viele schwache
Kolonnen verzettelt, folgte, kehrte Championet um, warf sieh mit Übermacht auf
die einzelnen Kolonnen und warf sie zurück. Der Rückzug der Neapolitaner
artete bald in regellose Flucht aus. Im befestigten Lager von Capua sammelte
Maek seine Armee wieder. Als aber die Stimmung seiner Truppen und der Be-
völkerung von Neapel immer bedrohlicher wurde, schloß er mit den Franzosen
Anfang Januar 1799 einen längeren Waffenstillstand, sah sieh aber veranlaßt,
vor der darob erbosten Bevölkerung im Lager des feindlichen Generals Schutz
zu suchen. Er wurde als Kriegsgefangener nach Frankreich abgeführt. 1800 ent-
floh er aus Paris, wo er sieh, nach Angabe der Franzosen als Gefangener auf
Ehrenwort, ganz frei bewegen konnte. Nach seiner Rückkehr aus der Gefangen-
schaft blieb er bis zum Jahre 1805 ohne Verwendung.
— 149 —
Um jeden Schein von Ungerechtigkeit und Übelwollen zu ver-
meiden, soll das Charakterbild Macks in den wichtigsten Zügen nur
nach seinen eigenen Taten und Äußerungen und nach Mitteilungen
und Urteilen von Zeitgenossen festgestellt werden. Es soll daher
immer eine Reihe von Charaktereigenschaften angeführt und durch
Beispiele erhärtet werden.
Mack war lebhaften Geistes, von einer krankhaften Ehrsucht
beseelt und von seiner Begabung und Fähigkeit im vollsten Maße
durchdrungen. Da er die Gabe besaß, durch eine glänzende Bered-
samkeit den Mangel positiven, gründlichen Wissens und Könnens
zu verdecken, galt er allen wenig scharfblickenden Zeitgenossen als
ein grundgescheiter, ja genialer Mann — als der „große Denker".
Seine Bedeweise und seine Schriften zeigten das falsche Pathos und
die falsche Begeisterung, die immer in Superlativen schwelgen, und
weil er alles, selbst das Unsinnigste in seinem Größenwahn und
im Glauben an seine Unfehlbarkeit mit verblüffender Sicherheit von
sich gab, waren auch alle oberflächlichen, der Sache nicht auf den
Grund gehenden Zuhörer und Leser, vor allem aber die österreichi-
schen Diplomaten, von der Eichtigkeit der Mackschen Darlegungen
überzeugt und von seiner Genialität entzückt. Unermüdlich am
Schreibtische tätig, schrieb Mack über alles und jedes langatmige,
schwerverständliche und deshalb meist für gediegen und grund-
gelehrt gehaltene Denkschriften.
Oberflächlich, leichtfertig, leichtgläubig und optimistisch,
wußte er mit leeren, hochtönenden Worten und Phrasen über alle
auch tatsächlich vorhandenen Schwierigkeiten, über alle drohenden
Gefahren leicht und glatt hinwegzukommen und die Sache immer
so darzustellen, wie er oder einflußreiche, maßgebende Per-
sonen es wünschten; er war derart von seiner Unfehlbarkeit durch-
drungen, daß er solche willkürlich aufgestellte Darstellungen als
tatsächlich bestehend ansah und von. deren unzweifelhaften Richtig-
keit auch dann noch überzeugt war oder überzeugt schien, wenn die
Ereignisse ihre vollkommene Haltlosigkeit schlagend dargetan
hatten. Seine Leichtfertigkeit brachte es mit sich, daß er alles, was
angeordnet war, ohne Rücksicht auf die oft lange Zeit der Durch-
führung einfach als schon geschehen oder schon existierend annahm
und darauf seine Pläne und Maßnahmen weiter aufbaute.
Die Art seiner Beredsamkeit, die ihm von mancher Seite die
Bezeichnung „Schwätzer" eingetragen hat, wird durch alle folgen-
— 150 —
den Zitate und durch einige wörtlich wiedergegebene Berichte und
Denkschriften vollkommen klar vor Augen geführt werden, ebenso
die ihm eigene falsche Begeisterung.
Minister Thugut schrieb am 24. Februar 1794 an den Minister
Grafen Colloredo:
„Ich hoffe, daß uns Mack mit dieser Gärung und oft wenig
überlegten Leichtfertigkeit der Gedankeu und Entwürfe keine neuen
Schwierigkeiten anstiftet^)."
Leichtfertigkeit war es wohl, was den gewiegten General-
stäbler veranlaßte, im Jahre 1804 ohne Kenntnis der grundlegenden
Angaben über Standesverhältnisse, Kriegsvorräte und Mobilisierungs-
vorsorgen ein bestimmtes Urteil über die Mobilisierung des Heeres
uüd dessen Verwendung abzugeben, und zwar ein Urteil, das dem
des Erzherzogs Karl, dem allein diese Daten zur Verfügung standen,
absichtlich entgegengesetzt lautete. Fürst Schwarzenberg bestätigt,
daß Mack in voller Unkenntnis dieser Daten war, die nur der Erz-
herzog kannte, der aber von der Berufung Macks nichts wußte.
„Oh unerhörter Leichtsinn!" sagte Fürst Schwarzenberg; „konnte man
Mack für schwach oder gar für niederträchtig genug halten, in dem
Augenblicke, wo ihn sein Monareh auffordert, über die wichtigsten
Angelegenheiten des Staates seine Meinung zu äußern, sich durch
persönliche Rücksichten bestechen zu lassen, so mußte man ihn für
einen Elenden halten, der nie dazu geeignet war, in solch einem
Momente befragt zu werden 2)." Fürst Schwarzenberg hat damit
ohne Absicht ein scharfes Urteil über Mack gesprochen. Ein General
durfte sich zu einer derartigen Intrige überhaupt nicht hergeben ;
Mack mußte verlangen, daß der Erzherzog Karl von den Aufträgen,
die Mack erhielt, verständigt werde, damit dieser die zur Abgabe
eines Urteils unbedingt nötigen Daten vom Kriegsministerium er-
halten könne; Mack mußte dann seine begründete Meinung ohne
Rücksicht auf irgend eine Person und deren Wünsche nach bestem
Wissen und Gewissen abgeben. So aber mußte er im Zusammen-
halte mit den Folgen seiner Ratschläge den Vorwurf der Leicht-
fertigkeit tragen.
Erzherzog Karl sagte über Mack: „Weil der Erzherzog sich
bestimmt und unverhohlen einem Bruche mit Frankreich wider-
1) Vivenot, „Vertrauliehe Briefe des Freiherrn v. Thugut", I, S. 80. Minister
Graf Colloredo war der leitende Staatsminister, seine Stellung entsprach also der
eines Ministerpräsidenten. Thugut war Minister des Äußern.
^) Kriegsarehiv, Mem., IX. 247.
— 151 —
setzte, wurden die Anstalten zu dem beschlossenen Kriege dem
General Mack übertragen, dessen Geistesschwäche und Dünkel
nirgends Schwierigkeiten, folglich auch kein Bedürfnis fanden, sich
anzustrengen, um selbe zu überwinden^)."
Seiner Leichtfertigkeit entsprang das Verhalten gegen den
GM. V. Mayer, der ihn auf die Haltlosigkeit seiner Ansichten über
Napoleon aufmerksam gemacht hatte (s. S. 40).
GM. V. Mayer erzählt aber noch weiter:
„Als ich Mack am 25. August zur Festsetzung eines einheit-
lichen Operationsplanes drängte, sagte Mack, indem er mich um-
armte :
,0h mein lieber Freund, wenn wir zwei hinauskommen, so
werden wir es schon gut machen und Erzherzog Karl soll mit
seiner Armee machen was er will.'
„Über diese Erklärung erstaunte ich nicht wenig und mir
wurde vor der Zukunft noch mehr bange, als ich schon alle gute
Hoffnung durch die aufgestellten diplomatischen Grundsätze des
Collenbach und Mack verloren hatte. Ich brachte alle möglichen
Gründe vor, wie notwendig es sei, daß beide Armeen nach einem
gemeinschaftliehen Plane operieren und daß wir uns selbst dadurch
aus aller Verantwortung setzen müssen. Hierauf antwortete Mack:
jFreund, Sie und ich haben das Wort vom Kaiser, daß wir
außer aller Verantwortung bleiben.'
„Ich erwiderte, wenn auch diese Verantwortung nicht be-
stehe, so müssen wir uns gleich bei der Welt außer aller Verantwortung
setzen, denn ich sehe zu gut, wie es gehen wird; allein auch dies
half nichts und seine Schlußrede war:
,Was kümmert uns die Welt?'^)"
Am 27. August war der Befehl ergangen, jede Kompagnie
auf 200 Mann zu bringen; ein Befehl, dessen Durchführung un-
möglich war, weil die Truppen nicht einmal den normalen Kriegs-
stand erreichen konnten. Trotzdem nahm Mack den Befehl einfach
als durchgeführt an und rechnete schon in der Sitzung am
29. August mit diesen fiktiven Ständen. Ja, er rechnete in dieser
Sitzung auch mit dem Anschluß von 18.000 Bayern als einer
sicheren Tatsache.
') Wertheimer, „Erzherzog Karl als Hofkriegsratspräsident", S. 33.
^) Kriegsarehiv, Mem., III, 68.
— 152 —
Nach der Katastrophe von Uhu sagte Mack zu seiner Recht-
fertigung :
„Hat doch Oberst Dedovich schon am 21. September Befehl
erhalten, Ulm gegen Anlauf zu schließen. Er hatte dazu alle erforder-
lichen Mittel und anstatt der 14 Tage, die er verlangte, 18 Tage
ruhiger Arbeit (die Arbeit konnte aber tatsächlich erst am 29. Sep-
tember beginnen und Oberst Dedovich beklagte sich, daß er keine
Arbeiter hatte) und hat geleistet, was er versprochen hat." Alle
Augenzeugen sagen aber übereinstimmend aus, daß Ulm durchaus
nicht gegen den Anlauf genügend geschlossen war.
Ebenso hatte Mack in den letzten kritischen Tagen in fliegender
Hast die Befestigung von Memmingen und Ingolstadt anbefohlen.
Ohne sich um die Durchführbarkeit dieser Befehle weiter zu
kümmern, rechnete er in der B'olge mit der Verteidigungsfähigkeit
dieser nicht einmal armierten, nur ganz flüchtig befestigten Orte.
Er rechtfertigte sich über die mangelhafte Versorgung Ulms
mit Verpflegung:
„Ich hatte dem Landeskomraissär und der Verpflegsdirektion
gleich am Anfang eine so starke Ausschreibung und so schleunige
Einlieferungstermine anbefohlen, und da sollte ich nicht die
moralische Gewißheit haben, daß alsbald für die ganze Armee
ergiebige Vorräte nach Ulm geschafft würden?"
Als Beleg der schwatzhaften und leeren Beredsamkeit Maeks
diene folgendes: Am 21. August richtete Mack an den Kaiser einen
Bericht, worin er erwähnt, er habe eben vom GM. v. Mayer gehört,
daß Erzherzog Ferdinand Nachricht erhalten hätte, Napoleon sei mit
der Küstenarmee aufgebrochen und marschiere eiligst gegen die
Schweiz und Straßburg. Mack fügt dann bei:
„Ich glaube die Nachricht noch nicht, halte sie jedoch für
möglich, ohne im geringsten den Mut dadurch zu verlieren, denn
stärker kann er im ganzen nicht sein, als wir es sein werden, und
es würde nur, wenn er seine Hauptmasse gegen Deutschland zieht,
erforderhch sein, von den nach Italien in Marsch befindlichen
Truppen (wie es füglich geschehen kann) einen Teil nach Deutseh-
land zu dirigieren, alsobald Salzburg, Braunau und andere Pimkte
gut zu verschanzen und sich am Inn oder an der Salza einer Position
zu versichern, nicht um ihn in derselben zu erwarten, sondern wenn
er sich nähert, ihn anzugreifen, wo wir, so Gott will, ihn schlagen
— oder wenn es mißlänge, uns in unsere verschanzte Position zu-
— 153 —
rückziehen — und es neuerdings mit ihm aufnehmen würden. Nur
gehört dazu Eurer Majestät alles beseelende Gegenwart, eine ver-
doppelte Tätigkeit und die möglichst schleunige Überraschung der
Bayern^)."
General Graf Segiir, der von Napoleon einigemal als Parla-
mentär zu Mack nach Ulm geschickt worden war, erzählt in seinen
Memoiren :
„Mack war mit dem Reste seiner Soldaten, deren Zahl er
nicht einmal kannte, ohne Lebensmittel und ohne Eückzug in
Ulm und auf dessen verschanzten Höhen geblieben. Man hörte ihn
ausrufen, er wolle sich hier verteidigen, die Aufmerksamkeit von der
Flucht des Erzherzogs ablenken; daß die Russen vor acht Tagen
ihm zu Hilfe gekommen sein werden und daß dann Napoleon, seiner-
seits zwischen zwei Feuer genommen, gezwungen sein werde, zu
fliehen oder sich zu ergeben. Solcherart war das Gerede Macks,
denn in seinem Elend fehlten ihm trotz des Mangels der
Taten durchaus noch nicht die Worte^)."
Diesen für einen Ohet des Generalstabes gewiß nicht emp-
fehlenswerten Charaktereigenschaften, die alle im Verlaufe der Schil-
derung des Feldzuges noch scharf erkennbar sein werden, gesellten
sich aber noch andere zu.
Intrigant und immer auf den eigenen Vorteil bedacht, scheute
Mack, in dem Streben vorwärts zu kommen, vor keinem Mittel zurück.
Minister Thugut schrieb am 6. September 1798 über Mack an
den Grafen Colloredo :
„Ich danke Euer Exzellenz ergebenst für die Mitteilung des
Briefes von Mack, den ich die Ehre habe, hier rückzusenden. Das
Auftreten eines neuen Schreiers, der in allen Ecken Wiens herum-
intrigiert, ist gewiß eine große Unannehmlichkeit. In Petersburg
würde ein General, dem man bekanntgegeben hätte, der Kaiser
wünsche, daß er sich unverzüglich an diesen oder jenen Bestim-
mungsort begebe, es sich sicherlich nicht habe einfallen lassen, mit
unnützen Wegen Zeit zu verlieren. Übrigens wird es immer von
Seiner Majestät abhängen, ihm ernsthaft zu sagen, er verlange, daß
er sich unverzüglich nach Neapel begebe und nicht warte, bis
Neapel vielleicht zu gründe gegangen sei, während er in Wien
1) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, VIIJ, 20V2-
2) Segur, „De 1800 :i 1812. Un aide de eaiiip de Napoleon", S. 174.
— 154 —
schwätzt. Aber wenn wir von der Güte Seiner Majestät nicht erreichen
können, daß er sich entsinnt, daß er der Herr ist, und wenn das Über-
maß der ünfolgsamkeit und Unordnung täglich wächst, dann gibt es
nichts mehr zu sagen und nichts würde uns retten können^)."
Wie Mack sich an der Intrige gegen den Erzherzog Karl be-
teiligt hat, ist in großen Zügen schon erwähnt worden ; es soll nur
noch beigefügt werden, daß Mack während dieser Zeit wiederholt
mit dem Minister Cobenzl insgeheim konferierte und, um von den
Anhängern des Erzherzogs Karl nicht gesehen zu werden, in
schlechten Kleidern und heimlich durch die Basteiplbrte der Staats-
kanzlei zum Minister kam ^).
Erzherzog Karl setzte bekanntlich der Ernennung Macks zum
Generalquartiermeister den nachhaltigsten Widerstand entgegen. Es
kam zwischen dem Erzherzog und Mack zu einem heftigen per-
sönlichen Zusammenstoß, weil Erzherzog Karl ihn als einen Intri-
ganten bezeichnet hatte, der ohne sein Wissen nach Wien ge-
kommen sei und gegen seine Person arbeite. Mack, der des Kaisers
schon sicher war, sandte dem Erzherzog als Antwort sein Gesuch
um Entlassung aus dem kaiserlichen Dienst. Dann ging er aber
zum Kaiser, bat ihn wegen des Auftrittes mit Erzherzog Karl um
Verzeihung und verstand es, den etwas verstimmten Kaiser wieder
ganz für sich zu gewinnen. Der Kaiser schrieb darauf an Erzherzog
Karl, er möge das Gesuch dem FML. Mack mit einigen gnädigen
Worten zurücksenden, er benötige diesen Mann. Erzherzog Karl,
der das Spiel durchschaute, sandte das Gesuch dem FML. Mack mit
den düiTen Worten zurück, daß er es nicht für nötig gehalten, das
Gesuch dem Kaiser vorzulegen. Am nächsten Tage dankte Mack
dafür schriftlich; nur die Besorgnis, mit der Ungnade und Ver-
achtung des Erzherzogs belastet zu sein, habe ihn zu dem Ent-
schlüsse bringen können, den er vor einigen Tagen „mit zitternder
Hand und blutendem Herzen" niedergeschrieben^).
^) Yivenot, „Vertrauliehe Briefe des Freiherrn von Thiigiit". 11, S. 119.
^) Foiirnier, „Gentz und Cobenzl", S. 157.
Gentz sehrieb am 6. Juli 1805 an den Historiker Johannes v. Müller:
„. . . Genug, nehmen Sie es vorderhand als Tatsache hin, es ist Cobenzl, dem
wir es zu verdanken haben, daß Mack jetzt an der Spitze des Militärwesens
steht Maek hat jetzt offenbar das Heft in der Hand und wird es, da er
äußerst vorsichtig zu Werke geht und mit dem Kaiser und allen Ministern gut
steht, wahrscheinlich lange behalten."
*) Wertheimer, „Geschichte Österreichs und Ungarns etc.", S. 233.
— 155 —
Der Kaiser drängte den Erzherzog, in die Ernennung Macks
zu willigen ; er versicherte ihn seiner vollsten Unterstützung, wenn
Mack es wagen sollte, ihm gegenüber die Sehranken seines Wir-
kungskreises zu überschreiten. Endlich gab der Erzherzog nach. Das
Handbillett des Kaisers an Mack schloß mit den charakteristischen
Worten: „Sie werden alle Ihre Aufmerksamkeit dahin richten, alles
zu vermeiden, was dem Erzherzog Anlaß zur Unzufriedenheit gegen
Sie geben und Mich in den unangenehmen Fall setzen könnte, Sie
von dem ehrenvollen Posten, auf welchen Sie nur durch mein Zu-
trauen berufen sind, wieder zu entfernen^)."
Einmal Generalquartiermeister, arbeitete Mack systematisch
daran, sich zum alleinigen unmittelbaren Ratgeber des Kaisers zu
machen, hiezu vor allem den Einfluß des Erzherzogs Karl ganz zu
beseitigen und sich an dessen Stelle den maßgebenden Einfluß auf
alle militärischen Angelegenheiten zu verschaffen. Am 15. August
legte Mack dem Kaiser Vorschläge vor, die diese Absicht verwirk-
lichen sollten. Diese Vorschläge, die Mack in Form einer Skizze zu-
sammengestellt hatte, lauteten :
„1. Bitte an Seine Majestät, von nun an die Oberdirektion aller
Armeesachen selbst zu übernehmen, besonders da Seine Majestät
schon längstens in der Konferenz erklärt haben, daß Sie solche im
Kriege selbst führen würden, und nichts natürlicher sowie nichts
notwendiger sein kann, als daß Seine Majestät in allen wichtigen
Kriegsvorbereitungen wesentlichen Einfluß nehmen.
„2. Seine kaiserliche Hoheit den Erzherzog Karl nunmehr pro-
visorisch vom Kriegsministerium zu entheben, damit er sich aus-
schließlich den wichtigen Geschäften der Armee widmen könne.
Den PML. Erzherzog Ferdinand mit jenen der deutschen Armee
zu beauftragen. Beide hätten sich in allen ihre Armee betreffenden
Berichten oder Anfragen unmittelbar an Seine Majestät zu ver-
wenden, von AUerhöchstdemselben die Erledigung darüber zu er-
halten, und so würden auch Seine Majestät in allen die Armee be-
treffenden Gegenständen, insoweit sie von höherer Wichtigkeit sind,
Ihre Befehle und Anordnungen selbst an Ihren Hofkriegsrat und
andere Hofstellen erlassen.
„3. Das provisorische Kriegsministerium dem PM. Collo-
redo (welchen Seine Majestät vielleicht zum Staats- und Kon-
'j Fournier, „(rentz und Cobenzl", S. 158.
— 156 —
ferenzminister zu ernennen geneigt sein würden) zu übertragen und
ihm den FML. Diedtmann und Obstlt. Pensquens beizugeben.
„4. Daß Seine Majestät geruhten, mich zum Generalquartier-
meister bei Ihrer Allerhöchsten Person zu ernennen und die anderen
Generalquartiermeister an mich anzuweisen.
„5. Daß Seine Majestät die Gnade hätten, mir die Stunde zu
bestimmen, wo ich von nun an täglich meine Berichte und Expe-
ditionen Allerhöchstdenenselben unterlegen und mich für jene des
folgenden Tages um Ihre Befehle anfragen könnte.
„6. Ob Seine Majestät zu befehlen geruhen, daß ich die Hand-
billetts, die zu obiger Einleitung nötig wären, entwerfen soll?
„7. Daß Seine Majestät die Einrückung in Bayern gleich in
den ersten Tagen des September zu veranlassen geruhen möchten, damit
die Einverleibung der bayrischen Armee keiner Gefahr ausgesetzt
werden möge."
Punkt 8 bespricht das vorzunehmende Avancement in der Ge-
neralität und Punkt 9 den Wunsch des Erzherzogs Johann, das
Kommando über das Korps bei Trient, die beiden Korps der Mitte
und die ganze Tiroler Landesbewaffnung zu erhalten, woran Mack die
Bemerkung anschließt : „Wenn Seine Majestät diesem Wunsche will-
fahren, so wäre es gut, wenn Allerhöchstdieselben vorläufig gegen
den Erzherzog Karl einige Worte darüber, als über eine heilsame
Sache, fallen lassen möchten^)."
Minister Thugut schrieb am 8. September 1798 an Grafen
Colloredo :
„Baptiste^) hat mir einige vertrauliche Mitteilungen gemacht,
die mich über den Beweggrund des großen Jammergeschreies auf-
klärten, das Mack erhebt, weil er nach Neapel gehen soll; er hat
Baptiste durchblicken lassen, er würde gerne ein Landgut in Un-
garn erlangen und er bildet sich ein, daß Ihre Majestät die Kaiserin
ihm dazu verhelfen werde'). Das ist fürwahr widerlich zu sehen,
mit welcher Gier jeder die Güte Seiner Majestät zu mißbrauchen
hofft und sich alles, was nur möglich, anzueignen sucht, ohne Rück-
sicht auf die äußerste Notlage des Staates ! Übrigens hat Seine
Majestät Mack gegenüber durchblicken lassen, er könne hoffen, daß
^) Angeli, „Ulm und Austerlitz", Mitteilungen des k. u. k. Kriegsarehivs,
I. Jahrgang, S. 444.
^) Der neapolitanische Gesandte in Wien.
^) Die Kaiserin war die Tochter der Königin von Neapel.
— 157 —
ihm am Ende des Krieges das gezahlt werden würde, was ihm nach
seiner Behauptung noch für sein Landgut in Böhmen geschuldet
wird und dies müßte ihm mehr als genug sein. Aber das ist eine
der schönen Errungenschaften unserer Zeit, in der man sich all-
mählich jedes Schamgefühls entledigte, daß man Belohnungen fordert,
bevor man Dienste geleistet hat. Dies ist immer das Sicherste;
denn nachher — macht man, was man will .... Es ist leicht
möglich, daß sich Mack schon morgen in Baden zeigt, um Seine
Majestät zu belästigen"^).
Charakteristisch für Mack ist, daß er in einem Sehreiben vom
9. September 1798 vor seiner Abreise nach Neapel vom Kaiser
unter Berufung auf frühere Verdienste das Kommandeurkreuz des
Maria-Theresien- Ordens verlangte, „weil in Neapel sehr wohl be-
kannt wäre, daß viele Generale von meinem Range und selbst Ge-
neralmajore in Eurer Majestät Armee den Kommandeurorden be-
sitzen, welches natürlicherweise bei den dortigen Generalen und
Offizieren die Betrachtung : warum ist denn dieser höhere Ordens-
grad nicht auch ihm zu teil geworden? erzeugen und das mir nötige
Zutrauen in manchen Gemütern schwächen würde". Wie wenig der
Verlauf dieses Feldzuges die Forderungen Macks nach einem Gut
und Orden gerechtfertigt hat, ist ja bekannt.
In dem Berichte vom 21. August 1805 an Jen Kaiser, der teil-
weise auf S. 145 und 152 zitiert ist, bringt Mack sich selbst zur Be-
förderung in Antrag, will also wieder vor der Leistung belohnt sein:
er schreibt: „Von meiner Person würde ich gewiß nicht wagen,
hier Erwähnung zu machen, wenn nicht Graf Oobenzl^j. welcher
mich mit gütigem Vertrauen beehrt, mich dazu mit der bestimmten
Erklärung aufgemuntert hätte, daß er nicht aufhören werde. Eure
Majestät um meine Beförderung zu bitten. Ich kann Eurer Majestät
hierüber nur meine ehrerbietigste Versicherung wiederholen, daß ich,
so schmeichelhaft außerdem diese allerhöchste Gnade für mich sein
würde, höchst betrübt darüber sein müßte, wenn Lamberti nicht
mit mir befördert werden sollte, der einer der ältesten Feld-
marschalleutnants ist, und ein Generaladjutant Eurer Majestät, wenn
er auch nicht öflfeutlich erscheint, im Stillen viele gute Dienste
leisten kann."
1) Vivenot, II, S. 119.
-) Der Minister des Äußern.
— 158 —
So merkwürdig ein solcher Antrag an und für sich ist, so
gewinnt er noch an Interesse, wenn man die Ernennungsvorschläge
Macks mit dem Schematismus von 1805 vergleicht.
Maek war 1805 dem ßange nach der 63. Feldmarschall-
leutnant; 31 seiner Vordermänner waren angestellt, 31 waren un-
an gestellt.
Mack beantragte die Beförderung des Hofkriegsratspräsidenten
PZM. Grafen Latour zum Feldmarschall ; dann die Beförderung der
FML. Graf Lamberti (Generaladjutant des Kaisers), Fürst Auers-
perg (Kapitän der Arcierenleibgarde), Karl Prinz von Lothringen
(kommandierender General in Lemberg) und Fürst v. Ligne (un-
angestellt), alle rangälter als Mack; weiter aber auch die Beförde-
rung des FML. Fürsten Licbtenstein, der sein zweiter Hintermann,
und des FML. Fürsten v. Schwarzenberg, Vizepräsidenten des Hofkriegs-
rates, der gar der 83. Feldmarschalleutnant war. Man erkennt wohl,
daß er nur hochfürstliche und sehr einflußreiche Personen vorschlug:
Latour sollte den Antrag unterstützen, Lamberti sollte ihm Vorspann-
dienst leisten. Lichtenstein und Schwarzenberg sollten ihn schieben.
Das war aber selbst dem guten Kaiser Franz offenbar zu viel : er
beförderte außer dem zum Armeekommandanten ausersehenen Erz-
herzog Ferdinand niemand.
Der Verlauf des Feldzuges 1805 hat auch diesmal die Zurück-
haltung gerechtfertigt.
FML. Freiherr v. Abele, der den Feldzug von Ulm als Major
des Generalquartiermeisterstabes im Armeekoramando mitgemacht
hat, erzählt folgenden Vorfall:
,. Einige Tage vor dem Abgehen des Erzherzogs (von Ulm)
ließ mich FML. Gyulai rufen und teilte mir mit, daß ich im Auf-
trage Macks mich in die Wohnung des Erzherzogs zu verfügen und
mich daselbst immer aufzuhalten habe. Ich sollte mich beim Erz-
herzog melden, daß ich dazu bestimmt sei, zwischen letzterem und
Mack eine mündliche Korrespondenz zu unterhalten, mit einem
Worte, ich sollte alles, was Mack vom Erzherzog zu wissen wünsche,
diesem mitteilen und des Erzherzogs Antwort hierauf wieder Mack
überbringen. Bei dem Umstände, als die Uneinigkeit und das Zer-
würfnis zwischen Mack und dem Erzherzog schon den höchsten
Grad erreicht hatten, schien der mir erteilte Auftrag mehr einer
Spionage gleichzukommen, denn auch in den Augen anderer schien
es, als ginge der mir gegebene Befehl außerdem auch dahin, alles
— 159 —
andere noch, was in des Erzherzogs Haus vorging, zu beobachten
und Macii: zu hinterbringen. Ein so unseliger Auftrag konnte mii-
nicht anders als höchst unangenehm sein und verletzte mein Ehr-
gefühl, da man mir leicht zumuten konnte, daß ich mich zum Spion
Macks hergegeben hatte. Um mich doch wenigstens halbwegs mit
Ehren herauszuziehen, schien es mir, ohne mich dem Befehle zu
widersetzen, das beste, mich nicht in der Wohnung des Erzherzogs
aufzuhalten. Ich l)egab mich daher zum Erzherzog, meldete mich bei
seinem ersten Adjutanten, Obersten Bianchi, teilte diesem den Zweck
meiner Sendung mit und ersuchte ihn, dem Erzherzog anzuzeigen,
daß ich mich nicht in seiner Wohnung, sondern in einem nahe-
liegenden Hause aufhalten und dann nur zum Erzherzog kommen
würde, wenn er mich zu sprechen wünsche. So geschah es denn
auchi)."
Gegen alle einflußreichen Personen war Maek je nach deren
Stellung voll grob - schmeichelnder Ergebenheit, von überfließend
zärtlicher oder von herablassender, oft aufdringlicher und würdeloser
Freundschaft. Er war einer der Charaktere, die jedem mit innigsten
Freundschaftsbezeigungen entgegenkommen, jeden mit ausgebreiteten
Armen empfangen und vielleicht gar umarmen — einer der Charak-
tere, vor denen man besonders auf der Hut sein muß. Wenn es aber
eine solche liebenswürdig empfangene Person wagte, anderer An-
sicht zu sein als er, dann kannte sein Grimm und sein Haß keine
Grenzen, dann schonte er auch das Interesse der Armee und des
Staates nicht, um den anderen zu demütigen.
Es wurde bereits erwähnt, wie Mack den GM. v. Mayer in
Wien mit überschwenglicher Freundschaft empfing und bei der ersten
Meinungsdiflferenz sofort sein Verhalten änderte ^).
Als GM. V. Mayer zur Armee in Bayern einrückte, beschwor
er Mack, der ihn abermals freudigst umarmte, auf Geheiß des Erz-
herzogs Ferdinand, die Truppe nicht an die Hier zu hetzen, sondern
mit der Armee am Lech stehen zu bleiben. Sie kamen dabei beide
so in Hitze, daß sie in Unfrieden schieden. GM. v. Mayer ging zur
Ausführung eines Auftrages nach Tirol. Als der Kaiser Mitte Sep-
^) Aus der Biographie des FML. Franz Abele Freilierrn von und zu Lilien-
berg. Generalstabshauptmann Franz Freiherr v. Abele stellte die von seinem
Großvater selbst eindiktierte Biogi'aphie dem Verfasser zur Verfügung.
2) S. 41.
— 160 —
*
tember nach Landsberg kam, verlangte Mack in einer Konferenz die
sofortige Enthebung Mayers vom Posten des Generalquartiermeisters.
Obwohl Erzherzog Ferdinand für Majer eintrat, stellte Mack die
Alternative, er oder Maver. Der Kaiser wollte Mayer zum General-
quartiermeister beim Erzherzog Johann in Tirol macheu. Mack blieb
bei seiner Weigerung; er könne Mayer überhaupt nicht bei der
Armee dulden. Der Kaiser soll — nach Angabe Mayers — endlich
eingewilligt haben, mit der Motivierung, daß „die Engländer als eine
Bedingnis den Mack verlaugt haben"; da er aber Mayer absolut nicht
kränken wolle, so müsse dieser als Brigadier bei der Armee bleiben.
Mack schreibt selbst in seiner Rechtfertigung des Feldzuges
1805:
„Vorher hatte ich an eben diesen Bianehi^) stets die freund-
schaftlichsten, vertraulichsten und beinahe kriechenden Bitten ver-
schwendet, daß er doch seinen Einfluß bei Seiner königlichen Hoheit
dahin verwenden möge, mir. weil ich ausschließlich verantworten
sollte, auch ausschließlich ihr aufrichtig gnädiges Vertrauen zu
schenken."
Er erzählt auch selbst, daß er mit FML. Gyulai und FML.
Fürsten Schwarzenberg in heftigen Streit geriet, als sie ihn in Ulm
von der Idee des Eückzuges Napoleons abbringen wollten. Noch
öfters läßt sich in den Akten dieselbe Erscheinung verfolgen: Mack
ist gegen jeden höchst liebenswürdig und übertrieben freundlich, bis
es einem einfällt, ihn von irgend einer Leichtfertigkeit a])bringen
zu wollen, worauf er heftig und übelwollend wird.
In solchen Momenten grenzte das Verhalten Maeks hart an
das Krankhafte. FML. Franz Freiherr v. Abele erzählt:
„Am 10. Oktober verfügte ich mich bei Tagesanbruch zu
unseren Vorposten, die zum Teil auch auf dem Ulm beherrschenden
und allenthalben freie Aussicht gewährenden Galgenberg standen,
um mich von da aus womöglich über die Stellung der Franzosen
zu unterrichten. Ich sah deutlich des Feindes Vorposten, auch ein-
zelne seiner größeren Truppenabteilungen.
„Nach allem was ich wahrsfenommen hatte, herrschte, wenisr-
stens bei mir. kein Zweifel mehr : wir waren zwar noch nicht, doch
konnten wir in wenigen Tagen vollkommen eingeschlossen werden.
„Sogleich begal) ich mich zu Mack und erstattete ihm von
den gemachten Wahrnehmungen ausführlichen Bericht; gleichzeitig
^) Oberst Bianehi, Generaladjutant des Erzherzogs Ferdinand.
— 161 —
sprach ich mich wiederholt dahin aus, daß es das beste wäre, mit
der Armee, die doch noch 20.000 Mann stark sei, Ulm zu verlassen
und sich beizeiten vereint mit dem Korps des PML. Jeliachich
auf Tirol zurückzuziehen. Mack hörte mich anfänglich gelassen an,
aber plötzlich fuhr er mich heftig mit den Worten an: ,Sie werden
mir bei schwerer Verantwortung beweisen, daß noch 20.000 Mann
da sind.'
„Damit bewies Mack seine vollständige Unkenntnis über die
Stärke seiner ihm unterstehenden Armee ; vielleicht schlug er sie
höher an, als ich dies im Eingange meines Vorschlages bemerkte.
Seine Aufregung steigerte sich über diese Enttäuschung derart, daß
ich besorgte, Mack sei gar wahnsinnig geworden. Er schrie, lärmte
und gebärdete sich überhaupt in einer Art, daß man nicht anders
vermuten konnte, als er habe den Verstand verloren. In seiner Auf-
regung drohte er auf mich zuschreitend einzudringen, und da ich
eine Tätlichkeit von seiner Seite befürchtete, wich ich gegen die Tür
zurück, in der Absieht, mich zu entfernen. Er verfolgte mich aber
sogar auch dahin, stellte sich vor die Tür und verwehrte mir den
Ausgang. Doch mit einem Male ward er ruhig, sein erregtes Wesen
legte sich und nach einer Pause der Ruhe und des Stillschweigens
sagte er in ruhigem, ja sogar teilnehmendem Tone zu mir: ,Der j ^
arme Napoleon'. Der plötzliche Umschwung seiner Gemütsstimmung ' (i.i
und seines Benehmens sowie die mir unverständliche Äußerung be- !
züglieh Napoleons überraschten mich so sehr, daß ich unwillkürlich i
ausrief: ,Was ist mit Napoleon?' Mack erwiderte mir:
„In ganz Frankreich ist die Eevolution wider Napoleon, die
preußische Armee operiert nur zwei Meilen im Rücken der französi-
schen ; dieser Tage stoßen die Russen zu uns und dann ist Napoleon |
verloren.' i
„Über diese beinahe wahnwitzige Rede Macks stand mir, wie
man zu sagen pflegt, der Verstand stille. Ich wußte nicht, was ich
davon halten solle und erwiderte Mack darauf: ,Gott gebe, daß es
wahr sei!"^)" j
^) Aus der Biographie des FML. Franz Preiherrn Abele von und zu
Lilien berg.
Die angeführte Erinnerung muß sieh aber auf den 14. oder 15. Oktober
beziehen. Am 10. Oktober standen keine Franzosen vor Ulm und das Korps
Jeliachich befand sich noch in Ulm. Auch die Nachrichten von der Revolution
in Frankreich erhielt Mack erst am 14. Oktober.
Krauss. 1805, Der Feldziig vou Ulm. 11
— 162 —
Fühlte Mack sich einmal seines Einflusses auf hohe Personen,
wie z. B. auf den Kaiser sicher, dann scheute er sich nicht, aller
Welt deutlich zu zeigen, daß er den Kaiser beherrsche, dann stellte
er, das Ansehen selbst seines Kaisers nicht schonend, ostentativ
seinen Willen, seine Befehle als den Willen und die Befehle des
Kaisers hin, indem er einfach im Namen des Kaisers befahl, sicher,
daß es seinem Einflüsse gelingen werde, den Monarchen nachträglich
zur Deckung seines eigenmächtigen Vorgehens zu bringen. Im Ver-
trauen auf seinen Einfluß auf den Kaiser wurde er auch gegen hoch-
stehende Personen unbotmäßig und überhebend.
Er scheute es nicht, sich selbst auf Kosten Österreichs die
Gunst ausländischer Personen und Monarehen zu erwerben, um dann
deren Einfluß für seine Zwecke auszunützen.
So schrieb Thugut am 13. März 1794 an CoUoredo:
„ Diese Korrespondenz zwischen Mack und Möllendorf,
die miteinander die Darlegungen vereinbaren, die Mack Seiner
Majestät macht, und die Schliche, die gleichzeitig Lucchesini seiner-
seits anwenden soll — die Herren de Wallis und de Ferraris —
die anderen Persönlichkeiten, die man leicht erraten kann, die den
preußischen Gesandten anflehen, den Kaiser gegen dessen Willen
zu führen, um ihn dem Willen des Berliner Hofes Untertan zu
machen. . . . ^)."
Im Sommer 1794 versuchten die Engländer den Prinzen von
Sachsen-Koburg vom Oberkommando der österreichischen Armee zu
verdrängen, um eine ihnen genehme Persönlichkeit an der Spitze
der Armee zu sehen. Um dies zu erreichen, wünschten sie den
jungen Erzherzog Karl als Armeekommandanten, gegen den früher
(im Jahre 1793) gerade das englische Kabinett protestiert hatte. Da
der junge Armeekommandant aber einen erfahrenen älteren General
an seiner Seite brauchte, wurde von österreichischer Seite General
Olerfayt vorgeschlagen : doch ließen die Engländer wissen, daß dies
nicht der von ihnen gewünschte Mann sei, obwohl sie vorher sehr
viel Vertrauen zu dessen Begabung an den Tag gelegt hatten.
Thugut, der die Unterhandlungen führte, schreibt darüber
weiter am 13. August 1794 an Colloredo :
„Ich habe mich wohl gehütet, das Thema weiterzuführen, doch
könnte ich schon jetzt wetten, daß die Engländer, wenn wir auf die
1) Vivenot, I, S. 82. FM. Graf Möllendorf war 1794 Kommandant der
preußischen Armee am Ehein, Lucchesini preußischer Gesandter in Wien.
— 163 —
Unterredung zurückkommen, sicherlich erklären, man möge ihnen
Mack wieder geben. In all dem erkenne ich mit Sicherheit das
meisterhaft gesponnene Gewebe dieser allmächtigen Liga und ver-
stehe jetzt mehrere Bemerkungen Fischers, dessen Hersendung sicht-
lich mit demselben Plan wie dem Seiner königlichen Hoheit in Zusammen-
hang stand. Es sollte die Annahme der Pläne Preußens von Seiner
Majestät erreicht werden, die seinerzeit von Mack nach den Ideen
Malmesburys ausgeheckt worden waren.
„Ich muß zugeben, daß dies alles sehr geschickt erdacht ist und
verstehe ebensogut, daß es den fremden Höfen sehr nützlich wäre,
wenn die Interessen Seiner Majestät Leuten anvertraut würden, deren
man völlig sieher ist und die man sich enge verbunden hat^);"
weiter am 11. August 1794:
„...Da der Wechsel im Oberkommando wieder in Frage
steht, ereignete sieh das, was ich erwartete, d. h., daß die Eng-
länder deutlich Mack für die Führung unter dem Erzherzog in
jedem Falle mit dem General Browne bezeichneten...^),'*
und am 21. August 1796:
„...Es ist gewiß, wie Euer Exzellenz es bemerken, daß Mack
keine 24 Stunden mit Bellegarde leben könnte und dies unbedingt
ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Bezüglich des sittlichen Wertes
glaube ich, daß Mack und Lindenau zum mindesten sich die Wage
halten und das gleiche Maß an Vertrauen verdienen, und ich würde
den zweiten noch aus dem Grunde für vorziehenswert halten, daß
es zum mindesten nicht sehr wahrscheinlich ist, Lindenau verriete
uns an Preußen, das er so schwer verletzt hat, während Mack mit
Leib und Seele den Preußen ergeben ist und keinen anderen Abgott
hat als sein teures Preußen. Geruhen Eure Exzellenz sieh der Eänke
Macks mit Möllendorf zu erinnern, dem er, man kann es sagen, den
Feldzugsplan verriet, mit dessen Durchführung ihn Seine Majestät
im Frühjahr 1794 beauftragt hatte. Geruhen Eure Exzellenz sich
der unerhörten Art zu entsinnen, in der Mack gegen die Befehle
Seiner Majestät in England pflichtwidrig handelte; seiner Bänke
mit Lord Malmesbury; der entehrenden Abreise, zu der er die
Kühnheit hatte. Seine königliche Hoheit zu bewegen, indem er ihn
bewog, mit Extrapost nach Wien zu reisen, um Seine Majestät zu
1) Vivenot, L S. 121.
2) Vivenot, I, S. 123.
11*
— 164 —
überreden, sich in die Fallen zu stürzen, die ihm die Preui3en
stellten u. s. w. Ich Ijin sieher, daß in Überlegung dieser Tatsachen
Eure Exzellenz wie ich denken werden, daß es unmöglich ist. daß
es nach derlei Taten je in Frage kommen könne, sich Maeks zu be-
dienen, und noch weniger, ihn je in die Nähe Seiner königlichen
Hoheit zu stellen. Es entgeht keineswegs der Klugheit Eurer Ex-
zellenz, wie gefährlich es ist, Personen von so hohem Eang an
Menschen von solcher Verderbtheit auszuliefern. Es gibt kaum
Talente, die so bedeutende Charakterfehler ausgleichen könnten, ob-
gleich ich nach dem von Mack erteilten Rat, Landrecy zu belagern,
und nach der Schlacht vom 18. Mai sogar weit davon entfernt bin,
eine besondere ]Meinung von dessen Führertalenten zu haben ^)."
Die Engländer hatten ihn denn auch 1796 für das Ober-
kommando der portugiesischen Armee vorgeschlagen und die
Übertragung des Kommandos der neapolitanischen Armee 1798 an
Mack erfolgte nicht ohne Zutun der englischen Regierung.
Nach diesen Beispielen aus früherer Zeit wü-d man den Ver-
lauf der Verhandlungen mit dem russischen General Wintzingerode
besser verstehen.
Nach den Aufzeichnungen des GM. v. Mayer herrschte 1805
in Wien die Meinung vor, daß Collenbach und Mack die Haupt-
triebtedern des Krieges im Interesse Englands seien, und man fügte,
sagt GM. V. Player, wie gewöhnlich auch den Verdacht der Be-
stechung hinzu. Über diesem Verda'cht, durch Geld bestochen zu
sein, steht nun Mack allerdings erhaben da — aber die Engländer
haben ihn doch für sich und ihre Interessen gewonnen, indem sie
ihn in seine führende Stellung brachten.
Oberst Graf Neipperg sagt über Mack:
„Mack hatte sich in untergeordneten Verhältnissen einen ver-
dienten Ruf erworben, welcher selbst seinen kläglichen Feldzug
in Neapel und seine Katastrophe in Capua überlebte. Der englische
Einfluß und die Partei, welche den Krieg wollte, haben ihn aus
seiner Zm-ückgezogenheit herausgerissen und brachten ihn an das
militärische Ruder ^)."
Den Engländern war es natürlich ganz gleichgültig, ob Mack
ein guter oder schlechter Heerführer war, wenn er nur Österreich
1) Yivenot, I, S. 330.
2j Kriegsaiehiv, 1805, Deutsehland FA, XUl, 46.
— 165 —
in den Krieg- trieb, dadurch Napoleon von der Küste entfernte und
von seinem Landungsprojekt abbrachte.
Erzherzog Karl schrieb am 6. September 1806 an den
Kaiser ^) :
„...Euer Majestät erlauben mir, bei der Entscheidung dieser
Angelegenheit mich jedes Gutachtens zu enthalten. Nachdem im
Herbste verflossenen Jahres der hier anwesende englische Gesandte
geschrieben, daß FML. Mack durch meine Abneigung gegen ihn in
seinen Operationen und Entwürfen gehemmt sei; nachdem das eng-
lische Ministerium diesen Brief zur Kenntnis des europäischen
Publikums gebracht hat, so glaube ich vor den Augen Eurer
Majestät und der Welt meine vollkommene Unparteihchkeit nicht
besser zu rechtfertigen, als indem ich Euer Majestät bitte, durch
wen immer sich ein Gutachten abstatten zu lassen..."
Mack war von einer geradezu unverwüstlichen Unverfrorenheit
und Unempfindlichkeit gegen Mißerfolge ; kein Mißerfolg konnte ihm
die Augen über seine Unfähigkeit öffnen, nie legte er selbst einen
strengeren Maßstab an seine eigenen Leistungen und Fehler. Wenn
die Armee und der Staat auch in Gefahr kamen, durch ihn zu gründe
gerichtet zu werden, so mußte nach seiner Meinung doch alles gut
sein, was er machte. Immer versuchte er mit der größten Ungeniert-
heit alle Schuld an seinen Mißerfolgen anderen Personen aufzu-
halsen.
Der Feldzug Macks in Neapel hatte bekanntlich einen jämmer-
lichen Ausgang genommen; die etwa 38.000 Mann starke neapoli-
tanische Armee wurde von den 15.000 Franzosen Ohampionets in
kurzer Zeit in alle Winde zersprengt. Dieses Ende wirkte um so
überraschender, als Mack vorher die neapolitanische Armee als
schön und gut bezeichnet und in bombastischen Worten einen guten
Ausgang verkündet hatte. Nach dem Debacle gab er allem die
Schuld am Mißerfolge, den schlechten Generalen, der Feigheit der
Armee, der Yerräterei der Neapolitaner — nur Mack allein sollte
kein Vorwurf treffen, obwohl er die Armee, die er nicht kannte, in
viele weitgetrennte Kolonnen zersplittert hatte, anstatt sie zusammen-
zuhalten.
^) Es handelte sieh da um ein Gutachten über die Armeeführung Maeks,
das von Erzherzog Karl für die kriegsgerichtliche Untersuchung wider FML. Mack
abverlangt worden war.
— 166 —
Trotz diesem ausgesprochenen Mißerfolge wagte er es doch
1805 wieder, sich in eine führende Stellung zu drängen. Nach dem
Peldzuge von Ulm lag die Schuld des Mißerfolges natürlich wieder
nur an den anderen. General Graf Segur erzählt in seinen Memoiren
über eine Begegnung mit Mack im Vorzimmer Napoleons im Kloster
von Elchingen: „Als Mack aus dem Zimmer des Kaisers kam und
mich bemerkte, rief er aus: ,Es ist grausam, entehrt zu sein in
der Meinung so vieler tapferer Offiziere. Ich habe übrigens meine
geschriebene und unterzeichnete Ansieht in der Tasche, nach der
ich mich dagegen gewehrt habe, daß man meine Armee zersplitterte :
aber ich habe sie nicht kommandiert, der Erzherzog Ferdinand
war da.'^)"
Bei der Abreise Macks von Ulm am 21. Oktober begleiteten
ihn alle Generale und sein Stab zum Wagen. Mack verabschiedete
sich mit den Worten : ,.Ich habe die österreichische Monarchie ge-
rettet und begebe mich nun zu Seiner Majestät nach Wien-).''
Auch lange nach dem Feldzuge von Ulm fehlte Mack noch
jede Selbsterkenntnis.
Nach Yerhängung der kriegsgerichtlichen Untersuchung schrieb
Mack an Kaiser Franz:
„Die einzige Gnade, die ich von Eurer Majestät noch zu bitten
wage, ist ein Kriegsgericht, vor welchem ich meinen Anklägern
antworten und zugleich mich selbst über Rücksichten, Schonungen,
Unentschlossenheit etc., wozu ich mich gegen die Überzeugung
meines Gewissens vor und seit dem Ausbruche des Krieges durch
hohen Eang und hohe Geburt verleiten ließ, anklagen werde. Aber
auch die Personen, welchen ich oft meine Überzeugungen opferte,
so groß und erhaben sie sind, werde ich anklagen: wie der eine
schon vor Ausbruch des Krieges das Unglück der Armee in
Deutschland gründete, der andere seit dem Ausbruche des Krieges
förderte.
„Ich werde, ich will das Opfer meiner Anklagen sein, denn
nach allem, was vorgefallen, kann das Leben keinen Wert für mich
haben, und ich kann wenigstens hoffen, Euer Majestät und Ihre
Monarchie endlich und vielleicht noch in rechter Zeit vor den
schrecklichen, immer mehr um sich greifenden Folgen zu retten,
0 Segur, ,.De 1800 ä 1812. Un aide de eauip de Napoleon". S. 211.
■^) Biographie des FML. Franz Freiherrn Abele von und zu Lilienberg.
— IGT —
die Ihre Eächsten Verwandten hervorgebracht halben und immer mehr
und mehr hervorzubringen fortfahreu werden^)."
Mack behauptete am 16. November 1806, daß er in der letzten
Sitzung vor seinem Abgange zur Armee (29. August) die Aufstellung
eines Intermediärkorps von 6 Infanterie- und 2 Kavallerieregimentern
in Brixen für die k. k. Armee in Deutschland vorgeschlagen habe,
was aber verworfen wurde. Erzherzog Ferdinand und GM. v. Mayer
sagen aber beide übereinstimmend aus, daß dieser Vorschlag, d. h.
die Verstärkung der Armee in Deutschland von ihnen ausging, die
Zustimmung Erzherzog Karls und EML. Zachs fand, aber von Mack
heftig bekämpft worden war. Mack begründete dies nach Angabe
des Erzherzogs Ferdinand damit, daß Napoleon höchstens 70.000
Mann gegen uns anrücken lassen könne, da er 30.000 — 40.000
Mann an den Küsten, 20.000 bei Paris lassen müsse, seine Armee
schon 20.000 Kranke zähle, er Holland und Hannover besetzt halten
und auch Verstärkungen nach Italien senden müsse ^).
Mack war es auch, der die bereits nach Deutschland dirigierten
Eegimenter wieder nach Italien zurückbeorderte, so daß sie dann zu
spät kamen. Die Schuld an der Schwäche der deutschen Armee
trugen aber nach seinen späteren Rechtfertigungen doch alle anderen,
nur nicht er selbst^).
Am 25. August 1806 schrieb er an den Kaiser:
„Warum vertrauten sie (die Generale) gar nicht im geringsten
auf meine lange und ausgebreitete Erfahrung, die keiner von ihnen
haben konnte, weil keiner von ihnen in dem Fall gewesen war, sie
wie ich zu erlangen ! . . . . und so fühle ich auch; wie meine Ge-
nerale, unkundig in der Partie des Kriegswesens, um die es sich
handelte, bloß aus treuestem Eifer größeres Übel abzuwenden, sich
bis zur Verletzung der Subordination verleiten lassen und wne sie
in derselben beharren konnten*)."
M Xriegsarehiv. 1805, Deutsehland FA, XIII, 164.
'0 Kriegsarelnv, 1805, Deutschland FA, XIII, 106.
Leider ist das Protokoll über die Konferenz vom 29. August, das am
5. Oktober 1805 dem Kaiser Franz übergeben worden ist (Kriegsarehiv, Kriegs-
ministerialakten, 1805, X, 26), weder im Kriegsarelnv noch im Hof- und Staats-
arehiv zu finden gewesen.
^) Vergleiche damit die Angaben der Maeksehen Reehtfertigungssehrift,
S. 423, Fußnote ^
*) Der Vorwurf der Subordinationsverletzung war, wie die gerichtliche
Untersuchung ergeben hat, vollkomiuen unberechtigt. Siehe darüber die Angaben
bei Angeli: „Ulm und Austerlitz", Mitteilungen des Kriegsarehivs, I. Jahrgans:,
S. 486.
— 168 —
Das Verwerflichste ist aber, daß Mack zum Schlüsse die Armee,
die er ohne Schlacht, durch schlecht eingeleitete, übermäßig forcierte
Märsche, durch unnötiges Hin- und Hermarschieren, durch Verpflegs-
mangel und verfehlte Operationen vollständig ruiniert hatte, schmähte
und ihre Haltung mit als Ursache des Unglücks darstellte. Er sagt
in den „Merkwürdigen Data"^):
„Es ist im höchsten Grade beklagenswert, daß mehr als jemals
ein erklärter Hang nach Bequemlichkeit, ein Abscheu gegen alles,
was mit dieser nicht vereinbar! ich ist. frech ihr Haupt in der Armee
emporzuheben wagen durfte. Die Offiziere, besonders die höheren
Grade, tragen daran fast allein die Schuld. Bei sehr vielen be-
stimmten leider bloß Rücksichten auf ihre eigenen Personen, ihre
Pferde und Equipagen das Maß ihres Eifers, ihres Willens, ihrer
Urteile; die Erhaltung der Soldaten und Dienstpferde ist der Vor-
wand, den sie schrecklich mißbrauchten."
Also auch Ulm hatte diesen Mann noch nicht über seine Un-
fähigkeit aufgeklärt. Ja, Mack beschleunigte die Überg'abe Ulms
nur, um rasch zum Kaiser zu kommen und ihm seinen Rat zu er-
halten, und als er die russische Armee bei Braunau passierte, wagte
er es noch immer, als Ratgeber Kutusows aufzutreten ; von St. Polten
aus sandte er richtig schon einen Operationsplan über die fernere
Kriegführung !
Es ist nur unbegreiflich, daß man diesen Charakter in Wien
nicht rechtzeitig erkannte, obwohl Erzherzog Karl und andere ihn
wiederholt richtig abgeschätzt hatten.
Napoleon brauchte mit Mack nur kurze Zeit zu verkehren,
(während dessen Getangenschaft in Paris), um ihn in seiner ganzen
Nichtigkeit zu erkennen:
„Mack ist einer der mittelmäßigsten Menschen, die ich in
meinem Leben gesehen habe. Voll Eigendünkel und Eigenliebe, hält
er eich zu allem fähig. Er ist nichts mehr; aber es wäre zu
wünschen, daß er einst in Zukunft einem unserer guten Generale
entgegengestellt würde, er würde schöne Dinge sehen; er ist
prahlerisch und das ist alles. Es ist das einer der unfähigsten
Menschen, die es gibt, wozu noch kommt, daß er Unglück hat^)."
^) Beilage zu einem Briefe Macks an General Wintzingerode, datiert von
Selowitz, 16. November 1806. Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, XIII, 80.
2) Bourrienne, „Memoires", III, S. 275.
— 169 —
Nach anderen Angaljen bezeichnete Napoleon ihn als Ohar-
latani).
Napoleon, der Maeks Charakter und Wertlosigkeit so richtig
beurteilte, beeilte sich denn auch, den gefangenen General nach der
Übergabe von Ulm mit Aufträgen zu Kaiser Franz zu senden, ohne
Mack durch Ehrenwort zu binden. Napoleon ließ also Mack frei,
offenbar in der Überzeugung, daß dieser General an der Seite des
Kaisers Franz der französischen Armee viel nützlicher sein konnte
als in der Gefangenschaft. Erzherzog Karl ist überzeugt gewesen,
daß Napoleon nur aus diesem Grunde ihn so gnädig behandelte
und an den Kaiser aljsandte ^).
Menschenkenntnis ist die Eigenschaft, die Monarchen groß
machen kann, auch wenn sie sell)st nicht alle Fähigkeiten zur
Größe in sich vereinigen sollten. Wilhelm I. hat seine Menschen-
kenntnis, die ihn die richtigen Männer wählen und an ihnen fest-
halten ließ, groß gemacht, und mit Recht wird ihm die Geschichte
den Beinamen „der_Große" geben. Diese Menschenkenntnis kann man
sieh-tcher^mchlTin Abgeschlossenheit erwerl^en; man erhält sie nur
im regen Verkehr mit Menschen und nur dann, wenn man sich
nicht von seiner einmal erwählten Umgebung allein beraten läßt.
Das Unglück des Kaisers Franz war, daß er in der Wahl seiner
Eatgeber oft Mißgriffe machte und daß er die einzigen ihm mit
treuem Rate zur Seite Stehenden, seine Brüder Karl und Johann,
von sich verdrängen ließ — weil ihr Rat nicht immer ange-
nehm klingen mochte. •^Die Wahrheit ist eben meist bitter:
Schmeichler und Hofschranzen, die sich nur im Scheine der ungetrübten
fürstlichen Gnade sonnen wollen, waren von jeher die größten
Feinde und schlechtesten Diener der auf einsamer Höhe stehenden
Herrscher. Ein treuer Diener seines Kaisers darf es nicht scheuen,
ihm auch dann die Wahrheit zu sagen, wenn diese bitter klänge
und er deswegen in Gefahr käme, die Gnade seines Herrn zu ver-
^) Wertheimer, „Geschichte Österreichs und Ungarns etc.", S. 231. Danach
soll sieh Napoleon geäußert haben: „Ce Mack n'est pas qu'un eharlatan."
^) Bei der Waffenstreckung der österreichischen Armee am 20. Oktober
soll Napoleon dem FML. Mack zugerufen haben:
„Ich könnte Sie hängen lassen, denn Sie haben Ihr mir gegebenes Ehren-
wort, sich von Paris nicht zu entfernen, gebrochen ; Sie haben mir aber zu gute
Dienste geleistet, deshalb erlaube ich Ihnen auch hinzugehen, wohin Sie wollen."
Biographie des PML. Franz Preiherrn Abele von und zu Lilienberg.
— 170 —
lieren. Lieber ein treuer Diener seines Fürsten in Ungnade sein,
als das Wohl des Fürsten und des Staates um ein fürstliches
Gnadenlächelu verkaufen.
>
Mack war ein Schüler des FM. Grafen Lacy, )jei dem er schon
als Oberleutnant Sekretärdienste versah und dessen Generalquartier-
q^ meister er im Türkenkriege von 1788 war. Von ihm lernte er die
ß^unst, Kriegspläne zu entwerfen und die Ausübung dieser Kunst
bildete seine hauptsächliche Tätigkeit.
Eine für diese Schule charakteristische Episode läßt sich aus
dem Türkenkriege 1788 anführen.
Als ein türkisches Heer bei Mehadia auf österreichisches
Gebiet eingedrungen war und das dort stehende Korps zurück-
gedrängt hatte, kam FM. Graf Lacy mit seiner Armee diesem Korps zu
Hilfe. Beide Heere lagerten einander in einem Tale gegenüber. Der
Feldmarschall entdeckte nun eine nahe dem türkischen Heere liegende,
von den Türken unliesetzt gebliebene Anhöhe, die für einen Au-
griff viele Vorteile bot. Mack erhielt den Auftrag, alle Anordnungen
für einen Angriff zu entwerfen, der unter Benützung dieser Anhöhe
auf das türkische Lager durchgeführt werden sollte. Am folgenden
Tage wurden die Generale, die hiebei die wichtigsten Aufgaben er-
hielten, versammelt, um den Plan an Ort und Stelle zu erklären
nnd festzusetzen, was jeder am nächstfolgenden Tage zu machen
haben werde. Als Mack mit der Verlesung des Planes und Lacy
mit seinen Erklärungen kaum bis zur Hälfte gekommen waren, be-
setzte eine starke türkische Abteilung mit zahlreichem Geschütz die
so wichtige Anhöhe. Der ganze schön entworfene Plan, dessen Ent-
wurf, Ausgabe und Durchführung im Angesichte des Feindes drei
Tage beanspruchten, war vereitelt worden. An seine Stelle trat ein
Plan für den Rückzug.
Dieselbe Art, Tage voraus komplizierte und detaillierte Pläne
zu schmieden, ohne Rücksicht auf die möglichen Gegenaktionen des
Feindes, übte Mack in den folgenden Kriegsjahren und 1805 auch
gegen Napoleon. War ein Plan durch den Feind vereitelt worden,
nun so wurde eben ohne jede Entmutigung ein neuer, noch besserer
entworfen. Das „Planemachen" schien für ihn nicht Mittel, sondern
Zweck zu sein.
Erzherzog Karl schrieb am 1. Oktober aus Italien an den
Herzog von Sachsen-Teschen : ..Seit Mack alles leitet, kann man
— 171 —
sich nicht helfen; ich glaube, daß er jeden Tag einen neuen
Plan hat."
Wie recht der Erzherzog urteilte, wird der Verlauf des Feld-
zuges dartun.
Aber nicht nur der Erzherzog Karl hatte sich ein richtiges
Urteil über Mack gebildet; auch Pernerstehende mußten schon da-
mals Mack und seine Fähigkeiten richtig geschätzt haben.
Ein Franzose, der von Wien aus die französische ßegierung
mit Nachrichten versorgte, meldete am 4. September 1805, daß
Mack zur Führung der Armee in Deutsehland ausersehen sein solle.
Er fügte bei:
„Es wäre zum mindesten unklug, unter den obwaltenden Um-
ständen einen General zu verwenden, der dafür gilt, einiges Talent
in der Kanzlei entfalten zu können, der aber in allen seinen Unter-
nehmungen gescheitert ist, sei es durch Ungeschicklichkeit oder
aber wegen entschiedenen Unglücks^)."
Diese Charakterschilderung zeigt Mack als das Urbild eines
skrupellosen und egoistischen, krankhaft veranlagten Strebers.
Das Charakterbild Macks wurde so eingehend geschildert, weil
beim Soldaten und besonders beim Feldherrn der Charakter gleich-
wertig neben dem Wissen steht und hier an diesem krassen Bei-
spiele durch den Verlauf der Operationen gezeigt werden soll, wie
dieser Charakter den Mißerfolg notwendig zur Folge haben mußte.
^) Wertheim er, „Geseliiehte Österreichs und Ungarns etc.", S. 231.
Wer sieh über den Charakter Maeks noch genauer informieren will, lese
die Rechtfertigung Macks über die Kapitulation von Ulm (Raumers „Historisches
Taschenbuch", 1873) und vergleiche deren Inhalt mit den in diesem Buche wieder-
gegebenen Dokumenten und Tatsachen.
Außer dieser Denkschrift, die erwiesenermaßen von Mack selbst stammt,
gibt es auch eine Schrift „Verteidigung des österreichischen Feldzuges von 1805.
Dem Hofkriegsrat übergeben von dem Generalfeldzeugmeister (!) v. Mack. Wien
1806." In der Vorrede gibt der Herausgeber an, daß er nicht wisse, ob die
Schrift das eigenhändige Werk Macks sei, wofür das Manuskript starke Vermutung
gebe, oder ob irgend ein Freund hier in seinem Namen auftrete. Die Schrift
enthält so viel Unrichtigkeiten, V-erdrehungen und direkt lügenhafte Angaben,
daß es widerstrebt, Mack mit diesem Machwerk in Verbindung zu bringen; auch
nur eine sehr sonderbare Freundschaft könnte solche Mittel zur Rechtfertigung
Macks anwenden. Die Schrift seheint vielmehr ein heimtückischer Angriff auf
den unglücklichen Mack gewesen zu sein.
— 172 —
Charaktere wie ^laek kommen sehr häufig vor — häufiger als
man glaubt — und gedeihen besonders dort, wo Oljerfläehlichkeit,
Ehrsucht und Cliquenwirtschaft herrschen und die Herzensgüte und
geringe Menschenkenntnis hoher Personen ihr Überwuchern be-
günstigen.
Solche skrupellose Charaktere erwecken, wenn sie mit guten
Geistesgaben und geschwätziger Beredsamkeit gepaart sind, leicht
den Schein von Gescheitheit und Genialität; sie können daher ge-
rade dann für den Staat ganz besonders gefährlich werden.
Erzherzog Ferdinand von Österreich-Este^).
Erzherzog Ferdinand war im Alter von 24 Jahren berufen
worden, ein Armeekommando zu führen; er kam also in noch jüngeren
Jahren zu dieser schwierigen Aufgabe als Napoleon. Er hatte die
Feldzüge 1799 und 1800 in Deutschland mit Auszeichnung mit-
gemacht.
Als er seine Ernennung zum Armeekommandanten erfuhr, bat
er den Kaiser unter Berufung auf seine Jugend und ünerfahrenheit,
ihm dieses Kommando nicht anzuvertrauen, sondern ihn als Feld-
marschalleutnant bei der Armee des Erzherzogs Karl zu verwenden.
Der Kaiser verwies ihm das geringe Selbstvertrauen und sagte,
daß er selbst zur Armee kommen werde, der Erzherzog aber
Mack, Mayer und andere tüchtige Generale an seiner Seite haben
werde.
Der Erzherzog führt in seiner Geschichte des Feldzuges ^) an,
daß ihn nicht nur das Gefühl der eigenen UnzulängUchkeit zu
seiner Bitte veranlaßt habe, sondern auch die Voraussicht der
Kollisionen mit dem FML. Mack und mit den russischen Generalen.
Als der Erzherzog erkannte, daß er der ihm zugedachten Ver-
wendung nicht entgehen könne, widmete er sich den Vorarbeiten
mit dem größten Eifer.
') Erzherzog Ferdinand von Österreich-Este war am 25. April 1781 als
Bruder des Herzogs Franz des TY. von Modena in Mailand geboren und trat
1799 aus der Militärakademie zu Wr.-Xeustadt in die Armee ein. 1800 wurde er
Kommandant einer Kavalleriedivision.
2) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, XIII, 106.
— 173 —
Im Armeekommando standen somit zwei Personen an der Spitze
■der Leitung:
Der junge, unerfahrene Armeekommandant und FML. v. Mack,
der im vorgerückten Alter stand, auf seine reiche Erfahrung pochte
und die tatsächliche Armeeleitung beanspruchte.
Interessant ist es nun, im Verlaufe der Operationen zu ver-
folgen, wie klar und treffend der unerfahrene Jüngling stets urteilte
und wie wenig anderseits die Urteile und Anordnungen des auf seine
Erfahrung pochenden Mack den tatsächlichen Verhältnissen ent-
sprachen, eine glänzende Illustration zu dem Ausspruche Friedrichs
des Großen über „die Erfahrung" ^).
*) Der Begriff Erfahrung wird meist mißbraucht. Man versteht darunter
gewöhnlich lange gelebt und viel mitgemacht zu haben.
Friedrich der Große sagt darüber in seinen „Betrachtungen über
die Taktik und über einige Seiten der Kriegführung":
„Was lohnt es zu leben, wenn man nur vegetiert? Was lohnt es zu sehen,
wenn man nur Tatsachen in seinem Gedächtnis anhäuft? Was nützt mit einem
Worte die Erfahrung, wenn sie nicht durch Nachdenken fruchtbar gemacht wird?
„Vogetius sagt: ,Der Krieg soll uns zum Studium, der Friede zur Übung
dienen.' Er hat recht.
„Die Erfahrung erfordert eine gründliehe Untersuchung ; erst nach wieder-
holter Prüfung gelangen die Künstler zur Erkenntnis der Grundbedingungen und
in den Augenblicken der Muße, zur Zeit der Ruhe, heißt es nur Stoffe für die
Erfahrung vorzubereiten. Diese Untersuchungen sind das Erzeugnis eines streb-
samen Geistes. Aber wie selten ist dieses Streben und wie häufig sieht man hin-
gegen Menschen, welche alle ihre Glieder abgenützt, aber niemals Gebrauch von
ihrem Geiste gemacht haben. Das Nachdenken, die Fähigkeit, Ideen zu
verbinden, das ist es, was den Mensehen vom Lasttier unterscheidet. Ein
Maultier, welches während zehn Feldzügen des Prinzen Eugen den Paeksattel
getragen hat, wird dadurch noch kein besserer Taktiker geworden sein. Zur
Schande der Menschheit muß man gestehen, daß viele in einem sonst so ehren-
vollen Beruf alt werden, ohne bessere Fortschritte zu machen als dieser Maulesel.
„Dem hergebrachten Gange des Dienstes folgen, Sorge für Tisch und
Nahrung tragen, marschieren, wenn marschiert wird, sieh lagern, wenn gelagert
wird, sieh schlagen, wenn alle anderen sich schlagen, das heißt bei einer großen
Zahl von Offizieren gedient und Krieg geführt haben, unter den Waffen grau
geworden sein."
Nach dieser Erklärung des wahrhaft erfahrenen großen Feld he rrn ist
also das Erleben Nebensache, das richtige Ergründen der Ereignisse aber
die Hauptsache, um von Erfahrung sprechen zu können.
Moltke, der den Feldzug 1859 nicht mitgemacht, also nicht uiiterlcbt hat,
hat die Ereignisse dieses Krieges gründlicher und folgerichtiger durchdacht, als
es die Österreicher und Franzosen getan haben; er hat daher aus diesem Kriege
bessere Erfahrung geschöpft als seine späteren Gegner.
— 174 —
In der Konferenz am 29. August (s. S. 133) war Erzherzog
Ferdinand mit den vorgetragenen „Grundsätzen", also mit dem ge-
meinsamen Operationsplane nicht ganz einverstanden.
Er erzählt selbst darüber:
,,In dieser Konferenz wurde der Operationsplan des Erzherzogs
Karl vorgelesen und von Seiner Majestät sanktioniert. Der Kaiser
fragte hierauf, wer etwas dazu zu Ijemerken hätte, worauf ich mich
folgend äußerte: Da die ganze österreichische Armee erst mit Ende
Oktober in Oberösterreich versammelt sein könnte, bis dahin auch
das 1. russische, aus 50.000 Mann bestehende Hilfstruppenkorps am
Inn eintrefl'en sollte, so war ich der Meinung, mit den ersten sich
versammelnden 30.000 — 40.000 Mann nicht weiter als höchstens in
die Gegend von München vorzurücken und bloß leichte Detachements
zur Erkundung der feindlichen Bewegungen und zur Eintreibung
von Requisitionen weiter vorzupoussieren. Ich unterstützte meine
Meinung mit folgenden Gründen : Bonaparte, welcher 200.000 Mann
an den Küsten versammelt hat, wird sich wenigstens mit 150.000
von da gegen uns in Marsch setzen und diese könnten nach Ver-
hältnis der Entfernung vor Ende Oktober bei München sein. Da es
weiter nach dem Operationsplane selbst entschieden war, in diesem
Falle sich in kein Gefecht vor Vereinigung mit den Bussen einzu-
lassen, so stellte ich den nachteiligen Eindruck vor, den es auf die
Truppen machen würde, den Peldzug mit einem Rückzuge zu beginnen.
„GM. V. Mayer stimmte mir zu und führte aus. daß die
italienische Armee zu stark sei, man sollte einen großen Teil in
Tirol aufstellen, um ihn sowohl in Italien als auch in Deutschland
verwenden zu können. Dem stimmten auch Erzherzog Karl und FML.
Zach bei und Avurde dies auch vom Kaiser genehmigt.
„Meinem Antrage, den Erzherzog Karl auch billigte, setzte
Mack entgegen:
„Napoleon könne höchstens mit 70.000 Mann gegen uns vor-
rücken, da er 30.000—40.000 Mann an den Küsten. 20.000 Mann
bei Paris lassen müßte, sich in seiner Armee bei 20.000 Kranke be-
fanden, er Holland und Hannover besetzt lassen müsse und er end-
lich auch einige Verstärkungen nach Italien senden würde.
„Hierauf erwiderte ich, Napoleons Hauptzweck müsse sein, uns
womöglich vor Vereinigung mit den Russen zu schlagen, er mithin
alle Kräfte aufbieten, die Küsten aber, dann Holland und Hannover
nur schwach besetzt lassen würde.
— 175 -
„Mack rechnete auch die eigene Stärke zu hoch. Er rechnete
jede Kompagnie mit 200 Mann, jede Eskadron auf 130 Eeiter. Wohl
war vor einigen Tagen ein Befehl hiezu ergangen, die Truppen auf
diesen Stand zu bringen. Allein wie weit war die Ausführung davon?
Keine Kompagnie konnte stärker sein als 120 Mann und die Eska-
dron höchstens 100 Eeiter. FML. v. Mack rechnete auch ganz
sicher auf 12.000—18.000 Bayern.
„Endlich, da FML. v. Mack das Einrücken in Bayern als
militärisch notwendig, Cobeuzl als politisch möglich erklärten, wurde
der Beschluß gefaßt, daß FML. v. Mack am 8. September einmar-
schiere. "
Diese Darstellung, die vom GM. v. Mayer in seinen Aufzeich-
nungen ähnlich erzählt wird, zeigt in deutlichster Weise, wie sehr
der junge Erzherzog im Urteil dem FML. v. Mack überlegen war.
Bei der Besprechung des Feldzuges wird sich diese Überlegenheit
noch so deutlich zeigen, daß man ohneweiters behaupten kann, das
Schicksal der k. k. deutschen Armee wäre weit besser geworden,
wenn Erzherzog Ferdinand tatsächlich das Armeekommando hätte
ausüben können.
Man kann sich bei diesen Verhältnissen nicht wundern, daß
der Erzherzog als tatsächlich ernannter, daher verantwortlicher Armee-
kommandant bestrebt war, seinen Einfluß auf den Gang der Opera-
tionen auszuüben, und daß er, als Mack ihm dies in seiner über-
hebenden und schonungslosen Weise verwehrte, wenigstens alles tat, •
um Mack in seinem die Armee verderbenden Handeln, soweit es
ging, zu zügeln.
Dieses merkwürdige, in der Kriegsgeschichte wohl einzig da-
stehende Verhähnis:
ein mit anerkennenswertem militärischen Urteil begabter
kaiserlicher Prinz als ernannter, verantwortlicher Armeekommandant,
der es vergebens versucht, sich gegenüber dem ihm au Charge nach-
stehenden Generalstabschef des bei der Armee nicht anwesenden
Armeeoberkommandanten in der gänzHch verfehlten Führung der
Armee zur Geltung zu bringen,
mußte unbedingt zu schweren, die Armee schädigenden Kon-
flikten führen, selbst dann, wenn der Generalstabschef des Armeeober-
koramandanten nicht ein so ränkevoller und überhebender Charakter
gewesen wäre, wie Mack.
— 176 —
Die Schuld an diesen Konflikten und an ihren Folgen
muß dem Urheber dieser Situation zufallen, und das war
FML. V. Mack.
Angesichts dieser Befehlsverhältnisse gewinnt die Äußerung,
die Mack über die Verantwortung der Führung der Armee in
Deutschland gegen GM. v. Mayer gemacht hatte (S. 151), wirk-
lichen Untergrund. Der junge und unerfahrene kaiserliche Prinz
sollte die Verantwortung für eintretende Mißerfolge tragen; den
Lohn für eitungene Erfolge hätte Mack schon rechtzeitig und nach-
drücklichst für sich reklamiert.
VI. Der Vormarscli der Österreiclier an die Hier.
Seit Mitte Juli waren, wie schon erwähnt wurde, fast alle Re-
gimenter der österreichischen Armee auf dem Marsch in die Lager
von Wels, Pettau (später Laibach), Budweis, Brück an der Mur,
Minkendorf, Krakau und Kaschau. Weil die allgemeine Einberufung
der Beurlauljten und die Pferdekäufe zur Komplettierung der Kavallerie
den sofortigen Kriegsausbruch provozieren mußten, daher nach dem
Mackschen Plane erst nach dem Einmärsche der Russen angeordnet
werden sollten, traten alle Regimenter den Marsch mit unvollstän-
digem Friedensstand an. Mitten in diese Marschbewegung kamen
nun die Anordnungen zur Neuorganisierung der Infanterie, zur Än-
derung der Formierung und über die Exerzitien der Infanterie und
der Kavallerie und zur Verminderung des Truppentrains.
Während des Marsches ergingen die Befehle zur Auflassung
der für Kaschau, Krakau, Brück an der Mur, Minkendorf und Bud-
weis befohlenen Lager; die dahin bestimmten Truppen hatten den
Marsch sofort in das Lager von Wels fortzusetzen. Ebenso erhielten
die nach Laibach bestimmten Truppen den Befehl, nach Italien
weiterzumarschieren.
Nach und nach wurden die Beurlaubten eingezj3gen und im
Vereine mit den ebenso nach und nach ausgehobenen Rekruten und
angekauften Pferden den im Marsche befindlichen Regimentern nach-
gesendet. Das Regimentsgeschütz, für das die Pferde erst nach und
nach beschafft werden konnten, wurde teils mit Vorspan npferden bei
den Regimentern mitgeführt, teils zur vollständigen Ausrüstung zu-
rückbehalten : daher mußten entweder die militärischen Bespannungen
allein oder die bespannten Geschütze den Regimentern nachfolgen.
Erst am 27. August wurde mit Armeebefehl angeordnet, die
Armee auf den Kriegsfuß zu setzen. Erst von diesem Zeitpunkt
Krauss. 1805, Der Feldzug von Ulm.
12
— 178 —
an wurden alle Kriegsvorbereitungen oifen, ohne Heimlichkeit und
Einschränkung durchgeführt.
Jeder, der eine nur halbwegs richtige Vorstellung über die
Mobilisierung und Versammlung einer Armee von 300.000 Mann hat,
und der nur die geringste Phantasie besitzt, um sich vorstellen zu
können, was diese an Arbeitsleistung von den Truppen erfordern,
wird sich klar darüber sein, wie dieser Maeksche Aufmarsch jeder
militärischen Ordnung Hohn sprechen mußte; wie die unvermeid-
lichen zahllosen Eeibungen und die Willkür, die bei der Unmög-
lichkeit, für jeden der vielen kleinen Transporte zu sorgen, ein-
treten mußte, allmählich jede Disziplin und das Vertrauen in die
höhere Führung zerstören mußten.
Nach der Konferenz vom 29. August begab sich Maek nach
Wels, um den Überfall Bayerns einzuleiten.
FML. Fürst Schwarzenberg wurde als Spezialgesandter nach
München beordert; er sollte den Kurfürsten von Bayern zum An-
schluß an die Koalition bewegen. Die bayrischen Truppen soüten
nach der Forderung Macks nicht als geschlossenes Korps verwendet,
sondern auf die österreichischen höheren Verbände aufgeteilt werden.
Da Bayern schon am 24. August den Allianzvertrag mit Frankreich
abgeschlossen hatte, kam dieser Versuch zur Köderung Bayerns zu
spät. Er versetzte aber den Kurfürsten in die peinlichste Situation.
Er wagte es nicht, den Antrag Österreichs unter Hinweis auf die
Allianz mit Frankreich kurz abzuweisen. Er hatte sieh übrigens
selbst nur schweren Herzens zu der Allianz mit Frankreich ent-
schlossen, denn auf einer Seite war das mächtige Frankreich, auf
der anderen die Möglichkeit einer allgemeinen europäischen Allianz
gegen Napoleon zu Ijerücksichtigen.
Die richtige Abschätzung der Machtmittel Frankreichs und
Österreichs und der Hinweis Napoleons, daß Bayern an seiner Seite
in jedem Falle sicherer sei als an der Seite Österreichs, das schon
seit Jahrzehnten einen Teil Bayerns erwerben wolle, hatten den Kur-
fürsten zum Bündnis mit Frankreich bewogen. Nun war er bestrebt,
Österreich solange als möglich hinzuhalten. In diesem Streben griff
die bayrische Regierung zu einem Mittel, das selbst bei Anerkennung
der Zulässigkeit politischer Rücksichtslosigkeit und bei voller Be-
rücksichtigung der Lage Bayerns, in der es sich um die Existenz
der Dynastie und die Selbständigkeit handelte, nicht gutgeheißen
werden kann.
— 179 —
Mit dem französisch-bayrischen Vertrag in der Tasche und in
der Absicht, diesen Vertrag auch einzuhalten, erklärte der Kurfürst
sich zum Anschluß an die Koalition und zur Angliederung seiner
Armee an die österreichische bereit. Diese von Österreich später mit
Eecht als verräterisch bezeichnete Haltung war auch politisch un-
klug, weil die damit bezweckte Täuschung Österreichs nicht lange
Zeit aufrechtzuerhalten war und diesem doch nur das moralische
Eecht zur schärfsten Vergeltung gab. Es sei aber hier vorweg be-
merkt, daß die bayrischen Staatsmänner die europäischen Verhältnisse
sehr richtig abgeschätzt hatten, da der Erfolg ihnen glänzend recht
gegeben hat : denn Österreich hat es dann im Jahre 1815, wie immer
vorher, aus anderen Gründen unterlassen, nach vollständiger Nieder-
werfung Napoleons die Konsequenzen aus der Haltung der kleinen
deutschen Fürsten zu ziehen. Kein "Wunder, daß sich diese kleinen
Staatswesen dem Eücksichtslosen anschlössen, von dem sie im Falle
des Unterliegens keine Schonung erwarten konnten.
Mack traf am 2. September vormittag in Wels ein, wo er am
3. alle Generale und Eegimentskommandauten der im Lager stehen-
den Truppen versammelte, um ihnen die Disposition für den Marsch
an den Inn bekanntzugeben. Die österreichischen Truppen rückten
unter dem Oberbefehl des FML. Grafen Klenau in zwei Kolonnen
in Bayern ein.
Die südliche Kolonne, FML. Graf Klenau, 15 Bataillone und
16 Eskadronen, sollte am 7. September Braunau erreichen, die nörd-
liche, FML. Gottesheim, 15 Bataillone und 14 Eskadronen, am
selben Tage bei Schärding eintreffen. Am 8. hatten beide Kolonnen
den Lin zu überschreiten.
An alle Truppen erging der Befehl, im Sinne der neuen Be-
stimmungen über den Train, die überzähligen Proviant wagen und
Zelte bei Wels zurückzulassen.
In seinem Berichte vom 3. September^) meldet Mack das Ver-
fügte an den Kaiser und sagt, daß die übrigen Eegimenter in einigen
Tagen nachrücken werden. Easches Nachrücken sei nötig, „um die
ganze Armee bald nach Bayern und die Teten derselben bald an
die Hier zu bringen, um nach den eintretenden Umständen solche
jenseits oder diesseits dieses Flusses ohne Zeitverlust zusammen-
M Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, IX, 1. Von Mack eigenhändig
gesehrieben.
12*
— 180 —
ziehen, mittlerweile aber und für so lange, als es die Umstände ge-
statten, zum Teile jenseits der Hier, größtenteils aber zwischen der
Hier und dem Lech und die schwere Kavallerie zwischen dem Lech
und der Isar kantonieren zu können . . ." Mack sagt weiter, daß
er am 3. abend nach Salzburg abreisen, am 5. früh nach Wels
zurückkommen und am 7. abend in Braunau eintreffen werde.
Zum Schlüsse des Berichtes rät Mack dem Kaiser, die iS'eu-
tralität der Schweiz anzunehmen, weil dann die 42 Bataillone aus
dem westlichen und nördlichen Tirol ohneweiters zur Armee in
Deutschland herangezogen werden könnten, wodurch diese in stand
gesetzt wäre, sich bis zum Eintreffen der Bussen an der Hier oder
vielleicht noch weiter vorwärts zu behaupten, während die Armee
in Italien nicht geschwächt, also in ihrer Offensivoperation nicht ge-
hindert werden würde.
Am 3. September abend reiste Maek tatsächlich nach Salz-
burg ab, um dort wegen der Befestigungsarbeiten anzuordnen. Nach
seiner Eückkehr gab er die Befehle für den Einmarsch in
Bayern aus.
Die Kolonne Klenau hatte über Marktl, Altötting, Hohenlinden
nach München vorzugehen, vor welcher Stadt sie am 13. September
emtreffen sollte.
Die Kolonne Gottesheim, die den Inn bei Schärding über-
setzen sollte, hatte über Lengheim, Eggenfelden, Landshut nach
Freising zu marschieren, wo sie am 13. September eintreffen
sollte. Mit Rücksicht auf die Eichtung des Inn-Flusses mußte diese
Kolonne, um mit Klenau annähernd auf gleicher Höhe zu bleiben,
sehr starke Märsche hinterlegen. Das Detail der Instradierung zeigt
die Beilage 9.
An FML. Graf Klenau erging eine geheime Instruktion, nach
der die bayrischen Truppen zur Übergabe zu zwingen seien; wenn
sie sich vor den Österreichern zurückziehen sollten, war ihnen durch
Detachements und Patrouillen der Eückzug zu verlegen. Auf keinen
Fall sollten aber dabei die Feindseligkeiten von österreichischer
Seite begonnen werden.
Zur selben Zeit erging au GM. Graf Wolfskeel, der in Vor-
arlberg kommandierte, der Befehl, am 10. September mit (3 Kom-
pagnien Tiroler Jäger, 3 Bataillonen Hildburghausen und 3 Eska-
dronen nach PfulJendorf, Biberach und Waldsee vorzurücken, um
den Bayern den Eückzug gegen Westen zu verlegen und als Be-
— 181 —
obachtungskorps zu dienen. Hiezu waren ein Detacheraent nach
Stoekach und Kavallerie bis über die Donau vorzusenden und alle
Bewegungen der Franzosen in der Schweiz und in Deutschland zu
erkunden.
2 Bataillone Hildburghausen, 1 Bataillon Tiroler Jäger und
1 Eskadron sollten am 11. September in Feldkirch eintreffen, wo
sie zum Korps Jellachich zu stoßen hatten. Die Infanterieregimenter
Stein, Beaulieu und Kaiser, deren vorderste Abteilungen in Inns-
bruck waren, hatten den Marsch ohne Aufenthalt nach Feldkirch
fortzusetzen. FML. Freiherr v. Jellachich, der das Kommando des
bei Feldkirch in Vorarlberg zu sammelnden Korps übernehmen
sollte, erhielt den Auftrag, sofort nach Feldkirch zu eilen und „also-
bald an die Herstellung der dem Herrn Feldmarschalleutnant ohne-
hin wohlbekannten dortigen Position Hand anlegen zu lassen".
Das zunächst den Kolonnen Kienaus folgende Korps FML. Graf
Riesch sollte in drei Kolonnen an den Inn vorgehen. Die nördliche
Kolonne, 13 Bataillone und 16 Eskadronen, sollte bis 13. September
bei Schärding, die mittlere Kolonne, 12 Bataillone und 16 Eska-
dronen, bis 13. September bei Braunau eintreffen, die südliche Ko-
lonne, 8 Bataillone und 16 Eskadronen, im Marsche nach Salzburg
am 14. September Frankenmarkt, Vöklamarkt und Vöklabruck er-
reichen.
Über den Vormarsch des Korps Riesch nach Bayern schreibt
Mack in seinem Berichte aus Wels vom 6. September, 12^ nacht,
an den Kaiser^): „Da sich kaum denken läßt, daß der ^Marsch
durch Bayern einigem Anstand unterliegen könnte,- werde ich diese
drei Kolonnen von den oben benannten drei Punkten unverzüglich
weiter vorrücken lassen. Diese fünf Kolonnen (die zwei Kolonnen
Kienaus und die drei des Korps Riesch) werden sodann, wenn sie
sich vorwärts vereinigen, schon eine Armee von 63 Bataillons und
78 Eskadronen und mit den für Vorarlberg bestimmten Truppen
von 84 Bataillons und 84 Eskadronen formieren, die allen Ereig-
nissen um so ruhiger wird entgegensehen können, da sie nur 12 bis
15 Tage nach ihrer Versammlung annoch 11 Bataillons Verstär-
kung und 4 neue Kavallerieregimenter anzuhoffen haben wird, übri-
gens aber eine französische Übermacht selbst bei der äußersten
^) Kriegsarehiv, 1805, Deatseliland PA, IX, 5. Von Mack eigenhändig ge-
sehrieben. Man beachte die schwer verständliehe Schreibweise Maeks. Fast das
ganze Zitat ist ein Satz.
— 182 —
Anstrengung und Bpschleunigung, die man von dem Kaiser Napoleon
allerdings erwarten muß, nach allen auf Entfernung, Mobil-
machangs-, Verpflegungs- und Marschmöglichkeiten gegründeten
Kombinationen nicht zu besorgen sein kann, bevor die k. k. Armee
ihre letzte Verstärkung und endlich die Russen erlangen wird, be-
sonders wenn die Neutralität der Schweiz anerkannt — mithin
auch das Korps des FML. Auffenberg nach Deutschland gezogen
oder aber im Fall Eure Majestät diese Neutralität nicht anerkennen
wollten, von Allerhöchstdemselben der Entschluß gefaßt würde, die
42 Bataillone aus dem westlichen Tirol und dem Vorarlbergischen
ohneweiters in die Schweiz einrücken zu lassen und dadurch einen
Teil der feindliehen Kräfte an sich zu ziehen, denn ohne Neu-
tralität und ohne Einrückung dürfte sehr zu besorgen sein, daß der
Feind, ohne seines Orts mehr als vielleicht ein paar kleine Demon-
strationskolonnen durch die Schweiz gegen Tirol agieren zu lassen,
seine ganze konzentrierte Macht gegen Eurer Majestät zwischen
dem Bodensee und der Donau oder in dieser Gegend aufgestellte
Armee verwenden und diese in eine bedenkliche Lage versetzen
könnte, während als jene 42 Bataillone untätig, mithin ohne Nutzen
auf ihrer Defensive angeheftet sein würden ..."
Der Kaiser, dem scheinbar ob der fieberhaften Geschäftigkeit
Macks Bedenken aufstiegen, gab dem Erzherzog Karl den Auftrag,
ihm über den Bericht Macks vom 6. Septemlier seine Ansicht be-
kanntzugeben.
Erzherzog Karl kam diesem Auftrage durch folgende „Kritische
Beurteilung" nach^):
„Zur richtigen Beurteilung aller vom FML. Mack bis jetzt ge-
troffenen Dispositionen führen folgende Betrachtungen:
„Der Feldmarschalleutnant durchgreift alle Autoritätsrechte
eines mit einer unbegrenzten Vollmacht versehenen kommandieren-
den Generals:
„1. Er bestimmt die Einteilung der Divisionen und Brigaden.
„'L Er setzt alle Truppen in Bewegung und rückt auf diver-
gierenden Linien nach Bayern.
„3. Er kündigt seine Vorrückung bis Stockach an.
„4. Er entblößt das ganze nördliche Tirol, schickt die Truppen
aus dem Inn-Tal nach Vorarlberg; weist den FML. Jellachich an sich
an. überträgt ihm die Organisation der Landmiliz, zu w^elcher von
0 Kriegsarehiv, 1805, Deutseliland FA, IX, 9V-i-
— 183 —
Seiner Majestät der General Wolfskeel unter der Direktion des
FML. Hiller ernannt war; befiehlt ihm, hierüber dem Hofkriegsrat
Pläne eiuzuschieken, nachdem dieser Gegenstand schon ordnungs-
mäßig hier verhandelt worden; weist Gelder auf die Provinzial-
kassen an.
„5. Ernennt den Grafen Eichhold zum Landeskommissär in
Bayern gegen den ausdrücklichen Befehl des obersten Kanzlers.
„6. Bestimmt das Personale und entwirft die Organisation
eines neu zu kreierenden Landeskommissariates.
„7. Schlägt den vom Generalstabe quittierten Major Volkmann
zum Gubernialrat vor.
„8. Eequiriert Landarbeiter in Salzburg.
„9. Erhöht und bestimmt den Sold der Truppen.
„10. Läßt den bayrischen Generalen die Aufnahme in kaiser-
liche Dienste mit Beibehaltung ihres Charakters zusichern.
,.11. Bedroht mit schwerer Eache die bayrischen Truppen, die
den Anforderungen ihres Landesherrn gehorchen.
„12. Gebietet über alle militärischen, politischen und Zivil-
gegenstände unter dem Schutzwort: Auf Allerhöchsten Befehl.
„Es läßt sich schwer denken, daß FML. Mack diese große
Verantwortlichkeit ohne unumschränkte Vollmacht seines Sou-.
veräns auf sich genommen haben würde. Er erscheint demnach
von dieser Seite gerechtfertigt.
„Nach militärischen Grundsätzen sind die bisherigen Be-
wegungen ohne Zusammenhang und ohne Kenntnis des Landes und
der Entfernungen.
„Was soll die Kolonne aus 8 Bataillonen und 16 Eskadronen
gegen Salzburg und auf der Straße nach Innsbruck?
„Warum gegen alle bisherige Übereinkunft das ganze nörd-
liche Tirol entblößen, bevor die Armee solid an der Hier aufgestellt
ist, und sich der Gefahr aussetzen, Vorarlberg ebenso leichtsinnig
verlassen zu müssen, als man es leichtsinnig besetzt hat?
„Was bedeutet die Kooperation von ein paar Bataillonen und
zwei Eskadronen Husaren aus der Gegend von Bregenz in einer
Entfernung von mehr als 50 Meilen?
„Was sollen die Streifereien bis und über Stockach ohne solider
Operation?
„Schwerlich mehr als plündern und brandschatzen auf deut-
schem Boden?
— 184 —
„Wie ist es möglich, durch kleine Detachements und Patrouillen
fremden Truppen in ihrem eigenen Lande den Rückzug abschneiden
und sie zur Übergabe zwingen zu wollen?
„Was kann eine Eskadron Husaren zur Festhaltung der bayri-
schen Truppen beitragen, die sich von ßiberach bis über die Donau
ausbreiten muß?
„Wie läßt sich der paradoxe Gedanke rechtfertigen, in der
Schweiz eine Invasion zu machen, ohne Italien verhältnismäßig er-
obert zu haben?
„Es ist möglich und gewiß wünschenswert, daß diese außer-
ordentlichen Operationen keine üblen Folgen nach sich ziehen; daß
die Bayern so äußerst herabgesunken seieu, um keine der vielfältigen
Blößen zu unserer Beschämung zu benützen; es ist möglich, daß
der Mißgriff in unserer Bewegung bayrischerseits gar nicht voraus-
gesetzt, gar nicht geahnt wurde; aber unmöglich ist es, dergleichen
Dispositionen mit einem Vielleicht zu rechtfertigen.
„In politischer Hinsicht muß man abermals vermuten, daß
FML. Mack besondere Weisungen, Daten und Belehrungen erhalten
habe, ohne deren Kenntnis es unmöglich wird, den sonderbaren
Gang seiner getroffenen Einleitungen zu beurteilen."
Der Einmarsch der Kolonnen Kienaus vollzog sich in der an-
befohlenen Weise.
GM. Wolfskeel hatte aber nach seiner Meldung über den Ein-
marsch anstatt 3 Bataillone Hildburghausen nur 2 Bataillone dieses
Eegiments zur Verfügung. Er nahm acht dreipfündige Kanonen mit
Hilfe von Yorspannpferden mit.
Die Bayern setzten dem Einmärsche gar keinen Widerstand
entgegen. Sie hatten sich außer Fühlung mit den österreichischen
Truppen auf München zurückgezogen.
FML. V. Mack, der den Rückzug der bayrischen Truppen bei
seinem Eintreffen am Inn erfuhr und dem das Gerücht zugegangen
war, daß der Kurfürst vor einigen Tagen von München nach Würz-
burg abgereist sei, berichtet darüber am 8. September, 11 '^ nacht,
aus Braunau an den Kaiser^): Er habe noch keine Nachricht von
Schwarzenberg aus München erhalten. Die bayrischen Truppen sollen
sich vom Inn nach München zurückgezogen haben. Dort und bei
Ulm soll die bayrische Armee gesammelt werden, um sich dann
hinter die Donau zurückzuziehen. Die Donau sei als Demarkations-
^) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, IX, 7.
— 185 —
linie zwischen den bayrischen und den k. k. Truppen gedacht. Mack
sei mit dieser Lösung absolut nicht einverstanden und er wolle daher
den Rückzug der Bayern hinter die Donau vereiteln.
Zu diesem Zweck erteilte er dem FML. v. Gottesheim den
Befehl, sofort ein Detachement von 3 Bataillonen, 4 Eskadronen und
4 Geschützen über Landshut nach Neuburg abzusenden, das Tag
und Nacht so lange, wenn nötig auch über die Donau marschieren
müsse, bis es den Bayern die nach Norden führenden Wege verlegt
hatte. Ein zweites Detachement von 2 Bataillonen, 2 Eskadronen
und 2 Geschützen wurde nach Straubing zur Besetzung der Donau-
Brücke entsandt. FML. Gottesheira sollte mit seiner Kolonne dem
ersten Detachement folgen. An das Generalkommando Prag erging
der Befehl, spätestens drei Tage nach Erhalt des Befehles 4 Ba-
taillone Gemmingen-Lifanterie und 2 Eskadronen Hohenlohe-Dragoner
über Pilsen, Waldmünchen nach Straubing in Marsch zu setzen.
Am 8. September erfolgte auch die Weiterinstradierung aller
über den Inn vorgehenden Kolonnen.
Danach sollte die Kolonne Klenau am 17. September Lands-
berg und am 21. Memmingen-Mindelheim erreichen.
Vom Korps Kiesch hatten die zwei nördlichen Kolonnen den
beiden Kolonnen Kienaus zu folgen und am 18. September Hohen-
linden und Landshut zu erreichen. Die südliche Kolonne sollte in
starken Märschen über Salzburg, Waging naeli Wasserburg mar-
schieren, wo sie mit der Vorhut am 18. eintreffen sollte.
Knapp vor Absendung des Berichtes vom 8. September erhielt
Mack einen Brief des FML. Fürsten Schwarzenberg aus München
vom 8. September 2^ früh, wonach sich der Kurfürst entschlossen
habe, seine Truppen der Koalition beitreten zu lassen unter der Be-
dingung, daß eine bayrische Garnison in München verbleibe und
die bayrischen Truppen ein eigenes Korps unter Führung bayrischer
Generale bilden sollten.
Mack reiste in der Nacht zum 9. September von Braunau nach
Haag ab, von wo er dem FML. v. Gottesheim Gegenbefehl senden
wollte.
Die Täuschung Macks über die Haltung Bayerns dauerte nicht
lange. Schon am 10. September sandte er aus Alt-Ütting einen Be-
richt an den Kaiser, in dem er sich in starken Worten über den
Wortbruch des Kurfürsten ausspricht^).
1) Kriegsarehiv, 1805, Deutseliland FA, IX, 9V3.
— 186 —
Am 12. oder 13. September erhielt Mack. wahrscheinlich vom
Gesandten aus Stuttgart, die Nachricht vom Beginn des Rhein-Über-
ganges der Franzosen. Diese Nachricht veranlaßte ihn, den Vor-
marsch aller Kolonnen zu beschleunigen. Die ohnedies oft schon
sehr stark bemessenen Märsche — Marschleistungen von 30. 35,
40 lern waren schon im bisherigen Entwurf den Truppen zugemutet,
allerdings neben kleinen Märschen von 16 bis 20 hn und neben
einigen Easttagen — wurden bei Entfall aller Easttage noch wesent-
lich gesteigert. Leider sind nicht alle Marschpläne vorhanden, so
daß man sich kein genaues Bild dieser Marschbewegung machen
kann. Die Zusammenstellung Beilage 9 zeigt aber, daß immer neben
schwachen Märschen einige abnorm starke Märsche vorgeschrieben
waren, was den Eindruck macht, als ob Mack sich nicht die Zeit
gelassen hätte, die Marschbewegung mit dem Zirkel in der Hand
gewissenhaft zu entwerfen, sondern die ^larschstalionen nur nach
dem Gefühl und unter dem verblüffenden Eindrucke der Nachricht
in voller Nervosität bestimmt hätte.
Charakteristisch für Mack ist, daß er noch am 6. September
trotz „der äußersten Anstrengung und Beschleunigung", die er vom
Eaiser Napoleon erwarten muß. „nach allen auf Entfernung,
Mobilmachungs-. Verpflegungs- und Marschmöglichkeiten gegrün-
deten Kombinationen" nicht besorgen kann, daß die Franzosen früher
angreifen könnten als die Bussen anlangen, also nicht vor Ende
Oktober, und daß ihn nun, kaum eine Woche später, die falsche,
weit verfrühte Nachricht vom Ehein-Übergange der Franzosen doch
derart ins Boshorn jagen konnte, daß er seine Truppen über Hals
und Kopf an die Hier hetzte. Es wurde also entweder am 6. Sep-
tember nur sehr oberflächlich kombiniert, so daß Mack seinen „Kom-
binationen" jetzt, am 13. September, nicht mehr traut, oder die
Meldung über den Ehein- Übergang wurde gar nicht überprüft;
wahrscheinlich dürfte beides der Fall gewesen sein.
Über die Maßnahmen berichtete Mack aus München, 16. Sep-
tember, 12^ nacht, an den Kaiser^). Er schreibt, der Kaiser werde
schon vom General Grafen Crenneville die wichtigen Nachrichten
über den französischen Ehein - Üljergang und Macks Gegenmaß-
regeln vernommen haben. Die Nachricht wurde zwar durch den
beigelegten Bericht des Stuttgarter Gesandten als unbegründet befun-
^) Kiiegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, IX, 66' .^. Von Maek eigenhändig
eesehrieben.
— 187 —
den^); weil aber darin vermutet wird, daß der Übergang zwischen dem
15. und 18. September erfolgen dürfte und nach den vorliegenden
Umständen jeden Tag als möglich angenommen werden muß, „habe
ich an den getroffenen Dispositionen nichts geändert; mithin mar-
schieren die Kolonnen unaufhaltsam ihren Bestimmungen an die Hier
entgegen und werden vielleicht dort noch einige Zeit oder wenigstens
einige Tage der Euhe genießen, die ich ihnen dermalen ohne mög-
lichen großen Nachteil für Eurer Majestät Allerhöchsten Dienst nicht
gewähren könnte".
Mack schreibt dann, daß die bayrische Bevölkerung die Truppen
sehr gut aufnehme, für Ordnung und Disziplin sehr dankbar sei
und auch die kleinen Bankozettel von einem bis 5 Gulden sehr
gerne, die höheren dagegen nur widerwillig nehme. Er fordert daher
viele Millionen kleiner Bankozettel. Mack fährt dann fort: „Eurer
Majestät weise und große, in Ihrem Befehlsschreiben mir bedeutete
Grundsätze, ,mit Vorrückung und Ausdehnung der Armee so be-
hutsam zu Werk zu gehen, daß die feindliche Übermacht uns nir-
gends überraschen könne, noch die Armee der Notwendigkeit eines
die Truppen decouragierenden und ermattenden Rückzuges aus-
gesetzt werde', waren stets der Leitfaden aller meiner bisherigen
Dispositionen und werden es fortdauernd unabweichlieh sein. Aber
eben um nach diesen Grundsätzen zu handeln und sich den un-
aussprechlichen Vorteil vereinigter Kräfte zu erhalten, müssen wir
mit menschenmöglichster Tätigkeit die Hier suchen und dort zu
siegen oder zu sterben entschlossen sein, denn nur die Behauptung
dieses Flusses deckt alle Eingänge von Vorarlberg und Tirol ; jede
rückwärtige Stellung aber würde Truppen für die Eingänge nach
Tirol erfordern. Bestimmt man dazu nur geringe Zahl, so werden
die Eingänge forciert, Jammer und Lärm verbreitet sich im Innern
von Tirol und sogar im Rücken der italienischen Armee; schickt
man viele Truppen (die meiste Infanterie) dahin, so beschäftigt sie
der Feind durch unbedeutende — aber tätige Detachements, wirft
mit seiner Hauptmacht die traurigen geschwächten Reste der
Armee über den Inn zurtick, jagt sie noch vor Ankunft der Russen
gegen Wien und das Unglück wäre gemacht.
„Wenn mau übrigens auf gleiche Zahl und wenigstens auf
gleiche Güte rechnen kann, so wäre es um so unverantwortlicher,
^) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland PA, IX, 66Vo&.; Sehreiben des Ge-
sandten in Münehen an Maek vom 14. September.
— 188 —
sich Dicht soweit vorwärts, als nach der Lokalität nicht nur möglich,
sondern zugleich einleuchtend vorteilhaft ist, aufstellen zu wollen,
denn angenommeu auch (wie man es immer als möglich annehmen
muß), daß man mit gleicher Zahl und Güte geschlagen würde, so
wäre doch gewiß schon der Vorteil unermeßlich, um soviel weiter
von Wien entfernt zu sein, sich stets mit zusammengehaltenen
Kräften in einer nahen rückwärtigen Position neuerdings aufstellen
— neuerdings verteidigen und entweder neuerdings vorwärts ver-
helfen oder wenigstens nur allmählich den heranrückenden Eussen
in gesetzten Schritten entgegengehen — mithin das schreckliche
Zurückweichen gegen Wien vermeiden zu können.
„Was übrigens die gleiche Zahl betrifft, die wir bis zur Ankunft
der Eussen haben werden, so geruhen Eure Majestät Allerg nädigst
zu erlauben, daß ich sie durch folgende einfache Berechnung beweise.
„Ich gebe die Wahrheit der höchsten Zahl, die von französi-
schen Blättern jetzt angekündigt wird, nämlich 40.000, die schon
an den Ehein disponiert sind, 70.000, die nachfolgen und 20.000,
die aus Hannover kommen, in allem also 130.000 Mann unbedingter-
weise zu und berechne dagegen die nach Deutschland bestimmten
Truppen Eurer Majestät folgendermaßen :
„Dermalen sind 5 Kolonnen auf dem Marsche gegen die Hier :
63 Bataillons, 78 Eskadronen
Mit diesen Kolonnen wird sich an
der Hier alsobald das Korps von
Peldkirch vereinigen mit 21 „ 8 „
Von Wels werden etwa 10—12
Tage später neuerdings an der
Hier eintreffen U „ 32 „
Wieder einige Tage später werden
von Wels noch 6 Grenzbatail-
lone und das Gemmingsche In-
fanterieregiment aus Böhmen
anlangen ... 10 „ — „
Zu gleicher Zeit kann das Aunen-
bergsche Korps aus dem west-
lichen Tirol eintreffen mit 2P) „ — „
Auf diese folgen von Wels noch
5 Kavallerieregimenter mit — „ 38- „
Sinnme 126 Bataillons, 156 Eskadronen
^) Eandbem erkling von der Hand Maeks :
..Wenn dieses Aiiffen bergsehe Korps noch nicht aus Tirol nach Deutseh-
land in Marsch gesetzt sein sollte, so darf ich Euer Majestät in tiefster Ehrfurcht
— 189 —
Diese betragen :
126 Bataillons ä 800 Mann 100.800
156 Eskadronen ä 140 „ 21.840
Artillerie 4.000
Summe.... 126.640
„Alles, was nach dieser Rechnung fehlt, besteht in 3360 Mann,
weil ich 8 Bataillons Siebenbürger, die zu der deutschen Armee
annoch bestimmt sind, nicht in Anschlag bringen wollte, da sie erst
zu gleicher Zeit mit den Eussen eintreffen können. Dafür aber darf
ich mir doch ohne Leichtsinn zu vermuten erlauben, daß die Zahl
der 130.000 Franzosen auch nicht so ganz gewissenhaft und von
französischen Blättern gewiß nicht zu gering angegeben sein
werde.
„Man kann mir nicht einwenden, daß unsere Bataillons und
Eskadronen nicht komplett sind, denn die französischen sind es
ebensowenig^) ; auch würde es noch unbilliger sein, mir den Ein-
wurf machen zu wollen, daß unsere Streitkräfte sich nur nach und
nach versammeln, weil bei dem glücklichen Vorsprung, den wir
gewonnen haben, die Erscheinung und Aufstellung der Franzosen
auch nur nach und nach geschehen kann und wir alle mögliche
positivste Gewißheit haben, wenigstens stets mit gleicher Zahl Wider-
stand leisten zu können. Nach dieser Berechnung darf ich um so
zuversichtlicher hoffen, daß Eure Majestät meine Beharrlichkeit für
bei dem Ziel der großen Sache beschwören, alsobald die schleunigsten Befehle
deswegen zu geben."
Am selben Tage unterschrieb der Kaiser in Wien den Befehl, daß PML.
Auffenberg mit 3 Regimentern (15 Bataillonen) sofort nach Landeek zur Ver-
fügung des Erzherzogs Ferdinand abzumarschieren habe.
^) Hier erkennt man die Art, wie Mack sich selbst und den Kaiser betrog.
Er gibt die Stärke der Franzosen einfach, ohne sich in die Berechnung nach
Bataillonen einzulassen, mit 130.(X)0 Mann zu. Dann berechnet er die Stärke der
österreichischen Armee nach falschen Ständen auf 126.000 Mann und weist so
nach, daß die Armeen fast gleich stark sein werden. Dem Einwurfe, daß seine
Berechnung falsch sei, weil die österreichischen Bataillone und Eskadronen nicht
die angenommene Stärke besäßen, will er mit dem Hinweis begegnen, daß auch
die französischen nicht komplett seien, was zweifellos zutreffen mochte. Nur war
die Stärke der Franzosen ohne Rücksieht auf den Stand der Bataillone und Es-
kadronen mit 130.000 Mann zugegeben, wogegen die österreichische nur bei
vollem Stande die Zahl von 1"26.000 Mann erreicht hätte. Tatsächlich mußte
somit die österreichische Armee weit schwächer als 126.000 Mann, also auch
weit schwächer als die Franzosen sein.
— 190 —
die Aufstellung aii der Hier und die Tätigkeit, womit ich sie zu er-
reichen gesucht, nicht nur Allergnädigst zu genehmigen — sondern
vielleicht mit Allerhöchstihrer gewohnten Huld und Gnade mir es
als verdienstlich anzurechnen Allergnädigst geruhen werden, daß ich
mich durch keine der Oppositionen, die ich seit geraumer Zeit dar-
über erdulden mußte, irremachen ließ, sondern nur meiner Über-
zeugung und meinem Gewissen folgte.
„In sehr kurzer Zeit hoffe ich, an dieser bedeutenden Hier (!)
so fest etabliert zu sein, um allen möglichen feindlichen Unter-
nehmungen nachdrücklichsten Widerstand leisten zu können. Morgen
werde ich die allgemeine Versammlung und Dislokation der Armee
ausarbeiten und expedieren und hoffe in der morgigen Nacht den
Major Koudelka vom Generalstab an Eure Majestät damit abfertigen
und ihm Instruktionspunkte, die er Allerhöchstdenenselben münd-
lich deutlicher zu erläutern haben wird, mitgeben zu können.
„Diese Dislokation wird solchergestalt en Ordre debataille
genommen werden, daß die Armee zwar ganz bequem untergebracht
— aber dennoch in einigen wenigen Tagen sich zu versammeln
vermögend sein wird, um den Kampf auf Leben und Tod für ihren
angebeteten und anbetungswürdigsten Monarchen mit freudigstem
Mute zu bestehen, dessen Allerhöchste Gegenwart allein noch er-
mangelt, den vortrefflichsten Geist der Truppen auf den möglichst
höchsten Grad zu bringen und sie unüberwindlich zu machen."
Mack schließt mit der Meldung, daß er nach Ulm und Mem-
mingen reise, um deren Befestigung zu veranlassen^).
Man kann sich nicht wundern, daß der gütige Kaiser Franz
dieser Art von Beredsamkeit nicht gewachsen war. Wie leichtfertig
aber der tatsächliche Armeekommandant seinen Monarchen beraten
hat, zeigt ein Vergleich der Stärkeberechnung Macks mit dem auf
^) Maek sandte eine Abschrift dieses Berichtes und aller folgenden Berichte
an seinen Gönner, den Minister des Äußern Grafen Cobenzl. Das Begleitschreiben,
von Mack eigenhändig gesehrieben, lautete:
„Euer Exzellenz beide verehrteste Sehreiben mit ihren Beilagen habe ich
richtig zu erhalten die Ehre gehabt. Wie schmeichelhaft mir Euer Exzellenz
gütiger Beifall sei, wäre ich mit Worten auszudrücken nicht vermögend. Möchten
Hoehdieselben auch mit dem Inhalt meines hier anverwahrten 6. Berichtes und
besonders mit der Aufstellung an der Ill^er ebenso gütig zufrieden sein(!).
„Ich erneuere Euer Exzellenz von Herz und Seele meine innigste unver-
brüchliche Verehrung und Anhänglichkeit. Mack."
Hof- und Staatsarchiv, Kriegsakten, 483.
— 191 —
S. 295 angegelieneu Stande der Armee vom 6. Oktober. Bis zu
diesem Tage hatte nur die Kavallerie einige Gefangene vor dem
Feind eingebüßt. Man hätte diesen „Irrtum" Macks verzeihen
können, wenn er ihn in Wien nur nach Sehätzungen, Mutmaßungen
und falschen Berichten begangen hätte. So aber kam dieser Bericht
aus der Mitte der marschierenden Armee, wo eine einzige Besichti-
gung einer vorbeimarschierenden Truppe genügt hätte, Mack die
Unrichtigkeit seiner Angaben klarzumachen. Für die Truppen hatte
aber dieser Tag und Nacht schreibende, reisende und rekognoszie-
rende Armeekomraandant keine Zeit. Er schien eben einer Berichti-
gung seiner falschen Ansichten um jeden Preis aus dem Wege ge-
gangen zu sein. Das ist eine Erscheinung, die man bei allen Mack
ähnlichen Charakteren beobachten kann: sie wollen von der Un-
richtigkeit ihrer Ansichten und Gefühle gar nicht über-
zeugt sein; sie verschließen sich jedem Gegenbeweis, auch dem
der Tatsachen absichtlich; sie haben eben immer recht und wenn
darüber alles, was ihnen anvertraut ist, zu gründe gehen sollte.
In der Nacht zum 18. September verfaßte Mack abermals
einen Bericht an den Kaiser, den er um 2^ 30^ früh von München
absendete ^).
Mack legte mit diesem Berichte die versprochene Dislokations-
übersicht und Ordre de bataille der Armee nach ihrer Versammlung
an der Hier vor und sagte dazu, „durch das unter Kommando des
FML. Fürsten Schwarzenberg angetragene respektable Korps d' Avant-
garde glaube ich Eurer Majestät Allerhöchsten Absichten mit diesem
vortrefflichen General entsprochen zu haben, was aber bei den
älteren Generalen Sensation machen wird^)".
Mack gibt dann seiner Sorge Ausdruck, daß er noch nichts
vom Abmarsch Auffenbergs höre und bittet daher dringend, den
Marsch dieses Korps anzubefehlen.
Weiter schlägt er vor, da Napoleon nichts nach Italien
sendet; auf Kosten der italienischen Armee ein Korps von 25 bis
1) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA. IX. SeVs- Von Mack eigenhändig
gesehrieben.
^ FML. Fürst Sehwarzenberg, der Vizepräsident des Hofkriegsrates und
spätere Sieger von Leipzig, war einer der rangjüngeren Generale der Armee,
daher eigentlieh nieht zur Führung eines Korps berufen. Er war aber einer der
einflußreiehsten und beim Kaiser in höchster Gnade stehenden Generale.
— 192 —
30 Bataillone zu bilden, das jederzeit zur deutschen Armee heran-
gezogen werden könnte, und sagt weiter:
„Es ist nicht möglich, daß Italien dadurch gefährdet werden
könnte, denn erwiesenermaßen hat Bonaparte im südlichen Frank-
reich fast gar keine Truppen. Wann aber könnten jene von Boulogne
dahin gelangen, um unsere italienische Armee zu erreichen? Eüie
Offensive unserer Armee in Italien kann die deutsche keineswegs
retten, da jene nur einen Festungskrieg, mithin nur einen lang-
wierigen führen kann und Bonaparte deswegen keinen Mann nach
Italien schicken wird, bis er nicht seine Alisichten auf unsere
deutsehe Armee ausgeführt hätte. Zwar geben die ersten Nachrichten
an, daß 70.000 Franzosen nach Italien marschieren, schon aber
kommen andere, weit glaubwürdigere, daß nichts dahin marschiere,
sondern alles an den Ehein. Ich werfe mich Euer Majestät zu Füßen,
um AUerhöehstdieselben bei dem Heil Ihrer Völker zu bitten, keine
Gegenvorstellung über diese unwidersprechliche Wahrheit zu hören.
Die Anhäufung unserer Hauptmacht nach Italien weiß Bonaparte
nur zu gut und wird gewiß daraus Nutzen zu ziehen suchen. Wie
ewig beklageuswürdig würde es sein, in Deutschland unglücklich
zu werden, bloß weil in Italien mehr war, als nötig ist. Nur
ein alsobaldiger Machtbefehl Eurer Majestät wegen schleunigster
Aufstellung jenes Intermediärkorps kann diesem unermeßlichen
Unglück vorbeugen, denn wenn Allerhöchstdieselbe (vergeben Eure
Majestät meine Kühnheit wegen dem Heil der großen Sache) erst
Eat einholen, so geschieht nichts oder es geschieht zu spät. Nicht
einen Maun hat Bonaparte gegen uns im ganzen mehr als wir.
Aber wenn er 200.000 Mann in Deutschland und nur 100.000 in
Italien hat, wir nur 130.000 in Deutschland und 180.000 in Italien,
so stehen wir in der augenscheinlichsten Gefahr, in Deutschland
zu gründe zu gehen und unsere italienische Übermacht kann uns
auf keine Weise retten.
„Wie schrecklich wäre es, durch solche Fehler die Lage der
Umstände gefährden zu wollen, die doch gewiß dermalen unmöglich
beruhigender und glückUcher sein könnte, da alle Besorgnis — vor
Ankunft der Eussen mit überlegenen feindlichen Kräften kämpfen
zu müssen — verschwunden ist, diese Besorgnis, die Eure Majestät
vor und seit dem großen Entschluß so viel von Ihrer Euhe kostet.
„Der Freude des ersten Sieges können Eure Majestät sich nun-
mehr mit vollem, unwidersprechhchem Eecht überlassen und da von
— 193 —
der guten Grundlage so vieles abhängt, so läßt sieh wohl auf küut-
tige Freude entweder des Sieges der Friedenserhaltung und endlicher
Herstellung dauerhafter Ruhe — oder jene der notgedrungenen und
rechtmäßig erkämpften Siege mit aller Zuversicht hofien.
„Verzeihen mir Eure Majestät gnädigst diese Abweichung. Ich
hatte so oft Gelegenheit, Ihre Bekümmernisse, diese so verehrungs-
würdigen Bekümmernisse eines für das Wohl seiner Völker schla-
genden zärtlichen ßegentenherzens zu bemerken, daß ich sie mir
nicht versagen konnte.
„Durch Ihre Weisheit, Ihre Energie und Tätigkeit haben sich
Eure Majestät diesen ersten w^ichtigen Sieg verschafft.
,.Eure Majestät sind also auch gewiß entschlossen, in diesen
erhabenen Grundsätzen fortzuwandeln, und daher darf ich es um so
zuversichtlicher wagen, Allerhöchstdemselben den Vorschlag zu unter-
legen, baldmöglichst Ihre Infanterie noch mit 30.000 Mann, nämlich
mit 20 Feuergewehren pro Kompagnie zu vermehren^), gleich in
ein paar Monaten wären wieder ebenso viele Eekruten auszuheben,
so daß bis zum Frühjahr annoeh eine Reservearmee von 40 bis
50 Bataillons im Mittelpunkt zwischen der deutschen und italieni-
schen Armee formiert werden und, wo es zur Abwendung unglück-
licher oder zur besseren Beförderung glücklicher Umstände nötig
werden dürfte, verwendet werden könne.
„Wie sehr diese nur energische Verfügung selbst für die Er-
haltung des Friedens mit einem Gegner wie Bonaparte vorteilhaft
werden könne, geruhen Eure Majestät am besten Allergnädigst zu
erkennen. Ich wünschte daher auch, daß dieser' Veranlassung alle
möglichste Publizität gegeben würde."
Details will Mack vorlegen, „wenn Eure Majestät meine Alier-
untertänigste Bitte (gewiß die inständigste Bitte der ganzen Armee)
zu gewähren und uns in den ersten Tagen Oktobers mit Ihrer Aller-
höchsten Gegenwart auf 6 — 8 Tage zu begnadigen und zu beglücken
geruhen wollten".
^) Maek meinte damit eine abermalige Erhöluing des Kompagniestandes
um 20 Feuergewehre. Der ursprüngliche Stand war 160 Gewehre; mit Armee-
befehl vom 27. August wurde er auf 180 erhöht, was mit den 20 Unteroftizieren
der Kompagnie einen Mannsehaftsstand von 200 ausmachte. Nun sollte der Feuer-
gewehrstand auf 200 gebracht werden, der Mannsehaftsstand der Kompagnie
somit auf 220 Mann.
Kraus.s. 1805, Der Feldzug von Ulm. 13
— 194 —
Man muß sich angesichts dieses Berichtes nur fragen, warum
Mack erst jetzt auf diese Wahrheiten kam. Boulogne war schon im
Jahre 1804 von Italien ebensoweit entfernt wie zur Zeit der Ver-
fassung des Berichtes und auch die anderen Wahrheiten waren schon
damals richtig und erkennbar. Wie aber Mack wieder sofort seinen
Charakterfehlern unterlag, zeigt der Antrag mit der Verstärkung
aller Kompagnien um 20 Mann. Woher sollte diese Mannschaft ge-
nommen werden? Der Effektivstand der Armee war erschöpft, die
Rekrutierung war ohnedies schon auf das äußerste angespannt
worden, um nur die Eeservebataillone halbwegs aufstellen zu können,
und wenn selbst Rekruten in genügender Zahl zu haben gewesen
wären : wann hätte diese Maßregel für die Armee wirksam werden
können ^) ?
Von welchem Siege Mack spricht, konnte nicht klargestellt
werden. Zusammenstoß mit dem Feinde hatte es noch keinen gegeben;
die Bayern hatten sich den Mackschen Absichten ohne jeden Kampf
mit Erfolg entzogen. Wo und über wen dieser Sieg errungen worden
ist, bleibt daher dunkel, außer man bringt diesen Bericht doch mit
einem Brief Collenbachs vom 11. September an Mack in Verbindung,
in dem es heißt: „Meinen Glückwunsch zu dem Sieg über die
Bayern." Wie Mack dazu kam, von einem Sieg über die Bayern zu
sprechen — Oollenbach konnte das doch nur von Mack haben —
ist unerklärlich^).
^) Im Juli 1805 war der Abgang an Mannschaft für den Kriegsstand ein-
schließlich der Eeservebataillone und der ßeserveeskadronen mit 100.300 Mann
berechnet worden. (Standesüberschlag vom 6. Juli. Kriegsarehiv, 1805, Deutseh-
land, VII, 1.) Schon dieser Abgang konnte, wie FML. Duka nachgewiesen hatte
(vgl. S. 79), durch die Eekrutierung nicht gedeckt werden.
^) Dieser für die Beurteilung Maeks wichtige Brief lautet:
„Meinen Grlüekwunseh zu dem Sieg über die Bayern. Wer diesen ßonaparte
sehlagen will, muß einen Kurfürsten von der Pfalz bloß durch die Furcht schon
von weitem bezwingen können. Seine Majestät scheinen sehr zufrieden sowohl
mit dem Efifekt als mit den Anstalten dazu
„Kaiser Napoleon hatte, soviel wir wissen, den 30. von der Küste noch
nichts oder nichts Wesentliches weggezogen. Es wird zwar von Truppen, die im
Elsaß ankommen, gesprochen, bisher aber ist meist nur von denen, die ankommen
sollen, die Rede; außer was aus Garnisonen am unteren Rhein zusammengerafft
werden konnte und einiges aus den inneren Provinzen. Nun wird er schwerlich
eher mit einer bedeutenden Macht nach Bayern kommen als die Russen.
„Hier spricht alles von den schönen Armierungsanstalten des Generals
Maek! Das Publikum ist martialisch gesinnt, als wenn der Geist des Generals
195 —
PZM. Grat
Kolowrat in
Memmin oen.
Die von Mack vorgelegte Ordre de bataille und Dislokation der
Armee war (siehe Beilagen 10 und 11):
Avantgardekorps, PML. Fürst Schwarzenberg in Waldsee.
27 Bataillone und 40 Eskadronen in Radolfzell, Engen, Tutt-
lingen, Stockach, Mößkirch, Siegmaringen, Scheer, Mengen,
Pfullendorf, Markdorf, Ravensburg, Waldsee, Aulendorf, Saul-
gau, Schussenried, Biberach, Wurzach, Ochsenhausen.
21 Bataillone und 16 Eskadronen in
1. Treffen ' Ulm, Weißenhorn, Illertissen, lUer-
eichheim, Memmingen, Kempten.
21 Bataillone und 16 Eskadronen in
Leipheim, Günzburg, Ichenhausen,
2. Treffen ^ Eoggenburg, Thannhausen, Krum-
bach, Babenhausen, Günz, Ottobeuren,
Tingau.
Reserven, FML. Freiherr v. Werneck in Buehloe. 26 Bataillone
und 40 Eskadronen in Wertingen, Burgau, Zusmarshausen,
Biburg, Augsburg, Pfaffenhausen, Schwabmünchen, Türkheim,
Buehloe, Landsberg, Kaufbeuren, Schongau.
Detachiertes Korps, FML. Freiherr v. Jellachich. 21 Ba-
taillone und 16 Eskadronen in Lindau, Merseburg, Buchhorn,
Tettnang.
Von diesen Truppen waren Ende September noch nicht ein-
gerückt : 6 Bataillone und 2 Eskadronen des Avantgardekorps, 8 Eska-
dronen des 1., 18 Bataillone und 16 Eskadronen des 2. Treffens,
8 Bataillone und 8 Eskadronen des Eeservekorps.
Nach dieser Dislokation sollte das Ende September nur 21 Ba-
taillone und 38 Eskadronen starke Avantgardekorps auf einen Raum
von 45 km Breite und 90 hm Tiefe, die zwei Treffen auf eine Breite
von 80 hm, und die ganze, Ende September nur 84 Bataillone und
Hitzig (Scherzname Maeks?) in die Leute gefahren wäre Meine Frau
küßt Sie und dankt mit mir. Ihr Beifall macht sie so stolz, daß ich nun bei ihr
den Staatsrat Unrecht abgeben muß.
„Auch ich bin stolz, die Freundschaft eines Mannes zu besitzen, den mein
Vaterland mit mir verehrt und von dem die Nachwelt laut sprechen wird, wenn
alle Staatskanzleien vermodert und vergessen sein werden."
Ist es nicht sonderbar, wie schlecht man in Wien noch am 11. September
über den Marsch der Franzosen unterrichtet war?
Darf man sich wundern, daß dieser Weihrauch einem so eiteln Manne wie
Maek die Sinne umnebelte?
13*
— 196 —
102 Eskadronen, also höchstens 50.000 Mann Infanterie und 10.000
Reiter starke Armee auf einen Eaum von 220 hn Tiefe (Engen —
Ingolstadt) und 130 hn Breite (Peldkirch— Ulm) verteilt werden. Zu
ihrer Versammlung bei ülra wären wenigstens acht Tage nötig
gewesen.
Auffallend ist bei dieser Dislokation weiter, daß die noch weit
rückwärts marschierenden Peterwardeiuer und Deutsch-Banater Grenzer
ihre Einteilung ganz vorne bei Tuttlingen, Stockach und Radolfzell
erhalten hatten.
Am 18. September reiste Mack nach Ulm, wo er am 19. dem
Chevauxlegersregiment Eosenberg den Befehl gab, nach Hechingen
vorzugehen (Beilage 11) und je eine Eskadron nach Mannheim und
Straßburg zur Aufklärung vorzusenden. Beim Zusammentreffen mit
den Franzosen sei nicht mit den Feindseligkeiten zu beginnen. Das
Infanterieregiment Württemberg werde Befehl erhalten, am 27. Sep-
tember mit drei FüsiUerbataillonen von Burgau aufzubrechen und am
1. Oktober in Hechiugen einzutreffen. Das Regiment sei dem Kom-
mandanten von Eosenberg-Ohevauxlegers unterstellt, „um soviel wie
möglich vor und seitwärts Terrain zu gewinnen, wenigstens sich
aber in seiner Stellung zu behaupten, außer Übermacht zwinge ihn
zum Eückzug".
In einem vom 19. September, lO'' nacht, aus Ulm datierten
Berichte bittet Mack den Kaiser auf neue Nachrichten hin abermals,
30 Bataillone von der italienischen Armee in Eilmärschen über Inns-
bruck und Füssen nach Deutsehland zu beordern. Er sagt, daß nach
Aussage vieler Kaufleute und Eeisenden die Nachricht, 70.000
Franzosen gingen nach Italien, absichtlich verbreitet worden sei. Er
fährt dann fort:
„Alles und alles, nur vielleicht 10.000—12.000 Mann aus-
genommen, die an den südlichen Küsten und in südlichen Gegenden
Frankreichs standen, zieht sich an den Ehein und nicht mehr lange,
so werden zwei französische Hauptarraeen, die eine wahrscheinlicher-
weise bei Hünningen, die andere bei Mannheim und Mainz diesen
Strom passieren, von welchen die erstere gegen Eure Majestät an
der Hier aufgestellte Armee zu operieren, die andere über Würzburg
gegen Böhmen vorzudringen die Absicht haben dürfte.
„Diesen oder anderen Absichten werden wir zu begegnen ver-
mögend sein, wenn wir die angetragenen Verstärkungen aus Italien
und wenn wir sie (wo es jetzt noch möglich ist) in rechter Zeit
— 197 —
erhalten. Aber unvermeidlich würden wir in Deutschland unterliegen
müssen, wenn sie nicht erfolgten, und ich darf mit ehrerbietigster
Freimütigkeit zu wiederholen wagen, daß es unsere eigene größte
Schuld — mithin unverantwortlich sein würde.
„Eure Majestät geruhen sich Allergnädigst zu erinnern, daß
mir einstens in dem ersten Yerteilungsentwurf der Streitkräfte zwischen
Italien, Tirol und Deutschland nicht der geringste Einfluß gestattet,
sondern daß er Eurer Majestät unmittelbar vorgelegt und mir nur
als eine von Allerhöchstdenselben sanktionierte Basis, auf welcher
ich die Marscheinleitungen zu treffen hatte, zugestellt wurde. Ob es
schon damals zweckmäßiger gewesen wäre, gleich von allem Anfang
ein Drittel aller Truppen für Deutschland, ein Drittel für Italien und
ein Drittel als intermediäre Eeserve anzutragen, so mußte ich mir
doch aus Rücksichten, die Eurer Majestät nur zu sehr bekannt sind,
Gegenvorstellungen versagen und konnte es, ohne gegen mein Ge-
wissen zu handeln, so lange als es möglich und wahrscheinlich
war, daß Frankreich seine von den Küsten zurückziehende Armee
teilen oder vielleicht sogar mehr davon nach Italien als nach
Deutschland disponieren würde. Diese Möglichkeit, diese Wahrschein-
lichkeit bestand anfänglich, so lange man zu besorgen hatte, daß
Bonaparte das Geheimnis des Abschlusses mit Rußland und des
russischen Einmarsches alsobald durchdringen und ungesäumt seine
Truppen von den Küsten zurückziehen würde. Alsdann wäre es, weil
er die physische Zeit und Möglichkeit dazu gehabt hätte, wahrschein-
lich gewesen, daß er seine Hauptmacht nach Italien ziehen würde,
um von jener Seite gegen Eurer Majestät Erbstaaten einen ent-
scheidenden Hauptstreich auszuführen^).
'■) Vergleiche damit die Darlegungen Maeks in dem Berichte vom 18. Sep-
tember, S. 192.
Interessant ist es, diese Klagen Maeks mit einem Briefe zu vergleichen,
den der französische Gesandte in Wien am 25. August nach Paris sandte. Er
schreibt: Das Lager von Budweis wird nicht stattfinden: auch das von Minken-
dorf v?urde vyiderriifen. Die Truppen dieser beiden Lager erhielten Befehl, nach
Wels zu marschieren. Das Lager von Pettau ist nach Laibaeh verlegt, die Eegi-
menter sind schon dahin im Marsehe. Die Wiener Garnison marschiert in wenigen
Tagen ab, dafür kommen Kroaten aus Ungarn.
Man sagt, der Kaiser werde selbst die Armee in Italien kommandieren mit
Maek als Generalstabschef. Erzherzog Karl wird allgemein als Kommandant der
Armee in Deutsehland genannt.
„Der General Mack soll sieh bald nach Italien und Tirol begeben, um
dort die letzten im Hofkriegsrat oder vielmehr von dem General Maek
— 198 —
„Durch sein Verweilen an den Küsten aber hat er alle Mög-
lichkeit dazu verloren und es bleibt ihm nur noch die HoflfnuDg auf
die mögliche Ausführung eiüer solchen Absicht in Deutschland.
Noch hielt ich zurück mit meinen Vorstellungen, solange das ob-
angeführte Gerücht des Marsches von 70.000 Franzosen nach
Italien nur einigen Glauben behielt; aber von dem Augenblicke,
wo sich dieses widerlegte, würde ich mich der schwersten Verant-
wortlichkeit ausgesetzt haben, fernerhin zu schweigen. Nur die
42 Bataillone aus Vorarlberg und aus dem westlichen Tirol und eine
Verstärkung von 30 Bataillonen aus Italien können und werden uns
in die Möglichkeit setzen, allen Absichten des Feindes mit dem
gehörigen Nachdrucke zu begegnen. Die Armee in Deutschland wird
sodann (weil die acht JSiebenbürger Bataillone nur erst zu gleicher Zeit
mit den Eussen kommen) aus 156 Bataillonen, die italienische aber
mit dem südlichen Tirol annoch aus 164 Bataillonen bestehen, mithin
immer noch stärker als jene in Deutsehland sein, während als alle
moralische Gewißheit besteht, daß der Feind nur ein Drittel seiner
Kräfte in Italien und zwei Drittel derselben in Deutschland ver-
wenden wird, für Italien aber (selbst wenn es möglich wäre, daß
sich die erste Nachricht von dem Marsche der 70.000 Franzosen
nach Italien noch bestätigte) nicht das geringste zu besorgen sein
kann, weil es ganz unmöglich ist, daß sie die Etsch früher erreichten,
als es nach Eintreffung der Eussen möglich sein würde, aus Deutsch-
land wieder Verstärkungen nach Italien zu bringen.
„Jeder unparteiische Eichter mag urteilen, ob der Vorteil dieser
Eepartition nicht immer noch auffallend für Italien bliebe, besonders
da man dort schon seit so langer Zeit Verteidigungsanstalten aller
Art getroffen hat. Aber auch mit einer minderen Zahl, als wir sie
in Deutschland haben sollten, hoffe ich zu Gott und Eurer Majestät
Gegenwart, daß Allerhöchstdieselben den großen Kampf glücklich
bestehen und bis zur Ankunft der Eussen wenigstens keinem be-
deutenden, nicht bald wieder herzustellenden Unglück ausgesetzt
werden sollen.
allein gefaßten Dispositionen zur Durchführung- zu bringen; denn es ist
sieher, daß für alles, was die Verteilung der Truppen, die mili-
tärischen Bewegungen, die Reglements und Verordnungen betrifft,
der General vom Kaiser die weitesten Befugnisse erhalten hat,
und daß der Widerstand, den er zuerst beim Erzherzog Karl ge-
funden hat, jetzt Null ist."
— 199 —
„Nur ist von diesem Augenblick die äußerste Tätigkeit das
dringendste Gesetz und daher muß ich Eure Majestät auch auf das
allerinständigste untertänigst bitten, daß Allerhöchstdieselben die
Beschleunigungsmaßregeln, welche ich in dem Handbillettentwurfe
aufgeführt, zu genehmigen und gnädigst versichert zu sein geruhen
mögen, daß durch solche Maßregeln niemand zu gründe gehe, wie
ich hoffe, daß Eure Majestät sich bald bei Allerhöchst Ihrer Ankunft
zu der Armee werden überzeugen können, wo ich selbst Eure
Majestät um strenge Nachfrage und Untersuchung untertänigst bitten
werde, weil ich leider nur zu sehr besorgen muß, daß ich wieder
als Unbesonnener und als ein Verderber der Truppen angeklagt
worden sei. Wer solche Mittel (wenn sie nötig werden, um einen
höheren Zweck zu erreichen) vernachlässigt, wird sich leicht durch
eigene Schuld in Unglück stürzen und sodann nicht einmal Trost
in seinem Gewissen finden^) "
Dieser Bericht fordert zu einigen Bemerkungen heraus.
1) Kriegsarchiv,' 1805, Deutsehland PA, IX, 66V4.
Der Entwurf des Handbilletts enthielt:
a) Den Auftrag, sofort mit Kurier anzuordnen, daß 30 Bataillone, somit
6 der rückwärtigen Regimenter der italienischen Armee sofort in starken Märsehen
über Innsbruck und Füssen zur Armee in Deutsehland abrücken. Tornister auf
Wagen, Verpfiegszubuße.
b) Vorkehrungen hinsichtlich Verpflegung, damit die 1. russische Armee
aus Mähren über Iglau, Neuhaus, Tabor, Strakonitz, Klattau nach Waldmünehen
dirigiert werden könne. (Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, IX, 66 V4«-)
Das Begleitsehreiben der an den Minister Grafen Cobenzl gesandten Ab-
schrift dieses Berichtes lautete:
„Vergeben Euer Exzellenz, wenn ich durch einen neuen Kurier schon
wieder mit SoUizitationen komme und sie Ihrer Unterstützung auf das aller-
angelegentlichste empfehle. Durch unsere eigene Schuld würden wir unglücklich
werden, wenn wir nicht die Maßregeln ergreifen, die die Umstände ebenso ein-
leuchtend als dringend erfordern.
„Wenn ich mir bisher etwas vorzuwerfen gehabt, so ist es meine Besorgnis,
der hohen Person, deren Anordnungen ich angreifen muß, neuerdings mißfällig
zu werden. Aber noch ist nichts versäumt, wenn alles mit der nötigen Tätigkeit
veranlaßt wird. Und warum sollten wir dies nicht, wenn unser gegenwärtiges
und zukünftiges Heil so wesentlich davon abhängen kann.
..Ich setze meine ganze Hotfnung auf Seine Majestät selbst und auf die
Weisheit der beiden verehrungswürdigsten Herren Minister, die Sie darüber hören
werden. Diese Hoffnung gibt mir freudigen Mut und solange nicht jene, wird
mich auch dieser gewiß nicht verlassen.
„Ulm, am 19. September 1805, 9h abend. Maek."
Hof- und Staatsarehiv, Kriegsakten, 484. Von Maek selbst gesehrieben.
— 200 —
Wie es klar wird, daß sieh das Ungewitter über der deutschen
Armee zusammenzieht, wird Maek unruhig und versucht es sofort,
den wesenthchen Teil der Verantwortung von sich ab auf Erzherzog
Karl zu wälzen. Er scheut sich nicht anzudeuten, daß er wohl immer
der Meinung war, daß die Hauptkraft nach Deutschland gehöre, daß
er aber nur aus gewissen Rücksichten Gegenvorstellungen unterlassen
mußte. Dieses jesuitische Vorgehen muß gebrandmarkt werden. Mack
hatte sich mit allen Mitteln in die leitende Stellung an die Seite
des ^Monarchen gedrängt ; er ging dabei, wie bereits erwähnt worden
ist, mit der größten Rücksichtslosigkeit gegen den Erzherzog Karl
vor. Jetzt behauptet er, daß er in dieser hervorragenden Vertrauens-
stellung nur aus persönlicher Rücksicht auf den Erzherzog Karl,
gegen seine bessere Einsieht, geschwiegen habe. Mack hat also nie
gefühlt, wie erbärmlich dieses Verhalten für ihn gewesen wäre, viel
erbärmlicher als der schwerste, in gutem Glauben begangene Fehler.
Er glaubt für diese Unterlassung weniger verantwortlich zu sein
als für eine unglückliche Tat. Dieser Glaube ist aber weit verbreitet.
Das Beharrungsvermögen im Althergebrachten, die Scheu vor Neue-
rungen haben zum großen Teil ihre Ursache in diesem leider be-
rechtigten Glauben. Für das, was man tut, ist man unbedingt ver-
antwortlich ; fällt es schlecht aus, muß man somit die Folgen tragen ;
für das, was man unterläßt, d. h. für das Fortwursteln im Alten wird
man aber leider nicht verantvvortlich gemacht. Kein Wunder, daß
sich viele Menschen an das Fortwursteln im Alten, an den alten
Schimmel halten und jeden, der sie zwingen wollte, etwas Positives,
Verantwortungsvolles zu tun, geradezu als ihren Feind betrachten.
Man muß daher jeden, insbesondere Männer in leitenden Stellungen
vor allem für das verantwortlich machen, was sie gegen ihre
Pflicht unterlassen haben. Einer der schönsten und besten Sätze
des Exerzierreglements lautet : „Ein Fehlgreifen in der Wahl des
Entschlusses schadet weniger als Zaudern und Unterlassen"; daher
sollte man aber auch das „Unterlassen" rücksichtsloser zur Verant-
wortung ziehen als das „Fehlgreifen". Leider wird in der Regel das
Umgekehrte geübt. Wird aber etwas aus niedrigen, persönlichen
Gründen, wie z. B. aus Rücksicht auf einflußreiche Personen, um oben
nicht anzustoßen, oder aus Rechthaberei, Unfehlbarkeitsdünkel u. dgl.
unterlassen, dann sollte man gegen Personen, die solches verschulden,
desto rücksichtsloser vorgehen, in je einflußreicheren Stellen sie diese
Unterlassungen begangen haben.
— 201 —
Mack mißbraucht das Wort „Tätigkeit" in jedem seiner Be-
richte. Es ist merkwürdig, wie viele Menschen die einfachsten und
klarsten Begriffe ganz falsch auffassen. Das Verhalten Macks, das
ruhelose Herumreisen und Rekognoszieren, das fortwährende Ändern
der Befehle, das ununterbrochene Berichtesehreiben sind ebensowenig
„Tätigkeit" wie das Abhetzen der Truppen; .^^ack hat nur eine
fieberhafte, ihn, seine Umgebung und die Truppen ruinierende
Geschäftigkeit entwickelt; schon ist zu ihm die Volkesstimme
gedrungen, die ihn den „Verderber der Truppen" nennt; wie die
Folge zeigen wird, mit vollstem Rechte.
Mack wirft in seinem Berichte auch die Frage der Neutralität
Preußens auf und sagt, daß die Absicht der Russen, Preußen mit
Gewalt von der Neutralität abzubringen, sehr gefährlich sei; dagegen
dtirfte es Rußland wohl gelingen, den Neutralitätsschutz der kleinen
deutschen Staaten durch Preußen zu verhindern, was wichtig wäre,
um dadurch „zugleich den Weg durch Hannover gegen Holland
offen zu behalten, wohin sodann der Krieg mit Nachdruck gespielt
werden könnte und gespielt werden müßte, weil es, wie ich oft
gesagt, für Frankreich keinen empfindlicheren Punkt geben kann
als diesen^)". Man sieht, wie diese von Jugend auf eingesogenen
Ideen den Mann nicht loslassen, wenn er auch zeitweise, wie im
Berichte vom 18. September unter der Wucht der drohenden Er-
eignisse klar und einfach denkt.
Mack schließt dann seinen Bericht:
„Ulm als Festung habe ich zwar sehr ruiniert gefunden, aber
gegen einen Anlauf wird es in der Zeit von 3 Wochen wieder hin-
länglich haltbar gemacht sein; immer ein großer Vorteil, besonders
wegen der Kommunikation mit beiden Ufern der Donau.
„Von Memmingen gibt mir der Oberst Dedovich, welelier es
gestern schon gesehen, die erfreulichsten Nachrichten. Ich reise
heute nacht dahin ab, um morgen alles zu untersuchen und anzu-
ordnen. "
Die Artillerie für Ulm und Memmingen will Mack aus Braunau
nehmen, „diesem erbärmlichen Neste, welches gar keiner Verteidigung
fähig ist".
Während Mack die Armee derart an die Hier führte, erwartete
ihr Kommandant in Wien den Befehl oder vielmehr die Erlaubnis,
zur Armee abzugehen.
M Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA. IX, 6-4^4.
— 202 —
Erzherzog Ferdinand war mit den Maßnahmen Macks durchaus
nicht einverstanden. Er ging deshalb zum Erzherzog Karl und gab
ihm dies bekannt; besonders war er damit nicht einverstanden, daß
die Armee an den Lech vorgezogen wurde, weil dies der erste
Schritt zu ihrer Aufopferung sei. Er erklärte dem Erzherzog Karl,
daß es ihm unmöglich sei, unter solchen Verhältnissen ohne be-
stimmte Instruktion zur Armee abzugehen. Er legte daher am
11. September dem Erzherzog Karl und am 13. September dem
Kaiser folgendes vor:
1. Die ganze Infanterie der Armee wäre zwischen Inn und
Lech zu verlegen, und zwar südlich der Straße Mühldorf, München,
Friedberg; die schwere Kavallerie hätte am rechten Inn-Ufer zu
bleiben, die leichte Kavallerie bei der Infanterie, nur einige ihrer
ßegimenter wären über den Lech vorzusenden.
2. Die Infanterie der Brigade Wolfskeel hat nach Bregenz zurück-
zukehren. Die Husaren könnten bis zu ihrer Ablösung vorne bleiben.
3. P'alls der Feind über die Hier vorgeht, hätte die eigene
Armee, wenn sie ihm gewachsen ist, ihm am Lech entgegenzutreten,
wenn nicht, dann hätte sie sich zurückzuziehen, weil die Bussen
nicht vor dem 9. November am Inn versammelt sein könnten.
Am 16. September wurde Erzherzog Ferdinand zum Kaiser
berufen.
Der Kaiser teilte ihm mit, Mack habe gemeldet, daß die Fran-
zosen bei Kehl über den Ehein gegangen seien und gegen Offenburg
vorrückten und daß Mack infolgedessen alle Truppen in forcierten
Märschen an die Hier ziehe, um dort den Franzosen zuvorzukommen.
Erzherzog Ferdinand stellte hierauf dem Kaiser vor, daß der in
diesem Augenblick geschehene Übergang der Franzosen über den
Bhein, wo sie noch nicht ihre ganze Armee am Bhein haben
konnten, wahrscheinlich nur erfolgte, um Nachrichten einzuziehen
und Eequisitionen durchzuführen. Was aber die forcierten Märsche
anlange, halte er diese für sehr übel angebracht, weil es sich jetzt
vor allem darum handle, die Armee erst auf den Kriegsfuß zu
organisieren, wozu ihr noch alles mangle, während die einrückenden
Transporte von Beurlaubten, Bekruten, Artillerie, Munition, Pferden
u. s. w. in die Unmöglichkeit versetzt würden, ihre Begimenter einzu-
holen. Der Kaiser, der diesen Darlegungen zustimmte und sichthch
mit der überstürzten Vorrückung Macks nicht einverstanden war,
gab dem Erzherzog den Befehl, zur Armee abzugehen.
— 203 —
Noch am 16. abend erhielt der Erzherzog Ferdinand folgendes
Handschreiben des Kaisers:
„Sie werden die aus 30 Bataillonen und oO Eskadronen be-
stehende Avantgarde meiner Armee in Deutschland, welche dermalen
schon bis an die Hier vorgerückt sein wird, an selber aufstellen und
allenfalls, soweit es zweckmäßig befunden werden wird, einen Teil
derselben oder einzelne Truppen davon vorrücken lassen, um jede
schwächere feindliche Avantgarde zu verhindern, weiter vorzu-
dringen
„Die Armee ist in enge Kantonierungen dermaßen zu verlegen
und alle Dispositionen so zu treffen, daß selbe vor der Vereinigung
mit den Eussen oder nicht eher durch die ganze französische Armee
angegriffen werde, bevor sie durch erhaltene hinlängliche Ver-
stärkung derselben gewachsen sein wird. Auch will ich, daß mit
meiner Armee nicht ohne Ursache zurückgewichen, dieselbe nach
den nun bestimmten Grundsätzen erforderlichenfalls aufgestellt, so wenig
als möglich verteilt und durch unnütze Strapazen ermüdet werde.
„Was ich wegen Verstärkung der unter Euer Liebden Kom-
mando zu stehen habenden Armee an den Hofkriegsrat erlassen
habe, ersehen Sie aus der Anlage und werden Sie in den vorzu-
nehmenden militärischen Operationen sich des Rates der bei der
Armee befindlichen ¥ML. Mack und GM. Mayer bedienen."
In dem Handschreiben war auch angeordnet, daß von den
k. k. Truppen keine Feindseligkeiten zu beginnen seien, sondern daß
man die Franzosen damit anfangen lasse.
Am selben Tage scheint der Kaiser den Entschluß gefaßt zu
haben, selbst auf einige Zeit zur Armee zu gehen, weil Minister
Graf Cobenzl den PML. Mack am 17. September benachrichtigt, daß
der Kaiser am 19. zur Armee abreisen werde, um sich etwa 10 Tage
bei ihr aufzuhalten.
Bevor der Kaiser Wien verließ, gab er Befehl zur Beschleuni-
gung der Nachrückung aller Truppen, einschließlich der russischen
Armee (dieser Befehl wurde schon am 21. vom Generalkommando
Wien weitergegeben). Diesen Anordnungen nach sollten die In-
fanterieregimenter Deutschmeister und Gyulai und die sechs Grenz-
regimenter mit Vorspann derart befördert werden, daß sie in der
Zeit vom 4. bis 13. Oktober bei Dachau nordwestlich München ein-
treffen konnten. Hiezu waren täglich 1378 Vorspannswagen und
350 Paar angeschirrte Pferde nötig.
— 204 —
Auch die Infanterie der russischen Armee sollte nach diesem
Befehl mit Vorspannswagen befördert werden; sie wurde auch tat-
sächlich von ]Mistek an der mährisch-schlesischen Grenze mit Wagen
befördert, wozu täglich 2523 Vorspannswagen nötig waren ^).
Erzherzog Ferdinand traf am 19. September in München ein.
Er sandte sofort an Mack den Befehl ab, nach München zu kommen.
Am 20. September berichtete der Erzherzog an den Kaiser:
„Bei meiner Ankunft in Alt-Ötting ■^) am 19. dieses fand ich,
daß FML. Maek bereits alle zum Hauptquartier gehörigen Branchen
und Departements mit sich nach München genommen, für seine
Person aber nach Ulm und Memmingen gegangen sei. Ich habe
mich daher hieher begeben und FML. Mack zu mir berufen.
„Die Avantgarde, bestehend aus 30 Bataillonen und 30 Eska-
dronen, ist bereits größtenteils über die Hier gesetzt worden, ihre
Detacheraents streifen bis Stockaeh und Mößkirch, der noch übrige
Teil der Armee, 33 Bataillone und 48 Eskadronen, war im Marsche
gegen den Lech und die Hier begriffen, um sich längs der Hier zwischen
Memmingen und Ulm auszudehnen. Mit dieser geringen hier aus-
gewiesenen Stärke sieh auf so weite Entfernung vorzuwagen und
den widrigen Eindruck plötzlicher Rückmärsche bloßzugeben, ist
wider den Geist der Anordnungen Eurer Majestät, wider die 3Iög-
lichkeit irgend eines bedeutenden Vorteils, wider die Grundsätze
eigener Sicherheit und alles desjenigen, was zum guten Bestand der
Armee erforderlich und nützlich ist.''
Erzherzog Ferdinand ließ daher alle 33 Bataillone und 48 Es-
kadronen halten, um sie zwischen dem Lech und München zu ver-
sammeln. Weiter sprach er die Absicht aus, auch die Vorhut nach
und nach ohne Aufsehen hinter die Bier zurückzunehmen^).
Erzherzog Ferdinand gibt an. daß in der ganzen Administration
die größte Unordnung herrschte, da sich ^lack nie darum ge-
kümmert hatte; das Administrationspersonal war erst auf dem Wege
zur Armee.
Erzherzog Ferdinand erhielt von Mack den Dislokationsentwurf
für die Armee, in dem auch alle noch nachrückenden Truppen auf-
genommen waren. Nach diesem Entwürfe (Beilage 10) war die
Armee in ein Avantgardekorps, in ein 1. und in ein 2. Treffen und
1) Kriegsarchiv, 1805, Deutsebland, VIII, 6 und IX, iVI._.
^) 35 hm westlieli von Braimau am Inn.
=*) Kriegsarehiv, 1805, Deutseliland F A, IX, 24.
— 205 —
in eine Reserve gegliedert udcI sollte im Räume südlich der Donau,
von Radolfzell. Engen. Tuttlingen bis an den Lech kantonieren.
Erzherzog Ferdinand sagte dazu: „Diese Dislokation war wohl
sehr schön entworfen, nur war dabei nicht an den Fall gedacht,
daß Napoleon mit seiner ganzen Armee eher da sein könnte als
ein großer Teil der österreichischen Truppen."
Mack ließ sich durch den Kefehl. nach München zu kommen,
in seinem Beginnen nicht stören. Er sandte am 20. September aus
Memmingen an den Erzherzog einen Bericht, in dem er meldet,
daß er Memmingen in Verteidigungsstand setzen lasse. In 14 Tagen
dürfte der Platz so weit sein, daß er gegen Handstreich verteidi-
gungsfähig ist. (Danach hätte also Memmingen in der ersten
Oktoberwoche gegen Handstreich geschlossen sein sollen.) Heute
nacht reise er nach Kempten, das für die Position an der Hier
äußerst wichtig sei. um auch dieses in Verteidigungszustand
versetzen zu lassen. Er werde am 21. abend im Hauptquartier
Mindelheim eintreffen. „Die Gründe, welche von mir fordern.
die Defensionslinie von Ulm. Memmingen und Kempten zu unter-
suchen und alsobald alle nötigen Anstalten zu treffen, sind von
der höchsten Wichtigkeit. Schon lange sehnte ich mich, durch
die Vorrückung der Truppen in die Möglichkeit dieser Untersuchung
gesetzt zu werden. Jeder geringste Zeitverlust könnte bei den
vorliegenden Umständen von den nachteiligsten Folgen sein." Er
bittet dann den Erzherzog, sich ins Hauptquartier nach Mindelheim
zu begeben.
Bei der Abfertigung des Kuriers erfuhr Mack. daß Erzherzog-
Ferdinand die Kolonnen des FML. Riesch habe halten lassen.
„Ich werfe mich Eurer königlichen Hoheit zu Füßen." schrieb
Mack daher, „um Sie bei dem Heil der großen Sache zu beschwören,
daß Höchstderselbe den Befehl wegen ohngesäumter F'ortsetzung des
Marsches alsobald zu erneuern geruhen möchten. Geschieht dies
nicht, so habe ich hier bei der Armee nichts mehr zu tun und eile
nach Wien, um meinen Kopf dem Richterstnhl meines Monarchen
darzubieten, welchen ich. um mein Gewissen zu retten, schon lange
in die Schanze zu schlagen gelernt habe."
Dieses Schreiben spricht eine so deutliche Sprache, daß jede
Bemerkung dazu überflüssig ist. Erzherzog Ferdinand bemerkte dazu
nur, daß der Nachsatz einen erhitzten Kopf beweise, der keinen
Widerspruch gegen seine Ideen dulden wollte.
— 206 —
Am 21. September erließ Mack von Mindelheim aus die In-
struktion zur BefestifTung' Ulms. „Die allerhöchste Absicht", sagte
Mack, „ist. daß die vorhinnige Festung Ulm innerhalb 14 Tagen
wieder gegen allen Anlauf geschlossen und durch Wiederaushebung
der rasierten wichtigsten Erdwerke, vor allem die Kommunikation
mit beiden ufern der Donau sichergestellt werde."
4000 Arbeiter, dann Holz, Fuhrwerk und Schanzzeug waren
beizustellen.
Von diesem Moment an war Ulm für Mack befestigt.
Wie sehr sich aber Mack damit täuschte, zeigt eine Meldung
des Leiters der Befestigungsarbeiten. Genieoberst Dedovich vom
27. September. Er meldete, daß er nur 950 Zivilarbeiter und 800
Militärarbeiter habe anstatt der zugesagten 4000 Zivilarbeiter, daß ihm
Schanzzeug fehle und daß die württembergischen Beamten unter
Berufung auf die Reichs verfassung ihm Unterstützung zum Festungsbau
versagen. Auch verlangte er Geld, da er keines habe, um die Arbeiter
zu zahlen, Material und Werkzeug zu kaufen').
Man sieht, auch ein Befehl des Armeekoramandos genügt
nicht, Festungen aus nichts herbeizuzaubern. Es genügt daher nicht,
einfach zu befehlen. Man muß ein Urteil darüber haben, was man
befehlen kann und muß auch mit der ganzen Macht des Armee-
kommandanten für die Durchführbarkeit sorgen.
Erzherzog Ferdinand verständigte am 21. September den
FML. Mack. daß der Kaiser an diesem Tage abend in Landsberg
eintreffe, daß Mack daher nicht nach Mindelheim, sondern nach
Landsberg kommen solle. Erzherzog Ferdinand motivierte dann seine
Befehle mit dem Hinweis auf das kaiserliche Handschreiben vom
16. September. Er sei daher außer stände, seine Befehle zurück-
zunehmen, umsoweniger, als der Kaiser so nahe sei.
Erzherzog Ferdinand suchte noch vor dem Eintreffen des
Kaisers eine Zusammenkunft mit Mack, um — lassen wir dem Erz-
herzog das Wort — Mack nochmals vorzuhalten, wie gewagt es
sei, mit einem bloßen Armeekorps soweit vorzugehen, „umsomehr,
als wir bis dahin schon die sichersten Nachrichten hatten, daß
Bonaparte bereits seine ganze Küstenarmee nebst dem größten Teile
der im Hannoverschen und Holland verlegten Truppenkorps in
Marsch gegeu den Ehein gesetzt hatte; alle diese auf wenigstens
150.000 Mann zu berechnenden Truppen konnten berechnetermaßen
^) Kriegsarchiv, 1805, Deutsehland FA, IX, 51.
— 207 —
spätestens bis 10. Oktober an der Hier sein (wie es in der Folge
bewiesen wurde), wohingegen österreichiseherseits durch die bereits
allenthalben angeordneten forcierten Märsche mit Inbegriff der aus
Tirol nach Deutschland beorderten Truppen kaum 60.000 Mann zu-
sammenkommen konnten.
„Zugleich wollte ich auch dem PML. Mack vorstellen, wie
wenig eine durch forcierte Märsche aus den entferntesten Provmzen
kommende, weder mit Artillerie noch Paekpferden etc. versehene
Armee geeignet sei, im Monat Oktober einen Feldzug anzufangen,
ohne erst die nötige Zeit sowohl zum Ausruhen als zu ihrer inneren
Organisation zu gewinnen.
„Zweitens hoffte ich den FML. Mack dahin bewegen zu können,
den mit dem General Mayer entstandenen Wortwechsel zu vergessen,
um dadurch einen in seinem Fach von ihm selbst als sehr geschickt
anerkannten Offizier wegen einer Persönlichkeit nicht aus seiner
Wirksamkeit zu bringen, da ich mir zugleich vornahm, dem General
Mayer seinen gegen einen Vorgesetzten allerdings begangenen Fehler
ernstlich vorzuhalten. In einem mehr als zwei Stunden langen
Gespräch, in welchem ich dem FML. Mack weder in dem einen
noch anderen Punkte nur im mindesten von seiner gefaßten Meinung
abbringen konnte, überzeugte ich mich, wie falsch dieser Mann in
militärischer Hinsicht berechnete, wie wenig er den Geist sowohl
seiner als der feindliehen Armee kenne, daß er von jenem, was zur
inneren Ordnung einer Armee notwendig ist, gar keine Begriffe
habe, da er es für Kleinfügigkeit und unter seiner Würde hielt,
sich mit diesem zu beschäftigen, kurz ich sah einen Menschen,
welcher, ohne gute Ursache dazu zu haben, so sehr von seinen alle
anderen Menschen überwiegenden militärischen Talenten eingenommen
war, daß er diese allein für 100.000 Mann wert hielt ^}."
Am 21. September traf der Kaiser in München ein, von wo
er sofort auf einen Bericht Macks die zum Halten befohlenen
Truppen des Korps ßiesch wieder in Marsch setzen ließ, weil die
Franzosen nun doch nicht mehr vor dem Eintreffen der Russen, die
sicher vom 16. bis 24. Oktober in Dachau eintreffen dürften, die
Hier erreichen konnten.
Man sieht hier wieder ein Beispiel dafür, daß ein Befehl bloß
abgefertigt zu sein brauchte, um Mack zu veranlassen, schon mit
1) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, XIII, 106. Vergleiche damit den Briei
des französischen Gesandten in München vom 28. August 1805, S. 146, Fußnote 1.
— 208 —
dessen Durchfühniiig zu rechnen. Vor wenigen Tagen war erst der
Befehl ergangen, den riesigen Wagentransport der russischen In-
fanterie einzuleiten und schon stützte sich Mack in der Führung der
österreichischen Armee darauf, daß dieser Transport auch tatsächlich
rechtzeitig durchgeführt sein werde. Allerdings übersah er dabei,
daß Kavallerie, Artillerie und Train dieser Bewegung der russischen
Infanterie nicht zu folgen vermochten, daß die russische Armee
daher erst zu einem viel späteren Zeitpunkte operationsbereit
sein werde.
Die Schnelligkeit, mit der Mack auf den Kaiser einzuwirken
verstand, erklärt sich damit, daß der Kaiser vom Staatsrat Oollen-
bach begleitet war, mit dem, ebenso wie mit dem Minister Oobenzl,
Mack in direktem Nebenverkehr gestanden sein muß.
Am 23. September ließen die zahlreich einlaufenden Meldungen
immer deutlicher erkennen, daß Napoleon alle disponiblen Kräfte
gegen den Rhein in Marsch gesetzt hatte. Der Kaiser erließ daher
an diesem Tage Handschreiben an Erzherzog Karl und an den Hof-
kriegsrat, in denen bestätigt wird, daß Napoleon höchstens 10.000
bis 12.000 Mann nach Italien sandte, alles andere, auch Bernadotte,
gegen den Rhein und Frankfurt a. M. heranziehe.
Aus diesem Grunde sei die Verstärkung der deutschen Armee
dringend nötig, weshalb sofort fünf Regimenter^) in Eilmärschen —
nur jeder fünfte oder sechste Tag durfte als Rasttag angesetzt
sein — über Innsbruck nach Füssen zu senden.
An das Armeekomraando in Deutschland erging der Befehl zur
Versammlung eines Truppenkorps unter Kommando des FML. Kien-
mayer bei Neuburg und Ingolstadt. Aufgabe dieses Korps war „an-
fänglich die kurbajrischen Truppen entweder zu ihrer Vereinigung
mit den k. k. Waffen zu vermögen oder aber zu desarmieren und auf-
zulösen, mithin unschädlich zu machen und sodann das französische
Korps d'armee des Marschalls Bernadotte zu beobachten".
^) Wenzel CoUoredo, Kerpen, Schröder, Mittrowsky und Lindenau.
Das Kommando der italienischen Armee sandte anstatt der Regimenter
Colloredo, Sehröder und Lindenau die Regimenter Czartoryski, Duka und Klebeck,
weil diese zur Zeit des Eintreffens des Befehls für den Abmarsch nach Deutseh-
land günstiger situiert waren als die im Befehle genannten. Es hätte daher
genügt, zu befehlen, daß 5 Regimenter mit 25 Betaillonen schleunigst nach
Deutschland zu senden seien. Die Wahl der Regimenter war dem Armeekom-
mando zu überlassen.
— 209 —
Das Korps war zu bilden aus :
dem Infanterieregimente Gemmingen
und einer Division Hohenlohe-
Dragouer, „die schon nach Amberg
dirigiert sind^) " 4 Bataillone 2 Eskadronen
Merveldt-Ülanen, „die auch schon nach
Eiehstädt dirigiert siod" — „ 8 „
dem Infanterieregimente Josef Colloredo
aus Pfaffenhofen 3 „ — „
der Grenadierbrigade General Thelen aus
Augsburg^) 2 „ —
dem Infanterieregimente Gyulai, „das
am 29. September in Brauiiau eintrifft" 5 „ — „
dem Infanterieregimeute Deutschmeister,
„das am 27. September in Braunau
eintrifft" 5 „ — „
Liechtenstein- Husaren aus Schwab-
münchen — „ 8 „
Erzherzog Ferdinand-Kürassieren, „die
am 22. September in Braunau waren" — „ 8 „
Karl Lothringen-Kürassieren, „die am
22. September in Schärding waren". — „ 8 „
Zusammen also ... 19 Bataillone 34 Eskadronen
Das Korps sollte mit aller Beschleunigung versammelt werden^).
Dieser Befehl zeigt die leichtfertige Befehlgebung Macks in
krassester Weise. Ein Korps, das erst aus allen Weltgegenden
regimenterweise gesammelt werden mußte, von dem nur 2 Bataillone
und 8 Eskadronen (die Brigade Thelen und Merveldt-Ülanen) in
1 — 2 Märschen Ingolstadt erreichen konnten, während alles andere
erst aufgesucht werden mußte, somit erst nach längerer, oft ganz
unsicherer Zeit zum Korps stoßen konnte, sollte die Bayern ein-
^) Das Regiment Geminingen konnte nach dem Befehle Maeks vom 8. Sep-
tember am 13. oder 14. September von Prag abmarschiert sein, daher bei Amberg
(ea. 225 km) bestenfalls am 25. oder 26. September eintreffen. Tatsächlich kam
es noch später dorthin.
*) Das 3. Bataillon der Brigade war als Garnison in München geblieben,
das 4. Bataillon (Grenadierbataillon Gemmingen) war erst im Anmärsche.
3) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland PA IX, 41. Von Mack eigenhändig
gesehrieben.
Krau SS. 1805, Der Feldzug von Ulm. 14
— 210 —
fangen^)! Das Korps Kienmayer kam denn auch erst bei seinem
Eückzuoe zusammen, ein Teil, wie das Eegiment Gemmingen und
Holienlohe-Dragoner, hat es nie erreicht. Zu solchen Befehlen wußte
sich Mack die Unterschrift seines Kaisers zu verschaffen !
Am 23. September hatte Mack überdies die Idee gefaßt, auch
Ingolstadt zu befestigen, obwohl dessen Festungswerke fast voll-
ständig rasiert worden waren. Um die Artillerie für diesen Platz zu
gewinnen, veranlaßte Mack den Kaiser, am 24. September die Auf-
lassung der Festungen Eger und Braunau zu verfügen. Die
transportablen Geschütze waren aus Eger über Tirschenreit, Weiden,
Waldmünchen und Straubing unter Bedeckung des in Eger befind-
lichen Bataillons Erbach nach Ingolstadt zu instradieren. Die
Geschütze von Braunau sollten an die Hier gezogen werden.
Am 24. September wurde eine Instruktion an den Hofkriegsrats-
präsidenten abgesandt, die enthielt:
1. Die Formierung der Eeservebataillone und die Ausbildung
der ausgehobenen ßekruten sind mit allen Mitteln zu beschleunigen.
2. Sollten für die Eeservebataillone nicht genug Offiziere vor-
handen sein, so sind auch pensionierte Offiziere zum Eintritt auf-
zufordern.
3. Bis Anfang November muß die Hälfte der Eekruten jedes
Eeservebataillons ausgebildet und ausgerüstet sein und den Eegi-
mentern nachgeschickt werden. Mit diesen 400 Eekruten setzt dann
jedes Eegiment seine Füsilierkompagnien auf den künftigen kom-
pletten Kriegsstand von 200 und die Grenadierkompagnien von
140 Feuergewehren,
4. Anfang November sind neuerdings 400 Eekruten pro Eegi-
ment auszuheben, um die Eeservebataillone für eine Eeservearmee
zu komplettieren^).
5. Auch die Grenzkompagnien sind durch Nachsendung von
20 Mann pro Kompagnie auf den Stand von 200 Feuergewehren zu
bringen.
^) So war z. B. das Infanterieregiment Josef Colloredo am 23. September
nicht mehr in Pfaffenhofen, sondern schon in Türkheim westlieh von Landsberg,
und am 24. September, an dem es frühestens den Befehl, nach Ingolstadt zu
marschieren, erhalten konnte, hatte es eben seine Kantonierungsstation Mindel-
heim erreicht, um vielleicht sofort am 25. den Eüekmarseh über Augsburg an-
treten zu müssen.
^) Vergleiche den Berieht Maeks vom 18. September (S. 193).
— 211 —
6. Jedes Grenzregiment — ausgenommen die Siebenbürger —
hat bis Mitte Januar 1806 noch ein Feldbataillon von 4 Kompagnien
zu 200 Feuergewehren bereitzustellen^).
Der Inhalt dieser von Mack eigenhändig geschriebenen In-
struktion liefert abermals den Beweis, daß Mack keine Ahnung von
der YerfassuDg der ihm unterstellten Truppen hatte. Er fand es
nicht der Mühe wert, sich über eine so wichtige Sache, wie den
Stand der Truppen, zu informieren. Er wußte nicht, daß in der
Armee Eegimenter waren, wo jedes Bataillon 400 und mehr
Mann brauchte, um den Stand von 200 Gewehren pro Kompagnie
zu erreichen. Da er aber schon wiederholt, auch von Erzherzog
Ferdinand, aufmerksam gemacht worden war, daß er den Stand der
Bataillone viel zu hoch annehme, macht es den Eindruck, als ob er
die Wahrheit nicht wissen wollte und als ob er sich erst recht in seine
Ansicht verbohrte — eine Erscheinung, die bei solchen Charakteren
immer auftritt : Sie haben unbedingt recht, und wenn sie nur einen
Schritt machen müßten, um die ihrer Ansicht entgegengesetzte
Wahrheit selbst zu sehen, so wird dieser Schritt nicht gemacht —
weil sie eben recht behalten müssen. Daß solche Charaktere die
schönste und beste Armee in kurzer Zeit ruinieren können, nein,
müssen, zeigt das Beispiel von 1805.
Nachdem Mack so den Kaiser wieder ganz in seine Hand be-
kommen und als Beweis seiner Macht die Absetzung des GM. von
Mayer vom Posten des Generalquartiermeisters erzwungen hatte, ließ
ihm die notwendige „Tätigkeit" keine Euhe und er reiste, trotzdem
der Kaiser noch in Landsberg blieb, am 25. September wieder ab,
um — zu rekognoszieren.
Am 27. mittag traf er in Lindau ein. Am selben Tage sandte
er einen Bericht an den Kaiser nach Landsberg. Er hebt die
Wichtigkeit der Stadt Lindau für die Verteidigungsstellung Ulm —
Memmingen wegen der Deckung des Passes ins Vorarlbergische
hervor. In der Nacht werde er nach Konstanz fahren, „um auch
diesen für die Operationen in die Schweiz so interessanten Ort zu
untersuchen", dann nach Stockach, „um nähere Nachrichten von
unseren Vorposten zu erlangen, ob die Franzosen, wie es verlautet,
den Khein wirklich bei Straßbiu-g und Speyer übersetzt haben (!)".
von da aber über Mößkirch nach Hechingen zum Obersten Grafen
Civalart (Kommandant von Eosenberg-Chevauxlegers) und dann nach
1) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, IX, 72.
14*
— 212 —
Ulm und über Memmingen nach Mindelheim ins Hauptquartier. Er
sagt dann weiter, es unterliege keinem Zweifel, daß Bernadotte, mit
dem sich auch ^larmont vereinigt haben soll, auf beiden Ufern des
Main nach Würzburg und Bamberg vorrücken werde, wahrschein-
lich nur zum Schutze des Kurfürsten von Bayern (!); für Böhmen
wäre dieser Marsch nur dann gefährlich, wenn Preußen den Durch-
marsch gestatten würde, was aber nicht wahrscheinlich sei. In einem
Zug erwähnt er aber dann, daß der Durchmarsch Bernadottes
durch das neutrale Hessen-Kassel den Verbündeten dasselbe Eecht
gebe. „Nach den großen Maßregelu, die Eure Majestät mit der Ver-
mehrung Ihrer Kriegsmacht genommen haben, würde mich die
Nichtteilnahme Preußens keineswegs in Verlegenheit bringen, nur
wünschte ich, daß wir sicher vor Preußen wären, daß alle russi-
schen Truppen unaufgehalten nach Deutschland kämen und daß ein
großer Teil derselben gegen Niederdeutschland und besonders gegen
Holland operieren könnte. Nach Ankunft der Russen würde sieh
sodann wohl auch leicht die Möglichkeit finden lassen, in die
Schweiz einzurücken, besonders da Allerhöchstdieselben die Neutralität
der Schweiz meines Wissens ohnehin noch nicht so ganz be-
stimmt anerkannt haben und die Weigerung der Russen wohl
vielleicht genug Entschuldigung darbieten würde.
„Die großen Möglichkeiten, die uns Eurer Majestät unaus-
sprechlich wohltätige Gegenwart verschafft hat, berechtigen mich
allerdings schon jetzt zu Hoffnungen auf offensive Unternehmungen,
die ich mir sonst keineswegs hätte erlauben dürfen (!)... .^)"
Während das unheilschwangere Gewitter schon über den Rhein
heranzog, das diesen unseligen General und die ihm anvertraute
^) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, IX, 73. Von Maek eigenhändig
gefertigt.
Das Begleitsehreiben der Abschrift dieses Berichtes an Cobenzl lautete:
„Indem ich Euer Exzellenz die anverwahrte Abschrift meines Berichtes
an Seine Majestät unterlege, empfehle ich Hoehdenenselben zugleich dessen Inhalt
und darf auf Ihre hohe Unterstützung um so zuversichtlicher hoffen, da niemand
besser als Euer Exzellenz die Wichtigkeit des Gegenstandes beurteilen kann.
„Möchte ich nur bald so glücklieh sein, mit unserem anbetungswürdigen
Allergnädigsten Herrn auch Euer Exzellenz recht wohl und gesund bei der Armee
zu sehen und Hoehdenenselben mündlieh die Versicherung meiner treuesten Ver-
ehrung und Anhänglichkeit erneuern zu können.
„Lindau, am 27. September 1805 abend. Mack, FML."
Hof- und Staatsarchiv, Kriessakten, 481. Von Mack selbst gesehrieben.
— 213 —
unglückliche Armee zerschmettern sollte, reiste der tatsächliche Kom-
mandant der österreichischen Armee ruhelos umher, um harmlose
Orte ins Blaue hinein zu rekognoszieren und bei den Vorposten
Nachrichten einzuziehen. Diese Sucht, sich an Orte und an das
Terrain zu klammern, zeigt, daß Mack keine Ahnung von der Art
hatte, in der Napoleon Krieg führte ; denselben Beweis ergibt seine
Ansicht über den Zweck des Marsches Bernadottes, abgesehen
davon, daß die Sicherheit, mit der Mack darüber spricht, seine Un-
fähigkeit, militärisch zu urteilen, nur noch mehr unterstreicht.
Der Wunsch, daß ein großer Teil der russischen Kräfte durch
Niederdeutschland gegen Holland operieren sollte, zeigt, daß die
Forderungen Macks in den Berichten vom 17. und 19. September
die Hauptkraft in Süddeutschland zu vereinigen, nicht seiner mili-
tärischen Einsicht entsprangen, sondern nur der nervösen Angst, die
durch die ersten Meldungen über Napoleons Vormarsch in Mack
erregt worden war.
Die Instruktion vom 24. September (s. S. 210), die sich bei
näherer Prüfung nur als eine verspätete und stückweise durch-
geführte Kriegsvorsorge entpuppt, nennt er hochtrabend „die großen
]\Iaßregeln zur Verstärkung der Kriegsmacht", sieht diese schon als
durchgeführt an und legt daher auch keinen besonderen Wert mehr
auf den Anschluß Preußens an die Koalition. Ist das nicht Leicht-
fertigkeit im höchsten Maße?
Unverblümt rät Mack seinem Kaiser, das gegebene Wort —
die Neutralität der Schweiz solange anzuerkennen, insolange dies
auch von Napoleon geschehe — zu brechen ; als aber Napoleon
ganz unerwartet die Neutralität des preußischen Ansbach verletzt
und dadurch Mack, der sich auf den Glauben an diese Neutralität
verlassen hat, in arge Verlegenheit versetzt, äußert sich Mack in
den stärksten Ausdrücken über dieses nach seiner Ansicht treulose
und rücksichtslose Vorgehen.
Zum Vergleiche sei auch die Auffassung des nominellen Armee-
kommandanten über die Lage zu dieser Zeit angeführt. In seinem
Bericht an den Kaiser aus Mindelheim vom 28. September gibt Erz-
herzog Ferdinand bekannt, daß GM. Graf Nostitz, der mit Merveldt-
Ulanen bei Eichstädt steht, den am 25. September begonnenen Ab-
marsch der bei Amberg gestandenen etwa 12.000 Mann starken
bayrischen Truppen meldet.
Bernadotte sei schon bei Würzburg eingetroffen.
— 214 —
Marmont ging gleichfalls schon bei Mainz über den ßhein
und soll zwischen dem 27. und 29. September über Mildenberg in
Bischofsheim eintreffen.
„Der Endzweck der Yorrückung dieser zwei feindlichen Korps
ist noch nicht genau bekannt und es wird sich erst in der Folge
zeigen, ob sie sich gleich der Donau nähern und gegen Kienmayer
rücken oder ob sie sich gegen Böhmen wenden, was aber unwahr-
scheinlich, weil entfernt vom Zusammenhang ihrer Operation ist."
FML. Kienmayer erhielt Befehl, diese zwei Korps zu beobachten.
„Ganz sicher ist es," fährt Erzherzog Ferdinand fort, „daß
bei Bedrohung unseres rechten Flügels auf diese Weise die Stellung
an der Hier sehr ausgesetzt ist und es in der P'olge dem Feinde
gelingen könnte, auf unsere Hauptkomraunikation noch vor der Ver-
einigung mit den übrigen Truppen zu kommen."
Wie einfach und klar beurteilt der junge, wenig erfahrene
Erzherzog die Situation, wie vorsichtig und bescheiden drückt er
sich trotzdem aus.
Nach diesem Berichte war das Armeekommando bis 28. Sep-
tember auch in Kenntnis, daß Lannes am 25. September mit
10.000 Grenadieren bei Kehl über den Ehein gegangen war und
Detachements gegen den Kniebis vorgeschickt hatte; ferner daß am
selben Tag eine andere Kolonne unbekannter Stärke bei Daxland
überging, die sicher schon am 26. in Karlsruhe angelangt war.
Gleichzeitig meldete der Erzherzog Ferdinand, daß das Korps
Auffenberg zwischen dem 1. und 3. Oktober am linken Flügel der
Armee, die Eegimenter Erzherzog Karl und Auersperg erst zwischen
dem 5. und 7. Oktober eintreffen sollen^).
Am 29. erhielt der Erzherzog die Meldung, daß sich bei
Würzburg Bernadotte mit Marmont und mit den Bayern zu einem
wenigstens 40.000 Mann starken Korps vereinigen solle. Die Absicht
dieser Gruppe war zwar noch nicht klar zu ersehen, aber der Erz-
herzog sah sich doch genötigt, den Kaiser, als den Armeeober-
kommandanten, zu fragen, was zu geschehen habe, wenn Bernadotte
gegen Böhmen vorgehen sollte; ob Kienmayer, dessen Korps dann
zu verstärken wäre, mit der Verteidigung Böhmens betraut werden
wird oder ob dies Sache der ßussen sein Averde.
Am 30. September nachmittag kam Mack von seiner Eundreise
in Mindelheim au. Da er sehr müde war, begab er sich erst am
0 Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, IX, 52.
— 215 —
1. Oktober zu Erzherzog Ferdinand, zu dem er fast ausschließlich
nur von Lindau und den dort anzulegenden Befestigungen sprach ;
er verlangte den sogleich zu erteilenden Befehl, die in Kuf stein
befindliche Artillerie schleunigst nach Lindau zu ziehen. Der Erz-
herzog gab ihm zu bedenken, daß eine in einer Bergfeste unter-
gebrachte Artillerie nicht zum schnellen Transporte geeignet sei
und daß Kufstein selbst noch wichtig werden könnte. „Als ich
dann dem FML. Mack über unsere ganze Lage, über die Bewe-
gungen des Feindes und über das, so allenfalls zu veranlassen wäre,
sprechen wollte, antwortete er mir, daß er gleich nach Ingolstadt
abreisen wolle, um diesen Ort nebst einigen anderen, die in dortiger
Gegend hiezu anwendbar sein sollten, zu befestigen: alldort hoffe
er nähere Nachrichten vom Feind einzuziehen und sich nach seiner
Rückkehr mit mir darüber zu besprechen^)."
Mack sandte tatsächlich noch am 1. Oktober einige Offiziere
nach Lindau zur Befestigung, „dieses wegen der Kommunikation mit
Bregenz und Feldkirch sowie für die Defensionslinie Memmingen —
Ulm sehr wichtigen Ortes", und reiste Nachmittag nach Neuburg
und Ingolstadt ab.
Ende September waren 79 Bataillone und 78 Eskadronen, also
etwa die Hälfte der für Deutschland bestimmten österreichischen
Armee, zwischen dem Bodensee, der Donau und dem Lech in 150 hn
Tiefe (Engen Landsberg) und 130 hn Breite versammelt, wogegen
66 Bataillone und 64 Eskadronen noch im forcierten Anmarsch aus
Tirol und Oberösterreich an die Hier waren und 19 Bataillone und
34 Eskadronen sich als Korps Kienmayer bei Ingolstadt sammeln
sollten. Die ganze Armee zählte somit Ende September 165 Bataillone
und 176 Eskadronen') (siehe Beilage 11).
Ulm, Memraingen, Kempten und Lindau sollten befestigt werden;
Ingolstadt und wahrscheinlich noch Donauwörth und Neuburg wurden
vom FML. Mack auf ihre Eignung zur Befestigung rekognosziert.
Der Armeekommandant saß ohne Generalquartiermeister voll
Sorge um die Zukunft im Hauptquartier Mindelheim, empfing täglich
Meldungen, die ihm die herannahende Gefahr immer deutlicher er-
kennen ließen, und gab sich, da ihm jede Tätigkeit verschlossen
blieb, wenigstens die größte Mühe, die in voller Unordnung befind-
liche Armee halbwegs in Ordnung zu bringen; vergebene Mühe,
1) Kriegsaiehiv, 1805, Deutschland FA, XIII, 106.
*) 1 Bataillon war als Garnison in München.
— 216 —
weil Maek ununterbrochen neue Anordnungen traf, die den Truppen
die zu ihrer Organisierung so nötige Euhe raubte.
Die Eegiraenter waren alle tief unter dem vorgeschriebenen
Kriegsstande, hatten ihr Liniengesehütz unbespannt und mußten es
daher mit Yorspannpferden fortschaffen, hatten keinen regelmäßig
bespannten Train und erhielten, weil kein genügendes und zweck-
mäßig organisiertes Armeefuhrwesen bestand, auch keinen regel-
mäßigen Yerptlegszusehub. Sie sollten requirieren, aber weder die
wenigen bei der Armee anwesenden Kriegskommissäre und Yerpflegs-
beamten noch die Truppen wußten wie, wo und was sie requirieren
sollten. Die Truppen hungerten in dem reichen Lande, in dem später
die dreimal so starke französische Armee verhältnismäßig gut ver-
pflegt war. Der Hunger und die starken Märsche, die in fühlbarer
Nervosität vom Lenker der Armee noch immer gesteigert wurden,
nahmen die Truppen außerordentlich in Anspruch und verminderten
ihren Stand in erschreckender Weise. Besonders die Kavallerie litt
außerordentlich. Schon am Lech hatten die Eegimenter zahlreiche
gedrückte Pferde, deren Zahl bald so zunahm, daß die Eskadronen
nur mehr 50 und weniger Eeiter zählten. Infolge der beschleunigten
Märsche konnten die Ergänzungen und Transporte aller Art die
Truppen nicht einholen; selbst Generale und Generalstabsoffiziere
waren nicht im stände, mit ihren eigenen Pferden die Truppen ein-
zuholen. Die zahlreichen Eequisitionsdetachements blieben zurück
und konnten ihre Eegimenter nicht mehr finden. Die Eequisitions-
detachemets und die Bewachung der zahh-eichen Yorspannswagen,
das Mitführen der requirierten Eeit- und Packpferde, für die keine
Sättel vorhanden waren, minderten den Stand der Truppen, die
wegen der unrationellen Trainverminderung mit großem Troß und
kleinem Stande an der Hier eintrafen. Überall fand man Leute, die
ihr Eegiment suchten, es aber weder erfragen noch finden konnten^).
Das richtige Gefühl der Truppe für die Notwendigkeit der von
ihr geforderten Leistungen ließ sie das rhapsodische in der Marsch-
anordnung erkennen, da neben normalen Tagesmärschen plötzlich
ohne jede Nötigung bis zu 50 hm starke Gewaltmärsche angesetzt
wurden; die Unordnung, die in allen Zweigen der Truppenversorgung
herrschte, zwang die Truppen, sich selbst zu helfen, und weil sie
zur geordneten und geregelten Selbsthilfe nicht erzogen waren, artete
^) Kriegsarehiv, Mein. XXVIIl", 327. GM. v. Mayer, „Geschichte des Feld-
zuges 1805 bis zum 15. Oktober".
— 217 —
diese Selbsthilfe nur zu oft in Gewalttaten aus, die die ohnedies nur
äußerlich mit Stock und harten Strafen aufgezwungene Disziplin tief
schädigten. All das zusammen untergrub das Vertrauen in die
Armeeführung, zerstörte den guten Geist der Truppen und trug dem
Urheber dieser Zersetzung den verdienten Namen eines Armee-
verderbers ein.
Diese ungeregelte forcierte Marschbewegung hat die Armee
im Laufe von zwei Monaten ruiniert, bevor sie mit dem Feind in
Kontakt getreten ist. Das muß beachtet werden, um die Ursachen
der ^Haltung der Truppen in den wenigen Gefechten richtig zu er-
fassen. Diese Erscheinung ist um so interessanter und lehrreicher, als
zur selben Zeit die feindliche Armee eine weit größere Gewalt-
leistung vollführt hat, ohne daß diese zerstörenden Folgen aufge-
treten sind. Die Ursachen für die Zersetzung der österreichischen
Armee und für die Widerstandsfähigkeit der französischen Armee
gegen weit größere Zumutungen werden nach Darstellung des
Marsches der französischen Armee noch deutlicher hervortreten.
VII. Der Marsch der Großen Armee an den Ehein,
(Beilage 12.)
Wie schon erwähnt, erließ Napoleon am 24. August die ersten
Befehle für den Marsch der Armee an den Ehein. Er ordnete die Zu-
sammenziehung von vier Kürassierregimentern aus dem Innern Prank-
reichs bei Schlettstadt an — wo General d'Hautpoul aus ihnen eine
Division zu formieren hatte — und den Abmarsch der Kürassier-
division Nausouty von Lille über Avesnes, Sedan, Verdun, Toul,
St. Die nach Schlettstadt.
Die Division Nausouty brach am 28. August von Lille auf.
Am 25. August befahl Napoleon den Abmarsch der vier Dragoner-
divisionen, der Division Oudinot und der Dragoner zu Fuß für den
26. August an; eine Dragonerdivision hatte nach Speyer, alles andere
nach Straßburg zu marschieren.
Am 26. August bestimmte Napoleon die Ordre de bataille der
gegen Österreich marschierenden Armee, der er den Namen Große
Armee beilegte.
Die Große Armee bestand danach aus 7 Infanterie- und einem
Kavalleriekorps.
1. Korps, Marsehall Bernadotte, 2 Infanteriedivisionen und eine
leichte Kavalleriedivision;
2. Korps, General Marmont, 3 Infanteriedivisionen und eine
leichte Kavalleriedivision;
3. Korps, Marschall Davout, 3 Infanteriedivisionen und eine
leichte Kavalleriedivision;
4. Korps, Marsehall Soult, 4 Infanteriedivisionen und eine
leichte Kavalleriedivision;
5. Korps, Marschall Lannes, 2 Infanteriedivisionen und eine
leichte Kavalleriedivision;
6. Korps, Marschall Ney, 3 Infanteriedivisionen und eine leichte
Kavalleriedivision;
7. Korps, Marschall Augereau, 2 Infanteriedivisionen.
— 219 —
Kavalleriereserve, Marschall Prinz Miirat, 4 Dragonerdivi-
sionen zu 2 Brigaden a 3 Eegimentern; Division Nansoiity, 6 schwere
Kavallerieregimenter (3 Brigaden); Division d'Hautpoul, 4 Kürassier-
regimenter (2 Brigaden) und die Division Dragoner zu Fuß, bestehend
aus 4 Eegimentern zu 2 Bataillonen.
Am selben Tage (26.) erteilte Napoleon den Befehl zum Ab-
märsche der Großen Armee. Marmont sollte mit seinem Korps von
20.000 Mann am 2. September nach Mainz aufbrechen, das er nach
20 Marschtagen zu erreichen hatte. Am 27. Septenaber sollte er dort
sein Korps versammelt haben.
Bernadotte sollte sein Korps bis 7. September bei Göttingen
konzentriert haben. Nur die Festung Hameln sollte besetzt bleiben
und auf 6 Monate verproviantiert sein. Das Korps hatte erst auf
neuen Befehl, voraussichtlich nach Würzburg, weiterzumarschieren.
Die Korps Davout, Soult und Ney sollten divisionsweise
abmarschieren, und zwar: am 2S. August die ersten, am 30. und
31. August die zweiten und dritten Divisionen; am 1. September die
vierte Division Soults und die Division Gazan des Korps Lannes.
Davout war nach Hagenau, Soult nach Straßburg, Ney und
Gazan nach Schlettstadt dirigiert.
Der Kaiser hatte drei Marschlinien für diese drei Korps aus-
mitteln lassen und bestimmte, daß die Kolonnen nach etwa 24 Marsch-
tagen am Rhein einlangen sollten, so daß die Armee gegen den
23. September am Rhein versammelt sein könne.
Die kaiserliehe Garde hatte am 31. August von Paris aufzu-
brechen und am 22. September in Straßburg einzutreffen.
Nach diesen Befehlen entwarf Berthier den ^larschplan, den
er für 8 — 10 Tage den Truppen bekanntgab. Die nächsten Befehle
hatten sie in bestimmten Orten zu erhallen.
Nach dem Marschplan hatten zu marschieren (Beilage 12) :
auf der nördlichen Marschlinie : die 4. Dragonerdivision nach Speyer,
Eintreffen 23. September ; das Korps Davout nach Hagenau,
Eintreffen 25. bis 28. September;
auf der mittleren Marschlinie: die 1. Dragonerdivision nach Straß-
burg, Eintreffen 19. September; die Grenadierdivision
Oudinot nach Straßburg, Eintreffen am 21. September;
das Korps Soult nach Straßburg, Eintreffen 23. bis 28 Sep-
tember :
— 220 —
auf der südlichen Marsehlinie: die 2. und 3. Dragonerdivision nach
Straßburg-, Eintreffen 21. und 22. September; die Dra-
goner zu Fuß nach Straßburg, Eintreffen 23. September;
das Korps Ney nach Schlettstadt, Eintreffen 24. bis 26. Sep-
tember; die Division Gazan nach Schlettstadt, Eintreffen
29. September.
Die Division Nansoutj auf der mittleren und südlichen Linie
nach Schlettstadt, Eintreffen 18. September.
Die Division d'Hautpoul traf in der Zeit vom 7. bis 18. Sep-
tember bei Schlettstadt ein.
Zur Vorbereitung des Marsches hatten sofort Offiziere und In-
tendanten vorauszueilen, um die Unterkünfte auszumitteln und die
Verpflegung sicherzustellen.
Der Kaiser hatte genaue Marschanordnun,gen getroffen, wonach
die Truppen in größter Ordnung marschieren mußten, geführt von
allen Divisions- und Brigadegeneralen, die er für die Marschdisziplin
verantwortlich machte. Er befahl den Generalen, darauf zu sehen,
daß den Truppen bei der täglichen Einquartierung keine unnützen
Wege zugemutet würden ; sie waren daher möglichst vereint an der
Marschlinie so unterzubringen, daß sie keine Strecke des Weges
zweimal machen müßten. Die Generale hatten dafür zu sorgen, daß
die Truppen gut einquartiert und gut verpflegt wurden, hatten aber
auch auf strenge Mannszucht zu achten. Als der Kaiser erfuhr, daß
bei einer Division die Generale nicht bei der Division marschierten,
die Truppen in einem Departement ohne Rücksicht auf ihre Be-
quemlichkeit untergebracht worden waren, erhielten der Divisions-
general und der Präfekt sofort eine kaiserliche Eüge; er forderte
von den Generalen ebenso wie von den politischen Beamten, daß
sie das Recht der Truppen wahrten.
Schon bei Beginn des Marsches wurden Anordnungen und
Vorsorgen getroffen zur Ausmittlung und Vorbereitung der Lager und
Kantonierungen am Ehein. zur Sicherstellung der Verpflegung für den
dort beabsichtigten mehrtägigen Aufenthalt der Armee und zur Sicher-
stellung von Schuhen und Mänteln, Bei Straßburg, wo über 80.000 Mann
versammelt werden sollten, mußte weitreichend vorgesorgt werden;
dort war auch das Material für zwei ßhein-Brücken bereitzustellen.
Aber schon am 28. August zeigte sich, daß Napoleon eine
Änderung der Marschrichtung der Armee im Sinne hatte. An diesem
Tage schrieb er an General Dejean:
— 221 —
„ . . . Verlieren Sie nicht einen Augenblick, in Landau, Straß-
burg und Speyer Wein und Branntwein in Beschlag nehmen zu
lassen. Landau wird einer der wichtigsten Versammlungspunkte
sein . . . Ich habe von Ihnen 500.000 ßationen Zwieback in Straß-
burg verlangt. Ich sehe kein Hindernis dagegen, sie folgend zu
teilen: 200.000 in Straßburg, 200.000 in Landau und 100.000 in
Speyer . . . Denken Sie an die Ambulanzen und beschäftigen Sie
sich ohne Aufschub mit den Einzelheiten der Einrichtung dieser
riesigen Armee. Ich sage Ihnen, aber nur Ihnen allein, daß ich
damit rechne, den Rhein am 27. September zu überschreiten ; richten
Sie alles danach ein."
Am selben Tag — also am 28. August — entsendete er den
General Savary, die drei Straßenlinien zu rekognoszieren, die von
Mühlburg, Germersheim und Speyer am Rhein an die Donau-Strecke
Ulm, Gundelfingen, Dillingen führen. Beilage 13.
Er sollte auf die Benützbarkeit der Straßen für den Marsch
der Truppen, besonders der Artillerie, und auf die Beschaffenheit
des Neckar bei Stuttgart, Kannstatt und Heilbronn achten ; auch
sollte er eine Straße für Etappenzwecke ausmitteln.
Am 30. August diktierte Napoleon Berthier den Befehl ein,
mit dem der Aufmarsch der Armee am Rhein aus dem Räume von
Schlettstadt, Hagenau nach Norden in den Raum Straßburg, Speyer
verschoben wurde.
Die Beilage 12 zeigt die neuen Marschlinien der Korps an den
Rhein, die Beilage 14 die Situation der Armee am Rhein nach der
ersten Disposition und nach der Abänderung vom. 30. August.
Was mochte die Sinnesänderung Napoleons herbeigeführt haben?
Dem französischen Generalstab waren im Monat August zahl-
reiche Nachrichten über die neue Organisation der österreichischen
Armee und über deren Verteilung zugekommen. Nach diesen ]Mel-
dungen konnte der Generalstab bis 29. August folgende Truppen-
verteilung feststellen :
Lager von Wels 79 Bataillone und 72 Eskadronen
in Tirol und Schwaben ... 64 „ ^8 „
Lager bei Laibach 75 „ „74 „
in Italien 74 „ „22 „
im Innern noch 82 „ „08 „
Die Armee in Italien, zu der voraussichtlich die Truppen in
Italien, im Lager von Laibach und in Südtirol bestimmt waren,
— 222 —
wurde daher auf wenigstens 160 Bataillone und 100 Eskadronen
geschätzt. Die Armee in Deutschland schien sich aus 110 — 120 Ba-
taillooen und ebensoviel Eskadronen zu formieren. Zu jeder dieser
Armeen mußte man wohl einen Teil der noch im Innern befind-
lichen Truppen rechnen : aber immerhin kannte man damit doch im
großen die Kraftverteiluug des Feindes.
Über die Bataillone wußte man, daß ihre Kriegsstärke 1000
Mann betrage. Die Stärke der österreichischen Armeen wurde daher
sehr überschätzt.
Von den Eussen wußte man, daß zwei Armeen formiert wurden,
eine gegen Preußen, die andere unter Kommando des Grafen Kutusow
zum Einmarsch nach Galizien bestimmt. Die Nachrichten gaben die
Stärke der zweiten Armee auf 60.000—90.000 Mann an; sie sollte
am 19. August in sechs Kolonnen in Galizien einmarschieren.
Klar ging aus dieser Zusammenstellung der Nachrichten her-
vor, daß Böhmen ganz von Truppen entblößt worden war und daß
daher die Armee in Deutschland sich wahrscheinlich ihre Anlehnung
mehr gegen Tirol suchen werde. Um sich über die Möglichkeit des
Eingreifens des Tiroler Korps in einen Kampf in Schwaben zu
orientieren, gab Napoleon am 29. August Befehl, die Wege von
Bregenz nach Ulm zu rekognoszieren. Bekannt war, daß die Wege,
die aus Tirol ins Ehein-Tal führten, schwierig waren und sich nur
wenig für den Marsch eines stärkeren Korps eigneten. Bis an die
Hier hatte daher eine vom Ehein vorgehende französische Armee nicht
viel für ihre rechte Flanke zu fürchten. Eine ernstere Bedrohung
aus Tirol war erst beim Vormarsch östlich der Hier möghch.
Diese Nachrichten geben keinen Aufschluß über die Gründe,
die Napoleon zu der Änderung seines ersten Marschbefehles ver-
anlaßten ; denn alles das war, wenn auch nicht so genau, schon vor
Hinausgabe des ersten Marschbefehles bekannt.
Man ist daher nur auf Mutmaßungen beschränkt. Unbedingt
unrichtig ist aber die häufig vertretene Ansicht, daß Napoleon den
Schwarzwald umgehen wollte, um das schwierige Debouchieren an-
gesichts der an der Hier stehenden österrei(;hischen Armee zu ver-
meiden; unrichtig wäre es auch, die Verschiebung der Armee nach
Norden mit der Stadt Ulm und der Katastrophe in Verbindung zu
bringen, die dann dort die Armee Macks ereilte.
Am 28. August, an dem Napoleon zum erstenmal den Gedanken
der Verschiebung der Armee erkennen läßt, und am 30. August, an
- 223 —
welchem Tage er den Befehl dazu gab, hatte die österreichische
Armee den Inn noch nicht übersehritten. Napoleon konnte daher
nicht wissen, daß die österreichische Armee früher an der Hier,
also nahe den Schwarzwald-Ausgäogen stehen werde, als die fran-
zösische Armee den Ehein übersetzen konnte; dagegen waren Napoleon
die Schwierigkeiten, die der Schwarzwald dem Durchmarsch einer
großen Armee darbot, schon vor dem ersten Befehle vollkommen
bekannt. Aber selbst wenn Napoleon dieses frühe Eintreflfen der
Österreicher an der Hier bestimmt vorausgesehen hätte, würde er
nicht einen Augenblick vor der Schwierigkeit des Debouchierens an-
gesichts des Feindes zurückgeschreckt sein, wenn das frontale Auf-
treffen im Sinne seines allgemeinen Planes gelegen gewesen wäre.
Auch die Anwesenheit starker österreichischer Kräfte in Tirol
konnte nicht die Veranlassung der Marsch änderung gewesen sein,
weil Napoleon schon am 25. August in einem Brief an den Kur-
fürsten von Bayern, also vor der Hinausgabe seines ersten Marsch-
befehls, von 25 Regimentern in Tirol spricht, also von weit mehr
Kräften, als nach den späteren Nachrichten tatsächlich in Tirol
sein sollten.
Die Marschänderung ließe sich vielleicht aus der allgemeinen
operativen Absicht Napoleons erklären, die Österreicher und Eussen
getrennt zu schlagen.
Der Befehl vom 30. August läßt zum erstenmal die Absicht
der Abdrängung der Österreicher von den anmarschierenden Eussen
erkennen. Bisher war die Absicht Napoleons allgemeinerer Natur :
er wollte die Österreicher nur vor der Vereinigung mit den Eussen
schlagen, gleichgültig wo und wie. Waren die Russen zum Zeit-
punkte des Zusammenstoßes der Franzosen und Österreicher noch
weit entfernt, dann war es auch gleich, aus welcher Eichtung
Napoleon die Österreicher angriff, er mußte nur rascher sein als die
Eussen, er mußte daher auf dem kürzesten Wege die Österreicher
aufsuchen. Am 25. August hoffte Napoleon bekanntlich, den Ehein
überschreiten zu können, bevor die Österreicher den Inn passierten^).
Er wollte ihnen da auf dem direkten kürzesten Weg entgegen-
gehen und das war der über Straßburg, wo übrigens die einzige
bestehende Brücke zwischen Basel und Mainz den Ehein übersetzte.
Nach der Ausgabe der ersten Marschbefehle könnte nun Napoleon
verläßliche Nachricht über die Absicht der Österreicher, demnächst
1) Brief an Talleyrand, s. S. 115.
— 224 —
in Bayern einzubrechen, erhalten haben. Diese Absicht schien da-
mals in Wien schon bekannt gewesen zu sein; hat doch der pen-
sionierte [Staatsrat Faßbender sie schon am 4. August dem Feld-
marsehalleutnant Fürsten Schwarzenberg geschrieben ^). Der Gesandte
Otto in München konnte schon am 28. August schreiben, „ . . . man
glaubt, daß ein beträchtliches Korps auf Giinzburg vorrücken
wird"^). Napoleon war nun über alle Vorgänge in Wien durch seine
Agenten so vorzüglich unterrichtet, daß er über die Politik und
Absichten der österreichischen Regierung viel besser orientiert war
wie sein in Wien wohnender Gesandter. Es wäre daher immerhin
möglich gewesen, daß Napoleon die Absicht des Einmarsches nach
Bayern frühzeitig erfahren hätte. Die Meldungen über die Stärke
der Österreicher in Tirol und bei Wels und die Meldung über die
großen Naturalienankäufe in Schwaben ließen vielleicht auch auf
den baldigen Vormarsch der Österreicher nach Bayern schließen.
Dieser "\'ormarsch der Österreicher erschien Napoleon sicher nur
dann als berechtigt, wenn die Russen, über die er nur sehr wider-
sprechende Meldungen besaß, schon so nahe waren, daß die Ver-
einigung der Verbündeten bald erfolgen könnte. Tatsächlich hatte
der Stuttgarter Gesandte am 26. August gemeldet, daß etwa
90.000 Eassen am 19. August die Grenze bei Brody überschritten
hätten. Von dem Moment an, als Napoleon hoffen konnte, daß ihm
die Österreicher in Bayern entgegenkommen werden, verlor der
kürzeste Weg lür ihn an Wert; es kam jetzt für ihn darauf an,
die Österreicher aus einer Richtung anzugreifen, welche es ihm er-
möglichte, sie von den möglicherweise schon ziemlieh nahen Russen
zu trennen. Im Räume südlich der Donau liegen nun mehrere Fluß-
hindernisse nahe hintereinander, deren Verteidigung gegen die
frontal anrückenden Franzosen den Russen die Zeit verschaffen
konnte, noch rechtzeitig heranzukommen; wenn es Napoleon auch
1) Kriegsareliiv, 1805, Deutschland, VIII, 33. Die betreffende Stelle des
Briefes lautet: „Wenn Bonaparte nicht gleich losschlagen will und kann, da er
seine Truppen nicht beisammen hat, so wird er sieh begnügen wollen, militärische
Positionen am rechten Ehein-Ufer zu nehmen; wir können und werden wahr-
scheinlich hiebei die Hände nicht in den Schoß legen, sondern noch einen
Sehritt weiter tun; der erste ist. Bayern zu besetzen, alsdann ist ein form-
loser Krieg."
^] Diese Meldung konnte frühestens am 1. oder 2. September in die Hände
Napoleons gelangt sein. Ihr Inhalt war aber so unsicher, daß er darauf kaum
so schwerwiegende Änderungen verfügt hätte.
— 225 —
gelungen wäre, die Österreicher von einem Hindernisse zu ver-
treiben, so führte sie ihr direkter Eückzug doch hinter das nächste
Flußhindernis und den Russen entgegen. Ein Abdrängen der nach
Bayern vorgehenden Österreicher konnte, da die Schweiz und
Tirol für Napoleons Absicht der raschen Yorrückung gar keine
Vorteile boten, nur durch den Vormarsch der Franzosen auf dem
nördlichen Donau- Ufer erreicht werden. Hier, wo nur der Neckar
ein bedeutendes Hindernis bildete, konnte Napoleon alle rechts-
seitigen Nebenflüsse der Donau umgehen und er mochte darauf
rechnen, daß es seiner Schnelligkeit gelingen werde, die Österreicher
vielleicht von den Eussen ab gegen Tirol zu drängen. Die Vor-
rückung auf dem linken Donau-Ufer hatte weiters noch den Vorteil,
daß sich die Armee früher mit Bernadotte und Marmont vereinigen
konnte, worauf Napoleon bekanntlich immer großen Wert gelegt
hat. Die Neutralität von Ansbach war für ihn, wie die Folge ge-
zeigt hat, kein Hindernis. Als kleinere, von ihm aber sicher nicht
als wesentlich angesehene Vorteile kamen noch die Umgehung des
immerhin schwierigen Schwarz waldes und die Vermeidung einer Flan-
kierung seiner Armee aus Tirol in Betracht.
Man wird ohneweiters zugeben, daß auch diese Begründung
der Änderung der Marschauordnung gezwungen ist, weil sie auf
nicht nachweisbaren Voraussetzungen beruht. Für diese plötzliche
und so schwerwiegende Entschlußänderung läßt sich somit überhaupt
keine einwandfreie Erklärung geben, wenn man nur nach rein mili-
tärischen Gründen forscht. Es drängt sich aber die Überzeugung auf,
daß Napoleon zu dieser Änderung der operativen Anlage seines Vor-
marsches ganz allein durch die Rücksicht auf die Verpflegung
seiner Armee veranlaßt worden ist. Wie die zuerst geplante Ver-
sammlung der Armee bei Straßburg beweist, wollte Napoleon seine
Armee auch im Vormarsche durch Bayern, den er rasch zu absol-
vieren hoffte, möglichst eng vereint haben. Mit dieser eng vereinten
Armee konnte er die Österreicher, was sie auch immer tun wollten
— ob sie am Inn stehen blieben oder in Bayern einrückten oder
selbst gegen den Ehein vorgingen — und wo immer er sie traf,
mit Übermacht angreifen. Von dieser einfachen Wahrheit konnten ihn
sicher keine neuen Nachrichten und keine neuen militärischen Beur-
teilungen der Lage und der geographischen Verhältnisse abbringen.
Erst die Überzeugung von der vollständigen Unzulänglichkeit seiner
Verpflegs- und Trainvorsorgen, die die Armee ganz auf die Requi-
Krauss. 1805, Der Feldzug von Ulm. 15
— 226 —
sition verwies, hat Napoleon gezwungen, die Absicht des eng-
massierten Vormarsches aufzugeben und seine Armee in ein breites
Echiquier auseinanderzuziehen. Weil dieser Grund selbst für Na-
poleon ein zwingender war, muß man davon überzeugt sein, daß
er allein eine stichhaltige Erklärung für die IMarschänderung abgibt.
Wir sind nur zu sehr gewöhnt, alle kriegerischen Handlungen
fast ausschließlich mit Eücksicht auf den Kampf zu beurteilen, ob-
wohl nur zu häufig andere zwingende Rücksichten, und zwar meist
zum Schaden des Erfolges der entscheidenden Kämpte die Hand-
lungen der Feldherren bestimmen.
Wir begehen deshalb auch bei unseren kriegsgeschichtlichen
Studien den Fehler, daß wir glauben, jeder operative Entschluß
müsse durch irgend eine tiefdurchdachte strategische Beurteilung
der militärischen Lage hervorgerufen sein ; infolgedessen wird nur
nach solchen Gründen gesucht, und weil man sie unbedingt finden
will, werden sie sehr oft nachträglich gewaltsam konstruiert. So er-
gibt sich dann oft eine ganze Kette von Trugschlüssen, wogegen
man den einfachen und naheliegenden, aber allerdings sehr prosai-
schen Grund: Die Truppen müssen essen, um leben und
kämpfen zu können, achtlos beiseite läßt.
Diese Forderung ist aber so zwingend, daß nicht nur einzelne
operative Entschlüsse, sondern oft auch der ganze Charakter der
Kriegführung durch diese Forderung begründet sind; so hat die
ruckweise Kriegführung Napoleons 1812 ebenso ihren Grund in Ver-
pflegsrücksichten wie der sogenannte Positionskrieg in Ostasien. Nur
die Schwierigkeit der Armeeversorgung hat den Japanern ihr Ver-
halten diktiert, obwohl man versucht ist, dahinter auch tiefsinnige
strategische Ursachen zu wittern.
So war z. B. der ganze langwierige zweite Teil des deutsch-
französischen Krieges nur die Folge des Unvermögens der Deutschen,
den Widerstand von Paris rasch zu brechen, und das hatte seine Ur-
sache wieder darin, daß für deu frühen Beginn einer kräftigen Be-
schießung der im November 1870 noch unfertigen Ports nicht vor-
gesorgt worden war. Ohne frühzeitiges Vordenken, ohne frühzeitige
Vorbereitung des Transportes schwerer Geschütze und ihrer
Munition ist aber eine solche Aktion unmöglich. Das Unterlassen
dieser Vorsorgen — wohl war niemand auf das rasche Niederwerfen
der französischen Armee gefaßt — war also die eigentliche, aller-
dings unscheinbare und daher leicht zu übersehende Ursache des
— 227 —
langen Widerstandes von Paris und damit der Langwierigkeit des
deutsch- französischen Krieges.
Genügt nicht dieses einzige Beispiel, um die hervorstechende
Wichtigkeit der Heeresversorgung zu beweisen und alle Generalstabs-
offiziere anzueifern, sich dem gründlichsten Studium der Heeresver-
sorgung zu widmen?
Das Korps Marmont hatte den Abmarsch von Alkmar divisions-
weise am 1. September begonnen. Am 23. September trafen die
letzten Teile des Korps bei Mainz ein. setzten aber den Marsch nach
Würzburg sogleich fort, weil inzwischen der Befehl eingelangt war,
daß das Korps spätestens am 30. September bei Würzburg ver-
sammelt sein sollte.
Am 2. Oktober war das Korps bei Würzburg mit 20.000 Mann
und 40 Kanonen marschbereit. Das Korps hatte in 30 Tagen 640 hn
zurückgelegt, somit täglich 21 hn. Während der ganzen Marsch-
bewegung hatten die Kolonnen 3 — 5 Easttage.
Marmont hatte den Rhein und Main zum Nachschub aus-
genützt. Das Korps hatte auf Fuhrwerken die 1 72 fache Geschütz-
dotation und 800.000 Gewehrpatronen bei sich. Eine halbe Geschütz-
dotation und 1,000.000 Gewehrpatronen schwammen auf dem Main
und wurden für den 5. Oktober in Würzburg erwartet; zwei Ge-
schützdotationen und 2,000.000 Gewehrpatronen waren auf dem Rhein
nach Mainz transportiert worden.
Marmont, der seinem Korps nach Mainz vorausgeeilt war, hatte
überdies für die Armierung von ]\Iainz Sorge zu tragen gehabt.
Marschall Bernadotte hatte nach dem am 11. September expe-
dierten Befehle nach Würzburg zu marschieren. „Der Kaiser wünscht,
daß seine Truppen bei der Ankunft in Würzburg nicht ermattet
seien. Seine Majestät zieht es daher vor, daß sie 2—3 Tage später
ankommen, d. h. zwischen dem 23. und 27. September, anstatt sie
schon am 23. September, aber abgehetzt eintreffen zu lassen."
Trotz diesem klaren und deutlichen Befehle wählte Bernadotte.
der am 17. September von Münden aufbrach, nicht den direkten
Weg nach Würzburg, sondern nahm Direktion über Kassel und
Gießen nach Frankfurt. Er mußte auf einen neuen Befehl hin, von
Frankfurt abbiegend, über Schlüchtern und Hammelburg nach Würz-
burg marschieren, wo er am 27. September eintraf. Das Korps hatte
15*
— 228 —
somit in 11 Tagen 310 Z;m, das sind 28 Jcm täglich zurücklegen
müssen, ohne nur einmal rasten zu können.
Die große Marschbewegung von Boulogne an den Ehein wurde
von den vier Korps und der Kavallerie in vollster Ordnung und in
vorzüglicher Haltung durchgeführt. Alles war im allgemeinen auf
das beste vorbereitet. In den wenigen Fällen, wo berechtigte Klagen
erhoben wurden, griff der Kaiser sofort tadelnd ein.
Die Marschdisziplin der Truppen war nach den Meldungen der
Generale vorzüglich, was von den politischen Behörden voll bestätigt
wurde. Kur eine besondere Art von Desertionen hatte sich geltend
gemacht. Ein großer Teil der Truppen durchzog ihre Heimat, Dies
benützten zahlreiche Soldaten, um noch vor deiji Krieg ihre An-
gehörigen aufzusuchen. Vernünftige Generale, die diesen mensch-
lichen Zug voll würdigten, ließen es da nicht auf die Verletzung
der Disziplin ankommen, sondern trugen diesen Verhältnissen von
oben her Rechnung, indem sie alle Soldaten, die es wünschten, auf
einige Tage beurlaubten, mit der Verpflichtung, an einem bestimmten
Orte zum weitermarschierten Regiment einzurücken.
Bei der Division Dupont des Korps Ney hatten infolge dieser
Beurlaubungen die Regimenter oft nur einen Stand von 100 bis 150
Mann. Am festgesetzten Tage war alles wieder da. Die Beurlaubten
hinterlegten dazu oft G(3waltmärscLe von 25 Lieues (112 Am). „Muß
man nicht solche Soldaten bewundern", sagte Dupont in seinem Be-
richte. Soult meldete beim Rhein-Übergange, daß in seinem Korps
noch 30 — 40 solcher Deserteure fehlten, daß aber täglich einige
davon zurückkamen.
Viele Disziphnarvergehen ließen sich vermeiden, wenn die
Kommandanten es verstünden, mehr auf die Psyche der Soldaten
Rücksicht zu nehmen und so nicht nur die Schädigung der Disziplin
zu vermeiden, sondern sich auch die Liebe und Anhänglichkeit ihrer
Soldaten zu erwerben, die dadurch fühlen, daß ihr Kommandant in
ihnen auch den Menschen und dessen Gefühle, Schwächen und
Leidenschaften berücksichtigt. Manche Offiziere nennen das Paktieren
mit der Mannschaft und verwerfen dies daher vollkommen. Aber hier
gilt dasselbe wie in der Medizin : Die Hauptwirksamkeit der Ärzte
sollte in der Hygiene liegen, also in der Voraussicht, die das Um-
sichgreifen schwerer Krankheiten durch zweckmäßige vorbeugende
Maßnahmen verhindert. Das ist wohl für die Allgemeinheit weit
nützlicher als die glänzendste Heilung oder Eindämmung schwerer
229 —
Krankheiten durch drastische Mittel. Allerdings, der Ruhm des
Arztes ist geringer, weil sein Wirken stiller ist, ohne glänzende, auf
Kosten der anderen errungene Erfolge; die Eeklanae ist allerdings
größer, wenn man die Krankheit nicht verhindert — sondern besiegt.
Nach den ersten Befehlen Napoleons sollten die Truppen einige
Tage auf dem linken Rhein-Ufer in Kantonnements bleiben. Die Mel-
dungen über den Vormarsch der Österreicher an die Hier veran-
laßten ihn dann, diesen Halt ausfallen zu lassen.
Am 24. September abend war die Große Armee folgend gruppiert:
Lannes mit der Grenadierdivision und 2 Regimentern seiner
Kavallerie bei Straßburg;
Murat mit 5 Kavalleriedivisionen (Division d'Hautpoul und
Dragonerdivisionen 1 — 4) und mit den Dragonern zu Fuß zwischen
Straßburg und Schlettstadt;
das 6. Korps Ney hatte seine 3 Divisionen in Hagenau, Zabern
und Saarburg;
das 4. Korps Soult hatte seine 4 Divisionen in Germersheim,
Lembach, Bitsch und St. Avold;
das 3. Korps Davout hatte seine 3 Divisionen in Kaisers-
lautern, Homburg und Saarlouis;
die Garde und die Division Gazan des 5. Korps waren in
Luneville und Nancy.
Die nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht über den Marsch
der Korps und Kavalleriedivisionen (Marsehlängen, Marschdauer, Zahl
der Rasttage, durchschnittliche Tagesleistung) :
Heereskörper
Marschlänge
in Kilo-
metern
Dauer des
Marsches
in Tagen
Darunter
Rasttage
Durchschnitt-
liche tägliche
Marschleistung
in Kilometern
(Rasttage ein-
gerechnet)
Division Oudinot
Korps Davout
Korps Soult
Korps Ney
Division Gfazan
1. Dragonerdivision
2. „
3. „
4. „
Division der Dragoner zu Fuß ^)
Division Nansouty
600
650
625
590
590
550
580
580
590
650
460
27
30
28
27
28
25
27
27
27
29
20
22-2
21-7
22-3
21-8
21
22
21-5
21-5
218
22-4
23
^) Von Calais über St. Omer, St. Pol und Sehlettstadt nach Straßbui-g.
— 230 —
Die Marschälle, die während des Marsches in Paris waren,
trafen am 23. September am Ehein ein, um alles für die Truppen
vorzubereiten : Kantonnements, Spitäler, Lebensmittel und Futter. Sie
versuchten vor allem die Zwiebackerzeugung zu beschleunigen, aber
mit wenig* Erfolg, weil das Mehl fehlte und auch das Geld, es zu
kaufen. Die von Napoleon für die Korps geforderte Versorgung mit
Zwieback konnte dank dem Eingreifen der Marschälle und des General-
intendanten Petiet im letzten Augenblicke beendet werden. Murat,
Lannes und Ney fanden ihren Bedarf in Straßburg ; Soult hatte nur
für einen Tag Zwieback anstatt der geforderten 4 Tage, behauptete
aber, daß sich Davout auf seine Kosten eine Reserve von 7 bis 8
Rationen zugeeignet habe.
Der Geldmangel erschwerte auch die Aufstellung der Artillerie,
die wegen des Pferdemangels erst im letzten Augenblick eintreffen
konnte. Die Vorräte an Schuhen und Mänteln und die Ambulauz-
einrichtungen, deren Ankauf Napoleon befohlen hatte, trafen erst in
Deutschland bei den Korps ein. Die Truppen konnten den Sold nur
mit größter Mühe bis zum 23. September zahlen; das Geld für den
Ankauf der den Truppen bewilHgten Gratifikationen an Schuhen und
Mänteln war nicht vorhanden. Wohl hatten die meisten Soldaten
ein Paar Schuhe an den Füßen und ein neues Paar im Tornister,
manche hatten alier nur ein einziges, und die Absicht des Kaisers,
die ganze Infanterie reich mit Schuhen auszustatten, konnte nicht
erfüllt werden.
Die Transportmittel hatten zu vielen Klagen Anlaß gegeben.
Der Artillerietrain hatte während des Marsches infolge der schlechten
Witterung und der stellenweise sehr schlechten Wege viele Pferde
verloren. Beim 4. Korps Soult fehlten 400 solcher Pferde, so daß
Soult einen Teil der Munitionswagen am Rhein stehen lassen mußte.
Davout mußte sogar Kanonen zurücklassen. „Der Mangel an Zug-
pferden" — meldet der Generalstabschef des 3. Korps — „veranlaßte
den Marschall Befehl zu geben, in Mannheim Kanonen mit ihren
Munitionswagen und viele andere Wagen zurückzulassen; man ließ
bei diesem Park zwei Artilleriekompagnien zurück." Diese Artillerie
traf erst am 24. Oktober in Freising beim Korps wieder ein.
Viele Geschütze und Munitions wagen waren nur mit requi-
rierten Pferden bespannt. Der ganze Train bestand aus Landesfuhr-
werken mit ihren Zivilkutschern. Dieser nicht militärische Train
verursachte zahlreiche Unordnungen. Marschall Davout schrieb dar-
— 231 —
über an Berthier, daß die Kutscher mit den Pferden der Artillerie-
bespannungen in Menge desertierten, da das Geld fehlte, um ihnen
die versprochene Bezahlung zu leisten. Er sagt dann, daß dasselbe
bei den anderen Landesfuhrwerken eintreten werde. Soult schrieb:
„Es fehlen mir 500 Pferde, ungeachtet der 700 zu requirierenden
Pferde, die man braucht, um alle Fuhrwerke zu bespannen."
Die requirierten Fuhrwerke, die man zur großen Verzweiflung
der Eigentümer und Kutscher nach Deutschland mitnehmen sollte,
hatten den großen Nachteil, daß sie unbedeckt waren. Davout ver-
langte, 600 solcher Fuhrwerke, die zum Zwiebacktransport bestimmt,
aber dazu ungeeignet waren, in Frankreich zurücklassen zu dürfen,
weil er sie nicht verwenden könnte.
Viele Kutscher flohen mit ihren Pferden, weil sie lieber ihi'en
Wagen, ja oft auch die Pferde im Stiche ließen, als der Armee nach
Deutschland zu folgen. Am 1. Oktober, am Tage nach Beendigung
des Überganges über den ßhein, meldete Soult, daß 300 Pferde mit
ihren Kutschern verschwunden seien. Man requirierte nun den Ersatz
in Baden und Württemberg,
Davout organisierte sich Divisionsambulanzen aus requirierten
Wagen, aus gekauften Medikamenten, Instrumenten und Leinwand^).
Diese Erfahrungen der Franzosen sind sehr begreiflich. Weil
mit vollem Grund angenommen werden kann, daß die zivilen Pferde-
eigentümer und Kutscher heute ebenso ungern in einen Krieg ziehen,
wie dies die Franzosen 1805 taten, so müssen natürlich auch die
gleichen Erscheinungen wie damals erwartet werden. Die Bezahlung
dieser Leute wird auch heute vorne bei der Armee nur ebenso un-
regelmäßig erfolgen können wie 1805 bei den Franzosen. Als Er-
schwernis tritt dazu, daß wegen der allgemeinen Wehrpflicht heute
nur kriegsdienstuntaugliche, sehr alte oder minderjährige Kutscher zu
finden sein dürften. Weil auch die Deutschen 1870/71 sehr schlechte
Erfahrungen mit der Leistungsfähigkeit solcher Trains gemacht
haben, kann man getrost behaupten, daß Trains mit zivilen Kutschern
und Landesfuhrwerken mih'tärisch sehr wenig brauchbar und unver-
läßlich sind. Weil es aber unmöglich ist, den ganzen Wagenbedart
einer Armee im Frieden anzuschafien und zu magazinieren, und weil
das landesübliche Fuhrwerk immer verwendbarer ist als alle be-
sonders konstruierten militärischen Wagentjpen, so ist der zweck-
mäßigste Vorgang zur Bildung der Trains im Kriege, landesübliche
*) Alombert et Colin, „La Caiupagne de 1805", II. Bd., S. 6—10.
— 232 —
Wagen und Pferde im Mobilisierungsfalle zu kaufen und sie mit
Soldaten als Kutschern zu besetzen. Auf solchen Fuhrwerken kann
man alles, was bei der Armee nöti^ ist, transportieren ; es genügt,
diese Wagen im Bedarfsfalle nur etwas herzurichten und wenn nötig
mit Piachen zu versehen. Die Japaner haben im russischen Kriege
alle Arten von Armeebedürfnissen auf solchen landesüblichen Fuhr-
werken transportiert, noch dazu auf zweirädrigen Karren.
Napoleon war bei seiner Ankunft am Rhein mit der Ausrüstung
der Armee gar nicht zufrieden. Im ganzen war auch die admini-
strative Situation der Armee am Tage des Einmarsches in Deutsch-
land tatsächlich nicht glänzend, ja es war hohe Zeit, daß besonders
die Kavallerie bald nach Deutschland einrückte, weil kaum mehr die
Möglichkeit bestand, sie am linken Rhein-Ufer zu ernähren. Diese
Nahrungssorgen waren gewiß mitbestimmend, daß Napoleon die so
wünschenswerte Ruhepause am Rhein entfallen ließ, um möglichst
bald die reichen Bestände Deutschlands zur Verpflegung der Armee
auszunützen.
In „La Campagne de 1805" wird auf Seite 245 des I. Bandes
die Lehre aus diesen Tatsachen gefolgert: ,,8o wichtig auch der
Unterhalt und die Verproviantieruug sind, so schuldig auch der
Kommandant wäre, der sie vernachlässigt, so muß man sich doch
hüten, im Augenblicke des Handelns sie als unerläßlich anzusehen.
Man ist zu sehr geneigt, ihnen eine überwiegende Bedeutung bei-
zumessen : Wenn das Genie Napoleons unseren Waffen nicht den
Triumph von Ulm und Austerlitz verschafft hätte, welche Schlüsse
hätte man nicht aus dieser so ungenügenden Vorbereitung ge-
zogen ! "
Es ist nur schade, daß aus solchen historischen Beispielen
meist falsche Lehren gezogen werden. Ist doch auch die zitierte
Stelle, so richtig sie im allgemeinen ist, durch den ganz einseitigen
Schlußsatz vollkommen verdorben : Es wäre nämlich ebenso schlecht,
nein, sogar viel schlechter, aus dem Triumph von Ulm und Auster-
litz den Schluß zu ziehen, daß diese Versorgung der Armee eine
geringe Bedeutung habe; der Schlußsatz lädt zu diesem Glauben
förmlich ein und tatsächhch wird auch von sehr vielen unter falscher
Berufung auf Napoleon und besonders auf 1805 die Armeeversorgung
als nebensächlich betrachtet. Zur Erreichung des grandiosen Erfolges
bei Ulm gehörte nicht nur das ganze, einzig dastehende Genie Na-
poleons, nicht nur sein Vertrauen in dieses Genie, sondern auch die
— 233 —
ganze Erbärmlichkeit der Führung der gegnerischen Armee. Napoleon
hatte das Vertrauen in seine Kraft nicht, wie es heute nur möglieh
wäre, am grünen Tische gewonnen, sondern in mehreren Feldzügen
und bei zwei Unternehmungen — Expedition nach Ägypten und
Alpenübergang — wo er derartige Schwierigkeiten zu besiegen ver-
stand, daß er das vollste Eecht auf den Glauben an sich haben
durfte. Dieser Mann hat aber auch voll erkannt, was er 1805 ge-
wagt hat; er mußte es wagen, weil ihm keine andere Wahl blieb,
weil er weder die Zeit noch die ungezählten Millionen hatte, um
den Krieg gegen Österreich ebenso materiell vorzubereiten, wie er
den gegen England beabsichtigten vorbereitet hatte. Napoleons Genie
hat die Feldzüge von Ulm und Austerlitz trotz der mangelhaften
Verpflegs- und Trainausrüstung gewonnen und durchaus nicht,
weil er diese Vorsorgen vernachlässigt hat. Nur eine Irrlehre
könnte unter Berufung auf 1805 und auf Napoleon den Wert der
materiellen Vorsorgen mißachten.
Es wäre daher Macksche Leichtfertigkeit, wollte man heute
diese Heeresversorgung, die ins Ungemessene gestiegen ist, einfach
mit Phrasen und j^roßen Gebärden abtun, obwohl alles davon abhängt,
mit welcher Gründlichkeit und Überlegung man den Krieg vorbe-
reitet hat. Was man in dieser Zeit der Vorbereitung versäumt, das
holt man nach Kriegsausbruch niemals ein ; die Folgen könnte viel-
leicht nur ein napoleonisches Genie unschädlich machen.
Gerade das Beispiel von Ulm zeigt jedem klar blickenden und
verständigen Menschen, daß in einer ungenügenden Ausrüstung und
Verpflegung der Truppen die größte Gefahr liegt. .
Die beiden großen Marschbewegungen des Jahres 1805, der
Marsch der Österreicher vom Inn an die Hier und der Marsch der
Großen Armee von Boulogne an den Ehein fordern ihres verschie-
denen Erfolges wegen zum Vergleiche heraus.
Die Länge des Marsches betrug für die Österreicher von Wels
über Schärding, Landshnt und Augsburg nach Ulm etwa 350 hn^), für
die Franzosen vom Ärmelkanal bis an den Khein im Mittel 600 km.
^) Von Wels über ßraunau, München und Landsberg bis Menimingen sind
nur 300 km. Allerdings waren die Truppen aus den entferntesten Teilen der
Monarchie heranmarsehiert, aber diese Märsehe waren mit dem Marsche ganzer
Armeekolonnen nicht zu vergleichen.
— 234 —
Die Österreicher, im -ganzen etwa 50.000 Mann Infanterie und
etwa 10.000 — 12.000 Eeiter^), marschierten in zahh-eichen kleinen
Gruppen neben- und hintereinander. Die stärksten Gruppen, die Ko-
lonnen Klenau und Gottesheim, betrugen jede etwa 10.000 Mann In-
fanterie und 2000 Reiter und waren fast ohne Artillerie. Diesen
vordersten Kolonnen folgten die anderen Teile der Armee oft regi-
menterweise nach.
Die Franzosen — über 120.000 Mann, über 14.000 Reiter und
über 4000 Artilleriepferde — marschierten auf drei Marschlinien in
3—4 Tagesstaffeln von ungefähr 2000 Reitern und 10.000—12.000
Mann.
Sowohl die Österreicher als die Franzosen hatten fast gar keinen
organisierten Train. Die Österreicher maßten aber das umfangreiche
Truppen- und Offiziersgepäck mit Vorspaonswagen und Yorspannspferden
befördern. Der Troß war nicht wesentlich kleiner, dafür aber un-
geregelter und ungeordneter als früher. Die Franzosen hatten fast
gar keine Truppenbagagen.
Der Abmarsch der Österreicher von Wels begann am 5. Sep-
tember ; die ersten Kolonnen trafen an der Hier am 20. September
ein. Die Tagesleistung dieser Kolonnen betrug daher etwa 20 hm.
Die Marschbewegung der Österreicher war aber eigentlich nie be-
endet; Mitte Oktober waren noch beträchtliche Teile der etwa
60.000 Mann starken Armee im Marsche.
Der Marsch der Franzosen begann am 26. August. Am 29. Sep-
tember war auch die letzte Staffel am Rhein angelangt. Tages-
leistungen 21—23 hn (s. S. 229).
Erfolg des Marsches: Die Österreicher kamen in zerrüttetem
Zustand an der Hier an, die Franzosen erreichten den Rhein in
vollster Ordnung und setzten den Marsch sofort an die Donau fort.
Die Ursache, daß die Franzosen ihren weit längeren und stär-
keren Marsch ohne jeden nachteiligen Einfluß auf die Truppen hinter-
legten, wogegen die Österreicher durch ihren weit kürzeren und ge-
ringeren Marsch ruiniert wurden, lag nur allein in den Marsch-
anordnungen und in der Marschtechnik.
Die zweckmäßigen, zielbewußten und daher nicht jeden Augen-
blick Änderungen unterworfenen Marschanordnungen der Franzosen
^) Ein großer Teil der ungefähr 80.000 Mann starken österreichischen
Armee war durch Tirol gekommen (Wolfskeel, Auffenberg und Jellaehieh und
die Eegimenter Erzherzog Karl, Auersperg, Czartoryski und Mittrovsk^O-
— 235 —
und ihre vorzügliche, mit Marsehdisziplin verbundene, nicht schablonen-
hafte Marschtechnik waren die Bedingung ihrer Marschleistungen.
Bei ähnlichen Bedingungen hätten die österreichischen Truppen
gleiches, wenn nicht besseres geleistet, denn es gibt nicht viele
Völkerstärame, die ein zäheres Soldatenmaterial liefern als die Völker
der österreichisch-ungarischen Monarchie. Die Schuld an der Zer-
rüttung der österreichischen Truppen hatte ausschließlieh die
Führung. Man darf eben nicht glauben, daß nur die Beine allein
marschieren: man muß mit Verstand marschieren: und da
könnten wir noch viel, sehr viel von den Franzosen Napoleons lernen.
Die Märsche dürfen vor allem nicht gedankenlos angeordnet
und schablonenhaft durchgeführt werden. Wir sind aber stark in
Gefahr, in diese Fehler zu verfallen. Ob im Winter, ob im Sommer,
ob bei Hitze oder bei Regen, ob 25 oder 40 hn weit marschiert
werden soll — nur zu oft sind die Anordnungen und die Durch-
führung der Märsche in allen diesen Fällen schablonenhaft gleich.
So hatte einmal ein Eegiraent an einem abnorm heißen Maitag einen
Marsch von 35 hm zu hinterlegen. Es wurden die obligaten ßasten
gehalten: die kleine Rast von 10 Minuten und die lange Rast nach
Zurücklegen des größeren Teiles des Marsches. W^ährend der Rast
konnte sich die Mannschaft im Orte nach Belieben dem Biergenusse
hingeben. Bei Fortsetzung des Marsches zeigten sich bald die Folgen.
Die Leute traten in großer Zahl aus. Weil die Kolonne, wie es
immer geschieht, einfach weitermarschierte, mußten die Zurück-
gebhebenen nachlaufen. Als die Hitze drückend zu werden anfing,
waren diese Leute die ersten, die raarschunfähig wurden. Immer
mehr Leute blieben an der Straße liegen. Endlich wurde unter diesem
Zwang eine halbstündige Rast eingeschoben, die aber, an der freien
Straße gehalten, nicht viel nützte. Am Abend, nach 6^, traf das
Regiment am Marschziel ein. Etwa 300 Mann, ein Viertel des Standes,
fehlten. Allerdings rückten alle im Laufe der Nacht ein. Das Regi-
ment hatte Glück gehabt. Dasselbe Regiment hatte ein anderes Mal
nach einer im Lager zugebrachten Regennacht ungefähr 25 hn bei
strömendem Regen in seine Garnison' zu marschieren. Nach den
ersten 15 hm wurde eine IVaStündige Rast bei einem einzeln stehenden
Wirtshaus angeordnet. Die Bitte, doch weiterzumarschieren und
nur einige ganz kurze Rasten einzuschalten, war umsonst. Bis auf
die Haut naß, mußte das warm marschierte Regiment seine lange
Rast fröstelnd und ohne Erholung zu finden halten.
— 236 —
Ein anderes Regiment hatte an einem heißen Augusttag einen
Eeisemarsch von 28 hm zurückzulegen. Das Regiment war etwa
3 Stunden seit Beendigung der langen Rast unterwegs. Der Kom-
mandant des Queuebataillons sah, daß die Truppe wieder dringend
einer Rast zum Wassernehmen bedurfte. Als sich das Regiment eben
einer Ortschaft näherte, sandte er den Adjutanten mit der Meldung
vor, daß die Queueabteiluugen dringend einer Wasserrast in dem
Orte bedürften. Der Kommandant ließ antworten, er werde schon
selbst ermessen, wann eine Rast nötig sei. Das Regiment marschierte
durch den Ort, an zahlreichen Brunnen und bereitgestellten Wasser-
gefäßen vorbei. Als die Queue etwa eine halbe Stunde vom Orte
entfernt war, kam der Befehl: „Rast". Weit und breit kein Wasser,
kein Schatten.
Die Begründung für diese unzweckmäßige Rast lautete : weil
es im Reglement heißt, man soll in Ortschalten nicht rasten^). Daß
der Marsch ein Reisemarsch war, daß der Zweck der Rast sein
sollte, Wasser zu nehmen, das man doch mir im Orte leicht er-
halten konnte, war Nebensache, denn „das Reglement sagt". Da-
gegen wurde die Meldung des Bataillonskommandanten, also seine
tätige Mitwirkung bei der Führung der Kolonne, vom Kolonnen-
kommandanten als Eingriff in sein Bestimmungsrecht abgewiesen.
Das sind nur einige Beispiele, denen jeder sicherlich mehrere
aus seiner Erfahrung anfügen könnte. Unser größter Feind ist die
Gedankenlosigkeit. Daher sind alle einschränkenden regleraentären
Bestimmungen, die doch immer nur zur Schablone werden müssen
und somit die Gedankenlosigkeit förmlich züchten, gefährhch. Die
Reglements sollen neben den formellen Bestimmungen nur ver-
nünftige allgemeine Ratschläge geben; die einzige imperative
Bestimmung für die Märsche sollte sein, daß alle Offiziere ver-
pflichtet sind, zur vernünftigen Führung der Truppe mitzuwirken,
^) Diese Begründung war natürlich nicht zutreffend. Im Dienstreglement,
IL Teil, vom Jahre 1874 stand allerdings : „In Ortschaften selbst aber soll nur
bei schlechtem Wetter und kalter Jahreszeit gerastet werden." Die zur Zeit des
Marsches gültige 3. Auflage dieses Eeglements bestimmte aber ausdrücklich, daß
auch dann in Ortschaften gerastet werden könne, wenn es die Wasserversorgung
der Truppen erheische. Aber jung gewohnt, alt getan. Scharf ausgesprochene
reglementäre Bestimmungen wirken auch dann noch lange nach, wenn sie schon
längst wegen ungünstiger Erfahrungen, die man mit ihnen machte, gemildert
worden sind.
— 237 —
indem sie durch rechtzeitige Meldungen den Kolonnenkommandanten
über die Bedürfnisse der Truppe informieren. Gerade die zu Fuß
marschierenden Offiziere können, wenn sie nicht nur einfach mecha-
nisch mitmarschieren, ihren berittenen Kommandanten wertvolle
Unterstützuug bieten.
Die Notwendigkeit häufiger, etwa stündlicher, nur einige Mi-
nuten dauernder Halte, die den Zweck haben sollen, das Austreten
aus Eeih und Glied und damit das entkräftigende Nachlaufen hint-
anzuhalten, wäre ebenso zu betonen wie die Notwendigkeit, bei
großer Hitze kurze Wasserrasten in Ortschaften einzuschalten. Werden
— wie es das Reglement bestimmt — berittene Offiziere rechtzeitig
in Orte vorausgesandt, um das Bereitstellen von Wasser an der Straße
zu veranlassen, dann brauchen solche Wasserrasten nur 3 — 5 Mi-
nuten zu dauern, besonders wenn die Truppe an Ordnung und Appell
gewöhnt ist.
Die Betrachtungen über die Märsche im Jahre 1805 zeigen,
daß das französische Generalstabsbuch sehr recht hat, wenn es
anführt :
„Die Märsche sind der schwierigste und wichtigste Teil des
Krieges."
VIII. Der Rhein-Übergang der Großen Armee.
(Beilagen 15, 16 und 17.)
Sobald Napoleon die ganze Armee von den Küsten in Marsch
gesetzt hatte, begab er sich nach Paris. Vorher bestimmte er noch
den Marschall Prinzen Mm-at zu seinem Stellvertreter bei der Armee
am Ehein. Murat sollte während der Abwesenheit des Kaisers den
Befehl führen. Murat wurde angewiesen, sich nach Straßburg zu
begeben, wo er am 8. September eintraf. Am 10. September meldete
Murat, daß bei Wels etwa 60.000 Mann, bei Braunau etwa 10.000
bis 12.000 ^laun und am Bodensee etwa 15.000 Mann stehen.
80.000 Bussen seien an der Grenze Galiziens. Der Plan der Öster-
reicher gehe dahin, vor allem in Italien zu handeln.
Am 12. September traf von Murat aus Straßburg die tele-
graphische Depesche ein:
„Die Österreicher haben den Inn überschritten und Otto^) hat
München verlassen. Ich erwarte die Befehle Eurer Majestät. Murat."
Eine zweite telegraphische Depesche meldete: „Die Öster-
reicher marschieren auf München", und bestätigte die Abreise des
Gesandten von München und die Flucht des Kurfürsten nach Würzburg.
Der Kaiser befahl hierauf am 13. September, daß Murat sofort
Hüningen, Beifort, Neu-Breisach und Schlettstadt armiere und Ar-
tillerie bereit halte, um Kehl zu besetzen, wenn es nötig werde. Er
solle sich bereit halten, mit dem in Straßburg befindlichen Infan-
terieregiment, den drei Dragonerregimentern, dem am 15. September
eintreibenden 1. Husarenregiment und einiger Artillerie über den
Rhein zu setzen, wenn es der Kaiser für nötig erachte. Der Kaiser
wolle aber einen Entschluß erst nach Eintreffen des Kuriers mit
genaueren Nachrichten fassen. Weiter ordnete der Kaiser an, Kund-
schafter nach Donaueschingen, Kempten, Stockach und in die Schwarz-
wald-Pässe zu senden.
^) Französischer Gesandter in München.
— 239 —
Bis zum 13. September war nicht vorauszuseheo, daß die
Österreicher bis an die liier voreilen würden. Man müßte im Gegen-
teil v^ernünftigerweise annehmen, daß sie sich mit der Besetzung
Münchens, der Hauptstadt Bayerns, begnügen würden. Napoleon
dürfte sich somit nni diese Zeit mit dem Entwürfe des Vormarsches
seiner Armee gegen die bei München vermuteten Österreicher be-
schäftigt haben. Wenigstens ist ein Entwurf dieses Vormarsches
vorhanden^). Danach sollten (Beilage 15)
das 1. und 2. Korps von Würzburg über Nürnberg nach
Eegensburg,
Davout von Mannheim über Mergentheim, Ansbach nach
Dietfurt,
Ney von Selz über Crailsheim, Weißenburg nach Ingolstadt,
Lannes von Straßburg über Gmünd, Nördlingen nach Neu-
burg und
Soult von Landau über Aalen nach Donauwörth marschieren.
Die Korps sollten den Ehein am 28. September überschreiten ;
Soult sollte am 9. Oktober, die anderen Korps sollten am 16. Oktober
die Donau erreichen.
Die Skizze zeigt, wie Napoleon bestrebt war, die bei München
angenommenen Österreicher zu umgehen, um sie von ihrem Rückzug
auf die Russen abzudrängen.
Am 15. September verständigte Berthier den Prinzen Murat
vom Abschluß eines Vertrages mit dem Kurfürsten von Baden.
„Wenn der Kurfürst von Ihnen Hilfe verlangen sollte, weil er sich
durch das Husarenregiment, das in Stockach ist. bedroht fühlt, sind
Euer Hoheit ermächtigt, aber für diesen Fall allein, die nötige Menge
Kavallerie und Artillerie unter einem Brigadegeneral über den Rhein
zu setzen, um sich mit den badischen Truppen zu vereinigen
und dieses Kurfürstentum zu schützen. Der Kaiser wäre aber sehr
behindert, wenn man zu dieser Maßregel genötigt wäre; sie darf
daher nur bei äußerster Notwendigkeit eintreten Der strikte
^) Dieser Marsehentwiirf, der ohne Datum aufgefunden wurde, ist in der
Korrespondenz Napoleons Nr. 9254 mit dem Datum vom 22. September versehen.
Alombert und Colin weisen in ihrem II. Bande, S. 29, nach, daß dieses Datum
falsch ist und der Entwurf vor dem 15. September verfaßt worden sein muß.
Außer den dort angeführten Gründen spricht die ganze Endgruppierung im
Vereine mit dem im ganzen Feldzuge festgehaltenen Grundgedanken Napoleons,
die Österreicher von den Russen abzudrängen, für die Zeit vom 12. bis 15. Sep-
tember,
— 240 —
Befehl des Kaisers ist, daß seine Dispositionen nicht ohne äußerste
Notwendigkeit gestört werden. Der Kaiser sähe es als ein Unglück
an, wenn er gezwungen wäre, den Ehein vor der festgesetzten Zeit
zu überschreiten und bevor die Armee angekommen ist. und das
vor allem wegen der Armee in Italien."
Napoleon sieht dem Vorstürzen der Österreicher mit größter
Euhe zu. Er läßt sich dadurch nicht zu dem gleichen Fehler ver-
leiten, in unfertigem Zustand loszuschlagen. Zuerst muß die ganze
Kraft versammelt sein, dann soll sie aber auch ohne Aufenthalt auf
den Feind losstürzen. Bei ihm ist daher die Schnelligkeit nicht ein
kopfloses, stückweises Voreilen der Armee, nicht ein Sammeln weit
vorne wie bei Mack, sondern seine Schnelligkeit besteht in der
wohlüberlegten und geordneten Ausnützung der Kraft der
Truppen zu ihrer Versammlung hinter dem letzten deckenden
Hindernis, dem Ehein, und zur raschen Vorbewegung der ver-
sammelten Armee.
Bis zum 17. September kam Napoleon in Kenntnis, daß die
Österreicher München und Landshut besetzt hatten und daß aus
Vorarlberg ein Korps von 8000 bis 10.000 Mann unter General
Wolfskeel in Schwaben eingebrochen sei, um die bayrischen Städte
in Schwaben, vor allem Ulm zu besetzen.
Gerüchtweise verlautete, daß die Österreicher bis an den Schwarz-
wald vorzugehen beabsichtigen^).
^) Der Gesandte in ßegensburg liatte am 11. September, 7 h abend, folgenden
Berieht nach Straßbm-g abgesendet:
„Man ist in Regensburg noch ohne offizielle Nachricht vom Einmarsch
der österreichischen Truppen in Bayern, aber im folgenden vorläufig die Aussagen
von Eeisenden:
„General Mack hat nach Übernahme des Armeekommandos in Oberöster-
reich am 7. September den Kurfürsten von Bayern sowie die bayrischen Kom-
mandanten entlang des Inn angefangen von Passau verständigt, daß er am
8. September den Inn passieren werde, um in Bayern einzumarschieren, was tat-
sächlich in mehreren Kolonnen geschehen ist.
„Der Kurfürst von Bayern hat sogleich München verlassen Alle
bayrischen Truppen haben sieh nach Franken zurückgezogen
„Die Österreicher marschieren in 3 Kolonnen über Sehärding, Braunau und
Mühldorf; sie dirigieren sieh auf Landshut, Freising und München, um zuerst
die Position an der Isar und dann jene am Lech einzunehmen und sieh in die-
selbe Position zu stellen wie im März 1799 bei Wiederbeginn der Feindseligkeiten.
„Nach der Vereinigung mit den Truppen aus Tirol, die über Füssen,
Sehongau und Landsberg debouchieren werden, wird die österreichische Armee
— 241 —
Die Bayern hatten sich vor den Österreichern hinter die Donau
zurückgezogen der Kurfürst war nach Würzburg abgereist. Die
letzte Meldung Murats« gab die Stärke der Armee des Erzherzogs
Ferdinand mit beiläufig 60.000 Mann an; die Armee von Kregenz
sei 25.000 Mann stark. Von den Russen wußte Na^joleon durch eine
vom 7. September datierte Meldung aus Wien, daß am 1. September
noch keine russische Kolonne die österreichische Grenze überschritten
hatte. Er wußte weiter, daß Preußen sich ihm nicht anschließen
wolle; er rechnete es daher zu seinen Feinden.
Am 17. September diktierte Napoleon den ersten Befehl zum
Ehein-Übergang der Großen Armee. (Beilage 16.) Nach diesem Befehls-
entwurf sollte der Übergang am 25. beginnen. Es sollten übergehen :
Lannes und die Eeservekavallerie bei Straßburg,
Ney bei Rastatt,
Soult bei Germersheim und
Davout bei Mannheim^).
Nach dem Übergange sollte Lannes am 29. September von
Kehl über den Kniebis nach Ulm vorgehen und weil er 50 Lieues
(= 225 hn) zu hinterlegen hatte, in Ulm am 9. Oktober eintreffen.
Ney, der am 27. von Rastatt aufbrechen sollte, hatte gleich-
falls 50 Lieues zu bewältigen, sollte daher am 7. Oktober bei Ulm sein.
Soult sollte von Bruchsal erst am 29. September abmarschieren
und bei Aalen am 9. Oktober ankommen,
Davout am 29. September Mannheim verlassen und am 10. Ok-
tober Nördlingen erreichen.
Bernadotte und Marmont, die auch ana 9. Oktober bei
Weißenburg eintreffen sollten, hatten, weil die Entfernung dahin
50 Lieues betrug, am 30. September oder 2. Oktober von Würzburg
aufzubrechen.
Am 9. Oktober sollten nach dieser Disposition somit stehen :
die Korps Lannes und Ney bei Ulm, das Korps Soult bei Aalen,
nach den neuen Befehlen, die sie erhalten wird, die Stellung von Ulm einnehmen
und sodann jene am Schwarzwald, um der französischen Armee zuvorzukommen
und sie in der vom Erzherzog Karl 1799 eingenommenen Linie zu erwarten,
d. h. vom Bodensee hinter Stoekaeh Biberaeh bis zur Donau."
*) Nach dem Entwürfe dieses Befehles sollten die Dragoner zu Fuß auf
einer bei Neu-Breisaeh zu schlagenden Brücke übergehen, nach einem späteren
Absatz desselben Befehles aber bei Straßburg. Der zur Täuschung des Feindes
bei Neu-Breisaeh beabsichtigte Brückenschlag mußte wegen Mangel an Brücken-
material unterbleiben.
Krau SS. 1805, Der Feldzug von Ulm. 16
— 242 —
Davout bei Nördlingen. Bernadotte und Marmont bei Weißenburg,
die Kavalleriereserve und die Garde, die von Straßburg über Ludwigs-
burg folgen sollten, bei Gmünd.
Napoleon hatte sieh also durch den Vormarsch der Öster-
reicher über München hinaus doch veranlaßt gesehen, auch seinen
Vormarsch zu beschleunigen. Alles kam jetzt darauf an, die Situa-
tion auszunützen. Er beschloß daher, den Rhein-Übergang nicht, wie
bisher beabsichtigt, am 28. oder 27. September, sondern schon am
25. September zu beginnen, somit die früher geplante Euhepause
am Rhein ausfallen zu lassen.
Diese Disposition zeigt weiter klar, daß Napoleon mit seiner
Änderung der Marschrichtung vom 30. August nicht dem Schwarz-
wald ausweichen wollte und auch nicht das Debouchieren aus den
Schwarzwald-Defiles angesichts der Österreicher fürchtete, weil er in
dieser Disposition, als er schon wußte, daß ein österreichisches Korps
westlich der Hier stand, dieses Debouchieren seinem schwächsten
Korps, Lannes. zumutete. Er fand eben darin die Abhilfe, daß Ney in
der Staffel links vorwärts von Lannes marschierte, diesen daher immer
wirksam unterstützen konnte. Die Skizze zeigt auch deutlich, wie
Napoleon durch diesen, aus der zweiten Situation am Rhein resul-
tierenden Vormarsch jede Verteidigungsstellung der Österreicher
hinter Hier und Lech flankierte und auch jede solche hinter Isar
und Inn nördlich der Donau umgehen konnte^).
^) Wie Murat die Situation am 17. September beurteilte und wie dieses
Urteil mit dem des österreichischen Armeekommandanten, Erzherzog Ferdinand,
übereinstimmte, zeigt sein Bericht an den Kaiser Napoleon vom 17. September.
Darin heißt es:
„. . . . Sieh er ist, daß die Österreicher den Inn am 8. überschritten und
Landshut und München besetzt haben, sowie daß am 14. September von Bregenz
•2000 Mann in Ravensburg eingetroffen sind. Man glaubt allgemein, daß die 2000
Mann von Ravensburg nach Ulm gehen und daß die Armee von Wels Stellung
am Lech nehmen wird." Er sagt dann: „Wird die österreichische Armee den
Lech passieren? Wird sie ihre alten Stellungen an den Ausgängen des Schwarz-
waldes einnehmen? Ich kann das nicht denken, ülm und Ingolstadt sind nicht
mehr befestigt, ihr rechter Flügel wäre durch die Donau nicht solide genug
gesichert. Müßten sie nicht den Marsch der Armeekorps von Mainz und von
Landau auf Ulm, Donauwörth und Ingolstadt fürchten, während die von Hagenau,
Brumath und Straßburg die Ausgänge des Sehwarzwaldes bedrohen würden?
WoUten sie sieh dem aussetzen, in der Flanke angegriffen zu werden und es
riskieren, in die Berge Tirols geworfen zu werden ? Würden unsere so angelegten
Bewegungen sie nicht zu einem sicheren Rückzug hinter den Lech zwingen oder
— 243 —
Am 18. September forderte Napoleon Murat auf, ihm ja sofort
zu melden, wenn die Österreicher Ulm und Donauwörth erreicht
haben werden ; auch sollte Murat die Route Straßburg, Knieljis, Ulm
rekognoszieren lassen, ob sie von Fuhrwerken leicht passiert werden
könne. ^)
Napoleon, der somit die Absicht der Österreicher, an die Hier
zu marschieren, kannte, dachte trotzdem noch au deu Vormarsch
eines Teiles seiner Armee durch den Schwarzwald nach Ulm.
Am 18. September telegraphierte Murat: „Eine Meldung von
gestern, die ich von der Gesandtschaft in Stuttgart erhalten habe,
zeigt an, daß die Österreicher den. Lech überschritten haben und
seit der Nachricht von der Aufhebung der Boulogner Lager ihre
ganze Armee in forcierten Märschen vorziehen." Napoleon, der diese
Meldung noch am 18. September erhielt, trug Murat neuerdings
auf, Schiffe für zwei Brücken anzusammeln ; er verbot, daß bayrische,
württembergisehe oder badische Truppen nach Straßburg gelassen
werden, selbst dann, wenn sie von den Österreichern an den Rhein
zurückgedrängt werden sollten.
Am 19. September telegraphierte ^lurat: „Die Österreicher haben
Biberach und Riedlingen besetzt. Diese Nachricht ist offiziell. " Die
anderen Nachrichten über den Marsch an die Hier nach Ulm und
Memmingen waren überdies mehrfach bestätigt worden.
Am 20. September erhielt Napoleon durch Murat einen Brief
des Stuttgarter Gesandten vom 17. September, in dem gemeldet
zu einer Änderung der Front gegen die Donau? und könnten sie dieses letzte
Manöver ausführen, ohne sieh zwischen zwei Feuer zu stellen, weil wir dann auf
beiden Donau-Ufern handeln würden, alle ihre Verbindungen nach Tirol absehneidend.
Könnte man weiters glauben, daß sie sieh einer Niederlage aussetzen würden,
auf eine so große Entfernung von ihren Verbündeten? Müßte es ihnen nicht im
Gegenteile ratsam sein, eine Schlacht bis zur Ankunft der Russen zu vermeiden?
Alle diese Überlegungen überzeugen mich, daß der Kaiser von Deutsehland den
Kaiser der Franzosen in der Stellung von Landsberg und Friedberg erwarten
wird . . . ."
Er mußte schon am nächsten Tage den Übergang der ÖsteiTeieher über
den Lech melden und somit sein Vertrauen in die vernünftige Führung der
Österreicher desavouieren.
^) Napoleon beruft sieh in diesem Briefe nur auf den Berieht Murats vom
15. September. Das Telegramm Murats vom 18. September dürfte Napoleon somit
erst nach Absendung des Briefes erhalten liaben. Napoleon hat daher den Vor-
marsch der Österreicher gegen Donauwörth und Ulm nur gemutmaßt oder er
hatte Nachrichten von anderer Seite erhalten.
16-^
— 244 —
wurde, daß das Korps General Klenau am 15. September den Lech
passiert habe; eine Kolonne habe am Abend Zusmarsliausen erreicht.
Diese Kolonne werde für den 16. September in Günzbm-g- erwartet,
ihre Torhut solle am 17. September Ulm erreichen. Die Bayern
unter General Wrede seien gestern (16. September) von Ulm gegen
Würzburg abmarschiert. Das von Bregenz über Bavensburg an-
marschierte Korps habe am 15. abend Biberach besetzt und dürfte
sieh mit dem Korps Klenau vereinigt haben. Man sage, daß sie bis
Stoekach vorgehen dürften. Ein Gerücht laute, daß am 6. Oktober
die erste russische Kolonne von 15.000 Mann bei Linz ankommen
werde, der noch fünf Kolonnen gleicher Stärke folgen sollen.
In einem Briefe des Gesandten in Regensburg vom gleichen
Tage (17. September) wird mitgeteilt, daß Klenau, der die Vorhut
der österreichischen Armee kommandiert und unter dem der General
Gotteslieim steht, am 21. September Memmingen erreichen solle
und daß die österreichische Armee sich am 22. September an der
Hier befinden werde, von wo sie sich in Marsch setzen wird, um
dieselbe Stellung einzunehmen wie im Frühjahre 1799, 100.000
Bussen sollen in Mähren angekommen sein und dürften durch
Böhmen in die Oberpfalz marschieren, wo sie in 10 — 14 Tagen
sein könnten.
Napoleon antwortete darauf sofort am 20. September: „Ich
habe Ihren Brief vom 18. erhalten mit der Nachricht, daß sich die
Österreicher Ulm nähern. Ich wünsche lebhaft, schon am Rhein zu
sein und endlich anzufangen, die Unverschämtheit der Herren Öster-
reicher zu zähmen." Trotz dieser gewiß fieberhaften Ungeduld ver-
meidet der Kaiser jede nur zur Abhetzung der Truppen führende
Überstürzung und jedes teilweise Ausspielen seiner Kraft.
Am 20. September telegraphierte Murat: „Die Österreicher
haben gestern, 9^" vormittag, Pfullendorf und Stockach besetzt. Diese
Nachricht ist offiziell."
Diese Meldung bewog Napoleon, den Befehl vom 17. nicht
expedieren zu lassen und seine Disposition für den Rhein-Übergang
und für den Vormarsch an die Donau zu ändern. Am 20. erließ
Napoleon folgenden Befehl an Berthier (Beilage 17):
„Der Generalstabschef wird dem General Songis durch einen
vor Mitternacht abgehenden Kurier Befehl geben, eine Brücke bei
Speyer und eine zweite gegenüber von Pforzheim zwischen Lauter-
burg und Rheinzabern zu schlagen. Diese zwei Brücken müssen
— 245 —
zwischen Mitternacht auf den 25. September und 9^ morgen des
25. September geschlagen sein.
„Der Generalstabschef wird dem General Davout beisanntgeben,
daß meine Absicht ist, daß er bei Mannheim übergehe, wenn ich
dazu den Befehl geben werde, und daß er sich über Heidelberg und
Neekarelz auf Nördlingen dirigiere. Es ist nicht meine Absicht, daß
er über Sinsheim marschiert, das für das Korps Soult bestimmt ist-
Er kann Erkundigungen einziehen und selbst die Weglinie reko-
gnoszieren lassen, aber unter der Vorsicht, sich nicht zu verraten.
Die über Mergentheim führende Straße soll wenn möglich vermieden
werden, weil sie sich zu weit entfernt; man sehe aber zu, ob man
nicht einen guten Weg von Neckarelz auf Ilzhofen und von da über
Dinkelsbühl nach Nördlingen findet. Das Ziel ist. diesen Marsch
möglichst kurz zu machen und sein Korps beständig nahe dem des
Marschalls Soult zu halten.
„Sie werden dem Marschall Soult bekanntgeben, daß sein Haupt-
quartier nach Speyer zu verlegen ist, wenn ich ihm dazu Befehl
geben werde; das wird wahrscheinhch am 24. September geschehen;
daß er von Speyer dem Wege von Heilbronn, Öhringen, Hall, Aalen
folgen soll; daß es rätlich sei, wenn kein Hindernis besteht, diese
Weglinie möglichst geheim rekognoszieren zu lassen.
„Dem Marschall Ney, daß er den Rhein zwischen Hagenbach
und Mühlburg überschreiten soll, bei dem Dorfe Pforz, an der Stelle,
die er für den Brückenschlag am günstigsten hält; daß er den Weg
über Durlach, Pforzheim, Stuttgart, Gmünd und Giengen nehmen
müsse. Es ist nötig, daß er diesen Weg rekognoszieren lasse.
„Endlich befehlen Sie dem Prinzen Murat, den Weg von
Kniobis über Oberkirch, Freudenstadt, Horb, Eottenburg, Tübingen,
Grötzingen, Nürtingen nach Göppingen rekognoszieren zu lassen, die
Anzahl der Tage zu ermitteln, die er braucht, um dort anzukommen,
und auch den gegenwärtigen Zustand des Talausganges der Kinzig
rekognoszieren zu lassen.
„Sie werden diese Marschälle verständigen, daß ihre Brücken
in der Nacht vom 24. zum 25. September geschlagen werden
müssen. Napoleon."
Nach diesem kaiserlichen Befehl und nach einer Notiz
Berthiers :
Davout marschiert von Mannheim über Heidelberg, Neckarelz
nach Nördlingen;
— 246 —
Soult marschiert von Speyer über Heilbronn, Öhringen, Hall
nach Aalen;
Ney marschiert von Pforz über Durlach, Pforzheim, Stuttgart,
GmüQd und Giengen,
fertigte Berthier die Befehle an die Korpskoramandanten aus.
Diese Befehle bestimmten (Auszug):
Dann es überschreitet die Brücke bei Straßburg am 25. Sep-
tember um 5'' früh mit zwei leichten Kavallerieregimentern und der
Grenadierdivision Oudinot; er marschiert am 26. nach Eastatt oder
selbst nach Ettlingen. Hinter ihm wird Murat mit fünf Kavallerie-
divisionen und den Dragonern zu Fuß folgen. Der Marsehall Ney
überschreitet den Rhein am 26. bei Durlaeh. „Wenn die Bewegungen
des Feindes, die man nicht voraussehen kann, Sie glauben machten,
daß man etwas an diesen Dispositionen ändern solle, erhalten Sie
Befehl vom Prinzen Murat, da Sie nicht ohne Befehl angreifen dürfen.
Sie verpflegen sich vom Lande, das zu ihrer Rechten liegt."
Murat geht am 25. September hinter Lannes bei Straßburg
über, und zwar die Division d'Hautpoul, die die Ausgänge der
Kinzig und Kniebis aufklärt, dann vier Dragonerdivisionen und die
Dragoner zu Fuß. Kantonnements vorwärts von Kehl. Die Dragoner
zu Fuß bleiben zur Herstellung eines Brückenkopfes voraussichtlich
bis 28. September bei Kehl.
Die Division Nansouty geht mit dem Korps Davout am 25. bei
Mannhelm tiber.
„Die Absicht des Kaisers ist, daß sich Lannes nicht mit dem
Feind einlasse. Wird er aber zum Kampf gezwungen, dann ist er
von Ihnen und von Ney, der am 26. bei Durlach übergeht, zu
unterstützen."
Soult wird am 26. September bei Speyer übersetzen und auf
Heilbronn vorgehen.
Murat soll alle Marschälle über den Feind orientieren (weil
bisher alle Meldungen in Straßburg zusammenliefen).
„Der Kaiser hält viel darauf, den Rhein zur oben bestimmten
Zeit zu überschreiten; aber alles ist von den Bewegungen des
Feindes abhängig und Seine Majestät will sich keinesfalls in par-
tielle Affären einlassen, außer bei absoluter Notwendigkeit. Es muß
allseits Sicherheit und Geheimhaltung herrschen."
Ney passiert am 26. auf einer bei Durlach zu schlagenden
Brücke. Am 27. hat er sein Hauptquartier in Durlach. Ney hat
— 247 —
Lannes vor sich und wird derselben ßoute auf Stuttgart folgen
müssen.
Zur Linken geht Soult über Speyer vor; er requiriert zu seiner
Linken, so daß alles Land von Speyer, Hilsbach und Heilbronn bis
zu Ihrer Marschlinie Ihre Bedürfnisse decken soll. Lannes requiriert
zu seiner Rechten.
Soult hat sein Hauptquartier am 25. in Speyer. Am 26. Sep-
tember läßt er dort eine Brücke schlagen und beginnt am selben
Tag den Übergang, so daß er am 29. September alle Divisionen
hintereinander zwischen Heilbronn und Speyer hat. Er requiriert zu
seiner Linken.
Davout hat am 2b. September bei Mannheim einzutreffen.
Nansouty, der nach Oggersheim dirigiert ist, tritt unter seinen Be-
fehl. Am 26. ist sein Hauptquartier in Mannheim: Heidelberg ist
zu besetzen. Er hat seine Divisionen zwischen Heilbronn und Mann-
heim zu placieren. Er ist berechtigt, sich noch vor dem 30. September
bis Neckarelz auszudehnen. Er requiriert zu seiner Linken,
An alle Korps war gleichlautend befohlen:
Eine etwa nötige Abänderung dieser Befehle erfolgt durch
Murat, dann: Jede Truppe muß für 4 Tage Brot haben und jedes
Korps für 4 Tage Zwieback, der nicht verzehrt werden darf, weil
er für einen Schlaehttag oder für die Zeit dienen soll, wo die
Truppen so versammelt sind, daß die Beschaffung der Lebensmittel
Schwierigkeiten macht.
Dem Befehl an Davout war überdies beigefügt : „Ohne die
Beschleunigung des Vormarsches, hätte der Kaiser gewünscht, daß
alle Kolonnen der Armee für 12 Tage Zwieback in ihrem
Train hätten."
General Songis erhielt Befehl, in der Nacht vom 25. September
zum 26. bei Durlach und Speyer Brücken schlagen zu lassen.
Der große Artilleriepark sollte am 28. September unter Be-
deckung der Dragoner zu Fuß den Rhein bei Straßburg passieren.
Die Große Armee werde ihren Nachschub an Munition und
sonstigen Bedarf über Mainz an sich ziehen. Alle Trains und
Transporte, die der Armee von Straßburg nachgesendet werden,
dürfen nicht bei Straßburg den Rhein überschreiten, sondern bei
Speyer, wo die Etappenstraße der Armee beginnt.
Napoleon ordnete noch an, daß Würzburg und Forchheim,
deren Befestigung in stand zu setzen und zu armieren seien, als
— 248 —
Depotpunkte für die Armee hergerichtet werden. Er ließ sorgen,
daß Munition auf dem Main nach Würzburg transportiert werden
könne und befahl, in Würzburg Gewehrmunition und 500.000 Eationen
Zwieback herzustellen ').
Nach diesen Befehlen, wenn auch nicht bei genauer Ein-
haltung aller Zeiten, erfolgte der Übergang der Großen Armee über
den Ehein.
SoDgis hatte gemeld(?t, daß es unmöglich sei, die Brücken bis
26. September herzustellen. Napoleon, der dieses Hindernis voraus-
sah, hatte aber schon vorher am 21. Murat befohlen, daß in diesem
Falle der Marsch der Korps Ney und Soult um einen Tag später
erfolge; Lannes bleibe dann einen Tag in Eastatt stehen. Der somit
dann vorgeschobenen Gruppe Lannes-Murat gab er folgende
Direktive:
„ . . . Wenn der Feind sich Freudenstadts bemächtigt haben
sollte, der Hauptstellung auf der Eoute des Kniebis, dann bleibt
die Division Lannes in Stellung in der Gegend von Oberkirch und
^) Was Napoleon veranlaßt hat, die Festungen Würzburg und Porehlieim
in stand zu setzen, zu besetzen und für 3 Monate auszurüsten, kommt in keinem
seiner Befehle zum Ausdrucke. Napoleon hat aber eine Zeitlang daran gedacht,
den Nachschub der Armee über Mainz und Würzburg zu leiten.
Im Befehl an Bernadotte vom 28. September heißt es :
„Es ist nötig, daß der Kurfürst von Bayern einen guten Kommandanten
nach Forehheim an der ßegnitz gibt mit einer genügenden Garnison und für
2 — 3 Monate Lebensmittel. Geben Sie ihm gleichfalls bekannt, daß er Würzburg
in Verteidigungsstand setze, damit der Kaiser falls eine Armee vor diesem
Platze erseheint, im stände sei, sie zu entsetzen, bevor die Besatzung Zeit hat,
ihre Lebensmittel aufzuzehren."
Wiederholt vraren Meldungen eingetroflen, daß eine rassische Armee durch
Böhmen vorgehen werde. Die beiden festen Plätze Forehheim und Würzburg
konnten also die Flanke der etwa gegen die Donau einschwenkenden französi-
schen Armee sichern. Da Forehheim in dem schmalen bayrischen Gebietsstreifen
zwischen den preußischen Fürstentümern Ansbach und Bayreuth lag, war dieser
Platz, solange Preußen neutral blieb, von besonderer Bedeutung.
Kaiser Napoleon hatte auch die Möglichkeit erwogen, daß der Krieg nach
Böhmen hinüberspiele (Rekognoszierung jMurats). Für diesen Fall hätte seine
Etappenstraße von Mainz entlang dem Main über Würzburg, Bamberg und Bayreuth
geführt ; hatte doch Napoleon selbst die Ausnützung des Main als Schiffahrtslinie
erwogen und die Verhältnisse dafür ermitteln lassen. Da wären Würzburg und
Forehheim wichtige Stützpunkte für den Nachschub zur Armee geworden.
Die Besetzung von Würzburg und Forehheim war also eine Vorsichtsmaß-
regel, die den Zweck halte, Napoleons Operationsfreiheit zu erhöhen, die einzige
Rolle, die Napoleon den Festungen zugestand.
— 249 —
erwartet dort die Ankunft der anderen Divisionen. Aber ich denke,
daß der Feind nicht so unklug gewesen sein wird. Wenn der Feind
am Kniebis nur mit schwachen Kräften wäre, überlasse ich es
Ihrem Einvernehmen mit Lannes, ihn zu vertreiben. Indessen
wünsche ich keinesfalls eine etwas ernstere Aktion
auf dieser Seite. . . Wenn es geschehen sollte, daß die Öster-
reicher eine Bewegung auf Stuttgart machen und wenn Württem-
berg auch weiter zu uns steht, wünsche ich, daß eine starke Ko-
lonne durch den Kniebis vorgehe und Freudenstadt besetze^)".
Erst mit der Disposition vom 20. September gab somit
Napoleon den Vormarsch durch den Schwarzwald ganz auf, obwohl
er, wie die Direktive an Murat dartut, unter einer bestimmten Vor-
aussetzung noch daran denkt, eine Kolonne über Preudenstadt zu
senden, wozu er diese Linie auch rekognoszieren läßt. Der geplante
Vormarsch vom Rhein ist im großen ähnlich mit dem am 17. ge-
geplanten; nur wird keine Kolonne mehr direkt auf Ulm dirigiert,
wo jetzt der Feind gemeldet ist, sondern Ney und Lannes sollten,
Ulm nördlich umgehend, nach Giengen marschieren. Lannes sollte
dazu über Eastatt vor das Korps Ney gesetzt werden. Die Armee
sollte daher in der Strecke Giengen — Ingolstadt die Donau erreichen.
Napoleon hielt also auch dem Vormarsche der Österreicher au die
Hier gegenüber seinen Grundgedanken fest; nur zeigt ein Blick auf
die Skizze, Beilage 17, daß Napoleon jetzt seine ganze Armee schon
in den Eücken der an der Hier stehenden Österreicher du'igiert,
wozu ihn das Voreilen der Österreicher geradezu herausfordert.
Denn es war sicher nicht anzunehmen, daß die Österreicher, die
soeben mit Gewaltmärschen an die Hier vorgeeilt waren, bei der
ersten Bedrohung wieder zurückgehen würden. In dieser Auffassung
schreibt denn auch Napoleon am 27. September an Talleyrand:
„ . . . Hier marschiert alles mit vollen Kräften. Die Österreicher
sind an den Aasgängen des Schwarzwaldes; Gott gebe, daß sie dort
bleiben. Meine einzige Sorge ist, daß wir ihnen zu viel Angst
machen könnten. Keine 14 Tage und wir werden manches erleben."
Und am selben Tag an Bernadotte:
„...Nach meiner Schätzung müßten Sie heute in Würzburg
sein. Der Kaiser von Deutschland hat gar keine Entsendung auf
das rechte^) Donau-Ufer unternommen und die Russen sind nicht
^) Brief Napoleons an Murat vom 21. September.
*) Sollte heißen auf das „linke" Donau-Ufer.
— 250 —
angekommen. Ich bin im stände, überallhin Front zu machen. Ich
habe den Bhein bei Mannheim, Speyer und gegenüber von Durlach
überschritten. Wenn Sie diesen Brief erhalten werden, wird meine
Armee am Neckar sein; stark, zahlreich und in der Lage, allem zu
widerstehen. Von Würzburg werden Sie sich gegen die Donau
wenden, den Weisungen entsprechend, die der Kriegsminister
diesen Abend an Sie senden wird. Sie werden den Marschall
Marmont zu Ihrer Eechten und die Bayern auf Ihrer linken Seite
halten. Ich werde mich dem General Marmont mit meiner ganzen
Armee anschließen und wenn ich das Glück habe, daß die öster-
reichische Armee noch 3 oder 4 Tage an der Hier und im Schwarz-
wald verschläft, werde ich sie umgangen haben und ich hoffe,
daß dann nur Trümmer entkommen werden ... Es ist Zeit, den
großen Schlag zu führen. Vor dem 12. Oktober wird Österreich ver-
loren sein."
Sollten die Österreicher aber doch infolge der drohenden Um-
gehung rechtzeitig zurückgehen, mit welcher vernünftigen Haltung
des Feindes Napoleon rechnete, dann traf dieser Marsch immerhin
noch die Flanke der österreichischen Armee.
Am 25. September früh überschritt Lannes den Rhein bei
Straßburg und ging an diesem Tage bis Bühl, am 26. nach Rastatt
vor, wo er Befehl erhielt, am 27. zu bleiben und bis Wildbad auf-
zuklären. Ein Bataillon war von Bühl nach Freudenstadt vor-
gesendet worden.
Murat folgte am 25. der Gruppe Lannes, und zwar mit der
2. Dragonerdivision nach Oberkirch, der 1. Dragonerdivision nach
Offenburg, der 4. Dragonerdivision nach Ettenheim. Die Kürassier-
division d'Hautpoul und die 3. Dragonerdivision blieben hinter
diesen Divisionen bei Wildstädt und Altenheim, die Dragoner zu
Fuß bei Kehl.
Die ausgesandten Dragonerdetachements trafen nur feindliche
Kavalleriepatrouillen. An der Enz sollten am 26. feindliche Kavallerie-
abteilungen in Nagold, Wildberg, Pforzheim und Veihingen an-
gekommen, eine Patrouille sogar bis Durlach vorgegangen sein. Am
27. erreichte das nach Freudenstadt dirigierte Grenadierbataillon diesen
Ort; das dort gestandene österreichische Bataillon, 300 bis 400 Mann
stark, zog sich auf Verlangen der Franzosen ohneweiters zurück.
Auf die Nachricht von der Anwesenheit von etwa 2000 Öster-
reichern im Schwarzwald und eines Kavallerieregiments bei Biberach
— 251 —
sandte Murat am 28. September ein Dragonerregiraent und ein Bataillon
Dragoner zu Fuß von Offenburg auf Biberaeh und eine Dragoner-
brigade von Oberkirch über Oppenau vor. Wenn möglich sollte
Freudenstadt genommen werden.
Die Truppen fanden aber nur schwache feindliche Kavallerie-
detachements vor, die sich überall, ohne die Ankunft der Franzosen
abzuwarten, zurückgezogen hatten. Es kam daher nirgends zu einem
Gefecht. Da überdies die Meldung von der Besetzung von Freuden-
stadt durch das Grenadierliataillon eintraf, kehrten alle Dragoner-
a))teilungen noch am selben Tage zurück. Das war die einzige größere
Aktion im Schwarzwalde. Murat konnte melden, daß sich im Schwarz-
walde nirgend stärkere feindliche Kräfte befänden.
Das 6. Korps (Ney) hat den Bhein am 27. September auf der
zwischen Pforz und Maxau geschlagenen Schiffbrücke passiert. Seine
erste Division kam nach Ettlingen, die zweite nach Durlach, die
dritte nach Karlsruhe. Die Kavallerie war etwas gegeu Pforzheim
vorgeschoben.
Vom 4. Korps (Soult) war am 26. September eine .Vorhut,
bestehend aus je einem Infanterie- und Kavallerieregiment, bei Ehein-
hausen überschifft worden, die am 27. bis über Heideisheim vor-
rückte. In der Nacht zum 27. wurde die Brücke bei Rheinhausen
geschlagen, die am 27. September von der 1. und 2. Infanteriedivision
und von der Kavallerie passiert wurde. Die Tete dieser Kolonne er-
reichte an diesem Tage Bruchsal. Die 3. Infanteriedivision passierte
die Brücke am 28., die 4. Division am 30. September.
Das 3. Korps (Davout) konnte keine Brücke über den Rhein
herstellen. Davout ließ daher alle erlangbaren Schiffe zusammen-
bringen und eine fliegende Brücke herstellen. Er überschiffte in der
Nacht vom 25. zum 26. September eine Vorhut von einem Infanterie-
und einem Kavallerieregiment. Vom 26. September an wurde täglich
eine Division des Korps mit einem Teil der Kavallerie überschifft.
Am 29. September folgte auf die gleiche Weise die Division Nan-
souty über den Rhein.
Die Überschiffung des Korps Davout mit einem Stande von
22.000 Mann. 42« lO Reitern und etwa 30 Geschützen in 4 Tagen ist
bei den beschränkten Überschiffungsmitteln jedenfalls eine Leistung,
die der Energie Davouts ein glänzendes Zeugnis ausstellt.
Am 29. September war somit bis auf eine Division des 4. Korps
die ganze Große Armee östlich des Rheins auf deutschem Boden.
— 252 —
Die Ordre de bataille der Großen Armee und ihr Stand zur
Zeit des Ehein-Überganges waren ^) :
1. Korps Marschall Bernadotte:
1. Division: 3 Eegimenter zu 3 Bataillonen, somit 9 Bataillone
von 650 bis 720 Mann = 6177 Mann;
2. Division: 3 Eegimenter zu 3 Bataillonen, somit 9 Bataillone
von 607 bis 645 Mann = 5659 Mann ;
Kavalleriedivision: 4 Eegimenter zu 3 Eskadronen, somit
12 Eskadronen von 118 bis 148 Eeitern = 1665 Eeiter;
1 Pontonierkompagnie, 34 Geschütze.
Summe des 1. Korps: 11.836 Mann Infanterie, 1665 Eeiter,
34 Geschütze.
Verpflegsstand: 16.000 Mann, 4150 Pferde.
Krankenstand: 10 "/o des Yerpflegsstandes.
Angegliedert war das bayrische Korps mit 18.600 Mann
Infanterie, 2400 Eeitern und 48 Geschützen.
Summe des 1. Korps und der Bayern: 30.436 Mann Infanterie,
4065 Eeiter, 82 Geschütze.
Verpflegsstand: 42.230 Mann, 8215 Pferde.
2. Korps Genera] Marmont:
1. Division: 2 Eegimenter zu 2, 1 Eegiment zu 3 Bataillonen,
somit 7 Bataillone von 733 bis 813 Mann = 5301 Mann;
2. Division: 2 Eegimenter zu 3, 1 Eegiment zu 2 Bataillonen,
somit 8 Bataillone von 502 bis 782 Mann = 5393 Mann;
3. Division: 5 Eegimenter zu 2 Bataillonen, somit 10 Bataillone
von 509 1 )is 591 Mann = 5563 Mann ;
Kavalleriedivision: 3 Eegimenter zu 3, 1 Eegiment zu 2 Eska-
dronen, somit 11 E^^skadronen zu 121 bis 195^) Eeitern = 1634 Eeiter;
Pontoniere, Sappeure und Mineure; 26 Geschütze.
Summe des 2. Korps: 16.257 Mann Infanterie, 1634 Eeiter und
26 Geschütze.
Verpflegsstand: 21.500 Mann, 3700 Pferde.
Krankenstand: 9'17o des Verpflegsstandes.
^) Nach Alombert et Colin: „La Campagne de 180.5 en Allemagne",
S. 158. Die Verpflegsstände wurden unter Beriieksielitigung der normierten Stände
ermittelt ; Personal und Pferde des Requisitionsfuhrwerkes sind nicht berüeksiehtigt.
^) Die schwächsten und stärksten Bataillone und Eskadronen sind durch
fetten Druck bezeichnet.
— 253 —
3. Korps Marschall Davout:
1. Division: 5 Begimenter zu 2 Bataillonen, somit 10 Bataillone
von 775 bis 908 Mann = 8214 Mann;
2. Division: 5 ßeuimenter zu 2 Bataillonen, somit 10 Bataillone
von 452 bis 889 Mann = 7461 Mann;
3. Division: 4 Eegimenter zu 2 Bataillonen, somit 8 Bataillone
von 791 bis 896 Mann = 6728 Mann;
Kavalleriedivision: 4 Regimenter zu 3 Eskadronen, somit
12 Eskadronen von 108 bis 153 Eeitern = 1492 Reiter;
Pontoniere und Sappeure; 48 Geschütze.
Summe des 3. Korps: 22.400 Mann Infanterie, 1492 Reiter,
48 Geschütze.
Verpfleg-sstand: 26.500 Mann, 3000 Pferde ^j.
Krankenstand: 67o des Verpflegsstandes.
4. Korps Marschall Soult:
1. Division: 5 Regimenter zu 2 Bataillonen, somit 10 Bataillone
von 771 bis 890 Mann = 8604 Mann;
2. Division: 5 Regimenter zu 2 Bataillonen, somit 10 Bataillone
von 752 bis 945 Mann = 8710 Mann;
3. Division: 1 Regiment zu 3, 3 Regimenter zu 2 Bataillonen.
2 selbständige Bataillone, somit 11 Bataillone von 683 bis 948 Mann
= 8768 Mann;
4. Division: 1 Regiment zu 3, 4 Regimenter zu 2 Bataillonen,
somit 11 Bataillone von 750 bis 929 Mann = 9154 Mann;
Kavalleriedivision: 1 Regiment zu 4, 2 Regimenter zu 3 Eska-
dronen, somit 10 Eskadronen 2) von 115 bis 135 Reitern = 1214 Reiter;
Sappeure; 36 Geschütze.
Summe des 4. Korps: 35.236 Mann Infanterie, 1214 Reiter und
36 Geschütze.
Verpfleg-sstand: 40.000 Mann, 3000 Pferde 3).
Krankenstand: 3'7''/o des Verpflegsstandes.
^) Der Grund für den geringen Pferdestand lag iui geringeren Stand der
Kavallerie und im Fehlen des größten Teiles der Artilleriepferde, die durch
requirierte ersetzt werden mußten. Überdies blieben bekanntlieh von diesem Korps
viele Geschütze und Artilleriefuhrwerke am Rhein stehen.
*) Das zum 4. Korps gehörige 16. Chasseurregiment überschritt den Rhein
erst am 14. Oktober.
ä) Geringer Stand der Kavallerie. Es fehlte noch ein ganzes Regiment.
Das Korps hatte wenig Artilleriepferde.
— 254 —
5. Korps Marschall Lannes:
1. Division: 5 Grenadierregimenter zu 2 Bataillonen, somit
10 Bataillone von 662 bis 747 Mann = 7028 Mann;
2. Division: 8 Eegimenter zu 3, 1 Regiment zu 2 Bataillonen,
somit 11 Bataillone von 500 bis 715 Mann =^ 6944 Mann;
Kavalleriedivision: 4 Eegimenter zu 3 Eskadronen, somit
12 Eskadronen von 110 bis 115 Reitern = 1349 Reiter;
Pontoniere, Sappeure und Mineure ; 34 Geschütze.
Summe des 5. Korps: 13.972 Mann Infanterie, 1349 Reiter und
34 Geschütze.
Verpflegsstand: 17.500 Mann, 2600 Pferde.
Krankenstand: 7'4% des Yerpflegsstandes.
6. Korps Marschall Ney:
1. Division: 3 Regimenter zu 2 Bataillonen, somit 6 Bataillone
von 831 bis 882 Mann = 5146 Mann ;
2. Division : 1 Regiment zu 3, 3 Regimenter zu 2 Bataillonen,
somit 9 Bataillone von 599 bis 871 Mann =^- 6899 Mann;
3. Division: 1 Regiment zu 3, 3 Regimenter zu 2 Bataillonen,
somit 9 Bataillone von 677 bis 914 Mann = 7069 Mann;
Kavalleriedivision: 3 Regimenter,^) zu 3 Eskadronen, somit
9 Eskadronen von 114 bis 129 Reitern := 1071 Reiter;
Pontoniere; 30 Geschütze.
Summe des 6. Korps: 19.114 Mann Infanterie, 1071 Reiter und
30 Geschütze.
Verpflegsstand : 22.500 Mann, 2600 Pferde.
Krankenstand: 6'87o des Yerpflegsstandes.
Eeservekavallerie Marschall Prinz Murat:
1. schvs'ere Division Nansouty: 6 Regimenter zu 3 Eskadronen,
somit 18 Eskadronen von 126 bis 167 Reitern = 2732 Reiter:
2. schwere Division d'Hautpoul: 4 Eegimenter zu 3 Eskadronen,
somit 12 Eskadronen von 129 bis 144 Reitern = 1645 Reiter;
1. Dragonerdivision Klein: 6 Regimenter zu 3 Eskadronen, somit
18 Eskadronen von 107 bis 161 Reitern = 2330 Reiter;
2. Dragonerdivision Walter: 6 Regimenter zu 3 Eskadronen,
somit 18 Eskadronen von 84 bis 153 Reitern = 2052 Reiter;
') Später kam noch das 4. Regiment dazu.
— 255 —
3. Dragonerdivision Beaumont: 6 Eegimenter zu 3 Eskadronen,
somit 18 Esijadronen von 104 bis 131 Reitern = 2080 Eeiter;
4. Dragonerdivisiou Bourcier: 6 Regimenter zu 3 Eskadronen,
somit 18 Eskadronen von 105 bis 164 Reitern = 2280 Reiter;
Dragoner zu Fuß : 4 Regimenter zu 2 Bataillonen, somit
8 Bataillone von 548 bis 885 Mann = 5505 Mann; 28 Geschütze.
Summe der Reservekavallerie: 5505 Mann zu Fuß, 13.119 Reiter,
28 Geschütze.
Verpflegsstand : 22.000 Mann, 15.700 Pferde.
Kaiserliche Garde:
4134 Mann Infanterie, 1637 Reiter, 24 Geschütze.
Verpflegsstand: 6500 Mann, 2100 Pferde.
Großer Artilleriepark:
1366 Mann Artillerie und 56 Geschütze.
Verpflegsstand : 3500 Mann, 2400 Pferde.
Summe der Großen Armee: 147.000 Mann Infanterie, 25.500
Reiter, 364 Geschütze (Verpflegsstand : 202.000 Mann, 43.000 Pferde).
Dazu noch etwa 8000 Mann Badenser und Württemberger und das
7. Korps (Marschall Augereau) mit 12.500 Mann und 1184 Pferden.
Diese Ordre de bataille zeigt, daß alle Truppen tief unter dem
vollen Kriegsstande geblieben sind, obwohl man sich überall die
größte Mühe gegeben hatte, den Kriegsstand zu erreichen. Sie zeigt
aber vor allem die große Verschiedenheit, die sich trotz dem gleich
normierten Kriegsstande bei den Truppen durch ungleiche Einflüsse
(^Abkommandierungen. Krankenstand, Verluste etc.) einstellen muß.
Diese Verschiedenheit muß allen Ersätzen zum Trotz bestehen und
muß überdies noch fortwährenden Schwankungen unterliegen.
Die Unterschiede sind sehr bedeutend. Die Differenz zwischen
den schwächsten und stärksten Abteilungen in der ganzen Armee
ist 496 Mann bei den Bataillonen und 111 Reiter bei den Eskadronen.
Die stärksten Bataillone und Eskadronen sind mehr als doppelt so
stark wie die schwächsten. Innerhalb desselben Korps sind die größten
Unterschiede 437 Mann bei den Bataillonen (3. Korps) und 74 Reiter
bei den Eskadronen (2. Korps).
— 256 —
Die starken Schwankungen im Stande, die, wie erwähnt, immer
auftreten müssen und auch 1866 und 1870/71 aufgetreten sind,
lassen erkennen, daß alle Einrichtungpn, die auf die Gleichheit aller
Einheiten gegründet sind, der Wirkhchkeit nicht Eechnung tragen,
daher unkriegsmäßig sind. Hiezu gehört vor allem das Verpflegs-
system, das auf die gleichen Wagenpartien für einzelne Abteilungen
(Eegimenter, Bataillone, Eskadronen etc.) basiert ist. Dieses System
muß entweder eine beträchtliche Verschwendung der mitgeführten
Verpflegung mit sich bringen, wenn als Basis des Inhaltes der
Wagenpartie die stärkste Einheit angenommen wird — oder aber die
stärkeren Einheiten schädigen, wenn eine schwächere als Maßstab
für die Füllung aller Wagenpartien gewählt wird.
IX. Der Yormarscli der Großen Armee an den
Neckar.
(Beilage 18.)
Am 26. September traf Kapoleon in Straßbm'g ein. Das erste
war, daß er dem administrativen Minister General Dejean seine Un-
zufriedenheit ausdrückte, weil die vom Kaiser vorgeschriebenen
Mengen Zwieback noch nicht bereit und die militärischen Trains
noch nicht zur Stelle waren.
Napoleon war bis zu diesem Zeitpunkt über die österreichische
Armee vortrefflich orientiert. Er hatte einen genauen Marschplan
aller fünf österreichischen großen Kolonnen (Klenau, Gottesheim
und Korps FML. Graf Eiesch) erhalten, wonach die Kolonne Klenau
am 21. September Memraingen, die Kolonne Gottesheim am 21. Ulm
und die drei Kolonnen des Korps ßiesch am 25. September Zusmars-
hausen, Augsburg und Landsberg erreichen sollten. Er wußte von
der Beschleunigung des Marsches dieser fünf Kolonnen und kannte
aus einer Abschrift der Lieferungsvorschreibung die Stärke der
ö.sterreichischen Armee. Diese war danach : 252 Kompagnien, 75 Es-
kadronen, mit einem Verpflegsstande von 47.000 Mann und 13.000
Pferden.
Andere Meldungen gaben wohl die Gesamtkraft der öster-
reichischen Armee weit stärker an, was zutreffend sein mochte, weil
man wußte, daß beträchtliche Kräfte aus Tirol im Anmärsche waren
und auch noch aus Oberösterreich folgten.
Da aber die höchsten Schätzungen die österreichische Armee
mit 75.000 Mann Infanterie und 12.000 Eeitern angaben, so konnte
Napoleon seiner großen Überlegenheit an Kraft sicher sein.
Napoleon wußte weiter, daß Mack das Oberkommando tatsäch-
lich führte und daß dieser in Ulm und Memmingen war; daß die
Österreicher die Absicht haben sollten, sich hinter der Hier von
Krau SS. 180.5, Der Feldzug von Ulm. 17
— 258 —
Ulm bis über Memmingen hinaus zu verschanzen. Er wußte auch,
daß in Ulm und Memmingen seit dem 24. September an Befesti-
gungen gearbeitet wurde. Er war über den Zustand der Werke von
Ulm genau unterrichtet.
Nach einer Meldung schienen die Österreicher über die fran-
zösischen Maßnahmen schlecht unterrichtet zu sein. Es sei wenig-
stens sicher, daß Mack schon in München die Nachricht vom Rhein-
Übergang erhalten und geglaubt habe, und daß dies allein die
Ursache seiner Überstürzung sei, Schwaben zu erreichen. Manche
Truppen sollten nach der Meldung Märsche von 13 französischen
Meilen (58'5 hm) gemacht haben.
Napoleon wußte, daß Erzherzog Karl nach Italien abgegangen
war, daß Kaiser Franz am 21. September in München angekommen
war und am 22. nach Landsberg weiterreiste.
Napoleon war auch darüber informiert, daß Truppen der ita-
lienischen Armee nach Deutschland herangezogen werden sollten;
er schrieb darüber am 29. September an Massena: „Meldungen aus
der Schweiz sagen, daß Österreich, was es in Südtirol hat, in Marsch
setzt, um die Armee an der Hier zu verstärken. Ich bin erfreut über
diese Nachricht, weil ich über alles froh bin, was die Ihnen gegen-
überstehenden Truppen vermindert."
Am 27. September ergingen neue Befehle :
an das 6. Korps (Ney), am 28. September nach Stuttgart abzu-
marschieren, dabei am 28. Pforzheim, am 29. Vaihingen,
am 30. Stuttgart zu erreichen. Ney sollte trachten. Ge-
fangene zu machen und seine Divisionen so nahe bei-
einander halten, daß er sein Korps in höchstens 2 Stunden
vereinigen könne. Soult werde am 29. in Heilbronn sein;
an das 4. Korps (Soult), über Wiesloch, Sinsheim, Heilbronn,
Öhringen, Hall, Geildorf. Abtsgmünd und Aalen zu mar-
schieren. „. . . .In Heilbronn angekommen, stellen Sie
eine Kolonne auf den Weg nach Stuttgart. Stellen Sie
auch Zwischenposten auf, damit Sie, wenn nötig, rasch
dem Korps Ney bei Stuttgart zu Hilfe eilen können . . .";
an das 3. Korps (Davout), über Heidelberg, Neckarelz, Möckmühl,
Ingelfingen, Geislingen, Crailsheim, Dinkelsbühl, Frem-
dingen und Nördingen zu marschieren.
Am 28. September erhielt Lannes (5. Korps) den Befehl, nach
Ludwigsburg zu marschieren, wo er am 1. Oktober einzutreffen hatte.
— 259 —
Murat erhielt Befehl, die 4. Dragonerdivision Bourcier bei
Offenburg und Oberkirch zu belassen und gegen Freiburg aufzu-
klären, mit drei Dragouerdivisionen und der Division d'Hautpoul über
ßastatt nach Stuttgart abzumarschieren, wo er am 2. Oktober ein-
treffen sollte. Während dieses Marsches hatte Murat Eskadronen an
den Ausgängen des Gebirges solange stehen zu lassen, bis der
Große Artilleriepark am 2. Oktober Bruchsal erreicht haben wird.
Die Dragoner zu Fuß hatten am 29. von Kehl aufzubrechen
und zum Schutze des ihnen folgenden großen Artillerieparks in fünf
Märschen nach Heilbronn zu marschieren.
Diesen Befehlen entsprechend stand Ney am 30. September
mit 2 Divisionen bei Stuttgart, mit einer Division bei Kannstatt und
Türkheim; seine Kavallerie war gegen Eßlingen, Grötzingen und
Böblingen vorgeschoben. Das Korps hatte im Vormarsch Fühlung
mit österreichischer Kavallerie gewonnen. Weil auch die Franzosen
Auftrag hatten, nicht von den Waffen Gebrauch zu machen, wurden
die österreichischen Posten durch einfaches Vormarschieren zurück-
gedrängt. Dabei verstanden es die Franzosen meisterhaft. Gefangene
zu machen, indem sie kleine Abteilungen einfach umringten und
den remonstrierenden österreichischen Offizieren erklärten, diese
Leute wären desertiert. So hatten die Truppen Neys acht Mann von
Eosenberg-Chevauxlegers gefangen. Nach Aussage der Gefangenen
war die österreichische Armee 60.000 Mann stark.
Ney meldete am 30. September: „Nach genug sicheren Mel-
dungen sind die österreichischen Truppen durch die forcierten
Märsche, die sie bald nach Vorarlberg, bald nach Stockach, Biberach,
Ulm und Memmingen machen mußten, sehr ermüdet und abgehetzt."
Am 30. September erhielt Ney von Napoleon Nachricht, daß
Lannes nach Ludwigsburg marschiere und Murat, der über Rastatt
folge, bereit sei, ihn zu unterstützen. „Im übrigen ist es meine Ab-
sicht" — schließt Napoleon — „daß Sie nicht über Stuttgart vor-
gehen und daß Sie sich dort nicht in eine ernste Aktion einlassen."
Das 4. Korps (Soult), das von Speyer über Bruchsal, Eppingen
nach Heilbronn marschierte, erreichte am 29. September mit der
Tetedivision Heilhronn und stand am 30. September mit der Vorhut
bei Thalheim, mit drei Divisionen bei Heilbronn und mit der 4. Di-
vision bei Heideisheim.
Am 1. Oktober war das ganze 4. Korps bei Heilbronn ver-
einigt.
17*
— 260 —
Das 3. Korps (Davout) war über Heidelberg, Neekargmünd
und Obrigheim, wo eine Brüciie über den Neckar geschlagen werden
mußte, nach Mosbach vormarschiert. Am 30. September stand dieses
Korps mit der Vorhut bei Möckmühl und mit allen drei Divisionen
bei Mosbach und Obrigheim vereinigt. Die Division Nansouty stand
noch bei Mannheim.
Lannes, der auch noch am 29. bei Eastatt stehen geblieben
war, marschierte am 30. September nach Pforzheim (45 Jcm) und
am 1. Oktober nach Ludwigsbiirg (40 Jcm).
Murat hatte seine vier Kavalleriedivisionen am 30. im Eaume
Durlach, Rastatt, die Dragoner zu Fuß bei EttUngen ; am 1. Oktober
waren seine Divisionen im Eaume Vaihingen, Pforzheim.
Somit stand die ganze französische Armee am 1. Oktober in
zwei Gruppen: die Hauptkraft, 3., 4., 5., 6. Korps und die Kavallerie-
reserve, am Neckar in der ca. 65 Jcm breiten Front Stuttgart —
Mosbach; der linke Flügel, 1., 2. Korps und die Bayern bei Würzburg
und Bamberg, 75 Jim vom linken Flügelkorps der Hauptgruppe
entfernt.
In dieser Gruppierung hatte das Gros der Armee am 1. Ok-
tober Easttag.
Diese nach den Originalbefehlen gegebene Darstellung läßt
erkennen, daß die bisherige Auffassung, Napoleon habe bei Beginn
des Eheiu- Überganges durch die Korps Lannes und Murat im
Sehwarzwalde demonstrieren lassen, um, gedeckt und gesichert
durch diese Demonstration, mit der Hauptkraft den Schwarzwald zu
umgehen, vollkommen unrichtig ist. Diese Verwendung des Kavallerie-
korps wurde oft als ein großartiges Beispiel dieser Art Kavallerie-
verwendung zur „Verschleierung" hingestellt^). Dieses Beispiel ist
nicht mehr aufrecht zu erhalten oder doch nur als Beweis dafür,
wie oft solche Handlungen falsch beurteilt und ausgelegt werden,
wenn man nicht tiefer in die Beweggründe des Handelnden einzu-
dringen vermag.
Napoleon lag es vollkommen fern, im Schwarzwalde demon-
strieren zu lassen. Dieser Begriff kommt in seinen Befehlen gar
nicht vor; nur einmal spricht er von einer Täuschung des Feindes
und das nur bei dem zur Irreführung des Feindes beabsichtigten
^) Vergleiche auch „Moltke, Benedek und Napoleon", S. 27.
— 261 —
Bau einer Brücke bei Neu-Breisaeh, der aber schließlich aus Mangel
an Brückenmaterial unterblieb.
Der Begriff Demonstration erfordert, daß dort, wo demonstriert
werden soll, im Bedarfsfall auch scharf augegangen wird. Jede
Demonstration erzeugt daher die Gefahr eines ernsten Engagements.
Napoleon wollte es aber nach seinen Direktiven an Murat (S. 249)
im Sehwarzwald überhaupt nicht zu einem ernsteren Kampfe kommen
lassen.
Eine Demonstration hätte wohl erfordert, daß Lannes und Murat
durch den Schwarzwald etwa bis an den oberen Neckar vorgegangen
wären und von dort erst gegen Stuttgart angeschlossen hätten.
Aber auch das längere Verweilen der Korps Lannes und Murat
bei Rastatt und Straßburg war nicht beabsichtigt gewesen, sondern
nur die Folge der Unmöglichkeit, die Brücken bei Pforz und Speyer
schon für den 25. September fertigzustellen.
Lannes und Murat blieben dann lediglich zum Schutze der
Brücke bei Straßburg bis zur genügenden Fertigstellung des Brücken-
kopfes bei Kehl stehen. Lannes wurde hiezu nach Rastatt hinaus-
geschoben, von wo er Kehl noch rechtzeitig zu decken vermochte
und doch auch in zwei Märschen Stuttgart erreichen konnte, und
Murat blieb stehen, weil er die vormarschierte Infanterie leicht ein-
holen konnte. Er mußte übrigens noch bei seinem Abmarsch eine
Dragonerdivision zum Schutze der Arbeiten ))ei Kehl zurücklassen.
Die Richtigkeit der Behauptung, daß das längere Verweilen
Lannes' und Murats bei Rastatt-Kehl nicht von Haus aus beabsich-
tigt war. also etwa eine Demonstration sein sollte, ergibt sich aus
dem Befehle vom 20. September, nach dem Lannes vor dem Korps
Ney nach Stuttgart marschieren sollte; erst wegen der Reibungen
Iteim Brückenschlag und weil Meldungen über die Anwesenheit
stärkerer feindlicher Kräfte im Schwarzwald einlangten, wird Lannes
bei Rastatt zurückgehalten und kommt sodann hinter das Korps Ney.
Daß Napoleon Straßburg eine besondere Wichtigkeit beilegte,
beweisen das Verbot, geworfene bayrische, württembergische oder
badensische Truppen nach Straßburg passieren zu lassen, und die
Verlegung der Etappenlinien über Speyer, um jeden Verkehr durch
Kehl zu verhindern und es somit ganz geschlossen halten zu können.
Napoleon hat auch wiederholt die Herstellung des Brücken-
kopfes bei Kehl urgiert und die Arbeiten sofort nach seiner An-
kunft besichtigt.
— 262 —
Der längere Aufenthalt so starker Kräfte, besonders der starken
Kavallerie östlich Straßburg, konnte den Feind, wenn er hievon
Kenntnis erhielt, wohl auch glauben lassen, die Franzosen gingen
über den Schwarzwald vor. Diese Möglichkeit berechtigt aber nicht,
von einer Demonstration zu sprechen.
Auf so unsichere Möglichkeiten aber einen Plan zu gründen,
war durchaus nicht Napoleons Eigenart.
Vom 28. September an erließ der Kaiser die Befehle für den
weiteren Vormarsch.
Am 28. September ging der Befehl für die entferntesten Korps,
Bernadotte und Marmont ab. Der Befehl beginnt mit der Orien-
tierung über den beabsichtigten Vormarsch der Armee :
Das Korps Davout (3.) marschiert über Mosbach, Möckmühl, lugel-
fingen, Crailsheim, Dinkelsbühl, Fremdingen, Öttingen
und Monheim, wo es am 8. Oktober sein wird, nach
Neuburg.
Das Korps Soult (4.) marschiert über Heilbronn, Öhringen, Hall,
Rosenberg, Zöbingen, Nördlingen und Hoppingen, wo es
am 8. Oktober ankommt, nach Donauwörth.
Das Korps Ney (6.) marschiert über Stuttgart, Eßlingen, Göppingen,
Weißenstein, Heidenheim, wo es am 7. Oktober an-
kommen wird.
Das Korps Lannes (5.) marschiert über Ludwigsburg, Groß-Beutels-
bach, Plüdershausen, Gmünd, Aalen, Neresheim, wo es
am 8. Oktober eintreffen wird.
Dann heißt es in diesem Befehl an Bernadotte:
„Sie haben mit Ihrem Korps auf der Straße von Ansbach auf
Eichstädt vorzugehen. Der General Marmont wird einen Parallel weg
zu Ihnen nehmen, höchstens 3—4 französische Meilen (14 — IS km)
von Ihnen entfernt, so daß es ihm möglich sein wird, mit dem Mar-
schall Davout Verbindimg herzustellen, wodurch alle sechs Korps
der Armee untereinander vereint sein werden. Die Bayern können
entweder links von Ihnen als dritte Kolonne marschieren oder als
Avantgarde und einen Tagmarsch vor Ihnen und Marmont."
Bernadotte sollte am 8. Oktober Eichstädt, Marmont am 7.
Treuchtlingen erreichen.
— 263 —
„Dieser Marsch allein zeigt genug" — schließt der Befehl —
„was die Absicht des Kaisers ist: Seine Majestät will die Donau
zwischen Donauwörth und Ingolstadt vor dem Feinde überschreiten
oder wenn der Feind Schwaben und Bayern räumt, ihn während
des Marsches in seiner Flanke angreifen und so rasch als möglich
Bayern zurückerobern.
„Der Feind hat heute seinen rechten Flügel auf Ulm und seinen
linken an den Bodensee gestützt. Seine erste Linie hält alle Aus-
gänge des Schwarzwaldes besetzt."
» Auf einen alarmierenden Bericht von Bernadotte über den An-
marsch der Russen, die nur mehr 8 — 10 Märsche entfernt sein
sollen, läßt der Kaiser antworten:
„Was die Russen anlangt, lassen alle eingelaufenen Meldungen
den Kaiser glauben, daß sie (die Russen) noch weit von Ihnen ent-
lernt sind; daß ihre erste Kolonne nicht mehr als 30.000 Mann,
darunter 24.000 Kombattanten zählt Übrigens, selbst wenn
sie acht Märsche von Ihnen entfernt wären, wäre nichts zu fürchten,
wir wären immer in der Lage auf sie zurückzukommen, wenn es
dazu Zeit ist."
Vom Kurfürsten von Bayern verlangt der Kaiser, daß er die
Feste Forchheim (zwischen Nürnberg und Bamberg) mit einer
Garnison von 300 bis 400 Mann unter einem tüchtigen Komman-
danten besetze und für 3 — 4 Monate verproviantiere.
Am 30. September ergingen die Befehle an Davout, Soult und
Murat.
Davout (3. Korps) sollte am 2. Oktober aufbrechen und über Möck-
mühl, Ingelfingen, Crailsheim, Dinkelsbühl nach Öttingen
marschieren, wo er spätestens am 6. oder 7. Oktober ein-
treffen sollte. Er sollte sich sobald als möglich in Besitz
der Wörnitz-Brücke bei Harburg setzen.
Soult (4. Korps) sollte am 2. Oktober aufbrechen und über Öhringen,
Hall und Ellwangen nach Nördlingen marschieren, wo
er am 6. Oktober einzutreffen hatte.
Die 1. Division sollte von Hall über Gaildorf und Abtsgmünd
marschieren, um den rechten Flügel der Armee unterstützen zu
können, wenn dieser vom Feinde von Ulm her angegriffen würde.
Murat sollte mit den drei Dragonerdivisionen, die am 2. Ok-
tober in Stuttgart einzutreffen hatten, am 3. Oktober nach Göppingen
marschieren. Eine Division hatte alle Zugänge nach Ulm an der Fils
— 264 —
zu sperren, aber ohne diesen Fluß zu übersehreiten, „um den Feind
nicht zu sehr zu alarmieren". Die zweite Division hatte am 5. Ok-
tober Geißlingen zu besetzen und alle Wege auf 15 hn von dieser
IStadt aufzuklären; die 3. Division endlieh hatte nach Heidenheim
zu marschieren, das sie am (3. erreichen sollte.
Murat wurde verständigt, daß Nej (6. Korps) am 4. von
Stuttgart aufbrechen und über Göppingen, Weißenstein und Heiden-
heim, Launes (5. Korps) von Ludwigsburg über Schorndorf und
Gmünd marschieren werde.
Die 4. Dragonerdivision Bourcier hatte die Fahrt des Kaisers
von Straßburg nach Ludwigsburg zu decken; sie sollte sich am
2. Oktol)er bei Rastatt sammeln, um über Stuttgart zu Murat zu
stoßen; sie dürfe aber ihre Posten bei Oberkirch und Offenburg erst
in der Nacht vom \. zum 2. Oktober einziehen.
Mit dem Abend des 1. Oktoljer wurde jeder Verkehr durch
Straßburg und Kehl eingestellt; alles hatte von diesem Zeitpunkt
an über Speyer zu marschieren.
Die Übereinstimmung in dem Zeitpunkt der Sperrung von
Kehl und des Wegziehens der Division Bourcier sprechen für die
Richtigkeit der früher ausgesprochenen Ansicht, daß Lannes und
Murat und später Bourcier nur den Zweck erfüllten, Straßburg —
Kehl zu decken.
Der rechte Flügel der Armee — Ney und Lannes — sollte
am 2. Oktober bei Stuttgart — Ludwigsburg stehen bleiben und auf-
schließen.
So begann das Einschwenken der Armee gegen die Donau.
Einen tiefen Einblick in des Kaisers Art, Situationen zu be-
urteilen, erlaubt sein Schreiben aus Straßburg vom 30. September
an Angerau:
„...Die österreichische Armee ist an den Ausgängen des
Schwarzwaldes; einschließlich der Truppen, die in der Gegend von
Konstanz sind, ist sie etwa 100.000 Mann stark. Aber die
Nachrichten, die ich gestern erhielt, melden, daß der Kaiser von
Deutschland, nachdem er einen großen Kriegsrat abgehalten hat,
nach Wien zurückgekehrt sei. Gott gebe, daß seine Armee fortfahre,
in derselben Stellung noch 8 Tage zu bleiben, oder, was noch
besser wäre, daß sie auf den Rhein vorgehe^). Sie werden fühlen,
^) Angesichts dieses Wunsches verliert die Annahme einer Demonsü'ation
im Sehwarzwald jeden Halt, da ja eine Demonstration den Zweck gehabt hätte,
— 265 —
wie sehr ich das wünschen muß, wenn Sie wissen, daß der General
Marmont, der Marschall Bernadotte und die Truppen des Kurfürsten
von Bayern in starken Märschen auf Ingolstadt sind; daß das Korps
des Marsehalls Davout, das den Rhein bei Mannheim passiert hat,
in vollem Marsch auf Donauwörth und schon vier Märsehe vom
Ehein entfernt ist; daß das Korps des Marschalls 8oult, das bei
Speyer übergegangen ist, schon Heilbronn erreicht hat und sich
gleichfalls an die Donau zwischen Ulm und Donauwörth dirigiert,
daß die Marschälle Laniies und Ney, die Korps der Dragoner und
meine Garde in Stuttgart angekommen sind. Ich selbst werde diese
Nacht abreisen, um mich an die Spitze dieses Korps zu stellen und
um, gestützt auf Soult, Ulm zu umgehen. Wehe den Öster-
reichern, wenn sie mich einige Märsche gewinnen lassen! Ich hoffe,
sie umgangen zu haben und mich mit meiner ganzen Armee
zwischen Lech und Isar zu befinden; aber ich setze voraus, daß die
Abreise des Kaisers schon ein Wink ist und daß die Österreicher
sich bestreben werden, Bayern zu räumen ..."
Der Kaiser nimmt die höchste Schätzung der feindlichen
Kraft ztu' Grundlage seiner Beurteilung. Er hofft wohl, daß der
Feind die für die Franzosen günstige Situation weiter erhält, ja, sie
durch ein Vorgehen gegen den Bhein für die Franzosen noch ver-
bessere; er setzt aber voraus, daß der Feind das Vernünftigste
machen wird und sieh der drohenden Umgehung entzieht. Nach
dieser Voraussetzung richtet er sein Handeln ein, bereit, auch
die erhoffte günstige Situation sofort auszunützen, wenn sie der
Feind gegen die bessere Vernunft darbieten sollte.
In diesem Befehle kommt zum erstenmal" die Absicht klar
zum Ausdruck, Ulm und den dort stehenden Feind zu umgehen.
Am 30. September erläßt der Kaiser seine Proklamation an die
Armee, die zugleich seine Kriegserklärung an die Koalition dar-
stellt. Diese Proklamation ist ein Beispiel der packenden Beredsam-
keit des Kaisers: sie lautet:
„Soldaten! Der Krieg gegen die dritte Koalition hat begonnen.
Die österreichische Armee hat den Inn übersehritten, die Verträge
gebrochen, unseren Verbündeten angegriffen und aus seiner Haupt-
stadt vertrieben.
den Feind glauben zu machen, die französische Armeß rücke durch den Sehwarz-
wald vor. Beim Gelingen der Demonstration hätte aber der Feind kaum den
Entschluß gefaßt, gegen den Kliein vorzurücken.
— 266 —
„Ihr habt in starken Märsehen zur Verteidigung unserer
Grenzen herbeieilen müssen. Aber schon habt ihr den Rhein hinter
euch. Wir werden nicht eher ruhen, bis wir nicht die Sicherheit
der Unabhängigkeit des Deutschen Reiches erreicht, bis wir nicht
unseren Verbündeten geholfen und den Übermut der ungerechten
Angreifer gebrochen haben. Wir schließen nur gegen sichere Bürg-
schaft Frieden. Unser Edelmut wird nicht mehr unsere Politik
schwächen.
„Soldaten! Euer Kaiser ist in eurer Mitte; ihr seid nichts als
die Vorhut der großen Nation. Wenn es nötig ist, wird sie sich
auf meinen Ruf erheben, um diese neue Liga zu vernichten und zu
zerschmettern, die der Haß und das Geld Englands gesponnen
haben.
„Aber, Soldaten, wir werden Gewaltmärsche zu leisten,
Beschwerlichkeiten und Entbehrungen aller Art zu er-
tragen haben. Welche Hindernisse man uns aber auch entgegen-
stellt — wir werden sie überwinden! Wir werden uns auch keine
Rast gönnen, bevor wir nicht unsere Adler auf dem Gebiet unserer
Feinde aufgepflanzt haben."
Die Skizze Beilage 18 stellt die Situation beider Teile am
1. Oktober dar. Diese zeigt deutlich, daß die österreichische Armee
aus der gefährlichen Lage nur mehr durch einen Rückzug nach
Tirol hätte mit Sicherheit gerettet werden können.
Der linke Flügel der französischen Armee war bei Würzburg
und Bamberg ebensoweit von München entfernt wie die vordersten
Abteilungen der österreichischen Armee. Während aber die Fran-
zosen am 2. Oktober den energischen Vormarsch in der Richtung
auf München antraten, hätte die weit zerstreute österreichische
Armee zum Rückmarsch auf München erst gesammelt werden
müssen, was um so länger gedauert hätte, als der tatsächliche
Armeekommandant — PML. Mack — am 1. Oktober auf der Fahrt
nach Ingolstadt war, um diesen Ort zu rekognoszieren. Bevor da
Befehle gegeben und ans Ziel gelaugt sein konnten, mußten die
Franzosen schon 2 — 3 Märsche Vorsprung gewönnen haben. Dem
linken Flügel der Franzosen stand es überdies immer frei, über
Regensburg noch weiter nach Osten auszuholen, um den Öster-
reichern den Rückzuo' zu verlegen.
X. Vom 2. bis 5. Oktober.
(Beilage 19.)
Franzosen.
Am rechten Flügel blieb das Korps Ney (6.) bei Stuttgart
stehen. Seine Kavallerie stieß bei Göppingen auf eine Abteilung
österreichischer Kavallerie, griff sie an und nahm einen Offizier und
12 Mann gefangen, weil die Österreicher die Feindseligkeiten nicht
beginnen durften und daher keinen Widerstand leisteten. Mit
diesem Angriffe der Franzosen hatten die Feindseligkeiten nunmehr
begonnen. Ney erhielt am 2. Oktober den Befehl, am 3. über
Eßlingen, Göppingen und Weißenstein nach Heidenheim zu mar-
schieren, w"o er am 6. Oktober einzutreffen hatte.
Lannes (5. Korps) blieb mit seiner Grenadierdivision bei
Ludwigsburg.
Die Kavallerie Murats traf in der Umgebung von Stuttgart
ein. Murat, der sich über einige Unklarheiten im Befehle vom
30. September aufgehalten hatte, erhielt vom Kaiser am 2. Oktober
aus Ettlingen ein Schreiben mit der Aufklärung, daß er den Marsch
der Korps Ney und Lannes in der Flanke gegen Ulm zu decken
habe. Der Kaiser setzte dann fort:
„Wenn der Feind die Offensive ergreifen sollte, ist es nötig,
daß ich zur rechten Zeit verständigt werde, um einen Entschluß zu
fassen und nicht genötigt zu sein, den zu wählen, der dem Feinde
paßte."
Dieser Satz drückt klar und deutlich aus, daß Napoleon sich
nie von den Maßnahmen des Feindes abhängig machen, daß er
sich somit nie in die einfache Abwehr drängen lassen wollte.
Dieses Festhalten der Initiative muß man beachten, wenn man sich
über die nicht immer ausgesprochenen Beweggründe Napoleons
klar werden will.
— 268 —
Die Garde erreichte nach einem Marsche von 50 km
Vaihingen.
Das 4. Korps (Soult) erreichte mit zwei Divisionen Öhringen,
mit ejner Division Ammertsweiler. Diese Division sollte bereit sein,
im Bedarfsfalle den rechten Flügel der Armee zu unterstützen.
Eine Division war bei Heilbronn geblieben.
Das 3. Korps (Davout) stand am Abend des 2. mit zwei
Divisionen bei Sindringen mit der 3. Division und der Division
Nansouty in der Gegend von Mosbach.
Das 2. Korps (Marmont) w-ar am 2. Oiftober bei Mergent-
heira, das 1. bei Ochsenfurt; die Bayern unter Deroy blieben noch
bei Bamberg.
Am 2. Oktober schrieb Napoleon aus Ettlingen an Bernadotte :
„Der Feind hat eine ziemlich starke Armee in Tirol; er be-
festigt dort alle Ausgänge. Eine andere Armee verschanzt sich an
der Hier. Mein Plan ist, wenn er unschlüssig ist und Zeit ver-
trödelt, vor ihm hinter den Lech zu kommen, um ihm den Rück-
zug abzuschneiden und ihn an den Rhein oder nach Tirol zu
drängen. Wir werden sehen, welchen Entschluß der Feind fassen
wird . . . Achten Sie nicht darauf, was die Feinde, sei es in
Hannover oder anderswo machen könnten; sie sind noch nicht in
Bereitschaft. Wenn wir uns die 100.000 Österreicher, die vor uns
stehen, vom Halse geschafft haben, können wir uns nach einer an-
deren Seite wenden . . . Meine letzten Nachrichten lauten, daß der
Feind noch an der Hier ist. wo er Memmingen befestigt')."
Von Berthier ließ er am 2. an Bernadotte schreiben: „Wenn
der Feind die Donau übersetzt, um sich gegen Sie zu wenden,
werden Sie ihn angreifen und dafür Sorge tragen, daß Ihre Verbin-
dung mit Davout stets erhalten bleibe und in diesem Falle wird die
ganze Armee eine Bewegung auf Sie durchführen."
Die Befehle vom 30. September bedeuten eine Beschleunigung
des Marsches gegenüber den Absichten des Kaisers, wie sie in dem
Schreiben an Bernadotte vom 28. September ausgesprochen sind.
Nach diesem Schreiben sollte Soult Hoppingen — 15 hm südöstlich
Nördlingen — und Davout ^lonheim — 22 hm südöstlich von
Ottingen - am 8. Oktober erreichen, nach dem Befehle vom 30.
aber Nördlingen und Öttingen schon am 6. Oktober.
^) Bernadotte hatte über die Landung der Russen in Pommern und über
die Gerüchte vom Anmärsche der Eussen durch Böhmen sremeldet.
— 269 —
Am 3. Oktober ging Miirat entsprechend dem Befehle vom
30. September mit seiner Tetedivision bis Göppingen. Ney machte
nur einen kleinen Marsch nach Eßlingen. Die Grenadier-
division blieb bei Ludwigsburg* stehen, die Division Gazan traf
bei Ludwigsburg ein. Ebenso erreichten die Garde und die
Division d'Hautpoul die Gegend von Ludwigsburg ^).
Das 4. Korps (Soult) kam mit zwei Divisionen nach Hall,
mit einer Division in die Gegend von Gaildorf; die 4. blieb weit
rückwärts und nächtigte l:iei Weinsberg.
Das 3. Korps (Davout) erreichte Laßbach-Ingelfingen, die Di-
vision Nansouty Möckmühl.
Das 2. Korps (Marmont) erreichte Eothenburg, das 1. Korps
(Bernadotte) Utfenheim auf preußischem Boden ; die Bayern kamen
nach Herzogenaurach.
Preußen protestierte gegen den Durchmarsch der Franzosen
und verweigerte die Lieferung von Lebensmitteln selbst gegen Be-
zahlung, zog aber keine weiteren Konsequenzen aus der Verletzung
seiner Souveränität.
Lannes (5. Korps) erhielt an diesem Tage Befehl, Kavallerie-
detachements über Gmünd nach Heidenheim und Aalen vorzusenden
und bis 4. Oktober festzustellen, ob der Feind in Nördlingen oder
Heidenheim stehe oder ob der Feind tatsächlich, wie gemeldet worden,
vor 2 Tagen von Nördlingen abgezogen sei. Lannes sollte am
4. Oktober frühmorgens nach Aalen abmarschieren und dort am 6.
eintreffen. Dem Korps Lannes hatten die Garde, die Division d'Haut-
poul und das kaiserliehe Hauptquartier zu folgen.
Davout (3. Korps) erhielt den Befehl, Soült oder Bernadotte
zu unterstützen, wenn der Feind mit starken Kräften bei Nördlingen
stünde oder gegen Neuburg abziehe, um sich auf Bernadotte zu
werfen.
Soult (4. Korps) wieder erhielt den Auftrag, in diesem Falle
von Nördlingen an die Wörnitz zu eilen, Donauwörth zu besetzen
und bereit zu sein, dem Feinde den Rückweg nach Neuburg zu
verlegen. „Meine Absicht ist, wenn wir den Feind treffen"
— schließt Napoleon seine Weisung an Soult — „ihn von allen
Seiten zu umringen."
^) Die Division Gazan und die Garde waren am 24. September noch bei
Luneville und Nancy. Sie legten somit in 9 Tagen 250 — '210 km, also täglich
27-8—30 km zurück.
- 270 —
Der 4. Oktober. Murat siing mit drei Dragonerdivisionen nach
Söhnstetten, Weißenstein und Gingen (östlich Göppingen) vor und
klärte in der Eiehtung nach Ulm, auf etwa 5—10 1cm, bis zur Linie
Heidenheim, Gerstetten, ürspring, Wiesensteig auf. Die Dragoner
stießen nirgend auf den Feind.
Murat meldete aber, daß nach Aussage eines Deserteurs in
Ulm nur ein Infanterieregiment stehe, daß Mack dort sei und daß
die Truppen von Stoekach zurückgezogen worden seien. Landleute
haben weiters ausgesagt, daß am 2. Oktober in Donauwörth nur
wenige Husaren waren, daß aber am 4. Oktober sechs Infanterie-
regimenter und viel Kavallerie donauabwärts auf Lauingen marschiert
seien, so daß in Ulm nur wenig Truppen blieben, Murat schließt:
„Aus allen diesen Nachrichten ist zu ersehen, daß der Feind seinen
Rückzug zu machen scheint ; aber ich glaube, daß seine Hauptkräfte
noch an der Hier sind, weil ich überzeugt bin, daß sie an die Aus-
gänge des Sehwarzwaldes dirigiert waren."
Das 6. Korps (Ney) gelangte am 4. nach Göppingen, mit
seiner Tetedivision aber in die Kavallerie Murats hinein nach
Gingen und Donzdorf.
Da Ney und Murat unabhängig voneinander auf derselben Straße
marschierten, gab es viele Reibungen, die Murat bewogen, beim
Kaiser um Regelung der Kommandoverhältnisse zu bitten. Im Inter-
esse der Truppen und der Ordnung ist es eben dringend gelegen,
alle auf einer Straße marschierenden Körper, Truppen und Trains
einem einheitlichen Kolonnenkommando zu unterstellen, eine Forde-
rung, gegen die auch heute noch oft gesündigt wird.
Das 5. Korps (Lannes) erreichte mit der Kavallerie Lorch,
mit den beiden Divisionen Oudinot und Gazan die Gegend von
Schorndorf.
Vom 4. Korps (Soult) erreichte die 1. Division Gaildorf, die
Hauptkolonne mit der Tete Eosenberg und die 4. Division Öhringen.
Das 3. Korps (Davout) nächtigte bei Ilshofen und nörd-
lich davon; die Division Nansouty angeschlossen an das Korps.
Das 2. Korps (Marmont) blieb in der Gegend von Rothen-
burg, das 1. Korps (Bernadotte) erreichte Ober-Dachstetten ; die
Bayern erreichten Fürth.
Während des Vormarsches vom 2. Oktober hatte Napoleon
allen Korps anbefohlen, ununterbrochen Verbindung zu erhalten und
an Soult, Davout und Bernadotte auch genaue Weisung gegeben,
— 271 —
wie sie sich gegenseitig zu unterstützen hätten, wenn einer von
ihnen auf starke Kräfte des Feindes stieße. Er schrieb täglich an
alle von ihm getrennten Marschälle, um sie über die Situation bei
ihren Nachbarkorps zu unterrichten und immer neue Anhaltspunkte
für das Verhalten bei einem Angriffe des Feindes zu geben.
Nach den eingelaufenen Nachrichten wurde in Ulm an drei
ßedouten nur saumselig gearbeitet ; auch sollen sich die Österreicher
bei Donauwörth und Ingolstadt verschanzen. In Nördlingen sei keine
feindliche Infanterie. Das Infanterieregiment Colloredo sei über Dil-
lingen nach Donauwörth marschiert.
„Der Kaiser glaubt, daß der Feind noch hinter der Donau ist
und daß er, wie alles glauben läßt, keine offensive Bewegung unter-
nommen hat", schreibt Berthier an Murat.
Dieser Auffassung- entsprechend bereitete der Kaiser durch
seine Befehle vom 4. Oktober den bevorstehenden Donau-Über-
gang vor.
Murat erhielt den Befehl, mit seinen drei Dragonerdivisionen
nach Ileidenheim zu marschieren und die Ebene von Nördlingen
aufzuklären ; er sollte bei Greislingen durch die 4. Dragonerdivision
ersetzt werden, die die Armee in der Planke gegen Ulm zu sichern
hatte. Murat hatte auch zu trachten, die von Soult bei Nördlingen
gemeldete feindliche Kavallerie — mehrere Eskadronen Husaren —
abzusehneiden, indem er ihnen den Eückweg nach Donauwörth ver-
legt. „Ich setze da voraus" — sagt Napoleon — „daß der Feind
keine beträchtlichen Kräfte bei Nördlingen, sondern nur eine vor-
geschobene Kolonne zur Aufklärung der Ebene hat: mit einem
Worte, daß seine Absicht noch fortwährend ist, hinter der Donau
zu bleiben . . . Aber meine Absicht ist, daß man mit diesem Unter-
nehmen nicht zaudere, bis der Feind etwa 6000 Mann Infanterie
zur Stelle hat. Das was für mich wichtig ist, ist Nachrichten zu
haben. Entsenden Sie also Kundschafter und Spione und vor allem
machen Sie Gefangene."
Napoleon legt also keinen besonderen Wert auf kleine, wenn
auch siegreiche Teilgefechte; sie sind ihm nur das Mittel, sich
Nachrichten zu verschaffen. „Machen Sie Gefangene" ist die stän-
dige Aufforderung an seine Unterkomraandanten.
An Soult. Davout, Marmont und Bernadotte ergehen am 4. Ok-
tober Befehle, sich in ihrem Marschbereich auf der Wörnitz, Alt-
raühl und Donau Schiffe und Kähne zu verschaffen und mitzuführen.
— 272 —
An Soult sehreibt Napoleon : „Berthier hat Ihnen heute die
Situation der Armee bekanntgegeben. Er gab Ihnen Befehl, daß
meine Brüekenequipage am 6. oder 7. Oktober bei Nördlingen ein-
zutreffen hat. Sagen Sie mir nicht, daß dies nnmöglich ist.
Eequirieren Sie alle Pferde, die dazu nötig sind. Setzen Sie die Pon-
toniere auf Wagen ; lassen Sie die Equipagen Tag und Nacht mar-
schieren und machen Sie es so wenigstens möglich, daß ich am 6.
oder 7. mindestens 5 bis 6 Fahrzeuge iu Nördlingen habe, wenn schon
nicht die ganze Equipage. Es gibt auf der Wörnitz Holz, Schiffe im
Bau, Nachen. Trachten Sie, sich all dessen zu bemächtigen, um mir
auch andere Übergangsmittel zu schaffen, die mich in stand setzen,
mich einiger Holzbrüeken auch dann zu bemächtigen, wenn der
Feind 2 oder 3 ihrer Joche zerstört haben sollte, und es möglich
machen, die Brücken in wenig Stunden wiederherstellen zu lassen . . ."
Die Equipage war am 4. abend im Großen Artilleriepark bei
Heilbronn, also ungefähr 120 hm von Nördlingen entfernt. Napoleon
verlangt da somit eine ganz besondere Leistung. Als Menschen-
kenner weiß er, daß dieser Forderung sogar vom energischen Soult
Bedenken und Schwierigkeiten entgegengesetzt werden dürften. Er
beugt diesen daher vor durch seinen Ausruf: „Sagen Sie mir nicht,
daß dies unmöglich ist." Napoleon, bei dem es kein „Unmöglich"
gab, wenn sein energischer Wille forderte, gibt Soult auch gleich
das Mittel an und die Machtvollkommenheit, alles aufzubieten, um
der Forderung zu entsprechen^).
^) Soult gab sieh die größte Mühe, die Forderung des Kaisers zu erfüllen.
Am 5. Oktober meldete er: „Ich habe Befehle gegeben, um alle Schiffe
der Brüekenequipage mit größter Sehneiligkeit vor/Aibringen. Relais sind auf dem
Wege bereitgestellt. Ich rechne darauf, daß die Schiffe morgen abend in Nörd-
lingen ankommen werden."
Am 6. früh schrieb der Generalstabschef Soults an den Kommandanten
der Artillerie des 4. Korps:
„Der Herr Marsehall legt so viel Wert auf die Ankunft der Brüeken-
equipage, die vom großen Artilleriepark vorkommt, daß er es vorziehen würde,
einige Wagen des Korpsartillerieparks zurückzulassen, als die Equipage nicht an-
kommen zu sehen.
„Ich habe hier (Ellwangen) und auf dem Wege nach Nördlingen Pferde
verlangt. Wenn die Pferde nicht pünktlich beigestellt werden sollten, müßte man
selbst einige Munitionswagen ausspannen lassen, um wenigstens sechs Schiffe
nach Nördlingen zu bringen."
Dieser Befehl gibt ein gutes Beispiel für den wechselnden Wert der Kriegs-
mittel. Hier waren die Pontons sogar ein wichtigeres Kriegsmittel als Munition.
Am 6. abend erreichte die Vorhut Soults Donauwörth und war am 7. vor-
mittag im Besitze zweier Donau-Brücken (Donauwörth und Münster). Damit fiel
— 273 —
An Bernadotte schreibt er: „Alles geht gut. Etwa 40 Maun
vom Eegimeiit Latour sind gefangen worden. Prinz Murat säubert
heute mit seinen Dragonerdivisionen die Ebene von Ulm; das wird
uns wahrscheinlich Neuigkeiten bringen. Es scheint, daß der Feind
schon einiges auf Donauwörth und Ingolstadt in Bewegung gesetzt
hat; indessen ist seine Bewegung schwach und ich glaube sie nicht
ganz. Er hält noch immer Stockaeh, Memmingen und Tirol besetzt."
Dann folgt der Auftrag zur Sammlung von Schiffen mit dei-
Bemerkung : „Wenn ich mir auf irgend eine Weise die Mittel dazu
verschaffen könnte, wollte ich die Donau gleichzeitig an drei Punkten
überschreiten."
5. Oktober. Murat ging am 5. mit drei Dragonerdivisionen
nach Heidenheim vor. Während des Marsches sandte er aus Geis-
lingen eine Meldung, die nur Mutmaßungen enthielt. Aber auch am
Abend war er nicht im stände, Positives zu melden. Den drei Divi-
sionen, die ihre Patrouillen nur auf ganz kurze Entfernung aus-
sandten, ist es nur gelungen, einen Gefangenen zu machen. Ein
einziges, energisch auf Ulm vorgehendes Detachement hätte verläß-
liche Nachrichten bringen müssen. So aber stützt sich die Meldung
Murats vom Abend ganz auf die Aussagen des einen Gefangenen
und auf Angaben von Landbewohnern. Der Gefangene hatte an-
gegeben, daß bei Ulm drei Regimenter .stünden und am 4. dort
mehrere Kavallerieregimenter erwartet worden sind. Nach den Aus-
sagen von Landleuten sollte der Feind starke Kräfte bei Ulm haben,
da er seit zwei Tagen dort seine Kräfte sammle, die er an der Hier
und bei Memmingen hatte. Der Postmeister von Denkenthal ^) gab
an, daß sich fast die ganze österreichische Armee jetzt bei Ulm befinde.
Murat, der einen Angriff der Österreicher aus Ulm besorgte,
schob die Dragoner zu Fuß nach Süssen, nördlich von Geis-
lingen vor.
Die Unternehmung gegen Nördlingen hatte Murat aufaegeben.
weil bei Nördlingen nicht mehr als 300 — 400 Mann sein sollten.
Er griff daher mit einer Division nur bis Neresheim, 16 lern
südwestlich Nördlingen aus, von wo ein schwaches österreichisches
der Wert der Pontons als Kriegsmittel derart, daß Soult sie in seinen Meldungen
und Befehlen überhaupt nicht mehr erwähnt. Es ist daher leider nicht festzu-
stellen, ob Soult das unmöglich Seheinende, die Pontons am 6. abend in Nörd-
lingen zu haben, zuwege gebracht hat.
^) An der Straße Ulm— Stuttgart, etwa 12 lern von Ulm entfernt.
Krau 8 8. 180."), Der Feldzug von Ulm. lö
— 274 —
Kavalleriedetacheraent vertrieben worden war. Das war das ganze
Ergebnis der Aufklärung dreier Kavalleriedivisionen, also etwa von
6000 Eeitern. Dieser geringe Erfolg kann nur auf zwei Ursachen
zurückgeführt werden : entweder auf den Befehl Napoleons an Murat
vom 30. September, „den Feind nicht zu sehr zu alarmieren", oder
aber auf die geringe Eignung der Dragoner zum Aufklärungsdienste.
Hier soll nur auf die geringe Entfernung aufmerksam gemacht werden,
auf die meistens selbst die leichte Kavallerie der Korps zur Aufklärung
vorgeschoben worden ist. Die weitere Darstellung wird noch Anhalts-
punkte zur Beurteilung der damaligen Kavallerieverwenduug geben.
Das Korps Ney (6.) stand am Abend des 5. Oktobers kon-
zentriert bei Giengen-Herbrechtingeu und klärte bis Gundelfingen auf.
Dem Marschall Ney kamen am 5. folgende Nachrichten durch
Landleute und Spione zu.
Die Gegend von Blaubeuren war bis auf Kavalleriepatrouillen
frei vom Feinde, ebenso Langenau nordöstlich Ulm. Aus der Rich-
tung von Riedlingen und Ehingen seien am 4, Oktoljer 30.000 Öster-
reicher nach Ulm marschiert. Die Brücken von Leipheim und Günz-
hurg sind abgebrochen. Viele Truppen marschierten von Günzburg
durch Leipheim nach Ulm; diese Nacht sollte auch ein Artillerie-
park folgen, Leipheim sei von 600 Mann besetzt.
Eine Nachricht aus Münsingen vom 4. Oktober lautete, daß
Erzherzog Ferdinand und Mack in Ulm angekommen seien. Daß
Mack der Ansicht sei, die Franzosen wollten bei Ulm über die
Donau gehen, was man ihnen wohl verwehren würde. Viele Truppen
seien von Memmingen, Ottobeuren und Obergünzburg nach Ulm
herangezogen ^) und die Werke von Ulm mit Liniengeschütz besetzt
worden. Man sagt, daß Truppen nach Albeck und Nördlingen ab-
gegangen seien, um die Franzosen in der Flanke anzugreifen.
Am 5. Oktober zeigte sich der Nachteil der ungeregelten Kom-
mandoverhältnisse auf der Linie Göppingen, Heidenheim in besonders
starkem Maße.
Das Korps Ney hatte einen sehr starken Marsch ^).
Am 6. Oktober früh meldete General Malher: „Seit 24 Stunden
haben weder Offiziere noch Mannschaft meiner Division einen Bissen
^) Diese Meldung war ricMg. Sie bezog sieh auf die Konzentrierung der
österreichischen Armee, die am 2. Oktober von Erzherzog Ferdinand angeordnet
worden war (S. 283).
^) Die Entfernung Göppingen — Giengen beträgt 45 hm.
— 275 —
genossen. Einige Vorräte, die ich auf Wagen habe, und die aus-
geschriebenen Requisitionen sind nicht eingetroffen. Ich bitte, den
Korpsintendanten zu veranlassen, daß er mir etwas verschafft, sei es
auch nur \^ Portion zum Frühstück.
„Niemals hat meine Division auf dem Marsche mehr gelitten; wir
sind gestern früh um 6^ von Göppingen aufgebrochen und erst heute
um 3^2^ früh hier eingetroffen, so sehr haben uns Dragoner, Trains
und andere Divisionen, die wir kreuzten, aufgehalten."
Lannes (5. Korps) schob am 5. seine Kavallerie bis Aalen
und Mögglingen vor und kam mit der Grenadierdivision bis Gmünd.
Gazan und die Garde erreichten Lorch; die Kürassierdivision
d'Hautpoul folgte unmittelbar hinter der Garde. Das kaiserliche
Hauptquartier kam nach Gmünd.
Das Korps Soult (4.) erreichte mit der Kavallerie und zwei
Divisionen Ellwangen (Vorhut Zöbingen), mit einer Division Abts-
gmünd, die 4. Division Hall. Der Große Artilieriepark sollte am
5. von Heilbronn nach Öhringen marschieren. Für die Brücken-
equipage hatte Soult Relais stellen lassen.
Um P nachmittag meldete Soult von Ellwangen, daß bei
Nördliügen ein österreichisches Korps von 5000 bis 6000 Mann
stehen solle und daß noch andere Truppen dort erwartet werden.
Weiters meldete er: „Gestern abend waren 300 österreichische Ulanen
unter Oberst Graf Wallmoden in Ellwangen. Ich hatte 15 Chasseure
dahin gesandt. Der Kommandant der Österreicher, der sagte, es sei
noch kein Krieg erklärt, trat an die Chasseure den halben Ort ab,
die dort ihrem Auftrage gemäß die Nacht hindurch Brot für das
Korps backen ließen. Heute, am 5., um 5^ früh verließen die Öster-
reicher die Stadt und stellten sich hinter ihr auf. Um Ö^ früh betrat
unsere Vorhut die Stadt, der die 2. Division unmittelbar folgte. Der
Kommandant der Ulanen verlangte von neuem zu unterhandeln und
bezeugte sein Erstaunen, daß er uns fortwährend vorgehen sehe.
Der Kommandant der Vorhut antwortete, daß es nicht weniger
staunenswert sei, sie selbst in diesem Lande zu sehen." Soult machte
dann dieser Unterhaltung ein Ende und ließ dem Obersten Wallmodea
mitteilen, daß die Franzosen in den Österreichern nichts als Feinde
sehen und daß er danach sein Verhalten regeln könne. Die Öster-
reicher zogen sich darauf zurück, um davon Meldung zu erstatten.
Dieser Vorfall läßt im Vergleiche mit späteren Ereignissen er-
kennen, daß die Menschen im allgemeinen, die Diplomaten und Sol-
18*
— 276 —
daten aljer im besonderen nichts oder nicht viel aus der Geschichte
der Menschheit lernen. 1805 betraten sowohl die österreichischen
als auch die französischen Truppen ohne Kriegserklärung neutralen
Boden. Die Feindseligkeiten wurden 8 Tage später von den Fran-
zosen ohne formelle Kriegserklärung begonnen. Die österreichischen
Truppen kamen durch die Weisung, die Feiudseligiieiten nicht zu
beginnen, in die nachteiligsten Situationen. Eine solche Weisung
konnten nur militärisch gänzlich ungebildete Diplomaten veranlassen,
und nur Generale, die die Erkenntnis der wahren Forderungen der
Kriegführung durch eine gänzlich verkehrte Schule verloren hatten,
konnten eine solche Weisung ohne Widerspruch und ohne Bedenken
annehmen.
Im Jahre 1809 betraten österreichische Truppen ohne Kriegs-
erklärung in Italien französischen Boden.
Als dann 1866 die Preußen dasselbe taten, waren alle öster-
reichischen Diplomaten. Völkerrechtslehrer und auch Generale ent-
rüstet über diesen schnöden Vorgang, der „gegen alles Herkommen
verstieß", wie das österreichische Generalstabswerk sagt. 1877 über-
schritten wieder die Bussen ohne vorherige Überreichung einer
Kriegserklärung die Grenzen des türkischen Reiches und als 1904
die Japaner ohne Kriegserklärung die Feindseligkeiten eröffneten,
lähmte starres Entsetzen alle europäischen Formenmenschen, die sich
den Kriegsbeginn nur nach allen Eegeln der Etikette und nach Er-
füllung aller sogenannten völkerrechtlichen Formalitäten vorstellen
konnten. Daß aber die Bussen von Treulosigkeit, von asiatischer
Tücke und Hinterlist sprechen konnten und daß sich ihnen zahl-
reiche Gebildete aller Völker und Länder voll Entrüstung anschlössen,
zeigt, wie bald die Geschichte selbst der eigenen Taten in Ver-
gessenheit gerät : man wußte nicht mehr, daß man dasselbe „Ver-
brechen" 27 Jahre vorher begangen hatte ^). Jetzt nur noch die
Frage: Ist das überhaupt ein „Verbrechen"? Nein! es ist die ein-
fachste Vernunft, so zu handeln, und kein Verbrechen. Die formelle
Herausforderung zum Kampf mag ritterlich sein — sie stammt auch
^) 1809 und 1866 wurde die Kriegserklärung gleichzeitig mit dem Ein-
marsch auf feindliches Gebiet bei den Grenztruppen überreicht. 1877 wurde die
Kriegserklärung am gleichen Tag, an dem die Russen um 4ii früh in Rumänien
einmarschierten, dem türkischen Botsehafter in Petersburg übergeben. Wenn man
da von diplomatischen Feinheiten oder Spitzfindigkeiten absieht, geschah in allen
Fällen dasselbe wie 1904 von den Japanern, aber nur nicht so gründlich.
— 277 —
aus der romantischen Eitterzeit — vernünftig ist es aber nicht, den
anderen auf den Angriff vorzubereiten und damit auf die beste Form
des Angriöes zu verzichten, auf den Überfall. Der einzelne mag
sich beim Duell diesem Porrazwang, dieser Ritterlichkeit beugen;
insolange der Krieg eine persönliche Angelegenheit der Fürsten,
also ein Duell der beiden Herrscher war, konnte diese romantisch-
ritterliche Form des Kriegsbeginnes als usuell angesehen werden —
vernünftiger handelte aber auch damals schon der Fürst, der sieh
über solche Bedenken hinwegsetzte ; heute aber, wo es sich um den
Kampf der Völker und Staaten auf Leben und Tod handelt, wo das
Wohl des ganzen Volkes vom Ausgange des Krieges abhängt, haben
die Diplomaten nicht mehr das Recht, im Namen des von ihnen
vertretenen Volkes unvernünttig zu handeln; und unvernünftig ist
es, Hort, wo um das Wohl eines Volkes gekämpft wird, nur korrekt
und formgerecht sein zu wollen. Der Überfall in der vollendet-
sten Form ist die einzig vernünftige Art des Kriegs-
beginnes. Sie ist auch, was die Humanität betrifft, die einzig
wünschenswerte. Überfallen kann in diesem Sinne nur der Starke,
der Kriegsbereite. Es ist daher gegen die Humanität, dem Schwachen
und Unvorbereiteten durch diplomatischen Firlefanz Zeit und Ge-
legenheit zu geben, sich zu rüsten und kriegsbereit zu machen.
Während bei einem Überfalle der Krieg in kurzer Zeit mit wenig
Menschenopfern beendet sein kann, wird er im anderen Falle,
weil der Widerstand des Schwachen gekräftigt und gerade von
Humanitätssehwärmern unterstützt werden kann, langwierig und
blutig werden.
Die Franzosen haben daher 1805 die Unklugheit ihres Feindes
nur in vernünftiger Weise ausgenützt. Soult hat sich übrigens noch
viel zu ritterlich benommen. Bei einiger Geschicklichkeit wäre es
ihm sicher gelungen — ohne das Unrecht falscher Vor-
spiegelung zu begehen — den erstaunten Grafen Wallmoden
samt seinen 300 Ulanen gefangenzunehmen. Armeen marschieren ja
doch nicht zum Scherz !
Das 3. Korps (Davout) erreichte am 5. Oktober Mönchs-
roth : die Kavallerie war bis nahe an Üttingen vorgeschoben mit
Detachements in Wallerstein, Nördlingen, Fremdingen und Thann-
hausen. Die Division Nansouty nächtigte vereint mit dem Korps bei
Mönchsroth. Davout meldete am 5. Oktober früh aus Ilshofen, daß
am 4. eine feindliche Kolonne von 18 Bataillonen und 4 Kavallerie-
— 278 —
regimentera in Neresheim, eine andere schwächere Kolonne bei
Harburg (nördlich Donauwörth) waren. Der Feind ist auf allen
Punkten in Bewegung auf Nördlingen, Harburg und Donau-
wörth ^).
Über den anstrengenden Marsch des am schwenkenden Flügel
befindhchen Korps Davout sagt der Eapport vom 5. Oktober: „Man
marschierte immer den ganzen Tag und einen Teil der Nacht, und
wenn man nicht mehr weiter konnte, mußte man haltmachen, wo
man sich gerade befand ; denn oft war es den Divisionen unmöglich,
den anbefohlenen Bestimmungsort zu erreichen."
Aus Mönchsroth meldete Davout, er habe den Eindruck, daß
sich die Österreicher nicht auf dem nördlichen Donau-Ufer schlagen
wollten. Seine Patrouillen trafen 200—300 Ulanen bei Ellwangen,
die sich zurückzogen, und etwa 80 zwischen Öttingen und Harburg.
Das 2. Korps (Marmont) erreichte nach einem anstrengenden
Marsch auf schlechten Wegen Feuchtwangen. Die Preußen, die an-
fangs unfreundlich waren, hatten Befehl erhalten, die Franzosen nach
Kräften zu unterstützen ; das äußerte sich vor allem in der Be-
schaffung von Lebensmitteln.
Das 1. Korps (Bernadotte) lagerte ungefähr 5 hm südlich von
Ansbach bei Desmannsdorf. Der Kommandant von Ansbach hatte
gegen den Durchmarsch protestiert. Bernadotte nahm den Protest
höflich zur Kenntnis, marschierte aber ruhig weiter.
Die Bayern erreichten Sehwabach.
Die Große Armee stand sonach am Abend des 5. Oktobers auf
dem 120 km langen Bogen Schwabach, Ansbach, Feuehtwangen,
Ellwangen, Aalen, Giengen, der rechte Flügel nur 30, der hnke
etwa 130 hm von Ulm entfernt.
Die Absicht Napoleons war, die Donau zwischen Donauwörth
und Ingolstadt zu überschreiten, um so in den Eüeken der Öster-
reicher zu kommen, wenn diese an der Hier stehen blieben. Trotz
dieser Absicht zeigen aber seine Befehle, daß er dem Feind auch
das Vernünftigste zumutete, nämlich hinter den Lech zurückzugehen;
er wappnete sich aber auch gegen einen Angriff aus Ulm, über
Donauwörth oder über Ingolstadt. Er gibt allen Korpskommandanten
Direktiven für diese drei Möghchkeiten, also für den Fall, als sein
rechter Flügel oder Soult (seine Mitte) oder sein linker Flügel mit
Macht angegriffen würde.
^) Die ganze Meldung war falsch.
— 279 —
Für diese Möglichkeiten stellt sich die Gruppieruüg am 5.
folgend dar :
Für das Übersetzen der Donau bei Donauwörth-Ingolstadt
standen Ney und Murat etwa 40, Soult und Davout 50 hn von
Donauwörth, Marmont, Bernadotte und die Bayern 60—75 km von
Neuburg und Ingolstadt entfernt. Die ganze Armee konnte daher
in 2 Tagen an diese Donau-Strecke gebracht werden.
Ein Angriff der Österreicher über Donauwörth konnte von
beiden Seiten, und ein Angriff über Neuburg-Ingolstadt von Davout
und Soult in die Flanke genommen werden.
Ein österreichischer Angriff aus Ulm wäre auf das 6., 5., 4.
Korps, auf die Garde und auf Murat getroffen. Das Korps Davout stand
nicht zu weit entfernt, um noch rechtzeitig herankommen zu können.
Die Absicht Napoleons war weiters, den Feind von allen
Seiten zu umschließen. Dieses Streben wird in diesem Feldzug auch
wiederholt in die Tat umgesetzt zum Bew^eise dafür, daß Napoleon
— wie es ja eigentlich ganz selljstverständlich ist — den Wert einer
Umklammerung des Feindes, der in dem neuen Schlagwort „aus
zwei Fronten" zum Ausdrucke kommen soll, erkannt und auch aus-
genützt hat. Der konzentrische Vormarsch gegen die Donau-Strecke
Donauwörth — Ingolstadt und die Weisungen Napoleons zum Zu-
sammenwirken der Kolonnen bei einem Zusammenstoße mit dem
Feinde zeigen ebenso deutlich, daß ihm die Vereinigung kouzentrisch
vormarschierender Kolonnen auf dem Gefechtsfelde durchaus nicht
fremd war und daß er, wenn nötig, davon auch Gebrauch machte.
Am 5. Oktober schrieb Napoleon an den Gesandten Otto nach
Würzburg :
„Ich reise im Augenblicke von Ludwigsburg ab. Ich werde
morgen, den 6., in Nördlingen auf dem Gebiete Bayerns sein. Meine
Korps sind im Eilmarsch, auch die Bayern und die Korps Berna-
dotte und Marmont, die sich auf Ney und Soult stützen.
„Am 7. oder 8. werden wir alle zwischen Donauwörth und
Ingolstadt sein ; noch nie wird eine so große Menge von Truppen
auf einem so kleinen Eaume manövriert haben."
Die Entfernung Donauwörth— Ingolstadt beträgt hi der Luft-
linie 50 km.
Der Vergleich mit der Frontbreite großer Armeen in anderen
Kriegen gibt die Möglichkeit, die bei Napoleon so oft vorkommen-
den Ausdrücke „Masse" and „massieren" richtig zu verstehen.
— 280 —
Napoleon sagt, daß seine auf 50 hn Front vereinigte Armee
(200.000 Mann) auf kleinem Eaume manövrieren werde.
1870 nehmen die über 400.000 Mann starken deutschen
Armeen am 14. August eine Front von 70 1cm ein. Beim Marsch
auf Sedan hat die über 230.000 Mann starke deutsche Heeresmacht
anfangs (am 26. August) eine Front von 40 hn Breite, die sich
mit dem Tordringen nach Norden immer mehr — bis auf 11 hm
— verengt. Das deutsche Generalstabswerk sagt darüber, daß die
Armeen in breiter Front vorrückten.
Österreicher.
Bis 1. Oktober war das Österreichische Armeekommando recht
gut über die französische Armee orientiert. Zahlreiche sich gegen-
seitig bestätigende und ergänzende Meldungen, die in der Zeit vom
29. September bis 1. Oktober eintrafen, ließen erkennen, daß die
Franzosen in mehreren Kolonnen bei Kehl. Lauterburg, Speyer und
Mannheim den Rhein passiert hatten; daß Kavallerie unter Murat
und siel)en Grenadierbataillone bis zum Kniebis vorrückten (falsche Mel-
dung) und daß die anderen Kolonnen über Eastatt und Pforzheim,
Durlach, Ettlingen und Heilbronn und über Heidelberg vormarschiert
seien. Man glaubte, daß die bei Mannheim Übergegangenen zum
linken Flügelkorps der Ehein-Armee, Marsehall Davout, gehörten.
Man wußte, daß Marschall Lannes am 27. mit 10.000 Mann in
Eastatt, Ney mit 3000 Mann in Karlsruhe. Murat in Kork bei Kehl
waren. Während fünf Tagen sollten nach der Verpflegsansage täglich
8000 Mann Bruchsal passieren.
Marmont sei bei Mainz über den Ehein gegangen und über
Frankfurt nach Würzburg marschiert, wo er sich Ende September
mit Bernadotte vereinigen werde. Man wußte auch, daß die Bayern
sich den Franzosen anschlössen und bei Bamberg standen.
Am 29. September nachmittag war ein französisches Lager bei
Heilbronn bemerkt worden.
Über die Stärke der Franzosen kamen sehr zutreffende Mel-
dungen. So wurde von mehreren Seiten übereinstimmend gemeldet,
daß die Eheinarmee wenigstens 150.000 Mann zähle. Die geringste
Angabe für diese Armee war 130.000 Mann. Die Gruppe Bernadotte-
Marmont wurde mit wenigstens 30.000 Mann angegeben, nach an-
deren Meldungen mit 37.000—40.000 Mann. Die Bayern hatte Mack
— 281 —
selbst auf 18.000 — 20.000 Mann geschätzt. Die Gesamtarmee der
Franzosen mußte daher 178.000—210.000 Mann stark angenommen
werden. Damit stimmte eine Nachricht des Stuttgarter Gesandten,
daß die französische Armee etwa 225.000 Mann zähle.
Man wußte endlich, daß französische Offiziere die Festungen
Würzburg, Forchheim und Bamberg besichtigt hatten und daß Würz-
burg befestigt und verproviantiert werde ^).
Man muß zugeben, daß das österreichische Armeekommando
sehr gut über den französischen Vormarsch unterrichtet war.
FML. Mack trug am 1. Oktober nachmittag vor seiner Ab-
reise nach Ingolstadt (s. S. 215) dem Erzherzog Ferdinand auf, so-
bald die Nachricht über die Beschleunigung des Marsches der Russen
mit Vorspann eintreffe, sofort den aus Italien anmarschierenden Re-
gimentern den Befehl zu senden, nach Italien zurückzukehren. Der
Erzherzog widersetzte sich diesem Auftrag aus mehreren Gründen;
vor allem weil nur der Kaiser, der den Abmarsch dieser Truppen
angeordnet hatte, Gegenbefehl geben konnte, dann weil dieser plötz-
liche Gegenbefehl an die im forcierten Marsche zur Armee be-
griffenen Regimenter nur das Vertrauen in die Führung untergraben
mußte, und endlich weil die Armee in Deutsehland auch mit den
Russen und mit diesen Verstärkungen nicht zu stark war, was die
täglich einlaufenden Nachrichten über die Stärke der Franzosen er-
kennen ließen. Mack blieb bei seinem Willen, und zwar, wie Erz-
herzog Ferdinand angibt, mit der Begründung, um nicht dem
Erzherzog Karl zu mißfallen, dessen Armee er sonst zu sehr
schwäche ! ^)
Im Laufe des 2. Oktobers wurde im österreichischen Haupt-
quartier bekannt, daß die Franzosen am 30. September in Stuttgart
und Ludwigsburg eingetroffen seien ; die ganze französische Armee
solle bis längstens 8. Oktober bei Ulm vereinigt werden. Napoleon
sei am 27. September in Straßburg angekommen und habe die Be-
festigungsarbeiten bei Kehl, wo 6000 Bauern arbeiten, besichtigt.
Die bei Offenburg gestandenen Franzosen seien über Rastatt ab-
marschiert; die ganze Armee ziehe sich über Rastatt nach Pforzheim,
wohin sich auch Napoleon begeben werde. Die Absicht der Franzosen
sei, die österreichische Armee von den Russen abzuschneiden.
1) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, XIII., 124.
^) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, XIII., 106, „Geschichte des Feldzugess
1805" von Erzherzog Ferdinand.
— 282 —
Zur Bestätigung dessen meldete ein Rittmeister, daß er sich
am 30. September vor den anrückenden Franzosen von Vaihingen
nach Göppingen .zurückziehen mußte^).
Am 2. Oktober traf auch die Nachricht ein. daß die Russen
den Vorschlag des Transportes ihrer Infanterie mit Wagen ange-
nommen haben und daß sie somit zwischen dem 16. und 24. Ok-
tober bei Dachau eintrefien werden.
Am selben Tage traf auch ein an den Kaiser gerichteter Be-
richt des Erzherzogs Karl vom 27. September aus Lonigo ein, in dem
der Erzherzog anzeigte, daß 5 Infanterie- und 2 Kavallerieregi-
menter abgegangen seien. Das erste dieser Regimenter werde
am 2., das letzte am 13. Oktober bei Innsbruck eintreffen. An Ge-
schütz könne Erzherzog Karl nichts mitgeben, weil er selbst zu
dieser Zeit erst vier bespannte Geschütze habe.
Da die ersten drei Infanterieregiraenter noch vor Ankunft der
Russen bei Dachau an die Armee anschließen konnten, sandte Erz-
herzog Ferdinand nur den beiden letzten Infanterieregimentern und
der Kavallerie Gegenbefehl.
Erzherzog Ferdinand berichtete darüber dem Kaiser am 2. Ok-
tober, indem er den Auftrag Macks bekanntgab und mitteilte, daß
er die vordersten drei Regimenter zur Armee heranziehe : „Die gegen-
wärtigen feindlichen Bewegungen sind allerdings von der Art, daß
ich vor diesem Augenblicke, bevor noch die Ankunft der Russen
wirklich in Erfüllung gekommen ist, mich des V^orteils solcher Ver-
stärkungen nicht zu berauben getraue. Es scheint aus den ferneren
feindlichen Vorrückungen keinem Zweifel zu unterliegen, daß ihre
Absicht dahin gehe, meine rechte Flanke zu bedrohen und zu um-
gehen. Nachdem der Feind Freudenstadt, Kniebis und die Höhen
1) Kriegs^rehiv, 1805, Deutsehland FA, XIII, 124.
GM. Freiherr v. Ulm meldete am 2. Oktober aus Ulm:
Der eben eingerückte Rechnungsführer vom Train Baumgartner, der in
Kannstatt war, meldet, daß beim Zollhaus auf der Straße nach Vaihingen am
1. Oktober feindliehe Kavallerie vom 1. und 3. Husarenregiment eingetroffen ist.
Sie sagten, daß sie heute (1. Oktober) noch nach Kannstatt und Eßlingen ein-
rücken werden.
Die Franzosen sind in Stuttgart und Ludwigsburg eingerückt. Von Kann-
stadt nach Eßlingen sei eine Kolonne von 6000 bis 8000 Mann Infanterie mar-
schiert. In Kannstatt habe sie eine Requisition von 25.000 Laib Brot und
30.000 Pfund Fleisch ausgeschrieben. (Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA,
X, 12.)
— 283 —
des Schwarzwaldes besetzt hat, geschehen seine weiteren Fortschritte
von dieser Seite äußerst langsam. Ganz anders sind aber seine Be-
wegungen im Zentrum. Schon am 1. dieses wurde Stuttgart besetzt
und neueren Nachrichten zufolge vereinigen sich dort mehrere Ko-
lonnen, die an Stärke bis 30.000 Mann ausmachen sollen. Berna-
dotte und Marmout haben die ,Teten ihrer vorrückenden Kolonnen
bis Bischofsheim am 29. September vorgebracht und man kann noch
nicht die eigentliche Bestimmung derselben erkennen, ob sie ihre
Eichtung gegen Donauwörth oder über P'orchheim nach Böhmen
nehmen werden. Letzteres scheint zwar minder besorglieh für uns
zu sein, weil sie sich dann zu sehr teilen und zu dem Hauptend-
zweck schwächen würden^)."
Weil alle Meldungen bestätigten, daß der Feind mit starken
Kräften über Stuttgart vorgehe, erließ der Erzherzog Ferdinand, der
am lieljsten mit der ganzen Armee hinter den Lech zurückgegangen
wäre, in Abwesenheit Macks am 2. Oktober Befehle, um Ulm als
den wichtigsten Punkt zu sichern.
Das Korps FML. Graf Eiesch sollte die Division FML. Graf
Gyulai — 11 Bataillone, 16 Eskadronen — bei Ulm aufstellen und
von der Division FML. Freiherr v. Kerpen 4 Bataillone nach Leip-
heim und je 3 Bataillone nach Günzburg, Weißenhorn und Ichen-
hausen senden, wo sie am 5. Oktober eintreffen sollten.
Das Korps FML. Freiherr v. Auffenberg. 10 Bataillone
und 8 Eskadronen, sollte am 6. Oktober im Räume Zusmarshausen,
Burgau, Wertingen,
das Korps FML. Freiherr v. Werneck mit 10 Bataillonen
und 8 Eskadronen bei Krumbach, Thannhausen, Schwabraünchen
vereinigt sein.
FML. Klenau (Avantgarde) erhielt Befehl, seine Truppen so
bereit zu halten, daß «r mit einem Marsche Ulm oder Memmingen
erreichen konnte.
Erzherzog Ferdinand sandte die Mitteilung hievon durch einen
Offizier an Mack mit der Aufforderung, schleunigst nach LFlm zu
kommen.
In einer Bemerkung zu dieser Dislokation sagt Erzherzog Fer-
dinand, daß die Konzentrierung keine engere sein konnte, weil
sich die Truppen in den Orten selbst durch Requisition verpflegen
mußten.
») Kriegsarchiv, 1805, Deutsehland FA, X, 14.
— 284 —
Diese Bemerkung ist von hohem Wert und von hohem Inter-
esse. Sie enthüllt uns hier in diesem Falle den Beweggrund zu einer
Handlung, der man sonst die tiefsinnigsten strategischen oder ope-
rativen Gedanken unterlegen könnte. Die Bemerkung läßt erkennen,
warum Maek für seine Armee eine so außerordentlich weite Kan-
tonierung festsetzte: die Eücksicht auf die Verpflegung zwang dazu.
Er mußte diese Eücksicht nehmen, weil er sich selbst des Mittels be-
raubt hatte, seine Armee auch bei längerem Stillstehen konzentrierter
bereithalten zu können — seines Trains. Die einem ganz oberfläch-
lichen Urteil entsprungene Maßregel der Verminderung des Trains
zwang im Vereine mit der operativen Absicht Macks der Armee
eine Haltung auf, die eine rasche und rechtzeitige Versammlung der
Armee verhinderte.
Nicht allein das unstete Wesen Macks war daher die Ursache,
daß die österreichische Armee immer in die Hinterhand kam und keine
günstig erscheinende Situation ausnützen konnte, sondern hauptsäch-
lich die weite Kantonierung, die der Armee durch die Verpflegs-
vorsorgen aufgezwungen wurde. Erzherzog Ferdinand konnte die
Armee, als er sie gegen Ulm zusammenzog, nicht enger konzen-
trieren, weil der tatsächliche Armeeführer und Generalstabschef des
Armeeoberkommandanten in oberflächlicher Beurteilung der Armee-
bedürfnisse keine Ahnung davon hatte, was seine Armee zu ihrer
Versorgung brauchte und wie eine mangelhafte Versorgung das Ver-
halten der Armee bestimmend beeinflussen muß. So rächt sich
jede Oberflächlichkeit! Auch der Generalstabschef eines Armeeober-
kommandos muß nach dem französischen Generalstabshandbuch „die
lebhafteste Sorgfalt allen Bedürfnissen der Armee widmen,
keines darf ihm fremd sein."
Man könnte da einwenden : Ja, Napoleon hatte eine ebenso
mangelhaft ausgerüstete Armee und wie hat er operiert. Eichtig!
Aber gerade im Nachsalze, d. h. in der Art der Kriegführung liegt
der Unterschied. Napoleon wußte, daß die Armee einen guten zahl-
reichen Train brauchte, und hätte ihn sicher nicht leichtfertig weg-
geworfen, wenn er ihn besessen hätte. Er hatte keinen Train und
auch keine Vorräte, um einen improvisierten Train zu füllen. Er
wußte aber weiter, daß er in diesem Falle die Armee unausgesetzt
in Bewegung halten mußte, weil nur dann zu hoffen war, die ver-
derblichen Folgen des Mangels eines gut organisierten Verpflegs-
trains zur Not zu vermeiden, wenn die Truppen täglich neue Bäume
— 285 —
zu ihrer Ernähruno- heranziehen konnten. Berthier schreibt daher
auch am 28. September an den Kurfürsten von Bayern: „Der Kaiser
hat den Grundsatz, seine ganze Armee in Bewegung zu halten und
sie immer in dei' Hand zu haben, um sie je nach Bedarf dorthin
zu führen, wohin ihn die Fehler des Feindes rufen."
Mack wollte seine mangelhaft ausgerüstete und in der Aus-
nützung des Landes ungeübte Armee monatelang in einem be-
schränkten ßaume halten lassen. Dazu brauchte er aber unbedingt
Magazine und zu ihrer Füllung und zur Ausgabe der Vorräte an
die Truppen einen reichen Armeetrain. Weil er weder Magazine
noch einen Arraeetrain hatte, mußte Mack — ebenso wie Napoleon —
seine Armee auf einem großen Eaum ausbreiten und weil die alj-
wartende Haltung ihn von den Maßnahmen des Feindes abhängig
machte, mußte er folgerichtig mit der Konzentrierung seiner Armee
immer zu spät kommen.
Am 2. Oktober gab Mack in Neuburg dem FML. Kienmayer
den Befehl, 3 Bataillone Gemmingen und 2 Eskadronen Hohenlohe-
Dragoner, die aus Böhmen im Anmärsche zum Korps Kienraayer
waren, nach Amberg zurückzusenden, um die Bayern zu beobachten.
Sie sollten das Gerücht aussprengen, daß ein starkes österreichisches
Korps folge und eine starke Kolonne Bussen aus Böhmen im An-
märsche sei.
Am 3. Oktober berichtete Mack dem Kaiser aus Ingolstadt:
Er hoffe, daß der Platz, obwohl er am meisten ruiniert ist, in sehr
kurzer Zeit wieder in haltbaren Stand hergestellt werden könne,
„Sehr bald werden wir auf solche Weise an Lindau, Memmingen,
Ulm und Ingolstadt eine ganz gute Defensionslinie haben, die uns,
wenn wir weiter vorne unglücklich wären, aufnehmen und wieder
aufhelfen könnte, und "wenn nur die Bussen wirklich in der Zeit der
neueren Marschdisposition, mithin zwischen 16, und 24. Oktober in
Dachau eintreffen, so dürfen wir alles Gute für unsere Umstände
unter jeder Betrachtung hoffen, so zwar, daß ich es für meine Pflicht
gehalten, Seiner königlichen Hoheit dem Erzherzog vorzuschlagen^),
den von Euer Majestät letztbeorderten 5 Infanterie- und 2 Kavallerie-
regimentern Gegenbefehle zu senden und solche zu der italienischen
Armee zm'ückkehren machen möchte, damit Seine königliche Hoheit
*) Vergleiche damit die Angaben des Erzherzogs Ferdinand, S. 281.
— 286 —
der Erzherzog Karl umsomehr vermögend seien, bei dem Ausbruche
des Krieges alsobald zu einer nachdrückUchen Offensive zu schreiten."
Zum Schlüsse des Berichtes äußerte Mack Besorgnisse vor
Preußen und bat, dieses um jeden Preis durch Versprechungen zu
gewinnen^).
Erzherzog Ferdinand begab sich am 3. Oktober über Mem-
miugen nach Ulm. In Memmingen fand er die Befestigungen mittel-
mäßigen Profils 'so weit hergestellt, daß sie in einigen Tagen fertig
sein konnten. Sie schützten den Ort wohl gegen einen Handstreich,
hatten aber keinen hohen fortifikatorischen Wert. Mit Geschütz
konnte Memmingen überhaupt nicht versehen werden, weil keines
vorhanden war.
Am 3. Oktober traf die Meldung ein, daß die Franzosen
Freudenstadt und Offeuburg geräumt haben und in der Eichtung
auf Eastatt abmarschiert seien. Weiters meldete der Eittmeister, der
am oO. September vor den Franzosen nach Göppingen zurück-
gewichen war, daß ihn die Franzosen am 2. Oktober angegriffen
haben. Damit waren die Feindseligkeiten begonnen worden^).
^) Kriegsavehiv, 1805, Deutsehland PA, X, 19. Von Maek selbst geschrieben.
Der Begleitbrief zur Abschrift dieses Berichtes an Cobenzl lautete :
,.Buer Exzellenz geruhen hier die Abschrift eines neuen Berichtes an Seine
Majestät zu finden und solchen mit Ihrer gewohnten Güte und Nachsieht auf-
zunehmen.
„Wie tröstlieh ist es für mich, zu mir sagen zu können, daß ich in der
heutigen Staatskanzlei, wenn meine militärischen Betrachtungen mich auf
politische führen, nicht mehr als ein Verbrecher erseheine, daß meine gute Ab-
sieht nicht verkannt and nur etwa mit nachsichtiger Grüte und Freundschaft über
meine Kannegießereien gelacht werden wird (!).
,Jeh erneuere Euer Exzellenz die Versicherung meiner innigsten Verehrung
und Anhänglichkeit und sehne mich unaussprechlich nach dem glücklichen Augen-
blicke sie Euer Exzellenz recht bald mündlich erneuern zu können.
..Ingolstadt, am 3. Oktober 1805. Maek, FML."
Hof- und Staatsarchiv, Kriegsakten, 464. Von Mack selbst gesehrieben.
Charakteristisch ist hier der devote und unwürdige Ton, den der Chef des
Generalstabes und Generalstabsehef des Armeeoberkommandanten; der General-
stabsehef des Kaisers, gegenüber dem Minister des Äußern anschlägt. Ist es
da ein Wunder, daß selbst die unfähigsten Minister Lust bekamen, sieh in die
Führung der Armeen einzumischen?
^) Diese Begebenheit zeigt, zu welchen Lächerlichkeiten der politische Ein-
fluß auf die Operationen führte.
Seit 8. September marschierten österreichische Truppen, seit 25. September
auch französische Truppen außerhalb der Grenzen ihrer Eeiehe auf neutralem
— 287 —
Am 4. Oktober besichtigte der Erzherzog- die Werke von
Ulm. Er sagte darüber: „Ich besah die Werke von Ulm, die sich
in sehr schlechtem Zustande befanden. Von den alten Werken war
sehr vieles rasiert; selbe nur einigermaßen zur Verteidigung her-
zustellen war eine Arbeit, die Monate erforderte. An einigen Orten,
Boden, der aber der Kampfplatz beider Armeen sein mußte. Die österreieliisehen
Truppen hatten die Weisung, die Feindseligkeiten nicht zu eröffnen, sondern dies
den Franzosen zu überlassen. Am 1. Oktober proklamierte Napoleon seiner
Armee die Kriegserklärung an die Koalition und am 2. begannen die Franzosen
die Feindseligkeiten mit dem Angriff auf die österreichische Kavallerie bei Göp-
pingen. Am 3. Oktober erhielt das österreichische Armeekommando die Meldung
darüber und am 5. Oktober behob die Meldung des Obersten Wallmoden über die
erfolgte Kriegserklärung jeden Zweifel darüber, daß es Napoleon mit dem Krieg
Ernst sei.
An dem gleichen Tag, also am 5. Oktober, wurde in Wien ein Schrift-
stück unterzeichnet, das das Armeekommando ermächtigte anzugreifen, wenn sieh
Gelegenheit dazu ergäbe, da die Erklärung des französischen Gesandten vom
30. September auf dem deutsehen Eeiehstag eigentlich als Kriegserklärung
gelten könne.
Diese merkwürdigen Verhältnisse nützte denn auch Maek zu seiner Recht-
fertigung aus.
Mack behauptete, daß seine Maßnahmen (welche?) die Franzosen veran-
laßt haben, Bernadotte und Marmont schleunigst nach Würzburg zu ziehen, um
die Bayern zu retten (!), wofür er glaube, Beifall zu verdienen, da er dadurch den
allergünstigsten Augenblick gewann, um die von Bernadotte, Marmont und den
Bayern weit getrennte, nunmehr den Rhein passierende, aber noch nicht ganz ver-
sammelte französische Armee anzugreifen. Der Augenblick, wo ich die Erlaubnis
zum Angriff" aus Wien erwartete, war vorhanden, und bei der Nachrieht von der
Allerhöchsten Ankunft Seiner Majestät glaubte ich wirklich, daß sie diesen End-
zweck hatte. (I)
Der günstige Augenblick blieb unbenutzt, weil man glaubte, daß die poli-
tische Lage die Kriegserklärung noch nicht erlaubte. Sie erfolgte erst 6-8 Tage
später, als wir schon angegriffen waren. (Aus Macks Denkschrift: ,,Die Kapitu-
lation von Ulm", in Raumers Taschenbuch, 1878.)
Man beachte, wie Mack .sich zu rechtfertigen sucht, indem er die Schuld
auf andere schiebt und wie er dabei die Tatsachen willkürlich gruppiert.
Der Kaiser kam in der zweiten Hälfte September zur Armee; die Erlaubni.s
zum Angriff" kam am 10. oder 11. Oktober nach Ulm. 6 — 8 Tage vorher bezieht
sich daher auf die Zeit vom 2. bis i. Oktober. Um diese Zeit war Mack auf seiner
Rekognoszierungsfahrt nach Ingolstadt und dachte an nichts weniger als an einen
Angriff. Seine Armee war auch damals zu jedem Angriff unfähig. Als auf Be-
treiben des Erzherzogs am 4. Oktober der Angriff beschlossen wurde, konnte die
Ai'mee, die dank der Initiative des Erzherzogs schon seit dem 2. Oktober auf
dem Marsche war, um sich bei Ulm zu sammeln, nicht vor dem 8. Oktober ver-
sammelt sein.
— 288 —
besonders l»eini Frauenlor, war die Stadt noch ganz offen und die
Chaussee bloß durch einen Laufgraben abgeschnitten. Ulm konnte
so wenig wie ]\Iemmingen mit Artillerie versehen werden und for-
derte zu seiner Verteidigung viel mehr Geschütz als Memmingen.
Die bei Ulm so nötigen äußeren Werke, wie der Michelsberg und
die Ziegelhütte waren mit einer kaum 3 Schuh hohen Feldver-
sehanzung versehen."
Die Nachrichten ließen erkennen, daß der Feind den Schwarz-
wald ganz geräumt hatte und von Stuttgart über Geislingen gegen
Heidenheim Direktion nahm.
Der zu Mack gesandte Offizier kam unverrichteter Dinge zu-
rück; er hatte ihn nicht finden können, weil Mack schon nach
Mindelheim abgereist sein sollte.
Erzherzog Ferdinand, der erkannte, daß nun keine Zeit mehr
zu verlieren war, um alle Truppen bei Ulm zu sammeln, sandte am
4, Oktober früh dem FML. Jellachich aus Ulm folgenden Befehl:
„Der Feind hat den Schwarzwald geräumt. Er zieht sich aber
dergestalt gegen meine rechte Flanke, daß schon am 2. Oktober
Ney, der den rechten französischen Flügel befehligt, in Stuttgart war.
„Ihre Aufstellung bei Bregenz ist daher unnütz. Sie haben
sogleich Ihre Infanterie und sechs Eskadronen Blankenstein-Husaren
zwischen Wurzaeh und Leutkirch zu sammeln.
„Ein Bataillon und zwei Eskadronen bleiben bei Lindau zum
Schutze der Arbeiten."
Dieser Befehl wurde in Bregenz am 5. um 9^ vormittag
präsentiert ^).
Um Mack möglichst bald zu sprechen, eilte nun der Erzherzog
nach Mindelheim.
In lUertissen begegnete er Mack. Er teilte Mack alle ein-
gelaufenen Nachrichten und seine Anordnungen mit und legte ihm
nochmals den Gedanken nahe, die Armee hinter den Lech zurück-
zunehmen. Mack lehnte das als Rückzug entschieden ab. Mack wollte
die Armee unbedingt bei Ulm konzentrieren, um den Feind unver-
züglich anzugreifen.
Der Erzherzog machte Mack auf die Gefahren aufmerksam, die
der Armee drohten, wenn dieser Angriff mißlänge. Da aber Mack
durchaus nicht hinter den Lech zurückgehen wollte, erklärte der
Erzherzog dem Angriff über Ulm zuzustimmen, betonte aber, daß in
^) Kriegsarehiv, 1805, Tirol FA, X, 5.
— 289 —
diesem Falle keine Zeit zu verlieren sei; die Konzentrierung müsse
schnell erfolgen, um den Feind, der noch in mehreren Kolonnen
gegen Donauwörth marschiere, in der Flanke anzugreifen, bevor er
alle Kräfte vereinigt haben könne. Maek stimmte zu und nun wurden
sofort alle Befehle ausgefertigt, um bis 7. und 8. Oktober das Korps
ßiesch bei Ulm, Werneck mit Auffenberg zwischen Günzburg und
Leipheim, Schwarzenberg bei Göggiingen und Grimmelfingen auf
beiden Ufern der Donau sehr enge zu konzentrieren').
FML. Jellachich sollte je ein Bataillon in Lindau und Mem-
mingen zurücklassen und für die Beobachtung des Gegners zwischen
Bodensee und Donau sorgen, mit allen anderen Kräften — 18 Ba-
taillone und 8 Eskadronen — nach Biberach marschieren ^).
Nach Ausfertigung der Befehle fuhr Mack nach Ulm, der
Erzherzog nach Mindelheira weiter.
Am 5. Oktober langten Meldungen ein. die bestätigten, daß
im ganzen Schwarzwalde kein Franzose mehr stehe; alles sei über
Rastatt abmarschiert. Bei Kehl werde an Verschanzungen gearbeitet.
Sonach war klar, daß aus der Richtung des Schwarzwaldes
keine Gefahr drohe.
Die Meldungen schilderten auch Stimmung und Zustand der
französischen Armee als sehr schlecht.
Am 5. Oktober langte von FML. Kienmayer eine sehr wichtige
Meldung ein :
„Meldung des Obersten Graf Wallraoden, Ellwangen,
3. Oktober, 6^ früh.
„Allen Meldungen nach ist die Hauptmacht der Franzosen gegen
Ulm vorgerückt. Bonaparte soll bei der Armee seiii. Gestern hatte
^) Vor seiner Abreise von Mindelheim hatte Maek am 4. Oktober an das
Korps Werneek Befehl gesandt, die Grenadierbrigade Hohenfeld sogleich über
Krumbaeh nach Weißenhorn abzusenden, wo sie am 5. abend eintreifen müsse,
mit den übrigen Truppen aber am 5. nach Memmingen abzumarschieren. Beide
Gruppen hätten dort weitere Befehle abzuwarten. Welche Absieht diesem Befehle
Macks zu gründe lag, ist nicht zu erraten. Mit dem wenige Stunden später in
lUertissen gefaßten Entschluß, die Armee bei Ulm zu konzentrieren, hatte der
Befehl jedenfalls nichts zu tun, weil das Korps nach diesem Entschlüsse bei
Günzburg konzentriert werden sollte. Bei Erhalt des neuen Befehles war aber ein
Teil der Grenadierbrigade schon im Marsehe nach Westeo. Solche nutzlose Hin-
und Hermärsehe waren an der Tagesordnung; sie lassen sieh aber an der Hand
der Akten selten so klar nachweisen wie hier.
'■') Kriegsarchiv, 1805, Tirol FA, X, 5. Dieser Befehl wurde am 5. Oktober
um 12 h 301 mittag in Bregenz präsentiert.
Kraus 8. 1805, Der Feldziig vou Ulm. 19
— 290 —
die Kolonne Ney Rasttag in Stuttgart. In Schwäbisch-Hall ist gestern
ein Korps von 10.000 Mann, meist Infanterie, angesagt worden. Das
Korps soll von Heilbronn heute eintreffen. Im Amt Vellberg, zwei
Stunden von Hall, sind Requisitionen für das Korps der Großen
Armee von Mannheim zusammengebracht. Es scheint somit, daß sich
der linjje Flügel der Grande armee bis hieher erstrecken soll. Von
Bernadotte und Marmont ist hier nichts zu hören."
Der Meldung waren zwei Briefe aus Heilbronn vom 1. Oktober
beigelegt; deren Inhalt war: Am 29. September war die 1. Division
des Korps Soult in Heilbronn eingerückt und lagerte östlich der
Stadt. Die anderen Divisionen des Korps lagen zwischen Heilbronn
und Eppingen. Morgen (2. Oktober) sollen diese nachrücken. Stadt
und Amt Heilbronn haben zu liefern 85.000 Portionen Brot, 25.000
Portionen Fleisch, 24.000 Pfund Salz, 3600 Zentner Heu, 6000
Säcke Hafer, 6000 Krug Branntwein, 800 Zentner Stroh und 100
vierspännige Wagen. In Stuttgart ist gestern (30. September) Mar-
schall Ney mit 6000 Mann eingerückt. Der linke Flügel unter Davout
steht bei Mosbach. In Heilbronn wurde am 1. Oktober die Kriegs-
erklärung Frankreichs an Österreich und Rußland feierlich an die
Truppen proklamiert.
FML. Kienmayer fügte dieser Meldung bei, daß bei Donau-
wörth eine gute Brücke und bei Neuburg eine fast unzerstörbare
steinerne Brücke vorhanden seien. Bis Regensburg bestehen noch
mehrere Brücken. Er bat um Weisungen über die Zerstörung der
Brücken und für sein Verhalten gegen den Feind. Bernadotte und
Marmont seien am 30. September persönlich noch in Würzburg ge-
wesen^).
1) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, X, 18.
Am 5. Oktober sandte Erzherzog Ferdinand noch mehrere andere im
Armeehauptquartier Mindelheim eingelangte Meldungen dem FML. Maek nach.
Diese Meldungen lauteten:
Ellwangen, 3. Oktober, 772^^ abend.
Soeben erhalte ich Meldung, daß der Feind heute in Hall eingerückt ist.
Ich gehe morgen nach Nördlingen zurück.
Wallmoden, Oberst.
Von FML. Kienmayer abgesandt Neuburg, am 4. Oktober.
Bopfingen, 4. Oktober, 12h mittag.
Das Korps, das gestern in Schwäbisch-Hall war, ist das 4. Korps Soult
nach beiliegendem Requisitionsschreiben. Stärke der Kolonne nach Aussage von
— 291 —
FML. Kienmayei: erhielt daraufhin den Befehl, sein Korps bei
Neuburg- zu sammeln, aber leichte Kavallerie auf dem linken iJonau-
Ufer zu belassen, um festzustellen, ob Bernadotte gegen die Donau
oder gegen Böhmen marschiere. Er sollte weiters alle Übergänge
ijber die Donau beobachten lassen und vor überlegenem Feind auf
München zurückgehen.
Die bei Landsberg eingetroffene Artilleriereserve — 35 Ge-
schütze — erhielt Befehl, nach Ulm zu marschieren.
Das Hauptquartier erhielt Weisung, nach Ulm abzugehen, wo
es am 8. Oktober einzutrefl'en hatte.
Beim Korps Kienmayer erging am 5. der Anftraof nach Ingol-
stadt, die Brücke dort mit einer Kompagnie zu besetzen, den ßest
der Bataillone in Bereitschaft zu halten. Die Brücken bei Groß-
mehring. Yohburg, Neustadt und Kehlheira waren durch Kavallerie-
detacheraents zu besetzen. Bei Annäherung des Feindes waren die
Brücken abzuwerfen, alle Schiffe am diesseitigen Ufer zu sichern.
Reisenden 15.000 Mann. Die Requisition ist aber so groß, daß entweder in Hall
Magazine errichtet werden oder noch andere Kolonnen folgen.
Wallmoden, Oberst.
Von FML. Kienmayer abgesandt Neuburg, am 5. Oktober, 3h früh. (Das
Requisitionsschreiben wird auf Seite 545, Fußnote ^, wörtlich angeführt.)
Aalen, 4. Oktober, ^Iz"'^ früh.
Gestern nachmittag sind 18.000 Mann Infanterie von Stuttgart nach Göp-
pingen marschiert. Starke Kavallerie ist gestern 10 h vormittag von Stuttgart nach
Göppingen marschiert. In Stuttgart sollen sich noch 8000 Mann befinden.
Gestern soll Napoleon in Stuttgart angekommen sein.
ValOii vormittag. Eine Patronille meldet von Heidenheim, daß vom Feinde
nichts dort ist. Doch erwartet man schon seit 2 Tagen den Anmarsch einer feind-
lichen Kolonne von Göppingen, Weißenstein, Böhmenkirch nach Heidenheim.
Fröhlich, Major.
Von FML. Kienmayer abgesandt Neuburg, am 5. Oktober, 3 h früh.
Kundschaftsnaeh richten: Das Gros der feindliehen Truppen ist in
Stuttgart und soll sich von Kann statt aus nach Schorndorf ziehen. Der Feind be-
zahlt Fleisch und Brot, dagegen muß die Pourage gratis geliefert werden. Die
requirierten Wagen bezahlt der Feind mit 6 Carolin, auch die abgenommenen
Pferde.
Die stärkste Kolonne soll bei Heilbronn herauskommen.
Kriegsarchiv, 1805, Deutsehland FA, X, 258.
Man muß doch zugeben, daß das österreichische Armeekommando ganz
vorzüglich mit Nachrichten versorgt war.
Oberst Graf Wallmoden war Kommandant des ülanenregiments Merveldt
Nr. 1.
19*
— 292 —
Auf die Nachricht vom Anmärsche Bernadottes durch das Ans-
bacher Gebiet zog FML. Kienmayer am 5. Oktober vormittag seine
zvrei Kürassierregimenter sofort auf das rechte Ufer zurück; nur eine
halbe Eskadron sollte zm* Aufklärung nördlich der Donau bleiben.
Die Beilage 19 zeigt die Situation beider Teile am Abend des
5. Oktobers. Die Situation der Österreicher ist nicht genau festzu-
stellen, vpeil die Regimenter in fortwährender Verschiebung waren
und weder die Befehle vom 4. Oktober, noch Berichte über die
Marschbewegungen vorliegen. Da aber die Befehle am 4. ziemlich
spät ausgegeben wurden — in Bregenz z. B. wurde der Befehl am
5. Oktober um 12^ 30^ nachmittag präsentiert — so konnten die
Truppen zum größten Teil ihre für den 5. Oktober schon angeord-
neten Bewegungen nicht mehr rechtzeitig ändern. Die tatsächliche
Situation der Armee dürfte daher wenig von der abgewichen sein,
die nach den Befehlen des Erzherzogs Ferdinand vom 2. Oktober
am 5. Oktober abend hätte eintreten sollen.
Die Skizze läßt erkennen, daß tatsächlich nur die Befolgung
des Vorschlages des Erzherzogs vom 4. Oktober, die Armee hinter
den Lech zurückzunehmen, die Österreicher vor der Abdrängung
nach Tirol bewahren konnte. Weil aber ein großer Teil der Fran-
zosen zur Donau-Strecke Donauwörth — Neubnrg näher stand als die
Österreicher zum Lech, so hätte der Rückzug wahrscheinlich hinter
die Isaf fortgesetzt werden müssen. Erzherzog Ferdinand hatte
daher die Situation vollkommen klar erkannt.
Der endlich gefaßte Entschluß, die Armee auf Ulm zu kon-
zentrieren, mußte die Umgehung der österreichischen Armee durch
die Franzosen zur vollendeten Tatsache machen und das Mißlingen
des Angriffes über Ulm das Schicksal der Armee besiegeln, denn
sie hätte dann gar keinen Rückzug mehr offen gehabt. Der Erz-
herzog hatte diesem Entschluß auch nur zugestimmt, weil er er-
kannte, daß Mack starrköpfig bei Ulm stehen bleiben wollte und
weil in diesem Falle nur der Angriff die Armee vielleicht vor
der Gefahr der völligen Umschließung bewahren konnte.
Während sich also die österreichische Armee nach Westen
gegen Ulm zusammenzog, um nach dem 8. zum Angriff gegen die
Flanke der Franzosen zu schreiten, drängte Napoleon mit seiner
Armee gegen die Donau-Strecke Donauwörth — Ingolstadt vor; am 9.,
an welchem Tage die Österreicher den Angriff beginnen konnten,
mußte er aller Voraussicht nach schon Herr der Donau sein, weil
— 293 —
seine Truppen wesentlich näher zu ihr standen als die entfernteren
Teile der Österreicher zu Ulm.
Was soll man weiter über die Tätigkeit Macks sagen?
Während die wichtigsten Nachrichten einlaufen, die alsogleich Ent-
schlüsse und Befehle fordern, jagt der tatsächliche Leiter der
Operationen von Ort zu Ort, so daß ihn der nachgesandte Offizier
nicht finden kann. Dadurch gehen kostbare Tage für den Entschluß
verloren; nur der Entschlossenheit des Erzherzogs, der auf die Ge-
fahr eines Konfliktes mit Mack die Befehle zur Konzentrierung der
Armee gibt, ist es zu danken, daß die Armee überhaupt noch bei
Ulm zusammenkommt.
Der Auftrag Macks, die am 19. September unter schwerer
Beschuldigung des Erzherzogs Karl verlangten Verstärkungen nach
Italien zurückzusenden, weil der Marschplan feststellt, daß die Bussen
in der Zeit vom 16. bis 24. Oktober bei Dachau eintreffen sollen, und das
vom Erzherzog Ferdinand angeführte Motiv dieses Auftrages werfen
nicht nur ein grelles Licht auf den Charakter dieses Mannes, sondern
zeigen auch, daß der harte Vorwurf der Leichtfertigkeit, der ihm
von vielen Seiten gemacht worden ist, voll berechtigt war^).
Die Österreicher waren, wie der kurze Auszug der wichtigsten
Meldungen dargetan hat. sehr gut über die Marsehgruppierung der
Franzosen unterrichtet. Berthier war daher im L-rtum, als er am
5. Oktober an Soult schrieb: „...Der Feind fängt erst heute an,
unsere Bewegungen zu bemerken und vereinigt sich bei Ulm."
Dieser Irrtum war verzeihlich, denn Berthiers vernünftiger Sinn
konnte es einfach nicht fassen, daß die Österreicher trotz voll-
ständiger Kenntnis der Situation so töricht waren, bei Ulm zu
bleiben. Denselben Irrtum begeht aber auch das französische Geschichts-
werk, indem es sagt^): „Bis zu diesem Tage verdeckte die von Ney,
Murat und Lannes gebildete Gruppe den Rest der Armee viel mehr
noch gegen die Auskundschaftung als gegen die Angriffe des
Feindes. Die Nachrichten, die man von Ulm erhielt, so nichtssagend
sie auch über die Kräfte des Feindes waren, bezeugten doch alle
die Unwissenheit Macks über unsere Bewegungen."
Kann man sich ein schärferes Urteil über die Armeeführung
Macks denken, als diese beiden, um 100 Jahre auseinanderliegenden
0 Vergleiche den Bericht Macks vom 19. September (S. 196—199) mit
diesem Verhalten.
^) Alombert et Colin, U, S. 58.
— 294 —
Ansichten in Verbindung mit der Tatsache, daß das österreichische
Arraeekommando schon am 2. Oktober genau über die Kräfte-
gruppierung Napoleons unterrichtet war, so genau, als man es sich im
Kriege nur wünschen kann? Nein! denn dieses Urteil ist vernichtend.
Berthier hat übersehen, daß auch die Franzosen fast alle ihre
Nachrichten nicht der aufklärenden Tätigkeit ihrer Kavallerie, son-
dern nur Kundschaftern und Aussagen von Landleuten verdankten.
Um wie viel mehr Nachrichten mußte diese Quelle auf deutschem
Eeichsboden dem Heere des Deutschen Kaisers liefern, wo nur die
Fürsten und nicht die großen Massen der Bevölkerung mit den
Franzosen sympathisierten ^) !
Tatsächlich begnügte sich auch die Kavallerie beider Teile nur
damit, solche Nachrichten zu sammeln und weiterzuleiten. Die
Tätigkeit der Kavallerie, die wir unter dem Begriff „Aufklärung"
verstehen, also das Aufsuchen des Feindes, das, wenn nötig, ge-
waltsame Eindringen in seine Marsch- und Nächtigungszone, das
stete Umschwärmen seiner Kolonnen wurde weder bei den Franzosen
noch bei den Österreichern ausgeübt.
Wegen der geringen Wirkung der Infanteriegewehre und des
hohen Kampfwertes der Kavallerie wäre aber gerade damals die
Ausübung dieser Tätigkeit leicht und erfolgreich gewesen.
Interessant sind die Standesverhältnisse der österreichischen
Armee am 5. Oktober.
In einer von Mack herrührenden Berechnung des Standes der
österreichischen Armeen heißt es:
Die Kompagnien der Infanterie sind bereits auf den Stand
von 180 Gemeinen gesetzt und da sie jede 20 Chargen haben, so muß
die Kompagnie für 200, jedes Bataillon zu vier Kompagnien aber
auf 800 Mann angenommen werden.
^) Wie weit diese Unterstützung der' Österreicher durch die Bevölkerung
ging, ist aus folgendem zu ersehen :
Am 25. September sehrieb der österreichische Gesandte v. Sehall in Karls-
ruhe an einen Erzherzog (zweifellos an Erzherzog Ferdinand), daß der badisehe
Minister des Äußern ihn vertraulich verständigt habe, der Ehein- Übergang der
Franzosen werde noch am 25. September beginnen. Am nächsten Tage solle
schon die ganze Rhein- Ai-mee der Franzosen auf deutschem Boden stehen.
(Kriegsarehiv, Militärfeldakten, 1805, 10'82. Der Brief ist nicht präsentiert,
so daß man nicht erkennt, ob und wann er in die Hände des Erzherzogs
Ferdinand gelangt ist.)
— 295 —
Die Grenadiere haben zwar mit Inbegriff der Chargen nur
140, mithin das Bataillon 560 Mann. Wenn man aber den großen
und kleinen Stab nicht besonders in Anschlag bringt, so kann, um
nach einer runden Zahl zu berechnen, jedes Grenadierbataillon auf
600 angenommen werden.
Von der Kavallerie betragen die Eskadronen der leichten mit
den Chargen 150, jene der schweren aber 130. Im Durchschnitt
können sie daher auf 140 Berittene angenommen werden.
Nach diesem Maßstab ergibt sich folgende Berechnung für die
Armee in Deutschland*:
72 Füsilierbataillone ä 800 Mann 57.600 Mann.
15 Grenadierijatailloue ä 600 „ 9.000 „
162 Eskadronen ä 140 Reiter . 22.680 „ 22.680 Pferde
89.280 Mann, 22.680 Pferde
* Nota: Hierunter ist Gemmingen und Nassau begriffen').
Dagegen zeigt eine Standesübersicht vom 6. Oktober folgende
Daten :
unter 22 abgesondert nachgewiesenen Grenadierbataillonen
hatte nur eines einen Gesamtstand"), der dem oben angenom-
menen Mannschaftsstand nahekommt (612 Mann); 14 Bataillone
hatten einen Gesamtstand von mehr als 500 Mann (von 505 bis 571)
und 7 Bataillone von weniger als 500 Mann (496 bis 463 Mann).
Von 28 Infanterieregimentern, deren Stand bekannt ist, hatte
kein einziges Bataillone mit dem Mannschaftsstande von 800 Mann.
Nur 5 Bataillone waren stärker als 700 Mann (Gesamtstand
715 bis 788 Mann), nur 17 Bataillone stärker als 600 Mann (618
bis 656 Mann). 48 Bataillone blieben unter der Starke von 600 Mann
(596 bis 527 Manu) und 25 Bataillone unter dem Stande von
500 Mann (481 bis 412 Mann); 11 Bataillone erreichten mit ihrem
Gesamtstande nicht einmal die Hälfte des angenommenen
Mannschaftsstaudes, waren daher schwächer als 400 Mann (389 bis
349 Mann).
Der Feuergewehrstand der Bataillone war um 26 bis 86 ge-
ringer als der hier angegebene. So zählte das stärkste Grenadier-
^) „Ausweis über die Stärke der k. k. Kriegsmacht, welche mit I.Oktober
1805 im Felde stellen wird." Ohne Datum.
Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, X, 3'/2- Unter Gemmingen ist das
Infanterieregiment, unter Nassau das Kürassierregiment dieses Namens vorstanden.
*) Unter Gesaratstand wird der Stand mit den Offizieren verstanden.
— 296 —
bataillon nur 575 Feiierge wehre, das schwächste 433; das stärkste
Füsilierbalaillon hatte 738, das schwächste 318 Feiiergewehre.
Diese 28 Infanterieregimenter wiesen tatsächlich einen Ge-
samtstand von nur 68.939 Mann auf. Nach der früher erwähnten
„Annahme" Macks sollten sie aber einen ausrückenden Mann-
schaftsstand von 97.000 Mann haben, d. h. die Infanterie war
um mehr als ein Drittel schwächer, als Maek „angenommen" hat.
Der vorgeschriebene Kriegsstand (vom Jahre 1802) dieser
28 Regimenter hätte 99.800 Mann betragen sollen.
Bei der Kavallerie hatten 8 leichte Regimenter, also 64 Eska-
dronen, einen Stand von über 100 Reitern bei jeder Eskadron (von
102 bis 123 Reitern). Von 7 schweren Regimentern mit 56 Eska-
dronen hatten nur die Eskadronen von 2 Regimentern 100 und
] 13 Reiter; 40 Eskadronen waren schwächer als 100 Reiter (83 bis
97 Reiter).
Der ausrückende Stand dieser 120 Eskadronen betrug
12.700 Reiter.
Nach der „Annahme" Macks sollte er 16.800 Reiter (Mann-
schaft allein) betragen. Auf vollem Kriegsstand hätten die 15 Re-
gimenter 23.700 Reiter zählen sollen^).
Der tatsächliche Stand der Kavallerie betrug somit nur etwas
mehr als die Hälfte des vorgeschriebenen Kriegsstandes. Die Tat-
sache, daß die Infanterie der deutschen Armee mit nahezu einem
Drittel, die Kavallerie mit nahezu der Hälfte unter dem im
Jahre 1802 festgesetzten Kriegsstand geblieben ist, läßt auf den
Wert der von Maek mit hochtrabenden Worten angeregten Er-
höhung dieses Kriegsstandes um 20 Mann bei jeder Kompagnie und
10 Reiter bei jeder Eskadron sehließen.
Wie es mit der Artillerie um diese Zeit bei der Armee bestellt war,
zeigt eine Meldung des FML. Jellachich vom 5. Oktober. Er meldet,
daß weder die Linien- noch die Reserveartillerie eingerückt sei. Das
Korps hatte nur Dreipfünder zugewiesen. Nur das Regiment Hild-
burghausen hatte seine Kanonen, mit Vorspannpferden bespannt, bei
sich. Jellachich meldete weiter, daß seine Artillerie schon diesseits
des Arlberges sein solle, er wisse aber nichts Bestimmtes; er habe
Befehl gegeben, daß sie nach Biberach nachrücke.
^) Die Stände der noch anmarschierenden Infanterieregimenter Mittrovsky
und Klebeck, aller Grrenzregim enter und der Nassau-Kürassiere fehlen.
XI. Der 6. Oktober.
(Beilage 20.)
Österreicher.
Am 5. Oktober, also gleich nach seiner Ankunft in Ulm, ver-
faßte Mack die „Disposition zu dem Übergang der Armee über die
Donau bei Ulm und zu ihren künftigen Operationen".
Die Disposition lautete:
„Die Hauptarmee wird nach den bereits erteilten Befehlen
längstens bis 8. Oktober am rechten Donau-Ufer rechts und links
vom Einfluß der Hier solchergestalt sehr enge konzentriert sein, daß
sie in der Zeit von etlichen wenigen Stunden auf den mehreren be-
stehenden Brücken die Donau passieren und die zubereitete Position
von Ulm beziehen könne.
„Die eintretenden Umstände werden sodann entscheiden, ob es
rätlieher sein werde, einer oder der anderen der vorrückenden feind-
lichen Kolonnen entgegenzugehen, um die Vereinigung derselben zu
verhindern und sie zurückzuwerfen, oder rätlicher, die Ankunft der
rassischen Armee und ihre Vereinigung mit dem Korps des FML.
Kienmaver zu erwarten, um alsdann erst die offensiven Operationen
gemeinschaftlich zu beginnen.
„Immer aber würde es. auch wenn der Entschluß gefaßt würde,
bis zur Ankunft der Eussen in der Position bei Ulm auf der De-
fensive zu bleiben, von der höchsten Wichtigkeit sein, daß jedem
feindlichen Korps, das die vor Ulm stehende Armee, ohne sie an-
zugreifen, nur beschäftigen und anheften wollte, um mit anderen
Korps ober- oder unterhalb Ulm die Donau zu passieren und unsere
Armee aus ihrer Position zu manövrieren, alsobald aus dieser ent-
gegengerückt und wenn man es sich vom Halse geschaflft, ohnverweilt
— 298 —
den feindlichen Kolonnen, welche die Donau passiert hätten oder
passieren wollten, im Eüeken marschiert würde.
„Zu diesem Ende ist es wesentlich notwendig, von der Armee
bei Ulm rechterhand die Vorposten bis in die Gegend von Giengen
auszudehnen ; ein Intermediärkorps auf halbem Wege zu halten und
stets das äußerste anzuwenden, damit diese wegen der Beleuch-
tung aller Schritte des Feindes sehr wichtige Gegend, wenn sie auch
augenblicklich verlassen werden müßte, alsobald wieder gewonnen
würde. Ebenso müßte sich hnks gegen Eßlingen und vorwärts gegen
Blaubeuren und Geislingen benommen werden.
„Das Korps des FML. Jellachich hat sich mit der aller-
möglichsten Beschleunigung rechts an die Donau bei Biberach zu
ziehen, eine Avantgarde aber bei Stockach zu halten, welche die von
Donaueschingen kommende Straße beobachten sowie jene, die von
Hechingen an die Donau führt. Sollte auf diesen Straßen nichts oder
nichts Bedeutendes vom Feinde heranrücken, so hätte FML. Jella-
chich mit seinem Korps bei Riedlingen oder Ehingen die Donau zu
passieren und gegen die rechte Flanke des gegen Ulm vorgerückten
oder vorrückenden Feindes tätig zu operieren.
„Passierte aber eine feindliche Kolonne die Donau, so hat er
sie, im Falle sie nicht äußerst überlegen wäre, anzugreifen und zu-
rückzuwerfen. Müßte er hingegen vor gar überlegener Zahl oder
nach einem erlittenen Unfall sich zurückziehen, so wirft er vor allem
nach Memmingen, wohin er schon dermalen ein Bataillon abzu-
schicken hat, annoch drei Bataillone und eine Eskadron von Klenau
in die Garnison. Er selbst aber mit dem Hauptkorps nimmt, wenn
es nötig wäre und nur so allmählich als es möglich ist, seinen
Eückzug gegen Lindau.
„Korps des FML. Kienmayer. Dieses versammelt sich vor-
wärts Neuburg oder Donauwörth und trachtet, wenn es selbst keine
feindliche Kolonne gegen sich hätte, links seitwärts gegen Ulm vor-
zudrängen, mithin gegen die linke Flanke des Feindes mit mög-
lichster Tätigkeit zu operieren. Sollte es einer allzu großen Übermacht
weichen müssen oder einen Unfall haben, so wäre die meiste In-
fanterie und Artillerie nach Ingolstadt zu werfen, wo der Ingenieur-
Major Logdmann augenblickhch trachten muß, die vorhandenen Öff-
nungen — wäre es auch nur dm'ch Palisaden — zu sehließen, weil
sich sodann eine brave Garnison einem Feinde, der kein Belagerungs-
geschütz mit sich führt, immer gut verteidigen kann. Nur muß die
— 299 —
Vorsicht getroffen werden, vieles Schlachtvieh nach Ingolstadt zu
verschaffen, damit, wenn es am Brote mangeln sollte, es wenigstens
nicht an Fleisch ermangeln möge.
„Die Kavallerie trachtet, sich auf dem rechten Ufer der Donau
die Kommunikation mit Ingolstadt so lange nur möglich offenzu-
halten; wenn sie aber vor feindlicher Übermacht zurückweichen
muß, nimmt sie ihren Rückzug gegen Landshut, wo schon um den
14. dieses die 1. Kolonne der russisch-kaiserlichen Infanterie ein-
treffen und sonach alsobald das Weitere veranlaßt werden wird.
„Russisch-kaiserliche Armee. Diese wird von Braunau in
der geradesten Direktion nach Landshut und von da nach Neuburg
oder Ingolstadt eingeleitet, umsomehr, da es viel leichter ist, mit
Vorspann und Lebensmitteln in jener Gegend für selbe aufzukommen.
Gleich mit der ersten ankommenden Kolonne vereinigt sieh das
Kienmayersche Korps, oder im Falle die Infanterie nach Ingolstadt
geworfen wäre, wenigstens die Kavallerie desselben. Von den bis
dahin eintretenden Umständen wird alles übrige abhängen und be-
sonders ob die Russen links gegen Ulm zu verwenden sein werden
oder vielleicht rechts gegen Amberg, im Falle die Bernadottesche
Armee wirklich ernstliche Absichten gegen Böhmen haben sollte.
Um die russischen Generale, Stabsoffiziere und Adjutanten mit Reit-
pferden zu versehen, muß das Oberamtskommissaiiat alsobald 400
Stücke derselben ausschreiben und nach Landshut verschaffen.
..Artillerie. Die Artillerie für die russische Armee ist nach
Landshut abzuschicken und für dieselbe auch ein guter Teil der drei-
pfündigen Kanonen zu verwenden, damit der k. k. Armee nicht allzu
viele Sechspfünder entzogen werden mögen, hingegen müssen der-
selben auch 6 Zwölfpfünder und einige siebenpfündige Haubitzen bei-
gegeben werden, welche dermalen augenblicklieh nach Ingolstadt
mit der größten Beschleunigung abzuschicken sind, damit sie mittler-
weile entweder der FML. Kienmayer selbst bei seinem Korps oder
aber in Ingolstadt verwenden könne. Die noch ankommenden zwei
Kavalleriebatterien sind ebenfalls nach Landshut zu disponieren und
der russischen Armee oder wenn sie ehender ankämen als diese,
mittlerweile dem FML. Kienmayer beizugeben.
„Alle übrige Reserveartillerie ist mit der äußerst möglichen Be-
schleunigung alsogleich nach Ulm abzuschicken^)."
*) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, X, 31a.
— 300 —
Die Disposition schließt mit einer ganz allgemein gehaltenen
Weisung für die Verpflegung. An Brot, Hafer und Heu sollte so-
viel als möglich nach Ulm geschafft werden; daher sollte überall,
besonders aber in Ulm, Mindelheim, Memmingen und Augsburg Tag
und Nacht gebacken werden. So viel Schlachtvieh war aufzubringen
und nach Ulm zu schaffen, daß voller Überschuß herrsche und auch
fehlendes Brot durch Fleisch ersetzt werden könne.
Dem Erzherzog Ferdinand wurde eine Abschrift dieser Dis-
position zugestellt. Im Begleitschreiben bittet Mack den Erzherzog,
die Instruktionen an Kieumayer und Jellachich schleunigst zu expe-
dieren, den Kommandanten der Artilleriereserve zu verständigen und
alles mögliche zu tun, um den Marsch rückwärtiger Regimenter zu
beschleunigen, „denn es nimmt das Ansehen, daß der Feind mit
Macht gegen Ulm anzudrängen und vielleicht diesen wichtigen
Punkt, solange noch seine Befestigung prekär ist, uns zu nehmen
die Absicht habe, da er heute sogar unseren zu Dornstadt auf der
Straße gegen Geislingen ausgestellten Posten zurückgeworfen hat,
welchen aber FML. Gyulai, da er mit einiger Verstärkung hineilte,
gleich wieder , dort etablierte.
„Morgen werden wir womöglich eine Eekognoszierung machen
und Eure königliche Hoheit vielleicht abends bei Ihrer Ankunft etwas
Näheres melden können^)."
Maek disponierte also ganz unbekümmert um die Tätigkeit des
Feindes auf Wochen voraus — ein Beweis dafür, daß er die Krieg-
führung Napoleons trotz den Feldzügen von 1796 und 1800 nicht
begriffen hatte.
Erzherzog Ferdinand bemerkt sehr richtig zu dieser merk-
würdigen „Disposition" : „Man ersieht aus ihr, daß FML. Mack von
dem Hauptgrundsatz der Verabredung, sogleich nach Vereinigung
der Armee bei Ulm die in Marsch begriffene Kolonne des Feindes
anzugreifen, schon zum Teil abgegangen ist; er setzt darin schon
den Fall als möglich an, bei Ulm die Russen abzuwarten. Diese
konnten erst zwischen 24. und 30. Oktober bei Ulm eintreffen —
und was mußte ein unternehmender Feind, der seine Armee, uns
bereits so nahe, beisammen hatte, in dieser Zeit nicht alles aus-
führen?"
^) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland PA, X, 31. Von Maek selbst ge-
sehrieben.
— 801 —
Das Begleitschreiben zeigt, wie Macls die Eollen im Haupt-
quartier verteilte. Er faßt die Entschlüsse, entwirft die Dispositionen
und fordert den Erzherzog auf. alles vorzukehren, damit jeder bald
seinen Beiehl erhalte und damit bei Durchführung der Dispositionen
alles klappe. Kurz, er usurpiert für sich die Obliegenheiten des Armee-
kommandanten und schiebt den Armeekommandanten schön sachte aut
den Platz des Generalstabschefs. Schwerer hat sich noch nie die
dünkelhafte Überhebung eines Generalstabschefs gerächt wie hier!
Die zwischen dem Armeekommaudanten und seinem despoti-
schen Batgeber fast unausgesetzt bestehende räumliche Trennung
erschwerte die Armeeleitung gerade in der Zeit, wo Einheit des
Willens und Easehheit der Befehlgebung dringend geboten waren.
Erzherzog Ferdinand erhielt in Mindelheim am 6. früh die
Meldung des FML. Kienniayer vom 5. Oktober, daß 20 000 Bayern
am 5. bei Fürth eingetroffen waren und daß Bernadotte, dessen Korps
ebenfalls 20.000 Mann stark sei, trotz dem Proteste der Preußen
durch Ansbach marschiere und am 5. zwischen Ansbach und Pappen-
heim nächtigen w^erde.
Kienmayer meldete weiters, daß er infolgedessen seine Truppen
hinter die- Donau zurückgezogen und das Eegiment Gemmingen an-
gewiesen habe, wenn nötig, nach Böhmen zurückzugehen ; ferner
meldete er. daß der französische General Bertrand vor kurzem die
Donau rekognosziert habe, besonders genau den Abschnitt Donau-
wörth— Eegensburg.
Erzherzog Ferdinand sandte von Mindelheim den aus Tirol an-
marschierenden Eegimentern Czartoryski, Mittrovsky und Klebeek den
Befehl, sofort nach ihrem Eintreffen in Kaufbeurfen in starken Mär-
schen nach Ulm weiterzumarschieren. Die Tornister sollten auf
Wagen befördert werden ; der Mannschaft wurde eine Verpflegszubuße
gewährt.
Der Erzherzog fuhr sodann von Mindelheim ül»er Memmingen
nach Ulm. Dort war inzwischen bei Mack eine Meldung des FML.
Freiherrn v. Auffeniterg aus Günzburg eingetroffen, daß die Fran-
zosen auf dem linken Donau-Ufer gegen Günzburg vorgingen: Pa-
trouillen hätten bereits Gundelfingen und Stotzingen, das Gros Giengen
erreicht. Er habe sofort alle drei Brücken bei Günzlmrg abtragen
lassen').
^) Auflfenberg meinte jedenfalls die zwei Brücken bei Günzburg und die
Brücke bei ßeisensburg.
— 302 —
Mack sandte an FML. v. Werneck den Befehl, sofort mit allen
Kräften „dringend" nach Günzbiirg abzumarschieren, um „bei Günz-
burg eine Position zu nehmen, durch welche Sie die beiden Brücken
der Donau decken. Jenseits der Donau schicken Sie gegen Giengen,
wo der Feind steht, Kavaileriepatrouillen aus."
FML. Auftenberg erhielt den Befehl, bei den Brücken nur
den Belag zu entfernen, um sie rasch wiederherstellen zu können').
An FML. Kienmayer sandte Mack am 6. den Befehl:
„Die dermalige Lage, in der ich mich hier befinde, ist fol-
gende: Der Feind, welcher mit seiner Hauptmacht bei Stuttgart und
Heilbronn stand, zog sich seither über Geislingen auf Heidenheim
und bedroht überhaupt sich von mir rechts ab gegen die untere
Donau und gegen Sie zu ziehen. Bei diesen Umständen sammle ich
hier bei Ulm den größten Teil der Armee und werde am 9., wenn
nicht unvorhergesehene Dinge eintreten, den Feind in seinem Rücken
angreifen.
„Sollten Sie bis dahin sich noch am linken Donau-Üfer haben
erhalten können und vielleicht die von Ansbach vorrückenden feind-
lichen Truppen noch genugsam entfernt wissen, so hätten Sie zu
trachten, links seitwärts gegen Ulm vorzudringen, mithin gegen die
linke Flanke des Feindes mit möglichster Tätigkeit zu operieren.
Übersetzt aber der Feind zwischen mir und Ihnen die Donau, so
haben Sie den übergegangenen Feind nach Ihren Kräften und
sonstigen wichtigen Rücksichten zu beobachten und womöglich an-
zugreifen '^)."
Hier fällt die unrichtige und unklare Sprache auf. Eine feind-
liche Armee, die von Stuttgart gegen Donauwörth, Neuburg vorgeht,
zeigt gegen Ulm ihre rechte Flanke und nicht den Rücken. Ist
diese Armee aber schon so weit nach Osten gekommen, daß ein
^) Maek hatte, der Fassung der beiden Befehle nach zu schließen eine Auf-
stellung des Korps Werneek auf dem südliehen Donau-Ufer vor Augen, denn
sonst wäre die Unterbrechung der Brücken durch FML. Auflfenberg sinnwidrig.
Durch eine solche Position war es natürlich unmöglich, die Donau-Brücken .,zu
decken" ; man konnte sie damit höchstens sperren.
-) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, XIIl, 106, Beilage 96 V2- Erzherzog
Ferdinand seh reibt : Am 6. soll dieser Befehl an Kienmayer abgesandt worden
sein. Der Befehl muß an diesem Tag abgegangen sein, denn in einem Befehl
an Kienmayer vom 7. Oktober heißt es : „Hier muß ich ebenfalls von dem Ihnen
gestern mitgeteilten Unternehmen abgehen, neue Umstände veranlassen mich, die
Armee bei Günzburg zu sammeln ..."
— 303 —
Angriff aus Ulm ihren Rücken treffen muß, dann ist os unmöglich,
von Neuburg her gegen ühn vordringend, ihre linke (nördliche)
Flanke anzugreifen. In Befehlen dürfen Begriffe und Worte nicht
so willkürlich durcheinandergeworfen werden. Das ist immer ein
Beweis für die unklare Vorstellung und den unklaren Willen des
Befehlgebers.
Am Abend des 6. Oktobers traf, vom FML. Kienmayer gesandt.
ein Bataillon mit zwei Geschützen bei Donauwörth ein, wo die
Kavallerie bereits hinter den Fluß zurückgegangen war und die
Brückendecke abgeworlen hatte.
Am 6. Oktolier sandten sowohl Erzherzog Ferdinand als Mack
Berichte an den Kaiser ab.
Der Vergleich der beiden Berichte gibt so treffliche Aufklärung
über die ganze Anlage dieser zwei Generale, daß sie hier folgen :
Mack schreibt aus Ulm am 6. Oktober abend: „Von Seiner
königlichen Hoheit dem Erzherzog Ferdinand wissen Eure Majestät,
daß der Feind (auf eine sehr schändliche Weise) die Feindseligkeiten
angefangen hat. Gestern und heute manövrierte er gegen Ulm, aber
wir standen fest und er zog sich wieder zurück (!) ^). Jetzt fängt er
an, sich gegen Günzburg zu ziehen, ist aber noch 3 Stunden
davon entfernt und morgen früh findet er dort 25 Bataillone, die
die Brücke verteidigen. Er scheint alle seine Hoffnungen darauf zu
gründen, uns durch Bedrohung unseres Rückens und unserer Kom-
munikationen von Ulm wegzubringen; aber feste werden und können
wir hier stehen, weil Memmingen bereits verteidigungsfähig ist,
mithin unsere Zufuhr nicht längs der Donau kommt. Auch wenn
er viel weiter unterhalb die Donau passierte und sogar gegen den
Inn vorrückte, würden wir keineswegs das rechte Uier suchen, noch
weniger Ulm verlassen, wohl aber auf dem linken abwärts rücken,
mithin seine eigene Kommunikation gefährden und ihn zwischen uns
und die Russen bringen. Wenn ich jemals Hoffnung auf glücklichen
Erfolg gehabt, so habe ich sie jetzt und Eurer Majestät großen und
weisen Entschlüssen sind wir sie allein schuldig. Oh ! hätten doch
Eure Majestät die Armee nicht wieder verlassen müssen, A\elcher
Sie den ersten Sieg, den uns Gott vielleicht noch vor Ankunft der
Russen schenken wird, vorbereiteten. Bis morgen abend werden
^) Diese Stelle des Beiiehtes bezieht sieh auf die Vertreibung des öster-
reichischen Postens bei Dornstadt (s. S. 300) ist daher eine der für Mack
charakteristischen Großsprechereien.
— 304 —
wir nahe an 80 Bataillone versammelt haben und sodann
nicht verweilen, im Rücken des Feindes tätig zu werden,
der uns im Rücken nehmen will. Erlauben mir Eure Majestät
die alleruntertänigste Bitte, uns ja gewiß bis 22. Allerhöchst Ihre
beglückende Gegenwart wieder zu schenken, die gewiß unseren Um-
ständen, wenn sie wider alle bessere Hofifnung wanken sollten,
alsobald wieder aufhelfen oder wenn sie günstig bleiben, unser Glück
bald auf einen hoben Grad emporbringen würde ')."
Erzherzog Ferdinand berichtet am 6. Oktober früh aus Mindel-
heim: „Die soeben eingelangten Berichte des FML. Kienmayer eile
ich Euer Majestät alleruntertänigst zu überreichen. Ihr Inhalt ist
von der äußersten Wichtigkeit und dürfte vielleicht, um den
späteren Begebenheiten zuvorzukommen, einige von Wien aus zu
treffende Anstalten in Böhmen fordern.
„Auf die Gewißheit, daß die sämtliche französische Armee sich
vollkommen rechts ziehe, durch das Württembergische und den
fränkischen Kreis die untere Donau und selbst Böhmen bedrohe,
habe ich mit Übereinkommung des FML. Mack meine Hauptforce
bei Ulm dergestalt gesammelt, daß bis zu dem 8. dieses eine an-
sehnliche Macht dort beisammen sein wird, mit welcher ich den
vermöge letzteingegangener Nachrichten bei Göppingen vereinigten
rechten Flügel unter General Ney mit dem Centro unter »Soult an-
greifen kann, im Falle noch bis dahin die getrennte, von
ihrem linken Flügel und dem Bernadotteschen Korps weit
abgesonderte feindliche Armee noch fortfährt, die näm-
lichen Gründe eines Angriffes auf sie darzubieten.
*) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland F A, X, 43V3. Von Mack selbst ge-
sehrieben.
Auch von diesem Beriehte sandte Maek eine Abschrift an Cobenzl. Der
Begleitbrief lautete:
„In der Vermutung, daß es Seiner Majestät nieht unangenehm sein vpürde,
in den eingetretenen Umständen aueh meine Meinung und Stimmung zu kennen,
habe ich gut zu tun geglaubt, solehe in einem kleinen Berichte, wovon ich Euer
Exzellenz eine Abschrift beilege, auszudrücken.
„Ich bitte Euer Exzellenz mir ja gevpiß das Glück und Vergnügen zu ver-
sehaifen, Ihnen bis 22. wieder einmal mündlieh meine Treue, innigste Verehrung
versichern zu können.
„Ulm, am 6. Oktober 1805.
Mack, FML."
Hof- und Staatsarehiv, Kriegsakten, 484. Von Maeks Hand geschrieben.
— 305 —
„Solcher wird um so nötiger, als das kühne Vorhaben, mit
welchem sich der Feind, der königlich preußischen Neutralität Trotz
bietend, Böhmen nähert, durch einen Angrifif in seinen Kücken oder
rechte Flanke allein aufgehalten werden kann.
„FML. Kienmayer, so bei Neuburg und Ingolstadt stehet, wird,
wenn der Feind ihn mit großer Übermacht angreifen sollte, über
Landshut seinen Rückweg an die kommende kaiserlich russische
Armee nehmen. Ich aber werde mit der Hauptarmee bei Ulm
bleiben, um von da aus im Eücken der französischen Armee zu
operieren.
„Diesen Augenblick gehe ich nach Ulm und lasse das Haupt-
quartier dahin tblgen. Von dort aus werde ich im stände sein, Euer
Majestät umständlichere Berichte allergehorsamst zu unterlegen')."
Es ist wohl nicht nötig, über den unterschied in diesen Be-
richten viel Worte zu verlieren. Ausdrücklich soll nur darauf ver-
wiesen werden, daß der Erzherzog das richtige Gefühl hatte, die
Versammlung der Armee werde zu spät zu stände kommen, ein
Gefühl, das Mack in seiner Selbstüberhebung vollkommen fremd blieb.
Franzosen.
Am 5. Oktober war eine Reihe von Befehlen ergangen.
Das 6. Korps (Ney) sollte am 7. Oktober über Neres-
heim auf Donauwörth marschieren. „General Dumas, den ich Ihnen
sende", heißt es im Befehle Berthiers, „wird mit Ihnen die Route
festsetzen, die Sie nehmen, angesichts dessen, daß dies eine Quer-
verbindung ist, die rekognosziert werden muß^)."
Ney sollte, wenn der Feind bei Donauwörth Widerstand
leistete, am 8. Oktober angreifen und die Straße Donauwörth — Ulm
etwa bei Erlingshofen sperren.
Murat erhielt Befehl, am 7. Oktober Donauwörth zu erreichen.
Wenn der Feind dort stark wäre, sollte Murat die Korps Soult und
Ney erwarten, die Befehl hatten, dort anzugreifen. Wenn aber der
Feind so schwach wäre, daß Murat mit seinen 6000 — 8000 Dragonern
Donauwörth und die Brücke nehmen konnte, dann war er ermächtigt,
0 Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, X, 40.
*) General Dumas war mareehal des logis der Großen Armee; zu seinen
Obliegenheiten gehörte auch die Festsetzung der Marsehlinien der Kolonnen, die
Verfassung der Marsehtableaus und aller Anordnungen für die Märsehe.
Kr au SS. 1805, Der Feldzug von Ulm. 20
— 306 —
es zu tun. Er erhielt Auftrag, in diesem Fall alle nötiiren Arbeiten
durchzuführen. Sollte es unmöglich sein, sich der Brücke zu be-
mächtigen, weil der Feind das rechte Ufer sehr stark besetzt hielt,
dann hatte er das Donau-Ufer auf zwei Meilen beiderseits Donauwörth
zu besetzen, alle Kähne und Schiffe, deren er habhaft werden
konnte, zu sammeln, damit man am 8. Oktober an den Übergang
denken könne. Murat sollte Ney, Davout und Soult mit Nachrichten
versehen und mit Marmont Verbindung herstellen.
Die Dragoner zu Fuß erhielten den direkten Befehl, am 7.
in Heidenheim zu bleiben, um den etwa aus Uhn vorbrechenden
Feind aufzufangen. Die Division Gazan sollte am 7. zu ihrer Unter-
stützung bei Aalen stehen bleiben, die Division d'Hautpoul am 7.
abend in Nördlingen sein.
Um 10^ nacht sandte Berthier noch die Nachricht, daß der
Feind bei Nördlingen stehen solle und daß Soult ihn am 6. Oktober
dort angreifen werde; Murat solle dem Feind den Eückzug ab-
schneiden. Es sei wahrscheinlich, daß Soult schon am 6. in Donau-
wörth sein werde. Es müsse versucht werden, sich des Überganges
schon am 7. zu bemächtigen.
Um lO'' 30^ nacht schrieb der Kaiser aus Gmünd an Murat,
General Bourcier solle mit der 4. Dragonerdivision alle Zugänge
nach Ulm auf 3 Meilen vor der Stadt absperren, „da es sehr
wichtig ist, unsere Bewegungen dem Feinde zu verschleiern".
Boureier sollte auch am 7. vor Ulm bleiben.
Lannes (5. Korps) hatte am 7. in Bopfingen einzutreffen,
das kaiserliche Hauptquartier und die Garde sollten Nördlingen
erreichen.
Soult (4. Korps) erhielt Befehl, am 7. nach Donauwörth
zu marschieren und sich den Übergang über die Donau zu erzwingen.
„Sollte der Feind so unklug sein, Sie bei Nördlingen abzuwarten,
hofft der Kaiser, daß Sie ihn auf gute Weise behandeln. Wenn er
mit starken Kräften bei Nördlingen stünde, würden Sie sicher Davout
verständigen, der Ihnen seine Kavallerie und einen Teil seines Korps
senden würde. Marschall Davout, der längs der Wörnitz gegen die
Brücke bei Harburg vorginge, wäre in der Lage, den Feind abzu-
schneiden."
Davout (3. Korps) sollte, sobald er sicher war, daß bei
Nördlingen nichts vom Feinde stehe, was Soult aufhalten könnte,
über Öttingen auf Monheim marschieren, um, wenn nötig, Marmont
— 307 —
und Bernadotte zu unterstützen, weil bei Eichstädt ein feindliches
Korps von 12.000 bis 15.000 Mann steht; wenn der Feind sich
hinter die Donau zurückgezogen hätte, sollte Davout im Laufe des
7. Oktobers die Brücke bei Neuburg oder eine andere zwischen
Neuburg und der Lech-Mündung nehmen. War das geglückt, dann
sollte Davout sofort mit seinem ganzen Korps übergehen und Mar-
mont und Bernadotte davon verständigen, damit sie folgen.
Nach diesen Befehlen sollte also der Donau-Übergang bei Donau-
wörth durch Soult und Murat, bei Neuburg durch Davout spätestens
am 7. Oktober forciert werden. Napoleon, der schon durch seine
ursprünglichen Forderungen den Truppen große Marschleistungen
zugemutet hatte, steigerte seine Anforderungen, je näher die Korps
der Donau kamen, immer mehr und mehr ^). Er fordert diese starken
Marschleistungen, weil er erkannte, daß sich die Truppen nur durch
ihren Schweiß viel Blut ersparen konnten, da die günstige Situation
— der Feind in Konzentrierung gegen Ulm, also nach Westen,
während er ihn im Osten umgehen wollte — nicht lange anhalten
konnte. Ein bis zwei Tage Verzögerung und die Armee hätte viel-
leicht den Donau-Übergang der ganzen feindlichen Armee in schwerem
Kampfe abringen müssen.
Diese Erkenntnis, die sich auch auf die Marschälle übertragen
hatte, veranlaßte am 6. Oktober einen förmlichen Wettlauf der
vordersten Korps auf Donauwörth.
Murat ertährt am 5. während des Marsches, daß Donauwörth
von den Österreichern, die sich auf Ulm konzentrieren, nicht besetzt
sei. Er entschließt sich, Donauwörth noch am 6. .Oktober zu be-
setzen. Die Division Klein erhält daher Befehl, Donauwörth sofort
aufklären zu lassen und wenn es noch unbesetzt sein sollte, um
Mitternacht aufzubrechen und Donauwörth und die Brücke in Besitz
zu nehmen.
Soult (4. Korps) hatte am 6. früh erfahren, daß die
Österreicher — es war nur ein Kavalleriedetachement dort — Nörd-
lingen geräumt und eilig auf Donauwörth abgezogen seien. Er gab
daher seinen zwei vorderen Divisionen Befehl, nach Donauwörth zu
^) Vergleiche die Situationen naeli den Befehlen vom 17. und 20. Sep-
tember, nach denen die Korps am 9. Oktober die Linie Weißenburg— Nördlingen —
Ulm erreichen sollten, und nach dem Befehl an Bernadotte vom 28. September,
nach dem die Korps Davout und Soult schon am 8. Oktober die weiter vorne
liegende Linie Monheim — Hoppingen zu erreichen hatten.
20*
— 308 —
marschieren, sich der Wöriiitz- und Donau-Brücken zu bemächtigen
und möglichst viele Kähne und Holzvorräte zu sammeln.
Der Kaiser, der die Meldungen beider Marschälle über ihre
Absichten erhielt, spornte beide noch mehr an, indem er jedem
Nachricht über die Anstrengungen des anderen gab.
Berthier schrieb am 6. früh an Murat: „Der Feind hat Nörd-
lingen während der Nacht geräumt. Die Division Vandamme ist im
Eilmarsch nach Donauvpörth, wo sie am Abend eintreffen dürfte. Sie
haben Donauwörth so bald als möghch zu erreichen", und an Soult
schrieb der Kaiser am 6. Oktober: „Murat ist im Eilmarsch auf
Donauwörth; er wird es heute abend oder morgen früh erreichen.
Senden Sie die Pontons zur Brücke von Harburg und lassen Sie für
diese einen Weg von dort zur Donau abwärts der Lech-Mündung
rekognoszieren. Meine Absicht ist, meine Schiffbrücke abwärts der
Lech-Mündung zu schlagen, um diese Position zu umgehen; aber
wenn ich die Brücke bei Donauwörth nehmen kann, wird mich das
nicht hindern, das auf der Stelle auszunützen." Man sieht, der Kaiser
hat immer zwei Eisen im Feuer. Er will die Brücke bei Donauwörth
nehmen, er sorgt aber trotzdem auch für eine Schiffbrücke.
Die österreichische Kavallerie, die von Nördlingen auf Donau-
wörth, verfolgt von der Kavallerie Soults, zurückgegangen war, zog
sich noch am Abend des 6. Oktobers auf das südliche Donau-Ufer
zurück und begann die Brückendecke abzuwerfen. Gegen 8^ abend
besetzte die Vorhut Soults Donauwörth und beschoß die an der
Brücke arbeitenden Österreicher. Das vor kurzem eingetroffene öster-
reichische Bataillon erwiderte dieses Feuer und setzte auch seine
zwei Kanonen ins Feuer. Das Feuergefecht dauerte etwa eine
halbe Stunde. Ein Detachement, bestehend aus einem Bataillon,
2 Eskadronen und 2 Geschützen wurde zur Brücke bei Münster
dirigiert. Das Korps nächtigte mit der 2. Division Vandamme bei
Möttingen und mit den anderen drei Divisionen bei Nördlingen. Die
Vorhut hatte am 6. Oktober 45 hn, das Gros der 2. Division etwa
40 Tim hinterlegt.
Murat erreichte am Abend des 6. Oktobers Diemantstein,
16 /cm westlich Donauwörth;
Lannes mit der Grenadierdivision Neresheim, die Garde
Bopfingen ;
Davout stand am Abend mit seinem Korps bei Öttingen und
hatte seine Vorhut bis Harburg vorgeschoben;
— 309 —
Marmont nächtigte bei Wassertrüdingen und Bernadotte
bei Gunzenhausen. mit der Kavallerie bei Weißenburg, die Bayern
bei Spalt.
Die Situation am 6. Oktober abend — Beilage 20 — zeigt
uns die Armee auf der 80 Itm breiten Front Giengen — Spalt. Fünf
Korps und der größte Teil der Kavalleriereserve nehmen nur eine
Front von 50 hm ein (Spalt— Diemantstein).
Am rechten Flügel hatten das 6. Korps, die Dragoner zu Fuß,
die 4. Dragonerdivision und die Division Gazan das Herausbrechen
des Feindes aus Ulm zu verwehren, somit die Flanke der Armee zu
sichern. Das Zentrum der Armee hatte mit einer weit vorgetriebenen
Vorhut bereits Donauwörth in Besitz genommen. Der linke Flügel
einschließlich des Korps Davout war im Begriffe, gegen die Donau
bei Neuburg — Ingolstadt vorzugehen, somit die Lech-Linie zu um-
gehen und deren Verteidigung unmöglich zu machen.
Die Situation der Österreicher am 6. abend läßt sich nicht
genau feststellen. Die Gruppen Auflfenberg (Zusmarshausen) und
Werneck (Krumbach) waren im Marsche nach Günzburg. An der
Brücke von Donauwörth stand nur ein Bataillon. Kienmayer, bei dem
das Eegiment Deutschmeister eingerückt war, stand bei Neuburg
und Ingolstadt. Die Verhältnisse lagen daher für den Übergang der
Franzosen bei Donauwörth sehr günstig.
XII. Der 7. Oktober.
(Beilage 21.)
Österreicher.
Am 7. Oktober um 3 ''.früh kam Mack, begleitet von den
FML. Fürsten Schwarzenberg und Grafen Gjulai, zu Erzherzog
Ferdinand und äußerte seine Besorgnisse über die Gefahren, die die
Armee bedrohten, wenn der von Ulm aus beabsichtigte Angriff miß-
lingen sollte, vporauf ihn der Erzherzog bereits am 4. Oktober bei
Illertissen aufmerksam gemacht hatte. Mack las hierauf dem Erz-
herzog seine neue „Disposition" — so nennen sowohl Erzherzog-
Ferdinand als Oberst Bianchi dieses Schriftstück — vor. Sie lautet:
„Betrachtungen über die Lage der gegenwärtigen Um-
stände,
^ülm, am 7. Oktober 1805.
„Es ist beinahe erwiesen, daß der Feind die Absicht habe, sein
Spiel von Marengo zu erneuern, mithin die Armee im Eücken zu
fassen und von den Erblanden abzuschneiden.
„Da wir Meister von Ulm sind und dieser Platz bereits in Ver-
teidigungsstand ist, so würde es ein leichtes sein, ihm diese toll-
kühne Absicht teuer bezahlen zu machen, weil man längs dem linken
Donau-Ufer nur gegen ihn abwärts operieren dürfte, wo, wenn man
das Glück hätte, ihn zu schlagen, sein Schicksal schrecklich werden
müßte, während das unsrige, wenn wir geschlagen würden, niemals
sehr unglücklich ausfallen könnte, da wir gegen Ulm einen gesicherten
Eückzug hätten.
„Nur setzet sich diesem Entwurf eine wichtige Betrachtung ent-
gegen, diese nämlich, daß von Ulm angefangen weit abwärts auf
— 311 —
dem linj^en Ufer das Land sehr gebirgig und durchschnitten, über-
dies aber vom Feinde bereits ausgezehrt ist.
„Zwar haben wir den Vorteil, auf der Donau abwärts unsere
Bedürfnisse nachkommen lassen zu können, aber da man an der
Donau selbst nicht operieren kann, weil die dem Feind und seiner
Art Krieg zu führen, so vorteilhaften Gebirge allzu nahe gegen den
Strom hinreichen, so würde unsere Subsistenz immer sehr vielen
Beschwerlichkeiten unterliegen.
„Es handelt sieh also sehr wichtig um die Entscheidung der
Frage, ob es nicht ratsamer wäre, mit der zusammengehaltenen
Armee auf dem rechten Donau- Ufer zu bleiben, dem längs dem
linken vorrückenden Feind immer einigen Vorsprung zu lassen,
jedoch niemals mehr, als daß man, wenn er irgendwo mit einem
beträchtlichen Korps die Donau passiert, gleich auf solches herfallen
könnte.
„Höchst aufmerksam al)er müßte man zugleich sein, ob der
Feind nicht gegen Ulm zurückkehre, und sich stets bereit halten,
mit ihm eljenfalls wieder die Donau aufwärts zu ziehen, und zu
diesem Ende müßte ein Korps leichter Truppen unter einem ge-
schickten General stets auf gleicher Höhe mit der Armee auf dem
linken Donau-Ufer vorrücken, und alle seine Schritte beleuchten,
uuj, wenn der Feind unikehrte auch wieder gegen Ulm aufwärts
ziehen zu können.
„Eine wichtige Ursache, welche noch für diesen Operations-
entwurf spricht, ist die unbegreifliche Verzögerung des von Braunau
für Ulm und Memmingen bestimmten Artillerietransportes, dessen
Zug gefährdet werden könnte, wenn die Armee auf dem linken
Donau- Ufer operierte, während es für jetzt und künftig von der
höchsten Wichtigkeit ist, Ulm und Memmingen damit zu versehen,
da sodann beide Plätze die Belagerung einer Armee, die mit keinem
Belagerungstrain versehen ist, lange Zeit auszuhalten vermögend
sind, ein Vorteil, welcher, um von dem ganzen Lande zwischen der
Donau, Tirol und dem Bodensee Meister zu bleiben, mithin auch
Tirol zu decken und dennoch alle Kräfte stets vereinigt zu halten,
von der höchsten Wichtigkeit ist.
„Wenn dieser Entwurf vorgezogen würde, hätte vor allem
folgendes zu geschehen :
„FML. Jellachich müßte augenblicklich Befehl erhalten, mit
dem Gros seines Korps Tag und Nacht zu marschieren, mithin nach
— 312 —
ein paar Stunden genossener Erholung und Erfrischung immer wieder
aufzubrechen und alles mögliche anzuwenden, damit er Ulm mit
der erdenklichsten Beschleunigung erreiche. Er läßt vorwärts bei
Stockach und Tuttlingen nur ein kleines Beobachtungskorps von einer
Division Kinsky, einer Division Blankenstein (welche von Feldkirch
vorwärts zu ziehen ist) mit 2 Bataillonen und 2 Kompagnien
Jägern unter dem Kommamdo des Generals Wolfskeel zurück, um
jene vorwärtige Gegend zwischen dem Bodensee und der Donau
und auch jenseits diesem Strome zu beobachten und auszuspähen.
„Vor feindlicher Übermacht nimmt dieser seinen Bückzug nach
Memmingen und muß übrigens alles, was nur möglich an Aus-
schreibungen, die das Landeskommissariat dort alsobald zu machen
hat, nach Ulm und Memmingen verschaffen. — Nach Lindau läßt
PML. Jellachich das zu Feldkirch gebliebene Bataillon abrücken,
gibt ein Bataillon als Garnison nach Memmingen und mit allen
übrigen, beiläufig also mit 16 Bataillonen, 10 Kompagnien Jäger und
6 Eskadronen Klenau kommt er nach Ulm, bezieht bei Anrückung
eines beträchtlichen Feindes das soeben angefangene und Tag und
Nacht fortzusetzende kleine verschanzte Lager und verteidigt sich so-
lange als möglich mit der äußersten Hartnäckigkeit in demselben, oder
wenn er es wider Verhoffen verlassen müßte, zieht er sich nach
Ulm und schränkt sich auf die Verteidigung des Platzes, des Michel-
berges und der Ziegelscheuerverschanzungen ein.
„Hätte er aber, wie der Fall leicht eintreten kann, keinen be-
trächtlichen Feind gegen sich, so sucht er alles, was ihn nur beob-
achten und ausspähen will, zurückzuwerfen, trachtet sodann im
Bücken des an der Donau abwärtsrückenden Feindes und gegen
seine Kommunikationslinie mit Stuttgart tätig zu sein und gebraucht
nur die nötige Vorsicht, von Ulm nicht abgeschnitten zu werden.
„Die Armee hält sich in diesem Augenblick zwischen Ulm
und Günzburg, poussiert jedoch eine starke Avantgarde alsobald
gegen Wertingen, um die Donau-Brücken bei Dilhngen zu beobachten,
von welchen sowie von allen unterhall) Günzburg und Dillingen bis
zu dem Einfluß des Lech vorhandenen Brücken sogleich ein guter
Teil der Hölzer abgetragen und auf das diesseitige Ufer geschafft
werden müssen, zu welchem Ende diese Hauptavantgarde eine kleinere
so weit vorwärts poussieren muß, daß sie sieh mit den Posten des
FML. Kienmayer bei dem Einfluß des Lech in Kommunikation
setzen könne.
— 313 —
„Das Korps des Fürsten Schwarzenberg bleibt mittlerweile, bis
das Jeliachichsche eintrifft, vor Ulm, trachtet, sieh längs der Donau
die Straße bis gegenül)er von Leipheim und Günzl)urg vollkommen
freizuhalten und hiedurch seine alsobaldige Vereinigung mit der
))ei Günzburg stehenden Armee sicherzustellen.
„General d'Aspre mit einem fliegenden Korps von etlichen
Bataillonen und einigen Eskadronen Kavallerie aller Waffen hätte das
obgedachte jenseits der Donau auf gleicher Höhe mit der Armee
vorrückende Korps zu führen.
„FML. Kienmayer hätte sich zwar solange nur möglich ien-
seits der Donau zu halten und dem Feinde, welcher gegen die Donau
oder längs der Donau vorrückt, alle mögliche Jalusie zu geben, also-
bald aber mit zwei Bataillonen den haltbaren Posten Eain zu be-
setzen, die nötige Kavallerie dahin zu schicken und sich die Kom-
munikation obgedachtermaßen mit der Armee zu verschaffen. Wenn
er seinen Eüekzug üVter die Donau nehmen muß, besetzt er Ingol-
stadt reichlich mit Infanterie und zieht sich mit seinem Korps nach
den bis dahin eintretenden umständen entweder gegen die Armee
oder gegen die ankommenden Bussen.
„Nach Ingolstadt muß mit menschenmöghchster Beschleunigung
alles transportable Geschütz, was noch zu Braunau geblieben, nebst
der nötigen Munition bei Tag und Nacht verschafft werden, weil es
möglich ist, daß der Transport von Eger abgeschnitten oder sehr
verzögert werden könnte^)."
Mack verlangte die schleunigste Durchführung dieser Ideen .
•) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland PA, XIII, 3. Von Mack eigenhändig
gesehrieben.
Der erste Gesehütztransport ging erst am 7. Oktober von Braunau ab. Die
Entfernung Braunau— Ingolstadt ist etwa 160 km, also mindestens 5 — 6 Marseh-
tage. Der erste Gesehütztransport konnte daher im günstigsten Fall am 11. oder
12. Oktober in Ingolstadt eintreffen. Obwohl Maek wußte, daß Bernadotte schon
am 5. Oktober südlieh Ansbach war — 90 km von Ingolstadt — gab er doch
diesen Befehl. Er hatte somit entweder noch immer keine Begritfe darüber, wie
Napoleons Heere marschierten, oder er hatte sich überhaupt nicht die Mühe
genommen, die Entfernungen abzuzirkeln und zu kalkulieren, ob der Befehl aus-
führbar sei. Am 7. abend, also wenige Stunden später, sandte Maek von Günz-
burg einen Generalstabsoffizier mit dem Befehl ab, alle Geschütz- und Munitions-
transporte, die in zwei Tagen Landsberg erreichen können, nach Mindelheim zu
dirigieren, alle anderen Transporte nach Braunau zurückzusenden. So war die
Oberflächlichkeit Maeks die Ursache der widersprechendsten Befehle.
— 314 —
Erzherzog Ferdinand, der diesen Entschluß als den ersten
Schritt ansah, die Armee hinter den Lech zurückzuführen,
stimmte zu.
Es wurden daher sogleich die nötigen Befehle ausgefertigt.
F]\[L. Jellachich erhielt bei Orientierung über die allgemeine
Absicht den Befehl, den GM. Grafen Wolfskeel mit 2 Bataillonen
Beaulieu, 2 Kompagnien Tiroler Jäger und je einer Division von
Blankenstein-Husaren und Klenau-Chevauxlegers bei Stockach, ein
Bataillon Stain in Lindau, ein Bataillon Beaulieu in Memmingen zu
belassen und mit allen anderen, also mit 4 Bataillonen Kaiser.
4 Bataillonen Hildburghausen, 3 Bataillonen Stain, einem Bataillon
Beaulieu, den 4 Grenadierbataillonen dieser Regimenter, 4 Kom-
pagnien Tiroler Jäger und 6 Eskadronen Klenau schleunigst nach
Ulm zu marschieren und dort die Truppen des FML. Fürsten
Schwarzenberg abzulösen.
General d'Aspre erhielt den Auftrag, ein „Fliegendes Korps",
bestehend aus 3 Bataillonen Württemberg. 3 Kompagnien Tiroler
Jäger und je 2 Eskadronen Schwarzen berg-Ulaneu, Hohenzollern-
Kürassieren und Eosenberg-Oheveauxlegers bei Thalfingen zu
sammeln und über Langenau auf Riedhausen zu marschieren, um
auf gleiche Höhe mit der bei Günzburg sich sammelnden Armee
zu kommen. Das „Fliegende Korps" sollte die auf dem rechten
Donau-Ufer bleibende Armee stets auf dem linken Ufer kotoyieren
und den Feind aufklären, besonders ob er nicht etwa wieder nach
Ulm zurückkehre.
FML. Kienmayer wurde verständigt, daß die Absicht des
Angriffes über Ulm aufgegeben worden war und daß dagegen jetzt
die Absicht bestände, „die Armee bei Günzburg zu sammeln, alles
nur mögliche an sich zu ziehen und mit vereinigter Macht, mit
einer imponierenden Armee sich längs dem rechten Donau- Ufer
hinab, dem Feinde nachrückend zu nähern, um dort, wo es die
künftigen Begebenheiten fordern, eine entscheidende Schlacht ein-
leiten zu können". Kienmayer sollte, zum Rückzug gezwungen, nicht
auf Laudsbut. sondern auf München zurückweichen und die an-
marschierenden Eegimenter aufnehmen^).
Die Befehle für die Versammlung der Armee wurden teils
mündlich, teils schriftlich erlassen.
*) Dieser Befehl ging am 7. an Kienmayer ab (Kriegsarehiv, 1805, Deutseh-
land FA, X, 50).
— 315 —
Es sollteu stehen:
Das Korps FML. Werneck:
Division Auffenberg, 9 Bataillone und 8 Eskadronen, bei Wer-
tingen 1) ;
Division Hohenzollern, 10 Bataillone und 8 Eskadronen, bei
Burgau ^j ;
Division Kerpen, 7 Bataillone, bei Gimzburg^J.
Das Korps FML. Riesch:
Division Gyulai, 17 Bataillone und 14 Eskadronen, bei
Leipheim^);
Division Laudon, 16 Bataillone bei Günzburg^);
Division Hessen-Homburg, 16 Eskadronen, bei Ichenhausen ^).
Das Korps FML. Schwarzenberg:
Division Gottesheim, 4 Bataillone und 14 Eskadronen, bei
Eieden '') :
Division Liechtenstein, 9 Bataillone und 6 Eskadronen, bei
Bühl»);
Division Klenau, 8 Bataillone und die Artilleriereserve, bei
Günzburg ^).
Ein Vergleich dieser Zusammensetzung der Armee mit der
Ordre de bataille vom 18. September zeigt, wie gründlich und will-
^) 3 Bataillone Eeuß-Greitz, 6 Grenadierbataillone und Albert-Eürassiere.
'"') i Bataillone Spork, 6 Grenadierbataillone und Latour-Olievauxlegers;
zwei dieser Grenadierbataillone (Erzherzog Karl und Auersperg) trafen erst am
9. bei Burgau ein.
^) 4 Bataillone Kaunitz und 3 Bataillone Jellaehieli.
•*) 4 Bataillone Rieseh, 4 Bataillone Erzherzog Max, je 3 Bataillone Stuart,
Reuß-PIauen und Erbach, 6 Eskadronen Blankenstein-Husaren und 8 Es-
kadronen Palatinalhusaren.
*) Je 4 Bataillone Erzherzog Ludwig t»nd Proon. Erzherzog Karl und
Auersperg konnten erst am 9. eintreffen.
*) Hohenzollern- und Erzherzog Franz-Kürassiere.
') 4 Grenadierbataillone, 6 Eskadronen Hohenlohe-Dragoner und 8 Es-
kadronen Mac'k-Kiirassiere.
^) 4 Bataillone Kolowrat, 4 Bataillone Manfredini, 1 Bataillon Tiroler
Jäger, Schwarzenberg-Ulanen.
®) 4 Bataillone Kainer, 4 Bataillone Freiich.
— 316 —
kürlich die Zusammensetzang der Korps und Divisionen gewechselt
wurde.
Die Armee sollte nach diesen Befehlen auf einem Eaume von
40 km Breite (Wertingen — Bühl) versammelt werden.
Im Falle eines Alarmes sollte die Armee auf den Höhen
zwischen Günzburg und Ichenhausen, die Günz vor der Front, in
Stellung gehen, und zwar das Korps Werneek als linker Flügel an
der Donau, ßieseh im Zentrum und Scbwarzenberg am rechten
Flügel. Danach sollte die Front gegen Osten genommen werden.
Mack dachte also schon an die Möglichkeit eines Angriffes der
Franzosen vom Lech her.
Mack begab sich sofort, nachdem die Befehle fertiggestellt
waren, am Morgen des 7. Oktobers nach Günzburg, um persönlich
das Abgehen der Vorhut nach Wertingen zu Teran lassen.
Gleich nach der Abfahrt Macks traf eine Meldung Wernecks
aus Günzburg ein, daß ein feindliches, etwa 3000 Mann starkes
Korps gegen Lauingen hinabgezogen sei. Werneek schlug vor, die
unnötigen Brücken bis Donauwörth zu zerstören, meldete, daß
Donauwörth ohne österreichische Besatzung sei und fragte an, ob
er nicht die Brücke von Donauwörth zerstören oder besetzen solle.
Er meldete weiter: „Der Feind ist ins Ansbachische eingerückt;
er dürfte daher anstatt nach Böhmen zu gehen, sich mit der Stärke
der Armee an die Donau und vorzüglich auf Donauwörth werfen."
Er bat schließlich um Zusendung von Infanteriemunition und Ee-
servegeschütz, weil das Korps keines habe.
Erzherzog Ferdinand konnte nur antworten, daß Mack selbst
auf dem W^gQ nach Günzburg sei.
Später meldete Werneek, daß Lauingen vom Feinde besetzt
sei und eine starke Kolonne auf Dillingen marschiere. Da der Feind
dadurch die kürzere Linie auf Augsburg gewinne, habe er vorläufig
die Grenadierbrigade GM. Mayer nach Zusmarshausen beordert, um
dort das Vorrücken des Feindes aufzuhalten. Bei Donauwörth, von
wo Kanonendonner gehört worden war, sollen die Österreicher ge-
worfen sein.
In Ulm traf weiters eine vom FML. Kienmayer am 6. Ok-
tober weitergegebene Meldung des Obersten Graf Wallraoden ein,
wonach das Korps Soult am 6. Nördlingen und am 7. Donauwörth
erreichen dürfte. FML. Kienmayer fügte bei, alle Meldungen
stimmten dahin überein, daß der Feind die Donau bei Donauwörth,
— 317 —
Neuburg und Ingolstadt passieren wolle. Kienmayer meldete ferner,
daß er bei Neuburg 2 Bataillone Colloredo habe und noch 2 Gre-
nadierbataillone erwarte und daß er Ingolstadt mit 1 Bataillon und
1 Eskadron besetzt halte. Am 6. noch sende er 1 Bataillon mit
2 Kanonen nach Donauwörth, von dem er glaube, daß es für die
Armee wichtig sei; er könne aber, da er nur 3 Bataillone in Neu-
burg habe, nur 1 Bataillon dahin senden, um die Brücke abzu-
tragen und den Übergang zu verwehren. Er vermutet auch, daß
Donauwörth, das für die Absicht des Armeekommandos sehr wichtig
ist, von der Hauptarmee besetzt werde.
Mack hatte bei seinem Eintreffen in Günzburg den Inhalt der
Meldung Wernecks erfahren und von Kienmayer Nachrieht erhalten,
daß der Feind auch schon Donauwörth besetzt habe. Er gab daher
sofort Befehl, daß FML. Freiherr v. Auffenberg noch am 7. abend nach
Wertingen abzumarschieren habe. Diesem sollte gegen Mitternacht
FML. HohenzoUern und nach einigen weiteren Stunden FML. Kerpen
folgen ^).
Er meldete diese Verfügungen dem Erzherzog nach Ulm und
fügte bei: „Nun ist es von der höchsten Wichtigkeit, daß Eure
königliche Hoheit augenblicklieh die Hälfte dessen, was in und
bei Ulm ist, aufbrechen und die andere Hälfte bis auf einige Bataillone,
die in Ulm zurückbleiben müssen, gegen Morgen folgen lassen, für
Ihre eigene höchste Person aber morgen vormittag sich nach
Burgau begeben.
„Ich bitte Euere königliche Hoheit, auch die Reserveartillerie
und Munition schleunigst anherzubeordern, ferners Brot und Hafer
aus allen Gegenden herbeischaffen zu lassen.
„Haben Eure königliche Hoheit die höchste Gnade, augen-
blicklich die FML. Schvvarzenberg, Gyulai und Klenau rufen zu
lassen und mit ihnen und Bianchi alles zu veranstalten. Gut wäre
es immer, wenn mit d'Aspre noch ein Soutien auf dem linken Ufer
abwärts rückte, um zu wissen, was der Feind näher gegen Ulm
zurückgelassen hat^)."
Auffallend an der Befehlgebung Maeks ist. daß er nie die
gesamte, für eine Aufgabe bestimmte Kraft einheitlich in Bewegung
1) Maek dürfte also den Befehl Wernecks, daß GM. Mayer nach Zusmars-
hausen marschieren solle, widerrufen haben.
2) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, X, 58. Von Mack selbst ge-
sehrieben.
— 318 —
setzt, sondern sie immer iu Grappen teilt, die einander ohne gemein-
samen Oberbefehl auf mehrere Stunden getrennt folgen. Sie ver-
lieren dann entweder den Zusammenhang oder die ersten Staffeln,
bleiben wegen der häufigen Entschlußänderungen ihrem Schicksal
überlassen und werden geschlagen.
Gegen Abend des 7. Oktobers scheint Mack doch schon etwas
kleinlaut geworden zu sein. Sein Bericht an den Kaiser ist wenigstens
ungewöhnlich bescheiden gehalten. „Seit meinem Kurier von gestern
abend", schreibt er, „sind unsere Umstände bedenklich geworden.
Es bestätigt sich die unglückliche Nachricht, daß Bernadotte das
Ansbachische forciert habe, wodurch er mehrere Märsche gewinnt,
um welche er früher an die Donau gelangt. Die französische Armee
scheint ihm die Donau abwärts entgegenzuziehen und hat bereits
Donauwörth besetzt. Sie sucht ihre Vereinigung mit ihm, wird
sodann die Donau passieren und unsere Vereinigung mit den Russen
zu verhindern suchen.
„Wir werden alles mögliche tun, um sie zu schlagen oder unsere
Vereinigung mit den Eussen, ohne zu schlagen, dennoch zu finden,
aber durch dieses unglückselige Ereignis, das niemand für möglieh
gehalten hätte, ist alles weit schwerer geworden^)."
FML. V. Kienmayer meldete am 7. Oktober um 5^ 30^ früh,
daß Bernadotte mit 14.000 Mann, 5 Kavallerieregimentern und
^) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, X, 58 Va- Von Maek selbst ge-
schrieben.
Am 11. Oktober sehrieb der Minister des Äußern, Graf Cobenzl, an
FML. Maek:
„Ihr Berieht vom 6. Oktober hat ims mit den schönsten Hoffnungen er-
füllt; der vom 7. zeigt einige Sehvfierigkeiten dureh ein unvorhergesehenes Er-
eignis, die aber nicht nnübersteigbar sind, besonders für einen Mann wie Sie.
„Sie werden sieh mit Bernadotte versöhnen, wenn die Verletzung preußischen
Territoriums die Preußen auf unsere Seite bringt." (Kriegsarehiv, 1805, Deutseh-
land FA, X, 271.)
Der Charakter Macks tritt scharf hervor, wenn man seine Äußerungen
über den Marsch Bernadottes dureh Ansbach mit seiner Eechtfertigungssehrift,
„Die Kapitulation von Ulm" in Eaumers Taschenbuch, 1873 vergleicht.
In dieser Denkschrift sagt er zuerst, daß ihn die Neutralitätsverletzung
überrascht habe und für ihn ungünstig war, später aber, daß er bei Ulm auch
dann geblieben wäre, wenn er den Marsch Bernadottes durch Ansbach voraus-
gesehen hätte; zuerst war die Neutralitätsverletzung die Schuld seines Unglücks
und dann war sie als ein Glück zu betrachten, was ihm auch Cobenzl und
Lamberti geschrieben hatten!
— ai9 —
starker Artillerie vom 5. auf den 6. südlich von Ansbach gelagert
habe. Für den 6. Oktober sei das Lager zwischen Gunzenhausen
und Treuchtlingen angesagt gewesen; 2000 .Mann von Nürnberg
anmarschierend, waren für Weißenburg angesagt. Bernadotte scheine
Direktion gegen Monheim und Donauwörth, die übrigen scheinen
Direktion nach Eichstädt und Neuburg zu nehmen. Eine andere
Kolonne von 20.000 Franzosen wurde tür den 5. abend bei Feueht-
wangen erwartet; deren weitere Direktion ist unbekannt \).
Kieiimayer ließ je ein Bataillon und je eine Eskadron in Neuburg
und Ingolstadt und beorderte zwei Bataillone und leichte Kavallerie
nach Eain als Eückhalt für das in Donauwörth stehende Bataillon.
Dieses Bataillon hatte noch vormittag, als die Franzosen den
Südausgang der Brücke bei Donauwörth mit 10 — 12 Kanonen unter
Feuer nahmen und auf die Nachricht vom Übergange französischer
Kavallerie bei Münster die Donauwörther Brücke verlassen und sich
nach Rain zurückgezogen. Von dort sandte FML. K^ienmayer um
1^ mittag den Befehl nach Neuburg und Ingolstadt, am Abend mit
allen Truppen nach Aichach abzumarschieren und soviel Naturalien
mitzunehmen, als Wagen aufzutreiben wären. Da der Feind schon
vor Rain am Lech stehe, solle die Flanke gegen Rain besonders
gesichert werden. FML. Kienmayer sprach in diesem Befehle die
Absicht aus. Rain bis in die Nacht hinein zu halten.
Franzosen.
Am 7. Oktober waren die Dragoner Murats um 2^ früh auf-
gebrochen; sie hatten Befehl, um b^ früh ungefähr 8 km vor Donau-
wörth einzutreffen. Während des Marsches erhielt Murat Meldung,
daß Donauwörth durch die Vorhut des 4. Korps besetzt und die Brücke
zerstört sei. Daraufhin gab er sofort der rechten Flügeldivision
(General Walther) Befehl, nach Münster zu eilen (7 Jcm oberhalb
Donauwörth) und sich dort der Brücke zu bemächtigen. Er selbst
eilte dahin; er fand die Brücke intakt und nnbesetzt. Murat diri-
gierte darauf die Division Walther über die Brücke in den Rücken
des bei Donauwörth stehenden Feindes, und zwar mit der Dnektion
auf Rain, wo Murat die Lech-Brücke vor den Österreichern erreichen
wollte. Bevor aber diese Bewegung wirksam wurde, räumten die
Österreicher, als Soults Artillerie das Feuer begann. Donauwörth.
0 Diese Meldung traf am 8. Oktober im Hauptquartier Günzburg ein.
— 320 —
Murat begab sieh nach Donauwörth, wo seine beiden anderen
Dragonerdivisionen eingetroffen w'aren. Ein Bataillon Dragoner zu
Fuß löste das Detachement des Korps Soult in Münster ab. Bei
Donauwörth waren inzwischen zwei Bataillone Soults überschifft
worden; ihnen folgten 150 Dragoner der Division Klein, die auf
Eain vorgingen. Diesen schloß sich Murat persönlich an; der Division
Walther sandte er Befehl. Direktion auf Oberndorf, oberhalb Rain
zu nehmen, dort den Lech zu durchführten und sodann gegen Eain
in den Rücken des Feindes vorzugehen.
Die Österreicher hatten sich indessen hinter den Lech zurück-
gezogen und zwei Joche der Brücke bei Rain zerstört. Das Dragoner-
detachement der Division Klein ging bei Oberndorf über den Lech;
es stieß auf einige hundert österreichische Ulanen und auf öster-
reichische Infanterie. Unter dem Schutz abgesessener Plänkler gingen
die Dragoner langsam vor, wurden aber ))ei Pessenburgheim an
der Straße Rain — Aichach schon in der Dunkelheit von Ulanen
attackiert und zum Zurückgehen auf Rain gezwungen. Als die
Dragoner nach einiger Zeit wieder vorgingen, waren die Ulanen
verschwunden, sie hatten nur den Rückzug der Österreicher gedeckt.
Das Dragonerdetachement und die inzwischen eingetroffene Division
Walther nächtigten bei Rain, wo die Brücke noch in der Nacht
wiederhergestellt wurde. Das Korps Kienmayer hatte Rain geräumt
und sich nach Aichach zurückgezogen.
Soult meldete am 7. an den Kaiser, daß die Brücke bei Donau-
wörth um 4:^ nachmittag wiederhergestellt sein werde. Bei Donau-
wörth sei ein Bataillon Colloredo mit 800 — 900 Reitern gestanden.
Kienmayer, dessen Korps nach Aussage des Postmeisters von Donau-
wörth 25.000 Mann stark sei, befinde sich in der Richtung über
Rain. Gefangene versicherten, daß in Ulm noch starke Kräfte stünden
und daß Mack und Erzherzog Ferdinand in Konstanz seien.
Kaiser Napoleon war sofort nach Besetzung Donauwörths durch
Soult von Nördlingen dahin geeilt, nachdem er noch vorher an
Davout den Befehl gesandt hatte, so schnell als möglich Monheim
zu erreichen, um die Donau von Donauwörth bis Neuburg zu
decken^).
^) In diesem Befehle drückte Napoleon dem Marsehall Davout seine Un-
zufriedenheit darüber aus, daß er seine Zwölfpfünder und soviel Munition in
Mannheim zurückgelassen hatte; er hätte sich, ebenso wie alle anderen, requi-
rierter Pferde bedienen sollen.
— 321 —
Von Doüauwörth ergingen Befehle:
An Davoiit: Verständigung vom Donau- 0 bergang Murats und
Soults. Der Kaiser wolle den Lech forcieren. Davout habe daher
Neuburg anzugreifen. Ein späterer Befehl sagt: Der Lech wird
wahrscheinlich noch heute nacht passiert. Dadurch wird ])avouts
Übergang bei Rennertshofen erleichtert; er solle Schiflfmühlen nehmen
und sie abtragen lassen, um Pontons zu erhalten. Am 8. habe er
nach Neuburg zu marschieren, wo die Brücke sofort herzustellen ist.
Am 9. werde Bernadotte Ingolstadt erreichen, Davout solle ihn
nötigenfalls unterstützen. Wenn er am 8. eine Brigade schon auf
das rechte Ufer bringen könnte, würde er Gefangene machen und
vielleicht eine feindliche Kolonne abschneiden.
An die Division Legrand (3. Division Soults): Hat morgen
5'' früh, nach Rain zu marschieren.
An die Division St. Hilaire (1. Division Soults): Hat am 8.
um 7^ früh die Brücke von Donauwörth zu passieren und vorwärts
der Brücke Stellung zu nehmen.
An die Division Suchet (4. Division Soults): Aufbruch am 8.
bei Tagesgrauen, marschiert nach Donauwörth.
An Lannes: Dirigieren Sie Oudinot über die Brücke bei
Münster. Ihre leichte Kavallerie soll diese Brücke bei Tagesgrauen
überschreiten und die Straße Dillingen — Augsburg aufklären.
An Gazan: Hat sobald als möglich von Aalen über Neresheim
an die Brücke von Münster zu rücken.
An Baraguay d'Hilliers (Dragoner zu Fuß) und Bourcier
(4. Dragonerdivision): Am" 8. nach Neresheim zu marschieren.
An die Garde und an die Kürassierdivisionen d'Hautpoul
und Nansouty: Am 8. nach Donauwörth zu marschieren.
Au Bernadotte: „Die Absicht des Kaisers ist, daß Sie
am 9. Ingolstadt nehmen, die Brücke herstellen und die Bayern
übersetzen lassen."
Das Korps Ney, das bekanntlich nach dem Befehle Napoleons
vom 5. Oktober (S. 305) am 7. nach Donauwörth marschieren
sollte, war an diesem Tage um G^ früh aus seiner Aufstellung bei
Giengen aufgebrochen, um nach dem Befehle Neys eine Aufstellung
an der Donau, mit dem rechton Flügel bei Lauingen, mit dem
linken bei Höchstädt zu beziehen. Während des Marsches muß nun
ein neuer Befehl Napoleons eingetroffen sein, weil mehrere Befehle
Neys vom 7. Oktober vorliegen, in denen es heißt: „Der Marschall
Krau 8 8. 1805, Der FeUlzug von Ulm. 21
- 322 —
hat den Befehl erhalten, sich soviel als möglich Donauwörth zu
nähern." Ney dirigierte daher das ganze Korps nach Höchstädt,
wo es bereit sein mußte, am 8. um 5^ früh nach Donauwörth ab-
zumarschieren. Das Korps traf in der Zeit zwischen Mittag und b^
nachmittag bei Höchstädt ein.
Am 7. Oktober früh — die Stunde ist nicht angegeben — hatte
nun aber Berthier an Ney einen Befehl gesandt, der das gerade Gegen-
teil von dem verlangte, was das 6. Korps am 7. Oktober tat^).
„Der Kaiser findet Sie bei Giengen sehr gut placiert", beginnt
der Befehl. Er sagt weiter, daß Soult bald die Donau passieren
werde; der Feind scheine bei Neuburg sehr stark zu sein, um den
Lech zu verteidigen. Die Absicht des Kaisers ist, jetzt Ulm anzu-
greifen, und zwar Ney auf dem linken, Soult auf dem rechten Ufer.
Da Soult erst morgen früh marschieren könne, sollte Ney melden,
was inzwischen bei Ulm geschieht. „Der Kaiser wird gleichzeitig",
sehließt der Befehl, „auf Augsburg und Landsberg marschieren
lassen, um alles das abzuschneiden, was der Feind noch an der
liier stehen hätte. Bemächtigen Sie sich Gundelfingens und Lauingens
sowie einer oder zweier Brücken über die Donau, so daß, wenn
Seine Majestät nach den einlaufenden Nachrichten Sie gegen den
oberen Lech marschieren lassen wollte, Sie es durch einen Flanken-
marsch tun könnten."
Dieser Befehl ist an Ney tatsächlich abgeschickt worden und
auch an ihn gelangt, da das Original im Archiv des Prinzen von
der Moskva liegt.
Trotzdem ließ Ney am 8. um 1^45Mrüh die Divisionen ver-
ständigen, daß das Korps am 8. in seiner Stellung bei Höchstädt
bleiben werde. Lauingen. Dillingen, Steinheim, Blindheim und Grem-
heim waren durch Abteilungen zu besetzen.
Es scheint also, daß Ney, auf dessen augenblickliche Situation
der erhaltene Befehl gar nicht mehr paßte, sich nicht entschließen
wollte, sofort noch Giengen zurückzumarschieren und es daher vor-
zog, auf einen neuen Befehl zu warten.
Der Befehl läßt die Absicht des Kaisers deutlich erkennen.
Der Kaiser war am 7. früh über die Situation der Österreicher nicht
^) Von den vielen Befehlen, die Berthier am 7. Oktober ausfertigte, sind
nur zwei Befehle aus Nördlingen abgesandt worden : Dieser Befehl an Ney, und
der auf Seite 320 erwähnte Befehl an Davout. Alle anderen ergingen bereits
aus Donauwörth. Dieser Befehl mußte daher am 7. Oktober früh abgegangen sein.
— 323 —
klar. Jedenfalls standen sehr starke Kräfte, vielleicht sogar schon
die Hauptkräfte, östlich des Lech. Sicher standen aber auch noch
starke Kräfte an der Hier, deren Stützpunkt an der Donau augen-
scheinlich Ulm war. Der Kaiser wollte nun diese beiden feindlichen
Gruppen trennen. Der linke Armeeflügel (Davout, Marraont und
Bernadotte) sollte die Verteidigung des Lech durch die östliche
Gruppe der Österreicher unmöglich machen und sollte überdies den
noch an der Hier verbliebeneu Teilen des Feindes den Rückweg über
Augsburg und Landsberg verlegen. Ney und Soult sollten die Öster-
reicher an der Hier bei Ulm auf beiden Ufern angreifen. Dem
Feinde mutete nun der Kaiser das für diese Absieht nachteiligste
Verhalten zu, also daß er schon im vollen Marsche sei, die ge-
fährliche Stellung an der Hier zu räumen und sich östlich des Lech
zu vereinigen. In diesem Falle konnte es bei Augsburg oder Lands-
berg zur Schlacht kommen, wozu der Kaiser auch das Korps Ney
heranziehen wollte.
Dieser Absicht entsprechen auch alle am 7. und in den
nächsten Tagen gegebenen Befehle.
Am Abend des 7. Oktobers war die Situation der Franzosen
(Beilage 21):
Eine starke Gruppe — 3., 4. Korps und drei Dragonerdivi-
sionen — stand an der Donau bei Donauwörth, Monheim und hatte
bereits mit stärkeren Kräften auf dem rechten Donan-Ufer festen Fuß
gefaßt. Zwei Kürassierdivisionen und die Garde waren im Marsche
nach Donauwörth.
Eine andere Gruppe — 6. Korps, Dragoner zu Fuß und
4. Dragonerdivision — ' stand im Bogen um Ulm' bei Geislingen,
Heidenheim und Höchstädt.
Das 5. Korps war bereit, sowohl nach Donauwörth (Münster)
zu marschieren als auch Nev zu unterstützen.
Eine dritte Gruppe endlieh — das 1., 2. Korps und die
Bayern — war im Marsch auf Ingolstadt.
Ein Blick auf die Skizze mit der Situation vom 7. Oktober
abend zeigt, daß dem größten Teil der österreichischen Armee, bei
der ausgesprochenen Absicht des Kaisers Napoleon, die Österreicher
abzuschneiden, der Rückzug über Augsburg auf München tatsächlich
schon verlegt war, und daß es auch schon sehr fraglieh erschien,
ob die Österreicher noch rechtzeitig über Landsberg hätten ent-
kommen können.
21*
— 324 —
Am 7. Oktober erließ der Kaiser von Nördlingen aus von
neuem den Befehl, daß jedes Korps stets 4 Tage Brot und 4 Tage
Zwieback bei sich haben müsse. „Der Kaiser weiß", schließt der
Befehl, „daß einige Korps durchaus nicht diese Menge an Lebens-
mitteln haben. Die Korpsintendanten und Generalstabsehefs müssen
alle nötigen Maßregeln ergreifen, damit jedes Korps diesem Befehl
entspreche, einem für den Erfolg der Operationen so wich-
tigen Befehle."
Die Stärke der französischen Armee war am 7. Oktober:
1. Korps 17.700 Mann
2. „ 20.800 „
3. „ 27.500 „
4. „ 41.300 „
5. „ 17.800 „
6. „ 24.400 „
Beservekavallerie 22.000 „
Garde 6.200 „
Bayern 23.800 „
Zusammen. . .201.500 Mann
Die französische Armee war somit im Gegensatze zur öster-
reichischen, deren Stände sichtlich dahinschwanden und die weit
schwächer war, als sie ihr Führer, allerdings ganz willkürlich, an-
nahm, tatsächlich so stark, wie sie Kaiser Napoleon von allem An-
fang an in seinem Plan eingestellt hatte.
XIII. Der 8. Oktober.
(BeUagen 22 und 23.)
Österreicher.
FML.Kienmayer, der wie früher erwähnt, alle Truppen von Neuburg
und Ingolstadt nach Aichach gezogen hatte, war entschlossen, am
8. Oktober nach Schwabhausen zurückzugehen und in dieser Stellung
seiner Bauptaufgabe nachzukommen, München zu decken und sic^
die Vereinigung mit den Russen zu sichern. Ein Bataillon und ein
Kürassierregiment hatte er nach Pfaffenhofen zur Sicherung der
Straße Ingolstadt— München detachiert. Am 7. Oktober war das Peter-
wardeiner Grenzregiment mit drei Bataillonen in Aichach eingerückt.
FMLf Kienmayer meldete diese Absicht am 8. um 2^ früh nach
Ulm. Er berichtete weiter über das Gefecht bei ßain (7. Oktober
abend), durch das sich die Franzosen den Weg nach Augsburg ge-
öffnet hatten. Nach Aussagen von Gefangenen sollte Napoleon am
7. in Donauwörth. Murat an der Lech-Brücke bei Eain gewesen sein.
Das Broder Grenzregiment sollte am 9. zum Detachement ein-
rücken, dagegen hatte Kienmayer vom Regiment Gyulai gar keine
Nachricht. Schließlich meldete Kienmayer nach dem Berichte des
in Ingolstadt stehenden GM. Caramelli und des Geniemajors
Logdmann, der von Mack mit der Verteidigungsinstandsetzung des
Ortes betraut worden war, daß Ingolstadt „auf keine Art zu ver-
teidigen sei" ^).
0 Kriegsarehiv, 1805. Deutsehland FA, X, GOVs- Diese Meldung wurde
erst am 10. Oktober in Ulm präsentiert. Die Entfernung Aichach — Ulm beträgt
nur 90 km. Auch wenn der direkte Weg über Augsburg von den Franzosen
verlegt gewesen wäre (das geschah erst am 8. abend), würde das späte Ein-
treffen der Meldung nicht gerechtfertigt sein. Es seheint vielmehr die Folge der
schlappen Handhabung des Verbindungsdienstes gewesen zu sein. Wiederholt
— 326 —
Während des Marsches nach Schwabhausen erhielt Kienmayer
zwei Befehle von Mack aus Günzburg vom 7. Oktober, die ihn ver-
anlaßten, wieder nach Aichach zurückzukehren.
Er meldete seine Umkehr nach Aichach am 8. Oktober nach-
mittag mit dem Zusätze, daß er von dort die Verbindung mit
Auffenberg nach Wertingen suchen werde. Der Feind stehe in der
Eichtung auf Eain bei Thierhaupten. Kienmayer betonte nochmals,
daß Ingolstadt nicht verteidigungsfähig sei, und bat unter Hinweis
darauf, daß es von Ingolstadt näher nach Landshut sei als von
Aichach, nach München zurückgehen zu dürfen.
In Aichach trafen ihn drei am 7. Oktober von Ulm abgegangene
Befehle, darunter der nach den „Betrachtungen über die Lage der
gegenwärtigen Umstände" verfaßte Befehl^).
Am Abend wurde Kienmayer bei Aichach von der Division
Vandamme (Korps Soult) angegriffen.
Die Franzosen ))esetzten alle Waldungen um Aichach herum.
Da Kienmayer daraus auf die Absicht schloß, ihn am 9. bei Aichach
anzugreifen, er die Stellung bei Aichach für schlecht und wegen
des drei Meilen langen Defiles bis Schwabhausen für gefährlich
hielt, ging er noch am 8. abend nach Schwabhausen zurück mit
der Absicht, wenn nötig selbst bis Dachau zu weichen.
Das Detachement Auffenberg, bestehend aus 7 Grenadier-
bataillonen, 3 Bataillonen Eeuß-Greitz und 4:\l^ Eskadronen Albert-
Kürassieren, war am 7. Oktober, 8^ abend, von Günzburg ab-
marschiert und erreichte nach einem anstrengenden Nachtmarseh
um 7^^ früh Wertingen. Es hatte im Sinne der Armeedisposition
vom 7. Oktober ^) als Avantgarde der Armee die Bewegungen des
Feindes bei Donauwörth zu beobachten.
Im Laufe der Nacht zum 8. Oktober scheinen das Selbstver-
trauen und die Sicherheit Macks in bedenklichem Maße ins Wanken
gekommen zu sein.
läßt sieh nachweisen, daß Kuriere, die an einen Ort dirigiert waren, dort einfach
warteten, wenn sie den Empfänger nicht antrafen. Das scheint auch hier der
Fall gewesen zu sein. Allerdings dürfte der fast ununterbrochene Ortswechsel
Maeks diesen Vorgang verursacht haben.
^) Dieser Befehl ist auf S. 314 angeführt. Kienmayer wurde damit an-
gewiesen, seinen Bückzug nicht nach Landshut, sondern nach München zu
nehmen. Die beiden Befehle von Maek und die zwei anderen aus Ulm stam-
menden Befehle fehlen leider in den Akten des Kriegsarehivs.
^) „Betrachtungen über die Lage der gegenwärtigen Umstände", S. 310.
— 327 —
In dieser Nacht erhielt Erzherzog Ferdinand ein Schreiben
Macks mit dem Wunsche, alle Trappen von Ulm nach Günzburg
marschieren zu lassen. Die Truppen hatten aber schon am 7. den
Befehl zum Marsche nach Ulm erhalten ^). um al)er dem Wunsche
Macks doch zu entsprechen, gab Erzherzog Ferdinand dem Fürsten
Seh Warzenberg Befehl, nur ein Infanterie- und ein Kavalierieregiraent
bis zum Eintreffen des Korps Jellachich in Ulm zu belassen, selbst
aber schon am 8. früh nach Günzburg abzurücken. FML. Jellachich
erhielt Befehl, seinen Marsch zu beschleunigen.
Am 8. Oktober um b^ früh, als Erzherzog Ferdinand eben
nach Günzburg abgehen wollte, traf ein Generalstabsoffizier mit
einem Schreiben Macks beim Erzherzog in Ulm ein und bat im
Namen Macks, dieses Schreiben zweimal, für den Kaiser und für
Kutusow abschreiben zu lassen und die Abschriften zu fertigen.
Dieses Schreiben lautete :
„Bonapartes einzigste Tollkühnheit und der ganz unerwartete
Durchbruch einer seiner Armeen durch das preußische Fürstentum
Ansbach, wodurch sie 5 — 6 Märsche gewann, läßt uns keine Hoff-
nung mehr, unsere Vereinigung mit der kaiserlich russischen Armee
zu erlangen und es würde in diesem Augenblicke, wo die beiden
feindlichen Armeen bereits vereinigt und von Donauwörth Meister
sind, höchst gefährlich sein, solche suchen oder auch nur die kaiser-
hch russischen Kolonnen in der Verfassung, wie sie ankommen, den
Inn passieren lassen zu wollen, da die k. k. Armee in der Gegend
von Günzburg erst übermorgen versammelt sein kann, folglich im
Angesicht der stärkeren feindlichen Armee nicht wagen darf, den
Lech-Fluß, an welchem sie sieh zwischen uns und der kaiserlieh
russischen Armee festsetzen will, zu passieren, ohne sich der augen-
scheinlichen Gefahr einer Niederlage auszusetzen.
„Unsere Lage ist kritisch, aber nicht hoffnungslos, wir finden
in dem Lande vom Lech bis tief in Schwaben auf längere Zeit
zu leben, als uns nötig sein kann, bis die russsiehe Armee am Inn
mit allem versehen und tätig zu werden vermögend sein wird.
„Wir haben vollkommen zusammengehaltene Kräfte, um den
Feind, wenn er den Lech passierte, angreifen und schlagen zu
können. Wir können, da wir Meister von Ulm sind, den Vorteil,
auch von beiden Ufern der Donau Meister zu bleiben, nicht ver-
lieren und im allerschlimmsten Fall würden wir uns geradezu über
1) Siehe S. 314.
— 328 —
die Donau gegen das Ansbachische und Böhmen, also gegen den
Main zurückziehen, wo keine feindliche Armee oder wenigstens keine
solche, die uns, auch wenn wir geschlagen wären, überlegen wäre,
aufgestellt sein kann. Wir werden auf solche Weise dem Zeitpunkt,
wo die russische Armee organisiert sein wird und der Feind sich
teilen muß, entgegenharren und sodann leicht die Möglichkeit finden,
ihn entweder diesseits der Donau anzugreifen oder jenseits diesem
Strome in seine Kommunikation zufallen, und hätten wir das Glück,
ihm diese abzuschneiden oder ihn zu schlagen, so würde sein
Schicksal zwischen zwei feindlichen Armeen weit schrecklicher sein,
als das unsrige fast jemals werden könnte, wenn nur Preußen nicht
gegen uns ist,
„Diesem nach wäre es notwendig, daß die russischen Kolonnen
hinter dem Inn sich sammelten, ihre eigene Kavallerie und Ar-
tillerie erwarteten und zugleich die etlichen k. k. Kavallerie- und In-
fanterieregimenter nebst der Artillerie und Munition, die noch für
die k. k. Armee unterwegs ist, an sich zögen, sowie auch die
noch rückwärts befindlichen Pontons ; nur würde an Munition, be-
sonders an Flintenmunition der k. k. Armee soviel als möglich über
Salzburg oder eine andere Straße durch Tirol mit Tau- und Nacht
fortdauernden Yorspannsablösungen zugeschickt werden müssen, weil
ihr diese am leichtesten ermangeln dürfte, ob sie schon dermalen
zureichend damit versehen ist und das. was sie hat, soviel nur mög-
lich zu sparen sich bestreben wird.
„Sobald nur die kaiserlich russische, noch mit k. k. österreichi-
schen Regimentern verstärkte Armee ausgerüstet sein wird, kann
und wird sie alsobald tätig werden, der Feind muß sich teilen und
alsdann wird, so Gott will, der Augenblick kommen, ihm das
Schicksal zu bereiten, das er verdient')."
Zur Beurteilung dieses Schreibens mögen folgende Bemerkungen
des Erzherzogs Ferdinand dienen: „Beim Lesen war ich nicht wenig
überrascht, des FML. Mack Gesinnungen so rasch verändert zu sehen,
ohne durch ein wesentliches Ereignis hiezu bestimmt zu sein. Es
war das erstemal, wo er einsah, daß die Vereinigung mit der russi-
schen Armee nicht mehr möglich wäre. Er schreiljt dieses dem
Durchbruch der Franzosen durch preußisches Gebiet zu : allein Bona-
partes Hauptmacht marschierte nicht durch dieses und Bernadotte
^) Kriegsarchiv, 1805, Deutsehland F A, X, 63.
— 329 —
wäre von Würzburg durch das Hohenlohische über Ellwangen und
Nördlingen ebenso rasch nach Donauwörth gekommen als durch
das Ausbachische . . . Allein FML. Mack. in dessen Kopf sich die
widersprechendsten Ideen so schnell aufeinander folgten, daß keine
zur Reife gelangen konnte, kam von der Idee, die Vereinigung mit
den Russen vor allem zu suchen, sehr bald ab, wie es die Folge er-
weisen wird. Da dieses ganze Papier durch eine erhitzte Einbildung
geschrieben war, so fand ich es nicht für gut, es zu fertigen \)."
Erzherzog Ferdinand begab sich, begleitet vom FML. Fürsten
Schwarzenberg und Grafen Gyulai, sofort nach Güuzburg, um Mack
seine zu großen Besorgnisse zu nehmen und ihn zu überzeugen, daß
1) Ki-iegsarehiv, 1805, Deutschland F A, XIII, 106.
Diese ganze Stelle ist etwas unklar, denn Maek hatte bisher auf die Ver-
einigung mit den Russen gar keinen Wert gelegt. Oberst Bianehi, der General-
adjutant des Erzherzogs, gibt in seinem Tagebuehe (Kriegsarehiv, 1805, Deutseh-
land, PA, XIII, 1-26) Aufschluß. Er sagt unterm 8. Oktober : „Sollte der Feind nicht
bald gegen Augsburg vorrücken, so vrerden wir trachten, am 10. weiter gegen
Zusmarshausen zu marschieren, um den Lech zu gewinnen und nach Möglichkeit
die Vereinigung mit den Russen zu erreichen, welche heute Mack als einen
der wesentlichsten Gegenstände zum erstenmal erkannte."
Solange Mack der Weg zur Vereinigung mit den Russen offen gestanden
war, legte er keinen Wert darauf; erst als er die Möglichkeit der Vereinigung
vei'scherzt hatte und ihm der Plan Napoleons aufdämmerte, stellte er die Ver-
eitlung der Vereinigung als schweres Unglück hin. Am 8. Oktober erkannte Maek
somit beides zum erstenmal: die hohe Bedeutung der Vereinigung mit den Russen,
die daher anzustreben war, und ihre Unmöglichkeit. Durch das Eingreifen des
Erzherzogs gewann er wieder Mut und wollte nun die Vereinigung doch durch
den Marsch über den Lech, dann über Nördlingen versuchen. Bald aber gab er
die Absicht der Vereinigung wieder ganz auf und wollte den Anmarsch der
Russen bei Ulm abwarten.
Welche konfuse Ansichten die Berichte Macks in Wien erzeugt hatten,
läßt ein Brief Cobenzls an den Erzherzog Karl erkennen. Der am 15. Oktober
geschriebene Brief enthält die Stelle: „Wenn der Marsch der Franzosen durch die
Markgrafsehaft Ansbach der Armee Seiner Majestät die Gelegenheit eines
fast sicheren Sieges benahm, so ist das Resultat, welches diese Unklugheit
Bonapartes hatte, von einer noch ganz anderen Bedeutung als der Vorteil, den
man über die Marschälle Soult und Ney hätte erringen können." Charakteristisch
ist, was Erzherzog Karl unten in Italien darüber dachte und schrieb, und zwar
sowohl über den entgangenen Sieg als auch über den Anschluß Preußens : „Man
merkt wohl, daß Cobenzl die militärischen Operationen wie ein Minister be-
urteilt." Erzherzog Karl bezweifelte auch - und mit Recht — , daß sich Preußen
der Verletzung seines Gebietes halber der Koalition anschließen werde, (Brief an
den Herzog von Teschen vom 22. Oktober aus S. Stefano.)
— 330 —
es auch jetzt noch das beste sei, „mit der Armee so schnell als
möglieh donauabwärts zu marschieren, um dem Feinde bei seinem
Donau-Übergange zuvorzukommen, falls das aber nicht mehr möglich
sein sollte, über Landsberg und längs dem Gebirge abzumarschieren,
um sich mit Kienmayer und den Russen zu vereinigen. In diesem
Falle sollte Jellachich Ulm verlassen, den GM. Wolfskeel an sich
ziehen, sein Korps bei Memmingen versammeln und, wenn vom Feinde
bedrängt, sich nach Tirol zurückziehen^)."
Es gelang dem Erzherzog auch tatsächlich, Mack zu be-
ruhigen und zu überzeugen. Mack zog sein Schreiben zurück und
verfaßte ein dem Inhalt nach wohl ähnliches, aber im Tone viel zu-
versichtlicheres Schreiben an Kutusow, dessen Abschrift Erzherzog
Ferdinand mit einem Bericht an den Kaiser absandte. Siehe Bei-
lage 6.
Das Schreiben wurde durch den General Grafen Orenneville an
Kutusow abgesandt und der General beauftragt, den Anschluß aller
noch anmarschierenden Truppen an Kienmajer oder an die Russen
zu veranlassen.
An PML. Kienmayer erging der Befehl :
„Ich stehe heute bei Günzburg und werde morgen, wenn es
die Umstände erlauben, hier verbleiben, um die Armee hier zu
sammeln.
„Die eintretenden Umstände werden mein weiteres Benehmen
bestimmen, indessen gedenke ich, wenn es mir noch möglich werden
sollte, den Lech zu gewinnen, um die Vereinigung mit Ihnen und
mit den Russen zu suchen.
„Sollten diesem Vorsatze durch einen schnellen Übergang bei
Donauwörth zu große Hindernisse in den Weg kommen und die
feindliche Armee eine sehr überlegene sein, so werde ich in an-
gemessener Entfernung auf Gelegenheit harren, entweder selbst den
Feind anzugreifen, wenn er sich auf die Russen werfen wollte, oder
mich, einer entscheidenden Schlacht entziehend, auf das linke Donau-
Ufer begeben, um abend unterhalb wieder rückkehren zu können.
„Es ist unmöglich, Ihnen bestimmt heute bekanntzugeben, was
ich eigentlich tun werde müssen ; die Umstände können solche allein
entscheiden. Obiges ist ohngefähr dasjenige, was meine Hauptabsicht
dermalen ist^)."
') Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland F A, XIII, 106.
2) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland PA, X, 69.
— 331 —
PML. Mack hatte sich sofort nach der Besprechung mit Erz-
herzog Ferdinand an die Ausarbeitung einer neuen „Haupt-
disposition" gemacht. Sie lautete:
„Die Armee stellet sich zu Leipheim, Günzburg und Burgau
auf und trachtet, sich die Brücken von Leipheim und (uinzburg frei-
zuhalten, zu welchem Ende General d'Aspre mit seinem Korps
jenseits der Donau aufgestellt bleiben muß. FML. v. Auflfenberg
läßt morgen abend das Gros seines Korps gegen Burgau zurück-
ziehen und nur ein kleines fliegendes Korps bei Wertingen stehen.
FML. Kienmayer locket den Ffind stets am Lech aufwärts, schickt
aber zwei seiner Kavallerieregimenter bei Augsburg über den Lech
zu der Armee, wo er den Lärm verbreitet, daß die ganze Armee
ankommen würde und Quartiere für Seine königliehe Hoheit und das
Hauptquartier anbefehlen läßt.
„Er selbst mit der übrigen Kavallerie und mit der Infanterie
ziehet stets am Lech aufwärts und deckt mit letzterer Tirol oder sucht,
wenn letzteres nicht bedroht ist, seine Vereinigung mit den Russen.
„Wenn der Feind genug am Lech vorwärts und bis Augsburg
und München gelocket, die Armee aber ausgerastet und mit zwei
bis drei Tagen Brot und Hafer versehen sein wird, etwa übermorgen
am 10. abend, passiert sie auf den drei Brücken von Günzburg und
Leipheim die Donau und dringt unaufhaltsam nach Giengen vor,
macht sich Meister von diesem so wichtigen Posten, während als
in eben dieser Nacht General d'Aspre, mit einigen Bataillonen ver-
stärkt, Lauingen und Dillingen angreift und die dortigen Kom-
munikationsbrücken des Feindes zerstört. 80 wie wir Meister von
Giengen und Dillingen sind, ist dem Feinde seine Hauptkommuni-
kation abgeschnitten. Wir haben den Rücken frei und Bonaparte be-
findet sich zwischen zwei feindlichen Armeen. Alle schwere Bagage
wird ohnverweilt nach Memmingen, sodann weiter nach Kempten
und, wenn es nötig, nach Tirol abgeschickt^)."
Auf diese Disposition, die um 10 '^ vormittag beim Erzherzog
Ferdinand anlangte, wurde aber nichts veranlaßt. Der nachmittag
von Wertingen herübertönende Kanonendonner scheint ihre weitere
Bearbeitung verhindert zu haben.
Der Befehl an FML. Kienmayer zeigt klar, daß dem öster-
reichischen Feldherrn die Initiative schon vollkommen entrissen war.
1) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, X, 64. Von :Maeks Hand ge-
sehriftben.
— 332 —
Mit allen seinen Absichten war er ganz von den ^Maßnahmen des
Feindes abhängig. Bei dem hartnäckigen Widerstände Macks gegen
den einzig vernünftigen Gedanken, die österreichische Armee der
drohenden Umklammerung zu entziehen, war ihr Schicksal schon
an diesem Tage besiegelt. Ja, es erscheint sehr fraglich, ob es der
Armee überhaupt noch hätte gelingen können, selbst über Tirol zu
entkommen.
Der Vergleich des Befehles an Kienmayer mit der zur selben
Zeit ausgearbeiteten Hauptdisposition Blacks läßt die Desorganisation
der Führung der österreichischen Armee erkennen. Während der
Armeekoramandant dem abgetrennten FML. Kienmayer nur ganz
allgemein seine Absichten für die Zukunft mitteilt und, wie natür-
lich, vor definitivem Entschluß die Beendigung der Versammlung
der Armee abwarten will, verfaßt der Generalstabschef eine be-
stimmte Disposition, die wieder einem zu voreilig gefaßten Entschluß
entspringt, einem Entschlüsse, der dem vom Erzherzog in letzter
Linie erwähnten Ausweg entsprach.
Im Laufe des 8. Oktobers trafen die Meldung Kienraayers vom
7. Oktober (S. 318) und mehrere Marschpläne über nachrückende
Eegimenter und über die Russen ein. Danach sollten das wallachisch-
illyrische Grenzregiment (3 Bataillone) am 13., die zwei Wallachen-
Grenzregimenter (4 Bataillone) am 14. Oktober Dachau erreichen.
Am 12., 13., 15. und 17. Oktober sollte je ein Kavallerieregiment
bei Neumarkt ^) eintreffeA. Über die russische Armee erfuhr das
Armeekommando, daß die 31.000 Mann Infanterie zählende Armee
seit dem 27. September im Eilmarsche mit Vorspann begriffen sei.
Die 1. Kolonne sollte am 11. Oktober, die 5. Kolonne am 21. Ok-
tober am Inn eintreffen. Die 6. Kolonne war erst in Galizien. Die
Artillerie und Kavallerie, die ebenfalls in fünf Kolonnen marschierten,
sollten mit der 1. Kolonne am 25. Oktober, mit der 5. Kolonne am
2. November am Inn eintreffen.
General d'Aspre meldete aus Riedhausen, daß der Feind über
Lauingen und Dillingen gegen Donauwörth abziehe. Er erhielt
daraufhin den Befehl, gegen Giengen, Gundelfingen und Lauingen
aufzuklären.
FML. Jellachich erreichte am 8. mit seinen vordersten Truppen
Ulm. Er meldete noch am selben Tage, daß nach einer Kundschafts-
nachricht 12.000 Mann und 800 Reiter in der Gegend Radelstetten,
^) 35 km südöstlich von Landshiit.
— 335 —
nordwestlich von Ulm, Lager beziehen werden und daß der Feind
Ulm angreifen wolle. Jellachich meldete überdies, daß er die „Position"
von Ulm und die Befestigungen besichtigt habe. Die Position er-
fordere sehr viel Truppen, vor allem Kavallerie, die Befestigungen
seien bei weitem noch nicht haltbar; nur die Stadt halte er infolge
ihrer Außengräben noch für teilweise verteidigungsfähig.
Am 8. Oktober war eine neue Ordre de bataille festgesetzt
worden, die alle Verbände wieder durcheinanderwarf. So wurde z. B.
die Division Auffenberg, die mit 7 Grenadierbataillonen ^), 3 Ba-
taillonen Eeuß-Greitz und 4V2 Eskadronen Albert-Kürassieren eben
bei Wertingen im Kampfe stand, nach der neuen Ordre de bataille
aus 4 Grenadierbataillonen, 3 Bataillonen Eeuß-Greitz, 4 Bataillonen
Spork und 8 Eskadronen Latour-Chevauxlegers formiert ; die Division
Kerpeu sollte nach der Ordre de bataille vom 8. aus den lufanterie-
regimenteru Kaunitz und Jellachich, der auf 4 Bataillone herab-
gesetzten Grenadierbrigade Hohenfeld und aus 8 Eskadronen Albert-
Kürassieren bestehen. Das Korps Rieseh blieb unverändert; nur das
Regiment Nassau-Kürassiere, das sich an Kienmayer anschließen
mußte, schied aus der Ordre de bataille des Korps. Beim Korps
Sehwarzenberg, zu dem sechs Eskadronen Klenau-Ohevauxlegers vom
Korps Jellachich stießen, wurden die Divisions- und Brigadeverbände
völlig verworfen. (FML. Klenau erhielt die Grenadierbrigade.
FML. Liechtenstein Kavallerie und Tiroler Jäger unterstellt, zusammen
5 Bataillone und 20 Eskadronen, FML. Gottesheim aber 16 Bataillone
und 6 Eskadronen ^)
Es ist wohl begreiflich, wie dieser beständige, durch nichts
gerechtfertigte Wechsel in der Zusammensetzung aller höheren Ver-
bände, der den Truppen ganz unnötige Märsche aufnötigte und den
Generalen jedes Interesse an ihren Truppen nahm, das Gefüge der
ganzen Armee lockern, die Befehlgebung erschweren und das Ein-
reißen von Unordnung begünstigen mußte.
Franzosen.
Napoleon wußte am Morgen des 8. Oktobers, daß das deta-
chierte Korps Kienmayer, dessen Stärke mit 12.000—25.000 Mann
^) 6 Bataillone formierten die Brigade GM. Hohenfeld; das 7. Bataillon
war von der Division Hohenzollern zugeteilt.
^) Vergleiche damit die Ordre de bataille vom 7. Oktober, S. 315.
— 334 —
angegeben wurde, im Rückzug nach Aichach und Augsburg sei
und daß die Hauptkraft der Österreicher, die sich seit dem 5. Ok-
tober in der Richtung auf Ulm sammelte, am 6. Oktober noch bei
Ulm gestanden war. Nichts deutete darauf hin, daß sich darin etwas
geändert habe. Bei Donauwörth gefangene Soldaten hatten aus-
gesagt, daß bei Ulm noch starke Kräfte stünden und auch das
Armeekommando noch westlich des Lech sei. Das Korps Ney und
Dragoner umschlossen Ulm auf dem nördlichen Donau-Ufer; nichts
deutete darauf hin, daß Kräfte des Feindes in dieser Richtung vor-
brechen sollten.
Napoleon beurteilte die Situation dahin, daß die Österreicher
das Vernünftigste und zugleich für seinen Plan, sie von den Russen
zu trennen, Ungünstigste anstreben würden, d. h. sich über Augs-
burg oder über Landsberg und Füssen an den Inn zurückzuziehen.
Er hielt es aber auch nicht für ausgeschlossen, daß die Österreicher
es versuchen könnten, von Ulm aus nach Norden vorzustoßen, ob-
wohl in diesem Fall ihre Trennung von den Russen gesichert wäre.
Er beabsichtigte daher, den Österreichern so schnell als mög-
lich den kürzesten Weg über Augsburg und Landsberg zu verlegen
und Ulm auch von Norden her einzuschließen.
Dieser Absicht entsprechend, ging am 8. um 6 ^ früh der Be-
fehl an Ney ab, „sofort abzumarschieren, um eine Stellung einzu-
nehmen, sei es die von Giengen, sei es irgend eine andere, die den
doppelten Vorteil gibt, sowohl die Straße Ulm, Heidenheira, Ellwangen,
als auch die Ulm, Gundelfingen, Donauwörth zu überwachen".
Wenn der Feind ihm günstige Gelegenheit gäbe, sollte Ney
bei voller Deckung der beiden genannten Straßen angreifen.
Die Division Gazan des 5. Korps, die am 8. von Aalen nach
Neresheim dirigiert war, die Dragoner zu Fuß und die Dragoner-
division Bourcier wurden Ney zu diesem Zweck unterstellt.
Wenn Ney gezwungen wäre, sich defensiv zu halten oder gar
zurückzugehen, sollte eine Division unbedingt über Heidenheim und
Aalen dirigiert werden, um den Großen Artilleriepark und die Etappen -
Straße zu sichern.
Der Befehl schließt: „Da es wahrscheinlich ist, daß der Über-
gang über den Lech und die Besetzung Augsburgs den Feind er-
nüchtern, ist es nötig, daß Sie immer hiuter sich eine Donau-Brücke
haben, um sich durch einen Flankenmarsch an den Lech zu bringen,
wenn es nötig ist."
— 335 —
Lannes erhielt den Befehl, mit seiner Kavalleriedivision, von
der zwei Regimenter an Murat abzugeben waren, und mit der
Grenadierdivision Oudinot über Münster nach Wertingen zu mar-
schieren, eine Vorhut auf der Straße nach Burgau vorzutreiben und
über Dillingen Verbindung mit Ney herzustellen.
Murat sollte mit den Dragonerdivisionen Klein und Beaumont
und den zwei Kürassierdivisionen nach Zusinarshausen und Burgau
marschieren. Er wurde ermächtigt, zwei Kavallerieregimenter vom
Korps Lannes zu nehmen, „um für den Marsch der schweren
Kavallerie aufklären zu können". Murat sollte starke Kolonnen aut
Burgau senden, um diesen Ort zu besetzen oder wenn feindliche
Infanterie dort stünde, sie zu erkunden. Die Straße Augsburg— Ulm
sollte er durch starke Detachements absperren lassen, um jeden Ver-
kehr von Augsburg nach Ulm zu unterbinden.
Falls nichts Neues vorfalle, dürfte Murat den Befehl erhalten,
am 9. die Straße Landsberg — Ulm abzuschneiden, also nach Mindel-
heim zu marschieren.
Soult erhielt den Befehl:
„Der Wille des Kaisers ist, daß Sie Ihre drei Divisionen ')
nach Augsburg dirigieren, jedoch nachdem Sie sich versichert haben,
daß der Feind nicht mit starken Kräften bei Aichach stehe und
Marschall Davout Herr von Neuburg und der dortigen Brücke sei."
Diese Befehle wurden am frühen Morgen des 8. expediert.
Je länger jedoch Napoleon die Situation überdachte, desto
mehr lestigte sich in ihm die Überzeugung, daß bei einem Durch-
bruche der Österreicher nach Norden nichts zu befürchten sei, da er
diesem immer rechtzeitig entgegentreten konnte, daß dagegen ein
Rückzug des Feindes über Augsburg oder Landsberg wahrschein-
lich und auch vernünftig sei, und daß es der größten Anstrengungen
der Franzosen bedürfte, diesen Rückzug zu verhindern, wenn er
schon begonnen worden war.
Daher änderte er die Aufgabe des Korps Ney in einem zweiten,
um die Mittagsstunde abgesandten Befehle :
„Es ist unmöglich, daß der Feind, unterrichtet von dem Über-
gang über die Donau und dem Lech sowie über den Schrecken,
der das Korps, das er jenseits des Lech hatte, ergriffen haben muß,
nicht ernsthaft an den Rückzug denkt. Es ist zu glauben, daß er
ihn zuerst über Augsburg versuchen werde, aber bald wird er er-
0 Die vierte war noch weit rückwärts.
— 336 —
kennen, daß dazu keine Zeit meJir ist, und er wird versuchen, ihn
über Landsberg durchzuführen, wo, wenn unsere Truppen recht-
zeitjo- eintreifen, er sich entscheiden muß. den Kampf anzunehmen
oder endlich nach Tirol zu entweichen ; aber es ist wahrscheinlich,
daß er sich entschließen wird, zu kämpfen. In dieser Voraussetzung
wünscht der Kaiser, daß Ihr Korps an der Schlacht teilnehme.
„Seine Majestät glaubt nicht, daß der Feind unsinnig genug
sein wird, auf das linke Donau-üfer zu übergehen, da alle seine
Magazine in Memmingen sind und weil er das größte Interesse hat.
sich nicht von Tirol zu trennen, das er durch diese Bewegung völlig
preisgeben würde.
„Der Wille des Kaisers ist daher, daß Sie heute zur Brücke
von Günzburg marschieren, die Sie mit Ihrer Vorhut besetzen. Ver-
suchen Sie alles, um sich mit den Divisionen Gazans und Bourciers
zu vereinigen.
„Unterweisen Sie den General Baraguay d'Hilliers \), daß er.
falls der Feind die Narrheit begehen sollte, bei Heidenheim dnrch-
zubrechen. auf der Straße Heidenheim, Aalen. Ellwangen zurück-
gehe, den Großen Park und die Etappenstraße decke und alle
Detachements, die dort marschieren., an sich ziehe. Er kann so leicht
20.000 Mann stark werden."
Ney erhielt weiter den Auftrag, alle Donau-Brücken in seinem
Rücken wiederherzustellen, um so im stände zu sein, wenn der Feind
tatsächlich von Ulm über Augsljurg oder Landsberg zurückgehen
sollte, „durch einen Flankenmarsch sich immer auf gleicher Höhe
und in seiner Flanke zu halten und ihn in dem Augenblick anzu-
greifen, sobald Soult. Davout und Lannes ihn erreicht haben und
ihn angreifen. Sie halten indessen eine Division in Gundelfingen,
damit Sie Ihnen als Vorhut diene, wenn der Kaiser durch andere
Umstände bestimmt wird, Sie über Lauingen und Albeck nach Ulm
marschieren zu lassen."
Napoleon schrieb überdies am 8. an Nej: „. . . Ich kann
nicht glauben, daß der Feind einen anderen Plan haben könnte,
als sich über Augsburg oder Landsberg oder selbst über Füssen
zurückzuziehen. Gleichwohl könnte er zögern, und in diesem Fall
ist es an uns, so zu handeln, daß nicht ein Mann entkomme ^j."
^) Kominandant der Division Dragoner zu Fuß.
^) Dieser Brief gelangte nicht in die Hände Neys. sondern wurde irrtüm-
lich an Lannes zugestellt.
— 337 —
Nach dem ersten Befehle solUe sich also Ney mit seiner
ganzen Kraft bei Giengen — 20 hm von Günzburg und etwa 24 hm
von Lauingen, wo die nächsten Donau-Brücken lagen, entfernt —
aufstellen und die Straßen Ulm — Aalen und Ulm — Donauwörth
decken; nach dem zweiten Befehle sollte er sich der Brücken bei
Gnnzbi]rg bemächtigen und bereit sein, entweder den von Ulm auf
Augsburg oder Landsberg abziehenden Feind in der Flanke zu be-
gleiten oder über Albeck und Langenau auf Ulm zu marschieren.
Die Sicherung der Straße von Ulm auf Donauwörth ergab sich
durch die Aufstellung Neys von selbst, die Sicherung der Straße
nach Aalen sollten die Dragoner zu Fuß allein besorgen. Napoleon
erwartete die Schlacht bei Augsburg oder wahrscheinlicher bei Lands-
berg und wollte dazu die Korps Lannes, Murat, Soult, Davout und
Ney, also etwa 130.000 Mann versammeln; diese Kraft schien ihm
vollauf genügend zu sein, da seinem Kalkül nach der Feind zirka
80.000 Mann in die Schlacht bringen konnte.
Nach den Befehlen des Kaisers waren am 8. Oktober drei
Kavalleriedivisionen unter Murat und das Korps Lannes im Marsche
auf Wertingen.
Murat war um 8^ früh mit zwei Divisionen von Donauwörth
abmarschiert und hatte die dritte Division (Klein), die bei Rain
genächtigt hatte, während des Marsches an sich gezogen. Bei
Mertingen trafen zwei Husarenregimenter vom 5. Korps (Lannes)
bei der Kolonne ein, die sofort als Vorhut vorausgesandt wurden.
Die Kolonne marschierte weiter über Druisheim, Holzen, Hirschbach
gegen Wertingen.
Lannes war mit der Kavalleriedivision und mit der Grenadier-
division Oudinot bei Münster über die Donau gegangen. Zwei
Husarenregimenter sandte er nach Mertingen zu Murat. Mit den
anderen Truppen brach er gegen 1 ^ mittag über Pfafifenholen nach
Wertingen auf.
Da die Division Auffenberg seit 7'' früh bei Wertingen stand,
mußte es somit dort noch am 8. zum Kampfe kommen.
Das Gefecht bei Wertingen.
(BeUage 22.)
FML. Auffenberg, der nach elfstündigem Nachtmarsche bei
Wertingen eingetroffen war, ließ sofort die drei Tore der Stadt mit je
Krau SS. 1805, Der Feldzug von Ulm. oZ
— 338 —
einem Grenadierbataillon besetzen: die übrigen sieben Bataillone wurden
in den Gassen der Stadt aufgestellt und rasteten. Die Kavallerie
(472 Eskadronen) nahm vor dem Ort Aufstellung und sollte partien-
weise abfüttern. Nach der Eelation Aufifenbergs wurden auch
Patrouillen abgesendet. Wohin und mit welchem Auftrage die
Patrouillen entsendet worden sind, ist nicht gesagt. Im Ort erfuhr
Auffenberg, daß die Franzosen die Donau am 7. bei Donauwörth mit
70.000 — 80.000 Mann tiberschritten hätten und auf der Straße nach
Augsburg bis Nordendorf vorgerückt seien.
Alle ausgeschickten Patrouillen brachten Nachricht, daß der
Feind nirgend zu sehen sei. Die Eelation enthält aber auch die An-
gabe Aufi'enbergs, daß man auf den Höhen gegenüber von Wertingen
nur einige wenige Vedetten stehen sah ').
Nach 12 ^ mittag erhielt Auffenberg die Nachricht, daß einige
hundert Franzosen in Pfaffenhofen eingerückt seien, dort requirierten
und für 3000 Mann Quartier angesagt hätten. 2) Er sandte daraufhin
ein Detachement, bestehend aus 2 Eskadronen, 2 Kompagnien Reuß-
Greitz und 2 Grenadierkompagnien unter GM. Dienersberg nach
Pfaffenhofen ab, um den Feind zu vertreiben.
Auf die Meldung vom Anmärsche des Feindes — wann diese
eingelangt war, ist nicht zu ermitteln — stellte GM. Graf Hohen-
feld, der Kommandant der Grenadierbrigade, 3 Bataillone vor der
Straße Wertingen — Binswangen auf, Front nach Nordost, 1 Bataillon
rechts davon an die Stadt gelehnt, IV2 Bataillone vor dem Tore
nach Pfaffenhofen und 1 Bataillon vor das Augsburger Tor, Front
nach Ost. Das Eegiment Eeuß-Greitz blieb noch im Orte stehen.
FML. Auffenberg gab keine Disposition für den Fall des feindliehen
Angriffes aus.
Murat, der schon beim Abmärsche von Donauwörth seine
Divisionen verständigt hatte, daß man sicher auf den Feind treffen
werde, erhielt bei Holzen die Meldung, daß der Feind Wertingen
mit 12.000 Mann besetzt habe. Er ließ daraufhin die Vorhut vor-
gehen, um die feindliche Stellung zu rekognoszieren: indessen
marschierten seine drei Divisionen bei Hirschbach auf.
^) Die Patrouillen können daher nicht weit vorgerückt sein. Die Ent-
fernung von Wertingen nach Nordendorf, wo der Teind stehen sollte, beträgt
12 km und selbst Donauwörth, wo 70.000—80.000 Mann übergegangen sein sollten,
war nur 20 hn von Wertingen entfernt.
^) Es müssen dies Abteilungen des 5. Korps gewesen sein.
— 339 —
Um 2^ 30^ nachmittag meldete die leichte Kavallerie, daß
Truppen aller Waffen Wertingen und die Höhen am linken Ufer
der Zusam Ijesetzt hielten und mit Vorposten bei Gottmannshofen
stünden .
Murat setzte seine Divisionen auf Wertingen in Marsch und
marschierte etwa um 4*^ nachmittag nördlich von Blionsbaeh noch-
mals auf. Die Husaren, unterstützt durch Artillerie, vertrieben die
bei Gottmannshofen stehenden Vorposten, die sich auf Wertingen
zurückzogen. Einige Dragonerabteilungen saßen ab und gingen gegen
Wertingen vor. Nach heftigem Kampfe drangen sie in die am rechten
Ufer der Zusam gelegene Vorstadt ein und nahmen die vor der
Stadt liegende Zusam-Brücke.
Während die Husaren die Zusam unterhalb Wertingen über-
setzten und gegen die vor dem Pfaffenhofener Tore stehenden
Bataillone vorgingen, sollte die Division Klein Wertingen im Süden
umgehen. Da die Zusam wegen ihrer Steilufer nicht zu überschreiten
war, mußte die Division bis Roggden ausbiegen, wo sie eine Brücke
fand. Obwohl die Division während ihres Flankenmarsches von südlich
Wertingen stehender Artillerie beschossen wurde, kam sie ohne be-
deutende Verluste nach Eoggden.
Inzwischen griff Lannes in den Kampf ein. Als die Grenadier-
division Oudinot in der Gegend von Pfaffenhofen anlangte, wurde
Kanonendonner in der Eichtung Wertingen hörbar ^). Lannes dirigierte
seine Truppen auf die Höhen über Ober-Thürheim und eilte voraus,
um sich zu orientieren. Er sandte seine Chasseurbrigade vor. Die
Chasseure trafen auf 2 Eskadronen Kürassiere — wahrscheinlich
vom Detachement Dienersberg — und warfen sie. Die Infanterie,
die vor sich die 4 Kompagnien des GM. Dienersberg zurücktrieb,
rückte auf dem Rücken längs der Waldlisiere vor, mit der Absicht,
den linken Flügel des Feindes zu umfassen und ihn von der Straße
nach Günzburg abzuschneiden.
Somit war es Absicht der beiden französischen Führer, den
Feind von allen Seiten zu umfassen.
Den in Wertingen kämpfenden Dragonern war es inzwischen
gelungen, bis an die Westlisiere von Wertingen vorzudringen, weil
') Lannes wollte auf halbem Wege nach Wertingen, also etwa bei Pfaffen-
hofen stehen bleiben, um seine Artillerie, die über Donauwörth kommen sollte,
zu erwarten. Den Kanonendonner von Wertingen konnte er etwa um 4 h nach-
mittag gehört haben, um welche Zeit, ft-iihestens, Murat üottmannshofen angriff.
22*
— 340 —
Auffeaberg, durch die Umgehungsbeweaungen der Franzosen ver-
anlaßt, alle Truppen aus diesem Ort auf die Höhen zurückgenommen
hatte.
Der drohende Anmarsch der Division Oudinot bewog Aufifen-
berg, der sich den Rückzug oÜenhalten wollte, alle Truppen auf
die Höhen südwestlich Wertingen zurückzuziehen.
Da um diese Zeit die Division Klein ßoggden schon erreicht
hatte und im Begriffe war, die Höhen zu gewinnen, gab Murat der
3. Dragonerdivision Befehl, durch Wertingen zum Angriff vorzugehen.
So kam es, daß die im Zurückgehen begriffenen österreichischen
Bataillone gleichzeitig von Wertingen und Eoggden her angegriffen
wurden. Klein warf zwei Kürassiereskadronen, die die Attacke stehenden
Fußes abwarteten, über den Haufen und auf die österreichische In-
fanterie. Es gelang dieser, einige Attacken abzuwehren. Die Division
Beaumont entwickelte sich westlich von Wertingen und warf sich
auf ein Karree, das gesprengt und dessen Trümmer auf die übrigen
Truppen geworfen wurden. Da die Grenadiere Oudinots Direktion
auf Binswangen nahmen, kamen die durch fortgesetzte Attacken auf-
gehaltenen österreichischen Bataillone in Gefahr, ganz abgeschnitten
zu werden. Sie zogen sich daher gegen den Wald von Binswangen
zurück. General Klein ließ aber einen Teil seiner Kavallerie durch
den Wald und um diesen herum an die Straße Binswangen — Eppis-
burg vorgehen, so daß er einem beträchtlichen Teile der feindlieheft
Infanterie den Eückzug verlegte.
Immer mehr und mehr löste sich die Ordnung bei der zurück-
gehenden Infanterie Auffenbergs. Bis zum Eintritt der Dunkelheit
ununterbrochen verfolgt und attackiert, verloren die Truppen schließlich
jeden Zusammenhalt; nur Trümmer entkamen der feindlichen Ver-
folgung.
Das erste Gefecht des Feldzuges hatte mit einer empfindlichen
Niederlage der österreichischen Waffen geendet.
Nach der Eelation Auffenbergs war das Regiment Eeuß-Greitz,
das sich als letzte aus Wertmgen zurückgezogene Truppe der Um-
klammerung nicht mehr entziehen konnte, nahezu aufgerieben worden;
ebenso 2 Grenadierbataillone. Die übrigen 5 Grenadierbataillone hatten
einen Verlust von ungefähr 850 Mann zu beklagen; 6 Geschütze
gingen verloren.
Die Franzosen gaben an. daß sie 2200 Gefangene, 10 Kanonen
und 6 Fahnen erbeuteten.
— 341 —
Die Verluste der Franzosen waren unliedeutend; das Korps
Murat verlor nur etwa 100 Mann und 90 Pferde, Oudinot etwa
30 Mann.
Von den Franzosen nächtigte die Kavallerie in Villenbach,
Zusamaltheim. Roggden und Wertingen, das 5. Korps bei Binswangen.
Wenn man nach den Ursachen der vernichtenden Niederlage
Auffenbergs forscht, wird man wohl sofort geneigt sein, vor allem
die große französische Übermacht als Hauptursache zu bezeichnen.
Die Stärke der Division Aufienbergs betrug — nach dem Standes-
ausweis vom 6. Oktob(?r berechnet — etwa 5000 Mann Infanterie
und 400 Reiter; nach Angabe eines gefangenen Offiziers hatte sie
6 Geschütze, die Franzosen wollten 10 Geschütze erbeutet haben und
nach der Organisation sollte die Division 18 Geschütze besitzen (je
2 bei jedem Grenadierbataillon und 4 für das Regiment zu 3 Ba-
taillonen). Weil, wie bekannt, die Artillerie in größter Unordnung
mobilisiert hatte und viele Regimenter ihre Artillerie noch nicht
besaßen, kann nicht festgestellt werden, wieviel Geschütze die Division
wirklich bei sieh gehabt hat.
Die Stärke der Franzosen betrug dagegen etwa 8000 Mann
Infanterie und 6000 Reiter mit 21 Geschützen. Von dieser Truppen-
maeht kam aber nur ein Teil in den Kampf; von der Kavallerie
kämpften nur die beiden Dragonerdivisionen und die leichte Kavallerie
des Korps Lannes, also etwa 4000 Reiter; auch von der Division
Oudinot können nur die Tetebataillone ins Gefecht gekommen sein,
weil ihre Tete erst nach b^ 30^ nachmittag eingegriffen haben konnte.
Die Österreicher waren um diese Zeit schon im Rückzug auf die
Höhen. Nach kaum einer Stunde, also etwa 6^ 30^ abend war der
Kampf zu Ende. Die Verfolgung, der die einbrecliende Dunkelheit
eine Grenze setzte (etwa 7^^ abend), dauerte nur kurze Zeit. Auch
der minimale Verlust Oudinots spricht dafür, daß seine Truppen nicht
stark ins Feuer gekommen sind.
Die in den Kampf getretene Übermacht der Franzosen dürfte
somit nicht bedeutend gewesen sein.
Die Hauptursachen der schweren Niederlage müssen daher
anderswo liegen; sie sind moralischer und nicht materieller Natur.
Auflfenberg stand am 5. Oktober abend bei Zusraarshausen.
Wertingen oder war im Marsche dahin. Am (3. Oktober mußte er nach
— 342 —
den am 4. Oktoloer nachmittag in Illertisseii ausgefertigten Befehlen
nach Günzburg abmarschieren. Am 7. wurde nun Aufifenberg. dessen
Division nach der Ordre de bataille vom 7. Oktober zum größten
Teil aus neuen Truppen bestand, über Hals und Kopf wieder nach
Wertingen geschickt, so daß er die ganze Nacht hindurch marschieren
mußte ^). Der ihm von Mack erteilte Befehl ist leider nicht erhalten
geblieben. Die der Division zugedachte Aufgabe kann daher nicht
festgestellt werden; sie dürfte aber, wie bei allen Befehlen Macks,
nicht klar und bestimmt ausgesprochen gewesen sein. Die Division
wurde auf die Nachricht vom l)e vorstehenden Übergang der Franzosen
bei Donauwörth als Vorhut nach Wertingen vorgeschoben, ohne
bestimmte, klare Absicht, ohne dort einen bestimmten Zweck zu
erfüllen. Das Korps Werneck sollte in einigen Stunden folgen, auch
ohne bestimmten Zweck, daher ohne daß sich der Armeeführer über
dessen Aufgabe klar war.
Nach dem Operationsplane vom 7. Oktober früh wollte man den
nördlich der Donau im Marsche nach Osten vermuteten Feind auf
dem südlichen Ufer begleiten und über ihn herfallen, sobald er die
Donau überschreiten wollte. Hiezu sollte eine starke Vorhut nach
Wertingen vorgeschoben werden, die alle Brücken von Günzburg
bis zur Lech-Mündung unbrauchbar machen und Verbindung mit
Kienmayer herstellen sollte.
Diese Aufgabe scheint aber Auffenberg nicht erhalten zu haben,
weil er nach dem Eintreffen in Wertingen keine Miene machte, ihr
zu entsprechen. Er kam nach Wertingen und wartete scheinbar auf
den Rest des Werneckschen Korps.
Als ihm nun der Anmarsch der Franzosen gemeldet wurde,
wartete er weiter; ohne bestimmte Aufgabe, ohne einen Zweck zu
erfüllen — denn auch das Festhalten Wertingens war nicht seine
Aufgabe — stellte er sich irgendwie bei Wertingen auf, ohne eine
planmäßige Gefeehtsdisposition zu erlassen, und wartete weiter: auf
den Feind und vielleicht noch auf FML. Hohenzollern, der spätestens
^) Auffenberg hatte aus Tirol die Infanterieregimenter Spork, Erzherzog
Ludwig und Froon sowie zwei Eskadronen Blankenstein-Husaren mitgebracht.
Kaum eingetroffen, erhielt er andere Truppen zugewiesen. Am 6. Oktober bestand
seine Division aus den Infanterieregimentern Eeuß-Greitz, Württemberg und Spork
und dem Chevauxlegersregiment Latour ; mit der Ordre de bataille vom 7. Oktober
traten an Stelle der Eegimenter Spork und Württemberg sieben Grenadierbataillone
und an Stelle des ßesiments Latour viereinhalb Eskadronen Albert-Kürassiere.
— 343 —
am 8. Oktober mittag bei Wertingen hätte eintreffen müssen, der
aber, weil ihn der Befehl nur nach Burgau wies, dort um 8'' früh
stehen geblieben war. Als Beweis für das ziel- und zwecklose Vor-
schieben Auffenbergs nach Wertingen muß man folgendes ansehen :
In der Nacht zum 6. Oktober, als Mack den Übergang der Franzosen
bei Donauwörth erfahren hatte, gab er, nach seinem Schreiben an
den Kaiser und Kutusow (S. 321) zu schließen, den Plan, donau-
abwärts zu marschieren und den Feind beim Übergang über den
Strom anzugreifen, auf — er mußte es wohl tun, weil die Armee
noch nicht versammelt war. Anstatt aber nun die schwache, nach
Wertingen vorgeschobene Vorhut, die jetzt dort gar keinen Zweck mehr
hatte, sofort zurückzuberufen, ließ er sie nur 20 k7n von Donauwörth
entfernt stehen und vielleicht auch ohne Verständigung davon, daß
der Abmarsch der Divisionen Hohenzollern und Kerpen unterbleibe
und sie somit nicht auf Unterstützung rechnen könne ^). Was sollte
also das Detachement Auffenberg bei Wertingen tun? Sollte es über
den Feind aufklären? Dazu fehlte die nötige Kavallerie, weil die
schwere Kavallerie vor allem eine Kampfwaffe und zur Aufklärung
wenig geeignet und ausgebildet war. Oder sollte er die Versammlung
der Armee bei Günzbnrg sichern? Sollten diese zehn schwachen Ba-
taillone (he französische Armee aufhalten? Wenn Mack daran gedacht
haben sollte — das Gefecht bei Wertingen zeigt, wie völlig verfehlt
ein solcher Gedanke ist^).
Diese Zwecklosigkeit des Detachements Auffenberg bei Wertingen
kam auch in der ganzen Gefechtsführung zum Ausdrucke. FML. von
Auffenberg muß ein tüchtiger General gewesen sein, sonst hätte man
ihn sicher nicht zur selbständigen Kommandoführung in Tirol be-
stimmt. Seine völlig ziel- und planlose, rein passive Gefechtsführung
dürfte daher die Folge der gleichen Armeeführung sein. Jeder Feld-
herr hat solche Unterführer, wie er sie verdient. Unter der pläne-
^) FML. V. Auffenberg erwähnt in seiner Gefeehtsrelation darüber gar nichts ;
er spricht weder davon, daß diese Divisionen ihm folgen sollten, noch daf5 er ver-
gebens auf ihr Eintreffen wartete. Vielleicht war ihm die Absieht, sie folgen zu
lassen, überhaupt nicht mitgeteilt worden.
^) Berthier sehrieb am 9. Oktober an Bernadotte: „In der Voraussetzung,
dalJ wir die Donau nicht passieren würden, kam eine feindliche Division von
zwölf Grenadierbataillonen auf drei Meilen an Donauwörth heran, was zum Gefechte
von Wertingen führte." Die Entsendung erfolgte aber gerade auf die Nachricht
vom Übergänge bei Donauwörth. Dieser Versuch Berthiers, die Entsendung Auffen-
bergs zu begründen, gibt eine treffende Kritik für sie ab.
— ;}44 —
strotzenden, aber doch ziel- und planlosen unsicheren Führuug Macks
mußten selbst gute Führergaben verkümmern und konnten nicht zur
Geltung kommen. Der zerstörende Einfliiij einer solchen Führung
macht sich eben auf Generale und Truppen in gleicherweise geltend;
seine Folge ist die moralische Zerrüttung der ganzen Armee ^).
Dagegen sehen wir auf Seite der Franzosen alle Teile der
Armee nach dem vom Anfang an festgehaltenen Plane Napoleons
zielbewußt handeln. Alle Generale, ja alle Truppen wissen, was der
Kaiser will, und kennen seine Absicht, die Bussen und Österreicher
zu trennen ; sie wissen, daß diese Absicht nur durch große Marsch-
leistungen zu erreichen ist. Die Franzosen überstehen daher auch
im Vertrauen in die Führung weit größere Marschleistungen als
die Österreicher, ohne durch sie so stark erschüttert zu werden wie
die österreichischen Truppen. Alle Führer sind, beseelt von dem
Geiste und der Führung Napoleons, von unzähmbarem Angriffs-
drang erfüllt. Die tüchtigsten unter ihnen übertragen die Absicht
des Kaisers, die Österreicher von den Bussen zu trennen, sie zu
umringen, auch auf ihre Handlungen im Kampfe. So auch bei
Wertingen, 'wo Murat und Lannes ohne gemeinsamen Oljerbefehl
doch verständig zusammenwirken, um die Österreicher allseitig zu
umfassen. Ja! aber Lannes und Murat gehörten eben zu den
tüchtigsten Unterführern Napoleons, wird man sagen. Sicher; aber
alle diese von Napoleon zu Königen und Herzogen gemachten Generale
verdankten nicht nur diese Titel, sondern auch ihren Buhm der
Führung Napoleons. Viele von ihnen waren schon Generale, bevor
Napoleon das erste Mal als Armeeführer die Welt verblüffte; keiner
hatte sich besonders hervorgetan, keiner hatte unter der schwäch-
lichen oder mittelmäßigen Führung der Bevolutionsgenerale besonders
hervorragende Taten vollbracht; und doch waren sie alle tüchtig,
jeder nach seiner Art! Es Ijedurfte aber erst der meisterhaften,
alles mit sich fortreißenden, schlummernde Kräfte aufrüttelnden
Führung Napoleons, es bedurfte seiner aufpeitschenden Energie, um
die Tüchtigkeit dieser Generale, die Tüchtigkeit der ganzen Armee
fiei zu machen, sie den P'esseln der Gewohnheiten und der mensch-
^) Davout, dieser tüchtige und kriegserfahrene General, meldete am 9. Ok-
tober dem Kaiser: „General Kienmayer hat sieh eiligst auf München zurück-
gezogen. Alle Bewegungen, die Iman bei seinen Truppen und selbst in seinem
Hauptquartier bemerkt hat, zeigen Besorgnis, Unsicherheit und Unentsehlossen-
heit, was ganz besonders die moralische Haltung der Truppen schädigt."
— 345 —
liehen Schwächen zu entreißen. Wo diese Einwirkung Napoleons
fehlte, wo diese glänzenden Marschälle selbständig auftraten, ver-
sagten sie fast alle, von Massena. dem „Schoßkind des Sieges", bis
zu Ney, „dem Tapfersten der Tapferen".
So schlummerten sicher auch in der unglücklichen österreichi-
schen Armee all die gleichen Vorzüge, die gleiche Tüchtigkeit, nur
konnten sie bei der Führung Macks nicht zur Geltung kommen.
Alle Generale wie Auffenberg, Hohenfeld, Riesch und Wenieck, die
sich, streng genommen, schmachvoll benahmen, sie waren sicher
gute, wenn nicht sogar tüchtige Generale, die unter Napoleons
Führung vielleicht ebenso berühmt geworden wären wie dessen
Marschälle, unter der ziel- und planlosen Leitung Macks aber Ehre
und Ruhm verloren^).
Nicht die Übermacht der Franzosen war daher die eigentliche
Ursache der Niederlage Auffenbergs. Murat hätte bei Wertingen
auch dann angegriffen, wenn er allein geblieben und nicht durch
Lannes unterstützt worden wäre: er hätte auch dann Auffenberg
geschlagen, wenn auch vielleicht nicht so vernichtend. Die Weg-
nahme Wertingens durch wenige abgesessene Dragonerabteilungen
läßt diesen Schluß zu.
Die Grundursache der schweren Niederlage Auffenbergs lag
vielmehr in der ziel- und planlosen Armeeführung Macks, die das
Detachement Auffenberg zav ecklos einem Zusammenstoße mit über-
legenen Kräften aussetzte und die, sich auf die Unterführer fort-
pflanzend, die passive, ziel- und planlose Gefechtsführung Auffen-
bergs und die schlechte Haltung der Truppen verschuldete; sie lag
iu dem Zusammentreffen dieser Führung Macks mit der energischen,
einem ganz bestimmten Ziele zustrebenden Armeeführuug Napoleons,
die sieh ebenso auf die Unterführer fortpflanzend, das aktive, fast
immer zum rücksichtslosen Angriffe führende Verhalten dei- Fran-
zosen zeitigte. Dieser Unterschied wird noch bei den späteren Ge-
fechten deutlich zutage treten.
Immer wemi eine so ziel- und planlose Führung, ähnlich jener
Macks, mit einer energischen und zielbewußten teindlichen Führung
1) Napoleon soll am 14. September 1809 zu FML. Graf Bubna gesagt haben :
„Ne eroyez pas qiie vos generaiix sont plus maladroits que les miens, mais vous
n'avez personne pour les faire mareher. Je dis aux miens : Marehez, et ils marchont :
le chef vous manque!"
Kireheisen, „Peldzugserinnerungen 1809 •, S. 74.
— 346 —
zusammentraf, ergaben sich ähnliche ziel- und zwecklose Detaehie-
rungen und ähnliche zwecklose Opferungen starker Detachements.
Die Division Abel Douay bei Weißenburg 1870 und das Detachement
Sassulitsch am Yalu 1904 sind Beispiele dafür. Umgekehrt lassen
solche, meist schon bei Beginn des Krieges vorkommende zwecklose
Detachierungen auf eine ziel- und planlose Armeeführung schließen.
Das Gefecht von Wertingen war für Napoleon von außer-
ordentlicher Wichtigkeit. Nicht nur, daß es als erster größerer
siegreicher Zusammenstoß den Geist der ganzen Armee günstig
beeinflußte, brachte es auch sehr wertvolle Nachrichten. Die Aus-
sagen von Gefangenen gaben Aufschluß über die Zusammensetzung
der Division Auffenberg, und darüber, daß diese Division am
7. Oktober abend von Günzburg abmarschiert und General Mack
am 7. in Günzburg gewesen sei. Murat meldete weiter : Alle Trains
sollen nach Zusmarshausen zurückgesendet worden sein. Es scheine,
daß der Feind den Eückzug über Zusmarshausen und Augsburg be-
absichtigte und daß Auffenberg seine linke Flanke zu decken hatte.
Jetzt, nach dem Gefecht bei Wertingen, dürfte der Feind über Landsberg
zurückgehen. Der Feind scheint Günzliurg stark besetzt zu haben, wird
es aber zweifellos noch in dieser Nacht räumen. Anderseits spreche
aber die Tatsache, daß die bei AVertingen geschlagenen Truppen
erst vor kurzer Zeit von Landsberg nach Günzburg marschiert sind,
um heute von Günzburg in Wertingen anzukommen, dafür, daß der
Feind seine Kraft vereinigt hat, um uns anzugreifen.
Ferner erfuhr der Kaiser durch Aussagen eines gefangenen
Offiziers, daß die vor einiger Zeit in Günzburg zerstörte Donau-Brücke
durch die bei Wertingen geschlagenen Truppen vor ihrem Abmarsch
von Günzburg wieder hergestellt worden war; daß General Mack
am 6. Oktober in Ulm war, wo auch Erzherzog Ferdinand erwartet
wurde; daß das Gros der österreichischen Armee zwischen Mem-
mingen und Ulm sein solle und daß man die österreichische Armee
in Deutschland, samt den Truppen in Tirol auf 60.000 — 70.000 Mann
schätze.
Napoleon konnte daraus mit Sicherheit schließen, daß die
österreichische Armee noch westlich des Lech stehe und daß ihr
der Weg über Augsburg schon verlegt war.
— 347 —
Während sich diese Ereignisse im Zentrum der französischen
Armee abspielten, war das Korps Soult vereint mit der Dragoner-
division Walther beiderseits des Lech auf Augsburg vorgerückt. Die
1. Division des 4. Korps — General St. Hilaire — marschierte am
westlichen Lech-Ufer. Die 2. und 3. Division, denen sich die Division
Walter anschloß, marschierten östlich des Lech auf der Ohausse von
Kain über Schöuleiten, Affing nach Augsburg.
An der Straßengabel bei Schönleiten um 4^ nachmittag an-
gelangt, hatte Soult eine Abteilung Ulanen angreifen lassen, die die
Vortruppe eines etwa 5000 — 6000 Mann starken feindlichen Korps
bildete, da.s bei Aichach gemeldet war. Um diese Zeit traf ein
Schreiben Napoleons ein, in dem er die Ansicht aussprach, das bei
Rain gestandene feindliche Korps sei nach Augsburg zurückgegangen.
In diesem Schreiben orientierte der Kaiser den Marschall Soult über
die Aktionen der Marschälle Murat, Lannes und Ney und fügte bei,
daß er die Division Suchet (die 4. des 4. Korps) am Abend, je nach
den Nachrichten, die er in zwei Stunden haben werde, dirigieren
wolle. Soult solle sich keine Enhe gönnen, bis er das von ßain
zurückgedrängte feindliche Korps aufgehoben habe; der Kaiser rechne
auf wenigstens 3000 — 4000 Gefangene.
Soult wußte, daß die Hauptmasse des von Rain zurückgegangenen
Feindes bei Aichach stand. Er hielt sich daher nach den beiden
Befehlen vom 8. Oktober, und zwar nach dem Befehle vom 8. früh
(S. 335) und nach dem eben erwähnten, um 4'' eingetroffenen Befehle
verpflichtet, zuerst den Feind bei Aichach zu schlagen und dann
erst nach Augsburg zu marschieren, urasomehr, als er Nachricht
hatte, daß sich feindliche Kräfte bei München' und bei Friedberg
konzentrieren sollten. Da er von Aichach über Friedberg nach Augs-
burg marschieren wollte, so hoffte er die bei Friedberg stehenden
feindUchen Kräfte zu umgehen. Dagegen sandte Soult die Division
Walther direkt nach Augsburg, wohin er überdies die Division
St. Hilaire im Marsche wußte. Er meldete dies alles, und daß er
von Davout nichts wisse, um 4*^ 30^ nachmittag an den Kaiser.
Die um 4^ nachmittag bei Schönleiten angegriffenen feindlichen
Ulanen wurden wohl zurückgetrieben, aber in der Nähe von Aichach
stieß die Kavallerie Soults vor 8^ abend auf überlegene feindhche
Kavallerie; der Kampf Itlieb unentschieden. Die Infanterii» traf erst
nach 8^ abend vor Aichach ein, weshalb Soult den Angriff auf den
9. verschob. Ein Gefangener sagte aus, daß alle Truppen aus Rain,
— 348 —
Neuburg' und logolstadt sich nach München zurückzögen, um sich
mit den Bussen zu vereinigen; daß FML. Kienmayer bei Aichach
sei und daß sich das Korps Klenau über Landsberg, General Gottes-
heim nach Böhmen zurückziehen sollen, endlich daß man glaube,
Mack werde sich nach München begel)en.
Ein aus München gekommener Reisender gab an, daß er einen
Marschplan der russischen Armee gesehen habe. Die 1. Kolonne
solle nach diesem .Marsehplan am 16. Oktober bei Dachau eintreflfenj
die 2. am 18., die 3. am 20., die 4. am 22. und die 5. am 24. Oktober.
Im ganzen zähle die Armee 45 Bataillone, zu deren Transport täglich
über 2000 Wagen beigestellt werden müssen.
Soult sandte darüber um 8'' abend Meldung und fügte bei,
daß er am 9. bei Tagesanbruch Aichach angreifen und sodann
nach Augsburg marschieren werde, wo er zu früher Stunde einzu-
treffen hoffe.
Noch um Mitternacht ging die Antwort darauf von Donau-
wörth ab. Der Kaiser drückte ihm, nicht ganz gerecht, sein Miß-
fallen darüber aus, daß er sich vom entscheidenden Punkt entfernt
habe^); er hätte in Augsburg sein sollen, von wo er sofort einen
Marsch gegen Ulm hätte machen sollen. Er solle so früh als möglich
nach Augsburg abrücken. Sein Korps sei bestimmt, zwischen Lech
und Donau zu operieren; Bernadotte, Marmont und Davout werden
auf dem östlichen Lech-üfer operieren. J)er Kaiser werde Davout
sofort nach Augsburg dirigieren und vielleicht auch Marmont. Die
Schwierigkeit bei dieser Versammlung der Truppen liege nur in der
Verpflegung.
Die Division Walther konnte, als sie gegen Mittag den Befehl
Murats erhielt vor dem Korps Soult nach Augsburg zu marschieren, nicht
mehr die Tete des Itereits im Marsche befindlichen Korps erreichen ;
.sie schloß sich daher an dieses an. Nach dem Abbiegen des Korps
Soult nach Aichach nahm Walther Direktion Augsburg. Bei Affing
traf er auf feindliche Kavallerie, die geworfen wurde. Der einge-
brochenen Dunkelheit halber blieb die Division bei Affing stehen.
^) Soult, der dieses Selireiben ßertliiers am 9. Oktober früh bei seinem
Eintreffen bei Friedberg erhielt, rechtfertigte sieh damit, daß er den Feind nicht
bei Aichach, so nahe in seiner Flanke stehen lassen konnte und beruft sieh
auch auf die Befehle des Kaisers.
Wenn Soult gewußt hätte, weiche große Bedeutung Napoleon der raschen
Besetzung Augsburgs zusehrieb, hätte er sieh wahrscheinlich nicht nach Aichach
abziehen lassen.
— 349 —
Eine interessante und lehrreiche Episode spielte sich l)ei der
Division St. Hilaire ab. General Graf Segur erzählt darütter in seinen
Memoiren :
„Am 8. Oktober erhielt ich vom Kaiser Napoleon den Befehl,
zum General St. Hilaire zu reiten, der im Marsch auf Augsburg war,
um dem General den Befehl zu bringen, sich schnellstens dieser
Stadt zu Ijemäehtigen. Ich traf die Division nicht weit von ihrem
Marschziel in der Höhe von Markt. St. Hilaire hatte soeben halt-
gemacht, da ihn der von West herüberschallende Kanonendonner
unsicher gemacht hatte, ob er sich nicht dahin wenden solle. Aber
auf den von mir überbrachten Befehl hin nahm er seinen Marsch
wieder auf. Da kam von Wertiugen ein Adjutant Murats angesprengt
mit der Auftorderung, Murat zu unterstützen.
„St. Hilaire, ein Mann von Herz und Verstand, faßte sofort
seinen Entschluß. ,Sie hören, die Kanonen rufen; was auch der
gegenteilige Befehl sei, der Fall war unvorhergesehen und es ist
ein Grundsatz, diesem Eufe zu folgen.' Sofort ließ er gegen Wertingen
abschwenken.
„Aber nach kurzer Zeit fragte er mich — wie das meist in
solchen Fällen geschieht — bedrückt durch die auf ihm lastende
Verantwortung, was ich davon denke. Ich wulJte zwar nichts, wies
aber, da mir mein Auftrag am Herzen lag, auf die Wichtigkeit hin,
die der Kaiser diesem Befehl zumesse. Die Ängstlichkeit des Ge-
nerals nahm zu. Er ließ halten, dann verkehren und nahm wieder
Direktion Augsburg. Der Adjutant Murats, der noch da war, stellte
ihm a))er nun so energisch die Gefahr für Mm-at vor, daß St. Hilaire
zum zweitenmal den Weg nach Wertingen nahm. Plötzlich wandte
sich St. Hilaire an mich: ,Sie sind dem Kaiser beigegeben, Sie
müssen seine Beweggründe kennen.' — Ich antwortete: .Er hat sie
mir nicht anvertraut, aber es ist. sicher, daß wir die Österreicher
umgehen und daß es von größter Wichtigkeit ist, Augsburg, das an
der Eückzugiinie liegt, zu besetzen.' St. Hilaire wurde wieder
schwankend, ließ verkehren und Richtung auf Augsburg nehmen.
„Aber da trug der Westwind den Kanonendonner viel deutlicher
herüber und belebte wieder die Zweifel des Generals. Er unterbrach
den Marsch von neuem. .Mein Gott,' rief er aus, , welche Lage!
Der Kanonendonner nähert sieh. Der Kaiser wußte von diesem Kampfe
nichts, als er Sie absandte.' Ich mußte bejahen. ,Es ist sein Schwager.'
fuhr er fort, ,und ich sollte ihn verlassen, wenn er mich ruft, wenn
— 350 —
er vielleicht zerschmettert wird? Das ist unmöglich.' Und zmn
drittenmal wendete er die Kolonne gegen Wertiugen. Ich war nun
selbst unsicher geworden und verzichtete darauf, ihn zu beeinflussen,
als sein Generalstabschef sagte, daß sich die Nacht nähere und die
Division doch nicht mehr rechtzeitig ankommen könne. Ich machte
daher dem General die Vorstellung, daß er dem Befehle des Kaisers
noch nachkommen könne, zu Murat dürfte er doch schon zu spät
kommen ... St. Hilaire sah dies ein und ließ abermals gegen Augsburg
wenden.
„Nach einiger Zeit, als ich sicher war, daß er des Kaisers Auf-
trag erfülle, nahm ich, da es schon spät war, den Rückweg nach
Donauwörth auf ... Es war 2^^ früh, als ich dem Kaiser Meldung
erstattete, auf der Karte den Punkt bezeichnete, wo ich St. Hilaire
verlassen hatte und die Stunde bestimmte, zu der er Augsburg er-
reicht haben dürfte.
„Am Morgen des 9. bei Tagesanbruch ritten wir schon gegen
Wertingen, als mich Duroc^) fragte: ,Was gab's denn gestern mit
St. Hilaire?' Ich erzählte ihm alles. , Haben Sie also dem Kaiser
gemeldet, daß St. Hilaire noch gestern abend Augsburg besetzt
habe?' Ja! ,Ach!' antwortete Duroc, ,das Gegenteil ist geschehen.
Kurz nach Ihrem Abreiten ließ ihn ein letzter Zweifel abermals nach
Wertingen umkehren, wo er erst spät in der Nacht eintraf^).'"
Diese Haltung St. Hilaires zeigt, wie notwendig dem höheren
Truppenführer Charakterstärke und Mut der Verantwortung sind.
Was nützt alles Wissen, wenn diese Eigenschaften fehlen; das Wissen
zeigt dem charakterschwachen General nur die Gefahren, die bei
jedem Entschluß, bei jeder kriegerischen Handlung für ihn und seine
Truppe entstehen, es zeigt ihm klar alle Gründe, die für und gegen
die verschiedenen Entschlüsse sprechen, und so wird er, wie St. Hi-
laire, schwach und schwankend, tut nichts oder wenn er etwas tut,
nur etwas Halbes und daher Schlechtes.
Für General St. Hilaire war die Bntschlußtassung allerdings
nicht leicht. Er hatte Befehl von seinem Korpskommandanten, am
8. Augsburg zu erreichen. Während des Marsches hörte er rechts,
wo er Murat im Marsch auf Zusmarshausen wußte, Kanonendonner.
^) Es muß ein anderer Würdenträger gewesen sein, da Duroc um diese
Zeit noch in Berlin weilte.
^) Segur, „ün aide de eamp de Napoleon", S. 177 — 179. Die Erzählung
Segurs ist zwar etwas gekürzt, aber in den wichtigsten Teilen wiedergegeben.
— 351 —
Zur selben Zeit erreichte ihn ein Befehl des Kaisers, der ihn er-
kennen ließ, daß der Kaiser auf die Besetzung von Augsburg hohen
Wert legte. Keiner dieser Befehle enthielt eine Andeutung darüber,
wie der Kaiser die allgemeine Lage beurteilte, was seine Absicht
war und welche Aufgabe dementsprechend der Division zufiel. Wie
weit St. Hilaire über die allgemeine Situation und Absicht des Kaisers
orientiert war, ist daher nicht bekannt. Daß es sich aljer ganz all-
gemein darum handelte, den Österreichern den ßückzug zu verlegen,
dürfte ihm bekannt gewesen sein. Zu allem Überfluß kam noch die
Aufforderung Murats, ihn zu unterstützen.
Das „mareher au canon" ist ein Grundsatz von so allgemeiner
Gültigkeit, der besonders in der damaligen französischen Armee be-
achtet worden ist, daß niemand, am allerwenigsten Napoleon, dem
General einen Vorwurf gemacht hätte, wenn er nach Wertingen
marschiert wäre, selbst dann nicht, wenn daraus bei Augsburg ein
Nachteil entstanden wäre. Die Aufforderung Murats hätte den Ge-
neral überdies noch vollkommen gedeckt. In einem Schreiben Berthiers
an Soult vom 8. Oktober, S^ abend, heißt es denn auch : „Der Kaiser
denkt, daß die Division St. Hilaire am Kampfe (bei Wertingen) teil-
genommen hat, weil sie sich in der gleichen Höhe befand."
Anders müßte die Beurteilung sein, wenn St. Hilaire durch
den Befehl in den Gedankengang Napoleons eingeweiht gewesen
wäre. Wenn er gewußt hätte, daß Napoleon die österreichische Armee
noch bei Ulm annahm und sie im Eückzug über Augsburg ver-
mutete, daß somit die Verlegung des Eückweges bei Augsburg Auf-
gabe der Division war, dann hätte St. Hilaire mit vollem Rechte den
Kanonendonner bei Wertingen unbeachtet lassen und nach Augsburg
marschieren können, ja müssen.
Die Rückzuglinie des Feindes wäre in diesem Falle die
Chaussee Ulm, Burgau, Zusmarshausen. Augsburg gewesen. Sie wäre,
da Murat bei Wertingen aufgehalten worden war, was der Kanonen-
donner verkündete, nur bei Augsburg zu verlegen gewesen. Das Ge-
fecht bei Wertingen, in der Flanke der feindliehen Rückzuglinie,
konnte dann nur von untergeordneter Bedeutung sein; aber selbst
wenn sehr starke feindliche Kräfte über Wertingen im Marsche
waren, so konnten sie nur auf Augsburg oder auf Donauwörth
Richtung nehmen. Für beide Fälle war, bei der Absicht des Kaisers,
die Sperrung von Augsburg unerläßlich: sie war wichtiger als die
Unterstützung Murats.
— 352 —
Aus diesem Beispiel ergibt sich nur, wie wichtig es ist, einem
höheren Führer, der einen lür den allgemeinen Plan des Feldherrn
bedeutungsvollen' Auftrag erhält, die Absicht und die Beurteilung
der Lage mitzuteilen. Bei dem einfachen Auftrag, einen Ort zu er-
reichen, könnte der Unterführer bei irgend einem unvorhergesehenen
Zwischenfall, ohne daß ihn die geringste Schuld trifft, dem Feld-
herrn das Konzept verderben.
Bei Beurteilung des Verhaltens St. Hilaires muß man auch
berücksichtigen, daß er keine Kavallerie hatte, sich somit nicht über
die Verhältnisse in Augsburg orientieren konnte.
So kam es, daß Augsburg, das am 8. Oktober in den Gedanken
Napoleons eine so große EoUe spielte und mit dessen Besetzung er
ein ganzes Korps betraute, am 8. abend unbesetzt blieb. Die Ur-
sache dafür kann nur in der Fassung der Befehle gesucht werden.
Auch am rechten Flügel war der letzte Befehl des Kaisers
nicht erfüllt worden.
Wie bereits erwähnt, hatte Ney vor, am 8. Oktober vorläufig
bei Höchstädt zu warten.
Der um 6^ früh von Donauwörth abgefertigte Befehl, bei
Giengen oder sonstwo die Straßen von Ulm nach Ellwangen und
Donauwörth zu sperren^), mußte spätestens um 8^ bei Ney angelangt
sein, weil die Entfernung Donauwörth — Höchstädt auf der geraden
Chaussee kaum 20 Jcm beträgt. Aber erst um 2^ nachmittag setzte
Ney das Korps in Marsch, so daß die Truppen bei dem starken
Marsche (36 km) voraussichtlich erst spät in der Nacht ihr Ziel er-
reichen konnten. Es macht den Eindruck, als ob Ney im Glauben,
doch vielleicht noch bei Donauwörth nötig zu werden, mit dem
Rückmarsche nach Giengen absichtüch gezögert hat.
Es hatten zu marschieren :
die 1. Division nach Hausen und Bissingen:
„ 2. „ „ Burgberg, mit einem Bataillon nach Stetten:
„ 3. „ „ Brenz, mit einem Bataillon nach Gundel-
fingen. Die Brücken von Lauingen und Dillingen waren zu besetzen ;
die Division Gazan nach Mediingen (sie marschierte aber
nach Mörslingen);
die Dragoner zu Fuß nach Herbrechtingen;
die Dragonerdivision Bourcier nach Bolheim, mit einem
Regiment nach Dettingen;
') S. 334
— 353 —
das Hauptquartier nach Mediingen (es kam aber ebenfalls
nach Mörslingen).
Sofort nach dem Eintreffen der 1. Division in Hausen sollte
ein Detachement von 8 Kompagnien mit einer Eskadron und mit
einem Geschütz zu einer scharfen Eekognoszierung gegen Ulm
vorgehen.
Der zvpeite Befehl des Kaisers vom 8. Oktober mittag, nach
Günzburg zu marschieren (S. 335), mußte spätestens um 2 oder 3^
nachmittag in den Händen des Marschalls Ney gewesen sein, so
daß Zeit genug gewesen wäre, die Marschanordnungen zu ändern.
Ney tat aber nichts dergleichen ; er ließ sein Korps im Marsch
auf Giengen, obwohl es nach Günzburg viel näher gewesen wäre
als nach Burgberg und Hausen.
Da Ney durch die Befehle Napoleons genau in dessen Ab-
sichten eingeweiht war, müßte man das Verhalten Neys, voraus-
gesetzt, daß die Befehle tatsächlich rechtzeitig eingetroifen sind, als
direkten, durch nichts zu rechtfertigenden Ungehorsam Ijezeichnen.
Ney hatte gar keine Nachrichten erhalten, die ihm neue, dem Kaiser
unbekannte Umstände enthüllten und ihn daher berechtigt hätten, von
dessen Befehlen abzuweichen. Das weite Zurückhalten der Division
Gazan und des Hauptquartiers spricht dafür, daß Ney noch immer auf
einen Gegenbefehl und auf den Marsch nach Donauwörth rechnete.
Das widerwillige Eingehen Neys auf die Befehle des Kaisers
hatte nur Nachteile im Gefolge. Der späte Abmarsch am 8. bedingte
bei dem starken Marsche (Höchstädt — Bissingen 36 km) das späte
Eintreffen am Marschziele ; die Division Dupont traf erst am 9. um
3^^ früh bei Hausen und Bissingen, die Division Malher um 2^ früh
an der Brenz ein. Der Nachtmarsch bei strömendem Regen und auf
aufgeweichten schlechten Wegen hatte die Disziplin der Truppen bei
der Division Dupont wesentlich geschädigt. Zahlreiche Nachzügler
blieben zurück. ISie kamen vom Wege ab und hatten westlich
Stotzingen ein Gefecht mit österreichischer Kavallerie^) zu bestehen.
Erst bei Morgengrauen konnten die Nachzügler gesammelt werden.
Das Korps mußte aber am 9. Oktober bald wieder aufbrechen, um
doch endlich dem Befehle des Kaisers zu entsprechen.
Auf dem hnken Flügel der Armee hatte Davout, der bei Neu-
burg übergehen sollte, am 9. sein Korps bei Aichach zu versammeln.
*) Wahrscheinlich vom Detachement GM. d'Aspre.
Krauss. 1805, Der Feldzug von Ulm. .23
— 354 —
Seine Vorhut übersehiffte westlich Neuburg bei Steppberg- : am Abend
des 8. stand das ganze Korps bei Neuburg, wo die Brücke wieder-
hergestellt worden war, viel zu weit rückwärts für die drängende
und energische Ungeduld Napoleons, der gehofft hatte, daß Ka-
vallerie und Vorhut Davouts schon am 8. abend Aichach erreichen
dürften.
Marmont war am Abend mit seinem Korps bei Nassenfeis
nördlich von Neuburg, Bernadotte bei Eichstädt. Marmont hatte
wegen des schlechten Wetters von Pappenheim die große Straße
über Eichstädt (Marschlinie des 1. Korps) genommen, hoffend, daß
es ihm gelingen würde, noch rechtzeitig dem 1. Korps Platz zu
machen. Es gelang ihm nicht. Dadurch wurde das 1. Korps wesent-
lich in seinem Marsch aufgehalten und konnte an diesem Tage nur
Eichstädt erreichen. So konnten weder Marmont noch Bernadotte
dem Willen des Kaisers entsprechen, schon am 8. Oktober Ingolstadt
in Besitz zu nehmen.
Am 8. abend ging ein Befehl des Kaisers au Bernadotte ab,
durch den dieser über die Ereignisse bei Wertingen und über die
Aufgaben Soults und Neys informiert wurde. Üljer Ney sagt der
Befehl, daß bei Günzburg noch starke feindliche Kräfte stünden,
die, wie der Kaiser hoffe, noch schlecht enden würden. Bernadotte
erhielt den Auftrag, sich Ingolstadts zu versichern, sich gegen alle
diesseits des Inn auftretenden feindlichen Kräfte zu wenden und
auch gegen feindliche Truppen, die sich etwa auf dem linken Donau-
üfer der Altmühl nähern könnten. Marmont sei zu beauftragen, so-
fort nach dem Überschreiten der Donau bis halben Wegs nach
Augsburg vorzurücken.
Berthier schließt den Befehl mit dem charakteristischen Satz:
„Ich werde Ihnen die Befehle des Kaisers zukommen lassen, denn
die Begebenheiten wechseln jeden Augenblick und die Ereignisse
drängen sich mit großer Schnelligkeit."
Dieser Satz läßt erkennen, wie der Kaiser, obwohl er seine
allgemeine Absicht festhielt, seine Handlungen immer der wechseln-
den Situation anpaßte, so daß sich seine Befehle nur für die nächsten
Stunden geben ließen; der Satz erklärt es, warum sich die Befehle
mit der wechselnden Situation so oft änderten und warum sie sich
so oft widersprachen.
Am 8. Oktober ergingen auch Befehle zur Besetzmig der Haupt-
orte der Etappenstraße, und zwar Heilbronn, Ellwangen und Donau-
— 355 —
wörth durch württembergische Truppen. Die Depots der Dragoner
waren in Nördlingen, die der Kürassiere in Harburg vereinigt. In
diesen Depots wurden alle marschunfähigen Mannschaften und Pferde
gesammelt und bis zur Erlangung ihrer Marschfähigkeit gepflegt.
In diesen Depots war immer eine beträchtliche Anzahl von Mann-
schaften und Pferden in Verpflegung.
Die Situation am 8. Oktober abend, Beilage 23, stellt sich
folgend dar:
Die österreichische Armee stand mit ihrer Hauptmasse bei
Günzburg versammelt oder war noch im Anmärsche dorthin. Jellachich
hatte mit einem Teil seines Korps Ulm schon erreicht, der andere
Teil war noch im Anmärsche. Kienmayer stand mit seinem Korps
bei Aichach, war aber im Begrifi"e, nach Dachau abzumarschieren.
Eine beträchtliche Kraft war noch im Marsche zur Armee zu
einer Zeit, als diese schon nahezu eingeschlossen war.
Von der französischen Armee stand eine Gruppe von etwa
40.000 Mann unter Ney auf dem nördlichen Donau-Ufer, bereit,
gegen Ulm vorzugehen und im Begriffe, nach dem letzten Befehle
des Kaisers zum Angriff auf GünzJjurg zu schreiten.
Im Zentrum waren die Franzosen mit starken Kräften bis
Wertingen und Aichach vorgedrungen und hatten so Kienmayer
endgültig' von der Hauptkraft abgedrängt. Obwohl Augsburg noch
nicht besetzt war, konnte man den Eückweg über Augsburg für die
Österreicher als gesperrt ansehen. Mehr als 100.000 Mann waren
für den 9. Oktober im Marsch auf Zusmarshausen und Augsburg
angesetzt (Murat und Lannes, das ganze 4. Korps, das 3. und
2. Korps).
Das 1. Korps und die Bayern, zusammen etwa 40.000 Mann
stark, waren im Marsch über Ingolstadt, um alles abzuwehren, was
vom Inn anmarschierte. Der russischen Armee konnte somit eine
ebenbürtige Gruppe rechtzeitig entgegentreten.
Murat hat für seinen Vormarsch nach Zusmarshausen drei
schwere Kavalleriedivisionen, zwei Dragoner- und eine Kürassier-
division, also etwa 6000 Reiter zur Verfügung gehabt. Trotzdem
waren ihm für diesen Marsch noch zwei leichte Kavallerieregimenter
vom Korps Lannes zugewiesen worden, „pour eclairer la marche de
votre grosse cavalerie". Diese Verfügung gewährt einen Einblick in
die Verfassung und Verwendung der französischen Kavallerie. Sie
zeigt, daß die schwere Kavallerie zur Aufklärung wenig geeignet
23*
— 356 —
und ausgebildet, daß sie vielmehr vor allem als Kampfwaffe für die
Schlacht bestimmt war.
Wie wichtig die Rolle der schweren Kavallerie für den Kampf
war, beweist das Gefecht von Wertingen. Die Bestimmung für den
Kampf verlangte aber das Zusammenhalten dieser Kavallerie, die
Verwendung zur Aufklärung dagegen hätte die Zersplitterung eines
großen Teiles der für sie wenig geeigneten schweren Kavallerie er-
fordert. Die geringe Eignung der schweren Kavallerie zur Auf-
klärung, welcher Mangel durch diese Verfügung zweifellos zu er-
kennen ist, und das Streben, diese Kavallerie für den Kampf zu-
sammenzuhalten, geben den Schlüssel zur Beurteilung der Kavallerie-
verwendung Napoleons ^).
Sie bestärkt vor allem in der Auffassung, daß die Belassung
der Dragoner vor Straßburg eine rein defensive Maßregel zum Schutze
der Straßburger Brücke war und nicht eine Demonstration zur Ver-
schleierung des Anmarsches der Armee gegen Stuttgart. Für die
erste Aufgabe, zu der die Dragoner vorzüglich geeignet waren,
brauchte keine weitreichende Aufklärung betrieben zu werden; die
Aufgabe, zum Zwecke der Verschleierung zu demonstrieren, hätte
nebst dem weiteren Vorrücken des ganzen Kavalleriekorps auch eine
möglichst weit — etwa bis Stockach, Reutlingen — vorgetriebene
kecke Aufklärung erfordert, um beim Feinde den Glauben an das
Vorgehen starker Kräfte in dieser Richtung zu erwecken. In diesem
Falle hätte aber Napoleon, nach dem Beispiele von Wertingen zu
schließen, Murat auch leichte Kavallerie zugewiesen.
Die geringe Eignung der schweren Kavallerie zur Aufklärung
erklärt auch, warum Napoleon gerade die Dragoner zur Deckung
Straßburgs zurückgelassen hat. Es lag nichts daran, wenn sie hinter
die Korps Ney und Lannes kamen, die durch ihre leichte Kavallerie
weit besser zur Aufklärung befähigt waren, dagegen konnten die
Dragoner noch immer rechtzeitig vorkommen, wenn sie zum Kampfe
vorne nötig werden sollten.
^) Daß natürlich auch die schwere Kavallerie zur Aufklärung verwendet
worden ist und auch oft den Auftrag dazu erhielt, ändert nichts an dieser Tat-
sache. Es wurde ja auch schon damals selbst die leichte Infanterie in beschränk-
terem Maße zur Aufklärung ausgenützt.
XIV. Der 9. Oktober.
(Beilagen 24 und 25.)
Das Wetter, das schon längere Zeit recht schlecht war, wurde
vom 9. Oktober an fast unerträglich. Am 9. Oktober fiel ununter-
brochen ein starker, eisiger und mit Schnee untermischter Regen,
der die Truppen in kurzer Zeit ganz durchnäßte. Am 10. trat eisig
kalter Wind dazu, so daß der Regen in einen breiigen, weichen
Schnee überging; auf den Wegen und Feldern lag bald eine hohe
Schicht wässerigen Schnees, der sich unter jedem Tritt in Wasser
verwandelte. Die Truppen litten unter diesen Witterungsverhältnissen
außerordentlich.
Österreicher.
FML. Kienmayer war am 8. Oktober abend von Aichach nach
Sehwabmünchen abmarschiert, wo er am 9. früh eintraf; nachdem
die Truppen abgekocht hatten, setzte er um 12'' mittag den Rück-
marsch nach Dachau fort.
In der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober um 1^ kam GM. Graf
Hohenfeld, der Kommandant der Grenadierbrigade Aiififenbergs, nach
Günzburg zum Erzherzog Ferdinand mit der Meldung über die ver-
nichtende Niederlage der Division Auffenberg bei Wertingen. Auf
die Frage nach seinen Truppen antwortete der General, er wisse nicht,
wo sie seien. Der Erzherzog mußte ihn hart anlassen, sofort seine
Truppen aufzusuchen, sie zu sammeln und zu ordnen.
Hier sei gleich bemerkt, daß FML. Auffenberg, der dem Ge-
fechte zu Fuß Ijeigewohnt hatte, erst am Morgen des 9. völlig er-
schöpft in Burgau eintraf, von wo er sodann, ohne Meldung zu er-
statten, nach Memmingen und dann nach Tirol abreiste. Erst später
— 358 —
erhielt der Erzherzog eine am 9. in Burgau verfaßte Gefechtsrelation
Auffenliergs.
Gleich nach der Meldung des GM. Hohenfeld wurden die
Truppen alarmiert; von den Alarmplätzen wurden sie sogleich nach
Burgau dirigiert, wo sie auf den Höhen zwischen der Mindel und
der Kammelach eine Aufstellung beziehen sollten.
Der Gedankengang, der Mack dabei leitete, war folgender : Aus
allen Nachrichten war zu ersehen, daß die ganze französische Armee
in der Gegend von Donauwörth versammelt sei. Die .Meldungen Kien-
mayers und das Gefecht von Wertingen, in dem gegen 6000 französi-
sche Eeiter gezeigt worden waren, ließen auf die Absicht Napoleons
schließen, mit dem größten Teil seiner Armee bei Donauwörth über
die Donau zu gehen, sich zum Meister der ganzen Lech-Linie bis
an den Fuß der Tiroler Gebirge zu machen und dadurch die öster-
reichische Armee von den Eussen und von Kienmayer zu trennen,
um die Armee mit überlegener Macht anzugreifen, bevor die Eussen
den Franzosen über München in den Rücken fallen könnten. Unter
dieser Annahme wurde vermutet, daß Napoleon eine starke Avant-
garde gegen Burgau senden werde, um die Lage der k. k. Armee
zu rekognoszieren. Mit der Aufstellung bei Burgau hatte Mack nun
die Absicht, nicht nur diese allenfalls vorrückende feindliche Avant-
garde zurückzuwerfen, sondern hauptsächlich noch in der folgenden
Nacht aus dieser Stellung aufzubrechen und über Zusmarshausen
und Augsburg oder wenn dieser Weg vom Feinde schon zu stark
besetzt sein sollte, ül)er Landsberg in forcierten Märschen auf das
rechte Ufer des Lech zu gelangen^).
Bei Tagesanbruch ritten Erzherzog Ferdinand' und FML. Mack
nach Burgau vor, um die Stellung auszusuchen. Weil das Terrain
nicht günstig schien und weil die Franzosen die Verfolgung unter-
ließen, so daß ein Angriff am 9. nicht zu befürchten war, wurde
der Plan, die Armee bei Burgau aufzustellen, fallen gelassen. Mack
wählte eine andere Stellung aus, deren linker Flügel sich bei Eeisens-
burg an die Donau lehnte und deren rechter Flügel bei Limbach,
5 lim südlich von Eeisensburg, lag. Die Truppen, die schon zum
großen Teil bei Burgau angelangt oder dahin auf dem Marsche
waren, mußten umkehren.
Die Korps Werneck und Eiesch bezogen die neue Aufstellung,
das Korps Schwarzenberg stand bei Günzburg in Eeserve.
^) Kriegsarehiv, 1905, Deutsehland FA, XIIL 106.
— 359 —
General d'Aspre erhielt den Befehl, sogleich die drei Bataillone
Württemberg und die Division HohenzoUern-Kürassiere bei der Brücke
von Leipheim auf dem rechten Donau-Üfer aufzustellen. „Sie für Ihre
Person", heißt es in dem Befehle, „müssen sich in ßiedhausen auf-
stellen und durch Ihre Aufstellung die Donau-Brücke bei Günzburg
decken, auch im Fall eines Rückzuges denselben über Günzburg
nehmen." Er sollte weiter den Feind aufklären und nach Günzburg
melden^). Dieser Befehl hatte den Zweck, das Detachement bei dem
bevorstehenden Marsch an den Lech sogleich an die Armee heran-
ziehen zu können.
Die gegen Wertingen und Zusmarshausen ausgesandten Patrouillen
brachten Meldung, daß sie den Feind nicht getroffen hatten; er
scheine nach allen Nachrichten gegen Augsburg abgezogen zu sein.
Am 9. traf auch eine Meldung des GM. Grafen Spangen aus Füssen
ein, daß seine Brigade mit je einem Regiment am 13., 16. und
18. Oktober in Ulm eintreffen werde^). GM. Spangen erhielt Befehl,
mit den Regimentern von Mindelheim, wo sie am 10., 13. und
15. sein sollten, nach Memmingen zu marschieren, wo er unter
Befehl des FML. Jellaehich trete.
Die große Bagage der Armee wurde bei AVeißenhoru ge-
sammelt; sie sollte beim Abmarsch der Armee über Memmingen
nach Tirol gesandt werden. ^
FML. Mack hatte aber inzwischen einen neuen Plan ent-
worfen. Da er die ganze französische Armee bei Donauwörth im
Übergang vermutete, hielt er den Marsch an den Lech nicht mehr
für ausführbar. Er wollte nun in der Nacht zum 10. Oktober bei
Günzburg über die Donau setzen und dann auf dem linken Ufer
gegen Neuburg, Ingolstadt und Regensburg marschieren, um dort
irgendwo die Donau abermals zu überschreiten und sich mit Kien-
mayer und mit den Russen zu vereinigen. Er entwarf hiezu sofort
die Disposition. Sie lautete (Auszug):
„Disposition für den Übergang der Armee über
die Donau.
„Die Armee übersetzt heute nacht auf der Günzburger Chaussee-
brücke die Donau und marschiert auf der Chaussee über Gundel-
') Dem General cVAspre blieben für diese Aufgabe nur die zwei Kom-
pagnien Tiroler Jäger und die vier Eskadronen leichter Kavallerie.
*) Es waren das die drei von der italienischen Armee nach Deutschland
beorderten Infanterieregimenter.
— 360 —
fingen nach Giengen. Die zweite Brücke bei Günzburg und die von
Leipheim werden mit eingehender Nacht abgebrochen und die
Hölzer in die Donau versenkt.
„Mit eingehender Nacht hat alle fahrende Bagage nach Ulm
aufzubrechen, jenseits der Stadt, bei der Chaussee, die nach Neren-
stetten und Giengen führt, aufzufahren und mit Anbruch des Tages
den Marsch über Nerenstetten nach Giengen fortzusetzen. Sie erhält
eme Bedeckung von Eosenberg-Chevauxlegers.
„Um 10^ nacht bricht das Korps Eiesch auf; diesem folgt die
ßeserveartillerie und Munition, auf diese das Korps Werneck und
endhch das Korps Schwarzenberg, das nach dem Übergang die
Brücke zu zerstören hat.
„Die bei Burgau stehende Avantgarde wird bei eingebrochener
Nacht eingezogen, bis auf ein Detachement von 65 Reitern unter
einem sehr geschickten Eittmeister, das bis Tagesanbruch in mög-
lichst breiter Front recht viele Feuer zu unterhalten hat. Vor
Tagesanbruch geht es bei Elchingen und Thalfingen über die Donau
zurück und zerstört die dortigen Brücken. Wenn dieses Detachement
seine Aufgabe gut erfüllt, erhält jeder Mann einen, jeder Unter-
offizier zwei Dukaten Belohnung.
„Alle nicht hier bei Günzburg befindliche schwere und leichte
Artilleriereserve und Munition, desgleichen die Pontons fahren augen-
blicklich nach erhaltenem Befehl nach Ulm, von wo sie vor der
Bagage nach Giengen marschieren.
„Alles, was der Armee nicht unumgänglich nötig ist, fährt
alsobald nach Memmingen, wohin auch heute abend die bereits nach
Weißenhorn disponierte schwere Bagage abzufahren und weitere
Befehle vom FML. Jellachich zu erwarten hat.
„Alles, was sich sonst diesseits des Lech-Flusses bei Landsberg,
Mindelheim etc. an Truppen, Artilleriegut, Bagage etc. befindet,
begibt sieh ebenfalls nach Memmingen.
„General d'Aspre besetzt heute nach eingegangener Nacht
Gundelfiügen ; sobald alle Kolonnen der Armee Gundelfingen passiert
haben, drängt er mit seinem Korps nach Lauingen, Dillingen, Höchstädt,
Blindheim und bis Donauwörth abwärts, vertreibt überall den Feind
und zerstört alle Brücken.
„Ulm wird, weil es nicht mehr möglich ist, den Platz mit
Artillerie zu versehen, morgen früh verlassen; FML. Jellachich zieht
sieh mit zwei Eskadronen und den Infanterieregimentern Beaulieu
— 361 —
und Stain nach Meramingen, wo er morgen nacht eintreffen muß.
Er zerstört die Brücken bei Ulm. FML. Jellachich, " der die von
Tirol anmarschierenden drei Regimenter an sich zieht, hält sich bei
Memmingen solange als möglich. Kann er sich dort nicht mehr
halten, dann läßt er in Memraingen eine Garnison von fünf Bataillonen,
vs^ährend er sich mit dem Detachement Wolfskeel nach Lindau und
Vorarlberg zurückzieht.
„Die Infanterieregimenter Kaiser und Hildburghausen mit
6 Eskadronen Klenau und 4 Eskadronen Rosenberg-Chevauxlegers
unter GM. Richter brechen morgen um 3^ früh von Ulm auf,
rücken unaufhaltsam gegen Geislingen vor, trachten den dort schwach
gemeldeten Feind zu vertreiben und schicken Streifparteien gegen
Stuttgart aus, die den Lärm verbreiten, daß die ganze Armee
nachfolge." ')
Diese Disposition wurde am 9. um 4^ nachmittag beim Erzherzog
Ferdinand in Günzburg präsentiert. Während sie für die Truppen
abgeschrieben wurde, griff das Korps Ney Günzburg an,
Franzosen.
Der Kaiser, der wohl den Glauben hegte, daß der Feind vor
allem den Rückzug über Augsburg suchen würde und für diesen
Fall seine Anordnungen getroffen hatte, dachte aber auch an die
anderen Möglichkeiten — an den Rückzug Macks über Landsberg
oder nach Tirol und auch an den Abmarsch der Österreicher auf
dem nördlichen Donau-Ufer. Weil der Kaiser die ganze leichte
Kavallerie, das Hauptmittel zur Aufklärung, an die Korps verteilt
hatte und weil die schwere Kavallerie aus den früher erwähnten
Gründen versammelt gehalten wurde, war er für seine Entschlüsse
jetzt, wo jede wechselnde Situation rasche Befehlgebung forderte,
ganz auf die Meldungen seiner Korpskommandanten angewiesen.
Diese verwendeten ihre Kavallerie aber nur für ihre beschränkteren
Ziele und waren auch oft nicht in der Lage, den ganzen Gedanken-
gang des Kaisers zu erfassen und danach das für den Kaiser
Wichtigste auszukundschaften und zu melden.
Über die Situation bei Wertingen, Augsburg und Aichach war
der Kaiser wohl unterrichtet. Aber gerade aus der wichtigsten
^) Kriegsarehiv, 1905, Deutsehland PA, X, 73. Von Maek selbst ge-
sclirieben.
— 362 —
Gegend, von dem Korps, das aller Voraussieht nach am nächsten
zur Hauptkraft des Feindes stand, von Ney, war keine Meldung
eingelangt. Der Kaiser wußte nicht, ob Nej den Befehl, Günzburg
zu nehmen, erhalten und ausgeführt habe und was er vom Feinde
getroffen; es war somit für Napoleon schwer, das Dunkel der Lage
zu durchdringen. Nach Süden waren seine vordersten Truppen noch
nicht an die Straße Günzburg — Augsburg gelangt. Dem Feinde
standen daher — soweit Napoleon das am 8. abend be-
urteilen konnte — noch alle vorerwähnten Wege offen. Ney
allein konnte durch seinen Angriff auf Günzburg und durch seine
Beobachtung Ulms Klarheit bringen, und gerade von dort fehlte
jede Nachricht. Der Kaiser ließ daher Ney durch einen um Mitter-
nacht abgegangenen Befehl über die Situation der übrigen Korps
unterrichten und ihm auftragen:
...... Es ist wichtig, daß Sie bald in Günzburg ankommen,
um alle Bewegungen des Feindes von Ulm auf Augsburg und von
Ulm auf Donauwörth zu unterbrechen; seien Sie sehr achtsam,
wenn der Feind auf dem rechten Ufer manövriert, damit Sie rasch
und parallel mit ihm marschieren können. Werfen Sie die Division
Gazan auf das rechte Ufer. Endlich verlieren Sie nicht aus den
Augen, daß es nach dem Plane des Kaisers, den Feind zu um-
schließen und ihm den Rückzug zu verwehren, nötig ist, die eigene
Stärke etwas zu verheimlichen."
Schließlich erhielt Ney den Auftrag, sich immer zwischen
dem Feinde und Donauwörth zu halten, ob der Feind nun nach
Donauwörth oder Augsburg marschiere.
Am 9. Oktober mittag folgte diesem Befehl ein zweiter:
„Wir ha))en noch immer keine Nachricht von Ihnen und
wissen nicht, wo Sie die Nacht zugebracht haben."
Ney erhielt Befehl, die Division Gazan und die Dragoner zu
Fuß nach Augsburg zu senden, wo sie am 10. eintreffen sollten.
(Von Herbrechtingen über Dillingen nach Augsburg sind 70 Am.
Der Befehl war daher für die Dragoner zu Fuß kaum durchführbar.)
Dann heißt es im Befehle weiter:
„Was Ulm betrifft, ist es unmöglich, daß es der Feind stark
besetzt hält. Wenn er es nur mit 3000 — 4000 Mann besetzt hat,
senden Sie eine Division dahin, ihn zu vertreiben; ist er dort viel
stärker, marschieren Sie mit Ihrem ganzen Korps hin und schließen
Sie es ein. Sodann richten Sie sich nach den Bewegungen des
— 303 —
Feindes, sei es auf Angst)urg oder Landsberg oder Memmingen.
Meiden Sie über alles zweimal im Tage dem Kaiser; Sie können sich
denken, was ihm das für die allgemeine Entschlußfassung bedeutet."
Der Kaiser scheint also in seiner Ansicht vom Eückzuge des
Feindes gegen den Lech noch mehr bestärkt worden zu sein, da er
zwei Divisionen von Ney nach Augsburg heranziehen will. Wie
recht er damit hatte, zeigt der am 8. und 9. Oktober beim öster-
reichischen Arraeekommando bestandene Plan.
Dieser Auflassung des Kaisers entsprachen auch seine übrigen
Befehle. Vor allem betraute er Murat mit dem Oberbefehl über alle
westlich des Lech stehenden Truppen und verstärkte Lannes durch
Zuweisung der Divisionen St. Hilaire und Suchet vom 4. Korps. Die
Division Suchet erhielt Befohl, nach Wertingen zu marschieren.
Lannes sollte zwischen Zusmarshausen und Augsburg Stellung
nehmen. Murat wurde angewiesen, die Division Walther zwischen
Augsburg und Landsberg aufzustellen und alle Kräfte bereitzuhalten
für den Fall, als Augsburg am 10. angegriffen werden sollte. „Sicher,
der Feind dürfte im Marsche von Ulm auf Augsburg sein und in
diesem Falle muß Soult rasch verständigt werden, damit er sich
mit Lannes vereinige. Wenn der Feind stark ist, darf sich der
Marschall Lannes nicht in einen ernsten Kampf einlassen, bevor er
mit Soult vereinigt ist"', lautete die Direktive für den Fall eines
Zusammenstoßes.
Marmont erhielt unter der Anspornuug: „Die Augenblicke sind
kostbar; jede verlorene Stunde raubt uns einen Teil des Erfolges
unserer Märsche", den Befehl, noch am 9. an die Kreuzung der
Straßen Neuburg — Augsburg und Rain — München zu marschieren.
Bernadotte wurde angewiesen, ohne einen Augenblick zu ver-
lieren, mit seinem Korps und mit den Bayern im Gewaltmärsche, Tag
und Nacht marschierend, München zu erreichen, die Isar-Brücken zu
besetzen und die Straßen nach Wien und Landsljerg zu sperren.
Der Kaiser hoffe, daß die Vorhut am 10. abend ^München erreiche.
In Ingolstadt solle Bernadotte 2000 Franzosen und 6000 Bayern
belassen, die sich dort verschanzen.
Das große Hauptquartier und die Garde hatten nach Augsburg,
die Kürassierdivision d'Hautpoul nach Mertingen zu marschieren.
Donauwörth blieb durch ein Detachement besetzt.
Der Kaiser ging für seine Person am 9. nachmittag nach
Zusmarshausen, wo er nächtigte.
— 364 —
Marmont kam am 9. nicht über Neuburg, Bernadotte nicht
über Ingolstadt hinaus.
Der Auftrag an das Korps Ney, sich der Brücken bei Günz-
burg zu bemächtigen, führte am 9. zum
Gefecht bei Günzburg.
(Beilage 24.)
Nach den Anordnungen des Marschalls Ney hatten am 9. Ok-
tober zu marschieren :
Die 1. Division (Dupont) und die leichte Kavallerie von
Hausen nach Albeck, wo die Division, den Flötzbach vor der Front,
Stellung zu nehmen hatte ; die Vorhut war soweit als möglich gegen
Ulm vorzusenden; Thalfingen und Haslach waren durch Posten zu
besetzen :
die 2. Division (Loison) von Burgberg nach Langenau, wo sie
auf den Höhen nördlich des Ortes Stellung nehmen sollte; sie hatte
zu versuchen, sich der Brücken bei Elchingen und Thalfingen zu
bemächtigen ;
die 3. Division (Malher) von Dillingen und Gundelfingen
auf der Chaussee nach (iünzburg und ßeisensburg und von Brenz
über Bächingen und Riedhausen nach Günzburg; die Division sollte
Stotziugen und die Brücken bei Dillingen und Lauiugen besetzt
halten und auch versuchen, sich der Brücke von Leipheim zu be-
mächtigen :
die Division Gazan nach Gundelfingen;
die Dragonerdivision Bourcier nach Nerenstetten.
Die Dragoner zu Fuß hatten bei Herbrechtingen stehen zu
bleiben.
Das Eekognoszierungsdetachement der 1. Division (s. S. 353)
war bei Albeck auf feindliche Kavallerie getroffen, die sich zurückzog.
Bei Haslach stellten sieh ihm mehrere Bataillone entgegen. Nach
kurzem Gefechte zog sich das Detachement nach Albeck zurück, wo
es das Eintreffen der Division Dupont, die erst bei Einbruch der
Dunkelheit anlangte, abwartete.
Am 10. meldete Dupont dem Marschall Ney, daß das Eeko-
gnoszierungsdetachement bei Haslach auf überlegene Kräfte gestoßen
war. In einer späteren Meldung vom 10. Oktober spricht Dupont
von der Vereinigung beträchtlicher feindlicher Truppen bei Ulm.
— 365 —
General Malher ließ seine Division um 9^ vormittag in drei
Kolonnen abrücken. Die rechte Kolonne, bestehend aus 12 Voltigeur-
und Karabinierkompagnien , hatte von Stotzingen zur Brücke von
Leipheim vorzugehen und diese zu nehmen. Die Mittelkolonne,
bestehend aus drei Eegimentern, hatte über ßiedhausen gegen die
Brücke bei Günzburg^), die linke Kolonne, ein Regiment stark, von
Gundelfingen auf der Chaussee gegen die Brücke von Reisensburg
vorzugehen.
Die rechte Kolonne, die keinen direkten Weg vorfand, geriet
in die Sümpfe und kehrte nach vergeblichen Versuchen, durchzu-
dringen, nach Riedhausen zurück, wo sie erst in der Nacht eintraf.
Die Mittelkolonne stieß auf dem Marsche von Riedhausen nach
Günzburg zuerst auf den allein rekognoszierenden GM. d'Aspre, der
gefangengenommen wurde, dann auf die Division Tiroler Jäger des
GM. d'Aspre, die sieh vor der Übermacht laugsam zurückzog.
Bei Günzburg waren, wie bekannt, beide Brücken für den ge-
planten Übergang über die Donau wieder in stand gesetzt worden.
Die österreichische Armee war im Begriff, ihre Aufstellung
bei Günzburg zwischen Reisensburg und Limbach zu beziehen, als
die Meldung vom Anrücken starker französischer Kräfte über Ried-
hausen eintraf. Das eben in Günzburg einrückende Infanterieregiment
Erzherzog Karl wurde an die nur schwach besetzte Brücke bei
Günzburg dirigiert und der noch nördlich der Donau befindlichen
Division Tiroler Jäger der Befehl gesandt, den Vormarsch des Feindes
solange aufzuhalten, bis die Vorbereitungen getroffen waren, um die
Brücken zu sichern und abzutragen.
Als aber die Meldung einlangte, daß auch auf der Chaussee
von Gundelfingen Franzosen anrückten, scheint das Abbrechen der
Brücken überhastet durchgeführt worden zu sein, denn als die Jäger
an der Donau anlangten, waren beide Günzburger Brücken ungangbar.
Bei der westlichen Günzburger Brücke war der Brückenteil über
den nördlichen Arm ganz zerstört, bei der Brücke über den Hauptarm
waren drei Felder abgetragen. Bei der Chausseebrücke war der
Belag zunächst des südlichen Ufers entfernt. 200 Jäger und 2 Ge-
*) Gemeint war die Brücke nördlich Günzburg. Die Oliausseebrüeke, die
sich etwas östlich Günzburg befindet, war in der Disposition unberücksichtigt
geblieben, was den ungenau gezeichneten Karten zur Last fällt. Jedenfalls wäre
eine genaue Rekognoszierung der Brücken bei Günzburg vor Beginn des Unter-
nehmens angezeigt gewesen. •
— 366 —
schütze, die somit abgeschnitten waren, fielen den Franzosen in
die Hände.
Inzwischen hatten 2 — 3 österreichische Bataillone und etwa
20 Geschütze an der Brücke nördlich Güuzburg Aufstellung ge-
nommen. Als die Franzosen ^egen 3^ nachmittag aus dem Walde
traten, erhielten sie heftiges Artilleriefeuer; die vier Geschütze, die
sie ins Feuer brachten, konnten der überlegenen österreichischen
Artillerie nicht standhalten. Trotz des heftigen Artilleriefeuers gingen
aber die Franzosen vor, durchfurteten den Donau-Arm und eröffneten
von der Insel aus das Feuer. Nach und nach brachten sie vier Bataillone
auf der Insel in den Kampf. Die Österreicher verstärkten ihre im
Kampf stehenden Truppen noch durch die Greuadierbrigade Hohen-
feld^). Als der Kampf schon längere Zeit gedauert hatte, erhielt
FML. Graf Gyulai den Befehl, nach Wiederherstellung der Chaussee-
brücke mit 7 Bataillonen und 14 Eskadronen über die Donau vor-
zubrechen, den Feind zu vertreiben und so den Weg für den in der
Nacht durchzuführenden Übergang freizumachen^). FML. Gyulai
hatte hiezu das Eegiment Kaunitz bei der Brücke bereitgestellt; als
das Regiment nach Herstellung der Brücke den Vormarsch begann
(es war schon nach 6^ abend), brach auf der Chaussee eine starke,
geschlossene französische Kolonne aus dem Walde, stürmte über
die Brücke und warf das Eegiment Kaunitz auf Günzburg zurück.
Erst eine Attacke von zwei Eskadronen brachte die Franzosen zum
Stehen. Das Regiment Jellachich hatte auf die Nachrieht vom Vor-
brechen der Franzosen die Lisiere von Günzburg besetzt. Die
Franzosen — es war die linke Kolonne, das 59. Linieninfanterie-
regiment — griffen das Regiment Jellachich an, aber das Eingreifen
österreichischer Kavallerie veranlaßte die Franzosen zum Zurück-
gehen; sie blieben auf den Höhen südlich der Chausseebrücke stehen,
wo sie alle folgenden Kavallerieangriffe abwiesen. Erst nach S^ abend
verstummte der Kampflärm.
Inzwischen hatte General Malher erkannt, daß es unmöglich
war, bei Günzburg selbst die Donau zu überschreiten oder die zer-
störte Brücke herzustellen. Da somit der Kampf auf der Insel zwecklos
^) Die Brigade bestand aus den vier auch bei Wertingen gestandenen
(irenadierbataillonen Stuart, CoUoredo, Erbaeh und Kaunitz.
^) Dem FML. Gryulai, der eine Division des Korps Rieseh befehligte, v?aren
für diese Aktion zugewiesen: die Brigade Odoneil des Korps Werneek (Infanterie-
regimenter Kaunitz und Jellachich^ und die Kavalleriebrigade Mecsery seiner
DiTision (14 Eskadronen). •
— 367 —
erschien, erhielt die Mittelkolonne Befehl, nach ßiedhausen zurück-
zugehen. Als General Malher während des Rückzuges Melduug vom
Erfolge der linken Kolonne erhielt, gab er sofort allen Truppen der
Division Befehl, zur Chausseebrücke zu rücken. ^
Durch den Verlauf des Gefechtes wsly der Plan Macks, bei
Güuzburg über die Donau zu gehen, unausführbar geworden. Erz-
herzog F'erdinaud schlug daher vor, die Donau noch in derselben
Nacht bei Elchingen zu überschreiten und sodann über Heidenheim
und Nördlingen an die untere Donau zu marschieren, oder, da man
für diesen Marsch schon einen Tag verloren hatte, den Rückzug
sofort über Mindelheim und Landsberg oder über Memmingen und
Füssen durchzuführen.
Mack wollte vom zweiten Vorschlag absolut nichts wissen, aber
auch zum Donau-Übergang bei Elchingen konnte er sich nicht ent-
schließen. Er gab den Übergang vorläufig ganz auf und befahl der
Armee, am Abend, während der Kampf noch wütete, sofort nach
Ulm zurückzumarschieren , wo sie nach seinem Ausspruch „in
Abrahams Schoß" sein werde und von wo es immer Zeit wäre, den
weiteren Marsch nach Hoidenheim anzutreten.
Der Rückzug konnte nicht planmäßig durchgeführt werden.
Wegen des steten Wechsels der Ordre de bataille, wegen des Vor-
marsches nach Burgau und des während dieser Bewegung einge-
leiteten Rückmarsches nach Günzburg, der bis in die Nacht zum
10. dauerte, wegen der Besetzung der Stellung bei Günzburg und
der mitten daraus zur Verteidigung der Brücken nach und nach not-
wendig gewordenen Truppenverschiebuugen, endlich wegen des Ge-
fechtes selbst wußte am Abend des 9. Oktobers, als der Rückzug-
befehl erfolgte, niemand, wo eigenthch die Brigaden, Regimenter und
Bataillone standen. Dazu kam, daß in Günzburg Truppen von Reisens-
burg und von der Augsburger Straße zusammenkamen und daß
durch (las Zurückfluten des Regiments Kaunitz und durch eine im
(Galopp durch Günzburg zurückgehende Kavalleriebatterie bei ein-
brechender Dunkelheit eine Panik in Günzburg entstand. So wurde
der Rückmarsch der Armee, ohne daß zu ibrem Glücke der Feind
nachdrängte, schon regellos und ohne Ordnung begonnen.
Als nun die Truppen in tiefer Nacht durch Nersingen zogen,
tönte plötzlich Gefechtslärm von Elchingen her. Dort hatte um
1^ 30^ nacht eine Brigade der 2. Division des Korps Ney die von
einem Bataillon Spork besetzte Brücke genommen.
— 368 —
General Loison hatte voo Langenau, wo er eine Brigade be-
ließ, den Vormarsch nach Ober- Elch ingen fortgesetzt, um dem Auf-
trage gemäß die Brücke zu nehmen. Er fand diese nur von einer
Kompagnie besetzt. Der rasch durchgeführte Angrifif brachte die
Brigade in den Besitz der Brücke. Die inzwischen herangerückten
drei anderen . Konapagnien des Bataillons Spork und dessen drei-
pfündige Kanone waren kaum aufmarschiert, als sie angegriffen
wurden. Der Dreipfünder konnte nur mehr drei Schuß abgeben ; er
wurde von den Franzosen genommen. Nach längerem Feuerkampf
zogen sich die Österreicher zurück. Die Franzosen begnügten sich
mit der Besetzung der Brücke.
Der Gefechtslärm von Elchingen und die daraus fühlbar ge-
wordene Gefahr eines Flankenangriffes scheinen die Ordnung und
Disziplin der zurückmarschierenden Truppen ganz aufgehoben zu
haben. Nach den Schilderungen von Augenzeugen sollen die Truppen
am 10. Oktober früh in aufgelöster Ordnung und gänzlich erschöpft
in Ulm angekommen sein^). Oberst Bianchi, der Generaladjutant des
Erzherzogs, gibt in seinem Tagebuch an: Am 10. Oktober früh
kam die Armee nach Ulm und bezog dort das unordentlichste Lager,
das man je gesehen; vorerst mußte alles ein Tor passieren, wo sieh
alles schoppte und drängte 2).
Bei Günzburg war im Laufe der Nacht die ganze Division
Malher eingetroffen. General Malher ließ bei Tagesanbruch Günzburg
einschheßen ; die österreichische Nachhut hatte es aber schon vorher
geräumt.
In Günzburg fielen 300 Verwundete und etwa 150 Nachzügler
in die Hände der Franzosen. 1000 Gefangene, darunter ein General,
^) ,,Am 9. hörten wir den Sehlaehtlärm von Günzburg. Um IIb nacht
begannen die geschlagenen Österreicher in größter Unordnung wieder in Ulm
einzutreffen. Infanterie und Kavallerie untereinander in kleinen Haufen und ein-
zelnen Soldaten; die Verwirrung war allgemein. Schon am 10. fürchteten die
Österreicher einen Überfall. Es blieb aber ruhig. Die Witterung war schrecklich;
schon am 9. begann es zu regnen und regnete ununterbrochen bis zum 14. Ok-
tober fort. Dazu wehte ein eisiger Wind, der den Regen zeitweise in Schnee
verwandelte.
„Die Truppen litten schrecklich. Die Regimenter kamen alle 24 Stunden
nach Ulm, um sich zu trocknen. Ihre Schuhe und Mäntel waren zerrissen, ihre
Waffen mit dickem Rost überzogen."
„Ulms Schicksale in dem letzten Kriege; aus dem Tagebuch eines Augen-
zeugen (eines der ersten Bürger Ulms).'' Voss, Zeiten, 7. Bd., 1806, Juliheft.
-) Kriegsarchiv, 1805, Deutsehland FA, XIII, 1-26.
— 369 —
und 6 Geschütze waren die Trophäen des Tages. Der Verlust der
Österreicher betrug gegen 2000 Mann.
Viel größer noch, als es dieser Verlust der Österreicher ahnen
ließ, war der Erfolg des Gefechtes von Günzburg. Die ganze öster-
reichische Armee hatte vor einem keck geführten Regiment das
Feld geräumt und hatte in einem nächtlichen, zur förmlichen Flucht
ausartenden Eückzuge große Einbuße an moralischem Gehalt erlitten.
Das österreichische Armeekoramando, das ohnedies schon sehr oft
seine Absichten gewechselt hatte, war abermals gezwungen, seinen
Plan zu ändern. Wie zerstörend dieses fortwährende Ändern der Pläne
auf die Armee wirkte, wird die Schilderung der künftigen Ereignisse
zeigen.
Beim Gefechte von Günzburg lassen' sich die Ursachen der
österreichischen Niederlagen viel deutlicher erkennen als beim Ge-
fechte von Wertiugen.
Bei Günzburg hatte der Sieger keine Übermacht in den Kampf
gebracht. Höchstens 7000—8000 Mann und 8 Geschütze zählte die
ganze Division Malher, von der aber die rechte Kolonne gar nicht
in den Kampf eingriff. Bei der westlichen Brücke standen 3 franzö-
sische Regimenter und 4 Geschütze in aussichtslosem Kampfe gegen
etwa 10 Bataillone und 20 Geschütze; aussichtslos war der Kampf,
weil die Herstellung der Brücke unmöglich war. Die Hauptkraft der
Division konnte also nur geringe Kräfte der Österreicher festhalten.
Die Entscheidung brachte der kühne Angriff der zwei Bataillone des
Infanterieregiments Nr. 59. Der Angriff dieser höchstens löOO bis
1600 Mann starken Kolonne traf zuerst auf vier Bataillone Kaunitz
(2300 Mann): an der Brücke waren überdies noch 3 — 4 Bataillone
verschiedener Regimenter aufgestellt. Nachdem diese Truppen zurück-
geworfen waren, stießen die 59er auf drei Bataillone Jellachich
(1000 Mann) und auf die Kavalleriebrigade Mecsery. Da auch starke
österreichische Artillerie in Tätigkeit trat, waren an der Chaussee-
brücke weit überlegene österreichische Kräfte tatsächlich im Kampfe.
Überdies waren aber bei Günzburg noch Truppen zur Verfügung
Macks, die der ganzen Division Malher mehrfach überlegen waren;
zählte doch die österreichische Armee bei Günzburg wenigstens
43 Bataillone und 76 Eskadronen mit etwa 36.000 Mann Infanterie
und 7600 Reitern.
Krauss. 1805, Der Feldzug von Ulm. ^^
— 370 —
Hier kann also nur die planlose Gefechtsführung-, als Folge
der planlosen Armeeführung, die Ursache der Niederlage sein, um-
somehr, als sich die österreichischen Bataillone nach Angabe der
Franzosen gut und mit Bravour geschlagen haben.
Die Günzburger Brücken waren am 5. Oktol)er auf Befehl des
FML. V. Auflfenberg abgetragen worden. Am 6. und 7. Oktober
wurden die Brücken wiederhergestellt, denn sie waren der Armee,
die sich bei Günzburg sammelte, sehr nötig. Am 9., als der Plan
gefaßt worden war, mit der Armee bei Günzburg überzugehen, ge-
wannen die Brücken an Bedeutung; sie waren daher, um sie für
den Übergang offenzuhalten, unbedingt gegen Norden zu sichern.
Das geschah aber nicht. Im Gegenteil! Auf die Nachricht vom An-
märsche der Franzosen wurden die für die Durchführung des
Planes des Armeekoramandos so wichtigen Brücken abermals ab-
gebrochen — obwohl man wenige Stunden später, in der Nacht,
über sie abmarschieren wollte. Hervorgehoben muß werden, daß
Mack mehrere verläßliche Meldungen erhalten hatte, daß die Haupt-
kraft der Franzosen bei Donauwörth und östlich davon die Donau
überschreite, daß somit nur eine Nebengruppe im Marsch auf Günz-
burg sein konnte. Als dann endlich am Abend FML. Gyulai den
Befehl bekam, den Feind vom linken Ufer zu vertreiben, mußte die
Brücke im feindlichen Feuer hergestellt werden — damit die Fran-
zosen über sie zum Angriife vorbrechen konnten.
Dabei traten die Franzosen durchaus nicht überraschend auf.
Am 9. zwischen 2 und 3^ früh kämpfte österreichische Kavallerie
bei Stotzingen gegen Nachzügler der 1. Division. Schon in den
Vormittagstunden stießen die Tiroler Jäger und leichte Kavallerie
auf die gegen Eiedhausen vorgehende französische Mittelkolonne.
Nach Angabe des GM. v. Mayer hörte man in Günzburg seit 10''
vormittag das Feuer vom Kampfe der Tiroler Jäger. „Aber man
hörte im Hauptquartier geduldig zu und war unbesorgt", sagt
GM. Mayer. Während dieser Zeit schrieb Mack seine Disposition für
den Donau-Übergang nach Norden, von wo der Gefechtslärm her-
übertönte, indessen zu gleicher Zeit die Armee eine Stellung vor
Günzburg, Front nach Osten, besetzte und die Donau-Brücken ab-
brach! Welche Widersprüche und welche Planlosigkeit!
Man kann auch nicht behaupten, daß Mack kein Glück hatte.
Napoleon hatte in Unkenntnis darüber, daß fast die ganze Armee
Macks bei Günzburg versammelt sei, Ney beauftragt, die Brücken
— 371 —
von Günzburg zu nehmen, aber auch eine Division gegen Ulm bei Albecis:
als Vorhut bereitzustellen. Dieser Befehl setzte somit eine schwache
Gruppe von höchstens 14.000—15.000 Mann zur Vorrückung gegen
eine Armee von über 40.000 Mann an, die im Besitze von sechs
Donau-Brücken^) war. Maek konnte aus seinen Nachrichten be-
stimmt wissen, daß nur eine schwächere Nebengruppe gegen Günz-
burg anmarschiere, daß er also die schönste Gelegenheit habe, im
kecken und energischen Angriff einen leichten Teilerfolg zu er-
ringen, der Wertingen wettmachen konnte. Das war Glück!
Macks Glück war aber noch weit größer.
Ney, der den kaiserlichen Befehlen in diesen Tagen allem
Anseheine nach nur widerwillig gehorchte, sandte nicht nur eine
Division nach Albeck, sondern auch eine zweite nach Langenau —
Elchiugen, so daß nach Günzburg nur eine Division mar-
schierte, 7000— 8000 Mann gegen mehr als 40.000 Mann. — Selbst
damit war aber Macks Glück noch nicht erschöpft. Von diesen
8000 Mann, die in drei Kolonnen vorgingen, blieben etwa 1000 Mann
(die 12 Elitekompagnien starke rechte Kolonne) in den Sümpfen
stecken und kamen nicht ins Gefecht. Die starke Mittelkolonne hatte
sich in einen aussichtslosen Kampf derart verbissen, daß sie nur
schwer von der Insel über den Donau -Arm zurückkonnte; ein über
die Chausseebröcke durchgeführter energischer Angriff hätte diese
Kolonne vielleicht auf der Insel vernichten können.
Auch das war Glück, daß dieser schwache französische An-
griff nicht etwa aus einer mit den Plänen Macks nicht überein-
stimmenden Richtung erfolgte. Nein, just aus der Eichtung erfolgte
der Angriff dieser Minderheit, in der Mack nach wenigen Stunden
mit der ganzen Armee vorbrechen wollte. Wenn er daher alles zum
planmäßigen Angriff über die Donau gesandt hätte, was schon am
Nachmittao; dazu bereit war, würde nicht ein Sehritt in falscher,
den Hauptplan schädigender Richtung erfolgt sein. Er hätte den be-
absichtigten Abmarsch auf das linke Ufer nur etwas früher be-
gonnen und mit einem schönen Teilsieg eröffnet.
Aber all das Glück nützte nichts. So wie bei Wertingen die
Bataillone nur gerade irgendwo hingestellt worden sind und sieh
dort wehrten, da man nun einmal im Kriege stand, ebenso wurden
auch hier bei Günzburg die nächsten Truppen, wie sie gerade
') ßeisensburg, Günzburg (2), Leipheim, Elehingen und Thalfingen.
24*
— 372 —
kamen, an die Brücken beordert, nm dort zu kämpfen. Es wurde
daher auch hinübergeschossen — weiter nichts. Als dann endlich
in dem Befehl an Gyulai ein positiver Wille, ein positiver Entschluß,
den Feind zu vertreiben und ihn dazu anzugreifen, auftauchte, war
es leider zu spät. Bis sich die Truppen, die von ihnen fremden
Generalen geführt wurden, aus ihrem gewohnten passiven Verhalten
zum Elan des Angriffes aufschwangen, hatte sie der schon im
Schwung der Initiative befindliehe Feind über den Haufen geworfen.
Es genügt eben nicht, einer Truppe zu liefehlen: Greife an! Sie muß
auch den Schwung zum Angriff, den Elan, von oben, vom Armee-
führer erhalten; dessen Initiative allein, die er sich nie entwinden
lassen darf, kann die Truppe zu einem Angriff fortreißen, der alle
Hindernisse überwindet. Diese Initiative liegt aber wieder nur im
Angriffe. Wenn daher der Armeeführer nicht selbst zum rück-
sichtslosen Angriff entschlossen ist und die Verteidigung nur
zum gelegentlichen 3Iittel für den Augriff ausnützt, kann er
auch von seinen Truppen nicht den wuchtigen Schwung zum
entscheidenden Angriff erwarten. Dieser energische klare Wille
des Feldherrn, der in allen seinen Maßnahmen und im Ton seiner
Befehle zum Ausdrucke kommt, pflanzt sich durch die Unterführer
aller Grade wie ein Fluidum bis in die äußersten Enden der Armee
fort; der gleiche feste Wille zum Angriff beherrscht sie, vom Führer
bis zum Mann in Eeih und Glied. Ebenso, nur noch viel rascher
und vollständiger, pflanzen sich aber Entschlußlosigkeit, Unsicher-
heit und Wankelmut vom Führer auf die Truppen fort, lähmen
deren Angriffsfreudigkeit und führen schließlich immer zum Ab-
warten des feindlichen Angriffes. Die Franzosen von 1870 haben
das deutlich bewiesen, die doch noch ganz dieselben waren wie
die Franzosen Napoleons I. und die Franzosen von 1859, die den
Euf des französischen Elans begründet haben. Von Elan war 1870,
einige kleine Beispiele ausgenommen, keine Spur. Im russisch-
japanischen Kriege haben es die Russen nicht einmal verstanden,
energisch anzugreifen, im Gegensatze zu den Japanern, deren An-
griffe von einer geradezu überwältigenden Energie zeugen. Der
Charakter der obersten Führung stand damit tiberall im Einklang.
Weil dieser Wille zum Angriff Mack fremd war, gab er den
Plan, nördlich der Donau flußabwärts zu marschieren, sofort auf,
als die erste Handvoll Franzosen bei Günzburg auf dem südlichen
Ufer stand.
— 373 —
Es fragt sich nun nur noch, ob dieser Plan überhaupt Aus-
sicht hatte, zu gelingen.
Wenn es Mack gelungen wäre, die Division Malher über den
Haufen zu werfen, hätte er bei Achtung der Neutralität Preußens
entweder nur südlich von Ansbach, also knapp an der Donau, oder
aber nördlich um das Ansbachische herum über Würzburg und
Nürnberg abmarschieren können.
Von Günzburg längs der Donau bis Ingolstadt, wo die letzten
französischen Truppen gemeldet worden waren, sind 110 km, über
Heidenheim, Nördlingen und Eichstädt nach Ingolstadt 150 lim zu-
rückzulegen. Da nun Napoleon spätestens am 10. Oktober Meldung
vom Durchbruche Maeks erhalten hätte, so wären Soult, Marmont,
Davout und Bernadotte, die in der Linie Augsburg — München^)
höchstens 50 — 70 hm von Ingolstadt entfernt standen, in der Lage
gewesen, sich mit ihren 100.000 Mann den Österreichern vor-
zulegen. Da Donauwörth, Nördlingen und Ingolstadt besetzt waren,
hätten deren Besatzungen, zusammen etwa 8000 — 10.000 Mann,
den Marsch der Österreicher wesentlich verzögert. Lannes, Murat
und Ney, nach Vernichtung der Division Malher etwa 60.000
Mann stark, hätten der einmal bis Nördlingen oder Donauwörth
vorgedrungenen österreichischen Armee den Eückweg nach Ulm
verlegt.
Je weiter nach Norden Mack ausgeholt hätte, desto weniger
Chancen hatte er zu entkommen. Während er z. B. über Nörd-
lingen nach Eichstädt 125 lim Weg hatte, waren von Aichach dort-
hin nur 50, von Augsburg 65 und von München. 90 /^m zu hinter-
legen. Je weiter nach Norden, desto mehr verschlechtert sich dieses
Verhältnis für die Österreicher.
Der Plan Macks war somit auch ein wenig überlegter,
Napoleon gegenüber aussichtsloser Gedanke. Um überhaupt zur Hoff-
nung auf Gelingen berechtigt zu sein, hätte man Herr der Brücken
von Neuburg und Ingolstadt sein müssen.
Mack hat diesen Plan, bei dem er nie mit ganzem Herzen
war, ebenso leicht fallen gelassen, als er ihn gefaßt hatte.
Die Armee war endlich am 10. Oktober dort, wo Mack sie
von allem Anfange haben wollte, bei Ulm.
*) Am 10. war wohl noch niemand in München; um aber jeden Sehein
von Voreingenommenheit zu vermeiden, soll an.genommen werden, daß Bernadotte
den Willen des Kaisers, am 10. abend in München zu sein, erfüllt gehabt hätte.
— 374 —
Die Situation am Abend des 9. (Beilage 25) war somit für die
Österreicher höchst ungünstig geworden. Der österreichische Armee-
führer hatte die Absicht des Abmarsches an den Inn vorläufig auf-
gegeben. Damit und mit dem Eückmarsch nach Ulm kam er den
Absichten seines Gegners entgegen, da dieser jetzt nicht nur Zeit
für die vollständige Trennung der Österreicher und Russen gewann,
sondern Mack auch noch den einzigen Rückweg verlegen konnte,
den Rückweg nach Tirol.
Zum Schlüsse wäre nur noch die Frage zu erörtern, warum
denn Napoleon am 9. Oktober Lannes und Murat auf Augsburg
verwies, anstatt sie, da doch der Rückzug der Österreicher von Ulm
über Günzburg nach Augsburg führte, nach Günzburg zu
dirigieren, wo sie im Zusammenwirken mitNey der österreichischen
Armee vielleicht schon am 9. Oktober eine vernichtende Niederlage
beigebracht hätten. Anstatt sie also dem im engsten Kontakte mit
der feindlichen Hauptarmee stehenden Ney zu Hilfe zu senden,
hielt er sie zurück und trug ihnen auf, ja bereit zu sein, sich mit
Soult zu vereinigen, der doch ganz ungefährdet war.
So ähnlich klingt in leichtem Tadel die Darlegung bei Alom-
bert et Colin, Bd. HI, S. 35—37.
Wenn Napoleon, so sicher wie wir heute, am 8. abend oder
am 9. früh gewußt hätte, daß die ganze österreichische Armee in
der Stärke von höchstens 45.000 Mann bei Günzburg vereinigt war,
dann hätte er sicher Ney den Auftrag gegeben, unter bloßer Beob-
achtung von Ulm mit ganzer Kraft auf Günzburg anzugreifen (natür-
lich von mehreren Punkten aus, also über Lauingen, direkt auf
Günzburg und über Leipheim) und er hätte auch Lannes und Murat
gewiß zur Unterstützung Neys nach Günzburg dirigiert, also etwa
60.000 Mann gegen die 45.000 Österreicher angesetzt. Wenn man
so urteilt, dann hat Napoleon allerdings einen unbegreiflichen Fehler
gemacht.
Die Verhältnisse lagen aber am 8. und 9. Oktober 1805 ganz
anders.
Napoleon wußte vor allem nicht, daß die ganze österreichische
Armee bei Günzburg stand oder sich dort sammle. Alle Nachrichten
ließen schließen, daß die Hauptkraft noch an der Hier und bei
Ulm stehe; bei Günzburg nahm er nur ein Korps an.
— 375 —
Weiters konnte Napoleon auch nicht über die Stärke der Öster-
reicher genau orientiert sein. Er schätzte, daß sie 80.000 Mann in
die Schlacht bringen köunten. Wenn er also selbst verläßlich gewußt
hätte, daß die ganze österreichische Armee sich bei Günzburg ver-
einige, hätte er sich gesagt, daß die 60.000 Mann, die er sofort auf
Günzburg versammeln konnte, nicht hingereicht hätten, ihm den Er-
folg zu verbürgen. Das konnte vielmehr nur eine Konzentrierung,
wie er sie angeordnet hatte, auf Augsburg. Es hatte ja auch Ney
den Auftrag, dem Feind in der Flanke nach Augsburg zu folgen.
Endlich urteilte Napoleon nicht mit dem beschränkteren Ge-
sichtskreise seiner Korpskommandanten. Er mußte die Verhältnisse des
ganzen Kriegsschauplatzes berücksichtigen ; die Korpskommandanten
berücksichtigten nur das ihnen Naheliegende; es zog Lannes daher
vielleicht wirklich mehr nach Günzburg, wo er den nächsten Feind
wußte, als nach Augsburg, wo ihn der Kaiser unter bestimmten
Voraussetzungen haben wollte. So sollen auch die Korpskora-
mandanten sein. Sie sollen, wie alle ihre Truppen immer auf den
Feind losdrängen, sie sollen vor Begierde brennen, selbst allein
und ohne Unterstützung einen übermächtigen Feind anzugreifen,
um ihn ja nicht entkommen zu lassen. Diese Begierde darf aber nie
so weit gehen, die Absichten des Feldherrn zu durchkreuzen. Dar-
aus folgt abermals der hohe Wert einer verständnisvollen, den Unter-
führern die nötige Freiheit lassenden Befehlgebung.
Napoleon, der den Feind 80.000 Mann stark an der Hier und
bei Ulm vermutete, mußte sich sagen, daß diese 80.000 Mann, wenn
sie über Augsburg an den Inn zurückmarsehieren wollten, unmög-
lich auf der einzigen Chaussee Ulm, Günzburg, Zusmarshausen,
Augsburg anmarschiert kämen, sondern daß sie wahrscheinlich auf
mehreren Weglinien aus dem Räume Landsberg, Memmingen, Ulm
anrücken dürften.
Diesen, vernünftigerweise dem Feinde zugeschriebenen An-
marschverhältnissen gegenüber konnte Napoleon unmöglich die
höchstens 8000—9000 Mann Infanterie und 10.000 Reiter starke
Gruppe Murats zur Unterstützung Neys, der sich erst den Übergang
über die Donau erkämpfen mußte, nach Günzburg versenden^). Eine
starke feindliche Gruppe mit zwei, durch einen Fluß getrennten
^) Napoleon konnte nur die 8000 Grenadiere bei Wertingen annehmen.
Daß tatsächlich auch die Division St. Hilaire am 9. friili dort war, konnte Na-
poleon noch nicht wissen.
— 376 —
gleich schwachen Gruppen anzugreifen, das war nicht Napoleons
Gepflogenheit. Ney allein nach Günzburg senden, ja! das war
napoleonisch. Nej sollte durch seinen Angriff den Feind auskund-
schaften und dessen Eückzug stören. Ney sollte diesen Angriff, wenn
es ging, rechtzeitig abbrechen, wenn der Feind sich zu mächtig
zeigte; das läßt die Fassung aller Befehle Napoleons erkennen. Das
darf nicht mit einer gewaltsamen Eekognoszierung verwechselt
werden (s. S. 410), denn Ney hatte mit ganzer und, wie Napoleon
immer erinnerte, mit versammelter Kraft anzugreifen.
Der Angriff sollte Ney in den Besitz der Brücken von Günz-
burg setzen, damit er, wenn nötig, zur Entscheidungsschlacht nach
Augsburg oder Landsberg heraneilen könne.
Napoleon mußte bei dieser Beurteilung der Dinge Murat auf-
merksam machen, den Anschluß an Soult bei Augsburg nicht zu
versäumen. Napoleon, der immer sicher gehen wollte, hat bei seinen
Anordnungen auch an die Möglichkeit eines gleichzeitigen Angriffes
Kienmayers von Osten her gedacht, ja, er hat selbst mit der Mög-
lichkeit des Eingreifens der Bussen gerechnet.
Das ist das Charakteristische der napoleonischen Kriegführung:
Scheinbar schrankenlos kühn im Entwerfen eines Entschlusses und
vorsichtig in der Durchführung, vorsichtig nicht in dem Sinne des
zaghaften Heranschleichens und Zauderns, sondern im Denken an
alle Hindernisse und Zufälle, die sich der Durchführung des Ent-
schlusses in den Weg stellen könnten.
XV. Der 10. und 11. Oktober.
(Beilagen 26 und 27.)
Österreicher.
Die österreichische Armee war am 10. früh, wie schon er-
wähnt, nach dem nächtlichen Eückzug in vollkommen zerrüttetem
Zustande bei Ulm angelangt und hatte mit dem größten Teil auf
dem nördlichen Donau- Ufer eine Aufstellung bezogen^).
Mit Ausnahme des Korps Kienmayer, das seinen ßückzug am
10. Oktober bis München fortsetzte, und mit Ausnahme des kleinen
Detachements Wolfskeel war somit am 10. Oktober die ganze
deutsche Armee bei Ulm vereinigt.
Am 10. Oktober abend traf das erste der aus Italien heran-
gezogenen Infanterieregimenter (Czartoryski, 4 Bataillone), in Mem-
mingen ein^).
Alle Truppen, auch die, die noch nicht im Feuer gestanden
waren, hatten schon stark gelitten. Manche Truppen wiesen ganz
außerordentlich starke Einbußen auf. So zählte das drei Bataillone
starke Infanterieregiment Jellachich nach dem Frührapporte vom
11. Oktober anstatt 2800 Mann nur mehr 800 Mann, worunter nur
596 Feuergewehre, also 199 Feuergewehre bei einem Bataillon. Das
Eegiment Kaunitz zählte mit Stab und vier Füsilierbataillonen anstatt
3700 Mann nur 1932 Manu, darunter 1693 Feuergewehre, also 424
Gewehre bei einem Bataillon. Das Grenadierbataillou Jellachich zählte
anstatt 620 Mann nur 4 Offiziere und 108 Mann, darunter 91 Ge-
wehre. Ein Oberleutnant kommandierte dieses Bataillon.
1) Siehe Beilage 26.
2) Nach dem Standesausweis vom 10. Oktober hatte das Regiment 1810
Mann, darunter 42 Offiziere und 1484 Feuergewehre. Das Regiment (Grenadier-
bataillon und drei Füsilierbataillone) sollte einen Mannsehafts-Gef e eh ts stand
von 2960 xMann und einen Gesamtstand von etwa 3300 Mann liaben.
— 378 —
Das Inlianterieregiment Eeuß-Greitz mußte noch stärker gelitten
haben, da es bei Wertingen nahezu ganz vernichtet worden ist. Das
Grenadierbataillon Erzherzog Ludwig erschien in der Ordre de ba-
taille vom 12. Oktober überhaupt nicht mehr. Auch die Truppen-
listeu der Korps Werneck und Jellachich und die Triippeneinteiluug
der in Ulm gefangenen Armee führen dieses Bataillon nicht au.
FML. Rouvroj, der Artilleriechef der Armee, meldete am
11. Oktober, daß der elende Zustand der Pferde die Artilleriereserve
operationsunfähig, ja fast unfähig zu jeder Bewegung mache.
Solche Stände und Zustände, die sonst nur ganz ausnahms-
weise bei einzelnen Truppenkörpern uach blutigen Schlachten oder
zum Schlüsse eines langen, kampfreichen Feldzuges einzutreten
pflegen, waren hier die Folge der Hin- und Hermärsche und zweier
unbedeutender Gefechte.
Wie tief die Zerrüttung der Armee schon an diesem Tage
gewesen sein muß, geht aus der Angabe des FML. Mack in seinem
Prozesse hervor, daß die Zerrüttung und Ermüdung der Armee am
10., 11. und 12. Oktober gar keine Bewegung gestattet habe.
Trotz diesem Zustande der Truppen warf Mack sie in der Auf-
stellung bei Ulm gänzlich durcheinander. Korps-, Divisions- und
selbst Brigadeverbände wurden ohne jeden Anlaß und ohne jeden
Grund zerrissen.
Am 10. Oktober faßte Mack den Entschluß, noch am selben
Tage nach Heidenheim abzumarschieren. An Kienmayer schrieb er
am 10. : „Heute gehet die Armee auf Heidenheim und wird durch
diesen Marsch die Vereinigung mit Ihnen oder vielleicht die freie
rückwärtige Kommunikation suchen. FML. Jellachich wird, weil
der Feind wieder mit seiner Hauptmacht gegen die Donau
zurückgekehrt, beordert, auf dem linken Ufer dieses Flusses auf-
wärts die Pässe von Tirol zu gewinnen."
Dieses Schreiben ist vollkommen unverständlich. Woher konnte
Mack die Ansicht nehmen, daß die französische Hauptmacht gegen
die Donau zurückkehre ? Es hatte keine einzige Bewegung der Fran-
zosen stattgefunden, die Mack zu diesem Schlüsse berechtigt hätte.
Auch wußte man schon damals im österreichischen Hauptquartier,
daß bei Günzburg nur ein Teil des Korps Ney aufgetreten war. Das
Schreiben wird erst verständlich, wenn man beachtet, daß der Weg
von Ulm zu den Pässen von Tirol nicht auf dem linken Donau-
Ufer aufwärts führt. Wozu war also dem Korps Jellachich dieser
— 379 —
Umweg zugedacht ? Doch nur deshalb, weil der direkte Weg längs
der Hier nicht mehr sicher genug erschien. Mack hat somit jeden-
falls darauf gerechnet, daß die bei Wertingen und Augsburg auf-
getretene französische Hauptmacht gegen Ulm vorrücken werde, wie
er es ja schon am 9. früh erwartet hatte und dagegen bei Burgau
und Günzburg Aufstellung nehmen wollte. Diesen Vormarsch der
Franzosen auf Ulm nannte er nun euphemistisch : gegen die Donau
zurückkehren. Diesem Zurückkehren gedachte er sich durch den
Marsch nach Heidenheim zu entziehen.
Diesem Entschluß entsprechend erhielt vor allem am 10. die
bei Weißenhorn gesammelte große Bagage den Befehl, über Mem-
mingen nach Kempten zu marschieren und den Weg über Füssen
nach Tirol rekognoszieren zu lassen').
Am Abend fand eine Besprechung aller Generale der Armee
statt, bei der Mack seinen Plan bekanntgab, mit der Armee über
Heidenheim abzumarschieren. Bei dieser Gelegenheit teilte der Erz-
herzog dem FML. Mack mit, daß er soeben ein Handbillett des
Kaisers vom 5. Oktober erhalten habe, das die Stellung Macks gegen-
über dem Armeekommandanten regle. Dieses Handbillett wies den
Erzherzog an, den Bat des FML. Mack jederzeit zu befolgen, d. h.
es stellte den Armeekommandanten tatsächlich unter den Befehl des
FML. Mack. Das Handschreiben lautete:
„Lieber Herr Vetter!
„Aus Meinen heute an Sie ergehenden Befehlen werden Sie
ersehen, um was für wichtige Gegenstände es sich handelt.
„Bei Meiner Anwesenheit in Landsberg haben Sie Mir aus
einer sehr lobenswürdigen Bescheidenheit den Wunsch geäußert,
zu Ihrer Beruhigung eine Weisung von Mir für den Fall zu er-
halten, daß Sie einer verschiedenen Meinung mit dem FML. Mack
in solchen Gegenständen sein sollten, die die Operationen der Ihnen
anvertrauten Armee betreffen.
*) Der Kommandant des Aruieetrains hatte am 10. Oktober aus Weißen-
horn gemeldet:
Die Kriesrskasse und die Bagage des Erzherzogs Ferdinand wurden schon
am 9. nach Memmingen gesandt. Alles andere steht bei Obenhausen und Unter-
Roth. Feindliche Patrouillen sind bei Waldstetten, Wettenhausen, ja selbst bei
Kissendorf gesehen worden. (Kriegsarchiv, 1805, Deutschland PA, X, 87.)
— 380 —
„Ich habe Ihnen damals gesagt, es überlegen zu wollen; nun
aber, da es sich um Fassung solcher Entschlüsse Ihrerseits handelt,
wovon das Wohl Meiner Monarchie abhängt, und die sich doch nur
nach genauer Kombinierung aller Umstände in loko ergreifen lassen,
so glaube Ich Ihnen selbst einen wahren Dienst zu leisten, wenn Ich
Sie ersuche — nachdem Sie dafür gesorgt haben werden, daß alles reif-
lich überlegt werde — den Rat des obgenannten Feldmarschallleutnants
zu befolgen, der Mir schon in mehreren Vorfall enheiten wichtige
Dienste geleistet und in seinem Geschäfte viele Erfahrung besitzt.
„Sobald Meine Umstände Mir zulassen werden. Mich wieder zu
der Armee zu begeben, werde Ich es mit vielem Vergnügen tun und
bitte Sie, indessen versichert zu sein von den Gesinnungen, mit
welchen Ich zeitlebens sein werde
Ihr ergebener
Franz."
Dieser kaiserliche Befehl hätte nichts an sich gehabt, wenn
durch ihn die Macht an den wirklich geistig Höher- oder auch nur
Hochstehenden und an einen Charakter gefallen wäre, der jederzeit
die Sache über seine Person gestellt hätte. Ein solcher Charakter
war aber Mack nicht, ebensowenig wie er geistig alle bei der Armee
eingeteilten Generale überragte. Ehrsüchtig, aber nicht im Interesse
der Sache, sondern nur in seinem persönlichen Interesse, kannte
seine Herrsch- und Rachsucht keine Grenzen, wenn er einmal die
Macht besaß. Darum gebrauchte er auch diese Macht ohne jede Rück-
sicht auf Rang und Stellung und ohne jede Rücksicht auf das Wohl
der Armee und auf das Interesse seines Kaisers nur zur Befriedi-
gung seiner Eitelkeit und Ehrsucht. Sein weiteres Verhalten gibt
den Beweis hiefür.
Nach der Besprechung am Abend des 10. Oktobers scheint
FML. Mack an der Disposition für den Marsch nach Heidenheim
gearbeitet zu haben. Die Arbeit an dieser Disposition ist jedoch
plötzlich, bevor sie beendet war, abgebrochen worden. Mack scheint
während der Arbeit, also in der Nacht zum 11. Oktober, den Ent-
schluß geändert und beschlossen zu haben, mit der Armee bei Ulm
zu bleiben.
Nach diesem unfertigen Entwürfe sollte der Abmarsch nach
Heidenheim am 11. Oktober um 3^ nachmittag beginnen. Zuerst
— 381 —
sollte das halbe Korps Schwarzenberg als Vorhut abmarschieren.
Nach Einbruch der Dunkelheit sollte der ßest des Korps Schwarzen-
berg mit der Bagage, um Mitternacht das Korps Eiesch und zum
Schluß, um 3^ früh, das Korps Werneck folgen. Die Anordnungen
für Jellachich und Wolfskeel, für die Festung Ulm und für die
Demonstration gegen Stuttgart waren ähnlich entworfen wie in der
Disposition vom 9. Oktober nachmittag.
Dem neuen Entschluß entsprechend, bei Ulm zu bleiben, ent-
warf nun Mack noch in der Nacht zwei Schriftstücke. Das erste
trägt die Bezeichnung „Augenblicklich notwendige Befehle und Ex-
peditionen" und enthält folgende Weisungen:
1. Zelte herbeikommen zu lassen.
2. Von jedem Korps die Hälfte sogleich in der Stadt unter-
zubringen. Jeder Kompagnie sind vier Häuser zuzuweisen. Der Haupt-
mann nimmt ein kleines Zimmer für sich, ein Zimmer bestimmt er
für alle anderen Offiziere; alle übrigen Räume sind für die Unter-
offiziere und Gemeinen. Von der Kavallerie sind zwei Drittel in die
nächsten Ortschatten zu verlegen (folgt die Zuweisung der Orte).
Infanterie und Kavallerie müssen so bereit sein, daß sie bei einem
Alarm sofort auf ihre Lagerplätze abrücken können.
3. Auf der Stelle eine Eskadron nach Weißenhorn, eine nach
Mindelheim zu senden; die erste stellt Vorposten gegen Günzburg,
die zweite auf halbem Wege gegen Landsberg auf und schickt
Patrouillen an den Lech. Nach Memmingen ist sofort eine Garnison
von vier Bataillonen zu verschicken^).
Das zweite Schriftstück, „Punkte, um deren Gewährung ich
untertänigst bitte", lautet:
1. „Die Armee augenblicklich in drei Korps zu formieren,
solcherart, daß jedes seine leichten, seine Linientruppen und seine
Eeserve habe, mithin alsobald eine Avantgarde und ein Korps de
Reserve, die jedes beiläufig ein Viertel des Ganzen betragen, for-
mieren könne." Das Korps Jellachich, ebenso formiert, muß wenigstens
6 — 8 Eskadronen haben.
2. Alsobald die Korpskommandanten mit der Formierung leichter
Bataillone zu beauftragen.
3. Jeden Kapport mir alsobald zuzuschicken, damit ich mein
Gutachten beisetzen könne.
') Kviegsarehiv, 1805, Deutsehland PA, XIII, ad 4.
— 382 —
4. Alle Befehle, die sich auf die Operationen beziehen, mir
vorher zur Einsicht zu senden.
5. Die Ernennung des FML. Gyulai zum Generalquartierraeister
zu vollziehen ^).
Als Oberst Bianchi mit FML. Gyulai am 11. Oktober früh zu
Mack kam, wendete sich dieser voll Begeisterung an Bianchi. zeigte
ihm diese beiden Schriftstücke, an denen er eben noch gearbeitet
hatte, und forderte Bianchi auf, sie sogleich an die Korps und
Divisionen zu senden. Mack beteuerte voll Hitze, daß ihn nun
nichts von seinem Plane, bei Ulm zu bleiben, abbringen werde.
Oberst Bianchi, der am Morgen des 11. die Verschanzungen und
die Aufstellung der Truppen besichtigt hatte, erwiderte, daß dann
die Armee vor allem eine geordnete Stellung beziehen müsse. Mack
wollte gar nicht glauben, daß man ihn bei Ulm angreifen werde;
er sagte:
Es regnet, es schneit, der Feind steckt ruhig in seinen
Wohnungen und wir werden ein ähnliches tun. Er wolle bei Ulm
bleiben, wo er in Abrahams Schoß sei und den FML. Werneck mit
seinem Korps nach Stuttgart und weiter bis Straßburg senden. Er
habe vom Kaiser die alleinige Vollmacht zum Kommando der Armee
erhalten, er allein sei für jeden Vorgang verantwortlich. „Seine
königliche Hoheit möge sich ja nicht einbilden, kommandierender
General zu sein, da er noch zu jung und zu unerfahren sei und
dieses nicht vorstellen könne. Er wisse wohl, daß Seine Majestät
dem Erzherzog diese höchste Verfügung schon in Landsberg be-
kanntgemacht und den Erzherzog somit ihm untergeordnet habe.
Daß es keineswegs Seiner königlichen Hoheit anständig war, ihm
solches bis gestern abend zu verbergen und erst jetzt dies Geständnis
an den Tag zu legen ^)."
1) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA. XIII, 4. In Angeli: „Ulm und
Austerlitz", S. 451, wörtlich angeführt.
Am 10. Oktober um 9h abend schrieb Mack auch einen Befehl an das Re-
giment Hohenlohe-Dragoner, daß die Mannschaft eines soeben eingerückten Naeh-
richtendetaehements sieh am 11. Oktober um 8h früh auf dem Galgenberg ein-
zufinden habe, da sie eine neue Aufgabe selber Art erhalten werde.
Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland PA, X, 85. Von Mack eigenhändig ge-
i=chrieben.
Dieser Befehl ist für den Armeekommandanten Mack charakteristisch.
^) Tagebuch des Obersten Bianchi, Kriegsarehiv, 1805, Deutschland PA,
XIII, 107« und Angeli, S. 451.
— 383 —
Mack sprach diese schwere Beschuldigung aus, obwohl er zur
selben Zeit ein ebenfalls vom 5. Oktober datiertes Handschreiben des
Kaisers erhalten hatte, worin es heißt:
„Ich trage Ihnen hiemit auf, mit dem Ihnen angewohnten Eifer
sowie mit der Mir so oft bewiesenen Treue und Anhänglichkeit an
Mich und das Beste des Staates, dem Erzherzog in allem mit Rat
und Tat an die Hand zu gehen, l)is Ich selbst das Kommando der
Armee in Deutschland zu übernehmen im stände sein werde^)."
Allem Anscheine nach hat Maek sich durch Vermittlung von
Collenbach und Cobenzl diese beiden Handschreiben des Kaisers ver-
schafft.
Das Verhalten Macks kann nur richtig beurteilt werden, wenn
man sich vor Augen hält, daß der Erzherzog auf Macks Vor-
schlag zum Armeekommandanten ernannt worden war und daß
Maek diese Anschuldigung zu seiner Entlastung auch bei der Unter-
suchung aufrecht hieh, obwohl die Absendung beider Handbillette,
ihr Datum und ihre Fassung das Gegenteil beweisen-}.
,Mack. der bisher wenigstens den Schein gewahrt und keine
Disposition ohne Wissen des Armeekommandanten hinausgegeben
hatte, schaltete von jetzt an ganz selbständig; er gab alle Befehle
direkt hinaus und brachte sie in der Regel erst nachträglich oder
gar nicht zur Kenntnis des ernannten Armeekommandanten. In
seinem Dienstverkehre mit dem Erzherzog spielte er sich auf den
Vorgesetzten hinaus, seine Zuschriften haben, obwohl sie in die Form
der Bitte gekleidet sind, einen schroffen Befehlston. So vollführte
FML. Maek den kaiserlichen Auftrag, „dem Erzherzog mit Rat und
Tat an die Hand zu gehen"!
Der Erzherzog, der alle persönlichen Regungen unterdrückte,
fügte sich dem kaiserlichen Willen; wie schwer ihm das gemacht
worden ist, läßt sein Schreiben an den Kaiser vom 12. Oktober er-
kennen :
0 Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, X, 256.
*) Der Sehlußvortrag im Prozesse Macks an den Kaiser enthält folgende
Stelle: Daß Maek als Generalquartiermeister des Kaisers zur Armee abgehen sollte,
daß aber „nach der eigenen Angabe des FML. Maek die Beschränkung
beigefügt war, daß derselbe nur insolange das vollkommene Pouvoir über die
Armee haben solle, bis Seine königliche Hoheit der Erzherzog Ferdinand allda
eintreffen und das Kommando übernehmen werde, woi'auf FML. Maek alsdann
Höchstdemselben untergeordnet sein solle".
Kriegsarchiv, Hofkriegsratsakten, 1807, 156/6.
— 384 -
„ Hier muß ich nun Euer Majestät aus Gewissenspflicht
und um dem Zutrauen Eurer Majestät zu entsprechen, die Be-
nehmungsart des FML. Maek schildern. Alle Tage macht er zwei
ganz verschiedene Pläne, deren Ausführung er mir ganz überträgt;
diese stete Veränderung der Pläne, wovon doch keiner zur gänzlichen
Ausführung kommt, hat die Truppen durch unaufhörliches Hin- und
Hermaschieren sehr abgemattet und viel Unordnung verursacht: ich
und die Herren Generale, welchen ich größtenteils die Gerechtigkeit
widerfahren lassen muß, strengen uns aufs äußerste an, um die so
nötige Ordnung wiederherzustellen; FML. Mack bekümmert sich um
nichts, gibt seine widersprechenden Befehle einen nach dem anderen
und hört hierüber keine Vorstellung an, und im eigentlichen Ver-
stände machte ich bisher seinen Generalquartiermeister "
Es folgt ein kurzer Bericht über das unglückliche Gefecht von
Günzburg, worauf Erzherzog Ferdinand fortsetzt :
„Die Beschreibung der Affäre werden Eure Majestät aus der
Eelation ersehen, die ich Eurer Majestät unterlege, da FML. Mack
bloß die der gestrigen glücklichen Affäre^) verfaßte(!). .
„Als ich das Schreiben Eurer Majestät erhalten hatte, teilte ich
den Sinn davon dem FML. Mack mit, damit er meine Bemerkungen,
die ich jedoch in Zukunft nach dem Willen Eurer Majestät jeder-
zeit machen werde, nicht als Widersprüche seiner Pläne ansehen
könne. Die Art, womit sich gedachter Peldmarschalleut-
nant hierauf benahm, will ich Euer Majestät hier nicht
schildern; sie betrifft mich bloß persönlich und ich bin be-
reit, alles aufzuopfern, um das Beste des Dienstes Eurer Majestät
und die allgemeine Sache zu befördern. Nur muß ich Eurer Majestät
hier anzeigen, daß ich mit aller Aufopferung und Anstrengung bloß
dahin werde wirken können, denen schon bestehenden und durch
die Anordnungen des FML. Mack sich täglich vermehrenden Un-
ordnungen einigermaßen Schranken zu setzen . . .
„Ich kann als treuer Soldat Euer Majestät nach meinem Ge-
wissen auch die dermalige Lage unserer Armee nicht verhehlen;
diese ist auch nach der Meinung der geschicktesten Männer äußerst
kritisch; nicht der Feind, aber unser bisheriges Benehmen selbst
setzte uns in selbe; wir erhielten zwar gestern einen Vorteil über
eine Division des Feindes, aber unterdessen kann die große feind-
liche Armee gegen die Bussen wirken. Die Vereinigung mit selben
1) Das glückliche Gefecht bei Haslaeh am 11. Oktober 1805.
— 385 —
ist uns nun äußerst erseh wert und wendet Bonaparte sich ganz auf
uns, so werden wir ihm ebensowenig widerstehen können. Die
weiteren Pläne des FML. Macii kann ich Euer Majestät nicht' be-
stimmen, da er heute (12. Oktober) bereits drei ganz verschiedene
entwarf und zur Ausführung hinausgab. Es ist mögüch, daß gltick-
Hche Ereignisse uns aus jener Verlegenheit reißen, in die wir uns
selbst stürzten, aber die Wahrscheinlichkeit spricht nicht für uns.
Jedoch muß ich Euer Majestät versichern, daß Generale und Truppen
vom besten Willen sind und daß, wenn es aufs Raufen ankommen
wird, sie gewiß das Äußerste tun werden; allein die abgematteten
physischen Kräfte und die Lage, die doch von mehreren eingesehen
wird, sind zwei auf den Geist der Armee sehr wirkende Gegen-
stände ..."
Die österreichische Armee war somit am 10. untätig bei Ulm
stehen geblieben.
Am 10. Oktober um 10^ nacht traf in Landsberg am Lech
der erste Artillerietransport von Kufstein ein. Er sollte, da erst
Vorspannpferde aufzubringen waren, am 11. Oktober, 11^ vormittag,
nach Buchloe weiterraarschieren.
Am 11. Oktober früh erhielt FML. Werneck das Aviso,
„daß er mit seinem ganzen Korps zu einer geheimen Expedition
bestimmt sei, welche spätestens übermorgen nacht, die Witterung
möge sein welche sie wolle, ihm anbefohlen werden wird".
An GM. Wolfskeel erging gleichzeitig der Auftrag „sich
solcherart der Donau zu nähern, daß er auf den ersten Befehl also-
bald auf mehreren Punkten die Donau passieren, sich bei Eottweil
vereinigen und mit der äußersten Beschleunigung gegen den ßhein
vorrücken könne, worüber er die nötigen Instruktionen und Befehle
vielleicht längstens in ein paar Tagen erhalten dürfte". GM. Wolfs-
keel verfügte über 272 Bataillone und 4 Eskadronen und — die
Entfernung von der Armee zum Rhein betrug etwa 180 hnl
GM. Wolfskeel meldete am 12., daß seine Truppen an der
Donau zu dieser Expedition bereitstünden. Er müsse aber bemerken,
daß seine Truppen im Vereine mit seinen zwei schlechtbespannten
Dreipfündern so schwach seien, daß deren Vorrückung gegen den
ßhein kaum den erhofften Erfolg haben dürfte.
Dem Generalkommando Innsbruck wurde befohlen, alle dispo-
niblen Feldgeschütze, Artillerie- und Gewehrmunition mit Vorspann-
Krauss. 1805, Der Feldzug von Ului. 25
— 386 —
ablösungen bei Tag und Nacht nach Ulm zu schicken^). Alle noch
in Kufstein befindliche transportable Artillerie sei sogleich nach
Memmingen zu senden. Für die Verteidigung der Tiroler Pässe sei
zu sorgen 2).
Außerdem verlangte Mack, soviel Mehl und Hafer als möglich,
Geld, Rekruten und Eemonten zur Armee zu senden.
Bei Ulm herrschte die größte Unordnung. Weil alle Verbände
zerrissen waren, wußte kein General, wo er eigentlich zu be-
fehlen habe.
FML. Gottesheim erwähnt in seiner am 12. Oktober verfaßten
Relation über das Gefecht von Haslaeh, daß seine Regimenter „auf
verschiedenen Punkten der Position verteilt waren". Die Regimenter
Rainer und Manfredini kämpften außerhalb seines Sehkreises.
Mack begnügte sich damit, Dispositionen und Befehle zu
schreiben ; um alles andere kümmerte er sich nicht.
Unter diesen Verhältnissen erfolgte am 11. Oktober um 1"^
nachmittag der Angrifif der Division Dupont.
Ostlich des Lech war Kienmayer noch in München; er hielt
Landshut und Vilsbiburg besetzt.
Franzosen.
Ney hatte noch in der Nacht zum 10. Oktober Meldung über
die Kämpfe bei Günzburg und Elchingen an den Kaiser gesandt.
^) Nach einer Meldung des Artillerieehefs der Armee, des FML. Rouvroy,
vom 11. Oktober waren im Artilleriepark bei Ulm 89 Gresehütze und 510 Ar-
tilleriefuhrwerke, für jedes Geschütz waren 180 Schuß und für jeden Mann der
Infanterie 36 Gewehrpatronen vorhanden. (Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA,
X, 104V2.)
Nach dem Artillerieausrüstungsentwurfe sollte die Armee in Deutsehland
für 97 Bataillone und 158 Eskadronen 165 Liniengesehütze, 80 schwere Ge-
schütze und 72 Kavalleriegesehütze haben. (Kriegsarchiv, 1805, Deutschland FA,
xni, 120.)
^) Welche Wirkung der Befehl hatte, Kufstein der Geschütze zu entblößen,
zeigt ein Bericht des mit der Verteidigung von Tirol betrauten FML. Ohasteler
an Erzherzog Ferdinand vom 16. Oktober.
FML. Ohasteler äußert darin Besorgnisse für die Nordgrenze Tirols. Kuf-
stein ist jetzt von allem Geschütz, von der ganzen Munition und Verpflegung
entblößt; er fürchte, daß alle Anstrengungen, das jetzt zu bessern, umsonst sein
werden ; der zweite Gesehütztransport von Kufstein sei dem Feind in die Hände
gefallen.
Man hatte also jetzt nirgend Geschütze.
— 387 —
Er meldete: „Der Feind ist bei Ulm viel stärker als man gedacht
hat; er hat bei Günzburg eine Verstärkung von 15.000 Mann er-
halten, die von Schafifhausen kam; es scheint, daß Ulm den linken
Flügel der feindlichen Schlachtlinie bilden wird." Ney kann damit
nur eine Schlaehtliuie an der Hier, Front nach Ost, gemeint haben.
Lannes hatte am 9. abend gemeldet, daß er mit Ney bei
Günzburg Verbindung hergestellt habe. „Weil die Östen-eicher die
Brücke bei Günzburg abwechselnd zerstört und wiederhergestellt
haben, mache dieser Vorgang glauben, daß sie die Absicht hatten,
einige Bewegungen gegen Ney auszuführen. Indessen zeigt der häu-
fige und fast tägliche Wechsel ihrer Generale genügend die Unruhe
an, in der sie sich befinden: auch ich zweifle nicht, daß sie sich
auf Augsburg zurückziehen werden."
Von Soult war die Meldung eingelangt, daß nach Angabe von
Reisenden und Deserteuren Erzherzog Karl bei Ulm eingetroffen
sei^) und daß Erzherzog Ferdinand und Mack mit der Hauptkraft
der Armee noch an der Hier stünden. Napoleon wußte weiter aus
einer Meldung des Generals Duraas. den er nach Ingolstadt gesandt
hatte, daß in der bayrischen Oberpfalz mit Ausnahme eines schwachen
Detachements bei Amberg (Infanterieregiment Gemmingen) nichts
vom Feinde stehe.
Am 10. Oktober blieben alle Korps mit Ausnahme des 1. und
2. Korps stehen. Für das 3. und 4. Korps war dies der erste Rast-
tag seit dem Abmärsche vom Neckar (2. Oktober).
Beim 6. Korps (Ney) wurde der bei Albeck stehenden Division
Dupont eine Dragonerbrigade (zwei Regimenter) zugeteilt. Die
übrigen vier Regimenter der 4. Dragonerdivision hatten nach
Langenau, die Dragoner zu Fuß nach Stotzingen zu marschieren.
Die 3. Division besetzte mit einem Regimente Leipheim.
Bei der Gruppe Murat war die Division Suchet von Wertingen
nach Zusmarshausen marschiert. Gegen Mittag des 10. Oktobers war
die Division Klein mit Murat von Zusmarshausen nach Burgau vor-
geritten, wo sie am Abend in Erfahrung brachte, daß der wenig-
stens 20.000 Mann starke Feind nach Ulm abgezogen sei.
Am 10. Oktober, anscheinend nachmittag, wurde an Murat
der Befehl gesandt, daß ihm der Kaiser das Kommando über den
rechten Flügel der Armee übertrage, der aus dem Reservekorps und
*) Das Eintreffen des Regiments Erzherzog Karl war jedenfalls Ursache
dieses falschen Grerüehtes.
25*
— 388 —
den Korps Ney und Lannes bestehe; Murat habe am 11. mit Lannes
und mit der Kavallerie nach Mindelheim zu marschieren. „Sie
werden sie (Ney und Lannes) so dirigieren, daß sie sich immer
gegenseitig unterstützen... Marschieren Sie vorsichtig und greifen
Sie immer in Masse ^) an."
Murat hatte die Kürassierdivision Nansouty am 11. Oktober
nach Augsburg zu senden.
An Ney erging um 6^ abend Befehl. Clm zu zernieren. „Es
bleibt anzustreben, Ulm in Besitz zunehmen," heißt es in dem Be-
fehle, „v^'as unter allen Gesichtspunkten wichtig ist. Seine Majestät
läßt Ihnen freie Hand, zu marschieren wie Sie wollen, um Ulm im
Laufe des morgigen Tages zu zernieren."
Nach der Wegnahme von Ulm sollte Ney keine Befehle er-
warten, er sollte dem Feind auf Memmingen oder wohin dieser
sonst marschiere, folgen. Mindelheim werde von Lannes, Landsberg
von Soult besetzt werden. Man werde, wenn nötig, auf Kempten
oder selbst auf Füssen marschieren. Der Befehl sehließt:
„Da Seine Majestät sich nach München begeben wird, wo
unsere Truppen diesen Abend eintreffen, um dort die Eussen zu
erwarten, die demnächst ankommen werden, überträgt er das Kom-
mando über den ganzen rechten Armeeflügel, bestehend aus dem
Korps Lannes, dem Ihrigen und der Eeservekavallerie, dem Prinzen
Murat."
Soult erhielt den Auftrag, am 11. Oktober mit seinen zwei
Infanteriedivisionen und der Dragonerdivision Walther nach Lands-
berg zu marschieren.
Am linken Armeeflügel marschierten am 10. Oktober Marmont
nach Gundelsdorf, Bernadotte nach Hohenkammer und Pfaffenhofen
(32—40 hn).
Am Abend begab sieh Napoleon nach Augsburg.
Am 10. Oktober war somit ein großer Umschwung in dem
Verhalten Napoleons eingetreten. Bisher hatte er seine Aufmerk-
samkeit fast nur der österreichischen Hauptarmee an der Hier zu-
gewendet.
Am 9. Oktober um 10^ vormittag war an Bernadotte der Be-
fehl abgegangen, München im Gewaltmarsche bis 10. abend zu er-
^) Zu verstehen ist jedenfalls: mit vereinten Kräften.
— 389 —
reichen; am 10. bestimmte Napoleon den Prinzen Murat zum Kom-
mandanten des rechiten Armeeflügels und sprach in einem Befehle
von seiner Abreise nach München.
Was mochte diese Sinnesänderung verursacht haben? Hatte
Napoleon seine Absicht geändert oder aufgegeben?
Einige Briefe Napoleons vom 10. und 11. lassen den Gedanken-
gang des Kaisers erkennen.
Am 10. Oktober schrieb Napoleon:
An seinen Bruder Josef^):
,^Wir werden heute abend oder spätestens morgen in München
sein. Die Russen beginnen anzukommen. Der Feind schwächt
sich stark in Italien, um Truppen hieher zu senden... Ich halte
die österreichische Armee in Ulm eingeschlossen; sie wurde gestern
von Ney geschlagen."
An den Prinzen Eugen^):
„Der Feind, den ich bei Ulm in die Enge getrieben habe und
umschlossen halte, wurde gestern abend von Ney geschlagen und
zersprengt."
Am 11. Oktober schrieb der Kaiser:
An Murat um 8^ früh:
„Ich halte die Dinge auf Ihrer Seite noch nicht für beendet.
Der Feind, eingeschlossen wie er ist, wird sich schlagen. Er erhält
Verstärkungen aus Tirol und Italien und könnte Ihnen daher in
wenigen Tagen mehr als 40.000 Mann entgegenstellen. Daher müssen
Ihre Kavalleriereserve, die Korps Lannes und Ney, die zusammen
50.000 — 60.000 Mann ausmachen, möglichst nahe beieinander mar-
schieren, so daß sie in 6 Stunden vereinigt sein und den Feind
vernichten können. Die Russen kommen in Eile. Gehen Sie also den
Feind überall an, wo immer er ist, aber mit Vorsicht und ge-
schlossen. Wenn er Ihnen entwischt, wird er am Lech aufgehalten
werden."
An den Gesandten Otto nach Würzburg^):
„Die Armee des Erzherzogs Ferdinand ist vollkommen um-
gangen und Prinz Murat ist ihm auf den Fersen. Alle Übergänge
über den Lech sind von Soult besetzt . . .
*) „Correspondanee de Napoleon ler", Nr. 9359.
^) „Correspondanee de Napoleon ler", Nr. 9360.
^) „Correspondanee de Napoleon ler", Nr. 9365.
— 390 —
„Ich erwarte bestimmtere Nachrichten über die Russen, um
mich auf sie zu werfen und mich ihrer so bald als möglich zu ent-
ledigen."
An Bernadotte um 3^"^ nachmittag:
„Melden Sie mir auch Bestimmtes über diese berühmten
Bussen. Ich erwarte das, um einen Entschluß zu fassen. Ich werde
mit 90.000 .Mann über sie herfallen und ich hoffe, sie mit Gottes
Hilfe zu veranlassen, ihren Weg nach Frankreich fortzusetzen^)."
An Massena'O:
„Wenn Sie Erfolg haben, könnten Sie in 14 Tagen am Taglia-
mento sein. Auf alle Fälle hoffe ich, zu dieser Zeit im stände zu sein,
der österreichischen Armee (des Erzherzogs Karl) in den Eücken zu
fallen. Ich hätte damit schon angefangen, wenn ich hier nicht durch
50.000 Russen von neuem gebunden wäre, die soeben angekommen
sind."
Und endlich an Augereau^):
Die Armee des Erzherzogs Ferdinand ist abgeschnitten und
von den Russen und den österreichischen Truppen am Inn ganz
abgetrennt. Der Prinz Murat verfolgt sie mit dem Korps Ney und
Lannes.
„Vereinigen Sie Ihr Korps sofort bei Freiburg (im Breisgau).
Es wäre möglich, daß die Armee des Erzherzogs Ferdinand keinen
anderen Ausweg hätte, als sieh in die Schweiz oder gegen Sie zu
werfen. Wenn Sie Freiburg bis 24. oder 25. Oktober erreichen, ist
kein Zweifel, daß Sie noch Arbeit finden könnten ; mit Ihren 12.000
Mann wären Sie eine kräftige Unterstützung und könnten dem
Feinde großen Schaden zufügen."
Diese Briefe zeigen deutlich, daß Napoleon an seinem Plane,
die Österreicher und Russen getrennt zu schlagen, festhielt, sie
zeigen aber auch, daß er am 9. und 10. Oktober Nachrichten er-
halten haben muß — falsche Nachrichten — daß die Russen schon
am Inn eingetroffen seien.
Diese Nachrichten ließen ihm nun die Russen aus mehreren
Gründen als den wichtigeren und gefährlicheren Teil der Verbün-
deten erscheinen.
^) „Correspondance de Napoleon Jer", Nr. 9366. Napoleon wollte damit
sagen, daß er hoffe, die Russen gefangenzunehmen.
^) „Correspondance de Napoleon ler", Nr. 9369.
^) „Correspondance de Napoleon Jer", Nr. 9368.
— 391 —
Vor allem erschienen sie ihm stärker als die öst(MTeiehische
Armee an der Hier. Alle Nachrichten über die Russen hatten die
Armee Kutusows auf wenigstens 50.000 Mann angegeben. Dazu
kam noch das Korps Kienmajer, das nach glaubwürdigen Angaben
auf 15.000 — 20.000 Mann angenommen werden mußte und das durch
anmarschierende österreichische Truppen noch verstärkt werden
konnte. Man mußte daher die Inn- Armee der Verljündeten auf 70.000
Mann schätzen, wogegen die Hler-Armee nach den letzten Angaben
höchstens 40.000 Mann stark sein sollte.
Die Inn-Armee Ijestand dieser Schätzung nach überdies zum
größten Teil aus noch frischen Truppen — den Eussen — deren
moralischer Halt noch nicht durch Niederlagen gebrochen war und
die auch im ßufe standen, die beste Infanterie der Welt zu haben.
Stachelt doch Napoleon in der Proklamation vom 21. Oktober seine
Armee für den kommenden Kampf mit den Eussen auf, indem er
ihr zuruft: „Zum zweiten Male soll jetzt die Frage entschieden
werden, die schon in der Schweiz und in Holland gestellt war: Ob
die französische Infanterie die zweite oder die erste in Europa sei."
Dagegen hatte die östeiTeichische Hler-Armee schon zu deutliche
Anzeichen schwerer Erschütterung an den Tag gelegt.
Die Inn-Armee hatte noch volle Operationsfreiheit. War sie
auch durch die Lage Macks gezwungen, rasch zu dessen Hilfe
heranzueilen, so konnte sie dies doch noch auf verschiedenen Wegen
tun und sich auch der französischen Übermacht entziehen, wenn
es die Lage zuließ oder erforderte. Mack dagegen war verloren. Durch
60.000 Mann Murats gebunden, konnte ihn nichts mehr retten, wenn
einmal die russische Armee zurückgeworfen war.- weil dann Na-
poleons siegreiche Armee, zwischen der Armee Macks und ihrer
Heimat stehend, alle Verbindungslinien und somit alle möglichen
Eückzuglinien Macks beherrschte.
Nur diese Schätzung konnte Napoleon veranlassen, sein Ver-
halten zu ändern, Mack dem Prinzen Murat zu überlassen und sich
selbst gegen die Eussen zu wenden. Er verlangte nur von Otto und
Bernadotte noch bestimmtere Nachrichten, um sich mit Bernadotte
(40.0U0 Mann), Davout (30.000 Mann) und Marmont (20.000 Mann),
zusammen 90.000 Mann, auf die Eussen zu werfen, sobald sie den
Inn überschritten.
Napoleon wollte also 60.000 Mann gegen Mack. 90.000 Mann
gegen die Eussen verwenden; am Lech sollten Soult bei Landsberg.
— 392 —
die Garde und zwei Kürassierdivisionen bei Augsburg die Leeh-
Brücken sperren und Mack abfassen, wenn es diesem gelänge, dem
Prinzen Murat zu entwischen. Sie sollten gleichzeitig eine starke
Eeserve für beide Teile der Großen Armee sein.
Die Absicht Napoleons, den Russen mit seiner Hauptkraft ent-
gegenzugehen, sobald sie gegen München anrückten, entsprang dem
Willen, sich nicht zwischen die beiden feindlichen Armeegruppen
einzwängen und von beiden zugleich angreifen zu lassen, sondern
sie zu trennen und so auseinanderzuhalten, daß ihr Zusammenwirken
schon der Entfernung nach unmöglich wurde. Dagegen wollte Na-
poleon freie Hand haben, seine Kraft dort zu verwenden, wo es
nach dem Verhalten seiner Gegner notwendig war.
Diese Absicht Napoleons, die ucausgeführt blieb, weil sich bald
herausstellte, daß die Nachrichten über die Russen falsch waren,
bildet eine treffende Grundlage für den in letzter Zeit so oft ange-
führten „Grundsatz" Moltkes:
„um die Vorteile der inneren Operationslinie auszunützen, muß
man notwendig so viel Raum haben, daß man dem einen Gegner
auf mehrere Märsche entgegenrücken kann und Zeit behält, sich
sodann erst dem anderen zuzuwenden. Wird dieser Raum wesentlich
verengt, so entsteht die Gefahr, daß man es mit beiden zugleich zu
tun bekommt. Eine Armee, die auf dem Schlachtfeld in Front und
Flanke angegriffen ist, steht auch auf der inneren Operationslinie,
aber der strategische Vorteil ist in den taktischen Nachteil um-
geschlagen."
Theoretiker, die nun einmal ohne hochtrabende Fachausdrücke,
ohne Schlagwörter nicht leben können, haben die von Napoleon im
Oktober 1805 angewendete Art, den getrennten Feind getrennt zu
schlagen, mit dem Namen „auf der inneren Linie operieren"
bezeichnet. Selbstverständlich machte der Begriff „innere Linie"
auch den Gegensatz notwendig, die „äußeren Linien". Wie unnötig
solche hochtrabende und khngende Ausdrücke sind, zeigen die eben
ausgeführten Darlegungen, die vollkommen verständlich sein dürften,
obwohl — oder weil? — sie diese Fachausdrücke nicht enthalten.
Wie schädlich solche Schlagwörter sind, wird dadurch bewiesen, daß
über den Begriif der Sinn verloren ging. So wie Mack zufrieden
war, den „wichtigen Raum" an der Hier zu besitzen, so waren
andere zufrieden, „auf der inneren Linie zu stehen", sie zu be-
sitzen, ohne die Konsequenzen dieses Besitzes zu ziehen. Ein klarer,
— 393 —
vernünftiger Soldatenkopf — Moltke — mußte kommen, um den
Nebel der inneren und äußeren Linie mit seinem oben zitierten
Ausspruch, der kein Grundsatz Moltkes ist, zu durchleuchten.
Man würde aber vollkommen fehlgehen, wenn man glauben
wollte, daß Napoleon ohne Sehwanken und ohne inneren Kampf zu
seinen Ansichten und Absichten gekommen ist. Die Briefe an Otto
und Bernadotte zeigen, daß Napoleon den ersten Nachrichten nicht
ganz traute, sich zwar vorbereitete, aber erst handeln wollte, wenn
neue und bestimmtere Meldungen die ersten Nachrichten über den
Anmarsch der Eussen bestätigten.
So war der Kaiser auch über die Armee Macks nicht voll-
ständig orientiert ; er wußte nur. daß sie noch östlich des Lech war.
Erst nach und nach, und zwar sehr langsam, lüftete sich in der
Folge der Schleier der Unklarheit und Unsicherheit.
In Augsburg erhielt der Kaiser eine zweite Meldung des Mar-
schalls Ney über das Gefecht bei Gtinzburg:
„Die Österreicher hatten wenigstens 30.000 Mann bei Günz-
burg, geführt vom Erzherzog Ferdinand. Mack war ebenfalls dort
und noch 14 Generale.
„Nach Aussage des Generals d'Aspre hatten die Österreicher
einen großen Schlag gegen mein Korps vor, aber der Angriff auf
Günzburg hat alles vereitelt. Der Rückzug der Österreicher vollzieht
sich auf Biberach."
Diese Meldung zeigte an, daß die Hauptkraft der österreichi-
schen Armee noch bei Ulm stehen müsse. Andere Meldungen
scheinen den Anmarsch von Verstärkungen aus Tirol bestätigt zu
haben.
Darauf ging um Mitternacht von Augsburg der Befehl an
Lannes ab*
„Alle Nachrichten, die der Kaiser erhält, lassen ihn glauben,
daß der Feind bei Ulm oder etwas oberhalb eine Schlacht liefern
wolle. Aber die Nachrichten vom Kampfe bei Günzburg sind nicht
so, wie sie Seine Majestät erhoffte. Der Kaiser will daher, daß Sie den-
selben Weg wie Priuz Murat einschlagen, also über Burgau, um Sie
immer nahe dem Marschall Ney zu haiton. damit Ihre beiden Korps
sieh vereint schlagen. Wenn der Feind über Mommingeu ab-
marschiert, wird er bei Landsberg aufgehalten werden."
— 394 —
Murat muß zur selben Zeit einen ähnlichen Befehl erhalten
haben, da er statt, wie befohlen, nach Mindelheim zu rücken, am 11.
nach Weißenhorn marschiert ist.
Die Unsicherheit Napoleons ist auffallend.
Am 10. erhält JMurat zuerst den Befehl, mit der Kavallerie und
mit Lannes nach Mindelheim zu gehen, offenbar in der Meinung,
Mack könnte dort abziehen. Murat sollte das Korps Ney so nahe
halten, daß er vereint schlagen könne.
Um 6^ abend erhält Ney den Befehl, Ulm zu zernieren und
um Mitternacht werden Lannes und Murat anstatt nach Mindelheim
nach Burgau und Weißenhorn dirigiert; Napoleon beginnt schon
an eine Schlacht an der Hier zu glauben.
Diese Unsicherheit in der Befehlgebung wird im Kriege wohl
nie ganz zu vermeiden sein. Sie brachte für die Trappen Murats
auch manche Unannehmlichkeiten mit sich; diese Unsicherheit in
der Befehlgebung, die da selbst einem Napoleon begegnet ist, darf
aber durchaus nicht mit dem Verhalten Macks verwechselt werden.
Napoleon hielt sein Ziel, seinen allgemeinen Kriegsplan unverändert
fest und paßte seine täglichen Befehle zur Erreichung dieses Zieles
dem Bilde an, das er sich aus den Nachrichten über die Situation
des Feindes zusammenstellte. Es ist klar, daß, wenn man einen Feind
fangen will, man nicht ins Blaue laufen darf. Das fortwährend
wechselnde und unsichere Bild, das sich Napoleon über das Ver-
halten des Feindes nur machen konnte, war der Anlaß für die oft
unvermeidlichen Änderungen der Befehle. Bei Mack hat sich aber
nicht diese Art der Änderung der Befehle bemerkbar gemacht,
sondern bei ihm wechselten täglich die grundlegenden Ent-
schlüsse für das Verhalten der Armee. Heute zum Angriff" auf die
rechte Flanke des Feindes entschlossen, wollte er den nächsten Tag
bei Ulm stehen bleiben, am dritten Tage den Feind während des
Donau-Überganges anfallen, am vierten über den Lech zurückgehen
u. s. f. Die aus dem Wechsel der allgemeinen Absicht hervorgehende
Änderung der Befehle bedeutet bei Mack daher etwas ganz anderes
als die, die man bei Napoleon beobachten kann.
Worin lag aber die Ursache der in diesem Feldzuge wiederholt
auftretenden Unsicherheit Napoleons? Das mangelhafte und unsichere
Bild, das sich Napoleon über das Verhalten, die Situation und die
— 395 —
Absicht des Feindes machen konnte, kann nicht dem Mangel an
Nachrichten überhaupt zugeschrieben werden, denn Napoleon erhielt
sehr viele und zum Teil recht gute Kleidungen. Die Quelle dieser
Meldungen war im allgemeinen allerdings nicht einwandfrei : Aus-
sagen von Landleuten, Reisenden, Spionen etc. Aber auch die Mel-
dungen der Kavallerie sind, was die Daten über Stärke der Truppen
und ihr Verhalten betriift, immer sehr un verläßlich. Es soll nur an
die zahlreichen, auch im Frieden vorkommenden, vollkommen aus
der Luft gegriffenen Meldungen erinnert werden.
Diese Fehler können nur eingedämmt werden, wenn man die
Kavallerie strenge dazu erzieht, nur nackte Tatsachen zu melden
und in den Meldungen jede Kombination, jede Beurteilung, jede Auf-
nahme von Meinungen und Ansichten des Meldenden zu vermeiden.
Der Meldende soll gewöhnt sein, nur das aufzunehmen, wofür er
mit seinen Sinnen einstehen kann.
Aber nicht nur die Meldungen der Kavallerie sind unver-
läßlich, auch die Meldungen größerer Heereskörper, die mit dem
Feind im Kampfe gestanden waren, sind nicht verläßlicher. So
meldete Auffenberg, daß er bei Wertingen von 50.000 Franzosen
angegriffen worden sei ; er überschätzte den Feind daher nahezu um
das Vierfache. Auch General ^Malher und Klarschall Ney konnten
erst dann Nachrichten über die beiläufige Stärke der bei Gtinzburg
gestandenen Österreicher geben, als sie Angaben von Stadtbewohnern
und von Gefangenen erhalten hatten. Dasselbe trifft bei Dupont für
das Gefecht bei Haslach zu ^).
Sicher und unzweifelhaft richtig sind nur die Meldungen der
Kavallerie, daß sie nicht auf den Feind gestoßen- ist. Der Fall, daß
eine Kavallerieabteilung, die auf den Feind getroffen war. gemeldet
hätte, daß sie auf keinen Feind gestoßen sei, ist noch nicht vor-
gekommen und wird auch kaum vorkommen. Diese sogenannten
negativen Meldungen können, von den richtigen Punkten gesandt,
oft die ganze Kriegslage klären^).
*) Dieselbe Erscheinung zeigt sieh auch in anderen Kriegen. Die Meldung
des FML. Grafen Stadion, dali er mit seinen 20.000 Mann am 20. Mai 1859 vor
40.000 Franzosen Montebelio räumen mulite — General Forey hatte nur 7000
Mann — und die Meldung des Generals Sehildner-Schuldner, in der er nach der
ersten Sehlacht von Plevvna die 15.000 Mann Osman Paschas auf 50.000 schätzte,
sind besonders schöne Beispiele.
0 Die Bezeichnung dieser Meldungen als negative Meldungen ist zwar
unrichtig, denn auch ihr Inhalt ist ja positiv: Der Feind ist nicht bei X; sie
wird aber allgemein angewendet.
— 396 —
Napoleon vermutete die Österreicher im Rückzug an den Lech,
und zwar entweder über Augsburg oder über Landsberg. Den Weg
über Augsburg hatte Napoleon vom 8. Oktober an in seiner Macht.
Laudsberg, Mindelheim und Memmingen waren aber dem Feinde
noch ofifen, sie waren daher für Napoleon äußerst wichtige Punkte,
die auch wiederholt in seinen Befehlen genannt worden sind.
Landsberg und Mindelheim sind ungefähr 60 hm, die Hier Ijei
Kellmünz und Memmingen etwa 70 km von Wertingen entfernt.
Meldungen, daß diese Orte vom Feinde frei sind, und Angaben der
Landesbewohner, daß alle Truppen gegen Ulm und noch keine gegen
Osten abmarschiert sind, hätten Napoleon schon am 10. Oktober
aufklären können, daß der Feind weder an der Hier stehe, noch
über ^lemmingen oder Landsberg abmarschiert sei.
Napoleon hat diese Nachrichten sicher auch lebhaft erstrebt,
aller er hatte kein Mittel, sie sich zu verschaffen.
Und doch war die französische Armee so reich an Kavallerie !
Wie schon einmal dargetan, war die schwere Kavallerie zur
Aufklärung weniger geeignet und wurde auch, wie schon ihr Name
Reservekavallerie andeutet, für den Kampf zusammengehalten. Die
eigentliche Auf klärungskavallerie war auf die Korps gleichmäßig ver-
teilt. Den Korpskommandanten Lannes, Murat und Ney war es gewiß,
obwohl sie in vorderster Linie standen, ganz gleichgültig, ob der
Feind bei Mindelheim oder Memmingen im Abzüge sei; sie inter-
essierten sich nur um den Feind, der in ihrer Nähe stand und den
sie bekämpfen mußten. Sie klärten daher nur für ihre beschränkteren
Zwecke auf. Weil den Kommandanten der Infanteriekorps nur leichte
Kavallerie zur Verfügung stand, die Kavallerie damals aber einen
sehr hohen Gefechtswert hatte, beklagten sich die Korpskommandanten
nur regelmäßig, daß sie zu wenig Kavallerie besäßen und waren
daher durchaus nicht geneigt, den größten Teil ihrer Kavallerie auf
große Entfernungen zur Aufklärung zu entsenden. Sie hielten auch
die leichte Kavallerie für die Schlacht zusammen.
Wenn Napoleon eine leichte Kavalleriedivision oder zwei solcher
Divisionen zu seiner Verfügung gelassen und dafür den Korps
Dragonerdivisionen zugewiesen hätte, die für die beschränkteren Auf-
klärungszwecke vollständig genügten, dann hätte er das Mittel ge-
habt, sich die so wichtigen Nachrichten zu verschaffen. Eine auf
Memmingen, Mindelheim vorgesandte Kavalleriedivision konnte wohl
bald feststellen, daß dort außer einem Bataillon in Mindelheim nichts
— 397 —
vom Feinde stand, daß alle Truppen, die in dieser Gegend gestanden
waren, gegen Ulm und noch keine Truppen gegen Tirol oder Lands-
berg abmarschiert waren. Eine nach Landslierg vorgetriebene Ab-
teilung leichter Kavallerie hätte dort am 10. keinen anderen Feind
getroffen als einen von München nach Memmingen marschierenden
Artillerietransport; eine Meldung von höchster Bedeutung für Na-
poleon, denn solange Truppen und Transporte über Landsberg an
die Hier gingen, war ein Eückmarsch in dieser Richtung sehr un-
wahrscheinlich.
Da Napoleon wußte, daß bis 10. Oktober über Ulm keine öster-
reichischen Truppen nach Norden abmarschiert waren, daß am 9. bei
Günzburg beträchtliche feindliche Kräfte standen, die nach dem
Kampfe gegen Westen abzogen, so hätten die Nachrichten aus Lands-
berg und Memmingen, daß kein Feind dort war, seinem scharfen
Blicke sicher die richtige Lage des Feindes enthüllt.
So kann man also die Verteilung der ganzen leichten Auf-
klärungskavallerie an die Unterkommandanten und das daraus folgende
Zusammenhalten der ganzen Kavallerie für die Sehlacht als die
eigentliche Ursache der unsicheren Führung ansehen.
Der Arraeekommandant muß immer und unter allen
Verhältnissen über Kavalleriekörper verfügen, die er jeder-
zeit zur Aufklärung der für die Armeeführung wichtigen
Räume verwenden kann.
Ein lehrreiches Beispiel dafür gibt die Schlacht bei Gravelotte.
Das große Hauptquartier hatte in der Voraussetzung, daß der rechte
französische Flügel bei Amanvillers stünde, den umfassenden Angriff
gegen diesen Ort durch die IL Armee angeordnet: Dem Kommando
dieser Armee standen nebst der zahlreichen Divisionskavallerie vier
Kavalleriedivisionen zur Verfügung. Zwei davon, die 12. und die
Gardedivision, gehörten in den Verband des XIL und des Garde-
korps, wurden daher von den Korpskommandanten für ihre Zwecke
verwendet^). Das Armeekomraando unterstellte aber auch seine zwei
Kavalleriedivisionen, die ö. und 6., den Kommandanten der in zweiter
Linie vorrückenden Korps X und III, die gar kein Aufklärungs-
bedürfnis hatten.
Die Korpskomraandanten der ersten Linie, die vom Armee-
kommando einen strikten Angriffsbefehl auf Amanvillers erhielten,
*) Erst der spätere wiederholte Befehl: Kavalleriedivisionen vor! veranlaßte
die Loslösung dieser Divisionen von ihren Korps.
— 398 —
hatten natürlich auch kein Interesse daran, die nördlich davon ge-
legeneu Orte St. Privat, Eoncourt und Montois aufzuklären : dieses
Interesse konnte, da das linke Flügelkorps am Anfang wegen der
Schwenkung weit zurückblieb, nur das Armeekommando haben. Eine
Kavalleriedivision dorthin, also in die vermutliche Flanke der fran-
zösischen Armee vorgesandt, hätte die ^Meldungen gebracht: Saint
Marie-aux-chenes besetzt, Auboue und Montois frei, Roncourt be-
setzt. Diese Meldungen, die gezeigt hätten, daß die französische
Stellung unbedingt über Amanvillers hinausreichte, hätte den Deut-
schen viel Blut erspart.
Nach den letzten Befehlen Napoleons sollte also das 6. Korps
Ulm zernieren; Murat und Lannes hatten über Burgau so vorzu-
rücken, daß sie Ney unterstützen konnten.
Ney befahl am 10. Oktober, daß der General Dupont mit seiner
Division (der 1. Division des 6. Korps), mit einem Husaren-
regiment und mit zwei Dragonerregimentern Ulm auf dem linken
Donau-Ufer einzuschließen habe. Die Dragoner zu Fuß hatten von
Stotzingen nach Albeck zu marschieren und die Division Dupont zu
unterstützen.
Dupont wurde von Ney angewiesen, die bewaldeten Höhen
hinter dem Haslaeher Hofe^) zu besetzen, seinen rechten Flügel bis
an die Blau auszudehnen und die Aufstellung seiner Eeserve — der
Dragoner zu Fuß — mit deren Kommandanten zu regeln. Dupont
sollte es vermeiden, seine Division gegen überlegene Kräfte
auszuspielen. Am 11. Oktober folgte ein Schreiben von Ney,
daß sich Dupont Wagenleitern, Bretter und Balken verschaffen
solle, um, wenn nötig, zum gewaltsamen Angriff auf Ulm vorgehen
zu können.
Über den Feind wurde Dupont in diesem Schreiben informiert:
„Der Feind ist derart in Schrecken geraten, daß es wenige Bei-
spiele dafür gibt. Er zieht sich auf Biberach zurück, um sich in das
obere Tirol retten zu können, da ihm alle EückzugUnien über
Kempten und Füssen abgeschnitten sind. Es wäre daher möglich, daß
der Erzherzog Ferdinand nur eine schwache Garnison in Ulm ge-
lassen habe."
') ..... Vous oeeuperez les hauteurs boisees en arriere d'Haslaeherliof
— 399 —
Die anderen Divisionen des Korps Nej^ sollten auf dem rechten
Donau-Ufer gegen Ulm vorgehen, und zwar an der Tete die 3. Divi-
sion, dahinter die 2. Division, der die 2. Dragonerdivision zu folgen
hatte. Die 3. Division hatte um S^ früh von Günzljurg aufzubrechen.
In Leipheim sollten die Divisionen neue Befehle erhalten.
Die Gruppe .Murat — 1. Dragonerdivision (Klein), ein Husaren-
regiment und eine Grenadierbrigade — sollte von Burgau nach
Weißenhorn marschieren, das 2. Husarenregiment .Murats nach
Mindelheim aufklären.
Das Korps Lannes hatte Burgau zu erreichen.
Es sollten also nach den Befehlen Neys am 11. Oktol)er je
zwei Divisionen auf dem nördlichen und südlichen Donau-Ufer gegen
Ulm zum Angriffe vorgehen. Eine Unterstützung dieser Truppen
durch Murat und Lannes war nach den Dispositionen dieser beiden
Marschälle ausgeschlossen.
Die Befehle Neys an Dupont und an Baraguay d'Hilliers
waren in der Nacht zum 11. Oktober durch einen Generalstabsoffizier
von Günzburg nach Albeck und Stotzingen zu überbringen. Dieser
Offizier sollte zuerst nach Stotzingen und dann nach Albeck reiten.
Er verirrte sich aber in der Nacht derart in den mit Wasser bedeckten
Mooren, daß er erst zwischen 9 und lO*" vormittag in Albeck bei
Dupont ankommen konnte und dann erst, nach Angabe Baraguays,
zwischen 12 und l'^ mittag in Stotzingen den Befehl übergab^).
Die Division Dupont brach um 11^ vormittag von Albeck
gegen Ulm auf. Sie stieß gegen 1'' nachmittag bei Haslach auf
den Feind.
Baraguay d'Hilliers dirigierte die bei Steffen stehende Brigade
über Nerenstetten nach Albeck, die andere Brigade von Stotzingen
nach Langenau. Weil aber auf Neys Befehl stärkere Abteilungen
bis Brenz und Mediingen detachiert worden waren, die vor dem
Abmarsch eingezogen werden mußten, konnte die nach Albeck be-
stimmte Brigade erst um 3** nachmittag aufbrechen, und da die
Entfernung Steffen, Nerenstetten, Albeck ungefähr 20 h)i beträgt,
konnte sie erst nach 6 Stunden Marsch, also um 9^ abend bei
Albeck eintreffen. Die andere Brigade erreichte Langenau auch erst
nach Einbruch der Dunkelheit.
*) Wie immer stimmen die Zeitangaben nicht überein. Der Generalstabs-
offizier gab, allerdings erst 1806 gelegentlich der Untersuchung an, daß er den
Befehl schon um 11h vormittag in Stotzingen übergeben habe.
— 400 —
Die Dragoner zu Fuß konnten daher die Division Dupont in
dem Kampfe bei Haslach, der gegen 8^ abend beendet war, nicht
unterstützen.
Auf dem rechten Donau- Ufer marschierte die 3. Division, Ge-
neral Malher, von Günzburg nach Fahlheim und Leipheim. die
2. Division, General Loisou, von Langenau nach Günzburg und die
Dragonerdivision Bourcier von Langenau nach Leipheim. Die Di-
vision Gazan, für die der Befehl des Marschalls Ney für den IL
keine Bestimmungen enthält, scheint bei Gundelfingen stehenge-
blieben zu sein.
Am IL Oktober vormittag kamen Murat und Lannes nach
Günzburg. Dort erhielt Murat folgendes Sehreiben Napoleons, datiert
von Augsburg, 11. Oktober, 8^ früh :
„Ich ließ diese Nacht dem Marschall Lannes den Befehl geben,
nach Burgau zu marschieren. Ich halte die Dinge auf Ihrer Seite
noch nicht für beendet. Der Feind, eingeschlossen wie er ist, wird
sich schlagen. Er erhält Verstärkungen aus Tirol und Italien und
könnte Ihnen daher in wenigen Tagen mehr als 40.000 Mann ent-
gegenstellen. Daher müssen Ihre Kavalleriereserve, die Korps Lannes
und Ney, die zusammen 50.000 — 60.000 Mann ausmachen, möglichst
nahe beieinander marschieren, so daß sie in 6 Stunden vereinigt
sein und den Feind vernichten können.
„Die Eussen kommen in Eile. Gehen Sie also den Feind
überall an, wo immer er ist, aber mit Vorsicht und geschlossen.
Wenn er Ihnen entwischt, wird er am Lech aufgehalten werden."
Dieses Sehreiben scheint Murat veranlaßt zu haben, Ney den
mündliehen Befehl zu geben, nicht über Leipheim vorzugehen und
auch die Divisionen Dupont und Baraguay d'Hilliers nach Günzburg
auf das rechte Ufer heranzuziehen. Tatsächlich blieb die Division
Malher bei Fahlheim und Leipheim stehen und Dupont erhielt von
Ney den Befehl: „Da es die Absicht des Prinzen Murat ist, alle
seine Kräfte auf dem rechten Donau-Üfer zu vereinigen und den
Feind anzugreifen, der sich verteidigen zu wollen scheint, wird nur
ein Beobachtungsdetachement von 1 Bataillon und 2 Eskadronen
Husaren auf dem linken Ufer vor Ulm bleiben .... General Dupont
wird infolgedessen sofort seine Stellung bei Albeck verlassen, um
entweder über die Brücke von Elchingen oder über die von Günz-
burg auf das rechte Donau-Ufer überzugehen. Wenn die Sümpfe
unpassierljar sein sollten, haben auch die Kavallerie und Infanterie
— 401 —
bei Giindelfingen überzugehen (die Artillerie und der Train hatten
unbedingt bei Gundelfingen tiberzugehen). Die Division des Generals
Baraguay d'Hilliers wird der Division Dupont in derselben Direktion
vorangehen^}."
Daß eine Weisung Murats die Ursache dieses Befehles war —
weder Ney noch Murat erwähnen, daß eine solche Weisung erfolgte —
wird durch die Fassung der Meldung Murats vom 12, an den Kaiser
sehr wahrscheinlich, in der er den isolierten Angriff Duponts auf
Ulm zu erklären sucht. Er sagt, daß Ney am 10. Befehl gegeben
hat, Ulm auf dem linken Ufer der Donau anzugreifen; zugleich
wollte Ney selbst auf dem südlichen Ufer angreifen. „Das schlechte
Wetter oder andere Umstände ließen ihn diese erste Disposition
ändern. Er blieb am 11. bei Günzburg und Leipheim und sandte
Dupont den Befehl, den Angriff zu unterlassen und seine Aufstellung
bei Albeck zu behalten; aber dieser General war schon mit dem
Feind im Gefecht, als er diesen Befehl erhielt."
Diesen Befehl, nicht anzugreifen und bei Albeck stehenzu-
bleiben, erwähnt sonst niemand, weder Ney noch Dupont; er ist
auch in der Dokumentensammlung des französischen Werkes von
Alombert und Colin nicht enthalten. Dagegen erhielt Dupont in
Gegenwart des Kommandanten der 1. Brigade der Dragoner zu Fuß
nach 9*" abend in Albeck den oben angeführten Befehl Neys, auf
das rechte Donau-Ufer zu marschieren.
Nach „Lettres et documents pour servir ä l'histoire de Joachim
Murat" bestanden zu dieser Zeit starke Mißhelligkeiten zwischen
Murat und Ney. Dieser beugte sich nur widerwillig unter die Be-
fehle Murats und der Prinz wieder wollte, stolz auf das besondere
Vertrauen seines Kaisers, seine Anordnungen schnell und gut befolgt
sehen. Am 11. soll der Zwist zwischen Murat und Ney einen so
hohen Grad erlangt haben, daß es beinahe zu einem Zweikampf
dieser beiden Marschälle gekommen wäre. Dieses Verhältnis zwischen
den beiden Führern mag auch die Ursache mancher Unordnung in
der Befehlgebung gewesen sein.
Sei dem wie ihm wolle, sicher ist, daß in dieser Zeit in der
ganzen Führung des rechten Flügels der französischen Armee eine
außerordentliche Unsicherheit herrschte, deren Wirkung durch Fehler
in der Zustellung der Befehle noch bedeutend gesteigert worden ist,
') Der anhaltende Regen hatte die Donau-Niederungen weithin über-
schwemmt.
Krause. 1805, Der Feldzug von Ulm. 26
— 402 —
Diese Verhältnisse verursachten das isolierte Vorgehen der schwachen
Division Dupont gegen die bei Ulm konzentrierte österreichische
Armee, was für den österreichischen Armeetührer ein unerhörter
Glücksfall war, der bei zielbewußter und energischer Ausnützung
und bei den gegen den 9. Oktober wesentlich geänderten allgemeinen
Verhältnissen vielleicht zur Rettung der schon abgeschnittenen
Armee hätte führen können^).
Wie* Mack diesen Glücksfall ausnützte, wird die Schilderung
des Gefechtes bei Haslach zeigen.
Das Gefecht bei Haslach.
(Beilage 26.)
Die Division Dupont war am 11. Oktober um 11^ vormittag
von Albeck gegen Ulm aufgebrochen. Sie bestand aus dem 9. leichten,
dem 32. und 96. Linieninfanterieregiment, jedes zu 2 Bataillonen,
zusammen 6 Bataillone mit 5150 Mann, und aus dem 1. Husaren-,
dem 15. und 17. Dragonerregiment, zusammen 1050 Eeiter. Die Di-
vision hatte 14 Geschütze.
Die Division stieß bei Haslach auf die feindlichen Vorposten,
die zurückgedrängt wurden. Von Haslach aus sandte Dupont an den
Kommandanten von Ulm die schriftliche Aufforderung zur Übergabe
des von den Franzosen umschlossenen Ortes.
Von den Höhen bei Haslach mußten beträchtliche österreichi-
sche Kräfte sichtbar gewesen sein, die zwischen Böfingen und Ör-
lingen in Stellung waren.
Die Aufstellung der Österreicher vor Ulm zeigt die Bei-
lage 26.
Dupont ließ seine Division bei Haslach aufmarschieren, das 9.
leichte Regiment vorwärts Haslach, das 32. Linienregiment links
^) Die Änderung der Verhältnisse besteht darin, daß auf dem linken Donau-
üfer nur mehr zwei sehwache Divisionen — wenn Gazan bei Gundelfingen war,
höchstens drei Divisionen — und nicht alle fünf Divisionen Neys standen, daß
Lannes und Murat bei Günzburg für die Verfolgung oder Abdrängung der Öster-
reicher ungünstiger standen als bei Wertingen, daß Soult schon nach Landsberg,
Davout gegen Dachau, Marmont nach Augsburg abmarschiert waren, und endlich
daß Napoleon durch die falschen Nachrichten über die Russen vielleicht ver-
anlaßt worden wäre, mit dem Abmarsch der östlichen Korps nach Norden zu
zögern.
— 403 —
davon ; das 96. Regiment und die Dragoner blieben in Reserve. Das
1. Husarenregiment deckte die linke Flanke.
Die Österreicher hatten einige Bataillone des Regiments Riese
zur Unterstützung der Vorposten vorgesandt. Diese wurden aber von
den Franzosen geworfen, die nun ihren Angriff gegen den rechten
österreichischen Flügel bis BöJQngen fortsetzten.
Diesem Angriff wurden nach und nach alle Bataillone des
österreichischen rechten Flügels und mehrere Eskadronen entgegen-
geworfen. Erst nach langem, hartem Kampfe gelaug es der großen
österreichischen Übermacht, das 32. Regiment zurückzudrängen und
zwei Kanonen zu erobern. Das 32. Regiment setzte sich bei Haslach
fest und hielt dort stand. Zur Zeit, als der Kampf am südlichen
Flügel schon begonnen hatte, wurden österreichiseherseits Truppen
über Jungingen vordirigiert, anscheinend um den rechten französi-
schen Flügel zu umfassen. Dupont, der die Reserve rechts neben
das 9. leichte Regiment vorzog, entschloß sich, diesem Angriffe zu-
vorzukommen. Beide Regimenter gingen so rasch zum Angriflfe vor,
daß sie die österreichischen Kolonnen überraschten, bevor diese zur
Entwicklung kamen. Bei diesem ersten Angriffe sollen 2000 Ge-
fangene in die Hände der Franzosen gefallen sein. Die Österreicher
zogen aber immer neue Kräfte heran. Fünfmal wurde Jungingen
von den Franzosen genommen und wieder verloren.
Der Kampf hatte schon lange getobt, als von beiden Seiten
Kavallerie eingriff. Zuerst attackierte das Regiment Rosenberg die
französische Inftinterie; als dieses Regiment von den sofort herbei-
geeilten Dragonern geworfen war, erschien weit überlegene öster-
reichische Kavallerie, die die Dragoner umringte und im Hand-
gemenge gegen die Waldungen nördlich Haslach zurückwarf.
Die große Übermacht der Österreicher machte sich endlich
trotz dem tropfenweisen Einsetzen der Truppen geltend; nach
langem Kampfe wurde auch der rechte französische Flügel nach
Haslach zurückgedrängt.
Während noch bei Haslach gekämpft wurde, war österreichi-
sche Kavallerie in der Verfolgung der Husaren und Dragoner bis
Albeck vorgedrungen, wo sie, auf den Train der Division Dupont
stoßend, große Verwirrung anrichtete.
Um diese Zeit — es mochte nach 5^ nachmittag gewesen
sein — traf General Baraguay d'Hilliers mit seinem Stabe bei
Albeck ein. Als er die Unordnung sah, ließ er sofort die französi-
26*
— 404 —
sehe Kavallerie sammeln und die ungeordneten österreichischen
Reiter vertreiben. Da seine Kolonnen noch weit rückwärts waren,
konnte er den vorne kämpfenden Truppen keine Hilfe bringen^).
Bis zum Einbrüche der Dunkelheit hielt sich Dupont bei Has-
lach, dann aber zog er seine erschöpften Truppen, die schwer ge-
litten hatten, nach Albeck zurück. Auf dem Rückzuge verlor die
Division alle Zwölf- und Achtpfünder, die beim Übersetzen von
Gräben umstürzten und nicht mehr aufgerichtet werden konnten.
Beide Teile schrieben sich den Sieg zu.
Dupont sprach in seinem Bericht und in sonstigen Briefen
nur von dem Siege, den seine Division, die das Gefechtsfeld be-
hauptete, über mehr als 25.000 Österreicher davontrug. Er be-
hauptete, 7000 Mann gefangen, 3 Kanonen und 2 Fahnen erbeutet
zu haben; von den Gefangenen sollen ihm 3000 durch die öster-
reichische Kavallerie wieder abgejagt worden sein^). Er verschwieg
dagegen den Verlusf des größten Teiles seiner Artillerie; allerdings
verlor er nur zwei Geschütze im Kampfe; aber der Eückzug war
die Folge des Kampfes und liegengelassene Geschütze sind ebenso
verloren wie die vom Feind eroberten.
Mack wieder berichtete am 12. Oktober an den Kaiser, daß
die Armee am 11. mittag vor Ulm von der französischen Obser-
vationsarmee unter Ney auf ihrem rechten Flügel mit großer Heftig-
keit angegriffen wurde.
„Unser rechter Flügel schlug alle Angriffe mit großer Stand-
haftigkeit ab, während der Generalquartiermeister FML. Mack einen
beträchtlichen Teil unseres linken Flügels vorrücken ließ und der feind-
lichen Rechten in den Bücken führte, von dem zwei feindliche Ka-
vallerie- und zwei Infanterieregimenter fast gänzlich aufgerieben wurden.
„Der Feind zog sich in größter Unordnung längs der Donau
zurück und ließ nahe an 1500 Tote auf dem AValplatz.
„Wir haben 800 — 900 Gefangene gemacht, 11 Kanonen und
20 Munitionswagen erobert.
^) In Albeek erhielt Baraguay d'Hilliers die Mitteilung Diiponts vom Ab-
märsche der 1. Division nach Ulm. Dupont versprach, nach seiner Ankunft bei
Haslach dem General Baraguay die Aufstellung der 1. Division bekanntzu-
geben lind forderte diesen auf, seine Ankunft in Albeek zu melden.
^) In dem französischen Bulletin vom 15. Oktober 1805 wird die Zahl der
Gefangenen nur mit 1500 angegeben ; von erbeuteten Kanonen und Fahnen ist
darin gar nicht die Rede.
— 405 —
„Gleich morgen werden wir längs der Donau abwärts gegen
diese feindliche Observationsarmee vorrücken und unseren Sieg tätig
verfolgen, zu gleicher Zeit aber ein starkes Korps gegen Stuttgart,
mithin auf die Hauptkommunikationslinie des Feindes und fliegende
Korps vielleicht bis gegen Straßburg vordrängen und allenthalben
Lärm und Entsetzen verbreiten lassen^)."
Mack hoffte so den Feind zu zwingen, sich zu teilen, sich
also nicht mit ganzer Kraft auf die Russen zu werfen; er hoffte,
daß die Russen Zeit haben würden, sich zu sammeln, mit Kien-
mayer zu vereinigen und dann gemeinsam mit seiner Armee gegen
die Franzosen vorzugehen.
In Wirklichkeit hat Dupont, wie nicht anders möglich, eine
empfindliche taktische Niederlage erlitten, wofür der Verlust von
9 Geschützen, 31 Munitionsfuhrwerken und 2 Adlern deutlich
Zeugnis ablegt. Noch klarer tritt die Niederlage der Division durch
ihr Verhalten in den nächsten Tagen hervor.
Aber auch die österreichische Armee hatte schwer gelitten
und ihren Erfolg sehr teuer erkauft. Am 12. Oktober waren schon über
1100 Verwundete nach Ulm eingeliefert worden. Die Armee hatte
gegen den inferioren Gegner unbedingt zahlreiche Gefangene ein-
gebüßt.
An dem Gefechte bei Haslach mochten österreichischerseits
wenigstens 18.000— 20.000 Mann Infanterie und etwa 2000— SOOOReiter
teilgenommen haben. Es war also auf Seite der Österreicher eine
1) Eigenhändig geschriebene Eelation Maeks. (Eriegsarebiv, 1805, Deutseh-
land FA, X, 110 und 109.)
Erzherzog Ferdinand sehreibt in seinem Berieht an den Kaiser vom
1-2. Oktober (s. S. 384). „Wir hatten das Grliick, den Feind gänzlich zurück-
zuschlagen, wie es Eure Majestät aus der vom FML. Mack selbstverfaßten Relation
ersehen werden ; nur muß ich hier bemerken, daß die Anzahl der Toten, Ge-
fangenen und eroberten Kanonen übertrieben ist und daß die Tournierung des
rechten Flügels eigentlich durch den Fürsten Sehwarzenberg angeordnet und
durch ihn und FML. Klenau ausgeführt wurde. Jedoch war FML. Mack gegen-
wärtig." (Mack attackierte an der Spitze seines Regiments mit. Tatsächlich fielen
nur 5 Kanonen und 23 Artilleriewagen in die Hände der Österreicher.)
Ein Ulmer Bürger erzählt in „Ulms Schicksale in dem letzten Kriege" :
Alles jubelte über den Sieg, versehwieg aber den Einwohnern, daß die
Franzosen sich auf dem rechten Donau -Ufer gegen Roggenburg und Weißenhorn
hinaufzogen und die Stadt von dieser Seite einschlössen, obwohl die Naehneht
schon in der Stadt verbreitet war.
— 406 —
nahezu vierfache Übermacht im Kampfe und trotzdem konnte Dupont
mit einem Schein von Anrecht auf den Sieg Anspruch erheben:
Er hatte reiche Trophäen erbeutet und hatte Haslach erst nach
Einbrach der Dunkelheit und nach dem Erlöschen des Kampfes
freiv^illig geräumt.
Dieses Gefecht bei Haslach zeigt die schon bei Besprechung
der Gefechte von Wertingen und Günzburg erwähnten Ursachen
der österreichischen Niederlagen besonders deutlich.
Die Ziel- und Planlosigkeit Macks, der von der Absicht, über
Heidenheim abzuziehen, mitten im Schreiben der Disposition ab-
springt, bei Ulm bleiben und nach Stuttgart und Straßburg vor-
stoßen will, trägt abermals ihre Früchte.
Immer voll der abenteuerlichsten, aber erst in 2 — 3 Tagen
durchzuführenden Entschlüsse, hatte er keine Zeit, sich mit den
augenblicklichen Bedürfnissen der Armee zu befassen. Er warf die
Truppen in der Aufstellung bei Ulm so genial durcheinander, daß
kein General wußte, wo er den Befehl führen sollte, und da kein
General auf irgend einem Punkte des Gefechtsleldes das Kommando
führen mußte, so scheint während des Gefechtes die obere Führung
fast ganz versagt zu haben, umsomehr, als auch der Armeeführer
es vorzog, an der Spitze seines Regiments eine Attacke zu reiten,
anstatt die oberste Führung im Gefecht auszuüben. Diese kleine
Episode zeigt schon, daß diesem General jede Eignung zum Armee-
kommandanten abging; denn so viel Urteil kann man, bei aller
Achtung vor der persönlichen Tapferkeit, von jedem zur höheren
Führung berufenen Offizier erwarten, daß diese Art von Tapferkeit
oder Betäubung der Nerven für seine einzige Aufgabe, für die
Führung, von höchstem Nachteile sein muß.
Das Einsetzen der Person eines höheren Führers ist nur dann
gerechtfertigt, wenn diese Persönlichkeit seine letzte Eeserve dar-
stellt, die er einsetzt, um an einem einzigen entscheidenden Punkte
den Sieg herbeizuführen. Solche Situationen werden aber äußerst
selten vorkommen und meist nur dann, wenn es sich nur um die
Wegnahme einer vom Feinde gehaltenen Ürtlichkeit handelt.
Skobelew in der dritten Schlacht bei Plewna).
Das Fehlen jeder höheren Führung im Gefecht und die Plan-
losigkeit Macks, der sich damit begnügte, den Feind abzuwehren.
— 407 —
hatten zur Folge, daß die österreichischen Regimenter nach und
nach in den Kampf traten; bei den Franzosen hatte dagegen der
zwar undurchführbare, aber doch klare und eine positive Leistung
fordernde Befehl: Ulm zu zernieren, eine zielbewußte, die Kraft zu-
sammenhaltende Gefechtsleitung zur Folge. So kam es, daß durch
Stunden hindurch eine absolute französische Minderheit die ein-
zelnen österreichischen Bataillone und Regimenter mit relativer
Übermacht erdrückte, was besonders in den zahlreichen Gefangenen
zum Ausdruck kam. Wenn das Gefecht um 1 — 2 Stunden später
begonnen hätte, wäre trotz der riesigen Übermacht Macks eine neue
österreichische Niederlage zu verzeichnen gewesen, weil die Nacht
den Österreichern nicht die Zeit gelassen hätte, ihre Überlegenheit
auch wirklicli zur Geltung zu bringen.
Obwohl das Gefecht von Haslach kein Sieg der Franzosen
war, hätte es für sie von höchster strategischer Bedeutung sein
können, wenn Dupont die ganze Situation sofort am 11. abend
erfaßt haben würde.
Trotzdem also, bei voller Kenntnis der Situation, der
Befehl Napoleons an Ney, Ulm zu nehmen, und umsomehr der
daraus folgende an Dupont, Ulm auf dem linken Donau-Ufer zu
zernieren, als ein vollkommen verfehlter bezeichnet werden müßte,
hat dieser bestimmte, eine positive Leistung fordernde Befehl bei
dem passiven Verhalten des Feindes einen vollen strategischen und
einen aehtungswerten taktischen Erfolg erzielt. Der strategische
Erfolg bestand in der Klarstellung, daß die ganze österreichische
Armee bei Ulm stehen müsse. Daß dieser Erfolg von Dupont nicht
erkannt und nicht ausgenützt worden ist, ändert nichts an dieser
Tatsache.
Dupont sollte es nach dem erhaltenen Befehle vermeiden,
seine Division gegen überlegene Kräfte auszuspielen.
Das Gefecht von Haslach gibt nun den Beweis dafür, daß ent-
weder ein solcher Befehl nur schwer zu befolgen ist, da man die
Überlegenheit des Feindes meist erst dann erkennt, wenn man
schon geschlagen ist und selbst dann nicht immer sofort, oder aber
dafür, daß Dupont mit Absicht und vollem Bewußtsein ungehorsam
war und dadurch die Pläne seines Feldherrn in Gefahr brachte.
Dupont behauptet in einem Briefe — Alombert et Colin, III,
S. 512 — schon bei seinem Eintreffen bei Albeck gewußt zu haben,
daß die ganze österreichische Armee, ausgenommen ihre Detache-
— 408 —
ments, vor ihm auf dem Michelsberge stehe'). Dupont behauptet
dies jedenfalls nur, um seine Heldentat noch mehr hervortreten zu
lassen; er will daher bewußt die feindliche Armee mit seiner
Division ang-egriffen haben. Dabei zeiht er sich unbewußt und un-
gerechterweise mehrerer schwerer Nachlässigkeiten, ja militärischer
Verbrechen.
Wenn Dupont tatsächlich sofort bei seinem Eintreffen bei
Albeck erfahren hätte, daß die ganze feindliche Armee bei
Ulm auf dem nördlichen Ufer konzentriert stehe, dann hätte er
1. diese äußerst wichtige Tatsache sofort mit größter Be-
schleunigung dem Marschall Ney und. wenn er Napoleons Aufenthalt
wußte, auch direkt dem Kaiser melden müssen und
2. am 11. Oktober nicht angreifen dürfen.
Dupont hat die Tatsache, daß die österreichische Armee bei
Ulm konzentriert steht, aber merkwürdigerweise weder am 9. noch
am 10. und 11., ja selbst nicht einmal am 12. gemeldet. Wenn
Dupont diese Tatsache am 9. oder 10. gemeldet hätte, dann würde
ihm Ney sicher nicht am 10. abend den Befehl gesandt haben, diese
Armee bei Ulm am 11. allein anzugreifen; dann wären die Divisionen
Loison, Gazan und Bourcier bestimmt nicht auf das südliche Ufer,
sondern das ganze Korps Ney und wahrscheinlich auch das Korps
Lannes auf das nördliche Ufer gezogen worden.
Hätte Dupont diese Meldung am 11. oder selbst am 12. Ok-
tober erstattet, dann hätten Ney, Murat und Napoleon nicht noch
am 12. Oktober der Meinung sein können, daß die feindliche Armee
an der Hier stehe und daher dort angegriffen werden müsse, wozu
Ney am 13.. wie später dargetan werden wird, selbst die Division
Dupont auf das südliche Ufer heranziehen wollte.
Wenn Dupont sich daher in seinem Briefe, wie Alombert und
Colin auf Seite 42 des HI. Bandes sagen „mit Recht", über die
merkwürdige Situation wundert, die um diesen Zeitpunkt dem Irr-
tume Napoleons entsprang, daß der Feind gegen Süden abge-
zogen sei, so muß nur klargestellt werden, daß, nach diesem Briefe
beurteilt, Dupont ganz allein die Schuld an diesem Irrtum und somit
an der ganzen, den Erfolg der Armee in Frage stellenden Situation
-) Dupont gibt in diesem Brief an, daß er am 8. die Position bei Albeek
bezogen habe, was unrichtig ist, da er erst am 9. abend dort eintraf. Dieser
Irrtum läßt erkennen, daß der Brief, dessen Datum nicht angegeben ist, jeden-
falls lange nach dem Gefechte geschrieben wurde.
— 409 —
trug, da er die ihm angeblich bekannte Konzentrierung der öster-
reichischen Armee nicht gemeldet hatte. Zu dieser schweren Schuld
fügte er dann noch die kopflose Tollheit, dieser Armee durch seinen
mißglückten AngrifiF zu zeigen, daß nur schwache Kräfte auf dem
nördlichen Ufer vor Ulm stehen.
Gegen diese indirekte Selbstbeschuldigung soll der groß-
sprecherische General Dupont in Schutz genommen werden, indem
behauptet wird, daß er selbst nach Beendigung des Gefechtes
von Haslaeh noch nicht volle Klarheit über die Situation des Feindes
gewonnen hatte und nicht wußte, daß die ganze österreichische
Armee bei Ulm gestanden war.
Über die Stärke der Österreicher bei Ulm hat Dupont am
10. Oktober zwei Meldungen eingesandt. In der ersten Meldung gab
er an, daß das Eekognoszierungsdetachement auf überlegene Kräfte
gestoßen war, in der zweiten Meldung, daß bei Ulm beträchtliche
feindhche Truppen vereinigt seien (S. 364).
Alle Angaben Duponts über die Stärke der bei Haslaeh im
Kampfe gestandenen österreichischen Kräfte stammen aus späteren
Tagen. Das erste vorhandene Schriftstück, in dem Dupont behauptet,
25.000 Österreicher geschlagen zu haben, ist vom 13. Oktober datiert^).
Er erwähnt darin nichts von der „ganzen österreichischen
Armee". Am selben Tage sandte er seinen Gefechtsbericht an Ney^),
worin er angibt, daß gefangene Offiziere aussagten, die ganze
Armee hätte auf dem Michelsberge gelagert.
Die Meldung Neys an Berthier vom 12. Oktober, die auf die
erste Nachricht von Dupont abgegangen war, enthält keine Angaben
über die Stärke der Österreicher bei Ulm, was nur damit erklärt
werden kann, daß Dupont in seiner Meldung an Ney nichts über
die Stärke der ihm gegenüber gestandenen Kräfte erwähnt hatte.
Noch am 13. Oktober mußte Berthier einen Generalstabsobersten zu
Dupont senden, um dessen Situation kennen zu lernen und ihm den
Auftrag zu geben, eine genaue Eelation über sein Gefecht zu senden.
Kurz und gut, es hat den Anschein, als ob Dupont erst durch
die Aussagen gefangener Offiziere klar geworden wäre, daß er die
ganze österreichische Armee bei Ulm vor sich gehabt habe.
Also auch das Gefecht bei Haslaeh hatte ihm erst dann Gewiß-
heit gebracht, daß überlegene Kräfte bei Ulm standen, als er ge-
') Brief Duponts an den General Sanson. Alombert et Colin, III, S. 523.
2) Alombert et Colin, III, S. 511, Fußnote 1.
— 410 —
schlagen war, iiud die ganze Wahrheit erfuhr er erst noch später
durch die Angaben gefangener Offiziere; um Gefangene und deren
Aussagen zu gewinnen, war es aber nicht notwendig, ein so blutiges
Gefecht zu wagen.
Diese Darlegungen ergeben mehrere Lehren. Sie zeigen, daß
es selbst dem knapp vor der feindlichen Hauptkraft stehenden TJnter-
kommandanten nicht immer möglich ist, zu erkennen, daß er die
feindliche Hauptkraft vor sich habe ; um wie viel weniger kann dies
der weit rückwärts befindliche Armeekommandant erkennen, der ja
vor allem auf die Meldungen seiner Unterkommandanten angewiesen
ist. Man muß im Kriege meist in Unkenntnis der feindlichen
Situation handeln; wollte man warten, bis man erschöpfende Nach-
richten über den Feind erhält, dann verliert man nur zu leicht die
Initiative. Es gibt daher nur eine Richtschnur für das zielbewußte
Handeln: den eigenen Entschluß und Willen oder die eigene
Aufgabe. Danach muß man handeln und dabei dem Feinde die
vernünftigste Gegenhandlung zumuten. Macht dann der Feind eine
Dummheit, was sich ja bei Klärung der Lage zeigen wird, dann
um so besser.
Scharfe Rekognoszierungen versprechen wenig Erfolg. Die
scharfe Rekognoszierung des acht Kompagnien starken Detachements
ergab nur, daß es auf überlegene Kräfte gestoßen war; das waren
aber schon etwa 3 — 4 Bataillone. Diese scharfe Rekognoszierung
brachte also keine wichtigen Nachrichten und bewahrte nicht einmal
die Division Dupont vor ihrem nutzlosen Angriff. Ihr Erfolg stand
daher mit den aufgewandten Mitteln in keinem Verhältnisse. Auch
der Angriff Duponts hatte eigentlich durch die Stärkeverhältnisse
und seine sonstige Zwecklosigkeit den Charakter einer „gewaltsamen
Rekognoszierung". Da aber Dupont erst spät, scheinbar erst am
13. erkannte, daß er die ganze österreichische Armee ror sieh ge-
habt hatte, bleibt auch diese Rekognoszierung ohne Erfolg. Weil man
bei der scharfen Rekognoszierung nur dann einen Erfolg erwarten
kann, wenn man mit seiner ganzen Kraft angreift, am den
Feind zu zwingen, auch seine Kräfte zu zeigen und zu entwickeln,
kann die scharfe Rekognoszierung nur zu leicht zu einer ernsten
Niederlage des Detachements führen. Flunkert man aber nur herum,
dann zeigt der Feind keine Kräfte und man hat die Truppen um-
sonst molestiert. Also entweder eine ernste Niederlage des Ee-
kognoszieruugsdetachements und doch wenig Klarheit über die feind-
— 411 —
liehe Situation, oder keine Bloßstellung des Detachements, aber dann
natürlich auch gar kein Erfolg.
Weiter ersieht man aus dem Gefechte bei Haslach, daß der
Befehl, nur dann anzugreifen wenn man nicht auf überlegene Kräfte
trifft, eine leere, aber sehr beliebte, in den meisten Befehlen wieder-
kehrende Phrase ist, die die Schuld eines Mißerfolges auf die Schultern
des ünterkomraandanten abwälzt, denn er hätte eben rechtzeitig
erkennen sollen, daß der Feind überlegen ist. Diese Erkenntnis
kommt aber meist erst mit der Niederlage oder mit dem Mißerfolg.
Einen schneidigen ünterkommandanten bewahrt diese Phrase daher
nicht vor dem Unglück, einem zaghaften Unterführer aber lähmt
sie nur zu leicht den Entschluß und die Energie.
Der Fall Dupont lehrt weiter, wie vorsichtig man beim Studium
der Kriegsgeschichte die Schilderungen der Hauptakteure beurteilen
muß. Es ist eine leider nur zu allgemeine menschliche Schwäche,
seine eigenen Verdienste und Leistungen nicht nur selbst zu hoch
einzuschätzen, sondern noch zur künstlichen Hebung dieser Ver-
dienste nachzuhelfen, wobei man es meist mit der Wahrheit solange
nicht genau nimmt, bis man selbst an seine Übertreibungen und
Unwahrheiten glaubt. Er lehrt aber auch, daß man mit solchen Un-
wahrheiten sich selbst oft am wenigsten dient. Wenn Dupont ein-
fach eingestanden hätte, daß er keine Ahnung hatte, was er angriff,
so wäre seine schneidige Führung und Haltung nicht weniger zu
bewundern, als wenn er bewußt die ganze österreichische Armee
angegangen hätte; im zweiten Falle müßte man ihm aber, wie früher
dargetan, mit Eecht schwere, diesen Ruhm gänzlich vernichtende
Vorwürfe machen.
Zur Zeit, als die Division Dupont bei Ulm auf starke öster-
reichische Kräfte gestoßen war, erreichten die übrigen Teile der
Armeegruppe Murats ihre Marschziele. Die Kavallerie fand Weißen-
horn und Mindelheim schwach besetzt.
Das Korps Soult traf bei Landsberg auf das Kürassierregiment
Kronprinz Ferdinand, das nach Memmingen eilen sollte; Soult ließ es
angreifen. Das Regiment wurde mit einem Verluste von 120 Mann
und 2 Geschützen in der Richtung auf Füssen zurückgeworfen ; es
kam überhaupt nicht mehr zur Armee. Soult erfuhr in Landsberg
— 412 —
überdies, daß am 10. die Militärkasse und ein Brückentrain, am
11. früh ein Artillerietransport von Landsberg nach Memmingen
abmarschiert seien. Endlich konnte er nebst diesen wichtigen Nach-
richten noch melden, daß sich nach Angabe eines von München
gekommenen Reisenden der Marsch der Russen verzögert habe, so
daß die schon seit 8 Tagen sichergestellten Wagen am 10. Oktober
wieder abbestellt worden waren ^).
Am linken Armeeflügel erhielt Marmont den Befehl nach
Augsburg, Davout nach Dachau zu marschieren. Davout, den der
Befehl erst am 11. gegen Mittag erreichte, konnte am 11. nur mit
der Vorhut bei Dachau eintreffen.
Die Kürassierdivision d'Hautpoul hatte am 11. an das Korps
Davout anzuschließen.
Bernadotte erreichte am 11. mit der Vorhut Kalteherberg, mit
dem Gros Heimhausen. Er meldete, daß das schlechte Wetter und
die Unfähigkeit der Bayern, so schnell wie die Franzosen zu mar-
schieren, die Ursachen seien, daß er München noch nicht besetzen
konnte; eine schlechte Ausrede, da gerade die Vorhut, die die
größten Märsche zurücklegte, aus Bayern bestand. Bernadotte hätte
übrigens jederzeit die besser marschierenden Franzosen vorauseilen
lassen können. Napoleon wäre gewiß sehr zufrieden gewesen,
wenn ihm Bernadotte gemeldet hätte, daß wenigstens seine zwei
französischen Divisionen München schon am 11. Oktober abend be-
setzen würden.
Die Situation am Abende des 11. Oktobers (Beilage 27) zeigt
also die österreichische Armee bei Ulm vereinigt, ihr gegenüber nur
die geschlagene Division Dupont und die Dragoner zu Fuß; das
Korps Kienmayer bei München.
Die französische Armee war in zwei Gruppen geteilt: Die West-
gruppe unter dem Oberbefehl Murats stand vor Ulm, die Ostgruppe,
Bernadotte und Davout, war im Marsch auf München. Am Lech
standen, nach beiden Seiten verwendbar, Soult bei Landsberg,
Marmont, die Garde und die Kürassierdivision Nansouty bei Augsburg.
Die Etappenstraße reichte über Donauwörth bis Augsburg.
*) Dagegen meldete Bernadotte am 11. abend, daß die erste russische
Kolonne am 12. in München ankommen solle, was ein österreiehiseher Offizier
bestätigt habe. General Rivaud wieder meldete am 11. aus Ingolstadt, daß die
ersten Staffeln der Eussen am 10. in Ried in Oberösterreieh ankommen sollten
und am 11. nach Bayern einrücken dürften.
— 413 —
Ein Blick auf die Situationsskizze Beilage 27 zeigt, daß Mack
vona 11. Oktober an jeder Ausweg schon verschlossen war. Was er
auch immer unternehmen mochte, Napoleon konnte ihm bei seiner
raschen Entschlußfassung und der großen Marschtüehtigkeit der
Franzosen selbst dann den Eückweg verlegen, wenn die Nachricht
über den Abmarsch Macks 1 — 2 Tage verspätet zu seiner Kenntnis
gekommen wäre. Napoleon war somit, trotz seiner Unsicherheit über
den Aufenthalt der österreichischen Armee, seinem Ziele nahe, die
Österreicher allseitig zu umringen.
XVL Vom 12. Ms 14. Oktober.
(Beilagen 28 und 29.)
Österreicher.
Jeder Fessel bar und ermutigt durch den Erfolg vom 11. Ok-
tober, begann nun Mack im „Planemachen" zu schwelgen.
Vor allem wurde am 12. Oktober eine neue Ordre de bataille
verfaßt und ausgegeben, die wieder alle Verbände und Kommando-
verhältnisse änderte.
Diese Ordre de bataille war folgende:
Linker Flügel.
Korps Sehwarzenberg.
Avantgarde FML. Klenau.
Brigade Liechtenstein:
Sehwarzenberg-Ulanen 8 Eskadronen
Tiroler Jäger . 3 Kompagnien
Brigade Stieker:
ßainer 5 Bataillone
Frelieh 5 „
Treffen FML. Gottesheim.
Brigade Eiehter:
Hildbiirghausen 4 Bataillone
Kaiser 4 „
Brigade Weidenfeld:
Kolowrat 4 Bataillone
Manfredini 4 „
Brigade Speth:
Hohenlohe-Dragoner 6 Eskadronen
Klenau-Chevauxlegers 6 .,
— 415 —
Reserve FML. Klenau.
Brigade Fresnel:
Kolowrat-Grenadiere 1 Bataillon
Hildburghausen 1 „
Manfredini-Grrenadiere 1 „
Kaiser-Grrenadiere 1 ,,
Maek-Kürassiere 8 Eskadronen
Mitte.
Korps Bieseh.
Avantgarde FML. Hessen-Homburg.
Brigade Mecsery:
Blanken Stein-Husaren 6 Eskadronen
Tiroler Jäger 3 Kompagnien
Erbaeh 3 Bataillone
Erzherzog Ludwig 3 „
Erbaeh-Grenadiere 1 Bataillon
Treffen FML. Laudon.
Brigade Ghenedegg:
Riese 4 Bataillone
Erzherzog Max 4 ,.
Brigade Auersperg:
Erzherzog Karl 4 „
Auersperg 4 „
Brigade Hermann:
Hohenzollern-Kürassiere 8 Eskadronen
Reserve FML. Hessen-Homburg.
Brigade Ulm:
Froon-Infanterie 4 Bataillone
Auersperg-Grenadiere 1 Bataillon
Erzherzog Karl-Grenadiere 1 „
Colloredo-Grenadiere 1 „
Froon-Grenadiere 1 „
Erzherzog Franz-Kürassiere 8 Eskadronen
Rechter Flügel,
Korps Werneek.
Avantgarde.
Brigade Vogel:
Rosenberg-Ghevauxlegers 6 Eskadronen
Tiroler Jäger 3 Kompagnien
Brigade Odonel :
Kaunitz 5 Bataillone
Jellaehieh 4 „
— 416 —
Treffen FML. Hohenzollern.
Brigade Hohenfeld:
Württemberg 3 Bataillone
Eeuß-Greitz 3 „
Spork 4
Brigade Weeber:
Stuart 3 Bataillone
Reuß-Plauen 3 „
Brigade Rohan:
Latour-Chevauxlegers 8 Eskadronen
Palatinal-Husaren 8 „
Reserve FML. Latour.
Brigade Sinzendorf:
Reuß-Greitz-Grenadiere 1 Bataillon
Spork-Grenadiere 1 „
Stuart-Grenadiere 1 „
Reuß-Piaiien-Grenadiere 1 „
Brigade Dienersberg :
Albert-Kürassiere 8 Eskadronen
Korps FML. Jellachich.
Avantgarde GM. Mayer:
Blankenstein-Husaren 2 Eskadronen
Tiroler Jäger 3 Kompagnien
Beaulieu 3 Bataillone
Treffen GM. Wolfskeel:
Stein 3 Bataillone
Mittrowsky 4 „
Duka 4
Rosenberg-Ohevauxlegers 2 Eskadronen
Reserve GM. Spangen:
Mittrowsky-Grenadiere 1 Bataillon
Duka-Grenadiere 1 „
Czartoryski-Grenadiere 1 „
Klenau-Chevauxlegers 2 Eskadronen
Die gesperrt gedruckten Truppenkörper kamen gegenüber der Ordre de
bataille vom 8. Oktober neu in das betreffende Korps. Innerhalb der Korps wurden
aber fast alle Divisions- und Brigadeverbände verv?orfen.
Einzelne Truppen, z. B. Palatinal-Husaren und Tiroler Jäger, kamen über-
haupt nicht mehr in ihren neuen Verband.
Aber auch diese Ordre de bataille war nicht von Bestand. Noch am 12. Ok-
tober erhielt Werneck den Befehl, die Regimenter Jellachich und Kaunitz, und
— 417 —
einige Standen später einen zweiten Befehl, noch zwei Grenadierbataillone an
FML. Jellaehieh abzugeben.
PML. Eiesch bemerkt in einem Berichte: Am 13.. im Augenblicke des Ab-
marsches, nahm FML. Mack meinem Korps trotz meines Protestes vier Eskadronen
Blanken stein-Husaren ab, die zu PML. Jellaehieh stießen. Die Tiroler Jäger und
Kronprinz Ferdinand- Kürassiere kamen überhaupt nie zu meinem Korps.
GM. T. Mayer hatte bisher eine Grenadierbrigade des Korps Werneck
kommandiert. Von seiner Avantgarde befand sieh nur ein Bataillon Beaulieu in
Ulm, alles andere stand noch im Detaehement Wolfskeel bei Tuttlingen.
Das Eegiment Czartoryski war am 11. in Memmingen, die Regimenter
Mittrowsky und Duka sollten am 14. und 16. Oktober dort eintreffen.
Im erbeuteten Gepäck des Generals Dupont war der Befehl Na-
poleons gefunden worden, daß alle Transporte nicht mehr die Linie
Stuttgart, Heidenheim, sondern die Etappenstraße über Ellwangen und
Nördlingen zu benützen haben. Dieser Befehl ließ Mack vermuten,
daß Napoleon für seine VerV)indungen besorgt sei und sie deshalb
weiter nach Norden verlegte. Er entschloß sich daher, gegen die
Verbindungslinie der Franzosen vorzustoßen.
Hiezu sollte FML. Werneck mit seinem Korps noch am 12.
mittag aufbrechen, über Geislingen nach Stuttgart vordringen mid von
dort bis gegen Kehl streifen lassen, um die feindliche Verbindung
zu unterbrechen und Schrecken zu verbreiten. Mit dem Reste der
Armee wollte Mack am 13. Oktober nach Heidenheim vorstoßen.
Zu Mittag verlas Mack die Disposition hiefür vor den ver-
sammelten Generalen. Als Werneck, der die Unmöglichkeit dieses
Unternehmens erkannte, behauptete, daß sein Korps der Übermüdung
halber und wegen des Mangels an Verpflegung nicht am 12. ab-
marschieren könne, wurde Mack heftig und erklärte schließlich, daß
er Werneck des Kommandos entheben und das Korps selbst nach
Stuttgart führen werde. Als aber Erzherzog Ferdinand bemerkte,
daß Mack als Verfasser aller Dispositionen im Oberkommando bleiben
müsse, fügte sich Mack, gab den Zug nach Stuttgart auf und faßte
den Entschluß, am 13. Oktober mit der ganzen Armee gegen Dupont
zum Angriffe vorzugehen.
Der hiezu am 12. Oktober um 2^ nachmittag ausgegel»ene ge-
heime Generalbefehl sagte:
„Morgen früh wird der gestern geschlagene Feind in seiner
Position hinter Albeck und Langenau neuerdings angegriffen,
„Die Korps der FML. ßiesch und Schwarzenberg formieren
sieh mit anbrechendem Tag in größter Stille hinter den Anhöhen
Kranes. 1805, Der Feldzug von Ulm. ^i
— 418 —
bei JuDgingen und Lehr: das erstere auf 200 — 300 '^ rechts der
Chaussee, das andere auf ebensoviel Distanz links derselben, Iteide
mit Zügen links abmarschiert.
„Das Korps Werneck, mit halben Kompagnien aus der Mitte
abmarschiert, formiert um eben dieselbe Zeit sich auf der Anhöhe
von Ober-Haslach und hält sich bereit, auf ersten Befehl auf der
Chaussee gegen Albeck vorzurücken, wo es auf den Anhöhen dies-
seits des bei Albeck fließenden kleinen Baches in zwei Treffen,
deren Flügel durch seine Kavallerie gedeckt sind, aufmarschiert und
durch rechts und links auf beträchtliche Distanz sich verteilende
leichte Truppen Scheinangriffe auf die Position des Feindes macht,
auch rechts gegen Langenau starke Parteien ausschickt und dort
ebenfalls mit dem Angriffe droht.
„Während als diese Demonstrationen von dem Werneckscheo
Korps gegen die Front der feindlichen Position geschehen, werden
die beiden anderen Korps gegen die Hagenhöfe und sodann gegen
Hörvelsingen und Bernstadt marschieren, den Feind auf seinem
rechten Flügel tournieren und angreifen.
„Vom Werneckschen Korps werden die zwei schwachen In-
fanterieregimenter Jellachich und Kaunitz an den FML. Jellachich
abgegeben, welcher die Verschanzungen und die Festung damit be-
setzt. Seine übrigen Truppen läßt er nach angebrochenem Tag auf
dem rechten Donau-Ufer vorsichtig vorrücken und den Feind von
dieser Seite alarmieren^)."
Aber auch dieser Befehl kam nicht zur Durchführung.
Am Abend des 12. Oktober traf die Meldung des GM. Mecsery^)
ein, daß starke feindliche Kavallerie Weißenhorn besetzt habe, so
daß die Straße von Ulm nach Memmingen für eigene Truppen nicht
mehr benutzbar sei.
Mack, dem nun Bedenken über seine Verbindung mit Tirol
kamen, gab noch am Abend an Schwarzenberg den Befehl, am 13.
früh FML. Klenau auf Weißenhorn vorzusenden. FML. Jellachich
sollte die Hälfte seines Korps über Fahlheim vorsenden, den Feind
gegen Leipheim und Günzburg zurückdrängen und Verbindung mit
Klenau halten^).
') Eriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, X, 120.
^) Stand mit drei Eskadronen Blankenstein-Husaren bei Ober-Kirehberg
südlieh Ulm im Aufkläningsdienste.
3) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, X, 118 a.
— 419 —
Als um Mitternacht die Meldung vom Abzüge des Feindes
aus Albeck und Langenau eintraf, wurden um 2'' früh Entschluß
und Befehle abermals geändert.
FML. Jellachich sollte sein Detachement nicht längs der
Donau auf Günzburg, sondern längs der Hier nach Ober-Kirchberg
senden. Alle Brücken aufwärts von Kirchberg waren abzubrechen.
FML. Jellacbieh selbst sollte mit seinem Korps auf der Chaussee
nach Ochsenhausen abmarschieren, den GM. Wolfskeel an sich
ziehen und wenn nötig seinen Rückzug auf Lindau nehmen^).
Weitere Befehle ergingen um 2^ früh:
An FML. Schwarzenberg und Klenau:
Klenau müsse wohl den Feind rekognoszieren, aber sehr vor-
sichtig zu Werke gehen und sich nicht allzu weit von Ulm ent-
fernen. Für die anderen Truppen Schwarzenbergs bleibe das Be-
fohlene aufrecht, nur habe er den Brückenkopf von Ulm angemessen
besetzt zu halten^).
An Werneck: „Es bleibt dabei, daß FML. Werneck mit der
Hälfte seines Korps nach Heidenheim abrückt; er muß aber auch
die andere Hälfte seiner Truppen 2 — 3 Stunden später folgen lassen.
Er soll heute noch Heidenheim erreichen und dort Posto fassen.
Die rechte Flanke ist zu siehern, obwohl nur wenig vom Feinde
auf dem linken Donau-Ufer sein soll. Das Korps FML. Eiesch wird
ihm um lO'' zur Verstärkung nachrücken^)."
An FML. Eiesch: Die Hälfte des Korps Eiesch hat sich um
9^ vormittag in Marsch zu setzen und dem FML. Werneck nach
Heidenheim als Soutien zu folgen. Diese erste Hälfte hat FML.
Laudon zu führen. Wann FML. Eiesch mit der anderen Hälfte folgen
soll, wird befohlen werden. FML. Laudon muß ein sehr starkes De-
tachement längs der Donau abwärtsrücken lassen, das alle Brücken
zu zerstören hat^).
Nach diesen Befehlen marschierten am 13. Oktober von
Ulm ab:
FML. Jellachich mit seiner Vorhut längs der Hier, mit dem
Gros nach Ochsenhausen. Am 14. rückte das Korps nach Leutkirch,
Wurzach weiter; die Vorhut stieß an diesem Tage wiederholt auf
') Kriegsareliiv, 1805, Deutsehland FA, X, 128.
2j Kriegsarelüv, 1805, Deutschland PA, X, 129.
3) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, X, 130.
*) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, X, 131.
27*
— 420 —
feindliehe Truppen; sie konstatierte den Vormarsch einer 5000 bis
6000 Mann starken feindlichen Kolonne über die Hier nach Ochsen-
hausen;
FML. Klenau mit einigen Bataillonen und Eskadronen gegen
Weißenhorn. Um dem Befehle, vorsichtig zu sein, zu entsprechen
und nicht in einen Kampf verwickelt zu werden, blieb Klenau etwa
8 hm südlich Ulm stehen; endlich
FML. Wer neck; er brach am 13. Oktober um 5^ 30^ früh
von Ulm auf und sammelte sein Korps bei Ober-Haslach, von wo es
um 7^ früh über Albeek, Nerenstetten nach Herbrechtingen abmar-
schierte. Die Vorhut wurde bis Heidenheim, mit einem Teile sogar
bis Ober-Kochen vorgeschoben und eine starke Seitenhut (5 Bataillone
und 2 Eskadronen) nach Giengen detachiert. Während dieses bei
strömendem Eegen durchgeführten Ißstündigen Marsches gelang es
dem Korps, in Langenau, Heidenheim und Giengen kleine feindliche
Posten aufzuheben und einige Hundert Gefangene zu machen und
bei Mergelstetten südlich Heidenheim ein feindliches Bataillon zu
werfen^).
Das Korps Werneck, das nach der Berechnung Macks vom
1. Oktober einen Stand von 19.000 Gewehren und 3900 Säbeln
haben sollte, zählte am 13. Oktober nur 7300 Gewehre und 1600
Säbel, also nur wenig mehr als ein Drittel des vollen Standes^).
^) Herbreehtingen ist von Ober-Haslach etwa 26, Heidenheim 32 Tcni
entfernt.
Wenn das Korps Werneek 16 Stunden brauchte, um diesen Marsch zu be-
wältigen, so spricht das nicht für eine gute Marschtechnik der österreichischen
Infanterie.
^) Der Standesausweis vom 13. Oktober gibt folgende Aufschlüsse:
Infanterieregiment ßeuß-Plauen, 3 Bataillone, hatte anstatt 2400 Feuer-
gewehren nur 819, also 283 bei jedem Bataillon;
Infanterieregiment Württemberg, 3 Bataillone, hatte anstatt 2400 Feuer-
gewehren nur 1096, also 365 bei jedem Bataillon ;
Infanterieregiment Stuart, 3 Bataillone, hatte anstatt 2400 Feuergewehren
nur 972, also 324 bei jedem Bataillon;
Infanterieregiment Eeuß-Greitz, 3 Bataillone, hatte anstatt 2400 Feuer-
gewehren nur 217, also 72 bei jedem Bataillon;
Infanterieregiment Spork, 4 Bataillone, hatte anstatt 3200 Feuergewehren
nur 2079, also 520 bei jedem Bataillon;
Infanterieregiment Kaunitz, 4 Bataillone, hatte anstatt 3200 Feuergewehren
nur 1151, also 288 bei jedem Bataillon;
Grenadierbataillon Stuart hatte anstatt 600 Feuergewehren nur 178;
(Fortsetzimg der Fußnote siehe S. 421.)
— 421 —
FML. Laiidon, der Werueck um 9^ vormittag folgen sollte,
hatte seine Truppen — 16 Bataillone, 11 Eskadronen — die natür-
lich nicht mehr der Ordre de bataille vom 12. entsprachen, eben
gesammelt, um abzumarschieren, als er direkten Befehl vom FML.
Mack erhielt, anstatt Werneck zu folgen, über Elehingen nach Gundel-
fingen zu marschieren und alle Donau-Brücken abzubrechen. Laudon
marschierte auch, wie er dem FML. Eiesch meldete, dahin ab^).
FML. Eiesch erhielt inzwischen den schriftlichen Befehl
Macks: „Die Bagage der Armee sammelt sich heute 4*^ nachmittag
auf der Straße nach Albeck, um dahin zu marschieren, wo sie über
Nacht bleibt und mit anbrechendem Tag nach Heidenheim fortrückt,
um womöglich Nördlingen zu gewinnen. Diese Bagage marschiert
unter Bedeckung der zweiten Hälfte Ihres Korps und Sie haben für
die Ordnung dieses Marsches zu sorgen ^j."
FML. Eiesch hatte diesen Befehl noch nicht durchgelesen, als
er zu FML. Mack berufen wurde.
Dieser übergab ihm eine Disposition folgenden Inhaltes:
Die Eeserveartillerie fährt unter Bedeckung von zwei Es-
kadronen und einem Bataillon des Korps Eiesch gegen Mittag (des 13.)
über Albeck nach Heidenheim, am 14. nach Nördlingen.
Die Bagage der Armee folgt um 4'' nachmittag nach Albeck,
wo sie nächtigt, und am 14. über Heidenheim soweit als möglich
gegen NördHngen.
Grenadierbataillon Spork hatte anstatt 600 Feiiergewehren niu- 20 ;
Grenadierbataillon Kaunitz hatte anstatt 600 Feuergewehren nur 100;
Grenadierbataillon Reuß-Greitz hatte anstatt 600 Feuergewehren nur 360;
Grenadierbataillon Eeuß-Plauen hatte anstatt 600 Feuergewehren nur 300;
Latour-Chevauxlegers, 8 Eskadronen, hatten 611 Eeiter, also 76 Reiter in
jeder Eskadron ;
Rosenberg-Chevauxlegers, 6 Eskadronen, hatten 420 Reiter, also 70 Reiter
in jeder Eskadron ;
Palatinal-Husaren. 6 Eskadronen, hatten 360 Reiter, also 60 Reiter in jeder
Eskadi'on ;
Albert-Eürassiere, 8 Eskadronen, hatten 222 Reiter, also 28 Reiter in jeder
Eskadron.
Kriegsarehiv. 1805, Deutsehland FA, X, 188 c. Dieser Standesausweis hat
zwar kein Datum, er kann sieh aber der Ordre de bataille nach nur auf den
18. Oktober beziehen.
*) Relation des FML. Grafen Riesch. Kriegsarchiv, 1805, Deutschland FA,
X, 158.
— 422 —
FML. Ei esc h gibt die Bedeckung an die Reserveartillerie und
an die Bagage. Mit den übrigen Truppen aber zieht er selbst längs
dem linken Donau-Ufer abwärts und dem FML. Laudon nach, der
heute alle Brücken von Elchingen bis Gundelfingen abbrechen läßt.
FML. Eieseh übernachtet zu Elchingen, schickt ein starkes De-
taehement zur Brücke von Leipheim, dehnt morgen früh seine In-
fanterie längs der Donau bis Gundelfingen aus. um sieh zu über-
zeugen, ob alle Brücken zerstört sind.
B'ML. Laudon dagegen zieht morgen, den 14., in mehreren
Abteilungen längs dem linken Donau-Ufer weiter abwärts und zerstört
wieder alle Brücken von Lauingen bis Donauwörth.
FML. Eieseh nimmt am 14. sein Quartier in Gundelfingen,
FML. Laudon aber zu Hochstädt. Das Hauptquartier wird morgen
in Hausen sein.
FML. Fürst Schwarzenberg läßt 4—6 Bataillone und 4 Eska-
dronen als Besatzung in Ulm und marschiert am 14. um 10^ vor-
mittag nach Albeck und Langenau.
Angefügt waren „Geheime andere Anmerkungen für
die Korpskommandanten":
„1. Die Armee wird das ganze Rieschisehe Korps stets auf
obige Weise, nämlich in einer verlängerten Flankenposition längs
der Donau zur Seite haben, sie selbst aber auf der nächsten zur
Donau parallelen Chaussee, wie es die Umstände erfordern, schneller
oder minder schnell abwärts ziehen.
„2. Sollte der Feind in starker Anzahl auf dem linken Donau-
Ufer, z. B. bei Donauwörth etabliert sein, so wird das Eieschische
Korps zur Armee eingezogen; diese selbst nimmt alsdann ihre
Direktion in weiterer Entfernung von der Donau und nähert sich
durch die Oberpfalz gegen Böhmen.
„3. Ist Donauwörth nicht besetzt oder man kann davon
Meister werden, so würde, wenn man nicht mit der Armee zu
passieren rätlich fände, dort oder weiter unterhalb ein starkes Korps
Kavallerie von wenigstens 10 — 12 Eskadronen über die Donau ge-
setzt, das in einzelnen Eskadronen das ganze Land zwischen der Isar
und dem Lech in breiter Ausdehnung durchstreift, allenthalben das
Gerücht von dem Anzug unserer Armee verbreitet, alle Zufuhren
aufhebt und über die Donau zu der Armee schickt, auf vielen Punkten,
wo nur Brücken oder Furten zu finden sind, die Isar passiert und
gegen den Inn vorstreift, um alle Zufuhr des Feindes aufzufangen,
— 423 —
mithin auch die am Inii stehende russische Armee dazu zu er-
leichtern, weil der Feind durch Aufhebung seiner Zufuhr an der
Behendigkeit seiner Vorrückung gegen den Inn gehindert werden
würde ^)."
Das halbe Korps Eiesch marschierte nach diesem Befehl um
2*" nachmittag über Thalfingen nach Elchingen ab; die Reserve-
artillerie kam noch am 13. abend bis Herbrechtingen, setzte in der
Nacht den Marsch fort und erreichte am 14. Ober-Kochen nördlich
Heidenheim ^).
Das merkwürdigste an dieser ganzen Eeihe von Befehlen ist
der plötzliche Entschluß, das Korps Jellachich nach Vorarlberg zu-
rückzusenden. Dieser Entschluß ist in der Nacht zum 13. Oktober
entstanden; bei allen früheren Plänen war dem Korps Jellachich
die Rolle zugedacht, am südlichen Donau-Ufer vorzugehen. Plötzlich
wurde am 13. nach Mitternacht der Befehl gegeben, Jellachich
habe nicht längs der Donau vorzugehen, sondern längs der Hier
nach Lindau abzurücken. Was diesen sonderbaren und unerklär-
lichen Befehl veranlaßt hat, ist nicht zu ermitteln^).
0 Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland PA, X, 133.
Dieser Befehl seheint dem FML. Werneek gar nieht nachgesendet worden zu
sein, da er wiederholt meldete, er habe die Disposition- vom 13. nieht erhalten.
^) FML. Eouvroy berichtete an diesem Tag über die traurige Besehafien-
heit der Bespannungen. In Ulm war kein Hafer gewesen, auf dem Wege wenig
zu finden, die Eeserveaiiillerie braucht aber täglich 5000 Haferportionen. Die
Pferde, die durch die forcierten Märsehe nach Ulm schon abgehetzt waren, ver-
sagen langsam den Dienst. Auf dem Marsehe nach Ober-Kochen (allerdings 55 l'm)
sind über 100 Pferde umgestanden. Ersatz ist nieht aufzutreiben, da die Fran-
zosen alle Pferde mitgenommen haben. Die Eeserveartillerie ist operationsunfähig;
8 Wochen Ruhe, gute Wartung und Futter wären nötig, um sie wieder in stand
zu setzen.
^) In seiner Denkschrift, „Die Kapitulation von Ulm" (Raumers Taschen-
buch, 1873), führt Mack den Beweis, daß die Stärke der Armee von 35.(XX) bis
40.000 Mann für ihn die beste war, weshalb Kienmayer und Jellachich
abdetaehiert wurden (!). (Vergleiche damit den Bericht Macks vom 18. Sep-
tember, S. 191.)
GM. V. Mayer erzählt in seinen Aufzeichnungen ,,Aas meinem Leben"
(Kriegsarchiv, Memoiren, 1805, 3/68) folgende Begebenheit:
Am 12. Oktober 1805 wurden alle Generale des Korps Werneek zu Maek
berufen, der ihnen eröffnete, daß das Korps nach Stuttgart zu marschieren be-
ordert werden wird, um Lebensmittel einzutreiben. Das Korps sollte, falls ihm
der Feind den Rückweg nach Ulm verlege, über Riedlingen gegen Vorarlberg ab-
marschieren. Alle Generale wurden ob dieser Idee stutzig. FML. Werneek forderte
— 424 —
Die Absendung der Eeserveartillerie und der Armeebagage
nach Nördlingen und die Eücksendung des FML. Jellachich nach
Lindau sprechen dafür, daß es Mack diesmal mit dem Alimarsch
der Armee von ühn nicht nur Ernst war, sondern daß er auch da-
mit rechnete, von den Franzosen vielleicht nach Böhmen ab-
gedrängt zu werden (Punkt 2 der geheimen Anordnungen).
Nur zu bald wandte sich Mack von dieser richtigen Auf-
fassung der allgemeinen Lage ab.
Ln Laufe des 13. Oktobers erhielt FML. Mack eine große
Zahl von zutreJSfenden Nachrichten. Ein Kundschafter meldete, daß
man am 11. in Günzburg davon sprach, daß die Franzosen be-
absichtigen, mit 30.000—36.000 Mann der österreichischen Armee
den Weg über Memmingen nach Tirol abzuschneiden.
Ein Hauptmann Wend meldete am 13. Oktober, 3^ früh, daß
bei Leipheim etwa 4000 Franzosen lagerten. Die französischen
Divisionen vom Zentrum und vom linken Flügel, auch ein Teil der
Divisionen vom rechten Flügel, die vorgestern (11. OktoV»er) bei
Albeck standen, sind gestern von 3^ früh bis l'' nachmittag durch
Günzburg gegen Weißenhorn marschiert. Der übrige Teil des
rechten Flügels, der bei Albeck stand, zieht sich ins Blau -Tal.
Napoleon wurde gestern in Günzburg erwartet. Gestern abend war
kein Mann mehr in Günzburg, alles war gegen Weißenhorn vorge-
rückt. Auf dem linken Ufer über Langenau — Albeck ist kein Feind
zu sehen.
Mayer auf, seine Ansieht darüber zu äußern, und als Mayer das Unsinnige dieses
Gedankens nachwies und erklärte, daß nur der schleunige Eüekzug über Lands-
berg die Armee noch retten könne, verlangte er, daß Mayer den Plan des Rück-
zuges niederschreibe. Mayer tat dies zwar, fügte aber bei. Mack kenne seine
Schrift und werde die Idee schon deshalb ablehnen, weil sie von ihm stamme.
FML. Werneek schrieb daher das Ganze ab und begab sieh damit zu Mack.
Dieser soll aber gesagt haben: Oh, das kommt vom Mayer, es ist nicht annehm-
bar, sondern wir wollen den Feind angreifen und gewiß schlagen. Der Marsch
nach Stuttgart wurde fallen gelassen und ein Angriffsplan entworfen.
Mayer erzählt dann: „Ich wurde vom Kommando der Grenadierbrigade
enthoben und wurde mit dem Kommando der Avantgarde jener Kolonne betraut,
die am rechten Donau-Ufer vorgehen sollte. Ich stand am 13. um 4h früh zum
Abmarsch bereit, als ich Befehl erhielt, längs der Hier aufwärts zu marschieren
und den Marsch Jellachiehs nach Bregenz zu sichern."
Bei dieser Erzählung kommt man unwillkürlich auf den Gedanken, daß
Jellachich nach Lindau geschickt wurde, um den zu diesem Zweck zu dessen
Korps versetzten GM. Mayer unauffällig von der Armee zu entfernen.
— 425 —
Mack scheint weiter auch eine Meldung über den Vormarsch
der Franzosen von Landsberg über Mindelheim erhalten zu haben.
Die weitaus bedeutendste Nachricht brachte aber der Spion
Schulmeister. Er traf, nach seiner Aussage vor dem Kriegsirericht.
an einem Sonntage zwischen 9 und 10'' aus dem französischen
Hauptquartier in Ulm ein und eröffnete dem FML. Mack in Gegen-
wart der FML. Schwarzenberg und Gyulai, daß Napoleon den Plan
habe, mit einem Teile seiner Armee gegen Memmingen und
Kempten vorzugehen, um die Garnisonen Memmingen und Ulm zu
trennen und von Tirol abzuschneiden, mit einem anderen geo-en
" DO
Elchingen und Albeck vorzudringen, um sich der Anhöhen um
Ulm zu bemeistern. Als Mack diese Nachricht belachte, bot sich
Schulmeister, wie FML. Fürst Schwarzenberg eidlich bestätigte, als
Geisel für die Richtigkeit seiner Mitteilungen an ').
Da kam der Oberlandeskommissär der Armee Baron Steinherr
zu Mack mit der Erzählung, daß er von einem württembergischen
Beamten gehört habe, daß vor einiger Zeit neun Kuriere für
Napoleon an einem Tage durch Stuttgart passiert seien und daß
man dort im Stillen davon spreche, die Engländer wären in Boulogne
gelandet und in Paris oder irgendwo sei eine Eevolution aus-
gebrochen. Diese erfreulichen Nachrichten erschienen Mack sehr
sympathisch und er war daher sofort bereit, sie zu glaulien; er sagte, er
werde, wenn diese Nachrieht wahr sei, in Ulm bleiben. Steinherr
machte Mack aufmerksam, daß seine Mitteilungen nur auf einem
bloßen Gerüchte beruhen, er möge daher auf so vage Nachrichten
keine militärische Disposition gründen.
Aber weder diese Warnung noch die Vorstellungen der
FML. Schwarzenberg und Gyulai konnten Mack abhalten, sich
immer mehr und mehr der fixen Idee eines feindlichen Rückzuges
an den Rhein hinzugeben.
Mafk fand die feindlichen Marschanordnungen, vor allem den
„retrograden Marsch mehreren Kolonnen an die Hier", ganz unver-
ständlich und war der Überzeugung, daß der Feind bei der Ab-
sicht, die österreichische Armee einzuschließen, nicht nach Mem-
mingen und Weißenhorn, sondern auf beiden Ufern nach Ulm
marschieren müßte. So kam Mack zu der Auslegung, daß der Feind
auf die schlechten Nachrichten aus der Heimat und wegen der be-
1) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland PA. XIII, 107 (/. Der 13. Oktober 1805
war ein Sonntae.
— 426 —
«fröhlichen Lage, in die er sich zwischen der österreichischen und
der russischen Armee gebracht hatte, in vollem Rückzug an den
Rhein sei und nur noch retten wollte, was zu retten war. Einmal
bei dieser Idee angelangt, verbohrte sich Mack immer mehr und
mehr in diesen „Traum vom feindlichen Rückzug", wie er diese
Idee später selbst nannte, wies alle Einwände schroff ab und ver-
stand es, alles, selbst die klarsten Anzeichen für seinen Irrtum, als
Beweis für den französischen Rückzug auszulegen.
Unter solchen Umständen entstand am 13. Oktober abend aus
seiner nimmermüden Feder das folgende klassische Beweisstück für
die Charakteranlage Macks^):
„Ulm, am 13. Oktober abend.
„Meine Überzeugungen!
„Bonaparte steckt mit einer Hauptkolonne zu Weißenhorn, er
hat wegen Beschwerlichkeit des Terrains die größte Mühe, bis an
die Hier zu gelangen, die er zu übersetzen wünschte.
„Ein Blick auf die Karte beweiset, daß er nicht ohne Unsinn
nach Weißenhorn hätte vorwärts eilen können, um wieder nach
Günzburg zurückzukehren und die Donau durch einen weiten Um-
weg zu übersetzen. Herwärts von Günzburg ist die Übersetzung
wegen Beschwerlichkeit des Terrains ganz unmöglich.
„Was wir tun sollten, wäre, ihn bei Weißenhorn oder wenig-
stens an dem Tage, wo er die Hier passieren wird, anzugreifen.
Vielleicht wird er sie auch morgen noch nicht passieren, denn es
ist sehr wahrscheinlich, daß er erst Memmingen nehmen werde, um
die Kolonne, die dorten passiert, auf dem linken Ufer der Hier vor-
rücken und sich seinen Übergang decken zu lassen. So wäre der
günstigste Augenblick ihn aufzureiben und er selbst wird uns,
wenigstens in seinem Herzen, auslachen, daß wir es nicht taten.
„Die gegen Memmiugen vorrückende Kolonne und seine Stille
auf dem linken Donau -Ufer sind die überzeugendsten Probabilitäten
seines Rückzuges.
„Wenigstens müssen wir nunmehr augenblicklich daran
denken, die Portsetzung seines Rückzuges zu beunruhigen und so
schrecklich für ihn zu machen, als er es verdient. Unsere Armee
muß mit ihm den Rhein erlangen, vielleicht irgendwo mit ihm
passieren, besonders wenn eine Revolution ausgebrochen wäre.
Mack, FML."
ij Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, XIII, 6.
— 427 —
Aus dieser Überzeugung erflossen nun am 13. abend und am
14. Oktober nach und nach Befehle, die dartun, daß Macks Über-
zeugung trotz der einlaufenden Hiobsposten nicht nur nicht wankend
wurde, sondern an Festigkeit zunahm.
Am 13. abend ergingen folgende Befehle:
An FML. Jellachich: Es ist sehr wahrscheinlich, daß eine
beträchtliche feindliche Kolonne von Mindelheim nach Memmingen
vorrücken dürfte. Er solle daher nach Memmingen Befehl senden,
es in der Nacht oder am 14. früh zu räumen. Er selbst solle
trachten, hinter (d. h. südlich) den Weg zu kommen, den der
Feind von Memmingen aufnehmen wird. Er solle sich aber nicht
zu weit gegen Lindau ziehen und bereit sein, den Feind zu ver-
folgen, wenn dieser wirklich gegen den Ehein zurückgeht^).
An die FML. Eiesch und Laudon:
„Es ist nicht unmöghch, daß, wenn der Feind wirklich durch
innere Unruhen zum Eückzug genötigt sein sollte, eine seiner
Kolonnen und vielleicht die Bernadottesche von Donauwörth über
Nördlingen gegen Mannheim ihren Eückzug nehmen dürfte."
Sie sollten daher im Vormarsch auf Donauwörth zwar vor-
sichtig sein, sobald aber der Marsch über Nördlingen sicher sei,
„mit größter Tätigkeit, jedoch vorsichtig" ohneweiters bis zum
Ehein verfolgen ^).
An FML. "Wer neck:
„Bei der keineswegs ganz unbegründeten Wahrscheinlichkeit,
daß der Feind wegen innerer Unruhen seinen Eückzug gegen den
Ehein nehme", könnte die Kolonne Bernadotte über Nördlingen gegen
Mannheim ziehen. Eeserveartillerie und Bagage haben daher nicht nach
Nördlingen, sondern nur halben Wegs nach Aalen zu marschieren ^).
0 Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, X. 132.
Dieser Befehl traf um 10 h naeht in Oehsenhausen ein. Jellachich konnte
aber juit 3Iemuiingen nicht mehr in Verkehr treten.
Unerklärlich ist der in Macks Verhalten liegende Widerspruch.
Wenige Tage vorher hatte Mark erklärt, Memmingen sei in der Verfassung,
als Stützpunkt gegen die vom Schwarzwald erwarteten Franzosen zu dienen, und
jetzt, wo dieser „feste Platz" für die im Rückzüge gewähnten Franzosen ver-
hängnisvoll werden müßte, gibt er Befehl, ihn vor den zurückgehenden Franzosen
ohne Widerstand zu räumen.
2) Kriegsarchiv, 1805, Deutsehland FA, X, 133 e.
3) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, X, 133/'.
— 428 —
An FML. Sehwarzenberg:
Das Detachement Klenau nach Ulm heranzuziehen und auf dem
rechten Donau-Ufer Vorposten gegen Günzburg und Weißenhorn auf-
zustellen^).
FML. Eiesch war am 13. um 2'' nachmittag von Ulm auf-
gebrochen. Der Abmarsch war nicht ohne Zwischenfall erfolgt. Eben
als GM. Mecsery den Abmarsch beginnen wollte, kam GM. v. Mayer
und gab dem abmarschierenden ßegiment Blankenstein-Husaren den
Befehl, bei ihm zu bleiben. GM. Mecsery meldete dies dem FML.
Eiesch, der sofort zu Mack schickte. Mack ließ aber erwidern, die
Blankenstein-Husaren hätten von ihm Befehl, bei FML. Jellachich
zu bleiben. Der Korpskomraandant hatte von dieser im letzten
Augenblick verfügten Änderung der Ordre de bataille keine
Kenntnis-).
Nach einem äußerst beschwerlichen Marsch erreichte Eiesch
mit seiner Vorhut Thalfingen, als aus der Eichtung von Elchhigen
heftiges Geschütz- und Gewehrfeuer hörbar wurde. FML. Eiesch
eilte hierauf mit der Vorhut, nachdem er Befehl gegeben hatte, drei
Joch der Thalfinger Donau-Brücke abzusägen, vor; er fand Laudon
bei Elchingen im heftigen Kampfe mit dem Feinde, der Ober-El-
chingen besetzt hielt. Eiesch ließ ein Infanterieregiment und ein
Kürassierregiment der Vorhut südlich Ober-Elchingen aufmarschieren.
Da aber Laudon inzwischen den schwachen Feind aus Ober-Elchingen
vertrieben hatte, kamen die Truppen des FML. Eiesch nicht mehr
ins Gefecht. Der Feind zog sich — es war schon spät am Abend
— über die Brücke auf das südliche Donau-Ufer zurück, wo er den
Südausgang der Brücke besetzte. FML. Eiesch betraute ein Detache-
ment von zwei Bataillonen und zwei Kanonen, das sich beim Fischer-
ei Kriegsarchiv, 1805, Deutsehland FA, X, 136.
^) FML. Eiesch bemerkt zu seiner Ordre de bataille vom 13. Oktober:
Am 13. Oktober, im Augenblick des Aufbruches nahm FML. Mack meinem
Korps vier Eskadronen Blankenstein-Husaren ab und zum Korps Jellachich ob-
wohl ich lebhaft dagegen Vorstellungen machte. Die Jäger habe ich überhaupt
nicht erhalten. Die drei Bataillone des Regiments Erzherzog Ludwig hatten
kaum 200 Gewehre, da sie bei Günzburg und Haslach schwer gelitten hatten.
Zwei Eskadronen und ein Bataillon waren als Bedeckung zum Artilleriepark
kommandiert. Kronprinz Ferdinand-Kürassiere sind nie zum Korps gekommen.
Die Eskadronen, von denen zahlreiche Abkommandieningen stattgefunden
hatten, waren höchstens 40—50 Reiter stark. (Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland
FA, X, 126.)
— 429 —
haus aufstellte, mit der Bewachung der Brücke. Das Detacheraent
sollte in der Nacht die Brücke soviel als möglich zerstören.
FML. Laudon, der am 13. noch Gundelfingen erreichen sollte,
war durch diesen Kampf bis in die Nacht aufgehalten worden. Da
überdies Meldungen eingelaufen waren, daß der Feind nach Aus-
sage von Gefangenen und Landleuten mit starken Kräften bei Leip-
heim auf dem nördlichen Donau-Ufer stehe, behielt FML. Eiesch
die Division Laudon bei Elchingen, umsomehr, als von seiner Ko-
lonne erst die Vorhut bei Elchingen eingetroffen war. Ein Detache-
raent von vier Bataillonen (Infanterieregiment Erzherzog Maximilian)
und zwei Eskadronen wurde unter Kommando des Oljersten Biber
nach Riedheim detachiert; es sollte nach Leipheim aufklären und
wenn möglich die dortige Brücke zerstören.
FML. Eiesch beriet sich sodann mit den Generalen Laudon
und Mecsery, ob die Brücke von Elchingen noch in der Nacht zu
nehmen und zu zerstören sei oder erst am nächsten Tage. Die drei
Generale kamen überein, in der Nacht nicht anzugreifen.
Am 13. abend muß man in Ulm den Kanonendonner von
Elchingen gehört haben.
Die Verhältnisse, die damals im österreichischen Armeekom-
mando geherrscht haben und die Gemütsverfassung des ernannten
Armeekommandanten werden am besten an dem Brief erkannt, den
Erzherzog Ferdinand am 13. Oktober an Erzherzog Karl schrieb:
„In einem ganzen Buche könnte man unsere Lage und die
Tollheit von Mack nicht beschreiben. Mack, wenigstens ein kom-
pletter Narr, hat es durch sein ewiges Hin- und Hermarschieren,
Plauändern u. s. w. dahin gebracht, daß wir ohn6 geschlagen zu
sein au point sind, die ganze Armee in nichts auflösen zu sehen.
Seine Majestät der Kaiser haben ihm plein pouvoir gegeben und ich
bin in der unangenehmsten, ich kann wohl sagen, verzweifeltsten
Lage der Welt, ich muß unter meinen Augen und sozusagen durch
meine Unterschrift die ganze Armee zu gründe gehen sehen ^)."
In der Nacht und am 14. Oktober trafen wichtige Meldungen
von Werneck und Eiesch ein. Worneck meldete, daß General Dupont
mit ungefähr 4000 Mann in Brenz stehe ; er habe deshalb Giengen
besetzt; er wolle morgen nach Aalen oder vielleicht selbst bis Ell-
wangen vorrücken, wo ein großes feindliches Depot sein solle.
^) Wertheimer, „Geschichte Österreichs i;nd Ungarns I." S. 300.
— 430 —
ßiesch meldete um 8^ 15^ abend von Elchingen, daß es wegen
der grundlosen Wege unmöglich sei, längs der Donau weiterzu-
marschieren. Bis jetzt ist erst die Avantgarde hier; er fürchte, daß
das Geschütz gar nicht durch Thalfingen durchkommen könne^).
Weiters meldete Eiesch, daß Laudon den Feind aus Elchingen über
die Donau geworfen habe, daß dieser aber das Südende der Brücke
stark besetzt halte; er habe daher dafür gesorgt, einen Übergangs-
versuch des Feindes zu verhindern. Die Zerstörung der Brücke wäre
ohne ein Hauptengagement nicht möglich, unterbleibe daher. Er
werde, wenn bis 14. Oktober, 6^ früh kein Befehl eintreffe, mit
dem ganzen Korps über Langenau. Niederstotzingen und Gundel-
fingen donauabwärts vorrücken^).
Ein Beobachtungsoffizier soll vom Turm des Ulmer Münsters
am 13. nachmittag Bagagen und Artillerie im Marsch von Weißen-
horn über die Hier bei Kirchberg gesehen haben. (Angabe Maeks
in seinem Prozeß.)
Diese Nachrichten bestärkten Mack derart in der Idee des
feindlichen Rückzuges, daß er den Abmarsch des Korps Schwarzen-
berg einstellte und den folgenden Generalbefehl ausfertigte, der an
alle Korps abgesandt wurde, mit dem Beisatze, die Durchführung
^) FML. Graf Eiesch berichtete über diesen Marsch in seiner Relation:
„Der Landweg längs dem Donau-Ufer, weichen ich zufolge Disposition nehmen
mußte, war der grundloseste, den ich je sah — vorzüglich und über alle Be-
schreibung schlecht war die Strecke bis Thalfingen; schmale Hohlwege, die mit
Wasser bis an die Brust der Pferde angefüllt und dabei durch die großen Steine
unpraktikabel waren, führten zwischen einer Kette von Anhöhen und dem Donau-
Ufer, meistens durch dickes Gebüsch fort, welches selbst für die Infanterie un-
durchdringlich war und sie daher bis über die Sehenkel durch Wasser und Morast
waten mußte.
„Zum Beweis der Grundlosigkeit dieses Weges mag das Beispiel hinreichen,
daß drei Fuhrkneehte in den Pfützen des Weges in der Nacht ertranken und
ein Pulverkarren von Erzherzog Karl, unter dem das Ufer der Donau losbrach,
in den Strom stürzte".
Das Abschwenken auf die Chaussee war ohne Umkehren unmöglich, da
nur noch schlechtere Waldwege zur Chaussee führten, die mit Geschütz nicht
benützt werden konnten. FML. Eiesch, dessen Korps für den Marsch nach
Heidenheim als Mitte bestimmt war, hatte die Gegend von Jungingen und Ober-
Haslach rekognoszieren lassen, nicht aber das Donau-Ufer. Nach Empfang des
neuen Befehles mußte er sofort abmarschieren, hatte daher keine Zeit, den Weg
zu erkunden. (Kriegsarchiv, 1805, Deutschland FA, X, 158.)
-) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland PA, X, 275. Diese Meldung muß
spätestens am 14. früh bei Mack eingetroffen sein.
— 431 —
nur vorzubereiten und erst auf einen zweiten Befehl hin zu voll-
ziehen.
„Generalbefehl, Ulm, am 14. Oktober.
„Die feindliehe Armee zieht sich gegen don Ehein zurück,
zwei Kolonneu derselben passieren die Hier zu Memmingen und
Illertissen, die dritte, vermutlich die Bernadottsche, durch das bei
München und Dachau stehende Korps des FML. Kienmayer an-
geheftet, dürfte in diesem Augenblick die Donau bei Donauwörth
passieren oder mit dem Gros schon passiert haben und ihren Marsch
über Nördlingen gegen Mannheim nehmen. Die mittlere feindliche
Kolonne wird nach zurückgelegter Hier die Donau bei Ehingen und
Riedlingen übersetzen und ihren Eückzug über Stuttgart gegen Karls-
ruhe nehmen ; die linke aber, nachdem sie die Donau oberhalb der
mittleren Kolonnen passiert haben wird, sich über Villingeu nach
Straßburg zurückziehen.
„Die Disposition zur allgemeinen Verfolgung des Feindes ist
folgende :
„Jedes der vier Korps der Armee wird alsobald zwei leichte
fliegende Korps zusammensetzen, die jedes aus zwei leichten, best
berittenen und starken Eskadronen, zwei Bataillonen und zwei drei-
pfündigen Kanonen bestehen muß; das eine dieser leichten Korps
wird den Feind stets in seinem Eücken verfolgen, das andere sich
auf die eine seiner Flanken werfen, hiemit durch Seitenwege sich
auf gleicher Höhe mit der feindlichen Kolonne zu setzen, ihr die
Lebensmittel abzuschneiden und sie Tag und Nacht zu beunruhigen
suchen.
„Das Jellachichsche Korps wird die linke Kolonne des Feindes,
das Schwarzenbergsche und das Wernecksche die mittlere und Kien-
mayer die rechte Kolonne über sich nehmen.
„Jellachich hat bereits seine Instruktion. Fürst Schwarzenberg
schickt das eine seiner leichten Korps der mittleren feindlichen Ko-
lonne in den Eücken. das andere wirft er auf ihre rechte Flanke.
Mit seinem Hauptkorps marschiert er selbst über Geislingen nach
Stuttgart.
„Von dem Werneckschen Korps werden die obigen zwei kleinen
leichten Korps in Eilmärschen g^gen Stuttgart abgeschickt, von
welchen sich das eine schleunig links gegen Eßlingen und so weiter
gegen die Straße von Tübingen, welche die mittlere feindliche Ko-
— 432 —
lonne nehmen muß, zu werfen hat, das andere aber vorsichtig ge-
rade gegen Stuttgart vordringt, die Württembergschen Truppen mit
sieh zu vereinigen und sodann gleich die Straße, auf welcher der
Feind gegen Stuttgart zieht, unsicher zu machen sucht. Beide Korps,
das Schwarzenbergsche und Wernecksche. nachdem sie sich jenseits
dem Neckar in der Gegend von Stuttgart vereinigt haben werden,
welches früher, als der Feind dort anlangt, geschehen kann, fassen
Position auf seiner Straße und werden ihn aufreiben oder wenn dort
ein enger Paß zu finden ist, vieheicht zur Übergabe zwingen.
„Die Bernadottsche Armee wird durch das Kienmayersche
Korps im Rücken und auf der rechten Flanke verfolgt, von dem
Eieschsehen aber auf der linken kotoyiert. Was ihre Bestimmung
sei, ist aus dem Vorgesagten zu entnehmen und gute Generale wissen
alles Übrige.
„Die Peserveartillerie kehrt gleich nach Ulm zurück, nur
werden 2 Zwölfpfünder und 2 Haubitzen zu jedem der drei Korps
gegeben. Jedes dieser drei Korps behält sein Kavalleriegeschütz, von
dem Liniengeschütz aber schickt es die Hälfte nach Ulm, jene der
Werneckschen und Rieschschen Korps werden von den Korpskom-
mandanten an sich gezogen.
„Jeder Korpskommandant muß seine Verpflegung durch Re-
quisitionen mittels seiner leichten Korps und mittels auszuschickender
Detachements sich verschaffen.
Mack, FML.O."
FML. Riesch wurde nicht verständigt, daß der Abmarsch der
Armee über Heiden heim unterbleibe.
Mack rechtfertigte dies später in seiner bei Raumer erschienenen
Denkschrift („Die Kapitulation von Ulm"), daß dies Sache des Ge-
neraladjutanten gewesen sei, der beurteilen können muß, wem etwas
mitzuteilen ist und was.
Am 14. Oktober vormittag mußte der Geschützdonner von El-
chingen, wo das Korps Riesch von Ney am frühen Morgen ange-
griffen worden war, in Ulm hörbar gewesen sein. Um diese Zeit
mußte auch die Meldung des FML. Riesch vom 13. abend bei Mack
eingetroffen sein. Am Nachmittag wurden auch die Vorposten auf
dem rechten Ufer von überlegenen feindlichen Kräften angegriffen
1) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, XIII, 91, Beilage 13, AA.
— 433 —
und nach längerem Kampfe bei Pfuhl in den Brüclfenkopf von ülm
zurückgedrängt.
Trotz diesen deutlichen Anzeichen steigender Gefahr gab Mack
am 14. abend den im früheren Befehl angezeigten zweiten Befehl
aus. Er lautete:
„Generalbefehl, Ulm, am 14. Oktober abend.
„Der Rückzug des Feindes unterliegt keinem Zweifel mehr.
Der hinausgegebene Generalbefehl ist also nach seiner ganzen Aus-
dehnung in Vollzug zu setzen.
„Das Schwarzenbergsche Korps marschiert morgen früh nach
Geislingen ; die zwei kleinen Korps vollziehen, was im ersten General-
befehl enthalten ist.
„PML. Werneck trachtet Streifpartien nach Ellwangen aus-
zuschicken, um dort reiche Beute zu machen.
„FML. Riesch muß die Bernadottsche Armee gemeinschaftlich
mit Kienmayer auf ihrem Rückzug über Nördlingen aufreiben.
„Die Bagage und Reserveartillerie haben, vrie schon im vorigen
Generalbefehl gesagt worden, alsobald nach Ulm zurückzukehren.
Mack. FML.i)."
So wurde die Gefahr der Einschließung Ulms immer größer
und jeder einsichtsvolle General der Armee mußte erkennen, daß die
hartnäckig festgehaltene Absicht Macks, bei ülm zu bleiben und die
Armee zur Verfolgung des Feindes gegen Stuttgart anzusetzen, die
Einschließung und Gefangen n ah m"fe der Armee zur Folge haben mußte''^}.
Als daher am 14. abend die Verbindung mit Werneck unter-
brochen war und die erste Nachricht von der Niederlage des Korps
Riesch bei Elchingen und von dessen Rückzug nach Ulm bei Erz-
herzog Ferdinand eintraf, begab sich dieser mit mehreren Generalen
zu FML. Mack und unternahm einen letzten A^ersuch, Mack zum
Abzüge von Ulm zu bewegen. Er teilte ihm mit, daß nur mehr der
einzige Weg auf der Straße gegen Geislingen und Aalen offen sei.
Als Mack bei seiner Weigerung blieb, erklärte Erzherzog Ferdinand,
») Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, XIII, 91, Beilage 13, BB, und X, 233.
"O „Am 14. oder 15. gab Maek eine Proklamation an die Bevölkerung
Ulms heraus. Sie war das Unglaublichste! Von einem Rückzug der Franzosen
sprach er, obwohl es einem Blinden klar war, daß die Franzosen die Stadt immer
enger umschlossen." „Ulms Schicksale in dem letzten Krieg etc."
Krauss. 1805, Der Feldzug von Ulm. 28
— 434: —
daß er unmöglich dem Feiude den Triumph lassen könne, ein Mit-
glied des Kaiserhauses in Ulm mit der Armee zu fangen. Da er
ohnedies bei der Armee überflüssig sei, indem Maek alles nach
seinem Willen regle, werde er mit einem Teile der in Ulm ebenfalls
unnötigen Kavallerie am 14. abend Ulm verlassen, um sich zum
Korps des FML. Werneck durchzusehlagen.
Mack suchte den Erzherzog zum Bleuten zu Itewegen, beteuerte
abermals, daß der Feind zweifellos im vollen Eückzug an den Rhein
sei und versicherte mündlich und schriftlich, „ich stehe mit meinem
Kopfe dafür, daß Eure königliche Hoheit in der Festung Ulm nichts
zu besorgen haben, dagegen stehe ich für nichts, wenn Sie diesen
Ort verlassen"^).
Erzherzog Ferdinand ließ sich aber von seinem Entschlüsse
nicht abbringen. Er sandte sofort zwei Eskadronen Klenau-Chevaux-
legers auf der Straße nach Geislingen zur Aufklärung voraus, und
als dic'se meldeten, daß die Straße frei vom Feinde sei, brach der
Erzherzog, begleitet vom FZM. Kolowrat und FML. Fürsten Sehwarzen-
berg, mit 11 Eskadronen um 11^ nacht von Ulm nach Geislingen auf.
Über die Situation, die am 14. Oktober abend im österreichi-
schen Armeekommando bestand, gibt ein Bericht den besten Auf-
schluß, den Erzherzog Ferdinand am 18. Oktober von Öttingen an
den Kaiser gesandt hat.
Der Bericht beginnt:
„Die Lage, in welche die Armee seit meinem letzten Berichte
geraten, ist ganz so als ich es damals wagte. Eurer Majestät die
Ursachen meiner bangen Besorgungen zu unterlegen. FML. Mack,
ungeachtet der einstimmigen Gegenvorstellungen aller Generale, deren
Urteil man befragte, war von dem starren Vorsatz, sich auf Ulm
selbst noch im letzten bedrängtesten Augenblick einzuschränken,
nicht abzubringen. Die vielen, sehr oft im Hauptplan sich wider-
sprechenden Märsche, welche Mangel an Lebensmitteln begleitete,
setzten die Truppen auf einen so kraftlosen Zustand herab, daß am
Ende gegenwärtig dieselbe ganz aufgelöst und vollkommen uudienstbar
gemacht worden. Dahin bloß durch eigene Anstalt gebracht, näherte
sich Bonaparte nach dem Gefecht vom 11. dieses wieder dem un-
befestigten Ulm, wo diese Eüekmärsche von Augsburg an die Hier
dem FML. Mack unwiderleglichste, aber auch auffallendste Mut-
maßung — daß Bonaparte im vollen Rückzug sei — hervorbrachten.
^) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, X, 149.
— 435 —
„In dieser grundlosen Vermutung- behauptete FML. Mack mit
Härte und ausdrücklichem Befehl seine den Dienst so verderbliche
Idee, keine Gegenvorstellung ward angenommen, er hielt sich an
Ulm, in dem er von allen Seiten durch Übermacht eingeschlossen
und in die Enge gebracht worden. Aber auch noch in diesem ver-
derblichen Vorhaben lag das allerfehlerhafteste der Ausführung: die
Kräfte wurden getrennt, teilweise unter den Augen der Festung ge-
schlagen und aufgerieben. Als durch derlei außerordentliche, jedem
Mann in der Armee auffallende Benehmungen, Ulm am 14. nach-
mittag von allen Seiten umzingelt wurde, FML. Werneck mit einem
Dritteil der Armee bei Heidenheim stand, FML. Riesch mit dem
zweiten Dritteil bei Langenau, stellte ich die Folgen dieser traurigen
Lage in Ansehung der (Tefaugennehmung meiner Person dem FML.
Mack angelegendst vor und frug ihn um seinen Rat ; aber auch noch
in diesem Augenblicke zeigte sich bei diesem Manne die unerklär-
barste VerStockung aller Begriffe, er behauptete nochmals in Gegen-
wart mehrerer Herren Generale, daß Bonaparte sich zurückziehe, daß
er sieh in der übelsten Lage befinde und in Eile den anderen Tag
die Donau und Hier verlassen werde. Bei dieser Fortdauer solcher
Erklärungen konnte ich es nicht mehr wagen, mich der größten
Gefahr, gefangen zu werden, auszusetzen. Ich gab daher dem FML.
Mack zu erkennen, daß ich samt FZM. Kolowrat in der Nacht mit
11 EskadronenKavallerie unter Kommando des FML. Fürsten Schwarzen-
berg durchbrechen und in das Freie zu kommen suchen werde.
Diesen Vorsatz führte ich auch glücklich aus und kam nach mühsam
und ununterbrochen fortgesetzten Märschen am 16. in der Nacht
über Geislingen nach Aalen. Von hier aus suchte ich mich mit FML.
W^erneck zu vereinigen und den ganzen bei Aalen stehenden Ar-
tilleriepark in Sicherheit zu bringen. Aber auch dies war nicht mehr
möglich, zu erreichen "
Im Osten des Lech hatte FML. Kienmayer in der Nacht vom
11. zum 12. Oktober München vor den anmarschierenden Truppen
Bernadottes geräumt und war am 12. bis Ampfing zurückgegangen,
von wo er den Rückzug an den Iini fortsetzte.
FML. Werneck erwartete am 14. Oktober vergebens die An-
kunft des Korps Riesch sowie weitere Befehle. Nur das Schreiben
Macks vom 13., in dem von der Wahrscheinlichkeit des Rückzuges
der Franzosen die Rede war, traf um die Mittagszeit bei Werneck
ein. Von der durch marschierenden Artilleriereserve erfuhr Werneck,
28*
— 436 —
daß bei Elchingen Kanonendonner hörbar gewesen war: aber erst
spät abend erhielt er Kunde von dem Kampf und der Niederlage
des FML. Eiesch. Da es bereits spät war, die Nachrichten auch
nur sehr unbestimmt lauteten, konnte Werneck nach seiner Angabe
dem Korps Eiesch, von dessen Entsendung und Aufgabe er keine
Kenntnis hatte, nicht zu Hilfe eilen.
So kam es, daß das Korps Werneck bei Herbrechtingen und
das Korps Schwarzenberg in Ulm untätig zusahen, wie das Korps
Eiesch zur Deckung der Flanke einer Armeekoloune, die nj^ht
existierte, ein unnützes Gefecht lieferte und eine schwere Niederlage
erlitt. Das zwecklose Gefecht bei Elchingen und die Niederlage des
Korps Eiesch belasten somit vor allem das Armeekominando.
FML. Jellachich trat am 14. schon mit den Vortruppen
Soults — es war dies die an diesem Tage nach Ochsenhausen mar-
schierende 3. Division des Korps Soult — in Fühlung. Es gelang
Jellachich aber doch, Leutkirch und Wurzach zu erreichen. Er war
also mit knapper Not dem Schicksal entronnen, nach Ulm zurück-
geworfen zu werden.
Am 14. Oktober wurde auf Befehl Macks auch die zweite
Donau-Brücke bei Ulm abgetragen und damit die Verbindung beider
Ufer ganz unterbrochen. Nach Angabe eines Bürgers von Ulm in
„Ulms Schicksale in dem letzten Kriege; aus dem Tagebuche eines
Augenzeugen (eines der ersten Bürger Ulms)" war am 6. Oktober
unterhalb der „steinernen Brücke", die über das Westende der Insel
führte, eine zweite Brücke geschlagen w'orden. Diese „steinerne Brücke"
scheint nur Steinpfeiler besessen zu haben, da Mack und zwei Tage-
bücher^) anführen, daß diese Brücke abgebrannt worden ist.
Der Verfasser von „Ulms Schicksale" gibt an, daß die
steinerne Brücke schon am 12. Oktober nachmittag, die zweite
Brücke, die in den Brückenkopf führte, am 14. Oktober abgebrochen
worden ist; daß somit vom 15. Oktober an die Verbindung beider
Ufer unterbrochen war. Nach dem einen der erwähnten Tage-
bücher^) wurden ))eide Brücken erst in der Nacht vom 15. zum
16. Oktober zerstört.
Die Angabe des Bürgers erscheint aus mehreren Gründen
glaubwürdiger.
1) Eriegsarehiv. 1805, Deutsehland FA. XIII, 48 u. 91 (beide offenbar
vom gleichen Autor)-
2) XIII, 48.
— 437 —
Vor allem endete die steinerne Brücke ungeschützt westlich
des alten Brückenkopfes (nach Angabe des Tagebuches, XIII, 48,
wurde zuerst auch nur der südliche, vom rechten Ufer zur be-
festigten Insel führende Teil- der Brücke zerstört). Es wäre daher
begreiflich, daß man diese Verbindung früher unterbrach als die
geschützte hölzerne Brücke. Das Tagebuch enthält auch andere Un-
richtigkeiten in den Zeitangaben und schließlich muß man an-
nehmen, daß die Zerstörung der alten Stadtbrücke und die gänzliche
Unterbrechung der Verbindung mit dem rechten Ufer auf die Ein-
wohner der 8tadt mehr Eindruck machten und daher besser festge-
halten wurden, als es bei dem unbekannten Schreiber des Tage-
buches, der aber jedenfalls Offizier war, der Fall gewesen sein
dürfte. Im Kriegsarchiv erliegen noch drei Tagebücher von Offizieren,
darunter eines von einem Hauptmann des Generalquartiermeister-
stabes verfaßt. Keines davon nimmt von der Zerstörung der Brücken
Notiz, Beweis dafür, daß die Zerstörung der Brücken und die
Unterbrechung der Verbindung mit dem rechten Donau- Ufer auf
die Offiziere der ganz auf dem nördlichen Ufer versammelten Armee
keinen besonderen Eindruck gemacht haben.
Die Zerstörung der Brücken stand im Widerspruche mit dem
ganzen bisherigen Verhalten Macks und mit seiner so bestimmt ge-
äußerten Auffassung der Kriegslage. Jetzt erst sollten die so oft
betonte Bedeutung Ulms und die „Beherrschung beider Donau-Ufer",
derentwegen die Armee an die Hier vorgestürmt war, zum Aus-
druck und zur Verwertung kommen. Aber jetzt, wo der vermeint-
liche Rückzug des Feindes forderte, sieh^ auf beiden Ufern auf seine
Kolonnen zu werfen, jetzt werden diese Vorteile durch die aus
freiem Willen Macks bewirkte Zerstörung der Brücken vernichtet.
Die Zerstörung der Ulmer Brücken war um so bedeutungs-
voller, als der ununterbrochene ßegen in allen Flüssen starkes
Hochwasser zur Folge hatte. Die ganze Niederung zwischen der
Brücke von Elchingen, die übrigens am 16. Oktober abgeschwemmt
wurde, und den Höhen von Elchingen war in einen reißenden
Strom verwandelt. Die nächste sichere Verbindung der französischen
Heeresteile, die durch die Donau getrennt vor Ulm standen, war
die Chaussee Günzburg, Gundelfingen, Brenz, Langenau und
Albeck. Mack hätte daher 1805 ungewöhnlich günstige Verhältnisse
zur Ausnützung des Vorteiles der Beherrschung beider Donau -Ufer
gehabt; er hatte, wie in so vielem, auch da Glück, das ungenützt
— 438 —
blieb. Inkonsequenz und Zusaramenhanglosigkeit sind das charakteri-
stische Merkmal aller Äußerungen und Handlungen Macks.
Mack gibt uns da ein treffendes Beispiel über die verhängnis-
volle Wirkung hochtönender, aber leerer Phrasen. Die „Beherrschung
beider Stromufer" ist auch eine dieser eingebürgerten und beliebten
Phrasen, mit deren Anwendung oberflächliche Naturen gar keine
bestimmte Vorstellung verbinden. So war es auch bei Mack der
Fall. Er warf mit dieser Phrase nur herum, ohne sich zu einer be-
stimmten Vorstellung zu zwingen, worin eigentUch diese Beherrschung
zum Ausdrucke kommen sollte, wozu und wie sie auszunützen wäre.
Er unterließ es daher, die zahlreichen Donau- und lUer-
Brücken nächst Ulm entweder in Besitz zu nehmen oder rechtzeitig
zu zerstören.
Als dann die Zeit gekommen war, die Beherrschung beider
Flußufer auszuüben, hielt die Phrase den auf Mack einstürmenden
Eindrücken nicht mehr stand und er zerstörte mit den Brücken,
ohne dazu gezwungen zu sein, seine Freiheit, sich mit ganzer Kraft
auf die getrennten feindlichen Gruppen zu werfen.
Der Mißbrauch solcher Phrasen, über deren Bedeutung in
jedem konkreten Falle man sich erst klar werden müßte, erzieht
aber nur zu leicht oberflächliche Naturen, die sich dann wieder mit
dem einlachen Gebrauch dieser Phrasen zufrieden geben.
Solche Phrasen sollten daher beim Studium sorgfältig ver-
mieden werden.
Franzosen.
12. Oktober. Am 11. Oktober meldete Murat dem Kaiser,
daß Mindelheim und Weißenhorn nur schwach besetzt seien; der
Feind scheine seine Kräfte hinter der liier und bei Ulm zu haben.
Am 12. abend werde er (Murat) alle Truppen im Eaume Weißen-
horn— Fahlheim vereinigt haben und am 13. früh an die Hier
marschieren, den Feind hinter die Hier werfen und dann den Über-
gang über den Fluß erzwingen. Nach allen Meldungen habe der
Feind 9 Kavallerie- und 15 Infanterieregimenter, was ungefähr
35.000 Mann ausmache^).
Napoleon, der diese Meldung am 12. früh erhalten haben muß,
schloß aus ihr und aus der Meldung Soults über den Marsch öster-
0 Murat bestätigt in einer Meldung vom 12. früh: „Nach allen Meldungen
scheint der Feind hinter der Hier und bei Ulm vereinigt zu sein."
— 439 —
reichischer Truppen und Trains über Landsberg nach Memmingen,
daß die Österreicher nicht an den Eückzug dächten und daß sie in
diesem Falle das einzig folgerichtige täten: daß sie, zu einer Schlacht
entschlossen, den Angriff der Franzosen hinter der. Hier, mit dein
linken Flügel bei Ulm an die Donau gelehnt, erwarten würden.
Wer sich nur halbwegs in die Situation dieser Tage vertieft,
wird erkennen, daß diese Folgerung Napoli'ons ganz natürlich war,
ja daß er, ohne willkürliche Annahmen zu machen, nicht anders
schließen konnte.
Napoleon hatte bisher dem österreichischen Armeefühi'er da.s
Vernünftigste zugemutet: er glaubte, daß dieser seine Armee der
Umgehung, die von der übermächtigen französischen Armee drohte,
durch den Eückzug über Augsburg oder Landsberg, oder diu'ch den
Eückzug nach Tirol entziehen werde. Den Eückzug nördlich der
Donau hielt er vom 9. Oktober an für ein wahnwitziges Unter-
nehmen. Am 8. und 9. Oktober ließen tatsächlich alle Anzeichen auf
die Absicht der Österreicher schließen, über den Lech zurückzugehen
und wie uns bekannt ist, hat diese Al)sicht auch wirklich bestanden.
Die Gefechte von (iünzburg und Haslach hatten nicht die ge-
wünschte Klarheit gebracht. Napoleon mußte daher immer noch mit
der Absicht Macks rechnen, gegen Osten abzurücken. Da brachten
die Meldungen Soults und Murats Lieht in die unklare Situation.
Über Landsberg marschierten österreichische Truppen und Trains
an die Hier. Wollte man das österreichische Armeekommaudo nicht
als völlig kopflos aimehmen, dann war das der klare Beweis dafür,
daß die (Österreicher nicht an den Eückzug dachten. Weil nun Ulm
unzweifelhaft stark besetzt war und weil die französischen Truppen
beiderseits der Donau schon ziemlich nahe vor Ulm standen, mußte
die österreichische Armee, w^ollte sie Ulm als Flügelabschluß aus-
nützen, hinter, d. h. westlich der Hier stehen. Da die Österreicher
Ulm und Memmingen befestigt und Verstärkungen aus Tirol und.
wie die Meldung Soults zeigte, auch über Landsberg herangezogen
hatten, so war nichts natürlicher, als daß der Feind, gestützt auf
Ulm und Memmingen, die Schlacht auf den Höhen westlich der
Hier erwarte. Diese falsche Annahme wurde nun durch alle Mel-
dungen Murats, Lannes und Neys bestätigt. Napoleon hatte noch
gar keinen Anlaß, dem FML. Mack dip wahnwitzige Idee zuzu-
schreiben, seine Armee, die Napoleon noch immer auf 40.000 bis
60.000 Mann einschätzte, in der .Mäusefalle Ulm zusammenzudrängen.
— 440 —
Wäre die französische Kavallerie in dem Maße zur Aufklärung
tauglich gewesen und verwendet worden, wie man es sich gewöhn-
lich von der Kavallerie Napoleons vorstellt, dann hätten wohl einige
Regimenter genügt, schon am 11. oder 12. festzustellen, daß hinter
der Hier nichts vom Feinde stand. Die vorwiegende Ausnützung der
Kavallerie als Kampfwaflfe hat es. wie schon einmal dargelegt, ver-
schuldet, daß die Kavallerie wenig zur Aufklärung verwendet worden
ist. Weil auch heute noch nicht überall der Wert der Kavallerie
für die Aufklärung richtig gewürdigt wird und da sogar die aus
den letzten Kriegen unrichtig abgeleiteten Folgerungen laut wurden,
die Kavallerie habe sich überlebt, sei hervorgehoben : Die wichtigste
Aufgabe der Kavallerie war schon zur Zeit Napoleons die Auf-
klärung; die wichtigste, ja einzige Aufgabe der Kavallerie ist
und wird immer die Aufklärung sein. Der Kampf ist nur Mittel zur
Erfüllung dieser Aufgabe. Den Kampf konnten und können immer
noch Infanterie und Artillerie allein tragen. Die Infanterie kann
wohl auch- zur Not aufklären, aber aufklären im großen kann nur
die Kavallerie allein. Sie kann es absolut — daran ändert kein Fort-
schritt in der Bewaffnung etwas. Allerdings wird die Sache immer
schwieriger, es gehört immer mehr klarer Soldatenverstand dazu, die
im Aufklärungsdienste verwendeten Kavallerieabteilungen so zu führen,
daß sie positiven Erfolg haben und nicht unnütz am Infanteriefeuer
zerschellen. Mit dem Reiten allein geht es nicht mehr. Überall wo die
Kavallerie im Aufklärungsdienste versagt hat. liegt die lJr.sache nicht
an der Kavallerie als Waffengattung, sondern an den handelnden
Personen : An der schlechten Ausbildung der Kavallerie zur Auf-
klärung und an der Unfähigkeit ihrer Führer. Der Kavallerieoffizier
muß heute nicht nur ein vorzüglicher, verständnisvoller Terrainreiter
sein, sondern auch ein hochgebildeter, mit der Eigenart aller Waffen,
mit der eigenen Organisation und mit der des Feindes, mit den
eigenen und fremden Marsch-, Nächtigungs- und Kampfgewohn-
heiten vertrauter Offizier sein; er muß selbst über das Wesen der
Bewegung großer Armeen orientiert sein ; er muß fähig sein, die
Wichtigkeit von Kommunikationen, Örtlichkeiten und Hindernissen
für seinen Heereskörper, ja selbst für die ganze Armee annähernd
richtig zu beurteilen. Nur wenn der Kavallerieoffizier mit diesem
Wissen und mit diesen Fähigkeiten Entschlossenheit, physische Aus-
dauer und unermüdliche Hartnäckigkeit verbindet, die immer
einen neuen Weg versucht, wenn der erste verschlossen ist — nur
— 441 —
dann wird er fähig sein, die Kavallerie vor allem zur Aufklärung-
gut auszubilden und vor dem Feinde zur Aufklärung gut zu führen
— nur dann v^^ird die Kavallerie im stände sein, das Auge der
höheren Führer, ja selbst des Armeekoramandanten zu vertreten.
Die Fähigkeit einer von solchen Offizieren geführten Kavallerie zur
Aufklärung ist absolut und kann durch gar keine Errungenschaften
der Waffentechnik aufgehoben und durch gar keine anderen Mittel,
wie Kundschafter, Automobil oder Luftschiff, ersetzt werden.
Allerdings darf die Führung von der Kavallerie nichts Unmög-
liches erwarten und verlangen; man darf nicht verlangen — wie
man es in Befehlen so oft hört — daß die Kavallerie die Absicht
des Feindes melden solle.
Eine solche Kavallerie wird es bei guter Verwendung fast nie
nötig haben, sich in aussichtslosem Kampfe für höhere Zwecke auf-
zuopfern, außer zur Eettung zurückgehender Infanterie und Artillerie.
Wäre die deutsche Kavallerie 1870 vor den Schlachten bei
Metz in gleicher oder nur ähnlicher Weise wie nach Gravelotte zur
Aufklärung verwendet worden, dann wäre es bei Yionville nicht
nötig gewesen, die Brigade Bredow in ihrem Todesritte zu opfern,
weil genug Infanterie zur Stelle gewesen wäre; dann wäre
aber auch der tapferen deutschen Infanterie manches blutige Opfer
erspart worden. Der tatsächliche Erfolg dieses Rittes war doch nur
ein Zufall und nicht eine absolute Folge des moralischen Eindruckes
attackierender Kavallerie. Der Erfolg läßt sich nur für das eine Bei-
spiel aufstellen, wo die brave deutsche Kavallerie auf die Franzosen
vom 16. August 1870 aufgetioffen ist. Nur durch die tiefe Demorali-
sation und Erschütterung der damaligen französischen Armee wird
es begreiflich, daß dieser Effekt erzielt wurde. Zwei, drei tüchtige
Unterkommandanten auf dem rechten Fleck und der Erfolg wäre
unter sonst gleichen Umständen Null gewesen. Der Erfolg einer
Attacke gegen Infanterie hängt gar nicht von der Tüchtigkeit und dem
Todesmute der attackierenden Kavallerie ab; seine Ursachen liegen
ganz allein in der moralischen Verfassung der attackierten Infanterie.
So hatte die mit ebensoviel Schneid und Begeisterung gerittene
Attacke der Brigade Michel bei Wörth den gleichen materiellen Er-
folg wie die der Brigade Bredow — beide Brigaden waren nahezu
vernichtet — aber der moralische Eindruck und damit die Wirkung
auf don Vcrlaut der Schlacht ist bei der Brigad(^ Michel dank der
Tüchtigkeit einiger deutscher Bataillonskommandanten ausgeblieben.
— 442 —
Das Einsetzen der Kavallerie als geschlossene Kampfkörper in
der Schlacht ist meist ein Zeichen dafür, daß sie vorher ihrer Auf-
Idärungsaufgabe nicht gerecht wurde, aus Schuld des Führers oder
aus eigener Schuld.
Die mangelhafte Verwendung der preußischen Kavallerie 1866
und der deutschen Kavallerie 1870 zur Aufklärung war durch das
Zurückhalten der großen Kavalleriekörper für die Verwendung in
der Schlacht verursacht.
Am 13. August 1870 sandte Prinz Friedrich Karl nur die
5. Kavalleriedivision zur Aufklärung über die Mosel, und diese nur
mit dem von ihm selbst als schwächlich erkannten Befehl, „auf
Thiaucourt vorzugehen und Spitzen in nördlicher Richtung vorzu-
treiben, welche die Straße Metz — Verdun beobachten können".
Prinz Friedrich Karl, der eine große Schlacht östlich der Mosel
erwartete, hatte es am 13. August, nach Angabe seines Tagebuches,
unterlassen, auch die 6. Kavalleriedivision zur Aufklärung über die
Mosel zu senden, um „mehr Kavallerie zur Schlacht bei Metz zur
Hand zu haben." ')
Dieser Auffassung über die Kavallerieverwendung war es zu-
zuschreiben, daß drei Kavalleriedivisionen der 2. Armee — 6., Garde
und 12. — an den Infanteriekolonnen klebten und nur eine zaghaft
über die Mosel vorgritf.
Die Folgen waren die Unsicherheit der deutschen Führung
am 15. und 16. August, die schweren Blutopfer der deutschen In-
fanterie bei Vionville und die Nötigung zum Einsetzen der Kavallerie
in den [nfanteriekampf.
Wären mindestens drei dieser Kavalleriedivisionen zur energischen
Aufklärung über die Mosel vorgesendet worden, dann wären am
16. August genug Infanteriedivisionen zm' Stelle gewesen, um die
Franzosen schon an diesem Tage mit Sicherheit nach Metz zurück-
zuwerfen.
Die grundsätzliche Verwendung der russischen Kavallerie im
Kriege 1877/78 zum Vorpostendienste und die brigadeweise Ver-
wendung der Kasakon zum Feuergefeeht als berittene Infanterie
haben dieselben Folgen gezeitigt wie die Verwendung der napoleoni-
schen Kavallerie als Schlachtenwatfe : es wurde nicht oder schlecht
aufgeklärt. Der Schaden war für die russische Armee weit größer
^) „Prinz Friedrich Karl von Preußen, Denkwürdigkeiten aus seinem
Leben", II, S. 163.
— 443 —
als der Gewinn, den die so verwendete Kavallerie brachte. Weil die
Eiissen im allgemeinen aus dem russisch-türkischen Kriege nichts
gelernt haben, kann auch das Versagen ihrer Kavallerie in Ostasien
nicht zur Abgabe des Urteils berechtigen, die Kavallerie habe über-
haupt abgewirtschaftet.
Napoleon zog sofort die Konsequenzen aus der Auffassung, daß
die Österreicher an der Hier stünden. Er faßte den Entschluß, die
Österreicher mit allen Kräften, die am Lech und westlieh davon
standen, anzugreifen, die Abwehr der doch noch weit entfernten
Russen aber den Korps Bernadotte und Davout zu überlassen.
Infolgedessen erging eine Eeihe von Befehlen.
An Murat, 12. Oktober, 9^^ vormittag:
„Marschall Soult marschiert heute auf Memmingen, wo er erst
morgen spät abend ankommen kann.
„Mein Wille ist, daß, wenn der Feind fortfährt, in seinen
Stellungen zu bleiben, und sich bereit macht, die Schlacht anzu-
nehmen, sie nicht morgen stattfinde, sondern erst übermorgen, damit
der Marschall Soult und seine 30.000 Mann daran teilnehmen und
damit er die rechte Planke des Feindes überflügle, ihn angreife.
indem er ihn umgeht, ein Manöver, das uns einen gewissen und
entscheidenden Erfolg sichert.
„Inzwischen lassen Sie eine Brücke über die Donau nahe ihrer
Linie schlagen gegenüber Albeck zur Verbindung mit Dupont und
damit ich, wenn der Feiird dort lebhaft angreift od-er sich aufs linke
Ufer zurückzieht, am selben Tage übergehen könne."
Weiter befahl Napoleon, die Waffen und Munition zu visitieren,
alles heranzuziehen, was beim Train detachiert ist; die Trains hinter
Burgau zu senden, wo sie abseits der freizuhaltenden Straßen pai-
kieren sollen ; die Orte für die großen Ambulanzen (Peldspitäler)
festzustellen und die Ärzte dahin zu senden, und für Brot. Wein
und Betten für die Verwundeten zu sorgen.
„Ich spreche nicht", heißt es dann weiter, „von den Ambulanzen
der Truppen, die ihnen auf höchstens 400 Toisen folgen^). Das wird
kein Scharmützel, das wird auch kein Angriff auf eine Kolonne sein,
während sie marschiert: das wird ein Angriff sein gegen eine Armee,
*) Toise, alte französische Klafter, gleich l'öö m.
— 444 —
die vielleicht viel zahlreicher ist als Sie glauben und von dessen
Gelingen die größten Erfolge abhängen. Ich werde persönlich dabei
sein. Lassen Sie mein Hauptquartier errichten, wo Sie es am besten
halten. Ich reise sofort ab, wenn ich die Befehle für meinen rechten
Flügel gegeben haben werde. Ich werde morgen früh im Haupt-
quartier sein, das Sie mir bestimmt haben')."
An Marschall Soult:
„Der Feind steht an der Hier, links gestützt auf Ulm, rechts
auf Memmingen. Prinz Murat steht gegenüber mit dem linken Flügel
bei Weißenhorn, mit dem rechten bei Albeck. In dieser Lage ist der
Wille des Kaisers, daß Sie mit Gewaltmärschen nach Memmingen
marschieren. Es ist wahrscheinlich, daß Sie morgen Memmingen
ohne besonderen Widerstand nehmen. In diesem Falle besetzen Sie
sofort Memmingen und senden einen Posten naoJi Pleß, wo sich die
Straßen von Ulm und Weißenhorn nach Memmingen vereinigen.
Wenn der Feind die Stellung hinter der Hier absolut halten wollte,
ist der Wille des Kaisers, ihm am 14. Oktober die Schlacht zu
liefern."
An Marmont, 12. Oktober, ll"" vormittag:
Sofort nach Empfang des Befehles mit seinen zwei französi-
schen Divisionen über Steppbach, Gessertshausen, Ustersbach, Ziemets-
hausen nach Thannhausen zu marschieren. Am 13. Marsch nach
Illertissen mit dem Hauptziel, sich mit dem ganzen Korps rechts (?)
von Weißenhorn zu befinden, bereit für die am 14. bevorstehende
Schlacht.
An die Garde und an die Kürassierdivision Nansouty:
Nach Burgau zu marschieren.
Um Mittag erhielt Berthier Befehl, Augsburg durch die bata-
vische Division (General Duraonceau) des 2. Korps besetzen zu lassen.
General Eivaud habe am 13. mit dem 54. Infanterieregiment von
Ingolstadt nach Eain zu rücken, um bereit zu sein, die Lech-Brticke
nach beiden Seiten zu verteidigen.
„Obwohl ich nicht glaube," schließt Napoleon, „daß Rivaud
angegriffen werden könnte, sondern daß alles das nur Vorsichtsmaß-
^) Nach einer Zusammenstellung der Stärke der österreiehisehen Armee
nach dem 10. Oktober wurde sie im kaiserlichen Hauptquartier auf 25 Regimenter
a 2800 Mann und auf 15 Kavallerieregimenter ä 800— 1000 Mann geschätzt; das
ergab somit eine Stärke von rund 85.000 Mann.
— 445 —
regeln sind, werden diese Dispositionen gegen Teile des Feindes, die
vielleicht unserer Verfolgung könnten entschlüpfen wollen, am Platze
sein."
Nach Absendung dieser Befehle scheint der Kaiser wieder aus-
giebig über den Karten gebrütet zu haben, denn erst nach 9^ abend
ergehen die Befehle an Davout und Bernadotte.
Der Befehl an Davout weist diesen an, wenn nötig Bernadotte
zu unterstützen; der Kaiser würde aber wünschen, daß Davout bei
Dachau 1 »leiben könnte. Wenn Davout sicher sei, daß Bernadotte am
13., 14. und 15. Oktober die Unterstützung seines ganzen Korps
nicht benötigen werde, dann solle er je eine Division gegen Lands-
berg und Augsburg so verschieben, daß sie in einem Marsche diese
Orte erreichen könnten. Die 3. Division bliebe bei Dachau. Das habe
den Zweck, daß Davout rasch die Lech-Übergänge besetzen könne,
wenn es dem Feinde gelänge, das Korps Soult oder das Korps Mar-
mont zu überrennen und daß Davout Zeit gewinne, den Best des Korps
heranzuziehen und auch, wenn nötig, Bernadotte zu unterstützen.
Der Befehl lautet dann weiter:
-Am 13. Oktober werden alle Vorbereitungen beendet sein,
am 14., dem Schlachttage, wird der Feind vernichtet, denn er ist
von allen Seiten eingeschlossen. Der Kaiser glaubt nicht, daß der
Feind mehr als 80.000 — 90.000 Mann habe, aber er greift ihn mit
mehr als 100.000 Mann an.
„Nach Beendigung dieser Affäre wird Seine Majestät zurück-
kehren, um sofort den Inn zu überschreiten, dann werden Marschall
Bernadotte und Sie zwei große tätige Korps sein und die anderen
Ihre Helfer . . .
.,Nach allen Nachrichten, die wir haben, können die Russen
nicht vor dem 18. oder 19. Oktober vor München kampfbereit sein
und das Korps des Marschalls Bernadotte, vereinigt mit dem Ihrigen,
stellt ein viel stärkeres Korps dar als das des Feindes zu dieser
Zeit, und es ist wahrscheinlich, daß sich der Kaiser mit 40.000
Mann im Laufe des 17. Oktober mit Ihnen vereinigt und Sie ver-
stärkt . . .
„Wenn der Marschall Bernadotte und Sie vom Korps Kien-
niayer geschlagen würden, müßten Sie den Lech verteidigen, um
dem Kaiser Zeit zu verschaffen, seine Anstalten zu treffen. In der
anderen Voraussetzung, wenn einer der Flügel der an die Hier mar-
schierenden Armee geschlagen würde, müßten Sie auch an den Lech
— 440 —
marschieren, um ihn von der anderen Seite zu verteidigen und ebenso
dem Kaiser Zeit zu verschafien, seine Verfügungen zu treffen: aber
schließlich muß ich Ihnen sagen, daß das Gros der Armee, die an
der Hier sein wird, erst im Laufe des 14. Oktober geschlagen sein
könnte; Sie könnten daher erst im Laufe des 15. und 16. Oktober
am Lech nötig sein ; so könnten Sie, in dem Falle, wenn morgen
der Marschall Bernadotte Ihre Hilfe brauchte, um den Feind anzu-
greifen, der hinter der Leiznach ist, mit dem größten Teil Ihrer
Kraft am 13. und 14. marschieren und am 15. zurückkehren, um
bereit zu sein, die xinordnungen durchzuführen, von denen ich eben
gesprochen habe.
„Sie fühlen wohl, daß es nötig ist, den Feind auf mehr als einen
Marsch von München zu vertreiben, und wenn das im Laufe des 13.
und 14. geschähe, hätten Sie danach den 15. und 16. Euhe, denn es
ist wahrscheinlich, daß Sie am 17. Oktober an den Inn marschieren
werden ; Sie werden für diese Operation neue Befehle erhalten.
„Der Kaiser hat es für gut gehalten, daß ich Ihnen
den allgemeinen Plan seiner Absichten vor Augen führe,
damit Sie unter allen Umständen im Sinne dieses Planes
handeln können."
Man sieht, wie Napoleon seine Befehlgebung den Verhältnissen
anpaßt. Den Marschällen, die weit von ihm unter Verhältnissen ope-
rieren müssen, die er nicht rechtzeitig zu übersehen vermag, gibt
er seinen Plan bekannt mit ihren möglichen Hauptaufgaben und
überläßt es ihnen, im Sinne dieses Planes zu handeln, ganz so wie
wir es auch heute verlangen.
An Bernadotte ergeht eine Abschrift dieses Befehles mit fol-
gender Ergänzung :
„Wille des Kaisers ist, daß Sie den Feind auf einen starken
Marsch von München vertreiben ; danach werden Sie sich ausruhen
und Ihre Artillerie und Munition in stand setzen.
„Sie können, im Falle Sie den Feind angreifen, um ihn auf
einen Tagmarsch von München zurückzuwerfen, über den Marschall
Davout disponieren, ohne sich vom Plane des Kaisers zu entfernen.
„Ich kann Ihnen nicht genug anempfehlen, das vor Ihnen be-
findliche feindliche Korps gut zu überwachen, da es die Absicht
haben könnte, dieselbe Direktion zu nehmen, die das Regiment Fer-
dinand-Kürassiere und die Nassau-Husaren genommen haben, um
auf den noch offenen Straßen nach Ulm zu marschieren. Es ist
— 447 —
wahr, man macht nicht ähnliche Operationen mit so entmutigten
Truppen wie es die feindliehen sind; vielmehr ist vorauszusehen,
daß das Korps Kienmayer die Absicht habe, sich mit den Russen
zu vereinigen, um den Inn zu verteidigen und Wien zu schützen . . .
„Der Feind hat starke Kräfte bei Ulm, und wenn er abzieht.
muß mehr als die Hälfte davon in unsere Gewalt fallen.
„Ich habe befohlen, daß der Brüekentrain am 14. abend in
München sei, weil es besonders wichtig ist, den Inn zu übersetzen
und Herr von Passau zu sein, was uns blutige Kämpfe ersparen
wird, die nötig wären, wenn der Feind einmal hinter diesem Fluß
in guter Stellung ist.
„In dem Falle, als die feindliehe Armee an der Hier entwischt
wäre, hätte sie den Weg nehmen können, sei es über Füssen, sei
es über fSchongau, die einzigen Punkte, wo sie den Lech übersetzen
könnte, und von da nach Tölz, um die Isar zu übersetzen, dann über
Holzkirchen und längs der Mangfall und über den Inn bei Eosenheim.
„Der Kaiser Ijefiehlt, daß Sie sogleich ein bayrisches Kavallerie-
regiment, 2 Infanterieregimenter und 6 Kanonen unter einem guten
General absenden, um sich der Brücke bei Tölz zu bemächtigen."
Dieser Befehl zeigt, wie Napoleon seine Marschälle auf die
wichtigsten Möglichkeiten aufmerksam macht und, wenn nötig, auch
Vorsichtsmaßregeln für sie trifft. Der Befehl für den Brücken-
train läßt das weite Vordenken Nanoleons in materieller Beziehunff
erkennen. Selbst noch im Vormarsch auf Ulm begriffen, trifft er
schon die Maßregel für die Forcierung des Inn, mit der er bei
raschem Szenenwechsel leicht zu spät kommen könnte.
Um 10^ 30^ nacht verließ der Kaiser bei strömendem, mit
Schnee vermischtem Eegen Augsburg und fuhr nach Burgau. Der
Troß des Hauptquartiers blieb in Augsburg zurück').
^) Am 12. abend oder am 13. früh muß Napoleon auch den Armeebefehl
vom 13. Oktober unterschrieben haben, der in der (Augsburger) „Allgemeinen
Zeitung" veröffentlicht wurde. Er lautet:
„Die feindliehe Armee, betrogen durch unsere Manöver und durch ,die
Schnelligkeit unserer Bewegungen, ist völlig umgangen; sie sehlägt sieh nur
noch zu ihrer Rettung. Sie würde gerne entwischen und in ihre Heimat zurück-
kehren; es ist dazu zu spät! Die kostspieligen Versehanzungen an der Hier, da
sie uns aus dem Sehwarzwald erwartete, wurden ihr unnütz, denn wir kommen
durch die Ebenen Bayerns.
„Soldaten! Ohne diese Armee, die vor euch steht, wären wir heute in
London ; wir hätten sechs sehimpfvolle Jahrhunderte gerächt und den Meeren die
— 448 —
Auch an diesem Tag ergaben sich vor Ulm manche Ab-
weichungen von den kaiserhehen Befehlen.
General Dupont hatte, wie früher schon erwähnt, am 11. um
\)^ abend in Albeck den Befehl erhalten, mit seiner Division und
mit den Dragonern zu Fuß auf das rechte Donau-Ufer abzumar-
schieren. Als er am 12. Oktober früh morgens auf dem Marsche nach
Günzburg war, erhielt er Gegenbefehl von Ney, er solle auf dem
linken Donau-Ufer bleiben und eine ihm passende Aufstellung
nehmen. Dieser Gegenbefehl war von Murat veranlaßt worden. Als
am 11. nachmittag andauerndes Geschützfeuer aus der Richtung von
Albeck nach Günzburg herübertönte, hatte Murat doch Bedenken,
das linko Donau-Ufer entgegen dem Befehle des Kaisers ganz zu
entblößen. Er beauftragte daher Ney, die Division Dupont dort zu
belassen. Anstatt Dupont aber an Albeck zu binden, stellte Ney ihm
frei, sich eine passende Stellung zu wählen^). Dupont ging hierauf
hinter die Brenz zurück, womit er die Straße nach Aalen für den
Abzug Wernecks freigab.
Das Korps Ney verschob sich nur wenig gegen Ulm; die
3. Division marschierte nach Ober-Fahlheim und besetzte nach A'er-
treibung einer kleinen österreichischen Brückenwache die Brücke von
Freiheit wieder geschenkt. Englands Bundesgenossen sind es, gegen die ihr euch
morgen sehlagen werdet: Wortbriiehigkeit habt ihr zu rächen!
„Soldaten ! Der morgige Tag wird hundertmal berühmter sein als der von
MarAigo, die entfernteste Nachkommenschaft wird aufzeichnen, was jeder von
Buch an diesem denkwürdigen Tage tut.
„Eure Enkel werden noch nach Jahrhunderten genau wissen, was eure
Korps morgen getan haben; ihr werdet die Bewunderung der künftigen Gene-
rationen sein.
„Soldaten! Wollte ich den Feind nur besiegen, so hielte ich es für un-
nötig, euren Mut und eure Liebe zum Vaterland und zu mir anzurufen. Aber
ihn nur besiegen, genügt nicht eurer und eures Kaisers Würde: Nicht ein Mann
der feindliehen Armee darf entkommen; ihre treulose Regierung erfahre ihre
Katastrophe nur durch eure Ankunft unter den Mauern Wiens und ihr Gewissen
sage ihr bei dieser traurigen Nachricht, daß sie die Eidschwüre des Friedens und
die Gelegenheit, Europas Bollwerk gegen die Kasaken zu sein, verraten habe."
Dieser Befehl beweist klar und überzeugend, daß Napoleon noch um diese
Zeit die österreichische Armee an der Hier zwischen Memmingen und Ulm
wähnte, daß Dupont daher nicht gemeldet haben konnte, daß die ganze öster-
reichische Armee bei Ulm stehe.
^) Dieser Vorgang ließe sieh nur damit erklären, daß Ney über den so-
genannten Sieg bei Haslaeh und den Zustand der Division Dupont wohl unter-
richtet war.
— 449 —
Elchingen mit einer schwachen Abteilung. Die 2. Division mar-
schierte nach Kadeltshofen, 6 hm südlich Ober-Fahlheim. Lannes
rückte mit seinen drei Divisionen — Grenadiere, Suchet und die
wieder zum Korps eingerückte Division Gazan — in die Gegend von
Weißen hörn.
Am 12. traf die französische Kavallerie nur schwache feind-
liehe Kavalleriepatrouillen östlich von der Hier, die sich auf Ulm
zurückzogen. Mural meldete dies noch am 12 abend und fügte bei:
Ein gefangener Artillerieoffizier versicherte, daß die österreichische
Armee, 80.000 Mann stark, ganz auf dem linken Donau-Üfer ver-
einigt sei und daß keine Truppen an der Hier seien. In diesem Falle
werde er am 13. die Brücken von Ober-Kirchberg und Regglisweiler
besetzen. Er glaube nicht, am 13. angegrifi'en zu werden. Die Brücke
von Leipheim sei hergestellt; Nej habe Auftrag, sich der Brücken
von Elchingen und Thalfingen zu bemächtigen. Wenn sich der Feind
entschlösse, bei Albeck durchzubrechen und abzumarschieren, werde
er eiligst über Günzburg vorgehen, um vor dem Feinde eine gün-
stige Position zu erreichen oder ihn in der Flanke anzufallen.
Marmont, Soult. die Garde und Nansouty marschierten an diesem
Tag an die Hier ab.
Östlich vom Lech erreichten Davout Dachau und das Korps
Bernadotte am 12. früh München. Kienmayer, der etwa 20.000 Mann
stark war, zog sich gegen den Inn zurück. Bernadotte ließ die Vor-
hut noch etwa 20 hn über München vorrücken, wobei ihr zahlreiche
Gefangene in die Hände fielen.
Bernadotte meldete am 12. um Mitternacht, daß die erste russi-
sche Kolonne, etwa 20.000 Mann stark, an diesem Tag in Neu-
ötting eingetroffen sein solle, wo sie Aufenthalt nehme.
Davout meldete, die erste russische Kolonne — 5 Bataillone
stark — soll heute an der österreichischen Grenze ankommen.
Aus Regensburg ging am 12. eine Meldung ab, daß die erste
Kolonne der Russen — 6000 Mann stark — am 11. Braunau er-
reichen sollte^).
13. Oktober. In den ersten Morgenstunden des 13. Oktober
spielte sich eine interessante Episode ab.
*) Drei Meldungen, aus verschiedenen Quellen stammend, geben die wich-
tigste Tatsache fast gleichlautend an. Die Stärkeangaben differieren aber sehr
stark, eine Mahnung, sich auf solche nicht zu sehr zu verlassen.
Krauss. 1805, Der Feldzng von Ulm. ^
— 450 —
Lannes sandte am 12. um ll^^ 30^ nacht folgende Meldung an
Murat ab : Die Vorposten haben emen Mann arretiert, der Depeschen
an den Baron Fugger bringen sollte. Nach den Aussagen des Mannes
ist die ganze feindliehe Armee bei Ulm auf dem linken Ufer. In
Ulm ist nur eine Eeserve von 4000 bis 5000 Mann, die Kräfte auf
dem rechten Donaii-Üfer sind wenig beträchtlich.
„Alles scheint daher zu bestätigen, daß der Feind die Absicht
habe, sich durch Franken zurückzuziehen, und es ist für mich nicht
zweifelhaft, daß er seine Bewegung diese Nacht beginnt.
„Sie werden es gewiß angezeigt halten, der Division Dupont
zu Hilfe zu eilen und einen großen Teil Ihrer Kräfte auf das linke
Donau-Ufer zu werfen ; ich speziell halte diese Bewegung als die
dringendste und ich bitte Sie selbst, sie anzubefehlen.
.,Eure Hoheit finden es, ich bin dessen sicher, auch angezeigt,
sofort Seine Majestät von der Sachlage zu verständigen und ihn zu
bitten, die Vorbereitung von Lebensmitteln an den Punkten anzu-
befehlen, wohin wir marschieren müssen."
Murat wollte den Anträgen des Marschalls Lannes, die —
nebenbei bemerkt — vollkommen den Tatsachen entsprachen, nicht
nachkommen. Die Gründe, die ihn dabei leiteten, kommen in seiner
am 13. um 4*" früh aus Pfafi"enhofen nach Burgau gesandten Mel-
dung zum Ausdrucke. Sie lautete:
„Ich habe die Ehre, Eurer Majestät einen eben eingetroffenen
Brief des Marschalls Lannes und zwei Ijei einem Spione saisierte
Briefe zu übersenden. Der Spion behauptet, daß der Feind die Ab-
sicht habe, sieh über Albeck zurückzuziehen. Obwohl der vorgestern
gelieferte Kampf des Generals Dupont unsere Schwäche auf dem
linken Ufer und unsere Pläne auf dem rechten Ufer enthüllt hat,
glaube ich nicht an das, was der Spion sagt und teile nicht die
Meinung des Marschalls Lannes. Die Österreicher könnten ihre Be-
wegung erst beginnen, nachdem sie über die Division Dupont hinweg-
passiert haben, die sich sicher schlagen und ihnen den Durchzug
heftig streitig machen würde, und ich bin noch nicht verständigt,
daß man sich gestern in dieser Gegend geschlagen hätte. Der Feind
sollte sich so plötzlich zu einer Bewegung entschließen, die ihn voll-
kommen von Tirol trennte und die ihn einem Flankenangriff aus-
setzte! Er sollte sich dazu entschließen, wenn eine einzige Division
ihm 4000 Gefangene angesichts des Michelsberges abnahm, wo seine
Armee vereinigt war, wenn er gestern dieselbe Division nicht an-
— 451 —
gegriffen bat, wenn er in Unkenntnis ist, wo sich die Hauptkraft
unserer Armee befindet, uud wenn sieb der Erzherzog Ferdinand
mit seiner Armee vor der Division Halber zurückgezogen hat . . . !
Ich denke im Gegenteile, daß er entschlossen ist, in seiner gegen-
wärtigen Stellung das Schicksal einer Schlacht abzuwarten und ich
wäre nicht überrascht, noch diesen Morgen augegriffen zu werden.
„Die Stellung, die ich inne habe, ist sehr gut, und ich wäre
ohne Unruhe, wenn der Feind mit allen seinen Kräften gegen mich
marschierte, wissend, daß meine linke Flanke gesichert ist und daß
Soult gegen Memmingen vorgeht. Der Entschluß des Feindes, sich
hinter die Donau zurückzuziehen, ist der einzige, den er fassen
konnte, um den Augenblick seiner Vernichtung zu verzögern. Diese
ist sicher, sobald wir Herren der Brücken von Elchingen und Thal-
fingen sein werden. Dann sind wir vereinigt mit Dupont und wir
können nach Belieben auf beiden Ufern der Donau manövrieren . . .
„Ich wäre kaum im stände, die von Lannes vorgeschlagenen
Bewegungen sofort zu beginnen, da die Truppen nach starken
Märschen und bei schlechtem Wetter erst um 10 *• abend ihre Stel-
lung erreicht haben.
„Der Kaiser könne nach seiner Ankunft die Bewegung an-
befehlen, wenn er sie für gut finde, aber er — Murat — könne
sieh dazu nicht so leichthin entschließen, da er von dem Marsehe
Soults und Marmonts zu seiner Linken wisse und er damit den
allgemeinen Plan des Kaisers stören würde. Er werde sich daher
beschränken, die Besitznahme der Brücke von Elchingen zu be-
treiben^)."
Lannes hat, wie wir jetzt wissen, mit seinen Ansichten
die Tatsachen vollkommen richtig beurteilt: Die Österreicher hatten
wirklich die Absicht, am 13. früh den Abmarsch zu beginnen, und
sie haben ihn auch tatsächlich begonnen.
Trotzdem kann man Murats Verhalten als der Sachlage ent-
sprechend ansehen. Die Versammlung der österreichischen Armee
auf dem linken Donau-Ufer war bisher nur durch die Aussagen
eines gefangenen Offiziers und eines angehaltenen feindlichen Spions
bekannt geworden. Diese Nachricht widersprach allen liisher über
die österreichische Armee eingelaufenen Meldungen. Trotzdem war
^) Diese Meldung Murats beweist, daß Dupont bis zum 13. Oktober nichts
darüber gemeldet hatte, daß ihm am 11. Oktober bei Haslaeh die ganze öster-
reiehisehe Armee gegenübergestanden war.
29*
— 452 —
diese Nachricht glaubwürdig und Mural glaubte sie daher auch. Da-
gegen wollte Murat nicht so ohneweiters an die Absicht der Öster-
reicher, auf dem nördlichen Donau-Üfer abzumarschieren, glauben.
Er hatte vollkommen recht, daß diese Absicht mit dem bisherigen
Verhalten des Feindes nicht in Einklang zu bringen war; trotzdem
hatte sie tatsächlich bestanden, ein Beweis dafür, daß der Feind
souverän ist und die größten Ungereimtheiten machen kann, daß
man daher auch auf diese gefaßt sein muß. Murat glaubte diese
Nachricht nicht in dem Maße, um ihr zuliebe alle Pläne des Kaisers
durch eine Bewegung zu stören, die die Armee gerade im ent-
scheidenden Momente in zwei weit getrennte Flügel trennen mußte.
Man muß eben berücksichtigen, daß Murat über Marmont und
Soult nicht disponieren konnte. Zog er daher jetzt Lanues und Ney
voreilig aufs nördliche Donau-Ufer, dann mußte auf dem südlichen
Ufer gerade vor Ulm eine gefährliche Lücke entstehen. Er überließ
daher diesen Entschluß dem Kaiser, der jeden Augenblick eintreffen
mußte. Murat beschränkte sich nur darauf, die Sicherheit zu schaffen,
daß er den Abmarsch des Feindes auf dem nördlichen Ufer recht-
zeitig verhindern konnte. Das konnte er, wenn er Herr der Brücken
bei Elchingen, Thalfingen und Leipheim war. In diesem Falle konnte
Ney die Division Dupont, die bei Albeck die Straßen nach Aalen
und Donauwörth sperrte, rechtzeitig unterstützen.
Da ergibt sich der einzige Fehler in der Gedanken-
folge Murats. Er nahm Dupont bei Albeek an, wo dieser die ihm
zugedachte ßolle wirklich gespielt hätte: Werneck hätte nur nach
hartem Kampf nach Heideuheim abmarschieren können. So stand
aber Dupont tatsächlich wegen der Freiheit, die ihm Ney an-
scheinend ohne Wissen Murats gelassen hatte, 20 Tcm weiter östlich
bei Brenz und überließ somit die Straße nach Aalen dem Feinde.
Ney hatte also abermals durch leichte Auffassung eines Be-
fehles Napoleons, der die Division Dupont nach Albeck vries, Ver-
hältnisse herbeigeführt, die den Plänen des Kaisers hätten gefährlich
werden können. Dieser Fall zeigt auch, wie mangelhaft der General-
stab im Korps Ney gearl^eitet hat, da bis 13. früh Murat nicht in
Kenntnis darüber war, daß Dupont seit 12. früh nicht mehr bei
Albeck stand. Da sich solche Zwischenfälle gerade bei diesem Korps
häuften, konnten sie ihre Ursache nur in einer wenig genauen Tätig-
keit des Generalstabes haben, was ganz dem Charakterbilde Neys,
der wenig auf strenge Zucht und Ordnung hielt, entsprach.
— 453 —
Die nächsten Befehle Napoleons, der am 13. früh* in Pfaflfen-
hofen eintraf, beweisen, daß er der Haltung .\rurats zustimmte.
Lannes erhielt den Auftra«-, die Brücke von Ober- Kirchberg zu
nehmen und gegen Ulm und Memmingen aufzuklären. Die Division
Oudinot erfüllte diesen Auftrag noch am 13. Oktober: sie stieß dabei
nur auf österreichische Kavallerie, die gegen Ulm zurückging. Am
13. Oktober um 2^ nachmittag erhielt Ney Befehl, sich noch vor
Einbruch der Nacht in Besitz der Brücke von Elchiugen zu setzen,
sein Hauptquartier in der Abtei von Elchingen zu nehmen und
Dupont zu l)efehlen. sich wieder bei Albeck aufzustellen. Er sollte
weiter mit seiner Vorhut Burlafingeu besetzen und seine Truppen so
aufstellen, daß sie ))ereit seien, auf lieiden Ufern der Donau in Ver-
wendung zu treten.
Die.ser Befehl wurde am 13. Oktober nochmals wiederholt. Ney
befolgte auch diesen Befehl nur mangelhaft. Am 13. giug ein Ba-
taillon der 3. Division nach Ober-Elchingen vor. stieß dori, auf die
Kolonne des F3IL. Laudon und mußte sieh nach längerem Gefecht
auf das südliche Ufer zurückziehen, wo es sich damit begnügte, dem
Feinde den Übergang über die Brücke zu verwehren.
Am Abende des 13. stand die Division Dupont noch bei Brenz,
das Korps Ney ganz auf dem südlichen Donau- Ufer, und zwar mit
der 3. Division bei Burlatingen. mit der 2. bei Kadeltshofen : der
Nordausgang der Brücke von Elchingen war in den Händen der
Österreicher. Dem Abmärsche der Österreicher aus Ulm stand daher
tatsächlich nichts im Wege. Ney, dessen Korps nun schon seit einigen
Tagen keine an .strengen den Märsehe hinterlegt hatte, war also aber-
mals dem Befehle des Kaisers nicht nachgekommen. Diesmal aber
hielt der Kaiser mit seinem Tadel nicht zurück. In einem Schreiben
Berthiers wurden dem Marschall Ney seine Unterlassungen, an-
gefangen vom isolierten Angriff Duponts, vorgehalten. Das Sehreiben
schließt mit dem kategorischen Befehl, die Höhen von Albeek und
Elchingen in Besitz zu nehmen, und sobald Lannes die Höhe von
Pfuhl genommen haben werde, also etwa am 14. gegen 10^ vormittag,
die Brücke von Thal fingen zu besetzen.
Lannes erhielt den Auftrag, am 14. Oktober um 10'' vormittag
die Höhe bei Pfuhl zu besetzen; dem General Marmont wurde be-
fohlen, sich bei Wullenstetten beiderseits der Hier aufzustellen, alle
von Ulm kommenden Kommunikationen zu sperren und seine Vor-
posten bis nahe an Ulm heranzuschieben.
— 454 —
Der Kaiser wollte also dem Feinde vor allem den Weg nach
Tirol abschneiden.
Marmont konnte dem Befehle nicht nachkommen: seine zwei
Divisionen erreichten am 13. abend nach 24stündigem Marsche, der
Auflösung nahe, ßoggenburg und Krumbach. Nach dem Nacht-
mar.sche zählten die beiden Divisionen am 13. früh kaum 3000 Mann.
Bis zum Abend waren zwei Drittel des Standes, etwa 8000 Mann,
wieder gesammelt. Um den Stand der Divisionen nicht nochmals zu
gefährden, wollte Marmont erst am 14. früh weitermarschieren,
ßoggenburg ist etwa 56 km von Augsburg entfernt. 56 km in
24 Stunden bei strömendem, kaltem Eegen und auf schlechten
Wegen zurückzulegen ist eine ganz ansehnliche Marschleistung.
Man sieht also, daß auch Napoleon die Angabe des aufgefan-
genen feindlichen Spions, daß die Österreicher den Abmarsch auf
dem linken Donau-Ufer beabsichtigen, nicht ganz glaubwürdig fand,
da er sich doch vor allem zur Einschließung von Ulm auf dem süd-
lichen Ufer entschloß. Er trug aber der Möglichkeit dieses Ab-
marsches doch insofern Rechnung, als er die auch von Murat schon
eingeleiteten Bedingungen schuf, sich rechtzeitig diesem Vormärsche
vorzulegen.
An Soult erging am 13. der Befehl: „Ich verständige Sie, daß
die feindliche Armee in Ulm ist; es ist unbedingt nötig, daß Sie
herankommen, den linken Flügel der Armee bilden und dem Feinde
den Weg über Biberach sperren. Der Kaiser erwartet, daß Ihr Korps
so bald als möglich in der Gegend von Ulm ist."
Soult erreichte am 13. abend Memmingen, das er von allen
Seiten einschloß. In Memmingen war knapp vor der Ankunft der
Franzosen das Eegiment Mittrowskj eingetroffen. Soult forderte den
Kommandanten des Ortes zur Übergabe auf; gleichzeitig traf er
jedoch alle Vorkehrungen, die Stadt am 14. früh anzugreifen.
Östlich des Lech war es der Vorhut Bernadottes am 13. ge-
lungen, bei Parsdorf. östlich München, einen Artilleriepark von
17 schweren Geschützen aufzuheben und über 1000 Gefangene zu
machen. Ein Itayrisehes Detachement besetzte Tölz. Kienmayer hatte
seinen Rückzug hinter den Inn fortgesetzt.
In der Nacht zum 14. dürften bei Napoleon Meldungen über
das Auftreten stärkerer österreichischer Kräfte auf dem linken Donau-
Ufer bei Elchingen und Langenau eingetroffen sein. Wenigstens
gingen am 14. um 2"^ und um 4^ früh an Ney fast gleichlautende
— 455 —
Befehle ab: „Der Kaiser will unbedinot die Höhen von Albock wieder
in Ihrem Besitze sehen. Er wird Sie unterstützen. Es wäre nur sehr
vorteilhaft, den Feind in einen Kampf außerhalb der Verschanzungen
von Ulm zu verwickeln"^).
Lannes erhielt die Verständigung, daß Ney bei Tagesanbruch
aufs linke Donau-Ufer übergehen werde, um Albeck wieder zu nehmen,
und da dies zu einer ernsten Affäre führen könnte, habe er auf den
ersten Kanonenschuß zur Brücke von Elchingen zur Unterstützung
zu marschieren^).
Die Befehle des Kaisers führten am 14. Oktober zwei wichtige
Ereignisse herbei : die Einnahme von Memmingen und das Gefecht
von Elchingen.
Die Einnahme von Memmingen.
In Memmingen, das ein Bataillon Beaulleu als Besatzung hatte,
waren am 10. abend das Infanterieregiment Czartoryski und am
13. nachmittag das Regiment Mittrowsky, die aus Tirol im An-
märsche waren, eingerückt. Die Besatzung bestand somit aus elf
Bataillonen. Am 13. trafen überdies etwa 90 Reiter von Palatinal-
husaren und 8 dreipfündige Kanonen in Memmingen ein. Das Kom-
mando führte dort GM. Graf Spangen.
Soult. dessen Truppen am 13. nachmittag vor Memmingen ein-
getroffen waren, bemächtigte sich noch in der Nacht der Iller-
Brücken nordwestlich Steinheim und bei Aitrach.
Am 14. sandte er auf den Befehl Napoleons vom 13. die
1. und 3. Division nach Ochsenhausen ab, indessen. die 2. Division
und die Dragonerdivision Walther Memmingen zerniert hielten. Als
GM. Spangen der zweimaligen Aufforderung zur Übergabe nicht
*) Ney scheint somit Bedenljen gegen die Wegnahme der Höhen von
Elehingen und Albeek geäußert zu haben, weil dies zu einem größeren Kampfe
führen konnte.
''') Der ßel'ehl setzt fort: „Ihre Truppen seien bereit, je nach Umständen
Ney zu unterstützen oder sieh dem Sehlaehtfelde zu nähern. Wenn der Feind
auf dieser Seite (südliches Ufer) aus Ulm heraustritt, können wir ihm entgegen-
marsehieren und ihn über den Haufen werfen. Wenn er dagegen nicht hier
heraustritt und sich stark mit dem Marsehall Ney einläßt, können wir ihn auf
gleicher Höhe begleiten, mit Ausnahme des Generals Marmont, der diesseits bleibt,
auf das linke Ufer übergehen und alle Höhen um Ulm nehmen. Wenn der Feind
den Marsehall Ney und gleichzeitig den General Gazan (bei Pfuhl) angreift, wird
das zu Ereignissen führen, die uns sehr nützen würden.''
— 456 —
nachkam, eröffnete gegen Mittag die französische Artillerie das Feuer
gegen den Ort. Die österreichischen Dreiplünder waren bald zum
Schweigen gebracht. Als nun auch die Infanterie sich zum Angriff
gegen das Augsburger Tor anschickte, kapitulierte die Besatzung,
weil — wie GM. Graf Spangen angab — die Verschanzungen keinen
nachhaltigen Widerstand erlaubten, nur 30 — 40 Patronen pro Gewehr
vorhanden waren und ein Entsatz nicht zu erwarten war.
Am Altend des 14. Oktobers erfolgte die Übergabe der Stadt,
bei der 4600 Mann und 8 Kanonen den Franzosen in die Hände fielen.
Der „feste Platz" Memmingen hatte somit den Verlust einer
ziemlich beträchtlichen Truppenkraft verursacht.
Die Einnahme von Meramingen hatte den Franzosen nur vier
Tote und ein Dutzend Verwundete gekostet.
Die nach Ochsenhausen marschierenden Divisionen stießen mit
den Sicherungstruppen des Korps Jellachich zusammen, das von
Ochsenhausen nach Leutkirch und Wurzach im Marsche war. FML.
Jellachich schloß aus allen Meldungen und Anzeichen darauf, daß
Memmingen schon am 14. eingeschlossen war. „Sobald er darüber
sichere Nachricht haben werde, werde er sich befleißen, Memmingen
womöglich zu entsetzen." Die „sichere Nachricht" kam am 15.
mittag zugleich mit der Kunde von der Kapitulation des Ortes.
GM, Spangen war somit vielleicht etwas zu rasch und Jellachich
wieder zu langsam im Entschluß gewesen. Der Kommandant eines
festen Platzes soll sich solange halten, als überhaupt die Möglich-
keit dazu vorhanden ist, hier, solange die Infanterie überhaupt noch
Patronen hatte, und wenn ein Truppenkoraraandant einen Kameraden
unterstützen will, dann muß seine Hilfe rasch kommen, sonst kommt
sie leicht zu spät. Auch da gilt das Sprichwort: Doppelt gibt, wer
rasch gibt.
Allerdings war Memmingen kein ..fester Platz" und das
„Korps" Jellachich zählte nur 5500 Mann Infanterie und 900 Eeiter.
Das Gefecht bei Elchingen ^).
(Beilage 28.)
Wie bekannt, hatten die FML. Laudon und Riesch am 13.
abend eine französische Abteilung — es war dies das von Ney nach
^) Nach den französischen Berichten und nach der Gefeehtsrelation des
FML. Rieseh. ( Eriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, X, 156.)
— 457 —
Elchingen gesandte Bataillon — ül)er die Donau auf das südliche
Ufer zurückgeworfen und den Nordeingang der Brücke mit 2 Ba-
taillonen und 2 Geschützen besetzt. Eine Beratung der Generale
Rieseh, Laudön und Mecsery hatte zur Folge, daß man von der Ab-
sieht, auch den Südausgang der Brücke noch in der Nacht gewaltsam
in Besitz zu nehmen, abkam, um nicht die Anwesenheit starker
Kräfte zu verraten — man wollte ja beim Feinde vorbeimarschieren
— und um den Feind nicht selbst zum Angriffe zu reizen, was ver-
mieden werden sollte, weil der größte Teil der Kolonne Eiesch noch
im Anmärsche war. Man begnügte sich daher mit der Sperrung der
Brücke und mit der Entsendung eines Detachements von 4 Bataillonen
und 2 Eskadronen unter Oberst Biber zur Brücke von Leipheim.
In der Nacht zum 14. kam der Befehl Macks vom 13. abend
(s. S. 427) in Elchiugen an.
Bei Tagesanbruch meldete Oberst Biber aus Riedheim, daß der
Feind sehr stark — mit 10.000 Mann — bei Leipheim stehe und
daß er daher seinen Auftrag, die Brücke zu zerstören, nicht er-
füllen konnte').
FML. Rieseh entschloß sich daher sofort, bei Tagesanbruch
über Langenau aufzubrechen und die Flanke der Armee auch gegen
Leipheim zu sichern. Die Brücke bei Elchingen sollte durch eine
Nachhut solange als tunlich gehalten werden. Dieser Entschluß W'Urde
dem Armeekommando nach Hausen gemeldet.
Bevor alier dieser Entschluß ganz zur Tat werden konnte —
es war erst die Vorhut unter GM. v. Mecser}' aufgebrochen —
griffen die Franzosen an.
Ney hatte seiner 2. Division (General Loison), die südlich Fahl-
heim bei Kadcltshofen stand, befohlen, sofort aufzubrechen uud nach
Nersingen zu marschieren. Die Division brach um 8^ abend auf und
traf gegen Morgen des 14. Oktobers bei Leibi ein. Dort erhielt sie
von Ney den Befehl, die Brücke und die Höhen von Elchingen zu
nehmen. Die Tete lanate um 8'' früh an der Waldlisiere vor der
Brücke an. Drei Geschütze, die sofort ins Feuer gesetzt wurden,
unterstützten das Vorgehen der Infanterie, die vor allem die Brücken-
decke wiederherstellen sollte. Bevor dies aber noch ganz geschehen
war, stürmte schon die französische Infanterie über die Brücke vor
und warf die Österreicher zurück.
') Bei Leipheim standen am 13. abend und 14. früh die Dragoner zu Fuß.
also etwa 5000 Mann.
— 458 —
FML. Eiesch, dem schon seit Tagesbeginn über die Bewegungen
des Feindes südlich der Brücke von Elchingen gemeldet worden war,
schloß auf einen Angriff des Feindes von dieser Seite her. Zu
gleicher Zeit meldete Mecsery das Vorgehen starker feindlicher Ka-
vallerie von Leipheim ^).
FML. Eiesch befahl daraufhin dem FML. Laudon, sich im An-
schluß an seinen linken Flügel bei Göttingen aufzustellen und den
von Leipheim kommenden Angriff abzuwehren.
Eiesch selbst besetzte Ober-Elchingen und das Kloster El-
chiugen mit je einem Bataillon und den nördlich Elchingen liegenden
Wald mit zwei Bataillonen. Di^ Hauptkraft seiner Infanterie mar-
schierte derart nördlich von Elchingen auf, daß ihr rechter Flügel
an den besetzten Wald gelehnt, der linke Flügel in der Eichtung auf
(iöttingen zurückgezogen war. Die Artillerie stand auf der Höhe
nördlich Elchingen.
Gegen 9'' vormittag — es trafen noch immer Abteilungen der
Kolonne Eiesch von Thalfingen her ein — sandte FML. Eiesch
^Meldung nach Hausen, „daß der Feind ihn von der Brücke bei
Elchingen her mit einem Angriffe bedrohe; daß er alles aufbieten werde,
Elchingen zu behaupten daß er aber fürchte, in diesem Vorhaben
durch den gegen Langenau anrückenden Feind gehindert zu werden".
Die Franzosen gingen nach Wiederherstellung der Brücke mit
dem 2. Bataillon des 6. leichten Infanterieregiments gegen Ober-
Elchingen, mit dem 1. Bataillon dieses Eegiments gegen das Kloster
und mit dem 1 Bataillon des 39. Linienregiments gegen die Höhen
zwischen Ober- und Unter-Elchingen zum Angriffe vor. Dieses Ba-
taillon erreichte wohl bei der Kapelle St. Wolfgang die Höhen, traf
aber dort auf weit überlegene Infanterie, wurde wiederholt von öster-
reichischer Kavallerie attackiert und nach längerem Kampf in den
Wald zurückgeworfen. Glücklicher waren die Franzosen in Ober-
Elchingen. Es gelang ihnen, im Orte festen Fuß zu fassen.
FML. Eiesch beschloß, die Frai^zosen aus dem Ort und über
die Donau zurückzuwerfen. Er begründet diesen Entschluß in seiner
Gefechtsrelation folgend : „Nach der Disposition vom 13. hatte ich
den Marsch der Armee nach Heidenheim, Nördlingen in der rechten
Flanke zu decken ; ich mußte also die Armee in vollem Marsche
dahin vermuten. Ich sah daher die Wichtigkeit ein, mich bei El-
chingen auf das hartnäckigste zu halten, umsomehr, als ich erwarten
^) Palselie Meldung.
— 459 —
durfte, daß mau auf meine wiederholten Berichte ein angemessenes
Korps auf dem Wege gegen Hausen zu raeüier Unterstützung und
Aufnahme würde aufgestellt oder den Befehl an mich erlassen haben,
wann es Zeit sei, der Armee als Arrieregarde zu folgen."
Als aber GM. Mecserj^ meldete, daß der Feind wirklich gegen
Langenau zum Angriff vorrücke, gab FML. Riesch diese Absicht
wieder auf. Er begründete den Entschlußwechsel in seiner Relation
folgend : „Ich konnte nunmehr an keine Unternehmung von meinem
rechten Flügel denken, da ich durch diese dezidierte Bewegung be-
fürchten mußte, der Feind habe im Sinne, mich von der Armee gänzlich
zu trennen; ich begnügte mich daher mit dem Besitz von Elchingen
und war bedacht, die üefahr von meinem linken Flügel abzuwenden."
GM. Mecsery erhielt zum zweitenmal den Befehl, an den linken
Flügel anzuschließen, damit er nicht isoliert aufgerieben werde. Das
Infanterieregiment Riese wurde, wahrscheinlich zur Verbindung mit
der Armee, nach Albeck detachiert.
Die Franzosen, die im Angriff' nicht innehielten, eroberten
indessen nach und nach ganz Ober-Elchingen und das Kloster; sie
waren damit Herren des Höhenrandes.
Inzwischen hatten die leichte Kavalleriebrigade des 6. Korps
(3. Husaren- und 10. Ohasseurregiment^), das 2. Bataillon des 39.
Linienregiments und die 2. Brigade, General Roguet, bestehend aus
dem 69. und 76. Linienregiment, die Brücke überschritten und sich
östlich von Ober-Elchingen entwickelt.
General Loison befahl nun dem 39. Linienregiment, die Höhen
bei St. Wolfgang zu nehmen und hiezu in gleicher Höhe mit der
Brigade Roguet vorzugehen, die östlich der Abtei geradeaus auf die
Höhen vorzugehen halte. Der Angriff' dieser drei Regimenter, die
durch die Kavallerie unterstützt wurden, brachte die Höhen in den
Besitz der Franzosen, die nun dicht vor der österreichischen Haupt-
stellung angelangt waren.
Jetzt gab Ney den Befehl, den Wald Großer Forst zu nehmen
und immer den rechten Flügel der Österreicher anzugreifen.
Das 18. Dragonerregiment und die leichte Kavallerie warfen
zuerst die schwache österreichische Kavallerie zurück und wandten
sieh dann gegen den linken Flügel der österreichischen Infanterie,
die Karrees bildete ; diese wurden nun aber von der Brigade Roguet
^) iS'ach dem üefeehtsbeiiehtc des Brigadiers war jedes der beiden Ke-
giiuenter am 14. früh etwa 140 Reiter stark.
— 460 —
in der Front augegriffeu. Durch die geglückte Umfassung des öster-
reichischen linken Flügels wurde der bei Laugenau stehende GM.
Mecsery von der Hauptkraft des Korps Riesch abgedrängt.
Die vereinten Angrifie der Brigade Eoguet und der Kavallerie
brachten die Österreicher zum Weichen : die Karrees zogen sich längs
des Waldes gegen Westen zurück.
Da FML. Riesch zu dieser Zeit vom Regiment Riese, das auf
dem Wege nach Albeck von französischer Kavallerie (19. Dragoner-
regiment) angefallen worden war, die Meldung erhielt, daß franzö-
sische Kavallerie gegen Albeck vorgehe, entschloß er sich zum
Rückzuge.
Er begründet diesen Entschluß in seiner Relation :
„Da ich nun auf meiner linken Flanke gänzlich überflügelt
war und der Feind sich da befand, von woher ich nach der Dis-
position Unterstützung hätte erwarten sollen, so wollte ich es nicht
darauf ankommen lassen, durch einen nunmehr zwecklosen Wider-
stand auch gegen Thalfingen tourniert und endlich ganz eingeschlossen
zu werden."
FML. Riesch entschloß sich zum Rückzuge nach Ulm, um von
dort den Anschluß an Jellachich zu gewinnen.
Als die Österreicher zu weichen begannen, befahl General
Loison der Brigade Villatte (6. leichtes Regiment und 39. Linien-
regimeut), die sich gesammelt hatte, sich nach links zu ziehen und
sich der zwei Wäldchen zu bemächtigen, die in der Richtung auf
Kesselbronn liegen^). Die Brigade Roguet hatte nördlich des Waldes
zu verfolgen.
Das 6. leichte Regiment ging von Elchingen südlich des Großen
Forstes vor, wogegen sich das 39. Linienregiment dem linken Flügel
der Brigade Roguet anschloß und im nördlichen Teile des Waldes
Großer Forst vorrückte. Die Brigade Roguet ging nördlich des
Waldes Großer Forst, mit dem rechten Flügel gegen die Wald-
parzelle, vor.
Von der Kavallerie schloß sich ein Teil — das 18. Dragoner-
regiment — der Brigade Roguet an, wogegen sich die anderen Re-
gimenter — 19. und 20. Dragonerregiment, 10. Ohasseur- und
3. Husarenregiment — gegen GM. Mecsery und Oberst Biber wandten,
diese gegen Langenau zurückwarfen und gegen Giengen abdrängten.
*) Gemeint waren ilaniit jedenfalls das Westende des Großen Forstes und
die westlieh davon geleiiene Waldparzelle.
— 461 —
Die Franzosen verfolgten das Korps Eiesch unter steten
Kämpfen bis in die Gegend von Iiingingen, zogen sich aber dann
auf Befehl Neys nach Albeck zurück.
Während des Kampfes der Division Loison hatte die Division
Malher (3., Korps Ney) bei Elchingen die Donau überschritten und
war südlich des Großen Forstes bis Thalfingen vorgegangen, ohne
aber ernstlich ins Gefecht zu treten. Die Division ging am Abend
nach Ober-Elchingen zurück.
Die Division Dupont hatte am 14. in den ersten Morgen-
stunden den Befehl erhalten, Albeck v^^ieder zu nehmen. Sie mar-
schierte um 1^ früh von Brenz ab. Dupont fand Langenau von den
Österreichern besetzt — wahrscheinlich von der Vorhut GM. Mecsery.
Die Vorhut Duponts entwickelte sich gegen Langenau. Als aber
nach kurzer Zeit der Marsch einer feindlichen Kolonne auf der
Chaussee bei Nerenstetten gemeldet wurde ^), entschloß sich Dupont,
den Kampf abzubrechen und an die Brenz zurückzugehen, um so
die Kommunikationen der Armee über Gundelfingen und Günzburg
zu decken. Dupont meldete dann, daß bei Langenau ein feindliches
Korps von 20.000 Mann war, das unter Befehl des Erzherzogs Fer-
dinand Ulm verlassen hatte.
Am Abend des 14. Oktobers stand das Korps Ney bei Albeck,
Langenau und Ober-Elchingen, mit der Division Dupont bei Brenz.
Das Korps Eiesch hatte bei Elchingen 4500 Gefangene und
4 Kanonen eingebüßt. Am Abend kamen die Trümmer des Korps
bei Ulm an. wo FML. Eiesch zu seinem lebhaften Erstaunen erfuhr,
daß ein Teil der Armee in Ulm geblieben sei und nur Werneck und
Jellachich abmarschiert waren.
Die Niederlage des Korps Eiesch bei Elchingen wäre sicher
vermieden worden, wenn FML. Eiesch am 13. abend, ohne Eüek-
sicht auf die Folgen, seiner Aufgabe entsprochen hätte. FML. Eiesch
hatte die Flanke der Armee zu sichern und dazu alle Donau-Brücken
abzubrechen. Es war vorauszusehen, daß man dabei mit dem Feinde
zusammentreffen werde. Je rascher man jedesmal die feindlichen
Brückenbesatzungen überrannte, desto eher war zu hoffen, die Brücken
zu zerstören, ohne in einen ernsten Kampf verwickelt zu werden.
^) Das konnte nur die Artillerieveserve sein, die am 14. Oktober, lOt vor-
mittag, Herbreehtingen erreichte.
— 462 —
Ließ maa aber dem Feinde Zeit. Kräfte heranzuziehen, dann kam
man in Gefahr, mit starken feindlichen Kräften zusammenzutreffen
oder auf die Zerstörung der Brücken verzichten zu müssen.
Je entschiedener, je rücksichtsloser man daher seiner Aufgabe
nachging, desto weniger Gefahr lief man.
Wie dem Tüchtigen, dem Entschlossenen das Glück gelächelt
hätte, zeigt sich auch in diesem Falle. Am 13. abend hätte der
Augriff, dank der Lässigkeit Neys, nur ein französisches Bataillon
getroffen, das schon von Laudon vom nördlichen Donau- CJfer zurück-
gedrängt worden war und das die Zerstörung der Brücke nicht hätte
verhindern können. Am 14. früh aljer waren schon zwei französische
Divisionen in der Nähe der Brücke.
Bei Beratungen mehrerer Generale, mögen die Beratungen
noch so klug geführt werden, kommt selten ein ganzer Ent-
schluß zu Stande.
Aber auch am 14. Oktober hatte FML. Graf Eiesch Aussicht,
seinen Auftrag zu erfüllen, wenn er bei seinem Entschlüsse ge-
blieben wäre, dem Feinde Elchingen zu entreißen und ihn über die
Donau zurückzuwerfen.
Wie erinnerlich, ließ FML. Eiesch diesen Entschluß fallen, als
die Meldung Mecserjs vom Anmärsche der Franzosen gegen Langenau
eintraf, weil er dem Feinde die Absieht zuschrieb, ihn von der
Armee trennen zu wollen. Dieses Beispiel zeigt — gleich vielen an-
deren — wie fruchtlos und schädlich es ist, die Absicht des
Feindes erraten und danach seine Entschlüsse fassen zu wollen.
Die eigene Aufgabe und der eigene Wille allein sind ver-
läßliche Grundlagen für den Entschluß.
Da am 14. Oktober tatsächlich keine französischen Truppen bei
Leipheim die Donau überschritten haben, mußte der Anmarsch der
Division Dupont die Meldung des GM. Mecsery und damit die Be-
sorgnisse des FML. Eiesch veranlaßt haben ^). Dupont aber mußte
während seines Aufenthaltes vor Langenau und während seines Eüek-
^) Die Angaben des Aufsatzes ,.Das Treffen von Elchingen" von GM. Loeff 1er
(Heft 11 der „Mitteilungen des Ulmer Vereines für Kunst und Altertum"), daß Oberst
Biber durch starke, bei Leipheim übergegangene Kräfte zurückgedrängt und von
Neys Kavallerie abgeschnitten wurde, dann daß die Division Malher die Donau bei
Leipheim überschritt und über Unter-Klchingen angriff, müssen nach den französi-
schen Akten berichtigt werden. Bei Leipheim übersehritten am 14. Oktober keine
französischen Truppen die Donau ; die Division Malher ging bei Elchingen über
die Donau und kam nicht mehr in den Kampf.
— 463 —
raarsches den Kanonendonner von Elchingen gehört haben : trotzdem
marschierte er nach Brenz zurück.
Das Auftreten Dupouts gibt interessante psychologische Auf-
schlüsse.
Die Unfähigkeit Diiponts zum Angrifi" am 14. Oktober läßt
die tiefe Erschütterung erkennen, die seine Division im Gefechte bei
Haslach erlitten hat.
Trotz den .schweren Verlusten hatte die Division Dupont Haslach
erst nach dem Erlöschen des Kampfes freiwillig geräumt und sich
in Fühlung mit dem siegreichen Feind in der Xacht vom 11. zum
12. Oktober bei Albeck gehalten. Die Division kann daher unmittel-
bar nach dem Gefechte nicht in dem Maße kampfunfähig gewesen
sein wie am 14. Oktober. Ihr moralischer Halt muß noch groß ge-
wesen sein, um eine Nacht in der Nahe des Gefechtsfeldes in
Fühlung mit dem Feind auszuharren. Somit hat erst der Al)marsch
der Division von Albeck, der sieh der Truppe als ein Kückziig dar-
stellen mußte, im Vereine mit der schlechten Witterung und der im
Korps Ney sehr schlecht bestellten Verpflegung den moralischen Halt
der Division derart erschüttert, daß der Gegenbefehl vom 12. Oktober
Dupont nicht mehr veranlassen konnte, nach Albeck zurückzukehren.
Er konnte nur mehr den Eückzug fortsetzen. Einmal von Albeck
zurückgegangen, konnte die Division, die im stände gewesen wäre,
bei Albeck auszuharren und am 13. gegen Werneck wahrschein-
lich auch wieder einen ernsten Kampf zu bestehen, die aufgegebene
Aufstellung nicht mehr zurückgewinnen : es fehlte ihr der moralische
Aufschwung, ans dem Eückzug in den zum Angriff führenden Vor-
marsch überzugehen, und diesen Mangel an moralischem Gehalt hat
nicht die ehrenvolle Niederlage bei Haslach, sondern der Abmarsch
von Albeck verschuldet. Erst dieser Abmarsch macht das Gefecht
von Haslach zu einer vollen Niederlage Duponts. Ausharren hätte
er bei Albeck können, dazu hat die Kraft der Truppe noch gereicht,
und da „die Truppen, die am längsten ausharren, die Schlachten
gewinnen", hätte das Ausharren bei Albeck Dupont berechtigt, von
einem Erfolg von Haslach zu sprechen.
Dupont hat aber nur einem Befehle gehorcht, könnte man ein-
wenden. Sicher! Hier wäre aber Dupont berechtigt gewesen, nach
den nui ihm bekannten Verhältnissen diesen Befehl nicht zu be-
folgen^). Er war mit weit überlegenen feindlichen Kräften im Kampfe
*) Dienstreglement, I. Punkt 68.
— 464 —
gewesen ; er w ußte. daß Napoleon die österreichische Armee ein-
schließen wollte und daß er mit den Dragonern zu Fuß allein nörd-
lich der Donau stand. Er durfte daher nicht von Albeck ab-
marschieren, und wenn Ney noch einige dringende Befehle ab-
iresandt hätte. Er durfte nicht, bevor er sieh nicht überzeugt
hatte, daß der bei Haslach im Kampfe gewesene Feind auf das
südliche Ufer abmarschiert sei. Seine Division konnte die Macht
Murats nicht entscheidend verstärken, ihr Abmarsch von Albeck
gefährdete aber den ganzen Feldzugsplan des Kaisers.
Es gäbe zwar eine, allerdings auch nur sehr matte Entschul-
digung für Dupont: daß er tatsächlich am 12. früh zur Zeit des
Abmarsches noch keinen Überblick über die Verhältnisse bei Ulm
hatte, daß er tatsächlich keine Ahnung hatte, daß dort die ganze
Armee Macks stand. Dupont zerstörte diese Entschuldigung später
allerdings selbst, indem er behauptete, schon am 10. gewußt zu
haben, daß die ganze Armee vor ihm gestanden sei. Da aber Dupont
ein sehr tüchtiger General war, kann man, wie früher gesagt, an-
nehmen, daß diese Angabe nur eine nachträgliche Schönfärberei sei.
Am 14. fürchtete sich nun Eiesch vor der kampfunfähigen
Division Dupont und gab seine Angriffsidee auf, die allein Erfolg
versprach, und Dupont wieder zog sich vor den äußersten Enden des
Korps Eiesch nach Brenz und auf seine defensive Aufgabe zurück.
Hätte FML. Eie&ch die Charakterstärke gehabt, bei seinem
offensiven Entschlüsse zu bleiben und sich gegen die drohende Um-
fassung links nur zu sichern, wäre er vielleicht ehrenvoller aus dem
Kampfe hervorgegangen. Im Kriege kommt es viel häufiger
auf Charakterstärke an, als auf wohlgefaßte Erwägungen
uud Beurteilungen der Situation.
Dupont wieder hätte an dem Gefechte von Elchingen ent-
scheidenden Anteil nehmen können, und zwar durch seine einfache
Anwesenheit, wenn er vor Langenau, selbst ohne ernst anzugreifen,
ausgehalten hätte. Er hätte dadurch überdies seiner Divi>ion den
abermaligen Eückmarsch nach Brenz und den späteren Vormarsch,
dem General Loison aber starke Unruhe erspart.
General Loison klagte am 14. abend bei Ne}', daß seine Truppen
ermüdet und daß sie schon 3 Tage ohne Brot seien. Der Feind
stehe stark in Langenau'). Da Patronen fehlen und von Dupont
keine Nachricht zu erhalten, sei die Situation sehr traurig!
0 Dort stand am 14. abend kein Ö.sterreieher.
— 465 —
Auch siegreiche Generale sehen mitunter Gespenster!
Diese Äußerung des Generals Loison gibt aber zu einer
weiteren Schlußfolgerung Anlaß. Sie beweist, daß General Loison
sich seines entscheidenden Sieges am 14. abend nicht voll bewußt
gewesen ist, denn im entgegengesetzten Falle hätte er keinen An-
laß gehabt, sich so zu äußern. Durch diese Äußerung wird erst die
verwunderliche Tatsache erklärlich, daß Marschall Nej die siegreiche
Division Loison, die bis .Jungingen verfolgt haben soll, zur Nächti-
gung um 6 lim bis Albeck, die Division Malher, die bis über Thal-
fingen vorgerückt war, bis Ober-Elchingen zurückgenommen hat.
Warum blieb das Korps nicht wenigstens bei Haslach und Thal-
fingen stehen? Sollte auch Nej nicht den Eindruck eines vollen
Sieges gehabt haben?
Das Verhalten Duponts nach dem Gefechte von Haslach und
das des Generals Loison und des Marschalls Ney nach dem Gefechte
bei Elchingen zeigen, daß nicht nur die Truppen siegen, die
länger aushalten, sondern daß auch vor allem die Führer Sieger
bleiben, die länger den Eindrücken des Kampfes zu widerstehen
vermögen. Man muß daher nicht nur siegen, sondern man muß auch
nach dem Kampfe Sieger sein und bleiben wollen. Hätte Dupont
mit diesem Willen bei Haslach ausgehalten und hätte er auch dem
Befehle Neys zum Abmarsch widerstanden, dann wäre er nicht nur
in seinen Berichten, sondern tatsächlich der Sieger von Haslach ge-
wesen. Die Österreicher haben ihn bis 12. Oktober früh und hätten
ihn auch später nicht daran gehindert, bei Haslach zu bleiben.
Loison und Ney hatten erst nach voller Beendigung des Kampfes
den Willen oder das Gefühl, Sieger zu bleiben, verloren. Sie hielten
somit länger aus als ihr Gegner, der den Kampf schon bei Ober-
Elchingen als zwecklos aufgegeben hatte und nur mehr daran
dachte, nach Ulm zu kommen. Sie blieben somit die Sieger von
Ober-Elchingen, obwohl ihre Stimmung am Abend des 14. diesem
Hochgefühle kaum entsprochen haben dürfte.
Am Abend des 16. August 1870 hat wohl niemand bei den
Deutschen das Gefühl gehabt, Sieger zu sein. Aber weder der auf
dem Schlachtfeld eingetroffene Armeekomraandant Prinz Friedrich
Karl, noch die Korpskoramandanten, noch die Truppen wollten das
mit Strömen von Blut erkaufte und verteidigte Terrain aufgeben.
Sie wollten am nächsten Tage den Kampf um den Sieg fortsetzen.
Als aber am 17. August der Tag anbrach, sahen die Deutschen, daß
Krauss. 1805, Der Feldzug von Ulm. 30
— 466 —
die eigentlich bis zum Schluß im Vorteile gewesenen Franzosen
das Schlachtfeld geräumt hatten. In dieser Nacht erst kam der
ganze Heldenmut der tapferen Streiter vom 16. August und ihrer
Führer zum Ausdrucke; diese Nacht erst brachte ihnen einen der
glänzendsten Siege, der je errungen worden ist. Im stärkeren
Willen, nach dem Kampfe das Schlachtfeld zu behaupten, liegt oft
ganz allein der Begriff des Sieges.
Auffallend ist weiters die Tatsache, daß in den drei Gefechten,
die das 6. Korps zu bestehen hatte — Günzburg, Haslach und
Eichingen — immer nur eine Division in den Kampf trat, obwohl
Napoleon seine Generale unausgesetzt ermahnt hatte, nur mit ver-
einter Kraft zu schlagen. Bei Günzburg und Haslach lag die Ur-
sache dafür hauptsächlich in der Auffassung, die sich Ney über die
operative Lage gebildet hatte und die ihn veranlaßte, seine Haupt-
kraft anderwärts zu verwenden. Am 14. bestand aber die Möglich-
keit, mehr Truppen ins Gefecht zu bringen. Die 2. Division, die
höchstens 7000 bis 8000 Mann zählte, begann etwa um 9^^ vormittag
die Brücke zu übersehreiten. Ihr Übergang konnte höchstens l^g bis
2 Stunden in Anspruch genommen haben. Unmittelbar hinter der
2. Division folgten die Dragonerdivision Bourcier und zwei leichte
Eegimenter, zusammen kaum 1400 Eeiter, die zum Übergang wieder
höchstens 1 Stunde gebraucht haben können. Die Brücke konnte
daher nach 12^ mittag für die 3. Division frei sein. War diese
Division, die nur 6 hm von der Brücke entfernt bei Ober-Fahlheim
genächtigt hatte, nahe der Brücke für den Übergang bereitgestellt,
so konnte sie spätestens um l'' nachmittag auf den Höhen westlich
Ober-Elchingen — 2 hm von der Brücke entfernt — mit ihrer
Tete in den Kampf eingreifen.
Bei Elchingen scheint nur mangelhafte Befehlgebung die Ur-
sache gewesen zu sein, daß die Division Loison den Kampf allein
durchkämpfen mußte.
Noch etwas gibt Anregung zum Nachdenken.
Die Befehle Napoleons an Ney lassen erkennen, welchen großen
Wert der Kaiser auf den Besitz der Höhen von Elchingen und
Albeck legte. Es muß daher wunderlich erscheinen, daß er nur das
Korps Ney über die einzige Brücke von Elchingen sandte und es
allein mit der wichtigen Aufgabe betraute, die Höhen zu nehmen,
obwohl bei Leipheim eine Brücke und die Division Dragoner zu Fuß
zur Verfügung standen.
— 467 —
Zur Unterstützung Neys wurde das ziemlich entfernte Korps
Lannes herangezogen und ebenfalls an die Brücke von Elehingen
befohlen.
Was mochte Napoleon veranlaßt haben, die günstige Situation
der Dragoner zu Fuß nicht auszunützen und sie nicht über Langenau
auf Albeck zu dirigieren?
Das Zurückhalten einer Reserve bei Leipheim. um sie auf
beiden Donau-Ufern einsetzen zu können und um die Chaussee
nach Augsburg verläßlich zu sperren, erklärt das Verhalten des
Kaisers nicht vollkommen; denn das nach Elchingen dirigierte Korps
Lannes konnte während seines Anmarsches als Reserve angesehen
werden und ein Angriff von Ulm auf dem südlichen Ufer mußte
vor allem dieses Korps treffen und es zwingen, seinen weiteren
Flankenmarsch aufzugeben. Die dahinterstehende Dragonerdivision
konnte daran nichts ändern und sie konnte dem etwa bei Burla-
fingen in einen Kampf verwickelten Korps Lannes nicht viel früher
Unterstützung bringen als das am 14. Oktober früh von Roggen-
burg nach Weißenhorn marschierende Korps Marmont. Dagegen
konnte das über eine einzige Brücke defilierende Korps Ney, das
aller Voraussicht nach auf starke feindliche Kräfte stoßen mußte,
nur durch die Dragonerdivision, und zwar nur durch deren
Vormarsch von Leipheim über Langenau nach Albeck wirksam
unterstützt werden.
Die vorhandenen Befehle geben leider keinen Aufschluß über
die Motive des Kaisers.
Auf dem südlichen Donau-Ufer hatte die Division Gazan die
Höhe bei Pfuhl besetzt und ein feindliches Detachement in den
Brückenkopf von Ulm zurückgeworfen. Die beiden anderen Divisionen
des Marschalls Lannes standen östlich von Pfuhl. Auch die 1. und
3. Dragonerdivision waren näher gegen die Donau herangezogen
worden.
Marmont hatte die Hier erreicht. Er konnte melden, daß kein
österreichisches Korps längs der Hier zurückgegangen sei. Da-
gegen sei es sicher, daß in der Nacht des 12. ein Korps von
lO.üOOMann (das Korps Jellachich) gegen Biberach a))gezogen sei.
Die Beilage 29 zeigt die Situation am 14. Oktober abend.
30"
XVII. Die Kapitulation Yon Ulm.
(BeUage 30.)
Am 15. früh besetzten Truppen des Korps Sehwarzenberg,
dessen Kommando FML. Klenau übernommen hatte, die vor-
geschobenen Verschanzungen von \]\m.
Am 15. Oktober meldete der schon einmal genannte Haupt-
mann Wend, daß am 14. kein Feind mehr in Weißenhorn war.
Nur ein Artilleriepark mit Bedeckung habe dort genächtigt. Da-
gegen sei der Feind am 14. bei Kirchberg gestanden, wo er die
Brücke wiederherstellte. Ebenso ließ der Feind die Brücise bei
Gögglingen wiederherstellen, angeblich mit der Absicht, darüber
nach Blaubeuren zu ziehen.
Vormittag meldete aber auch der Feldkriegskommissär Mandel
dem FML. Mack. daß der Feind bei Kirchberg sei, mit der ausge-
sprochenen Absicht, Ulm noch am 15. einzuschließen. Mack ver-
wies ihn zur Euhe mit dem Bedeuten, daß das alles zwar richtig
sein könne, da der Feind aber im vollen Rückzüge sei, so
geschehe das alles bloß, um seinen bei Weißenhorn stehenden Ar-
tillerietrain zu decken.
Mack hatte also von den beiden Meldungen sofort die ihm
günstigere geglaubt und suchte durch diese die anderen ungünstigeren
Nachrichten zu entkräften.
Mack war somit noch am 15. Oktober, zur Zeit, als Ney schon
den Kreis auch im Norden von Ulm zu schließen begann, von der
Idee des Eückzuges der Franzosen beherrscht; er erklärte die Ein-
schheßung Ulms ganz einfach damit, es sei selbstverständlich, daß
der nach Frankreich zurückgehende Feind sich gegen einen Anfall
aus Ulm durch dessen Einschließung sichern müsse.
— 469 —
Mack gab daher sogar den Befehl, die Kriegskasse, das Kriegs-
und Landeskommissariat, das Armeegepäck und die Artilleriereserve
von Heidenheim nach ühii zurückkehren zu lassen. Dieser Befehl
sollte gar nicht mehr abgesendet werden.
Am 14. Oktober, 9*" abend, erging aus dem kaiserlichen Haupt-
quartier Ober-Fahlheim ein (ieneralbefehl an Lannes, Ney. Murat
und Marmont.
Danach sollte Lannes derart über die Brücken von Elchingen
und Thalfingen auf das nördliche Donau-Ufer abmarschieren, daß
er 1 Stunde vor Tagesanbruch bei Elchingen eintreffen könne.
Ney sollte sein Korps in dem Maße in Marsch setzen, als es
bei Albeck und Elchingen durch Truppen des Korps Lannes abgelöst
V7urde; das Korps war bis Mittag zum Angriff gegen den Michels-
berg in Schlachtstellung bereitzustellen.
Bis S^ früh sollten noch die Garde, die Dragonerdivision Klein
und die Kürassierdivision Nansouty auf dem nördlichen Donau-Ufer
bereitgestellt sein.
Der Kaiser werde selbst vom Kloster Elchingen aus den Befehl
zum Angriffe geben.
Die Dragonerdivision Beaumont und General Marmont erhielten
die Aufgabe, Ulm auf dem rechten Ufer einzuschließen.
In einem Befehle vom 15. erhielt Marmont noch die Weisung,
daß, wenn er dem Feinde den Austritt aus Ulm nicht verwehren
könnte, der wichtigste zu sperrende Weg, der auf Günzburg sei. Es
wäre daher besser, den Feind nach Memmingen entweichen zu
lassen; er sei dann sofort zu verfolgen.
Am 15. Oktober früh gab Napoleon die allgemeine Dispo-
sition aus:
Die Korps Ney und Lannes w'erden sich in Schlachtform auf-
stellen.
Das Korps Ney wird seir>en rechten Flügel an den Wald von
Mähringen lehnen, sein Zentrum gegenüber von Lehr, den linken
Flügel vorwärts von Jungingen entwickeln.
Das Korps Lannes: Division Suchet rechter Flügel, Division
Gazan Zentrum, Division Oudinot linker Flügel. Der rechte Flügel
schließt an Ney an, der linke steht ä cheval der Straße von
Albeck^.
^) Der Marseli der Division Gazan und Oudinot hatte sieh so verzögert,
daß der Angriff am 15. mittag, oline ihr Eintreffen abzuwarten, begonnen wurde.
— 470 —
Die Garde und die Division Nansouty stehen bei Haslach, die
Dragonerdivision Bourcier bei Lehr und Mähringen bereit.
Bei dem Vormarsche Neys und der Division Suchet des Korps
Lannes in die zugewiesenen Stellungen wurden die österreichischen
Vortruppen hinter die Verschanzungen zurückgeworfen.
Nachdem die Division Malher (3. des Korps Ney) südlich von
Lehr beiderseits der Chaussee Ulm — Stuttgart und die Division Loison
(2. des Korps Ney) beiderseits der Straße Ulm — Albeck entwickelt
waren, begann gegen Mittag der Angriff auf die Verschanzungen.
Die Division Malher nahm im ersten Anlaufe die Schanzen auf dem
Michelsberg und drang gegen die Stadt vor; eine Abteilung drang
zugleich mit den zurückgehenden österreichischen Truppen in Ulm
ein. wurde aber durch das Eingreifen frischer Truppen wieder aus
Ulm hinausgedrängt. Die Division Loison war längs der Albecker
Straße vorgegangen, hatte die Verschanzungen genommen und war
bis an die Umwallung von Ulm vorgedrungen. Die Division setzte
sich schließlich auf den Höhen fest, ließ Geschütze auffahren und
Ulm beschießen.
Die Division Suchet war vor Jungingen aufmarschiert; um 3^
nachmittag setzte sie sich in Bewegung, um an dem Kampfe teil-
zunehmen. Ein Eegiment drang dabei durch ein Stadttor in Ulm
ein. Nur dem energischen Eingreifen eines Hauptmannes, der die
Franzosen angriff und durch das Tor zurückdrängte, war es zu
danken, daß Ulm nicht schon am 15. in die Hände der Franzosen
gefallen war. 160 Franzosen, darunter der Eegimentskommandant,
wurden gefangen genommen.
Am 15. nachmittag war der ßest der k. k. Armee in die Stadt
Ulm zurückgedrängt. Die beherrschenden Höhen waren in den Händen
der Franzosen, die von ihnen aus die Stadt unter Feuer nahmen.
Noch am 15. abend besetzte Murat Grimmelfingen und die Division
Suchet Söflingen. Auf dem rechten Ufer umschloß Marmont den
Brückenkopf; das Korps Soult erreichte am 16. Laupheim, mit den
vordersten Truppen Dellmensingen, ]2 hn vor Ulm. Ulm und die
Armee waren somit von allen Seiten eingeschlossen.
Als die ersten Granaten in die Stadt einschlugen, entstand die
größte Verwirrung. Da für diesen Fall in keiner Weise durch Be-
fehle gesorgt worden war, wußte niemand, was er zu tun hatte.
Keine Disposition regelte die Besetzung der Wälle; daher besetzte
sie wer gerade wollte und wo er wollte. Die übrigen Truppen suchten
— 471 —
sich in den Straßen der Stadt so gut als möglich zu decken. Für
die Sicherung der ohnedies knappen Verpflegung und .Munition gegen
Brand war ebensowenig gesorgt wie für die Beseitigung der Leichen
und Pferdekadaver ^).
Nachmittag kam der erste französische Unterhändler, die Über-
gabe der Stadt zu fordern. Mack, der ihn allein empfing, hielt das,
noch ganz in der Idee des Rückzuges befangen, für eine Kriegslist
und wies die Aufforderung kurz ab.
Auf die Nachricht von der Ankunft des Parlamentärs ver-
sammelten sich alle Generale bei FML. Mack, um ihn zu bewegen,
vor allem die Armee zu retten und dazu, wenn nötig. Ulm zu opfern.
Mack wies dieses Ansinnen zurück. Er erließ sofort einen General-
befehl folgenden Inhaltes:
„Ich mache im Namen Seiner Majestät alle Herren Generale,
Stabs- und Oberoffiziere auf ihre Ehre, ihre Pflicht und ihr eigenes
Glück verantwortlich, das Wort .Übergabe' nicht mehr hören zu
lassen, sondern nur an die standhafteste und hartnäckigste Ver-
teidigung zu denken, die ohnehin nicht lange dauern kann, weil in
einigen wenigen Tagen schon die Avantgarden zweier mächtiger
Armeen, einer k. k. und einer russischen, vor Ulm erscheinen werden,
um uns zu befreien. Die feindliche Armee ist in der schrecklichsten
Lage, teils durch die Witterung, teils durch Mangel an Lebens-
mitteln. Es ist unmöglich, daß sie länger als einige wenige Tage in
der Gegend aushalten könne. Sie kann nur in sehr schmalen Ab-
teilungen stürmen, da wir fast allenthalben sehr breite Wassergräben
haben ; nichts ist also leichter als die Stürmenden totzuschlagen oder
gefaugen/unehmen. Wir haben, wenn es uns etwa an Lebensmitteln
fehlen sollte, mehr als 3000 Pferde, um uns zu nähreu. Ich will
selbst der erste sein, Pferdefleisch zu essen, und ich hotfe, daß
^) Ein Einwohner von Ulm schildert die Zustände in der Stadt folgend:
„Das Bild der Stadt war greulich ! Viele tausend Mensehen hatten Quartier
auf der Straße aufgeschlagen, wo sie kochten und sehliefen. Überall standen
Wagen und Pferde herum. Mehr als dreißig tote Pferde lagen herum, die nicht
fortgeschafft werden konnten, da alle Tore gesperrt waren. Aus demselben Grunde
lagen seit beinahe 8 Tagen 12 Leichen in den Häusern und mehr als iOO
in den Spitälern. Die ganze Stadt war eine Kloake, in der ein pestllenzialischer
Gestank herrsehte." „Ulms Schicksale in dem letzten Kriege; aus dem Tage-
buche eines Augenzeugen (eines der ersten Bürger Ulms)". Voß, Zeiten, 1806,
Juliheft.
— 472 —
jedermann gerne mit mir gemeinsame Sache machen wird. Auch
von den braven Einwohnern der Stadt hoffe ich es und versichere
sie nochmals, daß ihnen alles reichlich vergütet und vergolten
werden solle')."
Die Erklärungen der (ienerale, denen Mack in so hochtraben-
den Worten entgegentrat, scheinen aber doch den Optimismus Macks,
wenn er noch echt war, erschüttert zu haben.
Er forderte jetzt den rangältesten General, FML. Graf Rieseh
auf, das Armeekommando zu übernehmen, was dieser, wie begreiflich,
entschieden ablehnte.
Mack übergab nun den Generalen eine schriftliche Erklärung
seiner Ansichten und forderte sie auf, ihre Gegenerklärung ebenfalls
schriftlich abzugeben.
Die Erklärung Macks lautete^):
„Der Feind fordert Ulm auf, nachdem er schon letzthin einen
Sturm darauf machen wollte und heute wirklich einen gemacht hat,
welcher abgeschlagen wurde, wie wir durch die Aussage eines
gefangenen Obersten wissen, welcher den Sturm führte. Es ist
deutlich, daß er Ulm haben will, um Meister von der Hier zu
bleiben, mithin von einem großen Teile Deutschlands, wo wir keine
ruhigen Winterquartiere und für Tirol sehr vieles zu besorgen haben
werden.
„Behaupten wir aber Ulm und die Hier, so muß der Feind
über den Rhein zurückgehen und unser Glück ist auf immer ge-
macht^). Er kann uns nicht über höchstens 8 Tage eingeschlossen
halten, weil sich sonsten die Russen nähern und ihm ein schreck-
liches Schicksal zubereiten würden. Auf so lange haben wir zu leben,
weil wir oOUO Pferde haben. Wir haben nur einige schmale Strecken,
wo der Feind anlaufen kann, zu verteidioen. und haben zu deren
^) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland PA, X, 278, und XIII, 91, Beilage 7.
„Am 20. Oktober (es muß früher gewesen sein) kam diese Proklamation
unter die Bevölkerung.
„Die kälter Denkenden sahen das Widersinnige dieser Proklamation ein
und konnten sieh nur schwer der Kritik enthalten." „Ulms Schicksale in dem
letzten Kriege etc."
2) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland PA, XIII, 91, Beilage 8.
^) Da die Donau-Brücken seit dem 14. Oktober abgebrochen waren, konnte
von der Behauptung der Hier umsoweniger die Rede sein, als die Franzosen
Memmingen besetzt hatten und mit einem Korps an der unteren Hier standen.
io —
Verteidigung 15.000 Maiin^). Wenn es uns auch an Munition fehlen
sollte, so haben wir Bajonette, die gegen Stürmende die besten
Waffen sind; da die Strecken, die wir zu verteidigen haben, sehr
schmal sind, so können wir viele Reserven haben, und wenn nur
ein Drittel der Truppen brav ist, so kann es nicht fehlen. Der Feind
muß in dieser schrecklichen Witterung zu gründe gehen, kann mit
vielen Truppen deshalb auch nicht bleiben, weil die ganze Gegend
ausgezehrt ist.
„Ich bin also der vollen Überzeugung, daß es unsere Pflicht
ist, uns zu halten und Ulm nicht zu übergeben. Nur eine ein-
stimmige Widersetzlichkeit meiner Kameraden, für welche sie Seiner
Majestät verantworthch sein mögen, würde meinen Entschluß ändern."
Diese Erklärung konnte trotz ihres sicheren Tones keinen Ein-
druck auf die Generale machen, und sie nicht von der Richtigkeit
der Angaben überzeugen. Die Gegenerklärung der Generale brachte
daher auch eine den Ansichten Macks entgegengesetzte Meinung
zum Ausdrucke. Sie lautete:
„Wir Unterfertigte sind der entgegengesetzten Meinung und
glauben, daß wir durch einen freien Abzug, wodurch wir eine so
namhafte Truppe retten. Seiner Majestät unserem Allergnädigsten
Kaiser einen größeren Dienst leisten, als wenn wir das bei weitem
nicht geschlossene Ulm, welches keiner wahren Verteidigung fähig
ist, hartnäckig halten wollten, und werden dies auch durch Gründe
darzutun wissen.
Richter, GM. Gyulai, FML. Stipsics, FML.
Riesch, FML. Moritz Fürst Liechtenstein, GM. Klenan, FML.
Erbprinz zu Hessen-Homburg, FML. Laudon, FML.
Gottesheim, FML."
Die Generale begründeten ihre Gegenerklärung eingehend.
Die wichtigsten Gründe waren :
Nach Angabe des mit der Befestigung von Ulm betrauten
Genieobersten Dedovieh könne Ulm gar nicht als Festung ange-
') Vergleiche damit die Stärke der in Ulm gefangenen Armee: 25.365
Mann (Offiziere und Mannsehalt). S. S. 499.
Diese Angabe Maeks ist um so merkwürdiger, als ihm vom Major Preiherni
V. Abele niich dem auf Seite 160 geschilderten Vorfalle ein Standesausweis
überbraeht worden war, der die Stärke der Armee in Ulm mit 22.600 Mann
(einschließlich der Kranken und Verwundeten aber 25.000 Mann) angab.
Biographie des FML. Franz Freiherrn Abele von und zu Lilienberg.
— 474 —
seheu werden. Ulm sei nicht zu verteidigen, da kein Festungsgeschütz
vorhanden sei^).
^) Maek blieb trotz allen entgegengesetzten Ansichten und Tatsachen hart-
näckig bei der Meinung und Behauptung, daß Ulm haltbar gewesen sei. Die
Franzosen kamen nach der am 17. und 18. Oktober durchgeführten Rekognoszie-
rung Ulms zu dem Urteil: „Der Platz Ulm konnte somit als eine Falle für die
österreichische Armee bezeichnet werden." Das Urteil Napoleons ist in der Fuß-
note S. 496 wiedergegeben. Die österreichischen Generale führten unter anderem
auch an, daß am 15. Oktober abend eine abgeschnittene Abteilung der Mack-
Kürassiere beim Gögglinger Tor über den Wall kletterte, ein Beweis, daß Ulm
nicht als genügend geschützt angesehen werden konnte. Die Beschießung Ulms
hatte gezeigt, wie wehrlos die Stadt war. Das alles nützte nichts, Maek blieb
auch noch nach dem Kriege bei seiner Meinung, daß Ulm ein wichtiger vertei-
digungsfähiger Platz war.
So schrieb Maek am 15. November 1805 an PML. Schwarzenberg:
„Von der Verteidigungsmöglichkeit (Ulms), wenn man sich verteidigen zu
wollen die Entschlossenheit hatte, rede ich nicht, denn Sie mein verehrungs-
würdigster Fürst wissen allzu wohl, was eine feindliehe Armee, die kein Belage-
rungsgeschütz hat, und ihre Feldmunition, wenn sie bald mit einer nur zehn
Märsche entfernten Armee zu tun bekommen kann, nicht fruchtlos versehwenden
wird, auf eine Oarnison von 15.000 Mann zu unternehmen vermögend sein
könne, wenn diese einen breiten Wall und einen Wassergraben von ungeheurer
Breite und Tiefe vor sieh und nur einige wenige sehmale zugängliche Stellen zu
verteidigen hat. So hoch hatte ich, als ich meinen Entschluß der Verteidigung
eröffnete, die Garnison angenommen; die Zahl wurde widersprochen und kaum
10.000 zugestanden, während als sich leider, oh! leider etliche 20.000 fanden.
Ebenso ging es mit Artillerie und Munition. Ich behauptete, daß doch wenig-
stens 30 Kanonen mit zureichender Munition vorhanden sein müssen; man
widersprach es auch und es fanden sieh nach der Hand 51 mit 100 Kugel- und
30 Kartätschenpatronen für jede ..." (Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, XI, ßS^/o-)
In „Punktationen zu meiner Relation" sehrieb Maek:
„In jedem Sinne der Befe^tigungskunst ist Ulm das erbärmlichste Bieoque.
Aber wenn der Feind keine Belagerungsartillerie hat und vor 8 Wochen keine
beisehatfen kann ; wenn er erst Millionen (!) Faschinen machen müßte, um
einen Generalsturm zu versuchen; wenn eine Hilfsarmee von 60.000 Mann (!)
nur 12 Märsche entfernt ist; wenn er seine Feldmunition nicht fruchtlos ver-
feuern kann, um bei der — ihm drohenden Sehlacht mit der Hilfsarmee Mangel
daran zu leiden; wenn er durch seine Einschließung einen großen Teil seiner
Truppen durch Nässe, Kot und Hunger oder vergebliehe Stürme zu gründe
richten müßte, alsdann ist Ulm das fürchterlichste, unüberwindlichste
verschanzte Lager, in welchem sieh eine brave Besatzung gegen vielfache
Zahl solange halten kann, als sie ihr Leben durch Nahrungsmittel zu fristen
vermögend ist." (Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, XIII, 165.)
Die Hartnäckigkeit, mit der Maek trotz allen anderen Ansichten und Tat-
sachen an dem Glauben festhielt, Ulm sei verteidigungsfähig, wird dadurch er-
gänzt, daß er über die ihm zu Gebote stehenden Machtmittel nicht orientiert
— 475 —
Die Muiiitionsvorräte seien gering; auch fehlen die nötigen
Verpflegsvorräte.
Ulm sei größtenteils aus Holz gebaut, so daß es eine Be-
schießung nicht aushalten könne.
Die Ansicht Maeks vom Rückzuge der Franzosen sei falsch :
der Feind halte Ulm mit ganzer Macht eingeschlossen.
Ein Entsatz durch die Eussen und durch FML. Kienmaver
sei der Entfernung nach nicht vor 3 Wochen zu erwarten. Weil
aber Napoleon 70.000 Mann vor Ulm habe, könne er immer einen
Teil davon mit Bernadotte vereioigen und den Entsatz verhindern^)
^ on dem Auüenblicke der Übernahme dieser Gegenerklärung
an war Mack zur Übergabe von Ulm entschlossen, wenn er auch
für seine Person ostentativ die Ansicht aussprach, Ulm sei unbe-
dingt zu halten. Er beugte sich also scheinbar widerwillig der An-
sicht der Generale, indem er, wie seine spätere Verteidigung bewies.
die Gegenerklärung der Generale als die von ihm erwähnte „Wider-
setzlichkeit seiner Kameraden" ansah.
war. An Geschützen waren in Ulm nur 59 Feldgeschütze, und zwar 16 drei-
pfündige, 41 seehspfünclige Kanonen und 2 siebenpfündige Haubitzen. Für jedes
Geschütz waren nur 60 — 70 Schuß vorhanden. Die Infanterie hatte nur mehr
einen Teil der Tasehenmunition. Maek war weder über die Zahl der verfügbaren
Geschütze noch über die Munitionsvorräte orientiert.
An Verpflegung, über die Mack ebenfalls nicht orientiert war, waren
wohl Vorräte für 11 Tage vorhanden. Aber bei einem Bombardement war der
Ausbruch eines verheerenden Brandes und damit die Zerstörung der Vorräte un-
vermeidlich. Mack hatte gar nicht gesorgt, sieh über die Vorräte der Bewohner
zu orientieren und die Vorräte gegen Feuer zu siehern. Er schwätzte nur von
Pferdefleisch, ohne zu bedenken, daß auch das Futter fehlte, die Pferde bis zu
ihrer Verwertung am Leben zu erhalten. Er übersah, daß bei dem Mangel jeder
Ordnung und Sanitätspolizei in Ulm nach kurzer Zeit der Aufenthalt unmöglich
werden mußte.
Die Befestigungen Ulms stammten aus den Jahren 1617 — 1624. Sie
wurden in den Jahren 1797—1799 vollständig umgebaut und mit Vorwerken auf
den Höhen versehen. 18<X) wurden die Befestigungen fast vollständig geschleift;
nur die Tortüruie, die alte Stadtmauer, der Stadtgraben und das steinerne Werk
auf der Donau-Insel blieben erhalten; an einzelnen Stellen war aber auch die
Mauer umgelegt und der Graben ausgefüllt. Der Graben war stellenweise bis
40 m breit, aber trocken. Oberst Dedovich richtete die Gräben zur Bewässerung
her. (Nach GM. v. Loefi'lers ..Treff"en von Ek-hingen", Heft 11 der „Mitteilungen des
Ulmer Vereines für Kunst und Altertum".)
1) Kriegsarehiv. 1805, Deutschland FA, X, 159. Bei Angeli, S. 484, wört-
lich aufgenommen.
— 476 —
Er sandte noch am 15. den GM. Fürsten Liechtenstein mit
einem schriftlichen Kapitulationsantrage zu Ney, indem er sich er-
bot, Ulm ge,oen freien Abzug der Armee zu übergeben. Dieser An-
trag wurde von Napoleon, der die ivriegsgefangenschaft der Armee
forderte, am 16. früh kurz abgewiesen. Die Gegenforderung Napo-
leons, die Armee gefangen zu geben, wurde abgelehnt. Merkwürdig
und für den Charakter Macks bezeichnend ist, daß diese beiden
Schriftstücke, Kapitulationsantrag und Abweisung der Forderung
Napoleons, wohl von Mack selbst konzipiert aber nicht von ihm ge-
fertigt worden waren. Er überließ die Unterschrift dieser beiden
Schriftstücke den drei ältesten Feldmarschalleutnants.
Mack sandte nun am 16. den GM. Fürsten Liechtenstein zu
Napoleon, um mit diesem direkt zu verhandeln. Fürst Liechtenstein
brachte folgende Zugeständnisse: Die österreichische Armee ist
kriegsgefangen; wenn aber die Russen am 16. Oktober schon den
Lech passiert haben sollten, hat sie freien Abzug nach Osterreich.
Sollte es Mack a).)er vorziehen, so wäre Napoleon auch bereit. 3 oder
4 Divisionen durch 5 — 6 Tage unbeweglich vor Ulm stehen zu
lassen ^).
Mack antwortete in einem Schreiben an Berthier, daß er den
Platz an niemand übergeben würde als an den Kaiser selbst. Er
lade Seine Majestät daher ein, sich noch am 16. unter dem Schutze
seiner Garden nach Ulm zu begeben; er wäre glücklich, den Kaiser
in Ulm empfangen zu können und ihm die tiefgefühlten Versiehe-
rungen seiner Ergebenheit und Bewunderung erneuern zu können.
„Die Österreicher würden die Waffen für 2 Tage niederlegen,
d. h. bis übermorgen, wo sie ausziehen könnten, ihre Waffen wieder
^) Grleiehzeitig mit diesem Antrage brachte GM. Fürst Liechtenstein ein
Sehreiben Berthiers an Mack, worin es heißt: „Wenn Sie die Hoffnung hätten,
von zwei Armeen entsetzt zu werden, wie Sie es in Ihrem Brief an den Kaiser
sagen, und wenn Ulm ein haltbarer Platz wäre, dann hätten Sie nicht
die Kapitulation angeboten, den Platz gegen die Bedingung zu übergeben, daß
die Armee kriegsgefangen sei, sich aber nach Österreich begebe
ohne jedoch bis zur Auswechslung zu dienen."
Dieses Schreiben beweist, wie es auch die spätere Untersuchung dargetan
hat, daß Mack, der seinen Generalen gegenüber die Notwendigkeit betonte, Ulm
um jeden Preis zu halten, und sich den Ansehein gab, nur gezwungen davon
abzugehen, dem Feind insgeheim bessere Bedingungen anbot, als er es offiziell
durch die Generale zuließ. Er suchte somit seine Untergebenen und wohl auch
seinen Kriegsherrn durch eine falsche Hravour und Standhaftiekeit zu täuschen.
— 477 —
tibernehmen und frei wären, sieh mit der Hauptarmee zu vereinigen
und zu dienen wie vorher."
Diese Antwort befriedigte, wie lieg-reiflich, den Kaiser gar
nicht. Als fühlbares Zeichen dafür ließ er Ulm am 16. nachmittag
erneuert beschießen.
Am 16. Oktober, also zur Zeit, als er mit dem Feind über die
Kapitulation verhandelte, erließ Mack folgenden Generalbefehl :
„Vor jedem Tor müssen auf den alten Wällen alsogleich Bat-
terien eingeschnitten und soviel nur möglich Geschütz dahin ver-
schafft werden, damit man, wenn der Feind Batterien in der Nähe
errichten sollte, die vor den Toren liegenden Werke zu beschießen,
seine Arbeiten verhindern und seine Batterien schweigen machen
könne.
„Es müssen hinlängliche Pfosten zum Überlegen der Gräben von
den Außen werken in Bereitschaft gehalten werden, die Toreingänge
sind zu beiden [Seiten mit Mistwänden zu belegen, daß nur für drei
Mann Raum bleibe. In die Häuser, von welchen man die Vorwerke
beschießen kann, müssen Schußscharten eingeschnitten, diese Häuser
von den Inwohnern ausgeleeret und bloß für die Truppen bestimmt
werden. Für den Vollzug dessen haben die Herren Feldmarschall-
leutnants und ihre ihnen unterstehenden Herren Generale mit Zu-
ziehung der Ingenieuroffiziere zu haften.
„Die Truppen müssen an und hinter dem ßampart zug-, halb-
kompagnie- und kompagnieweise in den Häusern einquartiert werden.
Sie haben auf zwei Tage Brot und auf einen Tag Fleisch zu fassen
und können letzteres in den nächsten Häusern an ihren Quartieren
durch die Stadtbewohner kochen lassen.
„Die Herren Feldmarschalleutnants haben auch mehrere Offi-
ziere mit kleinen Detachements in der Stadt herumzuschicken, das
Rindvieh ohne Ausnahme allenthalben wegnehmen und auch das
Stroh, was man findet, in das Magazin zusammentragen zu lassen.
Das Vieh ist bei der Haupt wache zu sammeln und muß dem Haupt-
mann von der Wache gegen Quittung übergeben werden.
„Die Regimenter haben alsogleich durch den Weg ihrer Herren
Feldmarschalleutnants einen Frührapport, worin der ausrückende
Stand genau auszuweisen ist, einzureichen.
Auf Allerhöchsten Befehl:
Mack, FML."
— 478 —
Bei Beurteilung dieses Befehles ist zu bedenken, daß die Fran-
zosen seit dem 15. Oktober nachmittag Herren der Ulm beherrschen-
den Höhen waren, von wo aus die französischen Batterien nicht nur
die Wälle, sondern die ganze Stadt unter Feuer nehmen konnten.
Am 17. Oktober lief ein neuer Antrag des Kaisers ein. Um
die Schrecken eines Angriffes auf die Stadt zu vermeiden, wolle er
zugestehen, daß die österreichische Armee fünf Tage in Ulm bleibe,
unter der Voraussetzung, daß ein Tor des Platzes den Franzosen
übergeben werde. Wenn innerhalb dieser fünf Tage eine zum Ent-
sätze Ulms fähige Kraft eintreffe, stimme der Kaiser nicht nur dem
freien Abzüge der österreichischen Armee zu, sondern auch dem,
daß sie ihre Waffen gebrauche, um dem Vaterlande zu dienen. Trifft
innerhalb dieser fünf Tage keine Entsatzarmee ein, so ist die Armee
kriegsgefangen.
Ohne nun die Generale weiter zu befragen, ging Mack auf
diesen Antrag ein. Er forderte aber acht Tage anstatt der zugestan-
denen fünftägigen Frist.
Nach längeren Verhandlungen ging Napoleon auch auf die ge-
forderten acht Tage ein. General Graf Segur, der als Adjutant Na-
poleons die Verhandlungen mit Mack vermittelte, erzählt in seinen
Memoiren, daß Mack, als ihm die acht Tage bewilligt worden waren,
eine ganz unverständliche Freude an den Tag legte und ihm auf-
trug, dem Kaiser für seine Großmut zu danken. Mack versicherte
dem Grafen Segur, daß er viel auf seine Achtung gebe und daß er
ihm daher zeigen werde, was er geschrieben habe und wozu er ent-
schlossen war. Dabei zog Mack einen Bogen Papier hervor, auf dem
nichts stand als die Worte:
„Acht Tage oder den Tod! Mack."
Graf Segur schreibt über dieses Verhalten Macks : „Ich blieb
starr vor Staunen, als ich den Ausdruck von Glück sah, der auf
dem Gesichte Macks erglänzte. Ich war erschüttert und betroffen
von dieser kindischen Freude über ein so leeres Zugeständnis. An
welchen erbärmlichen Strohhalm glaubte dieser unglückliche General
in seinem vollständigen Schiffbruch seine verlorene Ehre, die Ehre
seiner Armee und das Heil Österreichs klammern zu können."
Die Verhandlungen dauerten den ganzen Tag. Endlich kam am
17. Oktober die Kapitulation zu stände ; deren wichtigste Artikel lauteten :
Artikel 1. Ulm wird mit der ganzen Artillerie und mit allen
Magazinen übergeben.
— 479 —
Artikel 2. Die Garnison verläßt Ulm mit allen militärischen
Ehren und legt dann die Waffen ab. Die Offiziere werden gegen
Ehrenwort entlassen, die Armee geht nach Frankreich in die Ge-
fangenschaft.
Artikel 5. Wenn bis zum 25. Oktober mitternacht österreichi-
sche oder russische Truppen die Stadt von welcher Seite immer ent-
setzen, kann die Garnison mit ihren Waffen, mit ihrer Kavallerie und
Artillerie abziehen, um sich mit den Entsatztruppen zu vereinigen.
Artikel 6. Das Stuttgarter Tor wird am 18. um 7^^ früh der
tranzösischen Armee übergeben, ebenso wie die Quartiere für eine
Brigade.
Artikel 7. Die französische Armee kann die große Donau-
Brücke benützen, um nach freiem Ermessen von einem Ufer auf das
andere zu verkehren^).
Artikel 10. Die Artikel 1 und 2 treten erst in Geltung, wenn
es der kommandierende General der österreichischen Truppen will,
unter der Bedingung, daß der 25. Oktober mitternacht nicht über-
schritten wird. Wenn sich bis zu diesem Zeitpunkt eine Armee ein-
findet, stark genug, um die Blockade aufzuheben, wird es der Armee
nach Artikel 5 freistehen, zu machen was sie will.
Ulm, am 17. Oktober 1805.
Berthier. Mack.
Am 18. um lO'' vormittag besetzte eine französische Brigade
das Stuttgarter Tor. Damit waren Ulm und die österreichische Armee
den Franzosen ausgeliefert^).
Der Kapitulationsvertrag illustriert den Charakter Macks auf das
deutlichste.
Jeder ernste, reell denkende Mann muß die Nichtigkeit dieses
Vertrages sofort erkennen. Selbst der einfältigste Mensch muß sich
darüber klar sein, daß Napoleon trotz des Vertrages alle Anstren-
gungen gemacht hätte, ein anrückendes Entsatzheer zu schlagen und
zm'ückzuwerfen, bevor es mit der eingeschlossenen Armee zusammen-
') Der Vertrag enthält bei diesem Artikel die Bemerkung des FML. Maek,
daß die Brücke abgebrannt sei und daß sieh Maek verpflichte, die rasche Wieder-
herstellung der Brücke zu betreiben.
■'') Schon während der Verhandlungen sehrieb Berthier an alle in Frank-
reich befindlichen Marschälle: „Geben Sie Ihren Truppen bekannt, daß die erste
österreichische Armee gewesen ist."
— 480 —
wirken konnte. Wäre ihm das nicht gelungen, d. h. hätte das Bnt-
satzheer die Franzosen geschlagen und wäre es vor Ulm erschienen,
dann hätte Mack keinen Vertrag, also auch nicht die Zustimmung
Napoleons gebraucht, um aus Ulm herauszutreten und seine Armee
zu verwenden wo und wie er wollte. Wenn also Mack wirklieh an
den Entsatz innerhalb 8 Tagen geglaubt hat. wäre es eine grenzen-
lose Leichtfertigkeit gewesen, den Franzosen zu gestatten, in seiner
sogenannten Festung Ulm festen Fuß zu fassen. Hat er aber an
diese 8 Tage nicht geglaubt und wollte er durch den Vertrag
nur die französische Armee durch diese Zeit vor Ulm binden, ohne
sich der Gefahr eines Sturmes auszusetzen, dann erscheint wieder
seui späteres Verhalten im grellen Widerspruch mit diesem Ziele
des Vertrages.
Die Hartnäckigkeit, mit der Mack von einem Entsatz durch die
Bussen sprach, wird noch unverständlicher^ wenn man bedenkt, daß
er weder das Truppenkommando in Tirol noch den FML. Kienraayer
und Kutusow über die Schicksale seiner Armee verständigt hatte.
Erzherzog Johann, der Kommandant in Tirol, meldete am
16. Oktoljer an den Kaiser, daß er am 12. von Reisenden Nachricht
vom Donau-Übergange der Franzosen und vom Gefechte von Wer-
tingen und von Flüchtigen die Kunde erhalten habe, daß die Fran-
zosen in Augsburg eingerückt seien. Von der deutsehen Armee habe
er bisher noch keine einzige offizielle Nachricht erhalten.
Am Inn erfuhr man erst am 17. Oktober von zwei Eeisenden
die Niederlage Macks bei Günzburg und den Rückzug der Armee
nach Ulm.
Die x^rtikel 5 und 10 des Vertrages erscheinen also nur als
gedankenloser Selbstbetrug eines oberflächlichen und optimistischen
Charakters, der schon in der wohlklingenden Zusammenstellung leerer
Worte eine Tat und einen Erfolg erblickt. Napoleon ging lächelnd
auf diesen Selbst):)etrug Macks ein ; er nützte da und auch später
die Charakterschwäche seines Gegners klug aus.
Nun erliegt im Kriegsarchiv im Faszikel 1805, Tirol FA, X,
unter der Nummer 52 ein Bericht des GM. v. Mayer an den FML.
Freiherrn v. Jellacbich, daß bei seinen Vorposten, die in der Gegend
von Isny standen, ein Gemeiner vom Eegimente Hildburghausen ein-
getroffen sei, der folgendes angab:
Er sei vom FML. Mack aus Ulm nach Landsberg (wahr-
scheinlich zu FML. Kienmayer, sagt GM. v. Mayer) gesandt worden,
— 481 —
um einen Zettel zu überbringen. Bei Landsberg sei er auf Fran-
zosen getroffen, bei denen er sieh als Deserteur meldete. Er wurde
entwaffnet, entkam aber und traf endlich die Vorposten Mayers.
Dieser Infanterist übergab dem GM. v, Mayer einen von ^laek
geschriebenen Zettel folgenden Inhalts:
„Wir sind bis zum 25. Oktober frei aus der Stadt zu ziehen,
wenn Österreicher oder ßussen vor Ulm erscheinen, es sei wo es
wolle. M."
GM. V. Mayer fügte bei, daß der ganzen Lage nach ein Ent-
satz der augenscheinlich eingeschlossenen Armee unmöglich sei.
Wie recht Mayer hatte, beweist ein Befehl des Hofkriegsrats-
präsidenten FZM. Grafen Latour an den Kommandanten des von
Araberg gegen Böhmen zurückgegangenen Detachements (Gemmingen-
Infanterie und zwei Eskadronen Hohenlohe-Dragoner). In diesem am
18. Oktober von Wien abgegangenen Befehle wird mitgeteilt, daß nach
der schon vollzogenen Vereinigung des Korps Merveldt (früher Kien-
mayer) mit den ßussen ein Angriff mit vereinter Kraft auf den
Feind zwischen Isar, Lech und Donau zu machen beschlossen worden
ist, der wahrscheinlich am 23., 24. oder 25. statthaben werde^).
Eine andere bezeichnende Tatsache ist, daß — wie früher er-
wähnt — die Armeegruppe am Inn erst am 17. Oktober durch zwei
Reisende die erste Nachricht über das Gefecht bei Günzburg und den
Rückmarsch der Armee nach Ulm erhalten hatte. Über die Ereignisse
bei Ulm vom 10. an war man am Inn gar nicht orientiert. Mack
hatte dafür nie gesorgt^).
Der Brigadier GM. Mayer war also in der Lage, die Situation
der Armee zu überblicken.
Jeder Leser möge nun mit sich selbst ins klare kommen, ob
der Armeekommandant Mack tatsächlich an die Möglichkeit eines
solchen Entsatzes glaubte und darauf hoffte oder ob er damit nur
seine Eolle des durch die Unbotmäßigkeit seiner Generale zur Über-
gabe gezwungenen Helden zu Ende spielte.
Die Situation am 17. Oktober abend ist in der Beilage 30 dar-
gestellt.
1) Kriegsarchiv, 1805, Deutsehland FA, X, 167 */»•
*) Kriegsarehiv, Hofkriegsratsakten, 1805.
Kranss. 1805, Der Feldzug von Ulm. 31
XVIII. Die Gefangennalime Wernecks und die
Verfolgung des Erzherzogs Ferdinand.
(Beilage 31.)
FML. V. Werneek war bekaantlich am 14. Oktober bei Her-
breehtingen stehen geblieben, wo er Befehle und die nachrückenden
Kolonnen erwartete.
Am 15. früh erhielt er dort den Generalbefehl Maeks vom
14. Oktober (s. S. 431), worin ihm die Verfolgung der mittleren Ko-
lonne des zurückgehenden Feindes aufgetragen wurde.
Am 15. um 10^ vormittag traf GM. Mecsery mit den Eesten
der Infanterieregimenter Erzherzog Maximilian, Auersperg und Erbach
und mit einigen Eskadronen in Herbrechtingen ein^). Von diesem
erfuhr Werneek die geänderte Aufgabe des Korps Eiesch und dessen
Niederlage bei Elchingen sowie daß durch diese Niederlage das Korps
Werneek von Ulm abgeschnitten sei.
Diese Nachrichten waren nur schwer mit dem Inhalt des Be-
fehles Macks in Übereinstimmung zu bringen, „dessen Angabe, der
Feind sei im Rückzuge nach Frankreich, das Gepräge der bestimmten
Gewißheit an sich trug". (Aus dem Berichte Wernecks.)
„Wie nun immer die Sache lag — sagt FML. v. Werneek in
seiner Relation^) — so mußte ich zum Angriff gegen Langenau und
Albeck schreiten, um den zurückgehenden Feind zu schädigen, oder,
wenn er nicht zurückging, der Armee in ülm zum Rückzug zu
helfen, umsomehr. als ich Nachricht erhielt, der Feind zeige sich
auch stark in Ellwangen und Nördlingen."
^) G-M. Meesery hatte bekanntlich die Vorhut des FML. Rieseh im Gefecht
bei Elehingen kommandiert und war samt dem gegen Leipheim dirigierten De-
taehement Oberst Biber abgedrängt worden.
2) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland PA, X, 187.
— 483 —
FML. Werneck ließ daher sein Korps am 15. um 11 •> vor-
mittag in 2 Kolonnen abrücken, und zwar eine Kolonne, 11 Bataillone.
10 Eskadronen stark, unter FML. <iraf Hohenzollern über Her-
maringen und Brenz auf Langenau, die andere, 12 Bataillone und 13 Es-
kadronen, unter FML. Graf Baillet de Latour über Hausen und
Nerenstetten auf ADteck. FML. Graf Hohenzollern sollte Langenau
nur „falsch, also mit wenig Truppen angreifen" und vor allem Albeck
im Rücken fassen. Allen Truppen wurde „vorzüglich der Gebrauch
des kalten Gewehres empfohlen, sowie nicht viel Zeit durch lang-
wieriges Plänkeln zu verlieren".
Da am 15. Oktober die Division Dupont im Marsche von Brenz
über Langenau gegen Ulm war, kam es bei Albeck zum Kampfe
mit der westlichen Kolonne Werneeks.
Als die Vorhut Duponts eben die Einmündung der Straße von
Langenau in die Chaussee Ulm, Aalen erreichte, die Queue noch in
Langenau steckte — gegen b^ nachmittag — erfolgte der Angriff
Werneeks. Dupont entwickelte seine Division in die Flanke und ließ
sein Queueregiment gegen die östliche Flanke Werneeks vorgehen.
In diesen Kampf griff auch die Dragonerdivision Klein ein,
die auf dem Marsehe nach Ulm gegen 4^ nachmittag bei Albeck
eingetroffen war.
Bei Einbruch der Nacht brach Werneck den Kampf ab und
ging nach Nerenstetten zurück. Ein Detachement unter GM. Dieners-
berg — 2 Bataillone und 2 Eskadronen — wurde nach Langenau
dirigiert.
Die Kolonne FML. Graf Hohenzollern hatte um 6^ abend
Brenz erreicht, wo sie den ]\farsch einstellte, um erst am 16. gegen
Langenau vorzugehen. Die Division Dupont nächtigte bei Albeck.
Am 16. früh erhielt FML. v. Werneck zwei Befehle : den Ge-
neralbefehl Macks aus Ulm vom 14. abend, der feststellte, daß der
Rückzug des Feindes zweifellos sei, und einen Befehl des Erzherzogs
Ferdinand aus Aalen, der Meldung verlangte, welche Befehle Wer-
neck aus Ulm erhalten habe.
P\ML. Werneck schloß aus der Anwesenheit des Erzherzogs in
Aalen darauf, daß der Rückzug des Feindes erdichtet war. Er be-
schloß deshalb und weil ihm der Marsch auf Ulm unmöglich er-
schien, den Rückzug nach Aalen zu Erzherzog Ferdinand.
Erzherzog Ferdinand war von Ulm über Geislingen, Gmünd
nach Aalen geritten, wo er am 16. Oktober um 5'' früh ankam.
31*
— 484 —
Dort fand er die Artilleriereserve unter Bedeckuno- von 5 Eskadronen
und 2 Kompagnien.
Auf die Meldung Werneeks über das Gefecht bei Albeck und
über die Unmöglichkeit, nach Ulm durchzudringen, sandte Erzherzog
Ferdinand an Werneek den Befehl, nach Öttingen zurückzugehen.
Werneck hatte indessen den Rückmarsch nach Herbrechtingen
schon am 16. vormittag angetreten und auch dem FML. Grafen
Hohenzollern Befehl gesandt, sofort nach Herbrechtingen zu mar-
schieren. Dieser Rückmarsch erfolgte nur langsam, hart bedrängt
durch französische Infanterie und Kavallerie, gegen die wiederholt
Front gemacht werden mußte. General Klein forderte Werneck zur
Übergabe auf. Werneck gab gar keine Antwort. Um 5^ nachmittag
trafen beide Kolonnen Werneeks bei Herbrechtingen zusammen. Die
westliche Kolonne hatte durch die unausgesetzt nachdrängenden
Dragoner Kleins vier Bataillone eingebüßt, und zwar zwei Batail-
lone der Nachhut und die zwei Bataillone des Detachements GM.
Dienersberg.
Werneck stellte nun seine Truppen auf den Höhen von Her-
brechtingen auf, um den nachdrängenden Feind aufzuhalten. Das
gelang auch bis in die Nacht hinein, solange nur feindliche Ka-
vallerie angegriffen hatte. Um 9^^ abend traf aber das leichte In-
fanterieregiment Duponts ein, das nach kurzem Kampfe Herbrech-
tingen nahm und dadurch einen beträchtlichen Teil der Infanterie
Werneeks abschnitt und gefangen nahm.
Werneck setzte noch in der Nacht den Rückmarsch auf Heiden-
heim fort.
Auf französischer Seite waren inzwischen alle Vorkehrungen
getroffen, um das Entweichen Werneeks zu hindern.
Schon am 15. Oktober, 3^ 30^ früh, war an General Rivaud
der Befehl ergangen, nach Donauwörth zu marschieren und bereit
zu sein, mit Hilfe der Depots den Abmarsch österreichischer Kräfte
zu hindern, die etwa über Heidenheim entwischten.
In der Nacht zum 16. Oktober, als schon die Meldung über
das Gefecht bei Albeck eingelaufen war, erhielt Murat im Haupt-
quartier von Napoleon mündlich den Befehl, sieh nach Albeck zu
begeben und das dort von Dupont gestellte österreichische Korps zu
schlagen und zu verfolgen. An Truppen wurden ihm zugewiesen :
die Division Dupont mit dem 1. Husarenregiment und die Dragoner-
division Klein, die schon bei Albeck standen, die Gardejäger zu
— 485 —
Pferd uud die zwei Karabinierregimenter der Division Nansouty,
die schon nach Albeck dirigiert worden waren.
Am 16. Oktober, 10^ 30^ vormittag, erging an General
Dumonceau der Befehl, mit der batavischen Division sofort von
Augsburg nach Donauwörth zu marschieren, wo er spätestens am
17. ankommen müsse. Eine österreichische Kolonne ist über Neren-
stetten entwischt; sie könnte nach Nördlingen marschieren.
Dumonceau habe mit Eivaud zusammen diese Kolonne anzugreifen,
wenn sie sich nach Böhmen oder Passau wenden sollte.
Murat, der sich sofort nach Erhalt des Befehles nach Aalen
begeben hatte und schon den Angriff am 16. leitete, zog auch noch
die zwei Chasseurregimenter des 5. Korps heran. (Brigade General
Fauconnet.)
Am Abend des 16. nächtigte Murat tür seine Person in
Hausen, seine vordersten Truppen (das 9. leichte Infanterieregiment)
waren in Herbrechtingen, das Gros seines Korps stand in Hürben,
Bissingen und Hausen.
Murat berichtete am 17. früh von Hausen über seinen Erfolg
an den Kaiser.
Der Kaiser antwortete noch am 17. um 2^ nachmittag:
Ihre Meldung erhalten. Beglückwünsche Sie. „Aber keine
Ruhe! Verfolgen Sie den Feind mit dem Degen in den Rippen und
schneiden Sie ihm alle Wege ab. Das 22. Ohasseurregiment soll
heute in Nördlingen angekommen, das 16. Ohasseurregiment auf
dem Marsche von Heilbronn nach Ellwangen sein ^).
„General Rivaud soll Donauwörth schon erreicht haben, die
batavische Division wird heute abend in Donauwörth eintreffen.
Ziehen Sie all das an sich und folgen Sie dem Feind überall, wo-
hin er marschiert."
Napoleon betont dann, daß er mit Ungeduld Meldungen
darüber erwarte, ob der Feind nicht auf der Etappenstraße Unheil ge-
stiftet habe. Diese Meldungen seien für ihn von der größten Wichtigkeit,
weil er danach seine Maßnahmen regeln wolle. Zum Schlüsse gibt
er Murat eine leichte Rüge: „Es scheint mir, daß Sie an dem Orte-)
hätten nächtigen sollen, wo das 9. leichte Regiment war, um bei Tages-
anbruch dem Feinde folgen zu können und ihn zu überholen."
^) Diese beiden Regimenter hatten nicht rechtzeitig den Anschluß an ihre
Korps gefunden und waren jetzt erst auf dem Marsehe zur Armee.
^) Herbreehtingen.
— 486 —
Murat dirigierte am 17. die Chasseurbrigade Fauconnet über
Bartholomä und Essingen nach Aalen, das 1. Husarenregiment über
Heidenheim nach Aalen; beide hatten die Aufgabe, das im Eüekzug
aufEllwangen vermutete österreichische Korps unausgesetzt anzugreifen
und zu stellen, damit Murat, der über Neresheim und Nördlingen vor-
gehen werde, die Zeit gewinne, sich den (Österreichern vorzulegen.
An General ßivaud sandte Murat Befehl, mit allen verfügbaren
Truppen sotort nach Nördlingen zu marschieren, die Brücke bei
Donauwörth aber besetzt zu halten. Der Kommandant von Nörd-
lingen wurde über die Situation orientiert und ihm aufgetragen,
nach Fremdingen aufzuklären. General Beaumont erhielt Befehl, mit
seiner Dragonerdivision über Giengen und Heidenheim zu folgen,
um alle zurückgebliebenen österreichischen Truppen aufzuheben ^).
Das Korps Werneck hatte inzwischen den Eüekzug die ganze
Nacht hindurch fortgesetzt und war mit der Tete um 4^ früh,
mit der Queue um lO'' vormittag bei Ober-Kochen eingetroffen ^j.
In Ober-Kochen erhielt Werneck den Befehl des Erzherzogs
Ferdinand, über Ebuat, Neresheim und Trochtel fingen nach Öttingen
zu marschieren. Das Korps, dessen Truppen schon nahezu erschöpft
waren, trat daher den Weitermarsch nach kurzer ßast an. Um 3^
nachmittag traf das Gros des Korps bei Neresheim ein, die Queue
erst um 5*". In Neresheim war für 6000 Mann Quartierkost sicher-
gestellt. Bevor aber diese zur Verteilung kommen konnte, griffen
die Franzosen um ö'^ 30^ nachmittag an. (Beilage 31.)
Die Division Klein, die an der Tete der nach Neresheim diri-
gierten Kolonne war, rückte am 17. Oktober um 9^" vormittag von
Herbrechtingen ab. Sie traf den Feind erst bei Neresheim. Beim
Anrücken der Dragoner besetzten die Österreicher die Höhen nörd-
lich des Egau-Baches, und zwar mit dem linken Flügel am Walde
bei der Kirche (Kloster) von Neresheim. mit dem rechten Flügel
au dem Graben, der von Dössingen zur Straßenbrücke westlich
Neresheim herabzieht. Den linken Flügel zwischen Kloster und Ort
^) Die Dragonei'division Beaumont, die bisher beim Korps Marmont ge-
standen war, wurde am 17. durch die Division Walther ersetzt und über Leip-
heim dirigiert, wo sie am 18. um 10 h vormittag einzuti-effen hatte. Die Division
Beaumont war nun entweder noch am 17. Murat zugewiesen worden oder sie
wurde von ihm eigenmächtig verwendet.
'^) Das Korps hatte kaum 6000 Mann. Da es 6 Stunden brauchte, um bei
Ober-Koehen versammelt zu sein, dürfte die Marschordnung bei dem Nacht-
marsehe ganz verlorengegangen sein.
— 487 —
bildete Infanterie, den rechten westlich des Ortes Kavallerie. Beim
Kloster stand eine Batterie.
Die Nähe der Nacht und die große Entfernung der Division
Dupont bewog den General Klein, mit seiner Division allein anzu-
greifen. Er wollte damit verhindern, daß der Feind unter dem
Schutze der .Nacht ungeschädigt abziehe. Die Division zählte
1800 ßeiter und 5 Kanonen. General Klein stellte vor allem drei
seiner Kanonen der österreichischen Batterie gegenüber; die zwei
anderen Kanonen postierte er aber westlich der Höhe A 560 der-
art, daß sie die österreichische Kavallerie unter Feuer nehmen
konnte, gegen die österreichische Artillerie aber gedeckt war. Zwei
Dragonerregimenter gingen nun gegen Neresheim vor; ein Eegiment
dirigierte Klein über die Brücke gegen die P'ront der österreichischen
Kavallerie, mit drei Regimentern aber ging General Klein westlich
der Brücke über die Egau und westlich des Grabens gegen Ohmen-
heim vor. Diese Bewegung veranlaßte den FML. Werneck, der einen
Kampf für zwecklos hielt, seine Aufstellung zu räumen und sich
über Ohmenheim nach Trochtelfingen zurückzuziehen. Als General
Klein die österreichische Kavallerie auf der Straße nach Ohmenheim
im Marsche sah, gab er Befehl zur Attacke, Direktion Kirche von
Ohmenheim. Die österreichische Kavallerie wurde geworfen; der
einschwenkende linke Flügel Kleins traf auf österreichische Infanterie
und schnitt sie von Ohmenheim ab. Da kurz darauf die anderen drei
Dragonerregimenter über Neresheim herankamen und so die öster-
reichische Infanterie von allen Seiten einschlössen, streckten
2000 Mann mit dem General Graf Sinzendorf die Waffen.
Der Umweg über Neresheim war somit dem' Korps Werneck
verhängnisvoll geworden. Werneck führt in seiner Relation an:
„Wenn mir Neresheim nicht ausdrücklich anbefohlen worden
wäre, so wäre ich von Ober-Kochen direkt nach Trochtelfingen
marschiert. Hier hätte ich einen Marsch gewoimen und den Feind
leicht abgehalten."
Dieses Beispiel zeigt, daß es nicht gut ist, unter allen Ver-
hältnissen zu genau zu befehlen. Ein solcher Befehl wird dem
ünterkommandanten nur zu leicht zur gefährlichen Fessel. Es war
an und für sich gleichgültig, auf welchem Wege FML. v. Werneck
nach Ottingen kam, wenn er nur überhaupt noch dahin kommen
konnte. Der Befehl des Erzherzogs hätte daher zweckmäßiger nur
den Auftrag enthalten, nach (')ttingen zu marschieren.
— 488 —
Anderseits durfte sieh Werneck durch den Befehl, über Neres-
heim zu marschieren, nicht binden lassen, falls er schon in Ober-
Kochen erkannt hatte, daß dieser Umweg sein Korps in Gefahr
brächte. Für ihn war auch nach diesem Befehl die Hauptsache, nach
Öttingen zu kommen. Er mußte daher den kürzesten noch freien
Weg dahin einschlagen. Es scheint aber, daß Werneck gedankenlos
gehorcht hat und daß der Gedanke, direkt nach Trochtelfingen zu
marschieren, ihm erst nach dem Gefechte l)ei Neresheim, also nach-
träglich gekommen ist.
General Klein, der bei der Verfolgung über Ohmenheim die
Zerrüttung des österreichischen Korps erkannt hatte, sandte einen
Parlamentär zu FML. Werneck mit der Aufforderung, die Waffen
zu strecken, da das österreichische Korps von allen Seiten um-
schlossen sei. In Begleitung eines gefangenen österreichischen
Offiziers nahm der Parlamentär zuerst den Weg gegen Nördlingen.
Sie stießen hiebei auf französische Kavalleriepatrouillen, die von
Nördlingen zur Aufklärung vorgeritten waren. Bei Trochtelfingen
trafen sie endlich Werneck, der sich die Entscheidung für den 18.
vorbehielt.
FML. V. Werneck gibt an, in der Nacht persönlich gegen
Kirchheim und Wallerstein rekognosziert und dort Franzosen ge-
troffen zu haben.
Am 18. früh entdeckte FML. v. Werneck, daß seine Kavallerie
nicht, wie ihr befohlen, bei Trochtelfingen Lager bezogen habe, son-
dern über Marktofflngen gegen Öttingen weitermarschiert war. Er
hatte somit nach seiner Angabe nur mehr 1500 Mann Infanterie
und etwa 100 Reiter zur Verfügung. Die Meldung des mit dem
Parlamentär angekommenen Offiziers über die Anwesenheit französi-
scher Kavallerie auf der Straße nach Nördlingen und das Ergebnis
seiner Rekognoszierung gegen Kirchheim machten Werneck glauben,
daß er tatsächlich allseits von französischer starker Kavallerie um-
schlossen sei. Da seine erschöpfte Infanterie ohne Unterstützung
starker Kavallerie nicht im stände war, sich der französischen Ka-
vallerie zu entziehen, entschloß sich Werneck am 18. früh zur Ka-
pitulation. Der Kapitulationsvertrag lautete ^) :
1. Das Korps de reserve unter Befehl des Herrn FML. Werneck
legt die Waffen nieder, ist kriegsgefangen und wird nach Frank-
reich geführt.
^) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, X, 185 ad.
— 489 —
2. Die Herren Offiziere sind kriegsgefangen auf Ehrenwort
und gehen nach Österreich. Sie dürfen vor geschehener Auswechs-
lung weder gegen die französische Armee noch gegen deren Al-
liierte kämpfen.
3. Die Pferde der Kavallerie, die Kanonen mit allem Zugehör
und die Munition werden der französischen Armee überliefert.
4. Alle Regimenter, Bataillone, Eskadronen und Detacliements,
welche von dem Armeekorps des Herrn FML. Werneck getrennt
sind, legen die Waffen nieder und werden kriegsgefangen. Die
Artikel 2, 3 und 5 sind auch für sie gültig.
5. Alle Pferde und Equipagen, welche den Offizieren gehören,
bleiben deren Eigentum^).
6. Alle französischen Kriegsgefangenen, die sich zu Trochtel-
fingen oder an anderen von den Truppen des Armeekorps des
FML. Werneck besetzten Orten befinden, werden sogleich zurück-
gegeben.
Trochtelfingen, am 18. Oktober 1805.
Beillard. Werneck, FML.
Der Artikel 4 des Vertrages sollte dem FML. v. Werneck böse
Früchte tragen. Als Murat den Abzug der österreichischen Ka-
vallerie erfuhr, wollte er den ganzen Vertrag nicht eher anerkennen,
bevor nicht die Kavallerie sich dem Vertrag unterworfen habe. Er
forderte daher von FML. Werneck, daß er an den FML. Grafen
Hohenzollern Befehl sende, sich der Kapitulation zu unterwerfen und
sich daher zu ergeben. FML. v. Werneck tat dies wirklich.
FML. Graf Hohenzollern beantwortete diesen merkwürdigen Befehl
noch am 18. folgend:
„Ich kann meine Überraschung ül»er die Aufforderung, mich
mit der Kavallerie, die bei Ihrem Korps war, zu ergeben, nicht
verbergen. Als ich Sie verließ, hatten Sie in meiner Gegenwart jede
Kapitulation abgelehnt. Ich versuchte die Kavallerie zu retten, es
gelang. Ich begreife nicht, mit welchem Rechte ich kriegsgefangen
sein sollte, da ich bei Ihren Verhandlungen nicht anwesend war
und mich nie denselben unterworfen habe. Jetzt, seit gestern, bin
ich von Ihnen getrennt und es kommt mir nicht mehr zu, Ihre Be-
fehle zu befolgen. Ich erhalte sie von Seiner königlichen Hoheit,
unserem Armeekommandanten."
^) Neben diesem Punkte steht im Original von Werneeks Hand beigefügt:
S'entend ce qui fait parti du eorps d'armee.
— 490 —
Man weiß nicht, üljer welchen der beiden Generale man sich
mehr wundern soll, über HohenzoUern, der einfach bei Nacht mit
der Kavallerie davonreitet und seinen die Kapitulation ablehnenden
Korpskommandanten und die Infanterie im Stiche läßt, um sich zu
retten, oder über Werneck, der persönlicher Vorteile willen auch
Teile seines Korps in die Kapitulation einbezieht, die sich noch da-
vor retten konnten.
FML. V. Werneck hat später auch das Sonderbare seines Ver-
haltens gefühlt, denn er rechtfertigte in seinen Berichten den Ar-
tikel 4 des Vertrages damit, daß er gute Kapitulationsbedingungen
erhalten und das Schicksal der gefangenen Offiziere erleichtern
wollte! Die Absendung der Befehle an abgetrennte Teile, sich zu
ergeben, rechtfertigte er damit, daß niemand den Befehl eines
kriegsgefangenen Generals zu befolgen brauchte ^).
Am 18. Oktober kapitulierten noch mehrere abgetrennte
Teile des Korps Werneck und der größte Teil der Artilleriereserve
bei Kirch heim und Wallersteiu, wo sich ihnen General ßivaud mit
Truppen aus Donauwörth und Nördlingen vorgelegt hatte.
Nur Erzherzog Ferdinand erreichte mit seiner Kavallerie,
mit der des FML. Grafen HohenzoUern und mit einigen versprengten
Infanteriealjteilungen des Korps Werneck am 18. Oktober ()ttingen.
Der Erzherzog hatte anfangs die Absicht, durch salzburgisches
Gebiet über Pappenheim gegen ßegensburg abzuziehen. Auf die
Nachricht aber, daß Franzosen bei Neuburg über die Donau ge-
gangen seien, entschloß er sich zur Durehquerung des preußischen
Gebietes von Ansbach.
') Diese Eeehtfertigung ist natürlieli vollkommen haltlos. Tatsächlich haben
mehrere kleine Detaehements den Befehl des FML. Werneck befolgt und die
Waffen gestreckt; überdies behaupteten die Franzosen, hintergangen worden zu
sein und bedrohten alle früher beim Korps Werneck gestandenen „wortbrüchi-
gen" Offiziere mit der vollen Strenge des Kriegsgebrauehes.
Auch das Verhalten Wernecks gegen die Franzosen ist nicht einwandfrei.
Es ist ja ein großes Unglück, einen solchen Vertrag absehließen zu müssen ; aber
selbst der beste General kann im Kriege dieses Unglück haben. Welche Bedin-
gungen man nun, gezwungen oder freiwillig, in den Vertrag aufnimmt, man halte
sie ehrlieh und treu auch dem Feinde. Nimmt man in einen solchen Vertrag
Bedingungen auf, die man selbst nicht erfüllen kann und von denen man hofft,
daß andere sie nicht halten werden, dann ist man hinterhältig; geschieht dies
aber gar aus Eigennutz, um selbst Vorteil daraus zu ziehen, dann darf man
auch vom Feinde weder Achtuns: noch Treue erwarten.
— 491 —
Murat hatte inzwischen — am 18. früh — ein Sehreiben
Napoleons erhalten: Ich erwarte mit Ungeduld Meldun«- aus Heiden-
heim, ob meine Verbindung frei ist und ob mein Park, meine Kasse
in Heilbroim und meine Kavalleriedepots in Sicherheit sind. „Mar-
schieren Sie doch vorwärts!"
Diesem Drängen gegenüber gab es keine Rast. Murat setzte
überdies alles daran, des Erzherzogs habhaft zu werden, den er
mit etwa 20.000 Mann im Rückzug über Ellwangen und Ansbach
vermutete. Er ordnete daher für den 18. Oktober den Vormarsch
auf Nördliugen an. Die Kapitulation Wernecks und der Detache-
ments bei Kirchheim und Wallerstein hielt ihn aber auf und hinderte
ihn, am 18. über Wallerstein vorzugehen.
Um ll*" nacht erfuhr Murat. daß der Erzherzog in Öttingen
sei. Er befahl daher für den 19.. 1^ früh, den Vormarsch s<Mner
Hauptkraft über (»ttingen und Gunzenhausen. Die Chasseurregiraenter
Nr. 16 und 22 sollten weiter links von Ellwangen über Dinkels-
bühl und Ansbach nach Nürnberg vorstoßen. Die Generale Rivaud
und Dumonceau sandte er mit ihren Truppen nach Pappenheim und
Dietfurt, um den Österreichern den Weg an die Donau zu verlegen.
Dorthin dirigierte er auch die Division Oudinot. die ihm vom
Kaiser. zugewiesen worden war^). Dagegen betahl er den Dragoner-
divisionen Bourcier und Beaumont, die zu weit rückwärts waren
und deren er nicht mehr bedurfte, zu halten und die Befehle des
Kaisers einzuholen.
Erzherzog Ferdinand war am 19. Oktober früh morgens von
Öttingen abmarschiert^). Bei Gunzenhausen sollte gerastet werden. Doch
^) Der Befehl des Kaisers hiezu lautete:
Elehingen, am 18. Oktober, Ih früh. Marsehall Lannes hat sieh so-
fort nach Heidenheiin zu begeben. Heute abend muß er mit der Grenadierdivision
und den Kürassieren Nansoutys dort sein; von da begibt er sieh nach Aalen, um
den Feind zu verfolgen. Erzherzog Ferdinand ist mit 20.000 Mann aus Ulm ent-
kommen: sein Marsch wird aber durch einen Artilleriepark von 500 Wagen
verzögert . . .
^) Die Marschordnung war:
,, . r- ._,,,, f Aufbruch
MaeK-Kui;i"ii re, i hskadronen < rj^ r ...
Artilleriereserve und Bagase ) Aufbruch
l 5h 301 früh.
Brigade Dienersberg: >
Albert-Kürassiere, 7 Eskadronen I Aufbruch
Hohenzollern-Kürassiere, 2 Eskadronen , -j^ r ■■.
Blankenstein-Husaren, 2 Eskadronen mit dem Reste der Palatinal-
husaren I
(Fortsetzung der Fußnote 8iehe S. 492.)
— 492 •—
bald erschien die Dragonerdivision Klein an der Altmühlbrücke, deren
Abbrucli die Preußen verweigert hatten. Während der Verhandlungen
der Preußen mit General Klein setzten die Österreicher den Marsch
nach Schwabach fort, wo die Infanterie erst am 20. früh eintraf.
Die Division Klein folgte bis Ober-Erlbach.
Am 20. setzten die Österreicher den Rückmarsch über Nürn-
berg nach Eschenaii fort. Kaum hatten die Österreicher Nürnberg
passiert, als ihre Queue von der Vorhut des Generals Klein
(1. Husarenregiment und Gardejäger) ereilt wurde. Klein ließ sofort
attackieren, nahm 500 Mann gefangen und warf sich dann auf
den Artillerietrain. Nach dem Eintreffen der Dragonerdivision und
der Karabiniers ging Klein gegen das bei Eschenau stehende Gros
der Österreicher vor. Obwohl diese sechs Geschütze ins Feuer
brachten, wurden sie geworfen und die Geschütze genommen. In
diesen Kämpfen wurde der Rest der österreichischen Infanterie, die
von dem ununterbrochenen Marsche bei strömendem Regen gänz-
lich erschöpft war, zersprengt und gefangengenommen. Klein er-
beutete an diesem Tage 1500 Gefangene und 33 Geschütze. Die
österreichische Kavallerie setzte den Rückmarsch noch in der Nacht
über Gräfenberg bis Pegnitz fort.
Am 21. Oktober versuchte die leichte Kavallerie Murats, die
Verfolgung der österreichischen Kavallerie fortzusetzen, gal» sie
aber bald als aussichtslos auf
Die Trümmer der österreichischen Kavallerie, in 11 seh wache
Eskadronen mit etwa 1000 Reitern formiert, erreichten am 22. Ok-
tober Eger^).
Brigade Eohan: 1
von Eeuß-Greitz-, Stuart- und Kaunitz-Infanterie je eine Division \ tu \
Erzherzog Max, 1 Bataillon .• . ) vJ. ^-H?^^
Eeuß-Plauen, 1 Bataillon <" nun.
Spork, 1 Bataillon und 1 Division |
Brigade Lederer: i
Latour-Glievauxlegers, 5 Eskadronen l Aufbruch ,
Klenau-Clievauxlegei's,- 4 Eskadronen | 8t früh.
SeHvyarzenberg-Ulanen, 1 Eskadron '
Die Stärke der Truppen des Erzherzogs vyar daher: 3 Bataillone, 4 Di-
visionen, 28 Eskadronen.
(Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, X, 166V2- Marschzettel für den
19. Oktober. Öttingen, am 18. Oktober 1805.)
1) Bis 24. Oktober erhöhte sich der Stand der Kavallerie durch Nach-
zügler auf 2467 Mann und 2297 Pferde, wovon aber 575 Mann und 503 Pferde
vollkommen undienstbar waren.
Von der Artilleriereserve gelangten 118 Mann und 84 Pferde nach Eger.
Sie hatte auf dem ßückzuse 2031 Mann und 2010 Pferde verloren.
— 493 —
Mural, dessen Truppen von den Anstrengungen des Marsches
ganz erschöpft waren, gab die weitere Verfolgung auf. Die Dragoner-
division hatte vorn 16. bis 20. Oktober abend von Albeck über
Heidenheim, Nördlingen, Nürnberg nach Esehenau über 170 hm,
also 34 hm täglich zurückgelegt; die Infanteriedivision Dupont. die
am 20. Nürnberg erreichte, hinterlegte in derselben Zeit von Albeck
bis Nürnberg ca. 145 Am, also nahezu 30 /fm täglich auf stark durch-
weichten Straßen und bei st)-ömendem Regen.
Murat konnte dem Kaiser am 22. Oktober melden, daß
12.000 Gefangene — darunter 9 Generale — 120 Kanonen, über
500 Munitions- und Bagagewagen und 11 Fahnen erbeutet und
über 800 französische Gefangene befreit worden waren.
Die Verfolgung Murats kann als Beispiel dafür angesehen
werden, was eine zum Fußgefechte gut ausgebildete Kavallerie in
der Verfolgung leisten kann. Von Heibrechtingen an kam die fran-
zösische Infanterie in der Verfolgung gar nicht mehr zur Tätigkeit.
Die Dragoner vertraten ihre Stelle, wo es nötig war — wie bei
Neresheira und Esehenau — auch zum Feuergefecht zu greifen.
Allerdings braucht die Kavallerie, um zum Angriff befähigt zu
sein, auch der blanken Watfe, des Bajonetts, denn nur im Bajonett
kommt die Fähigkeit zum Nahkampfe und damit der Gedanke und
der Ansporn zum entscheidenden Kampf zum Ausdrucke. Da der
Säbel zum Nahkampf zu Fuß unbrauchbar ist, wäre es vielleicht
zweckmäßig, an den Gewehren der Kavallerie eine ganz kurze und
leichte, festsitzende Bajonettklinge anzubringen. Diese kleine Klinge
wird die Kavallerie moralisch zum Sturm befähigen und ihr daher
die Kraft geben, besetzte Örtlichkeiten zu nehmen, was in der Ver-
folgung oft von entscheidender Bedeutung sein kann.
Sobald Murat den Entschluß gefaßt hatte, die Verfolgung ein-
zustellen, dirigierte er alle ihm unterstellten Truppen, also die Gre-
nadierdivision Oudinot, die batavische Division, den General Eivaud
und die ganze Kavallerie nach Ingolstadt, wohin er sich die Be-
fehle des Kaisers erbat.
Am 25. Oktober änderte das Korps Murat seine Direktion und
marschierte nach Neustadt a. d. Donau.
XIX. Die Übergabe von Ulm.
Trotz den Ivapitulationsverhandlungen hatte Napoleon nichts
unterlassen, um die Einschließung von Ulm zu vervollständigen und
zu sichern.
Auf dem nördlichen Ufer umschlossen vier Divisionen der Korps
Ney und Lannes die Stadt. Eine Dragonerbrigade der Division
Bourcier wurde am 17. nach Geislingen gesandt, um die Verbindung
mit Stuttgart herzustellen, da einige Nachrichten angaben, daß
österreichische Truppen gegen Westen abgezogen waren ^).
Auf dem südlichen Donau-Ufer wurde die Einschließung durch
die Dragonerdivision Walther vervollständigt. Soult erhielt den Be-
fehl, am 18. nach Landsberg abzumarschieren, um dort bereit zu
sein, sich gegen die Bussen zu wenden.
Am 18. Oktober erhielt Ney den Auftrag, ein Kavallerieregiment
nach Blaubeuren, Marmont ein Kavalleriedetachement nach Eiedlingen
zu senden und bis Biberach aufzuklären. Die Division Suchet sollte
am 19. nach Günzburg, die Garde am 18. nach Augsburg abmar-
schieren.
Am 18. Oktober trafen zwei Meldungen von Davout und Ber-
nadotte ein. Davout meldete : Füssen ist von 4 Bataillonen und 500
Eeitern besetzt. In der Gegend von Füssen sollen 5000 — 6000 Mann
stehen. Der Feind Ijewacht alle Eingänge nach Tirol. Am 15. Ok-
tober waren erst 15.000 Bussen zwischen Öttino- und Mühldorf
^) „ . . . son objet est d'ouvrir nos Communications avee Stuttgart." Der
Befehl enthält weiter den Auftrag, mit Hilfe des französischen Gesandten in
Stuttgart Lebensmittel und Wagen aufzutreiben und sie zu den Zernierungstruppen
nach Ulm zu senden. Der Befehl sehließt mit deio Satze: „Nicht eine Minute
darf verloren werden, da nichts wichtiger und nichts dringender ist als die Er-
füllung dieses Auftrages."
— 495 —
versammelt. Die anderen Kolonnen werden in einigen Tagen er-
wartet.
Die Meldung- Bernadottes lautete : Es ist sicher, daß sich der
Feind zwischen Mühldorf und Neu-Ötting konzentriert, einschließ-
lich der Russen 35.000 Mann stark. Man erwartet von Tag zu Tag
den Rest der ersten russischen Armee. Sie soll am 18. Oktober ganz
vereinigt sein. Man schätzt sie auf 50.000 .Mann, aber nach allen
Angaben, die ich habe, dürfte sie nicht stärker als 35.000 .Mann
sein. Sie ist in schlechtem Stand und ohne Kavallerie und Artillerie.
General Kutusow kommandiert alle Truppen am Inn ; auch Kien-
mayer ist ihm unterstellt. Man zeigt die nahe Ankunft einer zweiten
russischen Armee von 40.000 Mann an, die jetzt zwischen Wien
und Wels sein soll. Die Zahl ist jedenfalls übertrieben, auch dürfte
diese Armee kaum vor 3 Wochen ankommen.
General Bertrand hatte Befehl, die Donau-Brücke in Ulm wieder-
herzustellen. Er meldete, daß die Brücke ))is 19. mittag fertig sein
dürfte. Bertrand meldete ferner, daß in Ulm etwa 200 verwundete
Franzosen und 6000—8000 verwundete Österreicher lägen und daß
die österreichische Armee schon auf eine Viertelportion gesetzt
worden sei. General Mack versichere, daß er 12.000 Mann Infanterie,
3000 Eeiter und 50 Kanonen in Ulm habe. Es ist nötig, mehr Ord-
nung in der Stadt zu halten.
General Mack ist tief ergriffen, aber hauptsächlich über die
Kapitulation Ulms, zu der er, wie er sagt, von den anderen über-
redet, ja fast gezwungen worden ist. Dagegen scheint er durch den
so plötzlichen und fast vollständigen Untergang seiner Armee wenig
erschüttert worden zu sein.
So schildert General Bertrand den Eindruck, den er von Mack
erhalten hatte.
Zur Zeit, als Napoleon alle Anstalten traf, um jeden Entsatz
von Ulm zu verhindern, und während er schon anfing, seine Kräfte
gegen die Bussen in Bewegung zu setzen, war Mack in Ulm nur
darauf bedacht, die Schuld an der Übergabe Ulms anderen zuzu-
schieben.
Am 19. Oktober forderte Mack den FML. Grafen Gjulai auf,
ein Dokument, an dem er noch in Gegenwart Gyulais schrieb, durch
seine Unterschrift zu bestätigen und auch andere Generale zur Unter-
schrift zu veranlassen.
— 496 —
Diese Schrift lautete:
„Ulm, am 17. Oktober 1805.
„Nach meiner Überzeugung sollte keine andere Bedingung als
der freie Abzug, ohne gefangen zu sein, gehört oder alle Unter-
handlung abgebrochen werden. Mack, FML."
Mack wollte also noch 2 Tage nach dem Abschlüsse der Ka-
pitulation, die er allein gefertigt und deren Verhandlung er ohne
Zuziehung anderer Generale mit großem Eifer betrieben hatte, die
Ansicht aufrecht erhalten, daß er persönlich gegen die Preisgabe der
Armee gewesen war. Die Generale sollten durch ihre Unterschrift
bestätigen, daß sie Mack zur Preisgabe dieser Ansicht und zum Ab-
schlüsse der ungünstigen Kapitulation gezwungen hätten. Wie be-
greiflich, wurde dieser Zumutung nicht entsprochen.
Am 19. Oktober nachmittag begab sich Mack nach Elchingen,
wo ihn Napoleon empfing. Über die Verhandlungen des Kaisers mit
Mack liegen keine verläßlichen Aufzeichnungen vor^).
Mack selbst gab später an, daß er erst vom Kaiser sichere
Nachrichten über die hoifnungslose Lage Ulms erhalten habe^). Er
habe in dieser Unterredung erst die Überzeugung gewonnen, daß es
zwecklos wäre, Ulm länger zu halten; er erkannte aber aus den
Äußerungen Napoleons, daß die österreichisch-russische Armee am
Inn in großer Gefahr schwebe, wenn sie etwa ohne Kenntnis der
^) Nach Angabe Maeks (Kriegsarehiv, 1805, Deutsehhmd PA, X, 246) hat
ihn Napoleon mit den Worten empfangen :
Wie konnten Sie sieh dazu verrennen, sieh in einem so elenden Platz wie
Ulm verteidigen zu wollen, der nicht einmal den Namen Festung verdient?
Maek antwortete, daß die Kapitulation nicht seiner Überzeugung entspringe,
sondern durch die Verhältnisse ihm aufgezwungen woiden sei. Ohne diese würde
er sich wohl halten bis zur Ankunft der russischen Armee. (Maek soll auch dem
Kaiser gegenüber auf das Pferdefleisch gepocht haben.)
Napoleon erwiderte: Aber noch einmal, das ist gar keine Festung und
Sie wollten sich darin gegen meine Armee verteidigen?
Maek: Und ich hätte mich da verteidigt, weil diese im Sinne der Be-
lestigung elende Festung ein sehr starkes verschanztes Lager ist, eingeschlossen
mit breiten und tiefen Wassergräben, die selbst eine zehnmal überlegene Armee
ohne Belagerun gsartillei'ie nicht übersehreiten kann.
^) Vergleiche damit die Gegenerklärung der Generale Macks vom 15. Ok-
tober und deren Begründung. Daß Mack sich dieser Ansieht schrotf verschlossen
hatte, war eben seine Sache.
— 497 —
Verhältnisse in Bayern eindringen sollte. Als der Kaiser Maek noch
den Antrag stellte, ihn mit einer besonderen Mission zu Kaiser Franz
zu senden, war Maek rasch entschlossen : Er mußte vor allem bal-
digst nach Wien abreisen können, um die österreichisch-russische
Armee vor dem Verderben zu retten und seine wertvollen Dienste
dem Kaiser zu erhalten. Dieser Mann, dessen Eigendünkel selbst
durch das größte Unglück nicht zerstört werden konnte, hielt seine
Person eben für wertvoller, als die in Ulm eingeschlossenen Arraee-
reste: er hatte die Stirne, mit neuen Ratschlägen vor seinen gütigen
Monarchen zu treten; er fürchtete nicht die Frage: Wo haben Sie
meine Armee? Brachte er doch sieh selbst zurück, den Mann, der
allein eine Armee von 100.000 Mann wert war!
Das Resultat der Unterredung Napoleons mit Maek war ein
Übereinkommen zwischen Berthier und Maek. das folgenden Wort-
laut hat:
,,Marschall Berthier gibt als Bevollmächtigter des Kaisers sein
Ehrenwort :
„1. Daß die österreichische Armee heute jenseits des Inn ist
und daß Marschall Bernadotte mit seiner Armee zwischen München
und dem Inn steht.
„2. Daß Marschall Lannes mit seinem Korps den Erzherzog
Ferdinand verfolgt und gestern in Aalen war.
„3. Daß Prinz Murat mit seinem Korps gestern in Nördlingen
war, daß die Generale Werneck, Hohenzollern, Baillet und sieben andere
Generale mit ihren Korps bei Trochtelfingen kapituliert haben.
„4. Daß ^larschall Soult zwischen Ulm und Bregenz steht und
die Wege von Tirol überwacht ; daß es daher auch von dort keine
Möglichkeit gibt, Ulm zu helfen.
„Der Generalquartiermeister FML. Maek ist. diesen Erklärungen
Glauben schenkend, bereit, im Laufe des morgigen Tages Ulm zu
räumen, gegen die Bedingung:
„Daß das ganze Korps des Marschalls Ney, zusammengesetzt
aus 12 Infanterie- und 4 Kavallerieregimentern, Ulm und dessen
Umkreis von 10 Meilen bis zum 25. Oktober mitternacht, zu welchem
Termin die Kapitulation abläuft, nicht verlasse.
„Infolgedessen wird morgen um 3^ nachmittag die österreichi-
sche Armee vor Seiner Majestät dem Kaiser mit allen militärischen
Ehren defilieren ; sie wird die Waffen niederlegen und die Offiziere,
KrauBs. 180,5, Der Feldzug von Ulm. 32
— 498 —
die ihre Waffen behalten, werden die Befehle erhalten, um sich auf
den beiden Wegen über Kempten und üiier Bregenz durch Tirol
nach Österreich zu begeben.
„In zwei Exemplaren zu Elchingen, den 19. Oktober 1805.
Marschall Berthier. FML. Mack."
Zweifellos hat hier der Menschenkenner Napoleon ein diplo-
matisches Meisterwerk geleistet. Wie richtig er den Charakter Macks
erkannt hatte, läßt schon das nach kurzer Begegnung im Jahre 1800
gefällte Urteil erkennen (s. S. 168). Napoleon scheint nun, den Cha-
rakter ]\lacks ausnützend, diesen dazu gebracht zu haben, daß er
gegen die Erlaubnis, sofort nach Wien abreisen zu dürfen, Ulm und die
Armee unverzüglich dem Kaiser Napoleon auslieferte. Es macht sogar
den Eindruck, daß Napoleon es absichtlich unterlassen hat, Mack durch
Ehrenwort zu binden, in diesem Kriege nicht mehr gegen die Fran-
zosen zu dienen. Vielleicht hatte die besondere ]\Iission Blacks an
den Kaiser Franz nur den Zweck, Mack der österreichisch-russi-
schen Armee zum Nutzen Napoleons zu erhalten.
Als ^laek dieses neue Übereinkommen den Generalen mitteilte,
brach deren Entrüstung laut hervor. FML. Graf Eiesch protestierte
im Namen des Kaisers gegen dieses A'orgehen Macks: bei den fol-
genden erregten Erörterungen soll es nach den Ergebnissen der
Untersuchung fast zu Tätlichkeiten zwischen den FML. Mack, Eiesch
und Laudon gekommen sein. Mack berief sich aber schließlich auf
seine unumschränkte Vollmacht und daß er allein für alles, also auch
für die vorzeitige Übergabe Ulms verantwortlich sei. Da die Generale
außer stände waren, sich der Übergabe mit Gewalt zu widersetzen,
mußten sie sich in das Unvermeidliche fügen.
Am 20. Oktober streckte die Armee die Waffen.
Die französischen Korps der Einschließungsarmee hatten sieh
hiezu auf dem Michelsberge aufgestellt. Zwischen ihnen hindurch
defilierte die ganze österreichische Armee von 2^ nachmittag an
mit klingendem Spiele vor dem Kaiser Napoleon. Nach der Defilierung
hatten die Truppenkörper auf bestimmten Plätzen die Waffen abzu-
legen, die Kavallerie und Artillerie auch ihre Pferde abzugeben. Die
entwaffneten Truppen kehrten nach Ulm zurück. 51 Bataillone und
1874 Eskadronen streckten so die Waffen.
Über die Stärke dieser Truppen differieren die Angaben, Die
österreichischen, allerdings nicht zuverlässigen Angaben sprechen
— 499 —
von 23.000 ]\Jann und 59 Kanonen, die Franzosen dagegen gaben
in ihrem Bulletin vom 21. Oktober die Stärke der in Ulm gefangenen
Armee mit 83.000 Mann, 3000 Verwundeten und mit 65 Geschützen
an. Nach einer regimenterweisen Aufstellung (Alorabert et Colin,
m, S. 864) wurden in Ulm 18 Generale, 912 Offiziere und 24.435
Mann gefangengenommen, 60 Kanonen und 40 Fahnen erbeutet^).
^) Truppeneinteilung der Besatzung von Ulm.
Korps ßieseli :
Ulm, am 18. Oktober.
FML. Laudon .
GM. Genedegg
GM. Auersperg
GM. Ulm . . .
GM. Fresnel
Kiese 4 Bataillone
Erzherzog Ludwig .... 2. ,i
Froon 4 „
Erzherzog Karl 2_ „
Auersperg 4 „
Erzherzog Karl-Grenadiere 1 Bataillon
Proon-Grenadiere .... 1 „
Auersperg-Grenadiere . .
Josef CoUoredo-Grenadiere
Manfredini-Grenadiere . .
Hildbui'ghausen -Grenadiere
Kolowrat-Grenadiere . . .
Frelieh-Grenadiere ....
Kaiser-Grenadiere ....
Erzherzog Franz-Kürassiere
Hohenzollern-Kürassiere .
Blankenstein-Husaren . .
1
1
1
1
1
1
1
6 Eskadronen
n
^/^ Eskadron
Korps Klenau:
GM. Stieker .
GM. Fürst
Liechtenstein
26 Bataillone, 8'/4 Eskadronen
Kolowrat 4 Bataillone
Manfredini 4_ „
Hildburghausen 4 „
Kaiser ^ „
Erzherzog Rainer .... 4 „
Frelieh 4 „
Tiroler Jäger 1. Bataillon
Maek-Kürassiere 1 Eskadron
Hohenlohe-Dragoner ... 2 Eskadronen
Sehwarzenberg-Ülanen . . 7 „
^t
o
25 Bataillone, 10 Eskadronen
Alle Generale und Regimentskommandanten haben sieh morgen um 9^
vormittag bei FML. Maek einzufinden.
Gottesheim, FML.
Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, X, 166.
Nach dieser Truppeneinteilung bestand also die Armee noch aus 51 Ba-
taillonen und I8V4 Eskadronen.
32*
z
%'
^.
S
t>
71/
— 500 —
Die Franzosen hatten alles vom 19. abend an derart vorbereitet,
daß schon am 21. Oktober der erste Transport Gefangener nach
Stuttgart abging. Die anderen Transporte folgten am 22. und 23.
Oktober. Die erste Staffel der Offiziere ging am 21. Oktober nach
Kempten ab.
An dem Tage, an dem die Armee die Waffen streckte und ihre
Geschütze und Ehrenzeichen unter den Augen Macks dem Feinde
ausliefern mußte, schrieb der Urheber all dieser Schmach einen Be-
richt an seinen Kriegsherrn, aus dem der ganze unselige Charakter
dieses Mannes spricht. Der Bericht lautet:
„Alleruntertänigster Bericht.
„Die schrecklichste Nachricht, die Euer Majestät jemals traf,
bin ich Unglücklicher in dem traurigen Fall, AUerhöchstdenenselben
geben zu müssen, dieser nämhch, daß Eurer Majestät Armee in
Deutschland, die zwei Korps von Kienmayer und Jellachich ausge-
nommen, beinahe ganz aufgerieben und in die Hände des Feindes
gefallen ist. Es mögen, vom Erzherzog und mir angefangen, Fehler
vorgefallen sein, durch welche das Unglück vergrößert wurde; aber
immer hätte es beinahe unvermeidlich so kommen müssen, weil in
jeder Stellung, die wir gehabt hätten, die fast doppelte französische
Zahl uns ein ähnliches Schicksal zuzubereiten das leichteste Spiel
gehabt hätte. Wären wir auch bis am Inn rückwärts gestanden, so
würden wir, da seine Große Armee schon vor langer Zeit ihre Ver-
einigung mit seiner Bernadotteschen erreicht hatte, längstens gegen
Wien zurückgeworfen, die Tiroler Pässe wären genommen und die
Italienische Armee zum Eückzuge gezwungen worden. Es ist nunmehr
erwiesen, daß der französische Kaiser alles und alles, was er von
seiner Kriegsmacht nur mobil machen konnte, in Deutschland auf-
gehäuft und nach Italien gar nichts an Verstärkungen abgeschickt,
sondern nur was schon dort war, dortgelassen hat. Selbst die Truppen
von Brest ziehen unter dem General Augereau nunmehr durch die
Schweiz, mithin gegen Tirol. Er hat hier in Deutsehland sechs Corps
d'armee, wovon das schwächste von 28 Bataillonen ist; zwar sind
sie nur von 600 Mann, aber die 170 Bataillone, die sie ausmachen,
betragen 102.000 Mann. Beinahe seine ganze Kavallerie ist hier; in
Italien nur 10 Eegimenter, mithin etwa 30 unserer Eskadronen,
während als er deren in Deutschland wenigstens 120 hat, die man
auf 16.000 anschlagen muß. Wenn man dazu seine 6000 Garden und
— 501 —
15.000 Bayern rechnet, so beträgt die ganze Zahl 140.000, mithin
beinahe das Doppelte der ünsn'oen, während als wir in Italii*n bei
weitem eine doppelte Zahl der Franzosen haben.
,.Das Unglück ist groß, denn es ist nunmehr unvermeidlich, daß
nicht ein Teil der Staaten Eurer Majestät dem Feinde preisgegeben
werden müsse, aber keineswegs ist es irreparabel, keineswegs der
Fall auf irgend andere Bedingnisse als die mäßigsten, welche vorhin
schon angenommen waren, Frieden zu machen. Nur muß von
diesem Augenblicke nichts mehr exponiert, die russische
Armee muß freiwillig nach und nach allenfalls bis Wien zurück-
gezogen, die zweite russische Armee muß gegen Prag dirigiert, liei
beiden Hauptstädten und vielleicht auch vorwärts Budweis unverweilt
verschanzte Lager angelegt werden. Von der italienischen Armee
muß wenigstens ein Drittel der Infanterie nach Tirol und in die
Salzburger Pässe geworfen und wenn der Feind die Etseh passierte,
müssen 20 Bataillone nach Venedig disponiert, die ganze übrige In-
fanterie und die Kavallerie gegen Graz, und, wenn es nötig wäre,
bis an die ungarische Grenze zurückgezogen werden, um die un-
garische Insurrektion an sich zu ziehen, die Euer Majestät ohne
Zweifel bei diesen Umständen bereits anbefohlen haben, sowie die
Bewaffnung und Marschfertigkeit der Grenzer.
„So unaussprechlich unglücklich ich war, so wage ich
dennoch Euer Majestät noch Rat zu geben, weil nieman d vor-
handen sein dürfte, der so wie ich von den Umständen
unterrichtet ist. Ich habe gestern eine höchst merkwürdige Unter-
redung mit dem Kaiser von Frankreich gehabt. Er hat mich auto-
risiert, alsobald abzureisen, um Eurer Majestät seinen Wunsch nach
Frieden zu eröffnen. Er wollte anfäuglich. daß Euer Majestät allein
mit ihm unterhandeln sollten, gab aber auf die bestimmten Er-
klärungen, die ich ihm machte, daß es Eure Majestät nicht könnten,
nicht wollten und keineswegs dazu gezwungen wären, bald nach und
will es gemeinschaftlich mit Rußland. Ich sagte ihm auch, daß es
auf keine anderen Bedingnisse als diejenigen, die mit Rußland kon-
zertiert wären, geschehen würde, denn, setzte ich hinzu : Votre Ma-
jeste nous a ruinee et prise une armee de 50.000 hommes. mais
150.000 Rnsses sont au marche ä notre secours, et Votre Majeste
sait, que la raaison d'Autriche ne manque pas de ressources pour
mettre sur pied des nouvelles armees. II y a 80 bataillons de reserve
deja dresses maintenant, qui formeront d'abord une nouvelle armee
— 502 —
formidable. Er antwortete: Je ne connais pas les propositions; on
ne me les a pas manifeste; je suis curieiix de les apprendre. Ich
sprach ihm vor allem von einer besseren Grenze für uns in Italien
und von der Entschädigung des Königs von Sardinien. Die letztere
vervrarf er gänzlich und behauptet, sie nicht schuldig zu sein. Über
die erstere machte er geradezu keine Einwendung und sagte über-
haupt: Je suis pret a faire des sacritices, et meme des grandes sa-
crifices sur le continent, raais qu'on fasse cause commune avec moi,
pour en faire faire aussi ä l'Angleterre. Pourquoi vouloir toujours
peser sur raa preponderance continentale, sans vouloir se reunir avec
moi contre la toutepuissance maritime de l'Angleterre?
„Die bittersten Vorwürfe, die er uns macht, sind die wegen des
Kurfürsten von Bayern, seines Alliierten, Ich sagte ihm, daß
diese Allianz uns nicht bekannt gewesen wäre und setzte hinzu: Si
l'Electeur au lieu de trahir le prince ISchwarzenberg, lui avait montre
son traite dalliance avec Votre .Majeste. il maurait expedie un
courrier, j'en aurais expedie un a Vienne, et arrete la marche des
troapes jusqu'ä nouvel ordre. Als ich ihm sagte, daß mir kein Bayer
entwischt wäre, wenn ich hätte durch preußisches Territorium pas-
sieren dürfen, und daß seine mit Bernadotte gefundene frühere Ver-
einigung dies zu gründe gerichtet habe, antwortete er: Pourquoi avez-
vous respecte cette partie du territoire prussien, qui n'a jamais ete
respecte pendant la derniere guerre? Ich versetzte: Nous autres
n'osons pas permettre ce que Votre Majeste se permet avec sa puis-
sance preponderante et ä ee que je sais la Prusse avait declaree
qu'elle prendrait les armes contre quelleconque des trois puissance
qui oserait violer sa neutralite^)".
*) Das von Maek geschriebene Konzept dieses Berichtes erliegt im Hof-
iind Staatsarehiv unter Vorträge. 1805, IX — XII.
Nach seiner Ankunft in Wien mußte FML. Mack auf Befehl des Kaisers
über die Ursache der Niederlage Aufschluß geben. Der Berieht über die Angaben
Maeks lautete:
„Aufschlüsse über die Unfälle der k. u. k. Armee bei Ulm, gegeben
von FML. Baron Maek den 27. Oktober 1805.
„Die Grundursachen dieser unglücklichen Ereignisse müssen teils a) in der
vorausgehenden fehlerhaften inneren Organisation der Armee, teils h) in voraus-
gehenden fehlerhaften Dispositionen oder c) in dem Benehmen Seiner königliehen
Hoheit des Erzherzogs Ferdinand und der Hochseiben Umgebenden und endlich
d) in der Gefälligkeit und Nachgiebigkeit des FML. Mack gegen das Ansehen
königlicher Hoheiten gesucht werden.
(Fortsetzung der Fußnote siehe S. .503.)
— 503 —
Mack, der vor Ungeduld brannte, so schnell als möglich zu
Kutusow und nach Wien zu kommen, verließ am 21. Oktober früh
,.a) Fehlerhafte innere Organisation der Armee.
„Durch den Verkauf der Offiziersstellen erhielt die Armee unwissende Buben
zu Offizieren; gediente und brave Offiziere wurden mißmutig gemacht, weil sie
von unwissenden jungen Leuten übersprungen und im Avancement gehemmt
wurden. Der Infanterie fehlte es an gehöriger Übung und Disziplinierung in
Friedenszeiten. Leichte Infanterie, mit der die Franzosen Wunder tun, mangelt
bei der Armee gänzlich*).
„Dies alles hatte zur Folge, daß ganze Korps österreichischer Infanterie
an ein paar hundert französische Flankier sich ergaben**).
„&) Vorausgehende fehlerhafte Dispositionen.
..Man zog verhältnismäßig zu viele und die besten Truppen nach Italien-
Die schlechtesten aber und bei weitem zu wenige Truppen wurden nach Deutsch-
land geschickt, wo man doch wußte, daß die ganze Macht des Feindes herein-
breche (!). (Vergleiche damit die Rechtfertigung Maeks in seiner Denkschrift
,Die Kapitulation von Ulm' auf Seite 423, Fußaote ^)
„c) Das Beneh men Seiner königlichen Hoheit des Erzherzogs Fer-
dinand.
..Seine königliehe Hoheit waren steter Gegner der Absichten, Pläne und
Unternehmungen des FML. Mack. Schon bei dem ersten VoiTÜcken mußten des-
wegen die Kolonnen haltmachen, wodurch sie dann später an ihren Bestimmungs-
orten, die Artillerie aber in Memmingen und Ulm gar nicht eintraf (!). Natürlich
schloß sieh alles an das Ansehen eines Erzherzogs an. alle Generale waren daher
Gegner des FML. Mack und selbst sein B'reund Fürst Sehwarzenberg verließ ihn.
Durch das Benehmen und die offenen Reden Seiner königliehen Hoheit und Hoeh-
dessen Anhänger verbreitete sich endlieh eine allgemeine Mutlosigkeit bei der
Armee***).
..d) Gefälligkeit und Nachgiebigkeit des FML. Mack gegen das An-
sehen königlicher Hoheiten. .
..Um königliche Hoheiten zu gewinnen, stellte Mack Menschen an, die er
wußte, daß sie ihnen angenehm wäi'en und von welchen er zugleich Dankbarkeit
erwartete, die ihm aber dann allenthalben entgegenhandelten. Um niemanden
gegen sieh aufzubringen, stand er von der Forderung mehrerer Truppen für
Deutschland ab und ließ selbst die auf dem Marsch aus Italien Begriffenen halt-
machen. Grob gefehlt sei es endlieh gewesen, daß er nicht gleich nach der Ab-
reise Eurer Majestät von der Armee einen Kurier mit der Bitte nachschickte, ent-
weder ihn oder Seine königliche Hoheit von der Armee wegzunehmen."
Der Vergleich dieser Angaben Macks mit seinen früheren Berichten und
mit den Tatsachen zeigt, wie willkürlich Älack bei seiner Rechtfertigung Tat-
sachen und Geschehnisse gruppierte und auslegte.
*) Er sagte, die ganze Infanterie wäre elend gewesen, gar nicht zu braueben.
**) Dies war am Micbelsberg bei Ulm, wo sich, nachdem der Erzherzog Ferdinand
oben war und von dort wegritt, 20U0 Mann an 200 Pläukler ergaben.
♦**) Er klagte besonders über den Bianchi, w-elcher ötfentlich sagte, daß die Familie
ihm den Erzherzog anvertraut hätte, er ihn also keiner Gefahr aussetzen könnte.
(Hof- und Staatsarchiv, Vorträge, 1805, IX— Xll.)
— 504 —
Ulm, kam am 22. Oktober diireh Parsdorf östlich von München und
traf am 23. Oktober in Braunau ein, wo er Ivotusow über die Fran-
zosen orientierte und ihm mit seinem Rat zur Seite stand. Kutusow
meldete an diesem Tage dem Kaiser Franz, daß er, Mack und FML.
Merveldt überein gekommen seien, mit der Armee vor den Fran-
zosen nach Lambaeh und nach und nach über Linz und Enns zu-
rückzugehen und alle Brücken hinter sich zu zerstören.
Mack reiste dann nach Wien weiter. Von St. Polten sandte er
am 26. einen Plan für die weiteren Operationen „Reflexions ulteri-
eures du General Mack" an Kutusow ab^).
') Das von Maek selbst geschriebene Original dieses Planes erliegt im
Kriegsarehiv im Faszikel 1805, Deutsehland FA, X, unter der Nummer 214V4.
In diesem Plane kommt Maek zu folgenden Anträgen:
«) Alle Inn-Brüeken sind so gründlieh als möglieh zu zerstören. Nur die
Brücken bei Sohärding und Braunau sind nur zur Zerstörung vorzubereiten.
b) Außer Braunau, das schon in Verteidigungsstand ist, sind
Passau, Schärding, Burghausen und Salzburg in Yerteidigungsstand zu setzen,
also zu befestigen.
c) Die österreichischen Truppen hätten diese Orte zu besetzen, mit Vor-
truppen westlieh des Inn. Die russische Armee hätte bei Bied zu stehen, um jede
Brückenbesatzung unterstützen zu können.
d) Alle Trains wären nach Linz zu senden.
e) Die Aitillerie muß gegen diesen Feind vermindert werden. Ein Gresehütz
für jedes Bataillon genügt. Die reitende Artillerie, die Positionsartillerie und die
Haubitzen sind auf die halbe Anzahl herabzusetzen. Das ist das französische
System; da aber die östen*eichisehen und russischen Bataillone schwächer sind
als die französischen, sind sie noch immer stärker an Artillerie wie die fran-
zösischen. Somit dürfte die österreichische Artillerie für beide Armeen (für die
österreichische und für die russische) genügen. Die ganze russische Artillerie
wäre hinter die Donaji zurückzusenden.
Dieses Schriftstück liefert den Beweis, da 13 Mack selbst durch seine bis-
herigen Erfahrungen noch nichts gelernt hatte. Er glaubte also noch immer, daß
Napoleon seinen Feinden Zeit ließe. Orte zu befestigen, er glaubte noch immer
an die ^ilöglichkeit, eine Armee kurz vor dem Zusammenstoß neu organisieren
zu können. Abermals kam es ihm nur darauf an. das ..französische System" nach-
zuahmen, ohne dessen Geist zu erfassen.
Wie wetterwendisch Maek in seiner Auffassung, in seinen Äußerungen und
Handlungen war, zeigt sein Verhalten betretfs Braunau. In seinem Berichte vom
19. September nennt er Braunau ein ..erbärmliches Nest, welches gar
keiner Verteidigung fähig ist' (S. 201), weil er dessen Kanonen für Ulm
und Memmingen haben will. Er beantragt daher ohne Bedenken die Auflassung
dieser Festung. .Jetzt, am 26. Oktober, ist Braunau, weü es in seinen Plan paßt,
..schon in Verteidigungsstand", obwohl er es des größten Teiles seiner Geschütze
beraubt hatte.
— 505 —
Damit war endlich — für Osterreich und seinen Monarchen
leider viel zu spät — der Tätigkeit Macks ein Ziel gesetzt. Als er in
Wien ankam, wurde er sofort interniert und am 28. Oktober nach
Selowitz in Mähren, am 23. November 1805 in die Festung Josef-
stadt gebracht.
Die österreichische Armee in Deutschland war vernichtet. Sie
war nicht im Kampfe unterlegen, sondern wie Erzherzog Ferdinand
in zweien seiner Berichte an den Kaiser schrieb: .,FML. Maek hat
durch seine falschen Maßregeln eine vom guten Geiste beleljte und
über 50.000 Mann starke Armee, ohne sich in eine Hauptschlacht
einzulassen, aufgeopfert^)" und
„Nicht der Feind, aber unser bisheriges Benehmen selbst
setzte uns in diese äußerst kritische Situation^)" und — könnte man
ergänzen — hat unsere Armee ruiniert und geschändet.
Über 50.000 Mann hatten die Franzosen in den unbedeuten-
den Gefechten und bei Ulm gefangen. Die Zahl der von ihnen er-
beuteten Geschütze und Fahnen ist nicht mit Sicherheit festzu-
stellen.
Der erste Teil der Kriegsidee Napoleons war erfüllt; es galt
nun die Russen zu schlaoen
^) Kriegsarchiv, 1805, Deutschland E'A, X, 167. ^/g; Eerielit aus Öttingen
vom 18. Oktober.
") Bericht vom 12. Oktober.
XX. Die Versammlimg der französischen Armee
zum Marsch nach Wien.
(Beilage 32.)
Napoleon ruhte nicht einen Augenblick auf den errungenen
Lorbeeren aus. Die rastlose Energie des Willens, die allein den
Feldherrn wirklich groß machen kann, veranlaßte Napoleon schon
unmittelbar nach Abschluß der Kapitulation vom 17. Oktober, den
Vormarsch nach Wien vorzubereiten.
Wie bereits erwähnt, befahl Napoleon noch am 17. Oktober,
daß Soult nach Landsberg zu marschieren habe. Soult hatte am 17.
die Anwesenheit des Korps Jellachich bei Leutkirch gemeldet mid
sprach die Ansicht aus, daß das 4. Korps sich gegen diesen Feind
wenden sollte. Soult marschierte auf Grund des Befehles vom
17. Oktober am 18. von Laupheim nach Ochsenhausen ab und
wollte am 19. Memmingen, am 21. Landsberg erreichen. Soult mel-
dete dies dem Kaiser und wiederholte, daß Jellachich mit 20.000
bis 25.000 Mann die Aufgabe haben solle, Ulm zu unterstützen.
Soult wollte das unter Festhaltung seiner Bestimmung verhindern
und erbat sich dazu die Bewilligung des Kaisers.
Inzwischen war am 18. von Elchingen auf die erste Meldung
Soults der Befehl an ihn abgegangen:
„Der Wille des Kaisers ist, daß Sie sich nach Landsberg be-
geben, weil Ihr Korps bestimmt ist, am Inn verwendet zu werden.
Wenn der Kaiser seinen Entschluß neuer Nachrichten wegen ändern
sollte, werden Sie morgen in Memmingen rechtzeitig verständigt
werden. Marschall Augereau, der Ende Oktober am Bodensee an-
kommen wird, wird das Land in unserem Eücken säubern . . .
„Nach der jetzigen Lage müssen Sie an den Inn marschieren;
wir dürfen dem Feinde nicht die Initiative lassen. Wenn
— 507 —
der Kaiser die Bussen geschlageD iaaben wird und wenn er auf
Wien marsciiiert. wird sich alles, was in Tirol ist, sehr schnell zu-
rückziehen."
Dieser Befehl dürfte noch nicht bei Soult angelangt gewesen
sein, als dieser den Entschluß faßte. Jellachich anzugreifen. Er mel-
dete dies dem Kaiser (anscheinend am 19. Oktober): Ich habe ge-
meldet, daß der Feind auf Wurzach und Leutkirch marschiert ist.
Ochsenhausen durchschreitend erfahre ich, daß seine Vorposten bis
an die Eoth, zwei Meilen von Ochsenhausen vorgetrieben waren.
Ein Lager der Vorhut war bei Wurzach, ein anderes bei Wolfsegg.
Bei Leutkirch sollen sich zwei Infanterieregimenter befinden. Kom-
mandant ist Jellachich, der in Wolfsegg sein soll, der aber auch
schon Leutkirch erreicht haben soll. Er hat 15.000—20.000 Mann.
Ich kann besonders nach der Kapitulation von Ulm dieses Korps
nicht unbeachtet lassen. Ich entschließe mich daher, es anzugreifen.
Auch Erzherzog Ferdinand soll bei dieser Kolonne sein; er dinierte
heute im Kloster Gutenzeil. Ich glaube daher recht zu tun, einen
Marsch auf Leutkirch und Wolfsegg zu machen, anstatt direkt nach
Landsberg zu marschieren. Wenn ich mich irren sollte, bitte ich
um Nachsicht.
Tatsächlich ergingen auch am 20. Oktober Befehle, um am
21. die Kavallerie und zwei Divisionen auf Leutkirch in Marsch zu
setzen.
Vor dem Abmarsch scheint aber ein Befehl Napoleons vom
20. Oktober bei Soult eingetroffen zu sein, der folgend beginnt:
„Der Kaiser kann nur Ihren Eifer und alle von Ihnen ge-
troffenen Anordnungen loben; er beauftragt mich, Ihnen seine Zu-
friedenheit auszudrücken. Aber Seine Majestät wünscht, daß Sie
sich nach Augsburg^) begeben, da Sie die Bestimmung haben, die
Bussen am Inn zu bekämpfen. Indessen stellt Ihnen Seine Majestät
noch einen Tag für Ihre Bewegung zur freien Verfügung..."
Nach Orientierung über die Lage schließt das Schreiben:
„Es scheint, nach den Meldungen, die der Kaiser erhalten
hat, daß. wenn Sie, anstatt nach Biberach zu marschieren, sich auf
das Korps geworfen hätten, das Sie getroffen haben, Sie noch
8000 — 9000 Mann gefangengenommen hätten, alles das. was jetzt
von der 80.000 Mann starken österreichischen Armee ent-
kommen ist."
') Sollte wohl Landsberg heißen.
— 508 —
Dieser Schriftwechsel ist in mehrfacher Hinsieht interessant.
Soult ließ sieh durch den Mißerfolg, den seine selbständige
Bntschlußfassung bei Aichach und Augsburg hatte, da sie ihm das
Mißtallen des Kaisers eintrug, nicht abschrecken, auch ein zvveites-
mal in einer schwierigen Situation bei Festhaltung der Absicht des
Feldherrn selbständig zu denken und zu handeln. Sollte ich mich
irren, sagt er schlicht und einfach, dann bitte ich um Nachsicht.
Er hält seine Idee nicht rechthaberisch für die einzig richtige: aber
er will, soweit es die Absicht des Feldherrn zuläßt, seiner Über-
zeugung folgen.
Nuj- Korpskommandanten, die diesen Mut haben, werden ihren
Führer voll unterstützen. Sie werden zwar nicht immer gerade das
Beste machen, aber es genügt, wenn sie etwas Vernünftiges tun.
Das vernüüflige und verständnisvolle Zusammenwirken aller Unter-
führer trägt aber viel zum Erfolge bei.
Napoleon anerkennt diesen Mut seines Marschalls, obwohl er
anderer Ansicht ist. Er läßt Soult seine Zufriedenheit und Zustim-
mung ausdrücken und gibt ihm eine allerdings sehr beschränkte
Zeit frei, seinen Entschluß durchzuführen.
(ileichzeitig orientierter aber Soult über die höhere Auffassung, die
er als Oberfeldherr hat und nach der er von diesem Korps anderes
fordern muß. Nach Niederwerfung Macks sind die Russen der wich-
tigste Teil des Feindes, gegen den der Kaiser alle Kräfte vereinigen
will. Ihm ist das Korps Jellachich jetzt Nebensache, da es schon
südlich des Korps Soult steht, somit vor dessen Angriff nach Tirol
auszuweichen vermag; dorthin darf aber Soult nicht abgelenkt
werden, da das zur Zersplitterung der an den Inn bestimmten
Kraft führen müßte. Er sagt: Bei den Eussen und bei Wien liegt
die Entscheidung auch für Tirol und seine Sicherung gegen Tirol
überläßt er den rückwärtigen Korps: Augereau, der erst anmarschiert,
und Ney, der ohnedies noch längere Zeit ))ei Ulm gebunden ist.
Zum Schlüsse läßt der Kaiser durchblicken, daß der richtige
Augenblick zum selbständigen Handeln von Soult versäumt worden
ist. Dieser Augenblick war am 13. Oktober eingetroten. Soult wußte,
daß der Kaiser die Österreicher durch ihn von Tirol abdrängen
wollte und daß sein Korps den rechten Flügel der Österreicher
umgehen sollte. Als Soult daher, bei Memmingen angelangt, Mel-
dung vom Marsch einer österreichischen Kolonne von Oehson-
hausen nach Süden erhielt, wäi-e er im Sinne der Absicht des
— 509 —
Kaisers berechtigt gewesen, vom Befehl abzuweichen und anstatt
nach Ochseuhausen zu marschieren, sich dem abmarschierenden
Feinde — dem schwachen Korps Jellachich — vorzulegen. Jetzt
aber, am 20. Oktober, war es dazu zu spät.
Soult hat dann in der Folge seine Absicht fallengelassen und
ist direkt nach Landsberg marschiert, wo sein Korps am 23. abend
vereinigt stand. Die Gründe, die ihn dazu veranlaßten, sind aus
seiner Meldung vom 23. zu ersehen: Jellachich stand nicht ver-
einigt, sondern zerstreut mit Detachements von 2000 bis 3000 Mann
bei Wolfegg, Wangen. Isny, Immenstadt und Füssen. Ein Angriff
hätte somit bedeutend mehr Zeit erfordert, als vom Kaiser zu-
gestanden war.
Das Korps J(^llachich zählte um diese Zeit 5183 Mann und
1123 Eeiter'). Es stand mit schwachen Detachements bei Ravens-
burg (GM. Wolfskeel), Wurzach und Leutkirch, mit der Hauptkraft
bei Isny und Immenstadt.
Am 18. Oktober marschierte die Garde, am 19. die Division
Suchet von Ulm nach Augsburg ab. Am 21. iolgten die Division
Gazan und die Dragonerdivision Walther und am 22. das Korps
Marmont.
Am 21. Oktober rückten die Division Oudinot und die Ka-
valleriedivisionen Beaumont und Nansouty von Nördlingen über
Donauwörth nach Ingolstadt ab ^j.
^) Nach dem Standesausweis vom 22. Oktober bestand das Korps aus
5 Bataillonen Stein 2008 Mann
3 „ Beaulieu 1207 „
4 „ Jellaehieh 914 „
1 Bataillon Tiroler Jäger 718 „
1 „ Versprengter 336 ,.
Summe . . . 5183 Mann
2 Eskadronen Klenau-Chevauxlegers 374 Reiter
2 „ ßosenberg-Clievauxlegers 152 „
6 „ Blankenstein-Husaren 485 „
1 Eskadron Versprengter 112 „
Summe . . . 1123 Reiter
Die Stärke der Bataillone sehwankte somit zwischen 228 und 718 Mann,
die der Eskadronen zwischen 76 und 187 Reitern. (Kriegsarehiv, Militiir-Peld-
akten, 1805, 10/447.)
*) Marsehall Lannes meldete am 20. aus Nördlingen : Murat hat mich nicht
mehr nötig; daher setze ich mich mit den Divisionen Oudinot, Nansouty und
Beaumont über Donauwörth nach Ingolstadt in Marsch.
— 510 —
Nach den in der Zeit vom 21. bis 23. Oktober erlassenen Be-
fehlen des Kaisers sollte die Armee am 26. Oktober abend an der
Isar folgend bereitstehen (Beilage 32):
Kaiserliches Hauptquartier und Garde in München,
1. Korps und Bayern in München (ein Detachement in Tölz),
2. „ in München,
3. „ „ Freising,
4. „ (3 Divisionen) östlich München,
5. „ (3 Divisionen) *) in Landshut,
6. „ (2 Divisionen) in Ulm;
das 7. Korps Augereau sollte bis 26. Oktober bei Freiburg
im Breisgau versammelt sein;
2. Dragonerdivision Walther in München,
3. „ Beaumont in München,
4. „ Bourcier in Augsburg,
1. Kürassierdivision Nansouty in Landshut,
2. „ d'Hautpoul in München;
die Gruppe Murat: Division Dupont, 1. Dragonerdivision,
Karabi nierbrigade, Ohasseurbrigade Milhaud^), Gardejäger zu Pferd
in Neustadt 2j.
Besetzt vs^urden: Ingolstadt durch den Rest der Dragoner
zu Fuß *), Donauvrörth durch ein bayrisches Infanterieregiment, ßain
und Landsberg durch je ein bayrisches Bataillon, Augsburg durch
eine württembergische Brigade (4 Bataillone, 1 Eskadron, 8 Ge-
schütze), Ulm durch eine bayrische Brigade.
Die badischen Truppen (4 Infanterieregimenter, 1 Ba-
taillon und 6 Geschütze) wurden nach Donauwörth gesendet, wo
sie am 2. November eintreffen sollten.
Die Etappenstraße war von Donauwörth in zwei Linien
fortgeführt worden, und zwar über Augsburg nach München und
über Neuburg und Ingolstadt nach Landshut.
Augsburg wurde als Mittelpunkt der großen Armeeverwaltung
(Etappenhauptort) eingerichtet, zu welchem Zwecke die Befestigungen
^) Die Division Suchet blieb beim 5. Korps.
^) Bestehend aus dem 16. und 22. Ohasseurregiment.
^) Die Gruppe Murat wurde am 26. Oktober aufgelöst.
*) Eine Brigade der Dragoner zu Fuß war nach der Kapitulation Maeks
nach Ulm gezogen und mit erbeuteten österreichischen Pferden beritten gemacht
worden. Die berittenen Dragoner rückten dann zu ihren Eegimentern ein.
— 511 —
der Stadt in stand gesetzt und mit österreichischon Kanonen armiert
wurden.
Napoleon war somit am 26. Oktol)er mit ungefähr 150.000
Mann bereit, an den Inn abzurücken, wo die Verbündeten höciistens
50.000 Mann zur Verteidigung des österreichischen Kaiserstaates zur
Verfügung hatten.
Zwei Monate nach dem Alimarsche der Großen Armee von
Boulogne und einen Monat nach ihrem ßhein-Cbergang war die
eine Armee der Verbündeten vernichtet und Napoleon bereit, sich
gegen deren zweite Armee zu wenden.
Der Feldzug von Ulm ist eine der energischesten Kriegshand-
lungen, die die Kriegsgeschichte kennt. Allerdings kommt hier die
Energie nicht in der Kampftätigkeit zum Ausdruck, denn es fehlt
die Entscheidungsschlacht ; sie liegt vielmehr in der staunenswerten
Marschleistung der französischen Armee.
Im Feldzuge von Ulm liefert die Kriegsgeschichte ein glän-
zendes Beispiel dafür, wie zwei verschiedene Feldherren durch das-
selbe Streben und durch denselben Begriff zu entgegengesetzten Er-
folgen geführt werden können. Napoleon und Mack hatten erkannt,
daß schnelles Marschieren von höchster Wichtigkeit sei: jeder wollte
dem anderen durch seine Schnelligkeit zuvorkommen. Napoleon er-
reichte damit einen der glänzendsten Erfolge, Mack dagegen ruinierte
dadurch seine Armee vollständig. Dieses Eesultat war nicht Zufall,
denn der Erfolg ist Napoleon in den meisten Kriegen treu geblieben.
Der Erfolg muß daher seinen Grund in tieferliegenden, nicht auf
den ersten Blick erkennbaren bewegenden Kräften, haben ^).
') Die Analogie zwischen Napoleon und Mack ließe sieh noch weiter führen.
So betont der englische Militärsehriftsteller Oberst Maude in seiner Studie „Die
Entwicklung der modernen Strategie", deutseh vom Professor Julius N estler,
Seite 101, daß Napoleon sieh über Lage und Absicht des Feindes ebensolchen
Irrtümern hingab wie Mack und daß Macks Befehle durchaus nicht bombastischer
waren als die Befehle und Bulletins Napoleons, in denen er seinen Truppen noch
vor der Schlacht den Sieg verkündete. Oberst Maude zweifelt nicht, daß wir
ebenso vor Macks echt soldatischer Ansprache, mit der er den gesunkenen Mut
seiner Leute zu heben suchte, in Bewunderung versinken würden, wie vor denen
Napoleons, wenn Macks Bemühungen von Erfolg gekrönt gewesen
wären. Ja! wenn der Erfolg . . .! Aber mit dieser billigen Betrachtung kann
man doch nicht ernstes Studium betreiben. Der Erfolg hätte also ebensogut Mack
zu teif^werden können wie Napoleon, und dann wäre alles gut gewesen, was
Mack getan und unterlassen hat und alles schlecht oder minder gut, was Na-
— 512 —
Es genügt eben nicht, zu wissen, daß man schnell marschieren
soll, daß man eng massiert oder in breitem Echiquier vorrücken solle,
daß Breite und Tiefe des Marschechiquiers im Verhältnisse stehen
müssen u. dgl. m. ; es genügt nicht, gute Ideen zu haben, tätig und
energisch scheinen zu wollen und infolgedessen Tag und Nacht
herumzureisen und Dispositionen zu schreiben.
Das alles bedeutet nichts oder nur, wie Goethe das Nach-
ahmen der Äußerlichkeiten großer Männer geißelt, das „Wie er sich
räuspert und wie er spuckt", also nur wertlose Äußerlichkeiteo, wenn
sie nicht alle erfüllt und belebt werden durch die unfaßbare und
undefinierbare Entschiedenheit des Willens, die sich wie ein Fluidum
vom Führer auf alle Untergebenen bis in die Truppe hinein über-
trägt, die allein im stände ist, in der Truppe den Willen zum Siege
zu wecken und sie befähigt, alle Schwierigkeiten zu überwinden und
alle Entbehrungen zu ertragen.
Um den vollen Überblick über diesen Feldzug zu geben und
die bei Napoleon wirkende Entschiedenheit des Willens im Gegen-
satz zum Mangel dieses Willens bei den Österreichern hervorzuheben,
sollen nun noch kurze Übersichtsskizzen über die Operationen beider
Teile gegeben werden.
poleon tat. Wenn man bisher Kriegsgesehiehte so betrieben hätte, dann wäre sie
wohl wertlos gewesen, weil sie sieh nur an Äußerlichkeiten gehalten haben würde.
Maek und Napoleon haben in diesem Feldzuge tatsächlich, rein äußer-
lieh genommen, oft ähnliches oder gleiches getan. Maek und Napoleon hatten
unfertige Armeen, ihre Artillerien waren bei Beginn des Peldzuges nur teilweise
bespannt und zum großen Teil nur mit requirierten Pferden. Beide haben von
ihren Truppen große Marschleistungen gefordert, die Truppen beider mußten oft
unsicher hin- und hermarsehieren. Sowohl Napoleon als Maek wußten nicht viel
über den Feind ; in dieser Beziehung war Maek dem andern sogar voraus, da
er viel besser über den Feind orientiert war als Napoleon. Beide verwiesen ihre
Truppen auf die Requisition und hatten keine Magazine ; infolgedessen hungerten
auch Franzosen und Österreicher brüderlich. Beide Feldherren wechselten ihre
Absichten und Pläne. Napoleon und Maek hofften in gleicher Weise auf die Mit-
wirkung der Preußen. Beide arbeiteten täglich bis tief in die Nacht hinein, beide
beherrschten Feder und Wort und von beiden sind daher großsprecherische Be-
fehle und Berichte vorhanden!
Trotz alledem ! welcher tief innerliehe Unterschied besteht zwischen diesen
beiden Gegnern ! Dieser Unterschied liegt auch trotz der anseheinenden äußer-
liehen Ähnlichkeit zwischen allen Handlungen Maeks und Napoleons; ihn heraus-
zufinden, herauszufühlen und zu seiner eigenen Charakterbildung zu verwerten,
ist Sache des wahren Studiums der Kriegsgeschichte. Erzählen und schildern
läßt sieh das nicht — das muß jeder selbst fühlen.
— 513 —
Franzosen.
Napoleons Absicht ist, die Entscheidung auf dem Wege von
Straßburg nach Wien herbeizuführen; er will die Verbündeten ge-
trennt schlagen und dazu so schnell auf Wien vorgehen, daß er
die Österreicher vor dem Eintreffen der Eussen vernichten könne.
Um diese Absicht zu erreichen, konzentriert er die Hauptmasse seiner
sofort verfügbaren Kräfte in Süddeutschland. Er sendet nicht nur
die Armee von Boulogne dahin, sondern auch die Korps von Holland
und Hannover und Truppen aus dem Innern Frankreichs. Er ent-
blößt Hannover bis auf die Festungen ganz von Truppen, obwohl er
weiß, daß eine Aktion der Verbündeten zur Wiedergewinnung dieses
Landes bevorstehe. Er will sich den Besitz Hannovers durch den
Sieg im entscheidenden ßaume sichern und nur dann zur Befreiung
der etwa belagerten Festungen eilen, wenn in Süddeutschland die
Entscheidung gefallen war. In Italien beläßt Napoleon nur die dort
stehenden Truppen, die er durch einige Verstärkungen aus Süd-
frankreich auf etwa 60.000 Mann bringt.
Napoleon massiert somit mehr als 200.000 Mann in dem
fiaume, in dem er die Entscheidung herbeiführen will, und läßt nur
60.000 Mann zum Schutze Italiens an der Etsch. Der klare, einfache
und entschiedene Wille Napoleons, seinen wichtigsten Feind ins
Herz zu treffen, bevor dieser Unterstützung fände, löst also von selbst
auch die entschiedene Handlungsweise, die Vereinigung der Kraft
aus. Napoleon verstärkt seine Hauptarmee noch durch die Angliede-
rung der Truppen der süddeutschen Staaten (Bayern, Württemberg
und Baden), die, um ihr Dasein besorgt, sich dem Starken an-
sehließen, um mehr als 30.000 Mann.
Die Absicht Napoleons beflügelt ihn zur größten Schnelligkeit.
Durch einen großartigen Marsch bringt er seine Armee an den
ßhein und Main. Zuerst will er seine Armee mit Ausnahme der
von Norden kommenden Korps Bernadotte und Marmont, die er
nach Würzburg leitet, bei Straßburg bereitstellen, um in engem
ßaum rasch an den Inn vorzueilen. Verpflegsrücksichten zwingen
ihn aber, von dieser Absicht abzugehen und seine Armee, die fast
ausschließlich von der Requisition leben muß, in die breite Front
Schletlstadt — Mannheim auseinanderzuziehen. Das ist aber nur eine
Änderung der Form, die Absicht bleibt gleich.
Der Einmarsch der Österreicher in Bayern, den Napoleon schon
am 12. September erfährt, steigert nur die Tatkrait Napoleons; er
Krauss. 1805, Der Feldzug von Ulm. 33
— 514 —
entschließt sich zu einer schnelleren Vorrückung-. indem er den am
Rhein beabsichtigten kurzen Halt ausfallen läßt.
Das isolierte Vorgehen der Österreicher und die Situation der fran-
zösischen Armee laden zu einer Umfassung der Österreicher ein, was
zur Folge hat, daß sich Napoleons allgemeine Absicht, die Öster-
reicher und die Bussen getrennt zu schlagen, zu dem bestimmteren
Gedanken ausbildet, die Österreicher zu umgehen, sich somit zwischen
sie und die anmarschierenden Eussen einzuschieben und so beide
getrennt zu schlagen. Die Durchführung dieser Absicht paßt Na-
poleon, wie natürlich, der Vorrückung der Österreicher an. Solange
es den Anschein hat, daß die Österreicher, der Vernunft entsprechend,
bei München stehen blieben, denkt er daran, seine Armee nördlich
der Donau auf Regensburg — Donauwörth vorzuziehen^); als es sieher
ist, daß die Österreicher über München hinaus, also etwa bis zum
Lech vorgehen, will er seine Armee an die Donau-Strecke Ulm —
Ingolstadt vorgehen lassen^); als es endlich klar wurde, daß die
Österreicher in unbegreiflicher Verblendung auch den Lech über-
schritten und an die Hier und nach Ulm vorgehen, läßt Napoleon
seine Armee gegen die Donau-Strecke Donauwörth — Ingolstadt vor-
rücken, also schon ganz in den Rücken der Österreicher^).
Am 25. September beginnt bei Straßburg der Übergang der
Franzosen über den Rhein. Weil aber der Unke Flügel der Armee
durch das späte Fertigwerden der Brücken aufgehalten worden war,
muß der rechte Flügel — Lannes und Murat — bei Rastatt, Straß-
burg stehen bleiben. Er soll Straßburg decken, aber jeden ernsteren
Kampf im Schwarzwald vermeiden. Napoleon sähe es sogar gerne,
daß die Österreicher gegen den Rhein bei Straßburg vorgingen, denn
je weiter sie in dieser Richtung vorwärts kamen, desto sicherer und
leichter mußte seine Absicht, sie von den Russen abzudrängen, ge-
lingen.
Als sich daher der linke Flügel der französischen Armee dem
Neckar nähert, läßt Napoleon auch Lannes und Murat über Pforz-
heim nach Stuttgart herankommen.
Da der linke Flügel einen bedeutend weiteren Weg zurückzu-
legen hat, bleibt der rechte Flügel, der auch mit dem Flankenschutz
gegen Ulm betraut ist, bei Stuttgart stehen. Der Kaiser, der an-
^) Entwurf vom 15. September, S. 239 und Beilage 15.
^) Disposition vom 17. September, S. 211 und Beilage 16.
*) Disposition vom 20. September, S. 244 und Beilage 17.
— 515 —
nimmt, daß dem Vorstürmen der Österreicher ein bestimmter Zweck
zu gründe liege, ist auf einen Flankenangriff der Österreicher ge-
faßt: er sorgt daher für die Möglichkeit, das 4. Korps zur Unter-
stützung des rechten Flügels heranzuziehen.
Am 3. Oktober setzt sich auch der rechte Flügel wieder in
Marsch. Um diese Zeit hat Napoleon die Absicht, falls die Öster-
reicher Zeit vertrödeln, vor ihnen hinter den Lech zu kommen, ihnen
den Rückzug abzuschneiden und sie gegen den Rhein oder nach
Tirol zu drängen').
Im weiteren Vormärsche schiebt Napoleon seine Armee immer
mehr gegen die Donau-Strecke Donauwörth — Ingolstadt zusammen.
Er ist auch jetzt noch auf einen Angriff der Österreicher über Donau-
wörth gefaßt; er weist daher Soult und Bernadotte sowie den zwi-
schen ihnen marschierenden Davout an, sich gegenseitig zu unter-
stützen. Als es klar wird, daß man Donauwörth vor dem Feinde
erreichen könnte, spornt Napoleon den Ehrgeiz seiner Generale auf
das äußerste an, so daß Donauwörth von der Vorhut Soults schon
am 6. abend besetzt wird. Am 7. Oktober wird die Donau von
Soult und Murat überschritten und die schwache österreichische
Uferbesatzung bei Rain über den Lech zurückgedrängt.
Napoleon, der wußte, daß vor einigen Tagen die Hauptkraft
der Österreicher noch an der Hier gestanden war, hofft zwar, daß
diese dort bleiben werde ; er nimmt aber an. daß sie angesichts der
umfassenden Bewegung der überlegenen französischen Armee den
Rückzug hinter den Lech antreten werde. Es kommt ihm vor allem
darauf an, den Österreichern die kürzeste Rückzuglinie über Augs-
burg zu verlegen. Er dirigiert daher am 8. Oktober Murat und Lannes
über Wertingen auf Zusmarshauseo, das Korps Soult mit drei Divi-
sionen beiderseits des Lech gegen Augsburg; dagegen sendet er
das Korps Nej auf dem nördlichen Donau-Ufer gegen Ulm vor,
damit die beiden Straßen von Ulm nach Aalen und von Ulm nach
Donauwörth gesperrt seien.
Das Gefecht von Wertingen am 8. Oktober hatte ergeben, daß
die feindliche Hauptkraft tags vorher noch bei Ulm — Günzburg ge-
standen war. Die Reste der Division Auffenberg hatten sich auch
in der Richtung auf Günzburg zurückgezogen.
Trotzdem setzt Napoleon noch immer voraus, daß die Öster-
reicher das Vernünftigste tun und sich seiner Umgehung entziehen
») Brief an Bernadotte vom 1*. Oktober, s. S. 268.
33*
— 516 —
werden. Noch stand es der österreichischen Armee — wenn sie
entsprechend versammelt war — frei, sich den Rückzug über
Augsburg zu erzwingen oder aber über Landsberg abzuziehen.
Napoleon gibt daher Ney den Auftrag, sich der Brücken bei
Günzburg zu bemächtigen und bereit zu sein, die etwa abziehende
österreichische Armee in der Planke zu begleiten; auch Davout wird
auf Aichach geleitet, um so zu der bei Augsburg erwarteten Schlacht
die Korps Soult, Lannes, Ney, Davout und Murat zu vereinigen.
Als am 9. auch die Straße über Augsburg durch die Korps
Lannes, Murat und Soult verläßlich gesperrt und Ney bei Günzburg
auf starke österreichische Kräfte gestoßen war, die sich auf Ulm
zurückzogen, bestimmte Nachrichten über die österreichische Haupt-
kraft aber fehlten, setzt Napoleon den Rückzug der Österreicher
über Landsberg voraus. Soult erhält daher den Befehl, am 11. nach
Landsberg vorzugehen; Murat und Lannes sollten auf Mindelheim,
Ney auf beiden Ufern der Donau zur Einschließung Ulms vorgehen.
Bernadotte hatte mit den Bayern München zu erreichen und sollte
den Rücken der Armee gegen die Russen sichein. Davout hatte zur
Unterstützung Bernadottes nach Dachau zu marschieren; Marmont
erhielt als Marschziel Augsburg.
Am 10. Oktober, an welchem Tage diese letzten Befehle ge-
geben worden waren, wähnt Napoleon, durch falsche Nachrichten
irregeführt, die Russen schon im Marsch auf München. Da die
spärlichen und widersprechenden Meldungen über den Aufenthalt
der österreichischen Armee in Napoleon den Glauben weckten,
daß Mack schon im Abzug nach Süden sei, faßt er den Entschluß,
die Bekämpfung der österreichischen Armee dem Prinzen Murat zu
überlassen, dem dazu die Korps Lannes, Ney und ein Teil der Re-
servekavallerie zur Verfügung standen. Napoleon selbst will den
Russen entgegengehen.
Auch dieser Entschluß entspricht der allgemeinen Absicht
Napoleons; er hält die schon nahe geglaubten Russen jetzt für die
wichtigere Gruppe, weshalb er sich selbst gegen sie wenden will.
Getrenntes Schlagen der Österreicher und der Russen ist auch der
Grundgedanke dieses Entschlusses.
Schon am 12. Oktober erkennt aber Napoleon seinen Irrtum.
Meldungen Murats und Soults zeigten, daß die Österreicher nicht
an den Rückzng dachten, sondern, wie Murat bestimmt meldete,
hinter der Hier standen. Auch die Nachrichten über die Russen er-
— Dil —
wiesen sich« als falsch. Miirat hatte seine Absicht gemeldet, den
Feind am 13. anzugreifen.
Napoleon hemmt jedoch diesen Angriff, weil er Zeit ge-
winnen will, damit das Korps Soult herankomme. Er sendet es
nach Memraingen, um* den Österreichern auch den Eückzug nach
Th'ol zu verlegen und sie ganz zu umgehen. Auch das Korps Mar-
mont wird an die Hier gebracht.
Als sieh in der Folge herausstellte, daß auch diese Meldung
Murats falsch war und daß die Österreicher bei Ulm stehen, trifft
Napoleon sofort Anstalten, die Armee Macks in Ulm einzuschließen,
was auch gelingt.
Napoleon erklärt seiner Armee seinen Irrtum in seiner Pro-
klamation vom 21. Oktober:
„Soldaten, ich habe euch eine große Schlacht vorhergesagt;
aber dank den schlechten Maßnahmen des Feindes konnte ich den-
selben Erfolg erreichen, ohne etwas zu wagen^)."
Unmittelbar nach der Kapitulation Macks setzte Napoleon
seine Armee in Marsch, um sich gegen die Russen zu wenden.
Napoleons ganzes Handeln wird daher von dem Willen ge-
leitet, die Österreicher vor ihrer Vereinigung mit den Russen zu
schlagen. Er paßt seine Operationen den jeweiligen Situationen nur
soweit an, als es notwendig ist. seine Absicht zu erreichen: wo die
Nachrichten ihm k^in zuverlässiges Bild über die Situation des
Feindes geben — und das ist oft der Fall — setzt er beim Feinde
das vernünftigste, somit das für seine eigene Absicht ungün-
stigste Handeln voraus. Napoleon kennt aber nur ein Gesetz für
seine Handlungen: seinen Willen, seine Absicht.
Die ganze Tatkraft Napoleons kommt in den Marschleistungen
zum Ausdruck. Die Beilage 12 stellt den tatsächlichen Verlauf des
Marsches der Großen Armee dar. Als Beispiele der gewaltigen
Marschleistungen seien angeführt:
Korps Davout: Abmarsch von der Küste mit der I.Division
am 28. August, mit der 3. Division am 31. August.
Ankunft des Korps bei Dachau am 12. Oktober.
Der Marsch des Korps dauerte daher für die 1. Division 4G, für
die 3. nur 43 Tage; das Korps legte in dieser Zeit über 980 Äw zurück.
Die Tagesleistung beträgt somit bei der 1. Division 21'3, bei
der 3. Division 228 km.
*) „Correspondanee de Napoleon 1«' 9405.
— 518 —
Während dieser ganzen Zeit hatte das Korps 6 Easttage (vier auf
dem Marsche zum Rhein, einen am Neckar und einen bei Aiciiach).
Korps Marmont: Abmarsch von Schagen mit der 1. Division
am 1.. mit der 2. Division am 2. September. Ankunft vor Ulm am
14. Oktober.
Der Mai-sch dauerte daher für die 1. Division 44, für die
2. Division 43 Tage. Die zurückgelegte Strecke beträgt beiläufig
1000 hm. Die 1. Division hatte somit eine Tagesleistung von 22"7,
die 2. Division von 23'2 hm aufzuweisen.
Korps Soult: Abmarsch der 1. Division von Boulogne am
28. August, der 3. Division am 31. August.
Das Korps traf am 23. Oktober das zweite Mal bei Laudsberg ein.
Der Marsch dauerte daher für die 1. Division des Korps 57,
für die 3. Division 54 Tage. Weil das Korps in dieser Zeit nahezu
1200 hm zurückgelegt hat, beträgt die Tagesleistung der 1. Di-
vision 21, die der 3. Division 222 hm.
Während dieser ganzen Zeit hatte das Korps nur 7 Rasttage
(3 auf dem Marsche zum Rhein. 2 am Rhein, je einen Rasttag am
Neckar und bei Augsburg).
Napoleon konnte am 19. Oktober aus Elchingen der Kaiserin
Josefine schreiben:
„Ich habe meine Absicht erreicht. Ich habe die österreichische
Armee bloß durch Märsche vernichtet. . . Ich werde mich sofort auf
die Russen werfen ; sie sind verloren. Ich bin zufrieden mit meiner
Armee. Ich habe nicht mehr als 1500 Mann verloren, wovon zwei
Drittel nur leicht verwundet sind^)."
Napoleon sagt auch mit vollem Rechte von dieser gewaltigen
Marschbewegung: „Nur durch Märsche und Manöver wurden diese
großen Erfolge erreicht", und seine Soldaten behaupteten: „Der
Kaiser hat eine neue Art, Krieg zu führen, gefunden: er nützt nur
unsere Beine aus und nicht unsere Bajonette."
Österreicher.
Da die Österreicher sich vor allem in Italien bedroht fühlten,
sollte die Hauptkraft ihrer Armee dort verwendet werden; sie
sollte zuerst die Festungen nehmen und dann die Lombardei
« erobern. Eine schwächere österreichische Armee sollte vereint mit
^) „Correspondanee de Napoleon le«" 9393.'"
— 519 —
einer russischen Armee in Süddeutsebland auftreten. Diese kom-
binierte Armee hatte kein ausgesprochenes Operationsziel; sie sollte
entweder in die Schweiz oder gegen Holland vorgehen. Eine zweite
russische Armee sollte Preußen zum Anschluß an die Koalition be-
wegen und dann, vereint mit den Preußen, Hannover und Holland
erobern. Dasselbe Ziel — Eroberung von Hannover — hatte auch
die in Pommern gelandete russisch-schwedische Armee. Ein russi-
sches Korps sollte in Neapel landen.
Die große Zahl sekundärer Aufgaben führte zur Zei'splitterung
der Kraft.
In Süddeutschland wurden den 200.000 Mann Napoleons nur
etwa 120.000 Mann (70.000 Österreicher und 50.000 Russen) ent-
gegengestellt.
Aber auch diese Kraft trat nicht vereint auf.
Mack hielt es für unerläßlich, so rasch als möglich an die Hier
vorzueilen und Ulm zu besetzen, um beide Donau-Ufer zu beherrschen.
Er verband mit dem Voreilen an die Illei' keine besondere
operative Absicht. ]Mack wollte nur den Franzosen darin zuvor-
kommen, den „wichtigen" Raum zwischen dem Bodensee und der
Donau in Besitz zu nehmen; er sah in dem Gelingen dieser Ab-
sicht schon einen großen strategischen Erfolg.
Mack hatte keine klai-e Vorstellung, was die österreichi-
sche Armee in diesem Räume oder aus ihm heraus zu tun
hätte, und gab sich auch keine Mühe, eine solche Vorstellung zu
gewinnen. Wenn er nur im glücklichen Besitze dieses „wichtigen"
Raumes war, dann war e.s Sache der Franzosen, ihm diesen Besitz
zu entreißen. Mack überließ daher von Haus aus die Entwicklung
der weiteren Ereignisse der Zukunft und dem — Feinde.
Mack wartete zum Vormarsch an die Hier nicht einmal die
Versammlung der österreichischen Armee ab. geschweige denn die
Ankunft der Russen. Mit den ersten 25.000 Mann eilte er an die
Hier vor; sie sollten nebenbei auch die bayrische Armee fangen.
Alle anderen Truppen folgten diesem vorprellenden Korps nach.
Die Armee wurde im Räume Stockach. Lindau. Landsberg. Ulm in
einer ausdruckslosen, keine operativen Gedanken zeigenden Gruppie-
rung aufgestellt.
Kaum trafen die ersten Nachrichten über den A'ormarsch der
Franzosen ein, als Mack die Schwäche seiner x\rmee fühlte; er
forderte daher die Angliederung des für Tirol bestimmten Korps
— 520 —
Auffenberg und von fünf Infanterieregiraentern der italienischen Armee.
Den Monat September verbrachte Mack damit, Ulm. Memraingen,
Kempten. Lindau und Konstanz zu rekognoszieren und Befehle zu
deren Befestigung zu geben. Am 1. Oktober, zur Zeit, wo die fran-
zösiche Armee schon den Neckar erreicht hatte, forderte ihn der
Armeekoramandant auf. einen Entschluß zu fassen, wie man dem
anmarschierenden Feinde begegnen werde. Obwohl das österreichi-
sche Hauptquartier über Stärke und Anmarsch der Franzosen gut
unterrichtet war, erklärte Mack, das habe noch Zeit, er müsse zu-
erst noch Ingolstadt, Donauwörth und Neuburg rekognoszieren und
befestigen. Vorher schon war auf die Nachricht von der An-
sammlung der Korps Bernadotte und Marraont bei Würzburg das
Korps Kienmayer gebildet worden, das die Donau von Ingolstadt bis
Donauwörth sichern sollte. Es bestand hauptsächlich aus Truppen,
die noch im Aumarsche waren.
Erst am 4. Oktober kam Mack zu einem Entschluß. Er wollte
die Franzosen, deren rechten Flügel er im Vormarsch über Stutt-
gart gegen Heidenheim wußte, in der rechten Flanke angreifen und
hiezu die Armee bis 8. Oktober bei Ulm beiderseits der Donau ver-
einigen^).
Aber schon in der am 5. Oktober von Mack zusammengestellten
Disposition für den Angriff wurde der Entschluß verwässert, indem
Mack angreifen oder die Küssen bei Ulm abwarten wollte.
Am 7. Oktober ließ Mack, dem die Folgen eines mißglückten
Angriffes Besorgnisse einflößten, die Absicht, auf dem linken Donau-
Ufer anzugreifen, ganz fallen. Er wollte die auf dem linken Donau-
Ufer abwärtsziehenden Franzosen auf dem südliehen Donau- Ufer
begleiten und über sie herfallen, sobald sie die Donau übersehritten.
Am 8. Oktober wurde auch dieser Entschluß hinfällig, da die
Franzosen bei Donauwörth schon auf das südliche Ufer gelangt
waren. Mack wollte jetzt mit der Armee auf dem nördlichen Donau-
Ufer stromabwärts ziehen und, den Franzosen ausweichend, die Ver-
einigung mit den Bussen suchen.
^) Am 4. Oktober, also am Tage der Entsehlußfassung, war die französi-
sche Armee schon in der Linie Söhnstetten, Schorndorf, Rosenberg, Ilshofen an-
gelangt, am 8. Oktober, an dem die Konzentrierung der Armee zum Angriff
gegen den von Stuttgart vorgehenden rechten Flügel der Franzosen beendet
sein sollte, sehlugen die. Franzosen die Division Auffenberg bei Wertingen süd-
lieh der Donau.
— 521 —
Am 9. Oktober früh schob Mack seine Armee auf die Nach-
richt vom Gefecht bei Wertingen nach Burgau vor, von wo er noch
in der Nacht zum 10. Oktober über Augsburg oder Landsberg ab-
marschieren vs^ollte.
um die Mittagstunde des 9. Oktobers änderte Mack seinen
Entschluß abermals, weil er den Marsch an den Lech nicht mehr
für ausführbar hielt. Er wollte mm in der Nacht zum 10. Oktober
bei Günzburg über die Donau gehen, auf dem linken Ufer gegen
Regensburg ziehen, dort aufs südliche Ufer zurückkehren und sich
mit Kienmajer und mit den Russen vereinigen. Der Angriff Neys
auf Günzburg vereitelte die Durchführung dieses Entschlusses. Die
Armee ging nach Ulm zurück.
Am 10. Oktober faßte Mack den Entschluß, noch au diesem
Tage mit der Armee über Heidenheim abzumarschieren, also Ulm
zu verlassen. Der Abmarsch wurde aber auf den 11. Oktober nach-
mittag verschoben.
In der Nacht zum 11. Oktober entschloß sich Mack, bei Ulm
zu bleiben und dort die Russen zu erwarten. Ein Korps wollte er
über Stuttgart gegen Straßburg vorstoßen lassen.
Am 11. Oktober wurde der Angriff der Division Dupont bei
Haslach abgewiesen.
Ermutigt durch das Gefecht bei Haslach, faßte .Mack am
12. Oktober den Entschluß, gegen die Verbindungslinien Napoleons,
und zwar gegen Stuttgart und Ellwangen vorzustoßen. Auf die
Vorstellungen seiner Generale ließ er die Absicht, ein Korps nach
Stuttgart zu senden, fallen. Am 12. mittag war seine Absicht am
13. Oktober die bei Haslach geschlagene Division Dupont mit der
ganzen Armee anzugreifen.
In der Nacht zum 13. Oktober faßte Mack auf die Meldung
vom Abzüge Duponts den Entschluß, mit der Armee über Heiden-
heim abzumarschieren, also Ulm zu verlassen.
Während des Abmarsches der Armee gab aber Mack diese
Absicht wieder auf.
In der Idee des Rückzuges der Franzosen befangen, faßte er
schon am 13. abend den Entschluß, bei Ulm zu bleiben und die
zurückgehenden französischen Kolonnen an den Rhein verfolgen zu
lassen.
Von diesem Entschlüsse konnte Mack nichts abbringen ; weder
die Vorstellungen des Armeekommandanten noch die Niederlage des
— 522 —
Korps Riesch bei Elchingen öffneten ihm die Augen. Dieser Ent-
schluß führte zur Eiuschließung Ulms und zur Kapitulation der
Armee.
Die Unklarheit und die Nebelhaftigkeit des Willens waren
Ursache, daß Mack zu keinem festen Entschluß kam. Er hatte zwar
Pläne, aber keinen Plan — er faßte zwar Entschlüsse, aber keinen
Entschluß. Er hatte die Initiative gleich anfangs dem Feinde über-
lassen und kam daher Napoleon gegenüber mit allen seinen Plänen
zu spät. Das plan- und ziellose Handeln übertrug sich auf die
Unterkommandanten und auf die Truppen und war somit die Ursache
ihres Versagens.
Es kann somit nicht wundernehmen, daß der Feldzug von Ulm
bei dem Kräfteverhältnis und bei diesem Unterschied in der
Führung so kläglich für die österreichische Armee endete.
Interessant ist die Verwertung der Festungen durch Napoleon.
Als im Oktober 1804 der Krieg gegen Österreich drohte, war
eine der ersten Sorgen Napoleons, sich die Brücken bei Straßburg
und bei Mainz durch Brückenköpfe zu sichern.
Kurz nach dem Beginne des Abmarsches von Boulogne erhält
Murat Anfang September den Befehl, alle Bhein-Festungen in Ver-
teidigungsstand zu setzen: Marmont mußte zu dem gleichen Zwecke
nach Mainz vorauseilen.
Obwohl Napoleon der Stärke seiner Armee nach sicher sein
konnte, den Krieg nach Deutschland Und Österreich zu spielen,
sicherte er sich also seinen Rücken und den Rhein durch die
Festungen.
Auf die Nachricht vom Einbrüche der Österreicher in Bayern
befahl Napoleon, die Festung Straßburg unbedingt geschlossen zu
halten, auch wenn seine Verbündeten an den Rhein zurückgedrängt
werden sollten; er will es nicht darauf ankommen lassen, daß der
Feind gleichzeitig mit den zurückgehenden Bayern und Württem-
bergern über den Rhein dringe.
Als die Große Armee den Rhein überschritt, war eine seiner
ersten Sorgen, den Brückenkopf bei Kehl herzustellen und diese
Arbeit zu sichern.
Obwohl Straßburg zum Ausgangspunkte der Etappenstraße be-
sonders geeignet war (stabile Rhein-Brücke, Festung), obwohl Straß-
— 523 —
bürg als der wichtigste Depotplatz für die xVrmee in Betracht kam,
ordnete Napoleon an, daß vom 1. Oktober mitternacht aii niemand
mehr die Brücke von Straßburg und den Brückenkopf passieren dürfe.
Er wollte Straßburg als Festung ganz geschlossen halten und ver-
legte daher die Etappenstraße über Speyer, wo nur eine Kriegs-
brücke stand.
Napoleon ordnete für alle Fälle die Instandsctznng von Würz-
burg und Forehheim an ; Würzburg sollte ihm den schiffbaren Main
beherrschen. Forchheim die Lücke zwischen Ansbach und Bayreuth
schließen. Beide Festungen hätten an Bedeutung gewonnen, wenn
die Ereignis.-e die Große Armee nach Böhmen geführt hätten.
Die Festung Hameln in Hannover sollte dem Willen Napoleons
Ausdruck geben, das Land in Besitz zu behalten. Sie sollte den
Feind zur Belagerung verleiten; Napoleon wollte dann noch recht-
zeitig heraneilen, ihn zu schlagen.
Obwohl also Napoleon entschlossen war, seine Überlegenheit
auszunützen, um durch eine schnelle Vorrückung den Krieg nach
Österreich selbst zu verlegen, sicherte er sich doch durch die
Festungen den Besitz wichtiger Punkte und Linien.
Er baute aber seine operativen Pläne nicht auf die Festungen
auf, er ließ sich durch sie nicht wie sein Gegner verleiten, die Ver-
wendung der Armee von der Lage der Festungen abhängig zu
machen.
Nach der Gefangennahme der österreichischen Armee sicherte
sich Napoleon sofort den Rücken, indem er den Hauptdepotplatz
Augsburg in stand setzen und armieren und bei Rain und Lands-
berg Brückenköpfe anlegen ließ.
XXL Verpflegung und Train.
Die Verpflegung der Armeen und das Mittel zum Transport
der Verpflpgsvorräte. der Train, nehmen auf den Verlauf der kriege-
rischen Ereignisse großen Einfluß, viel größeren Einfluß, als man
gewöhnlich nach unserer mangelhaften Kenntnis der Beweggründe
der Feldherren und nach der mangelhatten Kenntnis der Organisation
und Durchführung des Verpflegs- und Traindienstes annimmt.
Weil sich die Vernachlässigung dieser Zweige des militärischen
Dienstes im Felde auf Napoleon stützt, da gerade Napoleon — wie
gleich gesagt sein soll mit Unrecht — als Muster angerufen wird,
um die Mißachtung und Vernachlässigung von Verpflegung und
Train zu rechtfertigen, soll am Feldzuge von Ulm gezeigt werden,
welch großen, oft bestimmenden Einfluß diese auf die Entschlüsse
und Maßnahmen der Feldherren ausüben und wie gerade Napoleon
ihre Bedeutung ganz erkannt und gewürdigt hat.
Es sollen daher die Vorbereitung und Durchführung der Ver-
pflegung und das Train wesen der Franzosen und Österreicher, soweit
es die dürftigen Grundlagen gestatten, dargestellt und Folgerungen
aus den Tatsachen gezogen werden.
Franzosen.
Napoleon hatte seine Küstenarmee für die Überschitfung nach
England organisiert und ausgerüstet. Er erkaonte wohl, daß die
Landung nur Aussicht auf Erfolg habe, wenn es dem Admiral
Villeneuve gelänge, das Gros der englischen Flotte zu täuschen und
vom Kanal abzuziehen. Auf einen siegreichen Kampf seiner Flotte
mit der englischen Hauptflotte unter Nelson hat Napoleon nicht ge-
rechnet. Dies ist dadurch bewiesen, daß er seinen Plan zur Landung
auf die Irreführung des nach Westindien gelockten englischen
— 525 —
Admirals aufbaute. Napoleon hätte daher die Landung unternommen,
ohne vorher die Seeherrschaft ernmgen zu haben; er rechnete
ebensowenig- mit einer ständigen und sicheren Verbindung der ge-
landeten Armee, mit der Heimat wie bei der Expedition nach
Ägypten. Napoleon war sicher, nach geglückter Landung seiner
150.000 Mann starken Armee alles Nötige in England zu finden,
also Pferde für die Kavallerie und Artillerie, Wagen für den Train,
Verpflegung und Material zur Munitionserzeugung; er war sicher,
mit dieser Armee in kurzer Zeit jeden Widerstand der Engländer
zu brechen und diese zum Frieden zu zwingen, trotz der Flotte
Nelsons und trotz der ungebrochenen Seeherrschaft der Engländer.
Daraus folgte natürlich, daß Napoleon beabsichtigte, nur das Not-
wendigste mitzunehmen, damit die Überschiffung möglichst rasch
beendigt sein könne. Die Armee sollte daher nur das Notwendigste
an Verpflegung. Munition und Train mitnehmen. Die Kichtigkeit
dieser \'oraussetzung wird dadurch bestätigt, daß Napoleon sofort,
nachdem er zum Kriege gegen Österreich entschlossen war, die
Anfertigung von Zwieback, die Aushebung von 3750 vierspännigen
Wagen, den Ankauf von 5000 Trainpferden, die Bereitstellung der
Beschirrungen, die Sicherstellung der Munitionsvorräte für die Armee
und die Vorbereitung eines Brückentrains anordnete. Diese An-
ordnungen waren nötig, weil das alles bei der Laadungsarmee nicht
vorhanden war.
Am 28. August ging an Marraont der Befehl ab :
,, Da der Kaiser einen Herbstfeldzug unternehmen
will, haben wir keine Zeit, uns die Lebensmitteltrains. Ambulanzen
und andere Trains zu verschaffen, die doch für die Armee so nötig
sind. Das alles kann Ihnen Holland liefern : setzen Sie daher alles
dazu ins Werk."
Wir müssen also festhalten : Die Küstenarmee hatte Ende
August keine Verpflegsvorräte. keinen Train, nur wenig Artillerie-
bespannungen, keinen Brückentram, keine Ambulanzen; auch in den
Festungen am Rhein fehlten die großen Verpflegsmagazine. die für
den Beginn eines Kontinentalkrieges nötig gewesen wären.
Als sich daher Napoleon Ende August zum Kriege gegen
Österreich entschloß, mußte er mit dieser Situation rechnen. Napoleon
erkannte selbstverständlich die Nachteile dieser \'erfassung der Armee
vollkommen; da er aber auch erkannte, daß diesen Mängeln nur
nach einer langen \'orbereitungszeit abgeholfen werden könnte,
— 526 —
diese Zeit ihm angesichts der Rüstungen Österreichs und Rußlands
nicht zur Verfügung stand, konnte diese ungünstige Verfassung der
Armee seinen Entschluß zum Kriege nicht beeinflussen. Er mußte
an Abhilfen denken.
Train.
Als Ersatz für den fehlenden ärarischen Train ließ Napoleon
die Trains aus Landesfuhrwerken zusammenstellen. Die Korps er-
hielten den Auftrag, sich ihren Train — die Artillerieparks und
Lebensmitteltrains — aus Laudesfuhren zu bilden, während ihnen
die Ambulanzen zugewiesen werden sollten. Sie mußten in der Folge
auch diese aus requirierten Wagen zusammenstellen. Für den Großen
Artilleriepark wurden 2500, für einen Lebensmittel park der Armee
1000 vierspännige Wagen requiriert.
Am 23. August war der Befehl an Marmont ergangen, bei
seinem Abmarsch aus Holland soviel Bespannungen als möglich
mitzunehmen. Außer diesen Vorsorgen hatte Napoleon auch 2000
Zugpferde vom Kurfürsten von Bayern verlangt. Das alles liefert
den Beweis, daß Napoleon mit dem Armeetrain durchaus nicht
sparen wollte.
Leider liegen keine sicheren Daten vor. wie viele Wagen auf
diese Art von der Armee mitgenommen worden sind. Alles was
sich über den Train der französischen Armee nach verbürgten Nach-
richten sagen läßt, ist folgendes:
Jedes Regiment (1500— 2000 Mann stark) hatte 2— 5 Bagage-
wagen. 1 Ambulanzwagen für jedes Bataillon, einige Lebensmittel-
wagen und zeitweise 1 — 2 Fleischwagen. Jeder General hatte
1 — 2 Wagen. Das war der ganze „Truppentrain".
Dieser Truppentrain hätte aus ärarischen Trainfuhrwerken be-
stehen sollen. Weil diese aber nicht rechtzeitig zur Armee kommen
konnten, mußte auch dieser Train fast ganz aus requirierten Bauern-
wagen gebildet werden.
Im Laufe der Märsche mochte der Bagagetrain wohl zu-
genommen haben. Marschall Davout sah sich wenigstens am
6. Oktober veranlaßt, einen eigenhändig geschriebenen scharfen Befehl
zu erlassen, wonach bei seinem Korps gestattet waren : Ein Wagen
für den Divisionär und dessen Generalstab, ein Wagen für die
Brigadegenerale, 3 Wagen für jedes Regiment einschließlich aller
Offiziere, 3 Wagen für den Korpsintendanten und seine Organe,
1
— 527 —
2 Wagen für das Hauptquartier des Marschalls und 2 Wagen für
seinen Generalstab. Der Befehl schließt: „Alle Wagen, die ent-
gegen diesem Befehle dem Korps folgen, werden vernichtet und in
die Gräben geworfen."
Alle Bedürfnisse der Truppen, die über diese karge Ausrüstung
hinausgingen, wurden auf den Trains der Korps fortgebracht, die
hinter der Truppenkolonne marschierten. Wie groß diese Trains waren,
läßt sich nicht feststellen. Ihre Stärke schwankte wohl je nach dem
Bedarfe, mochte aber im Laufe der Operationen eher größer geworden
sein, weil viele Trains bei den starken Märschen zurück blieben und
durch neuformierte Trains vorübergehend ersetzt werden mußten.
Einige Angaben lassen auf die Größe dieser improvisierten
Trains schließen.
Marschall Davout meldete vor dem Rhein-Übergang, daß viele
der für sein Koips requirierten Wagen offen und ohne Decken
seien, sich daher für den Zwiebacktransport nicht eigneten ; er bat,
600 dieser Fuhrwerke entlassen zu dürfen^). Eine andere Quelle
gibt an: 20.000 Wagen mit ihren Kutschern und Pferden, die in
einigen unserer Departements in Requisition gesetzt wurden, machten
sich auf den ersten Ruf auf und eilten an den Rhein ^).
Wie die spätere Darstellung zeigen wird, wurden diese Fuhr-
werke über den Rhein mitgenommen. Französische Wagen und
Wagen aus Holland, Baden, Württemberg und Bayern gelangten mit
der Armee bis Wien und Brunn.
Eine beim österreichischen Armeekommando eingelaufene Kund-
schaftsnachricht lautete: „Die Franzosen haben wenig Bagagen bei
sich, aber jede Kolonne hat etliche hundert leere vierspännige Wagen
und in Kisten gepackt viel Zwieback^)."
Schon erwähnt wurde, daß für den Großen Artilleriepark 2500,
für den Lebensmittelpark der Armee 1000 vierspännige Wagen
requiriert worden sind. Der Generalartillerieinspektor Songis verlangt
aber Mitte September noch lOÜO vierspännige Wagen für den
Großen Artilleriepark^).
») Alombert et Colin, 11, S. 10,
^) Kurze historische Darstellung des Feldzuges Napoleons des I. in Deutseh-
land im Jahre 1805 von zwei Offizieren des napoleonisehen Generalstabes.
8) Kriegsarehiv, 1805, Deutsehland FA, X, 46V2.
■•) Überdies hatte die Gesellschaft Breidt, die zur Wagenbeistellung ver-
pflichtet war, noch einige Trainbrigaden aufzustellen, die aber erst nach der
Kapitulation Ulms zur Armee kernen.
— 528 —
Trotzdem die Armee also aus Fraukreieh zahlreiche Landes-
fuhren mitnahm, wurden in Deutschland überall Pferde und Wagen
requiriert. Nach den im Kriegsarchiv vorhandenen Meldungen haben
z. B. Soult 100 vierspännige Wagen in Karlsruhe und 100 in Heil-
bronn, Ne}' 250 vierspännige Wagen in Stuttgart requiriert.
FML. Rouvroy, der Kommandant der Artilleriereserve, meldete
am 14. Oktober aus Ober-Kochen und am 16. Oktober aus Aalen,
daß er JVIunitionswagen stehen lassen mußte, da er keine Pferde für
die gefallenen des Parkes auftreiben konnte. Alle Pferde und Wagen
der von der Artilleriereserve durchzogenen Strecke (Herbrechtingen.
Heidenheim, Aalen) waren von den Franzosen mitgenommen worden.
Diese Ansaben lassen schließen, daß der Armeetrain der
200.000 Mann starken Armee, wie nicht anders möglich,
ziemlich beträchtlich war.
Dieser aus Landesfuhren gebildete Train zeigte in seiner Ver-
wendung schwere Nachteile. Als die Fuhrwerke über den Rhein
mitgenommen wurden, Verpflegung und Geldeutschädigungen aus-
blieben, desertierten die Kutscher mit ihren Pferden in großer Zahl.
Der Generalstabschef Murats verlangte am 20. September vom General-
intendanten pünktliche Bezahlung der Kutscher und gute Verpflegung,
da dies das einzige Mittel sei, die Desertionen zu verhindern.
Marschall Soult meldete am 1. Oktober, daß bei seinem Korps seit
dem Rhein-Übergang, also in 4 Tagen, 300 Trainpferde verschwunden
sind. In den Trains war die Ordnung nur schwer aufrechtzuer-
halten. Davout sah sich daher veranlaßt, am 4. Oktober zu befehlen,
daß bei jeder Division ein Wagenmeister, beim Korps ein General-
wagenmeister das Kommando über den Train zu führen habe. Das
Korps habe besonders in Feindes Nähe in größter Ordnung zu
marschieren, damit es nicht wie eine Völkerwanderung (colonie)
aussehe.
Marschall Davout berichtete über die Formierung seines Trains :
„Es ist unmöglich, bestimmte Angaben über die vom Departe-
ment Rhin et Moselle gesandten Wagen und Pferde zu machen.
Die Kondukteure sind ohne Kontrolle und in der größten Unordnung
mit ihren Konvois angekommen. Kutscher haben ihre Pferde preis-
gegeben und sind desertiert; andere sind mit ihren Pferden und
Wagen durchgegangen, andere haben während des Weges sehr gute
Pferde gegen schlechte ausgetauscht. Die Wagen und Geschirre
haben viel Reparatur nötig; es ist unerläßlich, die Wagen vorne
— 529 -
und hinten zu schließen, denn ohne diese Vorsorgen kann mau sie
nicht beladen. Es ist nicht weniger notwendig, sie zu bedecisen."
Ein weiterer Übelstand war, daß die meisten Fuhrwerke
schwere vierspännige Wagen waren, wie sie damals zum Frachten-
verkehr auf den Straßen verwendet wurden. Auf guten trockenen
Straßen entsprachen diese Wagen vorzüglich; sowie die Kolonnen
aber auf mindere Wege kamen und wie die Witterung anhaltend
schlecht wurde, konnten sie den Kolonnen während der starken
Märsche nicht folgen und blieben zurück.
Am 7. Oktober hatte General Baraguay d'Hilliers dem Armee-
kommando zu berichten, welche Wagen an diesem Tage durch
Heidenheim fuhren. Er meldete unter anderem „13 Wagen der
1. Dragonerdivision mit zusammen 51 tonneaux Zwieback". Ein
Wagen hatte somit etwa 4 t oder 40 q Ladung^). Es ist einleuch-
tend, daß so schwere Wagen auf minderen Wegen den Truppen
nicht zu folgen vermochten.
So meldete Davout am 6. Oktober :
„Mein Zwiebackvorrat ist noch 2 Märsehe hinter mir,"
und am 10. Oktober:
..Der letzte Stillstand in Aichach hatte die wohltätigsten Folgen,
da er es den Lebensmittelparks möglich machte, das Korps einzuholen''.
Die Disposition des 5. Korps für den 12. Oktober enthält fol-
gende Stelle:
„Die Wagen mit den Lebensmitteln und Getränken, deren
Requisition dem Korpsintendanten in Burgau gelingt, haben hinter
der Ambulanz zu marschieren. Außerdem haben die zurück-
gebliebenen Lebensmittel wagen ihren Marsch mögliehst zu
beschleunigen."
Am 20. Oktober schreibt der Generalstabschef des 5. Korps an
den Korpsintendanten :
„Wäre es nicht möglich, unseren Zwieback- und Branntwein-
konvoi wieder zu finden? Schicken Sie jemand auf die Suche."
Die Schwere der Fuhrwerke war die Ursache, die Trains oft
auf bessere Wege zu verweisen, als es die Wege waren, die von den
Kolonnen benützt werden mußten. Die große Wichtigkeit dieser Trains
veranlaßte dann, mit ihrer Führung Generalstabsoffiziere zu betrauen.
*) Da das metrische Maßsystem schon 1799 in Frankreich eingeführt
■worden war, konnte General Baraguay d'Hilliers unter dem Ausdruck „tonneau"
nur die Tonne zu 1000 kg verstanden haben.
KrauKS. 180,5, Der Feldzug vou Ulm. 34
— 530 —
So heißt es in einem Befehl des Generalstabsehefs des 5. Korps
an einen Generalstabsoffizier (6. Oktober) :
„Der Lebensmittelpark, mit dessen Führung Sie beauftragt
waren, hat heute in Ebnath zu näehtigeu,"
und am 7. Oktober richtete er an einen Generalstabsmajor fol-
genden Befehl:
...... Da dieser Weg für die Wagen unbenutzbar ist, hat
der Herr Marschall angeordnet, daß der Artilleriepark und der Ver-
pflegstrain über Nördlingen nach Donauwörth marschieren. Sie haben
den Marsch dieser Trains zu leiten, auf deren Ankunft der Marschall
das größte Gewicht legt. Er rechnet auf Ihren Eifer und daß Sie nichts
von den Truppen anderer Korps wegnehmen lassen, daß kein Wagen
die Kolonne verlasse und daß alles so rasch als möglich ankomme."
Welche Bedeutung Napoleon den Trains zumaß und wie sehr
er über die Nachteile der requirierten Trains im klaren war, zeigt
ein Diktat Napoleons an den Generalartillerieinspektor General Songis
vom 1. September :
„Aber wie soll man 3000 oder 4000 Bauernwagen führen?
Hier ist angegeben, womit man sich beschäftigen muß : Man teile
sie in Brigaden von 50 Fuhrwerken und stelle an die Spitze jeder
Brigade einen Brigadier. Für je 500 Wagen wäre ein Train- oder
Artillerieoffizier, für je 1000 Wagen ein Artillerieoffizier als Komman-
dant zu bestimmen."
Napoleon, der Kaiser und Kommandant einer 200.000 Mann
starken Armee, nahm sich also noch die Zeit, Anhaltspunkte für die
Gliederung und Führung der großen Parks zu geben! Die Sache
muß somit doch wichtig sein !
Um das Trainwesen abzuschließen, sei hier auch bemerkt, daß
zur Versehung des Frachtdienstes auf der Etappenstraße in Ent-
fernung von je 3 Wegstunden oder 13 hm ßelais von je 60 vierspän-
nigen Wagen aufgestellt wurden, so daß der Etappentrain für die
damals etwa 360 hm lange Etappenstraße Straßburg, Speyer, Heil-
bronn, Donauwörth, Augsburg etwa 1800 vierspännige Wagen be-
tragen mochte.
Verpflegung.
Schwieriger als beim Train war die Abhilfe für die fehlende
Verpfl-'gung. Der Verpllegstrain hätte in noch reicherem Maße aus
Laudesfuhren gebildet werden können; aber die Massen an Vorräten,
— 531 —
die nötig gewesen wären, um diesen Train zu füllen, konnten nicht
beschafft werden.
Napoleon mußte sich deshalb auch diesmal auf die Vorräte des
Kriegsschauplatzes verlassen, obwohl er klar erkannte, daß die Größe
seiner Armee ihre Verpflegung vom Lande wesentlich schwieriger
machen werde als in seinen frühereu Feldzügeu. In diesen Feld-
zügen hatte es sieh doch immer nur um Armeen von höchstens
HO.OOO — 40.000 Mann gehandelt. Jetzt war die Armee mehr als
fünfmal so stark.
Die außerordentlich scharfe Auffassung und Voraussicht, die
Napoleon in allen Zweigen der Kriegskunst bekundete, zeigte ihm
aber auch da die Mittel, diese Schwierigkeit zu überwinden.
Er erkannte vor allem, daß der Herbst die günstigste Jahres-
zeit war, um unter solchen Bedingungen Krieg zu führen. Im Herbste
waren die Ergebnisse der Ernten noch zum geringsten Teil auf-
gezehrt und überdies mußte man sich damals in »Stadt und Land
für den Winter mit reichen Vorräten versehen, weil der Verkehr
im Winter meist stark unterbunden war.
Er erkannte weiter, daß die Ausnutzung der Landesmittel nur
dann zur Verpflegung seiner großen Armee ausreichen werde, wenn
er seine Truppenmassen solange als möglich in vielen Kolonnen
maschieren ließ. Er erkannte also die Notwendigkeit, getrennt zu
marschieren.
Die Erkenntnis dieser Notwendigkeit war, wie schon auf
Seite 225 bemerkt worden ist, Anlaß, daß Napoleon die geplante Mas-
sierung seines Heeres bei Straßburg aufgab, sobald er über die
traurige Lage der Verpflegsvorsorgen unterrichtet vpar, und daß er
seine Armee in weit getrennten Korpskolonnen nach Deutschland
einrücken ließ. Bei der Stärke seiner Kolonnen konnte aber die weite
Trennung der Korps allein auch nicht genügen. Die Kolonnen
mußten auch jeden Tag in neue Gebiete kommen, um genug Ver-
pflegsvorräte zu finden ; daher waren auch für die Verpflegung starke
Märsche geboten^). Da die operative Absicht des Kaisers und diese
^) Die Richtigkeit dieser Ansicht ist leicht einzusehen. Wenn ein Korps
einen Raum von 100 km Tiefe durchschreiten soll und in den Ortschaften beider-
seits seiner M:irsehlinie seinen Bedarf für 5 Tage aufbringen kann, dann muß
das Korps, wenn es von den Landesmitteln allein leben soll, diesen Raum in
5 Tagen durchschritten haben, also täglich 20 hm marschieren. Marschiert
das Korps langsamer, z. B. nur 14 km täglich, dann werden die Mittel des Landes
34*
— 532 —
Verhältnisse für die Verpflegung der Armee starke Märsche erfor-
derten, die Herabminderung der Marschleistung die Verpflegung nur
noch erschweren mußte, blieb Napoleon auch gegenüber allen
Klagen seiner Marschälle ungerührt. Er ließ am 12. Oktober an alle
Korpskommandanten schreiben: „Die Schnelligkeit der Märsche muß
natürlich Verpflegsschwierigkeiten im Gefolge haben, besonders
wegen des Brotes. Aber da die Armee gerade dieser SchnelHgkeit
einen Teil ihrer Erfolge verdankt, dürfen wir nicht langsamer
werden. Wenn Brot mangelt, so ist ein gutes Mittel, die Fleiseh-
portion auf das Doppelte oder Dreifache zu erhöhen. Wollen Sie
alle Eessourcen des Landes ausnützen, damit die Verpflegung des
Soldaten auf die eine oder andere Weise gesichert sei^)."
zur Verpflegung des Korps, das sieh 7 Tage in dem Eaume von 100 km auf-
hält, nicht hinreichen ; marschiert das Korps aber schneller, also z. B. 25 km
täglich, dann kann der Marsehraum das Korps nicht nur erhalten, sondern
es sogar mit einem Überschuß von 1 Tag Verpflegung versehen. Bei einer
raschen Vorrückung muß allerdings die Aufbringung der Lebensmittel gut or-
ganisiert sein; sie darf nicht zu stark zentralisiert sein, soll daher durch die
auf einem größeren Räume verteilten Truppen selbst besorgt werden. Allerdings
wird bei einer raschen Vorrückung nicht darauf zu rechnen sein, daß man alle
Lebensmittel genußfertig erhält; vor allem wird es unmöglich sein, daß die Be-
völkerung in so kurzer Zeit die großen Massen von Brot liefere, die für ein
Korps nötig sind. Da müssen die Truppen entweder selbst in der Lage sein, das
Brot zu backen — Peldbacköfen — oder sie müssen mit dem Mehl und den
daraus herstellbaren Gerichten vorlieb nehmen.
Extreme Marschleistungen, bei denen die Zeit zur Aufbringung der Ver-
pflegung fehlt, müssen selbstverständlich Verpflegsschwierigkeiten zur Folge
haben, wenn die Truppen ausschließlich auf die Mittel des Landes an-
gewiesen sind.
\) Es heißt der Menschenkenntnis des Kaisers ein schlechtes Zeugnis aus-
stellen, wenn man wie der englische Oberst Maude in seinem Werke „Die Ent-
wicklung der modernen Strategie seit dem XVIIL Jahrhundert bis zur Gegen-
wart" (deutseh von Professor Julius Nestler) sagt:
„Darauf erhielt er keine Antwort (Davout auf seinen Brief wegen Er-
sehießens einiger Marodeure ; s. S. 552) — und dieser Umstand mit Berthiers Brief
an Marmont (S. 553) in Verbindung gebracht, enthüllt nur zu klar den maehiavel-
listisehen Plan des Kaisers. Hunger war die treibende Kraft — was lag daran,
wenn die Einwohner litten und die schwächeren Leute unter den Soldaten
starben? Die Überlebenden mußten wie ein Rudel Wölfe ihrer Nahrung nach-
jagen; so und nur so konnte der Kaiser den Massen Beweglichkeit, das
Geheimnis seiner Strategie einflößen."
Es ist ohneweiters klar, daß eine hungernde Armee nie nach vorne
durchgeht. Das Mittel wäre auch gar zu einfach.
— 533 —
Da Napoleon erkannte, daß die Truppen nicht von der Hand
in den Mund, also nicht von den täglichen Eeqnisitionen direkt
leben konnten, mußten die Truppen einen viertägigen Brotvorrat
bei sich führen, der täglich zu ergänzen war^). In der weiteren Er-
kenntnis, daß das Zusammenziehen der Truppen zur Schlacht und
ihr längeres Beisammenbalten die Verpflegung vom Lande nahezu
ausschlössen, mußten die Truppen einen mehrtägigen Reservevorrat
an Zwieback mit sich führen.
Napoleon schwächte also die Folgen des Mangels an Verpflegs-
trains durch folgende Maßnahmen ab : Leben durch Requisition vom
Lande und Sicherstellung der Kontinuität dieser Verpflegung dadurch,
daß ein mehrtägiger Vorrat auf Landesfuhren bei den Korps mit-
geführt wurde; getrenntes Marschieren der Korps in starken Märschen,
um täglich frische, unausgenützte Räume zu erreichen ; Mitführen
eines Reservevorrates für die Zeit der Konzentrierung der Korps zu'"
Schlacht ; Ausnützung aller Hilfsquellen des Landes, ohne Rücksicht
auf die gebührenden Artikel und Mengen, also Ersatz der fehlenden
wichtigen Artikel durch andere, z. B. des Brotes durch Fleisch und
umgekehrt.
Die Anordnungen Napoleons waren demnach :
Alle Korps hatten den Rhein mit 4tägigem Brotvorrat zu über-
schreiten. Sie hatten auf Wagen für 4 Tage Zwieback mitzunehmen,
der nicht zur regelmäßigen Verpflegung verwendet werden durfte,
sondern nur bestimmt war „für die Verpflegung an einem Schlaehttag
und in dem Falle, wenn Sie genötigt sind, Ihre Truppen zusammen-
zuziehen, wenn also die Verhältnisse Ihnen nicht erlauben, sich
weiter auszudehnen" ^).
Der Kaiser ließ aber beifügen :
„Ohne die übergroße Eile der Bewegung hätte der Kaiser ge-
wünscht, daß alle Kolonnen der Armee für 12 Tage Zwieback bei
sich hätten."
^) Es handelte sich natürlich nicht um Brot allein. Die Truppen führten
ihre volle Verptiegung für 4 Tage, also Brot, Gremüse. Gewürze, Getränke, meist
auch Fleisch und Hafer mit sieh.
^) Befehl an Davout vom 20. September. Gleich oder ähnlich lautende
Befehle ergingen an diesem Tag an alle Korpskommandanten. (Alombert ef
Colin, II, 290.)
Napoleon wiederholte diesen Befehl am 7. Oktober mit dem Beisatze: ..was
so wichtig für den Erfolg der militärischen Operationen ist".
— 534 —
Dieser Beisatz beweist, daß Kaiser Napoleon im Jahre 1805
nur aus der Not eine Tugend gemacht hat und daß die kleinen
Verpflegstrains seiner Armee durchaus nicht einem seiner Grund-
sätze entsprachen.
Den Korps war aufgetragen, ihre Eequisition auf einer Seite
ihrer Marschlinie durchzuführen ; so hatte z. B. Ney zur Linken
seiner Marschlinie bis zur Marschlinie Soults, dieser wieder zur
Linken bis zur Marschlinie Davouts zu requirieren ^). Im Lande der
Alliierten sollten alle gelieferten Vorräte Ijar bezahlt oder quittiert
werden, damit sie nachträglich gezahlt werden könnten. Die für den
Transport der requirierten Vorräte aufgenommenen Wagen sollten
immer wieder in ihre Heimat entlassen und durch neu aufgenommene
Wagen ersetzt werden.
Napoleon gab ferner am 15. September Befehl, in Würzburg
300.000 Portionen Zwieback sicherzustellen ^j.
Nirgend finden sich Anordnungen, auch Pferdefutter mitzu-
nehmen. Die Pferde sollten ganz auf die örtlichen Vorräte gewiesen
sein. Trotzdem nahmen alle Korps Hafer in größerer Menge mit sich.
So fuhren am 7. Oktober durch Heidenheim: 10 Haferwagen der 1.,
7 der 2. und 15 der 3. Dragonerdivision, 12 für das Hauptquartier
Murats und 54 für das Korps Ney. Alle diese Wagen waren vier-
spännig und mochten wenigstens mit je 15 — 20 q beladen gewesen
sein, so daß z. B. das 6. Korps mindestens einen etwa Stägigen
Hafervorrat mit sich führte.
Napoleon gab somit nur ganz allgemeine Anordnungen und
überließ es dem Geschmack und der Erfahrung seiner Marschälle,
die Verpflegung ihrer Korps zu organisieren.
Die Durchführung der Verpflegung bei den Korps zeigt denn
auch große Verschiedenheiten.
^) Diese Art der Zuweisung von ßequisitionsräumen hat sieh nicht bewährt
und zu zahlreichen Reibungen geführt. Es war vor allem unnatürlich, daß ein
Korps Ortschaften, die knapp rechts seiner Marschlinie lagen, nicht ausnützen
sollte. Jede Veränderung der Marschgruppierung hatte Differenzen zwischen den
Korps zur Folge. Daher waren auch die Klagen über Eingriffe und Übergriffe
anderer Koi-ps sehr häufig.
^) Der Befehl hiezu war an Berthier gerichtet und lautete: „Sagen Sie
dem Herrn Otto, daß es nötig ist, in Würzburg 300.000 Portionen Zwieback her-
stellen zu lassen und die Zitadelle zu verproviantieren, damit man den militäri-
schen Operationen die ganze erforderliehe Schnelligkeit geben könne. Sagen Sie
ihm, daß er um Gottes willen nicht einen Augenblick verliere. Es ist dringend
nötig, nicht einen Augenblick zu verlieren, um Zwieback zu haben."
— 535 —
Marschall Key, der sich im allgemeinen wenig um Ordnung
und Disziplin in seinem Korps kümmerte, begnügte sich damit,- eine
sehr eingehende Instruktion über die Durchführung der Quartier-
verpflegung hinauszugeben, die regelmäßig eintreten sollte, wenn die
Truppen nicht aus Magazinen fassen konnten. Diese Fassungen aus
Magazinen waren nur während des Aufenthaltes in Stuttgart mög-
lich, wo das Korps einige Tage stehen blieb.
Die Quartierverpflegung konnte nur solange angewendet werden,
solange das Korps weit vom Feind entfernt war, somit Quartiere
beziehen konnte und auch täglich in neue, noch wenig berührte Orte
kam. Als das Korps aber vom 8. Oktober an in derselben Gegend
blieb und wegen der Nähe des Feindes in erhöhter Kampfbereit-
schaft lagern mußte, konnte die Quartierverpflegung dem Korps
nicht mehr nützen. Da Ney auf das Mitführen von Vorräten und
ihre regelmäßige Ergänzung keinen besonderen Wert gelegt hatte,
die wenigen Ortschaften das Korps auf die Dauer nicht erhalten
konnten, mußten Verpflegsschwierigkeiten eintreten, besonders als
noch die Division Gazan des 5. Korps am 11. Oktober in denselben
Eaum (nach Günzliurg) verlegt wurde.
Der Korpsintendant meldete am 9. Oktober an Ney :
„ . . . . Es ist ganz unmöglich, den 4tägigen Brotvorrat zu
erzielen; weit entfernt davon, weiß ich nicht einmal, wie ich
überhaupt die tägliche Verpflegung des Korps aufbringen soll, wenn
es in den jetzigen Positionen bleibt. Da das Korps rund herum von
anderen Truppen umgeben ist, so kann nur ein Vormarsch neue
Lebensmittel zugänglich machen. Sie dürfen nicht, Herr Marschall,
sich auf eine Intendanz verlassen, der weder eigene Mittel noch
Landesressourcen zur Verfügung stehen
„ . . . . Ich habe an den Generalintendanten einen Kurier ge-
schickt, damit er uns mit Gewaltmärschen aus den im Rücken der
Armee von ihm dirigierten Trains Aushilfe schicke."
Am 11. werden seine Klagen noch lebhafter; er meldet:
„ . . . . Da die Divisionen morgen außerhalb Günzburg stehen
werden, schlage ich vor, daß ich morgen hier bleibe, um die von
mir ausgeschriebene Requisition durchzuführen. Aber ich erfahre
soeben, daß morgen die Division Gazan hier einrücken soll : dann
kann ich nicht mehr auf die Mittel der Stadt rechnen und ich muß
fürchten, daß dann die Verpflegung total versagen müßte. Wenn Sie
dieser Unannehmlichkeit vorbeugen wollen, bitte ich zu veranlassen,
— 536 —
daß die Division Gazaii an einen anderen Ort dirioiert und außerdem
mir eine Eskadron zurückgelassen wird, mit der ich die vorgeschrie-
benen Lieferungen erzwingen könnte."
General Bourcier, Kommandant der 4. Dragonerdivision, meldet
am 9. Oktober aus Bolheim an Marschall Berthier:
„ . . . . Ich habe bisher nur mit der größten Schwierigkeit
Verpflegung für meine Division finden können: seit einigen Tagen
hat sie weder Brot noch Fleisch und auch nur sehr wenig Hafer
bekommen. Die Dörfer, wo wir kantonierten, waren stets schon durch
die vorausmarschierenden Truppen ausgesogen,"
und am 10. Oktober an Ney:
„Seit einigen Tagen hat die Division weder Brot noch Fleisch
erhalten, bloß ein wenig Käse. Ich bitte mich zu ermächtigen,
in Börslingen, Setzingen und Wettingen zu kantonieren, vielleicht
finde ich in diesen Orten etwas. Ich habe einige Offiziere in die
nächsten Orte zu meiner Rechten gesandt, um zu rekognoszieren,
ob sie Ressourcen bieten, woran ich sehr zweifle, da sie bereits
belegt waren. Die Erschöpfung meiner Pferde veranlaßt mich zu
bitten, Herr Marschall, die Verpflegung nehmen zu dürfen, wo sie
sich findet."
Beim 5. Korps (Lannes) und bei der Reservekavallerie
(Murat) scheinen keine Direktiven für die Durchführung der Ver-
pflegung erlassen worden zu sein, da nur eine Reihe nach und nach
erlassener Befehle vorhanden ist. Die wichtigsten dieser Befehle
folgen hier:
Korps Lannes. Am 3. Oktober ergingen in Ludwigsburg an
den Korpsintendanten folgende Befehle:
1. „ . . . . Treffen Sie Ihre Anordnungen, damit das ganze
Korps, das sich heute vereinigen soll, die Division d'Hautpoul und
die Garde, die dem Korps folgen werden, zusammen ungefähr 26.000
Mann, beständig, al?o sowohl während ihres Aufenthaltes bei Ludwigs-
burg als während der künftigen Märsche, mit 4 Tagen Brot und
2 Tagen Fleisch versehen seien.
„Der Marschall wünscht auch, daß die Kavallerie während der
Märsche mit eintägigem Hafervorrat versehen sei."
2. „ . . . . Ich teile Ihnen mit, daß das Korps morgen bei
Tagesanbruch nach Schorndorf abmarschieren wird; es wird den
Marsch nach Gmünd und Aalen fortsetzen, wo es am 6. Oktober
eintreffen soll.
— 537 —
„Sorgen Sie dafür, daß die KavalleriedivisioD, die Grenadier-
division, die Division Gazan, die iaeute eintreffen soll, und die ganze
Artillerie des Korps heute abend mit Brot auf 4 Tage, mit Fleisch
für 2 Tage und mit Hafer auf 1 Tag versehen seien.
„Sorgen Sie auch, um täglich diesen Vorrat wieder zu er-
gänzen."
3. „ . . . . Da die Division Gazan, die um 3^^ nachmittag hier
hätte eintreffen sollen, noch nicht hier ist, ändert der Marschall
seine Yerpflegsdisposition vollständig. Lassen Sie alles Brot, das in
den Magazinen von Ludwigsburg und Osweil ist, auf Wagen ver-
laden und der Division Oudinot folgen, die mit Tagesanbruch nach
Schorndorf abmarschiert. Das gleiche gilt für Zwieback und Brannt-
wein. Der General Oudinot wird eine Wache für diesen Konvoi bei-
stellen. Die Division Gazan soll sich selber verpflegen.
„Sie haben sich sodann mit einem Beamten von der Division
Oudinot nach Schorndorf zu begeben und auf dem Wege dahin und
in der Umgebung dieses Ortes alles für die Verpflegung des Korps
vorzubereiten. Ihr Marsch ist durch eine Kavalleriebrigade gedeckt,
die heute um lO'' nacht aufbricht."
In Schorndorf erhielt der Korpsintendant am 4. Oktober den
Befehl :
„ . . . . Sie müssen an der Queue jeder Division das bei den
Verteilungen erübrigende Brot nachführen lassen ; selbstverständlich
müssen auch der Zwieback und Branntwein stets den Kolonnen
folgen. Der General Oudinot hat die Wachen hiefür beizustellen."
Am 5. Oktober erging in Lorch an General Gazan der
Befehl :
„ . . . . Der Marschall Lannes will, daß Sie Ihre Truppen aus
den Mitteln Ihrer Nächtigungsorte erhalten, so daß Sie beständig
den Vorsprung von 4 Tagen Brot und 2 Tagen Fleisch haben,
d. h, Sie müssen täglich nachfassen lassen,"
und an den Korpsintendanten :
„ . . . . Der Marschall ist um so beunruhigter, daß wir nicht
den 4tägigen Brotvorrat haben, als auch unsere Zwiebackbestände
nicht vollständig sind. Die Marschordnung ist noch immer die gleiche.
Die Grenadiere brechen um 4^^ früh auf.
„Jedem Mann ist eine Flasche Wein auszugeben. Die Landes-
fuhrenkutscher und Pferde müssen geradeso verpflegt werden wie
die Armee."
— 538 —
An den Bürgermeister von Aalen wurde am 5. ein ßequisitions-
schreiben g-erichtet :
„Die Gemeinde hat bis morgen 2^ nachmittag je 30.000 Por-
tionen Brot, Fleisch und Reis für das 5. Korps zu liefern. Sie können
auch die umliegenden Dörfer zm' Lieferung heranziehen^)."
Am 7. Oktober schrieb der Generalstabschef aus Donauwörth
an den General Gazan:
„ . . . . Der Marschall fordert Sie auf, sich selbst Brot zu ver-
schaffen und soviel als möglich mitzuführen. Wir leiden hier auch
schon großen Mangel ; also kümmern Sie sich selbst, es ist Ihr
eigenstes Interesse."
Am 17. Oktober erhielt der Bürgermeister von Schelkingen ein
Requisitionsschreiben lolgenden Inhalts:
„Nach dem Befehle des Kommandanten des 5. Korps hat der
Bürgermeister von Schelkingen sofort 4000 Laib Brot zu 3 Pfund,
40 Säcke Hafer und 10 Rinder zu liefern. Das alles muß pünktlich
um ()^ abend auf dem Platze von Blaubeuren abgeliefert werden.
Sollte die Lieferung nicht pünktlich erfolgen, wird sich eine starke
Abteilung zur militärischen Durchführung der Requisition nach
Schelkingen begeben.
„Der Bürgermeister hat die ganze Nacht Brot backen zu lassen,
um morgen den 18. Oktober 5000 Laib Brot zu 3 Pfund liefern zu
können, die nach Söflingen zu senden sind, wo sie um die Mittags-
stunde zu übergeben sind."
Ein ähnliches Sehreiben ging am gleichen Tag an den Bürger-
meister von Blaubeuren ab. Dieser Ort hatte am 17. Oktober 6300
Laib Brot zu 2 Pfund und 16 Säcke Hafer, am 18. Oktober 7000
Laib Brot zu 3 Pfund zu liefern^).
Am 20. Oktober erging in Nördlingen an den Korpsintendanten
der Befehl :
„Das Korps wird am 22. und 23. in Ingolstadt ankommen.
Reisen Sie morgen früh mit Post dahin und bereiten Sie 100.000
Portionen Brot und ebensoviel Zwieback vor; Sie können auch alle
Städte und Dörfer der Umgebung zu dieser Lieferung ausnützen.
Bei der Durchreise durch Donauwörth stellen Sie dort das Brot für
^) Die Stadt Aalen zählte samt den zum Stadtgebiete gehörenden Weilern
3000 Einwohner. Es entfielen somit zehn Portionen auf den Einwohner.
^) Schelkingen hatte 750, Blaubeuren 1700 Einwohner. (Eöder, „Geogr.-
?tat.-top. Lexikon von Sehwaben", 1800.)
— 539 —
die Grenadierdivision und zwei Kavalleriedivisionen sicher, die morgen
dort ankommen sollen.
„Treiben Sie auch eine große Anzahl Wagen für den Trans-
port des Zwiebacks auf')."
Kavalleriekorps Murat. Am 25. September erließ .Murat
folgenden Tagesbefehl :
„Die Fleischversorgung muß bei jeder Division einheitlich ge-
regelt werden, wozu die Schlachtviehparks den Divisionen beim
Übergang über die Brücke bei Kehl folgen."
Am 30. September erging an alle Divisionäre der Befehl :
„Sobald Sie Ihre Kantonnements erreichen, müssen Sie stets
sofort Requisitionen ausschreiben, so daß der Soldat immer für vier
Tage Lebensmittel hat. Diese Maßregel ist äußerst wichtig."
Am 1. Oktober erhielt General Beaumont, Kommandant der
3. Dragonerdivision, den Befehl :
„Schreiben Sie in Neuenburg Brot für 4 Tage und Schlacht-
vieh für 2 Tage aus. Alles muß sogleich oder im Laufe der Nacht
geliefert werden. Requirieren Sie in Ihren Kantonnements Fuhrwerke
zum Transport des Brotes, das die Dragoner nicht selbst tragen
könnten. Ihr Intendant hat die Requisition durchzuführen. Während
seiner Abwesenheit hat Ihr Generalstabschef zu sorgen, daß der
Bürgermeister Empfangsscheine erhält, damit nachträglich gezahlt
werden könne."
Am 2. Oktober erging der Befehl :
..Morgen Q^ früh haben sich die Quartiermeister ^1 der Regi-
menter zur Fassung von Brot, Wein und Branntwein in Stuttgart
einzufinden. Jede Division hat 1 Unteroffizier und 6 Reiter als
Eskorte für die Wagen zu senden. Brot und Wein sind nach der
Ankunft sofort zu verteilen. Der Branntwein darf ohne Befehl des
Prinzen Murat nicht angegriffen werden."
^) Nach dem „Geogr.-stat.-top. Lexikon von Bayern", Ulm 179G, hatte
Ingolstadt (zwei Infanterieregimenter eingerechnet) 7000 Einwohner. Nach
Hoeeks „Statistischer Darstellung der königlieh bayrischen Staaten", Nürnberg
1807, hatte Ingolstadt -IKX) Einwohner. Ohne Garnison mochte die Stadt
also 1805 kaum 4500 Einwohner gehabt haben, mit der nächsten Umgebung
höchstens 8000—10.000. Es wurden daher für den Einwohner wenigstens zehn
Portionen Brot und 10 Portionen Zwieback angefordert.
2) Als „Quartiermeister" wurden Offiziere (Kapitäne oder Leutnants) ver-
wendet. Sie versahen den Dienst unserer Proviantofriziere.
— 540 —
Am 4. Oktober befahl Murat in Göppingen :
„. . . Die Truppen sind morgen beim Einwohner gegen Quittung
zu verpflegen. Die Generale haben daher ihre mobilen Vorräte voll-
zählig zu halten und müssen noch die größte Sorge tragen, sie
während der Nacht auf die vorgeschriebene Anzahl der Portionen
zu ergänzen."
General Bourcier, der zn dieser Zeit noch Murat unterstellt
war, erhielt an diesem Tage den Befehl:
„Sie haben morgen mit Ihrer Division von Stuttgart aufzu-
brechen und für 4 Tage Brot und Hafer mitzunehmen."
Aus diesen Befehlen ersieht man, daß Lannes und Murat der
Verpflegung große Aufmerksamkeit widmeten. Man findet denn auch
von ihnen keine Klagen über die Unmöglichkeit, ihre Truppen zu
verpflegen ; ihre Truppen scheinen demnach immer in genügendem
Maße verpflegt worden zu sein.
Allerdings lagen an der Marschlinie dieser Korps die größten
und reichsten Orte, aber auf diesen Marschlinien fand auch die
größte Anhäufung von Truppen statt, so daß Napoleon hier persön-
lich zur Regelung der Verpflegung eingriff.
Am 29. September hatte Napoleon befohlen :
An Lannes:
„. . . Die schwere Kavalleriedivision Hautpoul und die Garde,
etwa 10.000 Mann, die mit dem Korps Lannes zusammen ungefähr
26.000 Mann Verpflegsstand haben, müssen verpflegt werden.
„Der Marschall Lannes muß daher alles Vorsorgen, um am
2. Oktober mittag in Ludwigsburg 100.000 Brotportionen, d. i. auf
4 Tage für diese Truppen, fertig zu haben.
„Der Kaiser erkennt die Schwierigkeiten dieser Beschaffung
an, und daß viel Geschicklichkeit zur Ausführung notwendig sein
wird, da die Marschälle Murat und Ney. die in Stuttgart kantoniereu
werden, auch ein großes Brotquantum herstellen lassen müssen ;
aber er verläßt sich auf den Eifer und auf die erprobten Fähig-
keiten des Marschalls Lannes."
An Ney :
„. . . Sie müssen am 2. Oktober in der Lage sein, Brot für
4 Tage an Ihr ganzes Korps zu verteilen, so daß es mit dem Zwie-
back, den es mitführt, für 8 Tage Lebensmittel hat.
„Am 2. Oktober wird Prinz Murat mit drei Dragonerdivisionen
und mit der Division Dragoner zu Fuß in Stuttgart sein, zusammen
— 541 —
15.000 Mann. Dieses Korps soll ebenso wie das Kor[)S des Mar-
schalls Ney am 2. Oktober Brot für 4 Tage in Stuttgart vorfinden.
^Der Kaiser veri^ennt durchaus nicht die Schwierigkeiten, die
das bereiten wird, und daß die ganze Tatkraft des Marschalls Xey
notwendig sein wird, diese Versorgung zu erzielen, umsornehr, als
das bei Ludwigsburg debouchierende Korps Lannes und die kaiser-
liche Garde sich in Ludwigsburg ebenfalls auf 4 Tage mit Brot ver-
sorgen müssen.
„In Ludvvigsburg, Stuttgart und Umgebung müssen daher
240.000 Portionen Brot beschafft werden, und zwar 140.000 in
Stuttgart und 100.000 in Ludwigsburg i)."
Leider konnte nicht festgestellt werden, was diese Orte tat-
sächlich geliefert haben.
Diese beiden Befehle sind Musterwerke der Befehlgebung
Napoleons.
Sie zeigen vor allem, daß Napoleon mit seinem scharfen Ver-
stände sowohl die Bedeutung aller militärischen Maßnahmen als auch
die Schwierigkeiten, die ihrer Durchführung entgegenstanden, richtig
erkannte.
Daher ließ er diese Befehle, die sich nur mit der Verpflegung
befaßten, nicht von Berthier oder vom Generalintendanten ausfertigen
und er richtete sie auch nicht an die Korpskommandos oder an die
Korpsintendanten. Er sandte diese Befehle, die er selbst eindiktierte
und fertigte, an die Person seiner glänzenden Marschälle und Korps-
kommandanten Ney und Lannes. Weil er aber erkannte, daß auch
diese energischen Männer den zahllosen Schwierigkeiten der weder
Ehre noch Ruhm versprechenden Durchführung der Aufträge unter-
liegen würden, beugt er dem vor, indem er die Schwierigkeiten selbst
betont, aber gleichzeitig sein Vertrauen ausspricht, daß die Energie
und der gute Wille seiner bewährten Marschälle alle Hindernisse
überwinden werden.
^) Am 2. Oktober meldete der österreichische Kriegskonzipist Mandel aus
Heehingen (eingetroffen in Ulm am 5. Oktober):
„Am 1. Oktober war Ney mit 30.000 Mann und 12 Kanonen in Stuttgart.
.... Ney nennt sieh eommandant en ehef der 6. Armee. Gestern verlangte er
in Stuttgart 140.000 Portionen Brot, 140 Zentner Reis, 2500 Säcke Hafer, 2400
Zentner Heu und 250 vierspännige Wagen." (Kriegsarehiv, 1805. Deutschland
FA, XIII, 124.)
Die Stadt Stuttgart hatte 1805 höchstens 22.000 Einwohner, das Oberaint
Stuttgart etwa 18.000 Einwohner. Ludwigsburg hatte etwa 6000 Bewohner.
— 542 —
Er stachelt so den Ehrgeiz seiner sonst nur nach Waffentaten
lechzenden Marschälle auf und verspricht ihnen den höchsten Lohn
— seine kaiserliche Zufriedenheit — auch für diese wenig Glanz
bietenden Aufgaben. Napoleon wußte eben auch, daß das unmöglich
Scheinende nur dann zu erreichen war, wenn alle: Generale, Inten-
danten, Truppenkommandanten und Truppen mit dem festen Willen
zusammenwirkten, das Verlangte zu leisten : dieses zielbewußte,
energische Zusammenwirken aller war nur zu erzielen, wenn die
Korpskommandanten selbst alles daransetzten, den Auftrag zu er-
füllen. Der Menschenkenner Napoleon wußte, daß nur die so auf-
gestachelte Energie der Korpskoramandanten im stände war, alle
Organe: Generale, Truppen und Intendanten zur vollen Entfaltung
ihrer Kraft und ihrer Tätigkeit zu zwingen.
Heute könnte diese Art Befehlgebung allein nicht genügen.
Napoleons allumfassendes Genie leistete die Arbeit eines ganzen
Generalstabes. Ein gut organisierter und gut vorgebildeter General-
stab muß uns heute das Genie Napoleons ersetzen.
So wie Napoleon die Bedeutung aller militärischen Maßnahmen
und die Schwierigkeiten ihrer Durchführung erkannte, so muß dies
heute ein guter Generalstab vermögen ; so wie Napoleon den Willen
hatte, alle von ihm erkannten Schwierigkeiten zu überwinden, so wie
er dazu die Tätigkeit aller, auch der Marschälle anspornte, so muß
es heute ein guter Generalstab tun. Er muß dazu vor allem selbst
den Willen haben, jede Arbeit zu leisten, keine darf ihm zu
gering erscheinen; er muß selbst den Willen haben, alle von
ihm erkannten Schwierigkeiten zu überwinden, und muß es verstehen,
diesen Willen allen Organen der Armee einzuimpfen. Er muß dazu
erzogen werden, alle Schwierigkeiten wohl zu erwägen und zu er-
kennen, aber mit dem festen, mit dem Wachsen der Schwierigkeiten
nur gesteigerten Willen, sie zu überwinden.
Trotz der Unterstützung eines solchen Generalstabes wird es
für den Führer einer modernen Armee gut sein, sich dieser Muster
napoleonischer Befehlgebung zu erinnern, denn auch er wird wieder-
holt seine Armee- und Korpskommandanten auf gleiche Art zur
höchsten Leistung anspornen müssen.
Am gründlichsten bereiteten Soult und Davout die Ver-
pflegung ihrer Korps vor, wie diese Marschälle von allen am
strengsten auf Disziplin und Ordnung sahen.
— 543 —
Soult und Davoiit hielten sehr darauf, ihre Truppen in ge-
ordneter und regelmäßiger Weise durch Passungen zu verpflegen.
Sie trachteten, durch vorausgesendete Intendanten und durch die
Vorhut das notwendige Brot, Fleisch, Futter und Brennholz sicher-
zustellen, das dann gleichmäßig an die Divisionen verteilt wurde.
Soult regelte dies besonders streng; er befahl, daß in der ßegel
bloß der Korpsintendant und nicht einmal die Divisionsintendanten
(las Recht der Ausschreibung von Requisitionen hatten. Auch Landes-
fuhren wurden für die Intendanz requiriert. Allerdings ließen diese
beiden Marschälle ihre Divisionen auch grundsätzlich vereint lagern.
4. Korps Soult. Am 26. September erheß Soult im Befehl
für den Rhein-Übergang folgende Anordnungen :
„Jedes Bataillon und jedes Kavallerieregiment darf nur einen
Wagen für das Gepäck der Offiziere haben. Desgleichen gebührt je
ein Wagen für den Generalstab jeder Division und ein Wagen für
jeden Divisions- und Brigadegeneral. Jedes Regiment darf einen
Wagen für den Transport Kranker haben.
„Keine Requisition, welcher Art sie auch sei und welchen
Gegenstand sie auch betreffe, darf durch jemand anderen gemacht
werden als durch den Korpsintendanten nach den Befehlen des
Korpskommandanten. Nur in dringenden Fällen, die eine Über-
tragung dieser Befugnisse für voraus bestimmte Gegenstände nötig
machen, dürfen die Divisionsintendanten im Namen des Korps-
intendanten Requisitionen durchführen, sind aber verpflichtet, noch
am selben Tage genau zu melden."
Soult vereinigte also die Beschaffung der Verpflegung in einer
Hand.
Bald zeigten sich aber die Nachteile dieser zu weitgehenden
Zentralisierung der Verpflegsleitung und Verpflegsdurchführung.
Schon am ersten Tage waren einige Regimenter ohne Verpflegung
geblieben. Soult gab daher am 29. September folgenden Befehl an
den Korpsintendanten:
„Die Generale Vandamme und Legrand haben mir gemeldet,
daß ihre Truppen nicht alle ihnen gebührenden Lebensmittel er-
halten haben.
„Um für die Zukunft zu verhindern, daß die in dieser Sache
gegebenen Befehle unausgeführt bleiben, wollen Sie den Divisions-
intendanten stets über die Requisitionen mitteilen, die Sie im Be-
reiche der Divisionen anordnen, damit die Divisionsintendanten die
— 544 —
Einlieferung überwachen und wenn nötig bei ihren Generalen selbst
die Anwendung von Waffengewalt ansuchen.
„Um das Herumführen der Lebensmittel und Zeit-
verlust zu vermeiden, wäre es vielleicht zweckmäßig, die
Requisitionen ganz oder teilweise den Divisionen zu über-
lassen, besonders wenn das Korps nicht eng vereint ist; die
Anwendung dieser Maßregel wird aber immer von der Situation
des Korps abhängen.
„Die Stadt Wimpfen. 3 Meilen von Heilbronn, bietet große
Ressourcen. Sie haben es anterlassen, dort Brot. Lebensmittel und
Wagen zu requirieren. Wollen Sie über die Leistungsfähigkeit dieser
Gemeinde Erkundigungen einziehen und ihr sofort eine Requisition
auferlegen ^).
„Ich habe dem General Margaron in Weinsberg aufgetragen,
dort 10.000 Portionen Brot zu requirieren und ein Detachement
nach Öhringen zu senden, das dort 20.000 Portionen requiriert ^j.
„Wollen Sie mir sofort melden, wenn Sie sicher sind, daß
alle ausgeschriebenen Requisitionen erfüllt worden sind, da die späte
Anforderung mir große Unruhe verursacht. Melden Sie mir auch,
ob der Zwieback und der Branntwein aus Landau schon im Trans-
porte sind und wann Sie auf deren Ankunft rechnen."
Die Stadt und das Oberamt Heilbronn, die zusammen 15.000
bis 16.000 Einwohner zählten, hatten zu liefern: 85.000 Rationen
Brot. 25.000 Eationen Fleisch, 24.000 Pfund Salz, 3600 Zentner
Heu, 6000 Säcke Hafer, 5000 Maß Branntwein, 800 Zentner Stroh
und 100 vierspännige Wagen.
Am 30. September erhielt der Korpsintendant den Befehl :
„. . . In Heilbronn ist ein Magazin mit Hafer, Heu und Stroh
für 8000 Pferde auf einen Monat anzulegen. Sie müssen auch die
notwendigen Transportmittel sicherstellen, um aus diesem Magazin
die bei den Divisionen befindlichen Ausgabsmagazine für den täg-
lichen Gebrauch zu füllen."
Die Marschdisposition für den 3. Oktober enthielt folgende Stelle :
„. . . Der Korpsintendant hat dem 8. Husarenregiment einen
Beamten mitzugeben, der in Hall ein Eequisitionsschreiben auf je
*) Wimpfen hatte damals 2000—2200 Einwohner. Diese und die folgenden
Angaben sind dem „Geographischen Lexikon von Sehwaben" von Röder, Ulm 1800,
entnommen.
^) Weinsberg zählte damals 1400, Öhringen 3160 Einwohner.
545 —
60.000 Portionen Brot, Fleisch und Branntwein, 200 Meterzentner Salz
und Fourage für 8000 Pferde auf einen Monat zu übergeben hat;
ferner sind 100.000 Bündel Lagerstroh, das nötige Brennholz, die
Fuhrwerke für den Transport und 200 Zugpferde für die Artillerie
zu requirieren. Ferner muß die Stadt ein Spital für 200 Kranke
einrichten und 1200 Paar Schuhe bester Qualität liefern^)."
^) Oberst Graf Wallmoden meldete am 4. Oktober aus Bopfingen dem öster-
reichischen Armeekommando, daß am 2. Oktober das Korps Soult in Sehwäbiseh-
Hall war und legte zur Bekräftigung ein an die Stadt Hall gerichtetes Requisi-
tionssehreiben bei (s. S. 290, Fußnote 1).
Dieses Requisitionssehreiben lautete:
„Grande armee.
4eme eorps.
„D'apres les ordres de Monsieur le Mareohal Soult, eommandant du 4enie
eorps d'armee.
,,Le eommissaire ordonnateur en ehef imperial et royal reque'rit Monsieur
le Grand Bailly du Grand Baillage de Hall de faire fournir sans delais ei apres
et par les eommunes de son urrondissement les quantites des vivres, fourages et
d'antres objets egalement stipules ci apres:
Savoir:
Soixante milles rations de pain du poid d'imt; livre et
demie ou 90.000 livi-es.
Soixante dix boeufs du poids de 500 ehaeun ou trente
einq eents livres de viande.
Quatre milles pintes ou bouteilles d'eau de vie.
Cent quintaux de riz.
Deux eents quintaux de sei.
Cent quintaux de legumes secs.
Quatre eents seaux de bierre.
un quart sera paye | Trente six milles quintaux de foin.
danslejour, lesecond j Vingt milles quintaux de fourage.
quart le 12., et les | Cent einquante milles boisseaux d'avoine.
restants le 14. et 15. ' Cent milles bottes de paille pour le eouehage des ti-oupes.
Cinquante voitures a quatre roues eouvertes de cereeaux
et de toile, attelee ehaeune de quatres chevaux pour le
Service des ambulanees.
Cent voitures ordinaires.
Deux eents ehevaux de traits avee leurs harnois en
braneards.
Cinq eents livres de eharpie.
„Tous ces objets seront livres entre les mains des employes des subsistanee
preposes ä cet effet, lesquels seront tenus des livrer des recepisses en bonne fagon
vises des commissalres de guerre.
„Rendu d'urgenee, Monsieur le Grand Bailly sera personellement respon-
sable du moindre retard.
„Au quartier general ä Öhringen le 10. vendemiaire, an 14."
Hall, bis zum Jahre 1803 freie Reichsstadt, zählte 1«04 etwa 5000 Ein-
wohner; das Oberamt Hall (Stadt und ehemaliges Amt In der Schicht) hatte etwa
8000 Einwohner.
Die Bewohner trieben Ackerbau, Viehzucht und Viehmast. Das gemästete
Vieh ging bis nach Paris. Die Saline von Hall lieferte jährlieh 70.000—80.000
Zentner Salz. (Neu-Wirtemberg, Ulm 1804.)
a fournir dans le
jour meme avant six
heures du fixe
ä fournir dans
jour
le
Krau SS. 1805, Der Feldzug von Ulm.
35
— 546 —
Solche Massen konnten natürlich nicht so rasch geliefert werden,
als es wünschenswert gewesen wäre. Da aber das ganze Korps in
großer Tiefe auf derselben Marschlinie marschierte, konnten die rück-
wärtigen Divisionen auch später eingelieferte Artikel verwerten. 80
ging am 6. Oktober von Nördlingen folgendes Schreiben des General-
stabschefs an den Kommandanten der Queuedivision des Korps,
General Suchet:
„Der Marschall bittet Sie, das Unmögliche zu leisten, um uns
Lebensmittel zu senden; ich schicke Ihnen ein Verzeichnis dessen,
was in Ellwangen und längs der Straße an Lieferungen ausge-
schrieben wurde. Ellwangen allein hätte 60.000 Verpflegsportionen
liefern sollen, hat aber fast nichts abgeführt.
„Baldern und Zöbing sollten 20.000 Portionen und 500 Pinien
Branntwein liefern.
„Wenn Sie uns wenigstens einen Teil dieser Vorräte verschaffen
könnten, würden Sie uns aus einer großen Verlegenheit retten^)."
Woran es gelegen sein mochte, daß die am 5. ausgeschriebenen
Eequisitionen (Ellwangen, Zöbingen und Baldern) so wenig Erfolg
hatten, läßt sich aus den Ereignissen dieses Tages schließen.
Am 4. abend war ein kleines Kavalleriedetachement der 2. Di-
vision des 4. Korps in Ellwangen eingetroffen, wo es auf 300 bis
400 österreichische Eeiter traf. Da diese noch nicht über den Be-
ginn des Krieges orientiert waren, räumten sie den Franzosen einen
Teil "des Ortes ein, was die Franzosen dazu ausnützten, in der Nacht
Brot backen zu lassen.
Am '5. früh marschierte die 2. Division durch Ellwangen durch
und veranlaßte nach längeren Verhandlungen den Eückzug der
Österreicher nach Bopfingen.
Soult ließ nach Bopfingen und Nördlingen aufklären, wo nach
Versicherung von Einwohnern 7000 — 8000 Mann des österreichischen
Korps Klenau stehen sollten ; man behauptete sogar, daß für die
Nacht noch Verstärkungen erwartet würden.
^) Die Stadt Ellwangen hatte 4500, das Oberamt Ellwangen einschließlich
der Stadt etwa 11.000 Einwohner. Zöbing, das halben Wegs zwischen Ellwangen
und Nördlingen liegt, war ein Marktflecken mit 630 Einwohnern ; Baldern, 3 km
südwestlich Zöbing, war ein kleines Dorf mit dem Kesidenzschloß des Grafen
von Oettingen-Baldern. („Geographie und Statistik Wirtembergs", Ulm 1804, und
„Geogr.-stat.-top. Lexikon von Sehwaben" von Eöder, Ulm 1800.)
— 547 —
Soult begab sich nach Abtsgmünd zur 1. Division und kehrte
erst dann nach Ellwangen zurück, wo inzwischen nachmittag die
3. Division eingetroffen war.
Am 6. marschierte d^s Korps mit allen Divisionen um 6^
früh ab.
Die enge Fühlung mit feindlicher Kavallerie, die Erwartung
eines Zusammenstoßes mit starken feindlichen Kräften ließen die
Sorge um die Verpflegung zurücktreten, so daß die Anforderungen
an die Ortsbebörden wahrscheinlich erst in den späten Xachmittags-
stunden erfolgten. Der Umfang der Anforderungen verzögerte dann
natürlich die Einlieferung, so daß die am 6. zeitig früh abmarschieren-
den Divisionen nur wenig mitnehmen konnten.
Am 5. Oktober erging an General St. Hilaire, den Komman-
danten der in Abtsgmünd nächtigenden 1. Division, folgender Befehl:
„Sie haben für Ihre Division im Amte Lauchheim, wo Sie
morgen durchmarsehieren werden, 10.000 Portionen Brot und Schlacht-
vieh für 10.000 Portionen zu requirieren; Sie haben weiter 15.000
vollständige VerpÜegsportionen von dem Ort Offingen, wohin Sie
morgen kommen, zu verlangen. Sie haben anzuordnen, daß alles
nach Offin gen eingeliefert werde, um es an Ihre Division auszu-
geben oder nach meinen Anordnungen für die anderen Divisionen
zu verwerten, falls diese die Verpflegung noch nötiger hätten.
„Sorgen Sie, daß diese Eequisitionen bis morgen abend ein-
geüefert sind^)."
Am 7. Oktober befahl Soult dem General Vandamrae, sofort
für die Bewachung der von den Österreichern in Donauwörth ge-
lassenen Magazine zu sorgen und ihren Inhalt durch einen Beamten
feststellen zu lassen.
Die Verpflegung wurde aber auch beim 4. Korps schlecht, als
man in Fühlung mit dem Feinde trat, die Intendanten nicht mehr
vorausgeschickt werden konnten und die mitgeführten Vorräte wegen
der starken Märsche nicht zur Hand waren.
So meldete Soult am 9. Oktober mittag- aus Augsburg:
„Seit gestern manuelt das Brot. Ich hoffe es in Augsburg für
zwei Tage zu erhalten. Ich ließ in Augsburg 6000 Paar Schuhe an-
fordern ; ich hoffe, wohl ein Drittel davon zu erhalten, was genügen
wird."
1) Das Amt Lauehheim zählte 2250, der Ort Marktoffingen 1220 Ein-
wohner. (Geogr.-stat.-top. Lexikon von Sehwaben, Ulm 1792.)
35*
— 548 —
Auch ein Schreiben des Divisionsintendanten an den General
Vandamme vom 10. Oktober gibt darüber Aufschluß. Es lautet:
„. . . . Ich habe mit der allergrößtea Mühe in Augsburg für
1 Tag Brot und 2 Tage Branntwein aufgetrieben ; dabei ist unsere
Division die einzige, die überhaupt etwas liekommt.
„Ich habe die größten Besorgnisse für die Zukunft, besonders
wegen des Brotes.
„Ich werde noch etwas versuchen : einen Mehlvorrat sammeln
und diesen durch die der Division beigegebeneu Bäcker verarbeiten
lassen. Aber ich habe bloß 3 Säcke Mehl und brauche eiue ge-
nügend starke Truppenabteilung, um mehr requirieren zu können.
„Ich bitte um wenigstens 20 Infanteristen und 6 Eeiter; ich
werde dann morgen in den Dörfern Mehl requirieren, bei Nacht
backen lassen und das täglich wiederholen,"
Die Nähe des Feindes machte sich auch bei den Trains be-
merkbar: die Kutscher begannen zu desertieren. Am 13. enthält
wenigstens der in Landsberg ausgegebene Befehl folgende Stelle :
„. . . . Die Regimenter haben einige Marschmarode für die
Brot- und Branntwein wagen zurückzulassen.
„Den Kutschern und Pferden der Landesfuhren ist die Ver-
pflegung möglichst regelmäßig zu geben, damit sie nicht desertieren.
Auch sind ihre Pferde, wo nur möglich, ebenfalls unter Dach zu
bringen.
„Der Korpsintendant läßt soviel an Verpflegung folgen, als er
auftreiben kann. Er wird die Verteilung von Mehl anordnen, damit
die Truppe es in Ermangelung des Brotes verzehren könne."
Von allen Korpskommandanten wendete Marschall Davout
der Verpflegung die größte Sorgfalt zu. Er hatte in ähnlicher
Weise gesorgt wie Soult, nur daß er den Dienst der Requisition
nicht so zentralisieren wollte wie dieser. Seine am 27. September
gegebene Instruktion enthält folgende wesentliche Bestimmungen:
Der Korpsintendant, die Intendanten der Divisionen und der
Vorhut haben das Recht zu Requisitionen.
Der Korpsintendant schreibt Requisitionen aus, wenn es sich
um die Errichtung großer Magazine für das ganze Korps handelt:
in diesem Falle werden eigene Magazinverwalter bestimmt, die auch
die Ausgabe an die Truppen besorgen.
Wenn es dem Korpsintendanten nicht möglich ist, im vor-
hinein die Verpflegung für das ganze Korps vorzubereiten, so
— 549 —
müssen die Divisionsintendanten die Eeqnisitionen durchführen; ist
ein Regiment zu weit vom Divisionsstab entfernt, so ist der Oberst
ermächtigt, selbst zu requirieren, aber er muß Dokumente darüber
sofort und im Dienstweg an das Korpskommando senden.
In Ausnahrasfällen können auch kleinere Abteilungen — mit
einer schriftlichen Ermächtigung des Eegimentskommandanten ver-
sehen — sel))St ihren Unterhalt requirieren.
Die Requisition wurde in der Regel von der Vorhut ausge-
schrieben, die auf einen Tagmarsch vorausmarschierte.
Da Davout auch allen anderen administrativen Notwendigkeiten
persönlich große Sorgfalt widmete, mußten dies auch alle Unter-
kommandanten und Hilfsorgane tun. Daher war das Ergebnis der
Verpflegstätigkeit anfangs sehr gut. So konnte Davout am 29. Sep-
tember melden:
„Unsere Verpflegung ist sehr befriedigend, obwohl der General-
intendant uns nur 22.000 Rationen Zwieback übergeben hat. Mann-
heim und Heidelberg liefern davon 140.000 Rationen'). Ich habe
Hoffnung, daß Worms mir in sehr wenig Tagen 100.000 liefern
wird; so wird meine Versorgung in dieser Richtung auf 7— 8 Tage
reichen. Das Land, das wir besetzt haben, wird uns durch die Re-
quisition 4 Tage Brot liefern, das daher bis zum 4. Oktober reichen
wird. Überall liefert man das Angeforderte ohne Schwierigkeiten,
ausgenommen im Gebiete von Darmstadt; aber man liefert, wenn
auch unwillig. Die Fleischversorgung wurde nicht verzögert. Die
Futterversorgung ist auf gleiche Weise gesichert. Die Truppen halten
ihre regelmäßigen Fassungen wie in Frankreich ; sie führen sie auch
mit bester Ordnung durch."
Am 3. Oktober meldete Davout aus Nesselbach:
„Die Verpflegung steht gut. Alle Divisionen haben heute Brot
und Fleisch liis zum 6. Oktober; in Ilshofen habe ich noch Brot bis
zum 9. Oktober ^). Ich schreibe die Ergiebigkeit der Requisitionen der
guten Disziplin des Korps zu. Ich habe ungefähr 200.000 Portionen
Zwieback mit, aber wir marschieren schnell und auf schlechten Wegen.
Dieser Zwieback wird mich erst am 7. oder 8. Oktober einholen."
^) Mannheim hatte -21.000, Heidelberg 10.000 Einwohner. („Geographisches
Lexikon vom Kur- und Oberrheinischen Kreis" von Bundschuh, 1805.)
*) Ilshofen war ein kleines Städtehen von 450 Einwohnern, das zum Ge-
biet der ehemaligen Eeichsstadt Hall gehört hatte. ISJesselbaeh liegt etwa 10 km
nordvfestlieh Ilshofen.
— 550 —
Der Tagesbefehl vom 4. Oktober (in Ilshofeo erlassen) be-
stimmt :
„Die Divisionen und die Parks fassen in Ilshofen Heu für
einen, Hafer für zwei Tage. Der Korpsintendant betraut einen Be-
amten mit der Leitung der Fassung. Der Überschuß an Fourage
vrird der Division Nansouty zur Verfügung gestellt."
Am 6. Oktober meldete Davout :
„Ich sehe Verlegenheiten in der Verpflegung voraus. Der
General Dumonceau ^) hat die Durchführung einer Requisition ver-
hindert, die ich zu meiner Linken ausgeschrieben hatte. Man hat
mir 40.000 Portionen Brot entführt, die ich auf meinem Wege sicher-
gestellt hatte. Der Zwieback ist noch auf zwei Tagmärsche zurück.
Ich werde, wenn nötig, alle Hindernisse zu überwinden trachten,
die sieh der Verteilung von Mehl entgegenstellen."
Davout ließ weiter verlautbaren, daß die in den benachbarten
Orten vorgekommenen Unordnungen die Landleute veranlaßt haben,
zu fliehen, wodurch die Eequisitionen verhindert wurden.
Der am 6. Oktober in Öttingen ausgegebene Befehl bestimmt :
„Der Korpsintendant wird das hier vorrätige Fleisch und
Brot auf die 2. und 3. Division aufteilen. Zwei Regimenter Kavallerie
werden ihm zugewiesen, um Lebensmittel und Wagen in der Stadt
und in deren Umgebung zu requirieren. Er hat Wagen bereit-
zustellen, um den Zwieback und alle aufgebrachten Vorräte ohne
Aufenthalt nach Monheim zu senden.
„Die zwei Kavallerieregimenter haben am Abend zu ihrer Divi-
sion nach Monheim einzurücken."
Am 8. Oktober wurde eine Fassung für 2 Tage in Neuburg
angeordnet, wozu alle Truppen ihre Fassungskommandos zu senden
hatten ^).
Trotz der außerordentlichen Sorgfalt und Tätigkeit Davouts stellten
sich doch vom 8. Oktober Schwierigkeiten in der Verpflegung
ein, als Folge der starken Märsche (Zurückbleiben der Verpflegs-
trains) und der Fühlung mit dem Feinde, die es unmöglich machte,
die Intendanten zur Ausschreibung der Requisitionen vorauszusenden.
^) Kommandant der batavisehen Division des Korps Marmont.
^) Neuburg, das also etwa 60.000 Verpflegs- und 6000 Futterportionen
liefern sollte, hatte nicht ganz 6000 Einwohner. („Geogr.-stat.-top. Lexikon von
Bayern", Ulm 1796.) Nach Hoeek, „Statistische Darstellung der königl. bayr. Staaten",
hatte Neuburg 1807 nur 4384 Einwohner.
— 551 —
So lautete der am 9. Oktober in Aichach ausgegebene Befehl :
Morgen 4^ früh hat von jedem Eegiment ein Unteroffizier
zur Fassung requirierter Vorräte (Brot, Eeis und Branntwein) nach
Aichach zu kommen. Wie viel ausgegeben wird, kann noch
nicht bestimmt werden, da noch nicht alles eingeliefert
worden ist.
Am selben Tage meldete General Dumas, Generalquartiermeister
im kaiserlichen Hauptquartier, an den Kaiser:
...... Heute nacht ist ein schöner Train des Korps Davout
mit Brot und Zwieback durch Neuburg marschiert. Er enthält sechs
Tage Vorrat für das ganze Korps."
Am 10. schrieb Davout, daß der Aufenthalt des Korps bei
Aichach — das Korps rastete 1 Tag bei Aichach — wohltätige
Folgen hatte, weil die Lebensmitteltrains das Korps einholen konnten^).
Am 10. meldete der Divisionskommandant General Gudin, er
habe das menschenmögliche getan, um Brot zu beschaffen ; aber
er konnte höchstens 2000 Portionen auftreiben, wogegen seine
Division 7000 Mann habe.
Bei Aichach und Dachau ließ Davout auf allen Mühlen der
Umgebung Getreide für sein Korps mahlen. Sein Befehl vom 11. Ok-
tober an den General Gudin zeigt, mit welchen Schwierigkeiten er
trotz der bisher bestandenen Disziplin seiner Truppen zu kämpfen
hatte :
„ . . . . Der Marsehall hat erfahren, daß, während er seine
ganze Sorgfalt darauf richtet, dem Korps Lebensmittel zu verschaffen,
einzelne Soldaten die Mühlen plündern, so daß die Gefahr naheliegt,
daß die Müller ihre Mühlen verlassen werden. Der Herr Marschall
befiehlt, in jede Mühle eine Wache von 1 Unteroffizier und 3 bis
4 Mann zu legen . . . Die Truppen müssen davon überzeugt sein,
daß ein gleichbleibendes, unkluges Verhalten sie aller Hilfsmittel
des Landes berauben wird."
Je länger das 3. Korps im selben Räume blieb, desto schwie-
riger wurde trotz aller Umsicht Davouts die Beschaffung der Ver-
pflegung.
General Gudin meldete am IG. Oktober:
„Ich soll mich mit Verpflegung bis zum 20. Oktober versehen.
Aber alle Versuche, die ich dazu machen könnte, wären vergebens.
*) Selbst am 19. Oktober trafen noch zurückgebliebene Teile des VerpÜegs-
trains beim Korps ein.
— 552 —
Es ist mir bei Anwendung aller denkbaren Mittel gelungen, Brot
oder Mehl bis zum 16. zu verteilen, aber auf mehr bleibt mir nicht
die leiseste Hoffnung.
„Trotz den schärfsten Befehlen steigt die Unordnung unauf-
hörlich .... Seit dem Donau-Übergange haben die Truppen ihr Ver-
halten ganz geändert und wenn das noch lange währt, geht die
Disziplin völlig verloren."
Marschall Davout meldete am 11. Oktober:
„ . . . . Es ist dringend notwendig, energische Maßnahmen zu
ergreifen, um dem Plündern und Marodieren eine Grenze zu setzen,
die den Gipfel des Übermaßes erreicht haben ; ich bitte um die Er-
mächtigung, einige Plünderer zum abschreckenden Beispiel erschießen
zu lassen;"
und am 17. :
„Über die Verpflegung der Truppen muß ich melden, daß das
1. und 3. Korps hier nur von Tag zu Tag leben, so daß es un-
möglich ist, die Korps hier so mit Verpflegung zu versehen, wie es
Seine Majestät wünscht."
Zahlreiche Meldungen zeigen, daß das Korps zur Zeit seines
Aufenthaltes bei Aichach und Dachau genötigt war, die Verpflegung
aus einem größeren Räume zusammenzusuchen. Allerdings muß
beachtet werden, daß dieser Eaum schon von den Österreichern bei
ihrem Durchmarsch ausgenützt worden war.
So meldete der Brigadegeneral Petit am 14. Oktober:
„Weilbach wird 264 lg Brot, 12 Säcke Erdäpfel, 2 Kühe,
2 Fässer Bier und 4 Schafe liefern. Dieses Dorf hat bereits zwei
Requisitionen der vorausgegangenen Divisionen und drei österreichi-
sche Requisitionen aosgehalten. Der Ort ist heute in äußerster Not ^)."
Der außerordentlichen Tatkraft Davouts und der dadurch an-
gespornten Tätigkeit aller Generale des Korps war es aber doch ge-
lungen, am 20. Oktober Brot bis einschließlich den 25. bereit zu
haben (Meldung Davouts an den Kaiser vom 20. Oktober).
Marmont und Bernadotte verwendeten von allen Korps-
kommandanten scheinbar die geringste Sorgfalt auf die Verpflegung.
^) Die Landgemeinde Unter-Weilbaeli bei Dachau hatte nach der Volks-
zählung vom 1. Dezember 1900:
179 Einwohner, ö'J Pferde, 297 Einder, 282 Schafe und 93 Sehweine. Das
Dorf konnte daher 1805 höchstens 150 Einwohner haben. Der Viehstand hat sieh
seither wenigstens verdoppelt.
— 553 —
Sie beschränkteu sich meist darauf, dem Kaiser über die schlechte
Verpflegung zu klagen.
Schon am 28. September schrieb Bernadotte an Berthier:
„ . . . . Die Requisitionen sind fast immer illusorisch, wenn
man auf dem Marsch ist ; ich setze sehr wenig Hoffnung in dieses Hilfs-
mittel."
Wie unrecht Bernadotte damit urteilte, haben Soult und Davout
bewiesen, die bei weitaus stärkeren Märschen, als Bernadotte hinter-
legte, ihre Korps sehr gut verpflegten. Daß aber bei dieser Ansicht
des Korpskommandanten den Requisitionen und ihrer richtigen
Durchführung beim 1. Korps kein besonderer Wert beigelegt
worden ist, nimmt nicht wunder. Die Folge war steter Verpflegs-
mangel.
Berthier antwortete auf diese Bemerkung Bernadottes am 2. Ok-
tober :
„Es ist unmöglich, Sie aus Magazinen zu ernähren ; das hat es
nie gegeben, und gerade dem Umstände, daß die französische Armee
keine Magazine hat. verdankt sie einen Teil ihrer Erfolge. Seine
Majestät hat zwar einige Zwiebackmagazine in Würzbm'g vorbereiten
lassen, aber für bestimmte Fälle. Die ganze französische Armee, ja
selbst die Österreicher leben bloß von Requisitionen."
Marmont schrieb am 30. September aus Wüizburg:
„Mein Korps lebt hier beim Bürger; es besteht kein Magazin
in Würzburg. Der vorausgesandte Intendant hat keine Einkäufe ge-
macht, weder Brot noch Zwieback backen lassen ; ich habe große
Sorgen wegen der Verpflegung bei den bevorstehenden Märschen."
Den häufigen Klagen Marmonts gegenüber schrieb Berthier am
11. Oktober:
„In allen seinen Briefen klagt der General ^larmont über die
Verpflegung. Ich wiederhole ihm, daß es in diesem Invasionskriege
keine Magazine gibt. Es ist Pflicht der Korpskommandanten, sich
die Lebensmittel in dem Lande zu verschaflen, das sie durchziehen.
I)er General Marmont hat doch Befehl gehabt, sich mit Brot und
Zwieback auf 8 Tage zu versehen; er kann also nur auf die
Mittel rechnen, die er sich selbst verschafft. So geht es allen Korps
und der General Marmont kennt am besten die Art des Kaisers.
Krieg zu führen."
Wie wenig Berechtigung die Klagen des Generals Marmont
über die Unmöglichkeit, Verpflegung im Lande zu finden, hatten.
— 554 —
beweist er selbst mit seiner Angabe über den Reichtum der Eessoureen
des Dorfes Pfuhl.
Pfuhl, das etwa 3 hm nordöstlich Ulm auf dem rechten Donau- Ufer
liegt, hatte 1805 ungefähr 600 Einwohner. Unter den i^ewohnern
befanden sich sehr viele Weber und nur 14 Bauern. Der zum Ort
gehörige (Grundbesitz war nur 877 bayrische Joch (= 298 ha) groß.
Im Orte waren 100 Pferde, 340 Binder und 130 Schafe vorhanden^).
Marmont gibt nun in seinen Memoiren an:
„Auf der Höhe bei Pfuhl lagerten über 12.000 Mann meines
Korps. Dieses Dorf hatte keine 40 Häuser und wir blieben 5 Tage
dort. Der kleine Ort mußte die Mittel zum Unterhalt des ganzen
Korps liefern und dennoch fehlte es den Soldaten an nichts."
Diese Sammlung von Befehlen und Meldungen zeigt, in welcher
Weise der allgemeine Befehl Napoleons von den Korpskommandanten
aufgefaßt und durchgeführt worden ist. Man kann aus ihr auch teil-
weise die erreichten Resultate erkennen.
Einige Äußerungen von Augenzeugen werden das Bild der
Folgen dieser Art der Verpflegung ergänzen.
Der Marschall Bugeaud, der den Feldzug als Yelite in der
kaiserlichen Garde mitgemacht hat, schrieb aus Augsburg an seine
Schwester :
„Ich denke, daß 10.000 Mann, die in einem Dorf ankommen,
leicht für jeden etwas zu essen finden können. Was mir Sorge
macht, das sind die Bedrückungen und der Raub, die man an den
Bauern begeht. Ihr Geflügel, ihr Holz, ihr Speck werden ihnen mit
Willkür und Gewalt genommen. Ich mache das nicht mit, aber wenn
ich sehr ausgehungert bin, sehe ich ruhig zu und lasse mir meinen
Teil am Raube schmecken."
General Thiebault, Brigadegeneral in der Division St. Hilaire
des 4. Korps, sagt in seinen Memoiren :
„Die Nacht, die unserem Abmarsch von Memmiugen folgte^),
gab der Disziplin einen schweren Stoß und wir sollten bald den Be-
weis davon haben. Die bisher so tüchtigen Truppen fingen an,
furchtbar zu plündern; und nach dem Witz: ,Der Feind ist wie die
') „Greogr.-stat.-topogr. Lexikon von Sehwaben", Ulm 1792.
^) Die Naeht vom 14. zum 15. Oktober.
— 555 —
Getreidegarbe : je mehr man drischt, desto mehr gibt er her', hatten
sie die Gewohnheit, die Bauern zu prügeln und ihnen ihr Geld ab-
zunehmen. Man sollte nicht glauben, bis zu welcher Meisterschaft
sie die Plünderung trieben.'
General Fezensac, der den Feldzug in der Division Malher
(Korps Ney) als Unterleutnant beim Infanterieregiment Nr. 59 mit-
gemacht hat, schrieb in seinen „Souvenirs militaires" :
„Zu keiner anderen Epoche, ausgenommen den Feldzug in Ruß-
land, habe ich so viel gelitten, noch die Armee in einem solchen
Zustande der Unordnung gesehen.
„Die Märsche von 40 hm konnte man bei dem elenden Wetter
(Eegen und Schnee) und den schlechten Wegen nicht in weniger
als 15 Stunden zurücklegen. Die Truppen kamen regelmäßig erst in
der Nacht in ihren Biwaks an, wo sie selten eine entsprechende
Nahrung erhielten.
„Wohl brachte Napoleon am 7. Oktober in Erinnerung, daß
immer Brot auf 4 Tage vorhanden sein muß, aber wo es nehmen?
Dieser kurze Feldzug war für mich wie die Abkürzung aller fol-
genden. Das Übermaß der Ermüdung, der Mangel an Lebensmitteln,
die Ungunst der Jahreszeit, die Unordnung, verursacht durch die
Marodeure, nichts fehlte und ich machte in einem Monat die Probe
dessen durch, was ich während meiner ganzen Laufbahn erleben
sollte. Die Brigaden und selbst die Regimenter waren oft zerstreut,
der Befehl, sie an einem Punkte zu vereinigen, kam spät, weil er
viele Hindernisse überwinden mußte. Darum mußte das Regiment
Tag und Nacht marschieren und ich sah in diesem Feldzuge das
erstemal Soldaten während des Marsches schlafen. Man kam so in
seine Stellung, ohne etwas gegessen zu haben und ohne dort Lebens-
mittel zu finden. Der Generalstabschef, Marschall Berthier, sagte
wohl : ,In dem Invasionskriege, den der Kaiser führt, gibt es keine
Magazine, es ist Sache der Korpskommandanten, sich die Lebens-
mittel zu verschaffen in dem Lande, das sie durchziehen', al)er die
Generale hatten weder die Zeit noch die Mittel, sich regelmäßig den
Bedarf so großer Massen zu verschaffen^). Das hieß doch die Plün-
derung begünstigen, und die Länder, die wir durchzogen, haben es
grausam gefühlt."
*) Soult und Davout haben bewiesen, daß die Generale Zeit dazu hatten,
wenn sie wollten.
— 556 —
General Segur, der dem Kaiser Napoleon am 13. Oktober über
Günzburg nach Pfaffenhofen gefolgt war, schrieb darüber in seinen
Erinnerungen :
„Die grundlosen Wege waren besät mit unseren steckengeblie-
benen elsässischen Wagen, deren Kutscher verzweifelt waren, und
mit niedergvbrochenen. vor Hunger und Ermattung verendenden
Pferden. Eechts und links des Weges Hefen unsere Soldaten ohne
Ordnung querfeldein, teils Lebensmittel suchend, teils in den wild-
reichen Gefilden jagend."
Diese Beobachtungen Segurs beziehen sich ebenso wie die
Schilderungen Fezensacs auf das 6. Korps — Marschall Ney — bei
dem. wie schon einmal erwähnt wurde, am wenigsten auf Ordnung,
Disziplin und regelmäßige Verpflegung gesehen worden war.
Zu den Schilderungen Thiebaulds und Fezensacs muß man
allerdings bemerken, daß es sich bei Bedrückung der Bevölkerung
hauptsächlich um die Erpressung von Geld und Wertsachen ge-
handelt hat, die von den alten Soldaten der französischen Republik
gewohnheitsmäßig betrieben wurde. Die „Requisition der Lebens-
mittel" stand mit diesen Plünderungen nicht oder nur wenig im
Zusammenhange. .
Die französische Armee hat somit, ausgenommen von den ge-
ringen über den Rhein mitgenommenen Vorräten, ausschließlich
vom Lande gelebt. Die Beschaffung der Lebensmittel erfolgte ent-
weder als Qiiartierverpflegung oder durch vorausgesandte Intendanten
und Detachements. Aus den eingelieferten Vorräten hatten dann die
Truppen zu fassen. Wo dieser Vorgang streng geregelt wurde, wo
die Anforderungen an die Behörden gestellt wurden und wo die
Truppen bei den Fassungen strenge Ordnung und Zucht hielten, wie
beim Korps Davout, konnte die Verpflegung während des Vormarsches
weit vom Feinde und bei vollkommen friedlich gesinnter Bevölkerung
der alliierten Länder rechtzeitig und in genügender Menge geliefert
werden, besonders wenn bar gezahlt oder wenn durch rechtsgültige
Anweisungen auf nachträgliche Bezahlung quittiert wurde. Aber
schon die zu weitgehende Zentralisierung dieser Verpflegsbeschaffung,
wie beim Korps Soult. wo nur durch die Korpsintendanz requiriert
werden sollte, hinderte die rechtzeitige Durchführung der Requisi-
tionen. Die Truppen litten schwer unter dieser unzweckmäßigen
Durchführung eines richtigen Grundsatzes. Wo sich die höheren
Kommandanten wenig oder gar nicht um die Verpflegung kümmerten,
— 557 —
und auch in Fühlung mit dem Feinde, als es unmöglich wurde, die
Intendanten vorauszusenden, versagte die Requisition ganz und artete
in die ungeregelte Selbsthilfe der einzelnen aus. Diese Selbsthilfe
hatte wieder zur Folge, daß die Bewohner ihre Orte verließen, womit
die geregelte Requisition ganz unmöglich geworden war. Der Befehl
Davouts vom 6. Oktober warnte daher die Truppen vor solchen Aus-
schreitungen. ,
Als die Requisition beim Korps Davout wegen der Fühlung
mit dem Feinde zu versagen begann, wurde die Verpflegung durch
die gerade eintreffenden Lebensmitteltrains wieder auf einige Tage
gesichert. Der lange Aufenthalt des 3. Korps bei Aichach und
Dachau machte immer mehr Zuschübe aus entfernteren Gegenden
nötig und trotzdem konnte das Korps seine Verpflegung nur von
Tag zu Tag sichern. Die Not zwang nun zu einer immer weiter-
gehenden Dezentralisierung der Requisitionstätigkeit, wodurch deren
Ergebnis wieder besser wurde.
Diese Zusammenstellung zeigt, welche Sorgfalt Napoleon und
seine tüchtigsten Marschälle der Verpflegung ihrer Truppen zu-
wandten.
Die Sorge für die Verpflegung hat auch bei Napoleon sehr oft
bestimmenden Einfluß auf die Operationen gewonnen. Es seien nur
die Fälle kurz wiederholt, in denen dieser Einfluß sicher nach-
gewiesen werden kann.
Rücksichten auf die Verpflegung veranlassen Napoleon, am
30. August die Versammlung der Armee bei Straßburg und den
beabsichtigten konzentrierten Vormarsch aufzugeben und seine Korps,
die er den Rhein in der Strecke Straßburg — Mannheim übersetzen
läßt, in breiter Front an die Donau vorrücken zu lassen.
Die Unmöglichkeit, seine Armee und vor allem die Kavallerie
am Rhein einige Tage zu verpflegen, ist mit Ursache, wenn nicht
sogar Veranlassung, daß der Kaiser den beabsichtigten mehrtägigen
Halt am Rhein ausfallen läßt.
Am 8. Oktober mitternacht verständigt Napoleon den Marschall
Soult, der angewiesen ist, schleunigst nach Augsburg zu marschieren,
daß er Davout und vielleicht auch Marmont dorthin dirigieren
werde. „Die Schwierigkeit bei dieser Versammlung der Truppen liege
nur in der Verpflegung", fügt er bei (s. S. 348).
— 558 —
Er will also diese Versammlung der Truppen der Verpflegung
wegen nur anordnen, wenn er unbedingt muß, und dann erst im
letzten Augenblick.
Napoleon vermeidet überhaupt bei den Operationen gegen Ulm
jede frühzeitige Massierung seiner Korps, und als endlich zum Schlüsse
doch mehrere Korps nahe um Ulm konzentriert sind, läßt er un-
mittelbar nach dem Abschlüsse der Kapitulatipn Macks Teile seiner
Armee von Ulm an den Lech abrücken (s. S. 509).
Der Wille, sofort gegen die Russen vorzurücken, und die Sorge
um die Verpflegung dieser versammelten Massen veranlassen Na-
poleon zu dieser Eile.
Die operativen Absichten Napoleons und die von ihm gegen
die Verpflegsschwierigkeiten angewandten Aushilfen stehen sich also
nicht entgegen, sondern fallen zusammen und erzeugen so die größte
Schnelligkeit der Operationen.
Napoleon wird nicht wie sein Gegner in seinen Maßnahmen
von den Verpflegsschwierigkeiten beherrscht, sondern er beherrscht
auch die Verpflegssorgen vollkommen und weiß daher alle Schwierig-
keiten zu meistern. Er wird durch die Verpflegsschwierigkeiten nicht
gehemmt, sondern vorwärts geführt, wogegen sein Feind, dem das
Verständnis für die Bedürfnisse seiner Armee fehlt, auf Schritt und
Tritt durch solche Schwierigkeiten gefesselt wird.
Etappenwesen.
Um jede Überrumplung von Kehl und Straßburg unmöglich
zu machen, hatte Napoleon schon am 30. September befohlen, daß
vom 1. Oktober nacht angefangen niemand mehr durch Straßburg und
Kehl nach Deutschland passieren dürfe. Alle Transporte waren von
diesem Zeitpunkt an über die bei Speyer geschlagene Brücke zu
dirigieren.
Am 3. Oktober erging der Befehl zur Organisierung der Etappen-
straße. Dieser Befehl bestimmte: Als Etappenstraße der Armee hat
die Straße Speyer, Bruchsal, Eppingen, Heilbronn, Öhringen, Hall,
Gaildorf, Ellwangen, Bopfingen, Nördlingen zu dienen. Niemand darf
ohne Befehl des Kommandanten von Speyer und ohne eine von
diesem ausgestellte Marschroute die Ehein-Brücke bei Speyer über-
schreiten. Die Etappenstationen sollen 5—6 Meilen (= 22'5 — 27 hn)
voneinander entfernt sein. Jede Station erhält einen Kommandanten,
— 559 —
jede zweite überdies einen Adjutanten und einen Intendanten. In
diesen Orten — bestimmt wurden dazu am 4. Oktober Eppingen,
Öhringen, Gaildorf und Bopfingen — sind auch Verpflegsmagazine
zu errichten. Alle Transporte haben dort Lebensmittel auf 2 Tage
zu erhalten. Für den Sicherungsdienst erhält jede Etappenstation
eine Gendarmerieabteilung, bestehend aus einem Leutnant, einem
Unteroffizier und 15 Gendarmen. Der Marsch der Ergänzuugs-
transporte, der Trains, der Kranken- und Gefangenentransporte ist
strenge zu regeln. Der Dienst der verschiedenen Armeekolonnen muß
sich nahe hinter dem Zentrum der Armeefront in die Etappenstraße
vereinigen.
Am 5. Oktober wurde ein General zum Kommandanten zwischen
Rhein und Neckar mit dem Sitz in Stuttgart bestimmt.
Als Etappentruppen wurden die Kontingente von Baden (etwa
5000—6000 Mann) und Württemberg (etwa 7000 Mann) verwendet,
denen auch die Eskortierung der Kriegsgefangenen oblag.
Am 8. Oktober wurden bei Donauwörth und Nördlingen die
Depots der Kürassiere, Karabiniers und Dragoner aufgestellt, wohin
alle maroden Pferde und Mannschaften abzugeben waren.
Am 9. Oktober erhielt Donauwörth einen General als Komman-
danten und eine Besatzung.
Am 11. Oktober wurde die Etappenstraße von Nördlingen über
Donauwörth bis Augsburg verlängert. Augsburg erhielt einen General
als Kommandanten und die batavische Division als Garnison ; zwei
Bataillone Württemberger kamen als Besatzung nach Rain am Lech.
Am 23. Oktober wurde Augsburg als Hauptdepotstation be-
stimmt. Die Hauptverwaltung der Armee und der Große Artillerie-
park hatten in Augsburg zu bleiben, dessen Befestigungen inner-
halb 10 Tagen in stand zu setzen und zu armieren waren. Bei
Laodsberg und bei Rain waren Brückenköpfe zu bauen^).
^) Dem kaiserlielien Hauptquartier sollte von nun an nicht mehr die Haupt-
verwaltung, sondern nur ein verminderter administrativer Stab folgen. Dieser Stab
sollte umfassen: einen Oberkontrollor, 7 Intendanten (je einen für Lebensmittel,
Fourage, Spitäler, 2 für Gefangene und 2 disponible), 8 Ärzte mit 2 kleinen Am-
bulanzen, 3 Trainorgane, 6 Verpflegsbeamte (3 für Lebensmittel, 3 für Fourage),
9 Gendarmen, einen Postbeamten, eine fahrbare Druckerei und 4 leere Wagen.
Der Chef dieser Verwaltung hatte Befehle nur von Berthier zu empfangen; er
hatte stets mögliehst nahe dem Marsehall Berthier zu logieren.
(Fortsetzung der Fußnote siehe 8. 560.)
— 560 —
In Augsburg waren innerhalb 14 Tagen 1,000.000 Portionen
Zwieback, 2,000.000 Portionen Mehl, 300.000 Boiseaux (= 39.000 hl)
Hafer und 100.000 Pinten (= 930 hl) Branntwein und Backöfen
mit einer täglichen Leistungsfähigkeit von 80.000 Portionen bereit-
zustellen. Napoleon fügte dem betrefifenden Befehl an den General-
intendanten bei:
„ Ich kann Ihnen diese wichtigen Dinge nicht genug
ans Herz legen; die geringste Nachlässigkeit, die geringste Ver-
zögerung könnten die traurigsten Folgen für die Armee und für das
Kaiserreich haben."
In Augsburg waren weiter einzurichten : ein Waffenmagazin für
20.000 Gewehre, zwei große Munitionsmagazine, ein Konstruktions-
arsenal und ein Magazin mit 50.000 Paar Schuhen, die in Augs-
burg, Ulm, Donauwörth und in anderen Orten herzustellen waren.
Außerdem sollten in diesen Orten noch 15.000 Paar Schuhe für die
Korps erzeugt werden.
In Augsburg und in München waren so viele Spitäler als
möglich zu errichten, und zwar getrennt für Kranke und Verwundete.
Außerdem waren noch Spitäler zu errichten in Ulm (zwei, eines für
Kranke und eines für Verwundete), Günzburg, Donauwörth und
Wie reich die Armee mit Verpflegspersonal versehen war, zeigt der Stand
der Hauptverwaltung beim kaiserliehen Hauptquartier. Sie umfaßte:
den Generalintendanten Petiet mit 2 berittenen Sekretären ;
eine Abteilung für Brotbesehaffung : 28 Beamte, 56 Diener und Hand-
werker, 12 Reitpferde;
eine Abteilung für Pleisehbesehaffung : 20 Beamte, 3 Diener, 1 Reitpferd;
„ ,, ,, Fourage: 20 Beamte, 6 Diener, 1 Reitpferd;
„ „ „ Brennholz: 8 Beamte, 6 Diener, 1 Reitpferd;
„ „ „ Lagerbedürfnisse: 14 Beamte, 25 Diener, 1 Reitpferd;
„ ,, „ Spitäler : 24 Beamte, 4 Ärzte, 36 Diener, 4 Reitpferde ;
„ „ „ die Kasse: 15 Beamte, 6 Diener, 2 Reitpferde;
„ „ „ die Transporte: 22 Beamte, 15 Diener, 1 Reitpferd;
„ „ „ die Post: 11 Beamte, 23 Diener, 1 Reitpferd;
die Druckerei: 3 Beamte, 6 Diener.
Zusammen 168 Beamte, 182 Diener und Handwerker, 27 Reitpferde.
Leider finden sich nirgend Daten über die Wirksamkeit dieser Hauptver-
waltung. Nur zahlreiche Befehle, die an den Generalintendanten gerichtet waren
und die Verpflegung der nicht im Korpsverbande stehenden Armeeteile betrafen
(Garnisonen, Depots, Ergänzungstransporte), lassen vermuten, daß die Beamten der
Hauptverwaltung wahrscheinlich zur Besorgung solcher Aufträge abgesandt
worden sind.
— 561 —
Ingolstadt. Die Spitäler in Landsberg, Memmingen und Neuburg
waren aufzulassen und nach Augsburg zu evakuieren.
Die Kranken durften vom 23. Oktober an nur mehr bis Augs-
burg abgeschoben werden.
Von Donauwörth wurden zwei Etappenstraßen eingerichtet,
und zwar über Neuburg, Ingolstadt nach Landshut und über Augs-
burg nach München.
Am 23. Oktober wurden auch die Relais auf der ungefähr
400 hm langen Etappenstraße Straßburg. Speyer, Donauwörth, Augs-
burg dauernd organisiert. Auf je 3 Meilen (== 13"5 hni) war ein
Eelais von 60 vierspännigen Fuhrwerken aufzustellen. Von diesen
Wagen waren je 20 für Munition und Bekleidung bestimmt, 20 für
andere Bedürfnisse der Armee. Der Transport hatte Tag und Nacht
zu erfolgen. Die leer zurückfahrenden Wagen konnten für den Ver-
wundeten- oder Gefangenentransport ausgenützt werden. Kutscher
und Pferde waren vom Lande zu ernähren.
Der Etappentrain bestand demnach aus etwa 1800 vierspännigen
Wagen. Nimmt man an, daß die Wagen jeden Tag die Strecke von
13 hm durchschnittlich dreimal zurücklegten, so ergäbe sieh bei
einer Belastung der Wagen mit 20 g eine tägliche Transportmenge
von 1800 q für alle Bedürfnisse der Armee.
Von Augsburg zur Armee sollte die Kompagnie Breidt den
Transport der Güter übernehmen. Am 24. Oktober hofifte Napoleon,
daß die Wagen der Kompagnie nach 14 Tagen in Augsburg ein-
getroffen sein könnten.
Österreicher.
Train-
Auf den Seiten 90 — 95 wurde das Trainwesen der österreichi-
schen Armee geschildert. Es sei kurz wiederholt:
Für die österreichische Armee war ziemlich reich an Train
gesorgt. Der Truppentrain bestand aus den ärarischen Proviant wagen,
Kassenwagen.Feldschmiedewagen und aus Packpferden lür Kessel und
Zelte. Zum Truppentrain gehörte auch die Privatbagage der Offiziere
und Parteien (Wagen und Packpferde). Für jede Kompagnie und
jede Eskadron war ein vierspänniger Proviantwagen bestimmt. Be-
spannungen und Packpferde sollten im Mobilisierungsfalle vom Ärar
beigestellt werden.
Krauss. 1805, Der Feldzug von Ulm. 36
— 562 —
Das Fuhrwesen sollte an Armeetrain 91 Transportdivisionen zu
50 vierspännigen Wagen, 156 sechsspännige Baekofenzüge und 78
vierspännige Requisitenzüge aufstellen.
Mit dem Armeebefehl vom 27. August 1805 wurde der Truppen-
ti-ain bedeutend vermindert. Die Zahl der Proviantwagen wurde auf
die Hälfte herabgesetzt, so daß nur mehr jede Division der Infanterie
und der Kavallerie einen Wagen hatte; auch die Anzahl der Pack-
pferde wurde nahezu auf die Hälfte vermindert. Dagegen wurde die
persönliche Bagage der Offiziere nur sehr wenig eingeschränkt. Bloß
die Bagage der Kompagnieoffiziere wurde etwas herabgesetzt. Die
drei Offiziere einer Kompagnie sollten nur mehr zwei Packpferde
für ihre persönliche Bagage mitführen; sonst blieb die Bagage-
gebühr der Offiziere unverändert.
Besonders gründlich wurde der Armeetrain eingeschränkt. An-
statt der 91 Transportdivisiouen wurden nur 20 aufgestellt: die
deutsche Armee, für die ursprünglich 33 in Aussicht genommen
waren, sollte sich mit 4^2, also mit 225 vierspännigen Wagen be-
gnügen. Anstatt 50 Backofenzügen wurden für die deutsche Armee
nur zwei bestimmt. Aber selbst dieser geringe Armeetrain konnte
für die Armee nicht verwertet werden, da er nicht rechtzeitig auf-
gestellt und zur Armee gebracht werden konnte. Die Armee war
also eigentlich ohne Armeetrain.
FML. Mack hatte die Verminderung des Trains verlangt, indem er
sich auf das Beispiel Napoleons berief. Die Armee sollte sich, ebenso
wie die französische, der Hilfsmittel des Kriegsschauplatzes bedienen,
sie sollte ihren Bedarf an Verpflegung und an Wagen requirieren ').
Erst am 29. August gab der Hofkriegsrat bekannt, daß der Ankauf
der Pferde eingeleitet worden sei. Dabei ergaben sich aber sehr
große Schwierigkeiten.
Nach einer Zuschrift des Hofkriegsrates an das Armeegeneral-
kommando der deutschen Armee vom 24. September stellte sieh der
Bedarf der deutschen Armee auf:
5158 Artilleriezuopferde,
1352 Pferde für Pioviantwagen,
1776 „ „ das ordinäre Transportfuhrwesen (8 Divi-
sionen zu 222 Pferden),
820 Zugpferde als Eeserve (10 7o), dann
1) Siehe Seite 92.
— 563 —
1973 Packpferde (für Kochgeschirre und Bagagen der Kom-
pagnieoffiziere),
197 Paekpferde als Reserve (10%)
Summe 9133 Zugpferde und 2170 Packpferde.
Bedeckung mit J]nde August:
Aus Niederösterreich, Oberösterreich, Böhmen und Mähren
sollen 6689 Zugpferde, von einem Handlungshaus 1000 Zugpferde
gestellt werden.
Galizien soll 1631 Packpferde stellen.
Die acht Fuhrwerksdivisionen sind schon 1074 Pferde stark.
Daher Abgang auf den Bedarf noch 370 Zug- und 539 Pack-
pferde.
„Da aber viele dieser Pferde noch auf dem Wege sind, muß
sich die Armee in Bayern behelfen."
Mit dieser Schlußbemerkung setzte sich der Hofkriegsrat über
den Mangel der Artilleriepferde und des Trains — am 24. Sep-
tember! — hinweg^).
Bei der italienischen Armee fehlten am 25. September fast
alle Packpferde und 2000 Zugpferde der Artillerie. Alle Proviant-
wagen hatten nur Vorspann '').
Der Zustand des Trains entsprach also vollkommen dem Werte,
der ihm vom Chef des Generalstabes Mack zugemessen worden war.
Mack hielt seine Verpflichtung, für die Armee zu sorgen, mit
der Erwirkung der Trainverminderung erledigt. Er kümmerte sich
weiter nicht mehr um Train und Verpflegung.
Der Erfolg der Verminderung des Trains war durchaus nicht
der von Mack erwartete. Mack hatte gehofi"t, seine Armee damit
beweglicher zu machen ; sie wurde aber wegen des Trainmangels
unbeweglich und operationsunfähig.
Da der Befehl zur Verminderung des Trains alle Regimenter
schon im Marsch an die Grenze traf, sollten zahlreiche Proviant-
wagen, Ausrüstungsgegenstände und Bagagen in irgend einer Marsch-
station zurückgelassen werden. Es ist daher begreiflich, daß die
Eigentümer dieser Bagagen, Truppenkörper und Offiziere, dieser
Anordnung nur widerwillig gehorchten und sie, wo nur möglich,
umgingen. Alle Eegimenter waren vor Annahme des Kriegsstandes
*) Kriegsarehiv, Armeeakten, Deutsehland.
^)* Kriegsarehiv, Miliiärfeldakten 9/55.
36*
— 564 —
aus ihren Garnisonen abmarschiert. Sie hatten daher noch nicht
ihren ständigen Train bei sich, sondern mußten sich mit Vorspaun-
pferden zur Bespannung der Wagen und mit Vorspannwagen an-
statt der Packpferde behelfen. Die Umgehung der Mackschen An-
ordnungen war daher leicht; man nahm eben die Bagagen auch
weiter auf Vorspannwagen mit. Da die Truppen ausschheßlich auf
die Selbstverpflegung verwiesen waren, mußten sie die aufgebrachten
Verpflegsvorräte auf den Proviantwagen, und weil diese dazu nicht
mehr genügten, auch auf Landesfuliren mitnehmen. So kam es, daß
die Truppentrains mit der laugen Dauer der Märsche immer größer
wurden ; sie bestanden überdies aus zwangsweise gepreßten Vorspann-
wagen, zu deren Bezahlung die Truppen keine Mittel hatten oder
doch nur die in Bayern wertlosen Bankozettel.
Im Gegensatze zu den Franzosen finden wir daher bei der
österreichischen Ai'mee einen sehr zahlreichen, aber völlig unorgani-
sierten wilden Truppen train oder, besser gesagt, „Troß", dagegen
gar keinen Armeetrain. Der Truppentrain enthielt zahlreiche Pack-
pferde, besonders die Offizierspackpferde, deren Führer sich jeder
Disziplin und Ordnung entzogen, weil die Pferde Privateigentum
waren.
Dem Beispiele Maeks, des tatsächlichen Armeekommandanten
folgend, sah übrigens niemand auf Disziplin und Ordnung beim
Train, diesem „Übel jeder Armee". Wozu sollten daher die Trains
selbst Ordnung halten?
Verpflegung.
Für die Verpflegung der Armee hatte Mack nur verfügt :
Die Truppen haben sich durch die Requisition zu verpflegen.
Mack hatte im Gegensatze zu Napoleon diese Verfügung erlassen,
ohne sich über ihre Wirkung klar zu sein und ohne für mobile
Vorräte der Truppen und die Reservevorräte der Korpskommandanten
Sorge zu tragen. Die Armee sollte also von der Hand in den Mund
leben. Dabei wollte Mack die Armee längere Zeit an der Hier und
bei Ulm in abwartender Haltung stehen lassen. Dazu waren aber
große Verpflegsvorräte, also Magazine nötig. Magazine waren ja auch
vorhanden, aber nicht dort, wo die Armee sie brauchte.
Am 1. Oktober war der Stand der österreichischen Verpflegs-
magazine in Schwaben ;
— 565 —
Ulm 12.200 M Körnerfrucht und 9160 hl Hartfutter: bis zum
8. Oktober war die Einlieferung von 1000 Zentnern Mehl zu er-
warten. Auf allen Mühlen der Umgebung wurde gemahlen.
Günzburg 3000-3700 A^ Eoggen.
Lau in gen 4880 hl Hartfutter.
Donauwörth 3700— 4880 7iZ Roggen und 15.000— 18.000 äZ
Hartfutter ^).
Es waren also ziemlich bedeutende Vorräte an Brotfrucht vor-
handen, aber weit von der Hauptmasse des Heeres entfernt und
unvermahlen. Da das Bindemittel zwischen diesen Magazinen und
den Truppen, der Verpflegstrain. fehlte, konnten die Vorräte nicht
zu den Truppen gelangen. Der größte Teil der Vorräte mußte vor
den anmarschierenden Franzosen mit Schiff nach Regensburg ge-
rettet werden. Schon am 29. September erging der Befehl, alles zum
Abtransport vorzubereiten ^).
Der geregelte Magazinsbetrieb; die Vermahlung der Körner-
frucht und der Ankauf weiterer Vorräte hätten überdies ein zahl-
reiches Verpflegspersonal verlaugt. Dieses fehlte der Armee.
Erzherzog Ferdinand hat nach seinem Eintreffen bei der
Armee dem Kaiser berichtet, daß die Administration der Armee, um
die sich Mack gar nicht kümmere, in größter Unordnung sei und
daß das Verwaltungspersonal der Armee noch fast ganz fehle, alles
Polgen des überhasteten und materiell nicht vorbereiteten Einmarsches
in Bayern.
Die Unmöglichkeit, die Armee aus den wenigen und ungünstig
gelegenen Magazinen zu ernähren, zwang das Armeekommando, die
Armee auf einen ganz außerordentlich großen Raum zu verteilen.
Die kaum 50.000 Mann starke Armee kantonierte am 28. September
in einem Räume von 100 hm Tiefe und 80 km Breite, wobei vom
detachierten Korps Kienmayer ganz abgesehen ist.
Als Erzherzog Ferdinand Anfang Oktober die Notwendigkeit
erkannte, die Armee zu versammeln, hinderte ihn die Rücksicht auf
die Verpflegung der Truppen, die Armee so eng zu konzentrieren
als er es wünschte und für nötig hielt. Trotz starken Märscheu kam
diese kleine Armee nicht mehr rechtzeitig zusammen. Das öster-
reichische Arraeekommando kam mit allen seinen Entschlüssen zu
spät oder eigentlich zu früh, denn bis die zum jedesmaligen Ent-
') Kriegsarchiv, 1805, DpAitsehland FA, X, 7.
2) Kriegsarehiv, 1805, Militärfeldakten, 3/179.
— 566 —
Schluß gehörige Versammlung der Truppen beendet war, war der
Entschluß auch schon durch das Fortschreiten des Feindes undurch-
führbar geworden. Als die Armee endlich am 9. Oktober bei Günz-
burg vereinigt war, war ihr auch schon jeder Ausweg verschlossen.
Aber trotz diesen Opfern an operativer Freiheit war die Verpflegung
der Truppen schlecht, denn auch das Eequirieren der Truppen ging
nicht glatt von statten. Vor allem fehlte den Truppen das zur Durch-
führung der Requisition nötige Verpflegspersonal. Da Alack und
seine Unterführer es weiter vollkommen unterlassen hatten, für die
geordnete und geregelte Durchführung der Requisitionen Direktiven
hinauszugeben, so waren die bisher auf die Zuweisung der Ver-
pflegung von oben her gewöhnten, also unselbständigen Truppen,
ganz sich selbst überlassen. Es fehlten ihnen für die Requisitionen
die Übung, die Anleitung und das besonders geschulte Personal.
Kein Wunder, daß die Requisitionen der Österreicher somit den
Charakter der regellosen Selbsthilfe trugen und die Bevölkerung arg
bedrückten, ohne die Bedürfnisse der Truppen ganz zu decken. Da
weiters die österreichischen Truppen sich in zahlreichen Staffeln auf
denselben Marschlinien folgten und wegen des Trainmangels nur die
an den Marschlinien gelegenen Orte ausnützen konntea, so mußten
die später folgenden Truppen empfindlichen Mangel leiden. Starke,
unregelmäßige Märsche und schlechte Verpflegung wirkten dann
zusammen, um die Disziplin der Truppen zu lockern und ihre Kräfte
zu vermindern. Mit der Abnahme der Disziplin und mit der Zu-
nahme der Nachzügler wuchsen die Bedrückung der Bevölkerung
und die Verwüstung des Anlandes der Marsch straßen.
GM. V. Mayer schildert die Folgen dieser Art von Requisi-
tion folgend :
„ . . . . Als endlich Nachricht anlangte, daß Kienmayer ge-
worfen sei und die Franzosen Anstalten trafen, bei Donauwörth
überzugehen, da wurde die Armee auf einmal in außerordentlichen
und unordentlichen Märschen zwischen Ulm, Weißenhorn und Günz-
burg zusammengezogen, und da die Truppen nur Ton Requisitionen
lebten, die sie in jedem Orte selbst machen mußten und da sie den
andern Tag wieder marschierten, ohne noch die erste Requisition
an sich gezogen zu haben, so wurden Kommandierte zurückgelassen,
die erst in 1 — 2 Tagen nachrücken konnten. In der neuen
Station geschah dasselbe, die Kommandierten fanden ihre Regimenter
nicht mehr, ebensowenig wie das zahlreiche Fuhrwerk. Die Be-
— 567 —
Spannung der Artillerie war elend, durch die Märsehe herab-
gekommen, kurz man kann sagen, daß die Armee desorganisiert
zwischen Lech und Hier herummarsehierte, und man brauchte nicht
scharfblickend zu sein, um zu erkennen, daß diese Armee durch
ihre vollkommen schlechte Organisation und dia-ch die unzweck-
mäßigen übertriebenen Märsche sich selbst geschlagen habe\)."
Man beurteile diese Schilderung nur unter Berücksichtigung
der Tatsache, daß die Korps Davout und Soult viel stärkere Märsche
leisteten und auch nur von der Eequisition lebten, und man wird
zu dem Schlüsse kommen, daß nicht die Nötigung zur Requisition
an sich die Ursache der Unordnung war, sondern ihre unzweck-
mäßige, ungeregelte und schlecht überlegte Durchführung.
So blieb^denn auch die Ausnützung des Landes für die Armee —
wenigsteus die geregelte — weit hinter dem Bedarfe der Armee zurück.
Die österreichischen Truppen haben in Bayern nach ihren
Nachweisungen requiriert:
20.300 Portionen Hausmannskost samt Brot und Trank,
87.300 Pfund Fleisch,
77.000 Maß Bier und Wein,
693.000 Portionen Brot,
458.000 Portionen Hafer und
2,500.000 Pfund Heu 2).
Wenn man den durchschnittliehen Verpflegsstand der öster-
reichischen Armee sehr niedrig mit 50.000 Mann und 20.000 Pferden
annimmt, so zeigt sich, daß nur für die Pferde in genügendem
Maße durch die Requisition gesorgt worden ist, da die Armee etwa
35 Tage in Bayern stand und die requirierten Vorräte an Hafer auf
23 Tage, an Heu auf 40 Tage für 20.000 Pferde hinreichten.
Für 50.000 Mann und 35 Tage hätte aber die Armee 1,750.000
Verpflegsportionen gebraucht, so daß zum Beispiel an Brot nur wenig
mehr als ein Drittel des Bedarfes aufgebracht worden ist.
Die österreichische Armee muß daher sehr stark Hunger ge-
litten haben.
Man kann sich d,arüber gar nicht verwundern, wenn man das
einzige vorhandene Dokument sieht, das Aufschluß gibt, wie einfach
sich Mack. der Anreger der Requisitionen, ihre Durchführung ge-
dacht hat.
») Kriegsarchiv, Meiaoires, 28/327, 1805.
^) Kriegsarchiv, Armeeakten, 1805.
— 568 —
Am 14. Oktober, also am Tage vor der Einschließung Ulms,
sandte Mack eine Eskadron von Ulm auf Eequisition aus. Die offene
Order der Eskadron bestimmte, daß je ein Zug nach Geislingen,
Göppingen und Dettingen^); nach Wiesensteig und Weilheim; nach
Owen, Nirdingen bis Urach ^) ; nach Schelkingen zur schärfsten
Eequisition von Brot und Schlachtvieh zu entsenden sei. Alle Ochsen
und Kälber waren einzutreiben, alles gebackene Brot war wegzu-
nehmen und die Bauern sollten angehalten werden, Tag und Nacht
Brot zu backen. Alles war schleunigst nach Ulm zu schaffen').
Je 20 — 30 Reiter hatten also in einem 45—50 hm. tiefen
Räume die schleunigste Requisition von Schlachtvieh und Brot zu
besorgen und die Bewohner anzuhalten, unausgesetzt Brot zu backen;
diese Lieferungen sollten von den Bewohnern ohne jede Vergütung
geleistet werden *) !
Wenn also Mack, dem die Armee das richtige Prinzip ver-
dankte, die Ressourcen des Kriegsschauplatzes zu ihrer Erhaltung
zu verwerten, so falsche Vorstellungen über die Durchführbarkeit
der Requisitionen und über deren Bedingungen gehabt hat, wie muß
es erst bei den übrigen Generalen und Offizieren in dieser Hinsicht
bestellt gewesen sein ! In den Akten des Kriegsarchivs findet man
denn auch nicht die geriogsten Spuren dafür, daß sich auch nur
ein General der österreichischen Armee um die Verpflegung seiuer
Truppen gesorgt oder gekümmert hätte; der stete Wechsel der
Ordre de bataille hätte auch jede Sorge wirkungslos gemacht.
So dürftig diese Darstellung der Verpflegsverhältnisse der
österreichischen Armee auch ist, kommt man durch sie doch zur
Erkenntnis, daß vor allem die desolaten Verpflegsverhältnisse die
Handlungsfreiheit des österreichischen Armeekommandos behinderten.
Die Niederlage der österreichischen Armee war bei ihrer trostlosen
Führung selbstverständlich ; es wäre vergebliche Mühe, darüber Be-
trachtungen anzustellen. Daß aber die Niederlage eine so schmähliche
für die Armee wurde, daß die Haltung der Truppen ihrem alten.
^) Die Übersichtskarte 1 : 750.000 zeigt zwischen Ulm und Stuttgart zwei
Dettingen, ein drittes etwa 251cm nordöstlich von Ulm.
-) Göppingen, Weilheim, Owen und Urach sind je i5— 50 lern von Ulm
entfernt, und zwar in der Richtung auf Stuttgart.
=*) Kriegsarehiv, 1805, Deutschland FA, X, 144.
*) Vergleiche damit den Befehl Davouts vom 6. Oktober zur Requisition in
Öttingen. S. 550.
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so oft bewährten Rufe gar nicht entsprach, daß dieser Feldzug von
Ulm das traurigste Blatt der Geschichte der ruhmvollen, alten
Armee füllen muß. das wird allein von der kopflosen, oberflächlichen
und leichtfertigen Art verschuldet, in der für die Verpflegung drr
Armee gesorgt worden ist. I)ie Armee wäre bei dieser Führung
auch bei guter Verpflegung unterlegen, aber sie wäre auf dem
Schlachtfeld in Ehren untergegangen, sie hätte fallend noch dem
Feind und der Welt Achtung abgerungen. So aber ergaben sich
die demoralisierten Truppen bei jedem Zusammenstoße scharenweise
und fast widerstandslos. Das ist die Wirkung des Hungers, des
Hunü:ers durch Schuld der Führer, durch Schuld der Interesse-
losigkeit und Unwissenheit der Generale und Offiziere. Gute
Truppen müssen auch hungern können, gewiß! aber hungern
um eines hohen Zweckes, eines großen Zieles wegen, und trotz
der größten Sorgfalt des Armeekommandanten und seines
Generalstabes, nicht aber wegen deren Leichtfertigkeit.
Diesen Unterschied fühlt die Truppe mit Sicherheit heraus und
darum darf man auch ihren Hunger nicht ))agatellisieren. Darum
müssen Führer und Generalstab in der Sorge für die Ver-
pflegung der Truppen aufgehen, sie müssen für die Truppen
unausgesetzt tätig sein, ohne sich aber in deren rücksichts-
loser Ausnutzung im geringsten hindern zu lassen. Eine
Truppe, die weiß, daß ihre Führer für sie sorgen, wird diese nie
im Stiche lassen, wenn sie auch Gewaltleistuiigen und Hunger
fordern.
Vergleicht man die Einrichtungen beider Armeen und ihre
Wirkung, so ergeben sieh folgende Schlüsse:
Train: Die Beweglichkeit der Kolonnen wird nur durch Trains
beeinflußt, die in ihnen eingeteilt die Märsche mitmachen. Je größer
diese Trains sind, desto mehr behindern und erschweren sie den
Marsch der Kolonnen ; je ungleichartiger ihre Zusammensetzung ist
und je undisziplinierter die Elemente dieser Trains sind, desto nach-
teiliger ist ihre Einwirkung auf den Marsch der Kolonnen. Die
Größe des hinter den Kolonnen marschierenden Trains beeinflußt
den Marsch natürlich gar nicht, es wäre denn, daß der Kolonnen-
kommandaut etwa täglich auf zurückgebliebene Trains wartete. Dann
liegt aber die Ursache der Marsehverzögerung nicht im Train.
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sondern im Kolonnenkommandanten. (Vergleiche die Verhältnisse
beim Korps Davout. Kleiner Truppentrain, zahlreicher Korpstrain,
großartige ^larschleistungen, Zurückbleiben des Trains.)
In den Kolonnen werden immer eingeteilt sein müssen: die
Truppentrains, die Munitionstrains und Verpflegstrains.
Die Größe dieser Trains muß daher vor allem möglichst herabgesetzt
werden. Die Trnppentrains sollen nur aus dem Notwendigsten
bestehen. Das Notwendigste, weil alle Tage nötig, ob man marschiert,
ruht oder kämpft, sind die zur Sicherstellung der Verpflegung nötigen
Fuhrwerke, also Küchenwagen und Proviantwagen. Alles andere:
Munition, Bagage, Sanitätsmaterial, technisches Material etc. wird
nur zeitweise in größeren Mengen gebraucht, es ist daher nicht
nötig, das alles ständig bei der Truppe raitzuführen. Es genügt,
wenn der Bedarf jedesmal zudisponiert wird. Will man daher den
Truppentrain mögliehst klein machen, dann muß man Munition,
Bagagen und Sanitätsmaterial ganz aus ihm ausscheiden. Das geht
selbstverständlich ohneweiters. wenn Mann und Eeiter dementsprechend
ausgerüstet werden. Wenn man dem Infanteristen ebensoviel oder
gar mehr Patronen gibt als jetzt innerhall) der Truppe, also beim
Manne und auf Truppenfahrzeugen vorhanden sind, dann werden
die Munitionswagen der Truppen überflüssig ; wenn man jeden Mann
etwas besser mit dem nötigsten Sanitätsmaterial ausrüstet und wenn
die Truppe reich mit Sanitätshilfspersonal versehen wird, das Sanitäts-
material bei sich trägt, ist die Ausrüstung der Truppen mit einem
Sanitätstrain unnötig.
Bei zielbewußter Festsetzung der Mannesrüstung müßte die
Reduktion des Truppentrains möglich sein.
Demnach wären die Munitions wagen, der Bagagetrain und
auch die Sanitätsfuhrwerke aus dem Truppentrain (aus der Truppen-
kolonne) auszuscheiden.
Das Prinzip, einen Munitionsvorrat auf Wagen immer un-
mittelbar bei der Truppe mitzuführen, hat sich dort überlebt, wo
die Munitionsanstalten so zweckmäßig organisiert sind, daß sie jeder-
zeit, in kleine Einheiten zerlegt, den Truppen zugeteilt werden
können.
So sind z. B. in Österreich-Ungarn die Munitionsanstalten so
organisiert, daß selbst einem isolierten Eegiment ein Teil einer
Munitionskolonne mitgegeben werden kann und auch bei einem zum
Gefechte führenden Marsch regelmäßig zudisponiert wird. Der
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Munitioiisersatz wird dadurch unnötig kompliziert: bei dem isolierten
ßegirnente befinden sich dann dessen Kompagniemunitioiiswagen,
die es z. B. acht Tage hindurch unnütz in seiner Kolonne eingeteilt
mitgenommen hat, und die von rückwärts her zudisponierte Munitions-
kolonne.
Der ßegimentskomraandant müßte also unmittelbar vor und
während des Gefechtes mit den Kompagniemunitionswagen und
mit dem Zuge der Munitionskolonne disponieren. Dies wird dazu
führen, daß man die Kompagniemunitionswagen und die Munitions-
kolonne örtlich vereinigt und unter einheitlichen Befehl stellt, um
die Disponiei'ung und den Munitionsersatz zu vereinfachen.
Wenn das aber am Gefechtstage möglich und zweckmäßig ist.
dann ist das umsomehr an den Marschtagen der Fall.
Den im engen Verbände kämpfenden Eegimentern kann jederzeit
leicht ein Teil einer Munitionskolonne zudisponiert werden, besonders
wenn diese zum Teil aus leichten (Kompagnie-) Munitionswagen
bestünden.
Die Möglichkeit, detachierten Bataillonen oder Kompagnien
ausnahmsweise einige Munition.swagen mitgeben zu können, kann
wohl nicht für die Organisation des Truppentrains der ganzen
Armee maßgebend sein. Hat der Mann übrigens mindestens IGO
Patronen Taschenmuiiition, dann brauchen auch detachierte Bataillone
und Kompagnien keine Munitionswagen.
Der Bagagetrain kommt beim Marsche ganzer Armeen höchst
selten, vielleicht alle 14 Tage einmal zur Truppe Daher wäre es
zweckmäßiger, diesen Train seines Charakters als Truppentrain zu
entklei<len und ihn als Bekleidungstrain bei Bedarf zur Truppe
vorzusenden. Die Bagagen der Offiziere müßten auf das reduziert
werden, was Offizier, Otflziersdiener und Reservepferde mit .sich führen
können. Nachschaffungen auf dem Kriegsschauplatz und Sendungen
aus der Heimat müssen den Vorrat des Offiziers ergänzen.
Der Truppentrain, der immer in der Kolonne bleibt, muß
unbedingt vollkommen militärisch organisiert sein, und zwar ganz
gleichartig; er soll daher aus leichten und doch leistungsfähigen
Wagen bestehen. Jede Komplizierung durch Einstellung von vier-
spännigen schweren Wagen oder gar von Tragtieren ist schädlich.
Der vierspännige Zug ist für den Truppentrain schlecht, weil
er nur bei sehr schweren Wagen rentabel ist, denn sonst bringen
4 Pferde mit 2 leichten Wagen mehr fort als der vierspännige Zug.
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Schwere AVagen siud aber im Truppentraiu sehr gefährlich, weil sie
nur auf guten Straßen tortkomraen.
Tragtiere vergrößern den Train bedeutend, ohne seine Leistungs-
fähigkeit in gleichem Maße zu steigern, denn ein Pferd zieht leicht
das Vierfache dessen, was es mit Anstrengung trägt. Die Kom-
plikation in Ausrüstung und Ausbildung ist noch größer als beim
vierspännigen Zug, weil die Pferde nur l)ei sorgfältiger Packung
dauernd dienstfähig bleiben. Tragtiere sollen daher nur dort ver-
wendet werden, wo sie unbedingt nötig sind: im Gebirge, abseits
fahrbarer Wege. Die Annahme, daß Tragtiere den Truppen im
Manövrierland aufs (jefechtsfeld zu folgen vermögen, dürfte nicht
zutrefi'en ; zumindest kann in fahrbarem Terrain ein leichter Wagen
an die Truppe ebenso nahe herankommen wie ein Tragtier: soweit
sie gedeckt oder verdeckt vorkommen. Im feindlichen* Feuer kann
auch ein Tragtier nicht vorgeführt werden. Den Truppentrain der
ganzen Armee aber nur deshalb überall und dauernd zu komplizieren,
um auch dann Munition oder Sanitätsmaterial nahe an die Truppen
heranbringen zu können, wenn einige Bataillone oder Kompagnien
im Manövrierterrain in so schwierige Terrainpartien gelangen, daß
die Wagen nicht so weit an die Truppe heranfahren könnten,
als es das feindliche Feuer erlaubt, hieße übers Ziel schießen. In
solchen Ausnahmsfällen müssen Ausnahmsmaßregeln aushelfen : man
wird in solchen seltenen Fällen die Munition oder das Sanitäts-
material die gewiß nur kurzen Strecken vom Wagen zur Truppe
oder zum Hilfsplatz durch Mannschaft (Detachements) oder durch
die Bespannung der Wagen tragen lassen. Eine besondere Aus-
rüstung, wie Sättel o. dgl., wäre dazu nicht nötig; einige Säcke
genügen vollauf.
Ist das Terrain aber so wegarm und so gebirgig, daß die
Fuhrwerke nur auf wenigen guten Kommunikationen fortkommen
können, dann muß die Ai'mee für diesen Kaum besonders ausgerüstet
werden, und zwar mit Tragtiertrains, die je nach Bedarf den abseits
fahrbarer Wege kämpfenden Truppen Munition und Sanitätsmaterial
zutragen .
Jede unrationelle Vermehrung der Pferde durch Tragtiere hat
weiter noch die böse Folge, daß alle in die Kolonne einzureihenden
Verpflegstrains bedeutend anwachsen müssen.
Alle Trains, die nur fallweise zur Truppe kommen . also
Munitionstrains, Verpflegstrains mit Ersatzvorräten, technische Trains
— O < 5
und Sanitätstrains, müssen bei tiefen Kolonnen iu die Kolonnen ein-
geteilt werdeu, um rechtzeitig zu den vordersten Truppen zu ge-
langen. Auch diese Trains sollen daher vollkommen militärisch
organisiert sein. Gedungene oder gesetzlich verpflichtete Baaerntrains
müssen den Marsch der Kolonnen weit mehr gefährden als die
gleiche Zahl militärischer Trains^).
Daraus folgt, daß der ganze Armeetrain militärisch organisiert
sein soll. Bestehen auch nur Teile dieses Trains aus Bauernwagen,
daim werden diese undisziplinierten Trains nicht nur ihren Zweck
kaum erfüllen, sondern auch den Marsch der anderen Trains und
der ganzen Kolonnen sehr behindern. Diese Erfahrung winvle in
allen Kriegen gemacht, besonders deutlich im Kriege 1870/71. Je
größer die Heermassen und je tiefer die Kolonnen werden, desto
mehr müssen sich die Nachteile der Bauerntrains fühlbar machen;
desto zwingender wird daher die Forderung, auch den ganzen
Arraeetrain militärisch zu organisieren. Damit ist natürlich nicht
gemeint, daß die Unzahl nötiger Wagen schon im Frieden vorrätig-
gehalten werden sollte. Der leichte Bauernwagen ist ein sehr gutes,
vielleicht das beste Trainfuhrwerk. Aber Wagen und Pferde müssen
im Kriegsfall angekauft und mit Soldaten als Kutscher besetzt
werden. Diese Kutscher sind mit Repetierpistolen und mit Kara-
binern zu bewaflfnen, so daß der Train an Stelle der wehrlosen und
disziplinlosen Bauern gut bewaffnete und disziplinierte Soldaten er-
hält, die zu seiner Verteidigung vorzüglich mitwirken können. Ein
in dieser Art gut organisierter Armeetrain wird bei guter Dis-
ponierung keine Gefahr lür die Kolonnen bilden, auch wenn
große Teile in die Kolonnen eingereiht werden müssen.
Gedungenes Fuhrwerk kann nur auf den Etappenstraßen ohne
besondere Gefahr verwendet werden. Auf guten Etappenstraßen
können die Etappentrains auch aus sehr schweren Wagen gebildet
werden. Die Organisierung von Relais auf den Etappenstraßen wird
meist von großem Vorteil sein, weil die Pferde nach ihrer Güte auf
die verschieden schwierigen Strecken verteilt werden können und
weil sie immer in die gleichen Nächtigungsorte zurückkehren, daher
die gewohnten Stallungen beziehen, das gleiche Wasser erhalten
und regelmäßiger gefüttert werden können. Die Pferde leisten unter
solchen Verhältnissen viel mehr, als bei der Verwendung der
Etappentrains über große Strecken.
') Vergleiche den Ausspruch des Erzherzogs Karl auf Seite 93.
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Verpflegung. Beide Armeen haben sich im Feldznge 1805
nach demselben Grundsätze verpflegt; beide sollten nur von den
Vorräten des Kriegsschauplatzes leben. Der verschiedene. Erfolg
dieses Vorganges bei beiden Armeen läßt erkennen, daß es nicht
genügt, einen richtigen Grundsatz anzunehmen, sondern daß auch
dessen Anwendung und Durchführung richtig sein müssen.
Die Korps der französischen Armee führten den Grundsatz des
Lebens vom Lande auf die verschiedensten Arten durch. Die Er-
fahrungen dieser Korps lassen den Schluß zu, daß die Ausnützung
der Eessourcen des Kriegsschauplatzes allein die gute Ernährung
einer großen Armee nicht zu sichern vermag.
Nur die kombinierte Anwendung aller Mittel kann die Vei-
pfleguug in allen Lagen möglich machen, also: reiche und zweck-
mäßige Ausrüstung der Truppen und der Heereskörper mit mobilen
Vorräten, Ausnützung der Landesressourcen und Nachschub von
Verpflegung. Der Nachschub großer Verpflegsmassen ist immer
schwierig, sehr teuer und erfordert selbst bei den wesentlich besseren
Nachsehubmitteln von heute eine gewaltige und zeitraubende Arbeits-
leistung. Je mehr man daher den Nachschub durch volle Aus-
nützung der Landesressourcen entlastet, desto besser, sicherer und
billiger wird die Verpflegung des Heeres sein. Die zweckmäßige
Ausnützung der Ressourcen des Kriegsschauplatzes ist somit die
Bedingung einer guten Verpflegung.
Jedes Verpflegssystem, das nicht auf die Ausnützung des
Landes aufgebaut ist, das diese Ausnützung daher auch nur im
geringsten erschw^ert oder die Verpflegsorgane zur Hofifnung auf die
ihnen bequemere Zustellung der Verpflegung zur Truppe gewöhnt,
muß für die Armee und ihre Erfolge schädlich werden.
Jede Zentralisierung der Requisition bei den Divisionen und
Korps erschwert die Ausnützung des Landes für die Truppe selbst
dann, wenn ganze Divisionen vereint lagern. Noch größer müssen
die Nachteile dieser Zentralisierung der Requisition werden, wenn
die Truppen, was ja jetzt die Regel ist, auf einen größeren Raum
verteilt, in mehreren Ortschaften untergebracht sind.
Diese Zentralisierung kommt in der Theorie vor allem dadurch
zur Geltung, daß man mit Vorliebe an die Anlage von Magazinen
(sogenannter Marschmagazine) durch die Intendanzen denkt. In
diesen Magazinen sollen die von einem größeren Gebiete zu liefernden
Vorräte von den Bewohnern augesammelt werden, um dann mit
— oio —
den Verptiegstrains den Truppen zugeführt zu werden. Es ist klar,
daß diese Magazine selten rechtzeitig fertig werden. Diese Art der
Aufbringung der Landesmittel ist auch nur weit vom Feind und
bei friedfertiger Bevölkerung möglieh.
Daher muß die Truppe dort, wo sie nächtigt, die Requisition
selbst durchführen. Dazu braucht sie ein zahlreiches und gut ge-
schultes Verpflegspersonal. Je zahlreicher das Verpflegspersonal der
Truppen ist, desto weniger wird bei guter VerpMegsbeschaflfung
die Truppe selbst, d. h. Offiziere und Mannschaft der Kompagnien,
in Mitleidenschaft gezogen werden müssen. Die Truppe übt nur
durch ihre Anwesenheit einen hohen moralischen Druck auf die
Bevölkerung aus, sie gibt der Anforderung ihrer Organe Gewicht
und Rückhalt. Wenigstens zwei Proviantoffiziere für jedes Infanterie-
regiment, noch besser aber ein Proviantoffizier für jedes Bataillon
und je zwei Proviantoffiziere für jedes Kavallerie- und Artillerie-
regiment und einige berittene Unteroffiziere (Stabsführer) bei jedem
Regiment sind nötig, um die Requisition zu leiten und durch-
zuführen. Die Anforderung ist stets an die Ortsbehörden zu stellen :
die abzuliefernden Mengen sind genau anzugeben. Fehlen die Be-
hörden, dann sind diese sofort aus einflußreichen und angesehenen
Einwohnern neu zu bilden.
Bare Bezahlung des Eingelieferten oder wenigstens Ausfolgung
von Anweisungen auf bestimmte Kassen, wobei die Preise im Feindes-
land in ausreichender Weise festzusetzen sind, werden die Requisition
außerordentlich ))egünstigen. Strenge und rücksichtslose Strafen
werden selbst eine feindselig gesinnte Bevölkerung veranlassen, ihre
Vorräte abzuliefern ; die Strafen können um so rücksichtsloser an-
gewendet werden, je humaner und disziplinierter das Land ausgenützt
wird. Selbstverständlich ist. daß mit der Verpflegung, ob sie requiriert
oder nachgeschoben wird, auf das sorgsamste gespart werden muß.
Denn wenn einmal die Truppen sehen, daß es nicht nötig ist, mit
den Vorräten zu sparen, dann ist der Verschwendung und Vernichtung
der unersetzlichen und für den Ausgang der Operationen so wichtigen
Lebensmittel nicht mehr Einhalt zu tun.
So meldete General Gudin am IG. Oktober an Marschall Davout:
„ Ich lege einen Abschnitt meines Befehles (wegen des
Marodierens und Plünderns) bei; ich fürchte aber, daß er nicht viel
nützen wird, denn der Soldat ist in der Verpflegung so begehrlich
geworden, daß ihm die Ration nicht mehr genügt."
— 576 —
Kaiser Napoleon sah sieh veranlaßt, am 24. Oktober folgenden
Armeebefehl hinauszugeben :
„ Der Lebensmittel- und Fouragebedarf der Armee wird
täglich größer; es ist dringend nötig, den Verptiegsdienst zu regeln,
um den Mißbräuchen vorzubeugen, zu denen die unberechtigten
Fassungen Anlaß geben. Daher sind die Stände genau festzustellen
und in Zukunlt am 1. jedes Monats zu berichtigen, damit man die
Fassungen regeln und den Bedarf im vorhinein bestimmen könne."
Damit ist wohl über alle Verpflegssysteme, deren Wesen ein
Haushalten mit der Verpflegung ausschließt, ein einwandfreies Urteil
gefällt, ein Urteil, das bei unseren Millionenheeren um so dringender
zu beachten ist.
Die Truppe darf daher nur ihren Tagesbedarf, der sich nach
ihrem Stande richtet, verbrauchen, wobei es sich selbstverständlich
nicht um jede einzelne Portion handeln kann: eine zweckmäßige,
automatisch eintretende Abrundung der Gebühr des Truppenkörpers
wird die Berechnung der Gebührsätze und die Verrechnung er-
leichtern, ohne in eine Verschwendung von Vorräten auszuarten.
Der Tagesbedarf soll stets schon bei der Truppe vorhanden sein
und durch die Requisition der Truppe täglich wieder ersetzt werden.
Was die Truppe selbst nicht aufbringen kann, hat sie aus den
mobilen Vorräten des Heereskörpers zu fassen. Diese Fassungen
müssen streng geregelt sein und es muß bei ihnen genau dieselbe
Disziplin und Ordnung herrschen wie beim Exerzieren der Truppe
und wie im Gefecht. Alle ^achteile und Schwierigkeiten, die man
so gerne den Fassungen vorwirft, haben ihre Ursachen nicht in der
Fassung an sich, sondern in der Truppe, die faßt. Nur schlecht
disziplinierte Truppen, deren Offiziere und Mannschaften nicht zur
unbedingten Ordnung erzogen sind und die Wichtigkeit einer ge-
regelten Verpflegstätigkeit nicht begreifen, werden nicht in Ordnung
fassen und unter den Nachteilen dieser ungeregelten und ungeleiteten
Fassungen leiden.
Zur Leitung der Fassungen muß ein Organ bestimmt werden,
das allen Proviantoffizieren der Truppen übergeordnet ist, das mit
den weitesten Vollmachten und mit diskretionärer Gewalt zur Auf-
rechterhaltung der Ordnung auf dem Fassungsplatze ausgestattet
ist. Diesem Offizier, etwa einem im Hauptmanns- oder Majorsrange
stehenden Divisionsproviantoffizier, müßte eine größere Anzahl von
Hilfsorganen zur Besorgung der Ausgabe der Verpflegsartikel und
— 577 —
eine Abteilung Feldgendarmen oder eine Wache zur Aufrecht-
erlialtung der Ordnung beigegeben werden. Die Hilfsorgane (Offiziere,
Unteroffiziere und Soldaten der Verptiegstruppe) haben die Verpflegs-
artikel nach einer strenge einzuhaltenden Fassungseinteilung und
gegen Quittierung der empfangenden Proviantoffiziere auszugeben.
Von den fassenden Truppen haben nur ein Proviantolfizier, einige
Stabsführer und einige Leute mit den unbedingt nötigen Proviant-
wagen zur Fassung zu erscheinen ; die Truppe selbst hat daher mit
der Fassung nichts zu tun. Je geschickter die Verpflegsorgane der
Truppe (Proviantoffiziere und Stabsführer) die Requisition betreiben,
desto weniger werden sie fassen müssen, desto schneller werden sie
also mit der ihnen immerhin lästigen Fassung fertig sein.
Die Intendanzen haben die mobilen Vorräte durch Requisition
und Nachschub zu ergänzen. Sie schreiben zur Füllung der Ver-
pflegstrains Requisitionen nur außerhalb der Nächtigungsräume der
Truppen und in Orten aus, die weit mehr Verpflegung liefern können
als die dort nächtigenden Truppen brauchen. Die Intendanzen wirken
so auf dem Wege der Fassungsvorräte helfend und ausgleichend,
ohne in die Selbsttätigkeit der Truppen hindernd einzugreifen.
Die Verpflegung einer Armee im Felde kann nur ein „System
von Aushilfen" sein. Daher muß ein kriegsmäßiges Verpflegssystem
elastisch sein. Ein starres Verpflegssystem, das auf einen regel-
mäßigen Staffelturnus aufgebaut ist und bei dem den Truppen täglich
ihr ganzer Bedarf bis zu dem grammweise bemessenen Gewürz zu-
gestellt werden soll, ist daher nicht kriegsmäßig. Ebensowenig
ist eine strenge Scheidung in normale und Konservenverpflegung
denkbar.
Die unausgesetzt notwendigen Aushilfen und Abhilfen fordern
die rege Mitwirkung aller Teile der Armee zur Befriedigung ihrer
Bedürfnisse. Die volle Selbsttätigkeit der Truppen ist die Bedingung
der genügenden Verpflegung einer größeren Armee. Zur guten
Verpflegung jeder Armee ist aber auch die volle Mit-
wirkung aller Generale, vom Armeekommandanten bis zum
Brigadier, und die aufopfernde, selbstlose Tätigkeit des
ganzen Generalstabes nötig. Eine Armee, bei der Generale und
Generalstab es unter ihrer Würde finden, sich um die Verpflegung
zu kümmern, wird immer hungern und selten siegen. Napoleon und
sein hervorragendster Marschall, Davout, mögen allen als Beispiel
und als nachahmenswerte Muster dienen.
Krause. 1805, Der Feldzug von Ulm. 37
— 578 —
Wer Nap'ileoü und dessen Sorgfalt für die Verpflegung anders
beurteilt, tut diesem Kriegsmeister Unreclit. Allerdings wußte Napoleon
immer, was er tat und warum er es tat. So charakterisierte Napoleon
seinen Vorgang im Jahre 1805 selbst am besten in einem Sehreiben
vom 24. Oktober an den GeneraUntendanten Petiet:
„Wir sind ohne Magazine marschiert. Wir waren durch die
Umstände dazu gezwungen. Wir haben hiefür eine äußerst günstige
Jahreszeit gehabt; aber obwohl wir immer siegreich waren und ob-
gleich wir Gemüse in den Feldern fanden, haben wir viel gelitten.
Zu einer Jahreszeit, in der wir keine Erdäpfel in den Feldern
gefunden hätten oder wenn die Avmee einige Unglücksfälle erlitten
hätte, würde uns der Mangel an Magazinen ins größte Unglück ge-
stürzt haben."
Napoleon hatte die (iefahr, die darin gelegen war, den Krieg
schlecht vorbereitet und schlecht ausgerüstet zu beginnen, vollkommen
erkannt. Er wußte aber, daß seine Armee der des Feindes weit
überlegen war; er wußte, daß die Jahreszeit knapp nach der Ernte
und vor Anbruch des Winters die Gefahren der schlechten Ver-
pflegsausrüstung etwas herabminderte. Diese klare Erkenntnis der
Verhältnisse und der möglichen Abhilfen, sein Selbstvertrauen und
sein Kraftbewußtsein ließen ihm das unternehmen, was er klar als
Wagnis erkannte und nicht die Mißachtung von Train und Ver-
pflegung, wie viele glaubten und noch glauben. Die klare Erkenntnis
der Mängel seiner Kriegsvorbereitung und ihrer Folgen und damit
die Anpassung seiner Operationen an sie hat die Verhältnisse, an
denen die österreichische Armee wegen des Mangels dieser Er-
kenntnis zu gründe gegangen ist, füi- seine Armee weniger gefährlich
gemacht. Dieses Wagnis dürfte aber ein zweitesmal niemand ge-
lingen, außer man hätte das wohl unerhörte Glück, auf einen zweiton
Mack zu treffen.
Hier muß nochmals auf die bereits Seite 232 angeführte Stelle
aus „La Oampagne de 1805 en Alemagne" : „Wenn das Genie Na-
poleons unseren Waffen nicht den Triumph von Ulm und Austerlitz
verschafft hätte, welche Schlüsse hätte man nicht aus dieser so un-
genügenden Vorbereitung gezogen!" gegriffen werden.
Das Schicksal der österreichischen Armee schließt das Beispiel
erst vollkommen ; es zeigt, wohin es führt, wenn eine Armee, derem
Führer nicht ein Genie gleich dem Napoleons zu Gebote steht, auch
noch in materieller Beziehung vernachlässigt wird.
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Eine Armee, für deren materielle Bedürfnisse verständig in
ausreichendem Maße gesorgt wird, geht mit ihrem Führer in Ehren
unter, wenn die operative und taktische Führung des Feindes weit
überlegen ist — eine Armee aber, bei welcher der schlechteren Führung
auch noch die Vernachlässigung oder Mißachtung der materiellen
Vorsorgen zur Seite steht, muß, wie die österreichische 1805, un-
rühmlich zu gründe gehen ; ihre schuldtragenden Führer aber be-
laden sich mit schwerer Schuld und mit Schimpf und Schande.
31*
XXn. Schlußwort.
Der Krieg von 1805 ist einer der interessantesten Kriege der
Neuzeit.
Das erstemal steht Napoleon, der bisher mir kleine Armeen von
höchstens 45.000 Mann ins Feld geführt hatte, an der Spitze einer ge-
waltigen Heeresmacht von über 200.000 Kriegern. Im ersten Teil des
Krieges gelingt es ihm die eine, über 70.000 Mann starke Armee seiner
verbündeten Feinde ohne Schlacht fast ganz zu vernichten; im zweiten
Teil des Krieges zerschmettert er in seiner ersten großen Schlacht —
in der Schlacht bei Austerlitz — seine Feinde vollkommen.
Diese große Schlacht ist die einzige, in der ein gi'oßangelegter
Gegen angrifif gelingt; sie ist die einzige, in der ein Durchbruch durch
die feindliche Schlachtfront den entscheidenden Sieg herbeiführte.
Dieser Krieg ist der erste, in dem Napoleon auch an die Verpflegung
einer gewaltigen Heeresmacht zu denken hatte.
Es ist daher klar, daß dieser Krieg eine Fülle von Belehrung
bieten muß, besonders deshalb, weil man. dank den reichen
französischen Quellen, dem Kriegsmeister ziemlich tief in die Karten
sehen kann.
Wo der Verfasser Folgerungen aus den Ereignissen ziehen
konnte, wurden dessen Ansichten den Schilderungen der Ereignisse
unmittelbar angeschlossen.
Aus dem Verlauf des ganzen Feldzuges kann man drei große
Lehren ziehen.
Die erste betrifft die Politik.
Ib05 stand ein großer Staatsmann, der zugleich einer der
größten Feldherren war, den Diplomaten alter Schule gegenüber.
Der Staatsmann Napoleon hatte ein klares, bestimmtes,
großes Ziel: die Niederwerfung der maritimen Übermacht
Englands.
— 581 -
Gestützt auf eine starke, dem Volk entsprungene Heeresmacht
geht dieser Staatsmann gerade und ohne viele Winkelzüge auf sein
Ziel los. Ohne jede Bemäntelung schleudert er seinen Gegnern, die
von England ins erste Treffen gestellt worden waren, seine Ab-
sichten entgegen ; er beherrscht zwar als großer Menschenkenner
alle Schliche und Winkelzüge der zünftigen Diplomatie, gebraucht
sie aber fast nie oder doch nur, wo es gut ist, die Diplomaten mit
gleichen Waffen zu bekämpfen.
Gegen Ende August 1805 erkannte Napoleon, der über alle
Vorgänge in Wien vorzüglich unterrichtet war, daß der Kontinental-
krieg unvermeidlich war, weil Österreich dem Kriege mit Prankreich
unaufhaltsam zutrieb, trotz allen Warnungen Napoleons und trotz
dessen Abneigung gegen einen solchen Krieg.
Sobald dieser große Staatsmann erkannt hatte, daß der Kon-
tinentalkrieg früher oder später unvermeidlich sei, kommt er seinen
Feinden rasch zuvor. Er wollte diesen unvermeidlichen Krieg
nicht hinausschieben und den Riß nicht nur verkleistern, wie es
Diplomaten so gerne tun, sondern er wollte diesen unvermeidlichen
Krieg austragen zu einer Zeit, die ihm in seine Politik paßte und
ihm vor allem militärisch günstig war. Er wollte deshalb den
Kontinentalkrieg im Winter abtun, der ohnedies die Landung in
England ausschloß, um sich im Frühjahre wieder seinem politischen
Ziele zuzuwenden : der Niederwerfung Englands, Er w^ollte demnach
den Verbündeten keine Zeit lassen, ihre Armeen zu rüsten und zu
vereinigen, sondern sie gerade dann und dort angreifen, wo sie am
wenigsten Widprstand leisten konnten und wo sein Angritf am
raschesten zum Ziele führen mußte.
Nur Nelson hat England davor bewahrt, daß Napoleon sein
politisches Programm mit Erfolg beendete. Wie gewollt, waren die
Kontinentalmächte noch vor dem Ende des Jahres 1805 nieder-
geworfen, und hätte Napoleon einen einzigen Admiral besessen, der
mehr gegolten hätte als sein Titel, dann wäre England nie das
Weltreich von heute geworden. Nur die Vernichtung seiner Flotte
bei Trafalgar und die Unmöglichkeit während des Krieges mit Eng-
land eine neue Flotte zu schaffen, haben Napoleon verhindert, sein
politisches Ziel weiter zu verfolgen und damit der Welt zu beweisen.
wie richtig der Soldat als Politiker 1805 gehandelt hat.
Die Engländer haben es in rücksichtslosem Egoismus ver-
standen, die Kontinentalmächte in den Krieg mit Prankreich zu
— 582 —
hetzen. Sie haben die Politik immer als ein kaufmännisches Geschäft
betrachtet, das bekanntlich als höchstes Ziel den Gewinn, den reinen
Nutzen ansieht ; die englische Politik ist daher auch immer nur auf
diesen Gewinn losgegangen, nie hat sie sich durch im Staatenleben
unfaßbare und wertlose Gefühle und Begriffe, wie Legitimitätsprinzip,
politisches, privates und Fürsteureeht, Humanität, Edelmut, fremde
Volksinteressen u. dgl. beeinflussen oder mildern lassen. Die englische
Politik hat nur vor der realen Kraft haltgemacht, wenn die Bilanz
ergeben hat, daß der unsichere Gewinn das Risiko nicht wert ist.
Es ist selbstverständlich, daß eine solche Politik ihre blutigen Ge-
schäfte, soweit sie unsicher sind, heber durch andere besorgen läßt-
So hat König Eduard VII., der die Geschichte Englands mit
Erfolg studiert hat, (he altenglische Politik auch gegen Deutschland
angewendet, weil dieses in Handel und Industrie Englands ge-
fährlicher Nebenbuhler geworden ist. Nur waren 1908 die kon-
tinentalen Rollen anders verteilt. Die russischen Diplomaten scheinen
sich am leichtesten für dieses Spiel gewinnen zu lassen, da sie 1805
und 1908 an der Spitze der Landsknechte Englands standen. An
Stelle Österreichs, das 1805 nur widerwillig dem Drucke Rußlands
folgte, war 1908 Frankreich getreten. Dasselbe Frankreich, dessen
größter Herrscher 1805 „sechshundertjährige, von England erduldete
Schmach" rächen wollte und gegen das sich damals dieselbe
englische Politik richtete, die es 1908, durch seine Diplomaten an
England gelehnt und durch das Bündnis mit Rußland gezwungen,
unterstützen wollte.
Nur die Unfertigkeit des russischen Heeres und die gewaltige
Heeresmacht Deutschlands und Österreich-Ungarns haben das
englische Spiel verdorben; nur sie haben die Franzosen davor be-
wahrt, daß sie in gleicher Weise für Englands kaufmännischen
Gewinn verbluteten wie die Völker Österreichs im Jahre 1805.
Es ist nur wunderlich, daß diese englische Politik immer
kontinentale Diplomaten findet, die ihr dienen.
Man muß aber zugeben, daß diese englische Politik, vom
Standpunkte Englands aus betrachtet, die einzig vernünftige und
wie die Geschichte beweist, erfolgreiche ist.
Auf österreichischer Seite taumelten die Diplomaten in den
aussichtslosen Krieg. Aus Furcht vor dem Kriege mit Napoleon
buhlten sie förmlich um die Gunst und Freundschaft Rußlands, auf
dessen fragwürdige Hilfe sie nicht verzichten wollten. Alle Rück-
— 5«o —
sic;htslosig-keiten Eußlands wurden still geduldet, um nur ja nicht
das Bündnis zu gefährden. Kein Wunder, daß EiiCland immer
herausfordernder und rücksichtsloser gegen Österreich auftrat, obwohl
es ohne dieses seine im Dienste Englands gegen Napoleon gehegten
Absichten nicht erreichen konnte, da ohne Osterreich ein Krieg
Rußlands gegen Frankreich undenkbar war.
-^Nur der beste österreichische General, Erzherzog Karl,
vertrat nicht den Krieg, wie man glauben sollte, sondern den
Frieden mit Frankreich, weil dieser gute General wußte und fühlte,
daß Politik und Heeresraacht im Einklänge stehen müssen. Daher
vertrat er die Ansicht, daß das Heer verstärkt und verbessert werden
müsse, bevor man sich in einen Krieg stürzte, und daß, weil das
Heer doch nur ein Teil des Staates sei, vor allem der ganze Staat
durch Reformen in der Verwaltung und in den Finanzen gekräftigt
und gestärkt werden müsse: und da den dazu nötigen Frieden
wieder nur ein starkes Heer sichern konnte, so war eben die Grund-
fordernng der in Zukunft aktiven Politik: ein starkes und gut
organisiertes, kriegsbereites Heer. ^
Politik und Heeresmacht müssen also im Einklang stehen. Es
ist unsinnig, ohne kriegsbereites Heer eine aktive, in die Welt-
ereignisse (Mngr<'ifende Politik führen zu wollen; es ist aber ebenso
widersinnig, ein starkes Heer kriegsbereit zu halten und politisch zu
schlafen. Dieser Einklang fordert somit vor allem, daß eine Regierung,
die etwas in der Welt gelten will, ihre ganze Kraft einsetze, um
das Instrument für die entsprechende Politik zu schaffen, ein kriegs-
bereites, starkes Heer. Er fordert aber weiter, daß der Lenker der
Politik es verstehe, der Verwendung dieses Instruments richtig vor-
zuarbeiten und diese Verwendung im Laufe der Ereignisse zu fordern,
nie aber zu hemmen.
Die richtigste Verwendung einer starken, kriegsbereiten Armee
ist der Überfall des unfertigen Gegners. Die Politik soll daher dahin
arbeiten . einen früher oder später unvermeidlichen
Krieg so vorzubereiten und auszutragen, daß der unfertige Gegner
mit weit überlegenen Kräften überfallen werden könne.
Man hat oft geäußert, Napoleon habe es leicht gehal)t. zu
siegen, weil er immer eine große Übermacht ins Feld stellen konnte.
Darauf kann man rmr mit Erzherzog Karls Ausspruch antworten:
„Schwachköpfe wollten Bonapartes Ruhm durch die Bemerkung
schmälern, daß er die meisten Erfolge seiner überlegenen Kraft
— 584 —
verdanke. Gibt es wohl ein größeres Lob für den Staatsmann, als
daß er keinen Krieg oder Feldzug begann, ohne solch einer Über-
legenheit sieher zu sein? Selbst dort, wo seine Streitkräfte im ganzen
mit den feindlichen gleich stark, ja sogar oft schwächer waren, wie
z. B. in den Feldzügen von 1796 und 1814. wußte er sich die Über-
legenheit auf den entscheidenden Punkten in verhängnisvollen Mo-
menten zu verschaffen."
Daher würden auch die Soldaten und Diplomaten fehlgehen,
die, um einen Krieg recht billig zu machen, rechnen würden: der
Feind hat 10 Divisionen, daher genügen 12 Divisionen für den
Krieg. Nein! 20 Divisionen wären in diesem Falle gerade ge-
nügend. Der gleich mit 20 Divisionen begonnene Krieg wird viel
billiger werden — an Blut und an Geld — als der mit 12 Divi-
sionen begonnene und mit 20 mühsam zu Ende geführte. Man er-
kenne diese Wahrheit nur an den Kriegen 1805 — wo der merk-
würdige Aufmarsch in der Wirkung einer partiellen Mobilisierung
gleichkam — 1877/78 (Russen), 1878 (Österreich-Ungarn), am
Burenkrieg der Engländer und am russisch-japanischen Krieg
(Russen).
Erzherzog Karl hatte auch den wahren Wert des Bündnisses
mit Rußland erkannt. Er hatte davor gewarnt, sein Heil von einem
Bündnis zu erwarten, liesonders aber von einem Bündnis mit Ruß-
land, weil noch unausgetragene Difi'erenzeu die Aufrichtigkeit dieses
Bündnisses zweifelhaft erscheinen ließen. Er hatte sich dagegen ge-
stemmt, dieses fragwürdige Bündnis durch Preisgabe der Würde des
Staates zu erkaufen, zu vergessen, welche Demütigung Österreich
noch vor Jahresfrist von Kußland erdulden mußte und sieh würdelos
den Herausforderungen und Ansprüchen Rußlands zu fügen. Er er-
kannte, daß dieses Bündnis Österreich nicht vor dem Kriege be-
wahren, sondern es gegen seinen Willen in einen Krieg treiben
werde. Der Erzherzog berief sich auch auf die Geschichte, die größte
Lehrmeisterin der Menschheit. Umsonst ! Denn alle Minister des Kaisers
Franz waren von Jugend auf gewöhnt, nur Rechte auszuüben und
keine Pflichten, auch nicht die Pflicht, zum Wohle der Gesamtheit
etwas zu lernen.
Preußen wollte 1805 neutral bleiben, es wollte den Krieg
um jeden Preis vermeiden. Die Diplomaten und der König hofiften,
in Frieden leben zu können, während Teile Preußens vom Kriege
umbrandet werden mußten. Sie hofften vielleicht auch zu ernten,
— 585 —
ohne zu säen ; sie wollten wohl Hannover erwerben, aber keinen
Preis dafür zahlen, sie wollten es erwerben, ohne seinen früheren
Besitzer, England, zu verletzen.
Die Diplomaten sahen es nicht ein, daß es für Preußen ein-
fach unmöglich war, in einem mitteleuropäischen Krieg, in einem
Kriege, der auf Deutschlands Boden ausgekämpft werden mußte,
neutral zu bleiben.
Der unbedingte Wille zum Frieden ließ Preußen das schroffe
Verhalten Eußlands und selbst die Verletzung seines Gebietes durch
die Franzosen ertragen.
Preußen hat damit den Krieg nicht vermieden, aber sein Ver-
halten 1806 schwer gebüßt.
Die Lehre, die man aus all dem ziehen kann, ist:
y'Man treibe seine Politik so skrupellos, rücksichtslos und
egoisttFTch wie die Engländer.-^Der Leiter der Politik trachte aber
dabei, die Politik wie ein Staatsmann (Napoleon, Pitt, Bismarck)
zu führen und verzichte darauf, nur Diplomat zu sein. Dazu ge-
hört vor allem, daß er ein positives Ziel hat — die Erhaltung
des so beliebten Status quo ist kein solches Ziel — und den Mut,
dem Unvermeidlichen ins Auge zu seheij^ Er darf da allerdings
nicht nur alle Reibungen vertuschen und alle Schwierigkeiten durch
Nachgeben und Selbstentäußerung beseitigen. Das tun wohl Diplo-
maten gern, ein Staatsmann tut so etwas nie, denn er weiß,
daß nur der Energische, Starke und Selbstbewußte in der Welt ge-
achtet und beachtet wird.'^Eine Politik, die nicht den Mut hat, an
ihr letztes Mittel, an den Krieg zudenken, wird immer schwäch-
lich sein. Ein wirklicher Staatsmann treibt aber nie eine schwäch-
liche Politikf^weil er weiß, daß fortwährende Nachgiebigkeit, ab-
sichtliches Nichtbeachten und Vertuschen von üngehörigkeiten und
Herausforderungen, Aufdrängen einer Freundschaft, die nicht an-
genommen und nicht erwidert wird, einen Kriegsausbruch nicht
verhindern, sondern eher begünstigen, weil dieses Verhalten nicht
als ehrliche Friedensliebe, sondern immer als Schwäche und Furcht
vor dem Kriege ausgelegt werden wird. Dieses Verhalten muß den
andern daher nur anregen, in seinem aufreizenden, aber ungefähr-
lichen Verhalten fortzufahren, bis die Situation gerade dann zum
Kriege drängt, wenn es der immer Nachgiebige und Nachsichtige
gar nicht erwartet. Ein Staatsmann wird daher, ohne leicht-
— 586 —
fertig mit dem Sehwert zu rasseln, doch deutlieh zeigen und fühlen
lassen, daß er den Krieg nicht fürchtet, und so sehr er auch die
Greuel eines Krieges verabscheuen mag, wird er doch immer mit
einem Kriege rechnen und nicht danach streben, ihn um jeden
Preis, selbst um den Preis der Würde und des Ansehens seines
Staates zu vermeiden.
\^Ein Staatsmann muß daher dieses letzte Mittel einer starken
Politik — denKrieg — und das Instrument dazu — die Armee
— gut kennen. Er muß somit militärisch gebildet oder militärisch
sehr befähigt sein; er muß wissen, was der Gebrauch der Armee
von der Politik fordert, er muß wissen, wie schon die Politik
einen unvermeidlichen Krieg zum siegreichen Ausgange vorbereiten
soll, denn eine schlecht geführte Politik kostet die Armee nutzlos
vergossene Ströme von Blut. Ein Staatsmann wird in der Politik
nicht eiufaeh „fortwursteln", bis ihm der Krieg vielleicht gerade
dann aufgezwungen wird, wenn Staat und Heer am wenigsten kriegs-
bereit sind, wie im Jahre 1805: er darf daher wohl nicht mit dem
Krieg als Drohung spielen, aber er darf ihn auch nicht fürchten,
wenn ihn das Wohl oder das Ansehen des Staates fordern. Fehlt
dem Lenker der Politik aber das militärische Wissen, treibt er daher
seine Politik ohne die innige Beziehung auf einen jederzeit mög-
lichen Krieg, dann kann er vielleicht ein geriebener Diplomat sein,
ein großer Staatsmann wird er nie. Er wird nur wieder gegen Diplo-
maten bestehen können, einem Staatsmanne wird er immer unterliegen. ^
Napoleon sagte zum österreichischen Gesandten:
„Nicht daß Ihr nicht eine zahlreiche und starke Armee habt,
aber 300.000 Mann rasch in Bewegung setzen, das kann
nur ein einziger Kopf tun; ein Kabinett kann das im Vergleiche
dazu nur langsam machen."
Wohl dem Staate daher, wo der Monarch die Fähigkeiten hat.
Staatsmann und Feldherr zugleich zu sein.
Die zweite Lehre betrifft die Entschlußfassung militärischer
Führer.
In den meisten Menschen steckt der Hang zur Defensive, zur
reinen Abwehr irgend einer Unbill.
Das kommt im gewöhnlichen Leben der Menschen in allen
Berufen zum Ausdrucke: schlägt einmal ein Individuum aus dieser
— 587 —
Art, ist es ein energischer und rücksichtslos zum Angrifl" auf seine
Mitmenschen gestimmter Charakter, dann wird es in seinem Beruf
immer herv^orragen und besonders erfolgreich sein.
Dieser Hang zur Defensive kommt auch in der Schulung zum
Truppenführer trotz dem entgegengesetzten Streben zum Ausdrucke.
Wir Soldaten sind auch im allgemeinen danach : Obwohl wir wissen,
dal] nur der Angriff Erfolg bringt, beherrscht uns doch im all-
gemeinen unsere Natur, nämlich der Hang zur einfachen Abwehr
der vom Feind erwarteten oder gefürchteten Handlungen ; daher
fallen auch die meisten bei den geringsten Schwierigkeiten in die
Abwehr oder sie greifen zwar an, aber nicht mit ganzem Herzen
und nur mit einem unklaren und daher leicht seh wankenden Willen;
sie greifen eben an, um sich zu verteidigen und weil sie einmal ge-
lernt haben : die beste Verteidigung sei der Angriff", aber nicht weil
sie der unbändige Wille beheiTScbf, dem Feinde den eigenen Willen
aufzuzwingen.
Schlägt einer ans dieser Art, ist ihm der Angriff' Natur, um
den anderen den eigenen Willen aufzuzwingen, so daß er sich nur
ein oder das andere Mal vei'teidigt, um um so sicherer und energischer
nach seinem Willen angreifen zu können, dann wird er je nach
seinen sonstigen Fähigkeiten immer ein vorzüglicher Soldat und
Führer sein.
In der Schulung kommt der Hang zur Abwehr zum Ausdruck,
indem man immer hört und lernt, zuerst zu ergründen: Was macht
der Feind? um danach sein Handeln einzurichten. Steht doch auch
an der Spitze aller unserer Dispositionen, gewissermaßen als Voraus-
setzung alles tbigenden. nicht der eigene Wille oder die eigene
Aufgabe, sondern: „Der Feind. . ." So kommt es. daß man sich
immer zuerst den Kopf zerbricht, was wohl der Feind machen wird,
um danach sein Handeln einzurichten, und da man selbst eine Un-
zahl Möglichkeiten erdenkt, so kommt man entweder zu gar keinem
klaren Entschluß oder man gebiert endlich mit Sehmerzen einen
Entschluß, um ihn bei der geringsten, der Voraussetzung nicht ent-
sprechenden feindlichen Gegenwirkung fallen zu lassen oder dem
feindlichen Handeln anzupassen. Meist macht aber der Feind etwas
ganz anderes als das, was man ihm unterlegt hat. Weil man aber
seinen Entschluß auf dem Wege der Ableitung aus den wahrschein-
lichen fehidlichen Handlungen gewonnen hat, so stimmt jetzt diese
Voraussetzung nicht und man gibt nun ganz unwillkürlich der tat-
— 588 —
sächlichen Handlung des Feindes nach, obwohl sie gar nicht die
Grundlage des Entschlusses ist, d. h. man paßt nun seinen Entschluß
der geänderten feindlichen Handlung an. Das läßt sich bei Kriegs-
spielen und bei Manövern beobachten und aus der Kriegsgeschichte
erkennen. So geht meist die Initiative verloren, die man doch immer
im Munde führt, aber im Wesen nie hat.
Im Kriege ist fast immer selbst die Situation des Feindes
unbekannt, oder wenn sie bekannt wird, so ist sie doch unsicher
und meist veraltet, weil ein großer Teil der Meldungen ungenau
oder sogar falsch ist und die Meldungen oft einige Tage brauchen,
bis sie ans Ziel kommen. Die Absicht des Feindes, das was er
augenblicklich anstrebt, was er also aus einer vielleicht sogar genau
bekannten Situation heraus tun will und wird — das weiß man nie!
Mau muß also im Kriege immer in voller Unkenntnis
der feindlichen Situationen und Absichten handeln.
Gerade der Feldzug von Ulm zeigt das in der deutlichsten
Weise. Selbst Napoleon, dieser Meister des Krieges, bleibt mit seiner
Sehergabe machtlos gegenüber der Machtvollkommenheit seines
Feindes, das Unvernünftigste und Unglaublichste zu machen. Er
irrt sich unauss-esetzt über das, was der Feind tun wird, er unter-
schiebt dem feindlichen Führer immer falsche Absichten, er handelt
daher immer in voller Unkenntnis der feindlichen Situationen und
Absichten.
Aber Napoleon hatte in diesem Nebel eine feste Richtschnur:
vSeinen Willen, seine eigene allgemeine Absicht: die Öster-
reicher von den Russen zu trennen und, wenn möglich, abzufangen.
Dieser klare Wille hat alle Handlungen Napoleons beherrscht
und hat all die zahlreichen Irrungen Napoleons unschädlich gemacht.
Daraus ergibt sich die eigentlich selb.stverständliche Lehre:
Der eigene Wille, die eigene Aufgabe und die eigene
Situation müssen die Grundlage aller Entschlüsse und
Handlungen sein. Das sind die einzig sicheren Daten und man
darf vernünftigerweise nur auf das Sichere aufbauen.
Dieser Wille, diese Aufgabe müssen dann alle Maßnahmen be-
herrschen. Der Feind und seine Gegenhandlungen dürfen bei der
Entschlußfassung nur soweit beachtet werden, als man sich klar
wird, welche die für die eigene Absicht (oder Aufgabe) gefähr-
lichste oder ungünstigste feindliche Handlung wäre und diese dann
bei seinen Anordnungen beachtet.
— 589 —
So hat Napoleon sich immer iilargemacht. welche feindliche
Handlungsweise ihm für die Erreichung seiner Absicht, die Öster-
reicher von den Russen abzudrängen, am ungünstigsten sei und
gegen diese traf er dann seine Maßnahmen.
Napoleon wollte die Donau bei Donauwörth — Ingolstadt über-
schreiten. Die österreichische Kraft wußte er in der Gegend von
Ulm, vermutete aber auch starke Kräfte am Lech. Das Ungünstigste
für seine Absicht — Ulm zu umgehen (s. 8. 265) — wäre ein
Angriff der Österreicher über die Donau; daher traf er seine Maß-
nahmen dagegen: Er sicherte sich gegen Ulm und gab seinen
Marschällen Anleitungen, wie sie sich bei einem österreichischen
Angriff gegenseitig zu unterstützen hätten. Die Armee blieb aber,
seinem Willen entsprechend, im Marsch auf Donauwörth— Ingolstadt.
Der Befehl Napoleons an Murat vom 2. Oktober läßt diesen
Gedankengang des Kaisers fühlen. Er will den Feind umgehen. Das
Ungünstigste für diese Absicht wäre, wenn der Feind selbst zur
Offensive über die Donau vorginge. Aber auch in diesem Falle
wird er sich nicht einfach der feindliehen Handlung beugen, son-
dern seine Grundidee der Abdrängung der Österreicher festhalten.
Deshalb sagt auch Napoleon in diesem Befehl an Murat, als er diesem
seine Aufgabe klarstellte (s. S. 267):
„Wenn der Feind die Offensive ergreifen sollte, ist es nötig,
daß ich zur rechten Zeit verständigt werde, um einen Entschluß zu
fassen, und nicht genötigt zu sein, den zu wählen, der dem Feinde
paßte."
Napoleon will daher nur die Tatsache der feindlichen Offen-
sive rechtzeitig wissen, sein Entschluß soll aber nur von seinem
Willen, von seiner Grundidee diktiert werden. Das ist Festhalten
der Initiative,
Als dann Napoleon ohne Kampf Herr von Donauwörth und
Rain geworden war, sagte er sich, das Ungünstigste wäre, wenn
die Österreicher schon im Rückzug über Augsburg begriffen wären
und wenn Kienmayer mit ihnen in der Richtung auf Augsburg zu-
sammenwirkte. Daher kam ihm alles darauf an, Augsburg zu
nehmen und so den Österreichern den Rückweg zu verlegen.
Einmal Herr von Augsburg, kamen die gleichen Erwägungen
für Landsberg in Betracht. Er dirigierte Soult dahin u. s. w.. immer
bleibt sein Wille maßgebend und nur die Detailmaßnahmen werden
der jeweiligen Situation angepaßt.
— 59Ü —
Das gleiche gilt aber für alle Verhältnisse, nur daß bei
Unterkommandanten aller Grade die Aufgabe an die Stelle des
eigenen allgemeinen Willens tritt. Diese Aufgabe ist unbedingt zu
lösen, selbst um den Preis einer taktischen Niederlage. Das ist selbst-
verständlich, alle wissen das, und doch handelt man sehr oft ent-
gegengesetzt. Schuld daran sind der in jedem Menschen steckende
Hang zur Abwehr und unsere Schulung.
Die Truppen üben Tag für Tag das Gefecht. Bei jedem Ma-
növer bis hinauf zu den Armeemanövern muß täglich ein Kampf
absolviert werden. Die etwa dem Manöver unterlegte Aufgabe, die
ja meist nur supponiert ist, tritt daher gegen den Kampf ganz zu-
rück, d. h. der Kampf wird nicht zur Erfüllung der Aufgabe ge-
führt, sondern er ist Selbstzweck. Da man im Gegensatze zum
Krieg immer sicher weiß, daß man täglich auf den Feind trifft,
werden alle Anordnungen nur mit ßücksicht auf den sicheren
Kampf, und zwar nur mit Rücksicht auf die Eigenheiten des Ma-
növerkampfes, wo nicht die Truppen, sondern die Schiedsrichter
entscheiden, erlassen. So entstehen die oft unverständlichen Zerrbilder,
weil die Richtschnur des Handelns fehlt oder unberücksichtigt bleibt,
die Aufgabe, derentwillen man eben auch einen Kampf führen
muß — wenn man auf den Feind trifft. Im Kriege trifft man
aber nicht gar so oft auf den Feind. Wochenlang muß man mar-
schieren und oft Aufgaben erfüllen, die der mangelnden feindlichen
Gegenwirkung halber zu keinem Kampfe führen, bis man endlich
einmal in ein Gefecht tritt. Wollte man sich da jedesmal, wie im
Frieden, nur mit Rücksicht auf einen Kampf gruppieren, dann
würde man im Kriege sehr oft den kürzeren ziehen und den
Truppen ganz unnötige Anstrengungen aufhalsen.
Im Feld/-uge von Ulm fanden nur wenige kleine Gefechte
statt. Der Feldzug wurde ohne Schlacht vollständig entschieden,
und zwar so gründlich, wie wenig andere Feldzüge.
1870 kamen die deutschen Korps bis Sedan. also im Laufe
eines Monats ein- bis zweimal in den Kampf, ein Korps sogar
gar nicht.
Da sich aber bei den Kriegsspielen die Sache in der Regel
ähnlich entwickelt wie bei den Manövern, da man auch dort oft
die Aufgabe über den Kampf vernachlässigt, wird das nur zu
leicht gefährliche Gewohnheit. Im Kriege könnte sich das bitter
rächen.
— 591 —
Der Grundsatz, daß der eigene Wille die Richtschnur für das
Handeln sein soll, daß man diesen Willen fassen muß. bevor man
zu klügeln beginnt, was der Feind alles machen könnte, gilt auch
für die Gefechtsführung. Will man Herr der Situation bleiben, dann
muß man schon vor Beginn des Gefechtes klar entschlossen sein,
wie man das Gefecht führen will, man muß eine bestimmte, klare
Gefechtsidee besitzen, sonst unterliegt man zu leicht den Eindrücken
der feindlichen Maßnahmen. Diese Gefechtsidee darf aber nicht nur
ein beiläufiger Gedanke sein, sie darf auch nicht nur ganz allge-
meiner, unklarer Natur sein, wie z. B. ich will den Feind an-
greifen, ich will einen Flügel angreifen u. s. w. — sondern sie muß
klar und bestimmt den Zweck und das Ziel des Kampfes in sieh
fassen.
So wollte Murat bei Wertingen den Feind von Haus aus auf
beiden Flügeln umringen und fangen, so wollte Napoleon von allem
Anfang in dem für den 14. erhofften Kampf an der Hier die Öster-
reicher von Tirol abdrängen. Eine solche Idee genügt vollkommen
zur zielbewußten Disponierung der Truppen; sie genügt auch bei
halbwegs entsprechender Charakterstärke allen Zwischenfällen des
Gefechtsverlaufes gegenüber.
Bei selbständig in den Kampf tretenden Unterkommandanteu
muß aber auch diese Gefechtsidee von der Aufgabe beherrscht
bleiben, sollen sich nicht endlich Situationen ergeben, denen die
Festigkeit des Kommandanten nicht mehr stand hält.
FML. Riesch bei Elchingen und General Dupont nach dem
Gefecht bei Haslach geben gute Beispiele.
FML. Riesch hatte vor allem unterlassen, seiner Aufgabe eni-
sprechend noch am 13. abend die Brücke bei Elchingen zu nehmen
und zu zerstören.
Das rächte sich am 14., da die Franzosen zum Angriffe vor-
gingen, bevor Riesch einen Entschluß gefaßt hatte. Die Aufgabe
Riesch' hätte jetzt gefordert, daß er seiner Gefechtsführung die Ab-
sicht zu gründe legte, die Franzosen um jeden Preis über die
Donau zurückzuwerfen und die Brücke zu zerstören. Er tat dies
nicht, sondern er nahm auf den Höhen eine Aufstellung, um fran-
zösische Angriffe von Elchingen und Leipheim abzuwehren. Erst
nachdem die Franzosen Ober-Elch ingen und das Kloster schon ge-
nommen hatten, wollte er — nach seiner Relation — einen Augen-
blick lang die Franzosen aus dem Orte hinaus und über die Donau
— 592 —
zurückwerfen. Aber dieser schon im Gefechte, zu spät und müh-
sam geborene Gedanke hielt nicht mehr stand, als die — noch
dazu falsche — Meldung eintraf, daß die Franzosen mit starken
Kräften bei Leipheim über die Donau gegangen seien und gegen
Langenau vorrückten.
Der Gefechtsführung Eiesch' fehlte daher von allem Anfang
an die klare Entschlossenheit über den Endzweck des Kampfes. Als
er in der Folge für seinen linken Flügel und für seinen Rückzug
besorgt wurde, gab er den Kampf verloren und brach das Gefecht ab.
Dupont wollte am 11. bei Haslach. nachdem er Ulm vergebens
zur Übergabe aufgefordert hatte, die vor Ulm sichtbaren österreichi-
schen Truppen nach Ulm hineinwerfen und Ulm seinem Auftrage
gemäß einschließen. Als daher der Angriff seines linken Flügels
anfangs erfolgreich war, dagegen die Österreicher über Jungingen
vorgingen, warf er sich mit seinem rechten Flügel und mit seiner
Reserve auf diese. Sein klarer Wille, die Österreicher nach Ulm
hineinzuwerfen, befähigte ihn zu seiner energischen Gefechtsführung.
Als Dupont aber nach dem Gefechte seine Aufgabe. Ulm aul
dem linken Ufer einzuschließen, ganz außer acht ließ, begann sein
Verhängnis.
Die dritte Lehre betrifft die Erziehung der für den Thron be-
stimmten Prinzen.
Kaiser Franz war nicht so glänzend begabt, um aus sich selbst
ein großer Herrscher werden zu können: und doch lagen die Ver-
hältnisse für ihn so, daß Kaiser Franz eine hervorragende geschicht-
liehe Fürstengestalt hätte werden können, wenn er eine Eigen-
schaft besessen hätte, die allein genügt, auch einen mittelmäßig be-
gabten P'ürsten groß zu machen: Menschenkenntnis.
Die Menschenkenntnis befähigt den Herrscher, sieh aus der
Fülle der ihn umdrängenden Menschen die Fähigsten und Würdig-
sten als Ratgeber und Gehilfen auszuwählen.
Kaiser Franz hatte zu seiner Rechten Ratgeber, die nicht nur
geistig hoch standen und als Charaktere hervorragten, sondern ihm
und dem Glanz seines Hauses als seine Brüder nahestanden, die
Erzherzoge Karl und Johann. Vor allem Erzherzog Karl. Dieser
hatte sieh nicht nur als Hc^führer bewährt, sondern sich auch in
der Verwaltung als hellsehender und zielbewußter Reformator und
— 593 —
Organisator gezeigt, dessen Wirken segensreiche Früchte getragen
hätte, wenn es vom Kaiser mit ganzer Kraft gestützt und unter-
stützt worden wäre.
Kaiser Franz hatte aber leider auch zur Linken Ratgeber,
denen Erzherzog Karl und sein Ziel verhaßt waren: all die Minister
und hohen Beamten, die ihre angenehmen, einflußreichen und gut-
dotierten Stellen verlieren mußten, wenn Erzherzog Karl durchdrang,
denn sie hätten dann Würdigeren und Besseren Platz machen müssen.
In dem Kampf unterlag Erzherzog Karl.
Bar jeder Menschenkenntnis und daher ein Werkzeug seiner
unfähigen und charakterlosen Umgebung, traute der Kaiser mehr
der Clique, die ihn umgab, als seinem treuesten und besten Rat-
geber, dem Erzherzog Karl. Allerdings klang der ehrliche Rat des
Erzherzogs immer unangenehmer, als die Äußerungen der schmeich-
lerischen Räte des Kaisers.
Der Mangel an Menschenkenntnis war auch die Ursache, daß
der Kaiser den Charakter Macks nicht erkannte und sich von dessen
Geschwätzigkeit und plumper Lobhudelei so ganz gefangennehmen
ließ. Nur der Mangel an Menschenkenntnis war Ursache, daß der
Kaiser sich in der Beurteilung dieses Mannes so schwer täuschen
konnte.
Menschenkenntnis in dem Maße, wie sie Napoleon besessen
hat, ist allerdings nur den Größten eigen. Aber erwerben läßt sie
sich bis zu einem gewissen Grade von jedermann, so weit wenig-
stens, daß man sich nicht gerade unfähige und charakterlose Räte
wählt und sich nicht von diesen ganz und gar beherrschen läßt.
Menschenkenntnis kann man aber nur im Umgang mit Menschen
erwerben, also in einem Verkehr mit Menschen, der es zum Ziele
hat, die Menschen in ihren Schwächen und Fehlern zu erkennen
und zu ergründen.
Steht der Monarch einmal aul seiner einsamen Höhe, an die
sich gerade Schmeichler und lobhudelnde Egoisten herandrängen,
dann ist es zu spät, denn nur ein schon' geübter Blick vermag die
dicken Masken der Streber zu durchdringen.
Menschenkenntnis bringt auch die Fähigkeit mit sich, zur
rechten Zeit und an rechter Stelle zu belohnen, aber auch zum
warnenden Beispiel zu strafen.
Wenn es aber für Unfähige gefahrlos ist, sieh zum höchsten
Gipfel der Macht hinaufzudrängen ; wenn der Unfähige, nachdem er.
Krau SS. 1805, Der Feldzug von Ulm. 38
— 594 —
am Steuer des Staates stehend. Unheil geschaffen hat. nicht zer-
schmettert in das Nichts geworfen wird, sondern mit Würden und
Ehren bedeckt und mit reichem materiellen Gewinn nur vom Gipfel
der Macht herabgleitet, um es bei nächster Gelegenheit wieder zu
versuchen, hinaufzukriechen, dann müssen sich gerade die unwür-
digsten Streber zur Macht drängen und die Würdigen verdrängen.
So hat denn auch Erzherzog Karl in seinem tiefen Schmerz
über das von Unfähigen und Unwürdigen verschuldete Unglück des
Vaterlandes am 10. November 1805 an den Herzog von Sachsen-
Tesehen geschrieben:
..Alle Tage sehe ich schwärzer; alles ist verloren — wenn der
Kaiser nicht Mack, Cobenzl und Collenbach hängen läßt^)."
Eine der wichtigsten Lehren des Feldzuges von Ulm ist daher,
die Erziehung der für den Thron berufenen Prinzen so zu leiten.
daß sie sich die wichtigste Eigenschaft der Fürsten erwerben:
Menschenkenntnis.
*) Wertheimer, „Geschichte Österreichs und Ungarns etc.", S. 237.
Die Stelle lautet im Original: „Tous les jours je vois plus noir, tout est
perdu — s'il ne fait pas pendre Mack, Cobenzl et Collenbach."
Ä
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M^v
BRIGHAM YOUNG UNIVERSITY
3 1197 22468 1855