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Full text of "Sitzungsberichte"

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Sitzungsberichte 


der 


konigl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften 

zu  München. 


Jahrgang  1870.     Band  11. 


München, 

Akademische  Buchdruckerei  von  F.  Straub. 

1870. 

In  Commission  bei  G.  Franz. 


ftS 
)870 


Uebersicht  des  Inhaltes. 


Die  mit  '  bezeidmeten  Vorträge  sind  ohne  Auszug. 


Mathemafiscli-pliysikaJ.  Classe.    Sitzung  vom  11.  Juni  1S70. 

Seite 

V.  Kobell:     üeber  Krystallwasser  .     ...  1 

V.  Gorup-Besanez  u.  Grimm:     Synthese  des  Rautenöls   .     .  9 


Phüosophisch-phiJol.  CJasse.    Sitzung  vom  11.  Juni  1870. 

Hof  mann:  a)  Johannesminne  und  deutsche  Sprichwörter 
aus  Handschriften  der  Schwabacher  Kirchen- 
Bibliothek    15 

b)  Ueber  ein  niederdeutsches  Lancelotfragment 
und  einige  daran  sich  knüpfende  literar- 
geschichtliche  Fragen 39 

Paranikas:    Ueber  das  angebliche  Triodium  des  h,  Sophronius        53 


IV 


Seite 
Christ:     Ueber  die  Bedeutung  von  Hirmos ,    Troparion    und 
Kanon  in  der  griechischen  Poesie   des  Mittelalters, 
erläutert  an  der  Hand  einer  Schrift  des  Zonaras     .         75 

Keinz:      Altdeutsche  Denkmäler 109 

*Plath:     Ueber  die  Schüler  und  Nachfolger  des  Confucius  120 


Eistorische  Classe.     Sitzung  vom  11.  Juni  1870. 
*v.  Löher:     Ueber  Helmkleinode 120 


Einsendungen  von  Druckschriften      ...         121 


Mathetnafisch-physiTcal.  Classe.    Sitzung  vom  2.  Juli  1870. 

Spirgatis:     Ueber  das  Harz  der  Tampico-Jalape       ....       125 
V.  Bezold:     Untersuchungen  über  den  Elektrophor    ....       134 
Wagner:     Ueber   den  Einfluss    der   geographischen  Isolirung 
und  Colonienbildung  auf  die  morphologischen  Ver- 
änderungen der  Organismen 154 


freite 

Philosophisch-philol.  Classe.    Sitzung  vom  2.  Juli  1870. 

Hofmann:     &)  Ueber  die  Quellen  des  ältesten  provenzalischen 

Gedichtes 175 

bl  Studien  über  die  Vorauer  Handschrift    .     .     .  183 

c)  Fragmente  eines  lateinischen  Glossars    ...  197 

d)  Zur  Cronica  rimada  del  Cid 201 

Brunn:     Ueber  Styl   und  Zeit   des  Harpyienmonumentes  von 

Xanthos  (mit  einer  Tafel) 205 

Thomas:  Bruun,  geographische  Bemerkungen  zu  Schiltberger's 

Keisen  (Schluss) 221 

*Christ:     Die  Harmonik  des  Bryeunios 237 

*Müller:    Einige  Bemerkungen  über  aus  dem  Arabischen  her- 
übergenommene spanische  Wörter 237 


Historische  Classe.    Sitzung  vom  2.  Juli  1870. 

*'Riehl:     Ueber   die    Entstehung    einer  Volkssage   von  König 

Konrad  I. 238 


Neuwahlen  der  Akademie 239 


Beilage.    (A  —  S.) 
Lauth:     Papyrus  Prisee  (HI.  IV.j .     .1—140 


VI 


Fhilosophisch-phüol.  Classe.     Sitzung  vom  5.  Kov.  1870. 

Christ:    lieber  die  Harmonik   des  Manuel  Bryennius  und  das 

System  der  byzantinischen  Musik 241 

*Hofmann:  1)  Ueber  die  Sage    des  Apollonius  von  Tyrus  im 

Jourdain  de  Blayes 270 

2)  Ueber  ein   bisher  unbekanntes  Thierepos  von 

Raimundus  Lullus  in  catalanischer  Sprache    .       270 


Mathematisch-physikal.  Classe.     Sitzung  vom  5.  Nov.  1870. 

vom  Rath:     Ueber  ein  neues  Vorkommen  von  Monazit  (Tur- 

nerit)  vom  Laachersee 271 

Gümb  el:  Vergleichung  der  Foraminiferenfauna  aus  den  Gosau- 
mergeln  und  den  Belemnitellen-Schichten  der  bayer- 
ischen Alpen 278 

Vogel:     1)   Einige  Versuche  über  das  Bximen  der  Samen      .  289 

2)   Ueber  huminsaures  Ammoniak 300 

Erlenmeyer:     a)  Ueber  die  Synthese  suhstituirter  Guanidine  304 

b)  Ueber  die  Säuren^  welche  bei  der  Oxydation 

des  Gährungsbutylalkohols  entstehen     .     .       306 

c)  Ueber   Valerian  -  Säuren    verschiedenen  Ur- 
sprungs     308 

H.  V.  Schlagintweit-Sakünlünski:      Erläuterung    der    Ge- 
biete Hochasiens 313 

*Seidel:     Ueber   die  Grenzwerthe   eines   unendlichen  Potenz- 
Ausdrucks     327 


vn 


Seite 

Historische  Classe.     Siteung  vom  5.  Nov.  1870. 

*v.  Löher:     Ueberblick  der  Elsässer  Geschichte  und  ihre  Er- 
gebnisse      327 


Einsendungen  von  Druckschriften       828 


PhilosopMsch-philol.  Classe.   Sitzung  vom  3.  Dezember  1870. 

Lauth:     Die    älteste   Landkarte    nubischer   Goldminen    (mit 

einer  Tafel) 337 


Historische  Classe.     Sitzung  vom  3.  Dezember  1870. 

5aron  V.  Lilien  er on:  Nachträge  zu  Nr.  40  der  historischen 
Volkslieder  und  zu  den  Bruchstücken 
der  Simon'schen  Keimchronik  bei  Lo- 
renz Fries 373 


VIII 


Seite 

Mathcmat  'pliysiTcal.  Glosse.   Sitzung  vom  3.  Demetnber  1870. 

*v.  Fetten  kofer:     üeber  den  Kohlensäure-Gehalt  der  Luft  im 

Geröllboden  von  München 394 


Einsendungen  von  Druckschriften 895 


Sitzungsbericlite 


der 


königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Mathematisch-physikalische  Classe. 

Sitzung  vom  11   Juni  1870. 


Herr  Fr.  von  Kobell  trägt  vor: 
„üeber  Krystallwasser." 

Der  Begriff  von  Krystallwasser  ist  von  jeher  ein  wenig 
bestimmter  gewesen  und  die  Deutung  dieses  Wassers  will- 
kürlich und  unklar.  Es  geht  dieses  schon  daraus  hervor, 
dass  man  das  leichte  Entweichen  als  Kennzeichen  solchen 
Wassers  angibt,  dabei  aber  die  Gränzen  der  Temperatur,  die 
das  Entweichen  veranlasst,  sehr  weit  auseinandergesetzt  findet, 
von  0"  bis  über  200^.  Zugleich  sind  manche  bezüglichen 
Verhältnisse  unberücksichtigt  geblieben,  worauf  ich  in  einem 
früheren  Aufsatz  über  das  Wasser  der  Hydrosilicate  ^)  hin- 
gewiesen liabe.  Ich  will  das  dort  Erwähnte  in  nachfolgenden 
Sätzen  noch  näher  begründen  und  erörtern. 

1)  Es  ist  wohl  unstreitbar,  dass  die  Species  einer  che- 
mischen Verbindung,  wenn  man  ihr  einen  Bestandtheil  ganz 
oder  partiell  entzogen  hat,  nicht  mehr  dieselbe  Species  ist, 
die  sie  vorher  war.     Sie  ist  eine  andere  geworden  oder  unter 


*)  Sitzungsb.  d.  math.-phys.  Classe  d.  Akad.  März  1869. 
[1870.  n.l.]  1 


2  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

Umständen  auch  ein  Gemenge  mehrerer  anderer  Species. 
Ebenso  ist  eine  Species,  welcher  man  einen  Bestandtheil 
zugeführt  hat,  den  sie  vorher  nicht  oder  nicht  in  einer  solchen 
Quantität  besass,  eine  andere  Species  geworden  als  sie  vor 
diesem  Zuführen  war. 

Dieses  an  und  für  sich  klare  Verhältniss  bestätigt  der 
Wechsel  der  Krystallisation ,  welcher  dabei  mit  der  ver- 
änderten Mischung  eintritt.  Der  rhombisch  krystallisireude 
Pyrolusit  wird,  wenn  ihm  durch  Glühen  Sauerstoff  entzogen 
wird,  zum  quadratisch  krystallisirenden  Hausmannit,  das 
hexagonal  krystallisireude  Eisenoxyd  wird  durch  Glühen  mit 
Kohle,  wobei  es  ebenfalls  Sauerstoff  abgibt,  zu  Eisenoxyd- 
oxydul, welches  tesseral  krystallisirt ,  das  klinorhombische 
Glaubersalz  wird  durch  Entziehung  seines  Wassers  zum 
rhombisch  krystallisirenden  Thenardit  und  ebenso  die  klinor- 
hombische Soda  durch  den  Wasserverlust  beim  Verwittern 
zum  rhombisch  krystallisirenden  Therm onatrit.  Das  bei  — 
10  °  krystallisirende  klinorhombische  Hydrat  des  Chlornatriums 
zerfällt  mit  dem  Wasserverlust  schon  bei  0°  in  Würfel  des 
Chlornatriums. 

2)  Es  ist  daher  eine  Hydrat  -  Species  A,  welcher  man 
das  sogenannte  Krystallwasser  entzogen  hat ,  nicht  mehr 
die  Species  die  es  war,  sie  ist  eine  andere  B  geworden 
und  das  Krystallwasser  von  A  gehört  ebenso  zur  Con- 
stitution dieser  A  Species,  wie  alles  Wasser,  welches  sie 
enthält,  und  zwar  zur  chemischen  Constitution,  denn 
als  einen  physischen  Appendix  kann  man  es  nicht  ansehen, 
wie  das  hygroskopische  Wasser,  dessen  Menge  sich  mit  dem 
Eeuchtigkeitszustand  der  Luft  fortwährend  verändert. 

Wenn  man  daher  das  Wasser,  welches  zum  Bestehen 
einer  Verbindung  nothwendig  ist,  Constitutionswasser  nennt, 
so  ist  für  das  Glaubersalz  alles  enthaltene  Wasser  Con- 
stitutionswasser ,  denn  ohne  dieses  kann  die  Verbindung 
Glaubersalz   nicht  bestehen.     Beim  Verwittern  dieses  Salzes, 


v.Kobeü:    Ueber  KrystaUwasser.  3 

ehe  es  zum  wasserfreien  Thenardit  wird,  bildet  sich  noch 
ein  anderes  Hydrat ,    Beudants  Exanthalose  mit  der  Formel 

NaS-|-2lI;  dabei  gehen  also  vom  Glaubersalz  8  At.  H  fort, 
offenbar  als  sogenanntes  KrystaUwasser,  aber  das  bleibende 
Exanthalose  ist  nicht  mehr  Glaubersalz,  sowenig  als  der 
wasserfreie  Thenardit  Exanthalose  ist.  Man  verwechselt  also 
hier  Species ,  wenn  man  die  Constitution  des  Glaubersalzes 
in  der  Constitution  des  Exanthalose  und  die  des  Exanthalose 
in  der  des  Thenardit  sehen  will.  Es  ist  gewiss,  dass  gar 
oft  der  gesammte  "Wassergehalt  einer  Hydrat-Species  sich  nicht 
in  eine  befriedigende  Formel  fügt;  construirt  man  aber  diese 
nur  mit  einem  Theil  des  Wassers  und  sclireibt  den  Ueber- 
schuss  einfach  mit  der  Zahl  seiner  Atome  nebenhin ,  so  ge- 
schieht es  nur,  weil  man  nicht  weiss,  wie  dieser  Ueberschuss 
in  den  näheren  Verband  zu  bringen  und  weil  man  ihn  doch 
nicht  ignoriren  kann.  Das  ist  aber  kein  Grund ,  solches 
nicht  unterzubringende  Wasser  als  von  eigenthümlichem  Cha- 
rakter zu  bezeichnen,  als  nicht  zum  Wesen  der  betreffenden 
Verbindung  gehörig,  als  ein  indifferentes  Einmengsei.  Man 
kann  mit  derlei  Formeln  nur  sagen  wollen ,  was  bei  Zer- 
setzung einer  wasserhaltigen  Species  wird  oder  werden  kann; 
natürlich  bleibt  ohne  Angabe  der  dabei  wirkenden  Temperatur 
auch  diese  Darstellung  mangelhaft. 

3)  Wenn  das  Losegebundensein ,  wie  man  sagt ,  das 
KrystaUwasser  charakterisirt.  so  ist  solches  Wasser,  welches 
im  Vacuum  von  Vitriolöl  einem  Hydrat  entzogen  wird,  ge- 
wiss lose  gebunden  und  also  KrystaUwasser.  Da  zeigt  sich 
aber,  dass  auf  diesem  Wege  bald  mehr  bald  weniger  Was- 
ser   entzogen  wird    als    durch  gelinde    erhöhte  Temperatur. 

Na  ^  P  +  25  H    zersetzt     sich      bei     trockener    Luft     mit 

Wasserverlust    zu    Na^P  -f  isH;     dieser    Species    können 

im  Vacuum  über  Vitriolöl  wieder  14  At.  il  entzogen  werden, 

1* 


4  Sitzung  der  math.-phys.  Gasse  vom  11.  Juni  1870. 

Ist  die  erste  Quantität  ein  anderes  Krystallwasser  als  die 
zweite?  Ist  bei  den  vielen  vorkommenden  Hydraten  der 
schwefelsauren  Magnesia  das  Krystallwasser,  welches  aus 
einer  dieser  Verbindungen  etwas  über  0°  entweicht,  ein 
anderes  als  das,  welches  bei  52*^  oder  bei  132*'  entweicht? 
und  wenn  nicht,    warum  geht  ein  Theil  bei  52*^  nicht  fort, 

da  doch  in  allen  diesen  Hydraten  das  gleiche  Mg  S  ent- 
halten und  die  ausiielfende  Anuahuje  eines  basischen  Wassers 
auch  nicht  wohl  angeht.  Nur  in  d' r  bei  Zersetzung  sol- 
cher Hydrate  stattfinden  Bildung  verschiedener  Species,  deren 
Eigenschaften  verschieden  wie  ihre  KrystalUsation  und  die 
sich  daher  nicht  mit  derselben  Leichtigkeit  weiter  zersetzen 
lassen  als  es  bei  der  Species  geschehen,  aus  der  sie  ent- 
standen, nur  darin  kann  der  Giund  des  so  verschiedenen 
Verhaltens  bei  Abgabe  von  Wasser  liegen. 

4)  Alle  chemischen  Verbindungen  sind  nur  unter  ge- 
wissen Bedingungen  existenzfähig  und  bei  gleichen  äusseren 
Verhältnissen  ist  die  Fähigkeit  des  Bestehens  für  verschie- 
dene Verbindungen  verschieden.  Der  Thenardit  Na  S  kann 
nur  in  trockener  Luft  existiren,  mit  Wasser  befeuchtet 
hört  er  als  Species  auf.  das  Wasser  tritt  zu  seiner  Mischung 
und  die  Species  verwandelt  sich  mit  Aenderung  der  Krystal- 
lisation  und  vieler  Eigenschaften  in  eine  wasserreichere  und 
endlich  in  Glaubersalz.  Umgekehrt  kann  das  Glaubersalz 
nur  in  feuchter  Luft  bestehen  und  die  Species  hört  auf  zu 
sein,  wenn  sie  einer  trockenen  Luft  preisgegeben,  mit  Ab- 
gabe von  Wasser  zu  Thenardit  zersetzt  wird.  Dass  Kry- 
stallisation  und  Amorphismus  bei  diesen  Vorgängen  auch 
eine  Rolle  spielen,  ist  sehr  wahrscheinlich  und  wenn  gelinde 
gebrannter  Gyps  durch  Aufnahme  von  Wasser  dem  unge- 
brannten wieder  gleich  wird,  stark  gebrannter  aber  das 
Wasser  nicht  wieder  in  gleicher  Weise  aufnimmt,  so  ist  beim 
gelinden    Brennen    entweder    ein    amorpher   Anhydrit    oder 


V.  Kdbell :    Ueher  KrystaUtcasser.  5 

nach  Analogie  ähnlicher  Fälle  ein  anderes  Hydrat  des  schwe- 
felsauren Kalkes,  als  im  Gyps,  gebildet  worden,  ein  Hydrat 
welches  bei  Zuführung  von  Wasser  wieder  untergeht  und  zu 
einem  anderen,  nämlich  zu  Gyps.  wird,  während  der  durch 
starkes  Brennen  gebildete,  rhombisch  krystallisirende  Anhy- 
drit sich  bei  Zuführung  von  Wasser  hält  und  nur  bei  lang 
andauernder  Einwirkung  der  Umwandlung  in  Gyps  nicht 
mehr  widerstehen  kann.  Das  sog.  Krystallwasser  kann  da- 
her auch  nicht  dadurch  charakterisirt  werden  ,  dass  es  bei 
Zersetzung  einer  Hydrat-Species,  von  dieser  getrennt,  unter 
günstigen  Umständen  mit  der  dadurch  entstandenen  zweiten 
Species  wieder  Verbindung  eingeht  und  so  die  erste  herge- 
stellt ^ird.  Es  tritt  diese  Verbindung  nur  dann  ein,  wenn 
diese  zweite  Species  bei  Zuführen  von  Wasser  nicht  existenz- 
fähig ist,  sie  tritt  aber  nicht  ein,  wo  dieses  der  i'all.   Wenn 

der  entwässerte  Natrolith  NaSi-j-ÄlSi  das  ihm  entzo- 
gene   Wasser     (jH)  wieder  aufnimmt,  wenn  es  ihm  geboten 

wird,  so  ist  das  nur  ein  Zeichen,  dass  die  Species  Xa  Si  +  AlSi 
im  Wasser  nicht  existiren  kann,  während  unter  gleichen 
Verhältnissen  die  Species  des  entwässerten  Prehnit  unverän- 
dert   bleibt.      Ebenso    kann  die  Species  Xa^P  +  H,    welche 

durch  Wasserentziehung  über  Vitriolöl  aus  Na^P  +  äsH 
entstanden,  in  feuchter  Luft  nicht  existiren.  das  Wasser  ver- 
bindet  sich  mit  ihr,  sie  nimmt  jedoch   nur   14    At.   auf  und 

wird  zu  Na^P-f-  isH,  nicht  aber  zu  Na^P-}-  »^H,      sollen 
die  fehlenden    10  At.   als   ein   anderes  Krystallwasser    ange- 
sehen  werden,  als  die  wieder  aufgenommenen  15  At.? 
5)  Aus  dem  Gesagten  geht  hervor: 

Krystallwasser  ist  nicht  als  ein  specifisch  charakteri- 
sirtes  Wasser  anzusehen,  sondern  einfach  als  Wasser, 
welches  durch  Zersetzung  entweicht,  wenn  eine  Hydrat- 
Species  in  eme  andere  wasserhaltige  oder  auch  in  eine 


6  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

wasserfreie   übergeht.      Die  zweite    entstandene  Species, 
wenn    sie    noch  Wasser  enthält ,    kann   dieses  wieder  in 
erhöhter    Temperatur    abgeben    und     zu     einer    dritten 
werden,    die    noch  weniger    oder  auch  gar  kein  Wasser 
enthält.      Eine    solche    dritte   Species    verhält    sich    zur 
zweiten  wie   diese  zur  ersten,    nur    geht  die  Zersetzung 
nicht    bei   jeder    gleich  leicht    vor  sich,    weil  ausserdem 
keine  Mittelspecies  vorkommen  könnten,  wie  es  der  Fall 
ist.     Den  Grund ,  warum  eine  erste  Species  einen  Theil 
ihres  Wassers  leichter  abgibt,  als  die  zweite,    wenn  sie 
zur   dritten  wird,    den  Grund  dieses  Verhaltens  kennen 
wir   nicht,    wie   wir  den  Grund    der  Eigenschaften  der 
Körper  überhaupt  nicht  kennen. 
6)  Wenn  man  die  Vertretung  einer  Basis  durch  Wasser 
annimmt  und  damit  übereinstimmendere  Formeln  nahestehen- 
der Mischungen   erhält,    so  ist  das  ganz  zweckmässig,    das 
Wasser  aber,    welches  nicht  als  ein  solcher   basischer  Ver- 
treter dienen  kann,  steht  nicht  indifferent  daneben,  weil  das 
in  einer  chemischen   Verbindung   nicht  denkbar  ist.     Kann 
man  ihm  also  nicht  den  Charakter  als  Vertreter  einer  Basis 
zuschreiben ,  so  ist  es  als  Vertreter  einer  Säure,  als  ein  ne- 
gatives Glied  gegenüber  der  andern  Mischung  zu  betrachten, 

wie  das  auch  bei   den   Hydraten  Ca  H,   Bau  etc.  geschieht 

und    weiter    in    (BaH)  M^,  (KaH)  H*  etc.  angedeutet  wer- 
den kann. 

Das  ganze  chemische  Formelwesen  bewegt  sich  auf 
hypothetischen  Grundlagen  und  dient  nur  zur  Vergleichung 
und  Unterscheidung  der  verschiedenen  Mischungen ,  zum 
Nachweis  dessen,  was  sie  gemein  haben,  zur  Angabe  der 
Reactionen ,  die  man  zu  erwarten  hat  u.  s.  w.  Je  nach  den 
Gesichtspunkten,  von  denen  man  ausgeht,  und  je  nach  den 
Zwecken ,  die  man  verfolgt ,  können  diese  Formeln  sehr 
mannigfaltig  construirt  werden  und  die  moderne  Chemie  hat 


v.Kohell:    Ueler  Krystallwasser.  7 

davon  den  ausgiebigsten  Gebrauch  gemacht.  Wollte  man  in 
dieser  Weise  bei  den  coniplicirteren  IMiueraluiischungen  vor- 
gehen ,  so  Hessen  sich  auch  für  die  Hydrate  mit  grossem 
Wassergehalte  Formeln  construiren ,  welche  diesem  Wasser 
bestimmtere  Plätze  anwiesen,  als  gegenwärtig  geschieht,  für 
die  Zwecke  der  Mineralogie  wäre  aber  der  Nutzen  davon 
sehr  zweifelhaft.     Ich  will  die  Berechtigung  nicht  anstreiten, 

dass  man  für  gewisse  Speculationen  die  Formel  MgS-f-H  als 

OH 

I 

SO, 

I 

0  —  Mff  —  OH  schreibe  oder  als 


H 

SO2 
Mg 
H 


0 

10 

0 


oder   als   HOSO3,  SO3  MgO,MgOHO  etc.  ,2)    o^^^^   besondere 

Veranlassung  ist  aber  MgS  +  H  gewiss  vorzuziehen.  Die 
modernen  I'ormeln  sind  zunächst  nach  Bedürfnissen  der  or- 
ganischen Chemie  ausgebildet  worden.  Die  Objecte  dieser 
Chemie  sind  aber  vielfach  verschieden  von  denen,  mit  welchen 
die  Mineralogie  sich  beschäftigt.  Man  erkennt  das  schon 
aus  dem  eigcnthümlichen  Verhältnisse,  dass  dort  Mischungen 
von  gleicher  Zusammensetzung  doch  ganz  verschieden  sein 
können ,  weil  die  absolute  Zahl  der  Bildungsatome  eine  an- 
dere, wenn  auch  die  relative  die  nämliche.  Bei  den  Mineral- 
mischungen wird  man  nur  in  einzelnen  Fällen  an  dieses 
Verhältniss  erinnert.  Ich  habe  vor  längerer  Zeit  schon 
vielleicht  zuerst  angedeutet ,  dass  man  damit  einige  Anoma- 
lien der  Krystallisation   erklären  könne,    indem  ich  den  Di- 


2)   E.  Erlenmeyer:    lieber  das   Haihydratwasser.     Berichte   der 
deutschen  ehem.  Gesellschaft  zu  Berlin.    1869.    Nr.  11. 


8  Sitsung  der  math.-phys.  Classe  vom  11.  Juni  1870, 

morphismus  von  MnMn  und  FeP  als  möglicherweise  darin 
begründet  bezeichnete,  dass  erstere  Verbindung  eine  andere 
absolute  Zahl  von  Atomen  einschliesse  als  die  letztere ,  und 
wenn  ich  mich  recht  erinnere,  hat  man  ähnliches  für  Dia- 
mant und  Graphit  gebraucht.  Es  beschränkt  sich  dieses 
aber  auf  einzelne  Fälle  und  ist  nicht  experimental  nachzu- 
weisen, wie  in  der  organischen  Chemie. 

Aber  nicht  nur  die  Objecte  der  Chemie  überhaupt  und  die  der 
Mineralogie,  sondern  auch  die  Zwecke  dieser  Wissenschaften 
sind  vielfacli  andere.  Die  Chemie  erforscht  die  Eigenschaften 
der  Elemente  und  ihrer  Verbindungen  durch  fortwährende 
Darstellungen  neuer  Species,  neuer  künstlich  combinirter 
Species,  die  meist  in  der  Natur  nicht  vorkommen,  oft  auch 
unter  dem  Einfluss  der  allgemein  waltenden  Agentien  der 
Luft,  des  Wassers,  des  Temperaturwechsels  etc.  gar  nicht 
vorkommen  oder  bestehen  könnten.  Die  Mineralogie  be- 
schäftigt sich  nicht  mit  der  Darstellung  neuer  Species ,  sie 
hat  es  auch  nicht  mit  Abkömmlingen  aus  dem  organischen 
Reich  zu  thun,  sie  hat  die  ursprünglich  unorganischen  Species, 
welche  in  der  Natur  vorkommen ,  zum  Gegenstand  des  Stu- 
diums und  da  haben  sich  für  die  Darstellung  der  Mischungen 
die  bisher  gebrauchten  Formeln  bewährt  und  geben  ein- 
facher, unmittelbarer  und  bestimmter  an  als  die 
modernen ,  was  aus  einer  solchen  Formel  zu  ersehen  sein 
soll.^)  Wenn  erwähnt  wird,  es  würden  die  Mineralogen, 
wenn  sie  ihre  Formeln  beibehalten,  von  der  jüngeren  Gene- 
ration der  Chemiker  nicht  mehr  verstanden  werden,  so  scheint 
mir  dieses  Bedenken  nicht  erheblich,  denn  wenn  diese  Gene- 
ration Mineralogie  treiben  will,  so  wird  sie  auch  die  Formeln 
verstehen  lernen,  welche  man  in  der  Mineralogie  für  die 
zweckmässigeren  hält. 


3)   S.  m.  Abhandl.  „lieber  die  typischen  Formeln  etc."  Sitz.-Ber. 
d.  math.-phys.  Classe  d.  Akad.    7.  Dez.  1867. 


V.  Gorup  u.  Grimm:  Synthese  des  Bautenöks. 


Herr  Bu ebner  bespricht  folgende  von  den  Herren 
V.  Gorup  -  Besanez  und  Ferd.  Grimm  in  Erlangen  ein- 
geschickte Arbeit: 

,, Synthese  des  Rautenöles". 

Das  flüchtige  Oel  der  Gartenraute  ist  wiederholt  Gegen- 
stand chemischer  Untersuchungen  gewesen,  ohne  dass  durch 
dieselben  die  Frage  über  seine  Constitution  zum  Abschluss 
gelangt  wäre. 

Gerhardt  und  Cahours  stellten  auf  Grund  ihrer 
Versuche  für  die  Zusammensetzung  des  durch  fraktionirte 
Destillation  gereinigten  Oeles  die  empirische  Formel  Cio  H20O 
auf  und  erklärten  es  für  den  Aldehyd  der  Caprinsäure,  in- 
dem sie  sich  einerseits  darauf  stützten,  dass  sich  dasselbe 
mit  doppelt-schwefligsauren  Alkalien  nach  Art  der  Aldehyde 
zu  krystallisirenden  Doppelverbindungen  vereinigen  lässt  und 
andererseits  geltend  machten,  dass  es  bei  der  Oxydation 
Caprinsäure  liefere. 

Spätere  Versuche  von  Williams  und  Hallwachs 
setzten  es  jedoch  ausser  Zweifel,  dass  die  richtige  empirische 
Formel  für  das  sorgfältig  gereinigte  Produkt:  CiiH22  0sei. 
üeber  die  rationelle  Formel  des  Rautenöls  gingen  aber  die 
Ansichten  auch  dieser  beiden  Beobachter  auseinander,  denn 
während  Williams  an  der  AlJehyduatur  des  Oeles  fest- 
haltend es  in  nicht  vollkommen  gereinigtem  Zustande,  als 
ein  Gemenge  zweier  Aldehyde,  des  Enodylaldehydes  und 
einer  kleinen  Menge  Laurylaldehyd's,  betrachtete,  glaubte 
Hall  wachs  bezweifeln  zu  müssen,  dass  das  Rautenöl  über- 
haupt zu  den  Aldehyden  zähle,  und  sprach  unseres  Wissens 
zuerst  die  Veruiuthung  aus,  es  möge  ein  Keton  sein. 


10  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  11.  Juni  1S70. 

Der  letzten  Ansicht  schloss  sich  Harbordt  an,  der 
mit  Recht  darauf  hinwies,  dass  die  Aldehyde  der  fetten 
Säuren  durch  die  Fähigkeit  mit  sauren  schwefligsaureu  Al- 
kalien krystallisirende  Verbindungen  zu  bilden  nicht  wohl 
ausreichend  charakterisirt  seien ,  da  diese  Eigenschaft  den 
Ketonen  ebenfalls  zukommt.  Auch  die  Verbindbarkeit  mit 
Ammoniak,  die  für  das  Rautenöl  von  Wagner  beansprucht 
wurde ,  sei  kein  stringenter  Beweis ,  vielmehr  sei  es  für  die 
Aldehyde  besonders  bezeichnend ,  dass  sie  bei  der  Behand- 
lung mit  Oxydationsmitteln  mit  Leichtigkeit  in  eine  Säure 
von  gleicher  Anzahl  von  Kohlenstofiatomen  übergehen. 

Nun  konnten  aber  weder  Harbordt  noch  Strecker 
eine  krystallisirte  Verbindung  des  Ammoniaks  mit  Rautenöl 
erhalten,  und  ersterer  wies  weiterhin  nach,  dass  das  Rauteu- 
Oel  ebensowohl  bei  der  Behandlung  mit  chi'omsaurem  Kali 
und  Schwefelsäure,  als  auch  bei  längerem  Kochen  mit  ver- 
dünnter Salpetersäure  Caprinsäure,  Cio  H20  Os,  liefert  und 
eine  kohlenstoffreichere  Säure  bei  der  Oxydation  durchaus 
nicht  erhalten  wird.  Ausserdem  oxydiren  sich  die  Aldeh3-de 
bekanntlich  sehr  leicht  ,  während  Harbordt  das  Oel  mit 
Salpetersäure  fasst  8  Tage  lang  kochen  musste,  um  voll- 
ständige Oxydation  zu  bewirken.  Aus  seinen  Versuchen 
schliesst  Harbordt,  dass  das  gereinigte  Rautenöl  ein  ge- 
mischtes Ketou  sei  und  ihm  wahrscheinhch  die  Formel 


CioHiaO      I       ,  .,  r    u     . 

l  oder  weiter  aufgebaut 


zukomme,  wonach  es  als  Methyl  -  Caprinol  oder  als  Nonyl- 
Methylketon  zu  bezeichnen  wäre.  Als  solches  wurde  es 
seither  auch  in  allen  neueren  Lehrbüchern,  zuerst  in  jenem 
von  Strecker,  in  dessen  Laboratorium  Harbordt  seine 
Versuche  angestellt  hatte,  aufgeführt. 

Ein  vollgültiger  Beweis  für  die  Richtigkeit  obiger  Für- 


V.  Gorup  u.  Grimm:  Synthese  des  Eautenöles.  11 

mel  war  jedoch  durch  die  bisherigen  Versuche  nicht  erbracht ; 
ein  solcher  war  erst  geliefert,  wenn  es  gelang,  das  Rauten- 
Oel  künstlich  und  synthetisch  mittelst  einer  jener  Methoden 
darzustellen,  welche  Freund,  Williams  und  Friedl  zur 
Synthese  gemischter  Ketone  mit  so  schönem  Erfolg  in  An- 
wendung brachten.  Die  Möglichkeit ,  diesen  Weg  zu  betre- 
ten, war  aber  von  der  Beschaffung  einer  grösseren  Menge 
Caprinsäure  abhängig.  Ein  glücklicher  Zufall  brachte  uns 
in  den  Besitz  einer  reichlichen  Menge  eines  ausgezeichneten 
Rohmaterials  für  die  Gewinnung  der  Caprinsäure.  eines  un- 
garischen Weinfuselöls ,  welches  das  hiesige  Laboratorium 
der  Güte  des  Herrn  Dr.  Adolph  Schmidt  in  Pesth  ver- 
dankt. Einer  von  uns  hat  daraus  ansehnliche  Mengen  Cap- 
rinsäure erhalten  und  sie  und  mehrere  ihrer  noch  nicht 
näher  gekannten  Derivate  zum  Gegenstande  eingehender 
Studien  gemacht,  deren  Resultate  er  demnächst  zu  veröffent- 
lichen gedenkt.  Einen  Theil  der  erhaltenen  Caprinsäure  be- 
nützten wir  aber  zur  experimentellen  Prüfung  der  oben  an- 
geführten Formel  des  Rautenöles. 

Wenn  nämhch  das  gereinigte  Rautenöl  wirklich  Methyl- 
Caprinol  ist,  oder  dieses  Keton  als  Hauptbestandtheil  ent- 
hält, so  konnte  erwartet  werden,  dass  man  es  bei  der  trocke- 
nen Destillation  eines  Gemenges  gleicher  Moleküle  caprin- 
sauren  und  essigsauren  Kalkes  erhalten  werde,  nach  der 
Formelgleichung 


C9H19.CO 
Ca 


^  ^  l   CH3 

worin  der  Einfachheit  des  Ausdruckes  wegen  Ca  als  einato- 
miges Metall  angenommen  ist. 

Unsere  Erwartung  wurde  nicht  getäuscht.  Es  gelang 
uns,  auf  diese  Weise  die  Synthese  des  Rautenöls  mit  Leich- 
tigkeit, wie  sich  aus  der  genauen  Vergleichung  des  so  syn- 


12  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

tlietisch  dargestellten  Methylcaprinols  mit  dem  sorgtältig  ge- 
reinigten natürlichen  Rautenöle  iu  allen  Punkten  mit  Sicher- 
heit ergab,  festzustellen. 

Wenn  ein  Gemenge  gleicher  Moleküle  vollkommen  rei- 
nen caprinsauren  und  essigsauren  Kalkes  aus  einer  Retorte 
der  Destillation  unterworfen  wird,  so  schmilzt  die  Mischung 
bald,  blässt  sich  auf,  schwärzt  sich  dann,  und  es  geht  zu- 
erst eine  acetonartig  eigenthümUch  riechende  Flüssigkeit, 
später  aber  ein  schon  im  Retortenhals  erstarrendes  Oel 
über.  Durch  fraktionirte  Destillation  des  Uebergegangenen 
wurden  erhalten : 

1)  Eine  unter  200°  siedende  Flüssigkeit; 

2)  Ein  von  210  —  245°  übergehendes  Liquidum; 

3)  Ein  erst  über  300°  siedender  fester  Körper  (Caprinon). 
Der  von  210°  bis  245°  C.  siedende  Theil,  der  grössten- 

theils  aus  Metylcaprinol  bestand ,  wurde  zur  weiteren  Rei- 
nigung in  die  schwefligsaure  Ammoniak  -  Doppelverbiudung 
übergeführt ,  welche  man  sehr  leicht  erhält ,  wenn  man  in 
die  mit  Ammoniak  versetzte  alkoholische  Lösung  des  Me- 
thylcaprinols schweflige  Säure  bis  zur  Sättigung  einleitet. 
Die  Lösung  erwärmt  sich  dabei  und  beim  Erkalten  krystal- 
lisirt  die  Doppelverbindung  in  schönen  perlmutterglänzenden 
weissen  Blättcheu  aus.  Aus  kochendem  Alkohol  umkrystal- 
lisirt  und  im  luftverdünnteu  Räume  über  Schwefelsäure  ge- 
trocknet, besitzt  sie  die  Formel 

CiiHsaO  .NH4SO3,  H2O. 

Wird  diese  Doppelverbindung  in  Wasser  gelöst  und 
mit  kohlensaurem  Natron  erwärmt,  so  scheidet  sich  alsbald 
das  Methylcapriuol  als  farbloses,  stark  lichtbrechendes  Oel 
an  der  Oberfläche  ab.  Mittelst  einer  Pipette  abgehoben  und 
sorgfältig  entwässert,  geht  es  bei  der  Destillation  von  223° 
bis  227°  C.  vollständig  über.  Sein  specifisches  Gewicht 
wurde  bei  17,5°C.   =  0,8295  gefunden. 


V.  GoTup  u.  Grimm:  Synthese  des  JRautenöles.  13 

Käufliches  Rautenöl  aus  einer  zuverlässigen  Quelle  be- 
zogen,  der  Destillation  unterworfen,  Hess  unter  200°,  bei 
etwa  160  bis  175°  eine  beträchtliche  Menge  Terpentinöl 
übergehen.  Von  200  bis  245°  dagegen  ging  ein  Destillat 
über ,  welches  ebenfalls  im  Wesenthchen  aus  Methylcaprinol 
bestand.  In  gleicher  Weise,  wie  beim  obigen  Destillate 
wurde  es  in  die  Ammoniak -Doppelverbindung  übergeführt, 
und  daraus  das  Methylcaprinol  dargestellt.  Das  spec.  Ge- 
wicht des  so  erhaltenen  Methylcaprinols  betrug  bei  18,7° C. 
0,8281.  Bei  der  Destillation  ging  es  vollständig  zwischen 
224  und  225,5°  über. 

Die  Analyse  der  schwetiigsauren  Doppelverbindungen 
des  synthetisch  dargestellten  und  des  aus  Rautenöl  erhalte- 
nen Methylcaprinols,  sowie  des  daraus  abgeschiedeneu  Me- 
thylcaprinols selbst,  lieferten  mit  den  berechneten  hinreichend 
übereinstimmende  Werthe,  wie  nachstehende  Zusammenstel- 
lungen beweisen: 

Schwefligsaures   Methylcaprinol  -  Amm  oniak. 

gefunden 
synthetisch  dargestellt 


berechnet 

Cii 

132 

H28 

28 

05 

80 

N 

14     4,89 

S 

32   11,19 

286 

Cn 

132 

H28 

28 

06 

80 

N 

14       4,75 

s 

32      11,19 

11  III  IV 


11,10.    11,50.    11,18.     11,32.     11,27. 

aus   nat.  Rautenöl. 

VI  VII  VIII         IX 


11,12.         11,49.  11,48.     10,92. 


286 


14  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

Methylcaprinol. 
berechnet  gefunden 


Cie    133 

77,64 

78,00     77,49 

76,80     77,25 

Ha«     22 

12.94 

13,06     13,21 

13,26     12.99 

Ol 

synthetisch. 

aus  Rautenöl, 

Mittel  aus  sämmtlichen 

Bestimmungen: 

77,38 

13,13. 

Hof  mann:  Johannesminne  etc.  15 


Philosophisch  -  philologische  Classe. 

Sitzung  vom  11.  Juni    1870. 


Herr  Hof  mann  tlieilte  mit: 

,,Johannesm  inne  und  deutsche  Sprichwörter 
aus  Handschriften  der Schwabacher  Kirchen- 
Bibliothek." 

Aus  dem  Neuen  Literarischen  Anzeiger  (Jahrg.  1808 
Nr.  7  vom  16.  Febr.  Spalte  108)  ersah  ich,  dass  in  der 
Schwabacher  Kirchenbibliothek  sich  mehrere  Handschriften 
mit  deutschen  Stücken  befinden.  Meine  sofort  angestellten 
Erkundigungen  hatten  das  glücklichste  Resultat.  Nach  kür- 
zester Zeit  stellte  mir  Hr.  Joh.  Andr.  Schmidel,  Präfect 
am  kgl.  Schullehrerseminar  zu  Schwabach  ,  die  zwei  folgen- 
den Stücke  zur  Verfügung,  von  denen  jedes  in  seiner  Art 
ein  ünicum  und  auch  sonst  grösster  Beachtung  würdig  ist. 
Das  erste  ist  ein  gereimter  Johannessegen  in  niederdeutscher 
Sprache,  Schrift  des  XIV.  Jahrb.,  aber  gewiss  von  viel  älte- 
rer Abfassung,  da  er  in  seinen  Reimen  noch  theilweise  das 
freiere  System  des  12.  Jahrhunderts  zeigt. 

I.  V.  Zingerle,  dessen  Monographie  über  Johannissegen 
und  Gerdrutenminne  (Sitzung  der  Wiener  Akademie  vom 
16.  Juli  1862,  Sitz.-Ber.  S.  177)  das  umfassendste  ist,  was 
über  diesen  Gegenstand  existirt ,  hat  mir  mündlich  die  Ver- 
sicherung gegeben,  der  vorliegende  Segen  sei  gänzlich  unbe- 
kannt und   der   einzige   seiner   Art.     Er  findet  sich   in  der 


16  Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  11.  Juni^l870. 

Schwabacher   HS.   Nr.   23   (Vol.   13  f.),     einer  Papierhand- 
sclir.  von  5  Blättern  4*^ ,  enthaltend 

a)  Bl.  l.a  unser  Stück, 

b)  Bl.  l.b  —  3.b  eine  lateinische  Abhandlung  vom  Ader- 
lassen (de  minucione), 

c)  Bl.  3.b  —  5.b:  Vom  Einfluss  des  gönnen-  und  Mond- 
standes in  den  verschiedenen  Himmelszeichen.  La- 
teinisch. 

d)  Bl.  5.b:  Diätetische  Regeln.     Lateinisch. 

Ueber  a)  bemerkt  Hr.  Schmidel:  „Diese  Segensformel  ist 
von  anderer  und  ohne  Zweifel  älterer  Hand  geschrieben, 
als  die  folgenden  Stücke  der  Handschrift  und  füllt  in  43  un- 
abgebrochenen Zeilen,  ziemlich  deutlich  und  sauber  ge- 
schrieben, die  ganze  Seite  aus.  Die  Schrift  wird  höchstens 
dem  14.  Jahrh.  angehören  können.  Das  Papier  ist  ohne 
Wasserzeichen." 

Ich  lasse  nun  das  Ganze  mit  Verstrennung,  Interpunc- 
tion  und  Bezeichnung  der  Quantität  folgen.  Nur  das  lange 
y  fehlt  in  unserer  Druckerei,  und  da  ich  einen  buchstäblich 
genauen  Abdruck  liefern  will,  so  kann  ich  es  nicht  durch  i 
ersetzen.  Uebrigens  sind  in  der  HS.  die  Verse  durch  Puncte 
von  einander  getrennt.     Die  Einleitung  ist  Prosa. 

In  den  namen  des  vaders  vnt  des  sones  vut  des  heyli- 
ghen  ghestes,  amen.  Sunte  Johannes,  sunte  Matheus,  sunte 
Lucas,  sunte  Marcus, 

dy  heylighen  vir  ewangelisten,  (I) 

dy  muten  vns  ghevristen 

vor  vnweder  vnt  vor  wint, 

vor  alle  sake  dy  vs  scedeliken  an  lif  vnt  an  seien  sint. 
5     des  help  vns  de  vader  allermeyst, 

dy  sone  vnt  dy  heylighe  gheyst. 

hir  so  seghene  ik  sunte  Johannes  mynne. 

got  vorlige  mi  sulke  sinne. 


Hofmann'.  Johannesminne  etc.  17 

dat  ich  sy  so  mute  seghenen, 
10     dat   vns   got  vnt   dy    güde    sunte  Johannes   mute    he- 

gheghenen 

wor  wir  varen,  riden  oder  ghen, 

lieghen  (1,  Hghen),  sitten  oder  steyn, 

welker  hande  vns  ghewerf  si, 

dat  got  vnt  dy  güde  sunte  Johannes  by  vns  sy. 
15         Sunte  Johannes  mynne  dy  ys  so  gut,  (II) 

got  vnt  syn  heylighe  blüt, 

dat  müt  User  gewalden 

vnt  in  syner  hüte  halden, 

dat  vs  enegher  hande  not  vmmer  betrüue 
20     noch  gheyne  wapene  vns  snyden, 

dat  hy  ghesmedet  wart 

sint  dat  dy  hylghe  Crist  geboren  wart, 

sunder  üse  alleyne, 

dat  mute  steken  sy  snyden  ghemeyne. 
25     wen  dat  kumt  üt  üser  haut, 

so  Sit  to  den  andren  ghewant. 

Noch  so  seghene  ik  iu  mere:  (III) 

got,  al  der  werlt  eyn  here, 

dorch  syne  hoghe  driualdicheyt, 
30     dorch  dy  martele  dy  he  amme  crüce  leyt, 

dorch  dy  dyffen  wnden  rot, 

help  üs  here  üt  aller  not. 

ofte  üse  viende  irghen  over  riden  oder  gheyn, 

help  üs,  here,  dat  wi  en  seghes  müthen  irsteyn. 
35     Sunte  Jobannes  mynne  heft  so  dan  craft, 

dat  sy  eyn  islik  man  tu  seghehaft, 

dat  her  van  sinen  vienden  is  behüt. 

got  mischet  sich  dar  inne  vnt  syn  vil  hileghe  blüt. 

dar  so  drinke  wir  inne, 
40     dy  aller  besten  mynne, 
[1870.  IL  1.]  3 


18          Sitzung  der  pMos.-phihl.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

dy  sunte  Juri  an  drank, 

dy  (1.  dat  hy)  al  sya  not  vorwant. 
Wart  sunte  Johannes  mynne  hye  (IV) 

bat  geseghent  wen  dye, 
45     so  mute  ghene  tu  desser  komen, 

dat  wy  der  beyder  nemen  vromen. 

dy  kome  üs  tu  tröste  vnt  tu  heyle, 

dat  vns  syn  heyligbe  licbam  werde  tu  deyle, 

dy  drank  dy  mute  also  wol  gbesegbent  s>ti. 
50     so  dat  brot  vnt  dy  win, 

dat  got  sinen  inngberen  gaf  allen  sam, 

dat  was  sin  heyligbe  lycbam ; 

dy  mute  vs  tu  tröste  werden 

er  wi  scheyden  van  desser  erden. 
55     wy  den  drank  drinket  in  deme  seghene. 

den  muten  got  vnt  dy  gute  sunte  Jobannes  belegenen 

vnt  muten  syn  vredescliilt  sin, 

so  mach  he  vor  synen  vienden  bebüt  syn. 

Sunte  Jobannes  mynne  vntbeyt  nye  veygbe  mau,  (V) 
60     dat  rede  ich  sunder  wän. 

is  bir  ymant  veygbe  vnder  vns  allen, 

den  (1,  dem)  mute  sunte  Jobannes  mynne  vntvallen, 

dat  wi  dat  met  vnsen  ögben  sen  an, 

so  räde  ich  em  dan, 
65     dat  be  nergben  vnghe. 

vnt  blive  in  des  hüs  he, 

vnt  teyle  ym  dat  tu  bute, 

dat  im  nycht  scaden  mute. 

des  belpe  vs  dy  gute, 
70     des  beyligben  Crist  müter 

Nu  bevet  an  gy  vröwen  vnt  gy  man,  (VI) 

drinket  vröliken  an. 

wer  sunte  Jo.  mynne  vntbite, 

der  werde  sälicb  vnt  rike 


Hof  mann  X  Johannesminne  etc.  19 

75     vnt  dar  to  sälich 

vnt  alles  scaden  änich. 

sege  vnt  sälde 

Yorllge  vs  dy  aide 

vater  allermeyst, 
80     dy  sone  vnt  och  dy  heyligh  gheyst.  amen. 

gy  senilen  alle  amen  spreken, 

dat  vs  der  crechten  leuen  nicht  vntbreke. 

drink  vnt  du  scalt  vorbat  gheven. 

met  gode  mute  wy  ewychliken  leven.  amen. 
85     explicit  amor  sanct 


Man  sieht,  der  Schreiber  übersetzte  Johannes  minne 
wörtUch  mit  amor,  während  er  richtiger  memoria  S.  Johan- 
nis  gesagt  hcätte,  aber  auch  die  böhmischen  Glossen  bei 
Hanka  geben  Johannis  amor,  vgl,  Giimm,  Myth.  55  Note. 

Einige  Emendationen  habe  ich  doch  auch  jetzt  schon 
iu  den  Text  gesetzt.  Sie  werden  sich  selbst  rechtfertigen. 
Die  bedeutendste  ist  in  V.  5  und  6  ,  wo  es  in  dei"  Hand- 
schrift heisst:  des  help  vns  aller  de  vader  dy  sone 
vnt  dy  heylighe  gheyst.  Es  fehlt  also  hier  der  Reim 
und  ich  hätte  diese  Zeilen  als  eingeschobenes  Prosastückchen 
bezeichnen  müssen ,  wenn  nicht  Vers  79 ,  80  die  einfachste 
Emendation  und  damit  den  fehlenden  Reim  an  die  Hand 
gegeben  hätten.  Ebenso  steht  V.  43  das  Reimwort  hye-  (ie) 
vor  sunte. 

o 

In  V.  46  habe  ich  vromen  geschrieben  für  vmme, 
welches  die  HS.  bietet  und  eigentHch  vromme  aufzulösen 
wäre. 

Vers  63  habe  ich  dat  für  den  gesetzt,  denn  der  Sinn 
ist:  wenn  hier  Jemand  unter  uns  dem  Tode  geweiht  (=  feig) 
ist,  so  möge  ihm  zum  Zeichen  dessen  der  Trank  vor  unse- 
ren Augen   (,,so  dass  wir  das  mit  unseren  Augen  ansehen'* 

2* 


20  Sitzung  der  philos.-pkilol.  Glosse  vom  11.  Juni  1870. 

sagt  der  Text)  entfallen.  Das  ansehen  kann  sich  nicht  auf 
den  Trinker,  sondern  nur  auf  das  Verschütten  des  Trankes 
beziehen. 

In  69  habe  ich  guter  in  gute  geändert. 

Vers  19,  20  reimen  und  assoniren  nicht,  betrüve  (so 
ist  betrüue  zu  schreiben)  wird  in  begripe  oder  so  etwas 
zu  ändern  sein. 

21.     hy  in  21  ist  natürlich   =  ie,  i  =  jemals. 

In  V.  24  muss  sy  in  unt  geändert  oder  noch  besser 
steken  ausgelassen  werden. 

V.  36  ist  wohl  tut  zu  lesen. 

V.  68  habe  ich  im  in  den  Text  gesetzt,  da  der  Vers 
sonst  zu  kurz  ist  und  keinen  Sinn  hat. 

In  V.  77  muss,  um  die  4  Hebungen  herauszubringen, 
natürlich  gelesen  werden,  sege  vnde  sälde. 

In  79  fehlt  eine  Hebung,  wir  werden  etwa  zn  lesen 
haben  got  vater,  und  dy  aide  steht  dann  als  Apposition 
für  sich. 

In  V.  74 — 75  wiederholt  sich  sälich,  das  erste  ist  zu 
ändern,  denn  das  zweite  schützt  der  Reim  änich.  Es  ist 
eben  so  leicht,  irgend  ein  Adjectiv,  als  schwer,  das  richtige 
einzusetzen. 

V.  82  muss  leueu  getilgt  werden,  crechten  ist  =  crefte, 
d.  h.  dass  es  uns  nicht  an  Ki'aft  mangle. 

Was  die  Reime  angeht,  so  finden  sich  folgende  freiere: 
drank:  vorwant  (41,  42),  man:  wäu  (59  —  60),  gute: 
müter  (69,  70),  vntbite:  rike  (73,  74),  sälich:  änich 
(74,  75),  sälde:  aide  (77,  78),  spreken,  uutbreke 
(81,  82),  also  7  Paare  unter  42  =  ein  Sechstel.  Von  den 
Versen  sind  manche  mehr  oder  weniger  zu  lang,  die  meisten 
doch  regelmässig  gehoben.  Hier  Besserungsvorschläge  zu 
machen,  ist  nicht  angezeigt.  Nur ,  wo  grössere  Textmassen 
vorliegen,  lassen  sich  metrische  Forschungen  im  Grossen 
machen  und  entsprechende  Resultate  gewinnen,    wie  in   der 


Hofmann:  Johannesminne  etc.  21 

mittelhochdeutschen  und  mitteldeutschen  Dichtung  des  11. 
und  12.  Jalirhuudeits.  Im  Niederdeutschen  fehlt  es  an  sol- 
chem Material,  daher  an  aller  Sicherheit  des  Vorgehens  und 
bliebe  nichts  anderes  zu  thun  übrig,  als  die  im  Oberdeut- 
schen gewonnenen  Regeln  einfach  am  Niederdeutschen  in 
Anwendung  zu  bringen,  was  nicht  so  leicht  geht,  da  wir  ja 
schon  in  sehr  früher  Zeit  im  Niederländischen  (in  dessen 
neuer  und  constquenter  Orthographie  gegenüber  der  mittel- 
hochdeutschen Schreibung  die  sicherste  Gewähr  liegt)  mit 
Bestimmtheit,  im  Niederdeutschen  mit  Wah  r  schein- 
lichkeit  diejenige  Umwälzung  in  Betonung,  Quantität  und 
Aussprache  eingetreten  sehen,  welche  in  der  Hauptsache  un- 
serem neuhochdeutschen  System  entspricht  und  vorausgeeilt 
ist.  Niederländische  Verse  nach  mittelhochdeutscher  Metrik 
zu  messen,  ist  gewiss  unstatthaft;  bei  den  niederdeutschen 
wird  das  Verhältniss  ein  ähnliches  sein.  Mit  Recht  ist  da- 
gegen z.  B.  der  Münchener  Ausfahrtsegen,  den  Wacker- 
nagel Lesebuch,  Sp.  255  —  6  noch  in  seiner  vermeint- 
lichen Reimprosa  gibt  (wirkliche  Reimprosa  ist  etwas 
ganz  anderes,  hat  aber  nur  im  Lateinischen  und  Romani- 
schen, nie  im  Deutschen  existirt),  von  MüUenhoff  und  Scherer 
D.  M.  S.  141  in  durchgreifender  Weise  der  metrischen  Regel 
unterworfen  worden.  Bei  Erwähnung  dieses  Segens  mögen 
hier  einige  Vorschläge  Platz  finden. 

Vers  8  ist  statt  gotes  zu  lesen  geistes,  dann  wird  der 
Bau  des  Gedankens  erst  klar.  Gott  Vater  (min  trehtin), 
Gott  Sohn  (daz  heilige  himelkint)  und  der  heilige  Geist 
sollen  mich  schützen, 

daz  mir  allez  holt  si, 

daz  in  deme  himele  si, 
und  nun  wird  die  Dreieinigkeit   noch    einmal   vorgeführt  als 
Sonne,  Mond  und  Morgenstern 
V.  14.     lies:  ich  springe,  herre,  in  dinen  gwalt. 
V.  19.     lies;  miner  vinde  wäfen. 


22         Sitzung  der  philos.-pMöl.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

V.  21,  22.     lies:  dö  si  den  beilegen  Crist  gebar 

und  docb  ein  reiniu  meit  was 
V.  25,  26.     lies:  min  swert  wil  icb  eine 
von  deme  segene  sceiden. 

In  gleicber  Weisse  Hesse  sich  aucb  der  Wiener  Blut- 
segen bebandeln  und  die  von  M.  S.  409  vorgescblagenen  Ver- 
besseruDgen  sind  von  der  Art,  dass  Jeder  ihnen  zustimmen 
wird ;  aber  ebenda  ist  auch  mit  Recht  bemerkt ,  dass  man 
der  schriftHchen  üeberlieferung  Rechnung  tragen  müsse, 
auch  wo  sie  metrisch  verdorben  ist,  d.  h.  solche  Sprüche 
waren  bei  ihrer  ersten  Entstehung  sicher  in  reine  metrische 
Formen  gekleidet;  aber  in  der  Tradition  wurden  diese  Neben- 
sache und  verloren  sich ,  indem  man  durch  Einschiebung  des 
einen  und  anderen  kräftigen  Wörtchens  den  Spruch  noch 
wirksamer  zu  machen  suchte ,  dadurch  aber  nebenbei  den 
Vers  verdarb.  Aus  allen  diesen  Gründen  will  ich  auch  un- 
seren niederdeutschen  Johannessegen  nicht  weiter  mit  Her- 
stellung der  4  Hebungen  angreifen. 

Was  den  Inhalt  betrifft,  so  ist  er  sicher  nichts  anderes, 
als  der  wirkliche  Spruch,  den  der  Geistliche  bei  Segnung 
des  Johannesweines  an  die  Versammlung  richtet.  Die  kirch- 
liche Benediction  des  Johannesweines  gilt  nicht  als  Aber- 
glaube, ist  heute  noch  im  Gebrauch  und  das  Formular  da- 
für findet  sich  in  den  Ritualbüchern.  Der  Johanniswein 
wird  in  kleinen  wohlverschlossenen  Fläschchen  in  solcher 
Höhe  aufgehängt,  dass  Kinder  und  Thiere  ihn  nicht  beschä- 
digen können  und  dient  unter  anderem  auch  als  Mittel  gegen 
den  Blitz.  Seine  zwei  Haupteigenschaften  aber  sind  Schutz 
gegen  Tod  durch  Waffen,  weil  Johannes  der  Täufer  durch 
das  Schwert  starb,  und  Schutz  gegen  Gift,  weil  Johannes 
der  Evangelist  zu  Ephesus  auf  Anstiften  eines  heidnischen 
Priesters  einen  Becher  voll  Gift  ohne  Schaden  austrank. 

Merkwürdig  ist  in  unserem  Spruche  besonders  das 
Hereinziehen  des  heiligen  Jurian,  d.  h.  Julian,   des  Patrons 


Hofmann:  Johannesminne  etc.  2  3 

der  Reisenden,  an  Stelle  der  hl.  Gertrud.  Julian  ist  zu 
seiner  Würde  nach  demselben  homöopathischen  Grundsatze 
erhoben  worden,  wie  Johann  der  Täufer  und  so  viele  andere  Heilige. 
Natürhch  ist  der  spanisch-französische  J.  hospitator  gemeint. 

Was  endlich  die  äussere  Verbreitung  der  Johannesminne 
betrifft,  so  weiss  ich  zu  Zingerles  Abhandlung  für  jetzt  nur 
Folgendes  hinzuzufügen.  Er  bemerkt  nach  mündlicher  Ueber- 
lieferung,  sie  komme  in  Böhmen  vor.  In  Karl  Haupt 's 
trefflichem  Sagenbuch  der  Lausitz  (Neues  Lausitzisches 
Magazin.  40.  Band,  Görlitz  1863,  auch  besonders  erschie- 
nen bei  Engelmann  in  Leipzig).  S.  445  ist  unter  Hinwei- 
sung auf  mehrere  Schriften,  darunter  die  Monographie  Tho- 
mas, diss.  de  poculo  Joannis  Lips.  1675,  bemerkt:  ,,Bei  den 
Wenden  war  es  bis  vor  kurzer  Zeit  Sitte,  dass  die  Bursche, 
ehe  sie  von  einem  Zechgelage  nach  Hause  giengen,  sich  vom 
Wirthe  einen  unentgeldHch  zu  reichenden  Abschiedstrunk 
forderten.  Dieser  hiess  der  heilige  Johannes  (swjaty  Jan) ; 
denn  der  heilige  Johannes  hatte  der  Legende  nach  einen 
Giftbecher  geleert,  ohne  dass  es  ihm  geschadet.  Desshalb 
wurde  zu  katholischen  Zeiten  am  Tage  St.  Johannes  auch 
den  Laien  ein  Trunk  geweihten  Abendmahlweines  geschenkt, 
welcher  nicht  nur  vor  der  Wirkung  des  Giftes  und  sonstiger 
Lebensgefahr  bewahrte,  sondern  auch  den  Männern  Kraft, 
den  Jungfrauen  Schönheit ,  den  Weibern  Fruchtbarkeit  ver- 
leihen sollte.  Dieselbe  Heiligkeit  hat  man  denn  auch  dem 
Abschiedstrunke  zugeschrieben." 

Diese  hübsche  Mittheilung  ist  um  so  interessanter, 
weil  sie  uns  den  Gebrauch  als  einen  jüngst  (,,vor  wenigen 
Jahren")  zu  Ende  gegangenen  zeigt.  Nach  Zingerle  findet 
er  sich  im  niederdeutschen  Sprachgebiete  heute  noch  im 
Hildesheimischen,  also  wohl  auch  noch  im  Westphälischen, 
da  er  zu  seinem  Fortleben  katholischen  Boden  braucht. 

Noch  muss  ich  bemerken,  dass  die  Absätze  von  mir 
herrühren,  um  die  einzelnen  Theile  des  Segens  auch  ausser- 


24  Sitzung  der  pMlos.-pMlöl.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

lieh  zu  kennzeichnen.  In  der  HS.  sind  grosse  Anfangs- 
buchstaben, aber  auch  da,  wo  sie  nicht  hingehören,  z.  B. 
V.  19,  20,  23. 

Die  Absätze  haben  jetzt  folgendes  Zahlenverhältniss. 
Der  erste  (bis  Vers  15)  14,  (oder  wenn  man  die  voraus- 
gehende Prosa  auch  in  Verse  auflöst,  etwa  16  Zeilen).  Der 
zweite  (15—27)  12,  der  dritte  (27—43)  16,  der  vierte 
(43—59)  16,  der  fünfte  (49—71)  12,  der  sechste  (71— 
84)  14.  Daraus  ergibt  sich,  (ich  will  nicht  entscheiden,  ob 
durch  Zufall  oder  nach  der  Absicht  des  Dichters,)  eine  ganz 
regelrechte  Zahlenfolge,  indem  der  zweite  Theil  der  Strophen 
(4 — 6)  die  Verszahlen  des  ersten  Theils  (1  —  3)  in  umge- 
kehrter Ordnung  wiederholt,  so:   14,   12,   16  —  16,   12,   14. 

Gedankenfolge  und  Handlung  vertheilen  sich  auf  diese 
6  Strophen  in  folgender  Weise: 

1.  Str.     Einleitung.      Anrufung    der    4  Evangelisten   und 

der  Dreieinigkeit  gegen  Wind  und  Wetter,  An- 
fang des  Segens,  Gott  und  Johannes  sollen  uns 
an  allen  Orten  gegenwärtig  sein, 

2.  uns  behüten  vor  Noth  und  Waffen  der  Feinde, 
unsere  Waffen  allein  sollen  schneiden. 

3.  Christi  Blut  soll  uns  den  Sieg  über  unsere  Feinde, 
geben,  wie  es  St.  Juhan  errettet  hat.  Schluss 
des  eigentlichen  Segens. 

4.  Wurde  je  ein  Johannessegen  kräftiger  gesprochen, 
so  möge  sich  seine  Kraft  mit  der  des  unsrigen 
vereinen, 

5.  Wer  St.  Johannes  Minne  getrunken  hat,  ist  vor 
dem  Tode  durch  Waffen  geschützt.  Wem  aber 
etwa  der  Tod  durch  das  Entfallen  des  Kelches 
oder  Verschütten  des  Weines  vorher  verkündet 
wird,  der  bleibe  im  Hause  (wohl  in  der  Kirche), 
für  ihn  gibt  es  keine  andere  Rettung. 


Eofmann:  Deutsche  Sprichvcörier  etc.  25 

Nun  ist  der  Wein  geweiht  .  nun  greifet  fröhlich 
zu  und  trinket,  Männer  und  Frauen,  und  lasst 
den  Becher  weiter  gehn  (drink  unt  du  5.calt  vor- 
bat gheven),  damit  wir  reich  und  froh  auf  Erden 
und  selig  im  Himmel  werden. 


Die  zweite  Schwabacher  Handschrift  enthält  in  einer 
lateinischen  Predigtsammlung  des  XIV.  Jahrhunderts  162 
deutsche  Sprichwörter  und  bietet  uns  also  die  erste  umfang- 
reichere Sammlung.  Es  ist  eine  Papierhandschrift  des  XV. 
Jahrh;  bezeichnet  Cod.  mscr.  Nr.  77  (Vol.  11.  d.),  37  Blätter 
in  Folio.  Hr.  Schmidel  bemerkt :  , .Diese  nicht  besonders  sauber 
geschriebene  Handschrift,  in  je  zwei  Columnen  zu  46  —  50 
Zeilen,  gehört  dem  15.  Jahrh.  an.  Nach  der  Angabe  der 
Anfangsworte  des  Textes  folgt  allemal  das  Sprichwort,  wel- 
ches dann  erklärt  und  auf  den  Text  angewendet  wird.  Die 
Anwendung  der  Sprichwörter  oder  sprichwörtlichen  Piedens- 
arten  des  gemeinen  Lebens  auf  die  Perikopen  ist  oft  naiv, 
immer  aber,  wie  sich  denken  lässt,  gezwungen.  Das  ganze 
Verfahren  trägt  etwas  von  der  Nüchternheit  und  Rohheit 
des  Jahrhunderts  an  sich,  dem  es  angehört.  Als  Probe 
diene  Folgendes  (Bl.  2a). 

Dominica  quarta  post  pascTia. 

Petife  et  accipietis  ut  gaudium  vesfrum  pJenum  sit 
(Joh.  16,  24)  Jimn  freud  mid  friss  midi:  hoc  non  potest 
intelligi  de  gaudio,  quod  habemus  in  hoc  mundo,  quia  talia 
gaudia  sunt  inania  et  insulficieucia,  ergo  non  possunt  totum 
hominem  apprechendere  nee  deforare  etc.'' 

Aehnliche  Anwendung  von  Sprichwörtern  und  zwar  alt- 
französischen in  lateinischen  Predigten  des  13.   Jahrh.  zeigt 


26          Sitzung  der  pMlos.-pMol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

eine  Handschrift  der  hiesigen  Staatsbibliothek,  auf  die  mich 
Herr  Collega  Halm  schon  vor  längerer  Zeit  aufmerksam  ge- 
macht hat,  mit  deren  Ausbeutung  ich  aber  noch  lange  nicht 
zu  Ende  bin,  weil  die  Schrift  so  ausserordentlich  klein,  eng 
und  voller  Abkürzungen  ist,  dass  man  kaum  vorwärts  kömmt. 
Für  Heimath  und  Zeit  unseres  Predigers  ist  nun  folgendes 
Citat  auf  Blatt  37a  entscheidend:  Hinc  est  quod  Esopus 
ponit  fabulam,  de  qua  magister  Heinricus  de  Mogelein 
canit  de  ranis ,  quae  affectaverunt  regem  et  cum  datus  esset 
truncus,  in  quo  luJebant,  voluerunt  habere  alium  etc.  Das 
ist  die  Fabel  von  den  Fröschen,  die  in  W.  Müllers  Aus- 
gabe von  Heinrichs  von  Müglin  Fabeln  und  Minneliedern, 
Göttiugeu  1847,  auf  S.  17  steht.  ]\Iitteldeutschland  und 
Ende  des  14.  Jahrhunderts  ergeben  sich  daraus  für  Ort  und 
Zeit  der  Abfassung  dieser  Predigten,  die  uns  also,  so  abge- 
schmackt sie  sonst  sein  mögen,  doch  den  unschätzbaren 
Dienst  leisten ,  die  älteste  deutsche  Sprichwörtersammlung 
aufbewahrt  zu  haben.  Von  hier  bis  zu  der  ersten  gedruck- 
ten Sammlung  des  Tunicius  (die  nicht  einmal  ober-  oder 
mitteldeutsch,  sondern  kölnisch  ist),  liegen  noch  fasst  andert- 
halb Jahrhunderte,  und  bis  zu  Frank  und  Agricola  noch 
mehr.  Durch  Interpunktion,  Emendation  und  Erklärung 
glaube  ich  für  Verständniss  der  vorliegenden  Sammlung  das 
Nothwendigste  gethan  zu  haben.  Jedes  einzelne  Sprichwort 
durch  andere  Sammlungen  hindurch  zu  verfolgen,  fand  ich 
überflüssig,  zumal  da  solche  Arbeiten  nur  wenn  sie  im 
Grossen  ausgeführt  sind,  wahrhaft  belehrend  erscheinen. 

Bl.   1. 

1.  Gefuger  sclioff  der  geen  vil  jn  ein  stal. 

2.  Ess  iverf  dye  leng  nicht. 

3.  Gott  weyss  icol,  wer  ein  guter  pilgrani  ist.     (Non  est 
enim  vna  intentio  peregrinorum  etc.) 


Hofmann:  Deutsche  Sprichwörter  etc.  27 

4.  Mansolnaygenden  (1.  d.eui)pavm,von  demman schatenhat. 

5.  Senfte  ode  süsse  straff  uirt  gern  scherfig  (Officium 
principum  praesidencium  et  praedicatorum  est  arguere 
et  corripere  etc.) 

Bl.  2. 

6.  Vil  red  macht  vmdze  tcort. 

7.  Wer  in  dem  ror  sitzt,  der  smjtzet  pfeuffen  .  ivye  er 
teil  (hoc  habet  dici  de  consulibus  et  potentibus.  spe- 
cialiter  autem  de  amicis  et  cubicularijs  principum  et 
regum  etc.). 

8.  Kum  freud  vnd  friss  mich. 

9.  Ich  wil  mit  eynem  (fehlt  ein  Wort)  machen,  sich  sollen 
hundert  daran  stossen. 

10.  Gute  red  vint  ein  gute  staf. 

11.  Spotters  hattss 
Wirt  prant  auss. 

12.  wer  den  wagen  ivol  smirt,  der  vert  leichtilclich  (Sic 
comm uniter  dicitur  ab  illis  qui  diligunt  munera,  statim 
promoventur  illi,  qui  eis  dant  munera  etc.). 

Bl.  3. 

13.  Wenn  es  dir  wol  geet,  so  gedenk  auch  an  mich. 

14.  Ein  J:roe  duckt  der  andern  nit  dye  äugen  aus.  (hoc 
solet  dici  aliquando  de  raptoribus  aut  potentibus  in 
civitatibus,  proprie  autem  potest  dici  de  hijs  qui  de- 
bent  facere  testimonium  veritatis ,  vbi,  si  nequam  fue- 
rint,  ynus  non  testatur  libenter  super  alium  etc.). 

15.  Es  ist  XKSser  genug,  denn  alzit  (1.  alzu)  vil,  ivann 
zu  vil  ist  vngesunt. 

16.  Genod  ist  pesser  denn  recht,  (hoc  dicit  aliquis ,  qui 
multa  (1.  mulctam)  meruit  et  insufficiens  est  ad  recom- 
pensam  etc.). 

Bl.  4. 

17.  We  dm  gesten,   da  der  tcirt  ein  schalk  ist.     Sic  per 


28  Sitzung  der  pMlos.-philol.  Classe  vom  11.  Jxmi  1870. 

oppositum:  ivol  dem  wirf,  der  do  frum  gest  hat 
e  converso  icol  den  gesfen,  die  ein  frummen  ivirt 
haben. 

18.  Man  sol  den  mantel  leeren  nach  der  ivint  ivehet. 

19.  Wer  do  gern  tanf^et,  der  ist  gut  an  den  reyen  zu 
bringen,  (hoc  pro  tanto  dicitur,  quia  quocunque  fuerit 
inclinatus  effectus,  illuc  faciliter  sequitur  intellec- 
tus  etc.) 

20.  Wer  ober  sich  hacTc  (1.  hackt),  dem  vallen  dye  spen 
jn  die  äugen,     wer  zu  ser  lauft,  ''der  wirt  gern  mud. 

Bl.  5. 

21.  dicitur  communiter  de  homine  qui  bonam  conversati- 
onem  cum  hoiuinibus  habens  tarnen  peccare  non  ces- 
sat,  hoc  proveibium  quod  sequitur:  Er  ist  nymant 
schedlich  wenn  jm  selber. 

22.  hl  ein  hunt  gehört  hunt  essen. 

23.  Wer  auss  den  äugen  isst,  der  isst  auch  aus  dem  sind. 

24.  Ess  wirt  selten  so  Heyn  gespunnen ,  es  kumet  an  dye 
sunnen  (hoc  pro  tanto  dicitur  quod  raro  aliquid  potest 
ita  oculte  fieri  quod  (1.  quin)   eciam  reueletur  etc.). 

Bl.  6. 

25.  Werss  erpeyten  Jcunde^  ess  ivurd  alles  geleich  (Jam  enim 
est  dissimile,  quia  sedeuius  in  rota  fortune  etc.  etc. 
Et  ideo  verum  est  proverbium  cujusdam  monachi  ivir 
sein  al  bruder ,  aber  unser  dller  schussellein  sein  nit 
sivester  etc.) 

26.  Wer  do  gibt,  den  hatt  man  liep. 

27.  3Ian  sal  buben 

Mit  Tcollen  (1.  kolben)  icol  vben  ( —  —  Et  ergo  dixi 
Man  sol  puben  mit  Jcolben  vben  quia  illi  qui  noluut 
converti  —  —  illi  per  flagella  aliquando  adducun- 
tur  etc.). 


09 


Hofmann:  Deutsche  Sprichwörter  etc.  29 

Wem    das    hleyn    versmocJit,     dem    tvirt  das   gross 
nicht. 


Bl.  7. 

29.  Der  ivil  ser  gefreyet  sein  vnd  hat  der  marter  nit  vber- 
ivimden  (iioc  dicitiir  de  hijs,  qui  aliquando  sunt  ma- 
lefici  sew  modici  meiiti  et  multum  volunt  honorari, 
quod  tarnen  est  ordo  perversus,  quia  solus  bonus  se- 
cundum  veritatem  lionore  est  dignus  etc.). 

30.  Man  sieht  an  der  hosen  wol,  wo  das  heyn  enzwey  ist. 

31.  Wer  do  vber  hört,  do  wirt  er  auss  (hoc  com m uniter 
dicitur,  sed  non  est  communiter  verum  etc.  tarnen  ali- 
quando veritatem,  vbi  tales  promoventur  qui  sciuut 
obaudire  etc.). 

32.  Wenn  ess  dir  getrojjffelt  hat,  so  hat  es  mir  geregnet 
(hoc  dicit  aliquando  dominus  ad  servum  et  e  con- 
verso  etc.). 

Bl.  8. 

33.  Wess  sich  der  pocJc  veriveyss, 

Das  vemüt  (1.  des  bemüt)  er  sich  auff  dye  geiss. 
yedem  gevelt  sein  weyss  wol. 

34.  Man  kauft  zvenig  goltz  tmib  ein  ay. 

35.  Wenn  dye  toren  su  marck  humen  ,  so  wirt  es  gern 
ivolfeyl. 

36.  Geleich  wert  lang. 

37.  Wesniir  dich  nit.,  du  hast  ein  iveyss  hemd  an. 

Bl.  9. 

38.  Ein  guter  weg  vmb, 
Hat  kein  krum. 

39.  Nymant  iveyss  ven  (1.  wen)  der  schlich  trucket,  denn 
der  jn  an  hatt. 

40.  Süsser  clee  hat  savren  smack  (patet  in  potacionibus 
et  escis  corporalibus  quae  de  sero  bene  sapiunt,  de 
mane  autem  non  etc.) 


30         Sitzung  der  philos.-philöl.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

41.  In  noten  erkennt  man  freunt. 

Bl.  10. 

42.  Es  ist  nit  alles  golt  das  do  geleisset. 

43.  Ein  guter  man  ist  ein  hoser  gelter. 

44.  Wenn  dem  esel  su  iml  ist,  so  get  er  auff  das  eyss 
tantzen. 

45.  Der  geprant  furcht  das  fevr. 

Bl.  11. 

46.  Ess  musen  dy  fercTüen  engelten,  wass  dye  save  (saw) 
verpracJit  hatt  (Sic  eciam  familia  et  populus.  quod 
dominus  aut  rex  demeruerunt,  sepe  multi  exsol- 
vunt  etc.) 

47.  Ein  kriech  vier  den  £avn,  die  ander  henvider,  das 
ist  gute  gevaterschafft  (hoc  dicitur  in  bono  et  in 
malo  sensu,  quando  enim  aliquis  bonum  suscipit  ab 
aliquo,  tunc  reinvitat  et  donat,  et  si  iaterrogaretur, 
responderet  proverbium  praedictum.  Sic  eciam  e  cou- 
verso,  ad  (1.  quando)  aliquis  suscipit  malum,  reinfert 
malum.     Interrogatus  quare,  idem  respondet  etc.) 

48.  Lach,  wenn  du  heim  gest. 

Bl.  12. 

49.  Der  do  hat  dy  wal,  der  hat  auch  den  quäl  (hoc  est 
verum,  si  stulte  elegerunt,  si  autem  bene,  tunc  non 
angustiatur,  sed  plus  gloriatur  etc.). 

50.  Ye  hoher  perg,  ye  tieffer  tal  (Vadit  super  isto ,  de 
quanto  homo  superbior,  de  tauto  casus  maior  etc.). 

51.  Elter  wirstu,  aber  clug  wirstu  selten. 

Bl.  13. 

52.  Wennss  verdreust,  der  gee  sein  ah  (hoc  dicit  aliquando 
dominus,  cum  conqueruntur  serui  de  angustijs  et  mer- 
cator  care  vendens,  cum  conqueruntur  ementes  etc.). 

53.  Geleich  sammet  sie  (1.  sich)  gern. 


Hofynann:  Deutsche  Sprichwörter  etc.  31 

54.  Wer  do  liait  chj,  die  do  dingen,  der  vint  auch,  dye 
do  singen  (ut  est  in  lutinistis  et  phistolatoribus.  Sic 
per  larga  munera  regis  [reges?]  acceperunt  magnam 
laudem  et  honorem  etc.). 

55.  Wess  dye  Jcve  ist,  der  zliyJie  sye  pey  dem  zagel  (hoc 
communiter  dicitur,  ut  quisquis  ad  suum  profectum 
respiciat  et  non  alienos  consideret  etc.). 

Bl  14. 

56.  Man  setz  nit  Jiinder  vher  eyer. 

57.  HaJt  dich  icarm,  so  freust  dich  nit. 

58.  Ess  ist  auss ,  das  man  speclc  auff  J:olen  preü.  (finis 
est  etc.). 

59.  Dye  nacht  jst  nymantz  freiint. 

Bl.  15. 

60.  Wer  dem  andern  vom  galgen  hilft,  der  hilft  im  gern 
dar  an.  (mancher  xmvt  dem  andern  ein  galgen  vnt 
wirt  gehencjit  serber  (1.  selber)  dar  an.) 

61.  Verderben  thut  ice. 

62.  Geleich  pvrd  pricht  nymant  den  ruch  oder  Jialss. 

63.  ^ach  den  jaren  muss  man  geparen  (Et  vadit  super 
isto:  dar  nach  dy  zeit  ist,  dar  nach  muss  man  sich 
halten.). 

64.  We  dem.  der  den  ertzte^i  gepurdt  (Quia  maxime  verum, 
dum  male  habentes  quaerunt  medicos  etc.). 

Bl.  16. 

65.  Vurwe*  lest  nymant  heyn  nve  (1.  ruwe)  (hoc  bene  pa- 
tet  de  hijs  qui  citant  homines  et  eciam  de  raptoribus. 
Et  dicitur  communiter  ad  eos  qui  venantur  et  agitant 
alios  etc.). 


*  Turwe  =  mittelhochdeutsch  vürbe  =  Reinigung ,  d.  h.  des 
Hauses  =  wenn  das  ganze  Haus  gefegt,  gekehrt  wird,  hat  Niemand 
Ruhe  darin. 


32         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

66.  Wenn  du  gen  Mmel  verst,  so  stevb  mir  nit  jn  die 
äugen  (Hoc  dicitur  yronice,  quocl  ego  non  credo  te 
tarn  sanctum,  quod  posses  ascendere  celis  etc.)- 

67.  Ein  alter  hunt  ist  poss  pendig  zu  machen. 

Bl.  17. 

68.  Junger  engel,  alter  tevfel  (Sic  patet  de  multis  et  hoc 
ideo,  quia  non  jnformantur  in  juventute  et  ideo  ar- 
centur  ab  insoleucia  sua  etc.) 

69.  Ess  ist  nijmant  frevnt ,  er  thue  denn  freuntUch. 

BI.  18. 

70.  Faul  vnd  treg,  das  helt  den  leyh  (Vnde  videmus  ad 
literam  quia  corpulenti  sunt  tales  accidiosi  etc.). 

71.  Ein  man  sol  stellen,  dar  nach  er  sich  han  gebrechen 
(hoc  pro  tanto  dicitur,  qui  roodicum  habet,  non  debet 
multa  expendere,  ne  postea  coutiugat  eum  meudi- 
care  etc.) 

72.  Wenn  man  das  ferchelein  loeivlt,^)  so  sol  man  den 
sack  aufhalten  (hoc  pro  tanto  dicitur:  tvenn  man  ey- 
nem  gütlich  tliun  wil.  so  sol  ers  nit  verschlahen). 

73.  Es  ist  ein  vngenemer  vogel^  der  do  weflecJct  sein  eggen 
nest.     (Est  auis  ingrata,  que  defedat  sua  strata.) 

Bl.  19. 

74.  Danck  hah,  liebe  rute,  du  machst  gute  kinder. 

75.  Sprich  nit  juch.  du  kummest  dann  vber  den  pach  (hoc 
dicitur  de  bijs,  qui  in  periculis  peccati  sunt  et  quando 
modica  venit  consolacio,  tunc  putant  se  evasisse  etc.). 

Bl.  20. 

76.  Kranck  ma7i,  armer  man,  vel  taliter,  derkranck  sucht 


*)  Man  wird  wohl  wevilt  =  bevilt  =  tradit  zu  lesen  haben. 
Es  entspricht  der  Gewohnheit  des  Schreibers,  im  Anlaute  w  für  b 
zu  setzen. 


Eofmann:  Deutsche  SpricMcörter  etc.  33 

gesunthait  vel  der  Tiranch   acht  nicht,  ivye  er   gesunt 
iciircl. 
11.    Wo  einmannit  vber  mach  springen,  do  muss  er  vnten 
hindurcli  'krichen. 

78.  Das  man  ein  schach  [schalck,  nequam]  vil  vnter  dye 
panch  stcst,  so  ragen  im  dge  fusse  her  für. 

79.  Der  pfennig  ist  mjnert  cdz  geneme,  als  do  er  geschla- 
gen ist. 

80.  Frid  tvard  ny  so  gut,  ivarmmg  wer  noch  hesser. 

81.  Zeit  hat  ere  (duobus  modis  dicitur  hoc  proverbium, 
primo ,  quando  homines  diu  sederunt  in  aliquo  loco 
et  cum  nox  accedit,  dicunt:  zeit  hatt  ere.  Item, 
quando  aliqua  procatur  et  iam  amorosa  [natura]  ibi 
timetur  de  casu  eins  ?  dicitur  ibidem  sicut  congruit 
praesenti  tempore  etc.).  (?) 

Bl.  21. 

82.  Ein  lieh  sucht  das  andre  gern. 

83.  Man  darff  nit  mit  dem  dclielein  anff  den  marck  eylen, 
man  verJcauft  es  2Col  jn  der  gassen. 

84.  Am  hesten  ist  der  x)est  hauff.  (Sic  apparet  in  panuo, 
et  in  vino  etc.). 

85.  Wechzel  ist  Jcein  ravh  nicht,  (hoc  est  verum  vbi  si- 
mile  datur,  sed  raptores  aUquando  rapiunt  vaccas  et 
dant  ouem  etc.  Etiaui  solent  dicere  verbum  praefatum, 
sed  false ,  quia  :  Si  spilen  nicht  des  gelcichen.). 

86.  Hat  dich,  meyn  jpferd  schlecht  dich  (Sic  dicunt  poten- 
tes ,  qui  volunt  dampna  inferre  Ulis ,  quibus  peperce- 
runt  etc.). 

Bl.  22. 

87.  Äbent  red  vnd  morgen  red,  dye  u'ollen  nicht  vherein 
tragen  (Sic  apparet  in  aliquibus,  cum  inebriantur  de 
vespere,  multa  promittaut,  de  mane  autem  nichil 
dant  etc.). 

[1870.  II.  1]  3 


34          Sitsung  der  ]jhilos.-p7iilol.  Gasse  vom  11.  Juni  1870. 

88.  Guier  mnt  ist  hallcr  leib. 

89.  Ein  alt  sclialch  ist  Jcein  leint  nit. 

90.  JhcJ:  (1.  junk)  geivant,  alt  geäant. 

91.  Bas  clo  zu  eijnem  hocJcen  {=  hacken)  wil  werden,  das 
Jcrmnet  sich  in  der  jugent. 

92.  Wass  mir  lieht,  das  lait  mir  nijmant. 

93.  Wenn  man  dem  Imnt  m  uil  setzen,    so   halt  er  das 
smer  gessen. 

Bl.  23. 

94.  Flinter  man.  armer  man. 

95.  Wo  man  nicJd  hin  legt,  do  vint  man  nicht. 

96.  Ess  ist  pesser  dingen  auss   den  schranchen,    den   aus 
den  stocJcen. 

97.  Wer  do  liegen  wil,  der  mag  wunder  sagen. 

98.  Schlecht  vnd  gerecht,  das  tvehaget  gott  am  edler  besten. 

99.  Als  der  vogel  ist,  cüzo  singt  er. 

100.  Wer  sich  vhernympt,  der  vbermrft  sich  gern. 

101.  Den  letzten  peyssen  dye  hunde  gern. 

Bl.  24. 

102.  Ye  liher  hind,  ye  grosser  hesen. 

103.  Wenn  das  Jcint  auss  schieß,  so  wirt  es  gern  gutes 
mnt  es. 

104.  Torhait  macht  arhayt. 

105.  Wer  ee  zu  der  mnl  Jcmnpt,  der  melt  ee. 
lOG.    Als  der  vogel  ist,  alzo  singt  er.     Cf.  ur.  99. 

Bl.  25. 

107.  Vnseld  lernet  weynen. 

108.  Wer  do  nye  *rill,  der  stund  nye  auff. 

109.  Wenn  der  schilt  neiv  ist,  so  hengt  man  yn  an  dy 
uannt;  wenn  er  aber  (dt  wirt^  so  stest  man  yn  unter 
dy  panch. 

*  =  fiel. 


Hof  mann:  Deutsche  Sprichwörter  etc.  35 

110.  Was  man  sagt  dem  ivolff,  so  spricht  er  neivr:  lamp, 
lamp !  (hoc  potest  dici  tyrannis  et  adulteris  etc.) 

BI.  26. 

111.  Wenn  man  das  viech  verleust,  so  verspert  man  den 
stal. 

112.  Wenn  es  geregnet,  so  wirt  es  nass. 

113.  Gencsche  vil  (=  wil)  schlcg  han  (hoc  dicitur  de  adul- 
teris etc.) 

ßl.  27. 

114.  Kurtze  frevd,  lange  vnseld. 

115.  TJive  seiiherlicJi,  so  nympt  man  dich. 

116.  Armer  man  hot  armes  manss  Icaitff. 

117.  Man  darff  nit  leuss  in  den  peliz  setzen^  si  hichen 
selber  icol  dar  ein,  (hoc  dicitur  hijs,  qui  sibi  uociua 
alHciunt,  quibus  bene  carere  possent ,  ut  qui  fures  in 
domo  sua  nutriunt  etc.). 

118.  Wer  den  andern  teuscht,  der  ist  meyn  meyster  (Sed 
hoc  non  est  verum,  sed  debet  dici  der  ist  sein  salcJc 
[schalclc]  etc.  Sed  hoc  est  verum :  tver  den  andern 
lernet,  der  sey  meister  etc.). 

Bl.  28. 

119.  Von  poser  geselschaft  ivirt  der  man  JcrancJc. 

120.  Alt  (1.  Alter)  vnd  torhait  ist  ziveyerley  schad. 

121.  3Ian  darff  den  tevffel  nit  an  dy  ivannt  molcn,  er 
humpt  lool  seiher  jn  das  hauss  (hoc  dicitur  duobus 
generibus  hominum;  primo  hijs,  qui  in  locucionibus 
suis  semper  nominant  dyabolum,  et  non  mirum,  quod 
aliquando,  venit  eis  etc.  Secundo  dicitur  de  hijs,  qui 
aliquaudo  habent  circa  se  mulieres  Hbidinosas  in  do- 
mibus  suis,  secuiidum  dictum  proverbium  noa  est 
mirum  quod  tales  seducuntur  etc.). 

122.  Als  du  mir  dinst,  also  lone  ich  dir. 

123.  Von  mussig  gen  tvirt  mcm  selten  reich. 


36         Sitzung  der  philos.-philöl.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

Bl.  29. 

124.  Der  letzte  habe  den  schaden  (hoc  dicitur  de  pauperi- 
bus  Scolaribus,  quibus  panis  datur  etc.). 

125.  Milter  haut  geprach  mje. 

126.  Er  phit  äye  schuche  mit  passt.,  der  ess  gelten  miiss. 
(hoc  dicitur  de  laycis  agricohs  et  venatoribus ,  qui 
omnia  soluunt,  quae  principes  et  reges  et  alij  consu- 
munt;  ipsi  enim  tarn  cibum  quam  potum  labore  suo 
acquirunt  etc.). 

127.  Wem  der  teufel  schaden  wil,  dem  hengt  er  ein  langen 
mantel  an.  (Dicitur  hoc  communiter  contra  tales,  qui 
aliquando  subhmantur  honoribus  et  comprehenduutur 
postea  in  publicis  peccatis  etc.). 

Bl.  30. 

128.  Stoss  dye  fidel  jn  den  sacJc,  hevt  ist  der  ascher  tag. 

129.  Der  ivolt  gern  hofiren  vnd  Jean  sein  nicht. 

130.  Wer  dye  tveyss  Ican,  der  fiirt  dy  praiä  Jieim  (hoc  di- 
citur de  duobus  litigantibus  pro  vna  sponsa  etc.)- 

131.  Ein  guten  tag  sol  man  cmff  den  öbent  loben. 

132.  Wo  der  teiifclnit  hin  mag,  do  scndt  er  seinhiechthin. 

Bl.  31. 

133.  Der  hrug  get  als  lang  zu  ivasser,  biss  das  jm  der 
henchel  abpricht  (Loc  dicit  vir  uxori,  dominus  seruo 
suo  transgredienti  etc.). 

134.  Ess  ist  selten  Tzein  ding  so  boss,  ess  sey  zu  ichte  gut. 

135.  Fride  ward   nye  so  gut,    barnung*)  ist  noch  besser. 

Cf.  Nr.  80. 

136.  Yeder  man  für  sich  selbs,  aber  got  für  vnns\al.  (hoc, 
hev!  pro  prima  parte  verius  est,  quam  bonum  est. 
Nunc  enim  quilibet  quaerit,  quae  sua  sunt  etc.). 


*  Warnung  =  Vorsicht,  um  den  Krieg  zu  verhindern. 


Eofmann:  Deutsche  Spriclv.cörter  etc.  37 

Bl.  32. 

137.  ^Vc)n  nit  su  roten  ist,  dein  ist  auch  nit  zu  helfen. 

138.  Wol  anss,  weiss  heih  ich  geherpergt.  (hoc  dicitur  de 
malis  hospitibus  etc.). 

139.  Lantman*),  schantman.  iceistii  icht,  so  siveig.  (Jero- 
nymus:  Fere  naturale  est,    ciues  ciuibus  invidere  etc.) 

140.  Wer  sich  z wissen  thur  vnd  cngel  legt  oder  mengt,  der 
clemmet  sich  gerne.  (Hoc  dicitur  de  Ulis ,  qui  inter 
amicos  se  iniscent,  dum  sibi  contendunt  etc.). 

141.  Li  suJchen  wassern  vecht  man  sulch  vische. 

Bl.  33. 

142.  ^Vo  man  hin  Jcummet ,  da  rint  man  den  tciri  do  Jic/j- 
men,  oder  Irampt  schir.  (hoc  dicitur  couimuuiter  contra 
instabiles  seruos  et  dominos  etc.). 

143.  GeJauh  nijmant,  so  tevscld  dich  nijemant. 

144.  Feindes  munds  red  bringt  selten  gutz. 

145.  Gesunter  leih  ist  goldes  ivert. 

146.  Lang  sichen  ist  gewiser  tod. 

147.  Für  dich,  für  dich,  verdenk  mich  nit, 

Nach  deiner  pfeiffen  fanfz  ich  nicJä  (hoc  dicitur  capi- 
tosis,  nolens  (1.  nolentibus)  sequi  consilia  aliorum  etc.). 

Bl.  34. 

148.  Mancher  frevet  sich  eins  andern  vngelucJc,  vnd  iveiss 
nich,  das  jm  seins  als  nahent  ist. 

149.  Fare  schon  jn  das  dorff\  dye  pavren  sein  trunclcen. 
(hoc  ad  iiteram  aliquando  verificatur,  quando  homo 
accedit  laycos  ebrius  et,  si  non  composite  se  rexerit, 
offenditur  etc.). 

150.  Mancher  gibt  ein  andern  ratt ,  der  jm  selbs  nit  ge- 
raten Jean. 


*  D.  h.  Landsleute  reden  sich  am  meisten  übles  nach. 


38  Sitzung  der  phüos.-pliüol  Classe  vom  11.  Juni  1870 

151.  PucJc  dich,  man  sucht  schelch. 

152.  Wenn  das  endt  gut  ist,  so  ist  alles  gut. 

153.  Wilkum  sath  und  esset  gem. 

Bl.  35. 

154.  Seit  frölich  vnd  lach  nit  [lacht  n.] 

155.  Ess  mocht  ein  htoit  wol  smecJcen ,  das  die  fladen  gut 
weren. 

Bl.  36. 

156.  Wer  den  andern  vbermag,  der  schih  jn  jn  den  sacJc. 

157.  Wer  do  mag,  der  füg  (hoc  dicitur  de  duobus  luctan- 
tibus.  coütingit  tarnen  ahquando,  verum  (virum?) 
fortem  cum  aHo  luctari,  sed  ambo  corruunt.  jUe  autem, 
qui  est  forcior  alium  suj^erat  etc.  Et  ergo  dicitur: 
got  hilft  gern  dem  sterclcern  etc.). 

158.  ÄUw  scharff  ivirt  gern  schertig  (hoc  commuuiter  di- 
citur de  illis,  qui  sunt  nimis  rigidi  in  iudicando  etc.) 

159.  Solet  enim  dici  ad  eos,  qui  non  vere  penitent,  sed  ad 
peccata  reuertuntur  hoc  tera))ore  uel  forte  ficte  con- 
fessi  sunt;  Du  pist  der  sunden  ledig,  als  der  hunt 
der  floch  vmh  sannt  Johanns  tag. 

Bl.  37. 

160.  Auff  guter  hevt  ist  gut  schloffen. 

161.  Ye  mer  Mrten,  ye  tvirser  gehut  (hoc  potest  intelligi 
tam  de  dominis  sequentibus  alternatis  vicibus  et 
etiam  de   dominis  et  seruis  simul  existentibus  etc. 

162.  Wo  nit  gute  red  hilft,  do  muss  man  schleg  zu  thun. 


Hofmann '.  Ueher  ein  niederdeutsches  Lancelotfragment  etc.     39 


„Ueber  ein  niederdeutscb  es  Lancelotfrag- 
ment  und  einige  daran  sich  knüpfende 
lit  er  arge  Schicht  liehe  Fragen." 

Nachdem  das  lang  verloren  geglaubte  „Bruchstück 
eines  Romans",  wie  es  Wackernagel  nennt,  wieder  ge- 
funden und  nebst  seiner  zweiten  bisher  unbekannten  Hälfte 
in  unseren  Sitzungsberichten  vom  6.  Nov.  1869  p.  313 — 316 
mitgetheilt  war,  ging  ich  an  ein  genaueres  Studium  des 
merkwürdigen  und  einzigen  Stückes.  Zuerst  musste  eine 
neue  Vergleichung  der  Handschrift  vorgenommen  werden, 
welche  Folgendes  ergab: 

I.  Seite,  zweite  Spalte,  Zeile  14:  büslich  (st.  bustich.) 
Wackernagel  hat  also  dem  Sinne  nach  richtig,  der  Form 
nach  unberechtigt,  bouslich  emendirt. 

n.  Seite,  erste  Spalte,  Z.  9:  wät  (st.  unter)  12:  vor 
wi  steht  noch  s;  13:  dar  na  hiz  sin  (st.  dar  nah  ir); 
16:  vucen.  Zweite  Spalte  Z.  1:  vesperzid;  3:  dren- 
kene;  4:  wal  (st.  uul) ;  9:  brengen  uh  uvile  mere 
urowe;  10:  kint  (st.  lüde);  12:  onbudt  —  sie(t);  20: 
cambenic  (st.  cambenie). 

Ausserdem  ist  I,  H,  16  irt  chapel  in  ir  tchapel  zu 
ändern  und  17  wer  st.  wat  zu  ergänzen. 

Dann  ging  ich  an  die  Ergänzung  der  lückenhaften  Stel- 
len und  an  die  Bestimmung  der  Zugehörigkeit  des  Frag- 
ments. 

Da  an  den  Eigennamen  Giflet  und  Cambeuic  zwei  feste 
Anhaltspunkte  gegeben  waren  und  G.  nicht  leicht  etwas  an- 
deres bedeuten  konnte,  als  G^iwain,  so  fand  ich  das  Ge- 
suchte sofort  in  Jouckbloets  Analjse  des  französischen  Pro- 
saromans von  Lancelot,  die  er  im  2.  Theil  seines  Roman  van 
Lancelot.  Haag  1849,  mitgciheilt  hat.     S.  LV.  seiner  Ana- 


40  Sitzung  der  _2^7ti7os.-2J7»7oZ.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

lyse  finden  sich  Guiflet  oder  Girflet,  Walewein  und  der 
Herzog  von  Cambenic  neben  einander,  wie  in  unserem  Frag- 
mente. 

Da  wir  hier  keine  Handschrift  des  Lancelot  Laben,  so 
schickte  ich  meine  ergänzten  Stellen  Hrn.  Joseph  Haupt  in 
Wien,  mit  der  Bitte,  mir  den  Originaltext  beizuschreiben. 
Nun  hat  die  Wiener  Bibliothek  zwar  auch  keine  Handschrift, 
aber  zwei  Incunabel-Drucke,  deren  genaue  Beschreibung  mir 
Herr  Haupt  ausser  der  Abschrift  der  erbetenen  Stellen  eben- 
falls mittheilte  (ich  gebe  sie  in   der  Note*),    weil  Hain   mit 


Hain  No.  9849.  F.  2  Yolumia. 
Le  Roman  de  Lancelot  du  Lac.  Yol.  L  f.  1"  vacat  f  P  Icon 
xylogr.  f.  2*  c.  s.  aai  Tabula  primae  et  secundae  partis  que  expl  f. 
4^  col.  a  1.  27  le  mena  a  corbenic  VL  XX.  1.  Interj.  spat.  Cy  fine 
la  table  de  la  Seode  j  partie  de  ce  present  volume.  Interj.  spat. 
Cy  cömence  le  prologue  |  de  ce  present  liure.  j  (  )  Ombien  que 
les  anciennes  histoi-  |  res  ne  sont  pas  de  pareille  foy  que  sont 
les  etc.  Prologus  expl.  f.  5"*  col.  b.  1.  40  böne  cheualerie,  dignes 
de  imortelle  memoire  •  f.  5^''  Icon  xylogr.  et  infra  (c)  y  cömence 
le  liure  fait  et  compose  |j  a  la  perpetuatiou  de  memoire  des  I  ver 
tueux  fais  et  gestes  de  plusi  j  eurs  etc.  quasi  compendium  libri,  quod 
expl.  eädem  pag.  lin.  ult.  f.  C'  c.  s.  a  i.  incipit  opus  ipsum  cuius 
pars  secunda  seu  Vol.  I.  expl.  f.  269*'-  col.  a.  1.  21  ronde  |  ce  pre- 
sent et  Premier  volume  a  este  Impri  |  me  a  Rouen.  en  lo8tel  de  gail- 
lard  le  bourgois  j  Lan  de  grace  mil.  cccc  iiii.  x.  et  huyt  le  x. 
X  iiii.  '  iour  de  nouebre.  Par  iehan  le  bourgois.  A  lex  1  altacion 
de  la  noblesse  etc.  usque  ad  1.  31.  mes  et  acquerir  Tordre  de  cheua- 
lerie. Insignia  typographi.  f.  270  deest.  Vol.  IL  f.  1"  vacat.  f.  1'' 
usque  2"  col.  a.  1.  ult.  Tabula,  f.  2*'  vacat.  f.  S"  c.  s.  AI  Icon 
xylogr.  Infra  col.  a  (  )  pres  que  Lancelot  du  i  Lac  se  fut  parti  du 
cha  1  steau  etc.  Expl.  f,  234''-  col.  6.  1.  20.  imprime  a  Paris  par  I 
Jeban  du  pre.  En  lä  de  grace  mil  cccc.  iiii.  xx.  i  et  viii.  le  xvj. 
iour  deSeptembre.  I  f.  g.  cl.  c.  s.  .  Vol  I  aa.  a — Z,  A — Lii.,  Vol.  11. 
A— V.,  aa  —  ^kkiiii.  i  s.  c.  e.  pp.  n.  48  11.  270  et  234  £f.  2*^"^  coli, 
c.  ff.  xyll. 

Hain  Kr.  9850.     F.  3  Volumina.     In  membranis. 
Les  feits  et  gestes  de  Lancelot  du  Lac.   III  Partes.     P.  I.  f.  1* 


Eofmann:  Ueher  em  niederdeutsches  Lancelotfragment  etc.      41 

Unrecht  die  Existenz  des  einen  davon  bezweifelte.  ,,Sie  wer- 
den daraus  ersehen,  sind  Haupts  Worte  in  seinem  beglei- 
tenden Briefe,  dass  Sie  vollkommen  Recht  haben,  in  dem 
altfranzösischen  prosaischen  Lancelot  die  Quelle  des  nieder- 
deutschen zu  sehen,  und  überrascht  sein,  wie  die  üeber- 
setzung  ziemlich  genau  dem  Original  in  den  ineisten  Stellen 
nachgeht.  Leider  war  es  mir  nicht  möglich,  auch  die  Jung- 
frau MÜqg  zu  finden."     Ich  hatte  nämlich  Müne  dem  Wort- 


tit.  (L.  xyl.)  e  premier  voIume  de  lacelot  i  du  lac  nouuellement.  ] 
imprime.  a  paris  Av.  (idest  Antoine  Yerard)  f.  l''.  vacat.  f.  2^  c.  s. 
aii  col.  a  (  )  Onsiderät  que  par  les  triüphalles  et  glorieuses  oeuu- 
res  que  les  vaillans  hommes  et  nobles  che  I  ualiers  anciennement 
firent  en  fait  de  cheualerie  acquirent  en  leurs  vi  es  louenges  et 
gloire  de  perpetuelle  me  ■  moire  etc.  Prologus  expl.  f.  2^  col.  b. 
1.  43.  le  memoire.  :  Cy  fine  le  prologue  de  ce  pre  ■  sent  volume  i 
f.  3*  usque  6^'  Tabula  f.  7*.  col.  a.  (c)  y  cömence  le  premier  volume 
de  la  etc.  Pars  I  expl.  f.  249^  col.  a.  1.  20.  Imprime  a  paris.  Lan 
mille  qua  (tre  cens  quatre  vingtz  et  quatorze.  Le  I  premier  iour  de 
Juillet.  Pour  anthoine  Yerard  Libraire  demourant  sus  le  pont 
nostre  dame  a  lymage  Saint  Je  ban  leuangeliste,  Ou  au  premier 
pil  ler  au  palais  ou  len  chante  la  messe  de  messieurs  les  presidens.  I 
f.  24^^  col.".  Insignia  typogr.  f.  250  vacat.  —  Pars  II  —  f.  1^.  Tit. 
seconde  volume  etc.  sicut  in  Vol.  I.  1**  usque  4'^  col.  b.  1.  12.  Ta- 
bula f.  s.  vacat.  f.  6*  c.  s.  bby.  (  )  y  commnce  (sie)  le  second  vo- 
lume de  la  table  ronde  lancelot  du  lac  ouquel  est  faite  metion 
pre  I  mierement  etc.  Expl.  f.  191^.  col.  b  1.  ult.  gnon  de  la  table 
ronde  ■  f.  192  vacat.  —  Pars  III.  f.  1^  (L.  xyl.)  e  Tiers  volume  etc. 
sicut  in  Vol.  I.  l''.  vacat  f.  2".  c.  s.  Aii  Tabula  que  expl.  f.  6^  col. 
a.  1.  17  f.  7="  c.  s.  Aaa.  i.  Comment  Lancelot  du  lac  .  trouua  ded 
ans  la  forest  perilleuse  la  tobe  de  son  grät  pere  etc.  Expl.  f.  141*^ 
col.  a.  1.  35.  Imprime  a  paris  ce  derrenier  iour  dapuril  mil  quatre 
cccc  quatre  vingtz  et  quatorze  i  po""  |  anthoine  verard  libraire  de 
mourant  a  paris  ßur  le  pont  I  nostredame  a  lymaige  sainct  iehan 
leuangeliste,  ou  au  palais  au  premier  pillier  ou  len  f.  141'^.  col.  b. 
chante  la  messe  de  messeigneurs  les  presidens.  Insignia  typogr.  f. 
142  vacat.  f.  g.  eh.  ss.  e.  ff.  n.  s.  c.  46.  11.  250,  192  et  142  fl'.  2'"»^ 
coli.  c.  figg.  xyl.  color.  et  deaur. 


42         Sitzung  der  philos.-philol  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

laute  des  Fragments  nach  für  einen  Eigennamen  gehalten 
und  gross  geschrieben.  Als  ich  den  französischen  Text  ver- 
glich, fand  ich,  dass  müae  dem  franz.  ante  entspricht,  also 
die  niederdeutsche  und  niederländische  Form  für  hochdeutsch 
muome  =  i^.Iuhme,  Tante  ist;  für  iunfrowen  muss  jetzt 
natürlich  min  frowen  in  den  Text  gesetzt  werden.  Dann  ist 
Alles  in  Ordnung.  Ich  lasse  nun  den  corrigirten,  ergänzten 
und  mit  Interpuuction  und  Längebezeichnung  versehenen 
niederdeutschen  Text  vorausgehen,  (die  Ergänzungen  cursiv), 
darauf  den  französischen  folgen.  Eine  Stelle  von  6  Zeilen 
konnte  ich  auch  nicht  ergänzen  ,  denn  aus  ihr  selbst  ist  die 
Ergänzung  nicht  möglich  und  im  Franzoschen  fehlt  die 
Stelle  ganz.  Was  im  Deutschen  fehlt,  ist  im  Französischen 
mit  kleiner  Schrift  gegeben.  Ausgelassen  dui'fte  es  nicht 
werden,  wegen  des  Zusammeuhanges.  Die  einzelnen  Sätze 
sind  durchnumerirt,  und  so  glaube  ich  dem  Leser  die  Sache 
zur  möglichsten  Evidenz  gebracht  zu  haben.  Man  sieht 
also,  es  gab  nicht  bloss  eine  oberdeutsche  Lancelotüber- 
setzung (zwei  Handschriften  davon  sind  in  Heidelberg),  son- 
dern auch  eine  niederdeutsche,  und  es  ist  nun  die  nächste 
Frage,  wie  sie  sich  zu  einander  verhalten,  ob  die  eine  aus 
der  andern  geflossen  ist  oder  jede  für  sich  aus  dem  fran- 
zösischen Originale.  Diese  Untersuchung  konnte  ich  noch 
nicht  vornehmen,  sie  ist  auch  nicht  besonders  dringend. 

Deutscher  Text. 

....  meist  prise.  1.  Do  Sprüngen  si  z6  z  ime  onde 
bilden  im  sinen  stireip,  si  gäven  sim  Urse  z  ezne  ont  däden 
im  alle  di  ere,  di  si  im  gedon  mohten  ont  allet  dat  ge- 
mah.  2.  Si  hingen  sinen  seilt  bi  im  an  einen  boum  ont 
sin  heim,  ont  holpen  him ,  dat  he  ontwäpent  wart.  3.  Do 
heng  im  de  junfrowe  ein  herlicheu  mautel  umbc ,  ont  ein 
\)Q.[vüiün  stün]t  dar  bi,  dar  iü  ded  di  junfrowe  colen  d[ra- 
geii],  want   dat  weder  calt  was.     4.  Benneu  den  paviliüne 


Eofmanri'.    Ueher  ein  nieder ämtsches  Lancelotfragment.        43 

was  alle  di  gereitscaf,  di  man  gedenken  lüühte,  5.  Min  her 
quam  int  paviliün  ont  sah  ein  dat  herlihste  bedde  Yur  im 
gemäht  stänt ,  dat  Le  ie  me  gesin  hede.  6.  He  wonderde 
sih  sere,  dor  wes  wil  dat  bedde  da  gemäht  were  so  scün 
ont  so  herlih.  7.  AI  uin  dat  vür  wären  tauen  gereht  ont 
man  gaf  wazcer  onde  ginc  sitzen  ezcen.  8.  Do  wart  so 
herlih  da  gedint  van  spisen  ont  van  dranke,  dat  sih  min  her 
Gäwein  ser  wouderde,  wan  allet  gut  cumen  mühte  ont  di 
groce  bereitscaf  in  den  walde.  9.  Do  si  wal  mit  gemache 
gezcen  heden  onde  genoh,  do  nam  de  junfrowe  min  heren 
Gäwein  mit  der  hant  onde  gingen  al  sprechende  in  einen 
walt.      Min    her  Gäwein 

10.  ne  wild  ih  um  geinre  hande  gut,  dat  si  \nste  äe  scü- 
niste ,    dad    ir   üren  willen  mit  mir   gedän    Yi[oldet]    haven. 

11.  ,.Hit  wer  mir  euch  leit'",  sprach  he.  12.  Do  \v[agde 
he\  ir,  wä  GiÜet  ont  sine  junfrowe  hinen  wären.  13.  (Bat) 
wil  ih  Uli  sagen,  sprah  si.  Di  junfrowe.  mit  der  {he)  bleif, 
miunedde  einen  ridder  lange,  do  wart  de  riddre  Q\{ne  an- 
der) minnende ,  di  vil  hezlicher  vc(as  dein)  de  gin .  di  he 
geladen  hede,  onde  ga.i(i}-  alle  de  sciO()]iede,  dat  d  ander 
hede.  13.  Nu  hed  er  ir(dat  chapelj  genomen  dat  si  nü 
der  verlos 

hede.  15,  Do  ward  ir  gesagt,  dat  hed  sin  (amie)  hede. 
dad  was  ir  zoru  onde  reit(^^ö  im).  16.  Si  bad  im,  dat  het 
ir  wider  geve.  He  ne  W9(7f7e  es)  nit  ont  sprah  ir  büslich. 
17.  do  ward  ir  zorn  ont  s])racli.  dat  si  nimerme  au  die  stat 
ne  queme,  da  sin  a(mie)  were.  si  ne  wolde  irt  chapel  nemen 
ont  ir  a.iid(er)  scünheit  al  ze  mal  der  z6.  18.  Do  sprah 
der  riddre.  w(er)  des  helpen  sulde.  19.  Dat  sal  ein  bezcer 
ridder  don,  sprach)  si,  dan  ir  sit,  ont  is  des  cuninc  Arturs 
geselle,  (der  sal)  mih  vüren,  da  ür   amie  is.     aldä  mugt  ir 


44  Sitzimg  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

mid  {üren)  ougen  sin,  dat  ih  ir  allet  dat  nemen  sal,  dat  ^(i) 


20.  an  m  ävonde  venden  an  m  ende  van  den  (ivaT)diQ^  dat 
man     heizt    grant    piain.      aldä    solen    si     (tvejvMh.    comen. 

21.  ih  wil  üh  ouch  sagen  ein  \vkrzQ\(clien) .  Min  her  Gäwein 
vürd  einen  wicen  seilt  ont  G\(ßet)  viird  einen  gedeilden  seilt, 
dat  uverste  deil  is  (van)  golde,  ont  dat  niderste  is  rot  van 
sinople.      Alsos  wisdons  di  iunfrowe     .     .     .     .     uh 

sulden.     de  seide  w  .  .  .  g  .  .  er  vrev 
d  wir  ni  ne  wisten  wi  si  was  want 
sagen  (?)  ne  wolde.     Min  her  G. 
s.  .  .  wi  di  iunfro  wesen  muhte,  mit 
paviliün     .     .     .     2r  ont  di 
(ji(nfrdue)   dede  min  heren  Gawein  ontscon.      dar  nä  hiz  sin 
(släfe)n  gän  op  dat  scoue  bede  ende  bleif  vur  im  bez  (he  o)nt- 
släfen  was.     22.  Do  hiz    si   ir  ein  ander  bedde  ma.{chen]  ze 
sinen  vücen  ende  ginc  der  op  släfen  mit  der  (and)erre  jun- 
frowen.      23.  Des  morgius    vrü  stünden  di  (sivij)   junfrövven 
op    ende    wecten  gine  enehte.     24.    Do  ont(wah)te   min  her 
Gäwein  out   stund  op.  di  junfro  hiz  im  (sin)  wäpne  brengen, 
ont  sprah  zen  zvein  sei-jan(?7e«^ ,    dat   si   balde  ir  seumeren 
bereiten  onde  riden  ir  (wege).     25,  Si  nam   de  junfro    b'ein 
side  onde  hiz  si  balde  en(tueg.) 


26.  onde  quämen   ze    vesperzid  ze  min  frowen    munen  hüs. 

27.  Da  ward  in  alle  di  ere  gedän ,  di  man  in  don  mühte 
ont  allet  dat  gemah.  28.  Si  heden  z  ezcen  ont  ze  drenkene 
alles  des  ir  herze  gerde.  si  bedurftens  ouh  wal,  want  si  allen 
den  dah  gevast  heden.  29.  Do  mannelich  gezcen  hede  onde 
man  izont  de  tafel  suld  opdon  ,  do  quämen  zvene  cnapen 
ingäude.  30.  Der  eine  was  (der  vröicen)  neve  vanme  hiis 
ont  der  ander  was  ir  (son.  de  vröjyfe  vrägd  im,  wat  meren 


Hof  mann',  lieber  ein  niederdeutsches  Lancelotfragment  etc.     45 

si  brähten.     31.  Wir  brengen  üh  uvile  mere,    vrowe,    sprä- 
chen si.     32.  Wad  is  dad,  vil  live  kint?    sprach  si 


32.  Vil  live  meder,  sprah  der  son  al  weinende,  min  vader 
onbüdt  üh  ,  dad  ir  in  nimernie  ne  sie(^)  ont  dad  ir  sinre 
silen  dor  got  gedenct ,  want  im  der  hirzoge  morne  sal  don 
düden  an  deme  dage.  33.  Do  spranc  de  vrowe  op  onde 
mähte  den  meisten  jamer  van  aller  der  werelde.  34.  Min 
her  GaNveiu  trüste  si  so  he  meist  mohte  onde  vrägd  ir,  wi 
id  hei'zo  comen  were.  35.  Dat  \\\\  ih  üh  sagen,  herre, 
sprah  si.  Min  man  is  ein  harde  birve  ridder  gewesen,  he 
is  ein  gedagt  riddre  ont  is  des  hirzogen  van  Cambenic  harde 
geweldih  gewesen  ont  sins  guds.  16.  Nu  wart  me  hirzogen 
ein  son  erslagen  lii  bi  ons  in  einen  walt.  der  ein  harde  scone 
cnape  was  ont  ücermäfcejL^ 


F.  LXXXVII  verso.  col.   1.     (Vol.  I.     Hain.  Nr.  9850. 

A  Tant  sen  partent  monseigneur  Gauuain  et  sa  daBioiselle  de  Girflet 
et  de  samye  et  clieuauchent  toute  nuit  tant  quilz  voient  dedens  la 
forest  vng  beau  feu.  La  pucelle  va  celle  part  et  treuue  vne  damoiselle 
et  deux  escuiers  tous  armez  comme  sergans  et  messire  Gauuain  va  pres. 
Et  quant  les  escuiers  voient  la  damoiselle  si  la  saluent  en  disant  qua 
Lien  soit  eile  venue.  Et  lui  demandent:  qui  est  ce  cheualier?  Et  eile 
leur  dist  que  cest  le  clieualier  du  monde  quelle 
ayme  le  mieulx.  1.  Hz  vont  par  deuers  monseigneur  Gauuain 
et  lui  fönt  grant  reuerence  puis  le  fönt  descendre  et 
prennent  son  cheual  pour  le  mettre  a  lestable.  2.  Et  puis 
ilz  lui  delacent  son  heaume  et  lui  ostent  son  escu  de  son 
col  et  le  pendent  a  vng  arbre.  Aprez  ilz  le  desarment,  car 
la  damoiselle  lauoit  commande.  3.  Et  quant  il  fust  desarme 
vne  aultre  damoiselle  qui  ilec  estoit,  lui  mist  vng  moult 
riebe  manteau  au  col.  Et  fait  porter  ses  armes  en  vng 
pavilon.    lautre    damoiselle   et   messire  Gauuain  vont  apres. 


46         Sitzung  der  phüos.-phüol  Classe  vorn  11.  Juni  1870. 

5.  II  regarde  et  veit  dedens  le  pavilon  vng  des  plus  beaux 
lis  quil  vist  oncques.     7.  La  table  estoit  mise  pour  mengier. 

9.  Et  quant  ilz  eiirent  mengie  tout  a  leur  voiilente  messire 
Gauuain  et  la  damoiselle  sen  alereut  a  lesbat  parmy  le  bois 
si  ne  demeurent  pas  grantmentet  au  reuenir  messire  Gauuain 
deraande 

a  la  damoiselle  pourquoy  si  beau  lit  auoit  este  fait.  Elle  lui  dit  que 
tout  ce  est  fait  pour  lui  et  si  nol  de  ceans  ne  scait  qui  vous  estes  ex- 
cepte  moy  et  Celle  qui  plus  vous  ayme  que  horae  du  monde  nie  enuoia 
cy  pour  vous  faire  feste  et  honneur ,  et  sachez  quelle  vous  cuide  plus 
acointer  que  vous  ne  estes  car  eile  cuide  quil  nait  dacie  ne  damoiselle 
au  monde  de  qui  vous  voulsissiez  faire  vostre  amye  se  de  trop  haulte 
lignie  nestoit  et  de  trop  grant  beaute, 

10.  Ne  ie  ne  lui  voudroie  pas  auoir  descouuert  ce  que  vous 
me  voulez  faire  car  eile  ne  nie  aymeroit  iamais.  Si  vous 
gardez  bien  de  le  faire  tant  pour  vostre  gentilesse  que  pour 
euiter  vostre  domniaige.  11.  Or  nayez  garde  fait  monseig- 
neur  Gauuain.  12.  Mais  dictes  moy  ou  sen  va  Girflet  et  sa 
damoiselle.  13.  Voulentiers  fait  eile.  11  est  vray  que  ceste 
damoiselle  a  long  teraps  ayme  vng  cheaulier  le  quel  cest 
enamoure  dune  autre.  Si  a  tolu  les  ioyaulx  a  ceste  cy  et  les  a 
donnez  a  vne  autre.  14.  Et  principalenient  vng  chasteau  (lies 
chapeau  =  Kranz)  moult  riebe  et  de  grant  valeur.  16.  Elle 
ala  demander  au  cbeualier  ces  ioyaulx  et  il  lui  dit  que  iamais 
ne  les  auroit.  15.  Si  trouua  sa  mye  qui  auoit  son  chapeau  sur 
son  cbief.  17.  Et  eile  lui  dit  que  au  premier  lieu  ou  eile 
la  trouuera  eile  lui  fera  tolir  et  les  autres  ioyaulx  aussi.  18.  Le 
cbeualier  demande  qui  ce  fera.  19.  Meileur  cbeualier  que 
vous  le  fera  dit  eile  le  quel  me  menera  la  ou  vous  serez  si 
fera  de  vous  et  de  vostre  amye  tout  a  ma  voulente. 

„Haa,  pute !  dit  le  cbeualier,  dicy  a  vng  mois  me  trouuerez  icy."  Et 
cest  la  cause  pourquoy  la  damoiselle  maine  Girflet.  ainsi  que  nous  pas- 
sions  hier  par  ceste  forest  nous  rencontrasmes  vne  damoiselle,  qui  nous 
demanda,  que  nous  querions ,  et  nous  dismes  que  lune  de  nous  queroit 
monseigneur  Gauuain  et  lautre  vng  cbeualier  de  la  maison  du  roy  Artus 
et  eile  nous  dit, 


Hofmann:    Ueher  ein  niederdeutsches  Lancelotfragment  etc.     47 

20.  que  au  cliief  de  la  forest  de  Combes  trouuerions  mes- 
sire  Gauuain  et  Girflet  et  vendront  tont  le  grant  chemin  qui 
vient  de  Manesellcs  21.  a  Celles  enseignes  que  monseigneur 
Gauuain  porte  vng  escu  blanc  et  Girflet  porte  vng  escu  de 
sinople  a  fesse  dor  inoult  large.  Ainsi  sen  vont  deuisant 
iusques  au  pauilon  et  treuuent  le  riche  lit  appareille  pour 
couchier.  21.  Elle  fait  deschaucer  monseigneur  Gauuain  et 
le  fait  coucher  au  beau  lit  et  se  tient  deuant  luy  tant  quil 
soit  endormy.  22.  Et  puis  eile  et  sa  damoiselle  sen  vont 
coucher  en  vng  autre  lit  au  pres.  24.  Au  matin  messire 
Gauuain  se  leua  et  len  lui  apporte  ses  armes.  23.  La 
damoiselle  ai)pelle  les  deus  escuiers  et  leur  dit ,  quilz 
attournassent  leurs  harnois  et  quüz  sen  allassent.  25.  Puis 
parla  a  la  damoiselle  et  lui  dit  a  conseil : 
alez  a  ma  dame  et  lui  dictes  que  iay  bien  fait  ce  quelle  raa  charge  et 
que  ie  seray  dicy  a  trois  iours  par  deuers  eile  et  lui  maine  ce  quelle 
scait.     Mais  nen  parlez  sinon  a  eile.     Et  eile  dit  que  ainsi  fera  eile. 

A  Tant  sen  partent  messire  Gauuain  et  la  damoiselle  la  queUe  lui 
dit.  Sire  ie  vous  meneray  le  plus  secreteraent  quil  sera  possible  et  cou- 
cherons  ennuyt  en  löstet  dune  mienne  ante  et  demain  ie  vous  cuide  mener 
en  vng  des  beaux  lieux  ou  vous  feussez  oncques. 
26.  Tant  sont  alez  quil  est  vespre,  quant  ilz  vindrent  chiez 
la  dame.  27.  Si  IcS  receut  a  grant  ioye  et  les  list  menger. 
29.  Et  en  la  flu  de  leur  menger  eutrerent  leans  deux 
varletz  30.  dont  lun  estoit  filz  de  la  dame  et  lautre  son 
nepueu.  La  dame  leur  demande :  quelles  nouuelles?  3L 
Et  ilz  distrent:  ,,moult  mauuaises".  32.  Comment?  fait 
eile.  Certes,  fait  le  varlet,  32.  mon  pere  vous  mande,  que 
vous  ne  le  verrez  iamais  et  que  vous  priez  pour  son  ame, 
car  le  duc  a  commande  quil  soit  demain  destruit.  33.  Et 
la  dame  sault  de  la  table  toute  desconfortee  34.  et  messire 
Gauuain  lui  demande  que  ce  peut  estre,  35.  et  eile  lui  dist: 
Sire,  cest  mon  seigueur  lequel  a  este  longuement  ayme  du 
duc  de  Cambenic  et  gouverneur  de  sa  tirre  mais  ainsi  est 
auenu,    que    en   la    guerre    du   duc  et  du   roy  de  Xorgalles 


48         Sitzung  der  pMlos.-philol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

36.  a  lentree  de  ceste  forest  le   filz   du  duc   fust   occis  par 
ceulx  de  Norgales. 

Man  wird  aus  der  Vergleichung  der  Sätze  und  Satz- 
theile  ersehen,  dass  die  deutsche  Bearbeitung  etwas  ausführ- 
licher war,  als  das  Original,  und  dass  ihr  Hauptcharacter 
darin  besteht,  einen  längeren  französischen  Satz  in  mehrere 
selbstständigc  oder  nur  lose  verbundene  kürzere  zu  zerlegen. 
Freihch  dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass  wir  bis  jetzt  nur 
den  modernisirten  Text  der  Drucke  verglichen  haben  und 
dass  die  Vergleichung  der  Handschriften  gewiss  ein  im  Ein- 
zelnen reineres  Resultat  ergeben  würde,  wenn  sie  auch  am 
Hauptresultate  nichts  ändern  kann. 

Das  Resultat  dieser  ganzen  mühsamen  Untersuchung  ist 
von  geringer  positiver  Bedeutung,  um  so  grösser  ist  ihre  ne- 
gative, indem  das  mysteriöse  „Bruchstück  eines  niederdeut- 
schen Ritterromans"  nun  definitiv  aus  der  an  \Yahngebilden 
solcher  und  anderer  Art  überreichen  deutschen  Literatur- 
geschichte verschwindet,  und  sich  als  kleinstes  Theil- 
chen  eines  weltberühmten  französischen  Buches  entpuppt, 
denn  das  war  der  Lancelot  ganz  entschieden,  wäre  es  schon 
durch  die  glänzende  Stelle,  die  ihm  Dante  in  der  divina 
comedia  angewiesen  hat.  Aber  Dante's  Lancelot  war  ja 
provenzalisch ,  vom  berühmten  Arnaut  Daniel!  höre  ich  er- 
widern. Nun,  woher  weiss  man  denn  das  so  gewiss?  Tor- 
quato Tasso  hat  es  gesagt.  Eine  schöne  Autorität  für  Ge- 
lehrte des  19.  Jahrhunderts,  wo  es  sich  um  literarische  Fra- 
gen des  12.— 13.  handelt.  Dante  selbst  hat  es  sicherlich 
nicht  gesagt  und  ich  hofi'e  zu  beweisen,  dass  er  es  auch  nicht 
gedacht  hat.  Alles,  was  in  dieser  Beziehung  vorgebracht 
ist,  sind  vage  Vermuthungen,  Möglichkeiten,  von  denen  tau- 
send noch  keinen  wirklichen  Beweis  ergeben.  Das  ein- 
zige, was  Gewicht  hat,  ist  die  Behauptung  Val. 
Schmidt 's    (Wiener  Jahrbücher  1825    S.  93):  dass  Dante 


Eofmann:  Ueber  ein  niederdeutsches  Lancelotfragment  etc.      49 

im  Paradis  (XVI,  13)  Beatrice  mit  Ginevras  Kammermäd- 
chen, welches  bei  dem  Vergehen  derselben  gehustet 
haben  soll,  vergleiche,  und  dass  diese  Erwähnung 
sich  nicht  im  französischen  Pros  a  -  Lancelot  finde. 
Es  ist  die  bekannte  Stelle  : 

Onde  Beatrice,  ch'era  un  poco  scevra, 

Ridendo  parve  quella,  che  tossio 

AI  primo  fallo  sciitto  di  (jiiievra. 
Man  sieht ,  dieses  Husten  kann  unter  Umständen  ein 
sehr  gravirender  Umstand  werden.  Glücklicher  Weise  sind 
wir  in  der  Lage,  beweisen  zu  können,  dass  Val.  Schmidt 
Recht  und  Um  echt  zugleich  gehabt  hat,  in  der  Entscheidung 
freilich  Unrecht.  Die  erste  Liebesscene  zwischen  der  Kö- 
nigin Genievre  und  Lancelot  ist  ein  Prachtstück,  nicht  bloss 
im  V,  Gesänge  der  Hölle,  sondern  auch  im  französischen 
Prosarou-an  und  darum  -schon  zweimal  nach  zwei  verschie- 
denen Handschriften  in  extenso  abgedruckt,  einmal  in  Jonck- 
bloets  Lancelot  H,  XLI  ff.,  dann  bei  Moland,  Origines 
htteraires  de  la  France,  Paris   1862  S.   373  fi\ 

Die  Liebeserklärung  lautet :  Or  me  dites :  totes  les  cheva- 
leries,  que  vos  avez  faites,  por  cui  les  feistes  vos?  —  ,,Dame, 
fait  it,  por  vos.  —  Comment,  fait  eile,  amez  me  vos  tant? 
—  Dame,  fait  iL  ge  n'ain  tant  ne  moi  ne  aatrui.  —  Et  des 
quaut,  fait  eile,  m'amez  vos  tant?  —  Dame,  fait  il,  des  lo 
jor  que  ge  fui  apehz  Chevaliers  et  si  ne  l'estoie  mie.  — 
Et  par  la  foi  que  vos  me  devez,  d'ou  vint  cele  amors  que 
vos  avez  en  moi  mise? 

Das  ist  also  der  primo  fallo.  Darauf  folgt  unmittelbar 
und  in  beiden  Handschriften  wesenthch  gleichlautend :  A  ces 
pai'oles  que  la  reine  disoit,  avint  que  la  dame  do  Pul  de 
Malohaut  (das  ist  die  Hofdame,  Galehots  (Galeottos)  Ge- 
Hebte),  s'estosi  tot  a  esciant  et  drega  ia  teste  c^ue  avoit  an- 
brunchiee  et  eil  Tanteudi  maintenaut ,  que  maintes  foiz 
l'avoit  oie.  Wörtlich  so  bei  Moland  S.  378.  (la  dame  do 
[1S70.II.  1.]  4 


50  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

Pui  do  Maleliaut  s'estoussi  tot  a  esciant).  Dasheisst: 
Bei  clicseu  Worten,  (d.h.  woher  kommt  eure  Liebe?)  welche 
die  Königin  sprach,  geschah  es,  dass  die  Dame  von  Malehaut 
absichtlich  hustete,  und  das  Haupt  erhob,  welches  sie 
gesenkt  hatte ,  und  Lancelot  merkte  es  sogleich ,  da  er  sie 
oftmals  gehört  hatte."  Das  Husten  fehlt  also  nicht  in 
den  Handschriften  und  nur  diese  lagen  Dante  vor. 
Es  fehlt  dagegen  richtig  in  den  Drucken.  Das  Exemplar 
der  hiesigen  Staatsbibliothek  (3  Bde.  Fol.  Paiis,  bi  Jehau 
Petit  1533),  welches  mir  vorliegt,  hat  Bd.  I,  Blatt  66  r"  a  fol- 
gendes über  die  Dame  von  Malohaut :  La  royne  vit  qae  le 
Chevalier  nen  ose  plus  faire,  si  le  prent  par  le  mcnton  et 
le  baise  deuant  Gallehault  assez  longuement.  Et  la  dame 
de  M a  1 1  e h a u  1 1  s e u t  de  v r a y  quelle  I e  b a i s o i t. 
Das  steht  auch  in  den  Handschriften  mit  denselben  Worten, 
die  Stelle  vom  Husten  fehlt  in  dem  Drucke  gänzlich,  und 
so  hatte  Schmidt,  der  nur  die  Diucko  benutzen  konnte,  in 
seiner  Weise  auch  Recht. 

Auch  Dantes  Ausdruck  scevra  findet  seine  Quelle  im 
franz.  Prosaromau:  Atant  vienent  soz  les  aubres,  si  s'asiont 
Galehoz  et  la  roine  loing  des  autres  a  une  part  et 
les  dames  a  l'autre  Molaud  S.  373,  Jonckbloet  p.  XLL 
Es  müsste  also,  wenn  es  einen  Lancelot  von  Arnaut  Daniel 
gegeben  hätte,  an  diesen  entscheidenden  Stellen  ganz  dasselbe 
darin  gestanden  haben ,  was  im  französischen  Prosaroman 
steht,  dem  in  Bezug  auf  die  Abfassungszeit  die  Priorität  zu- 
kommt, denn  Crestiens  Lancelot  oder  Chevalier  a  la  cha- 
rete  ist  unzweifelhaft  aus  ihm  genomn.en,  Crestien  aber  war 
älter  als  Arnaut  Daniel.  Auch  einen  Renault  oder  Rinaldo 
soll  nach  Pulcis  Angabe  im  Morgante  Maggiore  Arnaut  Da- 
niel geschrieben  haben.  Da  Rajna  jüngst  nachgewiesen  hat, 
dass  Pulcis  Quelle  keine  andere  war,  als  eine  talentlose  Ar- 
beit eines  Zeitgenossen,  in  die  er  Leben  und  poetischen 
Schwung  gegossen  hat,    so  wird   man  dem  Argument  kaum 


Hofmann:  Ueber  ein  niederdeutsches  Lancelotfragment  etc.       51 

mehr  grosses  Gewicht  zugestehen.      Allein    auch  die  dirccte 
WiederlcgUDg  aus  Pulci  selbst  ist  nicht  schwer: 
Che  mi  dette  d'Ärnaldo  e  d'Alcuino 
Notizia  e  lume  del  mio  Carlomano. 

Man  sieht,  von  einem  Daniel  ist  hier  so  wenig  die 
Rede,  wie  bei  Dante  von  einem  Lancelot  Daniels.  Wer 
kann  aber  neben  Alcuin,  als  Quelle  für  das  Leben  Karls  des 
Grossen  genannt,  unter  diesem  Arualdo  anders  gemeint  sein, 
als  Einhard,  in  ital.  Form  Anardo  und  angeglichen  Arnardo, 
Arnaldo?  Dass  ihn  der  schalkhafte  Pulci  an  einer  andern 
Stelle  den  famoso  Arualdo  nennt ,  das  hat  er  aus  Petrarca 
genommen ;  aber  gelesen  hat  er  von  allen  diesen  angeblichen 
Quellen,  die  er  nur  aus  der  Phantasie  citirt,  nichts. 

Der  franz.  Lancelutroman  ist  uns  noch  in  einer  andern 
Beziehung  von  höchster  Wichtigkeit.  An  ihm  allein  kann 
man  bis  jetzt  Crestiens  Art  und  Weise,  seine  Quellen  zu  be- 
nutzen, gen:iu  studiren.  Er  nimmt  einen  der  grossen  Prosa- 
romane, die  ungefähr  ein  Menschenalter  vor  ihm  in  England 
Uliler  dem  Einflüsse  des  normannischen  Hofes  (bekanntlich 
nennt  man  Heinrich  H.  nach  der  Mitte  des  12.  Jahrhunderts 
als  Veranlasser)  eine  Masse  keltischer  Sagen  in  mehreren 
grossen  Comploxen  zusammeugcfasst  haben,  aus  diesen  hebt 
er  eine  Episode  aus,  (hier  die  von  Lancelots  Fart  auf  dem 
Schandkarren),  entkleidet  sie  aller  Bezüge  auf  Vorausgehen- 
des und  Nachfolgendes,  tilgt  die  Masse  der  Eigennamen, 
kürzt  die  breite,  behaglich  hinfliessende  Erzählung,  lässt 
den  Stoff  in  seinen  leichten  und  glatten  achtsilbigen  Reim- 
paaren rasch  und  lebendig  an  uns  vorüberrollen,  setzt  in 
passenden  Zwischenräumen  die  Schluglichter  höfischer  Sitte 
und  Ausdrucksweise  auf  und  so  entsteht  ein  Crestiensches 
Gedicht,  ein  Werk  nicht  des  Genies,  aber  des  eminentesten 
Talentes.  Alle  seine  ächten  Werke  (der  Guillaume  d'Angle- 
terre  ist  so  wenig  von  ihm,  wie  der  Servatius  von  Heinrich 

von  Veldeke)   tragen   den   gleichen  Stempel.     So  wird  denn 

4* 


52  Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

auch  für  seinen  Perceval  ein  ähnliches  Werk  Quelle 
gewesen  sein,  aus  dem  er  seine  Grualepisode  gezogen  und 
in  sich  abzurunden  begonnen  hat,  worüber  er  gestorben  ist. 
Wir  dürfen  also  hypothetisch  folgende  Proportion  ansetzen: 
Wie  sich  Crestiens  Lancelot  verhält  zu  der  Episode  aus  dem 
Lancelotroman  (sie  steht  bei  Jonckbloet  S.  LXXVII — CXXXII), 
so  verhält  sich  sein  Perceval  zu  X,  d.  h.  zu  dem  noch  nicht 
wieder  aufgefundenen  Prosaromane,  aus  dem  er  geschöpft  und 
dem  er  ,. Unrecht  gethan,"  wie  Wolfram  sagt,  weil  er  so  vieles 
übergangen  und  ausgelassen  hat.  Wirklich  verändert  wird 
er  hier  wohl  so  wenig  haben ,  wie  im  Lancelot ,  —  daher 
kommt  es  auch,  dass  Wolfram,  der  ihn  so  hart  tadelt,  doch 
in  dem,  was  beide  gemeinsam  haben,  fast  immer  mit  ihm 
übereinstimmt.  Wolfram  ist  äusserlich  wie  innerlich  der 
gerade  Gegensatz  von  Grestien.  üeberfülle  von  Eigennamen 
und  Begebenheiten  ist  sein  höchstes  Ideal,  Grestien  verab- 
scheut und  tilgt  sie.  Ein  solches  Buch ,  aus  dem  Grestien 
nach  seiner  Art  nur  eine  Episode  brauchen  '  konnte ,  war 
für  Wolfram  gerade,  was  er  brauchte.  Und  ein  solches  Buch 
wird  Guiot  von  Provins  wohl  nicht  selbst  gemacht,  sondern 
nur  nach  Deutschland  mitgebracht  haben. 


Paranikas:    Triodium  des  h  Sophronius.  53 


Herr  Chribt  legt  eine  Abhaucllung  des  Herrn  Paranikas: 

,, lieber    das   angebliche    Triodium    des   h.    So- 
phronius" 
vor. 

In  der  griechisclien  Anthologie  christlicher  Gedichte,  zu 
deren  Herausgabe  mein  hochverehrter  Lehrer,  Herr  Professor 
VV.  Christ,  mich  als  .Mitarbeiter  heran  zu  ziehen  die  Güte 
hatte,  sollen  neben  den-  gefeiertesten  Dichtern  der  griechischen 
Kij'che,  neben  Andreas  Cretensis,  Cosmas  Hierosolysmitanus 
und  Johannes  Damascenus ,  auch  die  älteren  christlichen 
Meloden ,  deren  Lieder  durch  den  Einfluss  der  genannten 
Dichter  verdrängt  wurden,  ihre  Berücksichtigung  finden.  Zu 
diesen  zählt  natürlich  auch  der  h.  Sophronius,  der  berühmte 
Erzbischof  von  Jerusalem  im  siebenten  Jahrhundert,^)  von 
dem  nur  zwei  kleinere  Gedichte  in  die  gegen  das  Ende  des 
Mittelalters  redigirten  Sammlungen  griechischer  Kirchenlieder 
(Menäen ,  Triodium,  Pentecostarium)  Aufnahme  gefunden 
haben.  ^)  Als  wir  nun  die  verschiedenen  Sammelausgaben 
von  Angelo  Mai,  Matraaga,  Pitra  und  andern  nachschlugen, 
um  zu  sehen,  ob  von  jenen  Gelehrten  nicht  noch  andere 
Gedichte  der  griechischen  Kirche  publicirt  worden  seien, 
fanden  wir  zu  unserm  Erstaunen  in  dem    4.  Bande  des  von 


1)  Eine  genauere  Bestimmung  der  Lebenszeit  erhalten  wir  durch 
Cedrenus,  der  in  seinem  Geschichtswerk  p.  420  D  die  Wahl  des  Sophro- 
nius zum  Bischof  von  Jerusalem  im  Jahre  629  berichtet. 

2)  Jene  beiden  Lieder  sind:  „Bri&Xnijfj.  iroifxaCov"  xrX.  gesungen 
am  25.  Dezember  (p.  L->3  der  neuesten  Ausgabe  der  Menäen  von 
Bartholomäus  Cutlumusianus,  Venedig  1869),  und  „fwyrj  xv^iov"'  xrk. 
gesungen  am  6  Januar  (p.  65). 


54         Sitzung  der  phüos.-philol.  Classc  vom  11   Juni  1870. 

Mai  veröffentlichten  Spicilegium  Roman  um  unter  dem 
Namen  des  Sophronius  eine  ganze  Reihe  von  Triodieii  und 
anderen  Kirchenlieder  aus  einem  Codex  Vaticanus  pubh'cirt. 
Unser  Erstaunen  wuchs  beim  Durchlesen  der  Lieder,  da  die 
meisten  derselben,  ja  fast  alle  nach  Melodien  (slqiwl)  ge- 
dichtet sind ,  als  deren  Urheber  man  bis  jetzt  den  Cosmas 
oder  den  Johannes  Damascenus  anzusehen  pflegte;  denn  ein 
solches  Verhältuiss  bchien  einen  ganz  neuen  Einblick  in  das 
Alter  der  christlichen  Liederweisen  zu  eröffnen,  und  dasjenige, 
was  man  bis  jetzt  als  Schöpfung  der  Musiker  des  8.  Jahr- 
hunderts ansah ,  in  ein  weit  höheres  Alterthum  zurückzu- 
rücken.  Aber  mit  dem  Erstaunen  wuchsen  auch  unsere 
Zweifel  an  der  Aechtheit  jener  Lieder. 

Einmal  musste  uns  schon  dieses  befremden ,  dass  dar- 
nach Sophronius  bereits  solche  Formen  des  KirchenUedes 
müsste  gebraucht  haben ,  die  erst  im  8.  Jahrhundert  in 
Aufnahme  gekommen  zu  sein  scheinen.  Angelo  Mai  hat 
zwar  jene  Gedichte  des  Sophronius  so  gegeben ,  als  ob 
jedes  derselben  getrennt  für  sich  bestünde ,  und  keines  mit 
dem  andern  zusammenhinge,  aber  schon  die  Ueberschrift 
Triodium,  die  der  Herausgeber  nach  seiner  eigenen  Angabe 
in  der  Vorrede  p.  VIP)  aus  der  genannten  Handschrift  ent- 
nommen hat,  mehr  aber  noch  eine  genauere  Analyse  der 
Gedichte  zeigt ,  dass  immer  mehrere  derselben  zu  einem 
grösseren  Ganzen,    zu  einem  Triodion,    DioJion,  Tetraodion, 


3)  „Dum  Soplironii  scripta  in  vaticanis  praesertim  codicibus 
vestigarem,  incidi  in  amplum  triodium  quoddam,  pulcherrimis  lit- 
teris  antiqua  manu  descriptum ,  atque  ab  hactenus  editis  totum  dif- 
ferens,  optimi  generis  et  prorsus  orthodoxi.  Melodi  in  eo  loquuntur 
Antonius  monachus ,  Clemens  quidam,  Johannes  monachus  (scilicet 
Damascenus)  Josepbus,  Leo  despota,  Sergius,  Sophronius,  atque  Stu- 
dita  Theodorus,  copiosissimi  quidem  omnium  Sophronius  ac  Theo- 
dorus.  Ego  vero ,  reliquis  omissis ,  Sophronii  tarnen  gratia  non  re. 
cusavi  laborem  omnia  oxcerpendi,  quae  nomine  ejus  inscripta  erant." 


ParaniJcas:    Triodium  des  h.  Sophronius.  55 

oder  ganzen  Canou  zusammen  gefasst  werden  müssen.  Die 
erstercn  jemr  Gediclitarten  aber,  die  Diodieu,  Triodieu  und 
Tctraodien ,  wurden  von  dun  Meloden  nur  als  Theile  des 
vollständigen,  aus  neun  Oden  (ojdca)  bestehenden  Canon  auf- 
gefasst/)  und  die  Form  der  Canones  selbst  lässt  sich  nicht 
über  das  achte  Jahrhundert  zurück  verfolgen ;  wenigstens 
sind  die  grossen  Gedichte  des  Romanus ,  des  berühmten 
Meloden  des  6.  Jahrhunderts,  weder  in  den  Ausgaben,  nocli 
in  den  Handschriften  nach  Weise  der  Canones  in  acht  oder 
neun  Lieder  getheilt ,  und  zeigen  auch  in  ihrem  Inhalt  und 
ihren  Melodien  keine  Spur  von  einer  derartigen  Eintheilung. 
Es  spräche  sonach  gegen  unsere  ganze  Kenntniss  von  der 
Entwickelung  des  griechischen  Kirchengesanges,  wenn  bereits 
Sophronius  geraume  Zeit  vor  Joh.  Damascenus  die  Formen 
des  Canon  und  des  Triodions  angewendet  hätte. 

Sodann  könnte  man  es  sich  wuhl  gefallen  lassen,  wenn 
bloss  eine  und  die  andere  Melodie  des  Cosmas  und  Johan- 
nes sich  als  älteres  Erbtheil  der  griechischen  Kirche  erweisen 
würde;  aber  dass  die  Mehrzahl  der  Hirmen  jener  Meloden 
bereits  von  einem  älteren  Dichter,  unserem  Sophronius,  an- 
gewendet sein  sollte,  dagegen  spricht  doch  alle  Ueberlieferung. 
Denn  wie  käme  unter  anderen  Suidas^)    dazu  den  Johannes 


4)  Diese  Auffassung  findet  in  den  Ausgaben  und  bereits  in  den 
Handschriften  darin  ihren  Ausdruck,  dass  von  den  drei  Oden  die 
beiden  letzteren  als  achte  und  neunte  Ode  bezeichnet  werden.  Dass 
aber  diese  Meinung  bereits  von  den  Dichtern  selbst  getheilt  wurde, 
zeigt  die  ^yahl  der  Melodien;  denn  dem  zweiten  und  dritten  Liede 
eines  Triodions  liegen  durchweg  solche  Melodien  zu  Grunde,  die  ur- 
sprünglich der  achten  und  neunten  Ode  eines  Canon  eigenthümlicli 
waren. 

5)  Suidas:  .'Jwdii'r,^  6  Jducisxr^vog.  6  snixltiS-etg  Mupaov().  ccvriQ  'Atel 
(clrog  sXXoyiixohuros,  ovöfi'os  6tiTi(ios  ttZv  xta^  avtoy  iu  rrcdSucc  Xufj.- 
ijjüvxuiv.  (Ti<yyQicuuf(t(c  cciTov  rrut'v  rroXXu  xcci  uaXiirr«  (fiX6ao(fc<,  a'g 
TB  Trjp  d-fiHv  y(}cc(fTji'  n c(Q('c7Jkr^ot  z«t'  £xXoyr,y;  xcü  oi   c<<ytx(atxoi  xarovtg. 


56  Sitzung  der  pMlos.'philol.  Gasse  vom  11.  Juni  1870. 

und  Cosmas  als  die  berühmtesten  und  unvergleichlichen  Me- 
loden  hinzustellen ,  wenn  sie  nur  den  längst  bekannten  und 
allen  geläufigen  Melodien  neue  Texte  augepasst  hätten? 

Aber  auch  der  Inhalt  jener  von  Mai  herausgegebenen 
Gedichte  machte  uns  an  der  Autorschaft  des  Sophronius 
stutzig;  denn  ähnliche  Gedanken  erinnerten  wir  uns  in  den 
bekannten  Liedern  der  christlichen  Dichter  schon  oft  und 
vielfach  gelesen  zu  haben.  Sollten  aber  wirklich  die  gefeier- 
ten Dichter  des  8.  Jahrhunderts  nicht  bloss  die  Melodien, 
sondern  auch  ihre  Gedanken  einem  später  spurlos  verschol- 
lenen Sophronius  entlehnt  haben,  dann  begriffe  man  wirklich 
gar  nicht  mehr,  wie  die  Gedichte  der  Schule  von  Jerusalem 
zu  einem  solchen  Ansehen  gelangen  konnten ,  dass  sie  die 
früher  in  der  Kirche  üblichen  Lieder  fast  durchweg  ver- 
drängten. 

Da  wir  so  zwischen  Staunen  und  Zweifeln  schwankten, 
veranlasste  mich  Herr  Professor  Christ,  die  Sache  einer 
speciellen  eingehenden  Untersuchung  zu  unterziehen,  und  bald 
führte  mich  eine  genauere  Prüfung  zu  den  überraschendsten 
interessantesten  Resultaten,  die  ich  hiemit  der  gelehrten  Welt 
mittheilen  will. 

Cm  gleich  das  schliessliche  Ergebniss  voran  zu  stellen, 
so  bemerke  ich  in  Kürze :  erstens,  dass  weitaus  die  Mehrzahl 
der  von  Angelo  Mai  als  inedita  publicirten  Gedichte  längst 
gedruckt  ist,  und  zwar  in  den  bekanntesten  Sammelwerken 
der  Liederdichtungen  der  griechischen  Kirche ,  im  Triodium 
und  Pentecostarium,  und  zweitens,  dass  dieselbe,  wenn  nicht 
alle ,  so  doch  in  der  Mehrheit  nicht  von  Sophronius ,  dem 
Erzbischof  des  7,  Jahrhunderts ,  sondern  von  Joseph  dem 
Hymnographeu  des  9.  Jahrhunderts  herrühren. 


itcf^ßixoi  ra  xcu  xcaccT.oyuS^t'.  avyijxuusf  6'  air'Z  xcci  Koafxüg  o  E§  'Ifgo- 
aoXvuiov,  «>'jj^  ficftiaTccTog  xcci  ttveiüv  uoiaur,i'  oXiog  ttjV  epciquoviov. 
Ol  yotv  ^aficauol  xafoyfs  'liodyyov  rt  xai  Koafia  avyxQtaiv  ovx  iSe- 
^avro.  oi6k  Se'^ccn'to  av  ,«f/p'?  o  xud-''  i^f^ccg  ßiog  Tifgatio^ijafTat. 


ParaniJcas:   Triodium  d£S  h.  Sophronius.  57 

Das  Buch  Triodium  (Tqio^Siov) ,  eines  der  erwähnten 
drei  Hauptsammelwerke  der  griechischen  Kirchengesänge, 
enthält  die  Lieder  der  Fastenzeit  bis  zum  Vorabende  von 
Ostern.  Seinen  Namen  hat  es  von  den  aus  je  drei  Oden  be- 
stehenden Triodien,  die  in  diesem  Buche  eine  hervorragende 
Rolle  spielen,  während  sie  weder  in  den  Menäen,  welche  die 
Kirchenheder  der  verschiedenen  Monate  des  Jahres  enthalten,^) 
noch  in  dem  Pentecostarium  ,  dem  Gesangbuche  der  Fest- 
tage von  Ostern  bis  zur  Woche  nach  Pfingsten ,  häufig  vor- 
kommen. 

Die  Triodien  nun  gehen  vom  Montag  der  der  Fastenzeit 
vorausgehenden  Woche  (V^  ißSofiaSi  vfjg  tvQivrfg^  sig  zöv 
oQ^Qov)  an  und  erstrecken  sich  bis  zum  Freitag  der  Woche 
vor  Palmsonntag  (Vwv  ßa'ioov) ;  sie  rühren  zum  weitaus 
grössten  Theil  von  den  Hymnographen  Joseph  und  Theodorus 
her ,  die  ausdrücklich  in  der  Ueberschrift  als  Verfasser  ge- 
nannt sind. 

Das  Triodium.  welches  A.  Mai  herausgegeben  hat,  muss 
eigentlich  dem  Gebrauche  der  griechischen  Kirche  nach  in 
zwei  Theile  eingetheilt  werden :  1)  in  das  eigentliche  Trio- 
dium für  die  Fastenzeit  (p.  126—171),  und  2)  in  das  so- 
genannte Pentecostarium ,  welches  die  Kirchenlieder  von 
Ostern  bis  zum  Tage  vor  Pfingsten  umfasst  (p.  171  —  225). 
Die  Triodien    des   ersten  Theiles    nun    sind ,    mit  Ausnahme 


6)  Triodien  finden  sich  ausser  im  Triodium  noch  1)  für  Christi 
Geburt  (Weihnachten),  December  p.  138. 147. 153. 162.  2)  für  die  Taufe 
Christi  (Epiphanie),  Januar  p.  13.  21.  3)  für  die  Transfiguration  Christi, 
August  p.  26.  Beiläufig  bemerke  ich,  dass  das  Triodium  seine  heutige 
Form  schwerlich  vor  dem  14.  Jahrhundert  erhielt;  das  schliesse  ich 
aus  der  Akoluthie  des  hl.  Gregorius  Palamas,  Erzbischofes  von  Thessa- 
lonich, die  nach  der  ausdrücklichen  Angabe  des  Triod.  selbst  p.  170 
erst  im  Jahre  1368  gedichtet  wurde;  damit  soll  aber  nicht  geleugnet 
werden ,  dass  es  schon  vor  dem  14.  Jahrhunderte  andere  ähnliche 
Triodia  gegeben  hat. 


58  Sitzung  der  pMos.-phüol  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

der  zwei  letzten  verstümmelten  Odeu  (p.  170—171:  „2vv€X- 
^ovTtg  Ssvra  .  .  .  ds^ccfjisvov")  im  ?yx-  ß'  (s.  Dainabc.  im 
Üctoecli.  [).  41  und  Joseph  im  Triod.  p.  67)  uicLts  anderes, 
als  die  eben  erwähnten  Lieder  des  Hymuographen  Joseph; 
und  wenn  A.  Mai  das  jetzige  Triodium  der  griechischen 
Kirche  nachgeschlagen  hätte,  so  würde  er  eingesehen  haben, 
dass  alle  die  von  ihm  als  unbekannt  edirten  und  dem  So- 
phrouius  beigelegten  Triodien  ganz  bekannt  sind ,  und  der 
Ueberlieferung  nach  dem  Joseph  zugeschrieben  werden. 
Dass  aber  die  Ueberlieferung  unverfälscht  ist ,  und  Joseph 
wirklich  der  Dichter  der  Triodien  ist,  will  ich  noch  genauer 
rechtfertigen. 

Diejenigen,  welche  sich  mit  der  griechischen  Hymno- 
graphie  beschäftigen,  wissen  wohl,  dass  das  sicherste  Zeug- 
niss  über  die  Autorschaft  der  einzelnen  Gesänge  in  der 
Acrostichis  enthalten  ist,  in  der  ganz  gewöhnlich  der  Dichter 
seinen  Namen  eiugeflochten  hat.  Wir  finden  diese  Sitte 
bereits  schon  bei  Romanus ,  dem  grossen  Meloden  des 
6.  Jahrhunderts  (s.  Pitra  Hymnographie  de  l'eglise  grecque 
p.  47).  Cosmas  und  Johannes  Damascenus  scheinen  dieselbe 
nicht  befolgt  zu  haben ;  hingegen  hat  wieder  Joseph  in  allen 
seinen  Cauones  am  Schlüsse  der  Acrostichis  seinen  Namen 
gesetzt;  eben  diesen  Namen  'Icoai](p  finden  wir  nun  auch 
in  der  Acrostichis  mehrerer  von  A.  Mai  herausgegebenen 
Triodien;  so  stehen  bei  Mai  p.  138—139  drei  Lieder 
j^O/Lißgoig  iaßeaars  .  .  .  ."  bis  „  .  .  .  ßaOiXsvovzi^^  die  dem 
Tetraodion  des  Sonnabends  der  zweiten  AVoche  der  Lasten- 
zoit  entsprechen;  dasselbe  hat  im  Triud.  p.  167  die  Auf- 
schrift „Texqacndiov ,  noi'T]fia  Icoorjcp,  ov  i]  dxQoOnx^g.  'O 
viivoc,  ovTog  'IcüOij^.''^  Und  in  der  That  geben  die  An- 
fangsbuchstaben der  einzelnen  Strophen  der  4  Oden  den 
verlangten  Satz:  d  vfivog  ovrog  Ycoar^tp;  in  der  Ausgabe 
von  Augelo  Mai  stellen  sich  aus  den  Initialen  freilich  nur 
die  Worte   .  .  og  ovrog  'Ioai](f   zusammen;     aber    das   rührt 


Paranikas:  Trlodium  des  h.  Sophronius.  59 

daher,  weil  in  derselben,  wie  so  oft,  das  Tetraodion  um  eine 
Ode,  die  sechste,  verstümmelt,  und  in  der  ersten  Strü|)he 
der  neunten  Ode  ,'^O^^r]T€  ^sToi  tug  av^Qaxeg"  statt  j^iicf^iiie 
i>.  (o.  «'.  fälschlieh  geschrieben  ist;  jedenfalls  haben  ^Yir 
auch  bui  Mai  in  der  Acrostichis  den  entscheidenden  Namen 
'I(oar^<f.  Vollständig  ferner  stimmt  das  Tetraodion  am 
Sonnabend  der  dritten  Woche  der  Fastenzeit  (Triod.  p.  198) 
mit  den  vier  Liedern  bei  Mai  p,  145 — 147  ,,^t/<«Twv  Tqqdsv- 
Oat€ .  ."  bis  „.  .  f^iccxaQi^ovTi,''  deren  Acrostichis  lautet: 
„adei  lavTcc  o  'I(üGi](f(f  (sie)".  Endlich  vereinigen  sich  auch 
noch  die  Anfangsbuchstaben  der  drei  Lieder  bei  Mai  p.  161 
bis  1G3 :  „'H vneQcpwzog . . ."  bis  „^vfiiafjicc^'  zur  entscheidenden 
Acrostichis  ,5...  rj  (ndrj  rov  '/wöT^'y.";  auch  hier  ist  im 
Triod,  p.  285  —  291  zum  Sonnabend  der  fünften  Woche  das 
Tetraodion  vollständiger  gegeben,  so  dass  sich  daselbst  auch 
noch  der  vollständige  Satz :  „ccvrrj  rf  rjjj»/  tov  'lcoarj(f^^  als 
Acrostichis  ergibt. 

Am  Freitag  der  Woche  vor  Palmsonntag  endigen  im 
Triodium  (p.  319)  die  Lieder  des  Joseph  und  folgen  dann 
diu  älteren  Triodien  des  Andreas  Cretensis ,  Cosmas  und 
D^imasceuus  vom  Sonnabend  derselben  Woche  bis  zum  Char- 
mittwoch  (Triod.  p.  329.  342.  344.  349.  352.  355.  357.  362.) 
auch  in  dem  Buche  von  Angelo  Mai  steht  jenes  letzte  Trio- 
dion p.  168 — 169:  j/Ett«  OzavQov  xvqit . .  .'^  bis  „. .  .(pQixTrj 
60V  .  . .  .  jifjir^v'^'  (vgl.  Triod.  p.  317  — 319),  dann  folgen  aber 
zwei  weitere  Lieder  (p.  169 — 171),  die  im  Triodium  nicht 
stehen  und,  so  viel  ich  weiss,  hier  zum  ersten  Male  heraus- 
gegeben werden.  Das  erste  ist  ein  verstümmeltes  Triodion, 
von  dem  die  erste  Ode  ganz,  und  von  der  neunten  Ode  die 
letzte  Strophe  fehlt;'')  dieses  schliesse  ich  aus  den  Anfangs- 
buchstaben; denn  die  Acrostichis  tsqcc 'IcoOrjyj  der  erhaltenen 


7)  Das  Gedicht  ist  im  ^/.  7t?..  6'  gesetzt-  Vergl.  die  Ilirmen  bei 
Damasc.  im  Octoech.  p.  169—170  (ed.  Venet.  a.  1869). 


60  Sitzung  der  phüos.-philol.  Gasse  vom  11.  Juni  1870. 

Strophen  muss  offenbar  zu  {rfl  SsvIreQa  'IcoaTf}^  ergänzt 
werden.  Dasselbe  war.  wie  es  scheint,  bestimmt,  am  Mon- 
tag der  Charwoche  in  der  Frühe  gesungen  zu  werden ,  an 
welchem  Tage  jetzt  nach  dem  gebräuchlichen  Triodium  ein 
Lied  des  Cosmas  (rfj  Sswega.  Triod.  p.  344)  gesungen  wird ; 
merkwürdiger  Weise  stimmen  sogar  die  Strophen  der  achten 
Ode  fast  wörtlich  mit  den  Strophen  der  achten  und  neunten 
Ode  des  Triodion  von  Cosmas  übereiu ,  wie  aus  der  nach- 
folgenden Vergleichung  klar  wird. 

„Torf  ifxoi  yywaS-ijrrfaS-f  /uad-rjui ,  aoJreQ  sXfgag,  ots  iyzoXwy  ix- 
nXtjQural  ysyriaea&e  ifiwi':  olaTreg  e^Tjaa ,  i^eXoyrl  ig^ofifyos  ndßos 
TtQos  aenxov ,  6i^  ov  aTtuS-uay  Tiäg  ns  Kofiiafxcci  xgavya^wy.  iegeis 
ciyvfxyiCTS  .  .  /'     (Spicil.  p.  169). 

.,^YfA,üg  fxov  roTf  fxad-r^Tdg  rcaytig  yycüaoyTut,  it  tag  iuceg  ivroXcig 
Tr]Qija(T& ,  (prjdcy  o  aiorriQ  totg  (piXoig  ngog  nd&og  /uoXwy  . .  ."  (Cosmas 
im  Triod.  p.  346). 

,,'Ey  iuiiTotg  rccrt&ü'Ujaty  dXr/S-^  nfQKfiQoyrig,  x6y  ruTifiyioSEyru  fie 
^foy  fitfii](jcca&e,  roig  (piXoig  ißorjaag,  Ttd&og,  XgtaTf.  Ttgog  3-eloy  fioXwv. 
6  oiy  vxpr^og  d-iXujv  yeyiaS-ui  xccl  rtQUJrog ,  rwy  TidyTwy  äovXog  eazui 
Tfl   TXQoS-iaft)  XQKvyd^wy  . .  .'•'     (Spicil.  p.  169). 

„ . . .  fiQTjyfvfTS  iy  iuvToTg  xcd  rräai  •  xccl  rccrtiiyic  (pQovovvteg  dyv- 
ipcuSijrs  . .  ." 

„•••0  ody  TZQoxotrog  iv  viuTy  fh-nt  S-iXcoy,  rüy  dXXioy  eatu)  ndv- 
Tioy  ia^caojTfpog  . .  .'■'     (Cosmas  im  Triod.  p.  346). 

./Pirrov  Ticc&öjy  toi  awfuurog  xccl  yji'XV^  ixxttd-dQUifify  . . ."  (Spicil. 
p.  169). 

„'^Pvrcoy  rrdyrce  ifirta^rj  drtwadfieyoi . . ."  (Cosmas  im  Triod.  p.  346). 

Hierauf  kommt  bei  A.  Mai  ein  verstümmeltes  Triodion 
(p.  170 — 171,  wovon  bloss  die  erste  Ode  im  rj^  ß'  (vergl. 
Damasc.  in  Octoech.  p.  41)  erhalten  ist,  wo  das  Oel  der  zehn 
Jungfrauen ,  die  Ankunft  des  Bräutigams ,  der  Verrath  des 
Judas  erwähnt  wird.  Seine  Acrostichis  „^sm  .  . ."  lautete 
vielleicht  vollständig  ,,2£TtTfj  zQirrj  rg" ,  analog  der  des 
Cosmas  „TjOiTv;  rt"  (Triod,  p.  352);   denn  dem  Dienstag  der 


ParaniTcas:    Triodium  des  h.  Sophronius.  61 

Charwoche  möchte  ich  dieses  Lied  zuweisen,  weil  an  diesem 
Tage  wirklich  der  obengenannten  Parabel  und  des  Verraths 
des  Judas  Erwähnung  geschieht.  (Triod.  p.  351.  352). 

Endlich  steht  im  Spicil.  p.  171  im  rjx.  ß'  (Der  Hirmus 
bei  Joseph  im  Triod.  p.  67)  die  erste  OJe  eines  verstümmelten 
Triodions,  wo  wieder  des  Verräthers  Judas  und  der  Porne 
gl 'dacht  wird.  Dieses  Gedicht  mit  der  Acrostichis  „Ti]v 
Tia .  .  ."  scheint  dem  Charmittwoch  anzugehören,  an  dem 
jetzt  ein  Triodion  des  Cosmas  gesungen  wird  (Triod. 
p.  356.  357). 

Alle  bisher  besprochene  Triodien  gehören  ausschliess- 
lich der  Fastenzeit  und  folgerichtig  dem  Gebiete  des  eigent- 
lichen Triodiums  an.  Die  nachfolgenden  Gedichte  aber  bei 
A.  Mai  (p.  171 — 225)  gehören  dem  Pentecostarium,  weil  sie 
Canones,  Diodien  und  Triodien  sind,  welche  dem  Zeitraum 
von  Ostern  bis  zur  dnodoGig  des  Himmelfahrtsfestes  an- 
gehören. 

Das  jetzige  Pentecostarium  enthält  hauptsächlich  die 
Akoluthien  der  Sonntage  von  Ostern  bis  zum  Allerheiligen- 
tag. An  jedem  Sonntag  kommt  ein  CanuU  vor,  nämlich  der 
Canon  der  Auferstehung  von  Damascenus  ('AvaOTaOewg 
r]fi€q(x .  .  .  Pentec.  p.  2) ,  der  zunächst  für  den  Ostersonn- 
tag bestimmt  ist  und  an  sämmtlichen  Sonntagen  bis  Himmel- 
fahrt wiederholt  wird ;  ferner  ein  zweiter  Canon  für  den 
nächsten  Sonntag  nach  Ostern  (tov  'AvxCnaOxa  rj  tov  Ocofiä) 
j^AiacofKv  ndvzsg  XaoV'  von  Johannes  Monachus ,  und  dann 
Canones  von  Andreas  Cretensis,  Joseph  Thessalouicensis  und 
Theophanes  für  die  folgenden  Sonntage. 

Der  entsprechende  Abschnitt  im  Triodium  des  A.  Mai 
(p.  171  —  225)  weicht  sehr  bedeutend  von  dem  eben  analy- 
sirten  Texte  des  jetzt  gebräuchlichen  Pentecostariums  ab; 
er  zerfällt  selbst  wieder  in  zwei  Theile,  von  denen  der 
erste  Canones    (p.  171  — 191:    „"Ev  xi\ußäXoig  vvv  . .  .   ^eov 


62  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

xt;if](Ja(Ja.'9?  de^'  zweite  Diodien  und  Triodien  (p.  191 — 225: 
,,T&"  öTavQ^)  Oov  Xvöai .  . .  noQ£va(üf.im.")  enthält.  Alle 
diese  Gedichte  mit  der  einzigen  Ausnahme  des  Canons  am 
Vorabend  (naQafxov^)  der  Himmelfahrt  (Pentec.  p.  138 — 142, 
bei  Mai  verstümmelt  p.  215 — 216)  sind  dem  jetzigen  Pentc- 
cobtarium  der  griechischen  Kirche  unbekannt. 

Die  Canones  bei  A.  Mai  sind  sechs  an  der  Zahl  und 
haben  alle  die  Auferstehung  Christi  zum  Inhalt;  es  kommen 
f]or  Reihe  nach  der  Canon  im  ^x-  ß'  in  acht  Oden  (p.  171  — 
174:  „El'  xvfißdXoig  .  .  ."  bis  ,,.  •  •  ^<^'e  ipvx^i  ijfjiwv.'^  Die 
Hirmen  bei  Damasc.  im  Octoech.  p.  51 — 48),  der  im  rjx-  y 
in  neun  Oden  (p.  174—178:  'O  %d  vöuta  ndXai  .  .  }'■  bis 
„ . . .  sxaXXconiasv'^.  Die  Ilirmeu  bei  Damasc.  im  Oct.  p.  58—65. 
Cosm.  Febr.  2),  der  im  fjx.  6'  in  sieben  Odeu^)  (p.  175 — 
181 :  „Ev(fQaiveO^€  ovgavol .  .  .''  bis  j,.  .  .  T^Xev^€Qc6&t]fi€v'^. 
(Die  Hirmen  bei  Damasc.  im  Oct.  (p.  79 — 85),  der  im  rjx. 
nX.  a  in  neun  Oden  (p.  181 — 184:  ,'^OXoc,  sni^viiia  .  . ."  bis 
„.  . .  €OQTä^o[ji,€v.^^  Die  Hirmen  bei  Damasc.  im  Oct.  p.  99  — 
107.),  der  im  »f/.  nX.  ß'  in  acht  Oden  (p.  184—188:  „Mw- 
(J^g  stvnov  .  .  .^'  bis  „  .  .  .  fisyaXvvovrccg."  Die  Hirmen  bei 
Cosmas  im  Triod.  p.  364 — 368),  endlich  der  im  ijx.  ßccQvg  in 
acht  Oden  (p.  188  — 191:  i,SvXo^  zrjv  6id  ^vXov .  .  .  bis 
,,. . .  xvrjaaaa^'.  Die  Hirmen  bei  Damasc.  im  Oct.  p.  140 — 149). 
Dieselben  gehören  mit  ihren  Theotokien  offenbar  den  Tagen 
der  Osterwoche  an,  wo  noch  bis  auf  die  Gegenwart  an  den 
einzelnen  Tagen  die  Auferstehungslieder,  ncämlich  der  Ostern- 
canon und  die  übrigen  dxoXovd^iai  dvaaTdai[.ioi  von  Joh. 
Damascenus    in    den   verschiedenen,  Tonarten ,    mit    einziger 


8)  Ein  Canon  von  sieben  Oden  gibt  es  nicht,  und  konnte  es 
nach  dem  Ursprung  des  Canons  nicht  geben;  es  niuss  also  hier  eine 
Ode  entweder  in  der  Handschrift  fehlen,  oder  von  A.  Mai  übersehen 
worden  sein. 


Paranikas :    Triodium  des  h.  Sophronius. 

Ueberspringung  des  ijxo?  ßctQvg,  gesungen  werden  (Peutec. 
p.  2 — 21),  und  zwar  so,  dass  auf  Osternsonntag  der  rjx.  et' 
fällt,  auf  Montag  der  weissen  Woche  (6iaxaivr^0ii.iov  ißdo- 
fictöog)  der  i]x-  ß\  auf  den  Dienstag  der  ?fx-  /.•  u.  s.  f.  bis 
auf  den  Sonnabend,  wo  der  /Jx-  ^^-  ^'  gewählt  ist. 

Während  also  jetzt  an  allen  Tagen  der  Woche  nach 
Ostern  derselbe  Auferstehungscanon  gi.sungen  wird,  scheint 
uns  in  dem  cod.  vatic.  von  Mai  ein  Riiual  vorzuliegen,  wo- 
nach gleichfalls  an  jedem  T:ige  mit  dem  »;xog  gewechselt 
wird,  j  ■dem  anderen  r^x^S  '^ber  auch  ein  anderer  Text  unter- 
legt ist.  Wir  dürfen  demnach  wohl  die  Vermuthung  aul- 
stellen,  dass  der  erste  Osterncanon  bei  Aug.  Mai  im  )]%.  ß' 
am  Montag  nach  Ostern,  der  zweite  im  r^x.  y  am  Dienstag, 
endlich  der  siebente  im  ?fx-  ßctQ^q  am  Sonnabend  gesungen 
wurde;  es  muss  uns  aber  dieses  V'erhältniss  um  so  wahr- 
scheinlicher rrsch-dnen ,  da  diese  sieben  Canones  mit  dem 
xaroor  dvctOTctOtiiog  das  gemeinschaftlich  haben .  dass  sie 
sich  sämmtlich  auf  die  Auferstehung  beziehe:^. 

Fragt  man  nun  abt-r  water,  von  wem  diese  Canones 
gedichtet  sind,  so  lässt  uns  hier  das  oben  mit  so  vielem 
Glück  benützte  Kriterium  im  Stich;  denn  keiner  derselben 
lud  eine  Acrostichis ,  so  dass  man  nicht  ganz  sicher  Joseph 
als  Verfasser  vermuthen  kann,  zumal  dieser,  wie  oben  be- 
merkt, regelmässig  in  seinen  Cauones  eino  Acrostichis  anwendet, 
und  in  deisdben  seinen  Namen  Ucunt.  Das?  aber  auch  hier 
nicht  an  den  cdtehi'würdigen  Sophionius  gedacht  werden 
darf,  das  zeigen  erstens  die  Hirmen ,  welche  mit  einigen 
kleinen  Abweichungen  identisch  sind  n.it  den  von  Damascenus 
und  Cosmas  gediichtelen ,  und  zweitens  die  üebereinstimm- 
ungeu  mehrerer  Gedanken  jener  Canones  mit  ähnlichen 
Stellen  im  Joh.  Damascenus  und  Cosmas.  Zum  Beweise 
setze  ich  einige  besondere  einleuchtende  Fälle  in  extenso 
hieher: 


64  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 


Spicil. 
im   ersten  Canon. 

p.  172.  5  Od.  2Str:  Ivyet^sxgov- 
firjy  aoi  X^^S  t'fffXQCOfj.Ei'ü)  Si*  E(XE, 
XvQie ,  a-^[X((}oy  6s  av^dooirotovfxca 
^uiriu  uXrj&ty^y  .  .  . 

p.  173.  7  Od.  IStr.:  XfjtarosyicQ 
To    oiXQOVop    (füig    xctl    dvojXed-Qov 

rißTQttlpfV  •  • . 

im  zweiten  Canon. 

p.  176.  4  Od,  2  Str. :  näaxa  iog- 
rajy  eoQXri  XafiitQct  xai  nayijyvgtg 
naaäjy  nc(yriyvQfU)i/ . . . 

p.  177.  7  Od.  3.  Str.:  Fwccixtg 
aTto  -S-ias  ygcccpixUig  6t  vre  ai]f^f- 
Qov  x§  Ziwy  ivayyi'kiaaad-e  Trjy 
eyfQüty . . . 

im  vierten  Canon. 

p.  182.  4  Od.  2  Str.:  rwaixfg 
[Xfxd  jUv(i(oy  d-tocfQoyfg  ,  ri  iv  T(S 
T€(<pio  (og  ^ytjToy  X(jiar6y  ^rjTetTe  .  ■ . 


Damasc. 
im  Ostercanon. 

Pentec.  p.  2.  3  Od.  3  Str. :  X&k 
avve&umofirjf  aoi  X^iaxe,  awf- 
yeiQOfiai  OTJfjf^oy  avaarnpTi  aot. 
avyearccvQOv firjy  aot  /^f?  •  •  • 

Pentec.  p.  4.  7  Od.  4  Str. :  . . .  eV 
■fi  TO  axQoi'oy  (pwg  £x  rucpov  auj- 
fxuTixwg  Tiüair  ETiiXccfitpfu. 


Pentec.  p.  4.  8  Od.  1  Str. :  ^vTt) 
■^  xXriTrj  xai  dyi'a  T^^fp« . . .  eoQTMv 
eoQTrl  xai  TtayijyvQig  iari  navri- 
yv^füjp . . . 

Pentec.  p.  5.  2  Str.  rcof  aiyojy. 
Jfvxf  fCTto  d-Eag  yvuatxeg  evccyye- 
"kiaxQiat  xai  xrj  2!iwy  einare  •  6exov 
TXUQ  '^fj.wu  j«(>«f  eiayysXia  r^f 
äyaaxdafcog  Xqioxov  ■  • . 


Pentec.  p.  4,  7  Od.  2  Str.:  Fv- 
yaixfg  ^axd  fj,vQMv  S-(6(pQovfg  oni- 
ffW  aov  E6Qa[iov,  oy  6e  wg  d-yrixoy 
/Hfxce  6aXQvü)y  E^i^xovy  TXQoßfXv- 
vriaay .  -  ■ 


im  fünften  Canon. 

p.l85.  4 Od.  2 Str.:  ~£i lEQoixcaoy 
Tidaxa  Ttayxog  xov  xoafiov  xaS-dg- 
aioy,  "koyf  &(ov  xai  6vyafiig,  6i6ov 
xaS-a^wg  fj.fXExfiy  aov  "^f^dg  xovg 
fikiXQiyit  as  yytifiT}  evafßwg  6o- 
^d^oyxag  dei  ix  yfXQüiy  dyaaxdy- 
ttt  TQirj^EQoy, 


Pentec.  p.  4.  9  Od.  3  Str.:  ~il 
Tidaxa  xo  fisya  xai  lEQtJxaxoy 
XQiaxi.  cö  ao<fia  xai  Xoye  xov 
■9-fov  xai  6vyafiig.  6i6ov  i^/niy  Ex- 
xvTTüjXfQoy  aov  fisxaaxftf  i*'  ^ß 
dyeanEQta  ri[iiQ((  xijg  ßaaikfiag  aov. 


Paranilcas :    Triodium  des  h.  SoplironiKS.  65 

Diese  Stellen  mögen  genügen,    um   den   vorangestellten 
Satz  zu  beweisen ;  im  übrigen  beschränke  ich  mich,  um  Tinte 

uni.l  Papier   zu    sparen ,  auf  den  blossen  Hinweis  der  über- 
einstimmenden Stellen : 

im  ersten  Canon  (p.  171  — 174). 

M.   1  Oll.  2  Str.  Dam.  4  Od.  3  Str. 

M.   1  Od.  3  Str.  Dam.  4  Od.  3  Str. 

M.  3  Od.   1  Str.  Dam.  6  Od.  1  Str. 

M.  3  Od.  2  Str.  Der  Vers  von  David  imPentec.  p.  2. 

M.  3  Od.  3  Str.  Dam.  6  Od.  3  Str. 

M.  6  Od.   1  Str.  Dam.   1  Od.    1  Str. 

M.  6  Od.  2  Str.  Dam.  5  Od.  3  Str. 

M.  6  Od.  4  Str.  Dam.  6  Od.  2  Str. 

M.  7  Od.  3  Str.  3  Str.  tmv  ahcov. 

M,   8  Od.   1  Str.  4  Str.  rwr  cd'vcov. 

M.  9  Od.  2  Str.  Dam.  3  Od.  2  Str. 

M.   9  Od.  3  Str.  Dam.  7  Od.   3  Str. 

im  zweiten  Canon  (p.  174  — 178). 

M.  8  Od.    1  Str.  Dam.  5  Od.  2  Str. 

M.  8  Od.  3  Str.  Dam.   7  Od.  3  Str. 

M.  9  Od.  3  Str.  Dam.  5  Od.  2  Str. 

im  vierten  Canon  (p.  161  — 184). 

M.  6  Od.   1  Str.  Dam.  6  Od.  2  Str. 

im  fünften  Canou  (p.  1S4 — 187). 

M.  3  Od.   3  Str.  Dam.  7  Od.  4  Str. 

M.  .5  Od.   1  Str.  Dam.  6  Od.    1  Str. 

M.  6  Od.  1  Str.  Dam.  4  Od.  3  Str. 

[1870.  II.  1]  5 


66  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

M.  6  Od.  2  Str.     Cosm.  7  Od.  2  Str.  im  Charsonn- 

abendcanon  des  Triod.  p.  410. 
M.  7  Od.  2  Str.     Cosm.  4  Od.   1  Str.  im  Charsonn- 

abendcanon  des  Triod.  p.  408. 

im  sechsten  Canon  (p.  188—191). 

M.  5  Od.  4  Str.  Dam.  6  Od.  2  Str. 

M.  7  Od.  3  Str.  Cosm.  7  Od.  3  Str.  a.  o.  im  Triod. 

p.  410. 

M.  8  Od.  2  Str.  Dam.  5  Od.  3  Str. 

Nach  jenen  sechs  Canones  folgen  bei  A.  Mai  mehrere 
Diodien  und  Triodien  p.  191 — 215,  welche  alle  avaardöifia 
sind,  und  p.  215 — 225  wieder  andere,  welche  sich  auf  die 
Himmelfahrt  beziehen;  höchst  wahrscheinlich  waren  dieselbe 
bestimmt  in  den  Wochen  von  Ostern  bis  Himmelfahrt  und 
bis  zur  dnodooig  dieses  Feiertages  gesungen  zu  werden, 
welche  Vermuthung  schon  durch  den  äusserlichen  Umstand 
nahe  gelegt  wird ,  dass  die  Zahl  der  Gedichte  fast  genau 
mit  der  Zahl  der  Tage  innerhalb  jener  beiden  Endpunkte 
übereinstimmt,  und  die  rf/ot  der  Reihe  nach  genau  den  am 
Sonntag  'cov  dvxinaöxa  bis  zum  Vorabend  des  Himmelfahrts- 
festes gebrauchten  entsprechen.^)  Dazu  kommt  nun  noch 
der  Inhalt   der  Lieder,    wie  die  Erwähnung  des  Gelähmten 


9)  Pentec.  p.  24 ,  T()ia6ix6s  xavcov  im  ^x-  ^<'-  P-  29  ?  t-o  kwQ'ivov 
rov  7]/ov ,  im  ^/.a.  p.  41,  xvqckx^  rcoy  fAV(io^6()U}y ,  rix -ß'  P*  ^^i 
xv(i.  zov  nuQa'kvrov)  ^x-  7'  P-  ^6»  xvq.  zrjs  a(c[.uc()tiii6os,  ^.  6'.  p.  120, 
xvQ.  rov  rv(plov ,  17/.  nX.  a.  p.  138 — 142,  Tia(jc(fuouTj  rijs  tci^n'kijipfias: 
,yAfuj  TtQos  rov  TiaTSQCc . . .  'If^rly  nc<yijyv()iy  . . ."  Vergl.  Spie.  1)  p.  191 
—192,  Triodion  im  ^/.  «'.  2)  p.  192—193,  Triod.  im  ^x-  «'•  3)  p.  193 
—194,  Diod.  im  ^x-  «'•  4)  p.  194—195,  Diod.  im  ^x-  «'•  &)  P-  195* 
— 196,  Triod.  im  ^x-  «'•  Diese  fünf  Gedichte  sind  für  die  Woche 
nach  Ostern  bestimmt,  wo  auch  der  ^x-  *^'  gesungen  wird  (Pentec.  1 
p.30— 40).    Sodann   1)  p.  196— 197,  Diod.  im  ^x-  ß'-   2)  p.  197— 198, 


Paranihas:    Triodium  des  h.  Sophronius.  67 

(p.  205.  208:  ,^Trf.u(Ti  nccqdXvrov  Ocfiy^ag.  ..'^)  der  Sama- 
titaneriu  (p.  205 :  ,'I^s  2a/j.aQsTTig  yvvi\  Oe  nqosXd^ovOce. 
dvrXf^öai . . .''  und  2^-205:  ^.^avi^erai  xaodi'a...  Oaoxl  ya^ 
ev  yfi  ßudi^wv  ^aj-iageitidi  uhovOi]  Y^yccixl  v6o}Q  ^cov  nu- 
qeöxsv . .  .'•''  und  p.  206:  ,'I6ovaa  yvvrj  2c((xaQshig . .  .^^)  und 
des  von  Christus  geheilten  Blinden  (p.  207:  ,,0at'/iaora  xal 
nuQcidolia  nqäypLaTu ,  xcd  xvcfXovq  d/iijAarovvTO  . .  .^''  und 
p,  211:  ,,näXai  TV(f?.o)  ix  ysvsTrlg  cog  söcoQr^Gco . .  .^')\  denn 
gerade  dieser  Erzählungen  des  neuen  Testaments  geschieht 
in  der  griechischen  Kirche  in  der  Zeit  nach  Ostern  Er- 
wähnung. 

Was  aber  den  oder  die  Verfasser  dieser  Gedichte  an- 
belangt, so  muss  ich  zuerst  die  Gedichte  selbst  auseinander- 
setzen ,    in  Oden  zerlegen ,  die  Acrostichides ,    wo  solche  da 


Triod.  im  ^/.  /?'.  3)  p.  198— 199,  Triod.  im  ^/.  ß'.  4)  p.  200,  Diod. 
im  r,/- ß"-  5)  p.  201,  Diod.  im  r,/.  /?'.  für  die  Woche  rw^  fxvooyoowy 
wo  ebenso   der  ^/.  ß'-  gesungen    wird   (Pentec.    p.  41 — 65).     Hierauf 

1)  p.  201— 202,  Triod.  im  ^/.  y.  2)  p.  203— 204,  Triod.  im  ^/.  /. 
3)  p.  204—205,  Triod.  im  ^/.  /.  4)  p.  205—206,  Triod.  im  ^/.  /.  für 
die  Woche  tov  naoalttov ,  wo  ebenfalls  der  ^/.  y'-  gesungen  wird 
(Pentec.    p.  65  —  94).      Nachher    1)   p.  207  —  208,    Triod.   im  ^/.  ^'. 

2)  p.  208— 209,  Triod.  im  ?,/.  6\  3)  p.  209— 210,  Triod.  im  ^x-  «'. 
eine  Abweichung ,  vielleicht  wegen  des  Feiertages  rü  6'  r^s  /ueao- 
TiivTri-Koarrig.  4)  p.  210— 211,  Triod.  im  f,-/  <5'.  5)  p.  211— 213,  Triod. 
im  ij/.  6' ,  für  die  Woche  rr,g  aauaofhiSog,  wo  wirklich  der  r^/-  S' 
gesungen  wird  (Pentec.  p.  96—119).  Endlich  1)  p.  213—214.  Triod. 
im  ^/.  nX.  u.  2)  p.  214 — 215,  Tquä^iov  TiQotöoxiov  des  Himmelfahrts- 
festes (s.  die  dritte  Strophe  der  neunten  Ode  p.  215).  3)  p.215,  ver- 
stümmeltes Diodion,  welches  als  ganzer  Canon  am  Mittwoche  vor 
Himmelfahrt  im  Pentec.  p.  138 — 142  im  ^/.  ttX.  u  vorkommt,  für 
die  Halbwoche  rov  xvcflov  bis  Mittwoch;  wo  wirklich  der  r^y.  nl.  «' 
gesungen  wird  (Pentec.  p.  120).  Bis  am  Mittwoch  vor  Himmelfahrt 
haben  wir  einen  Anhaltspunkt,  nach  Himmelfahrt  aber  kommen  acht 
Diodien  und  Triodien,  welche  zwar  keine  Reihenfolge  der  ^/o<  haben, 
genau  aber  den  Tagen  nach  dem  genannten  Feste  bis  zur  unoäoais 
desselben  entsprechen  (Pentec.  p.  156—178). 

5* 


68  Sitzung  der  phüos.-philöl.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

sind,  zeigen,  um  erst  dann  einen  Schluss  zu  wagen.    Es  zer- 
fallen aber  dieselben  in  zwei  Gruppen:   1)  in  diejenigen,  welche 
Acrostichides  mit  dem  Namen  des  Dichteis  haben,  und  2)  in 
diejenigen,   welche  entweder  gar  keine  Acrostichis  haben,  oder 
doch  nur  eine  solche,  in  der  der  Name  des  Verfassers  fehlt. 
Zur  ersten  Kategorie  gehören:    1)  Diodion  p.  191 — 192: 
.^To)  aTavQ(i)  Oov  XvOocg . . .''  bis  „...vc^  OvavQcp  avzov'^',  aus 
zwei  Oden,  der  achten  und__, neunten,  im  rjx.  cc'.  wie  aus  den 
Hirmen  erhellt,  welche  sich  bei  Damascenus  (im  Oct.  p.27 — 28) 
finden.     Dieses  Diodion  hat  die  Acrostichis  .,Täd€ 'I(oar](f^'. 
2)    Diodion  p.  192  — 193:    „0QrjeT  Traöa.   ."  bis  „...oAo)' 
iavTO)'\  aus  zwei  Oden,  der  achten  und  neunten,  wahrschein- 
lich der  Bruclitheil  eines  Triodions  oder  eines  ganzen  Canon. 
Dasselbe  ist  im  rjx-  ^^    gedichtet ,    was  ich   wieder  aus  dem 
von  Joseph  (Dezember  28   p.  227)    gebrauchten  Hirmus  der 
9.  Ode  schliesse;  von  demselben  fehlt  ausser  der  ersten  Ode 
die  letzte  Strophe   der   neunten  Ode;     denn    so   Hesse   sich 
eine  Ergänzung  der  verstümmelten  Acrostichis  .,0f^~  7wa>;[5p]" 
zu  dem  vollständigen  Satze  „[«<^«  oder  vfivog]  ^soi  'Io)Grj[(pY^ 
leicht    gewinnen.     3)    verstümmeltes    Diodion    p.  193 — 194: 
^^QävaTov  iS^eXovatcog . . ."  bis  ,,...Tovg  vjiivovvTdg  df",  aus 
der  achten  und  neunten  Ode   im    rj^.  cc'    den  Hirmen   nach, 
welche  Cosmas  gedichtet   hat   (Dezember  25    p.  201 — 202); 
es  hat  die  Acrostichis  ,,0£oV  '[coar](p^\  was  vielleicht  in  dem 
vollständigen  Triodion    zu    ^^'V/^ivsT]  -i^sov  IwOr^g)^'    sich    er- 
gänzte.    4)  wieder  ein  verstümmeltes  Diodion  p.  194 — 195: 
„Jo^(x  T^~  XqiGtbj . .  y'  bis  ,,..  .xo(>ft'oy(7a",    aus  der  achten 
und  neunten  Ode  im  ^x-  ^    tlen  Hirmen  nach,    welche  sich 
bei  Damascenus  in  dem  Ostercanon  (Pentec.  p.  4)  finden ;  es 
hat    die    aus    ,,[T|ur^)]d'm    oder    [^PaA/iwJJm  'looarjcp"^    ver- 
stümmelte Acrostichis    „Jicc    'Icoorjcp'^.      Vgl.    p.  204  —  205. 
208—209.      5)    Diodion  p.  196—197:    „Tov  vipco^evra . . . 
bis  ,,. .  .x«(»tTt",  aus  der  achten  und  neunten  Ode,  im  ^x- i^' 
den  Hirmen  nach,  welche  auch  bei  Damascenus  und  Georgius 


Paranikas:    Triodium  des  h.  SopJironnis.  69 

vorkommen  (Oct.  p.  48.  Dezember  8  .p.  56).  Es  trägt  die 
Acrostichis  „Tad'  'Icoör^tp.''  Triodium  p.  203— 204 :  „^cch- 
IxoTg  dXaXd^w[xsv . .."  h'i's,  ... .  .naQCixh^ösig^\  aus  der  zweiten 
(?),  achten  und  neunten  Ode,  im  r^x-  Y  den  Hirmen  nach, 
welche  Joseph  auch  in  einem  andern  Gedichte  (Pentec.  p.  79) 
angewendet  hat;  die  Acrostichis  lautet:  „9faX{.io)diu  'IcoOri(p.^^ 

7)  Triodion  p,  208  — 209 :  "Vipcoös  aravQcoaiv ..."  bis  ,,...tcc 
^av[iuGia^\  aus  der  ersten (?),  achten  und  neunten  Ode  im 
ij/.  6\  Der  Hirmus  der  neunten  Ode  kommt  bei  Joseph 
vor,  Triod.  p.  42  ,  mit  der  Acrostichis:    ^.^YiKoSiu  '/«(T//^)". 

8)  Triodion  nqosoQTiov  (s.  die  dritte  Strophe  der  neunten 
Ode  p.  215)  am  Himmelfahrtstage  p.  214 — 215:  "SianeQ 
ci'vvipooos ..."  bis  ,, . . .  dvv}.ivo).oyovf.isv  (Jf"  mit  der  Acrostichis : 
'SiiSi]  avri]  'Iwörjcf.^'  9)  endlich  Diodion  p.  215:  ,,'fl  ttqIv 
tfj  d}.ic(QTia . . .  bis  ,.. .  .6o^d^ovrec'\  im  *;/.  nX.  a\  aus  der 
vierten  und  neunten  Ode  des  uns  im  Pentecostarium  (p.  138 
bis  140)  noch  vollständig  erhaltenen  Canon  des  Joseph  für 
das  Himmelfahrtsfest  (dvdX.rjipig) ,  dessen  neunte  Ode  die 
Acrostichis  ^Iu)Or.(f  hat. 

Zur  zweiten  Kategorie  gehören:  1)  Triodion  p,  195 — 196: 
j.Jrjfiog^EßQcacov . .  .^' bis  „.  ,.f.(SYaXin'0}i.iev'-',  aus  der  fünften, 
achten  und  neunten  Ode  im  ^x-  "'  »^^en  Hirmen  nach,  welche 
auch  bei  einem  Anonymus  December  6,  p.  32.  43.  vorkommen, 
mit  der  Acrostichis:  ,,^d^a  zcp  ^€o)'l4f.u^v^^.  2)  Triodion 
p.  197 — 198 :  ,,XeiQi'  Oov  6  noiY^Octg . .  .'•  bis  ,, . . .  deindq{f^sv£^\ 
aus  der  zweiten,  achten  und  neunten  Ode  im  r^x.  ß'  mit  der 
Acrostichis:  .^Xaiort  öcoadv  fxs^^  \  die  Hirmen  der  achten  und 
neunten  Ode  kommen  auch  bei  Joseph  vor  (Triod.  p.  11). 
3)  Triodien  p.  198 — 199:  .,'H  xriOig  -d^scogovOcc . . .''  bis 
,,..  .iJ.axaQiCdvrcov",  aus  dtr  vierten,  achten  und  neunten  Ode 
im  if/.  /S'  den  Hirmen  nach,  welche  von  Damascenus  gedichtet 
sind  (Oct.  p.  42.  46.  47)  mit  der  Acrostichis  „'Hye'q^ri  ö 
acoTr^q'-'.  4)  Triodion  p.  199 — 200:  ,,l4r/;Ai>£g  sv  OTavQO)...'^ 
bis  ,, . . .  jU«xa^t^o,ufv'",  aus  der  vierten  (?),  achten  und  neunten 


70         Sitzung  der  philos.-phihl  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

Ode  im  rjx«  ß'  den  Hirmen  nach ,  welche  auch  bei  Cosmas 
(Triod.  p,  352)  und  Damascenus  (Oct.  p.  28)  vorkommen 
mit  der  Acrostichis  .^^AiOfia  aö<a  tc^  i9-£^~".  5)  Diodion  p.  201: 
,,0£o$  wv  dya^og...^''  bis  ,,. .  .dvvf.ivovvT(ov  (Je",  aus  der 
achten  und  neunten  Ode  im  rfx.  /S'  den  Hirmen  nach,  welche 
Ton  Damascenus  herrühren  (Oct.  p.  47)  und  von  Joseph  be- 
nützt wurden  (Dezemb.  23  p.  168);  es  hat  die  Acrostichis 
^jöf^l'^jitrjV" ,  welche  gewiss  aus  ['^«(J'co]  ^ecp'dixr^v^^  ver- 
stümmelt ist.  6)  Triodion  p. 201  —  202:  „jlvaßdg  slg  vxpog...^^ 
bis  ,,. . .  ^isyaXvv(üfX€v''\  aus  der  ersten  (?),  achten  und  neunten 
Ode  im  1]%.  y  den  Hirmen  nach,  welche  auch  bei  Joseph 
vorkommen  (April  6  p.  32)  mit  der  Acrostichis:  ,,^r€'[(y]r}y 
o  (Twrrf^".  7)  Triodion  p.  204 — 205:  „"ArroQQrjToj  ivcoOsi...'^^ 
bis  ,,. .  .ö(6aavza^\  aus  der  vierten,  achten  und  neunten  Ode 
im  rjx.  y';  es  trägt  die  Acrostichis:  ^^Al'veöig  xvqic^^'- ,  und 
hat  den  Hirmus  der  neunten  Ode  aus  Joseph  Triod.  p.  249 
genommen.  8)  Triodion  p.  205  — 206:  ..JeOf-ioi^i^ievov  ohrig- 
jnov...^^  bis  „. .  .iiisyaXvvofisv^\  aus  der  fünften,  achten  und 
neunten  im  ifx-  /  den  Hirmen  nach,  welche  Cosmas  gedich- 
tet hat  (Febr.  2  p.  13),  mit  der  Acrostichis:  „^o^a  aoi  6 
T>£og".  9)  Triodion  p.  207—208  :  „Jsöfisvaag  vov  sx^qov.  . ." 
bis  „.  ..OvyxardßaOiv^^  aus  der  ersten,  achten  und  neunten 
Ode  im  ijx-  ^  den  Hirmen  nach ,  welche  auch  bei  Damas- 
cenus vorkommen  (Oct.  p.  78.  85)  mit  der  Acrostichis:  „^o^a 
r^'5  &€(»  ?]>wi'".  10)  Triodion  p.  209—210:  „AvrlX^sg  loys . . ." 
bis  „.  ..7Tavafi.cofxrjTs^\  aus  der  dritten,  achten  (?)  und  neunten 
Ode  im  tjx-  ^  ii^ch  den  Hirmen  des  Joseph  (Januar  16, 
p.  126 — 129)  und  mit  der  Acrostichis:  ,^Ah>og  rcp  xvqio)^^. 
11)  Triodion  p.  210  — 211:  „'ß?  vipoo^rjg . . .''  bis  „...fieya- 
lvvo[ji€V^\  im  i]x-  ^  ii^ch  dem  Hirmus  der  neunten  Ode, 
der  den  Joh.  Damasc.  zum  Urheber  hat  (Oct.  p.  95)  und 
mit  der  Acrostichis :  ;,'ß(^^'  ^£(i  nqensi.^'-  12)  Triodion 
p.  211 — 213:  ,,j£0f.iovi.i£vog  deOnota  ...'■'^  bis  ,,&€Oi.irjvoQa^\ 
aus  der  fünften,    achten   und   neunten  Ode   im  rjx.  <?';     die 


Paranikas:    Triodium  des  h.  SopTironius.  71 

Hirmen  finden  sich  bei  Damascenus  (Oct.  p.  81.  85.  86) 
und  Joseph  (Triod.  p.  285.  289.  290);  die  Acrostichis  hautet: 
.Jo^a  T(ü  -d^scp  ■'Aj.u^v^^  13)  Tiiodion  p.  213 — 214:  .,Jia 
xov  xifiiov  oxavqov  . .  .'■''  bis  ,,. .  .dvvfivovOi  (>«"  ,  aus  der 
ersten,  achten  und  neunten  Ode  im  r^x-  ^rA.  a  mit  der  Acro- 
stichis:  yJo^ct  ^£0  7TQ67T£i^^  ]  der  Hirmus  in  der  achten  Ode 
ist  auf  Theodorus  zurückzuführen  (Triod.  p.  163). 

Endlich  stehen  bei  Mai  noch  acht  Diodien  und  Triodien 
ohne  Acrostichis,  welche  sich  auf  die  Himmelfahrt  beziehen, 
und  die,  wie  oben  angedeutet  ist,  für  die  Tage  vor  diesem 
Fest  bis  zu  seiner  dnoöoöiq  bestimmt  sind ;  dieselben  sind 
ohne  Beachtung  der  Aufeinanderfolge  der  Tonarten  also  ge- 
ordnet: 1)  Triodion  p.  216  — 217  :  „IdvaXai.ißavofisvog . .  .'^ 
bis  ,.ßöve  xvQis"  ,  aus  der  vierten  (?) ,  achten  und  neunten 
Ode  im  rx-  ^  ;  ^'6  der  Hirmus  der  achten  Ode  bei  Damasc. 
Oct.  p.  85  zeigt.  2)  Diodion  p.  217—218:  ..UXr^gcoGsig  zd 
£711  y/"?...  bis  ... . .  sv^.oyrjdg  6?'',  aus  der  sechsten  und 
siebenten  Ode  im  rj/.  n/..  J'  dt-n  Hirmen  nach  ,  welche  bei 
Joseph  vorkommen  (Januar  13,  p.  114 — 115).  3)  Diodion 
p.  218 — 219:  ,,'0  f.ioQ(f(o&€ig . .  .^''  bis  ,,..  .i5'-fo/ij;''ro (>«'•,  aus 
der  achten  und  neunten  Ode  im  r^x-  ^^-  ^'j  die  Hirmen 
kommen  bei  Damascenus  vor  (Oct.  p.  169 — 170).  4)  Trio- 
dion p.  219 — 220:  ,;^oiJ  rrfv  inl  y/y?..."  bis  „...ovx  k'h- 
n£v''\  aus  der  ersten,  achten  und  neunten  Ode  im  r^x-  «' 
nach  den  Hirmen  bei  Damasc.  (Oct.  p.  19.  28.)  5)  Triodion 
p.  220 — 221:  ^^^vvcivh^di.urog.  . ."  bis  ,,. .  .vTisodya-S^ov^',  aus 
der  zweiten  (?) ,  achten  und  neunten  Ode  im  r^x-  ß' ;  der 
Hirmus  der  achten  Ode  steht  bei  Damasc.  (Oct.  p.  47). 
6)  Triodion  p.  221— 222:  ,.Tr^v  xardxoiTov . . ,''  bis  „...<fo- 
^a^öix£rog'^ ,  aus  der  dritten ,  achten  und  neunten  Ode 
im  j;x-  Y  ■'■)  die  Hirmen  der  dritten  und  achten  Ode  stammen 
von  Cosmas  (Febr.  2) ,  der  der  neunten  von  Dan.asc.  (Oct. 
p.  65).  7)  Triodion  p.  223— 224:  ,,V  dn-QoOirog . .  .■'  bis 
,,.. . ßaad£iag  aov^\    aus   der   vierten,    achten  und  neunten 


72  Sitzung  der  phüos.-philöl.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 


Ode  im  ^/.  tJ";  die  Hirmen  kelireu  bei  Damasc.  (Aug.  15) 
und  Joseph  (Triod.  p.  283)  wieder,  und  8)  endlich  Triodion 
p.  224 — 225:  ,,0c(vätov  x^«rog..."  bis  „ . . .  7io()svO(0[.iat^\ 
aus  der  fünften,  achten  und  neunten  Ode  im  rjx.  nX.  ß\ 
nach  den  von  Cosmas  gedichten  Hirmen  (nqog  oh  oqx^qi^o}. 
Ndfxcov  naxqumv  ol  [^laxaQiOTol  '  'Anoqsl  ttccOcc  ylwOOa  im 
Triod.  p.  378.  367). 

Ein  äusseres  Erkennungszeichen,  von  wem  diese  letzten 
Lieder  gedichtet  sind,  fehlt  also  hier;  aber  den  Kreis,  wo 
wir  den  Verfasser  zu  suchen  haben,  deutet  auch  hier  wieder 
die  häufige  Uebereinstimmung  derselben  mit  Stellen  bei  Da- 
mascenus  und  Cosmas,  Joseph,  Leo  dem  Kaiser,  den  alvoi 
von  Ostern  an.     Man  vergleiche  nur  wieder: 


Mai  p.  198,  3  Str. :  „fiitcl  yexgcoy 
xi  ^r{telxe  top  ^&vxa\" 

M.  p.  198,  9  Str. :  »xul  wV  vs- 
XQoe  Unvovg  iy  /ufijfxcai  ixiS-r^g 
fj.axQoS'Vf^e .  ■  .•■' 

M.  p.  200,  3  Str.:  .^IvvexQiijjug 
aöov  xovs  fio/^-ovs ,  X(u  xovg  7t f- 
nfÖTjfXEyovg  ip  aägtiq  Xgcarl  6ea- 
fXü)Tc<g  iyeiQeig . . ." 

M.  p.  200,  9  Str.:  ,;'P.<f3rtg7tXa- 

XVXBQCC,     7lCC()d-iv&  .      OVQCCPWV     d-ioy 

^(0()i]ac(au    xov    vtxo    aov  xi/ß-Ev- 
xa  . . ." 


Pentec.  p.  5  [cävoi  3  Str.):  „xi 
i^i}Xecxs  xoi'  ^cöfxcc  fiexd  xwv  ye- 
XQCoy;'' 

Cosm.  im  Triod.  p.  410,  7  Od. 
1  Str. :  ,,£y  tcc(p<o  vexgog  ccTiyovg 
xaxccxid-Etcci . .  .■'■' 

Damasc.  am  Ostermon.  Pentec. 
p.  3,  6  Od.  1  Str. :  ,.--.xai  avyi- 
XQtipug  fxox^ovg  «myi'ovg  xccro^oig 
Tientörjfiiyioy,  Xqioxe  . . ." 

Damasc.  imOct.  p.  13:  „...i6ti/- 
3t}g  TiT.ciTvrfQa  twy  ovQuyaiy  ßcc- 
(jxaaaacc  xov  xxiaxtjy  aov  . .  ■', 


Ferner  vergleiche  man 

M.  p.  203,   7  Str.;    204,  3  Str.;    208,  6  Str.;    209, 

7  Str.;    209,   10  Str. ;    Cosm.  im  Triod.  p.  410, 

9  Ode  1  Str. 
M.  p.  205,  5  Str.     Cosm.  Jan.  6,  p  .  .  . 
M.  p.  206,   1  Str.     Dam.  im  Oct.  p.  91. 
M.  p.  206,  3  Str.     Dam.  im  Oct.  p.  148. 


Paranikas:     Triodium  des  li.  Sophronins.  73 

M.  p.  206,  8  Str.     Dam.  im  Oct.  p.  12. 

M.  p.  207,   2  Str.     Pent.    p.  5    eic  roic  ahovz    von 

Ostern. 
M.   p.  211,  6  Str.     Dam.  im  Uct.  p.  33. 
M.  p.  213,  3  Str.     Dam.  im  Oct.  p.  91. 
M.  p.  216,4  Str.    Dam.  im  Peutec.  p.  15 1 ,  3  Od.  3  Str. 
M.  p.  217,  5  Str.    Dam.  im  Pentec.  p.  152,  5  Od.  2  Str. 

Dazu  kommen  noch  einige  andere  Stellen,  die  vollständig 
mit  ähnlichen  Gedanken  bei  Joseph  übereinstimmen,  wie 

M.  p.  217,   6  Str.;  218,  9  Str. ;  221,  5  Str. ;  Juseph 

im  Pentec.  p.  151,   3  Od.   1  Str. 
M.  p.  218,  6  Str.    Joseph  im  Pentec.  p.  154,   8  Od. 

1  Str. 

Durch  alles  dieses  wird  es  zur  grössten  Wahrscheinlich- 
keit erhoben ,  dass  auch  diejenigen  Gedichte  im  Spicil.  Ro- 
mauum  von  A.  Mai ,  die  keinen  Verfasser  in  der  Acrostichis 
nennen,  nicht  von  Sophronius  herrühren,  sondern  von  einem 
jüngeren  Dichter,  der  nach  Johannes  Damasceuus  und  Cos- 
mas  lebte,  und  mehrere  Gedanken  aus  jenen  gefeierten  m 
aller  Mund  lebenden  Meloden  in  seine  Gedichte  mit  herüber- 
nalim.  Dass  auch  er  jener  Melode  Joseph  war,  auf  den  uns 
die  Acrosticliides  von  nicht  weniger  als  14  Gedichten  führte, 
lässt  sich  zwar  nicht  zur  vollen  Evidenz  beweisen,  aber  durch 
folgende  Erwägung  sehr  wahrscheinlich  machen.  A.  Mai 
fand  über  allen  jenen  Gedichten ,  die  er  aus  dem  Vatican- 
ii:chen  Triodium  im  Spicil.  Romanum  mittheilte,  den  Namen 
eines  Verfassers  geschrieben,  den  er  nun  einmal  Sophronius 
las.  Ist  nun  erwiesen,  dass  in  14  Gedichten  jenes  2(jo(fooviov 
aus  ^I(oör^(p  verschrieben  sein  muss,  so  folgert  daraus,  dass 
auch  in  den  übrigen ,  wo  sich  aus  andern  Gründen  kein 
stricter  Beweis  über  den  Verfasser  gewinnen  lässt,  dass 
2o}(fQoviov   der  flandschrift  aus  demselben  ^IwOi](f  verderbt 


74  Sitzung  der  philos.-pMol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

ist.  Ob  aber  wirklich  eine  Corruptel  in  der  Handschrift  vor- 
liegt, oder  A.  Mai  nur  die  Siglen  falsch  aufgelöst  hat,  das 
muss  eine  nochmalige  genaue  Einsicht  der  Handschrift  er- 
weisen. Professor  Christ  hat  sich  desshalb  an  Herrn  Dr. 
A.  Spengel  gewandt,  der  gegenwärtig  in  Rom  weilt,  und  uns 
mit  grösster  Bereitwilligkeit  schon  öfters  bei  unserem  Unter- 
nehmen Aufschlüsse  über  italienische  Handschriften  erheilt 
hat.  Leider  sind  seine  Bemühungen  dieses  Mal  nicht  vom  Er- 
folg gekrönt  worden,  indem  A.  Mui,  wie  gewöhnlich,  so  auch 
hier  die  Numer  der  Handschrift  anzugeben  versäumte ,  und 
es  so  bei  der  ^langelhaftigkeit  der  Kataloge  der  Vaticana 
vorläufig  unmöglich  machte  dieselbe  wiederzufinden. 


Christ:   Hirmos  etc.  in  der  hyzant.  Poesie.  75 


Herr  Christ  trug  eiue  Abhandlung  vor: 

,,Ueber  die  Bedeutung  von  Hirmos,  Troparion 
und  Kanon  in  der  griechischen  Poesie  des 
Mittelalters,  erläutert  an  der  Hand  einer 
Schrift  des  Zonaras." 

In  unserer  StaatsbibUothek  befindet  sich  eine  Baum- 
wollehandschrift (cod.  gr.  226)  aus  dem  13.  Jahrhundert, 
welche  die  gefeiertesten  Kirchenlieder  des  Kosmas  Hiero- 
solymitanus,  Joannes  Damascenus  und  Theophanes  mit  einem 
ausführlichen  Commentar  des  Erzbischofs  Gregorius  von 
Korinth  (fol.  1—89),  und  weiter  unten  (fol.  122—295)  die 
weitschichtige  Erklärung  des  Zonaras  zu  den  y.avoveg  ava- 
OTuoij.101  des  Oktoechus  enthält.  Der  Erklärung  selbst  schickt 
der  Verfasser  einen  einleitenden  Abschnitt  über  die  Namen 
■/MPcor,  elofiog,  tqojtuqiov,  ud)]  voraus,  der  schon  öfters  von 
Gelehrten,  welche  über  die  Gesänge  der  griechischen  Kirche 
schrieben,  wie  von  Leo  Allatius ,  Arcudius  und  Goar  benützt, 
aber  meines  Wissens  noch  nirgends  im  Zusammenhang 
herausgegeben  wurde;  und  doch  ist  derselbe  für  die  Fest- 
stellung der  verschiedenen  Arten  der  griechischen  Poesie 
des  Mittelalters  so  wichtig,  dass  ein  Abdruck  desselben  mit 
Weglassung  aller  nicht  zur  Sache  gehöriger  bibhscher  Excurse 
wohl  gerechtfertigt  erscheinen  wird.  Ich  gebe  denselben 
hiemit  aus  der  genannten  Münchener  Handsclirift ,  die  den 
Text  in  so  reiner  und  verständlicher  Fassung  giebt,  dass  ich 
eine  Vergleichung  des  cod.  Vindobonensis  Th.  gr.  238  und 
eines  cod.  Coislinianus,  die  nach  Fabricius  Bibl.  IX,  743. 
XI,  225  und  Pitra  L'liymnographie  de  l'eglise  grecque  p.  31 
dieselbe  Abhandlung  enthalten,  gerade  nicht  für  nothwendig 
erachtete.     Vorausschicken   will   ich  nur  noch  bezüglich  des 


76  Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vorn  11.  Juni  1870. 

Autors  die  kurze  Bemerkung,  dass  ich  keinen  Grund  sehe, 
denselben  für  verschieden  zu  halten  von  dem  Erklärer  der 
Kanones  des  griechischen  Kirchenrechtes  und  dem  Verfasser 
der  bekannten  ^Etiitoui]  Iotoqlwv,  der  unter  dem  Kaiser 
Alexis  (t  1118)  die  Stelle  eines  Staatssecretärs  bekleidete 
und  spcäter  als  Mönch  in  ein  Kloster  eintrat.  Hingegen 
hat  unsere  Abhandlung  niclits  mit  der  gleichfalls  dem 
Zonaras  zugeschriebenen  ^vvaycoy)]  ki'^aov  gemein,  da  in 
letzterer  die  Namen  -/mvcov  und  ZQOTtaQiov  gar  nicht  erklärt 
werden  und  von  ojdt]  eine  ganz  abweichende  Deutung  und 
Herleitung  aufgestellt  wird.  Bestimmende  chronologische 
Anhaltspunkte  enthält  unser  Commentar  nicht,  nur  das  eine 
lässt  eine  annähernde  Bestimmung  zu ,  dass  zur  Zeit  des 
Verfassers  nach  S.  82  das  sogenannte  iota  subscriptum  noch 
beigeschriebeu  ward,  während  dasselbe  vom  11.  oder  12. 
Jahrhundert  an  untergeschrieben  oder  ganz  weggelassen 
wurde.  Es  folgt  nun  also  zunächst  der  Text  der  einleiten- 
den Abhandlung  des  Zonaras: 

^Rtel  y.avovcov  eQiii^veia  iart  to  ttuqov  GvvTay(.ia,  xqi] 
y.al  jTEqI  avTO  to  ovof.ia  zov  y.ai'ovog  y.al  Tr]v  tov  eiQ(.iov  /.al 
zr^g  qjÖTJg  y.X)^^oiv,  ezi  de  y.al  zov  TQOTtaqiov  —  6/  tovtojp  yaQ 
a.7TaQTiLsTaL  6  y.avcov  —  (fiXoooq:'i]GUL  rji-iäg  •  xavxa  de  xa 
ovof-iaza  olovel  teyvixa  rf^  VTtod-eoei  7taqaXa(.ißavetai. 

'0  f.iiy  ovv  EiQi-idg  uQixovia  zig  iozt  /xeloi-g  iv  avvd^ioei 
(ftovifi  svdgd^Qov  ze  '/.cd  oi]i.iuvziy.ov  coQiai-iirq)  zivi  f^ttTQio  xat 
Ttoaq  (.leyid-ovg  7tEQiyQa(po{.dvi]  ^)  •  i[zLg  aqj.iovia  ttqowqio- 
l-ievi]  ze  y.al  TrQoeyvioafiivrj  TtQOVTtoxeizai ,  ^Qog  r^v  za  Xeyo- 
l-ieva  ZQOrtaqiu  dvacfeQezai '  olovel  yaQ  ctqyj  tcov  zQO/taQuop 
eozl  y.al  y.avoviov,  eitel  zd  ZQOirccQia  öid  zov  eiQi-iov  y.avo- 
viQezai  y.al  qvi^f^iQezai,  TTQog  avzöv  log  TCQOviTodeiyi.ia  ovvzi- 
d-eixeva   y.al   dQi.ioC6f.ievd   ze   y.al   {.leliodovixeva.     Aiyezai   de 


1)   TifQiyQiKpon^vu   cod.  Mon.   et  Vind. ;    aut   TifQiyQUipofj.Evn  aut 
neQiyQtt(pofiii'ri  aut  neQtyQa^ofiEytjg  corrigendum  erat. 


Clirist:  Hirmos  etc.  in  der  hyzant.  Poesie.  77 

0  fiiv  E^Qiiwg,  OTi  '/xaa  za^ii'  rivd  riv  Iv  avvd^ioei  y.ai 
i.iBXovQyia.  eloof-uvog  -/.al  7TXey..6jAevog  y.al  aouoLousvog  ttqobigi, 
y.ul  ovx  wg  evvyev  ZQO/taQioi'  öe,  ort  /rQog  iy.eh'ov  reTQuic- 
lai  TE  xal  vivEvy.e  /.al  zov  €iQf.idv  i'xei  oiovet  TZUQuöeiyuari- 
y.ov  /Ml  teXv/ov  aixiov  •  Xoyov  da  a'xeL  6  Iv  l/aoioig  y.avwv 
7rQog  ra  /.avovuöiiEva  öidqoQOr '  cjg  yccQ  o  y.ctnoi'  [^y.ui\ ') 
ß'AAog  Ev  a'/jMig,  ovrto  yovv  y.ai  6  Ewiiog  TTQog  rd  TQO;Tccoia' 
ojdrj  da  y.ul^)  y.anov  ovTcog  ayovaiv  Ivravd-a,  cjg  t6  ^teoi- 
äyov  y.ai  lo  TTEQiE/ouErov '  u)X  6  y.avtov  wöiöp  iori  yr?^ei6vcov 
TT  EQi  EXT  r/dg'  ayoi  ydo  avvia  tvqoeiolv  wöiov  otl  6  avvia  t6 
iiäyiaTov  hm  uärQov  av  dQid^/.iolg,  ro  de  a^rjg  dEy.dÖEg,  a/a- 
TorrdÖEg,  yiliovraÖEg  y.al  /.ivgidÖEg  wGavnog  TtQoycoQOvoai 
/aO^cog  y.al  al  f-iovadsg  aygig  avvaa,  ovTcog 

Tavra  j.iav  ovv  cog  av  ovvoipei  EiQr^rai,  Tt'kaxvxEOOv  da 
ouTcog.  To  ovoua  toi  y.avovog  av  n:o)JMlg  EVQio/eTat  /raoa- 
XaußavoLiEvov  y.uvövEg  ydq  y.al  xoXg  TrjV  yQa/nfiari/rjv  [xbti- 
ovGi  Tayvr^v  eIgl  /al  TÖlg  (fiXooog'Oig  -/al  laTQolg  /al  Tolg 
jToXiTiy.oig  voi-ioig'  dlV  di  Ti^g  yqui-iuaTr/r^g  /al  tiov  voficov 
ovy.  ayoioi  rö  ddid/tTcoTOv •  y.avoPEg  da  ).äyovTai  y.al  rd  twv 
d^Eiov  TturaQiov  EvOEßi^  diuTayuaTW  aiEih^TCzai  ö'  av  Ttdoi 
TOVTOig  TO  ovoj.ia  d/co  tov  ^vKov  tov  Tolg  TEyviTaig  sig  iihiov 
y.al  }.id-cüv  ]]  aXkojv  tlvlov  yQ)]fiaTiCovTog  aTtOQd-iooiv  y.al 
Ev&vTrjTa,  '/avoviov  a/Eivoig  ovouauof.iavov^),  o  zolg  ano^EO- 
[.lavoig  7TaQaTid^ef.isvov  arroQÜ-ol  TavTa  y.al  aBiool'  OjTeq  ovv 
t6  y.avovLOv  Eig  d/roQ&cooiv  a/Eivtov  öwaTui,  tovto  xal  artl 
Ttdorig  a7noT)\^Lrjg  /al  Tayvi]g  Xoyr/r^g  oi  y.avovag  TtXrjQOvai 
Elg  ^)  TO  y.uvoviCouEvov  xe  /al  oqi'Couevov  •  ?JyETai  ydg  ö 
y.avojv  y.al  doog  dicoöiaiQwv  xi  ^)  xCöv  d'kKoiv  y.al  UTiEvd'ivtiiv, 


2)  -KuL  uncinis  inclusimus. 

3)  x(d  om.  cod. 

4)  'Anvovioi'  ixiivotg  oyofxai^ofjfroi'    Cod. 

5)  fis  om.  cod. 

6)  anoäiaiQovytss  ■  .  •    anevS-vvoyrfs  cod. 


78         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

tog  fir^  TL  f'zsQOv  rcT  6QiLo/.(ev(ij  ocv€/.i!ri/rt£iv  '/.al  röv  ttbqI 
TOVTOv  Gvyyi.uv  "koyov  •  '/.ul  to  xoIq.  ayloiq,  ös  TtaTqaot  ovv- 
TEd^lvza  diaTayi.iura  euoTCog  y.ai'oreg  -/.aXocvTaf  dirsv^vpovoi 
yccQ  y.cc/.Eiva  Tovg  :itid-oi.iivovg  avToig  jrqog  .rioriv  OQ^r^v  re 
'Kai  ccTtaQeK'KXiTOV  v.al  rc^og  ßiov  IvaQsrov  /.al  d^edgeoTOV 
y.ad^  ov  dr]  Xoyov  y.al  rolg  tfivoig  xovroig  x6  zov  y.avovog 
s^elXtj/TTai  ovof.(a,  ort  wQiOf.ievov  Kai  reTivTco/uivov  to  (.ietqov 
TOVTO  sGtiv  Ev  ivpfa  cjöalg  ovvveXovf.iei'Ov  xat  ravrag  f.n] 
VTTEQßah'OV  od-Ev  y.arcov  )JyETai  log  ZETayfJEVov  rov  (.ietqov 
avTov  h'  ravtaig  6i]  ralg  (oöalg '  ovtco  Se  tc7  ovof.iatL  tov 
■Kavovog  sxQt'^oaTo  y.al  6  f-isyag  drcoGioXog  ygdifiag  KoQivd-ioig 
(II,  10,  13):  r^f^eXg  ös  ovk  elg  tcc  ausTQa -/.avxiqoofxed-a,  aXka 
'/.ard  TO  /.IETQOV  tov  '/.arovog,  ov  sj-ieqioei'  i)i.uv  6  d-Eog  /ietqov 
EcpixEod^ai  axQi  yal  i/iow  iXTrida  EyovTEg  av^o/uevr^g  Trjg 
■jtioTEiog  v/aov  ev  v/uv  (.lEyaXvvd^r^vat  /.ata  tov  xavova  f^/iüv 
elg  TtsQiaoeiav  slg  r«  vTtEQEKEiva'  o  öe  XEyet  toiovtov  eotl  .... 
zlio  y.avcov  v.al  o  v/ivog  ovtoq  h'Tavd-a  ei'Qt^Tai'  a\  öe  ys 
todal  doidai  Tivig  eloi  /lOvaiKar  oi  yccQ  ijßi  y.al  (fS-oyyoi, 
aQ/ioviai  te  y.al  Qvd^/iol  xrß  f.iovaiy.rjg  elolv,  s^  tov  tcc  /lEXtj 
TTaQayovTai ,  tov  tu  /iev  7raS-7jTiy.i6TEQd  ts  /.al  yoEQcoTSQa  nä- 
^og  To~ig  d/.QoaToig  EviEvra  y.al  y.ivoivva  jTQog  dd-/Qva,  Ta 
Se  rßvTTad-eiav  E/iTtOLOvvta  yal  yaQ(.iovi]v,  tu  öe  TTQog  d^v/iov 
E-/.y.aXovfieva,  wg  dXy.rjg  /lE/irrjad^ai  y.al  TTQog  ottXiov  '')  aQOtv 
OQ/iäv  TOV  y.aTE/raöo/LiEvov,  olov  ti  XiyETai  yEviod-ai  '/.al  tzeqI 
TOV  31ayed6va  ^AXt^avÖQOV  aöovTog  yuQ  tov  /lovoiyov 
Tifxtovog  ^)  Ttao'  avTCt  y.al  f.uXog  avdQtodeg  dQf.i6Co{.iEvov  '/.al 
avvTOviog  ^)  TTQog  S-vuov  öiaviatcov  tov  d'/ovovTa,  iy.Eivog  oiov 
Evü^ovg  e.y.  tov  /dXovg  yEvoiiEvog,  avaoxdg  t]QE  Ta  OTtXa  v.ai 
WQ/ia  TTQog  7toX€iiiov'  fxovGT/al  yovv  (ptoval   '/.al  al  wöal  eloi 


7)  oXoy  cod. 

8)  Tifxovog  cod. ;    Tifxo&fos   audit  musicus  apud  Dionem  Chryso- 
stomum  or.  I,    c.  I. 

9)  ffiV  cum  lacuna  quinque  litterarum  cod. 


Christ:  Eirmos  etc.  in  der  hyzant.  Poesie.  79 

dia  /.lovov  rov  oroixarog  evaqi-iovuog  ad6f.ievai'  tovto  yccQ 
ojQioxaL  /  lodr^'  y.al  roig  uiv  ^Eßqaioiq  ov  öid  arof-iarog  fio- 
vov  Ol  TCQog  d-eov  udovrai  v/^ivoi,  uKKa  ymI  di''  OQyavcov,  wg 
6  Javid  i-iaQTVQeT  7To}Xuyov'  y.al  6  lätuog  (V,  23)  qi]aiv  e/. 
TtQOOiojtov  d-EOv  TTQog  ^loQatjliTag '  fjisrdaTrjOov  dit^  ifxov  r^yov 
(iiörjg  oov,  y.al  xpalt.idv  ^'')  oQ'/äviov  aov  ovy.  dy.ovaof.iar 
r^Liiv  de  7TQog  S^elov  vf.ivov  ovdiv  xl  \.iovGiy.ov  7TaQa?MußdveTai 
öqyuvov,  aXXd  dia  ^coarjg  (lovov  tpcoin^g  Ivaqi-ioviov  adofiev 
riZ  S^eoj  •  /cäoai  yaq  oyedov  ai  u  dal,  (3V  ch  6  y.apiov  dnaq- 
xiuezai,  vLivoL  xvyyavovGi  y.al  aoiiaxa  yuQiaxr^qia  dSofieva 
TiQog  d-eov. 

Evd-vg  ovv  t]  TTQOJXtj  Tta^d  xov  rTQocpifjXov  Mwvaicog  avv- 
Ttd^BLxai'  oxL  x6  xiov  '^Eßqaicüv  yevog  e^  ^lyinxov  dvayiOQi^- 
oav  TTQOOxd^ei  O^eov  y.al  y.aTadior/.of.iEVOv  itto  xiov  ^lyv/ixltov 
XIV  Iqvd-qdv  ^alaoöav  du^ld^ev  dßqoyiog  rrj  qdßÖM  x/u)]^e7oav 
xfj  xov  MwvG&iog'  oi  di  ^lyvitxioi  er  a/.eh')]  y.axETTOvxio- 
d^r^oav  did  xov  Xj.ii\iAarog  öieXd^eiv  y.dy.eh'Oi  rreiQt'Hievoi,  avd-ig 
XOV  McovGeojg  xvipavxog  xi  qdßSqj  xd  l'Saxa  y.al  xavxu  ovvu- 
xpavxog'  did  ydq  xd  VTTEqßdXkov  xov  d-avuaxog  Gvred-exo  rrjv 
ipdi]v  rf"  '^Eßgatdi  dia?.ey.xio  [cog]  h  i^auixQW  xovo),  cog  6 
^hoGrjTtog  Iv  xi^  aqyaioXoyia  (II,  16,  4)  (fr^Gi'  ijGav  ydg  cog 
i'or/.e  y.al  rcaq'  r/.eivoig  liIxqiov  öiaifoqal  y.al  xavxa  jcaqi- 
dor/.ev  aöeiv  y.al  xölg  avöqaGL  y.al  xalg  yvvai^lv,  ii^qys  de 
xov  vfxvov  xiöv  (.lev  dvdqwv  avxog  6  MiovGr^g,  xcov  de  yvvai- 
y.Civ  1^  avxov  adeXq~}]  I\Iaqidf.i  ai'a/.qovoi.ievrj  xo  xvfu/ravov 
oxi  de  vfivog  al'r/y  y.al  c^Gf-id  eGxiv,  avxod-ev  drjXov  dqyo(.ievri 
ydq  '^aGiüf.iev  xu    y.vqiio    (f>)]Giv    (Exod.  c.  XV). 

'^H  de  ye  devxeqa  xi  ßtß?M  xov  Jevxeqovoi-dov  (c.  XXXII) 
fjLiTxeqieyexai,  Tteql  )]g  uexd  xt]v  xcov  XoiTZidp  lodcöv  qr^&tjoexai 
aTtaqid^fxriGiVj  did  xl  7CaqaXi(.iTidvevai  iog  eTti/iav  iv  zoig 
y.avoGiv  Ttaqd  xöJv  /tieXcodcov. 

Kai  ij  xqixtj   de    xojv   lodtov   v^vog   iaxl  :n:q6g  dsdv  xr^g 


10)  xpuXubjv  cod. 


80  Sitzung  der  philos-philöl.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

^vvt]g  rrjg  zov  7tQ0cp)]ti]v  ^af.iovr.X  yeivciittvriQ'  rj  oreiQa  ovoa 
KavTEvd-EV  odvvcaixsvri  STtst  f^ierd  zov  or/.Eiov  dvdqog  dm]Xd-E 
TTQog  zrjv  2i]Xojf.t,  evS-a  rji>  )]  zov  fiaQZiQiov  a/.rjVf],  eösEZO 
zov  -d-EOv  öovvai  ccvzr  '/.oiXlag "  '/xc^ttov  y.al  i^dohtoyEL  xazd. 
zr^v  öiriGiv,  wg  ymI  zcZ  zqze  aQyiEQsl  zio  ^Hlel  f.iEd^vovoa  öo^ar 
d-Aoiod^eloa  de  TraQcc  zov  S-eov  v.al  ovXXaßovou  /.ai  ze'/.ovGa 
zov  ^a/iiovrjX  xal  dvadEloa  avzöv  zoj  d-Ew  rfv^aro  zrjv  loörjv 
zavzrjv  (Reges  I,  2)  EvyaQiozovoa  zq  -/.iquo,  ozl  ov  TtaQElÖE 
ztjv  dei]GLv  avzrjg,  aAÄ'  eXvoe  zrjv  iTr]QCüaiv  zrjg  fxrjZQag  avzijg 
'/.ai   TTUQtOyE   ZFXVOV   ttvzfi 

Kai  i]  ZETccQzrj  ziov  cuöcov  El'qrjzai  /.lev  zcd  TTQoq^rjZy 
^ißßav.ov(.i'  ytyqanzai  ydq  tv  zfj  ßißho  zrjg  TTQoq^r^ZEiag 
avzov  (c.  III),  y.al  avzrj  de  dv9-OfxoX6yt^aig  eozt  ^Qog  d-EOV 
TTQo'iöojv  yccQ  6  TtQoq^rjzrjg  ey.E~ivog  zoTg  voEQolg  ocp&aXf.iolg  zijv 
zov  '/.VQiov  :rrQ6g  )),uag  Gvy'/.azdßaaiv  y.al  ziv  GUQy.ioGLV,  eq>o- 
ßtj-d-t],  (frjGl,  y.al  e^eGZJj 

ylXXa  /ii)jv  y.al  r^  7tef.i7izrj  wSrj  zai  '^Hoata  a'ETTOirjf-ievrj 
y.al  8v  zij  ßt'ßXcü  zi^g  Ttgog^r^zEiag  avzov  y.Eif-iev)]  (c.  XXVI) 
TtEQt  zov  Xqigzov  EGziv  Tj  TTQOGayoQEvGig  y.al  dvü-oiiioXoyrjGig 
rCQog  avzov  y.al  jTQog  zov  rrazeqa  de  TtQOGevyrj  •  OQa  ydg 
ola  (frjGlv '  ly.  vvy.zog  oqS^qIlei  z6  7TVEVf.id  f.iov  Xqigze 
6  S^Eog 

Kai  ij  e/.zr]  de  öer^Gig  eGzi  TTQog  O-eov  y,al  7TQ0(frjZEia 
tzeqI  zr^g  dvaGzaGECog'  yey^aTtzai  de  zd  zr^g  iGTOQiag  ev  tf^ 
ßißXto  zov  ^liova^^)  ^QOCfr^zov  (c.  II),  og  dTTOGTaXelg  nagd 
d-EOV  y.r^Qviai  zf^  NivevT  zrv  y.aTaGZQOcp)]v,  y.al  Eldcog  zd  (xay.- 
Qod^vf-iov  zov  S^EOv  y.al  z6  EvdidXXay.zov  ....  eßotjGE  ^Qog 
zov  d-EOV  7TQ0GEvyi]v  dua  y.al  vi.ivov  7Toioif.ievog  yaqiGzrjQia' 
OQa  ydg  dgyof-iEvog  zi   q^r^Gi'    IßorjGa  ev  d-?JipEi  fiov 

'JFf  fievzoi  eßdofx}]  y.al  i]  oydorj  ipdal  aivog  eIgI  Ttqog 
deov  y.al  e^OfioXoyt^Gig'  yeyQayrzai  de  aiM(pio  sv  zf^  ßißXio  zoi 

12)  cdrov   cod. 


Christ:   Hirmos  etc.  in  der  hyzant.  Poesie.  ßl 

Java]k   (c.  III)*    /  6' loTOQia   iozl   ToiavTi]'    fierd   d^avatov 
TOV  ^olo/AOJvog 

^'Ooa  fiivvoi  sl'qrjrai  To7g  Ttaiolv  ev  zf  xa,utVw,  h/.Biva 
elg  ovo  iüddg  eiQrjTai,  fßS6in]v  Xiyco  y.al  rr^v  oydoriV  ttqote- 
Qov  (uiv  yuQ  öt^  liof.ioXoyrjOEiog  y.al  '/.aTay.QLOecog  eavTiov  y.al 
dvai-ivi^oscog  tcov  zotg  tcqotiutoqöiv  avxwv  i7ii]yy£Xfxavcov  Ttqog 
TOV  d-EOv  elg  eXeov  avrov  rov  l'S-vovg  eTteOTtiovro  y,al  eavTaiv 
eiTa  6iazriQOV{.ttvovg  6X  rov  Ttvqog  dßXaßelg  y.aravoovvTeg  eav- 
Tovg  elg  vurov  itQaTtrjOav  yaqiGTriQiov,  Tcäoav  Trjv  y.Tioiv 
'/.aXovvieg  elg  eiyaQiGTiav  avTÖig  Gvveg'aipaad-ai  örjULOvqyov  *^) 
Y.ai  dvrio  toJv  Ttavzcov  eva  deiy.vvovreg  tov  rcaq'  avTcov  oeßo- 
(.levov  d-eov 

Kai  Tj  swatt]  ös  twv  ojÖmv  vfivog  iovlv  arcciGa  y.at 
alvog  rcQog  tov  -dsov  yal  dvd-OfioXoyr^Gig'  to  /^iv  yccQ  Tavtrjg 
Tteql  rrjg  dyiag  TtaQd^lvov  yal  ■d-eo/.u^roQog  JjOd^rj,  oti  6  ccq- 
yäyyeXog  raßqu]X  iriv  avavöqov  xamr^v  yvoqrvQiav  evrjyyeXiGaro, 
To  de  Tteql  rrjg  ftQücpr^zeiag  tov  Zaxaqlov  TteTtoirjTai,  ote  piexd 
Ttjv  TteQt  t6  teyeXv  avvov  vlov  dyyeXiyrjv  ttqoqqi^glv  yal  tov 
rrjg  yXcoTTt]g  avvov  öeG^ov  Ttedrjd-eiGrjg  öid  t)]v  dniGtiav  tÖ)v 
aQyayyeXiywv  qrjfiaTtov  6  t(ov  ev  yevvrjxo'ig  yvvaiyäjv  drrdvTOiv 
VTteqreqog  svex^i]  avT^  yal  rdg  rrjg  yXiotTi^g  Tteöag  avru 
dieXvGazo'  v/.ivov  ydq  ydyelvog  TtQOGaycov  ^eq  yal  xd  rceg^i 
TOV  GcoTrJQog  Xqlgtov  yal  xd  Tteql  tov  TcaLÖög  rcQoayaQevcov 
riye  x6  (jcGfia  d^ea  ,  tag  ev  x^  yaxd  ^ovyav  evayyeXUp  (c.  I) 
Ttegl  djxqjolv  dvayiyqaTtxai. 

uäl  fiiv  ovv  oyxcü  xwv  wöcHv  vfivoi  yal  aofiaxa  TtQog 
d^eov  eloL  yal  dvd-o^oXoyrjGeig'  tj  devxeqa  t^örj  de  ov  xoi- 
avxYj,  dXXd  fTQOfxaQTVQia  TtQog  ^lovöalovg  yal  dvafxvr]Gig  xiov 
elg  avTovg  eveQyeGicöv  tov  d^eov  y.al  Trjg  eyelvcov  yayJag  Te 
y.al  Gy.XrjQOTtjTog  yal  tcov  elGerreiTa  xovxoig  did  rrjv  elg  S^eov 
dniGTiav  ey  öo^ofxaviag  yayioGecov'  rjörj  ydq  yeyr]qayoTi  MwoeT 
yal   (xeXXovTi    TeXevT^v  6  y.vQLog    e'g)r],    tog  iv  xi    ßißXco   xov 


13)  SrifilovQydi'   Cod. 
[1870.  II.  1.] 


82  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

^EVT£QOvofilov  (c.  XXXI)  yky^aTtxaL  •  \6ov  r^yyivMOiv  ai  ))ixi- 
Qüt,  Tov  ^avaxov  •  v.a/.toov  Ir^aoiv  y.ai  orr^oov  Ttaqa  rag 
■dvQug  zTg  O'/irjvrjg  tov  fxaQTvqiov  y.ai  ivre?MVf.iai  ai-Tq'  y.al 
ixev^  oliya  y.al  elfte  y.vQiog  TTQog  3IcovorjV'  ^Idov  av  yoif.iaoai 
l-ierd  Tcov  rcareQiov  oov  y.al  6  ?jxdg  ovTog  ey.noQveiooiOLV 
OTTiaco  d-EoJv  aJj.OTQLCov  y.al  eyy.aTaXelipco  avxovg'  xat  evQri- 
oovoiv  avTOvg  y.ay.a  7toX}.d  y.al  0-).iüieig'  y.al  fiszd  Tiva'  xa^ 
vvv  YQuipare  ^*)  rd  qr^uara  rr^g  qjör^g  raiTi]g  y.al  didd^are 
avrd  TÖlg  v\olg  ^loQai]X  y.al  £i.ißaXE~iTe  avvd  elg  rd  OTOf-ia 
avTCüv,  h'a  yivrjTal  (.lOi  ^  coörj  avrr]  elg  fxaQrcvqiov  ev  v\o7g 
'lOQai]?^'  y.al  ^uer'  6?Jya'  y.al  dvTi/.aTaGTr^aetai  i)  wdi]  avTtj 
y.axd  ^QoacoTTOv  avxiov  /.laQXvoovaa.  y.al  (.lexd  xiva  ^^)  y.al 
ehxXrjOe  Miovor^g  elg  xd  wxa  Ttdoi]g  iy.y.XriGiag  ^IoQai]X  rd 
Qtifxaxa  xrjg  (odrjg  xavxr^g'  TTQOoexe  otgavs  y.al  xd  e^rjg.  '^S2g 
yovv  UQr^tai,  ovyl  aaua  ioxlv  elg  ^eov  7]  cud)]  avxr],  d?,Xd 
fCQOi-iaQXVQia  y.al  IXeyyog'  dio  y.al  cog  Ininav  ^raoaXifi/tavexaL 
naqd  xiöv  f^eXcoöcov  cog  ovx  viuvog.  diaxi  yovv  bXcog  avvxe- 
ray.xai  ra~ig  iada7g,  enel  ovy  t'/a'Og  ioxl  Ttqog  -d-eov,  d)JAx 
Ttqof^aQXVQia  y.al  UTteiXiq;  utcoi  de  xig,  oxl  tog  (^drj  iv  xfj 
ßißXii)  ^^)  xov  zfevxeQOvoiuiov  y.aXovfxevov  xd  ovvxay^a  tovxo, 
xad-wg  ylyqanxai,  xa~ig  aXXaig  todalg  ovyr.Qi&iLir^xaf  öiaxi 
di  oXcog  ü)d}]  ij  TCQOj.iaQXvqia  covouaoxai;  yal  Xeyoi.iev,  oti  7) 
loörj  i/.  rijg  doidrjg  Tcagayerai  xe  y.al  yivexai  yaxd  y.Qaoiv 
TOV  ao  elg  lo  fxiya'  Sio  y.al  xd  l  eyei  nQOoyeyQaiJ.ixe.vov  doid)) 
de  Xiyexai  fiiv  y.al  7;  /.le'Acoöla  y.al  6  v/jvog,  ?JyexaL  de  y.al 
fj  XQaycüdia'  xqaycoöia  6e  xd  d^QrjVudt]  (AeXr^  elol'  o&ev  yal 
ra  TOiavxa  TTOir^fxaxa  TQayiodlai  y.aXovvxai  y.al  01  rovxwv 
TtoiXjXal  XQayiodoi'  tog  yovv  TTQoy.t'-qv^ig  y.ay.öh'  rdlg  'lOQai^Xi- 
Taig  enay&r^ooixeviov,  a  XQayiodoTCOiovöiv,  ely.oxiog  av  Xeyoivxo 


14)  ygaiputna  cod. 

15)  xivag  cod. 

16)  w  Xfis  ßiß'kov- 


Christ:   Hirmos  etc.  in  der  hyzant.  Poesie.  83 

doiSi  'Kai  -/MTct  -/.QUO IV  ci.dt .   Ttcog  öi  eiQi]Tar  reo  d^eq    diöd- 

Baxe 

JiaTL  evvaa  a\  tudai; 

'Evvia  (J'  eiGii'  ai  wöat,  otl  Tr^g  ev  ovqavolg  uqaqyiag 
y.at  vixviüdiag  ymI  t]  Ivzav&a  yivofxevt]  el/.cdv  eotIv  üoTieQ 
yovv  iv  TÖlg  ovqavoig  VMTa  rov  Ttokvv  rd  -d-sia  zliowoiov 
(De  coel.  hierarchia  c,  VI  u.  VII)  hvia  itov  dyyeXiy.iov  xay- 
^lärcov  opTcor,  cov  i^j-üv  ricog  al  Y.h\öEig  eyi'coo&r^Gav  elol 
yaQ  y.axd  rov  f.dyav  TlaTlov  y.al  ereoa,  y.ad^cog  ev  rf  nqog 
^Eqeoiovg  (1,  21)  (fr.ai'  6  ^tga/  de  Xiyei  tteql  dsov,  rd  de 
7rXeioru  rtov  eqycov  avrov  eloiv  iv  arcoy.Qvqoig'  wottsq  ovv, 
iva  TtdXiv  eqöj  to  avro,  Ivvia  Tayfiarcov  ovtcov  e'y.aOTOv  l'öiov 
ifxvov  lyreXei,  ovtoj  y.ui  Inl  yrjg  ivvia  rolg  Trargdaiv  al 
cüdal,  cog  y.al  rtov  ivravd-a  to  d-eiov  vlivovvtcov  r>V  ivvaöa 
Tv/TOvvTLov  Tcov  TaBscov  TOJv  dyyEXv/MV  iiTtoi  di  Tig  y.al  rov 
aQtd^uov  TOVTOv  Ti^g  dyiug  ZQiddog  tvttov  elvai  GvußoXr/.iog 
y.al  Big  Tiia]v  avrtjg  OQia&rjvai  naqd  rtov  TtaTeqiov  dviy.adsv' 
o\  yaQ  aQid^fir^Tiy.ol  rocg  dQi&i.iovg  Ttdvzag  elg  dgrioig  diai- 
Qovoi  y.al  nsQiTTovg,  dgrioig  f.iiv  y.aXovvTeg  lovg  elg  ovo 
fioiqag  diaiQOVf-iivovg  looueQelg  /^lixQi  (.wvädog  y.ariovGag' 
TtBQiTTOvg  de  rovg  eig  ovo  toiavrag  fioiQag  öiaiQelGd^ai  /.irj 
Ttecpvy.örag'  vrcodiaioovGi  d'  avd-ig  rovg  TxeQirrovg,  y.al  rovg 
fusv  TTQCjvovg,  rovg  de  ueoovg,  rovg  öe  Gvvd-erovg  y.arovojud- 
LovGL'  i-ieGoi  (5'  eIgIv  Ol  f.u']re  dvol  rj  TtXeioGi  i.ieTQOVf.ievoi 
aqid-f.io'ig,  dXX^  hi  j-iovco  aQiSjiioj'  6  yovv  3-'  rcov  (.leGiov  ioilv, 
log  evl  fxovLo  {.lerQOVLievog  dqi&uoj'  fiovr]  ydq  rgidSi  GvviGra- 
rai'  rQiGGa/.ig  yaQ  rd  TQia  elTtcov  rov  evvarov  avva^aig  av 
aqid^uov  (jog  yovv  rqiTtXrjv  e'yovra  rQidda  rov  dQi&i.i6v  rov- 
rov  y.al  öi^  avrr^g  GvviGrdi.ievov  elg  viivov  rr^g  dylag  rQidöog 
rovrov  dnira^av  cog  ydQ  6  f.iiyag  iv  d-eoXoyoig  FQi-yoQiog 
rvjv  rov  ixaGya  y.XrJGiv  rQiTtXaGiaGag  elg  riur^v  ri^g  rQiddog, 
ovTiog  y.al  ol  rdg  wödg  elg  ivvia  Gvvvd^avreg  rov  TQinXaGiaG- 
ftov  rtjg    rQiddog,    i^   oviteQ  6  ivvia  owiGrarai,    elg    rini]v 

6* 


84  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

elvai  Tfj  TQiaöog  xex^/xafft*  öio  v,al  Tag  i^dag  elg  tovtov 
Tov  aQi$^ix6v  TtsqUoTrioav. 

udOLTtOV  ^')    OVV    eattv    bItCBIV    V.ai   TtEQL   TWV  e^Qf-tOJV.      ElQ- 

/nog  Xeyevai  y.al  f^  d-/.6Xovd-og  %al  rj  rcQog  rov  ftQOi]yr]odf.i£vov 
STcavadqofxri  te  xat  ovvoipig'  oS^ev  XiyofAev,  ort.  xa^'  siqjxov 
0  Xoyog  Ttqoßalvei,  a-/.oXovd-iog  dr]Xadrj  y.al  Tig  TtQoXaßovar^g 
kvvolag  h/ot.ievog'  tu  yovv  TtgoTerayf-iiva  Igp'  £7.aoT)]g  tcZv 
wdiov  aoi-iaTa  stQi^iot  XsyovTai,  tog  d'AoXovd^iav  Tivd  xal  tcc^lv 
lAsXovg  xat  dqixoviav  Stdovra  roig  ^er'  avrd'  Ttqog  ydq  to 
rov  elqiAOv  f-ieXog  y.d/.£iva  Qvd-i.iitovzai'  i]  ort,  gvveiqei  xat 
aviXTtXe-KEL  eavTcT  -/.atd  f.ieXog  6  s^qi-iog  xd  iqOTcdqia. 

Ta  de  xaXov/^Et'a  TqoTtdqia  cog  ftqog  zovg  e'iQfiOvg  tqetto- 
fiEva  '/.al  Ti^v  dvaq^oqdv  rov  fxeXovg  Ttqog  Ey.Eivovg  ^oiovfieva' 
Tj  xat  cog  TQSTtovza  ztjv  qjiovrjv  riov  ddovrtov  Ttqdg  ro  fxsXog 
y.al  tov  qyd^ßov  xiov  i^diov  ei  {ai]  ydq  oviiog,  oüx  evqvd-fxov 
eozai  to  jiieXog,  dXX'  dvaQjxooTov  q:covr]{.ia. 

Soweit  der  Text  des  Zonaras ;  um  nun  aber  doch  etwas 
mehr  als  einen  blossen  Textabdruck  zu  geben,  will  ich  noch 
einige  erläuternde  Bemerkungen  über  die  hier  behandelten 
Worte  anfügen.  Was  zuerst  das  einfachste  derselben,  das 
Wort  wör^  anbelangt,  so  liegt  seine  Zurückführung  auf  doidt] 
und  seine  Herleitung  vom  Verbum  deiöio  auf  platter  Hand 
und  lässt  sich  sein  Gebrauch  in  dem  Sinne  '^Lied,  Gesang' 
bis  in  die  ältesten  Zeiten  des  Griechenthums  zurückverfolgen. 
Ja  das  Wort  mit  seiner  Bedeutung  scheint  in  gleicher  Weise, 
wie  das  verwandte  v/xvog  von  sanskrit  sumanas,  noch  über 
die  Zeit  der  speciellen  Entwicklung  des  Hellenenthums  hin- 
aufzureichen, wenn  anders  das  a  in  deiöco  nicht  ein  bloss 
euphonischer  Vorschlag,  ähnlich  dem  e  in  eedva  und  andern 
ursprünglich  mit  einem  Digamma  anlautenden  Wörtern,  son- 


17)  Dieser  letzte  Abschnitt  rührt  schwerlich  von  Zonaras  her, 
Bondern  wurde  aus  einem  andern  Autor  wegen  der  Aehnlichkeit  des 
Inhaltes  der  Abhandlung  des  Zonaras  angehängt. 


Christ:    Hirmos  etc.  in  der  hyzant.  Poesie.  85 

dern  ein  erstarrtes  Präverbium  ist,  das  wohl  in  der  arischen 
Ursprache  und  auch  später  noch  im  Sanskrit,  vrie  in 
ä-huaye  und  dem  nächst  verwandten  sam-d-vaddmi  'ich  rufe 
herbei,  ich  rufe  an',  nicht  mekr  aber  im  Griechischen  ge- 
braucht wurde. 

Speciell  für  die  einzelnen  Lieder  eines  Kanon  wurde 
das  Wort  offenbar  desshalb  angewandt,  weil  die  neun  Ge- 
sänge des  alten  Testamentes,  woraus  dieselben  nach  der 
lehrreichen  Auseinandersetzung  unseres  Zonaras  hervorge- 
gangen sind,  von  Alters  her  im  Gegensatz  zu  den  gleich- 
falls gesungenen  Psalmen  mit  dem  Namen  lodal  ausgezeichnet 
wurden.  Diese  engere  Bedeutung  von  o'dr^  finden  wir  be- 
reits im  cod.  Alexandrinus  der  griechischen  Bibelübersetzung, 
den  die  besten  und  zuverlässigsten  Kenner  der  Paläographie 
in  die  Mitte  des  5.  Jahrhunderts  setzen.  Denn  dort  ist 
jenen  im  Anhang  zu  dem  Psalterion  zusammengestellten 
Liedern  die  Unterschrift  o)öal  id'  beigefügt  und  haben 
ausserdem  die  beiden  ersten  die  Ueberschrift :  ojdr^  3Iojioeojg 
ev  xfi  e^odoj  und  ojörj  3Ia}iG£cog  ev  tu  ^€vrEQOvo{.iuij.  Dass 
aber  in  der  That  aus  jenen  Oden  die  Theile  der  byzantinischen 
Kanones  hervorgegangen  sind,  dafür  zeugen  ausser  unserem 
Zonaras  die  ältesten  Dichter  selbst.  Insbesondere  hat  An- 
dreas von  Kreta  die  Hirmen  seiner  Kanones  wie  Mosaik- 
stücke aus  Stellen  jener  biblischen  Lieder  zusammengesetzt  ^^); 
während  Kosmas  und  Joannes  Damascenus  schon  mehr  selbst- 
ständige Bahnen  einzuschlagen  begonnen. 


18)   So  ist  im  grossen  Kanon  des  Andreas 

(o6.  ((,'  ßor^S-os  y.cd  ay.inuaTr^s aus  wJ.  «'  1-2 

w(5.  ß'  7Tgofjf/£  oioavk  nccl  P.kP.jjVw     ....  aus  o)6.  ß'  1 

w6.  ß'  i6ere    I6exs aus  (ü6.  ß'  39 

w<J.  y   ini  ttjV  uavXevxov      .     .     .    aregiaiaoi'  aus  oj6.  y'  1 

to6.  6'  dxijxoey  d  rtgo^r^rris aus  o)6.  f'  1 

laS.  h'  hl  vfKTog   6q3-qi^ovtu aus  0)6.  6'  9 

w(J.  f'  ißor^aci       aus  0)6.  t    3.  7 


86  Sitzung  der  philos.-iihilol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

Nicht  auf  gleiche  Weise  lässt  sich  der  zweite  Ausdruck 
e\qf.iog  aus  dem  Sprachgebrauch  des  Alterthums  herleiten. 
Man  verstand  darunter  im  byzantinischen  Mittelalter  und 
versteht  darunter  noch  heut  zu  Tage  eine  Strophe  sammt 
der  den  Text  begleitenden  Melodie,  insofern  dieselbe  an- 
deren Strophen  zum  Vorbild  dient.  Dieser  letzte  Punkt 
unterscheidet  die  siQ!.iot  von  den  TQorcccQia,  unter  denen  die- 
jenigen Strophen  verstanden  werden,  die  dem  Rhythmus  und 
der  Melodie  des  Hirmus  folgen.  Ist  nun  aber  auch  dieses 
der  herrschende  Sprachgebrauch,  so  ist  es  doch  sehr  unwahr- 
scheinlich, dass  jenes  Verhältniss  vom  Vorbild  zum  Abbild 
von  vornherein  die  Hauptsache  bildete  und  dem  Hirmos  und 
Troparion  ihre  Namen  gegeben  hat.  Fragen  wir  vielmehr 
nach  dem  Etymon  des  Wortes  e\Qi.i6g,  so  weist  dasselbe 
deutlich,  wie  auch  Zonaras  bemerkt,  auf  den  Begriff  des 
Zusammenreihens  (eLQeiv)  hin,  von  dem  auch  die  aus  Glie- 
dern zusammengereihte  Kette  im  Alterthum  den  Namen 
eiQl-idg  erhalten  hatte.  Mau  rufe  sich  nur  den  homerischen 
Vers  Od.  o  460  =  (J  296 

XQvasov  oQf4.ov  k'xiov,  fierd  <5'  rjXiv.TQoiaiv  ebqto 
ins  Gedächtniss,  wo  diese  Etymologie  vom  Dichter  deutlich 
ausgesprochen  ist.  Wie  leiclit  man  aber  von  jener  Grund- 
bedeutung ausgehend  dazu  kommen  konnte ,  einen  musikali- 
schen Satz  einen  eiqixog,  eine  Zusammenfügung  verschiedener 
Töne  zu  nennen,  möge  man  schon  daraus  ersehen,  dass  die 
Griechen  heut  zu  Tage  i-dXog  mit  oeiqa  (pd-öyytov  diadexo- 
fiivcov  dXXr.lovg  a^effxovrwg  ti   d-/.oi    und  fieXcodia  mit  tvXo- 


qjS.  ^'  -^ixccQto(xiv aus  io6.  S'  29-30.  34 

w(5.  rf  ov  atQCiTicd aus  <w<5.  i' 

iü6.  ^'  clanopov  av^Xi^ipecjs aus  (o6.  la 

genommen,  und  ähnlich  stellt  sich  das  Verhältniss  auch  in  anderen 
Kanones  des  Andreas,  wie  Triod.  p  34 — 87  und  p.  323 — 326  ed. 
Barthol.  Pentec.  p.  46—02  und  p.  83—88  ed.  Barthol, 


Christ:  Hirmos  etc.  in  der  hyzant.  Poesie.  87 

zr  Tig  cfd-oyyiov  tcov  yuqu'/.rr^QCüv  r7^g  rrooorr^Tog  y.al  rrjg 
7toi6Ti]Tog  (s.  Philoxenos  im  ude'Siy.ov  rrg  e?lrv.  e/./J.ra. 
fuoior/Sg)  erklären.  Aber  auch  die  alten  Griechen  gingen 
von  einer  ganz  ähnlichen  Anschauung  aus,  wenn  sie  von 
Rhapsoden  sprachen,  und  wenn  Hesiod  von  sich  und  Homer 
singt  (Fr.   101  ed  Schön.) 

'Ev  z/?'A<j^  Tors  7TQ10T0V  iyoj  y.al  "Of.ir^Qog  doiSoi 
(.läXnouev  ev  veaoo7g  luvoig  qaipavTeg  doiör^v. 

Denn  sprachliche  Gründe  hindern  uns,  das  "Wort  quiDoj- 
öog  mit  dem  Stabe,  QclSöog,  in  Verbindung  zu  bringen, 
welchen  die  Sänger  der  epischen  Lieder  in  den  Händen 
trugen ;  vielmehr  kommt  öaipcodog  von  QaTVTOJ  und  qjör]  her 
und  bedeutet  nach  der  Analogie  von  ^aioirorog  eyeoGiuayog 
y.Uil'lqqcov  u.  a.  einen ,  der  einen  Gesang  zusammenreiht. 
Diese  richtige  Ableitung  gibt  bereits  der  alte  Commentar 
des  Pindar  zu  Nem.  H,  2,  und  zwar  mit  Worten,  welche 
für  das  Verständniss  unseres  Wortes  £iQi.i6g  besonders  wich- 
tig sind :  o\  de  (paaiv  rrg  "^Our^oov  rtoiroecog  fit]  i  y'  ev 
oivrjyuivr^g,  oiroQuör^v  ds  a'/J.cog  y.al  '/.axd.  f-iigr]  öir^or^iivi^g, 
OTtore  qaxpojöolev,  eIouoj  rivi  y.al  qacpf  TtaQaTc'/.röiov  ttol- 
eiv  elg  ev  airr^v  ayovrag.  Doch  was  ziehe  ich  die  Analogie 
des  ferner  liegenden  qaiL'ioöog  heran?  Das  alte  Wort  für 
Tonart,  das  wir  von  jeder  die  Theile  zu  einem  schönen, 
ebenmässigen  Ganzen  verknüpfenden  Schöpfung  zu  gebrauchen 
pflegen,  das  Wort  aquovia  ist  von  derselben  oder  doch  einer 
nahe  verwandten  Wurzel  wie  e^iquog  abgeleitet  und  bedeutet 
gleichfalls    ursprünglich    eine   'Fügung' ^^),    wie    denn  unter 


19)  Ich  sehe,  dass  G.  Curtius  in  seinen  Grundz.  der  griech. 
Etym.  die  beiden  Wörter  trennt  und  äguoiia  zur  Wurzel  ar,  fcouos 
zur  Wurzel  sar  oder  svar  stellt ,  und  für  diese  Trennung  spricht 
allerdings  der  Umstand,  dass  die  2.  Wurzel  auf  griechisch-lateinischem 
Boden  keinen  a Vokal  zeigt;  auf  der  anderen  Seite  aber  müsste  man 
in  einem  solchen  Fall  einen  unorganischen  spir.  asper  annehmen, 
etwas  was  nicht  unerhört,  aber  doch  immerhin  bedenklich  ist, 


88          Sitzung  der  phüos.'philol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

andern  Bryennius  Harmon.  III ,  8  die  das  Verhältniss  von 
4  :  3  nicht  wahrenden  Tetrachorde  :^Qdg  (.liXovg  eiQi-idv  dveiti- 
Tißua  nennt,  wo  die  alten  Griechen  Ttqog  fxilovg  aQ(.ioviav 
würden  gesagt  haben. 

Wir  fassen  also  etQ[^^g  in  dem  Sinne  von  ^Fügung*  oder 
^Aneinanderreihung'  und  glauben,  dass  das  Wort  von  Hause 
aus  nur  der  Melodie  zukam  und  von  da  erst  auf  die  nach 
einer  bestimmten  Melodie  gedichtete  Strophe  übertragen 
wurde.  Leo  Allatius  in  seinem  Werke  De  libris  eccle- 
siasticis  Graecorum  und  Goar  in  seinem  Euchologion  sive 
Rituale  Graecorum  geben  als  Uebersetzung  des  griechischen 
EiQ/xog  das  lateinische  tractus,  und  auch  dieses  Wort,  welches 
im  Abendland  bereits  seit  dem  9.  Jahrhundert  gebräuchlich 
war  (s.  F.  Wolf  ,,Ueber  die  Lais  Sequenzen  und  Leiche" 
S.  92),  bezeichnete  zunächst  eine  Melodie,  speciell  jenen 
lang  hingezogenen  aus  Aneinanderreihung  vieler  Töne  be- 
stehenden Gesang  des  Alleluja,  Bei  dem  innigen  Zusammen- 
hang des  abendländischen  und  morgenländischen  Kirchen- 
gesaugs  und  bei  dem  entscheidenden  Einfluss,  den  die  Griechen 
auf  die  Musik  und  den  Gesang  der  lateinischen  Kirche  übten  2"), 
möchte  man  desshalb  annehmen,  dass  der  lateinische  tractus 
von  vornherein  dazu  bestimmt  war  das  griechische  eiQfiog 
wiederzugeben.  Auch  will  ich  dieses  nicht  geradezu  in  Ab- 
rede stellen,   doch  konnten  die  Lateiner  auch  ohne  griechi- 


20)  Zumeist  zeigt  sich  jener  Einfluss  in  den  vielen  griechischen 
Wörtern,  die  den  lateinischen  Sequenzen  und  den  noch  heut  zu  Tage 
am  Charfreitag  gesungenen  Improperies  eingemengt  sind,  und  in  den 
griechischen  Namen,  womit  die  Abendländer  die  Tonarten  und 
Tongeschlechter  bezeichneten.  Ja  es  wurden  sogar  geradezu  grie- 
chische Lieder  in  Gallien  gesungen  nach  Cyprian  in  der  Vita  S. 
Caesarii  Arelatensis  bei  Gerbert  De  mus.  sacra  I,  340:  adiecit  atque 
compulit,  ut  laicorum  popularitas  psalmos  et  hymnos  pararet  alta- 
que  et  modulata  voce  instar  clericorum  alii  graoce  alii  latine  prosas 
antiphonasque  cantarent. 


Christ:   Hirmos  etc.  in  der  hyzant.  Poesie.  89 

sches  Vorbild  das  Wort  gebildet  haben,  um  damit  das  lange 
Hinziehen  der  Sylben,  die  protracta  pronuntiatio  (cf.  Marius 
Victorinus  I,  8)  beim  G-esang  im  Gegensatz  zu  der  kurzen 
Aussprache  beim  Sprechen  uud  Lesen  auszudrücken ,  wobei 
ich  nur  an  dasjenige,  was  Athanasius  in  dem  Brief  an  Mar- 
cellinus im  cod.  Alexand.  der  griechischen  Bibelübersetzung 
über  den  breiteren  Vortrag  der  Psalmen  (xara  rr/arog  ?J- 
yctat,  oid  ioviv  zd  riöv  \pa).ixö)v  Y.ai  ojöcöv  y.al  douazcov 
qiuuTo.)  bemerkt,  erinnern  will. 

Aber  noch  ein  anderes  "Wort  der  lateinischen  Poesie 
des  Mittelalters,  das  Wort  sequentia  hängt  wahrscheinlich 
mit  dem  griechischen  eioudg  zusammen.  Man  verstand  be- 
kanntlich unter  Sequenz  die  langgedehnte,  die  letzte  Sylbe 
von  Alleluja ,  melismatisch  wiederholende  Jubilation  nach 
dem  Graduale  in  der  Messe,  und  dann  die  als  Text  jener 
Jubelmelodie  unterlegten  Lieder  (siehe  Wolf  Lais  S.  30) 
Dass  nun  jenes  lateinische  sequentia  eine  üebersetzang 
des  griechischen  Wortes  dy.o/.oid-la  sei,  hat  man  längst  und 
allgemein  eingesehen;  aber  die  gewöhnliche  Bedeutung  von 
dy.olovS-ia,  wonach  man  darunter  die  Folge  der  zu  einem 
Feste  oder  einer  Andacht  gehörigen  Gebete  und  Gesänge 
versteht,  wie  wenn  man  von  einer  dy.o'/.ovd-la  tov  ood-oov, 
einer  aouarr/j]  dy.oloi^ia  tov  Idyiov  (Triod.  p.  170)  oder 
einer  d.rroTiGuevr;  UoovQyiag  dy.o'/.oid-ia  (Sophronios  in 
Mai's  Spie.  Rom.  IV,  31)  redet,  kann  doch  kaum  hieher 
gezogen  werden,  da  das  lateinische  sequentia  keine  Folge 
von  Gesäugen,  sondern  nur  eine  Jubelmelodie  bedeutet.  Noch 
weniger  passt  die  neuerdings  wieder  von  Bartsch  Die  lat. 
Sequenzen  des  Mittelalters  S.  2  aufgenommene  Annahme, 
dass  die  Sequenzen  ihren  Namen  davon  erhalten  haben,  dass 
sie  unmittelbar  auf  das  Alleluja  des  Graduale  folgten ,  zur 
Bedeutung  des  griechischen  Wortes  dy.o'/.ovd-la,  das  nie  im 
Sinne  eines  folgenden  Liedes  gebraucht  wird.  Will  man 
also  nicht  eine  starke  Verschiebung  der  ursprünglichen  Be- 


90  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

deutung  des  Wortes  im  Munde  der  Lateiner  annehmen ,  so 
muss  man  sich  nach  einer  andern  Bedeutung  von  ayioXov^ia 
umsehen;  und  nun  wird  in  dem  Schlusscapitel  der  oben 
mitgetheilten  Abhandlung  S.  84  das  Wort  elgi-idg  mit  dy.o- 
lovS^la  Tig  y.ai  rd^ig  f.iilovg  y.al  aQfxoviag  erklärt ,  und  ein 
in  diesem  Sinne  aufgefasstes  griechisches  d'/.oXovd-ia  =  'ge- 
ordnete Folge  von  Tönen'  konnte  wohl  den  Sequenzen  der 
lateinischen  Kirchenpoesie  des  Abendlandes  den  Namen  geben. 

Was  schliesslich  die  Zeit  betrifft ,  in  der  das  Wort 
BiQi-iog  in  dem  hier  besprochenen  Sinne  vorkömmt,  so  finden 
wir  bereits  bei  dem  Lexikographen  Suidas  einen  Artikel 
eiQl.ioX6yLov'  ßißliov  ri.  Damals  also  im  10.  oder  IL  Jahr- 
hundert hatte  man  bereits  Bücher,  in  welchen  vermuthlich 
gerade  so  wie  in  den  heutigen  Hirmologien,  die  bekanntesten 
Melodien  mit  den  ursprünglichen  Texten  zusammengestellt 
waren.  Leider  ist  bei  Hesychius  die  Erklärung  des  Wortes 
E^QI-iog  ausgefallen,  so  dass  man  nicht  weiss,  ob  bereits  er  das 
Wort  im  musikalisch-poetischen  Sinn  gekannt  hat  oder  nicht. 

Mit  dem  elQi.i6g  hängen,  wie  wir  bereits  oben  (S.  86) 
gesehen  haben,  die  xQOjräqia  eng  zusammen;  hier  aber 
können  wir  der  Deutung  des  Zonaras  nicht  mehr  beistimmen. 
Derselbe  leitet  das  Wort  unmittelbar  von  TQSTtco  ab  und 
glaubt,  dass  der  Name  daher  komme,  weil  die  Troparien 
dem  Hirmos  zugewandt  seien  {terqarcTai).  Aber  die  Tro- 
parien treten  in  der  ältesten  Zeit  unabhängig  von  den  Hirmen 
auf  und  haben  eine  selbstständige  Stellung  für  sich.  Das 
zeigt  schon  das  höhere  Alter  des  Wortes;  denn  während 
der  technische  Gebrauch  des  Wortes  eiQi-iog  aus  den  ersten 
Zeiten  des  Mittelalters  nicht  nachweisbar  ist,  werden  uns 
bereits  aus  dem  5.  Jahrh.  zwei  Tropariendichter  {TtoiT^val 
tQOTtaqUov)  Anthinos^^)   und  Timokles  von  Kedrenos  p.  349 


21)    Ein  Anthinos   schrieb  nach  Pitra   Jur.  eccl.  Graec.  hist.  I 
praef.  XVI  auch  eine  Suha^is  de  re  liturgica. 


Christ:  Hirmos  etc.  in  der  hyzant.  Poesie.  91 

C  7M  dem  Jahre  464  genannt,  und  finden  wir  schon  im  4. 
und  5.  Jahrb.  den  Gesang  von  Troparien  in  Alexandrien 
(siehe  die  Erzählung  vom  Abte  Pambo  in  Gerberts  Script, 
eccles.  de  mus.  I,  1  ^*),  in  Cappadocien  (s.  Pitra  L'hym- 
nogr.  p.  43)  und  in  Palästina  (s.  die  Legende  bei  Pitra 
Jur.  eccles.  Graec.  hist.  I,  220)  erwähnt.  Die  ursprüng- 
h'che  Unabhängigkeit  des  Wortes  spricht  sich  aber  auch 
darin  aus,  dass  es  Hirmen  nur  zu  den  Oden  der  Kanones 
gibt ,  dass  aber  TQOrtuQia  nicht  bloss  in  den  Kanones ,  son- 
dern auch  sonst  als  kleine  einzeln  stehende  Lieder  vor- 
kommen. Das  hat  aber  eine  weiter  tragende  Bedeutung,  da 
die  in  der  Morgenandacht  gesungenen  Kanones  jüngeren 
Ursprungs  sind,  es  aber  schon  in  viel  früherer  Zeit  heilige 
Lieder  für  die  verschiedenen  Versammlungen  in  der  Kirche 
und  bei  häuslichen  Andachten  gab. 

Es  hat  daher  der  Verfasser  des  Schlusscapitels  in  der 
vorangestellten  Schrift  wohl  daran  gethan  noch  eine  andere 
Etymologie  von  TQonaqiov  zu  versuchen,  welche  das  Wort 
unabhängig  von  elq^og  stellt.  Aber  wenn  er  dabei  wieder 
unmittelbar  auf  das  Verbum  tQertsiv  zurückgreift,  so  über- 
springt er  das  wichtigste  Mittelglied  und  verletzt  den  von 
einer  gesunden  Sprachforschung  vorgeschriebenen  Gang. 
Denn  tqorcäqiov  ist  augenscheinlich  ein  Diminutivum  und 
zum  Verständiss  desselben  muss  daher  zunächst  auf  das 
Primitivum,  auf  roo/rog  zurückgegangen  werden.  Nun  be- 
zeichnete man  im  9.  Jahrh.  bei  den  Franken  mit  tropi  die 
Cantica,  welche  zwischen  den  davidischen  Psalmen  gesungen 
wurden,  siehe  Anonym,  des  10.  oder  IL  Jahrh.  bei  Wolf 
Lais  S.  94 :  Hie  (sc.  Adrianus  II)  constituit  per  monasteria 
ad  Missam  maiorem  in  solemnitatibus  praecipuis  non  solum 


22)  Dieses  Schriftchen  sowie  die  Erzählung  vom  Abte  Neilos 
theilen  wir  wegen  ihrer  grossen  Wichtigkeit  für  unsere  ganze  Frage 
am  Schlüsse  der  Abhandlung  im  Anhange  mit. 


92  Sitzung  der  philos.-philöl.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

in  hymno  angelico ,  Gloria  in  exelsis  deo  canere  hymnos 
interstinctos,  quas  Landes  appellant,  verum  etiam  in  psalmis 
Davidicis,  quos  Introitus  dicunt,  interserta  cantica  decantare, 
quae  Romani  Festivas  laudes,  Franci  tropos  appellant,  quod 
interpretatur  figurata  ornamenta  in  laudibus  Domini.  Man 
erkennt  in  diesen  tropi  der  Franken  leicht  die  TQOTcaqLa 
des  im  Anhange  abgedruckten  Zwischengespräches  der  Aebte 
Sophronios  und  Neilos ;  denn  auch  dort  erwartet  Sophronios 
nach  dem  Vortrag  der  Psalmen  die  Anfügung  von  gesungenen 
Troparien.  Die  Bedeutung  wird  uns  aber  klarer,  wenn  wir 
den  Gebrauch  des  lateinischen  Wortes  modus,  welches  offen- 
bar eine  Uebersetzung  des  griechischen  rQOTtog  ist,  ins  Auge 
fassen;  man  gebrauchte  aber  modi  und  moduli  schon  in 
der  klassischen  Zeit  von  Melodien  und  Gesangsweisen,  und 
verstand  danach  auch  im  Mittelalter  unter  modus  Ottinc 
eine  zu  Ehren  der  Ottonen  gedichtete  Liedweise  (s.  Bartsch 
Die  lat.  Sequenzen  S.  145).  Aus  dem  griechischen  Alter- 
thum  vermag  ich  allerdings  keine  Stelle  nachzuweisen,  wo 
TQOTtog  für  sich  allein  schon  eine  Gesangsweise ,  ein  Lied 
bedeute,  wohl  aber  gebrauchen  Plutarch  (De  mus.  c.  17) 
und  die  musikalischen  Theoretiker,  Aristides  Bacchios  Pto- 
lemaios  das  Wort  rqcTtog  von  den  verschiedenen  Tonarten, 
und  begegnen  uns  bereits  bei  Pindar  die  Wendungen :  Avöko 
yaq  ^OLOJtiyov  iv  tQortio  ev  neHraig  t'  deidcov  ei.ioXov 
(Ol.  XIV,  17)  und  Jlovoa  d' ovTco /.loi  TtaQeord/.oi  veooiyalov 
EVQOvtL  TQO.TOv  ^cüQioj  (fwvdv  EvuQfio^ai  Tteölho  (Ol.  III,  4). 
Eine  schlagende  Analogie  aber  für  den  alten  Gebrauch  von 
rqÖTiog  und  die  mittelalterliche  Bedeutung  von  ZQO^raQiov 
bieten  die  Ausdrücke  sldog  und  eldilhov.  Denn  wie  ich 
in  meinem  in  den  Verhandlungen  der  deutschen  Philologen- 
versammlung zu  Würzburg  v.  J.  1868  abgedruckten  Vortrag 
über  das  Idyll  nachgewiesen  habe ,  bedeutete  auch  eiöog 
ursprünglich  'Oktavengattuug,  Tonart',  und  ist  daraus  die 
abgeleitete  Bedeutung  von  tidog  =  'einem  auf  eine  bestimmte 


k 


Christ:  Hirmos  etc.  in  der  hyzant.  Poesie.  93 

Tonweise  gedichteten  längeren  Liede'  hervorgegangen.  Ge- 
rade so  wie  sich  nun  im  Alterthum  neben  das  primitive 
tidog  das  Diminutiv  eldvlhov  in  dem  bekannten  Sinne  stellte, 
so  bildete  man  im  christlichen  Mittelalter  von  rgo/rog  das 
Verkleinerungswörtchen  TQO.taoiov  in  der  Bedeutung  eines 
auf  eine  bestimmte  Gesangsweise  gedichteten  kleineren  Liedes 
und  einer  einzelnen  wiederkehrenden  Strophe  eines  solchen 
Liedes.  Wiewohl  also  die  Wörter  TQO.Taqiov  und  orQO(fi) 
sich  in  der  Bedeutung  fast  decken  und  auch  lautlich  ähnhch 
khngen,  so  haben  sie  doch  keine  Gemeinschaft  mit  einander. 
Denn  das  Wort  GTQocfy]  hat  mit  der  Tonart  und  der  Melodie 
nichts  zu  schaffen ,  bezieht  sich  vielmehr  ledighch  auf  die 
Bewegungen ,  auf  die  Kehren  des  das  Lied  vortragenden 
Chores. 

Ich  habe  im  Vorausgehenden  modi  und  moduli  für  die 
üebersetzungen  der  griechischen  Wörter  tqottoi  und  tqo~ 
jtaqiu  ausgegeben ;  da  nun  aber  tqottol  vom  Verbum  TQe.rco 
herkömmt,  und  im  Mittelalter  bekanntlich  versus  in  dem 
Sinne  von  Strophe  allgemein  gebrauclit  wurde,  so  könnte 
man  auch  in  diesem  versus  den  lateinischen  Ausdruck  für 
das  griechische  tqottciqiov  finden.  Es  scheint  diese  Meinung 
um  so  mehr  für  sich  zu  haben,  da  die  Lateiner  ganz  ge- 
wöiinlich  tropus  mit  versus  erklären,  und  z,  B.  Duraudus 
Rationale  divini  Officii  VI,  114,  3  sagt:  Hi  autem  versus 
Tropi  vocantur,  quasi  laudes  ad  Antiphonas  convertibiles; 
TQOTTog  enim  graece,  conversio  dicitur  latine.  Nichts  desto 
weniger  halte  ich  auf  eine  solche  Zusammenstellung  nichts, 
und  glaube  vielmehr,  dass  die  von  den  Lateinern  aufgestellte 
Identität  von  tqottoi  und  versus  in  einer  verkehrten  Auf- 
fassung der  Bedeutung  des  griechischen  Wortes  seinen  Grund 
hat,  indem  spätere  Gelehrte,  welche  die  specielle  Bedeutung 
von  TQOTtog  nicht  kannten ,  sich  bloss  an  die  vage  Etymo- 
logie von  iqtTTEiv  Venden'  hielten.  Ursprünglich  war  gewiss 
versus    und   versiculus   die   Uebersetzung    der   griechischen 


94  Sitzung  clef  phüos.-philol.  Classe  'com  il.  Juni  1870. 

Ausdrücke  otIxol  und  oziyrjQcc;  denn  auch  diese  spielen  in 
der  griechischen  Kirche  und  in  der  poetischen  Literatur  des 
Mittelalters  eine  grosse  Rolle ;  und  zwar  verstand  man  unter 
OTIXOL  einzelne,  grösstentheils  aus  den  Psalmen  genommene 
Verse,  und  unter  OTixr^qa  Strophen,  die,  von  byzantinischen 
Meloden  gedichtet,  in  der  Regel  auf  solche  oilyoL  folgten. 
Da  auch  diese  GTiyr^oa  geradeso  wie  die  TQOTTUQLa  gesungen 
wurden  und  auch  von  gleichem  Umfang  wie  jene  waren, 
so  konnten  leicht  die  Lateiner  die  tropi  und  die  versus 
gleichstellen  und  das  letztere  Wort  für  die  Uebersetzung  des 
ersteren  halten.  y 

Ich  komme  zu  dem  letzten,  am  schwersten  zu  deuten-  1 
den  Worte,  zu  xavwv.  Unter  einem  Kanon  also  versteht  f 
man  in  der  kirchlichen  Poesie  der  Griechen  eine  Vereinigung 
von  neun,  dem  Inhalte  nach  nur  locker  zusammenhängen- 
den  Oden,  welche  der  Reihenfolge  nach  als  erste,  zweite, 
dritte  bis  neunte  Ode  aufgeführt  werden.  Sämmtliche  neun 
Oden  finden  sich  nur  in  zwei  Kanones  der  Fastenzeit  von 
Andreas  Cretensis  und  in  zwei  Kanones  des  Pseudo-Sophronios 
(s.  oben  S.  62),  in  allen  andern  fehlt  die  zweite  Ode,  und 
dass  dieselbe  hier  nicht  etwa  erst  später  ausgefallen  sei, 
beweisen  die  Worte  unseres  Zonaras  S.  79 ,  und  wird  durch 
die  die  Anfangsbuchstaben  der  einzelnen  Strophen  zusammen- 
fassende Akrostichis  einer  grossen  Anzahl  von  Kanones  be- 
stätigt. Der  Grund  lag,  wie  Zonaras  bemerkt,  in  dem 
Charakter  der  als  Vorbild  dienenden  zweiten  biblischen  Ode 
.(Deuteron,  c.  31),  die  als  ernste  Strafrede  nicht  zum  frohen 
Jubel  der  meisten  christlichen  Feste  passte.  Desshalb  wurde 
aber  doch  so  gezählt,  dass  die  letzte  Ode  des  Kanon  nicht 
die  achte,  sondern  die  neunte  Ode  hiess;  und  in  dem  Kanon 
des  Kosmas  auf  die  Kreuzerhöhung  (14.  Sept.),  der  aus  || 
9  Liedern  besteht,  wird  gleichwohl  die  zweite  Ode  als 
die  dritte  bezeichnet  und  die  letzte  als  «AA»^  ioöt]  ipcczi] 
aufgeführt. 


Christ:  Mirmos  etc.  in  der  byzant.  Poesie.  95 

Die  neun  Oden  eines  Kanon  hingen,  wie  schon  ange- 
deutet, unter  sich  nur  locker  zusammen;  wenn  etwas  mehr, 
wie  die  neun  bibHschen  Lieder ,  welche  ihnen  zum  Vorbilde 
dienten,  so  lag  dieses  lediglich  darin,  dass  sie  alle  einem 
und  demselben  Feste  galten;  den  Forderungen  des  einheit- 
lichen Aufbaues ,  die  wir  an  jedes  wirkliche  Kunstwerk 
stellen  müssen,  wird  also  hier  sehr  wenig  genügt,  und  ver- 
dienen schon  die  altgriechischen  Lyriker  und  nicht  am 
wenigsten  Piudar  wegen  der  schlecht  vermittelten  Gedauken- 
sprünge  und  wegen  der  vielen  am  dünnsten  Faden  auge- 
reiiiten  Digressionen  unsern  begründeten  Tadel,  so  fehlt 
selbst  den  gefeiertesten  Kaaones  des  Mittelalters  jene  Ilaupt- 
bediüguiss  eines  wahren  Kunstwerkes,  der  einheitliche  Auf- 
bau. Nichts  ist  daher  verkehrter,  als  wenn  R  e  i  n  h.  V  o  r  m- 
bäum,  der  Bearbeiter  der  griechischen  Kirchenlieder  in 
Daniels  Thesaurus  hymnologicus,  aus  NachKissigkeit  oder 
Unwissenheit  in  den  aufgenommenen  Kauones  die  einzelneo 
Oden  gar  nicht  abtheilt;  denn  als  einzelne  Lieder  wollten 
die  Meloden  jene  Oden  angesehen  haben,  die  mehr  nur 
äusserlich  zu  einem  Ganzen  zusammengefasst  seien. 

Zusammengehalten  werden  aber  die  8  oder  9  Oden 
eines  Kanon  zunächst  durch  die  gleiche  Tonart  {tjog) ,  in 
der  die  Melodie  gesetzt  ist,  und  es  ist  daher  in  den  Aus- 
gaben und  in  den  Handschriften  gleich  im  Anfang  der  r^x^S 
jedes  Kanon  vorangestellt.  Ausserdem  werden  in  den  meisten 
Kanones  sämmtliche  Strophen  durch  die  Akrostichis  ver- 
bunden, die  sich  bereits  in  den  jüngeren  Liedern  des  alten 
Testamentes  findet  (s.  Ewald  die  poetischen  Bücher  des 
alten  Testamentes  I,  140.  172  ff.)  und  ganz  besonders  von 
den  byzantinischen  Dichtern  ausgebildet  wurde.  Denn  wie 
überall,  so  wuchs  auch  in  Byzanz  mit  dem  Schwinden  ächter 
Kunst  das  Streben  nach  äusserlicher  Künstelei.  Viele  jener 
dy.QOGTixlöeg  enthalten  die  Buchstaben  des  Alphabetes  {ä/.QooT. 
Y.a.x'  dXg)dßrjTov),  und  gerade  diese  Form  war  schon  häufig 


96  Sitzung  der  pUtos.-phihl.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

in  der  hebräischen  Poesie  und  dann  in  einem  der  ältesten 
christlichen  Gedichte,  in  dem  Parthenion  des  Methodios  und 
in  den  Liedern  der  Nazareer  (s.  Pitr  a  L' hymnographie  p.  40) 
angewandt  worden ;  andere  bilden  einen  meist  in  einen 
oder  mehrere  Verse  gefassten  Gedanken,  der  gewöhnlich 
auch  den  Namen  des  Dichters  enthält.  In  der  Mehrzahl  der 
Kanones  beschränkt  sich  die  Akrostichis  auf  die  Anfangs- 
buchstaben der  einzelnen  Strophen,  nur  in  einigen  wenigen 
umfasst  sie  die  Initialen  säramtHcher  Verse  oder  Perioden. 
So  bilden  die  Anfangsbuchstaben  der  Trimeter  in  den  drei 
berühmten  jambischen  Kanones  des  Joannes  Damascenus  auf 
Weihnachten,  Theophanie  und  Pfingsten  je  zwei  Distichen 
des  heroischen  Versmasses,  und  lassen  sich  durch  Beachtung 
der  Akrostichis  die  aus  mehreren  Kolen  bestehenden  rhyth- 
mischen Perioden  einiger  Kanones  des  Joannes  Damascenus 
(25.  März)  Georgios  und  Bartholomaios  (s.  Pitra  L'hymnogr. 
p.  18  ff.)  bestimmt  herausfinden. 

Eine  ganz  eigenthiimliche  Akrostichis  finden  wir  bei 
Georgios,  einem  Dichter  des  9.  Jahrb.,  der  die  Anfangs- 
buchstaben der  Theotokien  der  einzelnen  Oden  zu  einem 
Satze  vereint  (Triodion  p.  171  ff.).  Bei  dem  immer  wachsen- 
den Mariencultus  des  Mittelalters  kam  nämlich  die  Sitte  auf 
nicht  bloss  die  letzte  Ode,  die  von  Anfang  an  vermöge  ihres 
Zusammenhangs  mit  demLiede  bei  dem  Evangelisten  Lucas  c.I. 
der  Jungfrau  Maria  gewidmet  war,  sondern  auch  die  letzte 
Strophe  jeder  Ode  als  &EOToy.Lov  der  Mutter  Gottes  zu 
weihen,  und  die  Initialen  dieser  8  Marienlieder  sind  nun 
von  Georgios  zu  einer  Akrostichis  verbunden  worden. 

Nachdem  ich  so  das  Nothwendigste  über  die  Anlage 
der  Kanones  angeführt  habe,  wende  ich  mich  zu  ihrem 
Ursprung  und  werde  damit  von  selbst  zur  Aufliellung  des 
Namens  geführt.  Wie  schon  öfters  bemerkt,  sind  die  9  Oden 
den  9  biblischen  Cantica  nachgedichtet,  dem  JubelUed  der 
Mariam  nach  glücklicher  Durchschreitung  des  rothen  Meeres 


Christ:    Hirtnos  etc.  in  der  byzant.  Poesie.  Ö7 

(Exod.  XV),  dem  warnenden  Zuruf  des  Moses  an  das  israe- 
litische Volk  vor  seinem  Hinscheiden  (Deuteron.  32) ,  dem 
Freudengesang  der  Anna  über  die  Geburt  ihres  Sohnes 
Samuel  (Reg.  I,  2),  dem  ahnungsvollen  Lied  des  Propheten 
Habbakuk  von  dem  Herannahen  eines  rettenden  und  strafen- 
den Erlösers  (Hab.  3) ,  der  Prophezeiung  des  Jesaias  von 
dem  anbrechenden  Lichte  der  Gerechtigkeit  (Jes.  26),  dem 
Siegeslied  des  Propheten  Jonas,  nachdem  ihn  das  Seethier 
nach  drei  Tagen  wieder  ausgespieen  hatte  (Jon.  2) ,  dem 
hoffnungserfüllten  Gebet  der  drei  Knaben ,  die  auf  Be- 
fehl des  Königs  Nebukadnezar  in  den  Feuerofen  geworfen 
wurden  (Dan.  3),  dem  jubelnden  Hymnus  derselben  drei 
Knaben  im  Feuerofen  (ebendas.)  ,  und  den  Freudenliedern 
der  Jungfrau  Maria  nach  der  Verkündigung  des  Engels 
Gabriel  sowie  des  Zacharias  nach  der  Geburt  des  Jobannes 
(Luc.  1).  Alle  diese  9  Lieder  beziehen  sich  oder  wurden 
doch  schon  früh  auf  die  Ankunft  und  das  Wirken  des 
Heilandes,  die  vea  xaQig,  bezogen,  und  ihre  Beachtung  von 
Seiten  der  Christen  ist  daher  eine  sehr  natürliche.  Um 
aber  die  Entstehungszeit  der  Kanones  zu  bestimmen,  ist  es 
vor  allem  nöthig  zu  ermitteln,  wann  jene  9  Lieder  aus  den 
Büchern  des  alten  und  neuen  Testamentes  ausgewählt  wur- 
den, und  wann  sie  eine  feste  Stelle  in  dem  christlichen 
Gottesdienst  erlangten. 

In  den  ältesten  Aufzeichnungen  über  die  christlichen 
Ordnungen ,  in  den  Constitutiones  apostolicae  werden  unter 
den  kirchlichen  Gebeten  und  Gesängen  jene  Cantica  noch 
nicht  erwähnt;  es  heisst  daselbst  bloss  II,  57:  ersoog  Tig 
Tov  Jaßld  x1)u),)At(jj  vf-ivoig  y.al  6  '/.aog  xa  d'/.oooTixia  vno- 
Uiü/jJtco,  und  es  wäre  wenigstens  eine  zweifelhafte  Conjectur, 
wenn  man  unter  den  Hymnen  des  David  auch  jene  Lieder 
mit  verstehen  wollte,  die  allerdings  später  und  vielleicht 
schon  damals  den  Psalmen  am  Schlüsse  angefügt  zu  werden 
pflegten.  Aber  wenn  wir  auch  von  einer  solchen  Vermuth- 
[1870.  II.  1.]  7 


98  Sitzung  der  pfiilos.-phüol.  Classe  vom  11.  Juni  187 ö. 

ung  ganz  absehen,  bo  wissen  wir  doch  aus  anderen  Zeug- 
nissen, dass  in  der  Zeit,  wo  die  Jiara^eig  ccTtoGtohxal 
abgefasst  wurden,  jene  Lieder  neben  den  Psalmen  allgemein 
im  Gebrauch  waren.  K.  Buhl  in  seinem  lehrreichen  Auf- 
satze über  den  Kirchengesang  in  der  griech.  Kirche  bis  zur 
Zeit  des  Chrysostomus  in  der  Zeitschr,  für  die  bist.  Theol. 
Bd.  XVIII  a.  1848  S.  203  gibt  genaue  Nachweise,  dass 
Chrysostomos  ad.  I  Tim.  hom.  14  t.  XI  p.  630  B  unter 
den  von  den  Mönchen  gesungenen  Psalmen  auch  das  oben 
erwähnte  Canticum  des  Jesaias  aufzählt,  und  in  der  Schrift 
Quod  nemo  laeditur  c.  16  t.  III  p.  462  E  den  Hymnus  der 
drei  Knaben  als  eine  lodi]  i-ifXQi  fov  vvv  f^  e^eivov  navxa- 
yov  rfg  oly.ovi.i6vi]g  aöofievr]  bezeichnet.  Das  nächste  Zeug- 
niss  bietet  meines  Wissens  der  cod.  Alexandrinus  der  grie- 
chischen Bibelübersetzung  aus  dem  5.  Jahrb.  Hier  sind  im 
Psalterion  den  150  Psalmen  14  Oden  am  Schlüsse  ange- 
hängt, welche  mit  den  Psalmen  das  Liederbuch  der  dama- 
ligen Christen  bildeten.  Unter  jenen  14  Oden  ist  eine,  die 
14.,  ein  neuer,  im  Anschluss  an  Bibelstellen  gedichteter 
vi^vog  kiod^ivog;  ferner  sind  die  Ausrufungen  der  Maria  und 
des  Zacharias  als  eigene  Lieder,  11.  u.  13.  Ode,  von  einan- 
der getrennt,  wie  umgekehrt  die  beiden  Lieder  der  drei 
Knaben  in  eine  Ode,  die  10.  vereinigt  sind;  endlich  sind 
ausser  den  besprochenen  9  Liedern  noch  einige  ganz  neue 
aufgenommen,  nämlich  als  12.  Lied  der  Ausspruch  des 
Symeon  Nvv  d/toXveig  tov  öovXov  gov  x.  t.  A.  (Luc.  2), 
als  9.  das  reuige  Bussgebet  des  Azarias  (vergl.  Dan.  3),  als 
8.  das  Gebet  des  Manasse  um  Vergebung  der  Sünden  und 
Fehltritte  (vergl.  Paralip.  II,  33),  als  7.  endlich  das  Gelöb- 
niss  des  Ezekias  den  Herrn  mit  dem  Psalter  alle  Tage  des 
Lebens  zu  preisen  (vergl.  Paralip.  II,  32).  In  dem  5.  Jahrh. 
war  also  noch  nicht  die  Zahl  der  bibUschen  Cantica  auf  9 
festgestellt  worden,  in  jener  Zeit  konnten  also  selbstverständ- 
lich  noch  keine  Kanones  in   dem  Sinne   des  byzantinischen 


Christ:  Birmos  etc.  in  der  byzant.  Poesie.  99 

Mittelalters  bestehen ,  da  bei  diesen  die  Zahl  der  9  Oden 
typisch  ist.  Aber  bald  nachher  scheint  die  kanonische  Be- 
schränkung jener  biblischen  Cantica  auf  neun  eingetreten  zu 
sein  und  auch  in  den  Ausgaben  der  Psalterien  die  Ausscheid- 
ung des  7.  8.  9.  12.  Liedes  zur  Folge  gehabt  zu  haben 
(s.  Buhl  S.  202).  Genau  vermag  ich  die  Zeit,  wann  dieses 
eintrat,  nicht  anzugeben;  aber  im  6.  Jahrb.,  in  welches  das 
oft  erwälmte  Zwiegespräch  der  Aebte  Sophronios ,  Joannes 
und  Neilos  fällt,  war  schon  das  Gebet  des  Syraeon  als 
aTtoXvzUiov  für  den  Abendgottesdienst  abgezweigt,  und  wur- 
den die  9  Oden  hinter  einander  und  zwar  in  der  Regel  in 
drei  Abthcilungen,  den  drei  oraoeig  der  Psalmen  entsprechend, 
vorgetragen.  Die  Zahl  9  ist  zwar  nicht  ausdrücklich  ange- 
geben, lässt  sich  aber  mit  Zuversicht  aus  den  angedeuteten 
drei  Gruppen  von  je  3  Oden  erschliessen.  Gewiss  war  diese 
Neunzahl  auch  schon  festgestellt  iii  der  Zeit  des  Pseudo- 
nymen Dionysios  Areopagita,  dessen  9  himmlische  Mächte, 
welche  dem  Herrn  ohne  Unterlass  Loblieder  singen ,  mit 
Recht  von  Zonaras  S.  83  mit  den  9  biblischen  Oden  in  Ver- 
bindung gebracht  werden. 

Aber  war  nun  auch  im  6.  Jahrb.  bereits  die  Voraus- 
setzung zur  Ausbildung  der  Kanones  gegeben,  so  ersehen 
wir  doch  aus  jenem  selben  Zwiegespräch ,  dass  es  damals 
noch  keine  Kanones  gab;  man  begnügte  sich  noch  damit  die 
biblischen  Lieder  selbst  zu  singen  und  höchstens  einigen, 
wie  dem  Liede  der  drei  Knaben,  noch  neue  Troparien  an- 
zufügen. Auch  Sophronios  im  7.  Jahrb.  sagt  in  seiner 
Commentatio  liturgica  in  Mai's  Spie.  Rom.  IV,  40  nur,  dass 
zu  seiner  Zeit  in  jeder  Abend  -  und  Morgenandacht  ausser 
den  Psalmen  des  alten  Testamentes  noch  aa^uara  T/]g  veag 
XaQiTog  gesungen  wurden,  ohne  der  Liedesforra  der  Kanones 
zu  gedenken ,  und  der  berühmte  Melode  Romanos  aus  dem 
6.  Jahrb.,  dessen  Herausgabe  durch  Pitra  wir  mit  Spannung 
entgegensehen,  bezeichnet  seine  Gedichte  in  den  Akrostichen 

7* 


100        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

(s.  Pitra  L'hymnogr.  S.  47)  als  vfxvot,  ahoi  ercrj  xpalfiol 
TtOLrjiiaTa  i^dal,  nirgends  aber  als  v.av6vEg.  Es  hat  daher 
alle  Wahrscheinlickeit,  dass  die  ältesten  Dichter,  von  denen 
uns  Kanones  erhalten  sind,  auch  die  Erfinder  dieser  Lieder- 
gattung waren ,  indem  zuerst  Andreas  von  Kreta  an  die 
Stelle  der  9.  biblischen  Cantica  eigene  Oden  setzte,  die  sich 
noch  ganz  im  Gedankengang  jener  Vorbilder  hielten,  und 
dann  erst  allmählich  Kosmas  und  Joannes  unter  Wahrung 
der  Neunzahl  der  Oden  sich  in  freieren  Bahnen  zu  bewegen 
versuchten.  Bei  dieser  Annahme  erklärt  es  sich  auch ,  wie 
es  kam,  dass  bei  den  Abendländern  die  sonst  fast  alles  in 
der  kirchlichen  Musik  und  Poesie  den  Griechen  entlehnt 
hatten ,  jene  Form  der  Kanones  keinen  Eingang  fand.  Denn 
im  8.  Jahrh.  war  bereits  die  Spaltung  der  griechischen  und 
lateinischen  Kirche  eingetreten ,  und  hatte  der  massgebende 
Einfluss  der  Byzantiner  in  dem  des  Griechischen  immer 
mehr  unkundigen  Abendlande  aufgehört.  ") 

Auf  der  anderen  Seite  aber  scheint  sich  dieser  Auf- 
stellung die  Erwähnung  von  -/.avoveg  aus  früherer  Zeit  ent- 
gegenzustellen. In  erster  Linie  steht  hier  die  von  Pitra 
L'hymnogr.  p.  32  aus  einem  cod.  Barb.  I,  150  f.  9  ange- 
führte Stelle  des  Grammatikers  Theodosios  von  Alexandrien : 
Eav  Tig  d-iXrj  Ttoirjaai  xavova,  Ttqiöxov  dei  /tieXiaai  tov  eIq- 
f4.dv,  eira  iftayayelv  rd  TQOfcaqta  iooovXkaßovvra  v,al  Ojio- 
tovovvta  y,al  tov  OKOTtov  '*)  a/roaw^ojra,  denn  hier  ist  ganz 
unzweideutig  das  Wort  xaviov  sammt  den  zugehörigen  eiQfJ^og 
rqoTiciQiov  in   dem  bei  den  Byzantinern  herrschenden  Sinne 


23)  Wir  haben  zwar  auch  heut  zu  Tage  noch  in  unserer  Musik 
eine  Melodieform,  die  den  Namen  Kanon  trägt ;  aber  diese  hat  mit 
dem  griechischen  Kanon  nichts  als  den  Namen  gemein. 

24)  Jenes  axoitov  hat  Pitra  fälschlich  mit  *but'  wiedergegeben, 
es  bedeutet  vielmehr  das  Wort  nach  byzantinischem  und  neugriechi- 
Bchem  Sprachgebrauch  so  viel  als  Melodie,  wie  ich  in  der  Recension 
des  Buches  von  Pitra  im  Philolog.  Anzeiger  1870  Nr.  2  andeutete. 


Christ:  Hirmos  etc.  in  der  hyzant.  Poesie.  101 

genommen;  und  da  Theodosios  von  Alexandrien  nach  Göttlings 
Untersuchung  nicht  lange  nach  Constantin  d.  G.  im  4.  Jahrh. 
blühte,  so  müsste  man  danach  annehmen,  dass  bereits  vor 
Beginn  des  Mittelalters  die  Form  des  Kanon  vollständig 
ausgebildet  gewesen  sei.  Das  schien  mir  nun  von  vornherein 
eine  bare  Unmöglichkeit  zu  sein,  und  es  tauchte  in  mir 
sofort  der  Verdacht  eines  Irrthums  oder  einer  Fälschung 
auf.  Um  aber  in  einer  so  wichtigen  Frage  nicht  bei  der 
blossen  Vermuthung  stehen  zu  bleiben,  wandte  ich  mich  an 
Herrn  Dr,  A.  Spengel,  der  damals  in  Rom  weilte  und  mir 
sofort  mit  der  grössten  Bereitwilligkeit  zurückschrieb,  dass 
die  betreffende  Stelle  von  Pitra  richtig  angegeben  sei ,  und 
dass  die  Schrift  in  der  That  den  Titel  trage :  ao//)  otv 
■d^eiü  rcov  EQonrjixarcjv  d-eoöooiov  yQai.iuariy.ov  d?.e^av- 
ÖQecog  Tteql  :rroooojöicjv.  lu  der  Hauptsache ,  in  der  Frage 
über  den  Autor  der  betreffenden  Schrift  sah  ich  mich  so 
in  meinen  Vermuthungen  ganz  gegen  Erwarten  getäuscht ; 
aber  etwas  neues  lernte  ich  doch  aus  der  Mittheilung  meines 
gelehrten  Freundes,  was,  weiter  verfolgt,  zur  vollständigen 
AutlielluDg  der  Sache  führte.  Pitra  hatte  nämlich  ange- 
geben, dass  Theodosios  jene  Vorschrift  in  seiner  Epitome 
des  Hephästion  gebe,  von  Spengel  erfuhr  ich  den  richtigen 
und  genauen  Titel  der  Schrift,  nämlich  ^Eoom'ßaTa  aeol 
7iQOG(oöiä)v.  Von  diesem  Buche  war  mir  aber  der  Haupt- 
inhalt bereits  aus  Peiron  näher  bekannt,  der  im  Anhange 
zur  Ausgabe  des  Orion  von  Sturz  p.  238  aus  zwei  Hand- 
schriften nähere  Notizen  über  die  Schrift  gegeben  und  unter 
andern  auch  bemerkt  hatte,  dass  darin  der  Grammatiker 
Choiroboskos  sich  citirt  finde.  Nun  lebte  aber  Choiroboskos 
im  8.  Jahrh.  unter  Leo  dem  Isaurier,  und  hatte  daraus  be- 
reits Göttling  in  seiner  Ausgabe  des  Theodosios  praef.  XII 
und  XIV  den  vollständig  begründeten  Schluss  gezogen,  dass 
jene  Schrift  ^eol  rtgoocoduop  entweder  nur  den  erborgten 
Namen,   des  Theodosios    Yon  Alexandrien    trage    oder    doch 


102        Sitzung  der  xyhilos.-phüol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

jedenfalls  mit  fremdartigen  Interpolationen  stark  durchsetzt 
sei.  Wenn  sich  daher  in  diesem  Buche  eine  Bestimmung 
über  -/.avcov  e^Qi-idg  und  tqo.tccqiov  findet,  so  kann  daraus 
über  die  Zeit  der  Entstehung  jener  Begriffe  gar  nichts  ge- 
folgert werden ;  jene  Stelle ,  die  sich  auch  ohne  Beifügung 
eines  Verfassers  in  einer  Hamburger  Handschrift  bei  I.  Bekker 
Anecdota  gr.  p.  1167  findet,  ist  aller  Wahrscheiulickeit  nach 
erst  im  späten  Mittelalter  in  das  Werk  des  Theodosios  ein- 
geschwärzt worden. 

Nun  kommt  aber  das  Wort  Kanon  in  dem  Sinne  von 
Lied,  wenn  auch  in  minder  scharf  ausgeprägter  Bedeutung, 
noch  an  anderen  Stellen  aus  der  älteren  Zeit,  zunächst  an 
zweien  vor,  die  von  Zuständen  des  4.  und  5.  Jahrhunderts 
berichten.  In  der  Erzählung  vom  Abte  Pambo  heisst  es 
nämlich :  ovte  y.avovag  ovre  TQonaqiu  )J'/0f4ev  (siehe  Anhang) 
und  in  einer  andern  aus  dem  5.  Jahrb.,  die  Pitra  L'hym- 
nogr.  p.  43  aus  einem  cod.  Vallicell.  E  21  f.  518  mittheilt: 
xat  ro  TooTTCcQia  y.ul  y.avovag  i^iaD^iv  y.al  ryovg  fieXlteiv 
zdig  y.aza  y,6ofiov  lEQEial  re  y.al  koLTToig  aQf.i6^ov'  diä  xovto 
ycLQ  Y.al  0  hxog  ev  xalg  ly.y.Xr^Oiaig  avvad^qoii^eod^ai  eüod^e. 
Indess,  wie  wichtig  auch  jene  Stellen  für  unsere  Kenntniss 
von  dem  ältesten  christlichen  Gesänge  sind,  so  wenig  Verlass 
bieten  sie  für  die  Formen  des  Kirchenliedes  in  jenen  Zeiten; 
denn  leicht  konnten  die  späteren  Abschreiber  aus  dem  kirch- 
lichen Brauch  ihrer  Zeit  in  jene  alten  Erzählungen  das 
Wort  y.avovag  hiueininterpoliren.  An  drei  andern,  ganz  ver- 
lässigen Stellen  aber  kommen  die  Worte  ■Äavcjv  und  y.avovixög  in 
einer  zwar  etwas  abliegenden,  aber  doch  wohl  hieher  gehörigen 
Bedeutung  vor.  Einmal  lesen  wir  in  der  Erzählung  von  den 
klösterlichen  Bräuchen  auf  dem  Berge  Sina  (s.  Anhang): 
iQ^ujusd^a  Tov  y.avovag  xat  fxera  rov  E^aipakuov  x.  r,  X.  und 
weiter  unten  mit  Bezug  darauf  Eig  rov  y.avova  ro  Qeog  y.vQiog. 
Betrachten  wir  die  Stelle  im  Zusammenhang  und  verbinden 
wir   damit   die    Aufzählung   von   zweimal  zwölf  Psalmen  im 


Christ:   Hirmos  etc.  in  der  hyzant.  Poesie.  103 

Psalterion  des  cod.  Alexandriuus  unter  den  Titeln:  Kavoreg 
{jueoivoL  ipa).f.iü}v  und  Karoyeg  vvy.Teqn'ol  nov  yja?,i.icüv'^), 
so  ist  es  wohl  kaum  zweifelhaft,  dass  damals  unter  Kanon 
eine  Auswahl  von  besonders  erhebenden  Psalmen  ver- 
standen wurde ,  die  vor  den  andern  in  den  Andachten  am 
Tage  und  in  der  Nacht  gesungen  wurden.  Zweifelhafter 
ist  die  Bedeutung  des  Wortes  y.avovr/.og  in  dem  wichtigen 
15.  Kanon  des  Concils  von  Laodicea:  IleQl  zov  lu]  ddv 
nhv  TiZv  y.avovi/Mv  xpaKitov  twv  en.1  tov  dfißwra  uvaßuL- 
vövTiov  y.al  arro  diq'd^iqag  ipaXkovTcuv  ereQOvg  rivdg  ipä/J.siv 
h  Tfi  ly.ylr^oia.  Nach  dem  oben  bemerkten  nämlich  liegt  es 
nahe  unter  jenen  y.avovuol  xl'älxai  solche  Sänger  zu  ver- 
stehen, welche  die  ausgewählten  Lieder,  jene  y.avovag  tcöv 
\palf.iC)v  zu  singen  berufen  waren.  Da  man  aber  auch  unter 
y.avovi/.i]  bekauntUch  im  Alterthum  die  Theorie  der  Musik  ^^) 
und  unter  y.avcov  das  zur  Bestimmung  der  Intervalle  der 
Töne  verwendete  Instrument  verstand,  so  könnte  man  auch 
bei  den  y.avovr/.oi  ipä/.rai  an  geschulte,  in  den  Prinzipien 
der  Harmonik  unterrichtete  Sänger  denken.    Eine  bestimmte 


25)  Man  stelle  damit  noch  folgende  Stellen  zusammen ,  die  ich 
dem  Werke  des  Leo  Allatius  De  libris  eccles.  Graecorum  entnehme, 
erstens  des  Cyrillus  Scythopolitanus  in  vita  S.  Theodosii:  ^OS-ty  Kai 
rrjs  Kofiufdjy  avtos  ayiug  dxKXT](Jcas  xpdXTr,g  ■/QrfaifJ.wtatog  yiyoyey  ex. 
naiSos  xai  zoy  dxxXijaiaaTtxoy  xayoycc  axgißwg  dgfnaiScv^Tj  xai  E^i- 
fia3-f  to  ipciXttjpeoy  xcd  r«f  ^oinu^  &{icc^  ygatfcis  und  in  vita  S.Sabae : 
ewf  ov  TO  \puXT-qQioy  uad-ioai  xai  rdv  rr,s  \pa7.uuj6ia5  xavora ,  sodann 
des  Theodorus  in  vita  S.  Theodosii:  oirw  fj.ky  ovy  iv  ravtatg  o  cego^ 
r^S  ipaXfiüjSias  inirt'ktiTai  xayujy  enrcixig  trjg  iqfisgag,  x6  drj  Xeyo- 
f^eyoy,  xoy  ndar^g  XTiaetog  aiyovyxwy  TToitjTrjy. 

26)  Die  Hauptdefinition  von  xayoytxi]  findet  sich  bei  Gellius 
N.  A.  XVI ,  18 :  xayoyixrj  longitudines  et  altitudines  vocis  emetitur ; 
longi  mensura  ^iSixog  dicitur,  alti  fiiXog  \  est  et  alia  species  xaro- 
yi'x^S}  quae  appellatur  fj,tTQiXTl ,  per  quam  syllabarum  longarum  et 
brevium  et  mediocrium  iunctura  et  modus  congruens  cum  principio 
geometriae  aurium  mensura  examinatur. 


104       Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

Entscheidung,  welche  der  beiden  Auffassungen  anzuerkennen 
sei,  möchte  ich  nicht  wagen,  und  nur  das  eine  hervorheben, 
dass  die  erstere  Deutung  mehr  im  Einklang  mit  den  son- 
stigen Bedeutungen  des  Wortes  Y.aviov  in  der  christlichen 
Kirche  steht.  Wie  dem  aber  auch  sei,  so  dürfen  wir  doch 
kaum  die  an  jenen  drei  Stellen  hervortretende  Bedeutung 
von  YMvcov  von  jener  andern  trennen,  die  das  Wort  in  der 
Zeit  des  Andreas  von  Kreta  und  Kosmas  von  Jerusalem  an- 
genommen hat.  Auch  ist  die  Vermittelung  derselben  nicht 
schwer:  Noch  im  5.  Jahrhdt.  bezeichnete  xavtüv  eine  Aus- 
wahl von  bestimmt  festgestellten  Psalmen,  die  in  den 
Klöstern  und  in  den  Kirchen  zu  bestimmten  Zeiten  gesungen 
wurden.  Mit  demselben  Worte  auch  die  Auswahl  der  bib- 
lischen Cantica,  die  neben  den  Psalmen  die  ältesten  Ge- 
sänge der  Christen  bildeten ,  zu  bezeichnen ,  lag  ausser- 
ordentlich nahe.  War  dieses  einmal  geschehen ,  so  gab  es 
sich  von  selbst,  dass  man  auch  die  Oden,  welche  im  Laufe 
des  8.  Jahrhunders  an  die  Stelle  jener  9  biblischen  Cantica 
traten,  mit  dem  Namen  y.avcov  benannte.  Man  könnte  auch 
daran  denken  den  technischen  Begriff, von  Kanon,  wie  er 
sich  in  der  byzantinischen  Poesie  ausprägte,  unmittelbar  auf 
die  ursprüngliche  Bedeutung  von  v.aviov  =  massgebende 
Richtschnur,  zurückzuführen  und  dafür  die  Stelle  bei  Kedrenos 
p.  456  D :  'O  ooiog  ^Icodvvr^g  xal  (.leXcoödg  wvof.tdod-i],  {.ietcc 
KoGfia  Tov  ETCiö'KOTtov  Tov  Blaiovfiä  xal  Qeocpdvovg  döelg)Ov 
QeodcüQOv  xcov  FgaTtTCüv  Sid  ro  avtovg  ^leXc^örjoai  rd  ev 
tctig  8'/.y.Xr]aiaig  zwv  XQLaviavcov  zerv^tcofiiva  xpdXXeoS^ai 
geltend  zu  machen ;  aber  die  im  Vorausgehenden  von  mir  ge- 
gebene Herleitung  trägt  mehr  der  historischen  Entwicklung 
und  den  verwandten  Bedeutungen  des  Wortes  -Kavcov  Rechnung. 


Christ:  Hirmos  etc.  in  der  byzant.  Poesie.  105 


Beilagen. 


reQorrixor  rov  aßßä  Uajxßüj^'^). 

'0  !Aßßag  Ilaußiü  arcioTeiXe  tov  fia&r]rrjv  avxot  ev 
^le^ardgela  TtQog  xo  TiwX^aai  ro  iqyoxeiQOv  aiziov.  Trou^oag 
6e  r^ixiqag  dey.at^  ev  rij  noXu,  log  €7,eyev  ^/.äv,  rag  WKrag 
€'/.dd^evöev  ev  reo  vagS^rfKi  rrjg  l/.y.XrjOiag  ev  reo  vacj}  rov 
aylov  BlccQ-KOV'  /mI  Idcov  rr^v  äy.oXov^lav  trjg  äyiag  e/.y.Xrj- 
oiag  dveY.afiipe  ^rgog   rov  yiqovra'    efiads    de  yal  xqoTraqia. 

uieyet  ovv  avxtZ  6  yi^cov  oqco  oe,  xer/.vov,  xexagayfxevov 
fiT^  xig  Tteiqaonög  aoi  ovveßr]  ev  xfj  TtolEL;  Xeyu  6  adel<pög 
yeqovxi'  (fvoei,  l4ßßa,  ev  df.te?xia  da7tavtöi.i€v  rag  i(.ieQag 
^fxüjv  ev  xfj  eoTficp  xavrrj,  v.al  ovre  '/.avovag,  ovxe  XQOTtaQia 
xpaXkoixEV  dneXd^ovxog  yaQ  jxov  ev  ^iXe^avögeia  eiöov  xa 
tayfxaxa  xrjg  ev^'/Xr^oiag.,  fttüg  xpd?J.ovoi,  /.at  ev  Xv^tr^  yeyova 
^oXXfj,    diaxi  /.al  r^f-ielg  ov  ipidXXofiev  y.avovag  y.al  XQorcaQia. 

yteyei  ovv  avxai  6  yeqcov  oval  ^l^lv,  xexvov,  oxl  ecpd^a- 
oav  al  rnxeqai,  ev  aig  VTtoXelipovaiv  ol  fiovayol  xrjv  oxeQsdv 
TQog)r^v  xr^v  öid  xov  dylov  nvEvixaxog  qi^d^eloav  y.al  i^ayoXov- 
&7-G0VOIV  aai-iaxa  y.al  rj^ovg'  Ttoia  ydq  yaxavv^ig,  noXa  day.- 
qva  riy.xovxai  ex  xcov  xqoTtaqicov ;  Tto'ia  ydq  y.axaw§ig  r^ 
ixovayoj,  oxav  ev  ey.y.Xrjaia  7]  ev  yeX?Jcij  laxaxai,  y.al  vifiol  rrjv 
qxüvr^v  uvrov  wg  o\  ßöeg;  El  ydq  evcoTtiov  rov  -d-EOv  jtaQLO- 
rafied^a,  ev  n:oXXf^  y.axavv^Ei  ocpEiXofXEv  %oxaa&ai  yal  ov^l 
ev  lueteioQiOfx^'  y.al  ydq  ovk  e^rjX-9-ov  ol  /xovaxol  ev  xfj  eqr^fi(t) 
xavxr],  iva  Ttaqlaxavxai  xid  d^eiö  yal  fiExeiOQi^ovxaL  y.al  fieXcp- 
öovaiv  aofxaxa  y,al  qvd-fxi^ovoiv  r^x^vg  xal  aeiovai  x^^'^9  ^'^^ 


106        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

(XETaßaivovGL  Ttoöag,  dXV  ocpeiloiuev  iv  (foßio  noXKi^  y.at 
TQO/uio  da/.QvoL  re  y.al  oievayf.iolg  f-iera  eiXaßeiag  Kai  svy.a- 
tavv/aov  /.al  fxeTQiag  [raTtEivijg^  (puovrjg  rag  TtQOOBVXcig  t<^ 
^ea  TtQOog^eQEiv  ^Idov  yccQ  Xeyco  aoi,  rizrov,  ort  ilevoorrai 
Illegal,  ove  g^&eiQOvaiv  ol  XQioviavol  rag  ßlßXovg  tcov  äyuov 
evayyeXuüv  /.al  xwv  äyuov  drcooroXiov  xat  tcov  d^eOTtealiov 
TtQOcf'inTüiv  XeaivovTEg  Tag  yQaqxig  tcov  äyicov  /al  yqcccpovTeg 
TQOrrccQia  v.al  e?^XrjVi-/ovg  ?.6yovg  y.al  yvd^r^OETaL  6  vovg  etg 
TQOfTovg  y.al  Elg  Tovg  Xoyovg  TcJöv  '^EXXivcov  did  xovxo  y.al 
Ol  TtuTeQEg  r^jACov  EiQrf/aOLV,  iva  /urj  ygacpcoaiv  ol  ev  Ttj  eqr^fic^ 
TavTj]  ovTEg  y.aXoyqacpoi  Tovg  ßlovg  y.al  Xoyovg  tcov  yEQOvrcov 
iv  fiEf-ißgccvaig,  aAA'  iv  y^aQtiOLg'  i-ieXXEi  ydq  r^  SQyojxevr]  yEvsd 
XEaivEiv  Tovg  ßlovg  /al  Xoyovg  tcov  naxiQCjov  /al  yqcxcfEiv 
■/aTo,  t6  d^eXr^f-ia  avTolg. 

Kai  EiTiEV  0  dÖEXcfog'  tI  ovv ;  dV.ccyd^r^aovTai  tcc  i'd-r] 
■/al  al  TTaQadoOEig  tcov  XQiOTiavcov  /al  ov/  eoovrai  lEQslg  iv 
Trj  i/y.XiiOicu,  iva  TavTa  yivrjTai ;  /al  eIttev  6  yiqcov  iv  ToXg 
ToiovToig  y.aiQolg  ifjvyiOETai  i]  dyärnq  tcöv  tzoXXcov  '/al  egtul 
^Xiifjig  ov-/  oXiyri  id^vwv. 


27)  Zuerst  publicirt  von  Gerbert  in  seinen  Scriptores  ecclesiastici 
de  musica  t.  I.  p.  259  aus  einer  Wiener  Handschrift. 


Christ:   Hirmos  etc.  in  der  hyzant.  Poesie.  107 


II  «8) 

JiT^yr^oaxo  y^ixlv  6  aßßäg  hoavvi]g  v.al  o  aßßäg  ^cocpQO- 
viog  Xeyovzeg'  ore  aTtr^Xd-oixev*^)  nQog  xov  dßßä  NeD.ov  öia- 
q^oißovorfi  r^g  ayiag  ■/.vqia/.r^g  elg  ro  oqog  ^ivw  r^v  de  6 
ytQiov  T^GiyaUov  avoj  eig  r/V  y.OQvq'rjV  zov  oqovg  eycov  a)Xovg 
6io  fiad^i-zag.  ^E).d^6vTcov  öi  j]uü)v  slg  rd  eo.-teQiid  Tg^aro 
6  yiQiov  ro  Jö^a  nuTot  ovv  rolg  l^r^g.  Kai  ehrorTcov  to 
3IayMQiog  (Ps.  1)  y.al  ro  Kvois  fyJy.Qa^a  (Ps.  140)  yoJQig 
töiv  TQOTTaQuov,  y.ai  [tlTtövieg']  ro  Ocog  \)xiq6v  y.al  ro  Kata- 
^iiüoov,  r^Q^avTO  ro  Nvv  aTVoXvEig  ovv  rolg  e^ijg  (Luc.  2). 
y.al  reXioavveg  rd  eartsoti'd  Ttaqid-rf/.ev  r^ulv  rguTtstav.  y.al 
fierd  ro  öeirtvi^oaL  rQ^dt.ie&a  rov  y.avovog.  y.al  (.lerd  rov 
\^a\pa).i.iov  y.al  elnovreg  ro  ndreo  rf.aov  6  iv  rolg  oiqavolg 
r^Q^aiied^a  roig  \paX[.iovg  dvircog.  y.al  elrtovreg  ^'^)  n]v  ttqco- 
ri]v  oraoiv  rcov  rrevrry.ovra  xf.ia).Liwv  r^q^aro  6  yiqcov  ro 
Ilareq  i)t.aov  6  ev  rolg  ovqavolg  [zat  v]  y.al  ro  Kvqie  IXii]- 
oov.  y.al  y.ad^ioavreg  dveyvco  elg  rwv  ^ad^rfiiov  avrwv  (an 
avrov?)  rr^v  y,ad-o?uy.rv  ^la/.coßov.  y.al  dvaordvreg  rcaXiv 
i]q^a(.ied-a  rr^v  öevriqav  ordoiv  riov  v  i/'aAwwv,  xat  TvXr^qoi- 
aavreg  rovg  v  Uia?.uovg  töor/.e  roj  aU.io  döeXcfcZ  y.al  aveyvw 
iy,  rov  avrov  ßiß?Jov^^)  Ilirqov  rr^v  y.ad^oXr/.r^v  eTiioroXi^v 
Y.al  dvaordvTeg  i]q^di.ied-a  rr]v  y  otdoiv,  yal  rtXi]qcooayreg 
rovg  qv  i^iaXuoig  y.al  elnovreg  ro  Tlareq  r^ixiov  y.al  ro  Kvqie 
eXei]Oov,    sy.a^iarr.juev   y.al   eScoy.ev   efxol  6  yeqcov   riv   ßißXov 


28)  Wiederholt  aus  Pitra's  Juris  ecclesiastici  Graecorum  historia 
et  monumenta  IT.  p.  220,  der  das  Stück  aus  zwei  codd.  Vatic.  A  und 
B  herausgab. 

29)  ci-nif.d-6yr(s  codd. 
SO)   scribe  iirtoyrwy. 
31)    ßißXov  codd. 


108        Sitzung  der  phüos.-pMol.  Ciasse  vom  11.  Juni  1870. 

Y.al  aviyvcoxa  trjv  y.ad^oXL/.r^v  ^hoävvov  v.a.1  dvaordvTeg  rg^d- 
fied^a  rag  (oSag  dvercog  arev  ZQOrtaQuov,  xal  ovre  elg  rr]v  / 
(i>SrjV,  ovre  elg  rrjv  g  STtoir^aafxev  /ueocodiov,  dXXd  ro  Hdxeq 
Vj^wv  y.al  To  Kvqis  sker^Gov  y.al  elnovreg  rovg  aXvovg  avev 
rqoTtaquov  ^g^avTO  ro  zf6$a  sv  iipiOTOig  avv  rfi  tclotu  y.al 
x6  ndveQ  rjixiov  y.al  [r']  ro  Kvqie  iXiijOov  TtQOöid-rf/.Bv  ovv 
o  yeqwv  Xeywv  ^Yii  y.al  Xoye  tov  d-eov  ^Irjoov  Xqiazi,  6 
&edg  '^f4cdv,  iXer^aov  rji^äg  y.al  ßor^d-rjoov  y.al  owaov  rag 
ifjt'xag  r^fxiüv.     y.al  utcovtojv    r^fUüv  ro  l^firjv  iy.ad-eozr^fxev. 

Kai  Xeyco  tio  ysQOvri'  diazl,  dßßa,  ov  (fvXdrTETe  tiv 
xa^iv  trjg  y.ad-ohy.tjg  yal  dn:oGToXr/.r^g  ey./.hjöiag;  y.al  keyev 
^01  6  yäQiov  6  f-ii]  (fv)xiZTO}v  zr<v  zd^iv  z7]g  /.ad^oXixrjg  yal 
dytoozoXiy.rjg  ey.xXr]aiag  eozw  dvd&e^a  yal  ev  zw  vvv  alcovi 
■Kai  ev  roj»  fxiXXovzi.  Kai  Xiyia  avzto  •  Ttöjg  ov  avzog  ov 
rpdXXeig^^)  elg  zd  eOTteQcvd  zrjg  dyiag  y.vQiay.rjg  ovze  elg  z6 
KvQie  sy.ey.Qa^a  zqondQia,  ovze  elg  zd  (Dwg  \Xag6v  ZQOTtdqiov, 
ovze  elg  zöv  yavovazo&eög  y.vQiog,  ovze  elg  zi\v  ozixoXoyiav 
Ziov  iliaXuaiv  y.ad^iOfuata  dvaTtavoif-ia^^),  ovze  elg  zag  c^ddg 
xCöv  zQiüiv  TtaiÖDv  ZQOTrdqia;  dXX*  ovze  elg  zd  MeyaXvvei 
ro  näoa  Ttvorj,  dXX'  ovze  elg  zr^v  öo^oXoyiav  zrjv  dvdazaOLv 
zov  acDzr^Qog; 


32)  neos  Cfff  avTos  oipi  A    Ttws  iSv  ^°'^  ^  — 

33)  dyadTaatfia  coni.  Paranikas. 


Keim:   Altdeutsche  Denkmäler.  109 


Herr  Keinz  übergibt  einen  Nachtrag  zu  1869, 11,  290  ff.: 
„Altdeutsche  Denkmäler." 

Deutsches  im  Gebetbuch  der  heiligen  Hildegard. 

Der  Cod.  lat.  mon.  935,  Perg.  72  Bl.  in  8",  XII.  und 
XIII.  Jahrh.  enthält  eine  Anzahl  gleichzeitiger  deutscher  Ein- 
träge, welche  theils  in  sachlicher,  theils  in  sprachlicher  Be- 
ziehung von  nicht  geringem  Interesse  sind  und  daher  eine 
nähere  Darlegung  wohl  verdienen. 

Die  Handschrift  ist  ursprünglich  eine  Sammlung  von 
bildlichen  in  Farben  ausgeführten  Darstellungen  von  Gegen- 
ständen aus  der  biblischen  Geschichte  alten  und  neuen  Te- 
staments und  von  lateinischen  Gebeten  dazu ,  welche  n)eist 
dem  Bilde  gegenüber  stehen.  Dem  alten  Testamente  gehören 
10,  dem  neuen  62  Seiten  mit  theils  geschichtlichen,  theils 
sinnbildlichen  Darstellungen  an.  Die  Anzahl  der  Bilder 
selbst  ist  etwas  grösser,  weil  auf  einigen  Seiten  2,  auf  der 
ersten,  die  Schöpfung  sinnbildlich  darstellenden,  sogar  6  (die 
6  Schöpfuugstage)  beziehungsweise  9  Bildchen  sind. 

Bilder  und  Text  sind  gut  erhalten.  Nur  die  ersten 
2  Bilder,  der  Schöpfungsgeschichte  angehörend,  haben  durch 
Moder  Schaden  gelitten,  ausserdem  sind  hie  und  da  die  zu 
den  Bildern  gehörigen  erklärenden  Umschriften  durch  den 
Buchbinder,  der  etwa  im  XVII.  oder  XVIII.  Jahrh.  die  Hand- 
schrift in  einen  mit  blauem  Sammet  überzogenen  Einband 
brachte  und  mit  Goldschnitt  verzierte,  beschnitten  worden; 
von  einer  andern  Schädigung  wird  bei  Beschreibung  der 
deutschen  Texte  die  Rede  sein.  Zu  besonderem  Schutze  hat 
der  Buchbinder  vorne  und  rückwärts  eine  Lage  von  je 
8  Blättern    weissen  Pergaments    angefügt   und    auch    durch 


110        Sitzung  der  philos.-philöl.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

Aufkleben  eines  gleichen  Blattes  das  erste  wie  erwähnt  be- 
schädigte Bild  gegen  weitere  Zerstörung  gesichert.  Dieses 
Blatt  trägt  jetzt  auf  seiner  Vorderseite  eine  wohl  nach 
dem  Binden  angebrachte  lateinische  Inschrift,  welche  auf 
dem  gegenüberstehenden  letzten  Blatte  der  genannten  Ein- 
lage in  schöner,  die  sogenannten  gothischen  Druckbuchstaben 
nachahmender  Schrift  in  deutscher  üebersetzung  angebracht 
ist.  Da  diese  Inschrift,  welche  dem  Codex,  wie  es  scheint, 
nachdem  er  gebunden  war ,  beigefügt  wurde ,  Aufklärung 
über  die  Entstehung  der  Handschrift  gibt,  so  mag  sie  in  der 
genannten  üebersetzung  hier  Platz  finden: 

'Auss  etlichen  nit  geringen  vrsachen  vud  vermuettungen 
kan  abgenommen  werden,  dass  die  Hailig  Hildegard  Äbtissin 
zu  Sanct  Robertsberg  an  dem  fluss  Naha  nicht  weit  von 
Bingen  sey  ein  beschreiberin  und  erfinderin  diser  gar  an- 
dechtigen  vnd  gnadenreichen  gebeten  gewesen.  Dise  ist 
gestorben  vnder  Kaiser  Friderichen  dem  ersten  diss  namens 
jm  jar  nach  Christi  geburt  Tausend  hundert  vnd  Achzig 
jres  alters  im  Zway  vnd  achzigsten,  des  Sibenzeheuden  Sep- 
tembris.* 

Welcher  Art  die  erwähnten  Vrsachen  vnd  vermuettungen* 
gewesen  seien ,  bleibt  unbekannt.  Dass  die  Handschrift  in 
späterer  Zeit  hochgeachtet  wurde,  oder  auch,  dass  sie  Eigen- 
thum  einer  hochstehenden  Persönlichkeit  war,  dürfte  aus 
der  oben  gegebenen  Beschreibung  des  Einbandes  erhellen. 
Da  sie  indess  nicht  erst  bei  der  Klösteraufhebung  in  die 
k.  Staatsbibliothek  kam,  sondern  schon  der  alten  churfürst- 
lichen  Bibliothek  angehörte,  so  fehlen  Angaben  über  ihre 
nähere  Herkunft,  und  es  ist  aus  dem  Inhalte  zu  erforschen, 
ob  die  obige  Angabe  nach  Zeit  und  Ort  richtig  sein  kann. 
Nur  die  eine  Vermuthung  dürfte  berechtigt  erscheinen,  dass 
sie,  wenn  einst  das  Kloster  Rupertsberg  ihr  Eigenthümer 
war,  nach  der  Zerstörung  desselben  durch  die  Schweden 
(1632)  in   den  Besitz   einer   der  pfälzisch  -  wittelsbachischen 


Keim :   Altdeutsche  T>enJcmäler.  111 

Linien    und   von   da    im  Verlaufe    der  Zeit    an    die   hiesige 
Bibliothek  gelangte. 

Bezüglich  des  Inhalts  ergeben  sieh  nun  folgende  Schlüsse. 
Die  Bilder  sind  nach  dem  Urtheile  eines  competenten  Ken- 
ners, des  Herrn  Directors  des  german.  Museums,  Dr.  Essen- 
wein, aus  der  Mitte  des  XII.  Jahrhunderts.  Die  Schrift  der 
lateinischen  Gebete  tritt  ebenfills  zum  grösseren  Theil,  näm- 
lich bis  Seite  48  mit  der  Ueberlieferung  nicht  in  Widerspruch, 
indem  sie  der  zweiten  Hälfte  des  XII.  Jahrhunderts  angehört; 
von  S.  49  an  aber  scheint  der  Text  erst  aus  dem  XIII.  Jahr- 
hunderte zu  stammen  und  also  nachträglich  beigefügt  worden 
zu  sein.  Die  deutschen  Einträge  Hessen  sich  der  Sprache 
nach  ganz  gut  dem  XII.  Jahrhundert  zueignen ,  ihre  Schrift 
aber  neigt  schon  dem  XIII.  Jahrhundert  zu.  Die  Mundart 
der  letzteren  steht  auch  der  obigen  Ortsbestimmung  nicht 
entgegen,  was  mir  nebenbei  gesagt  ein  Grund  mehr  zu  ihrer 
Wiedergabe  war,  da  örtlich  fest  bestimmte  Stücke,  nament- 
lich aus  so  alter  Zeit,  für  die  Sprach-  und  besonders  Mund- 
arten-Forschung immer  von  erhöhter  Wichtigkeit  sind.  Da- 
gegen darf  nicht  verschwiegen  werden ,  dass  in  Worten  die 
sich  auf  die  Persönlichkeit  des  Betenden  beziehen,  z.  B.  pec- 
catrix  die  weibliche  Form  auf  Rasur  steht;  es  ist  indess  die 
Correctur  von  kaum  viel  jüngerer  Hand.  Alle  diese  Umstände 
zusammen  gerechnet  darf  wohl  angenommen  werden,  dass 
die  nach  der  Ueberlieferung  ausgesprochene  Behauptung,  die 
Handschrift  sei  einst  das  Gebetbuch  der  heiligen  Hildegard 
gewesen ,  auf  ziemlich  grosser  Wahrscheinlichkeit  beruhe. 
Näher  darauf  einzugehen,  gestattet  hier  der  Raum  nicht, 
ich  kann  diess  auch  um  so  leichter  unterlassen ,  da  der 
wichtige  Codex  wohl  sicher  noch  der  Gegenstand  genauerer 
Forschung  werden  wird.  Von  den  zwei  besondern ,  hier 
nöthigen  Untersuchungen ,  über  die  kunstgeschichtliche  Be- 
deutung desselben  und  über  das  Verhältniss  der  lateinischen 
Texte  zu  dem ,   was  sonst  von  Schriften  der  heil.  Hildegard 


112        Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

bekannt  ist ,  muss  ich  die  eine  einem  gründlicheren  Kunst- 
kenner überlassen,  zur  andern  mangelt  mir  die  nöthige  Zeit. 
Ich  wende  mich  daher  sofort  zu  den  erwähnten  deutschen 
Einträgen. 

Dieselben  sind  zweierlei  Art:  1)  die  einzelnen  Bilder 
sind  nicht  bloss  mit  lateinischen,  sondern  auch  mit  deutschen 
Inschriften  versehen ,  welche  den  Gegenstand  der  Darstellung 
angeben,  und  an  den  Rändern,  oben  oder  unten,  rechts  oder 
links  angebracht  sind;  2)  an  drei  Stellen  ist  frei  gebliebener 
Raum  zur  Eintragung  religiöser  Diclitungen  benützt.  Von 
letzteren ,  als  dem  wichtigeren  Theile  mag  hier  zuerst  die 
Rede  sein.  Kurz  will  ich  zuvor  erwähnen ,  dass  die  Ent- 
zifferung dieser  drei  Stücke  eine  ziemlich  schwierige  war,  da 
durch  sänimtliche  Zeilen  mit  einer  ziemlich  dunklen  Tinte 
breite,  die  Buchstaben  fast  in  ihrer  ganzen  Höhe  deckende 
Linien  gezogen  sind ,  durch  welche  irgend  ein  Barbar  diese 
deutschen  Texte ,  wohl  als  nicht  in  ein  lateinisches  Gebet- 
buch gehörend ,  unleserlich  machen  wollte.  Indess  scheint 
hie  und  da  noch  die  andere  Tinte  durch  und  sind  hiedurch 
sowie  an  den  Spitzen  der  Buchstaben  die  Wortformen  er- 
kennbar; in  wenigen  schwierigeren  Fällen  fand  sich  Hülfe, 
nachdem  einmal  erkannt  war,  welchem  Gedichte  das  grösste 
Bruchstück  angehörte.  Schon  Schmeller  hat  sich  mit  der 
Entzifferung  dieser  Stücke  befasst,  aber  noch  manches  zu 
thun  übrig  gelassen. 

Der  grösste  Eintrag  findet  sich  auf  Seite  70.  Hier  ist  näm- 
lich eine  ganze  Seite  frei  geblieben  und  mit  deutschem  Texte 
ausgefüllt.  Unser  leider  zu  früh  verstorbener  Wackernagel, 
dem  ich  denselben,  als  er  das  letzte  Mal  hier  verweilte,  in 
meiner  Abschrift  vorlegte,  erkannte  sofort,  dass  diess  ein 
Theil  sei  von  der  von  ihm  selbst  und  von  Giaff  nach  der 
seit  1841  verschollenen  Handschrift  des  Klosters  Muri,  zu- 
letzt von  Scherer  in  den  'Denkmälern*  als  Nr.  42  heraus- 
gegebenen 'Sequentia  de  S.  Maria'.     Es  ist  davon  der  letzte 


Seim:  Altdeutsche  Denkmäler.  113 

Theil  von  V.  40  an,  mit  einigen  Textverscliiedenheiten.  Auf- 
fallend ist  dabei,  dass  hier  das  Stück  fast  gerade  da  beginnt, 
wo  nach  ^Denkmäler  p.  393'  die  Engel  berger  Abschrift,  näm- 
lich bei  V.  38 ,  abschliesst ,  weil  der  Verfasser  des  Katalogs 
das  weitere  nicht  habe  lesen  können.  Zu  der  Annahme, 
dass  er  nach  der  hiesigen  Handschrift  gearbeitet  habe,  wel- 
che übrigens  den  ersten  Theil  jetzt  gar  nicht  enthält,  findet 
sich  keine  genügende  Stütze:  es  wäre  diess  nur  in  dem  einen 
Falle  denkbar,  wenn  man  annehmen  wollte,  dass  die  hie- 
sige Handschrift  früher  auf  einem  besonderen  Blatte  den 
Anfang  der  Sequenz  enthalten  hätte  und  dass  dieses  Blatt 
aus  derselben  entfernt  worden  sei;  da  dieselbe  aber  keine 
Spur  eines  Defectes  zeigt,  so  müsste  diese  Beraubung  statt 
gefunden  haben ,  ehe  die  Handschrift  gebunden  wurde ,  wo- 
rüber ich  nicht  urtheilen  kann,  da  mir  das  Alter  der  Engel- 
berger  Abschrift  unbekannt  ist.  Ein  anderer  merkwürdiger 
Umstand  ist,  dass  von  den  zwei  einzigen  Handschriften, 
welche  dieses  Stück  enthalten,  die  eine  der  heil.  Agnes,  die 
andere  der  heil.  Hildegard  gehört  haben  soll. 

Der  Text  nun,  zu  dessen  sicherer  Eutzifi'erung  schhess- 
lich  auch  die  Herren  Wackernagel  und  Scherer  noch  einiges 
beigetragen  haben ,  lautet ,  mit  Beibehaltung  der  Zeilenab- 
theilung,  wie  folgt: 

zu  muter  kos.     Din  wlrdecheit  du 

deine  loch  druge  du  maget  vil  rein[e] 

daz  lebendige  brot  daz  was  got  selbo  di  si 
nen  munt  zu  dinen  brüsten  bot  unt  di 
ne  brüste  in  sine  hende  phing  o  woch  cu 
ninginna  waz  gnaden  got  an  dir  beginc 
La  mich  genizen  suanne  ich  dich  nenne 
daz  ich  maria  frowa  des  gelobe  des  an 
dirre  chenne  daz  niman  gudes  mac  des 

V 

verlochenen  dun  sis  dirbarmunge  moter 
[1870.  n.l.]  8 


114       Sitzung  der  pMlos.-phüol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 
La  mich  genizen  des  hi  beginge  in  dirre 

V 

werlende  mit  dirae  sone  du  du  en  mit  han 
den  zu  dir  phinge  wol  du  des  kindes  hil 
mir  hin  zu  imo  ich  wez  wol  frowa  daz  du 
in  senfde  vindes  diner  bete  mac  dir  din  liber 
frowa(?)  nimer  verscien  Nu  bit  in  daz  he  mir 
waron  rüen  müze  virlien,     Daz  er  dur  den 
namen  dri  siner  mensHchen  hant  ge  dat 
gnadec  in  den  sunden  si.     Daz  her  dur  den 
grimen  dot  den  her  leit  dur  di  cristenheit 
se  ä  niensliche  not  hilf  mir  frowa  da  du 
sele  [von  m]ir  scede  da  cü  (=  cum)  mir  ze  dros 
de  uon(?)  ich  geloven  daz  du  bist  müter  unde 
maget  beide. 

Die  beiden  ersten  Zeilen  sind  um  einen  Strich  oder 
Buchstaben  beschnitten ,  die  letzte  war  mit  andern  Worten 
ausgefüllt,  welche  aber  sorgfältig  radirt  sind. 

Weitere  Stücke  ähnlichen  Inhalts,  die  aber  keinem  mir 
bekannten  Texte  angehören,  sind  auf  der  23.  und  24.  Seite 
auf  freigebliebener  Stelle  am  untern  Rande  eingetragen. 
Diese  haben  durch  das  Durchstreichen  weniger  als  das  erste 
gelitten.  Ob  sie  selbständige  Stücke  sind,  oder,  wie  der 
gleiche  Schluss  anzeigen  könnte,  zu  einem  grösseren  Ganzen 
gehörten ,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden.  Eine  besondere 
Eigenheit  ist  der  tiradenmässig  durchgeführte  Reim  auf  a, 
wie  sich  einigermassen  ähnliches  auch  in  den  mitteldeutschen 
Mariengebeten  findet,  welche  Greith  in  seinem  Spicilegium 
Vaticanum  pag.  70  f.  mittheilt. 

pag.  23. 

Aller  mageda  reinsda  aller  iuncfrowen 
minssamesta  aller  wibe  bessesda  aue  Maria 


Keinz:  Altdeutsche  Benkmcüer.  115 

weget  for  mich  gnedege  frowa  V[van?]de  och 
minnet  min  herza(?)  wände  och  lobet  min  zun  (?) 
ga  wände  au  ovch  (?)  diget  min  sela  Evge  (?) 
maget  reina  liether  danne  suuna  sconer 
danue  du  morgenroda  Milde  wib  seliga 
kunecliche  frowa  aller  gnaden  volla  AI 
l[er]  engt;le  froweda  aller  heiigen  mandunga 
aller  eristenun  heilfa  aue  Maria  weget  vor 
mich  gnedege  frowa 

pag.  24. 
Reine  müter  milda  wände  mich  ruwet  min 
sunda  wände  svchen  ich  vwer  gnada.     E  .  .  t 

1 dog  .  .  .  weset  mine  sunda  vnde 

inzundet  an  mir  di  heiigen  minua. 
Aller  mütere  seligista  aller  cuneginnen 
lussamsta  aller  heiigen  helegista  Aue  M^ 
weget  vur  mich  gnedega  frowa  ...  eg. 

Die  erwähnten  Inschriften  sind  grösstentheils  am  untern, 
zum  Theil  am  äussern  Rand  der  Bilder,  ausserhalb  des  Um- 
fassungsrahmens angebracht.  Einige  sind  fa»vt  ganz  verblasst 
und  bedurften,  um  lesbar  zu  werden,  besonderer  AuifriscLung; 
einige  sind  etwas  beschnitten.  Sie  dürften  wohl  so  viel 
sprachliches  Interesse  bieten,  um  den  Abdruck  zu  verdienen. 
Die  Ziffern  beziehen  sich  auf  die  Seiten,  auf  denen  sie 
stehen. 

2^   Daz  sint  du  ses  werck  vnsers  herre[n]    do  he   di   werlt 

geschvf. 
2^    [hi  n]am    vnser  herro    for  ewä  fon  hern  adames  rippe. 
B     hi  gab  he  in  den  namen. 

4  hi  brachen  si  daz  gebot  unse's  herren. 

5  hi  werscament  si  sich  in  den  paradiso. 

8* 


116        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

6  Hi  slük  si  der  enge!  vzze  den  paradiso. 

7  hi  sach  her  abraham  dri  engele  vnde  betethe  einin  ane. 

8  hi  offert  her  abraham  sinen  sün. 

9  hi  ir  schein   unser  herro   her   in  (herrin?)  Moysese    do 

der  busch  inbrant  was. 

10  hi  gab  vnser  herro  her  Moyses  di  ewe. 

11  Hi  kündet  der  engel  vnsern  herren  vnser  wrowen. 

12  Hi  gruzet  unser  wrowa  sante  Johannes  Mvter. 

13  Hi  ist  vnsers  herren  geburt. 

14  Hi   kündet   der   engel   den   hirten   daz   vnser  herro  ge- 

borin  ist. 

15  Hi  brengent  di  dri  kunige  unse'mo  herren  daz  offer. 

0 

16  Hi  wirdet  vnser  herro  ge  offeret  in  dem  teplo. 

0 

17  . .    wluwet    her  Joseph   Mit   unsermo   herren   vn    unser 

[wjrowen  in  egiptum  for  herode. 
19     Hi  disputirit  unser  herro  in  demo  templo  Mit  den  Juden 
do   zewlf  (so)   herich   waz 

0 

hi   twfet  sante  Johannes  unse'n  h'ren 

0 

21  Hi  wersuchet  der  dwwel   vnse'n  herren  vn  sprichet  daz 

di  steine  zu  brode  werden  fon  imo 

0 

22  hi  sprichet  vnser  hr"  zu   dem   dwwele   ez  ist  gescriben 

daz   du   dinen   herren   vn   dinen  got  anebed[est]  ^ 
demo  aleine  dinest 

[Hi  machet]  unser  herro  daz  wazzer  zu  wine  zu 
der  wirscheffe 

23  Hi  sprach  unser  herro   zu  der  werlde  Selinc  sint  di  di 

arm  sint  des  gestes 

0 

24  Hi   theilith    vnser    herro    dw   wnf   broht   vn   di    zwene 

wische  den  wunf  tusent  werlde 

25  Hi   irloset  vnser  [herro]  einer  wrowen  thoder  fon  demo 

düwele 


Keim:  Altdeutsche  Denkmäler.  117 

26     Hi  machet  unser  herro  di  wrowen  ge  recht  di  da  was 
crunp 

28  Hi  machet   unser   hero    di   wrowen  gesunt   di   da   sich 

was  an  dem  blwde 

0 

29  Hi  ist  fon  der  wrowen    di   da   imo   vberhwre    wart  be- 

griffen di  man  sol  fersteinen  do  sprach  unser  herro 
swer  ane  sunde  si  der  werfe  si  mith  eimo  steine 

30  Hi   quam  vnser  herro  mwde  vber  einen  bruvnaen  unde 

hiz  imo  eino  (so)  wrowen  trinken  geben 

[hi  irjloset  unser  herro  einen  menschen  fon  eimo 
dowben  [djwwele   unde   von    eimo  stummen   düweie 

32  Hi  irloset  vnser  herro  einen   menschen  fo  demo  duwele 

33  Hi  ist  fon  den   armen   di   des  geistes  arm  sint  vnde  fo 

0 

den  kundechin  di  da  werwlüchint  sint 

34  Hi  ist   fon    den  selegin  di   da  milde    sint  unde  fon  den 

0 

werwlwchedin  di  da  zornic  sint 

0 

35  Hi  ist  fon  den  selegin  di  da  weinent  ün  fon  '^'°  ^"  wlv- 

chedin  di  sich  frowwent  der  sunde 

36  Hi  ist  fon  den  selegin  di   da  hungert  nach  der  gerech- 

0 

cheite  vnde  fon  den  werwluchedin  di  da  girink  sint 

37  Hi   ist   fon   den   selegin   di    da   barmerzik  sint  und  fon 

den  werwluchedin   di    da   bero  .  chint   in   de   wider- 
wordechin  ire  nehistin 

38  Hi  bist  von  den    di  reines  herzin    sint  ^  fon  den  wer- 

wluchedin di  da  vnkusches  herzin  sint 

39  Hi  ist  fon  den    geduldegin   unde  fon   den  Missehelledin 

40  Hi  ist   fon   den   selegin   di    da   duldent   daz   vnreht  du 

(durh?)    di    gerech   vn  fon    den  werwluchedin  di  da 
nach  wolgent  der  gerechecheite 

41  Hi  generiht  vnser  herro  den  wazzersuthegin 

42  Hi  machet  vnser  herro  zwene  blinden  gesehende 


118        Sitzung  der  philos.-iyhilol.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

42  Hi    machet   unser    herro    einen    geboriu    blinden 

gesehinde  der  fon  siner  geburthe  blint  was 

44  Hi  machet  vnser  herro  zehene  vzsezzegin  gesunt 

45  Hi  ist   vnser   herro   miht   sinen   iungeren   uffe  mere  vn 

wirbt  ein  groz  sturniweder 

46  Hi  machet  vnser  herro  eine  thode  iuncwrowwen  lebendik 

47  Hi  machet  vnser  herro  eine  iungelink  lebendik 

48  Hi  machet  vnser  herro  lazarum  lebendik 

49  Hi    thewhet   sante   maria   magdaleua   uusermo  h  .  .  . .  n 

0 

sine  wz[e?] 

50  Hi  kuraet   unser  herro  zu  ierusalem  geriden  uffe  demo 

esele 

Hi  sprichet  unser  herro  zu  sinen  iungerin  schewm  (so) 
ich  geben  das  gemerche  brod  der  hat  mich  ferraden 

51  Hi    werchowffet    iudas    unserin    herren    umme    drizek 

phenninge 

52  Hi  thewet  unser  herro  sinen  iungerin  ire  fuze 

53  Hi  ginc   unser   herro   vffe   den   berc   beden    vn  qua[m] 

unseres  herren  engel  vn  sterkchet  in  an  der  marthel 
55     Hi  hat  iudas    mith  eimo  küsse   des  menschen  sün  wer- 

0 

chowfht 

Hi  wuriut  si  in  gewangen  für  pilatum 
57     Hi  werlowcheneht  sante  peter  unsers  herren 
Hi  sted  unsen  herro  for  demo  richere 

59  Hi  sezzent  si  imo  di  durnnin  cronen  vf  vn  werspothent 

in  vn  halslagent  in 

Hi  wirth  he  an  der  sule  geslagen  mith 

60  Hi  trheit  unser  herro  daz  cruze  zv  der  marthel 

62     Hi  stirbet  unser  her  (h')    an    demo  cruze  un  di  zewne 

schechere  iequeder  sin  einer 

Hi  nimet  man  in  fon  demo  cruze  und  leid  in  zu  grap 
64     Hi   ir   sted   unser   herro    fon  den   dothen   un  irloset  di 

sinen  willen  hant  gethan. 


Keim:  Altdeutsche  Denkmäler.  119 

Hi  kument    di    dri    marien    zu   demo   grabe   wn 

0 

wellet  sante  Maria  Magdalena  [Jesu]  zu  wuz 

65  Hi  brathen  vnseres  herrin  iungerin  imo  ein   theil   eines 

wisches    un    ein    raze    honiges   vn    greif  imo   sante 

0 

thomas  in  sine  wnden 

66  Hi  sprichet  unser  lierro  zu  sinen  iungeren  lat  da  (1.  daz) 

nezze  zu  der  reihen  hant  so  windet  ir 
69     Hi  wert  unser  herro  zu  himele 

Hi    ir    wllet    (vullet)    unser   herro   sine   iungerin 
mith  simo  heilgin  geisthe 

71  Hi  steut  di  thoden  fon  den  greberin 

Hi  brenget  di  engle  daz  cruze  an  daz  geriche 

72  Ir    werwluchethen     (beschnitten)    an 

demo  iungesthen  dage. 

Bezüglich  der  angewendeten  Transcription  mag  für  diese  Um- 
schriften, die  sämmtlich  von  einer  Hand,  aber  von  einer  andern  als 
die  obigen  poetischen  Stücke  stammen,  folgendes  bemerkt  sein :  Die 
Abkürzungen  für  er  (r)  und  n  (m)  sind  meist  aufgelöst;  statt  des 
langen  ist  immer  das  kurze  s  gesetzt;  der  häufig  stehende  Strich  über 
dem  i  wurde  weggelassen ;  in  den  Stellen  von  f.  10  und  42  hat  das 
10  in  der  Handschrift  drei  Schattenstriche;  auf  f.  25  fehlt  herro  in 
der  HS.;  statt  ü  hat  die  HS.  häufig  v  mit  übergeschriebenem  o;  auf 
f.  37  ist  in  bero .  chint  (gloriantur)  das  h  aus  h  hergestellt  und  das  o 
nicht  sicher,  es  scheint  hinter  demselben  noch  ein  Strich  zu  stehen; 
vn  =  vnde  (f.  64  wn)  hat  immer  den  Strich  über  sich.  Wo  auf  einem 
Blatte  Inschriften  auf  beiden  Seiten  vorkommen ,  ist  oben  die  der 
zweiten  Seite  eingerückt.  Schliesslich  mag  noch  bemerkt  werden, 
dass  die  Bilder  der  HS.  mit  wenigen  Worten  erwähnt  sind  von 
Kugler  in  seinem  Museum  Bd.  H  (1834)  S.  1G5  unter  Nr.  23. 


120        Sitzung  der  philos.-phihl.  Classe  vom  11.  Juni  1870. 

Herr  Plath  hielt  einen  Vortrag 

„Ueber  die  Schüler   und  Nachfolger  des  Con- 
fucius" 
als  Fortsetzung  seiner  früheren  Abhandlung  „über  des  Con- 
fucius  Leben  und  Lehren." 

Die    Classe    genehmigte    die    Veröffentlichung    in    den 
Denkschriften  der  Akademie. 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  11.  Juni  1870. 


Herr  v.  Löher  hielt  einen  Vortrag 
,,Ueber  Helmkleinode" 
als  Bestandtheil  einer  grösseren  Abhandlung  über  Entstell- 
ung und  Ausbildung  der  Wappen. 


Berichtigung. 

Seite  8   Zeile  1    von   oben   lies    Fe  Fe    statt   FeP  1 


Einsendungen  von  Druckschriften.  121 


Einsendungen  von  Druckschriften. 


Von  der  Je.  l:  geologischen  Eeichsanstalt  in  Wien: 

a)  Die  fossilen  Molusken   des  Tertiär  -  Beckens   von  Wien.    Von 
Dr.  Mor.  Hörnes.     2.  Bd.     Nr.  9.  10.     Bivalven.      1870.     g.  4. 

b)  Jahrbuch.     Jahrg.  1870.    20.  Bd.    Nr.  2.    April,  Mai,  Juni.     8. 

c)  Verhandlungen.     Nr.  6.     1870.     8. 

Von  der  antiquarischen  Gesellschaft  in  Zürich: 

Mittheilungen.    Bd.  16.    Abthl.  I.   Heft  3.  4.    und  Abthl.  II.   Heft  4. 
1869.     4. 

Von  dem  physikalischen   Verein  zti  Frankfurt  a/M.: 
Jahresbericht  für  das  Eechnungsjahr  1868 — 1869.     3. 

Von  der  deutschen  morgenländischen  Gesellschaft  in  Leipzig: 

Abhandlungen   für    die   Kunde    des   Morgenlandes.      5.  Bd.     Nr.  3. 
Ueber  das  Saptafatakam  des  Häta.     1870.     8. 

Von  der  k.  k.  patriotisch-ökonomischen  Gesellschaft  in  Prag: 

Centralblatt   für   die  gesammte  Landeskultur.     21.  Jahrg.  der  neuen 
Folge.     2.  Jahrg.     4.  5.  6.  7.  8.  Heft.    April  —  August  1870.     8. 

Vom  historischen   Verein  für  Niederbayern  in  Landshut: 
Verhandlungen.     14.  Bd.     1.  2.  Heft.     1869.    8. 


122  Einsendungen  ton  Bruckschriften. 

Vom  historischen    Verein  in  Bamberg: 

31.  Bericht  über   das  Wirken   und  den  Stand  des  Vereins  im  Jahre 
1868.     1869.    8. 

Von  der  astronomischen  Gesellschaft  in  Leipzig: 
Vierteljahrsschrift.     5.  Jahrg.     3.  Heft.     1870.     8. 

Von  der  Universität  in  Heidelbefg : 

Heidelberger  Jahrbücher  der  Literatur  unter  Mitwirkung  der  4  Fakul- 
täten.    63.  Jahrg.     4.  5.  6.  7.  Heft.     April— Juli  1870.     8. 

Von  der  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien: 
Medicinische  Jahrbücher    Zeitschrift.    26,  Jahrg.    2.  3.  Heft.     1870.  8. 

Von  der  Gesellschaft  für  pommersche  Geschichte  und  Älterthumskunde 

in  Stettin: 

Baltische  Studien.     23.  Jahrg.     1869.     8. 

Von  der  Bedaktion  des  Correspondenz-Blattes  für  die  Gelehrten  und 
Realschulen  Württembergs  in  Stuttgart: 

Correspondenz-Blatt.    17.  Jahrg.    1870.    Nr.  4.    Juli.  August  1870.    8. 

Von  der  bataviaasch  Genootschap  van  Künsten  en  Wetenschappen 
in  Batavia: 

a)  Verhandelingen.     Deel  33.     1868.     4. 

b)  Tijdschrift  voor  indische  Taal-Land-en  Volkenkunde. 

Deel  16.    Vijfde  Serie.    Deel  2.    Aflevering  2—6. 

»)         ■'•'•  n  ))  n        3.  „  1       6. 

„      18.        „         „  „     4.  „  1.     1866—68.   8- 

c)  Catalogus  der  ethnologische  afdeeling  van  het  Museum  van 
het  Bataviaasch  Genootschap.     1868.     8. 

d)  Notulen  van  de  algemeene  en  Bestuurs-Vergaderingen  van  het 
Bataviaasch  Genootschap.  Deel.  IV.  Aflev.  2.  V.  1867.  VI.  1868. 
VIT.  1869.     Nr.  1.     8. 

e)  Catalogus  der  numismatische  afdeeling  van  het  Museum  van 
Bataviaasch  Genootschap.     1869.     8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  12.3 

Vom  B.  Comitato  Geologico  D' Italia  in  Florenz: 
Bolletino  Nr.  6.     Giugno  1870.     8. 

Vom  Instituto  historico  geographico  e  etlmographico  do  Brasil  in 
Bio  de  Janeiro: 

Kevista   trimensal    do    Instituto    historico    Tomo  32.      Parte    1.    2. 
I«.  Trimestre.     1870.     8. 

Von  der  Äcademie  roydle  des  sciences,  des  lettres  et  des  heaux-arts  de 
Belgique  in  Brüssel: 

Bulletin.     89.  annee.     2.  serie.     tomo  30.     Nr.  7.  8.     1870.     8. 

Vom  Beale  Istituto   Veneto  di  scienze  lettere  ed  arti  in    Venedig : 
Atti.    Tomo  decimoquinto,  serie  terza.   Dispensa  settima.    1870.  70.   8. 

Von  der  Äcademie  imperiale  des  sciences  in  St.  Petersburg: 

a)  Memoires.     7.  Serie.     Tom.  15.     Nr.  5—8.     1870.     4. 

b)  Bulletin.     Tom.  15.     Nr.  1.  2.     1870.     4. 

Von  der  kongelige  NordisJce  Oldskrift-SelsJcab  in  Kopenhagen: 

a)  Aarboger   for  nordisk  oldkyndighed  og   historie.      3.    4.  Hefte 
1869.     1.  Hefte  1870.     8. 

b)  Tillaeg  til  aarboger,  Aargang  1869.     1870.    8. 

Von  der  Societe  royale  des  antiquaires  du  Nord  in  Kopenhagen: 
Memoires.     Nouvelle  serie  1869.     8. 

Von  der  Accademia  pontifica  de  nuovi  Lincei  in  Born: 
Atti.     Sessione  1—7.     Decembre  1868—  Giugno  1869.     4. 

Von  der  koninklijke  natnurkundige   Vereeniging  in  Nederlandsch 
Jndie  in  Batavia : 
Natuurkundig  Tijdschrift.     Deel  31.     Zevende  Serie.     Deel  1.     Afle- 
vering  1—3.     1869.    8 

Von  der  Societe  Hollandaise  des  sciences  in  Harlem: 

a)  Verhandelingen  3.  Serie.     T.  I.  1.  2.     1870.     4. 

b)  Archives  Neerlandaises.     Tom.  V.  1.  2.  3.     Livraison  1870.     8. 


124  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  Societa  italiana  di  scienze  naturali  in  Mailand: 
Atti.    Vol.  12.     Fascicolo  3.  4.     1870.     8. 

Von  der  Äcademie  des  sciences  in  Paris: 
Comptes  rendus  hebdomadaires  des  seances.    Tom.  70.    Nr.  25.  26. 
Juin.     Tom.  71.     Nr.  1—3.    Juillet  1870.     8. 

Von  der  Je.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Kopenhagen: 
Oversigt  over  det  Forhandlinger  i.  Aaret  1868.   Nr.  6.     1869.   Nr.  4, 
1870.    Nr.  1.     8. 

Von  der  Commission  imperiale  archeologique  in  St.  Petersburg : 
Compte-rendu  pour  l'annee  1868.    Avec  un  atlas.     1869.     Fol. 

Von  dem  Bureau  de  la  recherche  geölogique  de  la  Suede  in 
StocTcholm : 
Sveriges  geologiska  undersökning  pä  oflfentlig  bekostnad  utförd  under 
ledning  afA.  Erdmann,  Bladen  31—35  de  la  Carte  geölogique 
de  la  Suede:  „Upsala,  Örbyhus,  Svenljunga,  Amäl,  och  Balders- 
näs  samt  geologisk  översigtskarta  öfver  bergarterna  pa  Ostra 
Dal.     1870.     4 


Vom  Herrn  J.  A.  Grunnert  in  Greifswald : 
Archiv  der  Mathematik  und  Physik.     52.  Thl.     1.  Heft.     1870.     8. 

Vom  Herrn  Hermann  Kolhe  in  Leipzig: 
Journal  für  praktische  Chemie.     Neue  Folge.    Bd.  2.    Heft  1.  8.  4. 
1870.     8. 

Vom  Herrn  F.  C.  Noll  in  Frankfurt  a/M. : 
Der   zoologische  Garten.     Zeitschrift   für  Beobachtung ,    Pflege   und 
Zucht  der  Thiere.    11.  Jahrg.  1870.    Nr.  1—6.    Januar— Juni.    8. 

Vom  Herrn  Karl  von  Weber  in  Dresden: 
Archiv  für  sächsische  Geschichte.     8.  Bd.     4.  Heft.     9.  Bd.     1.  Heft. 

1870.     8. 


Sitziiiigsbericlite 

der 

königi.  bayer.  Akademie  der  Wissenscliaften. 


Mathematisch -physikalische  Classe. 

Sitzunor  vom  2.  Juli  1570. 


Herr  Bucliner  macht  eine  vorläufige  Mittheilung  über 
eine  Arbeit  des  Herrn  Professors  H.  Spirgatis  in  Königsberg: 

..Ueber  das  Harz  der  Tampico-Jalape."' 

Ausser  der  officinellen  Jaiapenwurzel  von  Ipomoea  Fnrga 
Wenderoth  und  der  stängeligen  von  Ipomoea  Orisahensis 
Pelletan  wird  seit  einiger  Zeit  aus  Mexiko  eine  dritte 
Jalapensorte  über  Tampico  unter  dem  Xamen  Tampico- 
Jalape  ausgeführt,  deren  Mutterpflanze  zwar  bis  jetzt  un- 
bekannt^) ist.  deren  Aeusseres  jedoch  mit  Sicherheit  schliessen 
lässt,  dass  auch  sie  von  einer  Convolvulacee  herstamme. 

Die  Tampico-Jalape  kommt  nämlich  in  der  echten  Jalape 
sehr  ähnlichen,  ganzen,  birnförmigen  oder  kugligen,  schweren, 


1)  Herr  Daniel  Hanbury  in  London  hat  vor  Kurzem  die 
Pflanze,  welche  die  Tampico  -  Jalape  liefert ,  im  Linnean  Society's 
Journal,  vol.  XI,  beschrieben  und  dieselbe  J/^omoea  st/nM?n?is  genannt. 

Buchner. 
[1870.  IL  2  ]  9 


126  Sitzung  der  math.-phys.  (Jlasse  vom  3.  Jtüi  1870. 

dunkelbraunen  Knollen  und  in  zerschnittenen  Stücken  grösserer, 
leichterer  und  hellerer  Knollen  vor.  Zwar  sind  die  ganzen 
Knollen  meist  weniger  warzig,  als  diejenigen  der  echten  Jalape 
und  innen  dunkler  gefärbt,  allein  darauf  ist  nicht  viel  Gewicht 
zu  legen.  Von  grösserem  Belang  ist  es  schon  ,  dass  diesen 
Knollen  stets  eine  grosse  ]\Ieuge  von  bis  halbfusslangen,  bis 
vier  Zoll  dicken,  an  beiden  Enden  verschmälerten,  bisweilen 
der  Länge  nach  gespaltenen,  leichten,  aussen  schwarzbraun- 
runzligen ,  innen  weiss-mehligen  Stolonen  beigemischt  ist, 
welche  häufig  fast  die  Hälfte  der  Drogue  ausmachen. 

Die  Untersuchung  des  in  dieser  Drogue  enthaltenen 
Harzes,  so  wie  die  Vergleichung  der  Resultate  dieser  Unter- 
suchung mit  den  für  das  Harz  der  echten  Jalape,  das 
Couvolvulin,-)  erhaltenen  bildet  den  Gegenstand  dieser  Mit- 
theilung, Man  gewinnt  das  Tampicoharz,  welchem  ich  den 
Namen  Tampicin  beigelegt  habe,  nach  Erschöpfung  der 
Wurzel  mit  Wasser  durch  Ausziehen  derselben  mit  Alkohol 
und  reinigt  es  nach  Entfernung  des  Alkohols  durch  Waschen 
und  Auskochen  mit  Wasser,  Wiederauflösen  in  Alkohol  und 
Entfärben  mit  Kohle. 

Die  Eigenschaften  des  Tampicin  gleichen  im  Allgemeinen 
denen  des  Convolvulin.  Dasselbe  ist  durchscheinend,  farblos 
oder  von  schwachem  Stich  ia's  Gelbe,  spröde,  geruch-  und 
geschmacklos,  in  Alkohol  und  Aether  leicht  löslich.  Durch 
seine  Löslichkeit  in  Aether  unterscheidet  es  sich  zunächst 
von  dem  Convolvulin,^)  von  dem  in  Aether  ebenfalls  löslichen 
Jalapin ,    dem  Harze    der   stängeligeu  Jalape,    ist    es  in  der 


2)  Kays  er,  Annal.  d.  Chem.  u.  Pharm.  LI,  81;  W.  Mayer, 
ebenda  LXXXIII,  121  und  XCV,  129. 

3)  Bisweilen  scheint  diese  Drogue  mit  den  Knollen  anderer 
Convolvulaceen,  vielleicht  denen  der  echten  Jalape  vermischt  vor- 
zukommen. Aus  einer  Probe  von  Tampico-Jalape  erhielt  ich  nämlich 
ein  HarZ;  welches  in  Aether  nur  theilweise  löslich  war. 


Spirgatis:   Das  Harz  der  Tampico-Jalape.  127 

Zusammensetzung  verschieden.     Die    alkoholischen  sowie  die 
ätherischen  Lösungen  reagiren  schwach  sauer. 

Von  starken  Basen  wird  es  wie  das  Convolvulin  unter 
Aufnahme  von  Wasser  in  eine  in  Wasser  lösliche  Säure,  die 
T am picin säure,  verwandelt. 

Von  starken  Säuren ,  wie  Salzsäure ,  Salpetersäure, 
Schwefelsäure,  wird  es,  wenn  man  dieselben  in  verdünntem 
Zustande  einwiiken  lässt,  bei  gewöhnlicher  Temperatur  lang- 
sam, schneller  in  der  Wärme  zuerst  aufgelöst  und  dann  in 
Zucker  und  eine  fettartige  Säure,  die  Tampicolsäure 
zerlegt.  Das  Tam picin  gehört  also  wie  das  Convolvulin  zu 
den  Glukosiden,  den  gepaarten  Zuckerverbindungen.  Auch 
färbt  concentrirte  Schwefelsäure  das  Tampicin  ebenfalls 
anfangs  gelb  und  löst  es  dann  unter  schön  rother  Färbung, 
die  allmählig  in  Braun  übergeht. 

Auch  in  letzterer  Flüssigkeit  lässt  sich,  wenn  sie  mit 
Wasser  verdünnt  wii'd,  Zucker  und  Tampicolsäure  nach- 
weisen. 

Nicht  minder  zeigt  Essigsäure  gegen  Tampicin  dasselbe 
Verhalten,  als  gegen  Convolvulin.  Diese  Säure  löst  nämlich 
das  Tampicin  zwar  schon  in  der  Kälte  leicht  auf,  bewirkt 
aber  selbst  beim  Kochen  keine  Spaltung  desselben,  denn 
wenn  man  es  nach  dem  Kochen  mit  Wasser  verdünnt,  scheidet 
sich  wieder  sämmtliches  Harz  aus. 

Auch  hat  das  Tampicin  mit  dem  Convolvulin  gemein- 
sam, dass  seine  alkoholische  Lösung  fast  durch  keines  der 
gewöhnlichen  Metallsalze  verändert  wird. 

Gegen  Wärme  hingegen  ist  das  Tampicin  weit  empfind- 
licher, als  das  Convolvulin.  Wird  es  nämlich  eine  Zeit  lang  in 
geschmolzenem  Zustande  erhalten,  so  stösst  es  Geruch  aus, 
färbt  sich  gelb  und  endlich  braun  und  selbst  nur  längere 
Zeit  einer  Temperatur  von  100''  ausgesetzt,  erleidet  es  eine 
ähnliche  Zersetzung.    Dagegen  kann  es  ohne  eine  bemerkens- 

r 


128  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

werthe  Veränderung   zu   erfahren  schnell    bei  100'^   im  luft- 
verdünuten  Raum  getrocknet  werden. 

Sein  Schmelzpunkt  liegt  bei  etwa  130°  G. 

Auf  Platinblech  erhitzt  verbrennt  es  wie  das  Convolvulin 
mit  heller  russender  Flamme. 

Die  Elementaranalyse  des  bei  100°  C.  im  Vacuum  ge- 
trockneten Harzes  ergab  im  Mittel  von  einigen  Versuchen 
die  Zahlen : 

C  59.45 
H    7,94, 
aus  welchen  sich    mit  Rücksicht    auf   die  Spaltungsprodukte 
die  Formel: 


C3. 

H. 

0. 

berechnen  lässt. 

Ca. 

408 

59,48 

H5. 

54 

7,87 

o„ 

224 

32,65 

686  100,00 

Für     das    Convolvulin     stellte     Mayer     die     Formel 

C3,  H^  0,3  auf. 

Ausser   durch   sein    Verhalten    zu  Aether    unterscheidet 

sich  hienach  das  Tampicin  von  dorn  Convolvulin  auch  durch 

seine  elementare  Zusammensetzung. 

Tampicinsäure. 

Diese  Säure,  in  welche,  wie  schon  bemerkt,  das  Tampicin 
durch  Einwirkung  von  starken  Basen  übergeht,  ähnhch  wie 
sich  das  Convolvulin  unter  denselben  Umständen  in  Convol- 
vuHnsäure  verwandelt,  kann  folgendevmassen  dargestellt 
werden. 

^lan  löst  das  gereinigte  Harz  in  der  Wärme  in  Baryt- 
wasser,   entfernt    den    Baryt    aus    der    Flüssigkeit    mittelst 


Spirgatis:  Das  Harz  der  Tampico-Jalapc.  129 

Schwefelsäure,  scheidet  die  überschüssige  Schwefelsäure  durch 
Bleizuckerlösung  ab,  das  gelöste  Blei  durch  Schwefelwasser- 
stoff und  reiüigt  durch  öfteres  Lösen  in  Wasser  und  Ab- 
dampfen. 

Die  Tampicinsäure  ist  sowohl  ihrem  Aeusseren,  wie 
ihren  Eigenschaften  nach  der  Convolvulinsäure  ähnlich.  Sie 
stellt  eine  amorphe,  gelblich  gefärbte,  glänzende,  durch- 
scheinende, spröde  Masse  dar.  Geruchlos,  von  säuerlich- 
bitterlichem Geschmack.  An  der  Luft  zieht  sie  mit  Begierde 
Feuchtigkeit  an.  In  Wasser  und  Alkohol  ist  sie  leicht  lös- 
lich; diese  Lösungen  reagiren  stark  sauer.  In  Aether  ist 
sie  kaum  in  Spuren  löslich.  Aus  den  kohlensauren  Ver- 
bindungen der  Alkalien  treibt  sie  die  Kohlensäure  aus. 

Weder  die  Salze  der  alkalischen  Erden,  noch  schwefel- 
saures Kupfer,  salpetersaures  Silber,  schwefelsaures  Cadmium, 
schwefelsaures  Zink,  Platinchlorid  verändern  die  wässrige 
Lösung  der  Tampicinsäure.  Nur  Lösungen  von  Bleizucker 
und  von  Aetzsublimat  erzeugen  weisse  Trübungen  und  Blei- 
essig bewirkt  eine  weiss-flockige  voluminöse  Fällung.  Beim 
Erhitzen  an  der  Luft  verbrennt  sie  mit  heller  Flamme  ohne 
einen  Rückstand  zu  hinterlassen. 

Nachdem  sie,  um  eine  Zersetzung  zu  vermeiden,  im  luft- 
verdünnten Piaume  bei  etwa  90"  C.  getrocknet  worden  war, 
zeigte  sie  im  Mittel  von  zwei  Versuchen  folgende  Zusammen- 
setzung : 

C  55,18 
H    8,06, 


aus 

welcher 

sich 

die  Formel    Cg^ 

Hßo 

0^7  berechnen 

lässt. 

Cb. 

408 

55,14 

Hbo 

60 

8,11 

o„ 

272 

36,75 

740  100,00 

Die  Tampicinsäure  entsteht   hienach  aus  dem  Tampicin 
durch  Aufnahme  von  3  Hg  0. 


130  Sitzung  der  matli.-pliys.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

W,  Mayer  fand  in  der  bei  100°  getrockneten  Con- 
volvulinsäure 

52,60  Kohlenstoff 
7,92   Wasserstoff 

und  berechnete  daraus  die  Formel  C^^  H^^  O^g  +  1  Va  H^  0. 

Spaltungsproducte  des  Tampicin. 

Schon  Eingangs  dieser  Mittheilung  ist  erwähnt  worden, 
dass  das  Tampicin,  wie  das  Convolvulin  zu  den  Glukosiden 
gehört,  indem  es  in  Zucker  und  eine  fettartige  Säure,  welche 
ich  Tampicolsäure  genannt  habe,  gespalten  werden  kann. 

Diese  Zerlegung  kann  man  auf  dieselbe  Weise,  wie 
Mayer  sie  bezüglich  des  ConvolvuHn  bewirkt  hat,  nämlich 
durch  Behandlung  von  freier  Tampicinsäure  oder  von  tampiciu- 
saurem  Alkali  oder  Baryt  mittelst  Salzsäure  bewerkstelligen; 
oder  man  kann  auch  die  Säure  auf  das  Harz  selbst  ein- 
wirken lassen  und  es  verdient  besonders  hervorgehoben  zu 
werden,  dass  das  Tampicoharz  auf  letztere  Weise  weit  leichter 
gespalten  wird ,  als  das  Convolvulin  und  die  übrigen  Con- 
volvulaceenharze.  Es  genügt  für  diesen  Zweck.  Tampicin 
mit  Salzsäure  einige  Tage  gelinde  zu  digeriren.  Die  Tampicol- 
säure ist  dann  in  Gestalt  gelblicher  Flocken  und  körniger 
Massen  ausgeschieden ,  während  der  Zucker  sich  in  der 
Flüssigkeit  befindet  und  durch  die  Trommer'sche  Probe 
nachgewiesen  werden  kann. 

Die  rohe  Tampicolsäure  reinigt  man  durch  Waschen 
und  Schmelzen  mit  Wasser,  Behandeln  der  weingeistigen 
Lösung  mit  Kohle  und  Umkrystalhsireu  aus  wässrigem 
W^eingeist. 

Ebenso,  wie  Tampicin  und  Convolvulin,  Tampicinsäure 
und  Convolvulinsäure  einander  in  ihren  Eigenschaften  gleichen, 
ist  es  auch  mit  der  Tampicolsäure  und  Convolvulinolsäure  der 
Fall.     Die   Tampicolsäure    ist   schneeweiss    und    besitzt   bei 


Spirgatis:   Bas  Harz  der  Tampico-Jalape.  131 

SOOfaclier  Vergrösserung  die  Form  von  aus  feinen  Nadeln 
bestehenden  Büscheln.  Sie  ist  geruchlos,  von  etwas  scharfem 
Geschmack,  in  Alkohol  leicht,  schwerer  in  Aether  löslich. 
Beide  Lösungen  reagiren  deutlich  sauer.  In  der  Wärme 
schmilzt  sie  zu  einer  schwach  gelblich  gefärbten ,  ölartigen 
Flüssigkeit,  welche  auf  Papier  Fettflecke  erzeugt  und  beim 
Erkalten  zu  einer  harten  weissen  strahlig-kr/stallinischen 
Masse  erstarrt.  Bei  abgehaltener  Luft  erhitzt  zersetzt  sie 
sich  unter  Verbreitung  von  weissem,  Augen  und  Xase  heftig 
reizendem  Rauche  und  unter  Hinterlassung  von  etwas  Kohle. 
Bei  Luftzutritt  ist  sie  mit  gelblicher,  russender  Flamme  ohne 
Rückstand  verbrennlich.  Ihre  alkoholische  Lösung  vermag 
aus  den  kohlensauren  Verbindungen  der  Alkalien  die  Kohlen- 
säure auszutreiben. 

Ich  habe  der  im  Vacuum  getrockneten  Säure  die  Formel 
Ci6  H32  O3  gegeben. 


Die  Convolvulin Ölsäure  besitzt  nach  Mayer  die  Formel 
C13  H24  Ö3  • 

"Was  die  Salze  der  Tampicolsäure  anlangt,  so  sind  die- 
jenigen, welche  sie  mit  den  Alkalimetallen  bildet,  in  Wasser 
löslich ;  diejenigen  der  Erdalkalimetalle  hingegen  und  ihre 
Verbindungen  mit  den  schweren  Metallen  sind  in  Wasser 
meist  schwer-  oder  unlöslich. 

Das  Natriumsalz,  welches  eine  weisse  aus  mikroskopischen 
Nadeln  und  Blättchen  bestehende  Masse  bildet ,  hat  die 
Formel  C^g  B.^^  Na  O3  . 


berechnet 

gefunden 

192              70,59 

70,57 

32              1L77 

11,86 

48              17,64 

— 

272            100.00 

132  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 


berechnet 

gefunde 

c« 

192 

65,31 

65,11 

Hsi 

31 

10,54 

10,68 

Na 

23 

7,82 

7,75 

Ob 

48 

16,33 

— 

294  100^00 

Die  Aethylvei'bindung,  welche  in  durchscheineuden  rhom- 
bischen Tafeln  krystallisirt,  fand  ich  in  100  Theilen  zusammen- 
gesetzt aus 

C    72,05 
H    12,03 

die  Formel  C^g  Hg^  (  Cg  H^ )  0,  verlaugt: 

C    72,00 

H  12,00 

0    16,00 

100,00 

üeberblicken  wir  schHesslich  die  Resultate  dieser  Unter- 
suchung noch  einmal ,  so  ergiebt  sich ,  dass  das  Harz  der 
Tampico-Jalape,  das  Tampicin,  zwar  wie  das  Harz  der  echten 
Jalape,  das  Convolvulin,  zu  der  Classe  der  gepaarten  Zucker- 
verbiudungeu,  der  Glukoside  gehört,  dass  es  sich  aber  von 
diesem  nicht  nur  durch  seine  völlige  Löslichkeit  in  Aether, 
sondern  auch  durch  seine  Constitution  unterscheidet. 

Sein  Spaltungs  -  Process  kann  durch  die  Gleichung 
C34  H^  0,,  +  7  H,  0  =.  C,,  H3.3  O3  +  3  (C,  H,,  OJ 
ausgedrückt  werden. 

Was  die  medicinische  Wirksamkeit  des  Tampicin  an- 
langt, so  scheint  dieselbe,  wenigstens  nach  Versuchen,  welche 
in  der  hiesigen  Klinik  angestellt  worden  sind ,  zwar  der 
des  echten  Jalapenharzes  ähnlich ,  jedoch  minder  sicher 
zu  sein. 


Spirgatis:   Das  Harz  der  Tampico-Jalape.  133 

Aber  selbst  angenommen,  die  Wirkung  des  Tampico- 
hai'zes  auf  den  Organismus  sei  identisch  mit  derjenigen  des 
Convolvuliu,  so  würde  sich  die  Verwendung  dieser  neuen 
Drogue  an  Stelle  der  officinellen  Jalape  in  praktischer 
Hinsicht  doch  keineswegs  empfehlen.  Denn  trotzdem  ,  dass 
der  Handels-Werth  derselben  im  Verlauf  weniger  Jahre  auf 
fast  ein  Dritttheil  des  früheren  gesunken  ist,  stellt  sich  der 
Preis  des  Tampicin,  des  geringeren  Harzgehaltes  der  Wurzel 
halber  und  wenn  man  die  bedeutend  grössere  Menge  des 
zur  Extraction  aufzuwendenden  Weingeists  in  Betracht  zieht, 
doch  immer  noch  höherj  als  derjenige  des  Convolvulin. 


134  Sitzung  der  math.-phys.  Glasse  vom  2.  Juli  1870. 


Herr  Beetz  übergibt  eine  Abhaudluüg  des  Herrn 
Wilh.  V.  Bezold: 

,, Untersuchungen  über  den  Elektrophor." 

Vor  einiger  Zeit  machte  mich  Herr  Prof.  Beetz  ge- 
sprächsweise darauf  aufmerksam,  dass  die  Versuche  über  das 
elektrische  Verhalten  eines  Elektrophorkuchens  nicht  immer 
mit  jener  Sicherheit  gelingen,  welche  man  bei  einem  Apparate 
erwarten  sollte,  dessen  Functionen  man  vollkommen  zu  kennen 
glaubt.  Da  ich  damals  gerade  mit  meinen  vor  Kurzem 
beschriebenen  Versuchen  über  die  elektrische  Entladung 
beschäftigt  war,  und  deshalb  das  empfindliche  Pulvergemisch 
aus  Schwefel  und  Mennige  bei  der  Hand  hatte ,  so  lag  es 
mir  nahe,  dieses  Gemisch  sofort  zur  Prüfung  des  Elektrophor- 
kuchens anzuwenden.  Ich  kam  dabei  nicht  nur  zu  der  Ueber- 
zeugung,  dass  mau  in  diesem  Pulvergemische  wirklich  ein 
vortreffliches  Mittel  besitzt,  um  das  Spiel  dieses  Apparates 
zu  erforschen,  sondern  auch  zu  der  anderen,  dass  dieses  Spiel 
noch  lauge  nicht  so  vollständig  ergründet  ist,  als  man  im 
Allgemeinen  annimmt. 

Die  einzige  dem  heutigen  Standpunkte  der  Wissenschaft 
entsprechende  Untersuchung  über  den  Elektrophor  stammt 
bekanntlich  von  Riess^)  her,  und  seine  Theorie  des  Apparates 
ist  es,  welche  man  in  allen  Lehrbüchern  wiederfindet. 

Diese  Theorie  besteht  im  Wesentlichen  darin,  dass  sich 
in  dem  Elektrophorkuchen  während  des  Reibens  drei  Schichten 
bilden :  zwei  gleichnamige  an  den  beiden  Oberflächen  und 
eine  entgegengesetzt  elektrische  im  Innern.  Von  diesen 
drei  Schichten  soll  die  eine  auf  die  Bodenplatte   übergehen. 


1)  Die  Lehre  von  der  Reibungselektricität  Bd.  I  S.  291 — 305, 


V.  Bezold:    Der  EleJctrophor.  135 

so  dass  nur  mehr  zwei  ungleichnamige  auf  dem  Kuchen 
zurückbleiben ,  durch  deren  Zusammenwirken  sich  alsdann 
sämmtliche  Erscheinungen  nach  bekannten  Gesetzen  erklären 
lassen.  Zwischen  Kuchen  und  Schild  soll  kein  Uebergaug 
von  Elektricität  statt  finden ,  wenigstens  nicht  so  lange,  iJs 
die  Elektrisirung  des  Kuchens  eine  bestimmte  Grenze  nicht 
überschreitet. 

Diese  Theorie  enthält  zwei  sehr  bedenkliche  Punkte: 

Erstens  lässt  sich  der  Versuch,  aufweichen  Riess  seine 
Annahme  von  den  drei  Schichten  stützt,  ebensogut  andtrrs 
und  zwar  eintacher  erklären ,  als  es  von  ihm  geschehen 
ist,  und 

zweitens  sieht  mau  ohne  besondere  Begründung  durch- 
aus nicht  ein ,  weshalb  ein  Uebergang  von  Elektricität  nur 
zwischen  Kuchen  und  Bodenplatte  nicht  aber  zwischen  Schild 
und  Kuchen  statt  finden  soll. 

Im  Folgenden  soll  nun  zuerst  gezeigt  werden,  dass  der 
ersterwähnte  Versuch  wirklicli  anders  erklärt  werden  muss. 
Dann  aber  soll  eine  neue  Theorie  an  der  Hand  der  Versuche 
aufgestellt  werden,  bei  welcher  auch  der  zweite  Punkt  eine 
einfache  Erledigung  finden  wird. 

Vor  Allem  muss  ich  jedoch  eine  kurze  Erörterung  über 
die  Methoden  vorausschicken,  welche  man  bei  derartigen  Unter- 
suchungen anwenden  kann,  um  Klarheit  zu  gewinnen  über 
die  Bedeutung,  welche  das  Pulvergemisch  für  diesen  Zweck 
besitzt. 

Diese  Betrachtung  soll  deshalb  als  erster  einleitender 
Abschnitt  den  beiden  anderen  eben  bezeichneten  vorangehen. 

§  1.  Um  das  Verhalten  der  einzelnen  Theile  eines 
elektrisirten  Isolators  zu  untersuchen,  hat  man  bisher  vor- 
zugsweise zwei  Hülfsmittel  angewendet.  Man  hat  nämlich 
entweder  den  Köri^er  direct  an  ein  Elektroskop  angelegt, 
oder  wenn  diess  unthuulich  war,  eine  Probescheibe  zur  Ueber- 
tragung  benützt. 


136  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  3.  Juli  1870. 

Die  Angaben,  welche  man  auf  diese  Weise  erhält,  müssen 
mit  grosser  Vorsicht  benützt  werden ,  wenn  sie  nicht  zu 
Fehlschlüssen  führen  sollen. 

Gesetzt  man  erhalte  nach  Anlegen  eines  elektrisirten 
Körpers  (etwa  eines  Elektrophorkuchens)  an  den  Knopf  eines 
Elektroskopes  einen  positiven  Ausschlag,  so  darf  man  daraus 
noch  durchaus  nicht  den  Schluss  ziehen ,  dass  sich  an  der 
untersuchten  Stelle  des  betreffenden  Kör^jers  wirklich  positive 
Elektricität  befinde. 

Ein  solcher  Ausschlag  lehrt  nur,  dass  an  der  betreffenden 
Stelle  negative  Elektricität  angezogen  und  positive  abge- 
stossen  wird.  Bleibt  der  Ausschlag  bestehen  auch  nach 
Entfernung  des  Körpers,  so  ist  zugleich  entweder  positive 
Elektricität  auf  das  Elektroskop  oder  negative  auf  den  Körper 
übergegangen. 

Man  erfährt  demnach  durch  das  Elektroskop  nur  den 
Sinn  der  an  dem  betreffenden  Punkte  wirkenden  Kraft- 
componente.  Zu  noch  viel  grösseren  Fehlschlüssen  kann  die 
Anwendung  der  Probescheibe  führen.  Eine  solche  kann  be- 
kanntlich auf  zweierlei  Weise  benützt  werden ,  entweder 
berührt  man  mit  der  beständig  isoHrten  Scheibe  zuerst  den 
zu  prüfenden  Körper  und  dann  das  Elektroskop,  oder  mau 
verbindet  dieselbe  während  der  ersten  Berührung  einen  Augen- 
blick leitend  mit  der  Erde.  Im  ersteren  Falle  kann  es  ein- 
treten, dass  die  abgehobene  Scheibe  gar  keine  Elektricität 
besitzt,  selbst  wenn  an  der  berührten  Stelle,  welche  vor- 
handen, oder  anderweitig  verthoilte  Mengen  wirklich  eine 
Scheidungskraft  an  der  fraglichen  Stelle  ausgeübt  hätten- 
Es  handelt  sich  nämlich  hiebei  einzig  und  allein  darum, 
ob  die  Kraft,  welche  zwischen  dem  Isolator  und  der  Probe- 
scheibe thätig  ist,  hinreichende  Stärke  besitzt,  um  einen 
üebergang  von  Elektricität  zwischen  beiden  zu  gestatten. 
Nur  wenn  diess  der  Fall  ist,  kann  man  auf  diesem  Wege 
überhaupt    eine    elektroskopische   Anzeige    erhalten,    welche 


V.  Bezolä:   Der  Elelctrophor.  137 

aber  alsdann  wiederum  nichts  anderes  angibt  als  die  Richtung 
der  Kraft,  welche  normal  zur  Probescheibe  wirksam  war. 

Die  andere  Art  der  Prüfung  mit  Hülfe  der  Scheibchen 
ist  vorzugsweise  dann  anwendbar,  wenn  die  wirkenden  Kräfte 
zu  klein  sind  um  einen  Uebergaug  zwischen  Körper  und 
Scheibe  zu  gestatten.  Dann  wird  die  abgestossene  Elektricität 
durch  die  mit  der  Erde  verbundene  Leitung  entfeint,  und 
nur  die  angezogene  bleibt  zurück  und  giebt  alsdann  einen 
Ausschlag  am  Elektroskope.  War  hingegen  die  Wirkung  auf 
das  Scheibchen  zu  stark,  so  wird  die  dünne  Luftschicht 
zwischen  dem  zu  prüfenden  Körper  und  der  Probescheibe 
von  Funken  durchbrochen  und  man  erhält  nachher  keine 
oder  zu  schwache  Anzeigen  von  Elektricität.  SelbstverständHch 
erhält  man  auch  hiebei  nur  Angaben  über  den  Sinn  der 
wirkenden  Kraft  ohne  irgend  welche  Andeutung  über  den  Sitz 
derselben.  Rückschlüsse  auf  die  Grösse  dieser  Kraft  sind 
vollkommen  unzulässig,  da  man  niemals  mit  Sicherheit  wissen 
kann ,  ob  in  dem  betreffenden  Falle  die  dünne  trennende 
Luftschicht  als  vollkommener  Isolator  gewirkt  hat  oder  ob 
sie  von  Funken  durchbrochen  wurde. 

Aber  abgesehen  von  dieser  Unsicherheit  ist  die  Prüfung 
mit  der  abgeleiteten  Probescheibe  noch  von  einem  anderen 
grossen  üebelstande  begleitet.  Auf  einer  solchen  Scheibe  ist 
nämlich  immer  der  Werth  der  Potentialfuuction  gleich  Null. 
Hat  man  nun  Elektricität  nur  auf  Nichtleitern  vertheilt  d.h.  an 
feste  Punkte  gebunden ,  so  wird  durch  Annäherung  einer 
solchen  Scheibe  zwar  nicht  die  Anordnung  aber  doch  im  All- 
gemeinen die  Kraftrichtung  allenthalben  geändert.  Ist  hin- 
gegen ausserdem  noch  auf  Leitern  Elektricität  vertheilt,  so 
erfährt  auch  die  Anordnung  dieser  Elektricitätsmengen  durch 
Annäherung  der  abgeleiteten  Probescheibe  wesentliche  Ver- 
änderungen. Es  beziehen  sich  demnach  alle  Angaben,  welche 
man    mit    Hülfe    solcher    abgeleiteter   Scheibchen    auch   im 


138  Sitzuvg  der  math.-phys.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

günstigsten  Fall  erhalten  kann,  nur  auf  das  durch  die  An- 
wesenheit des  Scheibchen  mehr  oder  weniger  stark  modificirte 
System  von  Kräften. 

Viel  günstiger  gestalten  sich  die  Verhältnisse  bei  An- 
wendung des  empfindlichen  Pulvergemisches  als  Prüfungs- 
körper. 

Man  erfährt  vermittelst  desselben  zwar  zunächst  auch 
nur  den  Sinn  der  in  die  Normale  der  bestreuten  Fläche 
fallenden  Componente.  d.  h.  man  weiss,  an  den  vom  gelben 
Schwefel  bedeckten  Stellen  wird  negative  Elektricität  gegen 
die  Fläche  hingezogen,  an  den  von  der  rothen  Mennige  be- 
deckten, positive.  Aber  man  hat  dabei  den  unberechenbaren 
Vortheil,  dass  man  dieses  Resultat  nicht  nur  für  einen  einzigen 
Punkt ,  wie  bei  direkter  Anwendung  des  Elektroskopes  oder 
nur  als  Mittelwerth  für  ein  grösseres  Flächenstück,  wie  bei 
der  Probescheibe  erhält ,  sondern ,  dass  sich  das  elektrische 
Verhalten  jedes  einzelnen  Punktes  ausgedehnter  Flächen  mit 
einem  einzigen  Blick  übersehen  lässt.  Ausserdem  gestattet 
die  eigenthümliche  Anordnung  dieser  Pulver  meist  einen 
ziemlich  sicheren  Rückschluss  auf  den  Sitz  und  die  Entstehung 
der  wirkenden  Elektricitätsmengen. 

Eine  geriebene  Fläche  zeigt  nach  dem  Bestäuben  Streifen, 
welche  die  Richtung  des  Reibens  angeben.  War  Elektricität 
durch  Funkenentladung  auf  die  Fläche  übergegangen,  so 
erhält  man  eigentliche  Staubfiguren,  nach  Ghmmentladungen 
Staubflecke.  Hat  man  es  hingegen  mit  den  Folgen  von 
Fernwirkung  zu  thun,  so  findet  man  grössere  Flächenstücke 
mit  ein  und  demselben  Pulver  ziemlich  gleichförmig  bedeckt. 
Die  kleinste  Einwirkung  störender  Einflüsse  benachbarter 
Körper,  einer  Spitze  u.  s.  w.  wird  dem  Auge  sofort  wahr- 
nehmbar, und  wer  sich  die  Mühe  geben  will  die  später  be- 
schriebenen Versuche  mit  einer  guten  (glänzenden)  Ebonit- 
platte  zu   wiederholen,    der   wird   sich   des  Staunens    nicht 


V.  Bezold:   Der  EleJdrophor.  139 

erwehren  können  über  die  Einfachheit  und  Präcision  des 
genannten  Hülfsmittels  und  über  die  Schönheit  der  Er- 
scheinungen. 

Ebenso  wird  man  sich  überzeugen,  dass  die  mit  den 
früher  angewendeten  Hülfsniittebi  erhaltenen  Resultate  eben 
wegen  solcher  localer  Störungen  stets  mit  grosser  Unsicher- 
heit behaftet  sein  müssen. 

Man  kann  in  dieser  Hinsicht  folgende  recht  lehrreiche 
Versuche  anstellen,  welche  vortreffliche  Gelegenheit  bieten, 
die  verschiedenen  hier  erwähnten  Punkte  zu  studireu : 

Führt  man  auf  die  eine  Fläche  einer  Ebonitplatte,  welche 
auf  isolirende  Stützen  gelegt  und  ausserhalb  des  Wirkungs- 
kreises von  Spitzen  gebracht  ist,  mit  Hülfe  einer  als  Zuleiter 
dienenden  Xadel  einen  positiven  Entladuiigsfunken,  so  erhält 
man  auf  der  einen,  oberen,  Fläche  nach  dem  Bestäuben 
einen  gelben  Stern.  Auf  der  unteren  hingegen  einen  gelben 
Fleck  mit  verwaschenem  Rande  dessen  Grösse  ungefähr  jener 
des  Sternes  gleich  kommt.  Befand  sich  aber  in  der  Xähe 
der  unteren  Fläche  eine  Spitze  oder  eine  Flamme,  so  findet 
man  auf  dieser  Fläche  einen  verwaschenen  rothen  Heck. 
Lag  endlich  die  Tafel  auf  einer  abgeleiteten  Metallplatte, 
so  hat  man  auf  der  unteren  Fläche  nach  dem  Bestäuben 
einen  scharf  begrenzten  rothen  Fleck,  dessen  Ausdehnung  viel 
geringer  ist  als  jene  des  positiven  Sternes,  d.  h.  eine  negative 
Lichtenberg'sche  Figur. 

Das  erstemal  befand  sich  nur  auf  der  oberen  Fläche 
wirklich  Elektricität,  welche  nur  durch  Fern  Wirkung  ihr 
Vorhandensein  auch  auf  der  unteren  Fläche  zu  erkennen 
gab.  Das  zweitemal  war  wirklich  negative  Elektricität  auf 
die  untere  Fläche  übergegangen  aber  nur  durch  Glimm- 
entladung,   das   drittemal   hingegen  durch  Funkenentladung. 

Bedeckt  man  eine  isolirende  Fläche,  auf  welche  man 
eine  kräftige  Entladung  übergehen  Hess,  mit  einer  vollkommen 
unelektrischen  isolirenden  Platte  (Ebonit  oder  Glas)  und  be- 


140         Sitmng  der  math.-pliys.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

stäubt  man  letztere,  so  erhält  man  einen  gelben  oder  rothen 
Fleck,  der  ungefähr  dieselbe  Ausdehnung  hat,  wie  die  auf 
der  unteren  Platte  entstandene  positive  oder  negative  Figur. 
Hebt  man  die  Deckplatte  vor  dem  Bestäuben  ab,  so  erscheint 
keine  Spur  eines  solchen  Fleckes  auf  derselben.  Man  hatte 
also  im  ersteren  Falle  wiederum  nur  die  Folgen  reiner 
Fernwirkung  vor  sich. 

Ausser  den  bisher  erwähnten  Hülfsmitteln  kann  man 
sich  endlich  noch  eines  weiteren  bedienen,  welches  in  manchen 
Fällen  sehr  schöne  Resultate  liefert.  Man  hann  nämlich 
Grösse  und  Richtung  der  Fernwirkung  in  der  Umgebung 
des  zu  untersuchenden  Köipers  erforschen.  Daraus  lässt 
sich  alsdann  in  ähnlicher  Weise  auf  die  Anordnung  der 
wirkenden  Massen  schliessen,  wie  man  diess  in  der  Lehre 
vom  Erdmagnetismus  zu  thun  gewohnt  ist.  Ich  construirte 
mir  zu  dem  Zwecke  ein  kleines  Nädelchen  von  Schellack  von 
4  Ctm.  Länge,  welches  an  beiden  Enden  Hollundermark- 
kügelchen  trug  und  an  einem  Coconfaden  wie  eine  Dreh- 
waage aufgehängt  war.  Das  eine  Kügelchen  wurde  positiv, 
das  andere  negativ  geladen  und  verhielt  sich  demnach  gegen 
Elektricität  genau  ebenso  wie  eine  Magnetnadel  gegen 
Magnetismus.  Von  der  Mitte  des  Nädelchens  hing  ein  ganz 
leichtes  Senkel  (ein  Coconfaden  mit  einem  kleinen  Gewichtchen 
beschwert)  herab  bis  nahe  auf  die  Tischplatte,  welche  mit 
einem  Netz  von  Quadraten  von  5  Ctm.  Seite  versehen  war. 
Während  nun  das  Senkel  möghchst  genau  über  einen  Eck- 
punkt dieses  Netzes  gebracht  war,  konnte  man  durch  Visiren 
die  Richtung  der  Nadel  mit  ziemlich  grosser  Genauigkeit 
bestimmen,  und  fand  so  die  Richtung  der  horizontalen  Com- 
])onente.  Schwingungsbeobachtungen  lassen  alsdann  auf  deren 
Stärke  schliessen. 

Eine  verhältnissmässig  geringe  Zahl  solcher  Beob- 
achtungen setzt  in  den  Stand  Systeme  von  Niveauflächen  zu 
construiren,   welche   die  interessantesten  Aufschlüsse  geben. 


V.  Bezold:   Der  EIeJ:trophor.  141 

Ich  habe  mich  bei  der  vorliegenden  Untersuchung  auch 
dieses  Hülfsmittels  bedient,  muss  jedoch  die  Mittheilung  der 
dadurch  erhaltenen  sehr  schönen  Resultate  wegen  Mangel 
an  Raum  auf  die  ausführliche  Veröfifentlichung  an  einem 
anderen  Orte  versparen. 

Hier  mag  die  Bemerkung  genügen,  dass  diese  Resultate 
mit  der  hier  entwickelten  Theorie  in  vollkommenem  Einklänge 
stehen. 

§  2.  Diess  vorausgeschickt,  will  ich  mich  nun  zu  dem 
Hauptpunkte  dieser  Untersuchung  wenden,  zu  der  Frage 
über  die  von  Riess  angenommenen  drei  Schichten  in  dem 
Kuchen  eines  Elektrophors. 

Gegen  die  Annahme  dieser  drei  Schichten  wurde  vor 
Kurzem,  als  ich  bereits  mit  der  vorliegenden  Untersuchung 
beschäftigt  war,  wenn  auch  nicht  dem  Wortlaute,  so  doch 
wenigstens  dem  Sinne  nach,  auch  von  anderer  Seite  her 
Bedenken  erhoben.  Poggendorff  stellt  nämhch  in  einer 
Abhandlung:  ..Zur  Frage,  wie  nicht  leitende  Substanzen 
influenzirt  werden'',^)  die  Ansicht  auf,  dass  man  sich  die 
Influenzirung  von  Nichtleitern  in  die  Oberfläche  verlegt  denken 
müsse,  eine  Ansicht,  welche  mir  vollkommen  richtig  scheint, 
wenn  man  es  wirklich  mit  der  Influenzirung  solcher  Körper 
zu  thun  hat.  Wenn  ich  diese  Ansicht  im  Folgenden  nicht 
kurzweg  adoptire,  so  geschieht  es  nur  deswegen ,  weil  sich 
die  Thatsachen  sämmtlich  auch  aus  der  blosen  Fernwirkung 
erklären  lassen  und  man  gar  nicht  nöthig  hat,  eine  Influen- 
zirung des  Isolators  oder  seiner  Flächen  anzunehmen. 
Uebrigens  lässt  sich  meine  ganze  Theorie  ohne  Anstand  in 
die  Poggen dörfische  Anschauungsweise  übersetzen,  und 
scheint  mir  eine  Entscheidung  zwischen  beiden  nicht  mögUch, 
so  lange  man    nicht  eine   präcisere  Vorstellung  darüber  be- 


2)  Poggdff.  Ann.  Bd.  CXXXIX  S.  458— 464. 
[1870.il  2.]  10 


142  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

sitzt,  wie  überhaupt  Elektricität  auf  eine  isolirende  Fläche 
übergeht. 

Der  Versuch  auf  welchen  Riess')  seine  Annahme  von 
den  drei  Schichten  im  Elektrophorkuchen  stützt,  ist  folgender : 

Reibt  man  eine  Harz-  (Schellack-,  Ebonit-)  Scheibe  in 
freier  Hand,  so  reagirt  sie  nach  Prüfung  an  einem  Elektroskop 
auf  beiden  Flächen  negativ. 

Liegt  hingegen  die  Scheibe  beim  Reiben  auf  einer  Metall- 
platte so  reagirt  die  geriebene  Fläche  (A)  negativ,  die  untere  (B) 
aber  gar  nicht.*) 

Entfernt  man  nun  die  negative  Elektricität  der  geriebenen 
Fläche  (A)  durch  Ueberfahren  mit  einer  Flamme ,  so  giebt 
sich  sofort  die  positive  Elektricität  der  unteren  Fläche  (B) 
am  Elektroskope  zu  erkennen,  und  dafür  erscheint  die  obere 
Fläche  (A)  unelektrisch.  Ueberfährt  man  dann  die  untere 
Fläche  (B)  mit  der  Flamme ,  so  erscheint  sie  unelektrisch 
und  dafür  die  obere  (A)  wieder  negativ.  So  kann  man  nun 
fortfahren  und  abwechselnd  bald  die  eine,  bald  die  andere 
Fläche  unelektrisch  machen. 

Diese  Versuche  sind  ganz  richtig  und  lassen  sich  auch 
mit  dem  Pulvergemisch  recht  schön  wiederholen ;  wir  werden 
später  noch  einmal  darauf  zurückkommen,  wenn  die  sämmt- 
lichen  auf  die  Theorie  des  Elektrophors  bezüglichen  Versuche 
im  Zusammenhange  beschrieben  werden  sollen. 

Zur  Vervollständigung  dieser  Versuchsreihe  muss  aber 
noch  hinzugefügt  werden,  dass  man  anstatt  den  Kuchen 
beim  Reiben  auf  eine  Metallplatte  zu  legen ,  gerade  so  gut 
denselben  in  freier  Hand  reiben  und  nachher  die  nicht  ge- 
riebene Fläche    mit    einer   Flamme  bestreichen   kann.     Aus 


3)  Die  Lehre  von  der  Reibungselektricität.     Bd.  I  S.  294. 

4)  Diess  ist  jedoch  nur  der  Fall,  wenn  hinlänglich  stark  gerieben 
wurde.  Bei  schwachem  Reiben  reagirt  die  Scheibe  genau  ebenso, 
wie  wenn  sie  in  freier  Luft  gerieben  worden  wäre. 


r.  Bezold:   Der  Elehfrophor.  143 

diesen  Versuchen  schliesst  Riess  auf  die  Existenz  dreier 
elektrischer  Schichten  in  dem  in  freier  Hand  geriebenen 
Elektrophorkuchen.  Diese  Annahme  ist  vollkommen  über- 
flüssig. Erinnert  man  sich  nämHch  an  die  bekannte  That- 
sache.  dass  die  Fernwirkung  der  Elektricität  durch  Zwischen- 
schieben eines  Isolators  umsoweniger  alterirt  wird  ,  je  voll- 
kommener dieser  Isolator  ist.  so  versteht  man  leicht,  dass 
ein  Kuchen,  der  aus  einem  solchen  bestände  nach  Elektrisirung 
der  einen  Seite  genau  dieselben  beschriebenen  Erscheinungen 
zeigen  muss,  auch  wenn  keine  andere  Kraft  als  jene  Fern- 
wirkung thätig  ist. 

Während  nämlich  bei  Anlegen  der  geriebenen  Seite  A 
die  durch  Reibung  erzeugte  negative  Elektricität  direkt  auf 
das  Elektroskop  übergeht,  so  wird  bei  Anlegen  der  Fläche  B 
die  im  Elektroskope  durch  Influenz  erregte  positive 
Elektricität  auf  B  übergehen  und  das  Elektroskop  demnach 
ebenfalls  mit  negativer  Elektricität  divergiren. 

Liegt  die  Scheibe  beim  Reiben  auf  einer  Metallplatte, 
so  geht  in  Folge  der  von  der  geriebenen  Fläche  ausgeübten 
Fernwirkung  in  dieser  Platte  eine  Scheidung  der  Elektricität 
vor  sich  und  positive  Elektricität  begiebt  sich  in  Funken  auf 
die  Fläche  B.  Diese  Elektricitätsmenge  ist  aber  nicht  hin- 
reichend gross,  um  die  Fernwirkung  der  auf  A  befindlichen 
negativen  Elektricität  zu  überwinden  und  sie  wird  demnach 
au  dem  Elektroskop  nicht  erkannt  werden.  Ja  es  wird 
sogar  im  Mittel,  wie  wir  später  sehen  werden,  die  Wirkung 
der  primär  erregten  negativen  Elektricität  noch  etwas  über- 
wiegen. Mit  dem  Pulver  untersucht,  sieht  man  auf  B  die 
positiven  Sterne ;  aber  nicht  gelb  auf  neutralem  Grunde, 
sondern  schwarz,  d.  h.  staubfrei  auf  rothem  Grunde,  wenn 
man  bestäubt  während  man  die  Scheibe  in  freier  Hand  hält, 
oder  noch  besser  auf  hohe  isohrende  Stützen  gelegt  hat. 
D.  h.  die  Wirkung    der   primären  negativen  Elektricität  ge- 

10* 


144         Sitzung  der  math.-phys.  Glosse  vom  2.  Juli  1870. 

stattet  nicht,  dass  der  negative  Schwefel  sich  auf  den  von 
der  positiven  Elektricität  bedeckten  Stellen  auflege,  und  die 
Anwesenheit  solcher  Stellen  verräth  sich  nur  durch  die 
geringere  Anziehung,  welche  sie  gegen  die  Mennige  aus- 
üben. Vermindert  man  die  Fernwirkung  der  primär  erregten 
Elektricität,  indem  man  die  Scheibe  mit  der  geriebenen  Seite 
auf  eine  abgeleitete  Platte  legt ,  so  erscheinen  nach  dem 
Bestäuben  sofort  gelbe  Sterne. 

In  vollkommen  analoger  Weise  lassen  sich  die  Versuche 
mit  der  Flamme  erklären.  Bestreicht  man  nämlich  die  nicht 
geriebene  Seite  B  mit  der  Flamme,  so  sieht  man  leicht  ein, 
dass  auf  dieser  Fläche  positive  Elektricität  angehäuft  werden 
muss,  auch  wenn  man  annimmt,  dass  vorher  gar  keine 
Elektricität  auf  derselben  vorhanden  und  ihre  elektroskopische 
Anzeige  nur  durch  Fernwirkung  der  auf  A  primär  erregten 
Elektricität  bedingt  gewesen  sei.  Man  kann  sich  ja  doch  die 
Zerlegung  durch  Influenz  in  die  Flamme  selbst  oder  in  die 
Schichte  niedergeschlagenen  Dampfes  verlegt  denken,  welche 
sich  im  Momente  des  Bestreichens  mit  der  Flamme  an  jeder 
Stelle  bildet.  Dann  muss  aber  negative  Elektricität  durch 
die  Spitzenwirkung  der  Flamme  entfernt  werden ,  während 
die  positive  Elektricität  auf  der  Fläche  zurückbleibt. 

üeberfährt  mau  aber  nun  die  Fläche  A  mit  der  Flamme, 
so  kann  die  vorhandene  negative  Elektricität  nur  zum  Theile 
weggeführt  werden,  da  sie  grösstentheils  durch  die  positive 
der  Fläche  B  —  man  gestatte  mir  diesen  Ausdruck  —  ge- 
bunden wird.  Selbstverständlich  überwiegt  nun  die  auf  B 
vorhandene  positive  Elektricität  und  man  kann  so,  wie  schon 
Riess  angiebt,  durch  abwechselndes  Bestreichen  der  Flächen 
mit  der  Flamme  bald  der  einen  und  bald  der  anderen 
Elektricität  das  Uebergewicht  verschafi'en ,  freilich  mit  fort- 
während abnehmender  Stärke.  Stellt  man  das  Experiment 
mit  dem  Pulvergemisch  an,  indem  man  zuerst  auf  einer  Ebonit- 


V.  Bezdld:  Der  Elektrophor.  145 

platte  nur  eine  kleine  Stelle  reibt,  so  sieht  man  abwechselnd 
rothe  und  gelbe  Flecken  auf  den  entsprechenden  Seiten 
entstehen. 

Zur  Erklärung  der  nach  Auflegen  auf  eine  abgeleitete 
Platte  oder  nach  einmaligen]  Bestreichen  mit  der  Flamme 
auf  B  erscheinenden  positiven  Elektricität  macht  Riess  die 
Annahme  einer  positiven  Schicht  im  Innern.  Consequenter 
Weise  hätte  er  zur  Erklärung  der  letztgenannten  Thatsache 
eine  Reihe  abwechselnd  positiver  und  negativer  Schichten  im 
Isolator  annehmen  müssen. 

Bisher  wurde  nur  gezeigt,  dass  sich  die  von  Riess 
beobachteten  Thatsachen  auch  auf  eine  andere  Weise  erklären 
lassen,  als  durch  die  Annahme  der  drei  Schichten.  Es  er- 
übrigt nun  zu  beweisen ,  dass  sie  anders  erklärt  werden 
müssen.  Diess  kann  man  mit  Hülfe  eines  Versuches,  der 
einem  in  der  citirten  Abhandlung  von  Poggendorff  be- 
schriebenen vollkommen  analog  ist. 

Elektrisirt  man  nämlich  die  Scheibe,  während  sie  nicht 
auf  der  Bodenplatte  aufliegt,  und  überfährt  man  dann  dieselbe 
zuerst  auf  der  geriebenen  nachher  aber  auch  auf  der  nicht 
geriebenen  Seite  mit  der  Flamme ,  so  müsste  nach  der 
Riess'schen  Hypothese  die  positive  Schicht  zur  Geltung 
kommen,  welche  sich  im  Innern  des  Isolators  befunden  haben 
soll.  Nach  meiner  Ansicht  hingegen  muss  die  Tafel  jetzt 
vollkommen  unelektrisch  sein. 

Der  Versuch  zeigt ,  dass  die  Tafel  wirklich  alle 
Elektricität  verliert.  Er  muss  jedoch  mit  grosser  Vorsicht 
angestellt  werden.  Ich  konnte  ihn  nur  rein  erhalten,  wenn 
ich  eine  grössere  Ebonitplattc  (wenigstens  25  Ctm.  Durch- 
messer) nahm,  und  diese  nur  an  einer  kleinen  Stelle  in  der 
Mitte  rieb.  Sobald  ein  grösserer  Theil  der  Fläche  elektrisirt, 
oder  eine  kleinere  Tafel  angewendet  wurde,  war  es  gar  nicht 
zu  vermeiden,  dass  positive  Elektricität  von  den  Fingerspitzen 
der  haltenden  Hand ,  vom  Rockärmel  u.  s.  w.  auch  auf  die 


146         Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

nicht  geriebene  Seite  überströmte  und  so  das  Experiment 
unrein  wurde.  Die  Untersuchung  mit  dem  Pulvergemisch 
lässt  alle  derartige  Störungen  auf's  Schärfste  erkennen. 

§  3.  Es  sollen  nun  die  Versuche  beschrieben  werden, 
welche  der  neuen  nur  auf  die  elektrische  Fernwirkung  basirten 
Theorie  als  Grundlage  dienen.  Einige  Wiederholungen  Hessen 
sich  hiebei  nicht  vermeiden,  da  sie  zum  Verständniss  des 
Ganzen  unerlässlich  waren.  Zu  den  Experimenten  dienten 
zwei  kreisförmige  Ebouitplatten.  Die  eine  hatte  bei  einer 
Dicke  von  5  Mm.  einen  Durchmesser  von  45  Ctm.;  sie  lag 
beim  Gebrauche  als  Elektrophorkuchen  auf  einer  Zinkscheibe 
von  52  Ctm.  Durchmesser  und  trug  einen  Schild  von  35  Ctm. 
Durchmesser.  Die  andere  Platte  war  nur  4  Mm.  dick  und 
hatte  23  Ctm.  Durchmesser.  Ausserdem  wurde  auch  mit 
ebenen  Tafeln  aus  grünem  ordinären  Glase  experimentirt 
und  die  gleichen  Resultate,  natürlich  mit  entgegengesetztem 
Vorzeichen  erhalten. 

Von  den  beiden  Ebonitplatten  hatte  die  grössere  bereits 
seit  einem  Jahr  als  Elektrophorkuchen  gedient,  und  war  dem 
entsprechend  gewöhnlich  mit  ihrem  Schilde  bedeckt  gewesen. 
Merkwürdiger  Weise  zeigt  nun  an  dieser  Platte  der  äussere 
Rand  in  einer  Breite  von  5  Ctm.,  d.  h.  gerade  so  weit  als 
er  dem  Einflüsse  der  Luft  ausgesetzt  war,  ein  ganz  anderes 
elektrisches  Verhalten  als  der  centrale  Theil.  Die  kleine 
Platte  hingegen  war  ganz  neu  und  verhielt  sich  ihrer  ganzen 
Ausdehnung  nach  gerade  so ,  wie  der  centrale  Theil  der 
ersteren.  Da  ich  mich  auf  diese  und  auch  noch  auf  andere 
Weise  überzeugte ,  dass  jenes  eigenthümliche  Verhalten  der 
Randes  nur  in  einer  Oberflächenveränderung  und  nicht  im 
Wesen  des  Elektrophors  seinen  Grund  hatte ,  so  nehme  ich 
in  dieser  vorläufigen  Mittheilung  darauf  keine  Rücksicht. 
Die  Beschreibungen  gelten  demnach  nur  für  eine  neue  Platte 
oder  für  den  durch  den  Deckel  geschützten  Theil  einer 
älteren. 


f.  Bezold:   Der  Elektrophor.  147 

Mit  diesen  Tafeln  wurden  nun  folgende  Versuche  an- 
gestellt : 

Erster  Versuch:  Reibt  man  den  Kuchen,  während 
man  ihn  senkrecht  auf  einen  Tisch  aufstützt,  und  nur  oben 
leicht  am  Rande  festhält ,  so  wird  er  nach  dem  Bestäuben 
auf  beiden  Seiten  von  rother  Mennige  bedeckt.  Nichts- 
destoweniger gewähren  die  beiden  Flächen  einen  verschieden- 
artigen Anblick.  Die  geriebene  Fläche  zeigt  Streifen ,  aus 
denen  sich  die  Richtung  des  Reibens  deutlich  erkennen  lässt, 
dann  und  wann  untermischt  mit  gelben  Stellen.  Auf  der 
anderen  Seite  hingegen  ist  der  Pulverniederschlag  ziemlich 
gleichförmig.  Bei  stärkerem  Reiben  ist  der  Uebergang  von 
positiver  Elektricität  auf  den  Kuchen  nicht  zu  vermeiden, 
was  sich  nach  dem  Bestäuben  leicht  erkennen  lässt. 

Die  Erklärung  dieses  Versuches  wurde  schon  oben  ge- 
geben. Man  hat  es  hier  einfach  mit  der  Wirkung  einer 
einzigen  negativ  elektrischen  Schicht  zu  thun  und  es  wird 
demnach  positive  Elektricität  auf  beiden  Seiten  angezogen. 
Zweiter  Versuch:  Reibt  man  den  Kuchen  während 
er  auf  der  abgeleiteten  Bodenplatte  liegt  ganz  schwach ,  so 
verhält  er  sich  nach  dem  Abheben  und  Bestäuben  gerade 
so,  als  ob  man  ihn  in  freier  Luft  gerieben  hätte.  Legt  man 
auf  einen  solchen  in  gewöhnlicher  Weise  auf  der  Bodenplatte 
ruhenden  Kuchen  den  Schild  auf,  so  kann  man  aus  dem 
abgehobenen  Schilde  einen  positiven  Funken  ziehen.  Kehrt 
man  aber  den  Kuchen  um  ,  so  dass  er  mit  der  geriebenen 
Seite  auf  die  Bodenplatte  zu  liegen  kommt,  so  liefert  der 
Schild  nach  dem  Abheben  nur  Spuren  oder  gar  keine 
Elektricität. 

Legt  man  dagegen  den  Knchen  während  er  noch  immer 
seine  geriebene  Seite  der  Bodenplatte  zuwendet  auf  isolirende 
Stützen  z.  B.  Siegellacksäulchen,  so  erhält  man  auf  dem  in 
gewöhnlicher    Weise    aufgelegten    und    abgehobenen    Schilde 


148  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

positive  Elektricität,    und    zwar    umsomehr    je   höher   diese 
Stützen  sind. 

Diese  Versuche  lehren,  dass  bei  ganz  schwacher  primärer 
Elektrisirung  weder  zwischen  Kuchen  und  Bodenplatte,  noch 
zwischen  Kuchen  und  Schild  ein  üebergang  von  Elektricität 
stattfindet,  und  dass  demnach  in  diesem  Falle  nur  die  durch 
Reibung  direct  erregte  zur  Geltung  kommen  kann. 

Ruht  nun  der  Kuchen  in  normaler  Lage  auf  der  Boden- 
platte, so  wird  die  Wirkung  der  primär  erregten  Elektricität 
auf  den  Schild  durch  die  in  der  viel  ferneren  Bodenplatte 
angezogene  positive  Elektricität  nur  wenig  geschwächt,  und 
der  Schild  muss  deshalb  nach  dem  Abheben  merkliche  Mengen 
positiver  Elektricität  liefern.  Kehrt  dagegen  der  Kuchen 
seine  geriebene  Seite  gegen  die  Bodenplatte,  so  wird  durch 
die  in  der  dicht  benachbarten  Bodenplatte  angesammelte 
positive  Elektricität  die  Wirkung  der  primär  erregten  auf 
den  viel  entfernteren  Schild  ausserordentlich  gering,  und  der 
Schild  desshalb  nach  dem  Abheben  unelektrisch  befunden 
werden. 

Eine  einfache  Rechnung  zeigt,  dass  sich  die  in  den 
beiden  Lagen  auf  dem  Schilde  befindlichen  Elektricitäts- 
mengen  wie  D  zu  d  verhalten  müssen •'^),  wenn  man  unter  D 
die  Dicke  des  Kuchens  unter  d  die  Dicke  der  zwischen  ihm 
und  der  Bodenplatte  (beziehungsweise  dem  Schilde)  befind- 
lichen Luftschicht    versteht.     Dieses    Verhältniss  ^   ist   aber 

d 

jedenfalls  eine  sehr  grosse  Zahl.  ^Vird  dagegen  der  Kuchen 
von  der  Bodenplatte  entfernt,  so  verliert  die  auf  der  Boden- 
platte angesammelte  positive  Elektricität  ihren  Einfluss  und 
zwar  um  so  mehr ,  je  höher  die  Stützen  sind ,    die  primäre 


5)  Streng  genommen  wie  D  +  d  zu  d. 


V.  Bezöld:  Der  Elektrophor.  149 

kommt  wieder  zur  ^YirkuDg  und   der  Schild   muss    demnach 
wieder  positive  Elektricität  liefern. 

Dritter  Versuch:  Reibt  man  den  Kuchen  während 
er  auf  der  Bodenplatte  liegt  ziemlich  stark,  so  bemerkt  man 
im  Allgemeinen  nach  dem  Bestäuben  der  geriebenen  Fläche 
keinen  wesentlichen  Unterschied  gegen  den  vorhin  be- 
schriebeneu Fall,  Nur  wenn  gar  zu  stark  gerieben  wurde, 
was  sich  schon  beim  Aufsetzen  des  Schildes  durch  ein 
knisterndes  Geräusch  zu  erkennen  giebt ,  erblickt  man  nach- 
her an  jenen  Stellen,  über  welchen  sich  der  Rand  des  Schildes 
befand,  einen  Kranz  von  gelben  Strahlen  und  Sternen.  Wir 
wollen  zunächst  von  diesem  Falle  absehen,  und  voraussetzen, 
die  obere  Fläche  zeige  den  schon  früher  beschriebenen  An- 
blick, so  bietet  dagegen  die  untere  Fläche  jetzt  ein  höchst 
merkwürdiges  und  meist  sehr  schönes  Bild  dar  ,  und  zwar 
ein  verschiedenes  je  nachdem  der  Kuchen  während  des 
Bestäubens  (mit  der  Fläche  A)  auf  der  Bodenplatte  oder 
auf  hohen  Stützen  liegt. 

Im  ersteren  Falle  ist  die  ganze  Fläche  übersät  mit 
gelben  Sternen,  welche  zum  Theil  noch  einen  rothen  Central- 
fleck besitzen ,  im  letzteren  Falle  haftet  gar  kein  Schwefel 
an  der  Fläche,  sondern  dieselben  Sterne  erscheinen  schwarz 
d.  h.  staubfrei  auf  der  Fläche.  Hat  man  das  Bestäuben  iu 
der  ersten  Lage  vorgenommen  und  hebt  man  dann  den 
Kuchen  ab,  so  fliegt  der  Schwefel  von  den  Sternen  weg  gegen 
den  Rand  zu. 

Dieser  Versuch  lehrt :  während  des  Reibens  wird  der 
Raum  zwischen  Bodenplatte  und  Kuchen  von  Funken  durch- 
brochen, und  zwar  schlägt  sich  die  positive  Elektricität  in 
Form  der  bekannten  Sterne  auf  dem  Kuchen  nieder. 

Die  Menge  dieser  positiven  Elektricität  ist  aber  viel 
geringer  als  jene  der  negativen,  welche  sich  auf  Fläche  A 
befindet,  denn  wenn  letztere  nicht  durch  die  in  der  Boden- 
platte   angezogene   positive   Elektricität   gebunden   wird,    so 


150  Sitzung  der  math.-phys.  Glosse  vom  2.  Juli  1870. 

überwiegt  die  Wirkung  der  primär  erregten  Elektricität,  da 
nach  dem  Abheben  der  Schwefel  auch  von  jenen  Stellen, 
welche  unzweifelhaft  mit  positiver  Elektricität  bedeckt  sind, 
nicht  angezogen,  sondern  abgestossen  wird. 

Diess  ist  ein  vortreffliches  Beispiel  dafür,  wie  die  au 
einer  bestimmten  Stelle  vorhandene  Elektricität  durch  stärkere 
Fernwirkung  anderweitig  vertheilter  Mengen  elektroskopisch 
unkenntlich  gemacht  werden  kann. 

Die  Richtigkeit  der  eben  ausgesprochenen  Ansicht  lässt 
sich  durch  einen  weiteren  Versuch  prüfen.  Wenn  es  nämlich 
wahr  ist,  dass  die  auf  die  untere  Fläche  übergegangene 
positive  Elektricität  nur  dann  zur  Wirkung  kommen  kann, 
wenn  die  primär  erregte  stärkere  Elektricität  gebunden  ist, 
so  darf  auch  nach  Umkehr  des  Elektrophorkuchen  nur  so 
lange  negative  Elektricität  im  Schilde  auftreten,  als  der 
Kuchen  nahe  genug  an  der  Bodenplatte  liegt,  während  bei 
allmählig  grösserer  Entfernung  des  Kuchens  eine  Stelle 
kommen  muss,  wo  das  Vorzeichen  des  aus  dem  abgehobenen 
Schilde  gezogenen  Funkens  umspringt.  Dass  dem  wirklich 
so  ist,  zeigt  das  folgende  Experiment: 

Vierter  Versuch:  Kehrt  man  den  in  normaler  Lage 
hinreichend  stark  geriebenen  Kuchen  eines  Elektrophors 
uui ,  und  legt  man  ihn  nun  mit  der  geriebenen  Seite  auf 
die  Bodenplatte,  so  liefert  bekannthch  der  Schild  nach  dem 
Ableiten  und  Abheben  negative  Elektricität.  Legt  man  aber 
den  Kuchen  nach  und  nach  auf  immer  höhere  Stützen,  so 
nimmt  zuerst  die  Menge  der  gelieferten  negativen  Elektricität 
ausserordentlich  rasch  ab,  verschwindet- bei  einem  bestimmten 
Abstände  zwischen  Bodenplatte  und  Kuchen  vollständig  bis 
bei  noch  grösseren  Abständen  allmählig  immer  stärkere 
positive  Ladungen  auftreten.  Man  kann  diess  vortrefflich 
sichtbar  machen,  wenn  man  statt  eines  Elektroskopes  wieder 
Staubfiguren  anwendet ,  indem  man  den  Schild  nach  dem 
jedesmaligen   Abheben   mit   dem    auf  eine  Probeplatte    auf- 


V.  Bezold:  Der  Elelctrophor.  151 

gesetzten  Zuleiter  in  Berührung  bringt.  Dann  erhält  man 
der  Reihe  nach  zuerst  immer  kleinere  negative  und  dann 
fortgesetzt  wachsende  positive  Figuren. 

Fünfter  Versuch:  Die  bisher  angestellten  Versuche 
haben  gezeigt,  dass  bei  nicht  übermässiger  Elektrisirung 
wirkUch,  wie  man  auch  stets  annahm,  zwischen  Schild  und 
geriebener  Fläche  kein  üebergang  von  Elektricität  statt  hat, 
während  ein  solcher  zwischen  der  Bodenplatte  und  der  nicht 
geriebenen  Fläche  vor  sich  geht.  Das  Verständniss  dieser 
merkwürdigen  Thatsache  wird  erleichtert  durch  den  folgenden 
Versuch : 

Reibt  man  den  Kuchen  während  er  auf  isolirenden 
Stützen  liegt  und  bedeckt  man  ihn  nun  mit  einem  ganz  un- 
elektrisch gemachten  Ebonit  oder  Glasplatte  und  setzt  man 
dann  auf  diese  einen  abgeleiteten  Zuleiter  auf,  so  sieht  man 
auf  diesen  Platten  nach  dem  Bestäuben  positive  Figuren. 
Diese  werden  viel  kleiner,  wenn  man  den  Kuchen  auf  der 
Bodenplatte  auflegt.  Man  könnte  den  Zuleiter  auch  direct 
auf  den  Kuchen  aufsetzen,  würde  jedoch  dabei  im  Allgemeinen 
keine  zuverlässigen  Resultate  erhalten,  da  die  Gestalt  der 
entstehenden  Figur  auf  einer  dort  geriebenen  Fläche  von 
der  immer  sehr  verschiedenartigen  Erregung  der  einzelnen 
Stellen  abhängig  ist. 

Dieser  Versuch  lehrt,  dass  durch  die  Nachbarschaft  der 
Bodenplatte  und  selbstverständhch  ebenso  durch  die  auf  der 
Fläche  B  niedergeschlagene  positive  Elektricität  die  Scheidungs- 
kraft, welche  A  auf  einen  oberhalb  gelegenen  Punkt  ausübt, 
vermindert  wird.  Es  wird  demnach  auch  viel  leichter  ein 
üebergang  von  Elektricität  zwischen  Kuchen  und  Bodenplatte 
stattfinden,  als  zwischen  dem  Kuchen  und  dem  erst  nach- 
träglich aufgesetzten  Schilde,  da  die  primär  erregte  Elektricität 
eben  durch  die  auf  der  Bodenplatte  und  der  Fläche  B  be- 
findliche grossentheils  gebunden  ist.  War  die  primäre 
Erregung  zu  stark,  so  kann  immerhin  auch  der  Raum  zwischen 


152  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

Schild  und  Kuchen  von  Funken  durchbrochen  werden,  dadurch 
wird  dann  ein  Theil  der  ursprüngHch  erregten  Elektricität 
neutrah'sirt  und  man  hat  nun  wieder  den  vorigen  Fall. 
Daher  rührt  es  auch,  dass  es  für  jeden  Elektrophor  ein  von 
der  Beschaffenheit  der  Luft  abhängiges  Wirkungsmaximum 
giebt,  welches  auch  durch  noch  so  starkes  Reiben  nicht  über- 
schritten werden  kann.  Eigentlich  lässt  sich  diess  alles 
schon  aus  den  bekannten  Fuudamentalsätzen  der  Elektricitäts-  i 
lehre  ableiten,  nichtsdestoweniger  schien  es  mir  zweckmässig, 
diesen  Schluss  noch  durch  einen  besonderen  Versuch  zu 
bekräftigen. 

Aus  den  hier  mitgetheilten  Versuchen  geht  hervor,  dass 
sich  sämmtliche  Phänomene,    welche  man  beim  Elektrophor  J! 
beobachtet,  aus  der  Fernwirkung  erklären   lassen    und    dass   1 
es  ganz  überflüssig  ist,  zu  der  Annahme  einer  Influenzirung 
des  Isolators  seine  Zuflucht  zu  nehmen.     Es   ist   leicht   all' 
diese  Erklärungen  in  mathematische  Form  zu  bringen.    Diess 
soll     in     der    ausführlicheren    Abhandlung     geschehen,     in 
welcher   alsdann  auch   noch  manches    experimentelle  Detail 
seine  Erörterung  finden  wird.     Hier  war  es  mir  nur  darum    1 
zu   thun ,    die    wesentlichsten  Versuche    im    Zusammenhange   I 
vorzuführen    und    ihre   Erklärung    in   allgemeinen    Umrissen    , 
zu  geben. 

Kurz  zusammengefasst  ergab  sich  das  Resultat,  dass  man 
sich  den  Vorgang   beim    gewöhnlichen  Gebrauche    des  EIek-    , 
trophors  folgendermassen  zu  denken  hat: 

Die  durch  Reiben  der  oberen  Fläche  des 
Kuchens  auftretende  Elektricität  wirkt  vertheilend 
auf  die  Bodenplatte.  Ist  die  primäre  Erregung  stark 
genug,  so  durchbricht  die  (ungleichnamige)  Elektri-  j 
cität  der  Bodenplatte  den  Luftraum  zwischen  der 
letzteren  und  dem  Kuchen  und  geht  in  Funken- 
entladungen auf  diesen  über.  Sowohl  durch  diese 
übergegangene    als   auch   durch    die    in    der  Boden- 


V.  Bezold  :   Der  EleJctrophor.  153 

platte  noch  zurückgebliebene  Elektricität  wird  die 
primär  erregte  der  oberen  KucLenfläche  theilweise 
gebunden.  Hiedurch  wird  die  Kraft,  welche  in  dem 
Räume  zwischen  dem  erst  später  aufgelegten  Schilde 
und  dem  Kuchen  thätig  ist,  verringert,  und  dadurch 
ein  Elektricitätsaustausch  in  diesem  Räume  ver- 
hindert. Die  in  dem  Schilde  durch  Vertheilung 
hervorgerufene  der  primär  erregten  ungleich- 
namige Elektricität  bleibt  demnach  auf  demselben 
und  kann  durch  Ableitung  der  gleichnamigen  und 
durch  Abheben  des  Schildes  frei  d.h.  elektroskopisch 
wirksam  gemacht  werden.  Alle  übrigen  begleitenden 
Erscheinungen  lassen  sich  von  diesen  Gesichts- 
punkten aus  nach  bekannten  Gesetzen  erklären. 


154  Sitzung  der  math.-phys.  Gasse  vom  2.  Juli  1870. 


Herr  M.  Wagner  hält  einen  Vortrag: 

..Ueber    denEinfluss    der    geographischen     , 
Isolirung    und  Colonienbildung    auf  die     j 
morphologischen      Veränderungen      der 
0  rgani  s  m  en." 

In  einem  Vortrag,  den  ich  im  März  1868  vor  Ihnen 
zu  halten  die  Ehre  hatte,  suchte  ich,  gestützt  auf  gewisse 
Thatsacl;en  in  der  geographischen  Verbreitung  der  Organismen, 
meine  Ansicht  zu  begründen ,  dass  Herr  Charles  Darwin  in 
seiner  berühmten  Theorie  über  die  Entstehung  der  Arten 
einen  wesentlichen  Factor  bei  diesem  Naturprocess  nicht 
nach  seiner  vollen  Bedeutung  erkannt  und  gewürdigt  habe, 
nämlich:  die  räumliche  Trennung  einzelner  Individuen  vom 
Verbreitungsgebiet  der  Stammart.  Das  bei  dieser  geogra- 
phischen Isoliruug  zur  Geltung  kommende  Naturgesetz,  welches, 
nach  meiner  damaligen  Ansicht  hauptsächlich  auf  dem  ,, Kampf 
um's  Dasein"  beruhen  und  die  Wirkung  dt  r  natürlichen  Zucht- 
wahl wesentlich  unterstützen  sollte,  habe  ich  das  ,, Migrations- 
gesetz der  Organismen"  genannt. 

Die  Fortsetzung  vergleichender  Studien  über  die  Ver- 
wandtschaft und  den  Zusammenhang  der  Faunen  und 
Floren  vieler  Länder  und  Inseln,  besonders  aber  eine  genaue 
Betrachtung  und  Prüfung  zahlreicher,  zuweilen  schwer  erklär- 
barer und  scheinbar  sich  widersprechender  Vorkommnisse 
und  Erscheinungen  in  der  geographischen  Vertheilung  der 
verschiedenen  nächst  verwandten  Varietäten,  Arten  und 
Gattungen  einzelner  Familien  haben  meine  damalige  Ansicht 
hinsichtlich  der  Hauptfrage  etwas  modificirt. 

Das  Ergebniss  dieser  Untersuchungen  ist  aber  minder 
günstig    als    meine    frühere    Ansicht    für    die    Darwin'sche 


Wagner:   Zur  Morphologie  der  Organismen.  155 

Selectionslehre,  welche  mit  der  Descendenztheorie,  die 
von  Darwin  zwar  fester  begründet,  aber  schon  1809 ,  also 
51  Jahre  vor  Darwin  von  dem  französischen  Naturforscher 
Lamarck  aufgestellt  und  mit  Geist  und  Scharfsinn  vertheidigt 
wurde,  nicht  verwechselt  werden  darf.  Von  der  Richtigkeit  der 
Descendenztheorie,  für  welche  die  gewichtvollsten  geolog- 
ischen und  paläontologisch en  Wahrscheinlichkeitsgründe 
sprechen  und  an  die  auch  bereits  die  grosse  Mehrzahl  der 
Naturforscher  glaubt,  bin  ich  vollkommen  überzeugt.  Dagegen 
hege  ich  jetzt  die  eben  so  tiefe  üeberzeugung,  dass  die  ,, natür- 
liche Züchtung"  neuer  Arten  oder  richtiger  übersetzt  die  , .natür- 
liche Auslese"  (natural  selection)  der  durch  Variation  bevor- 
zugten Individuen  in  dem  von  Darwin  aufgefassten 
Sinne  ein  Irrthum  ist.  Darwin's  Selectionslehre,  an  deren 
Richtigkeit  auch  ich  früher  glaubte,  steht  mit  einer  ganzen 
Reihe  von  Thatsachen  der  Thier-  und  Pflanzengeographie  im 
entschiedensten  Widerspruch  und  ist  auch  anderen  wohl  be- 
gründeten und  von  Herrn  Darwin  und  seinen  unbedingten 
Anhängern  niemals  widerlegten  Einwürfen  gegenüber  völlig 
unhaltbar. 

Bevor  ich  jedoch  meine  Einwände  gegen  die  Selections- 
lehre eingehender  darlegen  werde ,  will  ich  die  Theorie  der 
Artenentstehung  durch  C  ol  oni  enbi  1  dun  g  d,  h.  durch 
Separation  einzelner  Individuen  vom  Standort  der  Stamm- 
art —  eine  Theorie,  die  von  der  Bedingung  der  Arten- 
bildung ,  wie  sie  Herr  Darwin  sich  denkt ,  sehr  wesentlich 
abweicht  —  hier  so  kurz,  bestimmt  und  klar  als  ich  es  ver- 
mag darzulegen  versuchen.^) 


*)  Die  Erfahrung  in  fast  jeder  wissenschaftlichen  Polemik  lehrt, 
dass  man  oft  selbst  in  den  einfachsten  Dingen  das  Unglück  hat, 
von  Freunden  und  Gegnern  theilweise  missverstanden  zu  werden. 
Dieses  häufige  Missverstehen  hat  freilich  mitunter  auch  den  Anschein 
als  ob  es  nicht  ganz  unabsichtlich  sei.     Man    scheint   besonders  das- 


156  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

In  der  typischen  Formenbildung,  dem  wichtigsten 
morphologischen  Process  der  organischen  Natur,  offen- 
baren sich  zwei  antagonistische  Kräfte  oder  Tendenzen. 
Die  eine  bezeichnen  wir  als  die  Vererbungskraft,  die 
andere  als  die  Variationstendenz.  Durch  die  Ver- 
erbungskraft sucht  die  Natur  eine  bereits  vollzogene  Um- 
gestaltung des  Organismus  zu  befestigen,  den  typischen 
Charakter  einer  neuen  Art  in  zahheichen  Individuen  schein- 
bar gleichförmig  zu  erhalten.  Durch  die  Variationstendenz 
(Variabilität)  dagegen  trachtet  die  Natur  nach  einer  weitern 
Veränderung,  nach  einer  neuen  Umgestaltung  des  Organismus, 
sucht  sie  also  immer  wieder  neue  Formen  d.  h.  Arten  hervor- 
zubringen. 

Beide  Naturkräfte,  die  conservative  wie  die  reformirende 
Tendenz,  sind  nur  scheinbar  sich  entgegenwirkend.  In  Wahr- 
heit wirken  sie  nebeneinander  und  unterstützen  sich  sogar 
gegenseitig  bis  zu  einem  gewissen  Grade.  Durch  beide  Kräfte 
erreicht  die  Schöpfung  in  höchst  merkwürdiger  Weise  ihren 
Doppelzweck:  die  periodische  Erhaltung  wie  die  periodische 
Verjüngung  und  Erneuerung  der  typischen  Formen  des  Thier- 
und  Pflanzenreiches  auf  zwei  ganz  entgegengesetzten  Wegen. 

Die  Vererbungskraft  befestigt  und  erhält  bei  allen  Orga- 
nismen ,  welche  getrennten  Geschlechtes  sind ,  jene  fertig 
gebildete  typische  Form,  die  wir  Species  (Art)  nennen,  durch 
das  einfache  Mittel  der  Kreuzung  zahlreicher  Individuen 
in   dem   gleichen  Wohngebiet,    also    in   einem    räumlich  zu- 


jenige  nicht  ungern  missverstehen  zu  wollen,  was  schwer  zu  wider- 
legen, also  bei  einer  wissenschaftlichen  Polemik  den  Gegnern  etwas 
unbequem  ist.  Ein  solches  absichtliches  Missverstehen  ist  besonders 
dann  um  so  bequemer,  wenn  von  unseren  Gegnern  die  Verdrehung 
und  Entstellung  unserer  Behauptungen  als  brauchbare  Mittel  nicht 
verschmäht  werden.  Man  wird  da  oft  an  das  Göthe'sche  Wort  er- 
innert: „sie  haben  meine  Gedanken  verdorben  und  bilden  sich  ein, 
mich  wiederlegt  zu  haben." 


I 


Wagner:   Zur  Morphologie  der  Organismen.  157 

sammenhängenden  Verbreitungsbeziik,  welcher  innerhalb  seiner 
Grenzen  die  individuelle  Isolirung  schwierig,  oft  unmöglich 
macht. 

Jede  Thier-  oler  Plimzenart  hat  bekanntlich  einen 
meist  zusammenhängenden .  oft  aber  auch  sporadisch  unter- 
brochenen Verbreitungsbezirk  oder  Areal,  auch  Standort 
(Statio)  genannt,  dessen  Form  in  Flachländern  mehr  oder 
minder  kreisförmig  oder  elliptisch  und  in  dessen  Gentium 
die  Individuenzahl  der  Art  in  ihrem  Vorkommen  gevröhnlich 
am  grössten  ist.  Dieser  Verbreitungsbezirk  hat  seine  Grenzen 
theils  in  den  geographischen  Schranken,  die  ihn  umgeben 
z.  B.  Hochgebirge,  Wüsten,  Meere,  breite  Ströme,  theils 
in  klimatischen  oder  anderen  topographischen  Verhältnissen. 
Von  der  morphologischen  und  physiologischen  Beschaffenheit 
jeder  Thier-  und  Pflanzenart  hängt  auch  theilweise  die  Grösse 
ihres  Verbreitungsgebietes  ab.  Dasselbe  umfasst  oft  den 
Flächenraum  eines  ganzen  Gontinents  oder  einer  Insel  und 
kann  auch  auf  mehrere  Welttheile  oder  einzelne  Länder  der- 
selben sich  ausdehnen.  Leicht  beweghche  Formen  z.  B.  ge- 
flügelte Thierarten  sind  gewöhnlich  weiter  verbreitet  als  Thiere 
von  geringerer  Locomotionsfähirrkeit.  Die  äussersten  Grenzen 
dieses  Verbreitungsgebietes  verändern  sich  immer  etwas  im 
Laufe  der  Zeiten  und  können  sich  in  Folge  des  Kampfes  ums 
Dasein,  den  jede  Art  mit  anderen  zu  bestehen  hat,  oder  aus 
anderen  theils  natürlichen,  theils  zufälligen  Ursachen  entweder 
erweitern  oder  verengen.  Vermöge  ihrer  morphologischen  und 
physiologischen  Organisation  und  bei  der  allgemeinen  Tendenz 
nach  Vermehrung  wird  jede  Thierart  wie  jede  Pflanze  ihr  Ver- 
breitungsgebiet so  weit  auszudehnen  suchen  als  es  ihr  die 
physischen  Verhältnisse  des  Bodens,  die  äusseren  und  inneren 
Lebensbedingungen  gestatten. 

Die  Variationstendenz,  welche  schon  in  der  persönlichen 
Eigenthümlichkeit  eines  jeden  jungen  Indivitluums  sich  äussert 
und  in   diesem    individuellen  Gharakter  jedes    neuen  Einzel- 
[1870.  II.  2]  11 


158  Sitzung  der  mafh.-phys.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

Wesens  gleichsam  schon  die  beginnende  Varietät  andeutet, 
also  damit  auch  bereits  die  Grundbedingung  zur  Bildung 
einer  neuen  Art  besitzt,  bringt  eine  wirkliche  Varietät, 
d.  h.  eine  beginnende  neue  Art  nur  dadurch  hervor,  dass 
von  Zeit  zu  Zeit  entweder  ein  einzelnes  Individuum  oder  ein 
Paar  —  bei  den  Säugethieren  und  Reptilien  dürfte  es  wohl 
in  der  Regel  nur  ein  trächtiges  Weibchen,  bei  den  Vögeln, 
welche  meist  in  Ehe  leben,  häufiger  ein  Paar,  bei  den  Pflanzen 
aber  nur  ein  befruchteter  Saame  sein  —  vom  Verbreitungs- 
gebiet der  Stammart  räumlich  sich  lostrennt  und  an  einem 
neuen  Standort,  meist  in  der  Nachbarschaft  der  früheren 
Heimat,  aber  gewöhnlich  durch  die  Schranke  eines  Gebirges, 
einer  Wüste  oder  eines  Meeres ,  oft  auch  nur  eines  breiten 
Stromes  von  ihr  geschieden,  eine  isolirte  Colonie  gründet. 

Durch  die  geographische  Isolirung  eines  Individuums 
werden  dessen  nächste  Nachkommen  der  compensirenden 
Wirkung  der  Kreuzung  zahlreicher  Individuen  entrückt, 
welche  nach  der  Erfahrung  aller  Thierzüchter  stets  Gleich- 
förmigkeit erzeugt.  Durch  geschwisterliche  oder  nächste  ver- 
wandtschaftliche Paarung  aber  müssen  zugleich  die  individuellen 
Merkmale  des  isolirten  Stammpaares  oder  Einzelwesens  in 
dessen  nächsten  Nachkommen  sich  steigern,  also  im  Laufe 
mehrerer  Generationen  stärker  und  schärfer  sich  ausprägen. 
Auch  das  ist  eine  Erfahrung  der  künstlichen  Züchtung,  dass 
wenn  einmal  bei  den  domesticirteu  Thieren  oder  Pflanzen 
der  Anstoss  zu  einer  neuen  Variation  gegeben  ist,  dieselbe 
in  den  nächsten  Nachkommen  immer  noch  viel  stärker  her- 
vortritt und  sich  in  den  folgenden  Generationen  noch  weiter 
steigert,  bis  sie  den  möglichsten  Höhepunkt  ihrer  Ausbildung 
erreicht  hat,  dann  schwächer  wird  und  nach  einer  gewissen 
Reihe  von  Generationen  stille  steht.  Die  individuellen  Eigen- 
thümlichkeiten  der  direkten  Vorfahren ,  nemlich  der  Eltern 
und  Grosseltern  des  Emigranten  und  Gründers  einer  isolirten 
Colonie,  welcher   der  Stammhalter  der  neuen  Race,   Abart 


Wagner:   Zur  Morphologie  der  Organismen.  159 

oder  Art  wird ,  dürften  bei  dem  morphologischen  Bildungs- 
process  der  neuen  Form  durch  Atavismus  auf  deren  typische 
Richtung  gleichfalls  nachwirken,  daher  auf  deren  specifische 
Ausprägung  immer  noch  einigen  bestimmenden  Einfluss  üben. 
Die  Veränderung  der  äusseren  Lebensbedingungen  in  der 
neuen  Heimat,  welche  bei  etwas  anderen  Verhältnissen  des 
Bodens  und  des  Klimas  wohl  hauptsächlich  darin  besteht, 
dass  die  ersten  Colonisten  durch  einen  längern  Zeitraum 
von  der  starken  Concurrenz  zahreicher  Artgenossen  bei  der 
Ernährung  und  Fortpflanzung  verschont  bleiben ,  also  im 
Vergleich  mit  dem  früheren  Standort  sich  reichlicher  und 
mit  verminderter  Anstrengung  ernähren  und  in  der  kräftigsten 
Jugendzeit  sich  paaren  können ,  dürfte  neben  anderen 
physischen  und  lokalen  Einflüssen  des  neuen  Wohnorts  auf 
den  Gang  und  die  Richtung  der  morphologischen  ümprägung 
der  ersten  Coloniebewohner  niemals  ohne  einige  Einwirkung, 
aber  im  Ganzen  doch  viel  weniger  massgebend  für  die  neue 
Form  sein  als  die  persönlichen  Eigenthümlichkeiten  des  ein- 
gewanderten Stammvaters  oder  der  Stammmutter  und  die 
individuellen  Merkmale  ihrer  unmittelbaren  Ahnen.  Je  stärker 
und  ausgezeichneter  diese  individuellen  Eigenthümlichkeiten 
d.  h.  die  äusseren  und  die  inneren  morphologischen  und 
physiologischen  Abweichungen  vom  normalen  Habitus  der 
Stammart  bei  einem  isolirten  Colonisten  und  dessen  directen 
Ahnen  vorhanden  waren  und  je  mehr  zugleich  die  klimatischen 
Verhältnisse  und  übrigen  Existenzbedingungen,  besonders 
Qualität  und  Quantität  der  Nahrung  von  denen  des  früheren 
Standortes  differiren ,  desto  grösser  muss  auch  die  morpho- 
logische Verschiedenheit  der  neuen  Abart  oder  Art  von  der 
älteren  Stammart  ausfallen  und  desto  entschiedener  wird  am 
Schlüsse  dieses  typischen  ümgestaltungsprocesses  die  neue 
Speciesform  ausgeprägt  erscheinen.  Die  ganze  Summe  der 
erlangten  typischen  Veränderungen  constituirt  zuletzt  den 
morphologischen  Charakter  oder  habitus  der  neuen  Species. 

11* 


160 


Sitzung  der  math.-pliys.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 


Der  Naturprocess  dieser  Neugestaltung  durch 
räumliche  Separation  ist  aber  keineswegs,  wie  Herr 
Darwin  und  dessen  Anhänger  bei  ihrer  Selectionstheorie  an- 
zunehmen gezwungen  sind ,  ein  überaus  lange  dauernder, 
sondern  kann  vielmehr  bei  allen  Organismen  der  höheren 
Klassen  und  Ordnungen  immer  nur  ein  Act  von  relativ 
kurzer  Dauer  sein.  Daher  auch  die  Seltenheit  und  die 
geringe  Zahl  der  nächsten  feineren  Uebergaugsformen  bei 
allen  fossilen  Organismen  dieser  höheren  Klassen. 

Die  Vererbungskraft,  welche  bei  freier  Kreuzung  in 
einem  zusammenhängenden  Verbreitungsgebiet  den  normalen 
Charakter  einer  aus  zahlreichen  Individuen  bestehenden  Art 
erhalten  muss  und  einzelne  Varietäten  als  constante  Ver- 
änderungen nicht  aufkommen  lassen  kann,  wird  dagegen  in 
einer  jungen  Colonie  bei  den  ersten  Zweigen  eines  neuen 
Stammbaumes  eine  Zeit  lang  der  Variationskraft  dienstbar. 
Bekanntlich  vererben  auch  die  Veränderungen ,  die  neuge- 
bildeten Merkmale  einer  Varietät,  wenn  dieselben  nicht 
durch  Vermischung  zahlreicher  Artgenossen  wieder  verwischt 
werden,  sehr  leicht  und  gerne  auf  die  Nachkommen.  Diess 
geschieht  nach  allen  Erfahrungen  der  künstlichen  Züchtung 
während  der  nächstfolgenden  Generationen  sogar  stets  in  einem 
gesteigerten  Grade.  Die  Vererbungskraft  muss  also  in  einer 
solchen  Colonie  die  Variation  durch  eine  gewisse  Reihe  von 
Generationen  nothwendig  unterstützen.  Die  Zeitdauer  dieses 
morphologischen  Umwandlungsprocesses  hängt  wohl  meist  von 
der  Fruchtbarkeit  und  dem  Gedeihen  der  entstehenden  Art  in 
der  neuen  Heimat  ab ,  während  die  typische  Richtung  des- 
selben und  zuletzt  das  ganze  Resultat  der  Umgestaltung  das 
Gesammtwerk  all'  der  mitwirkenden  Factoren  ist. 

Mit  der  Vermehrung  der  neuen  Form,  mit  der  zu- 
nehmenden Zahl  der  Individuen  einer  neugebildeten  Race 
oder  Art  muss  aber  die  Wirkung  der  Variationskraft  noth- 
wendig wieder  abnehmen,  denn  die  Kreuzung  der  individuellen 


Wagner:  Zur  Morphologie  der  Organismen.  161 

Formen  vieler  Abkömmlinge  wird  bei  steigender  Vermehrung 
der  Individuen  auch  in  der  neuen  Colouie  allmählich  aus- 
gleichend wirken  und  zuletzt  Gleicliförmigkeit  erzeugen.  Durch 
ihre  compensirende  Wirkung  fixirt  und  erhält  sich  aber  der 
typische  Charakter  der  neuen  Species  und  wird  innerhalb 
des  Areals  der  Colonie  die  Ausbildung  einer  abermaligen 
Constanten  Varietät  oder  beginnenden  neuen  Art  bei  allen 
höheren  Organismen  von  getrenntem  Geschlecht  unmöglich 
gemacht. 

Durch  Wiederholung  dieses  Separationsprocesses,  durch 
abermalige  örtliche  Lostrennung  und  geographische  Isolirung 
eines  Individuums  oder  Paares  jenseits  der  Arealgrenzen  kann 
und  wird  in  den  meisten  Fällen  der  artenbildende  Natur- 
process  sich  räumlich  und  periodisch  fortsetzen.  So  oft 
einem  Emigranten  die  Gründung  einer  solchen  geographisch 
getrennten  Colonie  für  eine  längere  Zeitdauer  gelingt,  muss 
dieser  Act  eine  constante  Modification  seines  Speciescharakters 
hervorbringen  und  in  den  meisten  Fällen  die  Bildung  einer 
neuen  Form  zur  Folge  haben,  welche  dann  der  Systematiker 
im  Verhältniss  zum  grössern  oder  geringem  Grade  der  Ab- 
weichung von  der  Stammform  als  verschiedene  Varietät,  Art 
oder  Gattung  zu  bezeichnen  pflegt. 

Dies  ist  nach  meiner  üeberzeugung  der  wesentliche  Gang, 
das  einfache  Mittel,  dessen  die  Natur  sich  zur  Bildung  neuer 
t}T3ischer  Formen  zur  Züchtung  verjüngter  Arten  bei  allen 
höheren  Organismen  von  jeher  bedient  hat  und  dessen  sie 
sich  auf  unserm  Weltkörper  auch  jetzt  noch  bedient ,  wenn 
gleich  in  Folge  der  verbreiteten  menschlichen  Kultur,  welche 
die  freie  Wanderung  bedeutend  beschränkt  und  der  isolirten 
Colonienbildung  der  Organismen  mehr  und  mehr  sehr  wesent- 
liche Hindernisse  entgegen  setzt,  in  einem  sehr  ab- 
nehmenden   Grade. 

Der  aufmerksame  Leser  des  Darwin'schen  Werkes:   on 


162          Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

the  origin  of  species  wird  ohne  Mühe  den  bedeutenden  Unter- 
schied seiner  Selectionslehre  von  der  eben  dargelegten 
Isolirungstheorie  erkennen.  Die  IsoUrung  eines  Indivi- 
duums oder  Paares  ist  bei  allen  Organismen ,  welche  durch 
Kreuzung  sich  fortpflanzen,  die  nothwendige  Bedingung, 
also  die  nächste  Ursache :  dass  eine  neue  typische  Form 
entsteht.  Alle  übrigen  bei  dem  Bildungsprocess  der  Art 
mitwirkenden  Factoren,  welche  ich  oben  anführte,  influiren 
sämmtlich  nur  auf  die  Richtung  und  den  Gang  der 
Veränderung,  bestimmen  also  nur:  wie  die  neue  ty- 
pische Form  in  den  Abkömmlingen  eines  isolirten 
Ansiedlers  sich  gestaltet.  AU'  diese  Factoren  stellen 
demnach  durch  ihre  Zusammenwirkung  am  Ende  des  Um- 
prägungsprocesses  zwar  den  Grad  der  Verschiedenheit  fest, 
welchen  die  neue  Form  als  Race,  Abart  oder  Art  gegenüber 
der  alten  Stammspecies  erreicht,  sind  aber  nicht  die  nächste 
Ursache,  geben  nicht  den  ersten  Anstoss  zu  diesem  Um- 
gestaltungsprocess ,  der  nur  durch  Separation  einzelner 
Individuen   vom    Wohngebiete   der   Art   erfolgt. 

Um  den  Unterschied  beider  Theorien  möglichst  kurz 
auszudrücken:  nach  der  Darwin'schen  Selections- 
theorie  züchtet  die  Natur  in  Folge  des  Kampfes 
um's  Dasein  rastlos  neue  typische  Formen  der 
Organismen  durch  Auslese  nützlicher  Varietäten 
gleichviel  ob  in-  oder  ausserhalb  des  Verbreitungs- 
gebietes der  Stammart  und  kann  diesen  Process 
der  Bildung  einer  neuen  Art  nur  innerhalb  eines 
sehr  langen  Zeitraumes  vollziehen. 

Nach  der  Separationstheorie  züchtet  die  Natur 
nur  periodisch  neue  Formen  stets  ausserhalb  des 
Wohngebietes  der  Stammart  durch  geographische 
Isolirung  und  Colonienbildung,  ohne  welche  bei 
allen  höheren  Thieren  getrennten  Geschlechts  keine 


Wagner:  Zur  Morphologie  der  Organismen.  163 

constante  Varietät  oder  neue  Art  entstehen  kann. 
Der  Gestaltungsprocess  einer  neuen  Form  kann 
nicht   von    langer  Dauer   sein. 

Dass  bei  den  niederen  Formen  beider  Naturreiche,  bei 
den  zahlreichen  Zwittern  und  bei  jenen  Klassen  und  Ordnungen, 
welche  sich  ausschliesslich  auf  ungeschlechtlichem  Wege  durch 
Theilung,  Knospuiig,  Sporenbildung  u,  s.  w.  fortpflanzen,  der 
ganz  gleiche  Process  der  Artenbildung  obwalte  wie  bei  den 
höheren  Organismen  getrennten  Geschlechtes  will  ich  hier 
durchaus  nicht  behaupten.  Ich  bin  auch  nicht  im  Stande 
anzugeben  bis  zu  welchem  Grade  die  räumliche  Trennung 
und  Colonienbildnug,  welche  auf  den  Gestaltungsprocess  der 
höheren  Organismen  selbst  nach  dem  Zugeständniss  der 
unbedingten  Anhänger  der  Darwin'schen  Selectionstheorie 
einen  bedeutenden  Einfluss  übt,  auf  die  Formenbildung  der 
niedersten  Wesen  bestimmend  einwirkt. 

Die  geographische  Verbreitung  wie  die  Ernährung  und 
übrige  Lebensweise  jener  zahllosen  Formen  meist  mikroskopisch 
kleiner  Wesen,  die  in  ihrer  unermesslichen  Mehrzahl  Bewohner 
des  Meeres  sind ,  der  Bryozoen ,  Coelenteraten ,  Infusorien, 
Foraminiferen,  Radiolarien  u.  s.  w.,  über  welch'  letztere  höchst 
merkwürdige  Thierformen  wir  Herrn  Häckel  so  schöne 
neuere  Untersuchungen  verdanken ,  sind  im  ganzen  noch  so 
wenig  bekannt  und  erforscht,  dass  wir  über  diese  Frage  eine 
auf  genügenden  Thatsachen  beruhende  Meinung  nicht  aus- 
zusprechen wagen. 

Es  scheint  mir  indessen  recht  wohl  denkbar,  dass  bei 
den  niedersten  Organismen,  wo  die  Art  und  Weise  der  Ent- 
stehung eines  Individuums  so  wesentlich  verschieden  ist 
von  dem  physiologischen  Vorgang,  welcher  bei  den  höheren 
Organismen  die  Entstehung  eines  solchen  Einzelwesens  ver- 
mittelt, auch  der  Process  der  Varietäten-  und  Artenbildung 
ein  gleichfalls    sehr   wesentlich   verschiedener   nicht  nur  sein 


164  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

kann,  sondern  wahrscheinlich  sein  muss.  Der  Eintritt  der 
getrennten  Geschlechter  in  den  anatomischen  Bau  der  höheren 
Organismen  und  der  Act  der  freien  Kreuzung,  also  der  be- 
ständigen Wiederholung  einer  geschlechtlichen  Vermischung 
von  individuell  verschieden  gestalteten  Einzelwesen ,  ist  für 
den  morphologischen  Naturprocess  der  Artenbildung  gewiss 
ein  Factor  von  grösster  Bedeutung,  der  zu  den  übrigen 
Bedingungen  für  die  Bildung  und  Ausprägung  neuer  typischer 
Formen  recht  wohl  noch  eine  neue  Bedingung  hinzufügen 
kann,  welche  bei  den  niederen  ungeschlechtlichen  Organismen 
und  Zwittern  nicht  besteht. 

Wenn  daher  Dr,  Ernst  Häckel  in  Jena,  der  neuer- 
dings in  seiner  ,, Generellen  Morphologie"  und  in  seiner 
„Natürlichen  Schöpfungsgeschichte"  über  die  grosse  Streit- 
frage des  Darwinismus  so  viele  belehrende  Thatsachen  und 
geistvolle  Bemerkungen  niedergelegt  hat,  bloss  mit  Hinweisung 
auf  die  allbekannte  Thatsache,  dass  die  niederen  ungeschlecht- 
lichen Organismen  und  die  Zwitter  sich  auch  ohne  Kreuzung 
im  Laufe  der  Zeiten  spezifisch  verändert  haben,  das  von  mir 
lediglich  für  die  höheren  Organismen  aufgestellte  Migrations- 
gesetz widerlegt  zu  haben  glaubt ,  so  beruht  diese  Schluss- 
folgerung auf  einer  ebenso  falschen  als  unlogischen  Basis. 

Herr  Häckel  selbst  hat  in  den  beiden  genannten  Werken 
sehr  geistvoll  die  Ansicht  zu  begründen  versucht:  es  sei  die 
Ontogenesis  oder  die  Entwicklung  des  Individuums,  eine 
kurze  und  schnelle,  durch  die  Gesetze  der  Vererbung  und 
Anpassung  bedingte  Wiederholung  (Recapitulation)  der  Phylo- 
genesis  oder  der  Entwickelung  des  zugehörigen  Stammes, 
d.  h.  der  Vorfahren,  welche  die  Ahnenkette  des  betreffenden 
Individuums  bilden.  Nun  wohl !  Wenn  demnach  der  kurze 
natürliche  Vorgang,  der  bei  der  Bildung  jedes  Einzelwesens 
stattfindet,  nach  Häckel  stets  eine  gewisse  Analogie  mit  dem 
Hergang  hat,  der  die  langsamere  Bildung  einer  Art  begleitet, 


Wagner:  Zur  Morphologie  der  Organismen.  165 

wäre  es  daun  nicht  auch  in  seinen  Augen  weit  rationeller 
anzunehmen,  dass  auch  die  Speciesentstehung  der  höheren 
Organismen,  die  durch  geschlechtHche  Zeugung  sich  fortpflanzen, 
wesentlich  verschieden  sein  und  von  anderen  Bedingungen 
abhängen  müsse  als  die  Artenbüdung  der  niedrigen  Orga- 
nismen, welche  nur  durch  Theilung  oder  Knospenbildung  sich 
individuell  erneuern  ?  Die  Trennung  der  beiden  Geschlechter 
im  anatomischen  Bau  der  höheren  Thierkhtssen  ist  schon 
gewissermassen  selbst  eine  räumhche  Trennung  und  man 
könnte  die  Trennung  des  Eis  oder  des  lebendig  geborenen 
Jungen  vom  Mutterleibe  recht  wohl  als  einen  Act  der 
Ontogenesis  betrachten,  dem  die  geographische  Trennung 
eines  Individuums  vom  Wohngebiet  der  Art  als  ein  Act  der 
Phylogenesis  gewissermassen  analog  wäre.  Häckel  ist  bei 
seinem  Einwand,  womit  er  das  auf  wohlbegründeten  That- 
sachen  beruhende  Migrationsgesetz  als  beseitigt  betrachtet, 
offenbar  in  einen  Widerspruch  mit  sich  selber  gerathen,  denn 
nach  seiner  Auffassung  der  Ontogenesis  und  Phylogenesis 
sollte  der  von  ihm  gemachte  angebliche  Einwurf  viel  eher 
als  ein  weiteres  Argument  zu  Gunsten  der  von  mir  dar- 
gelegten Separationstheorie  gelten.  ^) 


2)  Dass  selbst  die  grosse  Masse  der  Protisten,  die  ,. wunderbare 
Klasse''  der  Rhizopoden  oder  Wurzelf üsser.  zu  welchen  die  kalk- 
schaaligen  Acyttarien  und  die  kieselschaaligen  Radiolarien  gehören 
sich  einzig  nur  durch  den  Process  der  natürlichen  Zuchtwahl  in  neue 
Speciesformen  verwandeln,  dafür  hat  Häckel  auch  nicht  Einen  Beweis 
zu  liefern  vermocht.  Die  individuelle  Eigenthümlichkeit  scheint  bei 
diesen  niedersten  ungeschlechtlichen  Formen  jedenfalls  eine  weit  ge- 
ringere zu  sein  als  bei  den  höheren  Organismen.  Eine  allmählige 
typische  Veränderung  zahlreicher  Individuen  einer  Art  in  Folge  von 
plötzlich  oder  allmählig  veränderten  physischen  Verhältnissen  ihres 
"Wohngebietes  im  Meere  z.  B,  einer  veränderten  Pachtung  der  kalten 
oder  warmen  Meeresströmungen,  welche  nach  den  neuesten  Unter- 
suchungen der  Meerestiefen  oft  sehr  nahe  sich  berühren,  oder  eines 


166  Sitzung  der  math.-phya.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

Herr  Häckel  beruft  sich  nun  aber  freilich  auch  noch 
auf  einige  andere  sogenannte  Einwände  des  Herrn  Dr.  August 
Weismann,  der  in  seiner  kleinen  Schrift:  ,,Ueber  die  Be- 
rechtigung der  Darwin'schen  Theorie''  (1868)  das  Migrations- 
gesetz „hinreichend  widerlegt''  und  gezeigt  haben  soll,  dass 
auch  in  einem  und  demselben  Wohnbezirk  eine  Species  sich 
in  mehreren  Arten  durch  natürliche  Zuchtwahl  spalten  könne. 
Die  erwähnte  Schrift  hat  aber  diesen  angeblichen  Beweis 
keineswegs  geliefert  und  die  dort  angeführten  Beispiele  sind 
durchaus  nicht  stichhaltig. 

Herr  August  Weismann  hat  das  von  mir  aufgestellte 
,, Migrationsgesetz"  in  seltsamer  Weise  missverstanden,  wenn 
er  annimmt,  dass  ich  damit  in  allen  Fällen  die  Wanderung 
über  eine  bestehende  natürliche  Schranke  als  noth- 
wendige  Bedingung  der  Züchtung  einer  neuen  Species  be- 
zeichnen wollte.  Jede  örtliche  Separation,  jede  lokale  Isolirung 
wie  z.  B.  die  Verbreitung  in  den  verschiedenen  Buchten  und 
Tiefen  eines  und  desselben  Süsswassersee's,  überhaupt  jede 
topographische  Ursache,  welche  die  periodische  Bildung 
einer  getrennten  Colonie  begünstigt,  kann  nicht  nur,  sondern 
muss  nach  meiner  Ueberzeugung  eine  gewisse  morphologische 
Veränderung  der  Stammform,  also  in  der  Regel  die  Bildung 
einer  neuen  Abart  oder  Racenform  zur  Folge  haben  auch 
ohne  Wanderung  über  die  trennenden  Schranken  eines 
Hochgebirges,  Meeres  oder  einer  Wüste,  wie  auf  S.  23.  meiner 


Wechsels  der  Tiefe  und  damit  des  Druckes,  Lichtreizes  u.  s.  w.  scheint 
mir  bei  all  diesen  niedersten  ungeschlechtlichen  massenhaft  vor- 
kommenden Organismen  viel  wahrscheinlicher  als  eine  Züchtung 
durch  allmählige  Auslese  bevorzugter  Individuen  wie  sie  Darwin  an- 
nimmt. Dass  diese  niedersten  Organismen,  weil  sie  nicht  durch 
freie  Kreuzung  ihre  Gleichförmigkeit  bewahren  auch  nicht  der 
Isulirung  als  deren  Gegenwirkung  zu  einer  Aenderung  ihrer  Form 
bedürfen,  ist  selbstverständlich. 


Wagner:   Zur  Morphologie  der  Organismen  167 

Schrift  ausdrücklich  bemerkt  worden  ist.  Das  von  Weismann 
angeführte  Beispiel:  dass  aus  Planorbis  multiformis  in  dem- 
selben Seebecken,  nicht  gleichzeitig,  sondern  successive  im 
Laufe  der  Zeit,  19  verschiedene  Racenformen  entstanden, 
ist  nicht  nur  kein  Beweis  gegen  das  Separationsgesetz,  sondern 
mit  demselben  ganz  im  Einklänge. 

Auch  ein  Seebeckeu  von  massiger  Ausdehnung  ist  für 
eine  schwerfällige  Süsswasser-Schnecke  gross  genug,  um  die 
allmcählige  Bildung  verschiedener  Ansiedlungen  in  sehr  ver- 
schiedenen Tiefen  und  mit  der  Isolirung  die  alluiählige 
Entstehung  von  neuen  Racenformen  zu  gestatten.  Aber  eben 
weil  ein  Seebecken  weder  einen  so  weiten  Raum  noch  so 
verschiedene  Tiefen  darbietet  wie  ein  Meer  und  daher  isolirte 
Colonien  dort  wohl  nur  selten  ganz  ungestört  und  für 
genügend  lauge  Zeit  die  nothwendigen  Bedingungen  zur  üm- 
prägung  der  Form  finden ,  eben  desshalb  bildeten  sich  in 
dem  von  Hilgendorf  und  Weismann  angeführten  Fall 
nur  wenig  abweichende  Racenformen  und  nicht  scharf  ge- 
schiedene Species. 

Auch  die  von  demselben  Forscher  angeführten  Beispiele 
der  Verbreitung  gewisser  europäischer  Lepidopteren-Arten 
sind  kein  Einwand  gegen  die  Separationstheorie ,  sondern 
wenn  man  diese  Verbreitung  genau  betrachtet,  weit  eher 
eine  Bestätigung  derselben. 

Herr  Dr.  August  Weismann  ist  nicht  nur  ein  kenntuiss- 
reicher  Entomolog,  sondern  zweifelsohne  auch  ein  erfahrener 
Sammler,  der  das  Thierleben  nicht  allein  aus  der  Studier- 
stube kennt,  sondern  dasselbe  auch  im  freien  Naturzustande 
beobachtet  hat.  Es  kann  ihm  desshalb  der  eben  so  wichtige 
als  höchst  bezeichnende  Umstand  einer  überaus  häufigen 
sporadischen  Trennung  der  Fundorte  und  Wohn- 
bezirke bei  den  sogenannten  Tikarirendeu  Species,  zu  denen 
auch  die  von  ihm  angeführten  Arten   gehören ,    welche   zum 


168  Sitzung  der  math.-phyis  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

Theil  in  sehr  zerstreuten  Standorten  vorkommen,  unmöglich 
entgangen  sein.  Schon  der  merkwürdige  Umstand,  dass  die 
Raupen  von  ganz  nahe  verwandten  Schmetterh'ngsarten  auf 
ganz  verschiedeneu  Futterpflanzen  leben ,  begünstigt  ein  ge- 
trenntes Vorkommen  derselben,  also  auch  eine  örtliche 
Züchtung  durch  Separation. 

Schlagende  Beispiele  dafür  liefern  die  in  Deutschland 
einheimischen  Deilephila  Eupliorbiae  und  D.  Galii,  zwei 
anerkannt  gute  Species,  welche  sich  aber  in  Form,  Zeichnung, 
und  Farbe  so  ungemein  nahe  stehen ,  dass  ein  Kennerauge 
dazu  gehört,  sie  zu  unterscheiden.  Die  Raupe  der  ersteren 
Art  nährt  sich  ausschliesslich  von  den  Blättern  der  Wolfs- 
milchpflanze (Euphorbia  Cyparissias)  und  kommt  daher  nur 
auf  öden  Haiden  und  unfruchtbarem  Boden  vor,  während 
die  Raupe  des  so  überaus  ähnhchen  Doppelgängers  von  den 
Blättern  des  weissen  Sternkrauts  sich  nährend  nur  auf  fetten 
Wiesen  gefunden  wird. 

Wenn  die  Wohnbezirke  von  sehr  nahe  verwandten  Arten 
wie  z.  B.  die  von  Weismann  angeführten  in  Deutschland 
häufigen  Falter  Limenitis  Sibylla  und  L.  Camilla  sich  stellen- 
weise berühren  und  deren  Grenzen  dann  theilweise  ineinander 
verlaufen,  so  bleiben  sie  doch  merkwürdiger  Weise  in  vielen 
Gegenden  sporadisch  vollständig  getrennt  und 
diese  Thatsache  ist  ein  Wahrscheinlichkeitsgrund  mehr  für 
die  Richtigkeit  des  Separatiougesetzes.  So  z.  B.  ist  Limenitis 
Sibylla  in  den  Wäldern  bei  Augsburg  ein  überaus  häufiger 
Schmetterling,  während  L.  Camilla  dort  gänzlich  fehlt  und 
erst  am  Fusse  der  bayerischen  Alpen  in  Waldgegenden  auf- 
tritt, wo  L.  Sibylla  nicht  vorkommt  oder  nur  selten  er- 
scheint. 

Noch  viel  auffallendere  und  für  unsere  Streitfrage  über- 
aus bezeichnende  Beispiele  von  sporadischer  Trennung  der 
Wohnbezirke  sehr  nahe  verwandter,  allbekannter  europäischer 


Wagner:    Zur  Morphologie  der  Organismen.  169 

Lepidopteren  bieten  sämmtliche  Species  von  der  Gattung 
der  Goldeulen  TPlusia)  ,  welche  Dr.  Weismann  anzuführen 
vergessen  hat.  Die  Plusien  bilden  bekanntlich  eine  der 
schönsten  und  merkwürdigsten  Gattungen  der  Nachtfalter 
und  sind  vor  allen  anderen  Gattungen  ausgezeichnet  durch 
langen  Säugrüssel,  Brustrücken  mit  erhobenem  Haarschopf 
und  VorderflügL'l  von  lebhafterm  Metallglanz  oder  mit  Gold- 
und  Silberflecken.  Schon  in  ihrer  Riupenform  ist  diese 
Gattung  ausgezeichnet  vor  allen  übrigen  Noctuen  durch  die 
verminderte  Zahl  der  Bauchfüsse  und  den  spannerförmigen 
Gang.  Keine  andere  Gattung  der  Schmetterlinge  zeigt  in 
einem  so  auffallenden  Grade  die  nahe  Verwandtschaft  der 
Speciesformen  ,  welche  sicher  aus  einer  Stammart  hervor- 
gegangen sind  und  sich  auch  ohne  die  trennenden  Schranken 
von  hohen  Gebirgen  oder  Meeren  einzig  durch  das  Mittel 
der  Isolirung  in  sporadisch  getrennten  Wohnbezirken,  be- 
günstigt durch  die  merkwürdige  Verschiedenheit  der  Er- 
nährungspflanzen ihrer  Raupen,  in  eine  ziemlich  grosse  Zahl 
von  anerkannt  guten,  leicht  unterscheidbaren  Species  gespalten. 

Auch  in  den  äusserst  wenigen  Fällen ,  wo  zwei  sehr 
nahe  verwandte  Arten  in  ihrem  Raupenstande  dieselbe 
Futterpflanze  verzehren ,  sind  doch  ihre  Standorte  häufig 
sporadisch  getrennt  und  die  äussersten  Grenzen  ihres  ganzen 
Verbreitungsgebietes  fallen  besonders  in  nördlicher  und  süd- 
licher Richtung   niemals    ganz   zusammen. 

Weismann  beruft  sich  ferner  auf  die  Verbreitung  des 
bekannten  kosmopolitischen  Distelfalters  Tauessa  Cardui  als 
„einen  schlagenden  Beweis  gegen  das  Migrationsgesetz.'"  Ich 
glaube  aber,  er  konnte  zu  seinem  Zweck  kein  unglücklicheres 
Beispiel  wählen,  denn  gerade  die  Einwanderung  dieses  Falters 
in  Amerika  und  die  dort  aus  ihm  entwickelten  vier  höchst 
ähnlichen  vikarirenden  Species,  deren  Existenz  Herrn  ^S'eis- 
mann  ganz  unbekannt  zu  sein  scheint,  zeigt  uns  einen  der 
besten  Belege  für  die  Richtigkeit  der  Migrationstheorie. 


170  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  2.  Jidi  1870. 

Vanessa  Cardui  und  V.  Atalauta  gehen  bekanntlich  bis 
zum  hohen  Norden  hinauf  und  sind  dort,  ähnhch  wie  andere 
circum-polare  Arten  verbreitet.  Sie  kommen  in  ringförmiger 
Verbreitung  durch  das  ganze  nöidHche  Europa,  Asien  und 
Amerika  bis  nahe  an  den  Polarkreis  vor.  V.  Cardui  ist 
auf  allen  Inseln  der  Aleuten  heimisch  und  erscheint  selbst 
an  der  Behriugsstrasse  noch  als  häufiger  Sommergast.  Bei 
der  ungemeinen  Flugkraft  dieses  Wanderfalters  wird  es  ihm 
um  so  weniger  schwer,  Meere  von  massiger  Breite  zu  über- 
fliegen, als  er  bekanntlich  die  Fähigkeit  besitzt,  bei  Ermüdung 
auf  dem  Spiegel  des  Meeres  mit  ausgebreiteten  Flügeln  aus- 
zuruhen und  dann  sich  wieder  erhebend  weiter  zu  fliegen, 
wie  es  oft  beobachtet  wurde.  Zwischen  dem  östlichen 
Sibirien  und  Nordamerika  findet  daher  ein  häufiger  üebergang 
vieler  Emigranten  dieser  Art  statt  und  wegen  dieser  häufigen 
Kreuzung  zahlreicher  Individuen  der  alten  Stammform  musste 
sich  in  den  Polargegenden  der  drei  Welttheile  die  alte  Stamm- 
form unverändert  erhalten. 

Im  südlichen  Canada,  wo  Vanessa  Cardui  seltener  wird, 
kommt  aber  neben  ihr  eine  andere  vikarirende  Art  vor, 
welche  im  Süden  der  Vereinigten  Staaten  wieder  verschwindet 
und  durch  eine  dritte  ähnliche  Form  ersetzt  wird.  Je  mehr 
man  sich  nun  dem  Wendekreis  nähert ,  um  so  seltener  und 
vereinzelnter  beobachtet  man  die  Stammart  des  Distelfalters, 
welche  das  tropische  Klima  zwar  erträgt,  aber  dort  nicht 
mehr  gut  zu  gedeihen  scheint.  Dagegen  tritt  in  der  Cordillere 
Central-Amerika's  eine  aus  einem  solchen  isolirten  Emigranten 
durch  räumliche  Separation  von  der  Stammform  gezüchtete 
überaus  ähnliche  Species  auf,  welche  dieselben  eigenthüm- 
licheu  weisslichen  und  braunen  Schattirungen  hat  und  die 
gleichen  charakteristischen  vier  grossen  Augenflecken  auf 
den  Flügeln  zeigt.  Gegen  die  Physiognomie  aller  übrigen 
dort  vorkommenden  Gebirgsschmetterlinge  steht  dieser  eck- 


Wagner:    Zur  Morphologie  der  Organismen.  171 

flügelige  Falter  mit  seinem  nordischen  Typus  in  einem  höchst 
auffallenden  Contrast. 

Gegen  den  Aequator  hin  verirrt  sich  die  Stamm art  des 
Distelfalters,  des  einzigen  Repräsentanten  der  europäischen 
Le|)idopteren-Fauna,  uoch  seltener  und  ich  habe  ^vährend 
eines  achtmonatlichen  Aufenthalts  im  Hochlande  der  Anden 
von  Quito  nur  ein  einziges  Exemplar  von  Vanessa  Cardui 
gefangen.  D;tgegen  beobachtete  ich  dort  zu  meiner  grössten 
üeberraschung  auf  den  Gehäugen  der  Berge  Chimborazo  und 
Pinchincha  ziemlich  häufig  eine  noch  unbeschriebene  vierte 
vikarirende  Art  (Vanessa  Aequatorialis  W.)  die  gewiss  eine 
scharf  geschiedene,  gute  Species  und  zugleich  dennoch  der 
Stammart  so  überaus  ähnlich  ist,  dass  sie  die  Verwunderung 
aller  Entomologen  erregte,  welche  sie  in  meiner  Sammlung 
gesehen.  Bei  deren  genauer  Betrachtung  leuchtete  jedem 
auch  ohne  directen  Beweis  die  Wahrscheinlichkeit  ein,  dass 
dieser  äquatoriale  Vertreter  unseres  europäischen  Distelfalters, 
welcher  in  seinem  ganzen  Habitus  von  allen  übrigen  Falter- 
gattungen im  äquatorialen  Amerika  gänzhch  abweicht ,  in 
Folge  lokaler  Züchtung  und  Veränderung  aus  einem  solchen 
verirrten  Emigranten  hervorgegangen  sein  müsse.  Ein  ähn- 
liches Beispiel  liefert  in  Europa  das  Vorkommen  des  auf 
einen  sehr  kleinen  Verbreitungsbezirk  in  Südfrankreich  be- 
schränkten Papilio  Alexanor,  während  der  ihm  so  ähnliche 
Papilio  Podalirius,  aus  dem  sich  jener  höchst  wahrscheinlich 
durch  lokale  Züchtung  entwickelt  hat,  ein  sehr  weites  Ver- 
breitungsgebiet durch  ganz  Europa  von  den  Pyrenäen  bis 
zum  Kaukasus  hat. 

Das  von  Weismann  gewählte  Beispiel  der  geographischen 
Verbreitung  eines  kosmopolitischen  Falters,  dessen  Wander- 
flüge über  schmale  Meere  er  zu  ignoriren  scheint ,  ist  also 
kein  Beweis  gegen  die  Migratioustheorie ,  sondern  in  den 
Augen  eines  jeden  unbefangenen  wahrheitsliebenden  Forschers 


172         Sitzung  der  math.-pTiys.  Classe  vom  3.  Juli  1870 

weit  eher  ein  indirecter  Beweis  für  deren  Richtigkeit.') 
Als  einen  directen  Beweis  für  dieselbe  will  ich  hier  die  be- 
kannte merkwürdige  Umwandlung  des  mexikanischen  Axolotl 
oder  Kiemenmolchs  (Siredon  pisciformis)  erwähnen,  von 
welchem  1864  ein  lebendes  trächtiges  Weibchen  von  Mexiko 
direkt  nach  dem  Pariser  Pflanzengarten  gebracht  wurde, 
dessen  Abkömmlinge  sich  in  Folge  dieser  räumlichen  Trennung 
und  Isolirung  sehr  schnell  in  eine  andere  Salamanderähnliche 
Molchform  verwandelten,  während  in  Mexiko  selbst,  wo  der 
Axolotl  in  den  Seen  des  Hochlandes  massenhaft  vorkömmt, 
und  bei  zahlreicher  Kreuzung  sich  nicht  verändert,  diese 
verwandelte  Form  fehlt. 

Eine  lange  Reihe  von  weiteren  Beweisen  für  die  Richtig- 
keit des  Separations-Gesetzes  liefern  andere  Erscheinungen 
und  Thatsachen  der  Thier-  und  Pflanzengeographie.  Bei  dem 
Ungeheuern  Umfang  des  Forschungsmaterials,  welches  uns 
in  den  beschriebenen  Faunen  und  Floren  aus  fast  allen 
Ländern  der  Erde  vorliegt,  ist  es  aber  selir  nothwendig,  die 
charakteristischen  wesentlichen  Ergebnisse  aus  dem  un- 
fruchtbaren Ballast  der  zahllosen  unwesentlichen  oder 
nur  für  den  Systematiker  und  Sammler  interessanten  That- 
sachen zu  sondern,  weil  deren  sterile  Masse  sonst  den  Blick 
des  Forschers  mehr  ermüdet  und  verwirrt  als  aufklärt.  Ich 
behalte  mir  die  Beleuchtung  dieser  wichtigsten  und  wesent- 
lichen Resultate  der  geographischen  Verbreitung  der  Orga- 
nismen auf  meinen  nächsten  Vortrag  vor  und  will  mich  hier 
nur  auf  die  Bemerkung  beschränken ,    dass  diese  Ergebnisse 


3)  Eine  Widerlegung  anderer  Behauptungen  des  Hrn.  Dr.  Weis- 
mann, den  ich  übrigens  als  geistvollen  und  kenntnissreichen  Zoologen 
hochschätze,  behalte  ich  mir  für  einen  andern  Ort  vor,  da  ein  akade- 
mischer Vortrag  zu  einer  derartigen  wissenschaftlichen  Polemik  sich 
nicht  eignet. 


Wagner:   Zur  Morphologie  der  Organismen.  173 

zwar  der  bekannten  Descendenztheorie  Lamarck's  und  Darwin's 
entschieden  günstig  sind ,  zugleich  aber  der  Selectionslehre 
des  letzteren  entschieden  widersprechen. 

Dr.  Weismann  bemerkt  im  Vorwort  seiner  obenerwähnten 
Schrift  fast  wie  in  einem  Ton  des  Vorwurfs  :  dass  das  von 
mir  aufgestellte  Migrationsgesetz,  wenn  es  richtig  wäre,  den 
Kern  der  Darwin'schen  Lehre,  die  natürliche  Zuchtwahl  oder 
richtiger  gesagt  die  ,, Züchtung  durch  Auslese"  (statt  einer 
Züchtung  durch  Isolirung  und  Colonienbildung,  welche  die 
Separationstheorie  für  alle  höhern  Organismen  getrennten 
Geschlechtes  in  Anspruch  nimmt)  ,,auf  einen  sehr  geringen 
Werth  herabdrücken  würde.!'  Wahrlich  ein  sonderbarer 
Vorwurf! 

In  meiner  aufrichtigen  Verehrung  und  Bewunderung  des 
grossen  brittischen  Forschers  wie  in  der  Anerkennung  des 
unsterblichen  Ruhmes,  den  er  sich  durch  die  feste  Be- 
gründung der  Desceudenzlehre  und  durch  die  Erkeuntniss 
der  individuellen  Variabilität  als  der  einfachen  Grundursache 
der  Artenbildung  erworben ,  glaube  ich  Herrn  Weismann 
nicht  nachzustehen.  Jede  üebertreibung  der  Pietät  für  einen 
grossen  bahnbrechenden  Forscher  kann  aber  der  Erkenntniss 
der  Wahrheit  eben  so  sehr  schaden,  wie  die  übertriebene 
Rechthaberei  und  Widerspruchslust  aus  Eigenliebe  oder  Miss- 
gunst. Cuvier  und  die  vieljährige  schädliche  Herrschaft  der 
Autorität  seines  grossen  Namens  ist  uns  gerade  in  der 
vorliegenden  Streitfrage  ein  Beweis  dafür.  Noch  über  die 
Verehrung  und  Bewunderung,  die  wir  für  einen  grossen 
Denker  und  Forscher  hegen,  muss  die  Liebe  zur  Wahrheit 
stehen,  die  das  Endziel  aller  Forschung  ist.  V>"enn  mir  daher 
die  Darwin'sche  Selectionstheorie  vielen  Thatsachen  der  Zoo- 
Geographie  gegenüber  unhaltbar  zu  sein  scheint,  wenn  Darwin 
das  Gesetz  der  Isolirung  und  Colonienbildung  als  noth- 
Wendige  Bedingung  der  Artenentstehung  bei 
[1870.11. 2.]  12 


174  Sitzung  der  math.-])hys.  Classe  vom  3.  Juli  1670. 

allen  Thieren  getrennten  Geschlechtes  und  bei  allen  Pflanzen, 
welche  durch  Kreuzung  sich  fortpflanzen,  nach  meiner  Ueber- 
zeugung  nicht  richtig  erkannt  und  gewürdigt  hat,  soll  ich 
diese  Ueberzeugung  etwa  verschweigen ,  weil  im  Falle  ihrer 
Richtigkeit  der  Kern  der  Darwin'schen  Lehre  nach  Herrn 
Weismann's  Meinung  ,,auf  einen  sehr  geringen  Werth  herab- 
gedrückt würde?"  Das  hiesse  die  Autorität  über  die 
AVahrheit  stellen  und  diesen  falschen  Grundsatz, 
welchen  Andere  im  Interesse  der  Erhaltung  ihrer  Dogmen 
festhalten  mögen,  verwirft  die  Naturforschung, 


Hofmami:  Quellen  des  ältesten  provenzälischen  Gedichtes.     175 


Philosophisch  -  philologische  Classe. 

Sitzung  vom  2.  Juli    1870. 


Herr  Hofraann  sprach: 

a)      ,,Ueber    die    Quellen    des    ältesten    provenza- 
lischen  Gedichtes." 

Das  auffallendste  im  Gedicht  von  Boeci  sind  bekanntlich 
gewisse  Angaben,  welche  mit  aller  historischen  Kenntniss  in 
so  grellem  Widerspruche  stehen,  dass  man  in  Zweifel  sein 
muss,  ob  man  es  hier  mit  verwilderter  Sage  oder  mit  groben 
Missverständnissen  positiver  Angaben  zu  thun  habe. 

Ich  finde  die  Erklärung  in  den  alten  vitae  Boetii, 
welche  Obbarius  S.  XXIV  sqq.  seiner  Ausgabe  glücklicher  Weise 
diplomatisch  genau  hat  abdrucken  lassen.  Da  heisst  es: 
Tempore  Deoderici  regis  insignis  auctor  Boetius  claruit  qui 
virtute  sua  es.  in  urbe  fuit.  Dieses  es.,  welches  consul 
bedeutet,  hat  der  Dichter  für  comes  genommen  und  sagt 
also  Vers  35:  coms  fo  de  Roma. 

Aus  diesem  ersten  Irrthum  gieng  der  zweite ,  weit 
schwerere  hervor.  S.  XXV  Z.  14  heisst  es  bei  Obbarius: 
Boetius  iste  de  familia  fuit  Torquati  Mallii  nobilissimi 
viri.  familia  hat  der  Dichter  im  Sinne  von  Dienerschaft, 
Gesinde,  Gefolgschaft,  Vasallen  genommen,  und  von  dieser 
Voraussetzung  aus  weiter  geschlossen :  wenn  Boecis  selbst 
ein  Graf  und  dennoch  Vasall  des  Torquatus  Mallius  war, 
so  musste  dieser  nothwendig  höher  stehen,  als  er,  und  folglich 
König  oder  Kaiser  von  Rom  sein.  Die  Bezeichnung,  die  er 
in  V.  35  gibt,   rei    emperador,    ist    die    des   kerlingischen 

12* 


176  Sitzungder  philos.-phihl.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

Epos  für  Karl  den  Grossen  und  seine  Nachfolger ,  die  erst 
nach  der  Kaiserwahl  Karls  in  die  epische  Terminologie 
Eingang  finden  konnte,  nebenbei  ein  indirecter  Beweis  dafür, 
dass  zur  Zeit  der  Abfassung  des  Boeci  das  kerlingische  Epos 
schon  existirt  hat.  Ueberhaupt  sind  die  Ansclianungen  unseres 
Gedichtes,  wie  sich  von  selbst  versteht,  ganz  die  feudalen 
und  so  fährt  der  Dichter  Vers  36  fort :  er  war  der  vor- 
nehmste von  allen  Lehensleuten  des  König-Kaisers.  Honor 
entspricht  dem  deutscheu  ere,  ags.  äre  in  dem  Sinne  von 
Lehensherrlichkeit  (vgl.  Nib.  ere  unde  laut). 

Da  wir  nun  gesehen  haben ,  welcher  Missverständnisse 
der  lateinischen  Vorlage  der  Verfasser  fähig  ist,  und  wie 
seine  Phantasie  die  Lücken  seiner  Kenntniss  auszufüllen 
weiss,  können  wir  zu  einem  schwierigeren,  ja  eigentlich  dem 
schwierigsten  Falle  des  ganzen  Bruchstückes  übergehen. 

Dass  der  Verfosser  den  Anfang  des  Buches  de  conso- 
latione  philosophiae  benützt  hat,  haben  Raynouard  und 
Diez  längst  bemerkt.  Raynouard  hat  sogar  eine  Anzahl  der 
betreifenden  Parallelstellen  wörtlich  unter  den  Text  gesetzt, 
ohne  gleichwohl  den  Nutzen  daraus  zu  ziehen,  den  sie  für 
Herstellung  und  Exegese  des  Textes  gewähren. 

Es  heisst  also  Vers  204 — 205:  an  dem  Kleide  der 
Herrin  seien  zwischen  dem  Pi  und  dem  Theta  an  den  einge- 
webten Leitersprossen  ,, hunderttausend  Vögel  emporgestiegen, 
einige  hätten  ohne  die  Spitze  erreicht  zu  haben  wieder 
umkehren  müssen,  die  anderen,  welche  hinaufgelangt,  hätten 
sofort  ihre  Farbe  verändert  und  seien  bei  der  Dame  in  grosser 
Liebe  gestanden."  Dann  wird  Vers  231 — 42  diese  allegorische 
Darstellung  weiter  auf  das  Leben  der  Menschen  gedeutet, 
von  denen  einige  in  der  Jugend  gut  sind  und  im  Alter  schlecht 
werden  (das  seien  die  Vögel,  die  umkehren  müssen).  Das 
Ergänzungsglied,  dass  die  Menschen,  welche  auch  im  Alter 
in  der  Tugend  ausharren ,  die  Vögel  bedeuten ,  welche  die 
Spitze  der  Leiter  erreichen,  lässt  der  Dichter  weg  und  kann 


Hofmann:  Quellen  des  ältesten  provemalisehen  Gedichtes.     177 

es  weglassen,  da  es  sich  aus  dem  Parallelismus  von  selbst 
versteht.  Dieser  langen  Stelle  (drei  Tiraden  mit  39  Versen) 
entsi^rechen  im  Lateinischen  die  wenigen  Zeilen :  Harum 
(sc.  vestium)  in  extremo  margine  11,  in  supremo  vero  0 
legebatur  iutextum.  Atque  iuter  utrasque  litteras  in  scalarum 
modum  gradus  quidam  iusigniti  videbantur ,  quibus  ab  in- 
feriore ad  superius  elemeutum  esset  adsceusus.  Hat  nun 
der  Provenzale  etwa  einen  Commentar  vor  sich  gehabt,  aus 
dem  er  seine  Amplification  genommen ,  oder  hat  er  seiner 
eigenen  Erfindung  ganz  und  gar  den  Zügel  schiessen  lassen? 
Keines  von  beiden ,  denke  ich.  Er  hatte  eine  alte  Hand- 
schrift vor  sich,  ganz  oder  zum  Theile  in  Uncial  geschrieben, 
w'O  Verwechslung  eines  A  mit  Q  möglich  ist,  und  da  las  er 
statt  quibus,  auibus.  Von  elementum  wusste  er  nicht,  dass 
es  Buchstab  heisst  und  das  Theta  darunter  verstanden  ist. 
Er  bezog  es  auf  avibus,  und  fand  darin  die  Zahl  der  Vögel 
mille  centum ,  fasste  das  Ganze  als  Satz  für  sich  und  las: 
Avibus  ab  inferiore  ad  superius  mille  centum  erat  adscensus, 
was  denn  nach  seinen  Begriffen  bedeutete :  100,000  Vögel 
stiegen  auf  der  Leiter  in  'die  Höhe.  Aus  dem  lateinischen 
Texte  ergibt  sich  nun  sofort  auch  wieder  die  richtige  Er- 
klärung einer  bisher  nach  Raynouards  Vorgange  falsch  abge- 
theilten  Stelle.  V.  213  al  cor  entspricht  dem  lateinischen  supe- 
rius, muss  also  zusammengelesen  werden  alcor  =  algor=hüher. 
So  stimmt  es  wörtlich  mit  dem  Lateinischen.  Ob  es  auch  im 
prov.  Originale  al  cor  oder  alcor  geschrieben  ist,  lässt  sich 
aus  Raynouards  diplomatischem  Abdrucke  nicht  mit  voll- 
kommener Sicherheit  eutuehmeu,  denn  al  steht  am  Schlüsse 
der  Zeile,  cor  am  Anfange  der  nächsten ,  da  er  aber  sonst 
mehrmals  Trennungszeichen  setzt,  so  wird  daraus  höchst 
wahrscheinlich,  dass  im  Ms.  wirklich  al  cor  steht.  Der  Mangel 
der  Cedille,  ^)  die  in  dieser  frühen  Zeit  noch  nicht  vorkömmt, 


1)  Ich  erlaube   mir  liier  eine  Bemerkung  über   den  graphischen 


178         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  rom  3.  Juli  1870. 

hätte  ihn  sonst  wohl  nicht  verhindert,  in  alcor  den  ar- 
chaistischen Comparativ  zu  erkennen. 

Nachdem  wir  nun  gesehen ,  um  wie  viel  mehr  der 
Proveuzale  im  Latein  gefunden  hat,  als  wir  zu  finden  ver- 
mögen, wird  sich  die  Frage,  ob  er  etwa  neben  dem  Buche  de 
consolatione  noch  einen  besondern  Commentar  dazu  gehabt 
habe ,  wohl  negativ  beantworten  lassen.  Seine  Phantasie 
reichte  vollkommen  aus,  das  Fehlende  zu  ergänzen,  nachdem 
er  selber  die  Hauptsache  im  Texte  gefunden  hatte,  und  was 
für  ein  Meister  im  Schlussfolgern  er  ist,  das  haben  wir  ja 
schon  oben  an  seinem  König -Kaiser  Torquator  Mallios 
gesehen. 

Wir  dürfen  von  unserer  Stelle  noch  nicht  Abschied 
nehmen.  Abgesehen  von  drei  kleineren  Bedenken  enthalt 
sie  gerade  noch  dasjenige  Wort,  welches  bis  jetzt  eine  wahre 
crux  philologorum  gewesen  ist,  nämlich  a  r  r  e  n  s  o. 

Vers  210  glaube  ich  ist  umzustellen:  mas  no  sun  nuallor. 
Der  Dichter  würde  wohl  u  nicht  auf  o  assoniren  lassen. 

In  Vers  207  ist  schapla  verdächtig,  denn  scapula  Schulter- 
blatt, dem  es  am  genauesten  entsprechen  würde,  kann  es, 
wie  Diez  bemerkt  hat,  desshalb  nicht  heissen,  weil  sonst 
der  Dichter  die  absurde  Idee  gehabt  haben  müsste,  dass 
die  Vögel  der  Dame  am  Rücken  hinaufstiegen.  Es  mit 
Raynouard  durch  chape  zu  erklären  (also  etwa  aus  capula) 
ist  formell  unzulässig,  denn  wie  könnte  aus  capula  ein 
schapla  werden.  Am  einfachsten  wird  es  sein  einen  Schreib- 
fehler anzunehmen  und  mit  Vers  232  schala  Leiter  zu  lesen, 


Ursprung  der  Cedille.  Sie  ist  nicht,  wie  Littre  in  seinem  Epoche 
machenden  etymol.  Wörterbuch  sagt,  aus  Xebeneinandersetzung  von 

c  und  z  entstanden,  sondern  aus  Untereinandersetzung  so    .    In  den 

provenzalischen  HSS.  kann  man  dies  ganz  deutlich  verfolgen.  Der 
obere  Theil  des  z  verschmilzt  dann  mit  dem  untern  des  c  und  wird 
endlich  unkenntlich,    während  der  Xame  (kleines  z)   sich  forterhält. 


Hofmann:  Quellen  des  ältesten  provenzaliscJien  Gedichtes.     179 

was  auch  durch  Vers  209  unterstützt  wird ,  denn  wenn  hier 
von  Leitersprossen  die  Rede  ist,  so  muss  ja  logischer  Weise 
die  Leiter  selbst  vorher  erwähnt  sein. 

In  Vers  206  muss  falsche  Worttrennucg  vorliegen  in 
la  vita  qui  enter'es.  Wie  es  heissen  muss,  zeigt  der 
Gegensatz.  Theta  bedeutet  das  Gesetz  (=  den  Glauben)  des 
Himmels  (de  cel  la  dreita  lei  V^ers  208).  Dann  muss  der 
Gegensatz  sein :  Pi  bedeutet  das  Gesetz  oder  Leben  der 
Erde.     Wir  haben  also  zu  lesen:  la  vita,  qui   en  terr'  es. 

Wir  kommen  nun  zu  dem  schwierigsten  arrenso  in 
Vers  210  und  232.  Raynouard  übersetzt  210  en  arriere 
und  233  ä  reculons.  Diez  bemerkt:  ,,arrenso  Adverbium 
dem  die  Bedeutung  retro  zukommen  muss ,  gebildet  aus  a 
und  dem  Substantiv  renso ,  für  dessen  Ursprung  aber  kein 
Rath  ist.  Schrieb  der  Dichter  arreenso ,  das  einen  vollen 
Vers  gab,  so  würde  reenso  auf  redemptionem  führen  und 
tornar  a  reeuso  ,, durch  Rückkauf  heimkehren",  könnte  mau 
endlich  für  heimkehren  überhaupt  gebraucht  haben  —  oder 
auf  reventionem,  das  sich  aber  in  keiner  Sprache  vorfindet." 
So  weit  Diez.  Man  sieht  aus  seiner  Erörterung  wie  ver- 
zweifelt es  mit  arrenso  steht.  Wo  Diez  keine  Erklärung 
findet,  finden  wir  andern  sicherlich  noch  weniger  eine.  Ich 
lasse  also  arrenso  als  solches  fallen  und  suche  nach  einer 
methodischen  Conjectur.  Dass  a  renso  zu  trennen  und  r 
nach  der  Gewohnheit  unseres  Denkmals  wiederholt  ist  um 
die  Zusammenschreibung  anzudeuten,  ist  im  höchsten  Grade 
probabel.  Die  fehlende  Silbe  entzieht  sich  am  leichtesten 
durch  Verwischung  oder  Uebersehung  einer  Abbreviatur. 
Die  kleinste  Abbreviatur  ist '  und  die  leichteste  und  häufigste 
Verwechslung  n  mit  u.  Ich  lese  also  a  reu'so  =  a  reverso 
=  ad  reversionem  und  das  heisst  genau,  was  der  Sinn  ver- 
langt und  was  Raynouard  und  Diez  mit  en  arriere,  ä  reculons 
retro  ausgedrückt  haben.  Bei  Raynouard  findet  sich  wirklich 
belegt  a  reversos  =  ä  rebours,  ä  reculons  und  reversio  = 


180        Sitzung  der  philos-philol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

inversio.  Auf  letzteres,  der  Uebersetzung  des  Albucasis  ent- 
nommen und  wohl  nur  ein  Lehnwort  aus  dem  Latein,  lege 
ich  wenig  Gewicht.  Dagegen  das  erste  Citat  aus  Gaufre 
Rudel  ist  um  so  bedeutender,  da  es  im  Sinne  gänzlich,  in 
der  Form  ganz  nahe  mit  meiner  Conjectur  zusammentrifft, 
denn  reversos  wird  wohl  der  Plural  von  reverso  sein  und 
nicht  etwa  ein  Adjectiv  reversosus. 

Diess  dürften  die  Hauptfälle  sein,  wo  aus  Zuziehung 
der  vita  und  der  consolatio  Hülfe  für  das  Gedicht  zu  ge- 
winnen ist.  Ich  gehe  nun  noch  zu  einigen  Stellen  über,  die 
mir  corrupt  oder  verdächtig  oder  anderer  Auslegung  fähig 
scheinen. 

Vers  14.  bresa  nimmt  Raynouard  ohne  weiteres  für 
presa.  Ich  kann  mir  nicht  denken,  dass  ein  provenzalischer 
Schreiber  b  für  p  setzen  konnte  und  möchte  lieber  lesen 
des  que  1'  abrasa  =  sobald  er  sie  umfasst  (die  Reue), 
so  hält  er  sie  nicht  fest.  Die  folgenden  Verse  scheinen  mir  im 
Anschlüsse  an  die  Handschrift  und  mit  Wechsel  des  Numerus, 
wie  er  sich  einmal  zwischen  Vers  236  (fan)  und  237  (cuida) 
findet,  am  einfachsten  zu  lauten  : 

qu'  eps  lor  forfaiz  sempre  fan  epsamen  e  laisan 
deu  lo  grant  omnipotent.  Das  e,  welches  in  der  oberen 
Zeile  zu  viel  ist,  füllt  in  der  unteren  gerade  die  fehlende 
Silbe.  So  dürfte  auch  Vers  12  E  umzusetzen  sein:  Ni 
evers  deu.  Uebergeschriebene  Silben  pflegen  bekanntlich 
an  unrichtiger  Stelle  in  den  Text  zu  gerathen. 

Vers  17,  t  und  z  sahen  sich  sehr  ähnUch,  wie  die  letzte 
Zeile  des  von  Raynouard  mitgetheilteu  Facsimile  beweist. 
Vielleicht  steht  in  der  HS.,  sicher  stund  im  Original  morz 
und  toz. 

Vers  26.  Wenn  penet ,  wie  die  Handschrift  betont, 
richtig  ist  (also  Praeteritum  von  penar)  so  muss  mas  auch 
getilgt  und  gelesen  werden: 

mal  s'en  penet  quar  non  i  mes  foiso. 


Hofmann:  Quellen  des  ältesten  provenzalischen  Gedichtes.     181 

^Yenn  aber  der  urkundliche  Text  beibehalten  werden 
soll,  müssen  wir  penet  als  ein  ganz  anderes  Verbum  fassen 
und  es  zu  dem  Particip  penent  stellen,  welches  sich  bei 
Paul  Meyer,  Anciennes  poesies  religieuses  en  langue  d'oc, 
Paris  1S60  p.  10  findet.  Von  diesem  Verbum  penir  (neben 
penedir  und  penedre)  scheint  auch  das  von  Raynouard  belegte 
penizos  (Xom.  Fem.)  zu  kommen.  Der  Tempuswechsel  darf 
nicht  stören.  Die  Hauptsache  wäre,  dass  dann  mit  der 
Betonung  penet  der  Vers  nach  Metrum  und  Sinn  ohne  jeg- 
liche Veränderung  ganz  untadelhaft  wäre:  .,aber  sehr  thut 
es  ihm  leid,  bereut  er  es,  weil  er  nichts  ausrichten  konnte." 

Vers  38  vermuthe  ich  causa  nnom  avia.  wie  58  sen  tteiric. 

Vers  61.  altras  leis  scheint  mir  corrupt  für  altas  lis  = 
die  hohen  Processe.  lis  hat  Rajnouard  einmal  belegt ,  aus 
einer  Urkunde  von  1283. 

In  wiefern  bei  dieser  Geschichte  vom  Verrath  mit  den 
Griechen  die  vita  benutzt  ist  oder  eine  andere  Tradition  oder 
die  Worte  des  Boetius  selbst  (Cousol.  I,  4.)  lasse  ich  dahin- 
gestellt. Was  unser  Dichter  sagt,  stimmt  nämlich  der  Haupt- 
sache nach  am  genauesten  zur  letztern  Stelle : 

Kam  de  conpositis  falso  litteris ,  quibus  libertatem 
arguor  sperasse  Romanani,  quid  attinet  dicere?  Quarum  fraus 
aperta  patuisset,  si  nobis  ipsorum  confessione  delatoruin, 
quod  in  Omnibus  negotiis  maximas  vires  habet,  uti  licuisset. 

Aber  die  Griechen  sind  hier  nicht  ausdrücklich  genannt 
und  unser  Dichter  hätte  diesen  Satz  vielleicht  auch  gar 
nicht  verstanden. 

Dagegen  sagt  die  Vita  von  Boetius  (Obbarius  p.  XXIV): 
videlicet  clam  litteris  ad  Graecos  missis  nitebatur  urbem  et 
senatum  ex  eins  impiis  mauibus  eruere  et  eorum  subdere 
defensioni.  Sed  postquam  a  rege  reus  maiestatis  convictus 
est,  iussus  est  intrudi  in  carcerem.  Es  hat  also  den  An- 
schein,   als  ob  der  Dichter  die  näheren  Umstände   aus    der 


182         Sitzung  der  phüos.-'philöl.  Classe  vom  2.  Jidi  1870. 

vita,  die  Widerlegung  der  falschen  Beschuldigung  aus  dem 
Buche  seines  Helden  entnommen  hätte. 

Vers  68  1.  sali  en  estaut  (d.  h.  sallen). 

Vers  71  1.  apesant  in  einem  Worte  (=  bedrückend) 
die  HS.  trennt  wirklich  auch  nicht.  Vielleicht  wäre  apressant 
noch  besser. 

Vers  96  1.  inz  e  las  carcers. 

Vers  97  und  98  scheinen  corrupt,  wegen  des  zweit- 
maligen  cum  es  am  Schlüsse. 

Vers  103.    que  poissas  lo  soste? 

Vers  111.    1.  deus  a  e  lui  mes  so  chastiament. 

Vers  140.    1.  e  molt  onraz, 

Vers  147,  1.  dechaden,  beides  um  die  fehlende  Silbe 
zu  ergänzen. 

Vers  154.  Die  Auflösung  sanctum  spiritum  (HS.  scm 
spm)  gibt  der  ersten  Vershälfte  zwei  Silben  zu  viel.  1.  e  sant 
sperit,  qu'e  bos  omes  desend. 

Vers  155.  Die  zweite  Vershälfte  hat  eine  Silbe  zu  viel. 
1.   el  vai  l'arma  dozen. 

Vers  156.    1.  qui  attal  (=  a  tal)  schala  s  te. 

Vers  165.  ent  ist  zu  tilgen,  da  der  Vers  eine  Silbe  zu 
viel  hat. 

Obige  Bemerkungen  sind  die  Frucht  meiner  practischen 
Uebungen  (eine  Art  germanisches  und  romanisches  philo- 
logisches Seminar)  au  hiesiger  Hochschule.  Das  Beste  habe 
ich  erst  im  vorletzten  Sommersemester  gefunden  und  da 
es  mir  nach  öfterer  Duicharbeitung  der  Mittheilung  nicht 
ganz  unwerth  schien,  so  möge  es  zugleich  als  Antrittsschrift 
zu  meiner  im  vorigen  Herbste  erlangten  Professur  der 
romanischen  Philologie  meinen  Freunden  und  Fachgenossen 
empfohlen  sein. 


Hofmann:    lieber  die  Vorauer  Handschrift.  183 


b)    ,, Studien    über   die   Vorauer  Handschrift. 


Die  archaistische  Periode  der  mittelhochdeutschen 
Literatur  (vor  der  Mitte  des  11.  Jahrhunderts  beginnend, 
nach  der  Mitte  des  12.  endend,  schärfere  Zeitgränzen  noch 
nicht  gefunden)  wird  niemals  die  moderne  Popularität  ihrer 
klassischen  Periode  theilen  können,  selbst  wenn  ein  Simrock 
es  unternehmen  wollte,  sie  in  jene  mondbeglänzte  lingua 
franca  zwischen  Mittelhochdeutsch  und  Neuhochdeutsch  zu 
übertragen,  mit  der  er  Tausenden  und  Tausenden  die  Zauber- 
nacht  unseres  Mittelalters  aufgeschlossen  hat. 

Nur  den  Gelehrten  gehört  das  Vorrecht,  sich  mit  An- 
dacht und  Liebe  in  diese  grauen  Denkmäler  zu  versenken 
und  in  ihnen  die  Geistes-  und  Kunstentwickluug  zweier  hoch- 
wichtiger Jahrhunderte  unserer  Geschichte  zu  verfolgen. 

Ein  grosser,  ja  der  grösste  Theil  dieser  Dichtungen  ist 
geistlichen  Inhalts,  daher  sind  für  Nichttheologen  begreiflich 
Sprache  und  Kunstform  vorwiegende  Momente  der  Be- 
trachtung, wiewohl  auch  wir  zum  Verständniss  des  Ganzen 
und  Einzelnen  in  einen  längstvergangenen  Ideenkreis  ein- 
treten müssen,  in  ein  System  naiver  sinniger  oft  grossartiger 
Symbolik  und  Allegorik,  über  den  sich  vor  und  nach  der 
Reformation  so  viele  dogmatische  Schichten  gelagert  haben, 
bis  zu  der  jüngsten  und  letzten  des  romanisch-jesuitischen 
Caesaropapismus,  an  welcher  der  deutsche  Geist  keinen  Theil 
gehabt  hat    und    nimmermehr  Theil    haben    wird. 

Weit   schwieriger    noch    als    der    Inhalt    dieser    ersten 


184         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

mittelhochdeutschen  Gedichte  ist  ihre  Metrik  und  Wacker- 
nagel hat  sie  daher  quasi  re  desperata  als  Reimprosa  be- 
zeichnet und  zum  grossen  Theile  so  in  seinem  allbekannten 
Lesebuch  abdrucken  lassen.  Diese  Auffassung  war  bequem 
für  solche  die  gerne  Germanisten  heissen  mögen,  ohne  sich 
allzuviel  den  Kopf  zu  zerbrechen.  Sie  bildete  in  diesem 
Sinne  das  Seitenstück  zur  andern,  dass  man  in  germanischer 
Etymologie  sich  am  zweckmässigsten  auf  die  klassischen 
,.pelasgischen"  Sprachen  beschränke  und  Sanskrit  wie  andere 
unverdauliche  Idiome  bei  Seite  lasse.  Solche  Ansichten 
empfehlen  sich  leicht  der  Masse;  aber  der  Wissenschaft 
gegenüber  sind  sie  reactionär  und  darum  verderblich ,  denn 
hier  handelt  es  sich  vor  Allem  darum ,  gerade  die  grössten 
Schwierigkeiten  nicht  zu  umgehen,  sondern  immer  w'ieder 
von  vorn  anzugreifen ,  um  sie  endhch  durch  verbesserte 
Methode  zu  überwinden. 

Glücklicher  Weise  hat  nun  die  Meinung,  dass  zwischen 
der  ahd.  und  mhd.  metrischen  Periode  ein  anarchisches 
Interregnum  liege,  dem  man  kurzweg  den  Namen  Reimprosa 
geben  könne ,  sich  nie  allgemeiner  Geltung  erfreut  und  ist 
jetzt  im  V'erschwinden  begriffen.  Aber  die  positive  Arbeit 
hat  kaum  noch  begonnen.  Was  meinen  Antheil  an  derselben 
betrifft ,  so  habe  ich  nur  zu  sagen ,  dass  ich  mich  seit 
Jahren  immer  aufs  neue  diesen  Dichtungen  zugewendet  habe 
und  dass  endlich  die  Ueberzeugung  in  mir  zum  Durchbruche 
gekommen  ist,  dass  wir  es  hier  mit  metrischen  Gesetzen  zu 
thun  haben ,  welche  den  Uebergang  von  einer  Periode  zur 
andern  bilden  und  daher  ihre  sicherste  Erklärung  in  den 
sprachlichen  und  graphischen  Aenderungen  finden,  die  ihn 
begleiten.  Das  Gesetz  der  vier  Hebungen  (noch 
ohne  klingenden  Reim)  greift  aber  überall 
durch  und  bildet  den  Grundchar acter  der  an- 
derthalbhundertjährigen Periode.     Wie    wäre    es 


Hofmann:    Heber  die  Vorauer  Handschrift.  185 

sonst  möglich,    deutlich    zu   erkennen,    dass    in    erzählenden 
Gedichten  die  Einleitungsworte  directer  Rede  (er,  sie  sprach, 
sagte  u.  dgl)  nicht  in  den  Vers  eingerechnet    werden ,    dass 
in  Gedichten,  deren  Absätze  sich  nicht  durch   gleiche  Vers- 
zahl   herausheben ,    die    Scheidung    durch   einen  Schlusssatz 
von    6  Hebungen    geschieht.     Wie   wäre    es    möglich,    dass 
ein    sprachgewaltiger    Dichter    das    gewöhnliche    Gesetz    der 
Senkungen    mit    daktylischem    Gange   vertauschend,    immer 
aber   das    Gesetz    der    4  Hebungen   beibehaltend ,    ein    dem 
lateinischen  Hexameter  ähnelndes  Versmaass   hervorbrachte, 
wie  es  im  Gedichte  vom  Himmelreich  geschehen  ist. 
Nachdem    ich  einmal    zu    dieser  Ueberzeugung    gelangt 
war,  habe  ich  Tausende  und  Tausende  von  Versen  zu  eigener 
üebung    und    Belehrung    mit    dem   Bleistifte    in    der    Hand 
metrisch  und  kritisch  durchgearbeitet,  am  eingehendsten  die 
berühmte  Vorauer  Handschrift,  weshalb  ich  auch  ihren  Xaiuen 
an  die  Spitze  stelle.     Was  ich  liier  zuerst  gebe  ist  in  Wirk- 
lichkeit der  Schluss  meiner  Arbeit,  an  dem  sich  nun  erproi)en 
muss,  ob  meine  Grundsätze  die  richtigen  sind.     Als    icli    an 
das  schwierigste  Gedicht  dieses  ganzen  Kreises   gieng ,    die 
Schöpfung,  wie  sie  bei  Diemer,  summa  Theologiae, 
wie  sie  bei  Müllenhoff  und  Seherer  heisst,  erkannte  ich  nach 
und  nach,  dass  hier  mit  metrischer  Kritik  allein  nicht  durch- 
zukommen sei,  um  regelmässige  zehnzeilige  Strophen  herzu- 
stellen.    Fernere  Erwägung  führte  zu  dem  Gedanken,    dass 
die  üebarladung  der  Verse,  wie  der  Strophen  daher  rühren 
müsse    (oder    könne) ,     dass    dem    ursj^rünglichen    Gedichte 
zwischen  den  Zeilen    oder   am    Rande  Erklärungen   und  Er- 
weiterungen  beigefügt   worden  seien ,    die    ein  späterer  Ab- 
schreiber oder  üeberarbeiter  in  den  Text  aufgenommen  und 
so  fast  überall  das  metrische  Gefüge,  häufig  auch  den  Sinn 
in   Verwirrung    gebracht   habe.     Daraus    hat   sich    nun    der 
folgende  Text  ergeben. 


186         Sitzung  der  philos.-pliäol  Classe  vom  2.  Jvli  1870. 


Vorauer    HS.    bei    Diemer    S.  93    ff.  Müllenhoff  und 
Scherer  Denkmäler  Nr.  XXXIV.  S.  84. 

1. 

Got  ist  daz  anegengi 
alliri  dingi, 

der  gibundin  hat  den  diiival, 
des  mäncraft  wonit  ubir  al. 
5  SU  ist  obin  diu  dinc  richtinti, 
undin  üfhabinti, 
innin  irvullinti, 
üzzin  umbivähinti. 
dar  an  ist  unvirwandilheit, 
10  äni  unmüzi  und  äni  arbeit. 
2. 
Ein  craft  in  drin  ginennidin 
ist  ouch  gilän  den  selin, 
di  habint  ungischeidin 
rät  gihugidi  willin. 
5  disi  dri  ginennidi 

sint  immir  samint  woninti. 
di  ginädi  uns  got  virliz, 
do  er  uns  sin  ädim  in  blis. 
dannin  birin  wir  an  der  seli 
10  erlichi  gotis  bilidi. 
3. 
Got  Dieinti  in  zwein  dingin 
sin  lob  vuri  bringinj 
daz  er  si  giwaltic  unde  gut, 
von  den  er  allu  wunder  tut. 
5  er  ist  kunic  alwaltic 
und  vatir  woliwillic, 


Hofmann:    Ueber  die  Voraucr  Handschrift.  187 

zi  du  daz  wir  in  liinnin 
vorhtin  unde  minnin, 
daz  wir  ouch  von  disin  dingiu 
10  mugiü  sagin  unde  singin. 

4. 

Got  wolti  irougin 
sini  crefti  vili  dougin. 
diu  siniu  wisheit  was  dir  rät 
mit  dem  er  al  giworcht  hat. 
5  er  was  meistir  unde  wercman, 
sin  gizücli  was  vili  lussani, 
er  hiz  werdin  engili, 
vuirini  geisti. 
wol  gizam  den  edilia 
10  daz  si  vri  werin, 

5. 
Der  allir  herist  undir  in, 
Lücifer  giheizzin, 
der  was  ein  insigili 
nach  demo  vroni  bilidi. 
5  sini  herschaf  ime  gigebin  durch  gut 
di  kerter  alli  in  ubirmüt, 
er  chot  er  wolti  nordin 
sin  ebinsezzi  des  hohistin. 
durh  daz  was  er  virstozziu 
10  mit  den  sinin  ginozzin. 

6. 
Do  des  nidis  vatir  Lücifer 
wart  ein  engil  abitrunniger, 
von  der  hohi  er  vil  so  nidiri 
daz  er  nimmir  kumit  widiri. 
5  dö  di  gütin  engil  al 
ani  sähin  sinin  val, 


188        Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  2,  Juli  1870. 

ziri  lierrin  si  sich  habitin, 
vorchlichi  si  in  lobitin, 
durch  daz  wart  in  gigebin, 
10  daz  si  imir  samint  goti  lebin. 

7. 
Der  dir  "wisi  und  almechtig  ist, 
samfti  irvultir  disin  gibrist. 
er  gischüf  zir  seibin  heinii 
Adam  üzzir  leimin, 
5  (daz  was  in  arzitwisi,) 
daz  er  bistünti  in  paradisi, 
wanti  jenir  noz  zi  der  ubili 
di  sini  herin  edili. 
got  wac  dur  ebindüri 
10  di  erdi  widir  dem  vüri. 


AI  des  dir  mennisch  bidorfti, 
got  in  vimf  dagin  worchti. 
an  demo  sechstin  worchter  in, 
disu  werilt  allu  wart  durch  in. 
5  er  habiti  in  allin  gischepfidon 
wunni  bilidi  heizindüm. 
unsir  chunftic  ellendi 
was  er  mit  disin  drostinti, 
daz  si  unsich  des  irmauitin, 
10  daz  wir  heim  hugitin. 

9. 
Er  gab  von  dir  gischepfidi 
uns  misilichi  chrefti. 
er  gab  uns  mit  demo  stein! 
di  herti  der  beiui, 
5  mit  dem  grasi  demo  vachsi, 
daz  iz  selbi  wachsi, 


Hofmann:   lieber  die   Vorauer  Handschrift. 

die  sinni  mit  den  vHgintin 
swimmintia  und  cresintin, 
mit  den  engilin  bidrachtin, 
10  güti  und  ubili  achtin. 

10. 
Von  den  anigengin  virin 
got  wolti  den  menniscliin  zirin. 
er  gam'  mi  von  dem  vüri 
gisüni  vili  düri, 
5  von  den  luftin  hohirin, 
daz  er  mag  gihorin, 
von  den  nidiriu  daz  er  stinkin  mag, 
von  dem  wazziri  gismag, 
der  hendi  und  vüzzi  girüridi 
10  lizzer  imo  von  der  erdi. 

11. 
Do  wart  zi  stunt  gitän 
mit  dem  eristin  man 
suslich  gidingi, 
daz  er  in  einwigi 
5  mit  demo  giboti  rungi 
vuri  mankunni, 
obi  er  den  sigi  irwurbi, 
daz  der  mennisch  nimmir  sturbi. 
der  unsir  chempho  do  giweich, 
10  leidir  er  unsich  bisweich. 

12. 
Gotis  minni  und  huldi 
virluri  wir  durch  di  sculdi. 
der  düvil  wart  giwaltig, 
wir  wärin  dodis  schuldig. 
5  sid  chom  zem  giwegidi 
sun  gotes,  barn  der  magidi. 
[1870.  II.  2.]  13 


190         Sitzung  der  philos.-phüol.  Gasse  vom  2.  Juli  1870. 

er  nam  von  uns  di  doticheit 
unde  gab  uns  di  gotheit, 
want  er  dir  inzwischen  woldi  wesin. 
10     von  des  dodi  sulin  wir  ginesin. 

13. 

Do  der  eingil  givil, 
do  wart  er  weibil 
ubir  den  gotis  andin. 
zi  dem  siniu  giwalti 
5     Adam  gihorti. 

der  magidi  sun  zistorti 
des  viantis  giwinni. 
ani  imo  zi  vil  biginc  er, 
do  müser  widir  gebin, 
10     daz  er  e  von  schuldin  mohti  habin. 

14. 

Er  wolti  sinin  ginannin 
von  rehti  widir  giwinnin. 
er  was  von  sundin  reini, 
di  torcuh'u  drat  er  eini. 
5     der  viaut  ächti  dir  mennischeit, 
da  virborgin  was  diu  gotheit. 
daz  chordir  vant  ir  hangin, 
mit  dem  angili  er  wart  givangin. 
Crist  gab  sin  unschuldi 
10     vur  unsih  widir  huldi. 

15. 
Er  wolti  in  vir  halbin 
disi  werilt  alli  gihaltin. 
do  er  wart  irhangin, 
habiti  er  si  bivangin, 
5     daz  er  si  zimo  zugi, 

swenn  er  den  viant  bitrugi. 


Hofmann:  Ueler  die   Vorauer  Handschrift.  191 

durch  des  scalchis  not 
leit  der  gotis  sun  den  döt. 
des  dodis  craft  ir  starbti, 
10     sini  holdin  widir  giarbti. 

16. 
Adam  wart  ingunnin, 
Evun  dannin  bigunnin. 
vesti  wib  von  man  giwan, 
mit  brodi  wechsil  wart  gitän. 
5     ingunnin  ouch  du  archa  was, 
in  der  manchunni  ginas. 
unser  heili  was  bidacht, 
Crist  hat  si  vuri  bräclit. 
von  im  wir  birin  giheilot, 
10     der  vuri  uns  wart  virdeilöt. 

17. 

Drü  des  heiligin  crücis  ort 
sint  des  giloubin  drü  wort, 
dar  undir  ist  daz  virdi 
der  driir  ein  gimeindi. 
5     der  vrüntiu  unde  viantin 
breitoti  di  hendi, 
an  den  sol  üfrechtir  stän, 
swer  wili  volhertan. 
gidingi  obir  houbit 
10     daz  inthebit  al  diu  dougin. 

18. 
Swer  welli  Cristi  volgin, 
der  dragi  sinin  galgin, 
an  dem  er  sinin  willin 
von  ubili  mngi  gistillin, 
5     sin  selbis  werdin  giwaltig 
gihorsam  ehaltig. 

13* 


192         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

wil  er  dar  ane  volsten 
durch  den  gotis  willen, 
so  hat  er  den  gebilidot, 
10     der  durch  in  wart  gicrücigot. 

19. 
Du  minni  ist  ein  kunigin 
undir  allin  dugintin. 
di  leitin  vorchti  und  züvirsicht 
vuri  gotis  selbis  anisicht. 
5     vorchti  dinit  in  scalkis  wis, 
züvirsicht  in  suuis  wis. 
swenni  si  volbringit 
unzi  si  got  irkennit, 
äni  vorchti  bistet  danne 
10     mit  dem  vatir  du  minni. 

20. 
Got  hat  uns  offin  gitän, 
wi  wir  di  minni  sulin  hau. 
er  gi schuf  du  lit  alli 
dininti  ein  andir. 
5     du  der  sint  äni  eri 
der  bidurfi  wir  meri. 
nuni  mugin  di  ougin  wizzin 
di  nidiri  den  vüzzin, 
absus  biri  wir  gilegin, 
10     wi  wir  sulin  insamint  lebin. 

21. 
Wanti  got  al  mag  und  al  wili, 
von  dan  wart  der  dingi  vili. 
swi  si  unsich  dunkin  mislich, 
zi  gotis  lobi  sint  s  alli  gilich. 
5     ir  zweir  wir  lebin  middilanc, 
obin  gnädi,  undin  dwanc. 


Hofmann:    Ueher  die  Vorauer  Handschrift.  193 

drewit  uns  zi  der  belli  al  du  giscaft, 
du  dir  ist  scarf  und  darihaft, 
swaz  dir  ist  sempfti  und  wunniclich, 
10     daz  dinot  in  daz  himilrich. 

22. 
Der  au  den  viantin 
richit  gotis  andin, 
sinis  undankis  dinot  er. 
gotis  holdin  ächtit  er, 
5     er  in  mag  niman  bivellin 
wan  mid  sin  selbis  willin. 
unsih  ist  er  schibinti, 
di  gnädi  gotis  zihinti. 
also  muozzer  dinon 
10     imo  zi  wizzi  unsir  Ion. 

23. 
Nach  den  unsir  vordirn 
virvlüchit  wart  du  erdi. 
des  wazzirs  got  rüchte, 
er  gischid  iz  von  dem  vlüchi, 
5     daz  iz  mohti  voui  den  meinin 
an  dir  douffi  gireinin. 
di  erdi  giwüsc  du  sinvlüt, 
di  undi  giwihiti  sin  blut, 
daz  von  sinir  sitin  ran, 
10     mit  dem  er  unsich  heim  giwan. 

24. 
Cr  ist  unsir  gisil  lag 
zwo  nacht  und  einin  dag. 
sinis  einin  d6:lis  (craft 
zistorti  dis  dodis)  mäht, 
5     des  man  dristunt  bisouflit, 
den  man  rechti  douffit. 


194         Sitzung  der  philos.-philol  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

da  bi  wir  sulin  werdin 
di  sinin  ebinerbin. 
der  vordirn  iiigultin  wir, 
10     des  vurisprechin  ginizzin  wir. 

25. 
Daz  houbit  ist  irstandin, 
des  al  du  lit  m  endin. 
erin  wili  vurdir  douwin, 
voni  du  nist  zwischil  douffi. 
er  hat  avir  bigunnin 
unsir  herzin  einis  brunnin, 
der  unsich  mag  gireinin. 
ob  wir  lütirlichi  weinin. 
der  dir  lonit  mit  sin  selbis  gebi, 
10     wil  daz  sin  lit  inein  lebin. 

26. 
Got  lerti  unsich  dimüt 
und  widir  ubili  wesin  gut, 
vremidiz  leit  irbarmin, 
wärheit  bischirmin, 
5     ungerne  swerigin, 
lastir  joh  werigin, 
giloubin  joh  gidingi 
zi  cristinlichir  minni, 
sin  wort  gihorin  als  iz  zemi, 
10     daz  ouch  er  unsich  viruemi. 

27. 
Swi  iz  unsich  rüwi, 

so  suli  wir  goti  gitrüwin, 
der  Dävidin  dethi  lobisam, 
Sit  er  virrith  Urjam, 
5     der  dem  scächeri  virliz 

und  imo  daz  himilrichi  gihiz. 


Hofmann:    üeber  die   Vorauer  nandschrift.  195 

der  gotis  dristunt  virlouginoti, 
ist  di  himilsluzzil  draginti. 
ir  lütirit  unsich  als  daz  glas, 
10     des  gnädi  was,  daz  Paulus  ginas. 

28. 
Gotis  brüth,  du  adilvrowi, 
vorchti  du  kint  der  düwi. 
der  lichami  ist  ir  chamerwib, 
er  mag  ir  vlisin  den  lib. 
5     du  seli  sol  ir  rätin, 
der  düwi  gibitin. 
sü  sol  irsterbin  iri  kint, 
daz  des  licbamin  wercb  sint, 
und  edilu  kint  giwinnin, 
10     di  sü  mugi  zem  erbi  bringin. 

29. 
Der  dir  ist  got  und  mennischi, 
der  gibit  urstendi  zwischili. 
di  seli  er  let  von  sundin  irstän 
joh  vil  lütirlichi  rüwi  hän, 
5     voni  grabi  erstent  vir  slachti 
an  der  jungistin  wacbti. 
zi  urtheili  in  chumint  di  wirsistin, 
di  dir  sint  vor  virdeiliti, 
di  durchnahtigin  sulin  irdeilin, 
10     di  dir  sint  der  zweiir  meddimin. 

30. 
Gotis  urtel  ist  hi  dougin, 
zi  demo  suontagi  ist  sü  offin. 
manigin  villit  got  mit  seii, 
ob  er  sich  bezzirin  welli. 
5     zi  jungist  er  scheidit  in  zorni 
di  heliwin  von  dem  chorni. 


196        Sitzung  der  philos.-philoh  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

da  sihit  ein  igilichir 
an  demo  gotis  giricbti 
nach  sin  selbis  wizintheit 
10     im  selbim  üb  odir  leit. 

31. 

Sälig  di  zi  der  zesiwin  sint 
immir  mere  gotis  kint. 
der  vatir  erit  da  den  sun. 
mid  den  er  babiti  hi  giwoni, 
5     insamint  in  drincliit  er  den  wiu 
der  ewigin  mendin. 
mid  din  engilin  undotlich 
erbint  si  daz  himilrich. 
got  ist  ir  lib  und  minni 
10     als  daz  licht  der  ougin  wunni. 

32. 

Herro,  di  dir  dinint, 
ir  ist  daz  richi. 
wi  mugin  wir  dir  giloni, 
du  dir  nidir  gingi, 
5     du  dir  woltis  wesin  unsir  ginoz, 
draginti  unsir  burdin  groz, 
nu  hästu  dinin  miltin  rät 
allin  zi  vrowidi  bräht, 
daz  dih,  irloser,  alliz  lobi 
10     undir  dem  himili  joch  dar  obi. 


Hofmann:  Fragmente  eines  latein.  Glossars.  197 

Herr  H  o  f  m  a  n  u   theilte  mit 
c)    „Fragmente  eines  lateinischen  Glossars.** 

Vor  längerer  Zeit  fand  ich  auf  einem  Bücherdeckel  der 
Münchner  Universitätsbibliothek  die  folgenden  Bruchstücke 
einer  Handschrift  des  XIV.  .Jahrhunderts,  die  sich  bei  näherer 
Untersuchung  als  einem  Glossare  angehörig  erwiesen.  Am 
nächsten  stimmen  sie  zu  d-m  von  Angele  Mai,  Classicorum 
Auctorum  e  vaticanis  codicibus  editoruui  to:n.  VIH  (Romae 
1816,")  herausgegebenen  Thesaurus  novus  Latinitatis  sivelexicon 
vetus  e  membranis  nunc  primum  erutum,  doch  decken  sie 
sich  keineswegs  völlig  damit.  Deshalb  schien  ein  Abdruck, 
wenn  man  einmal  überhaupt  von  dem  Funde  Notiz  nehmen 
wollte,  sich  mehr  zu  empfehlen,  als  eine  Collation,  die  auch, 
um  ganz  genau  zu  sein ,  ziemlich  den  gleichen  Raum  bei 
geringerer  Anschaulichkeit  eingenommen  hätte. 

a. 

adverbium  calculatim.  id  est  numeratim.  Item  a  calculo 
propter  parvitatera.  hie  calcus  ci.  i  (id  est)  quarta  pars 
öbuli  (sie),  et  est  minima  pars  ponderis.  et  hoc  calJicum. 
ci.  id  est  foris  deambulatorium  quod  et  peribubulum^) 
dicitur  et  hie  calculus  li.  lapis  qui  in  vesica  fir.  unde 
calculosus.  a  um.  qui  taleni  patitur  intirmatem.  Item  a  calco. 
as  hec  culcitra  quasi  calcitra  quod  ealcetur  et  farciatur 
plumis  vel  a  colo  is  quia  colatur  diligenti  cultura.  Item  a 
calco.  as.  hie  ealeula  id  est  lixa.  vel  servus  militum  vel  nucius 
(1.  nuneius)  cursatilis.  unde  Plautus,  viJeo  calculam  militare 
(sie),  calco  componitur  conculco.  as.deculco.  asquod  et  de  calco 
invenitur  id  est  opus  tectorum  dealbare,  exculco.  as.  inculco. 
as.  proculco.    as.  reculco.    as.    et  sunt  omnia    activa    eorum 


1)  lies  peribolum  =  nsQißoXoy  =  Corridor. 


198         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

significaciones  facile  est  coUigere.  Calvo.  as.  are.  id  est 
aliquem  calvum  facere  sed  non  est  in  usu.  sed  inde  dicitur 
hie  calvus.  vi.  et  adiective  invenitur  calvus.  a.  unde  hie  cal- 
vulus.  li  di(minutive)  et  hie  calvaster.  tri.  similiter  di- 
(minutive)  et  hec  ealvicies.  ei.  et  calvicium.  cii.  et  hec  calvaria. 
e.  id  est  locus  patens  super  duo  supereilia  unde  in  evangelio 
legituz'.  quod  locus  in  quo  latrones  decapitabantur  locus 
calvarie  appellabatur  propter  scilicet  calvarias  abscisorum 
capitum  que  ibi  iaeebant.  vel  propter  ossa  calva  existencia 
ibi.  Item  a  calvus.  calvo.  as.  ui.  ire.  id  est  decipere 
verbuai  activum  et  caret  supino.  deberet  enim  facere  calutum 
sed  non  invenitur  et  tractum  est  a  calvo  qui  quodamodo 
decipit  videntes  per  galerum  suum  vel  alio  coopertorio 
unde  cavillos  as  quod  et  eavillor.  ris.  invenitur  et  est 
diminutiuum    et   deberet    dici    cavillo   as.    sed    subtrahitur. 

dicitur  cavillo.  as.  id  est  aliquantulum    decipere    et 

.  .  bum  hoc  max(ime)  ad  sophjstas  qui  ver(um  neg)ant  vel 
falsum  scienter  affirmant 


(cane)bant.  aliquando  metrice  describere  quomodo 
accipitur  in  principiis  poetarum  et  est  poetarum.  sicut  dicere 
est  prosaieorum  et  in  duabus  primis  significationibus  est 
enim  in  aliis  activum  unde  verbale  et  hie  cantus.  tui.  unde 
cantilena.  quod  videtur  esse  compositum  a  cantus  et  lenis. 
non  enim  dicitur  esse  cantilena  nisi  sit  cantus  dulcis  et 
knis.  et  suavis  et  non  asper.  et  hoc  canticum,  unde  quidam 
über  intitulatur  per  exeellenciam  cantica.  orum.  et  eanto. 
as.  verbum  frequentativum  a  quo  descendit  aliud  frequen- 
tativum  scilicet  cantico.  as.  unde  Augustinus  de  civitate  dei. 
ludi  eecini.  ubi  hec  dictitantur.  cantieautur.  canto  compouitur 
acanto.  as.  id  est  iterum  vel  iuxta  cantare.  concanto.  as. 
id  est  simul  cum  alio.  et  simul  plura  deeanto.  as.  id  est 
valde  cantare.  et  diseanto.  as.  et  excanto.  as.  id  est  discan- 


Hofmann:  Fragmente  eines  latein.  Glossars.  199 

taie.  et  incanto.  as.  et  recanto.  as.  id  est  iterum  vel  retro 
cantare.  Item  a  cano  Iiic  canusius.  verbosus.  loquax.  dicax. 
semiveibius,  multiliügius  muUicrepus  et  hie  cantus.  ti.  pro 
cantu.  et  pro  meditullio  rote  vel  quod  est  melius  curvatura 
et  cirumferencia  rote,  scilicet  lignum  quod  terram  calcat  cui 
radius  infigitur.  unde  Persius:  vertentem  sese  frustra  sectabere 
cantum  et  hie  Canor.  ris.  id  est  sonus.  unde  canorus.  a.  um. 
et  hie  caiitar;.?.  quoddam  vas  vinarium.  scilicit  crater  qui 
cantando  portatur.  unde  Josephus  de  antiquitatum  hysto. 
in  VIP  ex  quo  Salomon  oantaros  optimos  fecit  cum  teuiplum 
edificaret.  invenitur  etiam  et  hie  incanterius.  rii.  id  est  equus 
castratus.  unde  Plautus.  ego  faxim  ut  mali  qui  superant 
equi  sternent    vili(or)es    gallicis   canteriis.    Item  a  eano    hec 

came  (na) id   est  cantilena   vel  musa.    quasi    canens 

amene  et ntes.  cium.    id  est  fistule  organorum  in 

quibus   cantus vel   ut   Marciano   plaeet  Cantes 

dicuntur    dee    unde   idem    ait.    quippe   illß 

Cantes    diee(bantur) d  apprehenderant   venusta- 

bant.  et  apre 

c. 

(a  prae)terito.  scilicet  cecini.  hie  cingnus  quia  bene 
cantat.  unde  hie  cingnulus.  li.  diminutive  et  cingninus  a.  um. 
et  cingnitus.  tus.  tui.  vox  cingni  et  secunduni  quosdam 
eonciunus.  a.  um  dicitur  a  cingno  id  est  consors  (1.  Concors) 
et  consonans  sicut  cantus  cingnorum.  set  de  hoc  postea 
dicetur. 

Item  a  cingnus  dictus  est  quidam  amnis.  Cilicie.  hie 
Cingnus  tum  quia  miram  habet  aquarum  suavitatem.  tum 
quia  autumpno  et  estate.  quando  nives  solvuntur.  tumescit. 
quadam  enim  lingua  quitquid  candidum  est.  dicitur  cingnus. 
reliquis  anni  temporibus  tenuis  est  et  quietus. 

Item  a  eano  hec  cauna.  quia  ea  canitur.  unde  hoc 
cannetum.  ti.  id  est  locus  ubi  canne  crescunt.  et  hec  can- 
nula  et  hec  eamella  (sie)  ambo  di(minutive)  et  hoc  cannabum. 


200         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

bi.  propter  similitudinein  caaue.  vel  a  greco  canabiu  (sie) 
quod  Greci  dicunt.  unde  hec  canabis.  bis.  pro  codem  et 
pro  corda  inde  facta,  unde  Persius.  tibi  torta  canabo  fulto 
cena  sit  instrumento. 

Item  a  canna  hec  cannalis  et  hoc.  le.  quia  cava  sit  in 
modum  canne.  et  hoc  ciuamum  vel  cinamomum.  et  est 
brevis  arbuscula  cuius  fructus  dieuntur  stacte.  et  dicitur  ein. 
uel.  ci.  quia  cortex  eius  in  modum  caunarum  sit  rotundus 
et  tenuis. 

d. 

.  .  (iu)vemtur  pro  deridere.  vel  coutendere.  vel  conuiciose 
iocari.  vel  calumpniari.  Item  a  calvo.  vis.  hec  cavilla.  e.  id 
est  cavillacio    vel   contencio.    rixa.    unde  Plautus.    pone   hoc 

sie cavillam    et    hee   ealumpuia   id    est   falsi 

ciiminis  aecusaeio  vel  iurgium  aliene  litis,  unde  calurapnior. 
aris  id  est  reprehendere.  falso  aecusare  set  antiqui  dieebant 
calumpnio.  as.  et  caiumpnosus.  a.  um.  calvo.  as.  eoinponitur 
decalvo.  as.  calvum  facere.  vel  decapitare  et  ealvariam 
auferre. 

Calcos  dicunt  Greci  et  vertitur  in  latinum  et  dieitur 
hie  calcus.  id  est  fex  vel  es.  unde  hec  caleosmaragdus  quedam 
gemma.  quia  sit  viridis  et  turbida  ereis  veuis  et  hie  calcitus. 
ti.  aliqua  gemma  erei  coloris  et  hec  caleophanis.  similiter 
gemuia  et  est  nigra  set  lapidi  illisa  eris  tinnitum  reddit.  et 
hoc  ealeantum  quoddam  genus  coloris  dictum  sie  quia 
calcis  ...  est  .  .  um  id  es  flos.  unde  et  apud  Latinos  eris 
flos    appellatur    et    est  genus    glebarum    ex   aquis    sicut    et 

vitrum    et  sal et   auriealcum   dieitur    a  calcos   quod 

supra  diximus.    Caleiea  gemma  est.    Circa  est  genus  unguenti. 

Cap genub  fictilis  vasis.    Calcasis  genus  tuniee 


Hofmann:   Zur  Cronica  rirnada  del  Cid.  201 


d)     „Zur    Cronica   rirnada  del    Cid." 

Zu  den  lebhaftesten  Wünschen  meines  seligen  Freundes 
Ferdinand  Wolf  gehörte  eine  neue  Vergleichung  und 
eventuell  kritische  Bearbeitung  der  altspanischen  Gedichte, 
besonders  des  Poema  del  Cid  und  der  von  Sanchez  mit 
Censurlückeu  herausgegebenen  Werke  des  Ärcipreste  de  Hita. 
Ich  sollte  zu  diesem  Zwecke  uach  Spanien  reisen  uud  Alles 
vergleichen,  was  sich  dort  von  Handschriften  findet.  Ungunst 
äusserer  Verhältnisse  hat  diesen ,  wie  so  manchen  anderen 
meiner  romanischen  Pläne  nicht  zur  Ausfühiung  kommen 
lassen.  Wurde  ich  ja  im  Winter  1857  auf  58  zuerst  aus  der 
Arsenal-,  dann  aus  der  weiland  kaiserlichen  Bibliothek  geradezu 
ausgewiesen ,  weil  das  Unterrichtsministerium  des  second 
empire  in  seiner  erleuchteten  Liberalität  nicht  dulden  konnte, 
dass  ein  baierischer  Professor  sich  erlaubte,  der  kleinen 
Gruppe  von  Auserwählten  Concurrenz  zu  machen  ,  die  sich 
dazu  hergaben ,  die  kaiserlich ,  altfranzösische  Philologie  zu 
besorgen.  Es  wäre  mir  wohl  auch  in  dem  damals  so  muster- 
haft regierten  Spanien  nicht  besser  gegangen,  und  so  musste 
ich  mich  glücklich  schätzen,  meine  romanischen  Studien  noch 
eine  Zeit  lang  in  den  Bibhotheken  Englands  und  der  Schweiz 
fortsetzen  zu  können ,  wo  die  eben  so  noble  als  sinnreiche 
Idee,  dem  einheimisclien  Literaturbetrieb  durch  ein  Prohibitiv- 
system gegen  deutsche  Forscher  unter  die  Arme  zu  greifen, 
dem  öffentlichen  Geiste  als  ein  üngedanke  erscheinen  würde, 

Indess  hatte  ich  doch  in  Hoffnung  auf  andere  Zeiten 
und  ohne  Ahnung  dessen,  was  mir  bevorstund,  die  spanische 
Arbeit  begonnen  und  vorläufig  die  Cronica  rirnada  del  Cid 
neu  verglichen,  deren  einzige  Handschrift  sich  in  der  Pariser 
grossen  Bibliothek  befindet.  Sie  ist  bekanntUch  zuerst  im 
Anzeigeblatt    der    Wiener  Jahrbücher    der  Literatur,     1846 


202         Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

S.  1 — 27  nach  einer  Abschrift  von  Francisque  Michel  abge- 
druckt und  daraus  wiederholt  in  Aribau  Biblioteca  de  Autores 
Espanoles  1851  Bd.  16  S.  651—662.  Später  wurde  sie 
zum  Theil  (und  mit  einigen  Correcturen  aus  der  Handschrift) 
wieder  abgedruckt  in  Damas  Hinard's  Ausgabe  und  Ueber- 
setzung  des  Poema  del  Cid,  Paris  1859. 

Was  ich  in  Spanien  leisten  sollte,  ist  seitdem  in  der 
Hauptsache ,  der  neuen  Vergleichung  der  Handschriften,  ge- 
leistet worden  durch  den  57.  Bd.,  (Madrid  1864,)  der  oben 
genannten  Sammlung,  der  eine  neue  Ausgabe  des  Sanchez  so 
wie  der  nach  seiner  Zeit  bekannt  gemachten  altspanischen 
Gedichte,  besorgt  durch  don  Florencio  Janer,  enthält.*) 
Durch  diesen  diplomatischen  Abdruck  des  Poema  del  Cid 
wurde  ich  in  den  Stand  gesetzt,  über  diese  Perle  der  alt- 
spanischen Dichtung  durchgreifende  metrische  und  kritische 
Studien  zu  machen  ,  deren  Ergebnisse  ich  nach  V^ollendung 
nächstliegender  Aufgaben  in  nicht  zu  ferner  Zeit  mittheilen 
zu  können  hoffe.  Ich  werde  dann  am  ganzen  Gedichte  den 
Beweis  zu  führen  suchen,  dass  die  scheinbar  regellosen  Verse 
der  einzigen  und  jüngeren  Handschrift  durch  Anwendung 
methodischer  Kritik,  hauptsächlich  durch  Entfernung  von 
bedeutungslosen  Einschiebseln  späterer  Hand  sich  in  eine 
etwas  alterthümlichere  Foim  bringen  lassen ,  welche  der 
metrischen  Grundregel  der  provenzalischeu,  altfranzösischen 
und  auch  der  übrigen  altspanischen  Gedichte  entsprechen. 
In  diesen  Versuch  muss  auch  die  Cronica  del  Cid  mit  ein- 
bezogen werden,  welche  an  metrischer  Regellosigkeit  das 
Poema  del  Cid  noch  weit  übertrifft. 

Hier  soll  einstweilen  nur  das  Ergebniss  jener  CoUation 
mitgetheilt  werden,  welche  ich  nach  dem  Abdrucke  in  der 
Biblioteca,  als  dem  in  Spanien  und  wohl  auch  anderwärts 
verbreitetsten  Buche,  gemacht  habe. 


1)  Nur  die  Cronica  rimada  del  Cid  fehlt  in  diesem  Bande. 


Hofmann:   Zur  Cronica  rimaäa  äel  CUl.  203 

S.  651.  Sp.  a,  Prosaeinleitung  Z.2.  rrey,  wie  auch  sonst 
meistens.  Z.  3  Casso  —  cassada  5  Alfon  (sie)  8  Sepulveda 
10  Granon  13  mugieres  14.  Que  (nicht  e)  15  quel  21  Rasura 
23  Nunes  30:  et  el  31  Frrnäd.  —  que  mantovo  Castilla 
moy  grant  tiempo  et  9  von  unten  Et  und  so  noch  öl'cer 
8.  Ferrnand  1  agipreste  (sie).  Spalte  b.  2  abragarle.  5.  te- 
niendo  (sie)  tendieudo  ist  richtig  emendirt.  6.  el  (für  al)  — 
peccado.  7  hee  vos  9  devissando  12  wieder  acipreste  16 
oiuenaje  17.  enl  carro  (so  auch  oben  zweimal  enl  für  en  el. 

Von  hier  an  nach  den  Verszahlen.  Die  Verse  sind  in 
der  Handschrift  durch  Paragraphenzeichen  getrennt. 

V.  2.  Et  ste  (st.  Este)  Frruad  3.  Nach  Navarra  beginnt 
ein  neuer  Vers.  4.  nin  a  6.  nach  nombre  neuer  Vers.  6  nach 
en  plasarlo  (sie)  kein  §.  10.  Et  1  plaso  20  fincat  vos  25  m  11 
m7  27.  non  28  quirie  29.  con  fijos  e  con  fijos  —  Castellahos 
30  Ferruan  34  regnado  35  a  beneugia  39  contado  40  Fr7s 
auch  weiterhin  so.  42  AlmCq"  also=Almerique  oder  Almenique, 
nicht  Almelique.  Es  ist  Aimeri  de  Narbonne,  der  Vater  des 
Guillaume  d'Orange  gemeint.  43.  Et  fiso  (nich  el)  48  Et 
en  ella  49  eogia  51  edat  55  omrae  56  Ferrnand  g°s  58 
previllejos  60  g'ssado  63  sabra  64  plugo  —  quando  69  Etl. 
Nach  rreyuar  fängt  kein  neuer  Vers  an.  72.  Nach  al  kein 
neuer  Vers,  auch  nicht  74  nach  prestar  7c.  Abarea  76  Aspa 
(sie,  die  berühmten  port  d'Aspre  des  französischen  Epos 
sind  gemeint)  76.  Et  el  rey  (nicht  al),  es  muss  also  das 
folgende  et  el  getilgt  werden  oder  das  vorausgehende  Et  el 
rey  de  Francia  81  Palengia  (der  Schreiber  setzt  auch  sonst 
häufig  eine  Cedille ,  wo  keine  nothwendig  ist)  82  caridat 
86.  dixo  96  ome  98  escalero  (sie)  100  Bernaldo  101  granado 
(sie,  lies  grado)  108.  vinose  —  porydat  109  coramo.  Vor 
Vers  110  hat  der  Schreiber  aus  Versehen  noch  einmal  ge- 
setzt Quando  el  rrey.  al  conde  fue  tornado  111  datme 
113  ela  canpo  119  media.  121  canpo  133  Visagra  136  ca- 
ballo  139.  al  argobispo  147  datme  —  soterrano  150  Etn  essas 


204         Sitzung  der  philos.-phüol.  Gasse  vom  2.  Juli  1870. 

154  previllegio  —  sigo  (sie)  166  omme  167  enl  172  commo 
174  como  177  miro  episcop^  185  omme  197  seysgientos 
198  Laynes  199  de  se  202  Bei  Atienga  ganz  grosser  ge- 
malter Anfangsbuchstabe  und  neuer  Abschnitt  208  grand 
tiempo  passado  gehört  zum  vorausgehenden  Vers.  208  rrey 
218.  Alfouso  221.  Ata  puerta  —  gragia  225  e  el  beginnt 
neuer  Vers  228  rreyno  232  Asturyanos  235  quatro  237  Et 
(nicht  El)  240  bitra  (=  biträ)  250  estrado  272  don 
fehlt  286  trae  —  tienen  287  trae  288  traele  292  Ca  mi 
294  ptgar  297  querien  298  A  (nicht  E)  cavalgam  305  hases 
(nicht  bases)  comieusan  310Fernan  traxo  324  las  las  339  yrme 
para  (was  auch  ganz  richtig  ist)  344  pediendol  345  dueiia 
847  fisome  361  lo  (nicht  la)  372  acae  (e  jünger)  373  andan 
412  Dad  424  omme  428  bafiando  446  en  alcauge  456  Fuente 
463  ommes  478  499  M.  g^s  508  grand  514  esto.  Nach  522 
ist  ausgelassen  :  Rey  que  manda  a  Castilla  et  a  Leon  non 
deve  ser  desconortado  532  Ome  nada  540  bi . .  .  en  pie  (sie.) 
Nach  bi  fehlt  offenbar  etwas  546  pessol  7  bohorilla  578  muy 
mal  591  y  fehlt  619  rey  moro  627  moro  xp'iano  648  buelven 
652  sie  663  in  aconsejo  ist  a  durchstrichen  674  Redesilla 
675  Granon  688  la  (st.  le)  730  Et  treynta  741  embio 
755  regnos  773  g^s  775  hier  fehlt:  Y  el  conde  don 
Ordono  de  Campös  el  major  Et  el  conde  don  Fruela 
que  a  Salas  mando  778  mögö.  Die  Abkürzung  über  dem 
zweiten  o  scheint  kein  n  zu  bedeuten.  782  Ell  806  atantos 
813  bessastesme  814  Ome  comO  815  metier  816  grand 
823  Ome  825  u.  836  oras  seyas  829  tanto  conde  841  esto 
met'  cuello  853  conbidado  854  fanbre  857  calla  877  Tornat 
895  profia  897  Atan  tantas  —  primero  939  acogiesse 
954  quantos  961  pero  (nicht  por)  966  leydo  (sie)  987  Ue 
889  Etn  1012  seres  1022  oviesedes  1032  el  (st.  e)  1043  senos 
1048  enganädo  1069  lo  (st.  le)  1076  adelinat  1099  Ha  uua 
1101  yasia. 


Brunn:   Bas  Harpyienmonumeyit  von  Xanthos.  205 


Herr  Brunn  trägt  vor : 
„lieber  Styl  und  Zeit  desHarpyiennionumentes 
von  Xanthos." 

(Mit  einer  Tafel.) 

Das  Harpyienmonument  von  Xanthos  in  Lycien  ist  bis 
in  die  neueste  Zeit  Gegenstand  vielfacher  gelehrter  Er- 
örterungen gewesen.  Doch  richtete  sich  die  Aufmerksamkeit 
fast  ausschliesslich  auf  die  Schwierigkeiten ,  welche  der 
Inhalt  der  Reliefdarstelluugen  darbietet,  während  man  die 
Form,  d.  h.  den  Kunststyl  an  sich  und  in  seinen  historischen 
Wechselbeziehungen  genauer  zu  untersuchen,  weniger  Aulass 
gefunden  zu  haben  scheint.  Die  in  den  ersten  Jahren  nach 
der  Entdeckung  aufgestellte  Hypothese,  dass  das  Monument 
vor  der  Einnahme  der  Stadt  Xanthos  durch  Harpagos,  also 
vor  Ol.  58,  3=545  v.  Ch.  G.  (Herod.  I,  176),  gearbeitet  sein 
müsse ,  war  hauptsächlich  in  Fulge  der  Erörterungen  von 
Overbeck  (Ztschr.  f.  Altw.  1856,  N.  37—38)  allgemein  auf- 
gegeben worden,  und  es  hatte  sich  über  Styl  und  Zeit  der 
Reliefs  eine  Durchschnittsansicht,  gewissermassen  eine  Vulgata 
gebildet,  die  sich  kurz  etwa  in  folgenden  Sätzen  zusammen- 
fassen lässt :  ,,Die  Reliefs  zeigen  im  Styl  eine  starke  innere 
Verwandtschaft  mit  altattischen  Werken,  namentlich  mit  dem 
Relief  der  sogenannten  wagenbesteigenden  Frau  und  der 
Stele  des  Aristion.  so  wie  mit  dem  keiner  bestimmten  Schule 
zuzuweisenden  Albanischen  Leucothearelief;  und  sie  stehen 
auch  in  chronologischer  Beziehung  mit  den  genannten  Monu- 
menten, so  wie  mit  den  äginetischen  Bildwerken  etwa  auf 
gleicher  Stufe,  d.  h.  sie  gehören  ungefähr  der  Mitte  der 
siebziger  Olympiaden  an.'' 

Aeussere  Zeugnisse  für    die  Bestimmung    der  Zeit    und 
der  Kunstschule  fehlen    uns  gänzlich,    und   wir    sind   daher 
[1870.  n.  2.]  U 


206         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

vor  allem  auf  die  Betrachtung  der  Werke  selbst  und  ihre 
formale  Analyse  angewiesen,  mit  welcher  die  Vergleichung 
der  anderen  mehr  oder  minder  verwandten  Monumente 
natürlich  stets  Hand  in  Hand  gehen  muss.  Denn  die  Er- 
fahrung lehrt,  dass  jedes  neue  Resultat,  welches  übtr  ein 
Monument  festgestellt  wird ,  auf  die  richtigere  Erkenntniss 
aller  andern  eines  verwandten  Kreises  fast  nie  ohne  be- 
stimmenden Einfluss  bleiben  wird.  Nachdem  ich  daher  die 
Aegineten  einer  genaueren  stylistischen  Analyse  mit  günstigem 
und,  wie  es  scheint,  allgemein  anerkanntem  Erfolge  unter- 
worfen hatte,  musste  sich  dadurch  fast  mit  Nothwendigkeit 
mein  Auge  für  die  Eigenthümlichkeit  anderer  archaischer 
Werke  schärfen ;  und  ich  darf  in  der  That  behaupten,  dass 
als  es  mir  vergönnt  war,  die  Reliefs  des  Harpyienmonuments 
in  den  Abgüssen  ruhig  zu  betrachten ,  sich  bei  mir  sofort 
über  das  Veihältniss  der  Zeit  und  des  Styls  dieser  Werke 
eine  von  der  bisherigen  sehr  abweichende  Ansicht  bildete. 
Der  Anblick  der  Abgüsse  war  dazu  allerdings  nothwendig; 
denn  die  erste  Beobachtung,  welche  ich  an  denselben  machte, 
war  gerade  die,  dass  alle  bisherigen  Abbildungen  für  jede 
feinere  stylistische  Untersuchung  durchaus  ungenügend  waren, 
dass  wir  also  damit  beginnen  müssen,  die  Eindrücke  zu  ver- 
gessen, die  wir  etwa  durch  sie  erhalten  haben. 

Wenden  wir  uns  jetzt  möglichst  unbefangen  zur  Be- 
trachtung der  Formen,  indem  wir  vom  Aeusseren  beginnend 
in  das  Verständniss  derselben  einzudringen  versuchen.  Die 
Gewandung  theilt  sich  bei  fast  allen  Figuren  in  Ober- 
und  Uutergewänder ,  die  sich  auch  in  der  künstlerischen 
Behandlung  wesentlich  von  einander  unterscheiden.  Die 
Untergewänder  sollen  einen  weichen,  wahrscheinlich  wollenen, 
gestrickten  oder  in  feinen  Rippen  gewebten  Stoff  darstellen, 
der  über  den  Körper  nach  Art  eines  Hemdes  einfach  herab- 
fällt. Diese  Natur  des  Stoffes  tritt  an  den  unteren  Partien, 
die  auf  die  Füsse  herabfallen,  mit  hinlänglicher  Deutlicbkeit 


Brunn:   Das  Earpyienmonument  von  Xanthos.  207 

hervor,  aber  freilich  auch  fast  nichts  als  diese  Natur:  wir 
sehen  die  gerade  herunterfallenden  Falten  oder  Rippen  und 
darunter  die  ungefähren  Formen  des  Körpers;  aber  eine 
Gliederung  grösserer  oder  kleinerer  Massen,  eine  Motivirung 
der  Falten  durch  die  besondere  Lage  der  darunter  liegenüen 
Körperformen  fehlt  fast  gänzlich:  an  dem  Manne  mit  dem 
Hunde  fallen  sie  von  unterwärts  des  linken  Aermels  senk- 
recht über  den  Schenkel  ohne  Rücksicht  auf  den  stark  ent- 
wickelten Contour  der  Rückseite  der  Figur.  An  den  beiden 
sitzenden  weiblichen  Gottheiten,  welche  uns  einen  bildlichen 
Commentar  zu  den  ^läorsg  sXxsxitcovsg  (Hom.  II.  XIII,  685) 
darbieten,  zeigt  sich  in  dem  Mangel  jeglicher  Massengliederung 
an  den  Schleppen  der  üntergewänder  der  relativ  noch  ge- 
ringe Grad  feineren  Verständnisses  besonders  deutlich.  — 
Einer  näheren  Betrachtung  bedürfen  die  Aermel.  Nach  unten 
zu  enger,  weiten  sie  sich  nach  der  ^^litte  stark  aus.  Auf  der 
ganzen  oberen  Kante  des  Armes  aber  läuft  ein  Bund  von 
glattem  Stoffe,  an  welche  der  gerippte  so  angesetzt  ist,  dass 
die  Rippen  meist  ziemlich  senkrecht  herabfallen.  Es  lässt 
sich  nicht  läugnen,  dass  diese  Art  der  Verfertigung  an  einigen 
Figuren  mit  Sorgfalt  und  einem  gewissen  reahstischen  Ver- 
ständniss  dargelegt  ist.  Was  nun  aber  die  Behandlung  der 
Rippen  oder  Falten  selbst  anlangt,  so  zeigt  sich  auch  hier 
wieder  der  Maugel  feineren  Verständnisses  und  feinerer 
Durchbildung.  Nur  einmal,  an  der  gewöhnUch  Persephone 
genannten  Figur  wird  durch  die  Anspannung  des  Mantels 
und  den  Druck  auf  die  Stuhllehne  der  Aermel  unter  der 
Schulter  zusammengeschoben  und  es  sondert  sich  aus  seiner 
Gesammtform  eine  kleinere  Masse  ab;  sonst  aber  finden 
wir  zwar  nicht  mechanisch  harte,  aber  nach  einem  gewissen 
allgemeinen  und  Conventionellen  Schema  ausgeführte  ziemlich 
parallele  Linien  ohne  feinere  Nuancirungen  und  an  den 
unteren  Begrenzungen  einen  kaum  über  die  allgemeinste  Form 
hinaus  modulirten  Contour:    der   zwar   dicke,    aber  weiche 

14* 


208        Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

und  in  der  Natur  leichte  Stoff  macht  den  Eindruck  massiger 
Schwere. 

Bei  den  Obergewändern  tritt  die  Bezeichnung  der  Natur 
des  Stoffes  an  sich  zurück  gegen  die  Faltengebung ,  hin- 
sichtlich welcher  in  archaischen  Werken  fast  überall  zwei 
Principien  nebeneinander  laufen,  ohne  zur  vollen  Vermittelung 
einer  höheren  Einheit  zu  gelangen.  Wir  scheiden  zwii-chen 
den  Falten ,  die  durch  mehr  oder  weniger  kunstreiches  Zu- 
rechtlegen des  Stoffes,  und  solchen,  die  durch  den  Wurf 
des  Gewandes  entstehen.  Für  die  ersteren  richten  wir 
unsern  Blick  vor  Allem  auf  die  über  Schulter  und 
Arm  der  Demeter  fallende  Masse  so  wie  auf  das  Gewand 
der  vor  ihr  stehenden  Höre.  Das  System  der  Faltenlegung 
unterscheidet  sich  in  keinem  wesentlichen  Punkte  von  dem, 
was  wir  sonst  in  archaischen  Werken  gebräuchlich  fiiiJen. 
Aber  auch  hier  geht  der  Künstler  über  den  allgemeinen 
Schematismus  kaum  hinaus.  An  der  Höre  fallen  die  Falten 
ohne  Modulation  von  der  Schulter  bis  zur  Höhe  des  Knies 
herab  und  eben  so  wenig  übt  an  der  Demeter  die  Rundung 
des  Armes  einen  irgend  bemerkbarem  Einfluss  auf  dieselben 
aus.  Namentlich  aber  ist  an  den  Extremitäten,  an  den 
Rändern  und  Zipfeln  noch  nicht  jene  Sauberkeit,  Sorgfalt 
und  Zierlichkeit  zu  erkennen,  die  in  Werken  des  entwickelten 
Archaismus  ganz  besonders  zur  Gharakterisirung  des  ganzen 
Systems  dient ;  und  was  bei  flüchtiger  Betrachtung  vielleicht 
als  eine  gewisse  Freiheit  erscheint,  erweist  sich  bei  genauerer 
Untersuchung  vielmehr  als  eine  gewisse  Laxheit,  als  Mangel 
an  klarer  und  scharfer  Durchbildung.  —  Im  Wurfe  der 
Falten  ist  allerdings  in  der  Hauptsache  stets  die  Richtung 
angegeben,  in  welcher  das  Gewand  um  den  Körper  herum 
genommen  ist:  so  sehen  wir  bei  den  sitzenden  Figuren,  wie 
das  Gewand  quer  über  die  Hüften  geworfen  ist;  bei  den 
stehenden,  namentlich  bei  der  vordersten  Höre  und  dem 
dicken  Manne  der  Ostseite  ist  deutlich  die  Anspannung  des 


Brunn:  Das  Harpyienvwnument  von  Xanthos.  209 

Anziehens  von  hinten  nach  vorn  angegeben.  Aber  diese  in 
der  allgemeinen  Intention  richtigen  Motive  entbehren  wiederum 
der  feineren  Durchbildung,  namentlich  insofern,  als  die 
Falten  fast  überall  den  Körper  in  gleichmässiger  Stärke 
überziehen  und  eine  Gliederung  derselben  nach  der  Natur  der 
darunter  liegenden  einzelnen  Körperformen  fast  nirgends  mit 
Bewusstsein  erstrebt  erscheint. 

Eben  darum  ist  es  auch  schwer,  über  das  künstlerische 
Verständniss  dieser  Körperformen  selbst  bestimmter  zu  ur- 
theilen,  indem  fast  alle  Figuren  nicht  nur  vollständig  be- 
kleidet, sondern,  wie  wir  gesehen,  von  der  Gewandung  meist 
schwer  belastet  sind.  Es  bleiben  also  als  Basis  der  Beur- 
theilung  fast  nur  die  äusseren  Contouren  und  die  freistehenden 
Extremitäten,  namentlich  die  Arme.  Ohne  hier  schon  auf 
den  besonderen  Charakter  der  Proportionen,  namentlich  bei 
den  sitzenden  männlichen  Gestalten  näher  einzugehen,  darf 
doch  im  Allgemeinen  eine  gewisse  Fülle  der  Formen  und 
Schwere  der  Verhältnisse  hervorgehoben  werden.  Innerhalb 
dieses  Grundtypus  aber  linden  wir  nichts  direct  Verf-hltes, 
wie  etwa  in  den  bezüglich  des  Ganzen  meist  mangelhaften 
Werken  der  etruscischen  Kunst ,  sondern  die  Gesammtver- 
hältnisse  und  der  Zusammenhang  der  Theile  unter  einander 
sind  richtig  erfasst  und  zeugen  von  einer  richtigen  Gruad- 
anschauung  und  Auffassung  des  menschlichen  Körpers :  aber 
freilich  auch  hier  nur  von  einem  Verständniss  im  Ganzen, 
während  wiederum,  wie  bei  der  Gewandung,  die  leinere 
Durchbildung  des  Einzelnen  noch  mangelt.  Betrachten  wir 
nur  die  Umrisse  an  der  Rückseise  der  Hören  und  der 
stehenden  Männer  an  der  Ostseite,  so  werden  wir  uns  leicht 
überzeugen,  wie  hier  allerdings  die  Hauptformen  scharf  be- 
tont sind,  aber  ohne  Eingehen  auf  di-  feineren  Modulirangen 
derselben  im  Einzelnen.  Von  der  Form  des  Knies,  von  den 
vorderen  Contouren  des  Ober-  und  Unterschenkels  lässt 
sich  durch  die  Gewandung  hindurch  fast  nirgends  ein  etwas 


210         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

klarerer  Begriff  gewinnen;    und  eben  so  wenig  ist,    wo  der 
eine  Fuss  vor  den  andern   gesetzt   ist,    das  Verhältniss   der 
Flächen    des    dem    Auge    näiier     stehenden     und    des    im 
Relief  flacher    zurücktretenden  Schenkels    mit    hinlänglicher 
Schärfe  betont ;    wo    es    am    meisten    hervortritt ,    bei   dem 
dicken  Manne  der  Ostseite  zeigt  sich   vielmehr  eine  gewisse 
Unsicherheit    des  Verständnisses.     Eben  so   verräth    sich    in 
der  Behandlung  der  Arme  und  Hände  eine  ähnliche  stylistische 
Unsicherheit,  Avelche  die  rundlichen  und  abgeflachten  Relief- 
formen noch  immer  nicht  völlig    zu  scheiden    versteht.     Im 
Allgemeinen  überwiegen    auch   hier  die   rundlichen  Formen; 
und   wenn    nicht    einmal    die    Hauptmuskeln     in    deutlicher 
Sonderuug  hervortreten,  so  werden  wir  nicht  erwarten ,  die 
feineren  Details  an  der  Handwurzel  und  der  Hand,  wie  Sehnen 
und  Adern ,  auch  nur  oberflächlich  berücksichtigt  zu  finden. 
Die    gleichen  Beobachtungen    wiederholen    sich    endlich 
auch  au  den  leider  vielfältig  und  stark  beschädigten  Köpfen. 
Freilich    würden    wir    selbst    bt-i    besserer  Erhaltung  darauf 
verzichten     müssen .     nach    psychologischem    Ausdrucke    zu 
forschen  als  einem  dieser  Kunststufe  noch  fremden  Elemente. 
BHcken    wir    vielmehr   zunächst    auf  das   Allgemeinste,    die 
gesammte  Form  des  Kopfes,  so  finden  wir.  dass  dem  Künstler 
ein  im  Ganzen  richtiger  Begriff  von  der  Bildung  des  mensch- 
lichen Schädels  nicht  fehlt ;  aber  dass  z.  B.  der  der  Demeter 
im  Einzelnen  correct  sei.,    wird  niemand  behaupten    wollen  > 
man  beachte  z.  B.  nur  die  verfehlte  Stellung  des  Ohres.    Es 
beruht  auch  hier  noch  alles  mehr  auf  einem  gewissen  Tact, 
als  auf  einem  bereits  zum  klaren  Bewusstsein  durchgearbeiteten 
Verständniss ;    und    betrachten    wir   in    Verbindung    mit   der 
Schädelform  die  rundliche  ungegliederte  Bildung   der  Hälse, 
so  ist  es  gewisserwasseu  selbstverständlich,  dass  man  in  der 
Darstellung  der  verschiedenen  Flächen  des  Gesichtes,  in  Stellung 
und  Bildung  der  Augen  gleichfalls    nicht   über   einen   allge- 
meinen Schematismus  hinaus  gelangt  ist. 


Brunn:  Das  Harpyienmonument  von  Xanthos.  211 

Mit  dem  frischen  Eindrucke  der  bisherigen,  später  noch 
zu  vervollständigenden  Beobachtungen  wenden  wir  uns  jetzt 
zur  Vergleichung  der  angeblich  durchaus  verwandten  Monu- 
mente. Das  sogenannte  Leucothearehef  ist  in  der  ganzen 
Ausführung  sparsamer.  Doch  dürfen  wir  uns  dadurch  nicht 
täuschen  lassen  über  das  Verständniss,  welches  der  Künstler 
in  dem  zeigt,  was  er  nun  wirklich  uns  vor  das  Auge  stellt. 
Wir  werden  vielmehr  gerade  in  dieser  Sparsamkeit  bald  den 
Fortschritt  erkennen,  am  wenigsten  noch  in  dem  Obergewande 
der  sitzenden  Frau.  Aber  selbst  hier  deuten  die  Falten  am 
Rücken  bereits  auf  einen  mehr  entwickelten  Sinn  für  feinere 
Gliederung  der  Massen  hin;  und  auch  an  der  stark  zurück- 
tretenden mittleren  stehenden  Figur  bemerken  wir.  dass  die 
wenigen  Falten  des  Mantels  nicht  mehr  fast  unabliängig  von 
den  Formen  des  Körpers  geordnet,  sondern  in  ihren  Haupt- 
linien durch  dieselben  bedingt  sind.  Das  Untergewand  der 
sitzenden  Figur  soll  ofifenbar  einen  ganz  ähnlichen  ^V'ollenstofi', 
wie  die  entsprechenden  Gewänder  am  Harpyienmonument 
darstellen ,  und  wir  finden  sogar  in  ganz  verwandter  Weise 
den  eingedrückten  Aermel  wieder.  Aber  in  den  leise  an- 
gedeuteten und  verlaufenden  Falten  erkennen  wir  weit  mehr 
die  weiche,  sich  anschmiegende  Qualität  des  Stoffes.  Aller- 
dings tritt  uns  noch  in  bestimmter  Weise  die  Gebundenheit 
des  archaischen  Styls  entgegen,  die  alle  Formen  wie  mit 
einer  Hülle  umschliesst;  aber  wie  wir  an  der  Puppe  des 
Schmetterlings  durch  die  Hülle  schon  deutlich  die  Formen 
des  Körpers  und  der  Flügel  erkennen ,  so  empfinden  wir 
auch  hier  schon  das  innerlich  pulsirende  Leben ;  die  An- 
deutungen der  leisen,  welligen  Linien,  die  nicht  parallel 
laufen ,  sondern  convergiren  und  divergiren ,  brauchen  nur 
schärfer  betont  und  gewissermassen  wie  der  Schmetterlings- 
flügel aus  einander  gewickelt  zu  werden ,  und  wir  gelangen 
plötzlich  zu  voller  Entfaltung  der  Freiheit.  Noch  bescheidener 
soll  das  Gewand  der  vordersten  stehenden  Figur  erscheinen, 


212         Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

in  dem  fast  keine  Falte ,  sondern  nur  die  Rippen  des  Ge- 
webes angegeben  sind.  Aber  bei  aller  Gebundenheit  des 
Ganzen  finden  wir  auch  hier  kaum  je  einfach  parallele,  con- 
ventionelle  Linien,  sondern  jede  Linie  des  Gewandes  hat 
bereits  ihre  bestimmte  Beziehung  zu  den  Formen  des  Körpers. 
Zugleich  aber  erkennen  wir  gerade  hier,  wie  das  Verständniss 
des  letzteren  bereits  ein  ganz  anderes  geworden  ist:  nicht 
nur  dass  die  Gesammtverhältnisse  gereinigter,  die  Umrisse  ver- 
feinerter sind ,  auch  die  Flächen  gliedern  sich  klarer  und 
lassen  trotz  der  geringen  Höhe  des  Reliefs  die  Rundung  der 
Formen  deutlicher  und  stylgemässer  hervortreten.  Leider 
ist  das  Gesicht  der  stehenden  Figur  restaurirt;  der  Kopf 
der  sitzenden  Frau  dagegen  unversehrt.  Auch  an  ihm  be- 
stätigen sich  die  bisherigen  Beobachtungen:  trotz  allen  Fest- 
haltens an  archaischer  Strenge  zeigt  sich  eine  weit  grössere 
Sicherheit  der  Auffassung,  die  nicht  mehr  nach  einem  mehr 
oder  weniger  richtigen  Gefühl  oder  Tact,  sondern  mit  einem 
bestimmten  Bewusstsein  den  Formen  ihren  Charakter  auf- 
drückt. —  Vielleicht  am  deutlichsten  werden  wir  uns  aber 
des  Gegensatzes  zwischen  dem  Harpyienmonument  und  dem 
Leucotbearelief  bewusst  werden,  wenn  wir  das  Kind  auf  dem 
letzteren  mit  den  kleineu  Gestalten  in  den  Armen  der  Harpyien 
und  der  am  Boden  kauernden  Frau  vergleichen.  An  diesen 
tritt  in  Anlage  und  Ausführung  die  Unbehülflichkeit  einer 
noch  wenig  entwickelten  Kunst  in  der  unzweideutigsten  Weise 
hervor,  während  umgekehrt  im  Leucotbearelief  gerade  an 
dem  Kinde  durch  die  Leichtigkeit  des  Meisseis,  die  Weich- 
heit der  Formen  und,  der  Strenge  der  erwachsenen  Figuren 
gegenüber,  durch  die  Naivetät  der  ganzen  Haltung  der  Fort- 
schritt im  inneren  Verständniss  und  zu  grösserer  Freiheit 
sich  besonders  deutlich  offenbart. 

Wir  gehen  zu  den  attisciien  ]\Ionumenten  über.  An  dem 
Relief  der  wagenbesteigenden  Frau  ist  vom  üntergewande 
nur    ein   halber  Aermel   und    c^in   schmaler  Streif  am  Leibe 


Brunn  -.  Das  Harpyienmonument  von  Xanthos.  2  1 3 

sichtbar.  Aber  auch  dieses  Wenige  zeigt  unverkennbar  die  bei 
weitem  grössere  Feinheit  der  Hand.  Statt  der  gradh'nigen 
Rippen  linden  wir  zarte  Wellenlinien,  die  auch  um  de  untern 
Rand  herum  schön  verlaufen.  Zur  Ergänzung  mag  hier  das,  wie 
ich  wählend  der  Correktur  sehe,  von  Benndorff;  Gott.  gel. 
Anz.  1870,  1564  als  zu  demselben  Monument  gehörig  erkannte 
Fragment  eines  Hermes  oder  Theseus  dienen  (Memor.  dell' 
Inst.  II,  t.  13),  an  dessen  Chiton  die  Feinheit  und  Sauberkeit 
des  Atticismus  im  Gegensatz  zu  der  Derbheit  der  lycischen 
Sculpturen  auch  dem  blödesten  Auge  deuthch  werden  mubS. 
Es  mag  hier  sofort  bemerkt  werden,  dass  ein  durchaus  ent- 
sprechendes Verhältniss  auch  in  der  Behandlung  des  Ha;:rs 
obwaltet.  —  Für  das  Obergewand  bietet  wieder  das  Relief 
der  Wagenlenkerin  hinhänglichen  Stoff  zur  Vergleichung.  Der 
Mantel  ist  locker  über  Rücken  und  Schultern  geworfen,  ohne 
eng  am  Halse  anzuschliessen.  Aber  die  Art ,  wie  er  über 
die  Schulter  genommen  und  durch  die  Bewegung  der  vor- 
gestreckten Arme  angezogen  wird,  wirkt  auf  alle  Falten 
zurück,  die  von  der  Schulter  über  den  Rücken  ge^issermassen 
radienartig,  aber  in  fein  geschwungenen  Linien  ausstrahlen. 
In  den  zickzackförmigen  Zipfeln  der  über  die  Aru^e  herab- 
falkuden  Partien  sind  sodann  trotz  der  Flachheit  des  Reliefs 
doch  die  feineren  Schwingungen  in  den  Flächen  und  um- 
rissen der  einzelnen  Falten,  wenn  auch  noch  nicht  überall 
klar  durchgebildet,  doch  mit  feinem  Gefühl  bestimmt  ange- 
deutet. Zwischen  den  Schenkeln  ist  endlich  der  Stoff  in 
regelmässige  Falten  gelegt,  ähnlich  wie  an  der  äginetischen 
oder  auch  der  dresdener  Pallas.  Aber  auch  hier  tritt  die 
Wirkung  der  Bewegung  augenfällig  hervor  und  die  Ent- 
wicklung der  Falten  nach  den  Seiten  hin  erscheint  durchaus 
bedingt  durch  die  Bewegung  des  gehobenen,  den  Wagen 
besteigenden  linken  Beines.  Durch  dieses  werden  wir  schliess- 
lich auf  die  Betrachtung  der  Formen  des  Körpers  selbst 
hingelenkt.  Dass  sie  überall  durchaus  correct  wiedergegeben 


214        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

seien,  soll  keineswegs  behauptet  werden.  Aber  betrachten 
wir  nur  den  linken  Unterschenkel ,  das  feine  Durchscheinen 
des  Oberschenkels  und  der  Formen  des  Rückens  durch  die 
be  leckenden  Gewandiua^sen,  so  wird  wenigstens  kein  Zweifel 
über  die  Absicht  des  Künstlers  obwalten,  in  ein  tieferes 
Verständniss  der  Formen  einzudringen  und  dieselben  im 
Einzelnen  zu  entwickeln.  Auch  der  Urariss  und  die  Flächen 
des  Halses  erlauben  einen  Schluss  darauf,  dass  wir  einer 
analogen  Durchbildung  in  den  Formen  des  Kopfes  und  Ge- 
sichtes begegnen  würden,  sofern  dieselben  besser  erhalten 
wären.  Leider  sind  auch  die  Unterarme  und  Hände  zu 
sehr  zerstört,  als  dass  ein  Urtheil  im  Einzelnen  über  sie 
möglich  wäre.  Werfen  wir  aber  noch  einmal  einen  Blick 
auf  das  Ganze,  so  tritt  uns  im  Gesammteiudruck  eine  Eigen- 
scliaft  besonders  entgegen,  die  ich  kaum  glaube  besser  be- 
zeichnen zu  können  als  durch  einen  Ausdruck,  welchen  Dionys 
von  Halicarnass  von  einem  allerdings  etwas  jüngeren  attischen 
Künstler  gebraucht.  In  der  Schrift  über  Isocrates  (p.  95  Sylb.) 
vergleicht  er  Kaiamis  mit  dem  Redner  Isaeus  ri^?  kemoTr^zog 
k've^fcc  xal  Trfg  /«(»trog.  Diese  Xsmötr]g,  die  Feinheit,  Sauber- 
keit ,  welche  durch  sorgfältiges  Ab-  und  Ausarbeiten,  durch 
Beseitigung  aller  Fülle  und  Schwere  zur  Zierlichkeit,  zur 
X^Qig  führt,  ist  es,  durch  welche  gerade  dieses  Relief  seinen 
besonderen  Cliarakter  erhält.  Wenn  wir  nun  schon  an  den 
Frauengestalten  desHarpyienmonumentes  eine  gewisse  Schwere 
und  Fülle  hervorheben  mussten,  wie  sollen  wir  urtheilen,  sobald 
wir  dem  attischen  Relief  die  sitzenden  Männer  in  ihrer  wirk- 
lich plumpen  Massenhaftigkeit  gegenüberstellen?  Ich  denke,  der 
Gegensatz  kann  kaum  grösser  und  schärfer  gedacht  werden. 
Doch ,  wird  man  vielleicht  sagen ,  die  XeTttoxi^g  mag 
ein  specielle  Eigenschaft  dieses  oder  einiger  wenigen  attischen 
Ruliefs  sein  ,  und  es  bleibt  trotzdem  noch  die  Analogie 
zwischen  dem  stehenden  Krieger  der  Nordseite  des  Harpyien- 
monumentes  und   dem  Relief  der  Aristionstele.     Dem   alten 


Brunn:  Das  Harpyienmonument  von  Xanthos.  215 

Maratüonskä;iipfer  dieser  letzteren  werden  wir  allerdings 
nicht  vorzugsweise  die  Eigenschaft  der  lenxÖTr^c  zuerkennen 
wollen.  Aber  genügt  denn  die  ganz  äusserliche  Analogie 
von  einem  Paar  etwa  gleichgestellter  Beine  mit  Beinschienen 
und  von  einem  Panzer  mit  Lederstreifen,  um  daraus  sogleich 
auf  die  gleiche  Analogie  in  der  künstleriscLen  Auffassung 
u:id  Durchbildung  einen  Schluss  zu  ziehen?  Ich  habe  bereits 
früher  (Kstlgesch,  I,  S.  109  flg.)  über  die  styHstischen  Eigen- 
thümlichkeiten  dieses  Reliefs  ausführlicher  gehandelt,  wenn 
auch  natürlich  für  die  directe  Vergleichung  mit  den  lycischen 
Scuipturen  manches  dort  ausgesprochene  Urtheil  in  seiner 
speciellen  Fassung  mancher  Modificationen  bedürfen  würde. 
Da  sich  indessen  unser  Blick  durch  die  vorhergegangenen 
Vergleichungen  geschärft  hat.  wird  es  nicht  nöthig  sein,  hier 
nochmals  auf  die  x\nalyse  der  einzelnen  Theile  einzugehen. 
So  viel ,  denke  ich ,  wird  jetzt  auch  ohne  erneute  Unter- 
suchung klar  sein,  dass  die  künstlerische  Grundanschauung  und 
Auffassung  in  den  beiden  Gestalten  eine  wesentlich  verschie- 
dene ist,  und  dass  das  attische  Relief  trotz  einzelner  Mängel 
doch  in  der  stylistischen  Behandlung  des  Reliefs  in  feinem 
Abwägen  der  Gomposition  und  in  der  sorgfältigerenund  be- 
wussterea  Durchbildung  der  Theile  auf  einer  höheren  Stufe  der 
Entwicklung  steht,  als  das  lycische  in  seiner  relativ  nicht  incor- 
recten,  aber  mehr  allgemeinen  und  massigen  Formengebung. 
Auch  über  die  Aegineteu,  mit  denen  man  die  lycischen 
Scuipturen  als  gleichzeitig  hat  betrachten  wollen,  werde  ich 
mit  Rücksicht  auf  meine  frühere  Behandlung  derselben  kurz 
sein  können.  Wir  bewundern  an  ihnen  das  staunenswerthe 
Verständniss  der  Formen  des  KorperS;  also  gerade  das  Gegen- 
theil  von  dem ,  was  wir  an  den  Figuren  des  Harpyien- 
monumentes  beobachtet  haben.  In  den  Gewändern  finden 
wir  zwar  nicht  jene  A«7rTor?^g,  jene  feine  Emjifindung  des 
attischen  Reliefs,  aber  doch  dasselbe  System  der  Falten- 
gebung  und  selbst  im  Westgiebel    schon  die  grösste  Schärfe 


216  Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

und  Präcision  der  Ausführung.  Sofern  aber  die  Vergleichung 
statuarischer  Werke  mit  Reliefs  etwas  Bedenkliches  haben 
sollte,  befinde  ich  mich  in  der  glücklichen  Lage,  diese  Lücke 
unserer  Anschauung  ;:a  ergänzen,  indem  mich  ein  günstiger 
Zufall  kürzlich  unter  allerlei  Fragmenten  oder  richtiger  Marmor- 
splittern das  einzige  'deine  Reiieffragment  äginetischer  Kunst 
wiederfinden  Hess :  ein  Stück  einer  Scliildverzierung  vielleicht 
von  der  Minerva  des  Ostgiebels,  nur  ein  Stück  Obez*-  und 
Untergewaud  einer  weiblichen  Gestalt  in  schneller  Bewegung, 
etwa  einer  in  der  Weise  der  sogenannten  Hierodulen 
tanzenden  Victoria.  Es  genügt  einfach  das  unscheinbare 
Fragment  neben  die  lycischen  Sculpturen  zu  halten,  um  die 
Kluft  zu  ermessen,  welche  das  erstere  von  den  letzteren 
trennt  (s.  die  beigegebene  Abbildung  in  Originalgrösse). 

Blicken  wir  jetzt  auf  den  Ausgangspunkt  unserer  Unter- 
suchung zurück,  so  sind  die  bisher  gewonnenen  Resultate 
mehr  negativer  Art :  die  angenommene  Stylverwandtschaft 
mit  altattischen  Werken  ist  nicht  vorhanden ;  und  eben  so 
wenig  lässt  sich  die  chronologische  Datiruug  um  die  Mitte 
der  siebziger  Olympiaden  als  berechtigt  anerkennen.  Es 
fragt  sich  jetzt  nur.  ob  wir  nicht  nach  beiden  Richtungen 
hin  auch  zu  positiven  Resultaten  zu  gelangen  vermögen, 
wobei  es  vorzugsweise  darauf  ankommen  wird ,  dass  wir 
die  Frage  richtig  stellen. 

Das  Harpyienmonument  stammt  aus  Lycien.  Wenn  wir 
nach  Verwandtschaft  der  Kunstschulen  fragen,  so  ist  es  wahr- 
lich das  Naturgemässeste ,  dass  wir ,  statt  in  die  Ferne  zu 
schweifen,  uns  erst  in  der  Nähe  umsehen.  Der  nächste  Ort 
an  der  kleiuasiatischen  Küste,  von  dem  uns  archaische 
Werke  bekannt  sind ,  ist  Milet  oder  das  Heiligthum  der 
Eranchiden  bei  Mikt.  Von  dort  stammt  eine  Reihe  sitzender 
Statuen ,  die  jetzt  in  das  britische  Museum  gelangt  sind 
(Newton,  Discoveries  at  Halicarnassus  etc.  T.  74  u.  75).  Ihre 
hervorstechendste  Eigenthümlichkeit  beruht  auf  der  Schwere 


Brunn:   Das  Harpyienmonument  von  Xanthos.  217 

der  Verhältnisse,  der  Massenhaftigkeit,  Fülle  und  Weichlich- 
keit der  Formen,  welche  einerseits  in  bestimmter  Weise  an 
die  innerasiutische ,  namentlich  an  die  assyrische  Kunst  er- 
innert, andererseits  aber  unter  griechischen  Werken  keine 
nähere  Analogie  findt^t  als  eben  das  Harpyienmonument  und 
an  diesem  besonders  die  drei  sitzenden  männlichen  Gottheiten 
und  den  dicken  Manu  an  der  Ostseite.  Allerdings  sind  die 
milesischen  Statuen  noch  älter  und  unbehülflicher  als  die 
lycischen  Reliefs.  Aber  die  Stofffalten  an  einigen  der  Unter- 
gewänder, das  geringe  Getühl  für  Masseugliederuug  in  den 
Obergewändern,  welche  mehrfach  in  gleich  laufenden  Falten 
über  den  Körper  gezogen  sind  und  nur  in  allgemeinster 
Weise  den  Körperformen  folgen,  zeigen  deutlich,  dass  hier 
ben-its  dieselben  Grundanschauuugen  obwalten ,  denen  wir 
bei  der  Analyse  der  xanthischen  Rehefs  begegnet  sind. 
Hier  also  liegt  unzweifelhaft  eine  innere  Verwandtschaft  des 
Styls  vor,  und  wir  erkennen  in  den  lycischen  Sculpturen 
gegenüber  den  milesischen  die  weitere  Entwickelung  eines 
trotz  innerasiatischer  Reminiscenzen  griechisch  gewordenen 
kleinasiatischen  Styls,  der  sich  als  ein  innerhalb  gewisser 
Grenzen  selbstständiger  dem  attischen,  äginetischen,  sicilibchen 
bestimmt  gegenüber  oder  an  die  Seite  stellt. 

Für  die  Beurtheilung  der  Entwickelungsstufe  dieses  Styls 
werd-n  wir  zunächst  einen  Umstand  nicht  ausser  Acht  lassen 
dürfen.  Keine  der  grösseren  Figuren  des  Harpyienmonuments 
befindet  sich  in  einer  auch  nur  etwas  lebhafteren  Bewegung 
oder  Stellung;  alle  stehen  ruhig  oder  sitzen.  Hier  vermochte 
also  der  Künstler  mit  der  einfachsten  Beobachtung  der  Natur 
auszukommen,  ohne  eines  tieferen  inneren  Verständnisses  zu 
bedürfen.  Die  Bedeutung  dieses  Umstandes  zeigt  sich  recht 
/leutlich  durch  den  Gegensatz  an  den  kleinen  Figuren  in  den 
Armen  der  Harpyien ;  denn  in  ihren  etwas  aussergewöhn- 
licheren  Lagen  und  Stellungen  erscheinen  sie  theils  unge- 
schickt, theils  geradezu  fehlerhaft  und  misslungen,  während 


218         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

es  bei  den  grösseren  Figuren  dem  Künstler  gelang ,  nicht 
nur  sie  im  Ganzen  richtiger  aufzufassen ,  sondern  auch  der 
Natur  einzelne  graziöse  Züge  besonders  in  den  Bewegungen 
der  Hände  nicht  ohne  Geschick  abzulauschen.  Zugleich  aber 
wird  durch  den  Mangel  lebendiger  Bewegung  über  das 
Ganze  eine  eigenthümliche  Ruhe  verbreitet.  —  Wenn  nun 
Welcker  (bei  Müller  Hdb.  §  90)  den  Styl  einen  „alter- 
thümlich  strengen,  doch  schon  von  Anmuth  leis  umflossenen" 
nennt ,  so  kann  es  allerdings  scheinen  ,  als  ob  wir  dadurch 
in  Widerspruch  mit  unseren  anfänglichen  Beobachtungen  ge- 
riethen.  Und  doch  wird  sich  auch  dieser  Widerspruch  lösen, 
sofern  wir  uns  Rechenschaft  darüber  zu  geben  suchen ,  wo- 
durch Welcker  zu  diesem  Lobspruche  veranlasst  sein  mochte. 
Der  Begriff,  welchen  namentlich  die  ältere  Generation  der 
Archäologen  sich  von  dem  Wesen  der  archaischen  Kunst 
zu  bilden  vermochte,  beruhte  noch  zumeist  auf  der  Anschauung 
der  an  Zahl  überwiegenden  und  allgemeiner  verbreiteten 
archaistischen,  nachgeahmt  alterthümlichen  Werke,  in  welchen 
der  Ausdruck  der  Alterthümlichkeit  zu  ausschliesslich  durch 
eine  gesuchte,  affectirte  Zierlichkeit  und  eine  rein  mechanische 
Eckigkeit  und  Steifheit  der  Linien  erstrebt  war:  Eigenschaften, 
welche  den  xanthischen  Reliefs  trotz  ihres  Alters  und  ihrer 
Unbehülflichkeit  fremd  sind.  Hierin ,  in  dem  Mangel  des 
Eckigen  und  Steifen  liegt  die  Berechtigung  des  Welcker'schen 
Lobes:  indem  der  Künstler  sich  innerhalb  der  Grenzen  seiner 
Anschauung  in  vollster  Unbefangenheit  zeigt,  entsteht  jeuer 
leise  Zug  von  Anmuth,  entsteht  sogar  ein  gewisser  Zug  von 
Freiheit  in  der  Auffassung,  die  wenn  auch  beschränkt,  sich 
doch  in  sich  befriedigt  zeigt,  ja  den  Beschauer  über  das 
Maass  der  absoluten  Freiheit  täuscht  und  diese  Werke 
vollendeter  und  in  der  Entwickelung  vorgeschrittener  er- 
scheinen lässt,  als  sie  es  nach  unserer  Analyse  in  der  That 
sind.  Gerade  dadurch  findet  auch  die  bisherige  späte  Datirung 
ihre  wenigstens  theilweise  Entschuldigung.   Allein  wir  befinden 


Bninn :  Das  Harpyiemaonument  von  Xanthos.  219 

uns  hier  einer  Erscheinung  gegenüber  .  die  in  neuerer  Zeit 
auch  in  der  Geschichte  der  griechiscjieu  Architectur  beob- 
achtet worden  ist.  Seujper  hat  für  die  Periode  des  dorischen 
Styls,  welche  dein  strengen  Archaismus  vorausgeht,  die  Be- 
zeichnung: Periode  des  laxen  archaischen  Styls  gewählt. 
In  den  ältesten  dorischen  Werken  nemlich  zeigt  sich  eine 
gewisse  üeppigkeit  und  Schwülstigkeit,  ein  gewisses  üeber- 
wucheru  mancher  Elemente,  welche  erst  allmählich  aus- 
geschieden werden  und  welche  der  dem  St/1  innewohnenden 
Idee  erst  nach  und  nach  in  voller  Pieiuheit,  Klarheit  und 
Präeisiou  ans  Licht  zu  treten  gestatten.  Es  ist  gewisser- 
massen,  wie  beim  Entwickelungsprocess  organischer  Geschöpfe, 
wie  beim  Menschen  selbst,  au  welchem  gleichfalls  die  Formen 
des  Kindes  eine  etwas  unbestimmte  weiche  Fülle  und  Piund- 
lichki'it  zeigen  und  erst  bei  weiterem  Wachsthum  sich 
schärfer  absondern  und  in  ihrer  Bedeutung  und  in  ihren 
Functionen  deutlicher  hervortreten.  Einer  solchen  lasen 
archaischen  Periode  der  Plastik  gehört  nun  nach  meiner 
M^^inung  in  ganz  ausgesprochener  Weise  das  Harpyien- 
monument  au,  (dem  an  den  entgegengesetzten  Grenzen  des 
GriechenthuUiS ,  natürlich  unter  den  durch  den  Schulunter- 
schied bedingten  Modificationen,  etwa  die  ältesten  selinuntischen 
Metopen  zur  Seite  zu  stellen  sein  möchten).  Jene  Fülle  und 
Weichheit,  jeine  scheinbare  grössere  Freiheit  ist  nicht  das 
Zeichen  einer  vorgeschrittenem  Entwickelung ,  sondern  im 
Gegentheil  ein  Zeichen  der  Kindheit  der  Kunst.  Aus  ihr 
erklärt  sich  die  oben  hervorgehobene  Unsicherheit  im  Ver- 
ständniss  und  in  der  Bezeichnung  der  Formen,  die  Unklar- 
heit in  vielen  Theileu  der  Gewandung,  luit  einem  Worte 
die  Laxheit  der  gesammten  Behandlung.  Der  nächste  Schritt 
von  dieser  Stufe  aus  kann  bei  einer  gesunden  Entwickelung 
natürlich  nicht  ein  Fortschritt  zu  grösserer  ungebundenerer 
Freiheit  sein ,  sondern  vielmehr  zu  der  strengeren  Zucht 
des  Knaben-  und  ersten  Jünglingsalters.     Das  üeberfiüssige, 


220        Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

Wuchernde  muss  weggeschnitten ,  das  Unklare  geklärt  und 
gereinigt,  alles  Einzelne  geordnet,  schärfer  umschrieben  und 
präcisirt  werden.  Dadurch  wird  allerdings  an  den  Werken 
des  vorgeschritteneren  Archaismus  eine  gewisse  Schärfe ,  ja 
scheinbar  sogar  Härte  hervortreten,  und  wo  es  sich  gar,  wie 
bei  den  Aegineten,  um  die  Darstellung  lebhafter  und  schwieriger 
Bewegungen  handelt,  mögen  solche  VVerke  in  rhythmischer 
Fügung  der  Glieder  gegen  jenen  leisen  Anflug  von  Grazie 
sogar  zurückzustehen  scheinen.  Bei  genauerer  Betrachtung 
indessen  finden  wir,  dass  wir  uns  auf  der  Bahn  eines  regel- 
rechten organischen  Fortschrittes  befinden.  Die  scheinbare 
Härte  erweist  sich  als  ein  schärferes,  klareres,  bewussteres 
Verständniss,  als  die  Frucht  einer  allerdings  strengen  Zucht, 
aber  einer  Zucht,  die  vorbereiten  soll  zu  geregeltem  Genuss 
der  vollen  Freiheit. 

Hiermit  glaube  ich  den  Reliefs  von  Xanthos  ihre  be- 
stimmte Stellung  in  der  Entwickelungsgeschichte  der  griechi- 
schen Kunst  angewiesen  zu  haben.  Ihre  chronologische  Be- 
stimmung aber  ergiebt  sich  daraus  mit  fast  mathematischer 
Sicherheit.  Die  milesischen  Statuen  sind  nach  dem  paläo- 
graphischt-n  Charakter  ihrer  Inschriften  um  die  GO.  Olym- 
piade gearbeitet.  Die  zur  Vergleichung  herangezogenen 
attischen  Reliefs  und  die  Aegineten  gehören  in  die  Zeit  kurz 
vor  und  kurz  nach  der  75.  Olympiade.  Das  Harpyien- 
monument  steht  zwischen  diesen  beiden  Endpunkten  in  der 
Mitte  und  seine  Entstehung  fällt  also  in  die  Zeit  zwischen 
der  65.  und  70.  Olympiade. 


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SiauiigsJierifhIt  dir  k.bAkad.d  IT  tSli)  ff  } 


Thomas:   Bruun  zu  Schiliberger.  221 


Herr  Thomas  übergibt  den  Schluss*)  der  ihm  ge- 
widmeten 

„geographischen    Anmerkungen      zum     Reise- 
buch  von   Schiltberger" 
von  Herrn  Professor  Philipp  Bruun  in  Odessa. 

VI. 

Nachdem  Schiltberger  im  V.  Capitel  (p.  61)  erzählt,  auf 
welche  Weise  Bajazids  Sohn  Mohammed  den  Fürsten  von 
Siwas  Burhan-Eddin  aus  ,,uiarsuany''  verjagt  hatte,  spricht 
er  (Cap.  IX,  p.  65 — 69)  auslührhch  von  dem  Tode  dieses 
Fürsten  während  der  Belagerung  von  Siwas  durch  ,,Otman", 
d.  h.  Kara  Jelek,  den  Führer  der  Turkomaiien  vom  Weissen 
Hammel,  und  von  der  Einnahme  der  Stadt  durch  den  ihr 
zu  Hülfe  gekommenen  ältesten  Sohn  Bajazids. 

Hinsichthch  des  Todesjahrs  Burhan-Eddins  weichen  die 
morgenländischen  Historiker  bedeutend  von  einander,  ab. 
Schon  Sead-Eddin  (Weil,  Gesch.  d.  Chal.  V,  p.  60  n.  1)  be- 
merkt ,  dass  ihre  Angaben  in  Betreff  dieses  Ereignisses 
zwischen  den  Jahren  794  und  799  d.  h.  (1391 — 96)  schwanken, 
Hammer  fGesch.  d.  Osm.  R.  I,  226)  spricht  sich  zu  Gunsten 
der  Meinung  Nischandjis  aus,  dem  zufolge  der  Fürst  von 
Siwas  im  Jahr  795  (1392)  gestorben  wäre.  Zinkeisen  (Gesch. 
d.  Osm.R.  I,  353)  theilt  diese  Ansicht,  weil  ,,der  Gang  der 
Ereignisse"  und  ,,die  besten  Quellen"  zu  Gunsten  des  Jahres 
1392  sprechen.  Dagegen  beweist  Weil  (I.e.).  dass  der  Tod 
Burhan-Eddins  nicht  vor  dem  Jahre  1398  hat  erfolgen  können. 
Es  scheint  demnach,  dass  unsere  Historiker,  nach  dem  Vor- 


1)  Vgl.  diesen  Jahrg.  I,  441  ff. 
[1870.  IL  2  ]  15 


222         Sitsimg  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

gange  der  orientalischen,  zwei  t'eldzüge  Bajazids  gegen  den 
Fürsten  von  Siwas  mit  einander  verwechseln,  von  denen  der  eine 
vor  der  Schlacht  von  Nicopolis  (1396),  der  andere  dagegen 
nach  derselben  unternommen  worden  war.  In  der  Thal  erfahren 
wir  durch  Schiltberger  (1.  c.) ,  dass  vor  dem  von  ihm  mit- 
gemachten Felclzuge  ,,und  by  dem  Zuge  was  ich  och"  des 
5, ältesten"  Sohnes  Bajazids,  der  jüngste,  nämlich  ,, Moham- 
med", den  Burhan-Eddin  aus  der  Stadt  Marsivan  (Vivien 
de  S.  Martin,  A.  M.  II,  448)  verjagt  hatte,  die  Neumann 
(p.  29)  mit  Amasia  verwechselt,  indem  er  diese  Stadt  mit 
Schiltbergers  ,,marsuary"  indentifizirt ,  obgleich  die  Vater- 
stadt Strabos  gar  nicht  dem  Burhan-Eddin,  sondern  zu  den 
Besitzungen  der  Fürsten  von  Kastemuni  gehörte.  Jeden- 
falls glaubt  der  Herausgeber  des  Reisebuchs  ohne  Grund, 
Schiltberger  habe  das  schon  im  V.  Capitel  mitgetheilte  ,,in 
den  folgenden  Abschnitten  nochmals  und  ausführlicher 
erzählt",  obgleich  er  hier,  wie  Xeumann  richtig  bemerkt, 
sich,  als  Augenzeuge,  auf  eine  höchst  lebendige  und  anschau- 
liche Weise  ausdrückt.  Wenigstens  sagt  Schiltberger  im 
5.  Capitel  ausdrücklich ,  die  Eroberung  Marsivans  sei  die 
erste  Kriegsthat  Mohammeds  gewesen .  der  wohl  befähigt 
sein  konnte  schon  ums  Jahr  1392  ins  Feld  zu  rücken,  da 
er  bei  seinem  im  Jahre  1421  erfolgten  Tode  43  Jahre  alt 
war.  Nun  erfahren  wir  freilich  aus  dem  IX.  Capitel,  Bajazid 
habe  das  durch  seinen  ältesten  Sohn  eroberte  Siwas  auch 
dem  Mohammed  verliehen,  erfahren  jedoch  zugleich ,  dieser 
sei  nicht  der  Sohn  gewesen  ,,der  den  otman  vertrieben 
hatt",  so  dass  man  glauben  möchte  ,  Schiltberger  habe  ab- 
sichtlich dies  betont,  damit  man  ja  nicht  die  Feldzüge  der 
beiden  Brüder  zusammenfallen  lasse. 

VIL 

Im  folgenden  Capitel,  wo  von  dem  Feldzuge  der  Osmanen 
gegen  den  Sultan  von  Egypten  die  Rede  ist,  erwähnt  Schilt- 


Thomas:   Brunn  zu  Schütherger.  223 

berger  Bajazid  habe  Letzterem  namentlich  die  Städte  „mala- 
thea"  (p.  69)  und  ,,adalia"'  entrissen. 

Nach  Sead-Eddin ,  dem  Hammer  und  Zinkeisen  folgen, 
wurde  Malatieh,  das  alte  Melitene,  nebst  mehreren  anderen 
Städten,  die  unter  egyptischer  Botmässigkeit  standen,  im 
Jahr  799—800  von  den  Osmanen  genommen.  Dagegen 
meint  Weil  (1.  1.  70 — 73),  sie  hätten  dies  nicht  vor  dem 
Jahre  801  ihun  können,  da  uuch  dem  Zeugniss  arabischer 
Autoreu,  man  in  Egypten  erst  nacu  der  im  Jahre  1399  (801) 
erfolgten  Thronbesteigung  des  Sultans  Faradj  die  Einnahme 
der  Stadt  erfahren  hatte.  Zu  Gunsten  seiner  Meinung  stützt 
sich  der  Verfasser  der  ..Geschichte  der  Chalifen"  namentlich 
auf  den  Umstand ,  dass  einer  der  erwähnten  Autoren  das 
Schreiben  gesehen  hatte,  in  welchem  der  Fall  von  Malatieh 
dem  Itmisch,  Atabeken  des  jungen  Sultans  Faradj,  mitgetheilt 
worden  war  (p.  74).  Da  jedoch  Itmisch  schon  unter  Berkuk, 
dem  Vater  und  Vorgänger  des  Faradj,  am  egyptischeu  Hofe 
eine  grosse  Rolle  gespielt  hatte,  ja  sogar  von  dem  alten 
Sultan  zum  Vollstrecker  seines  letzten  Willens  ernannt  worden 
war  (p.  62) ,  so  könnte  er  jenes  Schreiben  wohl  schon  zu 
Lebzeiten  Berkuks  erhalten  haben.  Diese  Ansicht  stin^mt 
besser  mit  dem  Bericht  Schiltbergers  überein,  während  das, 
was  er  uns  über  die  Einnahme  von  adalia  mittheilt,  Licht 
verbreitet  über  folgende  sonderbare  Stelle  in  der  italienischen 
üebersetzung  des  Werkes  Sead-Eddins:  Et  havendo  (Bajazed) 
spedito  al  conquisto  di  Chianchria  (das  alte  Gangra)  Timurtas 
Bassa,  pero  tutto  quel  paese  insieme  con  la  citta  d'Atena 
(la  quäl'  e  patria  de'  philosophi)  col  suo  distretto  parveune 
in  poter  del  re,  il  quäle  prese  anco  dalle  mani  de'  Turco- 
luani  la  citta  de  Bechsenia  (Behesna)  e  di  Malatia  etc. 
,,Hier  muss  ein  Fehler  im  Texte  oder  in  der  üebersetzung 
sein"  sagt  Weil,  nachdem  er  vorläufig  gezeigt,  dass  Hammer 
und  Zinkeisen  sich  offenbar  inen,  indem  sie  aus  dieser  Stelle 
den  Schluss  ziehen,  die  Osmanen  hätten  die  Stadt  ^linervens 

15* 


224        Sitzung  der  pMlos.-phihl   Glosse  vom  2.  Jxüi  1870. 

während  desselben  Feldzuges  erobert,  der  sie  nacli  Malatieh 
und  andern  Städten  Ciliciens  führte. 

Wenigstens  wäre  es  nicht  auffallend ,  wenn  zu  diesen 
Städten  Atalia  oder  Satalia  gehört  hätte  ,  das  in  der  Nähe 
des  alten  Attalia  in  Pamphylien  lag  und  loit  dem  Neu  mann 
Schiltbergers  adalia  zusammenstellt,  da  diese  Stadt,  gleich 
Satalia,  am  Meeresufer  in  geringer  Entfernung  von  der  Insel 
Cypern  lag.  Um  dieser  Meinung  noch  mehr  Gewicht  zu 
geben ,  könnte  man  darauf  aufmerksam  machen ,  dass, 
nach  den  Acta  Patriarch.  Constant.  (Band  II.  DLXXIV),  Satalia 
wirklich  um  das  Jahr  1400  in  die  Gewalt  der  Ungläubigen 
gefallen  war. 

Bei  dem  allen  scheint  es  mir,  dass  unter  Schiltbergers 
adalia  nicht  Sataha,  sondern  die  cilicische  Stadt  Adana  ver- 
standen werden  muss,  und  zwar  aus  folgenden  Gründen: 
Erstlich  liegt  diese  Stadt  in  noch  geringerer  Entfernung  von 
Cypern,  als  Satalia,  obgleich  nicht  an  der  Küste,  was 
übrigens,  nach  Schiltberger,  auch  nicht  mit  adalia  der  Fall 
war.  Ferner  stand  diese  Stadt  unter  der  Botmässigkeit 
des  Sultans  von  Egypten ,  während  diese  Bemerkung  wohl 
auf  die  Residenz  eines  turkomanischen  Häuptlings  (s.  ob.), 
nicht  aber  auf  das  schon  dem  osmanischen  Reiche  einver- 
leibte Satalia  (Weil  IV,  505  cf.  Heyd.  1.  c.  XVIII,  714)  be- 
zogen werden  kann.  Endlich  passt  der  Umstand,  dass  Schilt- 
berger  von  den  Umgebungen  Adalia's  nichts  weiter  bemerkt, 
als  dass  man  sich  dort  auf  die  Zucht  von  Kameelen  be- 
schränkte, eher  auf  Adana,  als  auf  Satalia,  das  damals  schon 
eine  der  bedeutendsten  Handelsstädte  der  Levante  und  von 
prachtvollen  Gärten  umgeben  war,  die  jetzt  noch  eine  Zierde 
dieser  Stadt  bilden.  Dem  sei  wie  ihm  wolle,  jedenfalls  hoffe 
ich  mau  werde  mir  zugeben  ,  dass  Sead-Eddin  oder  sein 
Uebersetzer  Batutti  Athen  mit  Satalia  oder  mit  Adana 
haben  verwechseln  und  dass  von  diesen  drei  Städten  nur 
die   letzte    zugleich    mit  Behesna,    Malatieh   und   andern 


Thomas:  Bniun  zu  Schiltberger.  225 

cilicischen   Städten   von    den   Osmanen   hat    erobert   werden 
können. 

VII. 

Wenn  Schiltberger  im  62.  Capitel  (p.  144)  sagt,  der 
FIuss  ,,chur".  d.h.  der  Kur  in  Transcaucasien ,  habe  auch 
den  Namen  ,,tygris"  getragen,  so  hat  er  seine  guten  Gründe 
gehabt,  dies  zu  thun.  Im  entgegengesetzten  Falle  wäre  es 
wenigstens  sehr  auffallend  ,  weshalb  sowohl  Barbaro  als 
Contarini  denselben  Fluss  nur  durch  den  zweiten  jenes  Xamens 
bezeichnen,  dt-r,  nach  Plinius  (VI,  27)  im  medischen  ,, Pfeil" 
bedeutete :  qua  tardior  fluit  Diglitto,  unde  concittttior  a  ccleri- 
tate  Tigris  incipit  vocari.  Ita  adpellant  Medi  sagittam.  Nach 
Tiefenihaler  (cf.  Forbiger,  1.  c.  II,  66)  Leisst  ein  Pfeil  im 
Persischen  tir  und  müsste  demnach  der  Fluss  nicht  Tigris, 
sondern  Tiris  genannt  werden,  während  er  zugleich  mit 
unserm  Dniester  verglichen  werden  könnte,  dem  nuUo  tardior 
amne  Tyras  Ovids  (Ex  Ponto,  IV,  10,  47),  oder  Tyris,  wie 
Herodot  den  Fluss  nennt.  Wenn  diese  Aehnlichkeit  nicht 
ein  blosses  Spiel  des  Zufalls  sein  sollte,  so  würde  sie  einen 
Beitrag  liefern  zu  Gunsten  der  von  mehreren  Gelehrten, 
und  namentlich  von  Mullenhof  (M.  B.  d.  Acad.  zu  Berlin. 
Aug.  1866  p.  549  seqq)  mit  vielem  Scharfsinn  verfochtenen 
Meinung ,  dass  die  Scythen  Herodots  zum  arischen  Volks- 
stamm gehörten. 

Noch  vor  dem  Kur  wird  die  Wolga  von  verschiedenen 
Reisenden,  nicht  irrthümlich,  wie  man  gewöhnlich  annimmt, 
sondern  absichtlich,  durch  den  Namen  Tigris  bezeichnet. 
So  z.  B.  sagt  Marco  Polo  (ed.  Pauthier,  I,  7):  Et  de  Üucaca 
(das  heutige  Dorf  üwek,  am  rechten  Ufer  der  Wolga  nicht 
weit  von  Saratof,  auf  den  Compaskarten  lochachi,  locac, 
nicht  zu  verwechseln  mit  der  Stallt  Ukek  bei  Jbn-Batuta, 
die  am  Asofschen  Meer  in  der  Nähe  von  Mariopol  lag ,  wo 
auf  besagten  Karten  ein  zweites  lochachi  oder  locaq  an- 
gemerkt   ist)    se    partirent   et    passerent    le   grant    flun   de 


226        Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  2,  Juli  1870. 

Tigere,     et    alerent    pnr    un    desert    qui    est    loins    XVII 
journees  etc." 

Erst  nachdem  der  Vater  und  der  Oheim  Marco  Polos, 
von  denen  hier  die  Rede  ist,  diese  nur  von  nomadisirenden 
Tataren  bewohnte  Steppe  durchwandert  hatten,  kamen  sie 
nach  der  Stadt  Buchara.  Nach  dem  Namen  des  Tigeri  oder 
Tigry,  über  den  die  Brüder  Poli,  gleich  nach  ihrer  Abreise 
aus  der  Stadt  Oncaca,  sich  hatten  setzen  lassen,  findet  sich 
in  vielen  Handschriften  noch  die  Bemerkung  eingeschaltet, 
jener  Fluss  sei  einer  der  vier  Flüsse  des  Paradieses  gewesen. 
Dass  hier  nichts  destoweniger  nur  die  Wolga  gemeint  sein 
kann,  ersehen  wir  aus  folgendem  Bruchstück  eines  Briefes, 
den  der  spanische  Franziscaner  Paschalis  im  August  1338 
in  sein  heimathliches  Kloster  Victoria  schrieb  (Mosheim, 
H.  eccl.  Tart.  nr.  92  p.  194) :  Cum  jam  annum  demoratus 
fuissem  in  praedicta  Sarray  civitate  Sarracenorum  imperii 
Tartarorum,  in  Vicaria  Aquilonari,  ubi  ante  annum  tertium 
quidam  frater  noster  Stepbanus  nomine  fuit  passus  venerabile 
raartyrium  per  Sarracenos,  In  de  recedens  in  quoddam  navi- 
gium  cum  Armenis  per  fluvium  qui  vocatur  Tigris,  per  ripam 
maris  Vatuc  (Baku)  nomine  usque  Sarrachuk  (Saraitschik, 
nicht  weit  von  der  Mündung  des  Urals)  deveni  per  duo- 
decim  dietas".  Auch  den  Brüdern  Pizzigani  war,  wie  es 
scheint,  dieser  Name  der  Wolga  zu  Ohren  gekommen,  denn 
auf  ihrer  schönen  Karte  finden  wir  beim  Zusammenflusse 
derselben  mit  dem  Itil,  der  hier  die  Kama  bezeichnet,  fol- 
dende  Worte  angemerkt:  flum  tyrus  q.  omnium  flum.  de 
mundo  dicitur  esse  major. 

Dass  die  venetianischen  Kartographen  ebensowenig  wie 
ihr  berühmter  Landsmann  hier  die  "Wolga  mit  dem  eigent- 
lichen Tiger  verwechselten,  geht  daraus  hervor,  dass  dieser 
Fluss  bei  ihnen,  nach  dem  Namen  der  Stadt  Bagdad,  nur 
flum  de  baidach  heisst,  während  Marco  Polo  sich  begnügt 
zu  sagen  sie  läge  auf  beiden  Seiten  eines  ,,moult  grant  flun" 


Thomas:  Brunn  zu  Schütberger.  227 

(p.  47).  Wenn  er  ferner  den  Tiger  des  Paradieses  in  der 
Wolga  wiederzufinden  geglaubt ,  so  hat  er  sich  jedenfalls 
nicht  so  weit  von  der  Wahrheit  entfernt,  wie  Johann  von 
Marignola  (ed.  Meinert,  Prag,  1820  p.  18  sqq)  dem  zufolge 
der  grösste  Fluss  Europas  nur  einen  Theil  des  biblischen 
Pliisoü  bildete,  da  dieser  räthselhafte  Strom,  nachdem  er  das 
Land  Hevilah  in  Indien  umflossen ,  nicht  bloss  unter  dem 
Namen  Caramora  (Kara-iiiuran .  der  schwarze  Fluss:  der 
mongolische  Name  des  Hoangho  oder  gelben  Flusses)  China 
bewässert,  sondern  jenseits  Caffa  w^ieder  erscheint  und  sich 
hinter  Ghana ,  d.  h.  Tana ,  ins  Meer  Vatuch ,  d.  h.  Baku 
ergiesst. 

Doch  dürfen  wir  es  auch  dem  Bischof  von  Bisignano 
nicht  übel  nehmen ,  dass  er  sich  eine  so  sonderbare  Yor- 
stellumg  vom  Pison  gemacht  hat,  da  sie  wenig  abweicht 
von  der  Ansicht,  die  noch  vor  Kurzem  über  denselben  vor- 
süiidfluthlichen  Fluss  durch  einen  geschätzten  Geographen 
(Raumer,  Palaestina,  4.  Aufl.ige  p.  462 — 466)  dem  deut- 
schen Publikum  mitgetheilt  worden  ist. 

Dass  auch  Schiltberger  unter  seinem  chur  oder  tjgris 
nicht  den  Fluss  von  Bagdad  gemeint  hat,  ersieht  man  schon 
daraus,  dass  er  den  Fluss,  an  dem  diese  Stadt,  die  bei  ihm 
Neu-Babylon  heisst ,  lag ,  nur  durch  dessen  heutigen  Namen 
Schat  (schatt)  bezeichnet,  dem  es  zuzuschreiben  ist,  dass 
auch  bei  Barbaro  der  Tiger  nur  den  Namen  Set  trägt. 

Dagegen  gebe  ich  gern  zu  dass  beide  guten  Catholiken 
der  Meinung  waren .  den  aus  dem  irdischen  Paradiese  strö- 
menden Tiger  nicht  in  Mesopotamien ,  sondern  in  Trans- 
caucasien  angetroffen  zu  'haben ,  wo  sie  in  der  That  nicht 
minder  berechtigt  gewesen  wären  ihn  zu  suchen,  als  in  vielen 
andern  Gegenden  der  alten  und  neuen  Welt,  wo  man,  der 
Reihe  nach,  jenen  wundervollen  Garten  zu  finden  gewähnt 
hat,  das  Stromgebiet  der  Wolga  nicht  ausgenommen. 


228         Sitzung  der  phüos.-philol  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

vni. 

Aus  dem  letzten  Capitel  des  Reisebuchs  (157 — 161),  wo 
Schiltberger  seine  Rückkehr  aus  der  Gefangenschaft  ins 
Vaterland  beschreibt,  erfahren  wir  dass  er  aus  der  an  der 
Mündung  der  Donau  gelegenen  Stadt  gily  (Kilia),  wohin  er 
von  Constantinopel  aus  zu  Wasser  gekommen  war,  im  weiteren 
Verfolg  seiner  Reise  lüit  Kaufleuten  auf  dem  Landwege  eine 
walachische  Stadt  erreicht  hatte,  von  der  er  nur  sagt,  dass 
ihr  Name  in  deutscher  Sprache  die  ,, weisse"  Stadt  bedeutet 
hätte.  Erst  von  dort  sei  er  über  ,,a5parseri"'  und  ,,sedschoff", 
der  Hauptstadt  der  Kleinen  Walachei  nach  hmburgch  (Lem- 
berg)  gelangt  der  Hauptstadt  „in  weissen  reissen ,  des 
kleiner". 

Unter  der  weissen  Stadt  kann  keine  andere  gemeint 
sein  als  das  heutige  Akkerman ,  das  damals  zu  den  Be- 
sitzungen des  Voievoden  Alexander ,  Fürsten  der  Moldau 
oder  kleinen  Walachei  gehörte.  Der  Name  bedeutet  be- 
kanntlich im  Türkischen  die  ,. weisse  Stadt"  und  verdankt 
seine  Entstehung  dem  slavischen  Namen  Bielgorod,  unter 
dem  ihrer  häufig  in  alten  russisclien  und  polnischen  Chroniken 
Erwähnung  geschieht.  Die  Moldauer  nennen  sie  noch  heute 
Tchetate  alba,  während  ihr  magyarischer  Name  nicht  Feiernar, 
wie  sie  bei  Dlugosz  (ed.  1712  XI,  324)  irrthümlich  genannt 
wird,  sondern  Feierwar  lautet. 

Die  Byzantiner  verwandelten  die  weisse  Stadt  in  eine 
schwarze ,  maurocastrum ,  was  die  italienischen  Seefahrer 
veranlasste  die  Stadt  Mocastro  oder  Moncastro  zu  nennen 
und  in  dieser  verstümmelten  Form  erscheint  ihr  Name  auch 
bei  De  Lannoy,  Barbaro  und  andern  Reisenden.  Vgl.  Thomas, 
Periplus,  p.  36,  38. 

Es  scheint  übrigens  dass  auch  den  Byzantinern  die 
Stadt  früher  unter  dem  Namen  der  ,, weissen"  bekannt  war, 
da   sie  die  Stelle    einnimmt,    wo    die  Stadt   Aspron    (Const. 


Thomas :   Brunn  zu  Schiltherger.  229 

Porph.  De  adm.  imp.)  gelegen  haben  muss.  Freilich  ver- 
setzt der  Kaiser  Constantin  diese  weisse  Stadt  an  das  Ufer 
des  Dniepers:  doch  hier  wird  ein  Fehler  in  seinen  Text 
sich  eingeschlichen  haben,  nicht  allein  deshalb  weil  am  untern 
Dnieper  niemals  eine  weisse  Stadt  existirt  hat,  sondern 
schon  aus  deui  Grunde,  weil  der  kaiserliche  Autor  hinzufügt, 
die  Stadt  habe  an  der  Seite  des  Flusses  gelegen ,  die  der 
Bulgarei  zugekehrt  war,  und  weil  diese  Bemerkung  weder 
auf  das  eine  noch  auf  das  andere  Ufer  des  Dniepers ,  wohl 
aber  auf  das  rechte  Ufer  des  unteren  Dniesters  bezogen 
werden  darf.  Ferner  kennt  der  Kaiser,  ausser  Aspron,  noch 
fünf  andere  Orte,  in  deren  Nachbarschaft  die  Petschenegen 
über  den  Fluss  zu  setzen  pflegten  und  deren  Namen  bei  ihm, 
mit  Hinzufügung  der  allen  gemeinschaftlichen  Endsilben 
,,catae",  Tung,  Crakha,  Salma,  Saca  und  Gieu  lauten.  In 
der  Nähe  aller  dieser  zerstörten  Städte  sah  man  noch  am 
felsigen  Ufer  Spuren  von  Kirchen  und  Kreuzen,  auch  hatte 
sich  die  Tradition  erhalten  dass  diese  Gegend  einst  von 
Griechen  bewohnt  war.  Wenn  es  erlaubt  sein  sollte  jenes 
,,catae"  für  einen  alle  diese  Ortschaften  bezeichnenden  Gat- 
tungsnamen zu  halten,  so  würde  es  vielleicht  möglich  sein 
ihre  Stellen  auf  unsern  heutigen  Karten  nachzuweisen,  und 
dies  um  so  leichter,  da  jetzt  noch  an  verschiedenen  Punkten 
des  hohen  Ufers  zwischen  Bender  oder  Tegin  und  Soroka, 
sowie  höher  hinauf  auf  der  Bergseite  des  Dniesters ,  kleine 
in  den  Felsen  gehauene  und  jedenfalls  sehr  alte  Kirchen  die 
Aufmerksamkeit  wissbegieriger  Reisender  und  frommer  Pilger 
auf  sich  ziehen. 

Uebrigens  scheint  der  alte  Name  der  weissen  Stadt  bei 
den  Byzantinern  nie  ganz  in  Vergessenheit  gerathen  zu 
sein;  denn  bei  einigen  ihrer  Schriftsteller  aus  dem  späteren 
^Mittelalter  heisst  sie  nicht  mehr  Maurocastron ,  sondern 
Leucopolichnion  und  Asprocastron.  Vielleicht  wurde  Schiit- 
berger    durch    diesen    Umstand   veranlasst   von    einer   Stadt 


230         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

asparseri  zu  reden,  die  Fallmerayer  (p.  160,  n.  272)  wie  mir 
scheint,  ohne  Grund,  für  das ,  unweit  Bender  auf  der  mol- 
dau'schen  Seite  des  Duiesters  liegende  Scheriperni  hält,  ,,was 
man  noch  auf  dem  Ilomanuschen  Atlas  vom  Jahre  1744 
findet".  Gegen  die  hinzugefügte  Bemerkung,  dass  hier  in 
früheren  Jahrhunderten  mehrere  Städte  waren  ,,die  nicht 
mehr  vorhanden  sind"  ist  freilich  nichts  einzuwenden ;  nicht 
minder  gewiss  ist  aber  dass  asparseri,  von  Schiltberger  ins 
deutsche  übersetzt,  die  weisse  Stadt  genannt  worden  wäre. 
Es  ist  wahr,  seinen  Worten  zufolge,  waren  asparseri  und 
die  weisse  Stadt  nicht  eins  und  dasselbe.  Es  fragt  sich 
aber  ob  hier  nicht  ein  Fehler  in  der  Heidelberger  Hand- 
schrift angenommen  werden  darf.  Wenigstens  erkläre  ich 
mir  auf  diese  Weise,  weshalb  dort,  gegen  die  Gewohnheit 
Schiltbergers ,  der  einheimische  Name  der  weissen  Stadt 
ganz  fehlt,  während  nach  der  von  Penzel  benutzten  Nürn- 
berger Handschrift,  die  leider  abhanden  gekommen  ist,  der 
Verfasser  des  Reisebuches  direct  aus  der  weissen  Stadt,  ohne 
asparseri  zu  berühren,  nach  Sutschava  gekommen  war,  der 
damaligen  Hauptstadt  der  kleinen  Walachei. 

Schon  im  grauen  Alterthume  hatten  die  Umgebungen 
Akkermans  hellenische  Ansiedler  angelockt.  Zu  Herodots 
Zeit  wohnten  dort  die  Tyriten ,  wahrscheinlich  in  der  von 
Milesiern  gegründeten  Stadt  Ophiusa ,  die  noch  zu  Strabos 
Zeit  existirte  und  vielleicht  ihrer  Lage  nach  identisch  war 
mit  der  Stadt  Tyra  oder  Tyras,  die  jedenfalls  die  Stelle  des 
heutigen  Akkerman  einnahm,  wie  aus  den  häufig  daselbst 
vorkommenden  autonomen  und  Kaisermünzen  der  Tyraner 
hervorgeht.  Hier  hätte  man  auch  die  Stadt  Turis  suchen 
sollen,  die  Justinian  I.  (546)  den  Anten  hinterhess  (Proc. 
B.  G.  in,  15),  von  denen  sie  sehr  leicht  durch  den  Namen 
Bielgorod  hätte  bezeichnet  werden  können.  Da  nun  die 
Polowtzer  ihrerseits  diesen  Namen  übersetzt  haben  werden, 
so  hätten  wir  einen  Grund  mehr  in  der  weissen  Stadt  Schilt- 


Thomas:  Bruun  zu  Schilther ger.  231 

bergeis  die  Stadt  Acliba  (liva?)  wiederzuerkennen,  die  nach 
Edrisi  (Joubert,  Geogr.  d'Edrisi,  II,  394)  an  der  Mündung 
des  Dniesters  lag. 

Was  das  weisse  Reussen  Scliiltbergers  anbelangt,  so 
kann  er  darunter  nur  den  östlichen  Theil  des  Königreichs 
Galizien  veistanden  haben,  der  auch  in  Folge  einer  falschen 
Lesart  des  Namens  der  Stadt  Tscherven  noch  jetzt  Roth- 
russland genannt  wird  (Karamsin  d,  russ.  Ausgabe  v.  Einer- 
ling,  I  n.  431).  Dass  Schiltberger  in  diesem  Fall  roth  nicht 
mit  weiss  verwechselt,  ersieht  mau  daraus  dass  ihm  ausser 
dem  ,, kleineren"  weissen  Russland  ein  ,, grösseres"  bekannt 
sein  musste.  Dies  kann  nur  das  Gross türstenthum  Lithauen 
mit  Einschluss  des  heutigen  Weissrusslands ,  nicht  aber  das 
damalige  Grossfürstenthum  Moscau  gewesen  sein,  das  bei 
Schiltberger  ,,das  Küngrich  zu  rewschen"  heisst  und  dessen 
Abhängigkeit  von  den  Tataren  ihm  nur  zu  gut  bekannt  war 
(das  ist  och  zinsbar  dem  tartarischen  Künig). 

Gewiss  geht  Karamsin  (II,  n.  262  und  384)  zu  weit, 
wenn  er  in  seiner  Abneigung  gegen  Tatischef,  diesem  tüch- 
tigen Historiker  vorwirft,  er  habe  ohne  irgend  einen  triftigen 
Grund  die  Besitzungen  des  Gründers  von  Moscau  Weiss- 
russland  genannt.  Dagegen  steht  wohl  auch  fest,  dass  die 
späteren  moscovitischen  Grossfürsteu ,  unter  dem  Joche  der 
Mongolen,  nicht  daran  denken  konnten  als  Beherrscher  des 
weissen  oder  freien  Russlands  aufzutreten  und  dass  erst 
Johann  III  (1462  — 1505)  berechtigt  war  dies  zu  thun. 

Weit  eher  als  Moscau  hätte  der  mit  Lithauen  verbundene 
westHche  Theil  Russlands  auf  den  Namen  des  grösseren 
weissen  Russlands  Ansprüche  machen  dürfen.  Dass  jener 
Theil,  zu  Schiltbergers  Zeit,  wirklich  so  genannt  wurde,  be- 
zeugt sein  Zeitgenosse  Suchenwirt  (cf,  Adelung,  Uebersicht 
d.  Reis,  in  Russl.  I,  136)  in  einem  seiner  geschichtlichen 
Gedichte,  wo  er  die  Erstürmung  der  Stadt  Eysenburk,  in 
Weizzen  Reuzzen,  durch  den  deutschen  Orden  im  Jahre  1348 


232         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

beschreibt.  Diese  Stadt  war  aber  keine  andere  als  Isborsk, 
das  damals  die  Oberleheusherrlicbkeit  des  litbauiscben  Fürsten 
Olgerd  anerkannte. 

Gleich  den  Besitzr.ngen  dieses  Fürsten  war  der  durch 
Casimir  den  Grossen  mit  Polen  vereinigte  Theil  des  west- 
lichen Russlands  nämlich  das  Fürstenthum  Halitsch  (Galizien), 
zu  Schiltbergers  Zeit,  den  Tataren  nicht  mehr  tributpflichtig 
und  verdiente  demnach  auch  Weiss-Russland  genannt  zu 
werden ,  so  wie  es  anderseits  als  das  kleinere  Land  dieses 
Namens  bezeichnet  werden  konnte ,  wie  Schiltberger  dies 
wirklich  thut,  und  zwar  von  Rechtswegen.  Dies  beweist  uns 
Unter  andern  ein  im  Jahre  1335  an  den  Grossmeister  des 
Dtutschen  Ordens  gerichtetes  Schreiben  des  Urenkels  des 
,, Königs''  von  Haütsch,  Daniel  Romanowitsch  Georg,  der 
abwechselnd  in  Lemberg  und  in  \Yladimir  (in  Wolhynien) 
residirte,  und  in  jenem  Schreiben  Fürst  totius  ,,Russiae 
Mynoris"  (sie)  sich  nennt  (Karamsin  IV,  n.  276).  Dass  auch 
ausserhalb  Russland  Galizien  als  ein  Theil  von  Kleinrussland 
betrachtet  wurde,  zeigt  folgendes  Bruchstück  eines  Briefes 
Marino  Sanudos  an  den  König  von  Frankreich,  Philipp  VI, 
datirt  vom  13.  Oktob(3r  1333:  Russia  minor,  quae  confinat 
ab  occidente  cum  Polonia,  a  meridie  autem  Ungaria  etc. 
(Kunstmann,  Studien  über  M,  Sanudo,  München,  1855, 
p.   105). 

IX. 

Es  sei  mir  erlaubt  hier  noch  auf  einige  der  bei  Schilt- 
berger vorkommenden  Namen  aufmerksam  zu  machen,  die 
man  entweder  gar  nicht  sich  hat  erklären  können  ,  oder 
aus  denen  man,  weil  man  sie  missverstanden,  Schlüsse  ge- 
zogen hat ,  die  dem  was  er  eigentlich  hat  sagen  wollen, 
nicht  entsprechen.  Gewiss  verdient  er  es ,  dass  mau  ihm 
auch  in  solchen  Fällen  Gerechtigkeit  widerfahren  lasse,  wo 
die   von  ihm   mitgetheilten  Nachrichten   nicht   der  Art  sind 


Thomas:   Bruun  zu  Sehiltberger.  233 

um  uns  zu  veranlassen,  eine  Revision  des  schon  anderweitig 
bekannten  vorzunehmen. 

a)  Die  Schlacht  von  Achtum  'and  eben  so  wenig  statt 
in  der  Ebene  von  Nachidschevan,  wie  Neumann  (p.  85,  n.  81) 
meint,  als  in  den  Umgebungen  von  Erzerum ,  wohin  der 
Bischof  von  Theodosia  Aivasofski  die  ,,heid  genannt  achtum" 
versetzt,  wo  nach  Sehiltberger s  Bericht  (cap.  XXIII)  ,  der 
Ilchan  Ahmed-ben  Oweis  von  Kara  lusuph,  dem  Führer  der 
Turcomanen  vom  schwarzen  Hammel,  aufs  Haupt  geschlagen 
wurde.  VVenigstens  sehe  ich  nicht  ein,  weshalb  das  Schlacht- 
feld nicht  gesucht  werden  dürfe  in  der  Nähe  von  der  am 
Kur  gelegenen  Oertlichkeit  Aktam,  wo  einige  Jahre  vordem 
Tamerlan  sein  Lager  aufgeschlagen  hatte.  (Dorn ,  Geogr. 
Caus.  cf.  Price ,  Chron.  Resp.  206 :  Acataom  or  Actam,  a 
Station  to  the  castward  of  Moghaun). 

b)  Zu  den  Fürsten,  die  während  der  Anwesenheit  Schiit- 
bergers  in  der  grossen  Tatarei  sich  um  die  Herrscl.aft  in 
der  Goldenen  Horde  stritten,  gehört  ohne  Zweifel  Tschekre, 
da  sich  Münzen  aus  den  Jahren  1414 — 1416  erhalten  haben, 
die  auf  seinen  Namen  in  Bolgar,  Ssarai  und  Astrakhan  ge- 
prägt worden  waren.  Man  nimmt  gewöhnlich  an,  dass  von 
ihm  in  den  russischen  Chroniken  gar  nicht  die  Rede  ist. 
Ich  möchte  aber  gern  ihn  in  dem  ,,tzarewitsch  Tegri-berdi" 
wiedererkennen,  der  im  Gefolge  des  bekannten  Edigeis  oder 
Idekus  sich  befand,  als  dieser  im  Jahr  1408  bis  in  die 
Nähe  Moscaus  vordrang,  alles  auf  seinem  Wege  verwüstend. 
Aus  dem  Gesagten  ersieht  man  wohl .  wer  der  tatarische 
Königssohn  ,,zegre"  (c.  XXV,  p.  88)  oder  gar  zebra  (bei 
Peuzel)  war,  der,  nebst  seinem  Sclaven  Sehiltberger,  an  dem 
Zuge  des  ,,edigi"  nach  Sibirien  sich  betheiligte. 

c)  Gewiss  haben  Hammer  (p.  92  n.  108)  und  Fall- 
merayer  (n.  110)  Recht,  dass  von  den  beiden  von  Sehiltberger 
(cap.  XXVIII)  erwähnten  Hauptstädten  der  Walachei  die 
eine  „agrich"  keine  andere  sein  konnte,  als  das  heute  noch 


234         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

bestehende  Ardscliisch.  Dagegen  hätte  Fallmerayer  nicht 
sagen  sollen,  der  Name  der  andern,  der  bei  Schiltberger 
,,türckisch"  lautet,  bedeute  Bukurescht.  Wäre  es  nicht  ge- 
rathener  gewesen  anzunehmen,  Schiltberger  habe  durch  sein 
türckisch  die  Leser  mit  dem  Namen  der  Stadt  Targowescht 
bekannt  machen  wollen,  wo  zu  seiner  Zeit  die  walachischen 
Fürsten  residirten,  anstatt  sich  abzumühen,  den  Namen  der 
heutigen  Residenz  des  Fürsten  von  Rumänien,  die  damals 
gar  nicht  zu  den  Hauptstädten  des  Landes  gehörte,  bis  zur 
Unkenntlichkeit  umzugestalten. 

d)  Von  den  geographischen  Namen,  die  im  XXXVl  Capitel 
(p.  106)  des  Reisebuchs,  wo  von  der  Crim  die  Rede  ist,  vor- 
kommen, hat  Neumann  einige  missverstanden,  andere  dagegen 
gar  nicht  erklärt. 

So  z.  B.  soll  ,,Karckeri",  das  in  einer  von  Christen 
bewohnten  weinreichen  Gegend  lag  —  Cherson  gewesen 
sein,  da  doch  Schiltberger  hier  nur  die  Judenfestung  Tschufut- 
kale ,  oder  Kirkier  im  Auge  haben  konnte.  Der  Irrthum 
Neumanns  ist  um  so  auffallender,  da  Schiltberger  gleich 
darauf  hinzusetzt,  in  derselben  Gegend  sei  der  heilige  Clemens 
ins  Meer  versenkt  worden  ,,bei  einer  Stadt  genannt  serucher- 
man  in  haidischer  sprach".  Es  ist  wahr.  Neumann  identi- 
fizirt  diese  Stadt  mit  Akkerman.  Aber  was  berechtigt  ihn 
anzunehmen ,  Schiltberger  habe  sich  eine  so  falsche  Vor- 
stellung von  der  Gegend  gemacht,  wohin  der  Papst  verschickt 
worden  war,  da  schon  im  Jahr  1333  ein  katholischer  Bischof 
zu  Cherson  in  Gothien  fungirte,  und  da  sogar  dem  Abulfeda, 
der  nicht,  wie  Schiltberger,  die  Gegend  selbst  besucht  hatte, 
bekannt  war,  dass  dieselbe  Stadt,  die  schon  Rubruqnis 
,,Kersona,  civitas  Clementis"  nennt,  bei  den  Eingebornen 
Ssarukerman  hiess,  so  wie  auch  dass  der  heutige  Name  der 
Stadt  Akkerman  schon  damals  im  Gebrauch  war. 

Wenn  Schiltbei'ger  uns  ferner  mittheilt  dass  die  Gegend, 
in  der  die  Städte  Kirkier  und  Ssarukerman  lagen  „sudi"  hiess, 


Tliomas :   Brunn  zu  Schiltherger.  235 

zugleich  aber  beiden  Heiden  den  Xamen  ,,that"  trug.  ?o  folgt 
aus  einer  andern  Stelle  des  Reisebuchs  (cap.  I — VI,  p.  135), 
wo  er  sagt,  die  ,,Kuthia  sprauch"  heisse  bei  den  Heiden 
..thatt",  dass  sudi  weiter  nichts  ist  als  eine  schlechte  Lesart 
des  Wortes  ..Kuthia'"  und  dass  Schiltberger  durch  dies  der 
armenischen  Form  des  Xauiens  der  Gothen  nachgebildete 
Wort  die  Südküste  der  Crim  bezeichnen  wollte,  die  damals 
allgemein  unter  dem  Namen  ,,Gotia"  bekannt  war,  und  wo 
die  gothische .  o  1er  richtiger  gotische .  Sprache  noch  im 
XVI.  Jahrhundert  nicht  ausgestorben  war. 

e)  Wen  Schiltberger  (cap.  XL  p.  114)  unter  dem  ..Koldigen 
Joseph"  verstanden  hcit,  in  dessen  Gesellschaft  er  Jerusalem 
zweimal  besucht  hatte,  lässt  Xeumann  sowohl  als  die  Ver- 
fasser der  Geschichten  des  osmanischen  Reichs  und  des  Kaiser- 
thums  Trapezunt  unerklärt.  Auch  Koehler,  der  strenge  Be- 
urtheiler  der  mit  Anmerkungen  dieser  drei  Gelelirten  ver- 
sehenen Ausgabe  des  Reisebuches,  der  es  sich  zur  Aufgnbe 
gemacht,  das  von  ihnen  versäumte  nachzuholen,  beschränkt 
sich,  nachdem  er  gesagt  das  Wort  ..koldigen"'  komme  in 
jener  Ausgabe  vor,  auf  die  hinzugefügte  Bemerkung:  ,,Auch 
die  beiden  Drucke  (dt-r  Frankfurter  vom  Jahr  1553  und  der 
Nürnberger  von  Berg  und  N-^uber)  haben  diess  mir  räthsel- 
hafte  Wort."  Vielleicht  hätte  Herr  Köhler  den  Schlü=sel 
dieses  Räthsels  gefunden ,  wenn  er  nur  vorausgesetzt  haben 
würde,  dase  der  gottesfürchtige  bayerische  Kriegsknecht  doch 
wohl,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  die  heiligen  Stätten 
nicht  anders  als  in  Begleitung  eines  Geistlichen  habe  be- 
treten wollen ,  denn  in  diesem  Falle  könnte  sein  Begleiter 
Joseph  ein  griechischer  Mönch  oder  y.aXoysooc  gewesen  sein, 
den  er  aus  demselben  Grunde  in  einen  koldigen  hätte  ver- 
wandeln können,  der  einen  Serben  veranlasst  haben  würde, 
ihn  kaludjer  zu  nennen,  und  dem  es  zuzuschreiben  ist,  dass 
unter  den  „Calori",  die  Frescobaldi  (Viaggio,  etc.,  Roma  1818 


236        Sitzung  der  pMlos.-philol.  Classe  vom  2.  Juli  1870. 

p.  118)  im  Kloster  auf  dem  Berg  Sinai  antraf,  griechische 
Mönche  verstanden  werden  müssen. 

f)  „Wenn  man  den  Namen  nicht  wüsste,  so  würde  man 
in  They  scLwerHch  Ghasi  erkennen"  —  ist  Alles  was  Neu- 
mann (p.  130  n.  213)  hinzuzufügen  für  nöthig  hielt  zu  dem, 
was  Schiltberger  im  LI  Capitel  über  eine  gegen  die  Christen 
besonders  feindselig  gesinnte  mahommedanische  Gesellschaft 
mittheilt. 

Dagegen  erlaube  ich  mir  zu  bemerken,  dass  die  Ghasi 
nichts  mit  der  Gesellschaft  zu  thtm  haben,  deren  Mitglieder 
Schiltberger  they  nennt.  Denn  da  er  unter  dieser  Gesell- 
schaft doch  nur  die  Sekte  des  Assassinen  verstanden  haben 
kann ,  so  erräth  man  leicht ,  dass  er  von  denjenigen  Mit- 
gliedern dieser  Sekte  spricht,  die  durch  die  Benennung  Dey 
(Werber)  bezeichnet  wurden,  Dass  er  sie  they  nennt,  kann 
ihm  schwerlich  zum  Vorwurf  gemacht  werden ,  da  seine 
Landsleute  lange  sich  darüber  stritten,  ob  sie  sich  Deutsche 
oder  Teutsche  nennen  sollen. 

üeberhaupt  muss  man  sich  hüten,  deshalb  einen 
Stein  auf  ihn  zu  werfen,  weil  er  sich  nicht  befleissigt  hat 
uns  die  geographischen  und  Eigen-Namen  in  einer  so  cur- 
rekten  Form  mitzutheilen,  dass  man  sie  ohne  Weiteres  er- 
kennen könnte.  Wenigstens  hat  er  in  dieser  Hinsicht  sich 
nicht  mehr  vorzuwerfen ,  als  andere  gleichzeitige  Schrift- 
steller, ja  sogar,  nicht  selten,  die  heutigen,  in  so  fern  es 
sich  um  die  Rechtschreibung   fremder   Eigennamen   handelt. 

So  z.  B.  darf  man  es  Schiltberger  nicht  übel  nehmen, 
dass  er  (cap.  XIII,  p.  72)  den  Fürsten  von  Arzendschan 
,,Tarathan"  nennt,  da  derselbe  Fürst  nicht  allein  bei  Clavijo 
(92 — 96)  den  Namen  Zaratan  führt ,  sondern  sogar  in  den 
Werken  unserer  Orientalisten ,  Weil  nicht  ausgenommen, 
unter  dem  ebenso  wenig  richtigen  Namen  ,,Taherten"  auf- 
geführt wird,   während   man,   wie   aus   dem  Reisebuch  des 


Thomas:  Bmun  zu  Schiltberger.  237 

türkischen  Touristen  Evlija  Efendi  (Narrative  of  travels, 
transl.  bj  Hammer,  II,  202)  zu  ersehen,  ihm  seinen  Namen 
Zahir-ud-din  hätte  lassen  sollen. 


Berichtignng. 

Auf  Seite  450  des  vorausgehenden  Bandes  ist  Linie  7 
von  unten  folgendermassen  zu  verbessern: 

„dennoch  betrüge  die  Entfernung  zwischen  dem 
Chopi  und  dem  Vorgebirge  Isgour . . .  nicht  mehr  als 
400  Stadien;  zwischen  jenem  Fluss  dagegen  und  dem 
alten  Suchum"  u.  s.  w. 


Herr  Christ  sprach  über 

,,die  Harmonik  des  Bryennios." 


Herr  M.  J.  Müller  gibt 

„einige  Bemerkungen  über  aus  dem  Arabischen 
herübergenommene  spanische  Wörter." 


[1870.  n.  2.]  16 


238  Sitzung  der  histor.  Gasse  vom  2.  Juli  1870. 

Herr   Lauth    übergibt  den   dritten   und   vierten   Theil 
seiner  Abhandlung  über 

„den  Papyrus  Prisse." 

Dieselbe  wird   als  besondere  Beilage   diesem  Hefte  der 
Sitzungsberichte  beigegeben. 


Historische  Classe. 

Sitzung   vom    2.  Juli    1870. 


Herr  Riehl  hielt  einen  Vortrag: 

„üeber   die  Entstehung   einer  Volkssage   von 
König  Konrad  I." 


Neuicahlen.  239 


Neuwahlen  der  Akademie. 


Die  in  der  allgemeinen  Silzung  vom  28.  Juni  vorge- 
nommene Wahl  neuer  Mitglieder  erhielten  die  Allerhöchste 
Bestätigung  und  zwar: 

A.   Als  ordentliche  Mitglieder: 
Der  mathematisch-physikalischen  Classe: 

1)  Dr.  Bauernfeind  Karl  Maximilian,  Director  des  hiesigen 
Polytechnikums, 

2)  Dr.  Hesse  Otto,  Professor  am  hiesigen  Polytechnikum, 

3)  Dr.  Vogel  August,  ordentl.  Professor  an  der  k.  Uni- 
versität München, 

4)  Dr.  Voit   Karl,    ordentl.   Professor   an    der  hiesigen 
Hochschule. 

B.    Als  ausserordentliche  Mitglieder: 

a.   Der  mathematisch-physikalischen  Classe: 

Dr.  Erlenmeyer  Emil,  Professor  am  hiesigen  Polytech- 
nikum. 

b.    Der  historischen  Classe: 

Dr.   Ritter   Moriz,    Privatdozent   an   der   Universität 
München. 


240  Neuwahlen. 

C.    Als  auswärtige  Mitglieder: 
a.    Der  philosoph. -philologischen  Classe: 

1)  Dr.  Heerwagen  Heinrich,  Rector  des  Gymnasiums  zu 
Nürnberg, 

2)  Dr.  Pott  August  Friedrich,  Professor  in  Halle. 

b.    Der  mathematisch-physikalischen  Classe: 

1)  Dr.  Gegenbauer  Karl  Professor  in  Jena. 

2)  Dr.  Helmholtz  Hermann,  Professor  in  Heidelberg. 

D.    Als  correspondirende  Mitglieder: 
a.    Der  mathematisch-physikalischen  Classe: 

1)  Dr.  Baeyer  Adolph,  Professor  in  Berlin, 

2)  Dr.  Haeckel  Ernst,  Professor  in  Jena, 

3)  Dr.  Hlasiwetz,    Professor    der    allgemeinen    Chemie 
am  polytechnischen  Institut  in  Wien, 

4)  Dr.  Lucae  Job.  Christian  Gustav,  Professor  in  Frank- 
furt a/M., 

5)  Dr.  vom  Rath  Gerhard,  Professor  in  Bonn, 

6)  Rohlfs  Gerhard  in  Bremen, 

7)  Dr.  Rutimeyer  Ludwig,  Professor  in  Basel, 

8)  Dr.  Sandberger  Fridolin,  ordentl.  Professor  in  Würz- 
burg, 

9)  Dr.  Tschermak  Gustav,  Director  des  k.  k.  Hofmineralien- 
kabinets  und  Professor  in  Wien. 

b.    Der  historischen  Classe: 

1)  Dr.  Dudik  Beda,    aus   dem  Benediktinerstift  Raygern 
in  Mähren,  z.  Z.  in  Wien, 

2)  Dr.  von  Lübke  Wilhelm,  Professor  am  Polytechnikum 
und  an  der  Kunstschule  in  Stuttgart, 

3)  Spach  Ludwig,    Präfectur-Archivar    des   Niederrheins 
in  Strassburg. 


Der  Prinz  Ptahhotep  über  das  Alter  (de  senectute). 


Von 

Dr.  Lanth. 


(Papyrus  Prisse.     III,  Theil.) 

Nach  den  zwei  vorausgegangenen  Abhandlungen  bedarf 
es  hier  nur  einer  kurzen  Einleitung.  Wir  haben  als  Ver- 
fasser des  ersten  Theiles  einen  pharaonischen  Beamten  Namens 
Kadjimna  getroffen;  der  zweite  leider!  wieder  getilgte 
Text  stammte  von  König  Cheops;  der  vorliegende  dritte 
Theil  eignet  dem  Prinzen  Ptahhotep,  wie  sofort  erhellt. 


Erstes   Kapitel. 
Pag.  IV. 

sehait  nt  Mur-nu-äjet  Ftalihotep 

instructio  praefecti  urbis  et  orbis  Ptahhotep 


lin. 


clier  hon-n-suten-cJieb  Assa  anch  djet  rnlieh 

sub   majestate   regis    Assa    perpetuo   viventis    usque 
ad  aeternum. 

[1870.11.  Beilage.Jj  A. 


Alle  diese  Ausdrücke  sind  früher  schon  erläutert  mit 
Ausnahme  des  letzten  Wortes  rnheh,  welches  dem  kopt.  eneh 
aeternitates  entspricht.  Dass  ,,viventis"  in  ,,qui  vivat"  auf- 
zulösen ist,  wie  der  analoge  Ausdruck  ■¥•  |  I  die  vyCsia  wünscht 
(Diod. :  Sovvai  rrjv  vyisiav  rv}  ßaGiXsi) .  habe  ich  schon 
anderwärts  dargethan.  Für  den  Königsnamen  Assa  bietet 
die  Ahueukammer  von  Karnak  die  Variante  (  ui  mM  Ases^ 
wonach  eine  Reduphcation  des  Stammes  as  vorzuliegen  scheint. 
Ein  zweiter  Name  desselben  Königs  lautet  auf  der  Sethos- 
tafel   rouUj    Tat-ke-1-a,   dessen    u    im  Schilde   der  Tafel 

von  Saqqarah  irrthümlich  durch  f)  ma  vertreten  wird.  Für 
die  Zusammengehörigkeit  der  beiden  Namen  ist  die  Gleich- 
heit der  Pyramide  I^^f  ^.  §^1  pulchra  (sculpturis)  be- 
weisend. Aus  Tat-ke-ra  ist  Manetho's  TavxeQr]g  an  der 
vorletzten  Stelle  der  V.  Dyuastif  graecisirt ,  das  sonach  aus 
TaTxsQrjg  verschrieben  erscheint.  Im  Turiner  Papyrus  figurirt 
dieser  König   mit  der    abgekürzten  Legende    (  U^  1   Tau  — 

eine  für  meinen  Zweck  um  so  willkommnere  Variante ,  als 
in   dem  Papyrus    des  Herrn  Lepsius ,    der  leider  noch  nicht 

veröffentlicht  ist,  eine  Prinzessin  des  Namens   H  uS  Taut  die 

Hauptperson  zu  sein  scheint.     Ueber  den  dem  Könige  Tat- 

kera    gleichzeitigen    Verfasser    Ptahhotep    werde   ich    am 

Schlüsse  Mehreres  sagen. 


Mur-nu-djet  Ptahhotep   djed-f      Honhen 

praefectus  urbis  et  orbis  Ptahhotep  dicit:  Osiris 


•()^^|^ra^^(^)7. 


neh-a     dhena     cheper  aau  hau 

domine  ini  magae,  fieri  senem  (est)  malum  (sinistrum) 

Der  durch  das  doppelte  Krokodil  bezeichnete  Gott  ist 
sicher  Osiris ,  da  das  Todtenbuch  cap.  142  unter  seineu  100 
Namen  col.  16  b  gerade  dieseu  aufführt,  der  c.  145,  27  unter 
der  Form  x  vi  f^'S^ss-  hanti  oder  honlien  (kopt.  jubere) 
wiederkehrt.  Weiterhin  IV  4  wird  er  als  Urdhet  =  jvqo- 
aijvTjgi    V,  4  wird  er  bloss     |l    =   ..dieser  Gott"  xßz:' £^o/?;'i', 

VI,  5  aber  ausdrücklich  rj  ^  Osiris  genannt.  Das  Wort 
dhena^  entspricht  dem  tona  valde  und  steckt  wahrscheinlich 
auch    in    dem    bisher   unerklärten  Elxxwv^)    =   nqöiJTov  jid- 

Yei\ua.  wozu  als  erster  Bestandtheil  xU^^^  JicJ:a  =  hago 
magus,  hik  raagia,  gehört.  Die  Gruppe  hau  (cf.  hou  malus) 
entbehrt  hier  fehlerhafter  Weise  des  Deutbildes  ^^,  wel- 
ches sonst  nicht  vermisst  wird,  z.  B.  auf  dem  Sitzbilde  des 
Bokenchons  in  München:  ,. indem  ich  reichte  meine  Hand 
~^rD  ^^    ^^'   den  Unglücklichen".     Man    bemerke    auch 

das  Wortspiel  zwischen  aau,  hau,  aliu,  mau  —  das  sich  nur 
unvollkommen  nachbilden  lässt. 

lin.  3.      ^'^^'^^^(li^'^f->^^-^ 
u    qesqes     u       ahu  hi    mau 

extremum,   maledictio  extrema,  puerascere  denuo.^) 


1)  Jamblich,  de  myst.  YIII  3  p.  158  Gale. 

2)  Cf.  Shakespeare :  As  jou  like  it  II  7 :  ,,Last  scene  of  all 

A* 


Dass  das  Determinativ  der  schreitenden  Beine  am  Ende 
von  Zeile  2  nicht  zu  liau,  sondern  zu  dem  u  der  lin.  3  ge- 
hört, wird  bewiesen  durch  das  u  nach  qesqes.  Am  Schlüsse 
von  pag.  II  ist  uns  der  Stamm  u  (216  finis)  als  verbales  Sub- 
stantiv begegnet;  hier  steht  er  als  Adjectiv  im  Sinne  von 
,, äusserst".  Als  Verbum  bildet  er  gewöhnlich  einen  Gegen- 
satz zu  i  ire,  venire;  i-m-liotep  „komme  im  Frieden!"  — 
u-m-hotep  ,,zieh'  hin  im  Frieden!";  exitus  und  finis  sind  sy- 
nonym. Cicero  sagt  ähnlich  ,,de  finibus  bonorum  et  malorum", 
um  das  höchste  Gute  und  das  äusserste  Schlechte  zu  bezeich- 
nen. Sein  Buch  de  senectute  bietet  überhaupt  manche  Pa- 
rallelen zu  unserm  Texte,  die  ich  dem  Leser  zu  ziehen 
überlasse.  —  Das  qesqes,  kopt.  Jcaskes  maledicere,  muss 
hier  natürlich  Substantiv  sein,  weil  es  das  Adjectiv  ti  hinter 
sich  hat.  Die  Misskennung  dieses  u  hat  bisher  die  Einsicht 
in  manche  Stellen  unseres  und  manchen  anderen  Textes 
verhindert.  —  Von  ahu  kommt  das  mit  dem  ableitenden  i 
versehene  aJi(n)i^  welches  im  Todt.  c.  125  demotisch  durch 
chel  infans,  puer  übersetzt  wird.  —  hi-mau  ist  ist  eine  ad- 
verbielle  Bildung  mittels  der  Praeposition  /w,  wie  denuo  aus 
de  novo  (de  integro).  Die  Wurzel  mau  habe  ich  zuerst  mit 
dem  baschmurischen  mimi  renovare  verglichen. 


•^ 


seäjor    nef    cheder    ra   nih;   iri-ti    nedjesu 
cubare  ei  vexatio  quotidie;    oculi  deficiunt 

Das  Verbum  sedjer  vergleicht  Brugsch  lex.  p.  1348  pas- 
send mit  dem  kopt.  sdito  cubare;  nicht  ganz  genügt  die  Er- 


Js  second   cHldisliness  and  mere  oblivion;    Sans  teeth,    sans  eyes, 
Sans  taste,  sans  every  thing." 


klärung  des  H.  Chabas'):  le  papyrus  Prisse,  le  document  le 
plus  ancien  qui  existe,  cite  la  decrepitude  qui  couche,  qui 
alite.  Ich  halte  dafür,  dass  der  volle  Stamm  in  dem  (ro- 
fxog)  ^e^Qottrjg  erhalten  ist;  denn  die  Lage  des  XIX  unter- 
ägyptischen Gaues  mit  den  Städten  Pasupd  (Pisubtu  der 
Keilschrifttexte),  Gesem  ((Feaefi  =  ]Vj^)  und  Pakruru  = 
WayqwQdänoXig  entspricht  dem  ^e^Qoitrig,  der  nichts  mit 
dem  Gotte  Seth  zu  schaffen  hat,  um  so  passender,  als  er 
best:iniig  durch  das  Lager  'J^  (sedjer)  bezeichnet  wird, 
auf  welchem  der  Sperber  ruht.  —  Ueber  clieder  =  chiti 
vexare  habe  ich  zu  I  11  gehandelt.  Hier  bildet  es  mit 
seiner  ein  Wortspiel,  ra  (sol  cf.  lux)  für  hru  dies  sehr  häufig. 
iri  =  igt  =  ocf^alfxog  erwähnt  Plutarch ;  im  kopt.  medj-ere 
supercilia,  wörtlich  ,,circum-oculus"  steckt  es  verborgen; 
nedjesu  scheint  in  netjö  turpis  deformis  erhalten  zu  sein. 

anch-ti    ameru        peh-ti      In    aq       an 
aures  hebent,  fortitudo  (est)  in  pereundo;  non. 


urd     —     het  ro  ger(u)  an  djedu  nef 

0  miticors,  es  pronunciat,  non  (est)  verbum  ei. 

Das  Ohrenpaar  ist  durch  anch-ti  ausgedrückt,  welches 
Wort  ich  im  Bokenchons  mit  onch  sepimentum  (cf.  eqxog  666v- 
Tcog)  zusammengestellt  habe.  —  ameru  hält  Brugsch  für  die 


3)  Deux  papyrus . . .  par  Lieblein  p.  30.  Die  sonstigen  Ueber- 
setzungen  des  H.  Chabas  werde  ich  am  Schlüsse  als  Anmerkungen 
zu  meiner  deutschen  versio  princeps  geben. 


6 

achte  Form  von  mer  ,, binden"  und  übersetzt  demgemäss 
,,die  Ohren  sind  wie  zugebunden".  Ich  denke  eher  an 
tnbo  surdus  ,  afißXvc  und  dfiavQog.  Dem  peh-ti  dürfte  amahte 
robur  fortitudo  —  dem  aq  das  kopt.  aJco  perditio ,  dem 
urd-het  (oder  vielleicht  nrd-ah  zu  lesen?)  das  Verbum  roteh 
decumbere  entsprechen,  lieber  den  letzten  Passus  habe  ich 
oben  zu  I  1  genug  gesagt.  Es  muss  die  Negation  an  zu 
ro  ger  gezogen  werden  und  da  kopt.  at-röf  =  mutus ,  so 
könnte  man  auch  hier  zunächst  an  eine  Verbindung  der  da- 
mit identischen  Wörter  an-ro  denken.  Allein  dann  erhielten 
wir  den  AVidersinn  ..der  at-rof^)  (mutus.  eigentlich  „unmün- 
dige") spricht",  während  der  Zusammenhang  erheischt  ,, nicht, 
0  Mildherziger,  ist  der  Mund  sprechend". 


Pag.  V. 


eilti"^ 


het  temu  an  secka  —  nef    saf     qas  men- 

cor  obduratur,  non  reminiscitur  heri;  ossa  laborant 

f  n-debuu 
vicissim. 

Aus  dem  Koptischen  sind  zu  vergleichen:  töm  n  liet 
obduratio  cordis;  sa/heri;  Z;a5  0s;  w?^me  corrumpere,  vitiare; 
todbe  retribuere  und  ethe  propter.  In  der  Inschrift  des 
Schiffsobersteu  Aahmes  (cf.  de  Rouge)  ist  r  debu-f  vicissim 
cum  eo   richtig   übertragen.     Was   secha   betrifft,    so  ist  es 


4)  VergL  über  dieses  Wort  Quatremere's  Einleitung. 


zwar  kopt,  nur  in  sach  littera,    scribere  überliefert,    aber  in 
der  Tanitica  (lin.  8)  durch  ev^ixovfxs'voov  (lin.  14)  gegeben. 

hu-7iefer        cheper      m        bu-ban  dept 

bona  fiunt  (in)  mala ;  gustus 


nibt      schemet 
omnis  abit. 

Man  vergleiche  met-iiofri  bona ;  schöpi  existere  fieri ; 
bon  malus;  teipe  gustus,  welches  zu  debii  ein  Wortspiel 
liefert;  sehe  abire  und  was  ich  oben  zu  I  6  über  hu-nt  = 
me(n)t  angeführt  habe. 


art  aau  uä-n        redhu     ban        m 

facit  senectus  unum  ex  hominibus  miserum  in 

chetii      nibt. 
re(-spectu)  omni. 

Keiner   dieser  Ausdrücke   bedarf  mehr   der   Erörterung 
bis  auf  ua-n,  von  dem  ich  zu  lin.  3  alsbald  sprechen  werde. 


5)  Brugsch  lex.  p.  1713   setzt  ungenau   ^ 

6)  Es  steht  fälschlich  . 


fend      tiem  an  sesen-nef  n  tennu       ha     hems(t) 

nasus  constrictus  (est),  nulla  respiratio  eis  oneri 
:stare  (et)  sedere. 

Statt  fend  bietet  das  kopt.  schanfe,  eine  andere  Lautirung 
des  iy,  wie  ich  zuerst  im  Bolienchons  gezeigt  habe.  Das 
dazu  gehörige  Adjectiv  anlangend,  so  transscribirt  es  Brugsch 
p.  1626  mit  teb;  allein  ein  Blick  auf  das  überstehende  teh 
überzeugt  sofort  von  der  Unmöglichkeit  dieser  Transscription. 
Näher  steht  das  Determinativ  von  äper  (lin.  9),  aber  es  ist 
unten  nicht  geschlossen.  Dasselbe  gilt  vom  Deutbilde  zu 
Jianf^)  (VI  7,  XII  2).  Ich  denke  desshalb  an  nem,  welches 
conjungere  bedeutet  und  bekanntlich  zu  men  et,  cum  gewor- 
den ist  —  men  constringi  genügt  vollständig  für  unsere 
Stelle.  —  tennu  ist  im  kopt.  tano  molestus  erhalten ;  über 
,, stehen"  und  „sitzen"  vergl.  oben  zu  II  7. 

aut      n      hell        am 

(haec  est)  conditio  in  qua  decrepitus  (versatur). 

Die  Kürze  dieser  zusammenfassenden  Phrase  war  Schuld, 
dass  man  bisher  ihren  Sinn  nicht  erkannte.  Und  doch 
bieten  auch  andere  Sprachen  viele  Beispiele  solcher  Kürze.— 
aut  im  Sinne  von  ,, Stand,  Rang,  Würde"  ist  häufig,  und 
auch  im  kopt.  auet  ordo  bewahrt;  —  Tceli  ist  das  Simplex 
von  liehJcoh   und   bedeutet  fr  actus  (membra)    wie  z.  B.  iu 


7)  Wäre  jedoch  dieses  richtig,  so  Hesse  es  sich  mit  hans  angustus 
im  Pap.  Butler  vergleichen  (Chabas :  Melanges  II  Artikel  v.  Goodwin). 


Jceh-Jcees  frangere  ossa.     Vergl.  meinen  Bokenchons  p.  17.— 
Wegen  am  siehe  oben  zu  I  5. 

Bis  hieher  war  es  auch  meinem  Vorgänger  leidlich  ge- 
lungen ,  den  Text  zu  verstehen ,  so  ferne  es  sich  um  das 
Allgemeine :  die  Mühseligkeiten  des  Greisenalters ,  handelt. 
Die  grösseren  Schwierigkeiten,  an  denen  bisher  die  Analyse 
scheiterte,  beginnen  mit  liu.  3. 


lin.  3. 


art  sen-n  aau  ach 
faci(a)t  consenex  quid? 

Schon  im  Jahre  1864  habe  ich  zu  Paris  mehreren  Aegjp- 
tologen  meine  Ansicht  mitgetlieilt,  dass  die  Stelle  des  Todten- 

buches  cap.  100,  3  (78,  39)    :^^:iSjjgJüS^Sf^    zu 

übersetzen  ist :  egi  (partes)  fratrem  Isidis,  sororiuni  Nephthyis 
d.  h.  dass  man  hier  Zahlsymbolismen  vor  sich  hat,  wie 
ich  sie  in  meiner  Abhandlung  über  den  ägyptischen  Ursprung 
unsrer  Buchstaben  und  Ziffern^)  nachgewiesen  habe.  Da  sm 
kopt.  snau  und  senti  duo,  son  (san)  frater  bedeutet,  so  be- 
greift sich  dieser  Symbolismus  leicht ,  der  auch  zum  Theile 
in  I  =  ua  (unus)  liegt .  obgleich  hier  nur  das  Zahlzeichen 
für  das  Zahlwort  steht,  wie  H.  Goodwin  nachträglich^)  eben- 
falls entdeckt  hat.  Der  ,, zweite"  oder  ., Bruder"  des  Greises 
ist  aber  der  Mitgreis,  consenex,  Ovvyeqiov.  Offenbar  ist 
mit  diesem  consenex  der  Verfasser  Ptahhotep  selbst  gemeint, 
da  er  XIX  7  von  sich  aussagt:  ..Ich  habe  erreicht  (errungen) 
110  Lebensjahre".  Das  Fragewort  «c7i,  ascA(o)  quid  ist  post- 
ponirt. 


8)  Sitzungsberichte  1367  I.Juni,  p.  118. 

9)  Zeitschr.  für  aegypt.  Spr.  1868. 
[1870.  IL  Beilage.] 


10 


cljed  -  a  -  nef  djeäu  sofemiu  secheru 

dicamne  ei  verbum  audientium  consilia 


I    I    1^ 

-^  I 


amu  ha't 
majorum  ? 

Dass  ich  Recht  habe ,  diesen  Passus  ebenfalls  interro- 
gativ zu  fassen,  beweisst  die  Antwort  des  Gottes  (Osiris)  in 
der  nächsten  Zeile.  —  Das  Wort  secheru  scheint  in  soc'tii  con- 
silium  bewahrt;  seine  Bedeutung  ,,Plan ,  Verhältniss,  ratio 
consuetudo  etc.  ist  allseitig  erhärtet.  Es  könnten  auch  die 
,, Urkunden"  der  Vorfahren  selbst  darunter  zu  verstehen  sein, 
da  die  Piosettaua  und  die  Tanitica  dafür  xQr}.iaTianoC 
setzen.  —  Was  amu-ha't  betrifft,  so  wird  es  lin.  5  durch 
eher  ha't  ersetzt ;  kopt.  nachklingend  in  dem  präpositio- 
nellen  hm  in,  ab,  ex  —  ha't  in  he  initium;  ,,die  im  Anfange" 
sind  die  ,,Vorvorderu,  die  Ahnen   =   majores". 

pau  -  u  sem  n  nuteru  ach 

(illa)  eorum  notitia  de  diis  qualis  (sit)? 

Ueber  das  possessivum  pauu  vergl.  oben  zu  II  5.  — 
Das  Wort  sem  klingt  noch  nach  in  sme  rumores;  ach  im 
Sinne  von  qualis,  quantus  sehr  häufig. 

art-neli  mati  der -tu       chennu  -  u        m 

fac-tu  exemplum    delendi   infirmitates   in 


11 

w 


rechit  -  u  Jceh  -  nek        huhui 

hominibus,  para-tu  auxiliuml 


Die  kopt.  Wurzeln  ari  fac,  tör  infigi,  terfor  fixus ,  (re 
dimiltere,  djcr  delere  (Sr^Xew) .  schöne  morbus,  infirmitas, 
laschie  adbpirantes  (eine  der  4  Menschenklassen) ,  kehJcoh 
parare,  heu  utilitas  lucrum  commodum  —  genügen  zur  Er- 
klärung; auch  lür  tnafi  kann  das  durch  das  causative  s  ge- 
bildete smote  similis  beigezogen  werden.  Die  Construction 
anlangend,  so  sind  die  beiden  Verba  mit  n  d.  h.  dem  Dativus 
ethicus  construirt,  um  eine  Art  Medium  zu  bilden. 

djed  an  hon  n  nuter  pen  seba-nek  su 
Dicitur  a  majestate  dei  hujus :    doce-tu  illum 


lin.  5. 


r    djedt      eher  hä't 
(ad)  verbum  antiquitatis 


Das  allgemeine  Pronomen  der  dritten  Person:  su  hat 
sich  als  Ol'ject  an  vielen  kopt.  Verbis  in  der  Form  s  erhalten 
z.  B.  a-dji-s  o  die  illud!  —  seha  vergl.  tuit  sbo  oßcS  doc- 
trina ,  rcaiSsia.  Die  Construction  des  medialen  seha-neh  su 
mit  r  kehrt  lin.  7  wieder  in  der  Verbindung:  ,, lehre  du 
den  Unwissenden  zum  Wissen !"  Endlich  steckt  eher  in 
e-chrei  in,  ad. 

B* 


12 


ach     ari  -fba-u      n    mestt  -  u  saru  -  u 

ab!  fac  eum  pretiosum  apud  liberos  principum 

-9        ZI 


^-^Wk-^1]^ 


I    — " 

äg  sotem    amf  mati     het    nib 

qui  intrant  (et)  audiunt  ex  eo;   obsequens  (est)  cor 
omue; 

djet  -  lief  an  mesi        sau 

dictum  ab  eo  non  gignens  satietatem. 

Man  vergl.  bai  praemium;  siur  eunuclius  lii;  princeps; 
ök  (u  het)")  intrare  cor  =  complacere;  sei  satietas;  djed-nef 
yeyqantaC  fioi  (statt  v/r'  ifiov) ;  scribendum  mihi  (statt  a 
me)  est. 

Zweites   Kapitel. 

Nachdem  der  Verfasser  Ptabhotep  gezeigt  hat,  dass  der 
Greis  sich  durch  Unterweisung  der  Jugend  nützUch  und  werth- 
voll  erweisen  könne,  fährt  er  fort: 


10)  Am  Schlüsse  der  Briefe   steht  ach  (rech-su)  exhortativ,   wie 
hier.     In  Bezug  auf  ari  ba(t)  vergl.  den  Schluss  dieser  Abhandlung. 

11)  Brugsch  lex.  p.22-i  vergleicht  das  stammverwandte     ^        y 
äc[-het:  allein  dieses  entspricht  dem  uc'o-s  dimidium. 


13 

— am— _£"'  '  '  1    ^  ^W  -^^^ 

lid  -  m  -  tesu  -  tc    n    djedt         nefert  djedt  n 
Initium  sententiarum  verbi  boni :  dictum  a 


(soweit 
die 


Brugsch  übersetzt  lex.  p.  1600:  „Anfang  der  Aussprüche 
(djoos  effatum)  guten  Inhaltes."  üeber  letzteren  Ausdruck 
vergl.  oben  zu  1 6  das  kopt.  Praefix  djiu. 


re2jät      M  neter-atef  neter-meri  suten-si 
Repa-ha  patre  divino  ■d-sog^iXP/g),  regis  fiiio. 

Ueber  die  drei  ersten  Titel  liabe  ich  im  Bokenchous 
das  Nöthige  beigebracht;  ^eo(fi).r^g  ist  oben  zu  Kadjimna 
beigezogeu  worden.  Ueber  die  Reihenfolge  beim  Lesen  z.  B. 
si  suten,  wo  das  Wort  ,, König"  nur  aus  Deferenz  voran- 
gestellt -wird,  vergl,  meinen  Aufsatz  in  der  Ztschr.  f.  äg.  Sp. 
1866  p.  26. 


© 


<^Q  __w_ 


ner  n    chet-f  mur-nn-djet    PtaMotep 
praecipuo  ex  stirpe  ejus:  Mur-nu-djet  Ptalihotep. 

Bloss  über  die  Lautirung  des  ersten  (figurativen)  Zei- 
chens besteht  ein  Zweifel,  ob  man  es  nämlich  statt  mit  Ker, 
nicht  vielmehr  mit  te})    oder  sefus  transscribiren  solle ,    weil 

diese  letzteren  gerade  in  dieser  Verbindung  als    gjf    =    tej}, 

sowie  als     1^\^   '    =  sems  phonetisch  vorkomuien.  Was  ich 
mit  stirps  übersetze,  bedeutet  eigentlich  venter  cMt. 


u 


k*^^®k^^ 


.=i=f=®  o 


m   seba  chemu   —    u    r    rech    r    tep-hesb  n 

in  doctrinam  ignorantium  ad  scientiam,  ad  justain 


djedt    nefert,   m     achut  n 
Duensuram  vcrbi  boni,  in  benedictionem 

lin.  8.     ^|^.S^|^^l!^i«^^ß^>^p- 
sotetn-ti-f,  m  qesqest   nnti    r    teha  —  st 

audituiorum  id,  in  maledictionem  eorum  qui  trans- 
gressuri  sunt  id. 

Von  den  bisher  noch  nicht  erläuterten  Ausdrücken  er- 
fordert tep-Jiesp  eine  Besprechung.  Brugsch  lex.  257,  4  citirt 
aus  den  Rhindpapyii  eine  Stelle,  wo  das  hieratische  tep-hebs 
demotisch  durch  hesh-ap  (cf.  2U'n  computativ,  epe  aps  nu- 
merus) übersetzt  wird.  Zu  dem  grossen  Ohre  des  Sonnen- 
gottes*^) wird  bemerkt :  „es  hört  alle  Dinge  ■<2::^(<=>?  ^x^  i^C3 
in  der  ganzen  Welt."  Also  scheint  r  fep  liesh  wörtlich  „bis 
zum  Klappen  (cf.  unser  Topp!)  der  Rechnung  d.  h.  sehr 
genau'"'  zu  bedeuten.  Weiterhin  VIII  5  wird  uns  r  tep 
hesb  in  vollerer  Schreibung  begegnen.  Ueber  teha  cf.  oben 
zu  I  3.  —  Parallelen  zu  „Segen  und  Fluch"  bietet  auch 
die  hl.  Schrift. 


12)   Dümichen:  Resultate  XLV,  c. 


15 


o  t.    ^ 


Ol  $1  o 


djed  an-f  eher  si-f      m      aa  het-Jc    hi  rech-h 

Dicitur  ab  eo  ad  filium  suum :     ne  superbias  corde 
super  scientia  tua! 


>^^w^^  a/na'v^ 


nefnef roJi  hna     chem  ma  rech 

consultato  (tibi)        cum  nesciente  sicut  (cum)  sciente. 

Hier  erheischt  nur  nefnef  eine  Erklärung.  Ich  ver- 
gleiche damit  Jithe  verbum,  hthre  consilium  opinio,  letzteres 
mit  Hinzufügung  des  ^  her,  welches  häufig  dabei  steht.    In 

^^•^   mit  ßovXsviai  übersetzt,     üeber 
III 

ma  vergl.  oben  lin.  4  mafi.  Die  Beigebe  der  Person  '^ 
hinter  chem  und  rech  kann  sich  hier  nicht  auf  den  Verfasser, 
sondern  muss  sich  auf  den  per&önÜchen  Begriff  überhaupt 
beziehen. 

Wir  müssen  jetzt  den  Grund  erfahren,  warum  der  Sohn 
sowohl  mit  dem  Unwissenden  wie  mit  dem  Wissenden  sich 
berathen  soll. 

an    anfu  fern         äht  an  ähuu  (ämu) 

non  clausus  (est)  carcer  artis ,   non  (est)  artitex 
(praeditus) 


13)  Das  Sylbenzeichen  für  ahn  und  dmu  ist  in  dieser  Zeile  Ter- 
schieden  geformt;  weiterhin  belehren  uns  Beispiele,  dass  nur  hier 
das  erste  Mal  abt  zu  lautiren  ist. 


1-6 

ö'  '^®"^'  '  ' 
aper         achii  —  w  —  f 
perfectus  decoribus  suis. 

Die  Bedeutung  .,schliessen"  (eine  Thüre,  Schranke)  für 
das  Verbum  an  (kopt.  en  ducere)  ergibt  sich  aus  dem  Gegen- 
satze zu  l^-^-mmiir  auf  der  Pianchi- Stele  lin,  104.  So  wie 
sesh  ,, ausbreiten,  öffnen"  bedeutet,  muss  an  derselben  Zeile 
mit  dem   nämlichen  Object    ||   die  Schliessung"  der  Thüre 

bezeichnen.  —  lieber  am  abt  abtm  gibt  das  kopt.  ieb  ars, 
eime  scii'e ,  amsche  artifex  genügende  Auskunft.  Wegen 
aper  , .geschmückt"  vergl.  meinen  Aufsatz  ,,Achiver  in  Äegyp- 
ten",*^)  wo  unter  den  erbeuteten  Gegenständen  auch  der 
Schmuck  (aper)  eines  Weibes  aufgeführt  ist.  Endlich  ist 
acliu,  das  auch  cliu  gelesen  wird,  dem  kopt.  schu  dignus 
schon  in  meinem  Bokenchons  verglichen,  wobei  zu  bedenken 
ist,  dass  dignus  selbst  auf  decet  zurückweist  (daher  aliquä 
re  (decorandus). 

Wir  haben  im  Ganzen  eine  Sentenz  vor  uns:  ,,ars  longa 
vita  brevis;  nemo  magister  de  coelo  cecidit"  —  kein  Meister 
ist  vollkommen.  ^^) 

degu^^)    djet        nefer      r       uat    au     djenit  —  s 
aestima    verbum    bonum    pluris    quam    smaragdum, 


14)  Sitzungsberichte  1867   p.  529,  2  v  unten.     Vergl.  Zeitschr.  d. 
DMC  1867  p.659  n^^y- 

■r'r 

15)  Cf.  Lepsius:   Aelteste  Texte  etc.  pl.  14,  55:    an  (äjper-s  7» 
achu-u-s  —  ,,non  (est)  praedita  decoribus  suis." 

16)  u  in  degu  scheint  ein  Fehler  statt  des  formähnlichen  hiera- 
tischen a,  da  im  Allgemeinen  nur  dega  vorkommt. 


•      17 

m-a  hont-u  Jii  benmu't  -  u 

qui  invenitur  in  brachio  servarum  super  gemmis. 


Das  erste  Wort  äegu  ist  von  Biugsch  lex.  p.  17G1  pas- 
send mit  tog'  affigere  zusammengestellt  wor.len ;  ich  glaube 
den  ungequetschten  und  nur  mit  dem  objectiven  s  vermehr- 
ten Staaim  in  tolc-s  fixus  wiederzuerkennen,  wie  wir  ja  auch 
,,fixiren"  statt  , .scharf  anblicken"  gebrauchen.  Aus  diesem 
Begrifie  ergibt  sich  dann  leicht  die  abgeleitete  Bedeutung 
aestimare.  Der  grüne  Stein  {iwf  viridis)  ist  wohl  eher  der 
Smaragd  als  der  Serpentin,  ^^)  weil  von  Edelsteinen  die  Rede 
ist,  die  weiterhin  unter  der  Form  hmenu-t-u  hnöni  gemmae 
genannt  sind.  Der  Grund,  wesshalb  ich  mich  in  diesem  Satz 
von  der  Uebersetzung  des  H.  Chabas  so  weit  entferne  —  er 
hat  nämlich :  ,,la  bonne  parole  luit  plus  que  l'emeraude  que 
la  main  des  esclaves  trouve  sur  des  cailloux"  —  hegt  in  dem 
Zusammenhange  des  Textes,  welcher  auch  wegen  des  Deut- 
bildes ^    die  Bedeutung    ,.luire"    nicht  zuLässt;     ausserdem 

aus  Rücksicht  auf  einen  ganz  ähnlichen  Text  im  Pap.  Ley- 
dens.  1340.^^)  Da  heisst  es  VIII,  5:  ,,Eine  Unbeschurzte 
wird  zur  Herrin  einer  Tracht  (Kleiderrechen,  Garderobe); 
eine,  die  ihr  Gesicht  im  Wasser  betrachtete,  wird  zur  Herrin 
(Besitzerin)  eines  Spiegels."  An  einer  andern  Stelle  III  2/3 
wird  gesagt:     ,,Gold,  Lapis  lazuH,  Silber,  Mafka.  Hamagat, 


17)  Im  pap  gnost.  zu  Leyden  XII.  IV  wird  ein  gelbgrüner  Stein 
unter  dem  Xamen  Karaina  (•(ow^cc  y.ukulvov  cf.  Hesych.  y.a't.uuoi) 
erwähnt.  Für  lapis  virens  gibt  Parthey  auch  das  kopt.  dokadion 
oder  docation  (?). 

18)  Ich  gedenke  diesen  ganzen  Text  zugleich  mit  der  politischen 
Unterweisung  des  Amenemha  I  analysirt  herauszugeben. 

[1870.  II.  Beilage.]  C 


18 

Hasmen  und  Federn  . .  .  begegnet  man  am  Halse  von  Skla- 
vinen ,  (aber)  die  vornehmen  Frauen  durch  das  Land  hin, 
die  Hauslierrinen  sind  im  Sagen:  ,,0  hätten  wir  doch  zu 
essen  für  uns!'"  Daraus  geht  hervor,  dass  die  Sklavinen 
bisweilen  grossen  Luxus  trieben  und  sich  die  edelsten  der 
Edelsteine^^)  und  Metalle  als  Schmuckgegenstände  beilegten. 
Halten  wir  dieses  fest,  so  ist  der  Sinn  unserer  Stelle:  Strebe 
nach  sittlicher  Vollkommenheit  mehr  als  nach  äusserlichem 
Tande,  wenn  er  auch  noch  so  kostbar  seiu  sollte^");  denn 
dieser  wird  auch  von  den  LTnedelsten.  den  Sklavinen  getragen. 

Leider  ist  J^^  zweideutig,  indem  es  ebensowohl  per  ma- 
num  (brachium)  als  mit  in  brachio  (manu)  übersetzt  werden 
kann.  Einer  ähnlichen  Dehnbarkeit  unterliegt  j  super,  je 
nachdem  man  es  local,  oder  im  Sinne  einer  Zuthat  (w- 
hru  ausserdem)  auffasst. 

Es  folgt  nun  eine  neue  Rubrik:  ,,Wenu  du  triffst  einen 
Herrn  in  seinem  (unwirschen)  Augenblicke"  etc.  Da  von 
jetzt  au  das  Benehmen  gegen  die  verschiedeneu  Stände  und 
Glieder  der  bürgerlichen  Gesellschiift  behandelt  wird  und 
kein  logischer  Zusammenhang  zwischen  den  einzelnen  Capi- 
teln  besteht,  so  überspringe  ich  die  nächsten  23  Abschnitte 
—  welche  ich  später  zu  analysiren  gedenke  —  und  wende 
mich  zu  denjenigen,  die  mit  den  bisher  besprochenen  inhalt- 
lich zusammenhängen. 


19)  Das  Wort  henenut  mit  präfigirtem  Artikel  ta  (also  feminin.) 

e 

erscheint  auch  im  pap.  Leyd.  I  3  19,  118  zweimal  und  wieder  mit    .  • 

20)  Cf.  Prov.  II13 — 15:  Beatus  homo  qui  invenit  sapientiam  .  . 
pretiosior  est  cunctis  opibus...  VIII  11.  Melior  est  enim  sapientia 
cunctis  pretiosissimis  . . . 


19 


Kapitel   26. 
Pag.   XII. 

liu.     6.         ^  ^^^%l^  1^  ?©i§^    ^«-^«i'  die  »"brik) 


tn   cJiesf-  tu       m     at        aau 

ne  rejiciatur  in  momento  (sinistro)  senex! 

Das  oben  zu  I  4  besprochene  at .  welches  V  10,  12,  13; 
\'Il;  IX  11;  Xn  4  wiedei kehrt ,  hat  meistens  die  Neben- 
bedeutung von  ,, schrecklicher,  unglücklicher  Augenbhck,"  so 
z.  B.  im  Todtenbuch  c.  42,  16)17,  wo  snad-f  m  chet-tenu  in 
Parallele  steht  mit  at-f  ni  chet-tenu  ,,sein  Schrecken  ist  in 
eurem  Ltibe'".  Man  beachte  auch  das  "Wortspiel  zwischen 
at  und  aau,  das  ich  durch  sinister— senex  nachbilde. 


lö^^^Y^^  i'^-'''- 


m  SB  -  hefennu        liet  nnti  atepu 

ne  sinas  emori  cor  ejus  qui  onustus  (est) 

Brugsch  lex.  p.  1727  überträgt  diese  Stelle  also:  , .Be- 
schwere nicht  das  Herz  dessen,  der  (schon)  belastet  ist.'' 
Wenig  gefällt  mir  seine  Identifizirung  des  se -hefennu  mit 
dem  kopt.  htomtm  gravari.  Ich  denke  viel  mehr  an  das 
kupt.  hten  mors,  da  bekanntlich  die  Endung  nu  bei  vielen 
Wörtern  facultativ  ist.  Dieses  hten  bildet  mit  het-n  ,,das 
Herz  des"  ein  Wortspiel.  Mit  dem  causativen  5  praefix. 
versehen,  ergibt  sc-hten(nu)  den  Sinn  ,, sterben  machen", 
oder  ..verkümmern  lassen".  Das  üebrige  ist  schon  erläutert 
bis  auf  atepu,  welchem  kopt.  otp  oneratus  entspricht. 

C* 


20 

cheper  sedeba  —  f     r    chent  —  su 

fit  adhiböns  eum  pluris  quam  amovens  eum 

üeber  sedeba  bemerkt  Brugsch  lex.  p.  1341:  ,,es  soll 
nach  Chabas  (voy.  153)  so  viel  als  ,,activite,  assiduite  au 
travail"  bedeuten.  H.  Chabas  citirt  aber  auch  ein  Beispiel, 
wo  er  es  verbal  mit  ,,activer"  übersetzt,  wie  mich  bedünkt, 
ganz  richtig.  An  unserer  Stelle  wird  es  zum  Theil  durch 
seinen  Gegensatz  cJient  kopt.  schon  removere,  excludere  cf. 
englisch  to  sliim  näher  bestimmt.  Vielleicht  hängt  stlibai 
instrumenta,  sotf  instrumentum  utensile  damit  zusammen. 
Die  comparative  Geltung  des  (e)r  kopt,  zu  e  abgeschwächt, 
steht  fest. 

sefech       ka   m  merer-su:  tata  »an  pn      lina  nuter 

cingere  hominem  (senem)  amando  eum:    hoc  efficit 
(ut)  homines  esse  cum  deo 


o  I 

"AAAAAA  I 


merert — f    arit — nef  ser-roh-ho    m    chet    neshen 

qui  amat  ut  fiat  ei;   solator  faciem  (ejus)'^)  post  miseriam! 


21)  Fälschlich  steht   M,  das  im  Hierat.  dem  ^  sehr  nahe  steht. 

22)  Im  Originale  steht  (irrthümlich ?)  ^^,    das   freilich    auch 
"^^r»  sein  könnte. 

23)  Das  Pron.  K^^  scheint  vergessen  zu  sein. 


21 

üeber  sefecli  vergl.  obeu  zu  I  8.  Das  so  häufige  Tca 
ist  vielleicht  mit  erhalten  in  dje-ua  =  unus  (cf.  supra  ad 
II  3).  —  Die  volle  Form  merer  hat  sich  im  Dinka  als  tnarer 
erhalten.  Wegen  des  ta-te  vergl.  Brugsch  lex. ;  es  entspricht 
nicht  nur  dem  Stamm  So  von  Si^oofii,  sondern  auch  dem 
^£  von  Ti&ijfjii,  sowie  dem  englischen  to  do,  unserm  thun. 
Ser  kopt.  sel-sol  —  solari;  Jio  facies;  m  het  cf.  supra  II  3; 
neshen  ist  mit  nushs  acerbari,  torpere  zu  vergleichen. 

au    hotep    eher  Tia-f  au    sedeba      eher 

(cui)   est  pax  apud  personam  suam ,    activitas  apud 

himet  -  f    ha-u  pu   sered  merut 

feminam  ejus :  hi  sunt  homines  metentes  amorem 

Die  relativische  Fassung  wird  aufgenöthigt  durch  den 
mit  Jia-u  pu  beginnenden  Nachsatz.  Von  allen  Gruppen  er- 
heischt hier  nur  sered  eine  Besprechung.  Es  ist  nicht 
durch  )i\ ,  wie  sonst ,  sondern  durch  das  die  Gruppe  uah 
augere  VI  5  7 ,  IX  8  begleitende  Determinativ  der  Garbe 
näher  bestimmt,  welches  eine  Zusammenfassung  ausdrückt. 
Insoferne  vergleiche  ich  dem  s-red  das  kopt.  sret  spicas 
legere. 

Der  Sinn  dieses  ganzen  etwas  dunkeln  Capitels^^)  ist: 
Sei  freundlich  gegen  den  Greis,    der   ohnehin   schon   durch 


24)  Das  Determinativ  <  ^  >  ist  vergessen. 

25)  Im  Originaltexte  steht  fälschlich  ^^^. 

26)  Das  Zeichen  C^  gleicht  hier  einem  hierat.  ©. 

27)  Die   durch   das   brevis  esse  laboro :     obscurus   fio    bedingte 
Schwierigkeit  dieses  Abschnittes  erinnert  lebhaft  an  die  Sentenzen 


das  Alter  belastet  ist:  verwende  ihn  (als  Lehrer),  umgib 
ihn  mit  Liebe;  eiu  solches  Verfahren  macht  die  Menschen 
Gott  gefällig,  der  dem  Greise  so  begegnet  wissen  will.  Nach 
seinen  ausgestandeneu  Mühseligkeiten  erheitere  du  ihm  sein 
Angesicht.  Wer  diese  menschenfreundliche  Gesinnung  hegt 
und  dessen  Frau  die  Mühe  (der  Verpflegung  des  Greises) 
nicht  scheut,  das  ist  ein  Ehepaar,  welches  Liebe  ärntet,  (wie 
es  sie  gesäet  hat). 


^^1     I     i^—.^       (soweit  reicht  die  Rubrik) 


Kapitel   27. 

seba  aau    r     acliut-u    nef 

doctrina  senis  in  benedictionem  ei  (est), 

se-cheper  chep — f        m  hur(}iet?)  redh-u 
efficiens  receptionem  ejus  inter  homines 

Mit  Ausnahme  von  hur  iuterius,  und  dem  Verbum 
se-cheper  sind  alle  Ausdrücke  schon  oben  vorgekommen, 
und  dieses  selbst   ist  als  Causativum   von  cheper  von  sehr 

durchsichtiger   Bedeutung.      Die  Variante    j-,    chep  lür   ^■^^^ 

beweist,  und  das  Wortspiel  hier  empfiehlt  die  Lautung  cliep. 
Das  erste  Wort:  seha  oßco  ncadsia  beweist,  wie  sehr  ich 
Recht  gehabt  habe,  im  vorigen  Kapitel  die  Beschäftigung  des 
Greises  auf  das  Lehren  zu  beziehen. 


des  Pythagoras,    von   denen  Plutarch  de  Isid.  c.  10  sagt,    ,,dass   sie 
den  hieroglyphischen  Schriften  an  Dunkelheit  nicht  nachstehen." 
28)   Es  fehlt  der  Strich  |. 


23 

^a-Ä;  cÄo*        saa /"     /«'     «eJ  -  f;    unn 

fac-tu    ut    cadat  satietas    ejus  super    dominum  ejus; 

djefa neJc  eher  Jca  —  f;  an  tat  nt 

est  hierum  tibi  apud  eum ;     est   impulsus  amoris 

merut  r     hotepu,    au     sa-h  r    hehes 

pluris    quam    oblationes;     est    dorsnm   tuura    pluris 
quam  vestis. 

Hier  ist  nur  ^^-j^  etwas  zweifelhaft,  dass  XI  5  am  Schhisse 
steht  und  zu  der  Gruppe  <zr>^=iSF^  XI 6  gehört.  Da  nun  YI 2  zu 
Anfang  (j  £ziz-^^  1^^^  mit  der  Bedeutung  ,,thue  ihn  zu 
Boden"  getroffen  wird,  so  schUesse  ich  daraus,  dass  XI  5/6 
derselbe  Sinn  erforderlich  ist  und  dieser  wird  erreicht  durch 
das  Syonymum  von  arama,  nän.Hch  ^^-j^.  Dieses  Wort  steht 
auch  substantivisch,  wie  z.  B.  Todt.  I  22  „Trieb  des  Herzens". 
Hier  haben  wir  sonach  ,, Trieb, ^°)  Hang  zur  Liebe."  Dieser 
ist  mehr  werth  als  die  hotepu  Opfer  (cf.  htop  tabulae  ob- 
latoriae) ;  letztere  verhalten  sich  nämlich  zur  Liebe  (Huma- 
nität) wie  das  Kleid  zum  Rücken,    d.  h.   wie  das  äusserlich 


29)  Dieses  zweite  a  scheint  eine  Verschreibung  statt  m,  wie 
oben  V.  lin.  10  degw  umgekehrt  für  dega  stand.  Vergl.  V  5  sau 
Indess  steht  XV  12  wieder  saa. 

30)  Vielleicht  ist  die  Präposition  hiten  per,  a,  ex  zu  decom- 
poniren  in  hi-te-n  „auf  Antrieb  von". 


u 

Accessorische  zum  Innerlichen,   VVesenhaften.    Aus  der  Bibel 
Hesse  sich  manche  Parallele  beiziehen. 


/VWW\    ( I 


lin.  12.  <=>-^ 

eher  -  s  un  chep  —  f    hi-7c  r    äneli  par-Jc 

idcirco  est  receptio  ejus  apud  te  in  vitam  domus  tuae; 

eher    sähu  —  h     merer  —  h     mich     su  cher-s  ari-f 
sed  manes  tui,  quos  amas,  vivunt  hi  idcirco;  ro  facere 


qäh      nefer  am — h    geru  uah  gert  merut- 

eum  stationem  bonam  apud  te,    fama  (est)  ampla; 


h    pu     m    ehet  nt  mereru-u-tu       mäh      Jca 
etiam   amor  tuus  est  iu   ventre  amantiura   te.     Me- 


pu    merer  sotem 

mento  persona  esse  amans  obsequii. 

Das  zweimalige  cher-s  idcirco  steckt  mit  dem  in  der 
Tanitica  1.  19  und  sonst  vorkommenden  "^,1  im  kopt.  a-hro, 
a-hrai^  a-hrote  cur.  —  Dass  unter  sahu  die  manes  der  Ver- 
storbenen zu  verstehen  sind,  ist  allseitig  anerkannt;   da  nun 


25 

sahu  zugleich  der  Narae  des  Gestirnes  Orion  ist,  so  liegt 
es  nahe.  saJi-ti  flamma  zu  vergleichen ,  so  dass  die  aegypt. 
Manen    gleichsam    die  ., Verklärten"    wären.  —   Das    Zeichen 

des  gesenkten  ^ fl  Armes  hinter  der  Gruppe  qah,  c'öh  ma- 

nere  wird  häufig  als  Haltpunkt  roth  zwischen  zwei  Texte 
gesetzt;     diese  Erklärung  dürfte  sich  besser  empfehlen,    als 

das   von  Brugsch  lex.  p.  1518    dafür    beigezogeue    ^K'^- — ^ 

greh  kopt.  c'relit  quics,  dessen  Bedeutung  allerdings  ebenfalls 
passen  würde.  —  lieber  naJi  kopt.  nah  addere  ist  oben  zu 
lin.  9  das  Nöthige  bemerkt  worden.  —  Das  Pronomen  2.  Pers. 
sing,  accus,  tu  verdient  wegen  seiner  üebereinstimmung  mit 
te  Beachtung ;  es  lassen  sich  überhaupt  bei  den  Fürwörtern 
wie  bei  den  Zahlwörtern  im  Aegyptischen  zwei  Strömungen 
unterscheiden:  eine  semitische  und  eine  arische.  —  End- 
lieh ist  iiiäJc  im  kopt.  mohnek  cogitare  meditari  (memento!) 
bewahrt.  —  Der  Sinn  des  ganzen  Passus  ist:  Die  Aufnahme 
eines  Greises  gereicht  dir  selbst  und  deinem  Hause  zu  zeit- 
lichem und  ewigem  Vortheile.  Die  grosse  Pietät,  die  hohe 
Achtung,  deren  sich  das  Greisenalter  in  Aegypten  (wie  in 
Sparta)  erfreute,  erhellt  am  besten  aus  einer  Stelle  der  Stele 
des  Harsiatef  lin.  8.  Nachdem  vorausgeschickt  ist:  ,,man 
sagte  mir,  nämlich:  es  verfällt  das  Gotteshaus  des  Amon 
von  Napata  in  dem  nördlichen  Saale" ,    fährt  der  Text  fort 

schrack  (und)  fragte  einen  alten  Mann".  Dieser  sagte  ihm, 
was  er  zu  thun  habe;  der  König  befolgt  diesen  Piath,  womit 
jetzt  auch  die  letzte  Gruppe  ,,obsequii"  erläutert  ist. 

"Wir  überspringen  wieder  mehrere  Kapitel,  die  mit  dem 
Thema  über  das  Alter  nicht  zusammenhangen,  um  den 
Text  da  wieder  aufzunehmen,  wo  von  den  Wirkungen  der 
Lehre  des  Greises  gehandelt  wird. 

[1870.11.  Beilage.]  D 


26 


Kapitel    38. 
Pag.  XV. 

lin,     8.       ,J>  "^^^'^ — ^ T  T   ^^     "^  ^=3:^     (soweit  reicht  die  Rubrik) 

ar    sotem  -  k    nen  djed-na-nel', 
si  obedieris  iis  quae  dixi  tibi, 

Hier  erfordert  nur  die  Auslassung  des  Relativs  eine  Er- 
klärung. Sie  ist  im  Aegyptischon  so  häufig  als  im  Englischen, 
wo  man  auch  sagen  könnte:  If  thou  followest  those  (words) 
I  have  Said  to  thee.  Man  könnte  die  Construction  übrigens 
auch  so  auffassen:  ,,Wenn  du  befolgst  jenes  von  mir  zu  dir 
Gesagte". 

&^~^^±^^-^<=^^  fi  -^^^^==3<=.  I       []<=> 


win  secher-k  nib  r-hat;  ar  sopt  n  mä't  ari 

61  it  ratio   tua  omuis    pioficiens;     est   fundamentum 
veritatis  comitans 


.'I    I   I 

ases    —    senu   pu       rua  seclia   —   senu    m 

virtutem  corum;    restat  memoria  eoium  in 


M 


I   I   I 
ro  n  redhn 

ore  hominum. 


.-;l)    Es  steht  fälschlich  <::z>    statt   i   '^  ■   wegen  der  Verwandt- 
schaft der  beiden  hieratischen  Zeichen. 


27 

Die  Bedeutung  proficiens,  progrediens,  die  in  un72-r  ha't 
liegt,  wird  bestätigt  durch  das  Sjnonymon  i  e-t-lie  (pro- 
gredi,  ire  ad  proram).  —  Das  Yerbum  ar  kopt.  er  esse  hat 
auch  das  im  vorigen  Satze  stehende  ar  si,  erzeugt;  es  ist 
noch  in  dem  negativen  are  schfem  nisi ,  sowie  in  arei/  si 
forte  erhalten.  Ganz  verschieden  davon  ist  ari  comes ,  vi- 
cinus  kopt.  areu,  welches  bisweilen  zu  der  Präposition  <cz>^') 
zusammenschrumpft.  —  Das  vieldeutige  se2)t   glaube   ich   in 

sohti  basis  wieder  zu  erkennen;    man  vergl.    ^"^^  solium 

(verwandt  mit  solum  Boden?).  —  Das  vielbesprochene  ^ 
lese  ich  noch  immer  as,  trotz  des  von  Goodwin  und  Brugsch 
wohl  belegten    und   hier   vielleicht  durch  sapt  als  Wortspiel 

empfohlenen        d      sheps,    weil    icli   den  'Aövxig   sowie    den 

— «— 

Moa^tjg  (verschrieben  aus  'Joaxi]?'?)  nur  mit    (  "^P  Ub^    j 

Aseskev  zusammenzustellen  vermag.  Auch  dürfte  die  erste 
Sylbe  von  asch-iri  virtus,  activitas  den  adspirirten  Stamm 
as,  ases  darstellen.  —  Was  das  Verbum  riia  betrifft ,  so 
vergleiche  ich  lo  cessare  und  kann  weder  Brugsch's  i'-iiei 
facere  recedere,  noch  Lepage  Renouf's^^)  „egredi"  acceptiren. 
Denn  im  cap.  72  des  Todt.  steht  unser  rua  im  Gegensatze 
zu  uha ,  einem  Veibum  der  Bewegung.  Auch  werden  wir 
sogleich  von  dei  Zähigkeit  der  aeg.  Tradition  zu  hören  be- 
kommen ,  wozu  der  Begriff  des  Beharrens  von  lo  cessare 
restare  passt,  welches  zugleich  mit  16  iro)  ,,Mund"  ein  Wort- 
spiel bildet. 


32)    So  z.  B.  in  der  Ha-sebait  des  Amenemha  I  bei  der  Var.  zu 
rVcr  totus  II  2. 

33")   Traduction  d'un  chapitre  etc.,  dem  Prof.  Merkel  in  Aschaffen- 
burg gewidmet. 

D* 


28 

m-a  (tot?)  lief  er  n  tesu-u-scnu;     annetii  djedt  niht 

propter  praestantiam  theseon  eorum;  traditum  (est) 
verbum  omne 

Die  Umschrift  des  Armes  durch  tot  (manus)  wird  mir 
hier  zweifelhaft ,  weil  gerade  die  hier  nothwendige  Praepo- 
sition  propter  durch  (das  Compositum)  ef-mä-dje  ausgedrückt 
wird.  —  Die  erste  Bedeutung  von  an  (cf.  anine  portate)  ist 
ducere  adducere,  welches  mit  dem  Begriffe  von  „Tradition" 
stimmt.  Weiterhin  XVIII  7  werden  wir  dieses  Zeitwort  im 
Gegensatze  zu  „wegnehmen",  also  mit  der  Bedeutung  „hin- 
zufügen" treffen,  nachdem  wir  es  oben  V  9  mit  dem  Sinne 
von  ,,schHessen"  gefunden  haben.  —  Die  vollere  Form  niht 
entspricht  dem  kopt.  nihen  omnia. 


lin.   10.  Pl^^^    D     - 

an seh    m    to   pen    tjet 

inviolatum  in  terra  hac  semper. 

Die  kopt.  Wörter  5ec',  sie  paralyticum  fieri;  ^^o  mundus, 
orbis ;  c'eet  mauere  genügen  hier. 

art  -  s    sert        r   nefer  djedu  saru u 

efficit  perticam  optimam;     dicunt  principes 

eres:     sha sa  pii 

de  eo  :  docens  aliquem  est 


29 

Grosse  Schwierigkeit  verursacht  das  Wort  sert.  Da 
nicht  an  den  Stamm  sure  aculeus  zu  denken  ist ,  wozu  das 
Determinativ  auch  nicht  passen  würde,  so  bleibt  wohl  nichts 
anderes  übrig .  als  es  mit  "^^^(S  sal  /2  Messstrick  zu- 
sammenzustellen. Vergleicht  man  die  ,, Leiter"  des  Kadjimna, 
so  wird  hier  die  , .Leine"  ^*)  oder  der  ., Leitfaden"  auch  nicht 
unstatthaft  sein.  Das  Determinativ  c±f=i  statt  <S  erklärt  sich 
wie  oben  I  8  bei  dem  Worte  ,, Gürtel".  —  Die  Verbindung 
r  nefer  bezeichnet,  wie  r  mench,  eine  hohen  Grad  der  Güte 
oder  Tüchiigkeit. 


lin.   11.    ^^u^^ 


r    djed    n ni    clieti    sotem-f-st 

scilicet,  postquam  (aliquis)  obedivit  ei; 

Die  Gruppe  räjed  ist  construirt  wie  "''^^sX/  und  das 
französische  c'est-ä-dire ;  n-m  cliet  enthält  ein  scheinbar 
pleonastisches  n  vor  m,  wie  oben  n-^i  to  in  terra.  Die 
Wurzel  cJiet  habe  ich  (Bokenchous  p.  4)  im  K.  hituö  oder 
chatliuo  juxta  prope  nachgewiesen. 

clieper  m   ahm  (ämii)  sotem  nefer  rdjed  n-m  clieti 

fieri  magistrum  (et)  bene  audire ,   scilicet  postquam 

ntef  sotem-f-st 
is  obedivit  ei. 


34)  Vielleicht  ist  das  kopt.  sir  justitia  damit  verwandt ;    cf.  sili 
foramen  pani,  e  quo  filum  educitur. 

35)  Dieses  nothwendige  <rz=>  ist  wegen  des  Schluss-r  von  nefer 
irrtliümlich  vergessen. 


30 

Die  Verba  fieri  und  audire  hängen  von  seha  docere  ab. 
So  wie  xaXwg  dxovtiv  und  bene  audire,  so  enthält  auch  der 
aeg.  Ausdruck  sotem  nefer  ,, hören  Gutes"  eine  Zweideutig- 
keit, nämlich  ., guten  Ruf  haben".  In  derselben  Bedeutung 
steht  er  IX  7.  —  ntef  is  ille,  mit  Nachdruck. 

Der  Verfasser  fährt  fort,  die  guten  \\irkungen  der  Lehre 
des  Greises  aufzuzählen  ,  und  die  Gelegenheiten  namhaft  zu 
machen,  wo  dieselben  sich  zeigen  können. 


ar  cheper  sept  nefer  m  (t)  a  (t)  unn  m 

quod  si  facta  est  basis  bona  in  potestate  ovrog  in 

hitep,  imnef    mencJi  n-n  hell 

(statu)  superioris,  est  beneficus  perpetuo. 

Der  Sinn  ist:  Wenn  ein  Oberer  kopt.  Mtpe  die  gute 
Basis  des  wahren  und  tugendhaften  Wortes  sich  zu  eigen 
gemacht  hat,  so  wirkt  er  dauernd  Gutes.  —  mcnch  wird 
griech.  durch  svsqyezr^g  übersetzt.  —  Das  zweite  n  von  nnlieli 
scheint  entweder  dissographisch ,  also  fehlerhaft,  oder  nach 
Analogie  von  obigem  n-m  das  erste  n  pleonastisch  gesetzt. 
Man  könnte  auch  an  den  Plural  des  Artikels:  ne  denken  und 
dg  Tovg  alwvccg  übertragen,  wenn  uns  der  Papyrus  sonst 
ein  Beispiel  eines  solchen  ne  oder  die  Pluralendung  hinter 
n(e)h€h  (kopt.  eneh  saeculum  aeternitas)  aufweisen  würde. 

au     saa f  nih     r     tjet    an    rech-t   sem- 

est  sa-tians  quemque   in  perpetuum  scientiä;     cogi- 


31 

fi  -  f    m     stnent        nefer-f       am-f 

tatio  ejus  in  fiimamem  boni  ejus  fßaaecog)  in  eo  (est) 


..itt-^IVW^/Vi 


lin.  13.    l'f^Pö^^-^  O^^f'o' 

tep  to;  sa-fii  rech      lii     recht  -  nef. 

super  terra;     satiatur  scit-ns  cognitis  e'. 

Ich    brauclie    hier   nur    das    Wort   sem-ti   zu    erläutern. 
Es  ist  schwer,  diesen   Stamm  von     '^0^  sma,   y^*'^=^^^.\ 

und    1^.  J^    in  c^t?''  kopt.  Nachfolge  zu  unterscheiden,    da  die 

altägyptischen  Schreiber  selbst  sie  gegenseitig  vertauschten, 
wie  hier  auch  das  ^  cf.  sim  herba  anleutet.  Legt  man 
das  reduplirte  somem  sonare,  unser  ., summen"  zu  Grunde, 
so  würde  sich  für  sem  das  stille  Sprechen  d.  h.  ,.das  Denken" 
leicht  ergeben  und  insoferne  vielleicht  som-s  dijudicare,  sum 
scire  die  passendste  Vergleichung  bilden. 

a-ti  sar  hi    sept    nef  er     mia-n     het-f 

aitprinceps  ob  dialectum  bonam  ex  impulsa  cordis  sui 

d.  h.  ,,der  Vornehme  spricht  wegen  der  soliden  Bildung 
eines  solchen  Weisen  und  Redners  unwillkürHch.'"  Die  Be- 
deutung des  (1,  welches  auch  [1^  geschrieben  wird,  für 
,, sagen,  rufen"  ist  constatirt ;  es  kehrt  in  unserm  Papyrus 
öfter  wieder,  so  z.  B.  XIV  ult.  mit  dem  Sinne  ,,Ruf".  Es 
lässt  sich  einerseits  mit  c,  co,  (o  vor  Vocativen,   andererseits 


32 

mit  ajo,  y]fi(,  wenn  auch  nur  zu  mnemotechnischem  Zwecke, 
zusammenstellen.  Man  vergleiche  auch  das  cap.  99  und 
125  des  Todtenbuches,  wo  die  wahre  Natur  dieses  a-n  zu- 
erst von  H.  Chabas  erkannt  worden  ist.  Was  sagt  nun 
der   Itr^? 


nas  -  f      äqa 
lingua  ejus  dimidium 


Pag.    XVI. 


lin.  1.  i^-^^ij_p'^^ 
spot-f  sen  auf  hi  djed 
labiorum  ejus  duorum,  quando  loquitur 

Dass   nas   kopt.    zu   las   i'it'b  geworden,    habe    ich    in 
meinem  Manetho   gelegentlich    des    Königsnameus    f  |2^!)^j 

und   ri    llO    —   'Ct-las   =   TXäq  p.  119   gezeigt.     Ueber 

die  Gruppe  aqa,  die  ich  oben  mit  uco-s  dimidium  verglichen 
habe,  gibt  uns,  wie  meines  Wissens  zuerst  H.  Urugsch  be- 
merkt hat,  Horapollo  II  6  die  Erklärung  ddxrvXoq  =  ar- 
^QcoTtov  Oiof-iaxog  d.  h.  die  Mitte  des  Kör^^ers.  Hier  haben 
wir  die  Mitte  zwischen  den  zwei  Lippen ,  d.  h.  die  Zunge 
des  Redners  ist  auf  dem  rechten  Flecke ,  wie  wir  auch  vom 
Munde  eines  Beredten  sagen.  Ueber  spot  =  kopt.  sj^hofu 
PEiy  labia  brauche  ich  kein  Wort  zu  verlieren.  Aber  nicht 
bloss  der  Mund  und  seine  Stellung,  sondern  auch  Augen 
und  Ohren  des  Redners  sind  zu  berücksichtigen.  Darum 
fährt  der  Text  unmittelbar  also  fort: 


33 

ariti-f-sen    hi    maa       mesdjer-ti-f  tut  hi  sotem 

oculi  ejus  duo  in  spectando,  aures  ejus  aequales  in 
audiendo 

Was  zunächst  die  Nachsetzung  des  \\  hinter  die  Dualform 
betrifft,  so  haben  wir  den  Eigennamen  ;^^;XC3^  ,,A-ugen- 
paar"  aus  sehr  alter  Zeit;  dasselbe  phonetisch  geschriebene 
Zahlwort  sen  (kopt.  snau  ''^UJ)  findet  sich  in  den  dynastischen 
Namen  Hont-sen  (Tochter  des  Ghufu)  und  Vesurt-sen  m  der 
XII.  Dynastie.  Diese  Namen  sind  also  nicht ,  wie  Vic.  de 
Rouge^^)  glaubt,  durch  ein  ausgelassenes  neteru  ,,der  Götter" 
zu  erklären,  was  schon  durch  Hont-sen  unmöglich  gemacht 
wird,  da  man  eine  irdische  Frau  nicht  wohl  als  ., die  Herrin 
ihrer  (seil,  der  Götter)"  bezeichnen  konnte.  Vielmehr  spielt 
hier  der  Zahlsymbolismus  herein,  den  wir  oben  in  se7i-n-aan 
consenex  Ovv-ysQwv  getroffen  haben.  Beamte  führen  oft  den 
Titel  „Augen-  und  Ohrenpaar  des  Königs"  d.  h.  sie  hatten 
für  ihn  zu  sehen  und  zu  hören.  —  Ob  man  die  figurativen 
Ohren  an  unserer  Stelle  mesdjer-ti  (kopt.  mascJidje  auris) 
oder,  wie  oben  IV  4  anch-ti  zu  lautiren  habe,  bleibe  dahin- 
gestellt. —  Bei  tili  kann  man  zweifeln,  ob  collectae  (tlmet) 
oder  aequales  (thuot  simul-acrum)  zu  übersetzen  sei.  Ich 
habe  mich  für  letzteres  entschieden,  weil  das  äqa  bei  der 
Zunge,  das  Geradaussehen  (cf.  moilie  admirari)  bei  den 
Augen,  auch  bei  den  Ohren  den  analogen  Begriff  der  Gleich- 
heit d.  h.  der  symmetrischen,  nach  beiden  Seiten  gleichen 
Haltung  zu  fordern  scheint. 


36)    Abrege  grammatical  p.  16.  cf.  meine  Abhandlung:    „Chufu's 
Bau  und  Buch".     Sitzungsberichte,  Febr.  1870. 

[1870.11.  Beilage.]  E 


34 

aclmt    n     si-f        ar      ma't      sJm  m    ger(u) 

expedit  filio  alicujus  facere  veritatem,  vacare  (a)  mendacio 

Der  Gegensatz  zwischen  Wahiheit  und  Lüge  gehört  zu 
den  häufigsten;  auch  ist  wiei  veritas;  slmo  vacuus,  evacuare; 
g'^ol  mendacium  aus  dem  Koptischen  bekannt.  —  Nur  das 
Pron.  f  hinter  si  {sehe  filius)  macht  einige  Schwierigkeit, 
weil  man  es  entweder  auf  ein  Indefinitum  ahquis,  wie  oben 
XV  10/11  beziehen  kann  —  und  wirkh'ch  steht  XVI  13  si-sa 
,,fihus  ah'cujus"  —  oder  auf  den  Redner,  dessen  Eigenschaften 
eben  aufgeführt  worden  sind.  Dass  ich  Ersteres  vorziehe, 
dazu  bestimmt  mich  die  Rubrik  des  nächsten  Kapitels,  wel- 
che durch  obigen  Satz  gleichsam  eingeleitet  oder  anticipirt 
wird. 

Kapitel  39.37) 

lin.  3.      ,, Expedit    obedieutia   filio    obedienti;     commendatur 

obediens  per  obedientiam"  (Rubrik).  Evadit  obediens 
lin.  4.      per  obediendum  praecepto  meo;  pulchrum  est  obedien- 

tia,  pulchrum  est  verbum;  obediens  quisque  beatus. 

Expedit 
lin.   5.      obedientia  obedienti;   pulchrior  est  obedieutia  quam 

res  omnes,  praestita  libenter;  (at)  pulchrius  (est) 
lin.  6.      (si)    accipit   filius    dictum    patiis    sui :     contingit    ei 

senectus  idcirco^^).     Amor 


37)  Ich  gebe  dieses  Kapitel  in  latein.  Uebersetzung  ohne  Trans- 
scription in  Hieroglyphen,  da  nur  wenige  und  zwar  lauter  erklärte 
Gruppen  vorkommen. 

33)  Cf.  Decalog.  IV:  Honora  patrem  tuum  et  raatrem  tuam,  ut 
sis  longaevus  super  terram...  cf.  Prov  I,  7;  IX,  10;  Ps.  CXI,  10 ; 
Job  XXVIII,  28;   Isai.11,2,3;    Prov.  III,  2,  16;  IV,  4,  10;  VII,  2;  X,  27 


35 

IId.  7.     dei  est  obedientia ,    inobedienti'a  in   odium  est  Deo. 

Est  cor  quod  format 
lin.  8.      dominum    suum    in    obedientiam    et    inobedientiam. 

Vita  Salus  robur  alicujus  est  cor  ejus.    Quod  attinet 

ad  obedientem, 
lin.  9.     qui  obedit  libenter:     obedire  (nil  aliud)  est  (quam) 

exsequi  dicta.     Pulcbrius  (est)  obedire  filium 
lin.    10.   patri  suo.     ^^)Laetissimum  (est  si)  dicitur    ei   illud : 

filius  est  complacens  tanquam  dominus 
lin.   11.    obedientiae;    obediens,  cui  dicitur  id.  integer  est  in 

corpore  suo.     Pius  erga 
lin.   12.   patreui  suum:  ejus  memoria  (est)  in  ore  (bomiuum) 

viventium,  quotquot  super  terra  (sunt  et) 
lin.   13.   erunt. 

Das  rechte  Verständniss  dieses  Capitels  ist  allerdings 
schwierig ;  allein  die  Beziehung  auf  unseren  Verfasser  und 
seine  früheren  Vorschriften  wird  durch  eine  einfache  Aen- 
derung  gewonnen.  An  einer  früheren  Stelle  des  Papyrus 
(XI  12)  heisst  es:  ,,\\^enn  du  reich  bist,  so  lege  dein  An- 
sehen in  die  "Wissenschaft  und  Intelhgenz:  ^°^^<1  V'iT 
5, dictum  est  in  praecepto  primo.''  In  umgekehrter  Ordnung 
treffen  wir  diese  Gruppen  XVIII  2:  4  gl  [jjiUiJü-A  quam 
Caput  (auctor)  praecepti  antecedit".  Man  könnte  mir  ein- 
werfen .  dass  an  beiden  citirten  Stellen  statt  |  ein  hiera- 
tisches (]  steht,  wie  hier  ^v^^v^^*  Allein  die 
Aenderung  dieses  im  Original  fehlerhaften  (1  in  T  wird  ja 
gerade  durch  die  zwei  Citate  empfohlen,  welche  mit  |1  keinen, 


39)    Cf.  ProY.  X.  1:  Filius  sapiens  (sage)  laetificat  patrem. 


36 

mit  I  den  richtigen  und  erforderlichen  Sinn  geben.  Wollte 
man  selbst  annehmen,  dass    [1    XVI   das    proleptische  Pron. 

poss.  der  ersten  Person  Aväre ,  die  aber  als  W»  unmittelbar 
dahinter  folgt ,  so  gebe  ich  zu  bedenken ,  dass  weiter  unten 
(9/10)  das  Verbum  sotem  mit  der  Präposition  n  construirt 
ist  (sotem  si  n  atef-f).  Auch  ist  (VIII  1,  3)  zweimal  das 
aus  dem  Todt.  97,  4  wohlbelegte  Verbum  |'^%^%.,'^T^ 
(cf.  Brugsch  lex.  p.  291/292)  fehlerhaft  mit  der  Initiale  h 
statt    I    geschrieben. 

Der  Wortvorrath  dieses  Kapitels  ist  sehr  gering.  Das 
in  lin.  4  stehende  Substantiv  ^^  ntet  oder  enti  entspricht 
dem  Sinne  nach  dem  latein.  ens,  entis;  weiterhin  lin.  12  hat 
es  die  Form  "^^^i  und  die  Bedeutung  eines  Adj.  (Relat.) 
generale.  Im  Todlenbuche  C.  XVII  10/11  hat  das  Wort  die 
Form  '^^1   ,   ,  ,   worauf  ^^c±^  folgt ,    wie  hier    und  mit 

gleicher  Bedeutung.  —  Die  Gruppe  T"  jj  M  anch  uza  seneb 
wird  in  der  Rosettana  durch  vyieia  übersetzt  und  Diodor  (1 70) 
sagt  ausdrücklich,  dass  die  Priester  zu  den  Göttern  beteten : 
Sovvai  T€  vyisiav  xal  rdXXa  dyce^d  ndvta  xm  ßaGiXai. 
Diess  ist  der  Grund,  warum  diese  Gruppe  fast  regelmässig 
hinter  dem  Königsnamen  getroffen  wird;  sie  ist  als  Wunsch 
aufzufassen  ,  dass  es  dem  Inhaber  (neh)  des  Schildes  Wohl- 
ergehen möge.  —  Die  Negation  tem  von  Hn.  8  habe  ich 
oben  gelegentlich  des  are  sch-tem,  nisi  citirt;  im  basch- 
murischen    Dialecte    erscheint    tiii    noch    einfach    als    non. 


37 

Weiterhin  XVII  3  wird  uns  tem-sotem  als  ,, Ungehorsam" 
wieder  begegnen.  —  Das   zweimalige       ^j      üq^  7  u.  8  dient 

AAAAftA 

zur  Hervorhebung,  vielleicht  erhalten  in  dem  en-dje,  welches 
die  Kopten  dem  Nominativ  vorsetzen.  —  Der  Sinn  libenter 
für  merut  ergibt  sich  aus  merit  beneplacitum.  —  resJmi  ist 
eine  Art  Intensiv-  oder  Comparativ-  (Superlativ-)  Form  ,,gar 
erfreulich";  cf.  kopt.  (ef-)raschi  laetus.  —  cm,  mit  dem 
Auge  J^s^  determinirt,    bezieht   sich  sowohl  auf  ]^y  oculus, 

als  auf  das  kopt.  r-än  placere.  —   (I  -^  amch  erkenne  ich 

mit  Brugsch  in  dein  mpsche  dignus,  meritus  und  in  dieser 
Bedeutung  treffen  wir  es  am  Schlüsse  von  XIX  8;  hier 
dürfte  sich  die  active  Färbung  des  Begriffes,  die  ich  mit 
pius  gebe,  empfehlen. 

Kapitel   40. 
Ar  chep  si-sa  djecl  atef-f  (soweit  reicht  die  Rubrik) 
Quodsi  accipit  iilius  alicujus  verbum  patris  sui  — 

an  netem  n     lin.  14.  secJier-f  nih ;  seha-k  m  si  sotemu 

non  est  deliratio  in  ratione  ejus  omni;  doctrina  tua 

in  filio  obediente 

Pag.  XVII. 

.in.   1.     [l^^Vt2lfl--^^^P--kl^ 
aqert  -f-  sen      Jii  het  -  n  saru  -  ti        sem        ro  -f 
est   valor   ejus   duplex    inter   principes;     effingit  os 


r    djededt-nef 
ejus  plus  quam  dictum  est  ei. 


38 

Trotz  seiner  Häufigkeit  ist  das  Wort  aqer  noch  nicht 
recht  erläutert,  üeber  seine  Bedeutung  valde  ist  man  einig; 
nicht  so  über  den  kopt.  Stamm,  mit  dem  man  diese  Wurzel 
vergleichen  soll.  Brugsch  lex.  p.  129  denkt  an  oi'g',  das 
ursprüngHch  muuitus  bedeutet,  und  an  rhz  peifectus.  Allein 
das  -  stimmt  nicht  zu  zi,  sondern  lässt  ein  p,  so  wie  der 
Begriff  munitus  das  Deutbild  v—o  statt  .  -^  ■  erwarten.  Da 
ag'er  in  den  Rhindpap.  demotisch  durch  5a&e  sapiens,  prudens 
überstetzt  wird,  so  Hesse  sich  hak  sapiens  doctus  beiziehen. 
Ich  habe  als  substant.  Begriff  valor  gesetzt,  weil  dies 
mit  valde  (validus)  stimmt  und  die  ursprüngliche  Be- 
deutung ,, stark"  (cf.  Neit-aqert  ^^  "A^ijvä  vixrjifoqog)  invol- 
virt.  Als  semit.  Correspondent  dürfte  "ip"'  carus  kostbar, 
theuer ,  gelten.  Das  Determinativ  ■— ^-^  steht  auch  bei  aa 
,, gross"  und  da  dieses  kopt.  zu  naa ,  wie  as  zu  nas  wird, 
so  dürfte  auch  nad'  nuc'te  magnus  (mit  Verlust  des  r)  hieher 
gehören.    —    Zu  sem  effingere  cf.  smot  effigies. 


lin.  2.      --_>^^1^^^  t^%^Vfi^üJi^ 


mmi  m     sotemu  si     aqer-f    netemti- 

Signum   de  obedientia  filii  (est)  prudentia  ejus : 


-^    ' ^ 

I    I    1^^ 


u  -  f      äliennu  nenetem  hes 

errores  ejus  ubi  (sunt)?  error  emergit 


n  -  tetn  -  sotem      tua        rech-t  r  sment-f. 

e  non-obediendo  mane;  scientia  par  est  firmando 
ei  (erigendo) 


lin.  4. 


39 


au    iicha  m      djed    dah  -  f 

est  spontaneus  in  dicendo  contradictionem  suam. 

Kapitel    41. 

V®!^^    "^     ^»(2^^.'^^=^    (soweit  die  Rubrik) 

ar  iicha  antu- sofern -f 

est  obstinax  in-obediens 


rt)i    ar-nef  chehi  niht ;        ma-f        rech  m  chem 
non  efficit  sibi  res  ullas;  videt  scientiam  in  ignorantia, 

aclmt u       m    ment-u 

virtutes  in  vitiis.*^) 

Das  dreimalige  netem  (netem-ti,  ne-netem)  hat  in  nofem, 
nufem  die  Bedeutung  „dulcis  delicatus  pinguis,  ubera  pen- 
dula et  laxa  habetis".  Da  hier  zweimal  das  Deutbild  ^^^ö. 
(parvus  et  pravus)  dabeisteht,  muss  es  in  malam  partem 
aufgefasst  werden  als  lax,  irr,  wozu  auch  das  Determ.  7!^ 
im  Sinne  von  Verirrung  (error)  passt.  —  Das  fragende 
dhemm  ist  in  tön,  thön  ubi  getreu  erhalten.  —  bes  ist  von 
Brugsch    aus   Rücksicht    auf    das    inax&oööiv    der    Tanitica 


40)    Brugsch  lex.  p.  1724   übersetzt:    „er  betrachtet  das  Wissen, 
als  wäre  es  Dummheit,    und  die  Tugend,  als  wäre  sie  das  Laster." 


40 

1.  71  mit  dem  kopt.  poscTih  sacros  ordines  conferre  (instal- 
lare?)  verglichen  worden.  Näher  liegt  (u)vasche  addere.  — 
Einer  ähnlichen  Assibilation  zufolge  ist  uclia  zu  uasch,  uoscJi 
spontaneus,  velle  cupere  geworden;  da  ""^^  es  determinirt, 
so  muss  es  in  üblem  Sinne  gefasst  werden ,  wie  oben  II  2 
men-het,  also  als  „eigenwillig,  halsstarrig".  —  tua  ist  kopt, 
tui  mane.  —  Das  darauffolgende  r,  welches  sonst  dem  Futur 
eignet,  dürfte  durch  parem  esse  alicui  rei  efficiendae  dem 
Sinne    nach    getroffen    sein.    —    äah    steht  XI  2    in   voller 

Schreibung:  ^^^^.  JhM'^^  äah-u  in  dem  Satze  ,,er 
ist  ein  Mann  der  Widersprüche" ;  in  dem  kopt.  r-dbe-ut 
(wo  r  Präfix  und  ut  passive  Endung  ist)  mit  der  Bedeutung 
obnoxium ,  reum  esse ,  schimmert  der  Sinn  contradictio 
durch.  —  Die  Form  antu-sote^n  bildet  das  Prototyp  zum 
kopt.  at-sotem  inobediens,  refragarius. 

g«J^:y,^^PHil      Hn.7.    [j^ 
ar-f  chebdt  —  u  nibt,  r-chd  sest-u  am-f 

facit  iniquitates  omnes;    apparent  reprobanda  in  eo 


rd    nib    änch-f  m    mu't;  clier's    dqu-f  pu 

quotidie;  vita  ejus  in  morte*^);     idcirco  panes  ejus 


41)  Der  obere  Zug   dieses  Buchstabens  ist  oben  gebrochen,   so 
dass  er  vollständig  einem  m  gleicht. 

42)  Das  erste  ^   scheint   fehlerhaft    statt    °   (molecula)   gesetzt 
zu  sein. 

43)    Cf.  Prov.  VI  23;   YIII  35,  36;   X  17;    XIII  14;   Sap.  I  12; 
Timoth.  V  G. 


41 


oj— ^     li„.8.  J--i^^ 

cheben    djed;  hat  -  f  -  am  m    rech    n 

sunt  depravationes  verbi;  uti'tur  iis  ut  gnarus 


>    O 


saru  -  u    hi   miit        auch     rCi     nih 
principura  in  moriendo  vivus  quotidie; 

soa  —  t       Jd  sepi-H-f    m-ä  dscha-n  n         iit-u 
vagatur  super  lineas  (theses)    suas  piopter  muititu- 

hi-f   rä    nih 

dines  delictoium  in  co  quotidie. 

Es  bleiben  nur  wenige  Ausdrücke  zu  erläutern,  da  alle 
andern  schon  früher  vorgekommen  und  erklärt  worden  sind.  — 
cheht  und  chehen  bezeichnen  das  moralisch  Schiefe,  im 
Gegensatze  zur  Geradheit  und  Ehrlichkeit;  daher  scheht 
dissimulare ,  decipere;  schohi  hjpocrita,  scJioht  peccatum, 
peccare.  —  r-chä  kopt.  r-schai  diem  festum  celebrare,  be- 
zieht sich  in  der  Rosettana  deuiot.  Hn.  24  auf  die  i'^oösia 
der  Götteibilder.  —  se-st-tt  ist  das  Intensivum  zu  kopt.  steu 
reprobus.  —  Dass  die  Präposition  hi  dem  Verbum  (hier 
7nut  =  kopt.  mute  mori)    die  Bedeutung    eines  Gerundiums 


44)    Auch  dieses  a  gleicht  fälschlich  einem  in. 
[1870.  II.  Beilage.] 


42 


verleiht,    ist   allgemein    angenommen.  —  iif  mit  dem  Deut- 
bilde ^^  entspricht  ganz  und  gar  unserm  „Vergehen". 

Kapitel    42. 

si      sotemii  ni    shes     Har ;     nefer   nef    m 

filius  obediens  fit  in  asseclam  Heri;  bona  ei  est  post 

^T^^^YW     lin.ll.;^t^K_^^^ 
cheti     sotem  -  f      aau^'")  u—f      peliu-f 

obedientiam  ejus  senectus  ejus;   attingit  dignitatem; 

amch  sedjed  -  f    m     mnti  n  chrod-n-f   m    smau 
dictum  ejus  in  exemplar  liberis  suis  in  renovando 

sebau  atef  —  /";      sa    nih     seba       ma    ar-f; 

doctrinam  patris  ejus;  universi  docent  quomodo  (ipse) 

sedjed -f  eher  mes  —  u  —  ?<         ach     djed-n- 
facit;  dictum  ejus  apud  prognatos  (fit)  quanti!  dicunt 


45)  Dieses  oder  das  m  der  nächsten  Zeile  ist  irrthümlich  disso- 
graphirt. 

46)  In  Ermangelung  einer  genaueren  Type. 


43 


lin.  1, 


lin. 


^^ 


senu  chrod-ii-n-senu  ar  ha 

iis  liberi  eorum :  esse  mirum  pretiiini 

Pag.  XVIIL 

*') 
m    rää  -  ii     djedt  -  Je       snid  ma't  -  u 

in  effectibus  verbi  tui ,    spicilegium  (cf.  sesrit)  veri- 
tatum*8) 

ancJi     mesu    —    ii  —  Je.     ar  tep  utu  ii    u        r 
(victum)  vitam  prognatorum  tuoruni.  Si  auctor  prae- 


^   III 4^^^ 

asfet  -  u  acJi 

cepti  praecedat  exiturum  ad  peccata  quemnam? 


47)  Herr  Pleyte  hat  dieses  cz^^s ,  welches  allerdings  in  Folge 
einer  Correctur  undeutlich  ausgefallen  ist  (cf.  Jioses  IX  2  ult.)  mit 
Unrecht  für  das  Zeichen  I — I — i  gehalten;  es  gleicht  eher  einem  t=o>-=3 
oder  — H — ,  so  dass  t'esu  im  Sinne  von  ,, Lehrsätze"  (cf.  V,  6)  stünde. 

48)  Allerdings  könnte  auch ,  mit  Rücksicht  auf  die  Vieldeutig- 
keit der  Wurzel  (sirucl  kopt.  rot  und  die  adverbiale  Bildung  na-me 
=:  vere,  hier  gaudium!  vere,  profecto!  übersetzt  werden. 

49)  In  Ermangelung  einer  genaueren  Type.  Die  Wörter  mesu 
und  chrodu  erscheinen  im  kopt.  als  mas  infans ,  mosi  gignere ;  mes 
natus;   cJiroti  fiLii,  liberi. 


44 

Was  unter  den  shesu  Har  zu  verstehen  sei,  darüber  habe 
ich  im  ,,Manetho"  p.  66/72  Einiges  beigebracht.  Wörtlich 
bedeutet  der  x\ussdruck:  pedissequus  Hori.  Da  man  nun  in  der 
Rosettana  das  Verbum  shes  mit  ^squttsvsiv  (bei  den  Götter- 
bildern) trifft,  so  übersetzte  man  .,Horus-worshippers'\  Auch 
dürfte  das  kopt.  scliemsclii  zu  ferne  liegen.  Im  histor.  Sinn  sind 
es  die  Urkönige  Aegyptens,  welche  Bedeutung  natürlich  hier 
nicht  zutrifft.  Der  Sinn  verlangt  vielmehr:  so  veie  Horus 
seinen  Vater  Osiris  (den  einzigen  bisher  in  unserm  Pap. 
genannten  Gott !)  gerächt  und  geehrt  hat  und  darum  die 
Herrschaft  erhielt,  so  wird  es  jedem  gehorsamen  guten  Sohne 
auf  Erden  Wohlergehen.  Es  folgt  unmittelbar  der  Lohn : 
,,die  Erreichung  eines  hohen  Alters",  wie  oben  XVI,  wo 
ich  die  Parallele  mit  dem  vierten  der  zehn  Gebote  absicht- 
lich nicht  gezogen  habe,  weil  sie  sich  jedem  aufmerksamen 
Leser  aufdrängen  muss.  —  Dass  cheper  zwischen  sotenm 
und  m  in  Gedanken  zu  suppliren  ist,  lehrt  eine  ganze  Reihe 
von  Beispielen  des  oben  citirten  Pap.  Leyd.  I  340.  Während 
VIII  2  in  dem  Satze:  ,,Die  Auswürflinge  des  Landes  werden 
zu  Protect oren ,  (dagegen)  werden  die  reichen  Leute  zu 
Nichtshabern"  —  der  Begriff  werden  durch  ^<z:=»  aus- 
gedrückt ist,  fehlt  dieses  Verbum,  mit  Ausnahme  der  näch- 
sten   Beispiele  VIII  3    (bis) ,    bei   allen    andern    Sätzen ,    so 

z.B.  1X4:   ^^^Ist'^LL'^J^ö^rtsO^Jt^ 

,,der    nicht  Fruchtkörner    habende   wird    zum  Besitzer    von 

Scheunen" ,    wo  man    doch  offenbar  das  / nicht  mit  ,,in 

statu"  übersetzen  darf,  wie  es  oben  und  oft  geschehen  ist.  — 
amch  in  der  Bedeutung  ,, ehrwürdiges  Alter"  bietet  die 
grosse  Inschrift  von  Miraraar  lin.  2 ,  wo  es  den  Gegensatz 
zu  clirodu  ..Kinder,  Junge"  bildet.  —  rdä  entspricht  dem 
kopt.  ra  actio  (effectus).  —  Das  was  in  den  Wirkungen  der 

Worte  gelegen  ist,  wird  -<s>-  Jl3^  ar-ha  genannt,  welches 


45 

ich  oben  zu  II  4,  V  5  erwähnt  habe.  Mit  Brugsch's  (mef-)ebe 
ecstasis  Stupor  hängt  es  wohl  nicht  zusammen,  da  dieses 
Wort  nach  dem  deraot.  Beinamen  des  Ptol.  Lagi :  ahe,  das 
durch  ■;_— 0  oder  -^  deterujinirt  ist,  nicht  harmonirt;     hJ:- 

ahe  —  nohem  =  Ocorr^q  vielleicht  eine  Accommodation  an 
Aüyo  V '? 

Da  unser  Verfasser :  Ptahhotep  dieses  ar-ha  von  d-'u 
Wirkungen  seiner  Lehre  (an  seinen  Sohn)  aussagt .  so  ver- 
dient vielleicht  die  Legende  einer  Wiener  Stele  Nr.  124,  die 
H.  Reinisch  für  mich  nochmals  zu  vergleichen  die  Güte 
gehabt   hat,    einige    Aufmerksamkeit.     Der   hieber    gehörige 

Theil  lautet:  (j^.<s^^ J-||=^(JD||  „der  Vater  (des 
NN)  war  der  leistende  das  Verdienst  des  Ptahhotep:  Apepa 
(geboren  von  der  Hakekit ;  ....  seine  Mutter :  i-iie  Haus- 
lierrin    ^^i^;;;!^!]   •  •  ■  geboren  von  An-Amentit)".    Ich  kann 

nicht  annehmen,  dass  der  Vater  des  NN  di_-n  langen  Namen 
Aru-bat-Ptahhotep-Apei>a  geführt  habe,  sondern  sehe  nur  den 
letzten  Theil  Apepa  als  sein  nom.  prop.  an,  woraus  folgt, 
dass  Aru-bat  Ptahhotep  eine  Anspielung  auf  unseren  Sitten- 
lehrer:  Ptahhotep.  darbietet. 

Was  unter '^M    zu   verstellen    sei,    habe    ich    oben    zu 

Pag.  XVI  lin.  4  angedeutet ;  ich  übersetze  hier  caput  (auctor) 
praecepti  in  Ptücksicht  auf  den  Zusammenhang.  —  Die  An- 
tithese der  beiden  Verba  i  (venire)  und  u  (exire) ,  die  ich 
oben  zu  IV  3  bemerklich  gemacht  habe,  ist  an  jetziger  Stelle 
von  entscheidender  Wichtigkeit;  ohne  dieselbe  ist  kein  Sinn 
zu  eruiren.  —  Das  Wort  asfet  wirii  in  den  Pihindpap.  durch 
das  demot.  ogi  iniquns  injustus  übersetzt,  ßrugsch  denkt 
an  sof  violare  polluere;    vielleicht  liegt,    da  dieses  vielmehr 

dem  JiH  ö  sof  potiones,    NZD    potavit  entspricht  und  [1  wegen 


46 


der    Schreibung    Om'^^^^  nicht  als  prothetisch  gefasst  wer- 
den darf  —  im  kopt,  osclif  invadere,  das  uralte  asf  bewahrt. 


■M. 


-,11     —   _M^_es^i  I  'i  I  1    ''°*-  % 

äjeä  reähu   maa iu senu  mati 

dicunt  homines  videntes  eos :  ,,exemplum 

as  paf  pic     djed  n  sofern  rä-semi  mati  as  paf 
ecce!    o  ejus  est!"     dicitur  ab  audieutibus  actiones 


lin.  5.     ! 

pu 

eorum :    .,exemplum  ecce  6  ejus  est!"' 

Ueber  mati  im  Sinne  eines  Substantivs  (kopt.  s-mat 
exemplum,  exemplar)  vergl.  oben  XVII  11 ,  wo  mati  ohne 
Zweifel  so  zu  fassen  ist,  da  eine  Präpos.  (m)  vorhergeht. 
Weiterhin  lin.  14  ult.  werden  wir  das  Pronom.  x>af  (kopt. 
pliöf  oc  1]  Ol',  suus  und  ipsius  oder  6  ejus)  in  Beziehung 
zu  si  (filius)  treffen,  das  auch  hier  leicht  dem  Sinne  nach 
zu  ergänzen  ist, 

^^->^^J^--MP  ™-i  p^l^ 

ger      maa  hu — nih~  ti — senu      segerh 

porro  vident  homines  omnes  eas  (ut)  pacantes 


47 


ascha'hc,         an    qem    n    ases-u       m  climnt- 
multitudinem .    non    durantem  in   antiquis  ob  excel- 


lin.  G. 


iP 


I    I    I 


semii 

lentiam  eorum 

Diese  Stelle  bietet  grosse  Schwierigkeiten.  Zwar  die 
Partikel  ger  ^  die  in  dem  kopt.  g'e  igitur  erhalten  ist,  so 
wie  segerh  =  sjrelit  quies ,  sind  sehr  durchsichtig.  Auch 
die  Bedeutung  von  (lem  durare  ist  durch  manches  Beispiel 
festgestellt,  wozu  ich  aus  der  Unterweisung  des  Amenemha 
folgendes  füge  I  3/4 :  m  chejyer-neJc  dqa  an-qeni  n  ari  ,,ne 
crees  tibi  servum  (kopt.  0(7' servus^  inconstantem  in  socium!" 
Also  scheint  die  ägyptische  Menge  des  Volkes  hier  gerade 
so  als  unverlässig,  unstabil  und  unbeständig  geschildert  zu 
zu  werden ,  wie  bei  Plutarch.  de  Is.  c.  72 ,  wo  es  heisst  : 
Tovq  Alyvmiovc  .  .  .  (fvOsi  fxev  xovcpovg  xal  Trqog  /.leva- 
ßoXag  xal  v swr e Q lO f-iov  o^vqqoTiovg  ovrag.  —  Aber  das 
kopt.  athi7n  immotus,  constans,  sowie  Jcatna  separare  würden 
gerade  den  entgegengesetzten  Sinn  ergeben,  wobei  allerdings 
zu  bemerken  ist,  dass  die  letztere  Bedeutung  noch  nicht 
monumental  feststeht,  wie  die  erstere  von  durare  dauern; 
cf.  äjam^  tranquillitas.  Die  Präposition  m  vor  cliomt  (kopt. 
scJiom  excellens,  eminens)  muss  an  unserer  Stelle  ,, trotz"' 
bedeuten  oder  die  Negation  als  interrogativ  gefasst  werden, 
wodurch  freilich  wieder  das  pacantes  oder  pacationem  keinen 
rechten  Sinn  mehr  hätte.  Mit  ^  Q  ,  n  .  ehern  ignorare  darf 
unser  cJi07nt  nicht  identifizirt  werden ,  da  beide  in  unserm 
Pap.  nicht,  wie  in  späterer  Zeit,  promiscue  gebraucht  werden. 


48 


A 


m     tit         djedt,         m     an  uä,    m    r-ä  het     m 
ne  auferas  verbum,  ne  adjungas  unum,  ne  ponas 


i 


1        lin  8.       ^ 
ast  het 


.0) 


sa  —  üi         m      un 


iiiiiiiii 


aliud  in  loco  alius;     caveto(te)  ab  aperiendo 


ana  -  u       am  -  h     sau  —  h  —   tu       r     djed  rech- 
gemmas  iu  te ,  doce-to-te  dum  dicaris  rerum 


I    I    0 


'^ 


^,i'iiiii,     liu.  9. 


chetu^       sotem   —   Z;    mcr-k,  sme nt  —  h 

peritus,  audias  votuin  tuum,  stabilias  te 


m^^)  ro  n    sotemiu-u    djedui h      äq- 

in    ore   auditurorum  sermonem  tuum ;     obveniat 


J\ 


.52) 


_  lin.  10. 

ncJc  m   sept   uä  n     ahmt       djedu- 

tibi  in  scopo  (vox):    ,,Unus  artifex"!    oratio  tua  sit 


50)  Es  steht  fälschlich  ein  m. 

51)  Es  steht  ein  fehlerhaftes  a. 

521    Vielleicht  besser   mit  *= — >  zu  transscribiren ,    welches    den 
nämlichen  Sinn  ergibt. 


49 


_^^|      I      I,     w    ,v^^wv  lin.   11.      Q     '  J-^::-  I  Q~3^ 


A-     >•     sopnun  imn  secher  —  k  eher  as'f-f 

ad  justam  staturam;  ratio  tua  prope  seclera  suam". 

Diese  lange  Stelle  erfordert  nur  wenige  Erläuterungen. 
Das  Yerbum  fjit  ist  identisch  dem  kopt.  fji  auferre;  sein 
Gegensatz  an  ist  oben  zu  V  9  erklärt.  —  J:et  steht  ebenso 
im  kopt.  Jcet  alius;  sa(u)  eigentlich  abwehren,  erblicke  ich 
im  kopt.  sahö  abstinere.  —  ana-u  mit  dem  Deutbilde  der 
Pflanze  muss  hier  etwas  Vorzeitiges,  Unreifes  bedeuten. 
Wenn  es  sicher  wäre,  dass  bei  cne  des  kopt.  Lex.  =  gemma 
dieses  lat.  Wort  auch  in  dem  Sinne  von  ..Knospe'"  (cf.  Virgil) 
gemeint  ist ,  so  würde  dieses  einen  passenden  Gegensatz  zu 
dem  zu  supplireneen  Begriffe  ., Frucht"  abgeben.  Brugsch's 
„aroue  und  aloui  tribuli,  stipula,  rami  palmae  vel  vitis,  in 
quibus  sunt  dactyli  adulti  et  uvae"  scheint  sich  hier  nicht 
zu  empfehlen.  —  sopmin ,  ob  nun  das  Deutbild  c^:>  oder 
©  zu  umschreiben  ist ,  entspricht  dem  ..sopon  vir  justae 
staturae"   bei  Kircher;     eine  ähnliche  Wortbildung  liegt  vor 

1X7  in  ;3;^;^|i|cz5^  senan  =  ko])t.  snfArii\\i([evQ,  nugari. 

Statt  sopon  hat  Kircher  aber  auch  sJcopon  mit  derselben 
Bedeutung  —  etwa  aus  GxoTtog  Ziel?  Jedenfalls  berechtigt 
mich  das  Wort  C^u  ,,die  Spitze,  das  Ende'",  hier  das  viel- 
deutige sep't  mit  scopus  (meta)  zu  übersetzen,  um  so  mehr, 
als  alle  anderen  Bedeutungen  des  aeg.  Stammes  sep(t)  sich 
im  Hebräischen  nachweisen  lassen.  Der  folgsame  Schüler 
(Sohn)  bringt  es  zur  Sachkenntniss  und  Meisterschaft  in  der 
Beredtsamkeit,  so  dass  man  ihm  zuruft:  „Ein  Meister 
(Künstler)" ,  dessen  Rede  das  rechte  Maass  hat  und  dessen 
Plan  (Absicht,  ratio)  den  gewünschten  Punkt  erreicht.  — 
Dass  es  sich  hier  überhaupt  von  dem  Auftreten  des  Redners 
handelt,  beweist  auch  das  näcliste  Kapitel. 

[1870.  II.    Beilage.]  G 


<=>  AAAAAAr— — X  !i  Ir    -^^^^V ^      (soweit  Feiclit  die  Rubrik) 


50 

Kapitel    43. 

Äerp       7ief-Z;  hau ro-h 

arctat  cor  tuura,  angustat  os  tuum 

Ausser  der  Bedeutung  herp  aqua,  madofacere,  rigare, 
auf  welche  schon  das  Deutbild  des  Wassers  hinweist,  eignet 
dem  herp  (cf.  kopt.  Iwrp  dorniire,  horp)  soporare)  auch  noch 
ein  anderer  Begriff,  der  in  hIcp-Möp  coarctare  angustare 
vorliegen  dürfte.  Dass  ein  ungünstiges  Verhalten  des  Her- 
zeus gemeint  ist ,  ergibt  sich  zunächst  aus  dem  parallelen 
hau  (mit  ^^^) ,  weiches  ich  in  dem  hcois  enge  des  Pap. 
Butler^ ^)  (kopt.  hen  abstinere?)  erkenne. 

ach?    secher-k  m-a  m  sarii u   meter 

quid?    conditio  tua  e  regione  priucipum;  testeris 

1         u  ^ — ^        ^^^^^-^\  — ^        ^^-~        Ji 

hi    Jcednu  eher  neh-l-  ar     djed-nef   si  paf  2^u 

de   intelligentia    (quae  est)    apud   magistrum    tuum ; 
facdiciei:  ,,filius  ipsius  est" 

Pag.    XIX. 

r     djcd  n  sotem-ti-n-semi-st:  hos  gert  mesi-nef- 
ut  dicatur  ab  audituris  (sibi)  id:  „laudandus  quoque 


53)    Cf.  Goodwin   in   Chabas'  MelangesII  p.  2G0;     vergl.    dessen 
Pap.  mag.  p.  47,  wo  han  durch  faute  tort  etc.  vertirt  ist. 


51 

SH  nah    liet-h  ter  n       cljedui h 

qui  gGDuit  eum'',  Amplo  sis  corde  tempore  scrmonis 


^1      I      l/vww\(£ 


■Mt 


cljed-h     chetu  äliemm  —  ach       cljed  saru u 

tui;  dicas  res  quam  maximas,  (ut)  dicant  principes 

sotem-ti-n- senil  neferui      peru      n      ro-f 

audituri  (sibi):    „pulcherrimum    (est  quidquid)   pro- 
cedens  ex  ore  ejus". 

Die  Schwierigkeiten  dieses  Abschnittes  liegen  haupt- 
sächlich in  den  Fünvörtern;  ich  werde  versuchen,  in  meiner 
deutschen  Uebersetzung  (am  Schlüsse)  dieselben  schwinden 
zu  machen.  Die  Präposition  m-ä-m  (oder  vielleicht  m-tot-m 
zu  lautiren)  drückt  in  den  Texten  regelmässig  unser  ,, gegen- 
über" aus  und  ist  theilweise  im  kopt.  hitm  ex,  cum  er- 
halten. —  meter  =  metre  testari;  Tiednu  =  Jcati  intelligen- 
tia;  ter  =  (n)tere  quando;  dhennu-ach  ein  Ausruf,  der  aus 
zwei  erklärten  Wörtern  besteht;  pere  =  pire  oriri  sind 
längst  constatirt. 


Kapitel   44. 

'::=^\  ^ — ^  Kubrik)    ^  -ü 

ar     djedt       nch-Jc  (e)roJc      nefend       sehu       n 

fac  (quod)   dicit  magister  tuus   tibi,     pulcherrimura 
doctrina 


52 


lin.  4. 


lin.  5. 


?7V 


atef  —  f    per  —  nef    am-f    diont      hau  —  f    djed- 
patiis  propii,    ex  quo  (quis)  ortus  est,    ex  membiis 

nef -lief  auf  m    cliet   r    tehu       ur    art-nef 

ejus;      locutus    est    ei    versanti    (adliuc)    in   ventre; 
propterea  magnitudo  facti  ab  eo 


I   I   r 


A/v"AV-  c3  f 


r     djeddtu-nef     maJc      si    ne-fer    n   tat  nuter 
superat  dicta  ei.     memineiit   filius  bonus   de  gratia 


^= 


r-a  hau  Jii  djeddtu-^nef  eher  neh-f  ar-f  ma't 

Dci  qui  dat  iiicieiuentum  ad  dicta  ei  apud  magistrum 
ejus;    exeiceat  veritatera 


lin.  6. 


J\ 


I    I    II 


;()jS)7s^ 


ar-n  het-f  r  netem  ti-u-f    ma  pehu-l'ti-a     hä-u- 
poeniteat  eum  errurum  suoruui.  Quomodu  attigi  equi- 


^ii^  Ji'l^-  U  T 


^D 


^111^ 


Je     uza  sufen      Jtotep     m    chepert-u     niht 

dem,  (sie)  membra  tua  salva;    rex  coutt-ntus  gestis 
omuibus; 


53 

tjif Je  renpet-u  m  auch  an  sher       arf—n  —  a 

acquin's  aunos    vitae  non  pauciores  (quam)   egi  ego 

tejJ-fo  fit-n-a     renpet   CX  m  auch  n  tat  n 
super  tua :  aequisivi  aimos   110  vitao  cum  gratia- 


Sitten      Jiest-u    cliont       cqm  —  oul u     m  -  a 

regis ;  laudes  inter  primores  propter  usum 

art  nia.t  u  sufen         r    as'f  aiuch 

veritatis  ad  i\geuj  u-que  ad  punctum  senectutis. 

Die  Gruppe  nm''^  in  den  Dccanlisten  nit  x^^t  traus- 
scribirt,  hängt  mit  chen  (cf.  ad  I  1)  kopt.  cliün  intus 
zusammen ;  eine  Parallele  zu  unserer  Stelle  bietut  das 
Todtenbuch  138  2.  —  hcl  Ghed  ist  bewahrt  im  kopt.  hö. 
Welches  den  Fürwörtern  zur  Stütze  dient,  z.  B.  Iw-f  et  ille 

xul  aiTÖg   ,,er  ebenfalls"'.   —   Das    vieldeutige  ta  A D  habe 

ich  mit  gratia  übersetzt,  nach  Analogie  von  kopt.  taa  datio, 
fo  munus  —  ar-n-het-f  r  vergleiche  ich  dem  kopt.  eire  n 
Jief  poenitere  ,,>^ich  etwas  zu  Herzen  nehmen".  —  j;e7»^  cf. 
pöh  perveuiie,  pJcoh  assequi.  finis.  —  renpe  cf.  rompe  annus 
(nicht  ter  zu  lesen  I).  —  sher  kopt.  schere  infans ,  filius 
(minor  natu)    ist   hier  als  Comparativ  zu  nehmen.  —  dpu~ 


54 

äui-u    kopt.    apeue   principes ,    vertices.      Hieran   reiht   sich 
folgende  Schluss-Kubrik 

ii„.9.  ^;^H^i^^fe'^'^4(l^^()^- 

u f    pu      hd't-f    r    pchui-f  ma  djemit 

finitus    est  (Über)    initium   ejus  usque  ud  fineiu  ejus 


ni     an 
(est)  ut  inventio  in  scripto. 

Die  Form  peJitii  hat  ihr  Analogou  in  pliöchi  (vaHdus) 
acquirere.  —  In  Bezug  auf  Cm  vergl.  man  ad  II  lin.  5.  Es 
ist  mir  am  wahrscheinh'chsten,  dass  mit  dieser  Wurzel  nicht 
anan  color,  sondern  on  oni  similem  esse,  imitari  zu  ver- 
gleichen ist,  weil  die  ägyptische  Schrift  x«r'  f^oxTjV  die 
die  Gegenstände  nachahmte.  Das  kopt.  sacli  hingegen  ist 
aus  seclia  entstanden  und  dem  Begriffe  ,,memüires"  verwandt. 


Der  Verfasser  unserer  Urkunde:  Prinz  Ptahhotep, 
schrieb  unter  dem  Könige  Tat-kera  Assa,  dem  vorletzten 
Mitgliede  der  V.  Dynastie.  Sein  hohes  Alter  von  110  Jahren 
ist  in  Aegypten  typisch  geworden  zur  Bezeichnung  der 
äussersten  Lebensgränze ,  die  den  Bewohnern  des  Nilthaies 
wünschenswerth  erschien.     Die  110  Jahre,  welche  auch  dem 


54)  Versetzt  statt  ^J;^  5  ^'^^  ^^^  Dual-Endung  ui  hat  übrigens 
die  Gruppe  '^^  mit  derselben  Lautung  und  Bedeutung  einen  Ein- 
fluss  gehabt.     Cf.  supra  ad  IV  4  pehu-ti. 


55 

Patriarchen  Joseph  in  der  Bibel  zugeschrieben  werden  und 
in  dem  ,.undecies  denos  annos'"  des  Horatius  (carmen  sae- 
culare)  nachklingen ,  finden  sich  auf  Denkmälern  und  in 
Urkunden  sehr  häufig  erwähnt.  So  z.  B.  auf  dem  Sitzbilde 
des  Bokenchons  in  der  Münchner  Glyptothek,  wo  es  in 
der  Sockel-Inschrift  am  Schlüsse  heisst:  ,,Er  (der  Gott  Amon) 

verschaiTe   mir  Dauer  in  der  Glückseligkeit  ■^'9]  (^  nach  den 

110  Jahren"  d.  h.  nach  dem  höchsten  Alter.  Die  juristische 
Stele  unserer  Sammlung  (rechts  beim  Eingange  die  erste) 
hat    folgenden  Passus:     ., Gewähret    iiAv    (ihr  Götter)  Dauer 

des  Lobes  für  die  J  |j  Unparteilichkeit  auf  meinem  Munde 
am  Sitze  der  Gerechtigkeit  (und)  dass  ich  niemals  zurück- 
bleibe in  eurem  Dienste  immerdar  <!::>■  ^\\/ TT^^'^'n' 

bis  zum  Anlangen  bei  den  in  Jen  110  (Jahren)  Stehenden". 
Im  Louvre^s  gewährt  Amon  Jemanden    ft^-^    fb'e  Set-mati 

(A[jf,6V^r]g  Unterwelt)  lÖj^  ,,nach  110  Jahren"  und  die- 
selben 110  Jahre  kehren  in  der  nächsten  Zeile^^)  wieder. 
Solche  Beispiele  Hessen  sich  in  Menge  anführen.  Man  wird 
dadurch  vielleicht  auch  meiner  Ansicht  geneigt  gemacht,  dass 
die  auf  der  Wiener  Stele  (cf.  supra)  vorkommende  Anspiel- 
ung auf  die  ,, Verdienste  des  Ptahhotep"  zu  beziehen  sein 
dürfte.  Wessen  Sohn  er  selbst  gewesen,  und  wie  sein  eigener 
Sohn  geheissen,  erfahren  wir  aus  dem  Papyrus  Prisse  zwar 
nicht;  allein  das  angegebene  Alter  lässt  vermuthen,  dass 
seine  Geburt  um  die  Mitte  der  V.  Dynastie  anzusetzen  ist. 
Um  diese  Zeit  regierte  Xe'oi-g  (Cha-(nefer-)ra).  Auf  Denk- 
mälern   der   V.  Dynastie   erscheint   ein   hoher   Beamter   des 


55)   Cf.  Goodwin  in   Chabas   Melanges  II  231    „de  la  longevite 
chez  les  Egyptiens". 


56 

Namens  Ptahhotep  ziemlich  häufig^^)  und  gerade  auch 
unter  Tetkera-Assa  und  mit  Erwähnung  solcher  Priester- 
thiimer ,  die  Königen  der  IV.  und  V.  Dynastie  vor  Assa  ge- 
widmet sind.  —  Jedenfalls  muss  die  Thatsache,  dass  ein 
Königssohn  in  so  früher  Zeit  sich  mit  Gedanken  über  Moral 
und  Umgang  mit  Menschen  beschäftigte,  und  seine  Ansichten 
in  Bezug  auf  den  Nutzen  des  lehrenden  Gieiscs  schriftlich 
niederlegte,  das  höchste  Interesse  beanspruchen. 

Wie  vom  ßokenchons  der  Glyptothek,  so  scheint  auch 
von  Ptahhotep  das  Grab  noch  zu  existiren. 

Deutsche  Uebersetzung. 

Kapitel     1. 
Von    den  Mühseligkeiten    des   Greisenalters. 

Pag.  IV.  lin.  1.-''^)  „Unterweisung  des  Präfckten 
der  Stadt  und  Umgegend:  Ptahhotep  unter  der  Majestät 
des  Königs  von  Ober-  und  Ünter-Aegypten,  Assa  (Tat-kera), 
des  immerdar  bis  in  Ewigkeit  lebenden. 

lin.  2.  Der  Präfekt  der  Stadt  und  Umgegend:  Ptah- 
hotep spricht:  ,,0  Honhen  (Osiris),  grosser  Herr,  zu  werden 
ein  Greis  ist  ein  Graus,  ein  äus- 

lin.  3.  -serster ,  der  letzte  Fluch ,  ein  Kindischwerden 
auf's  Neue.  Das  Liegen  (Lager)  gereicht  ihm  zur  PLige 
jeden  Tag,  die  Augen  werden  schwach. 


5G)  Lepsius:  Denkmäler  III  45,  a;  71,  79.  Dümichen  Resultate: 
Taf,  VIII,  2;    XIV. 

57)  Chabas :  Oraison  de  l'intendant  civil  Ptahhotep ,  sous  la 
majeste  du  roi  de  la  haute  et  de  la  basse  Egypte  Assa,  vivant  ä 
toujours. 

L'intentant  civil  Ptahhotep  dit:  0  Osiris,  mon  maitre,  le  chef 
se  fait  vieux,  la  decrepitude  vient  ä  la  place  de  l'elegance,  la  debi- 


57 

lin.  4.  (las  Olirenpaar  stumpf,  die  Kraft  geht  verloren. 
Nicht,  0  Mildherziger,  spricht  (mehr)  der  Mund,  keine  Rede 
hat  derselbe. 

Pag.  V.  lin.  1.  Das  Herz  verhärtet  sich,  nicht  erinnert 
es  sich  an  das  Gestern;  die  Gebeine  leiden  abwechselnd; 
das  Gute  verwandelt  sich  in  Schlimmes;  jeder  Geschmack 
schwindet. 

lin.  2.  Es  macht  das  Greisenalter  einen  Menschen 
elend  in  jeder  Beziehung ;  die  Nase  ist  verstopft,  nicht  kann 
sie  athmen ;  zur  Last  ist  (ihm)  Stehen  wie  Sitzen :  das  ist 
die  Lage,  in  der  sich  der  Decrepite  befindet. 

lin.  3,  Was  soll  der  Mitgreis  thun?  Soll  ich  ihm 
sagen   die  Worte    der  Erfahrenen  in  der  Weisheit   der  Vor- 


lite  l'enveloppe  chaque  your,  les  yeux  se  rapetissent,  les  oreilles 
s'assourdissent,  le  courage  s'amortit;  plus  de  calme;  la  bouche  crie, 
eile  ne  parle  pas,  le  coeur  s'annihile,  il  n'a  plus  la  dilatation  de  la 
joie;  un  beau  lieu  devient  un  Heu  aöreux.  le  goüt  s'enfuit  entiere- 
ment,  la  vieillesse  rend  les  hommes  dessagreables  en  toutes  choses; 
le  nez  disparait,  il  ne  respire  j)lus;    penibles  sout  le  mouvement  et 

le  repos Ah!    lui  dirai-je,    la  parole  de  ceux  qui   comprennent 

les  conseils  du  passe,  les  secrets  qu'entendent  les  dieux.  Ab!  c'est 
ä  toi  d'opeier  ainsi  la  destruction  des  resistances  contre  les  gens 
eclaires  ...  La  saintete  de  ce  Pieu  dit:  instruis-le  dans  la  parole  du 
passe;  oui.  eile  fera  l'aliment  des  enfants  et  des  hommes  faits;  celui 
qui  la  comprend,  marchera  dans  la  satisfaction  du  coeur.  Sa  parole 
n'engendrera  pas  la  satiete.  Commencement  des  arrangements  de 
bonnes  paroles  dites  par  le  noble  chef,  l'aime  deDieu,  le  fils  du  roi, 
l'aine  de  sa  race,  l'intendant  civil  Ptahhotep,  pour  apprendre  aux 
ignorants  ä  connaitre  le  principe  de  la  bonne  parole,  pour  le  bien  de 
ceux  qui  l'ecoutent,  pour  infirmer'  ceux  qui  voudraient  l'enfreindre. 
II  disait  ä  son  fils:  Avec  le  courage  que  te  donne  la  science,  dis- 
cute  avec  l'ignorant  comme  avec  le  savant :  les  barrieres  de  l'art  ne 
pont  pas  encore  emportees,  nul  artiste  n'est  encore  doue  de  toutes 
ses  perfections.  La  bonne  parole  luit  plus  que  l'emeraude  que  la 
main  des  esclaves  trouve  sur  des  cailloux. 

[1870.il  Beilage.]  ß 


58 

zeit  und  welches  ihre  Kunde  von  den  Göttern  sei?     Bewirke 
ein  Muster  der  Tilgung  der  Schwächen  unter  den  Menschen 
bereite    du    die    Hülfe!"      Es    spricht    die    Majestät    dieses 
Gottes :  ., lehre  du  ihn  nur 

lin.  5.  das  Wort  des  Alterthums ;  o  mache  ihn  (da- 
durch) werth  bei  den  Söhnen  der  Vornehmen,  welche  ein- 
treten und  hören  von  ihm ;    willig  ist  jedes  Herz ; 

lin.  6.     was  er  spricht,  erzeugt  keine  (Ueber-)Sättigung. 

Kapitel    2. 

Exposition   des  Schriftstellers. 

Anfang  der  Sprüche  (Sätze)  des  guten  Wortes, 
gesprochen  von  dem  Fürsten  und  Vorstande,  dem  gött- 
lichen Vater,  dem  Gottgeliebten,  dem  Königssohne, 

lin.  7.  dem  Bevorzugten ,  von  seinem  Stamme ,  dem 
Präfekten  der  Stadt  und  Umgegend :  Ptahhotep ,  als  Unter- 
richtuug  der  Nichtwissenden  zum  W^issen  (und)  zum  rechten 
Maasse  des  guten  Wortes;  zum  Segen 

lin.  8.  derer,  die  ihm  gehorchen  (es  befolgen),  zum 
Fluche  derer,  die  es  übertreten  werden.  Er  spricht  zu 
seinem  Sohne:  Nicht  sei  überniüthigen  Sinnes  auf  Grund 
deines  Wissens;    gehe  nur  zu  Rathe 

lin.  9.  mit  dem  W^issenden  wie  mit  dem  Nichtwissenden: 
nicht  ist  geschlossen  die  Schranke  der  Kunst,  kein  Meister 
ist  vollkommen  in  seiner  Herrlichkeit. 

lin.  10.  Achte  das  gute  Wort  (oder:  die  Tugendlehre) 
höher  als  den  Grünstein  (Serpentin  oder  Smaragd);  denn 
dieser  wird  auch  getroffen  am  Arme  von  Sclavinen  nebst 
(andern)  Edelsteinen. 


59 


Kapitel    26. 

Von    der  Aufnahme  des  Greises. 

Pag.  XII.  lin.  6.  Nicht  werde  zurückgestossen 
in  seinem  Graus  ein  Greis.  Lasse  nicht  verkümmern 
(ersterben)  das  Herz  desjenigen, 

lin.  7.  welcher  (ohnehin  schon  durch  das  Alter  genug) 
belästigt  ist.  Es  wird  höher  geschätzt,  wer  ihn  (verwendet) 
beschäftigt ,  als  wer  ihn  beseitigt :  den  (alten)  Mann  mit 
Liebe  umgeben,  das  macht  die  Menschen  Gott  gefällig 

lin.  8.  welcher  will,  dass  dies  ihm  widerfahre.  Tröste 
du  sein  Angesicht  nach  der  (erlittenen)  Mühsal.  Wer  Friede 
bei  sich  selber  hegt  und  pflegt, 

lin.  9.  wessen  Weib  Rührigkeit  (in  der  Pflege  des 
Greises)  beweist:  das  sind  Leute,  welche  Liebe  ernten. 

K  a  p  i  t  e  1    27. 

Die  Wirkungen   der   gastlichen  Behandlung  des 
Greises. 

Die  Lehre  des  Greises  gereicht  ihm  zum  Segen, 

lin.    10.       da    sie    bewirkt    seine    wirthliche    Aufnahme 

unter    den  ^lenschen;     machend,    dass    seine  Sättigung   (als 

Lob)    zurückfällt    auf   seinen    Herrn.      Es    ist    ein    Gewinn 

für  dich 

lin.  11.  bei  seiner  Person.  Es  ist  der  Hang  (Trieb) 
der  Liebe  höher  zu  achten  als  Opferkuchen :  es  ist  dein 
Rücken  mehr  werth  als  das  Gewand.  Desshalb  gereicht  seine 
Aufnahme  bei  dir 

lin.  12.  zum  Leben  deines  Hauses;  deine  Manen  aber, 
die  dir   lieb   sind,    sie    leben    darum    fort.      Wenn    er    (der 

U* 


60 

Greib)    einen    guten  Aufenthalt    bei    dir   macht,    so    ist    es 
ein  Ruf 

lin.  13.  ein  weitverbreiteter  (für  dich);  weiterhin  weilt 
auch  deine  Beliebtheit  im  Leibe  der  dich  Liebenden.  Ge- 
denke (desshalb)  eine  Person  zu  sein ,  welche  liebt  das 
Gehorchen. 

Kapitel    38. 
Folgen  des  Gehorchens. 

Pag. XV.  lin. 8.^^)  Wenn  du  gehorchst  demjenigen, 
was  ich  dir  gesagt  habe,  so  wird  dein  Sinnen  überhaupt 
vorwärts  schreiten.  Es  ist  das  Fundament  der  Wahrheit 
verbunden  mit  der 

lin.  9.  Vorzüglichkeit  desselben;  es  wohnt  das  Gedächt- 
niss  (Andenken)  desselben  im  Munde  der  Menschen  wegen 
der  Tüchtigkeit  seiner  Lehrsätze :  überliefert  ist  jedes 
Wort,  un- 

lin.  10.  verletzt  in  diesem  Laude  immerdar.  Es  bildet 
einen  vortrefflichen  Leitfaden.  Es  sagen  die  Vornehmen 
darüber:    volksbildend  ist  es,  nämlich 


58)  Chabas:  Si  tu  ecoutes  les  choses  que  je  viens  de  te  dire, 
tous  tes  desseins  progresseront ;  c'est  un  veritable  bonheur  que 
d'en    garder   le  merite   et   d'en   recueillir    l'inspiration  de   la  bouche 

des    hommes    quiconque   en   rapportera    toutes    les    paroles, 

n'eprouvera  aucune  affliction  en  ce  monde  ä  jamais  et  croitra  dans  le 
bien :  c'est  la  parole  des  sages  pour  instruire  l'homme ,  une  parole 
qu'  apres  l'avoir  entendue,  il  devient  prudent.  docile  et  bon.  Apres 
cette  parole,  il  comprend  cela. 

Celui  qui  Jprend  le  bon   parti il   demeurera    pieux   pour 

de  longs  jours  et  sa  satisfaction  sera  entiere  ä  jamais.  Par  la  science 
. .  . .  en  ce  que  par  eile  est  assure  son  bonheur  sur  la  terre.  La  savant 
est  rassassie  de  ce  qu'il  sait  .  .  .  bon  est  le  lieu  de  son  coeur  et  de  sa 
langue,  agreables  sont  ses  levres:  il  parlera,  ses  yeux  verront,  ses 
oreilles  entendront.  La  vertu  de  son  fils  sera  d'exercer  la  justice 
Sans  faussete. 


61 

ÜD.  11.  nachdem  einer  es  befolgt  bat.  Es  bewirkt 
Meisterschaft  uad  guten  Leumund,  nämlich,  naclidem  einer 
es  befolgt  hat.  "Wenn  daher  die  gute  Basis  zu  Tl. eil  ge- 
worden ist  dem,  der  sich  befindet  in  der  Stellung 

lin.  12.  eines  Oberen,  so  wirkt  er  wohltliätig  für  die 
Ewigkeit:  er  sättigt  Jegh'ch.n  immerdar  durch  Wissenschaft; 
sein  Nachdenken  wird  zur  Festigung  des  Guten  derselben 
(Basis)  in  ihm 

lin.  13.  hieuieden  auf  Erden:  es  wird  gesättigt  der 
Kenner  durch  das  vou  ihm  Erkannte.  Es  spricht  der  Vor- 
nehme wegen  seiner  (des  Meisters  oder  Kenners)  scliönen 
Sprache  unwillkürlich  (aus  dem  Antriebe  seines  Herzens) : 
,, Seine  Zunge  bildet  die  Mitte 

Pag.  XVI.  lin.  1.  seiner  beiden  Lippen,  während  er 
redet;  sein  Augen  paar  blickt  gerade  aus,  seine  Ohren  siud 
gleich  (symmetrisch) 

lin.  2.  beim  Hören.''  Vortheilhaft  ist  es  für  den 
Sohn  Jemandes,  zu  üben  die  Wahiheit,  frei  zu  sein  von 
der  Lüge. 

K  a  p  i  t  e  1    39. 

Vom  Gehorsame   der  Kinder. 

lin.  3.^^)  Vortheilhaft  ist  der  Gehorsam  dem 
gehorsamen  Sohne:  es  wird  empfohlen  der  Gehorsam 
durch   den  Gehorsamen.     Es   wird  Jemand    ein  Gehor^ame^ 


59)  Chabas:  C'est  uii  bienfait  que  l'obeissauce  d'un  fils  docile 
Tobeissant  marche  daiis  son  obeissance  et  celui  qui  l'ecoute  devient 
obeissant;  il  est  bon  d'ecouter  tout  ce  qui  peut  produire  rafi"ection: 
c'est  le  plus  grand  des  biens.  Le  fils  qui  regoit  la  parole  de  son 
pere  deviendra  vieux  ä  cause  de  cela.  Aimee  de  Dien  est]  l'obe- 
issance;  la  desobeissance  est  haie  de  Dieu.  C'est  le  coeur  qui  est 
le  maitre  de  l'bomme  dans  l'obeissance  et  dans  la  desobeissance, 
inais  rhomme  vivifie  son  coeur  par  sa  docilite.     ßcouter    la    parole» 


62 

lin,  4.  durch  Gehorsam  gegen  mein  Gebot.  Etwas 
Schönes  ist  der  Gehorsam ,  etwas  Schönes  das  Wort  (Ge- 
horsam) ;    jeder  Gehorsame  wird  glückselig.     Es  frommt 

lin.  5.  Gehorsam  dem  Gehorsamen.  Schöner  ist  Ge- 
horsam ,  als  alle  Dinge ,  wenn  er  geleistet  wird  freiwillig. 
Gar  schön  ist  es,  wenn 

lin.  6.  annimmt  der  Sohn  das  Wort  des  Vaters  sein: 
es    wird   ihm   zu   Theil    hohes   Alter   (Greisenalter)    darum. 

Ein  Liebling 

lin.  7.  Gottes  ist  der  Gehorsam(e),  der  Ungehorsam(e) 
verfällt  dem  Hasse  Gottes.     Es  ist  das  Herz,  welches  bildet 


aimer  ä  obeir,  c'est  accomplir  les  bons  preceptes.  L'obeissance  d'un 
fils  envers  son  pere,  c'st  la  joie.  Le  fils  dont  on  parle  ainsi,  est 
agreable  en  tout,  docile  et  obeissant;  celui  dont  on  dit  cela  a  la 
piete  dans  les  entrailles;  il  est  cber  ä  son  pere  et  sa  renommee  est 
dans  la  boucbe  des  vivants  qui  marchent  sur  la  terre. 

Dümicben  :  Der  Felsentempel  Yon  Abu-simbel  p.  2S:  „Die  Tugend 
der  Geborsamkeit  eines  folgsamen  Sobnes ,  der  einhergebt  als  ein 
Geborsamer  in  jGeborsamkeit.  Es  entsteht  Geborsamkeit  durch  den 
Geborsamen.  Schön  ist  Gehorsamkeit,  ein  herrliches  Wort!  Jeder 
Gehorsam  ist  eine  Tugend  und  es  leuchtet  hervor  der  Gehorsame 
durch  Geborsamkeit.  Schöner  jedoch  als  jeder  andere  ist  der  Ge- 
horsam, der  da  entsteht  aus  Liebe.  Zweimal  herrlich,  wenn  auf- 
nimmt ein  Sohn  die  Rede  seines  Vaters;  er  wird  alt  werden  deshalb. 
Die  Liebe  Gottes  ist  mit  dem  Geborsamen ,  der  Ungehorsame  aber 
ist  Gott  ein  Greuel.  Siebe,  das  Herz  macht  seinen  Besitzer  zu  einem 
Gehorsamen  oder  Ungehorsamen;  Wohl  und  Wehe  eines  Menschen 
hängt  ab  von  seiner  Sinnesart.  Wer  gehorsam  ist ,  gehorcht  einer 
Ermahnung  willig;  gehorsam  sein,  heisst  bandeln  nach  guten  Vor- 
schriften. Gehorcht  ein  Sohn  seinem  Vater  mit  Freude,  wird  das 
gesagt  von  einem  Sohne,  dann  wird  er  gerne  gesehen  sein  bei  Jeder- 
mann. Wer  in  Geborsamkeit  hört  auf  das  zu  ihm  Geredete,  dem 
wird  es  wohl  gehen  an  seinem  Leibe,  der  wird  geehrt  sein  bei 
seinem  Vater  und  sein  Lob  wird  sein  in  dem  Munde  aller  Lebenden, 
die  auf  Erden  wandeln.     So  wird  es  sein." 


63 

lin.  8.  seinen  Besitzer  (Inhaber)  zum  Gehorsame  wie 
zum  Ungehorsame.  Leben  Heil  und  Kraft  Jemandes  bedingt 
seine  Gesinnung.     Was  den  Gehorsamen  betrifft 

lin.  9.  der  freiwillig  gehorcht,  so  ist  Gehorchen  nichts 
Anderes  als  Ausführung  der  Worte.  Gar  schön  ist  es,  wenn 
gehorsam  ist  ein  Sohn 

lin.  10.  seinem  Vater.  Gar  erfreulich  ist  es,  wenn 
gesagt  wird  von  ihm  jenes :  er  ist  ein  willfähriger  Sohn,  ein 
Herr  (Besitzer,  Eigenthümer) 

lin.  11.  des  Gehorsams.  Der  Gehorsame,  zu  dem  dies 
gesagt  wird ,  der  ist  unversehrt  an  seinem  Leibe.  Wer  an- 
hänglich ist  gegen 

lin.  12.  seinen  Vater,  dessen  Gedächtniss  ist  im  Munde 
der  Lebenden,  so 

lin.   13.     viele  ihrer   auf  Erden   sind    und  sein  werden. 

Kapitel    40. 
Weitere  Folgen   des  Gehorsams. 
''°)Wenn  daher  annimmt  der  Sohn  Jem.andes  das 
Wort  seines  Vaters,    so  gibt  es  kein  Abirren  in 

lin.  14.  seinen  Unternehmungen  (Vorsätzen,  Plänen) 
all;  deine  Lehre  bildet  in  deinem  «gehorsamen  Sohne 


60)  Chabas :  Le  fils  qui  regoit  la  parole  de  son  pere  n'a  aucun 
dessein  de  libertinage.  Eleve  en  ton  fils  un  homme  docile;  sa  pru- 
dence  fera  les  delices  grands ;  sa  bouche  sera  reservee  dans  ses  pa- 
roles.  Dans  l'obeissance  d'un  fils  on  voit  sa  sagesse.  Enfin  ses 
voies  sont  excellentes.  Yienne  le  libertinage,  l'obeissance  demeure 
au  lendemain,  la  science  l'afi'ermit  tandisque  le  rebelle  reste  avec 
sa  parole  imperieuse. 

Dümichen:  ,,"Wenn  aufnimmt  der  Sohn  eines  Mannes  die  Rede 
seines  Vaters,  dann  wird  nicht  Niedrigkeit  kommen  über  seine  Ver- 
hältnisse irgendwie.  Erziehst  du  dir  an  deinem  Sohne  einen  ge- 
horsamen Menschen,  dann  wird  er  auch  vollkommen  sein  nach  dem 
Wunsche  der  Mächtigen." 


64 

Pag.  XVII.  Hn.  1.  seine  Doppelstärke  bei  den  Vor- 
nehmen :  sein  Mund  ersinnt  mehr,  als  zum  ihm  gesagt  wor- 
den ist. 

lin.  2.  Ein  Zeichen  vom  Gehorsam  desselben  ist  seine 
Klugheit,  seine  Irrthüaier,  wo  gibt  es  deren  ? 

Un.  3.  Der  Irrthum  entsteht  aus  fiühzeitigem  Unge- 
horsame:   die  (bessere)  Eikenntniss  veimag  ihn  aufzurichtt-n, 

Hn.  4.  während  der  Halsstarrige  seinen  Widerspruch 
fortsetzt. 

K  a  p  i  t  e  1    41. 
Vom   Widerspenstigen    (Ungehorsamen). 

^')Es  ist  der  Widerspenstige  (Halsstarrige)  ein 
Ungehorsamer, 

lin.  5.  der  nichts  für  sich  zu  Stande  bringt,  er  erblickt 
das  Wissen  im  Nichtwissen,  die  Tugenden 

lin.  6.  in  den  Untugenden ;  er  begeht  allerlei  Unge- 
hörigkeiten ;  es  erscheinen  Verwerflichkeiten 

lin.  7.  von  ihm  jeden  Tag;  sein  Leben  ist  im  Tode; 
darum  sind  seine  Nahrung  Entstellungen  des  Wortes; 

lin.  8.  er  gebraucht  dieselben  als  Kundiger  der  Vor- 
nehmen, indem  er  stirbt  lebendig  jeden  Tag. 

lin.  9.  Er  schweift  aus  über  seine  Linie  wegen  der 
Menge  der  alltäglichen  Vergebungen  an  ihm. 


61)  Chabas:  Le  rebelle  qui  n'obeit  pas  ne  fait  absolument  rien; 
il  voit  la  science  dans  l'ignorance,  les  vertus  dans  les  vices;  il  com- 
met  chaque  jour  avec  audace  toutes  sortes  de  fraudes  et  en  cela 
il  vit  comme  s'il  etait  mort.  Ses . . .  sont  la  contradiction;  il  s'en 
alimente.  Ce  que  les  sages  savent  etre  la  mort,  c'est  sa  vie  chaque 
jour;  il  avance  dans  ses  voies  charge  d'une  foule  de  maledictions 
chaque  jour. 


65 


Kapitel    42. 

Weitere   Folgen. 

lin.  10.  ®')Der  gehorsame  Sohn  wird  zum  Begleiter 
des  Horus  (,,des  Rächers  seines  Vaters").  Glücklich  ist  für 
ihn  nach  seinem  Gehorsame  das  Greisenalter 

lin.  11.  sein,  er  erlangt  die  Würde  der  Pietät,  sein 
Wort  dient  zum  Muster  seiner  Kinder,  in  Erneuerung 

lin.  12.  der  Lehre  seines  Vaters;  allgemein  lehrt  man, 
wie  er  thut;  sein  Wort  bei  seinen  Abkömm- 

lin.  13.  Hngen,  wie  hoch  wird  es  geschätzt!  Es  sagen 
zu  ihnen  ihre  Kinder,  dass  ein  wunderbarer  W^erth 

Pag.  XVIII.  liu.  1.  in  den  Wirkungen  deines  Wortes 
sei,  eine  Aehrenlese  von  W^ahrheiten. 

lin.  1.  das  Leben(-smittel)  deiner  Nachkommen ;  wenn 
das  Haupt  des  Gebotes  (mit  seinem  Beispiele)  vorangehe, 
wer  werde  da  aus- 

lin.  3.  gehen  auf  Sünden?"  Es  sprechen  die  Menschen, 
welche  sie  (die  Wirkungen)  schauen  : 

lin.  4.  ,, ein  Muster,  siehe  da!  ist  der  Seinige  (Schüler)". 
Es  wird  gesagt  von  denen ,  welche  dieselben  (Wirkungen) 
vernehmen  (durch  Hörensagen):  ,, ein  Muster,  siehe  da!  ist  der 
Seinige!" 

lin.  5.  Ferner  betrachten  sie  alle  Leute  als  eine  Be- 
ruhi- 


62)  Chabas ;  Un  fils  docile  au  service  de  Dieu  sera  heureux  ä 
la  Suite  de  son  obeissance,  il  vieillira,  il  parviendra  ä  la  faveur; 
il  parlerande  meme  ä  ses  enfants.  Precieuse  est  pour  l'homme  le 
discipline  de  son  pere;  chacun  le  reverera  comme  il  l'a  fait  lui- 
meme.  Ce  quil  a  dit  au  sujet  des  enfants.  ah!  que  leurs  enfants 
le  redisent,  s'alimentant  des  donnees  de  tu  parole,  veritable  germe 
de  la  vie  de  tes  enfants. 

[1870.11.  Beilage.]  j 


66 

lin.  6.  gung  der  Mengen ,  die  niclit  hängt  am  Alten 
trotz  seiner 

lin.  7.  Ausgezeichnetlieit.  —  Nicht  nimm  davon  hin- 
weg ein  Wort;  niclit  füge  ein  einziges  hinzu;  nicht  setze 
ein  anderes  an  die  Stelle 

lin.  8.  eines  andern.  Hüte  dich  vor  dem  Eröffnen 
(Zeigen)  Unreifes  an  (aus)  dir; 

lin.  9.  belehre  dich,  auf  dass  du  genannt  werdest  .ein 
Sachverständiger ,  und  bis  du  hörest,  was  dir  lieb  ist ,  dich 
befest- 

lin,  10.  igest  im  Munde  der  (Leute),  welche  hören  deine 
Rede,  und  dir  zu  Theil  werde 

lin.  11.  am  Ziele  (zuletzt  der  Zuruf):  ,,Ein  Künstler 
(Meister)!"  bis  deine  Rede  boiui  rechten  Maasse  anlangt 
und  dein 

lin.  12.  Plan  an  seiner  (gewünschten)  Stelle  sich  be- 
findet. 

Kapitel    43. 
Verlegenheiten    und    Belohnung    des    Redners. 

^^)Es  ängstigt  dein  Herz,  es  beengt  deinen  Mund 

lin.  13.  welcher  Umstand?  Dein  Verhalten  gegenüber 
den  Vornehmen.     Zeuge 

lin.  14.  für  die  Einsicht,  die  in  deinem  Herrn  (Lehrer) 
ist;  mache,  dass  zu  ihm  (über  dich)  gesagt  wird:  ,,er  ist 
sein  eigner  Sohn." 

Pag.  XIX.  lin.  1.  So  dass  gesagt  wird  von  den  Hören- 
den: 3, zu  preisen  ist  auch,  der  ihn  gezeugt".  Sei  gehobener 
Stimmung, 


63)   Chabas:  Que  ton  coeur  lave  Tiinpurete  de  ta  bouche. 


67 

lin.  2.  so  lange  du  voiträgst,  rede  uiöglichyt  grosse 
Dinge,  so  dass  spri  cheu  die  Vornehmen, 

lin.  3.  welche  es  hören :  ,,Gar  schön  it>t  Alles ,  was 
hervorkömmt  aus  seinem  Munde." 

Kapitel    44. 
Schlussfolgerungeu. 

^*)Thue,    was  sagt  dein  Herr  (Lehrer)  zu  dir. 

lin.  4.  Gar  schön  ist  die  Lehre  des  eignen  Vaters,  von 
dem  Einer  entsprossen  ist,  aus  seinen  Gliedern.  Dieser  hat 
zu  ihm  gesprochen ,  als  er  noch  im  (Mutter-)  Leibe  war ; 
desshalb  übertrifft  die  Grösse  des  von  ihm  Geleisteten 

lin.  5.  das  zu  ihm  Gesagte.  Es  gedenkt  ein  guter 
Sohn  an  die  Gnade  Gottes,  welcher  thut  das  Gedeihen  auf 
das  zu  ihm  Gesagte  bei  seinem  Herrn ;  er  übt  Wahrheit, 

lin.  6.  und  bereut  seine  Verirrungen,  wie  auch  ich  es 
erreicht  habe :  dann  sind  deine  Glieder  heil ,  der  König  ist 
zufrieden  mit  de(ine)n  Leistungen  all. 

lin.  7.  Du  erringst  Jahre  des  Lebens  nicht  wenigere, 
als  ich  verbracht  habe  auf  Erden  :^^)  Ich  habe  errungen 
110  Jahre  des  Lebens  in  der  Gnade  des  (jeweihgen) 


63)  Accomplis  la  parole  de  ton  maitre;  bonne  est  pour  l'homme 
la  discipline  de  son  pere,  de  celui  duquel  . .  .  il  est  sorti,  dans  les 
merabres  duquel  il  a  ete  forme  lors  qu'il  etait  dans  le  sein  (maternel). 
C'est  une  grande  satisfaction  que  de  se  conformer  ä  ses  paroles.  C'ar 
un  bon  fils  est  un  den  de  Dieu ,  mettant  ses  volontes  dans  les  pa- 
roles qu'il  entend  aupres  de  son  maitre;  il  accomplit  la  justice;  son 
coeur  rend  ses  voies  excellentes . . .  C'est  ainsi  que  j'acquiers  pour 
toi  sante  du  corps  et  paix  du  roi  en  toutes  circonstances  et  que  tu 
parcourras  des  annees  de  vie  sans  faussete. 

65)  Chabas:  Je  suis  devenu  un  ancien  de  la  terre,  j'ai  parcouru 
Cent  dix  annees  par  le  don  du  roi  et  l'approbation  des  anciens,  en 
remplissant  mon  devoir  envers  le  roi  dans  le  lieu  de  la  faveur. 

I* 


68 

lin.  8.  Königs,  dem  Beifalle  des  Adels,  wegen  Uebung 
der  Wahrheit  gegen  den  König  bis  zum  Punkte  des  ehr- 
würdigen Greisenalters. 

Schluss  -  Rubrik: 

^^)Beendigt  ist  das  (Buch);  sein  Anfang  bis  zu  seinem 

Ende  stimmt  überein  mit  dem  Befunde  in  der 

(Original-)  Schrift. 


66)    C'est  fini  de  son  commencement  ä  sa  fin  comme  on  le  trouve 
dans  l'Ecriture. 


Ptalihotep's  Ethik  (Sittenregeln). 

(Papyrus    Prisse  III  b.) 

Nach  der  früheren  Abhandlung  über  Kadjimna's  naiie 
verwandtes  Thema  und  mit  Berücksichtigung  des  über  Ghufu's 
Buch  Gesagten,  braucht  es  hier  beim  zweiten  Theile  von 
Papyrus  Prisse  III  um  so  weniger  einer  Einleitung  und  Um- 
schrift in  Hieroglyphen,  als  Ptahhotep's  Ansichten  über  den 
Nutzen  des  lehrenden  Greises,  sowie  über  den  Gehorsam  der 
Jugend  unmiitflbar  vorangegangen  und  hieroglyphisch  vor- 
geführt sind.  In  diesem  Theile  handelt  er  wie  ein  Cicero 
,,de  officiis"  oder  wie  ein  Kuigge  ,,über  den  Umgang  mit 
Menschen." 

Drittes    Kapitel. 
Pagina   V. 
hn.  10.    ar  äjem-l:  saasu  m  at-f  (so  weit  reicht  die  Rubrik) 
si  invenis  dictatorem  in  momento  ejus. 
Da    dieselbe  Ueberschrift    sich    beim    nächsten    Capitel 
wiedcihült,  und  ich  achou  zu  I  4,  XII  6  über  at  als  ,, schreck- 
licher Augeiiblick"  das  Xöthige  gesagt  habe,  so  übiigt  hier 
nur    der    Ilinwuis    auf    das    kopt.  coeis    dominus  —  in  der 
Bibel    stets    für    ,,Gott  der  Herr"'"    gebraucht  —    um    saasu 
begreiflich    zu    machen.      Das    Dfutbild    weist    auf   k.  c'oos 
dictum,  res  narratu  digna. 


70 

lin.  11.    chcrp  het  m  aqer  eroh  cham  ä-ui-J:  chcms  sa-h 
offer  cor  ut  prudens  (-to),    demitte   brachia  tua, 
inclina  dorsum  tuum 

Den  Nachsatz  dieser  Phrase  übersetzt  Brugsch  lex. 
p.  1727:  , .neige  deine  Hände  und  beuge  deinen  Rücken; 
verneige  dich  vor  deinem  Vorgesetzten"  —  letzteres  auf  die 
letzte  Rubrik  von  pag.  XIII  bezüglich.  Offenbar  entspricht 
cham  dem  k.  schäme  praecipitium;  die  Variante     ^  'w~K  ^^^ 

steht  in  der  Verbindung    .,die  Leute  von erscheinen 

vor  seiner  Majestät,  ihre  Nasen  chamu  auf  den  Boden,  ihre 
Füsse  auf  der  Erde."  Aus  dieser  Schreibung  wird  auch  die 
Phonetik  des  Königs  Namens  (n^a<^  )\  Chaf-ra  Xaßqvig 
Xs(fQr]v  über  allen  Zweifel  gestellt,  so  dass  2acog^ig  und 
2ov(fig  nnr  Assibilationen  desselben  vorstellen.  Was  das 
chems  betrifft,  dessen  s  nach  XIII  rubr.  ult.  nicht  zu  sa 
k.  soi  dorsum  gehört,  so  steckt  es  in  dem  vielberufeneu 
schemsche  colere,  ritus,  ll'C'iI'  dienen,  seivire,  weil  der  ägyp- 
tische Götter-  und  Menscheudieust  mit  vielen  Verbeugungen 
verknüpft  war,  wie  die  Darstellungen  auf  Schritt  und  Tritt, 
und  so  auch  die  Lehrsätze  unseres  Verfassers,  es  beweisen. 
Die  Protasis  ,  welche  Brugsch  lex.  p.  1693  so  übersetzt 
,,wenn  du  findest  einen  Weisen  zu  seiner  Zeit,  welcher  her- 
vorragenderen Geistes  in  der  Vollkommenheit  als  du"  — 
muss  ich  anders  auffassen.  Viele  Beispiele  unseies  Papyrus 
zeigen,  dass  die  Pronomina  vom  Verbuni  abgelö-^t  oder  ent- 
fernt stehen ,  so  muss  auch  hier  ^^  zu  che?-p  (k  scliorp 
praevenire,  prius  facere)  gezogen,  als  ethi&cher  Dativ  gefasst 
und  demnach  vertirt  werden  muss:  ,.SGi  zuvorkommender  Gesin- 
nung". Im  Louvre  auf  dem  Denkmale  des  Amenisneb  (unter 
Ranedjer)  heisst  es  ähnlich  :  au-a  hi  cherp  het-a,  achu  n  nuter-a, 
athui  hi  host-a    ,,ich    war    zuvorkommenden  Sinnes,    würdig 


67)  Mariette  Fouilles  II  pl,  18  col  34.     Pap.  Anastasi  III  4,  6. 


71 

meines  Gottes,  der  Grosskönig  lobte  mich."  Das  Wort 
cherp  bedeutet  wie  k.  chorp  ursprünglich  vola  manus,  mani- 
pulus  pugillus ,  woher  auch  das  Deterra.  das  sonst  dabei 
steht.  Aus  dem  Begriffe  ..darbieten  Qiorpi  tentare  hroprep 
explicare)  (das  Herz)"  entwickeln  sich  die  weiteren  Bedeut- 
ungen dieses  häufigen   Wortes. 

m  dja  het-h  erof  an  men-nef  nek 

ne  vehemens  sis  contra  eura  si  non  est  ei  patientia  tecum. 

Das  nur  aus  dieser  Stelle  bekannte  Verbuui  clja  wird 
von  Brugsch  kx.  p.  1703  (cf.  1694  lin.  4  v.  unten)  durch 
„aufbrausen,  heftig  sein  s'emporter"  übersetzt.  Icli  habe 
keinen  Grund,  davon  abzuweichen  und  wühle  desshalb  den 
Ausdruck  vehemens  (cujus  mens  vehitur) ,  der  dem  dja-het 
vollkommen  entspricht.  Dieses  dja  hat  sich  erhalten  in 
djou  (e)mittere;  mcn  in  mun  patienter  ferre;  amoni  patientia. 

s-änd-Jc.        lin.  12.     djed  bau  m  tem 
annihilat  te  verbum  foedum  perfecte. 

Die  Bedeutung  ,, vernichten"  für  s-änd  „macheu  nichtig" 
ist  gesichert,  durch  die  demot.  Version  mpe  nihil.  Kircher 
hat  anti-rome  inhumanitas,  crudelis,  was  möglicherweise  auf 
-^^^  aiiti  (rem)  „Unmenschlichkeit"  zurückweist.  Da  aber 
dieses  anti  sonst  überall  zu  at  (in,  ch-,  tin-)  geworden  ist, 
so  bedeutet  es  vielleicht  ,, vernichtend  —  Menschen."  Doch 
würde  in  diesem  Falle  unser  causatives  s  kaum  fehlen 
können ,  wesshalb  ich  dem  s-dnd  lieber  söldj  delere  gegen- 
überstelle. —  m  tem  ist  hier  Adverb ,  wie  das  arabische 
tarn  *J  complet ;  im  k.  tme  thmei  veritas  (masc. !)  hat  sich 
derselbe  Stamm  erhalten,  den  man  nicht  mit  tmei  ti  feml 
verwechseln   darf. 

cliesf-su  m  at-f  nast-f  m  ehern  chetu  pu 

offendere  eum   in  momento   ejus   monstrans  imperi- 
tiam  rerum  est; 


72 

remen  n  daar-het-h  hä-u-f 

peiferto  cum  resignatioiie  cordis  tui  sufficientiara  ejus. 

Von  den  bisher  nicht  erklärten  Wörtern  ist  das  erste 
remen,  welches  in  der  erweiterten  Furm  auf  derselben  Linie 
weiterhin  vorkommen  wird  mit  der  Bedeutung  humerus  ,,die 
tragende  Schulter";  es  ist  das  obige  mwi  pati  mit  prätigiitem 
r  =  esse.  —  ha  mit  dem  Deutbilde  des  Haufens  ist  ein 
Gegensatz  zu  daar  carere  djroh  (cf.  ad  1  4)  und  sehr  häufig 
im  Sinne  von  Ueberfluss  z.  B.  XIII  8 ;  auch  hau  „Lastschiff*' 
hängt  damit  zusammen  ;  cf.  k.  hö  sufficere;  t-höu,  hoi,  ohi 
acervus  frumenti. 

ar  djem-h  zaasu  m  at-f     (ist  oben  bereits  erklärt) 

si  invenis  dictatorem  in  momento  ejus, 

maut-Jc  nti  m  remehut-u-h  tat-h  cheper   ager-Jc  erof 

recordare  quid  (-s?  sit)  in  humeris  tuis,  facias  fieri 

prudentiam  tuam  contra  eum. 

Die  Rücksicht  auf  VI  2  n  nti  cheft-Jc   contra    eum    qui 

est  coram  te  —    und  VI   ult.    t'emh-h  r  nti  m  meto-Jc  cou- 

sidera  quis  sit  ante  te  —  könnte  fordern,  da  auch  im  Roman 

der  2  Brüder  r  mennu  =  apud  bedeutet,  hier  zu  übersetzen: 

„Bedenke  (k.  meue  recordari)    wer  bei  dir  ist,    wen  du  vor 

dir  hast."    Doch  klingt  auch  das  Horazische  —  jjquid  ferre 

recusent,    Quid    valeant    huuieri"    verfühierisch    herüber.^*) 

—  cheper    bedeutet    hier    ,,sich    verwirklichen"    se   realiser, 

sich  zeigen.    Im  Ganzen  will  der  Verfasser  sagen :    Sei  klug 

in    deinem    Benehmen    gegenüber   einem    Vorgesetzten ;    das 

Gegentheil  wäre  Unweltläufikeit;    besonders,    wenn    derselbe 

übler  Laune    ist ,    sei    geduldig    und    trage    mit  Resignation 

seine  Üeberhebung ;    wenn  du  bedenkst ,    wer   vor   dir   steht 


68)  Cf.  Prov.  XXIII.  diligenter  attende  qaae  (apposita  sunt)  ante 
faciem  tuam. 


73 

(oder  wie  wenig)  du  vermagst  so  zeigst  du  dadurch  gerade 
deine  Klugheit  ihm  gegenüber. 

lin.  14.    m  ger  au-f  hi  äjedt  han't  %ir 

ne  loquitor,  vociferante  eo  quam  deterrime 
(dh)  Ufa  anek  sotemiii-u  r-neJc  nefer  m  rech  n  saru-u 
lucrator  (tibi)  expertos :  est  tibi  bene  ex  cognitione 
principum. 

Der  Anlaut  des  Verb,  (dh)  i(fa  ist  fehlerhafter  Weise, 
wegen  des  vorangehenden  ihm  vollkommen  gleichen  Zeichens 
für  <=>,  ausgelassen  worden;  mit  Rücksicht  auf  I  11.  wo  das 
Wort  mit  «z^^a  anlautet,  und  auf  VII  10,  wo  ^=^=f  dasselbe 
V\'ort  beginnt ,  wie  hier  —  das  beweist  die  fefa  •  Gans  und 
^   —    wird   meine    Ergänzung   keinem  Zweifel   unterliegen. 

Aehnlich  verhält  es  sich  mit  aneJc,  wo  die  Züge  des  n  und  Je 
im  Papyrus  verschmolzen  sind.  Es  steht  dieses  aneJc,  wie 
arek,  für  das  einfachere  7ielc  (erol')  als  Dat.  ethic. 

Viertes    Kapitel. 
Pagina  VI. 

lin.    1.       ar   djem-Jc   ZaaSU   m   at-f      (soweit  reicht  die  Enbrlk) 

si  invenis  dictatorem  in  momento  ejus. 

m  huru  an  ad  maut-Jc^  m  ad  het-Ji  erof  cJioft  cheses-f 

ne  emittas  (n)unquam  mentem  tuam,  ne  ejicias  cor 

tuum    ad   eum    quum   saevit  (in  conspectn  maligni- 

tatis  ejus?) 

Das    Deutbild    ^  bei  huru  (k.  hol  emittere)  und  maut 

muss  in  qa  verbessert  werden,    weil  es  sich  hier  um  Aeus- 

serungen  des  Gedankens  handelt.    Was  den  zweiten  Ausdruck 

maut   betrifft ,    so  haben  wir   ihn    mit    QA  eine  Zeile  vorher 

[1870.  U.  Beilage.]  K 


74 

getroffen ^^).  Dass  aber  huru  liier  nicht  als  Substantivum 
actoris  gefasst  werden  kann ,  beweist  lin.  3 ,  wo  uns  huru- 
het-u  als  Abstractum  erscheint.  Auch  hiedurch  wird  der 
Parallelismus  zwischen  huru  und  ad  nahe  gelegt,  indem 
das  Verbum  ad,  kopt.  atao  (d)ejicere,  durch  das  rasch 
stürzende  Krokodil  determinirt,  als  Object  het  =  cor  bei 
sich  hat.  Ich  kann  desshalb  auch  nicht  H.  Brugsch  bei- 
stimmen, wenn  er  p.  22  und  1713  seines  lex.  sagt:  ,,ad  hati 
das  Herz  verletzen"  und  unsere  Stelle  übersetzt:  5,verwundet, 
verletzt  ist  dein  Herz". 

amma-su  r-to,    chesf-f  erof  fesf  m  tishd  su  r  hesi- 
redigitio  eum  ad  terram,  repellito  cum  ad  se  ipsum 

het-h  7n  aä  het  n  ntl  choft-Jc;  qesn  pu. 
adorandoj    hoc    est  pluris   quam   effulguratio  cordis 
tui;     ne    laves   animum   in    eo  qui  (est)    coram  te: 
dsivov  est. 

Der  Ausdruck  „zur  Erde  thun"  bedeutet  hier  das  mo- 
ralische Ueberwinden,  nicht  das  Gebären,  noch  das  Bestatten. 
Dieselbe  Redensart  kehrt  XI  5/6  wieder,  nur  dass  statt  am- 
ma  ^-jP  gesetzt  ist.  —  ushd,  kopt.  uscht  incurvatio,  ado- 
ratio.  —  hesi  hat  sonst  das  Deutbild  -^^  bei  sich ,  um 
den  durchbohrenden  Blick,  das  Blitzen  des  Auges  auszu- 
drücken; vielleicht  erhalten  im  kopt.  haschit  vultur  milvus, 
falco,  cf.  T'in  Blitz;  y^.  perforavit,  gewöhnlich  vom  Löwen 
ausgesagt ;  hier  steht  das  Wort  in  Beziehung  zum  Herzen 
als  einem  innerlichen  Vorgange.  —  ,,Das  Müthchen  kühlen" 
sagen  wir  auch  im  Deutschen ,  cf.  kopt.  ia  lavare ;  —  qesn 
vergleiche  ich  dem  kopt.  c'ons  vis  violentia,  injustus,  injuria. 


69)  Weiterhin  XIII  9  kann  ^  bei  maut  richtig  sein.   Uebrigena 
ist  diese  Verwechslung  auf  Denkmälern  aller  Epochen  äusserst  häufig. 


75 

Weiterhin  XI  11  heisst  es:  .,qesn  ist  das  Wort  über  (mehr 
als)  alle  Dinge"  ,  wo  doch  nur  der  Begriff  des  griechischen 
deivov  passt,  nicht  „das  ist  zu  verwünschen,  etwas  Ver- 
fluchtes", wie  Brugsch  lex.  1475  glaubt;  denn  das  xuzane- 
nXr^Yfxevcov  der  Tanitica  stimmt  mit  meinem  Ssivov  =  xara- 
nXi]xTix6v. 

lin.  3.      het'et'u  huru-het-tu  r  art  nfi  m  het-k,    Jii-Jc  sie  m 
tentationem  vehementiae  ad  faciendum  quod  in  corde 

chesf  n  saru-u 

tuo  (est)  opj^rimito  eam  in  coramercio  cum  principibus. 

Das  erste  Wort  vergleiche  ich  dem  k.  liatj  febris  acuta, 
dolor;  Jietj  acuere;  het'jhot'j  asper  premere;  Jietj  affligi ; 
hte  contus,  hasta;  hofje  penetrare.  —  Ueber  hi  k.  hi  pro- 
jicere  braucht  es  keiner  weiteren  Belege.  —  Der  letzte  Theil 
könnte  allerdings  auch  prohibitiv  gefasst  werden:  ,,ne  opponas 
te  principibus"'  —  allein  mit  Rücksicht  auf  den  Schluss  des 
vorigen  Capitels  ziehe  ich  Obiges  vor. 

Fünftes    Kapitel. 
ar  unn-h  m  (soweit  die  Rubrik)     lin.  4.    semi  hi  utn  n 
Si    es   in   statu  ordinatoris   in 

secher  n   aschcrt-u,    heh-mh  sop  nih   mencJi  r  imn 
praecipiendo  (vitae)  rationi  multitudinis,  quaerito  tibi 

secher-k  an-fu 

opportunitatem  omuem,    ut  sit  ratio  tua  in-laedens. 

Mit  Bezugnahme  auf  das  oben  über  die  Vieldeutigkeit 
der  Wurzel  seyn  Gesagte   bemerke   ich  hier  nur ,    dass  semi 

ohne  j^,  auch  weiterhin  IX  3  mit  dem  Deutbilde  /vj     und 

dem  Beisatze   ^   des  Hauses    vorkommt ,    wo   es   bestimmt 


76 

den  „Verwalter"  bedeutet.  Hier  passt  dieser  Begriff  eben- 
falls und  es  lässt  sich  kopt.  schime  ordo,  series,  so  wie 
wegen  des  v,=#^  oder  ^^?i  auch  das  griechische  rafiiag  bei- 
ziehen. —  Die  Stelle,  die  ich  mit  ,,quaerito  tibi  Opportuni- 
täten! omnem"  übersetze,  erscheint  auch  in  der  merkwürdigen 
Inschrift,  wo  die  66jährige  Regierung  von  Ramses  II  Seso- 
stris  durch  einen  seiner  Nachfolger  bestätigt  wird."'')  — 
Das  Wort  fii  oder  vu,  kopt.  ua  ovaC  vae,  begegnet  uns  in 
dem  Compos.  äje-ua  dicere  blasphemiam  und  vielleicht  in 
ta-\io  corrumpere. 

lin.  5.     am-f;   tir  mä't  nah  za't  an  clwnnt-s  djer  rek  Osiri 
in  ea;     magna  (est)  justitia,  necessaria,  communis, 
integra  inde  ab  epocha  Osiridis. 

Das  Pronomen  a7n-f  ,,in  ea"  bezieht  sich  auf  sop  vices, 
scliop  vicissitudines.  —  nah  vergleiche  ich  dem  kopt.  nahe 
necessaria;  za-t  mit  tjet  pertransire,  tjot  penetrare,  tjöte 
quod  sufficit  et  satis  est;  man  erinnere  sich  auch  an  das 
oben  zu  I  6  citirte  hu-za't  die  „Allgemeinheit,  Unparteilich- 
keit".    Das  Determinativ  zu  chmnfs ,    nämlich  ^^  scheint 

statt   'pOj  irrthümlich  gesetzt  zu  sein ;    ich  vergleiche  kopt. 

chöns  putrescere  consumere  t/a)(»,  Jcnoos  corruptela,  oder 
chönt  tangere.  Was  reJc  betrifft ,  so  dürfte  es  dem  n.  rig 
ein  Zeitabschnitt  bis  auf  Weiteres  gegenüber  gestellt  werden; 
seine  Bedeutung,  ,, Epoche"  ist  gesichert. 

au  cJiesf-tu  n  sesh  hi  hapii-u  sesh't 
opponitor  licentiae  cum  legibus ; 
lin.  6.    pu  m  hra  n  aun-het 

licentia  est  in  consilio  fraudulenti. 


70)  Kevue  archeol.  Avril  1869  lin.  22:  Adolphe  Pierrets  Ueber- 
setzung:  „pour  recherclier  toute  occasion  de  bienfaisance"  bedarf 
einer  kleinen  Modification. 


7T 

Die  Aussprache  sesli  für  x  ergibt  sich  aus  Varianten; 
es  dürfte  dem  kopt.  ssclie  licet  entsprechen  mit  der  Be- 
deutung ,, offen  stehen'"  (nach  all'jn  Seiten),  ,, keine  Schranke 
haben'".  —  Jiap  Judicium  (lex)  ist  in  der  Rosettana  mit  to 
dCxaiov  übersetzt.  —  aunhet  entspricht  in  cap.  125  des 
Todtenbuches  dem  demotischen  huruau,  kopt.  huro  privare, 
fraudare,  und  dürfte,  wie  Brugsch  lex.  p.  166  richtig  ver- 
muthet,  in  dem  kopt.  auan  varietas  entsprechen,  wobei  man 
sich  vergegenwärtigen  möge,  dass  die  Begriffe  variegatio, 
varus,  varicus,  variatior  (prae-varicare)  hauptsächlich  auch 
vom  Moralisch  Schillernden ,  Unrechten  gebraucht  werden, 
Dass  aber  aunhet  die  betrügerische  Absicht  und  den  Betrug 
bedeutet ,  wird  sich  besonders  aus  p.  X  ergeben ,  wo  die 
Folgen  dieses  Lasters  drastisch  geschildert  sind. 

an  netjit-u  djiti  hä-u  an  pa  zait-u  mena 
num    turpia    expugnent   acervos;     nonne   illud    sup- 
plicium mortis  viget? 

Die  fragende  Haltung  dieser  beiden  Sätze  vermuthe 
ich  sowohl  wegen  des  zunächst  folgenden ,  als  wegen  lin.  9 
ult.,  wo  an-pa^  kopt"  7np]ie  non,  vilis,  wiederkehrt.  Im  Pap. 
judiciaire'^^)  bedeutet  ^a^Y,  uisprünglich  ,, Tadel",  woher  wohl 
auch  tjout  reprobus ,  die  harten  Verurtheilungen  zur  Ver- 
stümmelung und  zum  Tode.  Man  könnte  den  letzten  Theil 
auch  so  auffassen  —  weil  das  fragende  aw  sich  auf  beide 
Sätze  erstreckt  — :  „ist  nichtig,  ausser  Kraft,  die  Todes- 
strafe'  2)?" 

an  sop-f  au-f  djed-f    lin.  7.   sechet-a  eroa  djes-a 
nonne    occasio    ejus    est,    quum    dicit :     venor    ego 
mihi  ipsi 

71)  Deveria  im  Journal  asiatique. 

72)  Leider  fehlt  hier  das  Derterminativ  des  Todes  '^V  ,    welches 
wir  oben  II  penult.  getroffen  haben. 


78 

an  djed-nef  sechet-a  hi  hant-a 

neque  dixit :    venor  ego  super  jure  meo. 

Der  Sinn  ist:  Soll  man  die  Todesstafe  nicht  anwenden, 
wenn  einer  (der  fraudulenlus)  nach  eigenem  Gestnndniss 
eigennützig  handelt ,  ohne  sich  auf  sein  Recht  dazu  berufen 
zn  können  ?  —  Das  Verb,  sechet ,  wohl  mit  kopt.  sochi  tex- 
tura,  texere  veer wandt,  bedeutet  ursprünglich  wohl  das  Ge- 
webe des  Netzes,  dann  auch,  wie  hier  determinirt,  die 
Vogelfalle;  es  wird  im  cap.  125  des  Todt.  col.  9  durch  das 
demot.  Icerek  kopt.  cerec'  auceps  übersetzt.  Der  Betrüger 
erbeutet,  erjagt  etwas  für  sich  selbst,  aber  nicht  auf  Grund 
(hi)  seines  Rechtes :  hant  kopt.  hont  mores  (cf.  Moral ;  et9-og 
und  rj-d^og). 

un  pehui  mä't  uah,  sadjedu  sa  w^')  atef  pu 
est  valida  justitia,  necessaria  —  haec  vox  personae 
paternae  est. 

Sechstes   Kapitel. 

h'n.  8.     ajn-Jc  ar  hör  m  redhu    (soweit  reicht  aie  Rubrik) 

ne  tu  facias  horrorem  in  hominibus! 

Wir  haben  hier  die  volle  Form  der  Negation  m;  hör 
entspricht  dem  kopt.  hur,  hele  terror,  n-hur  horrere,  pass. 
halai  trepide  accurrere.  Dasselbe  Verbot  findet  sich  beim 
Propheten  Micha  IV  4:  ,,Et  sedebit  vir  subtus  vitem  suam 
et  subtus  ficum  suam,  et  non  erit  qui  deterreat  (eum)". 

chesfnuter  m  mati  au  sa  djed-f  änch  am  au-f  shu-f 
vetat  Deus  pariter  esse  quemquam  qui  dicatur  vivere 
m  ta-u  n  tap-ro  au  sa  djed-f  lin.  9.  vesor  auf 
ibi,  quum  sit  vacuus  a  panibus  in  labio ;  esse  quem- 


73)  Es  steht  irrthümlich  ein  u  statt  m. 


79 

djed-f  sechet-a   ero-a   djesa  sa't-a  au   sa   Jiut-ef  Tci 
quam  qui   dicatur  dives,    quum  dicat :     venor   mihi 
auf  pehu-f  rdt-f  n  chem-nef  an  pa  hör 
ipsi  sciens  ego ;     esse  quemquam  qui  dicatui-  feriie 

lin.  10.  71  redJiu  cheper  utu-t  nuter  pu  cliepert  Jca  änch  m 
alteruin,  quum  perveniat  ad  facienjum  id  eo  nescio. 
chennu  her't  ii  tat-semi  djes  utu 
nonne  hie  est  horror  in  homioes?  factum  manda- 
tum  Dti  est  creationis,  ut  viveotes  in  pace  veniant 
atque  edant  ii  ipsi  mandatum. 

Dreierlei  ist  dem  Verfasser  zufolge  ein  Gräuel:  Jemand 
verhungern  lassen,  Reichthum  für  sich  unrechtmässig  erbeuten, 
und  einen  Andern  heimtückisch  zu  schlagen.  Das  Wortspiel 
zwischen  lior  horror  und  hert  pax  (kopt.  liori  sedare)  ruft 
den  Schlussgedanken  hervor,  dass  die  Friedfertigen  kommen 
und  selbst  Befehle  ertheilen  werden,  wie  Gott  dieses  Gebot 
erlassen  hat.  —  Die  Partikel  am  ibi  bezieht  sich  entweder 
auf  homines  oder  steht  wie  unser  da  in  „dass  er  da  lebt".  — 
sJrn  vacuus ,  kopt.  schuo  evacuare ,  ist  schon  zu  I  10  er- 
läutert. —  tap-ro  bedeutet  auch  im  Koptischen  os,  oris.  — 
vesor  habe  ich  im  Bokenchons  aus  dem  ßaaouqiov  des 
Hesych.  sowie  aus  dem  kopt.  haschor  vulpes  belegt ;  seine 
Bedeutung  ,, reich"  ergibt  sich  hier  aus  dem  Gegensatze,  so- 
wie allenfalls  aus  dem  kopt.  usr-af  emissio  carnis ,  repullu- 
latio  carnis  supra  ulcus.  Ich  wage  kaum,  an  l^'N  Vorraths- 
haus  (Bazar?)  zu  erinnern.  —  sa't  erscheint  im  kopt.  sou 
cognoscere  scire  und  wird  von  Horapollo  II  117  mit  seiner 
Hieroglyphe  OvQiy^  und  seiner  Bedeutung  (fQovr^aig  aufge- 
führt.   —    In    Bezug    auf   die    nothwendige    Correctur    des 

schliessenden  l\t=±i=i  in   T  ist  oben  zu  XVI  4,    XVIII  2 

das  Nöthige  bemerkt. 


»0 

Siebentes    Kapitel. 

lin.  11.     ar  unn-h  m  sa-n-hems-ii  (soweit  die  Rubrik) 
si  es  in  statu  personae  (ex)  sedenti(bu)s 
r   as't  n  sa  ur   eroTc  shep   tot-f  tatu  r  fen(d)'k, 
(fac  locum)    cede  loco   personae  majori  te,    saluta 
femh-k  r-nti  m-meto-Jc,  m  seJcu-su 
eum  prostratus  usque  ad  nasum  tuum,  cerne,  quis 
sit  penes  te:  ne  molestes  eum. 

Die  Formation  sa-n-hemsu  entspricht  dem  kopt.  z.  B. 
sa-n-af  lanio,  sa-^i-öik  pistor,  sa-n-Jcrof  astutus.  Im  Kopt. 
bedeutet  zwar  shep-tot  despondere,  nämlich  durch  Hand- 
schlag; indess  ist  der  Sinn  ,,die  Hand  erfassen"  (zum 
Zeichen  des  Grusses)  wörtlich  und  sicher.  —  Das  Schluss-^ 
zu  fen  fehlt,  ob  irrthümlich?  Im  Bokenchons  habe  ich  zu- 
erst gezeigt ,  dass  chanti  =  kopt.  schanti  nares ,  nasus  als 
hervorragender  Theil  des  Gesichtes  steht ,  während  fent, 
vielleicht  verwandt  mit  nifi  spirare,  das  Athmungs  -  Organ 
bezeichnet;  indess  könnte  auch  'jS  wohl  mit  HJB  Ecke 
zusammenhängend ,  hieher  gezogen  werden.  —  femh  kopt. 
temhe  invenire  und  wie  das  Deutbild  -^s^,  sonst  -^^,  be- 
weist, be(tr)achten.  —  Ueber  r-nti  bringt  die  Tanitica  alles 
Erforderliche;  cf.  supra  ad  II  4.  —  Die  Lautirung  des 
Phallus  mit  7net  habe  ich  zuerst  im  Bokenchons  aufgestellt 
und  bewiesen;  das  bisweilen  dafür  eintretende  hah,  kopt. 
fah  praeputium ,  ändert  daran  nichts.  —  seJcu  (mit  dem 
Messer)  erinnert  zunächst  an  secare:  „sekiren"  sagt  man 
hier  dialectisch  statt  plagen,  kopt.  sah  molestare. 

Pagina  VII. 

m  tenih  aschu-ti  but  ha  pu  udt  am-f 

ne  obtuetor  saepius:   abominatus  est  a  quo  patra- 


81 

m  djeäu-nef  r  aash.t-f 

tur  id;  ne  loquaiis  ei  usque  dum  voluerit. 

Das  Veihuui  udt  hat  sich  erhalten  in  ut-sana  decenter, 
vgl.  mit  sano  decorare  —  asch  velle;  hingegen  ashu,  kopt. 
ösch  adv.  wie  noXXd. 

an  rech-n-tu  han-t  her-het,  djedu-Tc  cheft  ushd-f-tu 
incognoscibilis  est  nialitia  interna;   loquitor,  quando 
rogaverit  te. 

Die  Gruppe  her-het  kommt  in  der  Decanliste  mit  uaa 
Barke  vor  und  ist  griechisch  Tr^ovco  umschrieben,  woraus 
sich  hre  ergibt,  das  mit  kopt.  hur  interior  cavitas  rei,  hhur 
silere  stimmt.  —  ushd,  kopt.  tiösht  salutare,  uashf  sup- 
plicatio. 

au  djedt-Jc  r  nefer  her-het 

(tunc)    est  loqucla  tua  pluris  quam  bonitas  interna. 

lin.  2.     ar  ur  unn-f  ha  ta-u  secher-f  cheft  utu  Tca-f 

est  magnatis  qui  pone  panes,  conditio  ejus,  quando 

r  r-at  n  hoses-f 

jubet  genius  ejus,  ad  dandum  pro  favore  suo. 

Hier  ist  bloss  ha  im  Sinne  von  pone,  post  zu  belegen. 
Diese  Bedeutung  ergibt  sich  aus  dem  Gegensatze  ,,vorn", 
so  wie  aus  ha  (caput,  occiput) ,  haau  pharetra  der  Köcher, 
dessen  Deckel  sa  ebenso  den  Rücken  und  das  Hintere  über- 
haupt bezeichnet.  —  Das  Deutbild  bei  der  Gruppe  hoses  ist 
ein  ungewöhnliches,  weder  die  Harfe,  noch  das  tympanum 
(kopt.  lios) ;  indess  habe  ich  die  Bedeutung  favor  schon  im 
Bokenchüus  nachgewiesen.  —  Die  etwas  verwickelte  Con- 
struction  d9s  Satzes  erklärt  sich  durch  Voraustellung  des 
ur  in  absoluter  Weise,  während  es  doch  von  secher  abhängt, 
[1870.11.  Beilage.]  L 


82 

welches  desshalb  das  Pronomen  f  bei  sich  hat;  analoge 
Fälle  bietet  das  Koptische  liäufig.  Der  Gegensatz  wird  dies 
klar  machen. 

secher  pu  n  gerli  cheper  au  ha  dun  fohi-f 
conditio   est    indigentis   fieri  in  persouam  erigentem 
manus  suas. 

gerh  entspricht  dem  kopt.  c'roJi  inopia  indigentia;  dtm 
dem  kopt.  tun  surgere,  suscitare. 

ur  ta-f  an-pehu  n  sa 

magnas  dat  in-flagitatus  a  quoquam. 

Die  Kürze  dieses  inhaltschweren  Satzes  verhinderte  bis- 
her das  Verständniss  des  ganzen  Capitels.  —  Die  passive 
Bedeutung  von  pelm  cf.  kopt,  peh  attingere  wird  durch  ana- 
loge Bildungen  wie  z.  B.  at-phönh  in-mutatus,  iü-mutabilis 
erhärtet:  wir  könnten  im  Deutschen  übersetzen  „ohne  dass 
er  angegangen  zu  werden  braucht". 

au  am  ta-u  eher 

est  manducare  panes  secundnm 

lin.  2.     secher  nuter;    an  cheni  änäi-f  her-s 

institutionem  Dei;     num  ignoratur  grätia  ejus 
super  id? 

Hier  macht  nur  die  vorletzte  Gruppe  eine  Schwierigkeit, 

indem  es  ungewiss  ist,    ob    ^/wws|j[j    gelesen,  oder  das  erste 

a  als  A_J]  gefasst  werden  soll.     Ich   ziehe   ersteres   vor, 

■weil  anai  bonum  esse  benefacere  cf.  r-an  placere  hier  einen 
guten  Sinn  ergibt  und  weiterhin  XV  6  das  nämhche  änäi 
wiederkehrt.     Bei  dem  Stamme  (ä)näi,  kopt.  nai  propitiari, 

erklärt  sich  ^  ungezwungen.  —  Der  Sinn  des  Ganzen  ist: 

Der  Bedürftige  sei  bescheiden,    dei*  Wohlhabende  freigebig, 


83 

ohne    uiu    Almosen   ersucht   zu    werden ;    ,, leben    und    leben 
lassen,"  darauf  hat  Gott  seine  Gnade  gesetzt. 

Achtes    Kapitel. 
ar  unn-h  m  sa-n  äq  (soweit  reicht  die  Eubrik) 
si  es  in  statu  servi  (kopt.  öc    servus) 

hahu  tu'  n  nr  mati  Jti  Jcedmi  hah-f-tu 
(quem)  mittit  magnas  magnati,  concordato  in  modo 
(quo)  mittit  te 

ar-^ief  cqnit  nia  cljed-f 

peragito  ei  opus  (mandatum)  ut  dicit. 

Das  Verbum  hahu  hat  sich  erhalten  in  rem-liöh  nuntius; 
der  vieldeutige  Stamm  apu't  erscheint  in  uop-h  (ebol)  de- 
tegcre,  iojpe  opus,  t-epi  labor  praescriptus.  Ich  hätte  statt 
opus  wegen  des  Deutbildes  auch  praescriptum  setzen  können. 
Jcedmi  habe  ich  als  der  erste  mit  Jcatn  parabolae  zusammen- 
gestellt. —  Nach  Bezeichnung  der  positiven  Aufgabe  des 
Boten  oder  Dieners,  folgt  jetzt  die  Negative. 

lin.  4.     sa't   m   s-du   m   djedt  seJcentha'^^)  ur  n   iir   n  der 
cave  ab  maculatione   verbi    disruptura  magnatem   a 

md't  m  sen-s  an  nemt-as  aä-n-het  m   djediic  redhu 
magnate    infringendo    veritatem  ,    ne    transgrediaris 

nibt,  ur  ktäi       lin.  5.    hut  Ica  pii 
eam;    non  repetitur  unquam    solamen    ex    dicacitate 
hominum    omnium  .    magni    et   parvi;     abominabilis 
res  est. 


74)  Vergl.  oben  zu  I,  9,  wo  ich  statt  dieses  seTcentha  vielmehr 
ein  seTcen-i  vermuthet  habe.  In  Bezug  auf  den  Sinn  vergl.  Prov. 
XVI  28;  (homo)  verbosus  separat  principes. 


84 

Die  kopt.  Wörter  toe  niacula ;  solk  (aus  senk)  disrum- 
pere ;  sini,  sen  transire ;  et-nem  consors,  sodalis  (eigentlich 
die  Wiederholung,  daher  nem  auch  ,,der  zweite");  ia-Mt  re- 
frigerare  cor  ,,sein  Müthchen  kühlen",  dann  auch  satisfactio, 
solamen,  genügen  hier. 

Neuntes    Kapitel. 

ar    SeJca-Jc    der    ah    m    Secliet     (soweit  reicht  die  Rubrik) 

si  arator  es,  colligito  in  campo, 

tatst  mder  ur  m  tot-l' ;    m  sa   ro-k  rma  Jcau-u-h; 
quem  dat  Deus  magnus  in  manum  tuam ;    ne  saties 

tir   art   horvt-u   ent  ger  ar  nih  Iceihm  m  neb-chetii 

OS  tuum  apud  vicinos  tuos ;  magnus  est  horror  con- 

tendentis:  est  quisque  instar  possessoris. 

lieber  seha^  kopt.  sJcai  arare,  et-skai  qui  arat,  arator 
besteht  kein  Zweifel.  Dagegen  muss  in  der  nächsten  Gruppe 
das  letzte  Zeichen  als  Deutbild  angesehen  werden,  wie  oben 
zu  XII  9,  wo  ich  dem  s-red  das  kopt.  sref,  sesrit  collectio, 
spicilegium  verglichen  habe.  In  der  Tb.at  erscheint  unser 
Determinativ  öfter  in  Form  einer  Garbe,  und  ausserdem 
hat  das  kopt.  djel  colligere  auch  die  hier  in  der  (del)  vor- 
liegende Metathesis  bewahrt.  —  Es  ist  dieses  Kapitel  von 
grosser  Wichtigkeit,  insoferne  es  das  Eigen thumsrecht  stark 
betont,  und  dem  Communismus  wohl  die  älteste  Zurecht- 
weisung ertheilt.  Diese  Auffassung  w^ird  noch  mehr  bestärkt 
und  bestätigt  durch  das  Folgende,  wo  die  schHmmen  Folgen 
des  Diebstahls  mit  gerade  so  drastischer  Ausdrücklichkeit 
geschildert  werden,  wie  die  des  Betruges  auf  pag.  X. 

lin.  6.     fiti-f  ma  jnsiüi  m  qenhetu  m  toa  n  antii-mesu-ii-f 
rapax  ut  crocodilus  a  propinquis,  repudio  est  non- 


86 

7)1  huru  m  äbä-am  au-u  timi  ur;    atef  m  ahu  mut 
dum  prognatis  suis,    Cünvicio    et   opprobrio,    quum 

mest  Jiotep  Tiet  res  an  im     lin.  7.   secheperu  nuter; 
sunt  adulti;     pater  (est)  in  acrumna,   mater  infaiis 

au'^'")  neb  ahit-u  neh-s  slies-f 

mortis ,    alia    prorsus    per    unam    transformationem 

Dei;    est  dominus  agrestium  hortans  eam  sequi  se. 

Die  Bildung  t'iti-f  entspricht  dem  deutschen  ein  ,, Raubend- 
er" oder  dem  kopt.  ref-dji  acceptor  ,,Thuer-nehmen".  Hor- 
apollo  I  67  erwähnt  unter  andern  Eigenschaften  des  xqoxo- 
dsilog  (yäi^Lipai  msuh)  in  der  That  auch  aqua^.  Die  qenhetu 
sind  die  ,,Änstösser'\  zusammenhängend  sowohl  mit  kopt. 
Jcolm  angulus  uculi  interioi-,  als  auch  mit  Cef  propinquus.  — 
toa,  kopt.  fueio  repudium ;  huru  vielleicht  mit  dem  hier  zu 
supplirenden  5  (causativum?)  kopt.  s-hur  raaledicere,  sahui 
convicium ;  aha  mit  der  Präposition  am  —  ob,  kopt.  ti-iihe 
oppositio,  fi-oh  fastidire.  cf.  I!."'.1N  Feind ;  ahu  aerumna ,  cf. 
HmN  wehp,  kopt.  ahe  indigere;  hotp  occasus ,  htö})  ruina; 
res  entspricht  dem  kopt.  les  extremum ;  uä  =  iiä  unus, 
hier  phonetisch,  während  oben  V,  2  nur  |  steht.  Der  letzte 
Theil  klingt  etwas  mysteriös :  wer  ist  der  ,,Herr  der  Acker- 
leute"' ?  Es  kann  sich  nur  um  die  elysäischen  Gefilde  han- 
deln,  und  da  cap.  109,  6  des  Todtenbuches ,  welches  sich 
um  die  Felder  von  Äalu  dreht,  so  wie  110,  unter  den 
Geistern  des  Ostens,  in  erster  Linie  Horus  unter  dem 
"iiisimen  "AQfxaxtg  erscheint,  der  auch  sonst  häufig  ist  z.  B. 
c.  99,  33  gerade  in  der  Verbindung  shesu  JSar  asech-senu: 
Asseclae  Hori  metunt  eas  (spicas)  —  so  trage  ich  kein  Be- 
denken, hier  unter  neb  den  Horus,  unter  ahit-u  die  Bewohner 


75)   Es  steht  irrthümlich  ein  u  statt  a. 


86 

der  Aeker  von  Aalu  ('HXvoiov)  und  uuler  slies  das  An- 
scLliessen  der  Verstorbeneu  au  die  Zahl  der  Auserwählteu 
zu  verstehen.  Dieser  Gott  Horus  fordert  die  aus  Gram 
gestorbene  Mutter  auf,  ilm  zu  begleiten;  das  betreffende 
Verbum  neh  steht  in  der  Tanitica  lin.  24  unter  der  Form 
nehu  und  wird  griechisch  durch  d^KüöavTeg  übersetzt;  es 
ist  nach  der  Analogie  von  nas  =  las  lingu  i  in  dem  kopt. 
leh  sollicitare,  soUicitudo  erhalten. 

Zehntes    Kapitel. 

ar  ches-h  shes  sa  aqer   («oweit  reicht  die  Rubrik) 
si  miser  es,  sequere  virum  prudentem: 

nefer   sem-u-h   nib   eher  nuter   m  recJi-neJc  nedjes-u 
(tunc)  bona  est  fama  tua  omnis;     sed  Deus  in  tri- 

chentu  am-h  da 

buendo  tibi  inferiori  primatum;     ne  superbias 

lin.  8.     het-h  erof  hi  reclit-neh   am-f  clientu  snad-nef  choft 
corde  tuo  contra  eum  propter    quod   attributus    est 

chepert-nef,  an  ii  as  chetu  djes  hap-senu  pic  n  merru- 
tibi  ab  illo  primatus;  reveretor  eum,  postquam  con- 

senu;  ar  cM-f  au  sak  nef  djes  an  nuter  ar  aqer-f 
tigit;  non  veniunt  unquam  res  (sua)  sponte;  lex 
earum  incumbit  amantibus  eas;  si  quis  fastuose 
se  gerit,  est  humiliatio  ei  ipsi  per  Deum  qui  fecit 
dxurjv  ejus; 

lin,  9.     cliesf-f  hr-f  au-f  sefer 

rejicit  eum  a  se  quum  est  jaceiiS. 

Dieses  schwierige  Kapitel  wäre  ohne  die  Beiziehung  des 
cap.  24  pag.  XIII  lin.  6— 9  unmöglich   zu    enträthselu.     Was 


87 

das  Verständniss  erschwert ,  ist  hauptsächlich .  ausser  der 
der  verwickelten  Construction,  die  neue  Bedeutung  des  Ver- 
bums recli't  zuerkennen,  welche  man  im  kopt.  raM  adscribere 
apponere  nicht  erblicken  möge ,  da  dieses  ein  Compositum 
^us  '^~"^  ra  faccre  hö  positum  esse  ist.  —  chentu  wird  in 
der  Tanitica  durch  ctQ^r^  und  ngcotog  übersetzt;  hier  dürfte 
primatus  sich  empfehlen.  —  chetu  hat  wia  das  latein.  res 
(angusta  domi)  häufig  den  Sinn  von  resfamiliaris  cf.  kopt. 
chai  res,  substantia;  doch  könnte  letzteres  auch  zugleich 
von  Ul  l'a  herstammen.  —  Die  Bedeutung  von  chä,  kopt. 
schöi  altitudo,  pars  superior,  ergibt  sicli  hier  aus  dem  Gegen- 
satze sah,  welches  ursprünglich  ,, geduckt,  gebückt"  bedeutet, 
wie  denn  Horapollo  I  G9  xqoxöSsiXog  xsxvcpcog  und  xatuxfSQi^g 
=  6vOig  setzt;  es  ist  sak  das  gutmüthige  Krokodil  aovxog, 
kopt.  suchi  crocodilus;  sök  contrahere.  —  Der  letzte  Aus- 
druck sefer  scheint  hier  euphemistisch  für  das  ,,todt  oder 
ausgestreckt  Daliegen"  (TavrjXeyeog  S^avuToio)  gebraucht 
zu  sein. 

Eilftes    Kapitel. 

sheS   het-k    ter-n   Unn-k     (soweit  reicht  die  Rubrik) 

contine  cor  tuum  quamdiu  degis. 

Die  Schwierigkeit  liegt  in  shes;    hier   hilft   weder   das 

dsqctnsvsiv   der  Rosettana   noch    die    Bedeutung   ,, Begleiter, 

Nachfolger" ,    die    sonst    diesem    Worte    eignet.     Das   kopt. 

sches  n  Mt  molestia  dolor  steht  zwar  unserer  Legende  nahe ; 

es  ist   vielleicht  damit  zu  identifiziren  ,    da  diese  Bedeutung 

eine  abgeleitete  und  die  ursprüngliche  continentia  sein  könnte 

(kopt.  söscht  continere?).     Aus    dem  Umstände,    dass   dem 

rw 


ganz  gleich  geschriebenen  ~^  das  hebr.  vJvy  ßqoaog  Baum- 
wolle entspricht,  welches  wohl  auf  den  Begriff  ,, binden 
wickeln"  zurückgeht,  wird  kopt.  schsche  oportet,  nahe  gelegt, 


da  ja  auch  Sei  auf  Se'co,  necesse  auf  nec-to,  Noth  auf  nähen 
hinweist.  Im  Pap.  Anenemha  I  ult.  steht  slies  (hau)  in 
Parallele  zu  akednu^  hopt.  nJcotJc  obdormiscere. 

m  ar  hau-u  hi  djeddut-u,  m  cheb  ter  n  shes-het 
ne  excedas  in  sermonibus ,    ne  differas  tempus  con- 
tiueutiae  cordis. 

Die  Wörter  kopt.  r-huo  excedere,  schöbe  differre  genügen 
zur  Erklärung.  Der  Sinn  ist:  Halte  dich  zurück  bei  Ge- 
sprächen, und  sei  enthaltsam  bei  Zeiten  in  Bezug  auf  Erwerb. 

hut  Jca  im  hefet  at-f:  m  negeh  sop 
abominauda  res  est  terere  momentum  ejus;   ne  ex- 
pellas  occasiouem 

lin.  10.    chertu-heru;     m  hau-u  n  gor  par-Jc   cheper  chetu 
quotidianam  ;  ne  abundes  in  possessione  domus  tuae: 

shes-het;  an  qem  n  chetu  au  tefa-f 
est   opulentia   continentia   cordis;     non   haerens    in 
divitiis  est  lucrans. 

Die  kopt.  Wörter  het,  hite  höte  =  terere;  nehf  nechf 
vielleicht  roc'jJ  abjici  expulsio;  hua  abundare;  c'ame  tran- 
quillus;  fephö  lucrari  genügen  zur  Erklärung.  Der  Sinn 
ist:  Versäume  keinen  Aulass  zur  Genügsamkeit,  wie  er  sich 
täglich  darbietet;  begnüge  dich  mit  dem  Besitze  deines 
Hauses;  es  liegt  der  Reichthum  in  der  Zufriedenheit  und 
wer  nicht  an  ihm  hängt ,  der  ist  ein  Gewinnender.  Die  so 
häufige  Redensart  m  chert  heru  (uti  ra  nib)  wird  von  Brugsch 
lex.  p.  1123  übersetzt:  .,beim  Eintreffen  des  Tages  (jeder 
Sonne)."  Nach  Todt,  cap.  133  col.  11,  wo  es  heisst: 
^D^^^^-^^y^^  es  ist  der  gestirnte  Himmel  unter 
ihm  (dem  Fahrzeug)",  ist  kein  Zweifel  über  die  Bedeutung 
des  chert  \oca\e]  so  wie  aber  das  latein.  sub  bei  Zeitbegriffen 


89 

entweder  die  Annäherung  (sub  finem)  oder  die  Dauer  (sub 
regno)  ausdrückt,  so  dür'te  auch  chert-herii  dem  iuterdiu, 
unsejin  „untertags"  entsprechen  und  so  auf  „täglich"  führen. 

Zwölftes    Kapitel. 

ar    Unn-h    m    Sa    aqer    (soweit  reicht  die  Rubrik) 

si  es  in  statu  viri  prudentis, 

ar-k  si  n  se-mam 

educato  filium  in  caritatem 

lin.  11.    nuter;   ar  mati-f  pecher-f  n  qedmi-Jc  ne(n)u-f  chet- 
Dei;     si    obtemperat    (et)    ambulat    in    modo    tuo, 

u-h  r  as't  ari,  ar-nef  hu  nih  nefer. 
tuetur-que  res  tuas  usque  ad  locum  debitum,  facito 
ei  humanitatem  omnem. 

Die  Bedeutung  ,,educare"  für  ar  ergibt  sich  aus  Compp. 
wie  ar-an  erregen  das  Gefallen  —  placere  etc.  —  se-mam 
ist  determiuirt  wie  amam  I  11  ult. ,  wo  ich  es  mit  „wohl- 
geneigt" übersetzt  habe;  der  Baum  am,  wohl  dieZ)-om-Palme, 
hat  die  süsse  (haner)  Dattelfrucht  und  könnte  sich  in  eu-ph- 
6mit-es  dilectus,  euphömi  honoratus  erhalten  haben.  —  Das 
Wort  peclier  kehrt  wyiterhin  VIII  7  und  X  9  wieder  in  der 
Bedeutung  „bewandert"  und  „Erfordernisse".  Ich  denke 
an  kopt.  p-hos  oportet ,  phoh  oportere ,  von  denen  ersteres 
nach  Abwurf  des  r  ein  s  angenommen  hat.  —  nenu  mit 
us=^  =  kopt.  nau  videre  wird  sonst  auch  für  „ausbessern"''^) 
gebraucht;  der  Begriff  tueri  (^saöd^ut)  ,, blicken,  das  Auge 
auf  etwas   richten   schützen   bewahren",    ergibt   hier    einen 


76)   Chabas  Voyage. 
[1870.11.  Beilage.]  -^ 


90 

genügenden  Sinn.   —   ari,  kopt,  et-ero  quod  debetur,  pet-ela-f 
quod  debitum  est'^^).    —    hu-nefcr   wörtHch    ., etwas  Gutes". 

si-k  p-u  iiesu  sit  ka-k  am-k  mid  Jiet-k  ero-f 
lilius  tuus  0  stultus    (quoque)    semen  est  tuum :    ne 
tu  separes  cor  tuum  ab  eo 

Das  leider !  undeterminirte  Wort  nesu  kommt  weiterhin 
Vni  11  in  der  Verbindung  vor  ,,der  seinem  Bauche  Fröhn- 
ende  ist  ein  Narr  seines  Weibes'':  das  kopt.  sa-les  insanus 
stultus  stolidus  ist  damit  identisch  cf.  7ias  =  las,  neli  =  leh; 
wörtlich  bedeutet  es  persona  stulta;  siti,  sati  semen,  satio. 
uud  ist  sowohl  in  ute  inter ,  als  in  12  Absonderung ,  als 
twt  separare  erhalten.  Der  nächste  Passus,  positiver  Natur, 
gehört  dazu: 

au  iitu     lin.   12.    ar  se-chenthi  ar  nenefem-f  teha-f 
esto  genitor  facito  adhortationem  si  delirat  et  trans- 

secher-k,  ha-nef  djedt  niht  shetne  ro-f  m  djedt  cJies't 
silit   consilium   tuum    (si)    vanum   ei    verbum  omne, 

qak-k-sii  r  ro-f  ma  qedmt-f  ud  crok 
grassatui-  os  ejus  in  verbo  maligno :    percutito  eum 
in  os  ejus  quomodo  edit  contra  te;  ne  cedas  iisl 

Oll  man  bei  dem  Worte  ha  an  kopt  he  abominari,  uei 
repudium ,  oder  an  das  reduplicij  te  habe  vanus,  evanescere 
denkt,  so  wird  der  Sinn  etwa  der  nämliche  sein.  Die 
Redensart  von  dem  ,, spazierenden  Maule  oder  Mundstücke" 
haben  wir  ebenfalls  und  ausserdem  erscheint  sie  im  Todt. 
c.  125,  33  b  und  wird  demotisch  durch  dje  djin-bone  dicere 
verba  foeda  übersetzt.  —  qak  entspricht  dem  kopt.  c'ak  per- 


77)   Chabas  Melanges  II  p.  338  v.  Birch. 


dl 

cutere;  chehäy  verwandt  mit  schief,  wird  von  den  Biegungen 
überhaupt,  besonders  aber  von  den  Gaukl-rn  gesagt;  cf. 
hahitä  crabrones  vespcie,  hfot  uhia  Ellenbogen,  hopf  demit- 
tere,  hibe  humiliaji,  f-hebie  subjicere.  —  Brugsch  übersetzt 
diese  Stelle  so :  ,.\Venn  du  ein  verständiger  M^nn  bist,  so 
erziehe  deinen  Sohn  in  der  Liebe  zu  Gott.  Ist  er  brav  und 
arbeitsam  und  mehrt  er  dein  Besitzthum  im  Hause,  so  gib 
ihm  den  b^.'bteu  Lohn.  Ist  ai.er  der  Sohn  ,  den  du  gezeugt 
hast,  ein  thörichttr  Mensch,  so  wende  dein  Herz  nicht  von 
ihm  ab,  ilu  bist  sein  Vater,  (.•rmahno  ihn!  Wenn  er  aber 
lasterhaft  lebt,  dein  Gebot  übertritt,  alle  Ermahnungen  miss- 
achtet und  sein  .Uund  mit  bösen  Worten  angefüllt  ist ,  so 
bchlage  ihn  aui  seinen  MuuJ,  gleichwie  er  ls  verdient". 

Pagina  VIII. 

lin.   1.     utu-ded   sedeb   nef  pu  m    cJiet;    an   net'em  n  sem- 
ligationi  manuum  occupatio  ei  est  in  corpore;    nou 

senu  an  djim  n 

est  deliratio  in  operantibus,    non  inveuitur  in  remi- 

iin.  2.     vuu-senu  za't 

gantibus  navem. 

Ob  bei  der  erstea  Gruppe  daS  Häudep..ar  determinirt, 
wie  Brugsch  lex.  p.  292  glaubt,  oder  oh,  wie  ich  gethau 
halje,  ded  zu  1 'utiren  ist?  Letzteres  möchte  sich  empfehlen 
durch  das  kopt.  ti-toot  auxilium  ,  wenn  es  nur  sicher  wäre, 
dass  es  nach  Analogie  von  TAag  (aus  Ut-nas)  diesem  utii- 
tot,  und  niciit  vielmehr  einem  ^—^f"  .."eben  die  Hand, 
Handreichung"  entspricht.  Im  Todt.  c.  78,  34  nicht  94,  4!) 
steht  unsere  Gruppe  mit  ar  als  Parallele  zu  ,,Weg  bereiten". 
so  dass  man  sich  versucht  fühlt,  das  kopt.  erautot  manum 
adhibere    b  izu/iehen ,     welches    freilich    selbst    wieder    aus 

M* 


92 

^^^^  ., geben  die  Hand"  entsprungen  sein  könnte.  Nimmt 
man  das  kopt.  ot  ligare,  so  bekommen  wir  den  Sinn  „Bindung 
der  Hände  d.  li.  Gebundenheit,  Hinderniss  vor  Ausschweifung. 
Diese  Erklärung  wird  durch  lin.  3  bestätigt.  —  Die  viel- 
deutige Wurzel  sem,  der  koptische  Wörter  mit  anlautendem 
t  gegenüberstehen ,  könnte  auch  in  tamia  operatio ,  tamie 
Opera  erhalten  sein.  —  vim  habe  ich  schon  früher  n.it  uoi 
cursus  verglichen,  vielleicht  gehört  foi  cursus  aquarum  auch 
hieher,  nur  dass  wir  dies  Wort  in  causativem  Sinne  zu  fassen 
haben.  Brugsch  übersetzt  den  letzten  Theil  p.  1691:  „Nicht 
ist  mangelhaft  ihr  Führer,  nicht  findet  es  sich,  dass  sie  die 
Fahrt  (kopt.  tjoi  uavis)  unterbrechen  müssen". 

Dreizehntes    Kapitel. 

ar    Unn-k    m     äri't    ha    hemS    (soweit  reicht  die  Rubrik) 

si  versaris  in  palatio,  stare  et  sedere 

lin.  3.     r  masha-k;     utu~ded-neh  hru  äp,    m  soa;     cJieper 
pluris  est   quam    passus  tui ;     ligato  manus  tibi  die 

chemit-Jc      lin.  4.    sopd  hra  n  äq   sema,   usech  ast 
primo;  ne  discedas;   foret  exclusio  tui  (tua);   inten- 

nt  aash-tief;  au  är-     lin.  6.   it  r  tep  hesb;  secher 
dito  faciem  ad  introitum  nuntii;    ampla  est  occasio 

nib  clieft  chai  an  nuter  sechent  as  an  aru 
appellandi  ei;  esto  custodia  accuratissima;  consilium 
omne  (est)  ante  mensuram  per  Deum,  qui  promovet 
locum, 

lin.  6.     r-sopd-u  qah 

non  faciunt  attenti  pausam. 

Das  Wort  äri  hat  Brugsch  lex.  p.  207  richtig  mit  l^j;  ver- 
glichen ;     es  ist  der  Pylon ,    wo  Wachen  aufgestellt  wurden, 


93 

wesshalb  auch  bei  den  ünterweltlichen  Todt.  c.  144,  145 
solche  äri  ersch  einen ,  mit  dreierlei  Wächtern,  wovon  der 
eine,  wie  hier,  sema(n)  genannt  ist;  das  kopt.  tamu  osten- 
dere,  ref-tamo  manifestator,  vielleicht  semme  coiuparere,  semi 
accusare ,  sSmi  mandatum  lassen  sich  vergleichen.  —  Der 
Wächter  muss  stehen  oder  sitzen;  das  ist  besser  als  herum- 
gehen ;  am  allerwenigsten  darf  er  sich  von  seinem  Posten, 
entfernen,  denn  dadurch  würde  er  chennt ,  kopt.  schon  re- 
motus,  exclusus  d.  h.  von  fernerer  Verwendung  im  Dienste 
ausgeschlossen.  Dunkel  ist  die  Beziehung  auf  Gott.  Soll 
man  annehmen,  dass  hiemit,  wie  so  oft  in  späterer  Zeit,  der 
König  bezeichnet  sei?  Das  ganze  Verhalten  des  Wächters 
unterUegt  der  Messung,  Wägung  (kopt.  schi  mensura,  ma- 
schi  libra)  durch  den  Gott ,  von  welchem  die  Beförderung 
der  Stellung  abhängt:  aufmerksame  Diener  machen  keinen 
Halt  im  Avancement.  —  Wegen  des  voll  phonetisch  ge- 
schriebenen sopd  lin.  4  habe  ich  auch  die  vorletzte  Gruppe 
mit  r-sopd-u  umschrieben.  Brugsch  lex.  p.  1206  citirt  die 
Legende:  sopd-lier  m  menfiu  nib  ..der  erste  unter  allen 
seinen  Kriegern'"  —  vielleicht  besser:  ,, das  Augenmerk  aller 
seiner  Soldaten",  oder:  ,, merkend  auf  alle  seine  Soldaten". 
In  sohte  directio  schimmert  diese  Bedeutung  noch  durch; 
die  Griechen  haben  aus  dem  Sternnamen  Sopd  ihr  2cö-d-ig 
gebildet.  —  Weiterhin  VIII  10,  IX  10,  XIII  8  treffen  wir 
sopd  wieder. 

Vierzehntes    Kapitel. 

ar    Unn-h    hna    redh-ll    (soweit  reicht  die  Rubrik) 

si  versaris  una  cum  hominibus 

ar-^ieJc   meri   ha:   pehu  het-a,    pehu      lin.  7.    het-a 
blandientibus  tibi  egegie:  lermine  cordis  nici,  termine 


94 

antu  pecher-f  cljed  m  chet-f  cheper-f  m  tesu  djesf 
cordismei!   imperitus  (non  versutus)  dicit  in  ventie 

neb-chetu      lin.  8.     7n-ta  m  secher-f:   rnek  nefer  an 
suo,  se  tieri  in  (statum)  optiniatis  ipsuiu  :  „possessor 

djediii-k  hä-u-Jc  djefa-u  lii-h     lin.  9.    r  hau-u-Jc  ä- 
dat  me  in  potestatem   consilii  tui;    tibi  bonum  uon 

hut-tu-neh   m   cliemt-nek :     unn   het  sotem   n   chet-f 
loqui    te    et    ipsum :     liicrum    tibi    adveisus   tribules 

ta-f  l'ent-ii      lin.    10,    ju    as't   meriit  \    het-f  aku, 
tuos;    opponitur   tibi   nescieuti:     ,,est   cor  obediens 

hd-uf  chesa 

ventri  suo;    dat  iras  loco  amoris;  cor  ejus  laCerura, 
membra  ejus  discerpta. 

Das  zweimaligem^)  pehu-Jiet-a  beweist,  dass  wir  es  mit 
einem  Ausrutu  oder  Grusse  zu  thun  Laben,  wobei  das  ,,Herz" 
wie  unser  „Herzchen"  ein  Ko>e-  oder  Schmeichelwort  ist, 
während  später,  wo  es  den  äussern  Gliedern  parallel  aresetzt 
ist,  das  Herz  als  Sitz  der  Intelligenz  erscheint,  welches  deui 
Bauche,  d.  h.  den  Leidenschaften  fröhnt,  z.  B.  dem  Zorne 
Icent.       Sonst    wird    das     Wort    erewöhulich       ^     ^      oder 

^'^'-wvMl  kopt.  c'mt  ira  =  nwp.   geschrieben   und  Horapollo 

emerkt   I    14    ausdrücklich   xvvox6(faXoq   =   ogyr^.    —    Die 


78)  Das  Wort  ha ,  welches  diesem  'pehu  unmittelbar  vorangeht, 
steht  hier  wohl  als  Adjectiv  zu  mer  wie  bei  repaha.  Die  Zusammeu- 
bringung  dieser  zwei  Wörter  ha-pehu  sonst  Anfang  und  Ende  (wie 
z.  B.  am  Schlüsse  XIX)  gehörte  vermuthlich  zu  den  graphischen  oder 
poetischen  Künsteleien.  Die  nämliche  Spielerei  mit  hä  und  pehu 
begegnet  uns  im  Pap.  SaUier  II  3,  5  Ueberschrift. 


95 

zuletzt  stt'lienJeu  uuj  durch  das  aufgelöste  Haar  dettrmi- 
uiiten  Wolter  aku  und  chesa  sind  iu  deui  kopt.  oc'e  vul- 
nerare,  aegrotum  facere  und  scIies  dolor  Uiolesiia  mit  etwas 
veränderter  Bedeutung  erhalten.  —  Nach  der  Schilderung 
des  leicht  durch  Schrueichelei  zu  Bethörendeu  folgt  nunmehr 
der  Schlusssatz : 

au  tir-het  r-sopd-u 

est  magnanimus  scopus  (uieta) 

lin.  11.    nuter;  au  sotem  n  chet-f  nesu  lümei-f 

Dei;  est  obediens  veutri  suo  liiililirium  feminae  suae. 

Während  der  starkheizige  ein  Gegenstand  der  Aufmerk- 
samkeit, ein  Augenmerk  Gottes  ist,  der  wohlgefällig  auf  ihn 
bhckt,  ist  der  Leidenschafiliche,  der  durch  Schmeicheleien 
hncht  bethört  wird ,  sogar  unter  das  Weib ,  als  ein  Tiior 
oder  Spiellball,  gesunken. 

Fünfzehntes    Kapitel. 

Sema    Sem-U-k    an-Öm-het     (soweit  reicht  die  Eubnk) 

indicium  judicii  tui  est  impoenitabilitas 

Ich  habe  in  meiner  Uebersetzung  das  Wortspiel  nach- 
geahmt ;  impoenitabilia,  kopt.  ath-uem-htheu  gibt  den  Begriff 
des  ,, nicht  Bereuen  -  müssens"  oder  ,, nicht  zu  Bereuen- 
braucheus'".  So  heisst  es  auch  im  Todt.  c.  125,  col.  7b  ,.non 
feci  poenitabilia."' 

ta  seclier-h  m 

da  cousihum  tuum  in 

lin.  12.    seh  n  neb-k;  ar  cJiä-f  erof  cheft  djedf  an 

concilio  domini  tui;     si  assurgit  contra  id,  quando 
dielt:  Non! 


Ö6 

Auch  dieser  Absclinitt  enthält  ein  Wortspiel  zwischen 
secher  und  seh  (kopt.  soiih  coelus) ,  welches  ich  durch  con- 
siUum  und  conciliuui  nachahme.  --  Schwierig  und  wichtig 
zugleich  wird  dieses  kleine  Kapitel  durch  das  erstmalige 
Auftauchen  der  Partikeln  für  Ja  und  Nein.  Wäre  auch 
letzteres  durch  den  Zusammenhang  und  das  kopt.  an  =  non 
nicht  empfohlen,  so  wird  es  durch  seineu  unzweifelhaften 
Gegensatz  ,,Ja''  in  lin.  14  gleichsam  aufgeuöthigt. 

qesen  r  aputi  semat      !iu.   13.    an-iishebt  m-a  m"^^) 
durum  (est)  esse  latorem  sententiae  non-respondere 

rechst  an  ur  recht-u-f  nenetem  ar  Jca-f 
(est)    in    manu   scientis    eam ;     quod   ad   magnatem 
cujus  opiniones  falsae  —  si  evocat 

lin.  14.    r  chesf-f  her-s,  au-f  ger-f  ho  au  djed-na 

ad  refutandum  (se)  de  iis  atque  clamat:    ita!     esto 
dicens  per  me  (licet). 

Trotz  seiner  Kürze  bietet  dieses  Kapitel  dunkle  Stellen 
genug. ^°)  Ich  hätte  seine  Uebersetzung  auch  nicht  gewagt, 
wenn  nicht  glücklicherweise  weiterhin  cap.  24  pag.  XI 
lin.  8  — 11  dasselbe  Thema  und  zwar  etwas  deutlicher  be- 
handelt wäre.  —  aputi,  kopt.  epoti  columba  (Botentaube?); 
usheht  =  uschb  respondere;  7ca  in  c'e  erhalten,  in  der  Ro- 
settana =  nQoaovofxaad^i^Oerai. 

Sechzehntes    Kapitel. 
ar  unn-h  m  semi   (soweit  reicht  die  Rubrik)   listen 
Si  es  in  statu  sciscentis  ampli 


79)  Es  steht  irrthümlich  ein  a. 

80)  H.  Pleyte  hat  in  der  Zisch,   für  aeg.  Sp.  einige  Stellen  da- 
von zu  übersetzen  gesucht,    aber  mit  sehr  problematischem  Erfolge. 


97 

Pagiua  IX. 

lin.   1.     sedier -u   m  tdut-neh      ar-h       chet-u    dJiennu 
consiliisj   ne  fingas  tibi  facere  te  quidquam  magni, 

secha-nef      lin.  2.     liru-u    ei        Id-sa       an    ei 
cujus  meminerint  dies  venientes  in  dorso:  non  venit 

djedt    m       qah      Jioses      lin.  3,     hescs      Mim 
verbum  in  multiplicitatem  laudis;       emergit   croco- 

se(ha)Ji  clieper  sefa't 

dilus,  fit  devastatio  (abstersio) 

Das  Wort  semi  mit  dem  ableitenden  i  muss  wohl  auf 
sum  scire  zurückgeführt  werden;  es  ist  darunter  der  Denker 
(Redner,  Dichter)  überhaupt  zu  verstehen,  wie  analog  im 
Deutschen  das  Wort  simuliren  den  Begriff  des  Nach- 
denkens ,  Forschens  in  sich  schliesst.  —  idu  ist  der  ältere 
Repräsentant  für  secha,  kopt.  sacli  scribere,  und  so  wie 
dieses  ursprünglich  memoire  und  figurer  bedeutet ,  so  hier 
iitu:  „bilde  dir  (nicht)  ein".  Beide  Wörter  haben  also  ihre 
Rollen  getauscht.  —  Der  Stamm  qcib  erscheint  im  kopt.  Jiob 
multiplicatio,  iikob  multipliciter,  vielleicht  auch  in  T^epe  lon- 
gitudo ,  c'öpe  cucumis  longissimus ,  c'epe  abundantia ,  c'pe 
magnus.  Der  Sinn  ist:  ,,ein  gesprochenes  (oder  geschrieb- 
enes ?)  Wort  gelangt  nicht  zu  dauerndem  Lobe ,  denn  die 
Zeit  zerstört  es  bald."  Letzterer  Gedanke  ist  durch  ein 
Gleichniss  ausgedrückt:  Es  taucht  auf  und  unter  (kopt.  hjp 
occultari)  das  Krokodil  (seßajJc  mit  seh,  kopt.  sev  tempus, 
verwandt):  es  entsteht  Verwüstung"  {shof  desolatio,  chav 
devastare).  In  der  That  sagt  Horapollo  I  68,  69  das  Kro- 
kodil sei  =  dvuToh^  und  dvOiq  und  II  20  sagt  er  vom 
iTiTtog  TcoTdf.i[og,  dass  es  woav  ör/.oT  —  es  ist  die  Gruppe 
^^^g  —  at  momentum.  —  Jicqm,  auch  ^^^-    und  mit  der 

[1870.  n.  Beilage.]  N 


9ß 

Thierklaue  (cf.  xvg:i)  geschrieben,  52»  kopt.  c'o})  voUi,  planta 
pedis,  könnte  freilich  auch  der  Name  des  Typhon  unter  der 
Gestalt  des  (Nilpferds?)  Krokodils  sein;  allein  gewiss  ist 
es  nicht  zufällig,  dass  c'ejpe  celer  bedeutet. 

Siebzehntes    Kapitel. 

ar  unn-h  m  semi  par  (soweit  reicw  die  Rubrik)  r  so(t)cm-k 
sie  es  tamias  domus  ut  s amies  (aures) 

lin.  4.  cljedii  sepru,  m      gen-f;       sii       r    sek't 

(ad)  verbum  supplicis;  ne  subsannes  eum:  hoc  pejus 

clief-f;  m      hat 

es(se)t  quam  ferire  corpus  ejus ;  ne  inveharis 

lin.  5.         nef  äjeä-nek-st        mer        eher       vii 

in  eum  ;    loquitor  ei  id  humane ,    quod  habet  vae ; 

aa't  het-f      r  art  eit-nef 

refrigerato    cor   ejus    ad     faciendum    propter    quod 

lier-s;    lin,  6.  ar  ar-gennu  sepr't-u  au  cljedtii  au 
venit,  est  faciens-derisionem  precum  dictus:  hoc  est 

ter  r  ma-telia-f-st  an    lin.  7.  seprt-nef 

modus  faciendi  adgredi  eum  id,  ob  quod  ne  precatus 

nibt  her-s;  m    cJieper.t-senu;       senän        het    pu 
est  quidem ;  {.ni}  ysvoiTO  Tavxa  \  delectatio  cordis  sit 

sotem  nefer 
audire  bene. 

Ich  habe  das  Wortspiel  zwischen  sem  und  s(ot)em  (ur- 
sprünglich sem  cf.  J/Ciy)  nachgebildet  durch  die  Wahl  des 
samiare    schärfen    (cf.   dx-ovcü    die   Ohren    spitzen?)    neben 


93 

Taixiag.  —  kopt.  sepru,  sop ,  scpsop,  sops  supplicari,  — 
gen('nii)  erblicke  ich  in  c'er  derisio,  ref-c'cr  clerisor,  wie  hier 
argenu,  mit  üebergang  des  n  in  r  (l)  cf.  nas  =  las,  negeh 
=  roc'ep.  —  seh't  erscheint  in  sc'a  percussio,  sice,  sec  na- 
qciXvTixog.  —  Der  proleptische  Gebrauch  des  Pronomen 
lin.  5  djed-neh-st,  h'n.  6  teha-f-st  ist  auch  sonst  nachweisbar 
z.  B.  Todt.  78 ,  3  an  setu  nuteru  „was  sie  betrifft ,  die 
Götter", ^^)  —  Das  zweimab'ge  hers  propter  quod  in  rela- 
tivem und  interrogativem  Sinne  steht  häufig;  so  z.  B. 
Todt.  112,  2  „an  autenu  rechfenu  rat-tu  Pa  n  Hör  lier-s? 
aii-a  recJiJcu-a-s",  „num  estis  vos  scientes,  quare  datum  sit 
urbs  Pa  Horo?  Ego  sum  sciens  id".  —  ^er  per  f^isTa^saiv, 
kopt.  ret  ratio,  modus.  —  sewaw  =  kopt.  sneini  ludere,  nu- 
gari,  snaein  saltare. 

Achtzehntes    Kapitel. 

ÜT    'inGT-k    (soweit  reicht  die  Rubrik) 

si  amas 

ÜB.  8.       s-oali      cJienefmes    m    chennu  äq'Jc       erof 

condere  auctoritatem  in  gynaeceo,    in   quod  intras, 

m  neb  m  son    lin.  9.   m  chcnefmes  ro-pu  r  hu  nib 
doLuini,  fratris  cognative,  in  loco  omni, 

dq-Jc  am,     sat  m  tcJcen  mhimet-u  lin.  10.  annefer 
quo  intras:  cave  a  tactu  mulierum ;  non  bonum  est 

n    bu      ani-st  am,     an  sopd-n-ho  lii     pecha-st; 
in  loco    quo  versatur;    nemo    cautus  seducet   eam; 

au  negebtu    lin.  11.  sa  clio  r  achut-nef    af        Jcufi 
sunt  abrepti  viri  mille  ad  fruendum  (sibi)  momento 


81)   Derselbe  Satz  steht  im  Pap.  Senkowski  XIII  6. 


100 

mati     rasui       au      peJm-tu    mut 
brevi  instar  somnii;    (sed)  acquiritur  mors 

lin.  12.    hl       rechst;  tes  pu  dies        siti  —   t 

in   noscenda   ea:     propositum   dirum    est,    Stimulus 

fa  pir-tu        lii  art-f,  Jiet  hi  u-    lin.  13.  -an-f; 
attollens  apparet  in  patrando  eo;    cor  recusat   id; 

ar        tdiaJi     m  sehen  her-s,       an         mdt  n 
si  quis  residat  in  tliely-mania,    non  est  possibilitas 

sedier    nib      am-f 
consilii  ullius  cum  eo. 

Im  Ganzen  sind  die  Schwierigkeiten  auf  den  letzteren 
Theil  beschränkt.  Das  sonderbare  Wort  neben  s'oaTi  (uaJie 
=  habitare) ,  nämlich  dienefmes,  wird  von  Brugsch  lex. 
p.  1103  mit  kopt.  sdienmau  cognatus  (filius)  ex  patre  matris 
verglichen;  mit  ÜDrecht,  da  dieses  offenbar  in  sdie-n-mau 
filius  ex  matre  zu  zerlegen  ist.  Ursprünglich  clienems  ge- 
schrieben ,  kommt  es  stets^^)  zur  Seite  von  son  frater  vor, 
bedeutet  also  den  dritten  Grad  der  Verwandtschaft,  da  son 
=  II ö  sen  snau  ''^'d,  wie  ich  schon  längst  (1864)  gezeigt 
habe.  Es  muss  desshalb  dienems  mit  kopt.  sdiomt  und 
'ti^'^iy"  tres  zusammenhängen,  da  es  lllö  geschrieben  wird. 
Den  Uebergang  stellt  kopt.  sdiolmes  culex  xcorcoip  dar,  wel- 
cher Name  hierogl.  gleichlautet.  —  ropu  in  der  Tanitica 
=  7J.  —  feJcen,  kopt.  toc'  taugere  {tac-^^iyy  goth.  taika,  tai- 
tok).  —  pedia,  kopt.  padi  scindere;  HorapolloI63  gedenkt 
der  Hieroglyphe  [^  ^  wenn  er  sie  auch  für  rjfj.iTOf.iog  ocpig  an- 
sieht, da  ihm  das  ganze  Schild  CZDi  59—62  o(fig  ist,  richtig 


82)  Z.  B.  in  der  polit.  Unterweisung  Amenemha's  I,  3;  Todt. 
c.  78,  39.  Im  Louvre  traf  ich  die  beiden  Ausdrücke  sen  und  clienems 
zwischen  hau  tribules  und  djet-])a  domestici. 


101 

mit  der  Bedeutung  hs'qoc,  zutreffend  auch  bei  ^^fi]^  dena 
pars,  Abzweigung,  Canal.  —  achut  kann  hier  mit  2iasch  de- 
lectari,  tiosche  consüm er e,  nsche  paropsis  verglichen  werden; 
jedenfalls  bedeutet  es  hier  frui.  —  rasui,  im  Koptischen  ge- 
rade so :  somnium.  —  rech  in  Bezug  auf  Weiber  muss  hier 
wie  das  biblische  cognoscere  den  Beischlaf  meinen.  —  sifi, 
sali  ssigitta;  /o?  portare,  tollere;  tdiah,  welches  XI  1  wieder 
vorkommt,  entspricht  wohl  dem  kopt.  2(]ii  resistere  (per- 
sistere?);  seJcen  dem  xooxö6ei?.og  =  (xaironerog  bei  Hor- 
apollo  167,  vielleicht  in  soce  extollere  erhalten;  mät  cf.  7no 
da.  die  Gebung,  Möglichkeit. 

Neunzehntes    Kapitel. 

ar   mer-k    (soweit  reicht  die  Eabrik) 

si  amas 

Pagina  X. 

lin.  1.         nefer         sem-u-k        noJiem-tu    ma  ämd  mht, 
bonitatem  conscientiae  tuae.  liberam  a  macula  omni, 

sat  Td  sop  n  aun-liet    lin.  2.  dicct    pu       äm't 
cave  ab  ansa  fraudulentiae ,    corpus    est   morbidum 

ntbor-iu-f,  an  clieper    n      äci  am-s ;    au-s^^)  sehat 
dissoluti ;     nil   ratum   fit   intranti    eam ;     est   lepra 

atef-u    mut-ii    lin.  3.  hnä    senmi-u    na  mut ;     au 
patrum    matrum(que)    cum    fratribus    matris ;      est 

nesh-s        liimet  djai  djaut       pu 

divortians    feminam    et    conjugem;      conjunctio    est 


83)  Brugsch  übersetzte  diesen  Satz  1663  in  der  Zeitschrift  p.  22 
so :  „Die  Sünde  der  Täter  (und)  Mütter  und  der  Kinder  der  Mütter, 
sie  wird  erreichen  Weib  (und)  Mann. 


102 

han't-u    Hn.  4.  niht,    arf   xm  n  cheMt-u      niht; 
foeditatum  omniuin,  fascis  est  iniquitatum  omuium ; 

oah    sa         äqa-f         mä'f,  slieme  dJienetem-ti-ii-f, 
viget  vir,  cujus  pectus  lioncstum ;  means  sulcos  suos 

liu.  5.     au-f  ar-f  am-t-paru,        au  uni-par  äun-Jief 

est  faciens  penum  eo,  non  habente  domum  fraudulento. 

Ich  habe  diesmal  sema  cf.  sitm  mit  conscientia  über- 
setzt, oben  cap.  10  mit  fama  (bona  cf.  kopt.  snm)  nach 
Analogie  des  pauliuischen  ,,conscientiam  (övvsidr^Giv)  autem 
non   dico    tuam ,    sed   alterius"    (Cor.  I  10 ,  29).  —  noJiem 

servare  liberare.  —  Das  Wort  cha'f,  sonst  ITI  geschrieben, 

ist  vielleicht  im  kopt.  scJiau  ossa,  membra  erhalten.  — 
äm'i  cf.  uöome  succumbere.  —  In  Betreff  des  hor-tu-f  (her- 
hört dissolutus)  bin  ich  nicht  sicher;  wenn  nämlich  das  an- 
lautende h  statt  der  Negat.  hu  (ov?)  stünde,  so  hätten  wir 
bu-ra-tu-f  non  liciti  cf.  kopt.  to,  taai  concedi.  —  sehat, 
hopt.  sohah;  cf.  Oaßßca  des  Josej^hus  =  ßovßcvvog  aXyog.  — 
In  Bezug  auf  nesh  bietet  mir  eine  Stele  des  Louvre  die 
Parallele:  sehen  himet-f,  cJirod-u-f  nesh,  art  men  seJc't^  art, 
seJc-f  ututu  eher  heh  =  .,quicunque  amovet  uxorem  suam, 
liberos  suos  separat,  monumentum  diruit,  ejus  ipsius  dirutio 
scripta  (constituta)  est  in  aeternum".  Vielleicht  ist  im  kopt. 
uasch-peri  terriculamentum  coturnicum  der  ursprüngliche 
Begriff  von  «es/i,  nämhch  ,, auseinander  thun,  scheiden"  noch 
bewahrt.  —  djauf,  das  ich  wegen  des  Wortspiels  mit  djai 
conjux  durch  consumtio  übersetze,  steckt  vermuthlich  in 
djcu  captus  im  Sinne  einer  Zusammenfassung  cf.  edjö,  etjaii 
forceps.  —  ch'f  mit  dem  Bündel  determinirt,  kopt.  örf  con- 
strictum  teuere,  wohl  verwandt  mit  mit  areh  j^iguus  n21.y.-  — 
uah  entspricht  hier  dem  kopt.  itoh  augere  snidiöovai.  — 
dhenefem  ist  aus  dhenem  erweitert;  wie  oben  sotem  aus  sem, 


103 

chenetmes  aus  chenmes;  es  ist  in  kopt.  inom,  ihm  ühr\  sulcus 
bewahrt,  —  am-pa(7')u  ist  gebildet  wie  am-chet  quod  in 
ventre  est  kopt.  m-aclit  viscera  intestina;  vielleicht  in  (ti-) 
limef  penus  noch  gebraucht.  —  an-uni-pa(r)  wörtlich  „ein 
nicht  habender  ein  Haus"  cf.  im  habere.  Die  hl.  Schrift 
sagt  ähnlich  .,des  Vaters  Segen  baut  den  Kiudern  Häuser, 
sein  Fkich  reisst  sie  ein". 

Zwanzigstes    Kapitel. 

m    dun-liet-h    In  pesesll't-ll    (soweit  reicht  die  Rubrik) 

ue  frauderis  in  extensis   (universum) 

lin.  6.      m    liant       an-as    r  chert-u-lc,         m  dun-het-'k  r 
ne  saevias  (n)unquam  in  subditos  tuos;  ne  frauderis 

Jiau-2i-l',  2(r     toa        n 

contra  tribules  tuos;  major  est  exsecratio 

Das  Wort  pesesli  erscheint  gewöhnlich  in  Verbindung 
mit  Flügelpaar  und  Armen,  kopt.  phescJi  perscJi,  expandere, 
extendere  —  also  omnino,  in  extenso  —  universim.  Die 
Verbindung  pesesMu  m  redhu  , .Gemeinschaft  der  Menschen" 
steht  im  Pap.  Sallier  II,  1,  7. 

sefu        r        necJifi,       and    pu     perer  clier  liau- 
repudii  quam  durities;     nihili    est   grassans   in   tri- 

-u-f  shu    m  ant  n  djeäf;  an 

bules  suos ;     vacuus  a  ductu  verbi ;     est  (yel) 

lin.  8.       vehu  n      dim't  her-s  seclieper  chentJii  m 

paullulum  fraudis  ideo   gignens  rixam  ex  refrigera- 

qeb        chet 

tione  libidinis. 


104 

Die  Wörter  nechti,  cJienthi  und  qeh  sind  zu  vergleichen 
mit  nscJiot  durities,  scJiont  rixa,  Iche  refrigerare^*). 

Einundzwauzigstes    Kapitel. 

ar    aq€)'-7c        ger-Jc  par-Jc    (soweit  reicht  die  Rubrik) 

si  sapis,  possides(que)  domum  tuam, 

lin.  9.     mer-Jc  7iime't-7c  m  dien  Jiesh,  meJi  cJiet-s, 

ames  uxorem  tuam  intra  jus,  implens  ventrem  ejus, 

Jiehes  sa-s:       pecJier'f-u  p>u  nt  Mus,  merkt-u 
vestiens  dorsum  ejus:  exigentiae  sunt  corporis  ejus;  olea 

lin.  10.    -s      tebii         Jiet-s      ter     n  nmvt-'k,  ahetu 

ejus  pertinent  ad  votum  ejus,  quamdiu  yivis :  provincia 

pu  aclmt    n  neh-s;     mn-Jc  n  ua  pir-a,     seri't 
est,  digna  doraino  ejus:  ne  sis  tyrannus:  blandimentum 

lin.  11.  seher-s     r    (se)chem  uroä^-)  as       t'ä-s 

accelerat  eam  magis  quam  vis ;  alacris  tunc  spiratio 

pu,        ari't-s         maa's,  s-oah-s 

ejus  est;    oculus  ejus  videns  se  (in  speculo)  faciens 

lin.  12.    pu  m      xmr-k;  clioni-'k-s        mti 

habitare  eam  est  in  domo  tua;   exagitare  tuum  eam 

pu      Jcat-t-s         n         ä-ui-s;        clion-i't-s 
caussa  est  laborationis  ejus  brachiis  suis;  exhortari 

ar-nes  meri 

eam  facit  ei  amorem. 


84)  Weiterhin  cap.  32  p.  XIV  erscheint  dieses  Wort  wiederholt. 

85)  Ea  steht  ein  a,  aus  dem  ich  nichts  als  ein  u  zu  machen  weiss. 


105 

Das  Wort  ger  wird  von  Hermapion  durch  xTiOrr^g  über- 
setzt; es  steckt  ebensowohl  in  c'ere  parare  als  in  ta-'cro 
fundare.  —  Jiebsö  vestis  cf.  '\V2b.  —  Die  oben  für  pecher  er- 
mittelte Bedeutung  „Erforderniss"  wird  hier  durch  das 
parallele  tehu,  kopt.  ethe  quod  spectat  ad  bekräftigt;  sollte 
jedoch  das  s  dazu  gehören,  so  bietet  sthebai  instrumenta 
vasa  das  nöthige  Material  zur  Erklärung.  —  merh  oleum  steckt 
in  mer-ötp  (merh-hotep).  —  ahe't,  kopt.  iohi  ager,  pos- 
sessio ,  opes.  —  pir-a  wörtlich  fortis  manu  erscheint  im 
Pap.  Anast.  I  im  Sinne  von  „Haudegen"  cf.  Todt.  c.  125, 
21  d.  —  seri't  cf.  sälsel  blandimentum.  —  se-her  Causat.  zu 
hör,  kopt.  hol  properare,  engl,  hurry.  —  chem^  kopt.  scMm, 
schöm  altus  excellens.  —  urod,  kopt.  ef-urot  alacer,  leider 
ohne  Deutbild!  —  t'a,  kopt.  ifm  spiritus.  Wind  und  Athem.  — 
s-oah  Causat.  zu  kopt.  uah  habitare,  woher  wohl  auch 
avdasiq  =  olxi^Oeig  oder  olxovfxsvat,  %wqa(,  ,, Oasen"  bei 
Strabo  H  p.  130.  Das  Wortspiel  zwischen  choni  und  choni'f 
habe  ich  durch  exagitare  (,,dein  Vertreiben  sie")  und  ex- 
hortari  nachgeahmt;  kopt.  schon,  engl,  to  shun  amovere  und 
chontj  adhortatio.  —  Das  Wasser,  kopt.  nie  aqua,  als  Ur- 
stoff  gilt  =  Grund,  Ursache;  hat,  kopt.  Jcöt  aedificare  und 
„arbeiten"  überhaupt. 


Zweiundzwanzigstes    Kapitel. 

Pagina  XI. 

lin.  1.     se-hotep    äq-u-Jc  m  cheper-u-neh  (soweit  reicht  die  Rubrik) 
Placare  servos  tuos  facultatibus  tuis 

cheper  n  hosesu  nuter  \  ar       uheh        m    se-hotep 
fit   in   faventia    Dei;     est   reservatus    in   placando 

[1870.  IL   Beilage.]  0 


106 

lin.  2.     aq-ii-f   au   äjeä-tu      ha    pu  ^^)äal)-u  an 

servos  suos  dictus :     sens    est  contradictionum  :     in 

rech-n-tii   cheperf-u    sa-f    tua    lin.  3.  Ica  pu  Jca 
cognoscibilia  facturae  intelligit  maue;     is   sens  est, 

n  mati  liotepu  am-f;    ar 

in  quo  essentia  placentiae  (morte)    plaeata  est;     si 

cheper  sopu    na  liostu,     an  äq-u  cljed  lin.  4.  i-ui  an 
fiunt    vices    fabulandi,    famuli  dicunt:     venite    non 

an-tu      hotep't    r    dema      au       an-tu        dq- 
commeat  placenta  ad  vicum;     est  commeatus  man- 

-u        un      aq 
cipiorum  res  manca. 

Dieses  Kapitel  wimmelt  von  Wortspielen,  welche, 
wie  sie  schwierig  in  der  üebersetzung  nachzuahmen  sind, 
so  doch  hinwiederum  das  Verständniss  erleichtern.  Das 
erste  Wort  der  üeberschrift :  liotep  erscheint  mit  den  Be- 
deutungen placare  ,, befriedigen  (durch  ordentHche  Kost)"  — 
placari  leto  ,,im  ewigen  Frieden  d.  h.  todt  sein"  —  und 
als  placenta  der  Opferkuchen  als  Befriedigungsmittel.  — 
Aehnlich  verhält  es  sich  mit  äq  mancipium  (kopt.  6c  servus), 
aq,  kopt.  aho  perditus ,  das  ich  durch  mancus  ersterem  as- 
similire;  vielleicht  gehört  auch  uhali  dazu ,  kopt.  ulii  resi- 
stere,  etwa  durch  mango  der  Kremper  im  Sinne  von 
,, knausern".  Ferner  steht  clieper  ebenfalls  mit  dreifacher 
Bedeutung:  das  zu  Theil  Gewordene,  das  Werden  und  die 
Welt  (alt:  werold).  —  Der  Stamm  an  wird  (mit  äjed)  für 
,, sagen",  ,, nicht"  ,, bringen"  „Zugang"  gebraucht  und  zugleich 


86)    Dieses   a   gleicht   nur    durch   eine   zufällige   Verwischung 
einem  m. 


107 

bildet  loi  (kopt.  t(on  res,  aliquid)  damit  ein  "Wortspiel.  — 
7ca,  welches  ich  mit  dem  nach  prae-seus,  ab-sens  formirten 
sens  To  ov  (niclit  ensl)  ausdrücke,  bedeutet  Person  und 
Sache,  wie  unser  ,, Wesen".  Ein  verstecktes  Wortspiel  hegt 
in  adbu  contradictionum,  da  r-abeut  reus  obnosius  und  zu- 
gleich et-r-aleut  commensalis  compotor  bedeutet,  welch' 
letzterer  Begriff  hier  gerade  per  antiphrasin  zu  nehmen  ist. 
Ähnlich  dürfte  es  sich  mit  der  Nachbarschaft  von  maü  und 
hotepit  verhalten,  da  ersteres  an  mut  (mors)  erinneit,  während 
letzteres  diesen  Begriff  wörtlich  ausdrückt. 

Dreiundzwanzigstes    Kapitel. 

lin.  5.     am-Jc  nem       meska  {(soweit  reicht  die  Eubnk) 
noli  legerere  offensionem  (sibilum) 

n      djcdt         an-sotem-'k      su    im'u    pii  n(t)  faa 
in  sermone;     non    audire    tuum    eam    effugium  est 

ta(t)      lin.  6.    nem  cljecU        ma(a)      an    soie-m- 
caloris,  dantis    disputatorem    videntem    non    audiri 

nest  r  ta;        m    äjed        ress't;         mak 
se,  ad  terram;    ne  loquaris  prorsus;    memento,  ad- 

cheft-l:  reell       lin.  7.    a^fr;    an  uhit-tu      djaut 
versarium  tuum  callere  valde ;  est  scriptum :  spurius 

art-s  seelieperu  r  djif-s  m  mesdt 

qui  facit  id;     efi'iciens   ut    acceptetur  (est)    in   odio 

ma  hap  maJc  sesun  rasu't     pu 

ut  justum  est;    momento  poenae:    somnium  est  ve- 

liehes  r  hra-s 
lata  facie. 

0* 


108 

Das  Verbum  nem  bedeutet  wiederholen  {et-nem  sodalis 
eig.  „der  mit";  nem  cum,  ti-nem  bellare  impugnare  gehören 
wohl  zur  Wurzel  ^  nem  conjungere)  und  hat  sich  vielleicht 
im  kopt.  Jymen  imago  similitudo  erhalten ,  gleichsam  .,das 
zweiteich"  oder  „Bild,  Ebenbild";  eu,  ön  zu  ;;;;;;3;;;£  gehörig) ; 
die  Bedeutung  ,,der  zweite"  ist  gesichert.  —  meslia  vergleiche 
ich  dem  schmschece  offendi  sibilus  mit  prothetischem  seh, 
■wie  so  oft.  Der  Beisatz  n  djedt  zeigt,  dass  von  Wortgezänk 
die  Rede  ist.  —  dJaiU  ist  vielleicht  mit  dem  kopt.  djout 
spurius  identisch,  dessen  Grundbedeutung  captivus  (cf.  cattivo^ 
chetif)  aus  dja  fliesst.  —  sesun  wörtlich  ,,faciens  mulctam" 
(kopt.  sun  pretium)  muss  hier  wohl  auf  die  in  djauf  und 
mesd  (kopt.  moste  odium  fiToog)  liegende  Strafe  bezogen 
werden.  Sehr  sonderbar  sind  die  drei  hier  gebrauchten 
Bilder  oder  Gleichnisse:  Das  Benehmen  dessen,  der  keinen 
Wortkampf  eingehen  will ,  wird  dem  Ausbeugen  vor  einer 
Hitze  verghchen.  Das  Todt.  c.  125,  18d  gibt  uns  darüber 
Aufschluss,  indem  es  heisst:  an  taa  (volle  Schreibung  tau, 
tav,  kopt.  ^/ia6  fermentum,  i';o/"  favor)  ro-a  „nicht  war  hitzig 
mein  Mund(-stück)".  —  Das  zweite  Bild,  wonach  die  of- 
fensio  offensiva  oder  Streitsucht  ,,zur  Erde  gethan"  wird, 
ist  von  dem  überwundenen ,  zu  Boden  geschlagenen  Feinde 
hergenommen.  —  Am  sonderbarsten  ist  das  dritte  Bild:  ein 
Traum  mit  einem  Schleier  (kopt.  halbes^  libos  velamen)  auf 
seinem  Gesichte  (kopt.  rasui  somnium,  t  fem.)  Vermuthlich 
ist  darauf  abgezielt,  dass  der  Erfolg  eines  solchen  Wort- 
streites, wie  der  eines  verhüllten  Traum  gesiebtes,  sehr  un- 
gewiss ist.  —  Oben  haben  wir  den  Traum  als  Sinnbild 
einer  schnell  verrauchenden  Lust  getrojffen. 

Vierundzwanzigstes    Kapitel. 

a,r    Unn-h   m    Sa    (soweit  reicht  die  Rubrik) 

si  es  in  statu  viri 


109 

lin.  9.  aqer  hems      m      seh        n  neh-f;        saq 

prudentis  qui  sedet  in  consilio  domini  sui:  contrahe 

hef~Ji,       er    lii-aqer  ger-J: 

cor  tuum;    est  prudentia  elocutionis  tuae 

liu.  10.    achu-st      r     dJieftef-u      djedid-l',  rech-nek 

dignior    quam    flosculi    gariitüs    tui;      cognita    tibi 

halä-Jc      an    ahm    lin.  11.     ^'')äjedim   m  seh; 
explicato    per    artem    orationis;      ne  convicieris! 

qesen   djedt   r   Jca'f-ii        nibt;        an  'bala(u)-s 
periculosius  est  verbum  rebus  omnibus:  num  solvens 

tat-s  r  chet? 
id  dat  id  retro? 

Ohne  die  Entdeckung,  dass  unser  alter  Autor  Ptahliotep 
Wortspiele  verwendet,  wäre  auch  dieses  Kapitel  unver- 
ständlich geblieben.  —  seh  concilium  hat  in  seh,  kopt.  sohl 
criminatio  arguere  increpatio  seineu  entsprechenden  Wort- 
kameraden, zu  dem  sich  seq,  kopt.  se7c(-selc)  seh  trahere, 
ductilem  esse,    contrahere,    colligere    als  dritter  gesellt.  — 

dheftef  scheint  eine  Reduplication  von    ''"i^'^^X"^  dhufi, 

welches  Brugsch  lex.  p.  1580  mit  dem  kopt.  djouf  papyrus 
juncus  calamus  ßovroßov  vergleicht.  Weiterhin  begegnet 
uns  XIII  12  t;^  '"TJ"'  im  Sinne  unseres  ,, Stoff  Zeug";  viel- 
leicht treffen  beide  Bedeutungen  in  djaphat  palmes,  ramus 
palmae,  djoofe  plantare,  djohe  plantatio  zusammen.  —  Das 
bisher  gar  nicht  oder  fälschlich  seha  lautirte  Zeichen  Cc9 
schlage  ich  vor ,    aus  Rücksicht  auf  lari  ßdqig  Barke ,    pro- 


87)   Dieses  d  gleicht  im  Originale  einem  r,  cf.  l  und  "i. 


110 

visorisch  ial  zu  lautiren.  In  der  Redensart  kopt.  hei  e-hol 
exponere  ist  nur  das  letztere  aus  r-hunr  oder  rhol  wörtlich 
usque  ad  fores,  Hniina,  (vielleicht  mit  baner  die  Palme  ver- 
wandt, da  die  ältesten  Holzbauten  mit  dem  Querbalken  auch 
in  Stein  nachgebildet  wurden)  entstanden.  Hier  steht  das 
problematische  Wort  eiumal  im  Sinne  von  reproducere,  dann 
im  Gegensatze  (oder  Parallelismus?)  zu  retrovertere  —  kopt. 
cMti  cedere. 

Fünfundzwanzigstes    Kapitel. 

lin.  12.      ar    VeSlir-k     tat-Jc         Sned-Jc    (soweit  reicht  die  Rubrik) 

si  dives  es,  pone  reverentiam  tui 

m    rech,      m    Jiort;         äjed        m     utu        ap 
in  scientia,  in  ratione;  dictum  est  in  scripto  primo: 

lin.  13.      an-as        r-semu      au     mer        tem  äq-f 

nunquam    conscius    est    amans    siguandi   introitum 

n    vut-u 
suum  diris. 

Pagina  XII. 

lin.  1.     m      qa    het-Jc      tem-f  äelia  m       ger 

ne    superbias  corde  tuo;  ne  id  dejicias  in  dicendo; 

saub  chent-Jc 

(docendo)  castigato  (dirigito)  gressum  tuum 

lin.  2.  uslieb-Tc  djecU   nnenesrf  se-lier   her-Jc 

(et)  responsum  tuum;  verbum  praecox  abigito  abs  te; 

han-tu  au  nesiis-u  lin.  3.  nt  taa-het  secher-f 

gubernato  te;    (est)  gradus  fervidi   corde   expugnat 


111 

an  clienäu    clierau     maähen-f 

euin(graclum)placiclu3;  graditur  pugnator  viara  suam 

lin.  4.       mensh        ua  n  heni    r  tehu-f  an 

splendide :     unus   dies   mutando  ei    (par  est) ,    non 

ar-nef  cd  nefer;  unnf-Jiet:        ua 

transigit  sibi  momentuin  pulchrum;  laetus  corde:  unus 

n       lieru  r  tehu-f;      an     lin.  5.  ger  nef  par;  situ 
dies  mutando  ei  est;  non  parat  sibi  domum ;  sagit- 

meli^      ma  ar  liemu      sepi     r     fa;       Jci 
tatione  expleta,  est  ut  remus  relictus  in  terra:  alius 

nefeni    lin.  6.  au  sotem  n   Jiet-f  r       lian 
politur.     est  obediens  corde  suo  ad  jubendum    (de- 
stinatus,  aptus). 

Ein  inhaltreiches  Kapitel!  Beginnen  wir  mit  der  Ueber- 
schrift:  die  beiden  Arme  sind  offenbar  tat. — r-semu  muss 
wie  ein  kopt.  ,,ref-sum"  ,,Thu-er  wissen"  gefasst  werden. — 
tem,  mit  dem  rufenden  Manne  determinirt,  erscheint  ebenso 
Todt.  44,  4  mesd  dient  amenti  tem  ran-f  odit  Osiris  nar- 
rationem  (kopt.  tatne)  nominis  tui'"  cf.  Herodot  II  170:  ai 
ru(ful  xov  ovx  oOiov  7ioievi.iM  .  .  .  i^uyoqeveiv  Tovvof.icc.  — 
qa,  kopt.  et-c'eu  altus;  tem  prohibitio  wie  kopt.  slvtem  ne; 
delia,  demot,  dein.,  kopt.  djoh  deficere  omittere,  verschieden 
von  atlm  die  Niederung,  obwohl  delia  auch  dem  töli  palea 
entspricht,  das  gerade  so  wie  hier  delia  geschrieben  wird. 
Ausserdem  hat  H.  Goodwin^^)  das  Wort  tUiot  citirt,  welches 
=  Delta  inter  Canop.  et  Pelusiac.  Nili  ostium.  —  said) 
hat  liier ,  wie  öfter ,  das  Deutbild  des  schlagenden  Mannes 
hinter   sich,    weil   auch   in  Aegypten    der  Unterricht   häufig 


88)  Cliabas  Yoyage  p.  305. 


112 

von  Schlägen  begleitet  (,, eingebläut")  wurde,  und  es  sich 
hier  um  die  „Bezwingung,  Bemeisterung"  handelt.  —  nenesrt 
„Feuereifer"  entspricht  wohl  hier  dem  kopt.  nusenti  prae- 
cox, praecursor;  es  ist  sonst  durch  die  Flamme^^)  deter- 
minirt  (nesel)  und  bildet  hier  ein  Wortspiel  mit  nesutu, 
kopt.  nusclii  gradus,^")  der  Rang.  —  seltey  abjicere,  kopt. 
sehr^  Wortpiel  zu  se-lier  (eig,  ,, melken"  koqt.  Mr)  erhalten 
im  kopt.  selir  haurire,  und  zugleich  zu  clicrau,  kopt.  cJier^ 
ch&r  perdere,  vastare.  —  mcnsh  erscheint  ausserdem  nur 
mit  :^^Q^  als  ein  grosses,  schön  ausgerüstetes  Schiff,  Flotte. 
Dieser  Begriff  „flott"  passt  hier  und  ist  vielleicht  versteckt 
in  mscli-ir  praeditus  oculis  pulchris.  wo  ir  =  iqi  iQig  =  dg)- 
■d^aXfiog.  —  loinf,  kopt.  «wo/*  laetari  gaudere;  Jwmi  remus; 
sejn  reliquus,  residuus.  —  nee' er,  kopt.  roc'rec  polire;  mit 
dem  Worte  dep,  kopt.  tox^,  carina  erscheint  es  auch  bei 
Birch  Zts.  1866  p.  100  im  Sinne  von  .,to  sharpen,  glätten". 
EndUch  bildet  au  mit  r  eine  Art  Futurbildung,    kopt.  ei-e. 

Achtuud  zwanzigstes    Kapitel.^^) 

Pagina  XIII. 

lin.  1.     ar  ar-l' si  n  qenhe.t-u   (soweit  reicht  die  Rubnk) 
si  es  filius  famuli 

a-puti       n  hert        ashat't-u 
affectator  memoriae  multitudinum : 


89)  Ein  ähnliclier  Tropus  liegt  in  den  beiden  Ausdrücken  mocTi, 
kopt.  moh  ardere,  ustio  und  seref,  kopt.  serfe  curam  habere:  Taci- 
tica  1.  9  und  27,  beide  Male  =  xtjdt/joyucwg. 

90)  Im  Pap.  Senkowski  II  13,  YI  9  ist  der  Thron  deutlich 
hinter  nes;  daher  auch  der  Lautwerth  n  für  fi  in  späterer  Zeit. 

91)  Die  Kap.  26  u.  27   siehe  oben  zu  Ptahhotep  de  senectute. 


113 

lin.  2.        slied  maäu        7nemm  djedi-h         m 

exerceto   disciplinam  perpetuo;    dictionem  tuam  ne 

r-a    lii-ina      sauh    lin.  3.  djed-f        secher-f; 
ponas  ad  latus  praeceptoris,  qui  dicit  consilium  suum; 

saru-u  r-a-f  djedt     hi-ma    ari;    udeb     sepi-Jc 
princeps  ponit  verbum  ad  latus  socii;  restat  dialectus 

lin.  4,     r        ufa't-u 
tua  ad  emendandum. 

Das  oben  zu  VII  6  erläuterte  qenhet  bezieht  sich  ur- 
sprünglich auf  die  aeg.  Ecken  —  (kohn  angulus)  —  steher 
d.  h.  Diener  des  Palastes;  es  scheint  sich  mit  abgeschwächter 
Form  in  c'auan  servus  famulus  erhalten  zu  haben  (qeneh  = 
qehen ,  qeven).  —  aputi  bedeutet  ,,Bote  {epo-ti  columba) 
Spion,  Verfolger";  vielleicht  ist  es  auch  in  apatoot  diligentia 
cura  erhalten,  wenn  auch  toot  auf  tot  manus  hinweist;  denn 
der  Stamm  besteht  nur  in  ap.  —  Vieldeutig  ist  die  Wurzel 
shed  cf.  Lieblein  in  Ztsch.  1865  p,  79  und  Brugsch  lex. 
p.  1413—1419.  Hier  eignen  sich  nur  sliet  petere,  sliit  com- 
parare,  shote  farina  subacta,  —  madu  vergleiche  ich  dem 
kopt.  matoii  docere-  mennu  dem  et-men  perpetuus,  kopt. 
mene  quotidie.  —  udeb,  kopt.  uoteb  praestare,  superare;  im 
Rhind-pap.  XVIII  11  wird  uteh  sa-f  demot.  durch  ha  m-en- 
so-f  ,, stehend  (übrig  bleibend)  hinter  ihm"  übersetzt.  — 
tit'a't  wird  in  der  Tanitica  7.  13.  durch  svvofxia  gegeben; 
es  könnte  in  dem  causativen  kopt.  sofi  emendare  erhalten 
sein.  —  sepi  entspricht  hier  dem  kopt.  aspi  lingua  diäXsxzog. 

Neunundzwanzigstes    Kapitel, 

ar   Sef-k   In      Sepet  ClieperU    (soweit  reicht  die  EubriU) 

si  piget  te  ob  casum  factum 
[1870.11.  Beüage.]  P 


114 

gesa-Jc  n        sa    lin.  5.  lii  äqa-f,  s-oa 

et  coagularis  cum  persona  e  cliametro  ejus:  evitato 

hra-f,         m   secJiausu]  fer  ger-f-neJc 

faciem  ejus ;    ne  admoneas  eam  rei  quam  dixit  tibi 

lin.  6.     Jieru  dpi 
die  primo. 

Trotz  oder  gerade  wegen  seiner  Kürze  bietet  dieses 
Kapitel  manche  Schwierigkeiten.  Was  in  der  Ueberschrift 
sept-cheperii  wörtlich  vix  facta  ,,ein  gewordener  Fall"  genannt 
wird,  heisst  später  fer,  kopt.  tre  facere,  —  gesa,  kopt.  c'es 
coagulatus   wird    auch   von    einer  Benetzung   gesagt   und   da 

hiefür   auch  die  Variante   a_^c=E=i^ooo^    gash,    kopt.   c'esh 

effundere  eintritt,  so  hängt  damit  wohl  auch  kopt.  c'asTie 
debilis  impeditus  eig.  ,, trauernd"  (fff)  zusammen.  —  äqa 
bedeutet  ausser  ,, Mitte"  (uc'os  dimidium)  auch  die  Culmination 
der  Gestirne  kopt.  oci  finis  terminus;  hier  ,, schnurstracks 
gegenüber".  Die  ursprüngliche  Bedeutung  ,, Mitte,  Centrum" 
ist  noch  wahrnehmbar  in  at-u'cai  dis-ciuctus,  woraus  auf  ein 
ursprüngliches  ,,cingere"  geschlossen  werden  darf. 

Dreissigstes    Kapitel. 

ar    äa-Jc      M   Clieti  nOC'eS-U-7c     (soweit  reicht  die  Eubnk) 

si  magnus  es  (fis)  post  minutias  tuas 

ar-lc    clietu      lin.  7.  m  cJieti  gaf  dp        am 

facis  penum    (post)  pone   penuriam,    primatus  ideo 

m  nu't      reclit-nek  m   scliau-u   cliepert-nek 

in  urbe  tribuitur  tibi  (et)  ob  utilitates  contingit  tibi 

lin.  8.        client-u  m     hefa        Jiet-Jc       lii       M-u-Jc 

principatus:     ne  fiduciet  cor  tuum  ob  acervos  tuos 


115 

clieper-nek    r-tam-u    mtfer ;    aniu     lin.  9.  7ia 
factos  tibi  munificentia  Dei  nequaquam  posticus  est 

Jii         matu-Ti     cheperu-nef  mati  ari 
alter,  aequalis  tui;  fito  ei  aequaliter  socius. 

Die  Redensart  „Geld  machen'"  anstatt  „erwerben"  haben 
wir  auch  im  Deutschen;  ich  habe  penus  gewählt  und  peuuria 
so  wie  pone  (=  post) ,  um  das  beabsichtigte  Wortspiel  an- 
zudeuten; es  hätte  auch  pecunia  und  paupertas  diesen  Dienst 
geleistet.  Was  ga(u)t  betrifft ,  so  hat  es  sich  in  g'ou  cili- 
cium  sowie  in  g'eu  angustus  (opp.  augustus)  erhalten.  — 
schau,  kopt.  scliau  utilitas,  bonum.  —  Jcefa,  kopt.  c'afe 
fiducia.  —  Ich  habe  r-tai-u,  kopt.  ref-ti  liherahs,  transscribirt ; 
mit  Bezug  auf  das  oben  VIII  6.  10  stehende  r-sopd-u  könnte 
hier  auch  so  gelesen  und  dann  übersetzt  werden  ,;(und)  dass 
du  geworden   bist   zu  einem  Augenmerke  Gottes".  —  Statt 

des  Determiuativs  ^  hinter  matu  (Wortspiel  zu  dem  zu- 
nächstfolgenden 7na-ti)  ist  wahrscheinlich ,  wie  oben  VI  1 
^  zu  corrigiren ;  dann  lautet  die  Cebersetzung :    ..Gedenke 

du  zu  werden  ihm  ebenfalls  ein  Genosse".  Brugsch  über- 
setzt dieses  Kapitel  so;  „Weu.x  du  vorn(.hm  geworden  bist, 
nachdem  du  gering  gewesen,  Schätze  sammelnd,  nachdem 
du  Mangel  gelitten,  und  wenn  du  nun,  der  Erste  in  der 
Stadt,  bekannt  wirst  wegen  deiner  begüterten  Lage  und  du 
zu  Oberst  sitzest,  so  werde  nicht  übermüthig  ob  deines 
Reichthums,  denn  der  Urheber  des  Segens  ist  Gott.  Ver- 
achte nicht  den  andern,  welcher  ist  gleich,  wie  du  warst,  er 
bleibt  dein  Nächster." 

Einunddreissigstes    Kapitel. 

ChemS  Sa-7C   n   Jiertep-lc    (soweit  reicht  die  Rubrik) 

inclina  dorsum  tuum  superiori  tuo: 


116 

lin.  10.  mur-k     n       sufen-par  unn  par-h 

(tunc)  praefectus  es  in  regia  domo;  erit  domus  tua 

men     hi    chetu-f        qebaii-u-Jc    m 
manens  in  rebus  suis,  cognatio  tua  in 

lin.  11.    (ment)  as't  ari;    qesen        pii    atennu    m  Jier-tep, 
loco   debito;     periculosum   est   officium   superioris: 

dnch-tu     ter      n    lin.  12.  sefet-f  an  chah     n  qäh- 
degitur  tempus  in  taedio  ejus:  non-curvatio  in  teti- 

neJc-f      tef         m         äjauiu 
gisse  tuo  eum  materia  fit  condemnationis. 

Das  Wort  hertep  oder  hi-tep,  wörtlich  supra  Caput,  ist 
im  kopt.  hit-pe  superior  noch  vorhanden.  Mit  qehau  ver- 
gleiche ich  kopt.  Txaplieos  patruus,  frater  patris;  hier  ist  es 
wegen  r-^-^  abstract  zu  fassen.  —  Wegen  men^  kopt.  men 
permanere  möchte  man  vermuthen,  dass  der  Sitz  (Anfang  von 
lin.  11),  wie  sonst  öfter,  men  lautirt  wurde,  des  Wortspiels 
wegen.  Das  schwierige  atennu,  das  ich  schon  zu  I  6  angedeutet 
habe,  ist  wahrscheinlich  im  kopt.  Mor  (aus  aton,  ator  entstan- 
den) erhalten;  djauiic  =  djaeio  condemnatio;  fe/" extremitas, 
vielleicht  im  Sinne  von  praetextus  zu  fassen ,  oder  g'ef  de- 
bitum  ,, Schuld"?  —  chah;  im  Semitischen  22p  cavus,  xvßi], 
sehr  häufig,  erscheint  im  kopt.  nur  noch  als  scJiaiu  (scliaiv) 
simus  ,,der  mit  eingebogener  Nase".  Ist  aber  der  Superior 
ein  gefährlicher  Beamter  für  die  Subalternen,  so  auch  andere 
für  ihn. 

Pagina  XIV. 

lin.  1.      pO'(r)  saJiu-u       m    daur-chetu    teken  am-k 
familia  lateralium  in  egentia  rerum  instat  tibi 


117 

lin.  2,       am-f  se-vu-erok  r    sotem't-Jc;     am 

ne  facito   eum  blasphemari   tibi  ita  ut  audias;     ne 
pu    n    liet  heqbequ        lin.  3.     ar        rech-f-st, 
sis  corde  palpitante    (occiduo);     si  animadvertit  id, 
ati-f  r  cheni;       qesen    ;im    n    atemm         m   as't 
est  rixaturus:     periculum  imminet  potestati  in  loco 

lin.  4.  tekent 

appropinquabili. 

Ueber  sehu  mit  dem  Deutbilde  "^  ist  oben  zu  VIII 
gelegentlich  des  Orion-Saliu  (=  Osiris)  die  kopt.  Naclifolge 
erwähnt  worden ;  dieser  Stamm  hat  sich ,  wie  mir  scheint, 
in  sken  latus  litus  erhalten;  das  n  ist  Appendix,  weil  das 
Wort,  cf,  ad-latus  =  comes,  gewöhnhch  als  präpositioueller 
Ausdruck  verwendet  wurde.  Diese  Bedeutung  stimmt  zu  der 
von  Goodwin  scharfsinnig  vermutheten:  conterranei,  conter- 
mini.  —  Wegen  teken  vergl.  man  sowohl  toli'  appropinquare 
als  et-tek  qui  adhaeret.  —  heqbeq^  Reduplication  von  heq 
mit  7!i,  kann  zunächst  mit  lök  descendere,  occidit  (sol) 
verglichen  werden ,  wie  wir  ja  auch  sagen  ,,das  Herz  fällt 
in  die  Hosen".  —  Aber  zugleich  möchte  ich  an  heteqtek  des 
Todt.  c.  113,  ^/3  erinnert  haben,  wo  es  heisst:  „sie  (die 
Fische)  zappeln  unter  meinen  Fingern"  —  hac'  salire?  — 
atennu,  oben  schon  mit  /i^or  officium  zusammengestellt,  ent- 
spricht hier  demselben  htor  potestas,  wobei  es  uns  frei  steht, 
das   italienische  podesta   beizuziehen.      Oben    war    atennu 

auch  noch  mit  M^  determinirt ,   hier  ist  nur  der  schlagende 

Mann  dahinter  angebracht. 

Zweiunddreissigstes    Kapitel. 

am-k  neJl  Jlime't  Clirod     (soweit  reicht  die  Rubrik) 

ne  tu  adultereris  feminam  filii 


118 

rech-nek  che-    lin.  5.  -sf't-u  r  mu  lii  hati-f 

nota  est  tibi  repugnantia  contra  substantiam  in  sto- 

an  qeh  n  nti]        m  chet-f, 
macho   proprio ;     nemo    refrigeratur    eo ,    quod   ex 

am-f-s'ucJiu  lin.  6.     r  art    chesf-t-u 

ventre  suo|;  ne  efficiat  abortum;  actor  repugnantiae 

Cieh-f     m       cliet  Jief-f  het-f 

refrigerat  se  postquam  oppressit  conscientiam  suam. 

Das  Wort  neh,  kopt.  noiJc  adulter,  moechari,  so  wie 
7mi  =  maie  substantia,  qeh  =  clibob  refrigerium,  Tibe  retri- 
gerare  bedürfen  keiner  weiteren  Erläuterung ;  dagegen  erhebt 
s-iiclm  (mit  einem  ungewissen  Determinativ)  einige  Schwierig- 
keit; indess  steht  uclie  abortus  zu  nahe,  um  nicht  damit 
identifizirt  zu  werden.  Nur  muss  —  man  vergesse  das 
praefigirte  s  causativum  nicht  —  der  Satz  so  aufgefasst 
werden,  dass  der  moechus  in  diesem  Falle  schuld  ist  an  der 
Fruchtabtreibung,  welche  geschieht,  um  den  Familiengräuel 
nicht  offenkundig  werden  zu  lassen.  —  Die  drei  Wörter 
Jiati,  cliet  und  liet,  kopt.  het-s  initium,  principium ;  chet  uterus, 
venter;  het  cor  mens  sind  schwer  auseinander  zu  halten. 
Sie  bilden  zugleich  Wortspiele  mit  m-chet  postquam. 

Dreiunddreissigstes    Kapitel. 

CLT      t  ÜT-k       (»oweit  reicht  die  Kubrik) 

si  desideras 

lin.  7.  qede)i  n  chenetmes  m     cJienen-eroh      teilen 

intelligentiam  in  cognato ,    ne   convicieris  (tibi)    ap- 

am-f;  ar  sept  hnä-f  uäu 

propinquans    ei;      facito  colloquium    cum    eo    solo, 


119 

lin.  8.     r    tem't-'k  men      chart-u-f;         zaas  hna-f;      m 
ut  ne  vities  aestimationem  ejus;  agito  cum  eo;  post 

cJiet  hall  ushem        liet-f     m    sept  n      djedt.       ar 
ujoram   mollitur   cor   ejus  in  dialecto  loquelae.     Si 

pir  mat-iief         m-ta-f      ar-f      sepi         sJiepf- 
apparet   visum   ei,    ne  dato  eum  relictum  (ut)  eru- 

Jc      hra-f  lin.  10.  dienet' mes-su  ro-pu,  m 
bescat        te   facies   ejus;     blanditor  ei  immo;     ne 

t'itu  ho  saqii  m   gerh-nef  djedt,  m 

assumatur  (vultus)  facies  severa;  ne  eripito  ei  vocem;  ne 

lin.  11.        usheh       m     sept      nesJia;     m        ua-tu  erof 

respondeas  in  dialecto  censoris ;  ne  quid  exprobretur 

m      Jiehu-su;        an      xm  sept-f; 

ei;  ne  affligas  eum;  nonne  ho(ae)c  est  desertio  ejus 

tem  II,    an  uh-n-tu,  m      scha        sie 
infinita;  non  ruenda,  in  utilitatem  haec  (sunt). 

Das  erste  Wort  ^'ar,  mit  dem  Determinativ  des  Pfahles 
und  der  Beine,  entspricht  durchaus  dem  kupt.  for  explorare 
„suchen"  und  dann  „missen"  cf.  fal  ramus ;  Rosett.  1.  32 
z(x  xa&rjxovTu  „das  Erforderliche".  dienen,  welches  im 
Todt.  c.  125,  27,  30  d  demot.  durch  sehur,  kopt.  s'Jmr  male- 
dicere  gegeben  wird,  steckt  in  sclien-heh  convicia.  —  Das 
vieldeutige  sept  hat  sich  erhalten  in  der  Form  aspi  lingua, 
didXexvog  (cf.  SiaXäysöd^ai);  chert-u  =  sdiaar  Cie?,timsire.  —  us- 
hem =  usdiam  conspersio.  —  shept  =  schphit  pudor,  erubescere. 
Da  chenefmes,  ursprünglich  chenmes,  in  scholmes  =  tscholmes 
erhalten  ist,  so  gehört  vielleicht  auch  clöusch  blandimentum 
lenitas  hieher.  —  sah  seJc  contrahere,  selcseJc  coUigere,  könnte 


120 

auch  in  sac'e  amarus  ..zusammenziehend"  erhalten  sein.  — 
gerli-ti  golli  amputare,  groli  iuopia,  privari,  deminutio.  — 
neslia  statt  senha?  besser  n  se-Jia  facientis  cadere,  hei  thei 
(t-hei)  deducere.  —  u'a  ne  rebellem  esse.  —  hehti  hebe  luctus 
mit  dem  klagenden  Vogel  determinirt.  —  lüi-n-tu,  cf.  uöh 
irruere  (nicht  höui  Brugsch  lex.  p.  266). 

Vierunddreissigstes    Kapitel. 

hef       hra-k        ter-n         imn-h    (soweit  reicht  die  Rubrik) 

luceat  facies  tua  quamdiu  vivis. 

lin.  13.    «>'    i^er      m    macher  uä      n      dq      n        a     n 
si  apparet  in  loco  ciborum  unus   ex  aridis  cum  re- 

ta-u    n  pesesht-u 

clamatione  panum  publicorum^^) 

Pagina  XV. 

lin.  1.       han-ti  hra-f  serechi       pu        shu  m 

appetitus    faciei    ejus     significans     est     vacuitatem 

chet-f,  cheper   atennu    m  s-ahehu 

ventris  ejus;    fitque  necessitas  repulsae: 

lin.  2.     m     ar      su    r      teken  am-h\        sechau  pu  n  sa 
ne  facito  eum  ad  adoriendum  te;  monitum  est  viri 

dmtu      n  qetu      anvt    chet  tias  (sam,  nah), 
periti  regularum  eorum  qui  gestant  scipionem. 


92)  Die  Uebersetzung  Brugsch's:  ,,Ist  einer  herrorgekommen 
aus  seinem  (Todten-)  Kasten,  nachdem  er  er  hineingegangen?"  fügt 
sich  nicht  in  den  Zusammenhang. 


121 

Für  lief  bietet  das  Koptische  het  argentum ,  lief  laevi- 
gare  „blanlc  machen"  ;  Moue  mane.  —  maclier  kann  aufge- 
fasst  werden  als  locus  inferus  (chrei)  oder  ciborum  (ehre).  — 
äq ,  kopt.  öc'  arescere ,  wohl  auf  den  durch  Hunger  Aus- 
getrockneten zu  deuten.    —  (I   im   Sinne    von    ,, Zuruf"   ac- 

clamatio,  clamor  habe  ich  zu  I  ult.  erläutert.  —  atenmi  =  htor 
necessitas.  —  s-aJiehu  causat.  zu  ahehu,  kopt.  ahe  iudigere.  — 
ämt,  kopt.  etni  cognoscere.  —  qetu,  kopt.  köt  regula.  — 
Die  Wortspiele  zwischen  ämhi  und  amf,  qetu  und  chet  legen 
für  das  Scepter  die  Aussprache  shet  sche't  baculus,  scipio 
nahe,  um  so  mehr,  als  auch  die  nächste  Ueberschrift  ein 
shet  enthält. 

Fünfunddreissigstes    Kapitel. 

rech    shet-U-h       (so  weit  reicht  die  Rubrik) 

scientia  (sit)  mercatura  tua  {scho-fi  mercator,  mente- 
schöt  mercatura). 

lin.  3.  unn      chef-u-Jc  m    ches;         hat-Jc    r 

quum  sunt  res  tuae  in  miseria,  meritum  tuum  melius 

chenefmes-u-h,        hebrof  pu      meh-f        ur    su 
quam   cognatio  tua,    cujus  theca  plena;     majus  id 

lin.  4.  r  ases-u-f;  su      chetu         Jci        n 

quam  magnificentiae  ejus;    hae  sunt  res  alterius  ad 

hi;  achu  hat        nt         si      sa  nef^        au 

alterum;    dignum  est  meritum  fiUi  alicujus  eo;    est 

Jcednu  nefer    lin.  5.  r  secha 
intelligentia  bona  ad  memoriam. 

hehrofmit  wohl  versetztem  Pronomen  =  höui  theka  (hovi), 
[1870.  U.  Beilage.]  Q 


122 

Seclisunddreissigstes    Kapitel. 

Chesf  hi-tpe    Seba   Jli    TcednU      (soweit  reicht  die  Rubrik) 

refutet  superior  docens  cum  intelligentia. 

au    net'ert      cliau      rement  ha 

est  acritudo  malum,  patientia  meritum.^') 

lin.  6.     ar  sept      an-as     lii        i-t        r-a  cJieper      anai 
si  casus   nondum   in   devio    est,    indulgere  gratiam 

pu  m     atennu 
est  in  necessitate. 

net'ert  =  norf  terror  (tyrannis)  oder  von  obiger  Bedeutung 
to  sharpen  „die  Schärfe": 

Siebenunddreissigstes    Kapitel. 

ar-Ji  himet  m  shepent  (soweit  reicht  die  Rubrik).      unnf't 
si  ducis  uxorem,  ne  parcior  sis!  gaudens 

(sliepen't  ist  nach  dem  Pap.  med.  XIX  Kargheit  des  Urins.) 

lin.  7.       hef      recht  n      nu-u-s      aus  m       Jiap-ui 

super  agnitione    civium    suorum    est   in  jure  bono ; 

än-nes     nenu      m      nesh-s        am-ma  eroTi  am-s 
placet  ei  spectari;  ne  abigas  eam;  da  (tibi)  edere  eam; 

au    unnf-t      lin.  8.  het  sap-s     äqa   m^^)  un 
(est)  gaudens  corde  discernit  rectum  a  culpa. 
(äqa,  cf.  supra.  —  sap  6p  dinumerare,  judicare;  un 
debere.) 

93)  Cf.  Prov.  XYII.  32 :  Melior  est  patiens  viro  forti. 

94)  Es  steht  a  wegen  des  unmittelbar  vorangehenden  a. 


123 


Deutsche  Tebersetzung. 

Kapitel    3. 
Vom  Benehmen  mit  einem  Vorgesetzten. 

Pag. V.  lin.  10.  Wenn  du  triffst  einen  Gebieter 
in  seinem  (unwirschen)  Augenblicke, 

hn.  11.  so  sei  zuvorkommender  Gesinnung,  neige  deine 
Arme,  beuge  deinen  Rücken  ;  sei  nicht  aufbrausenden  Sinnes 
gegen  ihn;  (denn)  er  hätte  keine  Nachsicht  (Geduld)  mit 
dir.     Es  vernichtet  dich 

lin.  12.  ein  schlimmes  Wort  gründlich.  Ihm  entgegen 
zu  treten  in  seinem  (unwirschen)  Augenblicke  wäre  ein  Be- 
weis von  Unweltläufigkeit.  Ertrage  mit  Entsagung  (Verzicht- 
leistung) deines  Herzens 

lin.  13.  seine  Ueberlegenheit ;  bedenke,  wer  (was)  auf 
(an)  deinen  Schultern  sei;  lasse  erscheinen  deine  Klugheit 
ihm  gegenüber; 

lin.  14.  rede  nicht,  wenn  er  auch  noch  so  Schlimmes 
ausstösst.  Mache  dir  zu  Nutzen  die  Erfahrenen :  (dann) 
geht  es  dir  gut  in  Folge  der  Kenntniss  der  Vornehmen. 

Kapitel    4.     (Fortsetzung.) 

Pag.  VI.  lin.  1.  Wenn  du  triffst  einen  Gebieter 
in  seinem  (unwirschen)  Augenblicke,  so  äussere  nie- 
mals deine  Herzensmeinung,  nicht  verrathe  deine  Gesinnung 
gegen  ihn,  wann  er  wüthet ; 

hn.  2.  bringe  ihn  zu  Falle,  verweise  ihn  auf  sich  selbst 
zurück  durch  Achtung :  das  ist  mehr  werth  als  das  Aufljlitzen 
deiner  Lcideuschafi ;  kühle  nicht  dein  Müthchen  an  dem,  der 
vor  dir  steht:  es  wäre  gefährlich; 


124 

lin.  3.  die  Versuchung  der  Heftigkeit  zu  thun,  was 
dich  gelüstet,  unterdrücke  du  sie  bei  dem  Verkehre  mit  den 
Vornehmen. 

Kapitel    5. 
Pflichten  des  Ordners. 

Wenn  du  bekleidest  das  Amt 

lin.  4.  eines  Ordners,  indem  du  zu  befehlen  hast  über 
die  Verhältnisse  der  Mengen,  so  suche  jeden  günstigen  An- 
lass,  damit  dein  Verfahren  ein  unverletzendes  sei, 

lin.  5.  (darin);  wichtig  ist  die  Gerechtigkeit,  noth- 
wendig  und  allgemein,  unbestechlich  seit  der  Epoche  des 
Osiris.  Man  trete  entgegen  der  Zügellosigkeit  auf  Grund 
der  Gesetze;  Zügellosigkeit 

lin.  6.  liegt  in  der  Absicht  des  Betrügers.  Soll  das 
Schändliche  sich  Vorräthe  erwerben?  Steht  nicht  die  (be- 
kannte) Todesstrafe  in  Kraft?  Ist  nicht  Veranlassung  dazu 
vorhanden,  wenn  einer  sagt: 

lin.  7.  ,,Ich  erbeute  für  mich  selber",  (dagegen)  nicht 
behaupten  kann:  „ich  erbeute  auf  Grund  meines  Rechtes"? 
Es  ist  stark  die  Gerechtigkeit  und  nothwendig  —  das  ist 
der  Ausspruch  einer  väterlichen  Person. 

Kapitel    6. 

Verbot  des  Schreckens. 

lin.  8.  ^*)Errege  du  mit  Nichten  Schrecken  in 
den  Menschen.  Es  weist  Gott  zurück  ebenso,  dass  es 
Jemand  gebe,  der  behaupte,  er  lebe  da  (unter  ihnen),  während 


95)  Chabas;  N'inspire  pas  de  terreurs  aux  hommes,  etre  hostile 
a  Dieu,  c'est  la  meme  chose . . . .  ce  n'est  pas  la  terreur  de  l'homme 
qui  fait  la  volonte  de  Dieu. 


125 

er  doch  leer  sei  an  Broden  auf  seines  Mundes  Rande  — 
dass  es  Jemand  gebe,  der  genaunt  werde 

lin.  9.  ein  Reicher,  während  er  behaupte :  Ich  erbeute 
für  mich  selbst  als  ein  Schlauer  —  dass  es  Jemand  gebe, 
von  dem  es  heisse,  er  schlage  den  Nächsten  (Andern),  so- 
bald es  ihm  gelinge,  dieses  zu  thun ,  ohne  dass  jener  es 
merkt.     Ist  das  nicht 

lin.  10.  ein  Schrecken  (Greuel)  unter  den  Menschen  ? 
Aber  es  besteht  das  Gebot  des  Gottes  der  Schöpfung,  lau- 
tend: ,,Die  in  Fiiedfertigkeit  Lebenden  mögen  kommen  und 
selbst  Befehle  ertheilen!" 

Kapitel    7, 
Vom  Benehmen  des  untergebenen. 

lin.  11.  Wenn  du  im  Zustande  einer  Person  aus 
den  Sitzenden  (Untergebenen)  bist,  so  mache  Platz 
einer  PersönHchkeit .  die  wichtiger  ist  als  du;  begrüsse  ihn 
(durch  Handerfassung)  niedergestreckt  bis  auf  deine  Nase;^^) 
beachte,  wer  vor  dir  stehe;  nicht  belästige  ihn! 

Pag.  VII.  lin.  1.  Betrachte  ihn  nicht  zu  oft;  verab- 
scheut wird ,  wer  Solches  thut ;  nicht  rede  zu  ihm ,  bis  er 
es  verlangt  haben  mid.  Unerkennbar  ist  die  innerliche 
Bosheit.  Rede  erst  dann,  wenn  er  es  von  dir  wünscht. 
Dann  ist  dein  Reden  mehr  werth,  als  die  innerliche  Güte 
(das  Gut  des  Schweigens). 

lin.  2.  Es  ist  die  Stellung  eines  Grossen ,  der  Brode 
vor  sich  hat ,  so  dass  er ,  wann  seine  Laune  ihn  antreibt, 
austheilt  nach  seinem  Belieben.  Hingegen  die  Lage  eines 
Bedürftigen    erfordert .    sich    in    ein   Wesen    zu    verwandeln, 


96)    Chabas:  Considere  attentivement  ce  qui  est  devant  toi  nach 
Prov.  XXIII,  1. 


126 

welches    die  Hände   ausstreckt.     Der  Grosse   gibt,    unange- 
gangen  von  Jemand,     Es  ist  das  Essen   von  Broden  gemäss 
lin.  3.     der  Einrichtung  (Bestimmung)  Gottes:    vergisst 
man,  dass  seine  Gnade  darauf  ruht? 

Kapitel    8. 
Vom  Verhalten  des  Knechtes. 

Wenn  du  dich  befindest  im  Zustande  eines 
Knechtes,  den  ein  Grosser  an  einen  Grossen  sendet,  so 
handle  übereinstimmend  mit  der  Absicht  des  dich  Sendenden; 
vollführe  ihm  seinen  Auftrag,  wie  er  ihn  bezeichnet  (aus- 
spricht) ; 

lin.  4.  hüte  dich  vor  Entstellung  eines  Wortes,  die  den 
Grossen  mit  dem  Grossen  entzweien  könnte  durch  Verletzung 
der  Wahrheit;  nicht  überschreite  dieses.  Niemals  erntet 
man  eine  Herzenslabung  aus  dem  Geschwätze  der  Leute, 
gross  wie  klein  : 

lin.  5.     es  ist  eine  abscheuliche  Sache. 

Kapitel    9. 
Vom  Diebstahle. 

^^)Wenn  du  ein  Pflüger  bist,  so  binde  Garben 
auf  dem  Felde,  welches  gelegt  hat  der  grosse  Gott  in 
deine  Hand;  nicht  sättige  deinen  Mund  bei  deinen  Grenz- 
nachbaru.  Gross  ist  der  Greuel  der  Behauptung:  ,,Es  ist 
Jedweder  gleichwie  der  Eigenthümer". 

lin.  6.  Wer  da  raubet,  wie  ein  Krokodil,  von  dem 
(Gute  der)  Anstösser,  der  gereicht  zur  Verwerfung  seinen  noch 


97)  Chabas:  Si  tu  cultives  Terh.  dans  un  champ .  c'est  Dieu 
qui  te  la  donne,  le  grand  pourvoyeur  du  rassassiement  de  ta  bouche; 
le  grand  auteur  des  epouvantements  de  la  voix. 


127 

nicht  Gehörnen,  zum  Schimpfe  und  zum  Vorwurfe,  wenn  sie 
erwachsen  sind.  Der  Vater  geräth  in  Kummer,  die  Mutter 
wird  ein  Kind  des  Todes ,  gänzlich  anders  geworden  (ver- 
wandelt) durch  (die)  ein(zig)e 

lin.  7.  VerwandeluDg  Gottes:  der  Herr  der  (jenseitigen) 
Landleute  fordert  sie  auf  ihn  zu  begleiten. 

Kapitel    10. 
Rath  für  den  Unglücklichen. 

^^)Wenn  du  unglücklich  bist,  so  schliesse  dich 
an  einen  klugen  Mann,  (alsdann)  wird  dein  Ruf  durch- 
aus ein  guter  sein,  Gott  aber  dir  dem  Geringen  die  Vor- 
standschaft  zuerkennen.     Sei    dann    nicht   stolzer  Gesinnung 

lin.  8.  gegen  ihn ,  weil  zuerkannt  worden  ist  dir  von 
ihm  die  Vorstandschaft;  scheue  und  ehre  ihn,  nachdem  sie 
dir  zu  Theil  geworden.  Niemals  kommt  das  Vermögen  von 
selbst;  auch  obliegt  eine  Bedingung  desselben  dem  es  Be- 
gehrenden. Wenn  sich  Jemand  überhebt,  so  wird  ihm  De- 
müthigung  gerade  durch  Gott,  der  geschaffen  hat  seine 
Blüthe ; 

lin.  9.  (indem)  er  verwirft  ihn  vor  sich,  wenn  er  (todt) 
daliegt. 

Kapiteln. 
Von  der  Maasshaltung. 

Sei  enthaltsamer  Gesinnung,  so  lange  du  lebst. 
Nicht  thue  ausschweifen  in  Reden,  nicht  verschiebe  den  Zeit- 
punkt der  Bescheidung  des  (verlangenden)  Herzens.     Es  ist 


98)  Chabas:  S'il  est  humiliant  pour  toi  de  servir  un  homme 
sage,  ta  conduite  sera  bonne  aupres  de  Diea,  en  ce  qu'il  sait  que  tu 
es  parmi  las  petita;  n'enorgueillis  pas  ton  coeur  contre  lui. 


128 

eine  abscheuliche  Sache ,    den  (günstigen)  Augenbh'ck   dafür 
zu  versäumen ;  nicht  lasse  entwischen  die  Gelegenheit, 

lin.  10.  die  sich  jeden  Tag  dazu  bietet,  nicht  sei  masslos 
im  Besitze  (Erwerbe)  deines  Hauses.  Ist  ja  doch  die  Enthalt- 
samkeit des  Herzens  (selbst,  an  und  für  sich)  ein  Reichthum ; 
wer  nicht  am  Reichthume  klebt,  der  gewinnt  einen  solchen. 

Kapitel    12. 
Vater  und  Sohn. 

Wenn  du  ein  kluger  Mann  bist,  so  erziehe  deinen 
Sohn  zur  Gottgefälligkeit. 

lin.  11.  Gehorcht  er,  wandelt  er  nach  deiner  Regel, 
und  sorgt  er  für  dein  Vermögen ,  wie  es  sich  gebührt :  so 
erweise  ihm  alle  mögliche  Freundlichkeit.  Auch  dein  thö- 
richter  Sohn  ist  (noch)  ein  Samen  deines  Wesens:  entfremde 
nicht  dein  Herz  von  ihm.     Sei  ein  Vater, 

lin.  12.  mache  den  Mahner. ^^)  Ist  er  aber  ausschwei- 
fend, übertritt  er  deine  Grundsätze,  schlägt  er  jedes  Wort 
in  den  Wind,  führt  sein  Mund  böse  Reden:  so  schlage  du 
ihn  auf  seinen  Mund,  wie  er  sie  gegen  dich  auslässt:  nicht 
gib  nach  Solchem! 

Pag.  VIII.  lin.  1.  Zu  einer  Bindung  der  Hände  gereicht 
ihm  körperHche  Beschäftigung:  nicht  gibt  es  Ausschweifung 
bei  den  Arbeitenden,  nicht  wird  sie  gefunden 

lin.  2.     bei  denen,  die  ein  Schiff  rudern. 

Kapitel    13. 
Vom  Verhalten   des  Wächters. 
Wenn  du   weilest   (als  Wächter)   im  Palaste,    so 
ist  Stehen  und  Sitzen 


99)    Chabas:   ...  fils  dont  l'inconäuite  viole  les  conseils  paternels, 
meprise  toute  parole,  dont  la  bouche  marche  en  viles  paroles. 


129 

lin.  3.  mehr  (zu  empfehlen)  als  dein  Umherschreiten. 
Binde  dir  die  Hände  am  ersten  Tage;  entferne  dich  nicht 
(von  deinem  Posten) ;  es  wäre  deine  Ausschliessung. 

lin.  4.  Spanne  dein  Augenmerk  auf  den  Eintritt  des 
Aufsehers ;  häufige  Gelegenheit  hat  er  zum  Anrufen ;  es 
geschehe  die  Wache 

lin.  5.  aufs  Genaueste;  das  ganze  Verhalten  unterliegt 
der  Wägung  (Messung)  durch  Gott,  welcher  befördert  die 
Stellung:  nicht  machen 

lin.  6.     Aufmerksame  einen  Stillstand. 

Kapitel    14. 
Von  den  Schmeichlern. 

Wenn  du  zusammen  bist  mit  Menschen,  welche 
dir  erweisen  vorzügliche  Freundlichkeit:  ,,Ziel  meines  Herzens, 

lin.  7.  Ziel  meines  Herzens",  so  spricht  (denkt)  nur 
ein  Unbewanderter  bei  sich  (in  seinem  Leibe),  er  werde  jetzt 
selbst  zu  einem  Gebieter:    ,,der  Eigenthümer  setzt  mich 

lin.  8.  in  die  Möglichkeit  seines  Planes".  Es  wäre 
gut  für  dich,  dass  du  nicht  ebenfalls  laut  sprächest:  dadurch 
gewinnst  du 

lin.  9.  gegenüber  deinen  Zunftgenossen.  Ohnehin  ar- 
beitet man  dir  hinter  deinem  Rücken  entgegen  (mit  den 
Worten) :  „Er  ist  ein  Herz,  welches  seinem  Bauche  gehorcht 
(fröhnt);  er  setzt  Zorn  (Erbitterung) 

lin.  10.  an  die  Stelle  der  Liebe;  sein  Herz  ist  zer- 
rissen, seine  Glieder  zerpflückt".  Es  ist  der  Starkmüthige 
ein  Augenmerk  Gottes; 

lin.  11.  es  ist  der  seinem  Bauche  Fröhnende  der  Narr 
(Spielball)  seines  Weibes. 

[1870.11.  Beilage.]  R 


130 

Kapitel    15. 
Vom  Benehmen   im  Rathe. 

^'•*')Ein  Beweis  deiner  Weisheit  ist  das  Nicht-zu- 
Bereuen- Brauchen. 

Ertheile  deinen  Rath  im 

lin.  12.  Rathe  deines  Herrn.  Wenn  er  sich  dawider 
erhebt,  wann  er  spricht;  ,,Nein!"  so  ist  es  gefährlich,  der 
Abgeber  einer  Meinung  zu  sein. 

lin.  13.  Das  Nichterwiedern  liegt  in  der  Macht  des 
sie  Wissenden.  Was  den  Grossen  betrifft,  dessen  Meinung 
irrig  ist,  wenn  er  auffordert 

lin.  14.  ihn  darüber  zu  widerlegen,  und  wenn  er  spricht 
,,Ja!"  so  rede  meinetwegen. 

Kapitel    16. 
Vom    Nachruhme. 

Wenn  du  zu  den  Denkern  (Dichtern?)  gehörst, 
weit  an 

Pag.  IX.  Hn.  1.  Plänen,  so  bilde  dir  nicht  ein,  dass 
du  leistest  etwas  Grosses,  dessen  sich  erinnern 

lin.  2.  die  kommenden  (künftigen)  Tage:  nicht  gelangt 
ein  Wort  zu  dauerndem  Ruhme : 

lin.  3.  es  taucht  auf  (und  unter)  das  Krokodil  (und 
schon)  ist  geschehen  die  Verwischung. 

Kapitel    17. 

Von  den  Pflichten  des  Verwalters. 

Bist  du  Verwalter  (Intendant)  eines  Hauses, 
auf  dass  du  intendirest  (dein  Ohr) 


100)    Chabas:   Ordonne  ta  conduite  sans  remords,    applique  ton 
Intention  au  profit  de  ton  maitre. 


131 

lin.  4.  dem  Worte  des  Bittenden,  so  verspotte  ihn  nicht; 
dies  wäre  ärger  als  zu  schlagen  seinen  Körper.  Nicht  sei 
schreiend 

lin.  5.  gegen  ihn;  sage  ihm  freundlich,  was  ein  Weh 
enthält.  Ermuntere  sein  Herz  (mache  ihm  Muth),  das  aus- 
zuführen, wesswegen  er  gekommen  ist.     Wenn 

lin.  6.  Jemand  verspottet  Bittende ,  so  heisst  es  von 
ihm  :  Das  ist  die  Art,  jenen  das  angreifen  zu  machen, 

lin.  7.  in  dessen  Betreff  er  nicht  einmal  gebeten  hat. 
Das  möge  nicht  geschehen !    Ein  Herzensglück  ist  guter  Ruf. 

Kapitel    18. 
Vom  Verkehre  mit  den  (Harems-)  Frauen. 

*''^)Wenn  du  wünschest 

lin.  8.  zu  begründen  dein  Ansehen  in  dem  Weiber- 
gemache, zu  welchem  du  Zutritt  hast,  eines  Herrn,  eines 
Bruders  oder 

lin.  9.  eines  Verwandten  ;  an  jedem  Orte,  zu  welchem 
du  Zutritt  hast;  so  hüte  dich  vor  der  Berührung  der  Frauen. 

lin.  10.  Nicht  gut  ist  es  für  den  Ort,  wo  sie  sich  be- 
findet (die  Frau) ;  kein  Vorsichtiger  wird  sie  verführen ;  es 
lassen  sich  hinreissen 

lin.  11.  Tausend  Männer,  um  zu  geniessen  einen  kurzen 
traumgleich  entschwindenden  Augenblick.  Aber  man  erreicht 
nur  den  Tod, 

lin.  12.  wenn  man  sie  erkennt.  Es  ist  ein  schhmmer 
Vorsatz,  ein  treibender  Stachel  zeigt  sich  bei  seiner  Aus- 
führung, das  Herz  ver- 


101)   Chabas :  Si  tu  aimes,  ta  conduite  sera  bonne,  etant  preservee 
de  tout  mal  et  gardee  d'occasion  de  tourments. 

K* 


132 

lin.  13.  wirft  ihn.  Wer  sich  von  Weibersucht  über- 
mannen lässt,  bei  dem  gibt  es  keine  Möglichkeit  guten 
Rathes  mehr, 

Kapitel    19. 
Vom    Betrüge. 

"Wenn  du  liebst 

Pag.  X.  lin.  1.  die  Güte  deines  Gewissens,  frei  von  aller 
Makel,  so  hüte  dich  vor  dem  Anfalle  der  Betrügerei. 

lin.  2.  Sie  ist  der  kranke  Körper  eines  Aufgelösten; 
nichts  gelingt  mehr  dem  sie  (die  Betrügerei)  Betretenden; 
sie  ist  ein  Aussatz  der  Väter  und  Mütter, 

Hn.  3.  nebst  den  Brüdern  der  Mutter  ;'*")  sie  scheidet 
Frau  und  Mann:  sie  ist  eine  Verbindung  aller  möglichen 
Scheusslichkeiten, 

lin.  4.  ein  Ausbund  aller  Ungebörigkeiten.  Dagegen 
gedeiht  der  Älann ,  dessen  Brust  eine  ehrliche  ist ;  wandelnd 
seine  Furchen 

lin.  5.  schafft  er  sich  einen  Hausrath  dadurch,  während 
ohne  Haus  ist  der  Betrüger. 

Kapitel   20.     (Fortsetzung.) 

Nicht  sei  betrügerisch  im  Allgemeinen 

lin.  6.     Nicht  wüthe  (n)iemals  gegen  deine  Untergebenen; 

nicht   übe   Betrug   gegen   deine   Zunftgenossen.     Grösser  ist 

die  Verwünschung 

lin.  7.     der  Verworfenheit    als    (die)    der    Härte.     Ein 

Nichtiger   ist,    wer   (rücksichtslos)   einschreitet   (sich   zeigt) 


102)  Chabas:  La  femme  qui  recherche  l'homme  (masculus)  est 
un  assemblage  de  toute  espece  d'horreurs,  un  sac  de  toute  espece  de 
fraudes. 


133 

gegen    seine  Zunftgenossen  (Nachbarn) ,    olme  sich  leiten  zu 
lassen  durch  das  Wort;  es  ist  sogar 

lin.  8.  ein  Weniges  von  Betrug  desshalb  schon  erzeugend 
Streit  in  Folge  des  (Hache-)  Gelüstes  der  Leidenschaft. 

Kapitel    21. 
Von   der  Behandlung   der  Ehefrau. 

^''^)Wenn  du    klug  bist  und  besitzest   dein  Haus, 

lin.  9.  so  liebe  deine  Gattin  in  Züchten;  füllend  (näh- 
rend) ihren  Leib,  kleidend  ihren  Rücken :  dies  sind  Erforder- 
nisse ihres  Körpers.     Die  Oele  (Salben) 

lin.  10.  derselben  sind  ein  Zubehör  ihres  Wunsches, 
so  lange  du  lebst:  das  ist  ein  Gebiet,  welches  würdig  sei 
ihres  Herrn.     Sei  kein  Tyrann :    Schmeichelei 

lin.  11.  beschleunigt  dieselbe  mehr  als  (rohe)  Gewalt; 
munter  ist  alsdann  ihr  Athem ,  ihr  Auge ,  welches  sie  (im 
Spiegel)  schaut,  macht  sie  wohnen 

lin.  12.  in  deinem  Hause.  Dein  Verweisen  —  sie 
wird  Ursache  ihres  Arbeitens  mit  ihren  beiden  Armen ;  dein 
Zurechtweisen  sie  erregt  ihr  (Lust  und)  Liebe. 

Kapitel    22. 

Von   den   Dienstboten. 

lin.  1.  Beköstige  deine  Dienstboten  mit  dem, 
was  dir  zu  Gebote  steht  —  das  geschieht  mit  dem  Beifalle 
Gottes.     Wer  es  fehlen  lässt  an  der  Beköstigung  seiner 


103)  Chabas:  Si  tu  es  sage,  prends  soin  de  ta  maison,  aime 
ton  epouse  dans  l'intimite,  nourris-la,  habille  sa  personne:  c'est  le 
luxe  de  ses  naembres;  oins-la,  rejouis-la  pendant  le  temps  de  ta  vie 
mit  Verweisung  auf  Ecclesiast.  IX,  9 :  „Jouis  de  la  vie  avec  la  femme 
que  tu  aimes." 


134 

lin.  2.  Dienstboten,  von  dem  heisst  es:  ,,Er  ist  ein 
Wesen  der  Widersprüche :  das  Unerkennbare  der  Schöpfung 
versteht  er  frühzeitig;  er  ist  ein 

lin.  3,  Wesen,  in  welchem  das  Wesen  der  Gefälligkeit 
verwest.  Wenn  eintreffen  Anlässe  zu  Erzählungen,  so  spre- 
chen die  Dienstboten: 

lin.  4.  ,, Kommet  doch  hinweg,  nicht  bewegt  sich  ein 
Kuchen  (Kost)  zu  dem  Dorfe",  und  so  geht  der  Zugang  von 
Dienstboten  den  Rückgang. 

Kapitel    23. 
Vom  Wortstreite. 

lin.  5.  Wolle  nicht  erwiedern  eine  Beleidigung  (Schmäh- 
ung, sibilus)  in  der  Rede.  Dein  Nichtbeachten  derselben  ist 
eine  Flucht  vor  der  Erregtheit,  welche  bringt 

lin.  6.  den  Woitstreit,  indem  er  sieht,  dass  er  uube- 
beachtet  bleibt,  zu  Falle;  rede  durchaus  nicht;  bedenke, 
dass  dein  Gegner  schlau  sei 

lin.  7.  sehr.  Es  steht  geschrieben:  Verworfen  ist,  wer 
Solches  thut,  wer  bewirkt,  dass  (der  Wortstreit)  angenommen 
wird,  verfällt  dem  Hasse, 

lin.  8.  wie  es  sich  gebührt.  Gedenke  der  Strafe  (Sühne, 
Busse) :  es  ist  ein  Traumbild  mit  verschleiertem  Angesichte. 

Kapitel    24     (cf.  c.  15). 
Vom  Benehmen   im  Rathe. 

Wenn  du  gehörst  zu  den  Männern 

lin.  9.  der  Klugheit,  sitzend  im  Rathe  deines  Herrn, 
so  nimm  deine  fünf  Sinne  zusammen;  es  ist  die  Klugheit 
deiner  Rede  mehr  werth 


135 

lin.   10.     als   die   Floskeln    deines   Geschwätzes;     das   dir 
Bekannte  entwickele  durch  die  Kunst 

lin.  11.  der  Rede;  nicht  rede  Schmähungen!  Gefähr- 
licher ist  das  Wort  als  alle  Dinge;  wer  es  loslässt,  bringt 
er  es  wieder  zum   Umkehren  ? 


Kapitel    25. 
Wissen  ist  Macht, 

lin.  12.  Wenn  du  reich  (mächtig)  bist,  so  setze 
dein  Ansehen  in  das  Wissen,  in  die  Vernunft;  es  steht 
geschrieben  im  ersten  Gebote  (Buche): 

lin.  13.  Niemals  liebt  es  ein  Denkender  zu  bezeichnen 
seinen  Eintritt  durch  Flüche. 

Pag.  XII.  lin.  1.  Nicht  sei  übermüthigen  Sinnes,  nicht 
niederträchtiger  Gesinnung  beim  Reden;  bemeistere  deinen 
Schritt 

lin.  2.  (und)  deine  Antwort;  das  voreilige  Wort,  halt' 
es  fern  von  dir ;  zügele  dich ;  den  Grad 

lin.  3.  eines  Heissblütigen ,  ihn  erobert  der  Ruhige 
(Sanftmüthige) ;  es  schreitet  der  Krieger  seinen  Weg 

lin.  4.  flott :  aber  ein  einziger  Tag  genügt,  um  ihn  zu 
verändern;  nicht  verbringt  er  einen  glücklichen  Augenblick; 
der  Ausgelassene  (vor  Freude),  ein  einziger  Tag  genügt,  ihn 
zu  ändern.     Nicht 

lin.  5.  erwirbt  er  sich  ein  Haus;  ist  das  Pfeilschiessen 
vorüber  (erfüllt) ,  so  gleicht  er  einem  am  Lande  (Ufer)  zu- 
rückgelassenen Ruder :  ein  anderes  wird  geglättet. 

lin.  6.  (Aber)  wer  gehorsamen  Sinnes  ist,  wird  einst 
befehlen. 


136 

Kapitel    28. 
Vom   Subalternen. 

Pag.  XIII.  lin.  1.  »o*)Bist  du  der  Sohn  eines  Sub- 
alternen, strebend  nach  dem  Andenken  der  Menge, 

lin.  2.  so  übe  das  Lernen  beständig.  Dein  Gerede, 
nicht  setze  es  an  die  Seite  deines  Lehrers, 

lin.  3,  welcher  seine  (gereifte)  Ueberzeugung  ausspricht. 
Nur  ein  Vornehmer  darf  setzen  ein  Wort  neben  das  seines 
Collegen,  während  deine  Sprache 

lin.  4.     noch  der  Verbesserung  (Entfehlerung)  unterliegt. 

Kapitel    29. 
Von  der  Begegnung  mit  Gegnern. 

Hast  du  Verdruss  wegen  eines  vorgekommenen 
Falles  und  stössest  zusammen  mit  der  Person 

lin.  5.  schnurgerade,  so  vermeide  ihr  Antlitz,  erinnere 
sie  nicht  an  die  Sache,  so  sie  dir  gesagt 

lin.  6.     am  ersten  Tage. 

Kapitel    30. 
Vom  Emporkömmling. 

i°')Wirst  du  gross,  nachdem  du  klein  gewesen, 
erwirbst  du  Mittel 

lin.  7.  nach  früherer  Mühsal,  wird  dir  desshalb  die 
Vorstandschaft  in  der  Stadt  zuerkannt  und  wird  dir  wegen 
Nutzeus  zu  Theil  die  Führerschaft: 


104)  Chabas:  Si  tu  es  fils  de  quelqu'  un  des  kenbata,  un  her- 
aut  de  conseil  de  plusieurs  . . . 

105)  Chabas :  Si  tu  es  grand,  apres  avoir  ete  petit. 


137 

lin.  8.  so  werde  nicht  brotzigen  Sinnes  ob  deiner  Vor- 
räthe,  die  dir  geworden  durch  das  Geschenk  Gottes ;  keines- 
wegs 

lin.  9.  steht  zurück  der  Andere:  er  ist  deines  Gleichen; 
werde  ihm  wie  ein  Gefährte. 

Kapitel    31. 
Von   der  Stellung    des  Oberen. 
Beuge(krümme)deinenRücken  vor  deinemOberen, 

lin.  10.  dann  wirst  du  Präfekt  des  Königspalastes;  es 
wird  dein  Haus  bleiben  in  seinem  Besitze,  deine  Ver- 
wandtschaft 

lin.  11.  in  entsprechender  Stellung.  Gefährlich  ist 
das  Amt  eines  Oberen;  man  verlebt  die  Zeit  in 

lin.  12.  Verabscheuung  desselben:  Das  Nichtkrümmen 
bei  deiner  Berührung  mit  ihm  wird  Stoff  zur  Strafe. 

Pag.  XIV.  lin.  1.  Die  Familie  der  Seitlichen,  beim 
Mangel  an  Besitz,  setzt  dir  zu; 

lin.  2.  mache  sie  nicht  schimpfen  auf  dich,  so  dass 
du  es  hörst;  sei  aber  auch  nicht  zitternden  Herzens, 

lin.  3.  (denn)  wenn  sie  dies  merkt,  bekommt  sie  Lust 
zu  streiten.     Gefahr  droht  der  Amtsgewalt  an 

lin.  4.     einem  zugänglichen  Posten. 

Kapitel    32. 

Von   der  Liebe. 

*°^)Wolle  nicht  buhlen  mit  der  Frau  des  Sohnes. 
Bekannt  ist  dir  der  Widerwille 


106)    Chabas:  Xe  frequente  pas  (ne  stupres)  la  femme  de  quelqu' 
un  de  ta  race;    tu  connais  ce  qui  s'oppose  ä  l'eau  de  (ex)  sa  partie 
anterieure,  pas  d'ecoulement  ä  ce  qui  est,  dans  son  ventre. 
[1870.11.  Beilage.]  S 


138 

lin.  5.  gegen  einen  Stoff  vom  eiguen  Leibe;  Niemand 
erlabt  sich  an  dem ,  was  aus  seinem  Leibe  stammt ,  damit 
er  nicht  etwa  einen  Abortus  verschulde. 

lin.  6.  Der  Thäter  des  Widerstrebenden  erlabt  sich 
nur,  nachdem  er  abgestumpft  hat  sein  Gefühl. 

Kapitel    33. 
Behandlung  der  Verwandten. 

Wenn  du  vermissest 

lin.  7.  Einsicht  an  einem  Verwandten,  so  schmähe  du 
ihn  ja  nicht,  nahend  ihm;  halte  eine  Unterredung  mit  ihm 
allein  (unter  vier  Augen), 

lin.  8.  auf  dass  du  nicht  schädigest  seine  Schätzung 
(in  der  öffentlichen  Meinung) ;  verhandle  mit  ihm :  nach  einer 
Weile  wird  erweicht  sein  Herz  durch  das 

lin.  9.  Zureden  der  Ermahnung.  Zeigt  sich,  was  ihm 
gut  geschienen  hat,  so  stelle  ihn  nicht  verlassen  hin,  so  dass 
sich  vor  dir  schämt  sein  Angesicht: 

lin.  10.  im  Gegentheile,  sei  zutraulich  mit  ihm;  nicht 
werde  (von  dir)  angenommen  eine  saure  (zusammengezogene) 
Miene;  nicht  entreisse  ihm  die  Sprache;  nicht 

lin.  11.  antworte  in  der  Weise  eines  Rügers;  nichts 
werde  ihm  vorgerückt ;  nicht  drücke  ihn  nieder :  wäre  dies 
nicht 

lin.  12.  ein  Preisgeben  desselben,  ein  unendliches? 
Was  nicht  umzustürzen  ist,  das  gereicht  zum  Nutzen. 

Kapitel    34. 

Von  der  Wohlthätigkeit. 

Es  leuchte  (sei  heiter,  freundlich)  dein  Antlitz, 
so  lange  du  lebst. 


139 

lin.  13.  Wenn  erscheint  an  dem  Orte  der  Speisen  einer 
Ton  den  Darbenden  (Ausgetrockneten)  mit  dem  Ansprüche 
an  die  Brode  der  Allgemeinheit  (Almosen), 

Pag.  XV.  lin.  1.  ist  die  Gier  seines  Gesichtes  eine  Kund- 
machung der  Leere  in  seinem  Bauche  und  entsteht  die  Noth- 
wendigkeit  einer  Zurückweisung : 

lin.  2.  so  bringe  ihn  nicht  dazu,  dich  anzupacken.  Das 
ist  die  Warnung  eines  Mannes,  der  kundig  ist  des  Verfahrens 
derer,  die  den  Stab  tragen. 

Kapitel    35. 
Vom  persönlichen  Verdienste. 

Das  Wissen  sei  dein  Schatz, 

lin.  3.  wann  dein  Vermögen  in  kläghchem  Zustande 
ist;  dein  (persönliches)  Verdienst  steht  höher  als  (das)  deines 
Verwandten,  dessen  Kasten  voll  ist;    grösser  ist  dasselbe 

lin.  4.  als  seine  Pracht;  denn  diese  ist  nur  das  Eigen- 
thum  eines  Anderen ,  (vererbt)  an  einen  Anderen.  (Aber) 
würdig  ist  eigenes  Verdienst  des  Sohnes  Jemandes  für  ihn: 
die  Einsicht  ist  gut 

lin.  5.     in  Bezug  auf  das  Andenken  (der  Nachwelt). 

Kapitel    36. 

Von  der  Geduld   und  Nachsicht. 

Es  weise  zurecht  ein  Oberer  lehrend  mit  Ein- 
sicht. Es  ist  die  Schärfe  (zu  grosse  Strenge)  ein  Uebel, 
Geduld  ein  Verdienst. 

lin.  6.  Wenn  ein  Fall  noch  nicht  am  Vergehen  (an- 
gelangt) ist,  so  wird  das  Gewähren  lassen  der  Nachsicht 
(Gnade)  zur  Nothwendigkeit. 


140 


Kapitel    37. 
Von  der  Ausstaffirung  des  Weibes. 

Wenn  du  dich  beweibst,  so  sei  nicht  karg  (knauserig)! 
Die,  welche  erfreut 

lin.  7.  herzlich  die  Anerkennung  ihrer  Mitstädter,  ist 
in  doppelt  gutem  Rechte.  Gefällt  es  ihr  be(tr)achtet  zu 
werden,  so  Verstösse  sie  nicht;  gewähre  ihr  ihren  Lebens- 
unterhalt! Es  ist  die  sich  Erfreuende 

lin.  8.  herzlich,  unterscheidend  das  Rechte  vom  Un- 
rechten. 


Sitziiiigsbericlite 

der 

königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch-pliilologisclie  Classe. 

Sitzung:  vom   5.  November  1S70. 


Herr  Christ  übergibt  seinen  Vortrag: 

..üeber    die    Harmonik   des   [Manuel   ßryennius 
und  das  System  der  byzantinischen  Musik."' 

Während  unsere  Zeit  mit  unermüdlicher  Emsigkeit  und 
glänzenden  Erfolgen  die  Entwicklung  der  Malerei,  Skulptur, 
Architektonik,  Philosophie  und  der  meisten  Künste  und 
\yissenschafcen  durch  fruchtbare  wie  unfruchtbare  Perioden 
hindurch  verfolgt  hat.  ist  die  Geschichte  der  griechischen 
Musik  im  Mittelalter  fast  ganz  unbeachtet  gebheben.  Noch 
nicht  einmal  das  nothwendigste  Material  für  eine  solche 
Geschichte  ist  bis  jetzt  beschaffen  und  durch  den  Druck  den 
Forschern  zugänglich  gemacht  worden.  Auch  in  Bezug  auf 
den  lateinischen  Kirchengesang  des  Mittelalters  gibt  es  noch 
viele  unaufgehellte  Punkte ;  aber  wir  haben  doch  schon  im 
vorigen  Jahrhundert  durch  den  Fleiss  des  gelehrten  Mönches 
[IS70.II.  3.]  17 


242    Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  5.  November  1870. 

Gerbert  iu  seinem  Buclie  Scriptores  ecclesiastici  de 
lousica  sacra  ein  Sammelwerk  der  wichtigsten  Quellen- 
schriftsteller über  den  lateinischen  Kirchengesang  erhalten. 
Von  byzantinischen  Schriftstellern  ist  ausser  den  drei  Büchern 
lAQuoriKcc  des  Manuel  Bryenuius,  die  der  vielseitige  Mathe- 
matiker Joh.  Wallis  i.  J.  1699  in  dem  3.  Bande  seiner 
Opera  mathematica  herausgegeben  hat,  meines  Wissens 
nur  ein  kleines,  von  mir  im  Anhange  in  reinerer  Form  wie- 
derholtes Bruchstück  einer  iL'cdTi/.i  Tayrr^  von  Gerbert  in 
seinem  Werke  De  cantu  et  musica  sacra  a.  1774  t.  II 
tab.  VIII  veröfientlicht  worden.  Im  Uebrigen  ist  umn  auf 
zerstreute  ungenügende  Notizen  in  dem  QecoQr^Tr/.dr  j.ieya  des 
Chrysanthos  und  in  dem  eben  erscheinenden  ^Ae^i/.ov  rr^g 
'^E?M^i'i/S^g  e7./M^aiaonySg  fiovar/Sg  von  Philoxenos  ange- 
wiesen. Vor  allem  thut  also  ein  Quellenwerk  der  mittel- 
alterlichen Schriftsteller  über  griechische  Musik  und  der  in 
den  handschriftlichen  Gesangbüchern  befolgten  musikalischen 
Systeme  Xoth,  und  hoÖentlich  werden  die  Griechen  selbst 
es  als  Sache  ihrer  Nationalehre  ansehen ,  die  ersten  und 
wichtigsten  Bausteine  zur  Geschichte  einer  Kunst  zu  liefern, 
die  sie  am  besten  kennen  und  auf  die  sie  mit  gerechtem 
Stolz  als  eine  der  schönsten  Schöpfungen  ihres  Geistes 
blicken.  In  diesem  Quellenwerk  müsste  den  ersten  Platz  das 
Kccrorioi'  vi^g  j.ioioiy.\g  der  Begründer  des  griechischen 
Kirchengesangs,  der  Meloden  Joannes  Damascenus  und 
Cosmas  Hierosolymitanus  einnehmen,  das  nach  Chrysanthos 
und  Philoxenos  noch  in  alten  Handschriften  erhalten  sein 
soll,  nach  dem  ich  aber  bis  jetzt  vergebens  gefahndet  habe. 
Auch  dürfte  der  Herausgeber  es  nicht  unterlassen  in  den 
Bibliotheken  nachzuforschen,  worauf  die  in  den  theoretischen 
Büchern  zerstreuten  Angaben  über  das  System  des  Ambrosius 
zurückgehen ,  da  darin  der  Schlüssel  zur  Erkenutniss  der 
mittelalterlichen  Musik  zu  liegen  scheint.  Was  sonst  ausser 
den  QevjQtji/.u  des  Manuel  Chrysaphes,  Joannes  Plusiadinos 


Christ:    Die  HarmoniJc  des  Bryennixis.  243 

und  Joannes  Cladas  noch  Aufnahme  in  jenem  "Werke  finden 
müsste,  lässt  sich  erst  nach  Untersuchung  der  handschrift- 
lichen Schätze  der  Bibliotheken  ermessen.  Nur  darauf  möchte 
ich  noch  aufmerksam  machen  ,  dass  eine  Geschichte  der 
byzantinischen  Musik  nicht  bloss  aus  den  theoretischen 
Büchern  geschöpft  werden  kann;  gleich  wichtig,  wenn  nicht 
noch  wichtiger  sind  die  zahlreichen  handschriftlichen  Melo- 
dienbüchtr;  denn  so  viel  ist  mir  schon  aus  der  Durchsicht 
der  Handschriften  der  Münchener  und  Wiener  Bibliothek 
klar  geworden,  dass  die  Notenschrift  im  Laufe  der  Zeiten 
erhebliche  Veränderungen  erfahren  hat  und  dass  aus  den 
Melodienbüchern  die  musikalischen  Systeme  der  verschiedenen 
Zeiten  ermittelt  werden  können. 

Bei  dem  Mangel  eines  solchen  Quellenwerkes  und  der 
geringen  Zugänghclikeit  des  nöthigen  Materials  war  natürlich 
bis  jetzt  eine  erschöpfende  Geschichte  der  byzantinischen 
Musik  und  eine  lichtvolle  Untersuchung  über  die  allmählich 
eingetretenen  Umgestaltungen  des  ursprünglichen  Systems 
nicht  zu  erwarten.  Dazu  kommt  noch,  dass  das  seit  An- 
fang dieses  Jahrhunderts  durch  die  grossen  Reformatoren 
Gregorios  Protopsaltes,  Churmuzios  Chart ophy lax  und  Chry- 
santhos  Pruses  eingeführte  neue  System  zwar  die  ganze 
Lehre  der  griechischen  Musik  wesentlich  vereinfacht,  aber 
auch  das  Verständniss  der  älteren  Systeme  erheblich  erschwert 
hat.  Das  Erheblichste  indess ,  was  trotzdem  auf  diesem 
Gebiete  geleistet  worden  ist,  ist  von  Griechen  ausgegangen, 
von  denen  ich  die  bedeutendsten  Werke ,  das  OEcoor^riy.dv 
fxeya  tr^g  iiovoi/.i^g  ovviuyßbv  iiep  ttccoo.  XQVGavd-ov  iy.doO-iv 
de  V7t6  nekoTTidov  Triest  1832,  die  QeojQrjn/,)]  /.al  TtQa/.Ti/.r^ 
E'/.^cXriGiaGTr/.i  iioior/.i^  von MargaritesConstantinopel  1851  und 
das  ^eiiv.dv  sowie  das  &£COQr^Tr/.oi'  aror/ucodeg  rTg  f.iovoiy.rg 
des  Philoxenos,  Const.  1859  benützen  konnte.  Aber  so 
viel  wir  übrigen  Europäer  auch  aus  diesen  Büchern  lernen 
können ,    so    vermissen    wir    doch    in    denselben    durchweg, 

17* 


244    Sitzung  der  lihilos.-'pliüol.  Classe  vom  5.  November  1870. 

besonders  aber  in  den  beiden  letzten  die  selbständige  Durch- 
arbeitung der  Quellen  und  die  nüchterne  Methode  der 
strengen  Forschung.  Uns  ist  nichts  gedient  mit  den  dutzend- 
weis gehäuften  Exclamationen  über  den  Zusammenhang  der 
byzantinischen  Musik  mit  der  altgriechischen ,  noch  weniger 
mit  den  haltlosen  Versuchen,  Versen  des  Homer  und  Euri- 
pides  Melodien  christlicher  Troparien  anzupassen.  Auf  einem 
so  dunklen  Gebiete  muss  erst  geforscht,  müssen  erst  die 
älteren  Quellen  studirt  und  die  verbindenden  Glieder  bios- 
gelegt werden,  ehe  man  sich  leeren  Ausrufungen  und  träu- 
merischen Phantasien  hingeben  darf.  Wie  wenig  aber  von 
den  genannten  Griechen  jene  Grundbedingungen  erfüllt  sind, 
möge  man  daraus  ersehen,  dass  Philoxenos -//£b.  p.  17  noch 
nicht  einmal  eine  Kenntniss  davon  hat,  dass  Bryennius,  den 
er  in  der  Pariser  Bibliothek  versteckt  wähnt,  schon  vor  fast 
zwei  Jahrhunderten  herausgegeben  worden  ist ,  und  sogar 
zweifelt,  ob  das  Werk  des  Ptolemäus  mit  der  alexandrinischen 
Bibliothek  mitverbrannt  sei  oder  noch  in  irgend  einer 
Bibliothek  verborgen  liege.  Bei  solcher  Unkenntniss  sind 
natürlich  verlässige  Ergebnisse  für  die  Geschichte  der  griech. 
Musik  von  diesen  Männern  nicht  zu  hoffen ;  der  Werth  ihrer 
Bücher  besteht  vornehmlich  nur  in  dem,  was  sie  uns  über 
die  heut  zu  Tage  geltenden  Skalen ,  Tonarten  und  Musik- 
zeichen berichten,  wobei  nur  sehr  zu  bedauern  ist,  dass  sie 
sich  selbst  gegenseitig  in  vielen  wichtigen  Dingen  wider- 
sprechen. 

Die  übrigen  Europäer  haben  bis  jetzt  von  der  Musik 
der  griechischen  Kirche  noch  sehr  wenig  Notiz  genommen; 
das  rührt  von  der  ganz  verschiedenen  Notenbezeichnung  der 
Griechen  her,  in  die  wir  uns  nur  mit  Mühe  hineinarbeiten  kön- 
nen, und  von  der  geringen  Verbreitung  neugriechischer  Bücher 
in  unseren  Ländern.  So  findet  man  selbst  gewiegte  Musik- 
kenner, die  keine  Ahnung  davon  haben,  dass  die  Melodien 
der   griechischen    Kirchenlieder   fast   sämmtlich   in    Constan- 


Christ:     Die  Harmonik  des  Bryennius.  245 

tinopel  unter  den  Titeln  E'iQuohöyiov,  l^vaaTaaiiiaoiov,  z/o^a- 
OTaQiov,  Uavdey.Tti  bereits  im  Drucke  erschienen  sind ,  und 
bedurfte  es  auch  hier  in  München  meiner  Anregung  und  des 
stets  bereiten  Engegenkümmens  meines  verehrten  Freundes, 
Herrn  Direktors  Halm,  um  der  hiesigen  Staatsbibliothek 
die  Hauptwerke  über  griechische  Musik  zu  verschaffen. 
Offenbar  ohne  Kenntniss  dieser  Literatur  hat  in  unsern 
Tagen  R.  Westphal  in  dem  ersten  Bande  seiner  mit 
Rossbach  gemeinsam  bearbeiteten  Metrik  der  Griechen 
2.  Ausg.  S.  310  ff.  einen  wichtigen  Theil  der  byzantinischen 
Musik,  die  Theorie  des  Manuel  Bryennius  behandelt.  Wie 
sonst,  so  hat  auch  hier  der  geistvolle  Forscher  manches  mit 
richtigem  Blick  durchschaut ;  aber  in  der  Hauptsache  ist 
seine  Darstellung  ungenügend  und  zum  Theil  verfehlt,  eben 
weil  er  die  Mittel  nicht  hatte,  um  die  Stellung  des  Bryennius 
selbst  richtig  beurtheilen  zu  können.  Ganz  unbrauchbar  ist, 
was  der  bedeutendste  der  griechischen  Theoretiker,  Chry- 
santhos  in  seinem  Qevjorjr/.ov  p.  127  ff.  über  denselben  Ge- 
genstand geschrieben  hat;  derselbe  begnügt  sich  die  Theorie 
des  Bryennius  und  der  ipalucrjäol  einander  gegenüber  zu 
stellen,  ohne  auf  die  grossen  Verschiedenheiten  derselben 
aufmerksam  zu  machen  und  nach  einem  Erklärungsgrund  der 
Abweichungen  zu  forschen.  Ich  selbst  will  nun  im  Folgen- 
den die  von  Westphal  begonnenen  Untersuchungen  wieder 
aufnehmen  und  mit  Hülfe  neuen  Materials  berichtigen  und 
weiterführen.  Ich  bin  mir  dabei  freilich  von  vornherein 
bewusst,  wie  sehr  ich  auf  die  Nachsicht  meiner  Leser  zu 
rechnen  habe,  und  wie  wenig  ich,  als  ein  dviQ  auovaog,  zu 
solchen  Studien  geschaffen  bin.  Aber  da  ich  nun  in  den 
Besitz  neuer  Hilfsmittel  gekommen  bin ,  und  eine  kleine 
Beisteuer  zur  richtigen  Beurtheilung  jenes  nicht  unwichtigen 
Werkes  liefern  zu  können  glaube ,  so  will  ich  mit  meinen 
Bemerkungen  nicht  zurückhalten ;  vielleicht  werden  dann 
andere  auf  der  geschaff'enen  Grundlage   weiter   bauen,    viel- 


246    Sitzung  der  philos.-pJiilol.  Classe  vom  5.  Noveniber  1870. 

leicht  wird  dann  auch  Westphal ,  der  uns  immer  noch  den 
zweiten  Band  seiner  Geschichte  der  alten  und  mittelalter- 
lichen Musik  schuldig  ist,  veranlasst  werden,  die  bezeichneten 
Quellen  durchzuarbeiten ,  um  eine  nennenswerthe  Geschichte 
der  byzantinischen  Musik  zu  liefern. 

I. 

Die  ToninterTalle  der  diatonischen  Skala. 

Bryennius  legt  im  Anschluss  an  Ptolemäns  seinen  Aus- 
einandersetzungen ein  avGTrj[.ia  nevrey.aidev.ayoQdov  zu  Grunde, 
dessen  einzelne  Töne  von  ihm  mit  den  Namen  des  alt- 
griechischen Pentekaidekachords  benannt  werden  und  in 
folgenden  Intervallen  aufeinander  folgen: 

•  7tQogka(.ißav6fXEvog 

•  vjtaTt]   VTtaTcov 

i— ' 

•  TtaqvTtatrj  vjtaTiov 

**  \         c        / 

•  hyavog  VTtatcov 

•  VTtarrj  (.leacov 

•  TtaQVTtavi]  i-ieatüv 

•  hyavog  (Aaocov 

t— ' 

•  7taQa(.iiG7] 

•  TQIT)]    Öl€l,evy(X8VCÜV 

•  TtaQavr^TKj  diet,evyf.iivcov 

.    vr^xi^  öieKEvy[j.svo)v 

I— ' 

■     TQITI]    VTtEQßoXaiWV 

•  Ttaqavrfvri  VTteqßohxMV 
.    vrTTj  vTteQßoXauov. 


Christ:     Die  Harmonik  des  Bryennius.  247 

Die  Theorie  der  neueren  Theoretiker  der  Griechen  hin- 
gegen geht  in  der  Regel  von  der  einfachen  Oktave  (/  dia 
TiaGojv  y./.luui)  aus,  die  sieh  in  ihren  Intervallen  folgender 
Massen  darstellt: 

•    9    •    7    •  12  •  12  •    9    •    7    •  12   • 

Daneben  stellen  aber  auch  sie  eine  Doppeloktave  auf, 
die  den  Umfang  aller  Töne  der  kirchlichen  Lieder  nach  der 
Höhe  und  der  Tiefe  umfasst  in  folgender  Gestalt: 


•  12  •   9   ■    7   •  12  •   9   •   7   •  12  •  12  •   9   •    7   •  12  •   9   •   7    •  12  • 

Vieles  ist,  was  bei  der  Vergleichung  dieser  Skalen  des 
Bryennius  und  der  neueren  Theoretiker  uns  auffallen  muss. 
Vorerst  sind  schon  die  Benennungen  der  einzelnen  Töne 
(cf&oyyot)  verschieden.  Bryennius  steckt  ganz  in  der  Ter- 
minologie der  alten  Griechen ,  was  in  mehr  als  einer  Be- 
ziehung unpassend  ist ;  denn  jene  altgriechischen  Namen 
haben  den  Gebrauch  der  Saiteninstrumente  zur  Voraussetzung, 
in  der  griechischen  Kirche  werden  aber  bis  auf  den  heutigen 
Tag  die  Lieder  ohne  jede  instrumentale  Begleitung  vorge- 
tragen; sodann  entwickelte  sich  das  System  des  alten  Pente- 
kaidekachords  aus  der  Aneinanderreihung  mehrerer  Tetra- 
chorde,  in  dem  byzantinischen  Gesang  spielen  aber  nicht  die 
Tetrachorde,  sondern  die  Pentachorde,  woraus  sich  die  '//./- 
luccKeg;  -/.ara.  rooybv  zusammenfügen,  eine  Hauptrolle.  Die 
neueren  Theoretiker  gehen  wie  die  Europäer  von  einer  Oktave 
aus ,  welche  die  Töne  der  mittleren  Stimmlage  von  d  —  d 
umfasst,  und  benennen  die  einzelnen  Töne  mit  neuen  ein- 
fachen Namen;  dieselben  repräsentiren  die  sieben  ersten 
Buchstaben  des  griechischen  Alphabetes ,  indem  den  Con- 
sonanten    ein    Vokal   nachgesetzt  und   den  Vokalen  ein  Con- 


248    Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  5.  November  1870. 

sonant   vorausgeschickt   ist,  wie   aus   dem  Druck  der  mass- 
gebenden Buchstaben  in  Versalschrift  klar  werden  wird 

jt  ^     Bov     Fa     J  i     /.E     Zio     vH    n  ^ 

Diese  Namen  bestanden  indessnoch  nicht  in  dem  14.  Jahrh., 
in  der  Zeit  des  ßryennius;  damals  waren  andere  längere 
und  in  ihrem  Ursprung  dunkle  Benennungen  geltend,  welche 
von  Chiysanthos  0«a»^.  p.  107  aufgeführt  werden;  Bryennius 
aber  hat  von  der  Praxis  der  Meloden  und  Sänger  seiner 
Zeit  abgesehen  und  sich  in  abstruser  Gelehrsamkeit  der  da- 
mals erloschenen  und  in  jeder  Beziehung  unzweckmässigen 
Terminologie  der  alten  Griechen  angeschlossen. 

Wichtiger  als  die  Abweichung  in  der  Benennung  der 
Töne  ist  die  Verschiedenheit  in  der  Feststellung  der  Inter- 
valle; Bryennius  kennt  nur  Ganzton-  und  Halbtonintervalle; 
er  beschränkt  sich  also  auf  die  Unterschiede  unserer  gleich- 
schwebenden Temperatur  und  die  von  den  altgriechischen 
Theoretikern  gewöhnlich  festgehaltenen  Intervalle  des  Toj'og 
und  des  r^i-uroviov.  Die  neuen  Theoretiker  unterscheiden 
schon  für  die  diatonische  Skala  drei  Tovoiy  einen  xövog 
[leil^tov,  einen  rovog  IXäoocov  und  einen  rövog  eläyiovog. 
Jeder  wird  darin  einen  Anklang  an  die  drei  Intervallunter- 
schiede der  natürlichen  Stimmung,  den  grossen  Ganzton, 
den  kleinen  Ganzton  und  den  Halbton  erkennen.  Dieselben 
sind  bekanntlich  nicht  bloss  in  der  modernen  Akustik  durch 
Zarlin  und  Keppler  zur  allgemeinen  Anerkennung  gekommen, 
sondern  finden  sich  auch  bereits  von  Ptolemäus  im  10.  und 
11.  Kapitel  des  ersten  Buches  seiner  Harmonik  angegeben 
und  in  weitläufiger  Begründung  entwickelt.  Ja  Bryennius 
selbst  setzt  in  seiner  Harmonik  II,  6  bei  dem  yavog  ovv- 
tovov  diarovov  jene  drei  Unterschiede  auseinander  und  be- 
rührt dieselben  an  einer  späteren  Stelle  III,  7  kurz  in  fol- 
gender Weise :  tqiojv  ^lueXtov  öiacfOQCJv  öiaOTr]jnaTiov  optcov, 
£|  cöv  Ta  Tov  i^QuoG(.iivov  yhi]  ovviotaöO^aL  7iecfv/.€,  fxeyiotov 


Christ:     Die  Harmonilc  des  Bryenuius.  249 

Te  y.ctl  uEuovog  '/.al  e/.ayiorov ,  y.al  rov  uh'  usyioTov  tov 
o^viuTov  To.rov  TOV  dia  reooäocov  aü  erüyeiv  oqEi),o\Tog, 
rov  öi  eAayJoTov  tov  ßa^iTUToy,  tov  de  ueuovog  tov  uioov 
X.  T.  A.  Aber  bei  der  Besprechung  der  Tonarten  und  des 
Tetrachordenverhältuisses  lässt  derselbe  den  subtilen  Unter- 
schied von  einem  grösseren  und  kleineren  Ganzton  ganz 
ausser  Acht  und  geht  wie  die  alten  Theoretiker  von  einer 
Tonleiter  aus,  die  nur  Ganz-  und  Halbtonintervalle  auf- 
weist. Die  neueren  Theoretiker  der  Griechen  hingegen  haben 
jene  drei  unterschiede  als  etwas  wesentliches  in  all  ihre 
Skalen  aufgenommen  und  die  verschiedene  Grösse  der  drei 
Intervalle  bestimmt  in  Zahlen  ausgeprägt;  aber  gerade  diese 
Zahlen  bieten  uns  nun  wieder  neue  Räthsel. 

Wie  man  aus  dem  oben  verzeichneten  Schema  sieht, 
geben  die  Griechen  dem  Tovog  uei'lcov  12,  dem  Tovog  ilaa- 
acov  9,  dem  Tovog  e/Ayiorog  7  Einheiten.  TuruaTu  genannt. 
Die  Zahl  12  ist  dabei  ganz  willkürlich  gegriffen  ;  man  nahm 
eine  häufig  beim  Mass  und  Gewicht  vorkommende  Zahl  zum 
Ausdruck  des  Ganztons  und  bestimmte  in  Brüchen  derselben 
den  Werth  des  kleinen  Ganztons  und  des  Halbtons.  Bei 
Feststellung  jener  Bruchzahlen  wurde  im  Allgemeinen  den 
bereits  von  Ptolemäus  aufgestellten  und  bewiesenen  Sätzen 
Rechnung  getragen.  Denn  wie  Ptolemäus  I,  10  u.  11  ent- 
gegen den  Anhängern  der  Lehre  des  Aristoxenus  bewiesen 
hat,  beträgt  auch  in  der  Skala  der  Neugriechen  die  Gesammt- 
zahl  der  Intervalle  der  Oktave  nicht  ganz  6  und  die  der 
Quarte  nicht  ganz  2\i  Töne.  Sodann  lassen  auch  die  Xeu- 
griechen  mit  Ptolemäus  das  Intervall  des  kleinsten  Tones 
etwas  mehr  als  die  Hälfte  des  Ganztons  betragen.  Ptolemäus 
war  dabei  (I,  15)  von  den  zwei  Sätzen  ausgegangen,  dass 
sich  das  Quarteniatervall  e:a  wie  4:3,  das  Terzenintervall 
f :  a  wie  5  :  4  darstelle;  von  welchen  beiden  Sätzen  der  erste 
bereits  von  Pjthagoras  gefunden,  der  zweite  aber  erst  durch 
Archjtas  (s.  Ptolem.  I,  13)  festgestellt  worden  war.    Danach 


250    Sitzung  der  philos.-plulol.  Classe  vom  5.  November  1870. 

berechnete  sich  nun  aber  für  das  Hemitonion  ein  etwas 
grösseres    Intervall    als    für    den    wirkliehen  Halbtou;    denn 

...         1  ^..      -,.  D  .1  j       T^    1  ■■^.  •       256      1280 

wahrend  für  diesen  rythagoras   das   \  erhaltmss  =  - 

■^  243      1215 

gefunden  hatte  (s.  Westphal  Metrik  I,  63),  berechnete  sich 
nun     für     den     kleinsten     Ton     das     Intervall  -  Verhältniss 

4       5         16         1296       p,         .  ,  ,  ,  ,      ,. 

TT  '•  T  =  T^  =  ,^,  -  •  i^ben  daraus  lolgte  nun  auch  die 
o       4  lo         12]o 

Grösse  des  Unterschiedes  der  beiden  grösseren  Töne.    Denn 

5         90 

da    das  Intervall    der   grossen  Terz   nur    —  =  — -    betragen 

4         64 

sollte,  zwei  wirkliche  Ganztöne  aber  nach  den  gleichfalls  schon 

9         9        81 

von  Pythagoras   gefundenen  Verhältnisszahlen    —  x  —  =  — 

•^       °  *=  8        8         64 

betrugen,  so  musste  für  den  einen  der  Gauztöne  ein  gerin- 
gerer ^yerth   angenommen   werden,    der    sich   nach  den  ge- 

u  T.  ••    •  ^59         40         10    , 

gebenen  rramissen  auf   —:-  =  —-=--   berechnete,     so 
4      8        36  9 

9  10 

dass   sich    die    beiden  Ganztonintervalle    wie   —zu  —  oder 

.81        80        ... 
wie  — -  zu  — -  verhielten, 
72         i2 

Man  sieht  also,    die  neugriechischen  Theoretiker  haben 
den   von  Ptolemäus    auf  mathematischem    Wege   gefundenen 

Sätzen  Rechnung    getragen;    ihre   Oktave   beträgt  —    oder 

9g 

nicht  ganz  6,   ihre  Quarte  ^    oder    nicht    ganz    2  ','2  Töne, 

ihr  kleinster  Ton  ist  etwas  grösser  als  der  wirkliche  Halb- 
ton, und  ihre  beiden  Ganztöne  sind  niclit  völlig  einander 
gleich.  Aber  räthselhaft  sind  die  für  die  drei  Tonintervalle 
von  ihnen  aufgestellten  >Yerthe.  Auf  welche  \yeise  dieselben 
gefunden  worden,  finde  ich  nirgends  angegeben ;  auch  ist  es 
ganz  und   gar    unwahrscheinlich,    dass    die  Griechen  durch 


Christ:    Die  Harmonik  des  Bryennius.  251 

feine  akustische  Untersuchungen  auf  dieselben  gekommen 
sein  sollten;  dagegen  sprechen  schon  die  Zahlen  selbst,  die 
vielmehr  das  Gepräge  einer  allgemeinen  Abschätzung ,  als 
eines  mathematischen  Calcül  tragen.  Es  werden  also  die 
Neugriechen,  nachdem  sie  dem  rovog  (.leiltov  12  Tiaauza 
zugewiesen  hatten,  dem  tovoq  e'/M^iOzog,  eben  weil  er  nach 
Ptolemäus  etwas  mehr  als  ein  Halbton  betrug,  statt  6  x^^t^^- 
ixara  die  nächst  höhere  Anzahl  von  Tu/uata  oder  7  rur- 
/.lara  gegeben  haben.  Dum  kleinen  Ganzton  oder  dem 
Tovog  iXäaacov  durften  sie  aber  nicht  bloss  ein  ruiua  weniger 
als  dem  rovog  i-isi^ojv  beilegen ;  denn  hätte  der  kleine  Gauz- 
ton  11  Ti-itf-iaTa,  so  würde  die  Summe  der  rf-uauza  einer 
Oktave  ^^/i2  oder  6  Ganztöne  betragen,  was  den  Sätzen 
des  Ptolemäus ,  wie  wir  sahen ,  zuwiderläuft.  Aber  hätten 
die  Griechen  dem  kleinen  Ganzton  10  ruruaiu,  was  der 
Wahrheit  näher  gekommen  wäre ,  gegeben ,  so  wäre  gegen 
keinen  der  Sätze  des  Ptolemäus  und  der  Musik  Verstössen 
worden ,  und  es  ist  mir  schier  unerklärlich ,  wie  sie  dazu 
kamen  dem  kleinen  Ganzton  den  so  wenig  entsprechenden 
Werth  von  9  tf^r^f-iara  zuzuweisen.  Am  meisten  Wahrschein- 
lichkeit hat  es  noch,  dass  sie  gar  keine  subtileren  Berech- 
nungen anstellten ,  sondern  höchst  summarisch  den  rovog 
e?MOOcjv  in  die  Mitte  zwischen  den   Topog  /.uucop   und  rovog 

12-4-7 
ilaywrog  stellten,  dann  aber  statt  der  Bruchzahl  — - —  =  9  V2 

die  runde  Zahl  9  wählten.  Jedenfalls  sind  jene  Intervall- 
bestimmungen von  12.9.7  Turuata  höchst  ungenau,  und 
können  nur  verwirrend  wirken ,  indem  sie  der  Vorstellung 
Vorschub  leisten ,  als  hätten  die  Griechen  ganz  anders  ge- 
artete Töne  als  wir  übrigen  Europäer.  In  der  That  be- 
hauptet auch  der  bedeutendste  unter  den  griechischen  Musik- 
theoretikern, Chrjsanthos  Oscjo.  p.  9  u.  102,  dass  die  Griechen 
die  Skala  anders  sängen,  als  die  übrigen  Völker  {a/J.OEd-vr]g 
^ovoiY.og)^   und  dass  unser  Halbtonintervall   kleiner  als   das 


252     Sitzung  der  pliilos -philol.  Classe  vom  5.  November  1870. 

Intervall  des  griechischen  rövo^  ^Icr/jazog.  sei.  Aber  diese 
Behauptung  ist  wohl  nur  eine  Schlussfolgerung  nus  einer  un- 
genauen Theorie,  und  Margarites,  der  von  den  mir  bekannten 
griechischen  Theoretikern  am  freiesten  von  Vorurtheilen  ist 
und  das  beste  Verständniss  der  griechischen  und  euro]iäischen 
Musik  hat,  sagt  über  diesen  Punkt  im  Gecoo.  p.  90 :  ^Eccv  t6 
Xelnua  tcjv  '^E/.h'^viov  y.al  v6  r^uiroviov  rwv  Evqojrcuiiov  rivai 
oXiycj  {.li/.Qoreqa  äno  tov  \8i~/mv  uag  eXäyjGtov,  i^  avay/.rig, 
TtqeTteL  va  ^vai  y.al  ro  did  Ttaoiov  e/.eivcov  /.ii/.qoteqov  arco 
10  IdiY.ov  iLiag  Sid  TTuacov  tovto  ös  av  vrcäqyrj  ah]d^eg  i] 
oyjj  aXXoi  ag  eittojol  •  xar'  iue  di  yQiTi]v  y.al  tovto  y.ad-cog 
'Aal  TOTE  y.al  Twoa  eivai  t6  avzd  y.al  drraQCik'kay.Tov.  Zum 
Anschluss  an  die  einfache  Theorie  der  Europäer  düriten 
aber  die  Neugriechen  noch  besonders  durch  die  Erwägung 
geführt  werden,  dass  Bryennius,  ihr  bedeutendster  Theoretiker 
aus  dem  Mittelalter,  jene  Lehre  von  den  Tmemata  noch 
nicht  kennt  und  sich  wie  die  Abendländer  mit  der  Unter- 
scheidung von  Ganzton  und  Halbton  begnügt;  vergl.  insbe- 
sondere II ,  9 :  ij  iviEQoyjj ,  t]  VTxeQlyEi  6  eTtoydoog  koyog 
(=  Tovog  f.ieiuoi'),  tov  Ltevv(xtov  (=  Tovog  e'/x'caooji'),  iv  oig 
ra  TOiavTa  7TEQiEih]:iTai  öiaOTi\uaTa,  ;rai'T£hog  iori  Talg 
dxoalg  dvETTuiodr^Tog. 

Noch  einen  dritten  Punkt  muss  ich  in  diesem  ersten 
Abschnitt  berühren.  Bryennius  benennt  mit  den  antiken 
Namen  die  einzelnen  Töae  seines  Pentekaidekachords ,  in 
der  That  aber  war,  wie  dieses  Westphal  klar  nachgewiesen 
hat,  das  Pentekaidekachord  des  Ptolemäus  und  des  Bryennius 
grundverschieden.  In  dem  des  Ptolemäus  folgte  auf  ein 
Ganztonintervall  ein  Halbtonintervall,  in  dem  des  Bryennius 
waren  die  beiden  untersten  Intervalle  gleich;  oder  mit  an- 
dern Worten,  der  unterste  Ton  des  Ptolemäus  ist  unserem 
A,  der  unterste  des  Bryennius  unserem  G  gleichzustellen. 
Aus  der  Theorie  der  Neugriechen  und  namenthch  aus  dem 
oben  S.  247    mitgetheilten   Schema   ihres  dlg  öid  Tiaoiov  er- 


Christ:    Die  HarmoniTc  des  Bryennius.  253 

sehen  wir  aber,  dass  die  Lehre  des  Bryennius  ganz  aus  der 
Praxis  der  Meloden  genommen  war;  diese  setzten  für  den 
Vortrag  der  gangbarsten  Melodien  derjenigen  Oktave,  welche 
die  Töne  der  mittleren  Stimmlage  enthielt,  oben  und  unten 
drei  Töne  und  ausserdem  nach  unten  noch  einen  (fOöyyoi 
■/TQOo'/Mi.ii-iai'öi.ierog  zu.  Aber  schon  längst  vor  Bryennius 
stellten  die  christlichen  Meloden  eine  Doppeloktave  auf,  die 
von  unserem  Tone  G  ihren  Anfang  nahm.  Denn  die  Skala 
des  Notker  (s.  Gerbert  Script,  eccles.  de  mus.  p.  96) 
E  F  G  A        B  C  D  E        F  G  A'  B'         C  D'  E'  F' 

graves  finales  superiores  excellentes 

unterschied  sich  von  der  des  Bryennius  nur  dadurch,  dass 
sie  nach  oben  noch  einen  weiteren  höheren  Ton  annahm. 
Nach  dem  Mönche  von  St.  Gallen  schlössen  nämlich  die 
acht  Tonarten  sämmtlich  in  den  Tönen  B  C  D  E,  welche 
davon  den  Namen  Schlusstöne  (toni  finales)  erhielten;  dem 
B,  dem  Schlusston  der  ersten  Tonart,  entspricht  aber  bei 
den  Griechen  das  ^a,  wie  dem  D,  dem  Schlusston  der 
3.  Tonart  das  ya;  unter  dem  Schlusston  der  ersten  Tonart 
setzten  also  die  Abendländer,  wie  die  Griechen  vier  tiefere 
Töne  an  E  F  G  A  =  c)V  /.£  Cco  vi];  Bryennius  hat  nur  aus 
doktrinärer  Beschränktheit,  um  über  die  15  Töne  des  alten 
Pentekaidekachords  nicht  hinauszugehen ,  wieder  von  der 
Notker'schen  Skala ,  die  gewiss ,  wie  die  ganze  musikalische 
Theorie  des  Abendlandes  griechischen  Ursprungs  war,  den 
obersten  Ton  weggenommen.  Aber  noch  mehr;  auch  von 
dem  System ,  das  der  Bezeichnungsweise  des  Notker  zu 
Grunde  liegt,  findet  sich  bei  den  Griechen  eine  Spur.  Aus 
dem  musikalischen  Lexikon  des  Philoxenos  ersehen  wir  näm- 
lich, dass  bei  der  alten  Weise  die  Skala  zu  singen  (dqyaia 
Ttaqalhxyrj)  der  mit  a  bezeichnete  Ton  di  der  5.  in  der 
Reihe  war;  demnach  lautete  die  Grundoktave  ehemals  nicht 
Tta  ßov  ya  di  /.e  Uo  vrj  ?ra,  sondern  vt]  rta  ßov  ya  di  x« 
'Qco  VT]    und   stimmte  so  vollständig  zu   der  von  Notker  mit 


254    Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  November  1870. 

den  ersten  Buchstaben  des  Alphabets  bezeichneten  Grund- 
skala ABCDEFGA.  Auch  ist  es  nicht  schwer  zu  ersehen, 
warum  man  von  dieser  Oktave  ehedem  ausgegangen  ist ;  sie 
war  nämUch  nach  den  lateinischen  Theoretikern  (s.  Hucbald 
bei  Gerbert  p.  110)  diejenige,  in  welcher  sich  die  authentische 
erste  Tonart  zu  bewegen  pflegte ;  in  den  Tönen,  welche  nach 
oben  und  unten  zugesetzt  wurden ,  wiederholte  alsdann 
Notker  die  ersten  und  letzten  Buchstaben  jener  Grundoktave. 

II. 

Nirgends  zeigen  sich  in  der  neugriechischen  Theorie 
mehr  die  Verwirrungen  und  Verkehrtheiten,  welche  ein 
doktrinäres  Festhalten  an  der  Terminologie  der  alten  Griechen 
hervorbringt,  als  in  der  Lehre  von  den  yiri]  iiovar/.rjg.  Bry- 
ennius  unterscheidet  in  seiner  Harmonik  die  drei  ;'c'j'>;  i.iovoi- 
x/~l:,  das  diatonische ,  enharmouische  und  chromatische  Ge- 
schlecht, und  erörtert  die  Bedeutung  der  dieoig  des  tqlt)]- 
/lWqiov  und  TSTccQTr^iKoioi'  ganz  in  der  Weise  der  altgriech- 
ischen Theoretiker,  ohne  irgendwo  auch  nur  anzudeuten,  ob 
jene  Tongeschlechter  auch  noch  in  der  Musik  seiner  Zeit 
Geltung  hatten  oder  nicht.  Auch  in  den  theoretischen  Büchern 
der  Neugriechen  kehren  jene  Wörter  wieder,  doch  haben 
ihre  Verfasser  es  selbst  hin  und  wieder  ausgesprochen,  dass 
die  Namen  wolil  dieselben  seien,  wie  die  bei  den  Altgriechen 
vorkommenden,  dass  sich  aber  mit  den  Namen  ganz  andere 
Begriffe  verbänden. 

Was  zuerst  die  dUoig  (;/  anbelangt,  so  steht  sie  in  der 
neugriechischen  Theorie  im  Gegensatz  zur  vcfeaig  p  und 
bedeutet  eine  Tonerhöhuug,  während  jene  eine  Tonerniedrig- 
ung ausdrückt.  Diese  beiden  Zeichen  drücken  aber  nach 
den  neugriechischen  Theoretikern  nur  eine  Veränderung  des 
Tonintervalles  nach  der  Höhe  und  Tiefe  im  Allgemeinen  aus; 
zum  bestimmten  Ausdruck  des  Grades  der  Erhöhung  und 
Vertiefung   stellen   sie   noch    weitere  Zeichen   auf,    die  Ver- 


f 
Clirist:    Die  Harmonik  des  Bryennius.  255 

änderungen  des  Tonintervalles  {diaaTt^ud)  um  V^  ^/-i  ^^  Vs 
und  ^;'3  Ton  besagen  sollen.  Indem  sie  nun  noch  ihre  drei 
Hauptintervalle  von  7.  9.  12  Jun'jiaTct  heranziehen,  erhalten 
sie  diaori-uaza  von  3.  4.  13.  14.  18  TLu\uaTa.  Jedermann 
muss  staunen  über  die  Feinhörigkeit  einer  Nation ,  die  im 
Gesang  Unterschiede  von  Vi  2  Ton  heraushören  will,  während 
unsere  besten  Sänger  und  die  besten  Sänger  des  Alterthums 
kaum  die  Unterschiede  von  V^  Ton  auszudrücken  und  zu 
unterscheiden  vermögen.  In  der  That  sind  aber  auch  jene 
subtilen  Unterscheidungen  wesentlich  nur  Ausgeburten  einer 
theoretischen  Spekulation,  zum  grössten  Theil  hervorgebracht 
durch  jene  falsch  berechneten  Grössen  des  grösseren,  kleineren 
und  kleinsten  Tonintervalles.  Auch  widersprechen  sich  die 
einzelnen  Theoretiker  selbst  und  die  vorurtheilsfreiesten 
schütteln  den  Kopf  über  die  Consequenzen  einer  von  ihnen 
nun  einmal  angenommenen  Theorie;  s.  Margarites  p.  51  An. 
und  p.  117  An.  Die  älteren  Theoretiker  vollends  wissen 
nichts  von  dieser  Lehre,  und  unter  den  zahlreichen  Ton- 
zeichen z.  B.  die  in  der  im  Anhange  zu  dieser  Abhandlung 
abgedruckten  U^a)aiy.i\  reyvrj  vorkommen ,  findet  sich  weder 
die  vcf'saig  noch  die  dieaig  und  noch  viel  weniger  das  reraQ- 
Tr^uoQiov,  TQiTi-uoQioi'  etc.  Höchstens  liesse  sich  unter  den 
Zeichen  der  cfd^oqu,  d.  i.  des  Uebergangs  von  der  einen 
Tonart  zur  andern ,  das  hurfcn'ov  und  i]i.iiqd^OQOv  hieher 
ziehen.  Selbst  in  den  gedruckten  Melodienbüchern  finden 
sich  die  meisten  Zeichen  jener  neueren  Theoretiker  nicht ; 
hier  begegnen  wir  nur  unter  den  Liedern,  welche  nach  dem 
ly/og  '/ ,  rj.  a'K.  y  und  /]/.  .t^Ä.  ö  gehen,  die  Zeichen,  der 
v(f£Gig,  diiaig  und  die  iraoLiovog  qS-oocc  ß.  Die  dUoig  steht 
hier  unter  den  Tönen  "Ico  und  ßov  und  die  vqeaig  über  den 
Tönen  Si  und  na,  um  anzudeuten,  dass  dieselben  mit  äusserst 
schwacher  Stimme  gesungen  werden  sollen.  Dieselbe  Be- 
deutung hat  das  Zeichen  Q,  wenn  es  über  die  Töne  ya  oder 
x£   sich   gesetzt   findet.     Es   haben    also   hier   diese  Zeichen 


256    Sitzung  der  philos.-phüol.  Glosse  vom  5.  November  1870. 

mit  der  Grösse  des  Tonintervalls  nichts  zu  thun ,  sondern 
beziehen  sich  lediglich  nur  auf  die  Intension  der  Stimme. 
Wenigstens  behauptet  dieses  ausdrücklich  Margarites  p.  51: 
Td  vd  TCQoqtQOJVTCiL  o\  (fd^o'/yoL  Ico  y.ul  ßov  ui  dövrarov 
q>cüVTJv,  orar  vTToyqdqeTaL  elg  avTOig  t)  dUoig,  Of-Wicog  v.al  6 
öl  Tiat  6  TT«,  oTav  BTTiyQacfeTaL  elg  avTovg  rj  vq)€aig,  aTto- 
ßXajTsi  slg  Tt]v  Ttoiözryia  rr^g  i.ie?jtjdiag  y.al  oyi  elg  trjv  nooo- 
Trza  zov  rovi'/.ov  diaoTtjuarog,  r^yovv  e/.eivij  fj  adwarog 
(fcovi)  öeiy.viei  ro  {.leXog  oXiyov  tl  diäq^oqov  Ttaqd  clv  l:rQorfi- 
QOVTO  ol  Qr]d^evTeg  q^d-oyyoi  cw  y.ai  ßov  y.ul  di  y.al  na  y.ard 
riiV  (fvar/.rp'  avrcov  Zcor^QOTija,  to  öiaöT}^ua  o?.tog  dev  i?Mrvov- 
Tai  narrtXcjg-  wobei  es  jedoch  zu  bemerken  bleibt,  dass  jene 
Zeichen  iür  Minderung  der  Intension  des  Tones  nur  bei 
Liedern  des  sogenannten  yevog  evaQuoviov  vorkommen. 

Das  vierte  der  erwähnten  Zeichen  f  bezieht  sich  aber 
in  der  That  auf  eine  Veränderung  des  Tonintervalls ;  zur 
Darlegung  des  Thatbestandes  wird  es  indess  nöthig  sein  auf 
das  Wesen  dieses  sogenannten  enharmonischen  Tongeschlechtes 
der  Byzantiner  und  Neugriechen  näher  einzugehen;  ich  thue 
dieses  an  der  Hand  des  Margarites  p.  62  ff:  Von  den  Ton- 
leitern, welche  auf  den  verschiedenen  Tönen  der  Grundoktave 
errichtet  werden  können,  haben  die  meisten  wie 

.    1    .    1/,  .    1    .     1    .    1    .    1/2  .    1   . 

eine  natürliche  Harmonie,  d.  h.  die  drei  ersten  Töne  bilden 
in  denselben  einen  Tetrachordenintervall  von  2*/j  Tönen. 
Hingegen  ist  die  auf  ya  errichtete  Skala 

.      1       .        1       .      1       .      1/,     .      1       .      1    o     .       1       . 

an  und  für  sich  unharmonisch,  weil  ihre  drei  ersten  Ton- 
intervalle den  Umfang  von  drei  Ganztöuen  darstellen.  Um 
daher  die  Skala  auf  der  Basis  ya  zu  gebrauchen,    muss  sie 


Christ:    Die  Harmonik  des  Bryennius.  257 

erst  harmonisch  {haQf.i6viOv)  gemacht  werden ;  wir  wenden 
dazu  unsere  Transpositionsstufen  an ;  die  Griechen  setzen 
über  die  Note  uu  ihre  cpd^ooa  ei'aQi.i6viog  j*  ,  wodurch 
sich   folgende  Skahi    des    rjyog  y    oder   des  yivog  svaq^oviov 

^     ^        N       -'Ol       ?*        K        «5:l      >^ 

•       1      •       1      •     \'2     •       1-1       •      1      •     V«    ■ 

Diese  Art  der  Harmonisirung  der  Skala  des  fjog  y 
bestand  gewiss  schon  seit  alter  Zeit;  man  verwendete  blos 
früher  zur  Bezeichnung  derselben  keine  besonderen  Zeichen, 
weil  sie  sich  eben  von  selbst  verstund.  Interessant  bleibt 
aber  doch  immer  die  ausdrückliche  Nachricht  des  latein- 
ischen Musikers  Hucbald  aus  dem  10,  Jahrh.  in  Gerberts 
Scr.  eccl.  de  mus.  p.  114:  cuius  tetrachordi  exempla  cum 
per  omnes  modos  vel  tonos  se  frequentius  offerant, 
tarnen  praecipue  in  autento  triti  vel  plagis  eius  ita 
ubique  perspici  possuut,  ut  vix  aliquod  melum  in  eis 
absque  horum  permixtione  tetrachordorum  synemme- 
nou  scilicet  et  diezeugmeuou  reperiatur;  denn  mit 
diesen  Worten  ist  die  enharmonische  Skala  der  Byzantiner 
ausgedrückt,  wie  aus  folgendem  Schema  deutlich  erhellt : 


1 

Xiyapog  fieaojv 

l 

Z= 

ya 

z= 

öl 

1 

= 

'/£ 

V2, 

= 

TQirrj  ovvtjfxi-dvcov     = 
1 

^W 

1 

= 

vrj 

jtaQavrviq  avvr]{.i.       = 
1^ 

vri 

1 

= 

■na 

vr^T)]  ovvtj^.               = 

7ta 

X 

= 

ßov 

/2 

TQLTrj  VTteQßoXaicov 

=z 

ya 

[1870.  II.  3.] 

18 

258    Sitzung  der  philos.-plülol.  Classe  vom  5.  November  1870 

Wie  man  aus  dem  Gesagten  ersieht,  hat  das  neugriech- 
ische y&vog  h'UQi-iovLOv  auf  der  einen  Seite  durchaus  nichts 
mit  dem  yävog  avaqi^ioviov  der  Altgriechen  gemein ,  auf  der 
anderen  Seite  aber  auch  für  uns  nichts  befremdendes  und 
nichts  was  die  Aufstellung  eines  eigenen  Tongeschlechtes  zu 
rechtfertigen  schiene.  Etwas  ganz  eigenthümliches  hingegen 
hat  das  yevog  y^qcof.iaxiMv  der  Neugriechen ;  dieses  Ton- 
geschlecht hat  in  der  That  eine  grundverschiedene  Skala, 
die  sich  schwer  durch  ein  blosses  Schema  darstellen  lässt 
und  deren  richtiger  Vortrag  unseren  Sängern  grosse  Schwie- 
rigkeiten bietet.  Mir  fällt  die  Darlegung  ihres  Wesens  um 
so  schwerer,  da  auch  hier  wieder  die  neugriechischen  Theo- 
retiker bedeutend  von  einander  abweichen.  Philoxenos  lässt 
dieselbe  v.(xTd  dicpwviav  in  folgender  Weise  fortschreiten : 

•  7    •   12  •    7    •    12  •    7    •    12  •    7    • 

Dem  widerspricht  aber  Margarites  p.  82  und  84  mit 
Gründen ,  denen  wir  uns  um  ro  eher  anschliessen ,  als  sie 
aus  einer  unbefangenen  Beobachtung  der  Praxis  genommen 
sind.  Nach  ihm  werden  in  jener  chromatischen  Tonleiter 
nur  zwei  Töne  xe  und  ^a  erniedrigt,  alle  übrigen  bleiben 
auf  der  Stufe,  die  sie  in  der  diatonischen  Skala  inne  haben; 
bezeichnen  wir  demnach  die  beiden  erniedrigten  Töne  nach 
europäischer  Weise  mit  :n£g  und  y.eg,  so  erhalten  wir  folgende 
chromatische  Grundskala 

•^         S>  ex         _ 

•  72  •i\2-  \'2  •   1  •  V2  •i'A-  'h  • 

neben    der   am   häufigsten   die  von  na   ausgehende   zur  An- 
wendung kommt: 

•  72  •172-  72  •  1  •  Vi  •172-  7^  • 


Christ:    Die  EarmoniJ;  des  Bnjennius.  259 

Die  von  uns  gesetzten  Intervallverhältnisse  stimmen 
freilich  nicht  ganz  mit  den  von  Margarites  angegebenen,  da 
auch  dieser  nicht  von  einer  Skala  mit  Ganz-  und  Halbtönen, 
sondern  von  der  oben  besprochenen  Skala  mit  grösseren, 
kleinereu  und  kleinsten  Tonintervallen  ausgeht,  wonach  sich 
für  die  chromatische  Grundtonkiter  folgendes  Schema  her- 
ausstellt : 

•  7  •    14   •    7  •    12    •    7  •    14   •    7  • 

unl  in  der  That  weichen  chromatische  Melodien,  wenn  sie 
nach  der  von  uns  angedeuteten ,  einzig  möglichen  Trans- 
scriptionsweise  gesungen  werden ,  etwas  von  dem  Charakter 
des  griechischen  Gesanges  ab.  Ausserdem  werden  noch  in 
der  zweiten  chromatischen  Tonleiter,  ähnhch  wie  wir  dieses 
bei  dem  enharmonischen  Tongeschlecht  gesehen  haben,  die 
Töne  yi^  und  vi]ig  mit  ganz  schwacher  Stimme  gesungen 
(s.  Margarites  p.  51).  etwas  was  hinwiederum  einige  Theore- 
tiker veranlasste,  eine  Minderung  des  Tonintervalles  von 
einem  Halbton  auf  einen  Viertelton  anzunehmen,  woraus  sich 
folgendes  Schema  ergab : 

•  7  •    13   •    3  •    12    •    7  •    13    •  3   • 

All  diese  in  dem  zweiten  Abschnitt  behandelten  Ab- 
weichungen von  der  diatonischen  Skala  finden  sich  bei  Lry- 
ennius  nicht  erwähnt ,  dass  sie  aber  nichts  desto  weniger 
zu  seiner  Zeit  schon  bestanden,  ist  ganz  unzweifelhaft,  weil 
sie  aufs  engste  mit  dem  Charakter  des  zweiten  und  dritten 
iyog  verknüpfe  sind.  Ob  und  inwieferne  sich  in  ihnen  aber 
Reste  der  Tongeschlechter  der  alten  Griechen  erhalten 
haben,  muss  ich  vorerst  unerörtert  lassen. 

ni. 

Am  meisten  geht  Bryennius  in  seiner  Harmonik  auf  die 
Musik  seiner  Zeit  ein  in  der  Lehre  von  den  Tonarten,  indem 
er  hier  in  mehreren  Capiteln  III.  4  und  5  die  Theorie  der 
byzantinischen  ]\Ieloden  im  Gegensatze  zu  den  alten  von  ihm 
excerpirten  Schriftstellern    behandelt.     Er  unterscheidet  also 

18* 


260     Sitzung  der  philos.-p'hüol.  Classe  vom  5.  Novemler  1810. 

in  der  Musik  seiner  Zeit  acht  Tonarten,  i]yoL,  von  denen  er 
4  als  lyoL  y.vQioi  und  4  als  i^/oi  nXa'/LOL  bezeichnet.  Auf- 
gezählt sind  dieselben  als  vfi-  ^qcozog,  j;/.  ÖEVTEQog,  r^i. 
TQiTog,  ly.  TaraQTog,  i]y.  7tX.  ^QcÖTog  /..  r.  X. ,  daneben 
ist  aber  auch  für  jeden  derselben  ein  altgriechischer  Name 
angegeben.  Im  Anschlüsse  an  die  Lehre  des  Ptolomäus 
unterscheidet  alsdann  Bryennius  die  einzelnen  i]yoi  so,  dass 
er  auf  seinem  Pentekaidekachonl  jedem  i'yog  eine  besondere 
Oktave  zuweisst.  Diese  Oktave  bemisst  sich  nach  den  Schluss- 
tönen  (y.aTa/jßeig),  in  denen  die  Melodien  der  einzelnen  Ton- 
arten zu  schliessen  pflegen ;  es  schliessen  aber  die  Melodien 
entweder  in  der  ueor^  oder  in  der  vjtaTrj  ihrer  Oktave.  Da- 
nach gewinnt  Bryennius  für  die  einzelnen  ijol  folgende 
Oktaven,  die  ich  in  der  nachstehenden  Tabelle  durch  die  Töne 
der  neugriechischen  Skala  unter  Angabe  ihrer  vTiazi^  und 
liearj  ausdrücke: 

Oktave  vnuTr^    uiffrj 

fj.  a    :  i-itoij  —    j'/r/^  vnsQßoX.  =:  6i     -  di  ^)  xe  Tta 

ry.  ß'  :  )uyav6g  uio.  —  TtaqavrjTr]  V7t.  =  /a    -  ya  dt  vi] 

iy.  y    :  na^VTt.  i-iiö.  —  r^ixr^  iTTEqßoX.  =  ßov  -  ßov  ya  tco 

iy.  d'  :  iTtaTi]  (.liocoy  —  vi]Tr]  öie^.     =  rca  -  ttu  ßov  /.e 

ly.TiX.  et  :  Uy^.  vrcäi.  —  7iaQ^avr[cr\  öieC.  =  vi]    -  vrj  na  öi 

i]y.  TxX.  ßf  :  jtaqvn:.  vticit.  —  XQLXiq  öiet.  =  tco  -  uo  vt]  ya 

rj.  ßaQvg  :  VTcavr]  vtkxt.  —  7taQaf.ieG)]  =  /£    -  x£  Lto  ßov 

rj.  TtX.  ^  :  TTQoaXaußavofuevog  —  «c(^'/   =  (5t    -öl  /.s  rca 

Prüfen  wir  nun   diese  Lehre    des  Bryennius   im  Einzel- 
nen, so  finden  wir  sie  im  Wesenthchen  im  Einklang  mit  der 


1)  Ich  habe  hier  in  theilweisem  Anschluss  an  die  Griechen  die 
Töne  der  Hauptoktave  mit  ihren  einfachen  Namen  bezeichnet,  wäh- 
rend ich  denen  der  oberen  Oktave  einen  Accent  beisetzte,  und  die 
der  unteren  unterstrich. 


Christ:    Die  HarmoniJc  des  Bryemmis'  261 

Theorie  der  Neugrieehen.  Vor  allem  stimmen  beide  in  der 
Zahl  der  8  lyoi ,  in  ihrer  Benennung  und  in  der  Unter- 
scheidung von  ijoL  n'/xr/ioL  und  r^yoL  y.vQioi  überein.  Einige 
der  Musiker  nach  ßryennius  haben  zwar  noch  zwei  weitere 
rjoi  aufzustellen  versucht,  eine  Abart  des  i]x.  d' ,  die  sie 
yleyerog,  und  eine  des  t]x.  stA.  ß',  die  sie  Nevarcj  nannten ; 
aber  die  neueren  Theoretiker  sind  wieder  zu  den  alten 
8  rjoi,  nach  denen  eines  der  bedeutendsten  Gesangbücher 
der  griechischen  Kirche,  die  ^O/.TCJiyog,  benannt  ist,  zurück- 
gekehrt. Jedoch  lassen  sich  noch  Spuren  jener  erweiterten 
Theorie  von  10  (yoi  in  den  griechischen  Melodien  nach- 
weisen, die  wohl  schon  über  die  Zeit  des  Brvennius  hinauf- 
reichen. Jeder  i]yog  wird  nämlich  am  vollständigsten  und 
genauesten  charakterisirt  durch  sein  ajn'jj-ua ,  welches  als 
Präludium  die  hauptsächlichsten  Töne  desselben  zusammen- 
fasst;  während  nun  von  den  übrigen  fyoi  der  Natur  der 
Sache  gemäss  jeder  nur  ein  an:ryrua  hat,  haben  der  i]y.  d' 
und  der  ^x«  ^^>"  ß'  J6  zwei  CLTirfyJuuru.  Ausserdem  weist 
eine   der   [.laQTvQiai   oder    der   in  Buchstaben  ausgedrückten 

Zeichen  der  einzelnen  Töne,  nämUch  die  /.laorvoia  '- ,  unver- 
kennbar auf  den  ryog  Aeyerog  hin ;  es  wird  nämlich  mit 
jener  uagTigia  der  Ton  ßov  ausgedrückt ,  in  dem  die  Me- 
lodien des  iy.  udeysTog  zu  schliessen  pflegen.  Wann  indess 
jene  Theorie  von  dem  iy.  AiyEXog  aufkam ,  ist  mir  nicht 
nachweisbar,  nur  soviel  kann  ich  sagen,  das-s  ich  in  den 
handschriftlichen  Gesangbüchern ,  von  denen  ich  doch  eine 
grosse  Zahl  eingesehen  habe,  jene  uagrioia  noch  nicht  ge- 
funden habe ;  statt  ihrer  erscheint  als  uaqrvola  für  ßov  eine 
ältere,  die  deutlieh  auf  den  //.  ß'  hinweist. 

In  der  Hauptsache  also,  in  der  Zahl  der  iyoi  und  ihrer 
Benennung,  stimmt  Bryennius  mit  der  Theorie  der  Neu- 
griechen überein.  Auch  darin  weichen  die  Neueren  nicht  von 
ihm  ab ,  dass  sie  für  jeden  lyog  eine  besondere  Skala  auf- 
stellen;    aber  die   von  Bryennius   aufgestellten  Oktaven   er- 


262     Sitzung  der  pliilos.-pMol.  Classe  vom  5.  Noremlcr  1870. 

regen  doch  vielfach  uusere  Bedenken,  und  weichen  stark  von 
denen  der  Neueren  ab.  Einmal  schon  ist  es  höchst  auf- 
fallend, dass  Bryennius  für  den  fj^.  a  und  //,  tcI.  ^  im 
Grunde  genommen  ein  und  dieselbe  Oktave  aufstellt;  denn 
die  Skalen  öl— öl  und  di — dt  haben  dieselbe  Aufeinander- 
folge der  Töne  und  unterscheiden  sich  nur  dadurch  von 
einander,  dass  die  eine  eine  Oktave  höher  liegt  als  die  an- 
dere; etwas  ähnliches  kommt  in  der  neueren  Theorie  gar 
nicht  vor,  da  nach  ihr  die  Melodien  des  rf/.  rtX.d'  in  dt 
oder  Vi]  schliessen  und  überhaupt  keines  Liedes  Schlusston 
unter  das  tiefe  Leo  hinabzugehen  pfltgt.  Damit  hängt  eine 
zweite  auffällige  Erscheinung  in  der  Oktavenvertheilung  des 
Bryennius  zusammen,  dass  nämlich  der  zweittiefste  und  nicht 
der  tiefste  ijog  den  speciellen  Beinamen  lyog  ßaqvg  hat. 
Bryennius  (III,  4}  hat  diese  Sonderbarkeit  wohl  bemerkt,  er 
weiss  sich  aber  gleich  zu  helfen,  indem  er  auf  Pythagoras 
und  Terpander  zurückgreift,  denen  bei  einem  siebensaitigen 
Instrument  das  siebente  eidog  rcov  did  Ttaocov  selbstverständ- 
lich das  tiefste  gewesen  sei.  Aber,  um  von  allen  andern 
UnWahrscheinlichkeiten  zu  schweigen,  wird  schon  durch  das 
einfache  Faktum  ,  dass  die  ^lelodieu  des  ?]/.  ßuQvg  wirklich 
die  tiefsten  sind,  jede  derartige  Ausflucht  abgeschnitten. 

Eine  sehr  grosse  Lücke  zeigt  aber  die  Lehre  des  Bry- 
ennius ferner  darin  ,  dass  sie  nicht  blos  die  Tonleiter  des 
yivog  lvciq}.ioviov,  was  man  noch  entschuldbar  finden  könnte, 
sondern  selbst  die  des  yivog  yQcofiaTr/.dv  unberücksichtigt 
lässt,  während  doch  in  der  That  die  Melodien  des  ly.  // 
und  des  rj^.  ^tl.  ß'  nicht  sowohl  in  der  Höhe  der  beiden 
Schlusstöne,  als  in  der  Sonderstellung  ihrer  chromatischen 
Tonleiter  ihre  unterscheidende  Eigenthümlichkeit  haben  und 
bei  dem  Conservatismus  der  griechischen  Kirchenmusik  ge- 
wiss auch  schon  in  der  Zeit  des  Bryennius  hatten. 

Endlich  lässt  sich  wenigstens  in  den  griechischen 
Melodien,    wie    sie    uns  jetzt   vorhegen,    durchaus   nicht  so 


Christ:    Die  HarmoniJc  des  Bryennins.  263 

streng  der  Satz  durcLführen ,  dass  dieselben  regelmässig  in 
der  VTtaTT]  oder  /itearj  der  Skala  ihrer  Tonart  schliessen. 
Die  y.arah^^Eig ,  namentlich  die  IvTEXeig  an  dem  Schlüsse 
einer  Periode  und  die  rehy.al  an  dem  Schlüsse  eines  Tro- 
parion  spielen  zwar  auch  noch  in  den  heutigen  Lehrbüchern 
eine  Rolle  als  Kennzeichen  der  verschiedenen  rjyoi,  aber  nur 
als  die  am  wenigsten  verlä&sigen.  Nur  die  Melodien  des  rj.  y 
schliessen  fast  ganz  regelmässig  in  ya,  aber  die  des  »7.  a  und 
1  y.  TcX.  a  bald  in  tt«,  bald  in  '/£,  ebenso  die  des  yy.  ßaqvg 
bald  in  ya,  bald  in  L,io,  und  die  des  iy.  jtX.  6'  nur  meistentheils  in 
vr]y  die  Melodien  des  ?/.  ß'  und  ^7.  jtA.  /?'  können  sogar  in  mehr 
als  drei  verschiedenen  Tönen  schliessen ;  von  den  Troparien 
des  r^/.  ^  haben  die  nartadi/M  di,  die  eiQf.ioXoyiy.d  ßov  und 
die  OTiyi]QccQi/.a.  rr«  durchweg  zur  ßaoig  und  grösstentheils 
auch  zur  Hauptkatalexis.  Kurzv/eg  die  alten  8  ^yoL  mit 
ihren  fest  bestimmten  Schlusstöneu  haben  im  Laufe  der 
Zeiten  namentlich  mit  der  Einlührung  gedehnter  weitgespon- 
nener Melodien  {{.ülrj  äqya  oder  TtunuÖLy.u)  viele  Umgestalt- 
ungen erfahren,  so  dass  es  nicht  mehr  möglich  ist,  mit 
Bryennius  die  einzelnen  Tonarten  durch  besondere  Oktaven 
des  Pentekaidekachords  zu  charakterisiren.  Die  /.uxah\^Eig, 
die  ßaoeig  oder  l'oa  und  die  (fd^oyyoi  deOTtotoviEg  kommen 
zwar  auch  heut  zu  Tage  noch  bei  Unterscheidung  der  \yoL 
in  Betracht,  aber  das  Hauptcharakteristikon  bilden  die  ciTirj- 
yr^^uTu,  und  selbst  diese  sind,  wie  wir  oben  S.  261  gesehen 
haben,  in  zwei  i]yoL  nicht  dieselben  bei  allen  Melodien.  Ge- 
schichtlich den  Verlauf  der  Umgestaltung  der  einzelnen  r^yoi 
zu  verfolgen,  wäre  eine  sehr  lohnende  Aufgabe;  ich  bin  zur 
Lösung  derselben  nicht  befähigt ,  und  will  mich  darauf  be- 
schränken, zwei  Hauptentwicklungsperioden  zu  bezeichnen. 
Die  echte  und  ursprünglichste  Gestalt  der  8  \yoL  liegt  uns 
in  den  lateinischen  Schriftstellern  des  Mittelalters  vor.  Nach 
ihnen  werden  in  der  Skala  (s.  S.  253) 

E  F  G     A  B  0  D  E  F  G     A'  ß'  C'  D'  E'  F' 


264     Sitzung  der  phnos.-jyhiJoh  Gasse  vom  5.  November  1870. 

die  Töne  B  C  D  E  als  soui  finales  bezeichnet,  weil  in  ihnen 
sämmtliche  ^lelodien  schliessen,  und  zwar  war 

B  der  Schlusston  von  tonus  primus  auth.  und  plagius 

C     „  „  „       „  secundus  „        ,,  „ 

u    ,,  ,j  ,,       ,,  tertius      5  5        ,,  ,, 

E     „  „  „       „  quartus    „         „  „ 

Es  hatte  also  immer  die  authentische  Tonart  denselben 
Schlusston   wie   die  entsprechende   plagale;     beide  Tonarten 
unterschieden  sich    nur  in    der  Richtung,    in   der   sich   ihre 
Melodien  von  ihrem  Schlusston  entfernten :  die  authentischen 
sollten  in  der  Regel  nur  einen ,    die  plagalen   hingegen  drei 
Töne  unter  denselben  herabgehen;  s.  Hucbald  p.  116  Gerb.: 
unus    quisque    tonus    autentus   a  suo  finali  usque  in 
nouum  sonum  ascendit,    descendit  autem  in  sibi  vi- 
cinum    et   aliquando    ad    semitonium  vel  ad  tertium, 
plagius    autem    usque    in    quartum     descendens    ad 
quintum  ascendit.  Dieses  Verhältniss  liegt  der  Eintheilung 
der    8  Tonarten   in  i]yoL  y.iQioi  und   ryoL  tt/m'/iol   zu  Grund, 
dieses  erklärt  auch,  warum  bei  den  Griechen  die  //ot  y.vQioi 
auch  o^äg  und  die  )]yoi  .T/.äyioi  auch  ßaoels  genannt  wurden. 
Aber  dieses  ursprüngliche  Verhältniss  erlitt  bald  grosse  Ver- 
änderungen, in  Folge  deren  z.  B.  der  //.  ttA.  /   zum  tiefsten 
aller  //o/  ward,  zu  Schlusstönen  ausser  jenen  vier  B  C  D  E 
noch  weitere  Töne  G  (^w)  A  (vi^)  und  F  (-/.e)  zugelassen  wur- 
den ,    und  manchmal  sogar  die  Lieder    der    plagalen  Tonart 
eine   höhere   Tonlage    erhielten   als    die   der   entsprechenden 
autht-ntischen;  s.  Margarites  §  123:  o  uep  rrowroc  l'yei  rceoia- 
aoTeqav  tv.Taoiv  hrl  to  ßaov  /.cd  oKiyvnlqav  erii  to  o5r ,   o  de 
TT/Ayiog  rov  Ttqcorov  eyei  TieoLOOOTiqav  ey.Tuoiv  etil  to  o^v  /.al 
ohycuräqav  e/rl  to  ßaqv'    und  §  131 :    o  öeiTEQog  fjog  div  öia- 
qloEL  /.axa  to.  öiaoTr^^iaTo.  tojv  tovcov  tl  tcote  arro  xov  jrXayiov 
Tov  öeiTeQOv  Ttuoa  {.lovov  /.ata.  to  I'gov  Tr^g  /.Xii^ia/.og,  to  otcoIov 
6  uir  öeiTEQog  i'yei  TruvxoxE  o^vreqov ,  6  öi  Tclxtyiog  tov  ßaqv- 


Christ:   Die  Harmonik  des  Bryeimius.  265 

reQOv.  Eine  Epoche  dieser  Umgestaltung  bezeugen  uns  die 
sogenannten  ftaoTVQica  (s.  S.  261);  ihre  Zeichen  stammen 
aus  der  Schrift  des  14.  oder  15.  Jahrh.  ,^)    und  bezeichnen: 

Tta  u.  y.e  als  Schlusstöne  des  //.  a    u.  >;/.  ?rZ.  a 

ßov  als  Schlusston  des  rjog  udäyerog  u.  Tjx.ß'  (s.  S.  26 1) 

ya  als  Schlusston  des  i]x.  y 

öl  u.  V)]    als  Schlusstöne  des  )j,.  d^  u.  /x-  ^^'-  ^^ 

^0)  als  Schlusston  des   rjxos  ßaQvg. 

Aber  weder  zur  ursprünglichen  Weise  der  Anordnung 
der  8  ijoi  noch  zur  späteren  stimmt  die  Lehre  des  Bryennius, 
und  zwar  besteht  die  hauptsächlichste  Abweichung  derselben 
darin ,  dass  Bryennius  die  ursprüngliche  Aufeinanderfolge 
der  i]xoi  auf  den  Kopf  stellt  und  dem  ersten  fjog  die  höchsten 
Schlusstöne,  dem  zweiten  die  zweithöchsten  u.  s.  w.  zuweist, 
statt  umgekehrt  den  rjog  d'  zu  oberst  zu  stellen.  Veran- 
lasst war  sicher  diese  Umkehr  dadurch ,  dass  in  der  That 
eine  grosse  Anzahl  von  Melodien  des  //.  a  in  y.e  und  von 
Melodien  des  )]x-  ö'  in  ßov  schlössen  (s.  S.  263).  Aber  diese 
Umdrehung  der  Schlusstöne  in  vielen  alten  Liedern  war 
doch  nur  eine  theilweise ;  Bryennius  hat  sie  zum  Princip 
erhoben  und  ist  dadurch  zu  einem  System  gekommen ,  das 
dem  der  lateinischen  Theoretiker  schnurstracks  zuwiderläuft. 

Darin  ist  schliesslich  noch  der  Grund  zu  suchen,  wesshalb 
Bryennius  und  die  neueren  griechischen  Theoretiker,  die 
hierin  ganz  mit  den  alten  lateinischen    übereinstimmen,    auf 


2)  Der  Mangel  an  Typen  hindert  mich  die  Formen  der  fiaQZv- 
qUci  selbst  herzusetzen;  indess  kann  sich  jeder,  der  sich  für  die  Sache 
näher  interessirt,  aus  den  theoretischen  Lehrbüchern  und  den  ge- 
druckten wie  handschriftlichen  Melodienbüchern  von  der  Wahrheit 
des  Gesagten  überzeugen.  Philoxeuos  will  zwar  in  jenen  uaonoiui 
Beste  der  altgriechischen  Noten  und  z.  B.  in  der  fiagTigicc  für  ncc : 
9  ein  halbes  griechisches  cp  wiederfinden ,  aber  das  sind  eitle  Phan- 
tastereien. 


266     Sitzung  der  lihüos.-philol.  Classe  vom  5.  November  1870. 

ganz  verschiedene  Weise  die  einzelnen  ijoi  mit  altgriechischen 
Namen  benennen.  Das  Faktum  wird  zunächst  aus  folgender 
Tabelle  erhellen : 

Bryennius  Neugriechen  u.  Lateiner 

r^/.  a  vTxeQf.ii^o'kvdiog  rorog  öcoQiog  rovog 

TjX-  ß'  fiiBolvöiog  X.  (pQvyiog    r.  ^) 

ryi.  y  Xvöiog   r.  Xidiog   %. 

7%.  (5  (fQvyiog   t.  ^i^olvdiog   r. 

r^x.  ttX.  a  dcoQiog   r.  VTXoöcooiog   r. 

?/.  jrX.  ß'  vTTo'/adiog   t.  vrtoqQvyiog   t. 

]y/,  ßciQvg  VTtocfQvyiog   r.  VTCoXidiog   r. 

IX.  ttX.  ö'  i.rodc'jQiog   r.  v7tof.ii^oXvdiog   r. 

Unrichtig  sind  beide  üebertragungeu  der  altgriechischen 
Namen  auf  die  byzantinischen  lyoi,  da  sie  beide  von  einem 
Pentekaidekachord  ausgehen ,  das  von  dem  altgriechischen 
verschieden  war  (s.  S.  252),  in  Folge  dessen  eine  durch- 
gängige Verschiebung  eintrat  und  die  phrygische  Tonart  den 
Namen  dorisch,  die  dorische  den  Namen  phrygisch  u.  s.  w, 
erhielt  (s.  Westphal  Metrik  I.  269).  Insbesondere  weicht 
aber  hinwiederum  Bryennius  von  Hucbald  und  den  neu- 
griechischen Theoretikern  ab,  weil  er  dem  ^x-  ^^-  ">  Huc- 
bald dem  tonus  primus  autheutus  7ta  zur  VTtdzr]  gibt  und 
ebenso  Si  bei  Bryennius  als  tvrar/y  des  r;x-  ß  j  bei  Hucbald 
hingegen  als  vttccti^  des  tonus  quartus  authentus  figurirt. 
Demnach  lässt  sich  der  Hauptunterschied  der  Lehre  der 
lateinischen  Musiker  und  des  Bryennius  dahin  zusammen- 
fassen, dass  jene  ttu  ßov  ya  di,  dieser  /.e  öl  ya  ßov  als  die 
Hauptschlusstöne  der  vier  Tonarten  aufstellten. 


3)  Irrthümlich  kehren  Philoxenos  und  Margaritea  die  Ordnung 
um  und  nennen  den  zweiten  »j/o?  XvSiog  und  den  dritten  cpQvyios'^ 
aber  siehe  Hucbald  p.  139  Gerb. 


Christ:    Die  RarmornJc  des  Bryennius.  267 


Beilage. 

Im  Anhange  theile  ich  noch  den  Text  einer  li^alzi/.) 
rixvrj  mit,  die  ich  mir  unlängst  bei  meinem  Aufenthalte  in 
Wien  aus  einer  Handschrift  der  dortigen  Hofbibliothek, 
cod.  phil.  n.  194  chartaceus  s.  XV,  abgeschrieben  habe. 
Dieselbe  ist  bereits  von  Gerbert  in  seiner  Musica  sacra 
t.  n  tab.  VHI  aus  einer  inzwischen  verbrannten  Hand- 
schrift des  Klosters  St.  ßlasii  veröfifentlicht  worden  und 
zwar  mitsammt  den  Noten.  Neben  jener  Publikation 
■wird  aber  doch  mein  Textesabdruck  des  wichtigen  Stückes 
byzantinischer  Musiktheorie  nicht  unnütz  erscheinen ,  da 
ich  den  Text  an  vielen  Stelleu  vervollständigt  und  ver- 
bessert habe.  Die  in  der  Handschrift  selbst  so  genannte 
ipa?.Ti/,t]  Teyvr^  begreift  den  ersten  Theil  und  enthält  eine 
magere  Aufzählung  der  in  der  Musik  damals  gebrauchten 
Zeichen  mit  Angabe  ihres  Werthes  und  ihrer  Zusammen- 
setzung. Die  beiden  folgenden  Theile  enthalten  Melodien 
über  die  bekanntesten  Zeichen,  die  eine  von  %jdryi]g  D.i/.iq, 
die  andere  von  ^hoavvr^q  Koiy.ov^e/.i]g.  Ausserdem  stehen 
noch  in  der  genannten  Handschrift  die  ärciy/j  uara  der 
einzelnen  \'/oi,  deren  Abdruck  ohne  die  Noten  jedoch  keinen 
Sinn  gehabt  hätte. 

T. 

^oyi]  övv  i/ecj  ayuj  tcov  Gr^uaöuoy  rr^g  ipa'/.Tr/.rg 
riyyr^g  xdv  re  uvlÖvvcjv  /.cd  /.aziovrcov,  Gojuavojv  re  /.cd 
7ri'£Vf.iaTcn'  y.al  Tcäorg  yeioovouiccg  y.at  dy.oXovd-lag  ovite- 
d'Eiuivr^g  elg  aitip  ttccou  rtov  y.cau  y.aiqoig  avadeiyd-hTcov 
TtoiriTÖJv  Tta/Micüv   re   y.al  veojv. 


268     Sitzung  der  philos.-iihihl.  Classe  vom  5.  November  1870. 

-A^yj\  jnior]  TiXog  zcd  ovorrj}.ia  TTavrcov  tojv  Gr^f^iadicov 
TO  Yoov  iorr  xcoQig  yaq  tovtov  ov  y.aToqd^ovrai  cpcov/' 
keyszai  di  acpcovov  ovy  üti  q)Cüv^v  or/.  eyer  (fcovdrai  [liv, 
Ol  (.lETQeirai  Sa'  dicc  fxsv  Ttaorß  rrjg  iGorrjTog  ipcdlerai  to 
iGov ,  Sia  di  Ttuofjg  rrjg  araßaaecog  t6  oXiyov,  öiä  de 
ftaarjg   zr^g    y.avaßdoEOjg   i    djtoaTQOcpog. 

loov,  oliyov,  o^ela,  Tceraa&r^,  '/.ovcpiGf-ta ,  TtekaGd^ov, 
y.avTrif.ia,  ovo  y.evTr /.lara,  viprjXrj,  ^)  (XTtoGTQOcpog,  ovo  ctTto- 
arqo(poL,  GwöeG/iWi,  eXaq^qov ,  yaf.ir]Xrj,  aTtOQQOi),  v.QCiri]i.io- 
VTCoqqoov '  xovrcuv  xd  /itiv  eIgI  ocüf-iara ,  zd  di  ^vevi-iara' 
'/.al  Gcofiara  f-iiv  eiol  to  oXiyov,  ij  o^ela,  r  ^rreraGd-rj,  ro 
'/.oicpiGi-ia,  TO  TTsXuGiyov  v.al  rd  ovo  '/.Evx{]\.iaxa  ^  '/.al  y.a- 
Xiovxa  o  aTiooxQorpog  /.al  ol  ovo  GvvdEGf.iOi'  elgI  di  '/.al 
nvEifiaxa  xaGGaqa,  dviövxa  f.iiv  xo  '/.avxr^iiia  '/.al  Vj  vüir^h\ 
TiatLOVxa  di  xo  iXa(fqdv  -/.al  1^]  yaiir^.r^  •  tj  aTtOQQorj  di 
ovxe  Gtoj-ia  ioxlv  ovxe  7TV£V[.ta  dlXd  xov  cpdQQvyog  Gvvro- 
fiog  y.ipr]Gig'  eypvGL  di  cfcovdg  xo  oliyov  a,  rj  o'^euc  a', 
Tj  TTExaGd^r^  a ,  xo  ■/ovq'iGua  a',  xo  TCElaG&ov  a ,  xo  '/äv- 
rtj/ua  jS',  xd  dvo  '/.Evxt^f.iaxa  a,  tj  vipi^Xi]  di ,  r^  dTioGxqocpog  a' , 
'/al  o\  dvo  aTtoGXQOcpoi  a  ,  xo  eXacfQov  ß',  /'  dicoQQor  ßf, 
ij  ya/ur^h]  d' ,  xo  '/gaxrjixov/ioQQOOv  ßf '  iv  xovxoig  xo~ig 
orii-iadioig  dviQyExai  /al  /axäoyExai  itaGa  tj  {.lahodia  x^g 
xpalxi'/r^g   xayyvfi. 

Td  di  ^iEya?.a  Gru-iddia  xd  acpiova,  axiva  Xayovxai 
f^Eyalai  vrcoGxdGEig,  eIgI  xavxa:  I'gov,  di7tXrj,  Tcaqa/Xrjxi/TJ, 
v.Qaxi]fxa,  '/vXiGfj.a,  dvxL/.Evo-/vXiGf.ia,  XQOim/dv,  i^iGTqE/txöv,  ^) 
TQOi.u'/OGvvayfia,  ^ir]g'iGxdv,  iprjCpiGxoGvvayf-ia,  yogyov,  dgyov, 
GxavQog,  dvvi'/ävioua,  0{.iaXdv,  d^Ef-iaxiGf-iog  tGco,  axEQOg  a'^co, 
ETtäyEQi-ia,    TTa^a'/aXeGf-ia,    axEQOv  ^) ,    ^r^qov,  '/XdGf.ia,  dqyoGvv- 


4)  vipr/Xi]  Gerbert:    ipi^tj  hie  et  infra  cod.  Vind. 

5)  ixTiJtnroy  Gerbert. 

6J    exsfjoi'  TC((Q((xn7^iafxc(  Gerbert. 


Christ:    Die  Harinonik  des  Bryennins.  269 

dsTov,  -/ooyoovvd^ETOv ,  ireoov  tov  il'a).Tr/.ov ,  ovoüvioua, 
aTTodeoLia ,  d-eg  v.ai  aj-todsg,  O^iua  arr'/.ovi' ,  yogeiucc,  ilirj- 
(fiororrccoa'/.d?.€aua,  TQOur/.orraQa/.a/^oua ,  rtiaoua,  oüoLia, 
oirayua,    Evaotig,    ßaoEia    y.cd   ?.iyiGua. 

Elal  da  v.ai  ai  q&ooal  rwr  iy/cjv  airai:  q&oqu  tov 
■TQCOTOv,  TOV  öevTagov ,  tov  tqitov  ,  tov  TSTagTov ,  tov 
jt'/jxyiov  öevTagov''),  tov  vevavov,  ruicfxovov  xat  r^ulcfd-OQOv, 
(fdooa    TOV    Tthayiov    ßaoaog  y.al  tov  rcLayiov    TeTUOTOv.  ^) 

^l    diioioai    (foral    ayovoiv   oiTcog 

a\    -/.anoLOai    qvn'cd    ayovGiv    ovrcog 

ai    aviovaai    uerrd   röjv   y.utiovoojv   ayovGiv    ovTcog 

at   ai'iovGai   o?xii   VTtOTuoGovTai  vtto  tcjv  y.aTiövTcov ,  /.iql- 
svovTai    y.al   irto   tov   ^lgov    ovTiog    /..  r.  /, 


II. 

D.vxeog   uu.og  nar,!  0}]Liadiün'. 

^'Igov,    oJ.iyov,    oiaia,    rraqa/.'/.r^Ti/.i]    lieto.    urtoGTooqov, 
TtETaGd-Tp    öiTT/S^,    y.qaTr^Lia,    y.ovqiGuu,    y.QaTruo/.oig:io/xa. 

in.  9) 

^lüjayyov  tov  Kovy.ovZt'/.rj   uelog  rraQL  aj]uafJLU)v. 

Td  Gr,uudia  yeiooroui/.d  li'a'/.Tr/.d  /.ax  lyyov  uerd  rta- 
Gig  yßiooroLiiag  y.al  Givd-eGecjg  7T0ü]d^avTu  ^raqd  y.vQiov 
^Icüdvrov   f.idiGTOQog   tov    Kovy.ovLeXrj. 


7)  ante  hoc  comma  commemoratio  toni  plagii  primi  excidisse 
videtur,  paulo  post  tov  rT/.ayiov  ßaoeog  xca  om.  cod    Tind. 

8)  Post  TfTttoTov  Gerbert  ex  suo  codice  addit:  eiat  Sk  xal  s' 
^utcrtuoyfiat :  to  xorttiUcc;  if  6in?.Tj  y.cd  ol  6{o  ccn6atoo(foi,  oi  cvv- 
6i(juoi  •  TO  (5i  r^KXia^uu  £/ci  TTJy  ifuiaeiay.  fiaiy  ovy  Gr,uä6ta  (fioyixd 
i6'  dytövra  xac  xarioyTct. 

9)  Hac  in  parte  praeter  cod.  Yind.  phil.  n.  194  usi  sumus  cod. 
Vind.  theol.  n.  185   — 


270    Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  November  1870. 

^'loov,  oXlyov,  o^eia  y.ai  TteTaod-ij  xßi  diTtlt  ,  xQdTr]f.ia, 
Y,Qavri^oy.axaßaöi.ia,  ZQOf.iiy.dv.,  aTQeTZTor ,  -d^ig  xal  d/rod^sg, 
■aal  d^ef.iciTLOf.iog,  oqd^iov^^),  Gvv  tovroig  ovQdriGf.ia,  oeiOf.ict, 
di'aTQiyiOf.ia ,  Gwayfia,  'KvXioi.ia,  aTQayyvo/LiaTa,  '/.QOiG{.ia, 
aXXov,  draßaGfia  y.al  '/.araßauf-ia,  bfxaXov,  ipijq^iaro'/MtdßaGfja, 
7taqc{y.dlEGi.ic(,  d/roQQOr],  dvTiy.ivcuf.ia,  dvTiyevOY.vXiGfAa,  dqyo- 
Gvvd-£TOv,  '/.oXacpiGfiog,  yovq'iGfia,  XQaTrjfioyovq^iGfia,  rqofiixo- 
TtaqaydXeGfiu  xal  7TaQay.Xi]Tiy.rp  Gr^Gfia  ^^)  xal  h'reQOv,  öaq- 
fiog  —  TOVTO  XeysTai  dvzr/.ovTiGfia  —  yoqevfta,  ereqov,  Ofioiov, 
Gvv&sGig  Tov  fisyaXov  aGfiarog,  eieqa  Givd^eGig  ^^) ,  ereQov 
ßi'&oyQOvd^tGfia,  yXaGiiuza  afKforeqa,  yaiqeTiGfidg  xal  ßaqela 
öfiov,  TtiaGfia,  Yyadiv ,  o  ?Jy€tai  öiTtXoTteXaG&ov ,  -d-ifia 
djrXovv,  zeXog  Gviyr^QOv  iv  awiZ,  ßaqvg,  ezeQog  ßaqvg  zezQa- 
g'covog,  avuGzafia  ds  za  avzd  Tcavza  fieza  ETceyeQfiazog^^), 
dvditavfia,  Gr^fiEQOv,  yoQd-fiog,  öiTiXoTtezaG^ov,  cpS^OQa,  e'vaq- 
§ig,  yoQyov,  aqyov,  y.ai  TTQOGyeg  fia^i^zd,  TTvevfiaia  ztGGaga, 
eTtzd  q^tovai,  dijrXaGfidg  y.ai  ZQia  y.Qan'^fiaza  evreyvcZg  gvvze- 
■d^evza  yraqd  ^Icodvrov  zov  Kov/.oiLeXrj  y.ai  fia'iGzoQog. 


10)  o()S-iov  cod.  Yind.  185:    oq&qiov  cod.  Vind.  194 

11)  an  avQfi«? 

12)  post  avvd-saig  addit  Gerbert :    i's  uvrwv  vka 

13)  post  iTieyegfiatog  addit  Gerbert:   aravQog. 


Herr  Hofmann  hielt  einen  Vortrag; 

1)  j.Ueber  die  Sage  des  Apollonius  von  Tyrus  im 

Jourdain  de  Blayes", 
erscheint  später; 

2)  über   ein    bisher    unbekanntes   Thierepos   von 

Raimundus  LuHus  in  catalanischer  Sprache." 

Die  Classe   beschloss   die  Aufnahme  dieser  Ab- 
handlung in  die  Denkschriften. 


vomBath:  Der  Monazit  vom  Laachersee.  271 


Mathematisch-physikalische  Classe. 

Sitzung  vom  5.  l^Tovemlier  1870. 


Der  Classensecretär  Herr  v.  Kobell  theilt  eine  Abliand- 
lung  des  Herrn  Prof.  G.  vom  Ratli  in  Bonn  mit: 

,,üeber    ein    neues    Vorkommen    von    Monazit 
(Turnerit)  vom  Laachersee." 

Als  es  mir  im  April  d.  J.  vergönnt  war,  die  namentlich 
an  Laacher  -Vorkommnissen  reiche  Mineraliensammlung  des 
Hrn.  Oberpostdirektors  Handtmann  in  Coblenz  zu  besich- 
tigen, lenkte  der  geehrte  Besitzer  meine  Aufmerksamkeit  auf 
ein  Stück  einer  Sanidinbombe,  welches  in  einer  Druse  einen 
3  mm.  grossen  Orthit,  und  auf  diesem  auf-  und  eingewachsen 
einen  1  mm.  grossen  lebhaft  glänzenden  Krystall  von  oliven- 
grüner Farbe  umschloss.  Da  die  Bestimmung  des  kleinen 
Krystalls  (welcher  durch  Farbe  und  Glanz  sowohl  an  Chry- 
solith ,  als  an  eine  gewisse  Varietät  des  Sphen's ,  oder  an 
die  seltenere  grüne  Abänderung  des  Laacher  Zirkons  erinnerte) 
ohne  eingehende  Untersuchung  nicht  gelingen  wollte ,  so 
gestattete  Hr.  Handtmann ,  dass  ich  zum  Zwecke  goniome- 
trischer  Messung  den  Orthit  mit  dem  aufgewachsenen  grünen 
Krystalle  aus  der  Druse  abnähme.  So  ergab  sich  das  uner- 
wartete Resultat,  dass  letzterer  Monazit  ist,  ein  bisher 
weder  zu  Laach  noch  überhaupt  in  vulkanischen  Gesteinen 
beobachtetes  Mineral ,  welches  hier  mit  spiegelglänzenden 
Flächen,  ganz  unähnlich  seinem  Vorkommen  als  braune  matt- 


272       Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  5.  November  1870. 

flächige  Krystalle,  eingewachsen  in  einem  grauitischen  Gesteine, 
ausgebildet  ist. 

Bekanntlich  wies  Dana  auf  die  Aehnlichkeit  der  Formen 
des  Mouazit's  und  des  Turnerit^'s  hin.  und  machte  es  dadurch 
wahrscheinlich,  dass  beide  Spezien  identisch  sind  (s.  Dana, 
Note  on  the  possible  identitj  of  Turnerite  with  Monazite. 
Am.  Journ.  of  science  and  arts.  Vol.  XLII.  Nov.  1866). 
Die  scharfsinnige  Annahme  Dana's  bewahrheitet  sich  für  den 
Laacher  Krystall  vollkommen.  Bei  der  vorauszusetzenden 
Identität  der  Krystalle  von  Miask ,  von  Laach ,  sowie  vom 
Berge  Sorel  im  Dauphine  und  aus  dem  Tavetsch  müsste 
demnach  einer  jener  beiden  Namen  Monazit  oder  Turnerit 
in  Wegfall  kommen.  Dem  letztern  (von  Levy  aufgestellt 
1823)  steht  nun  allerdings  vor  dem  Monazit  (Breithaupt 
1829)  die  Priorität  zur  Seite.  Dennoch  wird  man  nicht 
schon  jetzt  den  Namen  Monazit  aufgeben  dürfen,  da  derselbe 
einem  chemisch  sowohl  wie  krystallographisch  bekannten 
Mineral  angehört,  während  die  Mischung  des  Turnerit's 
noch  unerforscht  ist.  Wenn  eine  neue  Analyse  das  Resultat 
der  ungenügenden  Versuche  Children's  werden  berichtigt, 
und  für  das  Daupbineer  und  Tavetscher  Mineral  die  Zu- 
sammensetzung des  Miasker  Monazit's  werden  ergeben  haben, 
dann  wird  allerdings  die  letztere  Bezeichnung  als  Spezies- 
name aufgegeben  werden  müssen.  Noch  könnte  sich  die 
Frage  erheben ,  wesshalb  ich  den  Laacher  Krystall  als  Mo- 
nazit und  nicht  vielmehr  als  Turnerit  bezeichnet  habe ,  mit 
welch  letzterem,  wie  alsbald  ersichtlich,  die  Form  des  neuen 
Erfundes  vollkommen  übereinstimmt.  Es  geschah  dies  mit 
Rücksicht  auf  die  Thatsache ,  dass  der  Laacher  Krystall 
(wenngleich  keine  chemischen  Versuche  mit  demselben  an- 
gestellt werden  konnten)  durch  seine  unmittelbare  Ver- 
wachsung mit  Orthit  eine  Gewähr  bietet,  dass  auch  er  eine 
Cer-Verbindung  ist,  und  hierdurch  die  Identität  mit  dem 
Monazit  von  Miask  wohl  ausser  Zweifel  gestellt  wird. 


vom  Bath  :    Der  Monazit  vom  Laachersee. 


273 


Die  Ausbildung   des  Monazit's  von  Laach  ist ,    wie   aus 
den  Figuren  zu  ersehen ,    eine  tafelförmisre.     Die  Tafel  wird 


2t? 


einerseits  symmetrisch  (durch  M  M') ,  andrerseits  unsym- 
metrisch (durch  X  w)  zugeschiirft.  Die  am  Krystall  auf- 
tretenden Formen  sind,  wenn  wir  die  Flächenbezeichnung 
Kokscharow's  (s.  Materialien  zur  Mineralogie  Paisslands 
Bd.  IV,  S.  1  —  33)  beibehalten,  folgende; 

Positive  Hemipyramide    v  =  ( a'  :  b  :  c),   P 

positives  Hemidoma  x  =  (a'  :  c  :  cc  h),  P  co 

w  =  (a  :  c  :  00  b),   —  P  co 

e  =  (b  :  c  :  00  a),  (P  cc) 

M  =  (a:b:ooc),   xP 

a  =:  (a  :  oc  b  :  oc  c),    x  P  x 

b  —  (b  :  00  a  :  Qc  c),  (x  P  oc) 


negatives  Hemidoma 

Klinodoma 

Prisma 

Orthopiuakoid 

Klinopinakoid 


Da  uuser  Monazit  (obgleich  nur  eine  Tafelecke  der  Be- 
obachtung frei  lag,  aus  dem  Orthitkrystall  hervorragend) 
genauere  Messungen  gestattete,  als  die  bisher  bekannten 
Krystalle,  so  benutzte  ich  denselben,  um  die  Axenelemenie 
des  Minerals  neu  zu  bestimmen,  zu  Grunde  legend  die  Funda- 
mentalmessungen : 

M :  M'  (über b)  =  86 0 2 5' .  X  :  M  =  11 5 °  44 ' .  e :  M'  =  109  nS'*) 


*)    Dies  e  bezieht  sich  auf  die  oben  rechts  liegende,   M'  betrifft 
die  hinten  rechts  liegende  Fläche. 

[1870.11. 3.]  19 


274      Sitzung  der  ttiath.-phys.  Ciasse  vom  5.  Novemher  1870. 

Die  entsprechenden  Winkel  werden  von  v.  Kokscharow 
für  den  Monazit  nach  seinen  Messungen  an  zwei  Krystallen 
aus  den  Goldseifen  der  Umgegend  des  Flusses  Sanarka  und 
an  einigen  Spaltungsstücken  aus  dem  Ilmengebirge  —  5,"wel- 
che  Messungen  man  nicht  als  ganz  genaue  ansehen  kann, 
weil  die  Krjstalle  dazu  untauglich  waren"  —  wie  folgt 
angegeben: 

86°  37';     115029';     109M1'. 

Aus  unsern  obigen  Fundamentalwinkeln  berechnen  sich 
die    Axenelemente     unter    Voraussetzung    der    angegebenen 
Formeln  für  die  gemessenen  Flächen,  wie  folgt; 
a:b:c=  0,965886: 1:0,921697  oder  =  1:1,03532:0,95425. 

Die  Axenschiefe  (Winkel  der  Axen  a  und  c  vorne  oben) 
=  lOS*'  28'. 

Wir  stellen   in  folgender  Tabelle   neben  einander  unter 

I    die  aus  den  Axenelementen  für  den  Laacher  Mona- 
zit berechneten  Winkel, 
II    die    von   Kokscharow    für    den    russischen    Monazit 
berechneten  Werthe, 

III  die  entsprechenden  Winkel  des  Turnerit's  vom  Mont 
Sorel  im  Dauphiuee  nach  Des  Cloizeaux.  Die  Iden- 
tität der  Formen  des  Turnerit's  und  des  Monazit's 
ergibt  sich,  wenn  man  die  Flächen  in  folgender 
Weise  vergleicht 

Monazit     v    x     w     e     M     a     b 
Turnerit     r     x     u     m     e     ob 

Die  angeführte  Bezeichnung  der  Flächen  des  Turnerits 
findet  man  in  der  von  mir  gegebenen  Beschreibung  und 
Zeichnung  des  Tavetscher  VorkoLumenSj  Pogg.  Ann.  Bd.  119 
S.  247—254. 


vomRath:   Der  Monazit  vom  LaacTicrsee. 


275 


I 

II 

III 

a 

:  e 

1= 

99^^59' 

100M2'V2 

lOO^O' 

a 

:  M 

= 

136  47^2 

136  41V2 

136  48 

a 

:  V 

= 

118  36  V2 

118  19 1/8 

— 

a 

:  w 

= 

140  40  V2 

140  44 

140  40 

a 

:  X 

= 

126  34 

126  15 

126  31 

b 

:  e 

= 

131  52 1/2 

131  51 

131  50 

b  : 

:  M 

= 

133  12  V2 

133  18Vs 

133  12 

b 

:  V 

= 

126  30 V2 

126  38 

126  30 

e  : 

:  M 

= 

125  41^2 

125  55 

— 

e 

:  M' 

=1 

109  18 

109  11 

— 

e  : 

:  V 

=: 

141  24  V2 

141  28 

141  25 

e  ; 

:  w 

= 

126  223/4 

126  31^:2 

126  25 

e  : 

:  X 

= 

118  34  V2 

118  36 

118  27 

M  :  M' 

(vorne) 

M  :  V 

= 

93  35 
139  82,3 

93  23 
138  59  Vi 

93  36 
139  7 

M 

:  w 

= 

124  19^4 

124  17^2 

— 

M 

:  X 

= 

115  44 

115  29 

— 

V 

:  X 

= 

143  29  V2 

143  22 

143  30 

w 

:  X 

= 

92  45  V2 

93  1 

92  49 

Die  Vergleichung  der  vorstehendeu  Winkel  beseitigt 
wohl  jeden  Zweifel  an  der  Identität  der  Krystallform  des 
Laacher  Krystalls  mit  dem  Monazit  einerseits  und  mit  dem 
Turnerit  andrerseits.  In  der  That  könnten  Krystalle,  welche 
aus  ein  und  derselben  Druse  gebrochen  wären ,  keine  voll- 
kommenere Uebereinstimmung  ihrer  Kanten  zeigen,  als  die 
Winkel  der  Colonnen  I  nnd  III.  Die  Abweichungen,  welche 
nach  Kokscharow's  Beobachtungen  der  Monazit  zeigt,  können 
fügUch  der  Unvollkommenheit  der  Flächen  zugeschrieben 
werden ,  welche  ganz  genaue  Messungen  nicht  gestatteten, 
um  unsern  Monazit  in  die  Stellung  des  Turnerit's  (s.  Pogg. 
Ann.  a.  a.  0.)  zu  bringen^  mache  man  e  zum  vertikalen 
Prisma,    a   zur  Basis,    w   zum  negativen,    x  zum  positiven 

19* 


276     Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  5.  Novemier  1870. 

Hemidoma,  M  zum  Klinodoma,  v  zur  positiven  Hemi- 
pyramide. 

Wie  die  Krystallform ,  so  stimmen  auch  die  Spal- 
tungsrichtungen des  Laacher  Krystalls  mit  dem  Monazite 
überein.  Ein  starker  Lichtglanz,  von  innern  Sprüngen  her- 
rührend, tritt  längs  der  Kante  w:x  hervor  und  verräth  eine 
deutliche  Spaltuugsrichtuug  parallel  der,  als  Krystallfläche 
nicht  auftretenden  Basis  c,  welche  mit  dem  Orthopinakoid  a 
den  Winkel  103°  28'  bildet. 

Eine  zweite  Spaltbarkeit  geht  parallel  der  Fläche  a. 
Ausser  diesen  beiden,  beim  Monazite  bekannten,  glaube  ich 
an  unserm  Krystalle  noch  Andeutungen  einer  dritten  Spal- 
tungsrichtung wahrzunehmen,  —  parallel  dem  Hemidoma  w. 

Der  Monazit  war  bisher  nur  beobachtet  worden  ent- 
weder in  altplutonischen  Gesteinen  oder  im  Seifeugebirge, 
dessen  Entstehung  auf  jene  zurückzuführen  ist.  Bekannte 
Fundstätten  sind:  Granitgänge  im  Ilmengebirge  bei  Miask 
in  Begleitung  von  Feldspath,  Albit  und  Glimmer;  im  Granite 
von  Schreiberhau  in  Schlesien  mit  Ytterspath,  Titaneisen  und 
Fergusonit  (dies  Vorkommen  von  Websky  aufgefunden); 
unter  ähnlichen  Verhältnissen  an  einigen  Orten  der  Ver- 
einigten Staaten  und  Norwegens.  Ferner  im  Goldsande  in 
Mecklenburg  Cty,  N.  C.  Ver.  St.  in  Begleitung  von  Granat, 
Zirkon,  Diamant ;  desgleichen  im  Goldsande  von  Rio  Cliico, 
Antioquia ;  endlich  in  den  Goldseifen  in  der  Nähe  des  Flusses 
Sanarka  im  Lande  der  Orenburg'schen  Kosaken. 

Von  all  diesen  Lagerstätten  ist  das  neue  Vorkommen 
des  seltenen  Minerals  in  den  vulkanischen  Auswürflingen  des 
alten  Kraters  von  Laach  sehr  verschieden ,  indem  es  das 
einzige  bis  jetzt  bekannte  vulkanische  Vorkommen  darstellt. 
Der  Monazit  vom  Laacher  See  bietet  nun  das  zweite  Bei- 
spiel des  Auftretens  von  cerhaltigen  Mineralien  in  vulkanischen 
Bildungen  dar,  und  lehrt  uns  zugleich  eine  bemerkenswerthe 
Mineralassociation    kennen;     indem    der  Orthit    (der   früher 


vomEath:    Der  2Ionazit  votn  Laachersee.  277 

sogenannte  Bucklaudit)  verwachsen  ist  mit  dem  Monazit,  dem 
Phosphate  des  Ceroxyds.  So  sehen  wir,  dass  die  früher  oft 
mit  grosser  Schärfe  ausgesprocheneu  Gesetze  über  die  geo- 
logische Verbreitung  der  Mineralien  einen  Theil  ihrer  AU- 
gemeingühigkeit  veilieren.  wenngleich  eine  bedingte  Geltung 
ihnen  stets  wird  erLalten  bleiben.  Die  Cererde  galt  lange 
Zeit  für  beschränkt  auf  die  ältesten,  sogenannten  plutonischen 
Bildungen  der  Erdrinde,  sie  sollte,  wähnte  man,  nicht  mehr 
eintreten  in  die  Mineralien  der  vulkanischen  Processe.  Doch 
gelang  es  rcir,  den  Orthit  wie  in  L:iach  ,  so  auch  in  den 
Auswürflingen  des  alten  Vesuvkraters,  des  Monte  Somma, 
und  nun  den  Monazit  in  unsern  so  räthselhaften  Laacher 
Sanidinblöckeu  aufzufinden.  Ziehen  wir  nun  in  unsere  Er- 
wägung auch  den  Turnerit  aus  den  talkigen  Gneissen  des 
Dauphinee  und  des  Tavetschen  Thals ,  so  sehen  wir  durch 
ein  und  dasselbe  Mineral,  das  Phosphat  des  Cer-  und  Lant- 
hanoxyds ,  gleichsam  verbunden  die  drei  verschiedensten 
geologischen  Formationen,  das  altplutonische ,  das  krystal- 
linisch-schiefrige  Gebirge  und  die  vulkanischen  Bildungen. 


278      Sitzung  der  viath.-phys.  Classe  vom  5.  November  1870. 


Zur  Vorlage  kommt  eine  Abhandlung  des  Herrn  G  um  bei: 

„Vergleichung  der  Foraminiferenfauna  aus 
den  Gosaumergeln  und  den  Belemnitellen- 
Schichten  der  bayrischen  Alpen." 

Während  bei  den  tieferen  Schichtenreihen  der  Procän- 
oder  Kreideformation  in  den  Kalkalpen  bezüglich  ihrer 
Gliederung  und  Gleichstellung  mit  ausseralpinen  Bildungen 
sich  keine  besonderen  Schwierigkeiten  ergeben ,  lässt  sich 
bei  den  höheren  oder  jüngeren  Ghedern  dieser  Formation 
eine  gleiche  Sicherheit  nicht  gewinnen. 

Abgesehen  von  den  noch  vielfach  strittigen  Grenzschich- 
ten zwischen  den  tiefsten  Lagen  der  Neocombildung  und 
den  höchsten  jüngsten  der  Juraformationen,  den  sog. 
tithonischen  Schichten,  welche  vermöge  ihrer  vermitteln- 
den Stellung  zwischen  zwei  grossen  Formationen  manche 
Charaktere  der  einen,  wie  der  andern  in  sich  vereinigen  und 
naturgemäss  als  wahre  Uebergangsgebilde  örtlich  hier  in- 
niger den  ersten,  dort  den  letztern  sich  anschliessen  werden, 
herrscht  in  den  Neocom-  und  Galtablagerungen  in  den 
Alpen ,  in  J^'rankreich ,  England  und  Norddeutschland  ziem- 
lich grosse  Uebereinstimmung.  In  den  höhereu  Schichten 
über  dem  Galt  zeigen  sich  selbst  ausserhalb  der  Alpen  be- 
reits manche  Differenzen,  die  ein  weiteres  Auseinandertreten 
dieser  Schichten  in  verschiedene  Entwicklungsformen  (Facies) 
der  Ablagerungen  während  der  jüngeren  Kreidezeit  andeuten. 
Kalk,  Kreide,  Mergel  (Pläner)  und  Sandsteinbildungen  treten 
als  gleichzeitig  entstandene ,  aber  petrographisch ,  wie  palä- 
ontologisch  durch   gewisse  Eigenthümlichkeiten   unterscheid- 


Gümhel :    Die  Foraminiferenfauna  etc.  279 

bare  Sedimente  neben  einander  in  verschiedenen,  selbst 
benachbarten,  aber  ganz  oder  theilweise  getrennten  Ver- 
breitungsgebieten (Provinzen)  hervor.  Nur  die  relative 
Lagerung  und  das  Vorkorumen  gewisser  charakteristischer 
Versteinerungen  liefern  in  solchem  Falle  den  sicheren  Beweis, 
dass  sie  dem  gleichen  geognostischen  Horizonte  angehören. 
In  den  Alpen  kannte  man  zwar  schon  längst  jüngere 
Glieder  auf  den  Galt-  und  Xeocombil düngen  aufgelagert, 
aber  über  ihre  Gliederung  und  ihre  Gleichstellung  mit  den 
ausserhalb  der  Alpen  unterschiedenen  und  nachgewiesenen 
Stufen  und  Schichten  sind  in  den  verschiedenen  Gegenden 
des  Alpengebiets  noch  sehr  abweichende  Ansichten  ver- 
breitet. Man  musste  sich  daher  meist  noch  mit  allgemeinen 
BezeicLuuDgsweisen  begnügen.  In  der  Schweiz  hat  man  bis 
in  die  neueste  Zeit  diese  jüngeren  Gebilde  unter  dem  Namen 
Seewen-Schichten  zusammengefasst^)  und  in  den  öster- 
reichischen Alpen  als  Gosau-,  Orbituliten-Schichten 
und  Hippuritenkalk  beschrieben.  lu  dtn  bayerischen 
Alpen  konnte  ich  noch  eine  weitere  Schichtenreihe ,  die  der 
Nierenthal-  oder  Belemnitellen-Schichten  zuerst  näher 
unterscheiden  und  deren  Stellung  über  den  sog.  Gosau- 
mergeln  und  Hippuritenkalk,  sowie  die  unzweifelhafte 
Gleichzeitigung  ihrer  Entstehung  mit  den  Belemnitellen- 
schichten  ausserhalb  der  Alpen,  w-elche  BeJemniteUa  mu- 
cronafa  als  charakteristische  Versteinerung  enthalten ,  mit 
voller  Sicherheit  nachweisen.  ^Yährend  die  Hippuriten- 
kalk e  als  solche  (nicht  aber  die  sog.  Gosauschichten  im 
Ganzen,  von  welchen  sie  nur  ein  Glied  oder  eine  Einlagerung 


1)  Ich  habe  zuerst  versucht  (geogr.  Beschr.  v.  Bayern  IL  Bd. 
S.  701  Rubrik:  Westalpine  Provinz)  in  den  sog.  Seewenschichten 
auf  Grund  paläontologischer  Erfunde  das  Vorhandensein  verschiedener 
Stufen  nachzuweisen  und  ihre  Gliederung  in  Hohenemser,  eigentliche 
Seewener  und  in  Sentis-Schichten  festzustellen. 


280      Sitzung  der  inath.-phys.  Classe  vom  5.  November  1870. 

ausmachen)  nach  übereinstimmender  Annahme  einem  Gliede 
der  südfranzösischen  Turonstufe  (Angoumien  Coq.)  ent- 
sprechen, scheint  zwar  auch  der  Hauptmasse  der  sog. 
Gosaugebilden  ein  gleiches  Alter  zuzukommen,  aber  es 
treten  doch  in  den  zu  ihnen  gerechneten  Schichten  Ver- 
steinerungen zu  Tag,  die  nicht  ganz  mit  der  Annahme  in 
Einklang  zu  bringen  sind,  dass  der  gesammte  Schichten- 
complex  die  gleiche  Stellung  einnehme. 

Neue  Anhaltspunkte  der  Beurtheilung  gewinnen  wir, 
wenn  die  sehr  weitverbreiteten  OrhituUtenschicJiten  beigezogen 
werden.  Ich  konnte  bei  der  Beschreibung  der  geographischen 
Verhältnisse  der  bayerischen  Alpen  (1861)  von  denselben 
(vergl.  S.  577)  nicht  mehr  feststellen,  als  dass  in  ihnen  das 
Vorherrschen  der  tieferen  Schichten  (der  oberen  Kreide- 
schichten) angedeutet  scheine.  Emmrich  sprach  sich  zu- 
erst mit  grosser  Bestimmtheit^)  für  das  Cenomanalter 
der  Orbitulitengebilde  der  bayerischen  Alpen  aus  unter 
Bezugnahme  auf  das  Vorkommen  und  das  Alter  der  Orhi- 
tidites  concava  Lm.  Ich  habe  inzwischen  Gelegenheit  gehabt, 
die  Orbituliten schichten  des  bayerischen  Gebiets  an 
mehreren  Stellen  weiter  zu  untersuchen  und  glaube  mich 
auch  von  ihrer  Zugehörigkeit  zu  der  Genom anstufe  über- 
zeugt zu  haben  (IL  Bd.  der  geogn.  Beschreibung  von  Bayern 
Tabelle  S.  701). 

Diese  Orbulitenschichten  reichen  aber  westwärts  in 
dem  bayerischen  Hochgebirge  nur  bis  zu  den  Algäuer  Alpen, 
bis  in  die  Gegend  von  Vils  und  Füssen;  jenseits  dieser  so 
zu  sagen  haarscharfen  Gränze  eines  Entwicklungsgebietes 
für  die  Orbituliten-  und  Gosauschichten  tritt  in  den  Algäuer 
Alpen  und  weiter  westwärts  iu  dem  Schweizer  Gebirge  eine 
völlig  neue,    und  anders   geartete  Ablagerung  ein,    die  sog. 


2)   Die  Cenomane  Kreide  im  bayerischen  Gebirge  von  Dr.  Emm- 
ricli  1865. 


Gümbel:    Die  Foraminiferenfaiom  etc.  281 

Seewen -Schichten.  Diese  müssen  im  Ganzen  als  Zeit- 
äquivalente  der  ganzen  jüngeren  Abtheilung  über  dem  Galt 
gelten,  wobei  die  Frage,  ob  auch  die  jüngsten  sog.  Belemni- 
tellenschichten  mit  eingeschlossen  sind,  bis  jetzt  noch  nicht  be- 
stimmt beantwortet  werden  konnte.  Ich  habe  zuerst  versucht, 
eine  gewisse  constaute  Theiluug  dieses  Schicht encomplexes 
in  die  unten  liegende  Seewen-Kalke  und  in  die  nach  oben 
folgenden  Seewen-Mergel  in  den  Alg<äuer  Alpen  nachzu- 
weisen. Ziehen  wir  hierzu  noch  die  Verhältnisse  in  Rech- 
nung, wie  sich  diese  Facies  in  den  Schweizer  Alpen,  nament- 
lich am  hohen  Sentis,  weiter  entwickelt  zeigt,  so  ergibt  sich 
mit  grosser  WahrscheinHchkeit  die  dreifache  Theilung,  wie 
ich  sie  in  der  oben  erwähnten  Tabelle  S.  701  aufgestellt 
habe,  wobei  sandige,  glauconitische  Mergel  zu  tiefst  gelagert 
mit  Ammonites  ManieUi  und  darüber  der  dichte,  dünuschich- 
tige,  flasrigwellige  Seewen-Kalk  dem  Unterpläner  oder 
der  Genom  an  stufe,  wogegen  wenigstens  gewisse  Mergel  im 
Gehrentubel  bei  Hohenems  dem  Mittel  pläner  (Turonien) 
als  Aequivalente  entsprechen.  Erst  in  den  hohen  Savoyer 
Alpen  finden  sich  Ablagerungen  mit  Belemnitellen,  und  diese 
sind  es ,  welche  die  Verbindung  zwischen  den  alpinen  und 
südfranzösischen  jüngsten  Procängliedern  vermitteln. 

Die  Gosauschichten  lagern  in  den  östlichen  Alpen  un- 
mittelbar über  den  Orbitulitenschichten  und  es  ist  mithin 
auch  der  Lagerung  nach  in  üebereinstimmung  mit  ihrem 
vorherrschenden  paläontologischen  Charakter  wenigstens  für 
die  tieferen  Schichten  der  Gosaugebilde  die  Zugehörigkeit 
zum  Mittelpläner  (Craie  de  Touraine)  als  sicher  ermittelt 
anzunehmen.  Um  nun  bezüglich  der  höheren  Lagen  zu 
festeren  Anhaltspunkten  zu  gelangen,  schien  es  nicht  ohne 
Interesse,  da  diese  besonders  reich  an  Foraminiferen  sind, 
ihre  Foraminifereufauna  näher  zu  untersuchen  und  sie  mit 
jenen  der  ganz  sicher  orientirten,  jüngeren  Schichten  der  Be- 
lemnitellen-Mergel    zu    vergleichen.       Um    hierbei    die 


282 


Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  5.  November  1870. 


Einflüsse  zu  beseitigen ,  welche  die  örtlichen  Verhältnisse  von  weit 
auseinander  liegenden  Fundstellen  möglicher  Weise  auf  die  Fauna 
ausüben  könnten ,  wurden  zu  dieser  vergleichenden  Untersuchung  die 
Gebilde  zweier  zunächst  liegender  Fundorte,  nämlich  eines  Gosau- 
mergels  bei  Götzreuth  und  eines  Belemnitellenmergels  aus  dem  nur 
^/2  Wegstunde  entfernten  Pattenauer  Stollens  am  Kressenberge 
gewählt.  Die  Bestimmung  der  Arten  hat  grossentheils  mein  Assistent 
C.  Schwager  vorgenommen.  Darnach  ergeben  sich  folgende  Ver- 
zeichnisse: 


I.    Yerzeichniss^) 

der 

in  den  Gosaumergeln  von  Götzreuth  aufgefundenen 
Foraminiferen  -Arten. 


*        m 

a 

c 

,9 

C         3 

t,  C  5 

v  ä  3 

S  ~  "^^ 

2    3 

'S 'S  „ 

Foraminiferen- Arten*) 

|g^ 

-^    ly    CO 

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CO  e5 

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CO* 

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l-    lU    ü 

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«  s 

Si; 

ü       o 

C3 

o 

H_ 

.2 
'C 

M       ^ 

1)  Haplophragmhmi  grande  JRss.  . 

'!            1 





+ 



2)   Verneuilina  Bronni  JRss. 

—        — 

+ 

— 

— 



3)  Gaudryina  pupoides  d'Orb..     . 

■;  +    + 

+ 



— 

+ 

4)           „           oxgcona  i?5s.  .     .     . 

II  ^.. 

+ 





— 



5)  Plecanium  comdus  Bss.  spec.    . 

— 

4- 

+ 



+         - 

6)           „          anceps  Bss.  spec. 

— 

+ 

+ 



7)  Cormispira  cretacea  Bss.      .     . 

i  — 

+ 

+ 

+ 

— 

+ 

8)  Glandulina  elongata  Bss.      .     . 

i  — 

— 

+ 

— 





9)  Nodosaria  Zippei  Bss.     .     .     . 

— 

+ 

+ 

+ 

— 



3)  Dieses  Verzeichniss  dient  zugleich  zur  Richtigstellung  der  in  meiner 
Beschreibung  des  bayerischen  Alpengebirges  S.  568  und  569  gegebenen  Arten- 
aufzählung und  soll  in  Bezug  auf  schon  bekannte  Arten  an  seine  Stelle  treten. 

4)  Bei  dieser  Artenzutheilung  •wurden  die  vortrefflichen  Arbeiten  von 
Reuss  als  Grundlage  festgehalten. 


Gümbel:    Die  Foraminiferenfauna  etc. 


283 


Foraminiferen-Arten 


o.e. 

So 

a 
S 


5- " 


.3    3 
CO  sj 


2  o 


ö^o 


10)  „  conferta  Bss.  . 

11)  „  ohscura  Piss.  . 

12)  Dentalina   Jegumen  Bss.  . 

13)  „  anuidata  JRss. 

14)  „  suhreda  Bss. 

15)  „  acideata  cV  Orh. 

16)  ,,  expansa  Bss.  . 

17)  ,,  fdiformis  Bss. 

18)  Frondiciäaria  Cordcii  Bss. 

19)  „  angusta  Nds 

20)  „  inversa  Bss. 

21)  Proroporns  compJanatus  Bss 

22)  Margimdina  olliqua  Bss. 

23)  CHsfellaria  Gosae  Bss.    . 

24)  „  suhalata  Bss. 

25)  „  orhicidata  Bss. 

26)  „  inicroptera  Bss 

27)  „  Bronni  Boem. 

28)  Globidina  Jacrima  Bss.    . 

29)  Bidimina  ovidum  Bss. 

30)  Textüaria  glohifera  Bss. 

3 1)  Bolivina  incrassata  Bss.  . 

32)  .,         tegidata  Bss. 

33)  Botalia  umhdicata  d'  Orh. 

34)  ,,       stelligera  Bss. 

35)  .,       ammonoides  Bss. 

36)  .,       marginata  Bss.    . 

37)  ,,       umhonella  Bss.    . 

38)  GJohigerina  cretacea  d' Orh 

39)  Placopsüina  cenomana  (d'OrhPJ 

Bss. 


-      + 

4-      + 


+      + 


-     + 


+  + 

-  + 

-  + 

-  4- 
+  - 
+  - 
+  - 


+ 


-  M-  ,  + 


+  I  - 
+  !  + 


-     +  '  - 


4- 


+     4- 
4-     4- 


Galt    —      —      — 


4- 

4- 


4- 
4- 


4- 
4- 
4- 
4-  ,  4- 


19  i   20  ;  15 
I        28 


4- 
4- 

4- 


12 


4- 
4- 


4- 


— 

-1 

4- 
+ 

— 

4- 

4- 

4- 

4- 
4- 

4- 

4- 

4- 
4- 

4- 

4- 

4- 

4- 

4- 
4- 


4- 
4- 


12 


284      Sitzimg  der  math.-phys.  Classe  vom  5.  Novemler  1870. 

Auser  diesen  39  Arten  finden  sich  noch  mehrere  an- 
dere theils  nicht  genau  bestimmbare,  theils  neue,  welche  für 
diese  Untersuchung  nicht  weiter  zu  berücksichtigen  sind. 
Es  sei  nur  erwähnt,  dass  von  Glohulina  eine,  von  Nodosaria 
eine,  von  Bentalina  drei ,  von  VagimiUna  zwei ,  von  Fron- 
dicularia  eine,  von  Marginulina  zwei,  von  Bulimina  zwei, 
von  jRotalia  eine,  von  DiscorMna  eine  und  von  Glolngerina 
eine  neue  Species,  von  Nodosaria  und  Bentalina  mehrere 
unbestimmbare  Exemplare  vorliegen. 

Von  den  aufgezählten  Arten  gehören  4  zu  jenen,  welche 
im  Ceuoman-  und  älteren  Schichten  vorkommen. 

19  sind  Arten  des  Mittelpläners  (Turonschichten), 

20  ,,         ,,     desOberpläners(Belemnitellenschichten), 
16     ,,         ,,     der  Priesener  Schichten  Böhmens 

28     ,,         ,,     , welche  im  Oberpläner  vorkommen,  wenn 
man  zu  diesem  die  Priesener  Schichten 
rechnet, 
12     „        „     ,die  in  österreichischen  Gosaulocalitäten 

nach  Reu  SS  sich  finden, 
12     ,,        ,,     ,die  auch  in  den  Belemnitellen-Schichten 
von  Pattenau  vorkommen. 
Darunter  sind: 

2  ausschliesslich  dem  Mittelpläner,  dagegen 
8  ausschliesslich  der  Belemnitellenstufe 
angehörige  Arten. 

Wie  schon  die  einfachen  Zahlen  beweisen,  neigt  sich  der 
Foraminiferencharakter  der  untersuchten  Mergel  ganz  ent- 
schieden dem  des  Mittel-  und  Oberpläners  zu.  Rechnet 
man  die  Priesener  Schichten  mit  zum  Oberpläner  und  zählt 
dann  die  Arten ,  so  würden  die  Species  dieser  oberen  Ab- 
theilung ziemlich  stark  über  jene  des  Mittelpläners  vorwalten. 
Indess  ist  dieses  Verhältniss  nicht  so  stark,  dass  eine  unbe- 
dingte Zugehörigkeit  der  fraglichen  Schichten  zum  Oberpläner 
damit   ausgedrückt   wäre,    um    so   weniger,    als   man   nicht 


Gümhel:    Die  Foraminiferenfauna  etc.  285 

vergessen  darf,  dass  gerade  die  Fauna  der  obersten  Schichten 
am  vollständigsten  bekannt  ist  und  daher  diese  Arten  ein 
natürliches  Uebergewicht  über  die  weniger  vollständig  be- 
kannten des  Mittelpläners  erlangen.  Auffallen  muss ,  dass 
mit  den  benachbarten  Belemnitellenmergel  nur  12  Arten 
übereinstimmen,  gerade  so  viele,  als  mit  den  durch  Reuss 
auf  ihre  Foraminiferen- Einschlüsse  untersuchten  Gosau- 
mergelu  österreichischer  Fundstellen,  nämlich  ebenfalls  12. 
Fast  eben  so  viele  Arten  sind  mit  den  übrigen  Gosauschichten 
der  bayerischen  Alpen  gemeinschaftlich  (11).  Aus  diesen 
Zahlenverhältnissen  ergibt  sich  daher  keine  grössere  Verwandt- 
schaft mit  den  Belemnitellenschichten  von  Pattenau,  als  mit 
den  übrigen  Gosauschichten,  ohne  dass  aber  auch  dadurch  der 
enge  Anschluss  an  die  Schichten  des  Oberpläners  gelockert 
wird.  In  Rücksicht  auf  die  Lagerung  der  betreffenden 
Schichten  unter  dem  Belemnitellenmergel  scheint  diese 
Foraminiferenfauna  in  der  Weise  gedeutet  werden  zu  dürfen, 
dass  sie  dem  sie  enthaltenden  Schichtencomplex  eine  Stellung 
in  den  oberen  Lagen  des  Mittelpläners  zuweist. 

Vergleicht  man  im  Allgemeinen  das  gegebene  Arten- 
verzeichniss  mit  jenem ,  welches  Reuss  in  der  Aufzählung 
der  Foraminiferen  der  westphälischen  Kreideformation  (Sitz. 
d.  \Yiener  Ac.  d.  Wiss.  Bd.  XL.  1860  S.  159)  gegeben  hat, 
so  leuchtet  auf  den  ersten  Blick  die  grosse  üebereinstimmung 
in  dem  Gesammttypus  dieser  Faunen  so  bestimmt  hervor. 
dass  darin .  wenn  es  noch  nöthig  wäre ,  ein  neuer  Beweis 
geliefert  ist ,  wie  bedeutend  der  Beitrag  ist ,  welchen  auch 
die  Foraminiferenfauna  zur  paläontologischen  Charakteristik 
der  unterscheidbaren  Schichten  zu  leisten  im  Stande  ist. 

Dieses  ist  nicht  weniger  bestimmt  aus  dem  Gehalte  der 
Belemnitellenschichten  von  Pattenau  an  Foraminiferen  er- 
sichtlich ,  über  welchen  in  dem  folgenden  Verzeichnisse 
näherer  Aufschluss  gegeben  werden  soll. 


286 


Sitzung  der  math.-pJiys.  Classe  vom  5.  November  1870. 


II.    T  e  r  z  e  i  c  h  n  i  s  s  5) 

der 

in  den  Belemnitellenscliicliten  von  Pattenau  aufgefundenen 
Foramini  feren-  Arten. 


Foraminif  er  en- Arten 


O 


1 

2 
3 
4 
5 
6 
7 
8 
9 

10 
11 
12 
13 
14 
15 
16 
17 
18 


Haplopliragmium  irreguläre  Boem 
Gaudryina  pupoides  d'  Orh. 
Gaudryina  rugosa  d'  Orh.  ap.  . 
Plecanium  canaliculatum  Bss.  sp 

,,  dentatum  Älth.  sp. 

„  articulatum  Bss.  sp. 

Cornuspira  cretacea  Bss.  sp.    . 
Nodosaria  obscura  Bss.  .     .     . 

„  affinis  Bss.    .     .     . 

Dentalina  polyphragma  Bss.     . 

,,         sulcata  (Nils.)  Bss. 

„  legumen  Bss.  .     .     . 

„  LilU  Bss 

Lagena  apicidata  Bss.     .     .     . 

Margimdina  inaequalis   .     .     . 

„  compressa  (d'Orh.) 

,,  hullata  Bss.     .     . 

Cristellaria  harpa  Bss.   .     .     . 


sp 


Bss 


+ 

+ 


+ 

+ 

+ 

+ 
+ 


+ 
+ 
+ 


+ 


+ 


+ 

+ 

+ 
+ 


+ 
+ 
+ 
+ 


+ 

+ 


+ 

+ 


+ 
+ 
+ 


+ 


+ 
+ 


+ 

+ 


+ 


+ 
+ 


+ 


6)  Dieses  vervollständigte  Verzeichniss  soll  an  die  Stelle  des  in  meiner 
Beschreibung  des  bayerischen  Alpengebirges  S.  575  gegebenen  mangelhaften 
treten. 


Gümhel:    Die  Foraininiferenfanna  etc. 


287 


Foramini  feren-Arten 


n 


19)  CristeJlaria  intermedia  Piss. 

20)  „  rotidata  Lm.  sp. 

21)  ,,  exarata  Hag.    . 

22)  Glandidina  elongata  Bss.     . 

23)  „  pijgmaea  Bss.    . 

24)  Frondicidaria  Cordai  Bss.  . 


25) 
26) 


30) 
31) 


lanceola  Bss 
angidosa  d'  Orb. 

27)  FlahelUna  reticidata  Bss.    . 

28)  Pleiirostoynella  suhiudosa  Bss. 

29)  Bidimina  Pnschi  Bss.  .  . 
Fresli  Bss.  .  . 
iortüis  Bss.     .     . 

32)  HeterostomeUa  (Sagrina)  rugosa 

33)  Globulina  lacrima  Bss.   .     . 

34)  „  cretacea  AWi.  sp. 

35)  Dimorphina  nodosaria  d' Orb. 

36)  AUomorplnna  cretacea  Bss. 

37)  Textilaria  gJohifera  Bss. 

38)  Bolivina  tegidata  Bss.     . 

39)  „         incrassata  Bss. 

40)  Bidimina  Murcliisoniana  d'Orh 

41)  VaJvidina  aUonwrphinoides  M. 

42)  Botalia  umhilicata  d'  Orh.    . 

43)  „        tnargi)iata  Bss.  sp. 

44)  ,,        exscidpfa  Bss.  sj).  . 

45)  „        constricta  Hag.  spec 

46)  Discorbina  convexa  Bss.  sp. 

47)  „  pohjraplies  Bss. 

48)  Globigerina  cretacea  d'  Orh. 


d'Orh 


sp 


-     j  + 


-       +      +      + 

4- .- 

+  i-i-  - 


1     

+  ,+^  T  i  +  '-i- 

-  !-i  +   -!-  - 


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;                   1 

9 

14 

37 

_19     6  |l2 

4^ 

i 

288      Sitzung  der  7nath.-phi/s.  Classe  vom  5.  Novemler  1870. 

Unter  den  zahlreichen,  theils  neuen  Arten,  tlieils  schlecht 
erhaltenen  Exemplaren  angehörigen  Einschlüssen  sind  her- 
vorzuheben eine  x\rt  ähnlich  Ntihecularia,  eine  Art  Clavidina, 
zwei  Arten  Nodosarien,  eine  Art  Dentalina,  zwei  Arten 
Cristellarien,  darunter  eine  der  C.  micropfcra  sehr  ähnlich, 
eine  Art  Frondicularia ,  sehr  ähnlich  F.  ornata  Bss.,  eine 
neue  Art  JDimorpliina ,  Viihulina,  Gemmidina  und  eine  Art 
Botalia,  sehr  ähnlich  i?.  stelligera  Ess.,  welche  übrigens  hier 
nicht  weiter  in  Betracht  kommen. 

Von  den  48  aufgezählten  Arten  gehören : 

9  älteren  Schichten  (Cenoman-  und  Galt-Schichten), 
14  dem  Mittelpläner, 
37  dem  Oberpläner, 
19  den  Priesener  Schichten  und 
44  dem  Oberpläner,    wenn  man   ihnen  die  Priesener 
Schichten  zurechnet, 
6  sind  mit  den  österr.  Gosauschichten  (nachReuss), 
12  sind   mit    den    Gosauschichten    des    benachbarten 
Fundortes  Götzreuth  identisch. 
In  dieser  Fauna  treten  die  mit  dem  Mittelpläner  gemein- 
samen Arten  gegen  jene  mit  dem  Oberpläner  in  so  auffallender 
Weise  zurück,  dass  die  Zugehörigkeit  dieses  Scbichtencomplexes 
mit  JBelemnüella  mucronata  auch  gemäss  der  Foraminiferen- 
faiina  zur  Stufe  der  weissea-schreibenden  Kreide  ganz  unzweifel- 
haft ausgesprochen  ist.     Insbesondere   zeigt  sich  eine  grosse 
Verwandtschaft  mit  den  Lemberger  Schichten,  dagegen  eine 
selbst   etwas  geringere   mit    den   näclistbenachbarten  Gosau- 
schichten, als  mit  dem  Mittelpläner  im  Allgemeinen. 

Es  ist  dadurch  der  allerdings  nicht  mehr  nothwendige 
weitere  Nachweis  geliefert,  dass  auch  nach  der  Foraminiferen- 
fauna  die  Belemnitellen-Schichten  der  Alpen  zur  Stufe 
der  Schreibkreide  und  des  Oberpläners  gehören,  wie 
diess  die  übrigen  organischen  Einschlüsse  so  unzweideutig  zu 
erkennen  geben. 


Vogel:  Das  Keimen  der  Samen.  289 


Herr  Vogel  trägt  vor : 

1)     ., Einige   Versuche    über    das    Keimen    der 
Samen." 

Schon  vor  einer  Reihe  von  Jahren  habe  ich  einige 
Versuche  über  das  Keimen  der  Samen  auf  verschiedenen 
Unterlagen  mitgetheilt.  Es  ist  in  jener  Arbeit  ausführlich 
gezeigt  worden,  dass  chemische  Verbindungen ,  welche  nach 
der  gewöhnlichen  Ansicht  als  ganz  unlöslich  in  "Wasser  be- 
trachtet werden,  zur  Unterlage  bei  Keimversuchen  benützt, 
dennoch  die  Keimung  zu  verhindern  im  Stande  sind.  Diess 
lässt  darauf  schliessen.  dass  sie  durch  den  Keimvorgang  aus 
ihrem  ursprünglich  unlöslichen  Zustande  in  einen  theilweise 
löslichen  übergeführt  werden ,  wenn  man  nicht  annehmen 
will,  dass  einige  derselben  wie  z.  B.  Berlinerblau,  kohlen- 
saure Magnesia  u.  a.  der  Keimung  ein  mehr  mechanisches 
als  chemisches  Hiuderniss  entgegensetzen.  Zu  diesen  Ver- 
bindungen, welche  ungeachtet  ihrer  Unlöslichkeit  in  Wasser, 
auf  die  Keimung  schädlich  einwirken,  gehören  vor  anderen 
die  künstlichen  Schwefelautimonpräparate,  Kermes  und  Sulfur- 
auratum,  Kupferoxjd,  kohlensaures  Kupferoxyd  und  chrom- 
saures Quecksilberoxydul.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel, 
dass  diese  Substanzen  durch  den  Keimvorgang  theilweise  in 
Lösung  übergeführt  werden  und  in  solcher  Weise  hindernd 
wirken. 

Bekanntlich  treten  bei  dem  chemischen  Vorgange  des 
Keimens  organische  Säuren  auf.  Ich  habe  es  versucht,  die 
durch  Keimung  erzeugte  Säuremenge ,  ohne  vorläufig  auf 
die  Natur  der  Säure  selbst  näher  einzugehen  zu  wollen,  an- 
nähernd zu  bestimmen.  100  Gmm.  Gerstenkörner  waren 
mit  Wasser  befeuchtet  mehrere  Tage  hindurch  an  einem 
[1870.  IL  3.]  20 


290     Sitzung  der  matli.-pliys.  Classe  vom  5.  Koveniber  1870. 

warmen  Orte  der  Keimung  überlassen  worden.  Nachdem 
die  Keime  grösstentheils  entwickelt  waren,  wurden  die  ge- 
keimten Samen  auf  ein  Filtrum  gebracht  und  mit  vielem 
Wasser  ausgewaschen.  Das  Filtrat  reagirte  auch  nach  dem 
Aufkochen  sauer.  Die  folgende  Bestimmung  der  Säuremenge 
bezieht  sich  daher  auf  den  durch  Keimung  gebildeten  Säure- 
gehalt mit  Ausschluss  der  Kohlensäure  und  Essigsäure.  Durch 
Titriren  mit  Normalnatroulauge  ergab  sich  im  Durchschnitt 
aus  mehreren  Versuchen  als  ein  Aequivalent  von  0,17  Gmm. 
Schwefelsäurehydrat,  welche  Menge  somit  in  diesem  Falle 
auf  Rechnung  der  beim  Keimprozesse  gebildeten  nicht  flüchti- 
gen organischen  Säuren  zu  setzen  ist.  Die  Menge  und  die 
Natur  der  Säurebildung  durch  den  Keimungsprozess  ist 
selbstverständlich  verschieden  je  nach  der  Species  der  Samen, 
welche  zum  Versuche  verwendet  wird.  Ich  habe  in  derselben 
Weise  noch  Klee-  und  Kressensamen  untersucht  und  behalte 
mir  vor  auf  diesen  Gegenstand  in  der  Folge  ausführlicher 
zurückzukommen.  Eine  gewogene  Menge  beider  Samen, 
100  Gmm.,  war  in  einer  Schale  mit  Wasser  befeuchtet  der 
Keimung  überlassen  worden.  Nachdem  alle  Samen  gekeimt 
hatten,  wozu  für  den  Kleesamen  ungefähr  8  Tage ,  für  den 
Kressensamen  4  Tage  erforderlich  waren,  wurden  die  ge- 
keimten Samen  vollkommen  mit  Wasser  ausgewaschen  und  die 
filtrirten  Flüssigkeiten,  welche  beide  deutlich  sauer  reagirten, 
ohne  vorher  gekocht  zu  haben,  mit  verdünnter  Natronlauge 
von  bestimmtem  Gehalte  filtrirt ;  es  ist  also  hier,  abweichend 
von  den  oben  beschriebenen  Versuchen  mit  Gerstensaraen, 
der  ganze  Säuregehalt,  auch  der  Gehalt  an  flüchtiger  Säure, 
wie  Essigsäure,  Schwefelwasserstoffsäure  u.  s.  w. ,  zur  Be- 
stimmung gelangt.  Als  Resultat  ergab  sich,  dass  der  durch 
Keimung  von  100  Gmm.  Kleesamen  erzeugte  Säuregehalt 
0,35  Gmm.,  der  durch  Keimung  von  100  Gmm.  Kressen- 
samen erzeugte  Säuregehalt  0,44  Gmm.  Schwefelsäurehydrat 
entsprach. 


Vogel:   Das  Keimen  der  Samen.  291 

Den  Körpern,  deren  Verhalten  zur  Keimung  ich  in  der 
angegebenen  Weise  schon  früher  untersucht  Labe,  füge  ich 
noch  zwei  hinzu,  nämlich  den  amorphen  Phosphor  und  das 
Anilin.  Der  amorphe  Phosphor,  welcher  bekanntlich  ohne 
Vergiftungserscheinungen  hervorzubringen ,  innerlich  genom- 
men und  daher  als  unschädlich  für  den  thierischen  Organismus 
betrachtet  werden  kann,  äussert  nach  meinen  Versuchen 
einen  ungünstigen  jedenfalls  verzögernden  Einfluss  auf  den 
Keimprozess.  Der  zu  diesen  Beobachtungen  verwendete 
amorphe  Phosphor  war  vollkommen  arsenfrei  und  durch 
längeres  Waschen  mit  destillirtem  Wasser  von  Phosphor- 
säure und  phosphoriger  Säure  möglichst  gereinigt  worden. 
Von  den  darauf  gesäten  Kressensamen  zeigten  unter  vor- 
sichtigster Behandlung  erst  am  6.  Tage  einzelne  Körner  eine 
unvollkommene  Entwicklung  des  Keimes,  während  unter  ge- 
W'öhnlichen  Verhältnissen  wie  bekannt  die  Kresse  schon  nach 
24  Stunden  zu  keimen  beginnt.  Andere  Samen,  wie  Erbsen, 
Bohnen,  Cerealien,  Klee  u.  a. ,  gelang  es  mir  in  öfters  und 
zu  verschiedenen  Jahreszeiten  angestellten  Versuchen  bis  jetzt 
nichtl,    in   amorphem  Phosphor  zur  Entwicklung  zu   bringen. 

Anilin,  obgleich  in  Wasser  ganz  unlöslich ,  zeigte"  sich 
der  Keimung  entschieden  uachtheilig.  Es  konnte  an  Kressen- 
samen, welche  auf  befeuchtetes  Anilin  gesät  waren,  durchaus 
keine  Keimerscheinung  beobachtet  werden.  Hiernach  dürfte 
das  Anilin,  welches  nach  Latheby's  Versuchen')  als  ein 
heftiges  Gift  für  den  thierischen  Organismus  erkannt  worden 
ist,  als  ein  solches  auch  für  das  vegetabile  Leben  zu  be- 
trachten sein.  Als  ergänzendes  Resultat  mag  nebenbei  be- 
merkt werden,  dass  auf  fein  gepulvertem  sublimirten  Indigo 
die  Keimung  ungestört  vor  sich  geht. 

Als  eine  Fortsetzung  meiner  früheren  Versuche  in  dieser 


1)  Jahrb.  der  Pharm.  Bd.  21.  S.  37. 

20* 


292       Sitzung  der  matli.-}jhjs.  Classe  vom  5.  Novemher  1870. 

Richtung  ist  eine  Arbeit  Lea's  zu  betrachten,')  welcher  auf 
verschiedenen  Lösungen  Samen  keimen  Hess.  VVeizenkörner 
gelangen  zum  Keimen  auf  Wasser,  welches  mit  sehr  kleinen 
Mengen  von  Schwefelsäure.  Salpetersäure,  Salzsäure,  Brom- 
ammonium ,  schwefligsauren  Natron,  zweifach  kohlensauren 
Kali,  kohlensauren  Natron,  Ammoniak,  chlorsauren  Kali  ver- 
setzt war.  Am  wenigsten  schädlich  zeigten  sich  für  die 
Keimung  zweifach  kohlensaures  Kali ,  schwefligsaures  und 
kohlensaures  Natron.  Auf  einer  Lösung  von  Zucker  oder 
Glycerin  keimten  die  Samen  wie  auf  reinem  Wasser,  auf 
Gummi  kamen  weniger  Samen  zum  Keimen ,  aber  die  ent- 
wickelten Pflanzen  wurden  höher;  auf  Citronensäure  oder 
übermangansaurem  Kali  blieben  sie  klein  und  setzten  keine 
Wurzeln  ab.  Ich  habe  diese  Versuche,  welche  für  mich  be- 
sonderes Interesse  boten,  mit  anderen  Samen,  zunächst  mit 
Klee-  und  Kressensamen,  wiederholt  und  dieselben  bestätigt 
gefunden.  In  Beziehung  auf  den  Einfluss  des  übermangan- 
sauren Kali's  will  ich  nur  noch  bemerken,  dass  dasselbe 
ähnlich  wie  Chlor,  Brom  und  Jod  unter  Umständen  den 
Keimprozess  zu  befördern  scheint.  Uebergiesst  mau  nämlich 
Samen  mit  einer  verdünnten  Lösung  von  übermangansaurem 
Kali  (0,3  Gmm.  Chamäleonkrystalle  auf  1  Liter  Lösung), 
so  ist  nach  kurzer  Zeit  die  violette  Lösung  vollkommen  ent- 
färbt. Nach  mehrmaligem  Erneuern  des  übermangansauren 
Kali's  und  Abspülen  der  Samen  mit  destillirtem  Wasser 
bemerkt  man,  dass  die  so  behandelten  Samen  früher  Keime 
zu  entwickeln  beginnen,  als  die  in  ganz  gleicher  Weise  nur 
mit  destillirtem  Wasser  befeuchteten.  Ich  weiss  nicht,  ob 
meine  Annahme  richtig  ist,  dass  die  Beschleunigung  des 
Keimprozesses  in  diesem  Falle  von  einer  durch  das  zersetzte 


2)  Chem.  Centr.  1867.   S.  683. 


Vogel:    Das  Keimen  der  Samen.  293 

Übermangansaure  Kali  zugeführten  grösseren  Sauerstoffmenge 
herrühre.  Indess  schien  es  mir  doch  geeigneter,  nicht  un- 
mittelbar die  Lösungen  anzuwenden,  sondern  mit  den  Lösungen 
getränkte  Unterlagen.  Bekanntlich  haben  keimfähige  Samen 
meisteutheils  ein  höheres  specifisches  Gewicht  als  Wasser, 
sie  gehen  daher  auch  in  diesen  sehr  verdünnten  Lösungen 
zu  Boden.  Man  kann  somit  den  Versuch  nur  mit  dünneu 
Schichten  von  Lösungen  anstellen,  welche  schnell  ein- 
trocknen und  so  sehr  häufig  zu  concentrirt  werden ,  wo- 
durch denn  auch  ein  mechanisches  Hinderniss  der  Keimung 
eintreten  kann.  Es  wurde  desshalb,  um  diesem  Uebelstande 
vorzubeugen,  zu  ähnlichen  Versuchen  von  mir  und  Anderen 
als  Unterlage  Badeschwamm  gebraucht;  dieses  Material  hat 
indess  als  Unterlage  in  dieser  Beziehung  den  Nachtheil,  dass 
es  mit  zahlreichen  Löchern  von  ganz  verschiedener  Grösse 
versehen  ist,  so  dass  einzelne  Samen  von  der  Oberfläche 
verschwinden ;  es  wird  hiernach  eine  vergleichende  quantitative 
Beurtheilung  der  gekeimten  und  nicht  gekeimten  Samen  sehr 
erschwert.  Li  neuester  Zeit  habe  ich  ein  Material  kennen 
gelernt,  welches  mir  als  Unterlage  bei  Keimungsversuchen 
vor  anderen  dem  Zwecke  entsprechend  erscheint.  Diess  ist 
der  sogenannte  Insektentorf;  —  er  führt  diesen  Namen,  da 
er  in  dünne  Platten  geschnitten  statt  des  kostspieligen  Kork- 
holzes zum  Aufstecken  von  Insekten  u.  s.  w.  in  entomo- 
logischen Sammlungen  dient.  Dieser  Torf  stellt  die  lockerste 
Torfsorte  dar,  die  mir  bis  jetzt  vorgekommen  und  steht 
offenbar  an  der  Gränze  der  Materialien,  die  man  mit  dem 
Ausdrucke  „Torf"  bezeichnen  kann;  derselbe  enthält  näm- 
lich nach  allen  Richtungen  hin  und  in  allen  Theilen  noch 
ganze,  nicht  in  den  Zersetzungsprozess  hineingezogene  Pflanzen 
und  tritt  somit  eigentlich  als  ein  Convolut  getrockneter 
Pflanzenüberreste  auf.  Bis  jetzt  ist  diese  Torfsorte  meines 
Wissens  nur  in  Hannover  gefunden  worden  und  wird  nach 
dem  Trocknen  in  Platten  von  Va"  Dicke   geschnitten.     Von 


294      Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  5.  November  1S70. 

seiner  Leiclitigkeit  und  Porosität  kann  man  sich  einen  Be- 
griff machen,  wenn  man  dessen  specifisches  Gewicht  und 
Wasserabsorptionsvermögen  berücksichtigt.  Sein  specifisches 
Gewicht  beträgt  1  Cub'  bajer.  wiegt  6,1  Zollpfund.  Da  es 
wie  bekannt  Maschinentorfsorten  gibt  von  60  bis  80  Zoll- 
pfund per  1  Cub'  bayer. ,  so  wird  man  zugeben  müssen, 
dass  diese  Torfsorte  kaum  die  Bezeichnung  Torf  beanspruchen 
darf.  Durch  die  grosse  Porosität  dieses  Torfes  ist  nun  auch 
dessen  unverhältnissmässig  bedeutende  Wasserabsorptions- 
fähigkeit bedingt ;  100  Gmm.  Insektentorf  absorbiren  nach 
wiederholt  angestellten  Versuchen  durchschnittlich  800  CG. 
Wasser.  Das  Wasser  steigt  in  demselben  schnell  aufwärts, 
was  man  leicht  beobachten  kann ,  wenn  man  ein  schmales 
Stück  mit  dem  unteren  Ende  in  gefärbtes  Wasser  taucht. 
Der  Aschengehalt  ist  ein  sehr  geringer;  er  beträgt  1,3  Proc. 
Diese  Platten  sind  daher  auch  sehr  geeignet  als  Trocken- 
unterlage für  chemische  Zwecke.  Bringt  man  feuchte  Nieder- 
schläge mittelst  des  Filtrum's  auf  solche  Unterlagen,  so  wird 
das  Trocknen  durch  die  grosse  Wasserabsorptionsfähigkeit 
des  Torfes  sehr  wesentlich  gefördert. 

Für  die  Benützung  der  porösen  Platten  als  Unterlage 
für  Keimversuche  wurden  dieselben  in  die  betreffenden 
Lösungen  eingelegt  und  so  lange  damit  in  Berührung  ge- 
lassen, bis  sie  vollkommen  imprägnirt  waren.  Man  konnte 
nun  die  Samen  reihenweise  auf  der  Unterlage  auftragen  und 
somit  den  Einfluss  der  einzelnen  Salzlösungen  u.  s.  w.  auf 
den  Keimvorgang  besser  als  auf  irgend  eine  andere  Art  be- 
obachten. Um  das  Eintrocknen  zu  verhindern  und  einen 
gleichmässigen  Feuchtigkeitsgrad  dauernd  zu  erhalten,  be- 
findet sich  die  Torfplatte  auf  einem  flachen  Glas-  oder 
Porcellaogefäss,    welches  die  betreffende  Flüssigkeit   enthält. 

Ich  will  nun  die  Versuche,  die  bis  jetzt  zur  Ausführung 
gekommen,  in  Kürze  mittheilen,  da  ich  mir  vorbehalte,  in 
der  Folge  die  Reihe  noch  weiter  auszudehnen. 


Vogel:   Das  Keimen  der  Samen.  295 

Als  Samen  sind  nebeneinander  Klee-  und  Kressensamen 
verwendet  worden ;  es  ergab  sich  zwischen  beiden  nur  darin 
ein  Unterschied ,  dass  letzterer  viel  früher  zum  Keimen  ge- 
langte, indem  wie  bekannt  der  Keimvorgang  bei  Klee  später 
eintritt.  Im  Allgemeinen  zeigen  sich  au  der  Kresse  nach 
24  Stunden  die  ersten  Keimbewegungen ,  während  sie  bei 
Klee  erst  am  dritten  Tage  deutlich  werden. 

Man  hat  bisher  die  Kupfersalze  als  absolut  schädlich 
für  die  Keimung  und  überhaupt  für  die  Vegetation  betrachtet 
und  daher  sogar  Kupfervitriollösung  als  Vertilgungs-  und 
Verhinderungsmittel  gegen  Unkraut  in  Vorschlag  gebracht. 
Nach  meinen  neueren  Versuchen  hängt  diese  hindernde  Ein- 
wirkung doch  wesentlich  von  dem  Grade  der  Verdünnung 
ab.  Es  ist  eine  Kupfervitriollösung  in  der  Verdünnung  von 
1  Gmm.  zum  Liter  nach  der  oben  beschriebenen  Art  zum 
Versuche  verwendet  worden.  Die  Keimung  der  Kresse  so- 
wohl als  des  Klee's  zeigte  sich  bei  dieser  Verdünnung  aller- 
dings sehr  verzögert,  allein  nach  längerer  Zeit  wurde  sie 
doch  bemerkbar.  Auch  kamen  bei  weitem  nicht  alle  Samen 
zur  Entwicklung,  ungefähr  Vs  derselben  blieb  ganz  unver- 
ändert. Es  schien  fast,  als  ob  nur  die  vorzugsweise  ge- 
sunden Individuen  die  durch  Kupfervitriollösung  gebotene 
Schädlichkeit  überwinden  konnten.  Die  fernere  Entwicklung 
blieb  eine  sehr  verkümmerte  und  es  gelang  nicht,  eine  voll- 
kommen ausgebildete  Pflanze  zu  erzielen.  Bei  noch  weiterer 
Verdünnung  der  Kupfervitriollösung  erschien  die  Keimver- 
hiuderung  verhältnissmässig  noch  gemindert. 

Als  eigenthümliches  Resultat  ist  zu  erwähnen,  dass  ver- 
dünnte Essigsäure  die  Keimung  vollkommen  verhinderte. 
Die  zu  den  Versuchen  verwendete  Flüssigkeit  enthielt  0,5  Proc. 
Essigsäure,  die  Essigsäure  selbst  hatte  42  Proc.  Essigsäure- 
hydratgehalt ergeben.  Der  Gehalt  der  zum  Versuche  ver- 
wendeten Flüssigkeit  an  Essigsäurehydrat  betrug  demnach 
nur    0,21  Proc.     Keiner    der   Samen    zeigte    auch   nur    die 


296      Sitzung  der  math.-pliys.  Classe  vom  5.  November  1870. 

geringste  Keimbewegung,  sie  schienen  zu  versclirumpfen  und 
konnten  auch  nachdem  sie  längere  Zeit  mit  destiUirtem  Wasser 
abgewaschen  worden  waren ,  nicht  mehr  zur  Keimung  ge- 
bracht werden.  Es  scheint,  dass  die  Essigsäure  auch  in 
dieser  bedeutenden  Verdünnung  verändernd  auf  die  Consti- 
tution des  Samens  einwirkt;  ein  ähnh'ches  Resultat  ergab 
eine  in  gleicher  Weise  verdünnte  Lösung  von  Oxalsäure.  In 
der  oben  citirten  Arbeit  von  Lea^)  ist  angegeben,  dass  Samen 
zur  Keimung  gelaugten  auf  Wasser,  welches  mit  ,,sehr  kleinen 
Mengen"  von  Schwefelsäure,  Salpetersäure  oder  Salzsäure  ver- 
setzt war.  Für  Schwefelsäure  habe  ich  die  Gränzen  der  Verdünn- 
ung bestimmt ,  bei  welcher  die  Keimung  beginnt  oder  noch 
stattfindet.  Im  ersten  Versuche  diente  eine  verdünnte  Schwefel- 
säure von  2  Proc.  Schwefelsäurehydratgehalt;  die  zweite 
Verdünnung  war  0,4procentig,  die  dritte  0,08procentig.  In 
den  ersten  beiden  Verdünnungen  war  durchaus  keine  Keimung 
bemerkbar ,  in  der  dritten  zeigte  sich  ungefähr  die  Hälfte 
der  Samen  gekeimt,  allein  auch  hier  trat  durchaus  keine 
vollständige  Entwicklung  der  Pflanze  ein.  Es  ist  somit  an- 
zunehmen, dass  die  Verdünnung,  bei  welcher  in  den  früheren 
Versuchen  Keimung  beobachtet  worden  ist,  wohl  noch  etwas 
unter  der  von  mir  hergestellten  (0,08  proc.)  gestanden  habe. 

Eine  Lösung  von  doppelt  chromsaurem  Kali  in  einer 
Verdünnung  von  0,5  Gmm.  zum  Liter,  verhindert  die  Keimung 
gänzlich,  dasselbe  findet  statt  mit  salpetersaurem  Silberoxyd 
in  der  nämlichen  Verdünnung.  In  beiden  Fällen  tritt  eine 
schwärzliche  Färbung  der  Samen  auf,  welche  eine  voll- 
kommene Zerstörung  der  Keimkraft  mit  sich  führt. 

Die  arsenige  Säure  ist  noch  in  sehr  bedeutender  Ver- 
dünnung ein  entschiedenes  Hinderniss  der  Keimung;  bei  der 
Behandlung  der  Samen  mit  einer  Lösung  von  0,1  Gmm. 
arseniger  Säure  in  einem  Liter  Wasser,    demnach   in  einer 

3)  a.  a.  0. 


Vogel:  Das  Keimen  der  Samen.  297 

Verdünnung  von  1:  10000,  fand  nicht  die  mindeste  Keim- 
bewegung statt;  die  Samen,  welche  nur  kurze  Zeit  mit  dieser 
wenngleich  sehr  verdünnten  Lösung  von  arseniger  Säure  in 
Berührung  gestanden  hatten,  zeigten  sich  auch  nach  längerem 
Waschen  mit°^y asser  nicht  mehr  keimfähig.  Die  Arsensäure 
ist  bekanntlich  für  den  thierischen  Organismus  kein  Gift, 
indem  sie  nach  oft  wiederholten  Versuchen  in  grösseren 
Mengen  ohne  nachtheilige  ^Yirkung  innerhch  genommen  wer- 
nen  kann.  Dieser  Unterschied  in  Beziehung  auf  "Giftigkeit 
zwischen  arseniger  Säure  und  Arsensäure  scheint  für  das 
yegetabile  Leben  nicht  so  auffallend  zu  bestehen.  Samen, 
welche  nur  eine  halbe  Stunde  in  einer  sehr  verdünnten 
Lösung  von  Arsensäure  gelegen  hatten,  zeigten  nach  dem 
völligen  Abwaschen  mit  destilHrtem  Wasser  auch  nach  meh- 
reren Tagen  keine  Entwicklung  des  Keimes.  Indess  schien 
doch  die  Keimkraft  nicht  so  gründlich  zerstört ,  wie  durch 
arsenige  Säure,  indem  nach  S  Tagen  die  Samen  aufgesprungen 
waren  und  somit  offenbar  noch  einen  Rest  von  lebendiger 
Bewegung  bewahrt  hatten.  La  der  mehrere  Tage  mit  Samen 
in  Berührung  gestandenen  Arsensäure  war  keine  Bildung 
von  arseniger  Säure  wahrzunehmen.  Keimversuche  mit  Cyan- 
wasserstoffsäure  haben  ergeben,  dass  dieselbe  zwar  ein  Hiuder- 
niss  des  Keim  Vorganges  ist,  nicht  aber  die  Keimkraft  auf- 
hebt. Es  sind  Samen  mit  Blausäure  in  der  Verdünnung 
von  2  C.C.  4.5  procentiger  Blausäure  in  500  CG.  Wasser 
behandelt  worden.  Die  Keimung  trat  nicht  ein;  jedoch 
zeigte  sich  nach  Verlauf  von  8  Tagen  normale  Keiment- 
wicklung. Die  Untersuchung  ergab .  dass  die  Flüssigkeit 
nach  dieser  Zeit  keine  Blausäure  mehr  enthielt.  Da  der 
Versuch  selbstverständlich  auf  einer  Unterlage  in  einem 
offenen  flachen  Gefässe  stattfinden  musste,  so  hatte  sich  die 
Blausäure  verflüchtigt  und  die  Keimung  der  lebensfähig  ge- 
bliebenen Samen  nach  deren  vollkommener  Entfernung  be- 
gonnen. 


298      Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  5.  November  1870. 

An  die  hier  mitgetheilten  Ergebnisse  schliesst  sich  noch 
eine  Versuchsreihe  über  das  Verhältniss  des  Steinkohlen- 
leuchtgases zur  Keimung. 

Dass  das  Steinkohlenleuchtgas,  d.  h.  das  Gemeng  ver- 
schiedener Gasarten,  wie  es  zur  Beleuchtung  dient,  unter 
Umständen  auf  die  Vegetation  nachtheilig  einwirke,  ist  als 
allgemeine  Thatsache  angenommen.  Die  höchst  interessanten 
und  mit  grossen  Mitteln  von  Freytag  in  Bonn  und  von 
Poselger  in  Berlin  in  dieser  Richtung  ausgeführten  Ver- 
suche"^) haben  indess  gezeigt,  dass  diese  schädliche  Wirkung 
des  Leuchtgases  sich  vorzugsweise  auf  das  gewöhnliche  nicht 
gereinigte  Gas  beschränkt,  bei  vollkommen  gereinigtem  Gase 
dagegen  nicht  eintrete.  Das  noch  mit  Theerbestandtheilen 
imprägnirte  Gas  vermag  bei  einer  bestimmten  Anhäufung 
im  Boden  in  der  Art  schädlich  auf  die  Wurzeln  der  Bäume 
einzuwirken,  dass  letztere  absterben.  Dieses  durch  den  Ver- 
such gewonnene  Resultat  findet  auch  theoretisch  insoferne 
Bestätigung,  als  wie  bekannt  die  Theerbestandtheile,  ins- 
besondere aber  die  Phenilsäure,  alles  vegetabile  Leben  er- 
sticken und  daher  als  fäulniss-  und  verwesuugswidrig  zum 
Conserviren  von  Holz  u.  s.  w.  benützt  werden. 

Von  der  Schädlichkeit  des  ungereinigten  Steinkohlen- 
leuchtgases auf  die  Vegetation  kann  man  sich  leicht  durch 
einen  sehr  einfachen  Versuch  überzeugen.  Bringt  man  näm- 
lich eine  mit  Kressenpflanzen  bewachsene  feuchte  Unterlage 
auf  einem  Drahtgitter  über  ausströmendes  Leuchtgas,  so  dass 
dieses  von  unten  herauf  das  Vegetationsobjekt  durchstreicht, 
so  bemerkt  man  nach  wenigen  Tagen  eine  auffallende  Ver- 
änderung an  den  Pflanzen.  Obgleich  doch  immer  noch  mit 
einer  grossen  Menge  von  Luft  in  Berührung  und  daher  nur 
in  einer  verhältnissmässig  sehr  verdünnten  Atmosphäre  von 
Leuchtgas  befindlich,  neigen  sich  die  Pflanzen;   bei  längerer 


4)  Deutsche  Ind.  Zeitung.  1870.   S.  85. 


Vogel:   Das  Keimen  der  Samen.  299 

Einwirkung  des  Leuchtgases  tritt  endlich  vollkommenes  Ab- 
sterben ein.  Entfernt  man  die  halbverwelkten  Pflanzen  recht- 
zeitig aus  der  Gasatmosphäre,  so  gelingt  es  bisweilen  die 
Pflanzen  zum  normalen  Zustande  zurückzuführen;  ist  aber 
die  Gaseiuwiikung  etwas  zu  lang  fortgeseszt  worden,  so  er- 
holen sie  sich  nicht  wieder. 

Bringt  man  eine  feuchte  mit  Samen  belegte  Unterlage 
in  derselben  \Yeise  über  eine  Gasausströmung,  so  tritt  auch 
nach  längerer  Zeit  keine  Keimung  ein;  es  sind  in  diesem 
Falle  nur  ganz  vereinzelte  Samen,  welche  einige  Keim- 
bewegung zeigen,  wahrscheinlich  nur  diejenigen,  welche  bei 
der  unvermeidlich  immerhin  ungleichen  Vertheilung  des  Gases 
weniger  oder  fast  gar  nicht  von  dem  Gasstrome  berührt 
werden. 

Endlich  sind  noch  die  Versuche  zu  erwähnen,  welche 
ich  über  das  Verhältniss  einiger  Theerbestandtheile  zur 
Keimung  angestellt  habe. 

Vollständige  und  unverzögerte  Keimung  findet  auf  be- 
feuchtetem Naphtalin  statt,  es  folgt  sogar  eine  Entwicklung 
der  Pflanze,  nur  scheint  eine  geringere  ChlorophjUbildung 
einzutreten.  Bestreut  man  Samen,  welche  auf  einer  feuchten 
Unterlage  zu  keimen  begonnen,  mit  Naphtalinpulver ,  so 
tritt  durchaus  keine  Veränderung  in  dem  Keimprozesse  ein, 
derselbe  schreitet  ungestört  durch  dieses  Ueberstreuen  voran. 
Auf  Tholuidin  dagegen  ist  auch  nach  längerer  Zeit  keine 
Keimung  bemerkbar. 

Am  auffallendsten  ist  das  Hinderniss,  welches  durch 
Pheuylsäure  der  Keimung  entgegengesetzt  wird.  In  sehr  be- 
deutender Verdünnung  schon  ist  die  Phenjlsäure  im  Stande, 
die  Keimung  gänzUch  zu  verhindern.  Begiesst  man  Samen 
auf  einer  porösen  Unterlage  mit  Wasser,  in  welchem  durch 
Schütteln  auf  50  G.C.  nur  1  Tropfen  Phenylsäure  vertheilt 
ist,  so  zeigen  die  Samen  nicht  die  mindeste  Keimung. 


300      Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  5.  November  1870. 


2)     „Ueber  liuminsaures  Ammoniak." 

Schon  bei  einer  früheren  Gelegenheit  habe  ich  auf  die 
eigenthümliche  Erscheinung  aufmerksam  gemacht,^)  dass 
Pflanzen,  welche  auf  einem  kieselreichen  aber  humusarmen 
Boden  gewachsen  sind ,  weit  weniger  Kieselerde  in  ihrer 
Asche  enthalten,  als  die  Pflanzen  eines  an  Kieselerde  armen, 
aber  humusreichen  Bodens.  Die  Ackererde  oder  beziehungs- 
weise deren  Gehalt  an  organischen  Bestandtheilen  ist  eben 
die  Vermittlung  zur  Kieselerdeaufnahme,  ohne  Gegenwart  von 
Ackererde  ist  die  Aufnahme  der  Kieselerde  den  Pflanzen  wurzeln 
im  hohen  Grade  erschwert.  Wird  in  irgend  einer  Pflanzen- 
asche Kieselerde  in  reichlicher  Menge  nachgewiesen,  so  kann 
wohl  mit  Bestimmtheit  angenommen  werden,  dass  die  Pflanze 
auf  einem  an  organischen  Bestandtheilen  reichen  Boden  ge- 
wachsen sei.  Der  Kieselerdegehalt  der  Pflanzen  steht  mit 
dem  Gehalte  au  Organismen  des  Bodens  in  einem  bestimmten 
unläugbaren  Verhältnisse ,  ja  derselbe  ist  weniger  von  dem 
Kieselerde-  als  dem  organischen  Gehalte  des  Bodens  ab- 
hängig. Bei  der  überaus  grossen  und  allgemeinen  Verbreitung 
der  krystallisirten  Kieselerde  in  allen  Bodenarten  wird  ihre 
Aufnahme  für  die  Pflanzen  vorzugsweise  durch  die  im  Boden 
vorhandenen  oder  durch  Dünger  zugefiihrten  organischen 
Bestandtheile  bedingt.  Hierin  begründet  sich  auch  die 
enorme  Verschiedenheit  in  den  analj^tischen  Angaben  der 
Kieselerdemengen  in  einer  und  derselben  Pflanzengattung, 
wie  sie  fast  bei  keinem  anderen  Pflanzeuaschenbestandtheil 
vorkommt.     Diese  Differenzen  beruhen,    da  doch  die  Kiesel- 


1)  Die  Aufnahme  der  Kieselerde  durch  Yegetabilien.  Von  der 
kgl.  Akademie  d.  W.  in  Berlin  gekrönte  Preisschrift  2.  vermehrte 
Auflage.     18Ö8. 


Vogel:   Das  huminsaure  Ammoniak.  301 

erde  in  allen  Bodenarten  vorhanden  ist ,  nur  auf  dem  ver- 
schiedenen Verhältniss  von  Organisch  und  Unorganisch  im 
Boden.  Nach  meinem  Dafürhalten  hängt  hiemit  endlich 
noch  der  Reichthum  der  sogenannten  sauren  Gräser  an 
Kieselerde  zusammen,  da  diese  wie  bekannt  auf  einem  humus- 
reichen aber  zugleich  verhältnissmässig  an  Kieselerde  armen 
Boden  stehen. 

Diese  meine  Ansicht  über  die  Vermittlung  des  Kiesel- 
erdegehaltes der  Pflanzen  durch  Humussubstanzen  hat  neuester 
Zeit  von  einer  meinen  Erfahrungen  fernliegenden  Seite  eine 
wie  es  mir  scheint  wesentliche  Bestätigung  erhalten.  Thenard^) 
hat  nemlich  beobachtet,  dass  die  Huminsäuren  mit  Ammoniak 
verschiedene  äusserst  beständige  Verbindungen  eingehen  (sie 
verlieren  erst  bei  einer  sehr  erhöhten  Temperatur  ihren 
Stickstoff),  die  sich  mit  Kieselsäure  verbinden.  Die  neuen 
Säuren  lösen  sich  augenblicklich  selbst  in  sehr  verdünnten 
Alkalien  und  können  aus  den  entstandenen  Salzen  wneder 
unverändert  abgeschieden  werden.  Die  Verbindungen  der 
Huminsaure  mit  Ammoniak  nehmen  desto  mehr  Kieselsäure 
auf,  je  mehr  Ammoniak  sie  enthalten  und  ganz  reine  Humin- 
saure hat  fast  völlig  diese  Eigenschaft  verloren.  Thenard 
glaubt,  dass  die  neuen  Säuren  sich  auch  im  Boden  bilden, 
da  derselbe  ja  alle  nöthigen  Elemente  enthält  und  ist  der 
Ansicht,  welche  ich  vollkommen  theile,  dass  sie  eine  grosse 
Rolle  in  der  Vegetation  spielen. 

Es  ist  somit  die  vermittelnde  Beziehung  der  Humus- 
substanzeu  zur  Pflanzenernährung  sehr  entscheidend  auf's 
Neue  bewiesen.  Kaum  w^ird  es  einen  humösen  Boden  geben, 
der  nicht  einen  Gehalt  an  den  von  Thenard  beschriebenen 
Ammoniaksalzen  zeigte  und  da  wie  erwähnt  die  Verbindung 


2)  Sitzung  der  Pariser  Akademie  vom  27.  Juni  1870  im  Cor- 
respondenzberichte  der  deutschen  chemischen  Gesellschaft  zu  Berlin 
3.  Jahrgang,  Xr.  14,  S.  801. 


302      Sitzung  der  math.-pliys.  Classe  vom  5.  Novemler  1870. 

zwischen  Huminsäure  und  Ammoniak  auch  bei  einer  höheren 
Temperatur  noch  beständig  ist ,  so  ergibt  sich  hieraus  eine 
höchst  werthvolle  Ammoniakquelle  für  die  Vegetation,  indem 
auch  bei  bedeutender  und  anhaltender  Trockenheit  und  Dürre 
des  Bodens  stets  demselben  ein  gewisser  Ammoniakgehalt 
bewahrt  bleibt. 

Hieraus  erklärt  sich  ferner  auch  der  geringe  Zusammen- 
hang der  Vegetationsgruppen  mit  dem  Humusgehalt  des 
Bodens ,  wie  ich  diess  schon  früher  an  der  Vegetations- 
physiognomie der  Hochmoore  und  Wiesenmoore  ^nachgewiesen 
habe.^)  Den  Humussubstanzen  kann  durchaus  kein  anderes 
Ernährungsvermögen  für  die  Pflanze  zugeschrieben  werden, 
als  das  denselben  durch  die  zufällig  darin  enthaltenen  oder 
absorbirten  unorganischen  Stoffe  zukömmt.  Die  Hauptrolle, 
welche  die  Humussubstauzen  in  der  Pflanzeueruährung  über- 
nehmen, ist  die  Rolle  der  Vermittlung  —  eine  Ansicht,  die 
vor  langen  Jahren  zuerst  von  Herrn  Geheimrath  Baron 
von  Liebig  auf  das  bestimmteste  unter  dem  heftigsten  Wider- 
spruche der  damaligen  Agriculturchemiker  ausgesprochen 
worden  ist  und  nun  durch  die  Thenard'schen  Beobachtungen 
abermals  eine  Bestätigung  erfahren  hat. 

Ueber  die  Bildung  der  Humussubstanzen  durch  keimende 
Samen  mag  hier  nebenbei  noch  eine  Beobachtung  aufge- 
führt werden.  Lässt  man  Samen  auf  befeuchtetem  weissen 
Filtrirpapier  keimen,  so  bemerkt  man,  dass  nicht  unmittel- 
bar unter  den  im  Keimen  begriffenen  Samen  sich  braune 
Flecken  bilden,  sondern  vielmehr  an  den  Rändern  des 
Papieres  in  einiger  Entfernung  von  den  Samen.  Wird  der 
Versuch  in  der  Art  angestellt,  dass  man  Samen  auf  dem 
einen  Ende  eines  länglichen  Papierstreifens  keimen  lässt 
und  das  andere  Ende  des  Papierstreifens  vertikal  aufwärts 
richtet,  so  bemerkt  man  an  dem  aufwärts  stehenden  Papier- 


3)  Akademische  Sitzungsberichte,     13.  Januar  1866. 


Vogel:  Das  huminsaure  ÄmmoniaJ:.  303 

rande  braune  Streiieu,  wälueuJ  die  üurige  Papierfläcbe  un- 
gefärbt bleibt.  Ich  habe  in  mehreren  Versuchen  beobachtet, 
dass  diese  braunen  Zonen  einen  Fuss  über  den  keimenden 
Samen  zum  Vorschein  gekommen  waren.  Dass  der  braune 
Körper ,  welcher  sich  bei  dieser  Gelegenheit  bildet ,  in  der 
That  in  die  Klasse  der  Huminsubstanzen  gehört,  ergibt  sich 
aus  den  damit  vorgenommenen  Reaktionen.  Derselbe  ist 
unlöslich  in  ^Vasser.  löslich  zu  einer  braunen  Flüssigkeit  in 
Alkalien.  Es  folgt  aber  aus  diesem  Versuche ,  dass  die 
Huminsubstanzen  ursprünglich  im  status  nascens  farblos  und 
in  Wasser  löslich  auftreten,  da  dieselben  vermittelst  Capil- 
larität  des  Papieres  bis  zu  einer  gewissen  Höhe  aufsteigen, 
was  doch  immer  einen  gewissen  Zustand  der  Lösung  voraus- 
setzt und  dann,  dass  die  charakteristische  braune  Färbung 
der  Huminsubstanzen  durch  längere  Berührung  derselben 
mit  der  atmosphärischen  Luft  entsteht. 


304      Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  5.  November  1870. 


Herr  Erlenmeyer  spricht: 

a)      „lieber     die     Synthese     substituirter 
Guanidine." 

Ich  habe  früher  mitgetheilt,  dass  man  salzsaures  Guani- 
din  synthetisch  darstellen  kann,  wenn  man  Chlorammonium 
in  weingeistiger  Lösung  mit  Cyanamid  erhitzt.  Indem  ich 
1.  salzsaures  Anilin,  2.  salzsaures  Toluidin,  3.  salzsaures 
Methylamin  in  gleicher  Weise  gegen  Cyanamid  wirken  Hess, 
erhielt  ich  die  entsprechenden  salzsauren  Salze  von  Phenyl- 
Tolyl-  Methylguanidin.  Von  diesen  habe  ich  zunächst  die 
Platindoppelsalze,  dann  die  freien  Basen  und  einige  Salze 
dargestellt  und  untersucht  und  werde  demnächst  die  er- 
haltenen Resultate  mittheilen. 

Unstreitig  ist  der  interessanteste  dieser  Körper  das 
Methylguanidin  oder  Methyluramin ,  welches  zuerst  Des- 
saignes')  aus  Kreatin  und  Kreatinin  durch  Kochen  mit 
Wasser  und  Quecksilberoxyd  erhalten  hat  und  das  später 
von  Neubauer^)  aus  Kreatinin  durch  Behandeln  mit  Cha- 
mäleonlösung dargestellt  wurde.  Das  von  mir  durch  Synthese 
gewonnene  Methyluramin  zeigt  in  Zusammensetzung  und 
Eigenschaften  und  in  seinen  Salzen,  soweit  die  vorhandenen 
Beschreibungen  eine  Vergleichung  gestatten,  keinen  bemerk- 
baren Unterschied.  Nur  in  Betreff  der  Krystallform  des 
Platindoppelsalzes  stimmen  die  Angaben  von  Senarmont^) 
nach  welchen  es  in  Khomboedern  krystallisiren  soll,  nicht 
mit  den  Beobachtungen  überein,  welche  Herr  Prof.  v.  K  ob  eil 
an    den    von    mir    dargestellten   sehr   schönen  und   grossen 


1)  Jhrsb.  Chem.     1854,  6S2  u.  1855,  730. 

2)  Ann.  Chem.  u.  Pharm.     119.    46. 

3)  Jhrsb.  Chem.  1857.  542  Anm. 


Erlenmeyer:  Suhstitiiirte  Guaniäine.  305 

Krystallen  zu  machen  die  Güte  hatte.  Ich  gebe  diese  Be- 
obachtungen wörthch  so  wieder,  -svie  sie  mir  Herr  v.  Kobell 
mitgetheilt  hat. 

„Die  mitgetheilten  Krystalle  haben  sich,  insoweit  dieses 
mit  einigen  Messungen  und  dem  stauroskopischen  Verhalten 
abzumachen  war,  als  klinorhombisch  erwiesen. 
Es  sind  Hendjoeder  mit  m:m  =  109°;  p:  —  etwa 
103°  (unsicher,  da  die  Fläche  p  vertieft  und  ge- 
furcht ist).  Entsprechend  dem  klinorhombischen 
System  zeigten  die  Flächen  m  bei  Einstellung  nach  den  Seiten- 
kanten im  Stauroskop  Kreuzdrehung  nach  links  und  rechts 
gegen  den  khnodiagonalen  Hauptschnitt  mit  einem  Winkel  von 
etwa  20°  und  stellte  sich  das  Kreuz  auf  p  nach  den  Diago- 
nalen. Charakteristisch  ist  eine  leicht  zu  erhaltende  Spaltungs- 
fläche, welche  der  khnodiagonalen  Fläche  parallel  läuft." 

Dessaignes  beschrieb  Jhrsb.  Chem.  1854.  682  die  Kry- 
stalle  des  Platindoppelsalzes  desjenigen  Methyluramins,  welches 
er  aus  Kreatin  mit  Quecksilberosyd  erhalten  hatte,  als  ab- 
geplattete Prismen.  Später  gibt  er  Jhrsb.  1855.  731  an, 
dass  ein  durch  Bleihjperoxyd  und  Schwefelsäure  aus  Kreatin 
erhaltenes  Methyluramin  das  Plattindoppelsalz  in  Prismen 
g.hefert  habe,  deren  Form  etwas  anders  gewesen  sei,  wie 
die  des  eben  erwähnten. 

Es  liegen  also  drei  verschiedene  Angaben  über  die 
Krystallform  des  Platindoppelsalzes  von  Methyluramin  aus 
Kreatin  vor,  desshalb  halte  ich  es  für  nothwendig,  mir  selbst 
Dessaignes'sches  Methyluramin  darzustellen.  Herr  Professor 
v.  Kobell  wird  dann  die  Güte  haben,  die  Krystalle  des 
Platindoppelsalzes  mit  denen  aus  synthetisch  gewonnenem 
Methyluramin  zu  vergleichen.  Andrerseits  werde  ich  ver- 
suchen ,  durch  Einwirkung  von  synthetisch  dargestelltem 
Methyluramin  auf  Mouochloressigsäure  Kreatin    zu  erzeugen. 

[1870.11. 3.]  21 


306      Sitzung  der  math.-j)hys.  Classe  vom  5.  Novemler  1870. 


b)  jjUeber  die  Säuren,  welche  bei  der  Oxy- 
dation des  Gährungsbutylalkohols  ent- 
stehen." 

Michaelson^)  hat  im  Jahre  1864  angegeben,  dass  bei 
der  Oxydation  des  Gährungsbutylalkohols  durch  chromsaures 
Kali  und  Schwefelsäure  neben  Buttersäure  auch  Propionsäure 
und  Kohlensäure  gebildet  werden. 

Als  ich  den  Gähruiigsbutylalkohol  auf  seine  Constitution 
untersuchte,^)  überzeugte  ich  mich,  dass  bei  dessen  Oxydation 
neben  der  Buttersäure,  die  ich  als  Isobuttersäure  erkannte, 
Kohlensäure  und  Essigsäure  entstehen. 

Michaelson  hat  das  saure  Destillat  mit  kohlensaurem 
Silber  gesättigt  und  die  Silbersalzlösung  zur  Trockne  ver- 
dampft. In  dem  Salzrückstand  bestimmte  er  den  Silber- 
gehalt und  fand  57,35  Proc.  Daraus  schliesst  er,  der  Salz- 
rückstand habe  buttersaures  und  propionsaures  Silber  ent- 
halten. Ich  habe  dagegen  das  saure  Destillat  mit  kohlen- 
saurem Silber  fractionirt  gesättigt  und  jedes  Silbersalz 
krystallisirt  dargestellt.  So  bekam  ich  in  einem  Falle  fünf, 
in  zwei  anderen  Fällen  je  15  verschiedene  Silbersalze.  Die 
erstereu  5  stammten  von  einer  Oxydation,  die  ohne  Zufuhr 
von  Wärme  ausgeführt  war  und  erwiesen  sich  alle  als  isobutter- 
saures  Silber.  Von  den  beiden  andern  Oxydationen ,  die 
unter  Erwärmung  vorgenommen  worden  waren ,  zeigten  die 
ersten  4  bis  5  Fractionen ,  Form  und  Silbergehalt  des  iso- 
buttersauren  Silbers  die  2  bis  3  letzten  Fractionen  Form  und 
Silbergehalt  des  essigsauren  Salzes.  Die  mittleren  Fractionen 
waren  der  Form   nach  Gemenge   und   ergaben    einen    inter- 


1)  Compt.  rend.  59.  442.  vgl.  Zeitscbr.  Chem.  1864.  573. 

2)  Ann.  Chem.  Pharm.  Suppl.  5.  338. 


Erlenmeyer:   Der  Gährungsbutylalkohöl.  307 

mediären  Silbergehalt.  Einmal  erhielt  ich  als  10.  Fraction 
ein  Silbersalz,  das  fast  genau  die  dem  propionsaueren  Silber 
entsprechende  Menge  Silber  enthielt. 

Trotz  der  grossen  Unwahrscheinlichkeit ,  dass  die  Iso- 
buttersäure bei  der  Oxydation ,  (wenn  man  sie  nicht  nach 
Berthe lot^)  vornimmt,)  in  Propionsäure  verwandelt  wird, 
hielt  ich  es  doch  für  nothwendig,  meine  bisherigen  Versuche 
noch  zu  vervollständigen. 

Nach  den  gemachten  Erfahrungen,  lag  die  Vermuthung 
nahe,  dass  die  Isobuttersäure  vollständig  zu  Essigsäure, 
Kohlensäure  und  Wasser  oxydirt  werden  könne.  Einige  in 
Gemeinschaft  mit  Herrn  C.  Grünzweig  aus  Schorndorf  an- 
gestellte Versuche  haben  diese  Vermuthung  bestätigt,  die 
Oxydation  der  Isobuttersäure  ging  nach  dem  durch  folgende 
Gleichung  ausgedrückten  Process  von  Statten  : 

C4  Hs  O2  +  06  =  (£02)2  -f  (H2  0)2  +  C2  H4  Os 
88Gew.Th.  88  GelvTlh. 

100  Gew.  Theile  Isobuttersäure  müssen  daher  100  Gew.  Th. 
Kohlensäureanhydrid  liefern.  Bei  einem  Versuch  wurden 
98,4  bei  einem  zweiten  100,4  Gew.  Th.  C  O2  erhalten  und 
die  in  dem  Destillat  enthaltene  Säure  wurde  durch  üeber- 
führung  in  Silbersalz  als  reine  Essigsäure  erkannt. 

Es  ist  damit  wohl  auch  ein  weiteres  Mittel  gewonnen, 
die  Isobuttersäure  von  der  Normalbuttersäure  zu  unter- 
scheiden, da  die  letztere  nach  den  Versuchen  von  Veiel*) 
bei  der  Oxydation  keine  kohlenstoffärmeren  Säuren  von  der 
Zusammensetzung  C^  H.,  „  0^  ,  sondern  Buttersäure-Propyl- 
und  Aethylester  zu  liefern  scheint. 


3)  Ann.  ehem.  Pharm.  Suppl.  8.  45. 

4)  Ibid    148.  167. 


21* 


308      Sitzung  der  math.-phi/s.  Classe  vom  5.  November  1870. 


c)  „Ueber  Valeriansäuren  verschiedenen 
Ursprungs." 

Wie  ich  vor  einiger  Zeit^)  mitgetheilt  habe,  ist  der 
Gährungsamylalkohol  nicht  der  normale,  sondern  ein  Iso- 
alkohol der  Quiutangruppe  von  folgender  Constitution: 

CHs 

I 

HaC-CH 

I 

CH2 

I 

HO-CH2 

Als  entscheidendes  Argument  hierfür  betrachte  ich  die 
Thatsache,  dass  die  aus  Isobutylcyanür  dargestellte  Säure 
Co  Hio  O2  mit  der  durch  Oxydation  von  Gährungsamylalkohol 
entstehenden  Valeriansäure  in  allen  wesentlichen  Eigen- 
schaften und  in  ihren  Salzen  übereinstimmt.  Welches  Ver- 
halten diese  beiden  Säuren  gegen  das  polarisirte  Licht  zeigen, 
hatte  ich  jedoch  zu  ermitteln  unterlassen ,  einmal  weil  ich 
der  MeinuDg  war,  dass  die  bisher  angestellten  chemischen 
Experimente  vollkommen  ausreichten  um  zu  beweisen,  dass 
die  Valeriansäure  aus  Amylalkohol  nichts  anderes  ist,  als 
isobutylirte  Ameisensäure  oder  pseudopropylirte  Essigsäure, 
dann  aber  auch  weil  ich  für  die  Entscheidung  der  Frage, 
ob  zwei  Körper  chemisch  identisch  oder  isomer  sind,  auf 
eine  Verschiedenheit  in  ihrem  optischen  Verhalten  keinen 
Werth  legte. 


1)   Zeitschr.    Chem.  18ö7.    117.  und    Ann.  Chem,   Pharm.    Suppl. 
338. 


Erlenmeyer:    Valeriansäuren.  309 

Ich  dachte  mir  nämlich,  dass  in  Flüssigkeiten,  ähnlich 
wie  in  festen  Körpern,  chemisch  identische  Moleküle  je  nach 
den  Bedingungen,  welchen  sie  unterworfen  waren,  bald  nach 
bestimmten  Symmetriegesetzen  zu  kleineren  oder  grösseren 
Gruppen,  die  sich  als  solche  um  einander  bewegen,  geordnet 
sein,  bald  als  einzelne  Moleküle  neben  einander  existiren 
könnten  ,  die  sich  einzeln  umeinander  bewegen.  Im  ersten 
Fall  wäre,  je  nach  dem  Gesetz  der  Anordnung,  oder  wenn 
dieser  Ausdruck  erlaubt  ist,  je  nach  dem  Krystallsystera, 
eine  Wirkung  auf  das  polarisirte  Licht  zu  erwarten,  oder 
es  würde  wie  in  dem  zweiten  Fall  keine  solche  Wirkung 
stattfinden  können. 

Als  ich  nun  später  sowohl  den  Amylalkohol,  der  mir 
zur  Darstellung  der  Valeriansäure  gedient  hatte  und  diese 
selbst,  als  auch  die  aus  dem  Isobutylcyanür  bereitete  Säure 
auf  ihr  optisches  Verhalten  untersuchte,  fand  ich,,  dass  die 
drei  genannten  Körper  ohne  jegliche  Wirkung  waren,  dass 
also  auch  in  dieser  Beziehung  die  beiden  miteinander  ver- 
glichenen Säuren  übereinstimmten.  Hiernach  konnte  man 
es  wohl  als  unanzweifelbar  betrachten ,  dass  dem  optisch 
inactiven  Amylalkohol  die  von  mir  angegebene  relative 
Constitution  zukommt  und  als  ebenso  unzweifelhaft  muss 
es  angesehen  werden,  dass  die  von  Frankland  und 
Duppa^)  dargestellte  Isopropessigsäure  (Pseudopropylessig- 
säure)  mit  der  Valeriansäure  aus  inactivem  Amylalkohol 
identisch  ist. 

Ich  hatte  aber  auch  auf  Grund  meiner  oben  angeführten 
Anschauung  kaum  noch  einen  Zweifel,  dass  die  optisch  active 
Valeriansäure  und  der  optisch  active  Amylalkohol  gleich 
constituirt  seien  mit  den  respectiven  inactiven  Körpern.  In 
dieser  Ansicht  wurde  ich  durch  die  Angaben  von  Frankland 


2)   Zeitschr.  Chem.  1867.  120. 


310      Sitzung  der  math.-phya.  ülasse  vom  5.  November  1870. 

und  Duppa  bezüglich  der  sonstigen  Eigenschaften  der  activen 
Säure  und  der  Pseudopropylessigsäure  bestärkt,  und  ich  würde 
mich  vollkommen  dabei  beruhigt  haben,  wenn  nicht  S tal- 
mann') angegeben  hätte,  dass  das  Barytsalz  einer  Valerian- 
säure,  welche  durch  Oxydation  von  Gährungsamylalkohol 
gewonnen  war,  unkrystallisirbar  sei,  während  das  Barytsalz 
der  Säure  aus  Baldrianwurzel  leicht  in  grossen  Blättern 
krystallisire. 

Diese  Angabe  stimmte  nicht  mit  meinen  Erfahrungen 
überein,  denn  die  Valeriansäure ,  welche  ich  aus  Gährungs- 
amylalkohol (inactivem)  gewonnen  hatte,  lieferte  ebenso  wie 
die  aus  Isobutylcyanür  ein  leicht  krystallisirendes  Baiytsalz. 
Ich  musste  es  danach  für  möglich  halten,  1)  dass  S talmann 
activen  Alkohol  oxydirt  und  active  Säure  zur  Vergleichung 
mit  der  Säure  aus  Baldrianwurzel  benutzt  hatte,  2)  dass 
die  letztere  Säure  identisch  sei  mit  den  Säuren,  die  ich 
untersucht  hatte,  3)  dass  die  active  Säure  von  diesen  letzteren 
nicht  blos  in  ihrem  optischen  Verhalten  sondern  auch  in 
ihrer  chemischen  Constitution  verschieden  sei. 

Um  über  diese  Punkte  Aufklärung  zu  bekommen,  unter- 
nahm ich  mit  Herrn  C.  Hell  aus  Stuttgart  eine  vergleichende 
Untersuchung  mehrerer  Valeriansäuren  verschiedenen  Ur- 
sprungs, deren  bis  jetzt  gewonnene  Hauptresultate  ich  mir 
im  Nachfolgenden  mitzutheilen  erlaube. 

Wir  fanden  1)  dass  die  Valeriansäure  aus  Baldrian- 
wurzel optisch  inactiv  und  chemisch  identisch  ist  mit  der 
Säure  aus  inactivem  Alkohol  und  der  aus  Isobutylcyanür 
und  dass  diese  drei  Säuren  dasselbe  leicht  krystalHsirende 
Barytsalz  liefern. 

2)  dass  die  Säure  aus  activem  Amylalkohol  sowohl, 
als  auch  die  durch  Oxydation  von  Leucin  aus  Eiweisskörpern 


3)   Ann.  Chem.  Pharm.  147.  131. 


Erlenmeyer:    Vdleriansäuren.  311 

dargestellte  optisch  activ  ist,  ein  etwas  höheres  specifisches 
Gewicht  und  einen  etwas  niedrigeren  Siedpunkt  besitzt,  wie 
die  inactiven  und  dass  sie  ein  zu  einem  amorphen  Glas 
eintrocknendes  Barytsalz  liefern, 

3)  dass  die  optisch  active  Säure  zwar  bis  jetzt  nicht 
durch  Erhitzen  für  sich,  wohl  aber  durch  Erhitzen  mit 
einigen  Tropfen  Schwefelsäure  auf  200°  unter  theilweiser 
Verkohlung  in  eine  optisch  vollkommen  inactive  Säure  ver- 
wandelt wird,  die  aber  die  sonstigen  Eigenschaften  der 
activen  Säure  noch  besitzt  und  besonders  darin  mit  dieser 
übereinstimmt,  dass  ihr  Barytsalz  zu  einem  amorphen  Glas 
eintrocknet.  Diess  scheint  dafür  zu  sprechen,  dass  die  active 
Säure  und  die  daraus  ertialtene  inactive  eine  andere  Con- 
stitution besitzt,  als  die  ursprünglich  inactive  Säure.  Es 
scheint  ferner  daraus  hervorzugehen,  dass  in  der  That  die- 
selbe chemische  Substanz  je  nach  den  Bedingungen,  unter 
welchen  sie  gestanden  hat,  optisch  activ  oder  iijactiv  sein 
kann,  so  dass  von  einer  Verschiedenheit  im  optischen  Ver- 
halten nicht  unbedingt  auf  eine  Veischiedenheit  in  der 
chemischen  Constitution  geschlossen  werden  kann.  Ich  glaube 
auch  annehmen  zu  dürfen,  dass  bei  dem  Versuch  von  Ghap- 
man,^)  nach  welchem  activer  Amylalkohol  bei  der  Destillation 
über  NatronhyJrat  oder  Chlorcalcium  in  inactiven  überging, 
der  entstandene  inactive  Alkohol  noch  chemisch  identisch 
mit  dem  activen  und  isomer  mit  dem  ursprüaghch  inactiven 
gewesen  ist.  Jedenfalls  hann  hier  nur  ein  eingehendes 
chemisches  Studium  der  beiden  Alkohole  und  ihrer  Säuren 
den  entscheidenden  Aufschluss  geben-) 


4)  Ber.  ehem.  Ges.  Berl.  3.  148 

5)  Um  dieses  Studium  vollständig  durchzuführen,  fehlt  es  mir 
aa  der  nöthigen  Menge  activen  Alkohols  oder  activer  Valeriansäure 
und  ich  möchte  daher  an  meine  Fachgeuossen  die  Bitte  stellen,  mir 


312     Sitzung  der  math.-phys.  Clause  vom  5.  November  1870 

Das  Eine  will  ich  noch  hinzufügen :  Wenn,  wie  ich  jetzt 
überzeugt  bin,  die  active  Valeriansäure  eine  andere  Consti- 
tution besitzt,  wie  die  ursprünglich  inactive,  so  kann  dieselbe 
nach  den  Untersuchungen  von  Lieben  nicht  die  der  Normal 
valeriansäure  sein;  die  active  Säure  könnte  nur  sein  entweder 
Trimethjlessigsäure  oder  Methyläthylessigsäure.  Wir  sind  mit 
der  Synthese  dieser  beiden  Säuren  beschäftigt,  um  Vergleichs- 
objecte  zu  bekommen. 


möglichenfalla  anzugeben ,  wolier  man  diese  Körper  beziehen  kann, 
oder,  im  Falle  der  eine  oder  andere  solche  selbst  besitzt,  mir  die- 
selben zu  überlassen. 


H.v.  Schlagintweit:  Erläuterung  der  Gebiete  Hochasiens.     313 


Herr  Hermann  von  Sclilagintweit-Sakünlünski 
überreicht  der  k.  Akademie  ein  Exemplar  des  2.  Bandes  der 
„Reisen  in  Indien  und  Hochasien"/)  welcher  den  Himalaya 
von  Bhutan  bis  Kashmir  zum  Gegenstande  hat.  Zugleich  legt 
er  die  von  seinem  Bruder  Adolph  und  ihm  selbst  ausgeführten 
Originale    der    7  landschaftlichen  Tafeln   dieses  Bandes    vor. 

Er  berichtet,  wie  folgt: 


Erläuterung 

der 

Gebiete  Hochasiens. 

Die  3  Hauptketten.  Richtung  und  Begrenzung.  —  Die  FIuss- 
Systeme  gegen  Süden  und  Norden.  Tibet  als  Längenthal.  Die  grosse 
Depression  südlich  vom  Thianshän.  —  Schwierigkeiten  der  Unter- 
suchung. Frühere  Beobachtungen.  —  Massenerhebung  und 
Flächenausdehnung.  Cubikvolumen  der  Gebirge;  Verhältniss 
zu  den  Dimensionen  des  Erdsphäroids.  —  Basis  Hochasiens.  —  Ge- 
staltung der  Hochregionen  und  der  Mittelstufen.  Vor- 
herrschen der  Ketten  gegenüber  der  Massifs.  Gebirgsprofile  der 
Schneeketten.  Ausführung  der  Tafeln.  Vergleich  mit  den  Alpen. 
Landschaftlicher  Effekt  des  Erosion.  —  Die  Ränder  der  Gebirgs- 
region.  Beschränkte  Tertiärbildung.  Mangel  niederer  Seen.  Die 
tibetischen  Salzseen.  —  Die  subtropische  Tarai.  —  Sandwüsten  im 
Korden.  — -  Die  Bewohner,  nach  Rafe  und  Religion.  Die  Ab- 
originer  in  der  Taräi  und  im  östlichen  Bhutan.  —  Hindü-Ragen  aus 
Indien.  —  Der  turanische  Stamm.     Tibeter.     Mongolen. 


1)  Jena,  H.  Costenoble,  1871.  Der  1.  Band:  „Indien"  erschien 
1869;  der  3.  Band:  „Tibet  und  Turkistan",  der  die  deutsche  Aus- 
gabe abschliessen  wird,  ist  im  Drucke. 

Von  der  systematischen  Bearbeitung  der  Untersuchungen,  „Results 
of  a  scientific  Mission  to  India  and  HighAsia",  sind  bis  jetzt  4  Bände 
und  43  Atlastafeln  publicirt :  Leipzig ,  F.  A.  Brockhaus ;  London, 
Trübner  and  Co.    Die  Ausgabe  des  5.  Bandes  ist  vorbereitet. 


314      Sitzung  der  math.-iihys.  Classe  vom  5.  November  1S70. 

Die    3  Hauptketten. 

Hochasien*)  schliesst  sich  als  das  mächtigste  Gebirgs- 
land  der  Erde  unmittelbar  den  tief  gelegenen,  tropischen  und 
subtropischen  Regionen  Indiens  an  und  erstreckt  sich  der 
Länge  nach  von  Assam  bis  Kabul  und  der  Breite  nach  von 
Bengalen,  Hindostan  und  dem  Pänjab  über  Tibet  bis  zur 
Mongolei  und  zum  östlichen  Turkistan. 

Seiner  ganzen  Ausdehnung  nach  lassen  sich  in  Hoch- 
asien 3  Hauptketten  erkennen : 

„der  Himalaja,    der  Karakori'im  und  der  Künliln." 

Vom  Brahmpütragebiete  bei  96°  östl.  Länge  von  Greenw. 
bis  nahe  gegen  die  Mitte  des  Gebirgslandes  bei  85°  östl. 
Länge  sind  die  drei  Hauptkämme  im  Mittel  von  Osten  nach 
Westen  gerichtet,  unter  sich  ziemhch  parallel.  Von  hier  bis 
71°  östl.  Länge,  wo  nördlich  von  Peshaur  das  Ende  des 
Himalaja ,  nördlicher  noch  und  etwas  östlich  davon  das 
Ende  des  Karakorüm  anzunehmen  ist,  sind  diese  beiden 
Hauptkämme  nach  Nordwesten  gerichtet;  aber  die  Kette 
des  Künlün  zeigt  ihrem  ganzen  Laufe  entlang  eine  vor- 
herrschend ostw^estliche  Pachtung,  am  deutlichsten  da,  wo  sie 
dem  Karakorüm  am  nächsten  liegt. ^)  Denkt  man  sich,  um 
den  Grad  der  Abdachung  zu  vergleichen ,  einen  Querschnitt 
von  Indien  nach  Turkistan  gezogen,  so  ergibt  sich:  Von  Indien 
bis  Himalayakamm    sehr  steiles  Ansteigen;     nördhche  Seite 


2)  Transscription  wie  bisher:  ch  =  tsch,  j  =  dsh,  eh  =  seh. 
Diphthonge  lauten  rein;  Kürzezeichen  bedeutet  unvollkommene 
Vocalbildung.  Auf  jedem  mehrsylbigen  Worte  ist  die  accentuirte 
Sylbe  bezeichnet.     (Erläutert  in  „Results",  Vol.  III,  S.  139—160.) 

3)  Eine  Zusammenstellung  der  wichtigsten  Höhenpunkte  (Aus- 
zug aus  Band  II  der  „Results")  gab  ich  in  den  Sitzungsber.  der 
k.  b.  Akademie  der  "Wissenschaften  von  1867;  Indien  S.  479 — 506, 
Hochasien  S.  507 — 518. 


E.V.  Schlagintweit:   Erläuterung  der  Gebiete  Hochasiens.     315 

des  Himalaja  und  südliche  Seite  des  Karakorüm  hat  mitt- 
lere Steigung,  ähnlich  den  Formen  des  Engadin  in  den 
Alpen ;  Nordseite  des  Karakorüm  ist  Hochplateau  mit  relativ 
niederer  Begrenzung,  auch  durch  die  Südseite  des  Künlijin ; 
Nordseite  des  Künliin  zeigt  steilen  Abfall,  mit  Kamm-  und 
Gipfel-Bildung,  die  an  die  Hochalpen  der  Tauern  erinnerte. 

Die  Karakoriimkette,  die  früher  auf  den  Karten  ganz 
fehlte ,  ergab  sich  bei  unserem  Ueberschreiten  des  Hoch- 
gebirges als  die  höchste  und  die  wasserscheidende  der  drei 
Kammlinien.  Ferner  zeigte  sich,  dass  der  Karakorüm  es  ist, 
der  nach  \yesteu  in  den  Hinduküsh  sich  fortsetzt,  während 
man  bisher  den  Künliin  für  die  entsprechende,  an  den  Hindu- 
küsh sich  anschliessende  Kette  hielt. 

Gegen  Süden  sowohl  als  auch  an  der  Nordseite  ist 
das  Gebirgssystem  Hochasiens  scharf  begrenzt,  während  gegen 
Osten  und  Westen  die  Ausdehnung  weniger  genau  sich  be- 
stimmen lässt.  Nordöstlich  von  Assam  schliessen  sich  näm- 
lich andere  Züge  von  ziemlicher  Mächtigkeit  an ;  doch  sind 
diese  verschieden  in  ihrer  Richtung  und  wahrscheinlich  auch 
in  ihrer  geologischen  Entstehung.  Gegen  Westen ,  in  der 
Nähe  des  Hinduküsh ,  könnten  wohl  noch  manche  der 
kleineren  Gebirgskämme  als  Ausläufer  der  centralen  Masse 
beigezählt  werden,  die  jetzt,  zum  Theile  der  pohtischen  Be- 
grenzungen wegen,  als  dem  Hinduküsch  angehörend  betrachtet 
werden.  Dass  der  Karakorüm  sogleich  als  die  höchste  der 
drei  Ketten  hervorträte,  wird  unter  anderem  dadurch  etwas 
verborgen ,  dass  die  Lage  der  Schneegrenze ,  wegen  des  ge- 
ringen Niederschlages,  eine  ungewöhnlich  hohe  ist.  Diese 
Kette,  für  welche  der  Name  Karakorüm  ,,das  schwarze 
Gebirge",  im  Gegensatze  zum  Himalaja,  dem  ,, schnee- 
bedeckten", der  ganzen  Ausdehnung  nach  entspricht,  gabelt 
sich  in  der  östlichen  Hälfte  seiner  Längenentwickelung  in 
zwei,  wohl  nahezu  gleich  hohe  Zweige;  diese  umgeben 
gegen  Norden  und  gegen  Süden  eine  verhältnissmässig  nicht 


316      Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  5.  Novemler  1870. 

sehr  bedeutende  Depression,  deren  Richtung  der  Wasser- 
scheide des  Gebirges  parallel  ist.  Die  Seen  Tengri  und 
Nämur  liegen  in  dieser  Senkung ,  welche  gegen  Osten  offen 
bleibt  und  als  da  endend  betrachtet  werden  kann ,  wo  der 
eigentliche  Brahmaputra,  vom  Norden  kommend,  sie  be- 
grenzt.*) 

Dass  in  dem  nach  Süden  gerichteten  Flusssysteme 
viele  Quellen  grosser  Ströme  nördlich  vom  Himälaya  liegen, 
war  bekannt.  Diese  umströmen  entweder  die  Enden  desselben, 
wie  der  Dihöng  im  Osten,  der  Kabulfluss  im  Westen, 
oder  sie  finden  ihren  Weg  nach  Süden  durch  eine  jener 
zahlreichen  Depressionen  der  Hiraalayakette,  von  denen  hier, 
des  Beispiels  wegen,  nur  die  oberen  Ausflussstellen  des  Monäs- 
flusses  in  Bhutan,  des  Kori-  und  des  Gandak-Flusses  in  Nepal 
und  die  bekannteren  des  Satlej  und  Indus  im  nordwestlichen 
Himälaya  genannt  seien.  Nach  Norden,  glaubte  man,  bilde 
die  Grenze  des  Stromgebietes  erst  die  Kette  des  Künliin, 
den  übrigens  bisher  noch  kein  Europäer,  weder  vom  Norden 
noch  vom  Süden  her,  erreicht  hatte.  Desto  mehr  waren  wir 
überrascht  zu  finden ,  dass  der  Karakorüm ,  mit  höherem 
Kamme  als  jener  des  Himälaya,  und  mit  einzelnen  Gipfeln, 
die  nur  wenige  hundert  Fuss  von  den  höchsten ,  bisher  im 
östlichen  Himalaja  bekannten,  verschieden  sind,  noch  südlich 
vom  Künliin  sich  darbot. 

Die  Flüsse,  deren  Quellen  auf  der  nördlichen  Ab- 
dachung des  Karakorüm  gelegen  sind ,  umfliessen  oder 
durchziehen  den  Künlün,  ganz  ähnlich  den  Verhältnissen  im 
Stromgebiete  des  Himälaya.  Als  Beispiele  führe  ich  an 
den  Yarkandfluss,    der  um  das  westliche  Ende   des  Künliin 


4)  Den  Unterschied  des  letzteren  von  dem  so  häufig  damit 
verwechselten  Zuflüsse  Dihong  aus  Tibet  habe  ich  bei  der  Besprech- 
ung der  „hydrographischen  Verhältnisse  von  Assam  erwähnt.  „Reisen" 
Bd.  I  S.  465. 


n.  V.  Schlag intweit:    Erläuterunr/  der  Gebiete  Hochasiens.     317 

sich  biegt,  und  den  Karakäsli-,  sowie  den  Keria-Fluss, 
welche  durch  Senkungen  der  Kette  nach  Norden  austreten. 
Für  die  Hochregion  nördlich  vom  Karakorümkamme,  ebenso 
für  beide  Abhänge  des  Künlün  ist  auch  noch  des  Umstandes 
zu  erwähnen,  dass  die  Ausflüsse  aus  manchen  Quellen  ver- 
siegen ,  ehe  sie  eines  der  grösseren  Flussbette  in  der  Thal- 
region erreichen. 

Zwischen  dem  Karakorüm  und  dem  Himalaja  tritt  Tibet 
deutlich  als  ein  grosses  Längenthal  hervor,  welches  ziemlich 
nahe  der  Mitte  ^  durch  die  Erhöbung  der  Thalsohle  selbst, 
in  eine  nach  Osten  und  eine  nach  Westen  abfallende  Hälfte 
getrennt  wird.  Ausschliesslich  ,, plateauartig",  das  heisst  mit 
sehr  kleinen  Thälern  uud  ohne  bestimmtes  Vorherrschen 
der  einen  oder  andern  Richtung  derselben ,  zeigt  sich  vor- 
zugsweise jener  Theil  Hochasiens ,  welcher ,  nahe  dem  west- 
lichen Ende  des  Künlüu,  diese  Kette  mit  der  Hauptkette 
Karakorüm  verbindet.  Selbst  die  Umgebungen  des  Tengri- 
Sees,  obwohl  in  sehr  bedeutender  mittlerer  Höhe  gelegen, 
haben  doch  weit  bestimmtere  Thalformen. 

Aehnlich  dem  tibetischen  Längenthaie  folgt  gegen  Nor- 
den eine  zweite,  aber  viel  breitere,  longitudinale  Eiusenkung, 
die  im  Osten  in  der  Mongolei  endet.  Ihre  südliche  Grenze 
ist  die  Karakorümkette  und  der  Hinduküsh,  ihre  nördliche 
der  Thianshan  (von  den  Turks  ,,Sajanshäu"  genannt).  Die 
Flusssjsteme  sind  jene  des  Amu  (Oxus)  gegen  Westen  und 
des  Yarkandflusses  gegen  Osten;  sie  sind  durch  den  von 
beiden  Seiten  nur  allmähhg  ansteigenden  Bücken  des  Bolor- 
Tägh  getrennt. 

Bei  dem  üeberschreiten  der  hohen  Kämme,  noch  mehr 
bei  dem  Besteigen  von  Gipfeln,  welche  ausserhalb  jener 
Linien  liegen,  welchen  die  Eingebornen  ihres  Verkehres  wegen 
bisweilen  folgen,  waren  bedeutende  Hindernisse  zu  überwinden. 

Selbst  in  Europa  sind  hohe  Alpengipfel  erst  in  verhält- 
nissmässig  neuerer  Zeit  bestiegen  worden  und  vor  ein  paar 


318      Sitzimg  der  math.-pliys.  Gasse  votn  5.  November  1870. 

Jahrhunderten  war  ungeachtet  des  riesigen  Unterschiedes  in 
wissenschaftlicher  und  socialer  Bildung  zwischen  Europa  und 
diesem  Theil  von  Asien  auch  das  Alpengebiet  noch  sehr 
wenig  durchforscht,  Thäler,  Fluren,  Flüsse,  Seen  sind  es, 
für  welche  das  Volk,  nahe  den  bewohnten  Orten,  zuerst  sich 
Begriffe  schafft ;  auch  Berge,  durch  Gestalt  oder  Grösse  hervor- 
tretend, und  einige  der  wichtigsten  Pässe  sind  meist  indivi- 
duell gut  bezeichnet  und  dann  noch  in  ziemlich  weitem 
Umkreise  bekannt;  aber  für  die  ferne  liegenden  oder  die 
unbewohnten ,  schwer  zugänglichen  Theile  der  Ketten ,  wo 
die  Hauptlinien  des  Systems  zu  suchen  sind,  fehlt  im  gewöhn- 
lichen Verkehr  das  Bedürfniss  sie  zu  kennen. 

Die  wissenschaftliche  Literatur  über  das  Gebiet  von 
Hocliasien  ist  sehr  neuen  Datums.  Einzelne  Ketten  und 
Gipfel  des  Himalaya  und  die  westlichen  Provinzen  von  Tibet 
waren  schon  bald  nach  Befestigung  der  englischen  Herrschaft 
in  Indien  Gegenstand  der  Untersuchung  durch  Europäer 
gewesen;  aber  es  haben  sich  uns,  auch  der  politischen  Ver- 
hältnisse wegen ,  besonders  in  den  östlichen  und  nördlichen 
Reichen  noch  grosse  Schwierigkeiten  geboten,  die  Verbindung 
der  verschiedenen  Theile  zu  einem  geographischen  Bilde  zu 
erkennen. 


Massenerhebung   und  Flächenausdehnung. 

Das  Cubikvolumen  der  Gebirge  Hochasiens  in  ihrer 
Erhebung  über  das  Niveau  der  tropischen  Meere  ist  ein  un- 
gleich grösseres  als  für  irgend  ein  anderes  Gebirge  der  Erde. 
Es  betheiligen  sich  daran,  im  gleichen  Verhältnisse,  die  be- 
deutende Fläche  der  Basis  sowohl  als  die  grossen  Erheb- 
ungen der  Kämme  und  Gipfel ,  in  den  centralen  Gebieten 
selbst  der  Thalsohlen.  In  dem  geologischen  Theile  der 
,,Results"  werde  ich  versuchen,  die  numerischen  Einzeln- 
heiten dafür   zu  erläutern   und  zusammenzustellen,    wie  wir 


E.  V.  Schlag intweit:    Erläuteruug  der  Gehiete  Hochasiens.     319 

es  früher  für  die  Alpen  im  2.  Bande  der  ,, Untersuchungen'' 
gethan.^)  Schon  hier  aber  sei  darauf  aufmerksam  gemacht, 
dass  sehr  wahrscheinlich  auch  die  geringe  Entfernung  von 
den  Tropen  und  die  im  Verhältnisse  zur  Länge  (von  West 
nach  Ost)  nicht  sehr  grosse  Breite  (von  Süd-  nach  Nord) 
einen  nicht  unwesentlichen  Einfluss  darauf  ausgeübt  haben. 
Bekanntlich  ist   unsere  Erde   nahezu  als  ein  elliptisches  Ro- 

tationssphäroid  zu  betrachten,  dessen  Abplattung  -—- ,  genauer 

300 

beträgt  (nach  Bessel,  dem  ich  auch  in  den  übrigen 


299-  152 

Zahlenangaben  hier  folge).  Die  halbe  grosse  Axe  hat  eine 
Länge  von  20"  9  Millionen  englischen  Fuss  (nach  Bessel 
3,272,077"  14  Toisen) ,  und  diese  Entfernung  vom  Centrum 
gegen  den  Aequator  ist  um  70,000  engl.  Fuss  (genauer 
69,941')  grösser  als  jene  vom  Centrum  gegen  die  Pole.  Es 
ist  nicht  ganz  ohne  Bedeutung  selbst  im  Verhältnisse  zu 
den  linearen  Erddimensionen  im  Allgemeinen,  dass  gerade 
in  der  subtropischen  Region  die  höchsten  Kämme  und  Gipfel 
gelegen  sind ,  und  dass  Höhen  über  28,000  Fuss  mehr  als 
*/3  des  Unterschiedes  zwischen  den  Hälften  der  grossen  und 
kleinen  Axe  betragen.  Solche  Höhen  zeigen  sich  auch  als 
nicht  unbedeutende  Dimensionen  im  Verhältnisse  zur  Dicke 
der  festen  Erdrinde.  So  weit  sich  aus  der  Zunahme  der 
Temperatur  mit  der  Tiefe  in  Bergwerken  und  aus  dem  Ver- 
gleiche solcher  Resultate  mit  dem  Schmelzpunkte  der  festen 
Körper,  die  Dicke  beurtheilen  lässt,  wird  angenommen,  dass 
bei  120,000  bis  150,000  Fuss  unter  der  Oberfläche  Metalle 
und  die  meisten  eruptiven  Gesteine  schmelzen,  dass  also  die 
Höhe  der  grössten  Berge  ungefähr  V^  dieser  festen  Schicht 
beträgt. 

Gegen  die  Dimensionen   der  Erde  allerdings  sind  diese 


5)   „Mittlere  Höhe  nnd  Masse  der  Alpen"  S.  575—582. 


320      Sitzung  der  math.-j^hys.  Classe  vom  5.  Notemler  1870. 

Grössen    noch    immer    sehr    gering    zu    nennen,     denn    bei 

120,000  Fuss  ist  die  Dicke  der  Schicht  noch  nicht  -         der 

halben  grossen  Axe,  noch  immer  viel  weniger,  als  die  relative 
Dicke  der  Schaale  eines  Hühnereies!  Gradmessungen  zur  un- 
mittelbaren Bestimmung  der  Krümmungsgestalt  der  Erde  sind 
in  Indien  zweimal  ausgeführt  worden  ;  das  erstemal  von  Lamb- 
ton  bei  12^2**  nördl.  Breite,  das  zweitemal  von  Lambton 
und  Everest  bei  IßVs"  nördl.  Breite.  Diese  ergeben  beide 
die  Länge  des  Breitengrades  kleiner,  also  weniger  von  der 
vollkommenen  Kugelgestalt  abweichend  als  jede  andere  der 
bisher  vorgenommeneu  Messungen.  Die  nördlichsten  bis  jetzt 
ausgeführten  Messungen  sind  jene  von  Svanberg  und  von 
Maupertuis  in  Schweden  bei  66 Vs*'  nördl.  Breite.  Es  hatte 
sich  bei  Maupertuis'  Messung  der  Grad  um  2738*  1  engl. 
Fuss  grösser  als  jener  in  Indien  gezeigt. 

Der  Flächenraum  der  Basis  Hochasiens  beträgt,  bei 
25  Grad  Entfernung  zwischen  den  Enden  von  Ost  nach  West 
und  einer  mittleren  Breite  von  etwas  über  4V2  Graden,  an 
350,000  nautische  Quadratmeilen, ^)  was  sich  zur  Fläche  der 
Alpenbasis  (=  24,200  nautische  Quadratmeilen)  wie  14"46:1 
verhält.  Auf  Weltkarten  in  Mercator's  Projection  tritt  der 
Unterschied  nicht  in  seiner  vollen  Grösse  hervor,  da  auf 
diesen  durch  das  Princip  der  Projection  die  Oberfläche  in 
der  Breite  der  Alpen  weniger  reducirt  ist  als  in  der  Breite 
Hochasiens. 

Gestaltung  der  Hochregion  und  der  Mittelstufen. 

Gemeinschaftlich  ist  es  dem  ganzen  Gebiete,  dass,  bei 
der  vorherrschenden  Länge  der  Hauptketten,  Erhebungscentra 


6)  1  nautische  Meile ,  =  6124"6  engl.  Fuss ,  ist  ebenso  wie  die 
deutsche  geographische  Meile  als  Theil  des  Aequators  definirt. 
60  Seemeilen  sind  =  1  Grad  oder  15  deutsche  Meilen. 


H.v.Schlagintweit:    Erläuterung  der  Gebieie  Hochasiens.     321 

analog  den  „Massifs"  der  Alpen  im  Gesammtbilde  weniger 
hervor  treten;  ferner,  dass  man  fast  immer  Standpunkte 
wählen  kann ,  deren  Höhe  ausgedehnten  Ueberblick  be- 
günstigt. Es  machte  uns  diess  möglich  eine  Reihe  von 
„Gebirgsprufilen  der  Schneeketten"  aufzunehmen,  wo- 
bei die  Panoramen  dem  ganzen  Himalaja  entlang  sich  meist 
berühren ,  oder  doch  so  wenig  von  einander  entfernt  sind, 
dass  sie  für  jene  Gipfel,  die  über  die  Schneegrenze  sich  er- 
heben, ununterbrochene  Reihen  bieten. 

Von  den  Panoramen  wurden  6,  auf  3  Tafeln,  für  die 
Kammlinie  von  Bhutan  bis  Kashmir  in  dem  jüngst  erschie- 
nenen 2.  Bande  der  ,, Reisen"  gegeben;  12  werden  für  Tibet 
und  Turkistau  am  Schlüsse  des  3.  Bandes  folgen. 

iur  76  der  Bergspitzen  auf  den  Himalayatafeln  konnte 
zugleich  Breite,  Länge  und  Hohe  angegeben  werden.  Die 
in  Tibet  und  Turkistan  ausgelührteu  Messungen  und  Zeich- 
nungen werde  ich  in  ähnlicher  Vollständigkeit  nur  von  Süden 
nach  Norden ,  nicht  von  Osten  nach  Westen  bieten  können. 
da  für  die  östlichen  Theile  Tibets  nach  jeder  Richtung  hin 
so  viele  Lücken  bleiben.  Auch  die  letzten  Reisen .  welche 
zwei  indische  Pändits  im  Reiche  des  Dalai  Lama  1865  und 
1866  ausführten,  bieten,  ungeachtet  der  wichtigen  Beobach- 
tungen längs  dem  Flusslaufe  des  Dihong,  von  den  das  Thal 
seitlich  begrenzenden  Schneeketten  weder  Messungen  noch 
Ansichten. 

Die  Ausführung,  die  ich  für  die  Gebirgsprofile  wählte, 
ist  verschieden  von  der  gewöhnlichen  Darstellung  landschaft- 
licher Objecte.  Hier  sind  nur  durch  ungleiche  Stärke  der 
Contourlinien,  sowie  durch  die  Anwendung  von  Schraffirung, 
3  Grade  der  Entfernung  ausgedrückt;  in  den  zur  Firnregion 
gehörenden  Erhebungen  ist  auch  Licht-  und  Schatten-Seite 
unterschieden.  Es  enthalten  desshalb  ,  so  wie  sie  hier  vor- 
liegen, die  ,, Gebirgsprofile"' nur  Hintergrund  und  Mittelregion; 
die  dem  Beschauer  näheren  Theile  wären  in  dieser  Weise 
[1870,  n.  31  •  22 


322       Sitzung  der  math.-phys.  Gasse  vom  5.  November  1870. 

nicht  "wiederzugeben.  Die  Aufnahme  der  Bilder  wurde,  von 
Adolph  und  mir,  in  gewöhnlicher  Weise  und  in  Farbe  aus- 
geführt ;  sie  sind  als  solche  zum  Theil  schon  im  Atlas  der 
jjResults"  in  Farbendruck  erschienen;  die  grösseren  derselben 
werden  dort  als  Doppeltafeln  folgen. 

Der  Horizontalwiukel,  den  in  günstigen  Ansichten  der 
Hauptketten  die  ununterbrochene  Reihe  von  Schneegipfeln  ein- 
nimmt, ist  im  Himalaja  viel  bedeutender  als  in  den  Alpen. 

In  den  Alpen  zeigen  Standpunkte,  vfie  jener  des  Rigi, 
des  Faulhornes ,  die  stetige  Folge  von  schneebedeckten 
Kämmen  und  Gipfeln  von  30  bis  40  Grad,  oder  andere, 
wie  jener  des  Piz  Languard,  lassen  uns  über  einen  viel 
grösseren  Theil  des  Horizonts  Gruppen  von  Schneebergen 
überbhcken ,  die  aber  unter  sich  weit  abstehen  und  durch 
verhältnissmässig  niedere  Regionen  des  Mittelgrundes  getrennt 
sind.  Im  Himalaja  waren  Panoramen  von  150  Grad  Schnee- 
region nicht  selten ;  im  Falüt-Panorama  in  Sikkim  erreicht 
sogar  der  äusserste  Wiukelabstand  zwischen  den  Schneegipfeln 
an  ganz  reinen  Tagen  190  Grad,  also  10  Grad  über  die 
Hälfte  des  Horizontes. 

Aehnliche  gewaltige  Ausdehnung  in  derSchneeregiou 
zeigen  auch  die  beiden  andern  Ketten  Hochasiens;  aber  in 
den  Mittelregionen  sind  die  einzelnen  landschaftlichen 
Gebiete  sehr  verschieden.  Der  Abhang  des  Himalaja 
gegen  Indien  zeichnet  sich  aus  durch  üppige  subtropische 
Vegetation  bis  zu  Höhen  von  8000  bis  10,000  Fuss  und 
durch  ein  sehr  steiles  Gefälle  der  Kämme  und  Thäler.  Zu- 
gleich ist  auch  dieses  sehr  allgemein,  wegen  der  steilen  Ab- 
dachung gegen  Süden,  dass  man  im  Mittelgrunde  in  Tiefen 
von  7  bis  8  Grad  \Yinkelunterschied  hinabsieht,  von  Stand- 
punkten ,  wo  die  fernen  Berggipfel  noch  zu  einer  Höhe  von 
3  bis  4  Grad  über  den  Horizont  sich  erheben.  In  Tibet  ist 
der  Mittelgrund  gewöhnlich  dem  Beschauer  weit  näher  ge- 
legen;     in    einzelnen    Fällen   jedoch   kamen   auch   da   sehr 


n.v.Schlagintioeit:   Erläuterung  der  Gebiete  Hochasiens.     32  3 

starke  Depressionen  mehr  localer  Art  vor.  weil  auch  in  Tibet 
die  Erosion  der  Flüsse  nicht  selten  2000'  beträgt. 

Jenseits  Tibet,  im  Plateau  zwischen  Karakorüm  und 
Künlün,  ist  Steinwüste  mit  Schneeketten  im  Hintergrunde 
der  Charakter  der  Landschaft. 


Die  Ränder   der  Gebirgsregion. 

Nicht  weniger  bemerkenswerth  als  die  Verhältnisse  der 
Kämme  sind  jene  der  niedersten  Regionen  längs  der  Ränder 
Hochasiens. 

Ein  grosser  Theil  des  Himalaja  entbehrt  an  seiner  süd- 
lichen Basis  sedimentärer  Gesteine  von  einiger  Breite;  da- 
mit hängt  in  der  Terraingestaltung  der  Umstand  zusammen, 
dass  vom  Hauptkamme  des  Himalaja  gegen  Indien  die 
Seitenkämme  ununterbrochen  sich  fortziehen,  während  in  den 
Alpen  häufig  zwischen  solchen  Ausläufern  (.,Spurs*')  und  der 
Ebene  noch  Vorgebirge  (,. Outerranges'')  liegen'^),  die  meist 
wieder  ziemlich  die  Richtung  des  Hauptkammes  haben,  und 
die  Flüsse,  die  aus  dem  centralen  Theile  des  Gebirges  aus- 
treten, stark  aus  ihrem  oberen  Laufe  ablenken. 

In  den  östlichen  Theilen  jedoch  fand  sich  solches  Vor- 
gebirge, von  geringer  Höhe  aber  topographisch  deuthch 
hervortretend.  Zugleich  hat  sich  dort  in  Form  und  geolo- 
gischer Bildung  viel  Uebereinstimmung  mit  den  Vorbergen  der 
Alpen  erkennen  lassen,  ein  Umstand,  dessen  ich  noch  mehr- 
mals bei  der  Besprechung  der  geologischen  Verhältnisse  der 
einzelnen  Provinzen  zu  erwähnen  haben  werde.  So  gehören 
die  Bhütia- Vorberge  der  Tertiärzeit  an  und  doch  sind  sie 
stark  gehoben ;  es  zeigt  diess ,  dass  die  letzten  Hebungen 
des  Himalaja  und  der  Alpen  geologisch  gleichzeitig  sind;  auch 
in  der  Art  der  Schichtenstellung  war  grosse  Aehnlichkeit,  und 


7)    „Results  etc."',  ^'ol.  VI. 

22^ 


324      Sitzung  der  matli.-plujs.  Classe  vom  5.  November  1870. 

ich  fand  Braunkolilenlager  ganz  jenen  des  Peissenberges  ent- 
sprechend, in  der  Bhutan  Tarai.  Dagegen  fehlt  am  südlichen 
Rande  Hochasiens  jene  Seebildung,  die  sich  in  den  Hoch- 
ebenen der  Alpen  noch  jetzt  theils  als  tiefe  wassererfüllte 
Becken  ,  theils  in  der  Form  von  Mooren ,  wenn  seicht  und 
nun  durch  Erosion  entleert,  sich  zeigen.  Selbst  im  Innern 
des  Himalaya  sind  Seen  äusserst  selten  und  verhältniss- 
mässig  klein ,  nur  in  Tibet  gibt  es  noch  jetzt  einige  grosse 
Seen;  aber  auch  diese  sind  spärliche  Reste  der  früheren 
Wassermenge.  ^) 

Als  allgemeine  Eigenthümlichkeit ,  die  am  meisten  in 
der  so  feuchtwarmen  Zone  längs  des  Siidrandes  von  Hoch- 
asien auffällt ,  ist  ferner  hervorzuheben ,  dass  Moor-  und 
Torfbildung  fehlt,  auch  da,  wo  in  den  subtropischen  Regionen 
die  Bodengestaltung  sie  begünstigen  könnte.  Der  Mangel 
erklärt  sich  durch  die  Verschiedenartigkeit  des  Vegetations- 
charakters. Die  torfbildenden  ^loose  der  Alpen  (Sphaguum 
und  ähnliche)  sind  dort  nicht  vertreten.  Wo  am  Fusse  des 
Gebirges  beim  ersten  Austritt  der  Gebirgsströme  in  die 
Ebene  grosse  Bodenfeuchtigkeit  veranlasst  wird,  hat  sich 
,,die  Tarai"  gebildet,  ein  Saum  von  wechselnder  Breite,  der 
dicht  mit  Rohrgewächsen ,  baumartigen  Gräsern ,  zum  Theil 
auch  mit  mittelhohem  Holze  dicotyledonen  Gebildes  be- 
deckt ist.  Die  Vegetation  in  solchen  Lagen ,  wo  grosse 
Wärme  mit  reichlicher  Feuchtigkeit  fast  das  ganze  Jahr  hin- 
durch sich  verbindet,  ist  eine  sehr  üppige  und  die  Zersetzung 
der  ungeheuren  Menge  abgefallenen  Pflanzenstoffes  in  Lagen, 
wo  zugleich  die  reichlichen  Ablagerungen  der  Flüsse  sich 
anhäufen,  macht  die  Tarai  sehr  ungesund.     Am  schlimmsten 


8)  Ihr  "Wasser  ist  fast  immer  brackisch,  und  sie  sind  im  Stadium 
des  Yerschwindens  durch  Austrocknen.  Ein  Bericht  über  die  „tibet- 
ischen Salzseen'"  wird  der  Gegenstand  meiner  nächsten  akademischen 
Mittheilung  sein. 


H.v.  Schlagintwcit:    Erläuterung  der  Geriete  Hochasiens.     325 

ist  diess  dem  Südende  von  Sikkim  und  Nepal  entlang.  Be- 
wohnt ist  die  Tarai  nur  von  einigen  vereinzelnten ,  sehr 
spärlich  vertheilten  Aborigineistämmen.  Für  Europäer  so- 
wohl als  selbst  für  Indier  ist  schon  die  kurze  Zeit,  die  nöthig 
ist ,  um  die  Taräi ,  auf  dem  Wege  nach  dem  Himalaya .  zu 
kreuzen,  in  vielen  Theilen  derselben  und  während  der  meisten 
Monate  sehr  gefährlich. 

Auf  der  Nordseite  Hochasiens ,  längs  dem  Rande  des 
Künliin,  ist  nichts,  was  die  Tarai  vertreten  würde.  Sowohl 
die  Temperaturabnahme  in  Folge  der  Breite  und  der  noch 
ziemlich  bedeutenden  Höhe  als  auch  die  geringere  Feuchtig- 
keit bei  der  ganz  continentiilen  Lage  beschränken  dort  die 
Vegetation  in  den  Hügeln;  in  den  breiten  Niederungen 
beginnen  jene  Sandwüsten,  welche  in  so  grosser  Ausdehnung 
die  Flächen  Turkistans,  von  4000  bis  2500  Fuss  Höhe  über 
dem  Meere,  bedecken.  Der  See  Lop,  der  am  östlichen 
Ende  dieser  Depression  gelegen  und  als  Binnensee  der  Wüsten 
angegeben  ist,  nimmt  die  Hauptströme  aus  dem  Karakorüm- 
und  Künlün-Gebiete  auf.  In  den  östlichsten  Abdachungen  des 
Künlün  scheinen  die  Quellen  schon  zum  Stromgebiete  des 
Höang-ho  zu  gehören. 

Die  Bewohner  Hochasiens. 

Für  die  Vertheiluug  der  Bewohner  nach  Rage  und 
Religion  sind  die  Kammlinien  der  drei  Hauptketten  nicht 
die  Grenzen.  Auf  der  Indien  zugewendeten  Südseite  des 
Himalaya  sind  die  Völkergruppen  am  zahlreichsten  unrl  unter 
sich  am  meisten  verschieden.  In  den  östlichsten  Theilen 
daselbst  wohnen  noch  jetzt  viele  Aborigiuer-Ragen ;  sie 
gehören  zu  jener  grossen  Gruppe,  welche  in  der  Tarai  sowie  im 
Osten  und  Südosten  von  Assäm  sich  findet.  Früher  haben 
sich  diese  Ragen,  wie  viele  Spuren  erkennen  lassen,  viel 
weiter  gegen  Westen  ausgedehnt;    gegenwärtig  fand  ich  von 


326      Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  5.  November  1870. 

der  Mitte  Bhutans  an  bis  Nepal  im  Gebirge  allgemein  Be- 
wohner tibetischer  Ra^e,  die  vom  Norden  her  den  Him- 
alayakamm  zu  überschreiten  hatten.  In  Nepal  sind  die 
Bewohner  der  mittleren  Höhen ,  die  zugleich  die  herrschen- 
den sind ,  gemischte  Ragen ,  aus  arischen  und  tibetischen, 
auch  einigen  Aboriginer-Elementen  entstanden.  Reine  Abori- 
giner  zeigten  sich  dort  längs  dem  unteren  Gebirgsrande, 
reine  Tibeter  in  den  alpinen  Gebieten  von  grosser  Höhe, 
nahe  dem  Kamme. 

Weiter  gegen  Westen  tritt  fast  überall  nur  arische  Rage 
auf,  die  aus  Indien  eingedrungen  war.  Jene  Himälaya- 
Bewohner  arischer  Rage,  welche  Hindus  geblieben  sind, 
haben  auch  meist  ihre  Rage  so  gut  erhalten,  dass,  wie  in 
Indien,  die  Kasten  auch  in  den  Körperformen  Unterschiede 
erkennen  lassen.  In  Kashmir  dagegen,  obwohl  die  Rage  in 
ihren  Mittelformen  als  arische  sehr  rein  geblieben  ist,  sind 
die  Kastenunterschiede  längst  verschwunden,  weil  dort 
der  Islam  die  vorherrschende  Religion  geworden  war. 

Die  tibetische  Rage ,  die  einzige  unter  allen  Zweigen 
des  tuiänischen  Stammes,  welche,  wie  eben  erwähnt,  südlich 
vom  Himalaja  vorgedrungen  war,  bevölkert  ausschliesslich 
das  Längenthal  zwischen  dem  Himalaja-  und  Karakorüm- 
kamme.  Fast  die  ganze  grosse  Strecke  ist  von  Tibetern 
reiner  Rage  bewohnt;  nur  in  Balti,  im  Westen,  wo  die  Be- 
wohner in  Folge  von  erobernden  Einfällen  aus  den  südlichen 
und  westlichen  Nachbarstaaten  zu  Mussalmans  gemacht 
wurden,  hat  sich  auch  die  Rage  nicht  ungemischt  erhalten.  — 
Gegen  Osten  und  Nordosten  liegen  die  Gebiete  der  Mon- 
golen, die,  wie  die  Tibeter,  turanischen  Stammes  sind,  und 
weniger  in  Körperformen  als  in  Sprache,  häuslichen  und 
staatlichen  Verhältnissen  von  diesen  sich  unterscheiden. 

Dem  arischen  Stamme  begegneten  wir  ein  zweites 
Mal  unter  den  Völkern  Hochasiens  im  Gebirgszuge  des 
Künlün  und  in  dem  weiten  Thalgebiete  von  Turkistan    Sein 


n.v.  Schlagirihceit:    Erläuterung  der  Gebiete  Hochasiens.     327 

Vorkommen  in  dieser  Region  war  uns  bis  zum  Tage ,  wo 
wir  damit  zusammentrafen,  ganz  unerwartet,  neu.  Denn  sind 
auch  die  Türken  in  Europa  ihren  gegenwärtigen  Körperformen 
nach  als  Arier  bekannt,  so  hatte  man  doch  allen  Grund  zu 
glauben,  dass  ihre  Vorfahren,  und  ebenso  deren  Stammes- 
genossen an  den  seit  Jahrtausenden  unveränderten  "Wohnsitzen, 
zur  grossen  Völkergruppe  der  Turäuier,  speciell  der  Mongolen, 
gehörten  ,  auf  welche  ihre  Sprache  so  deutlich  hinweist ,  da 
diese  nicht  zur  arischen,  sondern  zur  tuiäiiischen  Sprachen- 
gruppe gehört,  Dass  niedrigsteheude ,  ebenso  wie  stark 
gemischte  Kacen  ihre  Sprachen  wechseln ,  war  uns  schon 
mehrmals  vorgekommen;  doch  hier  lag  der  Fall  in  der 
entschiedensten  Form  für  eine  sehr  wohl  entwickelte  arische 
Rage  vor.  die  ungemischt  geblieben  ist. 


Herr  Seidel  spricht: 

jjüeber    die    Grenzwerthe    eines   unendlichen 
Potenz-Ausdrucks."' 

Diese  Abhandlung    wird    zur   Aufnahme    in    die    Denk- 
schriften bestimmt. 


Historische  Classe. 

Sitzunsr   vom   5.  XoTember   1870. 


Herr  v.  Löher  gab  einen 

.,üeberblick  der  Elsässer  Geschichte  und  ihre 
Ergebnisse." 


328  Einsendungen  von  Druckschriften. 


Einsendungen  von  Druckschriften. 


Von  der  lyfälzischen  GeseUscJiaft  in  Speier: 
Neues  Jahrbuch   der  Pharmacie   und   verwandte  Fächer.   Zeitschrift. 
Bd.  84.     Heft  1.  2.  3.     Juli,  August,  September  1870.     8. 

Vom  historischen   Verein  von  und  für  Oberdayern  in  München: 

a)  30.  und  31.  Jahresbericht.    Für  die  Jahre  1867.  1868—1869.     8. 

b)  Oberbayerisches  Archiv  für  vaterländische  Geschichte.  28.  Bd. 
2.  Heft  und  29.  Bd.     1869—70. 

c)  Die  Sammlungen  des  Vereins.  Erste  Abtheilung:  Bücher, 
Handschriften,  Urkunden.  Zweites  Heft.  Alphabetischer  Ka- 
talog über  die  Büeher-Sammlung  M — Z.     1868.     8. 

Von  der  anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien'. 
MittheiluDgen.     1.  Bd.     Nr.  4.     Septbr.  1870.     8. 

Von  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Emden: 
45.  Jahresbericht.  1869.     1870.     8. 

Von  der  StadtbihliotheTc  in  Braitnschiveig : 

a)  Geschichte  der  Stadt  Braunschweig  im  Mittelalter  von  Dr.  Dürre. 
1—6.  Lieferung.     1861.     8. 

b)  Hundert  Merkwürdigkeiten  der  Herzogl.  Bibliothek  zu  Wolfen- 
büttel von  C.  P.  Schömann,  und  Legende  von  Ritter  Peter 
Dimeinger  von  Staufenberg  in  der  Ortenau.  Hannover  1849.  8. 


Einsendungen  von  Vnickschriften .  329 

c)  ürkundenbuch  der  Stadt  Braunschweig.  Erster  Band.  Statute 
und  Rechtebriefe  1227  — 14139.  Herausgegeben  durch  den 
Archivverein.     18G2.     4. 

d)  Nachrichten  über  das  Stadtarchiv    zu  Braunschweig.    18G8.    8. 

e)  Ueberblick  der  mittelalterlichen  Architektur  Braunschweigs 
und  seiner  nächsten  Umgebung.     1863.     8. 

f)  Historische  Notizen  über  Helmstädts  Merkwürdigkeiten.  1863.  8. 

Vom  historischen    Verein  für  Niedersachsen  in  Hannover: 
Zeitschrift.     Jahrgang  1869  und  32.  Nachricht  über  den  historischen 

Verein  für  Niedersachsen.     1870.     8. 

Von  der  Gesellschaft  der  Äerzte  in  Wien: 
Medicinische  Jahrbücher.     20.  Bd.     4.  Heft.     Zeitschrift.     26.  Jahr- 
gang.   4.  Heft.     1870.     8. 

Von  der  deutschen  morrjenländischen  Gesellschaft  in  Leipzig: 
Zeitschrift.     24.  Bd.     3.  Heft.     1870.     4. 

Von  der  deutschen  geologischen  Gesellschaft  in  Bern : 
Zeitschrift.     22.  Bd.     3.  Heft.     Mai,  Juni,  Juli  1870.     8. 

Vom  B.  Comitato  Geologico  d' Italia  in  Florenz: 
Bullettino.     Nr.  7.  8.     Luglio  ed  Agosto.     1870.     8. 

Von  der  Bombay  geographical  Society  in  Bombay: 
Transactions.     Vol.  19.     Part.  1.     1870.  "8. 

Von  der  südslavischen  Akademie  in  Agram: 
Rad  jugoslavenske  Akademije.     Knjiga  11.     1870.     8. 

Vom  Observatory  in  Cincinnati: 
Aunual  report.     June  1870.     8. 

Von  der  historischen  Gesellschaft  in  Basel: 
Beiträge  zur  vaterländisch  u  Geschichte.    9.  Bd.     1870.     3. 


330  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  schweizerischen  naturforscTienden  Gesellschaft  in  Bern: 

a)  Mittheilungen.     Aus  dem  Jahr  1869.     1870.     8. 

b)  Verhandlungen  der  schweizerischen  naturforschenden  Gesell- 
schaft in  Solothurn  am  23.,  24 ,  25.  August.  53.  Jahresver- 
sammlung.    Jahresbericht  1869.     Solothurn  1870.     8. 

Von  der  Carolinischen  Universität  in  Lund: 
Acta  Universitats  Lundensis  1868.     Philosophi ,    Spräkvetenskap   och 
Historia.  Mathematik  och  Naturvetenskap.  Theologi.    1868—69.  4. 

Vom  Musee  Theyler  in  Harlem: 
Archives.     "Vol.  3.     Fascicule  premier.     1870.     8. 

Von  der  Clinicäl  Society  in  London: 
Transactions.     Volume  the  third.     1870.     8. 

Von  der  Societe  des  sciences  de  Finlande  in  Helsingfors: 

a)  Bidrag  tili  kännedom  of  Finlands  natur  och  folk,  häft  XV 
och  XVI.     1870.    8. 

b)  Öfversigt  afF.  Vet.  Societetens  förhandlingarXII.  1869—70.  8. 

Von  der  Sternwarte  in  Bern: 

Schweizerische  meteorologische  Beobachtungen.  Septbr.,  Oktbr.,jNovbr. 
1870.     4. 

Von  der  Academia  de  las  tres  nobles  artes  de  San  Fernando 

in  Madrid: 

Coadros  Selectos.   Cuaderno  1°.   Publicados  por  la  Misma.    1870.  Fol. 

Von  der  allgemeinen  geschichtsforschenden  Gesellschaft  der  Schweig 

in  Bern: 
Schweizerisches  Urkundenbuch.     2.  Bd.     2.  Heft.     1871.     8. 

Vom  Verein  für  mecTclenburgische  Geschichte  und  Älterthumslcunde 
in  Schwerin: 

Jahrbücher  und  Jahresbericht.     35.  Jahrgang.     1870.     8. 


Einsendungen  von  Drue'kschriften.  331 

Von  der  Beddktion  des  Correspondenz-Blattes  für  die  Gelehrten  und 
Bealschulen  Württembergs  in  Stuttgart: 
Correspondenzblatt    Xr.  5.     Septbr.  und  Oktbr.  1370.     3. 

Von  der  pfälzischen  Gesellschaft  für  Pharmacie  und  verwandte  Fächer 

in  Speier: 
Neues  Jahrbuch   für  Pharmacie   und  verwandte  Fächer.     Zeitschrift. 
Bd.  34.     Heft  4.     Oktbr.  1870.     8. 

Vom    Verein  von  Freunden  der  Frdkunde  in  Leipzig: 
Neunter  Jahresbericht  1869      1S70.     8. 

Von  der  Zr.  t.  Sternicarte  in  Prag: 
Magnetische  und  meteorologische  Beobachtungen  auf  der  Sternwarte 
im  Jahre  1869.     30.  Jahrgang.     1670.     4. 

Von  der  l'.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin: 

a)  Abhandlungen.     1869.     1.  IL     1870.     4. 

b)  Monatsbericht.     Juni,  Juli  1870.     8. 

Von  der  Je.  sächsischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Leipzig: 

a)  Berichte  über  die  Verhandlungen.  Philosophisch -historische 
Classe:    1868.  IL  IIL    1S69.  I.  IL  III.     1870.     8. 

b)  Die  Denkwürdigkeiten  (1207—12381  des  Minoriten  Jordanus 
von  Giano  von  Georg  Voigt.  (Abhandlungen  der  philosophisch- 
philologischen Classe  Nr.  6.     1870.)     8. 

c)  Erophile.  Vulgargriechische  Tragödie  von  Georgios  Chortatzes 
aus  Kreta.  Von  Konrad  Bursian.  (Abhandlungen  der  philo- 
sophisch-philologischen Classe.     VII.     1870).     8. 

d)  Berichte  über  die  Verhandlungen.  Mathematisch-phjs.  Classe. 
1869.     IL  m.  IV.     1^70.     I.  n.     8. 

e)  Elektrische  Untersuchungen.  Achte  Abhandlung.  Ueber  die 
Thermoelektrischen  Eigenschaften  des  Topases.  (Abhandlungen 
der  mathematisch-phys.  Classe  Nr.  4.     1870).     8. 

f)  Bestimmung  der  Sonnenparallaxe  durch  Venusübergänge  von 
der  Sonnenscheibe  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  im 
Jahre  1874  eintretenden  Vorüberganges.  Von  P.  A.  Hanven. 
(Abhandlungen  der  mathem.-phjs.  Classe  Nr.  5.     1870).     8. 


332  Einsendungen  von  Druckscliriften. 

Von  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Dorpat: 

a)  Sitzungsberichte.     3.  Bd.     1.  Heft.     1869.     1S70.     8. 

b)  Archiv  für  die  Naturkunde  Liv-Esth-  und  Kurlands.  Erste 
Serie:  Mineralogische  Wissenschaften  nebst  Chemie,  Physik 
und  Erdbescheibung.  6.  Bd.  Meteorologische  Beobachtungen. 
1.  Lieferung.     3.  Jahrgang.     9. 

c)  Archiv  für  die  Naturkunde  Liv-Esth-  und  Kurlands.  Zweite 
Serie:    Biologische  Naturkunde.    7.  Bd.    2.  Lieferung.    1870.    8. 

VoJ7i  natunvissenschaftlichen  Verein  für  SteiermarJc  in  Graz: 
Mittheilungen.     2.  Bd.     1870.     8. 

Von  der  American  Geographica!  and  Statistical  Society,  Cooper 
Institute  in  Keiv-YorJc: 

a)  Annual  Report  of  the  American  Institute  of  the  City  of  New 
York  for  the  years  186S.  69.     Albany.     8. 

b)  Fourth,  fifth  annual  Report  of  the  metropolitan  Fire.  Depar- 
tement of  the  City  of  New  York.     1869.  1870.     8. 

c)  Transactions  of  the  N.  Y.  State  Agricultural  Society.  1867. 
Part.  1.  2.     Albany  1868.     8. 

d)  Journal.     1870.     Vol.  2.     Part.   1.  2.     8. 

Vorn  Institut  Boyal  Grand-Ducal  in  Luxemburg: 
Publications.       Section    des    sciences    naturelles    et   mathematiques. 
Tom.  11.     Annees  1869  et  1870.     8. 

Von  der  Historisch  Genootschap  in  Utrecht: 

a)  Kroniek  25.  Jaargang.     5.  Serie.     5.  Deel.     1870.     8. 

b)  Werken.     Nieuwe  Serie.     Nr.  13.     1870.     8. 

Von  dem  Ic.  Instituut  vor  de  Taal-Land  en   VolkenTcunde  van  Neder- 
layisch  Indie  in  S'Gravenhage: 
Bijdragen   tot   de  Taal-Land-en  Volkenkunde   van   Nederlands  Indie. 
3  Volgreeks.     5.  Deel.     1.  Stuk.     1870.     8. 

Von  der  Meteorological  Society  in  London: 
Proceedings.    Yol.  5.    Nr.  50.     1870.    June.    8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  333 

Vo7i  der  Asiatic  Society  of  Bcngal  in  Calcutta: 

a)  Bibliotheca  Indica   a  collection  of  oriental  works.     New  Series. 

Nr.  172.   173.  177—17!).   181.  182.  183.  1870.     8. 

b)  Proceedings.     Nr.  3.  4.     March,  April.  1870.     8. 

c)  Journal.      Part.    1.    2.      Nr.  1.      1870.  New  Series.      Vol.  39. 
Nr.   159.  IGO.     1870.     8. 

Von  der  Academie  royale  des  Sciences,  des  Teures  et  des  heaux-arts  de 

Belgique  in  Brüssel: 
Bulletins.     39°  annee,  2  serie,  tome  30.     Nr.  9  et  10.     1870.     8. 

Von  der  Academie  royale  de  Medecines  de  Belgique  in  Brüssel: 

a)  Bulletin.     Troisieme  Serie.     Tom.  4.     Nr.  5.  6.  7.     1870.     8. 

b)  Memoires    couronnes    et    autres    memoires.     Collection   in    8°. 
Tome  1.    (2.  Fase.)     1870.     8. 

Von  der  Societe  des  sciences  naturelles  in  Brüssel: 
Bulletin.     Tom.  8.     3.  Heft.     1870-     8. 

Von  der  Societe  imperiale  des  naturalistes  in  Moskau: 

Bulletin.     Annee.  1870.     Nr.  1.     8. 

Von  der  südslavischen  Gesellschaft  in  Agram: 
a)     Stari  pisci  hrvatski.     Knjiga  2.     1870.     8. 
b;     Starine.     Knjiga  2.     1870.     8. 

c)  Monumenta    spectantia     historiam     Slavorum    meridionalium. 
Yol.  2.     1870.     8. 

d)  Rad     Knjiga  12.     187o-     8. 

Von  der  Societe  d'enndation  du  Douhs  in  Besancon: 
Memoires  4.  Serie.     4.  Volume.     1868.     1869.     8. 


Von  den  Herren  C.  G.  Giebel  und  M.  Sietvert  in  Halle : 
Zeitschrift  für  die  gesammten  Naturwissenschaften.  Originalabhand- 
lungen und  monatliches  Repertorium  der  Literatur,  der  Astro- 
nomie, Meteorologie,  Physik,  Chemie,  Geologie,  Oryktognosie, 
Paläontologie,  Botanik  und  Zoologie.  Neue  Folge.  1870.  Bd.  1. 
(35.  Bd.)     Berlin.     8. 


334  Einsendungen  von  DrucTcschriften. 

Vom  Herrn  S.  G.F.Terry  in  Oxford: 
An  Ancient  Syriac  Document ,  purporting   tu    be    tbe   record   in   its 
chief  features    of  the   second  Synod  of  Epbesus.  and  disclosing 
historical  matter  interesting    to   the   church    at   large.     Part.  1. 
1867.     4. 

Vom  Herrn  D.  Cecilio  Pajazon  in  San  Fernando: 
Anales    del    observatorio    de   marina   de   San   Fernando.     Seccion  2. 

Observationes  meteorlogicas.     Auno  1S70.     g.  4. 

Vo)n  Herrn  Robert  Main  in  Oxford: 
Eesults  of  astronomical   and   meteorogical  observations  made  at  the 
Radcliffe  observatory  Oxford  in  the  year  1867.    Yol,  27.    1870.  8. 

Vom  Herrn  J.T.Smith  in  Ilelbourne: 
1870.  Victoria.  —  Mineral  Statistics  of  Victoria  for  the  year  1869.  Fol. 

Vom  Herrn  Alessandro  Ghirardini  in  Mailand: 
Studj  sulla  lingua  umana  sopra  alcune  antiche  inscrizioni  e  sulla  or- 
tografia  italiana.     18G9.     8. 

Vom  Herrn  Marco  Taharrini  in  Florenz: 
Dücumenti   di   storia    italiana   publicati  a  cura  della  R    deputazione 
sugli   studi    di   storia   patria   per   le   provincie  di  Toscana,  dell' 
Umbria  e  delle  Marche.     Vol.  1.  2.     1870.     4. 

Vom  Herrn  Joseph  Giirney  Barclei  in  London: 
Astronomical   observations  taken   during   the  years  1865 — 69.  at  the 
private  observatory.     Vol.  2.     1370.     4. 

Vom  Herrn  W.  F.  B.  Suringer  in  Leiden: 
Nederlandsch  kruidkundig  Archief.  VijfdeDeel.  Vierde  Stuck.  1870.  8. 

Vom  Herrn  Christian  Cron  in  Augsburg: 
Beiträge    zur  Erklärung    des    Platonischen  Gorgias    im  Ganzen    und 
Einzelnen.     Leipzig  1870.     8. 

Vom  Herrn  Max  Zengerle  in  München: 
Lehrbuch  der  Chemie  nach  den  neuesten  Ansichten  der  "Wissenschaft 
für  den  Unterricht  an  technischen  Lehranstalten.    2.  Abtheilung. 
3.  Lieferung.     1870.     8. 


Einsendungen  ton  Druckschriften.  335 

Vom  Herrn  Friedrich  von  Stalin  in  Stuttgart: 
Württembergische  Geschichte.     4.  Thl.      Schwaben   und    Südfranken 
vornehmlich    im    16.  Jahrhundet.     1.  Abthl.     Zeit  der  württem- 
bergischen  Herzoge  Eberhard  II.  und  Ulrich  1498 — 1550.  1870.  8. 

Votn  Herrn  J.  Ä.  Grunnert  in  Greifswald : 
Archiv  der  Mathematik  und  Physik.     52.  Thl.     1.  Heft.     1870.     8. 

Vom  Herrn  Hermann  Kölhe  in  Leipzig: 
Journal  für  praktische  Chemie.    Neue  Folge.   Bd.  2.    5.  Heft.    1870.  8. 

Vom  Herrn  Karl  Hornstein  in  Prag: 

üeber   die   Bahn    des  Hind'schen  Kometen    vom  Jahre  1847.    Wien. 
1870.     8. 

Vom  Herrn  Karl  Goertz  in  Moskau: 
Archeolog.     Topographia.     Tamanskago  Polyostrowa.     1870.     4. 

Vom  Herrn  F.  Zantedeschi  in    Venedig: 

a)  Delle    burrasche    dell'    atmosfera   solare    e  della  possibile  loro 
connessione  colle  burrasche  dell'  atmosfera  terrestre.   1870.  8. 

b)  Intorno  all'  elettro-chimica  applicata  all'  industria  e  alle  belle 
arti.     Padova  1870.     8. 

Von  den  Herren  E.  G.  Gersdorf  und  K.  Fr.  von  Posemklett  in  Leipzig : 

Codex  diplomaticus  Saxoniae  regiae.    2.  Haupttheil.    9.  Bd.    ürkunden- 
buch  der  Stadt  Leipzig.     2.  Thl.     1870.     4. 

Vom  Herrn  Georg  Ludwig  von  Maurer: 
Geschichte   der   Städteverfassung    in  Deutschland.     3  Bd.     Erlangen 

1870.     8. 

Vom  Herrn  von  Schlagintweit-Sakünlünski  in  Mimchen : 
Reisen  in  Indien  und  Hochasien.     Eine  Darstellung   der  Landschaft, 
der  Cultur  und  Sitten  der  Bewohner,  in  Verbindung   mit   klima- 
tischen   und    geologischen    Verhältnissen.      2.    Bd.      Hochasien : 
I.   Der  Himälaya  von  Bhutan  bis  Kashmir.    Jena  1871.     8. 


336  Einsendungen  von  Druclcschriften. 

Vom  Herrn  Ernst  EäcJcel  in  Jena: 
Die  Catallacten,  eine  neue  Protisten  Gruppe.     1870.     8. 

Vom  Herrn  G.  vom  Bath  in  Bonn : 

Geognostisch- mineralogische   Fragmente    aus    Italien.      3.  Thl.     Die 
Insel  Elba.     1870.     8. 

Vo7n  Herr 71  G.  Neumayer  in  Wien: 
Ein  Project  für  die  Vorarbeiten  betreffs    des  Venusdurcbganges   von 
1874.     1870.     8. 

Vom  Herrn  L.  Karl  in  Würzburg: 
Die  Aeneide  des  Publius  Virgilius  Maro.     1870.     8. 

Vo7n  Herrn  Bitter  v.  Haidinger  in  Wien : 

Der  8.  November  1845.     Jubel  -  Erinnerungstage.    Eückblick   auf  die 

Jahre  1845  bis  1870.     Schreiben  an  Eduard  Doli.     1870.     8. 

Vom  Herrn  John  Tyndall  in  London: 
On  theaction  of  rays  of  highrefrangibility  upon  gaseous  matter.  1870.  8. 

Vom  Herrn  Jos.  Sievering  in  Luxemburg : 

a)  Sur  les  orages  du  Grand-Douche  en  1866 — 1869.     8. 

b)  De  l'equilibre  et  de  la  stabilite  des  corps  flottants.     1870.     8. 

Vom  Herrn  Giuseppe  Bellucci  in  Turin: 
Süll  ozono  note  e  riflessioni.     Prato  1869.     8. 

Vo7n  Herrn  De  Colnet-D' Huart  in  Luxemburg: 

Memoire  sur  la  theorie  mathematique  de  la  chaleur  et  de  la  lumiere. 
1870.     4. 


Sitzungsberichte 

der 

königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch -philologische  Classe. 

Sitzung  vom  3.  Dezember    1870. 


Herr  Lauth  hält  einen  Vortrag  über 

,,Die  älteste  Landkarte  nubischer  Goldminen." 

(Mit  einer  Tafel.) 

Das  Turiner  Museum  besitzt  unter  seinen  zahlreichen 
Schätzen  aus  dem  ägyptischen  Alterthume  auch  die  älteste 
Landkarte.  Lepsius,  welcher  sie  1842  zuerst^)  veröffent- 
licht hat.  hielt  sie  damals  für  das  „Grab  des  Königs  Seti  I 
auf  einem  altägyptischen  Situationsplane  von  Biban-el-moluk". 
Richtig  ist  an  dieser  Bezeichnung  nur,  dass  die  betreffende 
Urkunde  einen  Situationsplan  mit  dem  Xamen  des  Königs 
Seti  I  darstellt  —  eine  für  jenes  Stadium  der  Aegyptologie 
nicht  unerhebliche  Errungenschal't.  Eine  wesentliche  Bericht- 
tigung   und  Bereicherung   erfuhr   die  Würdigung  dieses  alt- 


1)    In   seiner    ..Auswahl   von   Urkunden   des   ägyptischen   Alter- 
thums"  Taf.XXII. 

[1870.  IL  4.]  23 


338     Sitzung  der  phüos-philol  Classe  vom  3.  Dezember  1S70. 

ehrwürdigen  Denkmals  durch  den  bahnbrechenden  Aegypto- 
logen  S,  Birch^).  Obschou  ihm  das  Original  nicht  vorlag, 
sondern  nur  die  Ausgabe  von  Lepsius,  in  welcher  die  Farben 
fehlen,  so  fand  er  doch,  bloss  durch  die  Hauptlegende  ge- 
leitet, dass  ,,die  Berge,  aus  denen  mau  Gold  gewinnt,  auf 
dem  Plane  roth  gefärbt"  sind.  Ich  werde  Birch's  Lesungen 
weiterhin  eingehend  berücksichtigen,  indem  ich  hier  vorläufig 
nur  bemerke,  dass  ,,die  historische  Tafel  Ramses  11"  die 
Stele  von  Kuban  ist.  Birch  vermuthet  Ellaqe  sei  die  Oert- 
lichkeit.  Brugsch  gedenkt  fünf  Jahre  später,')  1857,  der 
Arbeit  Birch's,  deren  Resultate  er  adoptirt,  mit  der  Ver- 
muthung,  dass  die  Bergwerke  (von  Oloqa  oder  die)  von 
El  Sokkot  am  meisten  den  Bedingungen  ,, der  Strassen  zum 
Meere'"  entsprechen  dürften. 

Wiederum  fünf  Jahre  später,  1862,  behandelte  der  in 
allen  Zweigen  der  Aegyptologie  wegen  seines  Scharfsinnes 
berühmte  französische  Aegjptologe  F.  Chabas*)  unser 
Aktenstück.  Seine  Vorführung  des  Originals  mit  allen 
Farben;  die  Hinzufügung  eines  früher  nicht  beachteten 
Fragmentes  am  unteren  Winkel  der  rechten  Seite;  seine 
Herbeiziehung  der  auf  den  nämlichen  Köuig  Seti  I  bezüg- 
lichen Inschriften  von  Radesieh,  die  er  schon  früher  übersetzt 
hatte,  sowie  seine  meisterhafte  Charakterisirung  des  Ganzen 
überhaupt,  zeigen  einen  uamhafteu  Fortschritt  in  der  Er- 
kenntniss  des   Wesens  dieser  Urkunde. 

Wenn  ich  es  dessungeachtet  wage,  nach  solchen  Vor- 
gängern   mit   einer   neuen  Untersuchung   hervorzutreten,    so 


2)  In  seiner  Abhandlung:  ,,Upon  a  historical  tablet  of  Eameses  II 
of  the  XIX""  dynasty,  relating  to  the  goldmines  of  Aethiopia.''  Lon- 
don 1852. 

3)  ,,Die  Geographie  des  alten  Aegyptens"  p.  38  Anmerkung; 
die  Karte  selbst  gibt  er  Taf.  VI  oben  in  verkleinertem  Massstabe. 

4)  Unter  dem  Titel:  Les  inscriptions  des  mines  d'or. 


Lauth:  Die  älteste  Landkarte.  339 

geschiebt  diess ,  weil  die  Hauptfrage :  wo  die  Goldminen 
des  Turincr  Papyrus  zu  suchen  und  zu  finden  sind ,  die 
noch  gar  nicht  gelöst  ist,  durch  die  von  mir  beizubringenden 
Materialien  und  Lesungen  der  Entscheidung  nahe  gerückt 
wird.  Die  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  erfordert  hiebei 
alle  Spuren  minutiös  zu  beachten ,  wesshalb  ich  mit  einer 
detaillirten  Beschreibung  dieser  ältesten  Landkarte^)  beginne. 

Der  frfigliche  Papyrus  war  früher,  nach  Analogie  aller 
übrigen ,  gerollt  und  durch  irgend  einen  Druck  von  aussen 
platt  gedrückt  und  beschädigt ,  so  dass  er  beim  Aufrollen 
in  sieben  ziemlich  gleich  breite  Streifen  zerfiel ,  deren  Zu- 
sammengehörigkeit durch  die  streichenden  Linien  und  Farben 
mit  Sicherheit  ermittelt  und  wieJerhergesellt  werden  konnte. 
Bloss  das  Fragment  rechts  oben  muss  der  dunklen  Stelle 
wegen  umgestülpt  werden. 

Da  nun  jeder  dieser  sieben  Streifen  in  der  um  ein 
Drittel  gegen  das  Original  verjüngten  Ausgabe  von  Chabas 
ungefähr  2  Zoll  misst ,  so  beträgt  die  Breite  des  Papyrus 
von  rechts  nach  links  etwa  21  Zoll  oder  1^/4  Fuss.  Die 
Höhe  ist  allenfalls  um  V?  geringer,  so  dass  nach  Wegdeukung 
des  siebenten  Streifens  sich  ein  Quadrat  darstellen  würde. 
Leider  sind  aber  au  der  rechten  Seite  —  wahrscheinlich, 
weil  diese  Partie  bei  der  Rollung  den  äussersteu  Umgang 
bildete,  der  ümbilicus  also  durch  die  linke  Seite  dargestellt 
war  —  mehrere  Stücke  abgebrochen  und  wie  es  scheint, 
unwiederbringlich  verloren.  Die  übrigen  drei  Seiten  hingegen, 
deren  Ränder  die  Grundfarbe  des  Pai3yrusstofi"es  selbst  an 
sich  tragen,  haben  trotz  mehrfacher  Abfalle  und  Auszackungen 
keine  wesentliche  Einbusse  erlitten.  Ich  habe  diese  Ränder 
weggelassen. 


5)    Ich  gebe   sie   auf  beifolgender  Tafel   nach   der  Ausgabe  von 
Chabas,  mit  einer  einzigen  nolhwendigen  Modification. 

23* 


340     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

Zwei  Wege,  die  laut  der  Begleitcbrift  ,,zu  einem  Ge- 
wässer Namens  jutna  führen",  zeigen  die  lehmartige  Grund- 
farbe des  Papyrus;  die  übrigen  vier  Wege  sind  mit  blasser 
Rosafarbe  bemalt,  ebenso  die  bei  C  und  H  befindlichen 
Gebäude.  Dieselbe  röthlicbe  Farbe,  aber  etwas  intensiver, 
ist  an  der  Masse  der  durch  die  Wege  und  sonstige  schwarze 
Umrisslinien  eingefassten  Berge  angebracht  und  inschriftlich 
als  aiinnu  descher  color  rufus  bezeichnet.  Einer  dieser  Berge 
(B  oben)  ist  chocoladefarbig  in  drei  Abtheilungen  schattirt. 
Ich  gebe  der  Einfachheit  wegen  den  ganzen  Plan  auf  rothem 
Papier.  Die  naive  Art  der  Darstellung,  wonach  die  genannten 
Berge  zu  beiden  Seiten  der  Wege  nach  rechts  und  links 
auseinander  fallen,  findet  sich  ebenso  in  der  Hieroglyphe 
für  Weg:  £^,  wo  die  Bäume  mit  den  Wurzeln  einander 
entgegengekehrt  sind,  und  in  der  Karte  einer  assyrischen 
Gegend,®)  die  ebenfalls  Berge  und  Bäume  so  flach  liegend 
an  den  Seiten  der  Wege  aufweist.  Vergl.  weiterhin  die 
Pflanzentheile. 

Hiemit  wird  schon  die  Frage  erledigt,  ob  wir  das  Innere 
eines  Bergwerkes  mit  seinen  Minen,  Gängen  und  Schachten, 
oder  im  Gegentheile  die  äussere  Ansicht  eines  Gebirgsstockes 
vor  uns  haben.  Dass  Letzteres  hier  zutrifi't,  ergibt  sich  so- 
wohl aus  den  Wegen  ,,die  (parallel)  zu  einem  Gewässer 
führen",  als  auch  aus  der  Vergleichung  mit  dem  Plane  eines 
entschieden  unterirdischen  Baues,  nämlich  des  Ramessiden- 
grabes,  welchen  Lepsius')  in  dankenswerthester  Weise  ver- 
öffentlicht hat.  Indess  wird  uns  dieser  Plan  eines  Grabes 
behufs  der  allgemeinen  Orieutation  auch  unserer  Karte  weiter- 
bin erspriessliche  Dienste  leisten.  Er  folgt  in  meiner  nächsten 
Abhandlung. 


6)  Vergl.  Brugsch  :  Geogr.  I.  Tafel  VI  unten. 

7)  Grundplan  des  Grabes  König  Ramses  IV  (ebenfalls  auf  einem 
Turiner  Papyrus)  Berlin  1867. 


Lauth :  Die  älteste  Landlarte.  341 

Ungefähr  in  der  Mitte  des  Ganzen  ist  ein  unregelmässiges 
Fünfeck  von  tiefbrauner  Mumienfärbung.  Darauf  steht 
(so  hat  man  sich's  wenigstens  zu  denkeu)  eine  Stele  der 
gewöhnlichen  oben  abgerundeten  Form  von  weissem  Steine, 
Inschrift  lieh  (I)  als  ,.die  utu  (Stele)  des  Königs  Ramenma" 
(Seti  I)  bezeichnet.  Warum  man  zum  Gedenksteine  des 
Königs  nicht  das.  jöthlieht-  Material  aus  nächster  Nähe  ge- 
nommen hat.  sondern  Kalk-  oder  weissen  Sandstein? 
Vermuthh'cli ,  um  das  Denkmal  recht  in  die  Augen  fallend 
zu  machen.  Unter  K  sieht  mnn  ein  ovales,  durch  die  Wellen- 
linien hinlänglich  gekennzeichnetes  Gewässer  von  grüner 
Farbe.     Ich    habe    schon    anderwärts    dargethan,    dass   die 

übliche   Bezeichnung    des   Älittelmeeres    nK^^^U'^^^^^   Uas:- 

ura  wörtlich  ..das  grosse  Grün"  bedeutet.  Die  zu  K  gehörige 
Legende  ist  zwar  sehr  zerstört ;  doch  lässt  sich  nach  dem 
erhaltenen  Artikel  ta  (femin.)  zu  schliessen,  leicht  chmmit 
„Brunnen'  herstellen.  Das  runde  Loch  bei  L  ist  braun 
bemalt,  wie  das  I'ünfeck.  Oh  dadurch  die  von  der  Nähe 
des  Wassers  bedingte  Bodencultur  angedeutet  werde,  wie 
man  annimmt .  mng  einstweilen  dahingestellt  bleiben.  Ein 
anderes  rundes  Loch  im  Mitt^  Ibaue  (C) ,  ohne  besondere 
Farbe,  mag  ebenfalls,  wie  das  bei  K  eine  Gisterne  vorstellen; 
wenigstens  gestattet  der  Tempelbau  (C)  nicht,  an  einen 
Schacht  zu  denken.  Der  unterste  Weg  (0)  ist  mit  ver- 
schiedenen Gegenständen  bedeckt,  die  man  bisher  für  See- 
muscheln  erklärt  hat,  verleitet  durch  die  wiederkehrende 
Legende,  in  welcher  das  Wort  juma  vorkommt,  das  man 
(vergl.  C')  als  j.Meer"  auffassen  zu  müssen  glaubte.  Allein, 
diess  einstweilen  zugegeben,  wie  kommt  es  denn,  dass  gerade 
der  Weg  (0),  auf  den  die  angeblichen  Seemuscheln  hin- 
gestreut erscheinen,  inschriftlich  das  jtwia  gar  nicht  erwähnt? 
Betrachten  wir  die  fraglichen  Gegenstände  ohne  vorgefasste 
Meinung,  so  gehören  sie  offenbar  nicht  ins  Mineralreich  oder 


342     Sitzung  der  philos.-phiJol  Gasse  vom  3.  Dezember  1870. 

zu  den  Gebilden  des  Meeres,  sondern  zur  Pflanzenwelt. 
Die  länglichten  w eissfarbigen  Körper,  18  an  der  Zahl, 
sind  entweder  Nüsse  oder  Fruehtkörnt  r ;  die  grünen  Büschel 
entweder  Aehren  oder  Zwtige;  die  bräunlichen  entweder 
dürre  Blälter  oder  Blüthcn.  Dass  der  Unterschied  dieser 
Farben  nicht  s-.treng  durchgeführt  ist,  beweisen  vier  oblonge 
Körper  mit  grüner ,  und  die  Hälfte  der  blätterartigeu  .  mit 
aus  Grün  und  Braun  juxtaponirter  Färbung,  wenn  diese 
kleinen  Abweichungen  nicht  der  Reproduction  zur  Last  fallen 
sollten.  Aus  dem  Augenscheine  ergibt  sich  also,  dass  der 
betreffende  Weg  nicht  zum  unfruchtbaren  Westraude  des 
rothen  Meeres  führte,  sondern  vielmehr  in  eine  Gegend,  die 
vom  befruchtenden  Wasser:  dem  Nile,  bespült  wurde.  Die  tief 
dunkle  Farbe  bei  G  deutet  auf  ein  Souterrain  oder  eine  Grotte. 
Die  hieratischen  Legenden,  schwarz  gesehrieben,  ver- 
rathen  die  Epoche  des  Rauises-Sesostris  und  seines  Vaters 
SetLosis  I;  sie  sind,  soweit  nicht  die  Bruchlinien  und  aus- 
gefallene Stücke  störend  dazwischen  treten,  vollkommen 
deutlich;  die  nothweudigen  Eigänzungen,  bis  auf  eine, 
sämmtlich  sicher.  Ich  will  sie,  hieroglyphisch  transscribirt, 
genau  in  derselben  Reihenfolge  vorführen,  wie  sie  durch  die 
grossen  Buchstaben  des  lateinischen  Alphabets  auf  der  Tafel 
bezeichnet  sind. 

A. 

na     duH-u       n-ti     fiita  lii  aä     nuh-n    omu-n  eher 

,,die  Berge,  wo  man  ist  im  Waschen  Gold  aus  ihnen"; 

au-u  m       pai  aunmi-u      deschert 

,,sie  sind  aber  in  d(i)e(se)r  rothen  Farbe"  (gehalten). 


/VW^A 


I  vww\ 


^[^^;^,ii™^^;^p;s5n. 


Lauth:  Die  älteste  Landkarte  343 

Hier  ist  von  der  Gruppe  ää,  kopt.  iä  lavare,  nur  der 
Anlaut  ä  zu  ergänzen.  Was  die  Sache  selbst  betrifft,  so 
kehrt  der  nämliche  Ausdruck  auf"  der  Stele  von  Kuban 
(lin.  10)  wieder  und  ist  auch  sonst  sehr  häufig  anzutreffen; 
jedenfalls  also  wurde  auf  dem  Terrain  unserer  Karte  das 
Gold  durch  Waschung  gewonnen,  nicht  einfach  , .entnommen" 
Quer  „ausgefühlt",  wie  man  früher  meinte.  Nicht  hun, 
charcm,  ans,  wie  Birch  gelesen  hatte,  sind  die  betreffenden 
Gruppen  zu  lautiren. 

B. 

na    duu  —  ii      n    p    nm  nub-u 
„die  Berge  mit  dem  Stoffe  des  Goldes." 

Au  dieser  Legende  ist  nur  der  Artikel  ^;  unsicher  er- 
gänzt; würde  eine  andere  Ausfüllung  der  Lücke  oder  viel- 
mehr der  erhaltenen  Schriftzüge  beliebt,  so  entsteht  dadurch 
kein  anderer  Sinn.  Die  drei  (oder  vier,  wenn  links  unter 
der  Legende  N  quer  eine  Legende  stand)  in  den  Legenden 
desselben  Betreffs  sind  um  den  Artikel  na  „die"  sowie  die 
Gruppe  2^  w?«<  ,,dem  Stoffe"  kürzer.  Die  wechselnde  Schrift- 
richtung dieser  Legenden  (B)  erklärt  sich ,  wie  beim  Plane 
des  obengenannten  Ramessidecgrabes,  wohl  aus  dem  Bestreben, 
die  mangelnde  Perspective  zu  ersetzen ,  obschon  sie  nicht 
streng  durchgeführt  ist.  Denn  die  unter  dem  Wege  bei  0 
stehende  Legende  müsste  nach  diesem  Principe  umgestülpt 
werden.  Desshalb  glaube  ich ,  dass  das  Fragment  (rechts 
oben)  umzustellen  ist ,  um  dem  beabsichtigten  Grundsatze 
besser  zu  genügen,  weil  auch  die  tief  dunkele  Färbung  nicht 
den  Grundton  des  Papyrus  wiedergibt,  obschon  diese  leider 
diesmal  so  dunkel  ausgefallen,  dass  der  Text  unleserlich 
geworden  ist. 


344     Sitzung  der  phüos.-'philöl.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

(J. 


2)a  cliemm       n     Ämon    pai         du  nah 

„Das  Chennu-Haus  des  Amon  d(ies)es  Heiligen  Berges". 

Die  Lesung  und  Uebeisetung  ist  unbeanstandet.  Desto 
mehr  ist  es  zu  verwundern ,  dass  Brugsch ,  der  Begründer 
der  altägyptiscben  Geograpbie,  die  fehlerhafte  Lesung  Birch's 
reproducirt,  welcher  bietet:  pa  chateni  en  Amen  en  tu  „der 
Schrein'"  oder  „der  verschlossene  Platz  Amon's  in  dem 
Hügel.  —  Unter  diesem  ist  das  Wort  ab  rein;  ob  dieses 
sich  jedoch  auf  den  Hügel  oder  auf  das  Heiligthum  a-ab 
„reiner  Platz"  das  Äbaton,  bezieht,  ist  nicht  klar".  Im 
Lexicon  p.  1095  liest  er,  einschliesslich  des  zweiten  Artikels 
pai,  wie  ich,  übersetzt  aber:  „Das  innerste  Gemach  des 
Amon,  dies  ist  der  Berg  der  heilige".  In  seiner  Geographie 
p.  160  und  162  weiss  er  sehr  wohl,  dass  unter  du-uab  ent- 
weder der  Gebel  Barkai  oder  der  Gebel  Dosche  zu  ver- 
stehen ist. 

Das  Wort  cJiennu,  durch  den  Hausplan  determinirt,  wie 
das  mittels  bu  (Ort)  davon  gebildete  bu-chennu,  welches  im 
Kopt.  böhen  tectum,  opertorium,  cortina  tabernaculi,  sowie 
in    ]n2   specula,  turris  in  colle  exstructa  nachklingt,  stammt 

vom  Verbum  chennu   (  ®  ^  y^n   Chabas  fitudes  egypt. 

p.  16  not.  56)  in  der  Bedeutung  ..Haltmachen,  rasten,  ruhen" 
und  Hesse  sich  allenfalls  durch  ,, Station"  wiedergeben.  Auf 
unserem  Plane  ist  das  chennu  des  Amon  ein  aus  6  Piegen 
bestehendes  Gebäude,  das  von  der  Strasse  aus  nur  einen 
einzigen  Eingang  hat.  Aus  dem  hiezu  gehörigen  länglichten 
Räume  führt  nach  links  eine  Thüre  in  den  mit  einer  Cisterne 
versehenen  Hof;    hinter  der  Cisterne  öffnet  sich  durch  eine 


Laxcth:  Die  älteste  Landkarte.  345 

neue  Thüre  ein  un regelmässiges  Fünfeck  ;  im  rechten  Winkel 
hiez!i  steht  ein  länglichtes  Zimmer*)  ebenfalls  mit  einem 
Eingange  vom  Hofe  aus.  Nach  rechts  vom  ersten  Räume 
aus  führt  aus  seiner  hintersten  Ecke  eine  Thüre  in  ein  aus 
zwei  Rechtecken  gebildetes  förmliches  Eckzimmer,  und  aus 
diesem  eine  letzte  Thüre  in  den  kleinsten  Bestandtheil  des 
Gebäudes.  Man  vergleiche  mit  dieser  thatsächlicheu  BeschaÖ'en- 
heit  des  Baues  die  Bemerkungen  des  H.  Chabas  hinter  seiner 
richtigen  Uebersetzung :  ,,il  se  compose  de  deux  salles  en- 
tourees  de  chambres".  Eher  möchte  ich  ihm  in  seiner 
Schlussphrase  zustimmen :  ..qui  servaient  probablement  de 
logement  aux  pretres  et  aux  ofticiers  commandant  la  Station'". 
Man  muss  bei  diesem  Chennu  des  Amon ,  wie  beim  Plane 
des  Ramessidengiabes  sich  immer  vergegenwärtigen,  dass 
die  scheinbar  auf  dem  Boden  liegenden  Thüren  aufrecht 
stehend  zu  denkeii  sind,  wie  denn  überhaupt  die  ägyptischen 
Zeichner  architektonischer  Entwüife  Grundriss  und  Quer- 
durchschnitt in  seltsamer  Weise  zu  verbinden  gesucht  haben. 
Es  ^^tand  dieses  Gebäude  also  am  Berge,  nicht  unterirdisch 
im  Berge. 

D. 

tu  ma't      n     fa  Sekcmth-ti 
..Den  Weg  von  (zu)  der  Sekanthtt'* 

Die  erste  Gruppe  ,.der  Weg"  kehrt  noch  dreimal  wieder; 
sie  unterliegt  nicht  dem  geringsten  Zweifel^;.   Unsicher  aber 

ö)  Dieses  ist  auf  Lepsius  Pian  durch  eine  fehlerhafte  Linie  in 
zwei  Räume  getheilt.  deren  einer  Theil  ohne  Ein-  und  Ausgrang 
sein  würde. 

9;  Dass  nicht  mehr  ta  r.ha't  zu  lesen  ist.  wissen  jetzt  alle 
Aegyptologen. 


346     Sitzung  der  phüos.-phihl  0asse  vom  3.  Dezember  1870. 

ist  das  erste  Zeichen  des  Namens  der  Stadt.  Birch  las 
en  na  Menta  ,,(die  Strasse)  für  die  Arbeiter".  Allein  Chabas 
bemerkt  dazu  mit  Recht:  .,fie  sens  ne  peut  etre  accepte", 
weil  das  Deutbild :  der  Stadtplan,  nicht  dazu  stimmt.  Doch 
las  auch  er  menat-ti  und  übersetzte:  ,,le  lieu  de  la  nourrice" 
oder:  ,,le  lieu  de  l'Asiatique" ,  beides  unzulässig,  weil  das 
Wort  nur  ein  Determinativ:  ®.  hinter  sich  hat.  Da  ferner 
die  Sylbe  men  auf  unserer  Karte  dieimal  in  der  bekannten 
hieratischen  Form  auftritt ,  die  von  der  die^^es  angeblichen 
Menatti  gänzlich  abweicht,  so  bin  ich  befugt,  mich  nach 
einer  anderen  Lesung  umzusehen. 

Im  Papyrus  Prisse^")  VII  4  kommt  die  Stelle  vor: 
,,Hüte  dich  vor  einem  Worte.  '=^^3^/10^  ur  n  ur,  welches 
entzweien  würde  einen  Grossen  mit  einem  Grossen".  Die- 
selbe Gruppirung  der  Züge  zeigt  unsere  Legende  D  hinter 
dem  Artikel  "(^  .  Von  — »—  ist  noch  das  untere  Stück  der 
der  durchschneidenden  Linie  vorhanden ;  das  K  ^cz::;^  ist 
geformt  wie  im  Anfange  der  Legende  N  '-^ — ^.  Dieses  Wort 
sel'enth-ti  fehlt  wie  seJcen  und  seJientha  in  Brugsch's  Lexikon. 
Es  ist  eine  Adoption  des  semitischen  P^Zp  sukkoth  „die 
Höhlen"  und  bedeutet  also  ,,das  Höhlenland".  Die  geo- 
graphische Einfügung  ,,des  )/,  Sekenfh  statt  seJcefh"  ist  zu 
begreifen  wie  in  r-hti-nur  =  ehol  foras;  tlienur  =  djor 
fortis  —  also  eine  nasalirende  Ersetzung  des  dunkelen  Vo- 
kals 0. 

Des  wohlfeilen  Auskunftsmittels  statt  '^^'»'^  ein  - — o  zu 
lesen,  was  der  Schriftzug  gestatten  würde,  bediene  ich  mich 
desshalb  nicht,  weil  eine  solche  Gruppe  SeJiäth-ti  nicht  nach- 
weisbar ist.     Ganz  anders  sind    die  Spuren    der  Legende  in 


10)    Vergl.  Sitzuugs- Berichte   der  k.  b.  Akad.  d.  Wiss.  1870.  II. 
Beilage  p.  83. 


Laiäh:  Die  älteste  Landkarte.  347 

der  Zeichnung  von  Lepsius.  Besonders  der  Strich  über  dem 
Bruche  des  Papyrus .  welcher  in  der  zweiten  Ausgabe  von 
Chabas  fehlt,  wälirend  seine  erste  ihn  ebenfalls  bietet,  zwingt 
uns,  eine  andere  Lesung  zu  versuchen.  Zwar  scheint  auch 
hienach  die  Legende  menth-ti  ausgeschlossen,  weil  die  untere 
Rundung  des  Zeichens  nicht  dazu  passt  und  links  dann  jeden- 
falls ein  Strich  zu  viel  stünde.  Dagegen  ergeben  die  erhal- 
tenen Züge  ungezwungen  das  Wort  U  Yj  |^  SeJcath-ti .  was 
mit  SuTiliöt  n"i3p  noch  leichter  zu  vereinigen  ist,  als  mit 
Sekenth-ti.  Wir  besitzen  sogar  eine  Gegenprobe  dazu  in 
der  unterägyptischen  Stadt     loMA®  sochet,  ko]}i.  sosche(t) 

Campus,  unser  ,, Felden",  welches  von  den  Ebraeern  zu  dem 
nämlichen  n"i2P  adaptirt  worden  ist,  von  wo  die  Kinder 
Israels  (Exod.  XIII  20)  nach  der  Station  Etham  zogen. 
Ich  habe  auf  meiner  Karte  diese  beherzigenswerthe  Legende 
Sekath-ti  jedoch  nicht  als  Variante  zu  SeJcenth-ti  gesetzt. 
Uebrigi  ns  zeigt  die  Zeichnung  von  Lepsius  auf  demselben 
Wege  D  zwei  oder  drei  weitere  Unrichtigkeiten,  verglichen 
mit  dem  jüngsten  Facsimile.  Denn  der  Weg  D  ist  nach 
hinten  nicht  durch  eine  Querlinie  (bis  zur  Mitte  reichend) 
abgegränzt,  die  Fortsetzung  reclits  fehlt  und  der  linke  Um- 
rissstrich des  ,,hl.  Berges''  greift  einen  halben  Zoll  in  den 
Weg  hinein.  Auch  ist  das  hinterste  Zimmer  des  Chennu 
durch  eine  Linie  in  zwei  Räume  getheilt,  deren  einer  ohne 
Ein-  und  Ausgang  ist.  Wäre  indess  auch  Menth-ti  zu  lesen, 
so  hätten  wir  das  kopt.  mone-(ti)  mansio  habitatio  darin 
zu  erblicken,  aus  welchem  das  heutige  miniet  „die  Stadt" 
im  Munde  der  arabisch  redenden  Bevölkerung  entstanden 
ist,  oder  menti  „das  Gebirg"  (montes).  Eine  letzte  Möglich- 
keit,  die  durch  Lepage-Renouf's  Varianten  nahe  gelegt 
wird,  wonach  3f€nti  =  Anienti  ,,der  Westen"  will  ich  nur 
erwähnen ,    ohne   sie  zu  acceptiren ,    obschon  sie   zu  meiner 


348     Sitzung  der  philos.-philoh  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

Orientation  der  Urkunde  vortrefilicli  stimmen  würde.  Die 
„Höblengegend"  el  StiMöt  werden  wir  auch  ohne  die  Le- 
gende 0  in  G  verzeichnet  finden. 


E. 

fa  I)elin(t)i     n  Airf 
..Die  Stirne  (Fronte)  von  Ap't  (Lokalität)". 

Meine  Vorgänger  ergänzen  hinter  ta  dehni,  welches 
allein  erhalten  ist,  die  Gruppen  en  tu  und  übersetzen :  ,,Die 
Vorderseite  des  Hügels"  ., front  de  ...  (sans  doute  de  la 
fnontagne)''.  Was  dehni,  kopt.  teJini  frons  betrifft,  so  kommt  es 
in  der  Geographie  Aegyptens,  besonders  der  Stele  des  Aethiopen 
Fianchi  (lin.  27)  vor,  und  zwar  zwischen  Pemdje  und  Phoe- 
nikopolis  in  der  Heptanoniis.  Dieses  Ta-de(ha)ni  ist  ohne 
Beisatz  und  so  wohl  von  dem  Gewässer  des  XXL  Gaues: 
Pen-iehani  als  von  unsern  Ta-dehn(t)i  zu  unterscheiden. 

Was  mich  bestimmt,  die  Oertlichkeit  mit  dem  Namen 
Ta-dehni  durch  n-Apt  zu  ergänzen .  und  in  Aethiopien  zu 
8U  suchen,  ist  eine  Stelle  des  Todtenbuches,  die  bisher  nicht 
gehörig  beachtet  worden  ist.  Im  ersten  Zusatzcapitel  163 
col.  9  steht  Folgendes: 


^vV^AfV. 


Arika  van-f;  entof  hotep  n  pe  m  Mt-amenti    Ta  -  dehanti 


n    Apt     n  p  to  Kenst  au  hu    arf  za       r    ab-fiu    a 


Lauth :  Die  älUste  Landkarte.  349 


Amon    pe    ha 

,,Arika   ist    sein  Name;     er   ruht   im   Nordwesten    von  Ta- 

dehanti-n-A])t  des  Landes  Kenest ,  bevor  er  macht  die  Fahrt 

nach  Osten.     0  Amon!    du  Stier'*  etc. 

Offenbar  ist  der  Ruhende  oder  Untergehende  der  Gott 
Amon-ra,  d.  h.  Amon  als  Sonnengott  aufgefasst.  der  nach 
seiner  Anlangung  im  Westen  seine  nächtliche  Fahrt  auf  dem 
Hiuimelsozeau  unterirdisch  in  der  Richtung  West — Ost  fort- 
setzend gedacht  wurde.  Meine  Ergänzung  wird  nun  nicht 
mehr  zu  kühn  erscheinen  und  zugleich  das  Land  To-Kenest 
d.  h.  Nubien  oder  ünteräthiopien  als  die  Scene  unserer 
Karte  vermitteln.  Bisher  beruhte  die  Vermuthung,  dass 
Nubien  der  Schauplatz  sei,  bloss  auf  der  Legende  nuh, 
kopt.  nuh  ,,das  Gold",  also  auf  ganz  vager  Voraussetzung, 
da  ja  auch  andere  Länder  als  Nubien  Goldberge  besitzen 
konnten.  Dass  aber  nordwestlich  von  der  Oertlichkeit 
wirklich  ein  Punkt  war,  Tadehn(t)i  oder  Chennu,  wo  Amon 
ruhte,  beweist  die  nächste  Legende 

F. 

hotepu         Amon    am  -  st 
,,ruht  (untergeht)  der  Gott  Amon^*)  in  ihr". 


11)  Aus  dieser  Legende  erklärt  sich  der  so  Läufige  Name  Amen- 
hotep,  der  zu  'Auiywtp&K;  statt  'Auivüi&cfii  und  'Auh'0(fis  gräcisirt 
und  von  den  Griechen  mit  ihrem  Mifivoiv  identifizirt  wurde. 


350     Sitzung  der  phüos.-iMlol.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

Es  ist  der  Anfang  abgebrochen,  aber  sicher  wegen  des 
Pronomens  st-  ein  Substantivum  fem.  nebst  Artikel  ta  zu 
ergänzen.  Auch  Chabas  fasst  die  Sache  so,  indem  er  über- 
setzt: ,,la  demeure  dans  laquelle  repose  Ainmon".  —  Birch 
gibt  bloss  die  Lesung :  hatp-Amen-em  .  .  .     Wir  dürfen  ohne 

Bedenken 


i 


jj^    ta-as't   oder   ta-ment    ,,der   Sitz,    die 

Stätte"  oder  ein  ähuhches  Substantivum  fem,  (vielleicht  n3p'?) 
ergänzen.  Was  gewinnen  wir  aber  durch  die  drei  Legenden 
C  E  F?  Nichts  Geringeres  als  die  Orientation  un- 
serer Karte,  was  für  das  Verständniss  und  die  Bedeutung 
derselben  von  unschätzbarer  \Yichtigkeit  ist.  Es  geht  daraus 
mit  Evidenz  hervor,  dass  die  rechte  Seite  dem  Norden,  die 
linke  also  dem  Süden,  die  untere  dem  Osten,  die  obere  dem 
Westen  entspricht.  Genau  dieselbe  Richtung  befolgten  be- 
kanntlich die  Gänge  der  Pyramiden,  wie  ich  früher  ^^)  schon 
nachgewiesen  habe.  Der  Eingang  war  dem  Norden  zugekehrt 
und  senkte  sich  allmählig  nach  dem  Innern  in  einem  sol- 
chen Winkel,  dass  die  Strahlen  des  Nordpolarsternes  parallel 
damit  einfielen.  Der  Situationsplan  des  Ramessidengrabes 
beginnt  rechts  ebenfalls  mit  der  Nordseite  und  setzt  sich 
geradlinig  gegen  Süden  fort.  Aehnlich  erstreckt  sich  der 
Grundriss  des  Sonnentempels  von  Tel-el-Amarna  von  rechts 
nach  links.  ^^)  Wir  müssen  also  von  der  Orientation  unserer 
modernen  Landkarten  völlig  abstrahiren  und  auch  den  Satz 
des  H.  Chabas  p.  32 :  ,,Li  carte  se  trouve  donc  orientee 
tout  au  rebours  des  notres ,  le  sud  ä  la  place  de  notre 
nord,  Test  ä  la  place  de  l'ouest ,  et  ainsi  de  suite"  etwas 
modificiren. 


12)  „Chufu's   Bau    und   Buch "    in   den  Sitzungsberichten    dieser 
Akademie  1870. 

13)  Lepsius:    Grundplan   des    Grabes  Kanises  IV    pag.  14   lin.  3 
von  unten. 


Lauth:    Die  älteste  Landkarte.  351 


Diesem  iu  Chabis'  Ausg.be  unfludbareii  Buchstaben 
lasse  ich  die  Legende  des  Fragments  (rechts)  entsprechen, 
die  ich  oben  bereits  angekündigt  habe.  Leider!  ist  sie  nicht 
bloss  am  Anfange  und  Ende  abgebrochen,  sond'jrn  von  der 
dunkeln  Färbung  bis  zur  Unkenuth'chk-it  getrübt.  Indessen 
glaube  ich  daselbst  3  Zeilen  einer  Legende  unterschfi Jen  zu 
können,  die  senkrecht  von  rechts  nach  links  stehen.  Natür- 
lich bietet  das  Original  eher  die  Möglichkeit  einer  sicheren 
Lesung.  Ich  lege  kein  Gewicht  auf  die  Herstellung  dieser 
Legende;  übrigens  verlieren  wir  in  historisch-chronologischer 
Beziehung  durch  ihre  Zerstörung  nichts  Wesentliches ,  da 
uns  die  unter  I  vollHn  Ersatz  dafür  bi'-tet. 


H. 

)ia  par-u  n  Djert      bokn      tuib 
,,Die  Häuser  von  Djert  bearbeitend  Gold". 

Birch  las:    na  ha-u  en    naJc  nuh    ,,difi  Gebäude 

des  Landes  von um  zu  waschen  ( oderj  um  zu  reinigen 

das  Gold".  Ghabas  übersetzte :  .,Les  maisons  du  pays  de 
Ti?  oü  Z'on  e^itrepose  l'or"'.  Die  Schwierigkeit  liegt  in  den 
vorletzten  Gruppen,  die  allein  verschiedener  Auffassung  fähig 
sind.  Dass  nicht  vom  Goldwaschen  in  diesen  Häusern  die 
Rede  ist ,  ergibt  sich  unwiderleglich  aus  dem  Mangel  des 
Deutbildes  des  Wassers.  Nach  Analogie  anderer  Papyrus- 
Legenden  haben  wir  hier  das  Wort  '^'^^  hol-u,  kopt. 
bök   servus    „der    Arbeiter",     byH'e   merces    (Resultat    der 


352     Sitzung  der  philos.-phüol.  Clause  vom  3.  Dezember  1870. 

Arbeit)  zu  erblicken.  Offenbar  sind  die  (4)  Häuser  als  die 
Laboratorien  anzusehen,  in  denen  das  Gold  zu  Barren  oder 
Ringen  verarbeitet  wurde.  Auf  dem  Plane  der  Goldberg- 
werke von  Becheni  (Bicbari)  erscheint  (B)  der  Ausdruck 
hoku  nub  dreimal,  das  zweite  Mal  in  Verbindung  mit  einem 
leider  zerstörten  Stadtnamen,  wie  hier. 

Den  Namen  der  Stadt :  Djer't  anlangend,  so  liefert  uns 
der  Situationsplan  des  Ramessidengrabes  unter  b  viermal 
die  Legende: 

„Gezeichnet  nach  dem  Original ,    aufbewahrt  in   der  Metall- 
tafel, ergänzt  durch  die  nöthigen  Farben". 

Das    Wort  <^  v  viu        djeruu,    im    Zusammenhalte 


mit  dem  kopt.  djer  varius,  gibt  uns  auch  den  Schlüssel  zum 
Verständniss  des  Stadtnamens  Djer't  unserer  Legende :  es 
ist  die  vom  Terrain  der  Umgebung  benannte  ,, bunte"  Stadt, 
wie  es  ja  auch  in  Athen  eine  noixiXrj  (öxod)  gab,  die  Cor- 
nelius Nepos  als  Poecile  aufführt. 

L 

utu      suten        Ra-men-ma't  änch  usa  sneb 
„Stele  des  Königs  Sethosis  I  der  heil  und  gesund  leben  möge". 


14)  Auf  der  Stele  von  Kuban    <=>  Vfön    <er»«  geschrieben. 


Laiith:  Die  älteste  Landkarte.  353 

Es  besteht  über  diese  Legende  keine  Verschiedenheit 
der  Auffassung.  ,,La  stele  du  roi  Ramamen"  des  Herrn 
Chabas  setzt  die  3Ia  unnöthigerweise  und  gegen  die  hiera- 
tische Schreibung  hinter  f)ien ,  während  Birch  hutu  en  sut- 
heh  Banienma  liest,  was  er  wohl  jetzt  etwas  verbessert  haben 
wird,  mit  der  Uebersetzuug:  ,,Die  Tafel  des  Königs:  Sonne 
Aufrechthalter  der  Wahrheit''  (Sethos  I).  Die  Richtung  der 
Stele  anlangend,  so  sehen  wir  offenbar  die  Vorderseite,  auf 
welcher  die  Inschrift  angebracht  war.  Sie  selbst  scheint 
aber  nach  Nordwesten  orientirt  zu  sein,  nach  dem  oben 
in  der  Legende  F  genannten  Punkte ,  welcher  genau  den 
Endpunkt  der  Diagonale  von  E  nach  F  vorstellt.  Die  In- 
schrill war  somit  den  Ankommenden  auf  den  drei  Strassen, 
die  durch  den  gewundenen  Verbindungsweg  zwischen  L  und 
0  zusammengefasst  werden,  geradezu  eutgegengekehrt ,  um 
von  ihnen  gesehen  und  allenfalls  gelesen  zu  werden.  Was 
das  weisse  Material  betrifft,  aus  welchem  die  Stele  bestand, 
so  wird  ,.der  gute  weisse  (Kalk)stein  von  Schaat"  erwähnt 
in  einer  Inschrift  von  Kumme '"^j  —  sollte  die  Xilinsel  Sai 
damit  gemeint  sein?  Ihre  Nachbarschaft  würde  zu  unserer 
Landschaft  nicht  übel  passen. 

K.     • 

A,WW\       o'*'f^ 

ta  chnumt 

„der  Brunnen" 

ist  nach  Obij:em  unzweifelhaft.  Dasselbe  Wort  erscheint  in 
der  Iiischrilt  von  Kuban  wiederholt;  meine  Ergänzung  ist 
ausserdem  durch  die  Spuren  empfohlen. 


15)   Brugsch  Geogr.  I  p.  45  und  160. 
[1870.  IL  4.]  24 


354     Sitzung  der  philos.-philoL  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

ta   mat   nti  cliaä  r    pa        juma 

,,Der  Weg,  welcher  leitet  zu  dem  Gewässer". 

Aehnlich  auf  dem  Plane  von  Becheni  (ßischari) :  „(Der 
Weg,  welche)r  leitet  zu  dem  Schlosse  des  Chor". 


N. 


Identisch  mit  der  vorigen ,  nur  mit  ""^  U]  hettlia  „an- 
derer" vorn  vermehrt.  Nachdem  ich  oben  die  Seemuscheln 
auf  dem  Wege  unter  0  beseitigt  und  durch  Produkte  des 
Pflanzenreiches  ersetzt  habe,  kann  mir  juma  nicht  mehr  das 
rothe  Meer  sein,  jetzt  auch  nicht  mehr  wegen  der  oben 
erläuterten  Orieutation.  Hingegen  spricht  alles  dafür,  dass 
unter  juma  hier  der  profane  Name  des  Nil  zu  verstehen 
ist.  Die  Alti^n  nannten  ihn  bekannthch  wegen  seiner  meer- 
artigen Ausdehnung  zur  Zeit  der  Ueberschwemmung  "üxsavög 
und  Herodot  bestätigt  dies  sein  Aussehen  als  Augenzeuge. 
Im  Romane  der  zwei  Brüder  (Papyrus  d'Orbiney)  stellt  der 
Juma  dem  Weibe  des  Batau  nach,  erwischt  eine  Haarlocke 
von  ihr  und  trägt  sie  zu  Wäschern  des  Pharao  hinab.  Ofi'en- 
bar  ist  hier  der  Nil  als  Flussgott  aufgefasst.  Hören  wir 
endlich,  was  Brugsch  in  seinem  Lex.  p.  236  darüber  sagt: 
„mma  das  Meer,  auch  der  Nil,  welchen  bekanntlich  noch 
heute  die  Bewohner  Aegyptens  mit  dem  Namen  ^  A,^ 
,,das  Meer"  bezeichnen".  Dass  C^,  kopt.  jom,  plui-.  amuiu 
mit  diesem  juma  identisch  sind  und  beide  eigentlich  ,,das  Ge- 
wässer" bedeuten,  ist  Jedermann  einleuchtend.    Man  versteht 


16)   L  ist  ohne  Legende. 


Laidh:  Die  älteste  Landkarte.  355 

jetzt  auch,  warum  die  beiden  Paiallelwege  M  und  N  zum  Nile 
führten  oder  vielmehr  von  da  ausgingen;  denn  dieser  Fluss 
bildet  in  Aethiopien  wie  in  Aegyptcn  die  Vorbedingung  der 
Locomotion.  sowie  der  FrucLtbaikeit.  Daraus  erklären  sich 
auch  die  Produkte  des  Pflanzenreiches  auf  dem  dritten  Pa- 
rallelwege, zu  dessen  L'-gende  ich  sofort  übergehe. 


0. 


ta  mat    tJia      pe    ma-hes 
„Die  Strasse  die  des  Mahes". 

Birch  Hess  den  Namen  dieser  Strasse  ungelesen;  Chabas 
übersetzt:  ,,le  chemin  de  Tapimat  ou  qutique  chose  d'a- 
peu-pres".  Er  bemerkt  hiezu:  ce  nom ,  d"a]  res  son  deter- 
minatif,  est  celui  d'un  individu  de  race  etrangere,  mais  non 

celui  d'une  localite".  Er  hat  das  Zeichen  |  zu  sehen  ge- 
glaubt, das  aber  auf  unserer  Karte  nicht  vorkommt.  Wenn 
das  durch  den  Bruch  des  Papyrus  fast  spurlos  verschwun- 
dene Zeichen  hinter   ^Sx^    ein   fi    war,    so    ist    das    nächst- 


folgende ein  ö  oder  I;  war  es  ein  Strich  ,  dem  das 
hieratische   ß    oft  gleich   wird ,    so  gilt  das  nächste  Zeichen 

als    Y  ;    jedenfalls  folgt  darauf  ein  liegendes  — "—  nebst  r-^-^. 

Es  kann  nun  sein ,  dass  diese  Gruppe  ma-hes  wörtlich  ,,die 
gepriesene  Seite"    nur    eine  Aecommodation    des  semitischen 

nCnD  ,, Zuflucht''  eigentlich  locus  refugii  i'^Tf)  gewesen  ist. 
Was  mich  in  dieser  Ansicht  bestärkt,  ijt  die  Ihatsache,  dass 
der  Bezirk  Dar  Succot  oder  el  Soccot,  den  Brugsch  als  den 

2i* 


356     Sitzimg  der  philos.-phüol.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

unserer  Karte  entsprechenden  vermuthet  hat,  offenbar  dem 
semitischen  nüp  ,,die  Höhlen,  Lager  (des  Löwen)"  ent- 
spricht, was  zu  dem  ,,Orte  der  Zuflucht"  jjeine  üble  Nach- 
barschaft abgeben  würde.  Die  Lösung  der  Frage,  ob  über- 
haupt die  Herbeiziehung  des  Semitischen  nach  Aethiopien, 
und  dieses  Land  als  Scene  unserer  Karte  zulässig  sei,  erheischt 
indess  eine  ausführlichere  Besprechung,  wodurch  ich  die 
genaue  Lage  und  Gegend  unseres  Planes  zu  ermitteln  hoffe. 

Das  Land  Kenest. 

Unmittelbar  oberhalb  der  Nilinsel  Philae  (Pi-lak)  begann 
nach  den  ägyptischen  Nomenlisten  eine  Landschaft  des  Namens 

/wwvA^C]   abwechselnd    durch    1,   das  Zeichen  des  Auslandes, 

oder  durch  ^s^?-,  cao ,  Q  den  Bogen,  determinirt ,  welch' 
letzterer  meist  ohne  alle  sonstige  Legende  dazu  dient,  diese 
Landschaft  zu  bezeichnen.  Daraus  ergibt  sich  mit  Noth- 
wendigkeit,  dass  Jcenes't  in  der  Landessprache  ,,den  Bogen" 
bedeutete.  Da  nun  dieses  Wort  kein  ägyptisches  ist,  so  sehe 
ich  mich  nach  einer  semitischen  Hülfe  um ,  auf  die  bisher 
Niemand  verfallen  war,  nämlich  das  Wort  n^'p.,  Plur.  ntfl^'j?") 
Bogen  arcus,  welches  sein  n  verloren  hat ,  wie  so  manche 
ebräische  Wörter  z.  B.  higgid  von  nagad,  ivajjet  von  natah, 
scJiethaim  duae  zwei  vergl.  schcnaim  duo.  Ein  Analogon  zn 
dieser  Benennung  eines  Landes  nach  der  Waffe  bietet  die 
Bezeichnung  ni-Phaiat  pars  Aegypti  ad  occideutem  Deltae. 
Es  ist  der  lybische  Bogen ,  den  auch  die  saitische  Göttin 
Neith  führt,  so  wie  der  Thamehu,  der  Vertreter  der  hell- 
farbigen Menschenrage   im  Grabe  Sethosis  L     Dieser  Bogen 

erscheint   unter  der  Legende    =^crc=^,    für   welches    Deut- 


17)  Wegen  des  zum  aeg.  k  "^^.^  nicht  stimmenden  p  vergl. 
die  wechselnde  Legende  Karkamascha  und  Qarqamascha  =  Karkemisch 
(Circesium). 


Lauth:  Die  älteste  Landkarte.  357 

bild  auch  ^=7  oder  f===^^*)  eintreten  und  es  entspricht  dieses 
ped-ti  genau  dem  kopt.  pite,  phiti^  pJiette  arcus,  so  wie  dem 
Volksnamen   ni-Fhaiaf.      Nicht    zu    verwechseln    damit    ist 

das   bibhsche  Land  Ü1D  PMt,    welches   =      ^  .^^     Pimt 

dem  Namen  Arabiens,  also  gleichfall  wie  qescheth  ein  w  ein- 
gebüsst  hat.  Man  vcrgl.  auch  weiterhin  Anutiu  und  schemer 
Q  kopt.  schemo  alienus. 

Wie  weit  sich  die  Grenzen  des  äthiopischen  Bogenlandes 
Kenest  erstreckten,  will  ich  mit  Brugsch^s*^)  Worten  er- 
läutern: ,,In  den  älteren  Zeiten  hiess  To  (Land)  Ke7is  das 
ganze  dem  ägyptischen  Scepter  unterworfene  Land  südlich 
von  Assuan  (Syene)  an;  in  der  jüngeren  wenig  mehr  als 
der  Theil,  welcher  zwischen  Syene  und  Takom(p);0  lag.  mit 
andern  Worten ,  der  sogenannte  Jcoösxdaxoivog".  Gerade 
dieser  zwölf  Schoenen  oder  36  Stunden  betragende  Strich 
heisst  aber  jetzt  noch  Wadi-Kenus^^) ,  die  Bewohner  Beni- 
Kensi  und  der  Name  der  Felseuinsel  Konosso  bei  Philae 
steht  damit  um  so  wahrscheinlicher  im  Zusammenhange,  als 
zu  Herodot's  Zeiten  die  ebenfalls  benachbarte  Lisel  Ele- 
phaiitine  zur  Hälfte  von  Aegyptern ,  zur  Hälfte  von  Aethio- 
pern  bewohnt  war. 

Fragen  wir  weiter,  wie  weit  nach  Süden  sich  die  ägyp- 
tische Herrscliaft  UDter  Sethosis  1.  dem  Pharao  unserer  Karte, 
erstreckt  habe,    so  erhalten  wir  eine  befriedigende  Antwort 


18)  In  Ermangelung  der  genaueren  Type,  die  ihre  Schenkel  nach 
Aussen  biegt. 

19)  Geogr.  I,  100. 

20)  Nicht  jedoch  als  Abkürzung  aus  (J(adixt<a-);(oii'oc,  obschon 
<r/ow/o?  selbst  auf  das  ägyptische  "^  |  Qo  ^  che-nuh  ,,Messruthe" 
zurückgeht. 


358     Sitzung  der  phüos.-philöl.  Classe  vom  3.  Dezemher  1870. 

in  einem  Briefe  von  Lepsius  p.  256 :  ,,Wir  gelangten  noch 
am  4.  Juli  (von  oben  herab)  nach  Sese^^),  einem  Berge,  der 
die  Ueberreste  einer  Festung  tiägt.  Die  Ruinen,  eine  Viertel- 
stunde südlich  vom  Berge  Sese  gelegen,  heissen  Sesebi.  Hier 
stand  ein  alter  Tempel ,  von  welchem  jedoch  nur  noch  vier 
Säulen  mit  Palmencapitälen  aufrecht  stehen;  diese  tragen 
die  Schilder  Sethos  I,  die  südlichsten,  die  uns  von  diesem 
Könige  begegnet  sind". 

Man  bemerke  besonders  die  Bestimmtheit  des  letzten 
Satzes,  um  sich  vorzubereiten  auf  die  von  mir  für  unser 
Goldbergwerk  zu  eimittelnde  Gegend,  die  etwas  nördlicher 
als  Sese  Hegt,  so  dass  ein  dessfallsiger  Einwurf  gegen  meine 
Thesis  auf  Grund  der  Königsschilder  nicht  erhoben  werden 
darf.  Auch  notire  man  sich  einstweilen  die  Thatsache,  dass 
Sese  zum  Stamme  {Dar  IT  Geschlecht)  MaJias  (Var.  Mahass) 
gehört. 

Das   Land  Kusch. 

Nachdem  von  Seite  der  altägyptischen  Geschiclite  kein 
Bedenken  gegen  meinen  Ansatz  obwalten  kann,  fragt  es  sich 
weiter,  ob  die  Natur  keinen  Einspruch  erhebt. 

Die  Inschriften  von  Kadesieh,  dem  Wüstentempel  Se- 
thosis  I ,  würden  allein  schon  genügen,  die  Ausbeutung  des 
Gebirges  auf  Gold  unter  diesem  Pharao  darzuthun ,  der 
darin  wegen  eines  zu  diesem  Behufe  gebohrten  Brunnens 
gefeiert  wird.  Dazu  kommt  die  inhaltreiche  Stele  von 
Kuban.  Auf  dieser  wird  analog  sein  Sohn  Rarases  II  (Se- 
sostris)  gerühmt  und  lin.  20/21  wörtlich  gesagt:  „Es  war 
der  Wunsch  jedes  Königes  des  Oberlandes  in  der  Vorzeit  zu 
bohren  einen  Brunnen  darin  (in  dem  Lande  Akait);  aber 
nicht  gelang  es  ihnen.  Es  Hess  der  König  Ramenma  (Se- 
thosis  I)    desgleichen    thun:     er  Hess  bohren  (graben)  einen 


21)    Auf  der  dazu  gehörigen  Karte  steht  Sesse  T(empel). 


Lauth:  Die  älteste  Landkarte.  359 

Brunnen  von  120  Ellen  an  Tiefe  in  seiner  Zeit;  aber  er 
(der  Brunnen)  ward  unvollendet  gelassen:  nicht  kam  Wasser 
daraus  hervor". 

In  der  Umgegend  von  Kuban ,  das  etwas  südlicher  liegt 
als  Takompso,  münden  die  Thäler  der  Wüste  Etbaye,  unter 
denen  das  Thal  Alaqi  oder  Ellaqe,  Ollaqi  (El-akit?)^^) 
noch  jetzt  wegen  seines  Reichthums  an  edlen  Metallen  ,  be- 
sonders Gold ,  so  wie  an  Schwefel  etc.  bekannt  ist.  Auch 
an  einer  classischen  Bestätigung  fehlt  es  nicht:  Diodor 
(III  12)  beschreibt  ausführlich  das  mühsame  Verfahren,  die 
blendend  weissen  Adern  aus  dem  schwarzen ^^)  Gestein  zu 
entnehmen,  durch  Mühlen  zu  Pulver  zu  zerstossen  und  daraus 
durch  successive  Waschungen  das  Gold  zu  gewinnen.  Auf 
der   von  Lieblein    (,,deux  papyius")    herausgegebenen  Karte 

von  Goldbergen  (Taf.  V)    erscheint    der  Berg    von    JC^\\ 

Becheni  wiederholt.     Da  nun  die  hiemit  identisch  lautende 

Gruppe    jL^'"^^>-    hechen  nach  Brugsch  im  Koptischen  zu 

baschur  serra  ,,Säge"  geworden  ist,  so  könnte  dem  Gold- 
berge Becheni  allerdings  die  heutige  Benennung  Bischari 
entsprechen. 

Diese  Zeugnisse,  welche  sich  leicht  vermehren  liessen, 
bekunden ,  im  Zusammenhalte  mit  dem  Augenscheine  der 
Reisenden ,  genugsam  das  Vorhandensein  goldhaltiger  Berge 
in  Aethiopien. 

Wie  wenn  nun  der  altbekannte  Name  dieses  Landes: 
11/13   husch,    ägyptisch  ^^WjX]    huschig     auch    Jcaisch    und 


22)  Vergl.  Linant  de  Bellefonds:  Carte  de  l'Etbaye  ou  pays 
habite  par  les  Arabes  Bicharis,  comprenant  les  mines  d'or  connues 
des  anciens  sous  le  nom  d'Olaki ,  faite  dans  les  annees  1831  et  1832 
(publicirt  1854). 

2'6)  In  der  That  sind  die  Berge  des  Planes  von  Becheni 
schwarz  gemalt.  (Vergl.  die  Taf.  I  des  nächsten  Heftes.) 


360     Sitzung  der  phüos.-phüol  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

Jcesch  geschrieben ,  selbst  nichts  Anderes  wäre  als  eine  Be- 
zeichnung für  den  Metallgelialt  des  Landes  ?  Im  Ebräischen 
bedeutet  IfÜ  als  Verbum  metalla  excoquere  und  identisch 
damit  das  kopt.  c^ösch  metalla  excoquere.  Als  Lands-  und 
Volksname  erscheint  in  der  koptischen  Litteratur  wegen  der 
Quetschung  des  Anlautes  die  Form  e-C'6sch,  memphitisch 
e-Tösch,  was  per  accommodationem  sowohl  zu  Aix^ioip  als 
Al'acojiog  geführt  haben  mag.  Nach  weiteren  Analogien,  be- 
treffend die  Benennung  von  Ländern  nach  den  darin  vor- 
findlichen  Metallen,  brauchen  wir  uns  nicht  umzusehen ;  denn 
ganz  nahe  liegt,  ja  es  coiucidirt  mit  Kenest  und  Kusch 

Das  Land  Nubien. 

Da  nuh  im  Aegyptischen  und  Koptischen  das  „Gold" 
bedeutet,  so  hat  Brugsch  gewiss  Recht  gehabt,  auf  seiner 
Karte,  nahe  dem  22**  südlicher  Breite  die  urkundliche  Le- 
gende   r^C::£l  (Nubi-a)  ,,das  Goldland"  anzubringen.  Noch 

genauer  wäre  die  üebersetzung  von  „Goldgebirg".  Daraus 
indess ,  dass  diese  Bezeichnung  auf  der  Ostseite  des  Nils 
angebracht  ist ,  darf  nicht  vorschnell  geschlossen  werdenj 
dass  die  Gebirge  westlich  vom  Flusse  kein  Gold  enthielten. 
Denn  die  Nubaspraahe  erstreckt  sich  zu  beiden  Seiten  des 
Niles  von  Assuan  bis  Dongola^*),  also  viel  weiter,  als  ich 
zu  meinem  Zwecke  anzunehmen  brauche.  Doch  es  ist  Zeit, 
zu  positiver  Bestimmung  der  Gegend  unserer  Landkarte  auf 
Grund  der  Urkunde  selbst  zu  schreiten. 

Gebel  Dosche. 

Den  Ausgangspunkt  für  meine  Untersuchung  bildet  der 
Berg  (C)/  n)it    der  Inschrift:     ,,Das  Chennuhaus    des  Amon 


24)   Lepsius  Briefe  p.  116,  vergl.  p.  117  und  die  Note  29. 


Laiiih:  Die  älteste  Landkarte.  361 

des  heiligen  Berges'".  Die  hieratische  Schreibung  würde  für 
den  zweiten  Theil  auch  die  Uebersetzung :  ,;Der  heilige 
Berg"  erlauben.    Jedenfalls  trug  der  betreffende  ßeig'-)  >lie 

Benennung  Cr^^CE]^  J^^  du-uah  mons  sacer.  Man  be- 
greift diese  Benennung  jetzt  um  so  besser,  weil  unsere  Karte 
d' n  sottesdienstlichen  Zwecken  gewidmeten  Bau  des  Gotttes 
Amon   aufweist.     Dieser    ., heilige  Berg"'    nun    niit    derselben 

Legende  und   der  Variante    ^^=^^f     l^;:^^^)i>-/o-Ma&  „das 

heiliee  Land"  sonst  und  auch  auf  einer  an  Ort  und  Stelle 
befindlichen  Felseninsqiaift  urkundlich  genannt,  ist  nichts  an- 
deres,  als  ,.der  Sandfelsen  bei  Dösche"",  welcher  auf  dem 
linken  Ufer  des  Niles  an  den  Fluss  vorspringt.  ..Kaum  eine 
Stunde  von  hier  (nämlich  Soleb,  im  Dar.  Sukkot  gelegen) 
liegt  Gebel  (der  Berg.  Gipfel)  Do  sehe,  ein  an  den  Fluss 
vorspringender  Sandfels,  in  welchem  von  der  Flusseite  her 
eine  Grotte  eingehauen  ist.  Diese  enthält  Darstellun-jen  des 
dritten  Tuthmosis"".-'') 

Vielleicht  ist  auf  diesen  Berg  auch  die  Stelle  des  Pap. 
Anastasi  I  15,  6  zu  beziehen,  wo  von  Steinschleppern  die 
Rede  ist,  welche  ziehen  zum  c^iii;^^^,  um  mennu  (Denk- 
malsteine) dort  zu  holen.  Bemerken>werth  ist  hiebei  die  Ab- 
kürzung ^^>,  anstatt  des  ^^"^^  unserer  Karte,  welches 

dem  kopt.  troscJi  corona  rubra  iW)  throsch,  thresch,  thörsch 

rufus  entspricht,  wobei  die  Liquida  r  versetzt  erscheint. 
Die  altägyptische  Form  —  nach  Abfall  des  r,  der  nichts 
Ungewöhnliches  ist    —    nämlich  desch  oder  dosch,    gemahnt 


25)  Wie  der  Gebel  Barkai  bei  Xapata.  Yergl.  Brugsch  Geogr. 
1162  und  meine  Abhandlung  ,,Die  Piancbi-Stele"  in  den  Denkschriften 
d.  k.  b.  Akad.  ISTO. 

26)  Brugsch  Geogr.  I  160. 

27)  Lepsius:  Briefe  p.  256/257. 


362     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

sofort  an  den  heutigen  Namen  Gebel  Do  sehe,  das  sonoch 
wörth'ch  der  „rothe  Berg"  bedeutet.  Nun  besehe  man  sieh 
unsere  Karte:  ,, Der  heih'ge  Berg''  ist  thatsächlich  mit  rother 
Farbe  gegeben  und  zum  üeberflusse  ist  dieses  in  der  Le- 
gende A  noch  ausdrückh'ch  bezeugt  mit  den  Worten:  „Die 
Berge,  wo  man  ist  im  Waschen  Gold  aus  ihnen;  sie  sind 
aber  in  d(ies)er  rothen  Farbe"'.  Hiemit  ist  ebensowohl  auf 
den  Phin  selbst ,  der  ja  ein  Facsimile  vorstellt ,  als  auf  die 
natürliche  Farbe  des  Gebirgstockes  Bezug  genommen. 

Der  urkundliche  Ausdruck  ,,ilas  lieilige  Land"  anstatt 
„der  heilige  Berg"  gibt  uns  die  weitere  Andeutung,  dass 
mit  du-iiab  und  chi-dosch  ursprünglich  nicht  ausschliesslich 
der  einzige  Berg  Gebel  Dosche  bezeichnet  wurde,  sondern 
der  ganze  an  den  Nil  vorspringende  Gebiigsstock  aus  rothem^^) 
Sandstein.  Aus  diesem  Umstände  erklärt  sich  alsdann  die 
ganze  Orientation  der  Karte  (vergl.  die  Pfeile).  Wir  haben 
uns  den  Nil  als  die  zwei  Seiten  (Hnks  und  unten)  unseres 
Rechteckes  umfliessend  zu  denken.  Möglicherweise  wurde 
auch  die  dritte  Seite  (rechts)  noch  vom  Nile  bespült ;  doch 
kann  hierüber  ohne  Beobachtung  an  Ort  und  Stelle  nichts 
Bestimmteres  behauptet  werden.  Aber  ein  Blick  auf  die 
Karte  (in  Lepsius:  Briefe)  zeigt  uns  in  der  That  eine  Aus- 
buchtung des  Nil  im  Dar-Mahass,  deren  Mitte  von  dem 
Tempel  Ses(s)e  eingenommen  wird.  Diese  Ausbuchtung 
würde  allen  Bedingungen  unserer  Karte  genügen,  wenn  wir 
nur  eine  Ahnung  von  dem  Massstabe  unserer  Urkunde 
hätten.  Indess  scheint  der  Plan  dieser  Goldminen  etwa 
neun  Stunden  weit  sich  zu  erstrecken.  Beruhigen  wir  uns 
einstweilen  mit  der  erhärteten  Thatsache,  dass  ,,der  heilige 
Berg"  dem  Gebel  Dosche  entspricht.  Ob  die  hinter  die.-em 
Berge  gelegene  Oertlichkeit  Te-dehnti-n-Apt  ,,die  Front  des 


28)    Sollte  eich  die  blassrothe  Farbe   der  Wege   auf  Quarz   be- 
ziehen ? 


Lauth:  Die  älteste  Landkarte.  363 

Stuhles"  eine  Spur  ihrer  Gebäude  oder  ihres  Namens  hinter- 
lassen hat  .  üjüsste  erst  näher  in  loco  unsersuchl  werden. 
Auf  der  jetzigen  Karte  ist  Nichts  dergleichen  zu  entdecken. 
Aber  keineufalls  dürfen  wir  mit  Brugsch  Geogr.  1161  die 
Legende  in  n-A2)t  verküizen  und  d;iraus  Napet  oder  Nepat 
(Napata)  gestalten,  welches  er  in  die  Gegend  von  Amada, 
/wischen  die  Sonnenstadt  Derr  und  die  Amonstadt  Sebüa 
setzt29). 

Eben  so  wenig  lässt  sic\  über  den  nordwestlich  (und 
das  stimmt  vortrefflich  zu  unserer  Kartei)  von  Ta-dehnti-n- 
Apt  gegebenen  ,,AiiioiiSsiiz"",  worin  der  Gott  ruhte,  aus  den 
bisherigen  Reiseberichten  etwas  entnehmen. 

Dur  Sukkot. 

Desto  erfreulicher  ist  die  Wahrnehmung,  dass  dt-r  Name 
der  Oertlichkeit,  welche  jenseits  Gebel  Dosche  (zwischen 
diesem  Berge  und  dem  1  Stunde  davon  nach  Süden  ent- 
fernten Soleb  läuft  die  Grenze)  durch  den  Weg  mit  der 
Inscrift  D  angedeutet  ist,  sich  noch  so  treu  in  der  Benenn- 
ung Dar  (Stamm)  Sukkot  bis  auf  uns  erhalten  hat.  Nach 
den  erhaltenen  Spuren  zu  urtheilen  —  da  der  Weg  hinter 
D  sich  um  die  Haltte  verengt  —  musste  man  Sukkot  auf 
Fusssteigen  erreichen,  was  auf  eine  hohe  Lage  deuten  würde. 
Im  Einklänge  damit  steht,  dass  der  Gott  Amon,  dessen  Sitz 
bereits  im  Dar  Sukkot  zu  denken  ist,    auf  den  äthiopischen 

Denkmälern    gewöhnlich    mit    der    Schreibung    ^s,^^  ^^^^  T 

Amwii  getroffen  wird .  determinirt  durch  den  die  Arme 
empor  streckenden  Mann.     Diese  Auffassung  lässt  sich  auch 


29)  Ich  habe  darüber  in  meiner  Abhandlung  :  „DiePianchi-Stele" 
Denkschriften  d.  k.  b.  Akad.  d.  Wiss.  1870  p.  30  Not  3  das  Nöthige 
b'-merkt.  Dazu  kommt ,  dass  ap't  im  kopt.  epi  fti)  aedicula  domun- 
cula  erhalten  ist. 


364     Sitzung  der  philos.-pliüol.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

noch  im  kopt.  amun  celsitudo,  sublimis  nachweisen,  das  im 
Hieroglyphischen  U^^^  glorißcare.  kopt.  amwi  gloria  vor- 
gebildet erscheint.  Jedenfalls  war  und  ist  Sukkot  ein  ge- 
birgiges Land  und  nichts  weniger  als  unwahrscheinlich,  dass 
es  wegen  seiner  Höhlen  n"i2p  ,,Seka(n)th-ti"  die  Höhlen- 
gegend genannt  werden  mochte.  Ueber  die  ägyptische 
Schreibung  habe  ich  oben  gehandelt.  Die  Präfigirung  des 
Artikels  El  (Sukkot)  stimmt  zu   dem  ägypt.  ta  (Seka(n)th-ti). 

So  leb. 

Diese  Stadt,  an  einer  fast  rechtwinkligen  Biegung  des 
Niles  gelegen ,  hatte  einen  bedeutenden  Tempel  des  Königs 
Amenophis  HI  (Memnon),  wie  ich  oben  zur  Legende  D  schon 
bemerkt  habe.  Auch  Brugsch  Geogr.  I  161  gedenkt  dieses 
Memnon  -  Tempels  und  eine  schöne  Stele  der  Münchner 
Glyptothek  zeigt  unter  andern  den  Satz: 

i|'<=>ilUo^  II  c^'^^-^- -7'  J 

„Damals  war  er  (Hui,  Sohn  des  Nochtsebak,  der  Errichter 

des  Denkmals)   im    Ueberwacheu    die  Bauten  (Arbeiten)    auf 

dem  heiligen  Berge". 

Die  Schilder  des  Königs  Amenophis  III  und  seiner  Gattin 
Thei  (Thaja)  komnjtn  im  Texte  und  Giebelfekle  vor.  Dazu 
kommt,  dass  Amenophis  III  im  Tempel  zu  Soleb  sowie  auf 
Lord  Prudhoe's  Löwen,  die  er  seinem  eigenen  Genius  „seinem 
(des  Amon)  Ebenbilde  lebend  auf  Erden"  errichtete,  zugleich 
den  Titel  führt :  ^^R=^  *?f^  ^o  Icnest  ,,Herr  des  Landes 
Ken  est".  Diese  ihre  bequeme  Lage  erklärt  uns,  wie  die 
"Widder  des  Berliner  Museums  in  alter  Zeit  nach  Gebel 
Barkai  und  die  Löwen  des  Prudhoe  nach  Europa  verbracht 
werden  konnten.  Auf  unserer  Karte  haben  wir  es  nicht 
zu    suchen,     noch    mit     den    Häusern     der    Stadt    Djert 


Lauth:  Die  älteste  Landlcarte.  365 

(JloixiXri)  zu  identifiziren ,  weil  wir  nicht  wissen  ,  wie  weit 
sich  „das  heilige  Land'',  ,,der  heilige  Berg",  „der  rothe 
Berg"  im  Sinne  des  Kaitenzeichners  erstreckten.  Die  Nuba 
gebrauchen  für  ..Gold"'  jetzt  das  arabische  daha'b  mit  An- 
hängung ihres  Artikels  -Jci.  Da  ditst-s  oflfenbar  =  I~T  au- 
rura.  so  liesse  sich  so.'eb  als  alte  dialektische  Form  betrachten. 
Wenigstens  bedeutet  selupin  im  Demotischen  und  Kopti&chen 
digitus  annularis  (auricularis-articuLiiis).  Dies  war  den  Dar- 
stellungen zufolge  bei  den  Aegyptern  und  Aethiopern  der 
kleine  Finger,  dessen  Benennung  als  ,, Goldfinger''  selup-in 
wohl  auf  ein  nubisches  seJiip  oder  soJep,  soleb  zurückweist. 
Aber  so  viel  ist  sicher,  dass  die  obere  Partie  der  rechten 
Seite  dem  Gebel  Dosche  und  dem  südlichen  Theile  von  Dar- 
Sukkot  entspricht.  Volle  Gewissheit  hierüber  können  wir 
aber  erst  dann  besitzen ,  wenn  die  entgegengesetzte  Partie 
(links  unten)  uns  den  nördlichen  Theil  des  Dar-Mahas(?) 
darbietet.     Dieses  ist  glücklicherweise  der  Fall. 

Dar-Mahas. 
Die  Legende  0:  ,.Die  Strasse,  die  des  Mahes"  (oder 
Mahas)  zeigt  ägyptisirendes  Bestreben,  wie  oben  Seka(n)th-ti 
statt  SoJiot-ti.  So  wie  aber  der  Artikel  El  (Sukkot)  dem 
weiblichen  Ta-3eka(n)th-ti  entsprach ,  so  hier  der  männliche 
ägyptische  Artikel  p)  den  Genus  des  semitischen  Wortes 
nOHD  masc.  locus  refugii,  mit  dem  ich  oben  Dar-Mahas(s) 
ideutifizirt  habe.  Wir  h.iben  ein  weiteres  Mittel,  die  Triftig- 
keit dieser  meiner  Gleichung  zu  erhärten ,  an  den  Früchten 
und  Pfianzentheilen .  welche  auf  dieser  ganzen  Strasse  Lin- 
gestreut  liegen,  so  weit  sie  auf  der  Karte  erhalten  ist.  Auch 
der  Plan  des  Goldbergwerkes  Becheni  (Bischari)  zeigt  einen 
so  bestreuten  Weg.  Dieser  führte  vom  Nil  nach  Osten,  wie 
der  unseres  Planes  nordsüdlich.  Gerade  so  weit  südlich 
vonSes(s)e,  als  Soleb  von  diesem  nördlich  liegt,  trifft  man 
den  Ort  (Fakir)  Fenti,  am  Anfange  des  Wüstenweges  (unser 


366     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

Weg  von  M  durch  L  H  nach  G),  durch  den  die  Eingeboruen 
den  grössten  Theil  der  Provinz  Mähas  abzuschneiden  pflegen, 
weil  es  ilmen  einen  zu  weiten  Umweg  verursacht,  wenn 
sie  dem  von  hier  aus  fast  rechtwinklig  nach  Osten ,  dann 
im  Bogen  weiter  ziehenden  und  zuletzt  Soleb  gegenüber  fast 
rechtwinkh'g  wieder  nach  \Yesten  einbiegenden  Nile  folgen 
würden.  „Wir  aber",  schreibt  Lepsius  p.  255,  ,, folgten  den 
W^enduugen  des  Flusses  (auf  dem  Wege  0  unserer  Karte) 
und  stiegen  in  der  Nähe  zweier  alten  Burgen  an  das  Ufer 
zu  einem  Palmenhaine  hinab,  in  dessen  Schatten  wir  die 
heissen  Mittngstunden  über  (es  war  am  3.  Juli  1844  unter 
dem  20°  nördlicher  Breite)  ruhten.  Die  nächste  jener  ro- 
mantisch zwischen  zerklüfteten  Felsen  gelegenen  Burgen  finde 
ich  auf  jeder  Karte  verschieden  angegeben,  als  F.  Effendi 
(Cailliaud),  F.  el-Bint  von  hint  das  Mädchen  (Hoskius),  F. 
Bender  von  hender  die  Hauptstadt  (Arrowsmith);  sie  (p.  256) 
heisst  aber  F.  Fenti  im  hiesigen  Dialekte  oder  F.  Benti 
in  dem  von  Dongola,  und  ist  so  von  den  Palmen  zu  ihren 
Füssen  (fenti,  henti  heisst  Palme  und  Dattel)  genannt  wor- 
den". Derselbe  bemerkt  p.  118:  ,,Für  Dattelfrucht  und 
Dattelbaum,  die  im  Arabischen  verschieden  bezeichnet  werden : 
hellah  und  nachele,  haben  sie  (die  Nuba)  nur  ein  Wort 
he(n?)ti  (fenti)."3o) 

Der  Zusammenhang  dieses  benti  mit  dem  kopt.  baion 
palmeus,  baihet  ramus  palmae,  bati  sing,  bit  rami  palmarum, 
beni,  benne  palma,  bnne,  benne  fructus  palmae,  dactylus,  pal- 
ma  ist  ersichtlich ;  alle  diese  Wörter  weisen  auf  das  ägypt. 
baner  Palme,  Dattel,  zurück. 

Ich  denke,  unsere  Strasse  0  ,,die  des  Mahas"  genannt, 
mit  ihren  Früchten  (Datteln?),  Blütiienbüschelu  und  (Palmen-) 
Blättern  gewährt  der  philologischen  Erklärung  des  H.  Lepsius 


30)   Doch   nennt  Brugsch    hinter   bet-gi   „der   Dattelbaum"    un- 
mittelbar diffe-gi  „die  Dattel". 


Lauth:  Die  älteste  Landkarte.  367 

eine  bedeutende  Stütze,  sowie  meine  Deutung  der  Legende 
und  des  Strassenpflasters  0  durch  seine  Bemerkung  niclit 
unerheblich  em[)fohlen  wird. 

Endlich  muss  auch  noch  der  Umstand  betont  werdt-n, 
dass  die  Reise  in  der  fraglichen  Gegend  nur  auf  dem  We^-t- 
ufer  des  Nils  gemacht  wurde.  Diess  deutet  auf  Unwirth- 
lichkeit  oder  ünpassirbarkeit  des  östlichen  Ufers,  und  folg- 
lich auf  das  Gegentheil  beim  westlichen  Ufer ,  was  auch 
durch  die  dortigen  Bauten  und  Änsiedlungen  bewiesen  wird. 
Und  wie  die  Reisenden  beim  Fakir  Benti  (Fenti)  in  einen 
schattigen  Palmenhain  traten,  so  wiesen  die  Früchte,  Blüihen 
und  Blätter  der  Strasse  (0)  des  (Dar)  Mahas  uns  schon 
oben  auf  die  Nähe  des  befruchtenden  Stromes  hin.  Wirklich 
läuft  sie  in  geringer  Entfernung  parallel  mit  den  zwei  Wegen 
(M,  N),  von  denen  urkundlich  bezeugt  ist,  dass  sie  ,,zum 
Gewässer"  führten. 

Der  Nil. 

Ich  habe  oben  aus  manchen  Gründen  vermutLet,  dass 
das  Gewässer  jiima  auf  unserer  Karte  nicht  das  Meer, 
sondern  den  Nil  bedeutet,  und  bei  jener  Gelegenheit  ^'mna 
als  ,, profanen"'  Namen  dieses  Flusses ,  im  Gegensatze  zu 
seinem  heiligen:  Hapi ,  bezeichnet.  Man  könnte  mir  ein- 
werfen, dass  NetXog  Nikis  (wie  ich  selbst  früher'^)  dargethan, 
aus  dem  aegyptischen  Nu-hel  gebildet,  woher  auch  Nahal 
und  Naiiar)  eben  diesen  profanen  Namen  vorstelle.  Allein 
,, profan"  könnte  ja  auch  der  Name  juma  für  den  Nil  wohl 
in  dem  Sinne  sein,  dass  er  eine  Uebersetzung  z.  B,  der 
äthiopischen    Bezeichnung    darstellt.      In    der    That    scheint 

juma  statt  des  zu  allgemeinen   ^v.  V^^   *'^^''  ^^V^-  ^^^o(u) 
aqua,    das  desshalb  auch    ,,Stoti"  bedeutet,    aus  dem  semi- 


81)   Zodiaques  de  Denderah  p.  32. 


368     Sitzung  der  philos.-phüol.  Clause  vom  3.  Dezember  1870. 

tischen  C]  entlehnt  zu  sein ,  das  mit  vielen  andern  Wörtern 
in  der  literarischen  Epoche  Sethosis  I  und  Rauises  II,  viel- 
leicht durch  den  Verkehr  mit  den  Apriu  (Ebräern)  in  die 
ägyptische  Sprache  eindrang.  Wie  hiess  nun  der  Nil  bei 
den  Aethiopen?  'Aotcctiovc,  "Aaroodßaq  (Strabo  XVII),  'Aoro- 
Odßag  (Artemidor.)  Astusapes  (Plin.).  Diodor  (I  37) 
übersetzt  den  Namen  AoraTTOvg  mit  ro  sx  Oxorovg  v6(oq. 
Auch  Astabores  wird  cähnlich  von  PHnius  erklärt  als  ramus 
aquae  venientis  e  tenebris  und  diess  ist  ziemlich  genau  die 
üebersetzung  der  hieroglyphischen  Nillegende  von  Naga: 


ast  hapo         reJiodh  Jelo 

ramus  aquae  provenientis  e  nocte  (tenebris) 

Zu  dem  in  meiner  fiüheren  Besprechung^*)  bloss  durch 
ürn.  ,,die  Wasserrinne  belegten  rehodh  kann  ich  jetzt  ein 
hieroglyphisches  Beispiel  hinzufügen.  Im  Todtenbuch  c.  163, 
11    wird    Amon    mit    dem    Beinamen    Schakanas    genannt: 

"ra"  ^^'^  V  I  ^^^^  ^v  I  *'^^'^^^*  ^^P  ^^'^'*  ,, erster  Ausfluss 
des  (AbendbOunengottes)  Tum".  Was  ich  aber  dem  ast 
gegenüberstellte,  nämlich  nQV.  ramus ,  dürfte  aus  mehreren 
Gründen  angefochten  werden  können.  Es  ist  mir  unterdessen 
von  befreundeter  Hand  das  Wort  TW^  ,,Abfluss" ,  also  ein 
Synonymon  zu  J2ni,  notificirt  worden.  Mag  es  sich  aber 
damit  verhalten  wie  es  wolle,  jedenfalls  ist  das  Wort  essi 
der  Nubasprache  zu  'AöTanovg  gehörig.  Lepsius  sagt  da- 
rüber p.  118  seiner  Briefe:  ,, Wasser,  Meer,  Fluss  ist  ihnen 
alles  essi;  doch  ist  es  auffallend,  dass  sie  den  Nil  durch 
ein  besonderes  Wort:  Tossi,  bezeichnen.  Brugsch  bietet  im 
Anhang  zu  seinen  ,, Reiseberichten" :  essi  W^asser,  essi-dul-gi 
der  Fluss,    esse-nadi-ge   das   Meer,    tossi-ingemä   der   Nil". 


32)    Sitzungsberichte  1869  I.  I.  p.  28. 


Lauth:  Die  älteste  Landkarte.  369 

Ich  denke,  Tossi  ist  nur  ein  Compositum,  allenfalls  mit 
^[1  Ta(-ta)  „Vater".  Die  Uebereinstimmung  aller  Ueber- 
setzungeu :  vdcoQ,  aqua,  essi,  Tossi,  '£2x€av6g  juma  CJ  für 
den  Nil  dürfte  den  Schauplatz  unserer  Karte  von  vornherein 
nach  Aethiopien  verweisen. 

Einen  letzten  Blick  beansprucht  die  dunkel  gefärbte  und 
dadurch  in  ihrer  Legende  unleserlich  gewordene  Stelle  G. 
Nßch  meiner  Umstellung,  die  durch  den  punktirten  Umriss 
des  Berges  A,  durch  die  Richtung  der  Legende  ß,  die  jetzt 
daran  stösst,  aber  umzustülpen  ist,  so  wie  den  in  der  Mitte 
des  Fragments  schräg  ziehenden  Strich  gefordert  wird,  kommt 
die  dunkle  Stelle  G  in  gleiche  Höhe  mit  dem  braunen  Fünfeck 
zu  liegen.  Ihre  Umrisse  gelten  keinem  Berge,  der  vielmehr 
durch  eine  dahinter  ziehende  einfache  schwarze  Linie  begränzt 
wird,  noch  einem  Culturboden ,  wie  das  Fünfeck  einer  ist, 
überhaupt  keinem  überirdischen  Terrain,  sondern  einem  Sou- 
terrain, einer  Höhle  oder  Grotte.  Genau  solche  Umrisse 
zeigt  das  Ramessidengrab  auf  dem  von  Lepsius  veröffentlichten 
Situationsplane,  und  auch  die  Schraffirung  der  Binnen  wände 
durch  länghchte  Punkte  lässt  sich  hier  wie  dort  wahrnehmen. 
Da  nun  dieser  dunkle  Raum  unmittelbar  au  den  ,,rotlien 
Berg"  stösst,  und  Lepsius  von  dem  damit  identischen  Berge 
Gebel  Dosche  p.  257  anmerkt,  dass  von  der  Flussseite  her 
in  diesen  an  den  Fluss  vorspringenden  Sandfeis  von  der 
Flussseite  her  eine  Grotte  eingehauen  ist,  welche  Dar- 
stellungen Tuthmosis  III  enthält,  so  wird  meine  Vermuthung 
der  Legende  eines  Pharao  im  Innern  der  dunkeln  Grotte 
G,  so  wie  überhaupt  meine  Orientation  der  Karte  weniger 
Bedenken  erregen.  Da  durch  diese  Grotte  und  gegenüber 
durch  juma  der  Nil  nur  angedeutet,  aber  nicht  wirklich  in 
der  Zeichnung  vorhanden  ist,  so  habe  ich  mich  darauf  be- 
schränkt, durch  Pl'eile  seinen  Lauf  und  seine  Krümmungen 
kenntHch  zu  machen ,  ohne  eine  eigene  Karte  jenes  Theils 
von  Nubien:  Mahas  und  Sukkot,  beizufügen. 
[1870.  n.  4.]  25 


370    Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

Schlussbemeikungen. 

„Die  Metalle  benennen  sie  alle  arabisch,  mit  Ausnahme 
des  Eisens  (das  nach  Brugsch's  Gewähisiuännern  scharfi 
heisst).  Reich  sind  sie  auf  berbeiibch,  arm  auf  arabisch, 
und  in  der  That  sind  sie  alle  reich  in  ihrer  ärmlichen  Hei- 
math, der  sie  wie  Schweizer  anhangen,  und  veischinähen  in 
ihrer  Bediirfnisslosigkeit  das  arabische  Gold,  das  sie  sich 
in  ÄPgypten  verdienen  könnten,  wo  ihre  Dienste  als  Haus- 
\\ ächter  und  in  allen  Plätzen  des  Veitrauens  sehr  gesucht 
sind".  So  Lepbius  p.  119  seiner  Briefe.  Dtiifen  wir  daiaus 
schliessen,  dass  der  Artikel  ,,Gold''  den  alten  Nubiern  ebenso 
unbekannt  gewesen?  Nennt  sie  doch  der  Verfasser  selbst 
Nuba,  Bewohner  des  Golct-(nub)Landes ,  und  erklärt  ihre 
häufigere  Benennung  Berber  als  von  Barbarus  herstammend. 
Haben  sie  einen  Rückfall  in  die  Barbarei  gemacht,  oder  ist 
die  Tradition  über  die  Gewinnung  des  edelsten  Metalls  ihnen 
abhanden  gekommen?  Au  einen  Wechsel  der  Bevölkerung 
selbst  braucht  man  nicht  einmal  zu  denken  und  die  Treue 
der  Namen  Mahas  und  Sukköt  scheint  das  Gegeniheil  zu 
gebieten.  Ohne  Grund  wiid  der  Nil  nicht  auch  den  Bei- 
namen XQVOoQQÖag  (Syncell.  Chronogr.  p.  83  lin.  1  vox  1 
Dindoif)  bekommen  hal)en.  Aber  es  ist  durch  ägyptische 
Tributlibten  mehr  als  genügend  daigethan,  dass  die  oberen 
Nilländer  eine  ganz  ausserordentliche  Masse  Goldes  lieferten. 
Auf  der  Stele  von  Dongola^')  verzeichnet  der  älh  opi>che 
Eroberer  Nastosunen  b,  27,  32  nicht  weniger  als  3212  an 
(G.  wichte)  von  erbeutetem  Guide.  Auf  der  statistischen  Tafel 
von  Kainak  col.  49  und  59  sind  400  -{•  x  ,, Gewichte  Goldes" 
mit  dem  elenden  Lande  Kusch  als  hoJcu  Eizeugnisse  in 
Verbindung  gebracht.  Die  Königin  Hatasu  wird  (Lepsius 
Denkmälei   Hl  Taf.  50)  vom  nubischen  Nil  Dad-im  „liand- 


33)  Lepsius:  Denkmäler  V  16.    Brugsch  Geogr.  I  163. 


Lauth:  Die  älteste  Landkarte.  371 

oflFen"  angeredet :  ,,Du  liast  ilim  (Vesurtesen  III)  gewidmet 
zahlreiche  T.ifflii  von  Silber,  Gold,  Bioiice,  Eit-en  und  nub- 
ischem  Metalle".  Gewöhnlich  ist  das  Negeilanl  Ilahat 
als  HeikuiifL  des  Goldt-s  und  das  beiiachhai te  Wawa  als 
die  des  Silbers  bezeichnet.  Auf  di^r  Stele  Anienophis  III 
im  Louvje  sind  an  der  Basis  22  Repräsentanten  überwundener 
Nfgervöker  aiigebr;icht,  darunter  als  Nr.  4  auch  Alcit .,  das 
wir  aus  der  Stele  von  Kuban  als  goldh.iltig  kennen  g>lerut 
haben.  In  dem  Tempel  von  Soleb  sind  28  zum  Theile 
zerstörte  Namen  von  besiegten  Nigei  Völkern  angeschrieben 
und  nicht  weit  davon,  in  Sesebi,  also  wieder  auf  dem 
Boden  unserer  Kate,  aus  der  Regierung  S.lhosis  I  steht 
eine  Liste  uit  10  Namen  von  N.  gervö  k -in ,  unter  denen 
vielleicht  AchenteJc  (Nr.  2)  mit  dem  heutigen  H.mdak  (zwischen 
Alt-Dongola  und  Neu-Do;igol;i)  zu  identifiziren  ist.  Dass 
wir  die  Tribute  nicht  erf ihren,  lieyt  zunächst  in  der  argen 
Zerstörung  dieser  Denkmäler,  welche  al)ei"  an  sich  schon 
den  Bewiis  liefein,  dass  die  Aegypter  hier  festen  Fuss  gef ,sst 
und  die  Ausbeutung  der  Bergwerke  iu  die  eigene  Hand 
geuomujen  halten. 

Von  unserm  Pharao  Sethosis  I  der  Landkarte  habea 
wir  sj)ec:ell,  ausser  den  Darstellungen  seiner  Kiiegsziige, 
schon  ein  geographisches  Denkmal  giösserer  Ausdel  nung 
kennen  g^dernt,  deren  letzten  Theil  ich  im  ,,Tiinmphzuge 
des  Sethosis"'^^)  publicirt  und  erläuti  rt  habe.  Der  Zug  des 
siegreichen  Pharao  und  seiner  Piinzen,  wie  sie  mit  einer 
grossen  Zahl  Gefangener  aus  Asien  über  den  Kanal  bei 
Heroonpolis  zurückkehren,  empfangen  von  den  Grossen  des 
Reiches,  wubei  die  letzten  Stauonen  getreulich  angeschrieben 
sind,  hat  einen  ausge]  ragt  geogjajihisclu  n.  wenigstens  einen 
topographischen  Chai akter.  Nichts  Geringeres  lässt  sich  von 
unserer  Uikuude   aus    der   II  gierung    desselben   Königs    be- 


S4J   Sitzungsberichte  ISGO  I  p.  319. 

25' 


372     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

haupten,  da  sie  alle  wesentlichen  Kennzeichen  einer  Karte: 
Berge,  Gewässer,  Städte,  Gebäude,  Wege  nebst  Andeutung 
der  Pflanzenwelt ,  eine  Grotte ,  eine  Stele ,  die  Goldminen 
und  noch  dazu  All  dieses  in  verschiedenen  Farben  wiedergibt, 
welche  die  Natur  der  betreffenden  Gegenstände  nachahmen. 

Schon  das  Todtenbuch  zeigt  in  der  Vignette  zu  cap.  110 
ein  ziemlich  anschauliches  Bild  der  elysäischen  Felder  mit 
ihren  Gewässern ,  Ländereien ,  Städten  und  Inseln.  Der 
Situationsplan  eines  Ramessidengrabes  ist  schon  erwähnt. 
Lepsius  gibt  auf  derselben  Tafel  XXII  seiner  ,,  Auswahl"  unter 
B  und  C  zwei  weitere  Fragmente  von  Gräberplänen  mit 
schraffirtem  Souterrain,  worauf  die  Namen  der  Könige  Mend- 
huhotep  (XL  Dyn.)  und  Ramses -Sesostris  stehen.  Einen 
Plan  von' Goldminen  hat  auch  Herr  Lieblein  (,,Deux  papyrus" 
pl.  V,  A,  B,  aus  Turin),  eine  mit  unserer  analogen  Karte 
von  Goldbergwerken  publicirt,  auf  welche  der  Berg  JBacheni 
(,,wahrscheinlich  im  Thale  von  Hamamat")  und  der  Name 
des  Königs  Ramses  II  (Sesostris)  erscheinen.  Ich  werde  im 
nächsten  Hefte  hierüber  weiter  handeln. 

Es  bildet  demnach  unsere  ,, älteste  Landkarte"  von  Gold- 
minen nur  ein  Glied  einer  längern  Reihe  ähnlicher  Dar- 
stellungen, und  beweist,  wie  so  vieles  Andere,  für  den  hohen 
Culturgrad  Aegyptens  in  so  früher  Zeit,  vor  mehr  als  3300 
Jahren.  Wenn  es  auch  nicht  gelingen  sollte,  die  in  meiner 
Abhandlung  gebotenen  Winke  praktisch  zu  verwerthen  und 
jene  Goldbergwerke  neu  aufzufinden  oder  auszubeuten,  so 
dürfte  schon  die  Befriedigung  eines  litterarhistorischen  Be- 
dürfuisses,  hier  der  Kartographie,  als  ein  Gewinn  anzusehen 
sein,  und  die  Erschliessung  des  Verständnisses  einer  so  alt- 
ehrwürdigen Urkunde  als  ein  Fortschritt  in  der  Entzifferung, 
als  ein  Goldkoru  der  Wissenschaft  betrachtet  werden.  Hoffen 
wir  Bestätigung  durch  neu  zu  entdeckende  Denkmäler  oder 
Urkunden  entweder  in  Aegypten  oder  in  Aethiopien  zu  erhalten. 


V.  Lüiencron:  Nachträge  zu  N.  40  d.  hist.  Volkslieder  etc.      373 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  3.  Dezember  1870. 


Herr  Baron  v.  Lüiencron  gibt 

„Nachträge  zu  Nr.  40  der  historischen  Volks- 
lieder und  zu  den  Bruchstücken  dorSimon'- 
schen  Reiuichronik  bei  Lorenz  Fries."*) 

Durch  Herrn  Dr.  Rockinger  bin  ich  darauf  aufmerk- 
sam gemacht,  dass  das  Standbuch  Nr.  201  des  kgl.  Archiv- 
conservatoiiums  zu  Würzburg  einige  Bruchstücke  historischer 
Dichtungen  enthalte.  Nachdem  mir  durch  geneigte  Ver- 
mittelung  des  kgl.  Reichsarchivs  der  Codex  hierher  übersandt 
worden  ,  erlaube  ich  mir,  jene  Bruchstücke,  so  weit  sie  von 
Interesse  sind ,  hier  mitzutheilen  und  einige  Bemerkungen 
daran  zu  knüpfen. 

Der  Codex  Nr.  201,  erst  von  späterer  Hand  zusammen- 
gebunden, enthält  ,,Miscellanea  historica",  die  zwar  in  keinem 
inneren  Zusammenhang  stehen,  aber  doch  nach  Ort  und 
Zeit  zusammengehören,  indem  sie  sich  auf  die  Würzburger 
Diöcese  beziehen  und  sämmtlich  von  Händen  des  16.  und 
anfang.  17.  Jahrhunderts  geschrieben  sind.  Die  Blätter 
136  — 140  enthalten  jene  poetischen  Fragmente,  vermuthlich, 
wie  verschiedene  andere  Dinge  in  diesem  Codex,  von  der 
Hand  eines  Kitzingers,  denn  mehre  unter  ihnen  beziehen 
sich  speciell  auf  Kitzingen. 


*)  S.  702—777  der  Ludewig'schen  Ausgabe. 


374  Sitzung  der  kistor.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

Die  Ueberscliriit  des  Alischreibers  lautet:  ,.Extiact 
Etzlichei-  Pai'jigiophoriiin  auss  einer  Teütschen  Kythinibchen 
Bestlireibuiig  von  \Vi^•tzburgi^cllen  liiindehi".  Das  ist  ein 
Irrthum  oder  eine  Ungen  luigkeit,  denn  de  Bruchstücke  sind 
nicht  einem,  sondern  zwei  verschiedenen  Gedichten  ent- 
nommen. Vielhicht  (and  der  überhaupt  niclit  eben  sojg- 
lähige  Abschreiber  beide  in  derselben  Handschrift  vereinigt 
und  hidt  sie,  da  auch  beide  sich  auf  Würzburg  und  auf 
ziendx'h  nah  aneinandergrenzende  Zeiten  beziehen,  daium 
für  ein  einziges  Werk. 

Die  ersten  drei  Bruchstücke  nenilich,  S.  136*— 137'', 
stamn)en  aus  dem  Gedicht  über  den  Würzburger  Stiidte- 
krieg  von  1397 — 1400,  welches  in  meinen  historischen 
Volksliedern  als  Nr.  40  niitgetheilt  ist.  Sie  gehören  in  die 
daselbst  S.  195  mit  C  bezeichnete  Handschi  if'tenclasse ;  das 
zeigt  neben  verschiedenen  Lesarten  der  Umstand,  dass  die 
Verse  103 — 4  lehlen.  Es  ist  nichts  weiter  aus  ihnen  zu 
lernen. 

Bei  diesem  Anlass  sei  aber  bemerkt,  dass  seit  dem 
Druck  des  1.  B.mdes  meiner  Sammlung  auch  ein  Exemplar 
von  dem  als  Quelle  B  dieser  Dichtung  bezeichneten  Druck 
aus  dem  J.dire  1527,  welcher  mir  damals  nur  in  einer  un- 
vollständigen Abscliiift  (b)  vom  Jahre  1550  vorhig,  aufge- 
taucht ist.  Es  befindet  sich  ji  tzt  in  der  Beiliner  Bibliothek 
(\h.  301):  20  Bl.  4«  o.  0.  1527.  „Widnhafftige  bericht 
vnnd  handlung  Wie  |  der  hochwirdig  Füist  und  Herre,  her 
Ger-  I  hanlt  von  Schwartzenbeig,  Bischoue  zw  |  Wirtzburg 
vn  Heitzog  zu  Fiancken,  seiner  ]  lüistlichen  G.  Auffrürische 
Landschnfft  ]  Anfang  der  handlung  vnnd  geschieht,  Im 
M.CCCC.j.  jar.  Mit  eroberter  veld-  |  scldacht  vor  Bercht- 
heym  eingenomen  |  vnd  gestrafft  hat,  Alls  wie  her-  |  nach 
angezeygt  ist.  |  M.GCUCG.XXVII."  Der  Druck  hat  zwei 
Columnen  auf  der  Seite,  jede  zu  duichschnittlich  36  (nicht 
27)  Zeilen.    Die  Verse  97-— 118  fehlen;  das  Gedicht  schliesst 


V.  Liliencron:  Nachträge  zu  N.  40  d.  hist.  VolJislicder  etc.      375 

mit  V.  2178.  Der  Sclireiber  von  b  ftind  die  ersten  Blätter 
des  Druckes  in  falscher  Folge  liegend;  er  schrieb  sie  in 
folgender  Ordnung:  Bl.  1  (V.  1  —  74),  Bl.  4  (V.  383— 52G), 
Bl.  2—3  (V.  75-382). 

Der  Umstand,  dass  ein  politisches  Gedicht,  wie  hier 
der  Fall  ist,  mehr  als  100  Jahre  nach  seiner  Zeit  in  einem 
Einzeldruck  erscheint,  ist  ein  so  ungewöhnlicher,  dass  es 
sich  lohnt,  ihn  etwas  genauer  ins  Auge  zu  fassen.  Denn 
im  Allgemeinen  zeigt  sich  das  politische  Lied  und  Gedicht 
so  sehr  als  ein  flüchtiges  Kind  seiner  Zeit,  dass  es  über- 
haupt nur  selten  die  geschichtliche  Bewesung,  der  es  ange- 
hört, überlebt,  d.  h.  im  Munde  der  Singenden  und  im 
Gedächtiiiss  der  Menschen  überlebt.  Unter  den  reichlich 
COO  Dichtungen  meiner  Sammlung  sind  nur  wenig  einzelne 
Stücke ,  von  denen  sich  nachweisen  oder  annehmen  lässt, 
dass  sie  länger  in  lebendiger  Ei'innerung  geblieben  seien. 
Für  uns  Späteien  wüidea  sie  fast  alle,  so  gut  wie  die  ohne 
Zweifel  nicht  iniuder  zahlreichen  Lieder  früherer  Jahr- 
hunderte, spurlos  verschwunden  sein,  wenn  sie  uns  nicht 
durch  eine  Haoilschrift  oder  einen  Druck  aus  der  Zeit  ihres 
Entstehens  und  kurzen  Lebens  duicli  einen  günstig  n  Zufall 
erhalten  wären.  Der  Grund  davon  liegt  nahe:  an  That- 
sachen  geknü{)ft,  welche  im  Fluss  der  Begebenheiten  bald 
wieder  untertauchten  und  aus  der  Erinnerung  der  lebenden 
Generation  durch  neue  Interessen  des  Tages  verdrängt 
wurden,  veiloren  diese  Dichtungen  schnell  nicht  nur  das 
lebendige  Interesse,  sondein  auch  das  Verständniss.  Es 
kommt  hinzu,  dass  in  ihnen  immer  das  Stoffliche  auf  Kosten 
des  Poetischen  vorwiegt,  so  dass  in  der  That  die  Mehrzahl 
vom  blos  ästhetischen  Gesichtspunkt  betrachtet  für  herzlich 
schlecht  erklärt  werden  muss.  Nun  kann  es  aber  allerdings 
geschehen ,  dass  dem  Stoff  einer  solchen  Dichtung  irgend 
etwas  allgemein  Anziehendes  innewohnt,  welches  seine  Kraft 
über   die  Gemüther    auch    dann   noch   behauptet,    wenn  die 


376  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  3.  Bezemher  1870. 

specielle  geschichtliche  Beziehung,  aus  welcher  sie  ursprüng- 
lich erwuchs,  vergessen  ist.  Unter  dieser  Voraussetzung, 
aber  auch  nur  unter  ihr,  erhalten  sich  wirklich  solche  histori- 
sche Lieder  dann  länger  im  Gesänge  und  iu  der  Erinnerung 
des  Volkes.  Sie  sind  aber  dabei  gewissen  Wandlungen 
unterworfen,  die  man  im  Allgemeinen  wol  so  bezeichnen 
kann :  dass  aus  dem  geschichtlicheo  Lied  eine  Romance  oder 
Ballade  wird.  Ein  Unterschied,  der  sich  leicht  versteht: 
der  feste  thatsächliche  Hintergrund ,  auf  dem  das  geschicht- 
liche Lied  ruht,  erblasst:  statt  seiner  finden  wir  allgemeine, 
oft  wenig  verständliche,  oft  gradezu  dunkle  oder  falsche  Be- 
ziehungen und  Namen.  Au  die  Stelle  von  nicht  mehr  ver- 
standenen Versen  voll  lebendiger  Hindeutungen  auf  Personen 
und  Dinge  treten  oft  stereotype  Foim.ln  von  allgemeinem 
Inhalt.  Ein  einzelner  Hauptpunkt,  in  dem  wie  in  seinem 
Kern  das  eigentliche  Wesen  des  Liedes  beruht,  wird  in 
demselben  Maasse  stärker  hervorgehoben  und  ausgebildet, 
als  neben  ihm  alles  Uebrige  blass  und  lückenhaft  wird.  So 
entsteht  jenes  der  Ballade  und  Romance  so  ganz  characteri- 
stische  Helldunkel:  helle  Schlaglichter  auf  der  Hauptgestalt 
des  Liedes,  ein  schleierartiger  Nebel  über  allem  Anderen. 
Dem  geschichtlichen  Liede  ist  es  um  die  Thatsachen  zu  thun, 
innerhalb  deren  vielleicht  eine  bedeutende  und  auch  wol 
poetisch  anziehende  Gestalt  handelnd  hervortritt ;  dieser 
Einzelne  gilt  aber  dem  Liede  nur  so  viel,  als  er  innerhalb 
seines  geschichtlichen  Zusammenhanges  bedeutet.  Die  Ro- 
mance dagegen  hat  es  umgekehit  eben  auf  die  einzelne  Per- 
sönlichkeit und  ihr  Thun  oder  Leiden  abgesehen;  ihr  ist 
dafür  wieder  das  Uebrige  nur  ein  im  Ganzen  unwichtiger 
Hintergrund  und  Rahmen ,  mit  dem  sie  je  nach  ihrem 
dichterischen  Gutdünken  willkührlich  verfährt. 

Die  wenigen  Lieder  der  Sammlung,  welche  nicht  aus 
gleichzeitigem ,  sondern  späterem  Volksgesange  aufgefischt 
wurden ,    zeigen    diesen  Zersetzungs-  und  Umbildungsprocess 


V.  Lüiencron:  Nachträge  zu  N.  40  d.  hist.  VölTcslieder  etc.      377 

auf  verschiedenen  seiner  Stufen.  So  z.  B.  das  Lied  von 
Eppele  von  Gailiiigen  (Nr.  28),  welches  dem  Jahr  1381 
entstammt,  uus  aber  erst  in  einer  aus  dem  lebendigen  Ge- 
sang des  16  Jahrhunderts  gemachten  Aufzeichnung  vorliegt. 
Es  war  zunächst  das  Vergnü-^en  an  der  kecken  Reiter-  und 
Räubergestalt  des  Eppele,  welches  ihn  so  lange  —  und  im 
Nürnberger  Volksmuud  bekanntlich  bis  h^ute  —  vor  der 
Vergessenheit  bewahrte.  Schon  die  jetzige  Eingangsstrophe 
des  Liedes,  ohne  Zweifel  eine  jüngere  Zuthat,  lässt  dies 
epigrammatisch  herausklingen :  ,.Es  was  ein  frisch  freier 
reutersman ,  der  Epple  von  Geilingen  ist  ers  genant."  Die 
Hauptursache  aber  für  das  Jahrhunderte  lange  Fortleben 
dieses  Liedes  liegt  noch  in  etwas  Anderem :  darin  nemlich, 
dass  das  geschichtliche  Grundverhältniss,  dem  das  Lied  einst 
entsprang,  während  der  folgenden  Jahrhunderte  dasselbe  und 
über  ganz  Deutschland  hin  das  gleiche  blieb,  jener  unauf- 
hörliche Kleinkrieg  der  Städte  mit  der  umwoiinenden  Ritter- 
schaft. Dass  die  Nürnberger  den  Eppele  wiiklich  fingen 
und  hingen,  das  machte  den  Gesang  von  ihm  auc'.i  in  neuen 
Jahrhunderten  als  Trutz-  und  Spottlied  gegen  neue  Plage- 
geister von  gleichem  Schlage  brauchbar  und  erfreulich. 
Nichts  ist  mehr  geeignet,  diesen  Zusammenhang  zu  be- 
stätigen ,  als  der  Umstand,  dass  unter  den  wenigen  Liedern 
dieser  Gattung,  welche  überhaupt  ein  längeres  Leben  hatten, 
so  viele  sind,  welche  einen  Stoff  von  gleicher  Art  behandeln: 
so  das  Lied  von  Fiitsche  Grad  und  den  Görlitzern  aus  dem 
Jahre  1430  (Nr.  66) ,  voa  Hamraan  von  Reischach  und  den 
ülmern  a.  d.  J.  1466  (Nr.  118),  von  Schüttensam  und  den 
Nüriibergern  a.  d.  J.  1474  (Nr.  127),  vom  Lindenschmit 
(Nr.  178)  und  ähnlicher  Gattung  auch  das  Lied  vom  kühnen 
Seeräuber  Godeke  Michel  und  den  Hamburgern  a.  d.  J.  1402 
(Nr.  44),  von  dem  sich  Reste  im  lebenden  Volksgesang  sogar 
bis  in  unser  Jahrhundert  herabgefunden  haben.  Der  gehasste 
und  gefürchtete,  aber  dennoch  im  Stillen  bewunderte  Reiter 


378  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  3.  Dezemher  1870. 

und  Räuber  war  und  blieb  eben  eine  allgemein  beliebte 
Voli<sgestalt ;  das  ist  es,  was  jene  Lieder  befäiiigte,  im 
Vülksmuude,  der  sie  leise  und  meistens  mit  feinem  Gefühl 
uml'ormte,  aus  iioliäsclien  Dichtungen  voll  peibönlicher 
Leidenschaft  in  ergötzliche  Balhiden  überzugehen.  Ich 
w.-ihle  aus  den,  wie  gesagt  überh  lupt  nur  spärlichen  Bei- 
spielen für  diese  Erscheinung  die  genannten  Lieder  heiaus, 
weil  grade  diese  uns  sämmtlich  in  Einzeldrucken  des  16. 
oder  anfang.  17.  Jahrhunderts  vorlagen.  Sie  erschienen 
also  so  gut  wie  viele  andeie  Volkslieder  d.im.ds  im  Druck, 
weil  sie  allgemein  beliebte  Uuterhaltungslieder  waren. 

In  den  genannten  Liedein  nun  ist  der  geschieh! liehe 
Inhalt  zwar  als  solcher  bereits  zur  Nebens.-iche  herabge- 
sunken ,  aber  er  ist  doch  noch  genügend  deutlich  erh;ilten, 
um  nicht  nur  übeihaupt  noeh  erkannt,  sondern  auch  sogar 
um  mit  Vorsicht  noch  als  geschichtliche  Quelle  benutzt  zu 
werden.  Darum  durften  und  mussten  sie  in  die  Sammlung 
der  historischen  Volkslieder  noch  aufgenommen  werden. 
Wenn  wir  nun  aber  die  Uhland'sche  Samnilung  von  Volks- 
liedern aufschlagen,  so  findet  sich  eine  Reihe  an  lerer  Lieder, 
welche  zwar  von  Haus  aus  nicht  minder  geschichtlich  waren, 
als  j-'ue,  in  denen  jedoch  der  Zersetzungsprocess  bereits  so- 
weit vorgeschiitten  ist,  dass  es  wenigstens  bisher  noch  nicht 
gelang,  den  histoiischen  Gehalt  in  ihnen  festzustellen.  Ja 
bei  einigen  lässt  sich  mit  Bestimmtheit  sagen  ,  dass  sie  von 
ihrem  uispiünglichen  geschichtlichen  Grund  völlig  iosgelöot 
sind.  In  iliueu  können  wir  also  weitere  und  die  letzten 
Stadien  jener  allmähligen  Umbildung  des  geschichtlif' ■  " 
Liedes  zur  rein  poetischen  Komance  beobachten.  E 
die  Nr.   122—130  der  Uhland'schen  Samnilung,    m  n 

die  Lieder  vom  Grafen  Fi  iediicli,  von  der  Frau  vo 
bürg,  vom  Herrn  v.  Falkeustein,  vom  Schloss  in  Oe  ..,  . 

Peter  Unverdorben,  vom  R  lumensattel  und  vom  :helbeck. 

Wir   erkennen,   nebenbei    bemerkt,   hierio    aiso  deu  Grund, 


V.  Liliencron :  Kachträge  zu  K.  40  d.  hist.  Volkslieder  etc.      379 

weshalb  Uhland  diese  Lieder  zusammengeordnet  und  dem 
dritten  Buch,  welches  vom  Eppele  von  Gaih'nj^en  bis  zu  den 
streng  historischen  Stücken  fortschreitet,  vorausgeschickt 
hat.  Auch  von  ihnen  hegen  die  meisten  in  spätem 
Diucken  vor. 

Verschwindet  nun  hier  das  geschichtliche  Interesse  als 
solches  ganz  und  gar ,  so  gibt  es  wiederum  eine  Anz  »hl 
anderer  Lieder,  welche  uuigekehrt  allein  aus  geschichtlichem 
Interesse  der  Veigessen'ieit,  welcher  sie  bereits  zu  verfallen 
drohten,  wieder  entrissen  und  lange  Zeit  nach  ihrer  Ent- 
stehung aufs  Neue  hervoi gesucht  und  zum  Theil  auch  ge- 
druckt worden  sind.  Ganz  besondt^^rs  in  der  Schweiz  ist 
dies  der  Fall  gewesen.  Hier  hatten  schon  im  15.  Jahr- 
hundert zwei  Lieder  für  die  Gescliichtschreibuiig  eine  be- 
sondeie  Bedeutung  gewonn^'n,  iuilem  sie  die  Qu -llen  für 
zwei  der  gefeiertsten  Namen  biMeten:  das  Lied  von  Ur>pruiig 
der  Eidgenossen^chalt  (Nr.  147  der  hiJ^tü^ischeü  Volk^lieder) 
in  seinen  eisten  9  Strophen  für  den  Teil  und  das  Lied  von 
der  Senipacher  Schlacht  (Nr.  84)  für  Arnold  Wiukelried. 
Als  dann  am  Ende  dieses  Jahrhundeits  die  beiden  grossen 
Kiiege.  der  butgumJische  und  schwäbische,  einen  zahlreichen 
neuen  Liedeiflur  hervorgetiieben  hatten,  veiflochten  zwei 
gleichzeitige  Geschichtschreiber,  Diebolt  Schilling  und  Lenz, 
der  Reinichrouist  des  schwäbischen  Krieges,  diese  damals 
neue  Dichtung  giadezu  mit  ihrer  Erzählung,  iiuiera  sie  sich 
nicht  nur  darauf  beriefen,  sondern  vielmehr  die  Lieder  selbst 
in  ihren  GesCi.ichtsweiken  mittheilten.  Diesen  Spuren  folgte 
dann  einige  Jahi  zehnte  später  Tschudi  auch  für  die  ältere 
Geschichte :  indem  er  die  bekannten  unifangreichen  Materi- 
alien für  sein  Geschichtswerk  sammelte,  legte  er  dabei  auch 
auf  die  alten  Lieder  ein  ganz  besonderes  Augenmerk  und 
forschte  nach  ihnen  in  den  13. bliotheken  wie  in  dem  Ge- 
dächtniss  seiner  Landsleute.  Der  Antheil  an  ihnen  hatte 
aber   damals   schon  weitere  Wurzeln  geschlagen  uud  gleich- 


380  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

zeitig  mit  Tscliudi  brachte  Werner  Steiner  eine  kostbare 
handschriftliche  Sammlung  von  schweizerischen  Volksliedern 
zu  Stande,  deren  Original  von  1536  sich  auf  der  Züricher 
Bibliothek  befindet.  Je  kleiner  das  Ländergebiet  ist,  dem 
der  geschichtliche  Inhalt  dieser  Lieder  gilt,  und  je  ge- 
schlossener seine  Interessen ,  desto  leichter  musste  sich  an 
solchen  Vorgängen  eine  allgemeine  Theilnahme  für  diese 
alten  Lieder,  aus  denen  der  Ruhm  der  Väter  in  so  frischen 
Tönen  erklang,  entzünden.  So  konnte  es  geschehen,  dass 
bald  auch  die  Presse  hoffen  durfte,  ihre  Rechnung  dabei  zu 
finden,  wenn  sie  sich  ihrer  wieder  annahm.  Um  1545  be- 
gannen damit  die  Drucker  Rud.  Deck  in  Basel  und  Augustin 
Friess  in  Zürich ;  bei  ihnen  und  Änderen  erschienen  auf 
fliegenden  Blättern  die  Lieder  von  Sempach,  vom  Ursprung 
der  Eidgenossenschaft,  von  Pontarlier  (historische  Volks- 
lieder Nr.  135),  von  Freiburg  (Nr,  137),  von  Glurns 
(Nr.  205);  von  Dorneck  (Nr.  206)  und  von  da  an  bis  über 
das  Ende  des  Jahrhunderts  hinaus  noch  eine  Reihe  anderer. 
Im  Jahre  1600  sammelte  Rud.  Wyssenbach  in  Zürich  37 
solcher  Einzeldrucke  zu  einer  chronologisch  geordneten 
Sammlung,  der  er  auf  2  Blättern  ein  Verzeichniss  und  auf 
den  folgenden  5  Blättern  eine  geschichtliche  Einleitung  vor- 
ausschickte. Leider  haben  sich  nur  diese  ersten  7  Blätter 
beieinander  erhalten;  sie  sind  aus  Usteris  Nachlass  in  die 
Berliner  Bibliothek  gekommen;  doch  kennen  wir  wol  die 
Mehrzahl  der  37  Lieder  aus  Einzeldrucken.  Um  1615  hört 
diese  reproductive  Thätigkeit  in  der  Schweiz  wieder  so  ziem- 
lich auf;  nur  von  einzelnen  Liedern  finden  sich  bis  ans 
Ende  des  17.  Jahrhunderts  noch  immer  neue  Auflagen, 
namentlich  von  den  zweien :  Wilhelm  bin  ich  der  Teile 
(Rochholz  Eidgen,  Liederchronik  S.  277)  und  „Von  der 
eidgnoschaft  so  wil  ich  heben  an"  (historische  Volkslieder 
Nr.  147).  Das  letzte  dieser  beiden  Lieder  ist  alt;  seine 
gegenwärtige   Fassung   stammt   aus    dem  Jahre    1477.     Das 


V.  Lüiencron  :  Nachträge  zu  N.  40  d.  hist.  Vollcslieder  etc.      38 1 

erstere  dagegen  vom  Teil  ist  kein  achtes  historisches  Lied, 
sondern  ein  junges  Machwerk;  sein  Verfasser  Muheiui ,  ein 
Pritschenmeister,  lebte  im  17.  Jahrhundert  und  der  älteste 
bekannte  Druck  von  1613  (Weller,  Aunal. ,  Bd.  2,  S.  504, 
Berliner  Bibliothek  Ye  2015)  dürfte  mit  der  Abfassung 
gleichzeitig  sein.     Die  ersten  Zeilen  : 

Wilhelm  bin  ich  der  Teile 
von  Heldenmuth  und  Blut 

sind  eine  Parodie  auf  den  Eingaug  eines  sehr  beliebten 
historischen  Liedes  aus  dem  Jahre  1568  (Soltau  Volkslieder 
Nr.  68) 

Wilhelmus  von  Nassawe 

bin  ich  von  Teutschem  Blut 
auf  dessen  Melodie  auch  Muheim  sein  Lied  vom  Teil  sang. 

In  dieser  Verarbeitung  eines  älteren  geschichtlichen 
Stoffes  zu  einem  erzählenden  Volksliede  haben  wir  sodann 
ferner  zu  dem  Neudruck  älterer  Lieder  eine  zweite  der 
Schweiz  eigenthüm liehe  und  aus  der  eimnai  wach  geworde- 
nen Neigung  für  die  alten  Lieder  zu  erklärende  Erscheinung, 
von  der  es  in  dieser  älteren  Zeit  aber  auch  in  der  Schweiz 
nur  sehr  wenig  Beispiele  gibt.  Ich  erinnere  mich  ausser 
dem  eben  genannten  Teilenlied  nur  folgender :  eines  Liedes 
auf  die  Dättwyler  Schlacht  des  Jahres  1351  (Berl.  Bibl. 
Yc  2056),  auf  die  Schiacht  im  Büttisholz  von  1375  (Weller 
Annal.  Abth.  I  Nr.  614,  Berl.  Bibl.  Ye  2076),  auf  die 
Schlacht  bei  Näfels  von  1388  (Weller  1.  c.  I  489,  Berl. 
Bibl.  Ye  2122)  und  auf  den  Appenzeller  Krieg  1403  —  1408 
(Berl.  Bibl.  Ye  2161,  Anfang:  Herr  Gott  im  Himmel  droben). 
Keins  dieser  Lieder  ist  vor  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts gedichtet ;  sie  schöpfen  ihren  Stoff  aus  den  ge- 
druckten Chroniken.  In  die  Sammlung  der  historischen 
Volkslieder   sind   sie    selbstverständlich    nicht    aufgenommen. 

Alles    bisher  Gesagte    führt    uns   aber   noch   zu   keiner 


382  Sitzung  der  Mstw.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

Erklärung  der  Thatsache ,  von  der  wir  ausgingen :  dass  das 
gedachte  Würzbuiger  Gedacht  vom  Jahre  1400  im  Jahre 
1527  eines  Einzeldiuckes  gewürdigt  w.ircl.  Denn  von  den 
zwei  bisher  gefundenen  Anlässen  eii.es  solchen  Vorg;inges, 
dass  nemlich  entweder  die  Dichtung  sich  im  Volksmuude 
wirklich  bis  dahin,  wo  sie  neu  gedruckt  ward,  erhalten  hatte 
oder  aber  d.iss  ein  geschichtliches  In.eresse  zu  der 
jüngeren  Verbieitung  in  EinzeUlrucken  lührte ,  pasbt  auf 
das  fragliche  Würzburger  Gedicht  ganz  offenbar  keiner. 
Im  Volksmunde  erhalten  kann  sich  überhaupt  nur  ein  ge- 
sungenes Lied,  nicht  aber  ein  Gedicht  wie  dieses  von  mehr 
als  2000  Versen,  welches  nur  zum  Vorlesen  bestimmt  war 
und  schwerlich  je  auch  nur  einmal  von  seinem  Dichter  aus- 
wendig gewusst  sein  mag.  Ein  geschiciitliches  Interesse 
aber  an  einer  so  vereinzelten  Begebenheit  aus  der  älteren 
Geschichte  des  Stiftes  lässt  sich  wol  bei  einem  einzelnen 
Forscher  denken,  Avie  denn  in  der  That  Lorenz  Fries  ji  auf 
die  alten  Dichtungen  sorgsam  Acht  und  Bezog  nimmt.  Un- 
möglich kann  man  es  sich  dagegen  im  Volke  so  verbreitet 
vorstellen ,  dass  ein  Diucker  daduich  bei  der  Herausgabe 
des  langen  Gedichtes  auf  seine  nicht  unerheblichen  Kosten 
hätte  kommen  können.  Man  muss  also  annehmen,  dass 
iigend  Jemand  an  der  Verbreitung  des  alten  Gedichtes  ein 
Interesse  hatte  und  unj  deswillen  die  Kosten  des  Drucks 
nicht  scheute.  Den  in  der  That  leicht  zu  errathenden  Zu- 
sanmienhang  rang  zunächst  ein  vorhin  absichtlich  un- 
erwähnt gelassener  Hergang  in  der  schweizerischen  Lieder- 
geschichte aufhellen. 

Den  um  1545  dort  beginnenden  Erneuerungen  älterer 
Lieder  duich  den  Druck  liegen  nemlicli  zwei  einzelne  Fälle 
um  ein  Jahrzehent  vorauf,  für  die  wir  schon  aus  diesem 
Giund  und  weil  es  überhaupt  die  ersten  sind,  noch  einen 
speciellen  Anlass  suchen  müssen.  Sie  gehören  durch  diesen 
Anlass  zusammen.     Am  5.  Apr.l  1536    wurde   in  Bern   das 


V.  Liliencron:  Nachträge  zu  N.  40  d.  hist.  Volkslieder  etc.      383 

aus  dem  J:ihr  1476  stammende  Lied  vom  Sieg  über  Herzog 
Karl  von  Burguudbei  Granson  gedruckt  und  um  dieselbe 
Zeit  ward  aus  Resten  eines  alten  Liedes  mit  Hülfe  der 
Cbronikeii  ein  Lied  auf  die  Laupenschlacht  von  1389  ge- 
macht (historische  Volkslied,  r  Nr.  13).  Auch  dies  Lied 
erschien  15Hß  im  Diuck.  Nicht  ein  historisches,  sondern 
ein  augL-nbh'cküches  politisches  Literesse  hat  darauf  ge- 
führt: denn  kurz  zuvor,  ehe  am  5.  April  jener  Druck  be- 
sorgt ward ,  Wal  en  die  ßerner  von  neuen  erfolgreichen 
Siegen  üljer  einen  anderen  Herzog  Karl,  nemlich  über 
Karl  ni  von  Savoyen  zurückgekehrt;  die  alle  Laupenschlacht 
aber  gegen  die  Herren  und  die  Welsclien  musste  wol  als 
der  Anfang  eben  deij -nigen  politi-chen  Bewegung  erscheinen, 
Welche  in  den  Kriegsthaten  der  letzten  Monate  und  in  der 
Ausdehnung  der  Berner  Herrschaft  über  den  Genfer  See 
und  die  Waat  ihren  Abschluss  gefunden  hatte.  Darum 
passten  plötzlich  die  alten  Lieder  wieder  zur  allerneuesten 
politischen  Stimmung:  dem  frohen  Siegesgefühl,  dem  stolzen 
Bjwusstsein  gegenüber  den  WelbCl:en  sollten  neben  neuge- 
sungenen Liedern  auch  sie  Ausdruck  geben;  darum  druckte 
man  sie. 

Etwas  Aehnlicbes  nun  gewahrt  man  ohne  Mühe  in 
Betreff  des  Würzburger  Gedichtes  :  es  stellt  eine  demociati- 
sche  Eihebung  in  der  Stadt  gegen  den  Lischof  dar,  über 
die  der  Bischof  in  dem  blutigen  Siege  bei  Bergtheim 
triuinphirt;  die  Besiegten  müssen  sich  demü.hig  unterwerfen 
und  erleiden  harte  Strafe.  Aehuliches  hatte  sich  ja  im 
Jahre  1525  wiederholt;  die  Stadt  war  von  den  aufiühreri- 
schen  Bauern  genommen  und  hatte  sich  ihnen  in  tleuio- 
cratischer  Eihebung  angeschlossen.  Mit  Mü.^e  bei.aupteten 
sich  die  Bischöflichen  auf  dem  Marieuberg.  Der  Niederlage 
der  Bauern  war  aber  dann  auch  diesmal  eine  schwere 
Züchtigung  der  wieder  unterworfenen  Stadt  gefolgt.  Eist 
im  folgenden  Jahre  1526  fand  der  Bauernkrieg  seinen  ausser- 


384  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

liehen  AbscLluss ,  die  innere  Bewegung  der  Gemüther  wird 
noch  viel  länger  gedauert  haben.  Unter  solchen  Umständen 
mochte  wol  ein  Bischöflicher,  dem  im  Jahre  1527  das  alte 
Gedicht  vom  Aufruhr  von  1397  in  die  Hände  fiel,  darin 
ein  willkommenes  Mittel  erkennen,  seinem  Hass  und  Spott 
gegen  die  besiegten  Städter  gowissermassen  hinter  einer 
Maske  freien  Ausdruck  zu  geben.  Eine  Maske  aber  war  bei 
dergleichen  Dingen  nicht  übel ,  denn  guttiefi'ende  Spottge- 
dichte,  auf  die  damals  Polizei  und  Gerichte  eifrig  zu  fahn- 
den pflegten ,  konnten  für  ihren  Urheber  leicht  sehr  ver- 
driessliche  Folgen  haben.  Mit  dem  alten  Gedicht  sollte 
also  auch  hier  zum  zweiten  Mal  Politik  gemacht  und  dem 
überwundenen  Gegner  eine  enipfindliche  Lection  gelesen 
werden,  darum  ward  ihm  die  Ehre  eines  Druckes  zu  Theil. 
Damit  ist  zugleich  dem  Herausgeber  der  historischen 
Volkslieder  eine  kleine  Genugthuuug  vorbereitet  worden.  Es 
ist  mir  nemlich  mehrfach  der  Vorwurf  gemacht  worden, 
einige  Gedichte  aufgenommen  zu  haben,  welche  schon  durch 
ihre  Länge  zeigen  sollen,  dass  sie  keine  politischen  Gedichte 
im  Sinne  der  Sammlung,  sondern  lleimchroniken  seien  und 
damit  ist  neben  einigen  anderen  grade  dies  Würzburger 
Gedicht  gemeint.  Der  Hauptunterschied  der  Reimchronik 
und  des  politischen  Gedichtes  besteht  darin  ,  dass  jene  ver- 
gangene und  abgeschlossene  Begebenheiten  nach  ihrem  zeit- 
lichen Verlauf  erzählt,  um  die  Thatsachen  als  solche  dem 
Gedächtniss  der  Nachwelt  zu  erhalten,  während  dieses  noch 
innerhalb  der  Erregung  des  augenblicklich  Geschehenden 
oder  soeben  Geschehenen  aus  dem  Verlauf  der  Thatsachen 
für  seine  Darstellung  nur  die  Punkte  heraushebt,  mit  denen 
es  das  Gemüth  seiner  Hörer  zu  Begeisterung,  Hass  oder 
Spott  zu  stacheln,  mit  deren  Erwähnung  es  seine  politischen 
Gegner  zu  demüthigen  hofft.  Die  Chronik  erzählt,  das 
politische  Gedicht  berührt  nur  die  Thatsachen,  jene  ent- 
wickelt   folgerichtig,    dieses   springt    nach   Laune  in   seiner 


V.  Liliencron :  Nachträge  zu  N.  40  d.  h  ist.  VolkMeäir  etc.       385 

Darstellung;  jene  will  trotz  etwaiger  Parteifärbnng  objectiv, 
dieses  dagegen  will  Partei  sein  und  machen.  Meines  Er- 
achtens  nun  werden  die  angefoclitenen,  allerdings  lästig 
langen  Gedichte  durch  eben  diese  entscheidenden  Merkmale 
auf  die  Seite  der  politischen  Dichtung  gestellt,  darum 
nahm  ich  sie  auf.  Da  zeigt  sich  denn  also  hier,  dass  das 
eine  von  ihnen  gar  nach  mehr  wie  hundert  Jahren  noch 
einmal  wieder  aus  dem  Sclilaf  erweckt  ward ,  um  zum 
zweiten  Male  Politik  zu  machen ,  um  noch  einmal  —  nicht 
zur  historischen  Leetüre,  sondern  zur  politischen  Geissei  zu 
dienen. 


Die  ferneren  3  Bruchstücke  des  Würzburger  Stand- 
buches Nr.  201  geben  durch  ihre  Unterschrift  kund,  wohin 
sie  gehören.     Unter  dem  letzten  steht  nemlich: 

,,Finis  disses  Chronici. 
Johannes  Simonis  fecit  me 
Cujus  anima  requiescat  in  pace 
Hoc  docent  literae  capitales 
Hujus  libri  speciales." 

Ob  die  letzten  Zeilen  sagen  wollen,  der  Name  des 
Verfassers  ergebe  sich  aus  einer  Ueberschrift  oder,  was  mir 
wahrscheinlicher  däucht ,  aus  einem  Acrostichon ,  bleibe  da- 
hingestellt. Die  wenigen  Fragmente  lassen  es  nicht  ent- 
scheiden. Johannes  Simonis  oder  Simon  aber  und  sein 
Gedicht  sind  aus  Lorenz  Fries  bekannt.  ,,Es  hat  dazu  mahl 
'(heisst  es,  S.  702a  der  Ludewig'schen  Ausgabe,  zum  Jahre 
1422)  einer  Johannes  Simon  genannt  ,  von  Bischoff 
Johannessen  des  andern  leben,  thaten  und  wesen  ein  sehr 
langes  teutsclies  gedieht  gemacht."  Darauf  folgt  dann  ein 
Bruchstück  dieses  Gedichtes,  und  auf  S.  727b,  771b  und 
777  a  noch  drei  andere.  Da  sich  bisher  ein  Exemplar  dieses 
[1870.  II.  4.]  26 


386  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

Gedichtes  noch  nirgends  gefunden  hat,  so  ist  es  nicht  ohne 
Interesse,  dass  das  Würzburger  Standbuch  uns  wenigstens 
drei  neue  Bruchstücke  davon  bietet.  Dass  das  Gedicht 
nicht  nur  die  Thaten  Bischofs  Johann  IL  von  Brunn,  1411 
bis  1440,  sondern  auch  die  Regierung  seines  Nachfolgers 
Siegmunds,  Herzogs  von  Sachsen.  1440—1443  betraf,  lässt 
schon  das  letzte  Fragment  bei  Fries  aus  dem  Jahr  1440 
schliessen ;  durch  das  letzte  der  hier  folgenden  Fragmente, 
welches  das  Jahr  1443  betrifft,  wird  es  bestätigt.  Der 
Dichter  zeigt  sich  überall  als  ein  Mitlebender,  ohne  Zweifel 
ein  bischöflicher  Diener.  Seine  Erzählung  verdient  eben 
darum  die  Beachtung,  welche  schon  Fries  ihr  geschenkt  hat. 
Das  erste  Bruchstück  bezieht  sich  nicht  auf  Albrecht 
von  Wertheim,  wie  die  üeberschrift  irrthümlich  sagt,  son- 
dern auf  seinen  Bruder  und  Vorgänger  in  der  Pflegschaft 
des  Bisthums  Johann  von  Wertheim ,  nemlich  auf  dessen 
plötzlichen  Tod  im  Jahre  1433,  den  das  Gerücht  einer  viel- 
leicht gar  vom  Bischof  Johann  veranlassten  Vergiftung  bei- 
mass.  Johannes  Simonis ,  sonst  gut  bischöflich  gesinnt, 
nimmt  die  Thatsache  der  Vergiftung  als  zweifellos  an ,  fügt 
jedoch  vorsichtig  hinzu :  er  dürfe  noch  wage  niemanden 
namentlich  der  That  zu  beschuldigen.  Lorenz  Fries  sagt 
(728b),  es  heisse,  dem  Pfleger  sei  „durch  einen  weichen 
käse  und  im  trincken  vergeben  worden."  Den  ,, weichen 
Käse"  entnimmt  er  einem  Volkslied  des  Jahres  1437  (histor. 
Volkslieder  Nr.  73,  Nr.  23),  aus  dem  er  die  betreffende 
Stelle  anführt.  Eine  andere  Redaction  des  Liedes  sagt  statt 
des  weichen  Käses,  d.  h.  Quarkkäses:  ,,der  pfleger  wart 
mit  einer  suppen  erstochen."  Den  Zusatz  „und  im  trincken" 
fügt  er  offenbar  aus  dem  Simon'schen  Gedicht  hinzu 
(s.  u.  Z.  14),  Nur  hätte  er  danach  statt  „und  im  Trinken" 
richtiger  ,,oder  im  Trinken"  sagen  sollen.  Denn  beides 
sind  doch  wol  nur  verschiedene  Versionen  desselben  Ge- 
rüchtes. 


r.  Lilimcron:  Nachträge  zxi  N.  40  d.  hitit.  VolJ<aJieder  etc.      387 

I. 

De  Anno   1433  vom  Wirtzburgischen  Pfleger  Graven 
Albrechten  von  Werdtheimb. 

Darnach  In  Kurtz  wiirdt  ein  Ta;^  gestelt, 

Vtf  dem  mann  doe  erweit 

Zu  pfleger  den  herrn  Zu  liandt. 

Den  Ich  vor  hab  genant ; 
5  Ich  wass  Ihme  von  hertzen  holt. 

Aber  ee  mann  Ihm  hulten  solt, 

Wass  geleget  Ein  Tag 

Gein  Kitzing,  alss  Ich  sag, 

Doe  mann  alle  Ding  solt  beschliessen. 
10  Den  pfleger  nicht  gunt  verdriesseu 

Doe  In  das  Closter  zu  gehn, 

Dorumb  Ich  Mich  noch  sehn. 

Wann  Ihme  doe  wart  gegeben 

Ein  Trunckh,  der  Ihm  Sein  Leben 
15  Verkürtzet,  das  ist  war, 

Aber  Ich  ensoll  noch  thar 

Der  Keinen  nennen  nicht. 

Die  an  derselben  geschieht 

Haben  schuldt  oder  RLatt  gethan. 
20  Wann  Ich  liie  vor  gesprochen  hau, 

Dass  Ich  Niemandt  wöll  letzen 

Oder  mit  diser  schrifft  setzen 

In  lasttr  oder  In  leit, 

Alss  Ich  dann  vor  hab  geseyt. 
25  Der  Pfleger  nicht  laug  wolt  beiten, 

Gein  Würtzburg  Thett  Er  Reiten, 

Wann  man  doe  solt  eines  wern 

Wie  mann  hult  dem  Flerrn. 


1.  Ich    füge   die  Interpunctiou    zu.     12.  ,,was  mir  noch 

26* 


388  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

heute  Kummer  macht".  17.  ,, derer  keinen  nennen'^  19. 
„die  es  gethan  oder  angestiftet  haben".  25.  Sein  Tod  er- 
folgte nemlich  nicht  gleich  in  Kitzingen ,  sondern  erst  nach 
34  Tagen  in  Würzburg.  28.  ,,auf  welche  Art  man  die 
Huldigung  leisten  solle". 


Das  zweite  Bruchstück  meldet:  Markgraf  Friedrich  habe 
den  Bischof  Johann  iui  Verdacht  gehabt,  seine  Wahl  zum 
deutschen  Könige  1439  hauptsächlich  hintertrieben  und  da- 
durch die  Wahl  Friedrichs  von  Oesterreich  herbeigeführt 
zu  haben.  Trotz  der  Verantwortung  der  Kurfürsten  habe 
der  Markgraf  dies  dem  Bischof  bitter  nachgetragen.  Der 
Dichter  enthält  sich  auch  hier  des  eigenen  ürtheils.  Es 
ist  aber  jedenfalls  hierbei  ein  Irrthum  zu  berichtigen.  Die 
Wahlhandlung,  aus  der  Friedrich  als  König  hervorging,  fand 
nicht  1439 ,  sondern  vom  28.  Janunr  bis  2.  Februar  1440 
statt.  Bischof  Johann  war  aber  schon  am  9.  Januar  ge- 
storben, konnte  mithin  damals  nicht  mehr  in  Frankfurt  sein. 
Was  der  Dichter  berichtet ,  bezieht  sich  vielmehr  auf  die 
Wahl  König  Albrechts  IL  im  Jahre  1438  und  stimmt  zu 
dem,  was  Lorenz  Fries  (S.  762a)  meldet;  es  sei  damals  ein 
Lied  gesungen  worden,  welches  dem  Bischof  Schuld  gab, 
er  sei  es  gewesen ,  der  Markgraf  Fi  iedrichs  Wahl  hinter- 
trieb. Der  Bischof  habe  das  Singen  dieses  Liedes  ver- 
boten. Demnach  müsste  also  in  unserm  Bruchstück  V.  31 
,, vierzehnhundert  und  acht  und  dreissig"  und  V.  27  statt 
,, Friedrich"  gelesen  werden  „Albrecht".  Da  jedoch  an 
letzter  Stelle  der  Name  Friedrich  durch  den  Reim  geschützt 
wird,  so  ergibt  sich,  dass  der  Irrtluim  nicht  etwa  auf  Rech- 
nung eines  Abschreibers,  sondern  des  Dichters  selbst  zu 
setzen  ist. 


V.  Lilicncron :  Nachtrage  zu  N.  40  d.  hist.  Volkslieder  etc.       389 

II. 

De  Anno   1439  Von  Marggraff  Fridericben  So 

Römischer  König  zuwerden  getrachtet 

haben  soll. 

Ein  Tag  wart  gesetzt  Zuwehlen 

Ein  Römischen  König, 

Der  dem  Reich  gerümig 

Were  In  allen  Sachen. 
5  Der  Tag  der  war  gemachen 

Gein  Franckhfurt  In  die  Statt, 

Doe  die  Churfürsten  mit  Ihrem  Rhatt 

Ein  König  Zuwehlen  gesammet  waren. 

Bey  Ihnen  In  denselben  Jahren 
10  Was  Im  Rhatt  Bischoff  Johann 

Von  Würtzburg,  Ein  clug  Mann, 

Alss  Ihr  hie  vor  liabt  gehört 

An  diss  Buchs  Erstem  ortt. 

Aldoe  Zu  Franckhfurt  vnderstunde 
15  Marggraff  Friderich,  wie  Er  künde, 

Von  Brandenburg  geborn, 

Das  Er  were  König  worn. 

Dieselbe  Ehr  Iljm  nicht  was  beschert; 

Wer  weiss  wer  das  wehrt ! 
20  Doch  hett  Marggraff  Frideriche 

Ein  böss  Zuversichte 

Zu  Bischoff  Johann, 

Der  solt  das  gehindert  han, 

Das  Er  nicht  wart  König  erwehlt. 
25  Es  wart  Ein  ander  vffgezelt 

Von  dem  Hauss  Osterreich, 

Genant  Hertzog  Friderich; 

Derselbe  Ein  König  wart 

Gewehlt  vff  derselben  vart 


390  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 

30  In  den  Jahren,  das  Ist  war, 

Vierzehen  hundert  vnudt  Neun  vnnd  dreissig  Jahr. 

Marggraff  Friderich  von  Brandenburg 

War  gehass  dem  Bischoff  von  wirtzburg 

Vmb  die  obgemelte  Tatt, 
35  Alss  Lievor  geschriben  stat, 

Dass  Ihne  verautwortten  Vleissigh'ch 

Die  Churfürsten  alle  gleich. 

Aber  der  Marggraff  wolt  nicht  ablan, 

Vff  Bischoff  Johann  hatt  Er  argen  wan, 
40  Alss  das  darnach  wort  offenbar  etc. 


3.  ,,gerüuiig*'  kann  dem  Zusammenhang  nach  nur 
ehrenvoll,  rühm  bringend  bedeuten.  Sonst  ist  rühmig,  mhd. 
rüemec,  nur  in  der  Bedeutung  „ruhmredig"  bekannt. 
5.  Das  falsche  Particip  , .gemachen"  ist  doch  dem  Dichter 
kaum  zuzutrauen.  Vielleicht  schrieb  er:  ,.Der  Tag  der  war 
zemachen".  13.  „im  ersten  Theile  dieses  Werkes".  14 f.  „da 
unternahm  Markgraf  Friedrich  auf  alle  Weise,  die  Krone  zu 
erwerben".  (Veigl.  Benecke-Müller  Lex.  II,  2,  S.  586). 
21.  „versah  sich  eines  Bösen  zum  Bischof".  2  6  f.  Zu  emen- 
diren  wäre  freilich  leicht:  ,,von  der  von  Oesterreich  Ge- 
schlecht, genant  herzog  Albrecht".  33.  ,,trug  Hass  gegen 
den  Bischof".  3 5 f.  ,,wie  ich  denn  schon  oben  erzählt  habe, 
dass    die   Kurfürten    ihn    deswegen    eifrig   verantworteten". 

Das  dritte  Bruchstück  bezieht  sich  auf  den  Ausgang 
von  Herzog  Siegmunds  Regierung.  König  Friedrich  ent- 
schied auf  einem  Tag  zu  Frankfurt  a.  M.  am  14.  Aug.  1442 
die  zwischen  dem  Herzog  und  dem  Stift  obschwebenden 
Streitigkeiten  dahin,  dass  Gottfried  Schenk  von  Limburg  an 
des  Herzogs  Stelle  als  Pfleger  die  Regierung  übernehmen 
und  der  Herzog  mit  einigen  Revenuen  abgefunden  sein  solle. 
Da  sich  aber  dieser  dem  Schiedsspruch  hernach  nicht  fügen 
wollte,   ward  1443   beim  Papst  seine  Entsetzung  und  Gott- 


v.Lüiencron:  Xachträge  zu  X.  40  d.  hist.  Volkslieder  etc.       39  1 

fried  Schenks  Erhebung  auf  den  bischöflichen  Stuhl  erwirkt. 
Mittlerweile  hatte  Markgraf  Albrecht  an  das  Stift  eine  For- 
derung von  47,000  fl.  gemacht ,  welche  er  zum  Nutzen  des 
abgesetzten  Bischofs  aufgewendet  haben  wollte.  Ein  am 
19.  Dezember  1442  in  dieser  Angelegenheit  zu  Mergentheim 
gefällter  Schiedsspruch  ermässigte  die  Forderung  auf 
20,000  fl.  und  diese  Summe  ward  dem  Markgrafen  auf  den 
stiftischen  Antheil  an  Kitzingen  zugesprochen.  Mit  dieser 
Darstellung,  wie  L.  Fries  sie  gibt,  stimmt  Simonis  ganz 
überein. 

III. 

Vom  Vertrag   mit  Marggraff  Albrechten   Anno   1443. 

Zu  Frauckhfurt  vfl'  des  Tages  Zill 

Warn  die  Herrn  Von  dem  Stifft ; 

Mit  mechtiger  triS't 

Lagen  Sie  doe  solang, 
5  Biss  das  Ihne  gelang, 

Dass  die  Sache  vssgesprochen  wart. 

Vfi  derselben  Vart 

Erwehlten  die  Herrn  gutt 

Mit  Einmüti'giichem  Mutt. 
10  Eiuen  Andern  Pfleger, 

Der  des  Landts  herr 

Were  In  allen  sachen, 

Alss  dann  was  vssgesprochen 

Von  dem  König  hochgeborn, 
15  Alss  Ihr  hieuorn 

Habt  verstanden  vnud  vernommen. 

Bischoff  Sigmundt  der  wolt  nicht  kommen 

Dem   Vssspruch  nach; 

Hier  vmb  dem  Stifi"t  wart  Vngemach 
20  Zuviel  Zugezogen. 

Marggraff  Albrecht  hett  Seinen  bogen 


392  Sitzung  der  histor.  Glosse  vom  3.  Deaember  1870. 

Ueber  den  Stifft  gespanuen; 

Das  Capitel  Thet  Er  mauen 

So  hart  VDndt  so  sere. 
25  Das  sie  Kein  were 

Darwider  getlum  Kunen. 

Die  wirdigen  Herrn  besunen, 

Wie  Ihne  gar  mit  gewere 

Der  Marggraff  wer  Zu  swere 
30  Vnndt  mit  Seinem  punt 

Zulegt  Bischoff  Sigmundt. 

Der  Einen  solchen  Bast 

Mit  Seinem  Vberlast 

Hatt  bracht  vber  das  Landt. 
35  Den  Herrn  Thett  das  andt 

Vnndt  was  Ihne  viel  Zu  schwere ; 

Sie  gedachten  hin  vnndt  here, 

Wie  Sie  des  Marggrafien  quemen  abe 

Vnndt  doch  des  stiefftes  habe 
40  Doe  mit  nicLt  verlüreu 

Vnndt  wie  Sich  das  möcht  gebüren. 

Dass  wart  doe  gestellet  an 

An  die  Herrn  Lobesan 

Von  Meintz  an  den  Bischoff  her 
45  Vnndt  an  den  würdigen  Pfleger 

Vnndt  auch  an  den  von  Weinsperg. 

Dieselben  drey  thetten  ein  guet  werckh, 

Es  ging  aber  vber  den  Stifft 

Mit  Einer  Zu  grossen  giefft. 
50  Doe  mit  quame  man  des  Marggraffen  ab: 

Kitzingen  was  die  Zugab 

Für  Zwantzig  Tausent  Gülden. 

Also  kam  der  Pfleger  Ein 

Vnndt  war  des  Stiffts  Ein  Heri-. 
55  Von  dem  nun  sagt  der  Schreiber. 


V.  Lüiencron:  Nachträge  zu  N.  40  d.  hist.  Vollslieäer  etc.       393 

1.  „Zu  Frankfurt  auf  der  als  Termin  angesetzten  Zu- 
sammenkunft". 3.  Wol:  ,,in  starker  Anzahl"'.  Trift  wird 
sonst  freilich,  so  viel  ich  weiss,  nur  von  Vieh  in  dieser 
Bedeutung  gebraucht.  6.  ,,dass  ein  Schiedsspruch  in  der 
Sache  erfolgte".  Es  zog  sich  dies  lange  hinaus.  Der  erst 
auf  den  5.  Juni  anberaumte  Tag  ward  auf  den  13.  Juli 
prorogiert;  die  Schiedshandlung  begann  aber  erst  am 
25.  Juli  und  der  königl.  Entscheid  erfolgte  den  14.  August. 
13.  ,,in  üebereinstimmung  mit  dem  Spruch  des  Königs". 
211:  „bedrohte  das  Stift  (neben  das  stift:  mhd.  der  und 
die  stift)  mit  Krieg''.  23.  „bedrohte  er  durch  seine  Mahn- 
ung. Fordprung,  so  schwer".  28.  ,,mit  gewere" :  an  Kriegs- 
rüstung. 30.  ,,und  der  mit  seinen  Verbündeten  dem  Herzog 
Siegmund  Hülfe  leistet ,  welcher  mit  seiner  Bedrückung 
solche  Flickerei  über  das  Stift  gebraclit  hat".  Basten 
wenigstens  und  basteln,  basteln,  seinerseits  abzuleiten  von 
Bast,  mit  dem  man  nähte,  heisst  flicken,  kleine  Handarbeit 
machen.  Daraus  wieder  scheint  mir  dies  ,,bast"  erklärt 
werden  zu  müssen,  falls  es  nicht  etwa  Kuthe  (mit  Bast  ge- 
bundene Reiser)  bedeutet.  35.  ,, erregte  das  Verdruss". 
41.  ,.und  wie  das  geschehen  könnte".  49.  ,,mit  zu  grosser 
Gabe,  Vergabung",  d.  h.  das  Stift  musste  es  zu  theuer  be- 
zahlen. 55.  Danach  scheint  es  also ,  als  wenn  Job.  Simons 
Gedicht  sich  auch  noch  weiter  auf  Bischof  Gottfried  er- 
streckt habe. 


394       Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  3.  Dezember  1870. 


Mathematisch-physikalische  Classe. 

Sitzung  vom  3.  Dezember  1870. 


Herr  v.  Pettenkofer  hält  einen  Vortrag: 

„lieber   den  Kohlensäure-Gehalt   der  Luft   im 
Geröllboden  von  München." 

Derselbe   wird    die  Fortsetzung    des  Vortrages   in   einer 
der  nächsten  Sitzungen  geben. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  395 


Einsendungen  von  Druckschriften. 


Von  der  l'.  Ä\  geologischen  Reichsanstalt  in  Wien : 
k)     Jahrbuch.    Jahrpr.  1870.    20.  Bd.    Nr.  '6.    Juli,  August,  Sept.   8. 
b)     Verhandlungen.     Nr.  10.     1870.     8. 

Von  der  naturwissenschaftlichai  Gesellschaft  in  St. Gallen: 
Bericht    über   die  Thätigkeit    derselben    während    des    Vereinsjahres 
1868.     69.     8. 

Vom  historischen    Verein  in  St.  Gallen: 

Mittheilungen  zur  viterländischen  Geschichte.    Neue  Folge.    2.  Heft. 
1870.     8. 

Vom   Verein  für  Hamdiirg'sche  Geschichte  in  Hamburg: 
Zeitschrift,    Neue  Folge.     3.  Bd.     1.  und  2.  Heft.     1869.     70.     8. 

Vo7n  akademischen  Leseverein  an  der  k.  Universität  in  Graz: 
Dritter  Jahresbericht     1870.     8. 

Von  der  astronomischen  Gesellschaft  in  Leipzig: 
Vierteljahrschrift.     5.  Jahrg.     4.  Heft.     1870.     8. 

Von  der  Universität  in  Heidelberg: 
Jahrbücher  der  Literatur.     63.  Jahrg.    8.  Heft.    August  1870.     8. 


396  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  Archäologischen  Gesellschaft  in  Berlin : 
Humoristisclie  Vasenbilder    aus    ünteritalien.       30.    Programm    zum 
Winkelmannsfest.     "\'on  H.  Heydemann.     1870.     4. 

Von  der  anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien: 
Mittheilungen.     1.  Bd.     Dezember  1870.     Nr.  5.     8. 

Von  der  l'.  2>reussisclien  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin: 
Monatsbericht.     August,  September  und  Oktober  1870.     8. 

Von  der  pfälzischen  Gesellschaft  für  Pharmacie  in  Speier: 
Neues  Jahrbuch  für  Pharmacie   und    verwandte  Fächer.     Zeitschrift. 
Bd.  34.     Heft  5  und  6.     November,  Dezember  1870.     8. 

Vou  der  Staats-Ackerbauhehörde  in  Ohio  ; 
23.  Jahresbericht  für  das  Jahr  1868.     2.  Eeihe.     1860.     8. 

Von  der  Societe  Archeologique  in  Luxemburg : 

Publications  de  la  section  historique  de  l'institut.  Annee  1869 — 1870. 
XXV.     III.     4. 

Von  der  Linnean  Society  in  London: 

a)  Transactions.    Vol.  28.    Part  4.    Vol.  27.    Part.  1.  2.    1869.    4. 

b)  Journal.     Zoology.     Vol.  10.     Nr.  47.  48. 

Botany.         „      11.       ,,     52.  b2.     1870.     8. 

c)  Proceedings.     Session  1869  — 1870.     November,  December.     8. 

d)  List  of  the  society.     Fellows.     1869.     8. 

e)  Additions  to  the  library  of  the  Society.     June  1868  —  June  1869. 
1870.     8. 

Von  der  Chemical  Society  in  London: 
Journal.     Ser.  2.     Vol.  8.     1870.     8. 

Von  der  B.  Listitution  in  London: 

a)     Proceedings.     Vol.  4.     Part.  7.    Nr.  43. 

„     5.       „      5.  6.  7.     Nr.  49.  5ü.  51.     1869.     8. 


Vimeväiingen  von  Druclcschriften.  397 

b^  List  of  the  members,  officers  and  professors;  with  the  report 
of  the  visitors.  statement  of  accounts,  and  list  of  lectnres  and 
donations  in  1S68.     1869.     8. 

Von  der  Geological  Society  in  Edinburgh: 
Transactions.     Vol.  1.     Part.  3.     1870.     8. 

Von  der  Medical  and  chirurgical  Society  in  London: 
Medico-chirurgical  Transactions.     Vol.  53.     1870.     8. 

Von  der  Geological  Society  in  London : 
Quarterly  Journal  Vol.  26.     August  1870.     Xr.  103.     8. 

Voti  der  Academie  royale  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux-arts  in 

Prüssel : 

Bulletin.     39.  annee,  2.  serie,  tome  30.     Xr.  11.     1870.     8. 

Vo7i  der  Commission  Geölogiqiie  de  la  Societe  HelvHique  des  sciences 
naturelles  in  Bern: 

a)  Materiaux  pour  la  carte  geologique  de  la  Suisse.  Supplement 
a  la  description  du  Jura  Vaudois  et  Xeuchätelois  (6*  livraison). 
Avec  une  carte  et  quatre  planches  de  profils  geologiques.  Par 
A.  Jaccard.     1870.     4. 

b)  8^"®  livraison.  Jura  Bernois  et  Districts  adjacents.  Avec  une 
carte,  une  planche  de  profils  geologiques  et  sept  de  fossiles. 
Par  B.  Greppin.     1870.     4. 

Von  der  Äsiatic  Society  of  Bengal  in  Calcutta: 

a)  Journal.     Part.  2.     Xr.  2.     1870.     8. 

b)  Proceedings.     Xr.  5.     May  1870.     Xr.  6.     June  1870.     8. 

Von  der  B.  Accademia  deUe  scienze  in  Turin : 

a)  Atti.     Yol.  5.     Disp.  1—7.     Xovbr.  1869  —  Giugro  1870.     8. 

b)  Appendice  al  volume  4.  degli  atti.     18G9.     P. 

c)  Xotizia  storica  dei  lavori  fatti  dalla  classe  di  scienze  tisiche  e 
matematiche  negli  anni  1864  e  1865.  scritto  dal  Prof.  A.  Sob- 
rero.     3, 


398  Einsendungen  von  Bruckschriften. 

Vom  E.  osservatorio  deW  Universitä  in  Turin: 
Bolletino  meteorologico  ed  astronomico.     Auno  4.     1869.     4. 

Vom  E.  Comitato  Geologico  d' Italia  in  Florenz: 
Bolletino  Nr.  9  ed  10.     Settembre  ed  Ottobre  1870.     8. 

Voyi  der  Smithsonian  Institution  in   Washington: 

a)  Annual  Report  of  the  board  of  regents  for  1868.     1869.     8. 

b)  Smithsonian  Contributions    to  knowledge  Vol.   16,     1870.     4. 

c)  Smithsonian  Miscellaneous  Collections  Vol.  8.  9.     1869.     8. 

Vom  Patent  office  in  Washington: 
Report.     1867.     Vol.  1—4-     1868.     8. 

Vom  Ägricultural  Deiyartement  in   Washington : 

a)  Monthly  Reports  for  1868.     1869.     8. 

b)  Annual  Report  for  1867.     1868.     8. 

Vom  U.  S.  Coast  Survey  Office  in  Washington : 

Report  of  the  Superintendent  for  18Ö6.     1869.     4. 

Vom  Bureau  of  Navigation  in  Washington: 

a)  American  Ephemeris  for  1872.     1870.     8. 

b)  Tables  of  Harmonia  by  E.Schubert.     1869.     8. 

Vom  Interior  Departement  in  Washington: 

Annual  Report  for  1869.     8. 

Vom  U.  S.  Naval  Observatorg  in   Washington: 
Appendix  2.    Reports  on  observations  of  the  total  eclipse  of  the  sun, 
August  7.     1869.     4. 

Von  der  Chicago  Academy  of  sciences  in  Chicago: 
Transactions.     Vol.  1.     Part.  2.     1869.     8. 

Von  der  Academy  of  natural  sciences  in  Philadelphia: 
a)    Journal.      New   Series.      Vol.   6.     Part.   4.      Vol.   7.     Second 
Series  1869.     4. 


Einsendwigen  von  Druckschriften.  399 

b)     Proceedings.     Nr.  1  —  6.     January  —  Decbr.  1868.     Nr.   1—4. 
Jauuary  —  Decbr.  1869.     8. 

Von  der  American  Philosophical  Society  in  rhiladelphia : 

a)  Trausactions  Vol.  8.     New  Series.     Part.  5.     1869.     4. 

b)  Proceedings.     Yol.  9.     1869.     Xr.  81.  82.     8. 

Von  der  Historical  Society  of  Pennsylvania  in  Philadelphia: 
Publications.     Vol.  9.     The  Penn   and  Logan    correspondence      1700 
—  1750.     1870.     8. 

Von  der  Academy  of  natural  sciences  (Chonchological  Section)  in 
Philadelphia : 

American  Journal  of  Conchology  1869 — 70.     Vol.  5.     Part.  1—4.     8. 

Von  der  American  Academy  of  arts  and  sciences  in  Philadelphia: 
Proceedings.     Vol.  8.     1868.     c. 

Von  der  Peabody  Academy  of  science  in  Salem : 
a)     The  American    naturalist    a    populär   illustrated  magazine    of 

natural  history.  Vol.  3.  Nr.  1  —  12.  March  1869— February  1870. 

Vol.  4.     Nr.  1—2.     March.  April  1870.     8. 
bj     First  annual  report  of  the  trustees,  January  1869.     8. 

Von  der  Boston  Society  of  natural  History  in  Boston: 

a)  Proceedings.     Vol.  12.    18—23.     Vol.  13.    1  —  14.     1869.     8. 

b)  Address  delivered  on  the  centennial  anniversary  of  the  birth  of 
Alexander  von  Humboldt  by  Louis  Agassiz.     1869.     8. 

Von  der  Portland  Society  of  natural  history  in  Portland: 

a)  Proceedings.     Vol.  1.     Part.   1.  2.     1862.     1869.     8. 

b)  Journal.     Vol.  1.     Nr.  1.     1864.     8. 

c)  Reports  of  the  commissioners  of  fisheries  of  the  state  of  Main. 
For  the  year  1867—1869.     Augusta  1869.     8. 

Von  der  American  Association  for  the  advancement  of  sciewe  in 
Cambridge : 
Proceedings.    Seventeenth  meeting  held  at  Chicago,  Jllinois.    August 
1868.     1869.     8. 


400  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Vom  Essex  Institute  in  Salem: 

a)  Bulletin.    Vol.  1.    Nnmber  1 — 12.    January— December  1869.  8. 

b)  Proceedings.    Vol.  5.    Nr.  3.  4.    July  —  December  1866.    Vol.  6. 
Part.  1.     186S.     8. 

c)  Record  of  American  Entomology  for  the  year  1868.    1869.    8. 

Von  der  Sociedad  Mexicana  de  historica  natural  in  Mexiko: 
La  Naturaleza.     Entrega    1  —  7.     Junio  —  Diciembre  1869.     Entrega 
8  —  11.     Enero— Abril  1870.     8. 


Vom  Herrn  Hermann  Kolbe  in  Leipzig: 
Journal    für    praktische    Chemie.      Neue    Folge.      Bd.    2.      Heft  6.   7 
und  8.     1870.     8. 

Voyn  Herrn  M.  Charles  Grad  in  Türkheim: 
Essais  sur  le  climat  de  l'Alsace  et  des  Vosges.   Mulhouse  1870.    8. 

Vom  Herrn  Rudolf  Wolf  in  Zürich: 

a)  Astronomische  Mittheilungen.     26.     1870.     8. 

b)  Schweizerische  meteorologische  Beobachtungen.    Sechster  Jahr- 
gang 1889.     1370.     4. 

Vom  Herrn  Kittel  in  Aschaffenhurg : 
Grundzüge    der  Naturgeschichte    für    den    ersten    wissenschaftlichen 
Unterricht.     Verfasst  von  Fürnrohr.     Augsburg  1870.     8. 

Vom  Herrn  M.  Ä.  Colding  in  Kopenhagen : 
Extrait    d'un    memoire    sur   les   lois    des  courants  dans  les  conduits 
ordinaires  et  dans  la  mer.     1870.     4. 

Vom.  Herrn  F.v.  Hayden  in  Washington: 

a)  Geological    report    of  the  exploration  of  the  Yellowstone  and 
Missouri  Rivers  1859—60.     1869.     8. 

b)  U.  St.  geological  Survey  of  Colorado  and  New  Mexico.  1869.  8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  401 

Von  den  Herren  B.  Silliman  tind  James  D.  Dana  in  Neto-Haven : 
American  Journal  of  sciences  and  arts.     Yol  47 — 49.     Nr.  141 — 146. 
May  18G9  — March  1870.     8. 

Vom  Herrn  Eohert  Ä.  Parrish  in  Philadelphia: 
Details  of  an  unpaid  claim  on  France  for  24,000,000  Francs  guaran- 
teöd  by  the  parole  of  Napoleon  III.     1869.     8. 

Vom  Herrn  Samuel  Abhot  in  Boston: 
Report   to   the   international  sanitary   Conference,    of  a   commission 
from  that  body  on  the  origin ,   endemicity ,   transmissibility  and 
propagation  of  asiatic  cholera.     1867.     8. 

Vom  Herrn  Aug.  Goiäd  in  Boston : 
Report  on  the  invertebrata  of  Massachusetts.     1870.    8. 

Vom  Herrn  Hinrichs  in  Joica  ü.  S. : 

a)  Contributions  to  molecular  science  or  atoraechanics.    1868.   8. 

b)  The  lilies  of  the  fields,  of  the  rocks  and  of  the  clouds,  a  few 
remarks  on  the  resemblance  between  the  flowers  and  the 
crystals.     1869.     8. 


[1870.  II.  4.]  27 


Sacli-Register. 


Aegrypten,  Beilage  A — S.  337. 
Akkerman  .»weisse  Stadt''  228 
Altdeutsches  15.  39.   103.  183. 
Altspanisches  201. 
Ammoniak,  huminsaures  300. 
Apollonius  von  Tyrus  270. 
Arabisch-Spanisches  237. 
Archaeologie  205. 


Bauernkrieg  333. 

Berliner  Bibliothek  374. 

Boetius  175. 

Bryennius'  Harmonik  237.  241. 


Chemie  1.  9.  125.  304.  306.  310.  394. 

Chemie  und  Mineralogie  8. 

Cid,  cronica  rimada  201. 

Colonienbildung  der  Arten  (durch  Separation)  155. 

Confucius  120. 


Dante  48. 
Darwin  154. 

27* 


404  Sach-Begister. 

Electrophor  134. 

Elsass  327. 

Eppele  von  Gailingen  377. 


Foraminiferenfauna  der  Alpen  Oesterreichs,  Bayerns,  der  Schweiz  278. 


Crährungsbutylalkohol  306. 
Geographie  221.  313.  337. 
Glossar,  lateinisches  197. 
Guanidine  (substituirte)  304. 


Harpyienmonument  von  Xanthos  205. 
Helmkleinode  120. 
Hildegard,  heilige,  Gebetbuch  109. 
Hochasien,  dessen  Gebiete  313. 

dessen  Bewohner  322. 
Humussubstanzen  und  Pflanzenernährung  302. 


Insektentorf  293. 


Johannesminne  (niederdeutsch)  15. 
Johanneswein  22. 
Jourdain  de  Blayes  270. 


xa).6y£Qog  235. 
Keimen  der  Samen  289. 
Kieselerdegehalt  der  Pflanzen  300. 
Kirchenlieder,  griechische  53.  75. 
Kohlensäuregehalt  der  Luft  394. 
Krystallwasser  1. 


Laach,  dessen  alter  Krater  276. 
Lancelotfragment  (niederdeutsches)  39. 


Sach-Begister.  405 


Landkarte,  die  älteste  337. 
XenroTr/s  in  der  Plastik  214. 

Marco  Polo  225. 
Mathematik  327, 
Methyluramin  305. 
Metrik,  mittelhochdeutsche  164. 
Mineralogie  1.  9.  271. 
Monazit  vom  Laachersee  271. 

tafelförmige  Ausbildung  273. 

Fundstätten  276. 
Morphologie  der  Organismen  142. 
Münchener  Staatsbibliothek  75.  109. 

UniverBitätsbibliothek  197. 
Musik,  byzantinische  241. 

Niederdeutsches  39. 

¥il  354.  367. 

Nubische  Goldminen  338.  865.  370. 


Ontogenesis — Phylogenesis  164. 

Paläontologie  278. 

Papyrus  Prisse  (III.  lY.)  238.  (Beilage). 

Pflanzenphysiologie  289.  300. 

Physik  134. 

Poesie,  byzantinische,  vgl.  Kirchenlieder. 

Proven^alisch  175. 

•faXtixT]  ri/vn  267. 

Eaimundus  Lullus  270. 
Rautenöl  9. 

Schiltberger's  Reisebuch  221. 
Schwabacher  Kirchenbibliothek  15. 
Schweiz,  alte  geschichtliche  Lieder  379. 
Selectiona-Separationstheorie  1 62. 


406  Sach-Register, 

Simon's  Reimchronik  385. 
S.  Sophronius  53. 
SpricLwörter,  deutsche  25. 
Steinkohlenleuchtgas  und  Keimung  298. 
Style  der  griechischan  Kunst  205. 
der  kleinasiatische  217. 


Tampico-Jalape,  deren  Harz  (Tampiciu)  125. 
Thierepos  270. 
Tigris-Wolga  225. 
Triodiura  57. 
Turnerit-Monazit  272. 


Valerian-Säuren  808. 

verschiedenen  Ursprungs  310. 
Volkslieder,  deutsche,  historische  373. 
Volkslied-Romance  376. 
Vorauer  Handschrift  186. 


"Weissrussland  231. 
Wiener  Hofbibliothek  267. 
Würzburger  Archiv  373. 


Zonaras  75. 


Namen -Eeoister 


Bauernfeind  (Wahl)  239. 

Baeyer,  in  Berlin.  (Wahl)  240. 

Beetz  134. 

Bezold,  V.,  134. 

Brunn  205. 

Bruun  in  Odessa  221. 

Buchner  9.  125 

Christ  53.  75.  237.  241. 

Dudik,  in  Wien,  CWahl,^  240. 


Erlenmoj-er  (Wahl)  239. 
304.  306.  308. 


Gegenbauer,  in  Jena,  (Wahl)  240. 

Gorup-Besanez,  v.,  9. 

Grimm.  Ferd.,  9. 

Gümbel  278. 

Häckel,  in  Jena,  (Wahl)  246. 

Heerwagen,  in  Nürnberg,  (Wahl)  240. 

Helmholtz,  in  Heidelberg.  (Wahl)  240. 

Hesse  (Wahl)  239. 

Hlasiwetz,  in  Wien,  (Wahl)  240. 

Hofmann  15.  89.  175.  197.  270. 


408  Namen-Begister. 

Keinz  109. 
Kobell,  V.,  1. 

Lauth  238  und  Beilage.    337. 

Liliencron,  v.,  373. 

Löher,  v.,  120.  327. 

Lucae,  in  Frankfurt  a/M.,  (Wabl)  240. 

Luebke,  v.,  in  Stuttgart,  (Wahl)  240. 

Müller,  M.  J.,  237. 

Paranikas  53. 
Pettenkofer,  v.,  394. 
Plath  120. 
Pott,  in  Halle,  (Wahl)  240. 

vom  Rath,  in  Bonn,  (Wahl)  240. 

271. 
Eiehl  238. 
Ritter  (Wahl)  239. 
Rutimeyer,  in  Basel,  (Wahl)  240. 

Sandberger,  in  Würzburg,  (Wahl)  240. 
Schlagintweit-Sakünlünski,  v.,  313. 
Seidel  327. 

Spach,  in  Strassburg,  (Wahl)  240. 
Spirgatis  125. 

Thomas  221. 

Tschermak,  in  Wien,  (Wahl)  240. 

Togel  (Wahl)  239. 

289.  300. 
Voit  (Wahl)  239. 

Wagner,  Mor.,  164. 


AS       Akademie  der  Wissenschaften, 

182      Munich 

M8212       Sitzungsberichte 

1870 

Bd. 2 


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